Stories from the Pridelands von brightest-star ================================================================================ Kapitel 1: Neubeginn -------------------- Sie blinzelte. Der Steinboden unter ihr war warm, und eine leichte Brise strich durch ihr Fell. “Ah, du bist wach!”, sagte eine Stimme im Hintergrund. Ein Löwe. Seine Stimme war so warm wie die Sonnenstrahlen, die durch den Höhleneingang schienen und den Boden erwärmten. Aber man konnte ja nicht wissen, was er im Sinn hatte. Wo bin ich hier überhaupt?, begann sie sich langsam zu fragen. Und wer ist dieser Löwe? Sie begann leise zu knurren, er machte einige Schritte auf sie zu. Ein paar Schritte zu viel. Instinktiv schoss ihre Pfote vor und sie erwischte den Fremden im Gesicht. “Autsch!” Er schien nicht damit gerechnet zu haben. Außerdem klang seine Stimme auch nicht besonders angriffslustig oder verärgert. Nein, er war einfach nur überrascht. “Nun ja, das Weißmoos scheint seine Wunden jedenfalls gestillt zu haben”, sagte er, und sie meinte, eine gewisse Belustigung in seiner Stimme zu hören. Ich glaube, er ist keine Gefahr für mich ,dachte sie im Stillen, während sie versuchte, sich aufzurichten. Erst jetzt nahm sie ihre Umgebung richtig wahr: Sie befand sich mit dem Fremden, der offensichtlich ihre Wunden versorgt hatte, in einer hellen, geräumigen Höhle. Sie hörte leises Wasserrauschen und das Rascheln von Schilfgras im Wind. Ein Fluss! Auch der Geruch war anders als zuhause. Argwöhnisch musterte sie nun den Löwen, der immer wieder scheue Blicke zu ihr hinüberwarf. Er war noch jung, aber kräftig und gut genährt. Ob er wohl aus der Königsfamilie stammte? Seine hellbraune Mähne und sein Fell waren ein wenig zerzaust, aber seine nussbraunen Augen hatten ein Leuchten, dass ihr irgendwie gefiel… “Ähm… hallo.” Dummer konnte man jemanden ja kaum ansprechen, der einem anscheinend das Leben gerettet hat. Aber den Fremden interessierte das wohl nicht, ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht. “Wer bist du?”, fragte sie, jetzt ein bisschen mutiger. “Mheetu.” Der Löwe namens Mheetu machte einen vorsichtigen Schritt auf sie zu. Offensichtlich hatte er die Sache mit dem Tatzenhieb noch nicht vergessen. “Ich bin Damu”, presste sie hervor. Irgendwie kam ihr der Schlag plötzlich ein bisschen peinlich vor. Mheetu hatte immer noch diese kleine Schramme im Gesicht. Aber er sprach sie glücklicherweise nicht mehr darauf an. “Du weißt wohl immer noch nicht so richtig, wo du bist, wie?” Erraten. Verlegen senkte sie den Kopf und spürte, wie sie rot wurde. “Komm einfach mit. Ich zeig dir die Gegend.”, sagte er mit einem Kopfnicken zum Höhleneingang. Überhaupt nicht eingebildet. Einfach so. Wie in Trance setzte sie eine Pfote vor die andere, konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Sie folgte Mheetu aus der Höhle heraus und wurde von grellem Sonnenlicht geblendet. Sie blinzelte ein paar Mal. Schließlich blickte sie auf. Der Anblick, der sich ihr bot, war atemberaubend. Vor ihr erstreckte sich eine schier unendliche Ebene aus Gras, Gras, wohin man auch sah, ein Meer aus Gras, das wogend um ihre Beine strich, das bei jedem Windstoß glänzende Wellen schlug. Rauschend bahnte es sich seinen Weg über sanfte Hügel und Akazienwäldchen. Rauschend wie ein reißender Fluss… Urplötzlich tauchten Bilder in ihrem Kopf auf und sie wurde von Erinnerungen überschwemmt… Bilder von einem heftigen Kampf, schwer verwundeten Löwen, Regen, Blut und Schlamm. Eine Wand aus Wasser, die Baumstämme auseinanderriss und sich gierig in die Schlucht stürzte. Eine Löwin mit vor Hass blitzenden Augen, entschlossener und rachsüchtiger als je zuvor, schlägt ihre Krallen in die Felswand vor ihr, ignoriert die helfenden Pfoten von oben. Ihre Mutter. Zira. Krallen kratzen über das regennasse Gestein, verlieren den Halt. Der Fluss verschlingt seine Beute wie ein hungriges Tier… Sie kniff die Augen zusammen und spürte, wie die Tränen ihr über die Wange liefen, salzig und nass. “Hey, was ist los?” Eine sonnenstrahlenwarme Stimme zog sie zaghaft wieder in die Wirklichkeit zurück. “Nichts.” Meine Stimme muss echt verheult klingen, dachte sie und schniefte leise. Peinlich. “Ach, ich merke doch… oh… du hast geweint?” Sie versuchte sich mit einer hektischen Pfotenbewegung die Tränen aus den Augenwinkeln zu wischen, aber er merkte es trotzdem. Er sagte nichts. Er war einfach da. Sie spürte ihn neben sich sitzen, und obwohl sie ihn nicht sah, strahlte er doch etwas Tröstliches aus. “Nach Hause…”, flüsterte sie und merkte sofort, wie albern und verweichlich das klang. Übersah man mal die Tatsache, dass sie nicht nach Hause konnte. Kein Zuhause hatte. Sie musste sich beherrschen, nicht direkt wieder loszuheulen. Bleib stark. Zira hatte das einmal gesagt, in schweren Zeiten. Sie hatte den Kopf gehoben, mit entschlossenem Blick. Ihr war es, als würde dieser Blick ihr aus Mheetus haselnussbraunen Augen erneut begegnen. Sie erwiderte ihn, erst scheu, dann immer fester. Sein Blick gab ihr wieder Mut. Sie konnte spüren, wie er sich langsam wieder in ihr Herz schlich. Und sie begann zu lächeln. Es war ein seltenes Lächeln, nicht erzwungen, ein erstes echtes Lächeln seit den Monden voller Trauer und Hass. Es schien den Fremden auf eine eigenartige Weise glücklich zu machen. “Gehen wir”, sagte er. Legte ihr die warme Pfote auf die Schulter. “Du brauchst keine Angst mehr zu haben.” Ja. Das Leben mit der Angst war vorbei. Ein neues Leben lag vor ihr. Ein Leben mit Mheetu. Kapitel 2: Die erste Jagd ------------------------- Höhnisch lachte die Sonne Afrikas vom wolkenlosen Himmel und verspottete die kauernden Gestalten der Löwinnen im wogenden Gras. Geduckt schlichen sie vorwärts, eins in diesem Moment. Die Antilopenherde, die sich im Schatten eines Akazienwäldchens am Wasserloch an dem erfrischenden Wasser gütlich tat, ahnte nichts von ihrem tödlichen Schicksal. Ab und zu spähte der Wächter über sie hinweg und hielt nach Feinden Ausschau. Die Jägerinnen entdeckte er nicht. Ein schon geschwächtes älteres Tier humpelte zum Wasser und streckte seinen grazilen Kopf hinab. Außerhalb von der schützenden Herde stand es da, die perfekte Beute… Vitani duckte ihren Körper dichter auf den Boden, wagte nicht zu atmen. Ein einzelnes Zittern eines Grashalms hätte ihr Opfer zur sofortigen Flucht veranlasst. Ihre Krallen prüften den erdigen Grund unter ihr, glänzten spitz, bereit zuzuschlagen. Sie spürte den fleischigen Geschmack der noch warmen Beute auf ihrer Zunge. Der uralte Löweninstinkt zum Töten, zum Zerfleischen erwachte in ihr. Aber sie mußte noch warten, sie spürte es… “Jetzt!” Eine orangegelbe Gestalt schoss aus dem Gras. Das Wasser spritze auf, als die Antilope ihren Kopf aus dem Wasser riss. Das war zu früh! Es machte jetzt keinen Sinn mehr, Vitani sprang ebenfalls auf, ihr goldbraunes Fell glänzte beim Spiel ihrer Muskeln. “Kiara, warte!” Kiara hetzte mit wilden Sprüngen hinter der Beute her. Auch die restlichen Jägerinnen stürzten hervor, versuchten, dem Tier den Weg abzuschneiden, doch Kiara hatte ihm in ihrer überstürzen Jagd einen gehörigen Vorsprung gegeben. Sie wusste ja nicht, was für ein wichtiges Gut die Beute war, ein Gewinn, eine Hoffnung, Gewissheit, dass das Rudel den nächsten Mond überleben würde. Für sie war es Alltag. Sie hatte noch nie Hunger erleiden müssen. Kiara wussste ja noch nicht mal, was Leid bedeutete-ihr Leben war perfekt. War ja nicht schlimm, dass sie so eine schlampige Jägerin war. Die Beute würde schon jemand anderes erlegen. Sie war schließlich die Prinzessin. Die goldfarbene Löwin zog die Lefzen hoch und ließ ein leisen Knurren ertönen. Ein kurzes Fauchen und ein Aufprall. Staub wirbelte auf und vernebelte ihr die Sicht, aus dem Dunst tauchten die Umrisse der blutüberströmten Antilope auf. Die erfolgreiche Jägerin riss ihre Fänge aus der Kehle der Beute und schaute auf. Zufrieden leckte sie sich über die blutverschmierte Schnauze. Ihr drahtiger, schlanker Körper setzte mit einem Sprung über den Leib des toten Tieres hinweg, durchdringende gelbe Augen sahen sich herausfordernd um. Uzuri! „Na, was habe ich gesagt?“ Die Stimme der Löwin durchbrach die Stille wie splitterndes Eis. Vitani trat näher zu ihrer Jagdgefährtin und spitzte die Ohren, Anerkennung flammte in ihr auf. So anders als ihr Bruder… „Als Nachkommen der besten Jägerin des Landes geht uns eben keine Beute durch die Lappen!“, prahlte Uzuri. „Durch unsere Adern fließt das Blut einer wahren…“ „Schnauze!“ Eine kräftig gebaute gelbe Löwin richtete sich zu ihrer vollen (und ziemlich beachtlichen) Größe auf und erwiderte den Blick der drahtigen Uzuri, die ihr stolz entgegensah. Einige Herzschläge lang verharrten die beiden so. Vitani spürte die Luft förmlich knistern vor Spannung, erwartete einen plötzlichen Kampfschrei und dann die beiden Löwinnen verknäult am Boden. Jeden Moment würden sie sich aufeinander stürzen. Kiara löste die Situation auf ihre Art, indem sie mit üblichem Grinsen an den beiden vorbeitappte, den Kandaver packte und den Rest der Jagdpatrouille zusammenrief. Vielleicht versuchte sie ja jetzt, königliche Autorität zu übernehmen? „Hoffentlich nicht“, murmelte Uzuri Vitani zu. „Das endet dann so, dass wir dreimal täglich alle Tiere des Geweihten Lande umarmen müssen, weil wir uns alle so unglaublich gern haben.“ Vitani grinste. Selbst nach so einer angespannten Situation hatte ihre Freundin ihren Humor nicht verloren. Leise tuschelnd ließen sie sich ans Ende der Patrouille fallen. „Diese verdammte Narbe schmerzt immer noch“, knurrte Uzuri und deutete auf die lange, entzündete Krallenspur, die sich über ihre rechte Schulter zog. „Tiifus Handschrift“, meinte eine dritte Löwin, die hinzugekommen war und nun die Wunde fachmännisch beäugte. „Du musst es ja wissen, Kivuli!“, scherzte Uzuri und wandte sich der Neuen zu. „Ich wette, du würdest jede Löwin und jeden Löwen allein an ihrer Krallenspur erkennen. Und ja, es war Tiifu.“ „Hoffentlich hast du´s ihr auch ordentlich zurückgegeben!“ „Yepp. Sie versucht zwar, ihr blaues Auge zu verstecken, aber so ganz gelingt es ihr nicht.“ „Mein wunderschönes Gesicht!“ Vitani versuchte, die hohe, quietschige Stimme vin Tiifu nachzuahmen, und fuhr sich mit gespieltem Entsetzen über die Augen. „Mein hübsches Gesicht ist entstellt!“ Sie alberten noch ein bisschen weiter und lästerten über diese und jene Löwin, bis sie am Königsfelsen ankamen. Dunkle Gewitterwolken waren aufgezogen, sie füllten den Himmel wie eine graue Felswand. Die Regenzeit war da. Kapitel 3: Ihr letzter Kampf ---------------------------- Die Schlacht tobte. Der Regen prasselte auf kräftige Schultern und geschmeidige Körper, die durch den Kampf glitten wie Schatten. Ein Donnergrollen übertönte kaum das Fauchen und Kreischen der Kämpfenden, als einen Herzschlag später ein gleißend heller Blitz den Rand der Schlucht in sein weißes Licht tauchte. Schlamm, Blut und Regen mischten sich auf dem Boden, erneut und erneut rollten die ineinander verschlungenen Leiber der Krieger darüber, zogen mit blitzenden Krallen tiefe Furchen in die Erde. Körper krachten aufeinander, Reißzähne blinkten. Ein markerschütterndes Brüllen ließ die Erde erzittern. In der Mitte des Kampfes, umringt vom Knurren und Zähnefletschen der feindlichen Rudel, standen sich ein junger Löwe und eine Löwin gegenüber. Und diese Löwin wollte ihn tot sehen. Sie war erfüllt von einem Hass, wie ihn nur sie allein empfinden konnte, einem Hass, der alles in ihr auslöschte, ihre Gedanken und Gefühle, bis nur noch eines blieb: Der Wille nach Rache. Mit blitzenden Augen hob sie eine Pranke, Schlamm troff daran herunter. Sie war bereit. Bereit, das Werk Scars zu vollenden. Ihr Gegner begriff. Er war nun ebenfalls kampfbereit, fuhr die Krallen aus und schlich mit peitschendem Schwanz auf seine Widersacherin zu. Das Getöse der Schlacht verstummte. Es war, als zöge der Hass, der zwischen den beiden loderte wie eine Flamme, jegliches Geräusch aus der Luft, ließe die Welt verstummen. Der Regen wurde zu einem leisen Plätschern Sie umkreisten sich, Pfotenschritt für Pfotenschritt, bedacht darauf, dem anderen nicht den Rücken zuzuwenden. Ein kleiner Schritt, ein Stolpern, konnte in diesem Todeskreis das Leben kosten. Dies war ihr letzter Kampf… Kapitel 4: Zeit der Dunkelheit ------------------------------ Der Boden der Höhle war kalt und hart, aber es war besser als nichts. Stöhnend legte sich Vitani darauf. Das bisschen Moos, das sie zusammengescharrt hatte, nützte auch nicht viel dagegen. Neben ihr maunzte etwas leise, das kleine Fellbündel bewegte sich. “Na, Damu, kannst du auch nicht schlafen?”, flüsterte sie leise zu ihrer kleinen Schwester hin, die sich zu einem Knäuel zusammengerollt hatte. Sie lag ebenfalls auf einem weichen Bett aus Moos, das für sie hergerichtet war. In den Ecken lagen noch mehr Löwinnen, mager und mit glanzlosem Fell, manche sogar ohne ein wärmendes Mooskissen unter sich auf dem nackten Stein. Es war dunkel und kalt, und obwohl der Mond seine silbernen Strahlen in die Höhle schickte, wirkte doch alles ziemlich düster. “Ich schlafe dann mal wieder”, murmelte Vitani und schloss ihre Augen abermals, um wenigstens ein bisschen Schlaf erhaschen zu können. Am nächsten Morgen wurde sie unsanft geweckt. “Aufstehen, aufstehen, los! Wir müssen rechtzeitig zur Jagd kommen.” Zira, ihre Mutter, trommelte die Löwinnen für die Morgenjagd zusammen. Vitani öffnete ein Auge, um es dann sofort wieder zu schließen. Natürlich war nicht sie gemeint worden, der Weckruf galt einzig und allein der Meute von Löwinnen, die sich jetzt für die Jagd bereit machten. Sie versank wieder im Schlaf. Ein drittes Mal wurde sie geweckt, diesmal von etwas Schwerem, verlockend Duftenden, das über den Boden geschleift wurde. Die Löwinnen sind zurück!, war ihr erster Gedanke.Und sie haben Beute dabei! Nun erkannte sie die Silhouetten der ausgemergelten Löwinnen, die eine große Antilope über den Boden zerrten. Mit einem Schlag war sie hellwach. Erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, wie lange sie nichts mehr gegessen hatte. “Bedient euch!”, rief eine der Löwinnen aus der Mitte, Ziras älteste Schwester Hasira. Sofort stürzte sich ein Dutzend gieriger Mäuler auf die Antilope, die jetzt in der Mitte der Höhle lag, bis eine knurrende, äußerst verärgerte Stimme ertönte. “HALT! Stopp. Zuerst ich.” Zira kam herein, den Kopf gebieterisch erhoben. Bereitwillig machten die anderen Löwinnen ihr Platz und ließen sie als erste fleischige Stücke azs dem noch warmen Beutetierkörper reißen. Vitani kannte den Grund für dieses Verhalten, denn da Zira die Anführerin des kleinen Rudels und außerdem säugende Mutter war, musste sie unbedingt bei Kräften bleiben. Nach und nach trauten sich auch die restlichen Löwinnen, hinzuzukommen und ein paar Fleischstücke aus der Beute zu ergattern. Auch Vitani schlich sich vorsichtig heran und nahm sich ein kleines Stück der Beute. Damu war nun ebenfalls wach geworden und maunzte kläglich. Zira wusste sofort, was das bedeutete´, und legte sich bereitwillig auf die Seite. Damu kam maunzend näher und schmiegte sich an das stumpfe Fell ihrer Mutter. Während Zira ihren Nachwuchs säugte, kam aus einer Ecke ein weiteres jämmerliches Maunzen. “Ist mit Sirina alles in Ordnung?”, erkundigte sich Vitani. Ihrer kleinen Cousine, die ungefähr das gleiche Alter hatte wie Damu, ging es überhaupt nicht gut. Sie hatte Husten bekommen und die Milch ihrer Mutter nahm sie kaum noch an. “Ihr geht es ein wenig besser.” Jirana, die Mutter der Kleinen und Ziras zweite Schwester, beugte sich, um ihr kleines Junge vorsichtig hochzunehmen. “Sie trinkt wieder.” Ein kleines Lächeln breitete sich auf Vitanis Gesicht aus. Wenigstens ein Lichtblick in dieser dunklen Zeit. Dieser Lichtblick wurde aber sofort wieder von einem Schatten verhüllt, genau wie das glutrote Sonnenlicht, das inzwischen durch den Höhleneingang fiel und den Boden wie gleißende Lava aussehen ließ. Simba. “Zira!”, knurrte er, und seine Stimme wurde durch das zehnfach verstärkte Echo der Höhlenwände zurückgeworfen. Alle Köpfe drehten sich der Geräuschquelle zu. Ein Löwe mit einem kräftigen Körperbau und muskulösen Schultern stand da, die blutrote Mähne leuchtete noch stärker in der aufgehenden Sonne. Kapitel 5: Not one of us ------------------------ Im letzten Strahl der Abendsonne sehe ich auf die Wellblechdächer des Slums hinab. Sie reflektieren das Licht in tausenden Staubfunken, die über das dunstige Blech schweben. Schwerelos und träge. Eine kleine Heuschrecke schaut zu mir auf und fliegt dann mit einem schabenden Sirren davon. Ich kenne dieses Geräusch und es erinnert mich an Hunger und Hass. Und Trauer. Als die Zeit der Heuschrecken kam, habe ich solche Trauer wie noch nie in der Luft gespürt. Sie vibrierte regelrecht vor Trauer. Und jetzt sind die Heuschrecken fort und die Trauer ist dem täglichen Hass gewichen. Nicht dass ich deswegen froh wäre. Ich finde sogar, die Trauer ist im Gegensatz zum Hass noch einigermaßen erträglich. Trauer... verbindet. Es ist etwas, was man mit anderen teilt, und dadurch wird es besser. Aber Hass treibt uns auseinander, bis wir alleine sind auf unserem Floß, das auf dem Meer der Einsamkeit auf einen Abgrund zuschwimmt. Und dieser Abgrund heit Tod. Ich denke nicht oft an den Tod. Meine Mutter tut es. Sera ist keine gute Mutter für uns. Meine Schwester sagt immer, eines Tages wird sie für uns kämpfen, und sie wird für uns gewinnen. Und wenn nicht, dann wird sie für uns sterben. Sera sagt, sie lebe und kämpfe und sterbe für Scar. Ich habe ihn nie gekannt. Er ist fremd, er ist nicht mein Vater. Aber ich sehe ein Bild, jeden Tag. Es hat einen Sprung. Darauf zu sehen sind ein Mann und eine Frau. Sie sind glücklich, wahrscheinlich wegen dem Bündel, das sie halten. Sie tun das so liebevoll, dass ich nicht glauben kann, dass die Frau auf dem Bild Sera ist. Meine Schwester sagt, das Bündel wäre sie. Und dann glänzen ihre Augen. Kapitel 6: Sonnenaufgang ------------------------ Die Prinzessin saß auf der Spitze des rotglühenden Felsens und beobachtete, wie sich die Savane unter ihr in ein Flammenmeer verwandelte. Fasziniert blickte sie auf das Naturschauspiel, dass sich ihr jeden Morgen aufs Neue bot. Sie gähnte und streckte sich. So ein Sonnenaufgang ist doch immer wieder schön… Sie streckte erneut ihre noch müden Beine, dann machte sie sich auf den Weg hinab, um ihre Freundin Tama zu treffen. Die junge Löwin war inzwischen zwar schon fast ausgewachsen, aber trotzdem immer für einen Spaß zu haben. “Sari!” Der Ausflug hatte sich erledigt. Seufzend drehte Prinzessin Sari sich um und erblickte Scar, ihren Vater und Mentor, der mit stolz wehender Mähne hinter ihr stand. “Hast du etwa vergessen, deinem alten Vater Guten Morgen zu sagen?”, fragte er mit schelmischer Miene. Sari ließ sich auf das altbekannte Spiel ein. “Ja, wieso?”, erwiderte sie mit Unschuldsmiene. Scar stürzte sich auf sie, aber sie wich mit Schnelligkeit aus und schnappte sich seinen Schwanz. Grinsend ließ sich ihr Vater zur Seite rollen und Sari hielt ihre “Siegestrophähe” stolz hoch. Beide lachten. “Papa, sind wir nicht langsam zu alt für dieses Spiel?” “Du vielleicht.” Scar sah seine Tochter an, und plötzlich verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht. “Aber wir haben Zuwachs bekommen. Komm mit.” Zuwachs? Hieß das, Sari hatte einen kleinen Bruder bekommen? Oder ein Schwesterchen? Sie folgte Scar mit leuchtenden Augen und aufgeregt wippendem Schwanz. Sie erreichten eine kleine Höhle. Die Prinzessin wusste, dass dies Scars geheimer Rückzugsort war, seine Zuflucht, wenn Onkel Mufasa mal wieder Ärger mit ihm gehabt hatte. Doch Mufasa war tot. Sari hatte er nie besonders gemocht, sein verzogener Sohn hatte sie von oben herab behandelt. Nein, sie trauerte ihnen eigentlich nicht nach. Ein klägliches Maunzen riss sie aus ihren Gedanken. Als sie aufblickte, sah sie ihre Mutter Zira auf dem Höhlenboden liegen, in ihren Pfoten ein kleines goldenes Fellbündel. “Ihr Name ist Vitani”, grollte Zira. Sari wunderte sich. Ihre Mutter starrte das Junge mit einer Mischung aus Abscheu und zurückhaltendem Hass an. Freute sie sich denn gar nicht, ein weiteres Junge zu bekommen, einen Thronerben? Zira leckte Vitani mit harten, zügigen Strichen übers Fell, so, als ob dies etwas wäre, was sie schnell hinter sich bringen müsste. Das ist keine liebende Mutter!, schoss es Sari durch den Kopf. Sie trat näher zu der Kleinen, die inzwischen aufgewacht war und sie mit strahlend blauen Augen ansah. Tamas Augen. Es traf Sari wie ein Blitz. Die Augen. Das goldbraune Fell. Auch Ansätze des kleinen Fellbüschels waren zu sehen. Als Sari das Maul öffnete, konnte sie sogar eine Spur von Tamas Geruch wahrnehmen. Das konnte nicht sein… “Ich habe noch eine wichtige Verabredung”, presste sie hervor und noch ehe jemand etwas erwidern konnte, stürzte sie aus der Höhle. Niemand sollte sehen, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Kapitel 7: Schwesterherz ------------------------ Ich fuhr zusammen, als Kovu meinen Namen rief und drehte mich augenblicklich zu ihm um. “Vitani!” Erneut rief er mich. “Ja?” “Verstärke die Patroullien an der Westseite.” Zum ersten Mal sah ich die Entschlossenheit, aber auch Angst in seinen Augen. “Wir müssen das Land, mein Land, vor diesen Rebellen schützen, koste es, was es wolle.” Er sah mich an, sein Blick duldete keinen Widerspruch. “Zehn Löwinnen.” Ich keuchte auf. “Nein, Sir!” “Hast du gerade nein gesagt, Schwesterherz?” Ich sah den Zorn in den grünen Augen aufflackern. König Kovu mochte es nicht, wenn man sich seinen Befehlen widersetzte. “Haben wir wirklich diesen dummen, kleinen Fehler gemacht?” Seine Krallen glänzten. Ich wich zurück, bemüht, meine Mordlust unter einer Maske von Demut zu verstecken. Gleich, wenn er angriff im Versuch, mich umzubringen, würde sie fallen. Doch zu meinem Erstaunen wandte er sich von mir ab. “Nein. Nicht heute, Schwesterherz.” Seine Stimme triefte vor Hochmut. “Du bist zu wichtig. Jetzt geh…”, er setzte wieder das Killergesicht auf, “bevor ich es mir anders überlege!” Ich warf ihm einen gespielt ehrfürchtigen Blick zu. “Ihr seid zu gütig, mein Herr.” “GEH!” Ich zuckte zusammen, wirbelte herum und jagte die steinernen Stufen des Königsfelsens hinunter. Das war noch einmal gut gegangen. Doch wie lange würde ich es noch durchhalten können, die Rolle als treue Untergebene weiter zu spielen? Ich wusste es nicht. Kapitel 8: Die Fremde - Teil 1 ------------------------------ Die Jagdpatroullie kam am frühen Abend an. Königin Nala erwartete sie bereits; stolz schaute sie ihnen entgegen. Ja, sie war stolz, darauf, Königin dieses Landes zu sein, darauf, ein zerstörtes Königreich gemeinsam mit ihrem Gefährten wieder aufgerichtet zu haben, stolz darauf, dass sie endlich ihren Weg gefunden hatte. Die Löwinnen respektierten sie und ihre jüngste Tochter würde in Kürze ihre Jagdprüfung bestehen. Hoffte sie. Denn Kiara war nicht gerade eine gute Jägerin. Nala schnurrte leise, als sie an die tollpatschigen Pirschversuche ihrer Tochter dachte. Sie lief den Jägerinnen entgegen, ihre anmutigen Schritte wirbelten Staub unter ihren Pfoten auf. Selbst hier schmeckte die Luft trocken und staubig. Hitze ließ die Akazien vor ihr flimmern. Nun war sie so nah, dass die Beute, die von den Löwinnen erlegt worden war, zu erkennen war. Sie schleiften eine tote Antilope über den Boden und noch eine zweite Gestalt- Nala kniff die Augen zusammen… Nein. Das konnte nicht sein. Das war absolut unmöglich! Aber nein, auch als sie blinzelte und noch einmal genauer hinschaute, gab es keinen Zweifel: Ihre Rudelgefährten zerrten eine Löwin hinter sich her. Und sie war schwer verletzt. Nala rannte nun, ihre Pfoten trommelten über den Boden. Sie wusste, jeder ihrer Atemzüge könnte für die Fremde der letzte sein. Das konnte sie nicht zulassen! Keuchend kam sie vor der Patroullie zum Stehen. “Königin Nala!”, rief jemand, Nala erkannte Safiras Stimme. Die Gruppe deutete eine kleine Verbeugung an, doch Nala missachtete sie. Für Förmlichkeiten war jetzt keine Zeit- hier ging es um ein Löwenleben! Sie betete zu den Königen, dass die Löwin überhaupt noch am Leben war. Als Nala die Löwinnen umrundet hatte, entdeckte sie die Fremde, achtlos in den Staub geworfen wie ein faules Stück Fleisch. Abscheu überkam sie, auf ihre eigenen Rudelgefährten. Sie wuchs, als sie die Verletzte genauer betrachtete, tiefe Wunden klafften an ihrer Flanke und der Schulter. Sie war mager, die Rippen stachen hervor und das goldbraune Fell hatte längst seinen Glanz verloren. Wenigstens hob und senkte sich ihre Brust. Sie lebte. Noch. “Weißmoos”, murmelte sie, dann fiel ihr ein, dass sie Königin war. “Wir müssen ihre Wunden mit Weißmoos versorgen”, sprach sie und wandte sich um. Niemand bewegte auch nur eine Pfote. Nun wallte Wut in ihr auf, heiß und rot. Warum taten sie- nichts? “Wir brauchen Weißmoos”, sagte sie nun in bestimmtem Ton, versuchte, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. Sarafina trat vor. Doch anstatt Nala zu gehorchen, begegnete sie ihr mit einem fast schon rebellischen Blick. “Königin, diese Löwin kommt aus dem Schattenland.” Ja, das war Nala auch schon aufgefallen, die Fremde besaß die markante dunkle Augenumrandung und harte Gesichtszüge. Doch das war momentan doch egal. “Warum sollten wir ihr helfen? Warum sollten wir den Feind stärken? Sie gehört nicht zu uns; eine weniger, gegen die wir zu kämpfen haben.” Der Funke ihrer Wut entzündete sich. “Nala, diese Löwin gehört zu den Verrätern, die Prinz Kopa umgebracht haben!” Das war zuviel. Ihre Wut flammte auf wie ein Feuer, brannte sich in ihr Herz, wo sie die Trauer verborgen hielt. Sie brüllte auf vor Schmerzen. Safira wich zurück. “Wage es ja nicht, SEINEN Namen als Grund zu nennen! Diese Löwin trifft keine Schuld- Zira allein hat meinen Sohn getötet!” Sie fühlte, wie die Wut, und gleichzeitig der abgrundtiefe Hass auf Zira sie durchströmte, sie härtete. Starr blickte sie nach vorn. “Doch ich werde nicht tatenlos zusehen, wie eine Löwin vor meinen Pfoten verblutet. Egal, wo sie herkommt. Denn wie Königin Uru schon sagte: Nicht unsere Taten, sondern unsere Herkunft zeigen, wer wir sind.” Nala blickte sich um, sie mussten verstehen, sie mussten einfach! “Und sie ist unschuldig!”, fauchte sie. Endlich bewegte sich eine junge Löwin. “Ich hole Weißmoos”, sagte sie verschüchtert. Auch die anderen schienen aus ihrer Trance erwacht zu sein, schauten weg oder blickten verlegen zu Boden. Nun, da Hilfe unterwegs und Nala endlich ihren Zorn losgeworden war, wandte sie sich zu der Verletzten. Ihr Atem ging schnell und rasselnd, Eiter hatte sich an den blutenden Wunden gebildet. Sie kämpfte. Ohne auf den Protest der Umstehenden zu achten, begann sie, die Wunden zu lecken. Sie schmeckte das Blut, bitter klebte es an ihrer Zunge. Doch sie machte weiter. Die Löwin kam mit dem Weißmoos und half ihr, die Verletzungen zu versorgen. Wenigstens eine Vernünftige hier. Langsam spürte Nala den Herzschlag der Fremden schneller werden. Das Leben tropfte nun dank des Weißmooses nicht mehr so schnell aus ihr heraus, doch sie schwebte immer noch in Gefahr. Ihre Augenlider flatterten. Schnell wandte Nala ihr den Kopf zu, als sie die Augen aufschlug, die von leuchtend hellem Blau waren. “Wo…wer…?”, flüsterte sie, ein Schwall Blut floss ihr aus dem Maul und sie hustete. Nala beugte sich zu ihr hinab. “Du bist im Geweihten Land. Mein Name ist Königin Nala.” Die Löwin regte sich, Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. “Ganz ruhig, du bist in Sicherheit. Wir werden uns um dich kümmern.” Das war eigentlich nur die halbe Wahrheit- Nala war hier die Einzige, die sich kümmerte. Aber egal. Der Kopf der Fremden war wieder in den Staub gesunken, sie zitterte leicht. “Wir bringen dich zum Königsfelsen”, wisperte die Königin. Aber sie war sich nicht sicher, ob die junge Schattenländerin sie überhaupt noch hörte. Kapitel 9: Die Fremde - Teil 2 ------------------------------ Eine Nacht verging. Eine Nacht, die sich für Nalas Geschmack viel zu lang zog. Immer wieder schlich sie sich aus der königlichen Höhle, um nach der Verletzten zu sehen, wechselte die Moosballen auf ihren Wunden. Die Sonne erhob sich über den Horizont und schenkte dem Land einen neuen Morgen. Schon im ersten Licht tappte sie wieder hinaus zu der abgelegenen Höhle. Die Löwin war wach und schien das Schlimmste inzwischen überstanden zu haben, aber immer noch atmete sie schwer. Ihre Wunden bluteten nicht mehr, waren aber verkrustet und konnten sich schnell wieder entzünden. “Guten Morgen!”, begrüßte Nala sie. Die Fremde wich vor ihr zurück, wieder stand diese Angst in ihren Augen. Sie mußte Schlimmes durchgemacht haben. Ihrem Alter nach zu urteilen, war sie sogar erst nach der Verbannung zur Welt gekommen- sie war etwa so groß wie Kiara. Immer noch stand die Löwin zitternd in einer Ecke. Diese blauen Augen… Nala hatte das Gefühl, sie irgendwo schon einmal gesehen zu haben. “Vitani.” Das Wort schwirrte in der Höhle herum, kurz war sie sich nicht sicher, ob sie es selbst ausgesprochen hatte, doch dann wurde ihr klar, dass es die Fremde gewesen sein musste. “Mein Name ist Vitani”, wiederholte sie mit brüchiger Stimme. Nala lächelte. “Vitani, möchtest du etwas essen?” Kurz zögerte die Schattenländerin, als würde sie überlegen, ob es wohl richtig wäre, Beute vom feindlichen Rudel anzunehmen. Ob ich es tun würde? Dann nickte sie. Nala verschwand kurz, um ein Stück der gestrigen Beute zu holen. Die ganze Zeit schien ihr der blaue Blick von Vitani zu folgen. Er stach tief in ihr Herz, wie nadelspitze Krallen, und erneut glaubte sie, diese junge Löwin schon einmal gesehen zu haben. Nur wo? Der saftige Geruch des Zebraschenkels kitzelte sie förmlich in der Nase, und sie musste sich zusammenreißen, nicht selber einen Bissen zu nehmen. Doch sie schüttelte entschieden den Kopf. Sie hatte nicht wirklich Hunger, nicht im Gegensatz zu der abgemagerten Löwin in der Höhle. “Das ist für mich?” Vitani schaute ungläubig auf den Schenkel, den Nala ihr gebracht hatte. Kein Wunder- für sie musste es wie ein Festmahl wirken. “Ess nur”, meinte Nala. “Es ist noch genug übrig.” Erneut bedachte Vitani das Fleischstück mit enem sehnsüchtigen Blick. Der hungrige Ausdruck in ihren Augen war kaum auszuhalten, doch zu Nalas Erstaunen wandte sie sich ab. “Nein. Tut mir leid, das kann ich nicht annehmen.” Entsetzt schaute Nala sie an. “Du musst, in deinem Zustand kannst du nicht…” “Es gibt Löwen, die dieses Fleisch dringender nötig haben als ich.” Vitani seufzte. “Meine kleine Schwester. Kranke, Verletzte, Junge.” Sie fixierte Nala mit ihrem blauen Blick. “Lass mich gehen. Sie brauchen mich, und noch dringender brauchen sie Nahrung.” Sie konnte es nicht fassen. Diese Löwin, Schattenländerin, Fremde, Feindin, verhielt sich selbstloser als ihre eigenen Rudelgefährten. Ihr war das Überleben ihrer Familie wichtiger als das eigene. Die Familie einer Mörderin, sagte die Stimme in ihrem Kopf. Doch waren sie wirklich alle so egoistisch und grausam wie Zira? Nein, sie konnte nicht von Zira auf andere schließen, das war unmöglich. Keine andere Löwin konnte so krank sein wie sie, ein unschuldiges Junge zu töten. Nala hatte ihre Entscheidung getroffen. “Vitani, ich gebe dir eine Chance, die du vielleicht nie mehr bekommen wirst, wenn du jetzt gehst.” Überrascht blickte die Löwin auf; aufmerksam lauschte sie den Worten der Königin. “Ich biete dir an, ein Mitglied des Königsrudels zu werden. Du wirst in Sicherheit sein, du wirst keinen Hunger mehr leiden.” Nalas Ton wurde eindringlicher. “Deine Jungen können hier in Frieden aufwachsen. Kein Leid, kein Schmerz und kein Tod mehr. Überlege doch mal, welche Chancen du hier hast- im Gegensatz zum Leben im Exil. Wo du irgendwann einmal einsam verenden wirst.” Vitanis Gesicht hatte im Laufe des Vortrags einen Ausdruck des blanken Entsetzens angenommen. “Tut mir leid”, flüsterte sie, “aber ich kann nicht im Rudel eines Mörders leben.” Und bevor Nala noch etwas erwidern konnte, packte sie das Fleischstück und jagte aus der Höhle. Nala sah frisches Blut aus den Wunden quellen. Verbittert schüttelte sie den Kopf. Warum nur? Was hatte diese Löwin dazu bewegt, ihre Chance nicht zu nutzen? Sie würde viel zu jung sterben, mit diesen Verletzungen… Und warm flossen ihr die Tränen die Wange hinunter. Zira. Zira war der Grund für all dieses Leid, sie erzählte Lügen, sie war bereit, für diese Lügen Leben zu opfern. Ziras Lügen hatten Vitanis Herz herausgerissen und sie gezwungen, nach ihrem Willen zu leben. Ungewollt hatten Nalas Schritte sie zur Spitze des Königsfelsens geführt. Dort hatte alles begonnen. Sie schaute hinab, und in der Ferne glaubte sie, die Gestalt der Löwin zu erkennen, die ihr so seltsam bekannt vorkam. “Eines Tages”, murmelte sie, “eines Tages werde ich dich befreien.” Kapitel 10: Unverhoffte Rettung ------------------------------- Sie hatten mich gewarnt. Meine Mutter Sari, Großma Zira und sogar meine sonst so taffe Cousine Vitani. Aber ich war so dumm gewesen, nicht auf sie zu hören. Deawegen baumelte ich jetzt an einem Ast, während unter mir ein Dutzend hungriger Krokodile mit geifernden Mäulern nach mir schnappte. “Haut endlich ab!”, schrie ich und schlug meine Krallen in die morsche Rinde. Lange würde ich das nicht mehr aushalten können. Im schlammigen Wasser bewegten sich die Krokodile. Ein Silberreiher zog seine Kreise über der Schlucht - er würde der einzige Zeuge meines Todes sein. Bein dem Gedanken daran schluchzte ich leise auf. Nein! Ich durfte jetzt nicht weinen! Ich war eine Kriegerin! Wütend biss ich die Zähne zusammen. Der Silberreiher war verschwunden. Stattdessen meinte ich, Pfotenschritte zu hören. Oder bildete ich mir das in meiner Todesangst nur ein? Die Schritte wurden lauter, da war ich mir jetzt sicher. Doch sie kamen nicht von dem Ufer, wo mein Zuhause war, sondern von der anderen Seite der Schlucht. Egal - wer immer da auch war, er musste mir helfen! “Hilfe!”, kreischte ich, “Hiiilfe!” Ein Krokodil schnellte aus dem Wasser und schnappte nach meiner Schwanzspitze. Ich verfiel in Panik. Meine Pfoten brannten, ich rutschte langsam ab… Pfoten trommelten über den Boden. Stimmen riefen sich einander etwas zu, es klang wie Befehle. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Das Gras am Ufer teilte sich, und heraus kam - ein Honigdachs. Ich traute meinen Augen nicht. Mein Erstaunen wurde noch größer, als das kleine Tier mit einem wilden Kriegsgeschrei kurzerhand auf den Rücken eines Krokodils sprang. Ich musste in einem Todeswahn sein. Alles nur Einbildung. Doch als ich die Augen zukniff und wieder öffnete, war der Honigdachs immer noch da und sprang flink von Krokodil zu Krokodil. Die Echsen schnappten nach dem Plagegeist, doch immer wenn ihre Kiefer zuschnappten, war dieser schon längst an einer anderen Stelle aufgetaucht. Auf dem Kamm erschien nun die anmutige Gestalt einer Gepardin, gefolgt von einem Nilpferd. Ich musste träumen. Auch der Silberreiher war zurückgekehrt, er schwebte als weißer Punkt vor dem Blau des Himmels. Krack! Das war der Ast gewesen. Mein Herz rutschte irgendwo in die Magengegend. “Fuli! Beshte!” Ein junger Löwe kam angesprungen, die rote Mähne glänzte im Sonnenlicht. Für einen Moment vergaß ich die Schmerzen und die Angst, sah nur ihn im Kreis des Lichtes. Ich wusste, dass Rettung gekommen war. “Los geht´s!” Das war das Zeichen. Die Gepardin rutschte den Hang hinab, wendig und schnell war sie einige Herzschläge später unten angekommen. Ihre grünen Augen musterten mich. “Bist du okay?” “Glaub schon…” “Gut. Dann lass los.” “Was!?” “Komm, du kannst uns vertrauen!” Das Knurren der Krokodile drang an meine Ohren, der taffe Honigdachs hatte sie inzwischen von meinem Ast weggelockt. Sollte ich es wagen? Hatte ich überhaupt eine andere Wahl? Kraaack! “Jetzt!” Ich ließ los. Der Wind zerrte an meinem Fell, einen kurzen Moment fiel ich einfach nur. Dann packte mich etwas am Nacken und trug mich davon. Die Gepardin hatte es auf wundervolle Weise geschafft, schnell genug zu mir zu gelangen, um mich aufzufangen. Jetzt raste sie mit unglaublicher Geschwindigkeit durch das flache Wasser, die Welt um mich herum verschwamm. Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung wahr: Die Krokodile nahmen die Verfolgung auf! Voller Panik überschlugen sich meine Gedanken - meine Retterin war zwar schneller, aber wie lange konnte sie dieses Tempo durchhalten? "Bereit, Beshte?" Das war der junge Löwe! "Ja!" Ich erkannte verschwommen die Silhouette des Nilpferds, das sich einem gewaltigen Felsblock näherte. Was hatten meine Retter vor? Die Gepardin rannte inzwischen immer noch in konstantem Tempo weiter, links und rechts steile Felswände. Es gab kein Entkommen, und die Krokodile kamen immer näher... Ein lautes Polterun und ein Krachen. Ich blickte auf und sah voller Entsetzen - den riesigen Felsblock auf uns hinabstürzen! Ich schrie, wie ich noch nie in meinem Leben geschrien hatte. Wir würden sterben! Wir würden sterben! Wir... lebten? Ich blinzelte vorsichtig. Öffnete die Augen. Hinter uns - der Felsen. Fest und unerschütterlich, als hätte er immer schon dort gelegen. Dahinter das Scharren scharfer Krallen. Wir waren gerettet. "Komm hoch, Fuli!", rief eine Stimme von oben. Die Gepardin namens Fuli kraxelte mithilfe ihrer Freunde die Schlucht hinauf. Dort setzte sie mich ab. Ich staunte, als ich ein fruchtbares, grünes Land mit Akazienbäumen erblickte. Am Horizont erhob sich majestätisch ein riesiger Felsen - ich hatte noch nie so etwas Schönes gesehen. "Na, gefällt´s dir?" Der Löwe war neben mich getreten, seine Augen glänzten freundlich. "Willkommen im Geweihten Land!" "D-danke, dass ihr mich gerettet habt", stammelte ich. "Das ist unser Job!", scherzte der Silberreiher, der sich zu der Gruppe gesellt hatte. "Ich bin übrigens Ono!" "Kion, Anführer der Lion Guard!" Der Löwe verneigte sich höflich. "Das sind Fuli", er deutete auf die Gepardin, "und Beshte", er nickte in Richtung des Nilpferds. "Mein bester Freund Bunga müsste eigentlich jeden Moment wieder zurück sein." Mir schwirrten tausende Fragen im Kopf herum. Was war die Lion Guard? Woher kam sie? Was war dies für ein Land, das so anders war als meine Heimat? Bunga, der Honigdachs, riss mich aus meinen Gedanken. Er war gerade den Hang hochgeklettert und begrüßte mich nun umschwänglich. "Halt, Bunga, das ist genug", meinte Kion mit einem Grinsen. Ich war es nicht gewöhnt, von einem potenziellen Beutetier umarmt zu werden, deshalb war ich ziemlich froh darum. "Also", begann ich, "was genau ist die Lion Guard?" "Sie schützt das Geweihte Land - " "Wovor?" Diese Frage schien die Guards zu beunruhigen, ich hörte sie aufgeregt tuscheln. Kion wandte sich zu mir; seinem Blick war alles Freundliche gewichen. Trauer und auch Wut und etwas, was ich nicht deuten konnte - vielleicht Mitleid? - standen darin. "Geh jetzt nach Hause. Wir haben unsere Pflicht erfüllt", sagte er mit einer Kälte in der Stimme, die ich ihm gar nicht zugetraut hätte. Ohne ein Wort drehte ich mich um und lief. Mein Herz fühlte sich an, als hätte jemand seine Krallen hineingeschlagen. Immer wieder stellte ich mir die gleiche Frage: Wovor musste dieses Land beschützt werden - und was hatte ich damit zu tun? Ich war angekommen, zu Hause, aber es fühlte sich nicht wie zuhause an. Der Boden war trockener, die Sonne brannte heißer. Kein Baum spendete mir Schatten in diesem trostlosen Land. Ich sehnte mich nach dem frischen Gras, das ich vor einigen Momenten noch unter meinen Pfoten gespürt hatte... "Amali!" "Mama!" Noch nie war ich froher gewesen, die Stimme meiner Mutter zu hören. "Wo bist du nur gewesen?", flüsterte sie. "Wir haben uns schreckliche Sorgen gemacht!" Ich kuschelte mich in ihr weiches Bauchfell. "Ich bin froh, wieder hier zu sein", log ich. Die Krallen bohrten sich tiefer in mein Herz. Meine Mutter strich mir zärtlich übers Fell. "Ich bin auch froh, dass du wieder hier bist." Ich lächelte, Doch insgeheim dachte ich an Kion, meinen unverhofften Retter. Und seit diesem Tag wünschte ich mir nichts sehnlicher, als ihn wiederzusehen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)