Seelenkrank von MarryDeLioncourt ================================================================================ Kapitel 39: Karma ----------------- Mein Halbbruder Fabi tauchte immer seltener zu unseren Bandproben auf und wir hatten schon eine Vermutung, was dahinter steckte. An einem Tag war es besonders schlimm, denn er ging nicht mal an sein Handy, so beschlossen Basti und ich zu ihm nach Hause zu gehen. Wir mussten ewig warten, da seine Mutter nicht da zu sein schien und Fabi auch nicht auf die Idee kam uns die Tür zu öffnen. Gegen Abend fuhr der Ford seiner Mutter schließlich in die Einfahrt und wir teilten ihr unser Anliegen mit. Sie meinte, dass sich Fabi wahrscheinlich in seinem Zimmer eingeschlossen hätte, wie er es seit Tagen tat, jedoch schien sie das nicht sonderlich zu interessieren. Mich übermannte eine schlimme Vorahnung. Die Wohnung war recht klein, doch sehr ordentlich. Wir kamen durch das Badezimmer hindurch zu Fabis Zimmer und die Tür war verschlossen. Ich hämmerte dagegen und rief seinen Namen, doch es kam keine Reaktion. Ich schaute Basti verzweifelt an und er zuckte mit den Schultern. Noch einmal pochte ich dagegen, doch jetzt wusste ich, dass es nichts brachte. Schließlich blieb uns nichts anderes übrig, als die Tür einzutreten. Fabis Mutter kam zu uns geeilt und fragte, ob wir noch alle Tassen im Schrank hatten, doch augenblicklich verstummte sie und hielt sich schockiert die Hände vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken. Das Zimmer hatte wahrscheinlich seit Wochen keinen Staubsauger mehr gesehen und der Geruch von kaltem Rauch lag in der Luft. Überall lagen dreckige Klamotten und der Teppich war von Brandlöchern übersät. Auf dem Nachttisch lag ein Feuerzeug und eine leere Pillendose. Fabi lag reglos im Bett, doch zum Glück war sein Körper auf die Seite gedreht. Ich rüttelte ihn und schickte seine Mutter ein Glas Wasser holen. Basti rief den Notarzt an. Ich schüttete meinem Halbbruder das Wasser ins Gesicht und endlich regte er sich ein bisschen. Ohne ein Wort zu sagen, zog ich ihn aus dem Bett und schleppte ihn vor die Haustür, wo auch schon bald der Krankenwagen eintraf. Wir fuhren mit und warteten, bis es Neuigkeiten gab. Fabi war gerade nochmal davongekommen. Ein Stein fiel mir vom Herzen. „Das war heute fast so, als würde ich den einen Tag noch einmal erleben müssen“, sagte Basti. Ich schaute zu ihm. „Nur mit dem Unterschied, dass ich jetzt weiß, wie schlimm es für dich gewesen sein muss, mich so zu sehen. Es tut mir leid Basti.“ Mein Freund nahm mich in die Arme. „Schon okay, vielleicht ist das die späte Rache.“ Ich zog die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf. „Spinner...ich hoffe Fabi kommt zur Vernunft.“   Wir besuchten Fabi fast jeden Tag und nach zwei Tagen durfte er die Klinik verlassen. Bisher hatten wir noch nicht darüber gesprochen, doch das ließ sich jetzt nicht mehr vermeiden. Meine liebe Jule wich in dieser Zeit nicht von meiner Seite, doch ich sagte ihr, dass ich erst mit Fabi reden musste. Ich hatte ihr ein bisschen erzählt, was passiert war und sie sah das ein. Unser geliebter Keyboarder sah noch immer miserabel aus, doch schien er immerhin wieder einen klaren Kopf zu haben. Er wich meinem Blick aus und auch ich war unsicher, wie ich das Gespräch beginnen sollte. „Fabi, warum hast du das getan? Nein, das ist die falsche Frage, schließlich will ich dich nicht verurteilen...aber warum bist du nicht zu mir gekommen?“ Jetzt sah er mich zum ersten Mal an. „Ich weiß nicht, vielleicht hatte ich Angst vor der Enttäuschung.“ „Welcher Enttäuschung?“ „Naja, dass du mich dafür verachtest. Ich bin am Arsch Lukas und meiner bescheuerten Mutter isses vollkommen egal.“ „Ich kann das ziemlich gut nachvollziehen, trotzdem ist das keine Lösung.“ Fabi sagte nichts darauf und jetzt schien er ein bisschen nervös zu werden. Ich reichte ihm eine Flasche Schnaps. „Was soll das werden?“ „Wenn du das halbwegs gut über die Runden bekommen willst, solltest du dich jetzt betrinken, sonst wird es schlimm.“ Fragend sah er mich an. „Aber woher willst du das denn wissen?“ Ich lachte traurig. „Ich hatte damit mehr zu tun, als du denkst kleiner Bruder. Der Entzug dauert etwa einen Tag, doch wenn du das schaffst, isses besser. Also trink jetzt.“ Fabi schaute mich mit großen Augen an. „Heißt das etwa?...“, wollte er fragen, doch ich schnitt ihm das Wort ab. „Ja, genau das heißt es. Also hör einmal auf mich.“ Fabi trank brav seinen Schnaps, bis ihm übel wurde. Dann half ich ihm ins Bett zu kommen und er schlief recht schnell ein. Im Garten erwarteten mich meine zwei Mädels und beide ließen mit ihren Blicken verraten, dass sie das Gespräch mitbekommen hatten. Besonders Jule schien das sehr nahe zu gehen und ich erinnerte mich an den Tag, als sie mich ins Krankenhaus eingewiesen hatten und Jule mich so abgefuckt zu Gesicht bekam. Sicher schien sie ähnliche Gedanken zu haben. „Sagt bloß nichts, ich weiß schon…aber das wird schon wieder.“ Meine Schwester warf mir einen verstohlenen Blick zu. Irgendwann musste sie ja mal die Wahrheit erfahren. „Wann war das und warum Lukas?“ „Ich war 16 Jahre jung und echt dumm. Genügt das?“ Mir war gerade nicht wirklich danach mich bei meinem Schwesterchen für meine vergangenen Taten rechtfertigen zu müssen. „Wusste Mama davon?“ „Natürlich wusste sie davon…“ „Aber…aber ich kann‘s nicht ganz nachvollziehen…habt ihr euch deshalb immer so gestritten?“ Ich verdrehte die Augen. „Ja unter anderem…aber Jojo, ich hab jetzt kein Nerv dir alles genau zu erklären. Das war einmal okay?“ Jojo nickte und warf mir ein schwaches Lächeln zu. Ich hatte keine Lust auch noch über diesen Teil zu reden, also versuchte ich das Gespräch abzuwürgen. „Naja, du hast es auch geschafft…Fabi wird schon wieder.“ Dennoch erzielte Fabis Therapie nicht ganz seine gewünschte Wirkung, er verrannte sich immer tiefer in dem Drogensumpf und bald würde auch ich ihm nicht mehr helfen können. Also versuchte ich einen Spagat zwischen meinem Leben und dem meines Bruders zu machen. Außerdem gab es nebenher noch Jojo und meine Band. Es war das reinste Chaos und langsam wurde mir alles wieder mal zu viel. Ich versuchte Fabi mit allen Mitteln zu locken, erlaubte ihm sogar das Kiffen, doch er war nur interessiert an den härteren Sachen, schloss sich in seinem Zimmer ein und wenn ich arbeiten ging, lud er seine Junkiefreunde ein. Genervt und besorgt startete ich mal wieder einen Versuch Fabi zur Vernunft zu bringen. Ich stieg ebenfalls durchs Fenster in seine Bude, da er die Tür ja verbarrikadiert hatte. Von dem Crack, was ich von den Jungs einatmete wurde ich selbst fast ganz benommen. Ich packte die beiden Kerle am Kragen und schmiss sie aus dem Fenster, nicht ohne ihnen zu drohen, dass sie ja nie mehr hier her kommen sollten. Fabi tickte jetzt voll aus, beschimpfte mich und sagte mir, dass er mich hasste. Ich nickte nur und grinste. „Ach ja? Das ist für mich nichts Neues, schon vergessen?“, konterte ich. „Lass mich doch einfach in Ruhe.“ „Solange du in meinem Haus lebst, bestimme ich die Regeln! Langsam gehst du mir mit deinem Mist echt tierisch auf die Nerven. Also sie zu, dass du dich in den Griff bekommst!“ „Ach ja? Und was, wenn nich? Ich bin nich auf dich angewiesen Lukas, ich komm schon klar“, sagte er, erhob sich und schaffte es genau zwei Schritte zu laufen, stolperte und fiel der Länge nach auf den Boden. Fluchend rieb er sich den Kopf. „Und wo willst du hin? Unter die nächstbeste Brücke?“ Fabi zuckte mit den Schultern. „Ja, vielleicht.“ „Komm, mach keinen Blödsinn. Lass uns an die frische Luft gehen.“ Ich drehte uns einen Joint. Wir ließen unsere Beine in den Pool baumeln. Fabi war völlig benommen und das Gras tat seine übrige Wirkung. Ich brachte ihn hinauf in mein Bett und lüftete sein Zimmer. Eigentlich wäre ein bisschen Ruhe jetzt nicht schlecht gewesen, doch die Jungs kamen zur Bandprobe. Zu meiner Überraschung tauchte Juka dann auch noch auf. Das Verhältnis zwischen uns war nicht schlecht, aber irgendwie schien noch irgendetwas zwischen uns zu stehen. Wir beschlossen ein bisschen zu proben. Juka schaute uns zu, was mich nicht weiter störte, immerhin war ich Zuschauer mittlerweile gewohnt, doch bei ihm konnte ich mich kaum konzentrieren. Dann verschwand er nach oben. Später betrank ich mich, weil es gerade gar nicht ging. Alles wuchs mir über den Kopf und ich war frustriert, weil ich meinem kleinen Bruder nicht helfen konnte. Ich war verärgert, weil sich Jojo immer mehr zurückzog und ich irgendwie am Ende doch alleine war. Meine Band verabschiedete sich gleich wieder und ich blieb im Proberaum zurück. Irgendwann ging ich dann doch mit meiner Flasche Schnaps rauf. Jetzt traf ich natürlich auf den perfekten Therapeuten, das konnte ja lustig werden. „Geht’s dir gut?", fragte Juka und gab mir noch einen Kuss auf die Wange, der meinen Schmerz im Moment nur noch unerträglicher werden ließ. Ich setzte mich hin und vergrub mein Gesicht in den Händen. Ich spürte seine Nähe und wie er seinen Arm um mich legte. „Was ist los Süßer?" „Ich kann nicht mehr...mir wird das alles zu viel und ich weiß nich, wohin mit meinen Gefühlen, doch es ist schön dich um mich zu haben. Alles nervt mich nur noch und ich fühle mich so allein." Ich biss mir so heftig auf die Unterlippe, dass ich das Blut schmeckte und schluckte die Tränen hinunter. Juka strich mir über die Wange. „Soll ich dir eine Wunderkerze basteln?" Ich lächelte schwach. „Du bist echt prima." „Und außerdem bist du nicht allein. Ich bin da, deine Schwester ist da und deine Jungs. Du darfst nur nicht alles für dich behalten." Ich konnte ihm aber nicht sagen, was ich wirklich fühlte, denn das würde vielleicht alles wieder kaputt machen. All das, war wir gerade wieder so mühevoll aufzubauen versuchten. „Ich muss morgen für zwei Wochen nach Tokio…schaffst du das alleine?" „Klar…warum auch nich.“ „Weil du mir gerade gar nicht gefällst Luki. Willst du über irgendwas reden?“ Ja, gerne. Ich liebe dich und will wieder mit dir zusammen sein. Doch diese Worte hallten nur in meinem Kopf und schafften es nicht über meine Lippen. Stattdessen schüttelte ich den Kopf. „Alles gut, sag allen liebe Grüße.“ Er sah mich etwas enttäuscht an, weil er wusste, dass ich log. Ich verkroch mich in meinem Zimmer und tat etwas, das ich schon lange nicht mehr gemacht hatte. Ich schaute mir alte Bilder von Juka und mir an und es zerriss mir fast das Herz, natürlich liebte ich ihn, mehr als alles andere auf der Welt. Morgen war er für zwei Wochen weg, das trieb mich fast in den Wahnsinn. Was war, wenn er sich dort mit anderen Männern traf? In mir brach alles zusammen und ich konnte nicht sagen, wie oft ich schon wegen diesem blöden Kerl geheult hatte. Ich war nicht mehr ich, ich konnte nicht mehr ich sein. Der Schmerz in meiner Brust war so unerträglich wie noch nie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)