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Whitebeards Söhne & Töchter

Marco x Ace x Nojiko | Law x Nami
von

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Teil 1: Had Me From Hello [1]


 

You never know when you're gonna meet someone

And your whole wide world in a moment comes undone

- Daughtry, Start of Something Good
 


 

I

Die Pommes wurde in das Ketschup getunkt und in den Mund geschoben. Gleichzeitig ließ Ace das Zippo in der anderen Hand auf- und wieder zuschnappen, wieder und wieder. Das Klicken gesellte sich zu dem allgemeinen Stimmengewirr, welches ohnehin nur schwerlich über der Musik der Bar zu vernehmen war.

„Ich glaube ja nicht, dass es erlaubt ist, sein eigenes Essen mitzubringen“, sagte eine klare Stimme gerade laut genug, damit Ace es hörte.

Er sah auf, während die nächste Pommes aus dem Pappschälchen auf halbem Weg zu seinen Lippen einfror. Vor ihm stand eine Frau mit violett gefärbten Haaren, die von einem roten Tuch davon abgehalten wurden, ihr in die Augen zu fallen. Sie hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt und balancierte mit der anderen ein Tablett mit Bier- und Cocktailgläsern. Doch es waren die geschnörkelten Tätowierungen, zu denen Aces Blick wanderte. Diese zogen sich von ihrem rechten Oberarm hinauf zu ihren Schlüsselbeinen. Sie formten ein Herz in ihrer Mitte, welches Ace einen Moment zu lang anstarrte.

Nur langsam setzte die Pommes ihren Weg zu seinem Mund fort. „Ich kenne die Besitzerin“, antwortete Ace, als würde das alles erklären. Andererseits ließ Makino ihnen alles durchgehen, weshalb das Grandline unter anderem auch das Stammlokal von Whitebeards Söhnen war.

Die Frau ihm gegenüber hob unbeeindruckt eine Augenbraue, als sie sein leeres Bierglas mit einem gefüllten von ihrem Tablett ersetzte. „Tust du das?“

„Ja, aber dich kenne ich noch nicht.“ Ace hielt sich oft genug hier auf, so dass er jede der Barkeeperinnen beim Vornamen kannte. Key West war nicht so furchtbar groß, als dass man ansässige Bewohner nicht bereits vom Sehen kannte. Touristen kamen und gingen, aber mit ihrer sonnengebräunten Haut und der Lässigkeit ihrer Bewegungen wirkte sie auf ihn nicht wie ein Besucher der Key Inseln.

„Und das wird sich auch nicht ändern“, erwiderte sie, bevor sie ihn an seinem Tisch sitzen ließ. Mit schwingenden Hüften suchte sie sich den Weg zwischen den Tischen hindurch und verschwand hinter dem Tresen, an dem die grünhaarige Besitzerin gerade Gläser schrubbte.

Ace sah ihr nach und kaute auf seiner Pommes herum, bevor er sich auch die anderen nach und nach in den Mund schaufelte. Das Bier trank sich von allein, während die Abendsonne, die durch die Fenster fiel, hinter dem Horizont verschwand und Dunkelheit zurückließ. Mit ihr wurde die Musik laut, der Bass vibrierte und unzählige Körper bewegten sich in seinem Takt, bewegten sich in ungeachteter Synchronisation. Aces Blick galt auch weiterhin der neuen Barkeeperin, die kein einziges Mal in seine Richtung schaute und mit einigen Männern plauderte, wenn sie nicht gerade für Getränkenachschub sorgte.
 


 

II

Tagsüber war das Grandline bis auf ein paar vereinzelte Gäste weitgehend leer. Die Bar war ein Ort zum Zurückziehen, wenn die Hitze einem zu viel wurde. Doch der seichte, vom Meer herangetragene Wind erfrischte genug, um nicht auf die Ventilatoren an den Decken zurückgreifen zu müssen, die langsam ihre Kreise über ihren Köpfen drehten.

Ace erkannte einige ihrer Jungs in den hinteren Ecken des Lokals mit den ersten alkoholischen Getränken des Tages. Seine Schritte führten ihn jedoch direkt zu dem Tresen hinüber, während er sein hellblaues T-Shirt zurecht zupfte, welches er sich von Marco ausgeborgt hatte und das sich mit seiner schwarzen Dreiviertelhose biss. Es hatte sauber über der Stuhllehne gehangen, als er vor einigen Stunden aus dem Bett gekrochen war. Von Marco war keine Spur mehr gewesen, aber es passierte so gut wie immer, dass Aces Hand sich ausstreckte und eine verlassene Bettseite ertastete. Marco war eben ein Frühaufsteher, der immer irgendetwas zu tun hatte. Darum beneidete Ace ihn nicht. Nein, Marco war nicht ganz so entspannt und verschlafen wie er aussah und immer tat, was ihn jedoch für Ace damals erst interessant gemacht hatte.

„Ich hoffe, du suchst nicht nach einer Unterhaltung“, begrüßte ihn die Barkeeperin mit derselben kalten Schulter vom Vortag. „Da bist du bei mir jedenfalls an der falschen Adresse.“

Ace blinzelte und seine Mundwinkel hoben sich zu einem halbherzigen Lächeln. Obwohl ein Teil von ihm damit gerechnet hatte, hatte er nicht eine derartige Abweisung seiner Person gegenüber erwartet. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, dass du etwas gegen mich hast. Dabei weißt du nicht mal, wer ich bin“, sagte Ace, als er es sich auf einem der Barhocker gemütlich machte. Die Arme bettete er auf den Tresen und die Finger einer Hand fanden von allein den Weg in die kleine Schale mit den Erdnüssen.

Die Frau auf der anderen Seite des Tresens spülte seelenruhig den Lappen im Waschbecken aus, mit dem sie zuvor geputzt hatte. „Oh, ich weiß ganz genau, wer du bist.“ Ihre dunklen Augen erfassten ihn. „Du gehörst zu Whitebeards Leuten. Wie fast alle, die in diesen Laden kommen.“

Beide starrten sich an, wobei sie krampfhaft versuchte ihn wütend anzusehen und den Blickkontakt aufrecht zu erhalten. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte sie sogar, als ob sie Ace den Lappen an den Kopf werfen wollte. Vielleicht lag es daran, dass Ace unwillkürlich grinsen musste oder an seiner fehlenden Erwiderung.

„Du mag den Job hier nicht, oder?“, fragte Ace und warf sich eine weitere Handvoll Erdnüsse in den Mund.

Sie schnaubte. „Ich bewirte nicht gern Verbrecher, das ist alles.“ Trotz ihrer Worte schleuderte sie den Lappen in das Waschbecken und bückte sich, um eine Kiste unter dem Tresen hervorzuziehen und Ace eine Bierflasche vor die Nase zu stellen, die er nicht bestellt hatte.

Ace zog sie am Flaschenhals zu sich heran und drehte sie hin und her, seine Augen auf das Etikett geheftet. „Wir sind gar nicht so schlimm“, antwortete er, denn widerlegen, dass sie Verbrecher waren, konnte er nicht. Nur weil Whitebeard einen Deal mit der örtlichen Polizei ausgearbeitet hatte, bedeutete das nicht, dass alle ihre Geschäfte legal waren. Das konnte kaum ferner von der Wahrheit sein und die Feinde, die sie hatten, waren nur ein weiterer Beweis dafür. „Ich meine, wenn man sich Zeit nimmt und uns etwas besser kennen lernt, dann sieht man das“, fügte Ace hinzu, als er zu ihr hinüberschielte und ihrem skeptischen Blick begegnete.

„Was ist, wenn man euch nicht besser kennen lernen möchte?“, konterte sie.

Sein Mund öffnete sich, aber das Vibrieren seines Smartphones in der Hosentasche lenkte Ace ab. Er fischte es heraus und warf einen Blick auf das Display. „Ich muss gehen“, sagte er abwesend und kramte ein paar Münzen aus der anderen Hosentasche, die er über den Tresen zu der tätowierten Barkeeperin hinüberschob.

Mit den Tanktops, die sie stets trug, zogen die Tätowierungen Aces Aufmerksamkeit jedes Mal ganz gegen seinen Willen auf sich. Womöglich hätte er das Hemd zu Hause lassen sollen, damit sie seine Tätowierungen ebenfalls bewundern konnte. Das hätte unter Umständen das Eis brechen können.

„Danke für das Bier.“ Ace hob die Hand mit der Bierflasche zum Abschied, als er sich vom Stuhl schob und aus dem Grandline marschierte.
 


 

III

Letzte Sonnenstrahlen tauchten den Himmel in ein dunkles Rot, welches in der Ferne bereits in ein Violett überging. Es war der Haarfarbe der Barkeeperin nicht unähnlich, stellte Ace auf den ersten Blick fest.

Er stopfte die Hände in die Taschen und joggte die Stufen hinunter, die von Whitebeards Villa hinunter auf den Pfad führten. Thatch folgte ihm auf dem Fuße, als sie sich gemeinsam von dem Hauptsitz ihrer Familie entfernten. Das Anwesen war auf einem Hügel erbaut worden und erhob sich wie ein Koloss aus weißem Stein in den Abendhimmel hinauf. Obwohl Ace erst seit einigen Monaten zu Whitebeards Söhnen gehörte, kam es ihm vor, als wäre er schon ewig ein Mitglied von ihnen. Es war erstaunlich einfach gewesen, Whitebeard als seinen Vater zu akzeptieren, auch wenn er nie einen hatte haben wollen.

„Wo hast du Marco gelassen?“, fragte Thatch und tastete vorsichtig an seiner Haartolle entlang, als der Wind an ihr zu ziehen versuchte. „Normalerweise seid ihr doch unzertrennlich. Fast so wie zusammengewachsene Zwillinge.“

Ace zuckte mit den Schultern. „Er muss noch was mit Paps besprechen. Du weißt doch, dass seine Besprechungen immer länger sind als unsere. Wir sind also heute Abend allein.“ Obwohl Ace bei der erhaltenen Textnachricht gedacht hatte, dass es sich um etwas Wichtiges handelte, hatte man sie nur über die neusten Entwicklungen mit Don Quichotte de Flamingo eingeweiht. Es war kein Geheimnis, dass das Oberhaupt der Flamingo-Familie in Texas ein Auge auf Whitebeards Territorium geworfen hatte. Trotz aller Warnungen und Drohungen herrschte jedoch bereits seit Jahren ein unausgesprochener Waffenstillstand zwischen beiden Seiten. Allerdings musste Ace kein Genie sein, um zu wissen, dass Doflamingo nur darauf wartete, dass Whitebeard und seine Anhänger Schwäche zeigten. Da konnte er jedoch ewig warten.

„Das ist nicht gut“, fasste Thatch inzwischen zusammen und holte Ace somit aus seinen Gedanken. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, bis die Narbe am linken Auge spannte. „Jedes Mal, wenn wir allein trinken gehen, stecken wir am Ende in Schwierigkeiten. Denk nur an letztes Mal, als diese Kerle unsere Kleidung verlangt haben und wir nackt nach Hause laufen mussten.“

Ace stieß ein Lachen aus. Daran konnte er sich noch sehr gut erinnern. Es hatte mit einem harmlosen Armdrücken im Grandline angefangen, bis es vor der Tür in eine Schlägerei ausgeartet war und die Kerle gewonnen hatten, weil sie eindeutig in der Überzahl gewesen waren. Dabei war sich Ace sicher, dass er sie erledigt hätte, wenn Thatch ihn nicht zurückgehalten hätte. Doch diese Aktion war nicht so unangenehm gewesen, wie von Marco in einem Motel gefunden zu werden, in dem eine Stripperin einen mit Handschellen an das Bettgestell gekettet hatte, nachdem sie einen obendrein noch ausgeraubt hatte.

„Makino wird da sein“, konterte Ace. „Sie wird aufpassen, dass du nicht in Schwierigkeiten gerätst. Ich meine, jetzt, da ihr miteinander ausgeht.“

Thatch schwieg.

Als Ace zu ihm herüberschaute, konnte er im fahlen Licht einer Laterne den roten Schimmer auf seinen Wangen ausmachen, der ihn abermals zum Grinsen brachte.

„Manchmal kann ich es nicht glauben, dass sie... sie und ich... wirklich...“ Thatch brach ab, ohne seinen Satz zu beenden.

Ace klopfte ihm auf dem Rücken. „Versteh schon.“

Das Grandline befand sich im Zentrum von Key West, doch der kleine Fußmarsch war schnell hinter sich gebracht. Die Musik war bereits von draußen zu vernehmen und kaum ein Tisch war noch frei, als sie sich zu der feiernden Menge gesellten.

„Ich besorg uns was zu trinken. Such du einen Tisch, Ace“, sagte Thatch. Seine Schultern strafften sich, bevor er mit gerader Haltung und in einem versucht lässigen Gang zum Tresen marschierte, hinter dem Makino einige Cocktails mischte. Ein Tuch bedeckte ihr kurzes Haar und ihr Gesicht hellte auf, als Thatch sie erreichte. Was sie sagten, konnte Ace aber nicht verstehen, als er nach freien Plätzen suchte.

Thatch ließ nicht lange auf sich warten und sackte auf den Stuhl ihm gegenüber. Der ältere Mann reichte ihm ein Glas, bevor er seines fast in einem einzigen Zug leerte.

Aces Augen wanderten durch den Raum und über die Gesichter der Anwesenden. Er hob die Hand zum Gruß, als er Vista, Haruta und einige andere in der Menge entdeckte, doch von der neuen Angestellten war keine Spur zu sehen.

Er beugte sich zu Thatch hinüber. „Hast du eigentlich mitbekommen, dass es eine neue Barkeeperin gibt?“

Thatchs Blick wanderte umher, doch auch er schien nicht zu finden, wonach er suchte. Das bedeutete wohl, dass sie tatsächlich nicht hier war. „Du meinst Nojiko?“, wandte sich Thatch ihm zu. „Soweit ich weiß, hat sie einen Stand mit Orangen auf dem Markt, wo Makino immer die Lebensmittel für das Grandline kauft.“

Ace legte die Stirn in Falten, während er das Kinn auf der Handfläche bettete. „Wozu braucht sie dann einen zweiten Job?“

„Ihre Mutter ist vor einer Weile gestorben, hat Makino gesagt. Und dann sind da die finanziellen Probleme“, antwortete Thatch, der bereits wieder mit Makino über den Trubel in der Bar hinweg liebäugelte. Es war ein einseitiges Liebäugeln, da sie mit dem Bewirten neuer Gäste beschäftigt war.

Nachdenklich nahm Ace einen Schluck aus seinem Glas.
 


 

IV

Warme Lippen in seinem Nacken holten Ace mehr und mehr aus dem Land der Träume. Mit dem Bewusstsein kam auch der Schmerz hinter seiner Stirn zum Vorschein, der sich verschlimmerte, als Ace die Augen öffnete und mit einem sonnendurchgefluteten Raum konfrontiert wurde. Mit einem Ächzen drehte er sich auf den Bauch und presste das Gesicht in das Kissen.

„Wie spät ist es?“, nuschelte er in den Stoff hinein.

Zeitgleich wurde das Bett von einem kleinen Erdbeben erschüttert. Ace musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass sich Marco auf einem Ellbogen abstützte, um einen Blick auf den Wecker auf seinem Nachttisch zu werfen. „Zu spät.“

„Warum bist du dann noch hier?“ Immerhin war Marco immer beim Morgengrauen auf den Beinen. Was genau er so früh tat, hatte Ace in all der Zeit noch nicht herausgefunden gehabt, aber er hatte es auch noch nie geschafft so früh aufzustehen.

Vertraute Finger verwuschelten Aces Haar. „Und ich dachte, du würdest dich freuen mich zu sehen.“

Ace hob den Kopf mit einem heftigen Ruck, der für ein stärkeres Hämmern hinter seinen Schläfen sorgte. „Natürlich freue ich mich“, presste er hervor und legte eine Hand an die Stirn, da er sich kurzzeitig wie auf einem Karussell fühlte.

„So siehst du nicht aus“, konterte Marco. „Eher so, als hättest du gestern mal wieder zu viel getrunken. Scheinbar hab ich mich geirrt, als ich gedacht habe, dass ihr einen Abend mal ohne mich auskommt.“

Ein Blinzeln seitens Ace verriet, dass Marco auf der Seite lag, das Gesicht mit einer Hand abstützend, während die andere Hand bequem auf seiner Hüfte ruhte. Er lag im Schatten des Zimmers, doch seine sonnengebräunte Haut erinnerte dennoch an Nojiko. Dasselbe galt für die Tätowierung, die seinen Brustkorb zierte, denn wie alle von Whitebeards Söhnen trug auch Marco sein Zeichen auf dem Körper.

Ein Grinsen zog an Aces Lippen, als er eine Hand in Marcos Nacken legte und ihn zu sich heranzog. Diese Geste war noch immer mit einem Zögern unterlegt, denn manchmal war es schwer vorstellbar, dass Marco es einfach so zuließ. Andererseits kannte er nicht die Wahrheit über Ace, wusste nicht um das Blut, das in seinen Adern floss. Ansonsten... Er wollte daran glauben, dass sich dann nichts ändern würde zwischen ihnen und Marco ihn nicht wegstoßen würde, es trotzdem zulassen würde, dass Ace ihn küsste.

Er löste sich von Marco, um sich umständlich aus dem Bett zu rollen. Das Blut rauschte in seinen Ohren und sein Herz stolperte in seiner Brust, was seine Kopfschmerzen kaum besser machte. Nur in seinen schwarzen Boxershorts wanderte Ace zu dem Stuhl hinüber, auf den er gestern Nacht seine Dreiviertelhose abgelegt hatte. Er zog sie an, wobei er fast das Gleichgewicht verlor und durch das Zimmer hüpfte.

Marco lag noch immer bewegungslos im Bett und beobachtete ihn mit einer gehobenen Augenbraue. „Aspirin sind in der ersten Schublade in der Küche“, sagte er, als er sich schließlich doch aufsetzte. Die Decke rutschte herunter und sammelte sich in seinem Schoß. „Willst du Frühstück?“

Doch Ace schüttelte den Kopf und suchte nach einem frischen Hemd. Er zog eines mit gelbschwarzen Streifen am und schlüpfte anschließend in seine Stiefel. Er sah zu Marco hinüber, der genauso verlockend aussah, wie sich sein Angebot anhörte und grinste, als er sich seinen orangenen Cowboyhut aufsetzte. „Ich muss was erledigen. Wir sehen uns später.“ Mit diesen Worten und knurrendem Magen marschierte er aus dem Zimmer. Marcos verwirrten Blick nahm er gar nicht mehr wahr, als er in die Küche von Marcos Eigentumswohnung spazierte, die irgendwann zu ihrer geworden war.
 


 

V

Regen fiel. Das Plätschern gesellte sich zu Aces schwindenden Kopfschmerzen und das Wetter tauchte die Straßen von Key West in Farblosigkeit. Sein Hut hielt ihm die Nässe aus dem Gesicht, denn der Wind war abgeflaut und hinterließ feuchtwarme Hitze, die klebte, obwohl sie sich direkt am Meer befanden.

Ace hätte eine Jacke mitnehmen sollen, wurde ihm bewusst, als der Regen allmählich durch sein Hemd weichte. Pfützen sammelten sich, während Touristen und Bewohner zugleich nach überdachten Orten suchten, bis der Schauer sich wieder gelegt hatte.

Seine Füße trugen Ace inzwischen von ganz allein zum Markt hinüber, der jeden Vormittag auf demselben freien Platz abgehalten wurde. Allerlei Stände waren aufgebaut worden, aber die meisten waren um diese Uhrzeit bereits wieder geschlossen. Es war ein sinnloses Unterfangen, das wusste Ace. Dabei konnte er nicht mit Genauigkeit sagen, wieso er sich ein Frühstück und womöglich Sex mit Marco deswegen hatte durch die Lappen gehen lassen. Nojiko wollte nichts mit ihnen zu tun haben und jemand, der schlecht über Whitebeard und die Jungs sprach, konnte Ace ohnehin gestohlen bleiben.

Bis auf ein paar vereinzelte Menschen war der Platz verlassen. Ace brauchte den Blick daher nur einmal schweifen lassen, um Nojiko zu entdecken.

Der überdachte Stand schützte sie vor dem Regen, als sie die Orangen von der Ablage zurück in die Kisten räumte, die sich hinter ihr stapelten.

Ace zog sich hinter eine der Palmen zurück, die den schmalen Weg links und rechts säumten. Fast so, als könnte der schmale Stamm seine Gestalt verstecken. Dabei war Nojiko ohnehin zu sehr auf das Einpacken konzentriert, als dass sie auf ihre Umgebung achten würde. Ihre gesamte Aufmerksamkeit lag auf den Orangen, die sie mit behutsamen Fingern anfasste.

Der Regen, der sich in einem feinen Schleier über sie ergoss und rhythmisch auf das Dach des Stands plätscherte, störte sie nicht. Ace bezweifelte sogar, dass sie es wirklich wahrnahm. Sie war viel zu sehr in ihre eigene Welt vertieft, denn sie sah nicht einmal auf, als ein Pärchen Arm in Arm unter einem Regenschirm an ihr vorbeiging.

Vermutlich wäre dasselbe passiert, wenn Ace zu ihr hinübergegangen wäre. Aus diesem Grund machte Ace mit einem Schmunzeln kehrt, um sich stattdessen in einem der Diner Frühstück zu bestellen und seine Kleidung trocknen zu lassen. Er hätte Marcos Angebot annehmen sollen. Es geschah schließlich nicht allzu oft, dass Marco sich bereit erklärte ihnen Frühstück zu machen.
 


 

VI

Aces Hand berührte den Griff der Tür, als etwas im Inneren des Grandlines krachte. Noch bevor er sie aufstieß und eintrat, wusste er bereits, dass er nicht Makino an diesem Morgen antreffen würde. Vielleicht hatte er auch damit gerechnet, als er sich heute verfrüht aus dem Bett gequält hatte. Selbst Marco hatte noch geschlafen, weshalb er besonders leise gewesen war. Dass Marco ihn seit gestern etwas schräg von der Seite anschaute, war ihm nicht entgangen, denn es war seltsam für Ace ein Frühstück abzulehnen.

Die Luft, die ihm beim Eintreten entgegenstieß, war warm und stickig. Die Ventilatoren an der Decke waren ausgeschaltet und die Sonne fiel durch die geputzten Scheiben. Das Sonnenlicht suchte sich den Weg über den Holzboden.

Nojiko war gerade dabei einen umgefallenen Stuhl aufzuheben, bevor sie auch die restlichen Stühle von den Tischen nahm und sie aufstellte. Sie warf Ace einen flüchtigen Blick zu, einer der deutlich machte, was sie über Aces Auftauchen dachte – und Ace wurde wieder einmal bewusst, dass es eine dumme Idee gewesen war hierher zu kommen. Er hatte sich eingeredet, Makino einen Besuch abstatten zu wollen, aber wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, dann stimmte das nicht. Ganz im Gegenteil, er war sich ziemlich sicher gewesen, Nojiko vorzufinden, weil er anscheinend aus gestern nicht gelernt hatte. Wirklich erklären konnte er sich das nicht.

„Morgen“, sagte Ace und hob die Hand zum Gruß, als er zu Nojiko herübergeschlendert kam. Das giftgrüne Tanktop biss sich mit der Farbe ihrer Haare. Es gewährte einen guten Blick auf die verschnörkelten Tätowierungen, deren Ursprung Ace gern gekannt hätte.

„Wir haben geschlossen“, antwortete Nojiko. Sie sah ihn nicht mehr an, doch selbst von der Seite erkannte Ace die verschmierte Wimperntusche. „Falls du was trinken willst, musst du dir ein anderes Lokal suchen.“

Anstatt sie weiter anzustarren, vertrieb sich Ace die Zeit damit Nojiko beim Herunterstellen der Stühle zu helfen. „Ich bin nicht zum Trinken gekommen. Ob du es glaubst oder nicht, aber um die Uhrzeit nehm ich noch nichts Alkoholisches zu mir.“

Das Schnauben ihrerseits bestätigte, dass Nojiko ihm seine Halbwahrheit nicht abkaufte, denn es hatte durchaus schon Tage gegeben, an denen er es getan hatte. Meistens war es an besonderen Anlässen gewesen, wie die Geburtstage einer der Jungs oder einen gutausgehandelten Deal, von dem sie profitierten.

Ace grinste schief, ehe er ernster wurde. „Eigentlich weiß ich nicht, wieso ich hier bin.“ Sein Geständnis wurde mit einem minutenlangen Schweigen beantwortet, welches sich nicht deuten ließ.

„Ich weiß ganz genau, warum ich hier bin“, antwortete Nojiko schließlich. Nachdem sie auch den letzten Stuhl heruntergestellt hatten, wanderte Nojiko zum Tresen hinüber. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und griff nach dem Lappen, doch anstatt zu den Tischen zurückzukehren, sackte sie auf einen der Barhocker. Die Ellenbogen wurden auf den Tresen abgestützt, während ihre Finger den Lappen hin- und herdrehten. Allerdings erhob sie kein weiteres Mal das Wort. Es folgten keine Erklärungen und auch keinerlei Details.

Trotzdem gesellte sich Ace nach einem kurzen Zögern zu ihr. Vollkommen sicher, ob seine Anwesenheit überhaupt erwünscht war, war er sich jedoch nicht. Er setzte sich auf den Stuhl neben ihr, wobei er sie in dem breiten Spiegel hinter dem Tresen musterte, anstatt sie von der Seite anzusehen.

„In diesem Laden tummeln sich fast nur Verbrecher“, sagte Nojiko ungnädig nach weiteren Momenten der Stille. „Im Gegensatz zu anständigen Bürgern, die jeden Tag hart arbeiten, um sich über Wasser zu halten, nehmt ihr euch alles, was ihr wollt.“ Sie drehte den Kopf von Ace weg und starrte aus dem Fenster hinaus auf den sandigen Platz vor dem Grandline. Die Luft flimmerte unter der Sonne, während eine Brise die Blätter der Palmen bewegte. „Ihr tötet Menschen. Ich kenne all die Geschichten, die man sich hier über euch erzählt.“

„Gerüchte“, korrigierte Ace. „Wir gehen nicht rum und ermorden einfach jemanden. Ohne Whitebeard wäre die Insel nicht das, was sie heute ist. Weißt du, wie viele Leute es auf die Key Inseln abgesehen haben? Jeder will dieses Territorium haben, aber unter anderer Führung wäre es nicht so friedlich!“ Seine Stimme war unwillkürlich lauter geworden, bis Nojiko ihn ansah, irritiert und verwirrt zugleich. „Denkst du, dass dann die Kriminalitätsrate so niedrig wäre? Dass die Bürger ohne Bedenken ihre Geschäfte führen und ihre Arbeiten verrichten könnte? Ohne Whitebeard wäre das unmöglich.“

„Nicht alles ist so wunderbar, wie es auf den ersten Blick erscheint, Ace“, konterte Nojiko barsch und Aces Wut verpuffte, als sie ihn so unerwartet beim Vornamen nannte. Scheinbar hatte sie sich ebenfalls über ihn erkundigt oder sie hatte tatsächlich bei ihrer ersten Begegnung bereits gewusst, wer er war.

„Geht es hierbei um deine Mutter?“, fragte Ace.

Nojiko schaute genauso überrascht wie er zuvor, wobei die verschmierte Wimperntusche etwas von der Härte in ihren Augen nahm. Sie senkte den Blick auf ihre Hände, die noch immer mit dem Lappen spielten. „Mich hält nichts mehr in Key West“, sagte sie und auch der Zorn in ihr schien wie eine Seifenblase zerplatzt zu sein. „Ich versuche nur noch genug Geld zusammenzubekommen, um hier wegzuziehen. Meine Schwester wohnt nur einige Stunden entfernt und dort werde ich mich nach einer kleinen Wohnung umsehen. Nach einem Neustart. Dazu muss ich allerdings das Haus, in dem wir aufgewachsen sind, verkaufen. Einige Reparaturen sind fällig, was alle Interessenten bisher vergrault hat. Aber war erwarten sie auch, wenn eine Familie dort seit Jahrzehnten wohnt?“ Abermals schwoll ihre Stimme ein wenig an, aber diesmal war es aus Frustration.

Ace schwang sich mit einem Ruck von seinem Stuhl und umquerte den Tresen. „Wusstest du, dass ich der einzige in ganz Key West – vermutlich sogar in ganz Amerika – bin, der einen Feuerfaust mischen kann?“ Mit flinken Fingern, die verrieten, dass er nicht zum ersten Mal hinter der Bar stand, zog er den Shaker unter der Theke hervor. Anschließend drehte er sich zu den Flaschen, die in einem Regel hinter ihm ordentlich sortiert standen.

„Hast du nicht vor ein paar Minuten noch gesagt, dass es zu früh für Alkoholisches ist?“, fragte Nojiko. Mit dem Handrücken versuchte sie derweil das verschmierte Make-Up wegzuwischen.

„Hab ich das?“, erwiderte Ace, als er seinen selbstkreierten Drink zu mischen begann. „Ich kann mich nicht erinnern, so was gesagt zu haben.“ Sein Schmunzeln wurde mit einem leisen Lachen von Nojiko beantwortet, welches auch die letzte Feindseligkeit wegwischte.

„Du hast schon mal in einer Bar gearbeitet“, stellte sie fest.

Ace nickte. „Irgendwie muss man sich ja über Wasser halten.“

Zwei Cocktailgläser wurden mit der rötlichen Flüssigkeit gefüllt und Ace schob eines davon zu Nojiko hinüber. Sie beäugte es skeptisch. „Möchte ich das wirklich probieren? Der Name klingt vielsagend.“

Ace schnappte sich sein Glas, um es in einem langen Zug auszutrinken. Sein Gesicht gewann an Farbe, als er kurzzeitig die Lider zusammenpresste und schwer durch die Nase atmete. Er stützte sich am Tresen ab und es dauerte einige Sekunden, bis er wieder aufsah und atmen konnte. „Er brennt ein bisschen in der Kehle.“

„Ein bisschen?“, hakte Nojiko grinsend nach, bevor sie an ihrem eigenen Glas nippte. Sie räusperte sich. „Ein bisschen“, wiederholte sie belustigt, trank jedoch auch den Rest mit tränenden Augen, die dieses Mal rein gar nichts mit Geld oder ihrer verstorbenen Mutter zu tun hatten.
 


 

VII

Der Abend rollte mit Wolkenbergen an, die von einem regen Wind über den Abendhimmel getragen wurden. Die Wärme des Tages steckte noch immer in den Wänden der Bar und sperrte die Kühle aus, die vor der Tür lauerte.

Marco nahm einen Schluck von seinem Bier, wobei sein Bein unter dem Tisch an Aces lehnte, warm und vertraut und vielversprechend. „Wie wäre es, wenn wir uns heute früher auf den Weg nach Hause machen?“ Sein Gesicht war ausdruckslos, doch inzwischen hatte Ace gelernt, auch die kleinsten Regungen und Verhaltensweisen des Älteren zu interpretieren.

Ein Grinsen erschien auf Aces Lippen und er ließ das Zippo ein letztes Mal zuschnappen. Sein Blick wanderte durch den belebten Raum: Musik spielte im Hintergrund und die Tische waren durchgehend besetzt, so dass viele der Gäste standen oder zum Tanzen übergegangen waren. Thatch saß am Tresen und erzählte Makino irgendwelche Geschichten, die sie immer wieder zum Lachen brachte. Von Nojiko war keine Spur zu sehen.

Erst nach einigen Momenten kehrten Aces Augen zu Marco zurück. „Ich dachte, du fragst nie.“

Daraufhin erhob sich Marco und streckte sich genüsslich. Sein offenes Hemd gab Sicht auf Muskeln und Whitebeards Zeichen auf seinem Brustkorb. „Trink schon mal aus, während ich noch schnell die Toilette besuche.“ Er ging davon, jeder Schritt gemütlich und folternd zur gleichen Zeit.

Ace setzte die Bierflasche an die Lippen, um auch den Rest den Rachen herunterzuschütten. Geräuschvoll stellte er die Flasche zurück auf den Tisch. Bevor er aufstehen konnte, setzte sich eine Person ihm gegenüber. Es war nicht Marco, sondern eine Frau mit violett gefärbten Haaren und aufmerksamen Augen, die jede seiner Reaktionen aufs Genauste analysierte. Es war genau das Gegenteil von jeder vorigen Begegnung und stellte Ace die Nackenhaare auf.

„Ich habe mich nicht bedankt“, sagte sie ohne Begrüßung oder Erklärung. „Das wollte ich nur nachholen.“ Ihre Miene war furchtbar ernst und ließ Ace schmunzeln.

„Ich bin also doch nicht so schlimm, wie du dachtest?“

Nojiko stieß die Luft aus, doch ihre Mundwinkel hoben sich ein Stückchen und ließen Ace hinter die aufgesetzte Maske schauen. „Das hab ich nicht gesagt.“

„Gern geschehen“, erwiderte Ace und erhob sich aus seinem Stuhl. „Immer wieder gern.“

Sie sah misstrauisch zu ihm auf, doch scheinbar fand sie in seinem Gesicht, wonach sie gesucht hatte, denn sie lächelte ein schmales Lächeln. „Bis morgen, Ace.“

Grinsend verließ er das Grandline und vertrat sich die Beine vor der Tür, bis das Quietschen der Türscharniere Marco ankündigte.

Teil 1: Had Me From Hello [2]


 

I

Das Bett wackelte, einem kleinen Erdbeben nicht unähnlich. Es dauerte einige Momente, bis Marco das Gefühl zuordnen konnte und er die Augen einen Spalt breit öffnete.

Sonnenlicht flutete den Raum und ließ seine Sicht verschwimmen. Dennoch erkannte er den nackten Rücken, der ihm zugedreht war und auf dem Whitebeards Zeichen prangte. Es war größer als die eigene Tätowierung, die sich auf seinem Brustkorb befand, und erinnerte mehr an eine Piratenflagge.

Gerade als Marco mit dem Gedanken spielte, die Finger nach ihr auszustrecken, schob sich Ace vorsichtig aus dem Bett. Zumindest versuchte er vorsichtig und leise zu sein, aber er war nicht so bedacht, wie er immer annahm. Er war viel eher der Elefant im Porzellanladen.

Verschlafen sah Marco dabei zu, wie Ace in seine Boxershorts und seine schwarze Dreiviertelhose schlüpfte. Als er über seine eigenen Stiefel stolperte und sich gerade noch auf den Beinen hielt, konnte Marco sich das Schmunzeln nur mit Mühe verkneifen. Seine Lider schlossen sich wieder, sein Gesichtsausdruck bewegungslos und entspannt, obwohl sich die Zahnräder hinter seiner Stirn bereits wieder in Bewegung gesetzt hatten.

Es geschah selten, dass Ace vor ihm wach wurde, noch weniger, dass er ohne ihn aus dem Bett kroch. Sie kannten sich erst seit einem halben Jahr, aber Ace war eine geborene Nachteule, die nicht beim Morgengrauen aus den Federn kam. Erst in der letzten Woche hatte es sich verändert und es geschah immer öfter, dass Marco aufwachte, wenn Ace sich heimlich aus dem Zimmer stahl.

Marco folgte Ace gedanklich durch die Wohnung, ließ sich nur von den Geräuschen lenken. Die Dielen quietschten, als sich Ace durch den schmalen Flur bewegte, der alle Räume miteinander verband. Wasserrauschen drang aus dem kleinen Badezimmer, bevor die Dielen erneut quietschten, als er sich auf den Weg in die Küche machte. Dort verriet ihn das Klappern des Geschirrs, ehe wenig später die Haustür zuknallte und auch Marcos letzte Müdigkeit vertrieb. Allerdings konnte er nicht mit Sicherheit sagen, ob das nicht viel eher an Aces Geheimnistuerei lag, die vollkommen unerwartet aufgetreten war.

Für gewöhnlich war Ace bis auf seine Vergangenheit ein offenes Buch und selbst diese hatte sich Marco mit einer Recherche weitgehend zusammengestückelt. Er wusste, dass Aces Mutter durch Komplikationen bei der Geburt gestorben war. Ace war in Louisiana geboren, war jedoch bei seinem Großvater aufgewachsen, der ein hohes Tier bei der Polizei war. Damals, als sie sich in diesem Diner getroffen hatten, als Marco auf dem Weg nach Texas gewesen war, um etwas für Whitebeard zu erledigen, war Ace vor etwas auf der Flucht gewesen. Was es war, wusste Marco nicht, aber es verfolgte ihn auch heute noch. Davon zeugten die Alpträume, sein plötzliches Schweigen, wenn es um Vergangenes ging, und sein schlechtes Selbstbewusstsein, das er unter einer Maske der Gelassenheit versteckte.

Bisher war das alles jedoch kein Problem gewesen. Marco hatte sich stets eingebildet, dass er selbst Aces selbstzerstörerisches Verhalten unter Kontrolle hatte. Vielleicht war es aber tatsächlich nichts weiter als Einbildung gewesen, Wunschdenken eben.

Jedenfalls fühlte es sich nun an, als würde ihm Ace aus irgendeinem Grund wie Sand durch die Finger rieseln. Es konnte der Altersunterschied sein, der Marco von Anfang an Sorgen bereitet hatte, aber womöglich war es auch irgendwas aus Aces Vergangenheit. Diese hatte immerhin die ungute Angewohnheit immer wieder mit einem aufzuholen, egal wie sehr man sich anstrengte, um vor ihr wegzurennen. Aber vielleicht zerbrach Marco sich auch grundlos den Kopf und Ace war bloß wieder dabei irgendeinen Blödsinn mit Thatch auszuhecken.

Marco stieß ein Seufzen aus, als er sich aufsetzte und nach seiner Hose angelte, die neben dem Bett auf dem Boden lag. In der Wohnung war es still und es erinnerte ihn ein bisschen an die Jahre, bevor Ace sich ungefragt hier einquartiert hatte.
 


 

II

Dampf stieg von der dunklen Flüssigkeit auf, die Marco aus der Kanne in seine Tasse schüttete. Seine gesamte Wohnung war bereits mit dem Aroma des Kaffees gefüllt, ohne den er morgens nie wirklich wach wurde. Er lehnte mit dem Rücken an der Anrichte und nahm den ersten Schluck, als die Haustür aufgeschlossen wurde. Hatte Ace etwas vergessen? Unwahrscheinlich. Marcos Blick zuckte nach links, zu der Schublade, in der eine Pistole versteckt lag. Diese waren in der gesamten Wohnung verteilt, denn in ihrem Geschäft wusste man nie genau, wer durch die Tür trat. Es hatte schon genug gegeben, die mitten in der Nacht oder sogar am helllichten Tage in ihrem eignen Bett erschossen worden waren. Wie sie an die jeweiligen Schlüssel gekommen waren, war eine andere Frage. Aber man sagte nicht umsonst, dass wo sich ein Wille befand, es bekanntlich auch einen Weg gab.

Jeder Muskel war angespannt, doch noch bevor Marco einen Schritt in die Richtung der Schublade setzen konnte, knallte bereits die Tür zu und eine bekannte Stimme murmelte: „Mist.“

Marco hatte längst wieder die Tasse an seine Lippen gesetzt, als Thatch den Kopf in das Zimmer steckte. „Oh, gut, du bist wach“, sagte Thatch und stieß erleichtert den Atem aus.

„Es wird kein Morgen vergehen, an dem ich nicht wach bin, wenn du dich mit dem Schlüssel, den du schon vor Monaten zurückgeben solltest, hereinlässt“, antwortete Marco.

Obwohl Marco ernst blieb und keinerlei Regung zeigte, breitete sich auf Thatchs Gesicht ein Grinsen aus. „Ich behalte ihn für Notfälle.“ Er kam in die Küche getrabt und ließ sich auf dem Tisch nieder, der mit einigen Stühlen in der Ecke stand. Die Tüte mit frischen Brötchen, die er bei sich trug, stellte er neben sich ab. „Stell dir vor, du fällst aus dem Bett und kannst nicht aufstehen? Ich hätte eine fünfzigprozentige Chance dich zu retten, sollte mir Ace nicht zuvor kommen.“

Marco hob die Augenbrauen. „So alt bin ich nun auch wieder nicht.“ Ein Kopfschütteln folgte. „Wo hast du Ace gelassen?“

„Ace?“ Thatch öffnete die Tüte mit den mitgebrachten Brötchen, um sich eines herauszuangeln. Der Duft von frischem Gebäck strömte durch das Haus, vermischte sich mit dem Geruch von Kaffee, bevor er Marco in die Nase stieg. „Der ist im Grandline. Wo soll er sonst um diese Uhrzeit sein?“, erzählte Thatch mit vollem Mund und fast unverständlichen Worten. Allerdings hatte Marco keine Schwierigkeiten damit ihn zu verstehen, denn er verbrachte seine Zeit täglich mit Leuten, die stets beim Essen redeten.

„Da treibt er sich dort neuerdings also nur noch herum?“

Noch bevor Marco seine Frage zu Ende gestellt hatte, hielt Thatch beim Kauen inne, das Brötchen, welches ein zweites Mal auf dem Weg zu seinen Lippen war, eingefroren. Stattdessen starrte Thatch ihn an, als hätte Marco etwas im Gesicht. Dass dem jedoch nicht so war, wusste er, denn er war erst vor einigen Minuten aus dem Badezimmer getreten.

„Schon gut“, entrann es Marco und er verdrehte die Augen in schlechter Vorahnung.

„Warte... warte, warte!“ Er schob sich vom Tisch und strich seinen weißen Anzug glatt, wobei das Brötchen wieder unachtsam in der Tüte landete. „Versteh ich das richtig? Ich weiß besser darüber Bescheid, was Ace macht, als du? Als sein Freund? Sein Partner? Sein Gelie—“

„Es wäre besser, wenn du nicht weitersprichst“, fiel Marco ihm ins Wort. „Außerdem glaube ich nicht, dass du hier bist, um über mein Liebesleben zu sprechen.“ Er nickte zu den Brötchen hinüber.

Für einen Moment sah Thatch aus, als wollte er noch etwas sagen, bevor seine stramme Figur in sich zusammensackte und die Genugtuung verpuffte. „Nein, eigentlich bin ich zum Frühstücken gekommen“, verbesserte sich Thatch und kratzte sich am Hinterkopf, als er den Weg zum Kühlschrank einschlug. „Leider hat mein Geld für den Belag nicht mehr gereicht. Oder für den Kaffee.“

„Ich dachte, dafür hast du nun Makino.“

Thatch lachte rau auf, um über die roten Ohrenspitzen hinwegzutäuschen. „Aber wenn sie bemerkt, dass mein Geldmanagement zu wünschen übrig lässt, wird sie vielleicht nicht mehr mit mir ausgehen. Ich will nicht, dass sie schlecht über mich denkt.“

„Aber wie ich über dich denke, ist dir egal“, sagte Marco, obwohl Thatch sich bereits dem Inhalt seines Kühlschranks zugewandt hatte, der bei Aces ausgeprägten Appetit ohnehin stets halbleer war.
 


 

III

Das Grandline lag auf dem Weg. Zumindest war der Umweg klein genug, um nicht als ein solcher zu gelten und – noch wichtiger – Thatch nicht aufzufallen. Vielleicht war es diesem aber auch egal, da Makino die Besitzerin war und Thatch inzwischen Grund genug hatte, um sie so oft wie möglich zu besuchen.

Gemütlich gingen sie nebeneinander her, als sie die kleine Bar ansteuerten, die sich am Rande von Key West befand. Die Morgensonne färbte alles in ihrem rötlichen Licht, während der blaue Himmel ins Endlose zu reichen schien. Ein paar vereinzelte Jogger waren unterwegs, während Stimmen vom Strand herüberschallten, der nur einen kleinen Fußmarsch entfernt war. Es war ein vertrautes Geräusch, welches Marco an manchen Tagen vermisste, wenn er für Whitebeard unterwegs war und in fremden Städten in Motelbetten erwachte. Allerdings war es weitaus weniger geworden, nachdem Ace in sein Leben gestolpert war und stets darauf bestand ihn zu begleiten.

Ein Blick durch die Frontscheibe des Grandline genügte, um Ace ausfindig zu machen. Genau wie Thatch gesagt hatte, saß er breitbeinig am Tresen. Sein Hut saß schräg auf seinem Kopf, in stummer Offenheit ein wenig nach hinten geschoben, was Marco Sicht auf das breite Grinsen auf seinem Gesicht gab.

Allerdings war es die Frau, die auf dem Barhocker neben Ace saß, zu der Marcos Augen unwillkürlich wanderten. Violettes Haar umrahmte ihr Gesicht, während Tätowierungen sich ihren Arm und über ihr Schlüsselbein hinaufschlängelten. Ihre Beine waren überschlagen und das Kinn auf der Handfläche abgestützt, als sie schmunzelnd Aces Erzählungen und seinen ausschweifenden Handgesten folgte. Zwischen ihnen herrschte eine eigenartige Vertrautheit, die sich aus Blicken und Haltungen allein zusammensetzte. Beinahe so, als teilten sie ein Geheimnis, das kein anderer kannte.

„Was ist los?“ Thatchs Hand holte Marco aus seinen Gedanken, als sie auf seiner Schulter landete. „Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“

„Ich bin ganz sicher, dass sich mein Gesichtsausdruck nicht verändert hat“, erwiderte Marco.

Thatch gluckste, obwohl Marco ihn mit einem unbeeindruckten Blick bedachte. „Ich kenn dich eben besser, als du immer annimmst.“

Mit gerunzelter Stirn wanderte sein Blick zurück zur Scheibe, durch die er Ace sehen konnte, der sich köstlich amüsierte. Vielleicht entsprach es der Wahrheit, womöglich kannte Thatch ihn nach all den Jahren wirklich gut genug, um ihn problemlos zu durchschauen. Allerdings konnte er nicht sagen, was ihn eigentlich an dem Bild störte. Er war niemand, der eifersüchtig wurde. Andererseits war er bis vor ein paar Monaten auch noch niemand gewesen, der Beziehungen führte. In einem Geschäft wie ihrem verkomplizierten diese einem nur das Leben, ganz geschweige denn davon, dass man nur schwer sein langanhaltendes Interesse wecken konnte.

Bei Ace war es erschreckend schnell gegangen, obwohl Marco ihn nicht angerührt hätte, wenn Ace nicht von allein (oder unter dem augenscheinlichen Drogeneinfluss) auf ihn zugekommen wäre. Auch heute konnte Marco sich diese Nacht in dem schäbigen Hotelzimmer, in dem im Winter nicht einmal die Heizung funktioniert hatte, noch haargenau vor Augen rufen. Sie hatten die Heizung nicht gebraucht, denn die Hitze hatte sich zwischen Matratze und Decke gestaut, zwischen ihren Körpern.

Marco vertrieb die Gedanken und wandte sich stattdessen von der Bar ab. „Es ist doch schon ziemlich spät. Ich sollte mich auf den Weg zu Paps machen.“ Sein Blick streifte Thatch, der ihn verwirrt erwiderte. „Sag Ace, dass wir uns heute Abend sehen.“
 


 

IV

Der Geruch von Kaffee und frischen Brötchen vom Morgen war verflogen. Er war von dem Geruch von Pizza ersetzt worden, ebenso wie der warme Glanz der Lampen das einströmende Tageslicht ersetzt hatte.

Marco streifte sich die Sandalen von den Füßen, während er das schwere Schloss vor die Tür schob. Mit ihm sperrte er die Welt aus, die Ungerechtigkeiten, die Sorgen und jeden von Whitebeards Feinden. Im Moment war zwar alles um sie herum ruhig, doch wie lange es dieses Mal anhalten würde, war fraglich.

Ace lag auf dem Sofa, der Cowboyhut auf der Lehne. Der Pizzakarton stand aufgeklappt auf dem Tisch vor ihm, auf dem auch Aces Beine gebettet waren. Über den Bildschirm flimmerte derweil irgendein Actionstreifen. Die lauten Stimmen und die Explosionen verschluckten jeden von Marcos Schritten auf den knarrenden Dielen, die sein Eintreten ins Wohnzimmer angekündigt hätten.

In diesem Fall schaffte es Marco jedoch ungesehen zu Ace herüber und musste sich nicht einmal sonderlich anstrengen. Als er hinter dem Sofa stand, räusperte er sich.

Ace fuhr zusammen und seine Beine fielen vom Tisch, ehe er kerzengerade dasaß. Das Pizzastück glitt ihm dabei fast aus den Fingern, als er über seine Schulter schielte. „Marco“, begann er, zögerte jedoch. Marco konnte ihm das schlechte Gewissen förmlich ansehen, obwohl ein Halblächeln auf seinen Lippen lag, an denen Pizzakrümel klebten. „Ich hab dich gar nicht nach Hause kommen hören.“

Marco umrundete das Sofa, schob Aces Beine beiseite und setzte sich zu ihm. „Wieso bist du überhaupt vor mir hier?“ Meistens kamen sie zusammen nach Hause oder aber Ace legte sich mitten in der Nacht und meist betrunken neben ihn ins Bett. Marco wurde das Gefühl nicht los, dass all die kleinen Routinen und Angewohnheiten der letzten Monate sich langsam auflösten und von etwas anderem ersetzt wurden. Was genau es war, wusste er jedoch nicht und eigentlich wollte er es auch nicht wissen. Veränderungen lagen ihm nicht, ganz besonders nicht, wenn sie von einem Tag auf den anderen und ohne jegliche Vorbereitung auftraten.

„Thatch hat gesagt, dass du im Grandline vorbeigeschaut hast“, erwiderte Ace. Es war keine Antwort auf seine Frage, aber eine Erklärung für den ertappten Eindruck, den er vermittelte, für das schlechte Gewissen. Er wusste, dass Marco ihn gesehen hatte. Ihn und diese Frau.

Mehr sagte Ace jedoch nicht, sondern reichte ihm stattdessen ein Pizzastück auf einer Serviette herüber. Anschließend sackte er wieder nach hinten gegen das Sofa und schob sich sein restliches Stück in den Mund.

Auch Marco lehnte sich zurück und verfolgte lose die Verfolgungsjagd im Fernseher, während sie im Stillen aßen. Die Pizza schmeckte bitter, aber vielleicht war es auch die Erkenntnis, dass er mit seiner schlechten Ahnung recht gehabt hatte. Dass diese Frau nicht nur eine Bekannte war, eine Person, die von Aces natürlichem Charme angezogen wurde, ehe sie wieder getrennte Wege gingen. Dass sie mehr als eine einfache Freundin war oder zumindest sein könnte.

„Du magst sie“, sagte Marco, als er mit seiner Pizza fertig war, und beantwortete somit die Frage, die stumm zwischen ihnen im Raum hing. Er knüllte die Papierserviette zusammen, behielt sie jedoch in der Hand. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Aces Kopf sich vom Fernseher in seine Richtung drehte. Er hatte längst aufgegessen, griff jedoch gar nicht erst nach dem nächsten Stück, was eigentlich schon Erklärung genug war.

„Da läuft nichts“, antwortete Ace laut und bestimmt – und bei jedem anderen hätte es nach Verleugnung geklungen. „Da wird auch nie etwas laufen. Ich bin mit dir zusammen.“

Sie redeten nicht oft über... nun, ihre Beziehung. Sie hatte mit Sex begonnen. Mit einem Geständnis seitens Ace auf einem Parkplatz angefangen, während ein Pistolenlauf auf sie gerichtet gewesen war und Marcos Wohnung ohne sein Wissen ausgeräumt wurde. Am Ende hatte er nur ein riesiges Graffiti an der Wohnzimmerwand, das er dreimal hatte überstreichen müssen, und Ace gehabt. Und nun waren sie hier auf einem neugekauften Sofa in ihrer Wohnung und mit einer Frau, die es Ace angetan hatte, weil sein Herz viel zu groß war und Marco es nicht halten konnte.

Marco legte die Stirn in Falten. „Du musst nicht mit mir zusammensein. Selbst wenn nichts zwischen uns liefe, würdest du ein Sohn für Paps und ein Bruder für die Jungs bleiben, Ace.“

„Ich will aber nicht dein Bruder sein.“ Sich aufsetzend überbrückte er den Abstand zwischen ihnen. Er nahm Marco die zerknüllte Serviette aus der Hand, warf sie achtlos auf den Tisch und er schwang ein Bein über Marcos, um es sich auf seinen Oberschenkeln bequem zu machen.

Noch bevor Marco sich zügeln konnte, kamen seine Hände auf Aces Knien zum Liegen. Es war Vertrautheit und Angewohnheit zugleich.

„Und ich glaube auch nicht, dass du glücklich mit mir als Bruder wärst“, fuhr Ace fort. Seine Finger zupften an Marcos violettem Hemd herum und folgten dem Kragen zu seinem Nacken. Sie hinterließen eine Gänsehaut und erschwerten das Denken.

„Hierbei geht es nicht darum, was mich glücklich macht“, erwiderte Marco, doch Aces Mundwinkel hoben sich zu einem schiefen Lächeln, was seine Augen nicht erreichte. Für einen gutgelaunten Kerl, der vorgab keine Sorge auf der Welt zu haben, war er zu wechselhaft und aufmerksam.

Nach Pizza schmeckende Lippen berührten seine, warm, beinahe fiebrig, und Marcos Hände wanderten von Aces Knien zu seinen Unterschenkeln, wo sie die Hosenbeine seiner Dreiviertelhose hochschoben.

„Es gibt da noch was, was ich erledigen muss“, sagte Ace, als er den Kuss brach. Zentimeter lagen zwischen ihnen, die Marco überbrückt hätte, wenn Aces Hände an seinen Schultern ihn nicht zurückgehalten hätten. „Paps hat mir Ware gegeben, die ich in Atlanta abliefern soll.“

Marco lehnte den Kopf nach hinten gegen die Sofalehne. „Allein?“ Für gewöhnlich übernahmen sie Aufträge stets gemeinsam, was daraus entstanden war, dass Marco Ace bei seiner Ankunft in Key West unter seine Fittiche genommen hatte. Sie hatten stets ein gutes Team abgegeben – oder zumindest waren sie stets von ihren Aufträgen mit heiler Haut zurückgekommen, was nicht jedes Mitglied von Whitebeard von sich behaupten konnte.

„Es war kurzfristig.“ Ace zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich hat Paps was Wichtigeres für dich zu tun, als etwas Heroin zu überbringen.“ Er beugte sich vor und dieselben warmen Lippen legten sich an seinen Hals.

Marco sah an die Decke, hatte jedoch Mühe die Augen geöffnet zu halten. Irgendetwas gefiel ihm an der ganzen Sache nicht, aber die Unruhe schwand mit jeder vergehenden Sekunde etwas mehr, bis er Ace zu sich hochzog, um ihn abermals küssen zu können.
 


 

V

Es fühlte sich an, als würde Marco zum ersten Mal Fuß in das Grandline setzen. Alles war genauso wie immer, nichts hatte sich verändert und trotzdem war ihm nicht ganz wohl dabei. Vielleicht wurde er mit zunehmenden Alter aber auch einfach sentimental.

Der Weg zum Tresen erschien endlos und doch viel zu kurz, als sich seine Augen an die Frau mit den violetten Haaren und den auffälligen Tätowierungen hefteten. Er hatte sie erst einmal aus der Ferne gesehen, aber er war sich bereits sicher, dass er sie auch unter hunderten von Leuten wiedererkennen würde.

„Ein Bier, bitte“, sagte er, als er sich zu ihr an den leeren Tresen setzte. Um diese Uhrzeit herrschte wenig Aktivität in der Bar. Die Nachrichten liefen auf dem kleinen Bildschirm, der hinter dem Tresen und links von der breiten Spiegelfront an der Wand hing. Die Stimmen waren zu leise, als dass Marco sie verstehen konnte, weshalb er lose den Untertiteln folgte, als die Barkeeperin ein Bier aus dem Kasten unter der Theke holte.

Mit geschickten Fingern öffnete sie ihm die Flasche und schob sie zu ihm herüber. Selbst als sie sich wieder dem Aufräumen zugewandt hatte, spürte Marco ihren Blick auf seiner Haut. „Und ich dachte, dass du die Meinung deines Kumpels teilen würdest“, sagte sie, nachdem Marco den dritten Schluck genommen hatte. „Dass es zu früh zum Trinken ist, meine ich.“

Marco sah aus den Augenwinkeln zu ihr hinüber. „Kumpel?“

„Ace“, erklärte sie und stemmte eine Hand in die Hüfte. „Oder ist er kein Kumpel? Ich hab euch letztens zumindest am selben Tisch sitzen sehen.“ Die Neugierde lauerte unter der Oberfläche, versteckt hinter einer kühlen Gleichgültigkeit, die Marco nicht täuschen konnte. Sie hatte nicht nur Eindruck bei Ace hinterlassen, sondern Ace auch bei ihr.

„Doch. Ein Kumpel“, erwiderte Marco. „Aber Ausnahmen bestätigen die Regeln, habe ich gehört.“

Ihr Blick glitt zu der Tätowierung auf seiner Brust, die durch das offenstehende Hemd sichtbar war, bevor sie sich wieder den Flaschen zuwandte und sie zu sortieren begann. „Ich schätze, ihr könnt euch eh alles erlauben. Es ist ja fast so, als würde die Bar euch gehören. Zumindest besteht neunzig Prozent der Kundschaft aus Anhängern von diesem Whitebeard.“ Sie sagte seinen Namen mit einer Achtlosigkeit, die kaum einer auf dieser Insel in diesem Zusammenhang benutzte.

„Noch bevor das Grandline eröffnet wurde, gehörte das Territorium schon Paps.“ Marco konnte sich noch gut an diese Zeit erinnern, denn auch da war er bereits ein Sohn Whitebeards gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war er sogar jünger als Ace gewesen. Eigentlich hatte er nur Urlaub auf Key West machen wollen, aber letzten Endes war er nie wieder nach Hause gegangen. Dort hatte ihn ohnehin nichts gehalten. Seine alleinerziehende Mutter hatte genug mit seinen Brüdern zu tun gehabt und obwohl er gern lernte, hatte er sich in der Schule grundsätzlich gelangweilt. Vielleicht hatte Whitebeard das damals erkannt, womöglich hatte er aber auch einen vollkommen anderen Grund, um sich ihm anzunehmen.

„Aber so richtig zum Stammlokal ist es erst geworden, als ein paar Kredithaie Makino die Bar aufgrund ihrer Lage abkaufen wollten“, fuhr Marco weiter, während er seine Flasche mehr und mehr leerte. „Als sie abgelehnt hat, haben sie angefangen die Kundschaft zu vergraulen. Mit uns haben sie dabei aber nicht gerechnet. Ich glaube, das ist was die meisten eine Gemeinschaft nennen würden.“ Ein schmales Lächeln zupfte an Marcos Mundwinkeln und er prostete Nojiko in stummer Manier zu, als diese zu ihm herübersah.

„Das klingt ja, als wärt ihr alle solche Schoßhunde wie Ace“, antwortete sie und hob die Augenbrauen.

Das raue Lachen konnte sich Marco nicht verkneifen. „Du hältst Ace für einen Schoßhund, eh?“ Diesen Vergleich hatte er wirklich noch nie gehört und an einen Schoßhund war das Letzte, an was er bei Ace dachte. Andererseits... „Schoßhund vielleicht nicht, aber wir sind alle Streuner gewesen, bevor Whitebeard uns aufgenommen hat.“ Er erhob sich und fischte Geld aus der Hosentasche. „Und ich glaube, du weißt, wovon ich spreche“, fügte er hinzu, als er es ihr hinlegte, seine halbleere Flasche stehen ließ und ging.
 


 

VI

„Was machst du hier?“ Ihr skeptischer Blick sprach Bände. Sie hatte nicht mit ihm gerechnet und sie wollte ihn eigentlich auch nicht sehen. Marco konnte nicht von sich behaupten, dass es ihm anders erging.

Die Hände ruhten in den Hosentaschen, als seine Augen über den Marktplatz wanderten, auf dem reges Treiben herrschte. „Frag Thatch. Er hat Makino für heute entführt. Ein Spontandate hat er es genannt.“ Marco zuckte mit den Schultern. „Ich wurde dazu verdonnert, als Ersatz einzuspringen.“ Er hatte kein Problem damit zuzugeben, dass er neugierig gewesen war und die Frau hatte kennen lernen wollen, die Ace scheinbar innerhalb weniger Tage um den Finger gewickelt hatte. Aber darauf, mit ihr Zeit zu verbringen, hatte er es nicht angelegt. Er mischte sich nicht gern in die Angelegenheiten anderer ein, nicht einmal in Aces – und es kam ihn fast ein bisschen so vor, als würde er in Aces Privatsphäre eindringen.

„Das ist jetzt schon das dritte Mal diese Woche“, erwiderte Nojiko und verzog das Gesicht. „Habt ihr Jungs nichts Besseres zu tun, als Leute von ihrer Arbeit abzuhalten?“

Marco hob die Augenbrauen. „Liebe macht unzurechnungsfähig, nehme ich an.“ Bei seinen trockenen Worten sah sie auf, schnaubte belustigt, bevor sie sich in Bewegung setzte. Schwingende Hüften zogen seine Augen auf sich, als er ihr folgte und sie einholte.

„Ich bin übrigens Marco“, sagte er, die Hände weiterhin in den Hosentaschen vergraben. „Nur damit du weißt, wer dir heute beim Vorräte schleppen hilft.“

„Nojiko“, antwortete sie, als sie gemeinsam über den Markt schlenderten. Die Händler kannten sie bereits, was Marco nicht wunderte. Er hatte sich gestern bei den Jungs über sie erkundigt und nachdem er ihren Namen herausbekommen hatte, war es eine Leichtigkeit mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Er wusste von ihrer toten Mutter, ihrer jüngeren Schwester, die Design studierte, und von ihrem Haus, das sie für einen guten Preis zu verkaufen versuchte. Bisher hatte sie alle Interessenten weggeschickt, die ihr zu wenig Geld angeboten hatten. War das ihr einziger Grund gewesen?

„Wo hast du Ace gelassen? Ich hab ihn schon seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen“, erhob Nojiko das Wort, als sie ihm einen Karton in die Arme hievte, der allerlei Früchte enthielt, die für die Cocktails gedacht waren. Sie selbst trug ebenfalls einen, als sie sich nach einiger Zeit auf den Weg zur Bar machten. Die Sonne brannte bereits auf sie herab und eine kleine Brise brachte die Palmenblätter in regelmäßigen Abständen zum Tänzeln, während der Himmel sich unendlich blau über ihren Köpfen auftat. Fast so, als gäbe es weder Anfang noch Ende, sondern nur ein ewiges Dazwischen.

„Er ist unterwegs“, sagte Marco, als sie nebeneinander hergingen. Einige Leute kamen ihnen auf dem schmalen Pfad entgegen und Marco wich ihnen aus. Sein Arm berührte Nojikos, sanft, beinahe spielerisch.

Ein Lächeln lag auf ihren Lippen. „Darauf wäre ich nie gekommen, Marco.“ Der Sarkasmus war neu, erfrischend neu. „Ich meinte damit, dass ich gern wissen würde, wann er wieder da ist.“

„Ein paar Tage. Mehr oder weniger.“

„Du gibst nicht gern Informationen preis, oder?“, fragte sie, als sie die Bar einhändig aufschloss und sie die Kisten ins Innere trugen. Sie schaltete die Ventilatoren an der Decke ein und begann das Obst wegzupacken. „Vielleicht aber auch nur nicht, wenn sie Ace betreffen“, mutmaßte sie. „Du magst ihn.“

„Das tue ich wohl.“ Marco saß am Tresen und schaute ihr bei der Arbeit zu. „Was ist mit dir?“

Sie hockte hinter dem Tresen, sah bei seiner Frage jedoch auf. „Ich kenne ihn kaum.“

„Manchmal muss man jemanden nicht lange kennen.“

Langsam richtete Nojiko sich auf. „Es spielt eigentlich keine große Rolle. Ich ziehe bald weg. Ich warte nur noch, bis ich genügend Geld zusammengekratzt habe.“ Abermals tauchte ein Lächeln auf ihrem Gesicht auf, obwohl es dieses Mal weder ehrlich noch belustigt wirkte. „Aber ich denke, ich könnte ihn mögen. Für einen Verbrecher ist er eigentlich gar nicht so unsympathisch.“

Marco nickte. „Für jemanden, der Paps und meine Brüder aus Prinzip nicht leiden kann, bist du auch gar nicht so unsympathisch.“

„Ist das ein Kompliment?“, fragte sie.

Marcos Mundwinkel hoben sich in einer faulen Geste. „Es ist offen für Interpretierung.“
 


 

VII

Er saß mit dem Rücken zum Eingang des Grandlines, zu den feiernden Gästen und zu den Jungs, die versuchten, die Frauen mit billigen Anmachsprüchen heute Nacht noch in ihr Bett zu bekommen. Thatch, der früher einer von vielen war, saß neben ihm, hatte jedoch nur Augen für die Besitzerin des Lokals. Marco hatte es aufgegeben, eine Unterhaltung mit ihm anzufangen, die sich nicht um die wahre Liebe drehte. Er hatte Thatch schon unzählige Male erlebt, wenn er gedacht hatte, seiner Traumfrau buchstäblich vor die Füße gefallen zu sein, aber das hier war anders, ernster.

Marcos Kinn war auf der Handfläche gebettet, der Ellenbogen wiederum auf dem Tresen. Sein Blick galt längst wieder dem Bildschirm vor ihm, obwohl er für Collegefootball noch nie besonders viel übrig gehabt hatte. Allerdings hatte er aber noch weniger Lust sich auf den Nachhauseweg zu machen, da ihn dort nur Stille erwarten würde. Früher war er mit ihr besser zurechtgekommen, hatte mit ihr koexistiert, doch das lag schon eine ganze Weile zurück.

„Hier. Geht aufs Haus.“ Nojiko stellte ihm eine Bierflasche vor die Nase und entsorgte die bereits leere. „Ich denke, das ist in Makinos Sinne.“ Sie nickte zu ihrer Chefin hinüber, die mit einem Tablett mit Cocktailgläsern zwischen den Tischen herumwuselte. „Als Wiedergutmachung für heute Morgen.“

„Mein Abend ist gerettet...“, sagte Marco, schenkte ihr jedoch ein dankbares Lächeln, als er die Flasche zu sich herüberzog. Sie mussten die Stimmen anheben, um sich über die Musik überhaupt zu verstehen, deren Bass Marcos Herz im selben Takt schlagen ließ.

Nojikos Blick ging an seinem Kopf vorbei, von abwechselnden Emotionen gefüllt, von denen keine lange genug verweilte, als dass Marco sie analysieren konnte. Den Bruchteil einer Sekunde später berührten warmen und raue Fingerkuppen seinen Nacken und ließen ihn kaum merklich zusammenzucken.

„Ace“, entrann es ihm, noch bevor er den Kopf zur Seite drehte, um ihn anzusehen.

Schwarze Haare umrahmten sein grinsendes Gesicht, doch es war die tiefe Schramme, die sich quer über seine Wange zog, die Marco ins Auge fiel. Sie zog eine blutige Linie durch die Sommersprossen.

„Was ist passiert?“, fragte Nojiko, die ihr Handtuch beiseite legte, welches bis eben noch über ihrer Schulter gehangen hatte. „Bist du in Ordnung?“

Selbst Thatch hatte sich zu ihnen umgedreht und betrachtete Ace von Kopf bis Fuß, als wollte er sichergehen, dass alle Gliedmaßen noch vorhanden waren.

Ace grinste schief und deutete mit einem Finger auf die Wunde. „Das? Das ist nur ein Kratzer. Ihr solltet den anderen Kerl sehen.“ Er schwang sich auf den Barhocker neben Marco, der es nicht lassen konnte und die Hand nach ihm ausstreckte, um sein Knie zu berühren.

„Soweit ich weiß, war eine Schlägerei oder was auch immer nicht Teil des Auftrags“, sagte er, während Nojiko Ace ebenfalls eine Bierflasche vor die Nase stellte, die er fast in einem Zug austrank.

Allerdings antwortete Ace nicht, sondern schaute stattdessen zwischen Nojiko und Marco hin und her, als bemerkte er erst jetzt, dass das keine bekannte Begebenheit war. Sein Zögern löste eine Kettenreaktion aus, die selbst Marco mit seiner Beobachtungsgabe nicht erwartet hatte.

Seine Hand ruhte noch immer auf Aces Knie, wanderte hinauf zu seinem Oberschenkel, obwohl er sie wegziehen wollte.

Aces Flasche fror auf halben Weg zu seinen Lippen ein und Nojikos holte Luft, als wollte sie etwas sagen, starrte aber doch nur zwischen ihnen und Marcos Hand auf Aces Oberschenkel hin und her. Ein Geheimnis, das keines war, stand im Rampenlicht, öffnete Augen und—

„Du solltest das desinfizieren“, sagte Thatch und nippte an seinem Cocktail. „Nicht, dass es sich noch entzündet.“

Nojiko blinzelte. „Er hat recht.“ Mit diesen Worten schnappte sie sich ihr Tablett und begann die leeren Flaschen und Gläser auf den unzähligen Tischen einzusammeln. Die Masse an feiernden Leuten verschluckte sie und Marcos Hand fiel von Aces Oberschenkel, der sein Bier in einem letzten Schluck gänzlich leerte.
 


 

VIII

„Du warst so eifersüchtig, dass du sie angesprochen hast?“ Ace drehte den Kopf in Marcos Richtung. Seine schwarzen Haare waren durcheinander und auf dem Kissen ausgebreitet, die anderen klebten an seiner Stirn. Er sah genauso verschwitzt aus, wie Marco sich fühlte.

„Das ist alles, was du zu der ganzen Geschichte zu sagen hast?“, erkundigte sich Marco und wischte sich ein paar der eigenen feuchten Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Willst du, dass ich mehr sage? Zum Beispiel, dass das ziemlich heiß ist? Und dass ich glatt Lust auf eine zweite Runde habe?“

Marco zog bei Aces Worten sein Kissen unter seinem Kopf hervor und drückte es Ace ins Gesicht, der lachend neben ihm im Bett lag. „Ich verstehe inzwischen, was du an ihr findest“, gestand Marco dennoch. Sein müder Blick richtete sich an die Decke und an den Ventilator, der dort hing. Er drehte sich in langsamen Kreisen und schickte sanfte Brisen zu ihnen nach unten, welche ihre Haut kitzelten.

„Du magst sie“, fasste Ace zusammen, als er das Kissen wieder an Marco zurück reichte und echote somit Marcos Erkenntnis von vor ein paar Tagen. „Denkst du, sie könnte uns auch mögen?“, fügte er nach einem kurzen Schweigen hinzu.

Marco brummte. Auf was wollte Ace hinaus? Er musste gar nicht weiter darüber nachdenken, um eine vage Ahnung zu haben, was in seinem Kopf vor sich ging. Dafür kannte er Ace inzwischen bereits zu gut. „Ich denke nicht, dass sie jemand ist, die sich auf Sex zu dritt einlässt“, erwiderte er letztendlich und verdrehte die Augen. „Und ich gehöre auch nicht dazu, also schmink dir das ab, Ace.“

„Ich habe nicht an Sex gedacht.“ Ace zog die Decke, die seine Hüften bedeckte, etwas höher. Gleichzeitig berührte sein nacktes Bein Marcos, fuhr lockend an ihm entlang, denn Ace konnte es einfach nicht lassen. „Zumindest nicht nur.“

„Ach ja?“, fragte Marco unbeeindruckt. Er bettete einen Arm unter den Kopf, um bequemer zu liegen. „Jetzt bin ich aber gespannt. An was hast du dann gedacht?“

„Wenn wir uns alle mögen, wieso können wir dann nicht zusammen sein?“

Ein Schnauben war zunächst Marcos einzige Antwort. Ihm fielen so einige Argumente ein, doch Ace würde keines davon akzeptieren, denn er stellte seine eigenen Regeln auf. „Weil sie wegziehen will“, sagte er letztendlich.

„Aber was, wenn sie nicht wegziehen würde? Ich meine, rein theoretisch“, fuhr Ace fort, während sich Marco aufsetzte, um das Licht der Nachttischlampe zu löschen.

„Würdest du das wirklich wollen?“

Aces Gestalt war nur noch ein Schemen in der Dunkelheit des frühen Morgens, der unweigerlich näher rückte. „Ja. Und du?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete Marco, als er wieder nach hinten sackte. Über solche Sachen hatte er sich noch nie irgendwelche Gedanken gemacht. Zudem sah Nojiko vorhin nicht so aus, als würde sie in der nächsten Zeit auch nur ein Wort mit ihnen wechseln wollen, ganz zu schweigen von ihren Zukunftsplänen, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Es war eine absurde Idee.

„Bist du jetzt eigentlich fertig damit, alleine Aufträge auszuführen? Hast du genug Geld für Nojiko zusammen?“, fragte Marco.

Das Bett ruckelte, als Ace sich auf die Seite drehte. Sein Atem streifte Marcos Schulter. „Woher weißt du...?“

„Ich kann eins und eins zusammenzählen, Ace. Es ist wirklich nicht so schwer gewesen“, erwiderte er, obwohl es doch einige Zeit benötigt hatte. Erst nachdem er von Nojikos Wunsch, Key West zu verlassen, erfahren hatte, hatte er das Puzzle lösen können.

„Ich bin fertig.“ Aces Lippen pressten sich gegen die Haut an seiner Schulter, feucht, so dass der Kuss durch die Brise des Ventilators auch nach Minuten noch spürbar blieb.

Teil 1: Had Me From Hello [3]


 

I

Sie hatte sich verrannt. Irgendwie hatte sich Nojiko von ihren Prioritäten ablenken lassen. Sie hatte sich von einem charmanten Lächeln und furchtbar intelligenten Augen einwickeln lassen, wie eine Raupe sich in einen Kokon spann. Allerdings bezweifelte sie, dass aus ihr jemals ein Schmetterling werden würde. Zumindest würde sie zu keinem ansehnlichen werden, nicht mit dieser Wut im Bauch, die sie sich selbst nicht erklären konnte. Was kümmerte es sie, ob diese beiden Kerle zusammen waren? Sie waren Verbrecher. An dieser Tatsache konnten auch kein Charme und keine weisen Sprüche etwas ändern.

Nojiko stieß ein frustriertes Seufzen aus, als sie die reifen Orangen pflückte. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und brannte auf sie herab. Nur der Wind, der sich den Weg zwischen den Orangenbäumen hindurchsuchte, frischte die Luft auf. Trotzdem wischte sich Nojiko mit dem Rücken ihres Gartenhandschuhs den Schweiß von der Stirn.

Der Korb war voll und die anderen Orangen hatten noch immer einen grünen Stich. Die Arbeit hatte gut getan, aber sie hatte nicht ausgereicht, um die Gedanken an Marco und Ace zu vertreiben. Ganz im Gegenteil, die Erinnerung an den gestrigen Abend, an Marcos Hand auf Aces Oberschenkel, war noch immer glasklar. Ebenso wie das Gefühl des Verrats noch immer greifbar war, obwohl Ace ihr nichts versprochen hatte. Er hatte mit ihr geflirtet, aber das taten viele Männer, ohne sich etwas dabei zu denken. Im Nachhinein war sich Nojiko beinahe sicher, dass Ace es nicht einmal bemerkt hatte und das Flirten stattdessen einfach einen Teil seiner Persönlichkeit darstellte.

Und Marco... auch ihn hatte Nojiko verkannt. Das, was sie als Interesse an ihrer Person angesehen hatte, war lediglich Eifersucht gewesen. Er musste gedacht haben, dass sie sich an Ace herangeschmissen hatte und ihn Marco auszuspannen.

Hitze stieg ihr bei diesem Gedanken in die Wangen. Schnaufend hievte sie sich den Gurt ihres Korbs auf die Schulter und schleppte ihn zum Haus.

Andererseits erschien ihr Marco ein schlaues Kerlchen zu sein, der solche gedanklichen Fehler nicht beging. Wenn Nojiko näher darüber nachdachte, kam es ihr im Nachhinein sogar mehr so vor, als hätte er das Interesse, das er hinter ihrer Bekanntschaft mit Ace vermutete, befürwortet und selbst mit ihr geflirtet. Vielleicht waren die beiden nicht nur Verbrecher, sondern durchgeknallte Verbrecher, auf die einmal zu viel im Leben geschossen worden war.

Mit dieser Tatsache konnte sie leben, denn in diesem Fall war das Missverständnis nicht ihre Schuld. Das war um einiges einfacher zu akzeptieren und linderte die Scham, die sie mit jeder Faser ihres Seins verspürte.

Schnaufend stieß Nojiko die Hintertür zu dem kleinen Haus auf, welches schon seit Ewigkeiten ihrer Familie gehörte. Die Klimaanlage hatte im letzten Sommer den Geist aufgegeben, weshalb das Innere stickig und warm war. Sie hatte vergessen die Fenster zu öffnen, um den Wind hineinzulassen und für Durchzug zu sorgen.

Nojiko stellte den Korb ab, um das nachzuholen. Sie schob die dreckigen Scheiben auf, die schon länger keinen Lappen mehr gesehen hatte, und ließ nicht nur die frische Luft, sondern auch das Singen der Vögel hinein.

Einige Möwen flogen in der Ferne und zogen ihre Kreise am blauen Himmel, als würden sie auf etwas warten. Womöglich übertrug Nojiko aber auch nur ihre eigenen Emotionen auf die Tiere. Allerdings brauchte sie nur an ihr Erspartes zu denken, um zu wissen, dass es noch dauern würde, bis sie endlich ihre Sachen packen und aus Key West verschwinden konnte. Der Drang, genau das zu tun, war groß, um einiges größer als er in der letzten Woche noch gewesen war. Ace und Marco hatten sie abgelenkt, vollkommen unabhängig voneinander, obwohl sie doch zusammengehörten.

Das Klingeln des Telefons holte Nojiko in die Realität zurück. Sie wandte den Blick vom Fenster, von dem Himmel ab, unter dem sie sich furchtbar klein und nichtig fühlte.

„Wer spricht?“, entrann es ihr schroffer als beabsichtigt, als sie den Hörer von der Gabel nahm. Das Telefon hing an der Wand des offenen Durchgangs, der von der Küche direkt in das helle Wohnzimmer führte, in dem sich eine breite Fensterfront befand. Sie gab Nojiko eine uneingeschränkte Sicht auf die Veranda und auf den schmalen Weg vor dem Haus, der von dichten Hecken abgetrennt war.

»Hey, Nojiko, ich bin’s«, antwortete eine Stimme am anderen Ende der Leitung. Nojiko würde sie immer erkennen, selbst unter Tausenden und ihr Herz stolperte in ihrer Brust.

„Nami...“

»Überrascht?« Nojiko konnte Namis Grinsen heraushören und ihre Mundwinkel hoben sich.

„Was? Dass meine kleine Schwester sich die Mühe macht und anruft, obwohl sie sonst eine notorische Nicht-Anruferin ist?.“

Nami lachte, amüsiert, aber halbherzig, was sie stutzen ließ. »Ich wollte einfach mal hören, wie es dir geht. Und was der Hausverkauf macht.«

Daraufhin wanderte Nojikos Blick durch die angrenzenden Zimmer. Die einst weiße Farbe der Wände wirkte vergilbt, selbst im einströmenden Tageslicht, während Nojiko an die wenigen Interessenten zurückdachte, welche sich das Haus angeschaut und genau diese winzigen Mängel angesprochen hatten.

„Sagen wir einfach, dass es wohl noch eine Weile dauern wird, bis ich einen Käufer an der Angel habe“, antwortete Nojiko schließlich. „Aber wir wussten ja, dass es etwas Zeit bedarf, um das Haus für einen ordentlichen Preis loszuwerden.“ Es fühlte sich falsch an, über ihr Zuhause wie über einen ungeliebten Gegenstand zu sprechen, der mehr Arbeit als Freude bereitete. Dieselbe Vertrautheit würde Nojiko nirgendwo anders finden, niemals. Andererseits war ihre kleine Familie auseinandergebrochen und es gab niemanden mehr, zu dem man nach Hause kommen konnte. Bellemere war tot und Nami studierte für zwei weitere Jahre. Was danach geschah? Nun, Nojiko hatte sich erkundigt. Jobs in der Designerbranche gab es auf den Key Inseln kaum, zumindest nichts, das auch nur annähernd Namis Ehrgeiz entsprechend war.

»Ich finde es immer noch ein wenig schade, dass du es verkaufst«, gestand Nami und Nojiko nickte, ehe sie es überhaupt bemerkte.

„Ich hab diese Insel einfach satt.“

Eine kurze Stille folgte, bevor Nami fragte: »Bist du sicher?«

Die Gesichter von Ace und Marco huschten vor Nojikos Augen vorbei und sie versuchte den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. „Ja“, sagte sie erstickt, festigte ihre Stimme jedoch. „Ja. Natürlich, warum sollte ich es sonst tun?“

Nami hatte keine Antwort auf ihre Frage, ebenso wenig wie Nojiko selbst. »Dann wirst du sicher bald einen Käufer finden. Wart’s nur ab«, erwiderte sie stattdessen voller Heiterkeit und Optimismus, die genauso gespielt waren, wie Nojikos Selbstsicherheit.
 


 

II

Sie entdeckte Marco, bevor sie den Markplatz überhaupt erreicht hatte. Allerdings war das bei seiner recht einwilligen Frisur auch ein Kinderspiel. Soweit Nojiko das beurteilen konnte, war er obendrein der einzige Mann, dem sie stand. Das hatte garantiert etwas mit seinem markanten Kinn zu tun...

Nojiko verdrehte die Augen. Sie konnte es scheinbar nicht lassen, nicht einmal jetzt, da sie wusste, dass er vergeben war. Vor allem jedoch jetzt, da sie wusste, dass er das eigene Geschlecht bevorzugte.

Ohne einen weiteren Blick in Marcos Richtung zu werfen, mischte sie sich unter die Menschen, die sich am frühen Vormittag stets hier tummelten, um die frischste Ware abzustauben.

Trotzdem dauerte es nur wenige Minuten, bis eine raue Hand ihre Schulter berührte. Sie war warm und sanft und unerwünscht. „Nojiko.“ Die Hand war genauso unerwünscht, wie ihr Name aus Marcos Mund.

Nojiko hatte sich eine der bereits leeren Obstkisten von Louis geben lassen, um sie mit ihren Einkäufen für das Grandline zu füllen. Durch den eigenen Stand, den sie zweimal die Woche betrieb, kannte sie all die Verkäufer bereits. Einen Anteil ihrer Orangen verkaufte sie jedoch immer direkt an Makino, was ihr überhaupt erst ermöglicht hatte, eine Bekanntschaft zu der Geschäftsführerin aufzubauen und den Job als Barkeeperin zu bekommen. Andererseits... wäre der Job in der Bar nicht, hätte sie auch Marco und Ace nicht kennen gelernt und das hätte ihr nun einige peinliche Momente erspart.

„Was willst du?“, entwich es Nojiko kühl, als sie ein paar der besten Mangos aus der Auslage heraussuchte und in die Holzkiste legte.

„Reden“, erwiderte Marco, beließ es vorerst jedoch bei diesem einen Wort.

Nojiko bezahlte die Mangos und erst danach wandte sie sich Whitebeards Sohn zu, der die Tätowierung seiner Organisation mit Stolz auf dem Brustkorb trug. Durch seine offenstehenden Hemden war sie unentwegt und für die gesamte Welt sichtbar.

Ihre Augen wanderten von seiner Tätowierung hinauf zu seinem Gesicht, welches genauso ausdruckslos wie immer war. Es wirkte zwar einen Deut ernster als gewöhnlich, aber das konnte genauso gut Nojikos Einbildung sein, die ihr einen Streich spielen wollte.

„Wenn du schon reden willst, kannst du dich auch nützlich machen“, sagte sie und hievte ihm die Obstkiste in die Arme.

Marco ging wortlos neben ihr her, als Nojiko zum nächsten Stand wanderte, um Weintrauben und Beeren zu kaufen. Seine Gesellschaft hatte sich nicht verändert; sie erinnerte Nojiko an ihren ersten gemeinsamen Besuch auf dem Markt, der nur wenige Tage zurücklag und bei dem sie auch lieber auf Marcos Anwesenheit verzichtet hätte. Das war jedoch aus einem völlig anderen Grund gewesen. Nojiko kam sich wie eine Heuchlerin vor. Hatte sie sich vor einer Woche nicht noch gegen Kriminelle ausgesprochen? Sie hatte einen Bogen um Whitebeard und seine Männer gemacht, denn Leute, die mit ihnen verkehrten, endeten oftmals mit einer Kugel im Kopf. Es wurde nicht in den Nachrichten ausgestrahlt und auch die örtliche Polizei kehrte diese Vorfällen in regelmäßigen Abständen unter den Teppich. Das alles änderte jedoch nichts daran, dass Key West praktisch ein Dorf war und sich Gerüchte wie Laubfeuer verbreiteten. Jeder wusste, dass Whitebeard einen Deal mit den Ordnungshütern ausgehandelt hatte, dass Menschen starben, die namenlos blieben. Damit wollte Nojiko nichts zu tun haben und trotzdem hatte sie es Marco und Ace furchtbar einfach gemacht, sie um den Finger zu wickeln. Unerhört einfach. Sie hatte beide Männer zu nah an sich herangelassen, obwohl sie es besser gewusst hatte.

„Es mag vielleicht nicht so aussehen, aber wir haben nicht geplant, dass du so davon erfährst“, sagte Marco irgendwann, als die Kiste gänzlich mit Obst gefüllt war und ein ordentliches Gewicht haben musste. Auch wenn er es nicht direkt ansprach, war sich Nojiko sofort bewusst, dass er auf seine Beziehung mit Ace anspielte.

„Ace wusste nicht, dass wir uns kennen“, fügte Marco hinzu, da Nojiko nicht reagierte. Seine Stimme klang gelangweilt, beinahe so, als versuchte er ihr nicht einmal etwas zu beweisen. „Ich war eifersüchtig und deshalb habe ich dich in der Bar angesprochen, als Ace nicht da war. Oder dachtest du, dass das Zufall war?“ Er hob eine Augenbraue und sah sie von der Seite her an. Doch Nojiko blieb abrupt stehen, so dass Marco an ihr vorbeilief, bevor auch er zu einem Halt kam und sich zu ihr umdrehte.

Sie sahen einander an.

„Ist das dein Ernst?“ Nojiko stemmte die Hände in die Hüften. „Du dachtest tatsächlich, dass ich dir deinen Freund ausspannen wollte?“ Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Sie hatte tatsächlich mit ihrer Befürchtung recht gehabt!

„Nicht ausspannen“, korrigierte Marco und sein Blick wanderte an Nojiko vorbei, hinein in die Menschenmenge, in der er sich verlor. „Manchmal kann man nichts dagegen tun, wenn man sich unerwartet zu jemand anderen hingezogen fühlte. Selbst, wenn man sich bereits in einer Beziehung befindet.“

Nojikos Stirn kräuselte sich. „Redest du über dich, mich oder Ace?“

„Vielleicht über uns alle.“ Marco zuckte mit den Schultern, überlegte jedoch nicht einmal, bevor er diese vage Antwort ausspuckte.

Nojikos Herz raste unangenehm in ihrer Brust, was es nicht zum ersten Mal in dieser Woche tat. Sie stieß den angehaltenen Atem aus. Was sollte das bitteschön bedeuten? Was wollte Marco ihr damit sagen?

„Ich weiß nicht, wovon du redest“, erwiderte sie, als die Hitze in ihre Wangen kriechen wollte.

Ein Mundwinkel seinerseits zuckte in die Höhe. „Du weißt, wovon ich rede. Du weißt es immer.“

Und plötzlich befand sich Nojiko wieder im geschlossenen Grandline, mit Marco direkt vor ihrer Nase, der von Streunern und Familien sprach. Marco, der ihr sagte, dass sie genau wusste, was er meinte. Dass sie verstand.

Nojiko schluckte, bevor sie ihre Stimme wiederfand. „Falls du es vergessen hast, ziehe ich bald hier weg.“ Ein freudloses Lächeln erstreckte sich auf ihren Lippen und sie nahm Marco die Obstkiste ab. „Ich muss jetzt auch wirklich los. Im Gegensatz zu euch habe ich feste Arbeitszeiten und Richtlinien, an die ich mich halten muss.“ Mit diesen Worten und einer unbeschreiblichen Verwirrung ihrerseits ließ sie Marco mitten auf dem Marktplatz stehen.

„Ich bin sicher, dass ich auch in Aces Namen spreche, wenn ich sage, dass du herzlich eingeladen bist, dich jederzeit zu uns an den Tisch zu gesellen“, sagte Marco, gerade laut genug, um noch hörbar zu sein.

Nojiko presste die Holzkiste an ihren Körper, als sie weiterging.
 


 

III

Die Fragen verschwanden nicht, sondern kreisten auch weiterhin durch ihren Kopf. Antworten fand sie keine. Vielleicht gab es sie nicht. Auf was wollte Marco hinaus? Was hatte er ihr mit seinen Worten sagen wollen? Unterstellte er ihr Gefühle entwickelt zu haben? Für Ace? Oder doch für Marco selbst? Oder dachte er, Ace würde etwas für sie empfinden? Oder mochte Marco sie, obwohl er sie aus Eifersucht heraus angesprochen hatte?

Nojiko schüttelte den Kopf, während sie dem schmalen Weg zwischen den Hecken folgte, der sie zu ihrem Haus auf dem Hügel brachte. Es lag versteckt zwischen den Bäumen, so dass es aus der Ferne kaum sichtbar war.

Warum verschwendete sie überhaupt so viele Gedanken an Marco und Ace? Es brachte doch eh nichts.

Mit geballten Fäusten stieg Nojiko die Stufen ihrer Veranda hinauf und angelte nach dem Schlüsselbund in ihrer Hosentasche. Bevor sie den Schlüssel jedoch ins Schloss schob, fiel ihr Blick auf einen weißen Briefumschlag, der in einem der Blumentöpfe lag, die Bellemere vor Jahren rechts und links von der Tür aufgestellt hatte. Der war heute Morgen ganz sicher noch nicht da gewesen, obwohl der Postbote bereits bei ihr vorbeigekommen war, bevor sie sich auf den Weg zum Markt gemacht hatte.

Der Umschlag war unbeschrieben, als Nojiko ihn aufnahm und hin- und herdrehte. Er wog schwer in ihrer Hand. Ein Blick über die Schulter versicherte ihr, dass sie allein war. Wer hatte ihn hier abgelegt? Dass es kein Versehen war, war ihr bereits klar.

Mit einem Zögern betrat Nojiko ihr Haus und sackte auf das kleine Sofa im sonnigen Wohnzimmer, das nach den langen Jahren mit zwei Kindern im Haus, die es als Trampolin benutzt hatten, durchgesessen war.

Vorsichtige Finger öffneten den Briefumschlag, im nächsten Moment rutschte er ihr jedoch bereits durch diese hindurch und fiel auf den Teppich. Die Hundertdollarscheine glitten heraus und verteilten sich auf dem Boden, während sich ihr Herz in der Brust überschlug. Wie viel Geld war es?

Nojiko traute sich kaum die Scheine aufzuheben und zu zählen. Das Gefühl beobachtet zu werden schlich sich ihr auf, doch ein Blick zu den Fenstern hinüber versicherte, dass es Paranoia war. Man konnte nicht über eine solche Menge an Geld stolpern und sich nicht verfolgt fühlen.

Von dem Sofa rutschend saß sie auf dem Teppich neben dem Umschlag und seinem Inhalt. Sie schob die Scheine auseinander, um sie zählen zu können. Es waren hundert Scheine. Zehntausend Dollar.

Nojiko schluckte.

Das musste ein Versehen sein. Sie selbst erwartete jedenfalls keinen Cent, andererseits vergaß man einen Briefumschlag mit so viel Geld nicht einfach in einem Blumentopf, der einem nicht mal gehörte.

Für Minuten verweilte Nojiko in ihrer sitzenden Haltung, während ihre Gedanken wirr kreisten und sie die grünen Scheine anstarrte. Hatte sie jemals so viel Geld auf einem Haufen gesehen? Auf dem Bankkonto vielleicht, aber... nein, nicht einmal da.

Sie sammelte das Geld auf und stopfte es zurück in den Briefumschlag, bevor sie ihn auf den kleinen Tisch vor ihr warf. Bisher hatte sie kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie ihr Haus verkaufte, weil sie das Geld brauchte, um hier wegziehen zu können. Aber sie konnte sich nur eine Person vorstellen, die dumm genug war, um ihr helfen zu wollen: Ace.
 


 

IV

Die Musik aus dem Grandline war bis vor die Tür hörbar. Sie war vertraut und lebenserweckend, obwohl Nojiko noch nie einen Fuß in die Bar gesetzt hatte, bevor sie angefangen hatte dort zu arbeiten. Bisher hatte sie immer einen beabsichtigten Bogen um sie gemacht, weil sie nichts mit Whitebeard und seinen Leuten zu tun haben wollte. Doch zusammen mit dem Annehmen des angebotenen Job als Barkeeperin war sie gleichzeitig auch in Marco und Aces Welt eingetaucht. Ohne es zu bemerken war sie ein Teil von ihr geworden. Der schwere Umschlag in ihrer Umhängetasche bestätigte es ihr.

Eine Hand presste die besagte Tasche an ihren Körper und sie stieß die Tür zum Grandline auf. Die Musik schwoll an und der Sänger, dessen Stimme aus der alten Jukebox drang, sang von faulen Nachmittagen am Strand, während Arme und Hüften zur Melodie geschwungen wurden. Nojikos Augen galten jedoch einzig und allein Marco und Ace, die zusammen mit Makinos Freund am Tisch saßen.

Auf halbem Weg zu ihnen hinüber fing Ace ihren Blick auf. Ein Grinsen, welches ihn viel zu jung erscheinen ließ, tauchte auf seinen Lippen auf, als er ihr winkte. Auch Marco drehte den Kopf daraufhin in ihre Richtung und sein verschlafener Gesichtsausdruck hellte auf – und Nojiko erinnerte sich unwillkürlich an seine Worte, dass sie sich doch zu ihnen an den Tisch gesellen konnte. Vielleicht hätte sie einen anderen Moment wählen sollen, um Ace zu konfrontieren. Sie kam sich plötzlich vor, als habe sie mit ihrem Auftauchen zugestimmt ein Teil von etwas zu sein, was sie selbst nicht benennen konnte.

Ihre Schultern strafften sich, als sie vor dem Tisch zum Stehen kam und die Aufmerksamkeit der drei Männer auf ihr ruhte. „Ich will dein Geld nicht haben, Ace“, platzte es aus ihr heraus.

Marco hob eine Braue und seine Augen wanderten zu Ace herüber.

„Wovon redest du?“, fragte dieser.

„Von dem Geld, was du im Blumentopf vor meiner Tür abgelegt hast“, erwiderte Nojiko. Sie zog den Briefumschlag aus der Tasche und warf ihn Ace mit so viel Wucht vor die Nase, dass das Bier in seinem Glas über den Rand schwappte.

Doch es war Marco, der ihn in die Hand nahm und hineinschaute. „Das ist eine ganze Menge...“

„Tut nicht so unschuldig“, blaffte Nojiko und sah von einem zum anderen. „Ich weiß, dass das Geld von euch kommt und ich brauche euer Mitleid nicht. Ob ihr es glaubt oder nicht, aber ich komme sehr gut allein klar.“

„Ich bin sicher, dass du das tust“, sagte Ace und nahm einen großzügigen Schluck aus seinem Glas, als würde er annehmen, dass sie den Inhalt als nächstes gänzlich verschütten würde. Ein Pflaster klebte auf seiner Wange, das die Schramme und seine Sommersprossen an dieser Stelle verdeckte. „Aber ich weiß trotzdem nicht, woher das Geld kommt. Es ist jedenfalls definitiv nicht von mir. Ich bin pleite.“

„Ich kann das bestätigen“, mischte sich Makinos Freund ein. „Ace ist immer pleite. Du solltest seine offen stehende Rechnung sehen. Er ist der Grund, warum Makino neuerdings sofort bei allen Kunden abkassiert.“ Ein grölendes Lachen drang aus seiner Kehle, welches Nojiko die Röte in die Wangen trieb. Es stimmte. Makino hatte es ihr selbst erzählt, auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewusst hatte, wer Ace eigentlich war.

Nojikos Lippen bewegten sich, doch kein Ton entkam ihrer Kehle.

Marco rettete sie, bevor sich das Schweigen zwischen ihnen allen endlos hinziehen konnte. „Vielleicht solltest du das Geld vorerst aufbewahren, bis wir herausbekommen, wen es gehört“, schlug er vor und reichte ihr den Briefumschlag, den sie mit tauben Fingern aufnahm. „Allzu viele Möglichkeiten gibt es ja nicht. Ich werde mich gern etwas umhören.“ Das Kinn wurde auf die offene Handfläche gebettet, als Ace sich herüberlehnte und ihm auf die Schulter klopfte.

„Ich werde dir helfen. Zusammen kriegen wir sicher raus, wem es gehört“, fügte er hinzu.

Sie hatte keine Argumente parat, aber sie wusste, dass einer von ihnen log und dahinter steckte. Wenn nicht sogar beide von ihnen involviert waren und sie wieder einmal um den Finger wickeln wollten.

Den Umschlag mit dem Geld wieder in ihre Tasche stopfend marschierte Nojiko davon. Sie ignorierte die Blicke der drei, als sie hinter die Bar schlüpfte und im Hinterzimmer verschwand, um ihre Sachen abzulegen und ihre Schürze zu holen. Ihre Schicht begann in wenigen Minuten und sie hatte keine Zeit für diese Kinderspielchen, die sie aus einem unbekannten Grund nicht einmal gewinnen konnte.
 


 

V

Blicke wurden ausgetauscht, ein schmales Grinsen, als würden sie Geheimnisse teilen. Nojikos Platz am Tresen bot einen perfekten Blick auf Marco und Ace, auf die Hände, die sich verirrten und zu lange in der Nähe des anderen verweilten.

Schnaufend trocknete sie die Gläser ab. Lange blieben ihre Augen jedoch nicht auf ihre Arbeit gerichtete, sie wanderten in regelmäßigen Abständen zu den Jungs herüber. Sie erwischte sich immer wieder dabei, bis sie das Handtuch beiseite legte, um die Bestellungen der neuen Gäste aufzunehmen.

Makino unterhielt einige Damen am anderen Ende des Tresens, doch kein Wortfetzen schaffte es bis zu Nojiko herüber, ohne vorher von der Musik verschluckt zu werden. Es war seltsam, wie allein man sich in einer Menschenmasse fühlen konnte, die den Raum mit ihrer angestauten Körperwärme trotz Ventilatoren flutete. Die Klimaanlage funktionierte schon seit Jahren nicht mehr, soweit Nojiko wusste. Das war fast wie bei ihr im Haus, obwohl es dort ruhiger war, nicht ganz so einsam. Bellemeres Aura füllte es auch heute noch, hauchte dem Haus Leben ein. Merkwürdig, dass es ihr erst hier und jetzt auffiel.

Sie schob die gemischten Cocktails zu den jeweiligen Gästen und kassierte ab, bevor sie zu Makino hinüberging. Eine Berührung ihrer Schulter genügte, damit sie sich zu Nojiko herumdrehte. „Ich gehe eine Pause machen“, sagte sie und Makino nickte mit einem Lächeln auf den Lippen, das viel zu warm und herzlich war. Es stellte einen Kontrast zu Nojikos Gedanken dar, zu allem, was Nojiko war.

Die Luft, die nächtliche Dunkelheit, umfing sie, als die Tür hinter ihr zufiel. Die Anspannung fiel von ihr ab und sie streckte die Arme, legte den Kopf in den Nacken und atmete aus, ungesehen und unbemerkt.

Sie merkte erst, dass sie die Augen geschlossen hatte, als Nojiko sie bei einem Krachen wieder aufriss und herumfuhr. „Was...!?“, stieß sie aus, doch da erkannte sie bereits Makinos Freund, dessen Namen sie sich einfach nicht merken konnte. Er rieb sich die Stirn und kam aus der Bar getorkelt.

„Bist du etwa gerade gegen die Tür gelaufen?“, entfuhr es Nojiko und sie stemmte eine Hand in die Hüfte.

Seine Augen fokussierten sich auf ihre Gestalt und ein faules Grinsen zeigte sich auf seinem bärtigen Gesicht. Er legte einen Finger an die Lippen. „Pssst! Verrat es keinem. Schon gar nicht Marco und Ace. Das muss ich mir sonst ewig anhören.“

Nojikos Mundwinkel hoben sich in Belustigung. Dieser Mann war ein absoluter Witzbold und trotzdem besaß er in seiner Art einen gewissen Charme. „Keine Sorge, ich glaube nicht, dass ich noch mal ein Wort mit ihnen wechseln werde.“ Sie wandte sich ab und schlenderte planlos über den kleinen Parkplatz, auf dem kaum Autos standen, aber einige Fährräder an den Laternen festgekettet waren. Andere waren nur angelehnt, als würde niemand vorbeikommen und sie stehlen. Doch Nojiko wusste es besser, sie wusste dass Menschen alles klauten, was nicht niet- und nagelfest war.

Schlürfende Schritte folgten ihr. „Weißt du... Marco und Ace, die beiden sind gar nicht so schlecht. Und du kannst jetzt nicht einfach so tun, als ob es sie nicht gibt.“

„Und warum kann ich das nicht?“, fragte Nojiko.

Sie blieben unter einer Laterne stehen und Thatch lehnte sich schwankend an sie, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Weil sie unausstehlich sind, wenn sie verliebt sind.“ Er verzog das Gesicht und schüttelte sich. „Man kann dann überhaupt keinen Spaß mehr mit ihnen haben. Ace ist immer geistig abwesend, als würde seine Seele einfach mal kurz seinen Körper verlassen oder er ist ernst – und Ace ist nie ernst. Und Marco...“ Er lachte. „Marco ist noch ruhiger als sonst. Er beschwert sich nicht einmal mehr, wenn ich ihn nach Tipps wegen Makino frage. Stattdessen nimmt er sich wirklich die Zeit, um mir Ratschläge zu geben. Kannst du dir das vorstellen? Unsere ganze Routine – unsere Freundschaft! – ist durcheinander geraten und alles nur wegen dir.“ Er sah sie an, wobei die Bestürzung sich langsam in Verwirrung wandelte. „Wie heißt du eigentlich?“

Nun war es an Nojiko ein Lachen auszustoßen, laut und kehlig. Ihre Wangen fühlten sich warm, beinahe heiß, an und ihre Knie waren weich. „Nojiko. Mein Name ist Nojiko.“

„Oh, okay“, erwiderte Thatch und streckte ihr förmlich die Hand entgegen. „Ich bin Thatch. Makinos zukünftiger Ehemann und Marco und Aces bester Freund.“

Sie schüttelten einander die Hände, bis Thatch sie hinter sich her und zurück zum Grandline zog. Sein Griff war sanft, aber bestimmend, warm und fest.

Proteste lagen Nojiko auf der Zunge, doch sie schluckte sie herunter. Auch ohne eine Erklärung wusste sie, was Thatch im Sinn hatte und der Gedanke stellte ihr die Nackenhaare auf. Wie Nojiko bereits geahnt hatte, war sie bereits ein Teil dieser Welt, ihrer Welt.
 


 

VI

Thatch bugsierte sie ungefragt zu seinem Sitzplatz herüber. Die verwirrten Gesichter von Marco und Ace sagten Nojiko jedoch, dass es nicht geplant war und dass man sie nicht auf den Arm nahm. Thatch hatte sich diesen Plan, falls es überhaupt mehr als eine Kurzschlussreaktion gewesen war, selbst ausgedacht.

Der Optimismus vermischte sich mit Nervosität. Was erhoffte sie sich überhaupt davon? Es hatte doch keine Zukunft. „Ich muss zurück—“, begann sie, als er sie auf den Stuhl drückte.

„Ich übernehme deine Schicht“, unterbrach Thatch mit einem Glucksen, bevor er bereits schwankend in Richtung des Tresens schwankte.

Nojiko und Marco sahen ihm nach, während sie Aces Blick ganz deutlich auf der Haut spüren konnte. „Bedeutet das, dass du uns auch gern hast?“, erkundigte sich Ace mit einem Lächeln auf den Lippen, welches kaum über das Zögern oder seine gewählte Wortwahl hinwegtäuschen konnte.

„Vielleicht sollten wir Nojiko nicht gleich so überfallen, sondern ihr erst einmal etwas zu trinken bestellen“, lenkte Marco ein. Er erhob sich und schlenderte hinter Thatch her, um ihr ebenfalls ein Bier zu kaufen.

„Ich hab euch gern, irgendwie“, sagte Nojiko, nachdem er außer Hörweite war und sie allein mit Ace am Tisch saß. Es zunächst einer Person zu gestehen war einfacher und rief bereits gemischte Gefühle in ihr hervor. Zeitgleich war es erfrischend etwas Neues zu tun und ausnahmsweise nicht die Probleme, welche dieses Geständnis mit sich brachte, in den Vordergrund zu stellen.

„Gut“, erwiderte Ace. „Wir waren uns nämlich nicht ganz sicher mit den ganzen verschiedenen Signalen, die du einem sendest. Und weil... nun du weißt schon, Marco und ich.“ Er kratzte sich grinsend am Kinn.

Nojiko verschränkte die Beine. „Seid ihr schon lange zusammen?“

„Einige Monate.“ Ein Zucken der Schultern folgte. „Wir haben uns auf dem Weg nach Texas kennen gelernt, weil Marco da etwas für Paps zu erledigen hatte.“ Er ging nicht ins Detail, besonders schade fand es Nojiko allerdings nicht. Andererseits war die Organisation und Whitebeard ein Teil von Marco und Ace, den man nicht außen vor lassen oder gar vergessen konnte.

„Im Grunde weiß ich rein gar nichts über euch“, sprach Nojiko ihren Gedanken aus und hob die Mundwinkel zu einem freudlosen Lächeln. Es war absurd, alles war absurd.

Raue Finger tasteten nach ihrem Arm und verursachten Nojiko mit ihrer Sanftheit eine Gänsehaut. Ace suchte ihren Blick. „Dann lernst du uns eben kennen.“

Und Nojiko wollte auflachen, weil er so tat, als hätten sie eine Ewigkeit Zeit dazu, nachdem er ihr genug Geld beschafft hatte, damit sie für ihren Umzug und alle Unkosten aufkommen konnte, ohne ihr Haus verkaufen zu müssen. Doch sie brachte es nicht übers Herz, ihm zu widersprechen.

Marco kehrte zurück und stellte ihr eine Bierflasche vor die Nase, die sie dankbar entgegennahm. Das hatte sie jetzt dringend nötig. Sie nahm einen großen Schluck, während Marco eine der anderen Bierflaschen Ace reichte, der seine Hand von ihrem Arm zog.

„Ich habe Nojiko gerade erzählt, wie wir uns kennen gelernt haben“, erklärte Ace und Marco schnaubte.

„Hat er dir erzählt, wie er in irgendeinem Diner die Zeche geprellt hat und einfach beim Fahren durch das offene Fenster in meinen Wagen geschlüpft ist?“, fragte Marco an Nojiko gewandt, welche mit skeptischen Blick zwischen beiden Männern hin- und herschaute.

„Wirklich?“

„Wirklich“, bestätigte Marco und Ace lachte, bis er seine eigene Bierflasche umwarf und sich der halbe Inhalt über seine schwarze Dreiviertelhose ergoss. Doch selbst das trübte die Stimmung nicht, nichts konnte sie trüben, als alte Geschichten über Stripperinnen, die Wohnungen ausräumten, und über wilde Verfolgungsjagden ausgetauscht wurden.

Wie lange sie dort saßen, konnte Nojiko nicht sagen, doch ihre Getränke leerten sich stetig, bis sie irgendwann die Meute und die Musik des Grandline hinter geschlossener Tür zurückließen. Die Dunkelheit verschluckte sie, als sie zu dritt auf dem Parkplatz standen.

„Wir sehen uns morgen?“, fragte Ace und Nojiko nickte. Ihr war warm und ihr Herz pochte in kräftigen Schlägen hinter ihren Rippen. Er schob seinen orangenen Hut ein Stück nach hinten, als er sich vorbeugte und ihre Wange küsste. Marco berührte ihre Hand, verhakte sekundenlang ihre Finger miteinander, bevor beide sich auf den Weg nach Hause machten und Nojiko die entgegengesetzte Richtung einschlug.
 


 

VII

Der Morgen brach mit einem neuen Gefühl an. Die Besorgnis war von Sorglosigkeit ersetzt worden, die das Aufstehen vereinfachte. Zusammen mit dem Sonnenaufgang war Nojiko auf den Beinen, um zu frühstücken, bevor sie einen Abstecher zu ihren Sträuchern machte, um die reifen Orangen zu ernten. Heute war Markttag.

Sie mochte nun einen Briefumschlag voller Geld besitzen und zwei gutaussehende Männer mehr oder weniger an ihrer Seite haben, aber das bestimmte noch lange nicht ihr Leben. Sie hatte eine feste Routine, feste Pläne, und sie war von keinem abhängig.

Nachdem sie die Orangen in dem Korb verstaut und diesen zurück zum Haus geschleppt hatte, machte sie sich daran, sie ordentlich in die vorgesehenen Kisten zu sortieren, die sie mit zum Markt nehmen würde.

Allerdings blieb es schwer zu ignorieren, dass sich ihr Leben im Nachhinein ziemlich schnell gewandelt hatte. Zusammen mit dem Kennenlernen von Marco und Ace war wieder etwas Leben und Freude eingekehrt, was nach Namis Umzug und Bellemeres Tod kaum mehr greifbar gewesen war. Die Wut hatte sich gelegt, die stets unter der Oberfläche gelauert hatte und von der Nojiko kurzzeitig gedacht hatte, dass sie nun ewig ein Teil von ihr sein würde. Es war seltsam, wie das Leben spielte...

Aber vielleicht hatte sie genau das gebraucht, um endlich den ersehnten Neuanfang zu starten, nach dem sich Nojiko sehnte. Einfach würde es nicht sein, aber machbar – und sie war sich sicher, dass Marco und Ace das verstehen würden. Dass sie einsahen, dass sie nicht mehr nach Key West gehörte, nicht in ihre Welt, obwohl es verlockend einfach war, es sich einzubilden.

Nojikos Gedanken wurden unterbrochen, als sie etwas klappern hörte. Ihren Ohren horchten auf. War das die Haustür? Die Orange wurde fest umklammert, denn da schloss eindeutig jemand auf. Im selben Moment, in dem dieser Erkenntnis zu Nojiko durchdrang, schallte Namis Stimme durch das Haus. „Nojiko? Ich bin zu Hause. Bist du da?“

Die Orange rutschte ihr aus den Fingern und rollte vergessen über den Küchenfußboden, als Nojiko zur Tür eilte. Ihre kleine Schwester, die roten Haare furchtbar lang gewachsen, stand im Rahmen, neben ihr die gepackte Reisetasche, die sie beim Auszug mitgenommen hatte.

„Was machst du hier, Nami?“, fragte Nojiko in demselben Atemzug, in dem sie ihre Schwester umarmte. „Warum hast du nicht vorher angerufen? Ich hätte dich vom Flughafen abgeholt.“

Nami strahlte über das ganze Gesicht, was ihre Augen leuchten ließ und Nojiko an ihre Kindheit erinnerte, an all die Zeiten, in denen sie etwas ausgeheckt und Bellemere somit in den Wahnsinn getrieben hatte. „Ich wollte dich überraschen.“ Das Lächeln verlor sich, als sie ernster wurde. „Hör mal, Nojiko. Ich möchte nicht, dass du das Haus verkaufst. Das ist unser Zuhause. Es ist wichtiger als irgendeine dumme Uni. Das Designprogramm war ohnehin nicht das Beste, da mach ich das lieber hier zu Ende, auch wenn ich dazu ein bisschen weiter fahren muss.“ Sie zuckte mit den Schultern. Es war ihr vollkommen egal, dass sich die nächste Universität auf dem Festland befand und das nicht nur einen unnötigen Zeit-, sondern auch Geldaufwand darstellte.

„Du ziehst wieder ein?“, fragte Nojiko mit erhobener Augenbraue und Nami knuffte ihr in die Seite.

„Ich hoffe, du freust dich“, mahnte Nami. „Nicht, dass ich gerade meinen Studiumsplatz und meine Wohnung umsonst aufgegeben habe.“

Ihr Mund öffnete sich, als Nojiko nach passenden Worten suchte. Am Ende griff sie nach dem Riemen von Namis Tasche und schleppte sie gänzlich ins Haus, um die Tür schließen zu können. „Ich hab alles in deinem Zimmer so gelassen, wie es war.“

Teil 2: Calm Before The Storm [1]


 

My mom always said, there are two kinds of love in this world: the steady breeze, and the hurricane.

The steady breeze is slow and patient. It fills the sails of the boats in the harbor, and lifts laundry on the line. It cools you on a hot summer’s day; brings the leaves of fall, like clockwork every year. You can count on a breeze, steady and sure and true.

But there’s nothing steady about a hurricane. It rips through town, reckless, sending the ocean foaming up the shore, felling trees and power lines and anyone dumb or fucked-up enough to stand in its path. Sure, it’s a thrill like nothing you’ve ever known: your pulse kicks, your body calls to it, like a spirit possessed. It’s wild and breathless and all-consuming.

- Melody Grace, Unbroken
 


 

I

Das Rohr in der Wand dröhnte, als Nami den Wasserhahn zudrehte. Nojiko hatte nicht gelogen, als sie gesagt hatte, dass sie nichts in ihrem Zimmer verändert hatte. Sie hatte höchstens untertrieben, denn sie hatte rein gar nichts im Haus geändert. Jeder Makel war noch immer vorhanden, zusammen mit jedem einzelnen Möbelstück, egal wie verschlissen es war.

Vielleicht hatte Nojiko nie vorgehabt das Haus zu verkaufen, ging es Nami durch den Kopf, als sie ihre Haare in zwei Zöpfe teilte und sie jeweils zusammenband. Wahrscheinlich wollte sie es verkaufen, hatte aber jeden Interessenten weggeschickt, weil er nicht gut genug für diese Bruchbude gewesen war. Immerhin hatte Nami Augen im Kopf und wusste, dass dieses Haus nicht mehr viel hergab. Das hatte jedoch nichts mit seinem sentimentalen Wert zu tun, den nichts ersetzen konnte.

Die Dielen quietschten vertraut, als Nami die Treppe hinunterstieg. Ein seichter Windzug drang durch die offenen Fenster in der Küche ein, die einen wunderbaren Blick auf den Garten verliehen. Nojikos violetter Haarschopf tauchte zwischen den Büschen auf, als sie die reifen Orangen für den Markt pflückte.

Vor ein paar Jahren noch war es Bellemere gewesen, die Nami nach dem Aufstehen im Garten hatte arbeiten sehen. Die Traurigkeit war immer noch da, aber ebenso war es die Präsenz ihrer Mutter, die in jedem Zentimeter dieses Hauses steckte, weil sie es mit Liebe gefüllt und zusammengehalten hatte. Sie waren nie reich gewesen und obwohl Nami gern Geld besaß, konnte sie im Nachhinein nicht sagen, dass es ihr an irgendetwas gefehlt hatte.

Nami angelte sich eine Kaffeetasse aus dem Schrank und schenkte sich den übrig gelassenen Rest ein, bevor sie in ihre Latschen an der Hintertür schlüpfte. Sie trug nur Hotpants und ein T-Shirt, aber für alles andere war es bei diesen Temperaturen ohnehin zu warm. Die Sonne brannte zusätzlich sogleich auf sie herab, als sie durch den Garten zwischen den Orangenbäumen hindurch schlenderte. Sie streckte die Finger der freien Hand aus, um ein paar der Blätter zu berühren.

„Guten Morgen“, begrüßte sie Nojiko.

Nojiko sah auf und pustete sich einige schweißnasse Haarsträhnen aus der Stirn, die unter dem roten Band hervorgerutscht waren. „Endlich auf den Beinen?“, fragte sie mit einem Lächeln. „Ich dachte schon, du kommst niemals aus dem Bett. Du hast in der letzten Woche mehr geschlafen, als in all den Jahren zusammen.“

„Ich habe eben Nachholbedarf“, erwiderte Nami und zuckte mit den Schultern. Sie nahm einen Schluck Kaffee, als Nojiko mehr Orangen in dem Korb vor ihr verstaute. Schweigen breitete sich aus, welches trotz der langen Abwesenheit immer noch vertraut und befreiend war.

Anders als Nami hatte Nojiko Bellemeres Platz eingenommen. Sie hatte sich diesem Haus und diesem Garten und dem Stand auf dem Marktplatz angenommen, während Nami Geld gespart hatte und auf die Universität geflüchtet war. Diesen Plan hatte sie schon vor Bellemeres Unfall verfolgt, aber ihr Tod war der Auslöser gewesen, um es wirklich umzusetzen.

Doch obwohl auf den ersten Blick so einiges gleich aussah, hatte sich in Wirklichkeit alles verändert. Nami kannte die Ausmaßen noch nicht, aber sie konnte die Veränderung mit jeder Faser ihres Körpers spüren. Beinahe so deutlich, wie der Sturm, der in ein paar Tagen anreisen und sie unter Regenwolken begraben würde. Diese Schwingungen in der Luft hatte sie schon seit dem Kindesalter wahrgenommen, intuitiv und mit ihrem ganzen Sein.

„Ein Sturm wird aufziehen“, sprach sie ihren Gedanken aus, ließ Nojiko jedoch nicht die Gelegenheit etwas zu erwidern. „Werde ich ihn kennen lernen?“, fragte Nami stattdessen aus heiterem Himmel und Nojiko hob beim Arbeiten die Augenbrauen in stummer Frage.

„Den Typen, mit dem du neuerdings ausgehst“, erklärte Nami und ein Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht. „Oder dachtest du, dass ich es nicht bemerken würde, dass du dir einen angelacht hast?“

Die Röte stieg Nojiko in die Wangen, für Nami trotz Nojikos Bräune deutlich sichtbar. „Woher weißt du das?“

„Du kommst später als gewöhnlich nach Hause, selbst wenn du nicht arbeitest. Obwohl ich immer noch nicht verstehe, warum du ausgerechnet in dieser dummen Bar mit diesen Kerlen arbeiten musst.“ Nami schüttelte den Kopf, denn sein Ruf eilte dem Grandline voraus. Es gab nur zwei Meinungen dieses Lokals und seiner Kundschaft betreffend, entweder man ging dort trinken oder man machte einen riesigen Bogen um es. „Außerdem bist du gestern mit Fast Food nach Hause gekommen.“

Nojiko packte die letzte Orange in den Korb und richtete sich auf, um sich den Dreck von ihrer verwaschenen Jeans zu klopfen. Ein Schnauben folgte. „Und das beweist irgendwas? Seit wann das denn?“

„Seit ich zwölf gewesen bin und weiß, dass du nie Fast Food kaufen gehst“, antwortete Nami und konnte dabei nicht verhindern, dass ihr Grinsen breiter wurde. „Also warst du mit jemandem essen. Mit einem Mann.“

„Okay, du hast recht“, bestätigte Nojiko schließlich mit einem Seufzen. „Bist du nun zufrieden? Du kennst alle meine Geheimnisse.“

„Ist es ernst?“

Nun war es an Nojiko mit den Schultern zu zucken. „Ich weiß nicht.“ Mit diesen Worten nahm sie den Korb und trug ihn zurück zum Haus.

Nami folgte ihr dicht auf den Fersen. „Was soll das bedeuten? Du musst doch wissen, ob du ihn magst oder nicht. Oder ist er etwa so ein Frauenheld, der jeder Frau hinterher lächelt? Von denen solltest du dich fernhalten, Nojiko.“ Zugegeben, Nami flirtete ebenfalls gern und machte daraus keinen großen Hehl, aber sie suchte auch nicht nach einer festen Beziehung. Nojiko war jedoch anders, verschlossener und ernster – und Nami würde einen Rachefeldzug gegen diesen Kerl einleiten müssen, wenn er Nojiko das Herz brach.

„Das ist es nicht. Es ist kompliziert“, entrann es Nojiko und sie trug den Korb in die Küche, nachdem Nami die Tür für sie geöffnet hatte.

„Es ist nur so kompliziert, wie du es machst. Und ich würde den Mann, der dich dazu bringen kann, Fast Food zu essen und generell mehr unter Menschen zu kommen, sehr gern kennen lernen“, sagte Nami.

Der Korb wurde neben der Spüle abgestellt. Nojiko stemmte eine Hand in die Hüfte, als sie Nami mit misstrauischem Blick musterte. „Wenn du mir hilfst, die Orangen abzuspülen und zum Markt zu tragen, denke ich darüber nach.“

„Da kann ich dann wohl nicht nein sagen“, erwiderte Nami, wohl wissend, dass es ein guter Deal war, denn die Orangen lächelten sie ohnehin bereits die ganze Zeit an.
 


 

II

Musik spielte im Hintergrund, als die Gäste nach und nach eintrudelten und die Tische des Grandline besetzten. Doch es waren Marco und Ace, nach denen Nojiko Ausschau hielt. Die Drinks mischten sich inzwischen von allein, sie musste kaum noch hinsehen oder auf die Karte schauen, um zu wissen, welches Getränk welches war. Höflichkeitsfloskeln wurden ausgetauscht und das Geld abkassiert.

Der Großteil der männlichen Kundschaft gehörte ohnehin Whitebeards Söhnen an, was immer noch ein sehr lächerlicher Name war, wie Nojiko fand. Es hörte sich wie ein Zweig der Mafia an, obwohl sie nicht mit Gewissheit sagen konnte, ob das Übertreibung war oder nah an die Wahrheit heranreichte. Marco und Ace redeten nicht über die Organisation und Nojiko fragte nicht nach. Es war ein stilles Einverständnis zwischen ihnen, für das sie dankbar war.

Genauso wie fast an jedem Nachmittag in den letzten Tagen ließen die beiden nicht lange auf sich warten. Führten sie überhaupt noch irgendwelche ihrer sogenannten Aufträge aus? Auch diese Frage, die nur eine von vielen war, stellte Nojiko nicht laut. Stattdessen holte sie zwei Bierflaschen aus der Kiste unter dem Tresen hervor und öffnete sie, um sie Marco und Ace vor die Nase zu stellen, als diese sie erreichten und auf den Barhockern vor ihr Platz nahmen.

„Es ist ganz schön schwül draußen geworden“, sagte Marco und verzog das Gesicht, als er an seinem violetten Hemd zupfte, das ihm wie gewohnt offen um die Schultern hing.

Ace fächelte sich Luft mit seinem orangenen Hut zu, während er sich einen Schluck des kalten Biers genehmigte.

„Es liegt an dem Sturm, der auf dem Weg ist“, antwortete Nojiko und zog die Schale mit den Erdnüssen weg, bevor sich Aces Finger danach ausstrecken konnten. „Die willst du nicht. Da hatte gerade der Kerl dort drüben seine Hand drin.“ Sie nickte unauffällig zu einem drahtigen Mann hinüber, der sich der Jukebox annäherte und sich halb die Seele aus dem Leib hustete.

„Was für ein Sturm? Davon war nichts im Wetterbericht heute morgen“, entrann es Marco. Er hatte das Kinn längst wieder auf der Handfläche gebettet.

„Es war nicht im Wetterbericht, weil sie es noch nicht wissen“, erwiderte Nojiko und schob das Schälchen unter den Tresen, um eine andere hervorzuholen und mit neuen Erdnüssen zu füllen, welche sie Ace reichte.

Ein Grinsen lag auf seinen Lippen und er stülpte sich den Hut wieder auf den Kopf. „Danke.“ Sofort schaufelte er sich die Erdnüsse in den Mund. „Woher weißt du dann, dass ein Sturm aufziehen wird?“, fügte Ace schmatzend hinzu.

„Nami weiß es“, korrigierte sie. „Sie kann diese Dinge spüren. Das war schon immer so. Bellemere hat immer gescherzt, dass sie doch Meteorologin werden sollte.“ Ein schmales Lächeln tauchte bei dem Gedanken an ihre Mutter auf ihrem Gesicht auf, bevor sie sich daran erinnerte, dass Nami wusste, dass sie mit jemandem ausging. Mit einem Mann, was zwar stimmte, aber doch nicht ganz akkurat war. Nojikos Blick wanderte zu Marco und Ace hinüber, die ihr Interesse alles andere als versteckten. Sie verbrachten Zeit miteinander, tauchten stets hier am Tresen auf und luden sie zum Essen ein. Mehr war noch nicht passiert, was Nojiko ganz recht war. Sie wollte sich in nichts hineinstürzen und es später bereuen, auch wenn ihre Pläne sich scheinbar geändert hatten. Nami war zurück und wirkte auf Nojiko nicht so, als würde sie so schnell wieder gehen wollen. Daher gab es keinen Grund für Nojiko Key West zu verlassen. Nein, plötzlich gab es sogar mehr Gründe, um zu bleiben und sich hier etwas aufzubauen. Das Schlimmste an der Sache war jedoch, dass es zu einfach wäre, diesem Impuls nachzugeben. Das Leben hier schien inzwischen nicht mehr so trostlos, denn sie hatte Nami und Marco und Ace. Aber genügte es?

„Hört mal...“, begann Nojiko und senkte die Stimme, da sich die Bar langsam füllte. Sie konnte einige Gäste sehen, die zu ihnen hinüberschauten und darauf warteten, dass Nojiko ihre Bestellung aufnahm, während Makino bereits zwischen den Tischen herumtänzelte. Für den Augenblick war ihr das alles jedoch egal, denn sie wusste, dass wenn sie jetzt nicht fragte, dann würde sie es nie tun. Wahrscheinlich war es ohnehin eine schlechte Idee für ein derartiges Treffen. Es war zu früh dafür. „Wollt ihr heute Abend zum Essen kommen? Nami würde euch gern kennen lernen“, fragte sie trotzdem.

Marcos Augenbrauen hoben sich in Erstaunen, aber Ace grinste.

„Natürlich wollen wir das“, platzte es aus ihm heraus. „Wir wollen Nami auch kennen lernen. Es ist bestimmt verdammt praktisch, jemanden zu kennen, der das Wetter so genau voraussagen kann. Gerade hier unten in Key West.“ Ace stieß Marco den Ellenbogen in die Seite. „Stimmt’s oder habe ich recht?“

„Beides“, antwortete Marco und trank sein Bier. „Aber musst du nicht eigentlich heute Abend arbeiten?“, fragte er an Nojiko gewandt.

Nojiko schüttelte den Kopf, als sie ihren Notizblock und ihren Stift schon vorsorglich aus der Tasche ihrer Schürze hervorzog. „Makino hat eine neue Barkeeperin eingestellt. Sie übernimmt meine Abendschicht.“

Ein nachdenkliches Nicken seitens Marco folgte. „Ich nehme an, Nami weiß nicht, wem wir angehören?“

Nojiko schnaubte. „Was glaubst du denn?“ Nami mochte Kriminelle mindestens genauso wenig wie Nojiko, obwohl sie selbst ganz besonders flinke Finger besaß, die sich schon oft in fremde Taschen verirrt hatten. Dennoch hatte die Erziehung einer ehemaligen Polizistin gewisse moralische Werte vermittelt. In dieser Hinsicht war Nami glatt noch dickköpfiger als Nojiko, die sich viel zu einfach von Marco und Ace hatte um den Finger wickeln lassen. Was war aus ihren Werten und Prioritäten geworden?

„Ich denke immer noch darüber nach, wie ich ihr das hier beibringen soll“, fügte Nojiko hinzu und bewegte den Stift zwischen Marco, Ace und sich selbst hin und her. „Ihr dann auch noch zu sagen, dass ihr zu dem Mann gehört, von dem jeder weiß, dass er Key West in Wirklichkeit kontrolliert, erscheint mir etwas viel auf einmal.“

„Wir verstecken nicht, wer wir sind“, sagte Ace. Ein harter Ton schlich sich in seine Stimme hinein, obwohl er immer noch lächelte. Sie hatte einen wunden Punkt getroffen, wurde Nojiko klar.

„Das ist nicht, was ich damit meinte“, korrigierte sie.

Marcos Blick wechselte von einem zum anderen und zurück. „Nicht verstecken, sondern es einfach nicht in die Welt herumposaunen“, erklärte er monoton.

„Genau. Danke, Marco.“

Dieser deutete ein Nicken an, was nur bedeuten konnte, dass er verstand und sich darum kümmern würde.

Nojiko stieß ein erleichtertes Seufzen aus, um sich endlich den Bestellungen zu widmen. „Seid einfach so bei Abenddämmerung da. Ace weiß ja bereits, wo ich wohne.“

Sein unschuldiger Blick folgte ihr, als sie den Tresen umrundete. „Tu ich das?“, rief er ihr hinterher, aber Nojiko machte sich nicht die Mühe zu antworten. Auch wenn Ace es immer noch leugnete, wusste sie ganz genau, dass das Geld, welches sie in ihrem Blumentopf gefunden hatte, von ihm stammte. Es lag immer noch in einer der Küchenschubladen, zusammen mit den stumpfen Brotmessern. Sie musste unbedingt einen besseren Platz dafür finden oder sich etwas einfallen lassen, damit sie es Ace heimlich unterjubeln konnte. Erst einmal galt es jedoch, das Abendessen zu überstehen.
 


 

III

Das Haus roch nach der Orangensoße, die Nojiko nach Bellemeres Rezept zu dem Fleisch und den Kartoffeln zubereitet hatte. Sie ließ Nami wortwörtlich das Wasser im Mund zusammenlaufen, während es eine festliche Atmosphäre kreierte, die Nami schon lange nicht mehr gespürt hatte. Es erinnerte sie an all die Weihnachten und Geburtstage, die sie zu dritt in diesem Haus verbracht hatten. Nicht alle waren ohne Streitigkeiten vorübergegangen, doch ab einem bestimmten Alter hatte sie einsehen müssen, dass das nicht besonders dramatisch, sondern vollkommen normal in Familien war. Nami war nach und nach erwachsen geworden und die Diskussionen zwischen Bellemere und ihr hatten abgenommen, waren stetig kürzer geworden.

Schweigend deckte sie den Tisch. Sie stellte Teller hin, legte Besteck daneben und betrachtete ihr verzerrtes Spiegelbild in der Rückseite der Gabel. Sie trug ihre Haare offen, die ihr inzwischen bis zu den Ellenbogen hinunterreichten. Warum Nami sie wachsen gelassen hatte, wusste sie selbst nicht. Früher hatte sie lange Haare nie gemocht, aber inzwischen musste sie sich eingestehen, dass sie mit ihnen wirklich gut aussah. Andererseits sah sie eigentlich immer gut aus.

Die Türklingel holte Nami aus ihren Gedanken und ließ sie aufsehen. Sie legte die Gabel hin. „Ich gehe schon“, rief sie zu Nojiko in die Küche, in der das Geschirr klapperte. Doch als Nojiko im offenen Durchgang zum Wohnzimmer auftauchte, war Nami bereits an ihr vorbeigelaufen und auf dem Weg zur Tür.

Da war er endlich! Ein Blick auf die Wanduhr über dem Kamin verriet, dass er pünktlich war. Das machte schon mal einen guten und vor allem zuverlässigen Eindruck. Genau so jemanden brauchte Nojiko.

Das Lächeln, welches auf Namis Lippen geruht hatte, verlor sich nach und nach, als sie zwei Männer vor ihrer Tür vorfand. Ganz besonders die Hemden der beiden zogen ihre Aufmerksamkeit auf sich, denn sie trugen beide einen violetten Farbton, der in dem schlechten Licht der Laterne vor dem Haus identisch wirkte. Abgesehen davon hätten die beiden kaum unterschiedlicher sein können. „Kann ich euch helfen?“, fragte Nami.

Der blonde Kerl zog die Augenbrauen zusammen, doch in dem Moment, in dem er den Mund öffnete, deutete sein Begleiter bereits eine lockere Verbeugung an. Nami konnte nicht behaupten, dass sie jemals so in ihrem eigenen Haus begrüßt worden war und runzelte die Stirn.

„Nojiko hat uns zum Abendessen eingeladen. Es riecht schon sehr gut. Dürfen wir reinkommen?“, sagte er und war den Bruchteil einer Sekunde später bereits an Nami vorbeigeschlüpft.

Sprachlos sah sie ihm hinterher, während der blonde Mann einen resignierten Laut ausstieß. „Mach dir nichts draus. So ist Ace immer“, sagte er. „Ich bin übrigens Marco und ich bin sicher, dass wir nicht das sind, was du erwartest hast.“

„Das kann man wohl sagen“, erwiderte Nami und stemmte eine Hand in die Hüfte, als sie sich wieder Marco zudrehte. Sein Gesichtsausdruck wirkte noch immer verschlafen, doch seine Augen waren aufmerksam, als er sie abwartend anschaute. Er erweckte den Eindruck, als ob er bereits wusste, wie ihre nächste Frage lauten würde, weshalb Nami diese hinunterschluckte und stattdessen die Tür weiter öffnete. „Komm rein“, sagte sie. Auch ohne die Frage würde sie während des Abendessen herausbekommen, wer von ihnen denn nun mit Nojiko ausging und wer nur als moralischer Beistand mitgekommen war. Vielleicht war das Ganze auch abgekartet, damit ihr Nicht-Date inzwischen mit Nami anbändelte. Dachte Nojiko etwa, dass Nami sich allein fühlte, weil Nojiko nun weniger Zeit hatte und diese womöglich lieber mit jemand anderen verbringen wollte? Nein, so etwas würde Nojiko nicht tun, oder etwa doch?

Marco trat ein und spazierte zur Küche, was Nami versicherte, dass beide sich schon hier im Haus auskannten.

Nachdenklich schloss sie die Tür und folgte ihm, aber auf halben Weg schallte ihr bereits Nojikos Lachen entgegen, hell und heiter und ungewohnt.

„Du hast wirklich kein Beherrschen, Ace“, entrann es ihrer Schwester, als Marco und Nami die Küche erreichten. Nojiko hielt Ace den Kochlöffel mit etwas Soße hin und er probierte.

„Nicht bei so etwas Leckerem“, erwiderte dieser mit einem schrägen Grinsen und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Anrichte neben dem Kocher, an dem Nojiko herumwerkelte. Es war Ace, Nojiko ging mit Ace aus. Das war vermutlich auch besser, denn Marco schien nun doch schon einige Jahre mehr auf dem Buckel zu haben. Nicht, dass sie etwas gegen ältere Männer hatte, aber...

„Seit ihr beide schon lange in Key West?“, fragte Nami, da keiner von ihnen aussah, als wollten sie besonders viel über sich selbst preisgeben.

Marco, der im Türrahmen lehnte, löste den Blick von Ace und Nojiko, um sich stattdessen ihr zuzuwenden. „Ungefähr ein Jahrzehnt. Ace dagegen erst ein paar Monate.“ Er verschränkte die Arme, aber obwohl es bei jedem anderen abweisend gewirkt hätte, verlieh es Marco einen nachdenklichen Eindruck. „Was ist mit dir? Warum bist du wieder nach Key West zurückgekommen, Nami?“

Auf Namis Lippen tat sich ein Grinsen auf. „Ich sehe schon, Nojiko plaudert über mich.“ Sie warf ihrer Schwester einen wissenden Blick zu, die zurück lächelte, bevor sie das Essen in Schüsseln füllte, die Ace zum Tisch brachte, um nebenbei naschen zu können.

„Ich hab Key West vermisst, schätze ich“, erklärte Nami mit einem Schulterzucken. „Es mag ein kleines Kaff sein, aber es wird immer mein Zuhause bleiben. Wahrscheinlich weißt du, was ich meine. Du bist ja auch schon ewig hier.“

Marco legte den Kopf zur Seite, nickte jedoch verstehend, als sie Ace und Nojiko in das angrenzende Esszimmer folgten.

„Was ist mit dir, Ace? Wie bist du nach Key West gekommen?“, fragte Nami, als sie alle gemeinsam am Tisch saßen und sich auffüllten.

Ace hatte seinen Teller bereits beladen und das Fleisch sowie die Kartoffeln in Orangensoße ertränkt. „Durch Marco“, presste er mit vollem Mund hervor und deutete mit der Gabel auf Marco, der neben ihm Platz genommen hatte. „Er hat mich mitgenommen. Seitdem bin ich hier.“

„Hast du vor hier zu bleiben?“, fragte Nami weiter und Aces belustigter Blick wanderte zuerst in Marcos Richtung, ehe er zu Nojiko hinüberschwang, die schweigend aß. „Definitiv.“

„Ich glaube, niemand von uns hat vor wegzuziehen“, räumte Marco ein. „Außer vielleicht Nojiko.“

„Ich ziehe nicht weg“, erwiderte Nojiko knapp, wobei ihr Blick auf ihren Teller gerichtet blieb. Ihr Gesicht war ernst, aber Nami kannte sie schon ihr gesamtes Leben lang und wusste, wenn sie verlegen war.

„Das will ich auch schwer hoffen!“, sagte sie und Ace lachte vergnügt auf. Er war eindeutig derjenige, der Nojikos Herz zu gewinnen versuchte – und wenn Nami richtig lag, hatte er gute Chancen, dass ihm das auch gelang. „Immerhin wäre ich nicht die einzige, die dich vermissen würde.“

„Stimmt“, fügte Marco hinzu und nahm einen Schluck aus seinem Weinglas. „Ich glaube, es wären mindestens drei.“ Sein Blick lag auf Nojiko, die ihn für einen Moment zu lang hielt.

Erneut kräuselte sich Namis Stirn. Hatte sie sich geirrt? War es doch Marco, mit dem Nojiko ausging, und Ace war nur ein Freund? Sie war sich so sicher gewesen, aber der Blick gerade eben...

„Marco hat recht“, sagte Ace. Sein Teller war bereits leer und er füllte sich einen großzügigen Nachschlag auf. „Eigentlich wäre es ziemlich gemein, wenn du Marco und mich jetzt einfach so hängen lassen würdest.“ Das Grinsen verweilte auf seinem Gesicht und obwohl sich eine gewisse Ernsthaftigkeit hinter seinen Worten versteckte, schien er Nojiko dennoch die Wahl zu lassen.

„Ich sagte doch, dass ich nicht wegziehe“, erwiderte Nojiko. „Wieso reden wir noch darüber?“

Doch Nami hörte nur halbherzig hin, weil die Vertrautheit zwischen den Dreien ihr den Kopf schwirren ließ. Sie legte die Gabel beiseite und fasste sich an die Stirn. „Einen Moment mal“, entrann es ihr. „Wer von euch beiden geht nun mit meiner Schwester aus?“

Marco und Ace sahen einander an, bevor ihre Blicke zu Nojiko hinüberwanderten, die ebenfalls beim Essen innehielt.

„Wir beide natürlich“, sagte Ace, als würde das auf der Hand liegen. „Ich würde niemals mit Nojiko ausgehen, wenn Marco nicht mitkäme. Ich gehe nicht fremd.“

Marcos Mundwinkel zucken verdächtig. „Was Ace damit ausdrücken möchte ist, dass wir schon eine Weile zusammen sind und nun eben zu dritt ausgehen, um zu sehen, wohin es uns führt.“

„Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?“, platzte es aus Nami heraus, schroffer als geplant. Doch ein Blick in Nojikos Gesicht sagte ihr, dass dem nicht so war, sondern dass es der Wahrheit entsprach. Sie gingen zu dritt aus, weil... Nami hatte keine Erklärung. Stattdessen schob sie den Stuhl nach hinten und erhob sich langsam. „Ich glaube, ich brauche etwas Luft.“

„Nami...“, rief ihr Nojiko hinterher, aber Nami drehte nicht mehr um, als sie ihre Schlüssel nahm und aus dem Haus spazierte.
 


 

IV

Insekten schnarrten, während ein Blick hinauf zum Firmament einen klaren Himmel preisgab. Eine leichte Brise wehte und ließ die Sträucher rascheln, welche den Weg säumten. Nojiko sah sich um, doch von Nami war keine Spur zu sehen. Wahrscheinlich war sie in irgendeiner Bar etwas trinken gegangen. Verübeln konnte sie es Nami nicht, denn Nojiko hatte ihr aus der eigenen Unsicherheit heraus nicht einmal einen kleinen Hinweis darauf gegeben, was sie erwarten könnte. Nojiko hatte sie praktisch ins eiskalte Wasser gestoßen und erwartet, dass sie es schon verstehen würde.

Eine Hand berührte ihre Schulter und holte sie aus ihren sinnlosen Gedanken, die sie schon bei dem Abwasch begleitet hatten. „Sie wird sich dran gewöhnen“, sagte Ace, als er neben ihr zum Stehen kam. „Jedenfalls wirkt Nami sehr anpassungsfähig und cool.“ Das kecke Grinsen auf seinen Lippen brachte auch Nojiko zum Lächeln. Nur Ace kam auf die Idee, Nami als cool zu beschreiben, denn für gewöhnlich benutzten Männer gänzlich andere Adjektive für ihre kleine Schwester.

„Du bist auch ziemlich anpassungsfähig und cool“, erwiderte sie mit einem spöttischen Unterton, auch wenn er genau das war. Er nahm das Leben auf die leichte Schulter und machte sich keinen allzu großen Kopf um solch alltäglichen Dinge.

„Danke.“ Mit diesen Worten wanderten Aces Finger von ihrer Schulter zu ihrem Nacken hinauf, seine Berührung hauchzart, als er sich vorlehnte. Es erinnerte vage an den ersten Abend, an dem er ihre Wange geküsst hatte. Ein Schmunzeln lag noch immer auf seinen Lippen und sein Atem streifte ihre Haut, ehe Nojiko ihm entgegenkam und ihn küsste. Mit einem breiteren Lächeln spazierte Ace die Treppen von der Veranda hinunter und den Pfad entlang, der von ihrem Haus wegführte, seinen Hut ins Gesicht ziehend.

Nojiko sah ihm hinterher, bis sie Marcos Präsenz neben sich wahrnahm. Mit einem skeptischen Blick drehte sie den Kopf in seine Richtung. „Jetzt willst du wohl auch einen Kuss, was?“, fragte sie, obwohl sein Gesichtsausdruck rein gar nichts verriet. Sie konnte sich beim besten Willen nicht entscheiden, ob Marco oder Ace nun das Buch mit den meisten Siegeln war. Die beiden konnten kaum verschiedener sein und wirkten auf unterschiedliche Weise offen und verschlossen zugleich.

Marco wandte sich ihr zu und ein Mundwinkel zuckte in die Höhe. „Wenn du nichts dagegen hast, würde ich einen nehmen, ja. Ich finde, das wäre nur gerecht in Anbetracht der Umstände.“

„Ihr beide seid wirklich unglaublich.“ Nojiko schüttelte den Kopf, bevor sie Marco an seinem zugeknöpften Hemd packte, was noch immer furchtbar ungewohnt und irgendwie falsch aussah. Doch er hatte sein stummes Versprechen nicht gebrochen und beide hatten ihren Wunsch, Nami vorerst nicht wissen zu lassen, dass sie Whitebeards Söhnen angehörten, eingehalten. Mehr konnte sie nicht verlangen. Stattdessen zeigten sie immer wieder in diesen kleinen Gesten, dass man ihnen vertrauen konnte und dass Nojiko – dank Thatchs ungewollter Hilfe – richtig entschieden hatte, als sie sich an dem Abend im Grandline zu ihnen an den Tisch gesetzt hatte.

Marcos Lippen waren rauer als die von Ace, aber auch sie lösten ein Kribbeln in Nojikos Bauch aus. „Danke“, sagte Marco und Nojiko boxte ihm spielerisch gegen die Brust.

„Bedank dich noch einmal für einen Kuss und es wird der letzte gewesen sein“, mahnte sie.

„Der Letzte, eh?“, wiederholte Marco, bevor auch er sich auf den Weg machte und mit Ace aufholte.

Mit einem Schnauben drehte sich Nojiko um und marschierte zurück ins Haus. Die beiden machten es ihr schwer, sich um Nami zu sorgen oder darüber nachzudenken, was sie tun würde, wenn Nami gegen ihre Beziehung war. Das galt besonders, wenn sie auch noch beim Abwasch halfen und Nojiko dann nichts anderes mehr zu tun hatte, als zu entspannen. Es war ungewohnt. Sie hatte all die Monaten allein gewohnt und sich eine Routine aufgebaut, um den Hausputz, die Arbeit und alles andere unter ein Dach zu bekommen. Nun war nicht nur Nami zurück, die überraschenderweise mit anpackte, obwohl sie sich sonst vor dem Haushalt gedrückt hatte, sondern auch Marco und Ace halfen mit, wenn sie hier waren. Wobei Ace eine Katastrophe war und sich immer wieder ablenken ließ, aber... der Gedanke zählte. Das alles wirkte fast ein wenig zu perfekt. Vielleicht würde sich Nami doch nie damit anfreunden können, dass sie mit Marco und Ace zugleich ausging.

Ein Seufzen bahnte sich den Weg über Nojikos Lippen, als sie im Türrahmen zur Küche stand und sich nach irgendetwas umsah, was keinen Aufschub duldete und womit sie sich die Zeit vertreiben konnte.
 


 

V

Es war still im Haus, was nur bedeuten konnte, dass Nojiko noch immer schlief. Gut. Nami schwang die Beine aus dem Bett und schlüpfte in ein neues Top und band sich ihre Haare zusammen. Sie war gestern zu müde gewesen, um sich umzuziehen. Das war jedoch nicht verwunderlich, da sie erst um drei Uhr morgens zum Haus zurückgekehrt war. Zu dieser Zeit hatte Nojiko bereits geschlafen, hatte aber die Lichter im Wohnzimmer für sie angelassen. Es verbesserte Namis schlechtes Gewissen nicht, einfach so in Schock herausgestürmt zu sein. Für die Erkenntnis, dass sie hätte besser reagieren sollen, war es nun allerdings zu spät.

Auf leisen Sohlen, um das Quietschen der Dielen zu vermeiden, sammelte Nami ihr Zeichenmaterial ein, verließ ihr Zimmer und stieg die Treppe hinunter. Sie wollte Nojiko auf keinen Fall wecken. Was sollte Nami ihr sagen? Sich entschuldigen? Nein, sie wusste schließlich immer noch nicht genau, was sie von dieser Dreierbeziehung halten sollte. So etwas konnte auf Dauer doch wohl kaum funktionieren, oder?

Nachdenklich legte sie ihre Sachen auf der Anrichte ab und stöberte im Kühlschrank. Wahrscheinlich hatte Nojiko deshalb nicht darüber reden wollen. Nami hatte es ihr vermutlich nicht geglaubt, sondern viel eher gedacht, dass Nojiko sie auf den Arm nahm, obwohl sie niemals über solche Dinge scherzen würde.

Nami schob den Kühlschrank zu und nahm sich stattdessen einen der Äpfel aus der Obstschale. Vielleicht machte sie sich zu viele Gedanken darüber. Eine Schublade nach der anderen wurde aufgezogen, als sie nach den Messern suchte. Nojiko hatte doch nicht alles gelassen, wie es gewesen war. Bei der dritten Küchenschublade wurde sie schließlich fündig, obwohl ein schwerer Umschlag sie bedeckte. Nami hob ihn heraus und legte ihn auf die Anrichte, bevor sie ihren Apfel durchschnitt und die Kerne entfernte.

Ihr Blick ruhte jedoch auf dem Briefumschlag, der halboffen vor ihrer Nase lag und Geld enthielt. Doch es war die Anzahl der Geldscheine, die Namis Aufmerksamkeit auf sich zog. Während sie den Apfel aß, lauschten ihre Ohren unweigerlich für Geräusche in der oberen Etage, als sie ihre Finger nach dem Umschlag ausstreckte, um sich die Scheine besser ansehen zu können.

Es waren alles 100-Dollar-Scheine! Wo hatte Nojiko so viel Geld her? Hatte sie das Haus doch schon verkauft, nur Nami nichts davon gesagt? Das würde allerdings bedeuten, dass Nojiko gestern gelogen hatte, als sie darauf beharrt hatte, nicht länger wegziehen zu wollen. Was ging hier vor? Und seit wann war Nojiko diejenige, die Geheimnisse hatte? War es nicht immer Nami gewesen? Nami, die heimlich die Bewerbung für die Universität ausgefüllt und abgeschickt hatte, die als Kind gern einige Bücher aus der Bücherei behalten und diese stets unter ihrem Bett versteckt hatte?

Nami schüttelte kaum merklich den Kopf. Bevor sie Nojiko gegenüberstand, musste sie erst einmal ihre Gedanken ordnen und das konnte sie hier drinnen nicht tun. Nicht mit diesem erdrückenden Gefühl in ihrer Brust, welches sie immer bekam, wenn das Wetter kurz davor war, sich drastisch zu ändern. Doch bis die Sturmfront sie erreichte, würde es noch ein paar Tage dauern, da war sich Nami sicher.

Nachdem sie aufgegessen hatte, legte sie den Briefumschlag zurück in die Schublade, nahm ihr Zeichenmaterial und schlüpfte in ihre Schuhe. Abermals flüchtete sie aus dem Haus, in dem sie aufgewachsen war, denn das tat sie bereits seit sie das Laufen gelernt hatte. Es war der Ort, von dem sie stets davonlief und zu dem sie genauso oft wieder zurückkehrte, der Anfang und das Ende eines ewigen Kreislaufs.

Draußen war es schwül und sonnig, wie die Stille vor dem wortwörtlichen Sturm, als sich Nami auf den Weg zum Strand machte. Die mitgenommene Sonnenbrille fand den Platz auf ihrer Nase, als sie den sandigen Wegen über die Insel folgte.

Auch das Meer breitete sich ruhig und mit sanften Wellen vor ihr aus. Am unteren Rand drehten ein paar morgendliche Jogger ihre Runden, während andere bereits in das blaue Nass eintauchten. Nami verweilte jedoch am oberen Rand, an dem sie sich in den Sand sinken ließ. Das leichte Pochen hinter ihren Schläfen sagte ihr, dass sie gestern in Shakky’s Rip-off Bar selbst für ihre Trinkfestigkeit zu viel getrunken hatte. Zwar war das Grandline näher gewesen, aber dort setzte sie keinen Fuß hinein. Sie wusste schließlich, wer dort regelmäßig ein- und ausging. Die Rip-off Bar war hingegen nur eine winzige Bar, in die es fast nur Touristen trieb, da sie sich genau im Zentrum von Key West und inmitten einem Haufen anderer Lokale befand. Es gab sie schon so lange, wie sich Nami erinnern konnte, genauso wie die Besitzerin Shakuyaku, eine Frau, die zu viel rauchte und ganz genau wusste, was in jedem Winkel der Insel vor sich ging. Nami bezweifelte jedoch, dass sie von Nojikos Beziehung zu Marco und Ace wusste...

Dieser Gedanke ließ sie schmunzeln, als Nami ihren Blick vom Meer nahm und stattdessen ihren Zeichenblock aufschlug. Die ersten Blätter zeigten skizzierte Kleider und Röcke, die sie für ihre Designklasse entworfen hatte, doch sie blätterte weiter, bis sie eine leere Seite gefunden hatte. Anschließend fischte sie einen der Bleistifte aus der kleinen Federtasche, die neben ihr im Sand landete. Mit feinen Linien versuchte sie das Meer mit seinen Joggern und Schwimmern, den herumfliegenden Möwen und den fernen Fischerbooten einzufangen, während die Sonnenstrahlen auf seiner Oberfläche glitzerten. Da war keine Unsicherheit und auch kein Zittern in ihrer Hand, als sie zeichnete.

Erst ein Schatten, der sich über sie legte, ließ sie schlussendlich innehalten. „Das ist eine sehr detaillierte Zeichnung“, sagte eine Stimme und Nami musste den Kopf drehen, um den Mann zu sehen, der direkt hinter ihr stand und ihr schamlos über die Schulter sah. Trotz der Wärme trug er einen dunklen Pullover, der mit einer weißen Mütze, die schwarze Punkte hatte, abgerundet war, die er tief ins Gesicht gezogen trug.

„Und ich bin sicher, dass sie dich nichts angeht“, erwiderte Nami mit erhobener Augenbraue und klappte ihren Zeichenblock vorerst zu. „Hast du noch nie davon gehört, dass man fragt, bevor man sich einfach die Arbeit eines Künstlers ansieht?“

Anstatt ihre Ablehnung anzuerkennen und seinen Weg fortzusetzen, spazierte er mit gemütlichen Schritten um Nami herum, damit sie sich nicht weiterhin halb den Hals verrenken musste, um ihn ansehen zu können. „Du bist eine Künstlerin, Miss?“

Bei der seltsamen Mischung aus dem Duzen und Siezen schob Nami nun doch die Sonnenbrille hinauf in die Haare, um sich diesen Mann genauer anzusehen. „Vielleicht. Und was bist du? Außer aufdringlich, meine ich.“

„Aufdringlich“, wiederholte ihr Gegenüber und seine Mundwinkel hoben sich, als er dieses Wort testete. „Sag mir nicht, dass ich der Erste bin, der dir jemals beim Zeichnen über die Schulter geschaut hat.“

Der Ton, in der das sagte, gefiel Nami nicht, weshalb sie die Stirn in Falten legte. Flirtete er gerade mit ihr? Für gewöhnlich hatte sie kein Problem damit, diese Dinge zu erkennen, da Männer mehr als nur offensichtlich und einfach gestrickt waren. Bei den trockenen Worten, seiner ganzen Art, die furchtbar unnahbar wirkte, konnte sie jedoch nicht sicher sein.

„Du hast meine Frage nicht beantwortet“, antwortete Nami, anstatt auf seine Aussage einzugehen.

Er lächelte nicht, sondern zuckte lediglich mit den Schultern. „Vielleicht bin ich ja ein Tourist, der sich einfach mal die Beine vertreten wollte. Das Wetter ist hier gut genug dafür.“ Sein Blick ging zum Himmel hinauf und er kniff die Augen bei der Helligkeit zusammen.

Nami beobachtete ihn dabei. Wie ein Tourist sah er aus, das stimmte. Jedenfalls war seine Kleidung alles andere als angebracht auf den Key Inseln. Während sie Sandalen, kurze Shorts und ein Top trug, hatte er obendrei noch eine lange Hose und Stiefel an. Wer tat sich das bei diesem Wetter an? An einer gesunden Bräune war er jedenfalls nicht interessiert, obwohl er auch nicht sonderlich blass wirkte.

„Nicht mehr lange“, sagte Nami, ohne näher darüber nachzudenken.

Sein Blick kehrte zu ihr zurück, doch er fragte nicht nach.

„Bald wird sich ein Sturm bilden. In ein paar Tagen wird er hier sein“, erklärte Nami und nun war es an ihr achtlos mit den Schultern zu zucken.

Kein Muskel in seinem Gesicht regte sich. „Wie lautet dein Name, Miss?“

„Nami.“

„Nett dich kennen zu lernen, Nami-ya. Ich bin Law.“ Seine Mundwinkel hoben sich ein Stückchen. „Wir sehen uns sicher noch. Bei der Größe der Insel ist es jedenfalls wahrscheinlich.“ Mit diesen Worten setzte er seinen Weg fort und ließ Nami sitzen. Verwirrt sah sie ihm nach, doch er drehte sich nicht mehr um. Womöglich hatte sie sich geirrt und er hatte nicht mit ihr geflirtet, sondern war einfach von der sonderbaren Sorte. Sie hatte lange genug auf Key West gelebt, um zu wissen, dass sich hier viele Egozentriker herumtrieben. Und was sollte das –ya am Ende ihres Namens? War das japanisch? Es klang ein wenig danach, obwohl er nicht sonderlich japanisch ausgesehen hatte und auch sein Name nicht unbedingt darauf hinwies.

Ihren Zeichenblock wieder aufklappend beendete sie ihre Skizze von einem weiteren Morgen in Key West, anstatt weiter über diese Begegnung nachzudenken.

Teil 2: Calm Before The Storm [2]


 

VI

Die Orangen waren schnell ins Grandline geschafft, aber da sie erst heute Abend arbeitete, hatte sich Nojiko wieder auf den Weg zurück gemacht. Sie hatte das Haus genauso verloren vorgefunden, wie sie es verlassen hatte. Nami war noch nicht zurückgekehrt und wahrscheinlich verschwendete Nojiko ihren Nachmittag, hier zu warten, um sie ja nicht zu verpassen, sollte sie doch auftauchen.

Nojiko warf einen Blick in den angefangenen Eisbecher, mit dem sie sich auf dem Sofa wiederfand. Das Eis war das einzige, was für Abkühlung in ihren vier Wänden sorgte, denn die Hitze machte das Haus trotz der Deckenventilatoren unerträglich.

Ein Seufzen bahnte sich den Weg über ihre Lippen, als sie sich einen weiteren Löffel in den Mund schob. Ihre Augen wanderten zurück zu dem Wetterbericht, der die Nachrichten unterbrochen hatte, um über den Sturm zu informieren, der sich dort auf dem Atlantik zusammenbraute. Wahrscheinlich würde er ihrem Haus den Rest geben. Immerhin fiel schon bei Regen, der über feinen Nieselregen hinausging, jedes Mal für Stunden am Stück der Strom aus. Die Leitungen waren alle veraltet, genauso wie alles in diesem Haus.

Die Eingangstür wurde aufgeschlossen.

Nojiko angelte sofort nach der Fernbedienung, um den Ton der Meteorologin auszustellen, ehe sie Nami ins Visier nahm, die sich ins Innere schob.

„Ich wusste nicht, dass du hier bist, Nojiko“, sagte sie und lud ihre Zeichenmaterialien auf dem Schrank neben der Tür ab.

„Und ich will mich nicht streiten“, sagte Nojiko, die ihr den Eisbecher in stummer Einladung entgegenhielt.

Ein Lächeln schlich sich auf Namis Lippen. „Welche Geschmacksrichtung?“

„Schokolade. Es ist die einzige, die wir noch haben.“

Nami schlüpfte aus ihren Schuhen, spazierte in die Küche, um sich einen Löffel zu holen und sackte anschließend neben Nojiko auf das Sofa. Der Becher stand zwischen ihnen, während sie schweigend aßen.

„Was sagen sie?“, fragte Nami schlussendlich und nickte zum Fernseher hinüber.

„Der Sturm zieht in unsere Richtung, wird uns aber nur streifen. Zumindest so, wie es im Moment aussieht. Wir werden trotzdem eine Menge Regen und Wind abbekommen.“ Nojikos Blick ging an die Decke über ihrem Kopf. „Ich hoffe nur, dass das Dach es mitmacht. Der letzte Sturm hat die Dachziegel ganz schön in Mitleidenschaft gezogen.“

„Wenigstens tropft es nur in der Küche hinein“, murmelte Nami und Nojiko hob eine spöttische Augenbraue.

„Wenigstens?“

„Sonst müssten wir uns mehr große Kochtöpfe kaufen, meine ich.“ Nami zuckte grinsend mit den Schultern. „Andererseits... du hast eine ganze Menge Geld in dem Schubfach liegen, womit du eigentlich das Dach reparieren lassen kannst.“

Nojikos Schultern spannten sich unwillkürlich an, als Nami mit ihrer Unschuldsstimme auf das Geld zu sprechen kam. Sie hatte es also doch gefunden. Aber warum überraschte es Nojiko überhaupt? Nami hatte schon immer ein Gespür für Wertsachen gehabt, ob sie von ihnen wusste oder nicht.

„Das gehört nicht mir“, erwiderte Nojiko und ließ den Löffel sinken. „Es ist von Ace. Er hat es mir gegeben, damit ich wegziehen kann. Glaube ich jedenfalls, weil er es nicht zugeben mag und sich weigert, es zurückzunehmen.“

Das kecke Grinsen auf Namis Lippen nahm etwas Sanftes an, das konnte Nojiko deutlich aus den Augenwinkeln heraus erkennen. „Jemand, der dir so viel Geld überlässt ohne irgendwas zurückzuverlangen, muss ganz schön in dich vernarrt sein, Nojiko“, gab sie zu bedenken und Nojiko holte Luft, obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie darauf antworten sollte. Hatte Nami recht? Sie konnte nicht behaupten, dass Ace ihr ein anderes Gefühl vermittelte, denn er war furchtbar offen, wenn es um Zuneigung ging, das vollkommene Gegenteil von Marco, der eher zurückhaltend und gefasster war.

„Trotzdem...“, entrann es Nojiko entschieden. „Das Geld gehört nicht mir. Ich werde es aufheben, bis Ace es endlich zurücknimmt. Ganz egal, wie oft ich ihn erinnern muss. Du weißt, was Bellemere immer gesagt hat. Keine Schulden sind Ehrenschulden.“

Nami zog den Eisbecher etwas weiter zu sich hinüber. „Aber Bellemere ist nicht da und das Haus fällt auseinander.“

„Sag mir lieber, was du von Marco und Ace hältst“, wechselte Noijko das Thema, obwohl ihr das genauso unangenehm war. Doch irgendwann mussten sie darüber reden und es weiter herauszuzögern brachte keinem von ihnen etwas. Es war wie ein Pflaster, das man einfach in einem Ruck abreißen musste.

„Es ist dein Leben, Nojiko“, antwortete Nami, um einiges erwachsener, als Nojiko angenommen hatte. „Dass es ziemlich... ungewöhnlich ist, muss ich dir wohl nicht sagen, aber unsere Familie war schon immer sehr ungewöhnlich. Ich meine, erst Bellemere, die uns adoptiert hat und dann Genzo?“

Sie teilten ein Lächeln. Es stimmte. Nojiko konnte nicht abstreiten, dass sie eine sehr zusammengewürfelte Familie gewesen waren. Nicht nur, dass Bellemere sie aus heiterem Himmel adoptiert hatte, sondern ihr Polizeipartner war bis zu seinem Tod auch noch eine Art Vaterfigur gewesen.

„Es gibt da noch etwas, was du noch nicht weißt und ich dir sagen muss“, sagte Nojiko, denn diese Unterhaltung war ein Pflaster, das sie unbedingt entfernen wollte. Ansonsten würde diese Geheimnistuerei nur noch mehr Schaden anrichten und das Letzte, was Nojiko wollte, war Nami so kurz nach ihrer Rückkehr wieder zu vergraulen.

Nami kratzte gerade den Boden von dem Eisbecher aus, doch hielt inne, als sie Nojikos ernstes Gesicht sah. Es war jetzt oder nie.

„Marco und Ace gehören zu Whitebeard“, sprach Nojiko es einfach aus und sah zu, wie Namis Augen sich weiteten.

„Aber das sind Verb—“, begann Nami, doch Nojiko unterbrach sie mit einem „Ich weiß“.

Stille folgte, in der sich beide Schwestern ansahen und zu verstehen versuchten, was in dem Kopf der jeweilig anderen vorging.

„Vertraust du mir, Nami?“, fragte Nojiko letztendlich.

Nami nickte. „Dir schon, aber Verbrechern nicht.“

„Aber ich vertraue ihnen“, sagte Nojiko und in dem Moment, in dem sie es aussprach, wurde ihr erst wirklich bewusst, dass es tatsächlich der Wahrheit entsprach. „Sie sind merkwürdig und diese Art von Beziehung ungewöhnlich, das gebe ich zu, aber... aber sie sind mir wichtig.“ Ihre Wangen glühten.

„Das ist alles ziemlich abgedreht.“ Nami stieß die Luft aus und fasste sich an die Stirn. „Aber ich versuche mich daran zu gewöhnen. Schließlich habe ich nur eine Schwester und ich würde sie gern behalten.“ Mit diesen Worten erhob sich Nami, um den Eisbecher wegzuwerfen und die Löffel im Waschbecken zum restlichen Geschirr vom Morgen zu legen. „Aber wenn sie dir das Herz brechen, breche ich ihnen etwas anderes“, rief sie noch zurück und Nojiko schmunzelte.
 


 

VII

Das Grandline war ein altes Lokal, welches schon einige Renovierungen erlebt hatte. Obwohl Nami es noch nie betreten hatte, war sie oft genug an ihm vorbeigelaufen, um zu beobachten, wie die Außenwände einen neuen Anstrich bekommen hatten und die vorigen Graffiti nach und nach wieder verschwunden waren. Dass Whitebeard und seine Anhänger dafür das Geld zur Verfügung stellten, konnte sich Nami zusammenreimen, denn es war schon von weitem als ihr Stammlokal zu identifizieren.

Obwohl es stockfinster war und die Nacht nur noch von ein paar Laternen auf dem riesigen Platz vor dem Grandline erleuchtet wurde, konnte Nami die Tätowierungen der Männer erkennen, die vor dem Lokal herumlungerten, auf dem Bordstein saßen oder an der Wand gelehnt standen. Sie trugen Whitebeards Zeichen dreist auf ihren Körpern und dachten erst gar nicht daran zu verstecken, dass sie gegen das Gesetz verstießen. Es war ihnen völlig egal – und Marco und Ace gehörten zu ihnen.

Nami atmete tief durch, bevor sie den Weg zur Bar einschlug. Die Blicke der Männer folgten ihr, obwohl genug Touristen, welche nichts von Whitebeard und seinen Männern wussten, sie ebenfalls besuchten. Davon ließ sich Nami allerdings nicht einschüchtern, als sie das Grandline betrat und sich zum Tresen begab, hinter dem Nojiko einige Drinks mischte. „Ich nehme einen Tequila“, sagte sie und Nojikos Kopf ruckte in die Höhe.

„Nami, was machst du hier?“

„Ich dachte, ich schaue mir mal an, wo du dich neuerdings so herumtreibst“, antwortete Nami, als Nojiko ihr das Glas hinstellte und eingoss, und ließ den Blick vielsagend durch die belebte Bar schweifen. Makino, die Besitzerin, die Nami bereits vom Markt kannte, bediente einige Herren in der hintersten Ecke, während Marco und Ace es sich mit einem dritten Mann an einem Tisch bequem gemacht hatten.

„Ich bin eigentlich nur hier, wenn ich arbeite“, gestand Nojiko. „Es ist im Grunde auch nur eine Bar wie jede andere.“

„Wir werden sehen“, sagte Nami, als sie Nojiko einen Schein hinschob, jedoch nicht auf das Wechselgeld wartete. Stattdessen spazierte sie mit ihrem Getränk zu Nojikos Jungs hinüber, die sie noch nicht bemerkt hatten.

Marco fing ihren Blick als erstes auf, beobachtete sie jedoch schweigend, fast schon abwartend, während Ace eine Diskussion mit einem braunhaarigen Kerl darüber führte, welche Bäckerei das beste Gebäck verkaufte.

Als Nami hinter ihm zum Stehen kam, räusperte sie sich und Ace drehte sich mit einem „Huh?“ auf den Lippen zu ihr um. Im nächsten Moment war er bereits aufgesprungen. „Du kommst genau zum richtigen Zeitpunkt, Nami“, begrüßte er sie mit einem breiten Grinsen, bevor er von dem Nachbartisch einen Stuhl holte und Nami zu ihm hinüber bugsierte. „Wo kaufen Nojiko und du eure Brötchen? Welche Bäckerei?“

„Darüber unterhaltet ihr euch in eurer Freizeit?“, stellte Nami die Gegenfrage und verzog skeptisch das Gesicht. „Und ihr wollt Verbrecher sein?“

„Das kommt wohl auf die Art Verbrecher an, als die man sich kategorisiert“, erwiderte Marco, der das Kinn gelangweilt auf der Handfläche abstützte. Im Gegensatz zu gestern Abend trug Marco sein Hemd nun offen, wodurch sie Whitebeards Zeichen sehen konnte, welches auf seinem Brustkorb prangte. Es war der ultimative Beweis.

Nami schüttelte den Kopf. „Es gibt nur eine Art Verbrecher, auch wenn sich gewisse Leute etwas anderes einreden wollen.“

„Nami?“, fragte der dritte Mann im Bunde und streckte ihr mit einem schiefen Grinsen die Hand aus. „Ich bin Thatch. Marco und Aces bester Freund und Makinos zukünftiger Ehemann. Ich hoffe, wir werden uns gut verstehen, jetzt, da wir praktisch zur selben Familie gehören.“

„Hm?“ Namis Augen verengten sich, als sie Thatchs Haartolle und seine ausgestreckte Hand abwechselnd musterte. Zur selben Familie gehören? Redeten sie hier von Nojikos Beziehung mit Marco und Ace oder doch diese sogenannte Familie, die Whitebeard um sich herum scharrte? Aber es spielte keine Rolle, denn Nami bezweifelte, dass sie auch nur ein Teil von einer dieser Familien sein wollte.

„Du hast auch ein Tattoo. Wie deine Schwester“, unterbrach Ace, als Thatch mit einem Schmollmund die Hand sinken ließ und Nami es gekonnt ignorierte. Aces Blick klebte an ihrer Schulter, auf der eine verschnörkelte Tätowierung ihren Platz hatte, die alle drei Mitglieder ihrer Familie präsentierte. Die Form erinnerte an Nojikos Tattoo, während die Schnörkel einmal eine Orange für Bellemere und eine Windmühle für Genzo darstellten, mit der er sie als Kind stets zum Lachen gebracht hatte.

Ace schob den Ärmel seines Hemdes ein Stück hinauf, damit Nami einen Blick auf seinen Namen werfen konnte, der dort vertikal tätowiert war. „Und ich hab noch eines auf dem Rücken. Willst du es sehen?“

„Nein, danke“, erwiderte Nami, die ihr Glas in einem schnellen Zug austrank. „Übrigens hat sich jemand in deiner Tätowierung verschrieben.“

Ace sah an seinem Oberarm hinab und studierte das durchgestrichene S, welches sich zwischen dem A und dem C befand. Ein Lächeln zupfte an seinen Lippen.

„Eigentlich bin ich nur hergekommen, um mit euch über das Geld zu sprechen“, fuhr Nami unbeirrt fort, als Ace nichts weiter sagte. Ihre Augen zuckten zwischen Marco und Ace hin und her, denn sie vermutete beide hinter dieser Summe, die noch immer im Küchenschubfach lag. „Wollt ihr es wiederhaben oder nicht?“ Nami war nicht dafür bekannt, um den heißen Brei herumzureden, jedenfalls nicht, wenn es dabei um Geld ging. „Wenn nicht, müsst ihr Nojiko das klarmachen und dazu überreden, es zu benutzen.“

„Will sie nun doch wegziehen?“, fragte Ace und das Grinsen war gewichen, um einen ernsteren Ausdruck zurückzulassen. Beinahe so, als würde er es schade finden, obwohl er ihr doch das Geld gegeben hatte.

„Natürlich nicht“, erwiderte Nami und rollte mit den Augen.

„Ich muss dir wohl nicht sagen, dass man Nojiko zu nichts überreden kann, wenn sie es selbst nicht möchte, eh?“, sagte Marco und sprach damit die nackte Wahrheit aus. Andererseits wusste Nami, dass Nojiko es benutzen wollte, denn ansonsten hätte sie längst einen Weg gefunden, um es zurückzugeben.

„Sie möchte, glaubt mir“, fasste Nami zusammen. Kurzzeitig glitt ihr Blick zum Tresen hinüber, hinter dem Nojiko Gläser spülte. „Nojiko braucht nur einen Ruck und zwar bald, weil uns sonst das Dach wortwörtlich auf den Kopf fällt.“

„Kein Problem“, erwiderte Ace. „Marco und ich kriegen das schon hin. Stimmt’s?“ Er sah seinen Freund an, der die Mundwinkel stumm senkte. „Sei nicht immer so pessimistisch“, fügte Ace hinzu und lachte auf.

„Makino kennt sicher ein paar gute Handwerker, die man für einen vernünftigen Preis anheuern kann“, sagte Thatch und war bereits aufgestanden, um seine Freundin danach zu fragen, die ohnehin auf dem Weg in ihre Richtung war.

„Keine Sorge, es besteht nur eine fünfzigprozentige Chance, dass er sich vor Nojiko verplappert“, beantwortete Marco Namis Gedanken und sie stieß ein Seufzen aus.

„Wisst ihr... ihr seid unheimlich seltsame Verbrecher“, schloss sie und erhob sich ebenfalls. „Ich hoffe nur, dass ihr Nojiko nicht in euer Geschäft oder was-auch-immer hineinziehen werdet.“ Sie ließ ihr Glas stehen und steuerte die Tür an.

Eigentlich war sie in erster Linie am Geld interessiert und hatte sich vor dem Weg hierher fest vorgenommen, dass sie es Marco und Ace nicht leicht machen würde, aber es stellte sich als viel schwerer heraus, die beiden nicht zu mögen. Waren alle Mitglieder von Whitebeards Söhne solche normalen Typen, die auf den ersten Blick nichts Böses im Schilde zu führten? Nami bezweifelte es. Außerdem machte es letztendlich keinen Unterschied, denn—

„Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns so schnell wiedersehen, Nami-ya“, ließ sie eine Stimme aufsehen. Es war der Mann von heute Morgen. Law hatte er sich genannt. Er stand an der Hausmauer gelehnt und löste sich von ihr, um auf sie zuzuspazieren. Seinen dunklen Pullover hatte er für ein gelbes T-Shirt mit einem Smiley und einer schwarzen Jacke eingetauscht, welche seinen schlanken Körperbau besser zur Geltung brachten.

„Verfolgst du mich?“, fragte Nami, die zum Grandline zurückschaute, welches sie vor wenigen Minuten verlassen hatte. Dieser Zufall, sich ausgerechnet in dieser schmalen Gasse mitten am Abend zu begegnen, kam ihr doch etwas zu sonderbar vor. Sie war nicht naiv genug, um keinerlei Hintergedanken und Motive zu vermuten.

„Warum sollte ich das tun?“, fragte Law, der genauso wenig wie sie über sich preisgeben wollte, da war sich Nami sicher. Wahrscheinlich wollte er einer dieser geheimnisvollen Männer bleiben, weil er dachte, dass das bei Frauen zog. Da kannte er sie aber schlecht.

„Ich bin nicht interessiert“, sagte Nami und ging weiter. Allerdings konnte sie anhand seiner Schritte auf dem Asphalt ganz genau hören, dass er ihr in einem gemütlichen Tempo folgte.

„Und wer sagt, dass ich interessiert bin?“, fragte er, anstatt sich einfach mit dieser Abweisung zufrieden zu geben und von dannen zu ziehen. Das wäre wohl zu einfach gewesen. „Ich bin nur ein Besucher, der niemanden kennt und sich mit Leuten unterhält, um das zu ändern.“ Er zuckte mit den Schultern, was kein bisschen unschuldig wirkte. Wirklich etwas vormachen wollte er ihr nicht, aber was war es dann?

„Wir haben uns unterhalten. Und nun?“, entrann es Nami, die in dem fahlen Licht einer Laterne stehen geblieben war. Wenn er glaubte, dass sie sich einschüchtern ließ, hatte er sich geirrt. Sie wusste ganz genau, wohin sie treten musste, um ihm im Notfall Schmerzen zuzufügen.

Doch Law blieb einen Meter von ihr entfernt stehen, die Hände noch immer in den Hosentaschen, während das Licht der Laterne sich auf seinen Ohrringen brach. Welcher Mann trug schon Ohrringe und sah dabei noch unverschämt gut aus?

„Ich weiß nicht“, gestand Law. „Ich nehme an, dass ich dich fragen sollte, ob wir uns nicht besser kennen lernen wollen. Vielleicht morgen früh am Strand. Ich hab den Eindruck, dass du ihn magst. Was denkst du?“

„Was ich denke, geht dich nichts an“, erwiderte Nami und stemmte eine Hand in die Hüfte, als sie ihn weiterhin musterte. Doch Laws Fassade ließ nichts außer milde Belustigung durch, die alles und nichts bedeuten konnte. „Ich denke drüber nach.“ Sie wandte sich um und ging weiter.

„Und woher weiß ich, wie du dich entschieden hast?“, rief Law ihr einige Sekunden später hinterher.

Er stand noch immer an Ort und Stelle, als Nami einen Blick über ihre Schulter warf. „Indem ich morgen auftauche oder nicht.“ Mit einem letzten zuckersüßen Lächeln ließ sie ihn stehen.
 


 

VIII

Nojiko konnte die Müdigkeit in jedem Muskel ihres Körpers spüren. Wenn ihr vor diesem Job jemals jemand hätte weismachen wollen, dass es Knochenarbeit war, ein paar Gäste zu bewirten und den Tresen sowie die Tische während der Öffnungszeiten einigermaßen sauber zu halten, hätte sie denjenigen wohl als einen inkompetenten Schwächling abgestempelt. Allerdings war Nojiko niemand, der herumjammerte, weshalb sie noch auf den Beinen war, bis Thatch auch den letzten Gast mit der Androhung des Hausverbots vor die Tür setzte.

„Ich kann es mir nicht leisten, Leuten ernsthaft Hausverbot zu erteilen, Thatch“, mahnte Makino mit sanfter Stimme, als sie ein letztes Mal in dieser Nacht die Theke abwischte. „Ganz besonders, wenn das einzige Vergehen ist, dass er gern hier ist.“

Thatch schloss die Eingangstür ab. „Aber so kommen wir doch nie nach Hause. Ich hatte bisher nicht einmal Zeit, eine einzige meiner Kisten auszupacken.“

„Die leeren Schubladen rennen nicht weg.“

Nojiko verfolgte das Gespräch nur mit einem halben Ohr, als sie zusammen mit Marco und Ace die Stühle hochstellte. Auch sie waren länger geblieben. Länger als sonst ohnehin schon, verbesserte Nojiko gedanklich. Ace war auch kein einziges Mal beim Trinken eingeschlafen, was bereits ein kleiner Rekord für sich war und obendrein äußerst seltsam.

„Apropos nach Hause gehen“, begann Ace, als er auch den letzten Stuhl hochstellte und mit langen Schritten zu ihr hinüber spazierte. Mit einem breiten Grinsen und den scheinbar unendlich vielen Sommersprossen, die sich über seine Wangen und seinen Nasenrücken verteilten, wirkte er fast wie ein kleiner Junge.

Dieser Gedanke erinnerte Nojiko unweigerlich daran, dass sie eigentlich rein gar nichts über Ace wusste. Sie wusste nur von seiner Narkolepsie und seiner merkwürdigen Angewohnheit unheimlich abwehrend zu reagieren, wenn jemand auch nur annähernd etwas Schlechtes über Whitebeard oder einen seiner Männer sagte. Das galt ganz besonders für Marco und Leute, die es wagten, seine doch eher eigenartige Frisur zu belächeln. Obwohl Nojiko stets ähnlich reagierte, wenn es um Nami ging, hatte sie noch nie jemanden mit einem derartigen Beschützerinstinkt gesehen, ganz besonders da es Marco vollkommen egal war, was andere über ihn sagten. Ace hingegen... ihm schien es an diesem Selbstbewusstsein zu mangeln. Man sah es nicht auf den ersten Blick, aber—

Eine Hand wedelte vor Nojikos Gesicht. „Erde an Nojiko.“

Sie blinzelte und fokussierte ihren Blick wieder auf Ace, anstatt weiter durch ihn hindurchzusehen. „Was hast du gesagt?“

Ace zog die Augenbrauen zusammen, obgleich das Lächeln auf seinen Lippen verweilte. „Ich hab gefragt, ob du nicht ausnahmsweise mit Marco und mir nach Hause kommen möchtest.“

„Oh“, entwich es Nojiko. Sie wischte sich die Hände an der Schürze mit dem Grandline-Logo ab, das aus einer Welle und einem Kompass bestand, dessen Hintergrund sie nicht kannte.

Marco gesellte sich zu ihnen, still und mit ausdruckslosem Gesicht. „Lass uns nach Hause gehen. Mir fallen bald die Augen zu.“

Ace stieß ihm spielerisch einen Ellenbogen in den Magen und Marco verzog das Gesicht, bevor er von hinten die Arme um Aces Schultern schlang, um sich bei ihm abzustützen und Ace als Strafe sein Gewicht tragen zu lassen, seine Proteste ignorierend.

Die anfängliche Verlegenheit wich, als Nojiko bewusst wurde, dass Ace sie gefragt hatte, bei ihnen zu übernachten, nicht mit ihnen zu schlafen.

„Okay“, erwiderte sie. „Okay, ich sag nur Makino Bescheid, dass ich gehe.“

Ihre Blicke folgten Nojiko, als sie das Hinterzimmer ansteuerte, in dem Thatch ihre Chefin mit einem charmanten Lächeln einen Kuss auf den Mundwinkel presste. Sie machte vor der angelehnten Tür Halt, anstatt sie zu stören. Es war ohnehin ein kleines Wunder, dass Thatch es den gesamten Abend geschafft hatte, seine Finger bei sich zu behalten. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Makino ihn stets mehr in den Arbeitsverlauf einspannte, weil er sie ansonsten durchgängig ablenken würde.

Nojiko schlenderte zurück zum Tresen und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, die wie gewohnt von dem roten Tuch zurückgehalten wurden. War das Liebe? Wahrscheinlich, denn wenn es keine war, dann wusste sie beim besten Willen nicht, was als Liebe qualifizierte. Und was war das zwischen Marco, Ace und ihr? Sie würde es gern herausfinden.

Die beiden lehnten am Tresen, unter dessen Theke Nojiko einen Block hervorzog, um Makino wissen zu lassen, dass sie sich auf den Weg nach Hause gemacht hatte. Anschließend packte sie ihre Schürze weg und winkte Marco und Ace zur Hintertür hinüber. Diese brauchte sie nicht einmal abschließen, da sie sich grundsätzlich nur von innen öffnen ließ.

Sie krachte hinter ihnen zu und eine frische Brise wehte ihnen um die Nase, als sie aus der schmalen Passage schlenderten. Zum ersten Mal schlug Nojiko nicht die Richtung zu ihrem Haus ein, sondern eine gänzlich neue. Ace schob ihre Hand in ihre und zog sie mit, weil Ace die Person war, die das zwischen ihnen möglich machte und sie zusammenhielt.

Sie hatte Marco und Aces Wohnung noch nie betreten, denn bisher hatten sie sich stets an neutralen Orten wie dem Grandline oder einem der Cafés getroffen. Erst nach und nach hatte Nojiko sie mit nach Hause gebracht, wenn sie wusste, dass Nami nicht einfach auftauchen würde. Im Nachhinein kam es ihr wie ein Versteckspiel vor und sie war froh, dass Nami endlich Bescheid wusste.

Das Apartment befand sich im zweiten Stock eines kleinen Wohnkomplexes, das eine gute Sicht auf das Meer hatte, da es sich auf einem Hügel befand. Die Wände waren frisch gestrichen und Nojiko erinnerte sich unwillkürlich an die Geschichte über die Stripperin, die Ace an ein Motelbett gekettet und mit ihren Komplizen die Wohnung ausgeräumt und demoliert hatte. Wahrscheinlich hatte Marcos Wohnung fast so viel Vergangenheit aufzuweisen, wie das Haus, in dem Nojiko aufgewachsen war. War hier schon mal jemand umgebracht worden? Bei all den Feinden und Geschichten, die über Whitebeard und seine Söhne kursierten, würde es Nojiko nicht wundern.

„Ich hab gar keine Sachen dabei“, murmelte sie, als sie in dem kleinen Wohnzimmer stand und ihr Blick an der offenstehenden Tür zum Schlafzimmer hängen blieb. Der Türspalt gab ein breites Bett, sauber zurechtgemacht, preis.

Ace zuckte mit den Schultern und spazierte an ihr vorbei. „Kein Problem. Du kannst dir was von mir leihen.“ Den Bruchteil einer Sekunde später kam Ace mit einer roten Boxershorts und einem gelben T-Shirt zurück, die er ihr grinsend präsentierte.

„Das Badezimmer ist auf der rechten Seite vom Schlafzimmer“, erwiderte Marco, der seine Sandalen an der Tür abstreifte und zur Küche wanderte. „Fühl dich wie zu Hause.“

Nojiko nickte und verschwand in das kleine Bad, das gerade groß genug war, damit man sich zwischen Dusche und Toilette umdrehen konnte. Fühl dich wie zu Hause... Das war leichter gesagt als getan. Diese Situation war absolutes Neuland für Nojiko, denn nicht nur, dass ihre letzte Beziehung tatsächlich schon ein paar Jahre zurücklag, aber sie hatte auch noch nie eine mit zwei Männern gleichzeitig geführt.

Besagte Männer hatten längst die Lichter im Wohnzimmer und der Küche gelöscht und waren in das Schlafzimmer gezogen, als Nojiko sich umgezogen hatte und sich zu ihnen gesellte. Das Fenster war einen Spalt breit geöffnet und ließ den Wind hinein, während die Klimaanlage im Hintergrund stetig brummte. Wann hatte sie das letzte Mal in einem kühlen Raum geschlafen? Es fühlte sich an, als wäre es eine Ewigkeit her.

Ihre Finger zupften an den Shorts herum, die sich auf ihren Hüftknochen hielt. Marco saß auf dem Bettrand. Ihr Blick klebte jedoch an Ace, der sich gerade das T-Shirt von den Schultern streifte. Das Zeichen Whitebeards prangte auf seinem Rücken, autoritär und einnehmend. Nojikos Füße trugen sie ohne eine rationale Entscheidung zu ihm hinüber und ihre Fingerspitzen berührten die Tätowierung.

Ace warf einen Blick über seine Schulter. Oft hatte sie nicht die Gelegenheit, Ace zu überraschen, aber damit hatte er nicht gerechnet. Doch er fing sich wieder, viel zu schnell, und drehte sich zu ihr um. Den Bruchteil einer Sekunde später lagen seine Lippen bereits auf ihren und seine warmen Hände glitten ihren Armen hinab, bis sich ihre Finger ein zweites Mal an diesem Abend miteinander verhakten.

Dieses natürliche Gefühl, als sie sich zu Marco auf das Bett gesellten, konnte sich Nojiko nicht erklären. All die Sorgen, dass sie maßlos überfordert war, lösten sich in Luft auf, als Marco sie küsste, bevor sie unter die dünne Decke schlüpften und der Raum mit Dunkelheit geflutet wurde. In dieser Dunkelheit gab es nur noch Marco und Ace links und rechts von ihr, Marcos Hand auf ihrem Arm und Aces Atem an ihrer Schläfe.
 


 

IX

Sie verschwendete ihre Zeit. Es war ein Fehler, dessen war sich Nami schon jetzt bewusst und trotzdem stand ihre Entscheidung bereits fest. Immerhin hatte sie nichts Besseres zu tun. Nicht einmal Nojiko war hier und konnte sie von irgendwelchen Dummheiten abhalten. Die Tür zu ihrem Zimmer stand offen und ihr Bett war gemacht. War sie gestern überhaupt nach Hause gekommen? Oder war sie etwa bei Marco und Ace? Ihr Instinkt sagte ihr jedenfalls, dass sie sich keine Sorgen machen musste. Nojiko hatte schon immer auf sich allein aufpassen können und brachte sich nicht wie Nami so einfach in verzwickte Situationen.

Mit dieser stillen Erkenntnis räumte Nami ihr Geschirr vom Frühstück ab und warf einen Blick auf die Uhr. Sie hatte diesem Law zwar gesagt, dass sie eventuell am Strand auftauchen würde, doch dieser war groß und außerdem hatte sie keine Zeit festgelegt. Im Grunde hatte sie nicht einmal vorgehabt ihn erneut zu treffen und konnte nicht sagen, warum sie sich nun überhaupt auf den Weg machte. Obwohl... ganz so überraschend war es wohl nicht, denn sie hatte schon immer eine ungesunde Schwäche für Mistkerle gehabt, die mehr Geheimnisse mit sich herumtrugen, als ihnen lieb sein konnte. Dass sie sich trotz des Auflauerns zu Law hingezogen fühlte, sollte ihr eine Warnung sein. Andererseits war er wohl tatsächlich nur ein Besucher hier und würde in ein oder zwei Wochen wieder dahin zurückkehren, wo er hergekommen war und Nami musste keinen weiteren Gedanken an ihn verschwenden. Ernst würde es nicht werden, aber ein bisschen Spaß hatte noch niemanden geschadet – und daran, dass er Interesse hatte, hatte Nami keinerlei Zweifel. Der Trick bei der ganzen Sache war, die Oberhand zu behalten, ihn zeitgleich jedoch glauben zu lassen, dass er den ersten Schritt machte und die Kontrolle besaß. Allerdings konnte er in dieser Annahme kaum falscher liegen.

Ein Lächeln zeigte sich auf Namis Lippen und sie strich sich ein paar rotorange Haarsträhnen hinter das Ohr, mit denen der Wind spielte. Es war immer noch schwül, so drückend, dass sich schon in den ersten Minuten unter freiem Himmel der Schweiß auf der Stirn bildete. Lange würde der Sturm nicht mehr auf sich warten lassen...

Nami schlüpfte aus ihren Sandaletten und nahm sie auf, als sie den Strand erreichte. Der Sand war heiß unter ihren nackten Fußsohlen und Nami begab sich hinunter zum Wasser, um sie abzukühlen.

Ihr Blick wanderte über das kühle Nass, welches ihre Füße umspielte und sich fast bewegungslos bis zum Horizont zog. Der Sonnenstand sagte ihr, dass es ungefähr dieselbe Uhrzeit wie gestern war, als sie am Strand gezeichnet hatte. Sie hütete sich jedoch davor, sich umzusehen. Sollte er tatsächlich auftauchen, wollte sie nicht den Eindruck erwecken, dass sie nur wegen ihm hier war, denn das würde ihm nur unnötig in die Hände spielen.

Wie lange sie dem Strand folgte und die Schwimmer und Jogger beobachtete, konnte sie nicht sagen. Da war nur der Sonnenstand, der sich veränderte, so minimal, dass es wohl keinem anderem außer ihr auffiel. Irgendwann kroch jedoch ein Schatten auf sie zu, den Nami anhand der Mütze erkannte, welche die Person trug.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du auftauchst“, sagte Nami, noch bevor sie aufsah.

Er blieb ein paar Meter vor ihr stehen. „Dasselbe könnte ich von dir behaupten, Nami-ya“, antwortete er. Er trug dieselbe schwarze Jacke vom Vortag, hatte jedoch auf das T-Shirt darunter verzichtet, was Nami einen guten Blick auf die Tätowierung auf seinem Brustkorb gab. Es erinnerte sie an Marco, der Whitebeards Zeichen an derselben Stelle trug. Scheinbar war das heutzutage modern, obwohl Nami sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wofür das verschnörkelte Herz mit dem Smiley in der Mitte stehen könnte. Für jemanden, der nicht den Eindruck erweckte, öfters zu lächeln, war er ganz schön besessen von Smileys...

„Dann haben wir uns scheinbar beide falsch eingeschätzt“, sagte Nami und zuckte mit den Schultern. Sie setzte ihren Weg fort und schlenderte an Law vorbei, der sich umdrehte und ihr zu folgen begann. Fast wie ein Schoßhund, ging es Nami durch den Kopf. Er aß ihr praktisch bereits aus der Hand, keine Frage.

„Du lebst hier auf Key West“, entrann es Law und es klang nicht einmal annähernd nach einer Frage.

„Und du bist echt ein Hellseher, was?“ Sie schenkte ihm ein spöttisches Grinsen, das er mit dem Heben seiner Mundwinkel erwiderte. „Was kannst du noch offensichtliches über mich erraten, hm?“

„Wenn du schon so fragst“, begann Law und legte eine künstlerische Pause ein, während sie weitergingen und sich bei jedem Schritt Sand zwischen Namis lackierten Zehen sammelte. Trotz ihrer kurzen Shorts und dem Tanktop war ihr warm. Wie machte Law das, dass er trotz den langen Kleidern kein Stück verschwitzt wirkte?

„Ich glaube, dass du hier geboren worden bist und jeden Winkel dieser Insel wie deine Westentasche kennst. Du bewegst dich zu natürlich hier“, holte er sie aus ihren Gedanken, als er ihr sachlich seine Analyse über sie zu erklären anfing. „Außerdem zeichnest du bereits sehr lange. Wahrscheinlich seit der Kindheit. Du besitzt ein Auge für Details und vermutlich auch für das Verhalten von Menschen. Ich bin sehr sicher, dass du mich ebenfalls bereits analysiert hast, genau wie ich dich.“ Seine Mundwinkel zuckten weiter in die Höhe, obwohl seine dunklen Augen berechnend blieben. „Und ich lehne mich nun aus dem Fenster und behaupte, dass dir gefällt, was du siehst.“

Hätte Law nicht zuvor bereits ihre Aufmerksamkeit gehabt, hätte er sie spätestens jetzt. Vielleicht hatte sie ihn unterschätzt, denn alles, was er gesagt hatte, entsprach bisher der Wahrheit.

„Dasselbe könnte ich von dir behaupten“, wiederholte sie seine Worte und blieb stehen. Sie fing seinen Blick auf und fand dort eine Mischung aus Belustigung und Herausforderung vor.

„Ich wusste, dass wir viel gemeinsam haben“, antwortete er.

Nami schnaubte. „Als ob. Ich kann dir an der Nasenspitze ansehen, dass du dich für sehr mysteriös hältst.“ Sie überbrückte den Abstand zwischen ihnen mit einem einzigen Schritt, musste jedoch den Blick heben, um ihm direkt in die Augen sehen zu können. „Und du verbirgst irgendwas.“ Vermutlich eine schlimme Kindheit und einen weichen Kern, den er hinter einer harten Schale versteckte. Nami kannte solche Kerle, doch all das sprach sie nicht aus und Law fragte nicht nach.

„Wenn du glaubst, dass ich dir jetzt alle meine Geheimnisse erzähle, hast du dich geirrt“, sagte er trocken, doch das schwindende Schmunzeln verriet ihn. Die Belustigung war aus seinen Augen gewichen. Sie hatte einen wunden Punkt getroffen.

„Ich bin an deinen dummen Geheimnissen nicht interessiert“, konterte Nami.

„Aber an dem Rest?“, fragte Law und sie hätte am liebsten aufgelacht. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm jedenfalls nicht, aber... ihr genauso wenig.

Sie packte den Kragen seiner Jacke, als sie ihn ein Stückchen zu sich hinunterzog. „Sag du es mir.“ Mit diesen Worten küsste sie ihn, ohne langes Hinhalten oder Herauszögern. Es war ein Kuss unter Spielern.

Seine Lippen waren rau und die Berührung sanft, beinahe testend. „Definitiv interessiert“, beantwortete er sich seine eigene Frage und Nami grinste ihn an, als sie ihn mit einer Hand an seinem Schlüsselbein von sich schob und wieder Abstand zwischen ihnen schaffte.

„Aber nicht so sehr interessiert, dass ich den ganzen Tag hier am Strand verbringen kann oder möchte“, sagte sie, als sie sich abwandte und ihn ein zweites Mal stehen ließ. „Komm heute Abend zum Grandline, wenn du dich traust.“

Er antwortete nicht, doch Nami konnte bereits mit Gewissheit sagen, dass sie heute Abend nicht allein nach Hause gehen würde.
 


 

X

Der Geruch von frischen Brötchen weckte Nojiko und sie blinzelte den Schlaf aus den Augen. Trübes Tageslicht hatte das Zimmer geflutet, während ein Arm um ihre Hüfte geschlungen war, der in einer Hand mit langen schmalen Finger endete, die Ace gehörten. Nojiko hatte sie zu oft dabei beobachtet, wie sie über Marcos Nacken und seinen Oberschenkel wanderten, um sie nicht auf Anhieb zu erkennen.

Vorsichtig drehte sich Nojiko von der Seite auf den Rücken, um Ace ansehen zu können, der hinter ihr lag, das Gesicht halb im Kissen begraben und die Haare fürchterlich zerzaust. Zentimeter trennten sie voneinander und Aces Mund stand offen. Nojiko konnte seinen Atem auf ihren Lippen spüren, so nah waren sie sich. Sich auf die Unterlippe beißend streckte sie die Finger nach ihm aus und berührte die Sommersprossen, die jedes Mal auf ein Neues ihren Blick auf sich zogen. Ace rührte sich nicht und Nojiko schob sanft seinen Arm von ihrer Hüfte, bevor sie aus dem Bett schlüpfte. Sie verschwand im Bad, ehe sie dem Geruch von den Brötchen in die Küche folgte.

Marco drehte den Kopf in ihre Richtung, als sie im Türrahmen stand und ihm beim Decken des Tischs beobachtete. „Guten Morgen. Ace schläft noch?“

Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Ich hab mir schon gedacht, dass Ace ein Langschläfer ist.“

Marco nickte. „Langschläfer ist noch untertrieben, obwohl... er hat es eine Weile früh aus dem Bett geschafft, damit er dich treffen konnte.“

„Du meinst, als du eifersüchtig gewesen bist?“, hakte Nojiko nach und Marco verzog das Gesicht. Die Grimasse hielt nicht lange an und verschwand sogleich wieder, als Nojiko sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihm einen Kuss auf die stoppelige Wange zu pressen.

„Nami hat angerufen“, sagte Marco. „Sie wollte nur sichergehen, dass es dir gut geht.“

„Woher hat sie die Nummer?“ Doch Nojiko konnte sich diese Frage selbst beantworten. „Sie kriegt immer alles irgendwie raus. Wahrscheinlich von Makino.“ Sie setzte sich an den Tisch und Marco servierte ihr eine Tasse mit frischgebrühten Kaffee, ehe er sich zu ihr setzte.

Schweigen begleitete das Frühstück, wurde jedoch nach wenigen Minuten bereits von einem rhythmischen Plätschern begleitet. Nojikos Blick wanderte zu den Fenstern hinüber, an dem Regentropfen herunterliefen, während sich der graue Himmel über ihnen ergoss und die Kronen von Bäume und Palmen sich im zunehmenden Wind bewegten.

„Sieht so aus, als hätte uns der Sturm erreicht“, entrann es Nojiko und die Geräusche des Regens nahmen zu.

„Da habe ich ja rechtzeitig die Brötchen geholt“, antwortete Marco. „Willst du den Wetterkanal sehen?“ Er nickte zum Wohnzimmer hinüber, doch Nojiko schüttelte den Kopf.

„Wenn es wirklich schlimm werden sollte, hätten wir schon vor einer Weile etwas gehört.“ Gerade hier unten in Florida wappnete man sich meist rechtzeitig vor tropischen Stürmen, wenn sie auf die Inseln oder das Festland zusteuerten. Bisher war es jedenfalls stets so gewesen, obwohl auch leichte Stürme bereits genug Schaden anrichten konnten.

Ein Blitz zuckte über den grauen Himmel und Donner explodierte in der Ferne. Tropfen schlugen gegen die Fensterscheiben, während der Ventilator an der Decke die Schwüle in Schach hielt, die durch jeden Winkel der Fenster und Türen in die Wohnung eindrang.

Nojiko kaute auf ihrem Brötchen herum und Marco trank verschlafen seinen Kaffee, als auch Ace in seinen schwarzen Boxershorts in die Küche getorkelt kam. Seine Hand streifte Marcos Nacken und Nojikos Schulter im Vorbeigehen, bevor er auf den dritten Stuhl sackte und nach dem Brotkorb griff. Seine Haare waren noch immer zerzaust und er gähnte. „Der Regen hat mich geweckt.“

„Wahrscheinlich eher der Essensgeruch“, kommentierte Marco und warf Nojiko einen vielsagenden Blick zu, als er Ace die Butter zuschob.

„Ich glaube, wir brauchen ein größeres Bett“, warf Nojiko in den Raum, spezifizierte jedoch nicht, ob sie in ihrem Schlafzimmer oder in Marco und Aces meinte. Sie schmierte ihre zweite Brothälfte, die Augen stur auf den Teller gerichtet. „Ich meine, wenn das etwas Regelmäßiges werden soll.“ Sie zuckte mit den Schultern.

Ace holte geräuschvoll Luft, doch da öffnete sich bereits die Haustür.

„Urgh!“ Thatchs Ausruf schallte bis in die Küche und Marco lehnte sich nach hinten, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Den Bruchteil einer Sekunde später stand Thatch bereits pitschnass vor ihnen in der Küche und versuchte seine Haare zu richten, während er den Boden volltropfte. „Was für ein Pisswetter das ist, unglaublich.“

Seufzend erhob sich Marco und holte ihm ein Handtuch.

Ace löffelte sich inzwischen einen Berg Marmelade auf sein Brötchen. „Was machst du hier, Thatch? Willst du Frühstück?“ Er schob den Brotkorb in seine Richtung, aber Thatch schritt bereits entschlossen zur Kaffeemaschine hinüber, um sich eine Tasse aus dem Schrank zu angeln und sich einzugießen.

Marco kehrte mit dem Handtuch zurück, doch Thatch legte es beiseite, anstatt sich abzutrocknen. Nachdem er einen kräftigen Schluck Kaffee genommen hatte, schien wieder Ruhe in ihn einzukehren. Doch Nojiko konnte auch weiterhin die Anspannung in seinen Schultern erkennen. „Ich habe schlechte Nachrichten“, verkündete er schlussendlich verheißungsvoll und Nojiko rann ein eisiger Schauer über die Wirbelsäule.

„Und das hätte nicht bis später warten können?“, fragte sie und versuchte an dem Gefühl der innerlichen Ruhe festzuhalten, mit dem sie aufgewacht war.

„Paps hat gesagt, dass das nicht aufgeschoben werden kann“, erwiderte Thatch und seine dunklen Augen lagen auf ihr, offen und ehrlich, als wäre sie ein Teil von alldem. War sie es? Vielleicht.

„Doflamingo ist auf dem Vormarsch“, erklärte Thatch und setzte sich zu Marco, Ace und Nojiko an den Tisch. „Unsere Informanten haben Gerüchte gehört, dass er Pläne schmiedet, um sich unser Territorium anzueignen und Paps zu stürzen.“

„Das war ohnehin nur eine Frage der Zeit“, erwiderte Marco. „Jedenfalls lag es auf der Hand, dass Doflamingo sich nicht ewig mit diesem Waffenstillstand zufrieden geben würde. Dafür ist er zu machtgierig.“

Ace kaute auf seinem Brötchen, sein Gesicht ernster, als es Nojiko jemals gesehen hatte. „Wissen wir Genaueres?“

„Nein“, erwiderte Thatch, der nun doch das Handtuch heranzog, um sich wenigstens das Gesicht trocken zu reiben. „Aber Paps sagt, dass wir auf alles gefasst sein müssen.“

„Soll Doflamingo es ruhig versuchen. An Paps und uns wird er sich die Zähne ausbeißen“, verkündete Ace. „Dafür werde ich schon sorgen.“

„Ihr hattet früher schon mit ihm zu tun?“, fragte Nojiko, die das Essen aufgegeben hatte.

Marco nickte und sein Gesicht verzog sich. „Das letzte Mal hat er Ace zum Russisch Roulette gezwungen. Wäre Paps nicht eingeschritten...“

„Ich hatte alles unter Kontrolle!“, rief Ace mit zusammengeschobenen Augenbrauen und mit Händen, die zu Fäusten geballt waren. Jegliche Müdigkeit war von ihm abgefallen, er war hellwach und bereits jede Sekunde aufzuspringen, um diesem Doflamingo die Stirn zu bieten, wo auch immer dieser sich aufhielt. Und Nojiko sah die Leichtsinnigkeit und die Wut, die unter seiner gelassenen Oberfläche lauerten und die sie mehr beunruhigten, als die mitgebrachten Neuigkeiten von Thatch. Ein Sturm wird bald aufziehen, hallten Namis Worte durch ihren Kopf und Nojikos Lippen pressten sich zu einer schmalen Linie zusammen.

Teil 3: It Starts With Fire... [1]


 

"You know how it feels right before a tornado hits?

I mean when the sky’s still clear, but the wind’s starting to cool off and change direction.

You know something’s coming, but you don’t always know what.

That’s how things feel to me right now.“

- P.C. Cast, „Betrayed“
 


 


 

I

Die Sorglosigkeit mit der sie gestern alle drei zu Bett gegangen waren, war mit dem Regen fortgewaschen worden. Selbst der Kaffee schmeckte nur noch bitter und Marco verzog das Gesicht. Er lehnte mit der Hüfte an der Küchentheke und sein Blick löste sich vom Fenster. Die Tropfen hämmerten vom stürmenden Wind getrieben gegen die Scheibe und glitten in Strömen an ihr hinab.

„Ich glaube, da hilft nicht einmal ein Regenschirm“, sagte er an Nojiko gewandt, die angezogen aus dem Schlafzimmer spaziert kam. Sie trug ihr Tanktop und ihre Dreiviertelhose vom Vortag, da sie sich gestern nicht die Mühe gemacht hatten, auf den Weg nach Hause bei ihr vorbeizuschauen und ein paar Sachen mitzunehmen. Das rote Band, das ihr Haar zurückhielt, zurechtrückend kam sie neben Marco zum Stehen.

„Sollen wir dich wirklich nicht zur Bar begleiten?“, fragte er, doch Nojiko stieß ein belustigtes Schnaufen aus.

Sie schenkte ihm einen Seitenblick und ein Mundwinkel hob sich. „Es ist nur etwas Regen und Wind, Marco. Ich bin nicht aus Zucker. Außerdem... du glaubst doch nicht etwa, dass das der erste Sturm ist, den ich miterlebe, oder? Du magst zwar älter sein, aber ich bin hier aufgewachsen.“ Ein Zwinkern folgte. „Nicht zu vergessen, dass ihr Wichtigeres zu tun habt.“

Marco schmunzelte. „Dafür hätten wir durchaus noch Zeit aufbringen können. Aber wenn du meinst...“ Er leerte den letzten Rest Kaffee in einem Zug, bevor er sich zu Nojiko hinüberlehnte und ihre Wange küsste. Bevor er jedoch an ihr vorbeigehen konnte, wurde er am Arm zurückgehalten. Nojikos Hand wanderte in seinen Nacken, die andere an seine stoppelige Wange. Sanft wurde sein Kopf in ihre Richtung gedreht und sie stellte sich auf Zehenspitzen, um ihn auf die Lippen zu küssen.

Anschließend spazierte sie zur Tür und Marco sah ihr mit gehobener Braue hinterher, bevor er ihr folgte. Er schnappte sich seinen Schlüsselbund vom Tisch und schloss hinter ihnen ab, bevor sie die Stufen im Treppenhaus hinunterstiegen.

Noch bevor sie unten angekommen waren, drang ein Fluchen an ihre Ohren. Dass dieses von Ace stammte, überraschte Marco nicht.

„Nun beruhig dich, sonst bekommst du noch einen Herzinfarkt“, redete Thatch auf ihn ein, als sie im Erdgeschoss ankamen. Das Wohnhaus hatte nur drei Stockwerke und schmale Flure, gepflastert von quietschenden Dielen und abblätternder Farbe.

„Es fällt mir schwer es zuzugeben, aber Thatch hat recht, Ace“, entrann es Marco, als Nojiko und er zu ihnen stießen. Er stützte eine Hand an der Hüfte ab und beobachtete Ace dabei, wie er vor der Eingangstür, die hinaus in den Regen führte, auf- und abging. Er hatte vorhin nur seine schwarze Hose und ein T-Shirt angezogen und seinen Hut aufgesetzt, bevor er verkündet hatte, dass er unten auf sie warten würde und aus der Tür gestürmt war. Wahrscheinlich hatte nur Thatch ihn davon abgehalten loszurennen und sich auf den Weg zu Paps Villa zu machen, um die Neuigkeiten aus erster Hand zu hören.

Marco würde lügen, wenn er behaupten würde, dass es ihm nicht ähnlich erging. Allerdings würde Doflamingo nicht sofort einen Angriff auf sie starten. Das war leichtsinnig und Doflamingo war nicht so gefährlich, weil er vorschnell handelte. Nein, er plante und manipulierte, meist aus der sicheren Entfernung. Wenn er handelte, dann weil er etwas im Sinn hatte, was ihn weiterbringen würde.

Ace blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Wut schwamm in seinen dunklen Augen, war in den zusammengepressten Lippen und den geballten Fäusten sichtbar. Sie war Marco sehr wohl bekannt, denn Ace war aus Zorn geschmiedet. Er war in Ace verankert, wie Lava sich in den Untiefen eines Vulkans befand, irgendwo unter der Oberfläche versteckt, bis es einen Weg durch sie hindurch fand. „Wie soll ich ruhig bleiben, wenn dieser Kerl denkt, Paps stürzen zu können?“

Marcos Gesicht blieb emotionslos, während Ace ihn ansah ohne zu blinzeln, während Ace nur auf eine Reaktion von ihm wartete, die das Feuer noch schüren könnte. „Er wird Paps nicht stürzen. Das hat bisher noch keiner geschafft und das wird auch nicht passieren. Übereiltes Handeln hat aber noch niemanden geholfen.“

Ace starrte ihn weiter an. Beinahe so, als suchte er nach einem Gegenargument oder als wollte er Marco am Kragen seines offenen Hemdes packen und gegen die nächste Wand schubsten.

„Ich hab keine Ahnung, wie gefährlich dieser Mann ist, aber ich vertraue Marco, wenn er sagte, dass er keine Chance gegen euch hat“, sagte Nojiko. Ihre Stimme war nicht laut, doch sie zog Aces Aufmerksamkeit wie ein Magnet auf sich. Sein Blick wanderte zu ihr hinüber, zu den erhobenen Händen, deren Handflächen nach oben zeigten. Es war eine instinktive Geste, doch Ace sah für einen Moment aus, als wollte er seine Hände in ihre legen.

Er stieß den Atem aus, von dem er wahrscheinlich selbst nicht gewusst hatte, dass er ihn angehalten hatte. Es war ein frustrierter Laut und er wandte sich von ihnen ab. Seinen Schritten fehlte das energische Auftreten, das er eben noch gehabt hatte, als er die Tür öffnete, seinen orangenen Hut tief ins Gesicht zog und im Regen verschwand.

„Ace, warte!“ Thatch lief hinter ihm her, um mit ihm aufzuholen, machte jedoch künstlerische Umwege und Sprünge um die Pfützen, die sich auf dem Boden gesammelt hatten. Dabei war er seit seinem ersten Lauf durch den Regen heute morgen ohnehin noch nicht vollständig getrocknet.

„Ich hab’s noch schlimmer gemacht, oder?“, fragte Nojiko neben ihm, doch Marco schüttelte den Kopf.

„Er ist sauer auf mich, nicht auf dich“, erwiderte er und schlenderte hinter den beiden her. Im Türrahmen hielt er noch einmal inne, um Nojiko einen letzten Blick zuzuwerfen. „Bis heute Abend.“

„Ja, bis später.“ Nojiko folgte ihm, doch schlug draußen eine andere Richtung ein, während der Regen beständig auf sie niederprasselte und der Wind an ihnen zerrte.

Marco hatte binnen weniger Minuten mit Ace und Thatch aufgeholt. Sie alle drei waren inzwischen durchnässt, aber das war abzusehen gewesen. Seine Finger streckten sich nach Ace aus, als er neben seinem Freund herging. Sie berührten einen feuchten Nacken, glitten nasser Haut entlang, doch Ace schüttelte seine Hand ab und beschleunigte seine Schritte.

Marco seufzte lautlos und Thatch zuckte mit seinen Schultern und versuchte seine Haartolle vor dem reißenden Wind zu schützen.
 


 

II

Whitebeards Villa befand sich auf einem Hügel, fernab des kleinen Stadtzentrums, das Key West ausmachte. Es war abgeschottet und zwischen Palmen, Büschen und Hecken versteckt. Im Moment bogen sich die Palmen unter dem Wind und schwere Regentropfen hauten die Blühten von den Büschen und Hecken. Der Regen floss als kleiner Bach der Einfahrt hinunter und das Rauschen gesellte sich zu dem allgemeinen Plätschern und den heulenden Böen, die über die kleine Insel fegten.

Ace bemerkte das Wetter nur am Rande seiner Wahrnehmung. Er war nass bis auf die Knochen, doch es war Marcos Blick in seinem Nacken, den er mit jeder Faser seines Seins spürte und ihm die feinen Härchen auf dem Körper aufstellte. Marco war immer ruhig und verflucht emotionslos. Umso wütender Ace war, umso weniger Gesichtsmimiken wies Marco auf, was ihn umso wütender machte. War er der einzige hier, der Paps Ehre verteidigen wollte? Der diesem Doflamingo endlich die Leviten lesen wollte? Der Kerl würde noch denken, dass sie ein Haufen Feiglinge waren, wenn sie nicht handelten und sie Doflamingo nicht zuvorkamen!

Sein Cowboyhut hielt ihm den Regen weitgehend aus den Augen, doch er musste ihn mit der Hand festhalten, damit er ihm nicht vom Kopf gerissen wurde. Gelegentlich zuckte ein Blitz über den sturmgrauen Himmel und ferne Sirenen kündigten Feuerwehr und Polizei an, die auf der Insel für Ordnung sorgten.

Die Einfahrt hinaufmarschierend war Ace der erste, der den überdachten Eingang erreichte. Fenster und Türen des weißen Hauses waren mit dunkelgrüner Farbe lackiert und passten sich den Ranken an, welche den Häuserwänden hinaufwuchsen. Noch bevor er die Klingel betätigen konnte, wurde die Tür geöffnet.

„Du meine Güte“, stieß Vista aus, trocken und gutaussehend, vollkommen anders als Marco, Thatch und er wirken mussten. „Kommt rein, kommt rein. Ich weiß gar nicht, was schlimmer ist: der Sturm oder die hohe Luftfeuchtigkeit.“ Ein halbherziges Lächeln lag auf den Lippen des älteren Mannes, der nachdenklich seinen Schnauzbart zwischen den Fingern zwirbelte und feine Seidenkleidung trug. Er wartete, bis Marco, Thatch und Ace in der Eingangshalle standen und den Holzboden volltropften, ehe er die Tür hinter ihnen schloss.

Im Inneren war es still. Nur das Rattern der Klimaanlage war zu vernehmen, welche die Wärme aussperrte. Ace streifte seine Stiefel ab, um wenigstens nicht auch den Matsch quer durch alle Räume zu schleppen. Er dankte Vista knapp und steuerte sogleich das Aufenthaltszimmer der kleinen Villa an, das durch einen offenen Türrahmen erreichbar war.

Sein Blick fiel auf Whitebeard, dem hochgewachsenen Mann, der mit seiner ausgeprägten Muskulatur selbst in seinem Alter einem Gewichtheber in den Schatten stellen konnte. Er saß mit freiem und narbenbedecktem Oberkörper in seinem Sessel. Sein Lachen war ein Donnerschlag, der von den Wänden widergegeben wurde. In seiner Hand ruhte ein Glas mit seinem Lieblingssake, während er die Komödie auf dem breiten Flachbildschirm verfolgte. Einige andere Männer saßen auf den Sofas und Sesseln im Raum verteilt, aßen und tranken und verfolgten das Geschehen des Films, den Ace nicht kannte.

Doch es war die Gelassenheit, die von seinem Vater und seinen Brüdern ausging, die Ace wie angewurzelt stehen bleiben ließ. Sein Mund klappte auf, doch kein Wort schaffte es über seine Lippen, kein Laut aus seiner Kehle. Wie konnten alle nur so verdammt ruhig bleiben? Ace verstand es nicht. Hatten sie den Ernst der Lage nicht verstanden? Nicht einmal Paps?

Leise Schritte ertönen hinter ihm, fast lautlos. Im nächsten Moment wurde ihm ein Handtuch über die Schulter gelegt und Marcos Hand wanderte seinen Arm hinunter, vertraut und versöhnend. Ace sah zu ihm hinüber und Marcos grinste ihn schief an. „Sieht du? Du hast dir umsonst Sorgen gemacht“, sagte er und begann sich mit einem anderen Handtuch den Kopf abzutrocknen und die Haare trocken zu reiben.

„Ah, Marco, Ace. Ich hab mich schon gefragt, wo ihr bleibt“, begrüßte Whitebeard sie, als er sie bemerkte. Die Jungs winkten sie zu ihnen hinüber und Vista kam mit zwei weiteren Gläsern mit Sake in den Händen in den Raum geschlendert. Thatch war ihm mit seinem eigenen Glas dicht auf den Fersen und pellte sich beim Gehen mit geekeltem Gesichtsausdruck aus seinem nassen Jackett. Er hing es über eine Stuhllehne, bevor er vor der Sitzmöglichkeit auf den Boden sank und sich dort im Schneidersitz hinsetzte. „Bestimmt werde ich krank“, lamentierte er. „Andererseits kann mich Makino dann gesund pflegen und—“

„Pssst!“, zischte jemand.

„Wir verstehen kein Wort, wenn du laberst“, rief ein anderer, bevor wieder Ruhe einkehrte und nur die Stimmen aus dem Fernseher sie durchbrachen.

Eingeschnappt nippte Thatch an seinem Sake, während sich die Muskeln in Aces Schultern langsam zu entspannen begannen. Er nahm dankend ein Glas von Vista entgegen, der das zweite an Marco weiterreichte. Dieser wanderte näher zu Whitebeard hinüber, bis er neben dem Sessel des alten Mannes stand. „Thatch hat gesagt, Doflamingo plant etwas“, sagte er, leise und gerade laut genug, damit Ace diese Worte aufschnappen konnte.

Whitebeard nickte, die Augen auch weiterhin auf den Bildschirm gerichtet. „Natürlich tut er das“, erwiderte dieser. „Wir müssen auf der Hut sein. Mehr als sonst. Aber bei diesem Wetter wird er nichts probieren. Nicht mit dem Sturm. Setz dich lieber zu uns, Marco.“ Sein Blick wanderte wissend zu Ace hinüber, der sich unter dem Blick wieder wie ein temperamentvolles Kind fühlte. „Du auch, Ace.“

Ace nahm seinen durchweichten Hut vom Kopf und setzte sich mit ihm und dem Glas ebenfalls auf den Boden. Die Wut war verpufft, denn das tat sie meistens in der Anwesenheit des Mannes, dem er sich verschrieben hatte, als er sich sein Zeichen auf dem Rücken hatte stechen lassen. Manchmal war er über sich selbst erstaunt, was für eine Wirkung Paps und die Jungs auf ihn hatten. Doch das versicherte ihm nur etwas, das Ace längst wusste. Er hatte damals die richtige Entscheidung getroffen, als er Marco überredet hatte, ihn mit nach Key West zu nehmen.

Unwillkürlich wanderte sein Blick zu diesem hinüber, der sich neben Whitebeards Sessel gesetzt und dort gegen die Wand gelehnt hatte. Er hatte ein Bein angewinkelt, das andere locker ausgestreckt. Sein Gesicht war verschlafen, aber ernst genug, damit Ace wusste, dass die Warnung in Whitebeards Worten ernst gemeint war. Sie mussten auf der Hut sein, aber sich nicht verrückt machen. Sie durften vor allem keine vorschnellen Entscheidungen treffen, denn... vielleicht war es gerade das, was Doflamingo von ihnen wollte.

Ace schnaufte und nahm einen Schluck aus seinem Glas, an dem er sich beinahe verschluckte, als plötzlich die Lichter und der Fernseher ausgingen. Stille folgte, das nicht einmal mehr von der Klimaanlage begleitet wurde. Der Strom war ausgefallen.

„Nein, verdammt“, brummte jemand.

„Das war nur eine Frage der Zeit gewesen. Bei dem Wind“, sagte ein Zweiter.

„Halt den Mund. Deine besserwisserischen Erklärungen will niemand hören“, antwortete ein Dritter – und Ace grinste schmal, als sie alle im Halbdunkeln saßen und dem Sturm lauschten, der draußen tobte.
 


 

III

„Für solche Fälle haben wir extra den Generator”, erklärte Makino mit samtener Stimme, als das Grandline urplötzlich in Dunkelheit getaucht wurde. Die Musik erstarb und hinterließ eine ungewohnte Stille in der Bar, die es sonst nur in den frühen Morgenstunden oder dem Vormittag gab, wenn sie noch geschlossen war.

Raunende Stimmen erfüllten den großen Barraum, der durch die ausgefallenen Lichter im Halbdunkeln lag. Sie stellten nicht mehr als ein Flüstern dar, während der Regen gegen die Fensterscheiben peitschte und kaum Tageslicht hinein ließ. Es war abzusehen gewesen, denn immerhin hatte Nami ihr gesagt, dass ein Sturm am Aufziehen war. Allerdings streifte er sie nur, dessen war sich Nojiko sehr wohl bewusst. Allein Namis Verhalten, ihre physische Verfassung, sagte es ihr, denn irgendwie spürte sie Veränderung im Wetter mit ihrem gesamten Körper. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte Bellemere sie mehr als einmal deswegen zum Arzt gebracht, um sie untersuchen zu lassen. Doch jedes Mal war das Ergebnis dasselbe gewesen: Nami war kerngesund.

Blinkend schalteten sich die Lichter wieder ein, gefolgt von dem vertrauten Geräusch der Lüftungsanlage, angetrieben von dem Generator, von dem Makino eben noch gesprochen hatte.

Nojikos Blick wanderte zu Nami hinüber, die mit ihrem orangeroten Haarschopf unter den vielen Männern ganz besonders auffiel.

Sie saß an einem der Tische und spielte Karten mit einigen von Whitebeards Leuten, denen Nojiko keinen Namen zuordnen konnte. Sie hatte sich erschrocken schnell an ihre neue Verbindungen zu Whitebeard und seinen Männern gewöhnt. Um einiges schneller, als Nojiko erwartet hatte. Vielleicht nutzte sie den Tag aber auch nur, um die Jungs von ihrem Geld zu trennen und ihren eigenen Geldbeutel etwas zu füllen. Einen Job hatte sie immerhin nicht mehr, denn diesen hatte sie mit ihrem Umzug zurück nach Key West aufgegeben. Das Gleiche galt für ihr Design-Studium, das sie nächstes Semester online wieder aufnehmen wollte. Das war jedenfalls der Plan und Nojiko würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um diesen einzuhalten.

Im Moment amüsierte sich ihre kleine Schwester jedoch. Der Alkohol floss und Nami hatte bereits ihren dritten Drink geleert, obwohl der Abend offiziell noch nicht einmal angebrochen war. Allerdings war dieser Tag mit dem beständigen Wind und Regen trüb genug, um sich ein wenig gehen zu lassen.

Nojikos Dreiviertelhose war immer noch nicht ganz trocken von ihrem Lauf, den sie von Marco und Aces Wohnung hierher absolviert hatte. Doch trotz der laufenden Klimaanlage war das Grandline warm genug, um nicht mit durchnässter Kleidung zu frieren und Makino hatte ihr ein trockenes Ersatz-T-Shirt aus dem Hinterraum gegeben. Es trug das Grandline-Logo, das sich aus den roten Buchstaben und einer blauen Welle zusammensetzte, so dass sich Nojiko ausnahmsweise ihre Schürze sparte.

Ein neues Shotglas zur Hand nehmend füllte Nojiko es mit Whiskey, bevor sie es einem der Gäste am Tresen reichte und sie das Geld abkassierte. Mitsamt des Lichts war auch die alte Jukebox wieder angesprungen und hatte die gewohnte Atmosphäre erneut aufblühen lassen.

Nojiko schlenderte um den breiten Tresen herum und auf den Tisch zu, an dem Nami saß. „Na, Schwesterchen. Nimmst du sie aus?“, fragte sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

Nami schenkte ihr ein breites Grinsen und zupfte an ihrem Top, damit Nojiko einen Blick auf die Dollarscheine werfen konnte, die in ihrem BH steckten. „Was denkst du denn?“

Die Männer protestierten, doch Nami lachte nur und auch Nojiko grinste. Es tat gut, Nami so ausgelassen zu erleben. Es war lange her. Bellemeres Tod hatte tiefe Narben hinterlassen, die auch heute noch fühlbar waren, aber ihre Mutter wäre stolz auf sie gewesen. Sie hatte ihnen von kleinauf beigebracht, dass Lachen das A und O im Leben war und auch die schlechtesten Tage besser machen konnten.

„Sie sind einfach nicht gut genug, um richtige Konkurrenz zu sein, Nami-ya“, sagte jemand hinter ihnen.

Nojiko wandte den Kopf in die Richtung des Mannes, den sie noch nie zuvor in dieser Bar gesehen hatte. Sie arbeitete zwar erst seit einer Weile im Grandline, aber die meisten kannte sie bereits und überhaupt waren die meisten Teil von Whitebeards Organisation. Dieser Mann fiel jedoch komplett aus der Reihe. Er war hochgewachsen und schlank und hatte dunkles Haar, das jedoch kaum unter der schwarz-weiß gefleckten Mütze sichtbar war. Er trug ein einfaches T-Shirt, das seine Tätowierungen an den Händen und Armen preisgab. Es waren alles Smileys.

Nojiko legte die Stirn in Falten, doch Nami winkte ihn heran. Ihre Geste war vertraut, doch das wunderte Nojiko nicht, denn auch der Fremde kannte ihren Namen, auch wenn die Ansprache ungewöhnlich war.

Seine Schritte waren langsam und bedacht, als er die letzten Meter überbrückte. Er zog sich einen Stuhl von einem der benachbarten Tischen heran und setzte sich auf Namis rechte Seite.

„Hey, die Runde ist noch nicht beendet“, beschwerte sich einer, doch der Fremde schenkte ihm keinen Blick.

„Bist du sicher? Ich würde behaupten, dass eure Chancen das Spiel zu gewinnen bei eurem Kartenblatt unmöglich ist“, sagte er stattdessen mit einem ausdruckslosen, aber kalkulierten Ton.

Nami grinste. „Und ich wette, Law hat recht. Er hat ein Händchen für solche Dinge.“

Alle drei warfen sich Blicke zu, bevor er sie nach einander widerwillig ihre Karten auf den Tisch warfen, fluchten und zur Bar hinüberzogen, um sich Getränkenachschub zu holen, wo sie bereits von Makino empfangen wurden.

„Du bist früh dran“, sagte Nami und Law zuckte kaum merklich mit den Schultern.

„Du bist noch früher hier gewesen.“

Dieser Law sah gut aus, war scheinbar wortgewandt und mysteriös – er war genau Namis Typ. Schmunzelnd tätschelte Nojiko ihre Schulter, bevor sie zum Tresen zurückkehrte, um Makino unter die Arme zu greifen. Doch ihr Blick verweilte noch etwas länger auf Nami und dem Mann, der gerade mit geschickten Fingern die Karten mischte und austeilte. Mit ihm würde sie kein leichtes Spiel haben, das sah man ihm an. Gleichzeitig fragte sich Nojiko auch, wo sie diesen Mann schon wieder aufgegabelt hatte. Jedenfalls schienen sie im Grandline verabredet gewesen zu sein. Ausgerechnet im Grandline, ging es Nojiko durch den Kopf. Doch sie brauchte nicht länger darüber nachdenken, denn der Grund lag auf der Hand. Nami war nicht hier, weil sie plötzlich kein Problem mehr mit Whitebeard, seinen Söhnen und dessen Geschäften hatte, sondern weil Nojiko hier arbeitete und nun unwillkürlich ein Teil von dieser Welt geworden war. Ihre kleine Schwester war hier, um ein Auge auf sie zu haben, obwohl es eigentlich Nojikos Aufgabe war, auf Nami aufzupassen.

Ein schmales Lächeln zog an Nojikos Lippen, während die Lichter flackerten, als wollte der Sturm sie daran erinnern, dass er immer noch vor dem Grandline lauerte, dass er dort draußen immer noch wütete und noch lange nicht fertig war.
 


 

IV

Law nahm sie aus wie eine Weihnachtsgans – und trotzdem schaffte es die gute Laune ihnen mit vor die Tür zu folgen, direkt aus dem Grandline hinaus und auf den kleinen Parkplatz davor. Der überdachte Eingang schützte sie vor dem Regen. Er verschluckte auch Laws Schritte. Sie waren so leise, so furchtbar unauffällig, dass Nami sich am liebsten umgedreht hätte, um zu sehen, ob er überhaupt noch da war. Doch diese Genugtuung gab sie ihm nicht. Stattdessen trat sie hinaus ins Freie, weg von der Überdachung und in den Regen und den Wind hinaus.

Die Tropfen waren erfrischend auf ihrer erhitzten Haut und der Wind fühlte sich angenehm in ihrem verschwitzten Haar an. Die Laternen auf dem Parkplatz, der mit mehr Fahrrädern als Autos zugestellt war, waren mitsamt allen anderen Lichtern in der Umgebung ausgefallen, wurden jedoch nicht wie die Bar selbst von dem Generator angetrieben.

Dunkelheit hatte sich über Key West ausgebreitet, doch die machte Nami genauso wenig aus wie der Regen. Hier draußen waren sie beide nur zwei weitere Schatten in der Finsternis - sie und Law, der dicht hinter ihr zum Stehen kam. Sie konnte vielleicht seine Schritte nicht wahrnehmen, aber dafür seine Präsenz, seinen Blick auf ihrer Haut. Sie drehte sich zu ihm um, wohl wissend, dass ihm gefiel, was er sah. Das wusste sie eigentlich schon seit ihrer ersten Begegnung am Strand, da er kein Geheimnis daraus machte. Nami hatte nichts dagegen. Sie mochte Männer, die einen guten Geschmack hatten und sich zu benehmen wussten.

Ihre Hand bekam sein T-Shirt zu fassen und sie zog ihn näher heran, bis er einen Schritt nach vorn machte und den Abstand gänzlich überbrückte. Die Kapuze seines T-Shirts war tief ins Gesicht gezogen und seine eigenen Hände ruhten in den Hosentaschen, gelassen und unbeeindruckt. Er wahrte den Schein, alles, um sich nicht anmerken zu lassen, dass sie ihn nicht vollkommen kalt ließ.

Ein Lächeln zeichnete sich auf Namis Lippen ab, charmant und einladend, aber in der Dunkelheit kaum sichtbar. Alles, was die Umgebung erleuchtete, war der Leuchtschriftzug des Grandlines, das in roten Buchstaben glühte und sich in den unzähligen Pfützen widerspiegelte.

Sie stellte sich auf Zehenspitzen, doch bevor sie Law küssen konnte, zog dieser eine Hand aus der Tasche und legte diese an ihre Stirn. „Du hast erhöhte Temperatur“, verkündete er nüchtern, obwohl auch er in den letzten Stunden einiges getrunken hatte.

Nami lachte und schüttelte seine Hand ab. „Das ist der Alkohol.“

„Mir ist schon vorhin aufgefallen, dass du ziemlich rot im Gesicht gewesen bist. Da hattest du noch nicht so viel intus“, sagte er, verweilte jedoch in ihrer Nähe, anstatt sich zurückzuziehen. Zentimeter trennten sie, doch er hielt sie hin. „Vielleicht hast du dir was weggeholt. Der Regen macht es sicherlich nicht besser.“

„Dann bring mich nach Hause, Law“, antwortete Nami. Sie wandte sich ab und spazierte davon. Ein neckischer Blick ging über ihre Schulter, während sie sich nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. „Außer du hast Angst, du könntest dich anstecken...“ Nami machte sich keine Sorgen, denn sie kannte ihren Körper. Sie wusste, wie er auf starke Schwankungen im Wetter reagierte, dass das leichte Fieber eine Konsequenz des Sturms war und mit ihm vorübergehen würde.

Auch Law schien nicht besorgt genug, um sich ihr nicht anzuschließen. Er setzte sich in Bewegung, noch bevor Nami das Ende des Parkplatzes erreicht hatte. Mit ihr aufholend ging er neben ihr her. Der Weg zum Haus war nicht weit und es begrüßte sie mit derselben Dunkelheit wie jedes Gebäude auf Key West, das keinen Generator für solche Fälle besaß.

Nami war komplett durchnässt, als sie die Tür erreichte und ihre Schlüssel aus der Hosentasche ihrer kurzen Shorts zog. Law drängte sich neben ihr unter das schmale Vordach und ihre Arme streiften sich. „Ich nehme nicht an, dass du noch mit reinkommen willst?“, fragte Nami, obwohl sie die Antwort schon kannte, sie diese aus seiner Haltung und seinem Schweigen herauslesen konnte.

„Bei dem Regen?“, entwich es ihm und Belustigung schwamm in seiner rauen Stimme mit. „Ich glaube, es wäre unverantwortlich von dir, mich da nicht reinzubitten.“

Nami drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete die Tür. Ihre Mundwinkel zuckten, als sie Law ein weiteres Mal an diesem Abend am Kragen seiner T-Shirts packte. Auch diesmal wehrte sich Law nicht und sie zog ihn mit sich ins Innere des Hauses.

Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss und Nami agierte blind. Sie strich Law die Kapuze vom Kopf, streifte seine Mütze ab und ließ die Finger in die kurzen Haare wandern, die trotz der Kopfbedeckungen feucht waren. Ihre Lippen trafen ungeschickt aufeinander und Law zog die Hände aus den Hosentaschen, um sie unter Namis Top zu schieben, das an ihrer Haut klebte.

Zwischen zwei Küssen wurde es Nami über den Kopf gezogen und landete schwer auf dem Holzboden neben ihnen und Nami zog ihm das T-Shirt aus. Seine Lippen senkten sich auf ihren Nacken und wanderten der nassen Haut entlang, lasziv und verlockend und ablenkend.

Doch ein tropfendes Geräusch drang an Namis Ohren und ließ sie hellhörig werden. Ihre Augen öffneten sich und starrten an die dunkle Wand, als sie den Ursprung des Lauts versuchte ausfindig zu machen. Was hörte sie da?

Ihre Hände, die auf Laws Rücken ruhten, wanderten zu seinem Brustkorb, um ihn von sich zu schieben. „Hörst du das?“, fragte sie.

Law schnaufte. „Der Regen. Was soll es sonst sein?“ Er suchte erneut mit seinem Mund nach ihrem, doch sie wandte sich aus seinem Griff und spazierte durch das Wohnzimmer zum Esszimmer hinüber. Sie fand sich auch in der Finsternis bestens in diesem Haus zurecht, in dem noch alles so aussah wie während ihrer Kindheit, weil Bellemere nie etwas verändert hatte und auch Nojiko es nicht tat.

„Es klingt, als sei es hier drin und nicht—“ Nami konnte ihren Satz nicht beenden, denn da tropfte bereits etwas Nasses auf ihre nackte Schulter und floss ihren Arm hinab. Sie zuckte zusammen, bis sie sich zusammenreimte, was sie gehört hatte.

„Es regnet rein. Na toll. Darauf hätte ich gleich kommen sollen. Nojiko hat ja gesagt, dass der letzte Sturm das Dach irgendwie beschädigt hat.“ Sie seufzte und wischte sich das Regenwasser von der Schulter, bevor sie den Weg in die Küche einschlug.

Law verweilte irgendwo im Wohnzimmer, als Nami den Küchenschrank durchwütete und einen der höheren Kochtöpfe hervorzog. Mit diesem kehrte sie in das Wohnzimmer zurück und stellte es unter die tropfende Stelle an der Decke. Es war das einzige Stück der ersten Etage über dem sich nicht der zweite Stock befand. Ob es oben auch irgendwo hineinregnete?

Doch bevor Nami den Gedanken weiterverfolgen konnte, schlangen sich von hinten zwei Arme um ihre Taille und Finger strichen über ihren nackten Bauch. „Solange uns die Decke nicht auf den Kopf fällt, kann das alles sicher bis morgen warten. Meinst du nicht auch, Nami-ya?“

Sie stand nur im BH vor Law, dessen Kinnbart Namis Schulter streifte und ihre Haut kitzelte. Unangenehm war es ihr nicht, denn sie wusste, dass sie gut aussah und dass Law nicht hier wäre, wenn er nicht genauso denken würde. Sie drehte sich in seiner Umarmung um und schlang ihrerseits die Arme um seinen Nacken. Nami konnte das Bier in seinem Atem riechen, den säuerlichen Geruch, doch anstand sie anzuekeln, erregte sie es nur mehr.

„Mein Schlafzimmer ist oben“, flüsterte Nami gegen seine Lippen. Sie streifte ihre Sandaletten ab und er tat es ihr gleich mit seinen Schuhen, ehe sie seine Hand nahm und ihn zu der Treppe lotste.
 


 

V

Die Dunkelheit wurde mit jeder vorbeistreichenden Stunde weniger, bis schließlich der Morgen anbrach. Er war grau und trostlos, doch das Plätschern des Regens hatte nachgelassen, bis es gänzlich mit der Ankunft des Tageslichts in Namis Zimmer verebbt war. Auch die Klimaanlage hatte sich vor ungefähr einer Stunde wieder angeschaltet. Der Sturm war weitgehend vorrübergezogen und hatte Stille hinterlassen.

Laws Blick galt dem Fenster, vor dem eine orange-gelbe Gardine hing, die durchsichtig genug war, um dennoch nach draußen sehen zu können. Die Krone des Baums vor dem Haus bog sich im Wind, nur peitschten die Äste und Blätter nun nicht mehr bei jeder zweiten Böe geräuschvoll gegen die Scheibe.

Eine bleierne Müdigkeit hatte sich über Law gelegt, aber sie war nicht ausreichend, um ihn einschlafen zu lassen. Vielleicht wäre sie es gewesen, wenn er es denn gewollt hätte. Allerdings war es nicht empfehlenswert in diesem Haus und in diesem Bett einzuschlafen. Die Kontrolle abzugeben fiel Law grundsätzlich schwer, aber in diesem Fall könnte es sich als gefährlich herausstellen. Nicht, als ob er annehmen würde, dass Nami ihm etwas angemerkt hatte.

Die Frau, die schlafend in seinen Armen lag, war genauso intelligent wie sie schön war, aber Law wusste genau, was er tat und wie er vorgehen musste, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. In dieser Hinsicht hatte er den Vorteil und hatte – er war sich vollkommen sicher – Namis Vertrauen gewonnen.

Blinzelnd riss Law seinen Blick vom Fenster los, um stattdessen auf Nami hinunterzusehen. Ihr Kopf war in seiner Armbeuge gebettet und die orangenen Haare waren quer auf dem Kopfkissen und seinem Arm ausgebreitet. Die Decke hatte sie bis unter die Achseln hochgezogen, doch ein langes Bein war unbedeckt und lag direkt neben seinem, welches um einiges gebräunter war, obwohl er stets lange Hosen trug.

Seine Finger verhakten sich mit ihren, als er ihre Hand behutsam von seinem Brustkorb nahm und seinen Arm unter ihrem Kopf hervorzog. Es war Millimeterarbeit, aber wecken wollte er sie nicht. Es war noch früh und er wollte sich keine Erklärungen aus dem Ärmel schütteln, warum er sich nach dieser doch recht ereignisreichen Nacht heimlich aus dem Haus schlich. Immerhin hatte es Law nicht unbedingt eilig. Es fiel ihm erstaunlich einfach sich in Namis Anwesenheit aufzuhalten, das hatte er schon nach ihrem ersten Gespräch am Strand gewusst. Sie konnte ihm problemlos das Wasser reichen und benutzte ihn genauso für ihre eigenen Zwecke wie er sie. Sie mussten sich nicht verstellen, denn das zwischen ihnen war nicht ernst und auch nicht emotional.

Nami gab ein zufriedenes Seufzen von sich, als sie sich tiefer in das Kissen kuschelte. Ihr Gesicht war entspannt, aber immer noch gerötet. Nur kurz wanderten Laws Fingerkuppen zu ihrer Stirn, die sich fiebrig anfühlte.

Law schlüpfte aus dem Bett und zog seine Boxershorts an, die vor dem Bett auf dem Boden lagen. Seine Hose hing schräg über der Lehne von Namis Schreibtischstuhl. Auf leisen Sohlen bewegte er sich zu ihr hinüber, wobei er einen Blick auf den Schreibtisch warf, während er seine Hose anzog.

Er hatte bereits gewusst, dass Nami ein Händchen für das Zeichnen besaß, doch er hatte es für ein simples Hobby gehalten. Der gesamte Schreibtisch war mit Zeichenmaterialien eingenommen und hier und da lagen die verschiedensten Skizzen herum. Einige waren mit Bleistift und andere mit Kugelschreiber und Farbstiften gezeichnet. Es waren Zeichnungen von Abendkleidern und Personen, doch selbst Landkarten befanden sich unter ihnen. Diese zogen Laws Aufmerksamkeit ganz besonders auf sich und er schob ein paar Skizzen beiseite, um einen Blick auf die Karte von Key West zu werfen. Die gesamte Insel war haargenau gezeichnet, genauso wie man sie auf jeder gekauften Karte finden würde. Erst bei genauerem Hinschauen und bei einem Blick auf die kleine Legende, die sich am unteren Rand befand, entdeckte er sogar das Haus, in dem er sich im Moment aufhielt. Auch das Grandline und jedes andere Geschäft und halbwegs wichtige Haus war eingezeichnet. Nur den Unterschlupf von dem berühmten Whitebeard konnte Law nicht finden, was ihn nicht überraschte. Womöglich wusste Nami nicht, wo es sich befand? Andererseits war Key West praktisch ein Dorf und es war nicht schwer es herauszufinden. Es dauerte nur etwas länger, wenn man keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte.

Ein letzter Blick ging in Namis Richtung, doch diese schlief noch immer und würde erst später seine Abwesenheit bemerken. Vielleicht wäre sie froh darüber, nicht neben ihm aufwachen zu müssen. Vielleicht auch nicht. Law wollte sich einbilden, dass es letzteres war.

Er verließ das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich, bevor er die Treppe hinunterstieg, die unter seinen Füßen ein Quietschen abgab. Nun musste er nur noch seine Schuhe und sein T-Shirt finden. Beides hatte er gestern Abend irgendwo hier unten im Dunkeln verloren.

„Oh, guten Morgen“, erklang eine helle Stimme, ehe er die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte. Er hob den Blick, um die Frau zu mustern, die im Eingangsbereich des Hauses stand und sein T-Shirt in der Hand hielt. Es war die Frau, die gestern mit Nami im Grandline geredet hatte. Ihr violettes Haar war von einem roten Band zurückgehalten, doch einige Strähnen hatten sich aus ihm gelöst und hingen ihr in die Stirn. Ringe lagen unter ihren Augen, die selbst bei ihrer gebräunten Haut aus der Distanz sichtbar waren. Doch obgleich ihrer offensichtlichen Müdigkeit war ihr Lächeln breit und freundlich, vor allem jedoch wissend. Sie erinnerte sich ebenfalls an ihn und war offenbar nicht erstaunt, ihn in ihrem Haus anzutreffen.

Das durfte dann wohl Nojiko sein, setzte Law das Puzzle zusammen. Zumindest erinnerte er sich, dass Nami gestern diesen Namen erwähnt hatte. Er konnte eine gewisse Ähnlichkeit zwischen beiden Frauen feststellen, wenn er genauer hinschaute.

„Du bist ein Frühaufsteher, was?“, fragte sie, als er nichts auf ihre erste Begrüßung erwiderte und stattdessen seine Schuhe vom Boden aufsammelte und anzog. Sie kam auf ihn zu und hielt ihm das T-Shirt entgegen. „Ist Nami schon wach? Oder schleichst du dich heimlich raus?“

Law nahm ihr das klamme Kleidungsstück ab. Kein Wunder, dass es noch nicht trocken war, da sie die Nacht auf dem Boden verbracht hatte. „Ich hab noch etwas zu erledigen. Übrigens regnet es rein.“ Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter.

Nojiko verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und stieß ein Seufzen aus, als sie sich den Kochtopf besah, der bis zum oberen Rand mit Wasser gefüllt war. Danach wanderte ihr Blick an die Decke, die sich leicht gewölbt hatte und dunkel gefärbt war. „Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mich das überrascht.“

Law betrachtete die Frau, die ein paar Jahre älter als Nami sein musste, aber immer noch jünger als er war. Ebenso wie er trug auch sie Tätowierungen, die vom Design an das kleine Tattoo erinnerte, dass sich auf Namis Oberarm befand. Ein Herz formte sich auf ihrem Schüsselbein und Schnörkel zogen sich ihrem rechten Arm hinunter, sichtbar durch das kurze Top, das sie trug. Es war nicht dasselbe T-Shirt, welches sie gestern im Grandline getragen hatte, und die Knitterfalten wiesen darauf hin, dass auch sie irgendwann gestern vom Regen heimgesucht worden war.

„Nami-ya war auch nicht sonderlich überrascht“, entrann es ihm, als er Nojiko umrundete und die Tür ansteuerte. Unwirsch streifte er sich beim Gehen sein T-Shirt über. „Nami-ya hat Fieber.“

„Das ist der Sturm. Das legt sich bald wieder“, antwortete Nojiko, als würde diese Aussage alles erklären. „Bitte sag mir, dass ich Nami nicht trösten muss, wenn sie bemerkt, dass du weg bist“, fügte sie im selben Atemzug hinzu, doch dem kühlen Unterton nach zu urteilen, waren ihre Worte eher als Drohung und nicht als Bitte gedacht.

Law hob einen Mundwinkel, obwohl er mit dem Rücken zu ihr stand. „Ich bin sicher, dass niemand so schnell Nami-yas Gefühle verletzten kann.“ Damit verließ er das Haus und machte sich auf den Weg zu seinem Hotelzimmer, das sich in der Innenstadt der kleinen Insel befand.

Teil 3: It Starts With Fire... [2]


 

VI

Er war verschwunden. Doch selbst im verschlafenen Zustand konnte Nami nicht behaupten, dass sie etwas anderes erwartet hatte. Oder dass sie sich etwas anderes erhofft hatte. Sie hatten Spaß miteinander gehabt, aber sie hatten sich nichts versprochen und das war gut so.

Gähnend setzte sich Nami im Bett auf und streckte sich. Die Decke sammelte sich in ihrem Schoß, aber da niemand da war, der sie sehen konnte, spielte es auch keine Rolle wie unbekleidet sie war. Sie stieg aus dem Bett und holte sich frische Kleidung aus dem Schrank, bevor sie in das kleine Badezimmer schlüpfte, das nur von ihrem Zimmer aus zugänglich war. Das war das Gute daran, endlich wieder Zuhause zu sein. In der Wohnung, die sie mit zwei Mitbewohnerinnen in Jacksonville bezogen hatte, hatte es nur ein einziges Badezimmer gegeben, was sie hatten teilen müssen. Allein die Vorstellung dort ohne ein Top herumzulaufen, stieß Nami säuerlich auf. Dort hatte es keinerlei Privatsphäre gegeben, während in diesem Haus jeder sein eigenes Bad hatte. Nojiko hatte eines und Bellemere, der das Schlafzimmer zwischen Namis und Nojikos Zimmer gehört hatte und stets das Badezimmer in dem kleinen Flur für sich beansprucht hatte, um ihren Mädchen ein bisschen Luxus zu gönnen. Sie hatten vielleicht stets abgetragene Kleidung aus zweiter Hand getragen, die Bellemere für sie angepasst hatte, und an manchen Tagen zu viele Orangen gegessen, um ihren Hunger zu stillen, aber Bellemere hätte ihr letztes Hemd für sie gegeben.

Seufzend stellte sich Nami unter die Dusche und schaltete das Wasser ein, welches zunächst eiskalt ihren Rücken hinunterlief und ihr den Atem raubte. Binnen weniger Sekunde und mit einem Dröhnen der alten Rohre in den Wänden wärmte es sich auf und Nami verlor sich in ihren Gedanken.

Sie konnte sich noch viel zu gut an Laws Berührungen erinnern, an die rauen Lippen und den kratzenden Kinnbart, der ihre Haut gereizt hatte. Vor allem konnte sie auch jetzt noch, trotz des Wassers, noch immer seine Fingerkuppen auf ihren Körper spüren. Fast so, als stünde er mit ihr unter der Dusche, dicht an sie gepresst, weil er einfach nicht genug von ihr bekommen konnte. So lief es für gewöhnlich ab. Normalerweise verschwanden die Männer, die Nami in ihr Bett einlud, nicht bei Anbruch der Dämmerung, sondern blieben, bis Nami sie mit mal mehr und mal weniger energischen Worten vor die Tür setzte. Doch Law... Nun, Nami hatte von Anfang an gewusst, dass er nicht zu dieser Sorte Mensch gehörte.

Er hatte sich nicht einmal in der Dunkelheit und in ihren Armen wirklich fallengelassen. Stattdessen hatte sie die gesamte Nacht den Eindruck gehabt, er sei angespannt gewesen und hatte sich zurückgehalten, als hätte er erwartet, dass Nami ihn jede Sekunde aus dem Bett schubsen würde. Law war verflucht leise gewesen und nicht mehr als ein gelegentliches Keuchen hatte es über seine Lippen geschafft, die halb geöffnet gegen Namis Schlüsselbein gepresst gewesen waren. Feuchter, heißer Atem auf ihrer verschwitzten Haut.

Nami drehte den Hahn zu und wrang sich die nassen Haare aus, bevor sie nach dem Handtuch griff, welches über den Griff hing. Sie trocknete sich die Haare ab, die viel zu lang geworden waren, bevor sie es sich um den Körper band und aus der Dusche stieg. Der Spiegel über dem Waschbecken war von der Hitze beschlagen und gab nur vage ihr Abbild wider. Dennoch konnte Nami ihre geröteten Wangen sehen. Sie fühlte die Effekte des Sturms noch immer, obwohl ein Blick durch das Fenster bestätigte, dass er fortgezogen war. Er hatte nur einen bewölkten Himmel hinterlassen. Wieso fühlte sie sich also immer noch fiebrig an? Warum spürte sie trotzdem dieses Hämmern hinter ihrer Stirn, das nichts mit den Drinks von gestern zu tun hatte? Aus irgendeinem Grund schlug ihre Intuition noch immer Alarm, wenn auch nicht mehr so stark und einnehmend.

Nami verdrängte diesen Gedanken, trocknete sich ab und zog sich an. Vielleicht musste sie einfach etwas essen und trinken, um die Nachwirkungen wie die Überbleibsel eines Alptraums zu verscheuchen.

Doch der Weg hinunter ins Erdgeschoss und in die Küche wurde unterbrochen von der angelehnten Tür, die in Bellemeres Schlafzimmer führte. Sonst war sie stets geschlossen, da das Zimmer seit ihrem Tod vollkommen unberührt war. Nur anhand des fehlenden Staubs wusste Nami, dass Nojiko es regelmäßig betrat, um es sauber zu halten. Um Bellemeres Andenken zu erhalten.

Sie schielte in den offenen Türspalt hinein und erhaschte einen Blick auf ihre Schwester. Sie war gerade dabei den Nachttisch abzuwischen, auf dem nur eine kleine Lampe und ein Fotorahmen stand, das ein Foto von Nojiko, Bellemere und ihr enthielt.

Die Tür weiter aufschiebend lehnte Nami im Türrahmen und verschränkte die Arme locker vor der Brust. „Morgen.“

Nojiko warf einen Blick über ihre Schulter und ein neckendes Lächeln ruhte auf ihrem Gesicht. Wie diese Frau es schaffte, die ganze Nacht zu arbeiten und dann noch die Hausarbeit zu erledigen, war Nami ein Rätsel. Aus irgendeinem Grund musste Nojiko immer etwas zu tun haben und konnte einfach nicht entspannen. Zumindest nicht, wenn es irgendwo noch Arbeit zu erledigen gab.

„Gut geschlafen?“, fragte Nojiko und legte den Lappen zusammen mit dem Handtuch beiseite, um sich auf den Rand von Bellemeres Bett zu setzen. Es hatte frisches Bettzeug, als ob Bellemere nur vereist wäre und nicht auf dem örtlichen Friedhof zwischen einigen Palmen begraben lag.

„Ich kann mich nicht beklagen“, erwiderte Nami und zuckte mit den Schultern. Nojiko etwas vormachen konnte sie nicht, das wurde ihr schnell klar. „Du hast Law noch gesehen, bevor er gegangen ist“, schlussfolgerte sie.

„Er benutzt eine merkwürdige Anrede“, erwiderte Nojiko. „Nami-ya...“

Nun war es an Nami zu grinsen. „Es ist japanisch und ziemlich förmlich, soweit ich das verstehe. Ich hab ein bisschen nachgeforscht.“ Sie zuckte mit den Schultern, als Nojiko wissend nickte.

„Law also? Dieser Law sieht gut aus.“

„Er ist auch gut im Bett“, sagte Nami und beide Frauen teilten ein leises Lachen, welches sich nach der Trennung und dem Sturm und in diesem auseinanderfallenden Haus furchtbar gut tat. „Unten regnet es rein“, wechselte Nami das Thema.

„Ich hab den Kochtopf gesehen“, erwiderte Nojiko, die aufstand und sich mit dem Handrücken über die Stirn fuhr. „Und dein Freund war auch so nett und hat mich darauf hingewiesen.“

Nami schnaubte und löste die Verschränkung ihrer Arme. „Er ist nicht mein Freund. Er ist nur... ein Kerl.“

„Ein Kerl, der gut aussieht und gut im Bett ist“, fasste Nojiko zusammen und nahm den Lappen und das Handtuch auf, um die Kommode abzuwischen, die sich zwischen Bett und Fenster befand. Auf ihr standen weitere Bilderrahmen, welche die lachenden, runden Gesichter ihrer Kindheit zeigten. In einem Foto halfen sie Bellemere beim Ernten der Orangen und in einem anderen saßen sie gemeinsam am Esszimmertisch und aßen Spagetti. Dieser Raum sprudelte vor Erinnerungen und Nami lächelte Nojikos Rücken an, als ihre Schwester behutsam einen Bilderrahmen nach dem anderen anhob, um darunter abzuwischen.

„Du solltest das Geld von Ace und Marco benutzen, um wenigstens das Dach reparieren zu lassen“, sagte sie, obwohl sie wusste, dass Nojiko dieses Thema nicht mochte und es zu vermeiden versuchte. „Von den Wasserrohren rede ich erst gar nicht. Oder der Klimaanlage und allen anderen kleinen Sachen, die am Haus gemacht werden müssen. Ich meine, wie lange soll es denn noch in der Schublade liegen?“

Ein Schweigen folgte, von dem Nami nicht glaubte, dass es noch gebrochen werden würde. Sie drehte sich weg, doch bevor sie das Zimmer verlassen konnte, stieß Nojiko einen frustrierten Laut aus. „Geld zerstört Beziehungen, Nami. Wir sollten das am besten wissen.“

„Was meinst du?“

Nojiko wandte sich ihr zu und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Kommode. Plötzlich sah sie müder aus, als sie es davor schon gewesen war. „Erinnerst du dich noch? Als du sieben oder acht warst und Bellemere dir das Kleid angepasst hat? Das mit dem Motiv der Sonnenblume?“

„Die Sonnenblume, die eigentlich ein Löwe war“, beendete Nami.

„Genau. Damals habt ihr euch gestritten, weil du neue Kleider haben wolltest, aber wir nicht genug Geld gehabt hatten und du daher mein altes Kleid tragen musstest“, rief Nojiko die Erinnerung wach. „Du bist von zu Hause weggelaufen. Direkt zu Genzo, bis er dich wieder nach Hause gebracht hat. Verstehst du jetzt, was ich meine? Selbst innerhalb der Familie streitet man sich, wenn es um finanzielle Dinge geht. Irgendwann wird es auch zum Streit kommen, wenn ich Aces Geld benutze. Das weiß ich einfach. Außerdem ist unsere Beziehung nicht einmal gefestigt und generell... ziemlich ungewöhnlich.“ Die letzten Worte waren leiser gesprochen, unsicherer – und Nami konnte nicht anders, als auf ihre Schwester zuzugehen und die Arme um ihren Nacken zu schlingen, um sie umarmen zu können.

„Du machst dir viel zu viele Gedanken, Nojiko“, meinte Nami, als sie sich von ihr löste. „Gerade weil eure Beziehung nicht der Norm entspricht, bin ich mir fast sicher, dass ihr ganz andere Probleme haben werde, als die mit denen sich andere Paare herumschlagen werden. Geld wird euer kleinstes Problem sein, glaub mir.“

Nojiko lachte freudlos. „Das klingt ja sehr optimistisch.“

„Ich bin ein Realist, kein Optimist“, erwiderte Nami. „Mach dir keine Sorgen. Was kommt, kommt eben. Da hast du keine Kontrolle drüber. Mach einfach das Beste draus. Und jetzt komm mit mir frühstücken.“ Ihre Hand rutschte von Nojikos Schulter zu ihrem Handgelenk hinunter und sie zog ihre Schwester aus dem Zimmer hinaus zur Treppe. „Danach solltest du dir etwas Schlaf gönnen. Du bist doch schon ewig auf den Beinen, Nojiko.“
 


 

VII

Ace war der launischste Mensch, den Marco kannte. Man sah es ihm auf den ersten Blick nicht an, doch er sprudelte vor Emotionen, vor guten und schlechten und allen, die dazwischen lagen. Einen Moment trug er noch dieses strahlende Grinsen auf den Lippen und war locker und gelassen und unheimlich charmant, im nächsten tobte es hinter seinen Augen wieder vor Wut und er wurde ernst und erwachsen und furchtbar zornig und unberechenbar. Ace war ein Tornado. Nur wenn man sich in seinem Auge befand, konnte der Schein trügen. Aber vielleicht war es gerade dieses Unberechenbare, was Marco von Anfang an angezogen hatte. Selbst in seinem Zorn und seinem Schmerz war Ace noch wunderschön.

Marco schmunzelte unwillkürlich bei dem Gedanken an Aces Reaktion, wenn er ihn tatsächlich wunderschön nennen würde. Er konnte sich die Röte in seinem Gesicht und die halbherzigen Proteste bildlich vorstellen. Es war kein Vergleich zu dem schlafenden Ace, der im Moment neben ihm auf dem Bett lag.

Da er das vertraute Rauschen der Klimaanlage vernahm, schien der Strom wieder zu funktionieren. Bei dem Sturm gestern hatte es keinen Sinn gemacht zu Marcos Wohnung zurückzukehren, weshalb sie stattdessen bei Paps geblieben waren. Hier gab es genug Betten und Marco nannte ohnehin eines der Zimmer sein eigenes. Als Whitebeards rechte Hand brauchte er einen Ort, an dem er sich zurückziehen konnte, um die Pläne und alles weitere in Ruhe durchgehen zu können.

Dieses Zimmer hatte er schon vor etlichen Jahren bezogen, lange bevor ihre zusammengeschusterte Familie dermaßen angewachsen war. Es bestand aus einem Schreibtisch mit einem Laptop und viel zu vielen Unterlagen und Papieren. Eine Kommode enthielt wenige Kleidungsstücke von ihm und Ace, da es öfter mal Nächte gab, an denen der Alkohol floss und an denen sie es nicht nach Hause schafften. Das Bett war schmal und durchgelegen und Marco spürte die Federn in seinem Rücken.

Er setzte sich auf und rieb sich mit einer Hand die Augen. Die Decke lag in seinem Schoß und anders als Ace war er bis auf die hellblaue Boxershorts ausgezogen. Ace hingegen lag mit seiner schwarzen Dreiviertelhose und seinem geöffneten Hemd auf dem Bauch, alle Glieder von sich gestreckt und das Gesicht halb im Kissen begraben. Nur die schweren Stiefel hatte Marco ihm gestern noch ausgezogen, als Thatch und Marco ihn ins Bett geschafft hatten, nach dem er im Wohnzimmer weggenickt war.

Die Finger nach Ace ausstreckend schob Marcos Hand sich unter den hochgerutschten Rand von Aces Hemd und über seinen Rücken. Der Stoff wurde bei seiner Berührung weiter hinaufgeschoben, bis die Tätowierung teilweise aufgedeckt wurde. Die Tinte war dunkel auf Aces heller Haut und markierte ihn für sein restliches Leben als Whitebeards Sohn. Kein Wunder, dass es Aces gesamter Stolz war. Es gab niemand anderen hier, der dringender einen Vater benötigte. Oder Brüder.

Viel wusste er nicht über Aces Vergangenheit, nur ein paar Sachen konnte er sich aus seinen Geschichten zusammenreimen. Er war bei seinem Großvater aufgewaschen, zusammen mit seinem Cousin, der wie ein Bruder für ihn war. Und obwohl sein Großvater Polizist war und eine ähnliche Zukunft für ihn geplant hatte, floss in seinen Adern auch das Blut eines Kriminellen, der Whitebeard gar nicht so unähnlich gewesen war. Aber auch das war etwas, was er Ace nicht sagen würde, denn er kannte den Hass, den er für seinen Erzeuger in sich trug.

Stattdessen begnügte Marco sich damit, Fingerspitzen über die warme Haut von Aces Rücken wandern zu lassen und die Tätowierung nachzuzeichnen, die ihm beinahe so vertraut wie seine eigene war.

Ein leiser Laut drang aus Aces Kehle und er drehte sich zunächst auf die Seite, dann weiter und weiter, bis er auf dem Rücken lag und mit verwuselten Haaren und verschlafenem Blick zu Marco aufschaute. Ein faules Grinsen zog an seinen Lippen, wissend und neckend. „Guten Morgen.“

„Morgen“, erwiderte Marco und beugte sich über ihn. Mit einer Hand stützte er sich neben Aces Kopf ab, die andere fand den Weg in seinen Nacken, als er ihn küsste. Aces Arme legten sich um Marcos nackte Schultern und zogen ihn näher. In seinen Gesten lag keinerlei Unsicherheit und auch kein Unmut wegen gestern, nur Hitze und Lust und eine Intimität, die Marco mit niemandem vor Ace geteilt hatte.

Marco ließ seine Lippen weiter wandern, weg von dem fordernden Mund und über den Kieferknochen zu Aces Nacken hinab. Die fremden Finger pressten sich fester in seine Haut und wanderten seinen Rücken hinunter, bis sie den Bund seiner Shorts erreichten. Bevor jedoch nur eine einzige Fingerkuppe unter diesen wandern konnte, ließ sie ein heftiges Klopfen an der Tür zusammenzucken. Marco zog sich schnaufend zurück und sackte zurück auf das Bett, während Ace einen frustrierten Laut ausstieß.

„Paps hat eine Besprechung einberufen. Es gibt Neuigkeiten“, rief Vista durch das Holz hindurch. Inzwischen wussten die Jungs es besser, als einfach in ihr Zimmer hineinzuspazieren. Zumindest alle, bis auf Thatch, der noch immer regelmäßig die Tür aufriss, nur um mit einer Hand vor die Augen geschlagen wieder rückwärts hinauszustolpern.

„Wir sind unterwegs“, rief Marco zurück und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Anschließend rollte er sich aus dem Bett, um sich anzuziehen.

Aces Blick ruhte auf seiner Gestalt, doch die Lust war verpufft und hatte stattdessen diese Ernsthaftigkeit zurückgelassen, die ihn viel älter wirken ließ, als er eigentlich war.

„Du ziehst dich nicht um?“, erkundigte sich Marco tonlos, als Ace sich schließlich aufsetzte und nach den Stiefeln angelte, die Marco ordentlich neben dem Bett abgestellt hatte.

Ace schüttelte den Kopf. „Später.“ Ohne die Schnürsenkel zu schließen, war er bereits auf den Beinen. Er strich das zerknitterte Hemd notdürftig glatt und marschierte aus dem Zimmer. Wieder einmal war es an Marco ihm zu folgen.

Die Küche des Hauses ähnelte viel eher einer kleinen Halle, da sie mit einem offenen Durchgang mit dem Speisezimmer verbunden war. Mehrere Tische befanden sich in ihm, die um diese Uhrzeit allesamt besetzt waren. Whitebeard saß in einem bequemen Sessel, den er mit seiner muskulösen Gestalt fast vollständig einnahm. Ein Bottich mit frischem Kaffee stand neben ihm auf dem kleinen Ecktisch, während die Jungs verschiedene Cornflakespackungen und Milchcontainer aneinander weitergaben.

Thatch winkte ihnen zu. „Ich hab euch Plätze freigehalten“, rief er. Seinen weißen Anzug hatte er gegen ein zu enges T-Shirt und eine zu kurze Hose eingetauscht, die er sich offensichtlich von jemandem geborgt hatte.

Marco schenkte seiner Kleidung einen vielsagenden Blick und Thatch drückte ihm energisch die Packung mit den Frühstücksflocken in die Hand. Er schüttete ein paar davon in die bereitgestellte Schüssel, als er sich zu Thatch an den Tisch setzte. Außer ihm saß noch Izou dort, der schweigend aß und ihnen zur Begrüßung zunickte. Seine Haare waren hochgesteckt und sein exotisches Gewand machte bereits auf den ersten Blick seine asiatische Herkunft kund. Auch er war schon ewig ein Mitglied dieser Familie, länger noch als Thatch, der vor Jahren irgendwann nach Key West gestolpert kam, weil er hübschen Frauen hinterhergerannt und durch illegale Wetten mit der Polizei in Schwierigkeiten geraten war. Paps hatte ihn mit dem Grund, dass er ein lustiger Idiot war, aus der Zelle geholt und Thatch hatte ihm daraufhin mit tränenüberströmtem Gesicht als seinen Vater anerkannt.

Izous Geschichte war hingegen langweilig. Das Visa seiner alleinerziehenden Mutter war abgelaufen und Whitebeard hatte seine schützende Hand über sie und ihren kleinen Einkaufsladen gelegt, wenn Izou für ihn arbeiten würde. Es war eine Zweckgemeinschaft, die sich schnell in einen tieferen Bund verwandelt hatte. Selbst dann, als seine Mutter den Kampf gegen Krebs verloren hatte. Sie alle hatten ihre Geschichte, doch eines hatten sie gemeinsam: Sie alle hatten ein Zuhause gebraucht und es bei Paps gefunden.

Vista räusperte sich, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. „Es gibt Neuigkeiten über Flamingo.“

Sogleich verstummten die allgemeinen Gespräche an den Tischen. Ace, der neben Marco am Tisch saß und seine Schüssel bis weit über den Rand hinaus mit verschiedenen Cornflakesarten gefüllt hatte, sah auf.

„Wir haben heute Morgen von unseren Jungs aus Texas Wort erhalten“, erzählte er weiter und Marcos Blick wanderte durch die Runde, um sich zu erinnern, wen sie nach Texas geschickt hatten. Whitebeards Netzwerk war groß und ausgebaut, so dass nicht einmal Marco als seine rechte Hand jeden einzelnen von ihrer Organisation kannte. In Key West befanden sich lediglich die höheren Mitglieder, die Thatch in guter Laune gern „Kommandanten“ nannte, was Marco meist nur ein belustigtes Schnaufen abverlangte. Aber Spione in der Nähe ihrer Feinde zu haben hatte ihnen schon oft wichtige Informationen zugespielt, die sie sonst nicht so schnell in Erfahrung gebracht hätten. Scheinbar war es diesmal nicht anders.

„Und, was plant er?“, verlangte Haruta zu wissen, die weiter hinten an einem der Tische saß. Ihre Stimme war hell, doch ihr Aussehen verriet erst auf den zweiten Blick ihr Geschlecht. „Ist er nun auf dem Vormarsch?“

Vista zwirbelte seinen Schnauzbart zwischen den Fingern und die Erheiterung, die sonst auf seinen Zügen ruhte, war verschwunden. „Soweit wie unsere Informanten das sagen können, läuft alles wie immer. Aber Gerüchte liegen in der Luft. Gerüchte, die auf einen Spion von Flamingos Seite deuten, der auf den Weg nach Key West ist.“

„Flamingo weiß, dass er gegen uns nicht ankommt, darum versucht er es nun auf diese hinterlistige Tour“, brummte Thatch und Izou deutete ein Nicken an.

„Wir finden diesen Spion einfach und kümmern uns um ihn“, sagte Ace mit vollem Mund, bevor er sich grimmig weitere Cornflakes hineinschaufelte.

Marco seufzte. „So einfach ist das nicht. Key West hat zu viele einreisende Touristen, als dass wir diesen einen einzigen Spion ausfindig machen könnten. Wir müssen einfach vorsichtiger sein. Die Augen eben offen halten.“

„Marco hat recht“, erklärte Whitebeard und seine tiefe Stimme überwog alle Proteste, die ausbrechen wollten. „Das ändert nichts für uns. Key West gehört immer noch uns. Und unsere Geschäfte gehen auch weiter. Wann ist unsere nächste Lieferung fällig, Vista?“

Vista konsultierte einen kleinen Notizblock, den er aus der Westentasche seines samtenen Jacketts zog. „Hm... die Glocks kommen am Montag an. Um Mitternacht am Hafen. Und wir haben eine offene Lieferung von Meth nach Alabama für nächste Woche anstehen.“

Aces Hand wollte in die Höhe schießen, doch Marco packte sein Handgelenk und schüttelte den Kopf. Irritation huschte über das markante Gesicht, das von Sommersprossen übersät war. „Was?“

„Lass das jemand anderen übernehmen“, sagte Marco. „Ich bin sicher, dass Nojiko sich freuen würde, wenn du die nächste Zeit ein bisschen mehr hier bist und nicht in der Weltgeschichte herumreist.“

Die Härte wich aus Aces Gesicht, langsam und für niemanden außer Marco sichtbar. Es war diese Reaktion, die Marco abermals zeigte, wie sehr Ace sich in Nojiko verguckt hatte und wie unterschiedlich seine Gefühle für Nojiko und ihn selbst waren. Ihr eigener Bund war tief und verankert und intim, während Aces Bund zu Nojiko neuartig und beschützend und zart war. Ace war in Nojiko verliebt.

„Wir können aber nicht ewig rumsitzen und nichts tun“, entrann es ihm halbherzig und er griff nach der Packung mit Frühstücksflocken, um sich nachzufüllen, während um sie herum geklärt wurde, wer sich um welchen Auftrag kümmerte.

Marcos Hand fand Aces Oberschenkel und er spürte die angespannten Muskeln, welche die verschiedenen Impulse widerspiegelten, mit denen Ace rang.
 


 

VIII

Das „Bitte nicht stören“-Zeichen baumelte noch immer am Türknauf. Es wirkte unberührt, obwohl der Eindruck auch leicht täuschen konnte. Law angelte nach dem Zimmerschlüssel mit der abgetragenen Ziffer und schloss die Tür auf.

Stille empfing ihn in dem kleinen Raum, welchen er nun seit gut einer Woche bereits bewohnte. Viel gab es nicht her, nichts außer ein schmales Bett, eine Kommode und einen kleinen Tisch mitsamt Stuhl, der vor dem Fenster stand.

Lautlos schloss er die Tür hinter sich und sperrte damit auch die Stimmen anderer Gäste dieses Motels aus. Es kreierte wenigstens die Illusion einer gewissen Privatsphäre, die Law grundsätzlich wichtig war. Er war kein Menschenfreund und machte auch kein Geheimnis daraus.

Sein Blick wanderte durch das Zimmer, doch nichts sah verändert aus. Selbst das Bett, das er absichtlich unordentlich hinterlassen hatte, war nicht gemacht. Scheinbar hatte die Putzfrau einen Bogen um sein Zimmer gemacht, genau so wie er es gewollt hatte. Trotzdem ging Law auf das Bett zu, hockte sich davor und hob die Matratze am unteren Ende an, um die Pistole herauszuziehen, die zwischen dieser und dem Bettgestell steckte.

Die Beretta lag schwer in seiner Hand, vertraut und warm, da die Klimaanlage den Raum nur bedingt kühlte. Kurz inspizierte Law die Waffe, bevor er sie zurück in ihr Versteck schob. Er hatte nur ein Magazin mitgenommen, da er nicht vorhatte sie in nächster Zeit zu benutzen. Zwar mochte er keine Skrupel zu haben den Abzug zu drücken, aber für gewöhnlich vermied er, sich bei der Arbeit dreckig zu machen. Er war kein Anfänger und agierte daher auch nicht wie einer. Er war nicht umsonst als der Chirurg des Todes bekannt, was relativ wenig mit seiner medizinischen Ausbildung zu tun hatte. Seine Jobs verrichtete er stets mit Genauigkeit und Mitteln der Manipulation, nicht mit roher Gewalt und Blutvergießen. Zu diesem kam es nur, wenn alle anderen Pläne bereits ausgeschöpft waren – und für die Söhne von Whitebeard hatte er noch einiges geplant. Fertig war er mit ihnen noch lange nicht, denn er hatte erst gerade angefangen.

Er schlenderte zu der gepackten Tasche hinüber, die sein weniges Hab und Gut hielt, welches er mit nach Key West gebracht hatte. Viel war es nicht, aber er war schon immer ein Minimalist gewesen. Er wusste, wie man auch mit wenig überlebte, vollkommen anders als so manche Menschen, die er kannte.

Aus der Tasche suchte er sich das zweite Handy heraus. Er ließ es grundsätzlich im Motel. Einerseits, um nicht in Erklärungsnot zu geraten, andererseits, um nicht ständig für Texas erreichbar zu sein. Daher überprüfte er die verpassten Anrufe nicht einmal, sondern wählte die einzig wichtige Nummer, die auf diesem Mobiltelefon eingespeichert war.

Schon nach wenigen Sekunden wurde der Anruf beantwortet, was die Ungeduld verriet, obwohl die Stimme samtig und ruhig war. „Law.“

Obwohl er Doflamingos Gesicht nicht sah, konnte er sich bildlich vorstellen, wie der hochgewachsene Mann seine Sonnebrille richtete. Er konnte das breite Grinsen, welches weder Freude noch Wut verriet, vor seinem innerlichen Auge sehen. Es stellte ihm jedes Mal neu die Nackenhaare auf.

„Ich konnte mich nicht früher melden“, antwortete Law nonchalant. Erklären würde er sich dem Mann nicht, dafür kannten sie einander zu lange. „Aber der Plan ist am Laufen.“

„Gut. Sehr gut“, entrann es Doflamingo. „Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen, Law. Du bist nicht umsonst einer meiner besten Leute. Einer der Wichtigsten in unserer Familie.“ Ein heiseres Lachen folgte, dem jegliche Aufrichtigkeit fehlte. Es klang gänzlich anders als Namis Lachen, welches ihm noch immer in den Ohren klingelte. Er hatte nur seine Lippen über ihren Nacken wandern lassen, seinen kurzen Bart über ihre nackte Schulter, um ihr ein leises Kichern zu entlocken. Es wäre furchtbar einfach gewesen heute Morgen in dem warmen Bett zu bleiben, sich umzudrehen, Nami zu küssen und eine Hand unter die Bettdecke wandern zu lassen. Allerdings wäre das nicht sonderlich schlau gewesen. Immerhin konnte man es einer Frau wie Nami nicht zu einfach machen. Das was sie an ihm interessierte, war das Mysteriöse und das Unnahbare. In dieser Hinsicht musste er ihr nicht viel vorspielen, denn er war kein Mann, der besonders einfach Emotionen zeigte und offen alle Karten auf den Tisch legte. Das funktionierte in seiner Welt nicht, sondern führte eher zum Tod, den er gern noch eine Weile aufschieben würde.

„Law?“, rief ihm Doflamingos Stimme aus seinen Gedanken.

Er blinzelte. „Hm?“

Ein weiteres Lachen folgte, triefend vor Spott. „Wo warst du mit deinen Gedanken? Bei dieser Frau? Hat sie dich etwa schon um den Finger gewickelt? Ich hätte nicht gedacht, dass du so einfach bist.“

Law schnaufte. „Sie ist ein Mittel zum Zweck.“

Eine kurze Pause folgte. Glaubte Doflamingo ihm nicht? „Hauptsache, du verlierst das Wesentliche nicht aus den Augen“, sagte Doflamingo. „Melde dich morgen wieder bei mir.“ Damit war die Leitung tot und Law beendete den Anruf, das Mobiltelefon anstarrend, als könnte er hindurch und Doflamingo ins Gesicht sehen. Er hatte so viele Jahre daran gearbeitet, um in der Organisation aufzusteigen – und dieser Auftrag würde ihm das nicht kaputtmachen.

Seine Kiefernmuskeln spannten sich an, als er die Zähne aufeinander biss. Er verstaute das Handy wieder in der Tasche, bevor er zum Bett hinüberging und sich auf den Rand fallen ließ. Die Müdigkeit ließ seine Augen brennen, ebenso wie das helle Tageslicht, welches durch das einzige Fenster im Raum fiel. Es war früh, aber es gab noch einiges zu tun, wenn heute Abend alles reibungslos ablaufen sollte. Trotzdem konnte er der Hämmern hinter seinen Schläfen nicht vollständig vergessen, welches ihn an die Drinks von gestern erinnerte, an seine Nacht mit Nami.

Sich mit einer Hand über das Gesicht fahrend strich Law anschließend seine kurzen Haare zurück, bevor er sich wieder aufsetzte und sicherging, dass er die Zimmerschlüssel bei sich trug. Er verließ ein weiteres Mal das Zimmer, in dem er sich ohnehin nur zum Schlafen und zum Telefonieren aufhielt. Erst einmal musste er noch einige Besorgungen erledigen, denn der nächste Schritt in seinem Plan war von höchster Wichtigkeit.
 


 

IX

Ace war furchtbar ruhig. Das war das Erste, was Nojiko an ihm bemerkte, als sie ihn vor ihrer Tür vorgefunden hatte. Ob das mit dieser ganzen Sache mit diesem Flamingo-Typen zu tun hatte oder weil Nojiko sich gestern früh ungefragt eingemischt hatte, konnte sie jedoch nicht mit Sicherheit sagen. Sie fragte auch nicht nach. Das war alles Neuland für sie. Nicht nur, dass sie ewig mit niemandem mehr ausgegangen war, doch sie war auch noch nie in derartige Dinge verwickelt gewesen. Das war sie auch jetzt nicht, aber... sie konnte nicht gänzlich von der Welt, in der Marco und Ace lebten, abgeschottet sein. Ihre Welten begannen sich zu überschneiden, dies konnte Nojiko ganz deutlich spüren. Genauso deutlich, wie sie auch Aces Anspannung wahrnahm, obwohl er lässig mit der Hüfte am Küchenschrank lehnte und sie durch den offenen Durchgang beobachtete. Ein faules Schmunzeln lag auf seinen Lippen, welches Nojiko jedoch nicht über seine Ernsthaftigkeit hinwegtäuschen konnte.

„Bist du nur vorbeigekommen, um mir bei der Arbeit zuzuschauen?“, fragte sie und hob eine Augenbraue. Sie wrang das Handtuch über dem Eimer aus, der bereits halbvoll mit Wasser war. Erst danach wischte sie weiter das Regenwasser auf, welches durch die Decke geweicht war. Glücklicherweise hatten sie einen Holzboden im Esszimmer, was es um einiges einfacher machte. Der Kochtopf hatte nicht ausgereicht und Nojiko hatte es aufgeschoben, sich darum zu kümmern. Es war zu deprimierend und obwohl sie es sich heute Morgen schon vorgenommen hatte, war sie letztendlich in Bellemeres Zimmer gelandet. Das Schlafzimmer ihrer Mutter war auch heute noch ein Ruheort, an dem sie sich gern zurückzog, wenn ihr etwas über den Kopf wuchs. Doch erst nach dem kleinen Nickerchen zu dem Nami sie verdonnert hatte, fühlte sie sich wieder wacher und optimistischer. Optimistisch genug, um sich die aufgeweichte Esszimmerdecke und dem Regenwasser zu stellen, von den ganzen anderen Dingen, die am Haus gemacht werden mussten, ganz zu schweigen.

Ace erlaubte sich inzwischen ein Zucken der Schultern. „Nicht wirklich.“ Seine Antwort blieb vage und Nojiko hob den Kopf, um ihn mustern zu können.

„Wo ist Marco?“, wechselte sie das Thema, als er nichts hinzufügte.

„Bei Paps. Er hilft Vista einige Aufträge zu organisieren. Wir haben ausgemacht, dass wir uns zu Hause treffen.“ Aces Lächeln wuchs. „Du kannst wieder bei uns übernachten, wenn du willst.“

Nojiko stieß ein belustigtes Schnaufen aus und richtete sich auf. „Nein, danke. Mein Rücken hat bei dem schmalen Bett zu dritt doch ein wenig gelitten. Nächstes Mal vielleicht.“ Sie stemmte eine Hand in die Hüfte und hob den Eimer am Griff mit der anderen an, um ihn zum Küchenwaschbecken zu tragen und zu entleeren.

Aces Augen folgten ihr und ruhten auf ihren Rücken, obwohl er sich selbst nicht vom Fleck bewegte. „Es war also gestern dein Ernst, als du gesagt hast, dass wir ein größeres Bett kaufen sollen.“

Es war keine Frage, aber vielleicht fühlte sich Nojiko deswegen so ertappt. Sie blieb mit dem Rücken zu Ace stehen und trocknete sich die Hände an einem Handtuch ab. „Geld genug habt ihr ja. Es liegt immer noch da in der Schublade.“ Eine wegwerfende Handbewegung folgte. Sie war von einem Moment der Stille begleitet, der schwer wog.

Erst nach einigen Sekunden, in denen Nojikos Hände unlängst trocken waren, sie aber dennoch das Handtuch umklammert hielt, hörte sie das Öffnen jener Schublade. Die Erleichterung, die sie erwartet hatte, blieb aus, was Nojiko verwirrt den Wasserhahn anblinzeln ließ. Trotzdem... Sie wollte, dass Ace das – sein! – Geld zurücknahm und es für sich ausgab. Für was spielte für sie keine Rolle. Es war nun mal nicht ihr Geld und deshalb ging es sie nichts an.

Durchatmend wirbelte Nojiko herum, ein Lächeln auf den Lippen tragend. Dieses erblasste sogleich wieder, als ihr Blick auf Ace fiel und ihre Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Die Schublade stand offen und er hatte den Briefumschlag, der viel zu viele Geldscheine enthielt, in der Hand. Doch diese Hand war stumm in ihre Richtung ausgestreckt, während in Aces dunklen Augen der Schalk funkelte.

„Was?“, fragte er, als konnte er ihr die Frage von der Stirn ablesen. „Hast du gedacht, es ist so einfach?“ Er legte den Kopf schief und erlaubte sich ein einseitiges Grinsen. „Es ist nicht mehr mein Geld“, sagte er und gab somit zum ersten Mal wörtlich zu, dass es ursprünglich zumindest von ihm stammte. „Ich hab es dir geschenkt. Einen geschenkten Gaul guckt man nicht ins Maul... oder so ähnlich.“

Nojiko schürzte die Lippen, konnte aber ein belustigtes Lächeln nicht vollständig unterdrücken. Das wollte sie auch nicht. Ace sollte ruhig wissen, dass er sie amüsierte. „Ich glaube nicht, dass dieses Sprichwort hier passt, Ace.“ Sie schüttelte den Kopf und legte das Handtuch beiseite, die ausgestreckte Hand mit dem Briefumschlag ignorierend. „Außerdem wüsste ich nicht, was ich mit dem ganzen Geld machen sollte.“

„Keine Ahnung, vielleicht ein paar Reparaturen am Haus vornehmen?“, schlug Ace vor und überbrückte den Abstand zwischen ihnen mit zwei langen Schritten. Er drängte sie mit seinem Körper gegen den Waschbeckenschrank hinter ihr, bis sie dagegen lehnte. Nojiko stützte sich mit den Händen hinter sich ab, doch Ace umfasste ihr Handgelenk. Sein Griff war sanft, locker genug, um sich ihm zu entziehen. Am ersten Tag wäre das kein Problem gewesen, da hätte sie ihn ohne weiteres in die Schranken gewiesen, doch inzwischen hatte Ace eine andere Wirkung auf sie. Sein Charme war verlockender geworden und seine Gegendwart einnehmender. Sie konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören, während seine Körperwärme die winzige Distanz zwischen ihnen überbrückte.

Er schob den Umschlag in ihre Hand und schloss ihre Finger darum, wobei sein Blick auch weiterhin ihren hielt und ihn buchstäblich festnagelte. „Es ist okay das Geld zu nehmen. Es ist jetzt deins, Nojiko.“

Ein ersticktes Lachen steckte in ihrer Kehle. Nur Ace konnte es so nonchalant klingen lassen, jemanden ein kleines Vermögen ohne jeglichen Hintergedanken zu schenken. Nojiko wäre es lieber gewesen, wenn er welche gehabt hätte. Aber nein, stattdessen tat er es nur aus der Güte seines Herzens und weil er aus irgendeinem Grund einen Narren an ihr gefressen hatte.

Sie schüttelte kaum merklich den Kopf und senkte den Blick auf den Briefumschlag, den sie hielt. „Ich weiß beim besten Willen nicht, was du siehst.“ Ihr Ton war leiser, als sie beabsichtigte, aber Ace lachte sie aufgrund ihrer Worte nicht aus.

Seine Lippen fanden den Platz an ihrer Schläfe und seine Hände legten sich an ihre Wangen, warm und selbst nach kurzer Zeit viel zu vertraut. Er beugte sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen. Ein sanfter Kuss war von einem längeren und tieferen gefolgt. „Wirst du das Geld für das Haus benutzen?“, flüsterte er gegen ihre Lippen und sein Atem auf ihrer Haut verursachte ihr erneutes Herzflattern.

„Wenn du drauf bestehst...“, erwiderte sie und Ace nickte, grinsend und viel zu schnell. Belustigt legte Nojiko die Arme um seinen Nacken, um ihn erneut heranzuziehen und ihren Mund auf seinen zu pressen.

Teil 3: It Starts With Fire... [3]


 

X

Seine Lippen kribbelten. Sie taten es immer noch, dabei hatte er Nojikos Haus vor mindestens fünfzehn Minuten verlassen. Mit Marco war es damals anders gewesen. Selbst heute spürte Ace noch wie seine Ohrenspitzen glühten vor Scham, wenn er daran zurückdachte. Es war definitiv keiner seiner schlausten Momente gewesen, als er sich etwas von den Koks stibitzt hatte, welches sie nach Georgia geschmuggelt hatten. Andererseits war er noch nie gut in solchen Dingen gewesen, solchen romantischen Dingen, die über einen bedeutungslosen Flirt hinausgingen. Es hatte ihm geholfen über seinen eigenen Schatten zu springen. Und Marco... Ace hatte sich schon bei ihrem ersten Treffen auf diesem Diner-Parkplatz zu ihm hingezogen gefühlt. Trotzdem hätte er sich nie träumen lassen, dass Marco ihn mögen könnte.

Doch all das lag bereits in ihrer Vergangenheit, während Nojiko erst vor kurzem zu ihnen gestoßen war. Es war Ace noch immer ein Rätsel, wie sie ihm nicht schon früher aufgefallen war. Key West war nicht groß genug, um sich nicht mindestens einmal in all der Zeit über den Weg gelaufen zu sein. Doch es hatte ihren Barkeeper-Job im Grandline benötigt, damit sie zueinander fanden, damit Nojiko zu Marco und ihm fand.

Ace fuhr sich mit den Fingerkuppen über seine Lippen, während seine Augen einer Motte folgten, die zu der Straßenlaterne hinaufflog, welche seinen Weg kreuzte. Eigentlich hatte er nicht so lange bleiben wollen, aber eine warme Mahlzeit hatte er Nojiko nicht ausschlagen können. Ganz besonders, da Nami zu ihnen gestoßen war und sie zu dritt gegessen und geplaudert hatten.

Doch nun war die Dunkelheit schon längst über die Insel hineingebrochen. Sterne standen am Firmament, nur zwischen den Wolken sichtbar, die noch immer schwer am Himmel hingen und weitere Regenfälle versprachen. Doch der eigentliche Sturm war fortgezogen und hatte lediglich ein paar Pfützen und umgeknickte Palmen hinterlassen. Die abendliche Stille war nur von fernen Sirenen unterbrochen, während Pärchen Hand in Hand über die sandigen Wege wanderten und Betrunkene von einer Bar zur nächsten torkelten. Ace schenkte ihnen ein amüsiertes Grinsen und einen stummen Gruß, in dem er die Hand im Vorbeigehen hob.

Ob Marco schon zu Hause war? Ace hoffte es. Immerhin mussten sie sich über ein größeres Bett unterhalten und auch darüber, dass Nojiko sich – wenn auch recht widerwillig – entschieden hatte, das Geld für die Reparaturen am Haus zu benutzen. Ace hätte sowieso nicht gewusst, was er mit dem Geld hätte anstellen sollen. Er brauchte nichts. Zum ersten Mal seit langer Zeit löste sich dieser Knoten in seiner Brust, der ihm in manchen Nächten das Atmen erschwerte. In solchen Momenten suchten ihn die Zweifel heim, mit denen er schon seit frühster Kindheit bekannt war. Sie waren der Ursprung seiner Wut, das hatte er inzwischen begriffen. Obwohl er die Frage, ob sein Leben einen Sinn hatte, ob es tatsächlich gut gewesen war, dass er geboren wurde, noch immer nicht beantworten konnte, fühlte er sich ausgeglichen. Er wollte es beinahe glücklich nennen, auch wenn er wusste, wie zerbrechlich dieses Wort war. Die Bedeutung dahinter war genauso fragil wie eine Seifenblase im Wind.

Ace hatte kaum bemerkt, dass er den langen Weg zu ihrer Wohnung eingeschlagen hatte. Er führte direkt durch das Stadtzentrum von Key West. Leuchtreklame kündigte die vertrauten Bars und Kneipen an, von denen keine mit dem abgelegenen Grandline mithalten konnten. Musik dröhnte jedes Mal, wenn die Tür geöffnet wurde, aus den stickigen Innenräumen hinaus ins Freie, während Grillen zirpten und Menschen lachten und Sirenen heulten.

Es dauerte eine Weile, bis Ace tatsächlich auf sie aufmerksam wurde. Noch etwas länger, bis er realisierte, dass sie mit jedem Schritt, den er sich vom Stadtzentrum entfernte, anschwollen. Seine Augenbrauen bildeten eine besorgte Linie, als er ihren Ausgangspunkt zu orten versuchte. Eine schlechte Ahnung beschlich ihn und seine Schritte beschleunigten sich. In der Dunkelheit war es schwer auszumachen, aber nach und nach erkannte er den grauschwarzen Rauch, der über Palmen und Bäumen hinweg aufstieg.

Ace joggte die schmale, bewaldete Passage entlang, hinter der sich der Parkplatz ihres Wohngebäudes befand. Noch bevor er ihr Ende erreicht hatte, sah er die Flammen. Die Sirenen erstarben und Feuerwehrmänner brüllten Befehle, als sie sich daran machten das Feuer zu löschen oder wenigstens daran zu hindern, auf die Nebengebäude überzuspringen.

Das Feuer war grell, doch Ace zwang sich die Augen offen zu halten. Die Flammen waren hoch und leckten den äußeren Häuserwänden entlang, knisternd und zischend, während ein Schwall heißer Luft Ace entgegen wehte, als er sich dem Brand näherte. Er setzte einen Fuß vor den anderen, langsam und beherrscht, obwohl alles in ihm brodelte. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt und seine Zähne waren schmerzhaft aufeinander gebissen. Die Schaulustigen, die sich auf dem Parkplatz versammelt hatten, der mehr Fahrräder als Autos enthielt, bemerkte er nicht.

„Hey, bleib weg“, wehte die Stimme eines Feuerwehrmannes hinüber, doch Ace nahm sie nicht wahr. Er hatte nur Augen für die Gebäude, in dem sich Marcos Wohnung befand, in dem sich ihre Wohnung befand, in dem—

„Ace.“ Sein Name wurde genannt. Der Ton war resignierend und ruhig – und eine Hand packte Ace am Oberarm, ankerte ihn ins Hier und Jetzt.

Er blinzelte und folgte der Hand den Arm hinauf, bis er in Marcos Gesicht sah. Es war schattenbesetzt und ernst und wirkte älter, als Marco eigentlich aussehen sollte. „Ich bin auch erst vor ein paar Minuten eingetroffen, aber da...“ Marco beendete seinen Satz nicht, sondern nickte stattdessen nur zu dem brennen Wohnhaus hinüber. Eine Melancholie erhielt Einzug in sein Gesicht und die Schultern sackten und Aces Wut wurde größer und schwand zur gleichen Zeit. Mit dem Gefühl konnte er nichts anfangen, denn es riss ihn in unterschiedliche Richtungen, ließ seinen Blick zwischen dem Brand und Marco hin- und herwechseln, als gäbe es irgendwo Antworten auf Fragen, die er selbst nicht kannte. Da waren nur Marcos Finger, die seinen Arm umklammerten, stark genug, um Abdrücke zu hinterlassen.

„Was ist—“, begann er.

„Keine Ahnung.“ Marco schüttelte den Kopf. „Wir sollten gehen.“

Ein freudloses Lachen entwich Aces Kehle, halb erstickt und heiser. „Wohin?“ Dass da oben war ihr Zuhause gewesen! Ihre Wohnung brannte gerade ab, zusammen mit ihrem gesamten Hab und Gut und jeder Erinnerung.

Marcos Augen hielten an ihm fest, unergründlich und müde. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er Ace umarmen, aber seine Hand rutschte lediglich von seinem Arm hinab zu seiner Hand und er verschränkte ihre Finger ineinander.

Im nächsten Augenblick wurde Ace bereits mitgezogen, weg von den Menschen, die sich um sie herum gesammelt hatten, um zu sehen, was vor sich ging oder um ihr eigenes Zuhause in Flammen aufgehen zu sehen.

„Zu Paps“, murmelte Marco und Ace musste die Ohren spitzen, um die Worte überhaupt zu vernehmen.

Aces Blick ging über seine Schulter hinweg, denn ein Teil von ihm wollte bleiben und dort hineinrennen und das Feuer selbst löschen, um... Wozu? Um irgendetwas zu retten, obwohl er doch wusste, dass alles bereits abgebrannt und zerstört war. Aber er konnte dem auch nicht einfach den Rücken kehren und so tun, als sei nichts passiert! Was dachte sich Marco!?

Wütend studierte er Marcos Hinterkopf und wie der Wind an den wenigen blonden Haaren zog, während die Hand nicht von seiner abließ und ihn weiterzog, ihn festhielt.
 


 

XI

Die Tür öffnete sich, als sie die steile Einfahrt erklommen. Helles Licht suchte sich den Weg aus dem Türspalt hinaus in die Dunkelheit. Im Gegensatz zu dem Neonlicht der Straßenlaternen war es warm und einladend, ebenso wie die Personen, die auf dem Treppenabsatz auf sie warteten und sie mit besorgten Gesichtern musterten, vertraut und ihre Gesellschaft angenehm war.

Thatch war der erste, der ihnen entgegenkam. Trotz der schlechten Lichtverhältnisse konnte Marco den Schweiß auf seiner Stirn sehen, ebenso wie die wirren Haare und den zerknitterten Anzug. Wahrscheinlich war er vor wenigen Minuten erst aus Makinos Bett gesprungen, als er die Nachrichten über den Brand gesehen hatte. „Marco, Ace!“ Er klopfte ihnen nacheinander auf die Schultern und auf die Rücken, beinahe als ob er sichergehen wollte, dass sie tatsächlich hier und in Sicherheit waren.

„Alles okay?“, fragte Izou von der Tür aus, die tiefgeschminkten Augen misstrauisch umherwandernd. Doch die Nacht war still und dunkel und sie die einzigen, die sich der Villa von Whitebeard genähert hatten. Rund um das Anwesen waren Bewegungsmelder angebracht, die Flutlichter einschalteten, sobald sich etwas dort draußen zwischen den Bäumen und Büschen bewegte. Zwar verirrten sich gelegentlich auch Rehe, Waschbären und andere Tiere in den verwucherten Garten, aber die Jungs machten dennoch einen Rundgang über das Gelände, sobald sich das Licht einschaltete. Obendrein behielt immer irgendjemand ungefragt die Einfahrt im Blick, sobald er aufstand und an einem der unzähligen Fenster vorbeiging.

Marco nickte. Die anderen hatten auf sie gewartet, weil sie wussten, dass sie bei der Villa auftauchen würden. Aces Hand war auf halben Weg hierher aus seiner gerutscht, aber wenigstens hatte er sich nicht umgedreht und war zurück zu ihrem Wohngebäude gerannt, das inzwischen nur noch Schutt und Asche sein dürfte.

„Was ist passiert?“, fragte Vista, dem man die Unruhe nur an dem verstärkten Zwirbeln seines Schnauzbarts anmerkte. Er schob die Tür weiter auf, damit sie eintreten konnten. „War es Brandstiftung? War es ein Angriff? Oder nur ein Unfall?“

Die Kühle des Hauses empfing sie und vertrieb die Hitze, die sie vom Feuer mitgebracht hatten. Marco schüttelte den Kopf. „Es ist zu früh, um Vermutungen anzustellen.“

Ace war neben ihm zum Stehen gekommen. Sein Blick war auf seine schwarzen Stiefel gesenkt und seine Hände waren zu Fäusten geballt, obwohl er Thatch dennoch erlaubte, einen Arm locker um seiner Schultern zu legen. „Wie soll das ein Unfall gewesen sein, hm?“, wollte Ace wissen, aber niemand hatte eine Antwort für ihn. Schweigen war das einzige, was er erhielt. Es war ausreichend, damit Ace Thatchs Arm abschüttelte, seine Stiefel absteifte und auf der breiten Treppe im Obergeschoss verschwand. Er war ein Experte darin seine Brüder stehen zu lassen und wegzulaufen.

Marco stieß ein Seufzen aus und Thatch schnaufte. „Die Jugend von heute“, entrann es ihm, obwohl die Belustigung nicht über die Ernsthaftigkeit auf seinem Gesicht hinwegtäuschen konnte. „Mach dir nichts draus. Er wird drüber hinwegkommen.“

„Die Wohnung war sein Zuhause“, erwiderte Marco. „Mehr noch, als es meins gewesen war.“ Er hatte die Wohnung vor einem halben Jahrzehnt bezogen, allein und ohne großartige Zukunftspläne. Es war nur ein Platz zum Schlafen gewesen, an dem er die Ruhe gefunden hatte, die es bei den ganzen Anwesenden in der Villa oftmals nicht gab. Damals hätte er sich nicht träumen lassen, dass irgendwann mal jemand bei ihm einziehen würde und diesen Ort in mehr als nur ein Dach über dem Kopf verwandeln würde. Doch wenn er ganz ehrlich war, so hatte Ace ein Zuhause viel nötiger gehabt als Marco. Sein Zuhause war der Ort, an dem sich seine Familie befand, aber auch das kannte Ace nicht. Er hatte noch nie einen Platz gehabt, an dem er sich fallen lassen konnte – und nun war dieser dem Feuer zum Opfer gefallen und Ace war wütend, ohne dass er wirklich verstand warum.

„Willst du Sake?“, fragte Thatch, der von einem Fuß auf den anderen trat. „Klärt vielleicht ein bisschen die Gedanken.“ Auch die anderen drifteten zur Küche hinüber, doch Marco schüttelte den Kopf.

„Wo ist Paps?“, fragte er stattdessen.

Izou deutete mit dem Finger nach rechts, wo sich ein weiterer Gang befand, der direkt zu Whitebeards Schlafzimmer führte. „Er schläft. Bei all dem Sake, den er getrunken hat, war es unmöglich ihn aufzuwecken.“

„Verstehe.“ Marco blieb in der Eingangshalle stehen und Thatch und Izou sahen vom Türrahmen der Küche zu ihm zurück. „Ich werde nach Ace schauen. Außerdem bin ich auch schon müde. Sagt den Jungs, dass alles in Ordnung ist und wir morgen darüber reden.“ Er wandte sich der Treppe zu, hielt jedoch noch einmal inne. „Und Thatch? Du kannst ruhig wieder zu Makino gehen. Sie macht sich bestimmt Sorgen.“

Ein ertapptes Lächeln schlich sich auf die Züge des anderen und Marco hob einen Mundwinkel, bevor er die Stufen hinaufstieg. Sie hatten erst gestern hier übernachtet, da Marco selbst nach dem offiziellen Auszug aus der Villa sein Zimmer hier behalten hatte. Immerhin musste sich irgendjemand um die Rechnungen und den andere Papierkram kümmern, der anfiel.

Selbst in der Dunkelheit des Flurs fand Marco sich blind zurecht. Er folgte den Zimmern bis zum Ende des Gangs und sparte sich das Anklopfen, bevor er die Tür öffnete.

Im Raum herrschte dieselbe Finsternis, da Ace sich nicht die Mühe gemacht hatte, das Licht der kleinen Nachttischlampe einzuschalten. Nur der Mondschein fiel zwischen den Wolken und den Vorhängen in das Zimmer und machte die Umrisse sichtbar. Ace saß am Bettrand, die Arme auf den Oberschenkeln gebettet. Sein Blick musste irgendwo auf dem Boden zwischen seinen Füßen und der gegenüberliegenden Wand liegen. Er schaute nicht auf und Marco schloss die Tür hinter sich, bevor er sich neben Ace auf das Bett setzte. Ihre Oberschenkel berührten sich, warm und vertraut und dennoch mit einem Hauch von Anspannung, welche die Luft elektrisierte. Doch Marco machte Aces Wut nichts aus, hatte sie noch nie.

„Wir hätten bleiben sollen.“ Aces Stimme war rau und tief. Er drehte den Kopf in Marcos Richtung und Schatten besetzten sein Gesicht. Es war zu dunkel, um die Sonnensprossen auf seinen Wangen und seinem Naserücken zu sehen, obwohl sie sich so nah waren.

„Und was hätte das gebracht?“, erkundigte sich Marco.

Aces Oberschenkel presste sich stärker gegen seinen und Ace wischte sich mit einer Hand die Haare aus der Stirn. „Keine Ahnung. Irgendetwas. Vielleicht hätten wir gesehen, wer für das Feuer verantwortlich ist. Oder—“

„Oder es war tatsächlich ein dummer Unfall“, sagte Marco. „Irgendjemand hat den Ofen angelassen. Oder eine Kerze.“ Seine Intuition sagte ihm zwar etwas anderes, sagte ihm, dass der Zeitpunkt einfach kein Zufall sein konnte, da sie erst seit ein paar Tagen von der Bedrohung aus Texas und von Doflamingo gehört hatten, aber noch hatten sie keine Beweise.

Ace schwieg, was jedoch keine Zustimmung war. Marco kannte ihn zu gut, um sein Schweigen nicht kategorisieren zu können. Seine Hand landete auf Aces Knie, doch dieser schob sie weg, um sich ihm im selben Atemzug zuzuwenden und ihn zu küssen. Es war kein sanfter Kuss, sondern einer mit feuchten Lippen, die nach Salz schmeckten, und Zähnen, die gegeneinander klickten. Ungeduldig suchten sich Aces Hände den Weg unter Marcos offenstehendes Hemd und schoben es ihm von den Schultern. Er zog sich sein eigenes aus und presste sich an ihn, bis Marco sich mit Ace über ihn nach hinten auf das Bett sinken ließ.

Ihr Aufeinandertreffen hatte keine Ähnlichkeit mit dem Erwachen von heute Morgen, an dem die Sonne den Raum erhitzt hatte und Aces Gesicht schlaftrunken und entspannt gewesen war. Sein Gewicht lag schwer wie Blei auf Marco und seine Hände fanden den Platz an seinen Hüften, als Aces Mund sich seinem Nacken widmete und einen Schauer nach dem anderen seine Wirbelsäule hinabtanzen ließ. Er schloss die Augen, kniff die Lider zusammen, als er die Flammen hinter ihnen sah, die dem Gebäude seiner Wohnung entlanggeleckt hatten. Seinem – ihrem! – Zuhause und ihm wurde klar, dass Ace nicht der einzige war, der diese Nähe im Moment brauchte.
 


 

XII

Der Morgen brach mit den ersten Sonnenstrahlen an, die es seit Tagen einmal wieder durch die beständige Wolkendecke schafften. Wenigstens hatte es nicht mehr geregnet, darüber war Law glatt froh. Er hatte sich nie Gedanken um das Wetter auf den Key Inseln gemacht, aber scheinbar hatte er sich einen schlechten Zeitpunkt für seinen Besuch ausgesucht. Nun... von ausgesucht konnte dabei eigentlich nicht die Rede sein. Genauso wenig konnte er sich beklagen, denn bisher lief alles nach Plan, Doflamingos sowie nach seinem.

Die Türklingel war ein freudiges Klingeln. Es war von Schritten gefolgt, die sich nach Hackenschuhen auf einem Holzboden anhörten. Law konnte Nami gedanklich sehen, bevor sie überhaupt die Tür öffnete. Sie trug schwarze Sandaletten mit einem Absatz, die ihre Beine noch länger und eleganter wirken ließen. Doch ihre Schuhe rundeten ihr Outfit mit dem dunklen Minirock und der kurzärmeligen Bluse nur ab. Seine Aufmerksamkeit galt jedoch dem leichten Schweißfilm auf ihrer Stirn, den sichtbaren Augenrändern, die trotz Make-up für ihn erkennbar waren. Sie hatte immer noch erhöhte Temperatur, obwohl der Sturm längst weitergezogen war.

Seine Mundwinkel hoben sich ein Stückchen, als sein Blick von ihren Beinen hinauf zu ihrem Gesicht wanderten. Ihre Augen bohrten sich in ihn hinein und sie lehnte an der Tür, die nur einen Spalt breit geöffnet war, nicht weit genug, um stummen Einlass für ihn darzustellen. Anstatt als erster das Wort zu ergreifen, zog Law das Bundstiftset aus der Tasche seiner schwarzen Jacke und reichte es ihr.

Etwas Weiches schlich sich in ihr Gesicht, welches aber sogleich von Misstrauen überschattet wurde. „Versuchst du dich bei mir einzuschmeicheln?“, erkundigte sie sich, nahm ihm das Geschenk aber ab und beäugt es näher.

„Ich dachte, ich hab mich bei dir schon gestern eingeschmeichelt“, erwiderte er.

Nami schmunzelte. „Ja, aber dann bin ich allein aufgewacht“, konterte sie und ließ das Set mit den Stiften sinken. Doch allein die Tatsache, dass sie es nicht zurückgab, bestätigte ihm, dass es ihr gefiel.

Law lehnte sich vor, weiter zum Türrahmen und ihr hinüber. „Als ob du etwas anderes erwartest hast. Oder dir erhofft hättest.“

Die fehlende Überraschung sagte ihm, dass er richtig gelegen hatte. Sie sagte ihm, dass Nami nicht sauer war, sondern ihn hinhielt, dass sie mit ihm spielte. Wieder einmal. Seinen Blick haltend zog sie die Tür weiter auf und Law schob sich an ihr vorbei ins Innere. Das Haus begrüßte ihn mit Stille.

„Deine Schwester ist nicht da?“

„Nein, sie trifft sich mit... jemanden. Sie dürfte aber bald zurück sein, falls du etwas Bestimmtes im Sinn hattest“, antwortete Nami, nach dem sie die Haustür geschlossen hatte und hinter ihm in Richtung Küche spazierte. „Sie bringt Brötchen mit. Genug für dich, solltest du noch nicht gefrühstückt haben. Kaffee?“

Law verzog das Gesicht, obwohl Nami ihn überholt hatte, um die Kaffeemaschine anzusteuern. „Kaffee, ja, aber keine Brötchen.“

Mit einem leisen Lachen legte Nami das Set mit den Buntstiften beiseite und holte zwei Tassen aus dem Hängeschrank über dem Waschbecken, die sie füllte. Der Arome des Kaffees drang an Laws Nase, ehe sie ihm überhaupt die Tasse gereicht hatte. „Du magst keine Brötchen? Wer mag bitteschön keine Brötchen?“

Law zuckte mit den Schultern. „Es gibt nicht viele Dinge, die ich mag.“ Seine Worte waren nonchalant, aber der Blick, den Nami wissend über ihre Schulter warf, sagte ihm, dass sie den Sinn dahinter verstand. Es war genau dieses Selbstbewusstsein und dieses stumme Verständnis, welches er an ihr zu schätzen wusste und was das hier alles so einfach für ihn machte. Es war leicht mit ihr zusammen zu sein.

Die Tasse auf dem Küchenschrank neben sich abstellend trat er von hinten an sie heran und mimte die Berührungen von vorgestern Nacht nach, als er einen Arm um ihre Hüfte legte. Mit der anderen strich er die langen, orangenen Haarsträhnen beiseite, um ihre nackte Schulter küssen zu können, während seine Finger über die verschnörkelte Tätowierung dort wanderte.

Nami legte summend den Kopf zur Seite, damit seine Lippen problemlos zu ihrem Nacken wandern konnten. Sie ließ sich verwöhnen, weil sie keine Ahnung hatte, dass sie mehr gab, als sie von ihm nahm. Law sollte sich schlecht fühlen, aber er hatte früh gelernt, dass alles und jeder nur ein Mittel zum Zweck war. Sie alle waren nur Spielfiguren hier und niemand spielte jemals komplett ehrlich.

„Law…“, erklang Namis Stimme, fest und kein bisschen kurzatmig.

Er zog sich zurück und musterte ihr Seitenprofil, als sie ihr Gesicht in seine Richtung drehte und ihn aus den Augenwinkeln betrachtete. „Nami-ya?“

„Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte sie und Law erlaubte sich ein Zucken der Schultern.

„Ich bin sicher, dass es etwas mit deiner Schwester zu tun hat, die jeden Moment auftaucht.“

Nami drehte sich in seiner Umarmung, eine weitere Geste, die an die andere Nacht erinnerte und die Hitze in Law aufsteigen ließ. Doch anstatt ihn an sich heranzuziehen, schob Nami ihn entschieden mit einer Hand an seinem Oberkörper von sich. „Richtig.“ Mit ihrer Kaffeetasse in der Hand stolzierte sie davon und Law sah ihr nach, bevor er seine eigene wieder aufnahm und einen Schluck von der dunklen Flüssigkeit trank.

Er konnte das Klappern von Tellern vernehmen und durch den offenen Durchgang zum Esszimmer sehen, wie Nami einige Teller aus dem Schrank holte und auf dem Tisch platzierte. „Bring die Messer mit. Fünf Messer. Nein, vier, du isst ja nicht mit.“

Law runzelte die Stirn, als er der Aufforderung schweigend nachkam. Fragte man seinen One-Night-Stand den Tisch zu decken? Die kuriose Frage zog langsame Kreise durch seine Gedanken, während er noch immer von den Sinneseindrücke von ihrer gemeinsamen Nacht heimgesucht wurde. Allerdings war das nicht sonderlich erstaunlich. Law mochte zwar jemand sein, der gern die Fäden zog und ohne großes Aufsehen agierte und manipulierte, aber er war nicht emotionslos. Zudem lag es schon eine lange Zeit zurück, dass er sich in den Armen einer Frau widergefunden hatte.

Gut, da war Monet, eine enge Vertraute von Doflamingo, die ihr Haar lang, wild und giftgrün trug und gelegentlich sein Interesse weckte. Obwohl sie intelligent war und selten ein Blatt vor den Mund nahm, war sie trotzdem nicht mit Nami zu vergleichen. Schon allein deshalb nicht, da man ihr kein Stück über den Weg trauen konnte. Jedes Wort, welches er Monet ins Ohr flüsterte, landete bei Doflamingo, wurde in seinem Bett weitergewispert. Aber er wusste ohnehin, dass die besten Pläne stets unausgesprochen blieben. Bei Nami jedoch musste er sich diese Gedanken nicht machen, denn sie wusste von nichts und ihr musste er sich nicht erklären – und trotzdem deckte er mit ihr den Tisch.

Die Haustür fiel zu. Das Geräusch ließ Law aufsehen und warnte ihn davor das Wesentlichste nicht aus den Augen zu verlieren. Er musste aufpassen, sonst war alles umsonst.

„Nami?“, erklang Nojikos Stimme.

„Wir sind hier“, rief diese zurück und schenkte ihm ein neckendes Lächeln, welches er nicht interpretieren konnte.

Ihre Schwester kam um die Ecke und mit ihr zwei Männer, die Law so vertraut waren, obwohl er ihnen offiziell niemals begegnet war. Marco, der Whitebeards rechte Hand war, erfasste ihn mit müdem Blick, der über seinen scharfen Verstand hinwegtäuschte, während der temperamentvolle Ace, der beim Russisch Roulette beinahe sein Leben verloren hatte, ihn interessiert musterte. Seine Reaktion bestätigte, dass die beiden durch Nojiko bereits von dem Mann wussten, der mit Nami anbändelte. Es stärkte seinen Aufenthalt in diesem Haus, was genau das war, war er erreichen wollte.

„Du hast Besuch“, entrann es Nojiko und sie zwinkerte ihrer Schwester zu. Mit der braunen Tüte und dem Geruch von frischen Brötchen wanderte sie in die Küche, um einen Brotkorb zu holen.

„Du auch...“, erwiderte Nami und setzte sich. „Law, das sind Marco und Ace. Marco, Ace, das ist Law. Er ist... ein Bekannter“, stellte sie ihn vor und Ace klopfte ihm mit einem Halbgrinsen auf den Rücken, bevor er sich ebenfalls setzte.

„Bleibst du zum Essen?“, erkundigte sich Marco und Law hob die Tasse in seiner Hand ein Stückchen.

„Für eine Tasse Kaffee.“

Marco nickte und setzte sich ihm gegenüber, nachdem Law neben Nami Platz genommen hatte. Sein verschlafener Blick ruhte auch weiterhin auf seiner Gestalt, als wollte er in seinen Kopf eintauchen. Aber was hatte Law auch erwartet? Er wusste schließlich, dass Marco im Gegensatz zum Rest seiner zusammengewürfelten Familie nicht jeden dahergelaufenen Fremden gutgesinnt war. Genau diese Eigenschaft machte ihn gefährlicher als all die anderen. Selbst als Whitebeard persönlich, dem man wahrscheinlich erst ein Messer in den Rücken rammen musste, damit er aufwachte. Vorausgesetzt man kam an ihn heran, was Doflamingos größtes Problem darstellte. Whitebeards Netzwerk war zu groß und ausgebreitet dafür.

„So Law... wie lange bist du schon in Key West?“, fragte Ace, der zwischen Marco und Nojiko saß. Brotkrümel klebten an seinen Mundwinkeln und er beschmierte seine zweite Hälfte vom Brötchen mit zu viel Marmelade. Die Ausgelassenheit, die er aus der Ferne an dem anderen Mann beobachtet hatte, fehlte. Sie lag in Trümmern, genauso wie ihr Wohnungsgebäude.

„Eine Woche“, antwortete Law über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg.

Die nächste Frage kam wie aus der Pistole geschossen, vollkommen unabhängig von seiner vorigen Antwort. „Wie gefällt es dir hier?“

„Die Luftfeuchtigkeit ist höher als in New York“, antwortete er und nahm ihnen somit die Fragerei ab, woher er denn ursprünglich stammte. Mit Sicherheit konnte er zwar nicht sagen, ob es reine Neugier oder doch eher Misstrauen war, aber das spielte keine Rolle. Law hatte sich alle Fakten schon zurechtgelegt, bevor er auf dem Flughafen in Jacksonville gelandet war. Sie waren nah genug an der Wahrheit angesiedelt, um echt zu wirken, damit er nicht ständig auf seine Antworten aufpassen musste. Gleichzeitig waren sie genug von der Wahrheit entfernt, um nicht aufzufliegen. „Ich mache gerade eine Pause von meinem Medizinstudium. Ich brauchte einen Tapetenwechsel.“

Neben ihm hob Nami die Augenbrauen. „Daher wusstest du sofort, dass ich Fieber habe“, fasste sie zusammen und schaffte es kein Stück erstaunt zu wirken, weil ihr scheinbar so gut wie nichts den Wind aus den Segeln nehmen konnte.

„Du hast immer noch erhöhte Temperatur“, sagte er und abermals wanderte sein Blick zu den Schweißperlen, die sich an ihren Schläfen und ihrer Stirn gebildet hatten. Für ein ungeübtes Auge waren sie nicht sichtbar, ihm sprangen diese Details jedoch förmlich an.

Als konnte Nami seine Gedanken lesen, grinste sie schief und fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Nachwirkungen von dem Sturm.“ Ihre Worte waren so selbstsicher, dass sie fast über das kurze Zögern hinwegtäuschen konnten. Fast.

Besorgnis huschte über Nojikos Gesicht, die beim Essen innehielt und ihr Brötchen beiseite legte. „Wenn es die nächsten Tage noch anhält oder schlimmer wird, suchst du einen Arzt auf, Nami.“

Doch Nami winkte ab. „Keine Sorge. Es ist nichts.“

„Deine Schwester hat recht“, lenkte Law ein. „Mit Fieber ist nicht zu spaßen.“

„Siehst du, Nami. Selbst der angehende Doktor ist meiner Meinung.“

Nami schnaufte. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“ Ihr Blick galt ihm und Law erlaubte sich ein schmales Schmunzeln.

„Auf der Seite der Gesundheit, nehme ich an“, erwiderte er, war sich gleichzeitig aber auch der Ironie bewusst. Immerhin war er im Untergrund als der Chirurg des Todes bekannt. Er hatte schon viele Leute zusammengeflickt, die nicht ausgesehen hatten, als ob sie den nächsten Morgen erleben würden, aber auch, weil er mit seinem Fachwissen gut die menschlichen Schwächen kannte und wichtige Informationen aus seinen Patienten herauskitzeln konnte.

Marco hob einen Mundwinkel auf seine Antwort hin. Es kam Law beinahe so vor, als verstand er den Sarkasmus in seinen Worten, obwohl das unmöglich war. Law war nicht paranoid, sondern arbeite mit Fakten und Marco hatte keine Ahnung, wer er wirklich war. Stattdessen angelte Marco sich verschlafen ein Brötchen aus dem Korb und sah zu ihm hinüber. „Willst du wirklich nichts essen, Law?“
 


 

XIII

Marcos Finger in ihrer Hand waren kalt, viel kälter als Aces. Aber das überraschte Nojiko nicht. Alles an Ace war warm, seine Finger, ebenso wie sein Lächeln und seine Persönlichkeit. Damit war er das komplette Gegenteil von Marco, dessen Verhalten und dessen Blick stets eine Kühle ausstrahlte. Doch diese war nicht abstoßend, sondern auf eine gewisse Art und Weise beruhigend. Es war furchtbar einfach dem Geschirr im Waschbecken den Rücken zu kehren, Marcos Hand zu nehmen und ihn die Stufen nach oben hinter sich herzuziehen, sobald die anderen nicht hinschauten.

Er blieb wortlos, abwartend und gelassen, als ob er ihr blind vertrauen würde. Dieser Gedanke jagte Nojiko einen Schauer über den Rücken, während das Blut vor Aufregung in ihren Ohren rauschte. Sie festigte ihre Finger um seine, festigte ihren Entschluss und sperrte die Angst in ein Zimmer und warf den Schlüssel weg.

Von unten drang ein leises Lachen von Ace hinauf, welches nicht die gewöhnliche Freude und Lautstärke enthielt, aber Nojiko selbst aus der Ferne versicherte, dass Ace in Ordnung war. Dass er über die abgebrannte Wohnung, die er mit Marco seit so langer Zeit geteilt hatte, hinwegkommen würde. Vor eine Veränderung hatte er keine Angst, denn das war Nojiko. Sie war diejenige, die an den alten Dingen festhielt.

„Ich habe nachgedacht“, kündigte Nojiko an, als sie das obere Stockwerk erreicht hatten und in dem kleinen Flur standen, von dem die drei Schlafzimmer des Hauses abzweigten. Sie ließ von Marcos Hand ab, drehte sich zu ihm um und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. Als sie die eigene Abwehrhaltung erkannte, löste sie die Verschränkung wieder und ließ die Arme ungeduldig an ihren Seiten baumeln.

Marcos Gesicht war ausdruckslos, aber sein Blick trotz der verschlafenen Miene durchdringend. Sagen tat er nichts und Nojiko war ihm dankbar dafür.

„Es tut mir leid, was mit eurer Wohnung passiert ist“, begann sie erneut und ließ die Augen wandern. „Es hat sich gestern schnell herumgesprochen. Ich... habe mir echt Sorgen gemacht, bis Thatch im Grandline aufgetaucht ist und mir versichert hat, dass es euch beiden gut geht. Trotzdem. Euer Job – euer ganzes Leben – ist gefährlich und solche Dinge können immer mal passieren. Dessen bin ich mir durchaus im Klaren und diese Ungewissheit ärgert mich.“ Ihre Stimme war leise, doch sie konnte dennoch das Wackeln in ihr vernehmen. Nojiko atmete durch. „Was ich damit sagen will ist, dass—“

„Eh?“ Marcos Augenbraue hob sich. „Versuchst du gerade mit uns Schluss zu machen?“

Nojiko zögerte, als sie ihn musterte. „Ich versuche euch zu fragen, ob ihr nicht bei Nami und mir einziehen wollt.“ Die Arme ausbreitend deutete sie auf die Zimmer, deren Türen offen standen und einen uneingeschränkten Blick gewährten. Ihr Blick hing an Bellemeres Schlafzimmer, frisch geputzt und gefüllt mit Liebe und Sonnenschein und frischer Luft, welche durch das geöffnete Fenster drang. „Das Haus ist groß genug. Es wird ohnehin Zeit, dass wir Bellemeres Zimmer ausräumen. Bisher hab ich es nur nicht über das Herz gebracht, aber ich denke, ich kann es jetzt. Außerdem habe ich Ace versprochen, das Geld für das Haus zu benutzen und einige Reparaturen machen zu lassen.“ Sie war schon immer ein praktischdenkender Mensch gewesen, der immer etwas zu tun haben musste. Abgesehen davon würden Marco und Ace etwas mehr Leben in das Haus bringen, welches sich nach dem Tod von Bellemere und Namis Auszug für eine lange Zeit einsam angefühlt hatte. „Was denkst du, Marco?“

Seine Mundwinkel hoben sich, genug um ihr zu bestätigen, dass sie sich nicht zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Ihr Angebot war willkommen. Er trat vor und strich ihr eine violette Haarsträhne aus der Stirn, welche unter ihrem Haarband hervorgerutscht war. „Wenn du sicher bist, dass du das willst, werden wir die Einladung dankend annehmen. Aber wenn du den Raum deiner Mutter erhalten willst, ist dein Schlafzimmer groß genug, wenn wir ein breiteres Bett kaufen, nehme ich an.“

Ein Lachen entflog Nojiko. „Du willst also lieber in meinem Bett schlafen, was?“

Marco zuckte grinsend mit den Schultern. „Es ist deine Entscheidung. Ich bin sicher, Ace wird so oder so begeistert sein.“

„Es ist nicht zu früh?“, sprach Nojiko doch ihre Unsicherheit aus, aber Marco schüttelte den Kopf.

„Zur Not darfst du uns gern wieder rauswerfen. Wir werden versuchen, es nicht persönlich zu nehmen“, erwiderte Marco und Nojiko boxte ihn sanft gegen die Schulter.

Sein Arm legte sich um ihre Hüfte und zog sie heran, bis sich ihre eigenen um seinen Nacken schlangen. Es sollte sich nicht so vertraut anfühlen, so unbefangen, denn Berührungen und Intimitäten waren für gewöhnlich alles andere als einfach für sie. Doch Marco fühlte sich muskulös und vertraut und richtig unter ihren Fingerspitzen an – und Nojiko wollte ihn und Ace mindestens genauso sehr in ihrem Bett, in ihrem Zuhause, wissen. Hier wusste sie, dass sie am Leben und in Ordnung waren, ganz egal, was dort draußen in der Welt vor sich ging und wie viele Feinde es auf sie abgesehen hatten.

Das Haus war versteckt, ruhig und friedlich. Es war sicher, zumindest in Nojikos Kopf und in ihrem Herzen wollte sie daran glauben, obwohl nichts die Realität vollständig aussperren konnte. Irgendwann fand sie immer wieder den Weg durch irgendeine Ritze, das hatte sie schmerzlich lernen müssen, als sie den Anruf bekommen hatte, als man ihr gesagt hatte, dass ihre Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Mit zunehmenden Alter stiegen die Verluste, doch manchmal gewann man etwas – jemanden – dazu, meist wenn man es am wenigsten erwartete.

Nojiko schloss die Augen und lehnte sich gegen Marco, der sie wortlos hielt, während Namis und Aces Lachen bis zu ihnen nach oben schallte und Nojiko lächeln ließ.
 


 

XIV

„Es ist schwer vorstellbar, dass dich deine Lehrer damals alle gehasst haben sollen.“ Nami schenkte Ace einen amüsierten Blick, was an ihrer Meinung jedoch nichts änderte. Es gab nicht viele Menschen, die so natürlich und charmant waren wie Ace, das hatte sie schon bei dem ersten Abendessen zu viert erkannt. Er musste sich nicht anstrengend, denn Leute fühlten sich von ganz allein zu ihm hingezogen. Der Charme steckte in seinem Lächeln und seinen lockeren Bewegungen. Nami verstand, weshalb Nojiko ihm nicht hatte widerstehen können.

„Es ist mein vollkommener Ernst“, antwortete dieser grinsend und trocknete den Teller ab. „Früher... sagen wir, früher war ich anders.“ Seine Erklärung blieb vage, aber Nami fragte nicht nach, sondern wusch weiter das Geschirr ab. Den nächsten Teller reichte sie Law, der mit einem zweiten Handtuch auf ihrer anderen Seite stand. Anders als Ace war er schweigsam und grimmig, anders als wenn sie allein waren. Allerdings schien er auch kein Menschenfreund zu sein und sie rechnete es ihm bereits hoch an, dass er überhaupt nach dem Frühstück noch geblieben war.

„Was denkst du, Law?“, fragte sie ihn. „Kannst du dir vorstellen, dass Ace verrucht und gehasst gewesen ist?“

Er stieß ein Schnaufen aus. „Ich denke, Menschen sind zu einer Menge fähig. Mehr als man annehmen mag.“

„Wer ist zu was fähig?“, erklang Marcos Stimme hinter ihnen. Er stand im Türrahmen zur Küche, gelangweilt und mit Nojikos Hand in seiner. Sein Blick ruhte auf Law, der keine Miene verzog, sondern lediglich weiter abtrocknete.

Nami schmunzelte. „Ace hat uns von den Eskapaden seiner Highschoolzeit erzählt. Scheinbar ist er damals ein böser Junge gewesen.“

„Ace? Ein böser Junge? Unvorstellbar“, entrann es Nojiko grinsend, doch Marco ließ ein zweifelndes Brummen verlauten.

„Manchmal kann er durchaus ein böser Junge sein. Zum Beispiel im B—“, begann er, doch Nami fuhr ihm über den Mund.

„So genau wollen es einige von uns überhaupt nicht wissen“, lenkte sie ein, während sie Ace die abgewaschene Kaffeetasse reichte, die er ihr mit errötetem Gesicht abnahm.

„Ich dachte, wir sind hier alle erwachsen“, murmelte Marco und Nojiko knuffte ihm mit dem Ellenbogen in die Seite.

„Wir haben Besuch“, mahnte sie halbherzig, doch Law zuckte mit den Schultern.

„Ich wollte sowieso gerade gehen“, ließ er verlauten. Das Handtuch legte er ordentlich beiseite. Sein Timing passte perfekt, denn Nami drehte den Wasserhahn zu und trocknete sich die Hände ab. Es war kein Zufall.

„Ich bring dich zur Tür“, verkündete sie und folgte ihm aus der Küche und durch das Wohnzimmer hindurch. Seine Schritte waren lautlos und er furchtbar unscheinbar, obwohl ihn das in Namis Augen kaum weniger einnehmend machte. Sie mochte zwar wissen, wie sich sein Körper über ihrem anfühlte, aber das änderte nichts daran, dass sie keine Ahnung hatte, was genau in seinem Kopf vorging. Es sollte sie beunruhigen, aber ihre Sinne waren ohnehin schon seit Tagen in Alarmbereitschaft. Sie waren es auch jetzt noch. Die erhöhte Temperatur war nur ein äußerliches Symptom ihrer Intuition, der irgendwas nicht gefiel. Nami hatte jedoch keine Ahnung, was es war. Anfangs war es der Sturm gewesen, den sie mit jeder Faser ihres Seins wahrgenommen hatte. Doch dieser war vorrübergezogen und hatte weitaus weniger Schaden hinterlassen, als sie anfangs angenommen hatte. Was war also das Problem? Was stimmte nicht?

„Über was denkst du nach, Nami-ya?“, erkundigte sich Law. Sie beide standen vor der Eingangstür und anstatt sie zu öffnen, wandte er sich ihr noch einmal zu.

Nami blinzelte, doch vertrieb die unterschwellige Sorge. Stattdessen trat sie an Law heran, der einen halben Kopf größer als sie war und wahrscheinlich mehr Geheimnisse mit sich herumtrug, als Nami auch nur erahnen konnte. Auch das war etwas, was ihr ihre Intuition verriet und Nami hatte sich schon immer von ihr leiten lassen.

Mit einer Hand an seiner Brust drängte sie ihn rückwärts, bis sein Rücken die Tür berührte und er sich ihr nicht mehr entziehen konnte. Nami stellte sich auf Zehnspitzen und zog ihn am Kragen seiner Jacke heran. Ihre Lippen waren Zentimeter voneinander entfernt und ein Lächeln legte sich auf ihre. „Du bist ein merkwürdiger Typ, Law.“ Ihre Worte waren ein Flüstern. „Eigentlich weiß ich rein gar nichts über dich. Aber eigentlich ist es mir auch egal.“

Seine Finger wanderten ihren Ellenbogen hinauf, als er sie küsste. Abermals blieb eine Erwiderung aus, denn Law war ein Meister darin nichts zu sagen, nichts preiszugeben und sie im Dunkel tappen zu lassen – und trotzdem war es einfach sich dem zwischen ihnen hinzugeben. Nami spielte gern mit dem Feuer, obwohl Law viel eher Glut war, Glut im Laub, das ein Waldfeuer entfachen konnte.

„Sehen wir uns heute Abend?“, fragte er, als sie sich voneinander lösten.

„Im Grandline?“

„Irgendwo allein?“, erwiderte er und sein Blick verriet, was er im Sinn hatte. Namis Herz stolperte in ihrer Brust und ihre Hand fuhr Laws Oberkörper hinab, damit sie einen Finger in seinen Hosenbund schieben konnte.

„Hast du nicht ein Hotelzimmer gemietet?“, fragte sie und Law deutete ein Nicken an.

„Ich hol dich ab. Sagen wir um neun Uhr.“

Mit diesem Versprechen verabschiedeten sie sich voneinander und Nami schloss die Tür hinter ihm, bevor sie summend zu Marco, Ace und Nojiko zurückkehrte.

Die Tür zum Garten stand offen. Ein paar knarrende Holzstufen führten zu diesem hinunter und sandige Pfade führten zwischen den Grasflächen entlang, hinüber zu den Büschen mit den Orangen. Nojiko hatte einen Korb herangeschafft und Marco und Ace für die Arbeit rekrutiert. Sie zog ihre Gartenhandschuhe an und Ace stülpte ihr seinen orangenen Cowboyhut über den Kopf, während Marco grinsend vor einem Busch hockte und Orangen pflückte.

Für einen Moment beobachtete Nami sie, die Hände in die Hüften gestemmt und mit der Sonne im Gesicht. Sie konnte Bellemere sehen, wie sie fernab stand, die Arme verschränkt, einen Glimmstängel zwischen den Lippen haltend, schmunzelnd und zufrieden – und Nami konnte zum ersten Mal in langen Monaten frei atmen, obwohl die schlechte Ahnung sich nicht vertreiben ließ und wie eine Gewitterfront am Horizont lauerte.

Teil 4: Crossfire [1]


 

"It seems like we need someone to know us as we are — with all we have done — and forgive us.

We need to tell.

We need to be whole in someone’s sight: know this about me, and yet love me. Please."

- Sue Miller, While I Was Gone

I

Von unten drang die Stimme des Kommentators aus dem Fernseher, der leidenschaftlich Spielernamen ausrief und die Vorgänge des Footballspiels mitteilte. Thatchs Proteste gesellten sich hinzu, während ein Hämmern aus dem oberen Stockwerk des Hauses drang.

Summend warf Ace die Tasche in seiner Hand über die Schulter und erklomm die Treppe. Noch bevor er die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte, erhaschte er einen Blick auf Marco und Nojiko durch die offenstehende Schlafzimmertür. Marco hockte mit Hammer und Schraubenzieher zwischen einem Haufen länglicher Bretter auf dem Boden und Nojiko stand mit einem ausgebreiteten Bauplan in den Händen neben ihm.

„Ihr hättet einfach das bisschen Geld mehr zahlen sollen, damit die Lieferanten das Bett aufbauen“, gluckste Ace, als er sich den Weg zwischen den herumstehenden Möbeln im kleinen Flur suchte und im Türrahmen zu Nojikos Schlafzimmer zum Stehen kam. Die obere Etage war im Chaos versunken, da sie das Schlafzimmer komplett hatten ausräumen müssen, um das Bett aufbauen zu können.

„Würdest du nicht immer verschwinden und stattdessen mit anpacken, wären wir vielleicht schon weiter“, bemerkte Marco und schenkte ihm einen unbeeindruckten Seitenblick. Wenigstens ein Stück des Bettgestells stand schon. Marco zog ein weiteres Brett heran, kürzer als die anderen und offensichtlich das Stück, welches das Kopfende bildete.

„Du musst es einmal drehen“, informierte Nojiko, bevor sie die Tasche musterte, die über Aces Schulter geschwungen war. Sie hob eine Augenbraue in stummer Frage.

Ace grinste. „Ein paar Sachen von Paps’ Haus. Es haben sich doch einige von uns dort angesammelt.“ Sie sprachen nicht oft über Whitebeard und den Vorgängen in der Villa seines alten Herren. Anfangs hatte Nojiko ihre Beziehung von ihrer Verbindung zu Whitebeard und den Jungs abschirmen wollen, doch ihr Schweigen bestätigte Ace, dass sie längst verstanden hatte, dass das unmöglich war. Dass diese Welt ein Teil von Marco und ihm war und irgendwie schaffte Nojiko es, das zu akzeptieren.

Ace ließ die Tasche sinken, bis sie neben seinen Beinen auf dem Boden lag. Über sie hinwegsteigend kletterte er über das halbfertige Bettgestell hinüber, um schmunzelnd nach dem Plan in Nojikos Händen zu greifen und ihn zu senken. Seine freie Hand zog Nojiko im Nacken heran, zögerte jedoch und fragte somit nach Erlaubnis, als ihre Lippen nur noch Zentimeter voneinander getrennt waren.

Nojiko schnaufte. „Du bist ein Idiot“, murmelte sie, doch ihr lächelnder Mund presste sich dennoch gegen seinen.

„Ihr seid im Moment keine große Hilfe“, beschwerte sich Marco, doch sein Ton blieb halbherzig.

Aces Finger rutschten ertappt aus Nojikos Nacken und er hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut. Ich bin sicher nicht hier, um deine Helferin von der Arbeit abzulenken. Tut einfach so, als sei ich nicht da.“ Er kehrte zu der mitgebrachten Tasche zurück, schnappte sie sich und öffnete stattdessen den eingebauten Wandschrank. Die Regale auf der linken Seite waren freigeräumt und leere Bügel waren hingehangen worden.

„Eh? Als ob das möglich wäre...“, murrte Marco, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schraubte das nächste Brett an den Rahmen heran, während sein Blick zu der in Folie eingepackten Matratze hinüberwanderte, die an der Wand lehnte und breit genug für drei Personen war.

Ace grinste, als er diesen Blick auffing. Vor einer Weile waren es nur Marco und er gewesen, sie und Paps und ihre Brüder. Nun bauten sie sich etwas mit Nojiko in diesem Haus auf, in dem es vor kurzem noch schrecklich leise und leblos gewesen war – und in Aces Bauch kribbelte es bei dem Gedanken, dass Nojiko sich für sie entschieden hatte. Nojiko lehnte sie nicht ab, obwohl ihre Beziehung nicht der Norm entsprach, genauso wenig wie ihr Job es tat.

Die Wohnung von Marco und ihm mochte mitsamt ihres Hab und Guts abgebrannt sein, doch er wurde das Gefühl nicht los, dass es einen Sinn gehabt hatte. Im ersten Moment hatte es nicht so gewirkt, doch Nojikos Angebot hatte seine Meinung ein klein wenig geändert. Diese Eingebung war neu, doch seit er sich auf den Key Inseln befand, hatte sein Leben ohnehin eine Wandlung durchlaufen. Sie war schleichend gekommen, gefördert durch Paps Vertrauen in ihm und Marcos Blicke, die selbst jetzt noch Feuer auf seiner Haut darstellten.

„Wir brauchen mehr Bügel“, sagte Ace, als er die zusammengeknüllten Klamotten aus der Tasche aufgehangen und noch ein paar von Marcos violetten Hemden übrig hatte.

„Lass sie einfach in der Tasche. Ich kümmere mich später drum“, antwortete Nojiko. „Nami müsste noch welche in ihrem Schrank haben. Sie sammelt sie, was kein Wunder bei all ihren Sachen ist...“

„Wir werden noch so einige Dinge brauchen...“, bemerkte Marco und erhob sich mit knackenden Knien, um das fertige Bettgestell zu betrachten. „Einen zweiten Nachttisch, zum Beispiel. Mit einer zweiten Lampe. So unruhig wie du schläfst, Ace, steht man nachts schon mal auf.“

„Wer schläft hier unruhig?“, beschwerte sich Ace.

Nojiko lachte. „Da muss ich Marco allerdings recht geben“, sagte sie. „Erinnerst du dich noch an die Nacht, die ich bei euch verbracht habe? Deine Arme und Beine waren überall. Du hast das ganze Bett versucht einzunehmen und lagst halb auf mir drauf, Ace.“

„Daran würde ich mich erinnern. Das kann also—“, begann Ace, doch Marco unterbrach ihn, als er mit einem belustigten Schnaufen einen Schritt auf ihn zumachte und ihm den Hut ins Gesicht stulpte.
 


 

II

Nami wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Die gelegentlichen Brisen, die vom Meer herangetragen wurden, taten rein gar nichts, um ihr Abkühlung zu verschaffen. Das Bikinioberteil war durchgeschwitzt und nur der Sonnencreme war es zu verdanken, dass ihre Haut dank der regelmäßigen Gartenarbeit langsam einen dunkleren Ton annahm und sie keine Sonnenbrände entwickelte.

Sie hob die letzten abgeschnittenen Äste vom Boden auf und warf sie auf den kleinen Komposthaufen, der sich zwischen einigen Orangenbäumen angesammelt hatte. Anschließend schlüpfte sie aus den Gartenhandschuhen und warf sie im Vorbeigehen auf den Stuhl, der neben der Tür zum Haus stand. Das war genug körperliche Arbeit für heute, denn immerhin wollte sie sich nicht überanstrengen. Das gewisse Schwächegefühl unterlag noch immer ihrem Körper, obwohl es von dem Sturm kaum noch Spuren gab. Die umgefallenen Palmen wurden fortgeschafft und auch die letzten Pfützen, die der heftige Regen hinterlassen hatte, waren getrocknet. Doch das ungute Gefühl, welches sich auf ihren Körper ausübte, blieb.

Bis jetzt hatte sie sich stets auf ihren sechsten Sinn verlassen können, aber im Moment kam ihr ihre Intuition fast wie Paranoia vor. Sie war unbegründet. Im Moment lief es gut und Nami war... glücklich. Dieses Gefühl kam ihr fremd vor, denn bisher bestand ihr gesamtes Leben aus einem einzigen Weglaufen. Erst vor ihrer Adoptivmutter, der sie einst im Zorn vorgeworfen hatte, nicht gut genug für sie zu sorgen, danach vor ihrem Tod und vor dem Schmerz. Vor Nojikos Schmerz, von dem Nami gewusst hatte, dass ihre Schwester ihn tief in sich begraben würde, um für Nami stark zu sein, obwohl sie das nicht wollte.

Ihre Entscheidung, die Uni zu verlassen und nach Key West zurückzukehren, war schwer gewesen, doch sie bereute es nicht. Bellemeres Abwesenheit wog immer noch schwer, aber ihre kleine Familie hatte sich nicht aufgelöst, sondern war gewachsen.

Der Fernseher dröhnte so laut, dass sie jedes einzelne Wort problemlos aufschnappte, als sie die Küche betrat. Kopfschüttelnd wusch sich Nami die Hände und das Gesicht, bevor sie mit dem Handtuch ins Wohnzimmer spazierte.

Thatch lag ausgebreitet auf dem Sofa, mit den Beinen auf dem Coachtisch gebettet. Als er ihre Anwesenheit bemerkte, wanderten seine Augen in Zeitlupe von ihrem Gesicht hinunter zu ihrem Bikinioberteil und der kurzen Shorts. Ein faules Lächeln zog an seinen Mundwinkeln, was vermutlich charmant wirken sollte, Nami aber mit den Augen rollen ließ.

„Du hast Makino, wenn ich mich recht erinnere“, kam sie ihm zuvor, als er den Mund öffnete. „Also heb dir deine Worte für sie auf.“

„Hey“, brummte er und setzte sich auf, bis er im Schneidersitz saß. „Ist es jetzt schon ein Verbrechen einer hübschen Frau ein Kompliment zu machen?“

Doch sein sogenannter Charme perlte an Nami ab, denn darauf fiel sie bei einem Mann nicht rein. Ganz besonders nicht, wenn er es so offensichtlich machte und sich nicht einmal anstrengte. Sie schmunzelte. „Ja. Vor allem, wenn wir beide bereits vergeben sind.“ Ihr Blick wanderte zu der Wanduhr über dem Fernseher. „Apropos... Law dürfte bald vorbeikommen. Sei so gut und öffne ihm die Tür. Ich geh nämlich jetzt erst einmal duschen.“ Sie zog das Zopfband aus ihren Haaren und sie wallten ihr über die Schultern, bevor sie Thatch den Rücken kehrte und die Treppe ansteuerte.

Thatch verbog sich, um ihr hinterher sehen zu können. „Oder ich könnte dir Gesellschaft leisten. Braucht nicht jeder jemanden zum Schrubben des Rückens?“

Nami schmunzelte, denn sein Unterton verriet, dass es ohnehin nur halber Ernst war. „In deinen Träumen, Thatch.“ Zwar mochte sie Thatch noch nicht so gut kennen, aber er schien nicht der typische Macho zu sein. Jedenfalls war er ein guter Freund von Marco und Ace, der ihre Beziehung mit Nojiko unterstützte. Außerdem hatte sie ihn schon einige Male mit Makino zusammen im Grandline gesehen. Seine Blicke sprachen Bände und waren kein Vergleich zu denen, mit denen er sie anschaute. Außerdem machte sich Nami nichts vor, ihr war schon jetzt klar, dass Thatch inoffiziell mit Marco und Ace eingezogen war und von nun an häufig ihr Sofa besetzen würde.

„Wie ich sehe, seit ihr mit dem Bett fertig geworden“, sagte Nami, als sie auf dem Weg zu ihrem Bad an Nojikos Schlafzimmer vorbeikam. Das Bett war breit genug für drei Personen, nahm jedoch den Raum ein. Marco und Ace schleppten Nojikos Kommode vom Flur aus hinein, um sie unter dem Fenster abzustellen, während Nojiko einigen Krimskrams im Einbauschrank verstaute, da sie ihre andere Kommode aufgeben musste.

Nojiko schenkte ihr ein schmales Lächeln, errötete jedoch. „Leider passt nicht mehr alles rein“, wechselte sie das Thema. „Wahrscheinlich werde ich einige Dinge in Bellemeres Schrank unterbringen, damit Marco und Ace etwas mehr Platz haben.“

„Wir brauchen nicht viel. Eine Schublade reicht. Die können Marco und ich uns teilen“, warf Ace ein.

Nojiko schnaubte belustigt. „Wundert mich nicht, so freizügig, wie du immer rumläufst.“

„Meistens ziehst du sowieso meine Hemden an, Ace“, gab Marco zu bedenken und beäugte das hellblaue Hemd, welches Ace offen um die Schultern hing.

„Habt ihr euch gegen mich verschworen?“, erkundigte sich Ace, die Hand in die Hüfte stemmend.

„Das kommt dir nur so vor“, erwiderte Nojiko, doch die Grüppchen in ihren Wangen straften ihre Worte Lügen.

„Tja… willkommen in der Familie, Ace“, sagte Nami und zwinkerte ihm zu. „Jetzt kann Nojiko endlich auch mal jemand anderen necken.“

Die Proteste ihrer Schwester schallten hinter ihr her, als Nami den Weg zum Badezimmer fortsetzte. Insgesamt hatte das Haus zwei Bäder, die sich beide im oberen Stockwerk befanden. Eines lag zwischen Bellemeres und Nojikos Schlafzimmer, das andere in Namis Zimmer. Bellemere hatte damals die Zimmer mit ihr getauscht, damit sie ihr eigenes Bad hatte, weil sie scheinbar von allen dreien am längsten in ihm brauchte.

Selbst nach Bellemeres Tod und ihrem Auszug hatte Nojiko alles im Haus erhalten, anstatt selbst im Zimmer einzuziehen und das größere Badezimmer für sich zu beanspruchen. Ihre Schwester war einfach zu gut für diese Welt…

Summend spazierte Nami ins Bad, trat mit einem Bein hinter sich die Tür zu und öffnete den Verschluss ihres Bikinioberteils. Sie streifte es ab, gefolgt von ihrer Shorts. Law würde bald hier sein… Obwohl sie eigentlich für den späten Abend verabredet gewesen waren, hatten sie ihr Treffen ein paar Stunden vorgezogen, da es ein paar Liveauftritte in einer der Bars gab, die Nami besuchen wollte. Da sie aber auch nicht allein hingehen wollte, war Law die perfekte Gesellschaft. Interessante Gesellschaft, korrigierte sich Nami gedanklich, als sie unter die Dusche stieg.

Die Worte, die sie an Thatch gerichtet hatte, geisterten noch immer in ihrem Kopf herum. Sie beide waren vergeben… Nami war nicht vergeben, nicht an Law, denn dieser war nichts als ein Besucher auf den Key Inseln. Er war ein vorläufiger Teil ihres Lebens, ein gutaussehender dazu. Während Thatch sie unweigerlich an ihren Exfreund Sanji erinnerte, der jedem Mädchen hinterhergesehen hatte, ihr letztendlich jedoch treu geblieben war, hatte sie Laws ungeteilte Aufmerksamkeit. Das wollte sie an einem Mann. Sie wollte die einzige sein, an die Law dachte.

Nami belächelte ihren eigenen Gedanken, der in eine Sackgasse führte, weil es keine Zukunft für diese Beziehung gab. Außerdem war sie nicht auf eine aus, nicht mit Law und auch mit niemand anderen.

Das Wasser war erfrischend kühl, als es ihren Körper hinunterfloss und im Abfluss verschwand. Nami konnte den Schweiß abwaschen, aber nicht die Frage, die unbeantwortet im Raum lag: Oder irrte sie sich und sie wollte mehr als nur Sex?
 


 

III

„Die Tür ist offen“, rief eine Stimme nach seinem Klingeln, die weder Nami noch ihrer Schwester gehörte. Sie gehörte auch nicht Marco oder Ace, das wusste Law genau. Trotzdem ergriff er den Türknauf und öffnete die besagte Tür, um in das Haus der Schwestern einzutreten.

Der Mann mit der Haartolle warf ihm einen Blick vom Sofa aus zu, ehe er die Lautstärke des Fernsehers wieder lauter drehte, als ob man nicht auch so den Kommentator bis draußen hören konnte.

Law verweilte in der Nähe des Eingangs, die Hände in den Hosentaschen seiner Jeans vergraben. Nur seine Augen ruhten auch weiterhin auf dem anderen Mann, der auf der Couch lag, als gehörte das Haus ihm. Doch Laws Nachforschungen hatten ergeben, dass es keine weiteren Verwandten in Nami und Nojikos Leben gaben, denen sie nahstanden. Ihre Mutter war verstorben, ihr biologischer Vater unbekannt und ihr Stiefvater war schon an Krebs gestorben, bevor Bellemere bei dem Unfall ums Leben gekommen war. Viele enge Freunde gab es auch nicht. Nami war lange fortgewesen und hatte sich bisher nicht die Mühe gemacht, um mit alten Bekannten großartig anzubändeln. Auch Nojiko hatte sich nach dem Tod ihrer Mutter mehr und mehr isoliert und von allen alten Familienfreunden war Makino die engste, weshalb sie ihr auch den Job im Grandline gegeben hatte.

Die hier ansässigen Bewohner, insofern sie nicht zurückgelebt lebten, nahmen selten ein Blatt vor den Mund. Ganz besonders nicht, wenn Alkohol im Spiel war und längst ihre Zungen gelockert hatten. Law war niemand, der andere Leute einfach um den Finger wickeln und ihnen Geheimnisse entlocken konnte, doch er besaß eine Unauffälligkeit und ein gutes Gehör, wodurch er vielen Unterhaltungen beiwohnen konnte. Gerade in den Bars schnappte man einige interessante Dinge auf.

„Du bist bestimmt wegen Nami hier. Sie ist unter der Dusche“, plapperte der Mann beiläufig und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Er gestikulierte mit der Hand, während seine Augen auf den Fernsehbildschirm klebten. „Sie hat gesagt, du kommst vorbei. Law, richtig? Ich bin Thatch, sozusagen ein Freund der Familie. Setz dich zu mir. Magst du Football?“

Langsam setzte sich Law in Bewegung und schlenderte auf Thatch und das Sofa zu. Eigentlich war er jemand, der nachforschte, einen Plan erstellte und sich an ihn hielt. Überraschungen mochte er nicht, obwohl er wusste, dass sich diese nicht immer vermeiden ließen. Thatch war eine Überraschung, gleichzeitig sagte ihm der Name jedoch etwas. Er war schon einmal gefallen, als Doflamingo nach Key West gekommen war, nachdem einer ihrer Leute in Texas ermordet worden und Geld gestohlen worden war. Die Spuren hatten zu Whitebeard und seinen Söhnen gedeutet. Law erinnerte sich nicht mehr genau daran, doch er hatte einen von Whitebeards Männern zum Russisch Roulette gegen Cirkies gezwungen. Nur das Einschreiten von Whitebeard hatte einen weiteren Tod verhindert. Law bezweifelte jedoch, dass er seine Söhne dauerhaft vor Doflamingo und seinem ungebändigten Ehrgeiz beschützen konnte. Doflamingo war am Aufrüsten und Laws Anwesenheit hier war nur der Anfang.

„Ich kenne mich mit Football nicht besonders aus“, antwortete Law verspätet, obwohl er nicht einmal sicher war, dass es Thatch auffiel.

Dieser musterte ihn aus den Augenwinkeln und ein belustigtes Grinsen zeigte sich auf seinem bärtigen Gesicht. „Nami scheint einen eigenartigen Geschmack an Männern zu haben.“

Law zuckte mit den Schultern. „Ich habe noch nicht so viele von denen getroffen, mit denen Nami ausgegangen ist.“ Zudem erkannte Law es, wenn man ihn zu provozieren versuchte. Thatch testete ihn, auch wenn Law den Grund nicht verstand. Doch nun, da er Thatchs Namen kannte und ihn Whitebeards Organisation zugeordnet hatte, war die anfängliche Verwirrung über seine Anwesenheit in diesem Haus verpufft. Er war ein Freund und sogenannter Bruder von Marco und Ace, was nur bedeuten konnte, dass sie ebenfalls hier waren. Kurz huschte sein Blick zur Treppe hinüber, bevor sie zu Thatch zurückkehrten, der sich halb an seinem eigenen Lachen verschluckte. Obgleich seiner sogenannten Liebe für Football galt seine Aufmerksamkeit nun Law. Er war nicht so naiv und unvorsichtig, wie er Law anfangs Glauben gemacht hatte. Law musste vorsichtig bleiben!

„Gute Antwort, gute Antwort“, sagte Thatch und schlug ihm spielerisch mit der Hand gegen den Oberarm. „Ist vielleicht auch besser so. Frauen sind ganz besondere Kreaturen, die man nur schwer durchschauen kann. Glaub mir, ich kann ein Lied davon singen. Mich haben schon Hunderte von Frauen abgewiesen. Aber das war früher, nun bin ich ein anderer Mann. Ein Mann, der nur einer einzigen Frau gehört und das ist Makino. Sie ist—“

Thatch erzählte weiter, doch Law blendete seine restlichen Worte aus, als er diese Neuigkeit analysierte. Er war mit Nojikos Freundin Makino zusammen, welche das Grandline besaß. Vielleicht hatte sich Law geirrt, womöglich war Thatch doch ein kompletter Vollidiot, der direkt vor dem Feind aus dem Nähkästchen plauderte.

„Hey, wenn das nicht Law ist!“, rief Ace hinter ihnen und kam polternd die Treppenstufen hinunter. Ein breites Grinsen auf dem Gesicht tragend ließ er sich auf der Armlehne des Sofas nieder, um ungefragt einen Arm um Laws Schultern zu legen und ihn kurzerhand in den Schwitzkasten zu nehmen. Laws Mütze fiel zu Boden und die Luft wurde ihm von Aces Arm gegen seine Kehle abgeschnitten.

„Ace, willst du den armen Jungen ersticken?“, fragte Marco, der zusammen mit Nojiko ebenfalls die Treppe herunterkam.

Thatch beugte sich grinsend vor, um Law ins Gesicht zu sehen. „Ja, Ace, er läuft schon rot an.“

Ein Lachen ausstoßend ließ Ace abrupt von ihm ab und Law sank hustend und mit schwarzen Punkten vor seinen Augen nach hinten gegen die Sofalehne.

Nojiko lachte verhaltend hinter ihrer Hand. „Nami müsste gleich fertig sein“, sagte sie jedoch im versöhnlichen Ton, während Law seine Kehle rieb. „Wisst ihr schon, wo ihr hingeht?“

„Es gibt eine Reihe an Liveauftritten in der Rip-off-Bar, die Nami sehen möchte“, erwiderte Law mit kratziger Stimme und warf Ace einen finsteren Blick zu, was dieser nicht bemerkte.

„Vielleicht sollten wir auch hingehen. Klingt nach Spaß“, sagte Ace stattdessen, doch Marco schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Hüften.

„Und wer stellt die restlichen Möbel in der Zeit zurück?“

Ace zuckte mit den Schultern. „Thatch?“

„Lasst uns lieber was zu essen bestellen und hier bleiben“, warf Thatch ein und angelte eine Sekunde später bereits sein Handy aus der Tasche seiner weißen Stoffhose. „Koreanisch? Mexikanisch? Chinesisch? Oder vielleicht doch etwas von der Pizzeria?“

„Keine Pizza“, murmelte Marco, der den Weg in die Küche fortsetzte, um sich ein Glas Wasser zu holen.

In der Zwischenzeit streckte Ace den Arm nach Nojiko aus. Er saß noch immer auf der Armlehne des Sofas und zog Nojiko heran, bis sie auf seinem Oberschenkel saß und seine Arme sich um ihre Taille schlangen. Seine Lippen küssten Nojikos Schulter, bis er sein Kinn auf ihrer Schulter bettete. Sie saßen so nah bei Law, dass er sogar den leichten Rotschwimmer auf Nojikos Wangen sehen konnte. Umständlich ertastete er seine Mütze auf dem Boden und hob sie auf, bevor er sein schwarzes Haar mit einer Hand glättete und sie wieder aufsetzte.

Es war fast ein wenig traurig, dass keiner von ihnen auch nur die leiseste Ahnung zu haben schien, dass Law für die andere Seite arbeitete. Dass sie ihn so freundlich empfingen und ihn behandelten, als sei er ein Teil ihrer merkwürdig zusammengewürfelten Familie. Er sollte die bemitleiden, obwohl der schwere Klumpen in seinem Magen nicht an Mitleid erinnerte, viel eher an—

„Ah, da bist du ja, Law“, erklang Namis melodische Stimme und Law drehte den Kopf, um sie auf der Treppe zu sehen. Ihre orangenen Haare waren noch feucht und hingen glatt ihrem Rücken hinunter, während das blau-weiße Minikleid ihre schlanke Figur hervorbrachte und die offenen Hackenschuhe ihre langen Beine betonten.

Law stand auf.

„Ich hoffe, sie haben dich nicht zu sehr in Anspruch genommen“, fügte sie hinzu und warf Ace, Nojiko und Thatch einen vielsagenden Blick zu.

„Hast du Angst, dass wir Law vergraulen?“, gluckste Thatch, wartete jedoch nicht auf eine Antwort, sondern hielt sich das Mobiltelefon ans Ohr, bevor er zu bestellen begann.

„Ich denke, Law weiß, dass die Jungs nur Spaß machen“, sagte Nojiko. „Nicht wahr, Law?“

„Natürlich“, erwiderte Law, beließ es jedoch dabei. Weniger war oft mehr und er musste aufpassen, dass er sich vor so vielen Leuten nicht verriet. Besonders vor Marco, der sich nur ein Zimmer weiter befand und der Vorsichtigste in dieser Gruppe zu sein schien.

„Wollen wir dann?“, fragte Law, als er das Sofa umrundete und neben Nami zum Stehen kam.

Ihre Augenbraue zuckte in aufreizender Manier, ehe sie nach seinem Arm griff und sich bei ihm einhakte. Sie zog ihn mit zur Tür. „Bis später, Nojiko. Es wird spät, aber es kann auch sein, dass ich bei Law übernachte.“ Anstatt auf eine Erwiderung zu warten, verließen sie gemeinsam das Haus und Law betrachtete die Frau an seiner Seite aus den Augenwinkeln, als sie den schmalen Pfad zur Stadt hinüber folgten.
 


 

IV

„Wenn Ace und du Nojiko heiraten und Nami Law heiratet, ist Law dann dein Schwieger-irgendwas? Dein Schwiegerbruder?“, fragte Thatch, der in die Küche getrabt kam.

Wahrscheinlich hätte Marco wissen sollen, dass so eine absurde Frage folgen würde, jetzt da das Footballspiel vorbei war und Thatch nicht länger von seinem Lieblingssport abgelenkt war. Er wollte mit den Augen, als er an dem Wasserglas in seiner Hand nippte. „Drei Leute können nicht heiraten“, erwiderte Marco und unterdrückte das Gähnen, das in seiner Kehle steckte. Nachdem sie die halbe obere Etage umgestellt und das Bett zusammengebaut hatten, erfasste ihn doch die Müdigkeit. Die letzten Tage waren alles andere als ruhig gewesen. Nicht, nachdem ihre Wohnung abgebrannt war. Marco hatte den Firmen für Strom und Wasser Bescheid gegeben und sich mit der Versicherung auseinandersetzen müssen. Dem Polizeibericht zu Folge lag der Verdacht auf Brandstiftung, aber Genaueres war noch nicht bekannt – und Marco bezweifelte, dass nähere Details jemals das Tageslicht sehen würden. Für andere wäre dies ein Problem, für ihn weniger, denn Whitebeard hatte seine Mittel und Wege um Dinge herauszufinden.

An Schlaf war in den letzten Tagen jedoch kaum zu denken gewesen. Die letzten Nächte hatten sie in Paps Villa verbracht, in dem kleinen Zimmer, das Marco noch immer dort zustand und welches er sich inzwischen dort ebenfalls mit Ace teilte. Dieser hatte sich wortwörtlich in jede Faser seines Lebens eingewoben, aber Heirat war etwas, das wahrscheinlich keiner von ihnen jemals in Erwägung ziehen würde. Dafür war ihr Leben zu ungewiss und sie selbst brauchten ihre Freiheit viel zu sehr. Er nahm an, dass Nojiko es genauso sah, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt in ihrer Beziehung.

Über Thatchs Schulter hinweg beobachtete er sie mit Ace auf dem Sofa. Ace hatte sich zurückgelehnt und Nojiko saß noch immer auf seinem Schoß. Nur die Anspannung hatte sich deutlich aus ihren Schultern gelöst und sie hatte die gerade Sitzhaltung verloren und lehnte stattdessen an Ace. Ihr gemeinsames Lachen drang durch das Wohnzimmer, als Ace sie seitlich auf das Sofa umkippte und ihren Hals küsste.

„Aber was wäre wenn?“, beharrte Thatch. „Es ist eine theoretische Frage. Theoretisch!“

„Dann würde ich behaupten, dass Law nicht lange genug in Key West ist, um Nami zu heiraten“, antwortete Marco und Thatch stieß ein geplagtes Stöhnen aus. Bevor er zu einem Protest ansetzen konnte, ertönte die Türklingel und riss ihn aus seinen schwer zusammengesetzten Theorien.

Marco stieß sich von dem Küchenschrank an, an dem er lehnte, stellte das Glas ab und ließ Thatch stehen. „Lasst euch nicht stören“, murmelte er Ace und Nojiko zu, die über die Sofalehne Richtung Tür schielten. Sie benahmen sich ein wenig wie kleine Kinder, aber Marco genoss es, sie so unbefangen zu sehen.

Der Lieferant übergab ihm mit freundlichen Worten die kleinen Nudelboxen und Marco stellte sie auf dem Schrank neben der Tür ab, um den Mann bezahlen zu können. Auch wenn Thatch ihn zahlen ließ, besaß er wenigstens genügend Anstand, um ihm beim Herübertragen zum Wohnzimmertisch zu helfen.

Thatch war dabei sich in den Sessel zu werfen, als er abrupt zum Stillstand kam. Mit einem theatralischen Lufteinziehen zog er sein Handy aus der Hosentasche und warf einen Blick auf das Display. „Du meine Güte, es ist schon nach acht Uhr? Warum hat mir das niemand gesagt? Ich hab Makino versprochen sie für ihre Pause im Grandline abzuholen!“, plapperte Thatch und griff sich zwei der insgesamt sechs Essensboxen. Anfangs hatte Marco angenommen, dass er aus Versehen für Nami mitbestellt hatte, nun runzelte Marco jedoch die Stirn. Thatch hatte das doch wohl nicht—

„Makinos Pausen sind immer verdammt kurz. Sie isst auch durch den Zeitmangel nie richtig. Ich habe ihr schon einige Mal gesagt, dass sie endlich eine dritte Person einstellen sollte, aber hört sie auf mich? Genug Umsatz macht sie, um es sich leisten zu können, aber... Ich muss gehen. Ihr drei solltet euch aber einen schönen Abend machen.“ Thatch flitzte mit zügigen Schritten zur Tür hinüber, warf jedoch ein Zwinkern über seine Schulter. „Allein“, betonte er, bevor er durch die Tür schlüpfte und sie krachend hinter ihm zufiel.

„Thatch ist so unauffällig wie ein Elefant im Porzellanladen“, murmelte Marco und setzte sich auf den Sessel, der nun doch nicht von Thatch eingenommen worden war. Er zog eine kleine Essensbox heran und öffnete sie. „Chinesisch“, kommentierte er, obwohl schon die mitgelieferten Stäbchen, die in Folie eingeschweißt waren, asiatisches Essen versprochen hatten.

„Ich will nur, dass ihr wisst, dass ich nicht mit euch heute Abend Sex habe. Nicht, wenn Thatch es in die Wege zu leiten versucht“, fasste Nojiko zusammen, als sie sich aufsetzte. Die Anspannung war in ihre Schultern zurückgekehrt, während Ace noch immer hinter ihrem Rücken auf dem Sofa lag. Er stützte sich mit einem Ellenbogen ab und schenkte Marco ein amüsiertes Grinsen.

„Falls es dich interessiert, ich bin eh zu müde“, begann Marco und reichte ihr ein Paar der verpackten Stäbchen.

„Oh...“, entrann es Nojiko. „Na dann.“

Hinter ihr richtete sich Ace auf. „Und ich hab eine bessere Idee“, verkündete er und stand auf. Er schnappte Marco seine Essensbox unter der Nase weg und nahm auch seine in die Hand, ehe er zur Treppe spazierte. „Man kann das Bett auch ohne Sex einweihen.“ Mit diesen Worten verschwand er nach oben.

Marco tauschte einen Blick mit Nojiko aus und beide nahmen die restlichen Utensilien, um ihm zu folgen. Oben im Schlafzimmer hatte Ace das Essen auf dem Nachttisch abgestellt und sich auf das frischgemachte Bett geworfen.

Nojiko schmunzelte, als sie im Türrahmen stehen blieb. „Das hattest du im Sinn? Im Bett essen?“

„Bei Ace gehen schlafen und essen sowieso Hand in Hand“, sagte Marco und gesellte sich zu seinen Freund. Er legte alles auf dem Nachttisch ab und rutschte auf der Matratze nach hinten, bis er mit dem Rücken gegen die Wand lehnte und die ausgestreckten Beine verschränken konnte.

Neben ihm veränderte Ace seine Position, bis er im Schneidersitz saß. „Wann hast du das letzte Mal im Bett gegessen? Ich wette, das ist schon eine ganze Weile her. Es ist wie ein Picknick auf einer weicheren Unterlage“, erklärte er Nojiko und sie löste sich langsam vom Türrahmen. Er streckte die Hand nach ihr aus, weil alles in ihm nach einer Berührung von Nojiko lechzte. Marco kannte das Verhalten von Ace, denn wenn Ace liebte, dann tat er es wie ein Süchtiger. Er liebte mit Haut und Haaren, mit jeder Zelle in seinem Körper.

„Als Kind“, antwortete Nojiko und ein Hauch Nostalgie huschte über ihr Gesicht. Doch der Ausdruck wurde sogleich fortgewischt, als sie Aces Hand ergriff und sich auf das Bett ziehen ließ. Es erinnerte Marco unweigerlich an die Nacht, in der Nojiko bei ihnen in der Wohnung übernachtet hatte und ein Kribbeln ging durch seinen Körper, als er das Essen ein weiteres Mal an alle verteilte. „Guten Appetit.“

„Guten Appetit“, echote Nojiko und erlaubte sich ein verhaltenes Lachen. „Wenigstens ist es jetzt schön ruhig, wo Thatch weg ist.“

„Scheinbar ist sein Plan doch noch aufgegangen“, entrann es Marco.

Teil 4: Crossfire [2]


 

V

Als sie Marco das erste Mal gesehen hatte, war er ihr unerreichbar vorgekommen. Die wenigen Gesichtsmimiken und die emotionale Kühle ließ es nicht zu, dass man auch nur erahnen konnte, was Marco durch den Kopf ging. Doch inzwischen konnte sie die Blicke entziffern, die er ihr schenkte. Sein Blick war offener geworden.

Ihre Unterhaltung hatte sich im Sand verlaufen und hatte eine Stille hinterlassen, die von Aces tiefen Atemzügen begleitet wurde. Er lag zwischen ihnen, alle Glieder von sich gestreckt und den Kopf zur Seite gedreht, so dass sein Gesicht halb im Kissen begraben war.

Nojiko nahm die leere Essenbox, die auf seinem Bauch ruhte und durch seine Atmung in regelmäßigen Abständen wackelte. Marcos Augen folgten ihrer Bewegung und die Intensität triebt Nojiko die Röte auf die Wangen. „Ich werde abräumen“, verkündete sie, ihre Stimme nicht mehr als ein Flüstern. „Vielleicht fällt dir ein Gesprächsthema ein, bis ich wiederkomme.“ Sie zwinkerte.

Marco antwortete mit einem Schweigen, als Nojiko die Essensboxen und ihre Stäbchen nahm und sie hinunter in die Küche brachte. Nami würde heute Nacht nicht mehr zurückkommen, dessen war sich Nojiko sehr wohl bewusst. Ihre Schwester liebte ihre Freiheit. Schon bevor sie weggezogen war, war sie schon gekommen und gegangen wie es ihr beliebte. Bellemere hatte es zugelassen. Einerseits, weil nichts und niemand Nami einengen konnte, aber auch, weil Bellemere und Nami sich vom Charakter her immer schon sehr ähnlich gewesen war. Nojiko hingegen war anders, das wusste sie. Sie war ruhiger und suchte nach Stabilität, nicht nach irgendwelchen Abenteuern. Nami und sie waren genauso unterschiedlich, wie Marco und Ace es waren. Wie ihre Reaktionen, wenn sie Marco und Aces Blicken begegnete und die Gefühle in ihnen las.

Nojiko warf den Müll weg, bevor sie zum Kühlschrank schlenderte und zwei Bierflaschen aus der hintersten Ecke hinter der Wassermelone und der Milch hervorholte. Den Bieröffner holte sie aus einer Schublade hervor und begab sich auf den Weg zurück.

In Aces Augen war sie nicht einfach nur Nojiko, sondern er sah sie an, als sei sie etwas Besonderes. Etwas Faszinierendes und allein ihre Anwesenheit, die Berührung ihrer Hand, war genug. Und obwohl sie in Marcos Blick ebenfalls die Zuneigung herauslas, sah sie auch die Lust, die sich in Geduld übte und ihr all die Zeit ließ, die sie brauchte. Es jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

Ace hatte sich in ihrer Abwesenheit auf die Seite gerollt und die Beine ein wenig angezogen. Marcos Hand lag auf seinem Oberschenkel. Die Geste erinnerte Nojiko an den Moment im Grandline, als es Nojiko wie Schuppen von den Augen gefallen war, dass die beiden zusammen waren. Wie hatte sie das nicht vorher erahnen können? Zumindest jetzt schien es furchtbar offensichtlich.

Ihre Mundwinkel hoben sich, als sie ihr Schlafzimmer betrat. „Ist dir etwas eingefallen?“, fragte sie und Marco sah von seinem Handy auf, das er in der freien Hand hielt.

„Ace ist der Gesprächige von uns. Nicht ich“, sagte Marco und lehnte den Kopf nach hinten gegen die Wand, als Nojiko sich wieder aufs Bett begab und Ace abermals alles war, was Marco und sie voneinander trennte.

„Erzähl mir etwas über dich“, schlug sie vor. „Etwas über deine Vergangenheit. Obwohl Ace nicht gern über seine Zeit vor den Key Inseln spricht, weiß ich noch weniger über dich und vorher du stammst.“

Marco zog die Augenbrauen zusammen, bevor seine Stirn sich in Falten legte. „Eh? Ich rede generell nicht drüber. Ich bin nicht sonderlich stolz darauf.“

„Jeder hat einen Teil seiner Vergangenheit, auf den er nicht stolz ist“, erwiderte Nojiko, denn sie würde Marco nicht so einfach mit dieser vagen Erklärung davonkommen lassen. Er versteckte sich immer, sei es nun hinter seinem verschlafenen Gesichtsausdruck oder hinter seinen Antworten, die rein gar nichts aussagten. „Aber sie tragen dazu bei, uns zu dem Menschen zu machen, der wir heute sind.“

Ein Schmunzeln schaffte es auf Marcos Gesicht. „Weise Worte…“ Die Hand auf Aces Oberschenkel drehte sich auf den Rücken und die Finger streckten sich in Nojikos Richtung aus. Die Geste ähnelte Aces, als er sie vorhin auf das Bett gezogen hatte. Noch immer war es überraschend und schwer zu glauben, dass sie tatsächlich hier waren und sie zwei Männer an ihrer Seite hatte, obwohl sie sich zuvor stets so schwierig mit Beziehungen getan hatte. Sie legte ihre Hand in Marcos und sein Daumen fuhr Kreise auf ihrer Haut.

„Ursprünglich stamme ich aus Chicago“, begann Marco, sein Ton leise und noch ausdrucksloser als vorher. „Meinen biologischen Vater habe ich nie gekannt. Und meine Mutter… Sie hatte es nicht einfach. Nicht mit der Stadt und auch nicht mit mir. Es hat nicht lange gedauert, bis ich auf die schiefe Bahn geraten bin. In unserem Viertel war der Drogenverkauf ein lukratives Geschäft, könnte man sagen. Es hat Geld eingebracht und wir brauchten es. Aber das war, bevor meine Mutter krank geworden ist.“ Marco brach ab und sein Gesicht war stoischer als sonst. Fast so, als erzählte er Nojiko die Handlung eines Films und nicht von seinen Wurzeln, die ihn letztendlich nicht gehalten, sondern nach Key West geführt hatten.

„Es tut mir leid um deine Mutter“, sagte Nojiko und Bellemeres Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Scheinbar hatten sie alle ihre Mutter verloren, obwohl sie Aces Erzählungen entnahm, dass er seine gar nicht erst gekannt hatte. „Bist du deswegen nach Florida gekommen?“

„Ich glaube, dass war bisher die einzig gute Entscheidung in meinem Leben. Die einzige Entscheidung, die gut gewesen ist und die ich selbst getroffen habe, meine ich. Paps hat mir ein Zuhause gegeben. Eins, das einigermaßen sicher ist und in dem es nicht nur um Geschäfte und Geld geht.“

Nojiko lehnte sich auf dem Bett zurück, bis sie Marco nur noch über Aces Schulter hinwegsehen konnte. „Meinst du…“, begann sie und erneut fühlten sich ihre Wangen ein wenig hitzig an. „Meinst du, ihr könnt hier auch ein neues Zuhause finden? Hier mit Nami und mir?“ Es hatte sie schon Überwindung gekostet, Marco den Vorschlag des Einzugs zu unterbreiten, aber auch diese Frage war ihr unangenehm. Sie war ein sachlicher und praktischer Mensch, der Unsicherheiten mit Humor überspielte, doch alles an ihrer Beziehung mit Marco und Ace war unsicher, obwohl sie sich gleichzeitig nie sicherer gefühlt hatte. Das war eine Mischung, an die sie sich noch nicht komplett gewöhnt hatte.

Doch Marco ließ sich keine Zeit mit dem Antworten. Er schien nicht lange darüber nachdenken zu müssen, als er sagte: „Ich glaube, dass ich hierbei auch für Ace spreche, wenn ich sage, dass wir bereits dabei sind.“
 


 

VI

Shakky’s Rip-off Bar war ein kleines Lokal, das von außen antik und schäbig wirkte. Eine Moosart, die vor Jahrzehnten von Händlern ins Land geschleppt worden war, war das Gestein hochgewuchert. Die Bar war eines der wenigen Gebäude, die nicht aus Holz gebaut worden war. Dafür hatte das Backstein an einigen Stellen Risse und wirkte abgetragen. Doch es waren die Preise, die der Kneipe ihren Namen verliehen. Hoch wie sie waren, lockten sie nur eine bestimmte Art von Kunden an: Leute, die Qualität über Quantität schätzten und von dem hippen Ambiente um den Finger gewickelt wurden. Obwohl es Shakky’s Rip-off bereits seit Namis frühester Kindheit gab und Bellemere Nojiko und Nami manchmal heimlich hineingeschmuggelt hatte, um die Liveauftritte der Bands zu sehen, war Nami nur eine Handvoll von Malen hier gewesen.

Viel hatte sich seit ihrem letzten Besuch allerdings nicht verändert. Die Dunkelheit war nur von wenigen Lämpchen erhellt, die warmes Licht aussandten. Verschließende Couchen standen verstreut herum, zusammen mit kleinen Tischchen. Gegenüber vom Eingang befand sich die Bar. Der Tresen war kreisrund und der Großteil der Barstühle dort waren besetzt. Trotzdem schlängelte sich Nami zwischen den Couchen und Menschen hindurch, um sie anzusteuern, eine Hand an Laws Arm, um ihm mit sich zu ziehen.

Ihr Blick huschte hinüber zu der kleinen Bühne vor der sich schon einige Gäste versammelt hatten. Auf ihr baute die Band für den Abend gerade ihre Instrumente auf. „Was willst du trinken?“, erkundigte sie sich und Law antwortete mit einem knappen „Bier“.

Hinter dem Tresen stand die Besitzerin des Lokals höchstpersönlich. Eine Zigarette ruhte in ihrem Mundwinkel, die Nami an Bellemere erinnerte, obwohl Shakuyaku schon einige Jahre mehr auf dem Buckel hatte. Ansehen tat man sie ihr nur an den kleinen Falten um ihre Mundwinkel herum, während in ihren dunklen Augen noch immer die Jugend tanzte. „Was darf’s sein?“, fragte sie über den Lärm in der Bar hinweg. Sie erkannte Nami nicht, was bei all den Jahren, die ins Land gezogen waren, kein Wunder war.

Grinsend bestellte Nami das Bier für Law und einen Margarita für sich, ehe sie sich wieder unter die Leute mischten. Gerade, als die Band ihren ersten Song anstimmten, fanden sie einen kleinen Stehtisch in der Ecke.

Nami nippte an ihrem Drink, als die Sängerin mit schriller Stimme die ersten Worte des Lieds sang, bevor ein kleines Gitarrensolo folgte. Ein Schmunzeln zeigte sich auf ihrem Gesicht, als sie das missmutige Zucken von Laws Mundwinkeln beobachtete. „Es ist nicht deine Musikrichtung“, rief sie, als sie sich auf Zehnspitzen stellte, um in sein Ohr zu sprechen.

„Ich habe keine Musikrichtung“, informierte er sie, wobei sie es nur von seinen Lippen ablas.

Nami hob eine Augenbraue. „Was soll das bedeuten?“

Doch Law blieb ihr eine Antwort schuldig und zuckte lediglich mit den Schultern. Was sollte das werden? Wollte er wieder auf mysteriös tun? Oder wollte er sie zum Gehen animieren, um sie in sein Bett zu bekommen? Nami unterdrückte ein Schnaufen. Wozu die Eile? Sie wussten beide, dass sie heute Abend dort landen würden und es nur eine Frage der Zeit war. Aber es schmeichelte ihr, dass Law es scheinbar kaum abwarten konnte. Andererseits... hatte sie nicht vor, es ihm so einfach zu machen.

Nami trank ihren Margarita genüsslich, bevor sie sich einen weiteren bestellte, während Law auch weiterhin bei seinem ersten Bier war. Die Band wechselte zwischen den Liedern, von rockigen zu ruhigeren und zurück zu den ruhigeren. Applaus und Geschrei begleitete die kurzen Pausen und Law stand an dem kleinen Tisch, die Arme locker auf der Tischplatte abgelegt, den Blick entweder auf die Bühne oder auf ihre Person gerichtet.

Die Schnelligkeit, mit der sie einen Mann wie Law um den Finger gewickelt hatte, erstaunte selbst Nami. Als sie auch den letzten Schluck ihres Drinks austrank, verhakte sie ihre Finger mit Law.

Er sah auf und die kurze Überraschung in seinen Augen verwandelte sich in stumme Zustimmung. Trotzdem war es Nami, die den ersten Schritt machte und die Entscheidung traf, als sie Law an der Hand aus dem Rip-off führte. Obwohl Law so viel Selbstbewusstsein und Gelassenheit ausstrahlte, ergriff er nur in der Dunkelheit, in der absoluten Zweisamkeit, die Initiative.

Die Luft war feucht und warm, als sie nach draußen traten. „Ich weiß nicht, wo sich dein Hotel befindet“, sagte Nami und Laws Mundwinkel hoben sich.

„Ich hoffe, du erwartest keine fünf Sterne“, sagte er, als er sie in die richtige Richtung lenkte. Doch das Merkwürdige an dem kleinen Spaziergang war, selbst auf offener Straße mit einem Mann Händchen zu halten. In der Bar hatte sie es getan, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, doch nun bestand kein Grund für diese Berührung.

Laws angespannte Schultern und der abwechselnd feste und lockere Griff um ihre Finger versicherten ihr, dass er es ähnlich ungewohnt fand. Es war ihr schleierhaft, wie sie überhaupt in diese Situation geraten war. Laws plötzliches Auftauchen hatte sie überrumpelt – und Nami war sich nicht mehr ganz so sicher, wer hier wen um den Finger wickelte.

Bei Laws Unterkunft handelte er sich tatsächlich nicht um ein Fünf-Sterne-Hotel. Stattdessen hatte er ein altes, verstecktes Hotel am Rande der Insel gewählt, in dem wahrscheinlich nur alte Leute das Klima der Key Inseln genossen. Nami ließ es unkommentiert, obwohl sie annahm, dass das Geld bei seiner Wahl eine Rolle gespielt hatte.

Sein Zimmer befand sich im Unterschoss und das einzige Fenster zeigte eine Reihe von Büschen und eine Laterne auf dem Parkplatz, die ein fahles Licht in den Raum warf. Laws Hand zuckte zum Lichtschalter hinüber, doch Nami fing sie ab.

„Lass es aus“, murmelte sie. Die Laterne schenkte genügend Licht, um die Silhouetten der Möbel zu erkennen und sie spazierte zu der kleinen Minibar in der Ecke hinüber. An die Preise wollte sie nicht denken. Als auch Law sich in Schweigen hüllte, holte sie ein paar Fläschchen heraus und reichte eine an ihn weiter. Sie brauchten wirklich kein Licht, ganz besonders nicht Law, der sie sogleich an die nächste Wand drängte. Sein Mund presste sich zunächst sanft, dann aber gieriger auf ihren, während sie ihren Oberschenkel zwischen seine Beine schob und sie spüren konnte, dass er interessiert war.

Doch Nami schlüpfte unter seinem Arm aus seinem Griff und sie öffnete die kleine Flasche. Es war zu dunkel, um die Aufschrift zu lesen, doch das alkoholische Getränk roch gut. „Ich glaub, Nojiko hat dich schon ein wenig ins Herz geschlossen“, sagte sie, bevor sie auf den Bettrand sackte und einen Schluck nahm. Der Alkohol brannte in ihrer Kehle, aber sie genoss das Gefühl.

Das Gefühl hier mit Law in diesem dunklen Zimmer zu sein.

„Willst du jetzt wirklich über deine Schwester reden?“, erkundigte sich Law und er verweilte an Ort und Stelle, anstatt sich zu ihr zu gesellen. Missmut schwang in seiner Stimme mit. „Was ist mit Marco und Ace?“, fragte er trotzdem, obwohl ihm das Thema gerade noch lästig gewesen war. Nami schmunzelte. Sie konnte verstehen, dass die beiden einschüchternd auf Law wirken mussten und dass diese Art von Beziehung ungewohnt war.

„Sie haben so viel mit ihren eigenen Problemen zu tun, dass sie gar keine richtige Zeit haben, um sich über dich einen Kopf zu machen.“ Außerdem war es nicht so, als ging es jemanden etwas an mit wem Nami schlief.

„Was meinst du mit Problemen?“, fragte Law, als er nun doch zu ihr hinübergeschlendert kam. Er setzte sich zu ihr auf das Bett und eine Hand kroch in ihren Nacken, bevor sich seine Lippen hinzugesellten. Die kleine Flasche, die sie ihm in die Hand gedrückt hatte, musste er irgendwo abgestellt haben, da sie verschwunden war. Ihre Finger wanderten in Laws dunkles Haar, als er ihren Hals küsste.

„Ich meine nur...“, begann sie und fand es schwer sich zu konzentrieren. „Immerhin ist ihre Wohnung gerade abgebrannt, dann die Beziehung mit Nojiko und der Umzug.“ Sie wollte weiterreden, ihm erzählen, dass Marco und Ace zu Whitebeards Söhnen gehörten und es ein verdammt merkwürdiger Zufall war, dass ausgerechnet ihr Wohngebäude abgebrannt war, dass ihre Intuition ihr sagte, dass da mehr dahinter steckte und dass da—

Namis Gedanken kamen zu einem abrupten Halt, als sie die Augen aufschlug und den Schemen am Fenster entdeckte. Sie blinzelte, aber da war er schon verschwunden. Hatte sie es sich eingebildet? War es nur ein Teil der Hecke gewesen, der sich im Wind bewegt hatte?

Law lehnte sich zurück und sah sie an. „Nami-ya...“, entrann es ihm. „Was ist?“

„Ich... konnte schwören, dass da gerade jemand ins Fenster reingeschaut hat“, murmelte sie und konnte ihre eigene Stimme beben hören. Sie schnaufte. „Wahrscheinlich habe ich es mir nur eingebildet. Der Wind hat wahrscheinlich nur die Blätter der Büsche bewegt oder so.“ Ein raues Lachen steckte in ihrer Kehle. Er musste sie für einen paranoiden Feigling halten...

Zu ihrer Überraschung stand Law auf und ging zum Fenster hinüber. Er schob es auf und steckte den Kopf nach draußen, schloss es danach jedoch wieder. „Es ist nichts zu sehen.“ Trotzdem zog er die Vorhänge zu, welche sie vor fremden Blicke schützten, sollte sich irgendjemand an sie aufgeilen wollen.

Nami erfasste ein eiskalter Schauer. „Keine Ahnung. Meine Intuition schlägt schon eine gefühlte Ewigkeit Alarm und ich weiß nicht warum“, gestand sie. Vielleicht hatten Law und Nojiko recht und sie sollte zum Arzt gehen. Womöglich steckte da doch mehr hinter ihrer plötzlichen Paranoia und ihren körperlichen Beschwerden.

Laws Hand legte sich in vertrauter Geste an ihre Stirn, um ihre Temperatur zu erfühlen, als er vor ihr zum Stehen kam. Anschließend rutschte sie zu ihrer Wange hinunter und er küsste sie, als sei es ihm egal, dass er sich bei ihr anstecken könnte, sollte sie doch so etwas wie eine Erkältung ausbrüten. Andererseits war es dafür eh zu spät, so viel Kontakt wie sie in letzter Zeit miteinander hatten. Der Gedanke, dass Laws Urlaub hier bald vorbei war, stieß ihr bitter auf, als er sie nach hinten auf die Matratze bugsierte.
 


 

VII

„Marco! Marco! Hey, Marco!“, drang eine aufgeregte Stimme an sein Ohr und holte ihn allmählich aus dem Schlaf. Dabei ließ er sich Zeit und reagierte nicht sofort, denn der Besitzer dieser Stimme war ihm zu vertraut. Dieser Besitzer machte aus jeglichen kleinen Mücken ganze Elefanten und dafür war es zu früh.

Aber das Ruckeln an seiner Schulter nahm kein Ende, bis Marco genervt die Augenbrauen zusammenzog und sich auf den Rücken wälzte, um Thatch die Leviten zu lesen. Die Worte blieben ihm jedoch im Halse stecken, als er in das Gesicht seines nervtötenden Freunds schaute. Seine Wangen waren gerötet, er atmete schnell und sein Haar war zerzaust. Wenn Marco es nicht besser gewusst hätte, hätte er gesagt, dass Thatch den ganzen Weg von der Ville hierher gerannt war.

„Marco, du bist wach, endlich!“

„Aber nicht, weil ich wach sein möchte“, brummte Marco und setzte sich im Bett auf. Die Decke rutschte von seiner Schulter und sein müder Blick wanderte hinüber zu Ace und Nojiko, die noch immer schliefen und aneinander gekuschelt waren.

„Tut mir leid, aber ich muss einfach mit jemanden darüber reden“, verkündete Thatch in einem lauten Flüstern, als fiele auch ihm erst jetzt auf, dass sie nicht allein waren. „Es ist etwas passiert. Etwas Großartiges!“

Marco kommentierte nicht, dass Thatch schon immer eine andere Vorstellung als er von großartigen Geschehnissen hatte. Immerhin empfand er es bereits als großartig, wenn es regnete und die Sonne gleichzeitig schien oder wenn sein Lieblingseisstand die Preise um ein paar Cent reduzierte.

Mit einem Seufzen auf den Lippen schälte sich Marco unter der Decke hervor und stand auf. Er trabte aus dem Schlafzimmer die Treppe hinunter und zur Küche, wobei Thatch ihm so dicht auf den Fuß folgte, dass es ein Wunder war, dass er nicht in Marco hineinlief.

Marco setzte den Kaffee auf. „Also, was ist die Neuigkeit?“

„Makino und ich werden heiraten!“, platzte es aus Thatch heraus, das Grinsen so breit, dass es schmerzhaft aussah.

Ein Blinzeln von Marco folgte. „Eh? Wann hast du ihr den Antrag gemacht?“ Jedenfalls wurde Marco das Gefühl nicht los, dass er etwas Wichtiges verpasst hatte. Hatten sie nicht erst vor einigen Monaten begonnen miteinander auszugehen?

Thatch zupfte mit den Fingern am unteren Rand seines zerknitterten Jacketts, ebenfalls etwas, was nicht zu ihm passte. „Nun ja... Es ist kompliziert. Gestern Abend... Ich wollte Makino vom Grandline abholen und hab sogar das Takeout mitgebracht, aber...“, stammelte er und atmete tief durch. „Aber sie wollte es nicht. Sie sagt, dass ihr davon nur noch schlecht wird.“ Er lehnte am Türrahmen und seine Augen schimmerten mit Feuchtigkeit.

Marcos Gesicht verfinsterte sich bei seiner Vorahnung, während die Kaffeemaschine hinter ihm röchelte und hustete. „Du hast doch nicht etwa...“, begann er, selbst nicht wissend, was er überhaupt sagen wollte. Doch anhand von Thatchs gequältem Gesichtsausdruck wurde ihm klar, dass er auf der richtigen Fährte war.

„Marco...“, wimmerte er. „Ich werde Vater.“

Bei jedem anderen wäre Marco wahrscheinlich aus allen Wolken gefallen, aber... bei Thatch überraschte es ihn eigentlich nicht. Natürlich war Makino schwanger, denn Thatch machte keine halben Sachen. „Habt ihr denn nicht verhütet?“, entrann Marco das Offensichtliche, schüttelte jedoch den Kopf, bevor Thatch eine zu detailgenaue Erklärung anbieten konnte. „Und deswegen heiratest du Makino“, fasste er stattdessen zusammen, weil das in Thatchs Augen natürlich einen Sinn ergeben würde.

„Man soll mir nicht nachsagen, dass ich nicht verantwortungsbewusst bin“, antwortete Thatch und richtete seine Haare, als erinnerte er sich nun an den Ruf, den er zu verlieren hatte.

Marco verdrehte die Augen. „Liebst du Makino?“

„Was redest du da?“ Thatch stieß einen empörten Laut aus. „Natürlich liebe ich Makino. Sie ist die Liebe meines Lebens. Hast du sie gesehen? Nicht nur, dass sie sehr hübsch ist, aber sie ist auch noch die netteste Person, der ich je begegnet bin. Und sie wird eine tolle Mutter sein. Wir werden eine tolle Familie sein!“

„Wenigstens hast du dich mit dem Gedanken an eine Familie schon angefreundet“, meinte Marco, fragte sich gleichzeitig aber auch, ob Thatch sich bewusst war, dass sein gesamtes Leben sich mit der Geburt seines Kindes auf den Kopf stellen würde. Dass er nicht einfach Aufträge für Whitebeard ausführen konnte, ohne an die Konsequenzen zu denken. Doch das sprach er nicht an, denn Thatch hatte im Moment schon genug Dinge, über die er sich den Kopf zerbrechen konnte.

„Hat Makino deinen Heiratsantrag angenommen?“, erkundigte er sich und der Schweiß brach abermals auf Thatchs Gesicht aus.

„Ich muss doch erst einmal den Ring kaufen, Marco.“ Seiner Stimme unterlag etwas Schrilles, das an Panik grenzte. „Ich werde sie heute Abend fragen. Gehst du mit mir den Ring aussuchen, Marco?“

Dieser runzelte die Stirn. Eigentlich wollte er mit der ganzen Sache nichts zu tun haben, wusste gleichzeitig aber auch, dass er sich nicht aus der Affäre ziehen konnte. „Sieht nicht so aus, als ob du mir eine große Wahl lässt. Außerdem bin ich jetzt schon wach.“

„Großartig!“, sagte Thatch und nahm wieder das Wort in den Mund, von dessen Bedeutung Marco nicht überzeugt war. Irgendwann würde hier ein Kind herumrennen, dass wahrscheinlich dieselbe Haartolle wie Thatch besitzen und trotz seiner jungen Jahre sämtliche Frauen aufreißen würde.

Was hätte Marco an Thatchs Stelle getan? Was würde er tun, wenn Nojiko in ein paar Jahren verkündete, dass sie schwanger war. Wer würde der Vater sein? Angesichts ihrer Dreierbeziehung erschienen diese Gedanken ein ganz eigenes Maß an Komplikationen mit sich zu bringen, an die Marco im Moment nicht denken wollte.

Er angelte zwei Tassen aus dem Schrank und goss Kaffee in sie, bevor er eine an Thatch weiterreichte. „Erst einmal will ich wach werden“, sagte Marco seufzend. „Und du solltest dich erst mal beruhigen, Thatch. Du bist so bleich, als würdest du gleich aus den Schuhen kippen.“

Dankbar schlang sein Freund die Hände um die Tasse und plumpste auf den erst besten Stuhl im Esszimmer, ehe auch Marco sich zu ihm gesellte.
 


 

VIII

Sie verweilte im Türrahmen, obwohl es spät war und Makino im Grandline wahrscheinlich bereits auf sie wartete. Die Inventur stand an. Gänzlich losreißen konnte sie sich aber nicht. Nicht mit Ace, der sie mit verwuselten Haaren und nur in seiner Dreiviertelhose, die ihm tief auf den Hüften saß, verabschiedete.

„Du machst es mir schwer“, murmelte sie und ließ ihren Blick vielsagend über seine Gestalt wandern. Es war schon eine lange Zeit her, als sie das letzte Mal das Privileg gehabt hatte, einen Mann so offen zu mustern und so offen mit ihren Gefühlen zu sein. Sie war es nicht gewohnt, doch es fühlte sich frei und ein bisschen wild an.

Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Dann musst du wohl einfach hier bleiben.“

„Das hättest du wohl gern...“ Nojiko wollte ihn umarmen oder küssen oder einfach berühren, aber sie wusste, dass sie es dann wirklich nicht mehr ins Grandline schaffen und sich zu etwas hinreißen lassen würde, zu dem sie noch nicht bereit war. Ein bisschen so wie gestern Nacht, als Marco sie mit diesem Blick über Aces schlafende Gestalt hinweg angesehen hatte.

Das Schmunzeln auf ihren Lippen wurde breiter, als sie sich losriss. „Pass auf das Haus auf. Und sag Marco, dass er uns ruhig nächstes Mal wecken kann, anstatt nur einen Zettel dazulassen.“

„Wird gemacht.“

Eigenartig war es schon, dass er sie von ihrem eigenen Zuhause verabschiedete. Es machte den Einzug realer, ebenso wie die Handwerker, die sie für nächste Woche bestellt hatte, damit sie sich das Dach und die Rohre ansehen konnten.

Der Fußmarsch zur Bar tat ihr gut und lenkte ihre Gedanken von Marco und Ace in ihrem Bett ab. Um diese frühe Uhrzeit war die Bar noch geschlossen, doch Makino räumte bereits hinter dem Tresen auf, als sie das Grandline betrat.

„Guten Morgen“, verkündete Nojiko, als sie die Barbesitzerin ansteuerte.

Makino trug ihr langes Haar wie gewohnt in einen Pferdeschwanz gebunden und das Tuch ruhte auf ihrem Haar, um es zusätzlich zurückzuhalten. Doch der Schweiß stand ihr auf der Stirn und ihr Lächeln war wackelig, als sie ihren Gruß erwiderte.

„Alles in Ordnung?“, erkundigt sich Nojiko. „Du siehst aus, als ob du ein Gespenst gesehen hast.“

Doch Makino winkte ab. „Nein, alles ist okay. Es ist nur... nichts. Es ist nichts.“

Skeptisch hob Nojiko die Augenbrauen, fragte aber nicht noch einmal nach. Stattdessen umrundete sie die Theke, um ihr beim Aufräumen zu helfen, bevor sie offiziell mit der Inventur anfingen, die sich wahrscheinlich über die nächsten paar Tage ziehen würde.

Gerade, als Makino die Listen aus dem Hinterzimmer holte und ihr präsentierte, ertönte die Glocke über der Eingangstür der Bar.

„Wir haben geschlossen“, rief Nojiko über ihre Schulter, doch die Schritte kamen näher, anstatt zu verebben.

„Nojiko-ya“, erklang es hinter ihr.

Sie blinzelte, ehe sie sich umdrehte und Law musterte, der in dem kurzärmeligen Hemd von gestern vor ihr stand. Diesmal trug er nicht die Mütze mit den schwarzen Punkte und sein Haar erinnerte Nojiko an Aces, als dieser aufgestanden war. Der Anblick entnervte Nojiko aus irgendeinem Grund. Plötzlich sah Law nicht mehr so selbstbewusst und verrucht aus, sondern merkwürdig menschlich und erreichbar.

„Warum bist du hier?“, fragte Nojiko und eine stumme Warnung schlich sich in ihre Stimme, über die sie selbst überrascht war. Jeder Muskel in ihrem Körper spannte sich an, ehe Law überhaupt den Mund öffnete. Allein sein Auftauchen hier bei ihr machte sie unruhig. „Ist etwas mit Nami?“

Keine Reaktion war in dem passiven Gesicht abzulesen, da waren nur die unergründlichen Augen, die ihr für den Bruchteil einer Sekunde auswichen, bevor sie zurückkehrten, als sei nichts gewesen. „Ich wollte nur fragen, ob du weißt, wo Nami-ya ist, Nojiko-ya“, sagte Law schließlich. Ein Zögern folgte, als wollte er nicht weiterreden, wusste aber, dass er es musste. „Sie war heute morgen nicht mehr da, als ich aufgewacht bin. Sie beantwortet ihr Handy nicht und als ich bei euch war, war nur Ace-ya da, der sie auch nicht gesehen hat.“

Nojiko wurde kalt, dann warm, während sie sich gleichzeitig furchtbar taub vorkam. Sie kannte dieses Gefühlswirrwarr, hatte es schon einmal im Leben erlebt, als der Polizist vor ihrer Tür gestanden und sie über Bellemeres Unfall benachrichtigt hatte. Law und die Bar um sie herum wankten für einen Moment, bis eine Hand sie sanft am Unterarm berührte.

„Ich bin sicher, Nami geht es gut“, besänftigte Makino sie, ihre Stimme samtig weich und optimistisch. „Wahrscheinlich braucht sie nur ein bisschen Zeit für sich selbst. Manchmal hat man solche Tage. Vielleicht macht sie einen Spaziergang“ Sie sprach mit einer Gewissheit, die davon erzählte, dass sie diese Tage kannte und dass heute einer dieser Tage war.

Nojiko war sich nicht so sicher. Sie kannte ihre Schwester. Nami verschwand nicht einfach so – nur damals, als plötzlich ihre Kleidung gefehlt hatte und nur eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter über ihren Entschluss, die Key Inseln zu verlassen, informiert hatte.

Nun war jedoch alles anders. Nun gab es nichts mehr, vor dem sie weglaufen musste. Die Wunden über Bellemeres Tod waren verheilt. Sie hatten Narben hinterlassen, aber Narben bedeuteten Heilung und sie waren dabei sich etwas Neues aufzubauen. Oder etwa nicht?

Die Zweifel waren leise und Nojiko wollte nicht auf sie hören, weshalb sie stattdessen Law mit dem Blick taxierte. „Ist gestern Abend irgendwas passiert?“

Law blinzelte nicht, sondern verharrte starr in seiner Haltung. „Was meinst du?“

„Habt ihr euch gestritten? War Nami komisch drauf?“

„Nein“, antwortete er. „Wir... hatten einen guten Abend. Nami-ya hatte Spaß.“ Er senkte den Blick auf den Boden, bevor er ihn wieder hob. „Wahrscheinlich hat sie recht und Nami wollte nur etwas Zeit zum Durchatmen. Ich werde am Strand vorbeigehen, ehe ich zurück zum Motel gehe und dort auf sie warte.“ Ohne sich zu verabschieden drehte sich Law und marschierte mit einer Gleichgültigkeit aus dem Grandline, die Nojiko fraglich stimmte. Wieso war er hergekommen, wenn er nun doch der Meinung war, dass alles in Ordnung war?

Nein, Law konnte ihr nichts vorspielen. Irgendwas hatte ihn unruhig gemacht, ansonsten hätte er sich nicht auf die Suche nach Nami begeben. Hatte sie ihn unterschätzt? Hatte sie die Beziehung der beiden unterschätzt? Sie war davon ausgegangen, dass er nur ein weiterer Fisch war, den Nami aus Langeweile und aus Zeitvertreib an Land gezogen hatte, aber vielleicht verband sie mehr als sie angenommen hatte.

„Makino...“

Doch die Barbesitzerin winkte ab. „Geh. Such nach Nami. Ich komme schon zurecht. Wir können die Inventur auch morgen noch gemeinsam weitermachen.“ Sie schenkte Nojiko ein Lächeln und in dem Augenblick wurde Nojiko bewusst, warum Thatch Makino so verfallen war.

„Danke“, erwiderte sie, bevor sie aus dem Grandline stürmte und ihr Mobiltelefon aus der Hosentasche zog.

„Ace, ist Law vorbeigekommen?“, fragte sie.

„Ja, vor einigen Minuten. Er hat nach Nami gefragt“, antwortete dieser.

Nojikos Herz klopfte zu schnell und zu hart in ihrem Brustkorb. „Sie ist verschwunden. Sie ist—“

„Nojiko, bist du sicher?“

„Ja, Ace, ich kenne meine Schwester! Irgendwas muss passiert sein. Ich weiß es einfach. Sie löst sich nicht einfach nicht Luft aus.“ Nur damals, fügte sie gedanklich hinzu. Nur damals, aber nicht mehr heute. Nicht, wenn sie gerade erst nach Hause zurückgekehrt war.

„Ich werde Marco anrufen“, erwiderte Ace. „Und ich werde Paps und den Jungs Bescheid geben.“ Und obwohl Nojiko nie etwas mit Whitebeard und seinen Männern hatte zu tun haben wollen, spürte sie sich wie etwas von der Spannung tief in ihrem Inneren löste.

Teil 4: Crossfire [3]


 

IX

Es war dumm von ihm gewesen. Seine Reaktion war dumm und voreilig gewesen, nicht angemessen für den sogenannten Chirurgen des Todes. Was hatte ihn da geritten? Law konnte sich keinen Reim aus seinem eigenen Verhalten machen, doch es irritierte ihn.

Sich mit einer Hand durch das Haar fahrend ging er den Flur entlang, der von der Rezeption zu seinem Zimmer führte. Vielleicht hatte Nami die Nase voll von ihm gehabt und war deswegen heute Morgen heimlich aus seinem Bett geflüchtet. Dabei war er sich sicher gewesen, dass sie auf ihn hineingefallen war. Dass sie ihn mochte und mehr als nur einen attraktiven Mann in ihm sah.

Aber was spielte es für eine Rolle? Er war Marco, Ace und Thatch auf die Spur gekommen, kannte sie besser und hatte sozusagen ihr Vertrauen gewonnen. Was kümmerte ihn da also Nami? Sie hatte ihren Zweck erfüllt.

Mit einem frustrierten Schnaufen betrat er sein Motelzimmer und ließ den Blick über die Möbel wandern, als erwartete er, Nami doch im Bett oder am Fenster zu entdecken. Natürlich war sie nicht da. Sie hatte mit ihm gespielt, ganz genauso wie er mit ihr. Am Ende hatten sie sich beide die Finger verbrannt, wie es aussah.

Laws Gedanken kamen zu einem abrupten Ende, als er den kleinen Zettel wahrnahm, der auf dem Fenstersims lag. Hatte der vorhin auch schon dort gelegen? Law ging zu ihm hinüber und las ihn.
 

Law—

Er ist enttäuscht, dass du bis jetzt keine Fortschritte erzielt hast. Er nimmt an, dass du dich hast ablenken lassen. Vielleicht spornt dich deine süßen Freundin an, ihm die Informationen zukommen zu lassen, um die er dich gebeten hat.
 

Die Handschrift war feingeschnörkelt und die Nachricht war vage, doch Law verstand sie. Es war eine Erinnerung an seinen Auftrag, denn nicht viele waren so geduldig wie er. Das hier war nur eine weitere Beauftragung von Doflamingo, auf die Law ohnehin keine Lust gehabt hatte. Jedenfalls war das am Anfang so gewesen, bevor er realisiert hatte, dass ihm diese Gelegenheit direkt in die Hände spielte.

Nur scheinbar hatte er Doflamingos Geduldsfaden überschätzt. Er vertraute Law nicht, obgleich er stets wie die Puppe nach den Bewegungen seiner Fäden getanzt war. Jahrelang, zu viele Jahre.

Raschelnd zerknüllte Law den Zettel in seiner Hand, ehe sein Blick aus dem Fenster wanderte. Die Finger seiner anderen Hand streckten sich aus und verkrampften sich um den Vorhang. Wie ein Blitz schlug die Erkenntnis in ihm ein. Seine Augen weiteten sich. Gestern hatte Nami etwas vor dem Fenster gesehen. Obwohl er nachschauen gegangen war, hatte er es als einen Streich der Fantasie abgetan, anstatt Nami tatsächlich ernst zu nehmen. Viel mehr war es seine Absicht gewesen, ihre Sorge und Unruhe im Keim zu ersticken, weil es mehr um ihn als sie gegangen war. Weil sie irgendwie in dieses Leben geschlittert war und es einfach akzeptierte, als sei es vollkommen normal, dass die eigene Schwester mit zwei Männern ausging, die einer kriminellen Organisation angehörten und die mehr Feinde als Freunde besaßen. In Namis Augen war er ein stinknormaler Typ, den sie in ihr Bett und in ihr Leben einlud, für den sie ihre Arme öffnete und ihre Beine spreizte.

Seine Nackenhaare stellten sich auf, als die Erinnerungen an die letzte Nacht zurückkehrten. An Namis Silhouette über ihm, die sich ohne Rücksicht auf Verluste genommen hatte, was sie wollte. An seine Hände, die auf bebenden Oberschenkeln gelegen hatten, an ihr Stöhnen in seinen Ohren.

Schnaufend riss er seine Hand von dem Vorhang los und warf das Papierknäuel in die Ecke. Energische Schritte brachten ihn zum Bett hinüber. Er hob die Matratze an, um die Beretta aus ihrem Versteck zu ziehen. Er checkte das Magazin, bevor er sie hinten unter seinem T-Shirt in den Hosenbund schob.

Wen auch immer Doflamingo auf ihn angesetzt hatte, um ihm heimlich hinterher zu spionieren, lag richtig. Law hatte sich ablenken lassen. Er hatte sich unbewusst fallen und von Nami um den Finger wickeln lassen, obwohl er geglaubt hatte, derjenige gewesen zu sein, der verführte.

Dabei war es gut gelaufen. Er war den Söhnen von Whitebeard nähergekommen und hätte er mehr Zeit gehabt, dann— Nein, es spielte keine Rolle. Es war vorbei. Jetzt galt es die Konsequenzen auszubaden und das zu retten, was noch zu retten war. Gab es da überhaupt noch etwas zu retten?

Wie lange spionierte man ihm schon hinterher? Seit seiner Ankunft in Key West? Hatte Doflamingo etwas geahnt oder ihm einfach nie vertraut? Was davon war Law lieber? Eine Antwort hatte er auf diese Frage nicht. Im Moment konnte Law nur davon ausgehen, dass er einfältig gewesen war und er seine Zeit mit einer hübschen Frau verschwendet hatte. Er musste nur seinen Auftrag beenden und Doflamingo etwas liefern, was Wertvoll genug war, damit er seinen Fehler verzieh. So oder so konnte er Nami nicht helfen. Hier war ein Experte am Werk, denn ansonsten hätte Law ihn schon früher bemerkt und wäre nicht dermaßen auf ihn hereingefallen. Wann hatte er Nami geschnappt? Nicht hier im Zimmer, das hätte Law mit seinem leichten Schlaf bemerkt. Sie musste früh am Morgen den Raum verlassen haben, um… Doch auch darauf wusste Law keine Antwort, denn er kannte Namis Morgenroutine nicht. Er kannte sie nicht gut genug, wusste nicht, was ihr durch den Kopf ging oder wie oder ob sie etwas für ihn fühlte.

Seine Gedanken bewegten sich zweigleisig, denn obwohl Namis Gesicht vor seinen inneren Augen tanzte, formte sich so etwas wie ein Plan in seinem Hinterkopf. Wie viel er wert war, konnte er nicht bestimmen. Es lag nicht in seiner Macht, dies zu entscheiden, denn allein war er im Nachteil. Zudem konnte er sich nur eine Person in Doflamingos Organisation vorstellen, die ihn durch Namis Entführung zu motivieren versuchte.

Die Pistole wog schwer in dem Bund seiner Jeans, als er von dem stickigen Inneren des Motels hinaus in die feuchtklebrige Luft trat.
 


 

X

Die Gardine beiseite schiebend schielte Marco durch einen schmalen Spalt aus dem Fenster. Doch da war nur der schmale Pfad, der an den Büschen entlang führte. Was erwartete er auch? Dass Nami gesund und munter auf dem Weg nach Hause war? Oder vielleicht doch irgendjemanden hinter einem Baum versteckt mit einer Pistole in der Hand zu entdecken? Das wäre zu einfach gewesen. Und die letzten paar Tage bestätigten, dass nichts einfach war. Die Zeichen häuften sich und Marco war nicht naiv genug, um sie ignorieren. Er hätte schon längst reagieren sollen, das stand fest. Aber obwohl er sich für vorausschauend hielt, hatte er sich… ablenken lassen.

Mit einem lautlosen Seufzen wandte sich Marco vom Fenster ab und drehte sich um. Sein Blick wanderte zum Sofa hinüber, auf dem Nojiko saß. Sie bettete die Ellenbogen auf den Knien, während ihre Augen sich in das Mobiltelefon bohrten, das vor ihr auf dem Tisch lag. Er war skeptisch gewesen, doch am Ende kannte Nojiko ihre Schwester am Besten. Wenn sie sagte, dass Nami nicht einfach verschwand ohne eine Nachricht zu hinterlassen, dann glaubte Marco ihr das.

Ace marschierte hinter der Couch auf und ab, immer mal wieder abrupt innehaltend, als ob ihm eine Idee in den Kopf geschossen kam, die dann wieder verworfen wurde. Es war ein Wunder, dass er noch nicht aus dem Haus gerannt war, um… nun, soweit hätte Ace nicht gedacht, denn er konnte nicht stillstehen. Er hatte es nie gelernt. Alles, was ihn im Moment an Ort und Stelle hielt, war Nojiko. Wahrscheinlich war das ein Fortschritt, da Marco sich daran erinnern konnte, dass das nicht immer so gewesen war.

Getrampel riss Marco aus seinen Gedanken, als Thatch die Treppe hinuntergestolpert kam. Das Handy war zwischen Ohr und Schulter gepresst, während seine Finger mit dem Verschluss seiner Hose kämpften, da er aus dem Badezimmer kam. „Hör zu, wenn sie sagt, dass es so ist, ist es so“, brummte er ins Handy. „Halt einfach weiter die Augen offen und sag den anderen, es auch zu tun.“ Er sackte neben Nojiko auf das Sofa, die den Blick hob.

„Sie glauben nicht, dass Nami etwas zugestoßen ist“, stellte sie mit zu Fäusten geballten Händen fest.

„Nein, nur... ich hab nachgedacht. Kann es nicht auch mit ihrem Fieber zu tun haben? Vielleicht ist es schlimmer geworden?“, gab Thatch zu bedenken, erntete jedoch einen finsteren Blick von Nojiko.

„Ich habe auch den Arzt schon mehrfach angerufen, ob Nami vorbeigekommen ist“, erklärte sie. „Sogar das Krankenhaus. Entweder sie geistert irgendwo dort draußen herum oder... So oder so müssen wir sie finden!“

Thatch schielte zu Marco hinüber, als ob Marco die Situation entschärfen könnte. Das wäre eventuell möglich gewesen, würde es sich hier nicht um Nami handeln. Doch Marco wusste, dass er an Nojikos Stelle ähnlich reagieren würde, wenn einer seiner Brüder plötzlich spurlos verschwinden würde. Wenn es Ace wäre.

„Es ist egal, was sie glauben oder nicht glauben“, entrann es diesem, der abermals zu einem abrupten Stopp kam und die Arme in die Hüften stemmte. „Sie werden nach Nami suchen. Wenn Nami verschwunden ist, dann weil ihr etwas mit uns zu tun habt. Und wir werden nicht zulassen, dass ihr etwas passiert, Nojiko.“

Nojiko lächelte freudlos. „Nur weil du jemanden vor allem Bösen in der Welt beschützen willst, heißt das nicht, dass es dir auch gelingt.“

Dachte sie dabei an ihre Mutter? Oder an Nami, die sie nicht vor dem Schmerz ihres Todes beschützen konnte? Vielleicht hatte sie auch nur die jetzige Situation im Kopf. So oder so konnte Marco ihr nicht widersprechen. Ace tat es ebenfalls nicht, der die Augen von ihr abwandte und sich auf die Unterlippe biss.

Marco seufzte und löste sich vom Fenster, um an das Sofa heranzutreten. „Nein, aber wir können es wenigstens probieren. Das ist alles, was man im Leben tun kann.“

„Du... Ihr versteht es nicht“, schnaufte Nojiko und vergrub das Gesicht in den Händen. „Wenn ihr etwas passiert, dann... ist es meine Schuld. Weil ich mich auf euch eingelassen habe. Eure Feinde sind nun auch unsere Feinde und—“

Ein abgehacktes Klopfen unterbrach Nojiko. Sie alle zuckten zusammen. Thatch und Marco wechselten einen Blick. Ace setzte sich in Bewegung, doch Marco bekam seinen Arm zu fassen, bevor er die Tür erreichte. Wortlos schüttelte er den Kopf, während Ace die Augenbrauen zusammenzog. Doch Marco ignorierte die stumme Wut, um stattdessen die Pistole aufzunehmen, die er vorhin auf den Schrank neben der Tür gelegt hatte. Er trug sie ungern auf Key West mit sich herum, was meistens ohnehin nicht nötig war. Keiner legte sich in ihrem Territorium mit ihnen an. Selten jedenfalls, denn hier waren sie im Vorteil. Aber scheinbar hatte ihr Spion in Texas sich nicht geirrt, denn Doflamingo musste seine Hände hier im Spiel haben und die unsichtbaren Fäden ziehen.

Mit der schwarzen Glock in der Hand warf Marco einen Blick durch den Türspion. Die Person war ein schwarzer Schatten im gleißenden Sonnenlicht, aber Marco konnte die Umrisse dennoch ausmachen. Er öffnete die Tür einen Spalt und betrachtete Law. Seine Mütze fehlte und seine Stirn glänzte vor Schweiß. Eine Emotion lag in seinem Blick, die Marco nicht deuten konnte, aber Nojiko hatte gesagt, dass er sie aufgesucht hatte, weil er offenbar ahnte, dass etwas mit Nami nicht stimmte.

„Kann ich reinkommen?“, fragte er und Marco öffnete die Tür weiter, um ihn Einlass zu gewähren. Die Hand mit der Pistole versteckte er hinter seinem Rücken, als Law eintrat und die Tür hinter sich schloss. Jedenfalls tat Marco es solange, bis Law ihm den Rücken kehrte und Marco sah, dass etwas unter seinem T-Shirt im Hosenbund steckte. Er hatte schon genug in ihrem Geschäft gesehen, um eine Pistole im Hosenbund zu erkennen.

Die Frage war nur, was ein normaler Tourist mit einer Schusswaffe tat und damit auf Key West herumlief – und warum sie ihm an Law vorher nicht schon aufgefallen war. Wahrscheinlich, weil er sie da nicht mit sich herumgetragen hatte, ging es Marco durch den Kopf, als er die Hand mit der Glock an seiner Seite baumeln ließ.

Laws Blick zuckte zu ihr hinüber, verweilte jedoch nicht auf Marcos Waffe. Es war viel eher ein Reflex. Dieser und die fehlende Überraschung auf seinem Gesicht verrieten, dass sie es nicht mit einem Anfänger zu tun hatten. Dass sie dem Spion gegenüber standen, den Doflamingo nach Florida geschickt hatte, flüsterte eine leise Stimme in Marcos Kopf. Und er hatte ganze Arbeit geleistet, in dem er sich heimlich durch Nami in ihr Leben geschlichen hatte und von ihnen mit offenen Armen empfangen worden war.

Nojiko erhob sich. „Hast du etwas von Nami gehört?“, fragte sie und der hoffnungsvolle Ton stieß Marco bitter auf. Seine Finger schlossen fester um die Glock.

Thatch folgte seinem Blick und richtete sich auf, bis er kerzengerade auf dem Sofa saß, während sich Verwirrung auf Aces Gesicht abzeichnete.

„Nein“, antwortete Law, als er zwischen Marco und dem Sofa stand und sich mit sämtlichen Blicken konfrontiert sah. Die Anspannung in seinen Schultern sagte Marco, dass er sich bewusst war, dass er sich in die Höhle des Löwen begeben hatte. Dass er es absichtlich getan hatte. „Aber ich weiß, was passiert ist“, rückte er mit der Sprache heraus. „Nami wurde entführt.“ Ein Zögern folgte, in dem die Maske sekundenlang von Laws Gesicht abfiel. Er biss die Zähne zusammen, als er mit sich rang. „Es ist meine Schuld.“ Sein Ton war rau und leise. „Sie wurde entführt, weil... weil ich zu lange gebraucht habe.“

„Du arbeitest für Doflamingo“, fasste Marco zusammen.

Law nickte.

„Das heißt, dass... Nami sich in den Fängen dieses Doflamingos befindet?“, fragte Nojiko, die stocksteif dastand. Ihre Augen glänzten, als sie Law mit dem Blick fixierte. Doch der stumme Vorwurf galt mindestens genauso sehr Ace und ihm wie Law, denn Nojiko hatte von Anfang an Bedenken gehabt. Sie hatte gewusst, dass Whitebeards Geschäfte gefährlich waren und es besser war sich von ihnen fernzuhalten. Sie hatte es gewusst und ihre Intuition ignoriert, ebenso wie Marco es getan hatte, als ihre Wohnung abgebrannt war, als Nami mit einem gutaussehenden Fremden nach Hause gekommen war und Thatch ihm von einem Spion erzählt hatte.

„Doflamingo ist nicht hier, aber er hat jemanden hergeschickt, um mir hinterher zu spionieren“, antwortete Law. „Ich weiß nicht, wie lange sie noch hat, aber—“

„Hau ab“, entrann es Nojiko, die Silben so scharf wie Glas, obwohl ihre Stimme nur ein Flüstern darstellte. „Geh, bevor ich es mir anders überlege.“

Law starrte sie an, bevor er abermals sprach. „Aber ich habe einen Plan mit dem—“

„Und warum sollten wir einem Lügner und Verräter wie dir noch vertrauen?“, zischte Ace. Wie vom Blitz getroffen stürmte er los, packte Law mit einer Hand am Hemdkragen und verpasste ihm mit der anderen einen Kinnhaken, der ihn ohne seinen Griff zu Boden geschickt hätte. Doch Ace hielt an Law fest und zerrte ihn zur Tür. „Wir wollen dich hier nicht!“

„Hey, Leute...“, begann Thatch und hob beschwichtigend die Hände, doch Ace riss bereits die Tür auf, während Law die Hand gegen die aufgeplatzte Unterlippe presste.

Dieses Mal war es Law, den Marco am Arm packte, bevor Ace ihn rauswerfen konnte. „Wir brauchen ihn.“

Unglaube und Hass huschten über Aces Gesicht, als er innehielt und Marco anstarrte.

Marcos Blick wechselte zu Nojiko. „Wir brauchen ihn“, wiederholte er.

Tränen schwappten über die Ränder ihrer Augen und ihre Finger wischten sie rasch weg. Sie drehte sich von ihnen weg und verschwand auf der Treppe, während Aces Griff sich lockerte und Marco Law wieder ins Haus zog, die Tür mit dem Fuß zutretend.
 


 

XI

Es brodelte in Ace. Seine Hände waren immer noch zu Fausten geballt, während er Marco hinterher starrte. Wie konnte er ihm nur so in den Rücken fallen? Vor allem jedoch Nojiko! Law hatte Nami doch erst in Gefahr gebracht und sie Doflamingos zweitem Spion ausgeliefert. Und wer wusste schon, ob Law die Wahrheit sagte? Nein, sie brauchten Law nicht! Sie konnten Nami allein retten.

Ace setzte sich in Bewegung und folgte Marco, der Law mit sich zog, in die Küche. Thatch schloss sich ihm an, doch Ace schenkte ihm keine Beachtung. Seine Konzentration war laserscharf und auf Marco gerichtet, der Law zu einem Hocker bugsierte. Anschließend trat er an den Kühlschrank heran und holte ein Eispack aus dem Kühlfach, das er in ein Handtuch wickelte und Law reichte.

Aces Schritte verlangsamten sich, bevor sie sich beschleunigten. Seine Schulter wurde gepackt, doch er schüttelte Thatchs Hand ab. Stattdessen schob er sich zwischen Law und Marco, seinen Freund mit dem Blick fixierend. Ihm war heiß und kalt zugleich und die Kanten seines Bewusstsein färbten sich schwarz, obwohl er jedes noch so kleine Detail in Marcos Gesicht erkannte: die blonden Bartstoppeln an seinem unrasierten Kinn, die durch die gebräunte Haut sichtbar waren, die angespannten Mundwinkel, die seinen gleichgültigen Blick Lügen straften, die undurchdringlichen Augen, die unnachgiebig in seine schauten und keine Widerworte zuließen.

„Das ist nicht, was Nojiko will“, knurrte Ace dennoch.

Marco blinzelte nicht. „Nojiko will Nami zurückhaben. Und das ist der einzige Weg, um das zu erreichen. Schließlich wissen wir nicht, mit wem wir es zu tun haben.“

„Mit Doflamingo natürlich!“

Nun hob sich eine Augenbraue. „Ace, glaubst du wirklich, dass Doflamingo sich die Arbeit macht, Nami persönlich zu entführen?“

Wenn es etwas gab, was er mehr hasste, als Law auf ihrem Küchenhocker mit einem Eispack in der Hand zu sehen, dann war es, wenn Marco klare Fakten aussprach, die Ace gern widerlegen würde, aber nicht konnte.

Er biss sich auf die Unterlippe und der Schmerz brachte den kochenden Zorn in seinem Bauch etwas zur Ruhe.

„Wir müssen erst einmal wissen, mit wem er es zu tun haben“, wiederholte Marco. „Und der einzige, der ansatzweise eine Ahnung haben könnte, ist nun mal Law.“

Dieser räusperte sich hinter Ace. „Marco-ya hat recht. Ich denke, ich habe eine gute Vorstellung, wen Doflamingo hergeschickt hat, um mir hinterher zu spionieren.“ Eine Pause folgte, in der Ace kurzzeitig die Augen schloss, bevor er sich zu ihm umdrehte.

Law tupfte mit der Ecke des Handtuchs seiner aufgeplatzten Unterlippe entlang und in Ace stieg ein Gefühl der Genugtuung auf. Lange hielt dieses nicht an, denn als Law zu ihm aufschaute, las er nichts außer Resigniertheit aus seinem Blick, obwohl er sich Wut oder gar Angst wünschte. Andererseits hatte er hier Law vor sich, der mindestens genauso gefühllos wie Marco war. Es erschien Ace auch keine einfach aufgesetzte Maske zu sein, ein Schauspiel seinerseits, sondern viel eher seine wahre Persönlichkeit, die er nie verstellt hatte, um sich bei ihnen einzuschleichen – und sie hatten ihn trotzdem einfach in ihr Leben gelassen.

„Ihr Name ist Monet“, sprach Law weiter. „Sie ist die einzige, der Doflamingo genug vertrauen würde und die unauffällig genug war. Sie hat den Ruf weg, dass man sie nur bemerkt, wenn sie bemerkt werden möchte.“ Sein Gesicht verzog sich, als konnte er kaum glauben, dass er auf sie hereingefallen war. Ace schluckte das Schnaufen hinunter. Er kannte das Gefühl.

„Du kennst sie gut?“, fragte Marco und Law wandte den Blick auf den Boden.

Die Aufforderung, dass Law sich nicht so viel Zeit lassen sollte, lag Ace auf den Lippen, doch Marcos Finger schlossen sich eisern um sein Handgelenk. Sie waren sein Anker und Ace hasste ihn dafür.

„Erzähl uns alles, was du über sie weißt“, fügte Marco hinzu, während sein Daumen gegen Aces Pulspunkt presste. Die Geste war so intim, dass sie Ace für einen Moment den Atem raubte. Sie rief heiße Nächte in Erinnerung, in denen Marco ihn auf die Matratze drückte und—

„Sie war eine Waisin, die früh dem Drogenrausch verfallen war. Hat ihren Körper verkauft, bevor Doflamingo sie unter seine Fittiche genommen hat“, erklärte Law so desinteressiert, als ging ihn die ganze Sache eigentlich nichts an. Als ging es hierbei nicht um Namis Leben. „Monet ist eine von Doflamingos Frauen, aber... um die Geheimnisse von seinen Männern herauszukriegen, wickelt sie diese auch um den Finger.“

„Du bist einer dieser Männer?“, erkundigte sich Marco, denn er war gnadenlos und niemand wusste das besser als Ace.

Laws Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. „Habe ich mit ihr geschlafen? Ja. Bin ich auf die reingefallen? Ganz sicher nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Sie kennt mich, aber ich kenne sie ebenfalls. Bei ihr kann man sich in der Regel darauf verlassen, dass sie versucht die Dinge allein zu regeln, anstatt Doflamingo unnötig zu beunruhigen. Oder eher, um ihn nicht unnötig zu enttäuschen.“

Marcos Stirn kräuselte sich. „Das bedeutet?“

„Dass sie Erfolge sehen will, aber wahrscheinlich bisher kein Wort von ihren Zweifeln meiner Loyalität betreffend erzählt hat“, antwortete Law.

„Ich bin ziemlich sicher, dass niemand genau weiß, wo deine Loyalitäten liegen“, sagte Ace abfällig. „Wahrscheinlich nicht einmal du.“

Law sah ihn abwartend ab. Als er sicher war, dass Ace es bei diesen Worten beließ, sagte er: „Meine Loyalität gehört Corazon. Doflamingos Bruder, den er hinterrücks betrogen und umgebracht hat.“ Ein Funke einer Emotion schlich sich in seine Stimme und Härte ersetzte die Müdigkeit in seinen Augen. „Und Nami. Ich erwarte nicht, dass ihr mir glaubt, aber das ist die Wahrheit.“

Marco und Ace tauschten einen Blick aus. Corazon. Der Name kam Ace merkwürdig bekannt vor. Anhand Marcos zusammengezogener Augenbrauen erkannte er, dass es Marco genauso erging.

„Corazon Donquixote, der als Doppelagent gearbeitet hat, um seinen Bruder zu stürzen...“, entrann es Marco.

„Bevor Doflamingo davon mitbekommen hat“, beendete Law.

„Das ist alles schon viele Jahre her“, sagte Marco, während Ace verwirrt zwischen ihm und Law hin- und herschaute.

„Da war ich noch ein Kind, ja.“ Spott schwamm in Laws Stimme mit, die Ace an eine Hilflosigkeit aus der eigenen Kindheit erinnerte, wenn Leute das Blut seines Erzeugers als Fluch bezeichnet hatten.

„Ist das alles wirklich wichtig?“, platzte es aus Ace heraus. „Wir sollten uns lieber einen Plan ausdenken, um Nami zu retten!“

„Ähm... ich muss Ace ausnahmsweise zustimmen“, meldete sich Thatch zu Wort, von dem Ace glatt vergessen hatte, dass er anwesend war.

Marco nickte. „Wir brauchen alle Informationen, aber dadurch wird es einfacher, sich einen Plan aus dem Ärmel zu schütteln. Thatch? Ruf die Jungs und Paps an, damit sie die Suche einstellen. Wir wollen diese Monet nicht in die Enge und zu unüberlegten Handlungen treiben. Aber sie sollen sich unauffällig dabei verhalten.“

Thatch fischte wieder sein Handy aus der Hosentasche und Marcos Blick wanderte zu Ace.

„Kannst du mir einen Gefallen tun, Ace? Kannst du Nojiko suchen und ihr die Dinge erklären? In der Zwischenzeit werden Law und ich uns eine Strategie ausdenken, da ich ziemlich sicher bin, dass Law einen Austausch der Geiseln organisieren kann.“

Die fehlende Überraschung auf Laws Gesicht sagte Ace, dass er einen ähnlichen Plan wie Marco im Sinn hatte.

„Was für eine—“

„Später“, unterbrach Marco und sein Blick ging an Ace vorbei. „Ich mach mir Sorgen um Nojiko, aber... sie wird nicht gut auf mich zu sprechen sein.“

Wollte Marco ihn loswerden? Oder machte er sich plötzlich wirklich so große Sorgen um Nojiko? Die Unsicherheit ließ ihn nicht los. Taktiken waren zwar nicht sein Spezialgebiet, aber in Momenten wie diesen wurde ihm der Altersunterschied sowie der Unterschied ihrer Persönlichkeiten wieder bewusst. Es hinterließ ein hohles Gefühl in seinem Inneren. „In Ordnung...“, murmelte Ace und er wandte sich ab, um Nojiko aufzuspüren. Doch diese kleine Erwiderung schmeckte bereits bitter auf seiner Zunge, auch wenn die Wut verpufft war.
 


 

XII

Die Dunkelheit, die in Namis Zimmer lauerte, drohte Nojiko zu verschlucken. Nur das warme Flurlicht drang in den Raum, stoppte aber einen halben Meter vor Nojikos Füßen. Sie stand unschlüssig vor Namis Bett, das unberührt war, und vor ihrem Schreibtisch, auf dem ihre neusten Zeichnungen und Skizzen lagen.

Nojiko starrte auf die schattenbesetzten Papiere, deren Bleistiftspuren sie bei den schlechten Lichteinflüssen nicht erkennen konnte. Doch sie nahm an, dass zumindest einige von ihnen unvollständig waren – und genau deswegen musst Nami wieder nach Hause kommen! Sie war noch nicht fertig. Nami hatte ihr Leben noch nicht zu Ende gelebt. Das konnte einfach nicht sein. Langsam sank Nojiko auf die Kante de Betts nieder, bevor sie nach hinten auf den Rücken sackte und die Handballen gegen die brennenden Augenlider presste.

Im Flur knarrten die Dielen. Nojiko hob den Kopf und die Hände, doch die Silhouette hatte wilde Haare und einen muskulösen Körperbau. „Wo ist Nami?“, fragte sie, ehe sie wegschaute und sich zurücklehnte. Sie wusste, dass Ace ihr nicht die gewünschten Antworten geben konnte, aber etwas anderes wollte sie nicht hören. Ganz besonders nicht, dass sie sich eventuell falsch verhielt oder dass sie ausgerechnet Laws Hilfe brauchte.

„Marco hat einen Plan“, antwortete Ace, als er eintrat. „Ich mag seine Methoden nicht, aber er weiß, was er tut.“ Das Bett wackelte und die Matratze links von ihr senkte sich.

Der Kinnhaken, den Ace Law verpasst hatte, war der einzige Grund, warum Nojiko seine Anwesenheit überhaupt ertragen konnte. Ace log nun mal nicht. Er spielte auch keine falschen Spielchen, sondern war zu ehrlich in seiner Wut.

„Heißt das, wir vertrauen Law nun wieder? Und tun so, als wäre er unschuldig?“, fragte Nojiko und konnte den Zorn nicht aus ihrem Ton verbannen. Nami hatte ihn in ihr Bett gelassen! Als ob das nicht schlimm genug gewesen war, war auch Nojiko auf ihn hineingefallen. Sie hatte ihn praktisch mit blindem Vertrauen in ihrem Haus empfangen und hatte ihn wie ein Familienmitglied behandelt, obwohl sie ihn nicht kannte und von Anfang an als geheimnistuerisch eingestuft hatte. Doch aus irgendeinem Grund war ihre Vernunft abgestellt gewesen und die Alarmglocken waren ignoriert worden. Dabei war sie kein vertrauensseliger Mensch, der einfach mit Fremden umgehen konnte. Ganz im Gegenteil, sie war skeptisch und misstrauisch, aber ihre Beziehung zu Marco und Ace hatte sie gegen ihren Willen verändert und ihre Schwester in Gefahr gebracht.

„Natürlich nicht“, schnaufte Ace. „Er ist nur ein Mittel zum Zweck. Sobald wir Nami zurückhaben, kann er dahingehen, wo der Pfeffer wächst!“

Unter anderen Umständen hätten Aces Worte sie zum Schmunzeln gebracht, aber im Moment fühlte sie sich nur ausgelaugt und frustriert. „Ich weiß nicht, ob ich das kann. Diese Beziehung, meine ich.“

Ace antwortete nicht, doch sie nahm an, dass er sich auf die Zunge beißen musste, um still zu sein. Aber vielleicht irrte sie sich in ihm, genauso wie sie sich in Law geirrt hatte. Vielleicht konnte man einfach keinen Menschen so gut kennen, wie man sich selbst kannte und man vertraute einem anderen immer nur blind. Trotzdem war sich Nojiko nicht sicher, ob sie so leben wollte. „Natürlich habe ich gewusst, dass euere Leben gefährlich sind und wenn mir etwas passiert, dann ist das eine Sache, aber—“

„Ich werde niemals zulassen, dass dir etwas passiert, Nojiko!“

Nun hoben sich Nojikos Mundwinkel doch ein Stück, doch sie zwang sich weiterzusprechen. „Aber ich kann Nami dieses Leben nicht zumuten, ständig in Gefahr wegen irgendwelchen Verbrechern zu sein. Ich bin ihre große Schwester und es ist meine Aufgabe dafür zu sorgen, dass es Nami gut geht und sie glücklich ist.“

„Es ist auch deine Aufgabe selbst glücklich zu werden“, räumte Ace ein, weil er es ihr schwer machen musste, anstatt ihre Worte einfach kommentarlos zu akzeptieren. Seine Finger schlangen sich um eines ihrer Handgelenke und zogen ihre Hand von ihrem Gesicht weg. Rein aus Reflex ließ Nojiko auch die andere Hand sinken, als Ace sich vorbeugte und sie auf die Stirn küsste.

„Und wir machen dich nun mal glücklich, auch wenn es mal schlechte Tage gibt. Aber ich verspreche dir, Nojiko, dass wir Nami gesund und munter wiederbekommen und so was nicht noch mal passieren wird.“ In der Dunkelheit wirkten Aces Augen schwarz und sein Gesicht furchtbar ernst, als sie sich mit Zentimeterabstand anschauten.

„Das kannst du nicht versprechen, Ace“, flüsterte Nojiko und erneut stiegen ihr die Tränen in die Augen.

„Nojiko…“, begann Ace, schüttelte dann aber den Kopf und schluckte seine Worte hinunter. „Ich liebe dich“, sagte er stattdessen.

Überraschung brach über Nojiko hinein, doch da presste Ace bereits seinen Mund gegen ihren. Für gewöhnlich waren seine Lippen sanft und beinahe zurückhaltend, aber diesmal schmeckten sie nach derselben Frustration, die auch Nojiko fühlte. Ihre Hand wanderte in seinen Nacken, als sie ihn näher zog.

Ein Räuspern ertönte vom Flur und der Kuss wurde gebrochen. „Ich will ja nicht stören, Leute, aber Marco sagt, dass sie einen Plan ausgearbeitet haben“, sagte Thatch und grinste verschmitzt, so dass die Röte Nojiko in die Wangen schoss.

Teil 4: Crossfire [4]


 

XIII

„Der Plan ist einfach“, sagte Marco ohne um den heißen Brei herumzureden. Sein müder Blick wanderte über Thatch und Law, die auf dem Sofa saßen, bevor er zu Ace und Nojiko huschte, die mit verschränkten Armen vor ihm standen. „Law wird diese Monet anrufen und einen Geiselaustausch vorschlagen. Dadurch können wir sichergehen, dass es Nami gut geht und sie zurückbekommen.“

„Und wer sagt, dass sie darauf reinfällt?“, fragte Thatch mit gekräuselter Stirn. Er stützte die Ellenbogen auf den Oberschenkeln ab.

„Weil es kein Trick ist“, antwortete Marco und ignorierte den verwirrten Ausdruck auf Aces Gesicht, der noch immer mit derselben Wut vermischt war, seit Marco ihn davon abgehalten hatte, Law aus dem Haus zu werfen. Es war absehbar gewesen, doch es war nicht der richtige Moment, um sich damit auseinander zu setzen.

„Was redest du da, Marco?“, entwich es Nojiko und ihre Augenbrauen zogen sich in dieser kritischen Art zusammen, die Marco schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war. Aus der Geste sprach die pure Ungeduld und Skepsis.

„Law wird Nami gegen mich eintauschen“, erklärte er und hob die Hand, bevor Ace protestieren konnte.

Dieser schnappte nach Luft und trat einen Schritt vor, als wollte er Marco am Kragen packen und durchschütteln. Oder ihm denselben Kinnhaken verpassen, den auch Law sich eingefangen hatte.

„Das ist was Doflamingo will. Was Monet will“, fuhr Marco unbeirrt fort und sah hinüber zu Law, der nicht widersprach, sondern schweigend und mit übereinander geschlagenen Beinen auf dem Sofa saß. „Wenn wir ihr geben, was sie will, kann sie die Übergabe nicht ausschlagen. Und dann—“

„Und was ist mit dir, Marco?“, platzte es nun doch aus Ace heraus. „Das ist doch Unsinn. Lass mich wenigstens den Lockvogel spielen. Du bist zu—“

„Alt?“, unterbrach Marco und Ace schoss die Hitze in das Gesicht.

„Das ist ganz bestimmt nicht, was ich sagen wollte“, zischte er, beendete seinen Satz jedoch nicht, sondern wandte stattdessen den Blick ab. Doch jeder Muskel blieb zum Reißen angespannt und die angezogenen Schultern zeichneten sich deutlich unter dem Hemd ab, das er aus Marcos Schublade stibitzt hatte.

Er wusste, dass Ace nicht aus sein Alter anspielte. Dass er sich gern als Lockvogel präsentiert hätte, um ihn und sie alle zu beschützen, aber... Marco empfand ähnlich. Nichts war ihm je wichtiger gewesen, als diese zusammengewürfelte Familie, die Whitebeard um sich herum gesammelt hatte. Es war ihm auch nichts wichtiger als zu wissen, dass Ace, Nojiko und Nami sicher waren.

„Im Gegensatz zu dir bin ich in der Lage einen klaren Kopf zu behalten, Ace. Außerdem weißt du doch, wie gut ich mich aus Handschellen befreien kann“, brachte Marco es auf den Punkt, anstatt ihm oder sonst jemanden im Raum Honig um den Mund zu schmieren. „Wir werden auch nicht Paps und die anderen kontaktieren, bis wir Nami zurückhaben.“

„Was?“, entwich es Thatch und Ace wie aus einem Mund.

Doch kein Muskel in Marcos Gesicht zuckte. „Es würde Namis Sicherheit nur gefährden. Wir wissen nicht, wie informiert Monet ist.“

„Wenn sie auch nur ahnt, dass wir etwas planen, wird sie sich entweder mit Nami aus dem Staub machen oder—“, erhob nun auch Law das Wort.

Nojiko hob abwehrend die Hände. „Schon gut. Okay. Wir werden nicht Whitebeard und eure Leute einweihen. Aber... was wir aus dir, Marco?“ Ihr Blick trug Sorge in sich, die ausnahmsweise nur ihm galt. Sie war sauer, aber nicht gefühlskalt – und Marcos Mundwinkel hob sich zu einem faulen, wenn auch recht halbherzigen, Lächeln.

„Glaubst du, dass ich mit einer einzigen Frau nicht auch allein klarkomme?“, erkundigte er sich.

Als Antwort zogen sich Nojikos Augenbrauen abermals zusammen.

Doch es war Ace, der vortrat und den Abstand zwischen ihnen überbrückte. Genau wie Marco es vorhergeahnt hatte, packte er Marco am Kragen seines Hemdes. „Lass mich es machen. Marco, ich meine es ernst.“ Selbst die Sommersprossen, die über Aces Wangen und Nasenrücken verteilt waren, konnten nicht über die scharfgeschnittenen Züge und die Härte in seinen Augen hinwegtäuschen.

Hätten nicht so viele verschiedenen Augenpaare auf sie geruht, hätte Marco vielleicht reagiert. Aber das Letzte, was sie nun gebrauchen konnten, war eine Diskussion oder gar Zweifel. Dieser Plan war der beste, den sie sich unter den Umständen aus dem Ärmel schütteln konnten. Zugegeben, er brachte seine Risiken mit sich, denn wenn sich Marco irrte und Law das hier auch geplant hatte, dann gab es keinen Ausweg für ihn. Law wusste zu viel. Ohne ihn funktionierte dieses Szenario nicht.

Marcos Augen wanderten an Ace vorbei zu Law hinüber, der noch immer bewegungslos auf dem Sofa saß und seinen Blick emotionslos erwiderte. Er war ein guter Manipulierer, das hatte er bewiesen, denn Marco hatte nicht einmal etwas geahnt. Doch war er so skrupellos, dass er hier mit ihnen im Wohnzimmer sitzen konnte, wenn er vorhatte sie erneut zu betrügen?

„Es ist zu spät, um den Plan noch zu ändern“, sagte Marco schließlich. „Law hat bereits Monet angerufen.“

Ace sah über seine Schulter zu Law hinüber, der ein Nicken andeutete, und Aces Hand löste sich von seinem Hemd.
 


 

XIV

Obwohl es trotz der nächtlichen Uhrzeit relativ warm war, kam es Law so vor, als würden eiskalte Finger seiner Wirbelsäule entlang fahren. Jede Berührung stellte eine stumme Erinnerung an die Konsequenzen seiner fehlgeschlagenen Strategie dar. Mit Monets Auftauchen in Key West hatte er nicht gerechnet, noch weniger mit Namis Entführung. Monet hatte ihm nicht nur Nami und Nojikos Vertrauen gekostet, sondern vor allem auch das von Marco, Ace und diesem Thatch. Es hatte ihm seine zurechtgelegten Pläne vermasselt und er wusste nicht, ob sie noch zu retten waren. Der erste Schritt, um die Konsequenzen wieder auszubügeln, war Nami unverletzt zurückzubekommen.

Ein Blick ging über seine Schulter, doch die Fabrikhallen nahmen ihnen die Sicht auf Ace, Thatch und Nojiko, die sie in einer dunklen Passage zwischen den Gebäuden zurückgelassen hatte. Law war ohnehin dagegen gewesen, die anderen mitzunehmen, Nojiko mitzunehmen. Immerhin ging es hierbei um ihre Schwester und nicht einmal Law würde es ihr verübeln, wenn sie sich von ihren Emotionen leiten und unüberlegt handeln würde. Doch sie hatte sich nicht einmal von Marcos ruhiger Erklärung umstimmen lassen, was wohl ebenso verständlich war.

Obwohl seine Erinnerung an seine Schwester schwammig war, konnte er sich an den Beschützerinstinkt erinnern, der wie Kohle in seiner Brust geglüht hatte. Gegen ihre Krankheit war er jedoch nicht angekommen, was ein Grund gewesen war, wieso er überhaupt ein Medizinstudium absolviert hatte.

Marco ging vor ihm. Er drehte den Kopf zur Seite und warf ihm einen Blick aus den Augenwinkeln zu. „Fühlst du dich schuldig?“, fragte er mit rauer Stimme und zog Laws Aufmerksamkeit mit diesen überraschenden Worten auf sich.

Law schnaufte, bevor er an der Kapuze seines T-Shirts zupfte, die er aufgesetzt hatte. „Wie kommst du darauf?“

Ein Zucken der Schultern folgte von dem Mann vor ihm. „Du siehst danach aus.“

Es lag Law auf der Zunge zu fragen, wie genau er denn aussah, dass Marco auf diese absurde Idee kam, doch er schluckte die abwertenden Worte hinunter. Stattdessen schwieg er, als sie gemeinsam im Dunkeln an den momentan verlassenen Fabrikhallen den Hafen entlang wanderten. Die Pistole in Laws Hand wog schwer, war jedoch mehr zur Schau als alles andere.

„Ich weiß, was du hiermit bezwecken willst“, fuhr Marco unbeirrt fort. Seine Stimme war furchtbar ruhig dafür, dass seine Hände in einem Paar Handschellen steckten und er die Geisel für einen Mann spielte, der nicht einmal auf seiner Seite stand.

„Und was wäre das?“, erkundigte sich Law. Zwar hatte er sich innerlich bereit erklärt mit Marco und den anderen zusammenzuarbeiten, um Nami aus Monets Klauen zu befreien, aber das bedeutete nicht, dass er sich von Marco oder irgendjemand anderen schikanieren ließ.

Marco blieb stehen und Law juckte es in den Fingern die Pistole zu heben und den Lauf Marco zwischen die Schulterblätter zu pressen. Doch stattdessen kam auch Law ebenfalls zu einem Stillstand und wartete ab. Sie waren noch weit genug vom Treffpunkt am Ende des Piers entfernt, so dass die Wahrscheinlichkeit niedrig war, dass Monet von diesem eigenartigen Gespräch etwas mitbekam.

Marco drehte sich zu ihm um und in der nächtlichen Dunkelheit wirkte seine Mimik weniger verschlafen und dafür härter. War es Einbildung?

„Du versuchst deinen Verrat wieder gutzumachen“, sagte Marco.

„Ich weiß nicht, wovon du redest“, antwortete Law, doch selbst bei den schlechten Lichtverhältnissen konnte Law erkennen, dass sich Marcos Mundwinkel hob.

„Wenn du es wieder gutmachen willst, dann sorgst du dafür, dass Ace und Thatch mir nicht nachkommen“, sagte Marco, anstatt auf Laws Worte einzugehen. Es war keine Bitte und Marco erwartete auch kein Versprechen, aber genau danach fühlte es sich dennoch an.

Law antwortete nicht, aber Marco setzte sich ohnehin wieder in Bewegung. Schweigend wanderten sie am Ufer des Hafens entlang, in dem Transportschiffe vor Anker lagen, aber nur monströse Schemen darstellten. Die privaten Anlegestellen der Anwohner befanden sich auf der anderen Seite des Hafen, nicht hier, wo alles nach Anbruch der Dunkelheit zum Stillstand kam.

Gelegentliche Laternen erhellten den Weg und gaben die schlanke Person preis, die vor Lagerhaus 3 stand und bereits auf sie wartete. Law erkannte sie selbst aus der Ferne, da sich das fahle Laternenlicht auf ihren grüngefärbten Haaren brach, die ihr lang und wild den Rücken hinunterhingen und über ihre Schultern wallten. Sie trug nur ein Spagettitop und eine kurze Hose, die an ihr haftete wie eine zweite Haut. Ebenso wie Law trug auch sie eine Pistole bei sich, die Glock ruhte vertraut in ihrer Hand und war auf sie gerichtet, bevor sie Monet überhaupt erreicht hatten.

„Law, ich dachte schon, du hättest dich verlaufen“, sagte sie mit hoher Stimme und Spott, den man nicht überhören konnte. Monet nahm nicht viel ernst, nur ihre Aufträge, die Doflamingo ihr höchstpersönlich erteilte. „Aber wenigstens hast du mir ein Geschenk mitgebracht. Ein gutaussehendes dazu.“

Marco schwieg, während Law sich die eigene Pistole besah. „Ist das wirklich nötig?“, erkundigte er sich. „Immerhin sind wir beide auf derselben Seite, soweit ich weiß.“

Als er aufschaute, sah er Monet lächeln. „Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher“, flötete sie. „Ich hab gesehen, wie du sie angeschaut hast. Du kannst mir nichts vormachen. Ich kenne diesen Blick.“

„Woher willst du den kennen?“, fragte Law und zog die Augenbrauen zusammen. Diese Frau hatte es aus irgendeinem Grund immer schon geschafft, ihm unter die Haut zu gehen und seine Geduld zu strapazieren. Das zwischen ihnen war immer schon ein Katz-und-Maus-Spiel gewesen.

„Weil du mich nie so angesehen hast“, erwiderte Monet, doch wie erwartet war da nur Belustigung in ihrem Ton. „Deine kleine Herzdame dagegen…“ Sie brach ab, aber Law presste dennoch knirschend die Zähne aufeinander. Sein Griff um die Beretta wurde fester und sein Blick flackerte zu Marco hinüber, der regungslos mit dem Rücken zu ihm stand und abwartete.

„Wo ist Nami-ya?“

Monet machte mit der Hand, welche die Pistole hielt, einen Schlenker zum Lagerhaus hinüber. „Spiel den Ritter in weißer Rüstung und rette deine Prinzessin. In der Zeit nehme ich mir, wofür ich hergekommen bin.“

Eine andere Wahl hatte er nicht. Monet hatte hier den Vorteil und er war im Grunde nur eine weitere Spielfigur, auch wenn sie nicht wissen konnte, dass sie auch nur eine war. Sie war zu hochmütig um anzunehmen, dass er sich mit den Söhnen Whitebeards zumindest für den Moment verbündet haben konnte. Außerdem konnte Marco auf sich allein aufpassen. Doch was war, wenn Monet ihn reinlegte? Wenn Nami sich nicht hinter der Metalltür befand, die in die Lagerhalle führte?

„Okay“, war alles, was Law sagte. Lange Schritte brachten ihn zur Tür hinüber, wobei seine Sinne auf Monet konzentriert blieben. Aber der Lauf ihrer Glock zeigte nicht auf ihn, sondern auf Marco. Sie wartete, bis er die Tür öffnete. Im Inneren war es dunkel, doch ein Lichtschein erhellte es gerade genug, um die nähere Umgebung erkennen zu können. Auf einem der kleineren Holzkisten lag ein Handy, dessen Taschenlampe eingeschaltet war und ihr Licht in die Höhe schickte.

Nami lehnte mit dem Rücken an der Kiste, auf dem Boden kniend. Handschellen hielten ihre Arme hinter ihrem Rücken, während ein Stück Klebeband sie vom Schreien abhielt. Ihre Haare waren zerwuselt und hingen ihr teilweise ins Gesicht, doch selbst durch den Schleier unzähliger Haarsträhnen konnte Law den Schnitt auf ihrer Wange erkennen, sowie das blaue Auge.

Das Quietschen der Türscharnieren ließ sie aufschauen und als sie ihn entdeckte, huschte zunächst Verwirrung und dann Hass über ihr Gesicht. Doch Law huschte dennoch zu ihr hinüber, um sich vor ihr hinzuhocken und sie von dem Klebeband zu befreien.

„Autsch“, zischte Nami kratzig. „Geht das auch sanfter, du Idiot?“

„Entschuldige“, murmelte Law, als er ihr auch ein paar der Haarsträhnen hinter das Ohr strich. Seine Hände fanden den Weg an ihre Wangen und seine Fingerkuppe fuhr sanft an dem Schnitt dort entlang, der blutverkrustet war. Es war ihm ein Rätsel, wie sie selbst in diesem Zustand attraktiv für ihn aussehen konnte.

„Tu nicht so“, fauchte Nami, als er sie auf die Beine zog. Er griff um sie herum und erfühlte das harte Metall der Handschellen.

„Weißt du, wo der Schlüssel ist?“, fragte er, anstatt auf ihre Worte einzugehen. So oder so wusste er, worauf sie anspielte. Er machte sich keine Hoffnungen darüber, dass Monet ihr nicht alles Schreckliche über ihn erzählt hatte und es noch mit grausamen Details ausgeschmückt hatte.

Einen Moment starrte sie ihn an, bevor sie die Luft ausstieß. „Auf der Kiste. Neben meinem Handy irgendwo.“

Law trat an die Kiste heran und griff nach ihrem Mobiltelefon, um die Taschenlampe zu nutzen und nach dem Schlüssel zu suchen. Monet hielt ihr Wort, wie es den Anschein hatte. Das grelle Licht der Taschenlampe brach sich auf dem Metall.

Sich ihn schnappend schloss er Namis Handschellen auf. Das Schweigen zwischen ihnen war schwer wie Blei, gleichzeitig lauschte Law nach irgendwelchen Geräuschen von draußen, doch dort war es genauso still geworden. Als sie gemeinsam das Lagerhaus verließen, bestätigte sich Laws Verdacht: Monet und Marco waren verschwunden.

„Lass uns gehen“, brummte Law und packte Nami am Oberarm, um sie mit sich zu ziehen.

Nami riss sich los und funkelte ihn an. „Wo ist diese Monet?“

„Fort“, antwortete er, doch es stellte sie nicht zufrieden. Ihr Gesicht war schon bei ihrer ersten Begegnung ein offenes Buch für ihn gewesen, obwohl sie ihm gern anderes vorspielte. Das war ein Grund, warum sie einnehmend für ihn war.

„Was soll das heißen?“, forderte sie. „Meinst du nicht, dass ich wenigstens jetzt die Wahrheit verdient habe? Nach allem, was vorgefallen ist?“

Nami hielt seinen Blick, rieb sich jedoch die abgeschürften Handgelenke.

Es juckte Law in den Fingern nach ihren Händen zu greifen, doch er unterdrückte es. „Nicht jetzt. Ein anderes Mal. Wenn die Sonne wieder aufgegangen ist und diese Nacht vorbei ist“, sagte er und ging an ihr vorbei, den Weg zu Ace, Thatch und Nojiko zurückverfolgend.

Nach ein paar Sekunden konnte er Namis Schritte auf dem Asphalt vernehmen, doch sie holte nicht mit ihm auf, sondern entschied sich hinter ihm zu gehen.
 


 

XV

Alles in Ace bebte. Die Wut war ein Stück Blei in seinem Bauch, das ihn an Ort und Stelle hielt, aber ihm gleichzeitig auch das Atmen erschwerte.

Nojikos Hand war seine Fessel. Der Schmerz ihrer Fingernägel, die in das Fleisch seines Gelenk bissen, erinnerten Ace an das, was wichtig war. Um Nami zurückzubekommen musste sie alle am gleichen Strang ziehen und an Marcos Plan festhalten. Doch es war schwer dumm in der Nacht herumzustehen und auf irgendein Zeichen zu warten, während Marco sein Leben riskierte. Während Marco sein Leben ohne ihn riskierte.

Ace hatte sich einmal geschworen, sein Leben so zu leben, dass er nichts bereuen würde. Wie konnte er also hier stehen und nichts tun? Wie—

„Ace“, erklang Nojikos Stimme und holte ihn aus seinen unnutzen Gedanken. Sie zog an seiner Hand, bis er sich gänzlich zu ihr herumdrehte. Sie standen zwischen einigen Schiffscontainern zwischen den Fabrikhallen, außer Sichtweite und am abgesprochenen Treffpunkt. Hier wurden sie einst von Doflamingo und seinen Leuten zum Russisch Roulette gezwungen. Daran hatte Ace seit langer Zeit nicht mehr gedacht, aber nun kehrten all die Bilder und Erinnerungen zu ihm zurück. Marco zeigte nicht oft Emotionen, aber dort in der Fabrikhalle war etwas in seiner Stimme gewesen, die Aces Herz flattern gelassen hatte, was rein gar nichts mit dem kalten Pistolenlauf an seiner Schläfe zu tun gehabt hatte.

Thatch befand sich einige Meter entfernt und spähte um die Ecke des Containers, um nach Marco und Law Ausschau zu halten.

„Es tut mir leid, Ace“, flüsterte Nojiko inzwischen.

Diese Worte waren es, die Aces Augen von Thatch zu Nojiko huschen ließen. „Was tut dir leid?“

Ihr Griff um sein Handgelenk wurde sanfter. „Alles, was passiert ist. Ein Teil von mir gibt euch die Schuld für Namis Entführung, aber...“ Nojiko zögerte, als ob sie nach den richtigen Worte suchte, weil sie sich auf dünnem Eis befand, das unter ihren Füßen zu brechen begonnen hatte.

Wo war all die Vertrautheit und Sicherheit hin, die sie gestern noch geteilt hatten? Es war Ace ein Rätsel. Binnen eines Tages hatte sich so furchtbar viel verändert, selbst zwischen Marco und ihm. Er konnte sich nicht erinnern, wann er jemals so wütend auf Marco gewesen war. Er wusste nicht einmal, weshalb er zornig war. Vielleicht, weil er alle Pläne alleine schmiedete. Weil er Ace nicht einbezog, obwohl sie doch Partner waren.

„Ich meine nur, vielleicht seit ihr nicht nur schlecht für uns, sondern wir sind auch schlecht für euch“, fasste Nojiko schließlich zusammen. Sie hielt seinen Blick, ernst und entschlossen. „Eure Gefühle für mich - und somit auch für Nami - sind eure Schwäche. Sie werden von euren Feinden ausgenutzt. Diese Monet und dieser Doflamingo sind nur die Ersten, die das geschafft haben, aber bestimmt nicht die Letzten. Es... soll einfach nicht sein.“ Ein freudloses Lächeln huschte über Nojikos Lippen, an dem Aces Blick festhielt, als Nojiko von ihm abließ.

Er wollte so viel sagen, aber kein logisches Gegenargument formte sich in seinem Kopf. Da waren nur Wortfetzen, halbe Ideen und Wünsche, die es nicht aus seiner Kehle schafften. Es war sinnlos. Nojiko hatte sich bereits entschieden, entschlossen, dass Namis Sicherheit sowie die von Marco und ihm wichtiger war, als das zwischen ihnen. Und Ace konnte nicht widersprechen, denn... sie hatte recht.

Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er sah sich nach etwas um, das er treten oder zerstören konnte.

„Da kommt jemand.“ Thatchs harsche Worte, die flüsternd die aufgekommene Stille durchbrachen, ließen Ace innehalten.

Er sah zu Nojiko hinüber, doch sie trat an ihm vorbei. Er war vergessen, denn im nächsten Moment kamen Law und Nami um die Ecke des Containers.

Thatch steckte mit einem erleichterten Seufzen die zwei Pistole zurück in das Halfter an seiner Hüfte, als sei er ein Cowboy, der einem Western entflohen war.

„Nami!“ Nojikos Stimme war schrill, bevor sie ihre kleine Schwester in die Arme schloss.

„Nojiko!“

Doch Ace marschierte auf Law zu und packte ihn am Kragen seines offenstehenden T-Shirts, um ihn heranzuziehen. „Wo ist Marco?“

Laws Gesicht blieb ausdruckslos. „Ich weiß es nicht. Monet muss ein Boot in der Nähe versteckt haben. Sie ist zu schnell verschwunden.“

Ein Boot. Das bedeutete, dass sie überall und nirgends mit Marco sein konnte. Dass Ace keinen Ansatzpunkt hatte, um nach ihm zu suchen.

„Findest du nicht, dass es jetzt endlich an der Zeit ist, um Paps einzuweihen?“, fragte Thatch, der neben ihm zum Stehen kam. Seine Hand landete auf Aces Arm, bis Ace die Finger aus Laws T-Shirt löste, obwohl er etwas ganz anderes tun wollte. Trotz der Dunkelheit, die nur von entferntem Laternenlicht erhellt wurde, konnte Ace die leicht angeschwollene Unterlippe erkennen, die er vor einigen Stunden erst blutig geschlagen hatte.

„Wir haben keine andere Wahl“, sagte Ace und wandte sich von Law ab, aber auch von Nojiko und Nami, die wieder einander hatten und sicher und gesund waren. Es sollte Ace freuen, aber ohne Marco war es einfach nicht genug. Nicht, wenn er nicht wusste, wo er war und ob es ihm gut ging.

„Ich bin sicher, dass es Marco gut geht“, erhob Nojiko das Wort, als hätte sie seinen Gedanken gelesen, einen Arm noch immer um Nami gelegt.

Ace warf ihr einen finsteren Blick zu.

„Nojiko-ya hat recht“, sagte Law. „Noch läuft alles nach Plan.“

Noch einmal konnte er sich nicht zu dem Verräter umdrehen, denn ansonsten würde er ihm die Lippe erneut blutig schlagen, aber diesmal nicht nur die Unterlippe. Stattdessen schloss Ace die Augen und atmete durch, während er das Beben in seinem Körper zu ignorieren versuchte.

Natürlich wusste er, dass Law recht hatte, auch wenn es schwer einzugestehen war. Es war Marcos Plan, sich von Monet als Geisel nehmen zu lassen, um sich dann selbst um sie zu kümmern, damit niemand mit hineingezogen und verletzt werden konnte. Nicht einmal Ace.

„Und woher willst du das wissen?“, entwich es Thatch. „Woher wollen wir wissen, ob alles nach Plan läuft und Marco mit ihr klarkommt, wenn wir nicht einmal wissen, wo sie sich aufhalten? Was, wenn er nicht nach Hause kommt? Sollen wir hier sitzen und Däumchen drehen? Wenn Marco etwas passiert, wird Paps uns das niemals verzeihen!“

Thatchs Atem ging schwer, als er fertig war. Das Rasseln war das einzige Geräusch, welches das folgende Schweigen begleitete.

Ein Gefühl kam in Ace auf, dass ausnahmsweise keinem Zorn glich. Es war schwächer, aber nicht weniger einnehmend und brannte wie Feuer. Wie sollte er Paps erklären, dass er Marco hatte ziehen lassen, obwohl er es hätte besser wissen müssen? Dass Marco ihm nicht genug vertraute, um ihn in seinen Plan einzubringen? Um ihn seinem Rücken zu stärken? Dass er einfach nicht gut genug war?

„Thatch.“ Ace drehte sich zu seinem Freund um. „Ich muss derjenige sein, der Paps einweiht.“

Thatch hinterfragte seine Entscheidung nicht, worüber Ace froh war. Widerspruch konnte er im Moment nicht gebrauchen. Sie würde nur wie Kritik in seinen Ohren klingen und seine Wut antreiben.

Auch Law sagte nichts mehr, obwohl seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst waren.

„Ich finde, dass Thatch und Ace recht haben.“ Ausgerechnet Nami war es, die ihre Partei ergriff. Mit einem müden Lächeln löste sie sich aus Nojikos Umarmung. „Ich weiß zwar nicht alles haargenau, aber soweit wie Law es mir auf dem Weg hierher erklärt hat, können wir uns nicht darauf verlassen, dass Marco sich befreien kann.“ Ihr Blick richtete sich auf Ace und er sah dieselbe Entschlossenheit, die auch Nojiko in sich trug, in ihr. „Du musst Whitebeard Bescheid sagen. Es war dumm, dass ihr ihn nicht gleich eingeweiht habt.“ Dabei war Nami es, die sie am Anfang noch als Verbrecher abgestempelt und gehasst hatte, die sie und Whitebeard nur wegen Nojiko in ihrem Leben akzeptiert hatte.

„Nami, es tu-“, begann Ace, doch Nami brachte ihn mit einer harschen Handbewegung zum Schweigen.

„Dafür haben wir jetzt keine Zeit“, fuhr sie ihm über den Mund und Ace musste grinsen, ebenso wie Nojiko, die den Kopf schüttelte, jedoch seinen Blick auffing.

„Du hast recht“, sagte Ace. „Ihr schafft es allein nach Hause?“

„Natürlich“, antwortete Nojiko, die Namis Hand in ihre nahm. Sie zog sie hinter sich her und Nami ließ es zu, einen letzten Blick in Laws Richtung werfend.

„Okay, Thatch, lass uns gehen“, rief Ace aus und setzte sich mit Thatch in Bewegung, um sich auf den Weg zur Villa zu machen, denn es gab gewisse Dinge, die sollte man nicht am Telefon bereden. Marcos Verschwinden war eine davon.
 


 

XVI

Das Metall der Handschellen biss kalt und unnachgiebig in das Fleisch seiner Handgelenke. Der Schmerz war vertrauter, als Marco es zugeben wollte. Zudem nahmen die Handschellen ihm das Gefühl der Kontrolle, denn diese hatte er für diesen Plan aufgeben müssen. Vor einigen Jahren hätte er es nicht getan oder zumindest wäre es ihm schwerer gefallen. Doch ein Geiselaustausch war die beste Lösung gewesen, um Nami aus den Fängen ihrer Entführerin zu befreien, die laut Laws Beschreibung keinerlei Skrupel kannte. Das war er Nami schuldig, denn immerhin war sie nur durch Ace und ihm in diese Lage geraten. Durch Law, der sie ausgenutzt und betrogen hatte, um an Whitebeards Familie heranzukommen. Wahrscheinlich hatte sich Marco in der Beziehung, die er mit Ace und Nojiko aufgebaut hatte, verrannt und war blind gegenüber den Konsequenzen gewesen.

Doch er war nicht naiv genug, um nicht zu erahnen, dass die simple Harmonie, die sie bis heute Morgen noch geteilt hatten, wie ein Spiegel zersprungen war und dass sich Spiegel nie wieder komplett zusammen setzen ließen. Dinge würden sich ändern, selbst wenn sie alle heil aus dieser Angelegenheit herauskommen würden. Er hatte die Wut in Aces Blick gesehen und in die Distanz in Nojikos. Nur sein Vorschlag hatte vorerst das Brechen des dünne Eises verhindert, auf dem sie sich alle befanden.

Ob sein Plan aufging und Nami sicher war, wusste er nicht. Er konnte sich nur auf seinen Instinkt verlassen, auf seine Erfahrung und Menschenkenntnis. Aber auch diese konnte ihn nicht vor jeder Überraschung beschützen.

Womit er nicht gerechnet hatte, war das kleine Motorboot, das Monet nicht unweit von der Fabrikhalle, die als ihr Treffpunkt fungiert hatte, angebunden hatte.

Das kleine Boot wippte auf dem Wasser, als es über das schwarze Nass durch die Nacht sauste. Der Wind zerrte an seinen Haaren und seinem offenstehendem Hemd. Es war stockdunkel, doch gelegentlich gaben die Wolken den Halbmond preis und seine Augen, die sich längst an die Finsternis gewöhnt hatten, konnten Schemen um sich herum erkennen.

Er saß auf dem Boden des Boots und lehnte mit dem Rücken an der Außenhülle, entfernt von Monet, die an dem überdachten Steuer stand. Eines seiner Beine war angewinkelt, das andere ausgestreckt. Neben ihm konnte er einige Angeln im Boot liegen sehen, ebenso wie anderes Equipment, was ihm versicherte, dass Monet dieses Boot von einem der kleinen Privatpiers gestohlen hatte.

Allerdings konnte er nicht einmal erahnen, was Monet im Sinn hatte und wohin sie fuhr. Marco wollte es auch nicht herausfinden.

„Und was nun?“, fragte er dennoch, da Monet sich bisher doch recht wortkarg gehalten hatte, obwohl Law ihm versichert hatte, dass sie gern große Reden schwang, weil sie sich stets allen anderen gegenüber überhaben fühlte. „Fahren wir den ganzen Weg nach Texas, damit du mich deinem Boss übergeben kannst?“ Seine Stimme blieb desinteressiert. Einerseits, um ihr nicht auch in diesem Aspekt die Oberhand zu geben, sondern auch, weil es wirklich kein Interesse an ihrem Plan hatte.

Viel eher war Marco darauf konzentriert seine Hand in die linke Hosentasche zu bekommen, um den dort versteckten Draht herauszufischen.

Glücklicherweise war sich Monet ihrer Sache sicher, denn sie warf nicht einmal einen Blick in seine Richtung. Stattdessen stieß sie ein schrilles Lachen aus. „Wenn der Treibstoff dafür reichen würde, sicherlich“, erwiderte sie über den Fahrtwind und das Rauschen des Wassers hinweg. „Aber nein, mein lieber Marco. Ich werde Doflamingo Bescheid geben und er wird uns eine Eskorte schicken, um uns abzuholen. Du bist immerhin ein Ehrengast, bei dem man nicht alle Tage die Gelegenheit bekommt, ihn in seiner Runde willkommen zu heißen.“ Obwohl er ihr Gesicht nicht sehen konnte, wusste er, dass sie schmunzelte und amüsiert über ihren Fang war.

Marco reagierte nicht, sondern schob stattdessen umständlich den Draht in das Schloss der einen Handschelle, um sie zu öffnen. Die Dunkelheit half um sein Tun zu verstecken, sollte sie ihm doch einen Seitenblick schenken.

„Du und Law... ihr hattet mal etwas miteinander, nicht?“, erkundigte er sich, um die Unterhaltung fortzuführen. Menschen, die redeten, konnten nicht heimlich Pläne schmieden.

Nun drehte Monet tatsächlich den Kopf in seine Richtung. Unwirsch wischte sie sich das grüne Haar aus dem Gesicht, das im Wind hin- und herwippte.

Marco stillte in seinem Tun.

„Was denn? Hat sich Law euch auch noch anvertraut?“ Sie schnaufte abfällig. „Der unnahbare Law, der Chirurg des Todes...“ Ein Lachen folgte, das harsch war und auf keinerlei verlorener Zuneigung zwischen den beiden hinwies. „Er ist so erbärmlich. Obwohl er immer auf eiskalt tut, ist er in Wirklichkeit wie ein kleines Kind, das sich nach etwas Liebe sehnt. Buhu!“

In der Ferne zeichnete sich ein anderer Teil Key West ab, da sie sich weiterhin nah am Ufer befanden, anstatt auf das offene Meer hinauszusteuern. Das hätte mitten in der Nacht auch fatal sein können, da Monet sich nicht genug in diesen Gewässern auskennen konnte.

„Ja, wir hatten Sex“, sprach Monet nach einigen Momenten weiter, während das leise Klicken der sich öffneten Handschelle in den allgemeinen Geräuschen unterging.

Marco machte sich an der anderen zu schaffen, während Monet weiterplapperte, den Rücken zu ihm und auf das dunkle Nass gerichtet, während sie über die Wellen stoben.

„Aber er war nicht besonders gut. Ich habe noch nie mit jemanden geschlafen, der so prüde und ruhig gewesen ist. Er hat keinen Ton von sich gegeben, dabei weiß ich, dass ich gut bin. Wenn du verstehst, was ich meine. Mit Sicherheit auch besser als deine kleine Freundin. Nojiko, nicht wahr?“ Die Arroganz und die Belustigung war nicht zu überhören und Marco fühlte einen Funke Wut in seinem Bauch. Doch anders als Ace erstickte er ihn im Keim. Er musste einen kühlen Kopf bewahren, alles andere war gefährlich in einer Situation wie dieser.

Mit einigem Fingergefühl und noch mehr Erfahrung im Lockpicking öffnete sich auch die zweite Handschelle. Der Draht wanderte wieder in seine Hosentasche, während Marco seine Position langsam veränderte, um schneller auf die Beine kommen zu können.

Der Vorteil war seiner. Monet ahnte nicht, dass er frei war, und stärker als sie war er auch.

„Was denn?“, fragte sie höhnisch und wandte sich um. „Hat es dir etwa-“

Doch da hatte Marco bereits seine Hände aus den Schellen gelöst. Mit einem Sprung war er auf den Beinen und zwei lange Schritte überbrückten die Distanz zwischen ihnen.

Ächzend streckte Monet die Hand nach der Glock aus, die neben dem Steuer lag. Ihre Finger schlossen sich um den Griff, als Marco sie erreichte und ihren Arm packte. Ein Schuss explodierte, der irgendwo vor ihnen in die Instrumententafel des Schiffs einschlug. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, als sie gegen Marco ankämpfte. Ihr Ellenbogen stieß ihm in den Magen und sie rangelten miteinander um die Pistole, die Monet hielt.

Mit mehr Kraft als erwartet, presste sich Monet gegen ihn und sie stolperten rückwärts, fort von dem überdachten Steuerhäuschen. Schmerz explodierte in Marcos Rücken, als er gegen die Reling des Boots stieß. Der Aufprall drückte ihm die Luft aus den Lungen. Es gab Monet genügend Zeit, um sich in seinen Armen umzudrehen und die Pistole auf ihn zurichten.

Marco biss die Zähne aufeinander, packte sie an den Schultern und schleuderte sie herum. Abermals wurde ein Schuss abgefeuert und etwas Heißes fraß sich in seine rechte Schulter. Doch Marco ignorierte den Schmerz, griff nach ihrem Unterarm und schlug ihre Hand gegen die metallene Reling. Die Glock rutschte ihr aus den Fingern und schlitterte über den Boden des Motorboots. Sie wollte danach greifen, doch er schubste sie stattdessen zur Seite, um stattdessen selbst zu suchen, wohin sie verschwunden war.

Er machte etwas direkt unter der kleinen Sitzbank aus, die sich weiter hinten vor dem Geländer befand und in das Boot eingebaut war. Er hechtete zu ihr hinüber, musste jedoch einen Moment unachtsam gewesen sein, denn im nächsten Augenblick spürte er nur den Zusammenstoß, als sie auf ihn zugerannt kam. Er stürzte gegen die Bank und die Reling, verlor jedoch das Gleichgewicht.

Ein Moment der Klarheit folgte, in dem ihm bewusst wurde, dass er fiel. Seine Hand griff nach der Frau, welche die Verursacherin war, hielt sich an ihrem Arm fest, der als einziges greifbar war.

Abermals entfloh ein Schrei ihrer Kehle, dieser jedoch panisch anstatt zornig, als sie mit ihm über die Reling fiel.

Das aufwühlte Wasser verschluckte sie, eiskalt obgleich der sonst sommerlichen Temperaturen. Alles war schwarz um Marco herum, als er instinktiv die Luft anhielt und sich zu orientieren versuchte. Monet zerrte an ihm, wurde jedoch durch die tosenden Wellen fortgezogen, bis Marco sich allein wiederfand und mit hektischen Bewegungen die Oberfläche ansteuerte. Seine Lungen brannten und seine Augen tränten durch das Salzwasser, während alles um ihn furchtbar dunkel und verloren wirkte.

Nach einer gefühlten Ewigkeit brach er durch die Oberfläche und sog Luft in seine Lungen. Sein Blick wandert umher, doch von dem Boot war keine Spur mehr zu sehen.

Teil 4: Crossfire [5]


 

XVII

Der Kloß, der die ganze Zeit über in seiner Kehle festgesteckt hatte, löste sich bei dem Anblick der vertrauten Villa. Das Anwesen war ein schwarzes Ungestüm in der Nacht, das auf einem Hügel stand. Die lange Einfahrt führte zum Vorgarten, der verwildert war. In der Dunkelheit waren die Ranken und der Efeu nicht zu sehen, welche den Hauswänden im Laufe der Jahre auf allen Seiten hinaufgeklettert war, so dass nur Fenster und Türen frei lagen. Die Gemeinschaftsräume und die Küche befanden sich auf der Rückseite der Villa, so dass die Fenster auf dieser Seite dunkel blieben.

Ace wusste jedoch, dass man sich ihrer Anwesenheit dennoch bewusst war, denn irgendjemand von seinen Brüdern hatte immer ein Auge auf die Einfahrt.

Zusammen mit Thatch schritt er diese hinauf. Seine Fäuste waren so fest geballt, dass seine Knöchel schmerzten. Vielleicht war es auch der Fausthieb gewesen, den er Law heute Morgen verpasst hatte. Allerdings schien das eine halbe Ewigkeit her zu sein, ebenso wie viele andere Dinge.

Bevor sie den Eingang des Anwesens erreichten, öffnete sich bereits die Tür. Ein fahler Lichtschein stahl sich durch den Spalt nach draußen, nur unterbrochen von der Person, die sie hineinbat.

Haruta stand im Türrahmen, seine Gestalt klein und schlaksig mit zu weiter Kleidung. Sein braunes Haar hing ihm in die Augen, doch sein Blick war wachsam, vor allem jedoch abschätzend. Als ob er etwas ahnte. Etwas wusste.

Doch Ace schüttelte den Gedanken ab. Das war nur seine Einbildung, die da aus ihm sprach. Niemand wusste von den Geschehnissen, von Namis Entführung oder von Marcos Plan. Niemand außer ihnen.

„Ich muss mit Paps sprechen“, presste Ace hervor, anstatt Haruta zu begrüßen.

Dieser trat einen Schritt zur Seite, um ihnen Eintritt zu gewähren. „Wo ist Marco?“

Ace blieb abrupt im Türrahmen stehen, die Augenbrauen zusammen gezogen. „Warum fragst du? Wo-“

Thatch stieß ein lautes Lachen aus. „Was Ace meint ist, dass Marco Zuhause ist. Also bei Nojiko. Wo soll er auch sonst sein?“ Mit einer Hand an Aces Rücken bugsierte Thatch ihn den restlichen Weg in das Anwesen, bevor er die Tür hinter ihnen schloss.

Haruta hob eine Augenbraue. „Ich meine nur, da du nie ohne Marco hier auftauchst.“

Aces Mund klappte auf, aber bevor er Protest gegen diese Aussage einlegen konnte, schubste Thatch ihn bereits weiter. „Irgendwo hat Haruta recht“, warf er ein, schüttelte im gleichen Moment aber den Kopf. „Aber ist das wirklich wichtig jetzt? Haben wir nicht etwas Besseres zu tun, Ace?"

Er musste sich auf die Zunge beißen. „Wo ist Paps?"

„Im Bett. Er hatte zu viel Sake. Außerdem ist heute einer seiner schlechteren Tage“, erklärte Haruta. „Also macht es kurz, wenn es so wichtig ist, dass ihr ihn wecken müsst.“

Sein Vorsatz, Paps alles zu erzählen und sich schuldig zu bekennen, schwächte bei diesen Worten ab. Ace war so entschlossen gewesen, aber das Letzte, was er tun wollte, war Whitebeard zu stören. Sein Gesundheitszustand hatte sich in dem letzten Jahr zunehmend verschlechtert, auch wenn Ace für eine lange Zeit die Augen davor verschlossen hatte. Er wollte nicht wahrhaben, dass selbst ihr alter Herr sich allmählich dem Alter beugen musste, da dieser immerhin bereits die siebzigste Jahregrenze erreicht hatte. Doch der Gedanke ihn zu verlieren war unerträglich und furchtbar unrealistisch.

Ohne Whitebeard gab es ihre Organisation nicht mehr und ihre Familie würde einfach nicht mehr komplett sein - und Ace war zu spät zu ihnen gestoßen und hatte bereits zu viel von dem Leben seines Vaters und seiner Brüder, von Marcos, verpasst.

„Thatch...“, murmelte Ace. „Tu mir den Gefallen und warte hier unten.“ Ohne Thatchs fragendem Blick Beachtung zu schenken, stieg Ace hastig die Treppe hinauf.

Im Obergeschoss war es still. Fotos hingen in prunkvollen Bilderrahmen an den Wänden zwischen den einzelnen Türen, die in weitere Schlafzimmer führten. Eines davon war das Zimmer, dass Marco und er sich teilten. Whitebeards Schlafzimmer befand sich abgeschotteter und ganz am Ende des Flurs.

Einen Moment betrachtete Ace die Tür ihres Zimmers im Vorbeigehen. Nur dieser Raum war ihnen geblieben, denn ihre Wohnung war abgebrannt und zu Nojiko konnten sie nun nicht mehr zurückkehren. Dass sie mit ihnen schlussgemacht hatte, war immer noch nicht richtig in Aces Kopf angekommen und würde es wahrscheinlich auch nicht, bis sie Marco gefunden und nach Hause gebracht hatten.

Der Knauf gab ein leises Quietschen von sich, als Ace die Tür zu Whitebeards Schlafzimmer öffnete. Der Raum lag in Dunkelheit und nur das einfallende Licht vom Flur erhellte ihn und gab die Schemen der Möbel und die riesige Gestalt auf dem Bett preis.

Auf leisen Sohlen trat Ace ein und wanderte zu dem Stuhl neben dem Bett hinüber, auf dem er sich niederließ. „Paps?“ Seine Stimme war leise und rau und sein Mund fühlte sich plötzlich furchtbar trocken an.

Er lauschte, doch Whitebeard reagierte nicht. Die Sauerstoffmaschine, die auf der anderen Seite des Bettes stand und Whitebeard zusätzlich mit einer Atemmaske mit Luft versorgte, brummte in monotonen Abständen. Eine dünne Bettdecke lag über dem muskulösen Körper ihres alten Herren ausgebreitet, obwohl das Zimmer trotz des Ventilators an der Decke aufgeheizt war.

Ace bettete die Arme auf den Oberschenkeln und verschränkte die Finger beider Hände ineinander. Sein Blick galt der schattenbesetzten Gestalt seines Vaters, während er seine Gedanken ordnete.

Was hätte er für eine Antwort gegeben... Whitebeards Erwachen hätte alles vereinfacht und Ace eine Lösung auf all seine Fragen gegeben. Er hätte alle anderen Entscheidungen getroffen und gewusst, wie und wo sie mit der Suche nach Monet und Marco anfangen sollten. Key West war nicht allzu groß, aber mit dem Boot konnten sie längst auf einer der anderen Inseln sein.

Wie lange er dort im Halbdunkel neben der schlafenden Gestalt seines Vaters saß, konnte Ace nicht sagen. Seine Stirn war fest gegen die verschränkten Finger seiner Hände gepresst, die Lider gesenkt, während er seinen Gedanken nachhing.

Irgendwann vernahm er ein fernes Stimmengewirr, das ihn aufsehen ließ. Die vorige Stille im Anwesen, die nur aufgrund Whitebeards Zustand und der nächtlichen Uhrzeit herrschte, war mit einem Mal zerbrochen.

Aces Herz hämmerte sogleich gegen seinen Brustkorb und er saß kerzengerade auf seinem Stuhl, als er den Stimmen lauschte. Mehrere redeten durcheinander und schallten vom Erdgeschoss hinauf. Das Gesagte fing Ace nicht auf, doch die allgemeine Aufruhe konnte nur eines bedeuten: Irgendetwas war geschehen.
 


 

XVIII

Der Schmerz in seiner Schulter war heiß und beißend. Er zog den gesamten linken Arm bis in die Fingerspitzen hinunter und auch jede Bewegung seines Oberkörpers, das Atmen eingeschlossen, schickte ein Ziehen durch seinen Arm.

Sein Denken war eingeschränkt und im Nachhinein konnte Marco nicht einmal sagen, wie er es soweit geschafft hatte. Er war von seinen Instinkten geleitet worden und von dem primitiven Drang zu überleben. Er kannte dieses Gefühl, das aus purem Adrenalin bestand und in Notsituationen die Kontrolle an sich riss. Dieses Gefühl hatte ihm schon oft das Leben gerettet.

Sein Hemd hatte er irgendwo im Meer verloren, nach dem es versucht hatte ihn zu ertränken, ebenso wie seine Sandalen. Ein winziger, irrationaler Teil von ihm fand es schade, dass er sie nicht hatte retten können, obwohl er wusste, dass materielle Sachen ersetzbar waren.

Marco schleppte sich weiter. Seine Hose war durchweicht und klebte wie eine zweite Haut an ihm. Doch es war sein Arm, den er zu ignorieren versuchte.

Als er es endlich aus dem Wasser an Land geschafft hatte, hatte er einen flüchtigen Blick auf die Wunde geworfen. Der Pistolenschuss hatte ihn gestreift, nichts weiter. Allein darüber war Marco froh, auch wenn er dennoch einiges an Blut verloren hatte.

Erstaunt war er jedoch mehr über die Tatsache, dass er relativ nah ans Ufer geschwemmt worden war. Sie hatten sich immer noch vor der Küste von Key West befunden, auf die Marco nach seinem Sturz aus dem Motorboot zugeschwommen war.

Den Weg zu Whitebeards Villa fand er blind. Marco musste sich nicht orientieren, denn er kannte jeden Winkel dieser Insel. Trotzdem spürte er, wie seine Hände sich entkrampften, als das vertraute Anwesen in Sicht kam, das ihm schon seit einer gefühlten Ewigkeit ein Zuhause war. Es war das einzige Zuhause, das er je wirklich anerkannt hatte.

Es war Haruta, der ihm die Tür öffnete. Marco hob einen Mundwinkel zum stummen Gruß, während Harutas Augen sich weiteten. Im nächsten Moment war sein Bruder bereits an seiner Seite, um ihn stützend in die Villa zu bugsieren.

„Was ist mit dir passiert?“, raunte Haruta und sein Ton war merkwürdig belegt, als überraschte ihn Marcos mitgenommener Zustand nicht so sehr, wie dieser es erwartet hatte. Wusste er etwas? Hatte Whitebeard etwas von ihren Problemen mitbekommen?

Doch diese Gedanken waren flüchtige. Wenn doch, konnte Marco nichts daran ändern. Außerdem war es nicht so, als hätte er nicht vorgehabt, Whitebeard und die anderen nicht doch im Nachhinein einzuweihen. Namis Sicherheit war einfach vorgegangen und—

„Marco? Marco, was ist passiert?“, fragte Haruta erneut und Marco wurde bewusst, dass er nicht geantwortet hatte. Die Tür krachte zu, nach dem Haruta ihr einen Schubs gab und er Marco ins Wohnzimmer stützte.

„Ich erkläre es euch später“, murmelte Marco.

Der Fernseher lief im Wohnzimmer und einige Jungs hatten sich auf den Sofas gesammelt, während Bierflaschen verstreut auf den Tischen und Schränken standen. Irgendeine Komödie flimmerte über die Mattscheibe und Gelächter lag in der Luft. Jedenfalls bis dieses von mehreren vertrauten Stimmen unterbrochen wurde, die verwundert seinen Namen ausriefen. Seine Brüder sprangen auf und Marco wurde zu einem der Sofas hinüber geleitet, das zuvor noch bis auf den letzten Platz besetzt gewesen war.

Als er die Couchkissen im Rücken hatte, sackte Marco tief in sie hinein, den Kopf im Nacken gelegt und die Augen geschlossen. „Ist Paps wach?“, brachte er über spröde Lippen hervor, das Meersalz noch immer in jedem Winkel seines Mundes schmeckend. „Oder habt ihr von Thatch gehört? Von Ace?“

Doch die gute Laune, die zuvor noch geherrscht hatte und nun von einer geladenen Stille ersetzt worden war, beantwortete Marcos Frage bereits. Wenn auch nur einer seiner hier anwesenden Brüder von der Entführung und ihrem Rettungsplan gewusst hätte, wäre niemand so ausgelassen gewesen. Hatte Marco einen Fehler begangen? Hatte er Law doch falsch eingeschätzt und er hatte sie verraten? Ging es den anderen gut? Was war mit—

„Marco?“, durchbrach eine vertraute Stimme seine Gedanken. Sein Name wurde so leise ausgesprochen, doch Marco hörte ihn, da es das wahrlich das einzige Geräusch im Raum darstellte.

Er schlug die Augen auf. Fragende Gesichter schauten zwischen Marco und Ace hin und her, der im Türrahmen zur Eingangstür aufgetaucht war.

In dem Licht der Wohnzimmerlampe wirkte Ace bleich wie ein Stück Papier, während dunkle Ränder unter seinen Augen lagen. Sein Mund war geöffnet, als wollte er etwas sagen, erneut Marcos Namen nennen, aber er brachte nichts weiter über die Lippen. Stattdessen wanderte Aces Blick an seiner Gestalt hinunter und blieb an seiner blutigen Schulter hängen. Sein Gesicht verzog sich und so viele verschiedene Emotionen huschten darüber, dass Marco sie nicht alle entschlüsseln konnte. Doch er meinte eine ihm unvertraute Angst in Ace herauslesen zu können, die er nicht deuten konnte.

Er hob die Hand seines unverletzten Arms und winkte Ace heran.

„Marco, deine Wunde...“, gab Haruta zu bedenken, doch dieser schüttelte den Kopf.

„Die kann noch fünf Minuten warten“, sagte er.

„Dann hole ich wenigstens schon mal den Verbandskasten“, murmelte sein Bruder, während ein anderer Marco eine Bierflasche in die Hand drückte und seine Schulter tätschelte. Der Fernseher wurde wieder lauter gestellt und die anderen Sofas wieder besetzt, um ihnen wenigstens ein bisschen Privatsphäre in diesem Gemeinschaftsraum zu geben. Es war eben schon lange kein Geheimnis mehr, was Ace und ihn verband.

Doch es war Ace, der nur langsam einen Fuß vor den anderen setzte und auf ihn zukam. Die Hände, die zur Faust geballt waren, lockerten sich, aber Aces Augenbrauen zogen sich zusammen, als er neben Marco auf den Couchrand sank. Sein Oberschenkel presste sich gegen Marcos Knie, als er halb zu Marco herumgedreht war.

„Was ist passiert?“, brachte Ace krächzend hervor. „Law hat gesagt, dass Monet mit dir verschwunden ist. Dass...“ Marcos Hand, die sich nach ihm ausstreckte, ließ ihn verstummen. Seine Finger berührten Aces Kinn, während er beobachtete, wie seine Unterlippe bebte. Der Zorn war verpufft und es wunderte Marco, dass er das erst jetzt feststellte.

„Du bist ganz schön erwachsen geworden, Ace“, brummte Marco und zog Aces Blick auf sich. Doch es stimmte, denn vor gut einem Monat wäre Ace nicht zur Villa zurückgekehrt, sondern wäre Monet und ihm planlos hinterhergejagt.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, zischte Ace und seine Kiefernmuskeln spannten sich wieder an. Seine eigenen Hände ruhten auf seinen Oberschenkeln und verkrampften sich in dem Stoff seiner Dreiviertelhose. „Ich dachte, du wärst tot. Oder dass sie sich wirklich nach Texas verschleppt hat. Ich war so kurz davor, Paps alles zu erzählen und—“

Marcos Finger wanderten in Aces Nacken und zogen ihn heran, bis ihre Stirnen sich berührten. Aces Haut war warm und verschwitzt, während sein Atem schwer war und eine Gänsehaut bei Marco auslöste. Er schloss die Augen und genoss die Stille, die von Ace ausging und ihnen eine Auszeit gönnte.
 


 

XIX

Die Nacht kam ihr endlos vor. Es war die längste Nacht ihres Lebens. Hatte sie überhaupt ein Auge zugetan, seit sie nach Hause gekommen waren?

Nojiko setzte sich auf und die Decke rutschte on ihrem Körper, ehe sie von dem Sofa auf den Boden glitt. Gähnend fuhr sie sich mit einer Hand durch das Haar. Erst dabei bemerkte sie, dass sich das rote Band gelöst hatte, das ihre Haare für gewöhnlich zurückhielt. Sie wandte sich um und fand es in der Couchritze. Doch anstatt es umzumachen, schob sie es in die Tasche ihrer Jeans. Sie hatte sich gestern Nacht nicht einmal mehr umgezogen, fiel ihr dabei auf.

Alles, was sie im Moment wollte, war eine lange Dusche und frische Kleidung, aber gleichzeitig war es unglaublich schwer, sich aufzuraffen und produktiv zu sein. Zu viele Dinge schwirrten ihr durch den Kopf, all die bruchstückhaften Erinnerungen an den gestrigen Tag und die Nacht, die ihr endlos vorgekommen war.

Doch Nami war in Sicherheit, das war alles, was zählte. Nojiko hätte sie verlieren können, wie sie auch schon Bellemere verloren hatte und all das nur, weil sie sich auf Marco und Ace eingelassen hatte, obwohl sie gewusst hatte, dass es nicht gut ausgehen würde. Es war nicht ihre Schuld, denn sie hatten nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie zu Whitebeards Organisation gehörten und dies Gefahr mit sich brachte. Nein, Nojiko hatte gewusst, worauf sie sich einließ - und das Schlimmste war, dass sie Marco und Ace bereits vermisste.

Sie schloss die Augen, als sie an den Anruf von vor ein paar Stunden zurückdachte, an Aces Stimme, die rau und erschöpft geklungen hatte. Aber auch ein Hauch von Erleichterung hatte in ihr geschwommen, als er sie informiert hatte, dass es Marco gut ging und er ebenfalls in Sicherheit war. Auch Nojiko war in diesem Moment ein Stein vom Herzen gefallen. Immerhin hatte Marco sich geopfert, damit sie Nami zurückbekamen und das würde sie ihm niemals vergessen.

Nojiko sog tief die Luft in die Lungen, stand auf und streckte sich. Ihre Augen öffneten sich. Es war ein neuer Tag und sie konnte nicht ewig traurig auf dem Sofa herumsitzen. Stattdessen stieg sie auf leisen Sohlen die Treppen hinauf und wanderte durch den Flur zu Namis Zimmer.

Die Tür war angelehnt, aber das erste Tageslicht kroch durch den Türspalt, da keiner von ihnen in der Nacht noch die Vorhänge geschlossen hatte. Es hatte keine Rolle gespielt und es hatte ohnehin gedauert, bis Nami eingeschlafen war. Nojiko hatte Wache an ihrem Bett gesessen, bis sie dort selbst halb eingenickt und nur nach unten gegangen war, um sich noch ein Glas Wasser zu holen. Irgendwie musste sie dann doch auf der Couch eingeschlafen sein.

Nojiko schob die Tür ein Stück auf, fand Nami jedoch sitzend in ihrem Bett vor. „Guten Morgen“, murmelte Nojiko und schenkte ihrer Schwester ein Lächeln.

Die orangeroten Haare waren zerzaust und Schatten lagen unter ihren Augen, doch ihre Mundwinkel hoben sich trotzdem. Nami rutschte ein wenig zur Zeit, um Nojiko Platz zu machen und diese nahm die stumme Einladung an.

„Wie fühlst du dich?“, fragte Nojiko.

Die Beine an ihren Körper ziehend stützte Nami die Unterarme darauf. „Wären die Alpträume nicht gewesen, dann wesentlich besser“, gestand sie, wobei ein Hauch der Selbstironie sich in ihren Ton schlich. Dieser bestätigte Nojiko, dass Nami das Ganze doch besser wegsteckte, als sie befürchtet hatte. Andererseits war ihre Schwester schon immer stark gewesen, soviel stärker als Nojiko. Während sie fast an dem Tod ihrer Mutter zerbrochen wäre, hatte sich Nami ein neues Leben aufgebaut.

„Ich bin sicher, die legen sich wieder“, sagte Nojiko, obwohl sie das eben nicht wissen konnte. „Ich werde nachher jemanden anrufen, damit er die Schlösser austauscht. Außerdem habe ich beschlossen von dem restlichen Geld, das nicht für die Reparaturen am Haus draufgeht, eine Alarmanlage installieren zu lassen. Wenn ich hiermit fertig bin, wird es das sicherste Haus auf Key West sein.“

Nami hob den Blick und schmunzelte. „Fort Knox.“

„Genau“, erwiderte Nojiko, doch bevor sie fortfahren konnte, ertönte die Türklingel, die schrill die Treppe hinaufschallte.

Beide Schwestern zuckten zusammen, aber Nojiko unterdrückte den Anflug von Panik. Stattdessen rieb sie Namis Oberarm und stand auf, sich ein Lächeln aufzwingend. „Ich werde mal gucken gehen, wer das ist. Bestimmt Thatch.“

Wahrscheinlich hatte er die Nachricht, dass Marco, Ace und sie nicht länger zusammen waren, nicht bekommen oder aber er war gekommen, um sie umzustimmen. Doch das wollte sie im Moment nicht mit Nami besprechen, da ihre Schwester sich erst einmal von den nächtlichen Geschehnissen erholen musste und Nojiko nicht einschätzen konnte, wie Nami auf diese Neuigkeiten reagieren würde. Zuerst war sie gegen diese Beziehung gewesen, danach hatte sie diese unterstützt, aber Nojiko machte sich nichts vor, dass bei ihr nicht ebenfalls nach diesen Geschehnissen etwas hängen geblieben war.

Mit einem letzten Lächeln verließ Nojiko Namis Zimmer, schloss aber die Tür hinter sich, bevor sie die Treppe zum Erdgeschoss hinunterstieg. Ihr Blick huschte zur Küche und der Schublade hinüber, welche die Fleischmesser hielt.

Sie schüttelte den Kopf über sich selbst, denn nach einem zu greifen wäre nun wirklich ein bisschen zu paranoid. Niemand würde hier so früh am Morgen auftauchen und sie bedrohen oder gar entführen. Abgesehen davon hatte Ace ihr gesagt, dass diese Monet fort war und sie die Sicherheitsvorkehrungen auf der Insel verstärkt hatten, was auch immer das bedeuten mochte. Trotzdem vertraute sie Ace genug, um seine Worte hinzunehmen, ohne sie auseinander und hinterfragen zu müssen.

Tief durchatmend öffnete sie die Tür, woraufhin sich ihre Augen weiteten, als sie sich ausgerechnet mit den beiden Personen konfrontiert sah, die so viele ihrer Gedanken einnahmen, aber mit denen sie im Moment nicht gerechnet hatte.

„Ace... Marco...“, entwich es ihr. „Was macht ihr hier?“

Ace brachte ein schiefes Grinsen zustande, als er locker an ihrem Türrahmen lehnte. Sein dunkelblaues Hemd, das ihm offen um die Schultern hing, biss sich mit seinem orangenen Hut, während die alte Dreiviertelhose schon bessere Zeiten gesehen und ein Loch im Knie hatte. Marco hingegen trug eines seiner üblichen violetten Hemden und Stoffhosen, aber es war seine Blässe und der Verband, der trotz des Hemdes sichtbar war, die Nojikos Blick auf sich zogen.

„Wir wollten unsere Sachen abholen“, sagte dieser, die Stimme rau wie Sandpapier, so dass sie Nojiko einen unangenehmen Schauer über den Rücken fahren ließ.

„Oh“, entwich es ihr und sie schulte ihr Gesicht, als sie beide hineinbat. Natürlich waren sie deswegen gekommen. „Wie geht es deiner Schulter? Ace meinte, es sei nicht so schlimm. Ganz schön blass siehst du dafür aber trotzdem aus.“

Sie hob eine Augenbraue und Marco bedachte sie mit einem langen, vollkommen ausdruckslosen Blick. Obwohl Nojiko gedacht hatte, dass sie seine Gesichtsmimiken inzwischen besser lesen konnte, war sie sich dessen nun nicht mehr so sicher, denn im Augenblick gab er rein gar nichts von seinen Gedanken und Gefühlen preis. Andererseits nahm sie an, dass sie kein Recht mehr auf diese hatte.

„Marco ist hart im Nehmen“, warf Ace ein und klopfte ihm gegen die heile Schulter.

Ein schmerzhafter Zug huschte über Marcos Gesicht, doch da erklomm Ace bereits die Treppe.

„Ich geh unsere Sachen holen“, verkündete Ace, hielt jedoch noch einmal inne, um Nojiko einen fragenden Blick zuzuwerfen. „Ist Nami oben?“

„Ja, aber... sie schläft.“

Ace nickte verstehend und Nojiko konnte nicht mit Genauigkeit sagen, ob er ihr diese Lüge abkaufte oder nicht. Im Grunde verstand sie selbst nicht, weshalb sie zu dieser Halbwahrheit griff, denn Ace würde Nami niemals etwas tun. Vielleicht hatte sie Angst, dass er Nami von ihrer Trennung erzählte...

Sie schaute zu Marco hinüber, nach dem Ace oben verschwand. Dessen Blick ruhte noch immer auf ihr, denn nichts konnte an seinem Selbstbewusstsein kratzen.

„Brauchst du Schmerztabletten?“, fragte Nojiko, da man einen Streifschuss bestimmt nicht einfach so wegstecken konnte. Nicht einmal Marco, wie sein Blick verraten hatte.

Marcos Mundwinkel zuckte. „Ich hab schon einige genommen. Trotzdem danke.“

Schweigen breitete sich aus und Nojiko unterdrückte den Impuls von einen Fuß auf den anderen zu treten.

„Ace hat mir erzählt, was ihr besprochen habt“, sagte Marco schließlich und verschränkte mit vorsichtigen Bewegungen die Arme vor der Brust.

Merkwürdig, dass ausgerechnet Ace zu dem Vermittler zwischen ihnen beiden geworden war, ging es Nojiko durch den Kopf. „Meine Gefühle haben sich nicht geändert“, antwortete sie, anstatt ihren Gedanken auszusprechen. Sie stellte auch nicht klar, ob sie damit nun ihre Gefühle für Marco und Ace meinte oder doch der Trennung betreffend. Es war schwer zu sagen, denn alle ihre Gefühle und Gedanken waren furchtbar miteinander verstrickt.

Marco nickte und auf Nojiko wirkte es nicht wie eine leere Geste, sondern als verstünde er tatsächlich. „Wir halten weiterhin nach Monet Ausschau, aber ich denke, dass wenn sie überlebt hat, sie nach Texas zurückkehren wird.“

„Was ist mit diesem Flamingo?“, fragte Nojiko und verschränkte nun auch ihrerseits die Arme. „Er wird nicht begeistert sein, dass sein Spion aufgeflogen ist, während sein erster Spion...“ Doch sie beendete ihren Satz nicht, denn eigentlich verstand sie nicht, was mit Law war. Zwar würde sie nicht zulassen, dass er jemals wieder einen Fuß in dieses Haus setzte oder mit Nami sprach, aber letztendlich hätten sie Nami nicht ohne seine Hilfe heil zurückbekommen.

„Ich habe den Eindruck, dass er seine Lektion gelernt hat“, sagte Marco schließlich kryptisch und Nojiko runzelte die Stirn.

„Du meinst, er steht auf unserer - eurer - Seite?“

Marco lächelte freudlos. „Ich weiß es nicht, aber ich habe vor es herauszufinden. Jedenfalls, wenn er sich dazu entscheiden sollte in Key West zu bleiben.“

Diese Idee, Law für immer hier zu haben, war neu. Sie war immer davon ausgegangen, dass sein Urlaub bald vorbei sein und er nach Hause fliegen würde, wo auch immer sich dieses Zuhause befand. Vielleicht war es ihr deshalb anfangs so leicht gefallen, ihn in ihrem Haus und in Namis Leben zu akzeptieren, da sie gewusst hatte, dass es nicht dauerhaft war.

„Mach dir keine Sorgen, Nojiko“, sagte Marco. „Wir werden nicht zulassen, dass noch einmal etwas geschieht. Ihr habt nichts mehr mit uns am Hut. Das wird auch bald nach Texas durchsickern. Wenn nicht, dann sorgen wir selbst dafür.“

Es sollte sie froh stimmen, denn das bedeutete Sicherheit für Nami und sie, aber stattdessen erfasste Nojiko eine Traurigkeit, die sie in dieser Form nicht kannte. Ihre Augenwinkel brannten und sie wandte sich ab, um stattdessen die Küche anzusteuern. „Kann ich dir wenigsten etwas zu trinken anbieten?“
 


 

XX

Das Grinsen verblasste auf den Stufen, sobald Nojiko und Marco außer Sichtweite waren. Plötzlich fühlte er sich unerwünscht in diesem Haus, dass ihn in den letzten Wochen so furchtbar vertraut geworden war. Es war ihm wichtig geworden. Vor allem waren jedoch die beiden Frauen, die hier lebten, zu einem Teil seiner Familie geworden - und nun wollte Nojiko Nami von ihm fernhalten, dies hatte er deutlich zwischen den Zeilen gelesen.

Ace hielt im Flur inne, betrachtete Namis Schlafzimmertür, riss sich jedoch los und marschierte in den gegenüberliegenden Raum. Die Reisetasche, die Nojiko erst vor ein paar Tagen für sie ausgepackt hatte, lag noch immer im Schrank. Ace packte sie und zog die Hemden und Hosen von ihren Bügeln, um die Kleidung in die Tasche zu stopfen und den Reißverschluss zuzuziehen.

Ein heißes Glühen breitete sich in seinem Magen aus. Er wollte nicht länger als nötig an einem Ort verbringen, an dem man nicht länger wollte. Diese Tatsache kroch langsam von seinem Bauch zu seiner Speiseröhre hinauf, bis ihm die Zweifel bitter aufstießen.

Natürlich wusste er, warum Nojiko so entschieden hatte und das es rein gar nichts mit ihren Gefühlen für ihn oder Marco zu tun hatte. Hierbei ging es um Nami und Sicherheit, aber... vielleicht war das, was sie verband, doch nicht stark wie Ace angenommen hatte. Immerhin kannten sie einander noch nicht allzu lange, obwohl Ace sich haargenau an ihre erste Begegnung erinnerte, an das Kribbeln in seinem Körper, als Nojiko bei ihm am Tisch in der Bar aufgetaucht war. Bereits da hatte er etwas geahnt und instinktiv gemerkt, bevor sie ihn mit ihrer kühlen, unabhängigen Art um den Finger gewickelt hatte. Es war ihre Stärke gewesen, die ihn verführt hatte - und die ihm nun ein Strick aus seinen Gefühlen drehte.

Ace presste den Daumen gegen ein Augenlid, als er Nojikos Schlafzimmertür hinter sich zuzog und die Treppe ansteuerte. Ehe er diese jedoch erreichte, öffnete sich Namis Tür.

„Ace...“, entwich es ihr und sie strich sich blinzelnd ein paar Haarsträhnen hinter das Ohr. Ringe lagen unter ihren Augen und sie wirkte merkwürdig blass und farblos. Ace hatte sie noch nie ohne wenigstens einen Hauch an Make-up gesehen, fiel ihm auf. „Gehst du?“

Ace folgte ihrem Blick zu der Tasche in seiner Hand hinunter. „Ja, ein bisschen Abstand tut uns allen gut.“ Die Worte fühlten sich scharf wie Glas in seinem Mund an, doch seine Lippen verzogen sich dennoch zu einem schiefen Grinsen.

Namis Stirn kräuselte sich, bevor sie ihn mit einer stummen Handbewegung in ihr Zimmer bat und die Tür weiteröffnete.

„Alles in Ordnung?“, fragte Ace, als er sich beinahe automatisch in Gang setzte. Nojiko würde es nicht gutheißen, das wusste er, aber Nami war ihm ebenfalls wichtig geworden.

Sie schloss die Tür und wanderte zurück zu ihrem Bett, auf dem sie niederplumpste. „Nojiko hat mit euch Schluss gemacht, stimmt's?“, erkundigte sie sich.

Ace hatte angenommen, dass Nojiko bereits mit Nami darüber gesprochen hatte, aber vielleicht wollte sie Nami diesen Stress vorerst ersparen und hatte deshalb nicht gewollt, dass Ace sie aufsuchte. Aber scheinbar hatte sie da die Rechnung ohne ihre kleine Schwester gemacht, die zu viel Intelligenz besaß.

„Es ist zu gefährlich, da ihr beide in unsere Angelegenheiten hineingezogen werdet“, erklärte Ace. „Unrecht hat sie nicht.“ Immerhin konnte er es seit gestern nicht leugnen, auch wenn er es gern tun würde. Auch wenn er alles dafür geben würde, um Nojiko sowohl Nami vor allem und jedem zu beschützen.

„Das war mir völlig klar“, redete Nami sogleich weiter und fasste sich an die Stirn. „Nojiko verrennt sich gern in ihren Zweifeln. Und sie denkt, dass sie mich immer noch vor der Welt da draußen beschützen muss, obwohl ich inzwischen erwachsen bin.“ Sie zögerte. „Außerdem bin ich es doch gewesen, der dumm genug gewesen war, um den Feind gleich mit nach Hause zu bringen.“ Namis Stimme senkte sich bei den letzten Worten und sie schüttelte den Kopf, bis ihr ein paar orangerote Haarsträhnen über die Schultern wallten.

„Das ist nicht deine Schuld, Nami“, sagte Ace und überbrückte den Abstand zwischen der Tür zum Bett, um sich auf die Kante niederzulassen. Die Tasche landete zwischen seinen Beinen und er streckte die Hand nach Namis aus, um diese zu umfassen. „Wir hätten alle besser aufpassen müssen. Wir... ich habe Law auch mit offenen Armen empfangen und bin nicht einmal auf die Idee gekommen, dass er...“ Ace brach ab und schluckte den schweren Kloß in seinem Hals hinunter. Er konnte nicht glauben, dass er so blind und naiv gewesen war. Marco und er. Sie waren die Verantwortlichen, Nojiko hatte Recht damit gehabt, nicht Nami, die sich selbst die Schuld dafür gab.

„Ich bin nicht wütend“, entwich es Nami und sie drückte seine Hand. Als er aufsah, lächelte sie bereits wieder tapfer und Ace konnte nicht sagen, wie viel Wahrheit in ihrer Aussage steckte. „Aber ich habe Fragen“, fügte sie nachdenklicher hinzu. „Ich will wissen, warum er geholfen hat ich zu retten, obwohl er doch mit dieser Monet zusammengearbeitet hat. Auf wessen Seite steht er?“

Ace biss sich auf die Zunge. Law hatte zwar gesagt, dass er nicht auf Doflamingos Seite stand, aber das machte ihn nicht sonderlich vertrauenswürdig in Aces Augen.

„Er ist ein Verbrecher und Lügner, ganz gleich, ob er uns am Ende geholfen hat oder nicht, Nami“, sagte er und entzog Nami die Hand. „Jemanden wie ihm kann man nicht vertrauen.“ Er wusste nicht, ob er nicht auch sich selbst an diese Tatsache erinnerte. Namis Blick ausweichend griff Ace nach seiner Tasche.

„Gebt Nojiko etwas Zeit“, rief Nami ihm hinterher, als er aus ihrem Zimmer marschierte und die Treppe runterstieg.

Marco und Nojiko fand er in die Küche wieder, zusammen mit einer drückenden Stille. Die Verschränkung von Marcos Armen löste sich, als er Ace bemerkte, während Nojiko auch weiterhin an einem der Küchenschränke lehnte.

„Hast du alles gefunden?“, fragte sie.

Aces Blick hielt ihren, bis Nojiko blinzelte und er nickte. „Nojiko, ich—“

„Ace“, fuhr Marco ihm über den Mund und schüttelte den Kopf. „Wir sehen uns“, sagte er an Nojiko gewandt und bugsierte Ace an der Schulter zur Tür.

Marcos Berührung brannte sich förmlich durch den dünnen Stoff seines T-Shirts und durch seine Haut. Ace war süchtig nach seinen Berührungen, aber seit gestern Nacht sträubte sich auch etwas gegen ihn und seine Art, gegen die Kontrolle, die er auf Ace ausübte.

Er schüttelte Marcos Hand ab, als sie die Haustür hinter sich schlossen und sich auf den Rückweg zum Anwesen machten. Aber noch im selben Moment bereute er es, als Marco es nicht kommentierte und stattdessen ein wenig hinter ihm zurückfiel, so dass es Ace vorkam, als liefe er allein.
 


 

XXI

„Kneif mich, Marco.“

Dieser hob die Augenbrauen und musterte Thatch, der pompös in seinem besten, strahlend weißen Anzug die Treppe hinunter kam. Er tätschelte das samtene Kästchen, das er bei sich trug und einen Ring mit einem winzigen Diamanten enthielt, der ihn bereits ein halbes Vermögen und sämtliche Ersparnisse gekostet hatte.

„Wieso trägst du keinen Anzug?“, entwich es Thatch, als er Marco in einem leicht zerknitterten Hemd ins Auge fasste.

„Weil ich nicht derjenige bin, der Makino den Antrag macht“, antwortete Marco und eine Blässe erhielt Einzug in Thatchs Gesicht.

„Jetzt ist es zu spät für einen Rückzieher“, fügte Marco hinzu und verschränkte die Arme, als sie allein in der Eingangshalle des Anwesens standen. Die Stille, die ihre Brüder hinterlassen hatten, fühlte sich fremdartig für Marco an. Er kannte sie nur aus seiner Wohnung, aber das war bevor Ace sich ungefragt, aber nicht unerwünscht, dort eingenistet hatte.

„Weil Makino schon schwanger ist?“, fragte Thatch, der das Kästchen aufklappen ließ, um den Ring darin zu bestaunen.

„Das auch“, bemerkte Marco. „Aber ich dachte eher daran, dass du alle schon eingeweiht hast und sie im Grandline auf uns warten.“ Den Versuch, Thatch zu zügeln, damit er die überstürzte Hochzeitsidee noch einmal überdachte, hatte Marco im Keim erstickt, denn das hatte grundsätzlich wenig Sinn. Sobald sich Thatch etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man ihn nicht mehr umstimmen, daher war Marco nur ein stummer Beobachter gewesen, als Thatch herumgerannt war, um die Jungs und Paps in seinen Plan der Verlobungsfeier einzuweihen, die zumindest für Makino eine Überraschung sein sollte.

Daher hatten sie den Abend genutzt, um alle bereits zur Bar zu schicken, bevor Thatch und Marco zu ihnen stoßen würden, damit Thatch Makino den Heiratsantrag machen konnte und sie ihm hoffentlich nicht das Herz brechen würde.

Obwohl er regelmäßig im Grandline ein- und ausging, kannte er Makino nicht gut genug, um ihre Reaktion diesbezüglich oder ihre Beziehung mit Thatch einzuschätzen. Diese war an ihm vorbeigegangen und er hatte den leisen Verdacht, dass das daran gelegen haben konnte, dass er zu sehr mit seinem eigenen Liebesleben beschäftigt gewesen war.

„Was ist mit Ace? Ist mit den anderen bereits zur Bar gegangen?“, erkundigte sich Thatch und nahm einen tiefen Atemzug. Das Kästchen mit dem Ring schnappte zu und er schob es in die Tasche seines Jacketts.

„Ja. Aber das liegt an mir, nicht an dir.“ Immerhin war es kein Geheimnis, dass seine Beziehung zu Ace in der letzten Zeit gelitten hatte. Namis Entführung war nun gut eine Woche her, aber das einzige, was sie im Moment miteinander teilten, war das Bett und gelegentliche Unterhaltungen.

„Mach dir nichts draus“, sagte Thatch, der seiner Haartolle entlang tastete, um sicherzugehen, dass sie saß und keine Haarsträhnen abstanden. Etwas Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, weshalb Marco schweigend die Tür ansteuerte.

Er hatte keine Lust sich über Ace oder den Geschehnissen zu unterhalten, aber wenigstens lenkte es Thatch ab und Marco war ihm das schuldig. Für all seine Fehler hatte Thatch nicht nur ihre Beziehung zu Nojiko unterstützt, sondern war auch bei Namis Entführung für sie da gewesen.

„Ace hat ein gebrochenes Herz“, plapperte Thatch weiter und Marco war sich nicht sicher, ob er bemerkte, dass er ihn aus dem Anwesen und zum Grandline folgte. „Glaub mir, ich kann darüber ein Liedchen singen. Über Hundert Frauen haben mir im Leben schon das Herz aus der Brust gerissen und sind darauf herumgetrampelt. Aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass unser junger Freund sich erholen wird.“ Er legte Marco einen Arm um die Schultern und zog ihn heran. „Außerdem wissen wir alle, dass Ace nicht lange die Finger von dir lassen kann. Du bist die wichtigste Person in seinem Leben. Das hat sich nicht geändert.“

Natürlich war sich Marco dessen bewusst. Allgemein zweifelte er nicht an Aces Gefühlen für ihn oder ab ihrer Beziehung, aber wie Thatch bereits sagte, hatte die Situation, hatte Nojiko, sein Herz gebrochen und Ace war nicht gut auf ihn zu sprechen aufgrund... nun, Marco war sich da selbst nicht so sicher und hatte das Thema mit Ace auch nicht angeschnitten. Solange eine unterschwellige Wut von Ace Besitz ergriffen hatte, machte es keinen Sinn. Ganz besonders, da dieser sie nicht freiwillig mit Marco teilte und stattdessen so tat, als existierte sie nicht, obwohl sie beide wussten, dass dies eine Lüge war.

„Marco“, holte Thatch ihn aus seinen Gedanken, als die kleine Bar in Sicht kam. Surrend erhellte die Leuchtschrift der Bar die Nacht und Musik drang aus dem Inneren. Thatch kam zum Stehen und sein Arm fiel von Marcos Schultern. „Bist du sicher, dass ich das Richtige tue? Was ist, wenn nicht dafür gedacht bin, ein Ehemann und Vater zu sein?“

„Du bist ein guter Mann, Thatch“, erwiderte Marco und übertrieb dabei nicht einmal. „Du musst dich nur anstrengen und am Ball bleiben.“

Flink fuhr sich Thatch mit dem Handrücken über die Augenwinkel. Ein Schiefen ertönte, das sich jedoch schnell in ein wackeliges Lachen verwandelte. „Ach, du weißt aber auch immer, was du sagen musst!“

Marco klopfte ihm auf den Rücken, ehe sie gemeinsam das Grandline betraten. Rauch hing in der Luft, vermischt mit dem Geruch von Schweiß und Alkohol. Alle Tische waren besetzt, die meisten davon von ihren Brüdern, während Whitebeard einen davon allein einnahm.

Ein Grölen ertönte und erhob sich selbst über die Musik aus den Lautsprechern, als man sie bemerkte und einige Jungs tuschelten sogleich hinter vorgehaltener Hand.

Marcos Blick wanderte durch den Raum, bis er an Nojiko hängen blieb, die zusammen mit Makino hinter dem Tresen stand und Bestellungen aufnahm, während Nami am Tresen saß und an ihrem Getränk nippte. Thatch hatte sie also ebenfalls eingeladen, ging es Marco durch den Kopf, als er sich den Weg zu dem Tisch hinüber bahnte, an dem Ace mit Vista, Haruta und einigen anderen saß.

Sein Freund nickte ihm zu, doch seine Finger verkrampften sich minimal um sein Bierglas. Es war Vista, der ihm ein Bier holte, während Thatch mit zittrigen Schritten auf den Tresen zuging.

Nojiko musste er auch eingeweiht haben, denn diese wanderte zu der Jukebox hinüber.

Den Bruchteil einer Sekunde später verstummte die Musik und abrupte Stille herrschte in der Bar. Makinos Augen weiteten sich und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen in stummer Frage, doch da ging Thatch bereits vor ihr auf die Knie, um ihr den Ring zu präsentieren. „Makino, heirate mich!“, entfuhr es ihm und Makino presste sich die Hände vor den Mund, bevor Tränen ihren Wangen hinunterkullerten.

Marco wandte sich Ace zu, der die Szene schweigend beobachtete, obwohl er für gewöhnlich einer der ersten wäre, der sich für Thatch und Makino gefreut hätte. „Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Thatch mal heiraten würde“, sagte er.

Aces Blick wanderte träge zu ihm hinüber. „Er hat es sich verdient.“

„Das hat er“, stimmte Marco zu. „Hör zu, Ace. Ich bin diese Spannungen...“ Doch er verlor den Faden, als sein Blick an Aces Kopf vorbeiwanderte und hinaus aus dem Fenster ging. Die Laterne auf dem Parkplatz gab eine einzelne Person preis, die Marco inzwischen nur allzu vertraut war.

„Marco?“

Dieser blinzelte und sah zurück zu Ace, doch der Moment war vorbei. Das Gesicht, das von Sommersprossen besprenkelt war, war eben noch ruhig gewesen, aber nun sprachen die zusammengezogenen Augenbrauen Bände.

Marco tätschelte Aces Knie unter dem Tisch, bevor er sich erhob. „Entschuldige mich kurz. Ich werde etwas frische Luft schnappen.“ Damit wandte er sich ab und verließ die Bar, was bei dem Trubel im Grandline nicht auffiel. Die meisten Augen galten Thatch und Makino, die einander umarmten und kaum voneinander losließen, während angestoßen und gelacht wurde.

Die gute Stimmung blieb gedämpft hinter Marco zurück, als dieser nach draußen trat und die Tür hinter ihm zufiel. „Bist du gekommen, um mit Nami zu sprechen?“, erkundigte sich Marco und schob die Hände in die Hosentaschen.

„Bist du gekommen, um es mir auszureden?“, stellte Law die Gegenfrage. Er befand sich am Rande des Kreises, den das Licht der Laterne auf den Asphalt warf. In der Dunkelheit war es Marco nicht möglich das Gesicht des anderen zu sehen, aber er hatte den Eindruck, dass Law es so beabsichtigt hatte.

Marco blieb einige Meter von ihm entfernt stehen, während er die Motten beobachtete, die wild um die Laterne flatterten, angelockt von dem gleißenden Licht in der Finsternis.

„Ich würde es nicht ausreden nennen“, sagte Marco. „Es ist eher ein Ratschlag, den ich dir geben möchte. Einen, den ich mir ebenfalls in der letzten Zeit häufig geben muss.“

„Und der wäre?“, erkundigte sich Law. „Aber ich muss dich warnen. Ich lasse mir ungern etwas befehlen.“

Marcos Mundwinkel hob sich zu einem faulen Schmunzeln. „Ein weiterer Grund, warum du Doflamingo hintergangen hast, nehme ich an.“

Doch Law hüllte sich in Schweigen. Er konnte es ihm nicht einmal übel nehmen, denn an seiner Stelle hätte er ähnlich reagiert.

„Nami braucht etwas Zeit. Gras muss erst einmal über die Sache wachsen“, sagte er schließlich, sagte es zu Law, aber auch zu sich selbst. „Wenn sie dir tatsächlich wichtig ist, wirst du ihr den Freiraum geben und warten bis sie dich aufsucht. Wenn sie das tun wird. Alles andere wäre erzwungen.“

Abermals antwortete Law nicht, doch er meinte seine Silhouette nicken zu sehen. „Doflamingo wird das nicht einfach auf sich sitzen lasen. Das wissen wir beide.“ Sich abwendend wurde Law von der Nacht verschluckt und nur seine Warnung hallte weiterhin durch seinen Kopf. Ob er damit Monets fehlgeschlagenen Plan oder seinen eigenen Verrat meinte, blieb unklar.

Marco sah ihm hinterher und starrte viel zu lange die Stelle an, wo Law eben noch gestanden hatte. Obwohl seine Worte der Wahrheit entsprachen und Marco sich dessen bewusst war, konnte er sie nur mit einer Resigniertheit akzeptieren.

Hinter ihm ertönte das Quietschen der Türscharnieren, woraufhin Marco sich umdrehte. Im Türrahmen stand Ace, die markanten Züge hart und ernst, aber er war gekommen, um nach ihm zu sehen. Dies konnte er aus den dunklen Augen ablesen, die nach seinen suchten.

Marco senkte den Blick und ein schmales Lächeln huschte über seine Lippen.

Teil 5: An Angry Man's Plan [1]


 

"There is nothing 'safe' about this.

This love has no place to happen except in this world, where it cannot be made safe."

- Wendell Berry, "Hannah Coulter"
 


 

I

Das Aufstehen fiel Nami schwer. Auch die durchgehende Stille machte es ihr nicht einfacher. Es erinnerte sie zurück an die Zeit gleich nach Bellemeres Tod, denn auch da hatten Nojiko und sie sich urplötzlich allein in diesem Haus wiedergefunden. Es war merkwürdig. Wer hätte gedacht, dass sie sich schon nach kürzester Zeit so an die Anwesenheit von Marco und Ace hier gewöhnt hätte. Selbst die Geräusche des Fernsehers, wenn Thatch seine Footballspiele mal wieder zu laut aufdrehte, fehlten ihr.

Schnaufend schlug Nami die Bettdecke beiseite und setzte sich ruckartig auf, als ihre Gedanken zu einer weiteren Person wandern wollten, die plötzlich aus ihrem Leben gerissen worden war. Eine Person, welche absichtlich die Entscheidung getroffen hatte, sie zu hintergehen.

Nami wälzte sich aus dem Bett und verschwand im Badezimmer, um sich frisch zu machen und sich anzuziehen. Auf der faulen Haut zu liegen würde ihr auch nicht weiterhelfen. Die Zeit war nett gewesen, ein wenig wie Urlaub mit einem katastrophalen Ende, aber nun war der Punkt gekommen, an dem sie wieder in die Realität zurückkehren musste.

Auch als Nami schließlich hinaus in den Flur trat, blieb es weiterhin ruhig im Haus. Nojikos Zimmertür stand angelehnt und sie schielte durch den Türspalt, um einen Blick auf das unberührte Bett zu werfen. Überraschen tat es sie nicht, denn genauso hatte Nami es schon die ganze Woche vorgefunden.

Mit einem Kopfschütteln stieg sie auf leisen Sohlen die Stufen ins Erdgeschoss hinunter, wo sie Nojiko schlafend auf dem Sofa entdeckte. Das war ein weiterer Grund, weshalb Nami nicht im Selbstmitleid baden wollte. Nojiko hatte es schwerer als sie. Sie hatte zwei Männer, die ihr mit Haut und Haaren verfallen waren, aber mit denen sie aus selbst auferlegten Gründen nicht zusammen sein konnte. Gründe, die Nami beinhalteten. Wäre sie nicht von Monet entführt worden, hätte Nojiko es auch niemals als notwendig empfunden, mit Marco und Ace Schluss zu machen. Letztendlich war das ebenfalls Law zu verdanken...

Ein lautloses Seufzen entfloh ihren Lippen, als sie in die Küche wanderte, um Kaffee aufzusetzen. Eine Weile lauschte sie dem Röcheln der Kaffeemaschine, während sie sich daran zurückerinnerte, wie das Leben vor Marco, Ace und Law gewesen war. Sie hatte ihre eigenen Ziele ein wenig aus den Augen verloren, da sie sich zu sehr in den Gefühlen der letzten Wochen verheddert und verloren hatte.

Sie hatte ein angefangenes Studium, welches es zu beenden galt. Seit ihrer ersten Begegnung mit Law am Strand hatte sie ihren Zeichenblock nicht mehr zur Hand genommen.

Anstatt sich eine Tasse aus dem Schrank zu holen, kehrte Nami zurück in ihr Zimmer, zwei Stufen auf einmal nehmend. Ihre Skizzen lagen verstreut auf ihrem Schreibtisch, unberührt und vergessen. Nami kramte sie beiseite, bis sie ihren Zeichenblock und ihre Stifte fand. Sie blätterte durch den Ringblock, der angefangene Kleider und Röcke beinhaltete, alles Entwürfe für ihre geschmissene Designklasse. Die letzte angefangene Seite zeigte den Strand und den Sonnenaufgang, den sie nie beendet hatte.

Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es ungefähr dieselbe Uhrzeit wie damals war, als sie die Skizze begonnen hatte. Kurz zögerte sie, doch eigentlich hatte sie sich schon unten in der Küche entschieden, dass sie zum Strand zurückkehren und sie beenden wollte. Daher packte sie alles in ihre Tasche und schlüpfte in ihre Sandalen, bevor sie sich leise an Nojiko auf dem Sofa aus dem Haus schlich. Auf dem Weg zum Strand schrieb sie Nojiko eine knappe Textnachricht, damit ihre Schwester keinen Herzinfarkt bekam, wenn sie erwachte und bemerkte, dass Nami nicht auffindbar war.

Allerdings würde sie niemals wieder zulassen, dass jemand sie entführte. Zwar wusste sie nicht, wie sie es verhindern würde, aber alles war besser, als ein weiteres Mal Menschen, die ihr wichtig waren, und sich selbst in Gefahr zu bringen.

Zufrieden tätschelte Nami ihre Tasche, durch deren Boden sie die runde Dose des Pfeffersprays erfühlen konnte. Gegen eine Pistole würde diese nicht ankommen, aber in der Öffentlichkeit und am helllichten Tage war es unwahrscheinlich, dass jemand eine Waffe zückte. Zudem war ihr das Nachtleben für eine Weile vergangen, ebenso wie das Ausgehen mit gutaussehenden und mysteriösen Männern. Vielleicht war eine Auszeit an der Reihe, womöglich würde ihr das gut tun und zulassen, dass sie sich auf andere Dinge konzentrierte.

Als sie den Strand erreichte, streifte sie ihre Sandalen ab und nahm sie zur Hand. Der Sand war kühl unter ihren Fußsohlen, da es noch zu früh war, als dass die Sonne ihn hatte erwärmen können. Dennoch waren bereits einige Leute hier, die Handtücher ausgebreitet hatten, joggten und sogar bereits im Wasser waren.

Nami schlenderte über den Sand, bis sie ungefähr dieselbe Stelle erreichte, die sie als Vorlage für ihre Zeichnung benutzt hatte. Unter der Sonnenbrille wanderten ihre Augen über die Menschen um sie herum, ganz instinktiv nach einem dunklen Haarschopf mit einer eigenartigen gepunkteten Mütze Ausschau haltend.

„Was machst du da?“, murmelte sie sich selbst zu und ließ ihre Sachen in den Sand sinken. „Bist du dumm? Du willst ihn doch gar nicht sehen.“ Doch selbst als Nami diese Worte aussprach, wusste sie, dass sie eine Lüge darstellten. Obwohl sie Law die gesamte letzte Woche den Hals hätte umdrehen können, sehnte sich dennoch ein Teil nach ihm. Dieser Teil wollte auch nicht wahrhaben, dass das alles nur gespielt gewesen war und er nie Gefühle für sie gehabt hatte.

Zumindest war da ein Moment in seinem Bett gewesen, in dem Nami so sicher gewesen war, dass er es ehrlich mit ihr meinte. Die letzte Nacht, die sie nach dem Besuch in der Bar gemeinsam verbracht hatten, war anders gewesen. Obwohl Law stets furchtbar ruhig und angespannt beim Sex blieb, hatte es einen Augenblick gegeben, in dem er das Gesicht in ihrer Halsbeuge vergraben hatte und ein gekeuchtes „Nami-ya“ über seine Lippen gekommen war. Sein feuchter Atem hatte ihr eine Gänsehaut bereitet und es in ihrem Bauch kribbeln lassen. Allein bei der Erinnerung kehrte das Kribbeln zurück.

Nami setzte sich neben ihre Sachen in den Sand und schloss die Augen, um sich stattdessen auf das Rauschen der Wellen zu konzentrieren. Es war lächerlich, dass sie an unwichtigen Dingen wie diese festhielt. Wenigstens konnte Law nicht bestreiten, dass er den Sex nicht genossen hatte. Dafür war sie scheinbar gut genug gewesen.

Ihre Lippen pressten sich zu einer schmalen Linie zusammen. War es so falsch, dass sie Antworten haben wollte? Schuldete Law ihr diese denn nicht? Aber er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie aufzusuchen und sich zu entschuldigen. Jedenfalls nahm Nami an, dass er nicht ganz auf Doflamingos Seite stand, weil ansonsten hätte er nicht geholfen, sie aus den Fängen von Monet zu befreien. Oder war dies auch nur ein weiterer Spielzug von ihm?

Abermals sah sie sich um, doch von Law war keine Spur zu sehen. Er würde nicht auftauchen, das hatte sie im Gefühl und auf ihre Intuition war meist Verlass.

Nami blinzelte verwirrt, ehe sie zögerlich ihre eigene Handfläche an ihre Stirn legte. Natürlich war das vollkommen überflüssig, denn auch so bemerkte sie, dass das Fieber gewichen war. Sie fühlte sich nicht mehr so schlapp und erschöpft, nicht mehr so angespannt. Diese Gefühle, die in der letzten Zeit ihre ständigen Begleiter gewesen waren, waren nun jedoch fort, ohne dass Nami ihr Verschwinden bemerkt hatte.

Wahrscheinlich sollte diese Tatsache sie beruhigen, tat es aber nicht. Hatte ihre Intuition ihr etwas sagen wollen, was nicht mit dem Wetter zutun gehabt hatte, sondern mit Law? War das Schlimmste nun vorbei? Nami hoffte es, glaubte jedoch nicht daran. Das wäre zu einfach gewesen.
 


 

II

Eine tiefe Unzufriedenheit hatte von Ace Besitz ergriffen. Diese wuchs mit jedem weiteren gebügelten Hemd, das ordentlich zusammengefaltet wurde und in die Reisetasche verschwand.

Es war nicht richtig. Thatch konnte nicht einfach aus dem Anwesen ausziehen. Sie sollten sich nicht trennen. Gerade jetzt. Hatten sie nicht gerade erst erlebt, dass dies nur zu noch mehr Schwierigkeiten führte? Gemeinsam waren sie am Stärksten!

Anstatt diese Worte auszusprechen, biss sich Ace jedoch auf die Unterlippe. Er saß auf der Kante von Thatchs Bett, die Unterarme auf den Oberschenkeln abgestützt. Sein Blick senkte sich zum Teppich hinab.

„Lass den Kopf nicht hängen, Ace“, folgte sogleich der heitere Kommentar, während weitere Kleidungsstücke raschelnd in die Tasche gestopft wurden.

„Mach ich doch gar nicht“, brummte Ace und hob den Kopf, die Brauen dicht zusammengezogen.

„Eigentlich hast du auch gar keinen Grund dazu“, fügte Thatch hinzu und warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Marco und du habt es mir immerhin vorgemacht. Ihr seid zuerst ausgezogen.“

„Marco hatte seine Wohnung schon, da war ich noch gar nicht hier“, argumentierte Ace. Das war also kein bisschen vergleichbar.

„Ja, aber er hat selten da gepennt, bis du dich da einquartiert hast.“

Ace stand auf, kerzengerade und mit geballten Fäusten. „Ja, weil ich nie ein Zimmer hier hatte. Irgendwo musste ich schließlich schlafen.“ Whitebeard hatte so viele Söhne, dass sämtliche Räume im Anwesen sowie auch die Couchen im Wohnzimmer allesamt besetzt waren, während Marcos Wohnung praktisch unbewohnt gewesen war. Eigentlich hatte Marco ihm die Couch in seinem Apartment nur vorrübergehend angeboten, aber Ace hatte nie Zeit und Ruhe gehabt, um sich selbst eine Bleibe zu suchen. Er hatte es auch nie richtig darauf angelegt, denn er war niemand, der gern allein wohnte. Es war langweilig und einsam. Dieses Gefühl hatte ihn in Marcos Wohnung nie heimgesucht. Selbst wenn dieser nicht da gewesen war, hatte sich Ace dort sogleich wie zu Hause gefühlt. Ebenso verhielt es sich mit dem Anwesen. Hier war immer etwas los, immer gab es irgendjemand zum Scherzen und zum Reden.

„Na ja, jetzt hast du ein Zimmer“, sagte Thatch und stemmte die Arme in die Hüften. „Vorausgesetzt, du willst es.“

„Warum sollte ich nicht w-“ Ace brach ab, als ein verschlafendes Gesicht vor seinen Augen auftauchte. „Marco...“, murmelte er, mehr zu sich selbst als Thatch, der ihn so stolz musterte, als wäre er ein kleines Kind, das eine Matheaufgabe gelöst hatte.

„Ich weiß, dass es zwischen euch im Moment nicht so gut läuft“, erklärte Thatch schließlich, wobei sich Ace wunderte, ob es so auffällig war oder ob Marco etwas gesagt hatte. „Es kann also dein Zufluchtsort sein, wenn du willst. Oder du überlässt das Zimmer den Jungs. Irgendjemand wird es schon wollen.“

Daran zweifelte Ace nicht. Es gab einige Jungs, die mit ihren Zimmergenossen nicht zufrieden waren, weil diese schnarchten oder gelegentlich eine Frau mitbrachten, während andere überhaupt kein Zimmer ihr Eigen nannten.

Doch Thatch hatte nicht unrecht. Aber es war die Tatsache, dass er überhaupt davon wusste und dass er mehr wissen könnte, was Ace die Hitze ins Gesicht trieb. Davon schien Thatch jedoch nichts zu bemerken, da er fröhlich weiterplapperte, denn wenn er erst einmal zu reden anfing, hörte er nicht mehr so schnell auf.

„Ich weiß, dass Nojiko dein Herz gebrochen hat, aber das solltest du nicht an Marco auslassen. Er leidet ja auch und—“

„Das hat nichts mit Nojiko zu tun!“, unterbrach Ace. Die Scham mischte sich mit dem vertrauten Zorn in seinem Bauch, der immer da war und seine ganze Welt zu umfassen schien. „Er macht immer alles allein. Trifft alle Entscheidungen allein. Bringt sich allein in Gefahr. Er—“

„Marco ist nun mal der Stratege von uns, Ace“, erinnerte ihn Thatch, der seine Tasche vergessen zu haben schien. Er kam hinüber und setzte sich auf das Bett, während Ace noch immer wie festgewurzelt stand. „Wenn er nicht die Pläne macht, hätten wir schon längst unser Territorium verloren.“

„Wozu bin ich dann überhaupt da?“, platzte es aus Ace heraus, selbst für ihn unerwartet. Er biss sich augenblicklich auf die Unterlippe, doch die Frage war bereits gestellt. Sie quälte ihn ständig, seit frühster Kindheit, aber vor allem wieder nach Namis Entführung.

Thatchs Stirn kräuselte sich.

Ein Seufzen entfloh Aces Mund und er wischte sich unwirsch die Haare aus dem Gesicht, ehe er neben Thatch zurück auf das Bett sackte. „Tut mir leid.“

„Kein Grund sich zu entschuldigen“, erwiderte Thatch und schnalzte mit der Zunge. „Dafür bin ich schließlich da. Um Ratschläge zu geben. Besonders, wenn es um die Liebe geht, bist du bei mir an der richtigen Adresse.“ Er zwinkerte und tätschelte Aces Knie. „Und wenn ich etwas über Marco weiß, dann dass deine Meinung ihm wichtig ist. Am Wichtigsten sogar. Er bringt sich nicht selbst in Gefahr, weil er dir nicht vertraut, sondern er nicht möchte, dass dir etwas passiert.“

Ace blinzelte, die Brauen erneut so eng zusammengezogen, dass sich eine tiefe Falte zwischen sie grub.

„Ja, Ace“, lehrte Thatch mit gehobenem Zeigefinger. „Dein Leben ist ihm wichtiger als sein eigenes. Und nein, das ist nicht gut, aber so ist Marco nun mal.“

„Ich…“, begann Ace, als er versuchte das Gefühlswirrwarr in seinem Inneren zu entschlüsseln. Die Wut war verpufft, denn sie konnte genauso schnell verschwinden, wie sie in ihm hochkochen konnte, eine Leere hinterlassend. „Ich hasse das!“, presste Ace hervor.

„Dann solltest du ihm das sagen“, erwiderte Thatch und erhob sich, um endlich seine Tasche zu Ende zu packen. „Gute Kommunikation ist alles.“ Eine weitere Schublade der Kommode wurde geöffnet, bevor mehr Hemden und auch ein Paar Shorts mit kleinen Schiffchen drauf eingepackt wurden.

Aces Augen folgten den schwingenden Bewegungen, denn nichts konnte Thatchs Laune verderben. Er war verliebt und bereit sich ein Leben mit Makino und ihrem ungeborenen Kind aufzubauen.

„Ich freu mich für dich, Thatch“, entrann es Ace, denn er wusste, wie es sich anfühlte, sich zu verlieben. Es war ihm gleich zweimal passiert. Den Unmut schluckte er hinunter, denn es wäre egoistisch von ihm, hätte er versucht Thatch umzustimmen. Immerhin hatte Thatch die ungewöhnliche Beziehung zwischen Nojiko, Marco und ihm ebenfalls sofort unterstützt, auch wenn sie dadurch weniger Zeit für ihn und die restliche Familie gehabt hatten.

Thatch warf ihm einen neugierigen Blick zu, bevor sich ein Schmunzeln auf seinen Lippen ausbreitete. „Keine Sorge, Ace. Das ändert rein gar nichts. Selbst wenn wir nicht immer zusammen sind, bedeutet das nicht, dass wir keine Brüder mehr sind“, versicherte Thatch, als hätte er Aces Gedanken gelesen und einen Blick auf das emotionale Chaos in seinem Inneren geworfen.

Ace lächelte, schwach und schmal, aber die Anspannung wich ein wenig aus seinen Schultern.
 


 

III

Die kleine Schreibtischlampe malte einen goldenen Kreis auf das dunkle Holz und warf Licht auf die vergilbten Seiten des Buchs. Sie war die einzige Lichtquelle im Raum, der sonst vollkommen in Schatten getaucht war, da die Sonne außerhalb des Fensters vor einer Ewigkeit untergegangen war.

Marco wusste nicht, wie spät es war, nur dass Mitternacht langsam näher rücken musste. Doch der Abend zog sich hin, zäh und scheinbar endlos. Das taten die Abende und Nächte in der letzten Zeit häufig, während eine dauerhafte Müdigkeit sich an Marco klammerte. Nur seine Gedanken blieben klar und scharf wie die beste Klinge, erinnerten ihn an sämtliche Vorkommnisse und jede noch so kleine Stille, die früher mit Worten gefüllt gewesen war.

Nach den letzten ereignisreichen Wochen schien inzwischen gar nichts mehr zu passieren. Darüber war Marco froh, doch es erlaubte auch zu viel Zeit, um sich Gedanken zu machen. Doflamingo schien Pläne zu schmieden, denn obwohl sie alle auf der Hut waren, gab es keine merkwürdigen Vorkommnisse mehr. Nicht seit Monet, von der niemand wusste, was mit ihr geschehen war.

Auch von Nojiko hatte er nichts mehr gehört, was Marco jedoch weniger verwunderte. Immerhin hatten sie sich getrennt und daher hatten sie keinen Grund mehr, miteinander zu reden. Freunde waren sie schließlich nie gewesen, denn schon vom ersten Tag an hatte es zwischen ihnen geknistert. Ebenso zwischen Ace und ihr, schon bevor Marco Nojiko überhaupt begegnet war.

Ace…

Zu ihm kehrten seine Gedanken ständig zurück. Auch zwischen ihnen lief es nicht gut, nicht so wie vorher, nicht seit Namis Entführung und ihrer Rettung. Sie teilten sich dieses Zimmer im Anwesen und Marcos Bett, nicht mehr und nicht weniger. Natürlich waren da Blicke, furchtbar viele Blicke mit furchtbar vielen Emotionen, die seine Haut kribbeln ließen und in seine Lenden wanderten. Es war Folter, Ace so nah bei sich zu haben, aber ihn nicht berühren zu dürfen.

Jedes Mal wenn er die Hand nach dem nackten Rücken neben ihm im Bett ausstreckte, spannten sich die Schultern an oder das Schnarchen wurde etwas lauter. Dabei konnte er in den dunklen Augen ganz deutlich lesen, dass Ace mindestens genauso gierig nach seiner Nähe und seinen Berührungen war.

Doch in seinem Blick schwamm auch noch immer eine Wut, die inzwischen kalt geworden war. Sie stritten nicht, sondern führten normale Unterhaltungen miteinander. Ace blieb sachlich und ernst, anstatt vor Wut zu schäumen und seinen Gefühlen in irgendeiner Art und Weise Luft zu machen.

Das alles war neu, denn obwohl sie gelegentlich Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten hatten, hatte der Sex nie lange darunter gelitten. Sie hatten sich immer zusammengerauft, weil sie die Finger nicht voneinander lassen konnten.

Seufzend klappte Marco das Buch über die Geschichte der Piraterie im Atlantik zu. Er nahm die Brille von der Nase, klappte die Bügel zusammen und legte sie auf seiner Lektüre ab. Zwei Finger massierten seinen Nasenflügel, während seine Augen sich schlossen.

Das Geräusch von quietschenden Dielen drang an seine Ohren und unterbrach die Stille, die im Zimmer herrschte. Hinter ihm öffnete sich die Tür und ferner Lärm aus dem Fernseher im Erdgeschoss drang hinein, bevor der Türspalt wieder geschlossen wurde.

„Du bist noch wach.“ Aces Stimme war rau und angespannt, als er durch den Raum wanderte. Die Schranktür wurde aufgezogen, während Marco sich auf seinem Stuhl umdrehte, um Ace dabei zu beobachten, wie er sein gelbes Hemd abstreifte und in den Wäschekorb dort drinnen warf.

Ihre Blicke trafen sich und hielten einander, Aces Gesicht ernst und abwartend.

Marco erlaubte sich ein Mundwinkelheben. „Ich konnte nicht schlafen.“ Es war eine Halblüge, aber er nahm an, dass das schon in Ordnung war, wenn sie diente, um Ace zu beruhigen. Er konnte ihm wohl kaum die Wahrheit sagen und gestehen, dass er auf ihn gewartet hatte. Das würde ihm nicht gefallen. Meistens wartete Ace schließlich, bis Marco schlief oder wenigstens im Bett lag, bis er sich zu ihm legte.

„Warum nicht?“, kam die Frage, als Ace seine Stiefel und seine Dreiviertelhose abstreifte, bevor er sich auf das Bett setzte.

Marcos Augen ruhten auf dem muskulösen Rücken, der die eindrucksvolle Tätowierung von Whitebeards Zeichen auf sich trug. Eine ähnliche trug Marco auf der Brust, doch die Tätowierung des anderen hatte ihn schon angezogen, seit er sie das erste Mal gesehen hatte.

Auch jetzt trugen Marcos Beine ihn beinahe von allein zum Bett hinüber und er ließ sich auf der gegenüberliegenden Kante nieder, Ace zugewandt. „Ich musste an die Nacht der Geiselübergabe denken. Bei den Lagerhäusern“, erzählte er langsam und Ace hielt in seinem Tun inne, die Unterarme auf den Oberschenkeln abgestützt. „Es war derselbe Ort, an dem Cirkies uns zum Russisch Roulette gezwungen hat.“

„Das ist schon ewig her“, meinte Ace, drehte den Kopf jedoch ein wenig in seine Richtung, um einen Blick über seine Schulter zu werfen. Eine Vorsicht lag in seinem Blick, die es nur am Anfang ihrer Beziehung gegeben hatte, in den ersten Monaten, als sie noch nicht gewusst hatten, wie sie am besten miteinander umgehen sollten.

„Ich dachte damals, dass ich dich verlieren würde“, entrann es Marco, denn erst im Nachhinein war ihm klargeworden, dass die Sorge nicht nur einem Freund und Bruder galt, sondern dem Mann für den er im Laufe der Zeit Gefühle entwickelt hatte.

Ace seufzte.

„Ich habe den Eindruck, dass es dir eventuell genauso ergangen ist, als Law mich Monet übergeben hat“, fügte Marco hinzu, wohl wissend, dass er sich ein klein wenig aus dem Fenster lehnte und bei Ace genauso gut auf Granit stoßen könnte. Aces Reaktionen waren nie vorausschaubar, sondern immer unberechenbar.

Eine Pause folgte.

„Ich dachte, wir wären ein Team“, sagte Ace schließlich und drehte sich von ihm weg. „Aber du hast alles allein entschieden. Allein gemacht. Fast so, als bin ich dir bloß ein Klotz am Bein.“

Das war es also, ging es Marco durch den Kopf. Er hatte so etwas in der Art schon vermutet und dies nur von Thatch durch eine Textnachricht am Nachmittag bestätigt bekommen. Ace fühlte sich ausgeschlossen und nutzlos, obwohl er es besser wissen sollte.

Das Bett war schmal, nur für zwei Personen gemacht, so dass es eine Kleinigkeit für Marco war, sich hinüber zu lehnen und Aces Haar mit seiner Hand zu verwuseln. „Es tut mir leid, Ace. Es war nicht meine Absicht gewesen, dir diesen Eindruck zu vermitteln.“

Marcos Finger strichen durch die schwarzen Haarsträhnen zu Aces Nacken, zu seiner Wirbelsäule hinunter. Ace sog den Atem ein und zuckte unter seiner Berührung zusammen, entzog sich ihr aber nicht.

„Du weißt, dass du mein Lieblingsteampartner bist“, fügte Marco hinzu und seine Mundwinkel hoben sich, als Ace ein halbwegs belustigtes Schnaufen ausstieß.

„Versuchst du dich bei mir einzuschleimen?“, fragte Ace mit leiser Stimme, als Marcos Finger den Rand seiner Shorts erreichten und an diesem herumspielten.

„Wirkt es?“

Abermals folgte ein Schweigen von Aces Seite aus, dieses Mal so lang, dass Marco anfing zu glauben, keine Antwort mehr zu erhalten.

„Keine Alleingänge mehr!“, forderte Ace so plötzlich, dass sich Marcos Augen weiteten. „Versprich es mir.“

Seit Marco Ace begegnet war, war dieser stets unabhängig und vorschnell gewesen, doch nun war Ace bereit sich an ihn zu binden. Er dachte, bevor er handelte. Marco hatte recht damit gehabt, dass Ace erwachsen geworden war. Er hatte seinen Platz in der Welt gefunden, in ihrer Familie, die ihm wichtig geworden war. Ace maß sein Leben nicht länger nur an dem Blut, das in seinen Venen floss.

„Keine Alleingänge mehr“, versprach Marco und ließ seine Finger in die schwarzen Shorts wandern, wo die Haut warm und von Gänsehaut überzogen war, um die obere Hälfte von Aces Hintern zu streicheln.

Ace drehte sich mehr in Marcos Richtung, um ihn erneut anzusehen. Der Blick war länger, weicher und schickte Hitze durch seinen Körper.

Ace kletterte auf das Bett und auf Marco zu, bevor er seine Hände an Marcos Wangen legte und ihn küsste. Marco legte den Kopf schief, um den Kuss zu vertiefen, während Ace ein Bein über seine schwang und sich auf seinen Schoß schob. Ace war bereits hart, wurde Marco klar und diese Erkenntnis raubte ihm ein Keuchen, als dieser auch noch seine Hände in das glatte Material von Marcos Hemd grub.
 


 

IV

Man hatte ihn bereits im Visier. Laws Blick wanderte über die von Efeu bewachsene Fassade von dem Anwesen, das Whitebeard und seinen Anhängern gehörte. Er konnte niemanden sehen, aber er spürte Blicke auf seiner Haut.

Er schob die Hände tiefer in die Taschen seiner dünnen Jacke, als er die breite Auffahrt hinaufstieg. Ein stabiler Zaun trennte das riesige Grundstück von der Straße. Es hatte auch ein Tor, doch dies stand meist offen, wie Law bei seinen Beobachtungen im Laufe der Zeit festgestellt hatte. Was dahinter steckte, verstand er nicht. Ein geschlossenes Tor würde für mehr Sicherheit sorgen, aber um diese schienen sie sich keine Sorgen zu machen.

Law kam vor der breiten Eingangstür zum Stehen, machte sich jedoch nicht die Mühe die Klingel zu betätigen. Dennoch ließ man ihn warten. Er nahm an, dass dies Absicht war oder einfach aus Misstrauen darüber geschah, dass er die Dreistigkeit besaß, hier am helllichten Tage zu erscheinen. Aber wer ihn kannte, der wusste, dass er tat was, wann und wie er wollte. Als sich die Tür schließlich doch einen Spalt öffnete, sah sich Law gleich mit drei von Whitebeards Söhnen konfrontiert.

„Law“, sagte einer von ihnen.

„Was willst du hier?“, fragte ein Zweiter, während der letzte im Bunde Law einen großzügigen Blick auf seine Glock mit dem zurückgezogenen Hammer gab.

Law sah ihn an und seine Mundwinkel hoben sich zu einem grimmigen Lächeln. „Reden. Ich bin hier, um mit jemanden, der das Sagen hat, zu sprechen.“

Ein Murmeln war hinter der Tür zu vernehmen, was Law versicherte, dass sich dort noch mehr Anhänger des Bandenchefs befanden. Fürchtete man ihn so sehr? Sein Ruf schien ihm vorauszueilen.

„Wenn er reden will, soll er reden“, erklang eine raue Stimme und die Männer an der Tür warfen Blicke über ihre Schultern, bevor sie Law Platz machten.

Er trat ein, direkt in die Höhle des Löwens hinein. Er fand Marco auf der Treppe vor, die in das Obergeschoss führte, und nur der ernste Zug um seinen Mund verriet, dass auch er nicht sonderlich glücklich darüber war, Law hier zu sehen.

Wahrscheinlich war Marco davon ausgegangen, dass sie einander nichts mehr zu sagen hatten. Nur hatte er da die Rechnung ohne Law gemacht. Er war noch nicht fertig mit Whitebeard und seiner Familie. Seine Rache war er nicht bereit kampflos aufzugeben.

„Ich habe eine Idee, um Doflamingo zu stürzen“, sagte Law an Marco gerichtet, anstatt um den heißen Brei herumzureden.

Dessen Augenbraue zuckte. „Ziemlich waghalsig. Wer sagt, dass wir das überhaupt wollen?“

Es war eine berechtigte Frage. Obwohl beide Organisationen über den Waffenmarkt und den Drogenschmuggel konkurrierten, war es in all den Jahren nie zu besonders schweren oder massigen Ausschreitungen gekommen. Gelegentlich gab es Angriffe oder Überfälle in dem ein oder anderen Gebiet, aber meist wurden diese mit ähnlichen Racheakten wiedergutgemacht, wenn man Beweise dafür hatte, dass diese von den Gegnern verübt worden waren. Bei besonders kleinen Vergehen wurde sogar gelegentlich darüber hinweggesehen, weil keine dieser berüchtigten Männer an kleinen Fischen interessiert waren, die das Gleichgewicht zwischen ihnen und das stumme Abkommen mit den Oberhäuptern durcheinander bringen konnten. Was hatten sie also davon, Doflamingos Organisation den Krieg zu erklären und ihn unschädlich zu machen?

Laws Mundwinkel zuckten ein Stückchen in die Höhe. „Weil ihr nur die Hälfte wisst“, sagte er und erkannte an Marcos gerecktes Kinn, dass er seine Aufmerksamkeit hatte.

Hinter ihm wurde die Tür geschlossen, bevor Marco die letzte Stufe hinunterstieg und seine Hand auf Laws Schulter landete. Der Griff war fest, als Whitebeards rechte Hand ihn durch die Eingangshalle bugsierte.

„Marco...“, begann jemand hinter ihnen, doch dieser winkte ab. Als wäre dies das stumme Kommando gewesen, blieben die Männer hinter ihnen zurück, bis sie in einen angrenzenden Raum traten, der einem kleinen, engen Speiseraum ähnelte. Dieser war verlassen, aber Law nahm an, dass das nur der Fall war, weil alle sich an der Tür versammelt hatten, um einen Blick auf ihn zu erhaschen.

Sie setzten sich an einen der hinteren Tische und Marco griff nach der Karaffe und zog zwei saubere Gläser heran, die in der Mitte des Tischs auf dem Kopf gestanden hatten.

„Saft“, murmelte Marco, als er ihnen eingeschenkte und er Law das Glas zuschob, als wäre es ein Shot Whiskey.

„Ich bin nicht hier, um Saft zu trinken.“

„Mir wäre es lieber, wenn du gar nicht hier wärst“, konterte Marco und setzte sein Glas an die Lippen. „Also… was weißt du? Ich kann dir nicht versprechen, dass ich dir glauben werde, aber ich glaube zumindest, dass du nicht länger für das Flamingo arbeitest.“

Wollte Marco ihn testen? Glaubte er dies wirklich?

Law schenkte ihm einen langen Blick, doch Marco erwiderte ihn ohne ein Blinzeln und ohne, dass ein Muskel in seinem Gesicht zuckte. Es war beinahe amüsant anzusehen, dass es ausgerechnet Marco war, der nach seinem Verrat noch willig war, ein vernünftiges Gespräch mit ihm zu führen. Derjenige, der ihm am neutralsten gegenübergestanden und ihn nicht mit so furchtbar offenen Armen empfangen hatte. „Der Pakt zwischen Doflamingo und Whitebeard wird nicht länger halten. Doflamingo sucht schon lange nach einem Weg, um Florida zu übernehmen. Darum hat er mich geschickt.“

„Um uns von innen heraus zu stürzen?“, fragte Marco und Law griff nach dem Glas, um es fest zu umklammern.

„Ja, aber das war nie meine Absicht gewesen.“

Er hatte die gehobene Augenbraue erwartet, die mit ihrem minimalen Zucken seine Worte und Motivationen in Frage stellte. Obwohl Marco stets einen verschlafenen Ausdruck auf dem Gesicht trug, so konnte er doch mit den kleinsten Muskelzuckungen seine Gedanken deutlich machen, wenn ihm denn danach war. Während seiner Zeit mit Nami und in der Gesellschaft der anderen hatte er dies genau beobachtet, da er schon immer ein Auge für Details gehabt hatte.

„Wie du schon sagst, du musst mir nicht glauben“, erwiderte Law mit einem Schulterzucken, den Blick in das Glas Saft gerichtet. Der Geruch stahl sich in seine Nase, so dass er die rötliche Flüssigkeit auch ohne zu kosten als Himbeersaft deuten konnte. Im richtigen Licht wirkte die Flüssigkeit rot wie Blut. „Aber ich verfolge meine eigenen Pläne. Und diese haben immer schon den Sturz von Doflamingo beinhaltet.“

„Ich habe mich schon gewundert“, räumte Marco ein, der alle paar Minuten an seinem Getränk nippte und ihn über den Rand des Glases im Blick behielt. „Du hättest oft Gelegenheit gehabt, um uns aus dem Weg zu räumen oder uns wenigstens ein paar Informationen aus der Nase zu ziehen. Aus irgendeinem Grund hast du es aber nie getan. Stattdessen warst du einfach nur da und hast uns beobachtet.“

Eine Pause folgte, in der sich beide Männer ansahen.

„Und dann hast du dich aus Versehen in sie verliebt, nicht wahr?“, fragte Marco schließlich und Laws Augen weiteten sich bei den direkten Worten, während seine Lippen eine schmale Linie formten.

Laws Blick senkte sich. „Doflamingo hat jemanden getötet, der mir wichtig gewesen ist“, sagte er, anstatt auf die unnötige Frage zu antworten. Seine Gefühle für Nami taten nichts zur Sache. „Ich bin sicher, dass wir ihn gemeinsam aus dem Verkehr ziehen können. Davon haben beide Parteien etwas. Du kannst mir nicht sagen, dass du das nicht erkennst.“

Marco lehnte sich in seinem Stuhl zurück, bevor er jedoch zu einer Antwort ansetzen konnte, schwang die Tür auf. „Marco! Ich habe eine SMS von Nami bek—“, rief Ace und sein Gesicht glänzte vor Aufregung, als er in den Raum spaziert kam. Seine Züge verfinsterten sich, als er den Blick von seinem Mobiltelefon hob und er auf Law zum Ruhen kam.

„Was macht der denn hier?“, blaffte Ace und adressierte Marco, obwohl seine Augen noch immer an ihm klebten.

Sein Kiefer pochte bei dem Gedanken an den kräftigen Schlag, den Ace ihm vor gut einer Woche verpasst hatte. Ace war stärker als er aussah, angetrieben von seinem ungestümen Temperament.

Allerdings waren es eher seine Worte, die Laws Aufmerksamkeit auf sich zogen.

Eine Textnachricht von Nami.

Anstatt die Finger an seinem Kiefer entlang zu reiben, um den Phantomschmerz zu verscheuchen, richtete Law nur die schwarz-weiße Mütze auf seinem Kopf.

„Er ist gekommen, um uns ein Angebot zu unterbreiten“, sagte Marco, bevor er Ace mit einer Hand heranwinkte.

„Als ob man diesem Verräter vertrauen könnte…“, brummte Ace, der zu ihnen hinübertrabte, bis er an Marcos Seite zum Stillstand kam. Der fehlende Abstand zwischen ihnen sagte Law, dass sie sich zusammengerauft hatten, obwohl es während Namis Rettung durch ihn zum Streit gekommen war. Andererseits hatte auch keiner von ihnen an der Entführung Schuld gehabt, denn immerhin standen sie alle auf derselben Seite. Nur Law nicht, weil er nicht zu ihnen gehörte und es niemals getan hatte.

„Wir haben wahrscheinlich keine andere Wahl, als es anzunehmen“, meinte Marco und entzog Ace sanft sein Mobiltelefon, so dass er einen Blick auf das Display werfen konnte.

Auch Laws Blick wanderte zu dem Handy, bevor er sich zwang, ihn abzuwenden. Er konnte die Nachricht ohnehin nicht sehen und Namis Leben ging ihn nichts mehr an.

„Was meinst du damit?“, fragte Ace.

Doch Marco sah zu ihm auf. „Ein Treffen?“

Ein Zucken der Schultern war Aces Antwort und er nahm das Handy wieder an sich. „Was für ein Angebot ist es?“, wandte er sich stattdessen an Law, auch wenn man ihm im Gesicht ablesen konnte, wie gern er seine Faust abermals in Laws Gesicht vergraben hätte.

„Doflamingo zu eliminieren“, sagte Law und spürte ein Hauch von Genugtuung, als Aces Augen sich weiteten.

„Das Problem ist nur, dass der Erstbeste von Doflamingos Leuten seinen Platz einnehmen wird“, erklärte Marco. Sein Blick galt Ace, als wären seine Gedanken dazu wichtiger als Laws, obwohl sie alle wussten, dass dieser kein Stratege war.

„Dafür habt ihr mich“, warf Law ein und lehnte sich vor, bis er beide Arme auf dem Tisch bettete. „Wenn ich Doflamingos Position einnehme, kann ich garantieren, dass es keine Angriffe mehr auf Florida geben wird und Whitebeard und seine Söhne müssen nicht mehr ständig auf der Hut sein.“

„Und wer garantiert, dass du nicht schlimmer als Doflamingo sein wirst?“, blaffte Ace.

„Niemand.“ Laws Mundwinkel hoben sich. „Aber was hätte ich gegen einen Krieg mit euch? Vielleicht seid ihr mir auch einfach ans Herz gewachsen.“

Ace machte einen Schritt auf ihn zu. „Hörst du dich eigentlich selbst reden? Was gibst du da für einen Müll von dir?“

„Ace“, mahnte Marco, bevor er sich an Law richtete. „Offensichtlich kann ich diese Entscheidung nicht fällen. Ich werde sie Paps unterbreiten. Der Rest hängt von ihm ab.“

Etwas anderes hatte Law nicht erwartet. Zwar konnte Marco die Entscheidung beeinflussen, aber noch war Whitebeard derjenige, der hier Befehle gab. Doch wenn man den Gerüchten in Key West Glauben schenken durfte, würde das vielleicht nicht mehr lange der Fall sein.

Law erhob sich, ohne den Saft in seinem Glas angerührt zu haben. Ace stand direkt vor ihm, doch seine offenbare Einschüchterungstaktik funktionierte nicht, da er einige Zentimeter kürzer als Law war. Er belächelte den Versuch, bevor er sich zum Gehen wandte. „Du weißt ja, wie du mich erreichen kannst.“

Marco und Ace hatten seine Nummer nicht, doch Nami hatte sie bestimmt noch in ihrem Handy gespeichert. So oder so würden sie ihn aufspüren können, daran zweifelte Law nicht. Genügend Leute und Informanten hatten sie auf der Insel immerhin und außerdem versteckte sich Law nicht.

Teil 5: An Angry Man's Plan [2]


 

V

Mit zusammengezogenen Augenbrauen studierte Nojiko das Display ihres Handys, als sie auf der Parkbank Platz nahm. Irgendetwas an Namis Textnachricht irritierte sie und war anders als sonst. Die vielen lächelnden Emojis waren es nicht, denn diese benutzte Nami recht häufig. Vielleicht war es der Inhalt der Nachricht oder die Tatsache, dass Nami sich ausgerechnet in diesem kleinen Park mit ihr treffen wollte.

War etwas vorgefallen?

In der letzten Zeit war es verhältnismäßig friedlich und ihr Leben beinahe stinknormal gewesen, sodass sich die verkrampften Nerven in ihrem Inneren endlich wieder etwas entspannt hatten. Dass Nojiko endlich wieder aufatmen konnte.

Atmen, aber nicht lächeln. Daran erinnerte sie Nami nur zu gern, obwohl sie dafür nur in den Spiegel sehen musste. Obwohl sie nicht besonders lange mit Marco und Ace zusammengewesen war, hatten sie sich schnell in ihr Herz und in ihr Leben geschlichen. Nun fühlte es sich an, als würden Teile von ihr fehlen. Sie hatte Gefahr gegen ein langweiliges Dasein ausgetauscht, auch wenn sie wusste, dass es das Beste war. Nami wollte es nicht wahrhaben und nahm selbst die Entführung auf die leichte Schulter, doch das Gefühl der Schuld schwand nicht. Wegen ihr wäre Nami beinahe ums Leben gekommen. Was würde Bellemere dazu sagen?

Die Enttäuschung ihrer Mutter war eines der wenigen Dinge, mit denen Nojiko noch nie hatte umgehen können. Bellemere hatte alles für sie getan, ganz gleich wie wenig Geld sie hatten oder wie wenig Essen auf dem Tisch stand – und sie musste dasselbe für Nami tun. Immerhin war sie die Ältere. Sie war—

„Nojiko“, sprach jemand ihren Namen aus und der sanfte, fast zögerliche Ton jagte ihr eine Gänsehaut über den Nacken und Rücken. Vielleicht war es auch die Stimme, die diese Reaktion in ihr auslöste und verbotene Erinnerungen in ihr hervorrief.

Nojiko schluckte, als sie aufsah und ihr Blick auf dem Mann vor ihr zum Ruhen kam. „Ace...“ Ihr Herz machte einen Sprung, denn es war schwer nichts zu fühlen, nur weil man es sich vornahm. „Was machst du hier?“, fragte sie mit geschultem Gesichtsausdruck.

Sein Haar bewegte sich in der sanften Brise, da er seinen orangenen Hut nicht trug. Auch das zerknitterte Hemd, das ihn offen um die Schultern hing und seinen Brustkorb freigab, sagte ihr, dass er nicht die Absicht gehabt hatte, auf sie zu treffen.

Ace legte eine Hand an die Stirn, um die Augen vor der hochstehenden Sonne abzuschirmen, als er sich umsah. „Ehrlich gesagt habe ich nach Nami Ausschau gehalten, als ich dich hier sitzen gesehen habe.“

„Oh.“ Er hatte also nur Nami sehen wollen.

Nojikos Stirn kräuselte sich bei dem Namen ihrer Schwester. Nami hatte doch nicht etwa...! Sie stieß ein Halblachen aus, das genervt und schroff klang. Das konnte doch wirklich nicht ihr Ernst sein.

„Was ist?“

Nojiko riss den finsteren Blick von ihrem Handy, welches sie umklammerte, bis ihre Knöcheln schmerzten. „Du hast eine Textnachricht von Nami erhalten, richtig? Dass sie dich hier treffen will?“

Ace nickte verwirrt.

„Meine kleine Schwester mischt sich in Sachen ein, die sie nichts angehen“, sagte Nojiko. Sie hätte es erwarten sollen, da Nami andauernd diese kleinen Andeutungen machte, dass sie doch ein Gespräch mit Marco und Ace führen sollte, obwohl alles bereits gesagt worden war. Sie hatte Ace die Gründe genannt, die sie zu ihrer Entscheidung geführt hatten. Sie waren schlecht füreinander. Feinde würden ihren Bund nur ausnutzen und sie alle sich nur unnötig in Gefahr begeben.

Viel zu spät bemerkte Nojiko, dass Ace näher getreten war. Er setzte sich neben sie auf die kleine, eiserne Parkbank, die unter einer Palme stand, deren langen Blätter jedoch kaum Schatten spendeten.

Die Finger seiner Hände waren verschränkt, als er die Unterarme auf den Oberschenkeln abstützte. Ace lehnte sich so weit nach vorn, dass schwarze Haarsträhnen die obere Hälfte seines Gesichts vor ihrem Blick versteckten.

„Ich bin froh, dass sie es tut“, gestand er und Nojiko lehnte sich instinktiv ebenfalls vor, um die leisen Worte aufzuschnappen, bis ihr einfiel, dass sie Abstand bewahren sollte. „Ich habe dich vermisst, Nojiko.“

Plötzlich erschien ihr selbst ihr dünnes, dunkelgrünes Top zu warm. „Wir haben darüber geredet, Ace. Mach es nicht noch schwerer für uns beide.“ Ihr Mund war staubtrocken und auch ihre Worte klangen eher halbherzig, obwohl sie diese meinen sollte. Sie war zu weich.

Nojiko wandte den Blick ab, so dass sie nur aus den Augenwinkeln beobachtete, wie Ace sein Gewicht verlagerte und die Hand in die Hosentasche schob. Er zog ein zusammengefaltetes Papierstück hervor, dessen Kanten vergilbt waren.

„Ich hab darüber nachgedacht, was ich dir sagen würde, wenn ich dir das nächste Mal begegne“, fuhr Ace fort, als hätte er sie nicht gehört. Er wollte sie nicht hören. Nicht nur das, er war ihr auch aus dem Weg gegangen, denn seit Thatchs Verlobungsfeier hatte sie ihn auch nicht mehr im Grandline gesehen. Marco ebenfalls nicht. Nur Thatch und die anderen bekannten Gesichter, die zu Whitebeard gehörten, gingen noch immer ein und aus, als wäre nichts geschehen.

Für sie war auch nichts geschehen, denn es wusste kaum einer von ihrer ungewöhnlichen Dreierbeziehung. Zwar hatten sie diese im Grandline nicht versteckt, aber sie auch nicht auffällig gezeigt, was ihr nur recht gewesen war. Sie bezweifelte, dass viele Menschen ihre Beziehung, die so vollkommen aus der Norm fiel, nachvollziehen konnten.

„Ich will dich nicht davon überzeugen, dass du nicht recht hast“, sprach Ace weiter und starrte auf das Papier hinunter, welches er noch immer in der Hand hielt. „Aber ich bin sicher, dass das zwischen uns etwas wert ist. Nicht nur das zwischen Marco, dir und mir. Ich meine auch Nami. Und Thatch, Makino und ihr Baby. Ihr seid alle ein Teil von meiner Familie. Bevor ich Marco getroffen habe, habe ich keine gehabt. Nur meinen Cousin, der wie ein Bruder für mich ist, aber keine Familie.“

Aces Gesicht war furchtbar ernst und seine Wangen bei diesem unerwarteten Geständnis ein wenig gerötet. Bisher hatte er so gut wie nie über die Zeit vor Marco und Whitebeard gesprochen. Nur Luffy hatte er regelmäßig erwähnt, der noch immer mit seinem Großvater zusammenlebte, während Ace früh aus dem Haus geflüchtet war, um sich nicht nach den Vorstellungen des Mannes zu verbiegen. Trotzdem hatte Nojiko stets einen Hauch an Sympathie und Liebe für seinen Großvater aus seinen Worten herausgelesen.

Doch nun reichte Ace ihr das Papier und Nojiko entfaltete das Stück Vergangenheit, welches er mit ihr teilen wollte. Es handelte sich um ein verblasstes Fotos. Auf dem Foto war eine junge Frau mit rotblondem Haar zu sehen, das ihr hinunter zur Taille reichte. Sommersprossen waren auf ihren blassen Wangen verteilt, während sie mit einem sanften Lächeln direkt in die Kamera blickte.

„Du hast viele Züge von deiner Mutter“, stellte Nojiko fest. „Abgesehen von den Sommersprossen, meine ich. Die Nase. Und das Lächeln auch.“

„Findest du?“, fragte er, doch sie konnte das Halbgrinsen heraushören, welches sich auf seinem Gesicht erstreckte.

Nojiko sah auf. „Was ist mit ihr geschehen?“

„Sie ist gestorben. Bei meiner Geburt.“ Und so schnell wie das Grinsen kam, wanderten Aces Mundwinkel wieder nach unten, denn er war schon seit ihrer ersten Begegnung ein offenes Buch gewesen.

Den Schmerz eine Mutter zu verlieren verstand Nojiko, aber nicht, wie es war ohne eine Mutter aufzuwachsen. Zwar war Bellemere nicht ihre leibliche Mutter gewesen, worüber sie aber grundsätzlich nie sprachen, doch Bellemere war die beste Mutter gewesen, die Nami und sie sich hätten wünschen können. Es hatte keinen Moment gegeben, in dem Nojiko sich ungeliebt gefühlt hatte.

„Ich hoffe, du denkst nicht, dass ich es dir erzählt habe, um dich umzustimmen“, sagte er.

Ace lächelte und es war furchtbar künstlich, aber Nojiko erwiderte es dennoch.

„Ich weiß.“

„Oder weil ich Mitleid will“, fügte er hastig hinzu und kratzte sich am Kopf, bis sein schwarzes Haar noch etwas wirrer aussah.

„Ich bemitleide dich auch nicht“, erwiderte Nojiko. Die Situation war ungewohnt und einengend, denn Nojiko war kein Mensch, der einfach mit den Gefühlen anderer umgehen konnte. Sie war niemand, der wusste, was zu tun war, was richtig und falsch in Momenten wie diesen war. Aber Ace verdiente es, dass sie es wenigstens versuchte. „Ich bin froh darüber, mehr von dir zu erfahren.“

„Ich will dich nicht verlieren“, entrann es Ace und Nojiko senkte den Blick. Aces Gefühle für sie waren kein Geheimnis für sie, denn obwohl die Sorgen um Nami sie zu dem Zeitpunkt fast erdrückt hätten, erinnerte sie sich noch haargenau an Aces Liebesgeständnis. Auch danach war es ihr noch oft durch den Kopf gegangen.

„Ich sollte gehen“, presste sie hervor, reichte ihm das Foto und stand abrupt auf. „Makino wartet sicher schon auf mich.“ Sie ging davon, hielt nach einigen Schritten jedoch inne, um noch einen Blick über die Schulter zu Ace zurückzuwerfen. „Grüß Marco von mir.“
 


 

VI

Eine Nachrichtensprecherin erzählte über das Wetter für die kommende Woche und wie ruhig es nach dem vorbeiziehenden Sturm geworden war.

Nami lauschte ihren Worten nur flüchtig, denn sie brauchte nur aus dem Fenster zu sehen, um zu wissen, dass das Wetter sich wieder eingependelt hatte. Zudem sagte Nami ihr Gefühl, dass die Temperaturen sich zunächst stabil halten würden und sich kein Sturm auf dem Atlantik zusammenbraute.

Zufrieden schob sie ihren Löffel weder in die Eisschale, in dem sie Orangen- und Vanilleeis zusammengemischt hatte, um sich nach ihren langen Strandbesuch ein wenig abzukühlen. Doch gelohnt hatte er sich. Nami hatte eine Menge Skizzen beenden können und ihr waren auch einige neue Einfälle für ein paar Kleider und Röcke gekommen, die sie ebenfalls grob skizziert hatte.

Es hatte ausgereicht, damit Nami ihre Gedanken klären konnte, während sie darüber nachgedacht hatte, was sie von nun an machen wollte. Darüber, wie es weitergehen sollte, anstatt ewig wie eingefroren stehen zu bleiben, während die Welt sich weiterdrehte. Das lag ihr nicht. Sie war schon immer eine Person gewesen, die in Bewegung bleiben musste, um glücklich zu sein. Ein Teil von ihr sehnte sich nach Abenteuern, nach einem Ziel, welches sie verfolgen konnte und sie hatte auch bereits eins im Sinn.

Mit dem Löffel im Mund wechselte Nami den Fernsehkanal, weg von dem Wetter und den Nachrichten, die sie nicht sonderlich interessierten.

Bevor sie einen passenden Kanal gefunden hatte, ertönte das Türschloss. Einen Moment später trat Nojiko ein, die ihre Schwester sofort auf dem Sofa sitzend entdeckte. Ein harter Zug lag um ihren Mund, als sie die Schlüssel auf den schmalen Tisch warf, der sich in der Ecke neben der Tür befand. Unwirsch streifte sie sich die Flip Flops ab und durchquerte das Wohnzimmer, um neben Nami auf die Couch zu sacken.

„Ich kann nicht glauben, dass du das getan hast“, meinte Nojiko und sie lehnte den Kopf zurück, bis er auf der Sofalehne lag und sie die schneeweiße Decke betrachtete.

Nami zog den Löffel aus dem Mund. „Was? Dir auf die Sprünge helfen?“, erkundigte sie sich unschuldig, aber ein Blick von Nojiko genügte, um zu wissen, dass diese Masche bei ihrer Schwester nicht funktionierte.

„Sag mir nicht, dass du mir kein Stück dankbar bist“, fügte Nami hinzu.

„Dankbar würde ich es nicht nennen“, erwiderte Nojiko und stieß ein Seufzen aus. „Es macht alles viel eher schwerer. Er hat mir über seine verstorbene Mutter erzählt.“

Nami füllte einen Stich im Herzen und ein Bild von Bellemere tauchte vor ihrem inneren Auge auf. „Er ist dir wirklich verfallen, Nojiko.“ Jedenfalls hatte sie bei keinem der Männer, mit denen sie seit Bellemeres Tod ausgegangen war, auch nur ein Wort über ihre tote Mutter verloren. Nicht einmal bei Law.

Nojiko setzte sich auf und angelte nach Namis Löffel, um etwas von ihrem Eis zu kosten. „Du weißt, dass das nicht das Problem ist.“

„Was ich weiß ist, dass du Probleme machst, wo keine sind, Nojiko“, sagte Nami. Die Erinnerung an das letzte Mal, als sie gemeinsam hier auf dem Sofa gesessen und Eis gegessen hatte, kam ihr wieder ins Gedächtnis geschossen. Auch damals hatte sich die Unterhaltung um Ace gedreht, da dieser Nojiko einen ganzen Umschlag an Geld geschenkt hatte, damit sie aus Key West wegziehen konnte. Allein, dass sie hier saßen, machte deutlich, wie viel aus Nojikos Entschluss geworden war. Am Ende hatte sie das Geld genutzt, um die Rohre und das Dach reparieren zu lassen und ein breites Bett zu kaufen, damit Marco und Ace ebenfalls darin Platz fanden. Sie hatte es genutzt, damit sie sich ein Leben zu dritt aufbauen konnten, um diese Chance bei den ersten Schwierigkeiten wieder aufzugeben.

„Dieses Eis schmeckt ziemlich furchtbar“, unterbrach Nojiko ihre Gedanken und deutete mit dem Löffel auf das orangefarbene Eis.

Nami grinste. „Das habe ich mir auch gedacht. Da ist mir eingefallen, dass wir unser eigenes Eis herstellen sollten. Orangen haben wir ja schließlich genug.“

Nojiko hob eine Augenbraue. „Du willst Eis verkaufen?“

„Warum nicht?“ Nami zuckte mit den Schultern, doch Nojiko schüttelte nur amüsiert den Kopf.

„Nojiko“, kehrte Nami zum eigentlichen Thema zurück. „Marco und Ace lieben dich. Du liebst sie“, fasste sie zusammen, während Nojiko schweigend weiteraß. Sie widersprach Nami nicht einmal, was sie ein wenig irritierte, aber sie nicht davon abhielt, ihre Meinung zu sagen, die sie seit ihrer Entführung hinuntergeschluckt hatte, damit Nojiko eventuell selbst die Einsicht erlangte. Aber ihre Schwester war schon immer ein absoluter Sturkopf gewesen.

„Alles andere ist unwichtig, Nojiko“, fuhr sie daher fort. „Schlimme oder tragische Dinge werden immer passieren. Denk nur an Bellemere. Ein Auto hat sie erwischt. Willst du mir also ernsthaft weismachen, dass du Marco und Ace aufgeben willst, weil uns etwas passieren könnte?“

Nojiko hielt inne beim Essen und ließ Löffel sowie Eisschale sinken. „Du wurdest entführt, Nami“, erinnerte Nojiko sie. „Ein Mann hat sich in unser Leben geschlichen, um uns auszuspionieren. Vielleicht kannst du einfach so darüber hinwegsehen, ich aber nicht. Was glaubst du würde Bellemere sagen, wenn sie wüsste, dass du fast gestorben wärst, weil ich mich auf die falschen Leute eingelassen habe? Ich habe meine eigene Schwester in Gefahr gebracht!“

„Ich habe mich selbst in Gefahr gebracht“, korrigierte Nami mit einem freudlosen Lächeln. „Immerhin habe ich mich auf Law eingelassen. Nicht du. Ich.“

Nojiko schnaufte, um den angestauten Gefühlen, dem Zorn in ihrem Bauch, Luft zu machen. „Wir sind nicht gut füreinander. Marco und Ace bringen sich dadurch auch nur mehr in Gefahr, Nami.“ Sie stellte die Eisschale auf dem Tisch ab, bevor sie sich erhob und die Treppe ansteuerte. „So ist es besser für alle.“

Nami sah ihr nach, die Hände zu Fäusten geballt. „Ist es nicht. Ich hab dich noch nie so glücklich erlebt, als wie mit Marco und Ace. So ein Gefühl ist ein Risiko wert.“

Nojiko verschwand auf den Stufen.

Frustriert sackte Nami gegen das Sofa. „Ausserdem kannst du nicht ewig auf dem Sofa schlafen, Nojiko!“, rief sie ihr hinterher. Sie konnte es mit Law nicht reparieren, weil sie kein Fundament hatten, auf dem sie aufbauen konnten, doch bei Nojiko, Marco und Ace war es anders, das hatte sie mit eigenen Augen gesehen. Irgendjemand musste darum kämpfen und wenn es nicht Nojiko war, dann musste Nami das eben selbst in die Hand nehmen.
 


 

VII

Ace war nicht wohl bei der Sache, doch allein, dass Marco diesen Kriegsrat einberief, bewies, dass er Laws Plan tatsächlich in Erwägung zog. War es wegen damals im Fabrikviertel? Seit Marco die Erinnerung an das Russisch Roulette wachgerufen hatte, ließ sie Ace nicht mehr los. Zu jenem Zeitpunkt hatte sich Ace noch keine großen Gedanken um das Sterben, um sein Ableben, gemacht. Zu der Zeit hatte er kaum etwas zu verlieren gehabt, aber das war nun anders.

„Vertraust du Law etwa?“, platzte es aus Ace heraus, als sie die breite Treppe des Anwesens hinaufstiegen.

Marco schielte in seine Richtung. „Natürlich nicht.“

Seinen Freund am Unterarm packend, brachte er Marco auf halben Weg die Stufen hinauf zum Stillstand, die Augenbrauen wütend zusammengezogen. „Warum also?“

Geduldig sah Marco ihn an. „Weil es eine Chance sein könnte“, meinte er. „Wir werden alle nicht jünger, Ace.“ Seine Worte kamen einem Faustschlag gleich, der Ace sekundenlang den Atem raubte.

„Wenn du von Paps sprichst—“, begann Ace, doch Marco deutete ein Kopfschütteln an.

„Nicht nur Paps. Auch ich“, erklärte er mit einem Seufzen auf den Lippen. „Vista, Jozu... Wir sind alle keinen Jungspünde mehr. Statistik gesehen hat Doflamingo da den Vorteil, da er viele jüngere Anhänger um sich sammelt und allgemein mehr hat als wir.“

„Aber wir nehmen auch nicht wahllos Leute auf!“, konterte Ace, denn für Whitebeard waren es nicht nur Untergeordnete, sondern jeder hier war ein Teil seiner Familie, ein Sohn oder eine Tochter.

„Genau das entwickelt sich zu einem Nachteil für uns“, meinte Marco, der es irgendwie schaffte, die Sache ruhig und besonnen zu sehen, das Gesicht verschlafen und nachdenklich. „Ganz besonders jetzt, da Paps immer mehr abbaut. Die Übergriffe von Doflamingo, aber auch von anderen, werden nur zunehmen.“

Ace biss so fest die Zähne aufeinander, dass seine Zähne knirschten. Natürlich wusste er das alles, aber er hatte es verdrängt. Hatte es nicht wahrhaben wollen, obwohl er es an dem Abend nur zu deutlich gespürt hatte, als Marco verschwunden war und er im Dunkeln an Whitebeards Bettseite gesessen hatte. Nichts war von Dauer, aber zum ersten Mal jagte ihm dieser Gedanke Angst ein.

„Mach dir nicht so viele Gedanken darüber, eh“, sagte Marco und legte seine Hand auf Aces Kopf, um durch die schwarzen Haarsträhnen zu streichen.

Aces Hand rutschte von Marcos Arm, um ihn freizugeben. „Tu ich nicht“, antwortete er schroff, auch wenn sie beide wussten, dass er log.

Gemeinsam stiegen sie die restlichen Stufen hinauf und fanden sich in Whitebeards Krankenzimmer ein. Die Rückenlehne des Betts war angehoben, so dass ihr Vater aufrecht saß, während er auch weiterhin an die Sauerstoffmaschine angeschlossen war, die ihm das Atmen erleichterte.

Eine privat angeheuerte Krankenschwester kritzelte ein paar Notizen auf ein Klemmbrett und schenkte ihnen nur einen kurzen Blick, als sie eintraten. Auch die anderen Jungs, die zum inneren Kreis gehörten, hatten sich bereits eingefunden. Vista lehnte neben der breiten Fensterfront, die auf den verwilderten Garten hinausschaute, während Jozu auf dem Stuhl neben Whitebeards Bett saß, die Arme auf den Oberschenkeln gebettet. Die anderen lehnten an den Wänden oder standen im Kreis um das Bett herum.

Whitebeards Augen funkelten, als er Marco und Ace entdeckte. „Ah, da seid ihr endlich!“, begrüßte er sie und gab der Krankenschwester mit einer knappen Bewegung seiner großen, faltigen Hand zu verstehen, dass sie nicht mehr gebraucht wurde.

Die junge Frau entschuldigte sich und schloss die Tür auf ihren Weg nach draußen. Kurz sah Ace ihr nach, bevor sein Blick zu dem Mann zurückkehrte, den er aus freien Stücken Vater nannte. „Haruta, bring mir Sake!“, forderte er, bevor er das Gespräch eröffnete. „Ach, Marco, schau nicht so. Nüchtern will ich keine Kriegspläne besprechen.“ Sein grölendes Lachen klang laut und feucht und endete in meinem Husten, das ebenso einem Donnerschlag gleichkam.

Auch Haruta verzog das Gesicht, doch der schmale Mann schlüpfte dennoch aus dem Raum, um ihrem Vater den Wunsch nach dem Reiswein zu erfüllen.

Inzwischen glättete sich Marcos Gesicht, der neben ihm stand. Er stemmte die Hände in die Hüften. „Die Neuigkeit über Law dürfte sich bereits herumgesprochen haben“, meinte er an alle gewandt und ein zustimmendes Brummen folgte von Rakuyou, obwohl sein Gesicht hart und angespannt blieb. Auch ein paar anderen nickten bestätigend.

Thatch fehlte, fiel es Ace auf, als Haruta zurückkehrte und ihrem alten Herren einen riesigen Becher mit der klaren Flüssigkeit reichte. „Sohn, du hättest die Flasche auch gleich mitbringen sollen“, mahnte Whitebeard, aber Haruta zuckte achtlos mit den Schultern.

„Das ist mehr als genug so früh am Morgen“, tadelte Marco, bevor er mit dem eigentlichen Thema fortfuhr. „Zwar hat Law gezeigt, auf wessen Seite er stand, aber ich denke, dass seine Motive wahr sind und er uns tatsächlich helfen möchte, Doflamingo zu stürzen.“

„So oder so, das ist eine Gelegenheit, die wir uns nicht entgehen lassen können“, meinte Vista und zwirbelte mit dem Anflug eines Lächelns eine Seite seines Schnauzbarts. „Nicht jede Art von Gewalt lässt sich vermeiden.“

Jozu sah auf. „Bist du sicher, dass es so einfach ist, Doflamingo herzulocken?“

„Das ist wohl ein Risiko, das wir eingehen müssen“, antwortete Marco und legte den Kopf schief, während ihr Vater an dem Becher nippte und ihn dabei fast gänzlich leerte. „Law meinte, dass sich etwas Wertvolles in der Ladung befindet und Doflamingo schon eine halbe Ewigkeit darauf wartet. Das Schiff, was sie an Bord hat, legt in drei Tagen in Boston an, bevor die Ware den restlichen Weg nach Texas über das Land transportiert wird.“

„Laws Auftauchen hier war also nicht nur, um uns auszuspionieren“, fasste Haruta zusammen, der sich auf Whitebeards Bettkante gesetzt hatte, obwohl das meiste von der breiten Statur ihres Vaters eingenommen wurde.

„Er hatte schon die ganze Zeit vor, die Ware zu stehlen und uns dazu zu bekommen, ihn dabei zu helfen“, sagte Marco.

Vista hob eine buschige Augenbraue. „Wer sagt, dass Doflamingo persönlich kommen wird, wenn wir sie stehlen?“

„Law“, erwiderte Ace und versteckte sein Missmut über diese Tatsache nicht. Er sah eine ähnliche Abneigung auf einige der Gesichter im Raum und die meisten kannten Law nicht einmal halb so gut wie Marco und er. Die meisten waren Law nicht einmal begegnet, aber ein Verräter stieß jedem hier bitter auf. Es weckte die Erinnerung an Edward Teach in ihnen, der sie ebenfalls hintergegangen und geflohen war, ohne dass sie ihn zur Rechenschaft hatten ziehen können. Ace war bereit gewesen, dem Mann hinterher zu jagen, aber Marco hatte ihn aufgehalten. Bis heute verstand er nicht, wie Marco das geschafft hatte.

Stille kam auf, bis Whitebeard ein leises, raues Lachen ausstieß. „Dieser Law klingt, als habe er bisher seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden.“

„Ich vermute, dass da mehr als nur Machthunger dahinter steckt“, fügte Marco hinzu und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. „Zwar spricht er davon, dass er Doflamingos Platz einnehmen will, aber er scheint keine emotionale Bindung zu nichts und niemanden in Texas zu haben. Hier hat er dagegen Nami.“

Aces Augen weiten sich. „Nami?“, spuckte er Marco entgegen. „Du willst doch nicht etwa, dass sie wieder zusammenkommen, oder?“

„So wie ich das sehe, ist das nicht meine Entscheidung“, erwiderte Marco unbeeindruckt von seinem Zorn, weil Marco schon immer Wasser für sein Feuer gewesen war. Aber er konnte doch nicht allen ernstes behaupten, dass er es zulassen würde, dass sich Law abermals an Nami heranmachte. Nicht nach allem, was vorgefallen war.

„Bisher hat mich deine Menschenkenntnis nicht enttäuscht, Marco“, erklärte Whitebeard und drückte Haruta den leeren Becher in die Hand. „Wenn du denkst, dass wir diesem Law vertrauen können, dann gehen wir das Risiko ein.“

Ace holte Luft, doch bevor er protestieren konnte, hob Whitebeard die massige Hand und brachte ihn zum Verstummen. „Risiken gehören zum Leben dazu. Wir wären jetzt nicht hier, wenn wir nie welche eingehen würden und ich vertraue meinen Söhnen bedingungslos.“

Damit war das Gespräch vorbei, auch wenn Ace noch so einige Dinge auf der Zunge brannten. Seine Hände waren zu Fäusten geballt, als er Marco und den anderen aus dem Raum folgte. „Thatch hat gefehlt“, entrann es ihm zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch.

Marco warf einen Blick über seine Schulter. „Er wird Vater, Ace.“

Irgendetwas an diesen Worten sorgte dafür, dass sich etwas in Aces Brust zusammenzog. Ace nickte. Sie würden die Ware ohne Thatch stehlen.
 


 

VIII

Das kleine Motel war ziemlich heruntergekommen, aber auch einer der letzten Plätze gewesen, in dem man einen Spion von Doflamingo vermutet hätte.

Marco schob die Hände in die Hosentaschen, als er nach der richtigen Tür suchte, die eine abgetragene, inzwischen recht farblose, Sieben als Ziffer trug. Er klopfte.

„Ich hab mich schon gefragt, wann einer von euch hier auftauchen wird“, begrüßte Law ihn, als er die Tür aufzog.

Schwer war es nicht gewesen, Law ausfindig zu machen, denn seit sei wussten, dass er zu Doflamingos Leuten gehörte, hatte einer seiner Brüder stets ein Auge auf ihn gehabt. Doch die Berichte, die man Marco machte, ähnelten sich alle in einem Aspekt: Law versuchte sie nicht abzuschütteln oder sich zu verstecken.

„Lieber spät als nie“, kommentierte Marco, als er das Zimmer betrat und Law hinter ihm die Tür schloss.

Besonders eingelebt wirkt das kleine Hotelzimmer nicht, nur leere Fläschchen aus der Minibar standen auf dem Tisch herum und eine Reisetasche mit halbverschlossenem Reisverschluss stand in der Ecke. Das Bett war nicht gemacht worden und ein Buch über die Entstehung von Penicillin lag umgedreht auf der zurückgeschlagenen Decke.

Es war ein eigenartiger Gedanke, sich Law entspannt im Bett lesend vorzustellen. Marco verdrehte die Augen, als er mitten im Zimmer zum Stehen kam und sich zu Law umwandte.

„Bevor wir uns auf den Weg machen, muss ich wissen, dass wir einander Vertrauen können“, sagte Marco.

Laws Gesichtsausdruck blieb geschult, wie immer war nichts aus ihm herauszulesen. „Und wie willst du das wissen, Marco-ya? Ich kann es dir wohl kaum jetzt und hier beweisen.“

„Wieso ist es dir so wichtig, Doflamingo aus dem Weg zu räumen, eh?“, fragte Marco, anstatt auf die Frage des anderen einzugehen. Viel Zeit hatten sie für diese Unterhaltung nicht, da es bereits spät war und sie sich bald mit den anderen am Treffpunkt einfinden mussten. Er schob die Hände in die Hosentaschen seiner Jeans. „Da steckt mehr als nur Lust nach Power dahinter.“

Law lächelte ein freudloses Lächeln, grimm und voller Selbstironie. „Das hättest du mich auch letztes Mal schon fragen können.“

Ein Zucken der Schultern folgte. „Vielleicht wollte ich dir etwas mehr Privatsphäre gönnen.“ Immerhin wussten sie beide, dass seine Brüder sie mehr oder weniger erfolgreich belauscht hatten. „Also?“

Law löste sich aus seiner Starre und wanderte zum Bett hinüber. Sich auf der Kante niederlassend bettete er die Unterarme auf den Knien, den Blick auf den befleckten, alten Teppich gerichtet. „Er hat meinen Ziehvater ermordet“, erklärte Law so leise, dass Marco sich konzentrieren musste, um seine Worte aufzuschnappen.

„Der einzige Mann, der sich nach dem Tod meiner Familie für mich interessiert hat.“ Die Hände ballten sich zu Fäusten, bis die Knöchel scharf hervorstanden. Es erinnerte ihn an Ace, denn auch Law schien einen versteckten Hass mit sich herumzutragen, den er nie komplett abschütteln konnte. Obwohl Hass und Zorn einen doch nur von innen heraus selbst zerstörten. Auch Law war ein gebrandmarktes Kind.

„Das Schlimmste ist jedoch, dass er sein eigener Bruder gewesen ist“, fuhr Law fort, während seine Brauen eine tiefe Furche in seine Stirn gruben.

„Liebst du Nami?“, fragte Marco tonlos.

Law hob den Blick, die Augen geweitet, aber die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst.

Marcos Mundwinkel zuckten. „In unseren Rängen ist noch etwas Platz für einen weiteren Streuner“, meinte er dann, da Whitebeards Worte eindeutig gewesen waren. „Wenn die Sache abgeschlossen ist, solltest du dir überlegen, ob du uns nicht beitreten und Paps Sohn werden willst.“ Ins Detail ging er nicht, denn der Ruf ihrer Familie war bekannt. Ganz besonders Law sollte inzwischen wissen, was das bedeutete und wie tief der Bund zwischen ihnen allen war, weshalb er stattdessen zur Tür hinüber nickte. „Bist du bereit zum Gehen?“

Whitebeard hatte ihm die Entscheidung überlassen, ob sie Law vertrauten oder nicht. Zwar gab es niemals eine Garantie, was das Vertrauen einer anderen Person anging, aber bisher war auf Marcos Intuition recht guter Verlass gewesen. Oder wollte er nur an Law glauben?

Vielleicht wurde er langsam doch alt und sehnte sich nach etwas mehr als ihren Sitz hier in Key West zu sichern und seinen Vater und seine Brüder zu unterstützen. Womöglich hatten ihm die letzten Tage aber auch gezeigt, wie zerbrechlich das alles doch war und das nichts von Dauer war.

„Schon lange“, brummte Law, der plötzlich eine schwarze Beretta in der Hand hielt und das Magazin mit geschickten Fingern überprüfte, um sich die Pistole anschließend in den Hosenbund unter das weite T-Shirt zu stecken. Dann holte er die Reisetasche, deren Reißverschluss er auf den Weg zur Tür zuzog.

Marco blinzelte müde, setzte sich gleichzeitig jedoch in Bewegung und marschierte hinter Law aus der Tür. Er warf einen Blick auf seine altmodische Armbanduhr, deren Ziffernblatt nur schwer unter dem gelben Licht der Laterne zu sehen war. „Die anderen warten bereits auf uns.“

Law sagte nichts, so dass sie sich schweigend auf dem Weg zum Anwesen machten.

„Warum vertraust du mir noch?“, fragte Law nach einer Weile.

„Wir leben ein Leben, das uns zwingt Risiken einzugehen, oder nicht, eh?“, fragte Marco, als sie den dunklen Straßen folgten. Sie wählten einen Weg, der sie von den Bars und Kneipen fernhielt, bis sie die dunklen und verlassenen Straßen ihrer Nachbarschaft erreichten. So kurz vor Mitternacht trieben sich hier niemand mehr herum.

„Marco. Hey. Hier drüben“, rief Haruta aus, als sie den Hof des Anwesens betraten. Auf der breiten Auffahrt stand bereits der Wagen, ein silberner Ford Egde SUV, der stets von den Jungs für längere Fahrten benutzt wurde.

Haruta und Ace luden ein paar Taschen mitsamt einer Kühlbox in den Kofferraum, bevor sein Freund ihn scheppernd schloss und sich ihnen zuwandte.

Ein finsterer Blick galt Law, doch Ace ließ dessen Anwesenheit oder die Tatsache, dass sie viele gemeinsame Stunden in diesem Auto verbringen würden, kommentarlos. „Da seid ihr ja endlich. Dann können wir ja los“, sagte er und steuerte die Fahrerseite an.

Obwohl Marco für gewöhnlich bevorzugte, hinter dem Steuer zu sitzen, ließ er Ace den Vortritt, da es noch genug Gelegenheit für das Fahren geben würde. Stattdessen machte es sich Marco auf dem Beifahrersitz gemütlich, die Hand auf Aces muskulösen Oberschenkel ablegend.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ende von Teil 3. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Gedanklicher Rueckblick zu Teil 2 und dem Russisch Roulette. Noch ein weiteres Kapitel wird folgen, damit Teil 4 abgeschlossen ist. Danach folgen noch in etwa 3 Teile. :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Damit ist Teil 4 ebenfalls abgeschlossen. :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (54)
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Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-22T20:42:45+00:00 22.08.2021 22:42
Marco wie er liebt und lebt und das Angebot was er Law unterbreitet, gefällt mir. *___* es war bisher das letzte Kapitel, wann wird es weiter gehen? Wann und wie wird es weiter gehen? Wann wird diese Geschichte auf die andere anstoßen oder vielleicht sogar darüber hinaus gehen? Nojiko würd wohl erst noch einen Anstoß brauchen, Bus sie über ihren Schatten springen kann. Ich freu mich schon, wenn du weiter schreibst :)
Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-22T16:20:46+00:00 22.08.2021 18:20
Eine tolle writerfuung der Geschichte und ein interessanter Vorschlag von Law. Besonders aber das Marco und Ace sich wieder angenähert haben. Gott sei Dank. Das das mit Flamingo nicht ganz Klapptweiß ich ja von deiner anderen Geschichte. Bin gespannt über die Umsetzung
Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-22T15:32:28+00:00 22.08.2021 17:32
Gänsehaut *über die Arme reib* diese Anspannung in der Luft. Woah. Es ist gut, dass nach solch einem Ergebnis nicht gleich fride, freude und Eierkuchen ist sondern man mit allen beteiligten mitfühlen kann und hofft das sich die Fronten wieder glätten. Die Gefahr durch donflamingo ist ungebrochen, aber auch das Beziehungsgeflecht hat einen Knacks bekommen. Ich drücke allen die Daumen. Gefällt mir immer noch sehr gut deine Geschichte.
Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-22T14:32:24+00:00 22.08.2021 16:32
Diese Kapitel gefällt mir ebenfalls sehr gut. Bin noch ganz aufgeregte und muss sofort weiter lesen :3
Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-22T14:03:17+00:00 22.08.2021 16:03
Spannung! Ein sehr tolles Kapitel, in dem man mitfiebert und vor Aufregung Herzklopfen bekommt. Man selber die Unruhe förmlich spürt und etwas unternehmen will. Hoffentlich versteht Nojiko auch Marco, auch wenn sie momentan frustriert ist. A er einer muss ja den kühlen Kopf bewahren. Mach weiter so :)
Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-21T17:22:50+00:00 21.08.2021 19:22
Aktion. *_______* Hoffentlich gibt es gleich einen Rückblick, dass wir wissen was passiert ist. Ob das derjenige war der am Fenster aufgetaucht ist? Das Law sie sogar suchen geht, lässt schon ahnen das was war.
Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-21T14:49:05+00:00 21.08.2021 16:49
Hihi,
Ein tolles Kapitel. Besonders als Ace Law in dem schwitzkasten genommen hat xD die Vorstellung. Hehe
Und sie zum Schluss auf dem Bett gegessen haben ;)
Und das große Bett *________*
Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-21T04:22:58+00:00 21.08.2021 06:22
Dieses Kapitel gefiel mir auch :) bin gespannt wenn es knallt und die Wahrheit herauskommt. Ob Marco schon irgendwas ahnt? Nicht nur Nami? :)
Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-19T17:29:54+00:00 19.08.2021 19:29
Ich bin wieder voll auf begeistert und weiß gar nicht wo ich anfangen soll, deshalb lass ich es einfach. Dein Personenwechsel, die verschiedenen Situationen und Gefühle, alles passt perfekt harmonisch zusammen :)
Von:  Hisoka_Hebi
2021-08-19T13:26:00+00:00 19.08.2021 15:26
Wusste ich es doch, dass Law der Spitzel in der Mitte ist. Hoffe nur Nami bekommt ihm so um den Finger, dass er die Seiten wechselt, bevor es zu spät ist :3 mir hat dieses Kapitel wieder sehr gefallen, besonders der Schluss eben. Hehe


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