Seelenkrank von MarryDeLioncourt ================================================================================ Kapitel 19: Die Geschichte, wie ich einen geliebten Menschen verlor ------------------------------------------------------------------- Mein Handy klingelte und ich rannte schnell aus dem Club, um besser telefonieren zu können. Es war meine Mum und fragte, ob ich nicht mal kurz Zeit hätte. Sie müsse dringend mit mir reden. Ich machte mich auf den Weg nach Hause und rauchte unterwegs noch eine Zigarette. Ich ließ mir Zeit, weil ich keine richtige Lust hatte mich mit ihr zu unterhalten, wenn es auch noch so wichtig war. Die Haustür unten war offen, auch etwas Seltenes. Meine Mutter wartete schon auf mich. „Wir müssen uns mal unterhalten.“ „Ich wüsste nicht über was.“ Sie hielt einen Augenblick inne. „Ich werde heute noch weggehen.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Wie weggehen?“ „Naja, ich dachte mir, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich ein wenig Abstand von der Familie bekomme.“ „Du rennst also vor deinen Problemen weg, ja?“ „Nein, so kannst du das nicht sagen Lukas.“ „Nicht? Wie würdest du es denn sonst bezeichnen?“ „Einfach eine Auszeit. Vielleicht ändert sich doch etwas und wir finden wieder zueinander.“ „Das bezweifle ich. Dein Satz neulich war doch der eindeutige Beweis dafür, dass du mich nicht akzeptierst.“ Sie schwieg wieder. „Das stimmt nicht ganz. Ich weiß, dass ich dir Unrecht getan habe und es tut mir leid. Aber du musst auch zugeben, dass du nicht immer ganz einfach bist oder?“ „Das ist richtig, aber irgendwie kapiere ich jetzt überhaupt nichts mehr.“ Ihr tat es leid? Ich wüsste nicht, wann sie das oder einen ähnlichen Satz zu mir gesagt hatte. Musste wohl schon lange her sein. „Wir beide hatten es in den letzten Jahren nicht gerade leicht, aber ich will nicht, dass wir im Streit auseinander gehen.“ „Warum willst du denn unbedingt weg? Was wird dann mit Johanna? Naja von mir will ich besser gar nicht erst reden.“ Meine Mum seufzte. „Ich dachte vielleicht, dass sie bei dir in guten Händen ist. Wenn sie will, kann sie ja auch zu deinem Vater ziehen.“ Plötzlich standen ihr die Tränen in den Augen und dieser Anblick erweichte meine Gefühle. Es schien noch einen anderen Grund zu geben, weshalb meine Mum weggehen wollte. Vor ihr auf dem Tisch lag ein Buch, das in Leder eingebunden war. Sie spielte die ganze Zeit damit herum. Doch irgendwie hasste ich sie auch, weil sie weggehen wollte. Hatte sie mir nicht schon genug Leid zugefügt? Meinem Vater konnte ich nicht vertrauen, aber ihr manchmal schon und auch, wenn unser Verhältnis ziemlich gestört war, war sie immer noch meine Mum. „Lukas, ich habe in der ganzen Zeit, in der ich mit deinem Vater zusammen war Tagebuch geführt. Normalerweise bin ich nicht der Mensch, der Ereignisse aufschreibt, aber ich möchte, dass du es liest. Denn danach kannst du mich vielleicht besser verstehen. Ich werde mich bei meinen Eltern in Schottland eine Weile zurückziehen…. Das ist ja noch nicht aus der Welt.“ „Ich weiß nicht ob ich das schaffe“, sagte ich leise mit belegter Stimme und schob meine Hände vors Gesicht. „Das denke ich schon…du bist doch ein großer Junge. Und mal ehrlich, hast du dir nicht immer gewünscht. Dass ich mal weggehe?“ „Wie kannst du sowas nur fragen? Gut manchmal vielleicht schon, aber ich gab die Hoffnung nie auf, dass sich unser Verhältnis irgendwann doch bessert. Doch scheinbar ist das nur der unreale Traum eines kleinen Jungen…hast du dich jemals gefragt, wie es mir geht und was ich fühle?“ Schweigend senkte meine Mum den Blick. „Du wirktest immer so stark und unnahbar…immer hast du dein Ding durchgezogen und ich dachte, du seist zufrieden.“ Ich stützte meine Ellenbogen auf die Tischplatte. „Du hast dir nicht mal die Mühe gemacht mit mir zu reden und meine Versuche auf dich zuzugehen, hast du abgewiesen. Deine Worte gestern…ich habe schon verstanden. Ja,  hau nur ab…ich komm schon irgendwie klar.“ Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich sie doch irgendwie brauchte und mir meine Mum nicht egal war. Ich wollte nicht, dass sie ging. „Ich bleibe ja nicht ewig und vielleicht tut uns Abstand mal gut. Was ist los mit dir? Sonst meisterst du doch auch immer alles und dir ist es egal ob ich weg bin oder nicht.“ Ich biss mir heftig auf die Unterlippe und sah sie an. „Du willst es nicht verstehen oder? Trotz der Streitereien war mein Verhältnis immer besser zu dir als zu Papa…ich bin nicht so stark wie du denkst…das alles geht nicht einfach so spurlos an mir vorbei und ich kann dir nicht versprechen, dass ich klar komme.“ Sie seufzte und strich durch meine Haare. „Wie gesagt, es ist ja nicht lange. Wir können ja auch jederzeit telefonieren. Bitte, gönne mir diese Pause Lukas.“ Ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte. Der Drang in mir, das Tagebuch meiner Mum zu lesen, wurde immer größer. Denn darin schien irgendetwas Geheimnisvolles zu stehen. „Mein Flug geht in anderthalb Stunden.“ „Soll ich dich zum Flughafen begleiten?“ Die Tränen liefen ihr jetzt über die Wangen und sie lächelte schwach. „Würdest du das wirklich machen?“ „Schätze schon.“ Sie stand auf und nahm mich in die Arme und ich hatte auf einmal das Gefühl, als ob eine Kette von meinem Herz platzt. Ich genoss diesen Moment. Wir nahmen uns ein Taxi und fuhren zum Flughafen. Ich persönlich habe ja nichts gegen das Fliegen, aber meine Mum hatte furchtbare Angst davor. Ich umarmte sie nochmals und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich glaube nachts fliegen ist besser, da sieht man nicht so viel. So ich muss los, es ist gleich um zehn.“ „Melde dich mal, wenn du gut angekommen bist. Und grüße Oma und Opa.“ Ich winkte ihr nach, bis sie in den Menschenmengen verschwunden war. An diesem Abend las ich das komplette Tagebuch und war schockiert. Schockiert darüber, was darin stand. Es klang alles eher nach einem bösen Horrorfilm. Konnte das wirklich mein Vater sein? Doch schien das alles irgendwie glaubwürdig zu sein. Mein Vater war ein Tyrann und er hatte meine Mum unterdrückt, wo es ging. Oft ist er sogar hangreiflich geworden, wenn sie ihm nicht gehorchte. Und er hat sie sogar gegen ihren Willen gezwungen, mit ihm zu schlafen. Ich konnte mich noch genau an eine Szene in meiner Kindheit erinnern. Es musst nach einem Streit zwischen meinen Eltern gewesen sein. An der Wand waren Blutspritzer, ein zerbrochenes Glas lag auf dem Fußboden und eine leere Flasche Wein stand auf dem Tisch. Ich hörte noch jetzt die Schreie meiner Mum und entwickelte Hass für meinen Vater. Da es schon ziemlich spät war, schlief ich ein und erwachte erst wieder, als es hell wurde und die Sonne in mein Zimmer schien. Hoffentlich war meine Mum gut angekommen. Ich schaltete den Fernseher an und zappte durch die Programme. Es war gerade um eins und sie brachten auf vielen Sendern Nachrichten. „Ein Flugzeug von der Reisegesellschaft Air Berlin ist heute Nacht über der Nordsee abgestürzt. Der Flug sollte nach Edinburgh gehen, doch auf Grund eines Motorschadens verlor der Pilot die Kontrolle und stürzte ab. Noch bevor das Flugzeug mit dem Wasser in Berührung kam, explodierte es in tausend kleineTeile. Überlebende gibt es nicht.“ Ich saß da, wie gelähmt. Mein Körper zitterte und ich starrte wie hypnotisiert auf den Bildschirm, wo sie mehrere Male die Explosion wiederholten. Ich wusste nicht, was ich jetzt denken oder machen sollte. Wie oft wurde in den Medien von Flugzeugunglücken gesprochen? Doch nun betraf es auch mich, mich, an dem solche Dinge sonst vorbei rauschten. Und jetzt? Gestern war doch noch alles so schön gewesen. Mein Herz pochte heftig. Vielleicht war es ja doch ein anderes Flugzeug gewesen? Ich rannte ans Telefon um mich zu vergewissern. Doch es handelte sich um das Flugzeug, das gestern um zehn gestartet ist. Man teilte mir mit, dass dieses Flugzeug wahrscheinlich einen Motorschaden hatte. Wie konnte denn sowas passieren? Ich war wütend auf diese bescheuerte Flugzeuggesellschaft und auf meinen Vater. Erst jetzt merkte ich, dass ich weinte. Ich ließ mich auch die Stufen sinken und jetzt spürte ich, wie sehr ich meine Mum wirklich liebte. Der Schmerz saß tief in meiner Brust. Eigentlich hätte ich heute Nachmittag noch zum Sportunterricht in die Schule gemusst, jedoch blieb ich zu Hause. Da hörte ich, wie sich das Schloss in der Tür herumdrehte. Meine Schwester kam gerade aus der Schule. Als sie mich sah, kam sie auf mich zugerannt und fragte, was los sei. Ich konnte ihr keine Antwort geben, weil ich es eigentlich gar nicht glauben wollte. „Mach Hausaufgaben. Vielleicht erzähle ich es dir später.“ Ich musste raus, unbedingt. Nur weg. Ich traf Jule, Nici und all die anderen im Club. Nici hatte für sich beschlossen mich nicht gehen zu lassen und tat als wäre damals beim Zelten nichts passiert. Mir war das irgendwann zu blöd und ich beschloss sie machen zu lassen, bis sie irgendwann von allein ging. Meine Freundin stürmte gleich auf mich zu. „Hey, wo warst du denn gestern auf einmal hin?“ „Zu Hause.“ Ich gab ihr einen flüchtigen Kuss und setzte mich dann auf die Couch. Nici zog mich jedoch am Ärmel zurück. „Ist was passiert?“ Ich schüttelte den Kopf, weil ich beschlossen hatte mit niemandem darüber zu reden. Ich war mir aber auch im Klaren, dass Nici mir nicht glaubte, aber das war mir egal. Ich konnte nicht darüber reden. „Lukas, bitte sag es mir. Ich sehe es dir doch an.“ Ich versuchte zu lächeln. „Es ist nichts.“ Sie ließ mich los und ich setzte mich zu den anderen und rauchte eine Zigarette. Flo schien auch ein bisschen geknickt zu sein und hielt mir seinen Joint hin. Nici sah mich entsetzt an, aber das störte mich im Moment nicht. Die Mischung war ganz schön stark, deshalb schwankte ich leicht, als ich aufstand und mir ein Bier holte. Jessica unterhielt sich sehr angeregt mit Chris und Yvonne saß daneben und hörte zu. Ich trank sehr schnell aus und ging an die frische Luft. Nici kam gleich hinterher. Sie war aufgebracht. „Hast du dich wieder mit deiner Mutter am Arsch, dass du jetzt wieder den Scheiß nehmen musst.“ Ja, das war das richtige Stichwort, Dankeschön. Ich versuchte mich zusammenzureißen. „Ich hab doch gesagt, dass nichts ist“, fauchte ich sie an. „Lukas, du kannst mich nicht verarschen.“ „Dann nicht. Okay, du hast Recht, aber ich kann nicht drüber reden, nicht jetzt. Ich gehe noch ne Runde spazieren. Lass mich mal nen Moment alleine, okay? Is echt nich böse gemeint.“ Sie sah mich vorwurfsvoll an, ähnlich, wie meine Mum immer und jetzt musste ich mir heftig auf die Unterlippe beißen. „Ja. Sehen wir uns heut noch mal?“ „Keine Ahnung.“ Sie nickte und gab mir einen Kuss. Eigentlich hatte ich nicht die geringste Ahnung, wohin ich wollte. Ich lief langsam und traurig durch zahlreiche Straßen und Gassen von Berlin. Mir war auch nicht kalt, obwohl es windig war. Ich kam an eine Stelle Berlins, wo ich noch nie gewesen bin. Es war sehr ruhig und überall standen leere Lauben mit verwilderten Gärten davor. Diese Gärten müssen einmal sehr schön und groß gewesen sein. Ich machte an einer Laube halt, die mir besonders gut gefiel. Ich kletterte aufs Dach, ließ die Füße herunter baumeln und legte mich hin, um den Himmel zu beobachten. Erst jetzt musste ich anfangen zu heulen. Ich hatte meine Mum wirklich geliebt, mehr als das. Sie war ein wunderbarer Mensch gewesen und jetzt ist sie einfach weg. Ich hatte mir nie ein Leben ohne sie vorstellen können. Die Sonne ging langsam unter und der Himmel tauchte alles in ein rot- orange, eine warme Farbe. Ich wusste nicht, wie alles jetzt weitergehen sollte. Morgen war Dienstag und ich würde ganz normal zur Schule gehen, wie sonst auch. Nachmittags, wenn die Schule aus war, würde ich nach Hause kommen. Manchmal war meine Mum auch da gewesen und hatte sogar Mittag für Johanna und mich gekocht. Nun musste ich das wohl immer selbst erledigen. Ich wollte mir morgen nichts anmerken lassen, weil ich es nicht ertragen würde, wenn mich meine Freunde oder Klassenameraden mit Fragen löcherten. Denn was sollte ich ihnen sagen? Vermutlich würde es aber auch nicht weiter auffallen, denn immerhin war ich schon immer der mürrisch gelaunte Grufti, der keinen an sich ran ließ und dem alles egal zu sein schien. Ich wollte nicht, dass jemand hinter meine Fassade schauen konnte, denn das würde bedeuten ich musste Schwäche zeigen und ich wollte nie wieder Schwäche zeigen. Hätte ich das früher erkannt, wäre meine Mum vielleicht noch am Leben oder zumindest nicht so verzweifelt gewesen, dass sie zu ihren Eltern nach Schottland hatte fliegen wollen. Vielleicht hätte ich mit ihr reden sollen, um ihr zu sagen, dass ich es ohne sie nicht schaffe, ich sie brauche. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und heulte. Aber da fiel mir Jojo ein. Meine kleine Schwester. Musste ich nicht ihretwegen stark sein? Und schaffte ich das überhaupt? Es wurde schon dunkel und ich beschloss wieder zurück in den Club zu gehen, sonst würden sich die andere noch Sorgen machen. Ich nahm einen kürzeren Weg, aber diesen Ort musste ich mir merken. Er war so wunderschön. Ich durchwühlte meine Manteltasche und holte meine Zigaretten heraus. Verdammt, auch die waren wieder erheblich weniger geworden. Ich kam zufällig an einem Tabakgeschäft vorbei und kaufte mir zwei neue Schachteln. Nici war noch da. Mein Rucksack stand auch noch hier. Ich holte mein zweites Bier heraus und setzte mich in den Sessel. Keiner sagte ein Wort. „Ist irgendwas? Soll ich wider gehen?“, fragte ich. Jessica gab mir zur Antwort: „Nein, es ist nicht wegen dir. Nur Flo Jenny und Malen haben sich gerade vor circa einer viertel Stunde mächtig am Arsch gehabt. Gut, dass du nicht dabei warst. Flo ist jetzt mit Tim weggegangen, Malen hat sich in den Toiletten eingeschlossen und Jenny ist heulend nach Hause gerannt.“ Na ein Glück nichts wegen mir. Ich stand auf, gab Nici einen Kuss und ging zu den Toiletten. Ich hörte ein leises wimmern aus der ersten Tür. Ich klopfte zaghaft an der Tür. „Lasst mich doch alle in Ruhe“, ertönte eine Stimme von drinnen. „Ich bin’s Malen, mach bitte die Tür auf.“ „Lukas?“ „Ja Lukas. Würdest du jetzt bitte freundlicherweise die Tür öffnen?“ Ich hörte, wie Malen vom Fußboden aufstand und vorsichtig den Schlüssel herum drehte. Dann kam sie wie ein Gespenst aus der kleinen Zelle heraus. „Haben die da draußen dich geschickt?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht. Jessica hat mir erzählt, was passiert ist.“ Sie sackte wieder in sich zusammen und fing erneut an zu weinen, ich konnte sie gerade noch festhalten. „Möchtest du mir vielleicht selbst noch mal genauer erzählen, was da eigentlich vorgefallen ist?“ Ich nahm Malen an der Hand und wir gingen in den Vorraum der Toiletten, wo sich ebenfalls eine kleines Sofa und ein Tisch befanden. Hier war es wenigstens warm. „Hast du mal eine Zigarette für mich?“ Ich gab ihr eine und holte noch schnell einen Aschenbecher von draußen, dann begann Malen mir alles zu erzählen. „Weißt du, ich habe mich echt richtig gut mit Flo unterhalten und es hat auch ganz schön zwischen uns gefunkt. Naja und dann ist Jenny gekommen, sie wollte noch mal mit Flo reden und als sie uns da so auf der Couch gesehen hat, ist sie total ausgeflippt. Sie hat mich als Hure und Schlampe beschimpft und das hat Flo nicht gepasst. Wahrscheinlich wegen der Sache die beim Zelten passiert ist. Die beiden haben sich dann echt heftig gestritten, haben sich alles Mögliche an den Kopf geknallt und dann ist Jenny heulend weggerannt. Flo war ziemlich am Boden und hat sich mit Tim verzogen, jedoch weiß ich auch nicht wohin. Ach es war einfach so schlimm, ich fühle mich jetzt dafür verantwortlich, dass das zwischen Flo und Jenny vorgefallen ist.“ Sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter, ich nahm ihre Hand und streichelte diese. „Du brauchst dich nicht schuldig zu fühlen, so was kann man nun mal schlecht vermeiden. Eifersucht gibt es in jeder Form Malen, und glaub mir, Flo kommt bestimmt wieder, weil ihm wirklich viel an dir liegt.“ „Wo warst du eigentlich so lange, Nici hat dich ja gesucht. Wie konnten aber nichts aus ihr herausbekommen, als sie wiederkam.“ Ich atmete tief durch. „Ich war noch eine Runde spazieren.“ Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, jedoch schluckte ich diese herunter, weil ich Malen nicht noch mehr zumuten wollte. Sie war im Moment ziemlich am Boden, außerdem wollte ich auch nicht, dass mich jemand bemitleidete. Wir saßen eine Weile schweigend da, bis sich die Tür öffnete und Flo hereinkam. Er lächelte mich nur schwach und anhand seiner geröteten Augen wusste ich sofort, was er mit Tim gemacht hatte. Ich stand auf und bot Flo den Platz neben Malen an. Er setzte sich und legte den Arm um ihre Schulter. Sie lehnte sich bei ihm an und so saßen sie da. Bevor ich die beiden allein ließ, fragte ich Flo noch: „Ist Tim auch wieder da?“ „Mhh. Er wartet schon auf dich.“ Ich wandte den Zweien den Rücken und ging zurück in den eigentlichen Clubraum, wo noch immer eine gedrückte Stimmung herrschte. Tim und Nici saßen nebeneinander, ich legte meine Arme um sie. Sie gab mir einen Kuss. Ich wusste, dass Tim noch mal mit mir reden wollte und so schnappte ich meinen Rucksack und meinen Mantel und forderte ihn zum Gehen auf. Nici kam auch mit. Die anderen sahen uns mit wehmütigen Blicken nach. Bei Tim zu Hause war weit erfreulichere Stimmung.  Amy krabbelte munter auf dem Fußboden herum. „Hallo ihr zwei Süßen. Wieder alles in Ordnung bei euch, wie ich sehe!“, erkundigte sich Alex bei Nici und mir. „Ja klar.“ Tim tänzelte mit seiner Tochter im Arm um Alex herum, worauf die kleine Amy ein fröhliches Quieken von sich gab. Er gab die Kleine Alex und ich ging mit ihm ins Wohnzimmer. Er bot mir ein Glas Whiskey an, welches ich mit einem Schluck leerte. Er schenkte noch mal nach. Ich zündete mir eine Zigarette an und lehnte mich zurück. Diese freudige Stimmung hier zog mich nur noch mehr runter. Hier spielte sich das idyllische Familienleben ab, das ich nie hatte und jetzt auch nie mehr haben würde. Ich leerte mein Glas und füllte es ein drittes Mal. Dann schnappte ich ein bisschen frische Luft auf dem Balkon. Drinnen hörte ich Tim und Nici tuscheln, sie stellten Vermutungen an, was mich bedrücken könnte. Natürlich war ihr erster Gedanke, dass ich Stress zu Hause hatte und Tim verglich meine mit seiner Geschichte, dass mich meine Eltern rausgeschmissen hätten, so wie es seine damals mit ihm taten. Ich konnte nicht länger zuhören und mich nervte es, dass Tim so redete, wenn er die Wahrheit nicht kannte. Allerdings hatte ich auch keine Lust zu erzählen, was vorgefallen war. Ich setzte mich wieder auf die Couch, ließ die Tür vom Balkon aber einen Spalt breit offen. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal etwas gegessen? Heute morgen? Ich verspürte aber auch keinen Hunger. „Nici hat gesagt, dass dich etwas bedrückt?“, stellte Tim mit Neugier in der Stimme fest. „Es ist zu krass. Ich will mich jetzt einfach nur betrinken.“ Tim legte seinen Arm um meine Schulter, jedoch schüttelte ich ihn ab. „Ich mach mit. Aber meinst du nicht, dass es dir besser geht, wenn du mit mir darüber redest?“ „Nee“, gab ich kurz und knapp zur Antwort. Dann schaltete Tim den Fernseher an. Ich verschwand wieder auf dem Balkon, weil ein zweites Mal konnte ich das nicht sehen. Meine Arme stützte ich auf das Geländer und vergrub mein Gesicht in den Händen. Meine Wangen wurden feucht von den Tränen. Nici war mir gefolgt und legte ihre Hand auf meine Schulter. Ich schüttelte mit dem Kopf und zwängte mich an ihr vorbei. Ich beschloss mich an Tims Drogenschrank zu bedienen. Mir fiel dieses weiße Tütchen in die Finger und ich brachte es zu ihm. Mir war gerade völlig egal, ob Nici anwesend war. „Tim, was is das?“ Mein Freund zog die Augenbrauen hoch. „Speed.“ „Super, das passt ja perfekt zum Whiskey.“ Endlich bekam Nici ihren Beweis, dass ich ein kaputter Mensch bin. „Ist das dein Ernst Lukas“, fuhr sie mich an. Ich nickte, zog das weiße Pulver durch die Nase und versank nun mehr in meine trostlose Stimmung, als ich zurück an die frische Luft kehrte. „Du weinst ja…gib mir nur einen Tipp, ich mache mir echt gerade Sorgen um dich.“ Sie wollte mich umarmen, doch ich stieß sie weg und rauchte noch eine Zigarette. „Da gibt’s keinen Tipp…es is eben was, worüber ich nicht reden will, kapiert?“ An ihrem Gesichtsausdruck merkte ich, dass sie eingeschnappt war, aber das interessierte mich gerade gar nicht. Auch Tim fragte mich zum tausensten Mal, was mit mir los sei. Das wurde mir zu viel und ich schnappte meine Sachen. Nici folgte mir und lief neben mir her, wie ein kleiner Hund. Ich nickte nur stumm, als sie mich fragte, ob sie noch mit zu mir kommen konnte. Zu Hause erwartete mich mein Vater, auch das noch. Ich warf ihm einen wütenden Blick zu und er wollte mir sein Beileid aussprechen. „Als ob dich das interessiert!“, zischte ich. „Selbstverständlich. Mir hat deine Mutter sehr viel bedeutet.“ In mir fing es an zu brodeln und es schien so, als ob ich mir meine ganze Kraft für dieses Gespräch aufgespart hatte. „Wenn du sie nicht so mies behandelt hättest, wäre sie nie auf die Idee gekommen nach Schottland zu fliegen…“ „…ach, willst du mich jetzt für ihren Tod verantwortlich machen? Dein Verhalten deiner Mutter gegenüber war auch nicht gerade das Beste“, unterbrach er mich und leider musste ich ihm da zustimmen. „Aber ich habe sie nie geschlagen oder zu Dingen gezwungen, die sie nicht wollte“, fuhr ich ihn an. Darauf erwiderte er nichts und blinzelte mich verärgert an. Ich beendete das Gespräch abrupt und knallte meine Zimmertür. Nici zuckte leicht zusammen. Jetzt wusste sie endlich, was los war, doch ich ignorierte sie und ließ mich auf mein Sofa sinken. Auf meinem Tisch stand noch eine angefangene Flasche Wein, von der ich einen großen Schluck trank. Ich spürte Nicis Blick auf mir ruhen und das machte mich wahnsinnig. „Schau mich nicht die ganze Zeit an…es ist ohnehin besser du gehst jetzt. Was passiert ist weißt du ja nun.“ „Und du vergräbst dich jetzt in deinem Zimmer und besäufst dich oder wie?“ „Nici…mein Mum ist gerade gestorben! Meinst du, das steck ich so einfach weg?“ „Dann lass mich für dich da sein.“ „Ich wäre lieber alleine…“ Sie verdrehte die Augen und wollte mich umarmen, doch mein Körper versteifte sich. „Warum nicht? Ich möchte dir helfen….ich bin deine Freundin, aber du willst mich nicht…was ist so falsch an mir?“, startete sie einen neuen verzweifelten Versuch zu mir durch zu dringen. Doch mit dieser Masche erreichte sie genau das Gegenteil. „Ich will deine beschissene Hilfe aber nicht! Ich bin kein verficktes kleines Kind, das dauernd umsorgt werden muss! Deine Art kotz mich einfach an Nici…geh einfach…“ Auf einmal lächelte sie traurig. „Kann sie für dich da sein?“ Ich wusste erst gar nicht, was sie meinte und zog verwundert die Stirn in Falten. „Sie?“ „Tue nicht so blöd…die Tussi, die du neben mir noch flachlegst…“ Das war zu viel. Viel zu viel. Ich riss mein Fenster auf und hockte mich auf die Fensterbank. Sie verletzte mich mit Absicht anstatt für mich da zu sein. „Sollte dir zu denken geben, wenn ich nebenher noch was am Laufen hab…“, schoss ich zurück. „Du kannst echt eklig sein…“ „Danke, das waren genau die Worte, die ich jetzt hören wollte!“ Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand. Als es halb zehn war, machte ich mich auf den Weg zum Kino. Jojo und Eileen würden jetzt sicher guter Laune sein und grübelte den ganzen Weg über, wie ich Jojo beichten könnte, dass unsere Mum tot ist. Ich rauchte eine nach der anderen, weil ich wiedermal erheblich unter Stress stand. Ich wusste nicht, wie der Abend heute noch ablaufen würde. Ich war wirklich am Boden zerstört und zu tiefst deprimiert. Jojo und Eileen warteten bereits auf mich und ich hörte beide schon von weiten lachen. Jojo kam auf mich zugerannt, sprang mich an und überhäufte mich mit Küsschen. Ich musste ein bisschen lächeln. „Na, war es schön?“, fragte ich so, als wäre nichts passiert. „Ja. Der Film war wirklich zum kaputtlachen. Wir sind aber total geschafft. Ich glaube, ich gehe gleich ins Bett, wenn wir nach Hause kommen.“ Ich konnte ihr es jetzt nicht einfach sagen. Nicht jetzt, wo sie so voller Lebensfreude und für jeden Spaß zu haben war. Doch was war, wenn sie unsere Mum nicht zu Hause auffinden würde? Jojo und Eileen erzählten mir, wie toll alles gewesen ist und ich versuchte mich mit ihnen zu freuen, was jedoch kläglich scheiterte. „Du Jojo ich muss dir noch was sagen.“ Wir blieben stehen und sie sah erwartungsvoll zu mir herauf. Ihr Blick war so unschuldig und wenn ich daran dachte, dass ihre Augen diesen Glanz verlieren würden, ertrug ich das nicht. „Was denn?“ Ich biss mir heftig auf die Unterlippe und rang mir ein gequältes Lächeln ab. „Schon gut. Ich hab dich lieb.“ Klaus stand im Flur gerade mit unserem Dad und redete mit ihm, wie es wohl weitergehen sollte. Ich zog meine Schwester an den beiden vorbei, hinauf in mein Zimmer. „Was bereden Papa und Klaus?“ „Papa will wieder in unser Haus ziehen.“ Meine Schwester schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Aber warum das denn? Die andere Wohnung ist doch für uns viel zu klein. Oder willst du etwa ausziehen?“ Ich schluckte den Kloß im Hals runter und schüttelte mit dem Kopf. „Was ist es denn? Ist was passiert?“ Wieder nickte und merkte, wie meine Augen glasig wurden. „Mama hatte einen Unfall…“ Meine Stimme klang erstickt und kratzig. Jojos Augen weiteten sich. „Mit dem Flugzeug?“ Ich nickte und ließ mich aufs Bett plumpsen. Jojo kroch auf meinen Schoß. „Ist ihr etwas passiert?“ „Das Flugzeug ist abgestürzt und keiner hat das überlebt. Wir müssen jetzt stark sein meine Kleine.“ Plötzlich fing sie fürchterlich an zu weinen und ich konnte sie noch nicht mal richtig trösten, da ich selbst gegen die Tränen ankämpfte. Mein Dad kam in mein Zimmer. „Na ihr zwei. Lukas wir haben jetzt einen Beschluss gefasst. Da das Haus hier ziemlich groß ist, will Klaus in unsere kleine Wohnung ziehen und ich mit Sonja und Jennifer wieder hierher.“ Ich sah ihn nur an. „Ist okay. Und wann?“ „Übermorgen. Morgen wollen wir schon mal alles umräumen, sodass wir dann übermorgen einziehen können.“ Ich nickte stumm. Mein Dad strich Jojo über die Haare. „So, ich muss erst mal wieder zurück. Wir sehen uns dann morgen. Bis dann.“ „Bis dann und grüße Jenny und Sonja.“ Ich fand das war ein vernünftiger Vorschlag. Jojo lag noch immer in meinen Armen und weinte. „Soll ich dich jetzt ins Bett bringen?“ „Ja.“ Ich ging mit ihr ins Bad und wartete, bis sie sich die Zähne geputzt hatte. Dann begleitete ich sie noch auf ihr Zimmer. „Hast du deine ganzen Hausaufgaben für morgen fertig?“ „Ja hab ich heute schon in der Schule gemacht, weil wir vor der 7. und 8. Eine Freistunde hatten.“ „Ist gut. Schlaf dich aus meine Süße.“ Ich gab ihr noch einen Kuss auf den Mund und ging dann in mein Zimmer rüber. Ich suchte meinen kleinen schwarzen Rucksack, wo sich noch etwas Gras befand. Nach ein paar Minuten suchen wurde ich fündig. Fast mechanisch drehte ich den Joint zusammen und versuchte an nichts zu denken. Nicht daran, dass meine Mum tot war. Nicht daran, dass mit Nici alles immer komplizierter wurde und nicht daran, dass ich meine Gefühle für Juka vielleicht langsam ernst nehmen sollte. Was würde jetzt werden? Mit meinem Dad wieder unter einem Dach. Noch mehr Gewalt und Erniedrigungen. Doch jetzt war keiner mehr da, der sich ab und an doch Mal auf meine Seite schlug, außer Jojo vielleicht. Nici startete an diesem Abend einen weiteren Versuch mich zu erreichen, doch ich ging nicht ran und antwortete auch nicht auf ihre SMS, die im Anschluss folgte. Ich machte mir nicht mal die Mühe diese überhaupt erst zu lesen, denn den Inhalt konnte ich erahnen. Noch mehr entschuldigende und bemitleidende Worte, mit denen sie mich versuchen wollte aufzubauen. Aber ich wollte sie nicht lesen oder hören. Mit angezogenen Beinen hockte ich mich ans offene Fenster und aschte ab. Jetzt wäre vielleicht der Zeitpunkt gewesen, an dem sich das Blatt hätte wenden können. Meine Mum hatte mir ein Friedensangebot unterbreitet, das ich auch angenommen hätte. Scheißdreck! Ob das der Rettungsanker gewesen wäre? Zu spät. Warum musste ich auch so stur sein und hatte mir jegliche Versöhnungschancen zuvor verbaut? Ich schluchzte und der Schmerz schnürte meine Brust zu. Langsam drehte ich meinen Kopf und schaute mich suchend auf dem Nachttisch um, bis meine Augen an dem kleinen Metallding stoppten. Meine Hand griff fast automatisch danach und die Rasierklinge durchfuhr meine Haut. Wieder und wieder und wieder. Mein Unterarm wurde fast taub vor Schmerz. Mit einer gewissen Faszination verfolgte ich den Weg der Blutspur, die meinem Arm hinab rann und auf die weiße Fensterbank tropfte. Dann überkam mich dieses Déjà-vu, denn fast genauso hatte ich hier am offenen Fenster gesessen, als alles aussichtslos erschien. Der Streit damals mit meiner Mum, die mich aus dem Gefängnis abholen musste und Juka mich hier besuchte. Mich überkamen Selbstmordgedanken, doch er hielt mich davon ab, wir hatten unglaublichen Sex und dieses Gefühl warf mich gänzlich aus der Bahn. Ich heulte, denn diese Baustelle schien ebenso eine weitere unfertige Lücke in meinem Leben zu bleiben. Wie auch sollte das mit Juka jemals funktionieren und wie zur Hölle konnte ich auch nur im Entferntesten daran glauben, dass er mich wollen würde. Ich, der kleine dumme unerfahrene Junge. Juka hatte viel mehr Erfahrung als ich und hatte sich keinen Bock sich mit einem Neuling wie mir zu begnügen. Endlich stoppte die Blutung und ich tupfte das Blut mit einem Taschentuch ab. Shit, ich hatte doch echt tief in die Haut geschnitten. Sollte besser verbunden werden. Ich legte mich rücklings auf‘s Bett und rauchte noch eine Zigarette. Meine Hände ließ ich dann auf meinem Bauch ruhen. Wie oft hatte ich mich schon mit dem Thema Tod auseinandergesetzt? Nici und Tim waren dem Sensenmann nur knapp entronnen, doch meine Mum nicht. Ich fühlte mich so hilflos ohne Mutter. Brauchte man eine Mutter nicht zum Leben? Und wie würde sich meine Schwester erst fühlen, wenn es schon mir so miserabel ging? Hatte Jojo realisiert, dass unsere Mum tot war? Stumme Tränen rannen über meine Wangen und ich wusste nicht, wie es ohne meine Mum weitergehen sollte. Als ich irgendwo in der Ferne eine Kirchturmuhr zwei schlagen hörte beschloss ich endlich pennen zu gehen. Ich war wütend auf mich selbst, weil ich mich so oft mit meiner Mum gestritten hatte und nicht mehr schöne Stunde mit ihr erleben konnte. Ich blickte hinauf in den Sternenhimmel, bevor ich das Fenster schloss und noch eine letzte Räucherkerze anzündete, damit der Zigarettengeruch verschwand. Ich war fast ohnmächtig von den Schmerzen meines pochenden Armes geworden und nun ließ ich mich erschöpft in die Kissen sinken. Meinen Wecker stellte ich selbstverständlich auf um sieben. Die Digitaluhr zeigte 3:00. Naja wenigstens noch vier Stunden Schlaf. Ich versuchte eine halbwegs bequeme Schlafhaltung zu finden, in der mein Arm nicht belastet werden konnte und schloss meine Augen. Ich erschrak furchtbar, als mein Wecker klingelte. Einen Moment Ruhe gönnte ich mir noch, dann quälte ich mich aus meinem gemütlichen, warmen Bett. Mein Arm tat immer noch mörderisch weh und ich wechselte den Verband. Doch mit der Zeit ging es. Ich trank wie jeden Morgen eine Tasse Kaffe, etwas zu Essen bekam ich heute nich runter. Jojo, die Glückliche hatte heute zwei Stunden später Unterricht. So müsste es uns auch mal gehen. Flo kam früher als sonst und so nahm ich ihn noch mal mit in die Wohnung. „Süßer, du siehst fertig aus. Als ob du die halbe Nacht kein Auge zu gemacht hättest!“ „So ähnlich“, sagte ich trocken. Wir machten uns nun auf den Weg in die Schule. „Willst du nich zu Hause bleiben? Oder wir machen uns irgendwo nen schönen Tag?“ „Nee passt. Ich schaff das schon. Was hast du gestern noch gemacht?“ „Na gut. Ich war gestern noch bis halb eins bei Malen. Meine Alte hat voll den Raster bekommen, als ich nach Hause kam.“ „Na da muss es ja sehr spannend bei euch gewesen sein. Weißt du, ob Nici gestern noch mal im Club war?“ „Ja mal kurz, aber ist dann gleich wieder gegangen. Warum ist schon wieder was passiert?“ „Nee, frag nur so. Is auch egal.“ Flo merkte, dass mich irgendwas bedrückte, denn so gut kannte er mich. „Was’n mit deinem Arm passiert?“ „Selbstzerstörung und so.“ „Verstehe, muss aber ganz schön tief sein, wenn du nen Verband dafür brauchst.“ Ich nickte stumm und Flo fragte auch nicht weiter, war auch besser so. Doch dann zog er mich in seine Arme und ich biss mir heftig auf die Unterlippe, um nicht schon wieder zu heulen. Mein bester Freund strich mir sanft über den Rücken und dann brach meine Fassade doch. „Flo…meine Mum…sie saß in dem Flug-zeug, was gestern abgestürzt is…“, schluchzte ich und er hielt mich fest. „Das tut mir so leid mein Schatz…ich bin für dich da…“ Flo reichte mir ein Taschentuch, mit dem ich mir meine Tränen trocknete. Ich steckte mir eine Zigarette an. Vielleicht schwänzte ich Sport heut einfach, ich hatte heute absolut keine Lust auf mein Lieblingsfach. Yvonne, Jessica und Christin standen vor dem Tor, das zum Schulhof führte und kicherten über irgendetwas. Dämliche Mädchen. Flo und ich begrüßten die drei und blieben auch noch einen Moment vor dem Tor stehen. „Ich hatte gehofft, dass du gestern noch mal wiederkommst? Aber nein“, sagte Jessica zu mir. Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. „War bei Tim und bin dann nach Hause gegangen.“ „Bist heut wieder sehr gesprächig.“ „Hab scheiß Laune. Was dagegen?“ „Tut mir leid.“ Mir war das zu blöd hier und ich gab Flo ein Zeichen, mit mir ins Schulgebäude zu kommen. „Wahrscheinlich hat er wiedermal Stress mit Nici. Also, wenn du mich fragst, hält das zwischen den beiden ehe nicht mehr lange“, rief sie mir nach. Flo schaute mich auch mit einem Grinsen auf dem Gesicht an. „Ey die Alte kapiert es nie, dass sie einfach keine Chance bei dir hat oder?“ „Ich finde das alles nur lächerlich. Doch das Schlimme ist ja, Jessica merkt das ja noch nich mal.“ Die Drei kamen kurz nach uns zum Klassenraum. „Übrigens Jess…wenn dir dein Leben lieb is, geh mir aus dem Weg.“ Ihr Gesicht lief knallrot an und ich glaube, sie bereute, was sie gesagt hatte. Ich wandte mich wieder Flo und den anderen Jungs aus unserer Klasse zu. Das heißt nur mit denen, die wir auch mochten. Kevin gehörte jetzt auch dazu. Der Neue stand etwas abseits von uns. Er schien ganz in Ordnung zu sein, jedoch traute er sich wahrscheinlich nicht so richtig mit dem einen oder anderen von uns ein Gespräch anzufangen. Wir wussten, dass er Michael hieß und noch eine Schwester in der Parallelklasse hatte, die jedoch noch keiner von uns ausfindig gemacht hatte. Es klingelte bereits das zweite Mal und unser Deutschlehrer Herr Stoldt eilte herbei. Wir setzten uns alle an unsere Plätze und packten unsere Deutschsachen aus. Michael saß auf der Bank vor Basti. Basti saß mit Kevin vor Flo und mir. „Lukas, komm doch bitte mal vor.“ Ich zuckte leicht zusammen, weil ich gerade mit Flo geschwatzt hatte. Ich stand auf und schlurfte vor zum Lehrerpult. „Ja Herr Stoldt.“ „Gehst du mal bitte hoch ins Sekretariat und kopierst dieses Arbeitsblatt 24 Mal.“ Er gab mir ein Blatt und erhaschte einen kurzen Blick auf den Verband auf meinem Arm. In der Klasse machte ich eigentlich kein Geheimnis aus dieser Sache. Doch gestern war echt übel und die Schmerzen pochten noch immer. „Soll vielleicht noch jemand mitkommen?“ „Es geht schon“, gab ich zurück und quälte mich den Weg zum Sekretariat hinauf. Wenige Minuten später legte ich die fertigen Kopien auf den Lehrertisch. Herr Stoldt bedankte sich mit einem Lächeln, dass ich nur spärlich erwiderte. In der zweiten Stunde hatten wir Musik. Ich sang eigentlich gern, aber nicht solche dämlichen Lieder wie im Musikunterricht. Ich hatte heute auch keine Lust irgendwelche Lieder zu trällern und doch machte ich, was unsere Musiklehrerin sagte, weil ich keinen Streit anzetteln wollte. Eine Auseinandersetzung mit einem Lehrer konnte ich jetzt nicht gebrauchen, obwohl ich gern provozierte, doch heute fehlte mir einfach die gute Laune dazu und so ließ ich alles über mich ergehen. Als es endlich zur Frühstückspause klingelte gingen Flo, Kevin, Basti und ich auf unsere Raucherinsel und genossen die Zigarette am Morgen. Plötzlich hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Ich wandte mich zum Tor und da stand Nici. Ich ging zu ihr, wenn auch nur wenig begeistert. „Was machst du denn hier?“ „Ich hab jetzt Schluss und da habe ich gedacht, dass ich dich mal besuchen könnte.“ „Toll und ich muss noch vier Stunden Unterricht machen. Hast du es gut.“ „Ich kann dich später von der Schule abholen. Vielleicht gehe ich auch noch einkaufen oder so. Wie geht’s dir eigentlich?“ „Total beschissen. Mein Dad hat gestern gemeint, dass er wieder in unsere Wohnung ziehen will. Aber ich glaube, Jojo hat das alles überhaupt nicht verkraftet. Sie war gestern kaum ansprechbar.“ „Ist gestern noch was passiert?“ „Nicht direkt. Ich konnte nur nicht pennen und war noch lang wach. Ich bin einfach nur voll fertig.“ „Ist schon gut. Also dann bis nachher.“ Sie küsste mich und dann verschwand sie mit einem bezaubernden Lächeln. Ich kehrte wieder auf den Schulhof zu den anderen. Ein paar Jungs aus meiner Klassen schauten etwas neidisch zu mir, wahrscheinlich, weil sie Nici echt heiß fanden. Ich musste ein bisschen grinsen. Die letzten vier Stunden würde ich ja hoffentlich auch noch überleben. Ich ignorierte den Schmerz und manchmal klappte es sogar. Flo, Basti und ich quetschten uns zu dritt durch die Eingangstür, als es zu vierten Stunde läutete. Vor unserem Unterrichtsraum setzte sich Jessica neben mich auf die Bank und grinste blöd. „Was ist denn?“, fragte ich ziemlich genervt. „Weißt du, ich wäre echt gern für einen Tag Nici.“ „Warum das denn?“ „Ach, so einen Freund wie dich zu haben ist ein Traum. Das Aussehen, dein Waschbrettbauch, einfach alles.“ „Ihr geht doch alle nur vom Aussehen aus. Eigentlich kennt ihr mich gar nich. So was is echt total bescheuert. Bevor man von einem Menschen sagen kann, dass er perfekt is, muss man ihn auch vom Charakter her kennen und dazu kennst du mich wirklich zu wenig Jessica. Und noch was, wenn Nici deinen Charakter hätte, wäre sie sich nich meine Freundin, denn mit so ner Tussi, wie dir an meiner Seite... nein danke.“ Ich stand auf und ging zu Flo und Basti, weil mir das einfach zu bescheuert wurde. Was wollte sie mit ihrem ständigen Gelaber eigentlich erreichen? Ich war in einer glücklichen Beziehung und das wusste sie genau. Ich lachte innerlich. Glückliche Beziehung, was für eine schöne Lüge. „Ey Jessica gibt es nie auf. Wann kapiert die endlich mal, dass ich nichts von ihr will. Die Alte geht mir echt tierisch auf den Pisser.“ Flo und Basti grinsten nur, doch ich fand das Ganze rein gar nicht lustig. „Was grinst ihr da noch so blöde!“ Sie fingen an zu lachen und so was nennt man Freunde. Na egal. Ich schüttelte nur den Kopf. In der sechsten Stunde hatten wir Sport, jedoch war ich nur damit beschäftigt Geräte aufzubauen und mich auf der Bank zu langweilen. Ab und zu leisteten mir Flo und Basti Gesellschaft, wenn sie gerade nichts zu tun hatten oder Herr Stoldt gerade mal mit anderen Dingen beschäftigt war. Dienstags hatten wir immer mit den Mädchen zusammen Sport, das konnte unter anderem ganz schön lästig sein. In der Turnhalle waren verschieden Turngeräte, wie der Bock oder die Stangen, an denen man Klimmzüge machen musste. Dazu hätte ich jetzt wirklich Lust, doch ich beschloss dann doch sitzen zu bleiben. Nachdem alle Schüler sich verabschiedet hatten, gingen sie sich umziehen. Ich wartete vor der Schule auf Basti und Flo, weil mich Nici ja noch abholen wollte. Sie kam auch schon angerannt. „Hallo Süße. Wo warst du bis jetzt noch?“ Ihr Lächeln war so hell und strahlend wie die Sonne. „War ein bisschen in der Stadt. Kommst du die Woche irgendwann noch mal mit in den x-tra-x?“ „Aber selbstverständlich.“ Ich steckte mir eine Zigarette an. In dem Moment kamen Flo und Basti mit Jessica und Yvonne. Ich verleierte die Augen, als ich Jessica erblickte. Sie schoss jedoch an mir vorbei, ohne ein Wort zu sagen. „Was ist denn mit der los?“, fragte mich Nici etwas misstrauisch. „Ach, der habe ich nur mal wieder die Meinung gesagt, weil sie immer noch davon überzeugt is, sie hätte irgendwann mal ne Chance bei mir.“ Nici grinste nur. Ich nahm sie bei der Hand und wir wollte gerade zu mir nach Hause gehen, als Basti noch hinterher rief: „Wann kommt ihr heute in den Club?“ „Keine Ahnung. Denke mal so am späten Nachmittag.“ Nun gingen wir wirklich. Als wir bei mir angekommen waren, machte ich mir etwas zu Essen. Es war noch niemand da. Mein Dad würde erst am späten Nachmittag nach Hause kommen. „Wie geht’s dir eigentlich?“ „Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde es is alles prima.“ Nici schaute mich vorwurfsvoll an. „Ich bewundere dich wirklich. Ich wüsste nicht, wie ich damit umgehen würde.“ Ich zuckte mit den Schultern und spürte schon wieder diese Leere in mir. Nicis Gelaber zog mich mehr runter denn je. „Du redest immer von bewundern Nici, aber wofür? Weil es mir beschissen geht und ich meine Gefühle vor anderen nicht zeigen kann? Spar dir in Zukunft einfach solche Aussagen.“ Ihr Blick wurde unsicher. „Ich möchte dich doch nur aufbauen…sorry.“ Ich lachte traurig. „Wie auch immer das funktionieren soll, ich weiß ja gerade nich mal selbst, was gut oder schlecht für mich is.“ Nici schwieg eine Weile. Ich schälte in dieser Zeit Kartoffeln und ließ Gemüsebällchen in der Pfanne braten. „Heißt das jetzt, dass du in dieser schweren Zeit wieder öfter zu den härteren Drogen greifen wirst?“ Ich dachte nach und das schien im Moment das einzige zu sein, was ich mir vorstellen konnte. Nici war definitiv nicht der Mensch, der mich verstehen würde. Ein Teil von mir mochte dieses süße unschuldige Mädchen, doch der andere Teil stieß sie von sich weg, wollte lieber völlig high irgendwo sein Unwesen treiben. „Kein Plan…“ „Ich werde aus dir nicht schlau, vorhin warst du noch voll lieb und jetzt ist dir wieder alles egal?“, fuhr sie mich an. „Mir ist nich alles egal, sonst würde ich gerade nich darüber nachdenken mich abzuschießen und es geht mir tierisch auf die Nerven, wenn du dauernd versucht mich zu erziehen.“ „Du willst dich abschießen? Weißt du was, dann mach das doch! Baller dir das Gehirn weg, denn es scheint dich ja nicht zu interessieren, dass ich dich mag.“ Ich seufzte und wusste beim besten Willen nicht, wie ich mit Nici reden sollte. „Du magst mich also…darauf kommt es nich immer an Nici…du redest immer davon, dass du die wahre Gothicszene willst…hier hast du sie, denn es ist viel mehr als perfekt aussehen, gute Musik und Abtauchen in fremde Welten. Alles, was du dauernd liest, was die Leute außerhalb der Szene erzählen, dass man hier nur abgestürzte Außenseiter findet ist wahr. Ich bin das beste Beispiel…ich könnte alles haben und habe mich für nichts entschieden. Du solltest langsam der Realität ins Auge sehen. Was meinst du warum ich angefangen habe mich selbst zu verletzen…etwas, das du komplett ausblendest oder ignorierst…was glaubst du, warum ich dauernd high bin? Ich ertrage die Realität nich.“ Ihre Unterlippe bebte, denn jetzt hatte ich das gesagt, was sie niemals hatte hören wollen. „Scheiße Lukas…warum musst du nur immer alles kaputt machen!“, schrie sich mich an. „Weil es das is, was ich am besten kann.“ Ich wendete mich wieder meinen Gemüsebällchen zu, doch ich wusste nicht, ob ich überhaupt noch hungrig war. „Was wollen wir heute noch machen?“, fragte mich Nici nach einigen Minuten des Schweigens und wollte wohl so tun, als hätte das Wortgefecht zuvor nie stattgefunden. „Ich weiß nich. Wir können dann noch mal in den Club schauen. Ich glaube, wir haben heute auch Bandprobe. Da kannst du ja mitkommen, wenn du willst“, bot ich ihr an. „Ja werde ich auch machen. Mit Nadja rumhängen hat ohnehin gerade nicht viel Sinn.“ „Hast du dich mit Nadja irgendwie am Arsch?“ „Nicht wirklich. Wir verstehen uns halt nicht mehr so wie früher, weil sie nicht damit klarkommt, dass ich immer noch mit dir zusammen bin. Ich habe kein Problem mit ihrem Musikgeschmack, aber sie anscheinend ein Problem mit meinem und damit, wie ich herumlaufe. Ich habe mal versucht mit ihr darüber zu reden, doch irgendwie sieht sie das nicht ein.“ Ich sah zu Nici und fragte mich tatsächlich, ob sie das gerade wirklich gesagt hatte. „Du lässt deine Freundin hängen nur um mit so nem abgefuckten Typ wie mir zusammen zu sein…Respekt. Und das ist der Unterschied zwischen uns, ich lasse lieber meine Freundin im Stich. Aber musst du wissen…“ „Du bist heute wirklich auf Krawall aus, was?“ Ich zuckte die Schultern und suchte in der Vorratskammer nach Alkohol. Wodka, aber warm. Widerlich. Kräuterschnaps, Whiskey, das war gut. Ich tat Eiswürfel in ein Glas und schenkte mir Whiskey ein. Nici warf mir einen vernichtenden Blick zu. Sie schien mit sich zu ringen, entweder hier zu bleiben oder zu gehen, denn auch sie ertrug die Realität nicht. Sie ertrug nicht, dass ich der Mensch war, den sie gerade vor sich sitzen hatte. „Soll ich dir mal was sagen?“, fragte ich. Sie nickte unweigerlich. „Was denn?“ „Ich glaube Nadja hat da gar nich mal so unrecht…mir kommt es auch manchmal so vor, als bist du jemand, der du nich sein willst…und nur, um mir zu imponieren…das is seltsam und ich versteh es nich.“ „Du denkst also ich will dir imponieren? Da liegst du falsch Lukas. Ich mag mich wie ich bin und Nadja tut es nicht mehr.“ Doch sah ihr an der Nasenspitze an, dass ich Recht hatte. Ich schenkte mir Whiskey nach. „Glaub doch was du willst.“ Ich nahm die Gemüsebällchen aus der Bratpfanne und legte sie auf einen Teller. „Dann beweise mir, dass sie Unrecht hat. Nici fing an zu lachen. „Als ob ich der etwas beweisen muss.“ „Nich ihr, mir, hör doch zu.“ „Soll ich jetzt etwa auch anfangen Drogen zu nehmen und mir die Arme aufritzen?“ „Oh Mann…Nici…mach einfach was, was du denkst. Dir stehen alle Wege offen…“ „Was willst du denn von mir Lukas? Ich verstehe es nicht und ich hasse es, wenn du in Rätseln sprichst!“ „Ich will einfach nur sagen, dass du dir darüber im Klaren sein solltest, was du wirklich willst. Ist das tatsächlich zu schwer?“ Ich setzte mich an den Tisch und begann zu essen. Irgendwie, auch wenn ich kaum einen Bissen hinunter bekam. „Du willst mich doch auch anders haben, authentischer…okay. Ich werde an mir arbeiten.“ „Was auch immer“, sagte ich und zündete mir eine Zigarette an, nachdem ich meinen Teller halb geleert hatte. In dem Moment klingelte das Telefon. Ich eilte zur Basis und nahm das Telefon mit in die Küche. Es war Flo und er wollte gleich vorbeikommen. Hoffentlich hatte er was zum Kiffen dabei. „Wer war es denn?“ Ich schaute Nici an und schenkte mein Glas ein weiteres Mal voll. „Flo, er kommt gleich vorbei.“ „Okay…Lukas ich mag dich so sehr.“ Ich nahm Nici in den Arm, um ihr zu zeigen, dass ich nicht böse auf sie war und dass es mir ein bisschen Leid tat. Nici schmiegte ihren Kopf an meine Brust und ich streichelte ihr Haar, dann löste ich mich von ihr, räumte meinen Teller in die Spülmaschine und wusch die Bratpfanne ab. Dann rauchte ich noch eine Verdauungszigarette. Wenige Minuten später klingelte es an der Tür und Flo kam. Er sah ziemlich mitgenommen aus und ich bot ihm einen Whiskey an. „Meine Eltern haben mir gedroht die Bullen zu rufen, wenn ich noch mal nach Hause komme. Scheiße! Ich war nich mal fünf Minuten da…lauf schon fast ne Woche in denselben Klamotten rum und seh aus wie der letzte Penner. Gibt’s noch mehr Whiskey?“ Ich reichte ihm die Flasche und wir gingen rauf in mein Zimmer. Flo drehte Gott sein Dank einen Joint. Dann hielt er Inne und schaute mich schuldbewusst an. „Fuck…sorry. Hoff dir geht’s gut…ich wollte nich…“, stammelte mein Freund. „Alles gut…“, beruhigte ich ihn. „Is heut Bandprobe?“,  fragte er dann und zündete den Joint an. „Fänd ich cool, bissl abreagieren und so.“ „Kommt ihr vorher mit in den Club?“ „Weiß nich.“ „Lukasschatz, kann ich vielleicht kurz duschen und mir dann ein paar Klamotten von dir borgen?“ „Klar…such dir was aus.“ Flo bediente sich und verschwand im Bad. Nici war recht schweigsam gewesen und ich wusste nicht, was ich zu ihr sagen sollte, also trank ich weiter. Jetzt merkte ich auch den Alkohol. Draußen war es gerade sonnig und auch nicht sehr kalt. Ich entführte Nici zu der Laube, die ich in letzten zwei Tagen ausfindig gemacht hatte. Vielleicht sollte ich doch einfühlsamer mit ihr sein? Wir lagen auf dem Dach nebeneinander und genossen die Sonne. Nici lag mit ihrem Kopf auf meiner Brust und ihre Hände glitten zu dem Reisverschluss meiner Strickjacke und zog ihn nach unten. Sie streichelten meinen Bauch. Ihre Berührungen waren zärtlich und mir wurde bewusst, wie sehr ich das manchmal vermisste. Jedoch wünschte ich mir es wären nicht Nicis Hände, die meinen Körper erkundeten. Wir hatten uns in den letzten Tagen zwar oft gesehen, jedoch nie so richtig Zeit füreinander gehabt. Ich massierte Nici und küsste ihren Nacken. Ich umschloss ihre Brüste. Sie beugte ihren Kopf und küsste mich. Doch jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, sah ich ihn. Dieses perfekte wundervolle Geschöpf. Und nur, wenn ich an Juka dachte, regte sich etwas, sonst nicht. „Wollen wir nicht noch ein bisschen zu mir gehen? Wir haben doch noch genug Zeit.“ „Meinetwegen“, gab ich ihr zur Antwort und so gingen zu Nici nach Hause. Ihre Oma war zwar da, aber die kümmerte sich eigentlich eher weniger um uns. Wir lagen auf einer Decke vor dem Kamin und Nicis schwarzes Haar zeichnete sich deutlich von der hellen Haut ab. Ich ahnte, was sie sich von mir wünschte und deshalb tat ich es, liebkoste ihren Körper. Ihre Haut war so zart. Sie legte sich auf mich. Ich drang in ihren Körper ein. Doch diese brennende Begierde blieb aus. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und mir war auch vollkommen egal, wie spät es war. Nici hatte sich in eine Decke eingemummelt, weil das Feuer im Kamin sehr weit heruntergebrannt war und es somit auch etwas kühler wurde. „Wollen wir noch in den Club?“ „Dort ist auch nicht viel los. Die sitzen nur alle da und gucken blöd. Außerdem läuft da nie ordentliche Musik. Nee, das muss ich mir jetzt nicht antun. Flo wird denk ich mal ehe bei Malen sein und Basti versucht sich an der Schwester von Michael. Auf Jessica und Yvonne habe ich jetzt absolut keine Lust.“ Ich sah jetzt die Uhr auf dem Kaminsims. Diese zeigte fünf Uhr Nachmittags an. Ich stand auf und zog mich an. „Wo willst du hin?“ „Ich muss doch erst mal nach Hause schauen, sehen, wie es Jojo geht. Kommst du später zu mir?“ „Ja mach ich.“ Ich beugte mich zu ihr herunter und küsste sie. Sie zog mich zu sich heran, als wollte sie sagen verlass mich nicht! Doch ich löste mich von ihr und ging nach Hause. Mein Dad war noch nicht da, aber Johanna saß im Wohnzimmer und schaute Fernsehen. Sie rannte mir gleich wieder in die Arme, als sie mich kommen sah. Ihre Augen waren gerötet und unendlich traurig. „Mama soll wiederkommen.“ „Ich weiß. Mir fehlt sie auch sehr. Bist du schon lange da?“ „Nee, hatte nach der siebten aus. Als ich nach Hause gekommen bin, warst du aber nicht da. Bist du noch bei Tim gewesen?“ „Nein, bei Nici. Ich komm später nochmal, muss noch was machen.“ Meine kleine Schwester lächelte mich traurig an. Eigentlich musste ich gar nichts machen, außer vielleicht nachdenken und das konnte ich am besten draußen irgendwo, also ging ich spazieren. Nach längerem Suchen, hatte ich den kleinen idyllischen Friedhof wiedergefunden. Ich hatte ihn nur einem Menschen je gezeigt, Flo. Ich bin aus Spaß einmal mit ihm hier gewesen. Es war wunderschön an diesem Ort, ruhig und man war fast von aller Außenwelt abgegrenzt. Die Steine vor der Leichenhalle waren kalt und etwas glitschig. Ich fand ein angenehmes, trockenes Plätzchen auf der alten Steinmauer, neben der eine große Eiche stand und so auch Schutz vor Regen gewährte. Eigentlich hatten wir heute Bandprobe, doch ich hatte keine Lust hinzugehen. Ich kam mit mir selbst nicht mehr klar. Ich wollte am liebsten nur noch alleine sein. Ich dachte an meine Mum, doch was sollte ich da denken. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, sie nie wiederzusehen. Der Versuch meine Tränen zu unterdrücken scheiterte. Sie kamen wie ein kleiner Wasserfall. Wenn sie doch wüsste, wie viel Tränen ich ihretwegen schon vergossen hatte. Dann würde sie bestimmt zurückkommen.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)