Stories from the Pridelands von brightest-star ================================================================================ Kapitel 9: Die Fremde - Teil 2 ------------------------------ Eine Nacht verging. Eine Nacht, die sich für Nalas Geschmack viel zu lang zog. Immer wieder schlich sie sich aus der königlichen Höhle, um nach der Verletzten zu sehen, wechselte die Moosballen auf ihren Wunden. Die Sonne erhob sich über den Horizont und schenkte dem Land einen neuen Morgen. Schon im ersten Licht tappte sie wieder hinaus zu der abgelegenen Höhle. Die Löwin war wach und schien das Schlimmste inzwischen überstanden zu haben, aber immer noch atmete sie schwer. Ihre Wunden bluteten nicht mehr, waren aber verkrustet und konnten sich schnell wieder entzünden. “Guten Morgen!”, begrüßte Nala sie. Die Fremde wich vor ihr zurück, wieder stand diese Angst in ihren Augen. Sie mußte Schlimmes durchgemacht haben. Ihrem Alter nach zu urteilen, war sie sogar erst nach der Verbannung zur Welt gekommen- sie war etwa so groß wie Kiara. Immer noch stand die Löwin zitternd in einer Ecke. Diese blauen Augen… Nala hatte das Gefühl, sie irgendwo schon einmal gesehen zu haben. “Vitani.” Das Wort schwirrte in der Höhle herum, kurz war sie sich nicht sicher, ob sie es selbst ausgesprochen hatte, doch dann wurde ihr klar, dass es die Fremde gewesen sein musste. “Mein Name ist Vitani”, wiederholte sie mit brüchiger Stimme. Nala lächelte. “Vitani, möchtest du etwas essen?” Kurz zögerte die Schattenländerin, als würde sie überlegen, ob es wohl richtig wäre, Beute vom feindlichen Rudel anzunehmen. Ob ich es tun würde? Dann nickte sie. Nala verschwand kurz, um ein Stück der gestrigen Beute zu holen. Die ganze Zeit schien ihr der blaue Blick von Vitani zu folgen. Er stach tief in ihr Herz, wie nadelspitze Krallen, und erneut glaubte sie, diese junge Löwin schon einmal gesehen zu haben. Nur wo? Der saftige Geruch des Zebraschenkels kitzelte sie förmlich in der Nase, und sie musste sich zusammenreißen, nicht selber einen Bissen zu nehmen. Doch sie schüttelte entschieden den Kopf. Sie hatte nicht wirklich Hunger, nicht im Gegensatz zu der abgemagerten Löwin in der Höhle. “Das ist für mich?” Vitani schaute ungläubig auf den Schenkel, den Nala ihr gebracht hatte. Kein Wunder- für sie musste es wie ein Festmahl wirken. “Ess nur”, meinte Nala. “Es ist noch genug übrig.” Erneut bedachte Vitani das Fleischstück mit enem sehnsüchtigen Blick. Der hungrige Ausdruck in ihren Augen war kaum auszuhalten, doch zu Nalas Erstaunen wandte sie sich ab. “Nein. Tut mir leid, das kann ich nicht annehmen.” Entsetzt schaute Nala sie an. “Du musst, in deinem Zustand kannst du nicht…” “Es gibt Löwen, die dieses Fleisch dringender nötig haben als ich.” Vitani seufzte. “Meine kleine Schwester. Kranke, Verletzte, Junge.” Sie fixierte Nala mit ihrem blauen Blick. “Lass mich gehen. Sie brauchen mich, und noch dringender brauchen sie Nahrung.” Sie konnte es nicht fassen. Diese Löwin, Schattenländerin, Fremde, Feindin, verhielt sich selbstloser als ihre eigenen Rudelgefährten. Ihr war das Überleben ihrer Familie wichtiger als das eigene. Die Familie einer Mörderin, sagte die Stimme in ihrem Kopf. Doch waren sie wirklich alle so egoistisch und grausam wie Zira? Nein, sie konnte nicht von Zira auf andere schließen, das war unmöglich. Keine andere Löwin konnte so krank sein wie sie, ein unschuldiges Junge zu töten. Nala hatte ihre Entscheidung getroffen. “Vitani, ich gebe dir eine Chance, die du vielleicht nie mehr bekommen wirst, wenn du jetzt gehst.” Überrascht blickte die Löwin auf; aufmerksam lauschte sie den Worten der Königin. “Ich biete dir an, ein Mitglied des Königsrudels zu werden. Du wirst in Sicherheit sein, du wirst keinen Hunger mehr leiden.” Nalas Ton wurde eindringlicher. “Deine Jungen können hier in Frieden aufwachsen. Kein Leid, kein Schmerz und kein Tod mehr. Überlege doch mal, welche Chancen du hier hast- im Gegensatz zum Leben im Exil. Wo du irgendwann einmal einsam verenden wirst.” Vitanis Gesicht hatte im Laufe des Vortrags einen Ausdruck des blanken Entsetzens angenommen. “Tut mir leid”, flüsterte sie, “aber ich kann nicht im Rudel eines Mörders leben.” Und bevor Nala noch etwas erwidern konnte, packte sie das Fleischstück und jagte aus der Höhle. Nala sah frisches Blut aus den Wunden quellen. Verbittert schüttelte sie den Kopf. Warum nur? Was hatte diese Löwin dazu bewegt, ihre Chance nicht zu nutzen? Sie würde viel zu jung sterben, mit diesen Verletzungen… Und warm flossen ihr die Tränen die Wange hinunter. Zira. Zira war der Grund für all dieses Leid, sie erzählte Lügen, sie war bereit, für diese Lügen Leben zu opfern. Ziras Lügen hatten Vitanis Herz herausgerissen und sie gezwungen, nach ihrem Willen zu leben. Ungewollt hatten Nalas Schritte sie zur Spitze des Königsfelsens geführt. Dort hatte alles begonnen. Sie schaute hinab, und in der Ferne glaubte sie, die Gestalt der Löwin zu erkennen, die ihr so seltsam bekannt vorkam. “Eines Tages”, murmelte sie, “eines Tages werde ich dich befreien.” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)