Seelenkrank von MarryDeLioncourt ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Ich sitze gerade auf dem Balkon uneres Hauses und schaue zum Horizont, wo die Sonne aufgeht. Der Morgen könnte schöner nicht sein und mein Lächeln bekomme ich seit Tagen nicht aus dem Gesicht. Der Ring an meinem Finger verstärkt dieses Glücksgefühl nur. Ja, ich kann es noch immer nicht fassen, dass ich mein Glück gefunden habe, den Menschen, der mich so vollkommen macht. Früher hab ich nie an die wahre Liebe glauben wollen, ich war fest davon überzeugt, dass sie nicht existiert. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwann mal jemanden in meinem Leben geben würde, der all das erfüllen kann. Ich war noch nie ein Freund von Gefühlen und diesem ganzen Kitsch, dementsprechend dachte ich auch, es ist falsch seine Gefühle zu zeigen. Doch jetzt weiß ich, dass es sehr wertvoll sein kann seine tiefsten Emotionen zu teilen. Mit einem Menschen zu teilen, der das zu schätzen weiß. Ich kann nur für mich sprechen, während ich diese Zeilen schreibe, denn ich bin fest davon überzeugt, dass alle Menschen auf der Suche nach ihrem Glück sind. Auf der Suche nach der Person, mit der sie den Rest ihres Lebens verbringen wollen. Doch ob man diese Person findet, liegt an uns allein und wir müssen uns bewusst werden, dass diese Suche oft durch viele Hindernisse erschwert wird. Engel fallen nicht einfach vom Himmel und so ist es mit diesem einen Menschen. Manchmal erkennt man ihn nicht sofort, denn es kann auch anfangs nur ein guter Freund sein. Man muss bereit sein, Kompromisse einzugehen und sich zu öffnen. Und dann gilt es das schwierigste Hindernis zu überwinden. Was das ist wollt ihr wissen? Der Glaube an sich selbst. Das klingt jetzt so einfach, ist es aber nicht, Im Gegenteil. Es kann ganz schön nervenaufreibend sein und es ist wichtig, dass man sich selbst so nimmt wie man ist, denn genau das erwarten wir von dem Menschen, der uns sein Herz schenkt. Wir sind die grausamsten Lebewesen auf dieser Welt, weil wir immer alles von anderen erwarten, dennoch nicht bereit sind uns für andere zu opfern. Auch nicht für jemanden, der uns liebt und genau hier schnappt die Falle zu und wir sind im ewigen Dunkel gefangen. Doch wenn man es schafft sich aus dem tückischen Netz zu winden, wenn wir es tatsächlich soweit schaffen, sind wir frei und wieder Herr unserer selbst. Denn wenn du dich selbst nicht liebst, wie soll es dann ein anderer tun? Diese Frage stellte ich mir sehr sehr oft und es hat lange gedauert, bis ich die Antwort darauf begriffen habe. Ich war immer der Meinung, dass ich cool, hübsch und selbstbewusst bin. Leider wurde ich eines Besseren belehrt und musste feststellen, dass ich vielleicht gut aussehe, cool bin, nicht aber der selbstbewusste Mann, für den ich mich immer hielt. Und glaubt mir, diese Wendung und der damit verbundene Schmerz, wenn ihr feststellen müsst, dass ihr eigentlich in Wirklichkeit ein zerbrechliches, fühlendes Wesen seid, sind verdammt hart. Gefühle sind etwas richtig Mieses und schaffen es dich glücklich zu machen und ebenso sind sie in der Lage dich zu zerstören. Schließlich versuchte ich dann zu lernen mit meinen Gefühlen umzugehen. Und mein wunderschöner Mann half mir dabei. Ja richtig, Mann. Ich bin mit einem Mann verheiratet. Der Gedanke lässt mich noch immer schmunzeln, denn früher hätte ich das nie für möglich gehalten. Früher dachte ich immer, ich stehe auf Frauen und eben, weil ich ein Meister der Verdrängung bin, habe ich das auch nie in Frage gestellt. Ich war mit Mädchen zusammen und versuchte eine gut funktionierende Beziehung aufzubauen, doch das ging schief. Immer und immer wieder. Bis zu diesem einen Tag, als ich merkte, dass ich mich einfach nicht für Frauen interessiere. Anfangs fand ich es schon erregend, wenn die Mädchen, mit denen ich zusammen war, mir ihre Weiblichkeit präsentierten. Ich finde es auch nach wie vor reizvoll, Mädels mit tiefen Ausschnitten und kurzen Röcken hinterherzuschauen, denn jeder kann ja zeigen, was er hat. Wenn es sich denn lohnt natürlich. Aber es interessiert mich nicht mehr, wie diese Mädchen nackt aussehen. Bei diesem Gedanke regt sich bei mir gar nichts. Umso mehr gerät mein Blut in Wallungen, wenn ich an den heißen, wunderschönen Mann in meinem Bett denke. Wieder muss ich lächeln, es geht gar nicht anders, denn ich liebe ihn und zwar so richtig. Ja, Liebe und Glück existieren tatsächlich, man muss sie nur finden und erkennen. Doch wie ihr euch vielleicht schon denken könnt, war es für mich ein langer, steiniger Weg bis zu meinem persönlichen Glück. Und genau diese Geschichte möchte ich erzählen. Kapitel 1: Unkompliziert ------------------------ Ich erwachte, als es draußen dämmerte. Das Zwitschern der Vögel drang durch mein offenes Fenster. Mein Herz schlug vor Aufregung, denn heute war mein zehnter Geburtstag. Bestimmt hatten Mama und Papa wieder eine tolle Überraschung für mich. Auf Zehenspitzen schlich ich durch die Wohnung, um niemanden zu wecken. Draußen spazierte ich durch den Park vor unserem Haus und beobachtete ein Eichhörnchen, wie es von Baum zu Baum kletterte. Die Luft war noch feucht und ein feiner Nebelschleier lag über der Stadt. Ich mochte den Park, vor allem so früh am Morgen, wenn ich alleine meine Streifzüge unternahm. Manchmal sehnte ich mich nach mehr Wald und nach mehr Natur, wo ich mich austoben konnte. Als ich wieder nach Hause kam, war auch der Rest meiner Familie auf den Beinen. Das heißt meine Eltern und meine kleine Schwester Johanna. Meine Mama verband mir die Augen und führte mich in die Küche. Als ich meine Augen wieder öffnen durfte, war ich hellauf begeistert, denn dort wartete ein nagelneues Fahrrad mit Zubehör auf mich. Ich umarmte meine Eltern und gab meiner Schwester einen Kuss. Sie saß auf in ihrem Stühlchen am gedeckten Frühstückstisch und lachte fröhlich. Ein süßes Kind, sie war vor einem Monat sechs Jahre alt geworden. „Na mein Großer. Gefällt dir dein Geschenk?“ „Ja klar. Das muss ich gleich Basti und Flo zeigen.“ Gesagt, getan. Nach dem Frühstück kamen meine Freunde zu mir und wir radelten durch unser Wohngebiet. Etwas außerhalb der Stadt hatten wir uns auf einem Stück freier Wiese einen kleinen Parcours aufgebaut. Dort musste ich mein Geschenk gleich einweihen. Flos und mein Rad waren um einiges besser als das von Basti, denn seine Eltern konnten sich nicht so ein teures Fahrrad leisten, deshalb ließ ich ihn auch mal mit meinem Rad den Parcours fahren. Schließlich war er ja mein Freund. Seine Mum arbeitete in einem Supermarkt und sein Dad saß bei der Post hinterm Schalter. Nicht gerade die Jobs, bei denen man Millionär werden könnte, aber Basti gehörte trotz alledem zu meinen besten Freunden. Total schmutzig kam ich wieder nach Hause und meine Mutter schickte mich gleich ins Badezimmer. „Das du auch ja ordentlich aussiehst, wenn gleich die Gäste kommen.“ „Ja, ist ja schon gut.“ Am Nachmittag besuchten mich meine Großeltern und meine Tante. Später kamen auch noch meine Cousine und mein Cousin, worüber ich mich sehr freute. Mein Cousin Michael war dreizehn und meine Cousine Nancy vierzehn. Trotz des Altersunterschiedes verstanden wir uns super. „Oh, wollen wir mal Street Fighter gegeneinander zocken Lukas?“ „Na klar.“ Micha und ich hockten uns vor den Fernseher und Nancy schaute zu, was ihr nicht unbedingt gefiel. Ich gewann öfter als mein Cousin. Nancy wurde das irgendwann zu blöd, deshalb gesellte sie sich zu den Erwachsenen. „Sag mal, hast du schon mal geraucht?“, fragte Micha. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Willst du es versuchen?“ „Ich bin nicht sicher. Vielleicht.“ „Komm schon. Wir sagen einfach, dass wir nur ne kleine Runde gehen wollen.“ „Okay.“ Ich wollte irgendwie cool sein, deshalb willigte ich ein, auch wenn ich ein schlechtes Gewissen gegenüber meinen Eltern hatte. Auch Nancy wollte mit uns an die frische Luft kommen. Sie war jedoch weniger begeistert, als Michael seine Zigaretten auspackte. „Bruder, das ist nicht dein Ernst? Du willst Lukas doch nicht etwa zum Rauchen anstiften?“ „Nee, ich wollte das schon immer mal ausprobieren“, warf ich eher mit schüchterner Stimme ein. „Wenn das deine Eltern erfahren.“ Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. „Wenn du deinen Mund hältst, erfahren sie es auch nicht.“ Als ich den ersten Zug nahm, musste ich fürchterlich husten. Mein Cousin grinste mich nur an. „Das vergeht auch irgendwann.“     Meine zweite Zigarette rauchte ich mit meinen Freunden Basti und Flo. Wir machten das nur, weil wir jetzt zu den coolen Kids gehören wollten. Wir teilten uns immer eine Schachtel. Wir hatten die letzten beiden Stunden Sport und beschlossen davor noch zu rauchen, obwohl wir alle drei ein ungutes Gefühl dabei hatten. Und natürlich, wie es kommen musste, wurden wir von unserem Klassenlehrer Herr Stoldt erwischt. „Ihr seid euch bewusst, dass ich das euren Eltern mitteilen muss?“ Er war sonst ein sehr freundlicher und toleranter Lehrer, der jeden Spaß mitmachte, doch heute war er ganz anders. So hatte ich ihn noch nie erlebt. „Bitte… das war eine Ausnahme, aber verpetzen Sie uns nicht. Wir versprechen Ihnen auch, dass wir nie wieder rauchen.“ „So leid es mir tut Lukas, aber es ist meine Pflicht als Lehrer und das weißt du. Da hilft auch kein betteln.“ Ich bekam ein komisches Gefühl in der Magengegend, weil ich immer zu daran denken musste, was meine Eltern wohl dazu sagen würden. Unser Lehrer ließ uns in diesen beiden Stunden fast nur laufen. Nicht, dass mir das etwas ausmachte, aber ich hätte ein Basketballspiel oder ein Volleyballspiel vorgezogen. Noch war bei mir niemand zu Hause. Ich duschte, weil das Rennen mich ganz schön ins Schwitzen gebracht hatte. Vielleicht würde es sich Herr Stoldt doch noch mal anders überlegen, aber eigentlich glaubte ich selbst nicht daran. Ich erledigte meine Hausaufgaben und schaute dann ein wenig Fern, weil es begonnen hatte draußen zu regnen. Irgendwann gegen sechs kamen meine Eltern. Sie schienen jedoch noch nichts zu wissen. Ich machte mir erneut Hoffnung. Sie begrüßten mich freundlich, wie immer. Meine Mutter aß schon eine Kleinigkeit mit Johanna und brachte sie anschließend ins Bett. Plötzlich klingelte das Telefon. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und mir wurde furchtbar warm. Es war auch noch Papa, der das Gespräch entgegen nahm. Ich versuchte mich so normal wie möglich zu verhalten. Meine Mum bereitete das Abendessen vor und ich half ihr dabei. „Na, wie war es heut eigentlich in der Schule?“ „Ja, ganz okay.“ „Habt ihr Noten bekommen?“ „Nee. Was willst du zum Essen machen?“ „Nudel- Gemüseauflauf. Dein Vater führt aber ein ganz schön langes Gespräch. Wer das wohl sein mag?“ Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. Dann war es ruhig. Das Telefonat war beendet und mein Vater kam in die Küche. Mein Herz rutschte mir in die Hose, als ich ihm ins Gesicht sah. Seine Hand sauste mit voller Wucht auf meine Wange, sodass mir Tränen in die Augen schossen. Ich biss mir heftig auf die Unterlippe. „Hast du uns vielleicht etwas zu sagen, Lukas?“ Was sollte ich jetzt machen? Lügen war sinnlos, das konnte ich nicht. „Hat Herr Stoldt angerufen?“ „Mhh, ganz richtig. Das sind ja wirklich tolle Neuigkeiten, von denen uns dein Klassenlehrer da in Kenntnis setzt! Hast du eigentlich mal bedacht, wie alt du bist Junge?“ Meine Mutter warf uns einen skeptischen Blick zu. „Dürfte ich auch erfahren, um was es geht?“ „Unser Sohn wurde heute in der Schule beim Rauchen erwischt. Toll, oder?“ Bei dem enttäuschten Gesicht meiner Mum bekam ich sofort ein schlechtes Gewissen. Ich zog mich in mein Zimmer zurück. Eigentlich hatte ich das doch nicht gewollt. Meine Mum rief mich zum Essen. Wir redeten kaum, das war das Schlimmste für mich. Ich half noch dabei den Abwasch zu machen, jedoch verlief auch das fast ohne Worte. „Muss das denn sein Lukas?“ „Eigentlich nicht. Ich wollte das einfach nur mal ausprobieren.“ „Aber du bist zwölf Jahre!“ „Ich komme mir schon viel älter vor.“ „Das ist ja wohl kein ausschlagebender Grund oder?“ Ich zuckte mit den Schultern und verschwand wieder in meinem Zimmer. Es war also doch besser, nicht mehr zu rauchen. Aber irgendwie reizte mich das auch. Was sollte da schon groß passieren? Schließlich nahm ich ja keine Drogen. Es waren nur Zigaretten, weiter nichts. Gerade schaute ich noch einmal nach, ob ich alle Hausaufgaben erledigt hatte, als mein Papa ins Zimmer trat. Zunächst schien er recht gefasst zu wirken, doch hinter seinem Rücken hielt er seine Hände zu Fäusten geballt und rang mit seiner Fassung. Fragend und auch verunsichert schaute ich ihn an. „Lukas, du weißt, du bist mein Sohn und ich hab dich lieb. Doch solche Aktionen wie heute verbitte ich mir“, sagte mein Vater noch immer ruhig, aber in seiner Stimme lag dieser bedrohliche Ton, den ich so von ihm nicht kannte. „Ja Papa, ich verspreche es. Das kommt nicht mehr vor.“ Das Lächeln auf seinen Lippen wirkte so falsch und unruhig tappte ich von dem einen Fuß auf den anderen. „Weißt du was mein Junge, ich glaube dir sogar…dennoch muss ich sicher sein, dass du das auch verinnerlichst.“ Was auch immer das heißen sollte, ich nickte heftig. Deshalb entging mir wohl auch, dass mein Papa näher zu mir heran trat, ausholte und mir mitten ins Gesicht schlug. Ich war nicht sicher, was mich in diesem Moment mehr schockierte- der Schlag oder der befriedigende Ausdruck meines Vaters. Wie gelähmt stand ich da und starrte ihn an. Er zog mich in seine Arme und tätschelte meinen Kopf. Ich unterdrückte meine Tränen und schwor mir insgeheim, nun immer brav zu sein. Trotzdem blieb mir seine heftige Reaktion ein Rätsel. Die folgenden Tage liefen relativ gelassen ab. Ich rauchte nicht mehr und vermied so die Konflikte mit meinen Eltern. Kapitel 2: Was ist eigentlich ein Gothic? Und sehen die immer so traurig aus? ----------------------------------------------------------------------------- Eines Nachmittags, als die Schule vorbei war, setzte ich mich mit Basti und Flo auf eine Bank nahe des Parks meines Hauses, um eine Kleinigkeit zu essen. An den Treppen, die zur U-Bahnstation führten, hockte ein Junge. Er sah ziemlich fertig aus, aber irgendwie fand ich sein Outfit cool. Er trug eine kaputte schwarze Jeans, Springerstiefel und eine Lederjacke darauf. Seine Haare hatte er halb schwarz, halb rot gefärbt. Auf einmal stieß mich Basti heftig in die Seite. „Aua, was soll das?“, fauchte ich ihn an. „Ich habe dich gefragt, ob wir dann zu dir gehen wollen, um den Vortrag fertig zu machen, aber du hast nicht reagiert.“ „Deshalb musst du nicht gleich so grob zu mir zu sein.“ „Sorry. Gehen wir jetzt?“ „Ja, ja.“ Wir zockten dann noch ein bisschen Final Fantasy, denn vor ein paar Tagen hatte ich mir Teil 7 gekauft und wir mussten unbedingt spielen. Darauf hatte ich mich schon den ganzen Tag gefreut. Basti, Flo und ich wechselten uns ab und ich brauchte immer am längsten, weil ich jedes Dorf genauestens absuchte, um keine wertvollen Schätze oder Quests zu versäumen. Die Zeit verging viel zu schnell und ich brachte meine Freunde noch ein Stück nach Hause. Eigentlich wollte ich noch einen kurzen Abstecher zur U-Bahnstation machen, um zu sehen, ob der Junge noch da war. Den Grund dafür konnte ich mir selbst nicht erklären. Und tatsächlich. Er hockte noch immer bei der Treppe und starrte vor sich hin. Plötzlich erhob er sich und kam mit schlurfenden Schritten in meine Richtung. „Ich wusste irgendwie dass du nochma kommst.“ Er lächelte schwach. Seine Klamotten wirkten aus der Nähe schmuddelig und abgenutzt, genau wie der Junge selbst. „Warum wusstest du das?“, fragte ich unsicher, weil mir diese Situation jetzt doch etwas komisch vorkam. Was war, wenn das ein verrückter Junkie war oder so? „Weil du vorhin dauernd zu mir gegafft hast.“ Er bot mir eine Zigarette an, die ich nach einem Zögern jedoch ablehnte. „Wie alt bist du?“ „Ähm, zwölf und du?“ Der Junge lachte und sein Gelächter ging in einen Hustenanfall über. „Da darfst du wohl noch nicht rauchen, was? Ich bin sechzehn.“ Der Junge war trotz alledem ganz hübsch und doch fühlte ich mich in seiner Gegenwart unwohl. Doch warum war ich überhaupt zurückgekommen? Was war, wenn der Typ gleich über mich herfiel und mich mit einem Messer bedrohte? „Ich bin übrigens Tim.“ „Hi, Lukas. Sag mal, bist du eigentlich nen Punk oder so?“, fragte ich, um von meiner Angst abzulenken. Ich wusste nicht Mal richtig, was Punk eigentlich war, aber laut meiner Eltern schienen das die Leute zu sein, die auf der Straße lebten. „Schon…is nich so cool, wie de vielleicht denkst.“ Ich war irgendwie irritiert. „Wie meinst du das?“ Er lachte bitter. „Meine Eltern ham mich mit vierzehn Jahren aus der Wohnung geschmissen, so wie meine Olle. Alle ham‘se die gleiche Ansicht, nämlich, dass solche Junkies wie ich besser auf der Straße aufgehoben sin.“ Junkie. Das hieß, Tim nahm Drogen? Irgendwie tat er mir leid und ich würde ihm gerne helfen. Er zündete sich mit zittrigen Händen eine Zigarette an. Seine Jacke rutschte ein Stück hoch und gab so den Blick auf seinen Arm frei. Ich erschrak. Der ganze Arm oder zumindest das Stück was ich davon sah, war mit hässlichen gelben, grünen und blauen Flecken überseht. Kleine Einstiche waren auch zu erkennen. So sah also ein echter Junkie aus. Plötzlich sprang er auf und verabschiedete sich von mir. Sein Ziel war wahrscheinlich die U-Bahnstation. Ich folgte ihm unauffällig. Auf den keimigen Toiletten fand ich Tim. Er war gerade damit beschäftigt, sich mit einer Nadel in den Unterarm zu stechen. Dieses Bild brannte sich unweigerlich in mein Gehirn und sicher würde ich nie vergessen, wie er dabei gezittert hat. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und es schien ihm Probleme zu bereiten, eine Einstichstelle zu finden. Ich hatte sowas bisher immer nur von meinen Eltern gehört, wenn sie sich über solche Leute unterhielten. Und ihre Meinung von Menschen wie Tim war nicht gerade hoch. Irgendwie verstand ich das, denn wie tief musste man sinken, um so etwas Furchtbares zu tun? Die Nadel war verdreckt. Getrocknetes Blut klebte noch daran und es stank furchtbar ekelig auf den Toiletten. Nun sah ich Tim seinen ganzen Arm. Bei diesem Anblick wurde mir übel und ich musste mich über dem Waschbecken neben mir übergeben. Dann kippte ich um.  Ich erwachte in einem hellbeleuchtetem Raum. Neben meinem Bett hörte ich Stimmen flüstern.  Als ich die Augen öffnete erkannte ich meine Mum, die mit einer Schwester redete. „Oh, er ist wach.“ Meine Mutter eilte zu mir herüber. „Gott, Lukas! Was hast du nur gemacht?“ Sie fing an zu weinen. Ich setzte mich auf. „Es gibt keinen Grund zur Sorge, okay! Ich wollte nur auf die Toilette im Bahnhof und da war auf einmal der Typ und mir ist schlecht geworden. Mehr weiß ist ich nicht mehr“, flunkerte ich, denn die Wahrheit würde sie wahrscheinlich noch wütender machen. „Und ich dachte schon, dass du was mit diesem grässlichen Junge zu tun hattest“, sagte sie erleichtert. „Ja. Was denkst du denn von mir? Können wir nach Hause gehen? Ich habe schrecklichen Hunger.“ Sie umarmte mich. „Oh, mein Schatz, ich dachte schon das Schlimmste. Es tut mir leid. Ja sicher gehen wir.“ Doch was war das Schlimmste? Immerhin hatte sie ja mitbekommen, dass ich keine Drogen genommen hatte. Das sollte mir später noch klar werden. „Ist Papa zu Hause?“ „Nein, leider nicht, aber er kommt morgen. Wollte dieser Junge was von dir?“ „Ach, ich habe mich mit ihm unterhalten und dann musste ich halt aufs Klo.“ Irgendwie sah mich meine Mum skeptisch an, als ob sie irgendwelche schlimmen Vorahnungen hegte. „Bitte halte dich in Zukunft von solchem Abschaum fern." Seit der Begegnung mit Tim waren zwei Jahre vergangen. Ab und zu hatte ich einen Umweg durch den Park gemacht, weil ich insgeheim hoffte ihn zu sehen. Ich dachte viel über die Leute dort nach und fragte mich nicht zum ersten Mal, was einen dazu veranlasste, sich dort niederzulassen. Konnte sie alle nicht mehr nach Hause zurück? Das musste doch schrecklich sein und eine weitere Frage, die sich mir aufdrängte war, was mussten sie für grausame Eltern haben, die sich nicht um ihre Kinder kümmerten? Mich schockierte das zutiefst und ich empfand Mitleid mit ihnen. Aber irgendwas faszinierte mich dennoch an der Punkszene. Mir gefiel der Gedanke, unabhängig und frei zu sein und sich nicht an Regeln halten zu müssen. Mein Kopf befasste sich immer öfter mit den Theorien, die ich aber vorerst für mich behielt. Eigentlich wollte ich kein Punk sein. Außerdem waren das meist irgendwie Leute, die nicht mehr mit ihrem Leben klarkamen und das konnte ich von mir nicht behaupten. Mein Leben war perfekt. Und Drogen wollte ich schon gar nicht nehmen, denn wenn ich an Tim zurückdachte, drehte sich mein Magen rum, sowas ekelhaftes wollte ich meinem Körper niemals antun.   In der Schule fragte Basti Flo und mich, ob wir nicht Lust hätten am Wochenende mit ihm und seinem Bruder auf eine Party zu kommen. Wir würden sogar Getränke kostenlos kriegen, weil Bastis Bruder den Barkeeper kannte. Es war auch keine besonders große oder bekannte Bar, denn sonst wären wir sicher nicht an den Alkohol gekommen. Meinen Eltern erzählte ich, dass wir uns zum Filmeschauen trafen und, ob ich bei meinen Freunden übernachten durfte, erübrigte sich, denn das erlaubten sie mir sowieso. Ich war ein bisschen nervös, weil ich noch nie richtig weggegangen war. Ich zog mein weißes enges Sweatshirt, eine schwarze Röhrenjeans und meine Chucks an. Meine Haare stylte ich mit Haarspray. Flo war schon da, als ich bei Basti ankam. Die Bar wirkte ein bisschen abgefuckt und dennoch gemütlich. Mir fielen auch mehrere Leute mit Iro und Nieten an den Klamotten auf, wie Tim damals. Waren das die Punks vom Park? Ich konnte mir keine Vorstellung davon machen, wie gut oder schlecht es denen tatsächlich ging. Doch hier an diesem Abend weckten sie mit ihrem Outfit mein Interesse. Rauch lag in der Luft und heitere Gespräche erfüllten die spärlich beleuchtete Bar. Ab und an drang irgendwo ein Lachen zu uns. Aus den kleinen Lautsprechern in den Ecken ertönte Musik. Ich kannte das Lied. Und schon bekam, Marilyn Manson, der gerade sang, meine vollste Aufmerksamkeit. Ich wippte mit dem Fuß leicht im Takt der Musik und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. Diese Stimme, einfach der Hammer. Zum ersten Mal verspürte ich den Wunsch, auch so singen zu können. In der Gesellschaft der Gäste fielen wir nicht weiter auf. Mike, also Bastis Bruder organisierte uns dreien jeweils ein Bier und wir durften auch rauchen. Plötzlich sah ich sie, ein wunderschönes Mädchen. Sie war ganz in schwarz gekleidet und ihre langen schwarzen Haare umrandeten ihr Gesicht wie ein Rahmen ein wunderschönes Bild. Ihre kunstvoll geschminkten Augen leuchteten und ihr blasses Gesicht bildete einen wundervollen Kontrast zu dem schwarz ihrer Haare. Wie alt sie wohl sein mochte? Die ganze Zeit beobachtete ich dieses Mädchen und konnte kaum noch den Blick von ihr wenden. Schließlich fragte ich Mike, wer sie war. „Ach, das ist Julietta. Sie ist ne kleine Gothiclolita. Stehst du auf sie?“ „Naja, wenn ich ehrlich sein soll… schon.“ Mike grinste. „Jule und ich sind recht gut befreundet. Vielleicht hat sie gerade Lust mit an unseren Tisch zu kommen. Warte kurz, ich frag sie mal.“ Und tatsächlich, sie folgte Mike in unsere Richtung. Mein Puls schoss auf hundertachtzig. Aus der Nähe war Julietta noch viel hübscher. Elegant zündete sie sich eine Zigarette an und nippte an ihrem Bier. Mike machte uns miteinander bekannt. Da ich schon etwas Alkohol intus hatte, fiel es mir das Reden leichter. „Julietta ist ein echt schöner Name.“ Sie grinste. „Naja, ich mag ihn überhaupt nicht. Das klingt so nach Tussi, find ich.“ Auf Gothics war ich gestoßen, als ich ein bisschen etwas über Punks recherchierte, jedoch hatte ich mich noch nie näher mit der Szene auseinandergesetzt. „Was hörst du so für Musik?“, fragte sie mich. „Naja..., die Ärzte, Blink 182, Panic at the Disco und manchmal auch Manson.“ „Klingt interessant. Von Gothic hast du keine Ahnung oder?“ Warum musste sie mich das fragen? Ich war jedoch ehrlich, bevor ich noch etwas Falsches sagte und schüttelte etwas verlegen den Kopf. „Schon okay. Hast du Lust ein bisschen mit an die frische Luft zu kommen? Hier ist es grad voll stickig.“ Da sagte ich natürlich nicht nein. Basti und Flo schauten mir mit großen Augen nach. Julietta war ungefähr so groß wie ich. Ihr Rock verdeckte nicht sehr viel von ihrem Po und die enge Korsage betonte ihre Oberweite. Draußen war es noch immer angenehm warm. „Hast du Lust kurz mit zu mir zu kommen?“ „Ja klar. Wohnst du weit von hier entfernt?“ „Nein, gleich um die Ecke.“ Sie lebte noch bei ihren Eltern und hatte dort ein kleineres Zimmer. Überall standen Kerzen, die sie anzündete und ihr Bett war mit schwarzer Satinbettwäsche bezogen. Mir wurde auf einmal sehr warm. Wir ließen uns auf dem Bett nieder. „Du magst Manson? Das finde ich prima.” „Echt?“ „Hast du eigentlich eine Freundin?“ Ich schüttelte mit dem Kopf und hoffte irgendwie, dass sie nicht nach meinem Alter fragte. „Macht es dir etwas aus, wenn ich mich kurz umziehe“, fragte sie mit einem Klang in ihrer Stimme, den ich nicht so ganz deuten konnte. Ich dachte mir nichts dabei und beantwortete diese Frage mit nein. Doch plötzlich stand Julietta nur noch im Höschen vor mir. Ihre Brüste wurden ein wenig von den langen Haaren verdeckt. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Mein Herz wummerte und als ihre Hüften meine Körpermitte streiften, entfuhr mir ein ersticktes Seufzen. Julietta grinste nur und beugte sich zu mir herab, um mich zu küssen. Sie setzte sich auf meine Oberschenkel und streifte sich die Haare zurück, sodass ich sie in ihrer ganzen Schönheit bewundern konnte. Mein Blick wanderte über ihren nackten Oberkörper, blieb an den gepiercten Nippeln hängen und dieser Anblick jagte einen lustvollen Impuls durch meinen Körper. „Na, gefällt dir, was du siehst?“, fragte sie verführerisch. Ich nickte nur, weil meine Stimme irgendwie abhanden gekommen war. Mit ihren langen Fingernägeln umkreiste sie ihre Knospen und das letzte Tröpfchen Blut aus meinem Gehirn wanderte jetzt in Richtung Körpermitte. Wieder kam sie mir nahe, um mich zu küssen, doch dieses Mal intensiver. Ihre gepiercte Zunge spielte mit meiner. Wo nur war diese wunderschöne Frau noch alles gepierct? Dieser Gedanke ließ mich erneut in den Kuss stöhnen. Vorsichtig schoben sich ihre Hände unter mein Shirt und ich half etwas nach und zog es mir über den Kopf. Julietta küsste mich am Hals entlang, immer weiter hinab und öffnete den Knopf meiner Hose mit ihren Zähnen, was mich irgendwie beeindruckte. Noch nie hatte ich einen Blowjob, geschweige denn Sex mit einem Mädchen gehabt. Natürlich wusste ich in der Theorie, wie es funktionierte, doch die Praxis? Nervös schlug mein Herz immer schneller und ich überlegte, ob ich ihr sagen sollte, dass ich noch Jungfrau war. Entschied mich jedoch dagegen, als sie mir die Hose samt Unterhose auszog und sich meiner zuckenden Erregung widmete. Ein wohliges Stöhnen entfuhr mir wieder und wieder. Wie ihre Zunge so geschickt mit meiner Erektion spielte, trieb mich ein bisschen in den Wahnsinn und meine Finger krallten sich in die Laken. Plötzlich stoppte sie und schaute sie wohl etwas enttäuscht an. „Lukas…ich will mit die schlafen…“ „Okay…“, gab ich zurück. Julietta warf mir einen fragenden Blick zu. „Okay?“ Na schön, dann musste ich ihr wohl doch die Wahrheit gestehen. „Ich hab noch nie…ich meine…ich bin noch Jungfrau…“, nuschelte ich. Doch sofort kehrte das Lächeln auf ihren Lippen zurück. „Oh, was für eine Ehre…darf ich diesen wundervollen Körper in die Künste der Liebe einführen?“, fragte sie verführerisch und ich nickte nur. Juliette zog ihr Höschen aus, wackelte dabei mit den Hüften und holte ein Kondom, welches sie über meine Erregung rollte. „Ahhhh…das fühlt sich…gut an…“, raunte ich, als sie sich auf mich sinken ließ. Eine Frau war doch schon etwas anderes, als die eigene Hand. Ihre langsamen Bewegungen wurden schneller und ihre Brüste wackelten ein bisschen im Takt unseres Liebesaktes. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, da mich dieses neue Gefühl so überwältigte und erlag meinem Orgasmus. Dann küsste sie mich. Es war einfach traumhaft. Ein schöneres erstes Mal hätte ich gar nicht haben können. „Ich glaub, ich muss dann auch zurück“, sagte ich dann nach einer Weile der Zweisamkeit. Julietta schaute ein bisschen enttäuscht auf. „Okay, ich bring dich zurück.“               Kapitel 3: Der Beginn einer langen Reise ---------------------------------------- Zwei Jahre später. Die Bekanntschaft mit Julietta war ausschlaggebend für meine weitere Entwicklung. Ich versuchte meine Gedanken immer mehr auf mein reales Leben zu projizieren. An Jacken oder auch Taschen befestigte ich Nieten oder besorgte mir Aufnäher mit dem Logo meiner Lieblingsbands. Meine Eltern hatten mir eine schwarze Lederjacke geschenkt, die ich ein bisschen verschönerte. Musiker wie Manson beeindruckten mich nach wie vor und ich verspürte diesen Drang auch irgendwann mal Musik machen zu wollen und meine eigenen Platten zu verkaufen. Ich ließ meine Haare ein bisschen länger wachsen und trug hauptsächlich schwarze Klamotten. Diese dunkle Szene mit all ihren geheimnisvollen Facetten begann mich immer mehr in ihren Bann zu ziehen. Zu Beginn schockten mich gerade Mansons Texte, weil sie von Drogen, Absturz, Gewalt und Missbrauch erzählten. Doch jeh mehr ich in die Materie eintauchte, seine Biografie nahezu verschlang und mich mit seinen Ansichten auseinandersetzte, faszinierte er mich umso mehr. Nicht, dass ich auch so sein wollte, doch ich merkte zum ersten Mal, dass ich anders sein wollte. Anfangs unternahm ich den Versuch mit meinen Eltern zu reden, doch sie wollten nichts davon hören. Und so sah ich keinen Sinn, ihnen das alles zu erklären. Basti und Flo konnte ich aber davon überzeugen und dieses eine Jahr war wohl das glücklichste in meiner ganzen Jugendzeit. Wir besuchten viele Konzerte, zum Beispiel von Nine inch Nails oder The Cure, die mit zu den ersten Gothicbands überhaupt gehörten. Als wir zusammen im Park hockten, kamen wir irgendwie auf Julietta zu sprechen. „Du könntest sie doch mal wieder anrufen", schlug Basti vor. „Ach was, sie hat sicher Bessere zu tun." Darauf erwiderte Basti nichts mehr.   Irgendwie konnten wir alle drei das Rauchen nicht mehr lassen und ich hatte dabei auch kein schlechtes Gewissen mehr, denn so lange es meine Eltern nicht merken würden, war es ja nicht schlimm. Doch musste ich feststellen, dass das Verhältnis zu meiner Mum immer schlechter wurde. Einerseits, weil sie es furchtbar fand, dass ich jetzt nur noch schwarze Klamotten trug und andererseits weil ich nicht mehr länger der kleine Junge sein wollte. Ich war immerhin sechzehn Jahre alt und konnte auch auf mich selbst aufpassen. Unsere Wege trennten sich und ich schlenderte durch den Park nach Hause. Da vernahm ich auf einmal ein Pfeifen dicht hinter mir. Als ich mich umdrehte, war ich sehr überrascht, denn vor mir stand Tim und er sah sehr gut aus. „Hey, schön dich zu sehn. Was geht?“ Tim musterte mich eine Weile. „Du hast dich in den letzten Jahren ja echt krass verändert. Alles cool. Bin sogar wieder mit meiner Freundin zusammen.“ „Das freut mich. Ja, man entwickelt sich halt.“ „Willst‘e eine rauchen?“ Diesmal sagte ich nicht nein und nahm die Zigarette dankend an. „Komm, ich muss dir unbedingt was zeigen.“ „Na klar. Warst du auch bei deinen Eltern?“ „Ja, aber die ändern ihre Meinung nich, obwohl ich jetzt nen Job bei der Post hab. Ich denk, Eileen und ich suchen uns ne Bude.“ „Cool, dass du dein Leben jetzt so im Griff hast.“ Tim führte mich zu einer alten Laube, die innerhalb der Kleingartenanlage der Stadt lag. „Das Grundstück gehört meinen Eltern und sie benutzen es nich mehr, deshalb hab ich und noch‘n paar Kumpels vor ne kleine Holzhütte zu bauen. Hier kann man richtig fett feiern, denn stören tut‘s eh keinen, wenn man mal ein bisschen lauter ist.“ Wir setzten uns vor die unfertige Hütte und tranken ein Bier. Er breitete auf dem wackeligen Holztisch ein weißes Pulver aus und zog es durch seine Nase. Wieder warf er mir einen fragenden Blick zu. Ich schüttelte mit dem Kopf. Wir unterhielten uns noch ein bisschen und Tim erzählte viel von sich. Er gab auch zu, dass er ab und zu noch Drogen nahm, aber alles unter Kontrolle hätte. „Hast du denn eigentlich ne Freundin?“ Ich schüttelte den Kopf, verschwieg aber auch, dass ich etwas mit einem Mädel hatte. Als es fast eins war, machte ich mich auf den Heimweg. Ich befürchtete schon, dass es wieder fürchterlichen Stress geben würde. Mein Vater war die Woche weggefahren und meine Mutter war sicher außer sich vor Wut. Doch als ich nach Hause kam, fand ich die Wohnung dunkel und schon fast ein bisschen einsam vor. Auch gut, somit umging ich wenigstens irgendwelche unnötigen Streitereien. Ich zuckte die Schultern, ging in mein Zimmer und hörte Musik, bis ich schließlich einschlief. Letzte Woche hatte mir mein Vater seine alte Gitarre geschenkt, auf der ich seit dem fast jeden Tag spielte. Ich lernte sehr schnell und hatte viel Freude am Nachspielen der Songs. Irgendwann kam meine Mutter in mein Zimmer und fragte, ob ich ihr ein bisschen Gesellschaft leisten wolle. Ich folgte ihr ohne zu antworten in die Küche und kochte mir einen Kaffee. „Weißt du Lukas, du hast dich ganz schön verändert. Ich habe den Eindruck, dass du auf einmal ein ganz anderer Mensch bist.“ „Naja in gewisser Weise bin ich das ja auch…ich werde älter und hab jetzt Hobbies und so.“ „Ja, aber was für Hobbies. Es gibt so viele Dinge, auch so viele schöne Dinge…. Aber das ist dir wahrscheinlich nicht gut genug.“ „Darum geht es doch gar nich“, fuhr ich sie genervt an. „Nicht? Um was denn dann? Ist es etwa cool mit sechzehn Jahren zu rauchen? Oder in schwarzen Klamotten rumzulaufen?“ „Ich mag es halt und die schwarzen Klamotten haben etwas mit meiner Musik zu tun. Ich will eben nich aussehen wie alle anderen.“ „Und ich will nicht, dass du in der Schule so rumläufst! Die Lehrer denken sonst noch, du hängst mit diesen Satanisten rum.“ Ich verdrehte die Augen. „Ja, is klar. Hast du denn früher keine Szene oder sowas gehabt, die du toll fandest? Außerdem gibt es viel schlimmere Szenen. Gothics sind ja wohl harmlos.“ „Nein hatte ich nicht. In deiner Freizeit gerne, aber nicht in der Schule.“ „Mach ich aber nich. Ich laufe so rum, wie ich will.“ Sie holte tief Luft. „Nicht in diesem Ton!“ Ich trank meinen Kaffee noch aus und verkroch mich wieder in meinem Zimmer. Warum regte sie sich so auf? Ich öffnete das Fenster, hockte mich auf das Fensterbrett und rauchte eine Zigarette. Am nächsten Tag traf ich mich mit Tim und er stellte mich seinen ganzen Freunden im Park vor. Manche von denen sahen ganz schön fertig aus. Wahrscheinlich waren viele von denen solche Drogenfreaks, wie Tim es auch war. Ich setzte mich zu ihm auf die Wiese. Er hielt mir eine selbstgedrehte Zigarette hin. „Hier, probier mal.“ Nichtsahnend nahm ich einen tiefen Zug und musste ein bisschen husten. Der Joint tat schnell seine Wirkung und mir wurde ein bisschen schummrig, aber auf eine angenehme Art und Weise. Ich könnte die ganze Zeit lachen und war total unbeschwingt. Auch Basti und Flo verbrachten nun viel Zeit mit mir, Tim und den andern Leuten. Jedoch war Basti der einzige von uns, der sich aus den Drogensachen heraushielt. Er saß immer nur dabei und sah uns zu. Tim nahm uns auch immer öfter mit zu irgendwelchen Partys, die dann meist in einem Massenbesäufnis endeten. Meine Eltern bekamen glücklicherweise nicht viel davon mit, da ich erst irgendwann in der Nacht nach Hause kam. Wir waren wieder mal auf einer Party, da rief mich Tim zu sich herüber. Er hielt ein Pillendöschen in der Hand. „Hast du Lust?“ „Ich weiß nich. Das ist doch ganz schön heftig oder?“ „Ach quatsch. Du brauchst ja nur mal zu probieren, es ist echt nich schlimm.“ Tim und ich schmissen ein paar Tabletten ein und kurze Zeit später fühlte ich mich mega fit, so als könnte ich Bäume ausreißen und die ganze Nacht durchfeiern. Es war wirklich gut und ich fühlte mich wieder frei. Meine Probleme schienen unendlich weit weg zu sein. Als Flo mitbekam, wie ich drauf war, wollte er auch unbedingt was nehmen. Etwa eine Woche später folgte die nächste Party und ich schwebte im Drogenhimmel. Wie auch immer Tim an das Zeug kam, mich machte es glücklich. Oft zogen wir auch Pepp, wobei mir von diesem gepunchten Dreck auch oft übel würde. Deshalb blieb ich lieber bei meinen Aufputschmitteln. Doch jeh öfter ich diesen Mist nahm, desto mehr merkte ich, wie ich immer seltener widerstehen konnte und dann appellierte mein gutes Gewissen an mich und ermahnte mich, dass ich es besser nicht zu weit treiben sollte. Ich hätte nie damit anfangen sollen und ich hasste mich selbst dafür. Jetzt musste ich zu Hause echt aufpassen, dass meine Eltern nicht merkten, dass ich Drogen nahm. Das erwies sich jedoch als sehr schwierig, denn ich fand ja selbst schon, dass ich verdammt scheiße aussah. Ich bekam jetzt immer öfter Entzugserscheinungen. Glücklicherweise stellten meine Eltern keine Fragen, wenn ich sie um Geld anpumpte, denn so hatten sie Ruhe vor mir. Ich war echt total fertig und ich bildete mir auch ein, dass das meine Freunde, mit denen ich Tag täglich zu tun hatte, das auch merkten. Manchmal fühlte ich mich deshalb miserabel, doch es kam immer seltener vor, dass ich überhaupt etwas fühlte.  Eines Nachmittags, als ich nach Hause kam, bekam ich einen furchtbaren Schreck. Es sah so aus, als hätten sich meine Eltern heftig gestritten. Auf dem Tisch stand eine leere Weinflasche und die dazugehörigen Gläser kullerten zerbrochen auf dem Teppichboden herum. An der Wand schienen Blutspritzer zu sein oder doch nur Rotwein? Ich hockte mich auf die Couch und atmete tief durch. Mir ging es ohnehin schon beschissen und jetzt auch noch das hier. Hoffentlich hatte die kleine Jojo nichts davon mitbekommen. Vielleicht hatten sich meine Eltern ja meinetwegen gestritten? Meine Lippen waren spröde und ich bekam auf einmal furchtbaren Durst. Ein Hungergefühl verspürte ich jedoch kaum noch. Die letzten beiden Tage hatte ich bei Tim verbracht, weil meine Eltern so keinen Verdacht schöpfen konnten. Plötzlich hörte ich eine Tür, die geöffnet und wieder geschlossen wurde. Dann  kam meine Mum zu mir und setzte sich aufs Sofa. Ich bekam Panik, dass sie etwas merken würde. Ihre Augen geröteten Augen musterten mich, wahrscheinlich hatte sie geweint. Sie setzte sich zu mir. Meine kleine Schwester war scheinbar bei meiner Tante. „Lukas, ich glaube, ich gehe für ein paar Tage mit Johanna zu deiner Tante Conny. Ich halte das hier nicht mehr aus.“ „Warum, was ist denn passiert?“, krächzte ich und meine Stimme war mir so unendlich fremd. „Dein Vater und ich haben uns furchtbar gestritten und das Resultat siehst du ja selbst.“ Erst dachte ich, sie würde erneut in Tränen ausbrechen, doch sie riss sich zusammen. „Warum habt ihr euch gestritten?“ „Ach das Übliche…er ist nie da und ich bin mit Johanna alleine. Ich geb dir noch Geld, da kannst du dir was Schönes kaufen.“ „Klar.“ Verdammt, diese blöden Entzugserscheinungen setzten schon wieder ein. Ich war froh, dass meine Mum mich nicht genauer betrachtete. Ich biss mir auf die Unterlippe. „So ich muss jetzt los…alles okay bei dir?“ Jetzt schaute sie mir direkt in die Augen und mir wurde heiß und kalt im Wechsel. „Ach, ich bin viel mit Tim, Basti und Flo unterwegs. Klar geht es mir gut. Bleibst du lange weg?“ Ich versuchte zu lächeln. Meine Mum schüttelte mit dem Kopf. „Mal sehen, wir telefonieren.“ „Okay.“ Sie drückte mir das Geld in die Hand, nicht gerade wenig und ich wusste sofort, was ich mir Schönes kaufen würde. In meinem Zimmer drehte ich mir mit zittrigen Händen einen Joint und hoffte, dass mich das ein bisschen runter brachte. Ich wurde wieder in diese Scheinwelt entführt, in der alles schön zu sein schien. Ich schloss sie Augen, um der Realität auf diese Weise zu entfliehen. Auf einmal drehte sich alles und mir wurde ein bisschen übel. Ich legte mich aufs Bett, versuchte runter zu kommen und dämmerte weg. Leicht panisch schreckte ich hoch, als jemand an meine Tür klopfte. Ich riss das Fenster auf und versuchte den Grasgeruch mit Räucherstäbchen zu überdecken. Doch zum Glück war es nur meine kleine Jojo. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Sie kam zu mir auf den Schoß gekrochen. „Ich wollte dir noch Tschüs sagen.“ Verdammt ich war völlig neben mir und hoffte, dass meine Schwester nichts davon mitbekam. „Wir seh’n uns sicher bald wieder Süße.“ Auf einmal nahm sie mein Gesicht zwischen ihre kleinen Hände und sah mich traurig an. „Geht es dir gut? Du siehst so krank aus.“ Ich versuchte zu lächeln. „Es is alles okay…ich schwöre es. Jetzt geh lieber, bevor Mama noch sauer wird.“ Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Ich hab dich lieb Lukas. Pass auf dich auf.“ Ich winkte ihr noch und meine Mum erschien in der Tür. „Kommst du klar?“ Ich nickte stumm. Diesmal schaute sie mich länger an und ich dachte erst, dass sie was sagen würde, doch nichts.   „Deine Mutter hat dir doch vor zwei Tagen erst Geld gegeben! Was zur Hölle machst du denn damit?“ Mein Vater war wütend und leider schmiss er nicht so mit seinem Geld um sich wie meine Mum. Ich versuchte mich zusammenzureißen. „Ich hab da son paar tolle Stiefel gesehen und dafür fehlt mir noch Geld. Ich hab ja noch was übrig, aber das ist halt nicht genug. Bitte Papa.“ Er willigte schließlich ein. Sofort machte ich mich auf den Weg zu Tim und besorgte mir Nachschub, der hoffentlich bis morgen Mittag reichen würde. Zu Hause ging ich gleich in mein Zimmer, weil ich nicht wollte, dass mein Vater mich sah. Trotz des Rausches, in dem ich mich gerade befand, wurde mir in diesem Moment das erste Mal richtig bewusst, dass ich extrem drogenabhängig war. Was hatte ich damit nur angerichtet? Wie konnte ich das meinen Eltern antun? Hatte ich diese Junkies nicht immer gehasst? Ich musste gerade jetzt an Julietta denken. Was sie wohl dazu gesagt hätte? Sie hätte mich sicherlich verabscheut. Außerdem wollte ich doch nicht auf der Straße leben und mir jeden Tag aufs Neue Gedanken machen zu müssen, wo ich denn heute pennen konnte. Das alles war irgendwie zu viel für mich und ich musste heulen. Auch in der Schule konnte ich mich kaum noch konzentrieren und Flo ging es nicht anders. Basti hatte kein Verständnis für unser Verhalten oder für das, was wir taten. Nachmittags, vor dem Sportunterricht zog er mich zur Seite. „Lukas, bitte hör auf damit. Ich kann das nicht mehr mit ansehen, wie mein bester Freund ins Verderben rennt.“ Er klang echt verzweifelt. „Das geht nich so leicht. Ich glaub, ich hab die Grenze schon überschritten.“ „Früher wärst du nie so gleichgültig gewesen. Hast du dich mal wieder im Spiegel betrachtet? Du siehst echt verdammt scheiße aus. Ich glaube nicht, dass es schon zu spät ist. Bitte!“ Bastis Worte rührten mich echt und mir wurde bewusst, dass ich meinen besten Freund verlieren würde, wenn ich nicht aufhörte. „Vielleicht hast du Recht. Gehen wir zum Sportunterricht?“ Er nickte stumm. Als ich nach Hause kam, hörte ich seltsame Geräusche und folgte ihnen. Sie kamen aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. Ich warf einen Blick durch das Schlüsselloch und erkannte meinen Vater mit einer anderen Frau im Bett. Das brach mir fast das Herz. Wie konnte er meiner Mum nur so etwas antun. Ich war wie gelähmt und schleppte mich auf das Sofa im Wohnzimmer, um eine Zigarette zu rauchen. Mir war egal, was mein Vater dazu sagen würde. Ich hatte immer gedacht, dass meine Eltern glücklich miteinander wären. Ich hatte es schon schrecklich gefunden, dass sie sich gestritten hatten, doch jetzt das? Wusste meine Mum davon? Ich hasste meinen Vater dafür und ich hoffte, dass ich nie so werden würde. Ich schwor mir eine Frau oder ein Mädchen nie so zu verletzen. Die Tür vom Schlafzimmer öffnete sich und die fremde Frau flüsterte meinem Vater zu, dass jemand im Wohnzimmer sei. Kurz darauf erschien mein Vater und sah mir dabei zu, wie ich meine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte. Er schien nicht mal nervös oder unsicher zu sein. „Ach, du rauchst also wieder?“ „Und? Hast du ein Problem damit?“ Ich konnte ihn nicht ansehen, diesen Heuchler. „Hast du dir die Kippen etwa von meinem Geld gekauft?“ „Ja, hab ich.“ „Weißt du, ich gehe nicht arbeiten, damit du die Kohle für solchen Mist ausgibst, ist das klar?“ Jetzt drehte ich mich zu ihm und zündete mir aus Provokation noch eine Zigarette an. Er konnte jetzt mein verheultes Gesicht sehen. „Lukas, verdammt noch mal! Hast du mich überhaupt verstanden?“ Ich nahm einen tiefen Zug. „Ja, das habe ich. Allerdings interessiert es mich einen Dreck!“ „Mach sofort die Zigarette aus!“ „Nein! Es kann dir doch egal sein, schließlich ist es mein Leben. Geh doch lieber wieder zu deiner Tussi im Flur. Die langweilt sich bestimmt schon!“ Plötzlich war er ruhig und sein Gesichtsausdruck wurde bedrohlich. „Da war doch gar keiner.“ „Meinst du ich bin bescheuert? Es sei denn, du ziehst dir irgendwelche Pornos rein." „Das kann ich erklären….“ „Ach, leck mich doch am Arsch! Für mich gibt‘s da nichts zu erklären.“ Wieder trat er einen Schritt näher und schlug mich wieder mal mitten ins Gesicht. Diesmal nicht nur einmal. Erst, als ich Blut auf meiner Unterlippe schmeckte und ich zu Boden ging, ließ er ab von mir. Verbittert starrte ich ihn an. Was sollte ich jetzt tun? Feindselig musterte er mich und unter Schmerzen erhob ich mich keuchend, zog Lederjacke und Schuhe an, um mich zu verpissen. Ich wusste, dass einer von Tims Kumpels in einem Piercingstudio arbeitete und fragte meinen Freund deshalb, ob er da was klarmachen konnte und tatsächlich trafen wir uns einen Tag später in dessen Wohnung. Er stellte sich mir als Steff vor und reichte mir freundlich die tätowierte Hand. Ich lächelte etwas zurückhaltend. „Tim meinte, du willst dich piercen lassen?“ Ich nickte. „Ja, in beiden Brustwarzen“, antwortete ich. „Alles klar, dann leg dich auf die Liege.“ Er zog sich Handschuhe über und ich zog mein Shirt aus. Das Eisspray auf meiner Haut ließ mich kurz zusammenzucken. Mit einem Stift markierte Steff zwei Punkten links und recht von meinen Nippeln und hielt mir einen Spiegel vor. „Okay, passt denk ich…du bist der Experte“, grinste ich und lehnte mich wieder zurück. „Na dann, bist du bereit?“ „Klar.“ Steff öffnete das Tütchen mit der Nadel und jagte diese durch die markierte Stelle. Ich biss mir heftig auf die malträtierte Unterlippe. Bei der linken Seite empfand ich den Schmerz nicht mehr als ganz so schlimm, da ich ja wusste, was mich erwartete. „Super, das war’s dann. Ich geb dir noch eine Pflege mit, die du drei Mal täglich nimmst. Am besten mit nem Wattestäbchen. In etwa sechs Wochen sollte es verheilt sein.“ „Cool, danke.“ „Ähm Lukas…ich übe mich gerade etwas im Tätowieren und Tim wollte nicht, weil er ein Schisser ist. Hättest du vielleicht Bock? Natürlich würde ich dafür nichts nehmen. Mir geht’s mehr ums Üben.“ Meine Augen leuchteten auf und ich war mir nicht sicher, ob das gerade echt passierte. „Mach kein scheiß? Dein Ernst?“ Steff nickte grinsend. „Ja aber sowas von. Wann hast du Zeit?“ „Wenn du willst schon morgen. Lass Mal Nummern austauschen und ich schreib dir.“ Ich tippte seine Nummer in mein Handy ein und verabschiedete mich von ihm. „Ach ja, du solltest vielleicht halbwegs nüchtern sein.“ „Okay, das bekomm ich hin.“ Ich winkte zum Abschied und machte mich auf den Weg zu Tim, um ihm von den Neuigkeiten zu erzählen. Mein Freund freute sich für mich, gab mir jedoch auch gleich zu verstehen, dass er das für echt verrückt hielt. Ich drehte mir einen Joint und schüttelte amüsiert den Kopf. In der Nacht bekam ich fast kein Auge zu und etwas zu früh schlug ich bei Steff auf. Dieser hatte schon alles vorbereitet und ich nahm wie gestern auf der Liege platz. „Na, nervös?“ „Bissl schon“, gab ich zu. Das monotone Surren der Nadel wirkte irgendwie beruhigend und als diese auf meine Haut am Oberarm traf, fühlte es sich gar nicht so schlimm an. Im Hintergrund lief schwere Metalmusik, doch irgendwie mochte ich die Band, auch, wenn ich sie nicht kannte. „Was hören wir da?“ „Lacrimas Profundere.“ „Cool, neue Musik. Die kannte ich noch gar nicht. Sag Mal, isses nich theoretisch Mist für dich, wenn es rauskommt, dass du mich tätowiert hast?“ „Wenn ich nem Studio arbeiten würde sicher. Doch das ist ne private Sache zwischen uns und du hast zugestimmt. Ich hab dich weder gezwungen, noch unter Drogen gesetzt, also alles cool.“ Wir legten zwischendurch eine Raucherpause ein und fuhren dann fort. Das Schattieren schmerzte dann doch mehr als ich gedacht hatte und ich biss mir hin und wieder auf die Unterlippe und versuchte mich gedanklich abzulenken. „Mit wem hast du dich eigentlich geprügelt?“, riss mich Steff schließlich aus meinen Gedanken. Ich seufzte. „War nur mein Dad…hab ihn wohl etwas provoziert.“ Mein Tätowierer warf mir einen mitfühlenden Blick zu. „Kommt das öfter vor?“ „Nee“, log ich. Musste ja schließlich nicht jeder wissen, was bei mir zu Hause abging. Der Totenschädel bekam noch Hörnchen und mit dem fertigen Tattoo war ich mehr als zufrieden. „Sehr geil…ich glaub ich komm wieder. Für den Rücken hab ich auch noch eine Idee.“ „Immer gerne. Dann kannst du dich ja einfach melden.“ Sehr glücklich mit meinem neuen Körperschmuck schlug ich den Weg nach Hause ein, um mich für die anstehende Party zu stylen. Ich überschminkte meine Verletzung im Gesicht so gut es ging und schlüpfte in mein transparentes Oberteil, damit meine neuen Piercings zu sehen waren. Die Folie vom Tattoo durfte ich bedauerlicherweise erst morgen entfernen. Recht gut gelaunt schlenderte ich zu Tim, wo auch schon Flo und Basti auf mich warteten.   Kapitel 4: Julietta und meine Metamorphose ------------------------------------------ Ich eilte zu Tim und außerdem brauchte ich dringend neuen Stoff. Tim schleppte mich mit zu einem Kumpel. Flo war auch schon dort, jedoch wusste ich nicht, woher sich Flo und Andy kannten. Andy war einer der extremsten Junkies, die ich kannte. Seine Wohnung war ein einziges Dreckloch und darin lag nur eine einzige Matratze, auf der er pennte. Alles andere hatte er verkauft, um am Heroin ranzukommen, doch jetzt ging er meist Anschaffen. So weit wollte ich es nie kommen lassen. Andy begrüßte uns mit einem breiten Grinsen. „Hey, was’n mit dir los?“, fragte Tim. „Ich hab gerade richtig geiles Zeug am Start Mann…kannst auch ne Kostprobe bekommen und es is genug für alle da. Wir leben im Paradies!“ Nun grinste auch Tim. Wir hockten uns auf den verkeimten Fußboden in dem Wohnzimmer, zumindest war es das ursprünglich einmal gewesen und ich schaute weg, als Andy sich einen Schuss setzte. Ich konnte und wollte das nicht sehen. Ich verzog mich in den Nebenraum. Irgendwann kam Tim und setzte sich zu mir. Er hatte aus der Apotheke seines Onkels noch ein paar Pillen mitgehen lassen und ich spülte mehr als gesund waren mit billigem Fusel runter. Irgendwie fühlte ich mich gerade nicht besser. Meine Probleme zu Hause wurden schlimmer und ich versuchte es auszuschalten, doch es funktionierte nicht mehr. Mir ging es nur noch mies. „Alles klar bei dir?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nichts is okay…was mach ich hier eigentlich? Mann…ich hab das Gefühl, ich bin kurz davor mein Leben zu ruinieren.“ „Ach so weit darfst du nich denken…genieß den Moment.“ Doch da gab es nichts zu genießen. Ich bekam Panik und musste dringend an die frische Luft. Ich war echt am Ende mit allem und bekam große Lust mich umzubringen. Schließlich setzte ich meine Gedanken dann auch in die Tat um. Hier in einer solchen dunklen Gasse würde mich sicher niemand finden. Ich schmiss mir die restlichen Pillen ein und alles um mich herum verschwamm. Es war, als würde ich in einem Aquarium sitzen und die Welt um mich herum aus der Fischperspektive  wahrnehmen. Doch dann zog jemand den Stöpsel und ich bildete mir ein, dass mir irgendwer mit einem überdimensional großen Hammer auf den Kopf schlug. Wieder verschwamm alles um mich herum. Schwarz. Nur Dunkelheit umfing mich. Ich kippte um.  Als ich meine Augen öffnete, befand ich mich definitiv nicht mehr in der einsamen Gasse, sondern in einem dämmrigen Zimmer. Und tot schien ich auch nicht zu sein, es sei denn ich war aus unerklärlichen Gründen im Himmel gelandet. Ich fühlte mich schwach und alle Glieder schmerzten. Ich schaute mich vorsichtig um, doch ich war alleine und hatte mich nie verlassener gefühlt. Mein Körper war in einen weißen Schlafanzug gesteckt und meine Hände ans Bett gebunden. Vielleicht hatten mich meine Eltern ja in Psychiatrie einweisen lassen? Ich musste heulen, weil ich mich so alleine fühlte. Wie sehr wünschte ich mir jetzt Basti, Tim oder sogar meine Mum herbei? Wie lange ich mich wohl schon hier befand? Als die Tür aufging, erschrak ich. Es war eine junge Frau im weißen Kleid. Sie trat näher zu mir heran und auf einmal erkannte ich sie. Es war Julietta. Ihre langen schwarzen Haare waren zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Mir war das furchtbar peinlich, sie lächelte jedoch zu mir herab. „Wie geht es dir?“ „Hier arbeitest du also? Ich weiß nich, ich glaube gut. Wie lange bin ich schon hier?“ „Seit zwei Tagen. Scheint echt übel gewesen zu sein.“ Ihre Mundwinkel zuckten und sie lächelte. „Wie bin ich hier her gekommen?“ „Basti hat dich mit Mike hergebracht. Deine Mutter hat dich heut Morgen auch schon besucht. Möchtest du etwas essen oder trinken?“ Meine Mum war also hier gewesen. Scheiße, sie war bestimmt nicht gut auf mich zu sprechen oder verdammt enttäuscht. Ich wollte nicht daran denken. „Ein Glas Wasser wäre toll. Nach Essen ist mir gerade weniger zu Mute.“ Julietta brachte mir eine kleine Flasche Wasser und ein Glas dazu. „Wollte meine Mutter noch mal kommen?“ „Keine Ahnung, aber bestimmt.“ „Wie lang muss ich noch hier bleiben?“ „Ich denke mal ungefähr zwei Tage.“ Gut, dass ich nicht richtig bei Besinnung gewesen bin, als die Entzugserscheinungen eingesetzt haben. Doch war es jetzt auch vorbei? Mir war wieder zum Heulen zu Mute und deshalb rieb ich mir mit den Händen die Augen, damit Julietta nichts merkte. „Kann ich sonst noch was für dich tun?“ Ich schüttelte mit dem Kopf, doch dann fiel mir noch etwas ein. „Doch. Bringst du mir morgen das Frühstück? Dich kenne ich wenigstens.“ Julietta lächelte und strich mir über die Wange. „Das mach ich.“ Als sie verschwunden war setzte ich mich vorsichtig auf und stieg aus dem Bett. Der Boden war kalt unter meinen nackten Füßen. Ich schaute aus dem Fenster und beobachtete die vielen Autos, die an dem Krankenhaus verbeifuhren. Dann bekam ich wieder einen Heulanfall, denn jetzt prasselten meine Probleme wie eine Lawine auf mich ein. Mein unsichtbarer Schutzschild war verschwunden und alles war doppelt so schlimm wie zuvor. Es war, als hätte ich meine Gefühle ignoriert und jetzt schienen sie mich zu erdrücken. Ich sank zu Boden und war angewidert von mir selbst. Dann ging die Tür erneut auf und diesmal trat meine Mum ein. Sie begrüßte mich nicht mal und in ihrem Gesicht sah ich Trauer und bittere Enttäuschung. Wahrscheinlich hasste sie mich. Ich steckte meine Füße wieder unter die warme Bettdecke. Sie nahm auf dem Stuhl neben dem Bett platz, auf dem die schöne Julietta zuvor gesessen hatte. „Bitte sieh mich nich so an, ich weiß, dass ich dich enttäuscht habe und es tut mir furchtbar leid.“ Ich hielt meine Tränen diesmal nicht zurück. „Alles hätte ich von dir erwartet Lukas, nur das nicht. Das sitzt echt tief. Du bist zu dem geworden, wovor dein Vater und ich dich immer bewahren wollten.“ „Wie meinst du das?“, fragte ich verunsichert. „Du kommst aus einer angesehenen Familie Lukas und ich und dein Vater wollten nie, dass du an solche Leute gerätst. Du hättest alles haben können, doch du entscheidest dich für Drogen und diese armseligen Junkies?“ Ihre Worte schnürten mir die Kehle zu und ich wünschte mir, sie hätte mich geschlagen oder angeschrien, aber das was sie sagte, war weitaus schlimmer. „Nein. Das heißt ja....es sind meine Freunde Mutti. Ich verspreche dir, dass ich mich in Zukunft von Drogen fernhalte, aber die Leute hatten damit nichts zu tun. Es sind nich alle so. Basti und Flo kennst du doch.“ „Erzähl mir doch keine Märchen. Ja die beiden kenne ich, aber scheinbar ziehen sie das Unglück ebenso an wie du. Natürlich kannst du dich weiter mit diesem Abschaum treffen, doch dann erwarte nicht, dass dich deine Familie weiter duldet. Lukas, ich liebe dich, doch bitte bleib weg von diesen Menschen. Es bricht mir das Herz dich dort zu sehen.“ Die Tränen flossen wie kleine Bäche über meine Wangen und dann schloss mich meine Mum in die Arme. Ich drückte sie fest an mich, doch ich wusste im selben Augenblick auch, dass ich ihr dieses Versprechen niemals geben konnte.  Als ich endlich entlassen wurde, traf ich mich gleich mit Basti. Dieser teilte mir freudestrahlend mit, dass er eine Freundin hatte. Das freute mich. Auch ich erzählte ihm von meiner Begegnung mit Julietta. „Ich weiß, Mike und ich haben sie an dem Abend schon gesehen, als wir dich ins Krankenhaus gebracht haben.“ „Übrigens danke. Wie habt ihr mich gefunden?“ „Ich hab Flo angerufen und trotz seines Rausches war er so halbwegs ansprechbar und konnte mir den Weg erklären und da war ich voll geschockt, als du da auf einmal lagst. Ich hab gedacht, du bist tot. Die haben dir den ganzen Magen ausgepumpt.“ „Ich weiß, hat mir Julietta erzählt. Ich fand das voll peinlich.“ Wir trafen uns mit Flo und Bastis Freundin vor dem Jugendclub. Sie sah relativ normal aus, in Jeans und einem roten Pulli. Basti gab ihr einen Kuss. „Nadja, das ist Lukas.“ „Hey, schön dich kennenzulernen“, sagte ich. Wir lächelten uns an. Ich blieb jedoch nicht lange, weil ich lieber alleine sein wollte.  Zu Hause war es jetzt endgültig vorbei. Mein Vater war wie immer, wo auch immer und meine Mum behandelte mich wie Luft. Zwar bereitete sie Frühstück vor, aber wechselte kein Wort mit mir. Das hielt ich nicht aus und wollte so schnell wie möglich wieder zur  Schule gehen und den versäumten Stoff nachholen. Meinem Klassenlehrer hatte sie erzählt, dass ich einen Unfall hatte. Ich traf Basti und Flo vor der Schule. Auch Flo war wieder clean und so waren wir als Dreierbande wieder vereint. Ich fühlte mich trotzallem noch echt angeschlagen. „Wo hast du Nadja eigentlich kennengelernt?“ „Ach, durch Chris, weil er viel mit ihr zu tun hat und da du ja nicht da warst, habe ich eben viel mit ihm unternommen.“ Ich lächelte. Im Sportunterricht spielten wir gerade Volleyball und darin war ich ziemlich gut. Die Mädels stritten sich meist um mich, was ich recht amüsant fand. Schließlich spielte ich mit Basti und Jessica in einer Mannschaft. Wir schlugen uns zwar ziemlich gut, jedoch gewannen wir nicht jeden Satz. Zu Hause erledigte ich meine Hausaufgaben und hörte, wie jemand unter zur Haustür herein kam. Vermutlich war mein Vater von der Geschäftsreise zurück, da meine Mum um diese Uhrzeit noch in ihrem Büro zu tun hatte. Nachdem ich meine Arbeiten beendet hatte, wollte ich raus gehen. Doch mein Vater fing mich ab. Auch das noch. Ich hielt Abstand, weil ich eine böse Vorahnung hatte, worauf das hier hinaus lief. „Oh mein Lieblingssohn…“, heuchelte er. „Willst du was? Weil wenn nicht, würde ich gern gehen.“ „Ach und wohin? Zu deinen Assifreunden.“ Ich schluckte den Ärger runter und nickte nur. „Weiß du Lukas, der Sohn meines Kollegen hat uns auf der Geschäftsreise begleitet, weil er später die Agentur seines Vaters leiten wird. Da hab ich mich wieder voller Enttäuschung gefragt, warum du nicht auch so bist? Ich meine, ich könnte dir alles bieten!“ Ein tiefes Seufzen entfuhr mir. „Ich bin nicht sicher, ob ich das möchte.“ „Und was möchtest du dann? Das Leben ist kein Wunschkonzert und wenn du etwas auf dich hältst, trittst du meine Nachfolge an“, drohte er mir schon beinahe und kam schon wieder viel zu Nahe. „Papa, versteh mich nicht falsch. Ich könnte mir irgendwas mit Musik eher vorstellen…“, antwortete ich und hob schon beinahe automatisch schützend die Hände vors Gesicht. „Du undankbarerer Bengel! Fehlt nur noch, dass du schwul wirst!“ Schon wollte ich mich an ihm vorbeimogeln, da traf mich sein unerwarteter Schlag und ich flog unsanft gegen die Stufen, die zu meinem Zimmer führten. Noch bevor ich mich erheben konnte folgte der zweite Schlag ins Gesicht. Mit etwas Mühe raffte ich mich auf und flüchtete in mein Zimmer zurück. Die Tür schloss ich hinter mir ab. Mit schmerzendem Schädel sank ich an der Tür zu Boden. Heiße Tränen benetzten meine Wangen und nicht zum ersten Mal spürte ich dieses Gefühl in mir. Bedrückend und angenehm zugleich. Langsam erhob ich mich, schmiss meine Jacke aufs Bett und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Naja, immerhin weniger schlimm als beim letzten Mal. Vermutlich würde sich ein kleiner Bluterguss unter dem linken Auge bilden, doch den konnte ich leicht überschminken. Was sollte ich jetzt tun? Mich an meine Mum wenden oder die Polizei? Irgendwie traute ich mich das nicht. Vielleicht durfte ich ihn auch nicht dauernd so verärgern oder eben seine Nähe meiden.   Ich war wieder oft mit Tim zusammen, um eben so wenig wie möglich zu Hause sein zu müssen und ab und zu rauchten wir auch einen Joint oder zogen Pepp. Von den Vorfällen mit meinem Vater erzählte ich keinem etwas, denn ich war ohnehin nicht der Typ, der gern über sein Gefühlsleben plauderte. Und bei Tim fand ich die perfekte Ablenkung. Was sollte schon dabei sein? Basti betrachtete das eher mit Argwohn, äußerte sich jedoch niemals dazu. In der Schule wurden meine Leistungen wieder mittelmäßig, weil ich keine Lust hatte zu lernen und meine Hausaufgaben erledigte ich grundsätzlich nicht. Das wiederstrebte meinen Eltern jedoch wieder. Schließlich bekamen sie ja mit, dass ich mehr mit meinen Freunden unterwegs war, als zu Hause. Es war wie ein Teufelskreis. „Musst du denn nichts für die Schule machen Lukas?“ „Hab ich schon.“ „Das kann ich dir fast nicht glauben. Und lernen musst du auch nicht.“ Ich verdrehte die Augen. „Das mach ich, wenn ich wiederkomme.“ Meine Mutter seufzte und sah mich nur noch mit diesem vorwurfsvollem Blick an. Ich wollte mich unbedingt wieder piercen lassen und telefonierte ich mit Steff, dem Piercer meines Vertrauens. Wir trafen uns bei Tim und Steff sah mittlerweile echt verboten aus. Nahezu sein ganzer Körper, zumindest das, was man sehen konnte, schien tätowiert zu sein und im Gesicht hatte er alleine schon fünf Piercings. Ich ließ mir eins in der Nase und in der Zunge stechen. Das schmerzte höllisch, aber mit dem Resultat war ich sehr zufrieden. Ich beschloss Julietta an diesem Nachmittag noch besuchen zu gehen. Da ich keine Nummer von ihr hatte, suchte ich sie erst im Krankenhaus auf und dort traf ich sie auch an. „Hey, das ist ja eine Überraschung.“ „Hast du kurz Zeit oder hast du viel zu tun?“ „Ich habe in einer halbe Stunde Feierabend, wenn du warten willst?“ „Ja klar. Ich warte unten an der Rezeption.“ Wir lächelten uns an und mein Herz begann wieder zu hämmern. Ich konnte selbst nicht ganz einordnen, was das für ein Verhältnis zwischen uns war. Ich fühlte mich ihr immer irgendwie unterlegen und doch fand ich sie sehr anziehend. Und sie war das Mädchen, mit dem ich meine ersten sexuellen Erfahrungen gesammelt hatte. Sie kam schon ein bisschen eher. „Du, ich muss noch zu nem Fototshooting. Willst du vielleicht mitkommen?“ „Ja klar.“ Wir fuhren mit der S-Bahn zu ihr nach Hause, dort duschte sie noch und stylte sich. Sie schien es auch wenig zu stören, dass ich sie die ganze Zeit beobachten konnte. Schließlich war sie fertig und wir fuhren ins Studio. Ich erfuhr, dass der Fotograf ein Kalender von ihr machen wollte. Es sah einfach wundervoll aus, wie sie die ganze Zeit Posen machen musste und dabei immer sexy und elegant wirkte. Das ganze dauerte knapp zwei Stunden, dann lud ich sie noch auf einen Kaffee ein. „Das war echt toll.“ Julietta lachte. „Und ich dachte schon, du langweilst dich.“ „Nicht bei einem so tollen Fotomodel.“ Darauf sagte sie lange nichts. „Du Lukas, die Sache damals… hat es dir gefallen?“ „Ich…ähm..ja, natürlich. Es kam zwar sehr überraschend, aber es war schön.“ Sie lächelte mich geheimnisvoll an. „Könntest du dir vorstellen es noch mal zu tun?“ „Schon, aber was ist das dann zwischen uns? Weißt du, ich finde dich echt wahnsinnig toll, aber ich würde gern von dir wissen, was du über uns denkst?“ Sie schwieg wieder einen Moment. „Ich finde dich auch toll, vor allem jetzt, wo du so heiß geworden bist. Meinst du wir soll‘n es probieren?“ Wow. Ich hätte wahrscheinlich mit allem gerechnet, nur nicht damit. „Ich hätte auch nichts dagegen.“ Ich wusste nicht, ob das jetzt gut oder schlecht war, aber es war einfach ein wahnsinnig tolles Gefühl mit einem solchen Mädel wie Julietta zusammen zu sein. Wie verbrachten den Nachmittag und den Abend noch miteinander. Um zehn ging ich nach Hause. Meine Eltern waren noch wach und ich durfte mir ihr Genöle anhören. „Ich denke, du wolltest noch lernen?“, fuhr mich meine Mum an. „Mach ich doch auch, frag mich echt, weshalb du jetzt so einen Stress machst.“ „Was ist das überhaupt für ein Ding in deine Nase?“ „Ein Piercing“, lispelte ich ein bisschen und musste mir das Lachen verkneifen. „Und das soll schön sein oder was?“ Mein Vater stieß nun auch zu uns und begutachtete mein Piercing. Er schüttelte nur mit dem Kopf. Das in der Zunge sah er glücklicherweise nicht, doch fiel mir gerade jetzt das Sprechen nicht mehr so leicht, vielleicht weil ich mich bemühte nicht zu lispeln. „Normalerweise müsste ich es dir wieder herausreißen.“ „Als ob es nichts schlimmeres gäbe! Ihr seit echt komisch.“ Ich lernte natürlich nicht mehr und zeigte ihm verdeckt meinen Mittelfinger. Am nächsten Tag ging ich mit Flo einkaufen, weil ich unbedingt eine neue schwarze Hose mit Bändern haben wollte. Dann gönnte ich mir noch ein transparentes, schwarzes Oberteil und New Rocks. Meine Eltern würden wahrscheinlich ausflippen, aber das war mir egal. Nachmittags war ich mit Basti und Flo meist bei Tim und dann holte ich Julietta von der Arbeit ab. „Mein Fotograf hat mich gefragt, ob wir nicht mal was zusammen machen wollen? Oder du alleine?“ „Was? Ich als Model? Meinst du echt?“ Ich zündete mir eine Zigarette an. „Ja klar, gleich morgen, wenn du willst.“ Zu Hause ließ ich mir das noch mal durch den Kopf gehen und beschloss am nächsten Tag zu dem Fotostudio zu gehen. Julietta wollte nachkommen, weil sie noch arbeiten musste. Ich zog meine neuen Klamotten an und nahm noch eine ganze Menge an Sachen und Accessoires mit. Der Fotograf erkannte mich gleich und war hocherfreut. „Julietta kommt später soll ich ausrichten.“ „Dein Outfit ist perfekt. Dann mal los. Stell dich bitte mal dort an die Säule und schau zu mir in die Kamera…. Ja, so.. ein bisschen mehr von unten hochgucken….ja, ja… bleib so.“ Ich musste dann meine schwarze Cordhose und mein schwarzes Hemd anziehen. Das Hemd blieb aufgeknöpft. Jetzt fing es richtig an Spaß zu machen. Als Julietta kam, machten wir noch einige Fotos von uns zusammen und dann durften wir gehen. Ich musste erst mal eine Zigarette rauchen. „Das ist echt ganz schön anstrengend.“ „Das sag ich dir. Kommst du noch mit zu mir?“ „Heut nicht, will noch mal bei nem Kumpel vorbei.“ „Okay, dann bis morgen?“ „Ja, ich ruf dich an.“ Bei Tim gönnte ich mir erst mal einen Joint und danach war ich völlig weg. Ich schleppte mich dann irgendwann früh um vier nach Hause. Meine Mum regte sich täglich mehr über mein Aussehen auf und an meiner Freundin Julietta verlor ich immer mehr das Interesse. Wir sahen uns immer seltener und wenn wir zusammen waren, lief das immer gleich ab. Wir redeten kaum ein Wort, hatten Sex miteinander und dann fuhr ich nach Hause. Irgendwie hatten wir zu viele gemeinsame Interessen. Beispielsweise liebten wir beide Lacrimosa und die 69 Eyes. Wir mochten beide Gummibärchen mehr als Schokolade und würden beide alles für unsere jüngere Schwester tun. Wir tranken unseren Kaffee am liebsten schwarz, ohne alles und aßen zum Frühstück lieber Marmelade als Nutella. Das mag jetzt vielleicht komisch klingen, denn es heißt ja oft, dass man sich gut versteht, wenn man viele Gemeinsamkeiten hat, doch ich fand die Beziehung nur noch langweilig. Und um den Stress mit meinen Eltern und auch Julietta aus dem Weg zu gehen, zog ich mich nun öfter bei Tim zurück und flüchtete in eine scheinbar frohe, problemlose Scheinwelt. Basti bekam das mit und stellte wiedermal mich zur Rede. „Sag mal, findest du nicht auch, dass du dich nich ständig zudröhnen solltest?“ „Was ist denn daran so schlimm. Schließlich mach ich das nicht jeden Tag.“ Basti zog die Augenbrauen hoch und warf mir einen skeptischen Blick zu. „Na klar. Ich dachte, du bist mein bester Freund und ich will dich nicht noch einmal kurz vorm Tod sehen.“ „Hey, mach dir mal nicht so viele Sorgen um mich. Ich hab das echt im Griff, ich schwöre! Außerdem verschaffe ich mir so nur etwas Ablenkung.“ „Ich bin nicht sicher, ob ich dir das glauben kann Lukas. Wieso Ablenkung? Du hast doch außerdem ne Freundin, denk ich?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ja, schon, aber ich hab irgendwie keinen Bock mehr auf Julietta.“ Basti sah mich mit großen Augen an. „Du bist wahrscheinlich mit dem bekanntesten, tollsten Gothicmädel der Stadt zusammen, nach der sich viele andere Jungen die Finger lecken und du hast keinen Bock mehr auf sie? Wie bist du denn drauf?“ „Ich weiß, das klingt für dich verrückt, aber weißt du, sie war irgendwie keine Eroberung für mich. Ich musste nicht viel machen, um mit ihr zusammenzukommen. Ich hab sie nur mal nett angeschaut und gesagt, dass ich sie toll finde. Da sind keine Gefühle mehr da, verstehst du?“ „Mhh, vielleicht hast du Recht. Obwohl ihr eigentlich das perfekte Paar seid.“ Ich seufzte. „Genau das meine ich ja. Es ist nahezu alles perfekt. Wir haben den komplett gleichen Musikgeschmack, wir mögen das gleiche Essen und wir sehen aus wie das perfekte Paar. Weißt du, wir hatten noch nie eine Meinungsverschiedenheit. Das finde ich schon fast unheimlich. Ich kann so keine Beziehung führen.“ Basti fing an zu lachen. „Das ist ja echt krank. Naja, du machst das schon. Hast du eigentlich schon die Bilder von dem Fotoshooting?“ Ich zog die Mappe von meinem Schreibtisch und zeigte sie Basti. „Wow, die sind ja richtig klasse. Mensch, Mensch, bei deinem Aussehen wird man ja sogar als Junge schwach.“ „Spinn nicht rum.“ Wir lachten. Letztendlich trennte ich mich von Julietta, weil sie mir nicht das gab, was ich gern wollte, doch was ich wollte, wusste ich auch nicht recht. Doch in einem war ich mir sicher, ich wollte immer extrem sein und mein Aussehen veränderte sich mehr und mehr. Ich wollte ein lebendiger Vampir sein, wie Lestat. Ein Rockstar unter den Untoten, der von allen angehimmelt wurde. Marilyn Manson war der Schrecken Amerikas und ich wollte der Schrecken Deutschlands werden. Und an diesem Abend passierte es zum ersten Mal, dass ich mich weiter in meine Welt der Dunkelheit wagte. Vielleicht zu weit. Ich überschritt eine Grenze. In mir sammelten sich immer mehr unausgesprochene Gefühle, mit denen ich nicht umgehen konnte. Einerseits die Gewalt, die mein Vater gegen mich schürte, die Beschimpfungen und schließlich Ausgrenzung. Mit wem sollte ich darüber schon reden? Basti? Flo oder Tim? Klar wussten meine Freunde, dass ich nicht mit meinen Eltern klar kam, doch die Ausraster meines alten Herren verschwieg ich. Belastete mich das deshalb so? Ich verstand nicht, was in mir vor sich ging und was war so verkehrt an meinem Verhalten? Und dann schwirrte da noch diese Dunkelheit um mich herum. Und genau diese lenkte meinen Blick auf einen ganz bestimmten Gegenstand. Meinen Rasierer, den ich vorhin mit nach oben genommen hatte, weil ich die Klingen austauschen wollte. Ich nahm ihn vom Nachttisch, entfernte den Klingenkopf  und auf einmal begann mein Herz zu wummern. Mit ein wenig Feingefühl trennte ich das Metall vom Plastik. Scharfkantig ruhte dieses kühl in meiner Handfläche und ich starrte es an. Ich nahm es zwischen meine Finger, betrachtete die helle Haut meines Unterarms, wie die leicht bläulichen Adern darunter schimmerten. Ich setzte die Klinge an. Nur ganz leicht, sodass die Haut an der Stelle noch etwas heller wurde. Die gereizte Haut schwoll ein bisschen an und es zeichnete sich eine minimale Rötung ab. Trau dich! Flüsterte die Dunkelheit in mir und ich versuchte es erneut, mit mehr Druck. Genau zwei Sekunden dauerte es, bis sich das Blut seinen Weg an die Oberfläche bahnte. Ich schnitt mich ein weiteres Mal. Dasselbe passierte. Der nächste Schnitt ging noch ein wenig tiefer und erstaunt stellte ich fest, wie sich mein Körper entspannte. Meine Hände zitterten nicht mehr. Ich verstümmelte meinen Unterarm und hörte erst auf, als mich der Schmerz erreichte. Doch dieser Schmerz hatte etwas Linderndes.  Ich sank rücklings auf den Boden und starrte die Decke an. Da spürte ich die Leere zum ersten Mal. Trotzdem zog ich mein Handy aus der Hosentasche und tat etwas, was ich sonst nie tat. „Hey…was geht?“, kam es von Flo am anderen Ende und am Klang seiner Stimme hörte ich, dass er auch alles andere als nüchtern war. „Flo…auf ner Skala von 1 bis 10…wie schlimm isses, wenn man sich selbst verletzt?“ Stille. Dann ein Rascheln. „Süßer, is alles okay bei dir?“ „Irgendwie schon…wenn man bedenkt, dass ich mir gerade den halben Arm blutig geritzt hab…“, antwortete ich schon fast monoton. Mein bester Freund fluchte vor sich hin. „Scheiße Lukas! Das is nich cool…in 15 Minuten im Park!“ Und damit legte er auf. Vermutlich war es draußen noch dunkel, da es mitten in der Nacht war. Über mein Tanktop zog ich die Lederjacke und stahl mich aus der Wohnung. Flo wartete bereits auf mich und sein Blick sprach Bände. „Sag mir bitte, dass du mich verarscht hast!“ Ich schüttelte den Kopf und schob mir eine Kippe zwischen die Lippen. „Is was passiert oder warum? Bitte rede mit mir…“ Das erste Mal sah ich Flo verzweifelt und das wiederum erreichte aus irgendeinem Grund mein emotionales Zentrum. Ich brach in seinen Armen zusammen und heulte. „Wenn ich dir jetzt was erzähle, versprichst du mir, dass du es niemandem weiter sagst?“, schluchzte ich. „Okay…ich versprech’s“ „Mein Vater…er hat mich schon ein paar Mal verprügelt…das macht irgendwas mit mir. Und heute…als ich mich geschnitten hab, da war‘s irgendwie besser.“ „Fuck, das klingt übel Schatz…ich versuch ein bisschen auf dich aufzupassen…“ Ich versuchte zu lächeln und ohne, dass ich ihn darum bitten musste, kam er mit zu mir. Ich war mir nicht sicher, ob er die Verletzungen ignorierte oder einfach nur nicht sehen konnte. Wir kuschelten uns in mein Bett und ich fand sogar recht schnell Schlaf.   Kapitel 5: Großstadtträume -------------------------- Im selben Jahr, kurz vor Beginn des neuen Schuljahres. Nach einer letzten Party im Sommer wollten Nici und ihre Familie in die Stadt ziehen, doch was sie dort alles erwartete, hätte sie sich sicher nicht mal in ihren kühnsten Träumen ausgemalt.   Diesen Sommer wollten Nici und ihre Eltern umziehen, da ihr Vater seine eigene Praxis als Psychologe eröffnete. Deshalb waren die letzten Wochen sehr stressig, denn viele Vorbereitungen mussten getroffen werden. Doch jetzt war die neue Praxis eingerichtet. Nici sah diesem Ereignis mit gemischten Gefühlen entgegen, denn einerseits musste sie alle ihre Freunde zurücklassen und andererseits hoffte sie in der Stadt vielleicht ein bisschen mehr von der Gothicszene kennenzulernen. Hier auf dem Dorf gab es zwar auch den einen oder anderen, der Metallica, The Cure oder Nightwish hörte, aber das waren Bands, die auch fast jeder kannte, ohne zu wissen, dass zwei davon bekannte Gothicbands sind. Nici wusste sehr viel über die Szene, aber sie kannte eben kaum jemanden, der auch ein richtiger Goth war, außer ihrer Freundin Nadine und deshalb hoffte sie in Berlin mehr von dieser Szene kennenzulernen. Als sich die Sommerferien dem Ende neigten, gab Nici noch eine kleine Abschlussparty für ihre Freunde. Die Stimmung war etwas gedrückt, weil ihnen der Abschied voneinander sehr schwer fiel. Der Höhepunkt an diesem Abend jedoch war, als ihr Freund Mark, mit dem sie an diesem Tag genau ein halbes Jahr zusammen gewesen wäre, mit ihr Schluss machte. Das traf das junge Mädchen ganz schön hart und somit war die Party gelaufen. „Bist du nicht auch der Meinung, dass eine Fernbeziehung nichts bringt?“ Nici war total in Rage. „Jetzt habe ich wenigstens einen Grund mehr, mich zu freuen, dass ich wegziehe! Berlin liegt ja auch so weit von Hennigsdorf entfernt, aber egal!“, bemerkte sie ironisch. Sie konnte nicht mal heulen. Ihre Freundin versuchte sie noch zu trösten, doch Nici blockte total ab. Wütend und enttäuscht verließ den Sportplatz und ging nach Hause. Am Morgen wollten sie ohnehin in die neue Wohnung fahren. Als Nicis Mutter fragte, was los sei, machte sie ihr deutlich, dass sie nicht darüber reden wolle. Das verstand sie. Nici konnte mit ihr immer und über alles reden. Manchmal war ihre Mum auch so eine Art Freundin. Sie fand es toll wie ihre Tochter sich kleidete und ab und zu saßen sie in Nicis Zimmer, hörten meine Musik und redeten. Die Koffer waren alle gepackt. Der Transporter, der einige von den Möbeln mitnehmen sollte, war für morgen neun Uhr bestellt. In der Stadt zog Nicis Familie in das Haus ihrer Oma. Es war das Geburtshaus ihres Vaters und befand sich ein bisschen außerhalb von der Innenstadt. In der Nähe des Hauses lag ein größerer Park. Immer noch traurig setzte sich das Mädchen auf‘s Sofa ihres leeren Zimmer, denn die Möbel nahm sie fast alle mit, außer der Couch, auf der sie auch diese Nacht schlafen würde. Wenn sie denn schlafen konnte. Plötzlich klingelte es an der Tür und dann kamen noch zwei von Nicis besten Freundinnen ins Zimmer gestürmt. „Hey, was war denn vorhin mit dir los? Alle haben sich gefragt, warum du so schnell verschwunden bist!“ „Ach, es war wegen Mark. Er hat mich abgeschossen, weil er keine Fernbeziehung will!“ In ihrer Stimme lag immer noch ein bitterer Unterton. „Aber bis in die Stadt sind es doch nur 30 Minuten“, sagte meine Nadine leicht erzürnt. Ich zuckte mit den Schultern. „Das habe ich ihm ja auch gesagt, aber wahrscheinlich hatte er das schon länger geplant. Ich denke, dass er nicht damit klargekommen ist, dass ich Goth bin und nicht wie er. Aber ist ja jetzt auch egal, morgen bin ich sowieso weg. Um euch tut es mir zwar leid, aber ich bin auch froh, dass ich Mark jetzt nicht mehr sehen muss.“ Die Freundinnen zeigten Verständnis. Sie beschlossen noch ein Glas Sekt zu trinken und dann verabschiedeten sich die beiden von Nici. Auf einmal fühlte sie sich einsam und bekam irgendwie Angst. Was war, wenn sie überhaupt keinen Anschluss in der Stadt finden würde? Nici bekam auch Bauchschmerzen, wenn sie an ihre neue Schule dachte. Zu Beginn der Ferien hatte sie die neue Schule zwar zusammen mit ihrer Mutter besucht, um sich für das kommende Schuljahr anzumelden und die Direktorin erweckte auch einen guten Eindruck, aber was war, wenn sie keiner aus der Klasse leiden konnte? Das war fast ihr letzter Gedanke, bevor sie in einen unruhigen Schlaf fiel. „Nici! Aufwachen, wir wollen doch los!“ Ihre Mutter rüttelte Nici sanft wach. „Ja, ja, ich stehe ja schon auf!“, gab sie ihr etwas genervt zur Antwort. Es war halb acht, viel zu früh für jemanden, der erst um zwei zum Schlafen gekommen ist. Mit zerknautschten Gesicht und verwuschelten Haaren schlurfte sie ins Bad, duschte und kämmte ihr langes rotes Haare. Anschließend tuschte sie noch ihre Wimpern. Ihre Mutter hatte ein schnelles Frühstück zubereitet, nur Tost, Marmelade und Kaffee. „Willst du mir jetzt vielleicht erzählen, was gestern vorgefallen ist?“ Das Mädchen schüttelte betrübt mit dem Kopf. Außerdem war sie noch viel zu müde, um mit jemandem ernsthafte Gespräche zu führen. „Später vielleicht.“ Im Auto sah Nici die idyllische Kleinstadt mit den sorgfältig angelegten Vorgärten an sich vorbeiziehen. Bloß weg von diesem Ort hier. Weg von Mark, diesem Arsch.  Der erste Schultag begann mit dem nervtötenden Klingeln von Nicis Weckers sechs Uhr morgens. Sie war es gar nicht gewohnt in die Schule zu laufen, denn in ihrem alten Wohnort fuhren wir immer mit dem Bus. Als sie die Küche betrat, stand das Frühstück noch auf dem Tisch und ein Zettel von ihrer Mutter lag dabei. „Liebe Nici, ich hoffe, dein erster Tag in der neuen Schule wird ein voller Erfolg. Papa und ich kommen heute später nach Hause. Essen ist noch im Kühlschrank, falls du nach der Schule Hunger bekommst! Bis bald, Mama!“ „Typisch meine Mum“, dachte Nici bei sich und lächelte. So, nun musste sie aber wirklich los, sonst würde sie noch zu spät kommen und dass ist am ersten Schultag ziemlich schlecht. Was würden da die Lehrer von ihr denken! Da ihre neue Schule nicht sehr weit von zu Hause entfernt war, musste sie nicht hetzen. Doch als Nici dann vor dem großen Schulgebäude stand, bekam sie schon ein bisschen Bauchkribbeln. Wie waren ihre neuen Mitschüler wohl so drauf? Sie drängelte sich durch die Schülerscharen, nicht ohne ein paar Mal angerempelt zu werden. An der Eingangstür erwartete sie wahrscheinlich schon ihr Klassenlehrer, denn er fuchtelte hektisch mit den Händen, als er den Rotschopf erblickte. Er begrüßte das zurückhaltende Mädchen mit einem freundlichen Händeschütteln. Anschließend begleitete er sie in den Unterrichtsraum. Als Nici eintrat, nahm sie erst keiner der anderen Schüler wahr. Doch dann kam ein Mädchen auf sie zu und bot ihr den freien Platz neben sich an, worüber Nici sehr froh war, denn sie hatte echt keine Lust sich neben irgend so einen Spinner zu platzieren. Das Mädchen war ein Stück größer als sie selbst und hatte schwarze kürzere Haare. Sie trug modische Klamotten. Das hellblaue Oberteil betonte ihre Oberweite und den flachen Bauch. Ihre Jeans war leicht ausgewaschen, jedoch nicht irgendwie schlumprig. Sie war geschminkt, aber nicht übertrieben. Im Großen und Ganzen war sie recht hübsch. Der erste Tag verging schnell. Die Lehrer als auch die Mitschüler gingen sehr freundlich mit Nici um. Es war alles gar nicht so schlimm, wie sie es erwartet hatte. Das Mädchen hieß im übrigen Nadja und die Mädchen verstanden sich richtig prima. Nadja fragte Nici alles Mögliche, wo sie herkommt, wie es war in einem Dorf zu leben und ob sie Schiss vor dem heutigen Tag hatte. Als die Schule vorbei war, lud Nadja Nici noch zu sich nach Hause ein. Sie hatte eine unheimlich tolle Wohnung, die aus zwei Etagen bestand. Alles war sehr modern und eher in einem hellen Farbstil eingerichtet. „Mein Vater ist Anwalt und meine Mutter Zahnärztin. Sie versuchen mir auch fast jeden Wunsch zu erfüllen und sind oft sehr fürsorglich, aber manchmal können die auch ganz schön nervig sein. Sie halten mich echt noch für das kleine Mädchen und das ist irgendwie blöd. Es ist zwar oft nicht schlecht, wenn du bekommst, was du willst, aber auch voll ätzend, wenn du dir jeden Tag denselben Schwachsinn anhören musst. Was du alles nicht machen sollst! Kennst du ja sicher auch. Aber ansonsten sind meine Eltern ziemlich okay. Wie ist es bei dir so?“ Nici hörte Nadja unheimlich gern zu, wenn sie so erzählte. Sie hatte dabei immer so eine positive Ausstrahlung und gestikulierte viel mit ihren Händen. „Meine Mum kümmert sich auch so gut, wie möglich um mich. Manchmal ist das schon nervig, aber sie meint es ja auch nur gut. Ansonsten komme ich gut mit meinen Eltern klar.“ „Deinen Klamottenstil finde ich richtig cool. Bist du irgendwie Gothic oder so was in der Richtung?“, plauderte Nadja dann weiter und führte Nici in ihr großes, geräumiges Zimmer. Nadja hatte einfach alles, vom Fernsehen bis zum Computer, eine riesengroße Stereoanlage mit vier Boxen und ein Wasserbett in der rechten hinteren Ecke. „Ja bin ich. Aber aus dem Kaff, aus dem ich komme, hat sich niemand so wirklich dafür interessiert. Vielleicht lerne ich ja hier ein paar Gothics kennen.“ „Ein guter Kumpel von mir, das heißt der beste Kumpel von meinem Freund, ist auch ein Gothic. Ich kenne mich da zwar nicht so aus, aber Basti hat mir das mal erzählt.“ Nicis Herz machte einen Sprung und sie wollte diesen Jungen unbedingt kennenlernen. „Ist er hübsch?“ Nadja zögerte einen Augenblick. „Ja, schon. Er läuft halt manchmal ziemlich krass rum, also auch geschminkt und so. Aber hübsch ist er auf jeden Fall. Vor kurzem hatte er auch eine Freundin, aber Basti hat irgendwie erwähnt, dass nichts mehr zwischen den beiden läuft.“ „Na das klingt doch gut.“ „Ja eben! Willst du heute Abend mit zu meinen Freunden kommen?“ Nici überlegte einen Augenblick, dann willigte sie ein. „Ich hole dich so um acht ab. Am besten du wartest vor deinem Haus!“ Es war um vier Uhr Nachmittags. Die Mädchen hatten noch lange bei Nadja zu Hause gesessen und gequatscht. Sie brachte Nici noch nach Hause. Da erledigte sie ihre Hausaufgaben und wartete ungeduldig auf den Abend. Sie rief ihre Mutter an der Arbeit an und sagte ihr Bescheid, dass sie heute noch mit einer Klassenkameradin ausgehen würde. Nicis Mutter freute sich wahnsinnig für ihre Tochter, dass diese so schnell eine Freundin gefunden hatte. Nici fragte sich was Nadja wohl unter hübsch verstand? Es wäre ja zu schön, wenn der erste Goth, den sie kennenlernte, ihr auch noch gefallen würde. Sie zog ihren schwarzen Tüllrock an und darauf eine kurzärmlige Bluse und die Rangers. Dann schminkte sie sich noch.  Es war nun schon zehn vor acht und Nici beschloss loszugehen. Nadja kam ihr schon entgegen. Sie meinte, sie müssen noch einen Kumpel von ihr abholen, der in Nicis Nähe wohnt. Nachdem sie etwa 500 Meter gelaufen waren, blieb sie vor einem großen gelben Haus stehen. „So wir sind da. Warte einen Moment, ich bin gleich zurück! Das ist übrigens der Kumpel, von dem ich dir heut Nachmittag erzählt habe“, lächelte Nadja und zwinkerte ihrer neuen Freundin zu. Dann verschwand sie hinter der Glastür. Nici bekam irgendwie richtig Bauchkribbeln. Was würde sie an diesem Abend erwarten? Sie ließ ihre Erinnerung an die unzähligen Abende im Jugendclub ihres Dorfes zurückschweifen. Alle besuchten dieselbe Schule und man konnte dem anderen schon vom Gesicht ablesen, was er dachte. Trotzdem vermisste sie ihre Freundinnen irgendwie, vor allem Nadine. Sie verbrachten schöne Stunden miteinander und schon dachte Nici wieder an Mark und spürte einen kleinen Stich in der Seite. Dann wurde sie urplötzlich aus ihren Gedanken gerissen.  „Hi Nici. Ich bin Lukas!“, begrüßte er sie mit seiner tiefen, weichen Stimme. Nici schluckte und fühlte, wie ihre Knie immer weicher wurden. Das Mädchen gab ein schüchternes Hallo zurück. Sie hatte alles erwartet, nur nicht das. Auf einmal war jeder schmerzhafte Gedanke, den sie vor wenigen Sekunden noch an Mark verschwendet hatte, wie weggeblasen. Jetzt bloß nicht ausflippen. Konnte das wirklich wahr sein, dass sie schon am ersten Tag einen so hübschen Jungen kennenlernte? Sie konnte es kaum glauben. Lukas hatte schwarze längere Haare, trug eine schwarze Cordhose, eine schwarze Cordjacke mit Kapuze, darunter Chucks. Sein blasses Gesicht war so ganz ohne Makel und doch schienen sich darin tausend von Geheimnissen zu verbergen. Wer war dieser wunderschöne Junge und hatte sie überhaupt jemals eine Chance bei ihm zu landen? Auf seinen Fingernägeln konnte man noch die Überreste von schwarzem Nagellack erkennen. Seine dunklen Augen waren mit Kajal geschminkt und seine Nase zierte ein silberner Ring. Er wirkte wie der mysteriöse dunkle Prinz aus irgendeiner Animeserie.  Zur Begrüßung umarmte er Nici, was sie noch mehr aus der Fassung brachte, da er sie ja gar nicht kannte. Er roch nach Opiumräucherstäbchen. Nici liebte diesen Geruch. Schon öfter hatte sie ähnliche Jungs wie Lukas bei Reportagen vom WGT gesehen, doch das hier übertraf alles. Sicher kam er aus einer tollen Familie und kannte noch mehr Gruftis. „So wollen wir los? Wo treffen wir uns eigentlich, hast du eine Ahnung Lukas?“ „Basti hat irgendwas vom Park gelabert, bin aber nich so sicher!“ „Naja gehen wir erst mal gucken!“ Lukas sah einfach unheimlich gut aus. Und er schien wirklich ein Gothic zu sein. Konnte das wirklich wahr sein? Nicis Bild wurde ganz ganz leicht getrübt, als Lukas sich eine Zigarette anzündete, weil sie Rauchen eigentlich nicht mochte. Aber Ausnahmen gab es ja immer. Nadja unterhielt sich mit ihm. „Sonst alles okay bei dir?“ „Klar, alles beim Alten.“ Er lächelte Nici die ganze Zeit so süß an und sie konnte ihren Blick einfach nicht mehr von ihm abwenden. „Da drüben sind doch die ganzen Pfeifen“, sagte Lukas. Die Leute begrüßten das neue Mädchen so, wie es Lukas bereits getan hatte. Die Clique bestand noch aus zwei anderen Mädchen und vier Jungen. Der Junge mit den knallroten Haaren schien Nadjas Freund zu sein, denn mit ihm war sie die ganze Zeit zusammen. Nici fühlte sich richtig wohl, auch wenn Lukas der einzige Gothic zu sein schien. Sie hatte sich irgendwie vorgestellt, dass sie hier keiner akzeptieren würde, aber es war glücklicher Weise alles ganz anders gekommen. Anfangs unterhielt sie sich wenig und Lukas stand bei einem der Mädchen und Nici hoffte, dass er irgendwann noch mal zu ihr kommen würde. Dann ging er zu Basti und Nadja. Sie beschloss ihm zu folgen. Dort stand ein kleines Radio, in dem gerade ein Tape lief. Die Band war ihr allerdings unbekannt. Die Musik klang sehr nach Batcave. Nadja sah voll glücklich aus und machte eine Andeutung, dass Nici sich doch Lukas nähern sollte. Doch diese schüttelte nur mit dem Kopf, doch musste sie ihn dauernd ansehen und hoffte er bekam das nicht mit. Sie setzten sich auf die Wiese in einen Kreis. Lukas zog seine Jacke aus dabei fielen Nici sogleich die vielen Tattoo an seinem Oberarm auf. Irgendwas mit einem gehörnten Totenkopf und Fledermäusen. Doch nicht nur das Tattoo erweckte ihre Aufmerksamkeit, ebenso die feinen gleichmäßigen Narben auf seinem linken Unterarm. Schnell wand sie ihren Blick ab und ignorierte den aufkeimenden Unmut. „Warte, du kannst dich mit hier drauf setzten, wenn du willst.“ Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, denn jetzt saßen sie sehr nahe beieinander. Nadja zwinkerte ihr zu. „Was machst du heut noch Lukas?“, fragte Nadjas Freund. „Mal sehen, bisher is nichts geplant.“ Lukas bot Nici einen Schluck Bier an, den sie selbstverständlich annahm. Ihr gefiel jedoch ganz und gar nicht, dass er eine nach der anderen rauchte. Er trank sein Bier leer und plötzlich klingelte sein Handy. Er sprang auf und verschwand. Ein weiterer Junge gesellte sich zu der Runde und stellte sich als Chris vor. Trotz Lukas Abwesenheit war Nici voll happy. Alle waren furchtbar nett zu ihr und sie hatte viel Spaß. Doch eher unbewusst schaute sie immer wieder in die Richtung, in die Lukas verschwunden war, dies entging Nadja nicht. „Nici, er wird schon wiederkommen, keine Sorge." Chris warf den Mädels einen fragenden Blick zu. „Ach Lukas war vorhin da", klärte ihn Nadja auf. Da entschwand Chris Lächeln. „Wundert mich ja, dass sich der Herr mal wieder hat hier blicken lassen", bemerkte er zynisch. „Magst du ihn nicht?", fragte Nici neugierig. „Wir sind zusammen in einer Klasse und ich kenne Lukas schon ne ganze Weile. Früher mochte ich ihn, doch jetzt haben sich unsere Wege getrennt, seid er seine tollen Gruftipunks hat." „Ey Chris, nur weil du nichts mit den Leuten anfangen kannst, heißt es nicht, dass sie schlecht sind. Und wenn dir Lukas so sehr fehlt, dann unternimm halt so was mit ihm nur nerv uns nich dauernd mit deinem Gelaber", mischte sich Basti ein. Nici merkte, dass das wohl irgendwie ein Streitpunkt zu sein schien. Nach einer Weile tauchte Lukas wieder auf und hatte eine grünhaarigen Punk an seiner Seite. Die beiden schienen sich über irgendetwas zu amüsieren. Der Punk wuschelte Basti durch die Haare und umarmte ihn. Er stellte sich dem jungen Landei dann als Flo vor und Nici erfuhr, dass Flo, Basti und Lukas sehr gute Freunde waren. Doch welche Rolle spielte Chris dabei? Den ignorierten die drei komplett, wie auch Nici. Das war schade. Dann kam Lukas doch elegant zu ihr geschlendert und sie fragte sich, ob er wohl viele Verehrerinnen hatte. „Alles klar?“ „Irgendwie schon.“ „Magst du noch was trinken?“ „Nein danke.“ „Kennst du Nadja eigentlich schon länger?“ Sie schüttelte mit dem Kopf. „Auch erst seit heute. Das war echt lustig, weil wir uns gleich so gut verstanden haben und sie hat mich halt mit hierher gebracht.“ „Ich bin nur wegen Basti hier. Er muss halt auch ab und zu mal mit zu Nadjas Freunden kommen, sonst macht sie Ärger.“ Dabei grinste Lukas. „Wo seit ihr sonst immer?“ „Schon oft im Park oder in unserer Laube. Da will Nadja aber nie mitkommen. Find ich voll blöd.“ „Kennst du den Chris, der mit bei Nadja sitzt?“ „Mhh. Er geht in meine Klasse. Wir mögen uns nich sonderlich. Er versucht bei den Leuten immer gut dazustehen und erzählt deshalb auch gern mal Mist über andere. Besonders über mich.“ „Warum das denn?“ „Was weiß nich. Is mir auch egal. Magst noch mal mit zu unserer Laube kommen?“ Das war ein schönes Angebot und Nici hatte auf einmal Angst, dass sie es verschissen hätte, wenn sie nicht zusagen würde. Also sagte sie ja. Der Punk mit den grünen Haaren kam auch mit, nur Basti blieb bei Nadja. Das tat ihr irgendwie leid. Da diese besagte Laube ziemlich am Stadtrand lag, mussten die drei mit der Straßenbahn fahren, allerdings ohne zu bezahlen. Nici stellte fest, dass Flo echt witzig war. Die Laube lag in einem kleinen verwilderten Gartengrundstück. Hier lernte Nici auch Tim kennen, einen weiterer Freund von Lukas. Auch er sah sehr gruftig aus mit den langen schwarzen Haaren, dem Ledermantel und den Totenkopfringen an seiner Hand. Er hieß das neue Mädchen gleich willkommen. Lukas hing die ganze Zeit bei einem Punkmädel mit türkisenen Haaren. Das nervte Nici irgendwie. Die beiden waren sehr vertraut miteinander. War das vielleicht seine Freundin? „Flo, ist Lukas mit dem Mädel da drüben zusammen?“, erkundigte sie sich vorsichtig. „Nee. Das is seine beste Kumpeline. Du stehst wohl auf ihn?“ Sie zuckte mit den Schultern und lächelte etwas verlegen. „Schon. Meinst du ich hab ne Chance?“ „Wenn du lange genug mit ihm flirtest. Lukas hatte schon länger keine Freundin mehr und ich weiß auch nich, ob er das momentan will. Aber versuchen kannst du es ja.“ Auf einmal wurde sie von Flo mitgezogen und sie setzten sich zu Lukas und dem Mädel. Das Feuer wärmte Nici am Rücken. Flo zündete sich einen Joint an und reichte ihn an Lukas weiter. Nici hockte nur dumm daneben und guckte zu. Das Mädel lehnte sich an Lukas Schulter. Er wirkte auf einmal ernst. „Ey Flo, kannst du mir mal sagen, wie ich das noch aushalten soll?“ „Zieh doch in die Laube“, sagte Flo grinsend. „Hab ich auch schon überlegt. Heut hat sie wieder Mal versucht freundlich zu sein, doch dieses auf und ab hab ich langsam satt. Vor allem tut sie immer so, als wäre alles in bester Ordnung, dabei vögelt mein Vater seine Sekretärin. Ich weiß nich, ob sie es nich wissen will oder wirklich keine Ahnung hat. Am besten ich bleib die ganze Nacht hier am Feuer sitzen.“ Lukas nahm einen tiefen Zug und es tat echt weh. Sie konnte echt nicht sagen, was für ein Typ er war. Redete er gerade über seine Familie?  „Ich mach mich jetzt vom Acker“, sagte das Mädel. „Pass auf dich auf Süße.“ „Klar, mach ich.“ Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund und verschwand. Lukas und Flo teilten sich den Joint nun alleine. Was war, wenn Nici hier in eine Drogenclique geraten war? Aber irgendwie mochte sie die Leute auch. Sie hatte vorher nicht gewusst, dass Punks auch so lieb sein konnten. Als sie einen Blick auf ihre Uhr warf, erschrak sie. Es war schon fast zwölf. Sie sprang auf und verabschiedete sich. Dann fiel ihr auf dem Weg zur Gartentür ein, dass sie den Weg zurück eigentlich gar nicht kannte. Doch bevor das verzweifelte Mädchen den Gedanken zu Ende gedacht hatte, kam Lukas auch schon angerannt. „Ich glaube, ich bring dich mal lieber nach Hause, bevor du dich noch verläufst.“ „Du warst jetzt echt meine Rettung.“ „Naja, als ich zum ersten Mal allein hier her gekommen bin, hab ich dann hier übernachtet. Am anderen Morgen bin ich dann voll verpeilt nach Hause gekommen.“ Sie schwiegen einen Augenblick. „Sag mal, kifft ihr eigentlich oft?“, fragte Nici dann. Lukas zuckte mit den Schultern und zog an seiner Zigarette. „Ab und zu schon. Wir trinken mehr.“ Er lachte. „Also, es ist jetzt nicht so, dass wir die übelsten Junkies wären. Nur manchmal ist es ganz gut keinen klaren Kopf zu haben.“ „Chris hat vorhin nur erwähnt, dass du mit voll den seltsamen Leuten rumhängst. Aber ich hab die Leute ja jetzt auch gesehen und finde sie in Ordnung.“ „Sind sie auch. Auf jeden Fall ehrlicher als dieser dämliche Chris.“ Die Fahrt mit der S-Bahn kam Nici ewig vor und sie beschäftigte noch eine andere Sache. Lukas seine wirklichen Probleme, die er vorhin kurz am Feuer erwähnt hat. Allerdings traute sie sich nicht, ihn darauf anzusprechen. „Wer war das Mädchen eigentlich? Also die, die bei uns am Feuer saß.“ „Kim. Mein kleines Goldstück. Sie sagt immer, dass ich ihr großer Bruder bin.“ Goldstück? War da doch mehr als nur Freundschaft? „Ist sie deine Freundin?“, fragte Nici dann ein bisschen dreist. Lukas sah sie leicht verwundert an. „Nein. Alle sagen zwar immer, dass wir ein tolles Paar wären, aber wir sind keins.“ Mehr sagte er dazu nicht und Nici hatte das Gefühl, dass ihn das ein bisschen verärgert hatte. Als sie endlich bei ihr zu Hause angekommen waren, verabschiedete er sich kurz und knapp und verschwand. Nici fühlte sich mies, weil sie gern länger bei Lukas geblieben wäre. Und was, wenn er sie jetzt nicht mehr mochte?      Ich hatte es mir schon denken können, Nici war auch eine von diesen dummen Tussen. Eine dieser blöden, naiven Mädchen, die alles oberflächlich beurteilten. Aber ich fand sie trotzdem irgendwie hübsch. Oder dachte ich falsch von ihr? Glücklicherweise hatten mich meine Eltern nicht gehört. Ich schlief schnell ein und wurde wenige Stunden später wieder von meinem Wecker aus den Träumen gerissen. Ich blieb so lange liegen, bis meine Eltern das Haus verlassen hatten und erst dann schwang ich mich aus dem Bett. Mein Freund Flo klingelte schon Sturm und ich öffnete ihm die Tür. Er wollte ja nur einen Kaffee, jeden Morgen dasselbe Ritual. Flo und Basti kannte ich schon seit der Grundschule und seitdem waren wir drei unzertrennlich. Ich konnte auch nicht sagen, wann wir uns mal richtig gestritten hatten. Flo hatte bei sich zu Hause mit ähnlichen Problemen wie ich zu kämpfen und deshalb war er derjenige, der mich in dieser Hinsicht am besten verstand. „Hast du mal Haarspray für mich?“ „In meinem Zimmer im Regal neben dem Spiegel.“ Ich kochte uns Kaffee, da wir noch eine halbe Stunde Zeit hatten und nahm ihn mit rauf in mein Zimmer. Flo stellte seinen Iro auf und nebelte mein Zimmer mit Haarspray ein. „Du weißt schon, dass du nur zur Schule gehst?“, fragte ich scherzhaft. „Na und! Ich lege halt viel Wert auf mein Aussehen.“ „Tussi.“ Er nahm mir meine Zigarette aus der Hand und zog daran. Seine goldbraunen Augen stachen sich extrem mit seinem grünen Haaren. Sein ausgefallener Stil gefiel mir, doch manche Sachen, die er trug würde ich nie anziehen, wie seine schwarz grün gestreifte Hose. Aber zu ihm passte es. Auch Flo mochte Ketten und Nietengürtel, wie ich. Ab und zu, wenn wir beide einen guten Tag hatten, machten wir uns über unsere Probleme lustig. „Und gibt’s was Neues?“, fragte Flo ironisch. Ich grinste nur. „Nee leider nich. Hab nur nen Anschiss wegen schlechtem Benehmen bekommen. Und bei dir so?“ Er verdrehte die Augen. „Ich penn bald auf der Straße…weißt Kevin hört diesen Gangster Hip Hop, trägt Hosen, die aussehen, als hätte er eingeschissen und über mich regen die sich auf, weil ich bunte Haare hab.“ „Mein Beileid. Lass uns gehen.“ Doch dann hielt er Inne und schien hinter meine Fassade zu blicken. Auch, wenn ich ein Meister der Verdrängung war, gelang es mir nicht immer bei Flo das perfekte Pokerface aufzusetzen und deshalb zog er mich in seine Arme. In meinen Augen sammelten sich die Tränen und ich vergrub meinen Kopf in seiner Halsbeuge. Flo tätschelte meinen Kopf. „Ich bin da Süßer…immer…sag mal hast du eigentlich mitbekommen, wie dich die Kleine gestern angehimmelt hat?“ Ich fing mich wieder und boxte ihn leicht in die Rippen. „Is dir nicht entgangen was?“ Flos Grinsen wurde nur noch breiter. Einen Grund, weshalb ich Flo auch noch mochte war, dass er mir im Verhalten sehr ähnelte. Basti versuchte das oft auszugleichen, weil er der Ruhepol von uns dreien war. Doch Flo und ich ließen sich nicht auf der Nase rumtanzen und übertrieben es auch gern mal. Bis zur Schule war es von mir aus nur fünf Minuten. Basti wartete schon vor dem Eingang auf uns.   Nachmittags traf ich Nici zufällig und sie kam auch gleich angerannt. „Sag mal, hab ich gestern was Falsches gesagt?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Nee, wieso?“ „Naja, du warst dann auf einmal so komisch.“ „Ich bin nur nicht sicher, was ich von Menschen halten soll, die so vorschnell wie du urteilen.“ Nici zog die Stirn in Falten. „Wie meinst du das?“ „Menschen, die sich eher selbst ein Bild von jemanden machen. Ich habe mich gestern einfach ein bisschen ausgefragt gefühlt. Weißt du Nici, ich glaube Nadja denkt nicht sonderlich positiv von mir, auch wenn sie manchmal so tut als könne sie mich leiden.“ Sie schwieg und schaute zu Boden. „Aber sie hat von dir als ihr Kumpel gesprochen und naja, dass du kiffst hat mich schon ein bisschen überrascht.“ „Ach ja? Wahrscheinlich weil du wie alle Vorurteile hast.“ Ihr stieg eine leichte Röte ins Gesicht. „Naja, ich glaub nur ich mag dich und mach mir ein bisschen Sorgen.“ „Aha. So läuft der Hase.“ Ich grinste sie an. „Du kennst mich doch gar nicht.“ „Ich würde dich ja gern näher kennenlernen.“ Wollte sie das wirklich? Und wie sehr mochte sie mich? Sollte ich ihr wirklich einen tieferen Einblick in mein chaotisches Leben geben? „Wenn du willst. Versprich dir aber nicht zu viel. Und Nici, jetzt chill mal…kiffen is nix schlimmes und nen bisschen high sein hat noch keinem geschadet. Hast du Lust noch was zu machen?“ Sie zögerte einen Moment. „Ja okay. Naja, ich muss erst noch mal nach Hause. Meine Mutter hat gestern noch voll den Terror gemacht, weil ich so spät gekommen bin.“ „Sorry, dass du meinetwegen Ärger bekommen hast.“ „Schon okay. Hast du in einer Stunde auch noch Zeit?“ Wieder musste ich lächeln. „Klar. Ich warte dann vor dem Haus auf dich.“ Ich fühlte mich gut. Das war ja schon fast ein Date. Ich glaube, ich hatte Nici doch falsch eingeschätzt. Wann hatte ich überhaupt mein letzes Date gehabt? Das war auch schon länger her. Ausnahmsweise erledigte ich mal meine Hausaufgaben und freute mich auf das Treffen mit Nici. Da es jetzt schon ganz schön warm war, zog ich meine Knielange schwarze Hose an. Mein Nine inch Nails T-Shirt behielt ich an, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle schon etwas löchrig war. Den Nietengürtel entferne ich auch aus der langen Hose. Gerade, als ich aus meinem Zimmer trat, kam meine Mutter zur Haustür herein. Auch das noch. Ich begrüßte sie nur flüchtig, doch sie hielt mich auf und tat mal wieder so, als würde sie mein Leben interessieren. „Wo willst du denn schon wieder hin?“ „Mich mit ner Freundin treffen.“ Mit abwertendem Blick musterte sie mich von oben bis unten. „Ich versteh es wirklich nicht Lukas…du ziehst dieses Leben deiner Familie vor. Bist du dir überhaupt im Klaren, was du damit anrichtest? Ich habe die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben, aber es trifft mich jedes Mal aufs Neue, wenn du das Haus verlässt und ich weiß, dass du dich mit diesem Abschaum triffst.“ Ich schüttelte mit dem Kopf und löste mich aus ihrem Griff. „Dieser Abschaum sind meine Freunde…rede nicht so über sie.“ „Ich hab dich doch lieb…warum nur bist du so?“ „Klar…du liebst etwas, das ich nicht mehr bin und auch nie mehr sein werde…“ „Dann mach doch, was du willst…verunstalte dich weiter und treib ein Keil zwischen uns…vergifte unsere Familie nur…ja das kannst du gut!“ Wie immer, wenn sie sowas sagte fühlte ich mich richtig mies. Was wollte sie von mir hören? Ich drückte mich an ihr vorbei nach draußen und erst als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, fühlte ich mich ein bisschen besser. Ich war noch damit beschäftigt meine Turnschuhe anzuziehen, als Nici auch schon kam. Freundschaftlich begrüßte sie mich. Plötzlich öffnete sich die Haustür und meine Mutter stand vor mir. „Lukas…“ Da war es wieder, dieses unangenehme Ziehen in der Brust. „Was?“, fuhr ich sie gereizt an. „Wann hört das endlich auf? Du machst so alles nur noch schlimmer.“ „Ach wirklich? Nenn mir einen Grund, weshalb ich öfter zu Hause sein sollte, wenn du solche Dinge sagst. Ich habe mich entschieden, ob es dir passt oder nich!“ Darauf erwiderte sie nichts und verschwand wieder im Haus. Als sie weg war, zündete ich mir eine Zigarette an und Nici und ich liefen Richtung Park. „Ihr versteht euch nicht besonders gut oder?“ Ich zuckte mit den Schultern und hockte mich auf die Wiese. „Das kommt wohl dabei raus, wenn man gegen den Willen seiner Eltern rebelliert und nicht das macht, was sie wollen. Früher hab ich mich mal total super mit ihnen verstanden, aber das war einmal. Meine Eltern gehören zu diesen Menschen, die angesehen sein wollen und ich bin ihnen ein Dorn im Auge, weil ich nicht den braven Sohn spiele.“ „Das tut mir leid.“ Ich nahm einen tiefen Zug. „Das brauch dir nicht leid zu tun. So ist das Leben nun mal. Du kennst es sicher anders, aber mir ist es sowieso egal. Meine Freunde sind meine Familie und nicht meine Eltern. Und deshalb wird man von anderen gleich dumm angemacht, weil man eben anders is.“ Nici schwieg einen Moment und ich wusste nicht, ob sie mich überhaupt verstand. „Aber ich laufe ja auch nicht normal rum und meine Eltern finden das nicht schlimm.“ Ich lachte bitter. „Naja, aber ich hab auch ne Menge Piercings, Tunnels in den Ohren und Tattoos. Schminke mich, lackiere mir die Nägel…glaub das macht noch mal nen Unterschied. Außerdem hängt es ja auch davon ab, mit was für Leuten du zusammen bist. Was für Künstler du verehrst und welche Musik du hörst. Und meine Eltern wissen, mit wem ich mich abgebe. Das stört sie, weil sie meine Freunde in die gleiche Schublade stecken, wie alle anderen auch. Die Punks werden von den meisten Leuten verachtet, aber die kennen die Hintergründe nich. Die meisten von denen sind echt arme Schlucker und haben schon mehr vom Leben erfahren, als manch andere. Einige von ihnen haben echt krasse Probleme zu Hause, aber das wollen die meisten Leute nich sehen.“ Nici sah mich nur an und ich konnte ihren Blick nicht so recht deuten. „Das ist echt komisch. Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, hab ich dich ganz anders eingeschätzt.“ Ich musste grinsen. „Ach ja? Wie denn?“ Sie zögerte einen Moment. Vielleicht war ihr das peinlich oder so. „Naja, ich dachte, dass du aus einer tollen Familie kommst, die dich mag und dich unterstützt.“ Jetzt musste ich lachen und hoffte, dass sie das nicht falsch auffasste, aber auch Nici stimmte mit ins Gelächter ein. „Sorry, aber das ist echt voll komisch. Warum denkst du sowas? Nur weil ich mich nach außen so gebe?“  „Naja vielleicht.“ „Du bist komisch.“ „Mag sein. Aber Nici…“, begann ich und sah sie ernst an. „Da Chris und Nadja ja ziemlich gut befreundet sind, wird sie dir vielleicht als deine Freundin abraten mit mir zusammen zu sein. Du musst aber nicht alles glauben, was sie dir über mich erzählen, da die meisten Dinge sowieso von Chris kommen. Wenn du etwas wissen willst, rede lieber offen mit mir darüber, okay?“ Nici warf mir ein zuckersüßes Lächeln zu. „Auf Chris hätte ich eh nicht gehört. Den mag ich auch nicht besonders.“ „Das ist gut so. Wollen wir noch nen Kaffee trinken gehen?“ Sie nickte und wir schlenderten an diesem schönen, sonnigen Tag zu meinem Lieblingscafé. Der Inhaber dieses Cafés war Bastis großer Bruder Mike und er machte den besten Kaffee der Welt. Wir suchten uns ein Plätzchen auf der Terrasse. Basti half heute mit beim Bedienen, da viel los war. Er kam auch gleich zu uns und nahm die Bestellung auf. Nici entschied sich für einen Cappuccino und ich nahm das Übliche. Als sich der Trubel etwas beruhigt hatte, setzte er sich kurz zu uns an den Tisch und wir rauchten eine Zigarette. „Hat dir Kim eigentlich erzählt, dass sie jetzt wahrscheinlich einen Freund hat?“ Ich nickte und trank einen Schluck Kaffee. „Hoffentlich ist das nicht so ein Arsch. Sonst bekommt er es mit mir zu tun.“ „Ich hab die beiden vorhin gesehen. Er scheint ganz nett zu sein. Ich denk, es tut ihr mal ganz gut. Am Wochenende wollen wir an die Ostsee fahren. Kommst du oder ihr da mit?“ „Ist Nadja da auch dabei?“, fragte Nici. „Wahrscheinlich schon.“ „Also ich bin auf jeden Fall am Start.“ Plötzlich erschallte eine Stimme ganz in unserer Nähe. „SEBASTIAN!“ Basti zuckte zusammen und folgte dem Ruf augenblicklich. „Ich bin mir nicht sicher, ob meine Eltern das erlauben. Ich hoffe es.“ Ich rauchte noch eine. „Ach klar, wenn Nadja auch mitkommt.“ „Ich frag auf jeden Fall mal.“ „Das freut mich. Wäre echt schön. Hast du Lust noch mit zu kommen?“, fragte ich sie dann, weil mich dieses Mädchen irgendwie faszinierte und es lange her war, dass mich jemand so wie sie angesehen hatte.   Nici schwebte auf Wolke 7 und so schnell hatte sie sich nicht erträumen lassen von Lukas eingeladen zu werden. Er führte sie in sein Zimmer. Man war das riesig! Scheinbar hatten seine Eltern echt eine Menge Kohle. Überall hingen Poster von solchen dunklen Bands oder mystischen Figuren und es standen viele Drachen oder Totenköpfe in den Regalen. Auf dem Tisch war ein Kerzenleuchter mit zwei Drachen am Fußende. Der Tisch war von einer kleinen Sitzecke umgeben. Das Bett stand in der Ecke neben dem Fenster. Nici entging auch nicht, dass Lukas Schwester ihren großen Bruder sichtlich vergötterte. Nun wandte er sich dem schüchternen Mädchen zu und führte sie zum Sofa. „Wow, cooles Zimmer. Wie alt ist deine Schwester?“, begann Nici das Gespräch. „Sie is zehn. Wie war dein Tag so?“ Irgendwie war Lukas geheimnisvoll, man konnte nie sagen, was er als nächstes tat. „Ja war ganz cool. Bei dir?“ Er zündete sich eine Zigarette an und lächelte Nici an. Sie betrachtete ihn und stellte wieder mal fest wie wunderschön er war und sie fragte sich auch, wie er ohne sein T-Shirt aussah. Wie gerne würde sie ihn jetzt küssen. Sie störte sich schon gar nicht mehr daran, dass er rauchte. „Naja, eigentlich ganz okay. Allerdings hat mich meine Geschichtslehrerin irgendwie auf dem Kicker.“ In seiner Stimme lag ein belustigender Ton. Sicher hatte Lukas seinen Spaß daran die Lehrer mit seinem Verhalten zu provozieren. Nici merkte, dass er ihre langen roten Haare musterte und musste grinsen. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du wunderschön bist?“ Das überraschte und rührte sie zu gleich. Meinte er das wirklich ernst? „Naja…ist ne Weile her.“ „Wann das letzte mal?“ „Vor etwa zwei Monaten. Du bist es aber auch.“ Das rutschte ihr einfach so raus und augenblicklich stieg ihr eine leichte röte ins Gesicht. Das Mädchen senkte den Kopf, um es vor Lukas zu verbergen. Doch schaute sie schon bald wieder auf, da sie sich an diesem wunderschönen düsteren Mann nicht satt sehen konnte. In seinen smaragdgrünen Augen konnte man sich fast verlieren und manchmal stellte sich Nici die Frage, ob er nicht Kontaktlinsen trug. Denn dieses leuchtende Grün wirkte schon beinahe unecht. „Du scheinst ja auch ein kleiner Goth zu sein! Was hörst du so für Musik?“ „Naja, ich mag vor allem the Cure, Nightwish, Him und so weiter. Ich habe mich auf keine bestimmte Musikrichtung festgelegt“, sagte Nici etwas unsicher, denn irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Lukas ein echter Insider war, was die Szene betraf. „So, die Stinobands halt. Naja, ist schon okay. Aber ich finde es gut, dass du dich nicht auf nur eine Richtung spezialisierst, das mache ich auch nich. Ehrlich gesagt finde ich das sogar doof, weil es so viele tolle Bands in der Szene gibt. The Cure mag ich auch sehr, aber im Moment habe ich gerade so meine Elektro Phase. Oder Manson, der ist auch toll.“ „Was heißt hier Stinoband? Ich mag auch the Fields of Nephilim oder Feindflug!“ Er lächelte amüsiert und drückte die Zigarette aus. „Das habe ich ja auch nich bös gemeint, tut mir leid, falls du das so aufgefasst hast.“ „Ist schon okay. Ich mag die Bands trotzdem.“ „Ich ja auch. Bis auf Nightwish vielleicht.“ Erst jetzt bemerkte Nici Lukas Zungenpiercing und sie fragte sich, wie sich das wohl beim Küssen anfühlte? „Kennst du eigentlich noch ein paar andere Leute aus der Szene?“, fragte sie neugierig. „Ja, aber so viele auch nich. Ich würde ja gerne mal zur Gothicparty. Um ehrlich zu sein, ich kenne nur noch drei, Basti, Flo und Tim. Den einen oder anderen vom Sehen, mehr aber auch nicht.“ Das war immerhin schon ein Anfang. Lukas führte Nici zu seinem CD Regal und sie überflog die Namen der Bands auf den CD Rücken. Diese standen feim säuberlich nach Bandnamen geordnet. Wow, sowas würde Nici nie einfallen. Sie standen sehr nahe beieinander und ihr Herz schlug wieder bis zum Hals. Ihre Wahl fiel schließlich auf The Cure. Er gab sich damit zufrieden. Als Nici ihm die CD reichte, trafen sich ihre Blicke zum ersten Mal richtig. Das Mädchen hielt seinem Blick stand und er dem ihren. Allerdings fühlte Nici diese Anspannung und wenn er sie schon so begehrlich ansah, warum konnte er sie dann nicht endlich küssen? Seine Lippen formten sich zu einem süffisantem Grinsen. Er legte die CD ein. „Ich habe noch kein Mädchen kennengelernt, das meinem Blick so lange standhalten konnte.“ Nici schluckte und versuchte so cool wie möglich zu klingen. „Tja, jetzt kennst du eins.“ Und dann küsste er Nici sehr innig. Er ergriff ihre Hände und führte sie an seinem Körper entlang. Das war echt verdammt toll. Durch Nici strömte ein unwahrscheinlich schönes Glücksgefühl und sie war der Realität im Moment sehr, sehr fern. Dann sahen sich die beiden wieder an. Lukas hatte seine Arme vorsichtig um Nici gelegt. „Gestern dachte ich noch, dass du eine Freundin haben musst, so hübsch, wie du bist.“ „Na die habe ich doch auch und sie ist mindestens genauso hübsch.“ Was für ein schönes Kompliment. Konnte das jetzt wirklich wahr sein? Der Abend mit Lukas zusammen war echt wundervoll, es war der schönste ihres Lebens. Er war so zaghaft und von seinen Berührungen bekam Nici eine Gänsehaut. Man merkt, wenn ein Junge Ahnung davon hat ein Mädchen zu verführen und Lukas war sich seiner Sache sehr sicher. Vielleicht war es zu früh, schon am zweiten Tag so vertraut miteinander umzugehen, aber sie konnten nicht anders.   Das Wochenende war endlich gekommen und ich packte meine Sachen zusammen. Tim und Mike wollten fahren. Ich freute mich auch, dass Nici mitkam und ich setzte mich dafür ein, dass sie bei Tim mitfuhr, wie auch Flo und natürlich Kim. Ihr Freund wohnte in der Nähe vom Strand und wollte dann später nachkommen. Ich kannte ihn nicht weiter, doch Kim schien glücklich mit ihm zu sein und das war die Hauptsache. Der Campingplatz war nicht sehr groß, aber schön und lag genau am Wasser. Wir hatten großen Spaß beim Aufbauen der Zelte und begannen da schon mit Trinken. Als das erledigt war ließen wir uns am Strand nieder und tranken weiter. Tim hatte ein Radio mitgebracht und wir hörten Blitzkid. Wir kamen auf die einfallsreiche Idee Wahrheit oder Pflicht zu spielen. Eigentlich ein blödes Spiel, aber wir hatten unsere Freude dabei. Dummerweise hatten wir nur zwei Mädels unter uns. Die meisten entschieden sich für Wahrheit, weil sie zu schissrig waren. Als ich dann mal so mutig war und Pflicht wählte, meinte Tim mir etwas Schlimmes anzutun, als er sagte, ich solle einen der Jungs küssen. Halt ein richtiger Kuss mit Zunge, den ich mit Humor nahm. Ich schaute so in der Runde umher und irgendwie blieb mein Blick bei Flo hängen. Bei Basti wusste ich nicht, wie Nadja reagieren würde und Tim, der auf diese Idee gekommen war, kam nicht in Frage. Flo grinste mich an und ließ sich auf den Kuss ein. Es fühlte sich sogar ziemlich gut an. Die anderen zollten uns Beifall. „Wow, das sah gar nicht mal schlecht aus.“ „Tja, Flo ist wohl genauso hemmungslos wie ich.“ Kim war noch nicht da, weil sie zu ihrem Freund gegangen war und später mit ihm zu uns kommen wollte. Chris war leider auch dabei und er setzte sich gerade zu Nici. Das war doch meine Chance ihn zu vergraulen. Als sie sich eine Weile unterhalten hatten stieß ich zu ihnen und redete nur mit Nici. „Es ist echt voll schön hier. Magst du heut was trinken?“ Ich hielt ihr meine Flasche hin, die sie lächelnd entgegen nahm. Chris warf mir einen zornigen Blick zu und ich erwiderte diesen mit einem fiesen Grinsen. Nici ging kurz zu Nadja, versprach aber gleich wiederzukommen. „Da ist wohl jemand eifersüchtig?“, stichelte ich ihn. „Einen wie dich will sie doch sowieso nicht. Nici brauch einen Mann mit Intellekt.“ Ich musste augenblicklich losprusten und verteilte mein Bier im Sand. „Ach ja? Da bist du sicher der Richtige. Lass sie                                                                        doch einfach selbst entscheiden.“ Obwohl sie das ja längst getan hatte, nur davon wusste Chris ja noch nichts. Und da ich von ihr erfahren hatte, dass sie Chris nicht sonderlich mochte, fand ich es umso amüsanter. Sie kam zurück und setzte sich neben mich. Chris stand dann auf und machte sich vom Acker. Unschuldig zuckte ich mit den Schultern. „Was hast du denn wieder böses zu ihm gesagt?“ „Ich? Nichts. Er nimmt einfach alles viel zu ernst.“ Nici griff nach meiner Zigarette und zog daran. „Du rauchst?“ „Eigentlich nicht. Es gibt immer ein erstes Mal oder?“ Ich nickte. „Sind wir jetzt eigentlich echt zusammen?“ „Mhh, wenn du willst.“ „Gerne. Ich würde ja sagen, lass es uns langsam angehen, aber nach gestern Abend bei dir…“ Ich musste wieder lachen. „Naja, Sex is nichts schlechtes…also. Und ich kann mich nich beschweren.“ „Das will ich hoffen. Ich hatte vor dir noch nicht so viele Typen.“ Plötzlich herrschte hier ganz schön Aufruhr und ich schaute mich um, was der Grund dafür war. „Warte mal kurz“, sagte ich zu Nici und ließ sie alleine sitzen. Ein Stück weit von unserer Feuerstelle hörte ich einen Streit und näherte mich der Stelle. Kim stand da und heulte. Ihr Kerl schrie sie an und knallte ihr eine. Sie fiel in den Sand. Der Typ sah mich und pöbelte mich blöd von der Seite an. Das war echt zu viel. „Hast du jetzt ne Frau geschlagen? Das ist das letzte!“ „Sie hat es verdient.“ Ich holte aus und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Er schlug zurück und ich schmeckte Blut auf der Unterlippe. Ich zwang ihn zu Boden und trat ihn in den Bauch. Das sollte reichen. Kim weinte immer noch und ich half ihr auf. Sie schmiegte sich an mich und wir gingen zurück zur Feuerstelle. „Alles okay?“ Sie nickte. Ich tupfte mit einem Taschentuch das Blut an meiner Unterlippe ab. Mein Auge hatte auch etwas abbekommen, denn ich merkte, wie es anschwoll. Kim hatte aufgehört zu weinen. „Was ist eigentlich passiert?“ Ihre Stimme zitterte, als sie redete. „Naja, ich hab ihn so von zu Hause abgeholt und da war da auf einmal noch ein anderes Mädchen. Da hab ich ihn gefragt, was das soll und bin in Richtung Strand gerannt. Er kam hinterher und hat angefangen mich zu beschimpfen. Warum weiß ich nich.“ Ich nahm sie in die Arme. „Tut mir leid.“ Nici schaute die ganze Zeit in meine Richtung und mir war auch egal, was sie im Moment dachte. Kim drehte sich eine Zigarette. Ihr ganzer Körper zitterte noch immer wie Espenlaub. „Wo soll ich jetzt nur hin? Nach Hause kann ich nich wieder. Ich glaube, ich kann nie wieder eine richtige Beziehung führen.“ „Ist es so schlimm?“ „Ja. Mein Vater ist echt krank und meine Mutter will das nich wahrhaben. Ich habe echt voll Angst vor ihm. Jetzt hat er den Schlüssel zu meinem Zimmer geklaut, damit er immer zu mir kommen kann, wenn er gerade Lust hat. Selbst mein Bitten und Flehen hilft nichts. Er ist immer so grob zu mir.“ Ich schloss sie noch fester in meine Arme und wollte ihr Sicherheit geben. Kim war so ein hübsches Mädel und doch schon so gezeichnet. „Ich bin ja bei dir und du weißt auch, dass du immer zu mir kommen kannst.“ „Ich will dich aber nich ständig mit meinen Problemen belasten. Immerhin hast du selbst genug Stress.“ „Hey, jetzt hör aber auf. Bitte denk sowas nich. Ich helfe dir doch gerne und das weißt du auch.“ Jetzt lächelte sie mich kurz an. „Ja, stimmt. Und ich danke dir dafür.“ Kim holte sich noch ein Bier und brachte mir eins mit. Wir lagen im Sand und schauten hinauf zu den Sternen. „Ihr seid alle so tolle Menschen…kann ich nich auch mal nen süßen Typen finden, der kein Arsch is?“ Ich grinste. „Du hast mich nie gefragt.“ Kim sah mich von der Seite an und zog die Augenbrauen hoch. „Lukas…ich bin da vielleicht ein bisschen seltsam, aber du bist mein liebster Freund…das geht nich…“ „Schon okay, das war auch eher nen Joke…ich hab dich sehr gern und glaub, wenn wir was miteinander hätten, würde das mehr kaputt machen.“ „Du brauchst aber auch mal wieder nen nettes Mädel…übrigens hab ich gehört du hast mit Flo rumgeknutscht.“ Ich musste lachen. „Ja wir haben rumgealbert und dumme Spiele gespielt. Mhh und das mit dem netten Mädel läuft schon.“ Kim schüttelte den Kopf und grinste. Ich bewunderte sie, weil sie so unglaublich stark zu sein schien. Den Eindruck erweckte sie zumindest oft und ich wünschte mir, ich könnte das auch. Es begann schon zu dämmern und Kim hatte sich zu mir ins Zelt gelegt, weil sie müde war. Ich entfernte mich ein Stück von meinen Freunden und hockte mich alleine ans Wasser. Warum waren Menschen nur so grausam? Warum mussten Väter ihre Töchter misshandeln und vergewaltigen? War das schon immer so gewesen? Ich war mir manchmal nicht sicher, ob ich Kim den Schutz und die Geborgenheit geben konnte, die sie wirklich brauchte. Und Nici? Was würde aus uns werden und würde sie damit klarkommen, dass ich mich so gut mit Kim verstand? Tausend Fragen schwirrten mir durch den Kopf und ich wusste auf keine Antwort darauf. Da ließ sich Flo auf einmal neben mir nieder und legte seinen Arm um mich. „Na Schatz, was hockst du hier so allein rum?“ Ich lehnte mich an seine Schulter. „Kein Plan, nachdenken und so. Außerdem nimmt mich die Sache mit Kim voll mit.“ „Geht mir auch so. Was läuft nur falsch bei uns Lukas? Ich meine irgendwie isses cool wie es ist, aber wenn ich euch nich hätte, würde ich wahrscheinlich schon irgendwo in der Gosse liegen.“ Ich nahm Flo kurz in die Arme. „Red keinen Schwachsinn Süßer. Wir haben uns und das ist das Wichtigste. Übrigens kein schlechter Kuss vorhin.“ Flo grinste und drehte uns einen Joint. „Naja, warum auch nich. Ich bin doch genauso verdorben wie du.“ Ich gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. Er reichte mir den Joint und ich nahm einen tiefen Zug, das tat wirklich gut nach einem solchen Abend. Ich hörte Schritte hinter uns und da stand Nici auf einmal. Wir rauchten noch zu Ende, dann meinte Flo, er wolle sich auch noch ein bisschen hinlegen. Doch er zwinkerte mir unauffällig zu und ich wusste, dass er nur ging, damit ich mit Nici allein war. Sie stellte sich vor mich und betrachtete mich. Ich war ziemlich stoned. „Du siehst nicht gut aus.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Und? Wen interessiert das schon.“ Sie setzte sich mir gegenüber. „Mich vielleicht?“ „Mhh, glaub daran muss ich mich gewöhnen…“ Sie schwieg und guckte abwechselnd zu mir und in den Sand. „Warum, macht sich sonst keiner Sorgen um dich?“  „Naja meine Freunde schon…aber weiß nich, ob ich so der Beziehungstyp bin.“ „Werden wir ja sehen“, erwiderte sie schüchtern. Ich wusste es auch nicht. Ich hatte immer noch das Gefühl, dass ich nicht der Mensch für eine Beziehung war, nach dem Nici suchte und ich wusste nicht, ob ich der war, für den sie mich hielt. Was wollte sie jetzt von mir hören? Wir schauten uns lange an. „Ist mein Auge schlimm geschwollen?“ „Könnte glaub ich schlimmer sein. Tut es weh?“ „Geht so. Könnte schlimmer sein.“ Wir lächelten uns an. Die Sonne lugte ein bisschen hinter dem Horizont hervor und Nici sah wunderschön aus. „Ich geb mir Mühe.“ „Ich hatte noch nie nen Goth zum Freund und ehrlich gesagt hab ich auch nicht so viel Ahnung von der Szene. Nur das was im Orkus steht. Ich wollte schon immer mal zum WGT und hab mir vorgenommen auf mehr Konzerte zu gehen. Naja und dann treff ich dich und du hast mir echt den Kopf verdreht.“ Ich seufzte. „Nici…versprich dir nich zu viel…In Zeitschriften steht auch nur das, was die Leute hören wollen. Ich wandle so‘n bisschen zwischen Gothic und Punk…und du solltest wissen, dass mir meine Freunde halt verdammt wichtig sind. Weiß ja nich, ob du damit umgehen kannst. Ich bin auf jeden Fall nich der Typ, der jede Minute bei seiner Freundin hängen muss.“ Wir hatten uns hingestellt und beobachteten die aufgehende Sonne. Vorsichtig legte ich meine Arme um Nici. „Flo hat gesagt, wenn ich lang genug mit dir flirte, wird es vielleicht was.“ „Der Idiot. Vielleicht hat er ja Recht gehabt.“ Ich küsste Nici und fühlte mich dabei glücklich. Sie schaute mich total verliebt an und schmiegte sich an mich. Vielleicht war es doch gut wieder eine Freundin zu haben, jemanden, der auch mal für mich da sein konnte. „Sind eigentlich demnächst irgendwelche coolen Konzerte?“ „Weiß nich, aber wenn du Bock hast können wir ja zum WGT gehen.“ „Klingt cool, gern. Hattest du mal einen Iro?“ Ich musste lachen. „Ja und das war das erste Mal, dass meine Eltern zu mir gesagt haben, dass ich raus fliege, wenn ich das Ding nicht weg mache.“ „Ach und du hast ihren Rat befolgt? Ich denk du hörst nicht auf deine Eltern.“ „Tue ich ja auch nicht, aber das war mir zu krass. Die haben das echt ernst gemeint. Am Ende wäre es mir wahrscheinlich sowieso egal. Ich kann‘s ja noch mal ausprobieren.“ Nici schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Aber meinetwegen musst du das nicht machen.“ „Ach nee, ich wollt das schon länger mal wieder ausprobieren.“ Wir hatten ununterbrochen geredet und nun kamen auch die anderen aus ihren Zelten gekrochen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie sich Schlafen gelegt hatten. Na egal. Auf dem Heimweg machten wir Frühstück bei McDonalds. Zu Hause musste ich erst Mal ins Bett und schlafen.   Auch Nici verkroch sich gleich in ihrem kuscheligen Bettchen und träumte von den letzten drei oder vier Stunden. Mit dem Gedanken an Lukas fiel sie in einen traumlosen Schlaf. Gegen Mittag um eins erwachte Nici wieder und Regen prasselte an ihr Fenster. Außerdem knurrte ihr echt der Magen und sie schwang die Beine aus dem Bett. Nicis Mutter schaute im Wohnzimmer Fern und bügelte dabei. Das Mädchen setzte sich mit einem geschmierten Brötchen auf das Sofa. „Na, ihr scheint ja nicht viel geschlafen zu haben.“ „Schlimm?“, fragte Nici mit vollem Mund. Ihre Mum schüttelte mit dem Kopf und lächelte. „So lange du dann noch an deinen Schulkram denkst.“ „Ja klar.“ Das Telefon klingelte. Nici nahm den Hörer ab und am anderen Ende vernahm sie Nadjas Stimme. Sie wollte unbedingt vorbeikommen, weil ihre Freundin brennend daran interessiert war, was gestern oder wohl eher heute früh noch zwischen Lukas und Nici gelaufen war. Die Mädchen kochten sich heiße Schokolade und machten es uns in Nicis Zimmer gemütlich. Sie wackelte aufgeregt mit den Beinen. „Also, wir haben irgendwie voll lang geredet, uns geküsst und wieder geredet. Lukas meinte, dass wir es probieren könnten.“ Nadja strahlte ihre Freundin an. „Jetzt bist du glücklich, was?“ „Oh ja. Ich kann dir gar nicht sagen wie glücklich. Er ist einfach so toll. Warum kommst heut nicht mal mit, da würde sich Basti bestimmt auch freuen“, schlug Nici vor, doch Nadja zögerte einen Augenblick und warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Ich weiß nicht so recht.“ „Komm schon. Die Leute sind echt in Ordnung.“ „Mhh, vielleicht. Ich gehe wenn dann aber nur mit dir zusammen da hin.“ „Klar. Das dachte ich ja auch. Würde mich echt voll freuen.“ Nici ahnte, was Nadja dachte, da sie ja nur die Variante von Chris kannte, wie die Leute nicht waren. Aber konnte sie ihrem Basti nicht auch mal einen Gefallen tun? Immerhin verbrachte er auch viel Zeit mit ihren Freunden und das sagte Nici auch so zu ihrer Freundin. Schließlich ließ sie sich breitschlagen und Nici duschte sich noch, da sie die ganze Zeit noch im Schlafanzug da saß. Nadja wartete im Zimmer. Lukas würde sicherlich schon dort sein, es sei denn er lag noch im Tiefschlaf. Nici freute sich ihn zu sehen und war gespannt, ob er seine Gefühle offen vor den anderen zeigte, aber so schätzte sie ihn schon ein.   Mein Auge war ganz schön angeschwollen und ich kühlte es die ganze Zeit mit Eiswürfeln. Eigentlich wollte ich ja so schnell wie möglich wieder verschwinden. Meine Mutter hatte mich nur dumm angeschaut, als sie meine Veilchen gesehen hatte, aber nichts dazu gesagt. Wäre ja auch Quatsch mit mir zu reden. Mein Vater befand sich wiedermal auf Dienstreise und während dieser Zeit war meine Mum immer komisch drauf. Das lag wohl an seiner netten Sekretärin. Dann redete sie doch mit mir. „Hast du dich wieder geprügelt, ja?“ „Hab nur ner Freundin geholfen.“ „Ach ja. Und davon sieht man bestimmt so aus…mich nervt es, wenn du ständig unterwegs bist und dann so zugerichtet nach Hause kommst. Hast du vielleicht auch eine Anzeige bekommen?“ „Nein, hab ich nich!“, fuhr ich sie an. „Schau dich doch nur an Lukas…was ist aus dir geworden. Jeder Jugendliche in deinem Alter fängt an seine Identität zu entwickeln, aber du musst dich eben immer von allen abheben. Dein Aussehen jagt mir manchmal echt Angst ein…so böse und schwarz.“ „Na und mir gefällt‘s halt. Musst mich ja nich anschauen.“ „Du bist so ein hübscher Junge, aber was rede ich da“, sagte sie mit dieser übertrieben hohen Stimme, mit der sie immer zum Ausdruck brachte, wie frustriert sie doch war. Manchmal tat sie mir dann auch ein bisschen leid. Doch ihr Ziel, mir damit ein schlechtes Gewissen zu machen, zog schon lange nicht mehr. Ich stellte meine Haare zum Iro auf, weil Nici das ja unbedingt sehen wollte und ich bekam ihn sogar richtig gut hin. Wie erwartete zeigte meine Mutter wenig Begeisterung für diese Frisur, weil so ja die asozialen Punks rumliefen. Und meine arschenge Röhrenjeans trug wahrscheinlich auch noch dazu bei, dass sie so dachte. „Ich ertrage das nicht mehr. Dauernd diese Ungewissheit, wo du bist oder wann du kommst. Wenn du überhaupt kommst.“ „Wie gesagt, dann gib mir einen Grund öfter hier zu sein. Denn ich ertrage es nich, dauernd hören zu müssen, was dich alles an mir nervt.“ Ich wollte unbedingt los, weil ich eine rauchen musste. „Damals, als ich dich aus dem Krankenhaus abholte…ich hatte so gehofft, dass du dich änderst…einsiehst, dass du dir die falschen Freunde gesucht hast. Woher kommt das Lukas? Keiner in unserer Familie ist so.“ „Vielleicht bin ich ja gerade deshalb so. Ich will nicht so wie der Rest meiner Familie sein und ich sehe es auch nicht ein mich anzupassen, nur damit ich dem so tollen angesehenen Familienbild gerecht werde.“ Ich hasste solche Gespräche. Sie verpasste mir eine Ohrfeige. „Aber, wenn du weiter so machst, brauchst du nicht zu glauben, dass dein Vater und ich dich noch in irgendeiner Art und Weise unterstützen. Weißt du, wir arbeiten und bringen das Geld ins Haus und du bringst nicht mal eine Gegenleistung. Eher im Gegenteil, du bist aufmüpfig, respektlos und provokant.“ Das traf mich härter als gedacht. Nicht so, dass ich je an die Unterstützung meiner Eltern geglaubt hatte, aber, dass sie mir das auch noch so knallhart ins Gesicht sagte, hätte ich nicht erwartet. Sicherlich war ich nicht einfach, dass wusste ich, doch die Ursachen lagen nicht nur alleine bei mir. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Und sie setzte noch eins drauf. „Du kannst ja zu deinen tollen Freunden ziehen. Such dir einen Platz auf der Straße. Da hältst du dich ja sowieso mehr auf als zu Hause. Immerhin möchte ich vermeiden, dass deine Schwester noch so wird wie du. Wenn du wieder normal geworden bist, kannst du ja wieder nach Hause kommen.“ Wie konnte sie nur so kaltherzig sein? Immerhin hatte ich gedacht, dass ihr wenigstens ein bisschen was an mir liegt. Ich war mir zwar nicht sicher, ob sie das wirklich ernst gemeint  hatte, doch packte ich tatsächlich einen Rucksack mit ein paar Sachen und verließ die Wohnung ohne mich von ihr zu verabschieden. Meine Schritte beschleunigten sich immer mehr und meine Hände zitterten, als ich mir eine Zigarette anzündete. Was würde jetzt aus mir werden? Ich hasste meine Mutter, ja meine ganze Familie. Ich war verletzt und auf einmal so hilflos. Als ich dann bei meinen Freunden saß, ließ ich mir vorerst nichts anmerken und öffnete mir ein Bier. Den Schmerz im Alkohol ertränken. Dann klingelte mein Telefon. „Lukas, es tut mir leid, bitte vergiss meine letzten Worte“, heulte sie in den Hörer. „Ach, ich weiß schon, wie du das gemeint hast. Lass mich in Ruhe, ich will dich nicht mehr sehen.“ „Bitte verzeih mir! Bitte!“ Doch der Schmerz saß zu tief. Ihre Worte waren bewusst gewählt und die hatte sie nicht ohne Grund gesagt. „Lass es einfach! Ich brauch dich nicht! Ich komm schon klar.“ Ich schrie sie jetzt an, weil ich ihre Stimme nicht ertragen konnte und sie legte auf. Meine Freunde sahen mich etwas betreten an und in mir brach eine Welt zusammen. Ich erblickte Nici und Nadja, doch ich wollte alleine sein, schnappte meinen Rucksack und rannte weg. Ich lief so schnell, bis meine Lunge brannte. Tränen rannen mir über die Wangen und ich sackte zusammen. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass meine Mutter irgendwann so schlimme Dinge zu mir sagen würde. Es hatte begonnen zu regnen und ich verkroch mich in einer Bahnhaltestelle, in der ich leider auch nicht alleine war. Deshalb verließ ich diesen Ort auch schnell wieder. In meinem Rucksack befand sich noch eine halbvolle Flasche Korn, von der ich mehrere große Schlucke nahm. Doch davon wurde mir so schlecht, dass ich mich an der nächsten Ecke übergeben musste. Das lag wohl daran, dass ich heute kaum etwas gegessen hatte. Enttäuscht und wütend schmiss ich die Flasche zu Boden, die dann in tausend kleine Scherben zersprang. Als ich so vor dem Scherbenhaufen hockte, griff ich automatisch nach einer größeren scharfkantigen Scherbe und wiegte sie leicht beklommen in den Händen. Dann piekte ich mir eher zaghaft in den Unterarm. Schließlich wagte ich mich weiter in die Zone des Schmerzes und ritzte mir den Arm auf, um den Schmerz im Kopf loszuwerden. Das Blut lief meine Hand hinunter bis zum Unterarm. Die Wunde pochte. Dann tropfte es in die Pfütze, vor der ich kauerte. Die Bluttropfen erzeugten kleine Wellen. Wieder musste ich heulen. Das war nicht das erste Mal, dass ich mir eine Wunde dieser Art zufügte. Der Schnitt brannte höllisch, dennoch erzielte er genau das, was ich wollte. Das war das erste Mal, dass es meine Mutter wirklich geschafft hatte mich an meine Grenzen zu treiben. Jetzt war sie mit meinem Dad gleichauf. An einen Abgrund der Einsamkeit das Gefühl zu haben, der ewige Versager zu sein. Eine Schande für die Familie, mehr war ich ja nicht. Als es schon dunkel wurde, machte ich mich gleich auf den Weg zur Laube, da die Leute sicher weitergezogen waren. Kälte umfing mich, weil der Regen bis zu meiner Haut vordrang und ich war heilfroh, als ich mich ans warme Feuer hocken konnte. Alle drehten sich um, als die Gartentür hinter mir quietschend ins Schloss fiel. Flo eilte gleich auf mich zu und nahm mich in die Arme. Das tat so gut und auf einmal fühlte ich mich nicht mehr so einsam. Ich drückte mich fest an ihn, weil ich Angst hatte, wieder in dieses tiefe Loch zu fallen. Langsam schritten wir zum warmen Feuer. Ich holte mir noch eine Decke. „Alles klar bei dir?“ Ich zuckte mit den Schultern und zog an dem Joint, der gerade die Runde machte. „Sie hat mich heute offiziell aus der Wohnung geschmissen. Das war echt zu hart für mich.“ „Und was wollte sie dann am Telefon?“ „Sich entschuldigen. Aber da war es für mich schon zu spät.“ Flo nahm mich wieder in die Arme und bemerkt erst jetzt meine blutige Hand. „Was‘n da passiert?“, fragte er leicht schockiert. „Ich wollte den Schmerz im Kopf loswerden…es is so ätzend…ich komm echt nich mehr klar.“ Flo brachte mir Taschentücher und Wasser. „Nici ist kurz bevor du gekommen bist gegangen. Sie hatte voll Angst, dass du dir was antust.“ Sie hatte also auf mich warten wollen? Das war irgendwie schön. Auch Tim hatte sich Sorgen um mich gemacht. Er nahm mich und ein paar andere Leute dann noch mit in seine Wohnung, wo ich sicherlich erst mal bleiben würde. Dort zog ich mir erst mal trockene Klamotten an und betrank mich. Nicis Anrufe ignorierte ich, denn das konnte und wollte ich ihr nicht erklären.   Ich hätte zwar noch eine Stunde gehabt, aber die ließ ich ausfallen. War sowieso nur Sport. Hoffentlich störte es Nici nicht, dass ich momentan ein bisschen fertig aussah. Chris hatte schon wieder dumme Andeutungen gemacht, über die ich ganz gekonnt hinweghörte. Ich würde zu gern wissen, wie dieser Schnösel in meiner Situation gehandelt hätte. Abgesehen davon, dass ihm sowas mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent oder weniger nicht passieren würde. Aber wenn doch, wäre er sicher voll das Weichei und wüsste keinen Ausweg mehr. Doch war ich besser? Ja. Immerhin ging das Leben weiter und meine Freunde bauten mich auf. Ich rauchte noch eine Zigarette. Sollte ich trotzdem irgendwann wieder nach Hause gehen? Vielleicht, wenn ich wieder normal war. So ein Bullshit und doch tat der Gedanke weh. Konnte sie mich denn nicht so akzeptieren, wie ich war? Ach nein, das ist ja leider unmöglich, weil ich nicht ins Bild passte. Schließlich verabredete ich mich dann doch noch mit Nici, weil ich kein scheiß Freund sein wollte und sie kam in meine Arme gerannt. Ich schloss für einen Moment die Augen, weil es so schön war. Dann küsste ich sie zärtlich auf ihren rosigen Mund. „Tut mir leid, dass du dir solche Sorgen gemacht hast.“ „Jetzt bist du ja hier. Willst du mir jetzt vielleicht sagen, was vorgefallen ist?“ Ich atmete tief durch, denn je mehr ich darüber sprach, desto schwerer fiel es mir. Als ich mit meinen Ausführungen am Ende war, sah mich meine Freundin schockiert an. „Das ist ja echt heftig. Und du meinst nicht, dass du noch mal mit ihr reden kannst?“ Ich lachte bitter. „Was soll ich denn mit ihr reden? Weißt du, das Schlimme daran is, dass ich bis gestern wenigstens noch ein bisschen das Gefühl hatte ein zu Hause zu haben. Aber jetzt nach der Aktion? Am Ende hat es ihr ja auch leid getan. Aber wie sagt man so schön, jedes Wort ist wie ein abgeschossener Pfeil. Und dessen hätte sie sich vorher im Klaren sein sollen.“ Nadja stand die ganze Zeit daneben und hatte unserem Gespräch gelauscht, aber das störte mich eher weniger. Da Nici jetzt erst Mal nach Hause gehen musste, verabredeten wir uns um fünf an der Laube.   Später bei Nadja. „Nici, ich hab mich bisher aus deiner Beziehung rausgehalten und hätte auch nicht erwartet, dass Lukas so krass drauf ist. Chris hat mir erzählt, dass er übel fertig aussah und einen Verband am Arm hatte. Weißt du was das bedeutet?“ „Hör auf! Ich will das nicht hören. Ich glaube da steckt mehr dahinter, als du denkst. Ich werde ihn definitiv nicht im Stich lassen.“ Darauf sagte sie nichts und die Mädchen gingen beide in verschiedene Richtungen. Nici hatte schon genug mitbekommen, um einschätzen zu können, was Lukas für ein Mensch war. Als sie zur Wohnungstür herein kam, spürte sie sofort, dass ihre Mutter irgendwie komisch drauf war. Hoffentlich war es nicht auch wegen Lukas. Doch Nici wurde das Gefühl nicht los, dass ihr neuer Freund ihren Freunden und auch ihrer Familie nichts als Sorgen bereitete. Ihre Mutter erzählte ihr, dass sie Lukas Mutter beim Einkaufen getroffen hatte und die Frau ziemlich mitgenommen aussah. Und sie hatte wohl auch durchblicken lassen, was passiert war. Natürlich aus ihrer Sicht. „Mir ist diese Familie irgendwie suspekt. Ich will, dass du dich nicht mehr mit diesem Jungen triffst Nici.“ „Was?“ Nici verstand die Welt nicht mehr. Sonst war ihre Mutter doch immer so tolerant gewesen. Was sollte das jetzt also? „Das kannst du nicht machen Mama. Bitte. Du kennst ihn ja nicht mal.“ Heute blieb sie hart. „Ich will nur das Beste für dich.“ Für das junge Mädchen brach eine Welt zusammen. Was sollte sie denn jetzt machen? Sollte sie sich dem Willen ihrer Eltern zum ersten Mal wiedersetzen? Lukas hätte das getan, aber Nici war nicht so mutig. „Darf ich mich wenigstens noch mit Nadja treffen? Oder ist das auch tabu?“ „Du brauchst jetzt nicht zickig zu werden junge Dame. Ich bin sonst nicht so, das weißt du selber. Aber das ist eine der wenigen Dinge, die ich von dir verlange und dieser Lukas wird sicher nicht der einzige Junge in deinem Leben sein.“ Wie konnte sie das jetzt nur sagen? „Ja, gegen Nadja habe ich nichts. Aber bitte versprich mir, dass du ihn nicht mehr triffst, ja?“ Nicis Herz schlug ihr bis zum Hals und in ihrem Inneren rumorte es heftig. „Ich…ich……….kann nicht. Bitte, lass ihn mich noch ein einziges Mal sehen.“ Diesen Wunsch gewährte sie ihrer Tochter noch. Doch insgeheim wusste Nici, dass es nicht das letzte Mal sein würde. Um fünf war sie bei der Laube und beschloss Lukas vorerst nichts von dem Streit mit ihrer Mutter zu sagen. Das würde ihm nur noch mehr zusetzen. Er lag auf der Wiese und hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Nici versuchte seinen linken Arm zu ignorieren, an dem man noch die frischen Spuren seiner Selbstverletzung sehen konnte. Sie waren alleine und Nici fühlte sich auf einmal ganz weit weg von der Realität. Sie waren eingeschlossen in ihrer kleinen Welt. Er sah so hübsch aus, wie er da so lag und sie anlächelte. An seinem Auge war nur noch ein kleines grünes Fleckchen zu erkennen und die Wunde an seiner Lippe war auch fast verheilt. Die Haare fielen ein bisschen in sein Gesicht und verdeckten die Wange und sein Auge ein wenig. Ja diese smaragdgrünen Augen strahlten in der Sonne. Nein, Nici konnte und wollte Lukas heut nicht zum letzten Mal sehen. Sie ließ sich zu ihm hinuntergleiten. „Na meine kleine Prinzessin.“  Sie mochte es, wenn er ihr süße Namen gab. Lukas war einfach mit keinem anderen Junge zu vergleichen. „Geht’s dir gut?“ „Klar.“ Er setzte sich jetzt auch hin und küsste sein Mädchen. Es fühlte sich so toll an. „Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich froh bin dich zu haben?“ Nici schüttelte mit dem Kopf. „Als mir Flo erzählt hat, dass du noch voll lang auf mich gewartet hast, hat mich das echt gefreut.“ „Ja, ich hab mir echt Sorgen um dich gemacht…wegen deiner Mum und so. Wie war eigentlich deine Beziehung vor mir?“ „Anders. Da drehte sich meist alles um Sex, aber das ist auf die Dauer auch nicht so spannend.“ „Naja, ich habe mir damals auch was anderes vorgestellt. Das Mädel, mit dem ich zusammen war fand ich echt heiß, aber sie hat mir wenig Freiraum gelassen. Da half selbst der beste Sex nichts. Darf ich dir dann mal was zeigen?“ „Was denn?“ „Man stellt keine Gegenfrage auf eine Frage. Lass dich überraschen.“ „Oho ich mag Überraschungen.“ „Na dann auf.“ Sie fuhren zurück in die Innenstadt und Lukas führte seine Nici zu einem kleineren Flachbau. Dort warteten auch schon Basti, Flo und Tim. Was sie wohl vorhatten? Drinnen stand eine kleine Bühne mit Instrumenten. „Das ist unser Proberaum. Unsere Band ist noch nicht wirklich bekannt, selbst Nadja weiß nichts davon, aber das kommende Wochenende wollen wir unser erstes Konzert geben. Du bekommst schon mal einen Vorgeschmack.“ Nici fühlte sich geehrt und Lukas war der hübscheste Sänger, den sie kannte. Nach ein paar Elecktrochecks füllte sich der Raum mit wundervoller Musik, die sehr melodisch und irgendwie auch traurig klang. Lukas Stimme hörte sich  beim Singen so anders und hatte etwas Verzauberndes. Er sang so, als könnte ihn nur das am Leben halten. Die Wunde an seinem Arm verlieh im etwas Verletzliches. Dennoch wirkte er irgendwie auch schön und unnahbar. Nici umarmte und küsste ihn danach. Dann dachte sie wieder an die Worte ihrer Mutter und spürte einen Stich in der Seite. Als es halb acht war, trat sie den Heimweg an. Je näher sie ihrem Haus kam, desto betrübter wurde sie. Wann würde sie ihren Liebsten das nächste Mal sehen? Ihre Eltern saßen gerade am Esstisch und speisten zu Abend. Und ihre Mutter schaute sie schon wieder mit diesem vorwurfsvollem Blick an, wie so oft in den letzten Tagen. Nici setzte sich zu ihnen, obwohl sie keinen Hunger hatte. „Komm, iss was!“, forderte sie ihre Mutter auf. Das Mädchen nahm sich eine Tomate, schnitt sie auf und streute Salz und Pfeffer darauf. „Nici, jetzt sei nicht albern.“ Ihr Vater beobachtete das Theater etwas misstrauisch. „Bei euch herrscht wohl gerade Streit?“ Das Mädchen zuckte nur mit den Schultern. „Das kann dir Mama besser erklären.“ Es ging nicht mehr, die Tränen kamen und Nici rannte hinauf in ihr Zimmer. Kurze Zeit später kam ihr Vater herein und setzte sich zu ihr an den Bettrand. „Hey meine Kleine. Davon geht die Welt doch nicht unter.“ „Stimmst du ihr etwa auch zu? Ihr kennt ihn ja nicht mal.“ „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll und wir wollen wirklich nur das Beste für dich, aber ich denke trotzdem, dass deine Mutter etwas zu streng war. Warum bringst du deinen Lukas nicht mal mit hier her? So können wir uns selbst ein Bild von ihm machen.“ Endlich sah Nici wieder Licht am Ende des Tunnels. „Meinst du das wirklich ernst?“  „Ich regele das mit deiner Mutter schon.“ Doch plötzlich kamen erneut Zweifel in dem Mädchen hoch. „Was ist, wenn er das gar nicht will? Er hat gesagt, dass er die Gegend hier meiden will. Im Moment zumindest, aber ich werde ihn auf jeden Fall fragen.“ „Schon gut. Lass uns da mal nichts überstürzen. Aber eine Bitte habe ich. Vergiss zwischen deinen neuen Freunden und dem Rest deine Schulpflicht nicht.“ Nici lächelte und umarmte ihren Papa. Er war doch der Beste. Die Woche war echt alles andere als Zuckerschlecken. In der Schule hatte ich für jede Stunde nur einen leeren Block und Bücher hatte ich gar keine, außer der meiner Freunde, weil sie mich mit hineingucken ließen. Hausaufgaben erledigte ich entweder mit Basti oder überhaupt nicht. Ich vermisste meine kleine Schwester sehr und war oft kurz davor einfach zurück nach Hause zu gehen. Ich nahm in dieser einen Woche auch viel Mist zu mir und hoffte, dass Nici nichts davon mitbekam. Ich sah wahrscheinlich aus, wie der letzte Penner, doch auch das schien sie nicht zu stören. Als wir wiedermal im Park hockten und Bier tranken, hörte ich auf einmal, wie jemand meinen Namen rief. Zu erst konnte ich niemanden sehen und ignorierte es einfach. Doch dann vernahm ich dieses zarte Stimmchen ein weiteres Mal, diesmal noch näher und dann sah ich ein kleines Mädchen mit Schulranzen und langen, schwarzen Haaren. Sie stand einfach nur da und winkte mir. Ich sprang auf und rannte auf sie zu. Meine kleine Schwester fiel mir um den Hals und ich nahm sie auf den Arm, so leicht war sie. „Lukas, du musst wieder nach Hause kommen. Es ist so furchtbar ohne dich. Mama und Papa streiten sich nur noch und ich will auch nicht mehr zu Hause wohnen, wenn du nicht da bist.“ Ich drückte Jojo ganz fest an mich und musste mit den Tränen kämpfen. Sie war wirklich der einzige Grund, wieder zurückzugehen. „Das ist gar nicht so leicht mein Engel.“ „Aber du musst! Sonst reiß ich auch aus. Ich habe schon die letzten Nächte immer in deinem Bett geschlafen und gehofft, dass du irgendwann kommst.“ Ihr trotziger Blick ließ mein Herz erweichen und ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Also schnappte ich meinen Rucksack, verabredete mich mit meinen Freunden später und ging nach einer Woche auf den Wunsch meiner kleinen Schwester wieder mit nach Hause. Meine Mutter staunte nicht schlecht, als ich zur Tür hereinspazierte. Jedoch gab ich ihr gleich zu verstehen, dass ich das nicht ihretwegen gemacht hatte. „Kannst du mir nicht verzeihen?“ „Hast du mal überlegt, was du zu mir gesagt hast? Würdest du dir denn verzeihen? Vielleicht irgendwann, aber nicht jetzt sofort.“ Als erstes nahm ich eine heiße Dusche und zog mir frische Klamotten an. Nici hatte mich vor zwei Tagen gefragt, dass mich ihre Eltern kennenlernen wollten und deshalb beschloss ich sie anzurufen und fragte, was sie von heute hielt. Ihr kam der Gedanke gerade recht. Mein Outfit fiel deshalb sehr neutral aus. Cordhose und schwarzes Langarmshirt. Meine Arme musste ich ja nicht überall öffentlich zur Schau stellen. Das dunkle Make-up ließ ich auch ganz bleiben, wie auch schon in den letzten Tagen. Ich zog meine Turnschuhe an, weil die nicht geschnürt werden mussten. Jojo versprach ich auf jeden Fall wiederzukommen. „Ich geh noch mal weg“, sagte ich zu meiner Mum. „Bist du zum Abendessen zurück?“ „Kann sein, weiß ich aber noch nicht. Bis später.“ Nici empfing mich total erfreut. „Kommst du gerade von zu Hause?“, fragte sie, als würde sie gleich vor Freude platzen. Ich nickte. „Meine Schwester hat mich heut im Park besucht und mich angefleht, dass ich zurückkomme. Was hatte ich da schon für eine Wahl?“ „Und wie hat deine Mum reagiert?“ „Überrascht. Reden wir nicht drüber und du stellst mich jetzt deinen Eltern vor.“ Wir traten ins Wohnzimmer, in dem sich Nicis Eltern aufhielten. Ich versuchte freundlich und gelassen zu gleich zu wirken. Der erste Eindruck ist ja bekanntlich immer ausschlaggebend und ich machte das Beste daraus. Ihre Mum kochte uns Kaffee, das war schon mal toll. Wir setzten uns raus auf den kleinen Balkon und plauderten miteinander, das Übliche eben. Was ich nach dem Abi vorhatte, über meine Interessen und so weiter. Nicis Vater war mir sehr sympathisch. Bei ihrer Mutter wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie mich nicht mochte. Wahrscheinlich wusste sie zu viel über meine Familienverhältnisse. Da ich ja ausnahmsweise zum Abendessen zu Hause sein wollte, verabschiedete ich mich kurz vor halb sieben von Nici und ihren Eltern. Meine Mum hatte sich wirklich große Mühe gegeben. Es gab irgendeine italienische Neuheit und Tomate Mozzarella. Auch mein Vater war wieder da. „Ach das man dich mal wieder sieht.“ Für diesen Kommentar hätte ich ihm am liebsten den Hals umgedreht. „Ja, unglücklicherweise gehöre ich auch zu dieser Familie.“ Und schon wieder überkam mich das Gefühl des Unwohlseins und das trug dazu bei, dass ich unbedingt weg wollte. Deshalb beeilte ich mich auch mit dem Essen, ohne noch ein Wort mit meinen Eltern zu wechseln. „Willst du nicht wenigstens warten, bis alle fertig sind?“, fragte meine Mum, als ich mich erhob und meine Teller in die Küche bringen wollte. „Hab ich doch sonst auch nich. Ihr müsst jetzt nich versuchen mich zwanghaft in euer harmonisches Familienleben zu integrieren.“ „Was ist denn mit dir los?“ Ich warf meinem Vater einen verständnislosen Blick zu. „War das jetzt eine ernsthafte Frage? Tut doch nich so, als ob es euch jetzt auf einmal interessiert.“ „Kannst du dir mal einen anderen Ton angewöhnen?“ „Diesen Ton lernt man nun mal, wenn man mit asozialen Leuten rumhängt. Tut mir ja leid, aber wer hätte mir denn ein besseres Benehmen beibringen sollen? Du etwa?“ Und da war der Streit schon wieder perfekt. Mein Vater holte aus und seine flache Hand sauste auf meine Wange. Das tat verdammt weh. „Wir sollten wohl mal strengere Maßnahmen einführen, mein Lieber.“ „Und? Was erhoffst du dir dadurch? Ich hau jetzt ab.“ „Halt, halt. Du gehst nirgendwo hin!“ Er plusterte sich vor mir auf und versperrte mir den Weg. Seine starken Hände griffen um meine Handgelenke und er hielt mich fest. Mit seinem ganzen Körpergewicht drückte er mich gegen die Wand, nur um mich dann mit voller Wucht gegen die Tür zum Flur zu schleudern. Ich unterdrückte einen Schmerzensschrei, als ich gegen das massive Holz knallte. Mit hasserfüllten Blicken musterte ich meinen Vater und rieb mir über die schmerzenden Rippen. „Weißt du was? Ich gebe zu, dass ich nich ganz einfach bin und auch für viele Dinge, die sich hier wohl eher negativ entwickeln, verantwortlich bin. Aber ich sehe es nich ein, die Schuld allein auf mich zu nehmen! Wer war es denn, der mich als Kind oft allein ließ, obwohl ich Angst hatte. Wer hat mich denn ständig nur reich mit Geld beschenkt, damit ich endlich die Klappe halte. Meinst du, das ist so ohne weiteres an mir vorbeigezogen? Ich hätte mir oft eure Hilfe gewünscht, doch die habe ich nie bekommen und warum sollte ich das jetzt wollen?“ Meine Mutter brach augenblicklich in Tränen aus und mein Vater starrte mich mit offenem Mund an. Zeigte mir das etwa, dass ich Recht hatte? Ich kleiner, dummer, unerfahrener Teenager hatte doch nicht Recht. Schlimm genug, wenn ich meine Eltern darauf hinweisen musste, was sie für Fehler machten. Mein Vater machte einen Schritt zur Seite. Ich zögerte nicht lange und verließ dieses Irrenhaus. Jojo hatte ich noch versprochen, dass sie heute bei mir schlafen könne. Weg, bloß weg hier. In mir baute sich wieder dieser Frust auf. Da es regnete, trafen wir uns bei Tim. Kim holte mich auf dem Weg ein und sah nicht weniger deprimiert aus als ich selbst. „Hast du Zigaretten?“ „Ja klar. Alles okay bei dir?“ „Ja geht schon. Ich bin wieder Mal abgehauen, weil mein Vater seine dreckigen Finger nicht von mir lassen konnte.“ Ich seufzte und zündete mir eine Zigarette an. „Hast du mal drüber nachgedacht ihn anzuzeigen? Beweise genug hast du doch.“ „Eben nich. Ich weiß nich, ob die blauen Flecken alleine reichen. Die könnte ich ja auch sonst woher haben und solange sich meine Mutter quer stellt, hab ich doch keine Chance.“ Ich legte meinen Arm um Kims Schulter. „So kann das aber nicht weitergehen. Soll ich vielleicht mit dir zum Jugendamt kommen? Irgendwas müssen die doch machen. Versuche es wenigstens.“ Kim lächelte schwach. „Würdest du mir da echt helfen?“ Ich nickte. „Na klar.“ Gemeinsam gingen wir hinauf in Tims Wohnung. Es wurde gerade Mau Mau gespielt und die nächste Runde stiegen Kim und ich auch mit ein. Es war ein großer Spaß und ich lachte wie schon seit Tagen nicht mehr.   Nici hatte wirklich erwartet, dass Lukas sich noch Mal melden würde, doch nichts tat er. War das Absicht? Wollte er den Abend nicht mit ihr zusammen verbringen? Total deprimiert hockte Sie mit Nadja und Chris in einer Cocktailbar und machte sich so ihre Gedanken. Natürlich war das wieder ein gefundenes Fressen für die beiden. Das zog sie nur noch mehr runter. Hauptsache sie hatten ihren Spaß. Ununterbrochen starrte Nici auf das Display ihres Handys, doch nichts. Keine SMS und kein Anruf. Bedeutete sie Lukas wirklich so wenig? Oder war er vielleicht wieder von zu Hause abgehauen, weil es Stress gab? Ihre Eltern dachten jetzt glücklicherweise nicht mehr so negativ über ihn. Das machte die Sache aber auch nicht besser. „Nici, sieh es doch ein. Du bist ihm egal. Lukas zieht seine Freunde nun Mal vor. Schau der Wahrheit ins Gesicht. Du hast etwas Besseres verdient, als diesen Loser.“ Chris beeindruckte sie nicht im Geringsten mit seinen Sprüchen. Deshalb richtete sie ihre nächsten Worte nur an Nadja und hoffte, dass sie ihr wenigstens ein bisschen beistand. „Meinst du ich soll ihn einfach anrufen?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht recht. Vielleicht hat Chris aber auch recht Süße. Was ist, wenn Lukas echt die Nase voll von Beziehungen hat?“ Am liebsten würde Nici schreien. Waren denn jetzt alle gegen sie? „Toll, ich denk, du magst ihn? Und Basti? Liegt er dir denn nicht am Herzen?“ „Doch schon, aber Basti kannst du nicht mit Lukas vergleichen. Immerhin hat er mir gesagt, dass er heute was mit seinen Freunden machen will. Lukas hält es ja nicht für nötig sich bei dir zu melden. Schon komisch.“ Nici überkam auf einmal die Angst, dass er es wirklich nicht ernst meinte. Deshalb griff sie voller Ungewissheit ihr Handy und rief ihn an. Es klingelte ungefähr drei Mal, dann erklang seine wundervolle Stimme am anderen Ende. Lukas hatte voll das schlechte Gewissen und entschuldigte sich sogar bei Nici. Dann sagte er, sie solle zum Park kommen. Dort würde er sie dann abholen und mit zu Tim nehmen. Nici war wieder das glücklichste Mädchen auf der Welt und die irritierten Blicke ihrer Freunde brachten sie zum Schmunzeln. „Gehst du da jetzt auch hin?“ „Warum nicht?“ „Zu den ganzen Chaoten? Da sind doch kaum Mädels dabei.“ „Na und? Hauptsache ich bin bei Lukas. Basti würde sich bestimmt auch freuen, dich öfters mal mit bei seinen Freunden zu sehen.“ Nici bezahlte ihr Getränk, schnappte ihre Jacke und verabschiedete sich von den beiden. Ihr Herz schlug immer schneller und obwohl sie Lukas erst vor wenigen Stunden gesehen hatte, war sie total aus dem Häuschen. Er wartete schon und hielt die Arme auf, als er sie erblickte. Nici rannte zu ihm und dann ließ er sie durch die Luft fliegen. Seine Augen waren ein bisschen glasig und die Pupillen größer als sonst. Trotzdem war sie froh ihn zu sehen und er grinste sie die ganze Zeit total süß an. „Es tut mir echt voll leid. Es gab halt Stress bei mir und da bin ich einfach gegangen. Um ehrlich zu sein hab ich mir keine Gedanken um dich gemacht. Sei mir deshalb bitte nicht böse okay?“ Das war immerhin eine klare Ansage in seinem Rausch. Nici konnte ihm auch nicht böse sein. „Okay, bin ich nicht. Gehen wir jetzt zu Tim?“ Er nickte und fasste sie bei der Hand. Dann blieb er abrupt stehen und sah sie an. „Nici. Ich will nicht, dass du denkst, ich würde dich vergessen. Ich finde es unheimlich toll mit dir zusammen zu sein…“ „Du musst dich nicht entschuldigen…“ „Nein, lass mich zu Ende reden. Nur die Situation ist neu für mich. Naja, neu ist wohl eher das falsche Wort. Ich hatte das nur schon länger nich mehr, dass sich auch andere Personen außer meinen Freunden für mich interessieren. Weißt du? Und ich versuche da echt an mir zu arbeiten und ich nehme dich auch gern mit zu meinen Freunden.“ Das war das Süßeste was ein Junge je zu ihr gesagt hatte und das bewies doch nur, dass es Lukas echt ernst war. Sie lächelte und küsste ihn. Die Jungs waren sehr lustig drauf. Auch Kim begrüßte Nici diesmal voll lieb. Sie fühlte sich hier tausend Mal wohler als in der Cocktailbar mit Chris und Nadja. Basti tat ihr ein bisschen leid. Tim brachte gleich ein Bier. Lukas nahm seine Nici auf seinen Schoß und im Hintergrund lief Marilyn Manson. Das passte irgendwie gerade richtig zu der Stimmung hier. Basti fragte, ob Nadja etwas gesagt hätte. „Nicht viel. Sie tat nur sehr überrascht, dass ich mit zu euch gehe.“ Plötzlich lernte Nici Basti von einer ganz anderen Seite kennen. „Sieht ihr ähnlich. Hauptsache sie bekommt  ihren Willen. Ich hab da langsam keinen Bock mehr drauf. Kannst du da nicht etwas nachhelfen?“ Nici zuckte unbeholfen mit den Schultern. „Versuchen kann ich es. Ich habe ihr vorhin schon gesagt, dass sie doch mal mitkommen soll, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie das wirklich will.“ Basti schaute sie mit betretener Miene an. „Da ist wohl nichts zu machen. Vielleicht sollte ich mit ihr darüber reden.“ „Das ist bestimmt das Beste.“ Nici fiel auf, dass Lukas heute irgendwie noch toller als sonst aussah. Auch, wenn das kaum möglich war. Seine Hose saß auf Hüfthöhe und das enge Shirt betonte seinen muskulösen Oberkörper. Er stand gerade bei Tim und unterhielt sich mit ihm über irgendetwas. Kim beobachtete die Jungs lächelnd von der Seite. „Du magst ihn sehr, was?“ „Oh ja. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass wir zusammenkommen.“ „Ja, der Lukas. Er ist echt was Besonderes. Aber ihm liegt auch viel an dir, das kannst du glauben.“ „Echt?“ „Er hat in meiner Gegenwart schon viel von dir geredet und das mag bei ihm was heißen. Weißt du, ich finde dich echt voll lieb.“ Nici fühlte mich sehr geschmeichelt. „Hey, danke. Ich dich auch. Am Anfang war ich ein bisschen eifersüchtig auf dich, weil du so an Lukas gehangen hast.“ Kim wurde ein wenig ernster. „Bitte sieh das nicht so kritisch. Er ist halt der tollste Mensch, den ich kenne.“ Kim und Nici teilten sich eine Zigarette. Nici mochte sie wirklich und war glücklich, dass auch sie akzeptiert wurde. Sie erzählte ihr, dass sie ihren Realschulabschluss nachholen wolle, aber noch keine Schule gefunden hatte. Nici bot ihr an, bei ihr an der Schule mal nachzufragen, wie sowas ablief oder überhaupt möglich war. Das freute sie. „An meiner alten Schule wurde ich immer gemobbt und so. Aber ich will das jetzt echt und denke auch, dass ich das schaffen werde.“ Gleich in der kommenden Woche fragte Nici ihren Klassenlehrer danach. Er meinte, dass dies schon möglich sei. Man müsse lediglich eine Bewerbung schreiben oder einen Antrag stellen. Am besten wäre es natürlich, wenn man seine Unterlagen persönlich abgeben würde, um einen guten Eindruck zu erwecken. Nach der Schule trafen sich Kim und Nici im Park. Kim war überglücklich und wollte sich gleich um alles kümmern. Lukas wollte auch noch kommen und Nici beschloss zu warten. Doch, als er nach anderthalb Stunden immer noch nicht aufgetaucht war, ging sie enttäuscht nach Hause und machte sich wieder Gedanken.   Nici wurde unsanft von ihrer Mutter geweckt, die leicht panisch ins Zimmer stürmte, weil ihre Tochter den Wecker scheinbar nicht gehört hatte. Sie schlug beim Frühstück vor nach der Schule shoppen zu gehen. Dieser Idee war Nici nicht abgeneigt, da sie eh ein paar neue Oberteile haben wollte. Nach dem Stadtbummel hatten gönnten sich Mutter und Tochter ein leckeres Eis. Also bestellten sie sich zwei extravagante Eisbecher und genossen diese in der warmen Nachmittagssonne. Danach wollte Nici ihrer Freundin Nadja noch einen Besuch abstatten. Sie erzählte ihr, dass sie seit gestern mit Lukas zusammen war. Nadja freute sich zwar, aber nicht so wie sonst. „Hey, was'n los mit dir?“, fragte Nici ganz vorsichtig und besorgt zu gleich. Nach einer kleinen Pause antwortete sie. „Sebastian hat gestern Abend mit mir Schluss gemacht. Er hat gesagt, er hätte da ein anderes Mädchen kennen gelernt und nun hat er sich wahrscheinlich in die kleine Schlampe verliebt, wie sich das anhörte!“ Nadja fiel Nici in die Arme und fing an zu weinen. Der Freundin tat das alles echt furchtbar leid. „Ey, lass den Kopf nicht hängen. Ich weiß ja, wie schlimm das ist, aber so einen, wie den hast du echt nicht verdient!“ Sie lächelte nur schwach. „Vielleicht hast du Recht, aber er war so lieb. Ich hoffe Lukas behandelt dich nicht irgendwann auch so.“ Ihre Stimme klang zittrig. „Nein, ich hoffe es auch nicht, wobei er in letzter Zeit echt über viel mit mir redet.“ Nadja wischte sich die Tränen mit einem Taschentuch weg. „Du Nici, ist eigentlich an dieser Drogengeschichte was dran? Ich meine ich mach mir auch Sorgen um dich.“ Nici wurde flau im Magen und sie wusste nicht, ob sie mit Nadja darüber reden sollte, auch wenn sie ihre Freundin sehr mochte. „Ich habe bisher noch nichts mitbekommen, weiß auch nicht, woher Chris das hat.“ „Nein? Vielleicht machen sie es ja auch nur nicht, weil du dabei bist. Lukas ist schon ab und zu echt am Ende, zwar überspielt er alles, aber ich glaub ihm das nich. Sei bitte vorsichtig.“ Nici seufzte. „Ich habe manchmal nur Angst, dass er zu viel trinkt, aber sonst ist wirklich nichts.“ Nadja lachte nun wieder. „Das glaube ich dir, aber du wirst schon wissen, was du machst.“ Die Worte ihrer Freundin beunruhigten Nici ein bisschen. Sie hatte die Jungs ja ein paar Mal beim Kiffen gesehen, aber nahmen sie ernsthaft auch härtere Sachen? Eigentlich wollte sie das nicht wahrhaben, aber wenn sie Lukas manchmal näher betrachtete, konnte sie nicht leugnen, dass er sehr mitgenommen und ein bisschen zu blass aussah. Doch sie redete sich immer ein, dass das einen anderen Grund hatte. „Ist es okay, wenn ich dich jetzt alleine lasse? Ich würde gerne noch mal zu Lukas.“ Nadja lächelte. „Kein Problem. Geh nur. Wenn du willst, können wir ja am Wochenende was Schönes zusammen machen.“ „Na klar. Meld dich bei mir!“ Nici gab ihrer Freundin einen Kuss auf die Wange.   Wie erwartet traf Nici Lukas im Park an. Er spielte mit Basti gerade Haggiesack. Seine Laune schien wieder etwas besser zu sein. Und trotzdem ging er ihr irgendwie aus dem Weg, wie auch Basti. Die beiden schienen wichtige Dinge bereden zu müssen und deshalb setzte sie sich zu den anderen Leuten. Warum war Lukas nur manchmal so unfair? Plötzlich kam Kim angerannt und erzählte total aufgeregt, dass sie heute mit dem Direktor von Nicis Schule gesprochen hatte und er ihr zugesagt hatte. „Ich komme sogar in deine Klasse. Das ist doch schön oder?“ Nici nickte und lächelte. „Das sind echt erfreuliche Nachrichten. Kannst du da morgen gleich mitkommen?“ „Theoretisch schon. Wir können uns früh ja vor der Schule treffen, da weiß ich wenigstens, wo ich hin muss. Ich freu mich so.“ Sie freute sich auch für Kim, doch als diese zu Lukas ging und er sie total freundlich begrüßte, wuchs in Nici die Eifersucht. Warum tat er das? Sie hasste ihn dafür und gerade als sie sich bereit zum Gehen machte, kam er auf einmal. „Willst du etwa gehen ohne mir hallo zu sagen?“ „Seit wann kommt denn der Kuchen zum Krümel!“ Nici war genervt und ließ ihn das auch spüren. Doch er lachte. Trotz der dunklen Ränder unter seinen Augen sah er wunderschön aus. Sein glattes Gesicht und diese wundervollen Lippen. „Jetzt sei mal nicht so zickig. Es tut mir leid wegen gestern, okay? Ich war echt am Arsch.“ Er schaute Nici mit seinen tiefgrünen Augen durchdringlich an und sie konnte ihm kaum noch wiederstehen. „Schön, du hast gewonnen. Ich finde es trotzdem blöd, wenn du so bist. Schließlich kann ich nichts dazu und außerdem wollte ich dir wirklich nur helfen. Und auch, wenn du der Meinung bist, ich würde dich nicht verstehen, tue ich es doch. Meinst du ich hatte noch nie Streit mit meinen Eltern?“ Nici hatte auf einmal den Drang ihm alles zu erzählen, denn vielleicht glaubte er ihr dann. „Doch schon, aber nich so Nici. Es ist ein Unterschied, ob man sich streitet, um den anderen vor etwas beschützen zu wollen oder weil man ihn nich mag. Mich macht das total kaputt.“ „Und deshalb trinkst und kiffst du dauernd…verstehe.“ Er zog die Stirn in Falten und schüttelte mit dem Kopf. „Ich hab jetzt keinen Bock mit dir zu diskutieren.“ Sie verfluchte Lukas für seine Gleichgültigkeit. „Ja schon klar, weil es der einfachste Weg ist!“ „Nein, weil ich keine Lust hab mich auch noch vor meiner Freundin rechtfertigen zu müssen.“ „Du musst dich für gar nichts rechtfertigen, ich wünsche mir nur, dass du ehrlich bist.“ Er verdrehte die Augen. „Ich war immer ehrlich zu dir und wenn du noch mehr erwartest, muss ich dich leider enttäuschen. Was willst du denn noch Nici?“ „Ich weiß es nicht…keine Ahnung, vielleicht, dass du mal irgendwann bessere Laune hast und nicht immer depri drauf bist…vielleicht fände ich es auch mal schön dich glücklich zu sehen…glücklich, weil du mich liebst und dir was an uns liegt.“ Die Worte platzten aus ihr heraus, weil sie wirklich sauer war und wollte, dass Lukas das merkte. Ihr war egal, was er gerade für Probleme hatte. Mit ihr konnte er doch reden oder etwa nicht? „Echt jetzt? Gut, dann tue ich jetzt so, als ginge mir diese ganze Scheiße hier am Arsch vorbei und ich bin jetzt glücklich. Weil du es dir wünscht, warum nich.“   Nicis Reaktion traf mich viel mehr, als sie sich vorstellen konnte, aber wie sie wollte. Ich besorgte mir eine Flasche billigen Wodka, denn darauf musste angestoßen werden. Nici schien nicht zu bemerken, dass sie gerade zu weit gegangen war, nur Basti und Flo warfen mir verstohlene Blicke zu, die ich jedoch ignorierte. Wir zogen weiter und ich spielte noch immer den gut gelaunten Liebhaber. Mit Flos Hilfe hatte ich bei der Laube fast die halbe Flasche geleert. Nici ergriff meine Hand und küsste mich. Sie beschwerte sich auch nicht darüber, dass ich betrunken war, denn scheinbar fiel ihr nicht auf, dass es mir mieser als mies ging. Irgendwann stahl ich mich weg und kletterte aufs Dach der Laube. Alles war zu viel. Nici wurde mir zu viel, weil sie Unmögliches verlangte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und wollte schreien. Plötzlich rief sie meinen Namen und ich antwortete ihr. Sie kletterte zu mir hoch. Die Flasche war leer und ich schlug sie an der Dachkante kaputt. Nici lehnte sich an meine Schulter, doch ich rutschte weg und setzte mich im Schneidersitz ihr zugewandt hin. „Lass den scheiß okay.“ Erschrocken schauten mich ihre unschuldigen Augen an. Gedankenverloren wiegte ich die zerbrochene Flasche in meinen Händen hin und her. „Was ist los?“ Ich antwortete nicht sofort, sondern zerschlug die Flasche in noch kleinere Teile und pickte eine größere Glasscherbe aus dem Haufen. „Nichts, mir geht’s blendend…hast du dir das so vorgestellt ja? Nici, ganz ehrlich das war wirklich nich cool. Ich wollte heut nichts trinken, aber das was du vorhin gesagt hast…naja, da ging‘s nich anders…da is nochwas…ich kann gerade nich glücklich sein.“ Sie sah ängstlich auf die Glasscherbe in meiner Hand. „Lukas bitte,…ich wollte nicht, dass du traurig bist und jetzt leg das weg. Lass uns wieder zu den anderen gehen.“ Sie zeigte auf die Glasscherbe. Ich lächelte schwach. „Warum denn, hast du etwa angst, dass ich das hier tue…“ sagte ich voller Bitterkeit und rammte das Stück Glas in meinen Arm. Eine weitere Wunde blieb zurück. Nici entfuhr ein erstickter Schrei. „Um Himmels Willen…jetzt reiß dich zusammen…oder lass mich dir helfen!“ Flo schien mitzubekommen, dass das hier alles gerade etwas eskalierte und als er das Blut sah, beeilte er sich und kam zu uns aufs Dach geklettert. Ich ließ es mir nicht nehmen, mir eine letzte Wunde zu verpassen, dann lachte ich traurig und kickte die Scherbe vom Dach. Mein Herz raste und bevor ich völlig durchdrehte, war Flo bei mir und zog mich in seine Arme. Nur er allein wusste ja, weshalb ich so war. Warum ich das tat und ich würde es auch keinem neben Flo erzählen können. „Süßer…hör auf…bitte…“ „Ic-h…ich kann nicht Flo…“, schluchzte ich und er zog mich noch enger an sich. „Flo, wir müssen etwas tun! Soll ich einen Krankenwagen rufen?“, rief sie verzweifelt. Ich war beinahe unfähig, um ihr zu antworten. „Lass gut sein Nici“, sagte mein bester Freund leicht theatralisch und sprang hinunter. Nici und ich folgten ihm. Hatte sie jetzt, was sie wollte? Ihre Bestätigung, warum ich so war? „Ich hatte vor einer Woche den ersten größeren Streit mit meiner Mutter“, setzte sie wieder an und mein malträtiertes Hirn hatte Mühe ihren Worten zu folgen. „Warum das denn?“ Ich hielt einen Moment inne. „Naja, es war deinetwegen. Sie wollte nicht, dass ich mich weiter mit dir treffe und so. Deshalb wollte ich, dass meine Eltern dich kennenlernen.“ Mir entfuhr ein gekünsteltes Lachen. Mein Vater stritt nicht mal mehr mit mir, stattdessen verprügelt er mich lieber, dachte ich bei mir. „Wenigstens sind das nur Kleinigkeiten, weshalb du mit deinen Eltern aneinander gerätst.“ Sie warf mir einen schockierten Blick zu. „Kleinigkeiten nennst du das? Ich habe mich zum ersten Mal dem Willen meiner Eltern wiedersetzt und das sind für dich Kleinigkeiten? Das habe ich für dich getan.“ „Und? Erwartest du jetzt meine Anerkennung? Nici, meine Familie verachtet mich für das, was ich bin und das tut deine wahrscheinlich auch. Oh ja, das hast du toll gemacht Nici“, schrie ich sie jetzt an. Sie boxte mit den Fäusten gegen meine Arm und ich zuckte leicht zusammen, weil ich noch immer Schmerzen von dem Türunfall hatte. „Ich habe das getan, weil ich dich liebe. Aber du verstehst ja gar nicht, worum es mir dabei geht.“ „Ach ich verstehe nich worum es geht? Du solltest besser auf deine Eltern hören und dich von Abschaum wie mir fern halten…geh zu deiner Nadja, da bist du besser aufgehoben.“ „Lukas bitte rede nicht so…ich bin gern mit dir zusammen…aber…“ „Aber was? Soll ich dir dein aber erläutern? Du erträgst es nich mich so zu sehen, es macht dich krank und am liebsten würdest du mir das sagen, tust es jedoch nich, weil du dich vor meiner Reaktion fürchtest. Nici, du kannst mich nich retten…das kann niemand.“ „Du kannst wirklich so verdammt unattraktiv sein…warum redest du dauernd so mit mir, als sei ich das dumme kleine Mädchen? Das bin ich verdammt noch mal nicht!“ „Dumm wahrhaftig nich, aber naiv, wenn du denkst du kannst mich verstehen…ich frag mich echt, was dich bei mir hält. Isses meine charmante Art oder etwa meine exzessive Lebensweise? Denn ja Nici, alle haben Recht. Chris, deine Mum und Nadja. Ich bin der Mensch, vor dem sie dich immer warnen wollten, aber du hörst nich auf sie.“ Plötzlich kam Flo wieder zurück und zog mich mit zum Feuer. Mein Kopf sank in Kims Schoß und sie strich mir über den Kopf. Ich blendete Nici aus und wusste auch nicht, wo Flo auf einmal hingegangen war. Doch es war mir auch egal.   Nici stand da wie vom Blitz getroffen und es tat weh Lukas dabei zu beobachten, wie er Trost bei Kim suchte und seinen Kopf in ihrem Schoß barg. Vor ein paar Tagen war er doch noch so lieb gewesen. Auf einmal legte Flo seinen Arm um ihre Schulter und sie entfernten sich ein bisschen vom Feuer. „Puh, jetzt is das Fass wohl übergelaufen.“ Nici nickte und war sich nicht sicher, ob sie mit Flo reden wollte. Andererseits war er Lukas bester Freund und vielleicht konnte er sie ein bisschen aufklären. „Flo, kannst du mir mal verraten, warum er gerade so ausgeflippt ist?“ „Weil du ihn glaub tatsächlich niemals verstehen kannst Nici…das is die bittere Wahrheit…ich weiß, du willst für ihn da sein und so. Aber Lukas kann das gerade nich für dich…meine Probleme zu Hause sind ähnlich und niemand, der sowas noch nich erlebt hat, weiß wie es is von seiner Familie verachtet zu werden. Mir isses mittlerweile egal, aber Lukas is anders…er hofft halt, dass irgendwann alles wieder schön is…setzt sich dadurch selbst unter Druck…am besten du lässt ihn ein paar Tage für sich…es tut mir leid, ich mag dich wirklich und würde mir wünschen, dass es mit euch läuft, aber ich kenne Lukas zu gut…gib ihm einfach Zeit. Können uns ja noch zu ihm ans Feuer setzen und am besten du versuchst normal zu sein.“ „Normal? Wie soll ich denn jetzt bitte normal sein Flo…außerdem scheint ihn Kim sowieso besser trösten zu können.“ Flo seufzte. „Nici…ich kann ja versteh‘n, dass es schwer is, aber Kim und Lukas kennen sich nun Mal schon länger. Sie ist eine gute Freundin, das solltest du akzeptieren.“ „Ich muss irgendwie alles akzeptieren und was tut er? Sich betrinken und mit andern Mädels reden! Nur nicht mit mir!“ Flo schaute Nici lange an und irgendwie beschlich sie das Gefühl, dass er ihr nicht mehr so wohlgesonnen war wie zuvor. „Dann solltest du dir nen anderen suchen.“ Nici ließ sich am Feuer nieder und vergrub den Kopf zwischen ihren verschränkten Armen. Flo setzte sich neben Nici. Er drehte sich eine Zigarette und öffnete sich ein Bier. Dann, wie durch ein Wunder drängte sich Lukas zwischen die beiden. Sie schaute ihn lange an. „Geht’s dir besser?“ „Keine Ahnung, irgendwie is alles gerade kompliziert…ich will kein Arsch sein Süße, nur manchmal macht mich deine Art echt fertig…ich hab dich lieb Nici, das musst du mir glauben. Ich wollte heut nich so ausrasten, aber es is passiert…vielleicht, weil es mich trifft, wenn du mir solche Dinge sagst…der Zoff mit deinen Eltern und so. Das führt mir nur immer vor Augen, was ich manchmal auch gern hätte…“ „Es tut mir leid…ich wollte dich nicht verletzen. Nur ich muss wohl auch einige Dinge noch lernen…ich hab dich auch lieb Lukas…du bist mir nun mal wichtig und es macht mich traurig dich so zu sehn. Ich wünschte ich könnte das ändern…mehr nicht.“ Er lächelte Nici an und küsste sie. „Das tust du doch, nur ich sag dir das viel zu selten.“   Am selben Abend. Meine Eltern unterhielten sich im Wohnzimmer etwas lauter als normal. „Da lass ihn doch mal gehen, vielleicht wird es dann besser.“ „Das ich nicht lache! Du hast doch gesehen, was passiert, wenn wir den Jungen machen lassen! Nein Sabine, jetzt führe ich andere Regeln ein.“ Meine Mum wirkte irgendwie total verzweifelt und es hatte fast den Anschein, als ob sie sich für mich eingsetzte. „Ach ja? Sehen diese Regeln etwa so aus? Hast du einmal über das, was Lukas zu dir gesagt hat, nachgedacht?“ „Von dem Bengel lass ich mir doch nichts sagen! Hältst du jetzt etwa deine Hände über ihn?“ „Er ist unser Sohn! Ich will ihn nicht länger so behandeln, als wäre er ein Nichts!“ Das waren ja ganz neue Worte aus dem Mund meiner Mutter. Ich verkroch mich in meinem Zimmer und hörte Musik. Was sollte ich jetzt schon wieder davon halten? Ich hockte mich auf den Fußboden und drehte mir eine Zigarette. Mein Vater war ein Arschloch, aber meine Mum? Vielleicht mochte sie mich ja doch mehr, als ich dachte. Dann öffnete sich meine Zimmertür und sie stand vor mir. „Ich habe dich gar nicht kommen gehört.“ Uninteressiert zuckte ich mit den Schultern. „Muss das Rauchen denn sein? Ich finde das nicht besonders gut.“ „Mir doch egal. Ich finde auch so viele Dinge nicht gut.“ „Kann ich nicht mal normal mit dir reden? Ohne, dass du so pampig reagierst? Lukas, mir liegt sehr viel an dir, auch wenn ich dir das in den letzten Monaten nicht gezeigt habe und ich mache mir Sorgen um dich. Ich weiß nicht mehr, was du in deiner Freizeit machst und das macht mich wahnsinnig.“ Sie versuchte mich zu locken, doch ich wusste nicht, ob ich das jetzt wollte. Ich war abgehärtet und es würde lange dauern, bis sie mich soweit hatte, dass ich auf ihre Äußerungen einging. „Ich bin nicht sicher, ob ich die Drogengeschichte ernst nehmen soll, aber nachdem ich dich jetzt so sehe…du hast auch schon mal besser ausgesehen. Ich weiß auch, dass ich selten zu Hause bin, aber ich möchte dich durch solche dummen Sachen nicht verlieren.“ Das beeindruckte mich schon fast. Plötzlich flog die Tür auf und mein Vater polterte ins Zimmer. „Und was hab ich dir gesagt?“, fuhr er meine Mum an. „Unser Lukas, wie er mal war, existiert nicht mehr. Lass ihn doch nur machen, er wird sein Leben schon verpfuschen. Wir haben doch noch unsere Johanna.“ Wie viel Schmerz konnte ein Mensch überhaupt ertragen? Mein Vater war gefühlskalt und normalerweise müsste sein Umgang mit Menschen besser sein, doch bei mir machte er da wahrscheinlich eine Ausnahme. Er redete wieder so, als sei ich nicht anwesend. „Und wollt ihr wirklich all eure Hoffnung in Jojo legen? Dafür müsstet ihr euch mal um sie kümmern. Ich weiß mit Sicherheit mehr über meine Schwester als ihr.“ Mein Vater rannte auf mich zu und drückte mich gegen die Wand. „Und lass deine Schwester gefälligst in Ruhe, sonst verdirbst du sie auch noch.“ Mir entfuhr ein lachen, was mich selbst verwunderte. „Als ob das in meiner Hand liegt. Jojo hat einen eigenen Willen…“ Er ließ von mir ab, doch seine Augen verfolgten jede meiner Bewegungen. „Vielleicht sollte ich dir mal den Geldhahn zudrehen, mal sehen ob du dann immer noch so amüsiert bist“, drohte er mir. Ich ließ meine Eltern alleine und zog mich im Park zurück. Ich dachte an Nicis Worte zurück, als sie mir von dem Streit mit ihren Eltern erzählt hatte und lächelte schwach. Ja, das waren die Sorgen, mit denen sie sich herumschlagen musste. Komischerweise hatte ich gar keine Lust zur Laube zu gehen, denn da wurde es auch immer öder und die Stimmung dort zog mich ohnehin nur runter. Irgendwie musste ich gerade jetzt an Julietta denken und an die Zeit mit ihr, in der ich auch viel von der Gothicszene gesehen hatte. Nici war zwar auch eine Gruftine, aber anders. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass sie nur mir zuliebe so war. Ich konnte nicht genau sagen, ob sie dieses Gefühl wirklich so lebte wie ich. Ich war dieser Szene verfallen und liebte alles daran, vor allem diese düsteren Facetten und ich mochte es, wenn mich alle Leute auf der Straße anschauten, weil ich schwarz angezogen war und mehr Tattoos und Piercings hatte, als andere in meinem Alter. Meine Eltern waren damals schon nicht sehr begeistert davon gewesen, aber das störte mich ja sowieso nicht. Lustigerweise kam gerade jetzt ein dunkel angezogener Typ vorbei und drückte mir einen Flyer in die Hand. Im Transsylvania fand heut Abend eine schwarze Nacht statt, mit Liveband und so. Zuerst spielte ich mit dem Gedanken Nici auszuführen, doch meine Finger rannten über die Tastatur und wählten die Nummer, die ich neben meiner eigenen Inn und auswendig kannte. Flo ließ sich das nicht zwei Mal sagen und war innerhalb von zehn Minuten bei mir. Die Band, die spielte, kannten wir beide nicht, doch sie war nicht schlecht. Wir bestellten uns Bier und hockten uns in eine Ecke, wo wir reden konnten. „Wir haben schon lange nichts mehr zusammen gemacht. Die Absturzabende bei Tim mal ausgenommen.“ Ich schmunzelte und trank einen Schluck. „Das stimmt. Ich musste mich zwar zwischen Nici und dir entscheiden, aber du hast gewonnen.“ Flo warf mir einen Handkuss zu. „Gut für mich, schlecht für sie…is es dir ernst mit Nici?“ „Irgendwie schon, aber sie is halt so lieb…zu lieb und dann meint sie wieder die Welt retten zu müssen…doch die is zu abgefuckt…und ich auch. Das versteht Nici nich. Ich glaub sie hätte mich gern anders…wenn sie ehrlich zu sich selbst wäre, würde sie sich klar darüber werden, dass ich ihr nich das geben kann, was sie will.“ Flo prustete los. „Das hätte ich dir auch sagen können, nach deiner Beziehung mit Julietta. Aber mach, was du denkst. Lukas…meinst du unser Konzert wird gut?“ „Ich hoffe es…weißt du Flo, ich weiß das klingt albern, aber ich will echt was erreichen. Wenn ich Musik mache, kann ich das nich nur, um Spaß zu haben…ich will die Menschen provozieren…sie reizen und faszinieren.“ „Du ließt zu viel Manson…aber ich mach mit. Hab eh keine andere Perspektive und Gitarre spielen is das einzige was ich vermutlich richtig gut kann.“ „Dann lass uns ein Konzept entwickeln…ich hab echt keinen Bock Teeniemucke zu machen…ich will die coolen Kids bei uns haben.“ In unserem Alkoholrausch quatschten wir den Barkeeper an und fragten, ob wir nicht mal im Trannsylvania spielen dürften. Er wollte eine Demo von uns haben, dann würde er es sich überlegen. Also schrieben wir den Jungs noch und verabredeten uns am nächsten Tag im Proberaum. Auf dem Esstisch im Flur standen noch das dreckige Geschirr und eine halbvolle Weinflasche. Wahrscheinlich hatte wieder irgendein Firmendinner stattgefunden, bei dem meine Mutter den ganze Abend lang in der Küche gestanden hatte und kochte. Mein Vater dagegen amüsierte sich prächtig mit seinen tollen Kollegen und jeder heuchelte jedem vor, wie toll alles sei. Na da war es ja Glück, dass ich diese trügerische Idylle nicht mit meinem Auftreten zerstört hatte. In meinem Zimmer öffnete ich das Fenster und rauchte noch eine. Wenn ich doch nur schon mein Abitur gemacht hätte, könnte ich ausziehen und endlich mein eigenes Leben führen. Da ich noch keinen Schlaf fand, schrieb ich noch ein paar Liedtexte. Wie sehr wünschte ich mir, meinen Traum als Musiker verwirklichen zu können. Und da kam mir plötzlich eine Idee. Vielleicht könnte ich mit den Jungs ein paar Flyer entwerfen und in unserem kleinen Proberaum würde dann unser Konzert stattfinden. Ich war so voller Tatendrang, dass ich selbst noch ein Cover entwarf, was auf den Flyer gedruckt werden könnte. Ich liebte es Musik zu machen, denn so verarbeitete ich auch all meine Probleme und ließ meine Musik somit lebendig werden. Gequält und übermüdet stieg ich aus meinem Bett. Durch eine kalte Dusche wurde ich halbwegs wach. Zu meinem Unglück musste mein Vater heute später zur Arbeit und so ließ es sich nicht vermeiden ihm schon am Morgen über den Weg zu laufen. Jojo saß in der Küche, schlürfte ihren Kakao und aß Marmeladentoast. Ich schenkte mir nur Kaffee ein und setzte mich wieder Willen an den Tisch. Mein Vater erwiderte mein Guten Morgen nur sehr leise und schaute nicht mal von der Zeitung auf. Mein Schwesterchen dagegen lächelte mich liebevoll an. Dann kam meine Mum. Sie wirkte sehr aufgewühlt und räumte das Geschirr in die Spülmaschine. „Los Johanna, wir müssen uns beeilen, du musst zur Schule.“ Meine Schwester besuchte die vierte Klasse und fuhr jeden Morgen mit unserer Mum mit. Sie schaute mich skeptisch an. Das lag wohl an meinen schwarzen Klamotten, also der Nadelstreifenhose, dem ärmellosen Misfitsshirt und dem Nietengürtel. „Lukas, es macht mich krank dich so zu sehen.“ Ich sah sie gelangweilt an. „Kannst du mir auch noch was anderes erzählen?“ „Ja an wem liegt das denn? Bin ich ständig unterwegs oder du?“ „Weil es hier beschissen ist. Ständig muss ich mir eure dummen Sprüche anhören. Das lädt nicht gerade dazu ein, oft nach Hause zu kommen.“ Sie hielt einen Moment inne, als ob sie sich etwas verkneifen wollte, platzte dann aber heraus: „Dann zieh doch endlich aus!“ Das war wieder so ein Satz, der aus lauter Verzweiflung rausgerutscht war. Ich konnte nichts darauf erwidern und sie drehte sich um, ohne sich zu verabschieden und verließ mit Jojo die Wohnung. Ich blieb allein. Ungewollt und allein in der Dunkelheit. Schon fast monoton stellte ich meine leere Tasse in die Spüle, zog die Cordjacke mit Kapuze an und schnappte meine Schulsachen. Vor dem Haus rauchte ich noch eine Zigarette. Flo holte mich meist ab und wir liefen zusammen in die Schule. Da er keine Kippen hatte, gab ich ihm eine. Flo war einer der Hardcorejungs, die schon fast auf der Straße lebten. Aber ihn ließ der ganze Streit zwischen ihm und seiner Familie kalt. Ihn kümmerte nicht, was seine Eltern sagten und ich wünschte, das könnte ich auch. So tat er zumindest immer. Bei Tim war sein zweites zu Hause und, wenn es in unserer Laube zu kalt wurde, nistete er sich bei Tim ein oder pennte einmal im Monat zu Hause. Allerdings kiffte er auch öfter als ich. Ab und zu, wenn Tim mal Speed besorgt hatte, war Flo einer der ersten, die sich das Zeug reinziehen mussten. Basti hielt Abstand von den ganzen Drogensachen, er kiffte nicht einmal. Basti, unseren Dritten im Bunde, trafen wir vor Schule. Der Tag verging relativ schnell und danach trafen wir uns alle im Park. Kim kam auch angestürmt und berichtet mir von ihrem ersten Schultag in Nicis Klasse. Ich war froh, sie so glücklich zu sehen. „Sonst alles klar bei dir?“ Sie nickte. „Tim hat mir vorgeschlagen für ne Weile zu ihm zu ziehen.“ „Weiß er auch davon?“, fragte ich skeptisch. „Ja, seit gestern. War mal wieder voll fertig und die ganzen Leute waren bei ihm. Haben halt gequatscht und da isses mir so rausgerutscht. Aber ich will nicht, dass es noch mehr Leute erfahren.“ „Schon klar, von mir sowieso nicht.“ Kim zog ein Bier aus ihrem Rucksack und öffnete es mit den Zähnen. Ich hatte auch große Lust mich zu betrinken, auch wenn es erst nachmittags war. Kim hielt mir ihr Bier hin und ich nahm einen großen Schluck. Eigentlich hätte ich Schlaf gebraucht, doch nach Hause gehen, auf keinen Fall. Ich beschloss mein letztes Geld noch in Bier und Zigaretten zu investieren, dann zogen meine Jungs und ich los, um zu proben. Ich weihte auch Basti und Tim in meine Pläne ein und wir feilten an unseren Songs, bis sie düster, melodisch und perfekt klangen. Ich probierte gesangstechnisch verschiedene Tonlagen aus und war selbst überrascht, was sich aus meiner Stimme alles herausholen ließ. Auch meine Jungs lobten mich. Nach einer erfolgreichen Probe zogen wir weiter zu unserer Laube. Unterwegs rief ich Nici kurz an, ob sie auch kommen würde. Doch bedauernswerter Weise sagte sie ab, weil sie noch so viel für die Schule erledigen musste. Ich hatte keine Lust mit jemandem zu reden, deshalb ertrank ich meine Trauer im Alkohol.  Kim lag mit ihrem Kopf auf meinem Schoß und hielt mir den Joint hin. Und dann war es schon wieder nach zwölf. Gegen ein Uhr torkelte ich nach Hause. In der Arbeitsecke des Wohnzimmers brannte noch Licht und mein Vater blickte mich wütend an, als er mich hörte. Mit großen Schritten kam er in meine Richtung. Ich versuchte mich zusammenzureißen. „Was bildest du dir eigentlich ein? Reicht es denn nicht aus am Wochenende mit deinen dämlichen Freunden abzuhängen? Stattdessen wird jetzt auch noch in der Woche bis in die Puppen gefeiert!“ Und Klatsch, da saß die Ohrfeige auch schon. „Weißt du, was ich nicht verstehe? Warum interessiert euch beide jetzt auf einmal, was ich mache? Es ist zu spät, kapierst du das?“ „Ich wünschte ich könnte behaupten, du wärst mein Adoptivsohn, dann hätte ich wenigstens eine Erklärung für dein Verhalten!“ Wow. Das war schmerzhafter als die Ohrfeige zuvor. „Und ich würde mir wünschen in einer Familie aufzuwachsen, in der das verschissene Geld und Ansehen kein Rolle spielt!“, zischte ich. Er packte mich an den Schultern und drückte mich unsanft gegen die Wand. Grob riss er meinen Arm hoch und ich ächzte, als ein stechender Schmerz durch meine Schulter fuhr. Er inspizierte meine Narben. „Und was soll das Junge? Erst Drogen und dann sowas? Als fällst du durch dein Aussehen nicht schon genug auf. Musst du jetzt auch noch jedem zeigen, was für ein armer armer Junge du bist? Du bist so eine Enttäuschung Lukas. Geh mir einfach aus den Augen, ein Anblick widert mich an!“ Gibt es etwas Schlimmeres, als von seinen Eltern unerwünscht zu sein? Ich konnte nicht anders, packte ein paar Klamotten und Sachen zusammen. Zwar hatte ich kaum Geld, doch war ich fest entschlossen abzuhauen. Doch wohin konnte ein Junge von siebzehn Jahren ohne Geld gehen? Es half alles nichts und es hieß wohl für mich Augen zu und durch. Dieses eine verdammte Jahr musste ich noch irgendwie ertragen. Wenn es doch nur jemanden in meinem Leben geben würde, der alles erträglicher machte. Jemanden, den ich liebte, der mich liebte und der mich aus diesem Irrenhaus holte. Klar trugen meine Freunde dazu bei, dass ich nicht so einfach den Kopf in de Sand steckte, aber ich sehnte mich nach mehr. Nici sollte eigentlich ein solcher Mensch sein, doch sie schaffte es nicht zu mir durchzudringen. Sie kam nicht gegen mich an, so sehr sie sich auch bemühte. Sie liebte mich, doch ich liebte sie nicht. Meine Musik bot mir auch manchmal Abstand und gab mir Kraft weiterzumachen. Nur noch ein Jahr. Ich sank wieder auf den Teppichboden und vergrub den Kopf in den Händen. Ja, ich wünschte auch, dass ich ein Adoptivkind wäre. Ich kickte meine Klamotten weg und legte mich in Boxershorts ins Bett, doch ans Einschlafen war nicht zu denken. Nicht nach diesen schlimmen Worten meines Vaters. Ich merkte, wie ich fiel. In dieses viel zu tiefe Loch, aus dem ich es kaum allein wieder hinaus schaffte. Mit letzter Kraft krallte ich meine Fingernägel in die Oberschenkel und kratzte sie blutig. An dieser Stelle war das Ausmaß meiner Selbstzerstörung immerhin nicht sofort für alle sichtbar. Tränen flossen meinen Wangen hinab und mit zittrigen Händen griff ich nach meinem Handy. Es klingelte ein paar Mal. „Lukas? Ist alles okay?“, fragte mein Freund und seine Stimme klang nicht so verschlafen, wie sie es um diese Uhrzeit eigentlich sein sollte. Ich schluchzte in den Hörer. „Nein…Flo…ich geh kaputt…kann nich mehr…“ „Oh Süßer, das klingt verdammt mies…soll ich noch vorbeikommen?“ Ich bekam noch zittriges „ja“ zustande und legte auf. Leise schlich ich zur Tür, um Flo zu öffnen und genauso leise bewegten wir uns wieder hoch in mein Zimmer. Die Tür schloss ich ab und ließ mich wieder von dieser Gefühlswelle einfangen, doch mein liebster Freund war da, hielt mich in seinen Armen und ließ jene Situation unkommentiert. „Ich halt diese ganze Scheiße nich mehr aus…das geht echt langsam an die Psyche…“ „Hast du schon Mal überlegt mit deinem Hausarzt zu reden? Vielleicht kann er dich zu nem guten Psychologen weiterleiten…“, schlug mein Freund vor, doch ich schüttelte heftig den Kopf. „Nee…ich will das nich…kein Psychodoc.“ „Kann ich verstehen…wir sollten noch ein bisschen schlafen…“ Ich nickte nur und kuschelte mich an meinen Flo. Immerhin half das ein kleines bisschen.   Am nächsten Tag hatten wir Volleyball im Sportunterricht. Früher war das mal mein Lieblingsfach gewesen, doch seit ich mit dem Rauchen angefangen hatte, verringerte sich mein sportliches Engagement. Wir machten schon noch ein bisschen mit, weil unser Lehrer es nicht gern sah, wenn wir faul auf der Bank hockten. Doch Spaß sah anders aus. Nach der Schule verkroch ich mich in unserem Proberaum, spielte meine Lieder auf der Gitarre und rauchte fast ununterbrochen. Irgendwann ging die Tür auf und Nici erschien. Sie setzte sich zu mir an den Bühnenrand und lauschte. Dann holte ich mir ein Bier aus dem Keller und hockte mich wieder zu ihr. „Du siehst ja nicht gerade glücklich aus.“ „Ich bin jetzt an dem Punkt, wo ich aus voller Überzeugung behaupten kann, dass ich meine Eltern hasse. Wie lange wollen die Penner eigentlich noch auf meinen Gefühlen herum trampeln? Ich kann nicht mehr Nici.“ Ich ließ mich auf den Rücken sinken und nahm einen tiefen Zug. „Heute Nacht war ich echt kurz davor abzuhauen. Irgendwohin, wo ich mir den Mist nicht mehr anhören muss.“ Sie beugte sich zu mir herab und küsste mich. Ich hatte ganz vergessen, wie es sich anfühlt glücklich zu sein. „Und warum bist du dann doch geblieben?“ Ich lächelte schwach. „Es gibt eben doch noch Menschen, die mir sehr am Herzen liegen und die ich nicht so einfach verlassen konnte.“ Ich ging zur Tür und schloss den Proberaum von innen ab. Nici grinste mich ein wenig schüchtern an. Meine Lippen berührten wieder die ihren. Der Kuss wurde intensiver und leidenschaftlicher. Gegenseitig zogen wir uns aus und ich küsste sie am ganzen Körper. Mein Herz schlug immer schneller. Sie zog mich an sich und ihr zarter Körper pulsierte. Wir verschmolzen miteinander, als ich in sie eindrang. Ihre Fingernägel krallten sich in meinen Rücken und sie stöhnte leicht. Ich konnte mich leider nicht so lange zurückhalten und sank neben ihr auf die harte Bühne. Wir lagen nebeneinander und ich strich ihr ein Haar aus der Stirn. Dann zündete ich mir noch eine Zigarette an. „Wow, das war mal spontan.“ „Tut mir leid, dass ich dich jetzt so überrumpelt habe.“ Sie lächelte und zog an meiner Zigarette. „Ich hätte mich ja auch wehren können.“ „Hast du aber nicht“, entgegnete ich mit einem verschmitzten Lächeln. „Das sollten wir öfters tun.“ „Geht’s dir jetzt besser?“ Ich zuckte wieder mit den Schultern. „Irgendwie schon. Ich sollte mir langsam eine Methode überlegen, wie ich das alles verdrängen kann.“ Nici strich mir zaghaft über die Wange. „Lukas…“ Ich schaute sie an und Nici fuhr fort. „Ich weiß, dass du denkst ich würde dich nicht verstehen…trotzdem will ich, dass wir ehrlich zueinander sind und du immer, jederzeit zu mir kommen kannst. Ich kann dir auch einfach nur zuhören oder?“ Ich lächelte sie liebevoll an. „Danke, das ist echt süß von dir. Was hältst du von nem DVD Abend?“ „Heute?“ „Klar. Hab ne ziemlich große Sammlung, da findet sich bestimmt was.“ Wir zogen unsere Klamotten wieder an, da es doch allmählich etwas kühl wurde. Ich saß im Schneidersitz da und Nici lehnte sich mit dem Rücken bei mir an. Zärtlich küsste ich sie auf die Stirn. „Das klingt gut. Gucken wir da bei dir?“ Unsicherheit schwang in ihrer Stimme mit, wahrscheinlich dachte sie, dass mir das unangenehm ist, wegen dem Zoff mit meinen Eltern. „Jepp. Vielleicht freuen sie sich ja mal, wenn ich einen Abend mal zu Hause bin.“ Den Sarkasmus in meiner Stimme konnte ich nicht verbergen. Nici seufzte nur und schüttelte mit dem Kopf. Dann schlenderten wie händchenhaltend zu meinem Wohnhaus. Mich nervte der Mercedes meines Vaters in unserer Einfahrt schon wieder. Hoffentlich war meine Mum nicht auch da. Als wir im dritten Stock angekommen waren, zogen wir Schuhe aus und ließen sie vor der Haustür stehen. Meine kleine Schwester saß am Esstisch und erledigte ihre Hausaufgaben. Sie schaute auf und als sie mich sah, strahlte mich ihr hübsches Kindergesicht an und ihre Augen leuchteten. Blitzschnell sprang sie von ihrem Stuhl auf und rannte in meine Arme. „Ich hab mir so sehr gewünscht, dass du heute eher kommst.“ Ich musste lachen. Jojo beäugte Nici und fragte mich im Flüsterton, ob das jetzt meine Freundin sei, da Nici ja schon Mal hier war. Ich flüsterte ihr ein ja zurück. Mein Magen krampfte sich zusammen, als meine Mutter mit ernstem Blick aus dem Wohnzimmer geschlurft kam. Sie wich meinem Blick aus und begrüßte nur Nici. Ich griff nach ihrer Hand und wollte sie in mein Zimmer führen, als sie mich zurückrief. „Lukas…es tut mir leid, was ich gestern zu dir gesagt habe“ Ich schaute sie an und verzog dabei keine Miene. Sie versuchte meinem Blick standzuhalten. „Das ändert trotzdem nichts. Außerdem geht es mir nicht nur um gestern und das, was ich gesagt habe, tut mir nicht leid.“ Sie schwieg einen Moment und erst jetzt fiel mir auf, dass auch meine Mutter ganz schön geschafft aussah. Ihr Gesicht war eingefallen und blass. Dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab. Nici war schon in meinem Zimmer verschwunden, doch die Tür blieb einen Spalt breit offen. „Ich habe zurzeit viel Stress in der Firma und weiß auch nicht, wo mir der Kopf steht. Da war ich eben auch mal etwas angespannt und habe überreagiert.“ Ich kniff die Augen zusammen. „Wenn es ja wenigstens bei dem Mal bleiben würde“, sagte ich mehr zu mir, als zu meiner Mutter. Sie sprach weiter, als ob sie mich nicht gehört hätte. „Sicher hast du es auch nicht gerade leicht in der Schule, aber trotzdem finde ich, dass du uns ein bisschen mehr Respekt erweisen könntest. Schließlich sorgen wir für dich und anderen geht es sicher schlechter als dir.“ Ihre Stimme blieb sehr ruhig. Ich konnte nicht anders und lachte kurz auf. „Als ob du wüsstest, wie es anderen geht. Dich interessiert ja nicht mal deine Familie. Außerdem weiß ich, dass andere ein schwereres Los als ich gezogen haben, da brauche ich nur einen Blick in meinen Freundeskreis zu werfen. Aber für dich sind das ja nur asoziale Junkies, also hör gefälligst auf von Dingen zu reden, von denen du keine Ahnung hast.“ „Wo wir wieder beim Thema wären. Mein Leben lang haben dein Vater und ich versucht, dir eine gute Grundlage für deine Zukunft zu schaffen. Doch dir ist das egal.“ „Ist es mir nicht, aber habt ihr mich bei eurer tollen Planung jemals mit einbezogen? Habt ihr mich einmal gefragt, was ich will? Vielleicht hätte ich lieber erst meinen Realschulabschluss gemacht, statt Abitur, aber das konntet ihr ja nicht wissen, weil ihr alles einfach beschlossen habt! Und mit der Grundlage meinst du doch nur dein Geld, auf das du so stolz bist. Als Kind konnte ich mich dagegen nicht wehren, doch jetzt bin ich alt genug und ich habe keinen Bock so ein Leben zu führen wie ihr!“ Jojo hielt sich die Ohren zu, während ich mit meiner Mutter stritt und huschte in mein Zimmer. Auch ich drehte mich um und knallte meine Zimmertür. Meine Schwester schaute mich mit glasigen Augen an. Ich hockte mich auf mein Sofa neben Nici und nahm Jojo auf den Schoß. „Weißt du jetzt was ich meine? Und das geht nur so, da muss man ja irgendwann durchdrehen. Aber jetzt kommen wir zum gemütlichen Teil des Abends. Willst du mit DVD gucken Kleines?“, fragte ich meine Schwester, der eine Träne der Wange runter kullerte. Sie nickte. Ich drückte sie fest an mich und sie fing an zu weinen. Ich mochte es nicht, sie weinen zu sehen, weil sie sonst immer ein so fröhliches Mädchen war. Mir tat es auch leid, dass ich vor ihren Augen mit unserer Mum gestritten hatte. Ich reichte ihr ein Taschentuch. „Ich hab nur solche Angst, dass du irgendwann weggehst und nicht wiederkommst.“ „Keine Angst Jojo, das werd ich schon nicht und wenn ich abhaue, nehme ich dich mit.“ Jetzt wurde ihre Miene wieder fröhlicher und sie lächelte sogar. Nici und ich machten es uns auf meinem Bett bequem und nahmen Jojo in unsere Mitte. Wir schauten auf Nicis Wunsch The Crow Teil eins und zwei an. Meine Schwester schlief zwischendrin ein und auch Nici wurde müde. „Echt süß die Kleine.“ Ich nickte und strich Jojo zärtlich über die Wange. „Ich bring dich noch nach Hause, okay?“ Nici nickte. Mein Schwesterchen ließ ich in meinem Bett schlafen. Ich gab Nici noch einen langen Abschiedskuss und ließ  sie nur ungern gehen. Jojo war aufgewacht und hatte sich ihren Schlafanzug angezogen. Sie kuschelte sich mit ihren Teddy an mich und schlief wieder ein. Kapitel 6: Der Traumschwiegersohn --------------------------------- Kapitel 6 Der Traumschwiegersohn   Nici wurde schmerzlich immer mehr bewusst, dass sie, wenn sie Lukas behalten wollte, andere Wege einschlagen musste. Oder zumindest sollte sie sich über einige Dinge klar werden. Lukas war nicht der klassische Gothic, den sie gern hätte, er war viel mehr als das. Attraktiv, provokant, ein bisschen egoistisch und immer ein Mysterium. Jeh mehr ihr alle davon abrieten mit ihm zusammen zu sein, desto mehr reizte er sie. Immerhin hatte ihre Mum ihre Meinung zu ihm noch einmal überdacht. Samstagmittag verabredete sich Nici mich Lukas im Park. Er erzählte, dass er gestern mit Basti und Flo unterwegs war. Irgendetwas war heute anders an ihm. Unter seinen Augen zeichneten sich schwache, dunkle Schatten ab und aus seinem Blick sprühte nicht diese Lebensfreude, wie in den Tagen zuvor. Trotzdem war er lieb. Wahrscheinlich fehlte ihm nur ein bisschen Schlaf. Sie legten sich ins Gras und er zündete sich eine Zigarette an. „Findest du es schlimm, wenn ich alleine etwas mit meinen Freunden unternehme?“ „Nein, aber ich fände es trotzdem toll, wenn wir sowas wie neulich öfter tun würden.“ Er lächelte. „Ich denke, das lässt sich einrichten.“ „Heute?“ Nici beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss. „Wir haben doch später eh unser Konzert und was wäre das ohne dich.“ „Das würde mich sehr freuen.“ „Wenn du willst, kannst du schon so gegen acht mitkommen. Müssen halt noch aufbauen und so.“ „Lukas, warum tust du sowas? Warum betrinkst du dich dauernd? Ich weiß nicht, ob ich das aushalte. Es macht mich voll fertig.“ Behutsam legte er seine Arme um Nici. „Nici, erstens ist es nicht dauernd und zweitens es ist ein Weg für mich mit meiner Situation klar zu kommen, also akzeptiere es oder nicht.“ Er klang so fremd und das junge Mädchen merkte diesen unbekannten Schmerz. Sie wollte ihn nicht ändern, aber sie wollte auch keinen Junkie zum Freund. „Was bleibt mir auch anderes übrig?“ Er lachte ein bisschen. „Bitte sei mir nicht böse deshalb. Ich mag dich wirklich sehr und wir bekommen das zusammen schon hin.“ Lukas schloss Nici fester in seine Arme und fing an zu lachen. „Naja, ist schon okay, aber es soll auch schöne Dinge auf der Welt geben!“ Erleichtert und endlich wieder unbesorgt lächelte sie ihn liebevoll an. Langsam ließen sie sich in das weiche Gras sinken. Lukas beugte sich über seine Nici und küsste sie sehr lange. Dann wurde dieser wundervolle Moment abrupt von dem Klingeln seines Handys gestört. Doch er ignorierte es. Langsam neigte sich die Sonne Richtung Horizont und es wehte ein kühler Wind. „Es war nur Basti. Wollte sicher fragen, wann wir uns treffen.“ Nici freute sich, dass er sie mit einbezog. Lukas telefonierte kurz mit Basti und machte irgendeinen Treffpunkt aus. „Ich muss aber noch mal nach Hause. Wenn du willst, kannst du ja mitkommen?“, sagte er ganz charmant. „Aber vorher muss ich mir noch eine Jacke holen.“ Er nahm ihre Hand und zog sie auf die Beine. Dann schlenderten sie Hand in Hand bis zu seinem Haus. Dort holte er noch ein paar Sachen und dann machten sie sich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. „Wo gehen wir jetzt eigentlich hin?“ „Zu Tim.“ Nach einer kurzen Pause sagte Nici: „Mir ist gar nicht so aufgefallen, dass Basti auch ein Goth ist.“ „Naja, is er auch nich. Er ist eher so’n kleiner Punk. Rennt auch nicht nur in schwarz rum.“   Tim sah extremer aus als beim letzten Mal. Seine Haare waren schwarz- rot gefärbt. Eine Seite rot und die andere schwarz, jedoch sehr gepflegt. Er trug einen langen Rock mit Schnallen und ein figurbetontes Langarmshirt. Kunstvolle Ringe schmückten seine Hände mit den längeren, schwarzlackierten Fingernägeln. Basti saß im Wohnzimmer auf dem Sofa. „Was darf ich euch denn zum Trinken anbieten?“ Basti nippte schon an seiner Bierflasche. Lukas sah Nici fragend an und sie flüsterte ihm Rotwein zu. „Dann bitte ein Glas Rotwein für die Dame und für mich das Übliche.“ Tim nickte und verschwand kurz. Dann kam er mit einer Flasche Rotwein sowie einem Glas und einer Flasche Bier zurück. „Flo kommt wohl heute gar nicht?“, fragte Lukas, worauf er von Basti Antwort erhielt. „Vielleicht kommt er später noch, wollte noch irgendwas erledigen. Nici alles klar bei dir?“ „Ähm, ja klar…. Und bei dir so?“ „Läuft“, erwiderte Basti grinsend. „Wir sollten langsam los, sonst verpassen wir unseren Gig im Transylvania!“ Lukas sah mit leuchtenden Augen abwechselnd zu Tim und zu Basti. „Wir trinken noch leer und dann geht’s los.“ „Ich verzieh mich mal ins Bad und mach mich fertig.“ Tim folgte Lukas. „Ich komm mal mit, allein kannst du dich eh nich schminken“, witzelte Tim. Lukas lachte und zündete sich auf dem Weg eine Zigarette an. Dann wandte er sich an Basti. „Sag mal, warum bist du eigentlich nicht bei deiner Caro?“ Diesmal war es Basti, der nicht gerade glücklich guckte. „Ach, hör bloß auf. Ich habe langsam die Schnauze voll von den Weibern!“ „Warum läuft wohl nicht so, wie du willst?“, fragte Lukas. Basti zuckte nur mit den Schultern. „Weiß nich. Sie ist irgendwie so schüchtern, aber ich denke, ich bekomme das schon hin, alleine!“ Er warf seinem Freund einen warnenden Blick zu. „Was guckst du mich da schon wieder so an! Als ob ich immer etwas Schlimmes machen würde.“ Nun lächelte Basti wieder. „Ach, ich wollte dich schon immer mal böse angucken.“ „Na wenn das so ist. Du bist blöd.“ „Du auch.“ „Mann, das ist wie im Kindergarten mit euch“, beschwerte sich Tim. Plötzlich sprang Lukas auf und verschwand mit Tim im Bad. Nici warf Basti einen unsicheren Blick zu. „Daran musst du dich gewöhnen. Die beiden machen das dauernd. Und Tim hilft Lukas wirklich bei seinem Make-up.“ „Ist ja niedlich.“ Nach kurzer Zeit kamen Lukas und Tim zurück. Nicis Herz setzte einen Moment aus. Sein Gesicht war noch blasser und unnatürlicher als sonst. Schwarzer Liedschatten und der Kajal ließen ihn noch unnahbarer erscheinen. Er schien in seinem Metier zu schwelgen. Nici konnte nicht abstreiten, dass sie ihn attraktiver denn je fand. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und lächelte. „Also dann, mal los.“ Die Bar war klein und gemütlich. Nici bestellte sich einen Rotwein, während die Jungs aufbauten und Soundcheck machten. Immer wieder musste sie zu Lukas schauen, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen. Auch ein paar andere Mädels schienen sich schon von ihm angezogen zu fühlen. Da begann die Eifersucht in ihr zu brodeln. Doch sie traute ihm. Nach etwa einer Stunde Pause begann die Show und Nici war fasziniert wie schockiert, denn so kannte sie Lukas nicht. Zwar hatte sie die Jungs im Proberaum erlebt, aber das war etwas komplett anderes. Lukas wirkte auf einmal so fremd und skrupellos. Seine Musik schien die Mädels zu beeindrucken und sie tanzten dazu und machten ihm schöne Augen. Nici hingegen blieb an der Bar und sah sich das Schauspiel von hier aus an. Irgendwann saß ein gutaussehender Typ neben ihr und füllte ihren Wein auf. Sie bedankte sich gedankenverloren. „Bist du allein hier?“ Das Mädchen schüttelte mit dem Kopf. „Nee, mit der Band…der Sänger ist mein Freund.“ Der Typ zog die Augenbrauen hoch. „Na gut, aber wenn das mal kein Weiberheld ist.“ Darüber wollte sie nicht nachdenken. Nach dem Konzert saßen sie noch zusammen und Tim und Lukas blieben lange weg, bevor sie zu den anderen stießen. Seltsamerweise warf  Basti Lukas erneut einen warnenden Blick zu, der jedoch weit aus ernster war, als der von vorhin. Das machte Nici etwas skeptisch. Verheimlichte ihr Lukas doch etwas? Sie verwarf diesen Gedanken schnell wieder. Jedoch beschloss sie doch mit Basti darüber zu reden.   Nici besuchte ihn gleich am nächsten Nachmittag und er freute sich sogar richtig. „Das ist ja eine Überraschung, was kann ich für dich tun?“ „Ach ich bin hier, um dich was zu fragen.“ Sie setzen sich auf das große Bett in seinem Zimmer. Es war halb so groß, wie Lukas Zimmer. „Na dann mal los!“ Nici zögerte einen Moment, weil sie sich nicht sicher war, wie sie die Frage formulieren sollte. „Du und Lukas, ihr seid doch gute Freunde oder?“ „Ja schon, warum?“ „Naja, findest du irgendwas unnormal an ihm?“ „In welcher Hinsicht?“ „Pass auf es geht ganz einfach darum, dass ich irgendwie denke, dass er mir etwas verheimlicht. Aber, wenn ich ihn darauf anspreche, versucht er mich immer davon zu überzeugen, dass es nicht so ist.“ Plötzlich verdunkelte sich Bastis Gesichtsausdruck und dieser Ausdruck erinnerte sie an den gestrigen Tag, als er Lukas so angesehen hatte. „Nici, ich kann dir dazu auch nicht viel sagen. Seit Lukas so oft mit Tim rumhängt, hat er sich schon verändert und durch ihn hat er auch schon viel Mist gebaut. Aber darüber solltest du selbst mit ihm reden. “ Also schien da doch etwas zu sein. „Und wenn er dann mit mir Schluss macht?“ „Dann ist er feige. Bitte rede mit ihm. Er wird es dir sagen.“   An diesem Nachmittag suchte Basti Lukas noch auf, um ihn wiedermal zur Rede zu stellen, weil ich er einfach nicht sehen konnte, wie er Nici das antun konnte. Er war gerade auf dem Sprung und wollte zu Tim. Basti hielt ihn jedoch davon ab. „Nici war vorhin bei mir!“ Lukas sah Basti skeptisch an. „Warum das?“ „Drei Mal darfst du raten. Sie ist nicht blöd, Lukas. Du solltest langsam Klartext mit ihr reden!“ „Was willst du denn jetzt von mir? Geht es dir etwa immer noch um die Drogensache? Das ist lächerlich Basti. Außerdem weiß sie davon.“ „Du hast dich trotzdem verändert. Du bist nicht mehr der Lukas, den ich mal gekannt habe. Außerdem kenn ich Tim auch schon ne Weile und ich kann dir das nicht abkaufen!“ „Ach ja? Dann lass es halt bleiben.“ Basti erkannte ihn wirklich nicht wieder. Waren sie nicht mal sowas wie beste Freunde gewesen? Selbst, wenn er sich jetzt nur noch am Wochenende das Gehirn zuballerte. Was war nur los mit ihm? Ob er darüber reden wollte? Oder würde er zukünftig immer zu Tim rennen, wenn ihn etwas bedrückte? „Ich glaub dir schon, aber weißt du, früher waren wir viel öfter zusammen und jetzt? Nichts ist dir wichtiger als Tim. Das macht mich ein bisschen traurig.“ Auf einmal schaute Lukas seinen Freund mitfühlend an und lächelte schwach. „Vielleicht hast du recht. Flo hat mir neulich auch gesagt, dass ich voll fertig aussehe. Ich bin dem Stress hier zu Hause einfach nicht mehr gewachsen.“ Plötzlich sank er auf sein Bett und Basti sah ihn zum ersten Mal in meinem Leben total verzweifelt. Schon mehr als einmal hatte er mitbekommen, was bei Lukas abging. Im Gegensatz zu seiner Mum verdienten seine Eltern jede Menge Geld und konnten sich nahezu alles leisten. Trotzdem würde Basti nicht mit ihm tauschen wollen, denn er war sehr glücklich mit seiner Familie und fand es auch nicht schlimm, dass er nicht alles haben konnte. Denn Geld macht viel kaputt und Lukas war das beste Beispiel dafür. Er ging in all dem Reichtum unter und seinen Eltern schien egal zu sein, was mal aus ihm wird. „Das tut mir leid. Komm wir gehen jetzt zu mir. Da kommst du vielleicht auf andere Gendanken.“ Er lächelte und folgte Basti.     Lukas hatte Nici sogar geschrieben, ob sie nicht mal wieder zu ihm kommen wollte. Sie war total ratlos, denn sie wusste nicht, ob sie ihn ernsthaft zur Rede stellen sollte. Vielleicht hatte Nadja aber auch Recht und sie machte sich einfach zu viele Gedanken. Nici beschloss erst mal zu ihm zu gehen und zu sehen, wie sich der Abend entwickelte. Sie zog sich schick an, das heißt schick im Auge des Betrachters und ging zu Lukas. Seine Eltern waren ausgegangen und sie hatten die Wohnung für sich alleine. Seine Schwester Johanna übernachtete bei einer Freundin. Lukas hatte gekocht und den Esstisch liebevoll gedeckt und dekoriert. Ihre Ängste und Zweifel verflogen augenblicklich. Überall brannten Kerzen und es roch nach Vanille und Zimt. Er empfing seine rothaarige Schönheit mit einem strahlenden Lächeln. „Ist was passiert, dass du dir solch eine große Mühe gemacht hast?“ „Nein, ich wollte dir einfach nur mal wieder eine Freude machen und vielleicht einige Ungewissheiten aus dem Weg räumen.“ Sie setzten sich an die gedeckte Tafel und tranken Rotwein. „Du hast mit Basti geredet?“ Er wusste also davon. Nici stieg eine leichte Röte ins Gesicht. „Ja, findest du das schlimm? Ich meine, ich hab einfach nur Angst, etwas falsch zu machen und da schien er mir der richtige Ansprechpartner zu sein.“ „Nein, es ist schon okay. Ich will nur nicht, dass du dir zu viele Gedanken machst.“ „Mach ich ja nicht. Ich hätte ja auch mit dir reden können. Aber ich denke, das Thema hat sich jetzt erledigt und wir genießen den Abend.“ Lukas lächelte Nici liebevoll an und sie erwiderte es. Er hatte zwar nur Nudeln mit Sahnesoße gekocht, relativ einfach, aber er hatte alles selbst gemacht. Das fand sie ziemlich beeindruckend, denn nicht jeder Junge hatte das Talent zum Kochen. „Sag mal, hast du nicht mal erzählt, dass du vor einiger Zeit gemodelt hast?“ Er nippte an seinem Glas. „Ja, hab ich. Die Bilder kann ich dir später mal zeigen. Sogar Basti war total fasziniert davon.“ „Wie süß. Na ich meine, du kannst einen auch nur verzaubern.“ „Hör auf, so viele Komplimente sind nicht gut für mich.“ Er lachte und ihr fiel auf, dass sie ihn noch nie so glücklich gesehen hatte, wie in diesem Augenblick. Gemeinsam trugen sie das Geschirr in die Küche und räumten alles in die Spülmaschine. „So und jetzt die Bilder.“ Lukas gab ihr einen Kuss und schlang seine Arme um sein Mädchen. Dann ergriff er Nicis Hand und führte sie in sein Zimmer. Den Rotwein nahmen sie mit. Die Fotos waren total professionell geschossen und Lukas sah unheimlich sexy darauf aus. Teilweise erinnerte er Nici ein wenig an Jussi, den Schlagzeuger der 69 Eyes. „Da kann man dich ja nur toll finden.“ „Meinst du?“ Sie gab ihm ein Lächeln zur Antwort. Plötzlich nahm Lukas Nici auf seinen Arm und legte sie auf sein Bett. „Kleine Massage gefällig? Von dem tollsten, bestaussehenstem Masseur der Welt?“ Nici musste lachen. „Ja, gerne.“ Sie legte sich auf den Rücken und Lukas öffnete den BH Verschluss. Sie genoss seine zärtlichen Berührungen und verfluchte sich, dass sie schlecht von ihm gedacht hatte. Es waren jetzt fast zwei Monate vergangen und es konnte schöner nicht sein. Sie vergötterte ihren Freund so sehr und konnte einfach nicht genug von ihm haben. Er drehte sie jetzt auf den Rücken und Nici sah Lukas mit nacktem Oberkörper auf ihren Oberschenkeln sitzen. Der perfekte Traummann. Er beugte sich zu ihr herab und küsste sie. Dabei zog er ihr den BH aus. Ihr Herz begann zu klopfen. Er schien jeden Handgriff genauestens geplant zu haben, so kam es Nici zumindest vor. Er zog ihr auch noch den Rest ihrer Klamotten aus und küsste sie am ganzen Körper. Sie merkte erst jetzt, dass auch er nackt war und im Licht der Kerzen sah er einfach wunderschön aus. Seine Augen funkelten Nici an und sie konnte nicht mehr warten. Das Gefühl war unbeschreiblich.    Das Gefühl war unbeschreiblich. Kapitel 7: Eine glückliche Beziehung? ------------------------------------- Eine glückliche Beziehung?  Es war Anfang November und draußen begann es kalt zu werden, doch von Schnee war noch keine Spur. Lukas und Nici waren jetzt schon drei Monate zusammen und die Beziehung war einfach perfekt, bis auf diesen einen Abend. Sie hatten sich mit den Leuten im Jugendclub verabredet. Basti kam schon lange nicht mehr, seitdem er mit Nadja Schluss gemacht hatte. Jedoch traf Nici ihn ab und zu noch, wenn Lukas sie mit zu seinen Freunden nahm. Mit Tim und Flo verstand sie sich mittlerweile auch echt gut. Nadja und Nici schlenderten die Straße entlang, um Lukas abzuholen. Seine Mutter teilte den Mädchen mit, dass er schon weg sei. Da dachte Nici, er wäre mit bei den anderen im Club und sie freute sich darauf ihn wiederzusehen und endlich wieder in seinen Armen zu liegen. Jedoch war auch im Jugendclub keine Spur von Lukas. Nici versuchte ihn auf seinem Handy zu erreichen, aber da war auch nur diese verdammte Stimme der Mailbox zu hören. Sie wurde irgendwie ziemlich misstrauisch. War da etwa ein anderes Mädchen im Spiel? Nici war total verzweifelt, wie konnte er ihr so etwas antun? Chris, warf ihr einen triumphierenden Blick zu. „Wie oft hat er das jetzt schon getan Nici…dich einfach versetzt. Und die wichtigere Frage ist doch, warum versetzt er dich? Er rennt vor seinen Problemen zu Hause weg, schmeißt sich irgendwelchen Scheiß ein und du bist ihm egal.“ Nici wollte das nicht glauben. Denn all das wusste sie bereits, ebenso vom komplizierten Verhältnis zwischen Lukas und seinen Eltern. Klar Lukas provozierte gern, doch Nici wollte nicht glauben, dass es so schlimm um ihn stand. Plötzlich erinnerte sie sich wieder an den Abend, an dem Basti Lukas so komisch angesehen hatte. Plötzlich bekam sie Angst. Angst Lukas dadurch zu verlieren. „Aber, du kennst nicht die ganze Geschichte Chris.“ „Nici! Ich kann dich ja verstehen, aber Liebe macht auch blind. Bitte glaub uns einmal, wir wollen nicht, dass du unglücklich bist.“ „Ach du musst das gerade sagen! Lass mich doch in Ruhe.“ „Lukas ist ein verdammter Junkie. Ich mache mir nur Sorgen um dich.“ „Du bist nur eifersüchtig auf Lukas“, schnauzte sie Chris an und setzte sich auf eine Bank und musste mit meinen Tränen kämpfen, denn jetzt kamen ihr Lukas Worte wieder in den Sinn, als er sagte, sie solle doch endlich auf Chris und Nadja hören, weil sie letztendlich doch die Wahrheit erzählten. Chris kam hinterher und legte vorsichtig den Arm um Nici. „Aber ich liebe ihn so sehr, ist das etwa so schlimm?“ Er tätschelte ihre Schulter. „Nici sei mir nicht böse, aber ich kenne Lukas nur zu gut. Als du noch nicht da warst, hat er mit seinen Kumpels am Wochenende oft Sauforgien veranstaltet oder sie lagen irgendwo total breit in der Ecke. Wenn du mich fragst, ist der Kerl echt total durch und ich glaube auch nicht, dass du ihn je davon abhalten kannst.“ „Und wenn ich es doch schaffe ihn zu ändern?“ Er schüttelte traurig mit dem Kopf. „Nein. Aber weißt du, manchmal sieht man ihn das ganze Wochenende nicht und wenn er dann Montagmorgen mit geröteten Augen und total müde in der Schule antanzt, weiß jeder, was er die Tage über getrieben hat.“ Nici musste anfangen zu heulen und Chris versuchte das aufgelöste Mädchen zu trösten. Konnte das wirklich wahr sein, dass Lukas, ihr Lukas, doch drogenabhängig war? Sie wollte das alles nicht wahrhaben. War sie ihm so egal, dass er sich tagelang nicht blicken ließ? Früher hatten Nici und ihre Freundin Nadine sich immer ausgemalt, wie diese Junkies wohl aussahen. Hässlich, dreckig, stinkend und kaum noch Zähne im Mund. Dabei dachten sie nicht an solche gutaussehende Typen wie Lukas. Am nächsten Tag beschloss Nici zu ihm zu gehen und ihn zur Rede zu stellen. Sie beriet sich mit Nadja darüber. „Vielleicht ist er aber auch so ein mieses Arschloch, wie Sebastian. Die beiden scheißen doch eh immer auf einen Haufen!“   Es war elf Uhr morgens, ob Lukas noch schläft? Nici stieg langsam die Treppe empor und klingelte. Seine Mutter öffnete ihr die Tür. „Ist Lukas schon wach?“, fragte sie mit einem Zittern in der Stimme. „Ja, komm doch rein, er ist oben in seinem Zimmer.“ Ihr schlug das Herz bis zum Hals! Wie sollte sie das Gespräch beginnen? Sie klopfte etwas zaghaft an die Tür. Da hörte sie schon Schritte näher kommen. Die Tür sprang auf und da stand er vor ihr, ihr Freund? Oder doch nicht? Sie wusste es nicht. Lukas sah wie immer aus. Zur Begrüßung gab er ihr einen Kuss. War dies ein Zeichen der Liebe oder doch nur aus Mitleid? Nici konnte keinen klaren Gedanken fassen, war wie gelähmt. „Wo warst du eigentlich gestern Abend, ich dachte, dass wir uns im Club treffen, aber scheinbar hattest du ja wichtigeres zu tun!“, begann sie mit zittriger Stimme. Wut stieg in ihr hoch, sie war richtig sauer auf Lukas. Er antwortete nicht sofort, blickte zu ihr auf, schien jedoch ganz weit weg zu sein. „Hey, ich war nur mit Basti und Tim unterwegs. Sind im Proberaum gewesen…ich musste weg von zu Hause, da habe ich mein Handy vergessen.“ Er zündete sich eine Zigarette an. Die Stimmung zwischen den beiden war gedrückt, das merkten beide. Dann fragte sie vorsichtig weiter. „Ist Basti jetzt eigentlich mit seiner Caro zusammen?“ „Ja, so gut wie. Aber binde das bitte nich gleich Nadja auf die Nase.“ „Ja klar“, sagte sie, obwohl sie wusste, dass sie es ihr sowieso erzählen würde. Das unschuldige Mädchen war hin und hergerissen. Eigentlich wollte sie es nicht wahrhaben, aber die Sache mit den Drogen würde genau passen. Das erklärte diesen warnenden Blick von Basti, der wahrscheinlich sagen wollte, dass er es in ihrer Gegenwart lassen sollte und auch den Streit mit seiner Mutter, vor der er es wahrscheinlich auch nicht länger hatte verheimlichen können. „Liebst du mich eigentlich noch?“ Lukas sah seine Nici jetzt an und der leere Ausdruck in seinen Augen erschreckte sie. „Nici, ich will ehrlich zu dir sein...ich weiß es nich und im Moment brauche ich etwas Abstand von allem, deshalb klappt es mit der Beziehung auch nich mehr so ganz. Ich habe in letzter Zeit echt andere Probleme.“ „Weil du doch wieder Drogen nimmst?“ Seine Augen weiteten sich etwas, doch diese Leere blieb. „Ich habe dir das doch erklärt, wann verstehst du das endlich?“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Naja, scheinbar scheint ihr ja doch öfter auch härtere Sachen zu nehmen oder etwa nicht?“ „Weißt du was? Glaub doch was und wem du willst. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig!“ Seine Stimme klang leicht erzürnt, doch nicht wütend. Wie weit konnte sie gehen, bis er total ausrasten würde? „Das erklärt wahrscheinlich auch deine Gleichgültigkeit gerade oder?“ „Klar, ich habe sonst keine anderen Hobbies.“ Er griff nach seiner Zigarettenschachtel und zündete sich noch eine an. Zum ersten Mal wirkte er richtig distanziert und Nici wusste nicht, wie sie ihn wiederholen konnte. Sie hatte gedacht, dass sie sich streiten und eventuell wieder vertragen, doch der Lukas, der gerade hier saß, war ihr bisher verborgen geblieben. Ihr steckte ein Kloß im Hals. „Was ist los mit dir Lukas?“ Lange schwieg er und starrte Löcher in die Luft. Dann wanderte ihr Blick zu der blutigen Rasierklinge auf dem Tisch. Ihr Herz setzte einen Moment aus. Das Blut schien noch frisch zu sein und als sein Pulli ein Stück nach oben rutschte, sah sie den weißen Verband. Doch warum? Sonst verdeckte er es doch auch nicht. Waren seine Verletzungen schlimmer als sonst? „Nichts is los, mir geht es blendend. Mir is alles egal und das fühlt sich nich mal schlecht an.“ „Wie dir ist alles egal?“ Zu seinem ausdruckslosen Blick kam jetzt ein selbstgefälliges Grinsen, was ihr eine heiden angst machte. „Ich scheine den Punkt gefunden zu haben, wo ich meine Gefühle abschalten kann und das ist irgendwie entspannend.“ „Heißt das du empfindest auch nichts mehr für mich?“ „Vielleicht…ich weiß es nich.“ Dieser Kerl machte sie fertig und Nici musste irgendwas tun, sonst würde sie ihn verlieren. Vermutlich für immer. Sie griff nach seiner Hand und er wehrte sich nicht dagegen. „Lukas, was auch immer passiert ist…bitte rede mit mir darüber. Dein Verhalten macht mir echt eine scheiß angst. Eigentlich bin ich hergekommen, weil ich echt sauer war, doch jetzt mache ich mir Sorgen um dich.“ Jetzt kehrte ein Anflug von Gefühlen in sein Gesicht zurück. „Sauer? Weil ich mich nich gemeldet habe…oh wie furchtbar…is dir mal in den Sinn gekommen, dass ich vielleicht nich mit dir reden wollte?“ Seine direkte Art ließ sie zusammenfahren und der Kloß in ihrem Hals wurde größer. „Ist okay…aber warum nicht?“ Er schüttelte mit dem Kopf und zündete sich noch eine Zigarette an. „Muss ich denn für alles einen Grund haben? Vielleicht wollte ich allein sein Nici…um nachzudenken…“ „Und jetzt? Zu welchem Ergebnis bist du gekommen? Interessiert es dich überhaupt, dass ich mir Sorgen um dich mache? Oder versinkst du lieber depressiv mit dir allein in deiner selbstmordgefährdeten Welt? Ich würde dir gern helfen, aber so langsam bin ich mit meinem Latein am Ende.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog er den Verband weg und griff unters Sofa. Die tiefen Schnitten ließen das Mädchen erschrocken zusammenfahren. Nici konnte nicht hinschauen, als er seine Verletzung verarztete. „Erinnerst du dich an den Tag am Strand? Ich habe dir gesagt, dass es nich immer einfach wird und verdammt noch mal Nici, ich werde nie der perfekte Vorzeigefreund sein. Doch du sitzt hier und willst genau das. Sorry Herzchen, das kann ich dir nich geben. Es wird wohl Zeit, dass du aus deiner Traumwelt herauskommst. Bin ich heute auch, mal wieder und es ist echt beschissen.“ „Seit wann lebst du denn in einer Traumwelt?“, fragte sie etwas irritiert. „Seid ein paar Jahren, doch man kann nun mal nich immer dort sein. Leider is die Realität alles andere als schön.“ „Lukas, ich werde echt nicht schlau aus dir.“ „Mach dir nichts draus, das gelingt den wenigsten!“ Seine Stimme klang auf einmal so fremd. „Ach ja? Und was ist mit denen, die dich lieben? Was ist mit mir?“ Lukas wurde wieder ruhiger und auf einmal sah sie Hass in seinen Augen. Nici ließ sich auf dem Fußboden nieder. „Du versuchst mit allen Mitteln zu mir durchzudringen, das ist beeindruckend Nici. Aber du solltest dich besser fragen, ob du es erträgst mit mir zusammen zu sein. Falls deine Antwort ja lautet und du es tatsächlich ehrlich meinst, gut für uns beide…alles andere würde nich funktionieren.“ Nici war immer noch wütend, doch zumindest redete er jetzt offen mit ihr. „Okay dann will ich weiter mit dir zusammen sein.“ Er lachte bitter. „Nici du musst dir trotzdem bewusst machen, dass meine Probleme die Art von Problemen sind, die dich nie betreffen werden. Du bist deinen Eltern nicht egal oder was glaubst du warum sie dich vor Arschlöchern wie mir beschützen wollen.“ Ihr stockte der Atem, so hatte sie ihren Lukas noch nie erlebt. „Es mag sein, dass ich das nicht verstehe, aber dann gib mir eine Chance es zu tun.“ „Darum geht es auch gar nicht, aber solche Leute wie du haben davon keine Ahnung. Du bist echt ein wunderschönes Mädchen, aber ich bin nun mal nich der, den du gern hättest. Lass mich raten, du bist mit anderen Erwartungen in die Stadt gekommen, um die wirkliche Gothicszene kennenzulernen, Partys zu feiern und dich auszuleben. Doch so funktioniert das nich, so bin ich nich und solange du das nicht verstehst, können wir nich zusammen sein.“ Jetzt war Nici erstaunt und Lukas fuhr fort. „Du bist das behütete kleine Mädchen in deiner Familie. Meinen Eltern ist es vollkommen egal, wie es mir geht, was ich mache und sie wissen nich Mal, dass ich ab und zu kiffe. Soviel dazu.“ Er hielt inne. „Und was ist dann dein Problem? Da scheinst du ja ein Problem mit dir selbst zu haben.“ „Oh ja, ich bin immer der Arsch. Ich bin dafür verantwortlich, dass mich meine Eltern scheiße behandeln und ich bin auch dafür verantwortlich, weshalb du dich mies fühlst. Ich bin ein Egoist Nici, das einzig Gute, das ich den letzten Jahren gelernt habe.“ Nici hatte nicht gewusst, dass Lukas so sein konnte und es verwirrte sie immer mehr. Sie war sich tatsächlich nicht mehr sicher, ob sie es noch ertrug mit ihm zusammen zu sein. Jetzt, wo sie wusste, wie er auch noch sein konnte. Und als ob er ihre Gedanken gelesen hatte, sagte er: „Ich hab halt keinen Bock ständig über diese Dinge nachzudenken und da sind Drogen eben der einfachste Ausweg. Aber abgesehen davon hab ich schon lang nichts mehr genommen, weil mir das am Ende noch mehr zusetzt.“ Sie wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Irgendwie tat ihr Lukas leid und irgendwie bewunderte sie ihn auch, denn sie wusste nicht, wie sie mit einer solchen Situation umgehen würde. „Und bist du immer noch der Ansicht unsere Beziehung beenden zu müssen?“, fragte sie ihn noch einmal. Mit zusammengekniffenen Augen schaute er sie an. „Wie gesagt, ich weiß nicht, ob ich das im Moment kann.“ „Und wenn wir es einfach versuchen?“ Jetzt, da Lukas ihr die Wahrheit erzählt hatte, wollte sie auf keinen Fall, dass es so einfach zu Ende war. „Weiß nich. Okay, ich war nicht ganz fair zu dir, aber du solltest aufhören auf andere Leute zu hören und ich werde in Zukunft mit offenen Karten spielen. In Ordnung?“ Was? Dieser Typ verwirrte Nici immer mehr. Aber sie musste lächeln und Lukas erwiderte es. „Aber da ist noch was...vielleicht kannst du mir zu Liebe ein bisschen weniger trinken und kiffen.“ „Nici, es ist nicht so, dass ich völlig drogenabhängig bin. Ich kiffe ab und an und davon lass ich mich nicht abhalten.“ „Auch nicht, wenn ich dich darum bitte?“ „Es ist etwas, das momentan zu mir gehört und entweder du versuchst damit zu leben oder nicht.“ „Dann will ich versuchen damit zu leben.“ „Verrücktes kleines Mädchen.“ Jetzt endlich nahm Lukas Nici wieder in seine Arme. So, als sei nichts gewesen. Den Abend verbrachte Nici mit Nadja im Park und leider war auch Chris da. Jedoch sah sie ihn auf einmal mit ganz anderen Augen und langsam glaubte sie, dass er tatsächlich eifersüchtig war. Nici ließ sich ihre gute Laune auch anmerken, das fiel Nadja sofort auf und deshalb hakte sie gleich nach. Sollte Chris doch alles mit anhören. „Also hat er nicht mit dir Schluss gemacht? Das freut mich für dich.“ „Wir haben uns echt lang unterhalten und ich glaub das war auch wichtig für uns beide.“ Da meldete sich Chris auf einmal zu Wort. „Ach, was hat er dir denn diesmal für Geschichten auf die Nase gebunden? Nici, du lernst es echt nicht.“ Jetzt konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. „Lukas hat mir die ganze Wahrheit erzählt. Er hat auch gesagt, dass er dich zum Tod nicht ausstehen kann und du dich aus seinem Leben raushalten sollst. Klar? Selbst wenn er ein Arsch ist, ist es immer noch meine Sache, ob ich mit ihm zusammen bin.“ Ja, es hatte ihm tatsächlich die Sprache verschlagen und auf der Stelle stand er auf und verließ unsere kleine Runde. Nadja sah ihre Freundin etwas entgeistert an. „Sorry, das musste mal raus.“ „Pass trotzdem auf…“ Nici unterbrach ihre Freundin mitten im Satz, auch wenn sie es sicher nur gut meinte. „Lass Lukas mal meine Sache sein. Er hat mir einige Dinge erzählt, die für mich ausschlaggebend sind, dass ihm sehr viel an mir liegt.“ „Ja, schon okay, aber stimmt es, dass er drogenanhängig ist?“ Nici fand es ein bisschen unangenehm darüber zu reden. „Naja, als abhängig kannst du ihn nicht bezeichnen. Es sind viele andere Aspekte, die dabei noch eine Rolle spielen.“ Nadja lächelte. „Ich hätte mir gewünscht, dass Basti auch so mit geredet hätte. Ich vermiss ihn voll.“ „Bei Lukas hat es auch gedauert, bis er mir alles gesagt hat. Basti hat mir den Tipp gegeben, dass ich hartnäckig sein soll und das war ich, in der Tat.“ „Und glaubst du, dass es jetzt zwischen euch läuft?“ Ich seufzte. „Denk schon.“ Nici war wirklich ein Stein vom Herzen gefallen und sie war stolzer denn je, einen so tollen Freund zu haben. Was ihr auch sehr gut gefiel war, dass Lukas jetzt immer gruftiger herumlief. Sie mochte seinen Style und fühlte sich richtig toll, wenn sie mit ihm so durch die Stadt lief. Nadja machte ihr immer öfter Vorwürfe, dass sie sich zu sehr anpassen würde, weil auch Nici sich ein wenig veränderte. Deshalb stritten die Freundinnen oft und das fand Nici auch ein bisschen traurig. Allerdings schien der Konflikt zu seinen Eltern immer größer zu werden und es kam jetzt häufiger vor, dass er gar nicht mehr darüber redete, weil er nicht reden wollte. Kim wartete immer vor der Schule auf Nici. Sie musste immer an das denken, was ihr Lukas über ihren Vater erzählt hatte und war echt überrascht, wie gut sie das wegsteckte. Aber sicher wird sie auch nicht mit jedem über ihre Gefühle reden. Sie trug einen Leominirock, Springerstiefel und einen schwarzen Kapuzenpulli. Seit Kim in ihre Klasse gekommen war, nahm Nadja Abstand von Nici. Sie redeten zwar immer noch miteinander, aber nicht so wie vorher. Das fand Nici ein bisschen Schade, weil sie Nadja mochte. Sie schien auch nicht so recht zufrieden mit der Situation zu sein, denn sie wirkte so traurig in letzter Zeit. Vor den anderen überspielte sie das immer, aber Nici merkte das irgendwie trotzdem. Deshalb schob sie ihr im Englischunterricht einen Zettel zu, auf dem sie fragte, ob Nadja Lust hatte heute Nachmittag was zu machen. Sie lächelte zu Nici herüber und nickte. „Kaffee trinken?“ Stand auf dem Zettel. Jetzt nickte Nici und sie konzentrierten uns wieder auf den Unterricht, weil Frau Baumann ihnen schon ermahnende Blicke zuwarf. Kim wollte gleich zur Laube gehen und dann zu Tim. Sie fragte auch, ob Nici mitkommen würde. „Später vielleicht.“ Sie umarmten sich kurz und dann wartete Nici auf Nadja, die noch auf die Toilette wollte. Die Freundinnen redeten erst nicht viel miteinander, weil sie sich beide etwas befangen fühlten. Nadja schlug von sich aus das Café vor, in dem Bastis Bruder arbeitete. Das überraschte Nici. „Sicher, dass du da hinwillst?“ „Warum nicht. Wird schon nicht so schlimm sein und außerdem gibt es dort nun mal den besten Kaffee.“ Es war um diese Uhrzeit ganz schön voll, doch sie Mädchen ergatterten noch einen freien Tisch ziemlich in der Ecke. Basti schien heut gar nicht da zu sein. „Schön, dass wir mal wieder was machen. Das fehlt mir irgendwie.“ Nici lächelte etwas verlegen. „Ja mir auch und Kim kann ich nicht so mit dir vergleichen. Sie ist zwar lieb, aber das ist nicht meine Welt.“ Mike, Bastis Bruder brachte zwei Cappuccino. „Naja, ich mag die Punks auch nicht so. Wie läuft‘s eigentlich zwischen dir und Lukas?“ Automatisch grinste Nici bei seinem Namen. „Es könnte nicht besser sein. Wolltest du hier her, weil du gehofft hast Basti wäre da?“ Nadja sagte lange nichts, dann bekam sie glasige Augen und schluckte. „Ein bisschen schon. Ich hänge noch voll an ihm und die anderen Leute können das nicht verstehen, vor allem Chris nicht. Der kann nur dumm labern.“ Die Arme war echt verzweifelt und Nici hasste Chris langsam für seine dumme Art. „Chris redet doch alles nur immer schön. Ich denke, das ist nicht der richtige Umgang für dich.“ „Bastis tolle Clique ist wohl besser?“, entgegnete sie trotzig. „Ich kenn die Jungs jetzt schon ne Weile und habe wirklich nichts an ihnen auszusetzen. Aber wenn du dich immer weigerst, sie kennenzulernen, kannst du dich ja nicht vom Gegenteil überzeugen. Sie sind auf jeden Fall besser als der dumme Chris.“ Nadja trank einen Schluck. „Jetzt ist es sowieso zu spät. Wenn Basti dort rumhängt, komm ich da nicht mit hin.“ Nici hatte nicht gewusst, dass Nadja so trotzig sein konnte. Plötzlich kam Basti zu unserem Tisch und sagte Nici Hallo. Auch mit Nadja tauschte er einen kurzen Blick aus, aber beide brachten kein Wort raus. Dann verschwand er ganz schnell. „Wie lange wart ihr eigentlich zusammen?“ „Sechs Monate…ich glaub ich mag ihn immer noch.“ „Dann sag es ihm.“ „Spinnst du! Das trau ich mich doch nicht. Weißt du, ob er eine andere hatte?“ „Glaub nicht. Soll ich mit ihm reden?“ Nicis Freundin schwieg einen Moment und schaute dann unsicher. Sie zuckte mit den Schultern. „Lad ihn doch zu deinem Geburtstag am Wochenende ein.“, schlug Nici scherzhaft vor. „Nici, sei doch mal ernst! Würdest du echt mit ihm reden?“ „Klar. Bin heut Abend sicher sowieso bei Tim.“ „Wie sind die Leute denn so drauf?“ Nici überlegte kurz, da sie bis jetzt auch nur zwei Mal mit dort gewesen war. „Naja, was soll ich sagen. Sie sind eben nett und haben mich gleich akzeptiert. Falls du die Drogensache meinst, da ist nicht viel dran. Hab es zumindest noch nie so mitbekommen.“ Nadja schaute vor sich hin und dann zu ihr. „Vielleicht rede ich wirklich mal mit ihm und zum Beweis, wie sehr ich ihn mag, geh ich halt mal mit zu seinen Kumpels. Aber nur, wenn du auch da bist.“ Nici lächelte. Dann bezahlten sie und verließen das Café.  Als Nici nach Hause kam, empfing sie ihre Mum mit besorgtem Blick. Was wohl jetzt schon wieder los war? Sie hatte Mittag gekocht, Linsensuppe. Nici gab ihr einen Kuss auf die Wange und nahm am Tisch platz. Sie setzte sich mir gegenüber und trommelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte. „Mama! Sag schon, was ist los.“ Sie räusperte sich. „Ich habe mich heute in der Pause mit einer Kollegin unterhalten.“ „Ja und?“ Nici schlürfte die Suppe, weil sie noch sehr heiß war. „Ihr Sohn geht mit deinem Lukas in die Klasse und das was sie mir erzählt hat, beunruhigt mich ein wenig.“ Das Mädchen verdrehte die Augen und langsam nervte es wirklich, dass alle immer dumm über Lukas urteilen mussten. „Was hat sie denn gesagt? Und wer ist ihr Sohn?“ Bestimmt Chris, denn wie er von Lukas redete, färbte das bestimmt auf seine Eltern ab oder umgekehrt. „Ihr Sohn heißt Florian.“ Nici verschluckte sich an ihrer Suppe. Da kam wahrscheinlich genauso wenig etwas Positives raus. „Sie hat gesagt, dass ihr Sohn so gut wie nie zu Hause und immer sehr nachlässig ist, sei es Schule oder sein Auftreten. Sie hat mir auch erzählt, dass der Florian sehr gut mit Lukas befreundet ist.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Flo ist in Ordnung und nur, weil er Punk ist, muss er nicht gleich schlecht sein.“ Ihre Mum seufzte wieder. „Ich habe nur bedenken, dass du da in einen Freundeskreis hineingeraten bist, der dir schaden könnte.“ Warum machten sich Mütter immer so viele Sorgen? Da fielen ihr Lukas Worte wieder ein, dass er sich wünschen würde, seine Eltern sorgten sich um ihn. Doch ihnen war es egal, wo Lukas sich rumtrieb. Nici spürte einen Stich in der Seite und konnte sich zum ersten Mal in seine Lage versetzen. Ihre Mum schloss aus ihrem Verhalten jedoch etwas anderes. „Heißt das, ich habe Recht?“ „Nein Mama, bitte. Ich musste nur gerade an etwas denken. Die Leute sind echt nett und ich pass schon auf mich auf.“ Nici wurde irgendwie immer nachdenklicher und verglich die Beziehung zu ihren Eltern mit der von Lukas. Wie schlimm konnte es sein, wenn man so auf Abstand mit ihnen redete? Keine Zuneigung von ihnen bekam? Das machte sie traurig und sie verkniff sich die Tränen. Doch ihre Mum merkte, dass etwas nicht stimmte. Ihre Eltern waren zwar nicht superreich, aber sie waren auch nicht arm und Nici hatte bis jetzt fast immer das bekommen, was sie wollte. Manchmal sparte sie ihr Geld auch selbst zusammen. Doch nie war es so gewesen, dass sie etwas nur bekommen hatte, damit sie zufrieden war. Was wäre, wenn Lukas so wie Flo geworden wäre? Er hatte mal erwähnt, dass Flo auch schon andere Drogen genommen hatte. Sie ertrug den Gedanken nicht und nun kamen mir doch die Tränen. „Was ist denn los, mein Schatz?“ Ihre Mum legte ihren Arm um ihre Schulter. Sie schüttelte nur mit dem Kopf. „Lukas hat es nicht leicht zu Hause, aber ich weiß, dass er keine Drogen oder so nimmt. Das meinst du doch oder?“ Sie nickte und strich ihr über den Kopf. „Ich pass wirklich auf Mama. Lukas braucht mich und ich ihn.“ Jetzt lächelte sie. „Gut. Ich wollte nur sicher sein, natürlich glaube ich dir.“ Nici erwiderte ihr Lächeln durch ihren Tränenschleier. „Danke. Ich geh jetzt Hausaufgaben machen.“   So langsam hatte ich mich damit abgefunden, dass ich auf mich alleine gestellt war. Und so allmählich war ich mir auch nicht mehr sicher, ob ich die Unterstützung meiner Eltern wirklich haben wollte. Dann dachte ich wieder an das Versprechen zurück, das sich meine Mum so sehnlichst von mir wünschte. Wie so oft trieb es mir die Tränen in die Augen, doch ich hielt sie zurück, denn ich hatte gelernt, wie ich meine Gefühle zurückhalten konnte. Vielleicht würde ich es sogar schaffen, sie ganz zu unterdrücken. Abstumpfen und nichts mehr fühlen. Doch war das noch menschlich? Wollte ich noch menschlich sein? Hielt ich das noch aus oder würde mich das umbringen? Was hieß es überhaupt menschlich zu sein und was machte uns aus? Warum gab es immer wieder jemanden, der Dinge von uns verlangte, die niemals passieren werden. Ich fragte mich immer, wie es wohl bei Chris oder Nadja zu Hause sein mochte. Perfekte Familie, die beiden würden sicher irgendwann studieren und die Plätze in den Logen auffüllen, die durch ihre lädierten Eltern frei werden würden. Sie würden das weiterführen, was ihnen vorgegeben wurde. Sie treten in die Fußstapfen ohne auch nur einen Zentimeter abzuweichen, denn dann könnte man ja neue Wege einschlagen und sich von der tollen Gesellschaft spalten. Oder auf mich treffen, den Außenseiter, der irgendwann mal dazugehörte. Jojo hielt noch immer zu mir, keine Frage und sie fühlte sich auch immer mehr zu mir hin gezogen, als zu meinen Eltern. Das missfiel ihnen natürlich. Meine Schwester liebte es, wenn ich mir sonntags Zeit für sie nahm und mit ihr den Zoo besuchte oder mir andere Dinge einfallen ließ, die ihr Freude bereiteten. Meine Eltern wussten wahrscheinlich nicht mal, was Jojo für Interessen hatte. Ich verdiente mein Geld als Fotomodel oder half Basti in dem Café seines Bruders. Mein selbst verdientes Geld gab ich meist für Klamotten aus oder um Nici und Jojo kleine Präsente zu schenken. Dann ließ ich mir noch ein drittes Piercing in der Unterlippe stechen, wofür mich meine Eltern allerdings hassten. Aber im Großen und Ganzen hatte ich mein Leben in der Hand. In der Schule bemühte ich mich sehr um beste Leistungen, sodass meine Eltern mir auch das nicht ankreiden konnten.  Mein Vater befand sich wiedermal auf Dienstreise, das heißt er fliegt mit seinem Assistent nach Spanien, Frankreich oder Italien, um dort seine neusten Ideen vorzustellen und der Rest ist dann nur Urlaub. Natürlich braucht er dann immer seine Dolmetscher, weil er keinen Plan von fremden Sprachen hat. Meine Mum benimmt sich gerade in diesen Wochen immer etwas merkwürdig. Wahrscheinlich wusste sie, dass sie mein Vater wieder mal betrog. Aber sie sprach nie darüber. Ich war gerade aus der Schule zurück und hatte mich schon gleich danach mit Nici verabredet. „Willst du nichts zum Mittag essen?“ „Von mir aus.“ Sie schaute mich die ganze Zeit mit diesem vorwurfsvollen Blick an. „Du wirst immer fremder für uns. Und diese Metalldinger da in deinem Gesicht, das hätte ich mir in deinem Alter nicht erlauben dürfen. Aber bei dir ist es sowieso zu spät.“ Dieser Satz zog mich schon wieder richtig runter. Es war echt krass, was sie mir an den Kopf knallte ohne darüber nachzudenken, dass sie mich damit verletzte. Oder tat sie das sogar bewusst? „Du hattest in meinem Alter ganz andere Sorgen und das Resultat siehst du ja. Ich habe dich nie dafür verantwortlich gemacht, aber manchmal solltest du dir echt überlegen, was du sagst. Ich erwartete schon gar keine Anerkennung oder Toleranz mehr von euch, aber dann geht mit meinen Gefühlen wenigstens nicht so um, als hätte ich keine. Das macht es nicht besser.“ „Wir wollen ja nur, dass du dich in dieser Gesellschaft ein bisschen anpasst, weil wir denken, dass du später nicht zurechtkommst, wenn du so denkst.“ Ich lachte bitter. „Ich will mich gar nicht anpassen, denn ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass es auch Menschen gibt, die mich akzeptieren. Und außerdem habe ich alles besser im Griff, als du vielleicht denkst und eure Hilfe will ich da gar nicht mehr.“ „Na dann ist doch alles gut. Wann suchst du dir deine eigene Wohnung?“ Das war zu viel. Ich ließ den halbvollen Teller stehen und ging. Wie konnte man nur so gefühlskalt sein? Und wenn ich genug Geld hätte, würde ich mir auch meine eigene Wohnung suchen. Plötzlich öffnete sich hinter mir die Tür und meine Mum stand mit verheultem Gesicht vor mir. „Ich hab das nicht so gemeint. Bitte, es tut mir leid.“ Sie wollte meine Schulter tätscheln, doch ich trat einen Schritt zurück. „Das hättest du dir früher überlegen sollen. Vielleicht merkst du ja irgendwann mal, was du mit Worten alles kaputt machen kannst.“ Auch ich würde am liebsten heulen, weil ich mich so beschissen fühlte. Ich legte mich in die Sonne im Park und wartete auf Nici. Von wegen, sie hatte es nicht so gemeint. Es war doch immer das gleiche Spiel, erst diente ich ihr als Zielscheibe, an der sie ihren Frust abließ und dann tat es ihr leid. Aber das ich auch Gefühle hatte und das nicht länger aushielt war ihr scheinbar egal. Was konnte ich denn dazu, wenn mein Vater sie mit seiner Sekretärin betrog und zu Hause trotzdem den perfekten Liebhaber spielte! Warum konnte sie nicht die Mutter sein, die sie früher gewesen ist? So liebevoll und fürsorglich. Würde sie mich wirklich tolerieren, wenn ich morgen in normaler Jeans und farbigem Pulli vor ihr stehen würde? Daran glaubte ich nicht und außerdem musste ich mich da selbst verleugnen. Es gab doch so viele andere Menschen, die Interesse und Toleranz für die Gothicszene zeigten, auch wenn sie keine Gothics waren. Schon oft habe ich mich gerade mit älteren Leuten darüber unterhalten und gerade die, von denen man es am wenigsten erwartet, stehen dann zu einem. Ein Ehepaar in dem Café von Bastis Bruder mag mich sehr und sie finden es toll, wie ich rumlaufe. Sie haben mir auch erzählt, dass sie in Leipzig Urlaub gemacht haben, als dort gerade das Wave Gothic Treffen stattfand und ihre Faszination für die Szene gerade da gewachsen ist. Und sie berichten mir immer wieder gern, wie lieb und hilfsbereit wir Gruftis immer wären. Solche Gespräche geben mir Mut und ich hoffe dann, dass mich meine Eltern vielleicht auch irgendwann akzeptieren. Nici merkte mir natürlich an, dass ich ziemlich mies gelaunt war und fragte, was passiert sei. Ich zuckte nur mit den Schultern und zündete mir eine Zigarette an. „Nichts Besonderes.“ Sie wurde gleich wieder ein bisschen hysterisch. „Kannst du nicht mal offen mit mir reden? So wie du es mir am Anfang versprochen hast!“ „Und was ist, wenn ich gar nicht darüber sprechen will? Im Allgemeinen weißt du doch worum es geht, also“, motzte ich zurück. „Ich dachte nur, wenn du mit mir redest, geht es dir besser.“ „Warum sollte es mir da besser gehen? Es ist immer dieselbe Scheiße, was hab ich davon, wenn ich dir das zum hundertsten Mal erzähle?“ Es nervte mich, wenn Nici immer alles genauestens wissen wollte und dann so tat, als könnte sie das nachvollziehen. Nichts konnte sie. Ich war noch nie der Typ gewesen, der so offen über seine Gefühle plaudern konnte, außer mit Tim, Flo oder Basti. Das war auch was anderes als mit meiner Freundin darüber zu sprechen. „Okay. Dann nicht. Hast du Lust heut Abend mit zu Nadja zum Grillen zu kommen?“ „Weiß nicht. Auf die Leute hab ich eigentlich nicht so Bock.“ „Ist das ein nein?“ Ich nickte und sah die Enttäuschung in ihren Augen. Mir war irgendwie alles ziemlich egal, sogar Nici. Meine Worte hatte ich gedanklich oft so gut wie möglich formuliert und ich war mir meiner Sache so sicher. „Du Nici…ich glaub ich kann im Moment keine Beziehung führen. Vielleicht tut uns eine Auszeit ja mal ganz gut.“ „W-was? Aber warum?“ „Irgendwie habe ich keine Gefühle mehr für dich und dann noch der ganze Stress. Ich fühl mich echt überfordert. Ich kann das grad nicht.“ Tränen rannen ihren Wangen herab. „Tja, was soll ich dazu sagen? Ich hab das irgendwie im Gefühl gehabt. Dann werd ich mal gehen.  Meine Mutter hatte gekocht, als ich nach Hause kam. Mal was ganz Neues, denn sie machte sich sonst nie die Mühe Samstag zu kochen. Vielleicht wollte sie unsere Familie wieder vereinen. Ich wollte später noch in den Proberaum, weil die Jungs und ich die Songs üben wollten. Ich hatte sie überzeugen können, ein weiteres Konzert zu geben und wenn ich daran dachte wurde ich ganz nervös. Die Flyer hatte ich heute am Vormittag mit Tim und Basti fertiggestellt. Ich legte sie auf den Tisch im Flur und ging kurz ins Bad. Als ich wieder raus kam, betrachtete meine Mutter die Flyer. Dann sah sich mich an. „Was ist das?“ „Ein Konzert, das nächsten Samstag stattfindet.“ „Das sehe ich auch. Ich meine die Gruppe Nocturna?“ „Is meine Band.“ Sie nickte interessiert und gab mir den Stapel in die Hand. „Bist du zum Essen da?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht.“ „Kannst du auch mal vernünftig mit mir reden?“ „Tue ich doch. Was soll ich denn noch machen außer antworten?“ „In ganzen Sätzen antworten. Ich wusste nicht, dass du eine Band hast.“ Ich lachte spöttisch. „Ach sag bloß! Du hast mich ja auch nie danach gefragt.“ „Lukas! Hör auf so mit mir zu reden!“ Ich zuckte wieder mit den Schultern und ging in mein Zimmer eine rauchen. Wie ich befürchtet hatte, kam sie hinterher. Sie polterte zur Tür herein. Ich hockte im Fensterbrett und schaute hinaus. „Du trägst auch nicht viel dazu bei, dass es zwischen uns wieder besser läuft, was? Und rauchen tust du auch viel zu viel!“ Ich atmete tief durch. „Was willst du eigentlich von mir? Warum sollte ich auch was dazu beitragen, is mir sowieso scheißegal. Kannst dich schon mal freuen, in knapp zwei Jahren seit ihr mich los.“ „Ja ja, Sprüche! Nichts als Sprüche klopfen, das kannst du. Von was willst du das denn finanzieren? Und glaub ja nicht, ich weiß nichts über dich. Ich habe mitbekommen, dass du die ganze Woche erst spät nach Hause gekommen bist und bestimmt habt ihr wieder irgendwas genommen. Ihr schmeißt euch doch ständig irgendwelches Zeug.“ „Wenn du das sagst, wird es schon stimmen.“ Ich versuchte noch ruhig zu bleiben und nahm einen tiefen Zug. „Wie kann man sich in dem Alter schon so gehen lassen! Florians Mutter versteht mich wenigstens, weil ihr Junge auch so verkommen ist. Ich wünschte, du wärst so ein netter junger Mann, wie der Chris aus deiner Klasse. Aus dem wird wenigstens mal was.“ Das war zu viel des Guten. „Weißt du, wie sehr es mich ankotzt ständig mit anderen verglichen zu werden? Und merkst du überhaupt, dass du immer nur von anderen Dinge über mich erfährst? Ist dir schon mal eingefallen mich selbst über mein Leben auszufragen? Und Chris ist das größte Arschloch, das ich kenne!“ Ich ließ der Wut in mir jetzt freien Lauf. „Naja, ich weiß nicht. Zu mir ist er immer nett…und hör auf mich so anzuschreien! Du bist sicher nur neidisch auf ihn, deshalb hast du dich diesen Versagern angeschlossen, die im Park und sonst wo rumlungern. Wenn ich dich etwas frage, bekomme ich doch nur pampige Antworten.“ „Weil du nicht mal merkst, wie verletzend du zu mir bist!“ „Ich verlange ab sofort von dir, dass du dich anders kleidest. Von mir aus gehe ich mit dir einkaufen. Ich gebe dir einen Tag Zeit, deine Klamotten auszusortieren! Sonst…“ Ihre Stimme wurde immer hysterischer und schwoll mit jedem Wort mehr an. Mir schnürte es die Kehle zu. „Was sonst?“, wisperte ich. „Sonst will ich dich hier nicht mehr sehen!“ Ich wusste nicht, ob ich lachen oder heulen sollte und auch nicht, ob sie das ernst gemeint hatte. Sie stand einfach nur da und starrte vor sich hin. Ich zog meine Tasche unter meinem Bett hervor und erblickte im Augenwinkel, wie sich ihre Miene aufhellte. Ich stopfte all meine Klamotten in die Tasche, holte meine Armbänder und Ketten aus der Schublade und packte diese in die Seitentasche. Dann stellte ich mich vor meine Mutter und schaute sie an. „Meinst du das gerade wirklich ernst?“ Meine Stimme klang erstickt und schien ganz weit weg zu sein. „Ich will nur, dass aus dir ein anständiger Junge wird.“ Ich biss mir heftig auf die Unterlippe, als mir die Tränen in die Augen stiegen. Das flaue Gefühl im Magen wurde immer schlimmer. „Gut, dann meine ich das hier auch ernst! Sag Jojo…. es tut mir leid.“ Sie starrte mich mit aufgerissenen Augen an. „Wa-was hast du vor?“ „Das, was ich schon lange vorhatte. Wenn du einen perfekten Sohn haben willst, lass dir doch einen klonen…die Kohle dazu hast du ja!“ Ich nahm meine Tasche auf die Schulter und ging. Meine beiden Lieblingsschuhe nahm ich auch noch mit. Sie kam nicht mal hinter mir her. Ließ mich einfach so gehen. Das Loch, in das ich gerade zu fallen drohte, wurde immer größer und immer dunkler. Meine Hände zitterten, als ich den Proberaum aufschloss. Ich schleuderte meine Tasche in die Ecke und sank auf die Knie. Nur nicht heulen. Ich hockte mich auf meinen Sessel in der Ecke und rauchte eine nach der anderen. Die Jungs würden sicher bald kommen. Irgendwie war das schon fast komisch und ich bildete mir auch ein, dass es sich gut anfühlte. Um Jojo konnte ich mich noch kümmern, wenn ich mir eine eigene Existenz aufgebaut hatte. Nie wieder würde ich einen Fuß in dieses Haus setzen. Während ich so nachdachte, bemerkte ich nicht, dass Basti, Tim und Flo auch gekommen waren. In einem Halbkreis standen sie um mich herum und schauten mich an. Ich drückte die Zigarette aus und erhob mich. „Fangen wir an.“ Keiner fragte mich, was passiert war und das war auch gut so. Ich ließ all meine Emotionen in meiner Musik deutlich werden und fühlte mich danach viel besser. Wir tranken gemeinsam noch was. Tim und Flo wollten sich dann noch was zum Rauchen besorgen. Ich sagte ihnen, dass sie dann damit wieder hier her kommen sollten. Basti und ich blieben im Proberaum. Wir holten den ganzen Kasten Bier hoch, damit wir nicht immer hin und her laufen mussten. „Ich fand uns heut richtig gut. Vor allem dich, dein Gesang war echt stark.“ „Meine Texte sprechen mir ja auch aus der Seele“, sagte ich und lachte traurig. „Was ist passiert Lukas?“ „Wenn dich jemand fragen würde, ob du dich zu nem Spießer entwickeln willst, um dich der ganzen beschissenen Gesellschaft anzupassen oder lieber ein chaotischer Rockstar werden willst, was würdest du antworten?“ Basti grinste und nahm sich eine Zigarette. „Rockstar natürlich.“ „Das war leider die falsche Antwort. Meine Mutter hat mich vor die Wahl gestellt…naja eher hat sie von mir verlangt, dass ich mich verändere, praktisch meine Identität aufgebe, um wieder von ihr anerkannt zu werden. Aber auch ich habe mich für den Rockstar entschieden. Pech für mich.“ „Und…und heißt das jetzt…? Ich nickte. „Ich bin freiwillig gegangen, damit hat sie nicht gerechnet. Irgendwie ist auch befreiend nicht mehr dort hin zurückzumüssen. Ich hätte das schon lange machen sollen.“ Basti schüttelte mit dem Kopf. „Ey, das ist echt krass. Ich hab nie gedacht, dass es so schlimm bei dir ist! Aber wo willst du denn jetzt wohnen? Du brauchst doch ein Dach über dem Kopf.“ „Naja, denk der Proberaum tut’s erst Mal. Ich such mir nen Job und anschließend ne billige Wohnung.“ Basti sah mich entschlossen an und schüttelte wieder mit dem Kopf. „So geht das nicht Lukas. Komm einfach mit zu mir, meine Mum freut sich, wenn wir einer mehr sind.“ „Nein, das kann ich doch nicht machen. Ich hab  ja nicht mal Geld für die Miete.“ „Das passt schon. Es fällt auf jeden Fall aus, dass du hier einziehst. Erstens ist es saukalt und zweitens würdest du ja verhungern.“ Die Fürsorge meines Freundes rührte mich zutiefst. „Meinst du das wirklich ernst?“ „Sicher.“ Auf einmal fühlte ich mich glücklich und merkte, dass Basti seinem Ruf als bester Freund wirklich gerecht wurde. Wir kannten uns schon so lange und hatten uns seit dem auch nicht aus den Augen verloren. Doch erst jetzt wurde mir richtig bewusst, wie stark eine solche Freundschaft sein konnte. Ich lächelte ihn schwach an. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll…danke.“ „Naja, bevor du noch auf die dumme Idee kommst, bei Tim und den Spinnern  einziehst, nehm ich dich lieber bei mir auf.“ Ich wusste das sehr zu schätzen, denn im Gegensatz zu meinen Eltern war Bastis Familie nicht sehr wohlhabend. Sein Vater arbeitete als Lasterfahrer und war die ganze Woche unterwegs und seine Mum konnte auf Grund eines Arbeitsunfalles, durch den sie ihre rechte Hand nicht mehr bewegen konnte, kaum noch arbeiten. Stundenweise half sie in einem Supermarkt aus, aber das brachte der Familie auch nicht die finanzielle Unterstützung, die sie nötig gehabt hätten. Deshalb schufteten Basti und Mike auch beide zusätzlich, um über die Runden zu kommen. Und dann wollte er mir noch aus der Patsche helfen, obwohl meine Eltern reich waren und es mir an nichts fehlte, außer ein bisschen Liebe und Zuwendung. „Ich komm gleich wieder.“ Ich versuchte bis zur Tür normal zu laufen, doch draußen vor dem Proberaum, wo mich niemand sah, da er sehr abgelegen lag, ließ ich meinen Emotionen freien Lauf. Ich winkelte die Knie an und vergrub meinen Kopf in meinen Armen. Wie oft hatte ich mit dem Gedanken gespielt, einfach abzuhauen, doch jetzt merkte ich erst, wie schlimm es in der Realität war. Sicher würde ich Bastis Angebot annehmen, doch jetzt erst hatten sich die Worte meiner Mum gesetzt und ich hatte verinnerlicht, was sie mir eigentlich an den Kopf geknallt hatte. Plötzlich tat sich das Loch wieder auf und ich fiel. Ich fiel immer tiefer und tiefer. Tränen flossen wie kleine Wasserfälle über meine Wangen und ich fühlte den Schmerz mehr denn jeh. Es tat weh von den eigenen Eltern verstoßen zu werden. Ich wusste zwar nicht, wie es sich anfühlte, wenn einem das Herz mit einer Klinge durchbohrt wurde, aber ich war mir sicher, dass es sich genau so anfühlte, wie bei mir jetzt. Mein Körper zitterte unter meinem Gefühlsausbruch heftig und ich musste wieder heulen. Dann hockte ich nur da und starrte vor mich hin. Ich putzte meine Nase und wischte mein Gesicht trocken. Ich lehnte mich gegen die Wand und atmete ein paar Mal ein und wieder aus. Wahrscheinlich würden die ersten Tage die Schlimmsten sein, doch auch das würde vorbeigehen. Ich musste jetzt stark sein und ich wusste, dass ich das sein konnte. Außerdem würden mich meine Freunde unterstützen. Etwas schwerfällig erhob ich mich und ging wieder zu Basti. „Alles klar?“ Ich nickte und nahm auf meinem Sessel platz. „Willst’n Bier?“ „Ja, bitte.“ „Du Lukas…wir bekommen das hin.“ Ich lächelte. „Lieb von dir. Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich gemacht hätte. Jetzt kann es nur noch Berg auf gehen.“ „Das hoffe ich.“ „Seh ich so scheiße aus, wie ich mich fühle?“ Basti grinste. „Naja, ich verzeih‘s dir.“ Ich boxte ihn freundschaftlich in die Seite und öffnete mein Bier. Dann kamen Flo und Tim auch schon mit dem grünen Wunderkraut. Ich umarmte die zwei. Basti schien ihnen irgendwie schon alles erzählt zu haben. Ich fühlte mich geborgen und der Schmerz ließ sogar ein bisschen nach. Meine Freunde schauten mich mitfühlend an. „Ich weiß die Frage ist blöd, aber geht es dir gut? Ich habe mir solche Sorgen gemacht, nachdem mich Basti angerufen hat“, fragte Flo besorgt. „Was soll ich machen, das Leben geht weiter. Klar ist deine Frage blöd, wie soll es mir schon gehen, aber immerhin interessiert es dich. Alles hat auch irgendwann, wenn man lange genug drüber nachgedacht hat, seine positiven Seiten. Jetzt bin ich wenigstens den Ärger los.“ Mir fiel auf, dass Flo in letzter Zeit viel mit Tim zusammen war und irgendwie schien er auch wieder mehr Wert auf sein Äußeres zu legen. Hatte er vielleicht auch eingesehen, dass er irgendwas aus seinem Leben machen musste? Das würde mich freuen, denn ich mochte ihn ja und wollte nicht, dass er sich sein Leben verpfuschte. Ich setzte mich zu ihm auf das Sofa, während Tim und Basti die Instrumente in den Keller trugen. „Mir is neulich was komisches passiert“, begann er zu erzählen und reichte mir den Joint. „Was denn?“ Er räusperte sich und senkte seinen Blick. „Vor ein paar Tagen ist mir alles irgendwie zu viel geworden und ich hatte nicht mal Lust zu Tim zu gehen. Da bin ich durch Stadt geirrt und es hat angefangen zu regen. Mir wurde kalt und ich bin die Bahnhofshalle geflüchtet und stand dort rum. Plötzlich stand jemand neben mir…ein junger Mann, vielleicht eins zwei Jahre Älter als wir und hat mich gefragt, ob mir kalt sei. Ich nickte nur. Daraufhin hängte er mir seinen Mantel um. Kurze Zeit später kam ein zweiter Mann hinzu und die beiden sind verschwunden.“ „Und was ist aus dem Mantel geworden?“ Flo machte eine Kopfbewegung Richtung Sofalehne und grinste. „Weißt du noch wie er aussah?“ Abwesend nickte Flo. „Glaub er war Japaner, rote lange Haare, schlank und braune Augen. Schon komisch. Vor allem frage ich mich, warum er das getan hat. Er kennt mich nicht mal.“  Basti half mir mein Gepäck zu tragen und alles schien für ihn so selbstverständlich zu sein. Ich dachte an meine Schwester und daran, dass sie mich sicher hasste, für das, was ich getan hatte. Ich bekam Magenschmerzen, als mir einfiel, dass ich Jojo doch versprochen hatte, nicht einfach abzuhauen. Nun war sie alleine und musste ohne ihren großen Bruder zurecht kommen. Aber was hätte ich denn tun sollen? Immerhin hatte sie ja nur die Hälfte mitbekommen und in ihrer Gegenwart versuchte ich meine Gefühle immer unter Kontrolle zu halten, um ihr Sicherheit zu geben. Doch jetzt war sie auf sich alleine gestellt. Aber ich beruhigte mich damit, dass es auch gut sein konnte und sie sich nun mehr zu unseren Eltern hingezogen fühlt. Bastis Mum freute sich mich zu sehen und hatte nichts dagegen, dass ich vorübergehend bei ihnen wohnte. Mein Freund und ich klappten das Sofa in seinem Zimmer aus und bezogen die Betten mit der frischer Bettwäsche, die Bastis Mum uns gebracht hatte. Dann gab sie uns Bescheid, dass das Abendessen in einer halben Stunde fertig sein würde. Ich ließ mich auf mein Nachtlager plumpsen und seufzte. „Du weißt ja gar nicht, wie dankbar ich dir bin.“ Basti lächelte uns setzte sich neben mich. „Es ist doch seltsam. Geld macht eben doch nicht immer glücklich.“ „Das kannst du laut sagen. Du Basti…glaubst du daran, dass wir mit unserer Musik irgendwann erfolgreich sein könnten?“ Er zuckte mit den Schultern. „Mh, vielleicht. Andere haben auch mal klein angefangen und schätze du wünscht es dir es so sehr wie ich. Ich glaub wir sind ein gutes Team. Kannst du immer so singen wie heute?“ Ich lachte schwach. „Denke, das wird mir in nächster Zeit nicht schwer fallen. Ich habe heue auch gemerkt, was es heißt mit all seinen Gefühlen zu singen…es war ganz anders als sonst. Anfangs kam ich mir fast ein bisschen komisch vor, weil ich dachte, es wäre übertrieben, aber schätze, so sollte es sein. Ich würde mir auch wünschen, dass wir mal ne bekannte Rockband werden könnten und dann mit den 69 Eyes auf Tour gehen oder so.“ Wir grinsten uns an und es tat gut einen Basti als Freund zu haben.  Am nächsten Morgen beschloss ich noch letztes Mal in das meiner Eltern zu gehen, um noch ein paar Klamotten zu holen, die vor Eile vergessen hatte. Denn um diese Uhrzeit waren meine Eltern sicher nicht da. Basti wollte in der Schule Bescheide geben, dass ich später kam. Das Treppenhaus roch noch immer nach frischer Farbe und alles, die weißen Wände, die grau-weiß meliert geflieste Fußboden erweckte in mir noch immer diesen sterilen Krankenhauseindruck. Mit einem seltsamen Gefühl im Magen steckte ich den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Da stieg mir der Geruch von frischaufgebrühten Kräutern in die Nase und als ich Schritte aus der Küche näher kommen hörte, erstarrte ich. Doch es war nur meine Schwester, die mich im Schlafanzug und barfüßig verwundert ansah. Mit ihren kleinen Händen umklammerte sie die Teetasse. Ihr Gesicht hatte fast die gleiche Farbe wie die Tapete und ein leichter Schatten zeichnete sich unter ihren Augen ab. Ihre süße Stupsnase war gerötet und schien ein bisschen wund gescheuert. „Hey, was machst du denn hier? Solltest du nicht in der Schule sein?“ Sie kam auf mich zu und umarmte mich. „Bin etwas erkältete, da hat Mama mir verboten zur Schule zu gehen. Und was ist mit dir?“ Einerseits war Jojo mit ihren sieben Jahren schon sehr weit und andererseits wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie nie eine richtige Chance hatte, ihre Kindheit auszuleben. „Ich…ich will noch ein paar Sachen holen.“ Meine Stimme klang belegt und der Ausdruck in ihren Augen brach mir fast das Herz. Darin spiegelten sich Traurigkeit, Enttäuschung und Zorn zugleich. Ich nahm sie auf meinen Arm und trug sie in mein Zimmer oder das, was einmal mein Zimmer gewesen ist. Wir setzten uns ins Bett, ganz weit in die Ecke mit den vielen Kuschelkissen und Jojo schmiegte sich fest an mich. „Jojo,…ich habe dir zwar versprochen, dass ich nicht weggehen werde, aber…ich…ich muss es trotzdem tun. Es geht nicht gut, wenn ich länger mit Mama und Papa unter einem Dach wohne.“ Ich quälte mir dir Worte heraus und ich vermied es ihr direkt ins Gesicht zu schauen. Dann boxte sie mich mit ihren kleinen Fäusten und fing an bitterlich zu weinen. Sie sagte nichts dazu und ich konnte nicht genau einschätzen, was sie dachte und ob sie überhaupt verstand, warum ich nicht länger hier wohnen konnte. Ich ließ sie ihre Wut und ihre Trauer ausleben. „Aber du hast es versprochen und ein Versprechen kann man nicht einfach brechen!“ Ich seufzte tief. „Das weiß ich, aber ich kann nicht mehr Kleines. Außerdem heißt das ja noch lange nicht, dass wir uns nicht mehr sehen. Wir können uns jederzeit sehen, sogar jeden Tag, wenn du das möchtest. Aber ich kann nicht mehr hier her kommen.“ Lange, ja sehr lange schaute mich Johanna an und vielleicht versuchte sie sogar zu verstehen. „Ist es wirklich so schlimm mit Mama und Papa?“ Ich nickte nur. „Weißt du, ich bin den ganzen Streitereien nicht mehr gewachsen und ich bin es leid mich ständig durchsetzen zu müssen. Glaub mir, es ist besser so.“ „Und wo wohnst du da jetzt?“ Ich drückte die Kleine an mich und strich ihr übers Haar. „Bei Basti und irgendwann, wenn ich genug Geld habe, kann ich mir vielleicht auch meine eigene Wohnung leisten. Du kannst mich ja bei Basti besuchen kommen.“ Sie schwieg einen Moment. „Du Lukas, was soll ich Mama und Papa sagen? Die Wahrheit?“ „Wie du möchtest. Mir ist es egal. Auch wenn sie erfahren würde, wo ich wohne, wird sie mich nicht zurückholen können. Tue das, was du für richtig hältst. Ich muss jetzt in die Schule Jojo.“ Ich gab ihr einen Kuss und nahm schweren Herzens Abschied. Mir wurde auf einmal klar, wie schlimm es für meine Schwester sein musste und irgendwie hasste ich mich für das, was ich ihr antat. Doch hatte ich nicht bisher immer nur Rücksicht auf andere genommen? Warum sollte ich dann nicht auch mal etwas tun, was mir gut tat? Auf dem Weg zur Schule rauchte ich noch eine Zigarette und schaffte es pünktlich zur zweiten Stunde. Ich erzählte Basti das mit Jojo und er war auch der Meinung, dass ich mich trotzdem erst mal von meinen Eltern fernhalten sollte. Nach der Schule trafen wir uns gleich mit Tim im Proberaum und übten unsere Songs. Wir alle fanden, dass wir immer besser wurden. Ich versuchte mich mit meiner Musik ein wenig an dem Goth’n Roll Style zu orientieren, aber achtete sehr darauf, dass ich nicht kopierte oder, dass wir in irgendeiner Weise gleich klangen. Außerdem waren meine Texte, wie auch unsere Klänge noch sehr düster und spiegelten meine Stimmung. In den Songtexten beschrieb ich viele meiner Gefühle, wie Trauer, Hass, Enttäuschung und auch Liebe sowie die Hoffnung, dass es trotzdem weitergehen wird. Man konnte fast sagen, dass unsere Lieder eine Art Biographie oder Seelentagebuch von mir waren. Nur noch einen Tag bis zum Konzert und ich wurde irgendwie ein bisschen nervös. Wie viele Zuschauer würden kommen? Würden überhaupt welche erscheinen? Basti versuchte mich immer wieder zu beruhigen. Wir saßen im Fensterbrett seines Zimmers, tranken Bier und rauchten. „Ich glaub wir kriegen das hin.“ „Mhh, ich hoffe es.“ „Hast du Nici eigentlich davon erzählt?“ „Ich weiß nicht, hab sie jetzt schon länger nicht mehr gesehen. Bin mir auch nicht sicher, ob das gut wäre.“ Basti verdrehte die Augen. „Dacht ja nur, vielleicht, weil sie uns unbedingt noch mal live sehn wollte.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Kannst ihr ja schreiben wenn du willst.“ Basti winkte ab. „Ach lass mal. Du hast gerade deine eigenen Sorgen.“ „Basti, willst du mich etwa verkuppeln?“ Er räusperte sich. „Naja, ich mag sie irgendwie noch. Immerhin hatte eure Beziehung auch gute Seiten. Hab ich dir erzählt, dass sie vor kurzem mit Nadja in Mikes Café war? Und naja, Nadja hat sich auch voll verändert…irgendwie ist sie hübscher. Warum tun Frauen sowas? Hatte das etwa was zu bedeuten, dass die beiden ausgerechnet in dem Café waren? Ich weiß, ich konnte Nadja nicht viel bieten, aber trotzdem hatte ich den Eindruck, sie fühlte sich glücklich.“ „Da gibt es nur zwei Theorien: entweder Nici hat sie dort hin geschleift oder sie wollte dich sehen. Und Basti, man muss einem Mädchen nicht immer nur materielle Dinge bieten können. Es kommt eher auf das an, was du tust oder sagst. Du bist ein toller Mensch und ein noch besserer Freund. Was braucht eine Frau mehr?“ „Keine Ahnung. Ist doch auch egal, hab gerade sowieso keinen Bock auf eine Beziehung.“  Ich beschloss Kim morgen von der Schule abzuholen und mal wieder etwas mit ihr zu unternehmen. Das würde sicher auch meine miese Stimmung etwas anheben. Freitags, das wusste ich, ging ihr Unterricht bis um drei, deshalb stellte ich mich wie immer vor die Schule und wartete auf sie. Wieder und wieder dachte ich an Jojo und daran, ob sie mit unseren Eltern alleine klarkommen würde? Immerhin mochte sie Mama und Papa und umgekehrt, doch was war, wenn sie sich so wie ich entwickeln würde? Was passierte dann? Würde sie sie auch rausschmeißen? Ich zündete mir noch eine Zigarette an und verdrängte diesen Gedanken. Ich hielt auch nach Kim ausschau und hoffte, dass mir Nici nicht über den Weg lief, aber konnte sie nirgends finden. Doch gerade als ich gehen wollte, holte mich Nici mit Nadja im Schlepptau ein. Seit unserer Trennung hatten wir uns nicht mehr gesehen und ich war auch nicht scharf darauf mit ihr zu reden, dennoch fragte ich sie nach Kim. „Hey. Sag mal, war Kim heut nicht in der Schule?“ Nici schüttelte den Kopf. „Nein, schon seit zwei Tagen nicht und unser Klassenlehrer hat bei ihr zu Hause auch niemanden erreicht.“ Das bereitete mir ein wenig Sorgen und schon machte ich mir wieder Vorwürfe, weil ich mich nur um meinen eigenen Scheiß gekümmert hatte. „Ich werde sie besuchen gehen.“ Nici wollte mich unbedingt begleiten und wir fuhren mit der S-Bahn vom Zentrum aus ins sogenannte Assiviertel. Das war eines heruntergekommensten Viertel unserer Hauptstadt, wo ein Plattenbau am nächsten grenzte. Doch Kims Familie war sehr arm und konnte sich kaum etwas leisten. Da kam noch hinzu, dass ihr Vater, als auch ihre Mutter wenig vom Arbeiten hielten. Sie gehörten zu den Familien, die meinten, dass uns die Ausländer alle Arbeitsplätze wegnahmen und sie erst Geld verdienen wollten, wenn die ihre Plätze freigaben. Ich war nur einmal in meinem Leben in diesem Viertel gewesen und fand es erschreckend. Armut, Dreck und Gewalt. Ich bekam eine Gänsehaut, wenn ich daran dachte. Und nach Nicis  Blick zu urteilen, schien sie auch noch nie hier gewesen zu sein. Alles schien relativ friedlich zu sein, doch ich wollte so schnell wie möglich wieder weg von hier. Oft wurde in der Zeitung von den Banden berichtet, die hier gegen Abend und nachts ihr Unwesen trieben. Schlägereien standen hier auf der Tagesordnung. Als wir in die kleine Straße, nahe der Sonnenallee einbogen, klammerte sich Nici plötzlich an mich. Vor dem alten, baufälligen Haus mit den vergilbten Gardinen blieben wir stehen. Der Putz bröckelte ab und die Haustür schien nicht mehr richtig zu schließen, denn sie wurde mit einem Draht zusammengehalten. Ich klingelte und es hallte laut im Flur, doch es machte niemand die Tür auf. Ich betätigte ein weiteres Mal die Klingel. „Meinst du wir sollen raufgehen?“ Nici zuckte unsicher mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Mir kommt das hier unheimlich vor.“ Ich lächelte und versuchte mein Unbehagen zu verbergen. Dann nahm ich Nici bei der Hand und löste den Draht. Knarrend und quietschend öffnete sich die Tür. Im Flur roch es nach Erbrochenem und nach Fäkalien. Ich hielt mir die Hand vor den Mund. Kim wohnte im ersten Stock. Ich klopfte, doch auch hier öffnete niemand. Nicht mal ein Laut war von drinnen zu hören. Das kam mir seltsam vor, denn normalerweise verließen Kims Eltern die Wohnung nie. Da huschte plötzlich eine Frau an uns vorbei, die sich mit verstörtem Blick nach uns umdrehte. „Entschuldigen Sie. Wissen Sie, ob Kim oder ihre Eltern zu Hause sind?“ Die Frau zuckte zusammen, als ich sie ansprach und stotterte irgendetwas von Streit und Schreien am Morgen. Dann verschwand sie blitzschnell hinter der Tür zu ihrer Wohnung. „Das ist seltsam oder? Was hast du jetzt vor?“ Schreie? Konnte es sein, dass Kims Vater etwa? Nein, ich dachte den Gedanken nicht bis zu Ende. Ich hämmere ein letztes Mal gegen die Tür und wartete, doch nichts geschah. Dann drückte ich gegen die Tür und augenblicklich sprang diese auf. „Lukas, was tust du da? Lass uns lieber schnell verschwinden.“ „Du kannst ja hier warten. Ich muss was gucken.“ In der Wohnung roch es nach dreckigen Klamotten, Alkohol und vergammelten Essensresten. Also nicht viel besser als im Hausflur. Mein Herz hämmerte mir bis zum Hals, weil ich jeden Moment damit rechnete, Kim ihr Vater könnte mich überfallen. Doch alles blieb still, zu still. Zu Kims Zimmer führten drei Stufen hoch und da tappte ich in etwas Klebriges. Es schien aus ihrem Zimmer geflossen zu kommen. Vorsichtig öffnete ich die Tür, doch im selben Moment wünschte ich mir es nicht getan zu haben. Ich ging automatisch einen Schritt zurück und starrte in das Bett. Mein Körper zitterte und ich konnte nur reglos vor mich hinstarren. Jetzt wurde mir klar, dass das Blut auf den Stufen war. Kims Blut. Daher also die Schreie. Hatte er sie erst vergewaltigt und dann umgebracht? Plötzlich wurde mir schlecht und ich stürmte aus der Wohnung. Ich griff Nicis Hand und zerrte sie mit auf die Straße. Tief atmete ich die Luft ein. Deshalb war Kim also nicht zur Schule gekommen. Oder hatte sie sogar Selbstmord begangen? „Was ist los? Was hast du gesehen?“ Ich schüttelte nur den Kopf und zog mein Handy aus der Tasche, um die Polizei zu alarmieren. Dann warteten wir noch, bis sie hier eintrafen. „Sie ist also…tot?“ Ich nickte nur stumm. Noch nie hatte ich einen lieben Menschen verloren und irgendwie konnte ich das auch noch nicht glauben. Die Polizei kam ziemlich schnell und sie fragten mich, was passiert sei. Dann warfen sie selbst einen Blick in die Wohnung. Wenig später kam ein weiteres Fahrzeug hinzu, das die Leichen abtransportierte. Insgesamt waren es drei. Wahrscheinlich hatte Kims Vater erst die beiden Frauen und dann sich selbst ermordet. Wie grausam war diese Welt nur. Alles andere sollte jetzt per Autopsie und so weiter festgestellt werden. Nici und ich redeten bis zum Proberaum kein Wort miteinander. Ich erzählte den Jungs, was passiert war und allen ging es ähnlich wie mir. Es fragte auch keiner warum Nici hier war, es schien fast wie sonst zu sein. Sie blieb sogar. Wir beschlossen unser Konzert morgen trotzdem nicht abzusagen und wollten es Kim widmen. Eigentlich hatten wir vorgehabt Eintritt zu verlangen, doch das ließen wir jetzt bleiben. Kim hätte es so sicher auch besser gefunden, denn einige Jugendlichen, denen es ähnlich wie ihr ging, konnten sich Veranstaltungen dieser Art gar nicht leisten und immerhin konnten wir uns nicht zu den angesagtesten Rockbands zählen. Wir spielten unsere Songs mehrere Male, verbesserten hier und dort noch etwas. Danach wollte ich mich nur noch betrinken und weit weg von all den Problemen sein. Nici war auch noch da und saß eher schweigsam unter uns Jungs. Tim und Flo mussten sich wieder mal bekiffen, doch ich blieb bei Alkohol und Zigaretten. Da ich heute nicht sonderlich viel gegessen hatte, war mein Magen empfindlicher als sonst. Meine Freunde konnten wieder lachen, aber ich nicht. Ich verfiel wieder in meine depressive Stimmung und die konnte selbst der Wodka nicht bessern. In Gedanken an Kim schweifte ich wieder ab zu meiner eigenen grandiosen Familie, das stimmte mich genauso wenig froh. Ich hasste mein Leben und zum ersten Mal fragte ich mich, wie viel ich eigentlich zum Streit mit meinen Eltern beigetragen hatte. Gehörten dazu nicht immer zwei? Soweit ich mich zurückerinnern konnte, traten die ersten Konflikte auf, als ich mich mit Tim anfreundete. Damals war ich dreizehn und unheimlich fasziniert von der Punkszene, also begann ich mir dir Haare bunt zu färben. Dann folgten die immer auffälliger werdenden Klamotten und mein erster richtiger Kontakt mit Alkohol und den Drogen. Ich kam immer unregelmäßiger nach Hause und da fingen meine Eltern an, sich über mich zu beschweren. Sie versuchten nie etwas mit mir zu klären, sondern kritisierten nur alles an mir. Meine Reaktion darauf war, dass ich mich immer mehr verschloss und meine Eltern immer mehr und immer öfter provozierte. Das tue ich bis heute, weil ich mich so unverstanden fühle. Und das Schlimme an der ganzen Sache war, dass sich meine Eltern anfangs wenigstens noch ein klein bisschen bemüht hatten, mir zu zeigen, dass sie mich mochten, doch auch das war in den letzten Jahren verschwunden. Keine Zuneigung mehr von ihrer Seite und somit auch kein Vertrauen. Nichts. Nur der Wunsch, ich wäre ihr Adoptivkind. Konnte ich denn nichts tun, damit sie mich mochten? Ich hatte bereits die halbe Flasche geleert, da fragte mich Nici, ob ich mit an die frische Luft kommen wolle. Ich erhob mich von meinem Sessel und folgte ihr mit dem Wodka in der Hand. Draußen zündete ich mir eine Zigarette an und merkte, wie ich leicht schwankte. Nici sah besorgt aus oder war sogar Zorn in ihren Augen? „Findest du nicht, dass du genug getrunken hast?“ „Kannst dich ja auch betrinken. Außerdem wüsste ich nicht, was dich das angeht.“ Ich lehnte mich an die Wand, prostete Nici zu und trank einen großen Schluck. „Lukas, ich mein‘s ernst!“ „Ja und? Ich auch. Wenn es dich so sehr stört, geh doch!“ Nici schien meine Art nicht sehr zu gefallen, aber das war mir gerade egal. „Findest du es etwa toll dich so hängen zu lassen? Ich meine, wir sind zwar nicht mehr zusammen, aber Sorgen kann ich mir doch trotzdem machen oder?“ Ich zog an meiner Zigarette und schaute ihr tief in die Augen. „Tue was du nicht lassen kannst, nur verlange nicht von mir, dass ich auf dich höre. Ich will nur einfach mal nicht nachdenken, das ist alles.“ „Ach wie toll. Weißt du, du kannst mit deinen Sorgen zu Basti, Tim und mir kommen…“ Ich unterbrach sie mitten im Satz. „Nici, ich habe aber einfach keinen Bock mehr zu reden. Mir reicht das, was ich gesehen und erlebt habe, da muss ich nicht noch ewig lang drüber diskutieren. Kapierst du das?“ Sie erwiderte länger nichts. Ich ließ mich an der Wand zu Boden rutschen und rauchte noch eine. „Warum kiffst du dir dann nicht gleich die Platte zu?“ „Könnte ich auch, will ich aber nicht. Was ist eigentlich gerade dein Problem? Oder was machst du hier? Hast du nichts Besseres zu tun?“ Wieder hielt sie Inne, dann hockte sie sich vor mich. „Um ehrlich zu sein, hoffe ich noch immer, dass es zwischen uns noch mal was wird.“ Ich verdrehte die Augen und nahm noch einen Schluck, langsam konnte ich nicht mehr. „Du gibst wohl nie auf was? Warum suchst du dir nich nen ordentlichen Kerl. Einen, der nich ständig betrunken is, Kohle hat und nen geregeltes Leben führt. Nici, ich habe nichts mehr…verstehst du? Meine Mutter hat mich rausgeworfen! Ich bin der absolute Versager…“ „Vielleicht sollte ich das, aber ich will dich Lukas und ich mag es nicht, wenn du so gleichgültig und traurig bist, weil ich mir dann so hilflos vorkomme und nicht weiß, was ich machen soll.“ „Nichts! Tue einfach nichts, denn du kannst mir nicht helfen. In meinem Leben ist zu viel kaputt, als dass du es reparieren könntest…das bisschen Liebe reicht da leider nich aus…“ „Das bisschen Liebe? Ich liebe dich mehr, als alles andere auf dieser Welt und du? Du stößt mich von dir…“, wisperte sie traurig. Ich schluckte. „Ja, ich stoße dich von mir, weil ich dich nicht ertrage…du und deine heile Welt, die mir nur immer vor Augen hält, was ich alles nicht habe…“ „Na schön…dann lass ich dich wohl besser allein“, zickte mich meine Exfreundin an und ich blieb heulend zurück. Allein mit diesen verfluchten Gefühlen und dem unerträglichen Schmerz. Mein verkorkstes Herz drohte vor Leid und Kummer zu zerbrechen und stach in meiner Brust. Ich sank in mich zusammen und grub meine Nägel in die schon fast verheilte Wunde meines linken Unterarms. Diese brach erneut auf und untermalte meine Verzweiflung. Blut sickerte aus der Verletzung, ich konnte es nicht stoppen und es war mir auch egal. Ich torkelte auf meinen Plateaustiefeln zurück auf meinen Sessel und hinterließ eine blutige Spur. Das ließ die Alarmglocken bei meinen Freunden natürlich schrillen und Flo hielt mich, als ich zur Seite kippte. Basti verarztete meinen Arm und wieder brachen diese beschissenen Gefühle aus mir heraus. Ich konnte einfach nicht mehr, befand mich mehr als am Ende und wurde dem nicht mehr Herr. Flo strich mir behutsam über den Kopf. „Muss er ins Krankenhaus, Basti?“, fragte dieser, doch ich schüttelte heftig den Kopf. „Es geht schon…“, krächzte ich. „Lukasschatz, du hast ne Menge Blut verloren…nicht, dass du hier gleich abklappst.“ Ich warf dem Grünhaarigen einen tadelnden Blick zu. „Und wenn schon…is eh alles beschissen…ich will nich mehr…“ „Untersteh dich sowas zu denken!“, mahnte mich Tim und ich streckte ihm mein Mittelfinger entgegen. „Wir gehen erst Mal nach Hause und du schläfst deinen Rausch aus.“ Basti rief ein Taxi, welches uns zu ihm nach Hause brachte und irgendwie bugsierten mich meine Freunde ins Bett. Sie nahmen mich in ihre Mitte, vielleicht aus Angst, ich könnte wieder auf dumme Gedanken kommen. So schliefen wir dann ein. Der nächste Tag wurde nicht besser. Basti und ich hatten uns noch irgendwie zu ihm nach Hause geschleppt und ich wachte mit fürchterlichen Kopfschmerzen auf. Das hat man nun davon. Wir wollten beide kein Frühstück, es war ohnehin schon Mittagszeit und stattdessen kochte uns seine Mum einen Tee. Wir faulenzten ein bisschen und schauten DVDs an. Irgendwie fühlte ich mich besser, denn es war rührend, wie mich Bastis Familie mit in ihr Leben integrierte. Doch dann dachte ich an meine eigene Familie und wurde deprimiert, weil es dort alles andere als harmonisch zuging. „Hast du schon ne Ahnung, was du heut Abend anziehst?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Mal sehen. Warum?“ „Naja, du hast doch diese tolle schwarz- rot gestreifte Hose und wenn du die nicht anziehst, könnte ich mir sie ja vielleicht ausborgen.“ Ich grinste Basti an. „Zieh sie halt an.“ „Cool, danke. Hast du Lust mir dann noch die Haare zu färben?“ „Kann ich machen. Gibt’s nen Grund warum du heute so gut aussehen willst?“ Er zögerte einen Moment. „Naja, Nadja will vielleicht kommen. Hab Nici gestern gefragt, ob die beiden nicht zusammen kommen wollen.“ Also gingen Basti und ich ins Bad und ich färbte ihm die Haare mit seinem Lieblingsneonrot. Dann mussten wir doch noch etwas essen, sonst drohte uns seine Mum, würde sie uns nicht weggehen lassen. Anschließend stylten wir uns ein wenig. Ich zog meine schwarze Stoffhose mit den Taschen und dem Nietengürtel an, mein halbseitig schwarz- weiß gestreiftes, ärmelloses Oberteil und wie immer meine New Rocks. Im Proberaum war schon alles bereit, denn wir hatten alles vom Vorabend stehenlassen. Ich war ein wenig nervös, weil ich noch nie vor soviel Leuten gesungen hatte. Wenn überhaupt welche kommen würden. Um acht war Einlass und gegen neun wollten wir anfangen. Mike, Bastis Bruder hatte sich dazu bereit erklärt unser Barkeeper für diesen Abend zu sein. Und es kamen tatsächlich ein paar Leute. In den Raum würden vielleicht maximal 30 Leute passen, aber mit so vielen rechnete ich heute nicht. Nici brachte Nadja wirklich mit und Basti grinste mich nur an. Sie begrüßten uns sehr freundlich. „Na, wie geht’s deinem Kopf?“ „Geht so. Du willst wohl jemanden verkuppeln?“ Ich grinste sie an. „Mal sehen, was draus wird.“ „So ich muss jetzt auf die Bühne, bis später.“ Um neun waren es schätzungsweise vierzig Leute und ich konnte ziemlich weit hinten auch meinen Vater sehen, der Jojo gerade auf die Schultern nahm. Ich versuchte ihn nicht zu beachten. Ich machte vor dem Beginn noch eine kleine Ansage. „Guten Abend. Ich hätte nicht erwartet heut so viele Zuschauer zu sehen, aber schön, dass ihr den Weg hier her gefunden habt. Dieses Konzert am heutigen Abend widmen wir einer guten Freundin, die gestern gestorben ist. In loving Memory of Kim!“ Mit diesen Worten stimmte ich das erste Lied an und ich konnte die Leute begeistern. Dieses unbeschreibliche Gefühl vermag ich kaum in Worte zu fassen. Man kommt sich auf einmal nicht mehr klein und nutzlos vor. Nach einer Stunde spielten wir unser letztes Lied und tranken noch etwas mit den Leuten. Ich schnappte kurz frische Luft. Vorher nahm ich mir ein Bier und meine Zigaretten mit. Gerade, als ich mir diese anzündete, kam jemand auf mich zu. Natürlich kein anderer als mein Vater mit Jojo. Ich verdrehte die Augen, doch blieb stehen. „Ich muss schon sagen, du hast mich beeindruckt Lukas.“ „Was willst du hier?“ „Deine Schwester wollte dich sehen und da habe ich zufällig den Flyer entdeckt. Außerdem macht sich deine Mutter Sorgen um dich.“ „Warum, hat sie etwa Angst ich könnte wiederkommen?“ „Sei nicht albern, ich meine es ernst. Immerhin bist du unser Sohn.“ „Wirklich?“ Darauf erwiderte er nichts, sondern bemerkte trocken: „Deine Texte sind aber auch sehr düster. Mich hat es sehr erschreckt, wie du über deine Familie denkst.“ Ich lachte traurig und zog an meiner Zigarette. „Jetzt weißt du ja vielleicht, wie es mir geht. Wobei das nun auch keine Rolle mehr spielt.“ „Naja, irgendwann kommst du ja doch zurück. Du kannst nicht ewig auf Kosten anderer leben. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend.“ Jojo umarmte mich flüchtig und verschwand mit meinem Vater in der Dunkelheit. Und zurück blieb ein trauriger Junge. Sonntag erledigte ich mit Basti noch die Hausaufgaben für die kommende Woche und später wollten wir uns noch mit Nici und Nadja treffen. Basti war zwar noch nicht wieder richtig mit ihr zusammen, aber das würde schon werden. Im Park trieb sich seit Tagen niemand herum, weil alle, vor allem die Punks unter uns, noch sehr um Kim trauerten. Da es sehr warm für November war, hockten wir uns zum Rauchen auf die Bank vor den Jugendclub. Doch ich war mit meinen Gedanken ganz weit weg. Meinte meine Mum das etwa ernst? „Lukas, hast du Zigaretten? Hab meine vergessen.“ Ich suchte in meiner Tasche und warf Basti die Packung hin. Er lächelte mich an und ich versuchte zurückzulächeln. Es war schon fast anstrengend die Mundwinkel nach oben zu ziehen. Wann war ich das letzte Mal glücklich? Bei unserem Auftritt gestern? Oder jetzt? Nein, das war alles nur halb glücklich, wenn überhaupt. Zu meinem Unglück hatte uns Chris entdeckt und kam zu uns. „Hey ihr. Coole Show gestern Lukas und Basti.“ „Danke!“, sagten wir beide zur gleichen Zeit. „Dein Dad war ja auch mit deiner kleinen Schwester da. Hab mich mit ihm unterhalten, ist echt nett, der Mann.“ „Ja, sehr“, entgegnete ich mit einem sarkastischen Unterton. Das entging Chris natürlich nicht. „Das klang aber sehr ironisch. Sag bloß, an der Sache ist was dran?“ „Ich weiß nicht wovon du sprichst.“ „Ach nein? Meine Mutter hat mir erzählt, dass dich deine Eltern rausgeworfen haben.“ Das war zu viel. Wir standen uns nun Feindseelig gegenüber. Ich funkelte ihn böse an. „Ach ja? Und was hat dir deine Mutter noch alles erzählt?“ Er grinste mich fies an und kratzte sich am Kinn. „Naja, dass es deine Eltern bedauern einen solchen Loser als Sohn zu haben.“ Ich holte aus und schlug ihm mitten ins Gesicht. Nicht sonderlich doll, aber es reichte für ein Veilchen. „Fahr zur Hölle Sennert!“ „Naja hoffentlich kommst du dann in den Himmel! Und hör endlich auf dir dein Maul über andere zu zerreißen. Meine Familie ist meine Sache und geht dich nen scheiß an!“ Ich rechnete damit, dass er sich wehren würde, doch stattdessen rannte er weg. Im Hintergrund lachten Basti, Nici und Nadja. „Das hat der schon lange Mal gebraucht.“ Basti und ich teilten uns ein Bier und rauchten noch eine Zigarette. Komischerweise ging es mir jetzt etwas besser. Ich brachte Nici gegen sechs nach Hause, weil sie zum Essen da sein sollte. Seit einer Woche mied ich diese Gegend und es war mir unangenehm auf einmal wieder hier zu sein und doch war alles so vertraut. „Willst du nicht mit rein kommen?“ „Ich weiß nicht.“ „Bitte.“ Ich seufzte und willigte schließlich ein.  Es fühlte sich schon fast so an, als wären wir wieder zusammen. Nicis Mum hatte Kalbsfilets mit Bandnudeln und Sahnesoße gekocht. Sie freute sich, dass ich mitgekommen war. „Sag mal Lukas, was willst du eigentlich nach der Schule machen?“ Darüber hatte ich noch nie richtig nachgedacht, deshalb sagte ich: „Ich bin noch nicht hundertprozentig sicher, aber irgendetwas Kreatives auf jeden Fall.“ Immerhin hatte ich ja noch fast ein ganzes Schuljahr bis zum Abitur Zeit. „Nici will ja unbedingt Erzieherin werden.“ Ich lächelte, weil ich fand, dass dieser Beruf sehr gut zu ihr passte. „Mama, musstest du das jetzt sagen?“ „Wieso? Ich kann mir dich als Erzieherin gut vorstellen“, entgegnete ich. Nici errötete leicht. Nachdem alle fertig waren, halfen wir noch beim Abwaschen. Nici ihr Papa verschwand ihm Wohnzimmer, um die acht Uhr Nachrichten zu schauen. „Danke ihr beiden.“ „Nichts zu danken“, sagte ich höflich. Nici fragte mich, ob ich noch einen Moment bleiben könnte. Ich nickte und wir gingen die Wendeltreppe rauf in ihr Zimmer. Dieses war nicht übermäßig groß, aber gemütlich. Das Bett stand an der Wand und links davon ein Bücherregal und rechts davon ihr Schreibtisch. Der Kleiderschrank war vor dem Regal. Sie bediente ihren CD Player und nun liefen HIM im Hintergrund. Wir setzten uns auf ihr Bett. „Schon komisch, dass mich jeder lieber sieht, nur meine eigenen Eltern nicht.“ „Du kannst ja mal vorbeischauen.“ Ich sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Das war ein schlechter Scherz.“ „Sorry. Ich glaub du hast Chris heute ganz schön gedemütigt.“ Ich grinste. „Schon. Das hat er ja auch mal verdient. Du Nici, ich finde es schön, wenn wir uns verstehen, aber bitte interpretiere da jetzt nichts hinein okay?“ Sie schwieg einen Moment. „Naja, ich finde es auch echt schön, irgendwie scheinen wir uns so besser zu verstehen, wenn wir nicht zusammen sind.“ Sie strich mir über die Wange und gab mir einen Kuss. „Lass das lieber, ich kann dir nicht geben was du willst, das weißt du.“ „Das ist mir egal, ich habe mir so sehr gewünscht einen solchen Moment noch einmal zu erleben.“ Ich schüttelte nur den Kopf und erhob mich von ihrem Bett. Sie hielt mich zurück. „Nici, ich meine es ernst. Ich will das nich. Du solltest dir echt einen anderen Typen suchen.“ Sie legte ihre Arme um mich. „Was ist so falsch an dir?“ „Ich kann gerade einfach keine Beziehung führen, das ist alles. Ich sollte jetzt gehen.“ In ihren Augen sah ich die Enttäuschung und sie kämpfte mit den Tränen. „Dich besaufen oder was?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Und wenn schon.“ Ich rief Flo an und wir verabredeten uns im Park. Dunkle Schatten zeichneten sich unter seinen Augen ab und ich sah bestimmt nicht besser aus. Er hielt mir den Joint hin und ich musste an Nicis letzten Worte denken. War ich deshalb jetzt ein Junkie? Weil es allmählich frisch wurde, zogen wir uns im Proberaum zurück. Auch Flo machte nicht den Eindruck, als würde er schnell nach Hause gehen wollen. „Willst du auch’n Bier?“, fragte er. Ich nickte und baute uns noch einen Joint. Mein Freund kehrte mit einem Sixer Bier zurück. Mir wurde schlecht, wenn ich an zu Hause dachte und so beschloss ich mit Flo den Abend hier zu verbringen. Er prostete mir zu. „Was geht eigentlich bei dir und Nici?“ „Weiß nich, irgendwie nix. Es fühlt sich nich richtig an. Ich meine sie himmelt mich an, aber ich kann das nich. Es überfordert mich und sie kann oder wird nie verstehen, warum ich bin wie ich bin.“ „Weil sie es nich anders kennt…sie hat eine heile Welt und ist wohl davon überzeugt, dass man sich niemals mit seiner Familie streiten kann.“ Ich lächelte traurig und nahm einen tiefen Zug. „Neulich hat sie sich mit ihrer Mum gestritten, meinetwegen. Weil sie Gemunkel aus der Nachbarschaft gehört hat.“ Flo lachte auf. „Haha, Lukas, der Bad Boy…nimmt Drogen, hat ständig andere Mädels und widersetzt sich den Willen seiner Eltern.“ „Kann ich dich mal was fragen?“ Flo warf mir einen erwartungsvollen Blick zu. „Klar.“ Ich räusperte mich. „Hast du dich schon mal gefragt, wie es ist mit einem Jungen zusammen zu sein?“ Flo riss die Augen weiter auf als sonst und verschluckte sich fast an seinem Bier. „Ähm, ehrlichgesagt nich. Warum fragst du?“ „Irgendwie ist mir aufgefallen, dass ich auch Männer attraktiv finde. Aber vielleicht is das auch nur eine Phase.“ Plötzlich grinste mich mein Freund an und schlug vor, dass wir feiern gehen sollten. Basti durfte natürlich nicht fehlen. Wir wollten ohnehin schon immer mal ins Underground. Dort war heute Gruftiparty. Flo hatte auch eine Überraschung und zog geheimnisvoll diese kleine Pille aus einem Umschlag seiner Hosentasche. „Bist du dabei?“ „Klar“, freute ich mich. Ich verlor die Kontrolle über den Alkohol, weil ich so benebelt war. Irgendwann flirtete ein Mädel mit mir, die nur leicht bekleidet war. Sie trug ein Netztop und darunter ein Hauch von Nichts. Wir flirteten miteinander und irgendwann hing sie knutschend über mir. Viel mehr wusste ich von dem Abend nicht mehr.        Nici wollte sich unbedingt mit mir treffen und wir verabredeten uns in Mikes Café. „Geht es darum unsere Beziehung zu retten? Bist du noch immer der Meinung, ich bin dein Traumprinz und du musst mich vor irgendwas bewahren?“, bemerkte ich leicht sarkastisch und zündete mir eine Zigarette an. „Du tust dich wirklich schwer damit, wenn andere dich mögen oder?“ „Ich gehe nur den Weg des geringsten Widerstandes, das is alles.“ „Meine Güte Lukas, dann rede doch mit deinen Eltern“, sagte sie fordernd. Ich lachte nur traurig und schüttelte den Kopf. „Das meine ich Nici, genau das is der Grund, warum wir nich zusammen sein können…meinst du ich hätte nich versucht mit ihnen zu reden? Für wie bescheuert hältst du mich eigentlich.“ „Wenn du da dauernd auch so aggressiv bist, kann ich deine Eltern verstehen.“ Ich funkelte sie wütend an. „Tue doch nicht so, als ob du mich so überragend kennst. Beschäftige dich lieber mit deinem Leben, ich kann dein Gelaber gerade echt nich brauchen.“ Später brachte ich sie nach Hause. Gerade wollte ich gehen, da sah ich, wie das Auto meines Vaters in unsere Einfahrt einbog. Ein stechender Schmerz durchzuckte meine Brust. Ohne, dass ich es wollte oder kontrollieren konnte setzte ich mich in die Richtung meines Elternhauses in Bewegung. Ich vernahm eine Kinderstimme und wusste, dass das Jojo war. Eh ich mich versah, kam sie auch schon in meine Richtung gerannt und lief in meine Arme. „Kommst du wieder nach Hause?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. Plötzlich wurden ihr Gesicht und ihre Augen wieder tieftraurig. Sie sprach nur noch in einem Flüsterton. „Aber du musst. Mama und Papa streiten sich nur noch. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen soll. Es ist nicht dasselbe in deinem Bett zu schlafen, wenn du nicht da bist. Es fühlt sich nicht richtig an. Ich mache ganz oft in deinem Zimmer Hausaufgaben und wenn ich die Augen schließe bist du auch da. Mama hat noch nichts von deinen Sachen weggetan, weil sie vielleicht auch hofft, du kommst wieder.“ „Ach Jojo, mein kleiner Schatz.“ Ich drückte sie fest an mich und auf einmal hatte ich wirklich tief in mir den Wunsch wieder zu meiner Familie zurückzukehren. „Lukas, das zwischen euch muss aufhören. Bitte!“ Sie flehte mich an und eine Träne kullerte über ihre Wange. Dann rief Papa nach Jojo und spähte um die Ecke. Ich fasste sie an der Hand und ging langsam zu ihm. „Kannst du deine Schwester hoch bringen? Ich muss nochmal ins Büro.“ Ich nickte und auf einmal fiel mir auf, dass ich den Haustürschlüssel in meiner Hosentasche bei mir trug. „Wo warst du eigentlich mit Papa?“ „Wir haben uns im Kino einen Film angeschaut. Der war total schön.“ „Das glaub ich gern.“ Ich setzte mich noch einem Augenblick auf die Stufen vor der Haustür und rauchte eine Zigarette. Jojo setzte sich neben mich. „Warum rauchst du eigentlich?“ Ich sah meine Schwester lächelnd an. „Ich weiß auch nicht...“ Sie lehnte sich an meine Schulter und zähle die Buttons auf meiner Jacke. „Wow, zwanzig Stück. Ganz schön viel.“ Ich drückte die Zigarette in der Hälfte aus und schloss auf. Ich hatte Basti noch kurz angerufen und gesagt, dass ich bei meinen Eltern war. Meine Mum staunte nicht schlecht, als ich die Wohnung betrat und sie schien sich fast zu freuen mich zu sehen. „Ich wollte nur Jojo hochbringen. Bin dann auch gleich wieder verschwunden.“ Gerade, als ich die Tür zum Flur wieder öffnen wollte, hielt sie mich zurück. Ihre Hand lag auf meiner Schulter und ich drehte mich langsam um. „Willst du nicht wieder nach Hause kommen?“ „Ich weiß es nicht. Was habe ich denn davon?“ Meine Mum ließ ihre Hand sinken und sah mit dem gleichen traurigen Blick an, wie Jojo zuvor. „Vielleicht finden wir ja gemeinsam eine Lösung, wie es besser werden kann.“ „Solche Worte aus deinem Mund? Das ich das nochmal erlebe.“ „Bitte Lukas, ich meine es ernst. Hast du vielleicht einen Moment Zeit?“ Ich nickte und wir gingen ins Wohnzimmer. Irgendwie tat es gut wieder zu Hause zu sein. „Jojo hat erzählt, dass ihr euch oft streitet.“ „Ja, das stimmt. Ich glaube, dass euer Vater eine andere Frau hat. Ständig ist er unterwegs und kommt spät von der Arbeit.“ „Und warum erzählst du mir das?“ Sie sah mich noch immer traurig an. „Weil Johanna und du die einzigen in diesem Haus seid, denen ich noch vertrauen kann. Bitte Lukas, komm zurück. Ich will dich nicht verlieren.“ Sie schluckte und ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Meinte sie das wirklich ernst? „Ich ertrage das nicht mehr. Immerzu nur Streit und dann diese Ungewissheit, ob es dir gut geht und wo du gerade bist. Deinem Vater ist das wahrscheinlich auch jetzt noch egal, aber mir nicht.“ Sie sah mich die ganze Zeit an und ihre Augen wurden glasig. „Hast du dir wirklich Sorgen um mich gemacht?“ „Ja natürlich. Du bist doch mein Lukas und um meine Kinder mache ich mir eben Sorgen. Es ist so schlimm ohne dich. Ich weiß, dass ich noch sehr jung war, als du auf die Welt gekommen bist und ich habe auch nicht immer alles richtig gemacht, aber ich habe dich trotzdem lieb Lukas.“ Das Lächeln kam von ganz alleine auf meinem Gesicht. „Zwick mich mal, damit ich weiß, dass das kein Traum ist.“ „Kannst du nicht einmal ernst sein?“ „Tut mir leid. Ich komm nur zurück, wenn ich so bleiben darf, wie ich bin. Auch, wenn ihr es gut meint, will ich mich nicht verändern. Ich fühle mich anders nicht wohl, verstehst du? Ich will auch nicht wie Chris sein, weil er kein ehrlicher Mensch ist.“ „Du wirst es nicht glauben, aber ich denk, das habe ich verstanden. Ich möchte auch meinen Lukas wiederhaben und keinen anderen.“ Ich atmete tief ein und wieder aus. „Ich hab dich auch lieb, Mama und ich hoffe, dass du das ernst meinst.“ Dann nahm sie mich auf einmal in ihre Arme und jetzt weinte sie. Ich riss mich zusammen, weil ich ihr gegenüber nicht zu viele Gefühle zeigen wollte. Noch nicht. Dann fuhr sie mit mir sogar zu Basti, um meine Klamotten abzuholen. Mein Freund zwinkerte mir zu und signalisierte mir somit, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Jojo schlief schon, als wir zurückkamen und wir setzten uns noch bei einem Glas Rotwein ins Wohnzimmer. Hier war der einzige Ort, neben meinem Zimmer, in dem mein Vater ab und zu rauchte, deshalb zündete ich mir eine Zigarette an. Meine Mum sagte nichts dazu und stieß mit mir an. Sie schien wirklich einfach nur froh zu sein, dass ich wieder da war. „Ich habe auch schon länger die Vermutung, dass Papa irgendwie fremdgeht.“ „Dann ist es doch offensichtlicher als ich dachte. Er will es nur nicht zugeben. Wenn ich ihn darauf anspreche, weicht er mir aus oder macht mir Vorwürfe. Aber heute ist Sonntag und er wollte sich unbedingt zum Essen mit seinen Kollegen treffen.  Erst unternimmt er was mit seiner Tochter, damit es nicht so auffällt und dann geht er einfach. Ich werde noch verrückt.“ Ich nahm einen tiefen Zug und legte meinen Arm um ihre Schulter. „Ich mache dieses Theater schon viel zu lange mit“, sprach meine Mum weiter. „Aber, wenn ich ehrlich sein soll könnte ich es mir auch gut ohne ihn vorstellen.“ Plötzlich hörten wir, wie sich dir Tür im Flur öffnete und jemand herein kam. Mit schweren Schritten schlurfte er dem Licht im Wohnzimmer entgegen. Er sah sehr schick aus, mit weißem Hemd und dem hellblauem Schlips und dem Anzug. Lässig warf er seine Jacket über den Stuhl und schenkte sich auch ein Glas Rotwein ein. Meine Mum schaute ihn mit misstrauischem Blick an. „Wie war das Essen?“ Er zuckte mit den Schultern und lächelte. „Ganz okay. Ging halt ziemlich lange, aber das kennst du ja. Hallo Lukas, schön dich zu sehen.“ Heuchler. Dachte ich bei mir. „Ich muss Dienstag auf eine Geschäftsreise nach München. Voraussichtlich werde ich eine Woche unterwegs sein.“ „Ich frage mich, warum du nicht gleich ausziehst, wenn du sowieso nur unterwegs bist. Hast du mal an deine Familie gedacht?“, fragte meine Mum schroff. Mein Vater kippte den Wein runter und funkelte sie wütend an. „Schließlich bringe ich das ganze Geld ins Haus. Du mit deinem Bürojob verdienst nicht mal die Hälfte von dem, was ich einnehme! Und ohne mein Einkommen wäre es dir gar nicht möglich die Wohnung zu finanzieren.“ „Ich würde mir lieber einen Mann wünschen, der öfter zu Hause wäre, als einer der ständig vorgibt hart zu arbeiten. Mir steht es bis hier oben, Reiner. Wann gibst du endlich zu, dass du mich betrügst? Ich mache das nicht länger mit!“ Mein Vater war wie vom Blitz getroffen und sagte nichts. Dann lachte er. „Du bildest dir das alles nur ein Sabine. Gute Nacht, ich gehe jetzt schlafen.“ Meine Mum sah mich traurig an. „Es ist schon spät, wir sollten auch schlafen gehen.“ Ich trug die Gläser noch in die Küche und räumte sie in die Spülmaschine ein. Meine Mum stand in der Küchentür und lächelte mich an. Es machte mich unglücklich sie so zu sehen. Dann gab sie mir einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf schön.“ „Du auch.“ Ich putzte noch Zähne und ging hinauf in mein Zimmer. Es fühlte sich gut an wieder im eigenen Bett zu schlafen und es dauerte auch nicht lange, bis mir die Augen zufielen. Am nächsten Morgen quälte ich mich träge aus dem Bett und ich merkte, dass mir erheblich Schlaf fehlte. Mein Vater war schon weg und meine Mum war gerade dabei das Frühstück vorzubereiten. Jojo blockierte das Bad, also schenkte ich mir Kaffee ein, um wach zu werden. Meine Mum kniff mir in die Wange und lächelte mich an. „Was soll’n das jetzt?“ „Ich freu mich nur so.“ Jojo kam und ihre Augen strahlten, als sich mich da im Bademantel stehen sah. Ich holte meine Klamotten aus dem Zimmer und sprang unter die Dusche. Es fiel mir nicht schwer, mich wieder an mein altes Leben zu gewöhnen und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, stellte ich fest, dass ein wenig Luxus ja nicht schadete.   Nici hatte mich letztendlich doch überreden können, ihr noch eine Chance zu geben und ich konnte es kaum erwarten sie meiner Mum richtig vorzustellen. Endlich war der Mittwoch gekommen. Meiner Mum hatte ich gesagt, dass ich meine Freundin heute nach der Schule mit nach Hause bringen würde und irgendwie fand ich das sogar ein bisschen aufregend. Ich hatte Nici nichts erzählt, doch sie staunte nicht schlecht, als ich sie freudestrahlend und gut gelaunt von der Schule abholte. Ich schnippte den Zigarettenstummel weg und gab ihr einen Kuss. Ich fühlte mich so gut und lebendig wie schon lang nicht mehr. Nici schaute mich leicht irritiert an. „Hab ich was verpasst? Wo ist mein mürrischer, deprimierter Lukas hin?“ Ich lachte und nahm ihre Hand. „Ich glaub den bekommst du so schnell nicht wieder zu Gesicht.“ „Gibt es einen Grund dafür?“ „Allerdings und den wirst du auch gleich kennenlernen.“ Jetzt hatte ich sie wohl völlig aus der Fassung gebracht, doch sie fragte nicht weiter. Als wir durch den Park schlenderten, von dem mein Haus nur noch einen Katzensprung entfernt lag sagte sie: „Na, diese Gegend kommt mir doch sehr bekannt vor. Bist du sicher, dass du hier hin willst?“ „Ganz sicher.“ Ich zog den Haustürschlüssel aus meiner Jackentasche und öffnete die Tür. „Willst du mir eigentlich endlich mal sagen, was los ist?“ Ich gab ihr noch einen Kuss. „Okay. Ich habe mich am Sonntag mit meiner Mum ausgesprochen, naja und jetzt wohne ich wieder zu Hause.“ „Wow. Das ich das noch mal erlebe. Heißt das, du bist in Zukunft immer öfter glücklich?“ „Ich denk schon.“ Sie lächelte mich an und ich erwiderte es. Meine Mum erwartete uns schon und mein Schwesterchen war auch da. Die beiden kochten etwas Schönes zum Mittagessen. Es verlief alles relativ ruhig und wir hatten unseren Spaß. Jojo erzählte, dass sie in der Schule ein Diktat geschrieben hatte und es wahrscheinlich gut ausgefallen sein würde. Meine Mum fragte mich auch, was es bei mir so Neues in der Schule gäbe. Ich überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern. „Nichts Besonderes. Klappt alles ganz gut.“ Sie lächelte mich an und schien zufrieden mit meiner Antwort zu sein. Dann sprach ich ein Thema an, was mir schon längere Zeit im Kopf umherging. Und früher hätte ich es ohne Wiederrede gemacht, ohne meine Eltern um Erlaubnis zu fragen, doch da mein achtzehnter Geburtstag ohnehin nahte, stellte ich ihr die Frage. „Du Mama, ich habe doch bald Geburtstag.“ Jetzt zog sich ihre Stirn in Falten. „Na, wenn du schon so anfängst, kann doch nichts Gutes dabei rauskommen“, bemerkte sie eher scherzhaft. „Naja, ich würde gerne noch ein Tattoo haben und das könntest du mir ja schenken.“ Sie grinste mich an. „Sag ich ja. Ich denk mal drüber nach.“ Ich grinste zurück. Später sprach mich Nici in meinem Zimmer darauf an. „Hast du nicht gesagt, du willst dir keins mehr stechen lassen?“ „Naja, irgendwie will ich doch. Ich glaub, wenn man einmal damit begonnen hat, wird man süchtig danach.“ „Und wohin?“ Geheimnisvoll zuckte ich mit den Schultern und lächelte. „Lass dich überraschen.“ „Und was ist, wenn es mir nicht gefällt?“ „Dann hast du Pech gehabt, ich muss mir doch gefallen.“ Nici boxte mich in die Seite. „Du bist echt egoistisch. Naja, eigentlich habe ich nichts gegen tätowierte Jungs. Kann sogar ganz sexy aussehen.“ „Siehst du.“ Wir erledigten beide unsere Hausaufgaben bei mir und dann tranken Kaffee. Alles war so schön und harmonisch, ich konnte es selbst noch nicht richtig fassen. Nici fand meine Mum sehr sympathisch. „Meinst du, dass ihr jetzt alle Missverständnisse aus dem Weg geräumt habt?“ Ich zündete mir eine Zigarette an und hockte mich auf die Fensterbank. „Denk schon. Ich hoffe halt echt, dass ihr das so ernst ist, wie mir. Aber ich habe festgestellt, dass man mit ihr besser reden kann, als mit meinem Vater. Man könnte fast denken, dass sie zu vielen Dingen nur so konservativ eingestellt war, weil er es von ihr verlangte. Eigentlich ist sie ne coole Mum.“ Nici küsste mich auf die Wange. „Man merkt, dass sie dir gefehlt hat. Ich glaube ihr zwei macht das schon.“   Kapitel 8: No Name ------------------   Meine Mum tat sehr geheimnisvoll und ich werte das als gutes Zeichen. Eigentlich liebte ich es, meinen Geburtstag zu feiern, nicht wegen der Geschenke, sondern, weil ich älter wurde. Nun war ich achtzehn und in einem Jahr hatte ich diese grauenvolle Schule hinter mir. Was dann kam, wusste ich nicht, aber ich wusste, dass ich ausziehen wollte. Auch, wenn es gerade gut lief, wollte ich auf eigenen Beinen stehen. Meine Zimmertür wurde aufgerissen und Jojo kam in mein Bett gesprungen. Sie umarmte mich und überhäufte mich mit Küsschen. „Happy Birthday to you, happy Birthday to you, happy Birthday lieber Lukas, happy Birthday to you.“ „Danke du kleines Monster…jetzt muss ich wohl oder übel aufstehen, was?“ Mein Schwesterchen nickte. Auch meine Mum empfing mich liebevoll in der Küche und ich bekam tatsächlich meinen Tattoogutschein. Das hätte ich fast nicht für möglich gehalten. Später, nach der Schule trafen wir uns alle am Proberaum, weil ich beschlossen hatte, dort ein bisschen zu feiern. Es wurde eine gemütliche Runde. Von Nici und meinen Freunden bekam ich Karten fürs WGT, worauf ich mich voll freute, denn da hatte ich schon immer mal hingehen wollen und dieses Jahr waren echt coole Bands dabei. Tim zog mich zur Seite und flüsterte mir zu, dass er etwas ganz Besonderes für mich hätte. Dann zog er ein Tütchen mit weißem Pulver hervor und schien sich wie ein Zauberer zu fühlen, der so eben einen ganz tollen Trick vorgeführt hatte. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. „Das mein Kleiner ist reines schneeweißes Koks…nur für dich…wollen wir?“ Ich musste grinsen. „Auf jeden Fall…“ Flo bekam selbstverständlich auch etwas ab und ich war ein bisschen aufgeregt. Natürlich machte ich den fatalen Fehler, dass ich mich nebenher noch völlig betrank. Scheinbar eine positive Wirkung von Koks ist, dass man das Gefühl dafür verliert, wann man aufhören sollte zu trinken. Ich fühlte mich hellwach, überaus selbstbewusst und war der coolste Typ der Stadt. Wir gingen danach noch ins Underground feiern. Ich tanzte sogar, was ich sonst nie tat, doch heute schien ein guter Abend dafür zu sein. Nici gefiel es auch, denn sonst musste sie meist ohne mich das Tanzbein schwingen. Ich war mir auch nicht sicher, ob sie es ignorierte oder tolerierte, dass ich mich heute so berauschte. Oder sie sah endlich ein, dass ich das eben nur ab und zu tat. Wir küssten uns ich drehte sie. „Geht’s dir gut?“ Ich nickte und küsste sie wieder. „Klar.“ Als die Sisters of Mercy mit Temple of Love kamen, flippte ich voll aus und rockte die Tanzfläche. Auf einmal spürte ich eine Hand auf meinem Hintern und drehte mich um. Flo grinste mich an und war mindestens genauso dicht wie ich. Er tanzte mit uns und ich fühlte mich einerseits noch mega fit, aber mein Körper schien langsam an seine Grenzen zu kommen und ohne das Koks hätte ich wahrscheinlich nicht mal mehr stehen können. Die Securities mussten uns aus dem Club werfen und wir torkelten nach Hause. Ich fand irgendwie keinen Schlaf und baute mir noch einen Joint. Als ich mit einem mordmäßigen Kater wieder aufwachte, wollte ich sterben. Das ticken meines Weckers klang wie ein Hammer auf Metall in meinem Kopf und ich presste mein Kissen aufs Gesicht. Doch ich musste unbedingt Wasser trinken, also quälte ich mich aus dem Bett, schlüpfte in meinen Bademantel und hoffte, dass mich keiner sah. Im hinteren Schrank in der Küche, wo meine Mum Medizin aufbewahrte, fand ich sogar Kopfschmerztabletten. Ich kippte zwei Gläser Wasser runter und zuckte erschrocken zusammen, als ich einen Schatte hinter mir bemerkte. Das Hämmern in meinem Kopf wurde schwächer. „Na, wie ich sehe, hast du deinen Geburtstag ordentlich gefeiert. Ich wünsche dir noch alles Gute.“ Langsam wurde ich wieder klarer. „Was willst du denn hier? Wolltest du nich zu deiner Tussi gehen?“ „Ach du weißt es noch gar nicht“, stellte er mit einer Mischung aus Belustigung und Hohn fest. „Weißt du Lukas, wir haben uns noch Mal unterhalten. Deine Mutter hat mir verziehen. Jeder macht Fehler oder? Ist das nicht ein tolles Geschenk…deine Eltern sind wieder vereint.“ Mir wurde augenblicklich schlecht. Wie konnte mir meine Mum das nur antun? War sie es nicht leid von meinem Vater tyrannisiert zu werden? Was hatte er ihr erzählt? Als hätte sie es gewusst, kam meine Mum zu uns in die Küche. Sie umarmte mich, doch ich warf ihr einen zornigen Blick zu. „Ist das dein Ernst Mama?“ „Lukas, Schatz. Ich dachte das ist das Beste für Johanna und dich. Wir wollen, dass ihr in einer Familie aufwachst, die nicht zerrüttet ist. Freust du dich denn nicht?“ Ich sah meine Eltern verständnislos an. „Ob ich mich freue? Wollt ihr mich eigentlich verarschen? Erst heulst du rum Mama, dass er dich betrügt und dann is alles wieder gut oder wie? Hat er dich mit Diamanten bestochen?“ Meine Mum lächelte etwas verlegen und dann sah ich die Perlenkette um ihren Hals. Ich schüttelte nur mit dem Kopf. „Es tut mir wirklich leid Lukas und ich möchte, dass wir noch mal von vorne anfangen. Du kannst endlich normal werden…ich bezahle dir auch deinen Führerschein, wenn du willst und wir werden eine glückliche Familie.“ Ich kam mir vor wie in einem schlechten Film. „Nen scheiß werd ich…Mama, du hast gesagt, dass du zu mir hältst…willst du das wirklich?“ Erneut versuchte sie mich zu umarmen, doch ich wich einen Schritt zurück. „Schatz so ist es für uns alles das Beste.“ „Nein, nein, nein!!! Ich will das nich…ich war so dumm zu glauben, dass wir uns verstehen könnten…zum hundertsten Mal, ich hab kein Bock auf diese normale Scheiße…“ Mein Vater holte aus und knallte mir eine, wie immer, wenn er nicht mehr wusste, was er sagen sollte. Ich drängte mich an meinen Eltern vorbei und zog mich an. Wie hatte ich auch glauben können, dass es tatsächlich besser wird? Doch dieser Rückschlag brachte mich sehr nah an die äußerste Grenze. Wieder versuchte ich auf meine Gefühle zu hören, mich davon leiten zu lassen und wurde bitter enttäuscht. Daraus lernte ich niemandem zu vertrauen, weil das schmerzte. Langsam schleichend breitete sich in meinem Inneren diese Dunkelheit aus und je mehr ich dagegen kämpfte, desto stärker schien dieses Gefühl zu werden. Mein einst so eiserner Wille war gebrochen und ich wurde dieses dumpfe Gefühl nicht los, dass es immer unmöglicher wurde, diese Verletzung überhaupt heilen zu können.     „Heut so früh, wie kommt das denn?“, fragte meine Mum, als ich zur Tür hereingeschneit kam. Sie versuchte immer noch die Situation irgendwie zu retten und redete mit mir, als sei alles normal. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Basti hat vor wenigen Minuten angerufen. Schien sehr wichtig zu sein und du sollst ihn unbedingt zurückrufen.“ Ich nahm das Telefon mit in mein Zimmer und wählte Bastis Nummer. Gleichzeitig fragte ich mich, was es wohl so Wichtiges wollte? Es klingelte. „Ich bin’s, Lukas, sollte dich noch mal anrufen!“ „Ja hast du mal so in einer halben Stunde Zeit? Kannst du vorbeikommen!“ „Klar! Bis dann!“ Basti hörte sich echt traurig an. Was wohl passiert war? Hoffentlich nichts Schlimmes. „War ja ein kurzes Gespräch, was wollte er denn so Wichtiges?“ „Das geht dich ja wohl am Wenigsten was an! Ich bin dann mal bei Basti.“ „Oh Entschuldigung, wenn du schlechte Laune hast, aber bitte lasse sie nicht an mir aus! Wann bist du zurück?“ „Keine Ahnung.“ Ich verschwand kurz in meinem Zimmer, zog eine Jacke über und machte mich auf den Weg zu meinem Freund. Mike öffnete mir die Tür. Auch er wirkte sehr angeschlagen. Basti kauerte auf seinem Bett und zum ersten Mal in meinem Leben sah ich ihn weinen. Ich setzte mich zu ihm. „Hey, was‘n passiert?“ „Mein Dad…e-r er hat sich umgebracht. Einfach so. Wahrscheinlich ist er selbst nicht mehr mit seinem Leben klargekommen…“, schluchzte er und wirkte völlig hilflos. Basti wäre der Letzte gewesen, dem ich das gewünscht hätte. Traurig schaute er mich an und ich nahm in die Arme. Das war wohl auch das Einzige, was ich im Moment für ihn tun konnte. „Hast du’s eilig?“, fragte er mich. Ich schüttelte den Kopf und Basti lehnte sich an meine Schulter. „Kann ich dir was Gutes tun?“ Er schüttelte den Kopf. „Flo hab ich auch angerufen, aber er ist nicht ans Handy gegangen. Lukas, danke, dass du da bist.“ Ich schrieb Flo, dass er seinen Arsch zu Basti bewegen sollte und tatsächlich, etwa zwanzig Minuten später klingelte es und Flo kam in Bastis Zimmer. Wir saßen nur zusammen und waren bei ihm, denn viel mehr konnten wir gerade nicht tun. Es tat mir so unendlich leid und auch Flo warf mir immer wieder traurige Blicke zu. Wir übernachteten bei Basti und am nächsten Morgen ging ich mit Flo zur Schule. Basti blieb zu Hause, konnte man ihm schließlich nicht verübeln. „Was is das nur für’n verdammter Dreck…ausgerechnet Basti…fuck.“ Ich nickte nur und zündete mir eine Zigarette an. „Müssen nich immer die Unschuldigen dran glauben? Was für eine abgefuckte Welt und wir sind mitten drin…schauen wir später noch Mal bei ihm vorbei?“ „Auf jeden Fall…am liebsten würde ich heute blau machen und mich voll wegballern.“ Ich legte meinen Arm freundschaftlich um Flos Schulter. „Heut nich, hab grad genug Stress zu Hause…“ „Ohh ausgerechnet heute lässt du den Moralapostel raushängen…Mann Lukas…okay, dann gehen wir halt.“ Ich grinste selbstgefällig.     Meine Mum saß im Wohnzimmer. Ihre Augen waren gerötet und sie sah so aus, als hätte sie die Nacht wenig Schlaf gefunden. Ich begrüßte sie flüchtig und wollte auf mein Zimmer. „Das ist doch wohl nicht dein ernst! Bist die ganze Nacht wer weiß wo und jetzt nicht mal eine Erklärung?“, fuhr sie mich an. „Ich war bei Basti, hab ich doch gestern gesagt…sein Dad hat sich das Leben genommen.“ Meine Mum hielt kurz inne. „Das tut mir leid. Hättest du nicht trotzdem kurz Bescheid geben können?“ „Hatte mein Handy nicht parat, sorry.“ Plötzlich sprang sie auf wie eine Furie. „Du beschwerst dich immer, dass sich keiner von uns für dich interessiert, doch tue ich es mal, ist es auch falsch? Lukas was soll ich denn noch machen?“ Ich schluckte dieses unschöne Gefühl hinunter. „Kannst du dich an neulich erinnern, als wir so nett im Wohnzimmer saßen? Du hast mir versprochen, dass sich alles ändern wird und was ist passiert? Nichts, außer dass ihr euch wieder vertragen habt und ich wieder der Arsch bin. Aber hey, schon okay…ich kann‘s mir auch gar nicht mehr anders vorstellen.“ „Das stimmt doch nicht“, versuchte sie die Situation zu retten, doch innerlich wusste auch meine Mum, dass ich recht hatte. Lange sagte sie nichts. „Wo ist Jojo eigentlich?“, unterbrach ich das Schweigen. „Bei Eileen.“ Sie schaute mich nicht einmal mehr an. Wieso musste das ausgerechnet Basti passieren? Und hatten wir nicht schon zur Genüge Gespräche von dieser Sorte hier geführt? „Ich dachte gerade in der Weihnachtszeit kommst du auch mal wieder mehr auf mich zu.“ Sie sprach weiter. „Ich meine, ich habe ja nichts gegen deine Freunde, aber so langsam muss deine Gruftiphase doch auch mal enden oder nicht?“ Die alte Leier schon wieder. Ich konnte es einfach nicht mehr hören. „Komisch, neulich fandest du es doch okay. Entscheide dich endlich mal was du willst, okay?“ „Ich dachte ich kann dich änder indem ich dein Vertrauen gewinne.“ „Guter Plan, scheint aber nicht so ganz funktioniert zu haben.“ „Lukas, ich liebe dich…doch du machst mir Angst. Manchmal hat es sogar den Anschein als wäre alles Leben aus dir gewichen.“ Ich schwieg eine Weile und erkannte, dass es zwecklos war mit ihr darüber zu reden. Sie hatte sich verstellt und gab es jetzt offen zu. In ihren Augen war ich ein Monster. „Immerhin warst du ehrlich aber sorry, ich werde deiner Bitte nich nachkommen.“ Darauf erwiderte sie nichts und sah mich nun wieder mit diesem vorwurfsvollem Blick an.  Einen Tag später. „Ey Flo, kommst du heut Abend mit hoch zu Tim?“, fragte ich meinen Freund nach der Schule. Basti war noch immer zu Hause und würde diese Woche sicher auch nicht mehr kommen. „Klar!“ „Bringst du Nici auch mit?“ „Ja klar, sie wollte sowieso mitkommen. Muss erst mal kurz nach Hause.“ „Kommst du halb acht bei mir vorbei, dann holen wir Nici ab.“ „Jo, bis denne!“ Meine Laune wurde nicht gerade besser, als ich nach Hause schlenderte und diesen grauen PKW vor unserem Haus erblickte, der dem Arbeitskollegen meiner Mum gehörte. Ich ahnte schon seit geraumer Zeit, dass zwischen den beiden was lief und das war auch nicht, was mich störte. Stimmen drangen aus dem Wohnzimmer zu mir und ich schlich näher heran, um etwas verstehen zu können. „Ich weiß, dass der Zeitpunkt nicht gerade günstig für dich ist Sabine, aber versuchen können wir es doch. Ich sehe dich doch täglich an der Arbeit und so kann das nicht weitergehen.“ „Aber Klaus. Der Zeitpunkt könnte nicht perfekter sein, ich meine Rainer ist nie da, weil er selbst mit seiner Geliebten unterwegs ist und die Kinder? Naja…mein Sohn Lukas…der wohnt schon fast nicht mehr zu Hause, hat da was eigenes und ist auch viel beschäftigt, weißt ja, die Jugend von heute.“ „Hast du nicht mal erzählt, dass es schwierig mit ihm ist?“ Eine kurze Pause trat ein. Ich war gespannt was sie antwortete. „Ja, ich möchte ehrlich zu dir sein…Lukas ist ein schwieriges Kind…früher war er so lieb, doch jetzt…ich weiß nicht, was passiert ist, denn auf einmal treibt er sich nur noch bei seinen Freunden rum, raucht und trinkt. Wer weiß, was er noch tut. Ich hoffe du musst keine Bekanntschaft mit ihm machen, es würde dich wahrscheinlich schockieren. Immer war ich bemüht eine gute Mutter zu sein, doch bei ihm habe ich versagt. Lukas scheint all das zu verkörpern, was ich verachte.“ Ich hörte meine Mum tief seufzen. „Dazu kann ich wenig sagen, aber es klingt so, als hättest du ihn aufgegeben.“ „Ja, das habe ich.“ Sie lehnte sich an Klaus Schulter. „Ich habe mich schon lange nicht mehr so geborgen gefühlt, wie in deiner Nähe.“ Das reichte. Ich musste hier weg, das war einfach zu viel für mich. In meinem Zimmer ließ ich mich auf meinem Sofa nieder und musste auf diesen Schock erst Mal eine rauchen. Ich zitterte am ganzen Körper und mein Gehirn war unfähig auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Das, was ich da gehört hatte warf mich völlig aus der Bahn und ich konnte nicht länger stark sein. Die ganze Zeit über war ich immer nur verwundet gewesen, doch mit der Option geheilt zu werden. Nun nicht mehr, denn einem verwundeten Raubtier sollte man ja auch nie zu nahe treten, weil es durch den Schmerz noch aggressiver und gefährlicher wurde. So fühlte ich mich gerade. Mir war klar, dass meine Mum solche Dinge niemals in meinem Beisein sagen würde, denn vielleicht ahnte sie, was das in mir verursachte. Doch konnte sie überhaupt so weit denken? Konnte jemand, der mit Worten solchen Schaden anrichtete überhaupt etwas fühlen? Ich drehte meine Musik lauter. In mir staute sich diese furchtbare Wut an, die ich kaum zügeln konnte. Ich betrachtete mein Spiegelbild in dem kleinen Wandspiegel, der an den Holzdielen zwischen Bett und Sofa hing und versuchte mir vorzustellen, wie ich wohl ohne Piercings aussehen würde. Ich entfernte sie aus meinem Gesicht und schaute mich wieder an. Irgendwie fand ich es hübsch, aber irgendwie fehlte mir auch etwas. An den Stellen, die mein Körperschmuck zuvor geziert hatte, blieben kleine Löcher zurück. Und genau diese kleinen Löcher machten mich unvollkommen, ließen mich schwach wirken. Doch genau, wenn ich das tat, meine Identität aufgab, konnte ich mir die Liebe meiner Eltern erkaufen. Wütend und am Boden zerstört schlug ich auf mein Spiegelbild ein, weil ich so nicht sein wollte. Ich mochte mich und meine Freunde, ich mochte die Szene und dafür hassten mich meine Eltern. Mit der Spiegelscherbe in meiner Hand wirkte ich schon fast furchteinflößend. Dieser Schmerz sollte verschwinden, ich wollte nichts mehr fühlen. Das Blut floss langsam meinen Oberkörper herab, als ich die Scherbe oberhalb meiner Brust ansetzte. Mein nächster Schnitt wurde noch etwas tiefer. Das Spiegelstück in meiner Hand hatte sich auch blutrot verfärbt und ich fühlte mich betäubt. Die Worte hallten noch immer in meinem Kopf und meine Brust pulsierte vor Schmerz. Ich wollte mich keinesfalls umbringen, doch sollte sie sehen was ihre Worte anrichteten. Außerdem fügte ich mir Schmerzen zu, um an meine Grenzen zu kommen, ich konnte mich nicht mehr spüren, doch der Schmerz und fließende Blut machten dies wieder möglich. Ziemlich krank. Ja, so begann die harmonische Weihnachtszeit doch perfekt. Immer schwärmte Nici von meinem perfekten Körper, aber was würde sie sagen, wenn er nun mit Narben übersät war? Ich konnte dieses Gefühl nicht lange unterdrücken und der Schmerz, die Enttäuschung und die Wut übermannten mich. Völlig verzweifelt und mit blutigen Händen sank ich zu Boden und blieb liegen. Wissend, dass meine Mum gerade solche Dinge über mich gesagt hatte. Ich glaubte sie noch immer reden zu hören und drehte die Musik noch lauter. Mit zittrigen Bewegungen bekam ich meine Piercings wieder rein. Ich konnte die Gefühle noch immer nicht abstellen und war kurz vorm Durchdrehen. Irgendwas musste ich doch tun können? Noch mehr Blut? Noch mehr Verstümmelung? Was spielte es noch für eine Rolle. Also ritzte ich mir noch fuck you in den Arm. Unter meinem Bett fand ich noch verborgene Schätze- Whisky und Speed für ganz besondere Tage und welcher Tag würde besser werden als der heutige. Betäubt von den Schmerzen hockte ich noch immer auf dem Boden und bekam erst gar nicht mit, dass jemand in mein Zimmer trat. Meine Mum schlug die Hand vor den Mund, als sie mich erblickte. „Lukas…was hast du getan? Bist du völlig von Sinnen? Oh mein Gott, ich muss den Notarzt holen!“ „Keine Sorge, das musst du nich…ich bin ein bisschen enttäuscht. Eigentlich dachte ich, du bist beeindruckt, weil ich dein Klischee erfülle…ist das fuck you etwa zu übertrieben? Das tut mir leid, beim nächsten Mal gebe ich mir mehr Mühe.“ „Um Himmels Willen, was ist bloß in dich gefahren?“ Ich trank einen großen Schluck und schaute sie nachdenklich an. „Mhh mal überlegen…vielleicht liegt es an eurem aufklärenden Gespräch vorhin…nur hätte ich mir wenigstens gewünscht, dass du den Arsch in der Hose gehabt hättest mir das persönlich zu sagen…naja wobei, das hast du ja, weil ich dabei war und jedes einzelne Wort mitbekommen habe…“ Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen. „Jetzt lass mich deine Verletzungen verarzten…“ „Wage es nich mich anzufassen…die kannst du ohnehin nich heilen…“ Ich trank noch einen Schluck und setzte die Spiegelscherbe ein letztes Mal an. Meine Mum kreischte hysterisch. „Lukas hör auf, ich hab dich verstanden!“ „Nein, hast du nich! Weil ich dir egal bin! Weißt du warum du dich gerade so aufführst? Weil du die Wahrheit nich erträgst…du bist frustriert, dass du nich mit meinen Heldentaten prahlen kannst wie andere Mütter und deshalb machst du mich vor anderen schlecht. Ich bedeute dir nichts, doch wenn ich dir vor Augen halte, was das Resultat deiner Taten ist, erträgst du es nich…komisch.“ „Was ist nur aus dir geworden.“ „Das was du aus mir gemacht hast.“ Tränen rannen über meine Wangen. Ich drehte ihr den Rücken zu, verschwand im Bad, um das Blut von meinen Händen zu waschen und eilte auf schnellstem Weg zu Tim. Ich hatte Nici unterwegs noch eingesammelt, jedoch wechselten wir kaum ein Wort. Bei Tim war wenigstens gute Stimmung und trotz Nicis Anwesenheit lehnte ich den Joint nicht ab, der gerade die Runde machte. Sie sah mich enttäuscht an. Ich saß mit Tim und Nici auf der großen Couch, Flo und die anderen auf dem kleinen Sofa. „Lukas, willst du noch was trinken?“ Alkohol mit Gras knallte richtig und genau das, was ich jetzt brauchte. Er reichte mir die Whiskyflasche. Ich nahm noch einen Zug von Tim seiner Zigarette, weil ich wusste, dass er in die Selbstgedrehten noch etwas hineingemischt hatte. So bekam es Nici wenigstens nicht direkt mit. Doch fühlte ich mich zwischen den beiden wie eingequetscht, deshalb schnappte ich mir Tims Gitarre, hockte mich auf den Boden und spielte ein bisschen darauf. Mir wurde es zu warm und ich zog meinen Pulli aus, ganz vorsichtig und mir war in diesem Moment sowas scheißegal, dass ich meine Verletzungen offen zur Schau stellte. Die Schlimmeren verdeckten mein Tanktop. Entweder fiel es tatsächlich keinem auf oder sie ignorierten es, sollte mir beides recht sein. Nach einer Weile ging Nici auf den Balkon. Ich folgte ihr, weil ich irgendwie ein schlechtes Gewissen hatte. Sie stand mit dem Rücken zu mir. Ich legte meine Arme um ihre Hüften und küsste sie zärtlich am Hals. „Gehen wir dann noch mal zu dir? Ich hab keine Lust mehr zuzugucken, wie die sich alle besaufen!“ „Bist du mir sauer, weil du jetzt so schnell abgehauen bist?“, fragte ich. „Ich finde es schon ziemlich krass, deshalb möchte ich auch nicht unbedingt, dass du noch länger hier bleibst! Ich kann echt nicht mehr mit ansehen, wie du dich mit diesem Scheiß zudröhnst, das macht mich echt total fertig!“ Ihre Stimme klang zittrig. Ich fühlte mich mieser denn je, weil mir meine Situation wieder bewusst  werden ließ, dass Nici das niemals verstehen konnte. „Weißt du Lukas, ich liebe dich, wirklich, aber ich kann einfach nicht mit ansehen, wie du dich damit so kaputt machen kannst! Was bringt dir das denn, kannst du mir das mal verraten? Und damit meine ich alles…auch das“, rutschte es ihr verzweifelt heraus und sie zeigte auf meinen Arm. „Das ist eben meine Welt und ich habe dir von Anfang gesagt, dass es vielleicht nicht ganz einfach wird!“ „Mhh, vielleicht!“ Ich schwieg und wünschte mir, dass sie meine Welt akzeptierte. Eher ungewollt zuckte ich zusammen, als ihre Finger über meine Brust strichen. Der Stoff rieb etwas an den Verletzungen und sicher würde Nici ausflippen, wenn sie das sah. Skeptisch beäugte sie mich und als sie ein weiteres Mal über meine Brust streichen wollte, ergriff ich ihre Hand. „Du Nici, ich kann die Nacht nicht wieder nach Hause. Das muss ich mir jetzt nicht auch noch geben.“ „Aber bis vor kurzem schien doch alles in bester Ordnung…wir können ja auch zu mir“, schlug sie vor. Ich sah sie nachdenklich an, schüttelte aber dann den Kopf. „Ich meine damit, dass ich noch hier bleiben möchte. Ich kann gerade nirgendwo anders sein.“ Jetzt sah ich die bittere Enttäuschung in ihrem Blick. Sie kämpfte mit den Tränen. Kurz überlegte ich tatsächlich, ob ich ihr alles erzählte, doch irgendwas hielt mich zurück. „Okay, schön, dann bleib halt hier. Ich geh jetzt“, zickte sie mich an, doch ich hatte gerade keinen Nerv dagegenzuhalten und ließ sie ziehen. Flo schaute mich fragend an, als ich wieder zurück kam, doch ich zuckte nur mit den Schultern. Er zitierte mich zu sich. „Fuck you?“, nickte er in Richtung meines Arms. „Der Spiegel war im Weg.“ „So schlimm?“ Ich nickte nur und öffnete mir noch ein Bier. „Nur am Arm?“ Ich verneinte seine Frage mit einem Kopfschütteln. Er fluchte leise und nahm mich in seine Arme. Ohne, das die anderen viel davon mitbekamen, schob er den Stoff meines Tops ein wenig zur Seite, um das Ausmaß meiner Wut zu begutachten. Das Gute bei Flo war, dass ich mich nicht erklären musste. Irgendwann schlief ich ein und als ich erwachte, hockte Flo auf dem anderen Sofa und baute sich schon wieder einen Joint. Draußen prasselte der Regen aufs Dach. Tim schien sich auch ins Bett verabschiedet zu haben. Ich hatte keinen Bock nach Hause zu gehen und zu Nici wollte ich auch nicht, da sie nach dem gestrigen Abend sicher nicht so gut auf mich zu sprechen war. „Ey, das war gestern echt zu hart für mich…ich frage mich ernsthaft, was in meinem Leben falsch gelaufen ist.“ „Du bist ein böser Grufti, das ist schief gelaufen“, bemerkte Flo eher so nebenbei und befeuchtete das Longpape. Ich hielt das alles einfach nicht mehr aus. Da war es schön, wenn man jemanden hatte, der für einen da sein konnte. „Und was soll ich dagegen tun, wie hältst du das aus?“ „Keine Ahnung. Mir ist das mittlerweile egal geworden. Ich versuche auch nicht darüber nachzudenken.“ Flo wirkte nicht so, als würde er seine Worte wirklich so meinen. „Bleiben wir noch ein bisschen hier?“, fragte ich. „Klar, immerhin is das besser als daheim.“ Ich hatte morgen echt keinen Bock in diese dumme Schule zu gehen und Flo ging es nicht anders. „Was machen wir morgen?“ „Ich hab voll Bock zum See zu fahren oder so?“ „Klar, warum nich! Bisschen Eis baden oder was!“ „Okay! Schon klar, dass wir damit bis zum Sommer warten. Winter kotzt mich voll an und noch viel ätzender find ich, dass bald Weihnachten is…was machst du da?“ „Kein Plan…mich bei Tim abschießen oder so. Auf jeden Fall nich zu Hause verbringen…“ „Dann steht das ja…perfekt.“ „Ich geh dann mal. Will doch noch bei Nici vorbei!“   Nici und ich trafen uns im verschneiten Park und zogen Richtung Jugendclub weiter. Dort waren wir fast alleine. Meine Freundin war noch immer mies gelaunt. „Wie war’s gestern noch?“, fragte sie mit belegter Stimme. „Hast nicht viel verpasst, haben noch‘n bisschen geredet und ich bin irgendwann eingepennt.“ „Warst du die Nacht gar nicht zu Hause?“ Ich schüttelte den Kopf und zündete mir eine Zigarette an. „Nee, was soll ich da auch!“ „Aber neulich habt ihr euch doch so gut verstanden?“, warf sie ein. Ich lehnte mich zurück. „Ja, aber das war nur von kurzer Dauer.“ Nici seufzte und schmiegte sich an mich. Sie machte meine Jacke ein Stück auf und küsste mich am Hals, ihre Hände waren angenehm warm und ihre Berührungen zärtlich. „Es könnte so schön mit uns sein“, sagte sie irgendwie traurig. Ein gequältes Lächeln umspielte meine Lippen. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass du das nicht tun musst. Ich meine, was bringt dir das Nici?“ „Ich will einfach mit dir zusammen sein, weil…ich dich sehr mag!“ „Dann gehörst du wohl zu den wenigen Menschen, die das tun!“ „Warum auch nicht? Jetzt lach doch wenigstens ein bisschen.“ „Ich kann nicht mehr lachen“, erwiderte ich und nahm ihre Hand. „Kommst du dann so gegen um acht noch mal zu mir?“, fragte ich ganz lieb. „Na sicher. Aber nur,  wenn ich bei dir schlafen darf!“ Sie sah mich verführerisch an. „Ich wüsste nichts, was dagegen spricht!“, gab ich zur Antwort. „Dann bis später und zoffe dich nicht wieder mir deiner Mum!“   Bei Lukas zu Hause. „Wo warst du denn so lange?“ Ich erwiderte nichts, ging auf mein Zimmer und aus Provokation knallte ich die Tür zu. Nach wenigen Minuten kam meinen Mum dann doch hereingeschneit. „Ich habe dich was gefragt!“, sagte sie scharf. Ich zündete mir eine Zigarette an, weil ich wusste, dass sie das störte. „Da wo ich immer bin okay? Und wo ist dein Klaus heut?“ „Mein Gott, Lukas, wir wollen doch nicht gleich heiraten. Wir haben uns einfach nur gern.“ Wenn ich so was schon hörte: Wir haben uns einfach nur furchtbar gern. „Das ist ja schon schlimm genug! Mit allen kommst du klar nur nicht mit mir, ich frage mich, was ich verbrochen habe.“ „Du tust ja ganz so, als ob Klaus etwas zerstören will! Und außerdem was sollte das gestern, wolltest du dich umbringen?“ „Wie du siehst hat es leider nich geklappt. Ich meine ich verstehe, wenn du nicht mehr mit Papa zusammen sein willst, aber du gehst davon aus, dass es für mich und für Jojo selbstverständlich is. Dieses hin und her, zusammen oder nicht. Jojo nimmt das übel mit!“ „Und sei doch nicht so sarkastisch. Ich habe dir doch gesagt, dass du sein darfst, wie du willst.“ „Ach wirklich? Jetzt auf einmal wieder? Neulich noch hast du mir erzählt, dass du das nicht ernst gemeint hast, also red keinen Mist. Weißt du, es ist mir echt scheißegal, mit wem du dich hier vergnügst, nur rede mit deiner Tochter darüber! Und tue nicht so, als würdest du auf einmal auf meiner Seite stehen. Ich bin nicht blöd.“ Mir rollten die Tränen über die Wangen. „Oh Lukas, wie tief bist du nur gesunken? Willst du deinen Spiegel nicht austauschen? Oder gehört das jetzt zu deinem Alltag? Dich selbst zu verletzen?“ „Ich hab nur versucht normal zu sein, doch das ertrage ich nicht…ich kann es nicht, so sehr ich es manchmal gern sein würde, denn dann wüsste ich, dass ihr mich wieder mögen würdet.“ „Vielleicht solltest du mal mit einem Psychologen reden…ich sorge mich wirklich um dich.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich sie verhasst an. „Glaub mir…ich bin okay und habe beim besten Willen nicht das Bedürfnis mit einem Psychologen zu reden. Außerdem würdet ihr beiden da nich sonderlich gut abschneiden.“ Auch meine Mum begann zu weinen. Sie wollte mich in die Arme nehmen. „Lass mich. Ich kann das gerade nicht.“  Meine Mutter wollte das Wochenende mit Klaus verbringen und erzählte meinem Vater, dass sie mit einer Freundin auf einer Beautyfarm sei. Nur noch Streit und Lügen. Das war echt schlimm für mich, weil ich ja die Wahrheit wusste. Doch wann würden sie sich endlich aussprechen und sich eingestehen, dass ihre Ehe kaputt war? Sogar meine kleine Schwester bekam mit, was hier für ein Spiel gespielt wurde. Es tat mir sehr leid, sie so traurig zu sehen, weil sie besonders an unseren Eltern hing. Klar, sie war ja noch ein kleines Mädchen, dass Liebe und Geborgenheit braucht. Als ich an diesem Freitag nach Hause kam, waren schon alle weg. Ich klopfte an Jojos Zimmertür und vernahm ein Schluchzen von drinnen. Vorsichtig öffnete ich. Mein Schwesterchen hockte mit angezogenen Beinen in der hintersten Ecke ihres Bettes. Ihre Haare waren etwas zerzaust und ihre Augen von tiefer Trauer erfüllt. Ich setzte mich zu ihr und sofort kam sie von ihrer Ecke auf meinen Schoß gekrochen. Der kleine Körper drückte sich fest an mich. „Ich bin so alleine. Mama und Papa haben gar keine Zeit mehr für mich.“ Und wieder spürte ich diesen Hass auf meine Eltern. Waren sie wirklich so gefühllos, dass sie in ihrer Situation sogar das eigene Kind vergaßen? Das war echt krass. „War Papa heut schon mal da?“ „Ja, aber nur kurz. Als ich von der Schule gekommen bin, war Mama gerade auf dem Sprung. Sie hat mir nur noch Geld in die Hand gedrückt und war weg. Und Papa war nur am telefonieren. Ich hab das noch keinem gesagt, aber i-ich komm in der Schule gar nicht mehr mit.“ Und wieder fing die Kleine an zu weinen. Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und strich die Tränen aus ihrem Gesicht. „Ich mach uns jetzt erst mal was zum Essen, okay?“ Jojo nickte und folgte mir in die Küche. Sie wünschte sich Spaghetti mit Tomatensoße. „Weißt du eigentlich, dass ich die letzten Tage, als du nicht da warst oft in deinem Zimmer war und Musik gehört habe?“ Ich lächelte. „Hast du das? Was hast du denn gehört?“ „Naja, ganz viel Manson und Him. Was ist Gothic eigentlich Lukas?“ Das gerade Jojo das fragte? Ich nahm sie wieder auf den Schoß, während die Nudeln kochten. „Das ist ein Lebensgefühl, was du in dir trägst, bei dem Musik ein große Rolle spielt. Aber es dauert meist lange, bis du deine eigene Identität in der Szene entwickelt hast, weil sie sehr vielfältig ist.“ Ich war mir nicht sicher, ob sie mich verstand oder ob ich es altersgerecht erklärte. „HIMs Texte klingen aber manchmal ganz schön traurig.“ „Und sehr realitätsbezogen. Aber das sind Dinge, die verstehst du erst richtig, wenn du älter bist.“ Vielleicht würde meine kleine Jojo ja auch mal ein Gothicgirl werden. Dieser Gedanke brachte mich zum Schmunzeln. Kapitel 9: Es könnte doch alles so schön sein, wenn… ---------------------------------------------------- Ich rauchte eine nach der anderen,  auch, wenn es  mir davon ganz bestimmt nicht besser gehen würde. Meine Mum kam mit einer großen Einkaufstüte in die Küche. Fast hätte ich sie doch glatt gefragt, wie ihr Wochenende gewesen sei, verkniff es mir aber dann. „Hast du Johanna gesehen?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Du solltest dich vielleicht öfters mal um sie kümmern!“ Sie sah mich etwas pikiert an, weil mein Ton ihr nicht zu passen schien. „Ich habe momentan viel um die Ohren und das weißt du.“ „Du hättest sie am Freitag mal sehen sollen! Ein verzweifeltes kleines Mädchen und dich kümmert es einen Scheiß, ja? Meinst du Jojo ist so blöd und bekommt nicht mit, was hier grad läuft?“ Sie blickte zu Boden. „Aber warum sag ich dir das überhaupt.“ „Du kannst dich doch auch mal um sie kümmern.“ „Was meinst du, was ich mache. Meine Eltern sind ja nicht mal fähig sich um ihre kleine Tochter zu kümmern…von mir will ich gar nicht erst reden.“ „Mein Gott Lukas, ich habe gerade andere Sorgen!“, schrie sie mich hysterisch an. „Na und? Meinst du ich nicht?“, schrie ich zurück und sie knallte mir eine. Ich ging rauf in mein Zimmer. Plötzlich ging die Tür auf, ich dachte zuerst, dass es meine Mum sei, doch dann stand Nici vor mir. Ich freute mich riesig sie zu sehen und schloss sie in den Arm. „Ist was passiert.“ Ich schüttelte den Kopf. „Du kannst nicht lügen. Deine Mum? „Ja, was denn sonst.“ Meine Stimme klang genervter als gewollt. „Hast du deshalb jetzt schlechte Laune oder was?“ „Ich kann nicht mehr, verstehst du? Sollen sie sich doch endlich scheiden lassen!“ Ich haute mit der Faust auf den Boden. Nici sah mich mitfühlend an, wie immer in solchen Situationen. „Tut mir leid, dass es jetzt schon so weit ist.“ „Ach, dir brauch nichts leid zu tun. Mich kotzt es einfach nur an, wie sie mit den Gefühlen anderer umgehen. Jojo ist auch total am Ende, doch das scheint sie gar nicht zu stören.“ Ich seufzte und griff wieder nach meiner Zigarettenschachtel. „Ich habe meine Eltern noch nie so gehasst, wie jetzt.“ Nici küsste mich, doch ich war gerade nicht in Liebestimmung. Das war einfach alles viel zu real und ging nicht mehr spurlos an mir vorbei. Wie lange konnte ich das noch ertragen? „Ich bewundere dich echt.“ Ich lächelte traurig und schloss meine Augen. Sie legte ihren Kopf auf meinen Bauch und ich strich über ihre langen roten Haare. „Warum bewundern?“ „Naja, weil du damit so gut umgehen kannst.“ „Das täuscht nur. Du merkst doch selbst, wie es mir wirklich geht, also sprich nicht so.“ Sie schaute mich ein bisschen verwundert an. „Toll bist du trotzdem.“ Ihre wunderschönen Augen blickten auf mich herab. An diesem Mädchen war wirklich alles perfekt. Und doch konnte ich sie nicht lieben. Doch warum klammerte ich mich dann überhaupt noch an unserer Beziehung fest? Ich ging mit meiner Hand unter Nicis Oberteil, sie strich zärtlich über meinen Bauch und wir küssten uns leidenschaftlich. Auch sie startete den Versuch, mir meinen Pulli auszuziehen. Doch ich löste den Kuss und schob ihre Hände sanft weg. Meine Freundin schaute mich mehr als verwundert an. „Ich glaube nich, dass du das willst…“, flüsterte ich beinahe und fühlte mich viel zu verletzlich. „Ich verstehe nicht ganz…“, antwortete sie noch immer verwirrt. Die Stimmung kippte und es war wie so oft meine Schuld. Nicht Mal mein Liebesleben bekam ich auf die Reihe. Sie musterte mich noch immer und mir war klar, dass ich die Situation wohl erklären sollte. Doch ich wollte ihr die Narben nicht zeigen. Etwas nervös fingerte ich mir eine weitere Kippe aus meiner Schachtel. „Ist auch besser so…lass uns noch nen Film schauen oder so“, schlug ich vor. Insgeheim wünschte ich mir irgendwie, dass sie nicht locker ließ, denn ein Teil von mir wollte mit ihr reden. Doch ihre Lippen blieben stumm. Das bewies mir nur wieder, dass Nici nicht mit mir umgehen konnte oder wollte. Ich realisierte kaum, was wir schauten und ließ es zu, als sie sich an mich kuschelte. Schließlich fielen uns die Augen zu und ich war zu müde, um meine nächste Tat steuern zu können. Achtlos warf ich meinen Pullover über den Schreibtischstuhl. Nicis entsetzter Aufschrei katapultierte mich jedoch wieder ins Hier und Jetzt. Fuck! „Oh mein Gott Lukas, warum tust du das?“ „Es macht mich noch unperfekter“, gab ich sarkastischer als gewollt zur Antwort. Sofort merkte ich, dass ihr das nahe ging und sie mit sich rang. Ich machte es nicht besser und immer mehr wurde sie wahrscheinlich davon überzeugt, dass ich kaputt war. Nicht länger der Traumboy, den sie sich wünschte. Ich schloss meine Augen und wusste, dass ich mich auch immer mehr von Nici entfernte. „Findest du das toll? Befriedigt dich das auf eine Art und Weise? Denn das hab ich darüber gelesen…ich wollte es nicht wahrhaben, aber immer mehr glaube ich, dass dein Verhalten dem eines Borderliners gar nicht so unähnlich ist…“ Dunkelheit. Schmerz und dieses verhasste Wort. Ja, vielleicht war ich ein Borderliner, aber vielleicht auch nicht? Ich war ein psychisches Wrack und Nici trug wenig dazu bei, dass es mir besser ging. Mein Herz raste und ich wollte nicht hier mit ihr in meinem Zimmer sein. „Und wenn es so wäre? Was dann Nici? Du fängst schon an wie meine Mutter…ja, im Internet steht viel und ich weiß selbst, dass Selbstverletzung einen krankhaften Beigeschmack mit sich bringt…aber vielleicht find ich es ja echt geil?“, gab ich zurück und stieß sie mit diesen Worten noch weiter von mir. „Lukas…ich glaub du brauchst Hilfe…mein Papa könnte vielleicht…“, setzte sie an, doch ich schnitt ihr das Wort ab. „Oh ja Papi wird alles für die kleine Prinzessin gerade biegen…“, zischte ich wütend und zog mir ein Schlafshirt über. „Ja, weil er Ahnung davon hat und schon anderen geholfen hat…er kann dir helfen…“ „Dafür muss man aber bereit sein…und ich brauch keinen Psychiater, um zu analysieren, wo der Ursprung meiner Probleme liegt, Nici. Ich brauch niemanden, der mir erzählt, dass ich das irgendwann schaffe, dass ich stark bin und bla bla bla…“ „Dann lass dir wenigstens von mir helfen!“, erwiderte sie sichtlich verzweifelt. „Versuche es doch…“ Sie zog mich zu sich ins Bett. Irgendwann versanken wir dann doch im Traumland und als ich meine Augen öffnete, schien die Sonne. Es war bereits ein Uhr mittags. Geschlafen hatte ich nicht besonders gut, denn das Gespräch saß mir noch immer in den Knochen. „Guten Morgen Süße!“ Ich zündete mir eine Zigarette an. „Wie kann man am frühen Morgen schon rauchen?“ „Es ist schon mittags, mein Schatz! Hast du mal geguckt, wie spät es ist!“ Plötzlich wurde sie leicht panisch. „Oh Shit, wir müssen doch in die Schule.“ Ich machte eine lässige Bewegung mit der Hand. „Ach komm schon, einmal schwänzen wirst du überleben.“ „Das ist nicht witzig Lukas. Ich geh jetzt in die Schule, du kannst es ja bleiben lassen.“ „Süße, jetzt mach mal keinen Stress. Hol dir einfach eine Krankschreibung, wenn es dich so sehr stört, aber lass uns den Tag genießen. Tue einmal was Verrücktes.“ „Kommst du mit zum Arzt? Ich hab echt ein bisschen Schiss.“ „Okay, aber jetzt geh’n wir duschen.“ Wir lachten uns an und ich trug Nici hinunter ins Bad. Sie, als auch ich verdrängten die Unterhaltung von letzter Nacht. Und wer weiß, vielleicht wollte Nici wirklich den Versuch starten und zu mir durchdringen. Wir standen eine halbe Ewigkeit unter der Dusche, danach sah ich sie das erste Mal richtig ungeschminkt. „So schlimm siehst du ungeschminkt doch gar nicht aus, wie du immer sagst!“     Ich gab ihr einen Kuss. „Naja find mich geschminkt trotzdem besser, aber ein Kerl versteht das eh nicht“, neckte sie mich. Wir machten uns noch etwas schönes zum Essen, dann besorgten wir Nicis Krankmeldung und anschließend brachte ich sie noch nach Hause. Plötzlich goss es wie aus Eimern. „Darf ich heute Abend noch mal zu dir kommen?“, fragte ich ganz lieb. „Schreib dir noch mal, weil ich eigentlich was mit Nadja unternehmen wollte. Nur, wenn ich darf.“ „Dann halt nicht!“, sagte ich beleidigt, doch konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Schreib mir dann, okay!“, „Klar mein Süßer!“ Sie gab mir noch einen langen Abschiedskuss. Heute war schon Dienstag, morgen wieder in diese dämliche Schule. Ich wollte noch weg sein, bevor meine Mum wieder auftauchte, also hastete ich im Eiltempo die Stufen empor, schnappte meinen Rucksack, klatschte Handy und Zigaretten hinein und machte mich aus dem Staub. Ich musste unbedingt eine rauchen. Shit! Das verdammte Feuerzeug lag noch in meinem Zimmer, doch jetzt war es zu riskant noch einmal zurück zu gehen. Ich klingelte bei Flo und sein kleiner Bruder kam zur Tür. „Is Flo da?“ „Ja, warte mal kurz. Ich hol ihn!“. „Sag ihm er soll ein Feuerzeug mitbringen!“ „Klar mach ich!“ Echt putzig, der Kleine. Wie Flo ihn nur hassen kann, fragte ich mich echt. Kurze Zeit später erschien Flo mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. „Tja, Lukas ist schon scheiße, wenn man eine rauchen will, aber kein Feuer hat.“ „Das sag ich dir. Gib mal bitte her, wenn ich jetzt keine rauchen kann, krepier ich.“ Ich nahm einen tiefen Zug. „Wo wollen wir denn so früh am Tage hin?“ Ich überlegte einen Moment, „Am besten zu Tim, da bekommen wir wenigstens Alkohol und so!“ „Willst jetzt schon damit anfangen?“ „Warum nicht? Ob ich nun Alkohol trinke oder einen rauche ist ja wohl egal!“ „Na wenn du meinst!“ Auf dem Weg zu Tim redeten wir nicht mehr viel miteinander. Tim war sehr erfreut über unser Kommen. Ich drehte mir einen Joint und lies mir so nach und nach das Gehirn vernebeln. Flo wollte nicht so lange bleiben. Eigentlich war es mir schon fast egal, allerdings wollte ich Stress zu Hause vermeiden. Dann fiel mir was ein. „Ey Flo, was hast du für ne Ausrede heute nich in der Schule zu sein?“ Mein Freund grinste und zog am Joint. „Zählt kein Bock? Was soll ich da…weißt du, Kevin is krank und er darf alles…klar. Naja, glaub die ham nich mal gecheckt, dass ich zu Hause geblieben bin.“ Tim schüttelte nur mit dem Kopf. „Die Jugend von heute.“   Als ich später wieder zu Hause ankam, erwartete mich ein Bild des Schreckens. Mein Vater schlug wie ein wildgewordenes Tier auf meine Mum ein. Sie schrie die ganze Zeit, er solle aufhören und er beschimpfte sie als Hure, obwohl er selbst nicht besser war. Sie tat mir auf einmal leid und es gab nur zwei Möglichkeiten, entweder ich ging dazwischen oder er würde sie wahrscheinlich zu Tode prügeln. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. „Lass Mutti in Ruhe!“ „Von dir lass ich mir gar nichts sagen. Sie ist eine Schlampe und vergnügt sich mit anderen Männern. Findest du das etwa gut?“ „Du bist doch auch nicht besser oder triffst du deine Sekretärin nur aus geschäftlichen Gründen?“ Jetzt hielt er Inne. „Woher weißt du das?“ „Ich hab euch schon oft zusammen gesehen und blöd bin ja nich.“ Jetzt fing ich mir auch eine heftige Ohrfeige ein, aber er ließ meine Mum in Ruhe. „Na schön, wenn ihr jetzt alle Bescheid wisst…ich gehe jetzt zu meiner Liebsten.“ Aufgelöst brach meine Mum in Tränen aus. Ich holte ein Kühlpad aus dem Gefrierfach und reichte ihn ihr in einem Waschlappen eingewickelt. Wir setzten uns ins Wohnzimmer und meine Mum sah mich an. „Ich danke dir. Das war wirklich mutig…“ Ich erwiderte nichts und zündete mir eine Zigarette an. „Ich habe nachgedacht.“ „Ach ja? Über was denn?“ Ich erhoffte mir, dass jetzt sowas kommen würde wie: „Du bist ja doch ganz okay, so wie du bist.“ „Ich werde die Tage die Scheidung einreichen und Klaus wird dann mit in die Wohnung ziehen.“ Ich nickte nur stumm und war wieder enttäuscht. Sie dachte nun Mal immer nur an sich und das musste ich wohl akzeptieren. Was wäre gewesen, wenn ich nicht rechtzeitig eingeschritten wäre? „Ist das denn okay für dich?“ „Was willst du denn jetzt von mir hören? Meine Meinung spielt doch ohnehin keine Rolle mehr!“ „Ja, der Entschluss ist schon gefasst." Es vergingen zwei Wochen, in der wir in der Schule noch ein paar Arbeiten schrieben und dann standen auch schon die Weihnachtsferien vor der Tür. Irgendwie freute ich mich, weil keine Schule war, aber Weihnachten an sich mied ich so gut es ging. Mit wem sollte ich auch feiern? Meinen Eltern? Darauf konnte ich gern verzichten. Deshalb quartierte ich mich bei Tim ein. Flo und ich verbrachten die Feiertage immer gemeinsam mit ihm, war auch fast wie ein idyllisches Familienfest. Als wir klingelten, machte niemand auf. Wahrscheinlich lag der Idiot schon wieder voll breit in der Ecke. Ich klingelte noch Mal. Doch ohne Erfolg. Dann rief ich Tim auf dem Handy und komischerweise klingelte es ganz hier in der Nähe. Flo warf mir einen skeptischen Blick zu und wir folgten dem Klingeln. Eine Straße weiter hockte Tim zusammengekauert im Schneematsch und atmete schwach. Ich beugte mich hinunter zu ihm. „Tim, was is passiert?“ „Hey Klei-ner…woll-te Kippen holn…da hat…mich son Wich-ser…verprügelt.“ Das Reden fiel ihm sichtlich schwer und Flo und ich stützten ihn, um ihn in seine Wohnung zu bringen. „Fuck!“, entfuhr es mir. Tim war gar nicht so leicht, doch wir schafften es. Ich rief noch den Notarzt an, weil ich mir nicht sicher war, wie schlimm seine Verletzungen waren. Außerdem verlor er immer wieder das Bewusstsein. Der Rettungsdienst traf recht schnell ein und sie nahmen Tim mit ins Krankenhaus. In seinem Zustand hatte er immerhin noch zu uns sagen können, dass wir gern in seiner Wohnung bleiben konnten. Das kam mir mehr als gelegen. Ich war am Ende und holte den Wodka, denn das war das Einzige, was jetzt noch sinnvoll erschien. Flo prostete mir zu. „Na dann…frohe Weihnachten“, sagte ich. Mein liebster Freund lächelte schwach. „Tim wird schon wieder, keine Angst…er is’n Kämpfer.“ Flo und ich bedienten uns auch an Tims Drogenschrank und schossen uns richtig übel raus, sodass wir den nächsten Tag verpennten. Den ersten Weihnachtsfeiertag waren wir immer bei Basti eingeladen. Wir wussten zwar nicht, ob sie feierten, aber vorbeischauen wollten wir auf jeden Fall. Unser dritter im Bunde wirkte noch immer angeschlagen, doch er freute sich uns zu sehen. Von Tim erzählten wir ihm vorerst nichts. Bastis Mum hatte gekocht und auch sie hatte uns eingeplant, wie wir an dem reich gedeckten Tisch erkennen konnten. Wir redeten über relativ normale Themen. Das Wetter, Politik und die neuesten Trennungsgeschichten im Hause Hollywood. Später gingen Flo und ich wieder in Tims Wohnung. Aber wir ließen es ruhiger angehen. Ich schnappte die Gitarre und spielte ein bisschen. Flo schaute mir dabei zu. „Mann das mit Tim is voll zum Kotzen…“ Ich baute noch einen Joint. „Mhh…geh morgen mal zu ihm…heut ging‘s ja nich…so ein Idiot…der hat bestimmt wieder Stress mit den Faschos angefangen oder so.“ „Meinst du die waren das?“ Ich zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck Wodka. „Wer macht sonst sone scheiße, wenn Weihnachten is.“ „Wie geht’s dir eigentlich?“, fragte mich Flo nach einem kurzen Moment des Zögerns. „Will nich drüber reden…“, antwortete ich. „Komm mal her…“ Flo zog mich an sich und ich rutschte näher zu ihm, ließ die Nähe zu, dir mir bei jedem anderen beinahe unerträglich schien. „Irgendwas fehlt in meinem Leben Flo…warum bekomm ich es nich auf die Reihe ne Beziehung zu führen?“ „Ich hab aufgehört darüber nachzudenken. Für mich is das irgendwie eh zu viel. Bekomm es schon so nich gebacken, mich um meine Freunde zu kümmern, was soll ich da mit ner Beziehung“, witzelte er leicht. Ich piekte ihn in die Seite und er zuckte zusammen, doch entfuhr ihm ein beinahe kindliches Kichern. „Hör auf…“, giggelte er, doch ich ärgerte ihn weiter und irgendwann kugelten wir uns auf dem Sofa herum, bis wir mit einem unsanften Aufprall auf dem Boden landeten. Noch immer kichernd lagen wir nebeneinander. Mein bester Freund stützte seinen Kopf in der Hand ab und schaute mich mit verschleiertem Blick an. Von der Kappelei war mir warm geworden und ich zog meinen Pulli aus. Zwar verdeckte mein Tanktop einen Teil meines Oberkörpers, doch längst nicht alles. „Isses schwul, wenn ich dir sage, dass du nen echt heißes Schnittchen bist?“, kam es von Flo und ich musste herzhaft lachen. „Mega schwul…aber danke…schauen wir noch nen Film an?“ Flo und ich kuschelten uns auf’s Sofa. Ich suchte seine Nähe, weil ich meiner Dunkelheit entfliehen wollte. Meinem Freund schien es nicht anders zu gehen, denn er machte es sich zwischen meinen Beinen bequem, lehnte sich an mich und verflocht seine eine Hand mit meiner. Meine andere Hand betätigte die Fernbedienung und ruhte anschließend auf Flos Arm. Ich streichelte ihn und hauchte hin und wieder einen Kuss auf sein zerzaustes Haar. „Lukas…ich hab dich lieb…“ „Ich dich auch…danke, dass du die letzten beiden Tage halbwegs erträglich gemacht hast.“ „Für dich immer Sahnetörtchen…“ Ich grinste und umarmte meinen liebsten Freund. Was würde ich nur ohne diesen kleinen Chaoten tun. Tim hatte nur einen Tag zur Beobachtung im Krankenhaus verbringen müssen und glücklicherweise war er ohne größere Schäden davongekommen. Nur eine Gehirnerschütterung. Deshalb musste er jetzt liegen und wir kümmerten uns ein bisschen um ihn. Doch eben weil Tim ein Kämpfer war, konnte er es nicht lassen zwei Tage später nach seinem Krankenhausaufenthalt wieder zu trinken. Ich redete auf ihn, dass er sich schonen sollte, doch er war eben ein sturer Esel. „Wie is das eigentlich passiert?“, fragte ich dann. „Ach, was weiß ich…wollte halt Kippen holen und da war da son besoffener Spinner. Hat mich dumm angelabert. Ich wollt ja geh’n, aber der kam mir nach…hat mich verfolgt. Dann hat er mich begrapscht und wollt mir dir Kohle aus der Arschtasche ziehen…da bin ich halt ein bisschen ausgeflippt.“ „Mhh und scheinbar war er auch stärker als du.“ „Ja irgendwie schon…ey Kleener, es is alles cool…mir geht’s wieder gut. Jetzt werd mal wieder locker.“ Ich schüttelte nur mit dem Kopf und zeigte ihm den Mittelfinger. „Was läuft da eigentlich gerade für Hippi Goa Mucke?“, fragte Tim dann. „Hab die Tage ne Band oder nee, eher nen DJ gefunden. Er nennt sich Pineal und macht halt instrumentale Musik…auch mal ne angenehme Abwechslung. Aber mach halt weg, wenn‘s dich nervt.“ Das tat Tim dann auch und wir hörten dasselbe wie immer- NIN oder Type o Negative. Ich traf mich auch noch mit Nici, weil sie mich von einem schönen harmonischen Weihnachtsfest überzeugen wollte. Das Essen mit ihrer Familie zusammen war zwar irgendwie schön, aber ich fühlte mich so fehl am Platz. Ich gehörte hier nicht hin. Meine eigene Familie hatte ich in den Feiertagen gar nicht gesehen, nicht mal Jojo. Dabei hätte sich meine Schwester bestimmt gefreut, wenn ich Weihnachten mit ihr verbracht hätte. Aber ich konnte nicht. Diese Zeit zog mich einfach aufs übelste runter. Alles war immer so harmonisch und jeder tat, als wäre die Welt ein Paradies. Doch ich zu realistisch, um da mitzuspielen. Mein Leben war einfach zu unperfekt, als dass ich da gute Miene zum bösen Spiel machen konnte.  Silvester feierten wir auch bei Tim und auch Nici wollte kommen. Sie hatte sich richtig schick gemacht und ich begrüßte sie mit einer innigen Umarmung und einem langen Kuss. Wir spielten Wer bin ich und später Blei gießen. Nici goss sowas wie eine Krone, was bedeutete, sie wird reich und bei mir kam ein Herz heraus. Wie süß, ich würde mich verlieben. Doch ich glaubte nicht an solchen Quatsch. Nici sah das natürlich als gutes Zeichen und meinte, dass unsere Liebe ewig sein würde. Auf einmal wurde sie ruhiger und schon fast ein bisschen traurig. „Was‘n los?“, fragte ich. „Meine Eltern haben irgendwie voll die Macke!“ Sie fiel mir um den Hals. „Warum das denn? Haben sie dir gesagt, dass du dich von mir trennen sollst.“ „Red nich immer son Mist. Heute haben sie so gemeint, dass wir im März wieder nach Hennigsdorf ziehen wollen! Weil meinem Dad jetzt einfällt, dass der Weg in die Stadt doch nicht so weit ist und er auch jeden Tag fahren könnte. Da muss ich all das zurücklassen, was ich hier aufgebaut habe und vor allem dich! Ich will dich nicht verlieren!“ Nici legte ihren Kopf in meinen Schoß. Das kommt ja mal wieder alles schön zusammen. Tim richtet gerade nur Blödsinn an und meine Freundin zieht weg. Mein Leben war das reinste Chaos. Da war ich schon wieder an dem Punkt angelangt, wo ich mich am liebsten zudröhnen würde. So war es immerhin ein bisschen erträglicher. „Du hast doch ehe einen besseren Kerl als mich verdient!“ „Du bist echt bescheuert. Klingst ja fast so, als ob du mich loswerden willst!“ Ich wollte Nici nie im Leben loswerden, jedoch wusste ich auch nicht, was ich machen sollte. Auf dem Land, in so einem kleinen Dorf könnte sie so viele neue Leute kennen lernen.   Als die  Schule wieder losging, bemühte ich mich nicht besonders gut ins neue Jahr zu starten. Ich hatte einfach keinen Bock, etwas zu machen. Ich dachte nur noch an Nici. Nach der Schule ging ich nach Hause, weil ich keine Lust auf Menschen hatte. Ich legte mich aufs Bett und hörte Musik. Pink Floyd mit Comfortably numb. Dieses Lied empfand ich als wunderschön und tottraurig zugleich und es brachte mich immer in einen sehr nachdenklichen Zustand. Ich hatte meine Familie jetzt eine Woche nicht gesehen und es fehlte mir auch irgendwie nicht, aber wie ging es meiner Schwester? Ich wollte so gern für sie da sein, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass sie von unseren Eltern gut behandelt wurde. Naja vielleicht versuchten sie Jojo auch auf ihre Seite zu ziehen? Dieser Gedanke schmerzte und ich hoffte nicht, dass Jojo es so weit kommen ließ. So plätscherte das neue Jahr vor sich hin und wir trafen uns ab und zu im Jugendclub oder im Proberaum. Das kalte Wetter brachte mich noch um und ich hoffte, dass es bald wieder wärmer werden würde.   Frühling Ich traf Nici auf dem Heimweg. Sie hatte schon die ganze Zeit nach mir gesucht. „Wo warst denn, ich hab mir schon Sorgen gemacht?“ „Ist nicht so wichtig. Können wir noch was Schönes zusammen machen?“ „Mein Gott, ich will jetzt wissen, wo du warst. Ist das denn zu viel verlangt?“ „Bei Tim, okay. Hast du denn überhaupt kein Vertrauen mehr zu mir? Denkst du, ich nutze die Chance, dass du wegziehst und vögel mit 'ner andere rum?“ Sie brach weinend zusammen, ich konnte sie gerade so halten. Jetzt, da ich sie so traurig vorfand, wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich war mir nicht mal mehr im Klaren, ob ich sie noch liebte. Tim kannte ich schon viel länger und dann das übliche Problem. Ich konnte und wollte mich nicht auch noch mit Beziehungsstress herumärgern müssen. „Doch ich habe Vertrauen zu dir. Tut mir leid, ich bin einfach nur total aufgelöst. Ich will dich einfach nicht verlieren!“ Ich nahm sie in meine Arme. Der Gedanke, Nici bald nicht mehr zu haben war seltsam, aber es störte mich auch nicht besonders. Ich schlug vor, zu mir zu gehen, weil ich ehe alleine zu Hause war. Sie war damit einverstanden. Wir redeten nicht besonders viel miteinander. Sie streichelte mir über den Kopf und über den Rücken. „Was hast du am Wochenende gemacht?“ „Das was ich am besten kann, mich betrinken.......naja und halt mit Flo und Tim einen geraucht, warum fragst du mich das immer wieder? Was erhoffst du dir davon?“ „Ich mach mir nur Sorgen um dich. Wann hörst du endlich ganz mit dem Mist auf?“ „Ich hab dir dazu schon eine Antwort gegeben, nimm es hin oder lass es bleiben!“ Ich stand auf und ging ans Fenster. Manchmal wusste ich wirklich nicht, was in ihr vorging. Wenn ich wollte, könnte ich echt ein schönes Leben führen, aber irgendwie rutschte ich immer von einem Extrem in das andere. Wahrscheinlich hatte ich es nicht anders verdient. Der Tag, an dem Nici wegzog rückte immer näher und ich hatte noch keinen Plan, wie ich mich von ihr verabschieden sollte. Vielleicht war es besser, wenn sie wegkommt. Da war es in so einem kleinen Dorf doch ruhiger, jedoch vermisste ich sie jetzt schon. Nici ist aber anders als ich, vielleicht war sie sogar froh, dass sie wegzieht. Es hat in letzter Zeit ehe ganz schön bei uns gekriselt, haben uns viel rumgezofft. Was soll’s, dort findet sie doch bestimmt einen besseren Kerl, was soll sie dann noch mit mir. Aber es hat jetzt keinen Sinn, darüber zu grübeln, macht nur depressiv. Es klingelte, meine Mum würde schon gehen. „Flo ist unten, ich soll dich fragen, ob du mit raus kommst.“ „Sag ihm er soll noch einen Moment warten.“ Ich beeilte mich nicht, weil ich keinen Bock auf Schule hatte. „Lukas?“ Meine Mum kam mir noch mal hinterhergelaufen, „Kannst du mir was versprechen?“ „Was denn?“ „Dass du mal nicht so spät nach Hause kommst?“ „Ich denke schon!“ Wir lächelten uns an und ich war ein bisschen stolz auf mich, weil ich wusste, dass ich mein Versprechen halten würde, nicht nur wegen meiner Mum. Flo und ich verbrachten unser Wochenende ohne viel Stress und wir hatten sogar richtig Spaß.   Mittwochmorgen, der Wecker klingelte so laut, dass ich vor Schreck im Bett saß. Doch die Müdigkeit ließ mich schnell wieder in die weichen Kissen zurücksinken. Ich schleppte mich noch halb verpennt ins Bad hinunter und verbrachte etwa fünfzehn Minuten unter der Dusche. Irgendwann kam meine Mum und fragte mich, ob ich nicht bald fertig sei. „Du brauchst dich gar nicht zu beschweren, du brauchst meist viel länger im Bad als ich. Aber das haben Frauen ja so an sich.“ Ich setzte ein breites Grinsen auf und ging in mein Zimmer um mich anzuziehen. „Ach, Lukas, was gefällt dir denn so an diesen schwarzen Klamotten? Aber ich kann ja ehe reden, was ich will.“ Ich zuckte nur mit den Schultern und machte mich auf den Weg zur Schule. Flo wartete vor der Haustür schon auf mich. „Leg mal nen Zahn zu, ich muss mir noch Zigaretten kaufen.“ Ich kramte in meiner Tasche und gönnte mir am nächsten Automaten eine Schachtel Luckys. „Ach, Lukas, du wolltest doch bestimmt gerade eine Runde schmeißen?“ Flo grinste mich fies an. „Doch nicht etwa für dich, du kleiner Schleimscheißer!“ Ich grinste noch fieser zurück, gab ihm aber eine Zigarette. Da war ich ja nicht so. „Bald is das WGT, wie kommen wir eigentlich hin und wo pennen wir? Kommen ganz coole Bands.“ „Auf jeden Fall aufm Zeltplatz.“  Tim wollte fahren, aber da wir nicht alle in sein Auto passten, beschlossen wir mit der Bahn zu fahren. Ich freute mich wie ein kleines Kind und hatte mich schon auf der Zugfahrt gestylt, natürlich im Batcaveoutfit. Für meinen Iro hatte ich heute morgen fast eine halbe Stunde gebraucht, aber das Resultat konnte sich sehen lassen und scheinbar war auch meine reizende Freundin hin und weg. Leipzig war ein einziger Ausnahmezustand. Sowas hatte ich noch nie gesehen, so viele Gruftis auf einmal. Ich fühlte mich das erste Mal in meinem Leben nicht als Außenseiter. Als erstes machten wir uns auf den Weg zum Agragelände, um unsere Zelte aufzubauen. Das passierte recht schnell und ich schloss mein Zelt ab. Man konnte ja nie wissen. Dann hieß es Shoppingtime. In der Agrahalle waren hunderte von Ständen, die Klamotten, Schmuck und Musik verkauften. Wir liefen durch, nur war es irgendwie zu viel und wir waren ja noch ein paar Tage hier. Dann holten wir uns was zum Essen und zum trinken. Heute sollte ASP spielen und das wollten wir nicht verpassen. Wir drängten uns recht weit vor und natürlich begann das Konzert mit Sing Child. Schon da tanzte die Menge und sang den Text mit. Doch leider verließ der Herr Spreng die Bühne viel zu schnell. Später gingen wir dann noch ins heidnische Dorf und lachten die Menschen aus, die ohne Karte davor anstehen mussten, um Eintritt zu bezahlen. Dort spielte eine Mittelalterband, die ich jedoch nicht kannte. Wir trafen auf einen Metstand, wo es Hanfmet gab. Der hatte eine rosarote Farbe und schmeckte vorzüglich, knallte aber auch ganz schön. In meinen Plateaustiefeln wurde mir mittlerweile ganz schön warm. Wir tranken aus der Flasche und hockten uns auf die Wiese, um Menschen zu beobachten. Es faszinierte mich, was manche Besucher für einen Aufwand betrieben haben mussten, um ihr Outfit zu entwerfen. Nachdem wir noch Hocico angeschaut hatten, holten wir uns noch was zum Essen und feierten im Dark Flower. Dort legte Sven Friedrich auf. Ich tanzte jedoch nicht so viel. Wir lernten ein paar Jungs aus den Staaten kennen, die dieses Jahr auch zum ersten Mal beim WGT waren. Am nächsten Tag, nachdem wir uns wieder aufgehübscht hatten ging es nach dem Frühstück gleich zum nächsten Konzert- Eve of Destiny. Die kamen aus Japan und irgendwie hatte ihre elektronische Musik was. Ich verstand zwar keinen Brocken Japanisch, aber egal. Ich holte uns noch Bier und die anderen sicherten schon Mal gute Plätze. Als ich mir mit den drei Bechern einen Weg durch die Menschenmenge bahnte, wäre ich fast mit einem blonden großen Typen zusammengestoßen. Das Bier schwappte über und mir auf mein weißes, zerrissenes Oberteil. Ich fluchte und wollte den Kerl schon anstressen, doch der war weg. Nur als ich mich umdrehte, drehte auch er sich um und zwinkerte mir zu. Was für ein Idiot. Ich erzählte den anderen davon, als ich mich endlich durchgekämpft hatte. Wir prosteten uns zu. Das Konzert war mehr als abgefahren und der Sänger zog eine ziemlich skurrile Show ab. Seine knalligen roten Haare reichten bis über die Schultern und er trug ein schwarzes Stirnband. Er hatte sowas wie einen Netzanzug an und darüber einen Wickelrock. Die Gitarre vom Gitarristen war so rot, wie die Haare vom Sänger. Beide hüpften ein bisschen unkoordiniert auf der kleinen Bühne im Werk 2 rum und manchmal erweckte es den Anschein, als würden sie miteinander flirten. Am letzten Tag gaben wir uns noch Schock und Zeraphine, gefolgt von der großen Abschlussparty im Dark Flower. Ein wirklich gelungenes Wochenende mit viel zu wenig Schlaf und ich freute mich wirklich auf eine richtige Dusche. Nici brachten wir nach Hause und dann machten sich alle erst Mal auf den Heimweg. Bis auf Flo, er ging mit zu Tim.   Die nächsten Tage sollten wieder wärmer werden und ich traf mich mit Flo und Tim in der Stadt, weil das Wetter so schön war wollten wir es uns irgendwo gemütlich machen. Wir kauften noch genug Alkohol für den Abend und ließen uns mit einer großen Decke im Park nieder. Es war ein warmer Abend und die Sonne schien noch ganz schön heiß. Deshalb genoss ich später die kühle erfrischende Abendluft. „Du Tim, was ist eigentlich mit dir und Alex?“, unterbrach ich das Schweigen. „Ich bin im Moment auch nich sicher, hab sie ja immerhin schon zwei Wochen lang nich mehr gesehen. Vielleicht hat sie auch einen anderen besseren, als mich gefunden.“ „Ach glaub ich nich.“ „Nee jetzt mal im Ernst. Ich liebe diese Frau echt noch wahnsinnig, aber ich weiß ja nicht, was sie gerade von mir hält, weil wir das letzte Mal im Streit auseinander gegangen sind.“ „Na dann würde ich an deiner Stelle mal was machen, manchmal verstehe ich dich echt nich, aber das ist halt Tim!“ Tim schaute mit gesenktem Kopf zu Boden, Flo sagte zu ihm: „Da rufe sie doch jetzt mal an und frag sie, ob sie nich Lust hat mit hierher zu kommen.“ Nach kurzem Nachdenken entfernte sich Tim ein kleines Stück von uns. „Ey, ich hab euch doch erzählt, dass Nici wegzieht, nur irgendwie kümmert es mich gar nich…ist das nich komisch?“ „Dann solltest du dir mal Gedanken über deine Gefühle zu ihr machen!“, meinte Flo. „Mhh, ich mag sie, aber ich weiß nich, ob ich sie liebe.“ „Du bekommst wenigstens die Mädchen, die du haben willst, manchmal würde ich mir wünschen, dass ich auch alles so einfach anpacken könnte, wie du!“ Ich musste mir das Lachen ein wenig verkneifen. Flo konnte ganz schön übertreiben, denn er war echt ein Hübscher, nur manchmal schien ihm sein Selbstbewusstsein abhanden gekommen zu sein. „Du kannst so geil aussehen, wie du willst, wenn du etwas Falsches zu einem Mädel sagst bist du sowieso unten durch.“ „Stimmt da hast du auch wieder Recht!“ „Ja klar doch. Der Tim kommt ja gar nicht wieder. Wer weiß, was der mit Alex beim telefonieren macht!“ Flo und ich grinsten uns an. „Lukas, wollen wir auf Ex trinken?“ Meine Flasche war noch halb voll. „Na von mir aus. Auf Ex oder Nazi!“ Ich merkte, wie mir der Alkohol so allmählich in den Kopf stieg.  „Kommt jemand mit Zigaretten holen?“ „Ich komm mit!“, sagte Flo. Ich streifte mir den Pullover über. Wir liefen eine Weile schweigend nebeneinander her. Manchmal fragte ich mich, wen ich mehr mochte Basti, Flo oder Tim? Die letzten Monate waren hart gewesen, weil ich das erste Mal erlebt hatte, wie es war einen lieben Freund so am Ende zu sehn, wie Tim, als er verprügelt wurde und dann der Mist zu Hause. Aber Flo und Basti waren da. Beide kannte ich schon so lange und Tim war irgendwann zu uns gestoßen, doch gehörte er auch zu unserem Dreiergespann? „Lukas, hast du dir mal überlegt, dass es tatsächlich was mit deinen Gefühlen zu tun haben könnte? Neulich hast du doch sowas gesagt…vielleicht stehst du ja echt auf Männer!“ Seine Worte trafen mich wie ein Blitzschlag. „Kein Plan, das war nur so ein Gedanke.“ „Ja schon, aber vielleicht auch ein Gedanke, mit dem du dich mal befassen solltest!“ Wir waren am Automaten angelangt und ich holte Zigaretten. „Boah Flo…wie soll ich das anstellen? Außerdem trägt das nich gerade zu meiner guten Entwicklung bei…dann bin ich nich nur ein Grufti, sondern ein schwuler Grufti…dann lassen mich meine Eltern einweisen oder so.“ „Ja, aber irgendwann musst du auch mal an dich denken Süßer…was willst du deinen Eltern noch beweisen? Du kannst sie nich ändern…vielleicht denken sie irgendwann anders von dir, aber wann haben sie dir jemals gezeigt, dass du ihnen noch wichtig bist?“ Die Wahrheit traf mich härter als gedacht und ich setzte mich auf die nächste Bank. „Ich will die Hoffnung einfach nich aufgeben Flo…es sind doch meine Eltern…“ Flo schnorrte sich eine Zigarette und warf mir ein schwaches Lächeln zu. „Ich hoffe du hast Recht.“ Nici hatte mir geschrieben und ich hatte ihr geantwortet, dass sie in den Park kommen sollte. Ein kleines Stück entfernt von meinen Freunden redeten wir. Flos Worte hallten noch immer in meinem Kopf, doch ich verdrängte sie. „Wolltest du nich mit deinen Eltern wegfahren?“ „Ich kann einfach nicht, hab noch mal mit meinen Eltern geredet und wir haben beschlossen, dass ich bei meiner Oma bleiben darf. Sie haben halt doch ein bisschen Mitleid mit mir gehabt!“ Ich setzte mich hinter Nici und nahm sie auf meinen Schoß, so dass sie mit dem Gesicht zu mir schaute. „Das klingt toll und bedeutet wohl, dass wir wieder mehr Zeit miteinander verbringen sollten!“ Wir küssten uns, ihre Hände glitten unter meinen Pullover und spielten an meinen Piercings in der Brustwarze. Ich genoss das. „Ich liebe dich Lukas! Wo warst du eigentlich vorhin, ich hab dich gesucht.“ „Flo, Tim und ich waren die ganze Zeit im Park.“ „Gehen wir erst mal zu den anderen.“ „Gute Idee.“ „Bekomme ich eine Zigarette von dir?“ Sie setzte ein verführerisches Lächeln auf. „Alles, was du willst!“ Ich steckte mir eine Zigarette an und reichte sie an Nici weiter, dann zündete ich mir eine eigene an. Sie nahm einen tiefen Zug, gab mir noch einen Kuss und dann schlenderten wir Hand in Hand zu unserer Gruppe. Das war wieder einer dieser Momente im Leben, in denen ich so unsagbar glücklich war. Was konnte jetzt schon noch passieren? Immerhin hatte ich zwei der liebsten Menschen wieder, was wollte ich eigentlich mehr? Und egal, ob mich meine Eltern mochten oder nicht. Tim war wieder da, in Begleitung von Alex. Die beiden schienen sich wieder versöhnt  zu haben, denn Tim lag mit dem Kopf in ihrem Schoß und sah sehr zufrieden aus. Es waren noch ein paar Leute dazugekommen, Christian, unser kleiner Macho und Basti, dessen Anblick mich sehr erfreute, mit seinem großen Bruder Mike. Ich begrüßte alle und Basti war ganz erstaunt, als er Nici sah, freute sich jedoch. Ich legte mich zwischen Tim und Flo, wo ich vorhin auch war. Ich öffnete Nici und mir ein Bier und zündete mir erneut eine Zigarette an. „Du Nici, meine kleine! Wie kommt es denn, das du jetzt doch nicht weggezogen bist?“, fragte Basti. „Ich hatte keinen Bock, all das was ich hier aufgebaut habe hinter mir zu lassen und meine Eltern haben sogar Verständnis gezeigt!“ „Das ist eine weise Entscheidung!“, meinte Tim. „Sonst wäre Lukas bestimmt noch schwul geworden!“ „Ey komm Tim, du musst unser kleines Geheimnis nicht so in der Öffentlichkeit preisgeben“, witzelte ich. Er verpasste mir eine von der Seite, nur zum Spaß. Doch Flo warf mir einen vielsagenden Blick zu. „Ich muss dir auch mal was erzählen!“ Er zerrte mich von den anderen weg. Neugierig sah ich meinen Freund an. „Weißte was, Alex hat mir vorhin erzählt, dass sie schwanger is. Es is auch sicher, dass das Kind von mir stammt.“ Ich war sprachlos, das hätte nicht erwartet. Vor lauter Euphorie sprang ich Tim um den Hals. „Ey ich glaub’s nicht, du wirst echt Papa! Da will ich aber Patenonkel werden, dass das klar is!“ „Na klar, Alex hat bestimmt nichts dagegen einzuwenden.“ Als es dann schon dunkel wurde, beschlossen Nici und ich zu gehen, denn mit der Dunkelheit brach auch die Kälte herein. Ich nahm sie noch mit zu mir nach Hause. „Es gibt zwei Dinge im Leben, ohne die ich nicht leben kann, das bist du und Zigaretten.“ Ich musste lachen. „Du bist echt ein Oberspinner!“ Leise schlichen wir hinauf in mein Zimmer, da der Rest meiner Familie schon zu schlafen schien. Ich legte mich auf mein Bett, rauchte eine Zigarette und schloss die Augen. Nici legte sich neben mich. Sie wartete, bis ich aufgeraucht hatte. Dann zog sie mir den Pullover aus und streichelte zärtlich über meinen Bauch. „Du hast den schönsten Bauch der Welt!“ „Danke, hübsche Frau!“ Sie setzte sich auf meine Oberschenkel und küsste mich vom Hals an abwärts. Irgendwann lag ich dann ganz nackt vor ihr und sie spielte mit meinem Körper. Das erregte mich ganz schön und ich erwiderte ihre Liebesspiele. Ich umkreiste ihre Brustwarzen mit der Zunge, was sie sehr genoss. Ich hatte zwar schon mit vielen Mädchen geschlafen, doch mit Nici war das etwas ganz besonderes. Wir schliefen sanft miteinander, es war einfach wunderschön. Als wir dann wieder nebeneinander lagen, senkte sie ihren Kopf auf meine Brust und schlief ein. Ich dagegen lag noch lange Zeit wach. Wenn es nur immer so schön bleiben könnte, wie die letzten paar Tagen. Doch ich wusste, dass es nicht so sein würde, weil mich meine Vergangenheit bald wieder einholen wird und das machte mir große Angst. Spätestens, wenn ich mich wieder mit einer Person, die mir sehr nahe liegt, streite, fange ich wieder mit dem Scheiß an und so langsam war mir auch bewusst, dass das mein Körper nicht mehr lange mitmachen würde. Ich weiß auch nicht, wie oft ich schon versucht habe, davon loszukommen, doch durch einen dummen Zufall hab ich dann doch wieder angefangen. Ich habe Nici zwar versprochen, dass ich aufhöre, aber ich wusste, dass ich es nicht schaffen könnte, wenn ich nicht ernsthaft bereit dazu war und dieser Gedanke machte mich innerlich immer mehr kaputt. Kapitel 10: Der Kuss der falschen Frau -------------------------------------- Ein Wochenende war nun leider schon wieder verstrichen und die Schule ging wieder los. Bis zu diesem Tag hatte ich noch relativ gute Laune. Die Zeit bis zum Nachmittag verging wie im Fluge. Flo und ich waren gerade in ein Gespräch vertieft, als Jessica uns unterbrach. „Du Lukas, hast du Mathe heut kapiert?“ „Ja, immer. Du etwa nicht?“ „Nein. Könntest du es mir vielleicht noch mal erklären? Wäre voll lieb.“ Ich zögerte einen Augenblick, weil ich den Nachmittag eigentlich mit Nici verbringen wollte. „Ja, dann komm halt so um drei vorbei.“ „Das ist echt nett von dir, dann bis später!“ Flo sah etwas skeptisch zu mir herüber, jedoch zuckte ich nur mit den Schultern. Als Jessica bei mir war, erklärte ich ihr den ganzen Kram noch mal. Sie verstand es sogar ziemlich schnell. Danach fragte sie, ob sie noch bleiben dürfe, ich nickte. Irgendwann unterhielten wir uns dann noch. „Du, Lukas, weißt du eigentlich, dass du der süßeste Typ aus unserer Klasse bist?“ „Ja, das ist bei deinen Blicken und Kommentaren kaum zu übersehen!“ Auf einmal küsste sie mich sehr stürmisch und ich wusste nicht, was ich dagegen machen sollte, weil ich damit nicht gerechnet hatte. Ob sie das mit Absicht so eingefädelt hatte? „Könntest du dir echt keine Beziehung mit mir vorstellen? Es könnte so schön sein!“ „Meine Antwort ist und bleibt nein. Lass und den Kuss bitte vergessen.“ Ich begleitete Jessica noch ein Stück, denn Tim wohnte auch in der Richtung. Mein liebster Flo lümmelte auch schon wieder bei Tim herum und schien alles andere als nüchtern zu sein. Tim war ganz und gar nicht davon begeistert und bestand darauf, dass ich Nici gleich die Wahrheit sagen sollte, bevor es zu spät ist. „Aber es war nur ein blöder Kuss und ich hab ihn nich mal erwidert!“ „Wenn du es nicht tust, dann mach ich es eben! Du machst doch so alles noch viel schlimmer!“ „Wenn du einfach nichts sagst, erfährt sie es nich.“ „Mach doch was du willst, ich würde es ihr sagen. Es kann ja auch sein, sie bekommt es durch einen dummen Zufall raus und da ist sie erst recht enttäuscht!“ „Eyyy Tim, jetzt mach mal aus keiner Mücke nen Elefanten…ich kenn Jessica und die kann echt penetrant sein. Find es gerade nich fair Lukas den schwarzen Peter zuzuschieben“, mischte sich jetzt auch Flo ein. Vielleicht hatte Tim Recht, aber ich wollte damit warten. Am nächsten Tag wartete Nici vor der Schule auf mich, jedoch konnte ich an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass Tim gestern mit ihr geredet hatte! Der Arsch hatte genau gewusst, dass ich nichts sagen würde. Irgendwie war ich ziemlich wütend auf meinen Freund. Als ich vor ihr stand merkte ich plötzlich einen kräftigen Schlag auf meiner rechten Wange. Ich machte auch keine Anstalten, weil es ohnehin nichts geändert hätte. „Soviel zum Thema Vertrauen, warum hast du sie nicht gleich flachgelegt?“ „Weil du mir nicht egal bist. Jessica hat mich überrumpelt weiter nichts!“ „Ach ja, als ob! Chris hat doch Recht gehabt, du bist ein Weiberheld.“ Ich zog die Stirn in Falten und konnte meine Empörung über ihre Worte kaum zurückhalten. „Bitte was? Tauscht ihr euch seit neuestem über mich aus oder was?“ „Er ist halt viel mit Nadja und mir zusammen, da reden wir halt miteinander. Er ist noch immer nicht begeistert, dass ich mit dir zusammen bin.“ „Super! Wow, das ist echt grandios Nici. Warum machst du nicht gleich Schluss, denn dann würde sich der liebe Chris sicher riesig freuen.“ Wir zickten uns jetzt voll an. „Du kennst Jessica doch, sowas hättest du voraussehen können!“, lenkte sie von Chris ab. „Ach ja? Ich wollte ihr nur helfen, verdammt! Mehr nicht. Aber du hättest ja alles besser gemacht.“ „Ich hätte es nicht soweit kommen lassen.“ „Du kannst mich mal.“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging. Ich hoffte natürlich, dass sie mir etwas hinterher rief, jedoch vernahm ich nichts. Es machte mich mehr als wütend, dass Nici mehr von dem Arsch Chris hielt, als von mir. Warum nur glaubte sie ihm seine Märchen? Ich begann zu rennen. Ich rannte und rannte, ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Irgendwann blieb ich stehen, weil ich Seitenstechen bekam und das Gefühl hatte, meine Lunge könnte jeden Moment platzen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mich auf einem kleinen Friedhof befand, ganz alleine. Ich ließ mich ins Gras sinken. Was sollte ich jetzt machen? Nici war sauer und enttäuscht. Ich ließ einen kurzen Blick zu dem großen verrostetem Eisentor schweifen, um zu sehen, ob sie mir vielleicht gefolgt war, doch keine Spur. Warum auch. Ich blickte um mich. Es war eigentlich eine schöne Gegend. Die meisten Grabsteine schienen alt und schon fast unbenutzt zu sein und vor der kleinen Kapelle wuchs eine riesengroße Eiche, die viel Schatten spendete. Dieser kleine Friedhof war ein schöner Platz zum Ausruhen. Ich sank wieder ins Gras zurück und dachte zum ersten Mal über mich und Nici nach. Ich wollte das alles nicht und mich machte es manchmal echt fertig, wenn sie so zickig wurde. Warum konnte sie nicht unkompliziert sein? Ich rauchte eine Zigarette nach der anderen, ohne dass ich es bemerkte. Vor allem jetzt fühlte ich mich von allen und jedem verlassen und betrogen, aber wahrscheinlich hatte ich es nicht anders verdient. Ich wollte so sein, wie ich war und das schien der Preis zu sein, den ich zahlen musste. Jeh mehr ich an Nici dachte, desto absurder kam mir das alles vor. Warum war sie sauer? Weil Jessica mir einen Kuss aufgezwängt hatte? Wie bescheuert war das eigentlich. Und warum saßen wir jetzt nicht gemeinsam irgendwo und lachten über diese Lappalie? Den Grund kannte ich und es tat weh in auf einmal so real vor Augen zu haben. Sie vertraute mir nicht. Die Sonne schien angenehm warm auf mein Gesicht und der kühle Abendwind wehte durch die Bäume. Ich verließ diesen trostlos, schönen Ort wieder. Als ich ein Stück gegangen war, sah ich zu meiner Freude eine Imbissbude, die noch geöffnet hatte. Ich kaufte mir eine Flasche Stroh 80 und Zigaretten. Ich hatte zwar seit heut früh nichts mehr gegessen, aber das spielte doch jetzt auch keine Rolle mehr. Ich schien mich irgendwo in der hintersten Ecke der Stadt zu befinden, wo nur Penner und irgendwelche notgeilen Typen rumlungerten, die mich mit ihren aufgequollenen Gesichtern und boshaften Blicken musterten. Nach ungefähr zwei Stunden war ich im Park angekommen. Ich schleppte mich langsam und schon mit einer großen Menge Alkohol im Blut auf irgendeine der tausend Bänke und hoffte, dass mich niemand finden würde. Ich wollte nicht, dass mich jemand in dieser trostlosen Stimmung zu Gesicht bekam. Das Zeug schmeckte widerlich. Der Gedanke an meine Familie, der mich gerade überrumpelte, war mindestens genauso schlimm, wie der Gedanke an Nici. Wäre ich besser dran, wenn mich meine Eltern lieben würden? Wenn wir miteinander auskämen und ich mich nicht für alles, was ich tat rechtfertigen müsste? Der Wunsch gemocht zu werden, flammte in mir auf und der damit verbundene Schmerz rang mich beinahe nieder. Niemals, werden sie dich lieben, flüsterte diese fiese Dunkelheit in meinem Kopf. Plötzlich überkam es mich und bevor ich ganz ausflippte, schlug ich dauernd gegen einen Baum und meine Wunden, die ich mir durch den zerbrochenen Spiegel zugezogen hatte, brachen wieder auf. Irgendwie war dieses selbstverletzende Verhalten auch keine Lösung und ich hatte selbstverständlich, ebenso wie Nici im Internet gelesen, dass das tatsächlich eine Form von Persönlichkeitsstörung sein konnte. Egal, dann war ich halt gestört, die besten Voraussetzungen dafür waren mir ja praktisch zugeflogen. In Situationen wie dieser wurde immer noch mehr bewusst, wie einsam ich eigentlich war. Da half auch keine Freundin, die einem ihre Liebe schenkte. Wenn ich andere Mitschüler in meiner Klasse hörte, wie toll sie sich mit ihren Eltern verstanden oder Basti, der sich mehr denn je zu seiner Mutter gezogen fühlte, wurde mir ganz elend zumute. Das würde ich wahrscheinlich nie mehr haben und diesen Schmerz konnte keiner lindern, damit musste ich selbst fertig werden. Als ich mich aufstellte, merkte ich, wie meine Beine drohten wieder zusammenzusacken, doch ich konnte das Gleichgewicht gerade so halten. Kalte Luft wehte mir ins Gesicht und ich kuschelte mich in meine Cordjacke, auch wenn dieser nicht sehr viel Wärme spendete. So langsam verlor der Alkohol seine Wirkung. Ein Wunder, dass mir nicht schon kotzübel war. Mein Gehirn schien mir aber noch ziemlich vernebelt zu sein. Ich hockte mit angezogenen Beinen da und beobachtete das Treiben nachts um zwei in der Großstadt. Als hätte Flo telepathische Fähigkeiten, schickte er mir just in diesem Moment eine Nachricht, ob ich noch auf war. Ich antwortete, dass ich allein mit einer Flasche Schnaps im Park hockte. Etwa 15 Minuten später näherte sich mir eine recht hagere Gestalt, die etwas geduckt auf mich zuschlurfte. „Hab gehört hier gibt’s Gratisschnaps“, witzelte mein bester Freund und bediente sich, musste jedoch auch von dieser Plörre husten. „Nich der beste, ich weiß…aber tut seine Wirkung. Wir könnten auch zur Laube gehen“, schlug Flo vor und auch mir kam dieser Gedanke nicht ganz ungelegen. Da um diese Uhrzeit nur sehr wenige Bahnen fuhren, mussten wir wohl oder übel laufen. Nach einer halben Stunde hatten wir unser Ziel erreicht und Flo drehte uns zur Belohnung einen Joint. Dieser tat auch sehr schnell seine Wirkung. Irgendwie bekamen wir es noch hin ein kleines Lagerfeuer zu entfachen und machten es uns gemütlich. „Tim is übrigens voll der Wichser…hat es Nici natürlich gesagt und jetzt is sie mega angepisst…“ „Nich dein ernst? Manchmal versteh ich ihn echt nicht…was wollte er damit bezwecken?“ Ich zuckte nur mit den Schultern und nahm einen tiefen Zug. „Irgendwie isses mir auch schon fast egal…vielleicht war das das letzte bisschen, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Kapier eh nich, was Nici an mir noch findet.“ „Ach Schnuckelchen…an dir is mehr liebenswertes, als du glaubst…“ „Klar. Aber in Wahrheit bin ich doch gerade für Nici eine Last.“ Flo kam näher zu mir und legte seine Arme von hinten um mich. Dabei berührten seine Hände wohl er unbewusst meinen nackten Bauch. Ich ließ mich nach hinten sinken und genoss Flos Streicheleinheiten. Es störte mich weder, dass es ein Kerl war, der mich gerade berührte, noch, dass es sich dabei um meinen besten Freund handelte. „Lukas…hast du schon mal überlegt mich zu küssen, einfach um zu testen, wie es is?“ Ich musste lachen, weil ich manchmal tatsächlich drüber nachgedacht hatte. Ich schaute zu Flo hoch und hob die rechte Augenbraue. „Vielleicht… aber wir wissen doch, wie es is miteinander rum zu knutschen“, erwiderte ich, erhob mich und hockte mich vor meinen Freund. Doch da kam mir Flo auf einmal noch näher, blies den Rauch des Joints an mir vorbei und ich überwand die letzten Meter zwischen uns. Es fühlte sich schön an, ihn zu küssen. Und auch, als er seine Zunge zum Einsatz brachte, gefiel mir das. Dieser Kuss war so anders als mit Nici. Irgendwie feuriger. Knutschend landeten wir im feuchten Gras, doch das störte uns nicht. Schließlich löste ich mich von Flo und grinste schief. „Wir haben echt nen Schaden…fandest du es geiler als mit Nici?“ „Weiß nich…irgendwie…anders…“ Ich nahm Flo noch mit zu mir und wir verbrachten die Nacht streichelnd und knutschend in meinem Bett. Mehr passierte jedoch nicht. Irgendwie tat es gut und unsere Küsse schienen eine Art Seelenheil für den jeweils anderen zu sein. Ich schlief in Flos Armen ein. Am nächsten Tag, als ich meinen Freund gerade verabschiedete, tauchte Nici auf einmal neben mir auf. Natürlich war unser kleiner Abschiedskuss nicht entgangen, doch das war mir egal. „Du Lukas, es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht verletzen.“ Ihre Stimme klang wieder so hell und zart. „Das spielt doch jetzt auch keine Rolle mehr oder? Es ist halt passiert.“ Sie schaute mich diesem unschuldigen Engelsgesicht an. „Vertragen wir uns trotzdem wieder? Bitte.“ „Wenn du damit leben kannst mit einem Weiberheld zusammen zu sein.“ „Ich hab mich doch entschuldigt“, schluchzte sie. „Kapierst du es nicht? Solange du auf das was Chris hörst, halt dich von mir fern. Ich brauch keine Freundin, die mir nich vertraut und außerdem hab ich auch ohne dich meinen Spaß, wie du siehst.“ Ihr Gesicht lief kreidebleich an. „Du bist so unfair Lukas…ich habe mich doch entschuldigt und ich verspreche dir, dass ich in Zukunft nichts von dem glaube, was mir Chris erzählt.“ Ich zündete mir eine Kippe an und lehnte mich an der Hauswand an. „Dann beweise es mir.“ Sie schlang ihre Arme um mich und küsste mich am Hals, doch ich war noch immer sauer. Wir standen noch eine Weile in der warmen Sonne. Dann fasste Nici meine Hand und wir gingen zu mir nach Hause. Irgendwie wollte ich ihr vergeben. „Du musst es mir wirklich versprechen okay?“ „Das werde ich. Ach ich war leicht überrumpelt, als du auf einmal weggerannt bist…dann wollte ich dir nachrennen, aber ich konnte mir denken, dass du wiederkommst. Eigentlich habe ich das eher gehofft. Dann als es dämmrig wurde hab ich mir Sorgen um dich gemacht und bin dich suchen gegangen. Mal so eine Frage, wo bist du eigentlich gewesen?“ „Frag mich alles nur das nicht, ich bin ein ganzes Stück gerannt, bis ich am Ende meiner Kräfte war. Da stand ich doch plötzlich auf so einem Friedhof, war richtig klein und idyllisch, aber mir gingen so viele Dinge durch den Kopf. Irgendwann bin ich dann langsam wieder zurück und hab noch mit Flo geschrieben…haben uns noch an der Laube getroffen.“ „Willst du heut eigentlich noch mal schlafen? Deine Nacht war ja scheinbar recht kurz.“ „Ich kann erst schlafen, wenn die Mischung aus Stroh 80 und Gras aufgehört hat zu wirken. Mir geht’s ganz schön im Magen rum.“ „Aber mehr hast du nicht genommen oder?“ In ihrer Stimme lag irgendwie ein scharfer Unterton. „Wenn dem so wäre, wäre ich jetzt ganz anders drauf.“ Sie starrte nachdenklich aus dem Fenster, das ich einen Spalt breit geöffnet hatte. „Da hab ich echt manchmal voll Angst um dich.“ „Fängt das jetzt schon wieder an? Traust du mir denn gar nicht mehr? Die Sache ist erledigt, okay? Ich wollte damals nicht, dass du die Wahrheit erfährst, aber es ist halt passiert. Trotzdem war das mal und es spielt doch nur eine Rolle, was jetzt ist oder?“ Sie stand auf und setzte sich ins Fensterbrett. „Lukas, ich liebe dich, so wie du bist und das weißt du auch. Aber ich weiß manchmal trotzdem nicht, ob ich dir so hundertprozentig trauen kann, gerade weil dir oft alles egal ist und so.“ „Damit versuche ich nur meine inneren Gefühle zu überspielen. Ich verdränge mein komplettes Familienleben, wenn man das noch so nennen kann und Drogen habe ich schon ewig nicht mehr genommen. Ich fühle mich innerlich miserabel, weil ich nicht weiß, was ich noch machen soll. Aber da liegen ja bei uns Welten dazwischen.“ Nici schwieg und kuschelte sich an mich. „Ich würde dir so gern helfen, aber ich weiß nicht wie? Sag es mir.“ Ich musste Lächeln und gab ihr einen Kuss. „Wenn du bei mir bist, ist mir schon genug geholfen.“ Nici drehte sich mit dem Gesicht zu mir und zog mir den Pullover aus, ihre Zunge umspielte meine Brustwarzen, dann glitt sie mit der Zunge immer weiter nach unten, ich zündete mir eine Zigarette an und zog genüsslich daran. Nici glitt mit ihren Fingern an den Knopf meiner Hose. Nun stand ich vor ihr, wie man mich erschaffen hatte und ließ mich rückwärts in mein Bett fallen. Von dort aus blickte ich zu ihr empor. Ihre Augen funkelten mich an, dann lächelte sie. Sie sank neben mir aufs Bett und ich nahm sie zärtlich in die Arme, deckte sie behutsam zu und streichelte ihre Weiche Haut. Auf einmal wanderte ihre Hand in meine Unterhose. Ich grinste und schloss die Augen. Ihr Kopf verschwand unter der Decke und ich stöhnte vor Lust. Als sie wieder hoch kam, zog ich sie an mich und drang in sie ein. Ihre Fingernägel krallten sich in meine Schulter und es tat gut, sie nach einem so beschissenen Tag so nahe zu spüren.         Kapitel 11: Wie ich Juka kennenlernte ------------------------------------- Juni Es wurde immer wärmer und jetzt, da es Tim wieder richtig gut ging, feierten wir am Wochenende auch wieder wilde Partys. Anfangs war ich selbstverständlich dabei, jedoch fragte ich mich eines Abends, ob ich das wirklich wollte? Hatte ich ernsthaft vor immer nur in Tims Bude zu hocken und mich abzuschießen? Und dann war da noch Nici. Hatte sie vielleicht doch Recht, dass ich ein bisschen kürzer treten sollte? Das war das erste Mal, dass ich mir ernsthaft Gedanken machte, wie es mit mir weitergehen sollte. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wollte ich nicht als drogenabhängiger Junkie auf der Straße landen und ein Leben als ewiger Loser führen. Eigentlich wollte ich genau das Gegenteil erreichen, jedoch konnte ich das so, wie es im Moment lief wohl vergessen. Aber was war, wenn ich heute nicht zu Tim ging? Da bewies ich Stärke und konnte allen zeigen, dass das Leben auch Spaß macht ohne ständig high zu sein. Nici hatte heute ihren Mädelsabend mit Nadja, also beschloss ich kurzfristig alleine loszuziehen. Das einzige, was ich vorher noch erledigte war Zigaretten kaufen. Ich kannte da eine kleinere Cocktailbar, die ich letztendlich, nach einigen Minuten der Unentschlossenheit, aufsuchte. An der Eingangstür hing ein Plakat mit der Aufschrift Visual-Kei-Night. Ich grinste. Was mich da wohl erwartet? Schon von draußen hörte man den Bass der Musik dröhnen, der den Gesang fast verschluckte. Ich drängte mich an einer Traube kichernder Mädchen vorbei, die mir hinterher schauten. Als ich dir Bar betrat, umgab mich sogleich ein dünner Nebelschleier und ein süßlicher Geruch gemischt mit dem von Disconebel stieg mir in die Nase. Ich schaute mich ein bisschen um und wurde von den Vorbeigehenden angerempelt, die sich einen Weg zu der kleinen Tanzfläche bahnten. Es gab nur einen größeren Raum, in dem mehrere Tische standen, die fast alle belegt waren. Weiter hinten führten ein paar Treppen zu einer Senke, die als Tanzfläche diente. Dort hatte auch ein DJ sein Mischpult aufgebaut und wippte zum Takt der Musik. Ich drängte mich durch die Massen und sicherte mir einen freien Tisch am Fenster. Der riesige Kronenleuchter inmitten des Raumes passte perfekt zu dem edlen Ambiente. Ich hängte meine Jacke über die Stuhllehne und bestellte einen Manhattan. Es lief logischerweise viel japanische Rockmusik, was ab und an auch mal ziemlich cool war. Unter den extravagant gekleideten Lolitamädels der Visual Kei Szene fiel ich nicht weiter auf. Ich mochte diesen Style mit Rüschen, Spangen und ausgefallenen Schnick Schnack irgendwie. Nachdem ich etwa eine viertel Stunde nur damit beschäftigt war Leute zu beobachten, blieb mein Blick an einem jungen Japaner hängen, der an der Bar stand und mit einem anderen Typen redete. Er stach vor allem durch seine Größe und die weißblonden Haare heraus. Er trug eine figurbetonte Lederhose mit Nietengürtel und ein weißes enganliegendes Hemd mit einer silbrig weiß glänzenden Weste darüber. Ein schwarzer Schal war legere um seinen Hals gewickelt. Auf einmal küssten sich die beiden. War er etwa schwul? Dann trafen sich unsere Blicke und nach einer Weile kam er zu mir. Er war leicht geschminkt und seine türkisblauen Augen strahlten mich freundlich an. „Hallo Süßer. Könntest du mir vielleicht mal kurz dein Feuer borgen?“ „Klar doch.“ Ich fühlte mich irgendwie komisch. Ich war es gewohnt, wenn Nici mich Süßer nannte und auch bei Tim oder Flo würde mich das nicht stören, aber ein wildfremder junger Mann? „Ich bin übrigens Juka.“ Er nippte an seinem Sektglas. Sollte ich die Unterhaltung weiterführen? Warum eigentlich nicht? „Freut mich. Ich bin Lukas.“ „Bist du alleine hier?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ja, brauch irgendwie mal was anderes, ein bisschen Abwechslung.“ Juka zog den rechten Mundwinkel nach unten und zündete sich eine Zigarette an. „Kann ich verstehen, ab und an braucht man auch mal seinen Freiraum. Was machst du sonst so, wenn du dich nicht allein in Bars herumtreibst?“ „Sonst häng ich halt viel mit meinen Freunden rum, mache Musik oder andere Dummheiten.“ Juka zog die Augenbrauen hoch. „Dummheiten? Wie darf ich das denn verstehen?“ Ich musste lächeln. „Naja Partys feiern und so.“ „Ach wirklich? Vielleicht sollten wir mal zusammen feiern gehen.“ Ich wusste nicht warum, aber irgendwie machte mich Juka nervös, aber auf eine Art und Weise, wie ich sie eigentlich nur kannte, wenn ich ein Date hatte. „Können wir gern tun. Sind oft im Underground unterwegs, komm doch da mal vorbei.“ „Trotzdem ist es ungewöhnlich heutzutage alleine weg zu gehen oder nicht?“, fragte Juka weiter. Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nich…kann auch ganz amüsant sein und man lernt mal neue Leute kennen.“ „Das stimmt. Du hast vorhin erwähnt, dass du Musik machst.“ Ich nippte an meinem Glas, während Juka und dann auch ich uns eine Zigarette anzündeten. „Ja, aber die Band gibt’s noch nich so lange…probieren uns gerade noch ein bisschen aus, aber es wird und ich hoffe irgendwann werden wir erfolgreich.“ „Und was machst du? Spielst du ein Instrument oder singst du?“ Wieder musste ich grinsen. „Ich bin der Sänger…kann aber auch en bisschen Gitarre spielen.“ „Mhh…ich steh auf hübsche Sänger…aber das Musikbusiness ist nicht immer ganz ohne und man sollte nicht davon ausgehen, dass da einem jeder wohlgesonnen ist.“ Juka sprach so davon, als hätte er selbst Erfahrung damit gemacht und ich fand es noch immer verwunderlich, wenn er mich als hübsch bezeichnete. Ich sollte mehr trinken und mich daran gewöhnen. „Ja, das glaub ich, aber noch steckt Nocturna in den Kinderschuhen.“ „Bist du vergeben?“, fragte er nach einer kurzen Redepause. Ich nickte stumm, weil ich eigentlich nicht über meine Beziehung reden wollte. Es wäre mir irgendwie auch lieber gewesen Juka wüsste nicht, dass ich eine Freundin hatte. Doch warum gerade diese Gedanken? Ich war ein bisschen verwirrt. „Und was sagt sie zu deiner Band?“ Ich fing an Juka zu mögen und aus irgendeinem unerklärlichen Grund fiel es mir leicht mich mit ihm zu unterhalten. Es war so ungezwungen. „Manchmal denk ich ihr geht das alles auf die Nerven und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie wirklich liebe.“ „Komm, ich spendiere dir jetzt ein Gläschen Sekt. Oder nein, ich lasse gleich eine ganze Flasche an unseren Tisch kommen.“ Er schien zur Bar zu schweben und sein graziler Gang faszinierte mich ungemein. Als ich mich dabei ertappte, dass ich eher unbewusst auf Jukas Hintern starrte, wurde mir auf einmal ganz heiß. Was war nur in mich gefahren? Mit eisgekühltem Sekt und einem passendem Glas für mich kehrte Juka zurück und füllte unsere beiden Gläser randvoll. Ich kippte den Rest von meinem Manhattan runter. „Und wie lange bist du schon mit deiner Freundin zusammen?“ „Naja, eigentlich erst drei Monate, aber wir waren vor einem halben Jahr schon mal zusammen. Allerdings habe ich unsere Beziehung da beendet, weil…naja, das is ne lange Geschichte.“ Juka fixierte mich mit seinen unglaublichen Augen und zog elegant an seiner Zigarette. „Der Abend ist noch jung oder nicht?“ Ich zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck. Ein Glück hatte er halbtrocknen Sekt bestellt. „Naja, ich hab ne miese Vergangenheit…ich versteh mich nich besonders gut mit meinen Eltern, weil ich nich so bin, wie sie mich gern hätten. Vor ein paar Jahren rutschte ich dann in diverse Kreise und hab es ein bisschen übertrieben…mein bester Freund konnte mich vor ner Überdosis bewahren. Seit dem bin ich bei meinen Eltern unten durch und meine Freunde ebenfalls. Meine Freundin versucht mich oft aufzumuntern, dass alles wieder gut wird und so, aber das funktioniert nich so richtig.“ Juka unterbrach mich nicht ein einziges Mal. Sein Gesichtsausdruck war jetzt ernster und er hörte mir einfach nur zu, so wie es noch keiner getan hatte. „Ja, das ist wirklich nicht besonders schön. Meine Familie kam auch erst nicht richtig damit klar, dass ich schwul bin. Aber was genau tut deine Freundin denn, um dich aufzumuntern?“ „Naja, was man halt so tut…sie redet mir gut zu, drängt mich dauernd, dass ich das mit meinen Eltern klären soll und so…aber reden bringt nichts mehr. Das hab ich schon oft genug versucht…is kompliziert und Nici beschwert sich dann immer, wenn ich zu viel trinke oder schlechte Laune hab.“ „Vielleicht ist sie dann nicht die Richtige…hast du darüber schon Mal nachgedacht?“ Ich musste lachen. Mittlerweile fand ich Juka wahnsinnig sympathisch und lieb. Dennoch überraschte mich seine direkte Art. „Das hab ich mich auch schon gefragt und manchmal zweifle ich an unserer Beziehung, aber dann auch wieder nich.“ „Mh oder aber du stehst einfach nicht auf das weibliche Geschlecht“, stellte er mehr fest, als er sagte, doch dieser Gedanke warf mich völlig aus der Bahn. War ich tatsächlich schwul? Oder bi? Juka schenkte mir ein hinreißendes Lächeln. Er besaß wirklich feminine Züge in Gesicht und Körperbau. Von seinen Beinen würde wahrscheinlich fast jede Frau träumen und seine Bewegungen waren ebenfalls sehr elegant und nicht so plump. „Kann ich dich mal was fragen?“, wechselte ich deshalb schnell das Thema. „Na klar.“ „Läufst du immer so rum, wie jetzt?“ „Ja schon. Ich mag es aufzufallen und versuche auch immer dort einzukaufen, wo man Einzelteile bekommt.“ „Und du stehst auch nur auf Männer“, stellte ich eher fest, als das ich fragte. Er grinste mich an und warf mir einen verführerischen Blick zu. „Ja tue ich. Ich wohne mit zwei Transen in einer WG. Also manchmal können die einem ja ganz schön auf die Nerven gehen, vor allem, wenn es um die abendliche Garderobe geht.“ Mittlerweile war es fast um sechs und wir saßen fast alleine in der Cocktailbar. Den letzten Schluck der dritten Flasche Sekt teilten wir gerecht auf unsere Gläser auf. „Sag mal, magst du mich mal in meinem Wellnesssalon besuchen kommen? Das würde mich echt wahnsinnig freuen. Ich könnte für dich sogar eine Gratismassage arrangieren. Das mache ich allerdings nur nebenbei, zusammen mit meinem besten Freund.“ Juka zwinkerte mir zu und setzte wieder sein charmantes Lächeln auf. „Na bei dem Blick kann ich dieses Angebot ja nicht ablehnen.“ Er kramte in seiner Tasche und schob mir dann eine Visitenkarte herüber. Wir verließen die Bar gemeinsam. Ich hatte etwas mit meinem Gleichgewicht zu kämpfen, weil der Sekt ganz schön rein gehauen hatte. Juka gab mir zum Abschied ein Küsschen auf die rechte und dann auf die linke Wange. „Du Juka…..Danke, dass du mir zugehört hast.“ „Dafür musst du dich doch nicht bei mir bedanken. Das habe ich sehr gern getan. So, nun aber ab ins Bett mit dir und lass dich mal bei mir blicken, hörst du?“ „Na klar. Schlaf schön.“ Wir lächelten uns noch ein letztes Mal an diesem Abend an. Dann machte ich mich auf den Heimweg. Ich fühlte mich super, befreit von allen Sorgen, als ob ich gerade mit einem Psychiater gesprochen hätte. Hatte ich in Juka einen neuen Freund gefunden? Ich war mir ziemlich sicher und das machte mich unglaublich glücklich. Leise schloss ich die Haustür auf und schlich auf Zehenspitzen in mein Zimmer. Als ich auf mein Handy schaute, weil ich wissen wollte, wie spät es war, hatte ich sechs unbeantwortete Anrufe und zwei Mitteilungen empfangen. An diesem Abend hatte ich es absichtlich zu Hause gelassen. Die Anrufe stammten von Tim, Flo und Basti, sowie eine SMS und die andere Nachricht hatte mir Nici geschrieben. Sie fragte was ich gerade so trieb und das sie mich liebte. In der zweiten SMS fragte mich Tim, ob ich denn noch am Leben sei und weshalb ich nicht an mein Telefon ging. Meine Klamotten ließ ich an der Stelle meines Zimmers fallen, wo ich gerade stand und plumpste müde in mein Bett. Es dauerte auch nicht lange, bis ich in einen traumlosen Schlaf fiel. Am nächsten Morgen kroch ich in meinen Bademantel und rauchte eine Zigarette. Die Kopfschmerzen, die ich vermutet hatte, blieben aus. In der Küche fand ich einen gedeckten Tisch vor, an dem meine Schwester saß. Als ich zur Tür eintrat kam sie gleich auf mich zugestürmt und umarmte mich. „Oh, bist du etwa ganz alleine?“ „Nein, Mutti hängt Wäsche auf. Sie wollte jeden Moment wieder da sein.“ Ich setzte mich neben Johanna und schmierte mir ein Brötchen mit Marmelade. Da erschien auch schon meine Mum und war sehr erstaunt, dass ich schon munter war. „Dafür, dass du so spät zu Hause warst, bist du aber schon früh auf den Beinen!“ „Das wundert mich auch. Hast du mich gehört?“ „Nein, aber als ich halb vier ein Blick in dein Zimmer geworfen habe, war dein Bett noch leer. Warst du mit deinen Freunden unterwegs?“ Ich schüttelte mit dem Kopf und schenkte mir Kaffee ein. Sie hatte einen Blick in mein Zimmer geworfen? Was sollte ich davon schon wieder halten. „Darauf hatte ich gestern keinen Bock. War alleine in einer Cocktailbar und habe da ne nette Bekanntschaft gemacht.“ Meine Mutter schien irgendwie erleichtert zu sein. Nach dem Frühstück traf ich mich mit Basti, der als erstes auch wissen wollte, wo ich gestern war. Auch ihm erzählte ich es, jedoch auch, wen ich kennengelernt hatte. „Was? War es nicht komisch sich mit nem Schwulen zu unterhalten?“ Ich lachte und rauchte eine Zigarette. „Das dachte ich anfangs auch, aber er war echt richtig nett. Warst du bei Tim?“ „Mal kurz, aber so gegen um elf bin ich dann auch wieder abgehauen, weil ich keine Lust mehr hatte. Eigentlich dachte ich, dass du später noch dort gewesen bist, weil die alle versucht haben dich anzurufen.“ „Na so ein Pech, dass ich mein Handy nich dabei hatte. Ich hatte da gestern absolut keinen Bock drauf. Hat auch was mit Nici zu tun.“ Basti grinste mich an. „Ach, sag bloß, du wirst doch noch vernünftig?“ „Vielleicht. Hast du Lust Juka mal kennenzulernen? Keine Angst, er ist echt mega lieb.“ „Na von mir aus.“ Ich zog die Visitenkarte aus meiner Tasche heraus und wir fuhren mit der S- Bahn zu der angegebenen Adresse. Als wir den Salon betraten, war ich wirklich erstaunt. Schon die Eingangshalle war sehr nobel eingerichtet. Ich fragte die Frau an der Rezeption nach Juka. „Oh tut mir leid, aber er hat gerade Kundschaft. Kann ich ihm etwas ausrichten?“ Ich schrieb meine Nummer auf einen Zettel. „Er soll sich mal bei mir melden. Wäre nett, wenn Sie den Zettel an ihn weiterreichen könnten.“ „Kein Problem.“ „Danke und tschüss.“ „Tschau.“ Wir beschlossen dann doch Tim mal einen Besuch abzustatten. Er war irgendwie total aufgebracht, als wir in seiner Wohnung angekommen waren. „Was ist denn mit dir los?“, fragte ich. „Da fragst du noch so blöd? Weißte, wir versuchen dich gestern die ganze Zeit zu erreichen und wer nich an sein Handy geht, bist du!“ „Ey, tut mir leid, ich hab es zu Hause vergessen. Deshalb musst du dich doch jetzt nicht so aufspielen. Das kann doch mal passieren. Oder hast du keinen anderen Freunde außer mir?“ Tim warf mir einen boshaften Blick zu. „Is doch so.“ Wir setzten uns ins Wohnzimmer und er kam langsam wieder runter. „Und wo warst du gestern?“ „Hab mich mit nem alten Bekannten getroffen. Kam ganz kurzfristig. Eigentlich wollte ich dann auch noch mal zu euch kommen, aber um sechs habe ich es dann doch lieber vorgezogen ins Bett zu gehen.“ „Kenne ich diesen alten Bekannten?“ Ich schüttelte mit dem Kopf und zwinkerte Basti unauffällig zu. Auch Flo erschien dann noch. Allen erzählte ich dieselbe Story, nur Basti wusste die Wahrheit. Ich gab auch keine weiteren Auskünfte darüber, wer denn mein alter Bekannte war. Plötzlich klingelte mein Handy. Zu erst dachte ich es wäre Nici, doch als ich auf das Display schaute, blinkte dort eine mir unbekannte Nummer auf. Am anderen Ende vernahm ich Jukas Stimme und er fragte, was ich wollte. „Ach, du hast mir schon gefehlt.“ Er war hocherfreut. „Und dann wollte ich dir noch jemanden vorstellen, aber du hattest ja gerade zu tun.“ Er fragte mich, ob ich ihn nicht heute Abend in seiner Transen WG besuchen wolle. „Das ist über dem Salon. Und bring deinen Freund doch mit.“ Ich lachte und wir verabschiedeten uns voneinander. Meine Freunde schauten mich alle ganz komisch an. „Das war Juka oder?“, fragte mich Basti. Ich grinste und nickte ihm zu. „Magst du ihn heute Abend mal mit besuchen kommen?“ „Klar, warum nicht. Aber nicht so lange, wegen Schule morgen.“ „Na das ist klar.“ Bevor ich nach Hause ging, besuchte ich Nici. Mit einem Lächeln schloss sie mich in ihre Arme und wir küssten uns. „Wie war es gestern bei dir?“ „Ganz lustig, aber Nadja und ich haben auch ein sehr ernstes Gespräch geführt.“ Ich zog die Augenbrauen hoch  und warf meiner Freundin einen fragenden Blick zu. „Naja, es ging um dich. Nadja ist noch immer der Meinung, dass es ein Fehler von mir war die Beziehung mit dir einzugehen. Wegen dieser einen Sache eben, weil sie denkt, ich kann dir nicht mehr helfen.“ Das machte mich irgendwie traurig, aber was hatte ich anderes erwartet. Schließlich war ich für meinen Ruf selbst verantwortlich. Bei Nadja kam aber wahrscheinlich noch die Eifersucht dazu, die sie empfand. Diesen Gedanken sprach ich jedoch nicht aus. „Da kann ich wohl auch nichts dran ändern, wenn sie so von mir denkt.“ „Warum musst du auch immer so pessimistisch sein?“, fragte sie genervt und ich ließ von ihr ab. „Müssen mich heut eigentlich alle so arschig verhalten? Erst Tim, dann du. Hab ich euch irgendwas getan?“ „Dann hör doch auf dich wie ein Arsch zu verhalten!“, platzte sie raus. „Ach jetzt bin ich es? Is wohl besser, wenn ich gehe“, erwiderte ich und kehrte ihr den Rücken. Doch hielt sie mich fest und zog mich zurück. „Tut mir leid, ich wollte nicht mit dir streiten…“ Ich seufzte tief. „Okay…ich muss noch Mal wohin…sollen wir uns später noch treffen?“ Nici sah mich leicht angefressen an. „Sollen tust du gar nichts…mach was du denkst“, gab sie mir schnippisch als Antwort. Ich verdrehte die Augen. „Schon klar…ich hab übrigens nen neuen schwulen Kumpel….“ „Du hast was?“ „Er heißt Juka und wir haben uns gestern zufällig kennengelernt…wollte ihn noch besuchen…“ Nici lachte jetzt. „Das heißt, du warst gestern gar nicht bei Tim?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Na das gefällt mir. Ich bin ein bisschen stolz auf dich. Ich will dir den Umgang mit deinen Freunden ja nicht verbieten, aber vielleicht würde dir ein wenig Abstand guttun.“ „Wem sagst du das. Ich muss jetzt aber erst mal nach Hause. Kommst du mich heute Abend besuchen?“ „Mhh okay. Wann denn?“ „Um neun? Ich muss vorher noch Hausaufgaben machen und so.“ Ich rauchte vor meinem Haus noch eine Zigarette. Wiedermal war ich alleine. Basti und ich hatten uns halb sieben verabredet, um Juka besuchen zu gehen. Auch von Basti war er total entzückt. Juka machte uns auch gleich mit seiner Wohngemeinschaft bekannt, die mindestens genauso abgedreht waren wie er selbst. Unter ihnen befand sich auch sein bester Freund Kami. Heute fiel Jukas Klamottenwahl nicht ganz so ausgefallen aus, eher im schlichten schwarz. Doch sein transparenter dünner Wollpulli gab den Blick auf seinen muskulösen Oberkörper ein bisschen preis. Und funkelte da tatsächlich ein Piercing in seinem Bauchnabel? Kaum merklich schüttelte ich mit dem Kopf, um diese obszönen Gedanken loszuwerden. „Hey Basti, schön dich kennenzulernen“, sagte Juka. „Freut mich auch. Du scheinst Lukas ja echt beeindruckt zu haben.“ Ich äußerte mich nicht dazu. Juka bot uns ein Bier an und wir redeten dann noch ein bisschen. „Warum hab ich dich beeindruckt?“, richtete er die Frage an mich und mir schoss die Röte ins Gesicht. Ich hatte vergessen, wie direkt er war und im nüchternen Zustand war ich leider nicht ganz so schlagfertig. „Mhh, weiß nich…ich denk ich mag deine offene Art einfach…“, antwortete ich und Juka schenkte mir ein bezauberndes Lächeln, welches mein Herz schneller schlagen ließ. „Wie gesagt, ich steh auf hübsche Sänger.“ Verdammt, weshalb machte mich dieser Mann nur so verrückt? Ich erkannte mich selbst kaum wieder. Basti wollte schon eher los, weil er noch mit seinem Bruder verabredet war. „Okay, ich hab noch ein bisschen Zeit“, sagte ich und irgendwie hatte ich das Gefühl, Juka freute sich jetzt mit mir allein sein zu dürfen. „Wenn du möchtest bekommst du deine versprochene Massage.“ Oh fuck! Wollte ich das wirklich? „Da sag ich doch nicht nein“, antwortete mein Gehirn viel zu schnell. Na super. Ich dachte an die Narben und was Juka wohl dazu sagen würde? Nicht, dass ich mich dafür schämte und warum verflucht war es mir so wichtig, was er von meinem Körper hielt? Als ich meinen Pulli auszog, entging mir Jukas Blick nicht und ein zaghaftes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Und dann tat er etwas, das mir fast den Atem raubte, er strich über meine vernarbte Brust. Dann entlang meiner Arme und ich bekam eine scheiß Gänsehaut. Was zur Hölle passierte hier gerade? „Hast du dir das angetan?“, flüsterte er fast und ich nickte nur. „Wohl doch nicht so sexy, wie du gehofft hast“, konterte ich. „Es steht mir nicht zu das beurteilen, dafür kenne ich dich zu wenig…Luki.“ „Luki? Ernsthaft?“, fragte ich amüsiert. „Ja, ich finde das passt zu dir.“ Normalerweise hasste ich diese Verniedlichung meines Namen, aber wenn Juka das sagte, klang es irgendwie schön. „Tue was du nicht lassen kannst.“ Ich legte mich aufs Sofa und ließ Juka seines Amtes walten. Und wahrhaftig, dieser Mann wusste, was er tat und auf einmal wurde mir wieder heiß und kalt. Irgendwie machte es mich ganz verrückt und ich unterdrückte dieses Gefühl abermals. Leider verstrich die Zeit viel zu schnell und vielleicht war es auch besser, wenn ich jetzt ging. „Geht es dir wieder besser?“ Ich nickte und lächelte ihn an. „Ja, ich denke schon.“ „Ich weiß, wir kennen uns noch nicht so lange, aber wenn du mal jemanden zum Reden brauchst, ich werde immer für dich da sein.“ „Danke. Pass auf dich auf.“ Juka lächelte mich total süß an. Ich hatte noch Zeit, kurz unter die Dusche zu springen. Dann erschien Nici auch schon. Wir kuschelten uns auf mein Bett und schauten Fern. Sie saß zwischen meinen Beinen und lehnte sich an meinen Oberkörper. „Oh, ich bin irgendwie total müde“, bemerkte sie. „Willst du bei mir schlafen?“ „Nee, heute nicht, weil ich mein ganzes Zeug für morgen bei mir zu Hause habe. Ich will morgen früh keinen Stress haben.“ „Bist du mir jetzt böse, wenn ich dich nicht mehr nach Hause bringe?“ „Nee, ich schaffe das schon allein, keine Angst. Dann bis morgen!“ Wir küssten uns noch einmal und sie verschwand mit einem bezaubernden Lächeln hinter der Tür. Lächeln hinter der Tür. Kapitel 12: Noch mehr Unglück ----------------------------- Am nächsten Tag wollte ich Nici besuchen und fand Nadja total aufgelöst auf den Stufen vor ihrem Haus. „Hey, was ist denn mit dir los?“ Sie schluchzte und sah mich mit abwertendem Blick an. „Warum sollte ich dir das sagen?“ „Nadja bitte. Hat es was mit Nici zu tun?“ Sie nickte und ich drängte sie schließlich so lange, bis sie mit der Sprache rausrückte. „Naja, wir waren gestern noch spontan unterwegs und da war dieser schleimige Typ…erst haben wir uns über ihn lustig gemacht und dann war Nici mit ihm verschwunden…ich hab mir nichts dabei gedacht, doch nach einer Weile bin ich den beiden hinterher und…und da hab ich gesehen, wie er sie vergewaltigt hat…es war so schlimm Lukas. Sie liegt jetzt im Krankenhaus. I-ich war bei ihr…und glaub ihr geht es nicht besonders gut.“ Nici lag mit noch zwei weiteren Patienten auf der ITS, jedoch war sie bei Bewusstsein. Das beruhigte mich ein wenig. Ich setzte mich an die Kante des Bettes und nahm ihre Hand. „Wie geht es dir?“, fragte ich vorsichtig und merkte, dass diese Frage echt blöd klang. „Es geht schon wieder besser, ich werde bestimmt bald wieder auf den Beinen sein.“ Und bei diesen Worten lächelte sie. „Das will ich hoffen. Es tut mir unendlich leid, ich wollte nicht, dass dir so was passiert. Ich verspreche dir, dass ich den Typ umbringe, der dir das angetan hat!“ „Du konntest doch nicht wissen, dass da so ein kranker Typ ist,  der es auf mich abgesehen hatte. Du trägst keine Schuld, bitte bleibe ruhig. Die Sache können wir auch klären, wenn es mir wieder besser geht! Bitte Lukas, mach nichts Unüberlegtes.“ „Weißt du noch, wie er aussah?“ „Hatte fast eine Glatze...weiß nicht mehr so viel.“ „Ich glaub, es ist besser, wenn du dich ausruhst. Ich komm dich so oft besuchen, wie ich nur kann.“ Ich gab Nici einen Kuss auf die Stirn und ging. Auf dem Weg grübelte ich, wer das gewesen sein könnte, doch ich wusste keine Person, auf die diese Beschreibung passen könnte, da sie auch etwas ungenau war. Nicis Zustand verbesserte sich nicht wirklich, eher im Gegenteil. Sie war zwar scheinbar körperlich nicht mehr so schlimm verletzt, aber psychisch. Und die Ärzte schickten sie in ein Therapiezentrum, wo sie ihr Trauma verarbeiten konnte oder so. Ich hatte bis jetzt keinem etwas davon erzählt, noch nicht einmal Tim. Ich war mir nur im Klaren, dass ich diesen verdammten Typ so schnell wie möglich finden musste, um ihm den gar auszumachen. Für Nici würde ich alles tun. Ich besuchte sie und sie wirkte durch die Medikamente sehr schwach und ein bisschen benebelt. Sie wollte auf ihr Zimmer und ich begleitete sie dorthin. Dann schlief sie auch schnell ein. Sie lächelte auf einmal und es hatte den Anschein, als würde sie einen wunderschönen Traum haben. „Du weißt gar nicht, wie wunderschön du bist Nici. Du liegst hier, wie ein kleiner Engel, das ist wirklich die richtige Bezeichnung für so ein bezauberndes Mädchen, wie dich. Bitte werde wieder gesund. Was soll ich sonst ohne dich machen?“ Meine Stimme wurde mit jedem Wort schwächer, jetzt merkte ich erst, dass ich ziemlich schlimme Halsschmerzen hatte. Konnte kaum noch reden, aber das war mir sowieso alles egal. Wenn ich mir das alles so überlegte, gab es eigentlich viele Menschen, die ich sehr mochte, aber erst jetzt bemerkte ich, wie schlimm es eigentlich sein kann, einen von ihnen zu verlieren. Ich versuchte mir vorzustellen, wie grob der Kerl wohl mit Nici umgegangen sein musste! Wie er sie ausgezogen hat und sie gegen ihre Willen vergewaltigte. Ich versuchte mir ebenfalls vorzustellen, wie seine Hände nach ihren wunderschönen Brüsten gegrapschten, wie er den kleinen, zierlichen Körper so misshandelt und geschändet hatte. „Neeeeeeeiiiiiin!“, schrie ich und wollte mir einfach nicht vorstellen, dass das alles wirklich passiert ist. Ich schöpfte immer noch Hoffnung. Ich bildete mir ein, dass hier schon so viele hoffnungslose Fälle lagen und man konnte sie auch retten, warum dann nicht auch Nici? Ich besuchte sie kaum noch, denn ihr Anblick, so vollgepumpt mit Medikamenten machte mich wahnsinnig. Ich wusste nicht, was ich jetzt machen sollte. Ich war verzweifelt und wütend auf mich selbst. Eigentlich rückte der Glaube, Nici schon verloren zu haben, immer näher. Mein Handy klingelte, ich ging dran. „Hi Lukas, ich bin’s Tim. Kannst du jetzt mal zum Proberaum kommen?“ Ich brachte nur ein gequältes mmh heraus und legte auf. Ich war früher als Tim angekommen und hockte mich auf die Bank vor dem Proberaum. Plötzlich überkam es mich! Ich fing an zu heulen, winkelte die Beine an und vergrub das Gesicht darin. Mein Körper war von Schmerz und Hass erfüllt und ich konnte mich kaum noch regen. Alle Glieder schmerzten. Immer wieder musste ich an Nici denken und innerlich zerriss es mir fast mein Herz. Tim wollte wissen, was los war und nun erzählte ich ihm alles. Er war sehr entsetzt darüber. „Du wirst das schon verkraften und du weißt auch, dass ich in solchen Situationen immer für dich da bin! Tue mir aber einen Gefallen, wenn du diesen Kerl finden solltest, zeige ihn an und mach ihn nicht alleine kalt. Du weiß nie wozu solche Typen noch fähig sind!“ Ich nahm die letzen Worte gar nicht richtig war. „Weißt du eigentlich, wie es ist, jemanden zu verlieren? Wahrscheinlich nich. Ich würde mich am liebsten umbringen, aber du verstehst mich ja eh nicht. Vielleicht ist es besser, wenn du mich allein lässt!“ „Was soll das denn jetzt? Denkst du alle schieben jetzt Mitleid, nur weil es dir schlecht geht?“ „Weißt du Tim, lass mich einfach nur in Ruhe, wenn du mir so kommst! Ich habe gedacht, wir sind Freunde. Ich verlang nich von dir, dass du mir vor Mitleid gleich in den Arsch kriechst. Aber es gab mal ne Zeit, da bist du noch für mich da gewesen doch das ist anscheint vorbei.“ Tim sah mich voller Enttäuschung an. „Eins sag ich dir, wenn du wieder mit Drogen anfängst, dann kannst du was erleben! Ich will nicht, dass du wieder ‚son kleiner Junkie wirst. Bitte Lukas lass es bleiben!“ „Jetzt auf einmal. Was willst du denn mit mir machen, mich zusammenschlagen? Dann bitte, ich steh dir gern zur Verfügung!“ Und ich stellte mich provokant vor Tim auf. Er versuchte mich in seine Arme zu nehmen jedoch befreite ich mich aus seinem Griff. „Lukas, werd doch mal wieder vernünftig. Du weißt genau, dass ich das nie machen würde!“ „Ach geh doch zu deiner Alex und werde glücklich!“ Ich kehrte ihm den Rücken zu und lief davon. Er sprang auf und folgte mir. „Bitte versprich mir, dass du keinen Scheiß machst! Ich mache mir echt Sorgen um dich auch wenn du das im Moment nicht wahrhaben willst.“ Ich blieb wie angewurzelt stehen. Tim war noch nicht einmal sauer, dass ich ihn so vollgenölt hatte! Machte er sich wirklich Sorgen um mich? „Das von eben tut mir leid, ich bin halt gerade ziemlich am Boden. Ich fang bestimmt nicht wieder damit an, dass hab ich eben nur so gesagt.“ Tim umarmte mich erneut und diesmal rannte ich nicht weg. Vielleicht tat es sogar ganz gut. Zu Hause fand ich meine Mum und Klaus halbnackt im Wohnzimmer turtelnd vor. Oh ja, das war es, was ich jetzt noch brauchte. Sie bekamen mich in ihrem Liebeswahn nicht mal mit und Jojo schien auch außer Haus zu sein. Ich verkroch mich in meinem Zimmer, weil ich den Rest gar nicht mitbekommen wollte. Ich fühlte mich so leer und vor allem einsam. Und das Schlimme war, dass es hier in meiner Familie keinen gab, mit dem ich vernünftig darüber reden konnte. Hier war ich ein nichts und keiner interessierte sich für meine Probleme. Das verstärkte den Schmerz. Meine Mum fand mich total aufgelöst vor und fragte nicht mal, was los ist. „Wir wollen heut Abend noch mal weg, kannst du der Zeit bei Johanna bleiben?“ Ich sah sie aus verheulten Augen an und nickte. „Ja klar!“ Meine Stimme schien irgendwie ganz weit weg zu sein und klang so fremd. Sie musterte mich noch eine Weile und der Ausdruck in ihrem Gesicht verwandelte sich von fröhlich in ernst. „Ist was passiert?“ Ich biss mir auf die Unterlippe, um die Tränen zu unterdrücken. „Ist schon gut. Ich komm klar.“ Sie fragte auch nicht weiter und ging mit Klaus schick Essen. Jojo und ich machten uns einen schönen Abend, sie spielte Final Fantasy am Computer in meinem Zimmer, während ich ihr dabei zusah. „Lukas, du bist so traurig. Was ist mit dir los?“ „Darüber will ich im Moment nicht reden, meine Kleine!“ Ich legte meine Arme um sie. „Kannst du mir mal helfen? Ich komm da nicht weiter!“ Ich setzte mich auf den Stuhl und nahm sie auf meinen Schoß. Sie lachte und lehnte sich an mich. „Ach ich hab auch gar keine Lust mehr. Musst du so viel rauchen?“ Ich sah sie an. „Naja, weiß nich.“ „Das ist doch ungesund!“ Ich musste grinsen, weil mich ihre Fürsorge rührte. „Naja, ich kann ja ein bisschen weniger rauchen...“ „Und trinken tust du auch viel zu viel! Vielleicht werde ich ja später auch so.“ Ich musste lachen. „Ja das stimmt auch wieder, aber du sollst ja auch nicht so wie ich werden!“ „Ich mag dich doch aber...“ „Ja ich weiß, ich dich doch auch! Schläfst du heut bei mir?“, fragte ich. „Gerne, Eileen schläft auch immer bei Robert, wenn sie allein ist oder Angst hat.“ Jojo sah richtig süß aus, wenn sie so dalag und schlief. Ich quälte mich noch ein wenig mit den Ereignissen des Tages herum.   Ein düsterer Tag im Juni. Wo sollte ich anfangen Nicis Peiniger zu suchen? Ich saß trostlos in meinem Zimmer und hörte Manson. Das Wetter passte wiedermal perfekt zu meiner Weltuntergangsstimmung. In mir baute sich eine rasende Wut auf. Trotz des schlechten Wetters beschloss ich noch eine Runde spazieren zu gehen, denn in meinem Zimmer würde ich sonst wahnsinnig werden. Ich mied die Innenstadt und trieb mich irgendwo in den abgelegenen Vierteln der Stadt herum. Ich war mir nicht sicher, ob es dämmrig wurde oder ob es nur durch das Wetter so düster war. Der Regen ließ langsam nach und ich setzte mich auf die Stufen vor irgendeinem alten, baufälligen Haus. Mich würde es sehr wundern, wenn hier jemand freiwillig wohnte. Ich vernahm Gelächter, das näher zu kommen schien. Ich sah vier Jugendliche in meine Richtung kommen, die sich als Robert und seinen Kumpels entpuppten. Ich sprang auf und versteckte mich in der alten Bruchbude, denn auf Faschos hatte jetzt absolut keine Lust. In dem Eingang roch es widerlich, jedoch konnte ich den Geruch nicht genau definieren. Auf einmal wurde mir heiß und kalt im Wechsel. Ich wusste nicht warum, doch irgendwie wurde ich das dumme Gefühl nicht los, dass ich hier in diesem dunklen Raum nicht allein war. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich bekam Panik. Langsam bewegte ich mich in Richtung Ausgang fort, als plötzlich das Licht anging. Mir blieb das Herz fast stehen, als etwas auf mich zuflog. Ich hörte wieder Gelächter und dann stand Robert mit seinem Freund vor mir. „Oh, haben wir dich etwa erschreckt? Das tut uns aber leid.“ „Wahnsinnig witzig. Wart ihr nicht eben noch auf der Straße da draußen?“ „Ja, aber da haben wir dich gesehen und dachten, wir könnten uns mal einen kleinen Spaß erlauben. Das Licht hast du ja ziemlich schnell gefunden. Eigentlich wollten wir dich im Dunklen überraschen.“ Den Lichtschalter hatte ich wohl zufällig betätigt. Ich hatte nicht wirklich Angst, doch allein mit diesen schrägen Typen war mir nicht ganz geheuer. „Seid ihr oft hier in diesem Haus?“, fragte ich. „Naja, haben schon ein paar Feten hier gefeiert. Aber ich glaube, wir sind nicht die Einzigen, die in dieser Bruchbude hausen. Weißt du Lukas, du hast mich schon immer angewidert, erst hast du mir Nici ausgespannt und dann das dumme Prahlen mit deiner Band dauernd. Ich wollte dich schon immer mal so richtig vermöbeln.“ Der Klang in Roberts Stimme missfiel mir sehr und ich war mir auch im Klaren, dass ich allein war und meine Chancen sehr geringen waren diesem Trupp standzuhalten. „Also hast du dich an Nici vergriffen? Du Schwein!“ Robert lachte zynisch. „Ich wollte schon immer mal wissen wie es ist ein Mädchen zu vergewaltigen.“ In mir brodelte es und ohne darüber nachzudenken stürmte ich auf Robert los. Meine Faust traf genau sein Gesicht. Doch einer gegen vier geht nun mal für den einen nicht gut aus. Plötzlich hielten mich zwei seiner Kumpanen an den Armen fest und so sehr ich auch mit den Beinen strampelte, es half nichts. Unter Tritten und Schlägen sank ich schließlich mit grässlichen Schmerzen zu Boden. Jemand schrie dann aufhören und Robert und seine Leute verzogen sich mit schallendem Gelächter. Ich konnte mich nicht bewegen, weil jede Faser meines Körpers höllisch schmerzte. Nach einer ewig langen Zeit raffte ich mich auf und zog mich am Treppengeländer hoch. Meine Beine drohten wieder unter meinem Gewicht weg zu sacken. Ich zitterte und überlegte, was ich jetzt tun sollte. Hier bleiben konnte ich nicht, nein ich musste schnell verschwinden, denn sicher würden diese Typen bald zurückkommen. Ich fasste mir ins Gesicht und erschrak, als meine Hand danach total blutverschmiert war. Unter Qualen schleppte ich mich zur nächsten Bahnstation und zog meine Kapuze ganz tief ins Gesicht. Zuerst kam mir Tim in den Sinn, doch dann fiel mir unser Streit wieder ein und wollte ihm so nicht unter die Augen treten. Was war mit Juka? Sicher würde er sich fürchterlich erschrecken, wenn er mich so sah. Ich fuhr mit der Bahn bis zur Stadtmitte und suchte dort die öffentlichen WCs auf, um meine Verletzungen zu begutachten. Alle Leute schienen mich dämlich anzuschauen und jetzt wusste ich auch warum. Mein ganzes Gesicht war voller Blut und die Schmerzen wurden langsam unerträglich. Ich konnte mich schließlich dazu durchringen Juka anzurufen und fragte ihn, ob er mich am Bahnhof einsammeln konnte. Dann verlor ich kurz das Bewusstsein. Als ich erwachte, saß ich im Taxi und Juka hielt mich in seinen Armen. „Wo...fahren...wir hin?“, krächzte ich. „In die Notaufnahme. Oh Luki, was ist dir nur passiert.“ Ich konnte nicht sprechen, sondern lehnte mich wieder an Juka. Im Krankenhaus bekam ich kaum etwas mit, spürte kaum noch die Schmerzen, erst als ich irgendwo in einem weichen Bett lag, gewann ich mein Bewusstsein wieder. Juka saß mit besorgtem Blick neben mir und strich mir zaghaft über die Wange. „Nici wurde vergewaltigt und mich hat der Typ, der ihr das angetan hat, verprügelt.“ „Oh das tut mir so leid. Jetzt bleib erst Mal hier und ruhe dich aus.“ Nach ein paar Tagen ging es mir wieder besser, doch ich wollte irgendwie nicht gehen und Juka drängte mich auch nicht dazu. Eine kleine Narbe am linken Augen würde bleiben, ansonsten war ich ziemlich gut davongekommen. Naja der eine oder andere blaue Fleck noch. Ich kuschelte mich an Juka, fühlte mich so beschützt und geborgen. Wie so oft, wenn ich in seiner Nähe war, beängstigte mich diese vertraute Art ein wenig. Doch es fühlte sich auch schön an, weil ich es immer öfter zuließ. So wie jetzt. Wir tranken ein bisschen und quatschten. Es tat gut so ungezwungen zu reden und ich hatte das Gefühl, Juka war der einige Mensch, bei dem ich tatsächlich konnte. „Wo ist Polly eigentlich?“, fragte ich dann. „Keine Ahnung, bei einem ihrer Lover wahrscheinlich.“ „Führt ihr ne offene Beziehung?“ Juka nickte und nippte an seinem Bier. „Irgendwie schon…ist ein bisschen kompliziert.“ „Oho, erzähl mir mehr, ich bin neugierig.“ „Da gibt’s gar nicht so viel zu erzählen…mich hat es ein bisschen aufgeregt, dass Polly immer so misstrauisch war, wenn ich auch nur mit anderen Typen geredet hab und somit unterbreitete ich ihr den Vorschlag eine offene Beziehung zu führen…jetzt vögelt sie dauernd andere Kerle oder auch nur einen, keine Ahnung.“ Plötzlich wirkte mein Freund sehr niedergeschlagen und ohne nachzudenken krabbelte ich auf seinen Schoß, sodass wir uns anschauen konnten. Mit dem Handrücken streifte ich seine Wange und einen Moment schloss er die Augen. „Und was ist mit dir? Kostest du deine offene Beziehung auch aus?“ „Ich will nicht sagen, dass ich keinen Spaß hab, aber irgendwas fehlt…bei den meisten…“ „Und was genau ist das, was dir fehlt?“ Juka erwiderte lange nichts, sondern schaute mich nur an, hob mich von seinem Schoß und legte die Beine auf den Tisch. „Luki…das…ich…es macht mich ein wenig nervös, wenn du auf meinem Schoß sitzt…“ „Tut mir leid, das wollte ich nicht…“ „Schon okay“, sagte mein Freund und lächelte. Naja immerhin, das sprach doch für  mich, wenn selbst schwule Kerle Gefallen an mir fanden. „Was mir fehlt? Die Liebe…ich bin nicht der Typ, der eine offene Beziehung führen kann…ich brauche etwas Festes und es nervt mich, wenn meine Partner noch nebenher was am Laufen haben…woher soll ich dann wissen, dass sie sich nichts einfangen.“ Ich war auch kein unbeschriebenes Blatt, doch immerhin hatte ich immer darauf geachtet, dass ich geschützten Sex hatte. Ich ließ meinen Kopf wieder an seine Schulter sinken. „Dann beende das doch, was gibt dir diese Beziehung noch?“ Juka zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung…vermutlich hast du Recht…“ Kapitel 13: Was ist eigentlich Liebe? ------------------------------------- Ich lag gerade entspannt auf meinem Bett, als meine Mum ins Zimmer gepoltert kam. Ich vermutete, dass ich mir wieder eine Moralpredigt anhören musste, doch verwunderlicher Weise war sie ziemlich nett. „Ich bin froh, dass es dir wieder gut geht. Es tut mir so unwahrscheinlich leid wegen Nici. Ich habe sie auch sehr gemocht und ich kann dich verstehen, aber bitte mach so etwas nie wieder.“ Solche Worte kamen aus dem Mund meiner Mum? Schon fast unfassbar und ich konnte mir ein schmunzeln nicht verkneifen. „Was gibt es da zu lachen? Ich habe mir ernsthafte Sorgen um dich gemacht.“ „Ach, ich hätte nie gedacht, dass dir doch so viel an mir liegt. Nach den ganzen Streitereien in letzter Zeit. Ich hoffe, dass das mal eine Weile so bleibt. Aber ich weiß ja, Teenies sind nicht gerade einfach.“ „Da hast du nicht ganz Unrecht. Willst du noch mal weg?“ Ich dachte kurz nach, „Ja, aber das hat noch Zeit.“ Ich beschloss in die Badewanne zu gehen. Im warmen Wasser brannten die Verletzungen wie Feuer, doch das ließ nach einer Weile etwas nach. Der Gedanke an Nici stimmte mich noch ziemlich traurig, doch so langsam begann ich wieder neuen Mut zu schöpfen und es war auch erleichternd, dass es immer noch Leute gab die für mich da waren. Juka zum Beispiel. Ich fühlte mich immer mehr zu ihm hingezogen und irgendetwas verband mich mit ihm. In seiner Gegenwart schien alles so viel einfacher zu sein. Als ich einen Blick in den Spiegel warf, musste ich feststellen, dass ich doch sehr erholt aussah und lächelte mein Spiegelbild an. Ich malte meine Augen wieder schwarz, kramte die schwarze Cordhose mit den Nieten aus meinem Schrank heraus und zog darüber mit aller Vorsicht meinen Lieblingsshirt, das selbstverständlich auch die Farbe schwarz trug. Auf der Vorderseite war ein Totenkopf abgebildet und auf der Rückseite konnte man den Schriftzug You must die lesen. Meine Haare gelte ich etwas hoch. Nun wollte ich noch eine Kleinigkeit essen und danach zu Tim gehen. Ich legte meine Pentagramm Kette und das Nietenarmband noch um und wollte gerade gehen, als Jojo aus ihrem Zimmer kam. Ich blieb stehen und sie rannte auf mich zu. „Oh, wo warst du nur so lange? Ich habe richtige Sehnsucht gehabt!“ Ich schloss sie in die Arme. „Erzähl ich dir später. Wo willst du jetzt hin?“ „Zu Eileen und mit ihr dann noch zu einem Kumpel von uns gehen. Wenn du nicht so spät heim kommst, kannst du mich ja noch bei Eileen abholen.“ „Ja, ruf dich aber noch mal an, weil ich nicht weiß, was heut Abend noch anliegt beziehungsweise wann ich komme.“ Jojo verpasste mir noch einen Kuss und ließ mich ungern gehen. Ich beschloss dann doch mich mit Tim wieder zu versöhnen, auch weil ich wusste, dass es dort das eine oder andere berauschende Mittelchen gab. Ich konnte gerade nicht anders und ich wusste, dass, wenn ich ein ehrlicher, liebenswerter Freund wäre, zu meiner Freundin gehen würde. Doch ich ertrug ihren Anblick nun mal nicht und flüchtete mich stattdessen in meine halluzinöse Scheinwelt. Das schlechte Gewissen, das mich plagte, würde ich schon bald nicht mehr spüren. Ich musste nicht klingeln, denn die Tür zu Tims Wohnung war meist offen, so auch heute. Wir begrüßten uns mit Handschlag und verzogen uns in den Partykeller. Ich legte mir eine Line Speed und bediente mich am Alkoholvorrat meines Freundes. „Alles klar?“, fragte Tim auch schon ziemlich benebelt. Ich nickte nur. „Sicher…was läuft’n da für Musik?“ „Bissl Crazy Town mit dem neuen Tracks…find‘s gar nich so übel.“ Ich zog noch eine Line und zum Glück begann mein Rausch. „Willst du ‘n Bier?“ „Immer doch…oder mehr Whiskey.“ Super! Und schon waren alle meine guten Vorsätze über einen Haufen geworfen. „Kleener, is echt alles gut?“ „Was glaubst du denn? Lass mich einfach mit dem Scheiß in Ruhe…ich will jetzt nichts denken.“ „Mach dir doch deshalb keine Vorwürfe, du konntest absolut nichts dazu. Willst du jetzt den Rest deines Lebens damit verbringen und dir ne Platte deshalb machen? Mein Gott, Lukas. Das hätte jedem anderen auch passieren können.“ „Jetzt fang halt doch an…es is aber halt nich irgend so einem Arsch passiert, sondern mir. Du verstehst mich echt nich Tim!“ „Ich verstehe dich schon, aber guck doch mal, es gibt noch so viele andere Mädels auf der Welt und Nici ist bestimmt nicht die einzige, mit der du je zusammen gewesen wärst.“ „Es geht doch auch nich nur um Nici, es is der allgemein alles…ich werd immer mehr zu dem Versager, zu dem ich nie werden wollte…schieß mich ab und tue so als wäre alles prima.“ „Ich kenne so was. Aber glaub mir, es ist nur eine Frage der Zeit. Weißt du, für mich war die Zeit ohne Alex auch echt beschissen. Irgendwann hab ich dann nicht mehr darüber nachgedacht. Und das solltest du auch…“ „Ihr seid aber wieder zusammen und ich hab das Gefühl bei mir läuft alles, was ich anfange, schief.“ „Du schaffst das schon. Glaub mir, ich will dir nur helfen.“ Tim drehte einen Joint und zog ebenfalls eine Line. Ich tat es ihm nach. „Ja schon klar...“ sagte ich mit einem starken Unterton in der Stimme „... ich werde dann mal gehen!“ „Du machst mir echt Sorgen Kleener.“ „Ach ja? Na dann. Man sieht sich irgendwann!“ „Ja, mach’s gut!“ Ich schlich langsam durch das Treppenhaus hinunter auf die Straße. Es wurde langsam dämmrig. Ich schlenderte durch die Stadt und die Straßen waren wie ausgestorben. Alles schien tot und leer. Ich fühlte mich so einsam, einsamer denn je und ich wusste, dass auch Nici nie in der Lage sein würde etwas dagegen zu tun. Das war etwas, mit dem ich mich schon ewig herumplagte. Ich hatte noch nie zu den Menschen gehört, die mit allen offen über ihr Gefühlsleben plaudern und doch würde ich mir manchmal wünschen, dass mir jemand zuhört. Selbst, wenn meinen Mum gerade einen Anflug von Freundlichkeit zeigte, würde das nicht lange anhalten und über kurz oder lang würde sie mich erneut enttäuschen. Als ich am Proberaum abgekommen war, schloss ich auf und drehte mir dort einen Joint. Würde ich immer so allein sein? Ich kiffte wieder öfter und betrank mich auch gelegentlich, denn wen störte das schon? Ich lief wie immer mit Flo zur Schule. „Was ist eigentlich mit dir los? In letzter Zeit bist du irgendwie total kaputt.“ „Ich hab das Gefühl ich verwandle mich immer mehr in nen seelenlosen Zombie.“ „Oh fuck…sowas hab ich befürchtet…Schatz…übertreib es nur nich.“ „Danke für dein Mitgefühl…geht schon irgendwie.“ „Warst du wieder mal bei Tim?“ „Mit dem hab ich gerade Stress, er denkt immer, dass er alles besser machen könnte. Seine Sprüche nerven mich und wenn ich mal normal mit ihm reden will, kommt er gleich wieder mit dieser Mitleidstour, wie schlimm dass ja alles sein muss.....und halt so weiter. Ich verstehe ja auch, dass ihm Alex wichtig ist, aber das Verhältnis zwischen uns wird immer abgeflachter. Ich häng halt auch nur noch bei ihm rum, weil man so billig an Drogen kommt.“ „Ich bin ja auch noch da.“ „Ich weiß und ich weiß auch, dass ich dir in letzter Zeit mehr vertrauen konnte als Tim.“ Wir lächelten uns an und mir fiel auf, wie sehr ich Flo eigentlich mochte. Mir ging es von Tag zu Tag beschissener, in der Schule raffte ich überhaupt nichts mehr und war kurz davor in jeder Unterrichtsstunde einzupennen. Ich unternahm viel mit Flo und Basti, jedoch war mein Dauerzustand auch keine Lösung. Wir hatten gerade Deutsch. Mir war irgendwie leicht schummrig vor den Augen. Herr Stoldt sagte, dass er nach der Stunde mit mir reden wolle. Ich trabte langsam und cool nach vorne zum Lehrerpult und fragte. „Findest du nicht auch, dass deine Leistungen in den letzten zwei Wochen ganz schön gesunken sind? Ich frage mich wirklich, wo du mit deinen Gedanken bist. Lukas, ich war immer so stolz auf dich und habe mich oft gefragt, wie du das alles unter einen Hut bekommst. Was ist nur los mit dir?“ Ich gab nicht gleich eine Antwort. Ich wusste, wie sehr ich Herr Stoldt am Herzen lag und ich wusste auch, dass ich einer seiner Lieblingsschüler war und er sich deshalb so um mich sorgte. „Ich weiß nich, was los is.“ Ich senkte den Kopf nach unten, als ich dies sagte. Ich wollte nicht, dass er mir in die Augen blicken konnte. „Natürlich weißt du es. Ich will nur hoffen, dass sich das bald wieder ausgleicht. Ich verstehe dich wirklich nicht. Du kannst jetzt gehen!“ Ich meldete mich. Wir hatten gerade Geschichte, wie ich dieses Fach verabscheute. Frau Neumann nahm mich dran. „Äh.., darf ich mal schnell auf die Toilette?“ Sie funkelte mich mit ihren Adleraugen an. „Na gut, aber beeile dich!“ Ich rannte zu den Jungentoiletten hinunter und hoffte, dass ich dort alleine war. Ich erblickte tatsächlich keinen weiteren außer mir. Ich huschte in eine der Kabinen und verriegelte die Tür hinter mir. Meine Hände zitterten. Ich lehnte mich einen Moment an die Wand, dann kehrte ich schleunigst ins Klassenzimmer zurück. Der Nachmittag rückte näher, ich saß mit Flo wie immer vor der Schule, um noch eine zu rauchen. „Was machst du heut noch?“ „Kein Plan. Eigentlich sollte ich ja zu Tim kommen, aber darauf hab ich keinen Bock. Und du?“ „Weiß auch noch nich so genau. Kannst ja so gegen Abend mal zu mir kommen, wen  du Zeit hast.“ „Na klar, muss aber erst mal los.“ Ich zog los, um noch ein bisschen Gras zu besorgen. In der Nähe vom Bahnhof kannte ich jemanden. Doch gerade, als ich meinen Kauf abgeschlossen hatte, bogen die Bullen um die Ecke. Natürlich half wegrennen nichts, ich tat es trotzdem. Klar, dass sie mich einholten. Ich wurde mit aufs Revier geschleift. „Hast du einen Ausweis oder ähnliches bei dir?“ Ich legte meinen Personalausweis vor. Was blieb mir auch anderes übrig? „Wir müssen dich leider vorerst in U- Haft hier behalten. Wenn du uns doch bitte die Telefonnummer deiner Eltern geben würdest, damit wir sie darüber informieren können.“ „Ihr könnt mich alle mal, nur weil ich Gras kaufe, muss ich in den Knast? Jeden Tag prügeln sich irgendwelche Idioten oder diese Arschlöcher, die sich an harmlosen Mädchen vergreifen, die knastet ihr nich ein!“ „Wenn du deine Wut an uns auslässt, machst du alles noch viel schlimmer.“ „Ach von mir aus verbringe ich mein restliches Leben mit euch scheiß Bullen und irgendwelchen Verbrechern!“ Meine Klamotten durfte ich anlassen. Man benachrichtigte meine Eltern und ich wurde zu einem Zimmer geführt, in dem sie mich abholen durften. Klasse. Eine Anzeige bekam ich auch noch. Meine Mum wartete am Eingang auf mich. „Bist du jetzt so weit?“ „Ja klar.“ Sie war sehr enttäuscht von mir, denn ihre Art mir gegenüber war abweisend. „Hoffentlich wirst du langsam mal wieder normal. Ich habe deine blöde Art langsam satt. Du brauchst gar nicht zu denken, dass du mir etwas vormachen kannst.“ „Warum sollte ich dir etwas vormachen?“ „Denkst du etwa ich merke nicht, dass du total drogenabhängig bist? Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Ich weiß nicht mehr, was ich mit dir machen soll. Ich komme mir wirklich bescheuert vor. Kannst du mir mal verraten, womit ich das verdient habe?“ „Und womit hab ich es verdient so eine Mutter zu haben? Mir war schon klar, dass du irgendwann mitbekommst, dass ich kiffe, aber hast du je daran gedacht, mit mir darüber zu reden? Oder hast du je mit dem Gedanken gespielt, mich davon abzuhalten? Wohl eher nich und weißt du auch warum? Weil du mich doch schon lange aufgegeben hast!“ Sie blieb stehen und blickte mich entsetzt an. „Ich bin mir auch im Klaren, dass ich dich und auch meine Freunde bitter enttäuscht habe, aber kannst du mir vielleicht sagen, was ich hätte machen solle? Etwa mit dir reden?“ Sie schwieg und schien irgendwie ernsthaft über meine Worte nachzudenken. „Vielleicht hättest du mal über deinen Schatten springen sollen und wirklich mit mir reden sollen.“ „Ja vielleicht. Aber jemand, der sich sonst nen Dreck für mich interessiert, warum soll dieser jemand sich jetzt auf einmal für mich interessieren?“ „Weil ich deine Mutter bin und ich mir Sorgen um dich gemacht habe.“ „Ach ja? Du hast die ganzen Jahre nur dich gesehen, mehr nich. Du genießt es reich zu sein und jeden hast du an deinem tollen Leben teilhaben lassen, nur mich nicht. Ich hasse dich dafür.“ Jetzt war es raus, was ich ihr schon immer Mal sagen wollte. Ich konnte deutlich an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass meine Mum so etwas nicht von mir erwartet hätte. Es tat mir wirklich nicht leid, dass ich ihr das gesagt hatte. Im Auto wechselten wir kein einziges Wort mehr miteinander und ich wollte so schnell wie möglich weg von ihr. Zu Hause stellte ich meine Tasche in meinem Zimmer ab und rannte hinunter ins Badezimmer, weil ich dringend aufs Klo musste. Langsam erhob ich mich und war auf dem Weg in mein Zimmer, als meine Mum mich zu sich rief. „Klaus und ich wollen für ein paar Tage an die Ostsee fahren. Ich brauche dringend Urlaub. Morgen wollen wir bei Zeiten los und es wäre schön, wenn wir zurückkommen und es ist ausnahmsweise mal alles in Ordnung. Ich habe dir sonst nichts mehr zu sagen. Ach so, Johanna ist seid Anfang der Woche bei Papa. Du kannst sie ja fragen, ob sie mit dir ein paar Tage alleine verbringen will. Ich bin sehr enttäuscht von dir. Du könntest dir mal ein Beispiel an deinem Freund Tim nehmen.“ Ich sah meine Mutter mit zusammengekniffenen Augen an. „Nein, tue ich ganz bestimmt nich. Tim ist ein Schauspieler. Am besten du vergisst, was er dir gesagt hat. In Wahrheit ist er viel schlimmer als ich, denn nur durch ihn bin ich in diese ganze Sache reingerutscht. Wahrscheinlich wollte er bei dir nur gut dastehen. Ist ja auch egal, glaub, was du denkst.“ „Er hat gesagt, ich sollte ihm Bescheid sagen, wenn du wieder zu Hause bist. Dann wollte er so schnell wie möglich hier her kommen.“ In mir stieg Wut auf. „Und du hast ihn schon angerufen oder?“ Sie nickte. Ich war stinksauer. Tim war jetzt das letzte, was ich gebrauchen konnte. „Ich dachte es wäre richtig.“ „Nein! Du hättest mich ja vorher auch fragen können! Ich bin in meinem Zimmer und wenn Tim kommt, mache ich die Tür trotzdem nich auf!“ Wie konnte sie so blöd sein? Einerseits wollte sie mich davor behüten und dann holte sie Tim hier her? Aber wahrscheinlich wusste sie in ihrer Verzweiflung auch keinen anderen Ausweg und woher hätte sie wissen sollen, dass Tim ihr nur etwas vormachte? Ich hörte Slipknot und starrte ständig auf mein Handy. Warum meldeten sich Basti und Juka nicht? Ich hatte wahnsinnige Sehnsucht nach den Beiden. Vor allem aber nach Juka. Und dann endlich rief mich Basti an. Man war ich froh, endlich seine Stimme zu hören. Tim war schon da, weil ihn meine Mutter in die Wohnung gelassen hatte. Da aber die Tür meines Zimmers verschlossen gewesen war, konnten wir leider noch nicht miteinander reden. Er sprang auf, als ich aus meinem Zimmer trat. „Hey Kleiner. Warum hast du nicht aufgemacht? Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.“ Ich zuckte nur mit den Schultern und drückte auf den Summer, sodass sich die Tür unten im Hausflur öffnete. Da vernahm ich plötzlich Stimmen. Eine gehörte Basti und die andere? Ach klar, das war kein anderer als Juka. Ich musste grinsen „Erwartest du etwa noch mehr Besuch?“ „Ja, denn ich habe auch noch andere Freunde außer dir Tim.“ Ich war mir unsicher, ob das Zusammentreffen zwischen Tim und Juka friedlich verlaufen würde. Er sah mich schon fast schockiert an, als er Juka erblickte, machte jedoch keine Anstalten zu gehen. Meine Freunde begrüßten mich mit einem Lächeln. „Kann ich kurz allein mit dir reden?“, fragte Juka. Er wirkte sehr ernst und ihn bedrückte etwas. Langsam schob er mich ein mein Zimmer und schloss die Tür hinter uns. „Hast du eigentlich völlig den Verstand verloren?“, fuhr er mich etwas forsch an. „Ich hab nich Mal viel gemacht, nur weil ich Gras kaufen wollte, haben mich die Bullen erwischt.“ „Und das davor….deine Drogenparties mit Tim?“ „Das hatte nichts damit zu tun. Und wenn du hier bist um mit mir zu streiten, kannst du gleich wieder gehen“, blockte ich ab. „Ach Süßer, schau mich bitte nicht so traurig an. Du bist mir einfach viel zu sehr ans Herz gewachsen. Da kann ich dich doch nicht so einfach im Stich lassen und ich hasse es, wenn du dich so abschießt.“ Dies sagte er nicht nur so zum Spaß und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich zündete mir eine Zigarette an und setzte mich ans offene Fenster. Meine Beine baumelten in der Luft und ich fragte mich, ob ich einen Sturz aus dem vierten Stock überleben würde. Dann setzte ich meine Schnapsflasche an und trank einen großen Schluck. „Tja ich mag es nun Mal mich abzuschießen…da kannst auch du nichts dran ändern.“ Ich hörte Juka seufzen. „Dann mach weiter so.“ Ein bisschen irritiert drehte ich mich um. „Ich könnt mich auch einfach aus dem Fenster fallen lassen, da seid ihr mich alle los und müsst euch keine unnützen Sorgen mehr um mich machen.“ Juka schüttelte langsam mit dem Kopf und seine Augen wurden ganz glasig. „Du willst dich umbringen? Dann bitte…doch vorher sollst du wissen, dass du keinem deiner Freunde egal bist…und erst Recht nicht mir. Es erschüttert mich zutiefst dich gerade so zu sehen, doch ich bin nicht Nici, der du mit solchen Spielchen Angst einjagen kannst.“   „Ach ja…und wenn ich gerade gar keine Spielchen mache?“ Ich rutschte gefährlich nahe an die Kante, doch Juka schaute mich nur an. „Ach Luki, hör auf...du weißt selbst, dass du das nicht tun willst.“ „Woher willst du denn wissen, was ich will?“, fuhr ich meinen Freund etwas forsch an. „Ich kann mir denken wie es dir wirklich geht Süßer und das macht mir Sorgen.“ Langsam näherte er sich mir und schloss mich in seine Arme und plötzlich passierte etwas Unfassbares mit mir. Mein Kopf sank an Jukas Schulter und ich gab mich meinen Gefühlen hin. Das hatte ich zuvor noch nie getan. „Dann bist du aber irgendwie so ziemlich der einzige“, schluchzte ich, weil ich nicht mehr konnte. Die Tränen rannen ganz von allein meinen Wangen herab. „Ich bin nicht der Einzige, Basti und Flo hat die Nachricht genauso schockiert.“ „Juka, ich will nicht mehr hier sein. Ich habe das Gefühl in dieser Stadt gehe ich kaputt. Alles, was ich hier beginne, bricht innerhalb weniger Monate wieder zusammen.“ „Mach erst mal deinen Abschluss fertig, das ist doch schon dieses Jahr oder?“ Ich nickte und trank noch mehr. „Aber ich hab keinen, dem ich richtig vertrauen kann, nich mal Nici. Ich bin nich in der Lage ihr ein guter Freund zu sein, weil ich es einfach nich kann. Mich überfordert das und sie wird das nie verstehen. Ich kann mit keinem über die Dinge reden, die mich bewegen, weil ich mich nicht traue. Ich fürchte mich davor ausgelacht zu werden, weil ich sonst immer so selbstbewusst und cool rüberkomme. Aber ich bin auch nur ein Mensch.“ Juka strich mir über die Haare. „Und was hast du gerade getan?“ Ich schaute ihn leicht verwirrt an. „Wie, was habe ich gerade getan?“ Juka lächelte mich liebevoll an. „Gerade sagst du mir, dass du niemandem vertrauen kannst und mit keinem reden kannst, aber genau das hast du doch eben getan Luki.“ Ich setzte mich gerade auf und schaute Juka an. Nicht zum ersten Mal fiel mir auf, wie wunderschön er war. „Mhh stimmt, aber das war voll unbewusst.“ „War es schlimm?“ Ich schüttelte mit dem Kopf und rauchte noch eine Zigarette. Meinen einen Arm verschränkte ich hinter dem Kopf, sodass mein Shirt bis zum Bauchnabel hochrutschte. „Eher im Gegenteil. Aber wieso kann ich das bei dir?“ Juka zuckte mit den Schultern und gab mir noch einen Kuss auf die Wange. „Scheinbar vertraust du mir und du sollst auch wissen, dass ich dein Vertrauen nie missbrauchen werde.“ Ich musste immer noch heulen und Juka ließ mich nicht los. „Kannst du mir einen Gefallen tun und die anderen beiden wegschicken?“ Juka nickte. Nach einer Weile kam er zurück und setzte sich wieder neben mich. Gemeinsam suchten wir uns noch einen Film aus, den wir schauen wollten. Ich kuschelte mich zwischen Jukas Beine und lehnte mich zurück. Zunächst ruhten seine Hände auf meiner Brust, doch dann wollte ich etwas ausprobieren. Ich rutschte absichtlich noch ein Stückchen nach unten und machte mir auch nicht die Mühe mein T-Shirt wieder zu Recht zu zupfen. Meine rechte Hand verflocht ich mit seiner, Jukas linke Hand ruhte noch immer auf meiner Brust. Unsere verflochtenen Hände legte ich so ganz nebenbei auf meinem Bauch ab. Nach einer Weile lösten sich unsere Finger und Juka begann mich zu streicheln. Ob er das bewusst oder unbewusst tat, konnte ich nicht sagen, nur fühlte es sich schön an und ich entspannte mich. „Soll ich heut Nacht bei dir bleiben?“, fragte er dann. Ich nickte. „Das wäre schön.“ „Und weißt du was? Du musst doch auch nicht immer der selbstbewusste Lukas sein. Jeder hat seine Schwächen und die darfst du auch ab und zu mal zeigen.“ Ich schwieg eine Weile und dachte darüber nach. Ich versuchte zu verstehen, warum ich mit Juka über solche Dinge reden konnte. Ich fühlte mich auf eine Art und Weise zu ihm hingezogen, die ich noch nicht so ganz verstand, aber es war wundervoll ihn in meiner Nähe zu haben, denn bei Juka hatte ich das Gefühl, dass er mich verstand. Er war der erste Mensch in meinem Leben, dem ich sowas nachsagen konnte. Ich genoss seine Streicheleinheiten und würde mein T-Shirt zu gern komplett ausziehen, denn mal abgesehen von meinen Narben gab ich gar keine so schlechte Figur ab. Ich biss mir leicht auf die Unterlippe, weil sich Jukas Finger auf meiner Haut mittlerweile nicht nur schön anfühlten. „Du bist so weich“, flüsterte mir Juka zu und ich war mir nicht sicher, seine Finger absichtlich kurz unter meinen Hosenbund schlüpften. Doch es reichte aus, um mein Herz zum Rasen zu bringen. Dass ich es mochte von Männern berührt zu werden, hatte ich ja bei Flo schon das eine oder andere Mal gemerkt, doch da hatten wir diese eine Grenze nie überschritten. Ich setzte mich auf und trennte mich von meinem Oberteil, dann legte ich mich wieder vor Juka. „Du weißt schon, dass das gerade ein bisschen Folter ist…“, flüsterte Juka beinahe und zuerst war ich mir nicht im Klaren, was genau er meinte. Seine Augen wanderten erneut über meinen Körper. Doch dieser Blick war so anders als bei Nici. Dieser abschätzende Ausdruck fehlte. Sein Adamsapfel wippte leicht, als er schluckte. „Folter? Weil dir etwa gefällt, was du siehst?“, amüsierte ich mich ein bisschen. Ich fühlte mich seltsam, doch nicht im negativen Sinne. Etwas berauscht vom Alkohol, doch da war noch etwas anderes. Nüchtern hätte ich mich vermutlich niemals soweit in meine Gefühlswelt gewagt, doch so tat ich es. Ich drehte mich auf den Bauch und bettete meinen Kopf auf den verschränkten Armen. „Magst du mich massieren?“ „Sehr gerne.“ Er machte es sich auf meinen Oberschenkeln bequem und strich an meiner Wirbelsäule entlang. Das widerholte er ein paar Mal. Oh Himmelswillen, fühlte sich das göttlich an. Ich gab ein wohliges Seufzen von mir und mich überraschte es nicht im geringsten, dass meine Knochen hin und wieder ein Knacken von sich gaben. In der Hüftgegend drückte Juka etwas doller zu und ich schloss die Augen. „Ich fürchte, ich hatte schon lange nicht mehr solche sexy Kundschaft“, bemerkte er und ich musste grinsen. Als Juka von mir runter stieg, drehte ich mich zurück auf den Rücken. Juka, stützte seinen Kopf in einer Hand ab und schaute mich an. Zaghaft fuhr ich die Konturen seines Gesichtes entlang, strich über seinen Hals und die bedeckte Brust. Meine Fingerspitzen begannen zu kribbeln und meine Wangen glühten. Sollte ich noch einen Schritt weitergehen? „War das jetzt ein Kompliment?“ „Schätze schon…geht’s dir jetzt besser mein Süßer?“ Ich nickte. Juka wehrte sich nicht, als ich meine Hand auf Wanderschaft schickte und diese unter sein Shirt schob. Verflucht, diese sanfte Haut und die feinen Härchen, die hin und wieder Bekanntschaft mit meinen Fingerspitzen machten. „Luki…was wird das?“, fragte mein Freund mit ungewöhnlich rauer Stimme. „Ich…ich bin nicht sicher…“ Ohne groß zu überlegen, zog ich mich bis auf die Unterhose aus und legte mich wieder ins Bett. Sein Blick ruhte auf mir und irgendetwas schien Juka nervös zu machen, denn auch er pflegte auf seiner Unterlippe zu kauen, wenn ihm nicht ganz wohl war. Auch er zog seine Hose aus, sein T-Shirt hingegen ließ er an. Er stützte seinen Kopf mit der Hand und drehte sich zu mir. Die paar Kerzen, die ich angezündet hatte, als es dunkler wurde, waren unsere einzige Lichtquelle. Schon fast romantisch. „Wir sollten jetzt schlafen Süßer“, erwiderte Juka und zog mich in seine Arme. Mein Kopf sank auf seine Brust und er streichelte mich. Doch in meinem Kopf drehte sich alles und mir wurde mehr und mehr bewusst, dass nicht nur der Alkohol schuld daran trug. Ich lag hier in meinem Bett mit einem verflucht heißen Typen und ich bekam gerade große Lust ihn anzufassen, deshalb schob ich meine Hand in südlichere Regionen, stieß auf die feine Straße aus Haaren oberhalb seiner Shorts. Mein Herz raste und ich befürchtete schon, dass mich Juka jeden Moment von sich stoßen würde. Doch dieses Risiko war ich bereit einzugehen. Immerhin wusste ich ja, dass er mich attraktiv fand und neulich hatte er sich beschwert, dass Polly dauernd einen anderen vögelte. Moment Mal, was dachte ich da? Auch Juka schien meinen Sinneswandel zu bemerken. Ich vernahm ein Kichern. „Na, ist dir gerade bewusst geworden, dass ich doch keine heiße Tussi mit Brüsten bin…das beruhigt mich, denn im Shirt ist es dann doch zu warm…“ Tat er das gerade mit Absicht, um mich auf die Probe zu stellen? Schon fast wie gebannt schaute ich meinem Freund dabei zu, wie er sein T-Shirt auszog. Zentimeter für Zentimeter entblößte er mehr nackte Haut. In meinem Kopf begann sich wieder alles zu drehen und schlagartig wurde mir höllisch heiß. Denken war schier unmöglich. Ich wollte nur noch eins. Ihn berühren. „Ich fürchte ich kann nich schlafen…Juka…wie fühlt es sich an?“ „Wie fühlt sich was an?“, fragte er mir rauer Stimme, deren Klang meinen Körper erschaudern ließ. „Einen Mann anzufassen…?“ Mein schöner blonder Freund seufzte und legte sich wieder neben mich, doch ohne mich aus den Augen zu lassen. „Wenn wir diese Grenze jetzt überschreiten, gibt es kein Zurück.“ „Mh ich bin ziemlich gut im Grenzen überschreiten…“ Juka lachte. „Shit, jeden anderen Kerl hätte ich für so nen dummen Spruch aus meinem Bett geworfen…“ „Tja, nur leider befindest du dich nicht in deinem Bett…“, entgegnete ich grinsend. Woher genau ich gerade dieses Selbstbewusstsein nahm, war mir schleierhaft. Doch allein der Aspekt, dass mich Juka in irgendeiner Art und Weise anziehend fand, reichte mir. „Luki…“, seufzte Juka und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf. War das eine Einladung? Und was sollte ich tun? Ich beschloss mit Dingen anzufangen, die auch ich mochte. Meine Finger nahmen ihre Berührungen wieder auf und ich beobachtete Jukas Reaktion. Da ich mich nicht unbedingt noch südlicher traute, wanderten meine Hände wieder nach oben. Streiften seine Nippel fast unbewusst, doch da verließ ein wohliger Laut seine Lippen. Deshalb zog ich immer kleiner werdende Kreise um seine Knospen und ihm schien es zu gefallen. Der kleine Spalt zwischen seinen vollen Lippen wirkte mehr als erotisch und ich konnte nicht anders und küsste ihn. Prompt krallten sich seine Hände in meinen Po und er zog mich enger zu sich. Himmel, dieser Kuss und diese Lippen. Und eh ich mich versah, lag ich unter ihm und seine Hände fixierten die meinen. In Jukas Augen loderte das Feuer der Begierde. Heilige Scheiße. „Bitte zeig es mir…“ „Verflucht Luki…“ Juka begann mich zu streicheln, was ich anfangs nicht als unangenehm empfand. Er zog mit den Fingern kleine Kreise über meiner Brust und den Armen. Es kitzelte ein bisschen, doch ich genoss es. Mein Körper entspannte sich und ungewöhnlicher Weise konnte ich mich voll und ganz darauf einlassen. Jukas Hand streifte meine Wange, tasteten über meine leicht geöffneten Lippen und auf einmal spürte ich seinen heißen Atem ganz nahe an meinem Hals. Langsam küsste er sich bis zu meinem Mund und fing meine Lippen ein. Doch nur kurz, dann widmete er sich wieder meinem Hals und dem Schlüsselbein. Mein Herz pochte immer schneller und mein Körper reagierte heftiger als sonst. Ich wollte gerade nicht nachdenken. Nicht darüber grübeln, warum mich Jukas Berührungen so an machten. Während seine Zunge an meinen gepiercten Nippeln spielte, wanderte seine Hand noch südlicher, entlang meiner Schenkel und schob sich hin und wieder in meine Unterhose. Seine Fingerspitze kreiste über meine Eichel und wurde sogleich mit dem Lusttropfen belohnt. „Oh fuck…“, stöhnte ich. Seine Zunge drehte die Piercings hin und her. Ich wusste, dass meine Knospen empfänglich für Liebkosungen solcher Art waren, doch das? „Fuck…das fühlt sich gut an…aweeee…“ „Du machst mich gerade sowas von geil“, raunte mir Juka zu und küsste mich voller Hingabe. Unsere Zungen rangen miteinander und ich keuchte auf, als er seine Erregung an meiner rieb. Ich wollte ihn anfassen und schob meine Hand dazwischen, bekam Jukas nackte Härte zu fassen und keuchte erneut auf. Seit wann machten mich andere Schwänze so an? Auch Juka stöhnte und biss mir zaghaft in die Unterlippe. Ich löste eine Hand von ihm und schob mir meine Shorts über die Hüften. Doch was dann folgte war unglaublich. Juka senkte sich wieder zu mir hinab, überwand die letzten Zentimeter, die unsere nun nackten Körper voneinander trennten und küsste mich erneut. Seine Erregung an meiner. Verfluchte Scheiße, fühlte sich das himmlisch an. Ich wollte mehr davon und rieb mich an ihm. Juka keuchte etwas gequält in den Kuss und ich grinste. „Verflucht, ist das heiß“, raunte ich ihm zu. „Du bist der Teufel höchstpersönlich“, gab er zurück, küsste mich erneut. „Hast du Kondome da?“, fragte Juka schließlich und ließ von mir ab. Ich nickte und griff in die Schublade neben mir. Zuerst wusste ich nicht so genau, was ich tun sollte, da löste Juka den Kuss, ließ es sich nicht nehmen meine Nippel noch einmal zu verwöhnen und leckte über meine Erregung. „Ohhhh…Gott…“, entfuhr es mir. Ich wand mich stöhnend unter ihm und spürte schon das Ziehen in meiner Lendengegend, doch ich wollte noch nicht kommen. Nicht jetzt, wo es sich gerade so gut anfühlte. Mit dem Mund rollte er das Kondom über meine Härte und ich drückte seinen Kopf noch ein paar Mal nach unten. Ein amüsiertes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Um Himmels Willen, dieses Bild würde ich vermutlich nie mehr aus meinem Kopf bekommen. „Glaub mir, was jetzt kommt, ist besser…“, sagte er, nahm meinen Mittel-und Zeigefinger und schob sie sich in den Mund. Verflucht, wie konnte man nur so verrucht schön sein? Ich erkannte meinen Juka kaum wieder, doch der Juka, der er gerade war, gefiel mir ebenso. Er befeuchtete meine Finger mit seinem Speichel und führte sie langsam zwischen seine Beine, in sich und wir stöhnten gleichzeitig. Ich, weil ich völlig neues Territorium erkundete und Juka, weil ihm scheinbar gefiel, was ich tat. Seine Erregung zuckte mir entgegen und am liebsten würde ich seine glänzende Spitze liebkosen. Meine eigene Erektion fühlte sich sichtlich vernachlässigt und ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so derartig hart war. „Juka…ich will dich…“, keuchte ich und ließ es mir nicht nehmen, seinen Schwanz anzufassen. „Dann nimm mich…“, antwortete er und ließ sich auf mich sinken. Ich stöhnte auf. Verflucht, war das eng und beinahe wäre ich schon gekommen. „Und jetzt fick mich“, raunte er. Ich bewegte meine Hüften und stieß immer härter in ihn. Immer heftiger trieben wir es miteinander und die Realität verschwamm gänzlich. Wir schrien beide recht laut und erst als sich auf mir eine warme Flüssigkeit verteilte, kam auch ich. Wieder küsste mich Juka und langsam zog ich mich aus ihm zurück. Dann säuberte er uns und zog mich in seine Arme. Erschöpft schlief ich ein.         Kapitel 14: Zu spät ------------------- Die darauffolgenden Tage holte ich alles, was ich in der Schule versäumt hatte, nach. Basti hatte sich die Mühe gemacht und fast alles für mich mitgeschrieben. Ich musste oft an Nici denken. Wie es ihr wohl ging? Doch irgendwie hatte ich auch Angst, mich nach ihr zu erkundigen, weil es ja schlimm sein könnte. Ich war doch echt voll der Schisshase und ein noch miserabler Freund. Ich hatte sie betrogen. Mit einem Kerl. Nicht irgendeinem Kerl, mit Juka. Und es war falsch gewesen, diese Grenze zu überschreiten, denn jetzt war ich nicht besser, als meine beschissenen Eltern, die sich seit Jahren gegenseitig betrogen. Dieser Gedanke breitete sich wie Gift in mir aus und ich ertrug es nicht, dieses süße Mädchen so schlecht behandelt zu haben. Auch, wenn es Juka nicht unbedingt für gut hieß, unternahm ich in den nächsten Tagen viel mit Tim. Die Gründe dafür waren mehr als eindeutig. Ich musste Juka aus dem Weg gehen, auch, wenn mein Körper etwas anderes wollte. „Hast du dich wieder mit deiner Mum vertragen?“ „Nee, ich hab ihr vor ein paar Tagen mal gesagt, was ich von ihr halte. Daraufhin hat es ihr die Sprache verschlagen und wir reden irgendwie nicht mehr miteinander. Auch egal. Hast du zufällig was von Nici gehört?“ „Nein, war mal dort, da hat sie geschlafen. Ich hoffe sie wird wieder. Ich hab die Kleine echt total liebgewonnen.“ „Nich nur du. Aber ich will mal hoffen, dass das Leben auch ohne sie weitergeht oder?“ „Wie kannst du nur sowas denken? Hast du sie etwa aufgegeben?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nich…vielleicht. Ich meine, wie lange is sie jetzt schon da?“ „Du hast nen Knall Lukas…ich dachte immer sie ist die Liebe deines Lebens?“ „Manchmal denk ich die, diese Art von Liebe existiert nich…ich meine…ich mag Nici, sehr sogar, aber ich bin nich sicher, ob ich sie liebe…irgendwas fehlt da.“ Tim schüttelte nur mit dem Kopf und gab mir zu verstehen, dass er mir nicht folgen konnte. Deshalb wechselte er das Thema. „Denkst du, dass du morgen wieder singen kannst?“ „Klar. Ich hab auch schon ein paar Texte fertig. Zwei Deutsche und drei Englische, kannst dir ja mal anschauen.“ „Oder wir treffen uns heute so um zehn Mal alle im Proberaum und wehrten sie aus. Was hältst du davon?“ „Ja das geht auch. Ich geh jetzt erst mal nach Hause. Komm später noch mal zu dir.“ Ich kaufte mir auf dem Heimweg noch zwei Schachteln Zigaretten und machte mich dann auf den Weg zur Höhle des Löwen. Bei dem Gedanken musste ich schmunzeln. Es war gar keiner da, als ich zu Hause ankam. Ich sprang halbnackt durch die Wohnung und beschloss erst einmal ein heißes Bad zu nehmen. Ich lag fast zwei Stunden in der Badewanne, im Hintergrund hatte ich Musik laufen, The 69 Eyes. Oben in meinem Zimmer kramte ich erst mal alle Armbänder und Ketten hervor und überlegte, welche davon ich umtun könnte. Ich entschied mich für das Killernietenarmband mit passendem Halsband und eine Kette mit Pentagramm. Ich aß noch eine Kleinigkeit, schlüpfte in meine Hose und ging zu Tim. Wir trafen uns mit Flo, Chris und Basti vorm Proberaum. „Lukas, Mensch wo warst du denn so lange?“ „Das willst du nicht ernsthaft wissen. Hauptsache ist, dass ich am Leben bin, okay!“ „Wir haben dich alle ziemlich doll vermisst. Wollten die Band schon auflösen, weil deine Stimme gefehlt hat.“ „Ja ja. Ihr hättet das auch ohne mich geschafft. Widmen wir uns erst einmal den Texten.“ Meine Jungs waren von meinen Dichtkünsten sehr beeindruckt, nun mussten wir das ganze nur noch in ein Lied umsetzten und das war nicht gerade leicht. Nach ungefähr zwei Stunden hatten wir eine passende Melodie zu einem der Texte gefunden, es klang sogar richtig gut. Mit den anderen Liedern ging es ziemlich schnell voran und wir waren stolz auf uns. Tim wollte schnell nach Hause zu Alex und auch Chris meinte, dass er noch was vor hatte. Das kam mir sehr gelegen, denn ich musste mit Basti und Flo reden. Auch meine besten Freunde schienen zu merken, dass mich etwas bedrückte. Unruhig rutschte ich auf meinem Sessel hin und her, zündete mir eine Zigarette an und schaute meine Jungs an. „Maaaaaan Lukas, jetzt mach’s nich so spannend!“, beschwerte sich Flo. „Ich hab Mist gebaut und ich muss mit irgendwem drüber reden, sonst platz ich…“, begann ich und meine Freunde schauten mich mit einer Mischung aus Neugier und Entsetzen  an. „Okkkayyy…um was geht es…Drogen?“ fragte Basti besorgt, doch ich schüttelte den Kopf und nahm einen tiefen Zug. „Basti, an dem Tag, als ich aus der U-Haft entlassen wurde, hast du mich doch mit Juka besucht…naja und ich hab noch lange mit ihm geredet…es war gut…mehr als das…es is anders als mit euch. Ihr seid immer da, versteht mich…mögt mich trotzdem…aber er…fuck, ich hab keine Ahnung, wie ich das beschreiben soll. Egal…lange Rede, kurzer Sinn…wir hatten Sex…noch dazu ziemlich guten…so, jetzt ist‘s raus und ihr haltet mich sicher für den absoluten Oberarsch“, beendete ich meine Rede. Basti spuckte sein Bier über den halben Tisch und Flo verschluckte sich am Rauch seiner Zigarette. Der kleine Rotschopf stand auf und holte einen Lappen, um die Sauerei weg zu wischen. Flo kratzte sich am Kopf und ich vermochte seinen Gesichtsausdruck nicht zu deuten, was mich noch mehr verunsicherte. „Du…hast Juka gevögelt…wow…das ist krass, aber mich überrascht es jetzt nich…“ „What? Was ist denn bei dir kaputt Flo? Lukas hat Nici betrogen, das ist mehr als großer Mist…vor allem in ihrem Zustand…ich glaub’s nicht. Wie konnte das passieren?“, tadelte mich mein Freund und augenblicklich schossen mir die Tränen in die Augen. „Glaubst du, das weiß ich nich Basti? Es fühlt sich richtig beschissen an…ich weiß nich, was ich machen soll“, fuhr ich ihn verzweifelt an, doch Flo unterbrach uns. „Bei mir is so einiges kaputt Bastischatz, aber darum geht’s nich…Lukas, ich hab dir schon Mal gesagt, dass das mit Nici und dir nich wirklich funktioniert und ganz ehrlich Basti, du kennst unseren Chaoten hier…Nici is süß, hübsch, intelligent und vieles mehr, aber sie wird nie zu Lukas durchdringen…das gelingt uns ja schon kaum…“, wisperte Flo seine Worte und das traf mich irgendwie, denn es führte mir nur mehr vor Augen, wie kaputt ich wirklich war, wenn es nicht einmal meinen besten Freunden gelang, an mich ran zu kommen. Wenn ich sie, ohne es mir wirklich bewusst zu machen, von mir stieß. Das war heftig und der Schalter in meinem Gehirn brannte durch. Ich brach zusammen. Schon wieder. Doch Basti und Flo waren bei mir. „Hey Schnuckelchen…alles wird gut…wir sind da und du kannst noch so viel Mist bauen, wir sind immer da…aber jetzt komm Mal wieder runter. Wir bekommen das hin“, tröstete mich Flo und auch Basti legte seinen Arm um mich. Sie nahmen mich in ihre Mitte. „Ich bin nich besser als meine verfickten Eltern…ich wollte Nici nie betrügen, das hat sie einfach nich verdient…und gerade jetzt? Wie scheiße muss ein Mensch denn sein? Ich komm darauf einfach nich klar!“, schluchzte ich. „Aber Mal was anderes…liebst du Juka?“, fragte Basti ruhig. „Keine Ahnung…dieses Wort befindet sich nich in meinem Wortschatz…ich bin unfähig zu lieben…es is so krass gerade und dieses Gefühl, mir selbst weh zu tun is stärker denn je…ich will mir Schmerzen zufügen, damit das Chaos in meinem Kopf besser wird…“, redete ich weiter und es überraschte mich selbst,  dass ich das vor meinen Freunden das erste Mal so wörtlich kommunizierte. „Das wirst du aber nich tun, mein Schatz. Das lass ich nich zu…Basti, können wir zu dir? Ich fürchte wir können den Süßen hier heut unmöglich allein lassen.“ „Klar, keine Frage. Ich bestell uns ein Taxi“, antwortete der Rotschopf und zückte sein Handy. „Womit hab ich euch nur verdient“, flüsterte ich mehr zu mir als zu meinen Freunden. „Weil du toll bist. Süß, liebevoll, manchmal etwas verrückt…hast nen dezenten Hang zum Dramatischen…du magst uns, dir isses egal, wer wie viel Kohle hat…du siehst das Gute im Menschen und nich zu vergessen, du bist ein verflucht guter Musiker.“ Flo gab mir einen Kuss auf die Wange und wenige Minuten später traf auch schon unser Taxi ein. Der Freitag, an dem wir unser kleines Konzert gaben, rückte immer näher und ich war total von der Rolle. Es war Donnerstag und ich lag in meinem Zimmer auf dem Bett. Tim hatte mir erzählt, dass er Nici besucht hatte und es gar nicht mal so schlecht um sie stand. Ich brachte es dennoch nicht fertig sie zu besuchen. Doch sollte ich nicht krank sein vor Sorge und ihr jeden Tag Beistand leisten? Das war doch wieder Mal ein eindeutiger Beweis, dass mir Nici eigentlich egal war und das, was ich für sie empfand war nicht das, was man Liebe nennen konnte. Vor allem nicht nach allen, was mit Juka passiert war. Ich erhob mich vom Bett und wollte gerade raus gehen, um frische Luft zu schnappen, da stieß ich fast mit Jojo zusammen, die gerade total verheult durch die Eingangstür stolperte. Sie schaute mich nicht an. „Hey Kleine, was ist denn los?“ „Ich habe gerade mitbekommen, wie Mutti und Klaus über dich geredet haben, wenn das wirklich alles stimmt dann.....dann hasse ich dich!“ „Warum? Was haben sie denn über mich erzählt?“ „Ich habe nur etwas von Gefängnis mitbekommen...und ...und was von Drogen.“ „Warte mal kurz hier, ich komme gleich wieder. Okay!“ Ich eilte die Stufen hinunter. Meine Mum stand mit Klaus im Hausflur. Ich platze zwischen das Gespräch der beiden. „Warum musstest du das in Johannas Nähe erwähnen? Bist du jetzt froh, dass sie stinksauer auf mich ist? Du weißt ganz genau, dass ich nie wollte, dass sie davon etwas mitbekommt.“ „Konnte ich denn wissen, dass deine Schwester zuhört? Außerdem stimmt es doch, was ich gesagt habe oder etwa nicht?“ „Ich habe mein Leben wieder im Griff, wahrscheinlich besser, als du das deine. Es ist doch das Beste, wenn ich ausziehe. Dann bist du mich wenigstens los und das dann für immer.“ Ich hatte keine Lust jetzt noch groß eine Auseinandersetzung mit ihr zu führen und verschwand wieder nach oben, um mich um Jojo zu kümmern. „Also stimmt es doch! Hab ich Recht?“ „Ja. Aber das hat auch seinen Hintergrund und den wird sie nie verstehen.“ Jojo umarmte mich und ich nahm sie auf den Arm. „Könnt ihr euch nicht ein einziges Mal verstehen?“ „Nein. Sie hat mich zu sehr verletzt. Ich hab auch versucht ihr das zu erklären, aber sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass sie so einen miesen Charakter hat. Mir soll es auch egal sein.“ „Willst du echt ausziehen?“ „Ich weiß es nicht. Am liebsten schon, aber ich will dich nich allein lassen.“ Doch da stellte sich doch auch noch die Frage, wohin ich eigentlich ziehen wollte?  Zu meinem Vater? Das kam nicht in Frage, denn da konnte ich auch genauso gut hier wohnen bleiben. Jedoch ein paar Tage Abstand wären wirklich nicht schlecht. In meinem Zimmer grübelte ich, wie es jetzt weitergehen sollte. Meine Mutter und ich hatten uns seit unserem letzten Streit nicht mehr wirklich unterhalten und sie wurde mir immer fremder. Es kam mir schon fast so vor, als ob ich gar keine Mutter mehr hätte. Das war die bittere Realität, doch was sollte ich dagegen tun? Wie oft hatte ich schon versucht mit ihr zu reden? Wie oft hatte ich ihr schon beweisen wollen, dass ich sie doch mochte, aber alles ohne Erfolg. Komischerweise stellte ich immer öfter fest, dass mich diese Dinge nicht mehr so störten, wie vor einem Jahr. Ich hatte mich daran gewöhnt und langsam war sie mir auch egal. Meine Schwester hatte heute ihren Papa-Tag und bat mich, sie zu begleiten. Nach einigen Minuten des Zögerns willigte ich schließlich ein. Die Wohnung lag nicht sehr weit von unserem Haus entfernt. Ich klingelte. Sonja, die Freundin meines Vaters öffnete uns die Tür. „Ist Papa da?“, fragte Jojo. „Ja er ist oben. Kommt doch mit rein.“ Ich war noch nie mit in der Wohnung gewesen, hatte Sonja aber schon ein paar Mal gesehen und mich auch mit ihr unterhalten. Sie hatte mir viel von ihrer Tochter erzählt. Sie hieß Jennifer und war 14 Jahre alt. Die Wohnung war nicht besonders groß und ein bisschen spießig eingerichtet mit Möbeln von IKEA. Mein Dad freute sich, als er Jojo sah. Meine Anwesenheit schien ihn jedoch weniger zu begeistern. „Kann ich euch was zu Trinken bringen?“, fragte Sonja. „Nein danke“, sagte ich. Jojo wollte einen Orangensaft. Mein Vater fragte mich, ob er mal mit reden könne, bevor er mit Johanna und Sonja seinen Ausflug startete. Wir setzten uns hinaus auf den Balkon. „Wie läuft es zu Hause? Kommt Johanna klar?“ „Denk schon, sie is‘n taffes Mädel.“ „Naja, mir liegt viel an ihr…sie hat erwähnt, dass sie manchmal in der Schule nicht so ganz mitkommt.“ Ich lachte traurig, denn auch wenn es mich irgendwie freute, dass sich mein Vater um Jojo sorgte, fragte er nicht einmal nach, wie es mir ging. „Ich werde mal mit ihr reden und sehen, was ich tun kann.“ Nach einem Moment des Schweigens redete er weiter und versuchten einen auf perfekten, fürsorglichen Vater zu machen. „Wobei wir ja aufpassen müssen, dass sich deine Schwester nicht zu viel von dir abschaut. Oder was war das mit dem Gefängnis?“ Ich wollte meinem Dad nicht auf die Nase binden, dass ich mein Drogenproblem wieder mal nicht in den Griff bekommen habe. Er schien mir anzusehen, dass es sich um etwas Ernsteres handelte. „Du bist schon so ein Pflegefall. Sag schon, was ist passiert?“ Ich seufzte und beschloss ihm die Wahrheit zu sagen. „Ich bin jetzt als vorbestrafter Junkie bei der Polizei registriert. Zufrieden?“ Mein Vater schüttelte nur mit dem Kopf und musterte mich mit einem strengen Blick. „Um ehrlich zu sein, kann ich deine Mutter da schon verstehen. Ich meine, ich war in deinem Alter auch nicht einfach, allerdings hatte ich nie was mit Drogen zu tun.“ „Das brauchst du mir nicht zu sagen, außerdem weiß ich selbst, dass ich Mist gebaut hab. Immerhin macht ihr beide Fortschritte und sorgt euch wenigsten um Jojo.“ Mein Dad sah mich mit einem seltsamen Blick an, den ich nicht so recht deuten konnte. „Anderen Jugendlichen in deinem Alter geht es noch viel schlechter Lukas und die kommen im Leben auch klar. Machst du uns etwa Vorwürfe? Willst du sagen, dass wir für deine Missetaten verantwortlich sind?“ „Warum sollte ich das tun? Dafür kann ich niemanden verantwortlich machen, aber ich kann euch für euren Egoismus und eure Missachtung verantwortlich machen. Als du noch zu Hause gewohnt hast, hat es dich komischerweise nich gekümmert, was Jojo macht und jetzt? Erst, als du erfährst, dass sie Probleme in der Schule hat, läuten deine Alarmglocken und auf einmal spielst du hier den perfekten Vater und unternimmst sogar etwas mit deiner Tochter. Und Mutti ist nich anders. Ich hab einfach die Schnauze voll.“ Er erwiderte lange nichts. Dachte er etwa über meine Worte nach? Wohl kaum. Dann seufzte er. „Tja, was soll ich dazu noch sagen? Du hast schon immer deinen eigenen Kopf gehabt und da kann ich wohl nichts machen. Es tut mir leid, dass das Verhältnis zwischen uns nicht besser ist.“ War das alles, was er dazu zu sagen hatte? Ich konnte das nicht fassen und das bestätigte mir wieder mal, dass ich ihm auch jetzt mehr oder weniger egal war. Er verschwand wieder ins Wohnzimmer. Ich rauchte eine Zigarette und plötzlich vernahm ich eine zaghafte Stimme hinter mir. „Du bist also Lukas.“ Jennifer trat auf den Balkon. Sie war echt süß,  groß, schlank und ihre Haare reichten bis zur Schulter. Ihr schmales Gesicht wurde halb von ihren blonden Haare verdeckt. Sie trug am linken Arm ein Nietenarmband und am rechten vier oder fünf Lederarmbänder. Um ihren Hals hing eine Kette mit einem kleinen Totenkopf. Sie erinnerte mich ein bisschen an die putzige Punkrockerin Avril Lavigne. „Ja, ich bin Lukas und du Jennifer, stimmt’s?“ Sie grinste mich etwas verlegen an. „Ja. Fände es aber cooler, wenn du Jenny zu mir sagst.“ „Klar Jenny.“ Ihr stieg eine leichte Röte in die Wangen. „Du siehst echt abgefahren aus.“ Ich musste lachen. Das hatte schon lange keiner mehr zu mir gesagt. „Naja, wenn du das sagst.“ „Bist du jetzt öfter hier?“ „Kommt drauf an.“ „Eigentlich sind wir ja so ‚ne Art Geschwister oder?“ Ich musste lächeln. Jenny gefiel mir irgendwie. „Ja schon. Schlimm?“ „Nee, im Gegenteil. Ich wollte schon immer so einen großen Bruder haben.“ „Aber ich habe ja auch noch eine richtige Schwester.“ „Ja, Johanna, die kenn ich bereits…sie ist 12 oder?“ „Genau.“ „Ich kann das ja eigentlich auch nicht von dir verlangen, aber schön wäre es trotzdem.“ Wir lächelten uns an. „Wenn du willst können wir heut Nachmittag auch was zusammen machen, wenn du nichts anderes vorhast.“ „Cool, meinst du das ernst?“ „Ja klar, meinst ich frag dich nur zum Spaß? Wir könnten noch einen Kumpel abholen und dann ins Schwimmbad gehen oder an den See. Ich kenne da einen ganz in der Nähe!“ „Ja cool. Ich pack nur noch ein paar Badesachen zusammen, dauert nicht lange.“ „Ach, da muss ich ja auch noch mal nach Hause. Ich bin einer halben Stunde wieder hier. Okay?“ „Ja, bis gleich.“ Ich rief Flo unterwegs an und fragte, ob er Lust hätte mit schwimmen zu kommen. „Natürlich, immer doch.“ „Ich hole dich so in einer halben Stunde ab.“ „Jo. Bis dann.“ Ich wartete im Wohnzimmer auf Jenny. Sie sagte ihrer Sonja noch Bescheid, dass sie mit mir schwimmen gehen wollte. „Aber pass mir ja auf Jenny auf.“ „Klar mach ich das. Ihr müsst euch keine Sorgen machen.“ „Okay dann bis später.“ Flo brauchte mal wieder eine halbe Ewigkeit, bis er endlich fertig war. „Ja, also, das ist Jenny, Jenny, das ist der Flo.“ Beide begrüßten sich mit einem Lächeln. „Wollen wir wirklich ins Schwimmbad, Lukas? Vielleicht ist da ja auch die tolle Jessica“, ärgerte mich mein bester Freund und ich streckte ihm die Zunge raus. „Mir egal. Wir können auch zum Baggersee, da isses eh viel schöner.“ „Gut. Hast du was zum Trinken mit?“ „Jo. Holst auch noch was, sonst wird es knapp. Ich hab nur zwei Bier.“ Flo ging noch was holen. „Ist Flo in deiner Klasse?“ „Jepp. Flo, ich hab mal noch Basti und so Bescheid gesagt, die woll‘n eventuell nachkommen.“ „Klar.“ „Kann ich mir vorstellen. Ich wusste gar nicht, dass es hier in der Nähe einen Baggersee gibt“, sagte Jenny. „Tja, jetzt weißt du‘s.“ Wir lachten. Flo kam auch wieder zurück, mit vier Dosen Bier. „Das dürfte für uns reichen. Jenny will ja sicher auch was oder?“ „Wenn du mich schon so lieb fragst, sag ich nicht nein.“ Wir zogen los, fuhren ein Stück mit dem Bus und waren relativ schnell am Baggersee. Die Sonne knallte richtig heiß und zu unserem Glück war der See nicht ganz so überfüllt wie befürchtet. Basti und Tim kamen eine halbe Stunde später mit dem Auto und obwohl Tim fuhr, hatte er was zum Kiffen dabei. Mein Leben war so armselig. „Wow, du hast ja viele Tattoos.“ Jenny bewunderte meine Tätowierungen am Unterarm, auf der Wade und auf dem Rücken. Ich bin schon immer ein Fan von Tattoos und Piercings gewesen. Gepierct war ich in der Zunge, in beiden Brustwarzen, in der Unterlippe und in der Nase. „Das muss doch irre viel Kohle gekostet haben oder? „Na es ging. Das auf dem Rücken war am teuersten und das hab ich von meiner Oma zum fünfzehnten bekommen.“ Ich zündete mir eine Zigarette an und öffnete uns dreien ein Bier. Tim drehte einen Joint. Hoffentlich verplapperte sich Jenny nicht bei ihrer Mutter. „Kommt jemand mit ins Wasser?“, fragte Flo. „Kannst ja mit Jenny schon mal vorgehen, ich komm gleich nach.“ Mir entging nicht, dass Jenny irgendwie mit Flo flirtete und er schien es auch zu genießen, jedoch war ich mir nicht sicher, ob er das auch so ernst nahm. Ich begab mich nun auch ins kühle Nass, weil es in der verdammten Sonne nicht auszuhalten war. Mit meiner Luftmatratze trieb ich auf dem Wasser. Flo kam zu mir geschwommen, ohne, dass ich es mitbekam und kippte die Luftmatratze um, sodass ich mit einem Patsch ins Wasser fiel. Verdammt war das kalt. Meine Augen suchten Flo, nachdem ich aufgetaucht war. Fies grinste er mich an. Ich zeigte ihm meinen Mittelfinger, schwang mich wieder auf die Luma und paddelte zu ihm. Er versuchte mir zu entfliehen, doch ich war schneller und tauchte ihn unter, bis er mich um Gnade anbettelte. Als wir uns ausgetobt hatten, legten wir uns wieder auf die Decke. „Haben wir nicht auch heut noch mal Bandprobe Flo?“, fragte Basti. „Ja, wegen morgen.“ „Was? Ihr habt eine eigene Band?“ „Ja, sind auch gerade dabei, eine eigene Platte zu machen. Morgen haben wir ein Konzert. Wenn du willst kannst du auch kommen. Bist herzlich eingeladen“, sagte Flo zu Jenny, um sich entweder sein nächstes One-Night-Stand zu sichern oder ihre Euphorie anzustacheln. „Das wäre echt klasse. Brauch man da eine Eintrittskarte oder so was?“ „Naja, normalerweise wird an der Tür Eintritt kassiert, aber wenn du schon früher mitkommst, kannst auch so rein. Einlass ist erst ab 20 Uhr“, gab ich zur Antwort. „Echt cool. Kommst du mich da abholen, weil ich doch auch gar nicht weiß, wo das ist.“ „Entweder ich oder Flo holen dich ab, weil ich eigentlich vorher noch mal zu Tim muss. Flo, du weißt doch wo mein Dad wohnt. Könntest du Jenny so halb sieben mitbringen?“ „Na klar, das dürfte doch kein Problem sein.“ „Ich finde das echt lieb von euch.“ „Naja, du bist ja schließlich meine Halbschwester. Da darf man so was schon mal machen.“ Flo und ich brachten Jenny noch nach Hause und von dort gingen wir gleich zum Proberaum, weil morgen echt alles klappen musste. Alles war hektisch, doch wir bekamen dann doch alles auf die Reihe und waren sogar sehr zufrieden mit uns. Mein grünhaariger Freund kam am Ende zu mir und schloss mich in seine Arme. „Wie geht’s dir mein Schatz?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Geht schon…ich komm klar“, antwortete ich. „Versprochen?“ „Versprochen“, nickte ich und Flo drückte mir noch einen Kuss auf die Wange, bevor er ging. Ich hatte etwas zu viel getrunken. In meinem Kopf drehte sich alles, als ich den Heimweg antrat. Die Nacht war schön, der Wind wehte angenehm warm und am Himmel konnte man keine einzige Wolke sehen. Nur die Sterne, die wie kleine Kristalle blinkten. Ich legte mich im Park auf die Wiese und schaute hinauf zu den Sternen. Wie sehr wünschte ich mir jetzt, dass mein Leben nicht so verflucht kompliziert war. Wie hatte das passieren können? Und dann schweiften meine Gedanken wieder zu dem schönen Japaner, doch bevor mein Kopfkino einsetzte, erhob ich mich wieder. Nicht jetzt. Das ertrug ich nicht. Es war spät, als ich zu Hause ankam. Alle schienen schon zu schlafen. Bevor ich mich ebenfalls schlafen legte, warf ich noch einen kurzen Blick zu meiner kleinen Jojo hinein. Sie hatte die Decke weggestrampelt. Vorsichtig schlich ich zu ihr, deckte sie wieder zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Ich war zwar müde, konnte jedoch nicht einschlafen. Mein Kopf war viel zu sehr damit beschäftigt, die ganzen Ereignisse der letzten Monate zu sortieren. Oder eben auch nicht. Als ich erwachte, war es bereits mittags. Ich zog eine Hose an, setzte mich auf mein Sofa und zündete mir eine Zigarette an. Als meine Tür aufging zuckte ich zusammen, weil ich nicht bemerkt hatte, dass jemand die Stufen herauf gekommen war. Es war leider nur meine Mum. Was sie wohl wieder wollte?„Na hast du gestern wieder Sauforgien mit deinen tollen Freunden veranstaltet.“ „Hatte Bandprobe, wegen heute Abend.“ „Wie schön…jetzt wirst du also Rockstar?“, bemerkte sie zynisch. „Sieht ganz so aus.“ „Wie war es gestern bei deinem Vater?“ „Ganz okay.“ „Meinst du das eigentlich ernst, als du gestern gesagt hast, dass du ausziehen willst?“ „Vielleicht.“ „Wohin willst du denn ziehen?“ „Keine Ahnung, das is ja das Problem.“ „Das kannst du mir nicht antun, Lukas. Was ist außerdem mit Johanna? Ich denke, du hängst so an ihr?“ „Warum kann ich dir das nich antun? Sonst hast du dich nie interessiert, ob es mir gut oder schlecht geht. Jetzt fragst du mich sogar, was ich noch vorhabe. Ich weiß wirklich nicht, wohin das führen soll. Fällt dir etwa jetzt auf, dass ich dein Sohn bin? Willst du jetzt das nachholen, was du in den vielen Jahren versäumt hast?“ „Lukas, ich weiß, dass ich einen großen Fehler gemacht habe. Kannst du dich denn nicht in meine Lage versetzen? Magst du mich denn nicht ein bisschen?“ „Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Früher habe ich dich sehr gemocht. Ich musste immer heulen, wenn ich etwas angestellt habe, wo ich genau wusste, dass es dich ärgern würde. Du hast mir immer verziehen. Aber du hast dich verändert. Jetzt nutzt du jede Gelegenheit, um mich runter zu machen. Ob es meine Klamotten sind, meine Musik oder allgemein mein Auftreten. Immer hast du etwas an mir auszusetzen. Ich kann nichts für meine Meinung und ich will mich auch nicht verändern. Wenn du mich wirklich magst, dann musst du mich so akzeptieren, wie ich bin und nicht anders.“ „Es ist ja nicht immer dein Auftreten, das mich stört. Ich finde deine Art, wie du manchmal bist einfach furchtbar. Ich komme damit nicht mehr zurecht.“ „Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit. Dir waren die ganze zwei Jahre nur wenige Dinge wirklich wichtig und ich habe nicht dazu gehört. Ich musste in meinem Leben schon soviel durchmachen und du weißt kaum die Hälfte davon. Du hast dich noch nie darum gekümmert, wie ich meine Freizeit gestalte. Nur, wenn dir jemand wieder erzählt hat, dass er mich beim Kiffen gesehen hätte oder ich gleich ganz drogenabhängig bin, da hast du wieder einen Grund gehabt mich runter zu machen. Denkst du mir gefällt so ein Leben? Ich hätte mir gewünscht, als ganz normaler Junge aufzuwachsen, mit meinen Freunden abzuhängen und auch manchmal eine kleine Meinungsverschiedenheit mit meinen Eltern zu haben. Aber das Verhältnis zwischen uns ist nicht mehr normal, findest du das auch?“ Meine Mum antwortete nicht gleich. Ihr standen die Tränen in den Augen, weil sie wusste, dass ich die Wahrheit sagte. Ich konnte mir das alles jetzt nicht mehr verkneifen. Es musste einfach raus. Vielleicht war es auch gut so, ich war mir jedoch nicht so ganz sicher. „Lukas.....ich weiß das alles selber, doch ich wollte es nicht wahr haben. Ich dachte immer du wärst glücklich. Am liebsten will ich alles rückgängig machen. Ich kann dich auch verstehen, so eine Mutter hast du nicht verdient und Johanna auch nicht. Ich habe mir immer so sehr Kinder gewünscht, doch ich wusste nie, wie viel Verantwortung eigentlich dahinter steckt. Es tut mir so wahnsinnig leid. Ich weiß einfach nicht, wie ich das wieder gut machen kann.“ Ich war fassungslos. So hatte ich meine Mum noch nie erlebt. Ich war irgendwie glücklich und traurig zugleich. Trotzdem konnte ich ihr nicht verzeihen, denn der Schmerz saß zu tief und ich glaubte, dass wusste sie genauso gut wie ich. „Das hättest du dir früher überlegen sollen. Ich kann jetzt nicht einfach so tun, als sei nichts gewesen. Ich wünschte mir, du könntest sehen, wie es in meinem inneren aussieht…aber das wirst du wohl nie. Wenn es dich beruhigt, ich habe mich schon längst damit abgefunden.“ Die Tränen rannen ihr jetzt über die Wangen. „Nein, bitte. Das darfst du nicht! Ich würde mir sonst ewig Vorwürfe machen!“ Ihre Stimme klang weinerlich und verzweifelt. „All die Jahre bin ich nie an dich rangekommen und jetzt soll ich alles einfach so vergessen? Alles, was du mir an den Kopf geknallt und somit meine Gefühle verletzt hast, einfach verdrängen? Nein…das geht nicht.“ „Aber warum nicht? Wir können uns doch aussprechen, du kannst mir von deiner Musik erzählen und ich werde dich versuchen zu verstehen…“ Was? Das hätte ich mir vor wenigen Monaten noch gewünscht, aber jetzt sträubte ich mich mit ihr darüber zu reden, weil es eher erzwungen war. Jetzt war ich derjenige, der keine Gefühle zeigte. Ja, meine Mum sollte spüren, dass sie mich verloren hatte. Ich schüttelte mit dem Kopf und schaute sie mit durchdringlichem Blick an. „Du stellst dir das so einfach vor! Wir beide haben es endlich geschafft…geschafft unser Verhältnis so kaputt zu machen, dass es mir egal ist. Es ist zu spät und du kannst das nicht mehr zurückholen.“ Ich war entsetzt von mir selbst, doch so war es doch? Das tiefste innere meiner Seele hatte gesprochen.       Kapitel 15: Freunde sind doch die besten Therapeuten ---------------------------------------------------- Ich stolperte aus der Haustür und wollte nur noch weg von meiner Mum. Jetzt hatte ich sie genauso verletzt, wie sie mich. Wohin sollte ich jetzt gehen? Bis zur Bandprobe waren es immerhin noch zwei Stunden. Ja, der Proberaum. Dieser Ort schien mir jetzt sehr passend. Mit zittrigen Händen öffnete ich das Schloss. Der Proberaum war nicht übermäßig groß, aber auch nicht zu klein. In der hinteren linken Ecke war eine kleine Bar mit einer Sitzecke und in der gegenüberliegenden Ecke ging es zum Keller, wo wir alle Instrumente verstaut hatten. Zwischen Bar und Keller erhob sich eine kleine Empore, die uns als Bühne diente. Kurz vor der Wand hing noch ein schwerer roter Vorhang und dahinter war noch ein kleiner Raum, wo wir uns vor unseren Auftritten aufhielten. Unerwarteter Weise tauchte auch Basti plötzlich auf. Ich ging in den Keller hinab, wo sich außer den Instrumenten die ganzen Alkoholvorräte befanden. Ich nahm den Wodka mit hoch und trank einen großen Schluck. Normalerweise betrank ich mich vor Auftritten eher selten, aber heute war es irgendwie nötig. Ich schaute auf mein Handy. Es war schon kurz vor sieben. Basti sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Alles klar?“ „Sicher, besser als zuvor.“ „Stress zu Hause?“ Ich nickte und mein Freund legte seinen Arm um meine Schulter. „Aber nich der Rede wert, lass uns nen cooles Konzert spielen.“ Wir setzen uns auf den Bühnenrand. Wenn man den Raum so betrachtete, sah er recht interessant aus. Die Wand gegenüber von der Bühne war von Basti und seinem Bruder künstlerisch mit Graffiti besprayt worden, die Wand rechts davon war knallrot. Die Wand gegenüber war ebenfalls rot und da hatten Tim und ich blaue, rote und grüne Neonleuchten angebracht. Der Proberaum war aber noch nicht ganz fertig, wir wollten irgendwo noch ein paar Sofas und Sessel oder Stühle zum sitzen auftreiben, weil die eine Sitzecke war für die ganzen Wochenendveranstaltungen eindeutig zu wenig. Mein Blick schweifte zur Tür, die sich gerade öffnete. Flo kam mit Jenny, Bastis Bruder Mike und dessen Kumpel Thilo. Mike und Thilo machten für den heutigen Abend die Türsteher und kassierten den Eintritt. Thilo hieß eigentlich Konrad, aber er sah fast so wie Thilo Wolf von Lacrimosa aus und deshalb war er halt Thilo. Seine Klamotten waren echt der Hammer. Ich würde zwar nie so herumlaufen, aber zu ihm passte es. Er trug ein weißes Hemd mit einem schwarzen Pullunder darüber, seine schwarze Lederhose war mit Spitznieten übersät und die Absätze seiner Stiefel waren zur Hälfte aus Eisen. Seine Haare hatte er locker mit einem Lederband zusammengebunden. Mike war nicht ganz so extrem, obwohl er auch ein Gothic war. Er trug ein schwarzes In Extremo T- Shirt und eine normale schwarze Jeans. Doch seine Stiefel waren genauso ausgeflippt, wie die von Thilo. Mike hatte auch lange Haare, die er zu einem Iro auf gestylt hatte. „Hey ihr zwei, wie geht’s?“ „Soweit gut. Übrigens danke, dass ihr das heute Abend macht. Hättet bestimmt auch was Besseres zu tun, als den ganze Abend Türsteher zu spielen.“ „Ach das ist schon okay. Außerdem wollen wir doch mal sehen, was ihr so drauf habt.“ Die zwei sahen vielleicht abschreckend aus, aber waren echt richtig nett. Ich fragte Basti, ob er mir schon mal half, die Instrumente heraufzutragen. Als wir alles oben hatten, machten sich Tim und Mike daran, die ganzen Geräte anzuschließen. In der Zeit waren auch die anderen gekommen. Als alles so weit fertig war saßen wir noch in einer gemütlichen Runde zusammen und plauderten. Ich merkte wie mir der Alkohol allmählich zu Kopf stieg. Es war dreiviertel acht, Mike und Thilo stellen sich an die Tür und Flo, Basti, Christian, Tim und ich verschwanden hinter der Bühne. Unser Barkeeper war ein Glück auch noch rechtzeitig erschienen. Es war alles perfekt, jetzt musste nur noch alles mit dem Auftritt klappen, aber dabei hatte ich auch schon keine Bedenken mehr. Alle meine Sorgen und den Streit mit meiner Mum hatte ich verdrängt. Über der Bühne leuchtete jetzt der Schriftzug Nocturna und ich konnte mir ein stolzes Lächeln nicht verkneifen. Der Saal war reichlich gefüllt, der Anblick der Menschenmenge erfreute mich sehr. Es war fast acht und um neun würde das Konzert beginnen. Nici war sich immer noch nicht ganz sicher, ob sie hingehen sollte. Nadja hatte ihr davon abgeraten und sie war auch nicht bereit gewesen ihre Freundin zu begleiten, weil sie der Meinung war, dass Lukas Nici sowieso längst vergessen hätte. Doch irgendetwas in ihr sagte ihr, dass es nicht so war. Aber sie fragte sich trotzdem immer wieder, warum er sie dann nicht mehr besucht hat oder sich wenigstens nach ihr erkundigt hatte? Das viertel Jahr Krankenhaus und die Therapien hatte Nici ganz schön zugesetzt und sie fühlte sich noch immer schlapp und doch wollte sie ihren Lukas unbedingt sehen. War sie wirklich naiv, so wie Nadja es behauptete? Nur, weil sie einen Jungen liebte, den sie als ihre Freundin nicht akzeptierte? Sie wusste auch, dass Lukas eine dunkle Vergangenheit hatte, aber warum sollte sie ihn deshalb im Stich lassen? Nadja war einfach nur eifersüchtig! Nici war erleichtert, dass die Ärzte ihr helfen konnten. Die Nacht, in der sie vergewaltigt wurde, saß mir immer noch tief in den Knochen. Wenige Verletzungen sind zwar noch nicht ganz verheilt, aber lange dauerte das sicherlich auch nicht mehr. Bis auf ein paar Prellungen war so gut wie alles verheilt. Etwas ängstlich machte sich Nici dann doch auf den Weg zum Proberaum, in dem das Konzert von Nocturna stattfinden sollte. In der Stadt herrschte ein reges Treiben und keiner beachtete das Mädchen. Als sie in die Straße einbog, wo sich der Proberaum befand, vernahm sie plötzlich Schritte hinter sich und drehte sich um. Ein junger Mann kam hinter ihr her. Er war hochgewachsen, schlank und asiatischer Herkunft. Mit seinen weißblonden Haaren hätte er fast aus einem Manga entsprungen sein können. „Ach du willst wohl auch zum Konzert, ja?“ „Äh, Ja.“ Eigentlich wollte Nici etwas früher da sein, um Lukas vielleicht noch zu sehen. Doch sie wollte auch nicht unhöflich sein und den jungen Mann einfach abwimmeln. „Ich bin übrigens Nici.“ Auf einmal blieb er stehen und starrte sie mit interessiertem Blick an. Das verwirrte das Mädchen. „Hab ich was Falsches gesagt?“ „Nein, nein. Ist schon okay. Bist du Lukas seine Nici? Er hat dich schon oft erwähnt.“ Nun war sie diejenige, die verblüfft war. Warum unterhielt sich Lukas mit fremden Menschen über sie? Doch dann fiel ihr auf, dass sie ihn irgendwo schon mal gesehen hatte. Zumindest auf Bildern. „Kennst du Lukas schon lange?“ Er zuckte mit den Schultern. „Wir haben uns mal in einer Bar kennengelernt, das dürfte jetzt ungefähr ein Jahr her sein.“ Jetzt hatte Nici keine Zweifel mehr, das musste der hübsche Japaner sein, von dem Lukas manchmal gesprochen hatte. „Ähm, ja, ich erinnere mich, das hat er mir erzählt.“ „Ich bin übrigens Juka.“ „Freut mich deine Bekanntschaft zu machen.“ Er schaute Nici eine ganze Weile an. „Lukas hat Recht gehabt, als er gesagt hat, dass du wunderschön bist.“ „Meinst du, dass er mich noch mag?“ „Da bin ich mir ziemlich sicher!“ Jetzt war das Verlangen, Lukas zu sehen, noch größer. Doch was sollte sie ihm sagen? Die Angst, dass er sie nicht mehr mochte, war trotz Jukas aufbauender Worte immer noch da. Es wurde langsam dämmrig und Nici empfand diese Gegend dann immer unheimlich. Überall standen alte, baufällige Häuser und Neubaublöcke. Juka und Nici beschlossen vor dem Raum zu warten, bis er sich gefüllt hat und dann ganz hinten von der Wand aus zuzugucken. Solange nahmen sie auf der Bank davor platz.  Flo zog mich kurz vor die Tür und nahm mir meine Wodkaflasche aus der Hand. „Süßer…du kannst das meinetwegen später tun, aber nich vor dem Konzert. Ich brauch dich auf der Bühne halbwegs nüchtern, okay?“ Ich umarmte meinen Freund und sah über seine Schulter hinweg etwas, was ich vielleicht bei heißem Wetter für eine Fata Morgana gehalten hätte. Das Mädchen sah Nici verdammt ähnlich. Flo merkte, dass ich zur Salzsäule erstarrt war und drehte sich ebenfalls um. Auch Juka war da und begrüßte uns beide. Ich war völlig durch den Wind. Konnte es möglich sein, dass Nici hier stand? Langsam näherte sie sich und wir standen uns gegenüber als wären wir Fremde. Juka und Nici. Meine vermeintliche Freundin und der Typ, mit dem ich sie betrogen hatte. Nein, das war einfach zu viel. Ich schwankte leicht rückwärst und meine Hände suchten Halt an der Wand. Als ich mich wieder gefangen hatte, zog ich Nici um die Ecke, damit wir etwas ungestört reden konnten. Mein Herz hämmerte schneller und unsere Lippen formten sich langsam zu einem Lächeln. Fuck, das war schlimmer, als in einem Liebesdrama. Vielleicht sollte ich meine eigene Daily Soap verfilmen lassen. „Bist du das echt?“ „Eigentlich schon.“ „Wow! Sorry, ich bin gerade echt leicht überfordert. Was soll ich sagen, schön dich zu sehen.“ „Ist das alles? Keine Umarmung? Kein Kuss?“ Mein Schwindelgefühl kehrte zurück und so sehr ich Nici vermisst hatte, wusste ich jetzt nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte. Doch dann nahm sie mich in die Arme und alle Angst und die Ungewissheit, Nici niemals wieder zu sehen, waren verflogen. Ich konnte das gerade gar nicht fassen. Dann ergriff ich die Initiative und küsste sie. Automatisch schlichen sich Bilder in meinen Kopf. Bilder von der Nacht mit Juka. Der Kuss und sein verführerisch nackter Körper. Ich trat einen Schritt zurück. Nici entging natürlich nicht, dass etwas so ganz und gar nicht zu stimmen schien. „Ich muss leider erst mal wieder rein. Sehen wir uns später noch mal?“, versuchte ich die Situation zu retten. „Natürlich. Kommst du dann wieder hier her? Ich gucke nur von ganz hinten zu und gehe dann wieder an die frische Luft. Ich freue mich.“ Ich wagte es erneut und drückte Nici noch einen Kuss auf den Mund. Der Raum verdunkelte sich und ich betrat die Bühne. Grelles Scheinwerferlicht blendete mich und ich suchte Halt am Mikroständer. Das Zittern meiner Hände versuchte ich zu verstecken und schloss die Augen, um mich auf die Musik zu konzentrieren. Schließlich verließen die Worte von ganz allein meinen Mund, drangen in melodischer Form über die Lippen und erfüllten mich. Erweckten den toten Teil in mir zum Leben und schon fast schmerzhaft krochen meine Gefühle aus den tiefen meiner kaputten Seele und erfüllten den Raum mit Worten. Mit Gesang, der meine Fans zum Jubeln animierte. Feine Schweißtröpfchen bahnten sich einen Weg über meine Wangen und ich zog mein Oberteil aus. Stellte meinen geschundenen Körper zur Schau und versank noch mehr in meinen Texten. Verschmolz mit de Musik und gab mich vollends den Gefühlen hin. Unser Konzert endete mit einem langsamen Lied. Es war echt ein voller Erfolg, damit hätten wir glaub ich alle nicht gerechnet. Als ich mir dann noch bewusst machte, dass ich Nici wiederhatte, konnte ich das immer noch nicht fassen. Ich musste dringend eine Zigarette rauchen und machte mich wieder auf den Weg nach draußen. Nici erwartete mich schon sehnsüchtig und wir beschlossen, uns ein Stück von dem Trubel hier zu entfernen, weil es sehr viel zu bereden gab. Ich wartete schon fast auf ihre Frage. „Sag mal, was hast du in den letzten Monaten eigentlich gemacht?“ Eigentlich war ich auch wütend auf mich selbst, dass ich so ein Mist gebaut hatte, denn welches intelligente junge Mädchen möchte schon mit einem vorbestraften Junkie zusammen sein, der sie betrogen hatte? „Das ist ne lange, unschöne Geschichte. Es ist echt ne Menge passiert, während du weg warst.“ Jetzt auf einmal war die Ungewissheit wieder da, dass ich Nici trotzdem noch verlieren konnte. Ich entschloss mich letztendlich, ihr nicht alles zu sagen. „Ich war sogar einen Tag in Untersuchungshaft, weil ich Gras kaufen wollte.“ Das würde ihr sicher nicht passen, aber ich wollte ehrlich zu ihr sein. Ein bisschen zumindest. Während wir so redeten, schweifte mein Blick umher und suchte nach Juka. Dieser Krieg, der gerade in mir tobte, ich konnte ihn kaum noch ignorieren. „Und ich dachte deine Drogenzeit ist vorbei?“ „Keine Ahnung, ich hab ja nichts Ernstes genommen, war halt alles nur sehr turbulent“, sagte ich. Sie hackte auch nicht weiter. Wo war er bloß? Oder hatte er das Konzert gar nicht gesehen? „Warum hast du mich nicht mehr besucht?“, riss sie mich wieder aus den Gedanken. „Hab ich doch“, antwortete ich unsicher und musste unbedingt was trinken. „Ja, am Anfang. Aber Nadja hat mir erzählt, dass du dann überhaupt nicht mehr da warst.“ Ich zündete mir noch eine Zigarette an. Nadja wieder, toll. „Ich konnte nich…ich meine, ich hatte schreckliche Angst vor dem, was mich erwarten würde. Verstehst du?“ Ich sah ihr tief in die Augen. „Aber ich denke, du liebst mich?“ Ich seufzte und nahm einen tiefen Zug. „Nici, ich war einfach total am Ende! Ich hatte oder habe im Moment auch noch andere Sachen, die mich extrem belasten. Das soll jetzt auch nicht heißen, dass du unwichtig für mich bist, aber es sind eben Kleinigkeiten, die sich irgendwann zu wahnsinnig großen Problemen entwickeln und dann kann man ihnen nicht mehr aus dem Weg gehen.“ Ich wusste nicht, ob sie mich verstand. „Also geht es doch um Drogen?“ „Verflucht, nein! Muss es denn nur immer das sein? Es geht um meine Familie verdammt, die keine mehr ist. Es geht um meine Mum, die nur noch sich und ihren Klaus sieht und um meine Schwester, die in der Schule nich mehr klarkommt. Meine Mutter lebt gerade in ihrer eigenen Welt. Sie verdient ne Menge Geld, ist voll in ihren Typen da verknallt und was aus ihren Kindern wird is ja egal! Und ich muss Jojo dann wieder aus dem Schlamassel helfen, weil meine Mutter sich nich um sie kümmert. Dafür bin ich gut genug. Aber, dass sie sich mal nen Kopf macht, warum Jojo so is, daran verschwendet sie keinen Gedanken. Ich bin sowieso nur noch jemand im Haus, den sie begrüßt oder verabschiedet. Ich wüsste nich, wann wir mal miteinander geredet haben.“ „Tut mir leid, ich konnte ja nicht ahnen, was momentan bei dir zu Hause los ist.“ „Konntest du auch nich. Ich glaub, ich bin seelisch ein totales Wrack. Lange halte ich das nich mehr aus.“ Sie lächelte mich an und ich versuchte es zu erwidern. „Deshalb komme ich ja jetzt, um dich zu retten.“ „Du bist süß...irgendwie…aber ich bin nich sicher, ob das noch möglich is…“ Nici lachte wieder. „Es tut mir echt leid, dass ich dich missverstanden habe, aber es war auch nicht leicht für mich. Nadja hat auch so einige Dinge über dich gehört und hat mir gleich wieder davon abgeraten, dich zu treffen.“ Da konnte ich nur hoffen, dass Nici mir mehr vertraute, als ihrer Nadja, denn das, was sie über mich gehört hat, war mit Sicherheit nicht so ganz unwahr. Ich fühlte mich schlecht, weil ich Nici belogen hatte, doch was sollte ich machen? Flo kam zu uns brachte mir ein Bier mit. „Mein Wodka bekomm ich wohl nich zurück?“, scherzte ich, doch meine Freundin schien das nicht so witzig zu finden. „Können wir noch was Schönes machen? Oder willst du dich hier besaufen.“ Vermutlich drückte sie absichtlich etwas krasser aus. Ich warf Flo einen hilfesuchenden Blick zu, doch er zuckte nur mit den Schultern und zischte wieder ab. „Nici…hör zu, ich freue mich voll, dass du wieder da bist,…nimm mir das jetzt nich übel, aber für mich tickte die Zeit weiter…ohne dich und jetzt bist du hier und alles ist auf einmal wieder toll? Das kann ich nich…von mir aus können wir gern noch wohin gehen, reden oder was du willst, nur bitte gib mir Zeit.“ „Na gut, ich verstehe dich…dann lass uns zu dir gehen okay?“ Es war kurz nach Mitternacht und wir schlichen auf Zehenspitzen in mein Zimmer rauf. Ich ließ mich erschöpft aufs Bett fallen, in meinem Kopf drehte sich alles. „Nici.......bitte sei mir nicht böse, aber es ist besser, wenn du jetzt nach Hause gehst. Ich brauche echt mal ein bisschen Schlaf und den habe ich die letzten zwei Wochen kaum bekommen.“ Sie schaute mich etwas verwundert an, lächelte dann aber. „Ich verstehe dich schon. Hast du morgen Zeit oder bessergesagt noch heute?“ „Klar. Ruf dich dann an, wenn ich munter bin.“ Ich brachte sie noch nach Hause, wartete, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fiel und ging wieder zurück. Eigentlich hatte ich gelogen, müde war ich keinesfalls. Jedoch konnte ich nicht, fassen, dass sie auf einmal wieder da war. Dieses wunderschöne Mädchen war zu mir zurückgekehrt und doch konnte ich im Moment nicht mit ihr zusammen sein. Alles kam wieder hoch und jetzt musste ich heulen. All der Frust und Schmerz, der sich in mir aufgebaut hatte, drang an die Oberfläche. Geistesabwesend hockte auf den Stufen vor meinem Haus kam mir so hilflos und verlassen vor. Ich schlug mit den Fäusten vor die Hauswand, bis sie schmerzten. Was hatte ich eigentlich getan? Würde ich es irgendwann schaffen, mich mit meiner Mum zu verstehen? Ich wusste nicht, was ich denken oder fühlen sollte. Mich beherrschte das Unglück und der Schmerz zerfraß meine Seele. Auf einmal vernahm ich das Geräusch schwerer Plateaustiefel hinter mir. Und da stand er vor mir, als ob er mich von meinem Elend befreien wollte. Liebevoll beugte er sich zu mir herab und zog mich auf die Beine. Lange schauten wir uns an. „Komm mit. Ich nehm dich erst mal mit in meine Wohnung.“ Ohne etwas zu sagen stolperte ich neben Juka her. In seiner Wohnung war ich immer wieder gern und fühlte mich dort geborgen. Er brachte mir noch eine Kuscheldecke und kochte mir Tee. Dann setzte er sich zu mir. Ich zündete mir eine Zigarette an und lehnte den Kopf in den Nacken. „Es ist nicht so, wie du denkst.“ „Wie denk ich denn?“, fragte er ein bisschen amüsiert. Ich zögerte einen Augenblick und nahm einen tiefen Zug. „Naja, vielleicht, dass ich wieder irgendwas genommen habe?“ Ich sah ihm in die Augen und seine wunderschönen Lippen formten sich zu einem Lächeln. Diese süßen Lippen, die mich neulich so begierig geküsst hatten. Ahhhh. Beschissenes Gehirn, schweig endlich! „Glaub mir, den Unterschied zwischen einem traurigen Menschen und einem, der gerade Drogen genommen hat, erkenne selbst ich. Eigentlich wollte ich zu eurem Konzert bleiben, aber leider ist mir etwas dazwischen gekommen. Und später warst du nicht mehr da.“ „Du hättest ja auch bei den anderen bleiben können. Das wäre sicher lustiger geworden, als hier mit so nem depressiven Typ wie mir zu sitzen.“ „Jetzt hör aber auf. Vielleicht hab ich mir ja Sorgen um dich gemacht?“ Es war faszinierend. Juka schaffte es einfach immer, innerhalb von wenigen Minuten Licht in meine so dunkle, trostlose Seele zu bringen. Und dafür war ich ihm dankbar. Jetzt legte er seinen Arm um meine Schulter. „Du weißt doch genau, dass ich dich am liebsten hab.“ „Ich seh bestimmt grad furchtbar aus. So fühl ich mich zumindest.“ Juka lächelte wieder. „Ich finde dich trotzdem süß. Was bedrückt dein Herzchen?“ Und da war er wieder, der unerträgliche Schmerz und die Tränen stiegen mir erneut in die Augen, doch ich biss mir auf die Unterlippe. Auf einmal war da noch etwas anderes. „Ich hab es geschafft, dass meine Mum mich jetzt endgültig aufgibt. Sie wollte sich wieder mit mir vertragen, über alles reden, doch ich…aber ich…konnte einfach nicht…“ Nun rollten mir doch vereinzelte Tränen über die Wangen. „Es ist zu viel passiert.“ Juka nahm mich behutsam in die Arme und ich hatte das Gefühl, dass der Schmerz in seiner Nähe nur halb so schlimm war. „Meinst du es geht gar nicht?“ „Ich weiß es nich.“ „Willst du ein paar Tage hier bleiben und mal in Ruhe über alles nachdenken?“ Ich wollte Juka nicht zur Last fallen, doch ich konnte mir auch nichts Schöneres vorstellen. Nicht mal Nici konnte das ersetzen, was Juka mir gab. Den Tag, den ich bei Juka verbrachte, gab mir wieder Kraft. Er hatte sich sogar Urlaub genommen, um bei mir zu sein und ich mied die Schule. Einmal rief mich meine Mutter auf dem Handy an, doch ich ging nicht ran. Zum ersten Mal sah ich meinen bezaubernden Freund ohne Make up und teuren Fummel. Und ich musste feststellen, dass Juka als Mann verdammt sexy war. Wir teilten sogar ein Bett und das mochte schon was heißen. Er bekochte mich oft mit japanischen Spezialitäten und je länger ich mit ihm zusammen war, desto mehr wuchs mein Vertrauen zu ihm. „Heut gefällst du mir schon besser Luki“, bemerkte Juka am Frühstückstisch und ich warf ihm ein charmantes Lächeln zu. „Naja, du verwöhnst mich ja auch. Danke dafür….“ Rührend sah er mich mit seinen glänzenden Augen an. „Du weißt doch, dass ich gerne deinen Seelsorger spiele, also nichts zu danken.“ Ich schlürfte einen Schluck Kaffee und beschmierte mein Brötchen mit Marmelade. „Ich denk, ich werde Nici heut mal besuchen gehen. Sie macht sich sonst noch unnötige Sorgen.“ „Willst du dann auch mal bei deiner Mama vorbeischauen?“ „Schon. Vielleicht kann ich ja doch noch mal mit ihr reden.“ „Das ist vernünftig.“ Juka verabschiedete mich nur ungern, jedoch versprach ich, ihn bald wieder besuchen zu kommen. Das Thema, unsere gemeinsame Nacht erwähnten wir beide nicht und ich riss mich auch zusammen. Juka schien es nicht anders zu gehen. Mein Herz zog sich zusammen, als ich gehen musste. Oder wollte, wie auch immer. Ein letztes Mal drehte ich mich um und sein sehnsuchterfüllter Blick traf mich wie ein Schlag. Ich rannte zurück, schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn. Dieser Kuss lud meine Batterie wieder auf. „Das war weniger vernünftig, sorry…wir sehn uns!“, sagte ich und verschwand. Was tat ich nur? Was tat Juka mit mir? Mit zittrigen Händen fingerte ich eine Kippe aus meiner Schachtel und zündete sie an. Ich hatte keine rechte Lust jetzt zu Nici zu gehen. Doch ich hatte versprochen, dass ich zu ihr kommen würde. Sicherlich war sie sauer auf mich, weil ich mich ja schon gestern bei ihr melden wollte und dies nicht getan hatte. Doch ich hoffte, dass sie den Grund dafür verstand. Und wie ich es erwartet hatte, empfing sie mich mit Enttäuschung und wütend schien sie ebenfalls zu ein. Trotzdem ließ sie mich eintreten. Bevor sie sie etwas sagen konnte, ergriff ich das Wort. „Bitte nicht. Das ist jetzt das Letzte, was ich gebrauchen kann. Mir ging es die letzten Tage einfach mies.“ „Naja, ist schon okay. Geht es dir jetzt wieder besser?“ Ich nickte und versuchte zu lächeln. Nici setzte sich auf meinen Schoß und strich mir über die Wange. „Du Lukas, ich soll am Wochenende zu meinen Eltern kommen. Macht dir das etwas aus?“ Was für eine Frage. „Eigentlich habe ich mir gedacht, dass wir da etwas zusammen unternehmen, weil wir uns so lange nicht mehr gesehen haben.“ „Ja es tut mir auch leid. Aber meine Eltern wollen mich auch erst mal sehen.“ Ich seufzte. „Ja. Solange du nur übers Wochenende bleibst.“ Ich gab ihr einen Kuss. „Ich komm Sonntag auch nicht so spät zurück, da können wir uns nochmal treffen, in Ordnung? Außerdem würde ich Nadine gern wiedersehen.“ Es war süß, wie sie sich versuchte zu rechtfertigen. „Hey, es ist schon gut. Ich mach dir doch deshalb keine Vorwürfe.“ „Ja, aber ich hab ein bisschen Bedenken gehabt, weil es dir ja gerade nicht so gut geht.“ Wieder lachte ich. „Na die drei Tage werd ich schon überstehen, keine Angst.“ Ich legte meine Arme um ihre Hüften und küsste sie auf den Mund. Zu Hause saß meine Mum im Wohnzimmer über ihrem Schreibkram. Neben ihr auf dem Tisch stand eine halbvolle Flasche Prosecco. Das machte mich wütend. Ich stellte mich in die Tür und es dauerte einen Augenblick, bis sie endlich Notiz von mir nahm. „Ach Lukas.“ „Du kannst deine Arbeit wohl nur noch im Suff ertragen oder was?“ Sie lächelte. „Nein. Das habe ich mir nur mal so gegönnt. Jetzt, wo es uns wieder so gut geht.“ „Uns? Du meinst wohl eher dich, was?“ Ihr Blick wurde skeptisch. „Na, ich meine, sind wir nicht wieder eine Familie?“ Ich zuckte nur mit den Schultern. „Wenn du der Meinung bist, wird es wohl so sein.“ Es machte mich wahnsinnig traurig, dass meine Mum so egoistisch war. Jetzt, da sie Geld hatte, konnte sie ja Prosecco trinken. Ich flüchtete auf den Balkon, um eine zu rauchen. Meine Lunge schrie nur so nach Nikotin. Meine Mutter kam mit ihrem Glas hinterher. „Wenn dich etwas bedrückt, können wir auch darüber reden.“ „Reden? Du kapierst ja doch nich, was mich bedrückt. Du kostest dein Leben im Moment voll aus. Es ist nich so, dass ich dir das nich gönne. Aber du redest davon, dass es uns gut geht. In Wahrheit kennst du mich und Jojo doch gar nich mehr. Wir sind zwar da, aber du siehst nur Klaus. Das ist wichtig und deine Kinder? Ach, die sind egal. Es reicht, wenn du uns Geld gibst oder? Wir kommen ja schon irgendwie klar.“ „Ach nun hör doch auf Lukas. Wer ist es denn, der den ganzen Tag nicht da ist? Du oder ich? Und deine Schwester saß schon oft mit mir und Klaus zusammen.“ „Wie oft denn? Das kannst du dir ja wohl an einer Hand abzählen. Vielleicht solltest du dich mal fragen, warum ich so selten zu Hause bin. Aber ich sag ja, es ist sinnlos. Das scheiß Geld muss immer alles kaputt machen.“ „Krieg dich mal wieder ein! Ich nehme jetzt ein Bad.“ Sie tänzelte mit ihrem Glas ins Badezimmer. Wütend und enttäuscht latschte mit meinem nackten Fuß gegen die Metallstäbe am Balkon. Wie konnte ein Mensch nur so sein? Und auch noch meine Mum? Ich schloss mich in meinem Zimmer ein legte Manson auf und versank in Gedanken. Irgendwie inspirierte mich dieser Mensch und die Tatsache, dass uns beiden unser selbstverletzendes Verhalten irgendwie gefiel, verband uns auf unbewusste Weise. Wenn ich beobachten konnte, wie das Blut über meinen nackten Körper floss, beruhigte mich das. Was war ich nur für ein Mensch geworden, dass solche kranken Gedanken durch mein abgefucktes Hirn spukten? Meinen Spiegel hatte ich versucht wieder zusammenzukleben, was mir auch, abgesehen von ein paar kleinen Teilen, gelungen war. Trotzdem, diese eine Scherbe lag noch immer da und ich wiegte sie in meiner Hand hin und her. Die drei anderen Wunden heilten schon, doch diese sollte noch tiefer sein, sodass der Schmerz verschwand. Ich stellte mir vor, dass diese unerträglichen Gefühle durch meine Selbstzerstörung ins Freie dringen konnten. Nicht mal das Gesicht verzog ich, obwohl es brannte wie Hölle. Ich zündete ein paar Kerzen an und öffnete mir die Flasche Rotwein, die ich mitgenommen hatte. Es fühlte sich gut an so anders zu sein, ich wiegte meinen Kopf zur Musik und streckte die Beine auf dem Sofa aus. Trotz dieses unerträglichen Zustandes zu Hause war mein Zimmer immer ein Ort, an dem ich mich gern zurückzog. Ansonsten war ich an jedem Ort lieber, nur nicht hier. Denn ich hielt es nicht aus, wie meine Mum sich jetzt gab. Ich schrieb mit Juka und wir verabredeten uns für später.       Sie tänzelte mit ihrem Glas ins Badezimmer. Wütend und enttäuscht latschte mit meinem nackten Fuß gegen die Metallstäbe am Balkon. Wie konnte ein Mensch nur so sein? Und auch noch meine Mum? Ich schloss mich in meinem Zimmer ein legte Manson auf und versank in Gedanken. Irgendwie inspirierte mich dieser Mensch und die Tatsache, dass uns beiden unser selbstverletzendes Verhalten irgendwie gefiel, verband uns auf unbewusste Weise. Wenn ich beobachten konnte, wie das Blut über meinen nackten Körper floss, beruhigte mich das. Was war ich nur für ein Mensch geworden, dass solche kranken Gedanken durch mein abgefucktes Hirn spukten? Meinen Spiegel hatte ich versucht wieder zusammenzukleben, was mir auch, abgesehen von ein paar kleinen Teilen, gelungen war. Trotzdem, diese eine Scherbe lag noch immer da und ich wiegte sie in meiner Hand hin und her. Die drei anderen Wunden heilten schon, doch diese sollte noch tiefer sein, sodass der Schmerz verschwand. Ich stellte mir vor, dass diese unerträglichen Gefühle durch meine Selbstzerstörung ins Freie dringen konnten. Nicht mal das Gesicht verzog ich, obwohl es brannte wie Hölle. Ich zündete ein paar Kerzen an und öffnete mir die Flasche Rotwein, die ich mitgenommen hatte. Es fühlte sich gut an so anders zu sein, ich wiegte meinen Kopf zur Musik und streckte die Beine auf dem Sofa aus. Trotz dieses unerträglichen Zustandes zu Hause war mein Zimmer immer ein Ort, an dem ich mich gern zurückzog. Ansonsten war ich an jedem Ort lieber, nur nicht hier. Denn ich hielt es nicht aus, wie meine Mum sich jetzt gab. Ich schrieb mit Juka und wir verabredeten uns für später. „Tut mir leid, dass ich immer nur zu dir komme, wenn ich Probleme habe.“ „Ach, mach dir doch deshalb keinen Kopf. Ich bemuttere dich gerne, das weißt du doch! Was hast du denn auf dem Herzen?“ Ich erzählte ihm, was vorgefallen war und wie immer hörte er mir bis zum Schluss zu, ohne mich in irgendeiner Art und Weise zu unterbrechen. „Weißt du, ich komm da einfach nich drauf klar. Früher haben wir uns zwar auch oft gestritten, aber im Moment erkenne ich meine Mum kaum wieder.“ „Oh mein Schatz, ich würde dir so gern helfen.“ „Tust ja schon…irgendwie.“ Jukas Blick war so voller Liebe und seine Finger strichen über meine Wangen. Leicht zuckte ich zusammen, weil er mit seinem Ellenbogen meine Brust streifte und ich irgendwie nicht wollte, dass er von meiner neusten Verletzung Wind bekam. Moment Mal, sonst war mir das auch egal und ich stellte meine Narben offen zur Schau. Ich lehnte am Geländer vom Balkon und fühlte es nicht zum ersten Mal bewusster. Doch war es unmöglich laut darüber zur reden, vor allem mit Juka. „Wie läuft es gerade mit Nici und dir?“ Die Sonne brannte im Nacken und Juka zog genüsslich an seiner Zigarette, dabei musterten mich seine Augen über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg. „Weiß auch nich…es läuft halt…irgendwie. Mal besser mal schlechter.“ Ich war mir nicht sicher, ob es an der Hitze lag oder daran, dass Juka nur in Shorts auf der Liege saß, dass mein Herz so unregelmäßig schlug. Diese Art von Gefühlen überforderten mich total. „Sie bemüht sich, mir alles recht zu machen. Dann is da noch Johanna . Sie versteht sich zwar ganz gut mit unserer Mum, aber sie weiß auch nich, dass ich so ein großes Problem mit ihr hab. Weißt du, sie kümmert sich kaum um meine Schwester. Macht mir aber Vorwürfe, wenn Jojo schlechter in der Schule wird oder so! Ich habe auch viel um die Ohren und nich immer Zeit für Jojo. Ich kann einfach nich mehr.“ Juka legte seinen Arm um meine Schulter. Dabei streiften meine Hände seinen nackten Oberkörper. „Das hört sich aber nicht gut an. Ich bin auch nicht sicher, was ich dir raten soll Luki.“ Ich zuckte nur mit den Schultern. „Du müsstest sie echt mal erleben.“ Eigentlich führten wir hier ein echt ernstes Gespräch, doch ich spürte, wie mein Blut vom Gehirn in ein anderes Körperteil schoss. Verdammt. Hoffentlich bekam Juka das nicht mit. Ich verdrückte mich kurz aufs Klo. Was zur Hölle passierte hier gerade? Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht und so allmählich ließ meine Erregung nach. Als ich wieder zurückkehrte, saß er noch immer halb nackt auf der Liege. „Alles okay?“, fragte er und ich nickte nur. Wie würde es sich anfühlen ihn noch einmal zu küssen? Der Gedanke warf mich nun wieder völlig aus der Bahn. Juka war mein Freund und ein Mann! Doch war das nicht egal? Plötzlich kam er auf mich zu, legte seine Arme um mich und sah mir tief in die Augen. Mein Herz schlug immer schneller und ich konnte fast an nichts anderes mehr denken, als daran, wie weich sich seine Lippen anfühlten. Seine Hände glitten an meinen Seiten entlang und wanderten unter mein Shirt. Fuck, was passierte hier gerade? Augenblicklich spürte ich eine Leidenschaft in mir aufflammen, die mir bisher unbekannt gewesen war und wenn ich jetzt keinen Rückzieher machte, würde ich diese eine Grenze ein weiteres Mal überschreiten. Deshalb nahm ich behutsam Abstand von meinem Freund, doch schluckte ich, als ich seinen enttäuschten Blick sah. „Ich sollte jetzt los…wir sehen uns.“ „Okay…pass auf dich auf mein Süßer“, hauchte er mir viel zu Nahe zu und gab mir einen Kuss auf die Wange. Tränen stiegen mir in die Augen und ich fragte mich, wie lange ich dieses Spiel noch spielen konnte. Nach dem Gespräch mit Juka ging es mir etwas besser. Meine Mum kam gerade aus dem Nagelstudio wieder und scherzte im Wohnzimmer mit ihrem Klaus. Johanna saß am Tisch im Flur und machte Hausaufgaben. Ich gab ihr einen Kuss und verkroch mich in meinem Zimmer. Dort hörte ich etwas lauter Musik und rauchte. Meine Mum kam tatsächlich hoch. Die Tür ließ sie offen. „Ich will dann noch mit Klaus schick Essen gehen. Könntest du dich um deine Schwester kümmern?“ „Klar, kein Problem.“ Ich konnte den Sarkasmus in meiner Stimme nicht ganz unterdrücken. „Hast du ein Problem damit?“ „Nein. Ich hab nur ein Problem mit dir, mit deiner Art, wie du gerade gibst!“ „Ach, das hatten wir doch heute schon mal. Ich habe jetzt keine Zeit, sinnlose Diskussionen mit dir zu führen.“ Sie merkte nicht, wie sie mich verletzte. „Sinnlos für dich. Siehst du, da haben wir es doch schon wieder! Wann hattest du überhaupt mal Zeit, dich mit mir zu unterhalten? Fast nie! Oder?“ „Ich arbeite eben viel. Jemand muss ja hier das Geld verdienen. Hast du schon mal daran gedacht, in den Ferien für Geld zu arbeiten?“ „Ich bekomme genug Kohle, wenn ich mit meiner Band auftrete. Weißt du, dein Geld ist mir so was von egal, mach doch damit, was du willst! Stecke es in Friseurbesuche, Shoppingtouren oder sonst was! Mich brauchst du damit auf jeden Fall nicht mehr zu versorgen. Ich brauch deine scheiß Kohle nicht!“ Ich wurde immer lauter. Irgendwann musste die Wut ja mal raus. Meine Mutter schaute mich etwas verdutzt an. „Na, wenn du so später dein Geld verdienen willst, viel Spaß. Einen armen Musiker als Sohn. Das ist ja wohl das letzte! Meinst du, dein Vater und ich haben so viel Geld in deinen Gymnasiumbesuch gesteckt damit du Musiker wirst? Ich will, dass du später studierst oder einen ordentlichen Beruf erlernst. Hast du verstanden?“ „Was du willst, ist mir schon lange egal! Ich hätte dich echt nicht für so blöd gehalten!“ Das hatte endlich mal gesessen und dafür musste ich Ohrfeige einstecken. „Ich habe echt noch nie einen so egoistischen, gefühlskalten Menschen, wie dich gesehen. Ich kann nicht mehr… Ich halte das echt nicht mehr aus! Aber mach nur weiter so.“ Sie sagte nichts darauf, schaute mich nur erbittert an. Auch meine Schwester hatte das Gespräch verfolgt und stand nun mit total verheultem Gesicht in der Tür. Nicht mal das merkte meine Mutter. „Komm, verschwinde aus meinem Zimmer, ich will dich nicht mehr sehen.“ „Wie redest du denn mit mir?“ Sie knallte mir noch eine. „So, wie du mich behandelst.“ Ich schrie sie jetzt an und sie schrie zurück. „Ich verbitte mir diesen Ton Lukas! Hast du denn niemals gelernt, wie man sich anständig benimmt?“ „Von dir oder was? Guck dich erst mal selbst an, dann können wir weiter reden!“ „Das muss ich mir von dir nicht bieten lassen!“ Ich sank auf meiner Couch zusammen. Meine Mutter drehte sich um und wollte gerade gehen. „Du merkst echt nicht, wie verletzend du sein kannst. Oder?“ Darauf erwiderte sie nichts. Jetzt erblickte sie Johanna und wollte ihr über die Wange streicheln, sie jedoch wehrte sich dagegen. Ich knallte meine Zimmertür zu und drehte mir mit zittrigen Händen einen Joint. Und plötzlich war alles wieder schön. Meine Probleme schienen sehr, sehr fern zu sein. Nur leider hielt dieses Glücksgefühl nicht lange an. Ich bekam große Lust, meine Mutter zu provozieren. Deshalb stattete ich meinem Lieblingsfriseur einen Besuch ab und ließ mir einen Undercut schneiden, denn lang genug waren meine Haare ja. Wie ich mir erhofft hatte, war meine Mutter von meiner neuen Frisur geschockt. Und ich ließ mir mein langersehntes Tattoo am Hals stechen. Jetzt hatte ich wahrscheinlich eine Katastrophe heraufbeschworen, aber das war mir langsam egal. Denn meine Mutter nahm schließlich auch keine Rücksicht auf mich. Eines Abends hörte ich sie mit Klaus über mich reden und das nicht gerade positiv. Klaus sagte, dass ich mich wahrscheinlich gerade in einer Phase befand, wo ich selbst nicht wüsste, was ich wirklich wolle. In der Schule wurde innerhalb kürzester Zeit vom Klassenbesten zum Klassenschlechtesten. Ich hatte einfach keinen Bock mehr und versuchte meine Probleme in der Musik zu verarbeiten. Nici sah ich eher selten. „Chris hat erzählt, dass du voll schlecht in der Schule geworden bist“, sagte sie eines Nachmittags zu mir. Ich zündete mir eine Zigarette an und zuckte nur mit den Schultern. „Hab halt keinen Bock mehr. Stört dich das?“ „Nein, das ist dein Problem. Aber ich finde sowieso, dass du in letzter Zeit ein bisschen komisch bist.“ „Mag sein. Du Nici, ich muss noch mal in den Proberaum. Sehen wir uns später?“ „Ja klar. Ich habe mich langsam dran gewöhnt von dir immer hinten dran gesetzt zu werden.“ „Hey, es tut mir leid. Ich verspreche dir, dass ich heut Abend noch mal zu dir komme, okay?“ Mir tat es wirklich leid, aber ich konnte jetzt irgendwie nicht mit ihr zusammen sein. Kapitel 16: Streit, Versöhnung, Streit, Versöhnung,... ------------------------------------------------------ Wie immer heulte sich Nici bei Nadja aus. Da durfte sie sich wieder was anhören. „Ich habe voll das Gefühl, dass er wieder extrem in der Scheiße steckt.“ „Redet er nicht mit dir über seine Probleme?“ „Nein, er sagt immer, dass alles in bester Ordnung sei. Aber ich kann ihm das nicht glauben. Denn umsonst ist er ja nicht so schlecht in der Schule. Ich weiß einfach nicht, ob ich ihm hundertprozentig vertrauen kann.“ Nadja warf ihrer Freundin einen skeptischen Blick zu. Nici hatte ihr nicht erzählt, dass sich Lukas die Brust aufgeritzt hatte, denn irgendwie wollte sie mit niemanden darüber reden. „Wenn du schon so redest. Wann begreifst du endlich, dass Lukas ein totaler Loser ist. Du könntest so viele andere Jungs haben, aber nein, es muss unbedingt Lukas sein. Du kannst ihn ja mal direkt auf seine Probleme ansprechen, mal sehen, ob er dann wieder so austickt, wie damals.“ „Ich finde es voll scheiße, dass ich nicht normal mit dir über Lukas reden kann! Wenn du wirklich meine beste Freundin wärst, würdest du wenigstens zu mir stehen, aber das tust du ja nicht!“ „Tut mir ja leid, dass ich ehrlich zu dir bin und meine Meinung äußere. Nici, ich will einfach nur nicht, dass du am Ende wieder unglücklich bist. Verstehst du das denn nicht?“ Nici zuckte nur mit den Schultern. Für sie war klar, dass Nadja Lukas und sie unbedingt auseinanderbringen wollte. „Okay, ich rede mal vernünftig mit ihm und dann werden wir ja sehen.“ „Mach, was du denkst. Sehen wir uns heute noch mal oder bleibst du gleich bei deinem Lukas.“ „Ich weiß nicht. Vielleicht. Tschau.“ Nici fand das Verhalten ihrer Freundin ihr gegenüber total unfair. Warum sollte Lukas ihr etwas vormachen? Für seine Probleme zu Hause konnte er ja nichts und sie war felsenfest davon überzeugt, dass er aufgehört hatte Drogen zu nehmen. Von dem Vorfall heute Nachmittag hatte sie Nadja jedoch nichts erzählt. Aber hatte Nici ihm vielleicht doch Unrecht getan? Vielleicht hatte Lukas ja wirklich solche Angst, sie zu verlieren und war deshalb so eifersüchtig, wenn man das Eifersucht nennen konnte. Ich stylte mich und ging noch mal in den Club, vielleicht traf ich dort einen meiner Freunde. Tatsächlich, im Club waren Flo, Chris, Jessica, Yvonne und Malen. Ich freute mich riesig Malen zu sehen. Seit unserer letzten Begegnung lagen ein paar Jahre. Da sie älter war als ich, hatte sie fast zwei Jahre in den USA verbracht und da als Au Pair gejobbt. Sie war auch ein Gothic, genau wie ich. Ihr Gesicht war zierlich und schmal, die Wangenknochen traten hervor und das Puppengesicht zierte eine süße Stupsnase. Ihre Haare waren lang und schwarz, fast so wie ihre Augen, die tief dunkelbraun waren. „Du hast dich wenig verändert, aber ich glaube, deine Haare waren mal braun oder?“ Malen lachte. „Ja, es hat mich auch sehr viel Überredungskunst gekostet. Nachdem ich wieder nach Deutschland gekommen bin, konnten meine Eltern gar nicht genug von mir bekommen, weil ich ihnen so gefehlt habe.“ Ihre letzten Worte versuchte ich zu überhören, denn scheinbar war ich der einzige in unserem Freundeskreis, der sich mit beschissenen Familienverhältnissen herumschlagen musste. „Wie geht es dir so?“ „Ach ganz gut. Und dir?“ „Naja, Stress mit meiner Freundin, ansonsten auch ganz gut.“ „Lukas der Weiberheld!“ „Na, na junges Fräulein, das hab ich jetzt aber überhört.“, neckte ich sie. „Nein, mein voller ernst!“ „Ach komm, lass uns was trinken gehen. Ich gebe dir sogar etwas aus, wenn du willst!“ „Wo willst du denn jetzt noch hin? Wir können auch zu mir gehen, meine Eltern schlafen sicher eh schon.“ „Meinetwegen.“ Malen schaute mich fragend an, ich zuckte mit den Schultern. „Na dann los.“ Wir hackten uns ein und gingen zu Malen. Ich war nur einmal bei ihr gewesen, aber an ihr Zimmer konnte ich mich konnte ich mich noch genau erinnern. Es war ganz hinten im Garten, wie ein kleines Gartenhaus. Darin befanden sich mindestens drei Schränke, ein großes Bett in der Mitte des Zimmers, eine Kommode und sogar ein eigenes Badezimmer. Da Malen ja auch ein Gothic war, hatte sie ihr Zimmer auch entsprechend eingerichtet. Die Wände waren rot und sie besaß bestimmt fast hunderte von Kerzen. Sie hatte auch viele Figuren in ihrem Zimmer stehen, Drachen, schwarze künstliche Rosen und kleine Fledermäuse, die von der Decke herab hingen. Für jeden Goth war dieses Zimmer einfach ein Traum. „Warum hast du eigentlich Stress mit deiner Freundin? Vor kurzem seit ihr doch noch ein Herz und eine Seele gewesen.“ Wir setzten uns auf ihr Bett nebeneinander. „Was heißt Stress, eben so Beziehungskram. Nichts, was ich nich regeln könnte“, lenkte ich ab, da ich keine Lust hatte über meine Sorgen zu reden. Malen strich mir über die Wange. „Du solltest ihr aber auch nicht Unrecht tun. Ich meine, vielleicht versteht sie dich ja wirklich und will für dich da sein.“ „Keine Ahnung, is auch egal. Nun zu dir, wie war es in den USA?“ „Ach echt witzig, wobei das Essen dort wirklich gewöhnungsbedürftig ist. Ich glaub ich hab echt abgenommen, weil mir das fettige Zeug irgendwann echt zum Hals raus hing. Aber meine Familie dort war voll nett und die kleine Emilie war so mega süß. Wenn alles klappt, will ich noch Mal hin.“ Jetzt musste ich grinsen. „Das freut mich für dich.“ Ich öffnete mir noch ein Bier und wir stießen an. Nachdem wir noch ein bisschen gequatscht hatten, beschloss ich mich auf den Heimweg zu machen. „Malen...das war schön heut, bis bald hoff ich.“ Sie umarmte mich und brachte mich noch mit vor an das Tor, um es zu öffnen. „Und mach dir keine Gedanken wegen deiner Freundin, das wird schon wieder.“ Wenn ich ihr doch nur glauben konnte. Es hatte tatsächlich gut getan heut mit ihr zu reden, denn da sie so lange weg gewesen war, schien sie alles noch ein bisschen unvoreingenommen zu sehen und es lenkte mich von meinen Sorgen ab. Schließlich rang ich mit mir und beschloss meine Freundin doch noch besuchen zu gehen. Hoffentlich schlief Nici noch nicht, was sollte ich dann machen? Als ich vor ihrem Haus stand, spürte ich nicht Mal die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen. Ich betätigte mit zitternder Hand den Klingelknopf. Ihre Oma kam im Nachthemd herausgestürzt. Mir war das etwas peinlich. „Ach du bist es nur, möchtest sicher zu Nici. Geh einfach die Treppen hoch, es kann aber sein, dass die kleine schon schläft. Sie hat sich schon recht früh von mir verabschiedet. Ich hänge den Schlüssel hier an die Wand. Wenn du gehst, schließe bitte ab und werfe den Schlüssel in den Briefkasten. Gute Nacht mein Junge.“ Ich brachte nur ein unsicheres Danke über die Lippen. Mein Magen zog sich zusammen und ich fühlte mich komisch. Unter dem Türspalt fiel ein Lichtstreifen hindurch. Ich lauschte kurz, konnte jedoch nichts hören. Vielleicht war Nici ja eingeschlafen. Vorsichtig legte ich meine Hand auf die Türklinke und drückte sie nach unten. Nici zuckte leicht zusammen, als ich plötzlich vor ihr stand. Sie saß im Schlafanzug auf ihrem Bett und kämmte gerade ihre langen Haare. „Hey.“ „Hey. Damit hätte ich ja heute nicht mehr gerechnet.“ „Ich weiß. Ich komme, um mich bei dir zu entschuldigen. Ich will dich nicht immer benachteiligen.“ Sie lächelte zaghaft. „Ich war auch komisch. Hätte ja auch fragen können, ob du mit zu meinen Eltern kommen willst.“ „Nee, is schon okay. Ich habe sowieso viel zu tun. Schwamm drüber?“ „Okay. Du Lukas, geht es dir im Augenblick wirklich gut?“ Ich setzte mich zu ihr aufs Bett. „Na klar.“ „Ich glaube dir das irgendwie nicht. Das Gefühl, dass du mir irgendetwas verheimlichst, lässt mich einfach nicht los.“ Nicis Blick war so klar und entschlossen und ich wusste, dass es zwecklos war, ihr jetzt etwas Gegenteiliges zu erzählen. Sie kannte mich eben doch schon besser, als ich gedacht hatte. Aber sollte ich ihr wirklich die Wahrheit erzählen? „Ich bin verblüfft.“ „Warum denn das?“ „Wie gut du mich doch kennst. Okay, du hast Recht, ich habe dir nur die halbe Wahrheit erzählt. Aber die andere Hälfte ist dafür umso schlimmer.“ Mein Gesichtsausdruck wurde ernster. „Ich will es trotzdem hören.“ „Du brauchst mich nur anzuschauen, dann weißt du doch, mit welchem Schlag Mensch du es zu tun hast Nici. Denn du kannst mir nicht erzählen, dass man mir das nicht ansieht. Ich bin ein verdammter Schwächling und versuche so meine Probleme zu lösen. Ist es das, was du unbedingt hören wolltest?“ Sie schluckte und sah mich dann vorwurfsvoll an. „Ich wollte es nicht wahrhaben. Bin ich dir denn so egal?“ „Das hat nicht viel damit zu tun. Nur kann ich das Verlangen danach langsam nicht mehr ignorieren. In der Zeit, in der du im Krankenhaus warst, hat sich mein Drogenkonsum erheblich gesteigert.“ „Und du hast auch nicht vor, etwas dagegen zu tun oder?“ „Das is nich das einzige Problem“, fuhr ich fort. Jetzt oder nie, denn schlimmer konnte es ja kaum kommen. Tränen blitzten in ihren Augen auf und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. „Nicht dein Ernst!“, flüsterte sie und jetzt gab es kein Zurück. „Ich hab dich betrogen und es tut mir so leid…so unendlich leid, aber ich hab gerade nichts mehr im Griff. Mein komplettes Leben is die Hölle und du bist irgendwo mittendrin…“ „Wer?“ „Willst du das echt wissen?“ Sie nickte und funkelte mich wütend an. „Ich finde, ich hab ein Recht es zu erfahren…ich meine, wie scheiße kann man sein. Ich lieg im Krankenhaus und du vergnügst dich mit ner anderen Tussi? Oh, warum hab ich nur nie auf Nadja und Chris gehört.“ Und diese Bemerkung reichte, um mich zu zerstören, den Schalter in meinem Kopf wieder umzulegen, doch dieses Mal war kein Basti oder Flo da. Meine Stimmung schwenkte um und ich hatte Nici immer vor einer dieser Ausbrüche bewahren wollen, doch nun war es zu spät. „Das hättest du tun sollen…kleines, naives Mädchen…du wirst mich nie verstehen können Nici…ich bin nicht fähig zu lieben. Ich bin nicht dazu in der Lage…das andere kann ich dafür umso besser. Menschen verletzen.“ Ich wünschte mir für uns beide, dass sie sich nicht von mir abwand, wenigstens versuchte das Gute in mir zu sehen, doch ich war mir nicht sicher, ob sie stark genug war. Ich versuchte zu lächeln, aber Nici blieb ernst und ihre Stimme wurde auf einmal etwas lauter. „Wow…du bist ein Arsch…keine Ahnung, wie ich jetzt damit umgehen soll. Wenn du nicht so wunderschön wärst, würde es einfacher sein dich zu hassen.“ „Du hasst mich doch schon lange Nici…seit du mitbekommen hast, dass ich Drogen nehme oder mich selbst verletze…dass ich dich betrogen hab, brachte das Fass nur zum Überlaufen…und das Schlimme is, ich kann nich versprechen, ob es bei dem einen Mal bleibt…“ „Willst du mich eigentlich verarschen Lukas? Du bist echt kaputter, als ich dachte…“ Ich lachte traurig. „Herzlichen Glückwunsch…das versuche ich dir seit Jahren zu erklären…du kannst mich nich retten…“ „Kann das überhaupt jemand?“ „Ich weiß es nich…vielleicht sollte ich alle den Gefallen tun und euch von diesem Anblick erlösen…“ „Verfluchter Scheiß…nein, sag sowas nicht…komm einfach her…kuscheln…“ Ich konnte nicht anders und musste lachen. Warum zur Hölle tat sie das? Mir wurde aber auch irgendwie bewusst, dass ich dringend etwas ändern musste, wenn ich Nici nicht noch einmal verlieren wollte. Dieses Gefühlschaos machte mich irre. „Nici, warum liebst du ausgerechnet so einen wie mich?“ Sie schwieg einen Augenblick. „Weil du so toll bist, wunderschön, intelligent und ein bisschen verrückt. Ich kann dich einfach nicht im Stich lassen.“ „Ja, aber es gibt doch auch tausend Gründe, die dafür sprechen, mich einfach meinem Schicksal zu überlassen. Wenn ich es selbst nicht auf die Reihe bekomme, mein Leben zu ordnen? Warum solltest du es dann schaffen? Und außerdem, was kann ich dir schon bieten?“ „Lukas, bitte hör auf so zu reden! Ich will gar nicht, dass du mir etwas bietest. Warum auch. Ich würde mir einfach nur wünschen, dass wir zwei eine glückliche Beziehung haben können. Und daran musst du dich auch beteiligen. Weißt du, ich habe mich mit Nadja gerade total am Arsch, weil sie auch glaubt, dass dir nicht mehr zu helfen ist. Aber ich will sie vom Gegenteil überzeugen, allerdings kann ich das nicht ohne deine Hilfe. Ich will, dass Nadja dich so akzeptiert, wie mich deine Freunde.“ Ich musste lächeln und fragte mich gleichzeitig, womit ich das verdient hatte. Aber ich wusste auch, dass Nici Recht hatte. „Okay, dann überzeugen wir Nadja mal vom Gegenteil.“ Jetzt erwiderte sie mein Lächeln. „Bleibst noch ein bisschen bei mir?“ „Nichts lieber als das.“ Nici schmiegte sich an mich und zog mir meinen Pullover aus. Ihre zarten kleinen Finger glitten sanft über meinen nackten Oberkörper. Ich zog sie eng an mich, küsste sie auf den Mund und umschloss ihre Brüste. Eine Weile lagen wir nebeneinander und machten gar nichts. Ich beugte mich zu ihr herüber und streichelte über ihren Körper. Ihre roten Haare leuchteten, obwohl es dunkel war. Sie lag nur in Unterwäsche da und war so wunderschön. Ich blickte auf sie herab und ihr Engelsgesicht lächelte mich an. „Bist du immer noch der Meinung, ich würde dich nicht lieben?“ „Nein. Ich wusste es vorher auch.“ „Wie spät ist es eigentlich?“ „Noch früh am Abend. Du musst noch nicht gehen.“ „Du hast gut reden. Aber ich bleibe auch die ganze Nacht bei dir, wenn du willst! Scheiße, ich schreib morgen eine Klassenarbeit in Geschichte und habe kein Ding gelernt.“ Nici spielte mit den Piercings an meinen Brustwarzen und umkreiste diese mit der Zunge. Dann schaute sie mir in die Augen. „Und was willst du jetzt machen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Mit dir schlafen.“ „Lernst du davon etwa Geschichte?“ „Wer weiß, so was kann Wunder bewirken. Außerdem, wenn ich morgen früh noch schnell einen Spicker schreibe, komme ich mindestens auf drei. Ich kann dich jetzt nicht alleine lassen, denn du machst mich gerade ganz schön geil.“ „Du mich auch!“ Ich drang in sie ein, es war, als ob unsere Körper miteinander verschmelzen würden. Nici war ein Teil von mir und ich ein Teil von ihr, zusammen waren wir eins. Als wir den Durst der Liebe gestillt hatten, lagen wir wieder friedlich nebeneinander. Nici kuschelte sich an mich. Ich küsste ihr Haar und strich sanft über ihren Rücken. Alles andere hatte ich ausgeblendet, um diesen Moment nicht zu zerstören. Um mir vielleicht doch zu beweisen, dass ich mein verkorkstes Leben auf die Reihe bekam. „Wie spät ist es jetzt?“ Nici warf einen Blick auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand. „Halb zwölf. Willst du noch nach Hause?“ „Ist ja nicht weit und ich müsste mir Geschichte echt noch mal angucken, sonst bin ich voll am Arsch. Ich habe ehe schon übelst Stress mit der Lehrerin, da kann ich mir keinen schlechten Noten erlauben.“ „Aber du willst doch nicht im Ernst jetzt noch lernen!“ „Mir wird nichts anderes übrig bleiben meine Süße.“ „Du bist echt total durchgeknallt. Sonst waren dir deine Noten doch auch immer egal.“ „Ja, aber ich habe halt doch eingesehen, dass das eine blöde Einstellung ist. Ich will ja schließlich einen guten Abschluss bekommen und den bekomme ich leider nur mit guten Noten, egal in welchem Fach.“ „Ich bin so stolz auf dich.“ Wir küssten uns und mir fiel es echt schwer Nici jetzt alleine zu lassen. Ich zog meine Klamotten an und Nici brachte mich noch an die Haustür hinunter. Wir verabschiedeten uns eine viertel Stunde lang, dann erst konnte ich mich losreißen. „Ich kann dich ja morgen von der Schule abholen und sagen wie es gelaufen ist.“ Wir lächelten uns an und ich lief nach Hause. In meinem Zimmer setzte ich mich vor etwa zehn Seiten Geschichtsstoff und lernte. Zwischendurch kochte ich mir Kaffee, um nicht einzuschlafen. Nach zweieinhalb Stunden hatte ich endlich alles so halbwegs in meinem Kopf drin und hoffte, dass ich mir wenigstens das Wichtigste merken konnte. Aber ich hatte eigentlich keine Bedenken. Als Flo an der Tür klingelte, war ich schon bereit zu gehen. Wir plauderten fröhlich miteinander und machten noch unsere Späße über den gestrigen Abend. Vor der Schule rauchten wir selbstverständlich noch eine Zigarette und stiegen dann die zwei Stockwerke zum Unterrichtsraum hinauf. Wir begrüßten Jessica und Yvonne, wie jeden morgen. Seitdem wir häufiger etwas zusammen unternahmen, verstanden wir uns ganz gut mit den beiden. Ich freute mich richtig auf die Geschichtsstunde bei Frau Neumann, der würde ich schon zeigen, was ich drauf hatte. Ich konnte diese kleine dumme Schlampe einfach nicht leiden. Der Vormittag verging schnell. Ich holte Nici von der Schule ab und verabschiedete mich von ihr. Sie wollte am Sonntag extra nicht so spät zurückkommen. Später besuchte ich Malen noch einmal, bevor ich nach Hause ging. Wir hockten in ihrem Zimmer, hörten Musik und unterhielten uns. „Wir sollten auf jeden Fall wieder mehr Zeit miteinander verbringen.“ „Auf jeden Fall.“ „Warst du gestern noch bei Nici?“ „Jepp. Haben uns ausgesprochen und ich denke, es ist alles wieder gut.“ „Das ist schön. Ihr Beiden seid so süß zusammen.“ Ich zündete mir eine Zigarette an und lächelte. „Naja, sie is schon irgendwie süß und sie gibst sich echt Mühe mit mir.“ „Ich kann dich verstehen.“ Ich setzte mich im Schneidersitz auf den Boden und rauchte noch eine. Malen steckte sich ebenfalls eine Zigarette an. „Das Einzige, was mich ein bisschen an ihr nervt ist, dass sie sich immer gern über Kleinigkeiten, wie das Rauchen aufregen muss.“ „Ach ich finde da auch nichts dabei. Jeder verdirbt sich dadurch selber sein Leben.“ „Das ist richtig.“ Wir grinsten uns an. Malen ein liebes Mädchen. Zu ihr fühlte ich mich zwar nicht ganz so hingezogen, wie zu Juka, aber es war schon eine feste Freundschaft. „Willst du dir eigentlich noch mehr Tätowierungen machen lassen?“, fragte sie mich dann. „Wenn ich wieder Geld habe vielleicht. Als nächstes folgen erst mal noch einige Piercings. Weißt du was?“ „Was denn?“ „Manchmal überlege ich mir so, was gewesen wäre, wenn ich kein Goth wäre. Wenn ich ganz andere Leute kennen gelernt hätte. Vielleicht würde ich da sogar ein Hip Hopper sein. Hast du darüber schon mal nachgedacht?“ „Nicht wirklich, aber jetzt wo du das sagst! Vielleicht hättest du Nici auch nie kennen gelernt, wenn du Hopper geworden wärst!“ „Mhh, mag sein! Was machst du heute Abend eigentlich?“ „Weiß nicht. Wahrscheinlich in den Club gehen. Warum, was hast du vor?“ „Mit meinen Jungs was trinken gehen. Dieses Wochenende ist wenigstens keiner da, der mich davon abhalten könnte. Es war bereits später Nachmittag. Die Sonne neigte schon leicht dazu am Horizont zu verschwinden und ich machte mich auf den Heimweg. Ich drehte mich noch einmal um. „Sehen wir uns dieses Wochenende noch mal?“ „Bestimmt. Entweder im Club oder wenn du willst kannst du auch vorbeikommen.“ Ich verabschiedete mich mit einem charmanten Grinsen auf den Lippen von ihr. Meine Mum war noch zu Hause, als ich kam. Sie saß mit Klaus und Johanna noch am Kaffeetisch. Ich beobachtete das Treiben eine Weile, dann gesellte ich mich zu ihnen. Jojo kam gleich angestürmt und rannte in meine Arme. „Schön dich zu sehen. Ich hab dich vermisst.“ Ich gab ihr einen Kuss auf den Mund. „Ja ich dich doch auch.“ Meine Mum lächelte schon fast liebevoll zu uns herüber und tat doch tatsächlich so, als ob alles wieder in bester Ordnung wäre. „Ich glaube unser Lukas wird doch langsam erwachsen.“ „Was soll das den das bitteschön heißen?“ „Nur so.“ „Ach ja, du sollst heute auch zum Elternabend kommen.“ Über das Gesicht meiner Mum konnte ich schon wieder diesen vorwurfsvollen Blick erkennen, der sicher irgendwo berechtigt war. „Willst du dann noch mal weg?“ „Ja in den Proberaum. Da wollen wir heute eine kleine Party veranstalten. Also kann später werden. Muss erst mal noch ein paar Sachen zusammen packen.“ Leider war das Wochenende schon wieder fast vorbei. Nici war doch schon heute Abend wiedergekommen und ich freute mich wahnsinnig sie zu sehen. Ich ließ meinen Pullover an der Stelle fallen, an der ich gerade stand und steckte mir eine Zigarette an. In zwei Wochen hatten wir ein weiteres Konzert im Underground und ich war schon jetzt total aufgeregt. Mir kam das alles so unglaublich vor, aber ich war natürlich auch stolz, dass wir es so weit geschafft hatten. Gerade hatte meine Mum wieder eine Anwandlung von Freundlichkeit, doch ich gab darauf nichts. Ich fragte mich manchmal, warum ich Nici nicht gleich in den Wind schoss. Irgendwas schien sie mir doch zu geben und ich wusste auch was, neben ihr sah ich wie ein begehrenswerter Typ aus, dem die Frauen nur so zu Füßen liegen und das gefiel mir. Doch ging sie mir mehr auf die Nerven und so sollte es ja keinesfalls sein. Dann war da noch mein Schwesterchen, die mir Sorgen bereitete. Es war eine Sache, wenn ich mir jedes Wochenende die Kante gab, aber wenn sie jetzt auch damit anfing? Das konnte ich nicht verantworten und unseren Eltern schien es wie so oft egal zu sein. Ich hatte mitbekommen, dass sie sich in letzter Zeit mit ein paar Leuten traf und ich wollte dem mal auf den Zahn fühlen. Ich hoffte, dass sie nicht so wie werden würde wie ich und mit Drogen und anderen Sachen herumexperimentierte. Die Zeit, als ich mit Tim und Flo fast jeden Tag gekifft habe war echt hart. Das witzige daran ist ja, dass meine Eltern nichts davon mitbekommen haben. Das muss ein echter Schock für sie gewesen sein. Leider habe ich bis heute nicht herausgefunden, wer mich damals verpetzt hat. Aber, wenn Jojo da hinein rutschen würde, das wäre das schlimmste, was meiner Mum widerfahren könnte. Ich hatte in letzter Zeit aber auch absolut keine Ahnung, mit wem Jojo immer zusammen war und ob sie überhaupt schon einmal mit Drogen in Berührung gekommen ist. Sollte ich vielleicht mal mit ihr reden? Oder sah das wie nachspionieren aus? Nein, ich bin ja immerhin ihr Bruder und machte mir Sorgen. Nach den Sommerferien kommt sie in die achte Klasse und sie will unbedingt auch auf das Gymnasium, wo ich bin wechseln. Das ist gar nicht so schlecht. Apropos Sommerferien, das war ja gar nicht mehr so lange hin. Noch ungefähr knappe drei Wochen. Jojo kam in mein Zimmer. Sie schloss die Tür und grinste mich an, wie so ein kleines Honigkuchenpferd. „Musst du immer halb nackt herumrennen?“ Sie musterte mich von Kopf bis Fuß. „Meine Hose habe ich doch noch an und außerdem ist es warm.“ Johannas Grinsen wurde breiter. „Mit deinem Waschbrettbauch machst du doch nur alle Mädels verrückt oder?“ „Mag sein. Kann ich mal mit dir über etwa reden?“ Sie setzte sich auf das große Ecksofa und ich drehte mich zu ihr, blieb jedoch auf dem Fußboden hocken. „Über was denn? Ist es was Schlimmes?“ „Nicht direkt“, sagte ich und zog an meiner Zigarette. Ich bemerkte wohl, dass Jojo auf die Zigarettenschachtel auf dem Tisch blickte, sich jedoch nicht traute zu fragen, ob sie ein rauchen durfte. Ich musste grinsen, weil ich dieses Gefühl gut nachvollziehen konnte. „Es ist nur so. Du bist in den letzten Wochen immer seltener zu Hause und da habe ich mich gefragt, wo du den ganzen Tag verbringst!“ Jojo schaute mich mit ihren großen Augen an, was gerade in ihrem Kopf vorging, wusste ich nicht. „Eileen und ich haben da neulich so ein paar nette Leute kennen gelernt und mit denen sind wir jetzt fast jeden Tag zusammen. Die sind aber alle schon so 17- 18 Jahre alt, aber trotzdem ganz nett. Sie sind von ihrer Meinung her ein bisschen links. Einige von ihnen tragen auch Springer.“ Okay, Punks, das konnte gut oder schlecht sein. „Jojo, mir liegt eigentlich was auf dem Herzen. Ich habe nichts dagegen, wenn du mit solchen Leuten zusammen bist aber bitte versprich mir, dass du niemals Drogen nehmen wirst.“ Ich spielte gedankenverloren mit dem Feuerzeug auf dem Tisch. Mein Blick blieb an Jojo haften, die sich diesem entzog und zu Boden sah. „Und was ist, wenn du es angeboten bekommst? Ich habe Angst, dass ich nicht mehr anerkannt bin, wenn ich nicht rauche oder so!“ Mir war sofort klar, dass dieses und so auch kiffen bedeuten konnte. Ich stellte mir gerade vor, wie Johanna angeboten bekam mal an der Bong zu ziehen. Ein hässlicher, verkommener Kerl reichte ihr die Bong und sie schüttelte mit dem Kopf. Nein, weiter konnte ich mir das gar nicht vorstellen. Ich vergrub meinen Kopf zwischen den Knien. Jetzt wurde mir das erste Mal bewusst, wie sich meine Mum wohl gefühlt haben musste, als sie erfuhr, dass ich Drogen nehme. Jojo saß da, wie ein Stein. Ihr Gesicht glich einer Kalkwand. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Warum hatte ich es erst so weit kommen lassen? Ich machte mir Vorwürfe und das zu Recht. Immer wollte ich ein guter Bruder sein und meine kleine Schwester beschützen aber es war mir nicht gelungen. Was sollte ich machen, wenn meine Mum das mitbekommt. Was sollte ich ihr sagen? Ich hatte ihr mein Ehrenwort gegeben, dass es mit Johanna nie so weit kommen würde und nun...war alles zu spät. Ich konnte ihr nur verbieten nicht mehr mit diesen Leuten in Kontakt zu treten, doch wusste ich auch, dass ich mir meine geliebte Schwester zum Feind machen würde. „Was ist denn los mit dir. Die ganze Zeit schon sagst du kein Wort mehr. Außerdem brauchst du dich gar nicht darüber aufzuregen. Du nimmst selbst Drogen.“ „Jojoschatz, du bist 12, naja fast 13…wenn du unbedingt was probieren willst…ich kann dich nich davon abhalten und das ist das schlimmste. Ich bitte dich nur vorsichtig zu sein, denn ich könnte es mir nich verzeihen, wenn dir was passiert.“ „Du bist also nich sauer oder so? Ich dachte, ich bekomm jetzt voll die Standpauke.“ Ich lachte traurig und zündete mir noch eine Zigarette an. „Als ob das was bringen würde.“ Meine Schwester lachte und setzte sich mir gegenüber. „Ich verspreche es dir“, sagte sie und schaute mich mit ihren Kinderaugen an. Ihre Hände berührten meine Wangen und Jojo war vermutlich der einzige Mensch auf dieser Welt, der mich nicht für verdorben hielt. „Du bist so wunderschön Lukas…ich hab dich lieb und ich verspreche es dir.“ Ich biss mir heftig auf die Unterlippe, um nicht zu heulen, denn ich wollte ihr ihre Illusion des großen starken Bruders nicht nehmen. Erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, wie es um mich stand. Ich gab Jojo einen Kuss auf die Wange, zog mein Shirt an und ging raus. Nici sah mir sofort an, dass etwas nicht stimmte. Sie führte mich in das Wohnzimmer, wo der Kamin brannte und herrliche Wärme ausstrahlte. Ich plumpste auf das weinrote Sofa und stütze den Kopf ich die Hände. All meine Glieder schienen so unendlich schwer zu sein. Sie setzte sich neben mich und ich barg meinen Kopf in ihrem Schoß. Die zarten Finger strichen über mein zerzaustes Haar, doch ich konnte mit ihr nicht ihr darüber reden. „Lukas was ist los.“ „Nichts ist, mir geht es blendend.“ „Oh, ich kann es echt nich leiden, wenn du so redest. Verstehst du das nicht?“ Ich erhob mich und funkelte sie wütend an. „Und weißt du, was mir tierisch auf die Nerven geht? Wenn du dauernd denkst du könntest mit deiner Einstellung die Welt retten!“ „Ach ja? Und jetzt? Ich will nich dauernd mit dir streiten.“ Nici glitt mit ihrer Hand unter meinen Pullover und fuhr zärtlich mit den Fingern über die Narbe an der rechten Seite meines Bauches. Ich zuckte leicht zusammen, auch wenn sie schon längst verheilt war. Sie lächelte auf mich herab und ich erwiderte es, wenn auch nur schwach. „Vergiss den Stress zu Hause erst mal. Gehen wir hoch in mein Zimmer?“ Ich erhob mich, wir fassten uns bei den Händen und gingen die steilen Treppen empor, wo ihr Zimmer lag. „Hey, das wird schon wieder, meinst nicht?“ „Bitte rede jetzt nicht davon. Sag etwas schönes, damit ich auf andere Gedanken komme.“ „So schlimm. Na gut. Möchtest du, dass ich dich massiere?“ „Gern.“ Ich küsste Nici und ließ mich auf ihr Bett fallen. Sie setzte sich auf meinen Po und fing an mich zu massieren. Welch ein Gefühl, meine Glieder entspannten sich allmählich. Mir wurden die Augenlieder schwer und ein Schwall der Müdigkeit überkam mich. Ich war kurz vorm Einschlafen, als Nici aufhörte mich zu massieren. Ich stützte mich auf meine Unterarme und sah sie an. „Du hast so einen schönen Körper...“, sagte sie und fuhr über meine Narben auf der Brust und ich wusste, dass sie das nicht so meinte. „Nici lüg nicht, ich weiß, was dich stört, aber ich werde mich nicht ändern.“ Meine schlechte Laune war verflogen. Ich holte aus meiner Hosentasche, die neben dem Bett lag, meine Zigaretten raus und setzte mich ans Fenster. Die Luft war feucht und kühl. Ich musste grinsen, weil ich mir gerade vorstellte, dass mich jemand beobachten könnte. Nici fing auch an zu lachen, wahrscheinlich dachte sie dasselbe. „Ich an deiner Stelle würde vorsichtig sein. Deine Verehrerinnen können überall sein. Wenn du nicht aufpasst hängen am Montag noch Nacktfotos von dir in der Schule.“ „Das hättest du wohl gern. Wenn ich nicht bei offenem Fenster rauche nölst du auch wieder herum. Außerdem müssen die kleinen Mädchen jetzt schon längst im Bett sein.“ „Du könntest es auch sein lassen.“ Diesen Satz hatte sie schon so oft zu mir gesagt und wusste, dass ich niemals damit aufhören könnte. „Weißt du was? Ich habe letzte Woche nicht ein einziges Mal gekifft. Da kannst‘e richtig stolz auf mich sein.“ Ich grinste zu Nici und ein Ausdruck der Erleichterung hatte sich auf ihrem Gesicht ausgebreitet. Ich war selbst stolz darauf und vielleicht würde ich es ja irgendwann doch noch schaffen aufhören zu rauchen. Ich kroch wieder zu Nici unter die Bettdecke. „Nadja will morgen ihren Geburtstag feiern. Hättest du Lust mitzukommen?“ „Morgen ist schlecht, weil wir morgen proben wollen wegen dem Konzi nächsten Samstag. Ist schlimm wenn du alleine zu Nadja gehen musst?“ „Nein. Hätte mich aber gefreut, wenn du dabei gewesen wärst.“ Ich gab ihr einen Kuss und schlief in ihren Armen ein. Als ich erwachte, lag ich allein im Bett. Die Sonne schien hell ins Zimmer und Nici kam mit einem Tablett durch die Tür. Ich wüsste nicht, wann mir mal jemand das Frühstück ans Bett gebracht hat. Es war wundervoll und ihr Gesicht strahlte so hell wie die Sonne. Wir machten es uns bequem und aßen gemütlich Frühstück, danach zog ich meine Klamotten an und machte mich auf den Heimweg. Nici sagte, dass sich mich später noch mal besuchen wolle. Noch einen Abschiedskuss und dann schnell nach Hause um noch ein paar Sachen zusammen zu packen und dann ab in den Proberaum. Meine Mum bereitete schon das Mittagessen vor. Ich begrüßte sie flüchtig und ging hoch in mein Zimmer, weil ich unbedingt eine rauchen musste. Schon um zwei! Verdammt, wie schnell die Zeit doch verging. Meine Mum rief von unten hoch, ob ich noch mit Mittag essen würde. „Ja. Muss mich aber beeilen!“ Mich wunderte es, dass sie mich noch nicht auf den Elternabend angesprochen hatte. „Mein Gott, du bist doch gerade erst gekommen. Wo willst du denn schon wieder hin?“ „Muss in den Proberaum wegen dem Konzert morgen Abend.“ „Mach lieber mal was für die Schule. Bis jetzt habe ich mir jegliches Kommentar verkniffen.“ „Ich werde auch wieder besser.“ „Ach ja? Mit deinen Noten schaffst du keinen guten Abschluss!“ Ich zuckte wie immer mit den Schultern. „Was ist bloß aus dir geworden?“ Sie schüttelte nur mit dem Kopf und deckte für Jojo, meine Mum und mich den Tisch. Als ich Jojo sah, fiel mir sofort auf, dass sie wahrscheinlich wieder die halbe Nacht unterwegs gewesen ist. Mit ihren neuen Punkfreunden. Nur hatte ich im Moment wenig Zeit, mich um sie zu kümmern. Doch da kam mir eine Idee. „Hey Kleines, willst du nachher mit in den Proberaum und morgen mit zum Auftritt kommen?“ „Ja gern. Muss dann aber heute Abend noch wohin.“ Vielleicht konnte ich ihre Leute auch zu uns locken, da bekam ich ein Bild davon, wie die so drauf waren. Jetzt duschen und dann ab in den Proberaum. Noch unnötig zu Recht machen war jetzt sinnlos. Die anderen würden auch nicht besser aussehen. Jojo begleitete mich tatsächlich, worüber ich mich freute. Außerdem hatte sie gesagt, dass sie Tim und Flo gern mal wiedersehen würde. Für eine Weile beruhigte mich das. Auf dem Weg machte ich noch kurz an der Tankstelle halt, um mir Zigaretten zu kaufen. Der Proberaum war noch verschlossen, da Tim nicht weit entfernt wohnte ging ich schnell zu ihm. Der faule Sack lag noch im Bett. Während er sich langsam mit dem Gedanke anfreundete endlich aufzustehen, tranken Jojo und ich mit Alex noch eine Tasse Kaffee. „Also echt mal, ich habe gedacht du hast Tim langsam mal erzogen.“ Sie grinste mich nur an. „Dafür war es schon zu spät. Tim kann man nicht mehr erziehen. Du kannst ruhig eine rauchen wenn du willst. Aber bitte in der Küche wegen der Kleinen. Sie macht gerade Mittagsschlaf.“ „Darf ich mal zu ihr gehen?“, fragte ich. Alex führte mich zum Schlafzimmer, wo die kleine Amy schlummerte. Sie war das schönste Baby, das ich kannte. So zierlich und zerbrechlich und doch so real. Sie war gerade einmal zwei Monate alt und mit solchen Eltern wie Tim und Alex konnte sie wirklich zufrieden sein. Ich streichelte ihr ganz leicht über die glatte Wange und da lächelte sie auf einmal. Ich konnte mein Blick gar nicht mehr von ihr wenden. „So. Lassen wir die kleine Maus noch ein bisschen schlafen. Wenn sie munter ist, komme ich mit ihr mal in den Proberaum, einverstanden?“ „Oh ja. Da fahr ich sie spazieren.“ „Ich sehe schon, du gehst deiner Pflicht als Patenonkel nach.“ „Hab ich euch ja auch versprochen.“ Ich ging wieder in die Küche und zündete mir eine Zigarette an. Tim war schon bis in die Küche gekommen, wie erstaunlich. Er war echt der chaotischste Kumpel den man sich vorstellen konnte, aber manchmal konnte ich ihn wirklich nicht verstehen. Wie kann man nur bis um zwei nachmittags wohlgemerkt im Bett bleiben und dann auch noch mit so einer Seelenruhe Kaffee trinken, obwohl man sich ja eigentlich halb drei schon wieder verabredet hat. Das ist halt Tim. Wir saßen uns gegenüber und schwiegen uns an. Er in nur in Boxer Shorts und mit leicht zerzausten Haaren, eigentlich noch gar nicht richtig munter. Auf einmal musste ich lachen und Tim spukte den Kaffee, den er gerade im Mund hatte über den gesamten Tisch, weil er auch lachen musste. „Du verdammtes Arschloch! Erst klatscht du mich aus dem Bett und lässt mich dann noch nicht mal in Ruhe meinen Kaffee trinken.“ „Sorry aber du müsstest dich mal sehen. Das ist nur zum Lachen. Ich meine du weißt ja sicherlich, dass wir uns halb drei am Proberaum treffen wollten.“ „Ach du Scheiße, da hab ich doch gar nicht mehr dran gedacht. Wie spät ist es denn?“ Ich konnte mich nicht mehr halten vor lachen. So blöd kann man doch gar nicht sein, vor allem weil Tim derjenige gewesen ist, der vorgestern gesagt hat, dass wir uns um die Zeit treffen wollen. „Du hast genau noch ne viertel Stunde Zeit. Es ist wahrscheinlich besser, wenn ich schon vorgehe und den anderen Bescheid sage, dass es bei dir noch ein bisschen dauert.“, antwortete ich, als ich mich wieder beruhigt hatte. Tim stand auf und gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf, dann verschwand er ins Bad, wo erstaunlicher Weise nur fünf Minuten brauchte. Er gab Alex noch einen Kuss und dann konnten wir los. Jojo wollte später mit Alex nachkommen, war mir auch ganz recht. Hier konnte sie wenigstens nichts anstellen. Wir waren fünf vor halb da, glücklicherweise die ersten. Tim schloss auf und wir machten es uns auf dem Sofa bequem und machten den CD Player an. Es war noch Nine Inch Nails vom Vorabend drin. Flo und Basti kamen als nächstes, wenige Minuten später auch Chris. Nun waren wir komplett, doch hatte keiner von uns schon richtige Lust etwas zu machen. Flo und Basti hatten einen Kasten Bier mitgebracht und so ging es auch schon in die erste Runde. Mit Trinken konnte man nie früh genug beginnen. „Ist dein Schlagzeug wieder repariert Basti?“ „Jo. Mein Bruder hat das kaputte Becken ausgetauscht. Ein Glück sonst hätten wir nen echtes Problem gehabt. Spielen wir morgen eigentlich die älteren oder schon die neuen Songs?“ „Ich würde sagen wir nehmen ein paar neue Lieder mit rein.“ Es war genial eigene Songs zu schreiben. Ich war so stolz auf uns. Am Anfang als ich Nocturna gründete hätte ich mir nie träumen lassen, dass wir überhaupt mal Erfolg haben werden. „Lukas träumt schon wieder vom großen Erfolg. Einmal mit den 69 Eyes oder so zusammen auf der Bühne stehen.“ Tim stieß mir mit dem Ellenbogen in die Rippen und grinste dämlich. „So Jungs! Auf, weil wenn ihr erst mal besoffen seit bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob das mit proben noch klappt.“ Ich erhob mich selbstverständlich als erster und begann schon die Instrumente aus dem Keller zu tragen. Die anderen halfen mir dabei. Irgendwie lief alles schief, kein Strom, das Mikrophon hatte ein paar Aussetzer und so weiter. Als wir nun so weit alles wieder in Ordnung hatten, war es bereits fast um sieben. Wir machten nun eine Liste, welche Lieder wir spielen wollten. Es kam eine Mischung aus neu und alt zusammen, also Songs vom alten Album Immortal und neue Songs vom aktuellen Album, welches man eher in die Kategorie Gothic Rock einordnen konnte. Die Texte waren meist sehr emotional, denn man muss ja auch mal Fortschritte machen. Ich wollte etwas ganz besonderes spielen. Im ersten Album wollte ich die Leute zum nachdenken anregen, man kann sogar sagen, dass es eine Art Tagebuch von mir ist weil ich in vielen Liedern meine eigene Vergangenheit verschlüsselt habe. Es ist eher sanfter Metal aber auch nicht ganz ohne. Ich hatte auch nie vor irgend so eine Teenie Rock Band auf die Beine zu stellen wollen. Halt mal was anderes und ich glaube das ist mir gelungen. Doch muss ich dabei auch beachten, nicht immer von mir alleine zu sprechen, ohne meine Freunde hätte ich niemals so weit gebracht. Selbst wenn ich nicht alle gleich gern habe weiß ich, dass sie in jeder Lebenslage zu mir halten, selbst wenn ich Unrecht hätte. Und wenn mich die ganze Welt hassen würde wäre mir das egal. Ich habe die tollsten Freunde, die auch wissen, was ich wirklich für ein Mensch bin, die wissen, dass sie auch mir vertrauen können und das ist glaub wichtiger, als wenn man die ganze Welt zum Freund hat und im Endeffekt doch allein dasteht. Wir saßen in gemütlicher Runde um den kleinen Tisch herum, als Alex mit Johanna kam. Amy zappelte mit Armen und Beinen, als sie Tim erblickte. Er nahm sie auf den Arm und überhäufte sie mit küssen, dabei lachte sie. Jojo kam zu mir und ich konnte mir schon vorstellen, was sie von mir wollte. Wir nahmen etwas Abstand von den anderen und setzten uns an den Bühnenrand. „Du willst mich jetzt fragen, ob du noch mal weg darfst. Stimmt‘s?“ „Ja. Darf ich?“ „Ja, aber pass auf dich auf okay. Wenn ihr wollt könnt ihr auch noch mal hier vorbeikommen.“ „Mhh, ich frag mal und schreib dir. Wie lang seid ihr noch hier?“ „Weiß nich, bissl schon noch.“ „Na gut, trink nicht so viel“, mahnte sie mich spaßhaft. „Das kann ich nur zurückgeben.“ Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand. Ich hoffte nur, dass ich das Richtige tat. „Lukas, wirst du Mama was sagen?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich vertraue dir Jojo, nur falls irgendwas ist oder so, du kannst mich auch mitten in der Nacht anrufen, verstanden?“ Sie schaute mich lange an. „Ich habe nicht gewusst, dass ich dir so viel bedeute. In letzter Zeit hast du dich kaum um mich gekümmert und da habe ich gedacht, dir ist egal was aus mir wird.“ „Mein Gott Jojo! Wie kannst du das nur denken? Du hast ja recht, ich hatte in letzten zwei Wochen wirklich kaum Zeit, aber wie kannst du deshalb nur glauben, dass du mir egal bist? Ich will dich nur nicht verlieren. Du bist der einzige Mensch in unserer Familie, der mir lieb und teuer ist und ich kann nicht mit ansehen, wie du zugrunde gehst. Verstehst du das?“ Jojo sah mich mit diesem kindlichen Blick an und nickte zur Antwort. Ich drückte sie fest an mich. Ich wollte sie vor all dem beschützen, sie sollte diesem Teufelskreis nicht noch näher treten und noch konnte ich sie davor bewahren. „Lass mich nie mehr so allein, wie in den letzten Tagen. Bitte Lukas, versprich mir das!“ Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und trug sie in den Proberaum. Alle hatten sich um Amy gescharrt, wahrscheinlich waren sie auch so fasziniert von der Kleinen wie ich. Ich trank mein Bier aus und machte mich mit Jojo auf den Heimweg. Nicht weit von unserem Haus hatte sich eine Gruppe Jugendlicher versammelt. Sie waren von 14- 18 schätzte ich. Jojo zog nervös an meinem Ärmel. „Das sind sie. Ich red kurz mit ihnen.“ Ich nahm sie an die Hand und ging langsam auf die Haustür zu, da kam ein Junge auf mich zu. Ich setzte einen gelassenen Blick auf und fragte, was er von mir wolle. Ich fand es immer wieder zum Lachen, wie Leute vor meinem Aussehen zurückschreckten. Er ging zwei Schritte rückwärts. „Oh, ähm, du bist bestimmt Johannas großer Bruder. Cooles Outfit...öhm, könnte deine Schwester noch mal mit raus kommen?“ „Ein anderes Mal wieder.“ „Nur ne Stunde oder so, wäre echt nett.“ Ein andere kam hinzu, Jojo trat neben mich und lächelte den Jungs zu. „Ich fühl mich heut nicht so, lasst uns die Tage schreiben okay?“ „Na gut.“, sagte der eine mit rotem Iro und umarmte meine Schwester. „Hast du nich ne Band?“, fragte mich der andere Junge. Ich nickte. „Jepp, ihr könnt gern auch mal bei uns im Proberaum vorbeikommen, ich fänd‘s cool Jojo ihre Freunde mal kennenzulernen.“ So verkehrt schienen die Jungs wirklich nicht zu sein. „Klar voll gern“, sagte der Rothaarige. „Dann euch beiden noch einen schönen Abend!“ Die beiden Jungs nickten uns zu und gingen weg. Jojo strahlte übers ganze Gesicht und umarmte mich. „Du bist der Größte!“ Meine Mum und Klaus waren noch nicht da. Sie hatten vor sich einen gemütlichen Abend zu machen und irgendwie mal schön Essen oder ins Kino gehen. Mir sollte das ganz recht sein. Ich legte meine Jacke in mein Zimmer und ging mit Jojo runter in die Stube, wo ich erst mal eine rauchen musste. Sie wollte noch nicht mal ziehen. Ich fragte sie auch nicht, war besser so. Ich holte mir aus dem Kühlschrank ein kaltes Bier und setzte mich zu Jojo aufs Sofa. Sie kuschelte sich an mich und wir hörten auf ihren Wunsch Manson. „Kann ich morgen mit zum Konzert kommen?“ „Was fragst du da noch, ich hätte dich sowieso mitgenommen. Damit du mir ja keine verbotenen Dinge machst.“, witzelte ich. „Mach ich nicht mehr, versprochen!“   Kapitel 17: Was wäre eigentlich, wenn... ---------------------------------------- Ich war heut irgendwie total geschafft. Nici hatte gesagt, wenn ich eher mit dem proben fertig sein sollte könne ich noch zu Nadja kommen aber wozu sollte ich mich jetzt aufrappeln und noch auf so eine Kinderpartie gehen, wo doch nur schlechte Musik läuft und ich mein Schwesterchen mit einem schlechten Gewissen allein zu Hause lassen müsste. Morgen würde ich Nici ehe sehen. „Weißt du, ich rauche jetzt noch eine und dann gehen wir zwei schlafen. Was hältst du davon?“ „Bist du etwa schon müde? Ich möchte aber bei dir schlafen.“ „Ich bin hundemüde, das glaubst du gar nicht. Klar darfst du bei mir schlafen. Du kannst noch ein bisschen Fernsehen schauen. Ich ruf Mutti noch mal kurz an.“ Da meine Mutter auch schon mitbekommen hatte, dass mit Jojo etwas nicht stimmte, sagte ich ihr nur zur Beruhigung, dass sie den ganzen Abend bei mir war und wir gerade nach Hause gekommen sind. Ich verschwieg jedoch, dass ich gewusst habe, was mit ihr war. Das wäre für sie wie ein Weltuntergang gewesen, wenn sie erfahren hätte, dass ihr kleine Tochter mit den bösen Punks rumhing. So ging ich zufrieden zurück ins Wohnzimmer und trug Jojo in mein Zimmer hinauf. „Hast du Mama was gesagt?“ Ich schüttelte den Kopf und lächelte sie an. Johanna huschte in ihr Zimmer und zog ihren Schlafanzug an, dann kroch sie unter die Bettdecke. Ich legte mich neben sie und strich über ihre langen schwarzen Haare. Die Haare hatten wir beide von unserer Mum, pechschwarz. Sie gab mir einen Kuss und kuschelte sich an mich. Ich legte meinen Arm um sie. Wie froh war ich, dass sie jetzt hier bei mir lag und nirgendwo anders war. Am anderen Morgen kam ich eher schlecht aus dem Bett, doch nachdem ich geduscht hatte, ging es mir schon besser. Gerade, als ich mir einen Kaffee gekocht hatte, klingelte es an der Tür. Ich öffnete und unerwarteter Besuch überraschte mich, Chris. „Hey, was treibt dich denn so früh am Tage zu mir? Und das auch noch freiwillig.“ Er zögerte einen Moment. „Du warst gestern nicht mehr auf Nadjas Party oder?“ Ich trank einen Schluck Kaffee und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, warum fragst du?“ „Naja, ich bin kurz dort gewesen, um ihr zu gratulieren und da hab ich auch Nici gesehen…mit diesem Typen.“ Ich verschluckte mich und verbrannte mir die Zunge. „Was? Mit welchem Typ?“ „Keine Ahnung. Ein Kumpel von Nadja eben. Die beiden haben die ganze Zeit rumgeknutscht.“ „Na super!“ Ich zählte Chris zwar nicht zu meinen engsten Freunden, aber ab und zu war er wirklich okay. Schließlich spielten wir ja auch gemeinsam in einer Band. „Ich dachte nur, dass du das wissen solltest.“ „Mhh, nett von dir.“ „Ich muss auch wieder los, soll noch einkaufen.“ Ich zog mir mein Tanktop über und ging raus. Bloß nicht Nici begegnen. Ich rauchte eine nach der anderen, wie immer, wenn ich deprimiert war. Mein Ziel war der Friedhof, dort nervte mich keiner und ich konnte in Ruhe nachdenken. Die Sonne drang kaum durch die hohen dichten Tannen. Da und dort goss eine ältere Frau ihr Grab, wer achtete da schon auf einen schwarz gekleideten Jungen, der sich versuchte irgendwo abzureagieren. Ich ging mit schleppenden Schritten zum Leichenscharrhaus und setzte mich auf die kalten steinernen Stufen. Irgendwie musste ich lachen, denn war ich es nicht gewesen, der Nici immer wieder geraten hatte, dass sie sich einen besseren Typen suchen soll? Und war das ihre Retourkutsche für meinen Ausrutscher mit Juka? Nun hatte sie sich meinen Rat wohl zu Herzen genommen. Es war zwar schade, aber irgendwie überraschte es mich auch nicht. Immerhin hatte ich ihr oft genug Gründe gegeben mich zu hassen. Nur, dass jetzt mein Ego angekratzt war. Also blieben mir wohl zwei Möglichkeiten, entweder betrinken und weiter vor mich hin philosophieren. Oder beides zusammen. Ich hoffte nur, Nici lief mir nicht über den Weg. Ich wollte sie vor heute Abend aber auch nicht sehen. Es begann zu regnen. Bei Regen würde sie mich bestimmt nicht in der Stadt suchen, also konnte ich jetzt zu Tim gehen. Meine Schritte waren schlurfend, Autos, die vorbeifuhren spritzten mich nass, aber das war mir gleich. Tim war gerade damit beschäftigt das Mittagessen vorzubereiten. Wie süß. Alex war mit Amy bei ihren Eltern. Tim wuschelte durch meine Haare, da erntete er einen bösen Blick meinerseits. „Hey, du bist wohl mit dem falschen Bein aufgestanden?“ „Nein. Nici hat sich gestern mit nem anderem Kerl rumgeknutscht. Toll oder?“ „Ach nein. Hat dir das Chris erzählt?“ „Mmhh. War heut früh bei mir. Ich bin schon wieder bester Laune.“ „Das glaub ich dir aufs Wort. Ich hätte glaub ich gar nicht so viel Geduld wie du. An deiner Stelle hätte ich schon längst Schluss gemacht.“ „Das sagst du so leicht. Aber vielleicht hast du ja Recht! Soll ich dir helfen?“ „Kannst die Kartoffeln schälen, mach ein paar mehr weil du doch sicher mit isst oder?“ „Wenn du schon mal kochst, warum nicht.“ Tim versuchte mich ein bisschen aufzumuntern, was ihm nicht so ganz gelang. „Was gibt es eigentlich?“ „Kartoffelbrei mit Mischgemüse und Schnitzel. Ich muss ja auch an mein Töchterchen denken. Die bekommt nicht son Mist von Alète oder Hipp. Das ist wie in alten Zeiten, da haben die kleinen Würmer auch nicht solchen fertigen Kram aus dem Glas bekommen.“ „Du bist echt herrlich. Weißt du das ich mir nie hätte vorstellen können, dass du mal son verdammt guter Vater wirst?“ Tim guckte mich etwas skeptisch an. „Weißt du, ich habe immer wahnsinnige Angst gehabt, dass mich meine Vergangenheit wieder einholt, ich hab Arbeit, Haus und einfach alles verliere und wieder auf der Straße lande. Aber jetzt ist diese Angst weg. Ich bin ein ganz normaler Mensch, habe Arbeit und kann meine Familie ernähren und das nur durch zwei Menschen. Weißt du eigentlich, dass ich dich damals abgrundtief verflucht habe, weil ich wegen dir im Krankenhaus gelandet bin? Das alles war so grausam, die ersten Tage, als ich aus dem Koma erwachte. Diese furchtbaren Schmerzen in gesamtem Körper wegen den Entzugserscheinungen! Die haben mich sogar ans Bett gefesselt, das hab ich dir alles nie erzählt und dann nach ungefähr zwei Wochen war alles weg und ich kannte nicht einmal deinen Namen, bis ich dich wieder getroffen habe und da war es an der Zeit dir zu helfen. Mein Gott Lukas, was hätte ich nur ohne dich gemacht. Ich bin dir so dankbar für das alles.“ Ich war so gerührt, dass ich nichts erwidern konnte. Tim wusste wirklich, wie man seinen besten Freund wieder aufbauen konnte. Ich zwar immer noch sauer wegen der Sache mit Nici, aber die war mir gerade egal. Tim hatte so was von Recht, es ist eigentlich egal, wie man seinen besten Freund kennen lernt, das wichtigste ist, dass er für dich da ist. „Na Kurzer, jetzt hat es dir wohl die Sprache verschlagen?“ Ich griff nach den Kartoffelschalen und warf sie nach Tim. „Was soll der Mist!“ Er nahm den Wasserschlauch aus der Spüle und spritzte mich von oben bis unten nass, ich riss ihm den Schlauch aus der Hand und machte ihn ebenfalls nass. „So Kollege, jetzt sind wir Quitt. Du bist total krank.“ Wir brachen beide in schallendes Gelächter aus. „Bevor Alex wiederkommt müssen wir das in Ordnung gebracht haben, sonst gibt’s Schläge.“ Ich sammelte die Kartoffelschalen wieder auf und entsorgte diese gleich im Abfalleimer. Tim wischte den Fußboden trocken. Nur gut das der gefliest war sonst hätten wir wirklich eine Tracht Prügel von Alex bekommen. Alles war schon soweit fertig, als wir vom Flur schon Babygeschrei vernahmen. Tim eilte sofort zur Wohnungstür und spielte Empfangskomitee. Wahrscheinlich hatte Amy furchtbaren Hunger und ich durfte sie sogar füttern. Nachdem der kleine Magen gefüllt war brachte Alex ihre Tochter ins Bett und ich deckte mit Tim den Tisch. Nach dem Essen spülten wir das Geschirr und dann gingen Tim und ich endlich eine rauchen. Wir setzten uns runter in den Partyraum, da klingelte es plötzlich an der Haustür. „Alex kümmert sich schon um den Besuch. Haben wir überhaupt ein Feuerzeug mitgenommen?“ „Nein. Warte, bleib sitzen, ich hol eins.“ Ich sprintete die Treppen hoch und ging in die Küche, doch da blieb ich wie angewurzelt in der Tür stehen. Da saß Nici und heulte sich bei Alex aus, ich hatte gar nicht mehr daran gedacht, dass sich die beiden auch gut verstanden. Ich nahm aus der obersten Schublade ein Feuerzeug, grinste Alex kurz zu und war froh, als ich die Küche hinter mir hatte. „Oh Fuck!“ Ich ging die Treppen gerade hinunter. „Was ist denn jetzt los?“, wunderte sich Tim. „Tollen Besuch habt ihr bekommen, ich gehe nichts mehr da oben holen.“ Tim konnte sich sein kichern nicht verkneifen. „Das tut mir leid. Hat sie was zu dir gesagt?“ „Nö. Nur dumm geguckt und sich bei deiner Freundin ausgeflennt. Dumme Tussi. Ich hab so ein Hass auf die Alte.“ „Komm rauch jetzt lieber eine, das senkt deinen Puls hoffentlich wieder. Solange sie nicht hier runter kommt geht’s doch. Gehen wir nachher zusammen vor, ich weiß nämlich nicht, wann wir uns treffen wollen.“ „Tja ich auch nicht. Du warst doch gestern länger da als ich.“ „Ich war aber besoffen.“ „Ach so, nichts Neues. Na ich denke es reicht, wenn wir so um sechs vorn sind. Um sieben ist ja Einlass. Ja Tim ich hole dich auch ab, nicht das du noch im Nest rumhullerst oder so!“ „Na und! Ich mach wenigstens meinen Schönheitsschlaf und das mit oder ohne Alex.“ „Mit Alex? Wird man von Sex auch schön?“ „Siehst du doch an mir.“ „Ja Tim wenn du Alex nicht hättest würde ich schwul werden. Wie spät ist es eigentlich?“ Tim suchte sein Handy in der Hosentasche, ich hatte meins zu Hause gelassen, falls mich unerwünschte Personen anrufen sollten. „Um 15:00 Uhr und genau 4 Sekunden!“ „Wunderbar. Da gehe ich dir noch ungefähr ne Stunde auf die Nerven.“ „Naja vielleicht will ja noch jemand anderes mit dir reden.“ „Arschloch. Gib mir mal bitte noch eine Zigarette!“ Er warf mir die Schachtel rüber und ich nahm mir gleich zwei heraus. „Wer weiß, über was die beiden da oben reden. Ich stell mir gerade Nici vor: Wie kann ich das nur wieder gut machen oder wird er mir das jemals verzeihen oder noch was warte... Naja so schlimm war’s gar nicht, nur der Kerl hat keinen hoch gekriegt. Ach bin ich heut wieder böse.“ „Ich denke Nici hat sich nur mit dem Kerl rumgeknutscht?“ „Was weiß ich was die mit dem gemacht hat. Ich will es gar nicht wissen, soll sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst.“ Tim grinste und nickte mir zu, als ob er sagen wollte gut so. Mir war das mit Nici im Moment wirklich egal. Ich bekam schon wieder Bauchkribbeln, wenn ich an das Konzert heute Abend dachte. Es gibt halt nichts schöneres, als auf der Bühne zu stehen. Nocturna, bei diesem Wort bekam ich echt Gänsehaut. Da kam Alex die Treppe herunter. „Ist sie endlich weg?“, fragte ich hoffnungsvoll. Alex zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf. „Du sollst mal zu ihr hochkommen.“ „Ach du scheiße. Da weiß ich doch schon wieder, was mich da erwartet.“ „Viel Glück!“, sagte Tim ironisch. In meinem Magen drehte sich das Mittagessen hin und her. Ich wollte nicht mit Nici reden, weil wir uns ehe nur anschreien würden. Ich drehte mich noch mal kurz um. „Ich glaube, es ist besser, wenn wir das woanders klären. Ich will euch den Streit zwischen uns nicht zumuten!“ „Ist schon gut. Also bist du dann Punkt sechs bei mir?“ Ich nickte stumm und quälte mich weiter vorwärts. Meine Beine schienen aus Blei zu sein, ich konnte sie kaum anheben. Was soll’s, ob ich mich nun jetzt oder heute Abend mit Nici streite und ob ich nun jetzt oder heute Abend schlechte Laune habe ist ja wohl vollkommen egal. Sie warteten in der Küche. Ich sagte, dass wir das woanders klärten. Nici erhob sich schweigsam und folgte mir, wie ein kleiner Hund. Ich zog Jacke und Schuhe an. Wir liefen ohne ein Wort zu sagen durchs Treppenhaus auf die Straße. Ich zündete mir die eine Zigarette, die ich von Tim bekommen hatte,  an. Die Krämpfe im Bauch ließen ein wenig nach. Es war auch eher die Aufregung, die diese Krämpfe verursachte. Endlich sagte Nici etwas. „Warum warst du vorhin so geschockt, als ich in der Küche saß?“ „Weil ich nicht erwartet habe, dass du zum gleichen Zeitpunkt bei Tim bist wie ich. Ich glaube es ist besser, wenn wir unsere Beziehung vorerst beenden.“ „Was?“ Das Gefühl im Magen hörte jetzt ganz auf. Mir tat noch nicht mal leid, was ich gesagt hatte. „Ich mein es gibt eigentlich zwei Gründe, die dafür sprechen.“ „Und die wären?“ „Zum einen will ich ein Auge mehr auf meine Schwester werfen und die Band ist liegt mir im Moment auch sehr am Herzen. Da bleibt wenig Zeit für dich. Es mag zwar hart klingen aber es ist nun mal so.“ Nici blieb abrupt stehen. „Ach so ist das. Wenn du meinst. Aber schau doch mal Tim und Alex an, sind die nicht auch glücklich?“ „Tim und Alex haben beide Arbeit, eine eigene Wohnung und haben auch ein kleines Kind. Aber Tim ist in der Hinsicht ein ganz anderer Typ als ich und er geht die Dinge anders an. Außerdem scheinst du dich mit anderen Jungen doch ehe besser zu vergnügen, als mit mir!“ „Das ist unfair. Ich habe dir deinen Ausrutscher, mit wem auch immer, verziehen. Du bist ein wahrer Egoist. Hat dir das schon mal jemand gesagt?“ „Wie erfreulich! Meinst du das stört mich? Eigentlich dachte ich, dass du mich besser kennen würdest, doch so kann man sich in einem Menschen täuschen.“ Das hatte sie berührt, jetzt hatte ich eine Schwachstelle getroffen. Sie heulte wieder. „Du hast ja Recht. Aber wahrscheinlich kommst du mit deinen tollen Junkiefreunden besser klar, als mit mir. Und ne andere Tussi zum Vögeln jetzt wohl auch.“ Ich hielt kurz inne, beschloss dann aber es so stehen zu lassen und sie weiterhin glauben zu lassen, dass es sich bei meinem Ausrutscher um ein anderes Mädel handelte. „Ja endlich hast du es verstanden, gratuliere. Eine Zeit lang glaubte ich wirklich, du könntest mich lieben und verstehen.“ Ich glaubte jetzt sogar ein Lächeln auf ihren Lippen zu sehen, ein Lächeln, das mich erweichen könnte, doch ich blieb bei meinem Entschluss und das kam ihr gar nicht in den Kram. „Das Gefühl hatte ich leider nie und deine Freunde und die Drogen waren dir ja schon immer wichtiger.“ Ich glaubte nicht richtig zu hören. Jetzt blieb ich stehen und sah Nici mit kaltem Blick in die Augen. „Was willst du eigentlich von mir? Für wen hältst du dich überhaupt? Ich habe dir schon mal gesagt, ich bin und werde niemals dein kleines Vorzeigeprinzchen sein! Du verkraftest nur nich, dass ich Schluss mache. Wobei du doch jetzt so viel Zeit für andere Kerle hast, du kannst auf jeder Party einen anderen beglücken und sag bloß nicht, das der Gedanke nicht verlockend klingt.“ Nici wollte gerade zum Schlag ausholen, doch ich konnte ihren Arm noch festhalten. „Dein Schweigen lässt mich vermuten, dass ich richtig denke. Selbst wenn du mir eine geknallt hättest, wärst du einen Frust umso schneller los? Willst du dir noch immer einreden, dass es dich nicht interessiert, wenn ich Sex mit anderen habe? Ich hab dich betrogen Nici…es war nich nur ein Kuss!“ „Was ist nur mit dir los?“ Ich unterbrach ihren Satz, weil ich wusste, was kommen würde. „Erspare mir dein Gelaber, wie schön es früher war und so. Das zieht nicht mehr. Lass mich am besten in Ruhe!“ Ich kehrte ihr den Rücken und trat den Heimweg an, da rannte sie hinterher. „Weglaufen, das kannst du gut Lukas.“ „Ich hab nur kein Bock mehr auf deine Moralpredigten.“ Sie kam nicht mehr hinterher und das war auch gut so. Meine Laune befand sich schon wieder gefährlich nahe am Tiefpunkt, doch ich versuchte nicht darüber nachzudenken. Ich freute mich jetzt richtig auf ein entspannendes Bad. Meine Klamotten waren von oben bis unten durchgeweicht, weil es wie aus Eimern goss und kalt war mir auch. Meine Mum, Klaus und Jojo waren zu Hause. Jojo erwartete mich schon sehnsüchtig, sie fiel mir um den Hals und gab mir einen Kuss. Meine Mum und Klaus saßen an dem großen runden Tisch im Flur und schienen etwas fürs Büro auszuarbeiten. Beide schauten auf als ich erschien. Ihr schiefes Grinsen war schwer zu übersehen. „Wie siehst du denn aus? Regnet es draußen so schlimm oder was hast du gemacht?“ „Naja, es regnet schon ziemlich doll, aber Tim und ich haben vorhin Mittag gekocht und da haben wir in der Küche so‘n bisschen Gackel gemacht.“ Meine Mum konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit, sagte jedoch noch: „Wie die kleinen Kinder! Tim und dich würde ich gern mal kochen sehen.“ „Besser nich. Aber wir haben die Küche wieder aufgeräumt.“ Ich verabschiedete mich ins Bad und ließ schönes heißes Wasser in die Wanne. Anschließend holte ich schon meine Klamotten, die ich anziehen wollte aus meinem Zimmer. Das heiße Wasser brannte richtig auf meiner wunden Haut und jetzt einschlafen, wie gut, dass die Römer das heiße Bad erfunden hatten. Erst als meine Hände schrumpelig wurden und ich kurz davor war Schwimmhäute zu bekommen verließ ich diesen Ort der Entspannung. Ich rubbelte mich mit einem Handtuch trocken und kleidete mich ein. Ich hatte mir neulich doch tatsächlich einen neues Oberteil geleistet, natürlich in schwarz, recht transparent und wunderbar zu meiner Lederhose passend. Mein gesamter Schmuck durfte selbstverständlich nicht fehlen. Meine Haare gelte ich und schminkte meine Augen, damit der brave Junge nicht so zum Vorschein kam. Naja brav war ich ja ohnehin nicht. Ich war pünktlich fertig, es war kurz vor sechs. „Bist du fertig Jojo?“ Sie nickte und holte ihre Jacke aus ihrem Zimmer. „Ich wünsche euch beiden einen schönen Abend ohne nervige Kinder und es wird denk ich mal später.“ „Lukas, aber du weißt, dass es mir nicht so recht ist, wenn Johanna so lang weg ist?“ „Ich kann sie ja nach Hause bringen, wenn sie will okay?“ „Das wäre mir ganz recht. Dann viel Spaß euch beiden!“ Ich hatte immer wieder Probleme in meine Stiefel reinzukommen. Diese vielen Schnallen machten mich wahnsinnig. Aber angezogen sahen sie echt geil aus. Vorn waren silberne Stahlkappen angebracht und der Absatz hinten war ebenfalls aus Stahl. Ganz schön schwer die Dinger, aber toll. Tim war sogar schon fertig, als ich klingelte, kam er schon die Treppen herunter. Ich fand seine lange schwarze Mähne einfach genial, sie reichten ihm schon fast bis Rückenmitte. Er schaute mich fragend an und ich nickte. „Ich bin stolz auf dich. Hat sie gesagt, dass sie heute kommen will?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung und wenn, isses mir auch egal. Die hat doch echt nicht mehr alle Tassen im Schrank. Wir müssen noch mal Zigaretten holen, ich will nicht schon wieder bei dir schlauchen.“ Tim musste auch nur über Nicis Verhalten lachen, war ich wenigstens nicht der einzige der das tat. „Na siehe einer an, wir haben ja heut einen Ehrengast!“ Tim nahm Jojo auf die Schultern und trug sie herum. Ich kaufte mir lieber zwei Schachteln und nun machten wir uns auf zum Proberaum. Basti, Chris und Flo saßen schon drin und hatten schon wieder mit saufen begonnen. Alle freuten sich, als wir hereinkamen. Flo meinte, dass wir Jojo als Bandmaskottchen ernennen könnten. Ihr schien die Idee zu gefallen. Tim holte den Wodka aus dem Keller, dann stießen wir gemeinsam auf den heutigen Abend an. Jojo wurde von Basti und Chris beschlagnahmt und ich setze mich mit Flo und Tim an die Bar vor. Unser Barkeeper begrüßte uns freundlich. Wir bestellten drei Beam- Cola. Dann fragte Flo: „Sag mal stimmt das, dass du mal wieder mit Nici Schluss gemacht hast?“ „Ja, weil sie nur gesponnen hat und irgendwie ging das alles nicht mehr. Außerdem is mir die Band und Jojo erstmal wichtiger. Sie hat auch nur noch so getan, als ob ich nur ihr gehöre und alle anderen gefälligst die Finger von mir lassen sollen und das kann ich gerade leiden. Egal.“ Flo gab eine Runde Zigaretten aus, selbstgedreht. Als er mich so angrinste, wusste ich, dass es wahrscheinlich keine normalen Zigaretten waren. Meine Aufregung machte sich schon wieder bemerkbar. „Bist du auch so nervös?“ Tim war im Gespräch mit dem Barkeeper vertieft. „Naja geht so. Dir merkt man die Aufregung schon wieder an!“, lachte Flo. „Verdammt. Betrinkst du dich heute mit mir?“ „Jo auf jeden Fall.“ „Für wen hast du dich dann heute so in Schale geworfen?“ „Natürlich für dich Schnuckelchen, für wen denn sonst.“ Flo lachte wieder. „Ooooder kommt da ein gewisser Kerl, den du doch mehr magst, als du zugeben willst?“, ärgerte mich mein Freund. „Ach halt einfach die Klappe. Nur weil wir einmal Sex hatten, bedeutet das noch lange nichts.“ „Is aber schon bisschen krass. Und würdest du nem Typen einen blasen?“ „Denk schon, ich glaube meine sexuelle Hemmschwelle ist dahingehend echt niedrig.“ „Und, kommt Juka heute?“ „Keine Ahnung…vielleicht…ahhhh, ich weiß es nich Flo und ich weiß auch nich, ob ich darüber nachdenken will…“ „Oh oh…ist da jemand verliebt?“, stichelte er weiter und ich gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf, doch er schmunzelte nur. Ich beschloss, diesen Abend einfach auf mich zukommen zu lassen. Egal, wer kam oder nicht kam. „Dann auf heute Abend“, sagte ich und erhob das Glas. „Glaub das wird mega gut.“ Diesmal bekamen wir die Beam- Cola kostenlos, auch nicht schlecht. Das Zeug hatte es ganz schön in sich und dann noch der Joint. Wir beschlossen uns schon ein wenig warm zu spielen, solange noch niemand da war. Mit der Zeit wurde es verdammt warm in dem großen Raum und mir lief jetzt schon der Schweiß, als wir uns ein bisschen warm spielten. Plötzlich öffnete sich die Tür und ein zwei Mädchen, die mir bekannt vorkamen, traten ein. Ihr Anblick brachte mich jedoch nicht aus der Fassung, es waren Nici und Nadja. Nici. Irgendwie freute ich mich sie zu sehen, doch da war nichts, was ich noch für sie empfand. Selbst ihr neuer Look beeindruckte mich nicht im Geringsten. Was war denn mit mir los?  Nici unterhielt sich mit Mike und Thilo. Ob sie wohl auch zum Konzert bleiben würde? Sie versuchte damit zu punkten, in dem sie mich erst mal ignorierte, doch das funktionierte so leider nicht. Und natürlich lud ich auch meinen liebsten Juka zu unserem Konzert ein, doch bisher hatte ich noch keine Antwort von ihm bekommen. Nici setzte sich neben Mike und zündete sich eine Zigarette an, was mich irgendwie aus der Fassung brachte, weil ich Nici eigentlich selten in der Öffentlichkeit rauchen sah. Wir hatten noch eine halbe Stunde Zeit, bevor wir die ersten einließen. Ich setzte mich ebenfalls zu Thilo und Mike. Nici kam auf mich zu und begrüßte mich ziemlich normal. Wir wechselten sogar ein paar Worte miteinander. „Und schon aufgeregt?“ „Es geht. Könnte schlimmer sein. Bleibst du auch zum Konzert da?“ Sie nickte und bot mir eine Zigarette an, welche ich dankend annahm. „Das kann ich mir wohl kaum entgehen lassen.“ Als sie das sagte lächelte sie mich an und ich erwiderte es. „Coole neue Haarfarbe!“ „Ja gefällt es dir? Ich war mir erst nicht so sicher, ob ich das wirklich machen soll aber mittlerweile gefällt es mir ganz gut.“ Ich war ziemlich gut drauf, als wir die Bühne betraten und irgendwie schien heute alles einfacher zu sein. Flo stimmte neben mir die ersten Riffs an und ich begann zu singen. Mein Körper bebte und den Leuten schien es auch zu gefallen. Irgendwann wurde es mir dann doch zu warm und ich zog mein Oberteil aus, da kreischten die Mädels. Ich fühlte mich tatsächlich wie ein Rockstar. Beim dritten Lied tanzte ich Flo ein bisschen an und er stieg voll drauf ein. Die Menge stachelte uns an. Ich stand hinter ihm, mein Mikro in der rechten Hand und die andere Hand ließ ich an seinem Oberkörper hinabgleiten. Nur so weit wie es nötig war. Dann ließ ich wieder ab von ihm und sang aus voller Kehle. Es war viel zu schnell vorbei und nach unserer Zugabe gönnte ich mir ein weiteres Bier. Irgendjemand verpasste mir einen Schlag auf den Hintern und als ich mich umdrehte, war es kein anderer als Flo. Wir prosteten uns zu und gingen einen rauchen. Hinter dem Proberaum war es ruhig und hier verlief sich so gut wie niemand hin. Flo zündete den Joint an. „Lukas ich glaub ich steh auch auf Männer, aber nich nur…woher soll man außerdem wissen, ob es besser is mit nem Mädel oder mit nem Kerl.“ Ich zuckte die Schultern. „Keine Ahnung…ich finde Mädels schon auch hübsch, aber nen Kerl is halt nen Kerl. Probier’s halt aus.“ Flo wurde verdächtig ruhig und reichte mir den Joint. „Mh, mich würde es schon irgendwie reizen, aber bin glaub zu schüchtern.“ Amüsiert schaute ich meinen Freund an. „Wir leben in einer freien Welt, also, geh das Risiko ein mein Hübscher…“ „Würdest du echt nem Kerl einen blasen?“ Das klang durchaus irgendwie komisch, ein bisschen befremdlich. „Wie gesagt vielleicht…“ „Wenn Juka dieser Kerl wäre?“ Ich verdrehte die Augen und steckte ihm die Zunge raus. An der Bar erwartete mich die nächste Überraschung. Wenn man vom Teufel spricht. Juka hatte es scheinbar doch geschafft, wenn auch später als ich mir erhofft hatte. Ich rannte ihm freudestrahlend in die Arme und auf einmal musste ich wieder an unsere letzte Begegnung denken und bremste meine Euphorie ein wenig. „Na Süßer, wie war das Konzert?“ „Du hättest sicher was zu Gucken gehabt, weil ich irgendwann mein Oberteil ausgezogen habe“, witzelte ich und Juka lächelte mich verführerisch an. „Soso…dann muss ich das nächste Mal wohl pünktlich sein.“ Wir setzten uns an die Bar und redeten. „Wo warst du eigentlich noch so lange?“ Juka bestellte sich einen Whiskey pur und prostete mir zu. „Arbeiten.“ „Im Massagesalon?“ Er schüttelte den Kopf. „Quatsch, das mach ich doch nur ab und zu nebenher. Eigentlich bin ich A&R Manager.“ Das erweckte meine Neugier. „Warum erfahre ich das erst jetzt?“ „Du hast mich nie gefragt“, grinste Juka und jetzt drängte sich mir eine weitere Frage auf. Wie alt war Juka eigentlich? Eigentlich hätte ich ihn so auf Anfang 20 geschätzt, aber konnte man da schon A&R Manager sein? Das verwirrte mich. „Mhh stimmt, hab dich dauernd nur mit meinem Scheiß vollgeheult. Aber da nimmst du doch theoretisch auch Bands unter Vertrag oder?“ „Prinzipiell schon…müssen halt echt was auf dem Kasten haben.“ „Dann sollten wir vielleicht mal nen Tag zusammenarbeiten. Deine Meinung eines Profi würde mich ja schon interessieren.“ „Können wir gern tun.“ Ich fasste es nicht, mein hübscher Pseudomasseur war eigentlich als Bandcaster tätig. Und ich hatte mich schon gewundert, warum er ein so viel beschäftigter Mann war. „Juka…auf was für Typen Männer stehst du eigentlich? Jünger oder älter…dick, dünn?“ Er lachte. „Naja…kommt drauf an. Irgendwie sind die meisten meiner Liebhaber jünger als ich. Meist nicht viel, aber ein paar Jahre eben.“ „Das klingt, als wärst du voll alt“, versuchte ich ihn aus der Reserve zu locken. Und er stieg drauf ein. „Alt vielleicht nicht…mit 25 kommt man doch erst in die besten Jahre.“ Dann unterschieden uns 8 Jahre. „Hast du deinen Abschluss dann damals in Tokio gemacht?“ „Genau und dann bin ich gleich nach Deutschland gegangen…dort hab ich mich dann bei der Firma beworben und da ich mich schon immer für Musik interessierte, haben die mich gleich genommen. Aber glaub das lag auch ein bisschen daran, weil die eine Zweitstelle in Tokio haben und ich dort schon ein Praktikum absolviert habe.“ „Wow…nich übel.“ Juka zuckte nur bescheiden mit den Schultern und bestellte sich ein neues Getränk. Der Club leerte sich allmählich und wir blieben wieder bis zum Schluss. Flo und ich blödelten noch umher doch ließ ich meinen schönen Japaner nicht aus den Augen. Wir spielten dann noch eine Runde Dart, auch wenn vermutlich keiner mehr richtig zielen konnte. Doch Juka traf fast immer das Feld, auf das er zielte. Sein Körper spannte sich leicht an, als er sich darauf konzentrierte und die Scheibe fixierte. Er hob den linken hinteren Fuß etwas und schoss den Dartpfeil ab. Mit einem triumphierenden Lächeln reichte er mir die Pfeile, denn ich kam nach ihm an die Reihe. Plötzlich stand er dicht hinter mir, seine Hände legten sich auf meine Schultern und fast automatisch spannte sich mein Körper an. Was zur Hölle tat er da? „Bleib entspannt Luki…da ist es leichter.“ „Das funktioniert nich, wenn du deine Hände da hast“, entfuhr es mir und ich wünschte ich hätte das nicht gesagt. „Warum, macht dich das etwa nervös?“ Und da war es wieder, dieses unglaubliche Gefühl, das nur Juka in mir entfachen konnte. Doch ich ignorierte es abermals. „Nein, sonst kann ich unmöglich werfen“, log ich. Doch Juka kannte mich scheinbar besser und langsam glitten seine Hände an meinem Oberkörper hinunter und wanderten unter mein fast bauchfreies Shirt. Heilige Scheiße, seine Hände auf meinem Körper fühlten sich so verflucht gut an. Schließlich ließ er ganz von mir ab. Dennoch hinterließen seine Berührungen ein süßes Verlangen, von dem ich so gern mehr gehabt hätte, wenn ich nicht so feige gewesen wäre.   Der Tag nach dem Konzert war so typisch. Ausnüchtern und nichts tun. Ich hockte mich mit einer Decke ins Fensterbrett, um eine zu rauchen. Ich musste lachen. Der Wind und der Regen peitschten mir nur so ins Gesicht. Ich fühlte mich wie ein Eisklumpen und kuschelte mich enger in die Decke. Jojo war in ihrem Zimmer mit noch einer Freundin und schaute DVD. Ich sagte den beiden kurz Hallo, als ich mir einen Kaffee holte und dann verkrümelte ich mich in mein eigenes Zimmer. Ich legte mich auf mein Bett, zündete mir eine Zigarette an und dachte nach. Ich dachte wieder an Juka. Warum hatte sich Juka noch nicht gemeldet? Das war sonst nicht seine Art. War er vielleicht sauer auf mich? Doch ich wüsste nicht warum. Ich vermisste ihn so schrecklich und es wäre zu schön gewesen, wenn er jetzt bei mir sein könnte. Ich hörte ein bisschen Musik und versuchte erneut ihn anzurufen, doch ohne Erfolg. Dann kam mir eine eher absurde Idee, doch ich musste es endlich wissen. Ich schloss das Fenster, zündete Räucherstäbchen an und zog mich mit meinem Laptop ins Bett zurück. Erst schaute ich mir Videos von japanischen Rockbands an und ich musste feststellen, dass mich das schon irgendwie an machte. Vor allem Kyo mit seinen Tattoos und auf die Musik stand ich ohnehin. Doch eigentlich wollte ich etwas anderes wissen und suchte weiter. Mit einer Mischung aus Neugier und Unbehagen gab „Schwulen Porno“ in die Suchmaschine ein. Um meine Suche noch etwas zu filtern, fügte ich japanische hinzu. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe herum und scrollte durch die Videos, die angezeigt wurden. Schließlich klickte ich auf eines, wo mir die Männer gefielen. Und START. Es fühlte sich seltsam an zwei Kerlen beim Vögeln zuzusehen, doch je länger ich mir den Film anschaute, desto mehr regte sich in meiner Hose. Okay, fuck. Denn plötzlich drehte sich mein Kopfkino um einen ganz bestimmten Japaner und als ich mir vorstellte, das Juka all das mit mir tat, was ich hier gerade sah, wanderte meine Hand ganz allein in meine Hose. Ich begann mich zu streicheln und mich zu massieren. Dabei hielt ich die Augen geschlossen und sah diesen schönen Mann deutlich vor mir. Meine Selbstbefriedigung verschaffte meinen Fantasien keine Linderung, jedoch fühlte ich mich ein bisschen erleichtert. Ich säuberte mich und zuckte leicht zusammen, als es klingelte. Einige Minuten später klopfte jemand an meiner Tür und trat ohne eine Aufforderung von mir ein. Kein anderer als meine Exfreundin stand vor mir. Sie schaute mich an, jedoch konnte sie mir nicht lange in die Augen sehen. Nach einem längeren Schweigen fragte sie: „Wo warst du gestern eigentlich?“ Ich antwortete nicht gleich, weil ich mir nicht wirklich im Klaren war, was ich sagen sollte. Schon zuckten meine Lachmuskeln am Mund, als ich an eben dachte, doch das würde Nici ihr positives Bild von mir endgültig zunichte machen. „Hab mich lange mit Flo unterhalten und versucht Juka anzurufen.......“ Ich konnte nicht weiter sprechen, die Worte blieben mir im Hals stecken. Nici war gerade mal voll der falsche Gesprächspartner. „Juka, der Japaner von neulich?“, hackte Nici ungeduldig nach. „Genau der. Nici ich bin echt müde und muss glaub noch ein bisschen schlafen.“ Sie zog die Stirn in Falten. Es war klar, dass sie mir das nicht abkaufte, denn dafür kannte sie mich zu gut. „Verarschen kann ich mich selbst Lukas.“ „Ich brauch grad auch mal Zeit für mich Nici und bin heute nich in bester Stimmung.“ „Das sind ja ganz neue Töne von dir. Können wir trotzdem reden?“ „Was erhoffst du dir davon.“ Sie schaute mich mit weit aufgerissenen Augen an und öffnete den Mund, jedoch schloss sie ihn gleich wieder, weil ihr wahrscheinlich die Worte fehlten. Wir musterten uns gegenseitig doch keiner von uns beiden sagte etwas. Ihr liefen die Tränen wie ein kleiner Bach den Wangen herunter. Nici hatte sich wider so halbwegs gefangen. „Hast du wirklich ernsthaft mit mir Schluss gemacht?“, erwiderte sie mit zittriger Stimme. Ich erhob mich von meinem Bett und setzte mich ans Fensterbrett um noch eine zu rauchen. Ich hatte gestern Abend zu viel Alkohol getrunken und Probleme mein Gleichgewicht zu halten. Nici ihre Hände zitterten und es schien, als wäre ihre Kehle wie zugeschnürt. Jedes Wort hörte sich eher nach einem Krächzen an. Ich wusste auch, dass Nici nicht zufällig gekommen war und doch konnte ich ihr nicht das geben, was sie wollte. Ich atmete tief durch und dann ging alles fast ganz alleine. „Ich habe dich vielleicht nicht immer so behandelt, wie du es dir gewünscht hast, doch denke ich, dass ich immer ehrlich zu dir war Nici. Ich habe dich betrogen und auch, wenn es dir nichts auszumachen scheint…für mich isses schon heftig. Ich kann das nich so einfach wegstecken, außerdem ist da gerade noch etwas anderes, mit dem ich fertig werden muss. Irgendwie passieren gerade Dinge, die ich nich einordnen kann und solange ich mir nich im Klaren bin, was ich will, wird das mit uns ohnehin nichts.“ Ich drehte mich um und stützte mich auf das Fensterbrett. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich wusste nicht, ob ich weinte oder nicht und ich wusste auch nicht, wie lange ich schon nichts mehr gegessen hatte. „Lukas, bitte schau mich an!“ Ich wendete mein Gesicht dem ihren zu. „Bitte gib uns noch eine  letzte Chance“, stammelte sie. „Ich weiß nich, ob das gut ist Nici.“ Meine Worte waren schlimmer als Peitschenhiebe, aber ich konnte nicht mit ihr zusammen sein. „Dann lass es uns ein letztes Mal versuchen und wenn es dann nicht klappt, dann soll es nicht sein. Bitte, ich flehe dich an.“ Andererseits, was hatte ich zu verlieren? In mir kämpften gerade die Gefühle gegeneinander. Schließlich willigte ich doch ein, auch wenn ich wusste, dass es wahrscheinlich ein Fehler sein würde. Ihre schmalen Lippen umspielte ein Lächeln. Die schwarzen langen Haare umrahmten ihr kindlich schönes Gesicht. Ihre Augen glitzerten und es sah fast so aus, als ob sie Funken sprühten. Die Konturen ihres Gesichtes waren wie die einer Puppe, so fein und perfekt. Ihre Haut war glatt und die Blässe wurde durch das schwarze Haar noch mehr zum Ausdruck gebracht. „Lukas bitte nimm mich in deine Arme...sonst sterbe ich.“ Ich ging auf sie zu, schlang ihre Arme um meine Hüfte und sie schmiegte den Kopf an meine Brust. Ich atmete nochmals tief aus und wieder ein. „Ich kann deinen Herzschlag fühlen, es ist fast so, als ob es gleich zerspringt.“ Jetzt endlich legte ich auch meine Arme um sie und unter ihrem Baumwollpullover spürte ich die weiche Haut. Ich wusste, dass dies meine letzte Chance war, unsere Beziehung noch zu retten. Doch wollte ich das überhaupt? Jetzt war es zu spät. Ich küsste ihre langen Haare, die nach Moschusparfüm und Zigaretten rochen. „Warum bist du eigentlich zu mir gekommen?“ „Ich weiß nicht. Erst haben wir uns so schön unterhalten und dann warst du auf einmal verschwunden. Naja und irgendwie habe ich dich vermisst.“ „Schön.“ „Bist du dünner geworden?“ „Ich weiß nicht. Schon möglich. Willst du, dass ich dicker bin oder was?“ „Nein, bist du wahnsinnig. Weißt du was, eigentlich können wir doch jetzt noch irgendwohin essen gehen. Was meinst du?“ Sie lies mich los und schaute mich an. „So wie ich jetzt aussehe, gehe ich nirgendwo hin.“ Nici presste die Lippen aufeinander und zog die Stirn in Falten, doch ein leichtes Hungergefühl überkam mich schon. „Dann geh halt duschen oder so!“, sagte sie fordern und ich musste lachen. Ich küsste sie heute zum ersten Mal auf den Mund. Sie erwiderte meinen Kuss. „Na da geh ich jetzt mal unter die Dusche.“ Sie nickte und ich küsste sie auf die Stirn. Ich entkleidete mich meiner Hose und zog den Bademantel über. Obwohl ich mit dem Rücken zu Nici stand, spürte ich ihren Blick, wie Feuer im Nacken brennen und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Als ich vom Duschen wieder ins Zimmer kam, saß Nici immer noch auf meinem Bett und funkelte mich begehrenswert an. Ich ließ den Bademantel zu Boden fallen und beobachtete sie. Ich konnte ihr ansehen, was sie gerade dachte. Am liebsten würde sie meinen nackten Körper berühren, ihn begehren, doch seltsamerweise fühlte ich nichts. Nici kam zu mir und umfasste mit ihren zarten Händen mein Glied. Doch auch da regte sich nichts. Jetzt zog ich sie mich aufs Bett und presste sie fest an mich. Ich umfasste ihre Hüfte und sah sie an. „Nici, verzeih mir, aber das wird heute nichts mehr.“ Sie schaute mich ein bisschen enttäuscht an, nahm es aber hin. Ich zog meine Cordhose wieder an, obwohl diese an vielen Ecken schon ziemlich mitgenommen aussah aber das war mir relativ egal. Da mein Pullover nass geworden war, entschloss ich mich für meine Baumwollstrickjacke, die auch kuschelig weich war. Ich schnappte noch meine Cordjacke und nahm Nici an der Hand. Wir wollte zum Italiener Essen gehen. In der Stadt gab es da auch ein ganz kleines, gemütliches Restaurant, wo es auch sehr gut schmeckte. Der Abend war sehr stürmisch und kalt. Nici klammerte sich an meinem Arm fest und so kämpften wir uns durch den Regen. Beim Italiener drinnen war es warm und gemütlich. Als wir uns an einen kleinen Tisch in der Ecke am Fenster platziert hatten kam der Kellner auch schon und brachte die Speisekarten. Ich bestellte mir Spaghetti Belogenes und Nici aß eine Pizza Hawaii. Das Essen ließ einige Zeit auf sich warten, jedoch schmeckte es sehr köstlich. Gegen um zwölf verließen wir das Restaurant wieder und gingen zu mir nach Hause. Ich drehte den Heizkörper in meinem Zimmer voll auf, weil es wirklich verdammt kalt war und zündete mir erst mal eine Zigarette an. „Ich will dich wirklich nicht noch einmal verlieren, auch wenn ich das schon so oft zu dir gesagt habe.“ „Ich dich doch auch nicht“, antwortete ich und wusste nicht mal, ob ich es auch wirklich so meinte. „Es ist einfach so schön mit dir.“ Wir lagen einfach nur nebeneinander und genossen die traute Zweisamkeit. Ich konnte nicht davon reden, dass mein Leben perfekt war, andere hatten es vielleicht um einiges schlechter als ich, doch ich war noch mit Nici zusammen und allein das zählte. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was noch vor mir lag oder was ich schon durchgemacht hatte. Mein Handy vibrierte in meiner Hosentasche und ich sah, dass Juka geschrieben hatte. Ich drehte das Display ein bisschen weg und öffnete die Nachricht. Juka: Hey du Hübscher. War arbeiten und konnte deshalb nicht ans Telefon gehen. Hast du mich schon wieder vermisst oder was? Bin jetzt zu Hause.  Fuck, fuck, fuck. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe umher und musste wohl doch drüber nachdenken, was vor mir lag.  Ich: Dachte nur, ein bisschen nette Gesellschaft wäre schön. Aber jetzt is Nici da. Ich könnte sie aber wegschicken.  Ich fühlte mich unglaublich schlecht, doch irgendwie konnte ich nicht anders.  Juka: Soso, du ziehst meine Gesellschaft der deiner Freundin vor? Was soll ich nur davon halten ;).  Mein Körper sehnte sich so sehr nach ihm und ich wusste, wenn ich sie jetzt wegschickte, würde er herkommen. Was war ich nur für ein mieses Arschloch. Andererseits merkte ich auch schon wieder, wie meine Laune kippte und Nici mich nervte. Vielleicht sollte ich einen Streit anzetteln? Ich wusste es nicht, stand deshalb auf und zündete mir noch eine Zigarette an. „Alles okay bei dir?“ „Weiß nich“, gab ich ehrlich zurück. „Kann ich dir was Gutes tun?“ „Mich allein lassen…ich fühl mich irgendwie nich so und brauch noch ein bisschen Ruhe…ich kann dich nach Hause bringen…“ „Wir können auch einfach schlafen. Ist schon in Ordnung.“ Ich seufzte tief. „Nici…ich will einfach allein sein, gerade is mir alles zu viel.“ Sie warf mir einen beleidigten Blick zu, stand jedoch auf, zog ihre Jacke an und rauschte aus dem Zimmer. Auch ich schnappte meine Jacke, das Handy und Zigaretten. Vor ihrem Haus gab sie mir noch einen Kuss. „Manchmal würde ich zu gern in deinen hübschen Kopf schauen können…bis dann, schlaf gut.“ Ich hob die Hand, zündete mir eine Zigarette an und bewegte mich in Richtung U-Bahnstation. Ich schrieb Juka, ob es okay sei, wenn ich noch vorbeikomme. Er schickte mir nur ein Smiley zurück. Von zu Hause hatte ich noch eine Flasche Wein mitgenommen, die ich auf dem Weg zu ihm zur Hälfte leerte. So langsam sollte ich mein Alkoholproblem echt in den Griff bekommen. Wenigstens eins von vielen und wahrscheinlich auch das kleinste. Ich torkelte etwas und Juka öffnete mir die Tür. Ich kickte meine Turnschuhe von den Füßen und ließ mich auf die Couch plumpsen. „Hy, auch schön dich zu sehen“, sagte er etwas überspitzt und holte zwei Gläser, nahm mir den Wein aus der Hand und verteilte diesen. Dann prostete er mir zu. „Ich kann auch wieder gehen…vielleicht is allein sein gerade klüger.“ „Mh…deine Entscheidung. Ich werde dich zu nichts zwingen.“ „Juka, wann is mein Leben so beschissen geworden…“ „Oh oh…ich glaub allein sein ist gerade eine sehr dumme Idee Luki“, gab Juka zurück und rückte näher zu mir heran, um seinen Arm um mich zu legen. Dann begann er mich zu streicheln und irgendwie erschöpft sank mein Kopf in seinen Schoß. „Was hast du Nici erzählt?“ „Dass ich allein sein will…ich komm gerade so gar nich mit ihr klar…bin aber auch zu schwach ihr Konter zu bieten oder ihr zu sagen, dass es aus is. Für immer. Ich hab einfach gerade keinen Nerv dafür. Einerseits is sie schon süß und so…liebt mich, aber es reicht nich, verstehst du? Ich hab das Gefühl in mir zerbricht immer mehr, je öfter wir zusammen sind…es fühlt sich einfach nich richtig an und für meinen momentanen Zustand is sie echt nich gut…nur wie erkläre ich ihr das?“ Juka seufzte und schien sich auch ernsthafte Sorgen um mich zu machen. Liebevoll strichen seine Finger durch meine Haare. „Oh Luki, was soll ich nur mit dir machen?“ Ich erhob mich, schenkte mir Wein nach und zog meinen Pulli aus, unter dem ich noch mein transparentes Top trug. Ein bisschen provokant zupfte ich meine Hose zu Recht und legte mich aufs Sofa. Das Weinglas drehte ich abwartend hin und her. „Keine Ahnung…wie gesagt, wenn du müde bist oder so, kann ich auch gern wieder gehen…“ „Wir wissen beide, dass du das nicht tun wirst.“ Juka legte sich zu mir und stibitzte einen Schluck aus meinem Glas. Ich kniff die Augen zusammen und sah ihn gespielt böse an. Dann griff er über mich drüber, nach seinem eigenen Glas und verteilte den letzten Rest aus der Flasche. Wir prosteten uns zu. „Weißt du Juka…ich versteh nich, wie mich jemand mögen kann…vor allem Nici. Ich hab ihr erzählt, dass ich sie betrogen hab…oder Flo und Basti, die sich dauernd wieder mit meinen Eskapaden rumschlagen und dann du? Ich bin ein furchtbarer Mensch, doch alle scheinen mich zu mögen, ich kapier nich warum…“ Juka zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch an mir vorbei. „So furchtbar bist du gar nicht. Hin und wieder leicht exzentrisch, ein wenig verrückt und ich glaube vor allem verwirrt…nicht im negativen Sinne. Luki, du versuchst so oft das Richtige zu tun, willst Nici ein guter Freund sein, doch um das zu können, musst du dich mit dir selbst auseinandersetzen…und ich vermute Mal, dass dir das mehr als einfach fällt…oder?“, mutmaßte mein schöner Japaner und ich kippte den Rest von meinem Wein runter. Das Glas stellte ich auf den Boden und griff nach Jukas Zigarette. „Ja, irgendwie schon…ich hasse mich…mein Leben und dauernd diese dummen Gedanken oder der Drang mir weh zu tun…das macht mich fertig Juka. Und jedes Mal, wenn ich Nici davon erzählen will, klappt es nich oder sie fasst das ganz falsch auf…“, antwortete ich und schon stiegen mir wieder diese dummen Tränen in die Augen. Ich wollte nicht heulen. Wollte Juka nicht zur Last fallen und ihn dauernd mit meinen Problemen belasten, doch ich hatte das Gefühl er konnte mir ein bisschen helfen, wenigstens ein wenig wieder mehr zu mir selbst zu finden. Und als würde ich genau diese Hilflosigkeit ausstrahlen, zog er mich in seine Arme und natürlich heulte ich dann doch. „Oh mein Süßer…ich sag das zwar ungern, aber vielleicht solltest du dann Nici in den Wind schießen. Sie ist lieb, keine Frage, aber sie tut dir alles andere als gut, Luki. Und naja, wenn das nicht besser wird…“ „Nein! Ich will’s nich auch von dir hören…ich geh nich zum Psychodoc…“ Juka seufzte, schaute mich an und strich mir die Tränen aus dem Gesicht. „Okay…dann müssen einen anderen Weg finden. Ich überleg mir was, in Ordnung?“ Ich nickte nur und kuschelte mich wieder an meinen Freund. Die Tränen versiegten und irgendwann schauten wir uns nur noch an. Hilfe, dieser Blick. Juka schien es in diesem Moment nicht anders als mir zu gehen und jeder von uns rang gewaltig mit seiner Selbstbeherrschung. Ich ließ ihn nicht aus den Augen, verfolgte jede noch so kleine Bewegung, während mein Herz in Rekordgeschwindigkeit in meiner Brust schlug. Nur einen kurzen Augenblick entfloh ich seinen eisblauen Augen, als ich die aufgerauchte Kippe im Aschenbecher ausdrückte. In diesem Moment ergriff Juka die Chance, um sich aufzusetzen. Er strich sich durch sein Haar und mied es, mich erneut anzuschauen. „Was denkst du gerade?“, fragte ich ihn dann und ließ mich auf seinen Schoß gleiten. Er schüttelte nur mit dem Kopf und seine warmen Finger strichen über meine Brust, wanderten tiefer, bis sie auf die nackte Haut trafen. Dort verweilte seine Hand kurz und schob sich langsam unter den Stoff. Sein Adamsapfel hüpfte etwas nervös auf und ab. „Zu viel, um es wirklich in Worte fassen zu können…schläfst du heut bei mir?“ „Wenn ich darf?“ Plötzlich hob mich Juka von seinem Schoß runter und sprang auf. Dann tat er etwas, was für meinen Lieblingsjapaner recht unüblich war. Er holte noch mehr Wein und füllte unsere Gläser wieder auf. Das seine leerte er beinahe in einem Zug. Ich musste wohl irgendwie noch immer ziemlich verwirrt schauen. „Sonst hätte ich nicht gefragt…“, grummelte er und ich fragte mich wirklich langsam ernsthaft, was Juka hatte. Musste ich mir Sorgen machen? Auch ich erhob mich und suchte erneut den Kontakt zu ihm. Er biss sich kurz auf die Unterlippe schloss die Augen. „Geht’s dir nich gut?“, fragte ich jetzt tatsächlich besorgt. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Dann ging dieses in ein tiefes Seufzen über. „Ach scheiß drauf“, waren seine letzten Worte, bevor mich sein harter Kuss traf. Seine gierigen Lippen verschlossen die meinen und ein angenehmes Kribbeln breitete ich in meinem gesamten Körper aus. Ich wäre gern noch weiter rückwärts getorkelt, doch wurde von der Sofalehne gestoppt, die sich in meine Kniekehlen bohrte und diese somit nachgaben. Juka drückte mich mit seinem Gewicht auf die Couch und ich wollte nicht, dass dieser Kuss endete. Er saugte an meiner Unterlippe und seine Zunge stahl sich ein weiteres Mal in meinen Mund. Mein Oberteil rutschte weiter nach oben und entblößte noch mehr Haut. Was tat ich hier? Versetzte meine Freundin, um einen Typen zu vögeln, der mich vermutlich auch nur als eine Art Spielzeug betrachtete? Nici war meine Marionette und ich Jukas. Welch Ironie. Im Gefühlsrausch war ich mein Oberteil schneller los, als erwartet. Doch mein schöner Japaner hielt inne und schluckte. Augenblicklich kippte die Stimmung, denn ich wusste warum. Juka ekelte sich vor mir oder fand mich abschreckend, was wohl meiner letzten Verletzung zu Schulden kam. Ich hasste mich noch mehr und Juka irgendwie auch, obwohl er nichts dafür konnte. Jeder, der versuchte mich zu mögen, den stieß ich von mir. Allerdings schnürte mir der Schmerz dermaßen die Kehle zu, dass ich kaum imstande war zu atmen. Ich beeilte mich, zog meine Klamotten wieder an und rannte fast in den Flur, wo sich meine Schuhe befanden. Juka folgte mir panisch und hielt mich zurück. „Was?!“, fuhr ich ihn wütend an und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien. „Luki, bitte geh nicht“, flüsterte er kaum hörbar. „Damit ich mir von dir auch anhören darf, wie verabscheuenswert ich bin?“ „…Luki…bitte…ähm, was? Nein! Das ist es nicht…nicht nur zumindest…es schreckt mich nicht ab. Du schreckst mich nicht ab…“ „Ach nein? Warum schaust mich dann so an? Ich kenne diese Blicke von anderen Juka…“ Noch bevor ich weiterreden konnte, zog mich der ältere in seine Arme und drückte mich an sich. Seine Hände streichelten liebevoll meinen Rücken. „Oh du bist alles nur nicht verabscheuenswert…ich kann mich nur manchmal in deiner Gegenwart schwer zusammenreißen…du machst mich ein bisschen verrückt…“ „Aber ich bin zu dünn, verstümmelt und kaputt…“, schluchzte ich heftig. „Du hast wunderschön vergessen…“, wisperte er ganz nah an mein Ohr. „Ich finde mich nich schön…“, murrte ich zurück und ließ mich wieder zum Sofa führen. „Okay…kommst du her, kuscheln?“ Ich zögerte einen Augenblick und zündete mir eine Zigarette an. Dann rutschte ich doch wieder näher zu Juka und schmiegte mich an ihn. Er schaltete den Fernseher ein und allmählich dämmerte ich weg. Kapitel 18: Der letzte Streit oder die Ruhe vor dem Sturm --------------------------------------------------------- Jetzt war die Hälfte der Ferien schon rum und nach den Sommerferien lagen noch eine Menge Klassenarbeiten und Leistungskontrollen an. Eigentlich bin ich nicht der Typ, der den ganzen Nachmittag zu Hause sitzt und lernt, doch diesmal tat ich genau das. Ich wollte mich selbst nicht enttäuschen und schließlich sind gute Noten Voraussetzung. Ich blieb wirklich den ganzen Montag zu Hause und lernte für Geographie, Chemie und Mathe. Obwohl ich Mathe am besten konnte, bekam ich das gerade jetzt am wenigsten in meinen Kopf hinein. Doch nach einiger Zeit funktionierte es und ich ging alle Aufgaben, Formeln und Rechenwege noch einmal gewissenhaft durch. Geo und Chemie war nicht sonderlich schwer, wenn man im Unterricht gut aufgepasst hat. Zwischendurch verließ ich mein Zimmer ab zu, um etwas zu essen und um elf ließ ich mich etwas erschöpft in mein Bett fallen. Jedoch stand ich doch noch mal auf, um unten gute Nacht zu sagen. Meine Mum saß im Flur und arbeitete an ihrem Laptop, wahrscheinlich für die Agentur. Sie schaute auf, als ich an ihr vorbei ins Bad ging. Als ich wieder raus kam war sie damit beschäftigt ihren ganzen Schreibkram zusammenzuräumen. „Ich geh jetzt ins Bett!“, bemerkte ich trocken. Sie erwiderte nichts und so schaute ich kurz bei Jojo ins Zimmer. Sie schlief schon tief und fest. Ich gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn und verschwand in meinen eigenen vier Wänden. Kurze Zeit später schneite meine Mum herein. Sie sah auch sehr geschafft aus, ihre Haare waren ein bisschen fettig und ihre Augen klein vor Müdigkeit. „Was ist in letzter Zeit los mit dir? Du bist kaum noch zu Hause. Und wenn man mal mit dir reden will bist du auch schon wieder weg. Ich bin wohl nur dafür da, dass du einen warmen Arsch hast und ab und zu mal etwas zu Essen bekommst?“ Ich war tierisch müde und hatte absolut keine Lust mich mit meiner Mum rumzustreiten. „Hab nur ne Menge Termine gehabt und da kam noch der ganze Schulstress dazu. Außerdem hab ich mich mit Nici gezofft.“ „Ach so ist das. Und deine Familie spielt wohl überhaupt keine Rolle mehr?“ „Doch schon. Ich habe die letzten Tage wahrscheinlich mehr Zeit mit Johanna verbracht als du. Außerdem brauchst du gar nicht von Zeit für Familie reden, wenn ich morgens aufstehe bist du schon weg und wenn ich nachmittags heim komme bist du auch noch nicht da. Den Abend möchte ich mit meinen Freunden verbringen.“ „Manchmal bist du wirklich komisch. Und findest du es wirklich hübsch, die du dich anziehst?“ Ich runzelte die Stirn. Verdammt noch mal ich wollte pennen und mich nicht die ganze Nacht irgendwelchen sinnlosen Gesprächen widmen. „Ich habe mich mit meinem Psychologen über dich unterhalten Lukas…er meinte du hast vielleicht Probleme.“ „Die habe ich sehr wohl. Und?“ „Das ist es, was mir solche Angst macht. Du wirkst so abgestumpft und deine schwarze Welt umgibt dich wie ein Schleier. Es erweckt den Anschein als wäre dir alles egal!“ „Nur weil du jetzt nen Seelenklemptner gefunden hast, musst du nich versuchen mich zu therapieren. Aber schön, wenn das dein emotionales Zentrum erreicht und du dir Gedanken um mich machst.“ „Dann erkläre mir bitte nur ein einziges Mal, warum du so bist...“ Ich zündete mir noch eine Zigarette an. „Woher soll ich das denn wissen? Ich steh halt auf die Musik, find mich hübsch in den schwarzen Klamotten und es erfüllt mich mit Stolz Musik zu komponieren, die andere berührt.“ „Musik die sich mit Tod und krankhaften Gefühlen befasst?“, stellte meine Mum etwas schockiert fest. „Ja und? Es sind meine Gefühle, denn alle Gefühle hinterlassen Spuren oder nicht?“ „Erzähl mir doch nicht, dass dein Leben nur von solchen düsteren Gefühlen geprägt ist.“ Meine Mutter warf mir einen bösen Blick zu. „Bisschen schon…aber immerhin hab ich einen Weg gefunden damit klarzukommen.“ „Womit habe ich so ein Kind wie dich nur verdient? Ja sicher…deine Sauf- und Drogenparties. Mach doch, was du willst.“ „Mach ich schon immer, weil meine Mutter leider keine Zeit für mich hat! Nur für sich selbst! Mach nur so weiter mit deinem Egotrip. Aber nicht mal das merkst du.“ „Was hab ich denn auch für eine Wahl. Zerstöre dich doch Lukas!“ „Echt?“ „Ich hab versucht zu dir durchzudringen, aber das geht nicht…ich gebe auf.“ Ich konnte nicht anders, ich musste lachen, worauf ich einen entsetzten Blick erntete. „Mir fehlen die Worte.“ „Weißt du früher war das alles anders, da hast du mir nicht solche Sorgen bereitet......“ „Bitte hör doch auf immer von früher zu reden!“, fiel ich ihr ins Wort. „Jeder Mensch verändert sich und genau das habe ich auch getan. Wann begreifst du endlich, dass ich kein kleines Kind mehr bin? Du siehst in mir wahrscheinlich nur einen, der das Saufen im Schädel hat und sonst nichts kann. Ich weiß wirklich nicht für was du mich hältst, aber kannst du nicht wenigstens versuchen mich so zu akzeptieren, wie ich bin?“ Meine Mum lächelte schwach. „Ich wünschte mir, du wärst ein ganz normaler Junge und nicht so dunkel. Immer nur schwarz und Tod.“ Das saß tief. Jetzt hatte sie endlich das ausgesprochen, was ich schon immer vermutet hatte. Vielleicht mochte sie mich als Mensch, nicht aber so, wie ich mich in der Öffentlichkeit zeigte. Ich hasste sie dafür. „Dann wünsche dir das mal weiter.“ „Ich will ja nur, dass du dich änderst!“ „Tue ich aber nicht. Schon gar nicht für dich!“ Sie erwiderte nichts und verließ mein Zimmer. Ich schrieb Juka, dass ich ihn sehr lieb hatte und er schickte mir ein Herzchen zurück. Ich schnappte mir meine Gitarre und lenkte mich mit Spielen ab, sonst würden nach diesem Gespräch wieder schlimme Dinge passieren. Mit letzter Kraft versuchte ich die Worte meiner Mum auszublenden.   Da wir noch drei Wochen Ferien hatten, beschlossen Basti, Flo, Tim, Julietta und ich noch am See, der in der Nähe der Stadt lag, zelten zu gehen. Wenigstens ein bisschen Urlaub und weg von dem Chaos und dem Stress. Ich packte mein Zeug und suchte mein Zelt im Keller, weil mich Tim in einer Stunde holen wollte. Noch im Bademantel ging in die Küche, wo Jojo schon auf mich wartete. Ich kochte mir einen Kaffee und zündete mir dann eine Zigarette an. Mir wurde ein wenig schwindelig, als ich aufstand und meinen Kaffee holte, denn Nikotin auf nüchternen Magen ist ja bekanntlich nicht gut. Egal. Ich schlürfte meinen Kaffee und verzog mich dann ins Bad. Wie gut eine kalte Dusche am frühen morgen doch tut. Nachdem ich mich angezogen hatte und mein Gepäck von oben holte, klingelte Flo auch schon an der Tür. Wir passten alle bei Tim ins Auto. Jojo wollte mit ihren Leuten vielleicht auch vorbeikommen. Nachdem wir ein schattiges Plätzchen gefunden hatten, schlugen wir unsere Zelte auf und begannen mit Trinken. Am Seeufer war ein Volleyballnetz aufgebaut und wir fragten die Leute, die dort spielten, ob sie Lust auf ein Match hatten. Trotz meines Pegels schlug ich mich nicht schlecht und wir gewannen. Tranken mit den Jungs noch ein Freundschaftsbier und gingen baden. Ich telefonierte noch mit Nici, weil sie und Nadja auch heute irgendwann zum See kommen wollten. Sie teilte mir mit, dass sie gerade unterwegs waren. Ich half ihnen später beim Aufbauen ihrer Zelte und beschloss meinen Pegel zu halten. Es dämmerte bereits und mein liebster Flo hatte sich schon mehr als abgeschossen. Mike und Julietta gesellten sich auch zu uns, was Nici wahrscheinlich nicht zu passen schien. Jule mit ihrer hammer Figur und den Tattoos. Nicht, dass ich Nici unattraktiv fand, immerhin war ich mit ihr zusammen, doch Jule war halt Jule und sie wusste wie sie mich um den Finger wickeln konnte. Flo kam irgendwann zu mir und Jule und legte seinen Kopf in meinen Schoß. „Geht’s dir gut Schatz?“, fragte ich ihn. Er hielt den Daumen hoch. Nici saß mir gegenüber und redete mit Nadja. Leider war es mir nicht erspart geblieben, dass Nadja ohne Chris hier her kam. Am nächsten Morgen war Flo verschwunden und als ich ihn endlich erreichte, kam er mit einer weiteren Freundin von uns im Schlepptau, Malen. So langsam versprach das eine richtig witzige Runde zu werden. Ich wusste, dass er das mit Jenny beendet hatte, weil sie es nicht mit ihm ausgehalten hatte, Malen hingegen war ein super Mädel. Da wir echt ein bisschen versteckt waren, abgeschottet von den anderen Besuchern hier, schlug Jule vor Trinkspiele zu spielen. Flo verdrehte seine Augen. „Mann Jule, ich bin noch nich mal nüchtern und du willst schon wieder mit trinken anfangen?“ Sie lachte nur und Flo verschwand mit Malen im Zelt. „Ich glaube wir verschieben das auf später“, warf ich ein und legte mich in die Sonne. Nici gesellte sich zu mir. „Alles okay bei dir?“ „Klar…ich genieße das gerade, nichts tun, Sonne und liebe Menschen um mich.“ Doch wieder schweiften meine Gedanken ab und ich machte mir schmerzlich bewusst, dass einer fehlte, nämlich Juka. War ich ihm auf einmal so egal? Hatte es etwas mit unserem letzten Treffen zu tun? Wurde ich im doch zu anstrengend? Irgendwie machte mich das wütend und ich holte mir ein Bier. Meine Freundin ging mir mächtig auf die Nerven. Und da hallten Jukas Worte in meinem Kopf, dass Nici nicht gut für mich sei. Hatte er damit wirklich so Recht? „Muss das wirklich jetzt schon sein? So vergeht mir fast die Lust, dich zu küssen“, pampte mich Nici an und jetzt öffnete ich das Bier erst recht. „Dann lass es halt.“ „Ah verstehe, du bist wieder in deiner ach so berühmten ist-mir-egal-Stimmung.“ Ich verdrehte die Augen und zündete mir eine Kippe an. „Ich dachte, wir haben ein bisschen Zeit für uns, aber du hängst ja nur bei deinen Freunden und besäufst dich. Da kann ich auch gehen.“ „Dann tue es doch Nici und hör auf hier den Moralapostel zu spielen!“, fuhr ich sie an. Wir spielten irgendwann mit unseren eigenen Leuten Volleyball, da wir mittlerweile genügend waren. Mir fiel auf, dass mich Nici mied. Ja, sie musste mich den ganzen Tag völlig breit ertragen, das war wohl nicht das, was sie sich erhofft hatte. Nachdem nach dem hundertsten Mal noch immer die Mailbox ran ging, gab ich es auf, Juka anzurufen. Es begann zu dämmern und die Sonne, die hinterm Horizont verschwand, tauchte alles in ein rosarotes Licht. Jule war ganz heiß darauf mit ihren Trinkspielen zu beginnen. Ich jedoch zog eine Abkühlung im See vor. Meine Freundin folgte mir und schlang ihre Beine um mich, was wohl sowas wie Versöhnungsversuch sein sollte. Wir küssten uns, doch es fühlte sich so falsch an, deshalb ließ ich von ihr ab, schwamm zum Ufer und setzte mich dort hin. Holte vorher noch meinen Wodka und trank einen Schluck. „Wenn wir wieder in der Stadt sind, unternimmst du da was mit mir? Nur wir allein?“, fragte sie schließlich und kuschelte sich an mich. Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nich…“ „Was ist eigentlich los mit dir? Bin ich dir nicht mehr gut genug? Findest du Jule etwa geiler, wie sie sich hier immer so aufspielt und allen ihre Titten zeigen muss“, fauchte sie und ich musste ein bisschen lachen. Das also missfiel ihr. „Jule is mir egal Nici…ich bin einfach nur echt kaputt und duuuuu redest dir das noch immer schööön. Warum schießt du mich nicht ab? Gibt dir das etwa sooooo viel, mich völlig breit und fertig zu sehen?“ „Keine Ahnung, ich hoffe einfach, dass du wieder ein bisschen normaler wirst.“ Wütend sprang ich auf und kippte noch mehr Wodka in mich rein. „Warum wollen eigentlich alle, dass ich verfickt noch Mal normal werde?“ „Weil das, was du tust nicht gesund ist Lukas…das macht krank!“ „Du bist genauso wie meine Eltern, hast dauernd was an mir auszusetzen und versuchst mir einzureden, dass alles nicht so schlimm is…aber das stimmt nich…es is beschissen…“ „Ist dir auch nur einmal in den Sinn gekommen, dass es deine Eltern gut mit dir meinen? Doch du bist so stur und gibst ihr nicht auch nur den Hauch einer Chance.“ Ich funkelte sie voller Zorn an. „Wage es nicht dir solche Urteile zu bilden…“, wisperte ich bedrohlich leise. „Das ist aber das, was ich sehe…“ „Ach ja? Und wann siehst du das? Siehst du, wie mein Vater seine Hand gegen mich erhebt, weil er mit Worten nicht mehr weiterkommt? Oder bekommst du mit, wenn sie mir dauernd sagen, dass ich ungewollt bin? Nein, also halt verdammt noch Mal deinen Mund!“, fuhr ich sie an und erst jetzt wurde mir klar, was ich da zu ihr gesagt hatte. Ich war so wütend und am Ende, dass ich mein dunkelstes Geheimnis mit ihr geteilt hatte. Fuck! Noch einen Grund mehr, sie von mir zu stoßen. Plötzlich kam sie wieder ein Schritt auf mich zu und wollte mich umarmen, doch ich drückte sie weg und trank noch mehr. Mein Gleichgewicht geriet schon mächtig ins Wanken. „Du wirst mich niemals richtig lieben können…dazu unterscheiden wir uns zu sehr…versteh doch endlich, dass ich nicht in deine perfekte Welt passe.“ „Noch gebe ich nicht auf…und ich ertrage es nicht, wenn dich jemand anderes hat…du bist so toll…“, versuchte sie die Situation zu retten. Hatte sie überhaupt begriffen, was ich da gerade offenbart hatte? Ihre Worte setzten meiner geschundenen Seele nur noch mehr zu, bissen mich wie eine Schlange, deren Gift mich langsam und qualvoll tötete. „Das solltest du nicht sagen, ich gehöre mir allein und diese Besitzansprüche machen dich verdammt unsexy…das will ich nich hören…“ Nici berührte mich, strich über meine vernarbte Haut und das ließ mich erst recht  zurückschrecken. Ich wollte nicht, dass sie mich da anfasste. Auch sonst mochte ich es gerade nicht eine solche Nähe aushalten zu müssen. Und scheinbar sah auch sie den Schmerz in meinen Augen. „Lass mich einfach kurz allein…ich ertrage gerade keine Zärtlichkeit…“ „Lukas, bitte…nur ein Kuss…“ „Ich…ich kann nich…“ Diese Dunkelheit schnürte mir die Kehle zu und ich rannte weg. Entfernte mich von meinen Freunden und gab mich diesem Gefühl hin, brach in Tränen aus und verfluchte mich selbst. Meine Fingernägel gruben sich in die noch leicht feuchte Haut meines Unterarms und ich kratzte mich dort auf. Wie so oft drang die rote Flüssigkeit aus der Wunde und der pulsierende Schmerz setzte ein. Stumme Tränen liefen meinen Wangen herab und ich zog meine Beine an meinen Körper, legte den Kopf auf die Knie und fühlte mich hundeelend. Warum nur fehlte mir Juka so? Dann wagte ich mich ein bisschen weiter in meine Phantasiewelt vor und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich wollte ihn. Juka war der einzige mit dem ich mir vorstellen könnte mehr als nur einen Blowjob auszuprobieren. Noch einmal. Ich wollte ihn wieder lieben, wie damals bei mir. Okay, ich stand echt auf Männer, auch gut. Ich war mittlerweile so betrunken, dass es mich nicht mal störte, so zu denken. Würde es Nici als fremdgehen bezeichnen, wenn ich noch einmal was mit derselben Person hätte? Das Trinkspiel war schon in vollem Gange und wer verlor, musste nicht nur trinken, sondern auch ein Kleidungsstück ablegen. Jule war die Erste, die oben ohne dasaß. Ich drehte mir einen Joint und beobachte das Treiben. Dann holte ich meine Gitarre aus dem Zelt und klimperte ein bisschen vor mich hin. Flo setzte sich neben mich und mir entging nicht, wie er besorgte Blicke in Richtung meines verletzten Armes warf. „Is alles gut bei dir?“, fragte mein liebster Freund, doch ich schüttelte mit dem Kopf und hielt inne. „Nich wirklich…is alles beschissen und Nici macht mich fertig…“ „Soll ich Mal mit ihr reden?“ „Nee…vorerst nich…“ „Deine Selbstverletzungsattacken häufen sich gerade Schnuckelchen…das gefällt mir nich…“ Ich zuckte mit den Schultern und zündete mir eine Zigarette an. „Ich halt den Schmerz im Kopf sonst nich aus Flo…und dann…naja, du weißt schon“, setzte ich an, doch plötzlich klingelte mein Handy. Die Nummer kannte ich nicht, ging aber ran und mein Stimmungsbarometer schwang augenblicklich von null auf hundert. Juka sagte, dass er herkommen wolle. Dieser Abend versprach doch noch gut zu werden. Als er dann endlich eintraf, haute mich das völlig um. Ich konnte nicht mehr denken. Wie so oft begrüßte er erst die anderen, dann kam er zu mir. „Sorry, mein Handy ist gerade kaputt und ich hatte viel zu tun.“ „Kein Problem, jetzt bist du ja hier. Wie geht es dir?“ „So weit ganz gut…gibt’s noch Bier?“ Ich hielt ihm meine Wodkaflasche hin. „Auch gut.“ In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Wir entfernten uns ein Stück vom Rest und hockten uns ans Wasser. Sofort warf auch er mir einen besorgten Blick zu, als er meinen verletzen Arm sah. „Dir geht’s nicht gut oder?“ Ich biss mir heftig auf die Unterlippe und schüttelte mit dem Kopf. Da zog er mich in seine schützenden Arme und wie so oft in seiner Nähe brach meine Fassade und mein Kopf sank in seinen Schoß. Schluchzend suchte ich Halt an diesem einen Menschen. Sanft strich mir Juka übers Haar und ich beruhigte mich. Er zog sein Shirt aus und warf mir einen fragenden Blick zu. „Kommst du mit ins Wasser?“ „Ich war vorhin und es is verdammt kalt.“ Ohne darauf zu antworten, zog er mich hoch, streifte mir mein Shirt über den Kopf und zog mir die Hose aus. „Ich würde dir gern etwas zeigen“, wisperte er und ich folgte ihm. Mein Herz raste in meiner Brust und ich bekam eine Gänsehaut, als ich ins Wasser glitt. Doch schon umfingen mich Jukas Arme und er zog mich an sich. „Dich nackt?“, grinste ich und schlang meine Beine um seine Hüften, nicht ohne kurz nach Luft zu schnappen, weil sich Jukas nackter Körper so göttlich anfühlte. Mein Verlangen nach ihm wuchs. „Luki…“, keuchte er und küsste mich. „Juka…ich will dich…jetzt…ganz tief in mir…will wissen, wie es sich anfühlt…“, stammelte ich betrunken, verdammt geil und mit einem Hauch von Unsicherheit. „Oh…das klingt wie Musik in meinen Ohren…sag das noch Mal“, amüsierte er sich und seine Finger suchten gierig nach meinem Eingang. Ich löste mich aus dem Kuss und warf meinen Kopf nach hinten. Schon saugten sich seine süßen Lippen an meinem Hals fest und seine Finger drangen tiefer. Bunte Lichter tanzten vor meinen geschlossenen Augen und als mich diese unerwartete Welle der Lust überrollte, biss ich mich kurz in Jukas Schulter fest, um einen lautes Stöhnen zu dämpfen. „Nimm mich…“, flüsterte ich noch einmal und stellte zu meiner Enttäuschung fest, dass er seine Finger aus mir entfernt hatte und mich wieder ein Stück zum Ufer führte, wo das Wasser etwas seichter war. Leichte Wellen schlugen an meine Beine und schon beugte sich Juka wieder über mich, um mich in einen berauschenden Kuss zu verwickeln. Erneut stießen seine schlanken Finger in mich und erneut unterdrückte ich einen Lustschrei. „Süßer…dreh dich um und hebe deinen Po etwas an…wäre das in Ordnung?“ Ich schluckte, denn jetzt wurde mir das Ausmaß meiner Worte erst bewusst. Juka würde gleich Sex mit mir haben. Doch ich tat, was er von mir verlangte. Seine Hände strichen über meine Seiten, streichelten meinen Bauch und massierten meine wachsende Erregung. Ich drückte meinen Rücken etwas durch und konnte in der Ferne unsere Freunde am Lagerfeuer sehen. Jederzeit könnte jemand auf die Idee kommen, im See baden zu gehen. Auch Nici, doch dieser Gedanke erregte mich noch mehr. Lachen drang zu uns und dann verschwamm alles. Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Körper oder bessergesagt, den unteren Teil. Ich zuckte zusammen und versuchte nicht zu wimmern. Meine Hände krallten sich in das trockene Gras, gruben sich in die Erde und schon fast bereute ich meine Entscheidung, da bewegte sich Juka ganz langsam in mir. Das Stechen wurde erträglich und ich konnte mich wieder etwas entspannen. Versuchte wieder eine halbwegs bequeme Position zu finden und stützte mich schließlich auf meine Unterarme. Wieder wanderten Jukas Hände an meinen Hüften entlang bis zu meiner Härte und nun massierte er diese im Einklang mit seinen Bewegungen. „Ohhh fuck…ich…awweeee“, stöhnte ich nur und spürte ein schon fast extremes Ziehen im Unterleib. Als mein schöner Japaner erneut meine Prostata streifte, stöhnte ich erneut und mittlerweile war es mir egal, ob uns jemand hörte. Ich wollte mehr. „Ich bewege mich jetzt ein bisschen schneller…“, kündigte er an und seine Stöße gewannen an Intensität, wenn das möglich war und vor meinen Augen begannen die Sterne zu tanzen. Mein Körper glühte vor Hitze und in meinem Gehirn wimmelte es nur so von unbekannten Gefühlen. Lust gepaart mit Schmerz und Leidenschaft. Ein Feuer der Emotionen, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte, erfüllte mich und als ich mich in Jukas Hand ergoss, biss ich Wort wörtlich fast ins Gras. Jukas Körpersäfte verteilten sich ungewohnt und warm in mir und augenblicklich sackte ich zusammen. Seine weichen Hände strichen sachte über meinen Rücken und er fuhr die Konturen meiner Wirbelsäule nach. In meinem Magen rumorte es heftig. Der Geruch des vertrockneten Grases drang in meine Nase und langsam drehte ich mich auf den Rücken, nur um Jukas liebevolles Lächeln zu erhaschen, doch war das mehr an Gefühlen, als ich ertragen konnte. Deshalb zog ich mich wieder an und stolperte zum Lagerfeuer zurück. Meine Gedanken überschlugen sich und alles drehte sich. Ich wollte schreien, doch kein einziges Wort drang über meine Lippen. Nici und Nadja hockten nebeneinander und musterten mich argwöhnisch. Schon fast in Zeitlupengeschwindigkeit erhob sich meine Freundin und kam zu mir. Ihre Nähe ertrug ich allerdings noch weniger, als die von Juka, welcher sich jetzt ebenfalls etwas abseits zu Basti setzte. Seine linke Schulter zeichnete noch immer meine Bissspuren. Ich schluckte und mein Hals fühlte sich plötzlich wie ausgetrocknet an. Ich wusste, dass mich Juka nie dazu drängen würde mit Nici Schluss zu machen, doch wusste ich auch, dass dieser Moment etwas zwischen uns freigesetzt hatte. Etwas, das man nicht mehr rückgängig machen konnte und entweder machte ich es offiziell oder Juka war ab jetzt mein heimlicher Liebhaber. Keiner hegte auch nur den kleinsten Verdacht, außer Flo vielleicht, wenn er sich mal von seiner Malen hätte losreißen können. Das schlimme war, dass ich nicht mal mein schlechtes Gewissen plagte. Juka zog ganz schön nach und Nici kuschelte sich an mich. Jetzt saß mir Juka gegenüber und warf mir anzügliche Blicke zu. Ich hasste ihn dafür. Er redete mit Basti und Jule und ich machte mir schmerzlich bewusst, dass ihn jede kleine Bewegung, jede Geste unglaublich attraktiv machten. Ich erhob mich kurz, ging zu Juka, legte meine Arme von hinten um ihn und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dann drückte ich ihm noch einen Kuss auf die Wange und zog Nici mit, um mit ihr zu reden. Juka warf mir einen Handkuss zu und ich zeigte ihm meinen Mittelfinger. „Es tut mir leid, was ich vorhin gesagt hab“, bemerkte Nici etwas unsicher. Ich nickte nur und mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Mhh…mir nich….“ Trotz der Dunkelheit konnte ich erkennen, wie sich Nici ihre Augen weiteten. „Ist das jetzt ein schlechter Scherz?“ „Nein…Nici ich kann das nich…das mit uns funktioniert nich. Ich werde nie der sein, den du dir wünscht und du wirst mir nie das geben können, was ich brauche.“ „Was soll das denn schon wieder? Woher willst du wissen, dass ich dir nicht geben kann, was du brauchst?“ Ich seufzte tief ein und wieder aus. „In deiner Gegenwart fühle ich mich nicht mehr wohl…dauernd hab ich das Gefühl, dir etwas beweisen zu müssen…dir der Freund zu sein, den du dir wünscht, aber ich kann nich mehr...“ „Aber das musst du doch auch nicht“, versuchte sie einzulenken.   „Du machst mich nicht glücklich und ich liebe dich nicht…außerdem, wenn dir soviel an mir liegt, warum hast du die letzten beiden Tage keine Zeit mir verbracht? Ein Wort von dir Nici…und ich hätte die Sauferei gelassen. Doch du willst es doch nich anders…damit du und Nadja was zum lästern habt…damit ich wieder als Versager dastehe…dabei mach ich das nicht mit Absicht. Aber du verstehst das nicht. Denkst, ich würde dir mit Absicht weh tun!...Doch das stimmt nich!“, redete ich mich in Rage. Dabei merkte ich nicht einmal, wie mich der Schmerz meiner eigenen Worte fast niederrang. „Dann lass es doch einfach…dir scheint ja auch nichts an mir zu liegen, wenn du deinen Kummer im Alkohol ertränkst…weißt du was Lukas, fick doch wen du willst, besauf dich und hab Spaß…ich bin fertig mit dir!“ „Du hast nichts verstanden“, flüsterte ich kaum hörbar und verschwand in der Dunkelheit. Gab mich ihr hin und öffnete die Wunde erneut. Die Tränen verschleierten meine Sicht und ich nahm den Schmerz kaum wahr. Nur anhand der Tatsache, dass das warme Blut mittlerweile meine Hand erreichte, ließ darauf schließen, dass die Wunde tief sein musste. Jemand rief meinen Namen, doch ich ignorierte es. Blieb in der Dunkelheit hocken und ließ mich von ihr einlullen. Meine Finger zitterten wie Espenlaub, als ich mir eine Zigarette zwischen die Lippen schob und sie anzündete. Wieder vernahm ich meinen Namen und dieses Mal war die Stimme viel zu nah. Juka. Fuck. Ich wollte wegrennen, doch als ich mich erhob, überrannte mich ein Schwindelanfall und ich kippte in die Arme meines schönen Japaners. Er packte mich an meinem verletzten Arm. „Scheiße!“, fluchte er und mir entglitt die Zigarette. Plötzlich umfing mich Wärme und mein pochender Schädel wurde auf etwas weichem gebettet.     „Ich gebe ihr nicht Mal die Schuld. Schon vor ner Weile hätten meine Alarmglocken läuten sollen.“ Juka schaute traurig zu Basti und strich über den pechschwarzen Haarschopf seines geliebten Lukas, der nun endlich ruhig in seinem Schoß schlummerte. „Da geht es dir wohl wie mir…wir sind echt beschissene Freunde…ist vorhin irgendwas passiert Juka?“ Der blonde Japaner seufzte tief. „Mhh…wir hatten Sex Basti und ich weiß, dass es falsch ist, aber ich kann ihm einfach kein Wunsch abschlagen…“ Die Unterhaltung der beiden wurde plötzlich gesprengt. Nici kam auf sie zu, natürlich hielt sich ihre Leibgarde im Hintergrund. Sie schien über irgendetwas sehr erbost zu sein und kam wütend auf Basti und Juka zu. Ihr abschätzender Blick  richtete sich auf Lukas, der noch immer ruhig schlummerte. „Na, nehmt ihr ihn in Schutz? Ganz ehrlich Basti, ich hab schon viel mitgemacht, aber jetzt hat er den Bogen überspannt.“ In dem Japaner fing die Wut an zu kochen. Er bettete Lukas Kopf auf seiner Jacke und erhob sich, zog Nici ein Stück weg von der Feuerstelle und funkelte sie angriffslustig an. Etwas irritiert musterte sie ihn. „Dauernd beschwerst du dich über Lukas Verhalten, doch ist dir auch nur einmal in den Sinn gekommen, dass es ihm wirklich beschissen geht?“ Nici lachte gekränkt. „Ihm geht es doch immer beschissen. Ich kann an einer Hand abzählen, wann er mal glücklich war. Naja, soll mir auch egal sein…von mir aus kann er sich jetzt mit der anderen Tussi amüsieren…“ Juka konnte nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken. Luki hatte ihr gegenüber also nichts erwähnt. Dann würde auch er seine Klappe halten, auch wenn er diesem dummen naiven Ding gern auf die Nase binden würde, wie gut der Sex mit ihrem lieben Ex doch war. „Luki ist viel zu gut für dich und wenn du ihn nicht verstehst, lass ihn in Ruhe…“ „Ach und du bist jetzt der Experte für ihn oder was?“ Juka lächelte selbstgefällig. „Glaub mir Nici, ich bin Experte in einigen Dingen, die dich erstaunen würden…aber ja…Lukas erzählt mir viel…deshalb weiß ich, wie es in ihm aussieht und was ihm gut tut…du gehörst nicht dazu…“ Jetzt schien er das Mädchen aus der Fassung gebracht zu haben. Immerhin etwas. „Moment…Lukas redet mit dir über seine Gefühle? Hat er dir auch erzählt, dass ihn sein Vater vermeintlich verprügelt? Und bestichst du ihn mit Drogen und Alkohol?“ Beinahe blieben ihm die nächsten Worte im Hals stecken. Er wusste zwar viel über das zerrüttete Familienverhältnis seines Lieblings doch das? Augenblicklich verspürte er Übelkeit und Hass. Vor allem Hass. Auf Nici, die diese Aussage viel locker nahm und Hass auf Lukas Vater. Verdammt. „Siehst du? Und glaub mir, Schätzchen…bestechen muss ich ihn nicht…ich schätze ihn einfach. Nehme ihn, wie er ist. Und wenn ich dir einen gutgemeinten Rat geben darf, das solltest du auch tun oder du verlierst ihn…“ Nici schüttelte nur den Kopf. „Alles klar…das versuche ich schon seit wir zusammen sind…doch lieber zieht er sich in seine Welt zurück, als mit mir zu reden…besäuft sich, ballert sich mit Drogen voll…“ „Dann solltest du dich fragen, woran das liegt Nici…es steht mir leider nicht zu, aber wenn es so wäre, würde ich dir raten, dich von ihm fern zu halten…du tust ihm alles andere als gut…doch irgendwas scheint er an dir zu mögen…“ Auf einmal änderte sich ihre Mimik und sie schien sehr verzweifelt. „Aber wie Juka? Er hat mir von seiner Affäre erzählt und ich hab das Gefühl da ist noch mehr…als er mir davon erzählte, hab ich ihn in die Arme genommen und ihm verziehen…was soll ich noch tun?“ Juka spürte Genugtuung und kostete diese in vollen Zügen aus. „Ich weiß auch von seiner Affäre…und ich finde, du hast nicht den Hauch einer Chance…“ „Das heißt, du kennst sie?“ Der Blonde lachte spöttisch. „Oh ja…ich kenne sie. Frag Lukas einfach danach…und jetzt wünsche ich dir noch einen schönen Abend…geht einfach…“ Juka kehrte wieder zurück. Lukas schlief noch immer. Vorsichtig bettete er seinen Kopf wieder in seinem Schoß. Wie friedlich er doch wirkte. Er würde alles daran setzen, um seinen Luki vor der Grausamkeit der Welt zu beschützen. „Darf ich dich was fragen Juka?“, riss ihn der Rotschopf aus seinen Gedanken. Der Angesprochene nickte nur, ohne den Blick von dem schlafenden Jungen zu wenden. „Liebst du Lukas?“ Eine kurze Pause trat ein und Basti hatte schon Bedenken etwas Falsches gefragt zu haben. „Willst du eine ehrliche oder eine vernünftige Antwort?“ „Eine ehrliche natürlich.“ „Ich liebe ihn…mehr als ich jemals irgendeinen Menschen geliebt habe…und Nici hat ihn nicht verdient. Sie kann nicht mit ihm umgehen und ich hab Angst, dass sie ihn zerstört…das könnte ich nicht ertragen…“ „Bist du dir bewusst, was es heißt, Lukas zu lieben?“ Juka lächelte liebevoll und nickte. „Natürlich…ich kämpfe für ihn Basti…koste es, was es wolle…weißt du das mit seinem Vater?“ Basti nickte. „Hat er es dir auch erzählt?“ „Nein…scheinbar ist es ihm vor Nici rausgerutscht und sie hat es mir gesagt…das erklärt so einiges Basti und ich will ihn einfach nur beschützen.“ Der rothaarige lächelte schwach. „Flo und ich auch, aber das schlimme ist, wir können ihn nicht immer beschützen…vor allem nicht vor sich selbst…doch du? Du kannst es vielleicht schaffen Juka…“ „Ich verspreche dir, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht…Luki sollte nicht hier bleiben…ich nehm ihn mit zu mir.“ „Du willst noch fahren?“ „Ich hab kaum was getrunken und das ist das beste für ihn…“ Juka bugsierte seinen schlafenden Chaoten auf die Rückbank seines PKW’s, schnallte ihn irgendwie an und fuhr zurück in die Stadt. Shit, die leuchtenden Zahlen der digitalen Uhr auf seinem Amaturenbrett zeigten ihm an, dass es schon viel zu spät war. Er würde morgen von zu Hause aus arbeiten. Um das frühe Aufstehen kam er trotzdem nicht drum herum. Lukas erwachte, als Juka das Auto parkte und ihn abschnallte. Sein glasiger Blick deutete noch immer darauf hin, dass er zu viel getrunken hatte. Er krabbelte aus dem Auto und versuchte zu laufen, landete jedoch sofort wieder in den Armen des Japaners. „Süßer, ich bring dich jetzt ins Bett.“ Oben angekommen, zog er dieses wunderschöne Geschöpf aus, kümmerte sich um die Wunde am Arm und verfrachtete ihn ins Schlafzimmer. „Muss ich allein schlafen?“, brammelte er schon fast enttäuscht und dieser Blick ließ Jukas Herz schmelzen. Er lächelte. „Nein, ich komm gleich“, antwortete er und verschwand noch kurz im Bad. Es traf ihn jedes Mal aufs Neue seinen geliebten Schatz so nah am Abgrund zu sehen. Das, was er zu Basti gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Er liebte Lukas. Wann nur würde der Tag kommen, wo auch der schwarzhaarige das begreifen würde? Denn Juka war sich ziemlich sicher, dass Lukas Gefühle für ihn ähnlich waren. Nur wusste er auch, dass sein kleiner Chaot auch nicht unbedingt gut darin war, über seine Gefühle zu reden. Deshalb würde er warten. Als Juka zurück ins Schlafzimmer kehrte, saß Lukas im Bett, strich sich über den verletzten Arm und seine zarten Wangen benetzten stumme Tränen. Der Japaner setzte sich hinter ihn und schlang seine Arme um den Jüngeren. Seine Lippen hauchten zarte Küsse auf die tätowierten Schultern seines Lieblings. „Ich dachte du schläfst tief und fest“, flüsterte Juka. „Nici hasst mich Juka…“, gab er zurück. „Das ist sehr schade für sie, denn da entgeht ihr so einiges…Luki…ist es wahr, dass dich dein Vater misshandelt?“ Auf einmal spiegelte sich Panik in den grünen Augen und Lukas biss sich heftig auf die Unterlippe. Wich seinem Blick aus, doch behutsam nahm Juka sein wunderschönes Gesicht zwischen seine Hände. Er brauchte keine Antwort, denn die hatte er bereits bekommen. Auf einmal ergriff  Lukas Jukas Hand und führte diese zu einer ganz bestimmten Stelle seines Körpers. Auch der Blonde schluckte schwer und seinem Liebsten schien es alles andere als leicht zu fallen die Berührung dort auszuhalten. Seine Fingerkuppen ertasteten die kleinen Unebenheiten auf Lukas Brust und innerlich zerriss es ihn beinahe. Wie gerne würde er ihm sagen, dass er ihn liebte. Und wie gerne würde er der Grund dafür sein, dass Lukas endlich aufhörte, sich selbst zu verletzen. Doch er musste sich langsam herantasten. Noch war es zu früh und keinesfalls wollte er das, was sie miteinander hatten, zerstören. Juka küsste ihn sanft. „Luki…wenn du Hilfe brauchst, komm bitte immer zu mir. Ich kann und vor allem will ich dich nicht zwingen, nur das geht nicht spurlos an einem vorbei…und ich hab dir schon mal gesagt, dass ich immer für dich da sein werde…ich hab dich sehr lieb…“ Lukas schlang seine Arme schon beinahe hilfesuchend um seinen Japaner und schluchzte. „Danke…“, flüsterte er kaum hörbar. Doch Juka verstand ihn. „Lass uns schlafen Süßer…“ „Juka…nimm mich in deine Arme und versprich mir, mich nie mehr loszulassen…“ „Nie mehr ist eine lange Zeit Luki…“ „Ich weiß…aber du machst irgendwie alles besser…“ Juka zog seinen kleinen Liebling noch enger an sich, sodass Lukas die Tränen nicht bemerkte, die sein Japaner seinetwegen vergoss.   Den Rest der Ferien verbrachten wir mit proben und lernen. Doch das, was da passiert war, konnte ich nicht ungeschehen machen und schon allein der Gedanke an Juka reichte fast aus, um mich alles andere um mich herum vergessen zu lassen. Was zur Hölle hatte ich da losgetreten? Erschwerend kam nun auch hinzu, dass Nici als auch Juka über meine familiäre Misere Bescheid wussten. Dass alles lieg gewaltig aus den Rudern. Flo holte mich und Jojo ab. Ich nahm sie jetzt jeden morgen mit zur Schule, weil sie ja dasselbe Gymnasium wie ich besuchte. „Ey, man, wo warst du gestern? Hast dich ja den ganzen Tag nicht mehr blicken lassen.“ „Hab gelernt.“ „Ich auch, aber nicht den ganzen Tag lang. Hast du Kippen? Meine sind gestern alle geworden.“ Ich gab Flo eine und steckte mir selbst eine an. „Wieso, wo wart ihr gestern?“ „Im Club, war aber nicht so besonders. Das übliche halt. Schönen Gruß von Malen soll ich dir sagen und du kannst dich ruhig mal wieder bei ihr melden.“ „Seid ihr jetzt so richtig zusammen?“ „Kann man wohl sagen.“ Flo grinste mich an und es freute mich ihn so glücklich zu sehen. „Mit Malen kann man sich echt so super unterhalten.“ „Meine kleine Malen hast du also verführt?“ „Ist halt ne tolle Frau. Ist bei Nici und dir wieder alles in Ordnung?“ Wahh stimmt, Flo wusste das ganze ja noch gar nicht. Ich war noch nicht dazu gekommen es Basti und Flo zu erzählen. Das heißt, Basti wusste ja Bescheid, Flo war die letzten zwei Wochen nur mit Malen zusammen gewesen. Jedoch wollte ich das alles nicht so vor meiner Schwester ausplaudern. „Ja“, sagte ich deshalb. Wir waren an der Schule angekommen, ich gab meiner Schwester noch einen Kuss und dann ging sie schon hinein. Flo und ich warteten noch auf Basti. Ich rauchte noch eine und als ich Flos gierigen Blick sah, gab ich ihm freundlicherweise auch noch eine Zigarette. Ich druckste ein bisschen rum und die beiden schauten mich skeptisch an. „O-kay…das wird doch nich so easy…ich glaub ich muss euch was sagen…vermutlich hab ich wieder Mal Mist gebaut…“ „So schlimm kann‘s nich sein Schnuckiputz…wahhh, lass mich raten…war Juka beim Zelten? Ich war so mega dicht“, witzelte Flo. Doch Basti sah mich noch immer forschend an. Ich nickte ihm nur zu. „Nici und ich haben uns übel gestritten…Juka war später noch da, ja…“ „Also war es dieses Mal nachdem du mit Nici Schluss gemacht hast?“, hakte Flo nach. Toll, mein Plan nicht an Juka zu denken war somit auch dahin. „Ja und nein…ich hatte was mit Juka und ich glaub ich bin bi oder schwul oder keine Ahnung…verwirrt trifft es ganz gut…“ Flo hielt anerkennend den Daumen hoch und Basti grinste bis über beide Ohren. „Ich find schwul steht dir auch gut.“ Ich gab Flo einen Klaps auf den Hinterkopf. Unser dritter im Bunde schwieg noch immer. Leider klingelte es und wir mussten unsere Unterhaltung später fortführen. Der Vormittag verlief relativ normal, bis auf die Arbeiten. In der Frühstücks- und Mittagspause gingen wir zur Raucherinsel und werteten die Arbeiten aus. Bei Jessica brach gleich eine Welt zusammen, als sie herausfand, was sie für Schusselfehler gemacht hatte. Ich amüsierte mich darüber. „Lach nicht so dreckig Lukas“, schnauzte mich Jessica an. „Tut mir leid, aber ich bin nun mal ein Ass in Mathe. Ich kann dir ja in der nächsten Arbeit wieder helfen. Vielleicht fällt sie auch gar nicht so schlecht aus, wie du denkst“, tröstete ich sie und da lächelte sie. In den letzten beiden Stunden hatten wir eine Doppelstunde Deutsch. Mein Klassenlehrer fragte mich, ob in der Pause kurz Zeit hätte. Ich wartete, bis alle aus dem Raum verschwunden waren, dann ging ich vor zum Lehrertisch. „Lukas, ich habe mich zum Elternabend mit deiner Mutter unterhalten und sie ist auch der Meinung, dass du wieder etwas mehr für die Schule machen solltest.“ Ich lachte bitter. „Aha“, brachte ich gequält hervor. „Nein, sie klang sehr besorgt. Lukas, mir geht es nur darum, weil ich dich sehr mag und das schon von Anfang an. Du bist intelligent und nett. Im Unterricht arbeitest du fleißig mit. Aber was hindert dich im Moment daran?“ Ich zuckte mit den Schultern. Warum sollte ich mit meinem Klassenlehrer über meine Probleme reden? „Es gibt viele Dinge, die mir im Augenblick zu schaffen machen.“ „Ich will dir nur deutlich machen, dass du mit mir auch über alles reden kannst. Warum kommst du heute Nachmittag nicht mal bei mir vorbei? Wo ich wohne, weißt du ja.“ Ich war etwas misstrauisch. „Meinen Sie das ernst?“ „Natürlich. Ich würde mich sehr freuen. Vielleicht möchtest du mir dann mehr erzählen, wenn wir ungestört reden können. Überlege es dir.“ Als ich nach der sechsten Stunde nach Hause kam, kochte ich Jojo und mir etwas zu Essen. Bratkartoffeln mit Rührei. Sie traf kurze Zeit später ein. Wir aßen zusammen, dann erledigte ich meine Hausaufgaben und lernte für den nächsten Tag. Jojo wollte mit Eileen schwimmen gehen und dann ins Kino. „Ich komm heut auch nicht so spät, also bis später meine Süße.“ Ich überlegte tatsächlich, ob ich noch einen Abstecher bei meinem Klassenlehrer machen sollte, entschied mich allerdings dann dagegen, weil es mir irgendwie absurd vorkam. Unser Klassenlehrer teilte uns mit, dass ein neuer Junge in unsere Klasse kommen würde, der die elfte Klasse nicht geschafft hatte. Sein Name war Kevin und er war wahrscheinlich einer der Jungs, die sich nur von Fast Food ernährten. Also, das heißt, dass er ziemlich dick war und mir fiel auch auf, dass einige Jungs aus meiner Klasse oft damit beschäftigt waren, sich über Kevin lustig zu machen. Ich hatte irgendwie Mitleid mit ihm. Im Sportunterricht spielten wir Volleyball. Ich war einer der drei Personen, die wählen durften. Natürlich wollte ich Basti und Flo in meiner Mannschaft haben. Kevin saß abseits von den anderen und schaute traurig, also beschloss ich ihn auch in meine Mannschaft zu wählen. Unser Klassenmacho Julian warf mir einen verachtenden Blick zu. Wir führten schon seit Jahren eine Art Konkurrenzkampf, weil er es nicht haben konnte, dass mich viele Mädels hübscher fanden als ihn. Kevin kam mit langsamen, unsicheren Schritten auf uns zu. Er spielte nicht schlecht und unsere Mannschaft gewann jeden Satz. Im Umkleideraum lästerte Julian über Kevin. „Nur, weil er nicht so toll aussieht, wie du, muss das doch nicht heißen, dass er unsympathisch ist. Aber du hast ja keine Ahnung von Toleranz oder Mitgefühl.“ Er schaute mich missbilligend an und antwortete: „Na und, Freunde habe ich doch trotzdem. Was will ich mehr?“ „Aber im Gegensatz zu dir muss ich mir meine Freunde nicht erkaufen! Du magst zwar gut aussehen, aber hast doch nichts im Hirn. Und, wenn du nicht so gut aussehen würdest, hättest du wahrscheinlich gar keine Freunde. Ich bin da wohl im Vorteil, weil ich gut aussehe und trotzdem mögen mich die Leute.“ Darauf sagte er nichts mehr und ich grinste ihn nur fies an. Basti, Flo und ich gingen noch eine rauchen und dann machten wir uns schleunigst auf den Weg zum Kunstraum. Dort waren schon fast alle versammelt und Julian und ein paar andere Klassenkameraden warfen sich gerade eine Federmappe zu. Ich bekam nach wenigen Minuten mit, dass es sich um Kevin seine Mappe handelte. Da platzte bei mir endgültig der Kragen. Kevin rannte verzweifelt vom einen zum anderen, doch diese dämlichen Typen ließen im keine Chance. Als Julian die Federtasche vor zu einem anderen werfen wollte, stellte ich mich ihm in den Weg und fing sie auf. Anschließend gab ich sie Kevin zurück. „Was bist du eigentlich für ein Kind, Julian. Hast du nichts anderes im Schädel, als dich auf Kosten anderer lustig zu machen? Das ist echt feige.“ „Ich habe doch nur meinen Spaß und du sei mal nicht so ein Spielverderber. Außerdem brauchst du gar nicht so cool zu tun, schließlich bin ich gerade Klassenbester und du?“ Ich versuchte mich nicht von ihm provozieren zu lassen. „Na und? Wenigstens muss ich mich nicht an schwächeren vergreifen, um aufzufallen. Und es geht mir sowas von am Arsch vorbei, ob du besser bist als ich.“ Er grinste mich jetzt fies an. „Ja, du fällst auch so auf, das stimmt. In deiner schwarzen Satanskluft. Aber leider stehen die Mädels nicht auf sowas. Da habe ich wohl die besseren Karten.“ Ich musste lachen, weil mir die Mädels ohnehin egal waren. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Was interessieren mich die Mädels. Außerdem haben schwarze Klamotten haben immerhin mehr Style als schweinchenrosa Hemden.“ Da Julian gerade ein Shirt in dieser Farbe trug, passte das ganz gut. Die anderen Mitschüler kicherten jetzt und auch Kevin musste schmunzeln. „Ach ja, und mal sehen, wer hier am Ende des Jahres Klassenbester ist. Lass dich überraschen.“ Ich warf ihm ein arrogantes Grinsen zu und ging zu Flo auf meine Platz, weil unser Kunstlehrer auch schon kam. Wir sollten eine Collage anfertigen und die meine sah ziemlich düster aus und spiegelte somit irgendwie meinen momentanen seelischen Zustand. Nach dem Unterricht kam Kevin hinter mir her gerannt und bedankte sich bei mir. „Hey, das ist echt kein Problem.“ „Aber warum hast du das eigentlich für mich gemacht?“ „Weil ich der Meinung bin, dass du auch eine Chance verdient hast. Ich hasse solche Typen wie Julian, die immer nur denken, sie müsste im Mittelpunkt stehen und alles daran setzten andere Leute fertig zu machen.“ „Das war echt mutig von dir. Gerade von dir hätte ich das am wenigsten erwartet. Schon als ich dich früher immer gesehen habe, hatte ich irgendwie Respekt vor dir, weil du so krass rumläufst.“ Ich musste lachen. Das typische schwarz-weiße Denken aller Jugendlichen, die nichts mit Gothic am Hut haben. „So bin ich halt. Wie gesagt, ich gehe nie vom Äußeren aus. Ein Mensch sollte nett sein und der Rest ist egal. Übrigens hast du heut gut Volleyball gespielt.“ Kevin lächelte mir zu und ich erwiderte es. „So, dann sehen wir uns morgen und lass dich nicht ärgern.“ Ich hatte mir jetzt wirklich vorgenommen wieder mehr für die Schule zu machen, denn erstens wollte ich ja ein gutes Abi haben und jetzt musste ich Julian wieder einholen. Denn ich konnte nicht auf mir sitzen lassen, dass er besser war, als ich. Deshalb erledigte ich zu Hause als erstes meine Hausaufgaben. Kapitel 19: Die Geschichte, wie ich einen geliebten Menschen verlor ------------------------------------------------------------------- Mein Handy klingelte und ich rannte schnell aus dem Club, um besser telefonieren zu können. Es war meine Mum und fragte, ob ich nicht mal kurz Zeit hätte. Sie müsse dringend mit mir reden. Ich machte mich auf den Weg nach Hause und rauchte unterwegs noch eine Zigarette. Ich ließ mir Zeit, weil ich keine richtige Lust hatte mich mit ihr zu unterhalten, wenn es auch noch so wichtig war. Die Haustür unten war offen, auch etwas Seltenes. Meine Mutter wartete schon auf mich. „Wir müssen uns mal unterhalten.“ „Ich wüsste nicht über was.“ Sie hielt einen Augenblick inne. „Ich werde heute noch weggehen.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Wie weggehen?“ „Naja, ich dachte mir, dass es vielleicht besser wäre, wenn ich ein wenig Abstand von der Familie bekomme.“ „Du rennst also vor deinen Problemen weg, ja?“ „Nein, so kannst du das nicht sagen Lukas.“ „Nicht? Wie würdest du es denn sonst bezeichnen?“ „Einfach eine Auszeit. Vielleicht ändert sich doch etwas und wir finden wieder zueinander.“ „Das bezweifle ich. Dein Satz neulich war doch der eindeutige Beweis dafür, dass du mich nicht akzeptierst.“ Sie schwieg wieder. „Das stimmt nicht ganz. Ich weiß, dass ich dir Unrecht getan habe und es tut mir leid. Aber du musst auch zugeben, dass du nicht immer ganz einfach bist oder?“ „Das ist richtig, aber irgendwie kapiere ich jetzt überhaupt nichts mehr.“ Ihr tat es leid? Ich wüsste nicht, wann sie das oder einen ähnlichen Satz zu mir gesagt hatte. Musste wohl schon lange her sein. „Wir beide hatten es in den letzten Jahren nicht gerade leicht, aber ich will nicht, dass wir im Streit auseinander gehen.“ „Warum willst du denn unbedingt weg? Was wird dann mit Johanna? Naja von mir will ich besser gar nicht erst reden.“ Meine Mum seufzte. „Ich dachte vielleicht, dass sie bei dir in guten Händen ist. Wenn sie will, kann sie ja auch zu deinem Vater ziehen.“ Plötzlich standen ihr die Tränen in den Augen und dieser Anblick erweichte meine Gefühle. Es schien noch einen anderen Grund zu geben, weshalb meine Mum weggehen wollte. Vor ihr auf dem Tisch lag ein Buch, das in Leder eingebunden war. Sie spielte die ganze Zeit damit herum. Doch irgendwie hasste ich sie auch, weil sie weggehen wollte. Hatte sie mir nicht schon genug Leid zugefügt? Meinem Vater konnte ich nicht vertrauen, aber ihr manchmal schon und auch, wenn unser Verhältnis ziemlich gestört war, war sie immer noch meine Mum. „Lukas, ich habe in der ganzen Zeit, in der ich mit deinem Vater zusammen war Tagebuch geführt. Normalerweise bin ich nicht der Mensch, der Ereignisse aufschreibt, aber ich möchte, dass du es liest. Denn danach kannst du mich vielleicht besser verstehen. Ich werde mich bei meinen Eltern in Schottland eine Weile zurückziehen…. Das ist ja noch nicht aus der Welt.“ „Ich weiß nicht ob ich das schaffe“, sagte ich leise mit belegter Stimme und schob meine Hände vors Gesicht. „Das denke ich schon…du bist doch ein großer Junge. Und mal ehrlich, hast du dir nicht immer gewünscht. Dass ich mal weggehe?“ „Wie kannst du sowas nur fragen? Gut manchmal vielleicht schon, aber ich gab die Hoffnung nie auf, dass sich unser Verhältnis irgendwann doch bessert. Doch scheinbar ist das nur der unreale Traum eines kleinen Jungen…hast du dich jemals gefragt, wie es mir geht und was ich fühle?“ Schweigend senkte meine Mum den Blick. „Du wirktest immer so stark und unnahbar…immer hast du dein Ding durchgezogen und ich dachte, du seist zufrieden.“ Ich stützte meine Ellenbogen auf die Tischplatte. „Du hast dir nicht mal die Mühe gemacht mit mir zu reden und meine Versuche auf dich zuzugehen, hast du abgewiesen. Deine Worte gestern…ich habe schon verstanden. Ja,  hau nur ab…ich komm schon irgendwie klar.“ Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich sie doch irgendwie brauchte und mir meine Mum nicht egal war. Ich wollte nicht, dass sie ging. „Ich bleibe ja nicht ewig und vielleicht tut uns Abstand mal gut. Was ist los mit dir? Sonst meisterst du doch auch immer alles und dir ist es egal ob ich weg bin oder nicht.“ Ich biss mir heftig auf die Unterlippe und sah sie an. „Du willst es nicht verstehen oder? Trotz der Streitereien war mein Verhältnis immer besser zu dir als zu Papa…ich bin nicht so stark wie du denkst…das alles geht nicht einfach so spurlos an mir vorbei und ich kann dir nicht versprechen, dass ich klar komme.“ Sie seufzte und strich durch meine Haare. „Wie gesagt, es ist ja nicht lange. Wir können ja auch jederzeit telefonieren. Bitte, gönne mir diese Pause Lukas.“ Ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte. Der Drang in mir, das Tagebuch meiner Mum zu lesen, wurde immer größer. Denn darin schien irgendetwas Geheimnisvolles zu stehen. „Mein Flug geht in anderthalb Stunden.“ „Soll ich dich zum Flughafen begleiten?“ Die Tränen liefen ihr jetzt über die Wangen und sie lächelte schwach. „Würdest du das wirklich machen?“ „Schätze schon.“ Sie stand auf und nahm mich in die Arme und ich hatte auf einmal das Gefühl, als ob eine Kette von meinem Herz platzt. Ich genoss diesen Moment. Wir nahmen uns ein Taxi und fuhren zum Flughafen. Ich persönlich habe ja nichts gegen das Fliegen, aber meine Mum hatte furchtbare Angst davor. Ich umarmte sie nochmals und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich glaube nachts fliegen ist besser, da sieht man nicht so viel. So ich muss los, es ist gleich um zehn.“ „Melde dich mal, wenn du gut angekommen bist. Und grüße Oma und Opa.“ Ich winkte ihr nach, bis sie in den Menschenmengen verschwunden war. An diesem Abend las ich das komplette Tagebuch und war schockiert. Schockiert darüber, was darin stand. Es klang alles eher nach einem bösen Horrorfilm. Konnte das wirklich mein Vater sein? Doch schien das alles irgendwie glaubwürdig zu sein. Mein Vater war ein Tyrann und er hatte meine Mum unterdrückt, wo es ging. Oft ist er sogar hangreiflich geworden, wenn sie ihm nicht gehorchte. Und er hat sie sogar gegen ihren Willen gezwungen, mit ihm zu schlafen. Ich konnte mich noch genau an eine Szene in meiner Kindheit erinnern. Es musst nach einem Streit zwischen meinen Eltern gewesen sein. An der Wand waren Blutspritzer, ein zerbrochenes Glas lag auf dem Fußboden und eine leere Flasche Wein stand auf dem Tisch. Ich hörte noch jetzt die Schreie meiner Mum und entwickelte Hass für meinen Vater. Da es schon ziemlich spät war, schlief ich ein und erwachte erst wieder, als es hell wurde und die Sonne in mein Zimmer schien. Hoffentlich war meine Mum gut angekommen. Ich schaltete den Fernseher an und zappte durch die Programme. Es war gerade um eins und sie brachten auf vielen Sendern Nachrichten. „Ein Flugzeug von der Reisegesellschaft Air Berlin ist heute Nacht über der Nordsee abgestürzt. Der Flug sollte nach Edinburgh gehen, doch auf Grund eines Motorschadens verlor der Pilot die Kontrolle und stürzte ab. Noch bevor das Flugzeug mit dem Wasser in Berührung kam, explodierte es in tausend kleineTeile. Überlebende gibt es nicht.“ Ich saß da, wie gelähmt. Mein Körper zitterte und ich starrte wie hypnotisiert auf den Bildschirm, wo sie mehrere Male die Explosion wiederholten. Ich wusste nicht, was ich jetzt denken oder machen sollte. Wie oft wurde in den Medien von Flugzeugunglücken gesprochen? Doch nun betraf es auch mich, mich, an dem solche Dinge sonst vorbei rauschten. Und jetzt? Gestern war doch noch alles so schön gewesen. Mein Herz pochte heftig. Vielleicht war es ja doch ein anderes Flugzeug gewesen? Ich rannte ans Telefon um mich zu vergewissern. Doch es handelte sich um das Flugzeug, das gestern um zehn gestartet ist. Man teilte mir mit, dass dieses Flugzeug wahrscheinlich einen Motorschaden hatte. Wie konnte denn sowas passieren? Ich war wütend auf diese bescheuerte Flugzeuggesellschaft und auf meinen Vater. Erst jetzt merkte ich, dass ich weinte. Ich ließ mich auch die Stufen sinken und jetzt spürte ich, wie sehr ich meine Mum wirklich liebte. Der Schmerz saß tief in meiner Brust. Eigentlich hätte ich heute Nachmittag noch zum Sportunterricht in die Schule gemusst, jedoch blieb ich zu Hause. Da hörte ich, wie sich das Schloss in der Tür herumdrehte. Meine Schwester kam gerade aus der Schule. Als sie mich sah, kam sie auf mich zugerannt und fragte, was los sei. Ich konnte ihr keine Antwort geben, weil ich es eigentlich gar nicht glauben wollte. „Mach Hausaufgaben. Vielleicht erzähle ich es dir später.“ Ich musste raus, unbedingt. Nur weg. Ich traf Jule, Nici und all die anderen im Club. Nici hatte für sich beschlossen mich nicht gehen zu lassen und tat als wäre damals beim Zelten nichts passiert. Mir war das irgendwann zu blöd und ich beschloss sie machen zu lassen, bis sie irgendwann von allein ging. Meine Freundin stürmte gleich auf mich zu. „Hey, wo warst du denn gestern auf einmal hin?“ „Zu Hause.“ Ich gab ihr einen flüchtigen Kuss und setzte mich dann auf die Couch. Nici zog mich jedoch am Ärmel zurück. „Ist was passiert?“ Ich schüttelte den Kopf, weil ich beschlossen hatte mit niemandem darüber zu reden. Ich war mir aber auch im Klaren, dass Nici mir nicht glaubte, aber das war mir egal. Ich konnte nicht darüber reden. „Lukas, bitte sag es mir. Ich sehe es dir doch an.“ Ich versuchte zu lächeln. „Es ist nichts.“ Sie ließ mich los und ich setzte mich zu den anderen und rauchte eine Zigarette. Flo schien auch ein bisschen geknickt zu sein und hielt mir seinen Joint hin. Nici sah mich entsetzt an, aber das störte mich im Moment nicht. Die Mischung war ganz schön stark, deshalb schwankte ich leicht, als ich aufstand und mir ein Bier holte. Jessica unterhielt sich sehr angeregt mit Chris und Yvonne saß daneben und hörte zu. Ich trank sehr schnell aus und ging an die frische Luft. Nici kam gleich hinterher. Sie war aufgebracht. „Hast du dich wieder mit deiner Mutter am Arsch, dass du jetzt wieder den Scheiß nehmen musst.“ Ja, das war das richtige Stichwort, Dankeschön. Ich versuchte mich zusammenzureißen. „Ich hab doch gesagt, dass nichts ist“, fauchte ich sie an. „Lukas, du kannst mich nicht verarschen.“ „Dann nicht. Okay, du hast Recht, aber ich kann nicht drüber reden, nicht jetzt. Ich gehe noch ne Runde spazieren. Lass mich mal nen Moment alleine, okay? Is echt nich böse gemeint.“ Sie sah mich vorwurfsvoll an, ähnlich, wie meine Mum immer und jetzt musste ich mir heftig auf die Unterlippe beißen. „Ja. Sehen wir uns heut noch mal?“ „Keine Ahnung.“ Sie nickte und gab mir einen Kuss. Eigentlich hatte ich nicht die geringste Ahnung, wohin ich wollte. Ich lief langsam und traurig durch zahlreiche Straßen und Gassen von Berlin. Mir war auch nicht kalt, obwohl es windig war. Ich kam an eine Stelle Berlins, wo ich noch nie gewesen bin. Es war sehr ruhig und überall standen leere Lauben mit verwilderten Gärten davor. Diese Gärten müssen einmal sehr schön und groß gewesen sein. Ich machte an einer Laube halt, die mir besonders gut gefiel. Ich kletterte aufs Dach, ließ die Füße herunter baumeln und legte mich hin, um den Himmel zu beobachten. Erst jetzt musste ich anfangen zu heulen. Ich hatte meine Mum wirklich geliebt, mehr als das. Sie war ein wunderbarer Mensch gewesen und jetzt ist sie einfach weg. Ich hatte mir nie ein Leben ohne sie vorstellen können. Die Sonne ging langsam unter und der Himmel tauchte alles in ein rot- orange, eine warme Farbe. Ich wusste nicht, wie alles jetzt weitergehen sollte. Morgen war Dienstag und ich würde ganz normal zur Schule gehen, wie sonst auch. Nachmittags, wenn die Schule aus war, würde ich nach Hause kommen. Manchmal war meine Mum auch da gewesen und hatte sogar Mittag für Johanna und mich gekocht. Nun musste ich das wohl immer selbst erledigen. Ich wollte mir morgen nichts anmerken lassen, weil ich es nicht ertragen würde, wenn mich meine Freunde oder Klassenameraden mit Fragen löcherten. Denn was sollte ich ihnen sagen? Vermutlich würde es aber auch nicht weiter auffallen, denn immerhin war ich schon immer der mürrisch gelaunte Grufti, der keinen an sich ran ließ und dem alles egal zu sein schien. Ich wollte nicht, dass jemand hinter meine Fassade schauen konnte, denn das würde bedeuten ich musste Schwäche zeigen und ich wollte nie wieder Schwäche zeigen. Hätte ich das früher erkannt, wäre meine Mum vielleicht noch am Leben oder zumindest nicht so verzweifelt gewesen, dass sie zu ihren Eltern nach Schottland hatte fliegen wollen. Vielleicht hätte ich mit ihr reden sollen, um ihr zu sagen, dass ich es ohne sie nicht schaffe, ich sie brauche. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und heulte. Aber da fiel mir Jojo ein. Meine kleine Schwester. Musste ich nicht ihretwegen stark sein? Und schaffte ich das überhaupt? Es wurde schon dunkel und ich beschloss wieder zurück in den Club zu gehen, sonst würden sich die andere noch Sorgen machen. Ich nahm einen kürzeren Weg, aber diesen Ort musste ich mir merken. Er war so wunderschön. Ich durchwühlte meine Manteltasche und holte meine Zigaretten heraus. Verdammt, auch die waren wieder erheblich weniger geworden. Ich kam zufällig an einem Tabakgeschäft vorbei und kaufte mir zwei neue Schachteln. Nici war noch da. Mein Rucksack stand auch noch hier. Ich holte mein zweites Bier heraus und setzte mich in den Sessel. Keiner sagte ein Wort. „Ist irgendwas? Soll ich wider gehen?“, fragte ich. Jessica gab mir zur Antwort: „Nein, es ist nicht wegen dir. Nur Flo Jenny und Malen haben sich gerade vor circa einer viertel Stunde mächtig am Arsch gehabt. Gut, dass du nicht dabei warst. Flo ist jetzt mit Tim weggegangen, Malen hat sich in den Toiletten eingeschlossen und Jenny ist heulend nach Hause gerannt.“ Na ein Glück nichts wegen mir. Ich stand auf, gab Nici einen Kuss und ging zu den Toiletten. Ich hörte ein leises wimmern aus der ersten Tür. Ich klopfte zaghaft an der Tür. „Lasst mich doch alle in Ruhe“, ertönte eine Stimme von drinnen. „Ich bin’s Malen, mach bitte die Tür auf.“ „Lukas?“ „Ja Lukas. Würdest du jetzt bitte freundlicherweise die Tür öffnen?“ Ich hörte, wie Malen vom Fußboden aufstand und vorsichtig den Schlüssel herum drehte. Dann kam sie wie ein Gespenst aus der kleinen Zelle heraus. „Haben die da draußen dich geschickt?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nein. Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht. Jessica hat mir erzählt, was passiert ist.“ Sie sackte wieder in sich zusammen und fing erneut an zu weinen, ich konnte sie gerade noch festhalten. „Möchtest du mir vielleicht selbst noch mal genauer erzählen, was da eigentlich vorgefallen ist?“ Ich nahm Malen an der Hand und wir gingen in den Vorraum der Toiletten, wo sich ebenfalls eine kleines Sofa und ein Tisch befanden. Hier war es wenigstens warm. „Hast du mal eine Zigarette für mich?“ Ich gab ihr eine und holte noch schnell einen Aschenbecher von draußen, dann begann Malen mir alles zu erzählen. „Weißt du, ich habe mich echt richtig gut mit Flo unterhalten und es hat auch ganz schön zwischen uns gefunkt. Naja und dann ist Jenny gekommen, sie wollte noch mal mit Flo reden und als sie uns da so auf der Couch gesehen hat, ist sie total ausgeflippt. Sie hat mich als Hure und Schlampe beschimpft und das hat Flo nicht gepasst. Wahrscheinlich wegen der Sache die beim Zelten passiert ist. Die beiden haben sich dann echt heftig gestritten, haben sich alles Mögliche an den Kopf geknallt und dann ist Jenny heulend weggerannt. Flo war ziemlich am Boden und hat sich mit Tim verzogen, jedoch weiß ich auch nicht wohin. Ach es war einfach so schlimm, ich fühle mich jetzt dafür verantwortlich, dass das zwischen Flo und Jenny vorgefallen ist.“ Sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter, ich nahm ihre Hand und streichelte diese. „Du brauchst dich nicht schuldig zu fühlen, so was kann man nun mal schlecht vermeiden. Eifersucht gibt es in jeder Form Malen, und glaub mir, Flo kommt bestimmt wieder, weil ihm wirklich viel an dir liegt.“ „Wo warst du eigentlich so lange, Nici hat dich ja gesucht. Wie konnten aber nichts aus ihr herausbekommen, als sie wiederkam.“ Ich atmete tief durch. „Ich war noch eine Runde spazieren.“ Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, jedoch schluckte ich diese herunter, weil ich Malen nicht noch mehr zumuten wollte. Sie war im Moment ziemlich am Boden, außerdem wollte ich auch nicht, dass mich jemand bemitleidete. Wir saßen eine Weile schweigend da, bis sich die Tür öffnete und Flo hereinkam. Er lächelte mich nur schwach und anhand seiner geröteten Augen wusste ich sofort, was er mit Tim gemacht hatte. Ich stand auf und bot Flo den Platz neben Malen an. Er setzte sich und legte den Arm um ihre Schulter. Sie lehnte sich bei ihm an und so saßen sie da. Bevor ich die beiden allein ließ, fragte ich Flo noch: „Ist Tim auch wieder da?“ „Mhh. Er wartet schon auf dich.“ Ich wandte den Zweien den Rücken und ging zurück in den eigentlichen Clubraum, wo noch immer eine gedrückte Stimmung herrschte. Tim und Nici saßen nebeneinander, ich legte meine Arme um sie. Sie gab mir einen Kuss. Ich wusste, dass Tim noch mal mit mir reden wollte und so schnappte ich meinen Rucksack und meinen Mantel und forderte ihn zum Gehen auf. Nici kam auch mit. Die anderen sahen uns mit wehmütigen Blicken nach. Bei Tim zu Hause war weit erfreulichere Stimmung.  Amy krabbelte munter auf dem Fußboden herum. „Hallo ihr zwei Süßen. Wieder alles in Ordnung bei euch, wie ich sehe!“, erkundigte sich Alex bei Nici und mir. „Ja klar.“ Tim tänzelte mit seiner Tochter im Arm um Alex herum, worauf die kleine Amy ein fröhliches Quieken von sich gab. Er gab die Kleine Alex und ich ging mit ihm ins Wohnzimmer. Er bot mir ein Glas Whiskey an, welches ich mit einem Schluck leerte. Er schenkte noch mal nach. Ich zündete mir eine Zigarette an und lehnte mich zurück. Diese freudige Stimmung hier zog mich nur noch mehr runter. Hier spielte sich das idyllische Familienleben ab, das ich nie hatte und jetzt auch nie mehr haben würde. Ich leerte mein Glas und füllte es ein drittes Mal. Dann schnappte ich ein bisschen frische Luft auf dem Balkon. Drinnen hörte ich Tim und Nici tuscheln, sie stellten Vermutungen an, was mich bedrücken könnte. Natürlich war ihr erster Gedanke, dass ich Stress zu Hause hatte und Tim verglich meine mit seiner Geschichte, dass mich meine Eltern rausgeschmissen hätten, so wie es seine damals mit ihm taten. Ich konnte nicht länger zuhören und mich nervte es, dass Tim so redete, wenn er die Wahrheit nicht kannte. Allerdings hatte ich auch keine Lust zu erzählen, was vorgefallen war. Ich setzte mich wieder auf die Couch, ließ die Tür vom Balkon aber einen Spalt breit offen. Wann hatte ich eigentlich das letzte Mal etwas gegessen? Heute morgen? Ich verspürte aber auch keinen Hunger. „Nici hat gesagt, dass dich etwas bedrückt?“, stellte Tim mit Neugier in der Stimme fest. „Es ist zu krass. Ich will mich jetzt einfach nur betrinken.“ Tim legte seinen Arm um meine Schulter, jedoch schüttelte ich ihn ab. „Ich mach mit. Aber meinst du nicht, dass es dir besser geht, wenn du mit mir darüber redest?“ „Nee“, gab ich kurz und knapp zur Antwort. Dann schaltete Tim den Fernseher an. Ich verschwand wieder auf dem Balkon, weil ein zweites Mal konnte ich das nicht sehen. Meine Arme stützte ich auf das Geländer und vergrub mein Gesicht in den Händen. Meine Wangen wurden feucht von den Tränen. Nici war mir gefolgt und legte ihre Hand auf meine Schulter. Ich schüttelte mit dem Kopf und zwängte mich an ihr vorbei. Ich beschloss mich an Tims Drogenschrank zu bedienen. Mir fiel dieses weiße Tütchen in die Finger und ich brachte es zu ihm. Mir war gerade völlig egal, ob Nici anwesend war. „Tim, was is das?“ Mein Freund zog die Augenbrauen hoch. „Speed.“ „Super, das passt ja perfekt zum Whiskey.“ Endlich bekam Nici ihren Beweis, dass ich ein kaputter Mensch bin. „Ist das dein Ernst Lukas“, fuhr sie mich an. Ich nickte, zog das weiße Pulver durch die Nase und versank nun mehr in meine trostlose Stimmung, als ich zurück an die frische Luft kehrte. „Du weinst ja…gib mir nur einen Tipp, ich mache mir echt gerade Sorgen um dich.“ Sie wollte mich umarmen, doch ich stieß sie weg und rauchte noch eine Zigarette. „Da gibt’s keinen Tipp…es is eben was, worüber ich nicht reden will, kapiert?“ An ihrem Gesichtsausdruck merkte ich, dass sie eingeschnappt war, aber das interessierte mich gerade gar nicht. Auch Tim fragte mich zum tausensten Mal, was mit mir los sei. Das wurde mir zu viel und ich schnappte meine Sachen. Nici folgte mir und lief neben mir her, wie ein kleiner Hund. Ich nickte nur stumm, als sie mich fragte, ob sie noch mit zu mir kommen konnte. Zu Hause erwartete mich mein Vater, auch das noch. Ich warf ihm einen wütenden Blick zu und er wollte mir sein Beileid aussprechen. „Als ob dich das interessiert!“, zischte ich. „Selbstverständlich. Mir hat deine Mutter sehr viel bedeutet.“ In mir fing es an zu brodeln und es schien so, als ob ich mir meine ganze Kraft für dieses Gespräch aufgespart hatte. „Wenn du sie nicht so mies behandelt hättest, wäre sie nie auf die Idee gekommen nach Schottland zu fliegen…“ „…ach, willst du mich jetzt für ihren Tod verantwortlich machen? Dein Verhalten deiner Mutter gegenüber war auch nicht gerade das Beste“, unterbrach er mich und leider musste ich ihm da zustimmen. „Aber ich habe sie nie geschlagen oder zu Dingen gezwungen, die sie nicht wollte“, fuhr ich ihn an. Darauf erwiderte er nichts und blinzelte mich verärgert an. Ich beendete das Gespräch abrupt und knallte meine Zimmertür. Nici zuckte leicht zusammen. Jetzt wusste sie endlich, was los war, doch ich ignorierte sie und ließ mich auf mein Sofa sinken. Auf meinem Tisch stand noch eine angefangene Flasche Wein, von der ich einen großen Schluck trank. Ich spürte Nicis Blick auf mir ruhen und das machte mich wahnsinnig. „Schau mich nicht die ganze Zeit an…es ist ohnehin besser du gehst jetzt. Was passiert ist weißt du ja nun.“ „Und du vergräbst dich jetzt in deinem Zimmer und besäufst dich oder wie?“ „Nici…mein Mum ist gerade gestorben! Meinst du, das steck ich so einfach weg?“ „Dann lass mich für dich da sein.“ „Ich wäre lieber alleine…“ Sie verdrehte die Augen und wollte mich umarmen, doch mein Körper versteifte sich. „Warum nicht? Ich möchte dir helfen….ich bin deine Freundin, aber du willst mich nicht…was ist so falsch an mir?“, startete sie einen neuen verzweifelten Versuch zu mir durch zu dringen. Doch mit dieser Masche erreichte sie genau das Gegenteil. „Ich will deine beschissene Hilfe aber nicht! Ich bin kein verficktes kleines Kind, das dauernd umsorgt werden muss! Deine Art kotz mich einfach an Nici…geh einfach…“ Auf einmal lächelte sie traurig. „Kann sie für dich da sein?“ Ich wusste erst gar nicht, was sie meinte und zog verwundert die Stirn in Falten. „Sie?“ „Tue nicht so blöd…die Tussi, die du neben mir noch flachlegst…“ Das war zu viel. Viel zu viel. Ich riss mein Fenster auf und hockte mich auf die Fensterbank. Sie verletzte mich mit Absicht anstatt für mich da zu sein. „Sollte dir zu denken geben, wenn ich nebenher noch was am Laufen hab…“, schoss ich zurück. „Du kannst echt eklig sein…“ „Danke, das waren genau die Worte, die ich jetzt hören wollte!“ Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand. Als es halb zehn war, machte ich mich auf den Weg zum Kino. Jojo und Eileen würden jetzt sicher guter Laune sein und grübelte den ganzen Weg über, wie ich Jojo beichten könnte, dass unsere Mum tot ist. Ich rauchte eine nach der anderen, weil ich wiedermal erheblich unter Stress stand. Ich wusste nicht, wie der Abend heute noch ablaufen würde. Ich war wirklich am Boden zerstört und zu tiefst deprimiert. Jojo und Eileen warteten bereits auf mich und ich hörte beide schon von weiten lachen. Jojo kam auf mich zugerannt, sprang mich an und überhäufte mich mit Küsschen. Ich musste ein bisschen lächeln. „Na, war es schön?“, fragte ich so, als wäre nichts passiert. „Ja. Der Film war wirklich zum kaputtlachen. Wir sind aber total geschafft. Ich glaube, ich gehe gleich ins Bett, wenn wir nach Hause kommen.“ Ich konnte ihr es jetzt nicht einfach sagen. Nicht jetzt, wo sie so voller Lebensfreude und für jeden Spaß zu haben war. Doch was war, wenn sie unsere Mum nicht zu Hause auffinden würde? Jojo und Eileen erzählten mir, wie toll alles gewesen ist und ich versuchte mich mit ihnen zu freuen, was jedoch kläglich scheiterte. „Du Jojo ich muss dir noch was sagen.“ Wir blieben stehen und sie sah erwartungsvoll zu mir herauf. Ihr Blick war so unschuldig und wenn ich daran dachte, dass ihre Augen diesen Glanz verlieren würden, ertrug ich das nicht. „Was denn?“ Ich biss mir heftig auf die Unterlippe und rang mir ein gequältes Lächeln ab. „Schon gut. Ich hab dich lieb.“ Klaus stand im Flur gerade mit unserem Dad und redete mit ihm, wie es wohl weitergehen sollte. Ich zog meine Schwester an den beiden vorbei, hinauf in mein Zimmer. „Was bereden Papa und Klaus?“ „Papa will wieder in unser Haus ziehen.“ Meine Schwester schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Aber warum das denn? Die andere Wohnung ist doch für uns viel zu klein. Oder willst du etwa ausziehen?“ Ich schluckte den Kloß im Hals runter und schüttelte mit dem Kopf. „Was ist es denn? Ist was passiert?“ Wieder nickte und merkte, wie meine Augen glasig wurden. „Mama hatte einen Unfall…“ Meine Stimme klang erstickt und kratzig. Jojos Augen weiteten sich. „Mit dem Flugzeug?“ Ich nickte und ließ mich aufs Bett plumpsen. Jojo kroch auf meinen Schoß. „Ist ihr etwas passiert?“ „Das Flugzeug ist abgestürzt und keiner hat das überlebt. Wir müssen jetzt stark sein meine Kleine.“ Plötzlich fing sie fürchterlich an zu weinen und ich konnte sie noch nicht mal richtig trösten, da ich selbst gegen die Tränen ankämpfte. Mein Dad kam in mein Zimmer. „Na ihr zwei. Lukas wir haben jetzt einen Beschluss gefasst. Da das Haus hier ziemlich groß ist, will Klaus in unsere kleine Wohnung ziehen und ich mit Sonja und Jennifer wieder hierher.“ Ich sah ihn nur an. „Ist okay. Und wann?“ „Übermorgen. Morgen wollen wir schon mal alles umräumen, sodass wir dann übermorgen einziehen können.“ Ich nickte stumm. Mein Dad strich Jojo über die Haare. „So, ich muss erst mal wieder zurück. Wir sehen uns dann morgen. Bis dann.“ „Bis dann und grüße Jenny und Sonja.“ Ich fand das war ein vernünftiger Vorschlag. Jojo lag noch immer in meinen Armen und weinte. „Soll ich dich jetzt ins Bett bringen?“ „Ja.“ Ich ging mit ihr ins Bad und wartete, bis sie sich die Zähne geputzt hatte. Dann begleitete ich sie noch auf ihr Zimmer. „Hast du deine ganzen Hausaufgaben für morgen fertig?“ „Ja hab ich heute schon in der Schule gemacht, weil wir vor der 7. und 8. Eine Freistunde hatten.“ „Ist gut. Schlaf dich aus meine Süße.“ Ich gab ihr noch einen Kuss auf den Mund und ging dann in mein Zimmer rüber. Ich suchte meinen kleinen schwarzen Rucksack, wo sich noch etwas Gras befand. Nach ein paar Minuten suchen wurde ich fündig. Fast mechanisch drehte ich den Joint zusammen und versuchte an nichts zu denken. Nicht daran, dass meine Mum tot war. Nicht daran, dass mit Nici alles immer komplizierter wurde und nicht daran, dass ich meine Gefühle für Juka vielleicht langsam ernst nehmen sollte. Was würde jetzt werden? Mit meinem Dad wieder unter einem Dach. Noch mehr Gewalt und Erniedrigungen. Doch jetzt war keiner mehr da, der sich ab und an doch Mal auf meine Seite schlug, außer Jojo vielleicht. Nici startete an diesem Abend einen weiteren Versuch mich zu erreichen, doch ich ging nicht ran und antwortete auch nicht auf ihre SMS, die im Anschluss folgte. Ich machte mir nicht mal die Mühe diese überhaupt erst zu lesen, denn den Inhalt konnte ich erahnen. Noch mehr entschuldigende und bemitleidende Worte, mit denen sie mich versuchen wollte aufzubauen. Aber ich wollte sie nicht lesen oder hören. Mit angezogenen Beinen hockte ich mich ans offene Fenster und aschte ab. Jetzt wäre vielleicht der Zeitpunkt gewesen, an dem sich das Blatt hätte wenden können. Meine Mum hatte mir ein Friedensangebot unterbreitet, das ich auch angenommen hätte. Scheißdreck! Ob das der Rettungsanker gewesen wäre? Zu spät. Warum musste ich auch so stur sein und hatte mir jegliche Versöhnungschancen zuvor verbaut? Ich schluchzte und der Schmerz schnürte meine Brust zu. Langsam drehte ich meinen Kopf und schaute mich suchend auf dem Nachttisch um, bis meine Augen an dem kleinen Metallding stoppten. Meine Hand griff fast automatisch danach und die Rasierklinge durchfuhr meine Haut. Wieder und wieder und wieder. Mein Unterarm wurde fast taub vor Schmerz. Mit einer gewissen Faszination verfolgte ich den Weg der Blutspur, die meinem Arm hinab rann und auf die weiße Fensterbank tropfte. Dann überkam mich dieses Déjà-vu, denn fast genauso hatte ich hier am offenen Fenster gesessen, als alles aussichtslos erschien. Der Streit damals mit meiner Mum, die mich aus dem Gefängnis abholen musste und Juka mich hier besuchte. Mich überkamen Selbstmordgedanken, doch er hielt mich davon ab, wir hatten unglaublichen Sex und dieses Gefühl warf mich gänzlich aus der Bahn. Ich heulte, denn diese Baustelle schien ebenso eine weitere unfertige Lücke in meinem Leben zu bleiben. Wie auch sollte das mit Juka jemals funktionieren und wie zur Hölle konnte ich auch nur im Entferntesten daran glauben, dass er mich wollen würde. Ich, der kleine dumme unerfahrene Junge. Juka hatte viel mehr Erfahrung als ich und hatte sich keinen Bock sich mit einem Neuling wie mir zu begnügen. Endlich stoppte die Blutung und ich tupfte das Blut mit einem Taschentuch ab. Shit, ich hatte doch echt tief in die Haut geschnitten. Sollte besser verbunden werden. Ich legte mich rücklings auf‘s Bett und rauchte noch eine Zigarette. Meine Hände ließ ich dann auf meinem Bauch ruhen. Wie oft hatte ich mich schon mit dem Thema Tod auseinandergesetzt? Nici und Tim waren dem Sensenmann nur knapp entronnen, doch meine Mum nicht. Ich fühlte mich so hilflos ohne Mutter. Brauchte man eine Mutter nicht zum Leben? Und wie würde sich meine Schwester erst fühlen, wenn es schon mir so miserabel ging? Hatte Jojo realisiert, dass unsere Mum tot war? Stumme Tränen rannen über meine Wangen und ich wusste nicht, wie es ohne meine Mum weitergehen sollte. Als ich irgendwo in der Ferne eine Kirchturmuhr zwei schlagen hörte beschloss ich endlich pennen zu gehen. Ich war wütend auf mich selbst, weil ich mich so oft mit meiner Mum gestritten hatte und nicht mehr schöne Stunde mit ihr erleben konnte. Ich blickte hinauf in den Sternenhimmel, bevor ich das Fenster schloss und noch eine letzte Räucherkerze anzündete, damit der Zigarettengeruch verschwand. Ich war fast ohnmächtig von den Schmerzen meines pochenden Armes geworden und nun ließ ich mich erschöpft in die Kissen sinken. Meinen Wecker stellte ich selbstverständlich auf um sieben. Die Digitaluhr zeigte 3:00. Naja wenigstens noch vier Stunden Schlaf. Ich versuchte eine halbwegs bequeme Schlafhaltung zu finden, in der mein Arm nicht belastet werden konnte und schloss meine Augen. Ich erschrak furchtbar, als mein Wecker klingelte. Einen Moment Ruhe gönnte ich mir noch, dann quälte ich mich aus meinem gemütlichen, warmen Bett. Mein Arm tat immer noch mörderisch weh und ich wechselte den Verband. Doch mit der Zeit ging es. Ich trank wie jeden Morgen eine Tasse Kaffe, etwas zu Essen bekam ich heute nich runter. Jojo, die Glückliche hatte heute zwei Stunden später Unterricht. So müsste es uns auch mal gehen. Flo kam früher als sonst und so nahm ich ihn noch mal mit in die Wohnung. „Süßer, du siehst fertig aus. Als ob du die halbe Nacht kein Auge zu gemacht hättest!“ „So ähnlich“, sagte ich trocken. Wir machten uns nun auf den Weg in die Schule. „Willst du nich zu Hause bleiben? Oder wir machen uns irgendwo nen schönen Tag?“ „Nee passt. Ich schaff das schon. Was hast du gestern noch gemacht?“ „Na gut. Ich war gestern noch bis halb eins bei Malen. Meine Alte hat voll den Raster bekommen, als ich nach Hause kam.“ „Na da muss es ja sehr spannend bei euch gewesen sein. Weißt du, ob Nici gestern noch mal im Club war?“ „Ja mal kurz, aber ist dann gleich wieder gegangen. Warum ist schon wieder was passiert?“ „Nee, frag nur so. Is auch egal.“ Flo merkte, dass mich irgendwas bedrückte, denn so gut kannte er mich. „Was’n mit deinem Arm passiert?“ „Selbstzerstörung und so.“ „Verstehe, muss aber ganz schön tief sein, wenn du nen Verband dafür brauchst.“ Ich nickte stumm und Flo fragte auch nicht weiter, war auch besser so. Doch dann zog er mich in seine Arme und ich biss mir heftig auf die Unterlippe, um nicht schon wieder zu heulen. Mein bester Freund strich mir sanft über den Rücken und dann brach meine Fassade doch. „Flo…meine Mum…sie saß in dem Flug-zeug, was gestern abgestürzt is…“, schluchzte ich und er hielt mich fest. „Das tut mir so leid mein Schatz…ich bin für dich da…“ Flo reichte mir ein Taschentuch, mit dem ich mir meine Tränen trocknete. Ich steckte mir eine Zigarette an. Vielleicht schwänzte ich Sport heut einfach, ich hatte heute absolut keine Lust auf mein Lieblingsfach. Yvonne, Jessica und Christin standen vor dem Tor, das zum Schulhof führte und kicherten über irgendetwas. Dämliche Mädchen. Flo und ich begrüßten die drei und blieben auch noch einen Moment vor dem Tor stehen. „Ich hatte gehofft, dass du gestern noch mal wiederkommst? Aber nein“, sagte Jessica zu mir. Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. „War bei Tim und bin dann nach Hause gegangen.“ „Bist heut wieder sehr gesprächig.“ „Hab scheiß Laune. Was dagegen?“ „Tut mir leid.“ Mir war das zu blöd hier und ich gab Flo ein Zeichen, mit mir ins Schulgebäude zu kommen. „Wahrscheinlich hat er wiedermal Stress mit Nici. Also, wenn du mich fragst, hält das zwischen den beiden ehe nicht mehr lange“, rief sie mir nach. Flo schaute mich auch mit einem Grinsen auf dem Gesicht an. „Ey die Alte kapiert es nie, dass sie einfach keine Chance bei dir hat oder?“ „Ich finde das alles nur lächerlich. Doch das Schlimme ist ja, Jessica merkt das ja noch nich mal.“ Die Drei kamen kurz nach uns zum Klassenraum. „Übrigens Jess…wenn dir dein Leben lieb is, geh mir aus dem Weg.“ Ihr Gesicht lief knallrot an und ich glaube, sie bereute, was sie gesagt hatte. Ich wandte mich wieder Flo und den anderen Jungs aus unserer Klasse zu. Das heißt nur mit denen, die wir auch mochten. Kevin gehörte jetzt auch dazu. Der Neue stand etwas abseits von uns. Er schien ganz in Ordnung zu sein, jedoch traute er sich wahrscheinlich nicht so richtig mit dem einen oder anderen von uns ein Gespräch anzufangen. Wir wussten, dass er Michael hieß und noch eine Schwester in der Parallelklasse hatte, die jedoch noch keiner von uns ausfindig gemacht hatte. Es klingelte bereits das zweite Mal und unser Deutschlehrer Herr Stoldt eilte herbei. Wir setzten uns alle an unsere Plätze und packten unsere Deutschsachen aus. Michael saß auf der Bank vor Basti. Basti saß mit Kevin vor Flo und mir. „Lukas, komm doch bitte mal vor.“ Ich zuckte leicht zusammen, weil ich gerade mit Flo geschwatzt hatte. Ich stand auf und schlurfte vor zum Lehrerpult. „Ja Herr Stoldt.“ „Gehst du mal bitte hoch ins Sekretariat und kopierst dieses Arbeitsblatt 24 Mal.“ Er gab mir ein Blatt und erhaschte einen kurzen Blick auf den Verband auf meinem Arm. In der Klasse machte ich eigentlich kein Geheimnis aus dieser Sache. Doch gestern war echt übel und die Schmerzen pochten noch immer. „Soll vielleicht noch jemand mitkommen?“ „Es geht schon“, gab ich zurück und quälte mich den Weg zum Sekretariat hinauf. Wenige Minuten später legte ich die fertigen Kopien auf den Lehrertisch. Herr Stoldt bedankte sich mit einem Lächeln, dass ich nur spärlich erwiderte. In der zweiten Stunde hatten wir Musik. Ich sang eigentlich gern, aber nicht solche dämlichen Lieder wie im Musikunterricht. Ich hatte heute auch keine Lust irgendwelche Lieder zu trällern und doch machte ich, was unsere Musiklehrerin sagte, weil ich keinen Streit anzetteln wollte. Eine Auseinandersetzung mit einem Lehrer konnte ich jetzt nicht gebrauchen, obwohl ich gern provozierte, doch heute fehlte mir einfach die gute Laune dazu und so ließ ich alles über mich ergehen. Als es endlich zur Frühstückspause klingelte gingen Flo, Kevin, Basti und ich auf unsere Raucherinsel und genossen die Zigarette am Morgen. Plötzlich hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Ich wandte mich zum Tor und da stand Nici. Ich ging zu ihr, wenn auch nur wenig begeistert. „Was machst du denn hier?“ „Ich hab jetzt Schluss und da habe ich gedacht, dass ich dich mal besuchen könnte.“ „Toll und ich muss noch vier Stunden Unterricht machen. Hast du es gut.“ „Ich kann dich später von der Schule abholen. Vielleicht gehe ich auch noch einkaufen oder so. Wie geht’s dir eigentlich?“ „Total beschissen. Mein Dad hat gestern gemeint, dass er wieder in unsere Wohnung ziehen will. Aber ich glaube, Jojo hat das alles überhaupt nicht verkraftet. Sie war gestern kaum ansprechbar.“ „Ist gestern noch was passiert?“ „Nicht direkt. Ich konnte nur nicht pennen und war noch lang wach. Ich bin einfach nur voll fertig.“ „Ist schon gut. Also dann bis nachher.“ Sie küsste mich und dann verschwand sie mit einem bezaubernden Lächeln. Ich kehrte wieder auf den Schulhof zu den anderen. Ein paar Jungs aus meiner Klassen schauten etwas neidisch zu mir, wahrscheinlich, weil sie Nici echt heiß fanden. Ich musste ein bisschen grinsen. Die letzten vier Stunden würde ich ja hoffentlich auch noch überleben. Ich ignorierte den Schmerz und manchmal klappte es sogar. Flo, Basti und ich quetschten uns zu dritt durch die Eingangstür, als es zu vierten Stunde läutete. Vor unserem Unterrichtsraum setzte sich Jessica neben mich auf die Bank und grinste blöd. „Was ist denn?“, fragte ich ziemlich genervt. „Weißt du, ich wäre echt gern für einen Tag Nici.“ „Warum das denn?“ „Ach, so einen Freund wie dich zu haben ist ein Traum. Das Aussehen, dein Waschbrettbauch, einfach alles.“ „Ihr geht doch alle nur vom Aussehen aus. Eigentlich kennt ihr mich gar nich. So was is echt total bescheuert. Bevor man von einem Menschen sagen kann, dass er perfekt is, muss man ihn auch vom Charakter her kennen und dazu kennst du mich wirklich zu wenig Jessica. Und noch was, wenn Nici deinen Charakter hätte, wäre sie sich nich meine Freundin, denn mit so ner Tussi, wie dir an meiner Seite... nein danke.“ Ich stand auf und ging zu Flo und Basti, weil mir das einfach zu bescheuert wurde. Was wollte sie mit ihrem ständigen Gelaber eigentlich erreichen? Ich war in einer glücklichen Beziehung und das wusste sie genau. Ich lachte innerlich. Glückliche Beziehung, was für eine schöne Lüge. „Ey Jessica gibt es nie auf. Wann kapiert die endlich mal, dass ich nichts von ihr will. Die Alte geht mir echt tierisch auf den Pisser.“ Flo und Basti grinsten nur, doch ich fand das Ganze rein gar nicht lustig. „Was grinst ihr da noch so blöde!“ Sie fingen an zu lachen und so was nennt man Freunde. Na egal. Ich schüttelte nur den Kopf. In der sechsten Stunde hatten wir Sport, jedoch war ich nur damit beschäftigt Geräte aufzubauen und mich auf der Bank zu langweilen. Ab und zu leisteten mir Flo und Basti Gesellschaft, wenn sie gerade nichts zu tun hatten oder Herr Stoldt gerade mal mit anderen Dingen beschäftigt war. Dienstags hatten wir immer mit den Mädchen zusammen Sport, das konnte unter anderem ganz schön lästig sein. In der Turnhalle waren verschieden Turngeräte, wie der Bock oder die Stangen, an denen man Klimmzüge machen musste. Dazu hätte ich jetzt wirklich Lust, doch ich beschloss dann doch sitzen zu bleiben. Nachdem alle Schüler sich verabschiedet hatten, gingen sie sich umziehen. Ich wartete vor der Schule auf Basti und Flo, weil mich Nici ja noch abholen wollte. Sie kam auch schon angerannt. „Hallo Süße. Wo warst du bis jetzt noch?“ Ihr Lächeln war so hell und strahlend wie die Sonne. „War ein bisschen in der Stadt. Kommst du die Woche irgendwann noch mal mit in den x-tra-x?“ „Aber selbstverständlich.“ Ich steckte mir eine Zigarette an. In dem Moment kamen Flo und Basti mit Jessica und Yvonne. Ich verleierte die Augen, als ich Jessica erblickte. Sie schoss jedoch an mir vorbei, ohne ein Wort zu sagen. „Was ist denn mit der los?“, fragte mich Nici etwas misstrauisch. „Ach, der habe ich nur mal wieder die Meinung gesagt, weil sie immer noch davon überzeugt is, sie hätte irgendwann mal ne Chance bei mir.“ Nici grinste nur. Ich nahm sie bei der Hand und wir wollte gerade zu mir nach Hause gehen, als Basti noch hinterher rief: „Wann kommt ihr heute in den Club?“ „Keine Ahnung. Denke mal so am späten Nachmittag.“ Nun gingen wir wirklich. Als wir bei mir angekommen waren, machte ich mir etwas zu Essen. Es war noch niemand da. Mein Dad würde erst am späten Nachmittag nach Hause kommen. „Wie geht’s dir eigentlich?“ „Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde es is alles prima.“ Nici schaute mich vorwurfsvoll an. „Ich bewundere dich wirklich. Ich wüsste nicht, wie ich damit umgehen würde.“ Ich zuckte mit den Schultern und spürte schon wieder diese Leere in mir. Nicis Gelaber zog mich mehr runter denn je. „Du redest immer von bewundern Nici, aber wofür? Weil es mir beschissen geht und ich meine Gefühle vor anderen nicht zeigen kann? Spar dir in Zukunft einfach solche Aussagen.“ Ihr Blick wurde unsicher. „Ich möchte dich doch nur aufbauen…sorry.“ Ich lachte traurig. „Wie auch immer das funktionieren soll, ich weiß ja gerade nich mal selbst, was gut oder schlecht für mich is.“ Nici schwieg eine Weile. Ich schälte in dieser Zeit Kartoffeln und ließ Gemüsebällchen in der Pfanne braten. „Heißt das jetzt, dass du in dieser schweren Zeit wieder öfter zu den härteren Drogen greifen wirst?“ Ich dachte nach und das schien im Moment das einzige zu sein, was ich mir vorstellen konnte. Nici war definitiv nicht der Mensch, der mich verstehen würde. Ein Teil von mir mochte dieses süße unschuldige Mädchen, doch der andere Teil stieß sie von sich weg, wollte lieber völlig high irgendwo sein Unwesen treiben. „Kein Plan…“ „Ich werde aus dir nicht schlau, vorhin warst du noch voll lieb und jetzt ist dir wieder alles egal?“, fuhr sie mich an. „Mir ist nich alles egal, sonst würde ich gerade nich darüber nachdenken mich abzuschießen und es geht mir tierisch auf die Nerven, wenn du dauernd versucht mich zu erziehen.“ „Du willst dich abschießen? Weißt du was, dann mach das doch! Baller dir das Gehirn weg, denn es scheint dich ja nicht zu interessieren, dass ich dich mag.“ Ich seufzte und wusste beim besten Willen nicht, wie ich mit Nici reden sollte. „Du magst mich also…darauf kommt es nich immer an Nici…du redest immer davon, dass du die wahre Gothicszene willst…hier hast du sie, denn es ist viel mehr als perfekt aussehen, gute Musik und Abtauchen in fremde Welten. Alles, was du dauernd liest, was die Leute außerhalb der Szene erzählen, dass man hier nur abgestürzte Außenseiter findet ist wahr. Ich bin das beste Beispiel…ich könnte alles haben und habe mich für nichts entschieden. Du solltest langsam der Realität ins Auge sehen. Was meinst du warum ich angefangen habe mich selbst zu verletzen…etwas, das du komplett ausblendest oder ignorierst…was glaubst du, warum ich dauernd high bin? Ich ertrage die Realität nich.“ Ihre Unterlippe bebte, denn jetzt hatte ich das gesagt, was sie niemals hatte hören wollen. „Scheiße Lukas…warum musst du nur immer alles kaputt machen!“, schrie sich mich an. „Weil es das is, was ich am besten kann.“ Ich wendete mich wieder meinen Gemüsebällchen zu, doch ich wusste nicht, ob ich überhaupt noch hungrig war. „Was wollen wir heute noch machen?“, fragte mich Nici nach einigen Minuten des Schweigens und wollte wohl so tun, als hätte das Wortgefecht zuvor nie stattgefunden. „Ich weiß nich. Wir können dann noch mal in den Club schauen. Ich glaube, wir haben heute auch Bandprobe. Da kannst du ja mitkommen, wenn du willst“, bot ich ihr an. „Ja werde ich auch machen. Mit Nadja rumhängen hat ohnehin gerade nicht viel Sinn.“ „Hast du dich mit Nadja irgendwie am Arsch?“ „Nicht wirklich. Wir verstehen uns halt nicht mehr so wie früher, weil sie nicht damit klarkommt, dass ich immer noch mit dir zusammen bin. Ich habe kein Problem mit ihrem Musikgeschmack, aber sie anscheinend ein Problem mit meinem und damit, wie ich herumlaufe. Ich habe mal versucht mit ihr darüber zu reden, doch irgendwie sieht sie das nicht ein.“ Ich sah zu Nici und fragte mich tatsächlich, ob sie das gerade wirklich gesagt hatte. „Du lässt deine Freundin hängen nur um mit so nem abgefuckten Typ wie mir zusammen zu sein…Respekt. Und das ist der Unterschied zwischen uns, ich lasse lieber meine Freundin im Stich. Aber musst du wissen…“ „Du bist heute wirklich auf Krawall aus, was?“ Ich zuckte die Schultern und suchte in der Vorratskammer nach Alkohol. Wodka, aber warm. Widerlich. Kräuterschnaps, Whiskey, das war gut. Ich tat Eiswürfel in ein Glas und schenkte mir Whiskey ein. Nici warf mir einen vernichtenden Blick zu. Sie schien mit sich zu ringen, entweder hier zu bleiben oder zu gehen, denn auch sie ertrug die Realität nicht. Sie ertrug nicht, dass ich der Mensch war, den sie gerade vor sich sitzen hatte. „Soll ich dir mal was sagen?“, fragte ich. Sie nickte unweigerlich. „Was denn?“ „Ich glaube Nadja hat da gar nich mal so unrecht…mir kommt es auch manchmal so vor, als bist du jemand, der du nich sein willst…und nur, um mir zu imponieren…das is seltsam und ich versteh es nich.“ „Du denkst also ich will dir imponieren? Da liegst du falsch Lukas. Ich mag mich wie ich bin und Nadja tut es nicht mehr.“ Doch sah ihr an der Nasenspitze an, dass ich Recht hatte. Ich schenkte mir Whiskey nach. „Glaub doch was du willst.“ Ich nahm die Gemüsebällchen aus der Bratpfanne und legte sie auf einen Teller. „Dann beweise mir, dass sie Unrecht hat. Nici fing an zu lachen. „Als ob ich der etwas beweisen muss.“ „Nich ihr, mir, hör doch zu.“ „Soll ich jetzt etwa auch anfangen Drogen zu nehmen und mir die Arme aufritzen?“ „Oh Mann…Nici…mach einfach was, was du denkst. Dir stehen alle Wege offen…“ „Was willst du denn von mir Lukas? Ich verstehe es nicht und ich hasse es, wenn du in Rätseln sprichst!“ „Ich will einfach nur sagen, dass du dir darüber im Klaren sein solltest, was du wirklich willst. Ist das tatsächlich zu schwer?“ Ich setzte mich an den Tisch und begann zu essen. Irgendwie, auch wenn ich kaum einen Bissen hinunter bekam. „Du willst mich doch auch anders haben, authentischer…okay. Ich werde an mir arbeiten.“ „Was auch immer“, sagte ich und zündete mir eine Zigarette an, nachdem ich meinen Teller halb geleert hatte. In dem Moment klingelte das Telefon. Ich eilte zur Basis und nahm das Telefon mit in die Küche. Es war Flo und er wollte gleich vorbeikommen. Hoffentlich hatte er was zum Kiffen dabei. „Wer war es denn?“ Ich schaute Nici an und schenkte mein Glas ein weiteres Mal voll. „Flo, er kommt gleich vorbei.“ „Okay…Lukas ich mag dich so sehr.“ Ich nahm Nici in den Arm, um ihr zu zeigen, dass ich nicht böse auf sie war und dass es mir ein bisschen Leid tat. Nici schmiegte ihren Kopf an meine Brust und ich streichelte ihr Haar, dann löste ich mich von ihr, räumte meinen Teller in die Spülmaschine und wusch die Bratpfanne ab. Dann rauchte ich noch eine Verdauungszigarette. Wenige Minuten später klingelte es an der Tür und Flo kam. Er sah ziemlich mitgenommen aus und ich bot ihm einen Whiskey an. „Meine Eltern haben mir gedroht die Bullen zu rufen, wenn ich noch mal nach Hause komme. Scheiße! Ich war nich mal fünf Minuten da…lauf schon fast ne Woche in denselben Klamotten rum und seh aus wie der letzte Penner. Gibt’s noch mehr Whiskey?“ Ich reichte ihm die Flasche und wir gingen rauf in mein Zimmer. Flo drehte Gott sein Dank einen Joint. Dann hielt er Inne und schaute mich schuldbewusst an. „Fuck…sorry. Hoff dir geht’s gut…ich wollte nich…“, stammelte mein Freund. „Alles gut…“, beruhigte ich ihn. „Is heut Bandprobe?“,  fragte er dann und zündete den Joint an. „Fänd ich cool, bissl abreagieren und so.“ „Kommt ihr vorher mit in den Club?“ „Weiß nich.“ „Lukasschatz, kann ich vielleicht kurz duschen und mir dann ein paar Klamotten von dir borgen?“ „Klar…such dir was aus.“ Flo bediente sich und verschwand im Bad. Nici war recht schweigsam gewesen und ich wusste nicht, was ich zu ihr sagen sollte, also trank ich weiter. Jetzt merkte ich auch den Alkohol. Draußen war es gerade sonnig und auch nicht sehr kalt. Ich entführte Nici zu der Laube, die ich in letzten zwei Tagen ausfindig gemacht hatte. Vielleicht sollte ich doch einfühlsamer mit ihr sein? Wir lagen auf dem Dach nebeneinander und genossen die Sonne. Nici lag mit ihrem Kopf auf meiner Brust und ihre Hände glitten zu dem Reisverschluss meiner Strickjacke und zog ihn nach unten. Sie streichelten meinen Bauch. Ihre Berührungen waren zärtlich und mir wurde bewusst, wie sehr ich das manchmal vermisste. Jedoch wünschte ich mir es wären nicht Nicis Hände, die meinen Körper erkundeten. Wir hatten uns in den letzten Tagen zwar oft gesehen, jedoch nie so richtig Zeit füreinander gehabt. Ich massierte Nici und küsste ihren Nacken. Ich umschloss ihre Brüste. Sie beugte ihren Kopf und küsste mich. Doch jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, sah ich ihn. Dieses perfekte wundervolle Geschöpf. Und nur, wenn ich an Juka dachte, regte sich etwas, sonst nicht. „Wollen wir nicht noch ein bisschen zu mir gehen? Wir haben doch noch genug Zeit.“ „Meinetwegen“, gab ich ihr zur Antwort und so gingen zu Nici nach Hause. Ihre Oma war zwar da, aber die kümmerte sich eigentlich eher weniger um uns. Wir lagen auf einer Decke vor dem Kamin und Nicis schwarzes Haar zeichnete sich deutlich von der hellen Haut ab. Ich ahnte, was sie sich von mir wünschte und deshalb tat ich es, liebkoste ihren Körper. Ihre Haut war so zart. Sie legte sich auf mich. Ich drang in ihren Körper ein. Doch diese brennende Begierde blieb aus. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und mir war auch vollkommen egal, wie spät es war. Nici hatte sich in eine Decke eingemummelt, weil das Feuer im Kamin sehr weit heruntergebrannt war und es somit auch etwas kühler wurde. „Wollen wir noch in den Club?“ „Dort ist auch nicht viel los. Die sitzen nur alle da und gucken blöd. Außerdem läuft da nie ordentliche Musik. Nee, das muss ich mir jetzt nicht antun. Flo wird denk ich mal ehe bei Malen sein und Basti versucht sich an der Schwester von Michael. Auf Jessica und Yvonne habe ich jetzt absolut keine Lust.“ Ich sah jetzt die Uhr auf dem Kaminsims. Diese zeigte fünf Uhr Nachmittags an. Ich stand auf und zog mich an. „Wo willst du hin?“ „Ich muss doch erst mal nach Hause schauen, sehen, wie es Jojo geht. Kommst du später zu mir?“ „Ja mach ich.“ Ich beugte mich zu ihr herunter und küsste sie. Sie zog mich zu sich heran, als wollte sie sagen verlass mich nicht! Doch ich löste mich von ihr und ging nach Hause. Mein Dad war noch nicht da, aber Johanna saß im Wohnzimmer und schaute Fernsehen. Sie rannte mir gleich wieder in die Arme, als sie mich kommen sah. Ihre Augen waren gerötet und unendlich traurig. „Mama soll wiederkommen.“ „Ich weiß. Mir fehlt sie auch sehr. Bist du schon lange da?“ „Nee, hatte nach der siebten aus. Als ich nach Hause gekommen bin, warst du aber nicht da. Bist du noch bei Tim gewesen?“ „Nein, bei Nici. Ich komm später nochmal, muss noch was machen.“ Meine kleine Schwester lächelte mich traurig an. Eigentlich musste ich gar nichts machen, außer vielleicht nachdenken und das konnte ich am besten draußen irgendwo, also ging ich spazieren. Nach längerem Suchen, hatte ich den kleinen idyllischen Friedhof wiedergefunden. Ich hatte ihn nur einem Menschen je gezeigt, Flo. Ich bin aus Spaß einmal mit ihm hier gewesen. Es war wunderschön an diesem Ort, ruhig und man war fast von aller Außenwelt abgegrenzt. Die Steine vor der Leichenhalle waren kalt und etwas glitschig. Ich fand ein angenehmes, trockenes Plätzchen auf der alten Steinmauer, neben der eine große Eiche stand und so auch Schutz vor Regen gewährte. Eigentlich hatten wir heute Bandprobe, doch ich hatte keine Lust hinzugehen. Ich kam mit mir selbst nicht mehr klar. Ich wollte am liebsten nur noch alleine sein. Ich dachte an meine Mum, doch was sollte ich da denken. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, sie nie wiederzusehen. Der Versuch meine Tränen zu unterdrücken scheiterte. Sie kamen wie ein kleiner Wasserfall. Wenn sie doch wüsste, wie viel Tränen ich ihretwegen schon vergossen hatte. Dann würde sie bestimmt zurückkommen.     Kapitel 20: Trauer PART 1 -------------------------             Ich lag auf meinem Bett und starrte an die Decke. Ich wusste nicht, ob ich zur Bandprobe gehen sollte oder nicht. Ich hatte zwar keinen Bock, ging dann aber doch. Dort redete ich so gut wie mit niemandem und wenn dann nur das nötigste. Nici war wahrscheinlich etwas beleidigt und Tim auch. Jedoch wussten beide auch, was mich grämte und ich hoffte sie ließen mich in Ruhe und machte nicht einen auf Mitleid. Nachdem wir ein bisschen geprobt hatten ging ich raus und setzte mich auf eine der Bänke, holte mein Bier und meine Zigaretten noch aus dem Proberaum und rauchte eine nach der anderen, wie immer. Nach einer Weile kam Tim. Ich ignorierte ihn. „Willst nicht wieder mit rein kommen? Hier draußen ist es doch arschkalt.“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Lukas was soll das jetzt eigentlich!“ Ich gab ihm keine Antwort. „Verdammt ich rede mit dir. Würdest du mir freundlicherweise mal sagen, was du mit uns für ein Problem hast?“ Noch immer gab ich keine Antwort und wusste auch, dass ich Tim damit immer mehr provozierte. „Meinst du, ich finde es toll, dich hier so zu sehen. Ich würde dir gern helfen, doch wenn ich nicht weiß, was dein scheiß Problem is, kann ich das auch nicht tun. Was zur Hölle willst du damit erreichen willst, wenn du den ganzen Abend nur so vor dich hin schweigst, aber weißt du was? Das ist verdammt lästig und wenn du eh nich mit uns redest, bleib doch daheim und komme erst wieder, wenn du wieder besser drauf bist!“ „Ihr sollt mich einfach nur in Ruhe lassen. Ich bin hierhergekommen, um Ablenkung zu bekommen, stattdessen werde ich von dir angepöbelt.“ Tim sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich bin nicht der Einzige, dem aufgefallen ist, wie scheiße du drauf bist. Falls ich dich dran erinnern soll, du hast da drin noch eine Freundin, die sich grad voll verarscht vorkommt. Nici und ich sind die einzigen, die wissen was mit dir is. Kannst du deshalb nich normal den anderen gegenüber sein?“ „Nein ich kann nich normal sein!“, schrie ich ihn jetzt an. „Auch, wenn es bei dir oft den Eindruck erweckt hat, dass ich meine Mum nich leiden konnte. Aber ich habe sie sehr gemocht und finde es verdammt scheiße, dass das passiert is. Aber jemand wie du, der sein halbes Leben als Junkie in den Dreckecken der Stadt gehaust hat, kann das nich nachvollziehen. Mir is vollkommen klar, dass du das nich verstehst. Und was soll ich den deiner Meinung nach sonst machen, soll ich zu Hause vergammeln, mich einschließen und krepieren? Ja, das willst du wahrscheinlich und ich mach das auch. Dann seid ihr mich alle los. Und was Nici angeht, ich weiß, dass sie drin ist. Außerdem habe ich heute den ganzen Nachmittag schon mit ihr verbracht.“ Tim war wahrscheinlich sprachlos. Ich trank einen Schluck von meinem Bier. „Na und, da war ich halt’n Junkie, doch das is jetzt vorbei. Du bist doch eh nur mit Nici zusammen, damit du jemanden zum ficken hast. Ansonsten würde dich doch keine andere nehmen.“ Das war zu viel. „So was darf ich mir von dir anhören? Erinnerst du dich, wer dich aus deinem scheiß Junkieleben herausgeholt hat? Weißt du noch, wer dich mit Mühe und Not aus der U- Bahnstation gezerrt hat? Wenn ich dir nich geholfen hätte, wärst du jetzt wahrscheinlich verreckt. Erbärmlich zu Grunde gegangen wärst du oder glaubst du etwa, dass du den Absprung allein geschafft hättest? Weißt du was Tim, du kannst mich mal!“ In mir war rasende Wut aufgestiegen, ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich mich mit Tim so streiten konnte. „Ach ich kann dich mal? Wenn du meinst. Soll ich dir mal was sagen, du kleiner Hurensohn? Du mich auch.“ Hatte ich da richtig gehört? Hatte mein Freund gerade Hurensohn zu mir gesagt? Ich fasse es nicht. Das musste ich mir wirklich nicht bieten lassen. „Wenn du nich gewesen wärst, hätte ich niemals angefangen Drogen zu nehmen. Alles nur wegen dir! Es wäre wahrscheinlich am besten gewesen, wenn wir uns niemals kennen gelernt hätten.“ Das war ja wohl das Letzte. Und ich dachte immer, Tim sei mein Freund. Was sollte ich denn seiner Meinung nach tun? Sicher hätte das Verhältnis zu meiner Mum besser sein können, doch ich hatte mich immer noch besser verstanden, als er sich mit seinen Eltern. Tim wurde regelrecht von ihnen verstoßen und sie wollten auch nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er stand immer noch vor mir und starrte mich an. „Is das jetzt dein ernst?“ Ich dachte lange nach, bevor ich antwortete. Eigentlich hatte ich das nur gesagt, weil er mich gereizt hatte und doch war es die Wahrheit. Was wäre gewesen, wenn ich Tim nie kennengelernt hätte? Wäre ich da auch in die Versuchung gekommen Drogen zu nehmen? Wenn ich mich recht erinnerte, haben meine Probleme angefangen, als Tim und ich uns kennenlernten. Und je mehr ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich auf ihn. Wenn alles anders gewesen wäre, hätte meine Mum nicht mit dem Flugzeug nach Schottland fliegen müssen, weil wir uns nicht immer gestritten hätten. Und vielleicht, wenn ich mich besser mit ihr verstanden hätte, würde sie jetzt noch am Leben sein. Ich hasste Tim, weil er mich zu dem gemacht hatte, was ich jetzt war. „Ja isses. Ich will dich zwar nich für alles verantwortlich machen, aber du trägst auch Schuld daran, dass ich so geworden bin.“ Tim schüttelte mit dem Kopf. „Ach ja? Bin ich das? Wer is denn immer zu mir gekommen und wollte, dass ich ihn tröste?“ „Weil ich immer fest davon überzeugt war, dass du mein Freund bist. Du bist ein verdammtes Arschloch!“ Tim ging auf und ab. „Ja, ich dachte auch immer, dass wir Freunde sind. Aber jetzt hast du ja diesen Juka, Basti, Flo und was weiß ich, wen noch.“ „Isses denn verboten mehrere Freunde zu haben? Ich interessiere dich doch gar nich mehr oder? Außerdem haben mir gerade diese Leute, die du eben so liebevoll aufgezählt hast, in letzter Zeit mehr Beistand geleistet, als du! Weißt du, ich brauche momentan weder Mitleid noch sonst was von dir. Hauptsache du verpisst dich jetzt.“ Tim sah mich mit einem niederträchtigen Blick an und ließ mich alleine. Eigentlich hatte mich mein Vater gebeten, ihm bei dem Umzug zu helfen, jedoch hielt ich eine Konfrontation mit ihm momentan nicht für gut. Ich hatte keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, ohne zu wissen, was für ein grausamer Mensch er war. Jojo hatte ich nichts von dem Tagebuch meiner Mum erzählt, nicht mal Nici wusste es. Ich hütete es wie einen Schatz, ein Geheimnis, was nur meine Mum und ich kannten. So sollte es auch bleiben. Um zu vermeiden, dass ich meinem Vater über den Weg lief, war ich so wenig wie möglich zu Hause und verbrachte viel Zeit mit Nici, jedoch reizte sie mich in den letzten Wochen immer weniger und der Sex zwischen uns lief auch mehr schlecht als recht. Ich konnte einfach nicht, weil mich hunderte von anderen Dingen beschäftigten. Und wie immer fühlte ich mich mit allem alleingelassen. Aber irgendwie war sie doch ein Teil meines Lebens. Ich klingelte an ihrer Haustür und sie öffnete. Ihr kartierter Minirock sah unter den Springerstiefeln echt süß aus. Sie trug ihre schwarze Lederjacke und darunter einen Pullover. Ihre langen schwarzen Haare hingen ihr über die Schultern. Sie war einfach wunderschön anzusehen, für jemanden, der sich für ein Mädchen wie Nici interessierte, nicht aber für mich. Ich musterte sie gerade jetzt haargenau. Ihre Fingernägel waren schwarz lackiert und sie trug sechs Ringe, an jeder Hand drei. Ihre Augen schauten mich durchdringlich an. Wir beschlossen doch noch in den Club zu gehen. Ich fasste nach Nicis Hand und so spazierten wir durch die Stadt. Es begann zu nieseln und wir verschwanden schnell in dem angenehm warmen Raum. Als ich Flo und Malen in der Ecke erblickte wurde mir etwas leichter ums Herz. Jessica hockte auf Chris Schoß und knutschte mit ihm, als sie mich kommen sah. Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. Malen stürmte auf mich zu und fiel mir in die Arme. „Mensch, dass man dich noch mal sieht!“ Nici und Malen umarmten sich ebenfalls zur Begrüßung. Im Radio sang gerade irgendeine komisch Tussi und ich ging hin, um den Sender zu verstellen, wobei ich böse Blicke von Jessica und Yvonne erntete. Das war mir jedoch völlig egal und ich tat es trotzdem. Dann fand ich zufällig noch eine Kassette in meiner Manteltasche, worauf Metal, Gothic Rock und alles so was drauf war. Da die Stereoanlage auch einen Kassettenrekorder enthielt, ließ ich die Kassette laufen. Vielleicht würden sich diese Kinder ja dann verpissen. Ich setzte mich in den großen Sessel an der Stirnseite, gegenüber von Jessica und Chris. „Sag mal, wo warst du jetzt die zwei Tage eigentlich Lukas?“, fragte Malen nach einer Weile. „Ach in den letzten Tagen sind einige Dinge vorgefallen, über die ich hier nicht so offen reden will.“ Dabei richtete ich meinen Blick gen Jessica und sie funkelte mich an. Ich stand auf um auf Toilette zu gehen. Die Tür vom Männerklo war offen. Ich blieb noch kurz vor dem Spiegel stehen und schaute mein Spiegelbild an. In dem Moment öffnete sich die andere Tür, die wieder zum Clubraum führte. Ich drehte mich zur Seite, weil ich wissen wollte, wer gekommen war und sah Chris. Der fehlte mir jetzt gerade noch. Wahrscheinlich wollte er mir ein paar aufs Maul hauen, weil ich seine schöne Freundin Jessica beleidigt hatte. Ich ignorierte ihn erst und zündete mir eine Zigarette an. Dann begann er zu reden. Jedoch hatte ich das ungute Gefühl, dass dies mit einer Schlägerei enden würde. Ich beschloss erst mal Ruhe zu bewahren. „Sag mal, du denkst doch auch, du bist der King oder?“ Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich auf das kleine Sofa. „Warum fühle ich mich als King, wenn ich einfach so mit meiner Freundin in den Club komme? Er ist ja schließlich für alle da. Und wenn du das von eben meinst tut es mir leid. Es gibt halt auch gewisse Angelegenheiten, die nur meine Freunde was angehen und euch zähle ich da schon lange nich mehr mit dazu.“ „Das verstehe ich ja. Aber deine dummen Sprüche gegenüber Jessica und Yvonne? Was soll das denn? Was haben sie dir getan?“ Meine Miene verdunkelte sich etwas. „Mich nervt es nur tierisch, dass sie immer den Kumpeltyp raushängen lassen müssen. Auch in der Schule. Was wollen die denn von mir? Sie sind mir einfach zu kindisch.“ „Oh ja, du bist ja so cool Lukas. Du könntest ja einfach mal über deinen Schatten springen und dich mit Leuten außerhalb der Gothicszene abgeben.“ Ich lachte bitter. „Darum geht es doch gar nich. Ich habe genug Freunde, die keine Gothics sind. Das Problem bei Jessica is, dass sie mir immer imponieren will, falls dir das noch nich aufgefallen is und vor Allem erzählt sie immer, wie gut wir doch befreundet sind. Dabei kennt sie mich nich im Geringsten. Wenn sie anders zu mir wäre, wäre ich auch anders zu ihr.“ Chris grinste mich hämisch an. Mein Blick blieb eiskalt. Ich drückte die aufgerauchte Zigarette im Aschenbecher neben der Couch und zündete mir gleich noch eine an. „Weißt du Lukas, früher war ich gern mit dir zusammen, aber jetzt seit dem du vor allem mit Tim rumhängst, hast du dir das selbst versaut. Okay, Jessy mag manchmal ein bisschen nervig sein, aber sie will auch nichts mehr mit dir zu tun haben. Früher habe ich mal zu deinen engeren Freunden gehört, auch wegen der Band und so, aber jetzt? Eigentlich will ich dich auch gar nicht mehr kennen.“ Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass eine Niederlage nach der anderen kam und ich befand mich gerade auf dem besten Weg nicht nur meine Freunde zu verlieren, sonder auch meine Band. „Ach ja, da ist noch was. Ich habe mich in letzter Zeit oft mit Nadja unterhalten und wir fragen uns echt, wie Nici mit dir zusammen sein kann. Immerhin ist sie hübsch und intelligent.“ Das traf mich echt tief und ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. „Das ist doch ihre Entscheidung oder? Sie wird schon wissen, was sie an mir findet.“ Doch selbst das wusste ich nicht. Chris grinste mich herablassend an. „Sag bloß, jetzt hat es dir die Sprache verschlagen? So habe ich dich schon lange nicht mehr gesehen.“ Er machte mich echt wütend, aber ich hatte nicht die Kraft gegen ihn anzukämpfen und diese Schwachstelle nutzte er schamlos aus. Ich lächelte schwach und sah ihn an. „Tja, auch ich habe meine wunden Punkte. Außerdem nerven mich diese Kinderspielchen. Ja, vielleicht war ich mal anders, aber man entwickelt sich ja auch im Laufe der Zeit.“ Er ließ noch immer nicht locker und wahrscheinlich wollte er sich an mir rächen. „Dann hast du dich wohl zu nem arroganten Arsch entwickelt, was. Jemand, der über Leichen geht, nur um das zu bekommen, was er will.“ Seine schneidenden Worte waren wie Bakterien in einer Wunde und dann machte ich etwas, das ich sonst in einer anderen Verfassung nie gemacht hätte. „Chris…bitte hör auf! Ich ertrage das gerade nich. Ich bin die letzten Tage durch die Hölle gegangen und das hat nichts mit Drogen oder Familienproblemen zu tun, wie vielleicht deine erste Vermutung is…es is was passiert, was mich gerade echt fertig macht. Meinetwegen kannst du mich an einem anderen Tag demütigen, wenn ich mich dagegen wehren kann.“ Das Erstaunen war ihm ins Gesicht geschrieben und er schien sogar etwas Mitleid mit mir zu haben. „Ach ja, da is noch was…ich habe selbst schon festgestellt, dass Tim nich gut für mich ist.“ Chris räusperte sich. „Ähm, ich wollte nicht zu grob zu dir zu sein und falls ich dir zu nahe getreten bin, tut es mir leid…mich hat nur dein Auftreten eben genervt.“ „Das is nur ein Schutzmechanismus, um alles zu überspielen. Muss nich jeder wissen, wie scheiße ich mich gerade fühle.“ Lange schaute er mich an und schwieg. Dann kehrten wir wieder in den Clubraum zurück. Nici hatte meinen Sessel eingenommen und unterhielt sich mit Basti und Malen. Ich stellte mich vor den Sessel und blickte zu ihr hinunter. Sie schaute auf und lächelte. „Das findest du wohl lustig was?“ „Ich weiß nicht, was du meinst“, gab sie etwas spöttisch zur Antwort. „Kannst du nich auf meinen Schoß kommen oder so?“ „Warum? Weggegangen, Platz gefangen.“ „Gut, wie my Lady wünscht.“ Ich nahm Nici auf den Arm und setzte sie dann auf meinen Schoß. „Toll Lukas.“ Ich grinste. Dann beschloss ich wiedermal eine zu rauchen. Chris wich meinen Blicken aus, was mir auch ganz recht war. Dann meldete sich Basti zu Wort. „Also Lukas, ich will ja nichts sagen, aber hier ist es voll langweilig. Es gibt keinen Alkohol. Eigentlich könnten wir doch in den Proberaum gehen, was meinst du?“ „Ja, wir müssen aber noch auf Flo warten. Oder du gehst mit Malen schon vor und wir kommen nach. Schlüssel haste ja.“ „Ja, ist okay. Ich muss dir dann mal was erzählen, das glaubst du nie im Leben, vor allem nicht bei Flo.“ Ich zog die Augenbrauen hoch und Malen lächelte ganz verliebt. Sie und Flo waren echt ein süßes Paar. Endlich aus dem doofen Club raus. Ich ging mit Nici in Richtung Flo und Basti ging mit Malen zum Proberaum. „Und was ist mit Tim?“ Ich sah Nici an. Eigentlich wollte ich nicht darüber reden, wie über so vieles andere auch. „Das weiß ich leider auch nich. Wir haben uns vor ein paar Tagen echt krasse Sachen an den Kopf geknallt.“ „Wie soll ich das denn jetzt verstehen?“ „Wir haben uns gestritten und die Fetzen sind nur so geflogen. Ich weiß nich, ob das wieder wird.“ Sie kuschelte sich an mich, doch irgendwie war mir das gerade zu viel. „Das hört sich aber nicht gut an.“ „Langsam glaube ich echt, dass ich was Furchtbares verbrochen haben muss. Die Pechsträhne wir immer länger.“ „Das tut mir leid, aber…“ Ich fiel ihr ins Wort. „Und hör auf alles zu entschuldigen okay?“ Mich nervte es langsam echt, dass Nici mich nicht einfach mal machen lassen konnte und ständig den Kontrollfreak spielte. Was wollte sie schon machen, wenn ich Lust hatte zu kiffen, tat ich das, egal, was sie sagen würde. „Wie würde dir eigentlich eine Piercing in der Brustwarze bei mir gefallen?“ Ich blieb stehen. Gleich platzte mir der Kragen, mich plagten gerade andere Dinge und sie fing tatsächlich mit sowas an? „Keine Ahnung, vielleicht würde es mir gefallen.“ Nici schmollte ein bisschen. „Du bist ein Idiot. Ich hätte mir eine freudigere Reaktion deinerseits erwartet.“ „Verdammt Nici, ich hab im Moment echt keinen Nerv für sowas. Wenn es dir gefällt, mach es doch.“ „Okay, okay. Du scheinst ja heute überempfindlich zu sein.“ „Ich weiß nicht, wie du dich verhalten würdest, wenn deine Mum gestorben wäre, sicher wärst du voll happy.“ „Tut mir leid, ich weiß nur nicht richtig, wie ich gerade mit dir umgehen soll.“ „Und schon wieder entschuldigst du dich, wofür verdammt? Sei einfach ganz normal und fang nich immer mit solchen überspitzten Gesprächen an.“ „Ich werde es versuchen, trotzdem könntest du ein bisschen freundlicher zu mir sein.“ „Ich kann freundlich sein zu wem ich will.“ „Klar!“ Nici umarmte mich und glitt mit ihren kalten Händen unter meinen Pullover. Ich zog meinen Bauch ein. „Bist du verrückt. Du bist verdammt kalt.“ „Sorry, das wollte ich nicht. Ich versuche nur dich ein bisschen aufzumuntern, kannst das nicht verstehen?“ Ich schob ihre Hände weg und hielt sie in meinen. „Das ist gerade alles zu viel Nici. Ich glaub ich will gerade nicht zu viel Nähe.“ „Schon okay“, murrte meine Freundin. „Du Lukas.“ „Was denn?“ „Hast du eigentlich schon mal über Kinder nachgedacht?“ Das kam jetzt sehr ungelegen und ich war auch irgendwie total überrumpelt. Das war gerade ein Hammer nach dem anderen. „Naja nich wirklich. Meinst du nich auch, dass es jetzt noch ein bisschen zu früh dafür is?“ Sie schwieg eine Weile und kuschelte sich an meinen Arm. „Ja ich weiß. War auch nur so eine Frage.“ Was sollte diese komischen Gesprächsthemen auch gerade. „Ich weiß nich mal, ob ich überhaupt Kinder will. Momentan reicht mir meine Schwester.“ Bis jetzt war ihr Gesicht ernst geblieben doch was hatte sie auch für eine Antwort erwartet. „Ich wollte dich auch nur mal fragen, wie du dazu stehst.“ „Jetzt weißt du‘s. Lass uns erst mal in den Proberaum gehen. Wir müssen ja nich lange bleiben.“ Der Weg zum Proberaum war nicht mehr weit, nur noch um die Ecke und dann konnte man auch schon die große, breite Stahltür sehen. Drinnen herrschte schon lustiges Treiben. Basti und Malen hatte den Kasten Bier vom Keller geholt und eine halbleere Flasche Whiskey stand auch noch offen auf dem Tisch. Die Tür öffnete sich kurz nach uns noch einmal und Flo kam herein. Er winkte Nici und mir. Dann ging er zu seiner reizenden Freundin und gab ihr einen Kuss. Ich platzierte mich auf die kleine Couch rechts oben vom Tisch und Nici setzte sich neben mich. Flo hielt mir den Joint hin, den ich nach diesen Gesprächen echt bitter nötig hatte. Was war nur los mit mir? Trotz netter, liebenswerter Gesellschaft fühlte ich mich allein. Dann versuchte ich doch relativ normal zu Nici zu sein, denn meine mürrische Laune hatte sie nicht verdient. Dennoch nervte es mich tierisch, wie sie mich die ganze Zeit tätschelte, deshalb schnappte ich mir meine Whiskyflasche und ging frische Luft schnappen. Wenige Sekunden später stand sie hinter mir. Aus dem Proberaum erklang Trent Reznors Stimme I focus on my pain The only thing that‘s real. Wie passend. „Hab ich was falsch gemacht?“, fragte sie unsicher. „Nein, ich bin nur gerade nicht in Kuschellaune.“ Ich trank einen großen Schluck und dieses Gefühl der Einsamkeit war nun fast unerträglich. Ich wollte jetzt nicht mit Nici über unsere Probleme diskutieren, nur eine Person wünschte ich mir jetzt sehnlichst herbei. „Stattdessen musst du dich wieder besaufen, ja? Toll ist das Lukas echt.“ „Ohhhh, passt dir das etwa nich kleine Prinzessin? Aber ich kann meine Gefühle gerade nich abschalten und so sein, wie du mich gern hättest. Weißt du Nici, das geht mir tierisch auf die Nerven, dass man immer so sein muss, wie andere wollen. Doch willkommen in meiner Welt, ich kann halt auch ein Arschloch sein.“ „Oh ja, das kannst du!!“, flüsterte sie mehr zu sich als zu mir. An diesem Abend gingen wir getrennte Wege und ich war nicht böse drum.   Es war niemand da. Ich ging hinauf in mein Zimmer und zündete mir eine Zigarette an. Ich musste gerade jetzt wieder an meine Mum denken. Jetzt, wo ich wieder allein war, kommt mir das alles so real und wirklich vor. Ich hatte jetzt keinen Bock, hier herumzusitzen und schnappte meinen Rucksack, zog meine Lederjacke wieder an und ging hinaus in die Natur. Mein Ziel war die kleine Laube. Sie Sonne schien hell und warm, doch davon wurde meine Laune kein Stück besser. Als ich zur Laube kam, kletterte ich aufs Dach. Neben mir glitzerte in der Sonne ein kleines Stück Glas. Ich nahm es in die Hand und betrachtete es eine Weile. Es war sehr scharfkantig und sehr gut geeignet zum Pulsadern aufschneiden. Ich schaute auf meinen Arm herab, der noch immer nicht komplett verheilt war. Da würde es auf die eine mehr oder weniger auch nicht mehr ankommen. Ich setzte die Spitze unterhalb der Pulsader an und zog einen Strich bis zu den Venen. Ich zog das spitze Glas quer über meinen rechten Arm. Das Blut tropfte schon auf das Dach der Laube. Der Schmerz fuhr durch meinen Körper und mir entfuhr ein gequälter Laut. Ich legte mich auf den Rücken und schloss meine Augen, doch der Schmerz wurde nur noch schlimmer. Aus meiner Schachtel fingerte ich eine Kippe raus und schob sie mir zwischen die Lippen. Dann holte ich den kleinen Block und den etwas zerkauten Bleistift, den ich immer bei mir trug, hervor und erstellte eine Pro und Contra Liste. Denn endlich sollte ich mir klar werden, was ich eigentlich wollte. Nici schrieb ich auf eine Seit des Blattes und Juka auf die andere Seite. Dann kritzelte ich mit zittriger Hand Wörter auf das leicht blutverschmierte Papier. Liebenswert, charmant, verständnisvoll, bringt mich zum Lachen, liebt mich? – all das stand in Jukas Spalte und ich vermisste ihn so schrecklich. Hier hatte ich es schwarz auf weiß- Nici konnte nie und nimmer mit ihm mithalten. Ich rauchte eine nach der anderen. Hatte ich jetzt erreicht, was ich wollte? Das wollte ich doch gar nicht. Die Zeit, als wir uns gestritten haben, war für uns beide nicht leicht und doch hatte ich zu meiner Mum immer ein besseres Verhältnis als zu meinem Dad. Sie hat versucht mir jeden Wunsch zu erfüllen und ich habe ihr das Leben so zur Hölle gemacht. Konnte ich das nicht einfach rückgängig machen? Jetzt war alles zu spät. Nichts konnte ich noch tun. Ach verdammt! Sollte ich jetzt mein ganzes Leben bei meinem Dad verbringen? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Ich zog das Foto aus meiner Jackentasche, welches ich seit ihrem Tod stets bei mir trug. Wie hübsch sie doch war. Eigentlich ist mein Dad nie fair zu ihr gewesen. Hat sie oft allein gelassen und dann waren da noch Johanna und ich, um die sie sich kümmern musste. Sie hat alles für mich getan und ich habe ihr das nie anerkannt, sondern habe ihr immer nur ein Schuldgefühl gegeben, weil ich bin wie ich bin. Aber kann überhaupt jemand was dazu, wenn er ist, wie er ist? Der Schmerz saß tief und ich fraß alles Leid in mich hinein. Wollte mit niemandem reden und konnte nicht einmal heulen. Bald würde ehe eine Todesanzeige in der Zeitung stehen und dann würde es die ganze Welt wissen. Doch würde sie auch wissen, wie sehr es ihrem Sohn leid tut? Wahrscheinlich nicht. War auch egal. Es ist erstaunlich, wie sich die Charaktere des Menschen von einen auf den anderen Tag verwandeln können. Ich beschloss mal in den Proberaum zu schauen. Dort traf ich die üblichen Leute an. Unter anderem auch Nici, Basti, Flo und Malen. Zu meiner Erleichterung. Ich setzte mich hin und schwieg vor mich hin. In mir baute sich dieses unschöne Gefühl, welches mich mittlerweile wie ein dunkler Schatten begleitete. Leere. Einsamkeit. Verzweiflung. Selbsthass. Die besorgten Blicke meiner Freunde entgingen mir nicht, doch was sollte ich dagegen tun? Schließlich hielt ich es nicht mehr aus, sprang auf und hastete zu den Toiletten. Mein Herz raste und meine Hände zitterten. Als ich mir ein bisschen Wasser ins Gesicht spritzte, verschaffte das dieser Unruhe eine dezente Linderung. Ich zuckte heftig zusammen, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Erschrocken drehte ich mich um. Flo. „Alles okay Süßer?“ „Sicher…muss nur wieder klar kommen…“ „Das war gerade heftig…und eher unnormal für dich…“ „Flo! Es geht mir gut, okay!“, bluffte ich ihn jetzt an und erschrocken wich er einen Schritt zurück. „Sicher…“, antwortete er und folgte mir wieder in den Proberaum. Basti, Malen und Nici wirkten noch verunsicherter und das ging mir heftig gegen den Strich. Ich war kein beschissenes Kleinkind, auf das man aufpassen musste. „Was guckt ihr denn alle so? Isses etwa verboten, dass ich auch mal miese Laune hab? Meine Freunde musterten mich mit ernsten Blicken, die ich jedoch nicht erwiderte. Es kam noch dazu, dass ich die letzte ganze Woche kaum geschlafen hatte und so sah ich wahrscheinlich auch aus. Es wagte keiner mit mir zu reden. Einmal trafen sich jedoch Bastis und mein Blick. Er zog die Augenbraune hoch und schaute mich fragend an. Ich zuckte mit den Schultern. „Lukas, du siehst nicht gut aus…vielleicht solltest du dich ein bisschen schlafen legen“, bemerkte Basti und meinte es eigentlich nur gut. „Und wohin? Zu meinem beschissenen Vater? Denn eine Mutter hab ich ja leider nich mehr!“, fuhr ich ihn an. Und so langsam schien ein Schalter nach dem anderen in meinem Gehirn durchzubrennen. Diese Wut vereinnahmte mich und ich wusste kaum wohin mit diesen Emotionen. Ich trank den letzten Schluck meines Bieres und schmiss die leere Flasche mit voller Wucht gegen die Wand. Das Stimmengewirr um mich herum verschmolz zu einem merkwürdigem Kauderwelsch und erst, als ich meine Hände kaum noch spürte, weil ich mit den Fäusten gegen die Wand schlug, näherte sich mir jemand und legte seine Arme um mich. Aus verheulten Augen schaute ich Nici an, die sogar versuchte zu lächeln. Doch noch tiefer fiel ich in dieses Loch. Verzweiflung. Ich stieß sie unsanft von mir. „Lass mich!“, fuhr ich sie recht laut an. „Ich will dir doch nur helfen!“, konterte sie. „Und wie oft soll ich dir noch antworten, dass ich keine Hilfe will!“, schrie ich jetzt zurück. „Aber ich bin deine Freundin Lukas! Ich will für dich da sein!“ „Ich brauch keinen, der für mich da is…kann eh keiner verstehen, wie es mir geht“, bluffte ich sie an und merkte, wie ich kurz davor war völlig durch zu drehen. Auch Basti und Flo schienen das zu merken. „Nici verflucht, hör einfach auf!“, mischte sich Flo deshalb ein und ich war ihm sehr dankbar dafür. „Weißt du wie beschissen sich das anfühlt Flo? Dauernd zurückgewiesen zu werden? Lukas bitte, lass uns zu mir gehen oder woanders hin…wir können uns einen schönen Abend machen“, versuchte es Nici. Mir traten die Tränen in die Augen und ich klammerte mich an der Wodkaflasche fest, die mir Flo so eben reichte. Dann sank ich kraftlos zu Boden und schüttelte nur mit dem Kopf. „Geh wenn du willst…ich bleib hier…“, erwiderte ich und blieb einfach dort hocken. Mein Kapuzenhoodie hatte sich irgendwie selbstständig gemacht und der Stoff war über meine Arme gerutscht. Nur meine Hände steckten noch in den Ärmeln. Nici entfernte sich, nahm meinen Platz auf dem Sessel ein, ließ mich jedoch nicht aus den Augen. Flo und Basti tuschelten miteinander. Ich bekam irgendwas von helfen und später schnappte ich das Wort Physikarbeit auf. Verdammt dafür musste ich ja auch noch lernen. Wie sollte ich den Mist jetzt auch noch in meinen Kopf hineinbekommen. Ich machte mir nicht mehr die Mühe meine aufgeritzten Arme zu verstecken. Flo tippte auf seinem Handy herum und schien mit irgendwem zu schreiben. Hin und wieder warf er mir einen besorgten Blick zu, doch ich versuchte diesen zu ignorieren. Wieder stiegen mir diese verfluchten Tränen in die Augen und mit leerem Blick starrte ich vor mich hin. Kaputt und nutzlos. Nicht einmal meine Freunde trauten sich in meine Nähe. Dann kam Nici doch wieder zu mir, hauchte mir einen Kuss auf die Wange und griff nach meiner Hand. Ich zuckte heftig zusammen. Ihr Blick richtete sich nun auf meine Arme. Dieses blanke Entsetzen in ihrem Blick traf mich und augenblicklich fühlte ich mich noch schwächer und ungewollter. „Lukas…was…wolltest du dich umbringen?“, wisperte Nici. Ich schüttelte nur mit dem Kopf und biss mir heftig auf die Unterlippe, wollte endlich betrunken sein und setzte die Flasche an. Nici versuchte mir diese aus der Hand zu nehmen, doch ich klammerte mich mit aller Kraft daran fest. „Bist du nicht auch langsam der Meinung, dass du Hilfe brauchst?“ „Und von wem? Von dir oder was?“, krächzte ich. „Nein…aber mein Papa…“, setzte sie an und das reichte, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Ich sprang auf und funkelte sie wütend an. „Ich brauch und will keinen beschissenen Psychologen! Und schon gar nicht dein Vater!“, fauchte ich sie an. „Dann mach so weiter Lukas, besauf dich, verstümmel dich und was weiß ich noch! Nur erwarte dann nicht mehr von mir, dass ich dich verstehe!“, heulte Nici. Heiße Tränen benetzten auch meine Wangen erneut und mein Verlangen tatsächlich zu sterben wuchs. Ich wollte nicht mehr ungewollt sein. Schluchzend brach ich zusammen. Im Augenwinkel sah ich, wie sich jemand näherte. Dieser Jemand blieb vor mir stehen und hockte sich vor mich. Neben Nici. Er schaute mich an und sein Blick sprach Bände. Schmerzhaft zog sich Jukas Herz zusammen, als er Lukas wieder mal am Boden sah. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und wer sonst, wenn nicht Nici kauerte vor ihm und versuchte ihn zu betüteln. Wie er dieses Mädchen einfach nicht mochte. Sie erzählte ihm irgendwas von ihrem Vater, der scheinbar Psychologe war oder sowas ähnliches. Flo hatte ihm geschrieben und ihn vorgewarnt. Ohne Lukas Freundin auch nur ein Fünkchen Beachtung zu schenken, kniete er sich vor seinen Liebling und versuchte seinen Blick einzufangen. Diese leeren großen Augen. Juka schluckte heftig und fragte sich nicht zum ersten Mal, wie lange er das noch mitmachen musste. „Ich mag dich nicht so sehen.“ Lukas zuckte fast wie erwartet mit den Schultern und diese Geste untermalte seine Gleichgültigkeit nur noch mehr. „Kommst du auch, um mich zu retten?“, fragte er leicht überspitzt. Juka ergriff seine Hand und zog seinen liebsten Lukas hoch, sodass dieser direkt in seinen Armen landete. Dann führte er ihn zum Sessel und er nahm schon fast freiwillig auf seinem Schoß platz. Nici stand wie ein Dummerchen neben ihnen und guckte blöd. Lukis Kopf sank gegen Jukas Brust und allmählich verebbte sein Schluchzen. Dankend nahm er die Zigarette an, die sein Japaner ihm anbot. „Sag mir doch erst mal, was mit dir los ist Süßer.“ „Ich bin betrunken…deprimiert, völlig kaputt und Nici hasst mich dafür“, nickte er in ihre Richtung. Auch ihre Augen füllten sich jetzt mit Tränen. Juka nahm ihm die Wodkaflasche weg und Luks wollte schon protestieren, da wurden seine Lippen von einem Kuss verschlossen, wenn auch nur ganz kurz. Das überrumpelte ihn sichtlich und Juka hatte schon angst,  überrieben zu haben. Da Nici ja noch immer neben ihnen stand, tat auch sie ihren Missmut kund. „Ach von ihm lässt du dir helfen oder was? Ganz ehrlich Lukas, ich kapier es nicht!“ Lukas ließ seinen Kopf erneut gegen Jukas Schulter sinken und auf einmal fühlte sich dieser tonnenschwer an. „Das ist dein Problem Nici, du kapierst es nicht! Du wirst es niemals verstehen, schon gar nicht das zwischen Lukas und mir…“ „Ach spielst du jetzt den heiligen Samariter?“ Jukas eiskalter Blick traf den des Mädchens. „Ich tue nur das richtige und das solltest auch du langsam tun Nici“   Ich spürte Jukas lachen und wünschte mir, er würde ihr von uns erzählen, doch ich kannte meinen Juka auch gut genug, um zu wissen, dass er das nie ohne meine Einwilligung tun würde. Mir wurde das alles zu viel und ich beschloss so, etwas zu tun. Warf Nici noch einen letzten Blick zu. „Wenn du es genau wissen willst, meine Affäre is keine sie sondern nen er. Liegt an dir, eins und eins zusammenzuzählen und jetzt lass mich bitte in Ruhe…“ Heulend rannte Nici weg. „Und du…wage es ja nich mich jetzt zu beschimpfen…“, murrte ich Juka an. Er zog meine Hand aus dem Ärmel meines Hoodies, kramte in seiner Tasche und holte Verbandszeug raus. Es brannte ein bisschen, als er die Wunde desinfizierte und doch fühlte es sich sehr intim an. Statt mich von sich zu stoßen, tat er genau das Gegenteil. „Willst du jetzt reden?“ „Keine Ahnung…ich würde mich gern erschießen…reden is verdammt anstrengend und kompliziert“, antwortete ich. Er zog mich weiter auf seinen Schoß und schloss mich in die Arme. „Warum tust du das immer wieder Juka?“, flüsterte ich kaum hörbar und blendete aus, dass wir nicht allein waren. „Was denn?“ „Mich retten?“ „Weil ich dich sehr lieb habe“, hauchte er mir zu und schon küsste er mich wieder. Langsam schob sich seine Zunge zwischen meine Lippen und die vertraute Wärme umfing mich. Ich vertraute ihm schließlich die ganze Geschichte an und er legte den Arm um meine Schulter. „Es tut mir echt so wahnsinnig leid, mein Luki.“ Juka tat das wirklich leid, dass wusste ich und es war gut zu wissen, dass er so dachte. „Was sollen wir jetzt machen?“, fragte er mich. „Keine Ahnung. Warum nur immer ich? Ich meine, ich wünsche sowas keinem anderen, aber habe ich in meinem kurzen Leben nich schon genug durchgemacht.“ Juka schwieg eine Weile. „Willst du heute bei mir schlafen? Da bist du nicht so alleine.“ Nach allem, was die letzten Wochen passiert war, schien das das Sinnvollste zu sein. „Nichts lieber als das.“ „Außerdem gefällst du mir gerade gar nicht.“ Ich war wirklich nicht abgeneigt von der Idee und nickte. Mit einem flüchtigen Gruß in die Runde folgte ich Juka.   Juka verwöhnte mich in seiner Wohnung. Während er mir etwas zum Essen kochte, versuchte ich noch ein wenig Physik zu lernen, aber irgendwie fanden diese vielen Formeln und  Merksätze gerade kein Platz in meinem Kopf. Also gab ich es auf. Juka hatte mir sogar ein Dreigänge Menü gezaubert. Echt unglaublich der Mann. „So viel Liebe hab ich doch gar nicht verdient.“ Erst jetzt fiel mir auf, dass Jukas Haare erheblich an Länge gewonnen hatten. Und auch fiel mir auf, wie wunderschön ich diesen Mann fand. „Doch, hast du. Und wenn es eins ist, was ich richtig gut kann, dann ist es mit Menschen umgehen. Und außerdem müsstest du doch langsam wissen, wie lieb ich dich habe.“ Aus der Küche kam ein köstlicher Geruch, der mir das Wasser in dem Mund zusammenlaufen ließ. Als Vorspeise gab es eine Möhrenschaumsuppe. Dann folgte Currytofu mit Reis und zum krönenden Abschluss Mousse o Chocolat. Dann zogen wir ins Wohnzimmer um, hörten Musik und tranken Tee. „Woher wusstest du eigentlich, dass ich im Club bin?“ Er warf mir ein geheimnisvolles Lächeln zu. „Tja, ich hab da so meine Quellen gehabt.“ „Flo oder?“ „Wow, du bist ja richtig gut. Eigentlich wollte ich euch beide Mal wiedersehen. Und dann hast du gleich wieder meine Aufmerksamkeit auf dich gelenkt. Ich hatte sowieso gerade Feierabend.“ Seine Worte trieben mir die Tränen in die Augen. Dann nahm Juka meine Hand und zog mich auf seinen Schoß. Ich vergrub meinen Kopf in seinen Haaren und schluchzte. Mein Körper gab mir jetzt zu verstehen, dass alles zu viel wurde. Erst der dauerhafte Stress und dann starb meine Mum einfach so. Das war einfach zu heftig. „Juka…ich kann nich mehr“, wisperte ich. „Doch weil du jetzt hier bist…du suchst einen Ausweg. Luki, wir schaffen das irgendwie, versprochen.“ „Aber was macht dich da so sicher…ich hab das Gefühl ich bin so weit unten und komm nich mehr hoch…“ „Ich kann‘s nicht genau sagen, aber allein der Aspekt, dass du gerade bei mir bist Luki und nicht irgendwo völlig breit und deinen Trost suchst.“ „Und doch würde ich das jetzt vorziehen…diese Gefühle erdrücken mich und ich kann es nich steuern…mein Körper sehnt sich nach Ruhe…ich will nichts mehr denken müssen.“ „Dir steht es noch immer frei zu gehen…dann flüchte in deine Drogenwelt…ich kann dich nicht davon abhalten.“ Er war so anders als alle Menschen, die ich bisher kennengelernt hatte. Jeder hätte jetzt versucht mich von meinen Plänen abzuhalten und Juka ließ mich gehen? Verwirr rutschte ich von ihm weg weil ich nicht genau wusste, was er damit bezwecken wollte. „Aber warum nich?“, flüsterte ich. „Weil ich dich nicht kontrollieren kann. Du bist selbst alt genug und weißt, was gut und schlecht für dich ist. Eigentlich.“ „Manchmal vergesse ich das aber auch…und manchmal isses schön, wenn jemand da is, der einem sagt, was gut oder schlecht is.“ Juka seufzte und sah auf einmal sehr mitgenommen aus. „Vielleicht hast du Recht, aber wenn ich jetzt versuchen würde dich davon abzuhalten, würdest du auf jeden Fall gehen…indem ich dich bestärke, hab ich eventuell ne geringe Chance, dass du bleibst.“ Jetzt war ich echt verwirrt. „Mhh…aber wie funktioniert das?“ „Ganz einfach, du fühlst dich von mir in dem Moment wahrgenommen…hast das Gefühl ich versteh dich und denkst drüber nach hier zu bleiben, weil dir bewusst wird, dass meine Gesellschaft nicht die schlechteste ist. Umgekehrte Psychologie eben.“ „Darf ich wieder auf deinen Schoß kommen?“ „Klar, komm her.“ Mein schöner Japaner schloss seine Arme um mich und auf einmal umfing mich Wärme und Geborgenheit. Ich vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge und versuchte zu vergessen. „Du bist toll“, flüsterte ich ihm zu. Jukas warme Hände kraulten meinen Nacken und ich ließ ein bisschen los. Ich fühlte mich auf einmal besser. Früher wäre ich in solchen Situationen wohl eher zu Tim gegangen. Aber auf den konnte ich wohl jetzt auch nicht mehr zählen. Juka sprach nicht ein einziges Mal über meine Mum und bemitleidete mich auch nicht, sondern bereitete mir einfach nur einen schönen Abend. „Sag mal, findest du es eigentlich seltsam mit mir in einem Bett zu schlafen? Wenn du das nicht möchtest, schlage ich dir auch noch ein Nachtlager hier im Wohnzimmer auf.“ Ich lächelte und zog an meiner Zigarette. „Hab doch neulich schon mit dir in einem Bett gepennt.“ Juka erwiderte mein Lächeln und auf einmal war er wieder dieser liebevolle Freund, ich wurde nicht schlau aus ihm. Und ich versuchte nicht daran zu denken, wie er nackt aussah. „Ach Süßer…Kann ich dich etwas fragen?“ „Sicher.“ „Vermisst du deine Mum sehr?“ „Ja, mehr als ich dachte. Ich mache mir auch ständig Vorwürfe, weil ich es vielleicht hätte verhindern können.“ Er strich mir über die Wange. „Aber nicht doch. Vorwürfe sollte man sich nie machen. Da zerfrisst es einem nur die Seele.“ „Ja…aber ich hab mal so nachgedacht. Und, wenn Tim nich gewesen wäre…dann wäre ich nich in diese Kreise gekommen.“ Juka nahm mich jetzt in die Arme. „Mag sein. Dazu kann ich wenig sagen, aber bitte hör auf dir Vorwürfe zu machen. Komm, wir gehen jetzt schlafen. Schließlich musst du ja ausgeruht sein, wenn du deinen Test morgen schreibst.“ Ich ließ mich ins Bett sinken. „Ich bin echt froh, dass ich dich hab.“ Er grinste mich an und deckte uns mit einer großen Decke, die wahrscheinlich extra für ein großes Bett gedacht war, zu. „Schläfst du eigentlich oft einfach so mit Männern in einem Bett?“ „Naja meistens kommen die nicht mal bis ins Bett, denn hier nehme ich nur ganz besondere Männer mit hin.“ Sollte das heißen, dass Juka mich als etwas Besonderes sah? Irgendwie fühlte ich mich geehrt. „Naja und wenn man einer in meinem Bett landet, dann auch nicht einfach so.“ Die Bettwäsche roch nach frischem Weichspüler. Diesen Geruch liebte ich so, doch an Schlaf war jetzt mal so gar nicht zu denken. „Juka…damals beim Zelten, was da passiert is…ich wünschte wir könnten das öfters tun.“ Ohne etwas zu sagen knipste Juka die Lichterkette an, die das Bett umgab. „Manchmal glaub ich du bist der Teufel persönlich, einerseits so lieb und verletzlich und dann sagst du sowas…was ist wenn ich beschlossen habe, dass ich das nicht widerholen will“, sagte er, doch ich wusste, dass er es nicht so meinte. „Dann könnte ich dafür sorgen, dass es auch ein zweites Mal passiert oder ein drittes oder viertes…“ Elegant kickte er seine Unterhose weg und lag jetzt nackt unter der Bettdecke. Ich zog sie ihm weg. Was für ein göttlicher Anblick. Ich umschloss seinen Penis mit meinem Mund und tat das, was ich schon so oft in meinen Vorstellungen getan hatte und Juka schien es auch zu gefallen. Jedoch stoppte er mich irgendwann und schaute mich ernst an. „Willst du das wirklich?“ „Ja, unbedingt“, raunte ich und augenblicklich hatte mein Freund wieder die Oberhand. Er küsste mich und knabberte erst leicht, dann intensiver an meiner Unterlippe. Ich ließ ihn gewähren und seine Zunge spielte geschickt mit meiner. Ein lustvoller Laut entfuhr mir und ich reckte mich ihm entgegen. Durch den dünnen Stoff meiner Unterhose spürte ich Jukas Erektion und schon allein dieses Gefühl machte mich unglaublich geil. Er löste sich von meinen Lippen und griff neben sich unters Bett. Ich grinste. „Hast du da dein Spielzeug versteckt?“, fragte ich amüsiert und schon begann mein Herz wild zu hämmern. „Wer weiß…“, entgegnete er und zog eine Tube mit Gleitgel sowie Kondome hervor. Juka befreite mich von meiner Unterhose und seine Finger wanderten geschickt zu meiner Öffnung. Ich zuckte zusammen, als er weiter vor Drang. Fragend schaute er mich an, doch ich gab ihm zu verstehen, dass er keinesfalls aufhören sollte. Es fühlte sich anders und verdammt gut zugleich an. Mein Körper bäumte sich auf und mein Herz raste, jedoch wusste ich nicht, wo mir der Kopf stand und denken war schier unmöglich. „Willst du mehr mein Süßer?“ Bei diesen Worten drohte mein Herz zu explodieren und ich brachte nur ein Nicken zustande. Ich spreizte meine Beine und schaute Juka erwartungsvoll an. Er tastete sich zuerst langsam voran, doch schon das ließ mich aufstöhnen. Sein Gesicht schien vor meinen Augen zu verschwimmen und er drang tiefer in mich ein. Meine Finger krallten sich an den Lacken fest. Jukas Stöße wurden schneller. Mit seiner freien Hand ergriff er meinen Schwanz und ich keuchte, weil mich diese Gefühlswelle aus der Realität katapultierte. Die Lust übermannte mich und zu meinem Bedauern kam ich viel zu schnell. Auch Juka entspannte sein Gesicht und ergab sich seinem Orgasmus. Dann sank er neben mir in die Kissen. „Heilige scheiße…das war der beste Sex, den ich jemals hatte.“ „Mh, dann hab ich wohl mein Ziel erfüllt“, freute sich Juka und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. „Ich glaub mein Gehirn is grad eher ne puddingartige Masse…“ Mein Freund lachte. „Luki, wir sollten schlafen.“ Ich setzte mich auf und sah ihn an. „Is das dein scheiß ernst? Als ob ich jetzt schlafen könnte…vielleicht sollte ich noch kurz duschen.“ Mit wackligen Beinen bewegte ich mich Richtung Bad und stand eine halbe Ewigkeit unter der Dusche. Was zum Henker hatte ich getan? Das konnte unmöglich gut ausgehen und dann war da noch Nici. Shit! Wie sollte ich jemals wieder Sex mit ihr haben, ohne an diesen heißen Japaner zu denken? Juka lag noch immer wach und stellte noch den Wecker. „Freunde mit gewissen Vorzügen was?“ Etwas verdutzt sah ich ihn an. „Bitte was? Ich war gerade in Gedanken…“ „Ich bin dein erster Kerl oder?“ „Ähm…ja wieso? War’s so schlecht?“ „Nein nein, keinesfalls…ich könnt mich dran gewöhnen…fragt sich nur, wie du dazu stehst?“ „Ich glaub ich bin ein bisschen verwirrt…“ Juka zog mich wieder zu sich und strich vorsichtig über meinen verletzten Arm. Ihn schien es nicht zu stören und doch bildete sich eine kleine Sorgenfalte zwischen seinen Augen. „Luki…denk einfach drüber nach und lass mich wissen, wenn du zu einem Entschluss gekommen bist.“ Ich seufzte und jetzt übermannte mich doch die Müdigkeit. „Lass uns wann anders reden Juka…ich brauch noch ein bisschen Schlaf.“ „Wie du magst. Dann Gute Nacht.“ Am nächsten Morgen bekam ich ein tolles Frühstück serviert. Mit Croissant, Marmelade und Kaffee. Dann begleitete ich Juka noch ein Stück des Weges und verabschiedete mich von ihm. „Danke für alles mein Jukaschatz.“ „Oh mein Gott, du hast mich heut zum ersten Mal Schatz genannt. Das mach ich doch gerne und das weißt du auch. Viel Glück bei deinem Test und meld dich bei mir.“ Juka verabschiedete mich mit einem Kuss auf die Wange. Da der Weg länger war, als von mir aus, blieb mir Zeit, zwei Zigaretten zu rauchen.       „Hy Lukas“, begrüßte mich Flo, der schon auf mich wartete. „Hy“, sagte ich kurz und knapp. „Ich hab Jojo mitgebracht. Sie hat mich gefragt, wo du die Nacht gewesen bist.“ Ich lächelte, zumindest versuchte ich es. „Hab bei Juka gepennt. Wo is sie jetzt?“ „Schon im Schulgebäude. Siehst sie ja bestimmt in der Pause. Bei Juka oder mit Juka?“ Ich nickte und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Mhh beides…ich glaub ich bin ihm verfallen. Wo is Basti?“ „Keine Ahnung. Wollte eigentlich schon hier sein. Kannst du Physik?“ „Mhh geht so, gerade hab ich noch andere Dinge in meinem Kopf. Du?“ „Ja, hab um zehn noch gelernt. Du siehst echt voll fit aus!“ „Ich wurde gestern auch schön verwöhnt, wundert mich, dass ich fit aussehe.“ Flo schüttelte nur mit dem Kopf. „Was wird jetzt mit Nici…nach gestern und so?“ „Keine Ahnung.“ „Naja solange Juka es schafft dich aufzubauen, mach mit ihm was du willst.“ „Ich darf nich dran denken, sonst werde ich verrückt.“ Ich kaute auf meiner Unterlippe umher. Wir gingen schweigend  zum Klassenraum. Nach dem Deutschunterricht bat mich Herr Stoldt vor zu sich. „Lukas, es tut mir leid für dich.“ Ich sah ihn etwas verdutzt an. „Weswegen?“ „Naja, die Sache mit deiner Mutter.“ „Wollen sie jetzt einen auf Mitleid spielen? Is doch nicht ihr Problem. Ich musste schon mit so vielen Problemen klarkommen. Da werd ich das ja wohl auch schaffen.“ „Ich weiß, wie du dich fühlst...“ Ich unterbrach ihn, bevor er zu Ende reden konnte. „Gar nichts verstehen Sie. Sie sind nicht mein bester Freund, also haben sie sich gefälligst aus der Sache herauszuhalten. Oder sind sie der Meinung, ich rede mit jedem über meine Probleme?“ Ich war etwas zornig, kehrte meinem Klassenlehrer den Rücken und verschwand. Jetzt Physik schreiben. Werd es schon irgendwie schaffen. So schwer, wie erwartet verlief die Arbeit gar nicht. Ich strengte mich an, so gut es ging und war mir am Ende der Stunde ziemlich sicher, dass ich ganz gut abgeschnitten hatte. Flo, Basti und ich gingen rauchen. Jojo kam mir auf dem Schulhof entgegengerannt. Ich nahm sie auf den Arm, was bestimmt viele der anderen Schüler hier verwunderte. So ein schwarzer, böser Grufti und so ein kleines süßes Mädchen. Aber das war im Moment auch egal. „Wo warst du denn heut Nacht? Ich hab mir solche Sorgen gemacht.“ Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Hab bei einem guten Freund geschlafen. Aber heute Nacht bin ich zu Hause, versprochen.“ Meine kleine Schwester schaute mich etwas skeptisch an. „Du siehst echt voll fertig aus. Wann hast du das letzte Mal richtig geschlafen? Ich mach mir doch nur so große Sorgen um dich. Ich hab dich so lieb.“ „Mir geht es gut. Jojo, wir müssen jetzt tapfer sein ohne Mutti. Ich hab dich auch lieb.“ Ich drückte die kleine fest an mich und hätte sie am liebsten gar nicht wieder losgelassen. Sie lächelte schwach und ging dann zu ihren Freundinnen und ich ging zu Basti und Flo in unsere Raucherecke. Chris, Yvonne und Jessica standen jetzt auch mit dort, was mich ein bisschen ankotzte, ließ  mir aber nichts anmerken. Ich zündete mir eine Zigarette an und setzte mich neben Flo auf die Bank. Mein Blick blieb starr am Boden haften und ich nahm kaum wahr, was um mich herum geschah. Ob die anderen lachten war mir auch egal. Dann redete Flo mit mir. „Was wollte Herr Stoldt eigentlich von dir?“ „Hat mir nur die Todesanzeige meiner Mum unter die Nase gehalten und wollte, dass ich mit ihm darüber rede. Was soll der Scheiß, muss ich jetzt mit jedem darüber reden?“ „Ey, das ist echt voll scheiße Mann. Was sagt Jojo dazu?“ „Hat es halbwegs verkraftet. Hat sie aber auch ganz schön hart getroffen. Ich hab einfach keinen Bock mehr. Ich glaub, ich schwänz heute Sport.“ „Das is doch eigentlich dein Lieblingsfach!“, sagte Flo etwas entsetzt. „Ja schon, aber ich will den Kontakt mit Herrn Stoldt meiden. Das is das letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, einer der mich bemitleiden muss.“ „Ja verstehe. Soll ich ihm sagen, dass du nach Hause gegangen bist, weil es dir nicht so gut ging?“ Ich nickte und war Flo echt dankbar dafür. Er konnte auch ein richtig guter Freund sein und er war einer der wenigen neben Basti und Juka, die mich verstehen konnten. Sie waren keine von denen, die ständig einen auf Mitleid spielen mussten und das tat manchmal gut, nicht immer für alles bedauert zu werden. Jessica und Yvonne hätten wahrscheinlich gern gewusst, was mit mir los war, denn ihre Blicke wanderten immer zu mir herüber. Als die sechste Stunde nahte, war ich ziemlich froh, weil es für heute meine letzte sein würde. Und doch war es einer der schlimmsten Stunden an diesem Tag. Geschichte. Wie ich dieses Fach verabscheute, aber eigentlich eher wegen der Lehrerin. Schon als diese furchtbare Frau hinter dem Lehrerpult in der Klasse umherspähte, hätte ich sie verfluchen können. Ihr Blick traf sich mit dem meinen und ich starrte sie voller Hass an. Ich war ja mal gespannt, wen sie heute zur mündlichen Leistungskontrolle nach vorn holen würde. Wahrscheinlich wiedermal mich. Das sie langsam nicht mal kapierte, dass ich schon allein aus Provokation für ihr dämliches lernte, weil ich genau wusste, dass sie auf den Tag wartete, an dem ich eine sechs bekommen würde. Doch diesen Tag würde es nie geben. Und tatsächlich, als es zum Unterricht geläutet hatte, sagte sie: „So mal sehen, wen wir heute zur mündlichen Leistungskontrolle nach vorne holen?“ Sie blickte wie ein Wiesel durch die Klasse und ihr Blick blieb an mir haften. Ich schmaler Mund verzog sich zu einem erbärmlichen Lächeln. „Na Lukas, dann komm doch bitte mal nach vorne.“ Plötzlich meldete sie Flo neben mir. Sie schaute etwas verwundert drein. „Ja Florian, was hast du zu sagen?“ „Ich wollte nur mal sagen, dass es langsam langweilig wird, wenn sie immer dieselben zur Leistungskontrolle dran nehmen. Falls es ihnen noch nicht aufgefallen ist, Lukas bekommt bei ihnen nur Einser. Ich weiß nicht, wann sie endlich mal verstehen, dass er immer für ihren Unterricht lernt. Es wäre auch nicht schlecht, wenn andere Schüler mal die Chance bekommen, eine gute Note in ihrem langweiligen Fach zu bekommen.“ Frau Neumann hatte aufmerksam zugehört und ihr dämliches Grinsen erstarb, dafür lief ihr Gesicht knallrot an. Sie stützte sich mit den Armen auf das Pult. „Dieses langweilig möchte ich ja jetzt wohl überhört haben. Und außerdem kann ich bestimmen, wer hier eine Leistungskontrolle durchführt. Außerdem..“ Und dabei schaute sie mich wieder mit ihrem dämlichen Grinsen an. „...Sieht der gute Lukas heut nicht so aus, als ob er gelernt hätte. Bitte trete jetzt nach vorne! Wir haben schon genug Zeit verschwendet.“ Ich schlurfte lustlos und mit ausdrucksloser Miene zur Tafel. Sie stellte mir ungefähr sechs fragen, die ich ziemlich gut beantworten konnte und am Ende eine zwei bekam. „Na nochmal Glück gehabt was?“ Ich scherte mich nicht darum, etwas zu erwidern. Ich wollte einfach nicht. Ich hatte auch keine Kraft dazu. Endlich, es klingelte. Flo und ich waren zuerst aus dem Klassenzimmer verschwunden. Ich verabschiedete mich von ihm und verließ die Schule. Ich schlenderte den Weg zu Nicis Schule langsam vor mich hin. Nach unserem Streit neulich hatten wir uns wieder halbwegs vertragen. Doch rief ich mir wieder ins Gedächtnis, dass ich Sex mit Juka hatte. Shit. Ich hatte schon Mal einen Versuch gestartet ihr das zu erklären und ich würde es wohl ein zweites Mal versuchen müssen. Ich wusste, dass sie noch Unterricht hatte. Also setzte ich mich auf die Wiese und wartete vor dem Gebäude. Noch fünf Zigaretten, verdammt. Müsste mal wieder arbeiten gehen, um ein bisschen Kohle zu verdienen. Das, was ich im Moment noch hatte, reichte hinten und vorne nicht. Die Zigarette tat gut. Die Sonne schien warm auf mein Gesicht und ich schloss die Augen, um mich ein wenig zu entspannen. Nach ungefähr einer viertel Stunde konnte ich ein Klingeln aus dem Gebäude hören und kurz darauf kam ein Strom von Schülern aus der Schule heraus. Ich beobachtete sie aufmerksam, weil Nici dabei sein müsste und ich musste tatsächlich nicht lange warten, bis ich sie erblickte. Sie war von drei anderen Mädchen umringt, die ich nicht kannte. Als sie mich erblickte, rannte sie in meine Arme und küsste mich. Die anderen Mädchen schauten etwas eifersüchtig drein und auch einige der Jungen blickte neidisch zu mir herüber. „Was machst du denn hier? Ich denke du hast noch Schule?“ „Hab Sport geschwänzt.“ „Wir müssen reden, findest du nich?“ „Vielleicht.“ Sie lächelte etwas verhalten. „Komm erst mal mit zu mir okay?“ Ich nickte und nahm ihre Hand. „Hast du mal drei Euro? Bin grad voll blank und hab nur noch drei Zigaretten. Mit denen komm ich heut bestimmt nicht über die Runden.“ Sie kramte in ihrer Tasche und reichte mir das Geld. Ich gab ihr einen Kuss und holte mir an dem nächsten Automaten eine Schachtel. Nici schloss die Tür auf und wir gingen in ihr Zimmer hinauf. Ich legte mich auf das Bett und blickte Nici traurig an. Ich biss mir auf die Unterlippe. Nici setzte sich neben mich und strich meine Haare aus der Stirn. „Meinst du nicht, dass ein bisschen Schlaf dir mal gut tun würde?“ „Ich weiß auch nicht, was mir im Moment gut tut und was nicht.“ Doch du weißt, was dir gut tut und Nici kann es dir unmöglich geben, plagte mich mein Unterbewusstsein. Ich setzte mich jetzt auch hin und Nici kroch auf meinen Schoß. Ich lehnte meinen Kopf an ihren Bauch. Sie kraulte mich mit ihren Fingernägeln im Nacken. „Was ist mit deinem Dad und Sonja? Versteht ihr euch wieder?“ „Nein. Mein Dad ist jetzt auch total gegen mich. Von wegen wie ich doch herumlaufe und so. Die alte Leier halt. Nur weil Sonja ihn dazu angestiftet hat und Jenny damit angefangen hat. Solche wie ich könnten ja gefährlich für diese eh schon verdorbene Gesellschaft sein. Die einzige aus meiner Familie, mit der ich noch normal reden kann, is Jojo. Und das wird auch immer so bleiben.“ „Wenn du willst, kannst du auch mit Jojo hierher ziehen. Meine Oma hat bestimmt nichts dagegen. Sie mag euch beide ja auch total gern.“ Ich schaute zu ihr auf. „Weiß nich ob das so eine gute Idee is.“ „Lukas ich bitte dich. Ich meine vielleicht bringt dich das auf andere Gedanken.“ Ich lächelte schwach. „Meinst du drei Häuser weiter bekomm ich Ablenkung, wenn ich diesen Bastard trotzdem jeden Tag sehe? Nici…das gestern, mein Ausraster, gibt dir das denn gar nicht zu denken?“ „Naja…das war schon heftig…aber jetzt bist du ja hier oder nicht.“ „Ich weiß nich, ob das mit uns noch Sinn macht“, bemerkte ich beinahe kraftlos, weil ich es einfach nicht übers Herz brachte mit ihr Schluss zu machen. So ganz endgültig. Ich lehnte mich wieder an Nici. Jojo sollte nicht bei dieser Familie bleiben, die ohnehin schon zerbrochen war und im Moment war mein Vater für mich nur noch mein Erzeuger. Ich musste wieder an das Tagebuch denken, in dem ich erfahren hatte, dass mein Vater meine Mum oft misshandelt und geschlagen hatte, wenn sie alleine zu Hause gewesen sind. Er hat sie gezwungen immer die perfekte Liebhaberin zu spielen, wobei er sich mit anderen vergnügt hat. Sie musste auch immer seine Hausfrau spielen und wenn das Essen nicht pünktlich auf dem Tisch stand dann...dann hat er sie später bestraft. So, wie sie es angeblich verdient hat. Meine Mum hat nie darüber geredet und ich habe das all die Jahre nicht mitbekommen. Warum bloß? Ich hätte etwas dagegen unternehmen können. Hätte ihr helfen können und für sie da sein können. Doch was hatte ich getan? Ich hab ihr das Leben auch zur Hölle gemacht. Was hatte meine Mum von ihrem Leben? Ich hatte das Tagebuch bei mir im Zimmer versteckt und keiner würde es je zu lesen bekommen, außer mir. Und was sie darin niedergeschrieben hatte, würde ebenfalls kein Mensch erfahren. Das war das einzige, was uns innerlich immer noch miteinander verband. Kapitel 21: Trauer PART 2 ------------------------- Die Trauerfeier sollte morgen stattfinden. Ich suchte meinen besten Anzug dafür heraus. In der Schule wurde ich selbstverständlich entschuldigt. Aber irgendwie wäre ich lieber in die Schule gegangen, als bei solch einem Ereignis teilzunehmen. Ich war solchen Dingen einfach nicht gewachsen. Ich bestand darauf, dass ich den Schmuck für das Grab als auch den Grabstein aussuchte, denn das war das Mindeste, was ich noch für meine Mum tun konnte. Es war zwar Herbst, aber die Sonne schien trotzdem. Ich stand vor dem Spiegel und knöpfte mein Hemd zu. Mein Gesicht sah eingefallen und krank aus. Unter meinen Augen zeichneten sich tiefe dunkle Schatten ab und blass war ich ohnehin immer. Zum Kaffee und zum Abendbrot hatten wir alle Gäste in unser Haus geladen. Das würde wahrscheinlich der Schlimmste Teil der Beerdigung werden, wenn sie alle über meine Mum reden würden. Langsam schlurfte ich in die Küche hinunter. Sonja hatte sich um das Essen gekümmert, was sie bei irgendeinem Partyservice bestellt hatte. Ich setzte mich an den Tisch und trank eine Tasse Kaffee. Jojo schaute mich aus verheulten Augen an. Ich versuchte zu lächeln und streichelte ihr zärtlich über die Wange. Jenny war schon zur Schule gegangen. Keiner sagte etwas. Die Stimmung war ziemlich gedrückt. Dreiviertel zehn machten wir uns dann auf den Weg zum Friedhof, denn um zehn sollte die Trauerfeier beginnen. Mein Vater hatte sogar einen Pater bestellt, obwohl er Atheist war, wie ich. Jojo stand vor mir und ich legte meine Arme um sie. Ich nahm kaum wahr, was der Mann alles erzählte, denn der Schmerz brannte in meiner Brust und Tränen rannen mir ununterbrochen über die Wangen. Nach anderthalb Stunden beendete er seine Rede und alle Angehörigen und Freunde durften die Urne mit Erde und Rosenblättern zuschütten. Auch Flo war mit seiner Familie da, weil meine Mum mit seiner Mum sehr gut befreundet war. Sie sprachen mir ihr Beileid aus. Alle Trauergäste verließen nun den Ort der Einsamkeit. Flo und ich waren die letzten. „Es tut mir echt leid Schnuckelchen“, versuchte mich mein bester Freund zu trösten. „Ändern kann ich es ja nun auch nich mehr. Ich muss unbedingt eine rauchen. Bleibt ihr auch noch zum Kaffee?“ Er reichte mir eine Zigarette und steckte sich selbst eine an. „Klar, ich lass dich doch nich allein. Hast du schon angefangen, was für die Prüfung zu machen?“ „Danke Flo. Daran kann ich momentan überhaupt nich denken.“ Zu Hause lagen sich alle dauernd in den Armen, sprachen aufbauende Worte zueinander und versuchten das Beste aus der ganzen Situation zu machen. Mein Vater spielte den perfekten, trauernden Ehemann und die Wut auf ihn wuchs nur noch mehr und bevor ich etwas Dummes tat oder sagte, verkroch ich mit Flo in mein Zimmer. Mein Freund baute uns einen Joint, reichte ihn mir und brach ein schwaches Lächeln zustande. Dann nahm er mich in seine Arme und war einfach da. Ich besuchte das Grab meiner Mum fast jeden Tag und stellte alle fünf Tage frische Blumen darauf. Gelbe und weiße Rosen. Das waren ihre Lieblingsblumen. Ich blieb stundenlang bei ihr und in ihrer Gegenwart rauchte ich keine Zigarette, weil ich wollte, dass sie sah, dass es auch ohne ging. Meine Mum war viel zu jung gewesen, um zu sterben, doch ändern konnte ich es jetzt auch nicht. Doch weiß ich eins, ich bin stolz eine solche Mutter gehabt zu haben und ich war auch froh, dass mein Aussehen eher nach ihr ging und nicht nach meinem Erzeuger. Wenn ich damals schon gewusst hätte, was er meiner Mum alles angetan hat, hätte ich ihn wahrscheinlich umgebracht. Aber warum hat sie das alles so vertuscht und nie darüber geredet? Ich war wiedermal an ihrem Grab. Als ich noch jünger war und nach Hause gekommen bin, habe ich meine Mum schreien hören. Aber es war kein Schrei vor Zorn oder Wut, es war ein Schrei vor Schmerz. Ich will nicht wissen, was er ihr angetan hatte. Ich habe das zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht wirklich resigniert. Auf mir lasteten tausende von Schuldgefühlen, doch ich wollte weiterleben. Ich wollte mich an diesem Schwein rächen, der einmal mein Vater gewesen war. Bevor ich den Friedhof verließ sagte ich: „Mama, es tut mir alles so leid. Ich habe dein Tagebuch gelesen und bin dir dankbar, dass du es zurückgelassen hast. Ich war verdammt ungerecht zu dir, doch werde ich mich in deinem Namen rächen, das verspreche ich dir. Warum hast du nie darüber geredet, was das Schwein dir angetan hat? Warum nicht? Du hast mich belogen, als ich dich gefragt habe, warum du so viele Blutergüsse und blaue Flecken hast. Was hätte er dir angetan, wenn du mir alles erzählt hättest? Mama ich liebe dich und werde dich jeden Tag besuchen. Ich ersehe es als eine Art Pflicht und Ausgleich meiner Schuldgefühle. Ich wollte es nie soweit kommen lassen doch bin ich stolz. Du wirst für den Rest meines Lebens den meisten Platz in meinem Herzen beanspruchen, doch du bist es wert. Ich liebe dich wirklich. Mein größter Wunsch wäre gewesen, dass ich dir das noch einmal hätte sagen können, als du am Leben warst.“ Ich kniete vor dem Grab und weinte bitterlich. Es begann zu regnen und meine Klamotten durchweichten. Ich spürte den kalten Regen auf meiner Haut und er kroch langsam in meinen Körper, doch meine Mum hatte es verdient, dass ich jetzt leiden musste. Sie war zwar gestorben, doch man hört einen Menschen nie auf zu lieben, so lange ihn man noch in seinem Herzen trägt. Langsam erhob ich mich und ging nach Hause. Ich wollte jetzt stark sein. In meinem Zimmer fing ich an Texte zu schreiben, vielleicht würde der eine oder andere Text sogar ein neuer Song werden. Ich hielt inne. Ich saß in der Mitte meines Zimmers und versuchte mich von all dem hier zu trennen. Meine Zigarette war schon bis zur Hälfte heruntergebrannt, ohne, dass ich oft daran gezogen hatte. Es war schon seltsam, als meine Mum noch am Leben war hätte ich mir so oft gewünscht ohne sie zu leben, alles alleine in die Hand nehmen zu können, doch jetzt? Ich wollte zwar damals auch nicht, dass sie stirbt, aber ich wollte einfach nur ein eigenes Leben führen, aber ganz ohne meine Mum? Soweit wollte ich es nie kommen lassen. Doch eins war für mich hundertprozentig klar! Ich würde mein neues Leben ohne Drogen beginnen. Eigentlich wäre ich lieber in meine eigene Wohnung gezogen, doch woher sollte ich das Geld nehmen? Ich raffte meine beschriebenen Zettel zusammen und ging zu Nici. Die kommenden Wochen würden sehr stressig für Basti, Flo und mich werden, denn wir standen kurz vor dem Abitur. Das Vorabi lief bei uns allen ziemlich gut. Wir hatten jetzt zwar keinen Unterricht mehr, sondern nur noch Konsultationen in den Prüfungsfächern, aber ich wusste auch, dass ich mich nicht die ganze Zeit ausruhen konnte. Trotz alledem gönnten wir drei uns einen Abend vor dem schriftlichen Abi Deutsch ein kühles Bier im Proberaum. Plötzlich kam mein Vater hereingeplatzt und bat mich vor die Tür. „Sag mal musst du nicht für dein Abitur lernen? Stattdessen sitzt du hier herum und vergnügst dich!“ „Das lass mal meine Sache sein. Ich weiß selbst, was ich mir erlauben kann und was nich. Außerdem geht dich mein Leben nichts mehr an!“, sagte ich erzürnt. Mein Vater musterte mich mit verachtendem Blick. „Dir ist wirklich nicht mehr zu helfen. Was deine Mutter nur dazu gesagt hätte?“ „Ach, jetzt spielst du wohl den Mitleidenden? Du bist ein verdammter Heuchler, weiter nichts! Ich weiß genau was du Mama angetan hast. Geschlagen und schlecht behandelt hast du sie! Kennt Sonja eigentlich diese Schokoladenseite schon von dir?“ Ich hatte ihn damit voll getroffen. Mein Vater starrte mich an, doch die Worte fehlten ihm. „Das verblüfft dich wohl, was? Also war meine Quelle ja doch zuverlässig. Keine Angst, das bleibt unser kleines Geheimnis. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend!“ Ich drehte mich um und ließ ihn stehen. Wie normal musste ich halb acht in der Schule sein. An diesem Morgen rauchte ich gleich zwei Zigaretten, weil ich doch etwas nervös war. Meine kleine Jojo wünschte mir noch viel Glück und ich machte mich mit Basti und Flo auf den Weg zur Aula. Die Themen waren nicht gerade mein Ding, so hochtrabend. Doch die letzte Aufgabe traf mich emotional. Es war ein Zitat vorangestellt, in dem es sich um den Tod handelte und man sollte sich damit auseinander setzen. Also eine freie Erörterung schreiben. Das passte ja wieder Mal super zusammen, dachte ich bitter. Ich entschied mich also für die freie Erörterung. Herr Stoldt schaute bei jedem von uns vorbei, ich ignorierte ihn jedoch. Eine halbe Stunde vor dem Ende gab ich ab. Mein Gefühl war nicht gerade das Schlechteste. Jessica und Yvonne waren schon vor mir gegangen. Basti und Flo schrieben noch. „Und, wie war‘s?“ Ich zuckte mit den Schultern und zündete mir eine Zigarette an. „War ganz okay und bei euch? Was habt ihr genommen?“ „Die Interpretation der Kurzgeschichte. Du?“ „Die freie Erörterung.“ „Um Gottes Willen, da hätte ich glaub ich total versagt. Naja, aber du kannst das ja ziemlich gut.“ Jetzt kam Basti. Er grinste mich mitfühlend an und ich konnte mir denken, dass er das gleiche Thema wie ich genommen hatte, wie auch Flo, der kurze Zeit später folgte. Die Woche verging relativ schnell und jetzt waren es noch zwei Wochen bis zu den mündlichen Prüfungen. Ich hatte mich für Geschichte entschieden. Basti, Flo und ich schmiedeten Pläne für das nächste Konzert. Mit Michael, dem Neuen in unserer Klasse hatten wir uns auch so halbwegs angefreundet. Basti fand seine Schwester Lena ja ziemlich heiß. Ich lud die beiden einfach mal zu uns in den Proberaum ein. Vor allem Lena war total begeistert von unserer Band. Da wuchs mein Stolz wieder ein bisschen. Tim erschien auch irgendwann. Er war in letzter Zeit total komisch, so beschloss ich mich mit ihm zu unterhalten. „Was ist eigentlich mit dir los? Hast du irgendein Problem?“ Wir saßen vor dem Proberaum auf der Bank. „Ich habe mal so überlegt ob wir nicht ein bisschen mehr in die Metalrichtung gehen könnten?“ „Warum das denn? Es gibt so viele dumme Metalbands in der Stadt Tim. Das ist doch Schwachsinn!“ „Ich habe nur keinen Bock mehr auf diesen verdammten Gothic Rock. Außerdem wäre da noch ein Problem. Basti und Flo!“ Das schockierte mich etwas. Warum hatte Tim jetzt auf einmal etwas gegen die zwei? „Warum sind die beiden ein Problem?“ „Ach, guck sie doch an. Flo, der verwöhnte Schnösel hat nur das Kiffen im Schädel und bekommt nichts auf die Reihe und Basti ist genau das Gegenteil. Die passen einfach nicht in die Band!“ „Was meinst mit dem Gegenteil?“ Tim war irgendwie komisch, er war mir fast unsympathisch. Er schien nicht mehr der zu sein, der er mal gewesen ist. „Naja schau doch die Verhältnisse an, aus denen Basti kommt. Seine Mutter kann die Familie kaum über Wasser halten und bei uns versucht er sich nur durchzuschlauchen.“ Daher wehte der Wind also. Ich war wirklich mehr als schockiert solche Worte von Tim zu hören. Derjenige, der sonst immer so tolerant war. Ich wusste zwar nicht, was mit ihm los war, aber das war nicht mehr der Tim, den ich mal gekannt hatte. Ich wusste nicht woran das lag, aber ich wurde auf einmal wütend auf ihn. Wütend, weil er die Menschen so kritisierte, die mir sehr wichtig waren. „Sowas will ich nicht noch mal von dir hören Tim. Ich weiß zwar nicht, was mit dir los ist, aber du hast kein Recht das zu sagen!“ „Wenn du es genau wissen willst, mit Alex und mir ist Schluss. Sie hat das Kind mitgenommen und will nicht, dass ich sie sehe.“ „Na, wenn du zu ihr genauso assi bist, wie zu mir im Moment, kann ich sie verstehen.“ Diesen Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen und Tim war überrascht so was von mir zu hören. „Seit ihr jetzt alle gegen mich oder was? Von dir hätte ich das als letztes erwartet.“ „Ich sehe nur nicht ein, dass du schlecht von Basti und Flo redest. Das ist alles!“ In mir stieg die Wut hoch. „Ich denke wir sind die besten Freunde? Da kann ich dir wohl mal sagen, was ich von unseren anderen tollen Freunden halte oder? Ich meine, merkst du nicht, wie Basti dich vergöttert? Er versucht doch die ganze Zeit so zu sein wie du. Echt voll bescheuert, wenn du mich fragst. Und Flo ist total das Weichei.“ „Nein, nicht so! Wenn du dir keine unnötigen Feinde machen willst, halte jetzt deine Klappe! Wenn du so redest, kann ich nicht mehr behaupten, dass du mein bester Freund bist! Ich habe gerade das Gefühl, dass du mich für dich alleine beanspruchen willst. Ich bin nicht so. Erlaube es dir nicht noch einmal in meiner Nähe so schlecht von meinen Freunden zu reden. Ich kenne Flo und Basti schon mein ganzes Leben lang und nur weil Basti nicht aus den besten Verhältnissen stammt, ist er kein schlechter Mensch und was Flo angeht, er war schon manchmal für mich da, wo ich mir deine Hilfe auch gewünscht hätte. Aber dir war ich schon so oft egal, Tim. Ich wollte es eigentlich nie wahr haben das du so bist, aber du bist es doch. Verlogen und falsch. Wie oft hast du schon schlecht über mich geredet?“ Er bäumte sich plötzlich vor mir auf. „Ich will dich doch nur von diesen kleinen Drogenkindern wegbekommen, siehst du das denn nicht?“ Ich musste lachen. „Erstens, Basti hat noch nie Drogen genommen und Flo nimmt sich in letzter Zeit auch zurück, wegen Malen. Was ist nur aus dir geworden? Ach ja, zum Thema nachahmen. Fragt sich nur, wer hier wen nachahmt. Komisch, dass du kurz nach dem ich so auf der Glam- Rock Schiene war auch so drauf warst, obwohl du ja sonst nur Elektro und Industrial gehört hast. Ich glaube du bist einfach neidisch auf mich, weil ich trotz meiner Probleme mein Leben in den Griff bekomme, im Gegensatz zu dir! Wahrscheinlich bist du derjenige, der von uns beiden als erster wieder auf der Straße landet und zu fixen beginnt. Ich habe damit abgeschlossen. Du tust zwar immer so stark, bist aber eigentlich das Gegenteil von all dem. Verzeih mir, wenn ich dir unrecht tue!“ Tim hatte seine Augen zu Schlitzen verengt und funkelte mich böse an. Meine Vermutungen schienen zu stimmen. Ich hatte Tim schon oft in diversen Situationen erlebt, wo ich mir oft gedacht habe, dass er vielleicht doch nicht so toll ist, wie er sich immer gibt und komischerweise schien sich genau das jetzt zu bewahrheiten. Er schwieg. „Da schein ich ja sogar ein bisschen Recht zu haben oder hat dein Schweigen einen anderen Grund?“ „Verdammt sollst du sein, Lukas. Ich muss schon sagen, du hast eine gute Menschenkenntnis!“ „Was hat das denn damit zu tun. Ich mache mir einfach nur von dem ein Bild von dem, was ich sehe. Mehr nicht.“ „Ich war immer der Versager von uns beiden, das ist richtig. Ich hasse dich für dein scheiß Selbstbewusstsein. Aber lange kann man nicht so leben, ich meine dein Vater wird dich nie akzeptieren und deine Mutter, die dich sonst immer in Schutz genommen hat, ist ja leider nicht mehr da. Fragt sich nur, wann sich Johanna von dir abwendet oder sogar Nici?“ Jetzt wendete sich das Blatt. Leider wusste auch Tim, wo meine Schwachpunkte lagen. Ich schluckte den Kloß im Hals hinunter. „Wenn du unbedingt Metal spielen willst, suche dir doch deine eigene Band. Sowas wie dich können wir hier nicht gebrauchen.“ Ein weiteres Mal hatte ich ihn hart getroffen. „Soll das jetzt ein Rausschmiss sein?“ „Ja und meine Freundschaft kannst du dir auch sonst wohin stecken! Ich brauche einen Freund wie dich nicht. Mach was du willst, vielleicht schenke ich dir mal ein paar Pfennige, wenn ich am Bahnhof vorbeikomme. Du bist so willensschwach Tim, das hätte ich nie von dir gedacht. Als ich dich kennenlernte, wollte ich so sein wie du. Doch heute bin ich stolz darauf es nicht zu sein. Ich hoffe die Zeit, die du durch mich außerhalb deines Junkielebens gehabt hast, hat dir gefallen.“ Ich war zu weit gegangen, denn jetzt war es Tim, der ausrastete. Leider konnte ich seinem Schlag nicht mehr ausweichen und wurde gegen die Bank geschleudert. Mit dem Kopf stieß ich unsanft gegen die Wand. Ich schmeckte Blut, als ich über meine Lippen leckte. Ich rappelte mich wieder auf und konnte seine Hand gerade noch so festhalten, als er erneut zum Schlag ausholte. „Was bringt dir das jetzt. Fick dich einfach und verpiss dich.“ Ohne ein Wort verschwand Tim. Ich hatte ihn gedemütigt, aber zu Recht. Innerlich feierte ich meinen Triumph. Mein Kopf schmerzte noch immer. Ich holte ein Taschentuch aus meiner Hosentasche und tupfte meine Lippen ab. Jetzt hatte ich mir ein Bier verdient. Ich musste grinsen. Alle starrten auf mich, als ich ohne Tim den Raum betrat. Mein Grinsen wurde breiter und meine Lippe fühlte sich ziemlich dick an. Ich ging kurz zu den Toiletten um mich zu begutachten. Ich hielt ein neues Taschentuch unter das kalte Wasser und kühlte meine Lippe noch ein bisschen. Es sah nicht so schlimm aus, wie ich vermutet hatte. Ich setzte mich auf den Sessel, trank ein Schluck Bier und zündete mir eine Zigarette an. Basti sah mich fragend an. „Was ist bloß los mit euch? Ist irgendwas so komisch?“ „Mit wem hast du dich denn gerade geprügelt?“ „Ey, so schlimm sieht das gar nicht aus. Ich muss euch was sagen, aber bitte seit mir nicht böse deswegen, okay?“ Alle warteten gespannt auf das, was ich wohl zu sagen hatte. „Wir sind im Moment nur noch zu viert in der Band. Das erklärt auch Tims Abwesenheit und mein Aussehen.“ Flo schrie mich schon fast an. „Wie bescheuert bist du eigentlich, Lukas. Bis Samstag sind es noch genau drei Tage. Wie willst du noch einen Ersatz finden?“ Den hatte ich schon und diejenige wusste es auch schon. Vor etwa zwei Wochen hatte ich Lena angesprochen, ob sie nicht Lust hätte in unserer Band mitzuspielen. Ihre Stimme war einfach der helle Wahnsinn, das hatte sie mir schon bewiesen. Unsere Blicke trafen sich und sie lächelte, welches ich erwiderte. „Was plusterst du dich denn so auf! Ich lasse mir von einem Tim nicht sagen, wie blöd meine Freunde doch sind unter anderem du Flo. Außerdem hab ich doch schon einen tollen Ersatz für Tim.“ Lena und ich lüfteten unser kleines Geheimnis und wir verabredeten uns für morgen zur gemeinsamen Probe. Kapitel 22: Mit offenen Karten spielen -------------------------------------- Ich wollte noch bei Nici vorbei, weil ich endlich mal mit ihr reden musste. Wegen den häufigen Bandproben in letzter Zeit hatte ich sie ganz schön vernachlässigt. Als ich klingelte, öffnete sie mir die Tür. An ihrem Blick konnte ich schon erkennen, dass etwas nicht stimmte. Es war auch schon um elf. Wir gingen in ihr Zimmer und hockten uns auf ihr Bett. „Was machst du morgen Abend?“ „Da haben wir Bandprobe. Ich muss mit dir reden Nici, weil ich weiß, dass es gerade nich so läuft, wie du gern hättest.“ Sie ließ mich spüren, dass sie nicht zufrieden mit dieser Begründung war. „Das stimmt. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, Lukas.“. „Es tut mir wirklich leid, aber Samstag ist unser Konzert und da muss alles stimmen. Verstehst du?“ „Nein ich glaube nicht. Und dauernd ist die Band wichtiger.“ Mein schlechtes Gewissen plagte mich und ich brachte es nicht fertig mit ihr darüber zu sprechen. Aber ich musste. „vor kurzem im Proberaum…als ich so ausgetickt bin…erinnerst du dich daran, was ich zu dir gesagt hab?“ Nici kniff die Augen zusammen und nickte kaum merklich. „Dass deine Affäre…“, brachte sie mühevoll hervor, doch ihre Stimme zitterte. „Genau. Und es geht um diese Affäre…ich hab dich schon drei Mal betrogen…“ „Sagst du mir endlich wer?“, flüsterte sie beinahe und ich schluckte. „Bist du echt so blind?...aber gut…es is Juka…“ Nici riss die Augen weit auf und sah mich schockiert an. „Juka? Du verarscht mich gerade oder?“ Ich schüttelte den Kopf. „Dann lass uns eine offene Beziehung führen…bitte, ich will nicht, dass du mich noch mal verlässt.“ Manchmal wurde ich echt nicht schlau aus diesem Mädchen. „Hab ich dich richtig verstanden? Dir macht es nichts aus, wenn ich mit nem Typen rumvögel?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Du sagst es mir ja gerade und so lange es nur ein anderer Kerl ist…besser als dich nicht mehr zu haben.“ Das machte so viel einfacher, dachte ich zumindest. Ich gab ihr einen Kuss und wir hatten tatsächlich Sex, seit langem mal wieder. Um weiteren Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen, nahm ich Nici am nächsten Tag mit zur Bandprobe. Wir schafften ganz schön viel und ich sah dem kommenden Samstag gelassen entgegen. „Du hast ja gar nicht erzählt, dass du ein Mädchen in der Band aufgenommen hast.“ Ich seufzte, weil ich wusste, worauf das Gespräch vermutlich hinauslief. „Es tut mir leid. Ich wollte es dir noch sagen, aber im Moment hab ich so viele Dinge in meinem Kopf.“ „Ach ja? Du findest sie bestimmt toll oder?“ „Sie ist nett, mehr aber auch nicht. Außerdem ist sie fast mit Basti zusammen.“ „Und wenn sie das nicht wäre?“ Ich blieb stehen und griff Nici am Arm. „Jetzt hör mir mal zu. Ich bin mit dir zusammen und ich weiß nich, was für ein Problem du jetzt hast.“ Ich war genervt, mich dauernd vor ihr rechtfertigen zu müssen und es kostete Nerven. Viel zu viele. „Dass du eine Frau in der Band aufnimmst, damit habe ich ein Problem.“ „Ganz ehrlich, dann solltest du dich gleich von mir trennen. Ich hab dir schon Mal deutlich gemacht, dass mich deine eifersüchtige Art tierisch ankotzt und was glaubst du denn von mir? Dass ich mit ihr ins Bett steige?“ „Was weiß ich…wenn du betrunken bist vielleicht… mit Juka treibst du es ja auch.“ Ihre Worte trafen mich wie eine unsichtbare Faust, denn es wäre auch nicht ihre Art gewesen, wenn sie meine Ausrutscher mit Juka tolerierte. Jetzt zeigte sie ihr wahres Gesicht. Ich war sauer und zwar richtig, deshalb beschloss ich ihr einen Grund zu geben. Durch Mike kam ich an Juliettas neue Nummer und rief sie gleich am nächsten Tag an. Mir war auch egal, ob Nici was davon mitbekam. Jule freute sich riesig und ich weihte sie in meine Pläne ein. Sie lachte herzhaft darüber und wollte unbedingt wissen, wie Nici aussah. Ich zeigte ihr ein Foto auf meinem Handy. „Voll die Süße, kaum zu glauben, dass sie so drauf ist.“ Ich wollte heute nicht zu Nici zurück und blieb die Nacht bei Jule, das würde ohnehin schon böses Blut geben, aber sie wollte es ja unbedingt so. Wir redeten und betranken uns mächtig. Am nächsten Tag schleppte ich mich in die Schule und nach dem Unterricht traf ich mich erneut mit Jule. Wir holten uns Kaffee und fuhren zum Proberaum. Ich spielte Gitarre und sie sang dazu. Manchmal sangen wir auch zusammen. Weil heute Freitag war, begannen wir wieder mit trinken und diesmal artete es leicht aus. Zwischen uns passierte nichts, aber ich drehte völlig durch und Jule ließ mich gewähren. Die Musik und die Drogen sprengten meinen Kopf und alles kam raus. Ich lag auf dem Fußboden mitten im Proberaum. Von meinem nackten Oberkörper lief das Blut auf den Boden. Heute hatte ich mir meine bisher schlimmste und tiefste Verletzung zugefügt und der Schmerz pochte. Doch all das war besser, als die Wirklichkeit zu fühlen. Jule hockte neben mir und reichte mir den Wodka. „Scheiße, du siehst übel aus.“ Ich setzte mich auf und zuckte mit den Schultern. „Scheiß drauf. Lass uns feiern geh‘n oder so.“ Doch sackte ich wieder in mich zusammen, als ich den Versuch unternahm aufzustehen. Jule lachte mich aus, weil diese Situation für jeden, der dazugekommen wäre alles andere als witzig war. Der Proberaum lag voller Glasscherben von kaputten Flaschen und ich hatte es tatsächlich geschafft einen der Stühle in Schutt und Asche zu zerlegen. Ich zog meinen Pulli über, doch Jule bestand darauf mich wenigstens ein bisschen zu verarzten, so ließ ich mir einen Verband verpassen. Da es schon morgens war, beschlossen wir bei Mike im Café zu frühstücken. Nici hatte gestern versucht mich mehrmals anzurufen. Egal. Ich lud Jule später zum Konzert ein und überlegte nach Hause zu gehen, schlug dann jedoch einen anderen Weg ein. Hoffentlich war er da. Gerade als ich klingeln wollte, wurde die Tür geöffnet und Juka wäre fast in mich hinein gerannt. Verflucht, wie konnte man nur so umwerfend aussehen? Im Gegensatz zu mir. Zumindest gerade und gut riechen tat ich mit Sicherheit auch nicht. „Luki? Wolltest du zu mir?“ „Ja…ich wusste nich wohin sonst…“, flüsterte ich. „Verdammt…wo hast du dich die Nacht bloß wieder herumgetrieben? Komm mit!“ Shit, Juka schien nicht besonders begeistert über mein plötzliches Auftauchen zu sein. Doch griff er nach meiner Hand und brachte mich in seine Wohnung. Er dirigierte mich ins Schlafzimmer. „Hör zu mein Süßer, ich muss noch ein paar Stunden arbeiten. Du kannst hier schlafen, dich ausruhen, was auch immer. Nur bitte warte, bis ich zurück bin.“ Den letzten Worten verlieh er Nachdruck. Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und verließ seine Wohnung. Ich zog meine Klamotten aus und kuschelte mich in die weichen Kissen, die so himmlisch nach meinem schönen Japaner rochen. Ich war mir nicht sicher, wie lange ich geschlafen hatte, doch Juka war noch immer nicht zurück. Deshalb ging ich duschen, putzte meine Zähne und zog meine Hose an. Ein bisschen Hunger hatte ich auch, deshalb schaute ich, was der Kühlschrank so her gab. Ich fand Brot, Obst und Käse. Ja natürlich Kaffee. Ich machte es mir im Wohnzimmer bequem und schaute Fern, während ich aß. Danach inspizierte ich die Wohnung ein bisschen, denn das hatte ich noch nie, auch wenn ich schon ein paar Mal hier gewesen war. Die Schrankwand mit den Gläsern erweckte meine Aufmerksamkeit, denn dort standen auch mehrere Bilder sowie eine Bildercollage. Diese schien aus sehr frühen Zeiten zu stammen. Ich erkannte Juka, Kami und Kyo? Kyo von Dir en Grey? Abgefahren. Da schienen die Jungs allerdings auch erst Anfang 20 zu sein. Ich grinste. Die Tür fiel ins Schloss und Juka winkte mir. „Warst du Mal mit Kyo befreundet?“, fragte ich neugierig. „Das bin ich auch heut noch. Fragst du wegen dem Bild?“ Ich nickte und spürte ihn schon wieder viel zu nahe. „Jepp…wusste gar nicht, dass du mit den Berühmtheiten aus Japan verkehrst.“ „Tja, ist wohl fast unumgänglich, wenn man im Musikbusiness arbeitet. Geht es dir besser?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nich…irgendwie. Bekomm ich nen Kuss?“ „Luki…du machst mich fertig…“, sagte Juka, doch zog er mich an sich und unsere Lippen trafen hart aufeinander. Seine Zunge fuhr über meine gepiercte Unterlippe und ich gewährte ihm Einlass. Unser heißes Zungengefecht ließ mich aufstöhnen und prompt wurde ich hochgehoben und landete Sekunden später auf dem Bett. „Oho…was kommt jetzt?“ „Hast du eigentlich auch nur im Entferntesten eine Ahnung wie verflucht heiß ich dich finde…nur machst du mich verrückt…dauernd bin ich krank vor Sorge, um dich.“ „Dann tue etwas, dass ich bleibe.“ Seine Lippen wanderten meinem Hals entlang, saugten sich an der Haut fest, erkundeten meinen Körper weiter. Jukas Zunge neckte meine Nippel und wieder keuchte ich auf. Warum fühlte sich das so anders an, als bei Nici? Viel intensiver. Er schaute mich an. „Ich fürchte ich muss dich jetzt vögeln…“, raunte er mir zu und ich grinste in gieriger Erwartung, was sogleich passierte. Juka befreite sich von seinen Klamotten, warf sie hinter sich und bereitete mich vor. Um Himmels willen, seine Finger in mir raubten mir fast den Verstand. Immer tiefer drang er, erreichte meine empfindlichste Stelle und mir entfuhr ein erregter Schrei. „Fick mich endlich…“, keuchte ich und das ließ er sich nicht zwei Mal sagen, doch die Intensität, mit der er in mich eindrang, ließ mich Sternchen sehen. Unsere Körper bewegten sich im Einklang und ich hielt es kaum noch aus, doch wollte ich diesen Moment voll auskosten und versuchte meinen Höhepunkt hinauszuzögern. „Du bist so wundervoll eng Luki…ich fürchte…ich komm…gleich“, raunte mir Juka zu und ich lächelte, um ihm deutlich zu machen, dass es okay war. Nun konnte auch ich mich der heranrollende Welle der Lust hingeben und mein Sperma verteilte sich auf meinem Bauch. Juka sank auf mir zusammen und ich spürte seinen Herzschlag deutlich. Er entzog sich mir, warf das Kondom weg und säuberte mich. Dabei blieb sein Blick an meinen Schnitten hängen. „Was hast du gestern nur wieder angestellt?“, fragte er besorgt. „War mit Jule feiern…davor haben wir im Proberaum Musik gemacht…“ „Aha und davon passiert sowas? Luki…verdammt…“ Ich verdrehte die Augen und verspürte den Drang nach einer Zigarette. „Ja ich weiß, das macht mich unattraktiv…die Diskussion hatte ich mit Nici schon…doch wen interessiert das schon? Ich kann mit meinem Körper machen, was ich will.“ „Das stimmt wohl leider, aber du und unattraktiv? Du bist einer der schönsten Männer, die ich kenne.“ „Ach ja? Überseht mit Narben…ner gestörten Persönlichkeit und dem Hang mich mit Drogen vollzupumpen…das macht mich wirklich total schön…“ Juka seufzte tief, gab mir einen zaghaften Kuss und schaute mir tief in die Augen. „Ich meine deine innere Schönheit. Das, was du hier aufzählst sind Äußerlichkeiten und ja, darüber lässt sich streiten. Doch dein wundervoller, unverwechselbarer Charakter. Du kannst so liebevoll und gut sein…nur leider zeigst du diese Seite viel zu selten…“ Jukas Worte rührten mich zutiefst, doch ich ertrug sie nicht. „Das sehen leider die wenigsten“, antwortete ich mit erstickter Stimme, stieg aus dem Bett und sammelte meine Klamotten zusammen. „Und du tust dein bestes, um ja keinen zu nah an dich heranzulassen.“ Ich schluckte. Wie Recht er doch hatte. Ich musste weg hier, das wurde einfach zu viel. Juka umarmte mich und dann suchte ich das Weite. Mit zittrigen Händen fingerte ich eine Kippe aus meiner schon wieder halbleeren Schachtel und zündete sie an. Ich kämpfte gegen diese Gefühlswelle und schluckte die Tränen runter. Kapitel 23: Die letzte Chance ----------------------------- Lukas hatte sich seit diesem einen Tag komplett verändert. Er redete kaum noch mit jemandem und zeigte nur noch wenige Gefühle für Nici. Außerdem war da noch die Tatsache, dass er was mit Juka hatte. Niemals hätte sie erwartet, dass er auch auf Männer abfuhr. Das machte sie sehr traurig. Sie musste mit jemandem reden, der nicht Nadja war. Jemand, der Lukas nahe stand, sie dennoch mochte. Da fiel Flo schon mal weg. Basti vielleicht? Si scrollte durch ihre Handykontakte und stellte fest, dass sie noch immer die Nummern von Lukas Freunden eingespeichert hatte. So dachte das Mädchen nicht lange nach und tippte die Nachricht. N: Hey Basti, hoffe dir geht es gut. Du sag mal, weißt du was zur Zeit mit Lukas los ist? Er benimmt nich mir gegenüber voll komisch und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Gruß Nici Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis ihr der Rotschopf zurückschrieb. B: Nici, schön von dir zu hören. Lukas geht es gerade nicht so gut…was soll ich dir dazu sagen…rede halt mit ihm. Und naja, du kennst ihn doch, er macht halt gern alles mit sich allein aus. Bestimmt fängt er sich wieder. Grüße Diese Antwort, so musste Nici bitter feststellen, war alles andere als zufriedenstellend. Doch langsam wusste sie keinen Ausweg mehr. War ihre Beziehung überhauet noch zu retten? Und Nici wurde die Angst nicht los, dass er sie nicht mehr wollte. Wenn er doch nur wieder zu ihr gekommen wäre und sich nicht sonst wo aufhalten würde. Sie startete einfach den Versuch und klingelte bei ihm zu Hause. Und tatsächlich, er hockte oben in seinem Zimmer und starrte ausdruckslos aus dem Fenster. Nicht einmal, als er mitbekam, dass jemand herein kam, schenkte er Nici Beachtung. Eine ähnliche Situation hatte sie schon einmal durchleben müssen und sie kämpfte mit den Tränen, als sie die Wunde auf seinem Oberkörper erblickte. Was hatte er in den letzten Tagen nur wieder getrieben? „Hey, ist alles okay mit dir?“ Er drehte seinen Kopf in ihre Richtung. „Nichts is okay. Ich habe jetzt keine Lust auf ein Gespräch.“ Das hatte Nici vermutet. „Bitte sag mir wenigstens, wo du die letzten Tage warst, ich hab mir Sorgen um dich gemacht.“ Er senkte seinen Kopf zu Boden. „Mit ner Freundin unterwegs…und bei…Juka“ Was war nur mit ihm los? Warum war er so verletzend? Bei Juka. Nicis Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Okay, schön. Können wir nicht normal reden? Bitte, ich brauch dich doch.“ Jetzt sah er Nici direkt an und sie bildete sich ein, dass seine Gesichtszüge etwas weicher wurden. „Es ist besser du gehst Nici. Vielleicht sehen wir uns ja morgen nochmal.“ „Ich bin aber nicht sicher, ob ich dich in diesem Zustand allein lassen sollte Lukas.“ Er seufzte und zündete sich eine Zigarette an. Sein sonst so selbstbewusstes Wesen wirkte kaputt und eingefallen. Die blutigen Schnitte untermalten diese Trostlosigkeit nur noch und ihr einst so perfekter Gothboy war nur noch ein Schatten seiner selbst. Einerseits wollte sie ihm wirklich helfen, doch sie fragte sich zum tausensten Mal, wie. Sein Körper verkrampfte sich, als sie ihn umarmte. Er nahm einen tiefen Zug und drehte sich jetzt endlich ihr zu. Die traurige Leere brach ihr fast das Herz. Behutsam schob er sie von sich weg. „Glaub mir, es kann nich schlimmer werden…ich bin schon ganz unten und vermutlich sollte ich die Verletzungen verheilen lassen, bevor ich mir neue Schnitte verpasse…Nici, tue uns beiden nen Gefallen und gib auf. Ich bin zu schwach und zu feige, um dich gehen zu lassen…du du kannst es einfach beenden. Hier und jetzt.“ Die Tränen kamen von ganz allein. Heftig schüttelte sie mit dem Kopf. „Ich…ich kann nicht Lukas…“ „Dann müssen wir wohl irgendwie damit klarkommen…“ „Wirklich? Warum beendest du es nicht einfach Lukas? Warum lässt du mich so leiden? Uns beide…“ Er kaute auf seiner Unterlippe herum und drückte die aufgerauchte Zigarette aus. „Ich kann nich…ein Teil von mir scheint dich noch immer zu mögen. Ich bring’s nich übers Herz…deshalb, bitte geh einfach Nici…ich ertrage gerade keine Menschen und schon gar nich dich.“ Und da war sie wieder, diese Wut auf Lukas, weil er sie nicht einfach lieben konnte. Doch sie liebte ihn, so sehr. „Dann…dann geh doch zu deinem Juka!“, schrie sie ihn jetzt. Lukas lachte traurig und musste nichts weiter sagen, denn sie verließ auch so sein Zimmer, denn er hatte Recht, gerade ertrug sie ihn nicht. Wie sollte sie mit jemanden umgehen, der sich selbst nicht mochte? Nici legte sich auf ihr Bett, drückte das Gesicht in die Kissen und weinte bitterlich. Bedeutete sie ihm denn überhaupt noch etwas? Was hatte Lukas auf einmal so gleichgültig gemacht? Oder waren seine Gefühle gegenüber Juka doch größer? Total enttäuscht schleppte sich Nici am nächsten Tag in die Schule und hoffte sehr, dass er sie heut Nachmittag besuchen würde. Nadja wollte unbedingt wissen, was mit ihr los war und sie war auch noch so dumm und klagte ihr Leid. „Ach, das altbekannte Problem. Ich sage dazu nichts mehr. Dafür bist du doch selbst verantwortlich Nici.“ „Danke für dein Mitgefühl! Unter einer Freundin stelle ich mir echt etwas anderes vor.“ Nici hatte angefangen zu rauchen und suchte sich in der Freistunde ein ruhiges Plätzchen hinter der Schule. Sie würde am liebsten heulen, doch es ging nicht. Auf einmal hörte sie Schritte und dachte zu erst, dass Nadja war ihr vielleicht gefolgt. Dann sah sie Ina, ein Mädchen aus der Parallelklasse und ebenfalls ein Gothic. Mit ihr hatte sich Nici in letzter Zeit ab und mal unterhalten. „Hey. Hättest du vielleicht  mal eine Zigarette für mich?“ Nici versuchte zu lächeln. „Klar doch.“ Sie setzte sich neben Nici auf die Wiese. „Ist alles okay mit dir?“ „Naja, mehr oder weniger. Ich fühle mich gerade von allen verlassen. Vor allem von Nadja.“ „Warum denn das, wenn ich fragen darf?“ „Ach, das ist eine längere Geschichte, aber um es kurz zu fassen… ich habe gerade Stress mit meinem Freund und wollte mit ihr darüber reden, da sie ihn aber nicht leiden kann, ist sie gar nicht drauf eingegangen. Das hat mich schon enttäuscht.“ „Ich mag sie sowieso nicht besonders. Du bist echt voll nett und ich kann nicht verstehen, warum du oft nur mit ihr rumhängst.“ „Ich weiß es manchmal auch nicht. Meinen Freund mag sie auch nicht.“ „Seid ihr schon lange zusammen?“ „Ja, schon. Deshalb macht es mich ja so traurig, dass er gerade so komisch ist. Nicht mal seine Band kann ihn aufmuntern.“ Ina sah Nici begeistert an. „Wow, er spielt in einer Band? Das ist ja toll! Sind sie bekannt?“ Sie schnippte den Zigarettenstummel weg und schaute auf die Uhr. Ihnen blieb noch eine halbe Stunde zeit. „Naja, mehr oder weniger. Sie heißen Nocturna, wenn dir das was sagt?“ Wieder sah Nici Erstaunen in Inas Blick. „Klar kenne ich die und finde sie richtig toll. Und mit wem bist du da zusammen? Ich meine, eigentlich sind sie ja alle ganz süß.“ „Mit dem Sänger.“ „Ich beneide dich echt. Da hast du bestimmt auch viele Konkurrentinnen oder?“ Nici musste lachen. Nicht nur Konkrentinnen. „Schon, aber das stört uns nicht. Eigentlich ist Lukas voll der Liebe, aber wie gesagt, im Moment hat er gerade seine Arschlochphase.“ Die Mädchen gingen langsam wieder in Richtung Schulhof und Nadja schaute sie etwas pikiert an, als sie Nici und Ina zusammen sah. Die letzte Stunde verging relativ schnell und Nici wollte nach der Schule noch mit Ina einen Kaffee trinken gehen. Mit Nadja hatte sie kein einziges Wort mehr geredet. Ina wartete am Eingang im Untergeschoss auf ihre neue Freundin und sie gingen gemeinsam hinaus. Während sie so redete, überlegte Nici, ob sie Lukas heut noch anrufen sollte? Und wenn er dann wieder so komisch war? Ihr entfuhr ein Seufzer. Zur Hölle mit diesem verdammten Kerl. Das Schulgebäude hatten sie nun hinter sich gelassen. Da hörte Nici auf einmal schnelle Schritte hinter sich. „Nici, bitte warte!“ Ein wenig außer Atem blieb Lukas vor ihr stehen. Irgendwie sah sie ihn mit anderen Augen und er sah zerstörter aus denn jeh. Und doch irgendwie süß. Trotzdem tat Nici noch ein wenig beleidigt. „Ich wollte mich nur entschuldigen, ich war gestern ziemlich assi zu dir. Wollen wir später was machen?“ „Naja, wenn du nicht gerade was anderes zu tun hast.“ „Sonst hätte ich dich ja wohl kaum gefragt.“ Nici konnte nicht anders und musste ihn küssen. „Okay, Entschuldigung angenommen. Kommst du zu mir?“ „Heut Abend, in Ordnung? Ich bin so gegen sieben bei dir. Muss jetzt in den Proberaum.“ „Bis später.“ Er gab ihr noch einen Kuss und verschwand. „Na, scheint ja wieder alles klar zu sein. Mann, der sieht ja echt verdammt heiß aus.“ Nici lächelte und nickte. „Manchmal denke ich einfach nur, dass Nadja eifersüchtig ist, weil ich mit Lukas zusammen bin. Denn sie hat ja schon seit zwei Jahren keinen Freund mehr gehabt.“ Die Mädchen gingen in ein Kaffee in der Innenstadt, wo man sich raus setzen konnte. „Nur weißt du, Nadja war meine erste richtige Freundin hier an der Schule und das ist vielleicht der Grund, warum ich mich oft zu ihr hingezogen fühle. Am Anfang hat sie mich auch immer verstanden, doch als sie nicht mehr mit Basti, dem Schlagzeuger von Nocturna zusammen war, hat es angefangen. Nun hab ich immer öfter das Gefühl, dass sie absichtlich gegen mich arbeitet, aber ist ja jetzt auch egal. Ich habe ja auch noch andere Freunde.“ Die Bedienung brachte zwei Cappuccino. „Naja, irgendwie seit ihr ja auch völlig unterschiedlich oder? Sie ist ja eher so die Hoppertussi.“ Nici nippte an ihrer Tasse. „Nadja? Nee, sie hört sogar ganz gute Musik, gibt sich allerdings auch mit Hoppern ab. Sie mag diese Leute halt und ich akzeptiere das ja auch. Nur sie toleriert mich nicht mehr.“ „Das ist schon blöd. Was und sie war mal mit dem Schlagzeuger zusammen? Das ist ja heftig.“ Nici musste lachen. „Allerdings existierte die Band zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Das war auch schon vor vier Jahren, doch ich werde das Gefühl nicht los, dass sie immer noch an Basti hängt.“ „Hätte er noch Interesse?“ Energisch schüttelte sie mit dem Kopf. „Nein. Für ihn ist das Thema Nadja schon lange abgehackt. Ich meine, das war auch nur so einer Vermutung von mir. Ich habe mich nie mit Nadja darüber unterhalten. Das würde eben erklären, warum sie immer so blöd tut, wenn es um Lukas geht.“ Sie schwiegen einen Augenblick und Nici packte ihren Keks aus, der mit dem Cappuccino serviert wurde. „Darf ich dich fragen, wie ihr zusammengekommen seid?“ Nici erinnerte sich gern an diesen Tag zurück und umso lieber erzählte sie davon. „Das war vor vier Jahren im Sommer, kurz nachdem ich Nadja kennenlernte. Sie nahm mich mit zu ihren Freunden und da war Lukas halt auch dabei. Erst haben wir uns nur unterhalten und später sind waren wir dann ein Paar. Wir waren oft zusammen und auseinander, weil er nicht ganz einfach ist und ich habe auch schon oft wegen diesem verdammten Kerl geheult. Aber ich kann einfach nicht ohne ihn sein.“ Ina lächelte. „Wir müssen echt mal was zusammen machen. Vielleicht können wir ja zusammen aufs nächste Nocturna Konzert gehen?“ „Klar doch. Das ist sogar kommenden Samstag, wenn ich mich nicht irre. Ich sag dir morgen Bescheid.“ „Oh ja, das wäre toll. Ich muss dann erst mal nach Hause. Also dann bis morgen.“ Sie umarmten sich noch zum Abschied und Nici schlug auch den Heimweg ein.   Eigentlich war ich total fertig von der Bandprobe, obwohl wir nichts gemacht hatten. Ich hatte ständig den Text vergessen und musste dauernd lachen. Das hatte natürlich auch den Rest der Band dazu animiert. Ich duschte zu Hause noch und zog mir frische Klamotten an. Es war noch voll warm und deshalb legten wir uns auf einer großen Decke und einer Flasche Rotwein in den Garten. Nici legte ihren Kopf auf meinen Bauch und ich strich ihr zärtlich über die Wange. „Du willst also wissen, warum ich gerade so distanziert bin?“ Nici schaute zu mir auf. „Wenn du nicht darüber reden willst, ist es auch okay. Ich will dich nicht zwingen.“ „Nein, ist schon okay, ich weiß nur nich genau, wie ich beginnen soll…“ „Dann lass dir eben Zeit. Komm, wir stoßen erst mal an.“ Ich setzte mich in Schneidersitz und unsere Gläser gaben ein melodisches Kling von sich, als sie sich berührten. Dann gab ich Nici einen Kuss und räusperte mich. „Ich war sauer auf dich, weil du mir nich vertraust und da hab ich ein bisschen mit Jule, ner Freundin von früher rumgehangen. Nici, du bist ein tolles, süßes Mädchen, nur  manchmal macht mich genau das echt nachdenklich. Ich meine, ich habe dir mehr als einmal den Grund gegeben Schluss zu machen, warum tust du es nich?“ Ihre eben noch so gute Laune schwand innerhalb weniger Sekunden. „Jetzt echt? Sitzen wir jetzt hier um darüber zu reden?“ „Ja genau das tun wir.“ Ich wusste, dass sie mich vermutlich hasste, aber dieses Gespräch hatten wir beide bitter nötig, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte. „Lukas…ich dachte zwischen uns ist alles okay…ich meine, vielleicht habe ich ein bisschen überreagiert, als du mir erzählt hast, dass ihr ein Mädel in eurer Band habt. Aber ich komme damit klar.“ Ich zündete mir eine Zigarette an. „Nici, ganz ehrlich, dich stört es scheinbar nicht, wenn ich was mit nem Typen habe, aber du regst dich fürchterlich auf, weil ich Lena in die Band aufgenommen habe…das passt nich zusammen. Ich kann das nich…dauernd erklärst du mir, wie toll du mich findest und doch werde ich mehr und mehr zu dem, den du niemals wolltest, hab ich Recht?“ Sie umklammerte ihr Glas, als wäre es ihr letzter Rettungsanker. „Ich wollte dich immer unterstützen, habe auf alles, was Nadja oder Chris über dich gesagt haben gepfiffen, weil du das nicht bist. Manchmal glaube ich, dass du hilflos bist und mich vielleicht brauchst. Du kannst niemals jemand sein, den ich nicht will Lukas.“ Ich lächelte traurig, weil sie das wahrscheinlich wirklich ernst meinte. Aber Nici kannte es gerade nicht anders, sie hatte vor mir eine richtige Beziehung gehabt und dann mich, nicht gerade das, was sich ein Mädchen in ihrem alter wünscht. Nici dachte vielleicht, dass sie mich zu einem besseren Menschen machte, aber das tat sie nicht. Doch wie sollte ich ihr das klar machen. Keine Frage, ich mochte sie wirklich, doch wollte ich auch, dass sie glücklich war und das würde sie mit mir niemals werden, so gern sie das auch glauben wollte. „Na gut, du hast eine offene Beziehung vorgeschlagen…dann möchte ich aber auch, dass du dich auf einen anderen Kerl einlässt, falls du dann noch immer feststellen solltest, dass du mich liebst, lass es mich wissen.“ Sie nickte und wechselte das Thema. „Ach ja, bevor ich es vergesse. Das Konzert ist Samstag oder?“ „Mal sehen, wenn wir in den nächsten Tagen so viel schaffen wie heute, würde ich nein sagen.“ „Warum das denn?“ „Ach wir haben alles gemacht, nur nich ordentlich geprobt. Es war aber wieder mal ganz lustig. Basti hat versucht Weihnachtslieder auf dem Schlagzeug zu spielen und das mitten im Sommer. Ganz schön durchgeknallt eben.“ „Ihr spinnt ja. Weil eine Freundin hatte mich gefragt. Ich war mir aber nicht sicher, was soll ich ihr also sagen?“ „Ich denk schon. Kannst sie ganz herzlich von mir persönlich einladen. Aber Nadja ist es nicht?“ Nici schüttelte glücklicherweise mit dem Kopf. „Nein. Ina, die kennst du noch nicht. Sie ist auch ein Gothicmädel und geht auf meine Schule. Sie findet euch richtig toll.“ Das schmeichelte mir. Langsam wurde es kühl und wir zogen uns zurück in Nicis Zimmer. Dort sahen wir uns noch einen Film an, bei dem ich einschlief.   Nici war sich nicht sicher, ob eine offene Beziehung wirklich das war, was sie wollte, doch es schien wirklich die einzige Möglichkeit zu sein Lukas davon zu überzeugen, wie viel er ihr bedeutete. Mit Nadja hatte sie sich ganz schön verkracht, doch mit Ina verstand sie sich immer besser. Und da war noch jemand, der Nici gerade jetzt gut tat. Marco, ein Junge aus ihrer Klasse und alle Mädchen finden ihn wahnsinnig hübsch. Einmal hatte er sie auf ihr Outfit und so angesprochen und da hatte sie ihm etwas über die Szene erzählt, was ihn sehr zu interessieren schien. Seit dem wich er irgendwie nicht mehr so recht von ihrer Seite. Nici genoss das und war es nicht das, was Lukas von ihr verlangte? Marco konnte sich zwar nicht so für ihre Musik begeistern, doch war er ganz angetan von dem Rest der Szene. Jedoch gab es auch Tage, an denen sie sich total in ihre eigene Welt zurückzog und alle anderen mied. In solchen Situationen hörte Nici stundenlang Musik und wünschte sich, dass Lukas doch bei ihr sein könnte. Warum war er so? Manchmal wünschte sie sich tatsächlich, dass er anders wäre, war das falsch? Oder war sie ihm plötzlich doch so egal? Tausend Fragen plagten sie, auf die sie keine Antwort wusste.  Nici zweifelte immer mehr daran, dass er sie überhaupt noch liebte. Es kam auch immer öfter vor, dass sie Marco zu Hause besuchte und sie redeten lange miteinander. „Vielleicht ist dieser Lukas doch nicht so der Richtige für dich. Ich meine, ein so liebes Mädel wie dich müsste man doch eigentlich anders behandeln oder?“ Nici zuckte nur mit den Schultern. Marco hatte blonde Haare und eine sehr modischen Haarschnitt. Er trug oft Jeans und Sweatshirts in den verschiedensten Farben, aber ihr gefiel sein Skaterlook. „Ich weiß es echt nicht. Vielleicht hat unsere Beziehung ja wirklich keine Zukunft.“ „Tja, das musst du letztendlich wissen, aber ich finde es schon fast erschreckend, dass du kaum noch fröhlich bist. Ich mag dich wirklich sehr Nici und es ist nicht schön, einen Menschen, den man mag immer so traurig zu sehen. Ich will am Wochenende eine Party bei mir zu Hause steigen lassen. Du bist herzlich eingeladen, wenn du Lust hast.“ Nici wurde Marco immer sympathischer und sie würde auf jeden Fall zu seiner Party kommen. „Nadja darfst du natürlich auch mitbringen und ihr könntet auch bei mir schlafen, da meine Eltern sowieso nicht da sind.“ Marco war ja der Mädchenschwarm schlechthin. Und Nici konnte nicht richtig verstehen, warum er sich ausgerechnet mit ihr abgab. Empfand er vielleicht doch mehr als Freundschaft? Es war ihr aber auch zu blöd ihn danach zu fragen. Und Lukas? War ein Arschloch, der sein Ding durchzog, ohne Rücksicht auf Verluste. Marco gab ihr im Augenblick das Gefühl, dass sie etwas Besonderes war. Außerdem war er weder drogenabhängig noch vorbestraft. War das nicht immer wichtig in einer Beziehung? Außerdem verstand sie sich seit der Freundschaft mit Marco auch wieder besser mit Nadja. Sie war sogar nahezu begeistert davon. „Ja, das mit der Party klingt gut. Wer kommt da noch so alles?“ Marco zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. So die Leute halt, mit denen ich so rumhänge. Die meisten von denen kennst du auch vom Sehen.“ Marco gab sich mit einer Hopperclique ab und Nici musste auch zugeben, dass sie ganz okay waren. In der Schule stand Marco jetzt auch ganz oft bei ihr und sie unterhielten sich. An dem Abend, an dem die Party bei Marco steigen sollte, fragte er Nici, ob sie nicht schon früher zu ihm kommen könnte. Sie dachte sich wenig dabei und willigte ein. An der Ausstattung im Haus konnte man deutlich erkennen, dass Marco seine Eltern sehr reich sein mussten. Warum auch nicht. Er führte sie in das riesengroße Wohnzimmer und brachte ihr einen selbstgemixten Cocktail. „Wow, das ist ja echt der Wahnsinn hier.“ Er sah sie eine Weile schweigend an und sage dann: „Wenn du willst, kannst du das immer haben.“ „Wie soll ich das denn jetzt verstehen?“ „Naja weißt du Nici, ich fühle für dich mehr als nur Freundschaft und würde es toll finden, wenn du auch so denkst.“ Das schüchterne Mädchen wusste nicht so richtig, was sie darauf sagen sollte. Aber fand sie ihn nicht auch attraktiv? Und wahrscheinlich würde er ihr alles geben, was sie sich wünschte. Dieser Gedanke war schon verlockend. Plötzlich kam er auf Nici zu und küsste sie. Es war irgendwie schön und doch spürte sie innerlich eine Blockade, die sie versuchte zu ignorieren. Sie ließen an diesem Abend alle anderen Gäste sehen, dass sie ein Paar waren.   Basti und ich waren die ersten am Proberaum. „Hast du mal ne Zigarette Lukas?“ „Na klar. Findest du es okay, wenn Lena jetzt in unserer Band mitspielt?“ „Sicher. Vielleicht entwickelt sich ja sogar was.“ „Ist eigentlich mal was zwischen euch gelaufen?“ Basti schüttelte mit dem Kopf. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass sie mich eher abweist. Ich bin einfach zu schüchtern. Werd sehn, was noch daraus wird. Hat Tim eigentlich auch was über mich erzählt?“ Ich nickte stumm und eigentlich hatte ich nicht vorgehabt Basti zu erzählen, was Tim zum Besten gegeben hat, aber wenn er es wissen wollte, okay. „Er hat nur gesagt, dass du nicht in die Band passen würdest, weil du aus anderen Verhältnissen kommst und dich nur bei uns durch schlauchen würdest.“ Ich schluckte und konnte an seinem Blick erkennen, dass ihn diese Worte verletzten. „Und was hast du darauf erwidert?“ „Ich habe dich verteidigt, was denn sonst. Tim ist einfach nur ein Stück Dreck, mehr nicht. Basti, es tut mir auch wahnsinnig leid, dass ich dich in letzter Zeit wegen Tim so abserviert habe. Erst gestern ist mir klar geworden, dass Tim kein wahrer Freund ist, sondern du und Flo. Ich hoffe du kannst mir verzeihen.“ Basti lächelte und antwortete: „Ich denke deine Aktion gestern war schon Beweis genug für unsere Freundschaft. Ich weiß zwar nicht, was du alles mit Tim geredet hast, aber ich glaube, es hat Wirkung gezeigt. Das konnte ja man erkennen. Ich fand das echt mutig von dir, denn wenn ich ehrlich bin, hätte ich mich nicht so einfach mit Tim angelegt.“ Ich zuckte mit den Schultern. „War nicht der Rede wert. Ich lasse mir aber nicht sagen, wie scheiße meine Freunde sind. Vor allem nicht du!“ Auf einmal nahm mich Basti in die Arme und bedankte sich bei mir. Ich war sehr gerührt. Nach und nach trudelten auch die anderen Bandmitglieder ein. Es lief ganz gut. Als wir keine Lust mehr hatten ging ich noch mit zu Basti, weil wir uns noch ein bisschen unterhalten wollten. Doch vorher stattete ich meiner Mum noch einen Besuch ab. Es war schon fast dunkel, nur ein Stück Sonne war noch am Horizont zu sehen. Ich kniete mich vor ihr Grab und schon wieder war der Schmerz unerträglich. Ich biss mir auf die Unterlippe um die Tränen zu unterdrücken. Und erneut fragte ich mich, warum das passieren musste. Sie wäre in zwei Tagen 35 Jahre geworden. Meine Mum war sehr jung, als sie mit mir schwanger wurde und dann hatte ich sie so enttäuscht. Ihre ganze Jugend war dahin und dann wurde sie auch noch von meinem Vater tyrannisiert. Ich wünschte mir, ihr ein besseres Leben hätte bieten können, aber nun war es zu spät. Ich schluckte die Tränen abermals hinunter. Zaghaft strich ich über den glatten Marmorgrabstein. Meine Beine zitterten leicht, als ich mich erhob. Basti teilte mir mit, dass Lena auch noch vorbeikommen wolle. Wir öffneten eine Flasche Whiskey und mixten diesen mit Cola. Er bot mir eine Zigarette an, die ich dankend annahm. „Jetzt verbindet uns ja noch eine gemeinsame Sache“, sagte ich. Basti schaute mich an und nickte. „Findest du es schlimm?“ „Ja. Ich hätte nie gedacht, dass mir meine Mum soviel bedeutet.“ „Ich habe jetzt manchmal noch damit zu kämpfen. Er wird immer fehlen. Geht dir bestimmt genauso.“ Ich nickte nur. In dem Moment klingelte es, dann kam Lena ins Zimmer und teilte mir mit, dass Nici draußen auf mich wartete, weil sie mit mir reden wolle. Nichtsahnend ging hinunter vor Bastis Haus. „Du Lukas, ich hab da jemanden kennengelernt und ich wollte dir nur sagen, dass ich was mit anfangen will…ich weiß nicht, was draus wird.“ Ich grinste sie an. „Okay…aber du musst mir das nich erzählen Süße, tue was immer du willst, hab Spaß und schalt mal für eine Weile dein Gewissen aus.“ „Ja, ich weiß, trotzdem wollte ich es dir erzählen.“ „Schon gut. Dann geh und amüsiere dich.“ Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und war sehr gespannt, wie das ausgehen würde. Nici sah mich mit unsicherem Blick an und nickte. „Also bis dann.“ „Dann geh ich jetzt wieder hoch zu Basti. Ich will deine wertvolle Zeit ja nicht beanspruchen, die du sicher viel lieber mit deinem tollen Freund verbringen möchtest“, stichelte ich ein bisschen. „Kannst du nicht einmal normal sein?“ „Niemals.“ Jetzt brachte ich Nici doch ein bisschen zum Lachen. „Du bist echt unmöglich, hab noch einen schönen Abend.“ „Den werde ich mit Sicherheit haben.“ Sie verschwand in der Dunkelheit. Irgendwie war unsere Beziehung ja schon vorher kaputt, aber jetzt war sie endgültig vorbei, weil Nici endlich das getan hatte, wozu ich ihr immer geraten hatte, nämlich sich einen besseren Kerl zu suchen. Ich wünschte mir, dass sie das richtige tat. Ich gesellte mich wieder zu Basti und Lena und trank mein Whiskeyglas in einem Zug leer. „Ich glaube Nici hat einen anderen!“ Basti sah mich leicht schockiert an. „Wie sie hat nen anderen?“ Ich rauchte eine Zigarette und schenkte mir noch ein Glas Whiskey ein. Dann erzählte ich den beiden, was ich mit Nici für einen Deal laufen hatte. „Und das nur, weil du denkst sie ist nicht glücklich mit dir?“ Ich nickte. „Ich kann nicht mit ihr zusammen sein und sie versteht es nicht. Doch ich mag sie zu sehr, um ihr eine Abfuhr zu geben, deshalb muss sie auf diese Weise andere Typen kennenlernen. Ich weiß das ist strange, aber manchmal habe ich wohl doch noch sowas wie Mitgefühl.“ Wir schmiedeten aus Spaß große Zukunftspläne mit unserer Band. Um drei machte ich mich mit schwankenden Schritten auf den Heimweg. Als ich an meinem Haus angekommen war, sah ich zwei Gestalten in der Dunkelheit. Ich blieb stehen und dann erkannte ich Nici und ihren neuen Freund. Er war einer von diesen Milchreisbubies mit blonden Haaren und spießigen Klamotten. Ganz schnieke war er gekleidet. Seine Eltern verdienten wahrscheinlich auch Geld wie Heu. Ich war etwas überrascht, weil er mir so gar nicht ähnlich war. Er gegrapschte sie am Hintern. Fast automatisch ließ ich mich auf den Stufen vor meiner Haustür nieder. Die beiden Turteltäubchen kamen in meine Richtung gelaufen. Nici blieb stehen und sagte, sie würde gleich nachkommen. Ich wollte nur noch ins Bett. „Alles okay bei dir?“ „Klar und bei dir so?“ Ich verkniff mir vorerst weitere zynische Kommentare. „Ja, war ein schöner Abend. Sehen wir uns die Tage?“ „Ja klar, wenn dein Liebster das verkraftet. Ich nehme nich an, dass du ihm was von unserem Deal erzählt hast.“ „Nicht direkt.“ Ich sah sie neugierig an. „Hab ich dabei gut oder schlecht abgeschnitten?“ „Naja, ich hab dich in den Wind geschossen und du bist jetzt zutiefst verletzt.“ Das amüsierte mich durchaus und ich musste lachen. „Na meinetwegen.“ „Bist du nicht sauer oder so?“ „Hör endlich auf immer alles infrage zu stellen. Geh jetzt, sonst denkst er noch du flirtest mit mir.“ „Okay, dann schlaf gut.“ Ich hätte nicht gedacht, dass das alles mit Nici so gut laufen würde, naja irgendwie fehlte sie mir schon. Immerhin hatte sie versucht aus mir einen besseren Menschen zu machen. Doch sie war gescheitert und ich fühlte mich nicht glücklich. Nici hatte wirklich verdient einen Jungen an ihrer Seite zu haben, der weniger Probleme als ich hatte. Sie brauchte jemanden, der ihr Geborgenheit schenkte und für den sie alles war. Und insgeheim wünschte ich mir auch einen solchen Gefährten an meiner Seite, aber dazu musste ich Gefühle zulassen, die ich bisher nie vor anderen gezeigt hatte. Diese lagen verborgen irgendwo in den Tiefen meiner Seele und hielten ihren hundertjährigen Schlaf. Vielleicht kam doch eines Tages der Mensch, der die Dornenhecke niederschlug. Ich versank wieder in meine düstere Welt aus Schmerz, Hass, Einsamkeit und Verzweiflung. Irgendwie alles auf einmal. Ich hasste die ganze Welt und der Alkohol stieg mir mächtig zu Kopf. Ich zertrümmerte meinen Spiegel an der Wand erneut und die zusammengeklebten Scherben zersprangen abermals in tausend kleine Teile auf dem Fußboden. Dort lag ich dann mit blutüberströmten Händen und heulte mir die Seele aus dem Leib. So blieb ich liegen, bis es dämmerte. Meine Glieder schmerzten und ich hatte große Mühe auf die Beine zu kommen. Mir war schlecht, doch ich konnte mich nicht übergeben. Im Badezimmer wusch ich das getrocknete Blut von meinen Armen ab, wobei die Wunden erneut aufbrachen. Ich nahm mir zwei Wischtücher mit in mein Zimmer und schnürte sie um meine Arme, um die Blutung zu stillen. Dann ging ich abermals ins Bad, duschte und schminkte mich. Wie verkorkst konnte mein Leben eigentlich noch werden? Vor anderen tat ich immer, als wäre ich der supertolle Kerl, der mit jeden Problemen klarkommt, doch die Wirklichkeit sah anders aus. Ich war ein Gefangener meiner selbst und ich schaffte es einfach nicht zu fliehen oder auszubrechen. All die Wunden, die ich mir zufügte, waren gescheiterte Versuche die Mauer meiner Festung zu durchdringen, doch auch so gelang es mir nicht. Brauchte ich vielleicht doch einen Psychologen, der mir half? Aber wie sollte ich einem fremden Menschen erklären, was mit mir nicht stimmte, wenn ich das nicht Mal bei meinen eigenen Freunden schaffte. Ich fühlte mich so kaputt und verachtete mich auf meine ganz eigene Art und Weise. Kapitel 24: Eine gewagte Entscheidung ------------------------------------- Ich beschloss mal wieder etwas für mein Ego zu tun, begab mich mit meinem gesparten Geld ins Tattoostudio und ließ mir ein Tattoo ganz weit unterhalb des Bauchnabels stechen, das man nur zur Hälfte sah. „Das kann aber ganz schön weh tun“, sagte Steff. „Ist auch okay. Bin‘s ja gewohnt.“ Ich reichte ihm den Zettel. Das Motiv hatte ich mir selbst gezeichnet, weil ich etwas Extravagantes haben wollte. Mein Tätowierer war begeistert von meinen Zeichenkünsten. Bei dem Motiv handelte es sich um eine Schlage, die sich um einen Ast windet undversucht den Apfel der Versuchung zu erlangen. „Dann mal los. Lege dich dann auf die Liege dort in der Ecke.“ Mein Herz klopfte wie wild und meine Hände waren feucht. Doch die Schmerzen würde ich nur einmal ertragen müssen. Wobei ich diesen nicht als unangenehm wahrnahm. Als das Summen der Nadel einsetzte, schloss ich die Augen und entspannte mich. Ich lag vier Stunden da und ignorierte den Schmerz, der mal mehr, mal weniger wurde. Mit dem Endergebnis war ich sehr zufrieden. Anschließend ließ ich mich noch im Ohr piercen. Es war ein Stab, der durch den oberen Teil verlief.  Wie ich die Tätowierung pflegen musste, wusste ich ja bereits. Nach drei Tagen war der rote Rand bei meiner Tätowierung so gut wie verschwunden. Ich salbte die Stelle trotzdem sorgfältig ein. Heute war Freitag und nach der Schule hatte ich einen Termin beim Frisör. Ich ließ mir die Haare hinten etwas kürzer schneiden, vorn ließ ich sie lang, sodass sie noch einen Teil meines Gesichtes verdeckten. Mein neuer Look stimmte mich sehr zufrieden. Ich setzte meine Sonnenbrille auf und verließ den Friseursalon mit einem Lächeln. Ich wollte mich vor dem Auftritt noch mit Basti treffen und wir wollten gemeinsam zum Proberaum laufen. Ich toupierte meine Haare hinten etwas hoch, wofür ich ganz, ganz viel Haarspray benötigte, schminkte mich und legte meinen Schmuck an. Ich zog meine schwarze knallenge Röhrenjeans an und mein transparentes schwarzes, ärmelloses Oberteil sowie meine Cordjacke mit der Kapuze und dem Totenkopf auf der Rückseite. Ich hoffte Nici mit ihrem tollen Freund heute Abend zu sehen. Bei diesem Gedanken lächelte ich boshaft. Als ich aus meinem Zimmer kam, betrachtete mich mein Vater argwöhnisch und sein Blick an meiner Tätowierung haften. „Wann hast du das denn machen lassen?“ „Vor vier Tagen.“ „Brauchst du da nicht die Erlaubnis deiner Eltern? Ich wüsste nicht, dass ich dir die gegeben hätte.“ „Der Tätowierer ist nen Kumpel von mir.“ Mein Vater schüttelte nur mit dem Kopf. „Naja. Und jetzt gehst du zu deinen schwarzen Freunden?“ Ich schaute ihn mit verachtendem Blick an. „Ich hab gleich nen Gig mit meiner Band.“ Er schaute mich jetzt anders an, als sonst. „Dann viel Spaß…hast du was dagegen, wenn ich vorbeischaue?“ Das erstaunte mich wirklich. „Von mir aus. Ist in dem Raum, wo du neulich davorgestanden hast und mit mir reden wolltest.“ Das war alles, was ich darauf erwiderte und ging. Mein Vater tauchte tatsächlich auf, wie auch Nici und ihr toller Marco und noch irgendeine Freundin. Ich spürte ihren Blick die ganze Zeit.   Lukas hatte sich tatsächlich ein neues Tattoo stechen lassen und das gerade jetzt! Doch hatte er sich auch wieder neue Verletzungen zugezogen und das traf Nici viel mehr. Sie sorgte sich um ihren Lukas und hoffte nur, dass er das irgendwann in den Griff bekam. Einerseits schaffte es seine Stimme den ganzen Raum mit ihrem Klang zu erfüllen, doch dann wieder hauchte er die Worte ins Mikro, dass sie eine Gänsehaut bekam. Marco stand hinter Nici und umschloss sie mit seinen Armen, was sie gar nicht so richtig wollte. Ina stand neben ihr und schaute ebenso gebannt auf die Bühne. Das Piercing in Lukas Ohr fiel ihr auch auf. Marco hatte einen Piercing in der Augenbraue und in der Zunge. So wie Lukas. Nici war hin und hergerissen von ihren Gefühlen zu den beiden Jungs. Marco trug sie auf Händen, doch ihm fehlte diese selbstverliebte manchmal leicht arrogante Art, die sie bei Lukas so mochte. Auch jetzt, als er auf der Bühne stand und umjubelt wurde. Sie wünschte sich so sehr, dass er seine Meinung ändert, wenn er hoffentlich mit bekam, dass es ohne sie nicht funktioniert. Nici starrte ihn die ganze Zeit an und Marco ging ihr schon fast auf die Nerven. Er küsste sie am Hals, doch Nici wünschte sich, es wäre Lukas, der das gerade tat. Diesen Gedanken verwarf sie schnell. Nici konnte gar nicht glauben, dass sie jetzt schon das letzte Lied spielten. Es war das Lied, was Lukas ihr mal gewidmet hatte, als sie ein Paar waren. Dafür hasste sie ihn.  „Ist alles okay mit dir? Du bist so ruhig?“ „Ich habe nur die Musik genossen. Willst du noch bleiben?“ Marco überlegte kurz. „Naja, nicht, wenn es nicht unbedingt sein muss. Ist ja auch fast um zwei.“ „Ist okay. Muss nur noch mal schnell auf die Toilette.“ Auf dem Weg dorthin traf Nici Malen, die sie ganz lieb begrüßte. „Hey, schön, dass du da bist. Bleibst du noch eine Weile hier?“ Nici schüttelte mit dem Kopf. „Nee, bin mit einem Freund hier und er will gehen.“ „Wie, was ist denn mit Lukas und dir?“ „Naja, wir führen gerade eine offene Beziehung.“ Sie sah Nici etwas schockiert an. „Wusste ich nicht. Und mit wem bist du hier?“ „Ach, einer aus meiner Klasse.“ Malen nickte etwas geistesabwesend und lud sie noch auf einen Drink ein. Marco folgte den Mädchen an die Bar. „Und läuft es bei dir und Flo noch?“ „Ja klar. Besser denn je. Ab und zu brauch er zwar mal Tritt in den Arsch, aber das ist schon okay. Da sehen wir uns jetzt gar nicht mehr so oft oder?“ Nici zuckte mit den Schultern und dann kam Lukas auf einmal. Er zwinkerte ihr unauffällig zu, sagte irgendwas zu Malen und verschwand sofort wieder. „Naja, da will ich dich nicht mehr länger aufhalten. Bis demnächst, denke ich.“ Sie drehte sich einfach um und war weg. Nici fühlte sich vollkommen verarscht. Etwas betrübt ging sie in Richtung Toiletten. Auf dem Weg dorthin sah sie diesen Juka, dachte sich aber nichts weiter dabei. Auf dem Rückweg schob er sich automatisch wieder in ihr Blickfeld, was entweder an seiner Größe lag oder daran, dass er gerade mit Lukas rumknutschte. Nicis Herz setzte einen Moment aus, was nicht an der Situation allgemein lag, denn immerhin führten sie eine offene Beziehung. Nein es lag daran, wie Lukas ihn ansah. So hatte er sie noch nie angeschaut und es schien mehr als nur Leidenschaft in seinem Blick zu liegen. Das verletzte das Mädchen und sie war sich nicht mehr so sicher, ob auch er die offene Beziehung wollte oder er ihr damit deutlich machte, dass es zwischen ihnen vorbei war. Sie wollte verschwinden, doch die Ecke, hinter der sie stand, bot ihr Schutz und sie wollte insgeheim doch hören, was die beiden sagten. Wie erbärmlich. „Dann lass es doch einfach Juka…“, murrte Lukas und genau diesen Tonfall kannte sie nur zu gut. Seine Launen und diese Abwehrhaltung, die das Zusammensein mit ihm so unglaublich kompliziert machten. „Luki hör auf, das hatten wir doch schon…was ist los?“ Nici vernahm ein Schluchzen und ihr Herz zog sich zusammen. Sie sollte gehen, doch ihr Körper tat keinen Schritt. „Ich fühl mich so leer, so kaputt…als hätte ich all meine Gefühle auf der Bühne aufgebraucht…darf ich mich jetzt bitte betrinken?“ „Und dann? In Selbstmitleid versinken? Oder dir wieder selbst weh tun? Das kann ich nicht zulassen mein Süßer.“ Jukas Worte klangen so überzeugend, so stark und rührten das lauschende Mädchen fast zu Tränen. „Und wenn ich nich gerettet werden will? Was hast du davon Juka? Erhoffst du dir ne heiße Nacht? Die kannst du wohl auch mit Polly haben…“, keifte Lukas zurück. Verletzte Juka und Nici war sehr gespannt, was dieser antwortete. „Da hast du nicht ganz unrecht…aber ich will Polly nicht.“ „Das is nich mein Problem…ich brauch jetzt nen Drink…“ „Luki, bitte…übertreib es nicht…“ „Weil es dich trifft? So bin ich eben Juka…“ „Nein und das weißt du…“ „Verdammt, hör endlich auf, mich retten zu wollen!“, kam es nun sichtlich wütend von Lukas. „Ich kann nicht…“ „Und warum?“ Wie bekannt ihr das alles vorkam, doch warum nur schaffte es Juka ihm standzuhalten und sie nicht? Eine Zeit lang herrschte Stille, dann drückte Juka Lukas wieder an die Wand und flüsterte ihm etwas zu und Nici wünschte sich, sie hätte diese Worte niemals gehört. Denn diese Worte trugen eine solche Intensität mit sich. Dagegen würde sie niemals auch nur den Hauch einer Chance haben. „Weil ich dich liebe…so jetzt ist es raus…und glaub mir Süßer, wenn ich mit dir fertig bin, brauchst du keinen beschissenen Drink mehr…“   Marco und Ina brachten sie noch nach Hause. Von der Haltestelle dort in der Nähe nahm Ina dann die Bahn zu sich. Nici wollte nicht, dass Marco heute bei ihr übernachtete, weil sie sich überhaupt nicht mehr im Klaren war, was sie fühlte. Das hieß, sie wusste es schon, wollte es jedoch nur nicht wahrhaben. Es ging nicht anders und sie fing an zu weinen. Am nächsten Tag suchte sie Ina auf. „Hey, Süße. Was hast du auf dem Herzen?“ Nici seufzte tief und setzte sich auf das schöne blaue Sofa in ihrem Zimmer. Ihre Mutter brachte zwei Cappuccino. „Ich habe glaub ich gerade ein riesen Problem.“ Ina sah ihre Freundin fragend an. „Es geht um Lukas. Ich glaube es war ein Fehler was mit Marco anzufangen. Gestern beim Konzert…er war so schön und er sah einfach nur verdammt toll aus. Ich bin so doof!“, fluchte Nici. Ina sah sie vorwurfsvoll an. „Und was willst du jetzt tun?“ Nici zuckte mit den Schultern. „Wir führen gerade eine offene Beziehung…aber ich glaub, er nutzt das als Vorwand…ich kann ihm vermutlich nie die Freundin sein, die er braucht.“ „Was denn für ein Vorwand?“, fragte Ina und nippte an ihrem Cappuchino. „Ich weiß nicht…er hat da was am Laufen…mit nem Kerl.“ „Shit, das ist echt bitter…und du glaubst er liebt ihn?“ „Zumindest liebt der Kerl Lukas…hab gestern gehört, wie er ihm das gesagt hat…als ich auf dem Klo waren, standen sie in der Nähe…ach Ina, das ist so doof alles. Einerseits mag ich Marco voll, doch dann ist da eben Lukas…ich dreh durch!“ „Mh, das ist echt doof und ich bin nicht sicher, was ich dir raten soll. Marco passt so gar nicht zu dir, aber nett ist er schon...“ „Marco gibt mir einfach keine Erfüllung in der Beziehung. Er ist schon lieb, das stimmt, aber er ist halt kein Gothic.“ „Mir ist gestern was aufgefallen…die Schnitte…tut Lukas sowas öfter?“ Nici seufzte abermals und nun kamen die Tränen. Ina legte ihre Hand auf Nicis Schulter und das tat irgendwie gut. „Öfter als mir lieb ist…er ist so kompliziert Ina und redet nicht mit mir. Und dann ist er wieder voll lieb…“ Nici schluchzte und Ina nahm ihre Freundin in die Arme. „Ach Süße…wollen wir uns heut bei Marcos Party so richtig betrinken? Vielleicht bringt dich das auf andere Gedanken“, schlug Ina vor und Nici war hin und hergerissen. „Klingt nicht nach dem schlechtesten Plan.“ „Sag ich doch.“ Ina nickte und lächelte. „Und da sehen wir, aus Marco wird. Danach kannst du ja immer noch mit Lukas reden!“ Das stellte sie sich unwahrscheinlich schwer vor, weil sie Lukas kannte und jetzt mit ihm reden würde sich eher als unmöglich erweisen. Jedoch wollte sie ihn auch wiedersehen. „Daran habe ich ja auch schon gedacht, aber ich habe Angst. Angst davor, wie er reagiert, weißt du?!“ „Wir gehen da heut zusammen hin, Süße. Vielleicht wird es ja echt witzig.“ Um acht holte Ina ihre Freundin zu Hause ab. Die Mädchen hatten sich absichtlich richtig extrem gestylt. Eigentlich war die Party ja ganz toll. Seid der Sache mit Marco verstand sie sich auch super mit den anderen Mädels aus der Klasse. „Hey Nici, ich bin echt neidisch, dass du Marco jetzt hast. Er ist voll süß, ne?“ Sie nickte nur, weil sie wieder an Lukas denken musste. „Da bist du sicher nicht die einzige, die ihn toll findet.“ Nici versuchte scherzhaft zu klingen. Sie trank Rotwein. Die anderen zogen lieber irgendwelche Mixgetränke vor. Die Musik war voll beschissen und Nici wünschte sich, dass sie jetzt bei Lukas und seinen Leuten sein könnte.  Da tauchte Ina mit zwei Cocktails auf. „Du bist meine Rettung. Die einzige Person, mit der ich mich vermutlich heut normal unterhalten kann.“ Ina knuffte Nici in die Seite und lachte. „Sag mal, hat dir Nadja hallo gesagt?“ Nici zuckte mit den Schultern. „Naja, weil mich hat sie gerade voll schräg angeschaut.“ Sie seufzte. „Nadja ist immer noch komisch und ich hab das Gefühl die anderen Mädels tolerieren mich nur, weil ich Marcos neue Flamme bin.“ Ina sah Nici mitfühlend an. „Also doch nichts?“ „Kann ich offen mit dir reden?“ „Ja klar doch.“ „Ich bereue es irgendwie. Ich sehne mich nach diesen verrückten Partys zurück, die wir immer mit Lukas und den Leuten aus der Band gefeiert haben. Es war alles so unkompliziert. Man hat sich halt getroffen und das Beste aus dem Abend gemacht, weißt du?“ Ina nickte. Nici war total deprimiert. „Ich hab ihn gestern mit diesem Juka gesehen und ich glaube er will mich nicht mehr. Wenn Lukas nur nicht so einen verdammten Dickschädel hätte, wäre ich schon längst zu ihm gegangen, um mit ihm darüber zu reden.“ „Jetzt haben wir Spaß, Kopf hoch Mausi, okay?“ Nici zuckte nur mit den Schultern. „Ich würde aber lieber ins Selbstmitleid baden.“ Ina verleierte die Augen. „Das mag ja sein, aber wir gehen jetzt trotzdem tanzen, auch wenn die Musik total bescheuert ist.“ Eher gegen ihren Willen wurde Nici auf die Tanzfläche befördert und wurde das Gefühl nicht los, von allen angestarrt zu werden. „Meinst du, dass ich mit Lukas reden sollte?“ „Auf jeden Fall. Man sieht dir echt an, dass du total unglücklich bist und als du mit Lukas zusammen warst, hab ich dich nie so gesehen. Ich glaube, du bist nur mit Marco zusammen, weil Nadja es so wollte, oder?“ Sie nickte stumm und irgendwie war ihr das etwas peinlich. „Du solltest vielleicht mehr auf deine eigenen Gefühle hören und nicht darauf, was andere sagen.“ „Wenigstens du verstehst mich. Ich danke dir.“ Ina und Nici teilten sich nach dem Tanzen eine Zigarette und tranken noch mehr Cocktails. Nadja sah sie skeptisch an und schüttelte nur mit dem Kopf. Es verbrachten ziemlich viele Leute die Nacht bei Marco. Als er in sein Zimmer kam, tat Nici so, als ob sie schon schlafen würde. Er küsste sie noch auf die Wange und legte sich neben sie. Sie wachten gleichzeitig auf. „Ich muss jetzt nach Hause, wegen meiner Oma“, log Nici. „Das ist echt schade. Dachte, wir frühstücken noch zusammen.“ „Nee, tut mir leid. Ich muss los.“ Zu Hause duschte Nici und zog sich um. Dann wollte sie unbedingt zu Lukas und mit ihm reden.   Ich war gerade aufgestanden und hatte geduscht, als es klingelte. Da keiner zu Hause war, musste ich die Tür öffnen. Ich hätte auch mit jedem gerechnet, nur nicht mit Nici. „Was führt dich denn zu mir? Willst mir wohl sagen, wie toll das Konzert war oder was?“ „Darf ich rein kommen? Wollte nur mal vernünftig mit reden, wenn du es gestattest.“ Da ich heute einen guten Tag hatte, ließ ich Nici eintreten. Ich trug zu meiner Belustigung nur meine Hose. Wir setzten uns in mein Zimmer und ich zündete mir eine Zigarette an. „Was gibt’s so wichtiges?“ Sie hielt einen Moment inne und begann zu reden. „Naja, ich habe dich gestern mit Juka gesehen und…da scheint was zwischen euch zu sein…ich glaube du benutzt die offene Beziehung nur, um mich nicht zu verletzen. Doch eigentlich hast du mich schon abgeschrieben.“ Ich bekam ein bisschen Mitleid mit ihr. „Tja, was soll ich sagen…damit hast du nich ganz Unrecht…aber du bist ein tolles Mädchen, das kann ich immer wieder betonen…und ich will dich wirklich nich verletzen Nici, aber ich kann nich mit dir zusammen sein. Ich glaub ich liebe Juka und das schon eine ganze Weile.“ Es traf mich, sie so traurig zu sehen, aber ich konnte nicht anders. „Okay, es ist in Ordnung…was kann ich schon dagegen tun. Immerhin haben wir es versucht.“ „Gib deinem neuen Freund doch eine Chance und ich bin trotzdem da. Wir können uns weiterhin sehen, reden, aber als Freunde eben.“ Ich lehnte mich zurück, zog genüsslich an meiner Zigarette und sah Nici mit durch dringlichen Blick an. Die Enttäuschung war ihr ins Gesicht geschrieben. „Ich fände es schön, wenn wir Freunde bleiben könnten.“ „Bist du schon mit Juka zusammen?“ „Nein, er muss noch was mit seinem Ex klären.“ „Ich hoffe für dich, dass es klappt.“ „Danke, das weiß ich zu schätzen Süße.“ „Also dann, wir sehen uns sicher mal, im Underground oder so.“ „Klar bestimmt.“ Nici hatte ihren Blick zu Boden gerichtet und sah abwechselnd zu mir und dann auf den Teppich. „Ich habe dich noch nie so ehrlich erlebt, wie gerade eben. Warum kannst du nicht immer so sein?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Weil ich langsam das Gefühl habe du magst mich.“ Nici schien nicht zu wissen, was sie erwidern sollte und lächelte einfach nur. Ich erwiderte ihr Lächeln schwach. Wir beschlossen uns, an diesem schönen Tag, in dem Garten weiter zu unterhalten. „Wann hast du dir eigentlich dein Tattoo stechen lassen?“ Ich musste lachen und zuckte mit den Schultern. „Vor ein paar Tagen.“ „Sieht echt heiß aus.“ „Danke, wolltest du nich auch eins haben?“ „Doch, muss nur ein bisschen Geld sparen und nicht immer alles gleich ausgeben. Was macht die Band?“ Ich seufzte tief. „Eigentlich läuft’s gut, aber ich muss mich auch um nen anständigen Job kümmern und mir eine eigene Wohnung suchen.“ „Das klingt fast so, als würdest du jetzt ein bisschen seriös werden?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Ich doch nich, nur irgendwoher muss das Geld ja kommen.“ „Das klingt doch gut.“ „Ich bin auch immer für dich, aber ich glaub, das weißt du selbst. Ich mag dich echt sehr, Nici.“ Sie lächelte. „Ich dich doch auch. Danke, dass du trotzdem für mich da bist. Ich weiß im Moment echt nicht mehr, was ich denken soll. Nadja ist voll komisch, weil sie nicht will, dass wir wieder zusammenkommen und Marco ist auch nicht der richtige Typ für mich.“ „Tja, dann musst du es ihm sagen.“ „Das ist auch blöd. Gestern hat er ne Party organisiert, da hab ich mich voll unwohl gefühlt, weil dumme Musik kam und ich mich nach den Feten im Proberaum zurückgesehnt habe.“ Ich musste lächeln. „Ist ja süß.“ „Würdest du eigentlich trotzdem eine offene Beziehung führen, zumindest so lange du noch nich mit Juka zusammen bist?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Glaub das ist keine so gute Idee.“ „Okay, okay. War ja nur so ne Frage.“ In dem Moment klingelte Nicis Handy. Das Gespräch war sehr kurz. „Es war Nadja. Sie steht vor meinem Haus und wartet auf mich.“ „Dann solltest du da besser hingehen oder?“ Sie nickte. Ich erhob mich und nahm Nici in die Arme. „Kannst dich ja mal melden.“ „Natürlich. Bis später. Kannst Nadja ja nen schönen Gruß sagen.“ Nici drehte sich noch einmal um. „Ha ha.“   Nadja sah Nici ein bisschen beleidigt an. „Warst du grad bei Lukas?“ „Ja, musste ihm noch ein paar CDs bringen. War auch nicht lange da. Er war kurz angebunden.“ Sie erzählte ihr vorerst nichts von ihren Plänen, sondern traf sich noch mit Ina, weil sie ihr versprochen hatte Bericht zu erstatten. „Irgendwie kann ich dir das nicht ganz abkaufen.“ „Dann lässt du es halt bleiben.“ „Gestern hast du dich echt toll verhalten. Marco war echt voll am Boden zerstört. Hast du dich eigentlich entschieden?“ Ich zuckte mit den Schultern und da sah sie Ina auch schon von weitem kommen. „Ich hab jetzt keine Zeit. Ina und ich wollen noch was erledigen. Bis morgen in der Schule.“ „Du hast dich also für Lukas entschieden? Man sieht es dir an und mit einem so freudigen Gesicht habe ich dich bei Marco noch nie gesehen.“ Nici versuchte Nadja zu beruhigen, weil sie keine Lust auf noch mehr Stress mit ihr hatte. Sie sah Nici immer noch mit misstrauischem Blick an. „Weißt du langsam geht mir das ständige Hin und Her echt auf die Nerven. Kannst du dich endlich mal entscheiden, was oder wen du willst?“ Nici seufzte und wusste, dass es wenig Sinn hatte mit Nadja über Lukas zu reden. Ihr lag wirklich viel an ihm, auch als Freund, doch das konnte sie nicht verstehen und Marco genauso wenig. Nur wie sollte sie ihm klarmachen, dass sie nicht mehr mit ihm zusammen sein wollte? „Was überlegst du denn so angestrengt?“ Ihre Stimme hatte diesen sarkastischen Unterton. „Naja, eben die Sache mit Marco.“ „Weißt du, mir tut Marco einfach nur leid. Erst himmelst du ihn an und erzählst, was für ein Arschloch Lukas ist und jetzt ist es wieder umgedreht!“ „Ich weiß, aber du musst doch auch nicht mit ihm reden. Außerdem ist Lukas eigentlich ganz anders.“ Nadja zog die Augenbrauen hoch. „Ja, ja, verteidige ihn noch schön. Du raffst einfach nicht, dass er dich nur ausnutzt. Lukas hatte schon immer seinen Kopf und er würde sich nicht so schnell für ein Mädchen ändern.“ „Na du musst es ja wissen. Weil du ihn auch so super gut kennst.“ „Ich hab zwar schon fast ein Jahr kein Wort mehr mit ihm gewechselt, aber ich denke schon, dass ich deinen tollen Lukas gut genug kenne. Aber wie heißt es so schön, Liebe macht blind.“ „Du bist echt total blöd. Ich glaube, darauf habe ich keinen Bock. Such dir doch andere Freunde mit denen du so sein kannst, aber nicht mit mir.“ Nici ließ sie eiskalt stehen. Ina hatte das Geschehen aus der Ferne verfolgt und schüttelte nur mit dem Kopf. Die Freundinnen suchten sich im Park ein schönes Plätzchen und genossen die warme Sonne. „Und, erzähl schon?“ Nici lächelte verträumt vor sich hin. „Wir haben uns darauf geeinigt Freunde zu bleiben. Das ist immerhin ein Anfang.“ Ina grinste Nici an. „Na das klingt doch gut. Als ich ihn vorhin so mit seinem neuen Tattoo gesehen habe… es war einfach traumhaft. Warum muss dieser Kerl auch nur so toll sein?“ Sie seufzte. „Welches Tattoo? Er hat so viele“, bemerkte Ina. „Das am Bauch, nahe der Hüften.“ „Wow, ja stimmt, das ist mir auf jeden Fall aufgefallen…mhh, Freundschaft oder Freundschaft plus...“, kicherte Ina. „Genau das ist es ja. Lukas meint das ernst und er war sehr ehrlich zu mir. Er ist schwul und fast mit nem Kerl zusammen.“ „Aber nur fast, kannst deinen Charme ja noch mal spielen lassen.“ „Er ist aber verdammt anspruchsvoll und ich glaub nicht, dass ich noch was daran ändern kann.“ „Ach Süße, lass uns noch biss bei dir chillen. Vielleicht schauen wir uns einfach einen Film an, was meinst du?“ Nici nickte und so gingen sie in ihr Zimmer und machten es sich auf dem Bett bequem, um dann einen Film auszusuchen.   Bald fing in unserem Jahrgang  die Tanzstunde an und Marco nervte Nici schon die ganze Zeit, weil er unbedingt mit ihr tanzen wollte, sie jedoch nicht so richtig mit ihm. Ihre Gefühle machten sie wahnsinnig, weil sie nicht wusste, was ich noch denken sollte. Lukas? Oder doch Marco? Hatte sie das nicht immer gewollt, solche Freunde wie Lukas sie hatte? Hatte sie es sich nicht immer gewünscht, wie ein verruchtes Lolita Girly rumzulaufen? Malen präsentierte ihre Meinung in aller Öffentlichkeit. Nicht, weil sie andere provozieren wollte, sondern, weil ihr es egal war, wie andere von ihr dachten. Sie lebte den kleinen Gothic in sich richtig aus, im Gegensatz zu Nici. Das machte sie wütend auf sich selbst. Sie wollte einfach, dass Malen sie auch wieder so akzeptierten, wie alle anderen in der Clique. Malen hatte gerade Besuch von einer Freundin, natürlich auch ein Gothic. Ihr Style war sehr gewagt, aber Nici gefiel es. Sie hatte pinke Haare, hochtoupiert, eine zerrissene Netzstrumpfhose, ebenfalls in Pink und einen sehr, sehr kurzen Rock. Ihr Oberteil war weiß und hatte einen weiten Ausschnitt. Beide Mädchen begrüßten Nici und sie setzte sich zu ihnen auf das Bett. „Das ist Jule, eine gute Freundin von mir. Aber was treibt dich denn zu mir?“, fragte Malen. „Ich wollte nur mal mit dir reden.“ „Alleine? Oder ist es okay, wenn Jule dabei ist?“ Nici zuckte mit den Schultern, da erhob sich das Mädchen aber auch schon. „Schon gut, ich muss sowieso erst mal los. Treffen wir uns heut im Underground Süße?“ „Klar. Bin gegen elf am Eingang. Bis dann.“ Die beiden gaben sich zum Abschied einen Kuss auf den Mund. Dann verschwand Jule hinter der Tür. Malen zündete sich eine Zigarette an. „So, um was geht es?“ „Kann ich mit dir vielleicht über Lukas reden?“ Malens Blick war immer noch abwertend. Nici musste irgendwie an sie herankommen, nur wie? „Und weshalb kommst du damit ausgerechnet zu mir? Hast du denn keine anderen Freudinnen, mit denen du darüber reden kannst?“ Nici seufzte. „Doch, schon, aber ich habe mir gedacht, dass du mich vielleicht besser verstehst, weil du Lukas auch sehr gut kennst.“ „Ach so. Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich eigentlich ganz froh, dass ihr nicht zusammen seid. Tut mir leid Nici, aber ich sehe in dir nur ein kleines dummes Mädchen, das nicht weiß, was es will. Für mich bist du nur ein Mitläufer in der Szene, der eigentlich gar keine richtige Ahnung hat.“ „Ich weiß, dass du so von mir denkst. Ich würde mir echt wünschen, dass du mich akzeptieren würdest.“ Malen lachte. „Naja, das stellst du dir wahrscheinlich sehr einfach vor oder?“ Sie schüttelte energisch mit dem Kopf. „Ich muss es wohl hinnehmen, dass du so von mir denkst.“ „Nicht unbedingt. Ich fand deine Aktion nur neulich bei Lukas seinem Konzert total blöd. Da gehst du mit deinem Freund zu deinem Exfreund aufs Konzert. Was soll das denn? Offene Beziehung hin oder her. Und dann ist dein Freund auch noch so einer von den coolen Typen, die die Gothicszene wahrscheinlich abgrundtief hassen, aber die Mädels trotzdem geil finden. Weißt du, ich finde es einfach lächerlich, wenn so kleine Möchtegern Gothicmädels mit ihren Hopperfreunden Hand in Hand in den x-tra-x kommen und sie dann ganz tolle Lackmieder gekauft bekommen, weil die Kerle ja die fette Kohle haben.“ „Ja, aber ich bin nicht so! Außerdem war Lukas doch der, der die offene Beziehung wollte. Ich glaub nicht daran, dass wir wieder zusammenkommen, aber ich denke eine Freundschaft bekommen wir hin.“ Sie zog die Augenbraune hoch und drückte ihre Zigarette aus. „Ach ja, wie kommst du darauf?“ „Naja, ich glaube da läuft was mit Juka, hat er dir das noch nicht erzählt? Ich meine, ich habe keine Chance mehr, aber er ist mir wichtig und ich hab mich bei euch schon immer wohler gefühlt, als bei den Leuten aus meiner Klasse. Es wäre auch schön, wenn wir uns wieder besser verstehen würden.“ Jetzt hatte Nici alles gesagt, was ihr Herz bedrückte, ob das so richtig war, wusste sie allerdings auch nicht. Auf einmal wurden Malens Züge weicher. Sie schaute Nici nicht mehr so ernst an, sondern lächelte sogar. „Tja, was machen wir da jetzt?“ „Das musst du entscheiden.“ „Und du denkst jetzt, ich nehme dich mal so ganz fix als Freundin zurück?“ Nici zuckte wieder mit den Schultern. „Früher haben wir uns doch auch verstanden oder? Warum dann jetzt nicht mehr?“ Sie antwortete nicht gleich, aber Nici hatte das Gefühl, dass sie Malen fast von sich überzeugt hatte. Früher hätte sie das nie gewagt, doch sie wollte es unbedingt so und sie mochte Malen auch. Deshalb wünschte Nici sich auch, dass das andere Mädchen sie mochte. „Ja, schon. Nur früher hatte ich bei dir auch das Gefühl, dass du voll hinter dem stehst, was du verkörpern willst. Und ich meine, wen interessiert es schon, wie du in der Schule aussiehst? Ich gehe auch nicht auf gestylt zur Arbeit. In der Schule musst du dich doch auch nicht beweisen, oder? Und außerdem, wenn dich deine normalen Freunde nicht so mögen, wie du sein möchtest, sind das auch keine Freunde.“ „Das meine ich ja. Mein Outfit in der Schule ist relativ normal, aber die Leute sind eben komisch.“ Malen rauchte noch eine Zigarette und bot Nici auch eine an, die sie nicht ablehnte. „Okay, okay, du scheinst wirklich nicht so zu sein, wie ich dich eingeschätzt habe. Ich denke auch, dass es kein großer Fehler sein würde, wenn wir uns wieder besser verstehen würden. Und was Lukas betrifft, wenn du wieder mit ihm zusammenkommen willst, solltest du dich meiner Meinung nach ihm ein bisschen anpassen. Ich hab da so eine Idee.“ Nici schaute sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Naja, ich wollte doch heut mit Jule ins Underground. Lukas würde bestimmt auch mitkommen, wenn ich ihn Frage. Dich putzen wir vorher so richtig raus und du kommst dann auch einfach mit. Tolle Frauen machen Lukas doch immer schwach.“ Nici hätte alles erwartet, nur das nicht. Aber die Idee gefiel ihr. „Okay, das klingt gut. Und soll ich da vorher zu dir kommen?“ „Ja, würde ich sagen. Wir machen uns hier fertig und gehen dann los. Also dann, ich muss noch mal los. Bist du um neun bei mir?“ „Klar. Bis dann.“ Malen umarmte sie sogar zum Abschied. Das freute Nici unheimlich.     Ich war eigentlich auch froh, Nici los zu sein. Ich brauchte Ruhe und zog mich bei der kleinen Laube zurück. Und wie erhofft, war ich hier mutterseelenalleine. Ich wusste nicht, wie ich das alles bewältigen sollte. Ich musste mich auch um meinen Führerschein kümmern. Die Füße streckte ich aus und legte mich längs ins Gras. Vor kurzem hatte ich mich bei einer Medienfirma beworben, jedoch noch keine Antwort erhalten. Ich hoffte endlich Arbeit zu bekommen, weil ich von zu Hause ausziehen musste und das zwingend. Ich hatte auch schon eine tolle Wohnung ausfindig gemacht, doch diese konnte ich nur mit meinem eigenem Geld finanzieren. Ich freute mich irgendwie auf ein eigenes Leben, ja vielleicht sogar mit Juka zusammen. Bei diesem Gedanken lächelte ich. Mein Vater war zu Hause, als ich kam. Gerade wollte ich auf mein Zimmer gehen, als er mich zurückrief. Ich atmete tief durch. Was wollte er denn jetzt schon wieder? „Ich will mal kurz mit dir reden. Ist das okay?“ Ich nickte, ohne etwas zu sagen. „Ich habe mich gefragt, was du wohl nach der Schule vor hast? Willst du ein Studium beginnen oder eine Lehre anfangen?“ „Von zu Hause ausziehen und ne Lehre beginnen.“ „Ich weiß, dass du mich nicht so richtig leiden kannst, obwohl wir Vater und Sohn sind, Lukas. Aber ich dachte mir, dass ich dich ja doch irgendwie unterstützen könnte. Natürlich nur, wenn du willst.“ „Wenn du mir eine Wohnung bezahlen kannst, gerne. Mehr Unterstützung brauche ich nich. Ich habe mich bei ein paar Firmen beworben, da sah es nicht schlecht aus.“ Er sah mich forschend an und strich sich über das glattrasierte Kinn. „Wenn du willst, kannst du auch bei mir als Mediengestalter arbeiten. Da verdienst du eine ganze Menge Geld. Du denkst jetzt wahrscheinlich, dass ich mich nur einschleimen will, aber ich will dir doch wirklich nur etwas Gutes tun.“ Das war das Letzte, was ich wollte. Aber leider musste ich zugeben, dass er nicht ganz unrecht hatte. Mein Vater war sein eigener Chef und eigentlich konnte ich mich geehrt fühlen, wenn er mir ein solches Angebot machte. „Ich denke drüber nach, okay?“ Mein Vater lächelte mich an und schien zufrieden mit sich zu sein. Ich machte mich auf den Weg zu Basti und erzählte ihm, was mein Vater mir gerade für ein Angebot unterbreitet hatte. „Mh, vielleicht hat er echt nen schlechtes Gewissen und will dir helfen“, bemerkte mein Freund schulterzuckend während er seinen Kaffee umrührte. „Diese Vermutung hatte ich auch schon, aber ich traue ihm nich. Vielleicht fang ich da auch erst Mal an, spar mir bissl Geld zusammen und wechsel dann. Aber jeden Tag meinem Vater begegnen. Das kotzt mich jetzt schon an.“ Basti zuckte nur mit den Schultern. „Mike hat mich jetzt offiziell zum stellvertretenden Chef ernannt. Cool oder?“ „Freut mich für dich…naja, du bist ja ohnehin schon Mitbesitzer vom Café.“ „Irgendwie schon, is trotzdem anders als Chef. Jetzt kann mich Mike nicht mehr ankacken, sondern ich auch ihn“, freute sich Basti und ich schüttelte belustigt den Kopf. „Ich habe in der Schönhauser Allee eine ganz tolle Wohnung gesehen. Ist ganz oben, du kannst also praktisch über ganz Berlin gucken. Das Zimmer in der Wohnstube ist rund. Echt voll schön, nur leider nicht umsonst.“ „Naja, ich werde bei meiner Mama wohnen  bleiben. Mike ist ja auch kaum da und ich will sie nicht alleine lassen.“ Basti öffnete sein Zimmerfenster und wir hockten uns aufs Fensterbrett, um eine Zigarette zu rauchen. „Nici war heute früh bei mir.“ „Und?“ „Nix und. Ich hab ihr von Juka erzählt.“ „Und wie hat sie reagiert?“ „Naja, will, dass wir Freunde bleiben und so.“ Basti grinste mich nur an und schüttelte mit dem Kopf. „Na dann. Geht’s dir gerade gut Lukas?“, fragte mein Freund vorsichtig. Ich zuckte mit den Schultern. „Könnte schlimmer sein. Ich komm schon klar…aber danke der Nachfrage…ich muss dann auch los, wollt mich noch mit dem Vermieter treffen…“ „Alles klar…“ Ich verabschiedete mich dann von Basti und umarmte ihn kurz. Der ältere Mann, vielleicht mein zukünftiger Vermieter teilte mir bei unserem Treffen mit, dass er sich tatsächlich für mich entschieden hatte und ich nächsten Monat einziehen könne. Hoffentlich. Ich war völlig aus dem Häuschen und schrieb sogleich Basti und Flo. Jetzt musste ich echt dringend an Geld kommen und konnte nicht länger warten, bis die Firma auf meine Bewerbung reagierte. Deshalb nahm ich das Angebot meines Vaters zähneknirschend an. Er schien sich tatsächlich zu freuen, was mich wieder ein bisschen Hoffnung schöpfen ließ. „Du kannst gleich am Montag anfangen. Aber da wäre noch etwas.“ Prüfend musterte er mich von oben bis unten und ich ahnte, was jetzt kommen würde. „Es wäre nicht schlecht, wenn du halbwegs normal dort auftreten könntest. Gegen deine Ringe da im Gesicht kann ich nichts mehr ausrichten, aber bitte ungeschminkt und ohne schwarze Fingernägel!“ „Das hätte ich sowieso gemacht. Du wirst es kaum glauben, aber ein bisschen Benehmen habe ich tatsächlich auch. Was ist mit den Klamotten? Wird bei dir ein bestimmter Kleidungsstil verlangt?“ Er überlegte kurz. „Könntest du dich mit einem weißen Shirt anfreunden?“ „Warum nicht. Kann ich da ne schwarze Hose drunter ziehen?“ Er nickte und freute sich über mein Interesse an diesem Job. Was blieb mir auch anderes übrig. Ich kaufte mir also ein paar weiße Shirts. Etwas moderner und eng anliegend. Schwarze Hosen hatte ich genug in meinem Schrank. Malen fragte, ob ich mit ins Underground kommen wollte und da ich mal wieder Lust hatte, mich so richtig aufzumotzen, sagte ich da nicht nein. Basti konnte ich auch noch überreden. Ich hatte mir heut zwei neue Ringe für meine Unterlippe gekauft. Kunstvoll umrahmte ich meine Augen mit schwarzem Kajalstift und machte mich dann auf den Weg. Basti und ich tranken unterwegs noch zwei Bier, um dann im Underground nicht so viel Geld auszugeben. Davor warteten drei Mädels und eins davon war Malen. Als wir dann genau vor ihnen standen, erkannte ich auch Nici, die verdammt heiß aussah. Ich gab ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange. Wir waren so ziemlich die ersten im Club, deshalb bestellten wir erst einmal Getränke. Irgendwie konnte ich meine Augen nicht von Nici wenden und auch Basti stimmte mir zu, dass sie toll aussah. „Ich frag mich echt, ob sie ihren Freund noch hat?“ Basti zuckte mit den Schultern. „Frag sie doch.“ Ich zündete mir eine Zigarette an. „Was interessiert es mich.“ „Aber, falls sie ihren Freund noch hat, ist das ja ganz schön dreist, was sie heut abzieht, oder?“ „Das geht mich nichts an.“ Basti lächelte und schüttelte mit dem Kopf. Irgendwann setzte ich mich mit Nici auf die Couch, ein bisschen abseits von den anderen. „Du hast mich heut echt überrascht.“ „Gut zu wissen. Bin ich dir jetzt wieder einen Schritt näher?“ Ich zuckte nur mit den Schultern und lächelte ein bisschen arrogant. „Nein, sorry.“ Nici schien noch immer Hoffnung zu haben. „Schade. Reizt dich das gar nicht mehr?“ „Um ehrlich zu sein, ein bisschen vielleicht, aber andere Sachen reizen mich nun mal mehr.“ Nicis Rock war verdammt kurz. Ich legte meine Zigarettenschachtel absichtlich zwischen meine Beine, nachdem ich mir eine angezündet hatte. Auch hatte ich Nici absichtlich keine angeboten, weil ich einfach nur wissen wollte, ob sie so dreist war und sich die Schachtel schnappte. „Du kannst ganz schön fies sein.“ „Mhh, ich weiß.“ Ich konnte an ihrem Blick erkennen, dass sie mit sich rang, mich nach einer Zigarette zu fragen oder sich selbst bedienen sollte. Ich genoss das und nahm einen tiefen Zug. „Hast du eigentlich vor, dir noch mehr Piercings stechen zu lassen?“ „Keine Ahnung. Im Gesicht denk ich nicht. Mit einem Tattoo hatte ich eher geliebäugelt. Warum fragst du?“ Das kleine Miststück hielt jetzt tatsächlich meine Zigarettenschachtel in den Händen und legte sie dann auch haargenau wieder an den ursprünglichen Ort zurück. „Nur so. Steht dir ganz gut.“ „Ich hätte jetzt nicht gedacht, dass du dir das zutraust.“ Sie wusste sofort, was ich meinte und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. „Jetzt sag aber nicht, dass du die Schachtel mit Absicht dort hingelegt hast?“ Ich musste grinsen. „Oh doch. Ich denke du kennst mich so gut?“ „Ja, ich habe mir schon sowas gedacht, aber was wolltest du damit bezwecken?“ Jetzt musste ich lachen. „Ich wollte nur testen, ob du so hemmungslos bist, wie du heut aussiehst, das ist alles. Und tatsächlich, du passt dich ganz deinem Outfit an.“ „Du bist ein… ein…“ „Na? Ein was?“ „Mir fehlen die Worte. Hättest du das bei anderen Mädchen auch gemacht?“ „Und was, wenn ja?“ Sie zögerte einen Augenblick. „Nein, den anderen Mädchen hättest du wahrscheinlich vorher eine Zigarette angeboten.“ „Ist dir eigentlich bewusst, was für eine blöde Diskussion wir hier gerade führen?“ Diesmal lachte Nici. „Tja, diese dumme Diskussion wäre nie zustande gekommen, wenn du diese seltsame Idee nicht gehabt hättest.“ Ich bekam auf einmal einen Lachanfall. „Wow, du hast es gerade geschafft, mich zum Lachen zu bringen. Ich meine so richtig.“ „Das ist schön. Wollen wir noch was trinken?“ „Ja, aber nur, wenn ich dir was spendieren darf.“ „Keine Einwände.“ „Was willst du haben?“ „Eine Whiskeycola, bitte.“ Ich zwinkerte Nici zu und verschwand kurz an der Bar. „Dankeschön.“ Freundschaftlich legte ich ihr meinen Arm um die Schulter. „Und sonst alles gut, was macht dein Freund?“ Sie sah mich überrascht an. „Keine Ahnung, glaub er war zu lieb für mich“ „Ach was.“ „Er wollte nich, dass ich allein weggehe und so. Das hat mich genervt.“ „Der Ausschnitt ist auch ziemlich gewagt. Da fällst du heut bestimmt dem einen oder anderen auf“, stellte ich fest. „Vielleicht?“ „Naja, jetzt hast du wieder freie Wahl.“ „Lassen wir das mal langsam angehen.“ Auf einmal spannte sich jeder Muskel meines Körpers an und mein Herz schlug mir bis zum Hals, ich vergas sogar fast zu atmen. Ich spürte Nicis Blick von der Seite. Sofort löste ich meinen Arm von meiner Exfreundin. Fuck! Wie konnte er nur so schön sein? „Oha…der scheint es dir echt angetan zu haben“, stellte sie etwas wehmütig fest. „Ach halt die Klappe“, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen. Ich ließ Nici allein und begrüßte meinen Jukaschatz mit offenen Armen. Als er mich in seine Arme schloss und das länger als nötig, wuchs diese Begierde nach ihm. Und zu meiner Schande wusste er das ganz genau, denn seine Hände glitten an meinem Körper hinab und hinterließen wie immer ein leichtes Kribbeln. Dann setzte er sich zu mir auf die Couch. Seine schwarze Strickjacke reichte fast bis zum Boden und darunter trug er nur ein Top, welches so gut wie nichts verdeckte. Die enge Hose lag wie immer wie eine zweite Haut an und betonte Jukas schlanke Figur nur noch mehr. Und er hatte seinen Bauchnabelpiercing getauscht- eine silberne Schlange baumelte an dem roten Steinchen. Verdammt, ich konnte nicht mehr denken. „Na, hast du wenigstens ein schlechtes Gewissen?“ „Ja…schon. Warte mal kurz, bin gleich wieder da.“ Ich eilte zur Theke und verlangte eine Flasche halbtrockenen Sekt. Dann stellte ich mich vor Juka. Nici schien ein wenig beleidigt zu sein, weil meine Aufmerksamkeit nicht mehr ihr galt. „Welche Hand willst du, die rechte oder die linke?“ Er zog die Augenbrauen hoch. „Beide.“ „Nee, nee. Entweder oder.“ „Mhh, dann links.“ Ich tat die Flasche von der rechten in die linke Hand und überreichte sie Juka. Natürlich geöffnet und mit Glas. Er schüttelte mit dem Kopf und grinste. „Du bist schon so ein kleiner Charmeur. Danke mein Hübscher.“ „Gern geschehen, mein Süßer.“ Juka durchbohrte mich wieder mit diesem unglaublichen Blick und in meinem Bauch drehten die sogenannten Schmetterlinge völlig durch. „Du machst mich noch ganz verlegen. Können wir kurz raus gehen und reden?“ „Ja klar.“ Vor dem Club war die Luft angenehm kühl und wir teilten uns eine Zigarette. Ich berührte vorsichtig die geflochtenen Zöpfchen, die links und rechts seines Kopfes entlangführten. Den Mittelteil der Haare waren zu einem dezenten Iro auftuppiert. „Eigentlich war es ja ganz gut, dass du so lange nicht bei mir warst.“ Juka wirkte jetzt irgendwie angeschlagen. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. „Ich habe mich jetzt endgültig von Polly getrennt.“ „Was? Warum das denn?“ Polly war Jukas Transvestitenfreundin, die mit ihm in der WG wohnte. „Es ging um dich. Polly war fest davon überzeugt, dass ich mich durch dich verändert habe. Außerdem ist sie ein sehr eifersüchtiger Mensch. Sie hat irgendwie Wind von unserer kleinen Affäre bekommen.“ Zum ersten Mal erlebte ich Juka richtig ernst. Das zog mich irgendwie ganz schön runter. Immer hatte Juka ein offenes Ohr für mich gehabt und jetzt, wo er mit seinen Problemen zu mir kam, konnte ich ihm nicht so helfen, wie er es verdient hatte. „Super. Immer bin ich für solche Sachen verantwortlich.“ „Tut mir leid. Ich dachte nur, dass ich mit meinen Sorgen zu dir kommen könnte.“ Juka sah mich enttäuscht an und machte mir deutlich, dass er sich mehr von mir erwartet hatte. Schon machte er kehrt und wollte nach drinnen verschwinden. Ich bekam seine Hand gerade noch zu fassen. „Hey warte, ich hab das nich so gemeint. Vergiss Polly oder versuch es zumindest. Du hast immer noch mich.“ Ich warf ihm einen liebevollen Blick zu und schloss ihn in meine Arme. „Weißt du, Süßer, es ist mir nicht mal schwer gefallen, mich für unsere Freundschaft zu entscheiden. Ich bin Polly gegenüber immer tolerant gewesen, aber sie? Ich wollte das Theater nicht mehr länger mitmachen.“ Juka war so wundervoll. Ich gab ihm noch einen Kuss, nahm ihn bei der Hand und wir kehrten zurück in den Club. Ich musste endlich eine Entscheidung treffen. Juka ging mir nicht mehr aus dem Kopf und ich musste mir endlich eingestehen, dass ich absolut auf Männer abfuhr, vor allem auf diesen einen. Da konnte Nici noch so kurze Röcke und knappe Oberteile anhaben, an Juka kam sie nicht heran.       Irgendwann kam ich mit Flo auf dieses Thema zu sprechen. Juka und ich trafen uns zwar nicht oft, aber immer, wenn wir uns sahen, entstand da diese magische Verbindung zwischen uns. Wir machten es uns auf der Wiese vor unserer Holzhütte bequem. „Du Flo, ich glaub ich hab mich echt in Juka verliebt.“ Mein Freund sah mich zuerst etwas skeptisch an, grinste dann aber. „Mh, na endlich gibst du es offen zu.“ Ich seufzte und rauchte eine Zigarette. „Naja, ich kann es nich länger unterdrücken.“ „Juka is schon heiß.“ Ich nickte und nahm einen tiefen Zug. „Juka…ich weiß nich, ob er das auch so will…immerhin hat er sich grad erst von Polly getrennt…aber ich hatte vor nich all zu langer Zeit was mit ihm.“ „Wie du hattest schon wieder was mit ihm und wie viel?“ „Naja, das erste Mal war‘s nur ein Blowjob, das zweite Mal Sex und das dritte Mal auch.“ „Und wie hat dir der gefallen?“ „Es war der Hammer.“ Flo schaute mich an und ich wusste nicht was ich sagen sollte. „Mach kein Scheiß…“ „Is mein voller ernst und das schlimme ist, dass ich bei beiden Malen mit Nici zusammen war.“ „Lukas, du verdorbenes Stückchen…ich wusste ja immer, dass du es liebst Frauen zu vögeln, doch das? Nicht übel. Ganz ehrlich, rede mit Juka und schnapp ihn dir. Scheiß auf Nici.“ Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist und bleibst der Beste.“   Montagmorgen trat ich vor meinen Vater und dieser war begeistert. Wir aßen noch eine Kleinigkeit und fuhren dann zu seiner Firma. Da es morgens etwas frisch war, zog ich mein schwarzes Jackett noch über. Er führte mich zu einem leeren Computer und erklärte mir meinen Auftrag. Dann ließ er mich alleine. Neben mir saß ein Junge, etwa in meinem Alter nur ein bisschen wohl genährter. Ich konnte sehr schnell beobachten, dass auch viele junge Damen hier arbeiteten. Der Junge schielte immer in meine Richtung, das nervte mich langsam. Einmal erwiderte ich seinem Blick, welchem er nicht lange standhielt. In der Pause ging ich eine rauchen. Weil das Wetter so schön war, beschloss ich auf den Hof zu gehen. Die Mädels dort beobachteten mich und kicherten. Plötzlich stand der Junge neben mir. Ich sah ihn an. „Ähm, hättest du vielleicht mal eine Zigarette für mich?“ Ohne etwas zu sagen reichte ich ihm eine. „Ich bin übrigens Max.“ „Lukas“, sagte ich kurz und knapp. „Bist du ein neuer Lehrling?“ „Naja, so ähnlich.“ „Warum, wenn ich fragen darf?“ Max war mir irgendwie sehr sympathisch und deshalb sah ich keinen Grund, warum ich ihm nicht die Wahrheit sagen sollte. „Bin durch meinen Vater hierhergekommen. Der dir wahrscheinlich als dein Chef bekannt ist.“ Max sah mich weit aufgerissene Augen an. „Was? Herr Sennert ist dein Vater? Habe gar nicht gewusst, dass er noch einen Sohn hat.“ Ich schmunzelte. „Doch. Auch wenn er das vielleicht gerne geändert hätte.“ „Ihr seht euch überhaupt nicht ähnlich.“ „Ich weiß und das ist auch gut so. Ich habe mehr von meiner Mum geerbt.“ „Ihr scheint euch nicht sonderlich gut zu verstehen oder?“ „Könnte besser sein, aber zum Geldverdienen reicht es. Mein Vater ist ein Aufschneider, mehr nicht.“ Max schwieg einen Moment und fragte mich dann, ob ich wieder mit hinauf kommen würde. Mein Vater kam ab und zu, um nach dem Rechten zu sehen. „Na, ihr scheint euch ja gut zu verstehen.“ Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Er verschwand. „Es ist furchtbar diese Visage den ganzen Tag zu sehen!“ „Wie redest du denn über deinen Vater?“, fragte Max erschrocken. „Nicht sonderlich gut. Hab auch keinen Grund dazu. Zwischen uns sind gewisse Dinge vorgefallen, die er am liebsten rückgängig machen würde, aber das geht nun mal nicht. Ich mache wenige Menschen schlecht, aber solche wie mein Vater gehören dazu.“ „Guck mal, die Mädels schauen die ganze Zeit zu dir herüber!“ „Ich weiß. Kannst ja mal winken.“ Max lachte und ich stimmte in sein Gelächter ein. Die Tage vergingen so langsam, doch Max und ich verstanden uns ganz gut. Das eine oder andere Mädel hatte ich auch schon kennengelernt, weil, wenn es Probleme gab, fragten sie immer, ob ich ihnen helfen könne. Ich genoss es so angesehen zu sein. Max schien etwas betrübt darüber, denn er war nun der Loser bei der ganzen Sache. Irgendwie tat er mir leid. „Hey, alles okay bei dir?“ Er zuckte mit den Schultern. „Willst du mit mir eine rauchen kommen?“ „Klar.“ Es war zwar noch keine Pause, aber eine Zigarette zwischendurch konnte ja nicht schaden. „Es tut mir leid, dass ich dir deinen guten Ruf versaue, aber ich mache das nicht mit Absicht. Die ganzen Mädels interessieren mich kein Ding.“ „Es ist nur so, schon mein ganzes Leben lang musste ich vieles zurückstecken. Hier hatte ich ab und zu mal die Chance selbst Initiative zu ergreifen, doch dann kamst du.“ Es tat mir sehr leid so was zu hören. Ich wollte Max nicht als Idioten dastehen lassen. „Max, auch wenn ich nicht so aussehe, ich habe auch schon viele schlimme Dinge erlebt. In allen Dingen, die ich mir vorgenommen habe, bin ich gescheitert. Ich bin mit Sicherheit nicht der, für den du mich hältst. Aussehen ist nicht immer alles.“ Er erwiderte eine ganze Zeit nichts, daran merkte ich, dass er nachdachte. „Ich dachte immer, wenn man reiche Eltern hat und gut aussieht, hat man überall Chancen.“ „Genau das ist der springende Punkt! Ich hasse es von den Leuten begafft zu werden, mir dumme Sprüche anhören zu müssen und mich letztendlich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühle. Ohne meine Freunde wäre ich NICHTS. Ich bin bloß ein Mensch, wie jeder andere auch, nur das wollen viele nicht wahrhaben.“ Etwas erstaunt sah mich Max an, was mich schon wieder nervte. „Du bist der erste, von dem ich so was höre. Die Jungs aus meiner ehemaligen Klasse haben mich immer ausgelacht, weil ich nicht die gleichen Interessen hatte, wie sie und weil ich nicht so toll war, wie sie. Immer musste ich nur einstecken und am Ende war ich so froh, dass mich dein Vater eingestellt hat. Da waren alle voll neidisch auf mich, weil auch zwei andere Jungs aus der Klasse sich hier beworben hatten, jedoch ohne Erfolg.“ Ich konnte ein triumphierendes Lächeln in seinem Gesicht sehen. „Solche Situationen kenne ich. Aber ich beurteile die Menschen nicht nach ihrem Aussehen, sondern nach ihrem Verhalten.“ „Das finde ich voll coooool. Von solcher Sorte gibt es nicht mehr viele. Sag mal, warum verstehst du dich nicht mit deinem Vater?“ „Is ne lange Geschichte und verzeih mir, aber ich muss nich mit jedem darüber reden.“ Einen Moment lang hielt er Inne. „Mhh verstehe. Läufst du in deiner Freizeit auch so abgefahren rum?“ Er schien sehr interessiert an meinem Leben zu sein. „Naja, eher in schwarzen Klamotten. Ziemlich gruftig eben.“ Er nickte. „Das passt voll zu dir!“ Ich musste lächeln. „Aber ich glaube, ich würde mich nie trauen solche Sachen anzuziehen. Stimmt es, dass die Mädels in dieser Szene so toll sein sollen?“ Ich lachte abermals. Nicht nur die Mädels, schoss es mir auf einmal durch den Kopf. „Ja, aber es gibt auch Ausnahmen, wie überall.“ Langsam begaben wir uns wieder zu unserem Arbeitsplatz. Der Rest des Tages verging relativ schnell. Zu Hause lobte mich mein Vater, dass er mit meiner Arbeit sehr zufrieden sei. Ich erwiderte darauf nichts. Es war schon fast Wochenende und mein Vermieter rief mich an und fragte, was nun mit der Wohnung sei. Ich sagte, dass ich mich morgen bei ihm melden würde. „Du Papa, könntest du mir einen Gefallen tun?“ „Was denn?“ „Könntest du mir die Anzahlung für die Miete vorschießen? Sonst kann ich die Wohnung vergessen. Bis übermorgen will er das Geld haben.“ Etwas vorwurfsvoll sah mich mein Vater an. „Ja, mache ich. Hast du alles andere schon geklärt? Strom? Wasser und so?“ Ich nickte.   Die Sache mit der Wohnung war jetzt sattelfest. Meine Jungs waren mir eine sehr große Hilfe bei dem Umzug. Diese Tage waren sehr stressig. Mein Vater hatte mir angeboten, mich von der Arbeit freizustellen, doch dieses Angebot lehnte ich ab, denn diese Genugtuung wollte ich ihm nicht auch noch geben. „Wusste gar nicht, dass du so ein Arbeitstier bist.“ „Naja, ich brauche ja Geld.“ Er grinste und das erste Mal seit langem erwiderte ich diese nette Geste von ihm. Nach zwei Tagen war die Wohnung komplett fertig eingeräumt. Ich konnte nun endlich mein neues zu Hause betreten. Die Küche war schon eingebaut. Meine Wohnstube hatte ich mir gemütlich eingerichtet, vorwiegend mit den Möbeln aus meinem alten Zimmer und mein Bett hatte sein Platz in einem eigenen Schlafzimmer. Das Bad war sehr klein, aber vollkommen ausreichend. Für das Wohnzimmer hatte ich mir eine Couch gekauft, die total riesig und voll bequem war. Ich rief Flo an, ob er nicht vorbeikommen wolle. Eine viertel Stunde später klingelte es auch schon. „Willkommen.“ „Nicht übel, jetzt hab ich nen neuen Platz zum Pennen. Vor allem das runde Fenster da oben ist ja voll schön. Kann man das auch öffnen?“ „Na klar.“ Ich betätigte den Hebel und bot Flo einen wundervollen Blick über die Stadt. „Musst du morgen arbeiten?“ Ich nickte und zündete mir eine Zigarette an. „Sollen wir trotzdem eine kleine Einweihungsparty feiern?“ „Na klar, hast du was zum Rauchen dabei?“ „Natürlich“, sagte Flo mit einem verschwörerischen Grinsen und baute einen Joint. „Sag mal, hast du dich noch mal bei Juka gemeldet?“ Ich bekam den ersten Zug. „Nee, hatte die letzten Tage zu viel zu tun.“ Flo zog die Augenbrauen hoch. „Und du drückst dich davor.“ „Mhh, erwischt….“ „Du bist doch sonst nich so schüchtern.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ja, aber es ist Juka…“ „Ich glaube, wenn er kein Interesse an dir hätte, würde er dich nicht so behandeln…ich glaub, er liebt dich…“ Ich schluckte schwer. „Ich weiß…“ „Wie, du weißt?“, fragte mein bester Freund schockiert. „Er hat’s mir vor ner Weile gesagt…aber ich und Liebe und so…is gleich meeeegaaaa Überforderung…deshalb…“ „Sag‘s ihm…bitte…sonst tue ich es und das wird peinlich Süßer…“, ärgerte mich Flo und ich warf ihm einen finsteren Blick zu. Wir machten uns einen gemütlichen Abend. Flo schlief dort irgendwann ein. Am anderen Morgen kam ich jedoch nicht so richtig aus den Federn, als mein Wecker mich halb sechs weckte. Langsam quälte ich mich ins Bad unter die Dusche. Danach fühlte ich mich gleich besser. Flo verließ mit mir das Haus, er wollte noch einkaufen. Doch überließ ich ihm meinen Schlüssel, falls er noch ein bisschen für sich sein wollte und ich war nicht sicher, ob oder wann er überhaupt das letzte Mal zu Hause gewesen ist. „Ich lege mich jetzt noch mal in mein Bett.“ „Toll, dafür gehe ich jetzt Geld verdienen.“ Ich trottete zur S- Bahn Station und fuhr zur Firma meines Vaters. Max erwartete mich schon am Eingang. Gemeinsam gingen wir an die Arbeit. Mein Dad kam auch nach kurzer Zeit. „Und, wie lebt es sich in den eigene vier Wänden?“ Ich grinste. „Toll.“ „Los jetzt macht euch an die Arbeit, wir haben viel zu tun.“ Ich arbeitete wie wild, bis hin zur Pause. Da hatte ich mir die wohlverdiente Zigarette verdient. Jedoch war es heute ziemlich wechselhaft draußen, deshalb zogen Max und ich das Raucherzimmer vor. „Verstehst du dich wieder besser mit deinem Vater?“ „Ja. Ist auch gut so.“     Irgendwie war ich heute nicht sehr redegewandt. Flo rief mich zwischendurch an und fragte, ob ich Lust hätte heute Abend mit ins Underground zu kommen. Ich willigte selbstverständlich ein. Ich sollte Juka fragen, ob er auch kommen will. Und der Gedanke an ihn reichte schon, um mich völlig aus der Realität zu katapultieren. „Na, du scheinst gerade ganz weit weg zu sein!“ Max holte mich wieder in den Alltag zurück. „Ja, sorry. Musste gerade über etwas nachdenken.“ Im Laufe des Tages erinnerte mich mein Vater auch daran, dass meine Oma Hanna morgen ihren Geburtstag feiern wollte.   Nici stand kurz vor ihrem Realschulabschluss und Lukas schwirrte noch immer in ihrem Kopf umher. Da kam ja auch der Abschlussball dazu. Ob sie Lukas trotzdem fragen könnte, ob er mit ihr dahingehen wollte? Denn auf Marco hatte sie absolut keine Lust und diese Sache würde sicher wieder ein gefundenes Fressen für Nadja sein. Nici ging diesmal mit ihren Sorgen zu Ina. Sie war sehr mitfühlend und das tat gut, denn außer Lukas hatte sonst kaum jemand Mitgefühl für Nici empfunden. Sie konnte auch nicht anders und musste weinen. „Hey, das tut mir echt voll leid. Hast du nicht Lust heut Abend mit ins Underground zu kommen? Ich kenne da ein paar Leute und es wird dir sicher gefallen.“ Nici seufzte. „Von mir aus. Meinst du, ob ich Lukas trotzdem wegen dem Abschlussball fragen soll?“ „Ich weiß nicht, wie ihr gerade zueinander steht. Wenn ihr euch noch versteht kannst du das denk ich schon machen. Musst du wissen.“ Sie lächelte ihre Freundin an. „Sag mal, wollen wir uns bei mir fertig machen?“ „Oh ja, das wäre toll. Ich hole nur noch ein paar Klamotten von zu Hause.“ Ina verschwand für eine halbe Stunde, in der Nici unter der Dusche stand und anschließend das richtige Outfit für diesen Abend heraussuchte. Sie entschied sich für den violetten Minirock, der passenden Korsage dazu und ihre Stiefel. Dann schminkte sie sich noch. Es war um elf, als sie den Club betraten und sie sah Lukas schon von weitem. Womit hatte sie das nur verdient. Sie machte auch Ina darauf aufmerksam und sie stellte sich ihren Freunden vor. Die meisten von denen schienen Batcaver zu sein, aber das störte Nici nicht. Sie musste einfach immer zu Lukas gucken. Ob er schon Notiz von mir genommen hatte? Eher unwahrscheinlich. Doch von Juka war noch keine Spur. Vielleicht hatte es zwischen den beiden doch nicht geklappt? Mit Ina hatte Nici trotz alledem ihren Spaß. Sie tanzten sehr oft und lachten. Dann gingen sie vor die Tür, um frische Luft zu schnappen. „Wenn er ja nicht so toll wäre. Scheißkerl.“ „Denk lieber nicht drüber nach. Geh ihn doch morgen einfach mal besuchen und lass dich überraschen, was passiert.“ Nici zog die Augenbrauen hoch. „Meinst du echt?“ Ina nickte und grinste. Sie setzten sich auf die Stufen. „Ich glaube irgendwie, dass ich an allem Schuld bin, wegen der Sache mit Marco damals.“ „Kann schon sein. Ich kenn Lukas zwar nicht so gut, aber das könnte schon ein Grund sein. Obwohl ihr ein tolles Pärchen wart. Das kann man nicht anders sagen. Ich kann ihn dir ja auch mal rausschicken.“ Nici schüttelte energisch mit dem Kopf. „Nein bloß nicht. Oder doch? Nein, lass das lieber bleiben. Vielleicht kommt er ja auch von alleine.“ Ina legte ihren Arm um Nicis Schulter. „Ihr macht es euch echt verdammt schwer, wenn du mich fragst.“ „Tja, an mir liegt das wohl kaum. Lukas hat nun mal seinen eigenen Kopf und da kommt man nur schwer gegen an. Ich vermisse ihn voll.“ Plötzlich öffnete sich die Tür und Nici hatte irgendwie schon im Gefühl, dass es Lukas sein würde. Ina bestätigte, dass ihr Gedanke richtig war. Nici verleierte die Augen. Lukas schien sich weniger Gedanken darüber zu machen, denn er setzte sich einfach ganz dreist vor Nici und grinste sie an. Sie machte Ina jedoch deutlich, dass sie hier bleiben sollte. „Ich dachte schon, dass du einfach gegangen bist, ohne mit mir zu reden.“ „Warum sollte ich mit dir reden?“ „Konnte ja sein… es sei denn dir ist nicht danach, dann gehe ich wieder. Dachte nur, dass ich dich wenigstens mal begrüßen sollte.“ „Wie freundlich von dir.“ Lukas schien Inas Anwesenheit nicht weiter zu stören. Dann wurde sein Gesichtsausdruck ernster. „Ist was passiert?“ Ina stand jetzt auf und ging rein. Nici warf ihr einen hilflosen Blick zu und sie lächelte ihr zu. „Ach es ist schwierig, du bist immer noch toll und es fällt mir manchmal schwer ich einfach nur als Freund zu sehen.“ „Sowas brauch Zeit, aber wenn es dir zu viel wird sag Bescheid okay?“ „Damit wir uns gar nicht mehr sehen?“ „Ein bisschen Abstand tut manchmal gut, aber das musst du wissen.“ Er schaute Nici nachdenklich an und sie war irgendwie hin und hergerissen. Sie musste mal wieder feststellen, dass er verdammt hübsch war und sie war kurz davor nachzugeben. Was konnte sie schon verlieren? Und das wäre vielleicht auch ihre Chance ihn wegen dem Abschlussball zu fragen? „Nein das will ich nicht, ich werde mich schon dran gewöhnen.“ Nici hasste ihn dafür, dass er gerade hier saß und versuchte sie zu besänftigen. Warum tat er das? „Vielleicht. Meinst du das geht gut, wenn wir nur Freunde sind?“ Er zuckte mit den Schultern. „Werden wir ja sehen oder?“ „Ich denke drüber nach, okay?“ Lukas erhob sich und gab ihr ein Nicken zur Antwort.     Der Rest des Abends wurde einfach genial. Ich wünschte mir von Lou Gramm Lost in the Schadows. Und dann auf einmal kam Juka, obwohl ich ihm nicht geschrieben hatte. Er trug seine schwarze Lackhose, ein bauchfreies Oberteil unter seinem Jackett und die Plateaustiefel. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Wie immer in seiner Nähe. Er plauderte mit dem Barkeeper und es hatte sogar fast den Anschein, als ob die beiden miteinander flirteten. Sicher hatte ich schon Mal Eifersucht empfunden, nicht aber so, dass es mir die Kehle zuschnürte. Wenige Minuten später traf auch Jukas Freund Kami ein und gesellte sich an die Bar. Wir saßen mit dem Inhaber vom Underground an einem Tisch, weil wir Pläne für das Wochenende schmiedeten, doch mir fiel es schwer, mich zu konzentrieren. Er kam nicht mal zu uns. „Ich würde euch ja gern mal wieder hier im Club haben. Nur wenn ihr wollt.“ „Ich würde mich auch riesig freuen. Wäre Samstag okay?“, fragte ich. „Ja, aber ihr müsst früh da sein wegen den ganzen technischen Sachen.“ „Das ist ja kein Problem. Würde sagen um zwei?“ Er willigte ein. Basti und Flo spendierte ich ein Jacky Cola. „Jetzt geh schon oder auf was wartest du?“, drängte mich Basti. Ich zuckte mit den Schultern, musste aber gleichzeitig aufpassen meine Wut auf diesen Bartypen zu unterdrücken. Es war jetzt bestimmt schon eine halbe Stunde vergangen, so fühlte es sich zumindest an, und Juka hatte noch immer keine Notiz von mir genommen. War das Absicht? „Ich weiß nich, Juka kann auch kommen!“ „Lukas und Juka…Lukas und Juka…jetzt beweg deinen Arsch, sonst geh ich zum DJ und mach ne Durchsage…“, witzelte Flo. „Untersteh dich…sonst setzt es was!“ „Oho…da is wohl jemand untervögelt…mein liebster Schatz, ich mein das ernst…so kenn ich dich nich und ich hab‘s Satt dich so leiden zu sehen…“ „Flo, noch ein paar Minuten…bitte.“ Auch, wenn es mich so aufbrachte, konnte ich es nicht lassen zu Juka zu schauen. Und dann endlich, zu meiner Freude winkte er mir zu und kam wenige Minuten später zu uns an den Tisch. Flo zwinkerte mir unauffällig zu. Juka war zurückhaltender als sonst und ich fragte, was los sei. Als er diese Frage mit nichts beantwortete, nahm ich seine Hand und zog ihn mit vor die Tür, weil man dort besser reden konnte. Ich bot ihm eine Zigarette an, die er jedoch ablehnte. Gut, jetzt oder nie. „Ich glaub dir nich, dass nichts ist.“ „Mh, das dachte ich mir schon…trotzdem sag ich es dir nicht. Es hat ja sowieso keinen Sinn“, entgegnete er ziemlich deprimiert und mit einem schwachen Lächeln. „Tja, wenn du nich sagst, was is, kann ich dir auch nich helfen.“ „Ich hab einfach mal keine Lust zum Reden, okay!“, fuhr er mich an. So kannte ich ihn gar nicht und war leicht geschockt. Ich dachte an unsere letzte intimere Begegnung und da schien mein Verstand mit mir durchdrehen zu wollen. „Juka bitte rede mit mir okay“, sagte ich dann nach einer Weile. Sein Blick ruhte auf mir und mir fiel wieder auf, wie unglaublich hübsch er war. Ich mochte es, wenn seine weißblonden Haare ein bisschen strubblig vom Kopf standen und dieses wunderschöne blasse Gesicht mit diesen tiefblauen Augen, die von dunklem Kajalstift umrahmt wurden. „Und wenn schon Luki…du weißt es doch mittlerweile und tue nicht so, als würdest du nicht auch auf mich stehen. Nur dein Hin und Her macht mich echt langsam irre.“ „Das is schön, aber ich wusste auch nicht, ob ich mal nur so ein Gelegenheitsfick war oder nich. Außerdem wollte ich es dir heute sagen.“ „Gelegenheitsfick? Das war es für dich? Glaubst du ernsthaft, ich sage zu jedem Typ, den ich vögel, dass ich ihn liebe?! “, entgegnete Juka aufgebracht. Ich war kurz vorm durchdrehen. Warum war er heut so streitlustig. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. „Hörst du mir eigentlich zu? Juka…ich hab mich in dich verliebt…nur diese Gefühle überfordern mich völlig und…ich bin halt, wie ich bin“ Darauf erwiderte er lange nichts und ich hatte Angst, etwas Falsches gesagt zu haben. Doch dann griff er nach meiner Hand und zog mich an sich. Meine Hände berührten eher ungewollt seinen nackten Bauch. Mir wurde heiß und kalt im Wechsel und ich spürte seinen warmen Atem. Langsam näherten sich seine Lippen den Meinen und ich erwiderte seinen Kuss. Da war dieses unglaubliche Gefühl wieder und ich wollte nicht, dass es aufhörte. Ich lächelte Juka an und legte meinen Kopf an seine Schulter. „Wow, du bist der Wahnsinn.“ „Echt?“, fragte er mich skeptisch. „Naja ich konnte die letzten Wochen an nichts anderes denken.“ Juka lachte und strich mir über die Wange. „Soso…bist du sicher, dass du das willst Luki? Einiges würde sich für dich ändern und ich weiß nicht wie sich das auf unsere Freundschaft auswirkt.“ „Können wir denn nicht trotzdem Freunde sein?“ „Sicher, nur…falls es nicht halten sollte, kann ich nicht garantieren, ob es danach noch eine Freundschaft zwischen uns geben wird.“ Jukas Worte klangen ziemlich hart, aber er hatte Recht und ich dachte noch einmal ernsthaft über meine Entscheidung nach. War es das, was ich wollte? Einen Mann lieben? Alles fühlte sich neu und ungewohnt an und trotzdem schön. In Jukas Gesicht spiegelten sich feminine Züge und doch wirkte er sehr männlich. Sein weicher, liebevoller und verführerischer Blick brachte mein Blut in Wallungen und ich wollte ihn haben. „Ja sicher würden wir dadurch viel riskieren, aber ich finde, das isses wert. Ich liebe dich und es hat zwar ne Weile gedauert, bis ich das kapiert hab, doch das is mein voller ernst…ich liebe dich…so sehr. Durch dich hab ich angefangen wieder ein bisschen an mich zu glauben und begriffen, dass ich doch nich so scheiße bin. Ohne dich hätte ich das letzte Jahr nich überlebt Juka…du gibst mir Halt. Immer.“ Ich küsste ihn wieder und wollte noch nicht rein gehen. Juka lächelte mich an, tupfte sich über die tränenfeuchten Augen und schüttelte mit dem Kopf. „Wow, diese Worte aus deinem Mund…ich weiß nicht, was ich sagen soll…ich war mir nicht sicher, ob ich es schaffe dich da irgendwie durchzuboxen. Und dann das ganze Theater mit Nici…oh Luki, du machst mich gerade zum glücklichsten Mann der Welt.“ Und wieder zog er mich in einen Kuss. Fast automatisch reagierte mein Körper, als seine Hände unter mein Shirt wanderten und ich gab einen wohligen Laut von mir. „Und du bist so verflucht heiß Juka…das macht mich wirklich ein bisschen wahnsinnig“, nuschelte ich in den Kuss und absichtlich rieb er sich an mir. „Und du mich erst…und was fangen wir jetzt damit an?“ „Mhh, ich hab da ne Idee“, antwortete ich und zog ihn mit mir. Für Samstag besaß ich den Schlüssel für den Personalbereich des Clubs und da jetzt alle hinter der Bar oder am DJ Pult beschäftigt waren, dürften wir freie Bahn haben. Trotzdem verkrümelten wir uns in den hinteren Bereich der privaten Räume des Clubs. Juka presste mich gegen die Wand und machte mir somit seine Besitzansprüche deutlich. Das gefiel mir und ich ließ mich drauf ein. Seine Hand zwischen meinen Beinen ließ mich aufstöhnen und gerade konnte ich ihn gar nicht schnell genug in mir spüren. Er hob mich ein bisschen hoch und ich schlang meine Beine um seine Hüften. Der erste Stoß kam unerwartet und ziepte etwas, doch dann wurde es besser. So viel besser und ich ließ mich von der Leidenschaft treiben. Schließlich stürzte ich über die Klippen und biss meinem Liebsten leicht in die Schulter, um meinen Schrei etwas zu dämpfen. „Das sollte mich für die nächsten zwei Stunden ruhig stellen“, witzelte ich. Juka lächelte und küsste mich auf die Stirn. „Hab ich wirklich so einen Einfluss auf dich?“, fragte mein Freund erstaunt. „Oh, du hast ja keine Ahnung…gehen wir zurück zu den anderen?“ „Und was sagen wir, wenn sie fragen, wo wir waren?“ Ich zog meinen Reisverschluss nach oben und zuckte mit den Schultern. „Die Wahrheit…ich hab diese Gefühle lange genug verleugnet…“ „Du bist toll…hab ich dir schon Mal gesagt, dass dich liebe?“ „Noch nicht oft genug…danke Juka. Für alles.“ „Immer wieder gern und jetzt komm du kleines Sexmonster.“  Hand in Hand gesellten wir uns wieder zu den anderen und erst jetzt bemerkte ich, dass Nici noch immer da war. Ich wartete auf Sehnsucht oder ähnliche Gefühle, doch diese blieben aus. Juka nahm mich auf seinen Schoß und ich schwebte gerade auf Wolke 7. Ich konnte es auch nicht lassen, ihn dauernd zu küssen, denn endlich durfte ich das in der Öffentlichkeit tun.   Trotz des Kusses und der lieben Worte war ich nicht sicher, ob ich das zwischen und jetzt Beziehung nennen konnte. Doch ab wann wurde eine Beziehung zweier Menschen als diese bezeichnet?     Nach der Arbeit holte ich Jojo ab, um ein Geschenk für Oma zu besorgen. Wir kauften ihr einen tollen großen Blumenstrauß und einen Gutschein von ihrem Lieblingskaffee, in dem sie sich gern mit ihren Freundinnen traf. Sie freute sich riesig uns zu sehen. Wir und meine Tante Conny waren die ersten Gäste. „Lukas, Johanna?  Seid ihr das? Lasst euch umarmen! Wir haben uns ja so lange nicht gesehen.“ Meine Oma erdrückte mich fast, aber das war nicht so schlimm. Meine Tante drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Na Großer, wie geht’s?“ „Mir geht es gut. Hoffe euch auch? Kann ich euch noch was helfen?“ „Nein, ist schon alles gedeckt, aber danke.“ Meine Tante kam mit mir auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht, wegen deiner Mama und so.“ „Das ist schon okay. Ich bin ja schon groß. Hab jetzt auch eine eigene Wohnung, da kannste mich ja mal besuchen kommen.“ „Super, gern. Wo wohnst du denn?!“ „In der Schönhauser Allee. Zeig ich dir bei Gelegenheit mal.“ Nun trafen auch die anderen Kaffeegäste ein, unter anderem auch mein Vater und meine andere Tante mit meiner Cousine und meinem Cousin. Ich begrüßte alle herzlich, nur die Begrüßung zwischen meinem Vater und mir fiel sehr dürftig aus. Es war irgendwie komisch hier alle Familienmitglieder versammelt zu sehen. Allen außer meiner Mum. Das tat irgendwie ganz schön weh. Doch erstaunlicherweise verstand ich mich sehr gut mit meiner Cousine Nancy. Auch sie war eine der Wenigen, die Tante Conny und mich zum Rauchen auf den Balkon begleitete. Sie müsste mittlerweile Mitte zwanzig sein. Sie war schon immer etwas korpulenter gewesen, trug unvorteilhafte Kleidung und ihre Haare waren wasserstoffblond gefärbt. Aber ich mochte sie. „Du hast dich echt nicht verändert Lukas. Bist immer noch so ein Schwarzer.“ „Davon werde ich auch nicht so schnell abweichen.“ „Hast du eigentlich deine Freundin noch?“ „Wen Nici? Nein. Die hat mich wahnsinnig gemacht. Ich bin total müde, war gestern mit meinen Jungs unterwegs. Also das heißt mit meiner Band. Samstag geben wir ein Konzert. Also, wenn du Lust hast?“ „Du hast eine Band? Ist ja cool. Was macht ihr so für Musik?“ „Naja unsere Musik geht in Richtung düsterer Rock.“ „Das hätte ich ja nun nicht vermutet. Wie kam es denn dazu?“ Ich war sehr erfreut darüber, dass sich meine Cousine so für unsere Musik interessierte. „Das hat etwas mit einer Band zu tun, die wir richtig genial finden. Wir wollen jedoch nicht so klingen wie sie, aber die Elemente sind trotzdem erhalten. Halt nichts Elektronisches. Ich muss auch heute noch zur Bandprobe, kann also nich so lange bleiben.“ „Und wo spielt ihr da?“ „Im Underground. Ist ein Club. Weiß nich, ob du den kennst.“ Nancy schüttelte mit dem Kopf. Es war noch eine lange Zeit bis zum Abendbrot und so führte ich sie noch kurz zu meiner Wohnung. Sie wollte auch unbedingt etwas von den 69 Eyes hören. „Klingt echt interessant.“ „Du darfst dir jetzt aber von uns nicht zu viel versprechen. Das mache ich auch nur als Hobby, also wir stehen jetzt auch bei keiner Plattenfirma unter Vertrag. Das wäre auch zu schön.“ Nancy schaute sich in meiner Wohnung um. „Du hast es echt schön hier. Ich würde auch gern in einer eigenen Wohnung wohnen.“ „Tust du nich? Lässt dich deine Mutter nich oder was?“ „Nicht direkt. Ich habe nicht das Geld dazu. Ich arbeite nur als Einzelhandelskauffrau, da verdient man nicht sehr viel.“ „Ich habe mir das auch nur alles erarbeitete, weil mein Vater mich in seiner Firma eingestellt hat. Als Entschädigung.“ „Warum denn das?“ „Weil ich ihn nich leiden kann. Er hat damals Dinge mit meiner Mum abgezogen, das kann ich ihm nich verzeihen, aber er wollte sich somit wieder bei mir einschleimen. Hauptsache ich bekomme genug Kohle.“ „Meine Mutter ist schon ganz in Ordnung, aber sie will eben nicht, dass ich von zu Hause weggehe. Weil mein Vater doch auch oft unterwegs ist und so. Was soll ich da machen. Aber ich dachte immer, dass du deinen Vater so gut leiden konntest?“ „Ja, das konnte ich auch mal, aber seit der Sache mit meiner Mum nicht mehr. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass er sie ziemlich mies behandelt hat und ab und zu ist er sogar hangreiflich geworden. Das fand ich ziemlich krass.“ Nancy sah mich etwas schockiert an. Ich bot ihr eine Zigarette an. Auf meiner Handyuhr war es um fünf, wir hatten also noch anderthalb Stunden Zeit. „Ich bin auch sehr froh, dass es wenigstens noch den einen oder anderen aus unserer Familie gibt, der mich leiden kann. Bei den Meisten bin ich ja sowieso unten durch, weil ich so ein böser Grufti bin. Aber die sollen halt denken, was sie wollen.“ In dem Moment klingelte mein Handy. Es war Basti und fragte mich, ob ich schwarze Haarfarbe hätte. Ich verneinte seine Frage. Anschließend fragte er mich, ob er in einer halben Stunde vorbeikommen könne. Ich willigte ein. „War mein Kumpel. Ich frage mich, was er schon wieder im Schilde führt. Stört es dich, wenn er vorbeikommt? Er ist echt ganz lieb.“ Nancy musste lachen. „Ist schon okay.“ Da Basti immer sehr pünktlich war, kam er schon etwas früher mit schwarzer und roter Haarfarbe. Ich schaute ihn fragend an. „Kannst du mir das mal fix machen?“ „Und was hast du mit dem schwarz vor?“ „Naja, ich wollte mir oder bessergesagt du willst mir bestimmt mal ein paar schwarze Strähnen färben?“ „Ach so, klar. Mach ich mit links. Da haben deine Haare ja praktisch dann die gleichen Farben wie meine, nur umgedreht!“ Wir lachten und ich verschwand mit Basti im Bad. Dort machte er sich die Haare nass und ich verteilte anschließend die rote Farbe gleichmäßig auf seinem Kopf. „Und wie zur Hölle soll ich dann die schwarzen Strähnen da rein bekommen?“ „Hast du Silberfolie? Ich denke, du warst schon so oft beim Frisör.“ „Silberfolie? Du meinst Alufolie oder, warte ich guck mal.“ „Haha, ja genau die“, kicherte Basti. Tatsächlich besaß ich Alufolie in meiner Küche. Ich konnte die schwarzen Strähnen nicht färben, ohne zu lachen. Basti sah aus wie ein Marsmännchen. Der ganze Spaß musste nun eine halbe Stunde einwirken. Ich holte uns Jungs ein kühles Bier und wir setzten uns in mein Wohnzimmer zu Nancy. Ich stellte die beiden erst einmal einander vor. „Jaja, Basti und seine roten Haare. So lange ich dich kenne, hattest du noch keine andere Haarfarbe. Hast du dir die Haare sonst nicht auch immer selbst gefärbt?“ Verlegen schüttelte er mit dem Kopf und zog an seiner Zigarette. „Das war Mutti. Ich kann das doch nicht. Heute hat sie aber keine Zeit gehabt und da hab ich gedacht, dass ich dich da ja mal fragen könnte.“ „Und du meinst, du kannst mir da vertrauen?“ Er zuckte mit den Schultern und lachte. „Im schlimmsten Falle bin ich dann eben schwarz rot gefleckt oder so.“ „Vielleicht wird das dann der neue Trend?“ Auf einmal wurde Bastis Miene ernster. „Was war das gestern eigentlich zwischen dir und Juka?“ Ich lachte, weil Basti nicht ernst sein konnte, selbst, wenn er sich die größte Mühe gab. „Ich hab‘s getan…ich hab Juka gesagt, dass ich mich in ihn verliebt hab.“ „Kraaasss…find ich super.“ „Ja, ich kann‘s selbst noch nich so richtig glauben.“ „Interessant. Und?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Was und?“ „Wie isses mit ihm? Mach es doch nicht so spannend.“ Ich seufzte tief und zog an meiner Zigarette. „Ich glaub wir sind zusammen. Es is so anders als alles was ich bisher kannte…Nici und so.“ „Was, du stehst auf Männer liebster Cousin?“, fragte Nancy dann erstaunt. Ich zuckte mit den Schultern und nickte. „Lass das bloß nicht den Rest unserer Familie erfahren.“ „Und wenn schon isses mir echt egal.“ „Fühlt es sich anders an, als bei Nici?“, fragte Basti dann wieder. Ich sah meinen Freund grinsend an. „Total anders. Ich glaube, wir können jetzt mal gucken, ob deine Haare schon gut sind.“ Vielleicht hatte ich tatsächlich ein glückliches Händchen, denn Bastis Haare waren perfekt geworden. Vorsichtig spülten wir die Farbe aus und er föhnte sie trocken. „Süß. Fast zum verlieben.“ Er gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf. „Wir müssen jetzt noch mal fix zu meiner Oma, Abendbrot essen. Ich komme dann in den Proberaum.“ Meine Tante war sehr traurig, als ich schon verschwand. „Ich melde mich mal bei dir.“ Kapitel 25: Das Ende der Ära Nici/ Lukas ---------------------------------------- Nici war ratlos. Ina bestand darauf, dass sie Lukas wegen dem Abschlussball fragen sollte, sie jedoch war sich total unsicher. Was sollte sie machen, wenn er keine Lust hatte? Andererseits schien ihm ja echt viel an ihrer Freundschaft zu liegen. Nici setzte sich auf ihr Bett und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie kam noch immer nicht mit der Tatsache klar, dass ihr Lukas auf einmal schwul war. Wie war das passiert? Und was hatte Juka, was sie nicht hatte? Nici verfluchte diesen einen Abend, an dem Lukas Juka kennengelernt hatte. Doch was wäre, wenn sich die beiden nicht über den Weg gelaufen wären? Hätte ihre Beziehung dann trotzdem eine Chance? Marco schien Nici auch sauer zu sein und sie fühlte sich so einsam, wie schon lange nicht mehr. Sie konnte nicht anders und musste weinen, weil sie es einfach nicht mehr ertragen konnte. Sie sah auf ihrem Schreibtisch einen kleinen Zettel mit der neuen Handynummer ihrer Freundin Nadine aus Hennigsdorf. Nici sehnte sich regelrecht mit jemandem zu reden, dem sie vertrauen konnte. Hier musste sie sich immer nur beweisen und konnte nie wirklich so sein, wie sie wollte. Ihr fehlte hier in Großstadt einfach eine richtige Freundin, mit der sie einfach über alles reden konnte und die ihr dann nicht gleich ins Wort fiel oder beleidigt war, wenn Nici mal einen Fehler machte. Vielleicht sollte sie übers Wochenende zu ihren Eltern fahren und in Ruhe über alles nachdenken? Doch eigentlich gab es da nichts nachzudenken. Nici packte ihre Klamotten zusammen und fuhr mit dem nächsten Zug nach Hennigsdorf. Sie hatte niemandem, außer ihrer Oma natürlich, etwas davon erzählt. Nicis Eltern waren schon zu Hause und total überrascht, als sie auf einmal vor der Tür stand. „Das ist ja eine Überraschung.“ Nicis Mama freute sich richtig und gab mir einen Kuss auf die Wange, so wie ihr Papa auch. „Warum hast du dich denn nicht angekündigt?“ Sie setzten sich ins Wohnzimmer. „Das habe ich jetzt ganz kurzfristig entschlossen, weil ich einfach mal raus musste. Die Stadt strengt auf die Dauer ganz schön an.“ Nicis Eltern lächelten. „Und außerdem wollte ich mich mal wieder mit Nadine treffen.“, fügte sie noch hinzu. „Willst du sie zum Kaffee einladen? Ich bin gerade dabei einen Kuchen zu backen.“ „Ja, ich frag sie.“ Nici spazierte durch den kleinen Ort und es tat echt gut wieder zu Hause zu sein. Ihr wurde etwas flau im Magen und sie hoffte, dass ihre Freundin zu Hause war. Es war schon sehr viel Zeit verstrichen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten und Nici hoffte, dass sie sich freuen würde sie zu sehen. Sie öffnete das kleine Türchen und ging durch den Vorgarten zur Haustür. Im Flur hörte Nici das Schellen der Klingel und dann schnelle Schritte. Keiner von uns sagte etwas, dann grinste sich die Mädchen an und umarmten sich. „Oh, das ist ja eine tolle Überraschung.“ Nadine umarmte Nici noch ein zweites Mal und sie fühlte mich gleich besser. „Hey, du siehst echt toll aus. Komm doch mit rein.“ „Meine Mama will Kuchen backen und lässt ausrichten, dass du dann mit zu uns kommen kannst, wenn du willst.“ „Ja klar. Das ist echt wie in alten Zeiten. Da hat deine Mama auch immer alle zum Essen eingeladen.“ Sie lachten und gingen in Nadines Zimmer. „Nun erzähl mal, wie geht es dir?“ Jetzt kehrte dieses mulmige Gefühl in der Magengegend zurück und Nicis Freundin schien sofort zu merken, dass etwas nicht in Ordnung war. „Es geht mir schon gut. Nur ich musste jetzt mal raus aus der Stadt, weil mir alles über den Kopf wächst. Vor einer Woche war alles noch so schön, aber jetzt…“ Sie konnte sich gerade gar nicht zusammen reißen, auch wenn sie mit aller Kraft versuchte die Tränen zu unterdrücken. Sie kamen doch. Sofort nahm Nadine Nici in die Arme. „Hey Mausi. Das klingt ja gar nicht gut. Möchtest du darüber reden?“ Nici schaute aus verheulten Augen zu ihr. „Wenn du es hören willst.“ „Ja sicher, das ist doch klar.“ Also erzählte sie ihr die ganze Geschichte über Lukas, von der Beziehung mit Marco, einige Dinge über Nadja und vom anstehenden Abschlussball. „Oh Gott. Das ist echt verwirrend.“ Jetzt konnte Nici wieder Lächeln und ihr war schon wieder wohl zu Mute. „Aber mir geht es schon besser. Es ist halt blöd, denn dort habe ich schon Freunde, aber die Mädels, die ich so kennengelernt habe, sind anders als hier. Alle reden dir immer rein und jeder ist der Meinung, dass er an deinem Leben teilhaben muss. Es gab nur eine Person, der ich immer vertrauen konnte.“ „Lass mich raten… Lukas?“ Nici musste lächeln, weil Nadine sofort wusste, um was es ging und das machte die Sache leichter. „Ja. Es tut mir auch echt leid, dass ich hier herkomme und dir von meinen Problemen erzähle.“ „Ach, das ist doch gar nicht schlimm. Du liebst ihn noch, stimmt‘s?“ Nici seufzte tief und nickte. „Oh Mensch, Nicischatz. Was machen wir denn da mit dir.“ „Du müsstest ihn echt mal kennenlernen.“ „Ist er auch ein Gothic?“ „Mhh und er läuft total extrem rum, ist aber voll süß. Also hier in unserem Kaff wäre er wahrscheinlich Gesprächsthema Nummer eins.“ Die Freundinnen lachten. „Echt? So schlimm?“ „Naja, ich würde es nicht als schlimm bezeichnen. Schlimm, das liegt eher im Auge des Betrachters.“ „Jetzt machst du mich aber ganz schön neugierig. Hast du ein Foto von ihm?“ „Ja von uns zusammen vom WGT.“ „Zeig her. Ich muss doch wissen, mit was für Jungs du dich jetzt rumtreibst.“ Also zeigte Nici Nadine das Bild und war gespannt, was sie dazu sagen würde. „Er passt zu dir.“ Sie zog die Stirn in Falten. „Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“ „Mit ihm kann Mark nicht mithalten.“ Wieder lachten sie. „Ich wünschte mir trotzdem, dass du ihn mal persönlich kennenlernst und mir dann deine Meinung sagst. Das wäre mir echt verdammt wichtig.“ Nici wurde jetzt wieder ernster und steckte den kleinen Lukas wieder zurück in ihr Portmonee. „Du scheinst echt voll einsam zu sein. Es wäre schön, wenn wir uns öfter sehen würden.“ „Das fänd ich auch. Wie geht es eigentlich den anderen so?“ „Ganz gut. Wir sehen uns halt nach wie vor fast jeden Tag und Mark ist jetzt schon länger mit Sophie zusammen. Sie scheinen auch ganz glücklich miteinander zu sein. Mich würde mal interessieren, was er sagt, wenn er dich sieht.“ Nici grinste. „Mich auch. Ist heut vielleicht irgendwo was los, wo Mark auch da sein wird?“ Nadine überlegte einen Moment. „Mir fällt spontan nichts ein, aber es wäre nicht das Problem, das herauszufinden.“ „Gehen wir erst mal Kuchen essen?“ Sie nickte und die Mädchen schlenderten zu Nicis Elternhaus. Sie war gerade total glücklich, wie schon lang nicht mehr. Nach dem Kaffee telefonierte Nadine mit ein paar Freunden und kam dann freudestrahlend zurück. „Also im Jugendklub findet heut eine Party statt und da kommen auch die ganzen anderen Mädels und Mark wird sicher auch da sein. Was sagst du dazu?“ „Klingt gut.“ Sie quatschten noch unendlich lange und um acht machten sie sich für die Party startklar. Nici bekam jetzt voll Bauchkribbeln. Ob sie die anderen Mädels auch so herzlich empfingen wie Nadine? Sie trug die gleichen Klamotten wie gestern, nur ohne Korsage. Man musste es ja nicht übertreiben. Ihre Mama winkte ihnen noch hinterher. „Ich bin echt voll aufgeregt.“ „Ach, sei nicht albern.“ Vor dem Jugendklub hatte sich eine Menschentraube versammelt und alle schauten in die Richtung, aus der Nici und Nadine kamen oder bildete sie sich das nur ein? Dann hörte sie, wie einige von ihnen ihren Namen riefen und alle Aufregung war plötzlich wie weggeblasen. Nicis anderen Freundinnen kamen auf sie zugerannt und schienen sie nie mehr loslassen zu wollen. „Das ist voll schön dich mal wiederzusehen.“ Sophie hielt sich vorerst ein wenig zurück, doch Nici ging auf sie zu. „Keine Angst, ich bin schon bestens informiert. Mach dir deshalb keine Sorgen.“ Vor allem die Jungs aus ihrer alten Klassen schienen sehr viel Gefallen an Nici zu finden und sie genoss das. Jedoch ging die Fete hier nicht ganz so lang, wie in der Stadt und Nadine und Nici verließen den Klub schon um eins. Glücklich fiel sie in ihr Bett. Am nächsten Tag fuhr Nicis Papa sie zurück und zu ihrer Freude wollte sie Nadine begleiten. Ihr Papa ging mit ihrer Oma spazieren und die Mädels machten die Stadt unsicher. „Na, sag schon. Wo wohnt dein Traumprinz?“ „Vergiss es! Das zeig ich dir jetzt bestimmt nicht.“ „Komm schon. Du hast mir versprochen, dass du uns miteinander bekannt machen willst.“ Nici seufzte und wusste, dass sie Nadine nicht davon abbringen konnte. „Okay. Ich schreibe ihm eine SMS und wenn er gerade nicht zu Hause ist hast du Pech gehabt.“ Nadine warf  ihr ein triumphierendes Lächeln zu. „Abgemacht.“ Nicis Herz pochte wild und ihre Hände zitterten. So, wie sie ihr Glück kannte, war Lukas mit Sicherheit zu Hause. Es dauerte auch nicht lange, bis er antwortete und sie verabredeten sich in einer viertel Stunde vor seinem Haus. „Du weißt ja gar nicht, was mich das für Nerven kostet.“ „Warum denn das?“ „Weil wir eben gerade nicht zusammen sind und Lukas ist da manchmal so… so… ach, du musst ihn selbst erleben.“ „Fragst du ihn wegen dem Abschlussball?“ Nici seufzte. „Denk schon. Möchtest du dir große Ehre haben und bei diesem geschichtlichen Ereignis dabei sein?“ Nadine nickte. Lukas ließ nicht lange auf sich warten und er sah sogar sehr normal aus, das heißt ohne Schminke und ohne Haarspray. Nadine warf mir unauffällig einen begeisterten Blick zu. Sie stellte sich gleich selbst vor und Lukas war sehr nett zu ihr. Das beruhigte Nici etwas. Dann sah er sie an. „Wollt ihr mit hoch kommen? Auf nen Kaffee oder so.“ Diese Einladung nahmen sie dankend an und Nadine war total begeistert von ihm. Die Mädchen gingen schon mal ins Wohnzimmer vor. „Der ist ja echt voll süß. Mit dem musst du zum Abschlussball Nici, unbedingt.“ Nici lachte. „Meinst du? Und du denkst, dass ich ihn einfach danach fragen soll.“ „Na klar.“ Lukas servierte den Kaffee und gesellte sich zu den Freundinnen. Dann zündete er sich eine Zigarette an. Plötzlich erhob sich Nadine und sagte, dass sie sich die Wohnung anschauen wolle. Das war nicht geplant und Nici fühlte sich auf einmal wieder hilflos und alleine. Sie schaute immer abwechselnd zum Boden und dann wieder zu Lukas. Ihm schien es wirklich besser zu gehen, denn ihn umgab diese wundersame Aura. War er glücklich? Mit ihm? Nici schluckte und ignorierte das Grummeln im Magen. „Ich wollte dir nur sagen, dass ich es okay finde, wenn wir Freunde bleiben.“ Er schenkte ihr ein zuckersüßes Lächeln, doch Nici vermisste diesen liebevollen Ausdruck darin und das enttäuschte sie. „Ich wusste, dass du das sagen würdest.“ „Warum?“ „Gut, ich habe gehofft, dass du es sagen würdest. Nadine ist echt nett“, wechselte er geschickt das Thema. „Ja, finde ich auch. Sie kommt aber leider nicht von hier. Bin gestern ganz kurzfristig nach Hause gefahren.“ Nici hoffte, dass Lukas nicht weiter nach dem Grund fragte, denn sie wollte nicht mit ihm darüber reden. Plötzlich klingelte sein Handy und er ging auch ran. Sie wusste nicht, mit wem er telefonierte, doch auf seinem Gesicht lag dieses wunderschöne, umwerfende Lächeln, das ihr sagte, dass am anderen Ende jemand Besonderes sein musste. Dann konnte das ja nur Juka sein. Nici hasste ihn und wünschte sich zum tausensten Mal, dass sich die beiden niemals über den Weg gelaufen wären. Als er das Gespräch beendete, vernahm sie nur doch die Worte Ich liebe dich. Das warf sie nun völlig aus der Bahn und am liebsten würde sie heulen. Das Gespräch nahm nun jetzt einen ungewollten Lauf. So, wie Nici Lukas kannte, merkte er, dass sie angeschlagen war. „Was willst du wirklich bei mir Nici?“, fragte er dann nach einer Weile. „Ich würde dich gern mal was fragen.“ „Und was?“ Sie zögerte einen Augenblick und ihre Unsicherheit nahm nun fast Überhand. Sie fühlte sich fast wieder zu dem Tag zurück versetzt, an dem sie Lukas kennenlernte. Er, der hübsche düstere Prinz, den eine unsichtbare Mauer umgab, die er, wie sie heute wusste, zum Selbstschutz errichtet hatte. Und doch hatte es dieser verdammt Juka geschafft, diese Mauer zu überwinden! Ihre Hände ballten sich ungewollt zu Fäusten. „Was hat er, was ich nicht habe? Oder anders…wie hat er es geschafft, dich zu für sich zu gewinnen? Ich meine, ich habe immer wieder versucht zu dir durchzudringen…vergeblich. Und dieser Juka schnippst nur mit dem Fingern und du legst ihm deine Welt offen?“ Lukas lächelte traurig und zündete sich noch eine Zigarette an, während er gedankenverloren an ihr vorbeischaute. Dann richtete sich sein klarer Blick auf das Mädchen. „Glaubst du wirklich, dass es so einfach war? Ich kann nur immer wieder beteuern, wie leid es mir tut, dass deine Bemühungen fast umsonst waren…doch du bist nun Mal du…und ich bin ich. Es war für mich einfach schwierig mit jemandem zusammen zu sein, der noch mitten in seiner Selbstfindungsphase steckt…wir sind beide noch sehr jung Nici und das war wohl für uns beide zu viel…ich bin eben kompliziert und nicht der Typ Mann, der es anderen leicht macht.“ „Das hab ich gemerkt, aber was macht Juka anders? Auch ich hab dich oft genug gefragt, wie es dir geht oder was los ist. Ich hab versucht dich zu verstehen, war für dich da…was hab ich verkehrt gemacht? Ich verstehe es nicht!“, fragte Nici jetzt leicht verzweifelt. „Ist es für dich so schwer zu begreifen, dass ich mich in Juka verliebt habe? Sowas passiert halt…was willst du noch hören? Wurmt es dich so, weil es ein Kerl is? Weil er mir das gibt, was du mir niemals geben kannst? Das ist lächerlich und kindisch…“ Sie schluckte ihre Tränen runter, denn das letzte, was sie jetzt wollte, war vor Lukas in Tränen ausbrechen. „Okay…danke für deine Offenheit…darf ich dich noch was anderes fragen? Deshalb bin ich nämlich wirklich hier…das andere kam jetzt eher unerwartet.“ Lukas nickte und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. „Schon gut…was denn noch?“ „Naja, ich habe doch bald meinen Abschlussball und nächste Woche beginnt der Tanzkurs für diesen Abend… und… ich meine, wir sind zwar nicht mehr zusammen, aber hättest du vielleicht trotzdem Lust mein Begleiter zu sein?“ Lukas sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Hast du dir das wirklich gut überlegt? Ich habe noch nie in meinem Leben getanzt, nicht mal zu meinem eigenen Abiball oder im Underground.“ Okay, er schien nicht ganz abgeneigt zu sein. Also durfte sie jetzt nicht locker lassen und versuchte sich zu fangen. „Ich finde aber nicht den richtigen Partner für mich und man muss auch nicht unbedingt ein Paar sein oder? Außerdem ist ja der Tanzkurs davor. Das ist echt ganz einfach, glaub mir.“ Jetzt lachte Lukas. Machte er sich etwa über sie lustig? „Und was ist, wenn es dir am Ende doch zu blöd ist, weil ich es nich hinbekomme?“ Oh, ich hasste ihn für seine dumme Art. „Sag einfach ja oder nein, das ist alles was ich hören will!“ Er starrte kurz an die Decke und man sah, dass er ernsthaft darüber nachdachte. Dann schaute er Nici mit seinen wundervollen Augen an und sagte lange nichts. Sie versuchte seinem Blick standzuhalten und trank einen Schluck Kaffee, ließ ihn jedoch nicht aus den Augen. „Okay, ich werd mein bestes geben.“ Nici verschluckte sich fast an dem heißen Getränk. „Was? Hab ich das jetzt richtig gehört?“ „Ich denke schon. Wann soll der Spaß dann nächste Woche losgehen?“ Das konnte sie gerade gar nicht glauben. „Mittwoch. Kommst du halb drei an meine Schule?“ Er gab ihr ein Nicken zur Antwort. „Du bist ein Schatz“, fügte sie noch hinzu. Nici erhob sich, weil sie Nadine suchen wollte. „Warte mal kurz und komm zu mir.“ Was sollte das schon wieder? Jedoch folgte sie seiner Bitte. Da nahm er sie in die Arme. Nici genoss diesen Moment und fühlte sich auf einmal total geborgen. „Ich will noch mal kurz zu Juka. Es war schön, dass du da warst.“ Ihre Gesichter waren sich sehr nah und doch küssten doch sie sich nicht. In diesem Moment hatte Nici furchtbares Herzrasen. Sollte sie ihn küssen? Doch sie traute sich nicht. Außerdem war ihr nicht entgangen, wie er den Namen Juka ausgesprochen hatte. So als wäre es sein größter Schatz. Jemand, dem er sein Herz geschenkt hatte. Also hatte er sich jetzt tatsächlich verliebt? Und was hatte er dann für sie empfunden? „Okay, dann gehen wir jetzt mit. Ich denke, wir sehen uns dann Mittwoch?“ „Jepp. Macht euch noch einen schönen Tag.“ Nadine klopfte ihrer Freundin voller Stolz auf die Schulter und sie gingen schweigend zurück nach Hause. Nici mochte nicht daran denken, dass Nadine sie heut Abend schon wieder verlassen musste, denn es war gerade mal richtig toll mit ihr. „Ihr seit echt das perfekte Traumpaar, weißt du das?“ Nici seufzte und ließ sich auf ihr Bett plumpsen. „Schon, aber das Problem an der Sache heißt Lukas. Er hat mich ja noch mal in die Arme genommen und, wenn er gewollt hätte, hätte er mich auch geküsst. Er macht das alles nur rein freundschaftlich. Er ist für mich jetzt unerreichbar.“ Erst jetzt fühlte sie den bitteren Beigeschmack in ihrem Mund. „Meinst du echt?“ Sie nickte und hatte wieder dieses dumme Gefühl in der Magengegend. Nadine lächelte lieb und strich ihr über die Wange. „Es ist echt voll schön, dass wir mal wieder was zusammen unternommen haben. Geht das nicht öfter?“ „Ich denke das ist gar kein Problem. Ich vermisse dich ja auch voll, denn die anderen Mädels können dich bei weitem nicht ersetzen. Ich kann ja auch am Wochenende mal mit dem Zug kommen und da gehen wir mal richtig feiern.“ Nici musste lachen, denn auf dem Dorf hatte man diese Möglichkeit eben nicht. „Wir telefonieren einfach, okay?“ Nadine und Nici umarmten sich sehr lange, dann kam auch schon Papa und sie mussten fahren. Allerdings fühlte sie sich schon nicht mehr ganz so einsam und sie freute sich, Ina morgen mitteilen zu können, dass sie mit Lukas zum Abschlussball gehen würde. Nici schaute noch ein bisschen Fern, nachdem sie ihre Hausaufgaben erledigt hatte und schlief schnell ein. Leider waren Ina und Nici nicht in derselben Klasse und so musste sie bis zur Pause warten. Nadja und Nici saßen komischerweise immer noch zusammen und redeten nur das Nötigste. Sie schien sich aber auch keine weiteren Gedanken zu machen. Marco war beleidigt, doch all das störte Nici nicht mehr. Endlich klingelte es zur Pause und sie rannte auf den Schulhof, wo Ina schon auf sie wartete. Sie wirkte irgendwie total verzweifelt. „Oh, verdammt in zwei Tagen beginnt die Tanzstunde für den Abschlussball und ich habe immer noch keinen Tanzpartner. Was mach ich bloß?“ „Kennst du denn keinen netten Jungen, der gerne mit dir tanzen würde?“ „Auf unserer Schule ganz bestimmt nicht. Hast du schon jemanden?“ Nici konnte ein Grinsen nicht verkneifen und war stolz darauf, dass sie mit Lukas zu dem Ball gehen würde. „Ich habe mir gestern einen Tanzpartner besorgt.“ „Aber auch nicht von unserer Schule oder?“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Ich war einfach so dreist und habe Lukas gefragt. Er hat zugesagt.“ „Was? Kannst du mir nicht auch noch einen aus der Band organisieren?“ „Ich weiß nicht? Vielleicht Basti? Da bekommt Nadja einen Anfall und außerdem willst du Lukas und Basti nicht zusammen erleben.“ „Nicht? Sind die denn so schlimm?“ Nici nickte. „Was hältst du davon, wenn wir heut einen für sich suchen gehen? Gleich nach der Schule.“ „Das klingt gut.“ Also traf sie sich mit Ina, um ihr einen Tanzpartner zu suchen. Nici interessierte es auch brennend, mit wem Nadja oder Marco tanzte? Das würde sich ja Mittwoch zeigen.     Vor unserem Auftritt beschlossen Flo und ich mal wieder einen Joint zu rauchen und seit langem betrat ich die Bühne mal wieder ganz schön high. Wir ließen es nur so krachen und hin und wieder schweifte mein Blick zu dem schönen Japaner im Publikum, dessen Blicke mich förmlich auszogen. Insgeheim genoss ich das sehr und gab ihm auch Grund genug, mich anzuschmachten. Ich gab mich der Leidenschaft der Musik hin und zeigte auch etwas Körpereinsatz. Wie so oft blendete ich den Rest der Welt irgendwann aus. Doch bei meinem persönlichen Lieblingssong, bei dem ich auch etwas mehr ins Mirko growlte als sonst, spielte ich ein bisschen mit dem Publikum. Naja, ganz besonders mit diesem einen schönen Mann. Meine Jeansweste ließ ich irgendwann auch elegant zu Boden gleiten und kickte sie mit den Füßen in den hinteren Teil der Bühne. Juka schloss kurz die Augen. Das brachte mich dann zum Grinsen. Das Konzert verlief sehr, sehr gut und wir bekamen noch zwei Zugaben. Nach der Show zog mich mein schöner Japaner sogleich in einen stürmischen Kuss. Es war perfekt mit ihm und die Jungs störte es keinesfalls einen schwulen Bandleader zu haben. Allerdings war Juka nicht entgangen, dass ich gekifft hatte. Dafür gab es eine kleine Standpauke. „Oho, versohlst du mir den Hintern?“, witzelte ich und er sah mich gespielt böse an. „Du unmöglicher Kerl“, erwiderte Juka und ich grinste breiter. Meine Weste hatte ich zwar wieder angezogen, doch darunter trug ich nichts und für Konzerte zog ich meist meine knallenge schwarze Jeans an. Ein bisschen Make Up durfte natürlich auch nicht fehlen. Ich setzte meine Bierflasche zum Trinken an. Dann umschloss ich den Flaschenhals mit meinen Lippen und bewegte die Flasche ein paar Mal rein und raus. Juka zog mich auf seinen Schoß und sein lüsterner Blick machte mich verflucht geil. „Für dich bin ich gern unmöglich und wenn du mich weiter so ansiehst, kann ich für nichts garantieren…“, flüsterte ich ihm zu. „Das klingt sehr verführerisch…dann auf in den VIP Bereich…“, erwiderte er und zog mich mit sich. Wir verschwanden im abgegrenzten Bandbereich in einer kleinen Nische mit zwei roten Sesseln und einem Tischchen, auf dem eine Lampe mit Leomuster Licht spendete. Juka drückte mich an die Wand und küsste mich gierig. Wie ich es liebte, wenn er das tat. „Und wenn jetzt jemand kommt?“, fragte ich leicht amüsiert. „Dann hat er was zum gucken“, konterte Juka und zog mich auf seinen Schoß. Die Beule in seinem Schoß konnte ich schon regelrecht spüren und gerade konnte es nicht schnell genug gehen. Dieser Kerl brachte mich einfach um den Verstand. Da ich bei der engen Hose auf meine Unterhose verzichtet hatte, kam uns das beiden zugute. Juka hob mich kurz hoch und schob seine eigene Hose ein Stück nach unten. Nur wenige Minuten brauchte er um mich vorzubereiten und überwand schließlich die letzten Zentimeter zwischen uns. Ich keuchte und genoss es zum widerholtesten Mal, ihn in mir zu spüren. Seine Hände umschlossen meine Hüften und so bewegten wir uns im Einklang, bis ich nicht mehr konnte. Auch mein schöner Japaner folgte mir wenig später. „Ich liebe dich…“, flüsterte ich und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund. Verliebt lächelte er mich an. „Ich dich auch. Gehen wir noch ein bisschen feiern?“ Ich nickte, verschwand noch kurz auf die Toilette und folgte Juka schließlich zur Bar. Dort hatte meine Band versammelt und Flo grinste mich breit an. „Na, willst du ne Zigarette danach?“, witzelte er. Ich zeigte ihm den Mittelfinger und folgte ihm nach draußen. „Ist das so offensichtlich oder was?“, fragte ich und zündetet mir meine Kippe an. Wieder grinste mein grünhaariger Freund und tat es mir gleich. „Naja…ein bisschen. Ihr verschwindet zur gleichen Zeit und kommt gleichzeitig zurück…ich bitte dich. Offensichtlicher geht es ja nun wirklich nich…“ „Ich fürchte ich bin Sexsüchtig…zumindest seit ich mit Juka zusammen bin…“ Flo lachte aus vollem Halse. „Ich freu mich für dich mein Schatz. Juka tut dir gut…“ „Jaaaa und er macht mich völlig wahnsinnig…“ Mein liebster Freund nahm mich kurz in die Arme. „Mh, schätze so funktioniert Liebe…“ „Trinken?“ Flo nickte und griff nach meiner Hand. Drinnen holten wir uns neue Drinks und verzogen uns in den VIP Bereich. Juka grinste mich nur an und ich schüttelte amüsiert mit dem Kopf. Ein bisschen erschöpft ließ ich mich auf dem Sofa nieder. Mein Liebster kam neben mich und verwickelte mich schon wieder in einen hinreißenden Kuss. Seine Hand, die an meiner Seite entlang strich, machte es nicht besser. Ich löste mich von ihm und trank einen Schluck. „Später…“ „Ich nehm dich beim Wort“, grinste er.     Montag quälte ich mich dann aus dem Bett und stellte fest, dass es gestern eindeutig zu lange ging, aber das war ja wohl meine eigene Schuld. Ich schmiss mir zwei Kopfschmertabletten ein und aß eine Kleinigkeit zum Frühstück. Dann weckte ich Jojo, die sich für die Schule fertig machen musste und ich ging zur Arbeit. Da ich heute reichlich spät war, verzichtete ich auf die Zigarette und eilte zu meinem Arbeitsplatz. Max begrüßte mich freudig. „Bei dir was es wohl gestern auch länger?“ „Verdammt, sieht man mir das an?“ „Ein bisschen schon, aber ich sehe auch nicht besser aus.“ „Na dann bin ich ja beruhigt. Wollen wir hoffen, dass mein alter Herr uns in Frieden lässt.“ Max grinste und ich wackelte die ganze Zeit mit meinem Bein, weil ich eine rauchen wollte. Dann endlich war Pause und Max und ich schnappten ein bisschen frische Luft. Übermorgen würde die Tanzstunde beginnen. Ach verdammt, da fiel mir doch ein, dass ich bis halb vier arbeiten musste. Ob es möglich war, dass ich schon eine Stunde eher gehen konnte und sie dann am nächsten Tag dranhängte? „Sorry, wenn ich heut nicht so gesprächig bin. Aber ich muss mir nen Plan für morgen machen.“ „Schon gut. Mir ist gerade sowieso nicht nach reden.“ „Warum, ist was passiert?“ „Nee, nur die Müdigkeit.“ Nach der Pause kam mein Vater zum ersten Mal an diesem Tag an Max und meinen Arbeitsplatz und begrüßte uns. Ich nutzte die Gunst der Stunde. „Ähm… kann ich dich mal schnell was fragen?“ „Ja, was denn?“ „Naja, ich müsste jetzt einen Monat lang immer Mittwoch schon immer um zwei gehen. Die anderthalb Stunden würde ich am nächsten Tag selbstverständlich länger arbeiten, aber das ist mir voll wichtig.“ Mein Vater gab mir nicht gleich eine Antwort. „Darf ich erfahren, worum es geht?“ „Eine Freundin hat in nem Monat Abschlussball und würde gern, dass ich mit ihr dort hingehe. Da ich aber nicht tanzen kann, wie einige andere auch, müssen wir jeden Mittwoch zu so nem Tanzkurs, der von ihrer Schule organisiert wird.“ Mein Dad grinste jetzt. „Du und tanzen? Das muss ich glaub ich selbst mit eigenen Augen gesehen haben.“ Für diesen Satz hasste ich ihn schon wieder. Warum waren mir solche Dinge nicht zuzutrauen? „Aber es ist schon okay.“ Danke auch. Mein Vater war und blieb einfach seltsam. Ich versuchte nicht an Juka zu denken, denn das löste zwar schöne, aber für die Arbeit unpassende Gefühle aus. Doch schien der Herr gerade auch nicht sonderlich viel zu tun zu haben, denn er schrieb mir jetzt schon die dritte Nachricht. Ich öffnete den Chatverlauf.  Juka: Na mein Süßer, wie geht’s dir? Sitze gerade in einem echt wichtigen Meeting, doch ich kann mich nicht konzentrieren. Dauernd schwirrst du durch meinen Kopf. Ich wäre jetzt lieber mit dir irgendwo…im Bett oder so ;).  Ich blies die Backen auf und grinste vor mich hin. Max warf mir einen fragenden Blick zu. „Ach nichts weiter, nur mein Freund“, gab ich schulterzuckend und noch immer schmunzelnd zurück.  Ich: Super, ich versuche gerade nicht an dich zu denken und dann schreibst du mir sowas. Bett klingt super…verflucht, jetzt lass mich arbeiten.  Dann schien der Sinn meiner Aussage auch endlich bei meinem Kollegen angekommen zu sein. „Moment…meinst du Freund Freund? Also so richtig?“ Ich zog meine Augenbraue hoch und schaute zum Nachbartisch.  „Jepp…ich bin schwul…Surprise, surprise. Aber keine Angst, du bist nich mein Typ“, zog ich ihn ein bisschen auf. Noch eine Nachricht. So langsam verfluchte ich diesen verrückten Japaner.  Juka: Machen wir später was zusammen? Im Bett oder auf dem Sofa…wo du möchtest, mein Herzblatt…nur ich fürchte nach diesem Tag brauch ich dringend Sex.  Ahhhhh. Schon allein der Gedanken ließ mein Herz schneller schlagen. Ich kaute auf meiner Unterlippe umher.  Ich: Den bekommst du nur, wenn du dich jetzt auf dein Meeting konzentrierst.  Versuchte ich ihm zu drohen.  Juka: Als ob du mir widerstehen könntest.  „Verdammt Juka!“, fluchte ich vor mich hin.  Ich: Manchmal hasse ich dich ein bisschen. Du bekommst, was du willst, wenn du jetzt aufhörst, mir zu schreiben. Ich dreh sonst durch.  Juka: Haha, okay. Bei dir oder bei mir?  Ich: Kannst gern zu mir kommen. Hab aber vorher noch Bandprobe. Denke so gegen zehn bin ich wieder zu Hause. Dann gehöre ich ganz dir.  Juka: Oh das klingt himmlisch. Bis später. Zu Hause fiel ich mein Bett und schlief erst mal. Als ich aufwachte war es bereits dunkel und Basti hatte versucht mich anzurufen. Ah, ich wusste auch, weshalb er mich angerufen hatte. BANDPROBE! Ich beeilte mich, um noch in den Proberaum zu kommen. Alle applaudierten, als ich den Raum betrat. „Ihr Blöden. Ey, ich war echt müde und musste erst mal ne Runde schlafen.“ Keiner meiner Freunde wusste, dass ich mit Nici zu ihrem Abschlussball gehen würde und ich hatte auch nicht vor, es ihnen zu sagen. Nicht mal meinem Liebsten hatte ich davon erzählt. Wir brachten nicht mehr viel zustande und deshalb ging ich um zehn wieder nach Hause. Juka wartete schon vor meiner Wohnung auf mich und zog mich sogleich in seine Arme. „Hallo schöner Mann“, begrüßte er mich und gab mir einen Kuss. „Hey. Wie war dein Tag?“ „Ganz okay. Ein wenig eintönig und bei dir?“ Wir stiegen die Treppen rauf und ich schloss meine Wohnung auf. „In Ordnung…nur hat mich da dauernd so ein heißer Kerl vom Arbeiten abgehalten“, ärgerte ich ihn und schlug den Weg zur Küche ein, um die Pizza von gestern noch einmal in den Ofen zu schieben. „So so? Kann ich gar nicht verstehen“, konterte Juka und kam mir schon wieder gefährlich nahe. Langsam und sicherlich nicht ohne Hintergedanken schob er sein Shirt über den Kopf, grinste mich an und griff unter mein Kinn, um mich zu küssen. „Verführst du mich gerade?“, raunte ich in den Kuss. „Vielleicht.“ Meine Fingerspitzen begannen zu kribbeln, als ich seinen nackten Oberkörper berührte. Ganz leicht kratzte ich über seine weiche Haut, fühlte seine Bauchmuskeln und das vertraute Ziehen in der Lendengegend. Ich drängte ihn gegen den Tisch und fixierte seine Hände auf der Tischplatte. Die Beule in seiner Hose schwoll an, als ich meine Hände über seinen Hüften gleiten ließ und dort zarte Küsse verteilte. Unglaublich, wie man nur so wunderschön sein konnte und wieder fragte ich mich einen kurzen Moment, warum Juka ausgerechnet mich liebte, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. Ich öffnete seine Hose und zog diese ein Stück nach unten. Durch die schwarze hautenge Glitzershorts erkannte ich schon die Umrisse von Jukas wachsender Erregung. Viel zu erotisch. Hilfe, dieser Mann! Dieser Anblick brachte mich beinahe um den Verstand. Mit der Zunge spielte ich an seinen süßen Knospen, die sich zwischen meinen Lippen verhärteten, küsste mich über sein Schlüsselbein nach unten. „Juka…ich hab Lust ein bisschen mit dir zu spielen…darf ich?“, fragte ich schon fast unschuldig und mein schöner Japaner grinste. „Gerne…“, raunte er und ich räumte den Tisch frei. Mein ganzer Körper kribbelte vor Aufregung und das Ziehen in meinem Unterleib wurde stärker. Ich verband meinen Liebsten die Augen und presste ihn rücklings auf den Tisch. Im Schlafzimmer holte ich noch kurz eine kleine Kiste, in der sich unter anderem die Nippelklemmen befanden. Jukas Hände befestigte ich kurzerhand mit zwei Bändern an den Tischbeinen, zu denen seine langen Arme fast reichten. Ich reizte seine Nippel noch ein bisschen mehr, bis sie sich zartrosa färbten. Dann klemmte ich seine wundervoll geröteten Knospen ab und Juka entfuhr ein lustvoller Schrei. Sein Becken drückte sich mir entgegen und spürte seine Härte durch meine Hose durch. „Du glaubst gar nich, wie verflucht heiß du gerade aussiehst mein Schatz…“, raunte ich ihm zu und küsste ihn. „Kannst ja ein Foto machen…ohh, ich dreh gleich durch…“, gab er zurück. Diese Worte nahm ich ernst und zückte mein Handy. Grinsend legte ich es wieder weg und betrachtete meinen schönen Mann. Seine Spitze lugte ein bisschen unter dem Bund seiner Shorts hervor und der glänzende Lusttropfen schrie nur danach von mir aufgeleckt zu werden. Ich zog Juka seine Shorts aus und leckte über seine Eichel, was ihm einen wundervollen Laut entlockte. Immer tiefer nahm ich ihn in meinem Mund auf und immer schmerzhafter erinnerte mich mein eigener Ständer daran, dass er gerade auch gern mehr Aufmerksamkeit hätte. Deshalb öffnete ich meine Hose und rieb mich an Juka. Dieser keuchte nur auf und ich war etwas überrascht, wie sehr mich unsere Erregungen aneinander anheizten. Ich schälte mich vollends aus der engen Jeans, weil ich mehr davon wollte. Ich massierte uns beide und Juka verging fast vor Lust, denn sein Körper bebte fast. „Ahhhh…ich komm gleich…“, stöhnte er und ergoss sich wenig später in meiner Hand. Ich stand zwar kurz vor meinem Orgasmus, jedoch hielt ich mich noch zurück. Ich verteilte Jukas Körperflüssigkeit auf meinem Penis. „Luki…ich will dich sehen…“ „Okay!“, antwortete ich und befreite ihn von der Augenbinde. Ein süffisantes Lächeln lag auf seinen Lippen. Meine Finger wanderten zu Jukas Eingang, um ihn ein bisschen vorzubereiten. Doch das machte mich fast komplett irre und ich ersetzte meine Finger durch meinen Schwanz. „Ohhhhhh....“, brachte ich nur zustande und jeh mehr ich mich in ihm bewegte, desto mehr verlor ich meine Selbstbeherrschung. Meine Stöße wurden unkontrollierter und heftiger. Immer wieder zog sich Jukas Muskelring zusammen und brachte mich beinahe um den Verstand. Schließlich gab ich mich der Lust hin und erlag meinem Orgasmus. Meinen Liebsten befreite ich wieder und liebkoste seine geröteten Nippel. Dabei zuckte er leicht zusammen. „Sorry…tut es weh? Du hättest auch was sagen können“, sagte ich besorgt. „Nee, alles gut…“, lächelte er und zog mich in einen Kuss. „Und viel Spaß beim Tisch putzen…“ „Arsch…“ Auf wackeligen Beinen trug er mich ins Bad und wir duschten gemeinsam. Er seifte mich ein, küsste mich und nahm mich in die Arme. Da die Pizza leider im Ofen verkohlt war, kochten wir Nudeln. „Luki…ich liebe dich so sehr…“, flüsterte seine weiche Stimme nahe an meinem Ohr. „Ich dich auch.“ Nach dem Essen kuschelten wir uns ins Bett und es dauerte nicht sehr lange, da schliefen wir auch ein.   An der Arbeit verging die Zeit sehr schnell und ich war sogar ein bisschen aufgeregt. Ich rannte nach Hause und zog mir andere Klamotten an und stylte meine Frisur ein wenig. Dann machte ich mich auf den Weg zu Nicis Schule. Sie stand schon mit ihrer Freundin davor und wartete auf mich. „Darf ich noch eine rauchen? Bitte…“ „Na, wir haben ja auch noch genug Zeit. Das ist übrigens Ina.“ Ich lächelte Ina zu. „Mein Vater war heut echt gnädig mit mir.“ „Warum das?“ „Weil ich eigentlich bis halb vier arbeiten muss und er hat mich eher gehen lassen. Toll was?“ „Und du regst dich immer auf, dass er ein so schlechter Mensch ist. Darf ich mal ziehen?“ Ich reichte Nici meine Zigarette. „Weiß Nadja eigentlich, wer dein reizender Tanzpartner ist?“ Nici schüttelte mit dem Kopf. „Nee. Wir reden doch nicht mehr miteinander.“ Ich nahm einen tiefen Zug und musste lachen. „Weiber.“ Nici boxte mich leicht in die in die Seite. „Na, na. Ich würde das an deiner Stelle unterlassen. Schließlich habe ich mich nicht dazu verpflichtet und ich kann immer noch zurück an die Arbeit gehen.“ „Du siehst schon so aus. Wir müssen dann auch langsam gehen.“ Nici führte uns in die Turnhalle ihrer Schule, wo schon einige Schüler versammelt waren. Ich kam mir komisch vor, wenn ich diese ganzen Leute hier so sah und konnte verstehen, dass sich Nici als einzige Gothicline nicht sonderlich wohl fühlte. Aber ich war ja schon abgehärtet und mir war auch völlig egal, was die Leute von mir dachten. Mein Blick traf sich mit dem von Nadja, doch sie zeigte keine Regung. Was mich auch nicht wunderte. Der Tanzlehrer war sehr jung und machte mit uns so seine Späße. Ich stellte mich besser an, als erwartet und Nici freute das natürlich sehr. Ich empfand sogar Freude am Tanzen und vor der Pause lobte uns der Tanzlehrer, dass wir das sehr gut machten. Nici und Ina folgten mir in Pause nach draußen. „Na, ich glaube nicht, dass ich mir noch Gedanken machen muss, ob mein Partner tanzen kann oder nicht.“ Ich grinste und zog an meiner Zigarette. „Ich bin halt lernfähig.“ Nach dem Tanzunterricht machte ich mich sofort auf den Weg zum Proberaum, weil wir heut etwas schaffen wollten. Außerdem wartete Juka dort auf mich. Ich war voll aufgeregt, wenn ich nur an ihn dachte. Ich fühlte mich so unsagbar glücklich mit ihm an meiner Seite.   Nici fand es schade, dass Lukas sofort wieder los musste, aber auf was wartete sie eigentlich? Hatte er ihr nicht eindeutig gesagt, dass er vorbei war? Doch warum war er dann so lieb zu ihr? Sie wusste einfach nicht mehr, was sie denken sollte. Zu Hause beschloss sie ein bisschen an ihrem Styl zu arbeiten. Bisher hatte sie sich nie so richtig getraut. Doch was hatte sie schon zu verlieren? Im Internet schaute sie nach Haarschmuck und anderen Accessoires, die sie auch gleich bestellte. Ina hatte sie nach der Tanzstunde gefragt, ob sie sich nicht zusammen ein Kleid kaufen wollten, jedoch wollte Nici etwas ganz extravagantes. Etwas, das auffällig war, aber auch schön. Außerdem hatte sie immer noch das Gefühl, dass gerade Lukas sie nicht ernst nahm, was die Szene betrifft und das war auch ein Grund, weshalb sie ihren Style ändern wollte. Für den kommenden Montag hatte sie sich einen Termin beim Friseur organisiert. Während Nici so in ihrem Zimmer saß und über ihre Zukunft nachdachte, wurde sie plötzlich von dem schrillen Läuten der Klingel aus den Gedanken gerissen. Sie erhob sich von ihrem Bett, um die Tür zu öffnen und da stand doch tatsächlich Nadja vor ihr. Das überraschte sie ja total. „Du? Da bin ich jetzt echt baff.“ „Das konnte ich mir fast denken. Kann ich vielleicht rein kommen?“ Nici trat bei Seite, um ihr Einlass zu gewähren. Was sie wohl wollte? Nici fragte sie freundlicherweise, ob sie auch einen Tee trinken wollte, weil sie sowieso gerade dabei war einen anzusetzen. Sie bejahte die Frage. „Was verschafft mir die Ehre deines Besuches?“ „Hey, fang nicht gleich wieder so an. Ich wollte mich nur mal mit dir unterhalten.“ „Und über was?“ „Naja, findest du nicht auch, dass es besser wäre, wenn wir uns wieder besser verstehen würden?“ „Keine Ahnung. Mir geht es momentan sehr gut und bis jetzt bin ich auch ganz gut ohne dich ausgekommen.“ „Ja, schon klar. Jetzt hast du deine tolle Ina und Lukas. Eben alle, die dir was bedeuten.“ „Darum geht es nicht Nadja. Erstens, Lukas und ich sind nur befreundet und Ina ist einfach nur ehrlich zu mir und in ihrer Gegenwart muss ich mich für Nichts rechtfertigen. Es ist unkompliziert mit ihr, was man von dir ja nicht behaupten kann.“ Nadja schaute Nici schon wieder mit diesem beleidigtem Blick an, doch das war ihr egal. „Weißt du, ich hätte mich nicht so von dir distanziert, wenn du dich nicht so krass verändert hättest. Ich meine, ich habe mich auch verändert, aber du solltest dir erst mal an deine eigene Nase fassen, bevor du anderen etwas vorwirfst.“ Nici war selbst über sich erstaunt, wie selbstbewusst sie Nadja gegenüber auftrat und das machte sie sogar ein bisschen stolz. „Ich muss zugeben, dass du nicht ganz Unrecht hast und ich würde es schön finden, wenn wir uns wieder verstehen.“ „Ich werde auf jeden Fall drüber nachdenken.“ Nici beschloss dann doch, sich noch mit Ina zu treffen und sich mit ihr über das Abschlussballkleid zu unterhalten. Sie erzählte ihr von Nadjas Besuch und konnte dabei einfach nicht ernst sein. Ina war da auch ganz ihrer Meinung. „Hast du schon eine Vorstellung, was du anziehst?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Frag mich was Leichteres. Ich hab auch schon ein wenig im Internet gestöbert, aber ich habe noch keine Ahnung. Du?“ „Ich hätte gern etwas rotes, was nicht ganz lang ist. Immerhin bin ich nicht sehr groß und da sieht ein langes Kleid immer so blöd aus.“ Also setzten sie ihre Suche bei EBay fort. Nici holte sich ein paar Anregungen und Ina fand ein Kleid, was ihr sehr gut gefiel. „Hat Nadja eigentlich was wegen Lukas gesagt?“ „Nicht viel. Ich wollte ihr auch nicht viel erzählen, weil es mir einfach zu blöd war.“ Die nächsten Wochen kamen und Lukas wurde ein immer besserer Tänzer. Marco, der mit Nadja tanzte, warf ihnen immer noch eifersüchtige Blicke zu. Allerdings wurde aus Lukas und Nici wirklich nichts mehr. Sie nahm es eben hin. An einem Mittwoch, an dem er mal nicht gleich zur Bandprobe musste, lud er Ina und Nici noch auf einen Drink ein. Das überraschte sie etwas, aber sie freute sich. „Ich hätte echt nicht gedacht, dass ich mal so gerne tanzen würde.“ „Na mit einer so hübschen Frau an deiner Seite“, sagte Ina und Nici warf ihr einen warnenden Blick zu. Lukas grinste nur. Und er sah so unverschämt gut aus. So gelassen und relaxed. Eben so, wie sie sich ihn immer gewünscht hatte. Doch was machte Juka anders als sie? „Kann ich dich mal was fragen?“, fragte sie. „Sicher…sonst nimmst du ja auch keinen Blatt vor den Mund.“ Sie verdrehte die Augen. Ihr Herz schlug schneller und ihre Hände wurden leicht schwitzig. Was war, wenn sie die Antwort gar nicht hören wollte? Sie räusperte sich. „Wie läuft eigentlich zwischen Juka und dir?“ Ihn schien ihre Frage nicht im Geringsten zu überraschen und das überraschte Nici wiederum sehr. „Warum wusste ich nur, dass du mich danach fragen würdest. Du kannst einfach nicht loslassen oder?“ Lukas Antwort war schlimmer als erwartet und er signalisierte Nici, dass sie ihm wirklich nichts mehr bedeutete. Er schätzte ihre Freundschaft, mehr aber nicht. „Ich bin glücklich mit ihm.“ Sie schluckte den Kloß hinunter und lächelte. Ina hielt sich mit ihren Äußerungen ganz aus dem Gespräch heraus, doch auch sie wusste sicher, dass Nici sich sicher eine andere Antwort gewünscht hätte. „Wann schreibt ihr eigentlich eure Prüfung?“, brach Lukas dann das betretene Schweigen. Das hatte sie die letzten Wochen ein bisschen verdrängt. „Ach du Schreck, die sind ja schon in einer Woche“, stellte ich fest. „Na nur gut, dass ich daran erinnert habe.“ „Ich habe schon daran gedacht, aber ich habe es verdrängt“, sagte sie etwas zynisch. Aber als sie nach Hause kam, begann sie tatsächlich mit Lernen anzufangen. Und so wurde das Wochenende auch nicht sehr ereignisreich. Nici hatte sich beim Lernen vor allem auf Englisch und Mathe konzentriert. Allerdings gab es da in Mathe noch so ein paar Dinge, die ihr Kopf einfach nicht verstehen wollte und so telefonierte sie Sonntagabend noch ihren Mathegenie an. „Frauen und Mathe passen wohl nicht zusammen. Das bestätigt sich immer wieder.“ „Halt die Klappe und hilf mir lieber.“ Lukas las sich die Aufgaben durch, machte sich dann ein paar Notizen auf einem Zettel und begann ihr den Rechenweg zu erklären. Dann zeigte er Nici, wie sie auf die richtige Formel kam und so weiter. Sie hatte es sogar verstanden. Es war allerdings immer noch komisch in Lukas in ihrer Nähe zu haben, wenn sie nicht zusammen waren. Dann, als ob er ihre Gedanken las, fragte er: „Also, wenn ich dir nochmal helfen soll, musst nur Bescheid sagen.“ Sie konnte nicht anders und umarmte ihn. Und auch Lukas schloss seine Arme um Nici. „Hättest du Mittwoch nach der Tanzstunde vielleicht noch mal Zeit?“ „Na klar.“ Sie begleitete ihn noch bis zur Tür und nach einem kurzen zögern gab er mir einen Kuss auf die Wange. Doch bevor die Tür ins Schloss fiel, rief sie noch einmal seinen Namen und er blieb auf dem Absatz stehen und wendete sich um. „Ja?“ Er kam näher und stand fast wieder in meiner Wohnung. „Ach nichts…komm gut nach Hause.“ Er zog an seiner Zigarette und sah dabei so unglaublich sexy aus. „Darf ich dir einen gutgemeinten Rat geben? Halt dich nicht an der Vergangenheit fest…vor dir liegt so viel und so sehr du mir auch nachtrauerst…ich würde nie wieder zurückgehen.“ Ja, da hatte er nicht ganz unrecht, aber seine Worte schmerzten trotzdem sehr. „Vielleicht hast du Recht…es ist nur schwer…irgendwie…“ Er zog die Augenbrauen hoch und nahm einen tiefen Zug. „Ja, doch das geht vorbei und verwechsle eine Schwärmerei nicht mit Liebe.“ Die Tränen flossen schneller, als Nici es zulassen wollte. Automatisch wischte sie diese sofort weg. „Schwärmerei?“ Ein verlegenes Lächeln huscht über seine Lippen. „Ja…denn es war kein Vergleich zu dem, was ich mit Juka habe.“ Das schockierte sie wahrhaftig. Dabei hatte sie immer gedacht, Lukas hätte sie geliebt. „Ich wünsch euch viel Glück.“ Lukas nickte nur und schnippte seine aufgerauchte Zigarette weg. Sie schüttelte verblüfft den Kopf. „Ich hoffe jetzt hast du das, was du wolltest Nici. Das ändert nichts an unserer Freundschaft, aus meiner Sicht zumindest…du hast immer noch die Möglichkeit einen anderen Tanzpartner zu wählen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das möchte ich nicht. Danke für deine Hilfe und bis Mittwoch dann.“ In dieser Nacht schlief sie sehr unruhig und versuchte die Ereignisse des Tages, insbesondere die der letzten Stunden zu verdrängen. Deutsch lief ganz gut. Nici entschied sich für die Interpretation des Gedichtes und brauchte für ihre Ausführungen die ganze Zeit. Englisch verlief ebenfalls gut, hoffte sie zumindest und sie freute sich auf den Tanzunterricht an diesem Nachmittag. Ina und Nici warteten wie immer vor der Schule auf Lukas. Und sie gingen gemeinsam in die Turnhalle. Da sie mittlerweile alle Tänze gelernt hatten, übten sie jetzt nur noch und ab und zu korrigierte sie der Tanzlehrer. Heute bekamen Lukas und Nici vor allem die Drehungen beim Discofox super hin. Beim Walzer waren sie sich sehr nahe und auch jetzt fühlte sie wieder dieses Kribbeln und die Spannung zu gleich. Danach kam er noch mit zu ihr und half ihr dabei, ihre Lücken in Mathe zu schließen. Das klappte besser als sie dachte, denn Donnerstag war Ina da und sie konnte ihr alles genau erklären. Sie saßen von früh bis abends um acht. Nici schmiss ihren Stift dann weg. „Jetzt ist Schluss. Was ich jetzt nicht mehr lerne, ist mir auch egal.“ Sie holte eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank, die sie noch tranken. „Ich habe euch gestern übrigens genau beim Tanzen beobachtet.“ Nici zog die Stirn in Falten. „Und?“ „Das ihr nicht zusammen seit, leuchtet mir nicht ein. Ich glaube nicht, dass Lukas dich nicht liebt. Ich meine, so, wie er dich angesehen hat. Das war nicht normal.“ Nici seufzte. „Er liebt mich nicht mehr. Lukas lacht immer so süß, sodass es den Anschein vermittelt, er könnte mich noch lieben.“ „Was macht dich da so sicher Süße?“ Wieder schüttelte sie nur den Kopf. „Jetzt nicht, ein anderes Mal erzähle ich dir davon. Prost!“ Die Matheprüfung war trotz alledem ganz schön krass und hier hatte sie wirklich die meisten Probleme. An diesem Abend wollten ein paar Leute aus unserer Klasse noch ein bisschen feiern und Ina und Nici beschlossen auch mitzugehen. Einer von den Jungs hatte einen großen Garten mit einer Partyhütte und dort versammelten sich alle. Sie saßen an der Feuerstelle mit noch ein paar Jungs. Komischerweise redeten die Mädels, mit denen Nici sich noch vor kurzem gut verstanden hatte, weil ich mit Marco zusammen war, kein Wort mehr mit ihr. Allerdings störte sie das nicht mehr. Doch unerwarteter Weise saß Marco auf einmal neben ihr. „Na du.“ „Hey.“ Sie teilte sich mit Ina eine Zigarette. „Du rauchst?“ „Ja, manchmal.“ „Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Sie zuckte nur mit den Schultern und trank einen Schluck Bier. „Nadja hat mir gesagt, dass du nur noch mit Lukas befreundet bist.“ „Ja und? Darf ich das nicht?“ „Doch schon. Ich dachte nur, das ihr zusammen seid.“ „Wir mögen uns eben noch sehr.“ Nici schaute ins Feuer und ihre Sehnsucht nach Lukas wuchs von Tag zu Tag mehr. Mal war sie traurig oder auch wütend, weil es so war, wie es war. Gegen eins machte sie sich dann auf den Heimweg.     Mein Arbeitstag schien heute irgendwie länger als sonst zu sein. Ich machte nicht viel, weil es momentan auch wenig zu tun gab. Als es dann endlich halb vier war, machte ich mich so schnell wie möglich aus dem Staub, weil ich noch ein Date mit meinem Jukaschatz hatte. Ich freute mich wahnsinnig ihn wiederzusehen. Zu Hause zog ich mich noch um und machte mich dann auf den Weg zu ihm. Unterwegs kaufte ich noch Kuchen, weil Kaffeezeit war. Die Tür unten stand offen und so musste ich erst an der zweiten Tür klingeln. Juka umarmte mich und gab mir einen langen Begrüßungskuss. Er hatte sogar schon den Kaffee angesetzt. „Schön dich zu sehen. Du siehst sogar noch toller aus als beim letzten Mal.“ Ich lachte. „Schleimer, allerdings kann ich das nur zurückgeben. Wie geht’s dir?“ „Gut, wie immer. Ich wurde jetzt in eine andere Abteilung versetzt und bin sozusagen fast sowas wie der Juniorchef.“ „Das ist ja toll. Ich bin stolz auf dich. Ich hätte auch gern son tollen Chef.“ „Hast du nicht?“ „Ach, ich arbeitete gerade bei meinem Vater. Es macht zwar Spaß, aber ich könnte mir auch was Besseres vorstellen. So bin ich ja immer auf ihn angewiesen und das wollte ich eigentlich nicht.“ Juka gab mir eine Zigarette. „Dann such dir doch was anderes. Wie geht es Nici?“ „Ganz gut.“ „Na, das klingt aber nicht sehr überzeugend.“ Ich seufzte und mir war auch unklar, warum er mir diese Frage stellte. Jetzt war es an der Zeit, ihm zu beichten, dass ich mit ihr auf den Abschlussball ging. „Da ist etwas, das du wissen solltest…eigentlich wollte ich es dir schon eher sagen…Nici hat mich gefragt, ob ich sie zu ihrem Abschlussball begleite. Ist das okay für dich?“ „Das ist deine Sache und ich denke, dass ich dir vertrauen kann. Will dir ja nicht irgendwelche Verbote setzen“, sagte er scherzhaft. „Wie nachsichtig von dir...wir sind auch echt nur Freunde, mehr will ich nicht. Immerhin habe ich ja jetzt das, was ich wollte.“ „Ach ja?“ Juka beugte sich zu mir und küsste mich sehr leidenschaftlich. Er zog mir meinen Pulli über den Kopf und küsste mich überall und ich genoss es, als seine Hände zwischen meine Beine glitten. Ich zog ihn enger zu mir heran und umschloss seinen Hintern. „Oh ja.“ „Und was willst du jetzt mit mir machen?“ „Ich will dich jetzt…nackt…“ Juka lachte und zog sich bis auf die Hose aus. „Alles zu seiner Zeit Süßer. Hast du Lust auf Spielchen?“ Meine Augen weiteten sich und ich grinste. „Kommt drauf an.“ Zuerst bekam ich eine wohltuende Massage, obwohl mich Jukas Handgriffe schon total verrückt machten. Er drehte mich um und hielt meine Hände über meinem Kopf zusammen, während er mich küsste. Das leise Klick und das kalte Metall an meinen Händen fühlten sich ungewohnt an. „Wenn es dir zuviel wird, sag Bescheid okay?“ „Ich glaub ich finde es sehr erotisch von dir gefesselt zu werden.“ „Na schön. Dann mach ich weiter.“ Juka ließ heißes Kerzenwachs auf meinen Oberkörper tropfen und ich zuckte jedes Mal zusammen, doch diese Mischung aus Lust und Schmerz war kaum in Worte zu fassen. Dann endlich wanderte seine Zunge zwischen meine Beine und ich war immer wieder fasziniert von seiner Fingerfertigkeit. So sehr ich es gern noch zurückgehalten hätte, ging es nicht mehr und ich erreichte meinen Höhepunkt. Juka entblößte seinen wunderschönen Körper und nahm mich von hinten. Ich kam ein zweites Mal und erschöpft brach mein Liebster neben mir zusammen. Ich zog an meiner Zigarette und Juka holte Kaffee und Kuchen. „Juka, du bist doch die perfekte Traumfrau.“ „Traumfrau vor allem, du bist wirklich süß. Aber weißt du, dass ich am Anfang echt Angst hatte? Ich hätte mir nie träumen lassen, dass wir mal zusammen kommen.“ „Ich auch nicht, aber weißt du…bei dir kann ich so sein wie ich will und habe nicht das Gefühl mit unserer Beziehung eine Verpflichtung eingegangen zu sein. Du hast mich schon immer fasziniert und ich glaub ich war von Anfang an in dich verliebt, wusste nur nicht damit umzugehen.“ „Naja, bei mir war das immer so eine Hassliebe…gerade in deiner schlimmen Zeit. Das was du da getan hast, war fast unverzeihlich, aber dein unvergleichbarer Charakter und deine liebenswürdige Art…dem konnte ich nicht wiederstehen. Ein bisschen Bedenken hatte ich auch, dass unsere Freundschaft darunter leidet, aber das hätte ich ohnehin nicht mehr länger gekonnt. Meine Gefühle zu dir waren zu stark.“ Noch nie hatte ich jemanden, der mein Freund war, so offen über alles reden können. Ich fühlte mich so glücklich wie noch nie. Juka verstand einfach viel mehr von Gefühlen und vor ihm war mir auch nichts unangenehm. Das erste Mal hatte ich das Gefühl etwas Richtiges getan zu haben. „Hast du schon mal zu jemanden ich liebe dich gesagt, es aber nicht so gemeint?“ „Nein, hab ich nicht…Luki, ich liebe dich.“ Wow. Ich umarmte meinen Juka und küsste ihn. „Ich dich auch.“   Nici war völlig aus dem Häuschen, weil der Abschlussball schon morgen Abend sein würde. Ein Kleid hatte sie zwar schon aber sie war trotzdem aufgeregt. Alle würden sich um vier treffen, wegen den Fotos und dann sollte die Party beginnen. Nici hatte meine Eltern und Nadine eingeladen. Ina und Nici hatten zur gleichen Zeit einen Termin beim Frisör und sie fragte sich die ganze Zeit lang, wie Lukas wohl aussehen würde. Ihr Kleid hatte sie ihm gezeigt und er hatte gesagt, dass er sich etwas Tolles überlegen will. Doch ihr Kleid war violett. Würde er da vielleicht im violetten Anzug auftauchen? Nein, das war nicht sein Style. Nici konnte es kaum noch erwarten. Nun war es fast so weit. Sie eilte nach Hause und zog sich um. Das Kleid war auch etwas kürzer, oben eng und nach unten fiel es schön locker. Bei den Schuhen musste sie viel Schnüren, doch am Ende gefiel sich Nici sehr. Dann klingelte es auch schon. Lukas war echt pünktlich und er hatte ihr eine violette Rose mitgebracht. Wie schön wäre es doch, wenn sie als Paar gehen würden. Er trug eine schwarze Hose enge Hose und darauf ein Art Jackett, das ein wenig einer Uniformjacke glich. Darunter hatte er ein schwarzes Hemd und einen violetten Schlips. Nici stellte die Rose in eine Vase und die beiden machten sich auf den Weg. „Du siehst toll aus.“, sagte er nach einer Weile. „Danke. Du aber auch.“ „Wir haben heut Abend nur ein kleines Problem.“ Nici sah ihn etwas schockiert an. „Und welches?“ „Ich muss um zehn schon gehen, weil mein Vater so nett war und mich zur Nachtschicht eingeteilt hat.“ „Das ist echt Schade, aber das können wir ja wahrscheinlich nicht ändern.“ „Ich habe jetzt schon keinen Bock mehr für ihn  zu arbeiten. Warum mache ich das eigentlich?“ Lukas schien etwas frustriert zu sein und Nici hoffte, dass sich das nicht den ganzen Abend lang hinzog. Die Fotos waren relativ schnell gemacht  und dann kamen auch schon ihre Eltern mit Nadine. Sie waren ziemlich beeindruckt von Lukas. Als erstes bekamen sie die Zeugnisse und dann kam das Eintanzen. Es klappte wie immer super, doch Lukas schien irgendwie ganz weit weg zu sein und das machte Nici irgendwie traurig. Leider wurde es auch viel zu schnell um zehn und er verabschiedete sich. Marco fragte sie später, ob sie mit ihm tanzen wolle und sie willigte ein. Dann ging Nici mit Nadine etwas trinken. Kapitel 26: Nici nervt ---------------------- Ich hatte das Gefühl, dass Nici unsere Beziehung noch immer nicht aufgegeben hatte und seitdem ich sie zum Abschlussball begleitet hatte, ließ sie nicht locker. Dauernd schrieb sie mir Nachrichten und wollte sich mit mir treffen. Das mit Juka und mir wusste sie zwar, schien es aber nicht wahrhaben zu wollen. Mir wurde es auf jeden Fall zu lästig und ich musste sie dringend zur Rede stellen. Juka machte immer seine Witze über sie und bezeichnete sie als meinen Stalker. Wie toll. Ich lungerte gerade auf meiner Couch im Wohnzimmer herum und rauchte eine Zigarette. Es war Samstagmittag. Ein Konzert hatten wir erst für das kommende Wochenende geplant und an diesen Abend würden wir höchstwahrscheinlich wieder im Proberaum verbringen, wenn uns nichts Besseres einfiel Meine Schwester wollte wieder zu mir ziehen, worüber ich mich sehr freute. Doch glaubte ich nicht, dass meinem Vater das sonderlich gut gefiel. Egal. So beschloss ich, Jojo abzuholen. Endlich zog ich meinen Bademantel aus, den ich schon den halben Tag trug. Johanna freute sich mich zu sehen. Mein Vater war gerade damit beschäftigt, irgendwelche Aufträge zu bearbeiten. Mit einem Handzeichen machte er bemerkbar, dass er Notiz von mir genommen hatte. Meine kleine Schwester tänzelte freudestrahlend um mich herum. „Ich habe schon alles gepackt.“ Ich grinste sie an. „Das ist schön. Und du meinst, das funktioniert mit uns beiden?" Jojo nickte ganz aufgeregt. Nun stieß auch mein Vater zu uns. „Aber bitte sorge gut für deine Schwester, Lukas!" Seine Stimme klang sehr ermahnend und er sah mich mit vorwurfsvollem Blick an. Ich nickte nur und wir verabschiedeten uns voneinander. Es muss schon hart sein, gleich beide Kinder auf einmal zu verlieren. Ich nahm Jojo bei der der Hand. „Ist Nici bei dir?" „Nein Süße. Die wirst du auch so schnell nich wiedersehen." Meine Schwester schien zu verstehen, was das bedeutete. Denn sie stellte keinerlei Fragen. Kurz nachdem wir bei mir angekommen waren, rief mich Flo an und fragte, ob ich Lust hätte heute Abend mit Basti und ihm zur Walpurgisnacht nach Potsdam zu kommen. Natürlich willigte ich ein. Juka und Kami wollten uns auch begleiten und ich freute mich auf meinen Süßen. „Ist es okay für dich, wenn du heute Abend ein paar Stunden alleine bist? Wenn du möchtest, kannst du dir ja eine Freundin einladen." „Ja, ist schon okay. Ich denke, ich komme zurecht." Jojo und ich quatschten und spielten noch eine Runde Schach. Dann machte ich mich fertig. Juka kam schon früher zu mir und ich machte ihn mit meiner Schwester bekannt. Er sah verdammt gut aus und als er mich dann auch noch die ganze Zeit mit diesem verführerischen Blick anschaute, hätte ich ihn am liebsten ins Schlafzimmer geschleift. Mit nur einem Handtuch bekleidet stand ich vor meinem Schrank und überlegte, was ich anziehen könnte. Juka legte seine Arme von hinten um mich und küsste mich am Hals. Automatisch schlug mein Herz schneller und es war unmöglich ihm zu widerstehen. Punkt neunzehn Uhr klingelte es an der Tür und ich bat Jojo zu öffnen. Basti kam ins Bad und musterte mich beim Schminken. „Lass das!", fuhr ich ihn genervt an. „Warum, ich guck dir gerne zu!" „Da verschminke ich mich aber." „Tja, das soll dann nicht mein Problem sein." Ich warf meinem Freund einen boshaften Blick zu. Flo wollte heute fahren, war mir auch ganz recht. Die Veranstaltung fand im Rittersaal statt, welcher schon fast überfüllt war. Wir fanden aber ganz am Ende noch einen Platz, nahe einer Gruppe Mädchen. Wir bestellten ein Radler und zwei Bier. Die Mädels schienen auch Gothics zu sein oder sie hatten sich eben nur heute herausgeputzt. Basti guckte immer ganz unauffällig zu der einen rüber. Juka und Kami tranken auch Bier und Juka lächelte mich die ganze Zeit total verliebt an und ich erwiderte es. Flo unterhielt sich sehr angeregt mit Kami. „Da frag sie doch, ob sie mit zu uns setzen wollen?“, flüsterte ich Basti ins Ohr. „Das ist doof. Ich traue mich nicht. Du kannst das besser." Ich verleierte die Augen und zündete mir eine Zigarette an. Schließlich nahm Basti seinen ganzen Mut zusammen und die Mädels freuten sich sogar darüber, als wir ihnen den Platz neben uns anboten. Wir plauderten nett miteinander. Basti und Danielle verstanden sich ausgesprochen gut, was mich freute, denn so bekam er endlich mal Ablenkung von Lena. Gegen halb zwei ließen wir den Abend so allmählich ausklingen und fuhren nach Hause. Ich erwachte mit leichten Kopfschmerzen. Jojo hatte schon den Frühstückstisch gedeckt. „Hey, das ist ja toll." Anschließend trank ich meinen Kaffee und rauchte eine Zigarette. „Hast du deine Hausaufgaben schon erledigt?" „Naja, fast." „Das machst du bitte noch und zeigst sie mir dann!" Jojo sah mich erstaunt an. „Du kannst ja richtig streng sein!" „Tja, du dachtest wohl, hier kannst du machen, was du willst? Nein, das bilde dir ja nicht erst ein!" Wir spülten gemeinsam das Geschirr. Danach ging ich duschen und anschließend wollte ich noch ein bisschen die frische Luft genießen. Ziellos lief ich umher. Mein Zigarettenstummel, den ich wegschnippte, verglühte sofort auf dem nassen Asphalt. Ich dachte darüber nach, ob ich Nici besuchen sollte, um endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Und genau das tat ich dann auch. Im ersten Moment freute sie sich mich zu sehen. Dann spazierten wir ein bisschen durch den Park. Seit ihrem Abschlussball hatten wir uns nicht mehr gesehen. „Wie war der Abend noch, nachdem ich gegangen bin?“ „Ganz schön, aber sicher wäre es mit dir noch schöner geworden.“ Und gerade, als ich weiterreden wollte hielt mir jemand die Augen zu. Langsam nahm ich seine Hände weg und drehte mich um. Mein Lächeln wurde breiter. „Ich hab nur eine Minute Zeit und wollte dich fragen, ob ich dich heute Abend ausführen darf?“ „Gern. Kommst du erst zu mir und dann können wir gehen, wohin du willst?“ Juka grinste mich an. „Du und deine perversen Hintergedanken immer. Aber geht klar.“ „Ich und Hintergedanken? Jaja, und was hast du dann?“, fragte ich spaßhaft und küsste ihn. Okay, jetzt hatte Nici ihren endgültigen Beweis, trotzdem sah sie verletzt aus. „Wow, du scheinst ihr wirklich zu lieben oder?“ „Ja das tue ich Nici….“ „Okay…aber bitte sag mir, was er dir geben kann, was ich nicht habe.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Willst du das wirklich wissen? Die Wahrheit is nich immer schön oder das, was man hören will.“ Sie sah mich fragend an. „Ja will ich…vielleicht geht’s mir dann besser.“ Das bezweifelte ich zwar, aber wenn sie es so wollte, dann bitte. „Juka kann es mit mir aufnehmen…du weißt selbst, was für ein Arsch ich sein kann und es tut mir auch leid, dass ich manchmal so zu dir war…doch Juka schafft es irgendwie, dass ich nich so bin…oder bessergesagt, er kann damit umgehen. Er sagt nich viel, aber ich hab ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen, wenn ich dauernd high bin…er macht mich einfach glücklich und scheint zu wissen, was mir gut tut.“ Meine Exfreundin warf mir einen traurigen Blick zu. „Es ist sehr schade, dass ich für dich nie eine solche Person sein konnte, aber ich freue mich für dich, wenn du jemanden gefunden hast, der es schafft dich glücklich zu machen.“ „Ich weiß, dass muss hart für dich sein, aber bitte versuche es zu akzeptieren.“ Sie schwieg und schaute betrübt zu Boden. Ein bisschen Mitleid hatte ich zwar, aber ich war mir keiner Schuld bewusst. „Klar, ich werde es schon verkraften. Aber das du dir nen Typen angelst, hätte ich nicht gedacht.“ Ich verdrehte die Augen und rauchte eine Zigarette. „Naja…was Juka angeht, das geht schon ziemlich lange…jedoch, als ich mit dir zusammen war, wollte ich die Gefühle für ihn noch nicht so wahrhaben. Es hat sich über die Jahre entwickelt.“ Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht gleich in Tränen auszubrechen und ich war mir nicht sicher, ob ich sie trösten sollte oder nicht. „Hey, es tut mir leid und ich wollte dich nicht verletzen…aber ich kann meine Gefühle nicht länger zurückhalten.“ Nici schluchzte und sah mich mit glasigen Augen an. „Aber ich weiß, wie das jetzt weitergeht…wir entfernen uns wieder voneinander und irgendwann verlieren wir uns ganz aus den Augen.“ „Das wäre möglich und ich würde es auch für besser halten, wenn wir uns erst mal nicht sehen…allerdings, wenn du mit der Situation klar kommst habe ich auch kein Problem weiterhin mit dir befreundet zu sein.“ Ich nahm sie in meine Arme, da ich mit ihr mitfühlen konnte. „Ich weiß nicht…erst mal muss ich das verdauen, aber ich möchte dich nicht ganz aus den Augen verlieren.“ „Nimm dir erst mal eine Auszeit und denk drüber nach. Ich werde auf jeden Fall immer ein offenes Ohr für dich haben.“ Ich begleitete Nici noch bis zu ihrem Haus besuchte meinen Dad kurz, weil ich noch ein paar Sachen holen musste, die ich vergessen hatte. Kapitel 27: Jojo wird flügge und Flo macht Ärger ------------------------------------------------ Ich beschloss Malen im x-tra-x zu besuchen, denn der Laden lag ja immerhin auf meinem Heimweg. Sie war sehr erfreut, als ich hereinspaziert kam. „Na du. Komisch, du hast Zeit mal mir vorbeizuschauen. Mein Freund nicht!" Sie klang ziemlich genervt. „Also seid ihr doch noch zusammen?" „Na wer weiß, wie lange noch. Ich habe so langsam echt die Schnauze voll! Bei sich zu Hause hat er nur noch Ärger und wenn er dann zu mir kommt, ist er meist total breit. Da habe ich mir doch tatsächlich getraut mal was dazu zu sagen. Da tickt Flo voll aus. So von wegen, ich wüsste ja nicht, was er für Stress zu Hause und an der Arbeit hat. Ich kann nicht mehr. Mein Privatleben leidet echt sehr darunter." Malens Gesichtsausdruck verwandelte sich von wütend zu traurig. „Kannst du nicht mal mit ihm reden?" „Versuchen kann ich es, aber du weißt ja selbst, wie Flo ist. Vor kurzem hatte ich dieselbe Diskussion mit ihm bei der Probe. Wenn du willst, kannst du ja heute Abend noch auf ein Glas Wein bei mir vorbeikommen?" Nun konnte ich ihr endlich wieder ein Lächeln entlocken. „Unternimmst du nichts mit deinem Süßen?" Ich zog einen Flunsch." „Juka hat gerade viel zu tun, sind eben gerade viele neue Bands am kommen und so.“ „Ach, du Ärmster! Da statte ich dir selbstverständlich einen Besuch ab. Mein Freund hat mit Sicherheit sowieso keine Zeit für mich." „Schön, da freue ich mich. Arbeite du jetzt lieber weiter, sonst bekommst du meinetwegen noch Ärger." Eigentlich hätte ich diese Woche auch arbeiten sollen, aber mein Vater behauptete, dass er im Moment zu wenig Aufträge hätte. Ich vermutete, dass er es nicht gerne sah, wenn ich mich bei seinen Mitarbeitern beliebt machte. Trotzdem hoffte ich die kommenden Wochen wieder Geld verdienen zu können. Meine Schwester war auch schon zu Hause, mit einer Freundin. Ich begrüßte die zwei und hörte sie dann tuscheln und kichern. So langsam überkam mich ein Hungergefühl, also kochte ich Nudeln und Tomatensoße. „Oh Lukas, machst du ein bisschen mehr?" „Das hatte ich sowieso vor, Süße. Wie heißt deine Freundin eigentlich?" „Ach so, das ist Nina." Als die Nudeln kochten und die Soße abgeschmeckt war, setzte ich mich ins Wohnzimmer, um eine Zigarette zu rauchen. Sollte ich vielleicht mal mit Basti über Flo reden? Vielleicht war es ihm ja auch aufgefallen, dass er sich verändert hatte. Nach dem Essen unterhielt ich mich über Facebook ein bisschen mit ihm. Er schien auch gerade lange Weile bei seinem Bruder im Café zu haben, in dem er vorrübergehend als Aushilfe arbeitete. Meine Schwester und ihre Freundin kamen ins Wohnzimmer geschlichen und fragten, ob ich ihnen mal einen Augenblick behilflich sein könne. Oh Gott, Matheaufgaben aus der neunten Klasse. Da musste ich mich erst mal wieder einfinden. Dann versuchte es den beiden zu erklären. Während sie rechneten, blieben sie in der Stube. Basti teilte mir mit, dass er total happy mit Danielle sei und heute gleich nach der Arbeit nach Potsdam fahren würde. Ich fragte ihn, ob er etwas über Flo wüsste. Jedoch verneinte er dies und verabschiedete sich auch von mir, weil er noch ein bisschen arbeiten musste. „Lukas, wann habt ihr eigentlich wieder Bandprobe?" Jojo sah von ihrem Heft auf. „Donnerstagabend um sieben." Ich gähnte und fühlte mich auf einmal total schlapp. „Ich weiß aber nicht, ob da etwas bei rauskommt. Es wäre vielleicht besser, wenn ihr zum Konzert am Samstag kommt. Um so deine nichtgestellte Frage zu beantworten, hab ich Recht?" Jojo nickte. Falls dieses Konzert stattfinden sollte, denn im momentan lief in unserer Band so ziemlich alles schief, was nur schief gehen kann. Zu erst die Sache mit Flo, Chris hatte absolut keinen Bock mehr, weil wir uns nicht ausstehen konnten und er meinen Musikstil zum kotzen fand. Zu guter Letzt kam noch hinzu, dass auch Basti und Lena auf Kriegsfuß miteinander standen. Doch darüber wollte ich jetzt eigentlich überhaupt nicht nachdenken. Acht Uhr erschien Malen bei mir. Ich hatte extra den guten Rotwein aus der Vorratskammer geholt und schenkte uns ein. „Du hast doch vorhin erwähnt, dass Flo auch manchmal zur Bandprobe so erschienen ist. Hast du da mit ihm geredet?" Malen prostete mir zu und ich zurück. Dann drehte ich mein Glas in den Händen hin und her. „Ja, aber ob das soviel bewirkt hat, weiß ich nich. Ich bin sowieso gerade voll traurig, was die Band betrifft, weil ich glaube, dass das keiner von den anderen so ernst nimmt, wie ich. Die sehen das alles als ne Art Spaßband, machen eben nur so in ihrer Freizeit ein bisschen Musik. Aber ich will mehr als nur das." „Da gibt es wahrscheinlich nur zwei Möglichkeiten." „Ich weiß", seufzte ich und zündete mir eine Zigarette an. „Bei Chris ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er aussteigt. Wenn ich ehrlich bin, ist es im Moment auch kein schönes Arbeiten, aber ich weiß auch nicht, was ich noch machen soll." „Es wäre sicher das Beste, wenn du deine Jungs mal so richtig zusammenscheißt." „Ja. Gleich Donnerstag, aber da befürchte ich Schlimmes." „Okay, Themawechsel. Wie läuft es sonst so mit Juka und dir?" Ich musste lachen. „Perfekt…ich habe mich nie besser gefühlt. Du scheinst ihn ja auch zu mögen?" „Ja. Ich mag ihn mehr als Nici. Und Juka ist da ja ein ganz anderer Typ Mensch und ich mag seine Ausstrahlung. Nici hingegen war mir fast ein bisschen zu nervig und ich konnte nie ernsthaft nachvollziehen, wie du es so lange mit ihr ausgehalten hast. Aber Juka hat schon was Feminines an sich oder?" Ich musterte Malen mit nachdenklichem Blick. „Mh, ein bisschen und das macht ihn irgendwie auch so anziehend. Ich hab Geschmack gel?", fragte ich spaßhaft. „Auf jeden Fall…allerdings hätte ich nie gedacht, dass du mal schwul wirst, weil ich habe dich immer noch so als den Frauenheld in Erinnerung. Aber ihr passt so toll zusammen." Ich lächelte. „Du meinst also, wir sind füreinander geschaffen?" Malen nickte und nippte an ihrem Weinglas. Ich tat es ihr gleich. „Ja, er liebt dich wirklich sehr und außerdem habe ich dich schon lange nicht mehr so glücklich gesehen." Als es fast um eins war, verabschiedete sich Malen von mir. Ich telefonierte noch kurz mit Juka und machte mit ihm ein Date aus. Am nächsten Morgen stand ich mit meiner Schwester auf und bereitete das Frühstück vor. „Du musst wohl die Woche gar nicht arbeiten?" „Nein. Ich hab ne kleine Auszeit." „Dann ist es aber lieb von dir, dass du mit aufstehst und mir Frühstück machst." „Mache ich doch gern. Ich muss noch einkaufen, brauchst du noch irgendwas?" Jojo schüttelte mit dem Kopf. „Ich wüsste nichts. Ach doch, du kannst mir nen schönen Joghurt mitbringen." Ich zog die Augenbrauen hoch und schmunzelte. „Einen schönen Joghurt? Was kann ich mir denn darunter vorstellen?" „Naja, zum Beispiel einen mit Schokoraspeln." „Das ist doch ein Wort." Nach einer Schweigeminute fragte ich: „Sag mal, rauchst du eigentlich in der Schule?" Auf einmal blickte meine Schwester zu Boden und schüttelte schnell mit dem Kopf. „Guck mich mal bitte an!" Ihr Gesicht war leicht gerötet. „Okay, ja. Aber ich kaufe mir keine." „Hör zu Jojo. Was du mit sechzehn Jahren machst, ist mir fast egal, aber du bist gerade mal vierzehn. Bitte unterlasse das in Zukunft. Jetzt sage ich dir das noch im Guten." Meine Schwester nickte und erhob sich schweigend vom Tisch. Der Donnerstag kam und ich überlegte, was ich den Jungs beziehungsweise Lena sagen konnte. Zuerst beschloss ich ein bisschen zu spät zu kommen. Auf dem Weg zum Proberaum rauchte ich noch in Ruhe eine Zigarette. Alle saßen auf der Bank, vor dem Raum, wie die Hühner auf der Stange und blickten in meine Richtung. Vorerst wollte ich gar nichts sagen und einfach ihre Reaktion abwarten. „Du bist heute aber ganz schön spät dran Lukas. Sonst bist du doch immer so pünktlich", bemerkte Flo mit einem seltsamen Unterton in seiner Stimme, den ich noch nicht so richtig deuten konnte. „Tut mir leid, aber ich habe noch eine kleine Schwester zu Hause, um die ich mich kümmern muss." Das saß schon mal. Gerade Flo, dem alles egal zu sein schien, regte sich als erster auf. Sehr amüsant. Ich schloss die Tür auf und alle stürmten zur Sitzecke, satt zur Bühne. Flo und Chris öffneten sich sofort ein Bier. Basti sah mich fragend an und ich nickte unauffällig in Richtung Flo und Chris. So verweilten wir fast eine halbe Stunde. Ohne, dass irgendjemand Anstalten machte anzufangen. Basti wollte aufstehen, aber ich schüttelte mit dem Kopf. Plötzlich wandte sich Flo doch tatsächlich an mich. „Wollen wir nicht langsam mal beginnen?" Ich zuckte nur mit den Schultern. „Ach von mir aus könnt ihr euer Bier noch austrinken. Ich hab den ganzen Tag Zeit." Ich blieb noch sehr gewählt in meiner Wortwahl. Meine Stimme klang trotzdem nicht freundlich. Am liebsten hätte ich Flo angeschrien. „Meinst du das ernst?" Das hatte er jetzt nicht wirklich gefragt? Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte mich in Zaum zu halten. „Natürlich. Sonst machst du das doch nicht anders, ohne dass dich meine Meinung dazu interessiert. Ich meine, wenn es nach dir gehen würde, wäre die Bandprobe ein großes Besäufnis!" Mein Blut begann zu kochen und alle starrten nur noch auf Flo und mich. „Wie bist du denn heute drauf? Tut mir ja echt leid, dass ich mir nach nem stressigem Tag ein Bier gönne!" Basti wusste wahrscheinlich, dass ich gleich ausrasten würde. „Mal? Ein Bier? Und das, weil du einen so stressigen Tag hattest! Und dann musst du dich auch noch um deine Beziehung kümmern, das ist is echt schlimm Florian!" Nun schienen alle vollkommen verblüfft zu sein. Ich wüsste nicht, wann ich Flo das letzte Mal bei seinem vollen Namen genannt hatte. „Ja, du hast Recht. Ich habe in letzter Zeit keine richtige Lust, das liegt aber nich nur an mir, sondern auch an dir! Außerdem dachte ich immer, dass gerade du mich verstehst…aber scheinbar sind jetzt andere Dinge wichtig." Ich schüttelte nur mit dem Kopf und zündete mir eine Zigarette an. „Du hast nichts kapiert oder? Ich habe dir und den anderen schon mal versucht zu erklären, dass ich nicht so ne dumme Teenieband auf die Beine stellen wollte und wenn nicht ich etwas sage, wer denn dann? Du etwa? Dich interessiert das nen Scheißdreck! Hauptsache high sein!" Flo schaute mich grimmig an. „Und ich habe euch allen auch schon mehrmals gesagt, dass ihr nicht in dieser Band spielen müsst! Wer unbedingt gehen will, soll gehen!" Wie ich erwartet hatte, erhob sich Chris und dann auch Flo. Das traf mich ganz schön. „Tja Lukas, da wäre das Konzert am Samstag wohl Geschichte!", sagte Flo noch mit bitterer Stimme. Ich verschränkte die Arme vor mir auf dem Tisch und vergrub meinen Kopf darin. Keiner sagte etwas. Langsam hob ich meinen Kopf wieder hoch und lachte. Warum wusste ich selbst nicht. „Und was jetzt?", fragte Basti. „Wir geben ein unplugged Konzert. Nur Gitarre, einem Hauch von Schlagzeug und Gesang." Basti und Lena schienen nicht ganz abgeneigt von diesem Gedanken zu sein und gaben mir ihre volle Unterstützung. Lässig erhob ich mich von meinem Stuhl und spazierte in Richtung Bühne. Ich hoffte nur, dass sich Basti und Lena zusammenreißen konnten. Doch scheinbar schien bei den beiden wieder alles okay zu sein. „Außerdem..... Flo kommt wieder, das versichere ich euch!" Lena und ich suchten alle langsameren Lieder zusammen, dann setzte ich mich an die Gitarre und Basti ans Schlagzeug. Lena und ich begannen zu singen. Es klang einfach fabelhaft. Nach der Probe stießen wir mit Sekt an. Ich erwachte. Es war schon nach Mittag. Um drei wollte ich meinen Jukaschatz besuchen gehen. Ich verschwand schnell im Bad, um mich ein bisschen zu stylen. Kapitel 28: Die besten Freunde der Welt --------------------------------------- Die besten Freunde der Welt Mir machte der Streit mit Flo noch immer zu schaffen und ich fühlte mich nicht ganz so gut, wie ich gewollt hätte. Doch Juka schaffte es wie immer mich aufzubauen. Er kochte sich einen Tee gegen Halsschmerzen und zog das Tuch um seine Hals etwas enger. „Weißt du eigentlich, dass du mich echt überrascht hast?“ „Warum das denn?“, fragte ich etwas verwirrt. Juka holte sich eine Packung Taschentücher und musste husten. „Naja, ich hätte dir nie zugetraut, dass du dich auf das andere Geschlecht einlässt. Ich war vor Polly ziemlich lange Single und das mit ihr war auch nicht das Richtige.“ „An deinem Aussehen lag das wahrscheinlich nich oder?“ „Nein, aber ich bin wählerisch. Außerdem habe ich auch schon oft die Erfahrung gemacht, dass hübsche Menschen nicht immer gleich nett sind…kennst du sicher.“ „Wann hast du bemerkt, dass du dich in mich…verliebt hast?“ „Mh…ich glaub so richtig, als wir zum ersten Mal Sex hatten.“ Wieder musste Juka husten und langsam machte ich mir Sorgen. „Vielleicht solltest du morgen mal zum Arzt gehen.“ Er winkte mit der Hand ab. „Es wird schon gehen. Das ist meine Erkältung, die ich jedes Jahr um diese Zeit bekomme.“ Juka ließ sich dann ein Erkältungsbad ein und währenddessen besorgte ich eine schöne DVD. Er protestierte zwar, dass ich mich anstecken könnte, doch ich wollte unbedingt bei ihm sein. Mit feuchten Haaren, einer grauen Jogginghose und einem Tuch um seinen Hals saß er mit angezogenen Beinen auf dem Sofa und trank seinen Tee. Wir wollten uns a chinese tall story und forbidden kingdom ansehen, denn Juka als auch ich liebten asiatische Fantasyfilme. Damit sich Juka nicht ganz so krank fühlte, trank ich mit ihm Tee. Er schüttelte nur mit dem Kopf und lächelte mich an. „Du bist echt süß.“ In eine Decke gekuschelt legte er seinen Kopf in meinen Schoß und in der Hälfte von forbidden kingdom schlief er ein. Ich blieb die Nacht über bei meinem Juka.   Als ich meine Wohnung betrat, traf mich fast der Schlag. Im Flur stolperte ich fast über drei Schlafsäcke, wahrscheinlich mit Menschen darin. In der Küche standen leere Alkoholflaschen herum. Mein Wohnzimmer war glücklicherweise verschont geblieben. Wütend rief ich nach meiner Schwester, die total verpennt aus ihrem Zimmer trat und mich weit aufgerissenen Augen anstarrte. „Ich dachte, du kommst später!“, sagte sie mit etwas unsicherer Stimme. Ich sah sie mit bösem Blick an. „Mach, dass die Leute hier raus kommen und wenn ich in einer halben Stunde wieder hier runter komme, ist alles blitzsauber! Das kann ja wohl nicht wahr sein!“ Ich knallte die Wohnzimmertür hinter mir zu und musste auf diesen Schock erst mal eine Zigarette rauchen. Das hätte ich nie im Leben von meiner Schwester gedacht, dass sie so hinterhältig war und das machte mich wütend und traurig zugleich. In der Küche hatte ich auch eine Wasserpfeife entdeckt, also schienen sie sich ja nicht nur mit Alkohol zugedröhnt zu haben. Jetzt konnte ich das erste Mal wirklich nachvollziehen, wie sich meine Mum gefühlt haben muss, als sie erfuhr, dass ich Drogen nehme. Ich weiß nicht, wie lange ich so da gesessen habe, aber irgendwann öffnete sich die Tür und meine Schwester trat ein. Ich würdigte sie keines Blickes. „Es ist wieder alles ordentlich. Es tut mir leid Lukas, ich hätte dich vorher fragen sollen.“ Ich erhob mich und knallte ihr eine. „So missbrauchst du also mein Vertrauen? Das ist echt toll Johanna! Bei deinem Vater hättest du dir das sicher nicht getraut oder?“ Sie schüttelte mit dem Kopf und rieb sich ihre Wange. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“ „Nicht viel. Ich wollte auch mal eine tolle Party schmeißen.“ „Mit Alkohol und Drogen? Das ist wirklich unheimlich toll! Gestern erst habe ich dir gesagt, dass du die Finger davon lassen sollst!“ „Du hast ja auch mal Drogen genommen!“ „Ach, und das veranlasst dich dazu auch Drogen zu nehmen? Ja?“ Sie schüttelte mit dem Kopf. „Weißt du Johanna, ich könnte dich das alles auch einfach ausprobieren lassen, wenn du mir egal wärst. Aber ich weiß, wie es ist abhängig zu sein und das ist eine Erfahrung, die ich dir ersparen will. Ich frage mich wirklich, wann das endlich mal in deinem Köpfchen ankommt!“ Meine Schwester kam auf meinen Schoß gekrochen und fing an zu weinen. Ich strich ihr über den Kopf. „Es tut mir so furchtbar leid. Hast du mich trotzdem noch lieb?“ „Natürlich. Aber deshalb musst du mir trotzdem erst mal beweisen, dass ich dir wieder vertrauen kann. Und das geht nicht so einfach, wie du denkst.“ Jojo hatte sich wieder beruhigt und versprach mir, jetzt immer ein liebes Mädchen zu sein. Wie süß. Ich nahm sie in die Arme und gab ihr einen Kuss. „Ach übrigens, Nina und ich kommen heut zu eurem Konzert.“ „Das ist schön.“ Mir wurde ganz flau im Magen, wenn ich an heute Abend dachte. Eigentlich wünschte ich mir, Flo dabei zu haben und ich überlegte sogar, ob ich ihn nicht anrufen sollte? Doch mein Stolz siegte am Ende doch. Ich legte mich noch ein Stündchen aufs Ohr, da die Nacht sehr kurz gewesen ist. Halb drei begann ich mich zu duschen und anschließend zu stylen. Dann holte ich Juka ab. Jojo wollte um sechs im Proberaum sein. Lena, Basti und ich spielten nochmals alle Lieder durch. Dann tranken wir uns noch etwas Mut an und da wurde es auch schon ganz schnell um sieben. Meine Schwester und ihre Freundin saßen etwas abseits und tuschelten miteinander. Nun trafen auch Bastis Bruder und dessen Kumpel ein, unsere Türsteher. Ich war wirklich mal gespannt, wie die Fans auf unseren heutigen Auftritt reagierten. Ich war total nervös. Kurz nach acht nahmen wir dann unsere Plätze auf der Bühne ein. „So, wie ihr sicher bemerkt habt, sind wir heute nur zu dritt. Zwei Leute von uns sind verhindert und so schnell haben wir keinen Ersatz gefunden. Trotz alledem wollten wir das Konzert nicht absagen. Also, lasst euch überraschen.“ Die Massen jubelten und als ich mit dem ersten Lied begann, sah ich schon die ersten Feuerzeuge leuchten. Wir hatten doch drei schnellere Lieder mit ausgewählt, weil es sonst vielleicht zu langweilig geworden wäre. Nachdem wir etwa fast eine halbe Stunde gespielt hatten, machten wir eine kurze Pause, um etwas zu Trinken, weil es verdammt heiß war. Als ich wieder auf die Bühne trat, traute ich meinen Augen kaum. Flo hatte seinen Platz eingenommen und war damit beschäftigt, seine E- Gitarre anzuschließen. Mein Herz machte einen Sprung. Dann bewegte er sich in Richtung Mikrofon. „Ich habe es doch noch geschafft, meine Jungs zu unterstützen, auch, wenn nicht ganz pünktlich. Aber die Wahrheit ist eigentlich, dass wir nen heftigen Streit hatten und ich kurz gehofft hatte, das Konzert würde nich stattfinden. Aber ich hab meinen lieben Lukas wohl unterschätzt…naja und jetzt bin ich halt doch da. Also dann auf nen coolen Abend Leute!“ Ich war sehr gerührt von Flo seinen Worten. Langsam ging ich nach Vorne und umarmte ihn. Das Publikum tobte. „Da kann ich nur danke sagen und ich werde dich auch nie wieder Florian nennen.“ Flo grinste mich an und ich übernahm nun wieder das Mikro. „So, jetzt geht es erst richtig los!“ Nun spielten wir auch einige rockige Songs, die das Publikum voll mitrissen und das Konzert wurde wiedermal zum totalen Erfolg. Am Ende der Show holte Flo noch eine Flasche Sekt und spritzte mich von oben bis unten nass. Ich rächte mich an ihm und tat mit meinem Bier das Gleiche. Dann griff Lena nach Flos Sektflasche und spritzte Basti nass. Wir mussten alle anfangen zu lachen und gesellten uns nun zu unseren Fans. Ich fühlte mich eigentlich total ekelig, war aber auch zu faul, um nach Hause zu laufen und mir frische Klamotten anzuziehen. Ich zog nur mein T- Shirt aus und trocknete mit einem Handtuch meinen sektdurchtränkten Körper. Flo kam mit eisgekühltem Wodka zu mir. „Alles gut?“ Ich nickte. „Sorry, dass ich son Arsch war…mir is die Band doch genauso wichtig…aber du hättest mich auch mal fragen können, was los is…“ „Kann ich dich das jetzt immer noch fragen?“ „Klar.“ „Dann erzähl’s mir.“ Ich trank einen Schluck aus seiner Flasche und verzog das Gesicht. „Einerseits zu Hause und dann is da Malen…ich glaub ich kann nich länger mit ihr zusammen sein.“ „Warum denn das?“ „Wie soll ich sagen…da gibt’s noch jemanden…Kami. Irgendwie mag ich ihn voll.“ „Oha…Flo mein Schatz…tob dich nur aus.“ „Das muss erst Mal in meinem Kopf ankommen…glaub ich brauch noch Zeit dafür. Wie hast du das mit Juka gemerkt?“ Ich musste lachen. „Naja, sagen wir‘s Mal so…ich mochte ihn ja schon immer, doch je öfter wir uns getroffen haben, desto mehr machte er mich an…meine Gefühle spielten in seiner Gegenwart vollkommen verrückt. Und irgendwann haben wir uns dann halt geküsst.“ Flo seufzte. „Mh, vielleicht bekomm ich das auch irgendwann hin.“ Ich gab ihm einen motivierenden Kuss auf die Wange. „Ich glaub an dich Süßer.“ Unsere eigene kleine Party dauerte noch bis früh um sechs. Ich war zwar klatschkaputt, aber guter Dinge. Juka war leider schon etwas eher gegangen, weil er sich immer noch nicht ganz so gesund fühlte. Kapitel 29: Fabi, ein neues Familienmitglied -------------------------------------------- Mit meiner Band ging es wieder aufwärts. Das einzige Problem war jedoch immer noch der Keyboarder. Lena hatte sich von ihrem Bruder lernen lassen, wie man Bass spielt, echt ein großer Fortschritt und sie passte unwahrscheinlich gut in diese Rolle. Ich war gerade von der Arbeit nach Hause gekommen, als es auf einmal an der Tür klingelte. Ich hoffte insgeheim, es wäre Juka, doch als ich öffnete, schaute ich in die Augen eines Jungen. Er war etwa 1,70 groß, hatte schwarze Haare, trug schwarze Klamotten und ich schätzte ihn auf ungefähr sechzehn Jahre. „Hy. Ist Johanna da?" „Nein, aber sie müsste jeden Moment hier auftauchen. Du kannst so lange warten. Möchtest du etwas Trinken oder so?" Er schüttelte mit dem Kopf und ich führte ihn hinauf ins Wohnzimmer. Dann bot ich ihm eine Zigarette an, die er dankend annahm. „Du bist Fabian oder?" „Ja und du Lukas?" Ich runzelte die Stirn. „Woher kennst du meinen Namen?" Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Naja, ich war auch bei eurem Konzert am Wochenende und da hat mir Jojo erzählt, dass du ihr Bruder bist. Ihr seid übrigens 'ne echt tolle Band. Eigentlich stehe ich ja eher auf Batcave, aber eure Musik ist auch gut!" Batcave, das war nicht übel und mir war Fabian ganz sympathisch. Hoffentlich steckte er meine Schwester mit seinem Batcavefieber an. „Wie alt bist du?" „Ich, ähm sechzehn. Mach dieses Jahr diesen komischen zehnten Klasse Abschluss. Da habe ich gar keine Lust drauf. Sag mal, ihr hattet doch auch mal 'nen Keyboarder? Wo war der denn am Samstag?" Ich seufzte. „Den hab ich aus der Band geschmissen, obwohl wir ihn dringend gebraucht hätten. Naja, jetzt sind wir auf der Suche nach 'nem neuen Mann, aber das ist ganz schön schwierig." Ich lehnte mich zurück und zündete mir eine neue Zigarette an. „Wie gut seid ihr denn im Umgang mit euren Instrumenten?" Ich lächelte Fabian zu. „Also wir haben eigentlich alle voll Talent. Basti ist der beste und lauteste Schlagzeuger, den ich kenne. Als kleiner Junge brachte er sich das Spielen selbst bei, dann nahm er Schlagzeugunterricht, jedoch nicht sehr lange, weil ihm sein Lehrer nicht mehr sonderlich viel beibringen konnte. Er war einfach zu gut. Flo und Lena nehmen ihre Arbeit sehr ernst, könnten aber manchmal besser sein, zumindest bei den Proben. Ich spiele selten Gitarre, nur manchmal, damit ich es nicht verlerne. Mein eigentliches Element ist ja das Singen sowie das Schreiben von Texten und das ist einfach mein Leben. Ich nehme die Sache sehr ernst und bin auch oft sehr gewissenhaft." Die kindlichen Augen von Fabian blickten mich neugierig an. „Und warum ist der eine von euch Samstag erst so spät gekommen?" „Ach, wir hatten uns vorher ganz schön am Arsch. Aber letztendlich hat er mich doch nicht im Stich gelassen. Ich war echt gerührt." In diesem Moment platzte meine Schwester herein und strahlte wie ein kleiner Honigkuchen bis über beide Wangen. „Ihr zwei scheint euch ja super zu verstehen!" Ich grinste ebenfalls. Nach dem Wochenende fühlte sich mein Liebster wieder besser und ich fragte ihn, ob er Freitag mit ins Underground kommen wolle. Natürlich wollte er das und ich fühlte mich immer toller mit Juka an meiner Seite. Da ich gut gelaunt war, trank ich auch ganz schön viel und nach dem Bier, in Kombination mit der Zigarette ging es mir schlecht und ich hockte mich auf die gammlige Holzbank vor dem Club. In meinem Magen rumorte es und in meinem Kopf drehte sich alles. Auch, als mir kalt wurde, wollte ich nicht rein gehen, weil die stickige Discoluft alles noch viel schlimmer machte. Immer wieder schaute ich auf mein Handy, wie lange ich hier schon saß und nach etwa zwanzig Minuten bewegte ich mich noch immer leicht schwankend wieder ins Warme. „Na mein kleiner Trunkenbold“, neckte mich Juka. „Ich trink nie wieder Alkohol und schon gar keinen Wodka.“ Juka lachte mich aus und dafür boxte ich ihn gegen den Arm. „Willst du nach Hause?“, fragte er dann. Ich nickte nur und mein Freund half mir in den Mantel. Auf dem Weg in Jukas Wohnung ließ mein Rausch allmählich nach. „Du hast mal gesagt, dass ich mehr eigenes in meine Musik einbringen soll…findest du, dass ist mir gelungen?“ Er schaute etwas nachdenklich und lächelte. „Ja, aber ich denke du kannst noch mehr. Bei euch fehlt mir noch ein bisschen die Harmonie zwischen Musik und Gesang. Ihr solltet mehr zusammen spielen…du bist ein wundervoller Sänger, aber du ziehst zu sehr dein eigenes Ding durch.“ „Vielleicht sollte ich mir das doch aus dem Kopf schlagen.“ „Nein, solltest du nicht. Man ist nicht immer von Anfang an super. Bis zum Erfolg ist es ein langer Weg und in dir steckt großes Potenzial. Es wäre dumm, wenn du aufgibst.“ „Sprichst du jetzt als mein zukünftiger Produzent oder als mein Freund?“ Juka lächelte verschmitzt. „Beides. Ich möchte dir etwas zeigen.“ Er erhob sich und suchte wahrscheinlich eine CD in dem Regal und legte sie dann in die Anlage. Es war eine Mischung aus Rock und Gothic und der Text auf Japanisch. Von dieser Musik ging ein magischer Zauber aus und hier harmonierten Sänger und Band, besser als ich es je gehört hatte. Mich faszinierte diese wundervolle, klare Stimme. Juka kam wieder zu mir. „Wenn du soweit oben bist, kannst du von dir behaupten, dass du gut bist.“ „Wer ist das?“ Juka lächelte traurig. „Das war meine Band.“ Erstaunt sah ich ihn an. „Warum war?“ Er seufzte und zum ersten Mal seit unserer Beziehung sah ich meinen Liebsten unglücklich. „Meine Stimme versagte irgendwann und es hatten sich sogenannte Sängerknötchen gebildet. Ich musste mich einer Operation und einer anschließenden Stimmtherapie unterziehen. Seitdem habe ich nie mehr gesungen.“ „Aber hast du nie mehr daran gedacht wieder zu singen? Ich meine wer soviel Talent besitzt.“ „Ich habe einfach angst, dass sowas nochmal passieren könnte.“ Lange schauten wir uns schweigend an. „Und, wenn ich mir wünsche, dass du es probierst?“ „Vielleicht…gib mir noch ein bisschen Zeit. Aber jetzt Mal zu dir…du warst vorhin etwas verärgert?“ Ich zuckte nur mit den Schultern. Juka ging ins Badezimmer und ließ Wasser in die Wanne ein. „Meine Schwester wird jetzt langsam ein bisschen eigen und hat mich enttäuscht. Hat in meiner Wohnung ne Party gefeiert, da war ich echt sauer. Naja…und ich hab ihr eine geknallt.“ „Deiner Schwester? Harte Erziehungsmaßnahmen?“ „Sie wird jetzt eben ein aufmüpfiger Teenie und denkt, bei mir kann sie machen was sie will.“ Juka stieg in die Badewanne und ein Blick reichte um zu wissen was er dachte. Ich musste grinsen da ich mich ohnehin durchgefroren fühlte, ließ ich mich zu meinem Liebsten in das warme Wasser gleiten. Nach dem Sex in der Badewanne war das halbe Bad geflutet und wir wischten es zusammen auf. Dann kuschelten wir uns ins Bett und schauten noch ein bisschen Fernsehen. „Hast du eigentlich Lust Weihnachten mit nach Tokio zu kommen?“ Ich überlegte eine Weile, allerdings war der Gedanke verlockend. Einmal ganz weit weg von all dem Chaos hier und eine andere Welt und eine andere Kultur kennenlernen. „Wie feiert ihr Weihnachten?“ Juka lachte. „Eigentlich haben die Japaner dieses Fest übernommen und es wird ein bisschen wie Weihnachten in den USA gefeiert, mit viel Kitsch eben. Aber ein offizieller Feiertag ist nur der 23. Dezember, denn an diesem Tag hat unser Kaiser Akihito Geburtstag. An den anderen Tagen danach, die bei euch als Feiertage gelten, wird in Japan gearbeitet und dann folgt die Neujahrsfeier. Da ist wieder frei.“ „Wenn da noch alles glitzert und blinkt bekomme ich doch den Kulturschock meines Lebens.“ „Da gewöhnt man sich schnell dran und man mag Tokio oder eben nicht. Wenn du dort geboren wärst, würdest du die Stadt bestimmt mögen. Wenigstens einmal in deinem Leben musst du dort gewesen sein.“ „Na dann habe ich ja jetzt die Chance meines Lebens. Wie ist es eigentlich, wenn man so weit von seiner Familie getrennt lebt?“ „Naja, am Anfang war es nicht ganz leicht, aber man gewöhnt sich dran. Immerhin lebe ich jetzt schon seit fünf Jahren in Deutschland. Ich telefoniere jede Woche mit meiner Family und sie würden sich freuen dich kennenzulernen.“ „Aha…hast du noch Geschwister?“ „Eine jüngere Schwestern und zwei ältere Brüder. Ich bin sozusagen die goldene Mitte.“ „Okay, ich überlege es mir. Ich glaube mein Dad würde dich auch gern mal kennenlernen. Der Junge, der mein Liebesleben völlig auf den Kopf gestellt hat.“ Wieder setzte Juka dieses verschmitzte Lächeln auf, das ich so sehr mochte. Ich wuschelte ihm durch seine weißblonden Haare. Das mochte er nicht sonderlich gerne, aber ich hatte gerade Lust ihn zu ärgern. Als Rache kitzelte er mich durch und ich konnte mich nicht mal richtig wehren, weil er mit seiner ganzen Größe auf mir lag. Dann lächelte er mich triumphierend an. „Hat man dir nie beigebracht, dass du dich nicht mit größeren anlegen sollst.“ „Nein hat man nicht und Herausforderungen waren schon immer meine Spezialität.“ Weil es bereits sechs Uhr morgens war, beschlossen wir zu schlafen. Ich erwachte mit mörderischen Kopfschmerzen und zog mir die Decke über den Kopf um mich vor dem grellen Tageslicht zu schützen. Juka setzte sich auf das Bett und zog mir vorsichtig die Decke weg. „Ich glaube eine Kopfschmerztablette hilft.“ Ich trank das Glas in einem Zug leer. „Oh Mann, ich trink wirklich nie mehr Alkohol.“ „Ich erinnere dich bei der nächsten Party daran“, lachte Juka. „Wie spät ist es?“, fragte ich. „Um eins.“ Naja, das war noch okay. Heute war ohnehin Sonntag und ich ließ mich wieder in die Kissen sinken. In meinem Kopf hämmerte es immer noch und ich schloss die Augen. Ich beobachtete Juka in seiner Küchenecke. Leider hatte er sich schon angezogen und auch ich schlüpfte in meine Hose und legte meine Arme von hinten um ihn. Mit den Händen berührte ich eher ungewollt seinen nackten Bauch. Juka drehte sich zu mir um und küsste mich. „Würdest mich eigentlich auch noch toll finden, wenn ich eine Brille tragen müsste.“ Ich kicherte und nickte. „Vielen steht das ja. Warum brauchst du eine?“ „Hab ich schon.“ „Zeigen!“, forderte ich ihn auf. Daraufhin griff er in eine Schublade und holte das Brillenetui heraus. Wie in Zeitlupe schob er sich das Drahtgestell auf die Nase, doch da die Gläser keinen Rand hatten, wirkte die Brille sehr schlicht und eher unauffällig. Ich musste trotzdem grinsen und ich musste feststellen, dass Juka auch mit Brille unwahrscheinlich sexy war. Ich hielt meinen Daumen anerkennend hoch. „Wann musst du die denn tragen?“ „Nur zum Autofahren und eigentlich beim Lesen, aber dafür bin ich zu eitel.“ „Tja…wegen der Brille verlasse ich dich sicher nicht.“ Mein Entschluss, mit Juka in Japan Weihnachten zu feiern, gefiel meinem Dad zwar nicht so gut, aber er akzeptierte es. Wir wollten am 23. Dezember fliegen und würden etwa 18 Stunden unterwegs sein. Ich war noch nie so weit geflogen. Doch es kam am Wochenende vor Weihnachten alles anders. Juka wollte schon eher fliegen, weil man bei seinem Papa Krebs festgestellt hatte und dieser nun im Krankenhaus lag. Ich sollte dann mit Flo und Kami zwei Tage später, also wie geplant in den Flieger steigen. Im Flugzeug saß ich am Fenster und sah meine Stadt unter mir immer kleiner werden. Ich bestellte ein Wasser und las ein Buch oder hörte Musik. Dann schlief ich für eine Weile ein und blätterte in einer Zeitschrift, die vor mir in dem Netz steckte. Es war irgendeine dieser dummen Frauenmagazine, in denen es immer nur um Fashion, Fitness und Beauty ging. Genervt steckte ich sie wieder weg und fiel wieder in einen leichten Schlaf. Endlich kündigte die Stewardess die Landung in Tokio an. Mit meinem Rollkoffer folgte ich Flo und Kami zum Ausgang. Juka wollte mich abholen. Ich war überwältigt von diesen vielen Lichtern und den hohen Wolkenkratzern. Mein Blick schweifte über den Parkplatz und da erspähte ich Juka auch schon. Er sah ziemlich fertig aus und versuchte dennoch zu lächeln. Ich traute mich nicht nachzufragen, wie es seinem Papa ging. Ich wusste, dass er im Stadtteil Minato lebte. Der Verkehr war wahnsinnig, ich würde mich wahrscheinlich nicht zurecht finden. In der Wohnung begrüßten mich Jukas Mutter und seine Schwester Sayuri. Sie konnten ein bisschen Englisch. Jukas Brüder waren noch im Krankenhaus und dann fragte ich doch, wie es seinem Papa ging. „Naja, sie wollen ihn operieren…nach den Röntgenaufnahmen konnten sie nur einen Tumor feststellen.“ Ich kam mir irgendwie so fehl am Platz vor. Weihnachten feierten wir trotzdem und es gab japanische Spezialitäten. Doch ich hatte das Gefühl, dass sich Juka immer mehr verschloss und mir in Sachen Gefühle regelrecht aus dem Weg ging. Er redete nicht mit mir und schließlich trat ich einen Tag vor Silvester den Heimflug an. Ich war nicht mal wütend aber enttäuscht. Wochenlang hatte ich mich darauf gefreut und jetzt? Aber immer wieder rief ich mir ins Gedächtnis, dass er sich in einer sehr misslichen Lage befand. Ich hatte aber auch Angst ihn zu verlieren. Silvester verbrachte ich dann mit Basti und Danielle im Underground. Später sprengte auch meine liebste Freundin Jule die Party und trotz Bastis warnender Blicke ließ ich passieren, was passierte. Alkohol, Drogen und jede Menge Gedächtnislücken am nächsten Tag. Ich erfuhr von Kami, dass Juka wieder in Berlin war und es verletzte mich, dass er nichts hatte von sich hören lassen. Warum mussten solche Dinge immer passieren, wenn ich gerade auch an der Arbeit voll im Stress war? Meine Konzentration war bei null. Nach einigen Tagen des Zögerns klingelte ich bei ihm. Es brach mir das Herz ihn so traurig zu sehen und dann stellte er mich gleich vor vollendete Tatsachen. „Lukas, ich kann das im Moment nicht. Ich hab so mit mir und meiner Familie zu tun, dass ich keine Beziehung führen kann.“ Das traf mich wie ein Schlag und ich rang nach Worten. „Aber…ich könnte doch trotzdem für dich da sein! Ich kann das nicht so einfach beenden und erzähl mir nicht, dass es dir leicht fällt.“ „Vielleicht nicht…aber ich glaube es ist besser so…im Moment zumindest. In einer Stunde geht mein Flug nach Tokio. Ich wünsche dir alles Gute.“ Mein Magen verkrampfte sich und alles um mich herum drehte sich, als ob mir der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Juka schaute mich mit diesen tottraurigen Augen an und ich verließ ihn. Ich wollte das alles nicht wahrhaben. Auf dem Weg nach Hause kaufte ich mir Zigaretten. Manchmal hasst man eben das, was man liebt singt Graf von Krolock im Tanz der Vampire und ich konnte mir nicht vorstellen, jemals wieder eine Beziehung führen zu können. So fühlte es sich also an, wenn einem das Herz gebrochen wurde. Beim Abendessen fragte mich Jojo, wann Juka mal wieder zu uns kommen würde. Ich warf ihr einen finsteren Blick zu. „Nie mehr“, gab ich gereizt zur Antwort und das reichte ihr, um weitere Fragen zu unterdrücken. Erst, als ich alleine in meinem Wohnzimmer kauerte wurde mir bewusst, was es bedeutete Juka nicht mehr zu haben. Er hatte mir die glücklichsten Momente in meinem Leben geschenkt und jetzt sollte das alles einfach vorbei sein? Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen traten und rauchte eine Zigarette. Dann holte ich mir aus dem Kühlschrank ein kühles Bier. Lernen konnte ich heute sowieso nicht mehr. Ich versuchte Juka auf dem Handy zu erreichen, doch er ging nicht ran und, als ich es später nochmal versuchte, erklang die freundliche Stimme des Anrufbeantworters in meinem Ohr. Wütend feuerte ich mein Handy in die Ecke, sodass es in tausend Teile zersprang. Basti kam vorbei und fragte, ob ich Lust hatte mit Danielle und ihm ins Kino zu kommen, doch ich lehnte ab. „Du machst nicht gerade den Eindruck als ob es dir gut geht. Kann ich kurz mit hochkommen?“ Ich nickte. „Ist was mit Juka?“, fragte er besorgt. „Nichts mehr ist mit Juka, das ist das Schlimme und ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll.“ „Was? Ich dachte immer es läuft so toll zwischen euch.“ „War es ja auch, aber er hat ja grad ziemlich mit seinen eigenen Problemen zu tun und deshalb hat er mit mir Schluss gemacht. Aber ich kann das nich so einfach hinnehmen.“ „Na dann tue was dagegen…“ „Was denn? Etwa nach Tokio fliegen und ihm sagen, dass ich ihn liebe?“ Basti grinste mich verschmitzt an. „Zum Beispiel. Einen Tag hin und eine zurück.“ Jetzt kam ich ins Grübeln, aber ich musste feststellen, dass die Idee gar nicht mal so übel war. Damit konnte ich ihm immerhin beweisen, wie viel er mir bedeutete. Ich sprang auf und packte nur einen Rucksack mit den Wichtigsten Sachen zusammen und rief bei der Reisegesellschaft an. Es war möglich heute noch zu fliegen und zwei Tage später zurück. Mein Dad zeigte mir einen Vogel und hielt mich wahrscheinlich für total durch geknallt, aber das war mir egal. Basti fuhr mich zum Flughafen. Da ich die letzten zwei Tage kaum Schlaf gefunden hatte, konnte ich im Flugzeug umso besser schlafen und erst kurz vor der Landung erwachte ich. Ich hatte mir eine Stadtkarte besorgt und ich wusste auch noch, wie die Straße hieß, in der Juka wohnte. Ein letztes Mal versuchte ich ihn auf dem Handy zu erreichen, doch vergeblich. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch fuhr ich mit dem Taxi zu der Wohnung. Ich drückte dem Fahrer einfach einen Schein in die Hand und sagte auf Englisch, dass er den Rest behalten könnte. Auf einmal wurde mir ganz schlecht. Aus dem Fenster der Wohnung schien noch Licht und ich klingelte. Mit Händen und Füßen versuchte ich der Stimme aus der Sprechanlage zu erklären, dass ich Juka suche. Wenig später summte die Tür und ich trabte die Treppen empor. Jukas Schwester erkannte mich wieder und begrüßte mich freundlich. Mit gebrochenem Englisch sagte sie mir, dass Juka mit ihrer Mutter noch im Krankenhaus sei. „Wie geht es eurem Papa?“, fragte ich Sayuri. Sie lächelte traurig. „Nicht so gut. Sie wollten ihn ja operieren, aber der Tumor sitzt an einer Stelle, wo sie sich nicht ran trauen, deshalb muss er erst mal eine Bestrahlung bekommen, damit der Tumor eventuell kleiner wird. Möchtest du was trinken?“ Ich schüttelte den Kopf und dann kam Juka mit seiner Mum. Er staunte nicht schlecht, als er mich im Wohnzimmer sitzen sah und schaute mich lange an. Ich bekam wieder dieses mulmige Gefühl und wollte am liebsten aufspringen und wegrennen, doch dann setzte sich Juka neben mich und nahm mich in die Arme. „Du bist verrückt“, flüsterte er mir ins Ohr und lächelte sogar ein bisschen. „Vielleicht…ich weiß, es ist sicher gerade ungünstig, aber können wir irgendwo ungestört reden?“ Juka schickte seine Mum und Sayuri in die Küche und schenkte sich ein Glas Wasser ein. „Ich weiß nicht, wie ernst deine Entscheidung war, aber ich habe beschlossen, dass ich dich nicht so einfach gehen lasse. Du bedeutest mir zu viel und vergessen kann ich dich schon gar nicht. Du bist der wundervollste Mensch, dem ich jemals begegnet bin und ich will in einer solchen schwierigen Situation für dich da sein, auch wenn tausende von Kilometern zwischen uns liegen. Und wenn ich in deine Augen schaue, glaube ich dir nicht, dass ich dir nichts mehr bedeute. Ich fände es noch akzeptabel, wenn du sagen würdest, dass du im Moment ein bisschen Abstand brauchst….aber bitte gib unsere Beziehung nicht ganz auf, denn…denn das verkrafte ich…nicht.“ Meine Stimme wurde mit jedem Wort leiser. Lange schauten mich seine wundervollen blauen Augen an und sein schwaches Lächeln wurde breiter. „Bist du jetzt wirklich soweit hierher gereist, um mir das zu sagen?“ „Am Telefon konnte ich es dir ja nicht sagen, weil mich da nur dein Anrufbeantworter empfangen hat. Aber ja, ich bin nur deshalb zu dir gekommen…meinetwegen kannst du auch noch darüber nachdenken, übermorgen früh muss ich ohnehin zurück. Mir war es wichtig, dass du das weißt.“ Juka seufzte und lehnte seinen Kopf gegen die Wand. Dann sah er mich wieder an. „Mein Papa würde dich gern mal kennenlernen…ich habe ihm viel von dir erzählt. Als ich ihm beschrieben habe, wie du aussiehst, meinte er, dass du gut in das verrückte Tokio passen würdest. Begleitest du mich morgen früh ins Krankenhaus?“ „Sicher.“ Jukas Mum brachte uns noch ein paar Nudeln. Die kamen mir gerade recht, denn seit heute morgen hatte ich keine feste Nahrung mehr zu mir genommen. Doch jetzt war dieses blöde Gefühl im Magen verschwunden und ich wusste, dass ich das richtige getan hatte. Jukas Papa war in einem Einzelzimmer untergebracht, dass ein großes Fenster hatte und somit viel Licht hineinschien. Sein Gesicht war blass und unter seinen Augen zeichneten sich leichte Ringe ab, aber er lächelte, als wir das Zimmer betraten. Juka musste immer übersetzen, da sein Papa nur japanisch sprach. Er redete auch nicht viel und schlummerte ab uns zu ein. Juka nahm seine Hand und ich sah, wie er ihn mit glasigen Augen ansah. Ein Arzt stieß zu uns und teilte uns mit, dass der Tumor durch die Bestrahlung geschrumpft sei, doch eine Operation wäre trotzdem gefährlich. „Könnten Sie es nicht versuchen?“, fragte Juka. „Wir haben einen Spezialisten auf diesem Gebiet, aber Ihr Vater müsste uns auch zustimmen. Ohne sein Einverständnis führen wir diesen Eingriff nicht durch.“ „Dann fragen Sie ihn bitte.“ Der Arzt nickte. Juka fuhr mich noch zum Flughafen und zum Abschied lagen wir uns lange in den Armen. Dann gab er mir einen Kuss. „Danke, dass du da warst. Ich denke ich einer Woche werde ich wieder in zurück sein.“ „Versprichst du dich zu melden?“ Er nickte. Der Flug verlief ruhig und ich landete wieder sicher zu Haue. Es verging mehr als eine Woche und immer noch kein Lebenszeichen von Juka, doch diesmal meldete ich mich auch nicht. Erneut plagten mich Zweifel und langsam schien mein Verstand mit mir durchzudrehen. Ich hatte meinen Pegel von einer halben Schachtel Zigaretten am Tag wieder erreicht. Immer, wenn ich an Juka dachte, wollte ich schreien oder gegen etwas schlagen, um die Emotionen endlich raus zulassen Am Wochenende wollten Basti, Flo und die Mädels ins Underground. Es war sogar ausnahmsweise mal ganz amüsant. Danach ging ich noch mit zu Flo und Kami. Die anderen drei wollten nach Hause. Wir köpften noch eine Flasche Champagner und spielten sinnlose Spiele. Einer begann einen Satz und die anderen mussten ihn irgendwie vollenden. Die Wochen wollten nicht vergehen und das machte mich fast wahnsinnig. In der Schule musste ich zwei Arbeiten nachschreiben, die ich während meinem Kurztrip nach Tokio versäumt hatte und ich war mir fast zu Hundertprozent sicher, dass ich die in den Sand setzen würde, denn in meinem Kopf schwirrte nur Juka umher. Ich verfluchte ihn. Was hatte ich ihm nur getan, dass er mich so ignorierte? Ich erfuhr von Kami, dass Juka in Tokio die eine oder andere Affäre gehabt hatte und das machte mich noch wütender auf ihn. Liebte er mich wirklich noch? Wenn ich nachts aufwachte und nicht mehr einschlafen konnte, schrieb ich ewig lang das nieder, was mir gerade durch den Kopf ging. Das Ergebnis davon war entweder ein brauchbarer Songtext oder schnulziges Liebesgelaber. Seit Tagen hatte ich schon nicht mehr richtig gelacht, sodass meine Lachmuskeln allmählich einfroren und meine Laune immer mieser wurde, außer bei den Bandproben. Ich fand ohnehin, dass unsere Musik ausdrucksstarker denn je war und Kami konnte uns sogar einen Auftritt im Underground organisieren. All meine Gefühle hatte ich in Texte umgesetzt und begeisterte damit die Zuschauer und ich hasste mich dafür, dass ich gerade in dem Moment zur Eingangstür schaute, als Juka den Club betrat. Es machte mich rasend vor Wut, wenn ich daran dachte, dass er mich betrogen hatte, auch wenn ich nicht wusste, ob wir überhaupt noch zusammen waren. Nach dem Abschied am Flughafen hatte ich zumindest wieder gedacht, wir liebten uns, doch jetzt? Nach dem Konzert ging ich raus eine rauchen. Natürlich kam er später nach, doch ich ignorierte ihn. Mein Verstand schien Amok zu laufen, als mich seine blauen Augen fast durchbohrten. „Können wir reden?“ „Ich wüsste nicht über was“, antwortete ich kühl. „Über alles…und…wie es mit uns weitergehen soll.“ Ich lachte bitter. „Naja, du scheinst dich ja doch ganz gut amüsiert zu haben…mir gaukelst du vor, du könntest keine Beziehung führen und ich Blödmann kaufe dir das ab…und dann vögelst du dich in Tokio durch.“ Juka gefiel nicht, was ich sagte. „Lukas, bitte…ich weiß ich habe Mist gebaut, aber ich habe auch viel darüber nachgedacht und ich liebe dich…nur dich.“ „Ach ja? Das kannst du so leichtfertig sagen…hast du auch daran gedacht, als du mit nem anderen Typen rumgemacht hast?“, schrie ich ihn fast an. „Erst danach ist mir das wirklich klar geworden…weißt du ich habe den Glaube, dass mein Papa gerettet werden würde, fast verloren und dann kam die Nachricht so plötzlich, dass die Operation gut verlief…da hab ich irgendwie die Kontrolle verloren, weil ich mich so gefreut habe….und ich bin eben noch mit meinem Bruder was Trinken gegangen…da ist es eben passiert, aber es hatte nichts zu bedeuten…“ Ich schwieg und zog an meiner Zigarette. „Ich Idiot bin noch nach Tokio geflogen, weil ich dich sehen wollte und dann das…das ist wie…ich weiß nicht…nichts könnte ich damit vergleichen. Ich dachte ich könnte dir vertrauen.“ „Liebst du mich noch?“, fragte Juka nach einer Weile. „Ja natürlich oder glaubst DU verdammt noch mal, das ist von heute auf morgen einfach weg?“, fuhr ich ihn an. Ich hasste ihn, weil er das bauchfreie Oberteil unter dem Jackett trug und, weil er heute so verdammt toll aussah. Ich wollte ihm ja verzeihen, aber erst wollte ich eine Gegenleistung. Ich seufzte tief. „Falls ich dir genauso viel bedeute wie du mir, musst du mir das irgendwie beweisen…aber nicht durch dumme Geschenke, nein, ich will nichts Materielles, sondern etwas, das von dir kommt.“ Ich hatte da schon so meine Vorstellungen, doch ich glaubte nicht mal im Traum daran, dass Juka diese Opfer für mich bringen würde. „Gut…ich beweise es dir…erlaubst du uns zwischendurch miteinander zu reden oder willst du mir aus dem Weg gehen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Dir aus dem Weg zu gehen….“ Er schien zu begreifen, dass ich das ernst meinte und willigte mürrisch ein. Ich gab mir an diesem Abend wieder mal die Kante. Das Getuschel von Juka und Kami nervte mich, deshalb verzog ich mich an die Bar. Basti setzte sich neben mich und bestellte noch zwei Bier für uns. „Hast du mal schnell irgendwas, wo ich drauf schlagen kann?“ „Vor dir ist ne Bar mit vielen Flaschen. Könnte zwar der eine oder andere Glassplitter in deiner Hand stecken bleiben, aber hilft vielleicht.“ Mit hochgezogenen Augenbraunen warf ich meinem Freund einen verwirrten Blick zu. „Wie bist du denn drauf? Da könnte man ja fast vermuten, du hast Beziehungsstress.“ Er zuckte nur mit den Schultern und erst jetzt merkte ich, dass mit ihm wirklich was nicht zu stimmen schien. Ich hatte in meinem Selbstmitleid gar nicht bemerkt, dass es meinen Freunden um mich auch schlecht gehen konnte. „Magst du drüber reden?“, fragte ich. „Ist nicht so wild, wie du denkst…sie hatte ne Affäre mit nem Mädel, aber das zählt bei mir auch als betrügen. Wir haben uns auch schon ausgesprochen und wieder versöhnt, aber sauer bin ich trotzdem noch.“ „Mh, da geht’s den Menschen wie den Leuten…bei mir isses ja dasselbe in grün. Allerdings war ich nicht so gnädig. Ich lass den Guten jetzt erstmal zappeln.“ Basti lachte und knuffte mich in die Seite. „Du kannst so schön fies sein.“ Ich zuckte nur mit den Schultern und ging mit Basti eine rauchen. Juka ließ ich für den Rest des Abends links liegen. Doch als er mich beim Verabschieden umarmte, wurde ich fast schwach. Er küsste mich auf die Wange und verschwand in der Dunkelheit. Kurze Zeit später kratzte ich auch die Kurve, da ohnehin niemand mehr da war, den ich interessant fand. Es fing an zu schneien und ich machte einen kleinen Umweg. Unerwartet verlief mein Weg über die Brücke, auf der ich mit Juka oft gestanden und geredet hatte. Damals waren wir noch Freunde gewesen. Ich vermisste ihn so sehr und diese dumme Ungewissheit trieb mir die Tränen in die Augen. Was war, wenn er sich doch anders entschied und mich gar nicht zurückhaben wollte? Jemand, der einmal das Vertrauen brach, konnte das auch immer wieder tun und Juka hatte leichtes Spiel, denn mit seinem Aussehen fiel es ihm nicht schwer einen anderen zu finden. Ich trat vor Wut gegen den Pfeiler an der Brücke, bis er umknickte und von Schnee bedeckt wurde. Zu Hause empfing mich eine dunkle Wohnung. Jetzt war genau das eingetreten, wovor ich mich gefürchtet hatte. Warum musste Liebe nur immer so schmerzhaft sein? Ich schaute noch ein bisschen Fernsehen und schlummerte dann davor ein. Mittwochabend wollten mich Basti und Flo mit ins Underground schleifen, obwohl mir gar nicht danach war. Doch sie meinten, dass es heute ganz besonders toll wäre. Lieber wäre ich zu Hause geblieben, um Schlaf nachzuholen. An der Kasse verlangten sie auch noch fünf Euro mehr als sonst. Auf der kleinen Bühne wurden Instrumente aufgebaut und ich warf meinen Freunden einen fragenden Blick zu. „Was spielt eigentlich für eine Band?“ Beide zuckten nichtsahnend mit den Schultern, doch ich wusste, dass sie etwas wussten, das ich nicht wusste. Plötzlich verschwand Basti unter dem Vorwand auf die Toilette zu müssen. Flo hatte uns unseren Logenplatz auf den Sofas auf der kleinen Empore in der Ecke ergattern können. Von dort hatte man einen perfekten Blick zur Bühne. Dann sah ich etwas komisches, Kami am Bass und Basti am Schlagzeug. Doch wer sollte Gitarre spielen und singen? Und, als Juka die Bühne betrat und das Konzert begann, wurde das Grinsen auf meinem Gesicht immer breiter. „Das glaube ich jetzt nicht“, sagte ich mehr zu mir als zu Flo. Ich konnte zwar singen und Gitarre spielen, aber beides auf einmal fand ich ziemlich schwierig, da war mir Juka wohl oder übel einen Schritt voraus. Fasziniert schaute ich zur Bühne und wusste gleichzeitig, wie viel Überwindung ihn das kosten musste, denn in unserem Gespräch hatte Juka ja betont, nie mehr auf die Bühne zu gehen. Aber scheinbar hatte er seinen Spaß. „Hat er sich etwa erlaubt in unserem Proberaum zu üben?“, fragte ich Flo. „Jepp, hat er, aber das Ergebnis kann sich doch sehen lassen oder? Wusste gar nich, dass es Juka so drauf hat. Vielleicht sollten wir den Sänger austauschen?“ Ich gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und Flo grinste noch breiter. Als letztes Lied spielten sie ein Gitarren- Schlagzeug- Solo, was mich noch mehr beeindruckte. „Langsam werde ich echt neidisch“, sagte ich spaßhaft zu Flo. Okay, das war schon mal ein Anfang. Ich wusste, dass er das Konzert mir gewidmet hatte, was er anfangs auch ankündigte. Dieses Konzert gebe ich nur für einen ganz besonderen Menschen. Diese Worte hallten in meinem Kopf wieder. Er liebte mich also doch. Auf der Toilette schaute ich noch mal nach, ob mein Iro saß und die Schminke nicht verschmiert war. Die drei von der Bühne hatten sich bereits zu Flo gesellt und gemein, wie ich war, beschloss ich Juka noch einen kleinen Moment zappeln zu lassen. Natürlich sah er atemberaubend aus, wie immer. Mit verschränkten Beinen und diesem verführerischem Blick sah er mich vom Sofa aus an, doch provokant nahm ich auf dem Sessel platz und nicht neben ihm. Seinem Blick entnahm ich, wie ihn das grämte. Flo reichte mir ein Bier. Ich genoss es Juka zu beobachten, wie er angestrengt nachdachte, was er als nächstes tun könnte. Dann schnappte er sich meinen Bierdeckel und malte mit Kajalstift einen Pfeil darauf, der die Richtung nach draußen wies. Ich schnorrte mir von Basti noch eine Zigarette und ging voran. Ich kramte in meiner Hosentasche nach dem Feuer, doch das hatte ich wohl mal wieder vergessen, deshalb borgte ich mir von einem Mädel, das gerade in der Nähe stand das Feuerzeug. Juka ließ mich nicht aus den Augen. „Wolltest du mit mir über irgendetwas reden?“, fragte ich amüsiert. „Wie gefällt dir deine Konkurrenz?“ In seiner Stimme schwang schon dieser leicht gereizte Unterton mit und deshalb beschloss ich ihn nicht länger auf die Folter zu spannen. „Fast beneidenswert…das hätte ich nie von dir erwartet, aber es war das wunderschönste Geschenk, das du mir jemals gemacht hast.“ Jetzt lächelte meine blonde Schönheit. „Erst hatte ich angst zu singen, doch dann war da wieder dieses unglaubliche Gefühl und ich wusste, dass du es dir wünscht…es war nicht leicht, aber ich hatte das Gefühl, dass ich dich nur so zurückbekomme.“ „Und jetzt? Das war schon mal ein Schritt in die richtige Richtung…und ich will dir auch nicht länger aus dem Weg gehen…das macht mich noch wahnsinnig, aber ich möchte dir wieder vertrauen können.“ Juka senkte seinen Blick zu Boden. „Ja, ich weiß und ich verspreche dir, dass sowas nie mehr vorkommen wird. Ich habe gemerkt, wie grausam es ohne dich ist und du bedeutest mir sehr sehr viel Lukas. Kannst du mir verzeihen…?“, doch ich hielt Juka den Finger auf den Mund und unsere Lippen berührten sich sanft, dann gieriger. Da war es wieder, dieses Gefühl voller Liebe und Leidenschaft. „Ich hoffe es Juka….“ An diesem hatte ich nicht nur meinen Juka zurückbekommen, sondern mir kam auch ein Gedanke oder bessergesagt ich hatte eine Art Eingebung, die etwas mit meiner Musik zu tun hatte. Ich wollte, dass wir in unserer Spielweise noch präziser wurden und uns darauf konzentrierten, was wir wollten. Das hieß mehr mit den Instrumenten spielen. Die Jungs hatten nichts dagegen und sogen meine Idee sogar mit Begeisterung auf. Wir probten jetzt fast täglich und ich hatte das Gefühl, dass wir immer besser wurden. Meine Schwester hingegen verfiel immer mehr ihrem neune tollen Musikstil. Ich ließ sie damit auch zufrieden, weil ich ja auch wollte, dass sie ihren Geschmack fand und damit zufrieden sein würde Nach der Sache neulich im Underground und dem Gespräch hatten sich Lukas Nici nicht wiedergesehen. Nadine wollte am Wochenende zu Besuch kommen und Nici freute sich schon voll darauf. Sie holte ihre Freundin um drei vom Bahnhof ab. Das Theater mit Lukas hatte sie ihr schon beim Telefonieren erzählt. Aber, wenn sie ehrlich zu sich war, wollte sie momentan gar nichts mehr mit ihm zu tun haben. Die Zeit mit ihm war schön, aber das war auch alles. Nici hatte sich jetzt ihren eigenen Freundeskreis aufgebaut, der fast nur aus Batcavern bestand und die konnte Lukas ja nicht leiden. Aber ist es nicht so, dass es nicht auf die Kleidung oder die Musik ankommt, sondern auf den Menschen selbst? Nici legte keinen Wert darauf, was er von ihr dachte, sonder genoss einfach ihr momentanes Leben. Sie hatte zwar weniger Glück in der Liebe, aber das war gerade nebensächlich. Nadine kam schon von weitem auf sie zugerannt. „Hallo meine Süße! Schön dich zu sehen.“ Sie wollte auch unbedingt mal mit Nici zu einer Gothicparty gehen. „Wir müssen jetzt erst mal was kochen, ich verhungere sonst.“ „Okay. Ich bin schon voll aufgeregt, wegen heut Abend.“ Nici lachte. „Ach quatsch. Die Leute werden dich schon akzeptieren.“ Sie machten Kartoffelauflauf und hörten dabei The Sisters of Mercy. Dann beratschlagten sie sich über ihre Outfits. Da Nadine und Nici die gleiche Größe hatten, war das gar kein Problem. Nici beschloss meinen Lackrock und die Lackkorsage anzuziehen. Ihre Haare hatte sich mir vor ein paar Tagen schwarz gefärbt und nur vorn zwei rote Strähnen gelassen. Unter die Korsage zog sie ein rotes Top und meine Plateaustiefel mit den Schnallen. Nadine hatte sich schon selbst ihr Outfit zusammengestellt. Sie wollte Nicis rote Korsage mit dem rotem Rock und einem schwarzen Top anziehen. „Hey, das ist ja süß. Da passen wir ja voll zusammen.“ „Aber schminken musst du mich. Ich kann das nicht so gut.“ „Klar doch.“ Es war fast um sechs, als die Mädchen letztendlich komplett gestylt waren. Nadine sah echt hübsch aus und sie gefiel sich selbst auch. „So, wir gehen vorher noch zu einem Kumpel. Der Club öffnet sowieso nicht vor um zehn.“ „Aber du musst heut immer bei mir bleiben.“ Nici lächelte sie an. „Na klar.“ Alex war eher so der Emogoth, aber trotzdem ein sehr guter Freund. Ina war natürlich auch da und Nici machte alle mit Nadine bekannt, die gleich lieb aufgenommen wurde. Sie hatte es auch nicht anders erwartet. Alex sein bester Kumpel Matze ließ auch nicht lange auf sich warten. „Hey Nici, du übertriffst heut mal wieder alle mit deiner Schönheit. Sag mal, wie lang brauch ein Mädchen wie du eigentlich, bis sie sich gestylt hat?“ „Naja, wenn ich mir Zeit lasse, kann das schon mal zwei Stunden dauern.“ „Was? Ihr Frauen habt doch echt ne Macke.“ Matze war oft sehr direkt und nahm auch kaum ein Blatt vor den Mund, aber alle mochten ihn. Nadine war erstaunt, als Nici sich eine Zigarette anzündete. „Du rauchst? Das habe ich ja noch nie gesehen.“ „Ja, aber nur manchmal.“ Sie tranken noch Glühwein und machten sich dann auf den Weg zum Underground. Nici war total happy, dass Nadine dabei war und sie tanzten sehr oft. Sie setzten sich später zu ein paar Freunden an den Tisch. Um zwölf kündigte der DJ noch eine Band an. Das freute vor allem Alex, weil er totaler Musikfreak war. Ich hatte aber gar nicht auf den Namen der Band geachtet. „Nici, kennst du die?“ „Keine Ahnung. Ist bestimmt eine von den unbekannten Bands, von denen noch nie jemand was gehört hat.“ Und dann sah Nici Juka auf die Bühne treten. Sie wollte schon durchatmen, da sie dachte, dass Lukas heute keinen Auftritt haben würde, doch da hatte sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn er spielte Gitarre. Was sie wieder für ein Glück hatte. Nadine und Ina schauten zu ihr an, doch sie zuckte nur mit den Schultern. Juka sang japanisch, was sich sehr schön anhörte und trotzdem wäre ihr Lukas tiefe Stimme lieber gewesen. „Jetzt hörst du sie wenigstens auch mal“, sagte sie zu Nadine. „Also kennst du sie doch?“, fragte Alex neugierig. „Ja ich kenne sie und wahrscheinlich werden sie dir auch gefallen.“ Nici klang etwas gereizt, denn irgendwie passte es ihr gar nicht in den Kram, Lukas auf der Bühne zu sehen. Ab dem dritten Lied übernahm er den Gesang. Sie bestellte sich noch einen Rotwein und ertappte sich immer wieder dabei, wie ihr Blick zur Bühne schweifte. Irgendwie schien er viel glücklicher als sonst zu sein, denn die Freude sprühte nur so aus seinen Augen. Als seine weiche, kräftige Stimme den Raum erschallen lies, bekam Nici eine Gänsehaut. Gerade in diesen Momenten empfand sie seine Lieder als sehr emotional. „Ist alles okay mit dir?“, fragten sie Nadine und Ina, weil sie ihre Abwesenheit bemerkt hatten. Sie nickte nur und lächelte. Alex kam jetzt zu ihr. „Du sag mal, meinst du, ob ich den Sänger mal fragen könnte, ob er mit mir eine DJ Tour durch Deutschland machen würde?“ „Keine Ahnung, da musst du ihn fragen, wenn er dich überhaupt an sich heranlässt.“, zischte Nici ihn an. Daraufhin warf ihr Alex einen fragenden Blick zu. „Kennst du ihn etwa?“ „Ja, von früher, als er noch normal war. Jetzt lebt Lukas in seiner eigenen Welt, glaub ich.“ Nici war auf einmal zum Heulen zu Mute, weil sie an die Zeit denken musste, in der sie mit ihm zusammen gewesen war und alles so schön war. Früher, als Lukas sie auch einfach so mal besucht hat. Mehr als einmal hat er alles daran gesetzt, um sie wieder zurückzugewinnen. Sie waren immer viel mehr als nur ein Liebespaar, denn auch ihre Freundschaft und das Vertrauen zueinander waren für sie von großer Bedeutung gewesen. Doch was war davon noch übrige geblieben? Nichts. Die beiden wirkten so perfekt und Nici hasste Juka und auch Lukas, weil er ihn liebte. „Ich muss mal kurz auf die Toilette“, sagte sie und ging alleine. Vor den Toiletten befand sich eine kleine Sitzecke, die zu meiner Überraschung nicht belegt war. Sie ließ sich nieder und konnte ihre Tränen nicht länger unterdrücken. Sie spürte das erste Mal, nach langer Zeit, dass ihre Gefühle für Lukas doch noch nicht erloschen waren. Sie schienen sogar stärker denn je zu sein. Als sie sich etwas beruhigt hatte, ging sie noch in Waschraum der Toiletten, um ihr Make-up wieder aufzufrischen. Dieser Abend entwickelte sich gerade zu einer Katastrophe und irgendwie wurde Nici das Gefühl nicht los, dass noch mehr passieren würde. Nach eineinhalb Stunden endete das Konzert von Nocturna und Lukas war irgendwie verschwunden. Wahrscheinlich war er nach Hause gegangen. Die Mädels tanzten noch eine Weile und bestellten noch eine letzte Flasche Rotwein. Nici wurde auf einmal schwindelig und sie musste an die frische Luft. Sie setzte sich auf die kalten Stufen. Nadine war ihr gefolgt und legte ihren Arm um ihre Schulter. „Hey. Alles okay bei dir?“ „Warum musste er mir nur diesen Abend versauen?“ „Ihr wohnt nun mal in derselben Stadt und mögt denselben Club, da läuft man sich nun mal über den Weg. Es tut mir leid, ich dachte du wärst über ihn hinweg.“ „Mh, dachte ich auch. Ist er drin?“ Meine Freundin nickte. „Meinst, es würde besser werden, wenn er dir hallo sagen würde?“ Nici zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, es würde mich nur depressiv machen mit ihm zu reden.“ Sie wollte gerade aufstehen und die Tür zur Disco öffnen, da stieß sie mit jemandem zusammen. Und wer war es? Kein anderer als Lukas. Er trug sein transparentes Oberteil und theoretisch hätte er auch oben ohne vor ihr stehen können, das hätte dieselbe Wirkung gehabt. Er begrüßte Nici allerdings nur kurz und rauschte dann an ihr vorbei. Sie sollte sich wirklich langsam bewusst machen, dass es aus war. Nie mehr würden Lukas und sie ein Paar sein. Kapitel 30: Jukas schlimmster Alptraum -------------------------------------- Eines Abends nach der Arbeit besuchte mich Flo in meinen vier Wänden und wirkte ganz schön aufgelöst und mitgenommen. Wieder mal berichtete er mir von einem heftigen Streit mit Malen und, dass sie ihn nicht verstand. „Immer bin ich nur der Arsch und sie hat nie Schuld an etwas…deshalb hab ich heute den Schlussstrich gezogen. Ich kann das einfach nicht mehr.“ „Echt? Aber vielleicht ist besser so. Warum ziehst du denn nicht von zu Hause aus?“ Betrübt sah er mich an. „Wie denn, ohne Kohle…ich weiß nicht, was ich machen soll, aber ich bleib nicht länger mit dieser Idiotenfamilie unter einem Dach.“ „Wenn du willst, kannst du auch erst mal hier wohnen…wenn du Juka ab und zu erträgst.“ „Wirklich? Das wäre meine Rettung und ich könnte mich endlich mal in aller Ruhe um einen vernünftigen Job kümmern…geht das echt?“ „Ja, wenn ich es doch sage“, erwiderte ich mit einem Lachen in der Stimme. „Du bist echt ein Schatz…Lukas…wie ist es eigentlich mit Juka und dir so…ich meine, ist es schöner, als mit Nici?“ „Ja, auf jeden Fall. Ich meine, man kann immer und überall Sex haben und es ist eben anders.“ Flo starrte Löcher in die Luft und blies kleine Rauchkreise aus. „Vielleicht sollte ich mich auch mal umorientieren.“ Jetzt wurde ich hellhörig. „Aha…denkst du, du bist soweit?“ Jetzt grinste er mich an. „Hab mich doch neulich im Underground so toll mit Kami unterhalten…er ist echt lieb, aber ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll.“ „Na hast du ein Glück, dass Juka und Kami morgen zu mir kommen wollen. Nutze deine Chance.“ Doch aus diesem Besuch wurde nichts. Nachts um drei klingelte mein Handy und riss mich aus dem Schlaf. Normalerweise hatte ich es meist ausgeschaltet und den Ton abgestellt, doch das Vibrieren auf meinem Nachttischschrank war so laut, dass ich hochschreckte. Es war Juka und er klang sehr verzweifelt. Sofort stellte ich mir sein Gesicht vor und irgendwie ahnte ich, was los war, denn so hatte ich ihn bis jetzt nur einmal erlebt. Er wollte mir am Telefon nichts Genaues sagen und bat mich schnell zu ihm zu kommen. Ich sprang in meine Hose, zog meinen Kapuzenpulli über, der gerade über den Stuhl hing und rannte fast zu seiner Wohnung. Mit dem Ersatzschlüssel, den mir Juka geliehen hatte, schloss ich auf und eilte die Stufen zu seiner Wohnung empor. Mit angezogenen Beinen kauerte er auf seinem Bett und vergrub den Kopf in einem der kleinen Kissen. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch und neben Juka auf dem Boden kullerte eine leere Flasche Wodka herum. Reglos stand ich im Raum und ließ dieses Bild auf mich wirken. Wie in Zeitlupe ließ Juka das Kissen vor seinem Gesicht sinken und schaute mich aus, geröteten, verquollenen Augen an. Ich nahm ihn in meine Arme und er ließ seinen Kopf in meinen Schoß fallen. Ich traute mich kaum zu fragen, was passiert war und strich ihm übers Haar. „Hast du noch Zigaretten?“, fragte er mich nach einer Weile und setzte sich auf. Ich reichte ihm eine und musste selbst auch eine rauchen. „Was ist los?“, fragte ich endlich mit zittriger Stimme. Juka biss sich auf die Unterlippe und wollte so wohl die Tränen unterdrücken. „Hab vorhin mit meiner Mama telefoniert…und, sie hat gesagt, dass es meinem…Papa schlecht…geht…alles war…umsonst.“ Sowas hatte ich befürchtet und es tat weh Juka so traurig zu sehen und zu wissen, dass man nichts tun konnte. „Willst du nach Tokio fliegen?“ Er nickte abwesend und nahm einen tiefen Zug. Dann sah er mich zum ersten Mal richtig an, seitdem ich bei ihm war. „Kannst du mitkommen…bitte. Allein schaff ich das nicht.“ „Natürlich.“ Ich wartete auf ein Lächeln, wenigstens ein schwaches, eine kleine Geste der Freude, doch es kam nicht. „Vielleicht solltest du noch ein bisschen schlafen.“ Juka nickte und legte sich hin. Ich legte mich zu ihm und schloss ihn in meine Arme. Kami wollte uns auch begleiten. Mein Dad beschwerte sich zwar, weil ich ihn schon wieder um Geld anbettelte, doch als ich ihm den Grund erklärte, gab er es mir. Ich umarmte ihn zum Abschied und zum ersten Mal wurde mir klar, dass er auch an Jukas Papa seiner Stelle hätte sein können. Schnell verdrängte ich diesen Gedanken. Jetzt ging es mal nicht um mich, sondern um Juka. Er brauchte mich jetzt mehr denn jeh und insgeheim war ich froh, dass er mich gefragt hatte, ob ich ihn begleite. Im Flugzeug hielt ich die ganze Zeit seine Hand. Er legte seine Sonnenbrille kein einziges Mal ab. Sein großer Bruder Taiki holte uns vom Flughafen ab. Auch er sah nicht besonders glücklich aus. Der Rest von Jukas Familie empfing uns in dem kleinen Wohnzimmer und seine Mum drückte mich fest an sich. Juka rannte gleich zu seinem Papa, der im Sessel saß. Er lächelte uns an. Neben ihm auf dem Tisch lag der Befund. Juka sah ihn sich an und redete schnell auf japanisch zu seinem Dad. Ein Wortgefecht zwischen den beiden entbrannte. Schließlich knallte Juka das Blatt zurück auf den Tisch und sauste an mir vorbei. Seine Mutter und Sayuri folgten ihm. „Was haben sie gesagt?“, fragte ich Kami. „Juka will, dass er ins Krankenhaus geht, aber Hiroki, also sein Papa, hat die Hoffnung aufgegeben und sagt, dass er zu alt dafür ist. Wir sollten mal nach ihm schauen.“ Juka saß in der Küche und rauchte. Ich legte meine Arme um ihn und er lehnte seine feuchte Wange gegen meinen Arm. Dann redete er wieder auf japanisch mit seiner Mutter. Die brach auch in Tränen aus. Sie stellte uns Tee hin. Sayuri rannte aus der Küche. Wieder sprach Juka zu ihr, verschwand kurz und kehrte mit einer Flasche zurück, in der sich eine durchsichtige Flüssigkeit befand. Irgendwas Hochprozentiges. Ich konnte ihm das nicht verübeln. Er rauchte noch eine und schien sich die Kante geben zu wollen. Sein Kopf sank auf die Tischplatte und ich hörte ihn schluchzen. Ich fühlte mich so nutzlos und warf Kami einen hilflosen Blick zu, doch auch er zuckte nur mit den Schultern. Juka erhob sich vom Stuhl, gab mir einen Kuss und dann folgte erneut ein lautes Wortgefecht zwischen ihm und seinem Papa, das ewig zu gehen schien. Leider verstand ich nichts. Kami schien meine Gedanken zu lesen. „Er will ihn immer noch davon überzeugen ins Krankenhaus zu gehen. Hiroki wirft Juka allerdings vor, dass er das nur macht, wenn er mit dem rauchen und dem trinken aufhört. Sei froh, dass du nichts verstehst…die beiden knallen sich grad ziemlich heftige Dinge an den Kopf…Lukas…“ „Mh.“ „Ich hab Juka vorher auch noch nie so ausrasten sehen, es ist für mich genauso schlimm wie für dich…“ „Gut zu wissen. Wie viel verträgt Juka eigentlich? Denn ich glaub gestern hat er schon mal sone Flasche nieder gemacht“, sagte ich besorgt. „Weiß nicht…ne ganze Menge. Im schlimmsten Fall müssen wir ihm die Haare beim Kotzen zurückhalten.“ Ich lächelte schwach und Kami erwiderte es. Geteiltes Leid ist trotzdem nicht immer halbes Leid. Nach etwa einer viertel Stunde stieß Juka wieder zu uns und redete mit seiner Mum. Sie nahm ihn in ihre Arme und drückte ihn fest an sich. Dann warf er mir einen Blick zu und signalisierte mir, dass ich ihm folgen sollte. Wir stiegen die Treppen hinauf zu seinem Zimmerchen, das nur aus Bett und Kleiderschrank bestand. Die Wände waren voll mit Postern von japanischen Bands. Juka ließ sich auf dem Bett nieder und kippte seitlich um. Die Flasche ließ er dabei nicht los. Kami setzte sich auf den Fußboden und schaute ihm in die Augen. „Du kannst ihn nicht zwingen.“ „Soll ich ihn sterben lassen? Er glaubt einfach nicht mehr an sich und ist zu stur sich einer weiteren Operation zu unterziehen…ich kann das nicht noch mal durchmachen…übrigens tut es gut euch beide hier zu haben.“ Beim Abendessen verhielten sich alle ruhig, kaum jemand wagte zu reden und ich würde am liebsten aufspringen und den Tisch verlassen. Danach drehten Juka, Kami und ich noch eine Runde an der frischen Luft. Juka rauchte ununterbrochen und übertraf mich nahezu. Später saß er den ganzen Abend bei seinem Papa und redete leise mit ihm. Ich fühlte mich, als sei ich seit Tagen wach. Wie mochte sich wohl Juka fühlen. Im Flur traf ich auf Sayuri und sie zog mich mit in die Küche. „Warum muss das ausgerechnet unserem Papa passieren? Tut mir leid, dass du das hier alles miterleben musst.“ „Keine Ursache…macht euch mal um mich keine Sorgen. Kannst du nicht nochmal mit deinem Papa reden? Vielleicht hört er auf dich mehr.“ Doch sie schüttelte mit dem Kopf. „Wenn einer es schafft ihn zu überreden, dann Juka. Ihm hat Papa schon immer am meisten vertraut und Juka ist auch der einzige, der solche schlimmen Dinge zu Papa sagen darf. Jedem anderen von uns hätte er schon längst eine Ohrfeige gegeben.“ „Verstehe mich jetzt nicht falsch, aber warum darf Juka das und ihr nicht?“ Sie lächelte verlegen. „Naja, weil…als sich Juka vor ein paar Jahren geoutet hat…du weißt schon…da hat ihn Papa aus der Wohnung geschmissen. Und wie du sicher weißt, ist Juka sehr eigensinnig…er ist gegangen und nicht zurückgekommen…irgendwann rief er uns an und sagte, dass er jetzt in Deutschland wohnen würde. Das traf unseren Papa sehr und er befürchtete Juka für immer verloren zu haben. Naja und dann stand er Weihnachten vor unserer Tür. Niemand hätte damit gerechnet und deshalb hat er sozusagen einen Sonderstatus.“ Ich lächelte schwach. „Das hat er mir bis jetzt verschwiegen…“ „Irgendwann hätte er es dir bestimmt erzählt…es ist nur alles so furchtbar. Papa ist so stur.“ Sayuri erinnerte mich an Jojo und wie schlimm musste es für dieses kleine Mädchen sein, ihren Papa sterben zu sehen? In den nächsten beiden Tagen lernte ich Jukas ganze Familie richtig kennen und ich mochte sie sehr. Ich hatte gemerkt, dass mich seine beiden Brüder Taiki und Haruto anfangs mieden, doch nach einem Tag kam ich auch mit ihnen ins Gespräch. Die beiden ähnelten Juka ein bisschen, doch ich fand immer noch ihn am hübschesten. Tagsüber waren sie außer Haus, weil sie arbeiten mussten. Sie verdienten ihr Geld als Köche und ab und zu verkauften sie auch Gemüse und andere Lebensmittel auf dem Markt. Jukas Mum behandelte mich, als würde ich zur Familie gehören, wie auch sein Dad. Deshalb machte es auch mich total traurig, dass er sich mit allen Mitteln wehrte und sich nicht ins Krankenhaus einliefern ließ. Kami besuchte seine eigene Familie, wenn er schon mal in Tokio war. Aber die meiste Zeit verbrachte er bei Juka und mir. In der Nacht spürte ich, dass Juka die meiste Zeit wach lag. Jeden Abend begleitete er seinen Papa ins Schlafzimmer und wartete an seinem Bett, bis er eingeschlafen war. Mit dem Trinken hatte er mittlerweile aufgehört. Er aß kaum etwas und redete auch selten mit mir. Nur manchmal warf er mir ein sehr schwaches Lächeln zu. Am dritten Tag war Herr Matsumoto dann doch bereit die Hürde ein letztes Mal auf sich zu nehmen. Taiki und Juka fuhren ihn ins Krankenhaus und schon am nächsten Tag sollte die Operation durchgeführt werden. Ich blieb mit ihm noch bis Abends bei seinem Papa. Dieser sagte mir immer wieder, wie sehr er mich mochte und sich wünscht, dass Juka und ich glücklich miteinander werden würden. Juka übersetzte immer zwischen uns beiden. Er hielt seine Hand und dann sagte er noch etwas zu Juka. Der antwortete seinem Papa, doch dieses Mal übersetzte er es nicht für mich. In seinem Blick lag etwas Friedvolles. Erschöpft vom Reden schloss Herr Matsumoto seine Augen und dann passierte es. Seine Arme erschlafften und der Kopf kippte zur Seite. Panisch schaute mich Juka an und sofort rannte ich raus und holte einen Arzt. Alles ging so schnell. Mehrere Krankenschwestern kamen in den Raum gerannt und der Arzt startete einen Wiederbelebungsbesuch… einmal… zweimal… dreimal. Doch nichts. Ich packte Juka am Arm und zog ihn raus in den Flur und in den Wartebereich für Besucher. Dann befahl ich der Schwester an der Rezeption fast, dass sie Familie Matsumoto anrufen sollte und sie sofort ins Krankenhaus bestellte. Bevor ich mich versah, war Juka wieder auf dem Weg ins Zimmer seines Papas und der Arzt teilte ihm das mit, was er nie hatte hören wollen. Seine Familie ließ nicht lange auf sich warten und durfte ihn noch ein letztes Mal sehen, bevor er ins Leichenscharrhaus gefahren wurde. Ich hielt Juka nicht auf, als er an mir vorbei und hinaus rannte. Alle lagen sich weinend in den Armen und ich stand nur daneben und unterdrückte meine eigenen Gefühle. Juka saß auf einer der Bänke vor dem großen Krankenhausgebäude. Was sollte ich jetzt tun? Ihn in die Arme nehmen? Oder wollte er lieber alleine sein? Wenn man in einer solchen Situation überhaupt alleine sein wollte. Als er mich bemerkte kam er auf mich zu und ich hatte das Gefühl, dass der wundervolle Glanz in seinen Augen für immer erloschen war. Nur noch Trauer, Leere und Mutlosigkeit spielgelten sich in seinem Blick. Tränen rannen ihm über die Wangen, sein Mund öffnete sich und er flüsterte mir zu: „Bitte nimm mich in die Arme Luki.“ Und das tat ich dann auch. Juka zitterte und sein Körper vibrierte leicht unter seinem Schluchzen. Eine Ewigkeit verweilten wir so, bis Sayuri zu uns kam und sagte, dass wir nach Hause fahren würden. Doch Juka wollte lieber zu Fuß gehen und natürlich begleitete ich ihn. Ich steckte mir eine Zigarette an und hielt ihm die halbvolle Schachtel hin. Er nahm sich eine raus. Dann wischte er sich mit einem Taschentuch das Gesicht trocken. „Gehen wir noch einen Kaffee trinken? Ich kann jetzt nicht nach Hause gehen.“ „Klar“, antwortete ich. Vor uns erhob sich der Tokio Tower. „Mein Papa hat ihn immer den Eifelturm von Tokio genannt. Wusstest du, dass er nach dem Modell des Pariser Eifelturms konstruiert wurde? Er ist 332,6 Meter hoch und ist somit der höchste Fernsehturm der Erde und die zweitgrößte, freistehende Konstruktion der Welt.“ „Er ist wunderschön. Warst du schon mal oben?“ „Klar…schon oft.“ Eine Bar in der Nähe von Jukas Elternhaus hatte noch geöffnet. Wir bestellten dort zwei große Kaffee. Dann schwiegen wir uns wieder eine Weile an. „Würdest du jetzt lieber einen Moment alleine sein?“, fragte ich unsicher. Doch er schüttelte mit dem Kopf. „Nein…alleine würde ich jetzt durchdrehen. Er ist nur ins Krankenhaus gegangen, weil er gewusst hat, dass er diese Nacht sterben würde…Wir haben in den letzten beiden Tagen so viel geredet und er kannte mich besser als alle anderen…ich…fühle mich so verdammt beschissen…“ Ich bezahlte, nahm Jukas Hand und wir gingen zu ihm nach Hause. Um das Wohnzimmer machte er einen großen Bogen und ließ die Tür seines Zimmers ins Schloss fallen. Auf dem Bett drückte er seinen Kopf ins Kissen wieder weinte er und auch mir kamen irgendwie die Tränen. Einerseits, weil es mich so traurig machte Juka so zu sehen und andererseits, weil ich seine ganze Familie, einschließlich seinen Papa so mochte. Die ganze Zeit hatte ich meine eigenen Gefühle ignoriert, weil ich Juka gegenüber stark sein wollte, doch als ich seinen Papa hatte sterben sehen, und dieses Bild hatte sich in mein Gehirn gebrannt, konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen. Ich fühlte den Schmerz, vielleicht nicht so wie Juka, aber einen Menschen sterben zu sehen verkraftete ich nicht einfach so. Juka legte sich auf den Rücken und schaute mich an. Ich wischte mir die Tränen weg. Da Jukas Familie sehr gläubig war, wurde die Bestattung seines Vaters nach buddhistischen Bräuchen durchgeführt. Hiroki Matsumotos Leichnam wurde in einem Sarg, mit dem Kopf Richtung Norden weisend, was auf den historischen Buddha zurückzuweisen ist, in dem Wohnzimmer der Familie aufgebart. Freunde und Familie verabschiedeten sich so von ihm. Es folgt die Lesung der Suren durch einen buddhistischen Mönch und dabei wird Weihrauch verbrannt. Die Söhne des Verstorbenen halten dann eine Nacht Totenwache. In dieser Nacht ließ mich Juka alleine und es war irgendwie komisch mit einem Toten unter einem Dach zu schlafen. Am nächsten Tag fand die Trauerfeier im Haus statt. Freunde und enge Bekannte waren geladen. Ich zog es vor an diesem Tag mit Kami einen Kaffee trinken zu gehen. Er führte mich außerdem ein bisschen durch Tokio und zeigte mir besondere Sehenswürdigkeiten wie den kaiserlichen Palast, der allerdings nur vom östlichen Park aus zu bewundern war, da der Rest von der Familie bewohnt war. Er führte mich am Rathaus mit den beiden Türmen, am Sony Building und am Dom vorbei. „Das Rathaus wurde 1991 vom Architekten Kenzo Tange gebaut. Im 45. Stockwerk ist eine Aussichtsplattform. Willst du hoch?“ „Nee, muss nicht sein. Ich würde lieber den Eifelturm von Tokio bezwingen.“ Kami grinste und erfüllte mir meinen Wunsch und so genossen wir zum krönenenden Abschluss noch den Blick vom Tokio Tower. Ich fragte Kami dann, wie die Trauerfeier jetzt weitergehen würde. „Hiroki wird jetzt ein Totenname zugeteilt und dieser wird auf ein Täfelchen geschrieben, das dann zusammen mit einem Bild des Verstorbenen im Wohnzimmer auf einem kleinen Altar aufgebaut ist. Dann kommt die Verbrennung des Toten und die Knochenreste werden in einer Urne aufbewahrt. Die Trauerzeit danach dauert nochmal 49 Tage.“ „Denkst du, dass Juka noch so lange hierbleiben wird?“ „Ja, das wird er. Es muss echt hart für dich sein.“ Ich zuckte mit den Schultern und versuchte zu lächeln. „Irgendwie schon, aber ich will ihn auch nicht alleine lassen, nicht jetzt, wo er mich am meisten braucht.“ „Das ehrt dich sehr…ich hoffe jemand macht das auch irgendwann für mich.“ „Denke schon…ähm, mal was anderes, was hältst du eigentlich von Flo?“ „Unser Flo? Er ist süß, ein bisschen schüchtern vielleicht, warum?" „Ich glaub er steht auf dich, aber sag ihm nich, dass ich dir das gesagt hab, sonst flippt er aus." Kami lächelte mich an und ich erwiderte es. „Alles klar. Als Juka mir von dir erzählt hat, dachte ich ehrlichgesagt nicht, dass du es so ernst mit ihm meinst.“ „Ich wusste auch nicht richtig, auf was ich mich da eingelassen hatte, aber ich würde nichts rückgängig machen wollen. Sicher gab es noch den einen oder anderen, der diese Beziehung scheitern sah, aber als ich dann eine Woche mit Juka zusammen war, wusste ich, dass ich nie mehr etwas anderes wollte.“ „Das ist schön zu hören. Lass uns zurückgehen.“ Etwas erschöpft kamen wir wieder bei Juka an. Die letzten Gäste verließen bereits die Wohnung. Er kroch mehr, als das er lief und dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab. Trotzdem sah ich ihn das erste mal seit zwei Tagen wieder lächeln, wenn auch nur ganz leicht. Juka breitete seine Arme aus und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Dann gingen wir schlafen und als sich Juka an mich schmiegte, ihm die Augen zufielen und sich sein Körper durch sein gleichmäßiges atmen auf und ab bewegte, merkte ich, wie erschöpft er doch war. Auch ich schlief schnell ein. Am nächsten Tag nach dem Frühstück machten Juka und ich einen Spaziergang im Park. Ich wusste nicht, was er mir sagen wollte, doch ich wusste, dass er mir gleich etwas sagen würde. Und schon plagte mich wieder diese Unsicherheit, dass es etwas Schlechtes sein könnte. Vielleicht hatte er die Nase voll von meiner Anwesenheit und hatte vor mich zu verlassen. Doch stattdessen nahm er mich in seine Arme und lächelte mich an und mein Herz machte einen Freudensprung, denn der Glanz in seinen Augen war zurückgekehrt. Ich erwiderte sein Lächeln und er küsste mich lange und leidenschaftlich. Dann räusperte er sich. „Ich möchte dir so viel sagen, doch ich weiß nicht wie ich mich ausdrücken soll.“ „Sag doch einfach, was du gerade denkst“, schlug ich vor. „Luki,…ohne dich hätte ich das hier alles nicht durchgestanden…es ist immer noch nicht ganz vorbei, aber ich habe wieder neue Kraft gesammelt und mein Leben geht weiter. Einige Dinge haben sich geändert und ich werde noch eine ganze Zeit brauchen, um das zu verkraften, aber eins hat sich nicht geändert und dafür möchte ich dir danken. Eigentlich habe ich gedacht, du reist nach ein paar Tagen wieder ab, aber du bist geblieben und machst mich im Moment zum glücklichsten Menschen der Welt.“ „Ich abreisen? Nur, wenn du mich dazu zwingst…nee, nicht mal dann. Vielleicht, wenn du mich betäubst und ohne mein Wissen ins Flugzeug schleust, aber sonst führt da kein Weg hin. Wir haben uns doch geschworen immer füreinander da zu sein und das habe ich versucht.“ „Für dich klingt das so selbstverständlich, das ist es aber nicht. Ich meine, mir ist nicht entgangen, wie sehr du leidest. Meine Familie liebt dich und Sayuri hat mir sogar verboten, je wieder einen anderen Junge mit in die Wohnung zu bringen. Du hast alle ziemlich überrascht und mir ist klar geworden, was sich wirklich hinter dem Wort Liebe verbirgt und was es bedeutet in guten als auch in schlechten Zeiten füreinander da zu sein. Für mich bist du mein risōteki na dansei.“ Ich hatte einen blassen Schimmer, was das heißen könnte. Trotzdem fragte ich Juka nach der genauen Bedeutung. „Traummann klingt nur halb so melodisch…und ich denk, du willst japanisch lernen.“ „Möchte ich auch…irgendwann. Was du da gerade gesagt hast, rührt mich sehr und ich habe all das in Kauf genommen, um bei dir zu sein und auch mir ist bewusst geworden, dass ich mit keinem anderen mehr, außer dir zusammen sein will. Aber da ist noch etwas…Kami hat mir erzählt, dass die Trauerzeit hier in Japan 49 Tage andauert und wenn du möchtest, würde ich noch so lange mit dir hier bleiben. So langsam gewöhne ich mich an Tokio. Wenn ich deiner Familie nicht langsam auf die Nerven gehe.“ „Ich werde auch jeden Fall hier bleiben…du musst nicht. Natürlich würde ich mich freuen. Und mach dir um meine Familie keine Sorgen, wie schon gesagt, die haben einen Narren an dir gefressen.“ „Okay, dann bleibe ich mit dir noch hier, wenn du versprichst dann wieder mit mir nach Deutschland zu kommen.“ „Ja klar.“ Ich wusste nicht warum, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich noch einige Seiten an Juka besser kennenlernen musste. Nicht, dass er mir etwas verheimlichte, keinesfalls, da war eher etwas, das ich an ihm noch nicht kannte. Sayuri hatte mir ja so einiges über ihren Bruder erzählt und auch die zwei Tage mit Kami waren aufschlussreich gewesen und immer ging es um den rebellischen, eigensinnigen Juka. Es störte mich auch nicht, dass er sich mir gegenüber so anders verhielt, aber trotzdem wollte ich auch mal seine wilde Seite kennenlernen. Jedoch sprach ich ihn darauf nicht direkt an, sondern ließ alles so kommen. Er litt noch sehr unter dem Tod seines Vaters, doch versuchte er damit umzugehen, wie auch der Rest der Familie. Ich war erstaunt, wie gut dies alle wegzustecken schienen. Manchmal kniete Jukas Mama vor dem kleinen Totenaltar und da war Juka immer bei ihr. Ich wurde verwöhnt und von Sayuri und Taiki lernte ich ein paar Redewendungen auf Japanisch. Juka und auch die anderen Kinder unterstützen Mama Matsumoto wo sie nur konnten. Mit Juka machte ich gelegentlich einen Ausflug in die Stadt und er zeigte mir noch viele Sehenswürdigkeiten. Die Pracht und die Größe der japanischen Baukunst erschlug und beeindruckte mich zugleich. Mit Juka bestieg ich auch die Plattform des Rathauses und er zeigte mir von dort aus den Kaiserpalast. Ich telefonierte nach knapp zwei Wochen endlich mal mit meinem Dad, der sich schon erhebliche Sorgen um mich gemachte hatte. Ich besänftigte ihn und beteuerte, dass es mir gut ging. Als ich jedoch erwähnte, dass ich noch fünf Wochen bleiben wollte, regte er sich auf. Ich hörte Alexandra im Hintergrund sagen, dass er nicht so sein sollte. Schließlich sei ich ja erwachsen. Ich versprach ihm mich öfter zu melden und auch wirklich nach Berlin zurückzukommen. Mittlerweile sprach ich hier zweieinhalb Sprachen, das war ziemlich verwirrend, doch ich gewöhnte mich daran. Juka stellte mir auch Tokios Nachtleben vor. Mit Kami und Flo, der auch ein paar Wochen Urlaub machen wollte, weil er es alleine in Deutschland nicht mehr aushielt, besuchten wir die spektakuläre Icebar und amüsierten uns prächtig. Es war seltsam, wenn Juka den einen oder anderen grüßte, weil ich das sonst nur von mir kannte. Aber Tokio war eben seine Heimatstadt. Aus Spaß an der Freude kehrten wir auch einen Abend im ageHa, der angesagtesten Discothek von Tokio, ein. Es war ein auf und ab der Gefühle, denn manchmal war Juka wie immer und dann erwischte ich mal wieder einen Tag, an dem er kaum redete und sich zurückzog. Das Rauchen hatte er noch immer nicht aufgegeben. Dadurch, dass wir den ganzen Tag aufeinander hockten, ließ sich der eine oder andere Konflikt auch nicht umgehen. Aber wir stritten uns nie ernsthaft und versöhnten uns ziemlich schnell wieder. Eines Abends, als wir nach einer Party im Bett lagen, konnte ich nicht einschlafen. „Sayuri hat mal so durchblicken lassen, dass du früher ziemlich rebellisch gewesen sein sollst.“ „Das kleine Plappermaul…ja das stimmt.“ „Aber mir gegenüber warst du noch nie so…naja, nicht richtig jedenfalls.“ Juka lachte. „Ich werde eben auch nicht jünger. Manche Dinge tut man eben nur, wenn man 18 oder 19 ist…naja und ich habe dir doch von meiner Operation erzählt, das mit mich ganz schön pingelig werden lassen.“ „Ach so. Du kennst doch den Film lost Boys.“ „Ja, was ist damit?...Ähm…warte…“ Juka stützte seine Arme auf und ich sah mich im Dunklen an. „Tja, da gibt es doch diese gewisse Stelle an der Brücke.“ „Luki, das ist nicht dein Ernst.“ „Doch, machst du mit?“ Ich hörte Juka tief seufzen. „Aber nicht in Tokio.“ „Mir egal. Meinetwegen auch in woanders über der Spree oder so.“ Juka lachte und beugte sich zu mir herab, um mich zu küssen. Das erste Mal seit Wochen wagte ich es wieder etwas intimer zu werden und Juka schien nichts dagegen zu haben. Allerdings mussten wir uns zusammenreißen, um nicht zu laut zu sein. Das erwies noch einer längeren Pause allerdings als schwierig und ich biss ins Kissen, als es soweit war. Ich lag mit dem Rücken zu Juka und er schloss seine Arme um mich. So schliefen wir ein. Sayuri und Taiki begleiteten uns noch bis zum Flughafen und wir verabschiedeten uns voneinander. Irgendwie fiel es mir sogar schwer, weil ich mich jetzt so hier eingelebt hatte, aber ich freute mich auch wieder auf meine eigene Familie, besonders auf Jojo. Ich hatte meinen Dad heute Morgen angerufen und ihm mitgeteilt, dass unser Flug 15 Uhr geht. Er wollte uns dann vom Flughafen abholen. Tokio wurde unter uns immer kleiner und ich würde diese wundervolle Stadt sicher vermissen. Da mich die letzten beiden Tage Kultur pur ziemlich mitgenommen hatten, sank mein Kopf an Jukas Schulter und ich schlief ein. Er hatte mir heute nach dem Frühstück gesagt, dass er einen Termin hat. Dann war er für etwa eine Stunde verschwunden gewesen und tat sehr geheimnisvoll. Als ich ihn fragte, wo er gewesen sei, zuckte er nur mit den Schultern, grinste mich an und antwortete, dass ich das entweder heute oder morgen selbst sehen würde. Das stellte mich als neugierigen Menschen natürlich auf eine harte Probe und Juka blieb hart. Er rückte nicht mit der Sprache raus. Im Flugzeug lief Ice Age eins und zwei hintereinander, dabei war ich so halb wach. Kami und Flo waren schon eine Woche vor uns abgereist und erwarteten uns schon in Berlin. Ich wollte endlich wissen, was Juka getrieben hatte und nervte ihn die ganze Zeit im Flugzeug, doch er ignorierte mich gekonnt. Als wir mit unserem Gepäck am Flughafen Berlin- Tegel auscheckten, sah ich meinen Dad und Jojo schon weitem. Meine Schwester kam auf mich zugerannt und landete in meinen Armen. „Ich hab dich sooooooo vermisst.“ „Na ich dich erst.“ Auch Juka begrüßte sie mit einer Umarmung, das fand ich süß. Juka wollte erst mal nach Hause in seine Wohnung, aber wir verabredeten uns für später. Ich erzählte, was ich alles erlebt und vor allem gesehen hatte. Juka hatte in den letzten Tagen ein paar Fotos gemacht, die ich meinen Dad, Alexandra und Jojo über den Fernseher zeigte. Sie schienen beeindruckt zu sein und meine Schwester wollte mich das nächste Mal nach Tokio begleiten. Wir speisten noch gemeinsam zu Abend und dann machte ich mich auf den Weg zu Juka. Er war gerade damit beschäftigt seine Wohnung ein bisschen aufzuräumen und die Tasche auszupacken, weil er ja alles nahezu im chaoszustand verlassen hatte. Ich half ihm ein bisschen und setzte mich dann auf die Couch und schaltete die Musikanlage an. „Sagst du mir jetzt eigentlich, wo du gestern warst?“ Er grinste mich nur an und setzte sich zu mir. Dann zuckte er mit den Schultern. Seine Worte klangen schon fast beiläufig. „Ich hab nur das gemacht, was ich schon lange mal machen wollte.“ Wieder verleierte ich meine Augen und piekte Juka in die Seite und er fing an zu lachen. Er lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Sein T-Shirt rutschte ein Stück nach oben und gab seinen muskulösen Bauch frei. Ich setzte mich mit dem Gesicht zu ihm gewendet auf seinen Schoß und zog ihm sein T-Shirt über den Kopf. Noch immer lag dieses geheimnisvolle Lächeln auf seinen Lippen. Ich strich über seinen Oberkörper und küsste ihn zaghaft am Hals entlang. Mit der Zunge umkreiste ich seine Brustwarzen und hinterließ eine unsichtbare Spur bis zum Bauchnabel. Als ich seine Hose öffnete, staunte ich nicht schlecht. Juka, ja mein Juka, dessen Körper ohne jegliche Makel war und auch sonst von keinen Tätowierungen oder Ringen irgendwo geschmückt war, hatte sich piercen lassen. Und das an einer Stelle, die nur ich zu Gesicht bekam. Ich wusste, dass ein Piercing dieser Art an dieser Körperstelle Pubic genannt wird und ich selbst habe auch schon oft mit dem Gedanken gespielt mir eins stechen zu lassen. Doch am Ende habe ich es doch bleiben lassen. „Sexy“, sagte ich grinsend und spielte mit meiner Zunge und meinem Mund noch ein Stück tiefer mit seinem Körper. Ich ließ mir Zeit beim Vorspiel und der Sex danach, unbeschreiblich. Der weitere Abend verlief ruhig und ich kuschelte mich in die weiche Sofadecke ein und lehnte mich an. Jetzt könnte ich eine Zigarette rauchen, doch Juka machte keine Anstalten, jetzt eine zu rauchen, also versuchte ich mich auch zusammenzureißen. Doch in immer kürzeren Abständen kam mir dann immer wieder der Gedanke, dass meine Zigaretten hier ganz in der Nähe, nämlich in meiner Hosentasche steckten. Deshalb schlüpfte ich in Hose und Pulli, um auf dem Minibalkon eine zu rauchen. Juka stand mit der Decke eingehüllt in der offenen Tür und sah mir zu. „Vielleicht solltest du doch wieder damit aufhören oder zumindest weniger Nikotin konsumieren.“ Ich warf einen Blick in meine Schachtel, die noch halb voll war. „Nach der Packung?“ Juka nickte und gab mir einen Kuss auf die Stirn. „Hat das piercen da unten weh getan?“, fragte ich neugierig. „Ging so. Willst du dir auch noch eins stechen lassen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Mal sehn…tendiere eher zu nem Tattoo, aber wohin weiß ich auch nicht.“ Ich drückte den Stummel der Zigarette am Boden aus und schnippte ihn über das Balkongeländer.   Durch meinen kurzfristigen Abstecher nach Tokio hatte meine Band ziemlich im Stich gelassen und als ich in meine Wohnung kam, hörte ich Stimmen und aus dem Wohnzimmer fiel ein Lichtstrahl in den dunklen Flur. Bei genauerem Hinhören erkannte ich Basti, Flo und Lena. Sie schienen über irgendetwas zu diskutieren. Oder sollte ich besser sagen über jemanden? Ich setzte mich ans Fenster vor der Wohnzimmertür und lauschte dem Gespräch weiter. „Ich habe echt schon lang nichts mehr von ihm gehört und glaub langsam, dass er mit seinem tollen Juka durchgebrannt ist“, mutmaßte Lena mit reuevoller Stimme. „Mh, weiß nicht. Aber es ist eigentlich sonst nicht seine Art. Vielleicht kommt er bald zurück und alles ist wieder gut“, verteidigte mich Basti. Wie immer. Basti versuchte schon immer den kleinen Friedensstifter zu spielen. „Um ehrlich zu sein, sehe ich das auch nicht ganz so krass Lena. Klar is Lukas unser Chaosleader, aber er würde uns nich hängen lassen. Ich vermute, da is was schlimmes passiert…Kami is ja mit nach Tokio geflogen, doch auch aus ihm hab ich nich viel rausbekommen.“ „Das denk ich auch Flo…ich hoffe es ist nichts mit Juka...“ So dachten meine Jungs also über mich. Irgendwie tat es gut, die Wahrheit zu hören, weil ich so wusste, dass ich das richtige getan hatte. Und sie schienen sich echt krasse Sorgen um mich zu machen und ihnen schien das echt nahe zu gehen. Ich holte mir aus der Küche einen Aschenbecher und hörte noch ein bisschen zu. „Aber Basti, weißt du was ich glaube?“, sagte Flo plötzlich. „Nein.“ „Wenn wir Lukas das Gefühl gegeben hätten echt hinter ihm zu stehen, wäre das vielleicht gar nicht passiert. Ich denke, dass er extrem an allem gezweifelt hat, weil wir ihn einfach nicht mehr ernst genommen haben.“ „Vielleicht. Aber da hätte er doch auch mit uns reden können.“ „Ja schon, aber du kennst Lukas genauso gut wie ich. Ich glaube, dass er einfach nur die Schnauze voll gehabt hat und jetzt is er halt irgendwo in Japan.“ Es kam eine lange Pause. „Da hast du Recht Flo. Wir hätten gerade in letzter Zeit mehr für ihn da sein sollen.“ Ich liebte meine Freunde über alles und das wurde mir gerade jetzt wieder richtig bewusst und ich konnte nicht mehr warten, weil ich bei ihnen sein wollte und mich über ihre dummen Gesichter freuen wollte, wenn ich jetzt so ganz unerwartet der Tür rein spazierte. Ich stellte mich in den Türrahmen und gab der angelehnten Tür einen leichten Schubs mit dem Fuß. Langsam öffnete sie sich und ich musste die Augen zusammenkneifen, weil mich das helle Licht blendete. Basti drehte sich um und das Gespräch verstummte. Alle Augen waren auf mich gerichtet. „Schön, wie ihr in meiner Abwesenheit über mich lästert.“ Ich drückte mich mit Absicht etwas krasser aus und versuchte ernst zu wirken. Doch Flo grinste mich nur an und stieß Basti in die Seite. Mit dem Kopf nickte er in meine Richtung. „Der verarscht uns nur, guck mal, wie er sich das Lachen so gar nich mehr verkneifen kann“, amüsierte sich Flo und ich musste tatsächlich losprusten. Dann erhoben sich meine Jungs und knuddelten mich. „Wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht du Arsch.“ „Sebastian, hast du mich gerade Arsch genannt?“, fragte ich den Rotschopf empört. Er zuckte etwas eingeschüchtert mit den Schultern und nickte. „Is doch so…“, grummelte er dann. Auch Lena kam dann zu mir und umarmte mich. „Egal, was war…schön dich wieder hier zu haben.“ Ich kletterte hinter Basti auf meine Couch und öffnete mir ein Bier. „Wer hat euch Chaosbande eigentlich in meine Wohnung gelassen?“ „Schatzi, ich hab deinen Zweitschlüssel“, erinnerte mich  Flo ziemlich selbstsicher. „Stimmt, da war ja was…sorry, bin noch etwas durcheinander…“, entschuldigte ich mich. „Wo zur Hölle hast du gesteckt?“, fragte Basti dann endlich. Jetzt wurde auch ich wieder ernster. „Das ist ne lange Geschichte…ich bin mit Juka nach Tokio geflogen, weil sein Papa im Sterben lag…und naja, die Sache ist nicht gut verlaufen. Ich hoffe ihr verzeiht mir, aber Juka hat mich in seiner Situation mehr gebraucht als ihr.“ Keiner sagte etwas und wieder schauten mich alle an. Ich verdrehte die Augen. „Jetzt sagt schon was, ich werd sonst noch sentimental. Dachtet ihr echt ich lasse euch im Stich?“ „Naja, wir haben schon das Schlimmste befürchtet. Ich hatte angst, du hast uns nich mehr lieb…dabei ist du doch unser Lieblingsleader“, bemerkte Flo. „Das wäre ich aber auch nicht ohne euch. Habt ihr selbst gesehen.“ Mir steckte der lange Flug noch ganz schön in den Knochen und ich merkte, wie mich so langsam die Müdigkeit überkam. Auch meine Freunde schienen etwas geschafft zu sein und verabschiedeten sich von mir. Außer Flo natürlich, der wohnte ja quasi hier. Er baute noch einen Gute-Nacht-Joint und wir kuschelten uns nebeneinander auf’s Sofa. Mein Kopf sank an seine Schulter und schon lullte mich der süßliche Rauch des Joints ein. Mein Freund hielt mir den Glimmstängel an die Lippen und ich nahm einen tiefen Zug. „Ich glaub, du bist genau rechtzeitig zurückgekommen…“, bemerkte mein bester Freund nahezu nebenbei, doch ich erkannte die unausgesprochene Botschaft hinter seinen Worten. „Was hast du angestellt Schnuckelchen?“ Flo seufzte und nahm einen tiefen Zug. „Nich viel…nur sollte ich wohl wieder mehr ans Essen denken, anstatt mir das Gehirn wegzuballern. Nur wenn du nich da bist, is keiner da, der mich daran erinnert…sorry…ich bin ein furchtbarer Mitbewohner.“ Ich nahm Flo den Joint aus der Hand und ließ meinen Kopf in seinen Schoß sinken. „Furchtbar liegt wohl im Auge des Betrachters. Ich find es ganz schön unfreundlich, dass du dich ohne mich abschießt…“ Jetzt grinste er, als er merkte, dass ich keinerlei Groll hegte. „Es is nur manchmal komisch, sowas mit Basti zu bequatschen. Du weißt ich liebe euch beide gleich viel, aber in Sachen Drogen isses eben doof und ich glaub nich, dass er es geil fände, wenn ich ihm sag…übrigens, ich bin heut übel zugekokst…“ „Ach Flo…hast du noch was da?“ Er nickte und ich ließ ihn aufstehen. Aus dem Regal holte er eine längliche Holzschachtel, sowie einen kleinen Spiegel. Dann zog er ganz dekadent einen Hundert Euro Schein aus seiner Hosentasche. Grinsend schüttelte ich mit dem Kopf. „Hab ich meinem Vater aus dem Geldbeutel gezockt…war gestern zu Hause, wollte noch ein paar Sachen holen und er hatte sein Portmonee auf’m Küchentisch liegen…“ Er bereitete die Lines vor und tat den ersten Zug. „Wollt schon fragen, wen du ausgeraubt hast. Meinst du er hat es gemerkt?“, fragte ich und zog das weiße Pulver durch die Nase. „Mir doch egal und selbst wenn er mich verdächtigt, soll er mir doch die Bullen auf den Hals hetzen. Die wissen ja nich mal wo ich wohne…“ Ich streckte meine Arme nach ihm aus und zog ihn wieder auf das bequeme Sofa. „Ich päppel dich morgen ein bisschen auf Süßer. Machen wir noch bissl Musik? Denn jetzt kann ich auch nich mehr pennen“, bemerkte ich. „Mhh gleich…können wir noch kurz so liegen?“ Ich schluckte und erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, dass es Flo richtig beschissen zu gehen schien. Das kam tatsächlich nicht oft vor, weil er ähnlich wie ich seine Gefühle nicht gern vor anderen zeigte. Doch hin und wieder kam es vor und ich war froh, bei ihm zu sein. „Klar…magst du mir erzählen, was los is?“ „Beschissenes Leben, keinen Job und ich fress mich bei dir durch…Hauptsache ich geb mein Geld, was ich meinen Eltern klaue, für Drogen aus…ich komm grad echt nich klar…“ „Flo…mach dir zwecks wohnen und so echt keinen Stress. Das mit dem Job bekommen wir auch zusammen hin. Gern schreib ich auch mit dir Bewerbungen oder so…außerdem find ich, isses an der Zeit, dass du Mal mit deinem Kami redest…“, versuchte ich ihn aufzumuntern. Er löste sich aus meiner Umarmung und funkelte mich misstrauisch an. Ich grinste nur unschuldig. „Lukas…hast du etwa was zu ihm gesagt?“, fragte er etwas entrüstet, während er noch zwei Lines vorbereitete. „Niemals…als würde ich mir sowas anmaßen…“ „Manchmal hasse ich dich…“, grummelte er und zückte den Schein erneut. „Damit kann ich leben. Manchmal muss man dich halt zu deinem Glück zwingen Schnuckelchen.“ Flo funkelte mich noch immer mit seiner Grummelmiene an und schnappte sich die Gitarre. Erst spielte er nur, doch dann sang er auch für mich. Ich mochte es sehr, wenn er das tat und obwohl er kein Mann der liebenswerten Worte war, zeigte er mir so hin und wieder, dass ich ihm ebenso viel bedeutete. Ich applaudierte und leerte mein Bier. „Willst du noch eins?“, fragte ich und mein Freund erwiderte die Frage mit einem Nicken. „Musst du morgen nich arbeiten?“ „Doch, aber wen juckts…mein alter Herr checkt das doch eh nich…“ Flo grinste und prostete mir zu. „Lukas…du hast dich schon lang nich mehr geritzt oder?“ Ich biss mir kurz auf die Unterlippe, weil ich es im Normalfall mied über dieses Thema zu reden. Doch bei Flo war es okay. „Nee. Liegt wohl daran, dass es mir gut geht.“ „Freut mich…du hast es mehr als verdient und ich schwöre dir, tut er dir irgendwann noch Mal weh, kann ich für nichts garantieren.“ „Flo, lass den Mist…es funktioniert oder eben nich. Gerade läuft es gut und ich genieße es.“ „Ja schon, nur ich hab es immer gehasst, wenn du das tust…ich hab Nici dafür gehasst, weil sie oft der Auslöser war…“ Ich seufzte und zündete mir eine Zigarette an. „Gib nich Nici die Schuld…das war ich ganz allein. Aber lass uns bitte das Thema wechseln.“ „Okay. Machen wir jetzt noch bissl Musik?“ Ich nickte und so hockten wir bis der Morgen anbrach im Wohnzimmer und jammten. Als mein Wecker klingelte, hüpfte ich nur unter die Dusche, versorgte mich mit Kaffee und hoffte, dass ich denk Tag irgendwie überstand. Mein bester Freund grinste mich voller Genugtuung an. Ich streckte ihm den Mittelfinger entgegen. „Bis später Schatz“, flötete er und ließ die provisorische Hausfrau raushängen. „Ich lass dir bissl Geld da. Wäre lieb, wenn du einkaufen gehst und wer weiß, vielleicht bekochst du mich später.“ „Einkaufen ja, kochen…mal sehn.“ Kapitel 31: Ein letztes Gespräch mit Nici und unser neuer Keyboarder -------------------------------------------------------------------- Als es an der Tür klingelte, öffnete ich nicht, das würde Johanna schon für mich erledigen. Plötzlich stand Fabian in der Balkontür und ich fand es sehr ungewöhnlich, denn sonst wollte er doch immer zu meiner Schwester. „Hey. Willst du zu mir?“ „Ähm… ja. Wollt dich mal was fragen.“ Ich wartete gespannt ab, was mir Fabian mitteilen wollte. „Naja,… brauchst du vielleicht nen neuen Keyboarder in deiner Band?“ Mir blieb der Mund offen stehen. Ich hätte alles erwartet, nur das nicht. Irgendwie verlor ich für wenige Sekunden die Fassung, hatte mich jedoch schnell wieder im Griff. „Wenn du einen guten für mich hast!“ „Ich dachte da vielleicht an mich. Du hast ja mir erzählt, dass du den alten rausgeschmissen hast und da habe ich ne Chance gesehen. Eigentlich hatte ich ja gehofft, dass du mich fragen würdest.“ Ich musste lachen. „Wenn ich gewusst hätte, dass du Keyboard spielst, hätte ich das wahrscheinlich auch getan.“ Er tat erstaunt. „Ich dachte deine Schwester hat es dir erzählt?“ „Nein. Leider nicht. Ist ja auch nich der Rede wert. Okay, du bist dabei. Bin gespannt, was die Jungs dazu sagen werden.“ „Das ist echt toll. Na und ich glaube, optisch passe ich auch ganz gut in eure Band.“ „Da hast du Recht. Also, da würde ich dich heut gleich mal mitnehmen. Um acht beginnen wir mit der Probe. Bleibst du so lange hier?“ „Naja, ich denk schon. Ich geh noch mal zu deiner Schwester.“ Ich lächelte ihm zu und drückte die Zigarette aus. In meinem Magen machte sich ein Glücksgefühl breit. Schöner konnte das alles doch nicht kommen oder? Ich hoffte nur, dass das mit Juka und mir gut gehen würde und wir nicht noch einmal sowas durchstehen mussten. Gerade, als ich so in Gedanken versunken vor mich hin träumte, rief mich Nici auf dem Handy an. Was für eine Überraschung. Sie fragte mich, ob ich Zeit hätte, zu ihr zu kommen. Schließlich willigte ich ein und stattete ihr einen Besuch ab. Sie wollte nur kurz mit mir reden und wissen, was ich über uns dachte und natürlich wollte sie sich auch vergewissern, dass es mir gut ging. Auf dem Weg zu ihr rauchte ich noch eine Zigarette. „Komm doch rein.“ Wir setzten uns in die Küche und schwiegen uns erst an. Dann begann sie das Gespräch. „Wollte nur noch mal sehen, ob es dir gut geht.“ „Ja gut, wie du siehst. Nici, was soll das alles?“ „Wollten wir nicht Freunde bleiben? Ich mag dich eben immer noch, auch, wenn du einen Freund hast. So wolltest du es doch!“ „Ja, schon. Aber ich habe im Moment meine eignen Sorgen, außerdem leben wir uns doch immer mehr auseinander, findest du nicht?“ Nici sah mich wieder mit ihrem berüchtigten enttäuschten Blick an. „Ich weiß nicht. Ich weiß gar nicht mehr, was ich fühlen soll.“ „Wie soll ich das denn schon wieder verstehen?“ „Ach, es geht um und…um dich. Seit das mit uns vorüber ist, kann ich keine vernünftige Beziehung mehr führen. Dann ist noch die Tatsache, dass du einen Jungen liebst und nie mehr zu mir zurückkommen wirst, auch nicht als Freund oder?“ Ich schwieg lange. „Ja, weil ich denke, dass wir jetzt verschiedene Leben führen. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du das endlich akzeptieren musst.“ Meine Worte waren für Nici wahrscheinlich schlimmer als Schläge. War ich nicht immer für sie dagewesen? Hatte ich nicht immer versucht ihr zu helfen? Mit Nadja hatte sie nie so reden können, wie mit mir, aber trotzdem, ich wollte nicht, dass sie uns ständig hinterher trauerte. „Es ist nur so, dass ich das mit uns nicht einfach abhaken kann.“ „Das ist nicht mein Problem. Wenn du unsere Freundschaft aufrecht halten willst, dann heul nicht immer rum, denn das kann ich gerade am wenigsten gebrauchen.“ „Nein, so sollst du das nicht verstehen, aber ich bin einfach viel zu empfindlich, was die Sache mit uns betrifft und ich finde es auch schlimm, dass ich so denke. Bitte verzeih mir. Schon okay, du hast ja ein Recht so zu denken. Aber weißt du Lukas, ich habe irgendwie das Gefühl, dass du im Moment der einzige Mensch ist, dem ich vertrauen kann, weil du mich richtig kennst. Deshalb wollte ich mit dir reden. Es ist irgendwie blöd, weil jeder mit seinen Problemen zu mir kommt, aber nie will mir jemand zuhören. Alle reden mir immer in mein Leben rein und eigentlich verlasse ich mich immer auf die Meinung anderer. Warum weiß ich auch nicht, vielleicht denke ich, dass alle es nur gut meinen und verdränge dann meine eigentlich wahren Gefühle.“ „Vielleicht solltest du dir dann mal Gedanken darüber machen, was du willst und die anderen reden lassen, es sei denn, du hast keine Meinung“, sagte ich zur Antwort. „Das sagst du so leicht dahin, weil du schon immer nach deinen eigenen Regeln gelebt hast. Im Gegensatz zu mir…ich würde mich niemals trauen eine Beziehung zu einer Frau einzugehen, weil ich mich vor der Reaktion meiner Eltern fürchten würde. Solche Probleme hast du eben nicht.“ Wir schauten uns lange an, ohne etwas zu sagen. „Aber es kann deinen Eltern doch egal sein…das meine ich bei dir. Von jedem lässt du dir was sagen und dann fühlst du dich eingeschüchtert. Weiß du was ich denke Nici? Dir ist viel zu wichtig, was deine Umwelt um dich herum von dir denkt. Du hast zwar vielleicht den Traum mal was mit einem Mädel zu haben, aber tust es nicht, weil das ja ein schlechtes Bild auf dich werfen könnte. Deine Freunde zeigen mit dem Finger auf dich und du kommst dir komisch vor. Du solltest dich erst einmal selbst finden.“ „Wow, das ist ganz schön krass ausgedrückt. Aber vielleicht hast du Recht.“ „Kannst ja mal drüber nachdenken. Ich muss jetzt los.“ Ich gab Nici zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Draußen hatte es begonnen zu regnen und ich wurde auf dem Nachhauseweg ziemlich nass, jedoch störte mich das nicht. Irgendwie würden Nici und ich nie auf einen Nenner kommen. Sie war trotz ihrem Hang zur schwarzen Szene viel zu spießig. Ihr fehlten diverse Erfahrungen und die wollte sie auch nicht erweitern, was wahrscheinlich mit ihrem eingeschränkten Denken zusammenhing, aber genau konnte ich das auch nicht sagen. Für mich gehörte sie auf jeden Fall zu den kleine Teeniemädchen, die die Szene zwar unglaublich toll und faszinierend fanden, aber nie tiefgründiger mit den Leuten zu tun haben würden. Zumindest nicht mit solchen, die Personen wie Nici mieden. Wenn sie einen Auftritt im Underground hatte, musste sie immer perfekt gestylt sein, um jedem dort zu gefallen. Ich hingegen machte mir auch nichts daraus mit Chucks und einfachen schwarzen Klamotten in die Disco zu gehen. Ich wollte ja einen Abend mit meinen Freunden verbringen und da stylte ich mich nach Lust und Laune. Bei Nici und ihrer Clique war das so eine Art Schaulaufen. Fabian wartete in meiner Wohnung auf mich und wir machten uns auch so gleich auf den Weg in den Proberaum, weil er mir erst mal alleine etwas vorspielen wollte. Fabi war ein bisschen nervös und bekam dadurch einige Anfangsschwierigkeiten. Ich saß am Bühnenrand und rauchte eine Zigarette. Doch plötzlich hatte er sich eingespielt und er beherrschte das Keyboard spielen schon fast zu gut. Ich war echt überrascht. „Du bist verdammt gut.“ „Danke. Heißt das, dass ich jetzt echt voll bei euch dabei bin?“ Ich musste grinsen. „Na klar. Ich bin sicher, dass dich meine Jungs mögen werden. Ich zeig dir mal die Noten für die Texte, da kannst du dich noch ein wenig austoben, bevor die anderen kommen.“ Diesmal blieben die Startschwierigkeiten aus und ich freute mich schon wahnsinnig auf unser nächstes Konzert mit einem tollen Keyboarder. „Ich kann nur wow sagen. Es cool, dass meine Schwester so tolle Leute wie dich kennt.“ „Naja, früher war mir das immer peinlich, dass ich Klavier oder Keyboard gespielt habe. Die Jungs aus meiner Klasse haben mich damit immer aufgezogen, weil das angeblich nur was für Mädchen ist.“ „Ach, son quatsch. Guck dir doch den Keyboarder von Nightwish an. Der ist einfach nur genial und du bist mindestens genauso gut. Außerdem jetzt, wo du Bandmitglied von Nocturna bist, beneiden dich bestimmt viele für deine Kunst.“ „Das ist wohl wahr. Besonders die Jungs aus meiner Klasse, denn die sind auch voll Nocturna begeistert.“ Ich spürte schon wieder den Stolz in mir. „Tja, ist ja auch meine Band.“ „Du hast nicht zufällig mal eine Zigarette für mich?“ „Ach klar. Willst du ein Bier trinken? Auf den weltbesten Keyboarder?“ Fabi grinste. „Ja, schon. Aber übertreib es mal nicht.“ „Ich mein das ernst.“ Ich ging schnell in den Keller und holte gleich einen Kasten Bier, denn die anderen Jungs wollten sicher auch was trinken. „Du sag mal Fabi, warum wohnst du eigentlich bei deiner Oma?“ „Ach, weil ich mit dem Lebensgefährten meiner Mutter nicht klarkomme. Er spinnt immer voll rum.“ Fabians Eltern waren also auch geschieden. „Und hast du noch Kontakt zu deinem richtigen Vater?“ Er schüttelte mit dem Kopf. „Ich habe ihn nie kennengelernt. Aber meine Mutter wollte uns irgendwann miteinander bekannt machen. Ich lege da aber nicht viel Wert drauf.“ Bei dem Stichwort Mutter krampfte sich mein Magen zusammen und ich versuchte den Gedanken zu verdrängen. „Mein Vater hat sich nie um mich gekümmert, deshalb ist er mir eigentlich egal.“ Die Tür öffnete sich und Basti, Flo und Lena kamen hereinspaziert. Sie sahen zu mir und Fabi herüber. Ich sprang vom Bühnenrand und gab Fabi ein Zeichen, dass er mir folgen sollte. Basti und Fabi kannte sich vom sehen, aber den anderen Mitgliedern war er unbekannt. Ich freute mich voll. „So, ihr Süßen. Ich habe eine kleine Überraschung für euch.“ Dabei zwinkerte ich Fabi zu und er grinste mich an. „Darf ich euch unseren neuen Keyboarder vorstellen? Das ist Fabian.“ Alle klatschten und Fabi stieg eine leichte Röte ins Gesicht. Dann sagte er ganz selbstbewusst. „Also, ich hoffe ihr seid ganz zufrieden mit mir. Ich geb mir große Mühe, das verspreche ich. Es ist mir auf jeden Fall eine große Ehre in einer so tollen Band spielen zu dürfen.“ Wieder brach ein kleiner Applaus aus. „Daran habe ich keine Zweifel“, sagte Basti. Dann nahm jeder seinen Platz auf der Bühne ein und wir probten die Songs für das anstehende Konzert. Es war einfach toll, wieder diesen melodischen Klang des Keyboards im Hintergrund zu hören. Anschließend machten wir es uns noch gemütlich und tranken Bier. Kapitel 32: Wer braucht schon eine Familie? ------------------------------------------- Eigentlich verstand ich mich ja mit meinem Vater wieder so halbwegs, aber an dem Abend, an dem Jojo und ich zum Essen eingeladen waren, schien er wohl einen schlechten Tag zu haben. Er murrte erst nur rum und beschwerte sich über seinen schlechten Arbeiter, da auch mich mit eingeschlossen. Das nervte mich, denn er machte ja nichts anderes, als in seinem Büro zu hocken. „Wenn du uns mal sagen würdest, was du dir genau vorstellst, bevor wir einen Entwurf fertiggestellt haben, wäre es einfacher. Aber du äußerst ja nie deine Meinung.“ „Gerade von dir hätte ich mir mehr Engagement gewünscht. Für deine Musik und deine Freunde scheinst du ja viel Zeit zu haben, nur nicht für die wesentlichen Dinge. Immer dasselbe mit dir.“ Ich verleierte die Augen. „Wenn du Probleme hast, lass die nicht an mir aus, ich hab genug eigene.“ „Tja, das glaub ich gern…zum Beispiel deinen blonden Freund, wegen dem du monatelang in Japan unterwegs bist…such dir lieber mal eine vernünftige Freundin. Aber da kann ich sicher lange reden, du wirst wahrscheinlich nie normal…erst hängst du dich an diese Gruftis und dann wirst du auch noch schwul.“ „Ach jetzt auf einmal stören dich solche Dinge wieder? Ich werde echt nicht schlau aus deinen Launen, außer, dass sie mir echt tierisch auf die Nerven gehen.“ Eigentlich hatte ich meiner Meinung nach nichts Schlimmes gesagt, doch dafür musste ich einen heftigen Schlag ins Gesicht einstecken. Ohne, dass ich richtig wusste warum, rastete mein Vater völlig aus und ich fing alles ab. Jetzt wusste ich, wie sich meine Mum wohl gefühlt haben musste. Er entschuldigte sich nicht mal und mit schmerzenden Gliedern schleppte ich mich in meine Wohnung. Jojo war zum Glück schon eher gegangen und hatte so nichts mitbekommen. An meinem rechten Arm bildeten sich leichte Blutergüsse, einige blaue Flecke und ein kleiner Riss am Auge, der aber kaum noch zu sehen war, nachdem ich ihn gekühlt hatte. Ich zitterte immer noch ein bisschen und dann fühlte ich mich traurig. Hatte ich wirklich jemals an ein glückliches Familienleben geglaubt? Es würde niemals so sein, wie ich es gerne hätte und aus diesem Grund saß ich doch auch hier in meiner kleinen Wohnung. Mein Vater würde mich wahrscheinlich immer so tyrannisieren. Ich legte den Kühlbeutel zur Seite, als es klingelte und drückte lustlos auf den Summer, sodass die Tür im Erdgeschoss aufsprang. Oben die Tür lehnte ich an und zündete mir im Wohnzimmer eine Zigarette an. Doch mein Besuch zauberte mir ein schwaches Lächeln auf die Lippen. Erst jetzt fühlte ich wieder, dass ich noch Halt hatte. Nicht alles in meinem Leben war so trostlos und das kleine Licht am Ende des Tunnels hieß Juka. Er gab mir einen Kuss und warf mir sogleich einen fragenden Blick zu. Ich schüttelte nur mit dem Kopf und lehnte mich an seine Schulter. Als Juka an meinen Arm kam, zuckte ich ungewollt leicht zusammen. Und der Kratzer am Auge entging ihm auch nicht. „Was hast du wieder gemacht Luki?“ „Nicht ich…mein Vater. Wahrscheinlich musste er seine Wut mal an jemandem auslassen.“ „Was? Er hat dich geschlagen?“ Ich merkte gar nicht richtig, dass ich weinte, weil ich es eigentlich auch gar nicht wollte, doch jetzt wurde mir der Ernst der Lage erst richtig bewusst und ich war so froh, dass Juka jetzt bei mir war. „Bleibst du heute Nacht bei mir?“, fragte ich mit zittriger Stimme und Juka gab mir ein Nicken zur Antwort. Es verging eine Woche, in der ich mich nicht bei meinen Eltern blicken ließ, doch sah ich meinen Vater immer in der Firma. Alles schien auch soweit gut zu sein und ich erwähnte den Vorfall zu Hause nicht mehr. Doch dann ließ er mich in sein Büro bestellen. Ich dachte mir nichts dabei und vermutete, es ging um irgendeinen Auftrag. Doch, als er mich mit diesem Blick anfunkelte, wurde mir bewusst, dass da mehr dahinterstecken würde. „Lukas, so kann das nicht weitergehen…ich habe gestern von einem guten Freund hören müssen, dass er dich mit deinem schwulen Freund in der Stadt getroffen hat…das war mir ehrlich unangenehm.“ Das traf mich tief, weil sich seine Äußerung gegen Juka, mein ein und alles richtete. „Na und? Ist doch meine Beziehung…was geht dich das an?“, entgegnetet ich gereizt. Er kam um seinen Schreibtisch rum und nährte sich mir gefährlich. „Weil ich dir deine Wohnung bezahle, dafür sorge, dass du deine Ausbildung machen kannst und dafür erwarte ich eine Gegenleistung! Es ist doch wohl schon eine Zumutung, dass ich diese Piercings ertrage, doch dann auch noch deine Vorliebe für Männer! Das geht einfach zu weit.“ „Dein Jobangebot hab ich nur angenommen, weil ich dachte unser Verhältnis könnte sich dadurch normalisieren, aber dir scheint es gar nicht darum zu gehen! Du bist noch immer der Heuchler, der aus jeder Situation seine Vorteile zieht und seine Freunde nach ihrem Einkommen wählt!“ „Sowas sagt mir ein 18 jähriger Schnösel wie du? Ohne mich wärst du doch ein nichts!“ Ich lachte auf, weil ich diese Aussage lächerlich fand. „Ach wirklich? Das wollen wir erst mal sehen! Ich komm auch ohne deine Hilfe klar.“ „Mit deiner blonden Schwuchtel, ja?“ Das ging zu weit. „Besser, als mir Freunde erkaufen zu müssen und allen vorzugaukeln der perfekte Ehemann gewesen zu sein…du hast Mama doch auch nur geschlagen, um sie bei dir zu behalten und weil du wusstest, sie wehrt sich nicht!“ Das irre Funkeln in seinen Augen wurde extremer und seine Hand rutschte ihm aus. Einmal. Zweimal. Er presste mich wutentbrannt gegen die Wand und seine Hände drückten mir fast das Blut in den Armen ab. Unsanft wirbelte er mich herum und schleuderte mich gegen seine Glasvitrine. Schützend zog ich meine Kapuze blitzschnell über den Kopf, doch in meiner Hand blieb ein Splitter stecken und als ich ihn unter Schmerzen herauszog, quoll das Blut aus der Wunde. Tausende von Scherben klirrten. Mein Vater starrte mich nur mit offenem Mund an. Doch schnell fand er die Worte wieder. „Was hab ich da nur für einen Versager großgezogen.“ Im Gehen ließ ich noch eines der Papiertaschentücher am Waschbecken mitgehen und knallte die Tür hinter mir. Mein Schienenbein schmerzte von seinem Tritt dagegen und ich humpelte. Als mich Max so zu meinem Arbeitsplatz kommen sah, fuhr er mit mir sofort ins Krankenhaus, damit die kleinen Glassplitter entfernt werden konnten und die Wunde genäht. Anschließend brachte er mich noch zu meiner Wohnung. Durch den Schlag ins Gesicht war meine Lippe leicht aufgesprungen. Mit einem Taschentuch tupfte ich das Blut ab und ließ mich erschöpft auf mein Sofa sinken. Unter heißen Tränen, die mir über die Wangen rannen, fand mich meine Schwester schluchzend vor und sie tat das einzig richtige in diesem Moment und rief Juka an. Ich musste ihm nicht erzählen, was passiert war, denn er dachte sich seinen Teil. Ich hatte ihn doch nur verteidigen wollen, was war so falsch daran? Meinen liebsten Juka. Ich schmiegte meinen Kopf an seine Schulter und in seinen Armen fühlte ich mich geborgen. Später holte ich mir dann ein Bier und rauchte eine. Mitfühlend sah mich Juka an. „Ich hab ihn ein bisschen provoziert, aber nur weil er damit angefangen hat…ich wusste nicht, dass es solch ein Ausmaß nehmen würde.“ „Mein Süßer…du glaubst gar nicht, wie ich mit dir mitleide. Wie kann er deinen wunderschönen Körper nur so schänden?“ „Weil ich für ihn nichts weiter als ein Versager bin…eine zugepiercte, tätowierte Schwuchtel, die ihr Leben nicht in den Griff bekommt.“ Juka gab mir einen Kuss auf die Stirn und wischte mir die Tränen weg. „Aber das bist du nicht Luki….das muss dir bewusst sein. Du bist der wundervollste kleine Chaot, den ich kenne.“ Jetzt lächelte ich ein bisschen, aber nur ganz schwach. „Für ihn bin ich nicht mehr Juka und daran kann ich wohl nie etwas ändern…das tut echt weh.“ Juka zauberte aus den Kartoffeln und dem Gemüse in meiner Vorratskammer einen Auflauf und verdonnerte mich dazu, etwas zu essen. Dann kuschelten wir uns auf das Sofa und ich schlief in seinen Armen ein. Juka blieb auch noch die nächsten zwei Tage bei mir und mit ihm an meiner Seite fühlte ich mich nicht mehr so einsam. Ich kapselte mich trotzdem ab und verdrängte meine Probleme ganz tief in meinem Gehirn. Nicht mal unser Konzert im Underground baute mich richtig auf, obwohl ich meine Gefühle beim Singen raus lies. Wir bekamen sogar eine Zugabe und plötzlich fühlte ich mich besser und durch meine Musik wurde ich stärker. Ich lächelte meinen Fans zu und kündigte einen weiteren Song an, den ich erst kürzlich verfasst hatte und, der von meiner Vergangenheit sowie von meinen Problemen mit meinen Eltern handelte. Mit voller Leidenschaft zur Musik setzte ich meine Stimme ein. Später tranken Basti, Flo, Fabi, Lena und ich noch ein Bierchen. Ich erspähte Nici, die voll aufgestylt auf der Tanzfläche agierte. Zusammen mit ihrer Freundin, von der mir der Name entfallen war, rockte sie voll ab. Juka wollte mit Kami auch noch hier her kommen und sehnlichste wartete ich auf diesen Moment. Flo und ich schnappten dann ein bisschen Luft und leider lief ich dort auch meiner liebenswerten Ex- Freundin über den Weg. Sie und ihre Freundin kicherten blöde und schauten sich um, als wir raus kamen.  Eher schüchtern winkte sie mir zu und kam dann nach einer Weile zu Flo und mir. „Hey, toller Austritt vorhin“, lobte sie anerkennend. „Danke. Und sonst, alles klar bei dir?“, fragte ich ohne auch nur eine Miene zu verziehen. „Ja, ich mache gerade eine Ausbildung zur Friseurin. Macht echt voll spaß…aber sag mal, du hast dich früher auch mal mehr gestylt oder?“ Ich zuckte gelangweilt mit den Schultern und nahm einen tiefen Zug. „Hab eben zurzeit keinen Bock mich so aufzumotzen.“ „Schade, das hat mich an dir immer so besonders gereizt, deine tollen Outfits. Aber Menschen scheinen sich zu ändern.“ Ich verdrehte die Augen. „Geändert hab ich mich sicher nicht, nur hab ich eben keine Lust dazu…andere Dinge machen mir im Moment mehr zu schaffen.“ „Das übliche, was? Lukas das ewige Sorgenkind.“ Mir fehlte echt die Kraft mich jetzt mit dieser Tussi anzulegen. „Weißt du Nici…einer wie dir geht es doch immer nur ums toll aussehen und jemand, der nicht bei eurem Schaulaufen mitmachen will, ist wahrscheinlich kein echter Goth, aber selbst, wenn ich in weißen Klamotten rumlaufen würden, wäre ich mehr Goth als du jemals sein wirst. Außerdem kann ich anziehen, was ich will.“ Darauf fand sie nicht so schnell eine passende Antwort und ich grinste in mich hinein. „Ich hab keine Ahnung, was du gerade wieder für Sorgen hast, aber da ziehe ich es besser vor mich zu stylen, als sone Deprilaune wie du zu verbreiten.“ „Halt dich am besten aus Dingen raus, von denen du keine Ahnung hast…und du schreibst schon gar nicht vor, wie ich zu sein habe.“ Je mehr ich mit ihr diskutierte, desto mehr steigerte ich mich innerlich in meine Situation hinein. Ich war genervt von Nicis Stichelleien und hätte gern gewusst, was sie damit erreichen wollte. „Stimmt ja, deine miese Laune hast du ja schon immer an anderen ausgelassen, hab ich vergessen.“ Ich war kurz davor durchzudrehen. „Kannst du mir mal sagen, was das soll? Lass mich einfach nur in Ruhe. Ich hab ja wohl nen guten Grund meine Laune an dir auszulassen, wenn du mich so dumm anpöbelst…ich hab dir nichts getan.“ Ich merkte extrem, wie verletzlich ich eigentlich war und, dass ich weniger einstecken konnte als sonst. Hatte ich nicht sonst immer einen coolen Spruch auf Lager? Wohin war mein Selbstbewusstsein verschwunden? Ich lehnte mich an die Wand und schaute hinauf in den Sternenhimmel. Ich spürte Nici ihren Blick auf mir ruhen. Nach einer Weile sagte sie dann: „Dir scheint es gerade wirklich nicht so gut zu gehen oder?“ „Haha…lustig was? Ich erwähnte ja bereits, dass ich meine Probleme habe und dann bist du selbst Schuld, wenn du mich dumm anmachst.“ „Tut mir leid…willst du mir vielleicht sagen, was los ist?“ Ihre Stimme klang plötzlich freundlich und einschmeichelnd. „Ich seh zwar beschissen aus, aber nein danke, meine Sorgen brauch ich nicht mit jemand zu bequatschen, mit dem ich das sonst auch nicht tue. Ich komm schon klar.“ „Okay, was du nicht sagst…dachte nur…wie läuft es zwischen dir und Juka?“ Ich lächelte, als Nici seinen Namen aussprach und als ich meinen Kopf erhob und in die Ferne blickte, erkannte ich seinen blonden Schopf von weiten. „Bestens.“ Wieder schwiegen wir uns an und Nicis Blick blieb an dem Verband um meiner Hand haften. „Was hast du denn da angestellt.“ „Unwichtig“, erwiderte ich kurz und knapp. „Ach so…merke schon, dass du nicht sehr gesprächig bist.“ Das lag wohl daran, dass dieser Horrortag noch einmal in meinem Kopf ablief, wie ein kurzer Kinofilm. Ich hasste meinen Vater. Irgendwie war es schlimm so zu denken, doch diesen Gedanken hatte ich schon oft gehabt, nur wurde er immer realer und das war mein voller ernst. Juka und Kami begrüßten mich lieb. Dann legte Juka seine beiden Zeigefinger an meine Mundwinkel und zog diese nach oben. Automatisch grinste ich. „Geht doch…ich mag dich nicht so betrübt sehen“, sagte er und küsste mich zaghaft auf den Mund. Im Club setzte ich mich auf Jukas Schoß und schwieg den Rest des Abends vor mich hin. Meine Depressionen nahmen täglich zu und in der Schule war Danny vorsichtig, was er sagte, um mich nicht noch mehr zu reizen. Ich ließ kaum noch Gefühle zu und nichts machte mir mehr Freude.   Kami war der einzige, mit dem Juka über Lukas seinen Missbrauch geredet hatte. Es tat ihm sehr weh seinen liebsten Schatz so verletzt und verschlossen zu sehen. Juka wusste nicht, wie er als nächstes vorgehen sollte. Klar, dass sowas nicht spurlos an einem Menschen vorübergeht, aber Lukas redete auch kaum noch mit ihm darüber. Er war allgemein sehr schweigsam geworden, außer, wenn er auf der Bühne stand und sang. Da ließ er seine Gefühle zu, sonst nicht. Juka belaberte Kami schon seit Tagen mit diesem Thema. „Du musst ihn darauf ansprechen Juka…sonst verlierst du ihn vielleicht.“ „Ich habe mich mal belesen, was mit jemanden passiert, der ohne Grund von seinem Vater geschlagen wird…sowas wirkt sich extrem negativ auf den Gefühlsteil im Gehirn aus und man resigniert. Echt schlimm und ich befürchte Lukas ist auf dem besten Weg dorthin.“ Kami schaute seinen Freund lange an und trank den letzten Schluck seines Kaffees. „Dann hilf Lukas…er braucht dich.“ Juka nickte und sein Freund hatte recht. Als er Lukas in seiner Wohnung aufsuchte, sah er unverändert aus. Die dunklen Ringe unter seinen Augen zeigten, dass er wenig geschlafen hatte und seine eingefallene Körperhaltung ließ ihn so verletzlich erscheinen. Seine leuchtenden grünen Augen waren mit Trauer erfüllt. Auf dem Sofa saßen sich die Liebenden gegenüber und Juka nahm seine Hände in die seine. Dann schaute er Lukas tief in die Augen. „Luki, so kann das nicht weitergehen. Du entfernst dich jeden Tag einen Schritt mehr und das kann ich nicht so einfach hinnehmen. Ich habe sowas noch nie durchgemacht, aber ich weiß, was gerade in dir passiert, doch das darfst du nicht zulassen, auch wenn es schwer ist.“ „Woher willst du wissen, was in mir vorgeht?“, fragte er mit belegter Stimme. „Weil ich mir solche Sorgen um dich mache und mich deshalb ein bisschen belesen habe. Du machst dich kaputt, wenn du weiterhin so schweigsam und eingeigelt vor dich hinlebst. Bitte, wir haben schon so viel zusammen durchgestanden.“ Jetzt formten sich seine Lippen zu einem schwachen Lächeln. Er küsste seine Hände. „Ich bin es nicht gewohnt, dass sich jemand so um mich sorgt…aber es ist schön das zu hören…ich weiß nur manchmal selbst nicht, wie ich diese Gefühle unterdrücken kann.“ „Mir schwebt da schon etwas vor…“ „Echt? Und was?“ Lange hatte Juka diese Worte geübt und jetzt wusste er doch nicht, wie er sich ausdrücken sollte. Er konnte nicht einmal einschätzen, ob es richtig war sowas einfach zu entscheiden. „Weißt du, wir sind ja schon ziemlich lange zusammen…“ „Neun Monate und drei Tage“, murmelte Luki. Juka lächelte und küsste ihn. „Ja…schon ne ganz schöne Zeit und was hältst du davon, wenn wir zusammenziehen würden?“ Auf einmal erhellte sich seine Miene ein bisschen. „Echt jetzt? Ich denke, das würde mir gut tun…gleich heute?“ „Du bist süß….wann immer du möchtest.“ „Sofort.“ Seine Augen wurden glasig und Juka nahm ihn in seine Arme. „Wenn du magst, können wir auch mal ein Wochenende irgendwohin fahren…einfach mal weg, damit du auf andere Gedanken kommst.“ Lukas lehnte mit seinem Kopf an Jukas Schulter und dieser vernahm sein leises Schluchzen. Seine Hände strichen über seinen Rücken. „Nichts lieber als das…ich bin so froh, dass es dich gibt…ohne dich könnte ich mich echt gleich erschießen.“ Juka gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf, weil er es nicht mochte, wenn Lukas so redete. „Quatsch nicht so dummes Zeug. Was hältst du von einem Wellnesstag…nur wir beide?“ „Klingt toll. Ich lieb dich so sehr.“ Jetzt lächelte Lukas endlich. Sie küssten sich und Juka mochte es seine Snakebites zu spüren, das fühlte sich wahnsinnig toll an. Juka hatte ein Zimmer in einem Wellnesshotel auf der Insel Rügen gebucht, in dem sich ein Doppelbett und ein Whirlpool befanden. Dort wurden sie richtig verwöhnt, mit Champagner, frischem Obst, täglichem Frühstücksbuffet sowie Massagen. Lukas kam langsam wieder zu Kräften und seinen depressiven Launen wurden allmählich weniger.    Juka wollte unbedingt das Fitnessstudio testen, aber ich nicht. Nicht so, dass ich Sport nicht mochte, aber diese Geräte und dergleichen schreckten mich eher ab. Ich mochte es lieber in der Natur joggen zu gehen oder Volleyball zu spielen. Ich nutzte die Zeit sinnvoll und schlenderte durch die Stadt. Mein Ziel war ein Schmuckladen. Ich ließ für Juka und mich zwei Freundschaftringe mit Gravur anfertigen, denn er hatte die letzten Tag so viel für mich getan oder war für mich da gewesen und ich wollte ihm einfach zeigen, wie sehr ich ihn schätzte und wie viel er mir bedeutete. Die Ringe waren einfache Silberringe, ohne Muster. Nur das Datum, wann wir zusammengekommen sind, ließ ich Innen eingravieren. Dann besorgte ich noch eine Flasche Rotwein. Juka war schon zurück und lag nur mit einer Hose bekleidet in dem traumhaften Himmelbett unseres Zimmers. Ich küsste seinen Bauch und legte mich neben ihn. „Na, hast du deinem Luxuskörper genug Gutes für heute getan?“, fragte ich und grinste. Auch Juka lachte. „Ja hab ich…allerdings könnte er noch ein bisschen Erholung nach der anstrengenden Arbeit vertragen.“ Ich wusste zwar, worauf Juka hinaus wollte, doch ich liebte es ihn zu sticheln. „Da kannste ja zu der netten Massagefrau gehen, die freut sich bestimmt, wenn sie dich verwöhnen kann.“ Doch dann setzte er seine Geheimwaffen ein, sein verführerischer, unwiderstehlicher Blick und er wusste genau, dass er mich so immer rum kriegte. Ich setzte mich auf seine Beine und seine Hände glitten an meinem Oberkörper entlang, er zog mir mein T-Shirt aus. Ich beugte mich zu ihm herab und wir küssten uns sehr leidenschaftlich und ich spielte mit meiner Zunge an seinen Brustwarzen. Er drückte meinen Kopf zaghaft nach unten, öffnete seine Hose und zog sie ihm aus. Juka stöhnte unter meinen Berührungen und seine Fingernägel krallten sich in meine Schultern. Dann legte er sich auf den Bauch, kniete sich hin und seinen Oberkörper senkte er nach unten. Meine Hände lagen auf seinen Schenkeln, während ich in ihn eindrang und ich küsste seinen Nacken. Sein Körper vibrierte leicht unter meinen Stößen und ich konnte mich nicht so lange wie gewollt zurückhalten. In der Dusche knutschten wir auch rum und fuhren mit unserem Liebespiel fort. Juka fuhr mit seinen eingeseiften Händen über meinen Körper und küsste mich überall. Drei mal in einer Stunde hatten wir Sex miteinander und ich hatte noch immer nicht genug.   Am abendlichen Buffet aßen wir nur eine Kleinigkeit, da wir uns heute Mittag in einem Fischrestaurant reichlich die Bäuche vollgeschlagen hatten. Ich wies Juka dann an im Eingangsbereich zu warten und holte schnell den Wein und die Ringe, die ich sorgfältig in meiner Hosentasche verstaute. Ich zog meine Schuhe am Strand aus spürte den weichen, sonnengewärmten Sand unter meinen Füßen. Juka griff nach meiner Hand und auf einem kleinen Steg schauten wir zum Horizont, wie der Feuerball dort verschwand. Ich öffnete den Wein mit meinem Taschenmesser und zündete mir eine Zigarette an. „So gefällst du mir wieder besser“, brach Juka unser geheimnisvolles Schweigen. „Mit dir kann ich einfach nur glücklich sein“, erwiderte ich. Mein Herz schlug schneller und ich fragte mich wirklich zum ersten Mal, ob Juka der Mensch war, nach dem ich immer gesucht hatte. Ich nahm einen tiefen Zug und schaute Juka tief in die Augen. „Schließ mal kurz deine Augen“, sagte ich dann zu Juka. Ich bemerkte, dass er ein bisschen blinzelte. „Ey, nicht schummeln…sonst bekommst du nur den Wein.“ Juka seufzte und kniff seine Augen fest zusammen. Ich nahm seine Hand und verflocht sie mit meiner. Ich küsste ihn zaghaft und steckte ihm den Ring an den Finger. Langsam öffnete er seine Augen wieder und sah mich liebevoll an. „Juka…ich danke dir für die letzten Tage, ich glaub ohne dich hätte ich das nich geschafft. Du gibst mir Halt und Hoffnung. Keine Angst, ich will dich nich heiraten…noch nich, der Ring soll einfach ein kleines Geschenk sein.“ Dann schüttelte er mit dem Kopf und lächelte mich an. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll Luki. Danke…, dass ich so einen wundervollen Menschen wie dich kennenlernen durfte. Ich liebe dich.“ In meinem Körper breitete sich ein wohliges Gefühl aus. Es war so unglaublich und ich wusste nicht, wie es beschreiben soll, man muss es einfach erlebt haben. „Weißt du noch, als du zu mir gesagt hast, dass du sowieso nicht das bekommst, was du willst?“ „Ja und jetzt hab ich es doch. Wie denkst du eigentlich, geht es jetzt weiter?“ Meine Miene verdunkelte sich etwas und ich trank einen Schluck Wein aus der Flasche. „Als erstes suche ich mir ne andere Firma und dann zahle ich meinem Vater das Geld für die Wohnung nach und nach zurück. So kann ich wenigstens dafür sorgen, dass ich ihn nie wieder sehe.“ „Ich könnte es dir bezahlen.“ Heftig schüttelte ich mit dem Kopf. „Du hast schon mehr als genug für mich getan…die Sache muss ich alleine regeln.“ „Aber wie lange wird das dauern? Zwei Jahre? 2000 Euro sind nicht gerade wenig.“ „Da hast du auch wieder Recht, aber woher willst du denn soviel nehmen.“ „Ich hab einen festen Job mein Süßer und ich möchte dich unterstützen, bitte.“ Es war mir unangenehm von Juka so viel Geld zu leihen, aber andererseits war er auch meine einzige Hoffnung, denn wie sollte ich in so schneller Zeit so viel Geld auftreiben. „Nur wenn es wirklich okay für dich ist.“ Mein liebster lächelte mich an und gab mir einen Kuss. „Ja natürlich, sonst hätte ich das nie vorgeschlagen.“ Entspannt und voll erholt trafen Juka und ich Sonntagabend wieder in Berlin ein. Er hob die 2000 Euro gleich von der Bank ab und ich warf es in den Briefkasten meines Vaters. Ich ersparte mir, ihm dabei persönlich in die Augen zu schauen. Flo hatte ich während der ganzen Zeit Obhut in meiner Wohnung gewährt und er putzte sogar regelmäßig. Ihn störte es wenig, dass Juka jetzt auch hier wohnte. Flo hatte mir gebeichtet, dass er sich zwar ein paar Mal mit Kami getroffen hatte, aber nichts passiert war. Er tat mir langsam echt leid und deshalb engagierte ich ein geplantes Treffen in meiner Wohnung. Der Witz an der ganzen Sache war nur, dass ich wusste, dass Kami an Flo interessiert war und umgekehrt, nur schien keiner der beiden Jungs den ersten Schritt machen zu wollen. Juka belächelte das Spielchen auch, doch irgendwie wussten wir am besten, wie schwer es sein konnte, jemanden, den man liebte seine wahren Gefühle zu offenbaren. Juka hatte unbedingt einen Kuchen backen wollen, manchmal war er eben doch mehr Tussi als Mann, aber auch diese Seite mochte ich meinem Liebsten und man musste auch erwähnen, dass er Ahnung vom Kochen und Backen hatte. Flo schlich den ganzen Tag nervös um mich herum, bis ich ihn persönlich ins Wohnzimmer begleitete und ihn anwies auf dem Sofa sitzen zu bleiben. Kami spazierte pünktlich, wie immer in meine Wohnung und ich empfing ihn herzlichst. „Hübsch siehst du heute aus“, begrüßte er mich. Ich lächelte. „Danke, das Kompliment kann ich nur zurückgeben.“ „Heute soll auch ne Mottoparty Tanz der Vampire im Underground steigen. Hat jemand Lust hinzugehen?“, fragte Flo in die Runde und da ich seit langem endlich mal wieder richtig Bock hatte mich aufzumotzen, war ich der Erste, der diesen Vorschlag begrüßte. Und ich verließ meine Wohnung nicht ohne mein Anhängsel. Ich hatte auch schon eine gute Idee, was ich anziehen würde. Nach dem Kaffeetrinken lackierte ich meine Fingernägel schwarz und färbte meine blonden Haarspitzen violett. Flo murrte, weil er es bis jetzt noch immer nicht geschafft hatte, seine Klamotten von zu Hause zu holen. „Bediene dich an meinem Schrank“, sagte ich freundlich zu ihm und er warf mir ein charmantes Lächeln zu. Plötzlich fiel Kamis Blick auf Jukas und meine Ring. „Den hab ich geschenkt bekommen…der Verlobungsring vor dem Verlobungsring sozusagen“, scherzte er. „Wie schön. Na gut ihr Lieben, da würde ich mich noch mal auf den Heimweg begeben und wir treffen uns dann vor dem Underground?“, fragte Kami. „Alles klar“, antworteten Juka und ich fast zur gleichen Zeit. Flo sprang plötzlich auf und begleitete Kami zur Tür. Auch, wenn ich neugierig war, spionierte ich den Beiden nicht nach. Dann verschwand Flo im Badezimmer, um zu duschen. Entspannt lehnte ich mich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Juka räumte das Geschirr in die Spülmaschine und ich half ihm dabei. „Hast du eigentlich vor irgendwann zu heiraten Juka?“, fragte ich. „Irgendwann schon, aber ich finde, sowas sollte man nicht überstürzen…um ehrlich zu sein, hab ich darüber noch nicht nachgedacht…du?“ Ich lächelte ihn an. „Ich weiß nicht…es gibt zu viele Paare, die erst heiraten und sich dann wieder trennen, oft hängen da noch Kinder dran…vielleicht…und wenn, würde ohnehin nur eine Person in Frage kommen.“ Jetzt erwiderte Juka mein Lächeln. „Du hast mal erwähnt, dass du nicht romantisch bist…ich glaube da hast du dich getäuscht. Lass uns nach zehn Jahren übers Heiraten reden okay?“ Ich nickte und küsste ihn zärtlich. Ja, verliebt sein war so toll. „Übrigens siehst du süß mit deinen violetten Haaren aus.“ Wieder grinste ich und verschwand zu meinem Kleiderschrank und dann ins Badezimmer, das Flo mittlerweile geräumt hatte. Ich zog meine lila Röhrenjeans an, deren rechtes Bein lila- schwarz kariert und das linke komplett schwarz war. Da draußen mittlerweile frühlinghafte Temperaturen herrschten, zog ich darüber nur ein Jackett mit vielen Aufnähern und ebenfalls violetten Mustern. Meine Haare stellte ich zu einem Iro auf und begann mich zu schminken. Ich wollte etwas ausprobieren, was ich mich bisher noch nie getraut hatte. Als erstes trug ich violetten und schwarzen Lidschatten auf einem Augenlid auf und klebte anschließend unechte Wimpern daran. Das sah ziemlich strange aus. Dann umrahmte ich beide Augen mit schwarzem Kajal und setzte meine schwarzen Kontaktlinsen ein. Meinen Hals und Hände schmückte ich noch mit Ringen und Ketten, ebenso schnallte ich mir meinen Nietengürtel um die Hüfte. Nach kurzem Entschluss tauschte ich die schwarze Kontaktlinse an dem Auge, das ich mehr geschminkt hatte gegen die weiße Vampirkontaktlinsen ein. Der Effekt: noch gruseliger. Pfeifend räumte ich das Bad für meinen Liebsten, der mir einen anerkennenden Blick zuwarf. „Na hoffentlich kommt dein Stalker heute, damit sie dich mal wieder gestylt sieht.“ Ich steckte Juka die Zunge raus und gab ihm einen Klaps auf den Po. Ich gesellte mich zu Flo ins Wohnzimmer und aß etwas vom Teller mit den belegten Broten, die meine beiden Mitbewohner liebevoll zubereitet hatten. „Wow, nich schlecht.“ Ich grinste. „Was hast du eigentlich mit Kami an der Tür gemacht?“, fragte ich neugierig. Flo stieg die Röte leicht ins Gesicht und er grinste verlegen. „Naja,…ich hab ihn geküsst. Später will ich noch mit ihm reden und so.“ Anerkennend hob ich meinen Daumen hoch, weil mein Mund gerade voll Brot war. Juka trug eine schwarze Hose, ein weißes figurbetontes Hemd und darüber ein Jackett mit silbernen Knöpfen. Zu seinen Vampirkontaktlinsen hatte er seine spitzen Zähnchen noch im Mund an den Schneidezähnen befestigt. Nun endlich verließen wir als Vampirtrio meine Wohnung. Ich nahm mir kurzer Hand doch noch eine Jacke mit, da ich unter meinem Jackett ja nichts trug. Es war Mitternacht, als wir das Underground betraten. Flo und Kami unterhielten sich vor dem Club noch einen Augenblick. Juka und ich besetzten Plätze beziehungsweise hielten nach Basti und den anderen Ausschau. Ich erspähte auch Nici und ihre Leute. Mit Kunstblut hatte ich mir am Hals noch eine Bisswunde hingezaubert, sodass ich sowas wie Jukas Opfer war. Diesen Gedanken fand ich sehr amüsant und musste grinsen. Wir ließen uns bei unseren Freunden nieder und ich holte an der Bar noch etwas zum Trinken. Dort sprach mich auf einmal ein blonder Junge an, den ich sonst immer bei Nici stehen sehen hatte. „Hey, du bist doch Lukas oder?“, fragte er mich ein bisschen stürmisch. „Ähm ja und mit wem habe ich das Vergnügen?“ „Ich bin Alex. Nici hat mir schon viel von dir erzählt und ich habe deine Band neulich hier auftreten sehen. Naja und da du sicher ein paar Connections hier hast wollte ich dich mal fragen, ob du den Chef hier nicht mal mit mir bekannt machen könntest. Ich bin DJ und würde gern mal hier auflegen.“ „Ah, alles klar. Meist ist der Stefan unterwegs und heute habe ich ihn auch noch nicht gesehen. Frag doch an der Theke einfach mal nach Stefan Kunze, die werden dir schon sagen, wo er sich gerade aufhält.“ Alex lächelte mich an. „Danke, Mann. Werd ich machen. Hast du Lust was zu trinken?“ Ich zeigte mit der Hand auf die vollen Gläser, die ich gerade wegbringen wollte. „Später vielleicht.“ Scheinbar hatte sich Nici verkniffen in der Gegenwart ihrer Freunde über mich zu lästern, denn Alex schien mich nicht irgendwie meiden zu wollen. Aber sollte mir auch egal sein. Flo und Kami kamen gerade zur Tür hinein und hielten Händchen. Ich grinste die Zwei an und sie halfen mir beim Tragen der Biergläser. „Da scheint ja jemand Erfolg gehabt zu haben“, flüsterte ich Flo ins Ohr. Er nickte mir zu und sein Lächeln wurde breiter. Malen kam auch mal wieder in den Club, obwohl sie und Flo kein einziges Wort wechselten. Mit aufgerissenen Augen sah sie mich an. „Du bist ja schnieke. Hast du Lust zu tanzen.“ Ich zog die Stirn in Falten. „Ich und tanzen…wann hast du mich denn das letzte Mal auf der Tanzfläche gesehen? Vielleicht, wenn ich betrunkener bin“, entgegnete ich. „Ah ja, ich vergaß, dass du ein Tanzmuffel bist. Dann musst du wohl oder übel mehr trinken.“ „Ja ja“, bemerkte ich trocken und warf Malen ein schiefes Lächeln zu. Sie setzte mich neben mich auf den freien Stuhl wir stießen an. Flo warf ihr gelegentlich einen grimmigen Blick zu, den ich so gut, wie es eben ging ignorierte. „Kommst du mit raus eine rauchen?“, fragte mich Malen. „Wenn du mir eine gibst?“ Wieder sah sie mich fragend an. „Hast du etwa vor aufzuhören?“ „Eigentlich schon, aber ab und zu ist ja nicht so schlimm. Also los.“ Ich gab Juka einen Kuss und verschwand mit Malen an der frischen Luft. Sie gab mir auch Feuer und ich nahm einen tiefen Zug. Meine Kumepline beäugte mich fasziniert. „Jetzt könntest du fast in nem Tim Burton Film mitspielen“, lachte sie und ich musste ebenfalls lachen. „Hab ich dir noch nicht erzählt, dass ich demnächst neben Jonny Depp in Alice im Wunderland Teil 2 spiele? Dafür muss ich ja üben.“ „Dir scheint es wieder besser zu gehen. Die letzten paar male, die ich dich hier gesehen habe, wirktest du eher angeschlagen.“ „Ja, es war auch nicht so einfach in den letzten Monaten, aber ich jetzt is wieder alles beim Alten.“ „Flo fehlt mir irgendwie“, sagte Malen nach einer Weile des Schweigens und sah traurig zu Boden. „Ich glaub Flo hat auch nen anderen Weg eingeschlagen. Soweit ich das mitbekommen habe, ist er seit eben mit Kami zusammen.“ Sie lachte betrübt. „Toll, da bestätigt sich doch wieder, dass alle hübschen Männer blöd oder schwul sind.“ „Vielleicht, aber ich denke das mit Flo und dir wäre nicht länger gut gegangen.“ Malen schaute verständnislos drein. „Das sagst du so leicht.“ „Ja das sage ich so einfach, weil dazu immer zwei gehören und ich habe die letzten Wochen sehr viel Zeit mit Flo verbracht. Ihm ging es ähnlich wie mir und ich glaube, dass Kami besser für ihn ist. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber Flo als auch ich brauchen jemanden, der uns Halt und Vertrauen gibt. Es ist anders als Junge mit einem Jungen zusammen zu sein und das soll auch gar nichts gegen euch Mädels sein, aber es ist eben so.“ „Aber das habe ich ihm doch auch gegeben?“ „Ja sicher hast du das, daran zweifle ich auch nicht, aber es ist auch so- wo die Liebe eben hinfällt. Flo wollte etwas anders ausprobieren und Kami hat ihn schon länger gereizt.“ Malen sah mich lange, ja fast nachdenklich an. „Und du? Wolltest du auch etwas Neues ausprobieren?“ Ich musste grinsen. „Schätze schon…aber da war auch noch etwas anderes. Ich habe von Mal zu mal gemerkt, dass das zwischen Juka und mir mehr als nur Freundschaft ist. Es war nur nicht ganz leicht, sich das so einfach einzugestehen. Ich hab es riskiert und nichts bereut.“ „Vielleicht sollte ich mir auch ein Mädel suchen“, seufzte Malen. Ich streckte meine Arme aus und zog sie sanft an mich. „Dich hält keiner davon ab Süße…und du bist jung, was hast du also zu verlieren?“ „Ich habe gerade einfach keine Lust auf Liebe. Das schmerzt nur und ich will nicht wieder verletzt werden.“ Ich strich ihr über den Kopf. „Dann versuche eine Weile dein Singleleben zu genießen und irgendwann, wenn du gar nicht damit rechnest, findest du den oder die Richtige.“ „Was du nicht sagst. Lass und hineingehen und tanzen.“ Ich lachte und nahm Malens Hand. Ich sah Nici zwar nicht direkt an und doch wusste ich, dass sie mich gelegentlich beobachtete. Das nervte echt. „Geh mal zu ihr hin und droh ihr, dass du ihr in den Hals beißt, wenn sie nicht endlich aufhört, mich zu begaffen“, sagte ich zu Juka. Dieser lachte nur. „Das werde ich sicher nicht tun, schließlich habe auch ich meine Dummheitsgrenze.“ „Hahaha, das Wort ist mal toll“, kicherte ich. „Außerdem bist du selbst daran schuld, wenn du dich auch so aufmotzt.“ Ich steckte Juka wieder mal die Zunge raus und trank mein Bier leer. Kurzerhand, weil ich so gute Laune hatte, entschloss ich mich dann doch mit Malen auf die Tanzfläche zu stürmen. In meinen Plateaustiefeln kam ich mir so groß vor. Das lag wohl an den 14 Zentimeter Absätzen. Doch wir hatten unseren Spaß. Es lief gerade Violet Stigmata, schaurig schön. Malen und ich tanzten uns immer mal spaßhaft an und mussten dabei lachen. Als ich Nici in meinem Augenwinkel erspähte, ignorierte ich sie, wie schon den ganzen Abend. Gegen um vier traten mein Jukasschatz und ich den Heimweg an. Als ich im Wohnzimmer das Licht anknipste, sah ich, dass meine Schwester auf dem Sofa lag und mich leicht verschlafen anschaute. Ich wusste von meinem Vater, dass sie von zu Hause abgehauen war, weil sie nicht mehr miteinander klarkamen. Diese Nachricht hatte er auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen und ich hatte damit gerechnet, dass Jojo früher oder später bei mir auftauchen würde. Sie schien die zerrissene Strumpfhose, den Leominirock und das Top mit den Sicherheitsnadeln schon mehrere Tage zu tragen, da die Klamotten sehr abgetragen wirkten. Ich wusste nicht, ob ich sauer auf mein Schwesterchen sein sollte, weil sie einfach abgehauen war oder nicht. Ich entschied mich für letzteres. Ich bat Juka im Bad das Wasser in die Wanne zu lassen, weil Jojo ziemlich durchgefroren zu sein schien. Ich setzte mich auf das Sofa und nahm sie auf meinen Schoß. „Na kleine Ausreißerin…du scheinst ja immer mehr in meine Fußstapfen zu treten.“ Ich nahm die Kuscheldecke neben mir und hängte sie Jojo um die Schultern. Sie schmiegte ihren Kopf an meine Brust. „Es tut mir leid…ich habe wirklich versucht so lange wie möglich mit ihnen auszukommen, aber es ging nicht mehr. Ich halt das mit dieser verzogenen Ich-bekomme-was-ich-will-Jenny nicht länger unter einem Dach aus. Papa tut immer so, als ob sie das tollste Kind der Welt wäre und ich werde dauernd dumm angenölt.“ Ich küsste Jojo auf ihr Haar und trug sie ins Badezimmer. „Nimm erst mal ein heißes Bad Kleines.“ Sie sah mich mit ihren Kinderaugen an. „Bist du gar nicht sauer auf mich?“ Das Zittern in ihrer Stimme ließ vermuten, dass sie sich ängstigte, auch ich könnte sie verstoßen. Ich lächelte sie liebevoll an und schüttelte mit dem Kopf. „Quatsch. Ich kann doch wohl am besten nachvollziehen, wie es dir geht Jojo. Stört es dich, wenn ich mich jetzt hier abschminke?“ „Nee“, sagte sie, zog ihre Klamotten aus und stieg ins die Badewanne. Auch ich schlüpfte aus meinem Jackett und den Stiefeln. Dann beträufelte ich ein Wattepad mit Reinigungsmilch und entfernte mein Augen Make- up. „Außerdem hat er mir eine Nachricht hinterlassen, dass du die Flucht ergriffen hast. Ihn schien es aber nicht weiter zu kümmern…Arsch.“ Juka klopfte zaghaft an die Tür und ich öffnete sie einen kleinen Spalt. „Möchte Jojo noch eine Kleinigkeit essen? Da würde ich noch was machen.“ Ich wendete mich meiner Schwester zu. „Hast du hunger Kleines?“ Sie tauchte aus der Schaumwolke auf und nickte. Ich küsste Juka und schloss die Tür wieder. Das Kunstblut an meinem Hals war hässlich verkrustet und ich musste es mit meinen Fingernägeln abpopeln. Eine der Kontaktlinsen wäre mir um ein Haar in den Abfluss gefallen. „Lukas…an dem einen Tag, als du hier so aufgelöst in die Wohnung gekommen bist,…war es Papa, der dich geschlagen hat?“ Ich schaute mein Schwesterchen lange und ernst an. „Ja…ich hole dir ein T-Shirt von mir, das du zum Schlafen anziehen kannst. Bin gleich wieder da.“ Ich wühlte in meinem T-Shirt Stapel und kramte mein Fanshirt von ASP heraus. „Kannst du mir bitte ein Handtuch geben“, fragte Jojo, als ich wieder ins Bad kam. „Klar doch.“ Ich nahm ein großes und wickelte sie darin ein, wie es unsere Mum früher im getan hat, wenn wir aus der Badewanne wollten. Mein T-Shirt reichte Jojo bis zu den Knien und ich musste schmunzeln. Juka hatte ein paar Brote geschmiert und sie ins Wohnzimmer auf den kleinen Tisch gestellt. Jojo leerte den ganzen Teller und krabbelte dann auf meinen Schoß. „Ich war auch zwei Tage nicht in der Schule“, sagte sie betreten. „Das ist zwar nicht gut, aber ich kann dich verstehen. Am Montag gehst du bitte wieder in die Schule. Deinem Vater scheint es ja so ziemlich egal zu sein, wo du dich herumtreibst, deshalb würde ich vorschlagen, dass du hier bleibst.“ „Mein Vater? Ist es nicht unser Vater?“, fragte mich Jojo skeptisch. Ich seufzte. „Für mich ist er kein Vater mehr, Kleines. Wo bist du eigentlich gewesen?“ Jojo räusperte sich und schaute abwechselnd zu mir und auf den Boden. „Naja…ich habe da ein Punkmädel kennengelernt und sie hat mich mit in ihre Hütte genommen. Dort lebt sie mit noch einem Mädchen und zwei Jungs. Aber es ist nichts passiert und ich hab auch nichts genommen oder so.“ Ich warf ihr einen ernsten Blick zu. „Jojo, ich habe nichts dagegen, wenn du mit den Punks rumhängst, aber komm beim nächsten Mal bitte erst zu mir. Ich weiß, dass einige von ihnen nett sind, aber es geht schneller als du denkst und sie haben dir was untergejubelt. Bitte sei vorsichtiger…die Punks auf beim Bahnhof werden auch nicht besser…Genug geredet. Du brauchst jetzt Schlaf.“ „Okay, ich pass in Zukunft besser auf, großer Bruder.“ Ich lächelte Jojo und gab ihr noch einen Kuss. Juka brachte Bettzeug und richtete meiner Schwester auf dem Sofa ein gemütliches Nachtlager her. Ich ging auf den Balkon und rauchte noch eine Zigarette. Mit dem Rücken lehnte ich mich an die Wand und beobachtete eine kleine Spinne, die an der Wand gegenüber gerade hinauf krabbelte. Der kühle Nachtwind strich über meinen nackten Oberkörper und mich fröstelte es leicht. Juka öffnete die Tür und leiste mir noch ein bisschen Gesellschaft. „Du sollst dann noch mal zu ihr kommen.“ „Werde ich tun.“ Ich nahm Jukas Hand und zog ihn näher zu mir, sodass sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Seine warmen Hände umfassten meine Hüften und ich bekam eine leichte Gänsehaut. Ohne Plateaustiefel überragte mich Juka wieder um einen halben Kopf. „Wolltest du nicht neulich mit dem Rauchen aufhören“, hauchte er mir zu. „Hab ich sowas behauptet? Davon weiß ich nichts.“ Er verdrehte seine Augen und schüttelte mit dem Kopf. Ich nahm einen tiefen Zug und blies den bläulichen Rauch an Juka vorbei. „Du warst heute ganz schön sexy...naja, eigentlich bist du es noch“, flüsterte er mir ins Ohr und küsste mich leidenschaftlich. Jetzt wurde mir wieder heiß und kalt im Wechsel. Behutsam schob ich Juka ein bisschen von mir weg. „Ich sage Jojo noch gute Nacht und danach kannst du mit mir machen, was du willst.“ „Oho, das klingt vielversprechend.“   Kapitel 33: Gebrochen --------------------- Mit zittrigen Händen steckte ich den Schlüssel ins Schloss meiner Wohnung. Mein letztes Geld hatte ich für den Flug ausgegeben. Doch zum Glück hatte ich hier noch Ersparnisse. Der Griff meiner Reisetasche glitt mir aus den Händen und sie krachte auf den Laminatboden. Dieses Geräusch hallte unendlich laut in meinen Ohren. Schon eine ganze Weile war ich nicht mehr in meiner Wohnung gewesen, fast ein ganzes Jahr. Jojo hatte immer mal wieder geschaut, ob alles okay war, denn ganz aufgeben hatte ich sie nicht wollen. Jetzt war ich mehr als froh darüber, denn sonst hätte ich hier nichts gehabt und hätte meinen Eltern Bescheid geben müssen, dass ich zurück war. Doch gerade jetzt wollte ich keine Menschenseele um mich haben. Das würde ich nicht ertragen. All diese quälenden Fragen, warum ich wieder in der Stadt war und so. Langsam ließ ich mich auf mein Sofa sinken. Am Liebesten würde ich verschwinden oder meine Gefühle ausschalten können, damit dieser unerträgliche Schmerz nachließ. Würde er überhaupt jemals nachlassen? Und zum millionsten Mal fragte ich mich warum? Warum ich? Hatte ich es nicht auch einmal verdient glücklich zu sein? Nein, ich schaffte es immer wieder mir die größten Vollidioten anzulachen. Doch das schlimmste war, dass ich mich in einem Menschen, diesem einen Menschen so gewaltig getäuscht hatte. Ich verstand bis jetzt noch nicht wie all das hatte passieren können. Es ging alles so schnell. Mir kamen die Tränen und ich brach zusammen, unfähig noch mehr Leid zu ertragen. Ich wollte Dinge zerstören, mich abschießen, nur damit dieser verdammte Schmerz nachließ. Das tat ich dann auch. Ich tat das, was er nicht leiden konnte, wenn ich völlig breit gewesen war. Ich schlief irgendwann ein, erwachte mitten in der Nacht wieder, vollkommen aufgelöst, weil der Alkohol nachließ, deshalb machte ich da weiter, wo ich aufgehört hatte. Ich wusste, dass es mir danach wahrscheinlich noch schlechter gehen würde, aber das interessierte mich gerade mal sowas von gar nicht. Ich rasierte mich nicht mehr, für wen auch? Halb komatös im Bett liegend bekam ich mit, wie jemand meine Wohnungstür aufschloss. Automatisch zog sich mein Herz zusammen und ich war plötzlich hellwach. Schritte. Jemand lief im Wohnzimmer herum. Auf einmal ein Wumms und ein Fluchen folgte. Und beim Klang seiner Stimme wieder dieser Schmerz. Das Stechen in der Brust, so als würde einem jemand mit einer scharfen Klinge in meinem Herz herumbohren. Und schlimmer als jede Verletzung, die ich mir jemals zugefügt hatte. Ich erhob mich und torkelte ins Wohnzimmer. Er schaute mich an. „Ich habe nicht erwartet, dich hier anzutreffen.“ „Haha, guter Scherz. Wo sollte ich denn sonst sein“, lallte ich. „Weiß nicht. Ich hole nur noch meine restlichen Sachen, dann bin ich weg.“ Ich bebte vor Zorn. Was erlaubte er sich eigentlich? Als hätte er mir nicht schon genug angetan. „Wie kannst du es wagen hier aufzukreuzen....verpiss dich einfach, ich ertrag deine Visage nicht.“ Er kam auf mich zu und wollte mich vorm Umkippen bewahren, doch ich schubste ihn weg und brach zusammen. Bei dem Sturz zersprang die leere Wodkaflasche in tausend Teile und ich landete inmitten des Scherbenhaufens. Doch es war mir egal. Ich heulte nur noch. Er versuchte mir aufzuhelfen, doch auch dieses Mal stieß ich ihn weg, er sollte mich nicht anfassen. „Du blutest, jemand sollte das verarzten.“ „Brauch dich doch nich zu interessieren.“ „Sei doch mal ein Moment lang vernünftig.“ „Ich will aber nich vernünftig sein...ich will nur, dass du verschwindest!“, schrie ich ihn jetzt an. Und das tat er tatsächlich. Wie ein Häufchen Elend blieb ich zurück in meinem Trümmerhaufen. Er hätte wenigstens versuchen können mir zu helfen, auch wenn ich abgelehnt hatte. Doch das zeigte mir, dass ich ihm tatsächlich nichts mehr bedeutete. Meine Arme brannten und sollten wahrscheinlich wirklich versorgt werden. Ich hielt sie unter Wasser und musste feststellen, dass es schlimmer aussah, als es ist. Ich aß kaum etwas, trank nur und kiffte den ganzen Tag. Dann brachte ich einen Songtext zu Papier, der seit Tagen schon in mir brodelte. Die Worte flossen über das Papier und ich beschloss in den Proberaum zu gehen, um eine Melodie zu komponieren. Vorher nahm ich noch eine warme Dusche, denn Wasser hatte mein Körper seid Tagen nicht mehr gesehen. Meinen Bart stutzte ich etwas und marschierte zum Proberaum. Es war schon Anfang November, der Wind pfiff kalt, meine Hände froren fast zu Eiszapfen. Ich hockte mich auf den Bühnenrand und versuchte eine Melodie zu finden, die auf den Text passte, was mir auch recht schnell gelang, da ich in der passenden Stimmung war. Ich merkte auch nicht, dass die Jungs bereits gekommen waren und mir zusahen. Jetzt kombinierte ich beides und sang dazu. Tiefe Traurigkeit und bittere Enttäuschung erfüllten mich und erst jetzt schaute ich auf und erblickte meine Freunde. Sie starrten mich an und Basti ergriff als erster das Wort. Leider erinnerte mich das an seine letzten Worte. „Hey Lukas...mit dir hab ich ja gar nicht gerechnet.“ „Bin auch schon wieder weg, wollte nur was ausprobieren.“ Im Gehen schnappte ich mir noch eine Flasche Schnaps, um meinen Pegel zu halten. Doch Basti versuchte mich aufzuhalten. „Nein, warte. Bitte bleib doch.“ Ich rang mit mir, was ich tun sollte. Mich wieder in der Einsamkeit verkriechen oder hierbleiben, um früher oder später erklären zu müssen, was passiert war? Ich entschloss mich für die Einsamkeit, doch merkte ich, dass ich auch das nicht mehr lange aushielt. Es machte mich kaputt und wenn ich nicht langsam etwas aß, würde ich noch jämmerlich krepieren. Nach einem halben Monat beschloss ich mich wieder zu fangen, denn so konnte es auch nicht weitergehen. Ich hörte vorerst auf mit dem Gesaufe und dann machte ich mich daran alle Bilder und Erinnerungen von ihm, nein von Juka zu vernichten, auch wenn es mich dabei fast zerriss. Mein Ziel war erneut der Proberaum und ich traf auf meine Freunde. Nach einer kurzen Begrüßung setzte ich mich zu ihnen und versuchte gefasst zu wirken. Der Einzige, der vielleicht wusste, was los war, konnte Flo sein, da er noch immer mit Kami zusammen war. Ich bemühte mich fröhlich zu sein, doch es strengte mich an meine Lachmuskeln zu bewegen. Die Jungs erzählten mir, was das letzte Jahr über in der Band passiert war und mich erfüllte das ein bisschen mit Stolz. Nocturna gab es noch immer und ich konnte jetzt wieder ein Teil davon sein. Ich versuchte mich die ganze Zeit über zu beherrschen, alle Gedanken an Juka zu verdrängen und als ich meine Songs auch wieder spielte, gelang es mir sogar ein bisschen. Und dieser Rausch war besser als jede Droge. Ich trank ein paar Bier und wir lachten sogar. „Lukas, es ist schön, dass du wieder da bist“, sagte Basti dann, als wir ein bisschen betrunken waren. Flo verabschiedete sich und auch Lena ging ohne Basti. Nun blieben noch wir drei, Fabi, Basti und ich. Auf einmal überkam es mich und mir schossen die Tränen in die Augen, ich schluckte sie mit Mühe hinunter, doch den beiden entging nichts. „Es tut auch gut bei euch zu sein. Kann ich mit euch reden? Ich glaub irgendwann muss es mal raus.“ Meine Freunde nickten. Ich seufzte und zündete mir eine Zigarette an. „Sicher könnt ihr euch sowieso denken, was passiert is. Juka und ich sind nich mehr zusammen...is verdammt schwer das zu begreifen, weil ich ihn noch immer liebe, aber er hat mich betrogen, belogen und echt krass enttäuscht. Ich hatte immer gedacht in ihm ein Mensch zu sehn, der mich ergänzt, meine zweite Hälfte is, aber dem war nich so...er hat mich am Ende eingeschränkt, sich durch halb Tokio gevögelt, nur weil ihm Kohle wichtiger war als ich...das hab ich nich länger ertragen. Und der Witz dabei is, dass er immer dachte ich bekomm nichts mit. Aber jetzt bin ich mal wieder auf die Fresse gefallen. Doch fällt man nich hin, um wieder aufzustehen?“ Diese Frage stellte ich mehr an mich selbst als an meine Freunde. „Ja, ich dachte mir schon sowas, aber wollt auch nicht fragen. Trotzdem tut es mir leid, das hat keiner verdient. Ich will dich jetzt auch nicht volllabern, von wegen, dir mein Mitleid zeigen...es sei denn du willst das. Wir könnten feiern gehen, wenn du willst.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß nich, hab bissl Schiss, dass ich Juka treff....er is grad in der Stadt.“ „Wir könnten dahin geh‘n, wo er sicher nich is...Hip Hop Club oder so“, sagte Fabi. Ich lächelte schwach. „Das is echt nett Jungs, aber glaub im Moment will ich nirgends hin. Hat mal wieder gut getan hier zu sein, aber so nach weggehen is mir grad nich. Wenn ihr noch wohin wollt, könnt ihr gern gehen.“ Fabi schüttelte heftig den Kopf. „Das kommt nich in Frage. Wir bleiben hier und trinken mit dir. Die Leute können ja auch hierher kommen.“ Ich fand es schön hier zu bleiben. Flo, Lena und Bastis Bruder Mike gesellten sich noch zu uns und somit war unsere Runde komplett, dachte ich zumindest. Da ging die Tür noch einmal auf und ein weiteres Mädchen stieß zu uns. Ich hatte sie irgendwo schon mal gesehen. Auch sie begrüßte mich, als würde sie mich gut kennen und jetzt war es mir erst recht zu blöd zu fragen, wer sie ist. Wahrscheinlich würde sich das Rätsel im Laufe des Abends ohnehin lösen. Irgendwann schnappte ich mir meine Gitarre und klimperte ein bisschen vor mich hin. „Hey Jule, wie war es eigentlich in den Staaten?“, fragte Basti das Mädchen und bei dem Namen wurde mir alles klar. Julietta. Wie lang hatten wir uns schon nicht mehr gesehen? Zwei Jahre? Drei Jahre? Ich konnte es nicht genau sagen. Irgendwie freute ich mich jetzt umso mehr, dass sie hier war. Ich blieb den ganzen Abend eher ruhig und als es dämmerte, traten wir alle den Heimweg an. Julietta und ich mussten in dieselbe Richtung. „Du warst in Amerika? Was gab es da zu sehn?“, brach ich das Schweigen. „Ich hab dort gemodelt und ein bisschen als Tätowiererin gejobbt.“ „Krankenschwester war dir wohl zu langweilig?“ Sie nickte und steckte sich eine Zigarette an. „Irgendwie schon und der Stress war es nicht Wert. Schließlich will ich mein Leben auch genießen können und mich nicht ständig mit irgendwelchen blöden Schwestern um den Dienst streiten. Und was hast du in den letzten Jahren so getrieben?“ Ich hatte gewusst, dass diese Frage kommen würde und ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Sie trieb mir nur wieder die Tränen in die Augen. Ich biss mir auf die Unterlippe und wischte mir über die Augen. Wir standen jetzt vor meiner Wohnung. „Ich war ein Jahr in Tokio...doch werd ich da nie mehr hingehen.“ Und genau jetzt brach die Barriere, die ich den ganzen Abend so tapfer aufrecht gehalten hatte. Die Tränen liefen meinen Wangen hinab. Und dann tat Jule etwas, das ich nicht ganz verstand. Sie nahm mir den Schlüssel aus der Tasche, schloss auf und griff nach meiner Hand. Sie führte mich hinauf in meine Wohnung, wo noch immer die Glasscherben lagen, weil ich sie noch nicht weggefegt hatte. Völlig erschöpft fiel ich in mein Bett und sie legte sich neben mich. „Kann ich dich jetzt allein lassen?“ „Ich glaub es wäre schön, wenn du noch bleibst“, flüsterte ich. Sie strich mir zaghaft über die Wange. „Dann bleib ich noch, bis du eingeschlafen bist.“ Ich weiß nicht warum, aber es tat gut Julietta hier zu haben und es war auch gut, dass sie nichts wissen wollte. Ich spürte ihren Arm auf meinem Bauch und griff behutsam nach ihrer Hand. Dann fiel ich einen traumlosen Schlaf. Die Tage plätscherten so vor sich hin und langsam sollte ich wohl auch mal meiner Familie sagen, dass ich wieder da war. Doch als ich bei meinem Dad klingelte, hörte niemand, also beschloss ich wieder zurück in meine Wohnung zu gehen. Mein Herz rutschte mir fast in die Hose, als ich Geräusche von drinnen vernahm. War das etwa wieder Juka? Doch das konnte nicht sein, er hatte den Schlüssel dagelassen. Trotzdem schloss ich vorsichtig auf und freute mich umso mehr darüber, wen ich da sah. Mein liebes Schwesterchen. Sie fegte gerade die Glasscherben auf, die nun mittlerweile schon seid einer Woche dort lagen. Johanna schaute mich ein bisschen skeptisch an, dann kam sie auf mich zu und umarmte mich. Sie wirkte viel erwachsener als sonst. „Wie lange bist du schon da?“, fragte sie dann. „Glaub jetzt fast nen Monat.“ „Und hältst du es nicht für nötig dich mal zu melden? Bist du alleine?“ Zong! Sie konnte es ja nicht wissen und trotzdem schmerzte ihre Frage. Ich konnte nicht antworten und holte mir stattdessen ein Bier. „Wie geht es dir?“, konterte ich so gut es eben ging. Jojo merkte schnell, dass sie lieber ganz schnell das Thema wechseln sollte. „Mir geht’s gut. Wusstest du, dass wir Omas Haus geerbt haben? Sie ist vor kurzem in ein betreutes Wohnen gezogen und nun gehört ihr Haus uns. Falls du Lust hast die nächsten Tage umzuziehen“, sagte sie und lächelte. Auch ich lächelte und zündete mir eine Zigarette an. „Wäre schon nicht schlecht. Ich wollt mir ohnehin ne neue Bleibe suchen.“ „Lukas, du siehst nicht gut aus. Soll ich dir was zum Essen kochen?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. Kapitel 34: Alte Verhaltensmuster --------------------------------- Und so begann ich in den kommenden Tagen mit packen. Das Haus von meiner Oma lag recht zentral, aber trotzdem in einem ruhigen Wohngebiet. Es besaß einen großen Garten und verlief über zwei Stockwerke. Ich freute mich sogar auf den Tapetenwechsel, denn hier erinnerte mich nahezu alles an Juka und das hielt ich nicht mehr aus. Der Umzug dauerte zwei Tage, also ging es recht schnell über die Bühne und im neuen Haus lenkte ich mich viel ab. Hier gab es einen Partykeller, den ich zu einem kleinen Studio herrichtete. Ich half Jojo beim Streichen ihres Zimmers und auch sonst war ich sehr kreativ. Jule besuchte mich immer öfter und wir redeten viel, doch noch immer fühlte ich mich nicht richtig gut. Das Leben um mich herum ging weiter, doch ich blieb irgendwo stehen. Irgendwie schien meine Lebensfreude aus mir gewichen zu sein und egal, was ich auch unternahm, sie kehrte nicht zurück. Ich trank immer noch viel zu viel, doch ich konnte es gerade auch nicht lassen. Fast jede Nacht lag ich wach, weil ich nicht einschlafen konnte. Ich sah Juka in meinen Träumen oder dachte oft darüber nach, wie alles angefangen hatte. Wie ich ihn kennengelernt hatte. Das trieb mir die Tränen in die Augen, weil ich es noch immer nicht verstehen konnte. Unzählige Male wollte ich seine Nummer aus meinem Handy löschen, doch das ging schon mal gar nicht. Er hatte mich zutiefst verletzt, doch ich liebte ihn noch immer und jeder Gedanke an ihn war wunderschön und schmerzhaft zugleich. Ich wollte damit abschließen, doch konnte ich es nicht. Noch nie hatte so ein Krieg in meinem Inneren getobt. Meine Schwester und ich kochten oft was zusammen, wenn sie aus der Schule kam. Vielleicht sollte ich mir wieder einen Job suchen, doch irgendwie konnte ich mich nicht aufraffen. Ich hatte Panik irgendwo in der Stadt zu arbeiten, denn da konnte ich ja Juka über den Weg laufen, deshalb tat ich etwas, was ich eigentlich nicht mehr hatte tun wollen, ich fragte meinen Dad, ob ich vorübergehend in seiner Firma unterkam und glücklicherweise gewährte er mir diese Bitte. Er war ohnehin gerade echt nett und beschwerte sich auch nicht, dass ich nachlässig herumlief oder so. Ich schaffte es immer öfter nicht gleich einen emotionalen Zusammenbruch zu bekommen, wenn jemand von Juka sprach, einfach war es trotzdem noch lange nicht. Würde ich jemals wieder mit jemandem zusammen sein können? Oder konnte ich irgendeinem Menschen wieder vertrauen? Eines Nachmittags rief mich Juka an, aber ich ging nicht ran. Das war das letzte, was ich jetzt noch gebrauchen konnte. Kurze Zeit später schrieb er eine SMS, ob wir nicht mal reden könnten. Lange überlegte ich und schließlich willigte ich ein. Er wollte zu mir kommen und ich war völlig von der Rolle. Mit dem Trinken hatte ich noch immer nicht aufgehört und nüchtern würde ich ihm nicht unter die Augen treten. Wir zogen uns in meinen kleinen Studio zurück. Ich baute mir noch einen Joint, um die Situation irgendwie erträglich zu machen. Juka staunte nicht schlecht über meine Arbeit. „Über was wolltest du mit mir reden?“, brach ich das Schweigen. „Ich wollte nur sehen, wie es dir geht.“ Ich lachte höhnisch. „Blendend.“ Ich zündete den Joint an und nahm einen tiefen Zug. „Luki, es tut mir leid. Ich weiß, ich hab dich verletzt und ich möchte mich entschuldigen. Doch ich kann nicht Musik machen und nebenher eine Beziehung führen.“ „Tja, das wäre ja auch zu viel verlangt. Ist schon okay, mir geht es prima.“ Juka schaute mich skeptisch an. „Kannst du mal aufhören so sarkastisch zu sein?“ Jetzt musste ich tatsächlich lachen. „Nein, kann ich nich. Oder meinst du, ich hock mich jetzt vor dich und breche in Tränen aus?“ „Das nicht, doch das passt gerade so gar nicht zu dir. So kenne ich dich nicht, so emotionslos.“ „Wie sollte ich mich denn deiner Meinung nach dir gegenüber verhalten?“ Juka zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, aber eben anders.“ Ich war kurz davor völlig auszurasten und seine Anwesenheit war schlimmer als erwartet. „Du tauchst einfach hier auf und meinst bestimmen zu können, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll? Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Vor allem nach dem, was du mit mir gemacht hast!“ „Ich sagte doch, dass es mir leid tut.“ „Verdammt Juka, du denkst doch nich im Ernst, dass es mit einer so billigen Entschuldigung abgetan is! Ich dachte echt immer, du bist ein bisschen einfühlsamer. Aber nein, du vögelst ja lieber deinen Produzenten und was weiß ich wen noch, nur um deinen ruhmreichen Leben gerecht zu werden.“ Jetzt verschwand der liebe Ausdruck in seinen Augen. „Fragt sich nur, was besser ist. Ruhmreich zu Grunde gehen oder daran, weil man sich den Verstand wegsäuft“, konterte er und das brach meine Schutzhülle. Auch der Hass verflog, ich brach innerlich einfach nur wieder zusammen und verkniff mir die Tränen. „Das ist meiner Meinung nach um einiges ehrlicher, als das, was du abziehst. Besser du gehst jetzt, bevor ich mich verliere.“ „Was willst du denn machen, mir eine reinhauen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht...bitte geh einfach, ich ertrage dich nich.“ Glücklicherweise kam Juka meiner Bitte nach und ich blieb alleine in meinem Loch zurück. Jojo wollte mich trösten, doch ich schickte sie weg. Dann schnappte ich meine Jacke und musste an die frische Luft. Mein Schwesterchen eilte mir nach. „Wo gehst du hin?“, fragte sie besorgt. „Keine Ahnung, kurz weg. Ich komm zurück versprochen, aber bitte gib mir jetzt Zeit für mich.“ Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verschwand in der Dunkelheit. Und tatsächlich wusste ich nicht mehr viel von dem Abend, nur, dass ich am nächsten Morgen auf einer Parkbank erwachte und mein Schädel sich doppelt so groß anfühlte. Meine Klamotten waren die Nacht über klamm geworden und ich zitterte vor Kälte. Besorgte Mütter zogen ihre Kinder weiter, als sie mich erblickten. Ich setzte mich auf und rauchte eine Zigarette. Dann versuchte ich herauszufinden, wo ich war und musste nach einigen Minuten der Überlegung feststellen, dass Jule hier ganz in der Nähe wohnte. Und auf einmal bekam ich große Lust sie zu besuchen. Wir hatten uns auch schon wieder eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Langsam lief ich in die Richtung, in der sie wohnte. Doch abrupt hielt ich inne. So völlig zerstört wie ich aussah konnte ich ihr doch unmöglich unter die Augen treten. Ich kam an einer Boutique vorbei und blickte in das Schaufenster. Zerstört sah ich wirklich aus, doch würde ihr das so viel ausmachen? Ich riskierte es einfach und klingelte. Schnelle Schritte hallten in dem kleinen Hof und dann öffnete mir Jule. Ein bisschen irritiert beäugte sie mich schon, doch dann umarmte sie mich und wir gingen in ihre Wohnung. „Hast du nicht schon mal dran gedacht hier auszuziehen?“ „Naja irgendwie schon, doch ich brauch erst mal nen vernünftigen Job. Aber an sich ist es ja ganz gemütlich hier und meine Mum freut sich, wenn ich da bin.“ Und das war es auch. Julietta war mittlerweile auch über ihre extreme Gruftizeit hinweg und hatte sich alles ein bisschen orientalisch eingerichtet. Es war kuschelig warm und mich fröstelte es kurz. „Deine Klamotten müssen wir über den Ofen hängen, die sind ja pitschnass. Warst du bei dem Wetter baden oder was?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich muss gestern im Park hier auf ner Bank eingepennt sein.“ Sie zog die Stirn in Falten. Jetzt saß ich also in Unterhose und T-shirt vor ihr, doch irgendwie störte es mich auch nicht. Sie warf mir eine Decke zu, in die ich mich einkuschelte. „Magst du einen Tee haben?“ „Gern“, erwiderte ich die Frage und schrieb meiner Schwester, dass alles okay sei und ich noch jemanden besuchte, damit sie sich keine Sorgen machte. Jule kehrte mit zwei Teetassen und einer Kanne zurück. „Was hast du denn gestern getrieben?“ „Um ehrlich zu sein, weiß ich es nich. Ich wollte nur noch von zu Hause weg, bin in ner komischen Bar gelandet und dann bin ich heut auf der Bank aufgewacht.“ „Du Chaot. Kann ich dir sonst noch etwas Gutes tun?“ „Eine Massage wäre voll toll.“ „Na dann leg dich hin.“ Jule sah mich ja nicht das erste Mal halbnackt, deshalb empfand ich das auch nicht als unangenehm. Sie verrieb sogar erst Massageöl. Das duftete nach Mandel. „Und was gibt es neues bei dir?“, fragte ich dann. „Gerade nicht so viel, wie gesagt muss mich jetzt mal nach einem ernsthaften Job umschauen, aber werd wohl so lange im Tattoostudio jobben.“ „Is doch auch okay.“ „Und bei dir? Willst du mir vielleicht verraten, warum du dich Samstagabend allein betrinken gehst?“ Ich kämpfte mit meinen Emotionen und genoss Jules Hangriffe. „Aus Frust, Enttäuschung und Traurigkeit...Juka und ich sind nich mehr zusammen, hast du ja neulich schon mitbekommen...scheiß Geschichte und mir geht‘s echt mies.“ „Das tut mir so leid, aber Themawechsel.“ Ich wurde nun wieder nur von diesem einen Gedanken getrieben und der brachte mich fast um. Ich konnte nicht länger hier bleiben, sondern wollte allein sein, auch, wenn es das wahrscheinlich nicht besser machte. Einen Moment genoss ich Jules entspannende Lockerungen noch und dann setzte ich mich auf. Meine Klamotten waren halbwegs trocken und ich schlüpfte wieder in meine Hose. Ich biss mir heftig auf die Unterlippe, damit ich vor einem so coolen Mädel nicht in Tränen ausbrach. Plötzlich stand sie neben mir und nahm meine Hand zwischen ihre. „Dir geht es gerade wirklich nicht gut, was?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Magst du, dass ich dich nach Hause fahre?“ „Das wäre lieb“, flüsterte ich. Draußen war es noch immer kalt und der Nieselregen ließ mich wieder frösteln. Im Auto schaute ich aus dem Fenster und sah Häuser, Straßenschilder und Autos an mir vorbeiziehen. Wie sollte ich das nur noch länger aushalten? Ich wusste, dass ich Juka nie mehr haben konnte und auch nicht wollte und doch brach mir jedes Mal das Herz, wenn ich an ihn dachte. Jule warf mir einen liebevollen Blick zu. „Mach keinen Blödsinn okay?“ „Was sollte ich denn für Blödsinn machen...tue ich doch nie“, bemerkte ich ironisch und stellte fest, dass mich Jule noch immer echt gut kannte. „Eben deshalb ja. Soll ich noch mit rein kommen?“ Wieder schüttelte ich mit dem Kopf. „Sei mir nicht böse, aber ich mag jetzt lieber allein sein. Vielleicht lässt du ja die Tage mal was von dir hören.“ Ich lächelte schwach und umarmte sie zum Abschied. Dann kramte ich meinen Schlüssel aus der Jackentasche und schlurfte durch den Garten zum Haus. Meine feuchten Klamotten ließ ich einfach im Bad fallen und ließ mir warmes Wasser in die Badewanne ein. Ich schlang meine Arme um die angezogenen Knie. Mein geschundender Körper zitterte unter dem Schluchzen und die Tränen schienen niemals zu versiegen wollen. Ich fühlte mich so verlassen, so hilflos und so nutzlos wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich ließ dem Schmerz zwar freien Lauf, doch war das auch nicht besser. Ein Teil von mir war zerstört. So leer und doch voller Sehnsucht. Erst als das Wasser schon ziemlich fast kalt war, trocknete ich mich ab und schlug das Handtuch um meine Hüften. Aus dem Spiegel starrten mich meine verquollenen Augen an und irgendwie wünschte ich mir Jule wieder her. Alles war so schrecklich und ich wusste nicht mehr, was ich gegen den Schmerz tun sollte. Doch eines blieb mir, nämlich mich zu betrinken und das tat ich dann auch. Unterwegs lief ich Fabi über den Weg. „Ist das jetzt dein Ernst Lukas? Wenn du so weiter machst muss ich dich bald wegen einer Alkoholvergiftung abholen lassen.“ Ich schaute ihn mit ausdruckslosen Augen an. „Na und…is eh alles scheißegal.“ „Nein ist es nicht Lukas. Weißt du eigentlich selbst noch, wer du bist?“ „Ich will gerade gar nich wissen wer ich bin…nichts denken, das is gut…“ Ich lag nahezu regungslos auf dem Fußboden meines Schlafzimmers, als meine Schwester eintrat. Sie redete mit mir, doch ich verstand kein Wort und antwortete ihr nicht. Sie schrie mich an und knallte dann die Tür hinter sich zu. Ich lag wahrscheinlich ewig so da, als plötzlich jemand anderes mein Zimmer betrat. Ich realisierte nicht wer es war. Dieser Jemand kniete sich vor mich und schaute mich an. Ein Mädchen, doch wie viele Mädchen kannte ich? Erst dachte ich, es wäre Jojo, doch dann nach näherem Hinschauen erkannte ich Julietta. Ich versuchte mich aufzurichten, doch mein Körper gab nach und ich brach wieder zusammen. Wie viel hatte ich getrunken? Ich wusste es nicht mehr. Jule half mir auf und brachte mich zum Sofa. Wie erbärmlich musste das für sie sein? Sie brachte mir eine Tasse Tee und setzte sich. „Du hast mir doch versprochen keinen Blödsinn zu machen.“ Ich schaute sie lange an und sie schien eine Art weißer Nebel zu umgeben. „Hab ich doch auch nich...immerhin hab ich mich nich umgebracht.“ Sie seufzte. „Super, soll ich jetzt stolz auf dich sein?“ „Du kannst mich ja auch in Ruhe lassen.“ „Ach ja? Damit du so noch ne Weile weitermachst? Weißt du, warum ich gekommen bin? Weil mich deine Schwester völlig verzweifelt angerufen hat und wenn ich dich so sehe, kann ich das verstehen. Sie ist erst sechzehn Lukas.“ „Kann nich mal einer akzeptieren, dass es mir beschissen geht!“, murrte ich. „Dagegen sagt doch keiner was, nur wenn du so weiter machst setzt du dir selber den Gnadenstoß....wenn du das willst, bitte. Aber es wird eine Menge Leute geben, die dich vermissen.“ „Ich will doch nur, dass es aufhört Jule...es soll endlich aufhören so weh zu tun“, schluchzte ich jetzt, weil ich am Ende meiner Kräfte angelangt war. „Dann vergrab dich nicht, sondern lass den Schmerz zu, auch wenn es schlimm ist. Du kannst versuchen darüber zu reden, nur bitte hör auf alles in dich hineinzufressen. Weißt du, ein kleines völlig verzweifeltes Mädchen sitzt gerade in ihrem Zimmer und wünscht sich ihren Bruder zurück. Sie liebt dich und es wäre schlimm für sie dich zu verlieren.“ Tränen rannen meine Wangen herab und Jule hatte Recht. Wie schlimm musste das alles für Jojo sein? „Ich gehe kurz zu ihr. Bleibst du noch da?“ Sie nickte. Ich tauschte das Handtuch endlich mal gegen eine Hose und ging eine Etage tiefer. Auch aus Jojos Zimmer vernahm ich ein Schluchzen. Trotzdem klopfte ich leise und öffnete die Tür. Mein Schwesterchen schaute mich aus verheulten Augen an. Es war nicht allein der Aspekt, dass sie geweint hatte, nein, es plagte mich das schlechte Gewissen, weil ich sie alleine gelassen hatte. Egoistisch betrachtete ich die Sache immer nur aus meiner Sicht, doch niemals habe ich auch nur eine Minute an meine Freunde oder an Jojo gedacht. Ich setzte mich zu ihr. „Hey Liebling. Ich bin wieder da.“ Sie warf sich in meine Arme und weinte noch mehr. Ich hielt sie ganz fest. Dann drückte sie mich weg und versuchte mich böse anzusehen. Da musste ich fast ein bisschen schmunzeln. Sie schlug mit ihren Fäusten gegen meine Arme. „Du blöder Idiot! Interessiert es dich eigentlich auch irgendwann mal, wie es anderen geht, wenn du so ne Scheiße abziehst?“ Ihre Wortwahl erschreckte mich und das zeigte mir erst recht, dass sie nicht mehr das kleine Mädchen war, das ich mal gekannt hatte. Und doch brauchte sie ihren großen Bruder. „Jojo, es tut mir leid...ich glaub ich konnte mich bisher nicht fragen, wie es anderen geht, weil es mich nich interessiert hat...dabei sollte es das. Ich hab dich ganz schön hängen lassen, doch ich glaub jetzt ist es Zeit mal wieder ein bisschen ins Leben zurückzukehren.“ Sie kam auf meinen Schoß gekrochen, wie sie es früher immer getan hatte und schmiegte sich an meinen Oberkörper. „Ich dachte schon ich muss den Krankenwagen holen“, flüsterte ihre zarte Stimme ängstlich an meinem Ohr. „Keine Angst, so schnell musst du das nich, ich vertrag ne Menge. Jahrelanges Training.“ Sie gab mir einen Kuss auf die Wange. „Versprichst du mir, dass du sowas nicht mehr machst? Ich hatte echt Angst um dich.“ Ich lächelte sie an. „Ich verspreche es dir, aber du musst auch versuchen mich ein bisschen zu verstehen Süße. Ich bin irgendwie gerade echt kaputt. Klar versuche ich mich wieder in den Griff zu bekommen, aber ich habe diesen Scheißkerl echt geliebt, tue es noch weißt du? Und diese Emotionen kann ich grad selbst nicht immer so ganz kontrollieren. Jeder Gedanke und jede Erinnerung an Juka bringt mich um. Wenn ich seinen Namen ausspreche durchzuckt mich dieser stechende Schmerz und ich könnte alles um mich herum zerstören, weil sich diese Wut in mir anstaut.“ „Dann lass es doch raus oder rede darüber...so wie jetzt. Ich höre dir doch gern zu und ich bin kein kleines Mädchen mehr, das dich nicht verstehen könnte.“ „Ich weiß“, flüsterte ich und zog Jojo wieder an mich. Es tat gut sie in meinen Armen zu halten. „Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder jemanden lieben kann Jojo. Ich dachte immer, er ergänzt mich so gut.“ „Scheinbar doch nicht...wir schaffen das zusammen okay?“ „Irgendwie bestimmt.“ „Ist Julietta noch da? Ich hab sie angerufen...das heißt erst hab ich Basti angerufen, um an ihre Nummer zu kommen, weil ich dein Handy nicht gefunden habe.“ Ich sah meine Schwester fragend an. „Warum eigentlich ausgerechnet Jule?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht. Dachte, dass es vielleicht gut sein könnte, weil sie dich ja gestern heim gefahren hat.“ „Kochen wir später was zusammen? Ich schau mal was Jule gerade macht.“ Ich gab ihr einen Kuss und kehrte in mein Schlafzimmer zurück, wo Julietta noch immer saß und auf mich wartete. Sie hatte sich ein Buch geschnappt und las darin. Als ich die Tür hinter mir zuzog, schaute sie auf. Ich ging, ohne ein Wort zu sagen auf den Balkon, um eine zu rauchen. Jule folgte mir. Was sie wohl von mir denken mochte? Ich zog die Kapuze von meinem Pulli hoch, weil der Wind hier draußen ganz schön wehte. „Danke…zu mehr bin ich grad nich fähig“, setzte ich an. „Mit Jojo scheint es gut gelaufen zu sein.“ „Ja, sie hat sich wieder beruhigt…bin echt ein beschissener großer Bruder.“ „Da kann ich dir nur Recht geben, aber es tut mir auch leid. Ich wüsste nich, was ich gemacht hätte.“ Ich war mir nicht sicher, wie es jetzt weitergehen sollte. Meine leeren Augen starrten in die Ferne und ich fühlte mich ausgelaugt. Dann wandte sich mein Blick Jule zu und irgendwie stellte ich fest, dass sie heute richtig hübsch aussah. Mit ihrer Jeans Hotpants und dem marineblauen Haarband in ihrem braunen welligen Haar wirkte sie fast wie eine Hollywood Diva. Und den kleinen silbernen Ring in ihrer Nase fand ich schon immer süß. „Es tut mir leid, auch wie ich mich dir gegenüber verhalten hab...gerade vorhin. Es ist schön, dass du da bist.“ „Lass uns wieder rein gehen, es wird echt kalt.“ „Jule, was denkst jetzt über mich?“ Sie schwieg eine Weile. „Ich weiß nicht, soll ich dir jetzt sagen, dass andere auch schon sowas durchgemacht haben? Was glaubst du, weshalb ich nach Amerika gegangen bin. Und naja, du hattest auch schon mal bessere Zeiten, lass dich nicht so gehen. Abgefuckte Typen gibt es zur Genüge Lukas.“ Ein bisschen schockierten mich ihre Worte, doch an sich traf sie den Nagel auf den Kopf. „Naja, abgesehen von den ganzen Idioten, die sonst so auf der Straße rumlaufen.“ „Tja, ich hab wohl schon immer dazu gehört.“ „Hast du mal überlegt, wie ich dich die letzten beiden Tage erlebt habe? Du hast dich sehr verändert Lukas. Ich meine früher wäre dir sowas egal gewesen…bei Nici war dir das egal.“ Ich konnte ihr nicht genau folgen und wusste nicht, ob ich ihre letzten Worte positiv oder negativ werten sollte. „Nici hab ich auch nich geliebt…nich so wie ihn.“ „Glaub mir, ich weiß wie es ist verletzt zu werden, aber das Leben geht weiter Lukas.“ Ich schwieg einen Moment und ließ Jule ihre Worte kurz sacken. Klar ging das Leben weiter, doch es wurde nichts einfacher. Im Gegenteil, wie sollte ich jemals in einer Welt ohne Juka leben? „Ich weiß. Trotzdem isses nich einfach. Vielleicht sollte ich mal wieder ein bisschen schlafen.“ „Soll ich gehen?“ „Vielleicht.“ Kapitel 35: Neuanfang? ---------------------- Die nächste Woche stürzte ich mich in die Arbeit und versuchte mein Leben ernsthaft wieder auf die Reihe zu bekommen. Am Abend traf ich mich oft noch mit meiner Band und wir jammten ein bisschen oder quatschten gemütlich in einer unserer Lieblingskneipe. Irgendwann fing ich dann an meinen Gelüsten wieder nachzukommen und traf mich mit süßen, unschuldigen Mädchen, um sie auszunutzen, Sex mit ihnen zu haben und sie dann wieder gehen zu lassen. Auch am Wochenende im Underground hielt ich mich mit flirten nicht zurück und es zahlte sich aus. Ich stellte fest, dass ich es noch immer drauf hatte. Ich war der Casanova und wenn ich es wollte lagen mir die Damen zu Füßen.  Ein charmantes Lächeln und ein Drink reichte, um eine Frau fast glücklich zu machen, der Rest passierte dann meist von ganz alleine. Außerdem kam ich endlich mal einem meiner sehnlichsten Wünschen nach und ließ mich weiter tätowieren. Meine Entwürfe zeichnete ich immer selbst, weil ich wollte, dass nur meine eigene Kunst auf meinem Körper platz fand. Jule störte das nicht und so verwandelte sich mein Körper mehr und mehr in eine kleine Bildergalerie. Auf meinem Oberkörper hatte ich schon ein paar Tattoos, die sich oft an Horrorfiguren orientierten und deshalb behielt ich diesen Stil bei. Auch meine Arme sowie meine rechte Wade ließ ich endlich komplett tätowieren. Außerdem verband sie die Bilder vom Rücken mit denen auf der vorderen Seite meines Körpers. Die meisten meiner Tatoos waren schwarz-weiß, nur hier und da ein kleiner Farbakzent. Natürlich stand ich für Jule auch Model, weil sie so begeistert von unserer Arbeit war und mich unbedingt im Studio verewigen wollte. Ich gewann irgendwie wieder mehr Selbstbewusstsein und stürzte mich in das Leben und kam meinen tiefsten Wünschen nach, doch das alles ohne Gefühle. Ich konnte und wollte keine Gefühle zulassen. Und mit Männern konnte ich erst Recht nichts anfangen, denn es gab nur diesen einen für mich.   Eines Abends war ich wiedermal mit meinen Jungs im Underground, auch Malen stieß später noch zu uns und eigentlich versprach es ein lustiger Abend zu werden, bis mich Nici völlig betrunken zu laberte, dass sie ja gehört hatte, ich sei wieder zu haben. Sie wollte unbedingt mit mir an der Bar etwas trinken und dummerweise kam ich ihrem Wunsch nach. Sie fragte mich, warum ich nicht mehr mit Juka zusammen war, bis es mir zu viel und sie das Fass mal wieder fast zum Überlaufen brachte. Ich trank mehr, um ihr Geschwafel irgendwie zu ertragen. Doch irgendwann funktionierte es eben nicht mehr und ich verschwand, ohne mich von meinen Freunden zu verabschieden. Die verdrängten Gefühle brachen wieder heraus und ich flüchtete in die Dunkelheit. Klar, dass als es mir eigentlich wieder gut ging, Juka diese ominöse Schein- Glückswelt wieder zerstörte. Denn warum ich mich hatte weiter tätowieren lassen, beruhte noch auf einem anderen Grund- der Schmerz, wenn die Nadel die Bilder auf meine Haut malte. Doch das verschwieg ich Jule, denn wer weiß, ob sie mich dann überhaupt tätowiert hätte. Seit Jukas und meiner Trennung hatten wir nie wieder richtig miteinander reden können, weil ich es einfach nicht gekonnt hatte, doch heute schien der perfekte Tag dafür zu sein. Ich schrieb ihm, ob er Zeit zum skypen hätte. Ein bisschen nervös wurde ich dann doch. Mein Herz begann schneller zu schlagen, als ich ihn auf einmal auf dem Bildschirm sah. „Hey, was gibt’s denn?“, begann er das Gespräch. Ich atmete tief durch. „Hey, ich wollte nur mal mit dir reden mehr nicht. Ich meine, jetzt kann ich mit dir reden.“ Juka schwieg einen Moment und fuhr dann fort. „Es ist komisch dich zu sehen und lieber wäre es mir, wenn wir von Angesicht zu Angesicht sprechen könnten...aber du siehst wieder besser aus. Luki, ich hoffe du weißt, dass es mir leid tut.“ „Ja, das weiß ich und trotzdem isses wie es is. Kannst du mir wenigstens jetzt sagen warum? Ich meine, ich verstehe, wenn du sagen würdest, dass du nichts mehr für mich empfindest....ich möchte die Wahrheit wissen Juka.“ „Es trifft schon ein Stück weit zu, dass ich keine Gefühle mehr für dich habe, aber da ist noch etwas anderes....ich hatte immer gedacht dich in deinem exzessiven Lebensstil ein bisschen bremsen zu können, doch das hat nicht funktioniert. Du warst immer wie ein junges Raubtier und eine Weile hast du dich mir angepasst, aber dann nicht mehr. Du hast deinen eigenen Kopf durchgesetzt,.....immer und damit kam ich nicht klar. Du hast irgendwann mal gesagt, dass du zwar mir gehörst, doch ich soll nicht versuchen dich zu besitzen und das war der Fehler....vielleicht hast du das ja auch ein bisschen gemerkt.“ Wenn ich mit allem gerechnet hätte, nur nicht damit. Und doch konnte ich Jukas Worte nachvollziehen. Trotzdem tat es weh, das von ihm zu hören, da ich immer gedacht hatte, er könnte mein sicherer Hafen sein, in dem ich immer wieder einkehren konnte, wenn ich mal gerade nicht den bösen Wolf spielte. „Und du glaubst auch nich, dass es je wieder funktionieren wird?“, fragte ich traurig. Juka schüttelte den Kopf. „Vielleicht können wir irgendwann wieder Freunde sein, aber anders geht es nicht mehr… für mich zumindest. Du bist ein toller Mensch Luki. Doch wenn du so weiter machst, zerstörst du dich selbst. Nutze doch lieber deinen genialen Verstand um etwas mit deinem Leben anzufangen, anstatt dich immer zu verkriechen.“ „Ich würde mein Leben niemals ändern wollen....ich könnte diverse Kompromisse eingehen, aber ändern? Niemals. Wenn du Anspielungen auf meine Band machst, kann ich dir sagen, dass wir immerhin ehrliche Musik machen....aber ich will da jetzt nicht näher drauf eingehen.“ „Wenn du dich mehr auf deine Musik konzentrieren würdest, könntest du es schaffen...aber das geht nicht mit dem ständigen Sauforgien. Das solltest du echt lassen.“ Ich merkte mehr und mehr, wie mir Jukas Worte zusetzten und ich dachte an Nici. Auch sie hatte damals immer versucht mich auf die richtige Bahn zu lenken. Alle wollten mir so gern helfen, doch ich wollte mich nicht verändern lassen. Lieber zerstörte oder brach ich mit den Menschen, die mir etwas bedeuteten. „Das lass mal meine Sache sein und wenn du einen Blick auf die Musikgeschichte wirfst, alle guten Musiker sterben mit Ende zwanzig, da hab ich ja noch‘n paar Jahre vor mir.“ „Siehst du, das meine ich! Sowas regt mich echt auf. Kannst du nicht mal ein bisschen weniger sarkastisch sein?“ Jetzt musste ich grinsen. „Nein Juka. Ich glaube ich weiß jetzt alles, was ich wissen wollte. Wir sollten hier an der Stelle Schluss machen.“ „Ja, ist vielleicht besser. Ich wünsch dir alles Gute und pass auf dich auf Luki.“ Ich nickte. „Ja du dir auch....Tschau!“ Und nenn mich nie wieder Luki, hätte ich fast noch hinzugefügt, brachte es aber dann doch nicht übers Herz. Ich biss mir auf die Unterlippe und ging in mein kleines Heimstudio. Es war vorbei. Aus und vorbei und er würde nie mehr zurück kommen. Kurz brachen die Gefühle noch einmal über mich ein, doch ich riss mich schnell wieder zusammen. Ich drehte mir einen Joint und öffnete ein Bier, genau das tun, was ihn so an mir genervt hat. Es fühlte sich sogar ganz gut an. Ich hörte die Tür auf und wieder zu gehen. „Lukas?“, rief meine Schwester. „Ich bin hier unten.“ Sie verzog das Gesicht ein bisschen, als sie mich so auf dem Sofa vorfand. „Geht es dir gut?“ Ich zuckte mit den Schultern und hielt ihr den Joint hin. Jetzt schaute sie mich erst recht verwundert an. „Mir geht es prima.“ „Früher hättest du mich grün und blau geprügelt, wenn ich auch nur einen Joint angerührt hätte und jetzt bietest du mir einen an?“ Ich lächelte. „Zeiten ändern sich Kleines. So lange man es nicht übertreibt, is kiffen okay und ich erlaube es dir, solange du mit mir unter einem Dach wohnst.“ „Du bist schon ein bisschen verrückt.“ Jetzt musste ich lachen, weil ich Jukas Worte zuvor denken musste. Tja, es gab auch Menschen, die mich so mochten, wie ich war. „Verrückt is nich immer schlecht.“ „Mh, stimmt. Achso, zeig mal Jules Werk, hab die Tattoos noch gar nicht fertig gesehen.“ Ich zog mein Shirt über den Kopf und Jojo bewunderte mich. „Mega cool…die sind echt schön geworden.“ Ich nickte nur zufrieden und nahm einen tiefen Zug.   Ich wusste nicht, ob ich mir das einbildete, aber irgendwie ging es mir seit dem Gespräch mit Juka wirklich besser. Ich machte mich sogar daran ein neues Konzert zu planen, weil es mir voll in den Fingern kribbelte und ich wieder auf der Bühne sein musste. Meine Band hielt diesen Vorschlag auch für nicht ganz verkehrt und so machten wir uns an die Setlist und suchten Songs heraus, die wir spielen wollten und verbrachten so wieder viel Zeit im Proberaum. Ich genoss das sehr, denn das hatte mir schon gefehlt. Mit unserem Lieblingsbarkeeper vereinbarten wir dann endlich einen Gig für das kommende Wochenende. Am Freitag wollte ich dennoch allein sein. Ich fühlte mich einsam, obwohl alles wieder ganz gut anlief. Das erste Mal wagte ich es einen Blick zurück zu werfen. Ich hatte mich wieder im Griff, dennoch war es mir wieder einmal erfolgreich gelungen einen lieben Menschen aus meinem Leben zu streichen. Und jeh mehr ich darüber nachdachte, was ich wollte, desto mehr stellte ich fest, dass ich das schon gehabt habe. Ich hatte mein Glück weggeworfen und die Chance, dass ich einen besseren Kerl als Juka treffe, war wohl eher gering. Dann plagte mich weiterhin diese Unzufriedenheit, ständig übermannte mich das Gefühl, ich könnte etwas verpassen oder mir fehlt etwas. Was lief in meinem Leben eigentlich falsch? An meinen Freunden konnte es wohl kaum liegen oder? Doch was war es dann? War ich eigentlich jemals richtig glücklich gewesen und wenn ja, wann? Und wie definierte man diesen Glücksbegriff eigentlich? War ich mit Nici jemals glücklich gewesen? Manchmal schon. Und mit Juka? Oh ja, sehr sogar. Juka. Warum nur wollte er mich so anders haben? Und plötzlich fehlte er mir doch wieder. Es ist absoluter Bullshit mir vorzugaukeln, ich hätte keine Gefühle mehr für ihn. Ich lag auf dem Sofa und scrollte mich durch die Neuigkeiten von Facebook. Da stieß ich auf einmal auf einen Artikel, der mein Interesse weckte. Eine Neurowissenschaftlerin beschäftigte sich mit Menschen, die an Liebeskummer leiden und erforscht deren Ursache und Wirkung. Ich überflog die Seite und es schockierte mich, dass sie die Trennung mit einem Drogenentzug verglich, doch irgendwie musste ich ihr auch Recht geben, denn genau so fühlte ich mich. Da ich ja nun beides kannte, wusste ich nicht, was schlimmer war. Sie schrieb auch weiter, dass sich schon einige Menschen, die diesen Kummer nicht mehr ertragen haben, umbrachten. Juka und ich waren auf Facebook noch immer befreundet und ich sah, wenn er etwas Neues postete. Ich brachte es nicht fertig ihn zu blockieren oder gar zu löschen. War er meine große Liebe gewesen? Doch warum hat es dann nicht funktioniert? Ich war kurz davor völlig auszuflippen und beschloss deshalb noch ein bisschen raus zu gehen. Basti hatte mich ohnehin gefragt, ob ich noch Mal zu ihm komme.   Draußen dämmerte es schon und ich entschloss mich, zu laufen. Auch, wenn ich so eine halbe Stunde unterwegs sein würde.  Ich genoss die kühle Abendluft und auf einmal sah ich sie. Mit angewinkelten Beinen hockte sie auf einer Bank und vergrub den Kopf in den verschränkten Armen. Normalerweise war ich nicht der Typ, der fremde Mädels ansprach, doch das hier schien etwas anderes zu sein. Ihre violetten Haare leuchteten in der Dämmerung und der Rest ihres Kopfes wurde von einer Kapuze verdeckt. Ich wusste nicht warum, aber irgendwie kam es mir so vor, als wäre sie verloren. Ich regte mich kaum und alles verging wie in Zeitlupe. Ihr Kopf bewegte sich und die Kapuze ihrer Jacke rutschte ein kleines Stück zurück. Nun kam ihr Gesicht mehr und mehr zum Vorschein. Zuerst schweifte ihr Blich in die unendliche Ferne, bis sie mich bemerkte. Langsam wanderten ihre Augen in meine Richtung. „Was guckst du denn so?“, fragte sie mit einer Stimme, die ich mir irgendwie anders vorgestellt hatte. Und ich? Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Hab mich wohl gefragt, warum du hier so allein sitzt.“ „Wüsste nicht, was dich das angeht. Lass mich besser in Ruhe, bevor ich dir eine reindrücke“, entgegnete sie schroff. Jetzt musste ich lachen. „Hahaha, is das dein ernst? Meinst du ich bin ein böser Vergewaltiger und falle gleich über dich her?“ „Was weiß ich. Hier treibt sich viel asoziales Zeug herum, da kann man nie wissen.“ Ich grinste noch immer. „Sehe ich etwa auch so aus?“ Sie musterte mich eine Weile, dann war plötzlich auch ein Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht zu sehen. „Naja, nicht unbedingt. Eher ein bisschen gruftig.“ „Ja, kann man wohl sagen. Du aber auch.“ Ihre grünen Augen schienen mich zu durchbohren, doch dann schauten sie wieder traurig in die Ferne. „Verrätst du mir deinen Namen?“, fragte ich dann und sie zuckte unschuldig mit ihren Schultern. „Was hätte ich denn davon?“ „Weiß nich. Vielleicht sag ich dir meinen auch.“ Wieder huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. „Du hast nicht zufällig Zigaretten dabei?“ Ich erwiderte ihr Lächeln, kramte in meiner Tasche und trat jetzt endlich näher zu ihr. Sie nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel und gab mir diese zurück. „Wenn du magst, kannst du dich ja neben mich setzen.“ Sie nahm einen tiefen Zug und blies den blauen Rauch in kleinen Wölkchen aus. Wieder wurden ihre Augen von Traurigkeit durchzogen und ich meinte auch glitzernde Tränen zu sehen, doch diese hielt sie gekonnt zurück. Dann schaute sie mich wieder an. „Hast du schon mal das Gefühl gehabt, dich versteht keiner?“ Jetzt wurde es komisch. Genau diese Dinge schwirrten mir auch durch den Kopf, deshalb hatte ich meine Wohnung verlassen, weil ich mir einbildete, dass mich kein Mensch verstand. Nicht mal Juka. Ich verstand mich nicht mal selbst und jetzt stellte mir dieses bezaubernde Mädel mit den violetten Haaren diese Frage. „Ich glaube mich hat noch nie jemand verstanden. Es ist seltsam, dass du mich das jetzt fragst.“ „Ich habe dieses Gefühl auch oft. Gerade heute.“ Ich schwieg einen Moment. „Bist du deshalb hier und willst allein sein?“ „Ich weiß nicht mal, ob ich allein sein will...vielleicht wünsche ich mir auch endlich mal jemanden, der mich versteht. So isses auf Dauer echt nicht auszuhalten.“ „Manchmal kann es schon hilfreich sein, wenn du nur jemanden hast, der dir zuhört. Jemand, der dir im Anschluss keine dummen Ratschläge erteilt.“ „Ja schon, aber das eine ersetzt das andere nicht.“ Ich schüttelte den Kopf. „Das stimmt. Sagst du mir jetzt eigentlich wie du heißt?“ „Selene und du? Ich schmunzelte. „Wie die Vampirin aus Underworld“, stellte ich mehr fest, als das ich fragte. „Ja, wir werden sogar gleich geschrieben.“ „Ich bin Lukas.“ Eine Weile sagte keiner von uns beiden etwas. Ich würde Selene gern näher kennenlernen, aber ich war nicht sicher, was ich als nächstes sagen sollte. Immerhin war mein eigenes Leben gerade der reinste Trümmerhaufen. „Voll der schöne Name. Wohnst du in der Nähe?“ Ich nickte und zündete mir eine Zigarette an. „Naja, es gibt weitaus bessere Namen. Hast du noch Lust irgendwohin zu gehen? Hier wird es langsam kalt und so viele Zigaretten habe ich auch nicht mehr.“ Selene zuckte mit den Schultern. „Mh, ist hier was Schönes in der Nähe? Ich weiß nicht ob ich gerade Lust auf Menschen habe.“ „Das klingt jetzt zwar wie ne plumpe Anmache, aber wir könnten auch zu mir gehen.“ „Ach was. Gibt es da was zum Trinken und Zigaretten?“ „Klar.“ Jetzt erhob sie sich und ergriff bewusst oder unbewusst, das wusste ich nicht, meine Hand und zog auch mich auf die Beine. Was tat ich da? Ich schleppte ein wildfremdes Mädchen mit zu mir. Und das nur, weil sie mir irgendwie symphytisch war. Sie zog ihre Chucks und die Kapuzenjacke aus. Ich holte uns beiden ein Bier und wir setzten uns auf mein Bett. Ich ließ Musik über meinen Computer laufen. „Cooles Haus. Lebst du alleine hier?“ „Nee, mit meiner Schwester und meinem Bruder zusammen, wäre auch ein bisschen groß für mich allein. Kommst du eigentlich auch von hier?“ „Mehr oder weniger schon. Meine zwei Brüder...also es sind nicht meine richtigen Brüder, es fühlt sich nur so an, als wären sie meine Brüder und einige Freunde von ihnen haben einen eigenen kleinen Zirkus. Mit dem ziehen wir gerade ein bisschen umher.“ Als Selene von ihren Brüdern sprach beschlich mich eine Vorahnung, dass etwas mit ihrer Familie auch nicht so ganz zu stimmen schien, jedoch fragte ich nicht weiter nach. „Klingt interessant. Hast du eigentlich Musikwünsche?“ „Kennst du Nocturna? Ich mag die voll, hab sie aber leider noch nie live gesehen.“ War das jetzt ein schlechter Scherz? Ein fremdes Mädchen wollte meine Band hören und erkannte mich dennoch nicht? Ich beschloss nichts zu sagen und legte die Platte auf. „Die mag ich auch gern, sollen coole Jungs sein.“ Ich holte uns noch ein Bier und dann stellte sie mir eine Frage, die mich letztendlich völlig aus der Bahn brachte. „Du Lukas...ich hoffe das kommt jetzt nicht blöd rüber, aber kiffst du eigentlich?“ „Ähm, ja schon. Soll ich uns nen Joint bauen?“ Selene lächelte zuckersüß und nickte mit dem Kopf. Also holte ich Papes, Tabak und mein Grasdöschen und baute uns einen Joint. Sie schaute mir dabei zu. Zum Rauchen gingen wir auf die Terrasse. Wie war das möglich, ein so attraktives Mädel fragte mich, ob wir zusammen kiffen? Wahnsinn, ich hatte mich immer so sehr an Jukas Meckerei gewöhnt, dass ich ganz außer Acht gelassen hatte, dass es auch noch andere Menschen gab. Das grüne Wunderkraut flashte mich ganz schön und Selene scheinbar auch. Wir ließen uns aufs Bett fallen. „Geht‘s dir gut?“, fragte ich dann. „Klar und dir?“ „Mir auch.“ Wir schauten uns lange an. „Möchtest du immer noch wissen, warum ich ganz allein auf der Bank saß?“ „Klar.“ Sie atmete tief ein und wieder aus. „Ich war bei meinen Eltern und wollte sie besuchen, doch ich verstehe mich nich besonders gut mit ihnen. Wenn es nach ihnen ginge wäre ich jetzt Anwältin oder so. Und das hat mich ziemlich mitgenommen, weil sie nicht mal zu mir halten können und versteh‘n tun sie mich eh nie.“ In ihren Augen glitzerten wieder Tränchen, so minimal wie Tautropfen auf einem Grashalm. „Davon kann ich ein Lied singen. Ich habe schon lange mit meiner Familie abgeschlossen, so traurig das auch sein mag.“ Selene sagte lange nichts dazu. „Warum sind manche Menschen so egoistisch und blöd? Ich meine es ist doch nicht zu viel verlangt so akzeptiert werden zu wollen, wie man ist.“ „Leider isses für manche ein echtes Problem. Ich wünschte mir auch oft, es wäre anders.“ Und jetzt brach es doch aus ihr heraus. Vereinzelte Tränen rannen ihren Wangen herab. „Sie haben mich innerhalb des Jahres nicht mal vermisst“, schluchzte sie. Ich drehte uns noch einen Joint. „Ich weiß, das is nich schön. Aber hast du nicht Lust nach vorne zu schauen? Versuch dein Leben doch trotzdem irgendwie zu genießen. Lass uns rauchen gehen.“ Jetzt nahm ich ihre Hand und sie folgte mir. „Ich kenne dich kaum Lukas und trotzdem fühl ich mich irgendwie voll wohl.“ Wenn sie wüsste wer ich bin. Aber da fragte ich mich, warum sie Nocturna kannte und mich dennoch nicht erkannte. „Sag mal, hast du Nocturna schon mal in real gesehen, also weißt du wie sie aussehen?“ „Nee, leider nicht, da sie irgendwie nicht so oft spielen. Ich habe mir auch vorgenommen eine Band vorher nicht im Internet zu googeln, denn dann ist der Überraschungseffekt weg. Ich hab keine Ahnung, wie der Sänger aussieht, aber seine Stimme ist der Hammer.“ Das erklärt dann wohl einiges. „Ich weiß zufällig, dass sie morgen im Underground spielen, wenn du magst gehen wir zusammen hin.“ Selene ihre Augen glänzten vor Freude. „Oh mein Gott, das wäre sooo toll.“ Es war seltsam mit einem Mädel zu reden, das meine Musik vergötterte, mich aber nicht kannte. Ich beschloss mitzuspielen und mich wieder auf normalere Gesprächsthemen zu konzentrieren. „Wie lang bist du da mit deinem Zirkus immer unterwegs?“ „Meist das ganze Jahr, wie gesagt, wir sind wirklich wie eine kleine Familie. Doch jetzt bleiben wir eine Weile in der Stadt, weil hier unser Probesaal ist und wir uns auf die neue Show vorbereiten müssen.“ „Klingt nach viel Arbeit.“ „Ja schon, aber es macht auch Spaß. Sag mal, kennst du Nocturna näher?“ Jetzt konnte ich mich erst recht nicht mehr beherrschen und biss mir heftig auf die Unterlippe, um ein breites Grinsen zu unterdrücken. „Ja, kann man so sagen, sind Freunde von mir.“ Das war ja nicht mal weit daher geholt. Selene strahlte übers ganze Gesicht. „Ahhh, das ist der Hammer. Weißt du, ich mag ihre düstere Musik einfach so sehr, sie sprechen mir mit ihren Texten aus der Seele. Ich könnte in ihrer Musik versinken, total wegträumen. Ohh, mein Gott, hörst du wie schön er singt? So voller Gefühl und Leidenschaft. Sorry, ich nerve dich bestimmt.“ „Ich bin gleich wieder da, nich weglaufen“, sagte ich scherzhaft und beschloss meine Gitarre aus dem Proberaum zu holen. Ich musste mich ihr offenbaren, es ging nicht anders und sie würde es mir sicher nicht verübeln. Als ich zurück in mein Zimmer kam, saß Selene mit geschlossenen Augen da und lauschte dem Lukas, dessen Stimme aus dem Lautsprecher ertönte. Ich atmete tief durch, weil ich ein bisschen aufgeregt war. Immerhin war mir sowas auch noch nicht passiert. „Da bist du ja wieder. Bekomm ich jetzt eine Privatvorstellung?“ Ich nickte und setzte mich zu ihr. „Darf ich kurz Pause machen? Dauert auch nich lange, ich würde dir nur gern etwas zeigen.“ „Klar“, erwiderte sie etwas überrascht. Wahrscheinlich dachte Selene, jetzt würde ein schnulziges Liebeslied kommen und ich wollte ihr mit meiner Klampfe imponieren, doch dahinter steckte mehr. Also begann ich zu spielen und dann dazu zu singen. Der Text floss wie immer ganz von selbst über meine Lippen, als meine Finger die Seiten zupften und die Melodie durch den Raum erklang. Ich wurde eins mit meiner Musik und auch Selene schien das zu merken. Zwischen uns herrschte ein Zauber, den nur allein die Musik heraufbeschwören konnte. Selene sah mich nur an und sagte nichts. Vielleicht, weil ihr die Worte fehlten oder, weil sie vielleicht auch enttäuscht war? Konnte ja alles möglich sein, jedoch hoffte ich letzteres nicht. Ich stimmte noch ein zweites Lied an, weil ich gerade echt Lust zum Jammen bekam und das war immerhin noch eine kleine Übung für morgen, auch wenn wir da nicht unplugged spielen würden. Selene sagte noch immer kein Wort, doch dann lächelte sie mich an. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll...das war wundervoll Lukas. Nun drängt sich mir aber eine weitere Frage auf und möglicherweise kenne ich die Antwort schon, aber es wäre schön, sie von dir zu hören.“ Ich lächelte jetzt auch. „Kommt ganz auf die Frage an.“ „Kennst du Nocturna nur oder bist ein Bandmitglied?“ „Ich habe diese Band mit sechzehn ins Leben gerufen. Wir haben ein paar Wechsel zwischendurch gehabt, aber meine zwei besten Freunde waren schon immer mit an Bord. Irgendwie haben wir uns immer wacker gehalten, trotz der viele Höhen und Tiefen.“ Selene atmete tief ein und wieder aus. „Wow, das ist mal echt krass. Ich meine, wie groß ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass man seine Lieblingsband mal persönlich kennengelernt? Und wir sitzen gerade hier, reden, trinken und es scheint ganz normal zu sein.“ Ich musste lachen, weil das echt nach einem süßen Groupiemädel klang. „Sowas is ja auch normal…aber vielleicht isses auch Schicksal“, scherzte ich. „Meinst du? Oh Mann, jetzt will ich dich morgen echt live auf der Bühne sehen. Ich kann es kaum erwarten.“ „Versprich dir nur nicht zu viel. Vielleicht ist meine Bühnenperformance ja auch miserabel.“ „Nachdem, was du gerade hier abgeliefert hast, sicher nicht. Ich bin immer noch ganz durch den Wind. Und was machen wir jetzt? Ich glaube, ich sollte langsam nach Hause gehen.“ „Ja, aber nicht allein...ich meine, jetzt um die Uhrzeit ist die Stadt echt nicht mehr sicher. Entweder du nächtigst auf meiner Couch oder ich bringe dich wohin auch immer.“ „Boah, das ist ja fast schon gemein. Meinst du es ist okay, wenn ich hier bleibe?“ „Warum sollte es das nich sein? Oder denkst du ich falle über dich her, wenn du schläfst.“ „Das ist es nicht, ich meine du bist die heimliche Reinkarnation meiner Träume und nun soll ich bei dir die Nacht verbringen? Das ist so, als würdest du Lucy ins Schloss von Graf Dracula schicken, weil er sie zum Essen eingeladen hat...“ Jetzt brach ich in Gelächter aus. Noch nie hatte ich einen ähnlichen Vergleich gehört. „Vielleicht bin ja ein lieber Vampir a la Twilight, der sich nur von Tieren ernährt?“ „Sag bloß du hast diesen Kitsch angeschaut?“, fragte sie leicht amüsiert. „Hab mal reingeschaut, meine Schwester wollte es unbedingt sehn.“ Mir gefiel Selenes Art und ich beschloss sie noch ein bisschen zu reizen. „Aber um ehrlich zu sein, so schätze ich dich nicht ein. Bevor ich dir erzählt habe, dass ich deine Band toll finde, warst du eher zurückhaltend und hast mir gezeigt, dass du nicht zu den Aufreißern gehörst. Ob Dracula hin oder her, immerhin war er auch ein Gentleman.“ Ich nickte und ging noch eine Zigarette rauchen. Selene folgte mir. „Doch hatte ich Lucy immer ein bisschen ängstlich und naiv in Erinnerung, das scheinst du auch nich zu sein.“ „Aha, jetzt bin ich also naiv? Na toll…sicher hab ich jetzt auch den Stempel Groupiegirl.“ Ich musste wieder lachen und konnte mich nicht zurückerinnern, wann ich mal eine derart witzige Unterhaltung mit einem Mädchen hatte. „Ach was, ich hatte schon schlimmere und bis eben wusstest du nich mal, wie ich aussehe.“ „Das stimmt auch wieder. Aber mal ehrlich, vielleicht sollten wir jetzt echt schlafen gehen, is schon spät.“ Okay, jetzt gab es zwei Möglichkeiten, wie diese Nacht endete, doch wollte ich das auch? Ich wollte nicht der typische Musikermacho sein, der alle Mädels in sein Bett lockt, aber irgendwie fand ich Selene auch echt heiß und was hielt mich schon davon ab? Die Frage war nur, ob das nicht alles ein bisschen zu überstürzt ging? Vielleicht sollte ich Selene einfach darauf ansprechen. Ich legte ihr ein Handtuch hin und wartete mit dem Ausziehen, bis sie im Bad verschwunden war. Dann zog ich das Sofa aus und machte ihr ein gemütliches Nachtlager darauf. Nur noch meine Nachtischlampe brannte. Trotzdem erkannte ich Selene in Top und Slip. „Wenn du willst können wir auch tauschen, du schläfst in meinem Bett und ich auf dem Sofa. Will ja nich unhöflich sein.“ „Das ist schon okay so“, erwiderte sie. Ich versuchte die Augen zu schließen, doch mit dem Wissen, dass ein fremdes Mädchen auf meinem Sofa schlief, gelang mir das nicht ganz. Allerdings lag das nicht an ihrem tollen Aussehen, nein. Es war nur schon so lange her, dass überhaupt jemand bei mir übernachtet hatte und plötzlich war dieses unerträgliche Gefühl wieder da. Die Sehnsucht nach Juka schnürte mir die Kehle zu. „Lukas, schläfst du schon?“, fragte mich Selene. „Nein, warum?“, fragte ich, auch wenn die Antwort auf der Hand lag. Ich vernahm das Rascheln der Decke und auf einmal stand Selene vor mir. Sie kuschelte sich zu mir und strich mir sanft über die Wange, doch mein Lächeln blieb aus. „Alles okay?“ „Glaub nich.“ „Liegt es an mir?“ Ich schüttelte mit dem Kopf und versuchte mich normal zu verhalten, auch wenn in mir gerade wieder dieser Krieg tobte. „Nein…nur…egal, was du dir von mir versprichst, ich kann es dir nich geben…erstens bin ich schwul und zweitens nicht an ner Affäre interessiert.“ „Wow…das ist tatsächlich unerwartet, aber okay. Wir können auch einfach nur kuscheln wenn du magst.“ „Selene…versteh mich jetzt nich falsch, aber ich kann gerade gar keine Nähe zulassen…tut mir leid, wenn ich dir heute ein anderes Gefühl vermittelt hab, aber ich dachte bis eben es wäre okay…“ Selene wich dennoch nicht von meiner Seite, jedoch ließ sie ihre Hände brav bei sich. Ich drehte mich gen Wand und versuchte Schlaf zu finden.   Am nächsten Morgen frühstückten wir noch zusammen und dann fuhr ich Selene nach Hause. Die Stimmung zwischen uns war ein bisschen angespannt und ich versuchte mein Verhalten gestern wieder gerade zu biegen. „Sehen wir uns später beim Konzert?“ Sie schien überrascht zu sein. „Wenn du das noch möchtest gern.“ Ich lächelte schwach und nickte mit dem Kopf. „Es wäre mir eine Ehre.“ „Okay, dann werde ich da sein. Geht’s dir wieder besser?“ Ich nickte abermals, war mir allerdings nicht so sicher. „Dann bis später.“ Selene gab mir einen Abschiedskuss auf die Wange. „Bis später du wunderschöner Mensch. Ich hoffe wirklich, dass alles gut ist.“ Ihre Worte rührten mich und ich lächelte schwach. Dann fuhr ich nach Hause. Kapitel 36: eine Welt ohne dich... ---------------------------------- Zu Hause duschte ich mich und zog meine Klamotten an, die ich zum Konzert tragen wollte. Meine Wiedergabeliste auf Spotify war auf Zufallsmodus gestellt und der Song, der gerade begann, ließ mich erstarren. Ich hatte ganz vergessen, dass ich Jukas Lieder auch noch in meiner Playlist gespeichert hatte. Seine Stimme fuhr mit durch Mark und Bein. Nicht weil sie so grausam klang, sondern, weil ich sie vermutlich nie mehr hören würde. Der Schmerz durchfuhr mich wie ein Orkan und ich suchte Halt an der Sofalehne. Jetzt bloß nicht schwach werden, heute war ein wichtiger Tag. Doch das war leichter gesagt als getan, als sich die Panikattacke langsam näherte. Meine Hände zitterten und ich schaffte es nicht weiterzuschalten. Das Lied lief und es rang mich nieder. Versetzte mir den ultimativen Gnadenstoß und ich realisierte kaum, dass sich meine Fingernägel in meinen tätowierten Unterarm krallten und über die vernarbte Haut kratzen. Bisher hatte ich es immer irgendwie geschafft dem Drang, mich selbst zu verletzen, zu widerstehen, aber ich konnte nicht mehr. War nahezu am Ende meiner Kräfte angelangt und meine Nägel bohrten sich tiefer in meine Haut. Ich beabsichtigte mir eine neue Verletzung zuzufügen, weil ich es nicht länger aushielt und erst das Brennen der Wunde holte mich in die Realität zurück. Angewidert und irgendwie zufrieden betrachtete ich mein Werk. Das Blut sickerte noch immer heraus und ich biss mir heftig auf die Unterlippe. Mein Herzschlag hatte sich wieder beruhigt und ich raffte mich auf, um die Wunde ein bisschen zu versorgen. Dass ich mittlerweile zerbrechlicher war, als ich mir eingestand, stellte auch meine Band fest, da ich so mitgenommen wie schon lange nicht mehr aussah. Ich zuckte nur mit den Schultern und versuchte dieses Gefühl mit einem Grinsen zu überspielen. Basti und Fabi tuschelten die ganze Zeit, um mich so aus der Reserve zu locken. Ich verdrehte nur die Augen. Wir räumten ein paar Sachen in unseren Transporter und fuhren zum Club. Dort bauten wir auf, schlossen alles an und schon war die Zeit auch wie im Fluge vergangen. Gemütlich begannen wir uns an der Bar zu betrinken. Ich checkte unsere Gästeliste und reservierte Selene einen Platz darauf. „Ist das eine deiner Fickbekanntschaften?“ Ich gab Fabi einen freundschaftlichen Klaps auf den Hinterkopf. „Hab ein nettes Mädel kennengelernt.“ Jetzt wurde auch der Rest der Band hellhörig und ich erzählte von meiner recht kurzen Nacht, als auch von der Begegnung mit Selene. „Das klingt ja schon fast romantisch aber sollte deine Laune da nich besser sein?“, fragte Flo. „Keine Ahnung.“ „Aber Lukas, es kann sein, dass Juka heute kommt. Nur damit du vorgewarnt bist. Kami hat ihn gestern vom Flughafen abgeholt.“ Meine Miene verfinsterte sich noch mehr und ich war mir nicht sicher, ob ich diesen Abend überstehen würde. Warum konnte er nicht einfach in Tokio bleiben? „Dann lass ihn kommen, ich hab mit ihm abgeschlossen. Bin gespannt, was ihr zu Selene sagt.“ Ich gab unsere Gästeliste beim Security ab und dann spielten wir uns schon mal ein bisschen warm, solange die ersten Gäste eintrafen. Selene ließ lange auf sich warten, doch als unser Konzert begann, konnte ich sie ziemlich weit vorne entdecken. Ich grinste und der kleine Raum verdunkelte sich. Die Show begann. In der ersten Reihe standen ein paar der Fans und dann ragte er aus der Menge wie ein gefallener Engel. Kami flüsterte ihm irgendetwas zu, Juka lächelte und schaute dann auf. Direkt in meine Richtung und da passierte etwas, was mir noch nie zuvor widerfahren war. Die Musik spielte, doch ich bekam keinen Ton zustande. Meine Hände zitterten und ein trockenes Gefühl breitete sich in meinem Mund aus. Ich fühlte mich gefangen, wie in einer Zwangsjacke, unfähig mich zu bewegen oder zu sprechen. Die Musik stoppte und Flo ergriff das Mikro. „Sorry Leute, Lukas hat gerade ein paar Stimmprobleme. Er geht kurz was trinken und dann beginnt die Show.“ Mein Freund griff nach meiner Hand und zog mich hinter die Bühne. Dort brach ich zusammen und Flo hielt mich. „Süßer, was is los?“ „Flo…ich kann nich…Juka is da, das pack ich nich.“ „Lukasschatz ich glaub an dich…du gehst da jetzt raus, schaust woanders hin und gibst alles…du schaffst das.“ Mein liebster Freund umarmte mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich atmete tief durch und nahm wieder meinen Platz am Mirko ein. Basti zwinkerte mir aufmunternd zu. Dann stimmte ich unser erstes Lied an, eben das Lied, was ich irgendwann, als wir noch glücklich waren, für Juka geschrieben hatte. Als meine tiefe Stimme den Raum erfüllte und ich die Augen schloss entspannte ich mich ein bisschen. Meine Gefühle verschafften sich Gehör und die Menge schien verzaubert. Ich befand mich nun meiner Welt und alles um mich herum verschwamm. Ich vergaß fast, dass er hier war. Die Musik trieb mich und meine Emotionen strömten aus mir heraus. Das war das erste Mal, dass ich unser Lied live sang und ich hoffte sehr, dass er jedes Wort auf sich bezog. Das war meine Retourkutsche, dafür, dass ich solche Qualen hatte erleiden müssen. Ich fiel sogar auf die Knie und sang mit geschlossenen Augen. Ich genoss jeden Moment und jede auch nur kleinste Zelle meines Körpers lebte diese Musik. Ich verlor mich für einen Moment. Zwischendurch ließ ich dennoch ein paar kurze, aber witzige Anekdoten hören, denn auch das mochte mein Publikum. Nach einer zweiten Zugabe verließen wir die Bühne und mischten uns unter die Fans. Ich beschloss mich von Selene suchen zu lassen. Aber dann zerstörte etwas meine wiedergefundene gute Laune. Juka hing völlig betrunken an der Bar und drohte jeden Moment vom Hocker zu kippen. Etwas in mir schrie schon fast, dass ich ihn lassen sollte, doch das konnte ich dann doch nicht. Ich beförderte ihn an die frische Luft und wollte ihn erst auf der Bank zurücklassen, als er mit mir redete. „Luki, du warst fantastisch heute.“ Ich zündete mir eine Zigarette an. „Danke. Soll ich dich nach Hause bringen oder so?“ „Ich penn bei Flo und Kami...muss warten bis die gehen...“ Na prima. Ich schrieb Kami, dass er bitte vor‘s Underground kommen sollte, weil ich nicht Jukas Babysitter spielen wollte. Zum Glück ließ er nicht lange auf sich warten. Er bat mich jedoch Juka und ihn zu begleiten. Schließlich willigte ich ein. Mir fiel auf, dass ich nicht mal eine Handynummer von Selene hatte und ihr somit auch nicht Bescheid geben konnte, dass ich kurz weg war. Ich konnte nur hoffen, dass sie dann noch da war. Kami entschloss sich dann doch bei Juka zu bleiben, was mich irgendwie beruhigte, doch ich merkte, dass er echt angepisst war. „Luki…warte.“ In seinen eisblauen Augen schien unendliche Traurigkeit zu liegen. Seine zarten Hände umfassten mein Gesicht und dann seine Lippen auf meinen. Ich keuchte, denn das hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Hatte Juka nicht deutlich beteuert, er hätte keine Gefühle mehr für mich? Doch dieser Kuss drückte genau das Gegenteil aus. Jetzt war ich erst recht verwirrt. „Juka…du bist ziemlich betrunken und solltest schlafen…ich muss wieder…“ Nur schwer riss ich mich von ihm los und die Lust am Feiern war mir endgültig vergangen. Wird schon schief gehen. Ich schnippte meine Zigarette weg und betrat den Club. Doch das süße Mädchen mit den violetten Haaren war nirgends zu finden. Verdammt! Aber war das Aufeinandertreffen mit Selene jetzt wirklich so klug? Ich holte mir an der Bar ein Bier und wollte meinen Frust schon ertränken, als etwas in meinem Augenwinkel lila schimmerte. Blitzschnell drehte ich mich um, doch es war nur das Top eines anderen Mädchens. Schlurfend begab ich mich in unsere Sitzecke im Raucherraum und da saß Selene neben Fabi und winkte mir zu. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. „Soso, da bin ich mal ne Weile weg, da angelst du dir schon den nächsten“, sagte  ich ein bisschen beleidigt. „Und ich dachte schon, du hast die Flucht ergriffen.“ Ich gab Fabi zu verstehen, dass er mir Platz machen sollte und brav wie er war, tat er das, nicht ohne mich breit anzugrinsen. „Vor wem? Dir? Quatsch. Es gab einen Zwischenfall, nicht der Rede wert. Jetzt bin ich ja da.“ „Schade, ich wollte gerade gehen.“ Etwas unsanft drückte ich sie in die Kissen der Couch, sodass sich unsere Nasenspitzen fast berührten. „Fänd ich zwar schade, aber werde dich sicher nich aufhalten.“ „Achso? Das ist bedauerlich.“ Mein kleiner Bruder warf mir einen fragenden Blick zu. „Nee jetzt ernsthaft….es wäre schön, wenn du noch bleibst“, kam es von Fabis Seite. Vielleicht sollte ich ihm Selene überlassen? Ich würde ihr nur Trauer und Leid bringen. Auf meinen Lippen spürte ich noch immer Jukas Kuss. Bloß nicht daran denken. „Darf man einen so populären Rockstar wie dich eigentlich in der Öffentlichkeit küssen oder schadet das deinem Image?“, hauchte sie mir ins Ohr. Scheinbar wollten das heute irgendwie alle. „Süße, nichts für ungut, aber ich steh noch immer auf Männer.“ Plötzlich wurde Selene ein bisschen ernster. „Stimmt, ist mir wohl entfallen.“ Doch das, was ich als nächstes tat, schrieb ich einerseits dem Alkohol zu und andererseits dem Schmerz, der mich sonst zerfraß. Ich schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln und beugte mich zu ihr rüber, um sie zu küssen. Denn warum eigentlich nicht. Ich wollte Juka endlich vergessen. Fabi beschwerte sich dann, dass er neben zwei Pärchen eingequetscht sei. „Dann steh doch auf und such dir was eigenes“, ärgerte ich ihn. „Dazu bin ich noch nicht betrunken genug. Willst du noch'n Bier?“ Ich nickte. Basti zwinkerte mir unauffällig zu. Dann fragte er, wie es Juka ging. Ich zuckte mit den Schultern. Flo schob auch Depri, weil Kami nicht bei ihm war. Shit, das mit dem Vergessen war wohl nicht so leicht. „Was will er eigentlich gerade hier Flo?“ Mein Freund schaute auf und zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich, Kami vollabern, wie mies es ihm auf einmal geht und so. Es nervt mich voll, weil es immer so. Hat Juka mal nen kleines Problemchen, muss Kami springen. Ich besaufe mich jetzt. Macht jemand mit?“, warf er in die Runde. Ich nickte ihm zu. „Ey Schnuckiputz, jetzt lass uns nen schönen Abend haben.“ „Na gut Sahnetörtchen, aber nur wenn du dich auch'n bisschen um mich kümmerst.“ Ich gab ihm ein Kuss auf die Wange. „Klar.“ Damit musste Selene leben, das waren meine Freunde und meine Band. Ich kuschelte mich an Flo und so allmählich merkte er, wie beschissen es mir tatsächlich ging. „Isses immer noch wegen vorhin?“, fragte er, sodass es nur ich hören konnte, doch ich schüttelte den Kopf und schob mir eine Zigarette zwischen die Lippen. „Ich hab ihn mit in die Wohnung gebracht, damit Kami das nich allein tun muss…er hat mich geküsst Flo…“, brachte ich nur mühevoll hervor und jetzt zog mich mein bester Freund nur noch näher an sich. Ich schlang meine Arme um ihn und seine Umarmung brachte mich ein bisschen runter. „Und…hat es sich schlimm angefühlt?“, fragte er vorsichtig und ich unterdrückte das Schluchzen, indem ich mir heftig auf die Unterlippe biss. Basti, der irgendwie auch von meinem Dilemma Wind bekommen hatte, erhob sich und kehrte wenig später mit Wodka und Shotgläsern zurück. Auch ihn zog ich in eine Umarmung und gab ihm einen Kuss auf die Wange.   Selene blieb den ganzen Abend und trank mit uns. Das fühlte sich irgendwie ziemlich gut an. Wir verließen fast als Letztes den Club und torkelten Richtung Taxi. Ich warf Selene einen fragenden Blick zu und hoffte, sie wusste, was ich wollte. Tatsächlich, sie nickte. Ihr Kopf lehnte während der Fahrt an meiner Schulter. Ich nahm ihre Hand, bezahlte den Fahrer und half ihr aus dem Auto. „Ich glaub ich hab zu viel getrunken.“ „Passiert an solchen Abenden. Soll ich dir die Haare beim Kotzen halten?“, lachte ich und nahm ein bisschen Abstand, weil sie mich böse anschaute. Dann rannte sie auf mich zu, doch ich war schneller. Nur blöd, dass ich auch nicht mehr ganz so nüchtern war und den Stein im Dunklen nicht sah. Mich haute es der Länge nach hin und ich bekam einen Lachanfall. Selene fiel auf mich und tat so, als hätte sie mich gefangen. „Tja, selbst die kleinsten Bosheiten werden auf der Stelle bestraft.“ Ich musste immer noch lachen, warum wusste ich selber nicht genau.   Ich brachte Selene am nächten Tag nach Hause und konnte es nicht lassen noch einen Abstecher bei Kami und Flo zu machen, weil ich wissen wollte, wie es Juka ging. Die beiden meinten, dass er gerade in der Stadt unterwegs sei, deshalb rief ich ihn an und bestellte ihn zu mir. Was dachte ich mir dabei? Ich konnte es nicht sagen. Vielleicht wollte ich einfach nur, dass es ihm gut ging. Meine Schwester war alles andere als begeistert, als Juka bei uns eintraf, denn immerhin war sie die Leidtragende meiner Gefühlsausbrüche gewesen. Ich kochte uns Tee und wir verzogen uns ins Wohnzimmer. Juka sah immer noch ein bisschen mitgenommen vom gestrigen Abend aus. „Geht es dir wieder besser?“, begann ich das leicht peinliche Schweigen. Er nickte. „Tut mir leid, ich wollt dir nicht den Abend ruinieren.“ „Keine Angst, ich hatte trotzdem noch meinen Spaß.“ „Luki, ich halt es so nich mehr aus. Du fehlst mir so...“ Das klang fast so, als würde er es beiläufig erwähnen wollen und doch richtete er mit diesen Worten genau das an, was er beabsichtigt hatte. Dafür hasste ich ihn. „Das funktioniert aber nich mehr Juka. Ich kann es nich. Außerdem hast du doch gesagt, dass ich dir egal bin…du keine Gefühle mehr für mich hast.“ „Verstehe schon. Aber irgendwie bin ich gerade am Ende und weiß nicht wohin. Tokio ist auf Dauer auch nicht das, was ich mir erträumt hab.“ „Gehen dir dort die Männer aus oder was?“, rutschte es mir raus. Eigentlich hatte ich das nur denken wollen und Jukas Blick verriet mir, dass ihm diese Bemerkung ganz und gar nicht gefiel. „Und was wenn ja? Was soll der Mist, ich dachte mit dir kann man mal vernünftig reden.“ „Sorry, das is mir echt rausgerutscht, aber für meine Gedanken kann ich nichts und wenn du ehrlich bist, isses deine Schuld, wenn ich sowas denke.“ „Ach ja? Dann hättest du dir vielleicht mehr Mühe geben sollen.“ Ich verdrehte die Augen. Jetzt ging das wieder los. „Jetzt schieb bitte nich alles auf mich, dazu gehören immer zwei. Ich wollte eigentlich auch nur wissen, wie es dir geht.“ „Bestens danke. Ich geh dann mal besser.“     Zwei Tage später bekam ich etwas von einem Selbstmord hier in Berlin mit. Man denkt sich zwar immer „oh wie schlimm“, aber die Sache ist auch im gleichen Moment wieder vergessen, weil es einen nicht selbst betrifft. Das war dieses Mal nicht so. Ich schlenderte fröhlich zum Proberaum, doch dort herrschte bedrückende Grabesstimmung, im wahrsten Sinne des Wortes, denn dieses Mal betraf mich der Selbstmord eiskalt am eigenen Leib. Kami heulte nur noch und Flo versuchte ihn zu trösten. Mein Magen zog sich zusammen und ich traute nicht zu fragen, was los war. Trotzdem tat ich es. „Lukas, es war Juka“, sagte Basti recht gefasst. Ich mutierte zur Steinsäule und unter mir brach der Boden auf. Meine heile Welt brach in sich zusammen und eine unsichtbare Kraft schnürte mir die Kehle zu. Ich wollte wegrennen, doch es ging nicht, so als wären meine Beine Wurzeln geschlagen. Doch ich musste weg. Ich musste rennen, mich bewegen, doch nichts ging. Ich brach schließlich zusammen und schubste alle weg, die den Versuch unternahmen mich zu trösten. Ich trat mit dem Fuß in unsere leere Flaschensammlung und feuerte alle noch nicht zersprungenen gegen die Wand. Es war irgendwie okay, nicht mehr mit Juka zusammen zu sein, aber ich hatte gewusst, dass er noch irgendwo ist. Doch jetzt war er weg. Und das mit Sicherheit, weil ich ihm nicht geholfen hatte. Ich hätte mit ihm reden können. „Lukas, du machst es doch so nich besser“, sagte Flo. „Na und? Ich hätte ihn aufhalten können....ich bin Schuld, dass er das getan hat.“ „Keiner hat Schuld Lukas, er war einfach nur am Ende.“ Jetzt wurde ich richtig sauer. Meine Freunde, selbst Kami sprachen von Juka, als wäre er irgendjemand gewesen. „Eben deshalb! Juka war immer für uns alle da....!“, schrie ich sie jetzt an und musste heulen.   Schweißgebadet wachte ich auf und stellte voller Entsetzen fest, dass ich mich in meinem Bett befand. Ohne zu zögern und ohne darauf zu achten, wie spät es war, rief ich Juka an. Verdammt, er ging nicht ran. Hatte er sich wirklich umgebracht? Ich ließ es ein zweites Mal klingeln, bis die Mailbox ranging. Dann ein drittes Mal. Jukas verschlafene Stimme erklang am anderen Ende. Ein Glück. „Ich wollte nur wissen, ob es dir gut geht“, versuchte ich so normal wie möglich zu sagen. „Luki...es is noch mitten in der Nacht...ich will schlafen und ja mir geht es gut....warum?“ Ich atmete auf vor Erleichterung. „Nur so, ich hatte gerade einen schlimmen Traum...darin kamst du auch vor. Sorry, dass ich dich geweckt hab...Kannst du zu mir kommen, bitte?“ Juka seufzte am anderen Ende. „Ist es echt so schlimm? Kann das nicht bis morgen warten?“ „Ich weiß nich....glaub nich...“ „Naaaa gut, ich bin demnächst da.“ Verdammt! Was tat ich da? War ich nicht ganz bei Sinnen? Stimmte dieses alte, blöde Sprichwort, wenn man einmal sein Herz verschenkte, konnte man es kein zweites Mal tun? Ach was schwirrten da nur für seltsame Gedanken in meinem Kopf herum? Als ich ein Auto kommen hörte, sprang ich auf den Balkon. Es war Juka. Mein Herz schlug schneller und ich rannte ihm entgegen. Er schloss mich in seine Arme, so wie er es sonst auch immer getan hatte und wir verharrten so. „Ist alles okay mit dir?“, fragte er zaghaft. Ich löste mich aus der Umarmung. Jukas Hände glitten an meinem nackten Oberkörper entlang. Das jagte mir diesen vertrauten Schauder über die Haut. „Ich weiß nich...der Traum gerade, das war ziemlich heftig...du bist gestorben.“ „Nein, bin ich nicht, weil ich gerade hier vor dir stehe und mit dir rede Luki.“ „Aber es war so real und ich war schuld an deinem Tod.“ Juka lachte kurz. „Warum, hast du mich ermordet?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Du hast dich umgebracht, weil ich beschissene Dinge zu dir gesagt habe.“ Juka griff nach meiner Hand und wir gingen ins Haus. „Glaub mir, sowas würde ich nicht tun, dafür hänge ich zu sehr an meinem Leben. Alles ist gut und ich bin jetzt hier.“ Ich lag in Jukas Armen und fragte mich noch immer, was ich da tat. „Es war komisch. Ich kann schon damit leben, dass wir nicht mehr zusammen sind, aber dieses Gefühl, dass du ganz weg bist, war grausam. Immerhin glaube ich immer noch daran, dass wir vielleicht irgendwann wieder Freunde sein können.“ „Und ich dachte, du hasst mich.“ „Ich hasse dich auch, ich verachte dich dafür, was du getan hast Juka und doch wird ein Teil von mir immer zu dir gehören.“ Juka lächelte. „Deshalb rufst du mich mitten in der Nacht an, weil du mich so sehr hasst...und doch ist es schön bei dir zu sein.“ Ich sprang auf und jetzt ärgerte ich mich, dass ich ihn zu mir gebeten hatte. „Ich wollte ja nur wissen, ob es dir gut geht, mehr nich. Jetzt geh halt wieder“, fuhr ich ihn an. Doch Juka lachte nur. „Genau. Luki, wir wissen beide, dass ich nicht ohne Grund hier bin.“ „Dann verrate mir doch, weshalb du hier bist?“ „Weil ich dich liebe.“ Bähm! Das saß und damit hatte mich Juka genau da, wo er mich haben wollte, denn es stimmte. Und aus keinem anderen Grund hatte ich ihn sehen wollen. Er fehlte mir noch immer und auch Selene schien das nicht ersetzen zu können. Ich war ein hoffnungsloser Fall. „Schön! Ich dich aber nicht mehr!“ Juka sagte eine Weile nichts. „Das könnte ich dir nicht verübeln, wenn es stimmen würde. Ich habe viel über uns nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir nicht ohne einander sein können, aber noch weniger funktioniert es miteinander. Ich würde dich gern bändigen, kann es jedoch nicht und du würdest gern mit mir zusammen sein, wenn ich dir deine Freiräume lassen könnte. Ich musste zu spät lernen, dass ich dich nie besitzen kann Lukas. Unsere Liebe ist verdammt und du hast Recht, es kann niemals funktionieren. Das wird uns beide irgendwann zerstören und vielleicht war dein Traum gar nicht so unrealistisch. Nicht, dass ich mich nach dem Selbstmord sehne, aber es ist egal, wie weit wir voneinander getrennt sind, einer von uns beiden wird immer nachgeben, solange es den anderen gibt.“ Das war das traurigste, was ich jemals gehört hatte und mir liefen die Tränen. Sollte das also meine verkorkste Liebesgeschichte sein? War ich wirklich dazu verdammt jemanden zu lieben, den ich niemals haben konnte? Und ich hatte schon gedacht, das schlimmste lag hinter mir. Doch das übertraf alles, sogar meinen Traum. Juka hätte ebenso sagen können, verschwinde aus meinem Leben. Doch hatte ich das nicht gewollt? „Juka...warum sagst du sowas? Das ist schlimmer, als in jedem Hollywoodliebesdrama. Vielleicht sollten wir unsere Geschichte auch verfilmen lassen, sicher werden wir damit steinreich und ich bekomme doch noch meinen wohlverdienten Rockstardrogentod.“ „Das kannst du gut, dich vor dir selbst verstecken und ja keine Gefühle zeigen. Wenn es das ist, was du willst, gerne. Ich halte dich nicht auf. Ein brillanter Rockstar bist du ja mittlerweile und deine Fans liegen dir zu Füßen, gratuliere.“ „Ich muss mich nich vor mir selbst verstecken, was soll der Schwachsinn. Ich komme gut klar und um auf das Thema zurückzukommen. Und wenn du glaubst, du erträgst meine Anwesenheit nich, dann geh doch...stürze dich von der nächsten Brücke oder was weiß ich. Dann habe ich meine Ruhe.“ „Gut, wie der Herr wünscht.“ Juka stand auf, ging in die Küche und holte sich mein großes Gemüsemesser. „Dann möchte ich aber wenigstens einen Zuschauer haben.“ Okay, jetzt wurde die Sache ziemlich ernst. Doch Juka würde sich nicht umbringen, das hatte er eben selbst gesagt, also ließ ich ihn machen. Aber dann auf einmal setzte er das Messer an und wollte es sich in den Bauch rammen. Ich schlug ihm das Messer aus der Hand und es schepperte klirrend zu Boden. Allerdings hatte ich mir eine heftige Schnittwunde zugezogen. „Bist du völlig bescheuert?“, schrie ich ihn an und schnappte das Wischtuch um meine Blutung zu stillen. Jetzt heulten wir beide. „Ich wollte nur wissen, ob du mich wirklich rettest...tut mir leid, aber anders konnte ich dich nicht aus der Reserve locken. Gibst du zu, dass du mich noch liebst?“ „Natürlich tue ich das noch du verdammter Idiot, aber ich hab keine Ahnung, wie es mit uns klappen soll...ja, du hast mit allem Recht, was du sagst und das bringt mich um Juka.“ „Süßer, ich sollte dich ins Krankenhaus fahren.“ Ich nickte und zog mir etwas an. Erst jetzt spürte ich den pochenden Schmerz und musste die Zähne zusammenbeißen. Juka fuhr schnell und in wurde auch sofort in der Notaufnahme behandelt. Zum Glück fragte keiner wie dieser dämliche Unfall zustande gekommen war. Der Arzt gab mir noch Schmerzmittel mit. Zu Hause verkroch ich mich in mein Bett. Juka legte sich neben mich. „Du Juka, meinst du wir können irgendwie wieder Freunde sein? Ich meine wenn es anders schon nich klappt. Ich möchte nich, dass du ganz aus meinem Leben verschwindest.“ „Wir können es versuchen, aber ich kann dir nicht versprechen, dass es wieder so wird wie früher.“ „Das erwarte ich auch gar nich. Aber ein bisschen wäre schön.“ „Okay. Kann ich dich jetzt wieder allein lassen?“ „Ja, denke schon. Aber nur, wenn du mir versprichst, dass du dich nicht umbringst und mir Bescheid sagst, wenn du in deinem Bett liegst.“ Juka lachte und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Das mach ich, versprochen.“ Gerade als ich eine halbwegs bequeme Position gefunden hatte, in der meine Hand nicht ganz so schlimm weh tat, piepte mein Handy. Halb verpennt laß ich den Text. Hey mein kleiner Chaot, ich bin jetzt angekommen und liege wieder im Bett. Wage es ja nicht mir nochmal einen solchen Schrecken einzujagen. Schlaf gut. Ich lächelte und legte mein Handy wieder weg. Jetzt konnte ich geruhsam schlafen Kapitel 37: ...unvorstellbar ---------------------------- Am nächsten Morgen weckte mich ein gellender Schrei aus meinen Träumen und ich hatte das Gefühl kaum ein Auge zu getan zu haben. Poltern auf der Treppe und dann wurde meine Zimmertür aufgerissen. Jojo sah mich entsetzt an, wurde jedoch ruhiger, als sie mich im Bett erblickte. „Gott sei Dank. Ich dachte schon wer weiß was ist passiert.“ Ich erklärte ihr kurz, was geschehen war und sie schüttelte nur mit dem Kopf. Ich kochte mir einen Kaffee und genoss die Sonne draußen im Garten. Meine Schwester gesellte sich zu mir. Mein Handy klingelte und ich sah, dass Selene anrief, jedoch ging ich nicht ran. Das Ereignis von letzter Nacht war wieder ein Rückschlag in Sachen Gefühle gewesen. Juka hatte Recht, ich liebte ihn noch immer, doch wie sollte es nur mit uns funktionieren? „Magst du Selene eigentlich?“, fragte Jojo nach einer Weile. Ich nippte an meiner Kaffeetasse und zuckte gedankenverloren mit den Schultern. „Mögen tue ich sie schon, aber mehr auch nicht.“ Wieder schüttelte sie mit dem Kopf. „Du bist wahrhaftig ein hoffnungsloser Fall Bruder.“ Ich grinste etwas verlegen und holte meine Gitarre. Jojo lauschte mir gern beim Spielen und ich sah, wie auch meine Schwester sehr gerührt von meinem neusten Lied war. „Das Lied ist wunderschön...du hast es für Juka geschriebenen oder?“ Ich nickte und zündete mir eine Zigarette an. „Jojo, ich kann das alles nich mehr. Ich kann nicht weiter mit Mädels Spielchen spielen und insgeheim immer noch Juka im Hinterkopf haben.“ „Und warum genau seid ihr nicht mehr zusammen? Ach ja stimmt, er fand es amüsanter sich durch halb Tokio zu vögeln, als mit dir zusammen zu sein. Er hat dich nicht verdient Lukas.“ Da hatte sie nicht ganz Unrecht. „Manchmal glaube ich, das is sowas wie ne Retourkutsche, weil ich früher auch nich besser war.“ „So ein Schwachsinn. Juka spinnt, wenn er dich gegen 100 andere eintauscht. Und doch liebst du ihn.“ Ich schlief die Nacht sehr unruhig und das erste, was ich am nächsten Tag machte, war Selene anrufen, um ihr zu sagen, dass es mit uns nicht funktionierte. Danach war Bandprobe und anschließend veranstaltete ich eine kleine Party in meinem Haus. Es wurde echt lustig und Mitternacht beschlossen wir im Pool baden zu gehen. Allerdings musste ich aufpassen, dass meine Hand nicht mit dem Wasser in Berührung kam. Ich hielt es für unnötig ein Oberteil anzuziehen und ging mir nur in Hose noch ein Bier holen. Jetzt merkte ich, dass ich schon ganz schön schwankte und dann blieb mir fast der Atem weg. Juka tauchte auch auf. Ja stimmt, ich hatte ihn eingeladen. Und warum zur Hölle musste dieser verfluchte Scheißkerl heute so umwerfend aussehen? Er gab mir einen Kuss auf die Wange und holte sich auch ein Bier. Arroganter Arsch. Ich beobachtete ihn den ganzen Abend lang, redete aber kaum mit ihm. Stattdessen trank ich mehr und kiffte mit Flo. Irgendwann war ich so platt, dass ich auf der Liege am Pool einpennte. Doch als ich nächsten Morgen erwachte befand ich mich in meinem Bett. Ich stand auf und alles war ordentlich, wie konnte das sein? Alles drehte sich, als ich aufstand. Ich trug noch immer meine Hose. Mit schlurfenden Schritten schleppte ich mich in die Küche und traf Jojo und Juka dort an. Wie in alten Zeiten, dachte ich. Das war wieder so ein Schlag in die Fresse. Ich brammelte ein Guten Morgen vor mich hin und setzte Tee auf. Warum saß er hier? Hatte er sich etwa mit Jojo unterhalten? Juka ging zum Rauchen hinaus. Meine Schwester wandte sich an mich. „Vielleicht solltet ihr nochmal miteinander reden“, sagte sie und verschwand. Das verwirrte mich noch mehr. Ich schlurfte raus, wollte jedoch keine rauchen, weil mir noch kotzübel war. Ich schaute zu Juka auf und jetzt kam mir dieser Artikel wieder in den Sinn. Es stimmte, Juka war wie eine Droge, denn so lange er hier war, fühlte ich mich halbwegs gut. Was war nur aus uns geworden? „Luki…eine Sache solltest du vielleicht wissen, ich habe mich nur das eine Mal an meinem Produzenten verloren und das nicht mal richtig, wir hatten keinen Sex, er hat mich nur zu Dingen zwingen wollen, bei denen mir zu spät bewusst wurde, dass sie so nicht richtig sind. Es war mies, dass ich das getan habe, doch du schienst mir in den letzten Monaten so fern zu sein. Ich war verzweifelt und hatte das Gefühl dich nicht mehr zu kennen.“ War das wirklich wahr? Ich hatte die ganze Zeit gedacht, Juka hätte mich ein weiteres Mal betrogen, doch dem war nicht so. In mir stieg lodernde Wut auf. „Und das sagst du mir erst jetzt? Schön! Und was erwartest du jetzt von mir? Soll ich dir um den Hals fallen und so tun, als hättest du mich nich so beschissen behandelt?“ „Vorher ergab sich noch keine Möglichkeit“, lächelte Juka etwas verlegen. „Erzähl mir doch keinen Scheiß! Es gab unzählige Möglichkeiten Juka…warum ausgerechnet jetzt?“, fluchte ich. „Ich…ich weiß es nicht.“ Wenn er mich wirklich lieben würde, hätte er mir dann nicht schon früher die Wahrheit gesagt. Meine Lippen formten sich zu einem traurigen Lächeln. Ich ließ mich auf die Wiese in die Sonne zu sinken, weil es im Schatten plötzlich furchtbar kalt war. Mich fröstelte es. Juka folgte mir. „Luki, ich bin noch gar nicht dazu gekommen, dir zu sagen, dass dein letztes Konzert wundervoll war. Ich glaube jetzt bist du dort angekommen, wo du hinwolltest.“ Ich holte aus und knallte ihm eine und mir traten die Tränen in die Augen. „Is das dein scheiß ernst Juka? Vor ein paar Wochen erzählst du mir, dass du mich nich mehr liebst…dann küsst du mich und jetzt das? Verdammt…ich ertrage das nich mehr!“ „Deshalb hab ich dir das ja heute auch gesagt.“ Es trat eine längere Pause ein. Ich biss mir heftig auf die Unterlippe und mein Körper zitterte leicht. „Na schön und jetzt?“ „Du fehlst mir Luki“, erwiderte er und strich mit seiner Hand über meinen Bauch und über dem Hosenbund ließ er sie ruhen. Ich schob sie behutsam beiseite. „Jetzt tue nicht so, als würden dir meine Berührungen nicht gefallen“, sagte er dann ein bisschen belustigt. „Und mir fehlt der Juka, den ich vor vielen Jahren kennengelernt habe und der mir ein guter Freund war. Immer ein liebes Wort parat hatte, sodass ich mich nicht mehr ganz so scheiße fühlte.“ „Aber wir haben uns beide verändert Luki, ich weiß nicht, ob wir wieder zurück können.“ „Wir haben es nie versucht. Immer gab es nur die Option mit dir zusammen zu sein oder nicht, doch nie haben wir wieder versucht nur Freunde zu sein.“ „Meinst du, das könnten wir wagen?“ „Vielleicht. Manchmal denke ich den ganzen Tag nur an dich und wünschte, wir wären wieder ein Paar, doch die letzten Monate haben mich ganz schön in Anspruch genommen und wenn das so weiter geht, dieses Hoch und Tief geh ich zugrunde.“ „Nach allem, was ich dir angetan habe, redest du noch immer von mir, als wäre ich dein größter Schatz. Warum?“ „Vielleicht, weil du es bist Juka. Es ist einfacher dir deinen Mist zu vergeben, als nich mit dir zu reden. Du hast vor ein paar Tagen gesagt, dass es uns zerstören würde, wenn wir zusammen sind, doch das glaube ich nich. Es macht uns kaputt, wenn wir es nich sind. Ohne dich habe ich gelitten, wie noch bei keinem Menschen zuvor. Nich mal, als ich vom Tod meiner Mum erfahren habe. Vielleicht müssen wir einfach ein bisschen an uns arbeiten, doch den anderen trotzdem so nehmen wie er ist und du liegst falsch. Denn nur du bist in der Lage den Wolf zu zähmen, wie auch immer du das schaffst. Wir haben eine gemeinsame Chance, in welcher Form auch immer.“ Juka schien es die Sprache verschlagen zu haben und sein glasiger Blick verriet, dass ihn meine Worte berührten. „Okay, das rührt mich wirklich sehr und ich denke nicht, dass es falsch ist, denn auch du fehlst mir sehr. Und ich ertrage es auch nicht, wenn wir ganz voneinander getrennt sind.“ „Also sind wir jetzt Freunde?“ „Sieht ganz so aus.“ Juka schaute zu mir auf. „Okay“, grinste ich. „Du solltest dringend unter die Dusche Luki.“ Ich grinste breiter. „Warum, weil ich wie ne Alkoholleiche stinke?“, witzelte ich. Jetzt grinste auch Juka. „Jepp. Wenn du magst bleib ich noch ein bisschen da. Ich bin gern bei dir.“ Wow, was für eine Wendung. Juka und ich hatte wieder zueinander gefunden, auf welche Art auch immer. Ich konnte nicht mal sagen, ob die Freundschaft zwischen uns funktionieren würde, aber es fühlte sich auf jeden Fall saugut an. Ich spürte nicht mehr diese Leere in mir. Wir gingen an dem Abend noch zusammen weg und hatten einfach jede Menge Spaß, als Freunde. Es hatte den Anschein, als würde unsere Freundschaft funktionieren. Von Selene bekam ich nur mit, dass sie und ihr Zirkus weiterzogen, vielleicht auch gut so. Ich hatte beschlossen erst mal nicht mehr über die Liebe nachzudenken, denn immer, wenn ich das tat, passierten komische Sachen. Kapitel 38: Eine andere Option? ------------------------------- Leider neigte sich der Sommer dem Ende zu und wir genossen noch die letzten warmen Tage um ein bisschen im Park zu chillen. Ich lehnte mit meiner Gitarre am Baum und spielte unsere Songs. Ich beschloss nur noch eine bestimmte Anzahl von Menschen in mein Leben zu lassen, dazu gehörte meine Band, meine Schwester, Juka und Julietta. Jule war einfach bezaubernd und sie schaffte es oft mich zum Lachen zu bringen. Man hätte fast meinen können, dass sie bei mir und Jojo wohnte, da sie ein gern gesehener Dauergast in meinem Haus war. Es tat mir gut, sie um mich zu haben. Wir verstanden uns und Jule schien dazu beizutragen, dass meine Wunden heilten. Ich dachte viel nach, wiedermal. War‘s das jetzt? Jule schwirrte zwar mehr als sonst in meinem Kopf umher, doch wenn ich daran dachte wieder mehr Gefühle zuzulassen, spürte ich diese unsichtbare Barriere. Mir ging es nicht gut, aber auch nicht schlecht und so sollte es auch erst Mal bleiben. Ich versuchte ein Buch zu lesen, doch das gelang mir nicht so recht und ich legte es weg, als ich Stimmen vernahm. Julietta bog um die Ecke und hielt vor dem Liegestuhl inne. Sie räusperte sich. Ich nahm meine Sonnenbrille ab. „Na du, das is ja ne Überraschung. Alles klar?“ Ich umarmte Jule. „Immer doch. Wie geht es dir?“ „Ganz gut.“ Was für ein dummes Gespräch, dachte ich. „Wo ist der Wein?“ Ich lachte und ging kurz in die Küche. „Bitte sehr Madame.“ Jule grinste, weil sie sicher auch fand, dass ich Schwachsinn redete. „Wie geht es Jojo eigentlich?“ „Sie hat gerade viel mit ihren Prüfungen zu tun, aber sonst gut.“ Ich schaute Julietta an und fragte mich, ob sie einfach so gekommen war oder einen bestimmten Grund hatte mit mir zu reden. „Lukas…ich wollte mit dir reden, weil mir eine Sache sehr am Herzen liegt.“ „Oho, ich höre?“ „Naja, es geht um Juka…ich weiß ihr versteht euch gerade wieder, aber findest du nicht auch, dass du dich besser von ihm distanzieren solltest?“ Das also war der wahre Grund ihres Besuches. Ich nippte an meinem Weinglas. „Jule…ich schätze deine Fürsorge sehr, aber Juka is ein Thema für sich…ich kann nich anders…ich dreh durch, wenn ich ihn nich um mich haben kann.“ Meine Freundin sah mich verständnislos an. „Und wartest du etwa darauf, dass ihr wieder ein Paar werdet? Ich versteh‘s nicht.“ Ich seufzte. „Ich verlange auch nich, dass du es verstehst…uns verbindet einfach zu viel…nich nur er hat Mist gebaut, ich war genauso ein Arsch…und ich mag ihn noch immer.“ „Du scheinst regelrecht besessen von ihm zu sein, merkst du das nicht? Vielleicht solltest du dich mal wieder auf andere konzentrieren. Juka ist nicht der einzige Mensch, den du lieben könntest.“ Ich lächelte etwas verlegen. „Aber der einzige, der es mit mir aushält…was soll das außerdem, ich will nich mit dir streiten.“ „Okay…mach was du denkst…aber ich warne dich…lass dich ja nicht wieder so hängen…es zerbricht dich noch immer. Wenn du darüber redest, sehe ich den Schmerz in deinen Augen.“ „Wirklich? Langsam habe ich das Gefühl, ich kann gar keinen Schmerz mehr empfinden.“ Jule schaute zu Boden und dann zu mir. „Naja, ein Kämpfer bist du schon immer gewesen.“ Ich lachte traurig, weil ich nicht wusste, ob ich das auch so sah. Immerhin war ich gescheitert. Ich bin zerbrochen und mein Körper scheint nur noch eine Art Hülle für meine leblose Seele zu sein. Und doch schien da auf einmal ein Fünkchen Hoffnung zu sein. „Warum bin ich ein Kämpfer. Sind die nich immer heldenhaft?“, fragte ich dann und war auf Jule ihre Antwort gespannt. Sie drehte sich eine Zigarette und reichte sie mir. Dann drehte sie eine für sich selbst. „Naja, ich kannte dich früher und die Ereignisse scheinen dich stärker gemacht zu haben. Scheinbar gab es doch einen Grund, der dich hat wieder aufstehen lassen. Du hängst an deinem Leben, da kann es dich noch so sehr auf die Fresse hauen. Das kann nicht jeder Lukas und du redest anders als früher. Aufgeschlossener.“ Ich musste lächeln. „Danke, solche Worte sind gerade echt aufbauend. Du sagst mir also, dass ich nicht mehr der arrogante Arsch von früher bin“, scherzte ich. „Mir gegenüber warst du eher schüchtern und zurückhaltend, deine Arschlochphase hab ich wohl verpasst.“ „Mhh stimmt, das kam danach. Siehst du mich noch immer als schüchternen kleinen Jungen.“ Jule schüttelte mit dem Kopf. „Nein...der bist du schon lange nicht mehr.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Was bin ich denn dann?“ Julietta schien mich mit ihrem Blick zu durchforsten und in meinem Inneren nach der passenden Antwort zu suchen. „Süß, aber du bist reifer geworden. Wobei sich deine Lebensweise ins exzessive gewandelt hat, ich weiß nicht, ob das so gut ist. Klar, jeder übertreibt es mal, aber auch diese Phase hat dich sehr geprägt. Es hat dich abgehärtet und dich manchen Dinge gleichgültig werden lassen.“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Wow, klare Ansagen waren schon immer deine Stärke." „Scheint so, als würdest du mich genau aus diesem Grund mögen." „Was meinst du damit, dass mir Dinge gleichgültig geworden sind?" Sie hielt eine Weile inne. „Du tust viel für andere, doch hast du auch mal an dich gedacht? Was dir gut tut? Glaub mir, ich weiß, wie sehr dich die Sache mit Juka getroffen hat, aber es wird Zeit nach vorne zu schauen, meinst du nicht?" „Und was ist, wenn ich das nich kann?“ Jule funkelte mich an. „Dann hast du dich bereits aufgegeben." Jetzt musste ich noch einen Joint bauen, das war harte Kost. „Was soll ich denn deiner Meinung nach machen?“ „Machen sollen tust du gar nichts. Allerdings stehen dir ein paar Optionen zur Wahl, doch diese musst du selbst erkennen." Ich nahm einen tiefen Zug und wusste nicht, was ich von all dem halten sollte. Dann geschah etwas, was ich mir heute nicht mehr erträumt hätte. Sie beugte sich vor und küsste mich. „Bist du einer der Optionen?", fragte ich nachdem sie mich so überrumpelt hatte. „Möglicherweise. Fragt sich nur, ob du das in Betracht ziehst." Ich nahm noch einen tiefen Zug und reichte Jule den Joint. So verblieben wir an diesem Abend erst einmal. Kapitel 39: Karma ----------------- Mein Halbbruder Fabi tauchte immer seltener zu unseren Bandproben auf und wir hatten schon eine Vermutung, was dahinter steckte. An einem Tag war es besonders schlimm, denn er ging nicht mal an sein Handy, so beschlossen Basti und ich zu ihm nach Hause zu gehen. Wir mussten ewig warten, da seine Mutter nicht da zu sein schien und Fabi auch nicht auf die Idee kam uns die Tür zu öffnen. Gegen Abend fuhr der Ford seiner Mutter schließlich in die Einfahrt und wir teilten ihr unser Anliegen mit. Sie meinte, dass sich Fabi wahrscheinlich in seinem Zimmer eingeschlossen hätte, wie er es seit Tagen tat, jedoch schien sie das nicht sonderlich zu interessieren. Mich übermannte eine schlimme Vorahnung. Die Wohnung war recht klein, doch sehr ordentlich. Wir kamen durch das Badezimmer hindurch zu Fabis Zimmer und die Tür war verschlossen. Ich hämmerte dagegen und rief seinen Namen, doch es kam keine Reaktion. Ich schaute Basti verzweifelt an und er zuckte mit den Schultern. Noch einmal pochte ich dagegen, doch jetzt wusste ich, dass es nichts brachte. Schließlich blieb uns nichts anderes übrig, als die Tür einzutreten. Fabis Mutter kam zu uns geeilt und fragte, ob wir noch alle Tassen im Schrank hatten, doch augenblicklich verstummte sie und hielt sich schockiert die Hände vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken. Das Zimmer hatte wahrscheinlich seit Wochen keinen Staubsauger mehr gesehen und der Geruch von kaltem Rauch lag in der Luft. Überall lagen dreckige Klamotten und der Teppich war von Brandlöchern übersät. Auf dem Nachttisch lag ein Feuerzeug und eine leere Pillendose. Fabi lag reglos im Bett, doch zum Glück war sein Körper auf die Seite gedreht. Ich rüttelte ihn und schickte seine Mutter ein Glas Wasser holen. Basti rief den Notarzt an. Ich schüttete meinem Halbbruder das Wasser ins Gesicht und endlich regte er sich ein bisschen. Ohne ein Wort zu sagen, zog ich ihn aus dem Bett und schleppte ihn vor die Haustür, wo auch schon bald der Krankenwagen eintraf. Wir fuhren mit und warteten, bis es Neuigkeiten gab. Fabi war gerade nochmal davongekommen. Ein Stein fiel mir vom Herzen. „Das war heute fast so, als würde ich den einen Tag noch einmal erleben müssen“, sagte Basti. Ich schaute zu ihm. „Nur mit dem Unterschied, dass ich jetzt weiß, wie schlimm es für dich gewesen sein muss, mich so zu sehen. Es tut mir leid Basti.“ Mein Freund nahm mich in die Arme. „Schon okay, vielleicht ist das die späte Rache.“ Ich zog die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf. „Spinner...ich hoffe Fabi kommt zur Vernunft.“   Wir besuchten Fabi fast jeden Tag und nach zwei Tagen durfte er die Klinik verlassen. Bisher hatten wir noch nicht darüber gesprochen, doch das ließ sich jetzt nicht mehr vermeiden. Meine liebe Jule wich in dieser Zeit nicht von meiner Seite, doch ich sagte ihr, dass ich erst mit Fabi reden musste. Ich hatte ihr ein bisschen erzählt, was passiert war und sie sah das ein. Unser geliebter Keyboarder sah noch immer miserabel aus, doch schien er immerhin wieder einen klaren Kopf zu haben. Er wich meinem Blick aus und auch ich war unsicher, wie ich das Gespräch beginnen sollte. „Fabi, warum hast du das getan? Nein, das ist die falsche Frage, schließlich will ich dich nicht verurteilen...aber warum bist du nicht zu mir gekommen?“ Jetzt sah er mich zum ersten Mal an. „Ich weiß nicht, vielleicht hatte ich Angst vor der Enttäuschung.“ „Welcher Enttäuschung?“ „Naja, dass du mich dafür verachtest. Ich bin am Arsch Lukas und meiner bescheuerten Mutter isses vollkommen egal.“ „Ich kann das ziemlich gut nachvollziehen, trotzdem ist das keine Lösung.“ Fabi sagte nichts darauf und jetzt schien er ein bisschen nervös zu werden. Ich reichte ihm eine Flasche Schnaps. „Was soll das werden?“ „Wenn du das halbwegs gut über die Runden bekommen willst, solltest du dich jetzt betrinken, sonst wird es schlimm.“ Fragend sah er mich an. „Aber woher willst du das denn wissen?“ Ich lachte traurig. „Ich hatte damit mehr zu tun, als du denkst kleiner Bruder. Der Entzug dauert etwa einen Tag, doch wenn du das schaffst, isses besser. Also trink jetzt.“ Fabi schaute mich mit großen Augen an. „Heißt das etwa?...“, wollte er fragen, doch ich schnitt ihm das Wort ab. „Ja, genau das heißt es. Also hör einmal auf mich.“ Fabi trank brav seinen Schnaps, bis ihm übel wurde. Dann half ich ihm ins Bett zu kommen und er schlief recht schnell ein. Im Garten erwarteten mich meine zwei Mädels und beide ließen mit ihren Blicken verraten, dass sie das Gespräch mitbekommen hatten. Besonders Jule schien das sehr nahe zu gehen und ich erinnerte mich an den Tag, als sie mich ins Krankenhaus eingewiesen hatten und Jule mich so abgefuckt zu Gesicht bekam. Sicher schien sie ähnliche Gedanken zu haben. „Sagt bloß nichts, ich weiß schon…aber das wird schon wieder.“ Meine Schwester warf mir einen verstohlenen Blick zu. Irgendwann musste sie ja mal die Wahrheit erfahren. „Wann war das und warum Lukas?“ „Ich war 16 Jahre jung und echt dumm. Genügt das?“ Mir war gerade nicht wirklich danach mich bei meinem Schwesterchen für meine vergangenen Taten rechtfertigen zu müssen. „Wusste Mama davon?“ „Natürlich wusste sie davon…“ „Aber…aber ich kann‘s nicht ganz nachvollziehen…habt ihr euch deshalb immer so gestritten?“ Ich verdrehte die Augen. „Ja unter anderem…aber Jojo, ich hab jetzt kein Nerv dir alles genau zu erklären. Das war einmal okay?“ Jojo nickte und warf mir ein schwaches Lächeln zu. Ich hatte keine Lust auch noch über diesen Teil zu reden, also versuchte ich das Gespräch abzuwürgen. „Naja, du hast es auch geschafft…Fabi wird schon wieder.“ Dennoch erzielte Fabis Therapie nicht ganz seine gewünschte Wirkung, er verrannte sich immer tiefer in dem Drogensumpf und bald würde auch ich ihm nicht mehr helfen können. Also versuchte ich einen Spagat zwischen meinem Leben und dem meines Bruders zu machen. Außerdem gab es nebenher noch Jojo und meine Band. Es war das reinste Chaos und langsam wurde mir alles wieder mal zu viel. Ich versuchte Fabi mit allen Mitteln zu locken, erlaubte ihm sogar das Kiffen, doch er war nur interessiert an den härteren Sachen, schloss sich in seinem Zimmer ein und wenn ich arbeiten ging, lud er seine Junkiefreunde ein. Genervt und besorgt startete ich mal wieder einen Versuch Fabi zur Vernunft zu bringen. Ich stieg ebenfalls durchs Fenster in seine Bude, da er die Tür ja verbarrikadiert hatte. Von dem Crack, was ich von den Jungs einatmete wurde ich selbst fast ganz benommen. Ich packte die beiden Kerle am Kragen und schmiss sie aus dem Fenster, nicht ohne ihnen zu drohen, dass sie ja nie mehr hier her kommen sollten. Fabi tickte jetzt voll aus, beschimpfte mich und sagte mir, dass er mich hasste. Ich nickte nur und grinste. „Ach ja? Das ist für mich nichts Neues, schon vergessen?“, konterte ich. „Lass mich doch einfach in Ruhe.“ „Solange du in meinem Haus lebst, bestimme ich die Regeln! Langsam gehst du mir mit deinem Mist echt tierisch auf die Nerven. Also sie zu, dass du dich in den Griff bekommst!“ „Ach ja? Und was, wenn nich? Ich bin nich auf dich angewiesen Lukas, ich komm schon klar“, sagte er, erhob sich und schaffte es genau zwei Schritte zu laufen, stolperte und fiel der Länge nach auf den Boden. Fluchend rieb er sich den Kopf. „Und wo willst du hin? Unter die nächstbeste Brücke?“ Fabi zuckte mit den Schultern. „Ja, vielleicht.“ „Komm, mach keinen Blödsinn. Lass uns an die frische Luft gehen.“ Ich drehte uns einen Joint. Wir ließen unsere Beine in den Pool baumeln. Fabi war völlig benommen und das Gras tat seine übrige Wirkung. Ich brachte ihn hinauf in mein Bett und lüftete sein Zimmer. Eigentlich wäre ein bisschen Ruhe jetzt nicht schlecht gewesen, doch die Jungs kamen zur Bandprobe. Zu meiner Überraschung tauchte Juka dann auch noch auf. Das Verhältnis zwischen uns war nicht schlecht, aber irgendwie schien noch irgendetwas zwischen uns zu stehen. Wir beschlossen ein bisschen zu proben. Juka schaute uns zu, was mich nicht weiter störte, immerhin war ich Zuschauer mittlerweile gewohnt, doch bei ihm konnte ich mich kaum konzentrieren. Dann verschwand er nach oben. Später betrank ich mich, weil es gerade gar nicht ging. Alles wuchs mir über den Kopf und ich war frustriert, weil ich meinem kleinen Bruder nicht helfen konnte. Ich war verärgert, weil sich Jojo immer mehr zurückzog und ich irgendwie am Ende doch alleine war. Meine Band verabschiedete sich gleich wieder und ich blieb im Proberaum zurück. Irgendwann ging ich dann doch mit meiner Flasche Schnaps rauf. Jetzt traf ich natürlich auf den perfekten Therapeuten, das konnte ja lustig werden. „Geht’s dir gut?", fragte Juka und gab mir noch einen Kuss auf die Wange, der meinen Schmerz im Moment nur noch unerträglicher werden ließ. Ich setzte mich hin und vergrub mein Gesicht in den Händen. Ich spürte seine Nähe und wie er seinen Arm um mich legte. „Was ist los Süßer?" „Ich kann nicht mehr...mir wird das alles zu viel und ich weiß nich, wohin mit meinen Gefühlen, doch es ist schön dich um mich zu haben. Alles nervt mich nur noch und ich fühle mich so allein." Ich biss mir so heftig auf die Unterlippe, dass ich das Blut schmeckte und schluckte die Tränen hinunter. Juka strich mir über die Wange. „Soll ich dir eine Wunderkerze basteln?" Ich lächelte schwach. „Du bist echt prima." „Und außerdem bist du nicht allein. Ich bin da, deine Schwester ist da und deine Jungs. Du darfst nur nicht alles für dich behalten." Ich konnte ihm aber nicht sagen, was ich wirklich fühlte, denn das würde vielleicht alles wieder kaputt machen. All das, war wir gerade wieder so mühevoll aufzubauen versuchten. „Ich muss morgen für zwei Wochen nach Tokio…schaffst du das alleine?" „Klar…warum auch nich.“ „Weil du mir gerade gar nicht gefällst Luki. Willst du über irgendwas reden?“ Ja, gerne. Ich liebe dich und will wieder mit dir zusammen sein. Doch diese Worte hallten nur in meinem Kopf und schafften es nicht über meine Lippen. Stattdessen schüttelte ich den Kopf. „Alles gut, sag allen liebe Grüße.“ Er sah mich etwas enttäuscht an, weil er wusste, dass ich log. Ich verkroch mich in meinem Zimmer und tat etwas, das ich schon lange nicht mehr gemacht hatte. Ich schaute mir alte Bilder von Juka und mir an und es zerriss mir fast das Herz, natürlich liebte ich ihn, mehr als alles andere auf der Welt. Morgen war er für zwei Wochen weg, das trieb mich fast in den Wahnsinn. Was war, wenn er sich dort mit anderen Männern traf? In mir brach alles zusammen und ich konnte nicht sagen, wie oft ich schon wegen diesem blöden Kerl geheult hatte. Ich war nicht mehr ich, ich konnte nicht mehr ich sein. Der Schmerz in meiner Brust war so unerträglich wie noch nie. Kapitel 40: ein ewiger Teufelskreis -----------------------------------   Jojo sorgte sich um Lukas, mehr als sie es sonst tat. Natürlich kannte sie seine Narben vor allem an den Armen, doch war ihr keineswegs entgangen, dass er sich neue Verletzungen zugefügt hatte und das machte ihr Angst. Dennoch fiel es ihr schwer ihn darauf anzusprechen. Sie verkroch sich in ihrem Zimmer, weil sie ihm einerseits helfen wollte, doch seine Launen auch kaum mehr ertrug. Immer hatten alle in ihr das kleine Mädchen gesehen, das ja eh von all dem Scheiß nichts mitbekommen sollte, doch sie hatten sich bitterlich geirrt, denn das kleine Mädchen hatte viel zu viel gesehen. Auch, wenn es den einen anderen gab, der bemüht war ihr Gesicht vor der Grausamkeit zu bewahren. Ihre Mum weilte nicht mehr unter den Lebenden, ihr Vater schaffte es sie und Lukas perfekt von seinem Leben auszuschließen, tja und Lukas? Zudem musste man ja nicht mehr sonderlich viel sagen. Sicher versuchte er immer der tolle große Bruder zu sein, doch Jojo bezweifelte, dass er jemals das ersetzen konnte, was ihr fehlte. Sie liebte und vergötterte ihn, dennoch wurde dem jungen Mädchen alles zu viel, was sich gerade unter diesem Dach abspielte. Sie konnte nichts mit Liebe anfangen, denn dafür hatte sie zu viele Beziehungen zerbrechen sehen. Jojo stand kurz vor ihrem siebzehnten Geburtstag und dann auch  kurz davor ihr Abitur zu absolvieren, doch was dann? Sie hatte nicht mal Pläne, wie es weitergehen sollte. Jojo knotete ihre langen Haare zu einem lässigen Dutt zusammen und beschloss ihren nach Räucherstäbchen duftenden Tempel mal zu verlassen. Kurz vor der Veranda hielt sie inne, denn Lukas und Jule schienen in ein Gespräch vertieft zu sein. Es drehte sich wieder mal alles um Lukas und, dass es ihm schlecht ging, doch was war mit ihr? Fragte er auch nur einmal nach ihrem Befinden? „Hey Schwesterchen, alles okay?", fragte Lukas. Na gut, er schien sich doch ein bisschen für sie zu interessieren. „Es ist gerade alles komisch Lukas. Ich komme mit der Situation nicht klar und nebenher muss ich irgendwie noch lernen." Er seufzte. „Ich weiß und das tut mir auch echt leid. Kann ich dir etwas Gutes tun?" Und jetzt, ganz plötzlich brach es aus ihr heraus. „Ja, du könntest mal aufhören, dich nur immer um dich zu kümmern...es dreht sich grad alles um dich und das nervt voll!" Lukas kniff die Augen zusammen. „Ach ja? Ich muss mich gerade mit nem aufmüpfigem Halbbruder rumärgern und verschone dich damit. Wo geht es denn da bitte um mich?" „Abgesehen davon, ist dir vielleicht mal in den Sinn gekommen, dass es auch noch anderen Menschen in diesem Haus mies gehen könnte? Wenn du Fabi gerade nicht umsorgst, sitzt du doch auch nur rum und heulst, wie schlimm alles ist." Jetzt hatte sie ihn verärgert. „Weil es mir gerade bis hier oben steht Jojo! Wenn es dir gerade nich passt, wie ich bin, geh doch. Ich zwinge keinen mit mir zusammen zu wohnen. Du hast dir das damals ausgesucht." „Ach jetzt soll ich zu Papa? Manchmal wäre ich da auch gern. Er würde sich sicher um mich kümmern und mich fragen, ob ich vielleicht Hilfe beim Lernen brauche!" Lukas lachte höhnisch. „Dann bitte, viel Spaß mit ihm." „Warum kannst du dich nicht einfach mit ihm vertragen?" „Weil es nich geht." Wieder baute sich diese rasende Wut in ihr auf. Nein, du kannst es nicht, weil dir dein scheiß Ego im Wege steht. Sie kämpfte mit den Tränen. „Wenn du mich wirklich magst, würdest du es wenigstens versuchen!", schrie sie jetzt fast. „Ach, glaubst du nich, dass ich das versucht habe? Jojo, er hasst mich!" „Nur, weil du ihn schon abgeschrieben hast! Das ist auch der Grund, warum Mama gegangen ist...du bist arrogant und stur!" Aus Lukas seinem ohnehin schon blassem Gesicht wich auch noch der Rest der Farbe und er schaute seine Schwester schon fast hasserfüllt an. „Machst du mich jetzt ernsthaft für Mamas Tod verantwortlich?" Sie nickte. Dann tat er etwas, das ihr einen gewaltigen Stich ins Herz versetzte, er rief Papa an, stellte auf laut und das ohnehin schon verzweifelte Mädchen musste mit anhören, dass ihr blöder Vater zu beschäftigt war und deshalb nicht herkommen konnte. Er ließ sich auch nicht erweichen, als sie unter Tränen selbst mit ihm sprach. „Was hab ich nur für ne beschissene Familie." Juhu, ihr Bruder hasste sie jetzt auch. In einer Woche war Jojos erste Prüfung, zwar nur Deutsch, aber sie musste ein bisschen lernen. Doch stimmte es nicht? Wenn Lukas normaler gewesen wäre, wäre ihre Mum nicht nach Schottland geflogen und das Flugzeug wäre ohne sie abgestürzt.   Das war perfekt, genau diesen Satz hatte ich schon immer von meiner Schwester hören wollen. Ich schickte Jule weg, weil ich mich sammeln musste. Wie um alles in der Welt hatte sie das zu mir sagen können? Scheinbar war ich nicht mehr ihr großer Lieblingsbruder und sie sah selbst, wie verkorkst ich war. Bis vor kurzem hatte ich den Schein noch wahren können und ihr eine halbwegs heile Welt präsentieren können, doch der Vorhang war gefallen. Ich konnte Johanna nicht unter die Augen treten und auch sie schien mich zu meiden, schließlich bot das Haus ja genügend Platz. Doch es machte mich auch verdammt wütend, dass sie unseren Dad mir vorzog. Er hatte sich nie um meine Schwester gekümmert und mir, der immer für Johanna da gewesen war, wird die Schuld in die Schuhe geschoben, dass ich am Tod unserer Mum schuld bin. Das konnte nicht sein. Doch zum Glück ging es mit Fabi aufwärts. Er kam immer öfter, um sich mit mir zu unterhalten, doch ich konnte oder wollte im Moment nicht viel reden. „Wäre es okay, wenn ich bis heut Abend in die Stadt fahre?" In mir braute sich eine dunkle Vorahnung zusammen, doch immerhin war er wieder klar im Kopf. „Bitte, bitte versprich mir, dass du keinen Mist baust Fabi." Er nickte und grinste. „Versprochen, ich muss nur mal raus hier, bin so in zwei Stunden wieder da." Ich drückte ihn kurz an mich und ließ ihn gehen.   Auf dem Weg ins Haus wäre ich fast mit Johanna zusammengestoßen. Ich holte meine Zigaretten und wollte zurück in den Garten. Meine Schwester schien etwas zu kochen. Mich jedoch interessierte das nicht im Geringsten. Sie wollte das ausfechten, also schön. So leid es mir tat, auch ich konnte anders. Ich beschloss dann ein Bier zu trinken und hoffte, dass Fabi zurückkam. Im Fernseher lief nur Quatsch und ich bangte schon, er könnte wieder einen Rückfall gehabt haben. Doch er kam zum Wohnzimmer hereinspaziert. Mann, war ich froh darüber. Ich schaute ihm prüfend in die Augen und stellte fest, dass er tatsächlich nichts genommen hatte. „Zufrieden?", witzelte er. Ich nickte. „Lukas, ich hab mich glaub ich noch nie richtig bedankt. Es ist toll jemanden wie dich zu haben, der nicht die Hoffnung aufgibt. Ich war echt am Arsch." Ich musste grinsen. „Ich weiß. Aber heyy, jetzt geht es dir wieder gut." „Und was ist mit dir? Geht es dir gut?", fragte mein kleiner Bruder auf einmal. Ich schluckte den Kloß hinunter und nickte. „Klar."   Jojo beschloss nicht mehr für Deutsch zu lernen, brachte irgendwie ohnehin nichts. Stattdessen genoss sie mit ihrer Freundin Nina das Partyleben. Sie kam und ging, wann sie wollte und Lukas sagte nichts dazu. Das machte sie rasend und sie provozierte ihn immer weiter, indem sie sich in auffällige und sehr gewagte Outfits warf. So dachte sie zumindest. Jojo flirtete, was das Zeug hielt und war bei den Jungs nicht gerade unbeliebt. Sie tat alles dafür, dass sie ihr Bruder wieder wahrnahm, egal auf welche Weise. Johanna entwickelte sich zur ultimativen Partyqueen und Nina zog mit ihr mit. Egal, wo die Mädchen auftauchten, waren sie die Stars und alle, vor allem die Jungs rissen sich darum, wer mit ihnen tanzte oder die beiden auf einen Drink einlud. Nebenher begann die erste Prüfungswoche. Deutsch war okay, Englisch schaffte Jojo auch noch, doch dann näherte sich Mathe und sie sah schwarz. Sie konnte es nicht, so sehr sie sich auch bemühte. Früher hätte ihr Lukas geholfen, doch das tat er nicht. Sie hatte ihn auch nicht um Hilfe gebeten. Am nächsten Morgen erwachte Jojo mit zittrigen Händen und voller Panik. Keiner war munter, als sie das Haus verließ, um ihr Glück zu wünschen. Sie unterdrückte die Tränen. Ab und zu hatte sie mit einem Klassenkameraden gelernt, hoffentlich reichte dieses Wissen, sonst war sie wirklich aufgeschmissen. Ihr Lampenfiber wurde nicht besser, als alle Schüler in der großen Halle saßen und die Aufgabenblätter verteilt wurden. Johanna las irgendetwas von Wahrscheinlichkeitsrechnung und bekam ein endgültiges Blackout. Sie schrieb zwar etwas auf ihr Blatt, doch hatte das wohl wenig mit der Aufgabe zu tun. Nach einer Stunde gab sie ab und machte sich auf dem schnellsten Weg nach Hause. Doch nein, nach einigen Minuten zögern beschloss sie ihren Dad besuchen zu gehen. Doch sie war keine fünf Minuten da, da schenkte er ihr schon wieder kaum mehr Beachtung und meinte nur, dass er viel zu tun habe. Er blätterte in irgendwelchen Unterlagen an seinem Schreibtisch und Jojo hockte auf dem Sofa. Nicht Mal was zum Trinken bot er ihr an. Vielleicht dacht er ja auch, dass sie sich selbst was holen könne, immerhin war das irgendwie auch noch ihr zu Hause. Das tat sie dann auch. „Wie geht es dir?", fragte sie schließlich. Er schaute kurz von seiner Arbeit hoch. „Gut und dir?" „Ich glaub ich hab meine Matheprüfung heut in den Sand gesetzt", erwähnte Jojo so beiläufig wie möglich. „Hat dir dein Bruder nicht beim Lernen geholfen?" „Wir reden gerade nicht miteinander." Jetzt schien sie seine Aufmerksamkeit geweckt zu haben. „Warum nicht? Hat er dich verärgert?" Sie schüttelte mit dem Kopf und auf einmal machte sich ein komisches Gefühl in der Magengegend breit. Sie konnte ihrem Vater unmöglich vom Grund des Streites erzählen. Plötzlich übermannte sie ein schlechtes Gewissen. „Nee, ich hab ihm gesagt, dass er für Mamas Tod verantwortlich ist." Plötzlich erhellte sich die Miene. „Du stehst also doch auf meiner Seite, ich wusste es mein Liebling. Wenn dein Bruder nicht wäre, könnten wir noch immer eine glückliche Familie sein, Johanna. Er ist an allem Schuld. Schön, dass du das auch so siehst. Ich habe schon immer gewusst, dass du dich irgendwann änderst." Die Worte ihres Vaters erschreckten das Mädchen und jetzt bereute sie das, was sie zu Lukas gesagt hatte. Ihr Bruder hatte Recht, Papa hasste ihn. „Ähm, das meine ich nicht ganz so, ich würde Lukas nicht allein die Schuld geben." „Johanna, du warst noch sehr jung und hast das nicht mitbekommen, aber Lukas und eure Mutter haben sich immer gestritten. Er hat sich sein Leben mit Drogen zerstört und wir mussten ihn sogar ins Krankenhaus bringen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schrecklich das alles für uns war. Komm her Kleines. Du kannst gern bleiben. Du musst nicht mehr zu ihm zurück, ich kann das vollkommen verstehen." Erst jetzt wurde Johanna wirklich bewusst, was für ein Mensch ihr Vater war und das schockierte sie. Er hatte keine Ahnung, dass sie mehr wusste, als er dachte und sie wollte nur weg von hier. „Ich geh dann mal, muss noch lernen." Er umarmte sie und versuchte sie zu überreden, wieder hier her zu kommen. Das war alles zu krass, deshalb rief Jojo Nina an und die Mädchen planten heute Abend Party zu machen. Doch heute war alles anders. Johanna, die sonst so cool und selbstbewusst war, fühlte sich heute uncool und klein. Da kam ein Typ, mit dem sie neulich schon mal was angefangen hatte und baggerte sie wieder an, doch Jojo gab ihm einen Korb. Da wurde er ausfällig und bedrängte sie. Verzweifelt suchte sie Nina, doch sie war irgendwo in der tanzenden Menge. Johanna flüchtete an die Bar und trank ihren Cocktail. Kurz vorher schrieb sie Lukas noch eine Nachricht, weil sie einfach hoffte, dass ihr Bruder sie wieder Mal retten würde. So wie er es immer tat. Nach einer Weile wurde ihr ganz schummrig und irgendwie gehorchte ihr Körper nicht mehr so ganz. Sie hatte das Verlangen zu tanzen und zu trinken. Den Typen fand sie dann auch gar nicht mehr so blöd. Sie wehrte sich auch nicht mehr, als er sie in eine Ecke zog und sie anfasste. Doch es fühlte sich nicht richtig an. Jojo wurde schwarz vor Augen und auf einmal packten sie zwei starke Arme, mehr wusste sie nicht mehr.   Jojo lag irgendwo. Es war gemütlich und warm, doch auf einmal spürte sie ein fürchterliches Übelkeitsgefühl. Irgendjemand reichte ihr einen Eimer oder sowas und sie musste sich übergeben. Dann schlief sie wieder ein. Doch sie erwachte erneut, weil ihr schlecht war. Langsam wurde sie dann klarer im Kopf und schaute sich um. Sie lag zu Hause auf dem Sofa im Wohnzimmer. Hatte Lukas sie etwa abgeholt? Jojo erholte sich allmählich und versuchte aufzustehen, doch das funktionierte irgendwie nicht so ganz. Soviel hatte sie doch gar nicht getrunken. Erst jetzt bemerkte sie, dass ihr Bruder auf dem Sofa neben ihr saß. „Geht‘s dir wieder besser?" Sie nickte. Lukas war wunderschön oder kam mir das nur so vor? Hübsch hatte sie ihn schon immer gefunden, doch das einzige, was sie wirklich erschreckte, waren seine traurigen traurigen Augen. So ganz ohne Glanz und ohne Lebensfreude. „Hast du mich gestern geholt?" „Wer denn sonst. Hast du noch was anderes genommen?", fragte er völlig ernst, ohne seine Miene zu verziehen. „Keine Ahnung, nicht bewusst. Viel hab ich auch nicht getrunken, ehrlich. Meinst du jemand könnte mir etwas untergejubelt haben?" „Möglich. Ich bin unten im Keller, falls du mich suchst, wir proben noch ein bisschen." Jojo ertrug seine Traurigkeit fast nicht. Und dann die Spuren seiner Selbstzerstörung. Ging es ihm wirklich so schlecht? Und warum tat er nichts dagegen? „Danke Lukas." Jetzt lächelte er schwach. Sie kochte sich dann einen Tee und schaute Fernsehen. Die ganze Zeit überlegte sie, ob sie Lukas helfen sollte, aber wie? Lag es an Jule oder an Juka, dass er gerade so war? Jule war schon lang nicht mehr hier gewesen und irgendwie bezweifelte Jojo, dass sie demnächst herkommen würde. Dann dachte sie an die Zeit zurück, in der Lukas und ein Paar gewesen sind und sie musste sich eingestehen, dass sie nie ein schöneres Liebespaar gesehen hatte. Es schien, als wären die beiden füreinander geschaffen und seit der Trennung hatte Lukas zu kämpfen. Warum sagte er Juka nicht einfach, was er fühlte?   Unser Konzert stand vor der Tür und ich freute mich darauf, auch weil Juka versprochen hatte zu kommen. Ich konnte es kaum erwarten ihn widerzusehen. Meine Schwester schien mir aus welchen Gründen auch immer wieder gut gesonnen zu sein. Auch Jule ließ sich diesen Abend nicht entgehen. Ich trat mit schwarzer Jeans, meinem Misfitsshirt und Chucks auf. Doch mein Stimmungsbarometer sank mehr und mehr, denn der schöne Japaner, nach dem ich mich so sehr sehnte, tauchte nicht auf. Ich ließ den Schmerz in meinen Liedern heraus, doch er schien mich trotzdem zu zerfressen. Ich war am tiefsten Tiefpunkt meiner Lebenskarriere und meine Gedanken hätten zu diesem Zeitpunkt nicht finsterer sein können. Er hatte sicher jemanden kennengelernt, sonst wäre er hier, schwirrte es mir dauernd durch den Kopf und, als ich das Lied sang, das ich für Juka geschrieben hatte, schien ich innerlich zu explodieren und vollkommene Leere blieb zurück. Wortlos verließ ich die Bühne und torkelte an die Bar. Warum musste ich es immer so maßlos übertreiben? Ich hatte mich kaum noch unter Kontrolle und alles war mir egal. Eine Klinge durchbohrte mein Herz und ich befand mich an einem Abgrund. Mit einem Fuß hatte ich die Klippe schon fast überschritten, der andere fand noch Halt auf dem Boden, doch wie lange noch? Ich war Juka egal und er liebte mich nicht mehr, das hatte er heute bewiesen. Ich klammerte mich an meine Wodkaflasche, als wäre sie meine letzte Rettung. Jojo und Basti setzten sich zu mir. „Geht es dir gut?" Ich schaute die beiden mit finsterem Blick an. „Ich bin ihm egal...er is nich gekommen, weil ich ihm egal bin." Meine Schwester schien den Ernst der Lage schneller zu realisieren als mein Basti. „Lukas, Juka ist sicher auf dem Weg." Ich lachte trocken. „Versuchst du mich aufzuheitern? Lieb von dir, aber ich bin ihm egal, jetzt weiß ich es endlich." Ich bekam mit, wie Jojo und Basti verunsichert Blicke austauschten. Ich erhob mich und beschloss mit meiner Schnapsflasche zu gehen. Meine Schwester versuchte mich aufzuhalten, doch ich konnte sie abschütteln. Ich prallte gegen eine Wand aus kalter Nachtluft und blieb stehen, um erst mal wieder klarzukommen. Das war vermutlich mein Glück, wer weiß, was ich sonst dummes angestellt hätte. Ich hörte Jojo hinter mir meinen Namen rufen, doch ich lief weiter, als ich mich endlich gesammelt hatte. Doch dann prallte ich abermals gegen ein Hindernis, allerdings war dieses weit aus angenehmer, als die kalte Nachtluftwand. Zwei Arme umschlossen mich sanft und ich wurde ganz vorsichtig von der Klippe weggezogen. Sein Geruch umfing mich wie eine schützende Hülle. Ganz weit weg vernahm ich noch immer die Stimme meiner Schwester, die jedoch dann verstummte. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich vergrub mein Gesicht in seinen Haaren, ohne ihn auch nur einmal anzuschauen. „Mann bin ich froh, dass du aufgetaucht bist", hörte ich Jojo sagen. Juka klang sehr besorgt. „Wie schlimm ist es?", fragte er. „So habe ich ihn noch nie gesehen, es scheint so, als wäre er in einer anderen Welt." Jetzt riss ich mich aus der Umarmung und torkelte ein paar Schritte zurück. „Ich bin vielleicht auch anwesend? Ihr müsst nich so reden, als wäre ich nich da!" Jukas Blick traf sich mit meinem und klar, dass er wusste, was Sache war. „Luki, es tut mir leid, ich hab den einen Flieger verpasst, aber jetzt bin ich hier. Lass uns feiern gehen, bitte." Ich trank noch einen Schluck Wodka. „Ja, es tut dir leid, schön. Mir auch...weißt du Juka, es is zum Kotzen, wenn man etwas verspricht und es dann nich hält!" „Ich weiß, aber jetzt bin ich doch da und das war doch sicher nicht dein letztes Konzert." Er wollte meine Hand nehmen. Meine Schwester schaute das Schauspiel mit an. „Nö, das sicher nich, aber vielleicht war es wichtig für mich? Aber sicher hast du nen guten Grund gehabt mich zu versetzen!" Ich zündete mir eine Zigarette an und trank noch einen Schluck. Dabei schwankte ich gefährlich und stützte mich an der Wand ab. „Luki bitte. Was willst du denn noch von mir hören?" „Den Grund Juka...den verfickten Grund…dass du mit nem anderem zusammen warst oder isses etwa nich so gewesen?" Mein wunderschöner Japaner schaute mich irritiert an und dann trat noch eine Person zu uns. Ein Mann, auch nicht hässlich und er legte den Arm um Juka. „Ich sag ja, es ist besonders schlimm", flüsterte Jojo Juka zu. „Selbst, wenn es so gewesen wäre, bin ich dir diesbezüglich keine Rechenschaft schuldig, das weißt du genau. Doch wenn dich der Grund so brennend interessiert...ich war die meiste Zeit mit meiner Familie zusammen, weil wir uns so selten sehen. Und ab und zu hab ich was mit meinen Freunden unternommen. Ich hab einfach mein Leben dort genossen und einen Flieger später genommen. Ich bitte dich nicht um Verzeihung, weil ich dich nicht um Erlaubnis fragen muss", entgegnete Juka mit einem wütenden Unterton in seiner Stimme. „Lass uns doch rein gehen Schatz", sagte der Fremde dann zu Juka. „Schatz? Echt jetzt?“, äffte ich den Kerl nach. Jetzt war ich der Klippe wieder bedenklich nahe und ein Stück Felsen brach unter mir weg. Ich rutschte ab und fiel. Auf einmal umgab Juka Kälte und mich wieder der Schmerz, der schon fast ein stiller Begleiter für mich geworden war. Ich wollte weg, nach Hause oder so. Ich begann zu rennen, allerdings kam ich nicht weit, denn ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Der Länge nach fiel ich hin, genau auf mein Kinn und der Schmerz trieb mir sogleich die Tränen in die Augen. Juka zog mich in ein Taxi und zu Hause dauerte es nicht lange, bis ich in meinem Bett eingeschlafen war. Doch umso mehr enttäuschte es mich, als Juka am nächsten Morgen verschwunden war. Ich brach in Tränen aus und vergrub mich in den weichen Kissen. Er hatte also einen neuen Lover. Ich wurde ausgetauscht. „Ist Juka schon lange weg?" Jojo sah zu mir auf. „Nee, glaub, der ist vor ner Stunde oder so erst gegangen." „Was?", entfuhr es mir und gerade wollte ich mich schon freuen, als mir wieder einfiel, dass er gestern diesen komischen Typen dabei gehabt hatte. Mein Magen krampfte sich zusammen. „Ich glaub auch, dass er nochmal wiederkommen wollte." Eine eigenartige Leere stieg in mir hoch und dennoch schien mein Körper vor Eifersucht zu beben. Was bildete sich dieser Schnösel eigentlich ein? „Kann auch gern auf seine Anwesenheit verzichten", murmelte ich mehr zu mir selbst, als zu Jojo. „Also ganz ehrlich, dein Verhalten gestern war nicht sehr nett." Ich funkelte meine Schwester feindselig an und hockte mich hinaus in die Sonne. Das Gefühl wurde mit jeder Sekunde bedrückender. Ich zündete mir eine Zigarette an und schaute den Wolken zu. Eigentlich hatte ich ihm irgendwie deutlich machen wollen, dass mein Leben ohne ihn doch nicht so toll war, doch das konnte ich ja jetzt wohl vergessen. Ich kniff die Augen zusammen und nahm einen tiefen Zug. Warum nur konnte ich ihn nicht gehen lassen? Immerhin war er der Grund dafür, warum es mir so miserabel ging, doch ich behandelte ihn wie einen Gott, machte mich abhängig von ihm und bettelte ihn dauernd um Vergebung an. Doch was gab es zu vergeben? Etwa, dass ich schon mehrmals zugesehen hatte, wie er andere Typen abschleppte? Mein Frust auf Juka wuchs und im Moment überwog die Wut auf ihn. Und ich war unfähig dieses Gefühl unter Kontrolle zu bringen.   Er tauchte tatsächlich wieder auf, klopfte leise an meine Zimmertür und trat ohne Aufforderung ein. „Hey Süßer, wie geht‘s dir?" „Naja, geht so." Juka nahm mich in die Arme und gab mir einen Kuss auf die Wange. Dann, als er die Bilder von uns erblickte, die ich noch nicht beiseite geräumt hatte, bekam sein hübsches Gesicht wieder diesen glücklichen Ausdruck. Er schaute so, als wären wir wieder ein Paar. Genau das trieb mich in den Wahnsinn, warum musste er so verflucht gut aussehen? Ich vermisste ihn so schrecklich. Vor allem fehlten mir seine liebevollen Berührungen und ich vermisste seinen Geruch, vermisste es mit ihm zu reden, so wie nur wir miteinander reden konnten. Mir fehlte einfach alles. „Luki, willst du mir erzählen, was mit dir los ist?" Jetzt fiel mir wieder ein, dass ich ja wütend auf ihn war. Und ich hockte noch immer in meinem Loch, ein Gefangener meiner selbst. „Kannst du dir das nich denken?" Juka seufzte. „Ist es wegen Shey? Ja, ich bin wieder vergeben. Aber wir sind doch nur Freunde?" In mir begann es zu brodeln und auch, wenn Juka das anders sah, fand ich das alles nicht fair. „Ich hab keine Ahnung, was wir sind, doch ich glaube, wir sollten uns nicht mehr sehen." Meine Stimme blieb noch ruhig. „Moment mal, warst du nicht derjenige, der mir unter die Nase gerieben hat, dass er nur eine Freundschaft will?" Verdammt, wie Recht er damit hatte. „Was sollte ich auch anderes tun, du hast mich ja eh schon lange abgeschrieben. Von wegen ewige Liebe und so..." „Was erwartest du denn von mir? Gefühle ändern sich Luki und ich würde natürlich gern weiter mit dir zusammen sein, aber ich weiß nicht ob es geht." Das war mal ein Schlag in die Fresse. Als mir die Tränen in die Augen schossen, biss ich mir heftig auf die Unterlippe. Ich war kurz davor auszuflippen, weil ich diesen Schmerz nicht mehr aushielt. Alles in mir zerbrach. Ich hatte keine Kraft mehr. „Ich frage mich nur, weshalb ich dann so viel Zeit und Kraft in unsere Beziehung gesteckt hab...", wisperte ich. „Vielleicht, weil du wirklich an uns geglaubt hast!" Genau jetzt brannte der Schalter in meinem Gehirn durch. Ich griff nach der Kiste mit den Bildern und feuerte sie durch das Zimmer. Ich taumelte zum Couchtisch, auf dem noch das Küchenmesser lag, mit dem ich Pizza geschnitten hatte. Ich lachte traurig und wog das Messer in meinen Händen hin und her. Die Tränen hielt ich noch immer erfolgreich zurück. Vorsichtig fuhr ich mit dem Mittelfinger über die Klinge und spürte Jukas Blick auf mir ruhen. Spiegelte sich da etwa ein Anflug von Furcht in seinen Augen? Der Drang mich selbst  zu verletzen war groß. War ich wirklich wieder so weit unten? Ich mied Jukas Blick. „Das is jetzt wohl nich mehr wichtig." „Außerdem ist es alles andere als fair, dass du mir für alles die Schuld gibst! Du führst dich auch oft genug ziemlich bescheuert auf…aber das scheint dann egal zu sein. Ich weiß nicht, ob ich damit noch umgehen kann." Eine unsichtbare Kugel wurde abgefeuert und bohrt sich in mein Gehirn. Traf mitten ins Zentrum meiner Gefühle. Mit ausdruckslosen, leeren Augen musterte ich Juka. „Ich habe dich nie darum gebeten mich vor irgendwas zu bewahren und soll ich dir mal was verraten? So bescheuert bin ich erst, seitdem ich dich kenne...du hast mich erst glauben lassen, dass du in mir was ganz Besonderes siehst und dann...Puff...zerplatzte die Blase..." Juka schüttelte nur mit dem Kopf. „Das meine ich...ist wohl besser, wenn ich gehe." „Ja geh einfach...warum sollten wir das alles auch ausdiskutieren? Ich bin ja nur der Trottel, den du sitzen lässt!", schrie ich ihn jetzt an. „Da hast du wohl Recht. Liebe ändert sich und ich fand unsere Zeit wundervoll, doch es sollte nicht sein Luki. In einer Beziehung steht der Mensch, den ich liebe an erster Stelle und nicht die Freunde oder meine Familie. Das solltest du auch lernen, dann wirst vielleicht auch du in der Lage sein eine Beziehung zu führen." Sprachlos schaute ich Juka an. „Spinnst du jetzt? Nur, weil ich nicht dein braves Schoßhündchen sein wollte, servierst du mich ab? Fick dich Juka, ganz ehrlich...und hör endlich auf mich Luki zu nennen. Der, der verrückt is, bin nich ich sondern du..." „Ach ja? Dennoch kannst du nicht leugnen, dass du mich noch immer attraktiv findest und es auf der Stelle mit mir treiben würdest!", entgegnete er und war dabei verdammt sexy. Ich musste standhaft bleiben, sonst würde er mich vollends zerstören. „Nen scheiß würde ich tun", antwortete ich. Doch da kam er grinsend auf mich zu und zog mich an sich. Unsere Lippen berührten sich beinahe und mein Herz wummerte. Ich musste ihn ausschalten, sonst würde er mich höchstwahrscheinlich vergewaltigen. Also stieß ich ihn weg und taumelte zurück, dabei stolperte ich über meine eigenen Füße und schon spürte ich sein ganzes Gewicht auf mir. Ich konnte seine Erregung an meinem Oberschenkel fühlen und das erfüllte mich mit Lust. Doch noch bevor etwas geschah, schaffte ich es irgendwie mein Bein anzuwinkeln und ihm mein Knie in den Schritt zu stoßen. Juka heulte auf und rollte von mir runter. Schnell erhob ich mich. Wieder traten mir die Tränen in die Augen und dieses Mal hielt ich sie nicht zurück. Langsam fing auch Juka sich wieder. „Oho, du widerstehst mir tatsächlich. Alle Achtung...aber jetzt will ich dich umso mehr." Wieder kam er auf mich zu. In mir tobten Schmerz, Wut und Lust. Immer wieder führte ich mir vor Augen, was er mir angetan hatte und unterdrückte so meinen leidenschaftlichen Teil. „Mich bekommst du nie wieder. Verschwinde einfach Juka", wisperte ich. „Weißt du was? Das tue ich tatsächlich und dich lasse ich in deinem Scherbenhaufen zurück. Niemals wirst du es schaffen, deine Scherben wieder zusammenzufügen, denn dafür bist du schon zu kaputt. Du hast Recht Lukas...etwas, das schon zerstört ist, kann man nicht mehr reparieren." Keine Umarmung, nicht mal ein letzter Blick, doch endlich war er weg. Und er hatte mir mein letztes bisschen Würde geraubt. Noch tiefer sinken konnte ich nicht. Ich fiel in den Abgrund und blieb am Boden liegen. Das einzige, was ich spürte, war das Zucken meines Körpers, weil ich bitterlich heulte. Und jetzt war es soweit, ich gab mich dem Drang hin, griff erneut nach dem Messer und schnitt mich dieses Mal am linken, tätowierten Arm. Heiße Tränen  tropften auf die Verletzung und die salzige Flüssigkeit vermischte sich mit dem Blut. Doch spürte ich nichts. Deshalb schnitt ich ein weiteres Mal in die helle Haut. Tiefer. Und endlich schien der Schmerz jetzt auch in meinem Gehirn anzukommen. Ich verharrte noch einen Moment, dann sammelte ich alle Bilder wieder ein, packte sie in die Kiste und trug sie in den Garten zur Feuerstelle. Ich entfachte es und wartete darauf, dass es hoch genug brannte. Hinter einem Schleier aus Tränen begannen erst kleine, dann immer größere Flammen zu lodern. Mit zittrigen blutverschmierten Händen warf ich das erste Bild von Juka hinein. Doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Es fühlte sich weder befreiend noch irgendwie gut an. Dennoch ließ ich kein Bild übrig. Wieder und wieder suchten mich diese Gefühlswellen heim. Irgendwann holte ich mir dann doch eine Flasche Wodka, weil ich es nicht mehr ertrug. Was war gerade passiert? Es begann und die Realität um mich herum rückte immer weiter weg. Okay, ich musste irgendetwas tun. Irgendwas, damit dieser Schmerz aufhörte. Ich eilte in mein Zimmer und hockte mich vor meinen Spiegel. Die kommende Woche hatte ich Urlaub, also warum nicht mal wieder was Verrücktes tun? Ich hatte noch ein Gramm Koks für die guten Tage und welcher Zeitpunkt wäre perfekter als jetzt? Ich zog eine Line und spürte Minuten später die positive Wirkung. Der Wodka und der Joint taten ebenfalls seine Wirkung. Wieder betrachtete ich mich im Spiegel. Eine Sache fehlte noch, um den Schmerz zumindest für eine Weile zu vergessen. In meiner Schmuckschatulle suchte ich nach meiner Rasierklinge und wurde fündig. Ich zog noch eine Line und trank noch mehr. Mein Herzschlag beschleunigte sich und mein Drogencocktail zeigte volle Wirkung. Vor diesem Moment hatte ich mich so sehr gefürchtet und insgeheim hatte ich gehofft, dass er nie wiederkommen würde. Doch ich hatte es heut schon einmal getan und konnte es wieder tun. Denn ich hatte mich selbst aufgegeben. Ich war am Ende. Fertig mit den Nerven und nicht mehr länger fähig diszipliniert zu sein. Ich kniete also vor meinem Spiegel und betrachtete meinen nackten tätowierten Oberkörper. Die letzte Verletzung lag Jahre zurück, von meinem Arm mal abgesehen, und die Narben waren sogar ein wenig verblasst. Also mal wieder Zeit oder? Ich fühlte mich mehr als benebelt und setzte die Klinge an. Der vertraute Schmerz ließ mich sogar ein bisschen Lächeln. Doch es ging noch tiefer. Ich biss die Zähne zusammen, ein zweiter Schnitt. Ein Dritter und ein Vierter. Blut rann über meine Brust. Ich erweckte meinen Joint ein zweites Mal zum Leben und nahm einen tiefen Zug. Wie ich diesen Trancezustand mochte. Noch frustrierter und verletzter zog ich mir ein Tanktop über und verkroch mich im Proberaum. Ich machte mir nicht die Mühe das Blut abzuwaschen. Sollten doch alle denken, was sie wollten. Doch verfolgte mich ein kleiner Schatten, aber ich versuchte meine Schwester zu ignorieren. Wie so oft in letzter Zeit setzte sie sich kommentarlos zu mir und lauschte meiner Musik. Dennoch schien mich ihr Blick zu durchbohren. Ein sanftes trauriges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, als ich zu ihr aufsah. Ich stellte meine Gitarre neben mich und zündete mir eine Zigarette an. „Wie lang willst du das noch machen Lukas?“, fragte sie leise. Ich zuckte mit den Schultern und nahm einen tiefen Zug. „Bis es aufhört so weh zu tun…“, antwortete ich. „Und was, wenn es niemals aufhört?“ „Dann gehe ich vermutlich daran zu Grunde…“ Jojo rückte näher zu mir und schmiegte sich an mich. „Ich hoffe, ich kann das verhindern, wenn es soweit ist…hast du mir nicht was versprochen?“ Ich lachte traurig. „Glaube niemals den Worten eines psychisch kaputtem Junkies…“, antwortete ich. „Klar…hab vergessen, dass du dich zu dieser Sorte Mensch zählst…ich hab dich trotzdem lieb…“   Wie ein Zombie vegetierte ich vor mich hin, soff mir die letzten Gehirnzellen weg und nahm kaum wahr, was um mich herum geschah. Alle sorgten sich um mich, doch ich ignorierte ihre ängstlichen Blicke. Ich lebte mein kaputtes Leben irgendwie und tat alles dafür, um jeglichen Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Das einzige, was mich noch am Leben hielt, war die Musik. Ich hörte und spielte alles, was mich nicht an Juka erinnerte. Ab und zu redete ich wieder mit meinen Jungs oder mit Jojo. Jule hatte ich sicherlich vergrault und das bereute ich jetzt bitterlich, denn irgendwie wünschte ich sie mir her. Also überwand ich mich und schrieb ihr eine Nachricht. Überraschenderweise kam auch ziemlich schnell eine Antwort und später besuchte sie mich sogar noch. Ich umarmte sie unendlich lange. Sie wischte sich mit dem Ärmel ihrer Strickjacke über die Augen. Hatte sie etwa geweint? „Schön dich zu sehen", begrüßte ich sie. „Es ist auch schön dich zu sehen Lukas...ich hatte schon befürchtet, dich verloren zu haben." Sie hatte mich also nicht aufgegeben, das gab mir irgendwie neuen Mut. Ich kochte uns einen Kaffee und da es heut draußen eher ungemütlich war, verbrachten wir den Nachmittag in meinem Zimmer. „Bin ich verrückt Jule?" Meine Freundin schaute mich lange mit nachdenklichem Blick an. „Ich weiß nicht, ist nicht jeder von uns ein bisschen verrückt? Worauf willst du hinaus?" „Das hat Juka gesagt und ich bin mir nicht sicher, ob er Recht hat." Jule schaute mich lange an. „Lass dir doch von ihm nicht solchen Mist einreden. Du bist toll." Wir redeten unendlich lange. Jule motivierte mich wieder mehr weg zu gehen. Wir besuchten Konzerte, besichtigten Kunstausstellungen und unternahmen auch so viel miteinander. Doch es schien so, als würde der "Juka-Teil" in mir, der noch immer verrückt nach diesem Mann zu sein schien, für immer bestehen. Jule versuchte viel, um mich aufzumuntern. Auch entging mir nicht, wie sie immer wieder Annährungsversuche wagte, doch jegliche Gefühle blieben aus. Ich besaß keine Liebe und keine Leidenschaft mehr in mir.   Kapitel 41: gibt es noch Rettung? --------------------------------- Doch dann kam wieder einer dieser Abende im Underground. Ich war schon ziemlich betrunken und torkelte gerade zur Bar, da bemerkte ich in meinem Augenwinkel diesen violetten Schatten. Als ich mich umdrehte, sah ich in diese wundervollen grünen Augen, die ich vor ein paar Monaten so eiskalt hatte gehen lassen. Doch zu meinem Erstaunen lächelte Selene und umarmte mich. Wir suchten uns eine ruhigere Ecke und unterhielten uns. Sie erzählte mir, dass sie jetzt Sozialpädagogik studierte und in einem Wohnheim beim Campus untergebracht war. Selbst ich war erstaunt über meine nächsten Worte. „Klingt gut. In meinem Haus ist auch noch ein Zimmer frei, da könntest du kostenlos wohnen." „Echt? Das wäre voll toll, denn das Zimmer im Wohnheim ist echt winzig und ich mag die Leute dort zwar, aber ich glaub auf Dauer wird mir das zu stressig. Ich frag morgen mal rum. Das Zimmer ist sicher schnell weg", lachte sie. Ihre Haare waren ein bisschen länger als das letzte Mal doch noch immer knallviolett. Sie reichten ihr bis zu den Schultern und hinten waren sie leicht auftuppiert. Tatsächlich fand Selene schnell einen Nachmieter für ihr Zimmer und ich half ihr ihre paar Habseligkeiten in mein Haus zu fahren. Ihr Zimmer hier war doppelt so groß und ich ließ ihr bei der Einrichtung freie Hand. Natürlich wollte sie die Wände lila streichen, das amüsierte mich und ich hätte mir nichts anderes vorstellen können. Basti hatte mir angeboten bei seinem Bruder mit in der Bar zu jobben, damit ich mal wieder ein bisschen was zu tun hatte. Selenes Gesellschaft tat mir mehr als gut und wir kochten oft zusammen, quatschten oder taten einfach nichts. An einem Abend kamen wir uns sogar wieder näher und sie landete in meinem Bett. Das widerholte sich des Öfteren, doch es schien okay zu sein. Trotzdem sprach ich sie darauf an. „Ich hoffe, du siehst das gerade auch so wie ich, dass wir nur Freunde und Mitbewohner sind?" „Klar. Das ist für mich vollkommen in Ordnung." „Ich will nur nicht, dass du denkst, ich würde dich irgendwie ausnutzen. Du bist ein tolles Mädel und der Sex mit dir ist der Wahnsinn, aber ich glaub mehr geht bei mir gerade nicht." Sie lächelte mich an. „Lukas, das ist okay! Warum auch nicht. Außerdem finde ich es auch schön, wenn wir hier so sitzen und einfach nur reden." Ich umarmte Selene und war sehr froh darüber, dass sie bei mir war. Wir teilten alles miteinander und ich erfuhr auch mehr über ihre Familie. Ihren Eltern gehörten sämtliche Hotels hier und in anderen Städten. Selene konnte sich also als die Deutsche Paris Hilton bezeichnen. Doch auch wie bei mir, hielten ihre Eltern wenig von ihrem Lebensstil und es passte ihnen auch überhaupt nicht in den Kram, dass Selene sich später, wenn sie ihr Studium beendet hatte, um Jugendliche auf der Straße oder aus schlechten Verhältnissen kümmerte. Sie hatte sich bisher alles selbst finanzieren müssen und ihre Eltern hatten keinen müden Cent beigesteuert. Sie würde wohl auch wie immer das schwarze Schaf der Familie sein. „Es ist echt der Wahnsinn, dass ich mal jemanden kennenlerne, der das nachvollziehen kann. Das hatte ich noch nie. Zwar waren meine Freunde immer da, aber auch irgendwie anders...bis Juka dann kam...!" Das war das erste Mal seit langem, dass ich seinen Namen wieder in den Mund nahm. „Juka?", fragte Selene vorsichtig. Ich erzählte ihr die Kurzfassung. Als ich mit meinen Ausführungen am Ende war schaute sie mich mitfühlend an. „Was für ein Arsch. Du solltest die Finger von solchen Typen lassen. Willst du Mitleidssex haben?" Ich brach in schallendes Gelächter aus. „Du bist echt der Wahnsinn." Oh ja, der Sex hatte mir die letzten Monate gefehlt und mit Selene war es so einfach und unkompliziert. Wir saßen uns im Bett gegenüber, draußen hatte es begonnen zu regnen. Ich nahm ihre Hände und strich behutsam mit meinem Finger über ihren Daumen. Da fielen mir die kleinen Narben auf ihrem Oberarm auf. Ich berührte sie und sie zuckte ein bisschen zusammen. „Eine meiner Jugendsünden...haben wir das nicht alle mal getan?" Ich lächelte traurig, weil ich wusste, was sie meinte. Nur konnte ich das bei mir schon lange nicht mehr unter „Jugendsünde“ verbuchen. „Ich glaub nicht alle, nur die kaputten unter uns...neulich hat jemand zu mir gesagt, dass ich es niemals schaffen werde, meinen Scherbenhaufen wieder zusammenzufügen. Jetzt denke ich, er hatte Unrecht." „Klar hatte er Unrecht. Lass dir nicht so einen Quatsch erzählen." Unsere Bindung wurde immer enger und Selene wurde einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben und auch, wenn ich das niemals für möglich gehalten hätte, schaffte sie es meinen Schmerz zu lindern. Denn eines Abends trafen wir uns alle im Underground und auch Juka war mit seinem Macker dort, doch es interessierte mich nicht mehr so sehr. Das redete ich mir zumindest ein und mit Selene an meiner Seite fühlte ich mich tatsächlich nicht ganz so beschissen. Auch Jule leistete uns heute Gesellschaft und insgeheim hatte ich schon befürchtet, sie könnte eifersüchtig auf Selene sein, doch als sie mich zur Begrüßung herzlich umarmte, verflogen meine Bedenken. Sie bestätigte mir sogar, dass ich wieder besser aussah und nun wieder ein bisschen mehr Lebensenergie ausstrahlte. Ich lächelte. „Bist du verliebt?", fragte sie dann neugierig, jedoch schien sie die Antwort irgendwie schon zu kennen. Ich zuckte mit den Schultern. „Nenn es nich verliebt…aber es fühlt sich okay an." Da kam Selene, legte ihre Arme um mich und zog mich mit auf die Tanzfläche. Ich warf Jule einen unbeholfenen Blick zu. Ich tanzte wie schon lang nicht mehr und das, obwohl ich ja nie tanzte oder eben selten. Das war zumindest einmal so gewesen. Sie legte ihre Arme um mich und sah mich mit ihrem unglaublichen Augen an. Ich konnte nicht anders und küsste sie, denn genau das tat Juka gerade mit seinem Typen und ich ertrug diesen Anblick nicht, weil sich mein ganzer Körper noch immer nach diesem wunderschönen Mann verzehrte. Mit einem schiefen Lächeln löste sie sich von meinen Lippen. „Heilige Scheiße, hab ich mittlerweile echt so ne anziehende Wirkung auf dich?" Ich grinste verführerisch und zog sie wieder enger an mich, um sie erneut zu küssen. Meine Hände wanderten zu ihrem Hintern. Ich flirtete mit Selene und hoffte, dass er es sehen konnte. „Lukas ernsthaft, ich dreh gleich durch. Was zur Hölle tust du gerade mit mir?" „Soll ich aufhören?" „Himmel, nein. Ich bin nur echt ein bisschen verwirrt...er...Juka ist hier hab ich Recht?", stellte sie schon fast ein bisschen enttäuscht fest. Jetzt ließ ich von ihr ab und nickte. In ihrem Blick lag etwas, das ich zuvor noch nie so bemerkt hatte- Enttäuschung. Doch sie fing sich recht schnell wieder und dann war ich es der verwirrt war. Ihre Hand schob sich unauffällig zwischen meine Beine und bewegte sich auf und ab. „Willst du, dass ich dir gleich hier auf der Tanzfläche die Kleider vom Leib reiße?", flüsterte ich ihr ins Ohr. Zur Antwort küsste sie mich und ich konnte nicht mehr. Ich ergriff ihre Hand und führte sie in eine dunkle Ecke vor dem Club. Voller Begierde drückte ich sie an die Wand und drang in sie ein. Um ein lautes Stöhnen zu unterdrücken, biss Selene in meinen Hals. Es dauerte nicht lange, bis wir beide zum Höhepunkt kamen. „Wow, das war der Wahnsinn. Machst du das öfter?" Ich lachte und zuckte mit den Schultern. Dann kühlten wir uns vor dem Club noch ein bisschen ab und ich rauchte eine Zigarette. „Kommt ganz drauf an..." „Du spinnst und bist völlig betrunken. Lass uns wieder rein zu den anderen gehen." Ja, betrunken war ich und das schlimme war, es ging mir nicht besser. Dieser eine kurze Moment, in dem wir Sex hatten, war zwar eine angenehme Ablenkung, aber als sich mein Blick mit dem von Juka traf, wurde mein Herz wieder zerquetscht. Mein Geburtstag stand vor der Tür und glücklicherweise fiel er dieses Jahr auf einen Samstag. Meine bezaubernde Mitbewohnerin weckte mich und hielt einen Muffin, in dem eine Kerze steckte, in den Händen. Noch ein bisschen verpennt rieb ich mir die Augen. Sowas hatte noch kein Mädchen für mich gemacht. Ich pustete die Kerze aus und zog Selene zu mir ins Bett. „Happy Birthday!", flüsterte sie mir ins Ohr und schon rissen wir uns wieder die wenigen Klamotten vom Leib und hatten unglaublichen Guten Morgen Sex. Danach teilten wir uns den Muffin. Erst jetzt fiel mir auf, dass er mit kleinen Fledermäusen verziert war. „Danke Selene, du bist echt süß." „Das hast du verdient, finde ich." Wir kuschelten uns noch ein bisschen in die warme Decke und ich gab ihr einen Kuss. Das hatte ich vorher noch nie so bewusst getan, zumindest nicht nüchtern. Sie schaute mich fragend an. „Wofür war der denn?" „Einfach so...weil du so bezaubernd bist und mir dabei hilfst meinen Scherbenhaufen zu reparieren." Selene lächelte mich liebevoll an. „Glaubst du an Zufälle oder Schicksal?" Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Aber wohl eher an Schicksal...“. Plötzlich piepte mein Handy. Sicher nur eine Geburtstags SMS. Doch als ich den Namen laß, krampfte sich mein Magen zusammen. Die Nachricht bestand nur aus drei Worten: Happy Birthday Luki. Das genügte vollkommen, um meinen Kosmos wieder aus dem Gleichgewicht zu bringen. Selene entging das nicht. „Du solltest wirklich mit ihm abschließen, meinst du nicht?", sagte sie. Ich liebte ihn doch aber und schüttelte mit dem Kopf. „Ich kann nich…wahrscheinlich werde ich es niemals können. Du tust mir gut Selene…ich hoffe du siehst das auch so wie ich…ich empfinde etwas für dich, nur möchte ich gerade vorsichtig mit solchen Äußerungen sein. Ich möchte dich nicht verletzen und vermeiden, dass du dir zu viel Hoffnung machst. Ich mag dich wirklich sehr und falls dir unsere Affäre zu viel wird, dann lass mich das bitte wissen." „Ohh Lukas. Mir geht es gut und so wie es zwischen uns läuft ist alles cool. Klar bist du mega heiß und wer will dich nicht als Freund, aber ich kann und will dich keinesfalls zu irgendwas zwingen okay?" Ich küsste sie auf die Stirn. „Puh, jetzt bin ich beruhigt. Weißt du, es ist schwierig eine Affäre aufrecht zu halten und eine damit verbundene Freundschaft noch mehr. Ich will einfach nur, dass wir ehrlich zueinander sind." Sie umarmte mich und zog mich zu sich, um mich zu küssen. „Aber wenn wir schon bei ehrlich sind, der Abend im Underground, wolltest du Juka eifersüchtig machen?" „Irgendwie wollte ich das, ja und es tut mir leid", sagte ich etwas betreten. „Kein Problem, nur weihe mich das nächste Mal ein okay?“ Die Party wurde der Wahnsinn und endlich, nachdem so viel Zeit vergangen war, konnte ich es wieder genießen zu feiern. Mit Selene an meiner Seite fühlte ich mich großartig und wir waren sowas wie eine kleine Familie. Auch Jojo näherte sich ihr immer mehr und sie schienen miteinander klar zu kommen. Selene erzählte mir viel von sich, von ihrer Vergangenheit und ihren Eltern. Sie offenbarte mir auch, dass sie ihre Hoffnung nie ganz aufgegeben hatte und sie vielleicht eines Tages doch noch einmal besuchen wollte. Kapitel 42: Geister der Vergangenheit ------------------------------------- Wir saßen gerade auf der Terrasse und ich baute uns einen Joint. Auch mein Schwesterchen und Fabi gesellten sich zu uns. Es war ein ungemütlicher Tag, Regen und Kälte überwogen leider nun in dieser winterlichen Zeit. Während wir so redeten, hörte ich, wie ein Auto in der Auffahrt hielt. Dann das Geräusch von High Heels auf Pflastersteinen hallte in der Einfahrt. Zuerst dachte ich, Jule würde uns einen Besuch abstatten. Doch dann vernahm ich diese Stimme, die meinen Namen rief und mein Körper erstarrte zu einer Salzsäule. Die Frau, die meinen Namen gerufen hatte, bog um die Ecke. Ich hielt den Joint in meiner Hand fest umklammert und mein Blick wanderte von ihren Füßen, die in schwarzen Pumps steckten bis hinauf zu ihrem roten Cocktailkleid und dem schwarzen Parka. Von ihrem Schirm platschten Regentropfen auf den Boden. Sie wirkte ein bisschen älter, doch schien sie real zu sein. Ich nahm einen tiefen Zug und mir war vollkommen egal, ob sie das Ding in meiner Hand als Joint identifizierte oder nicht. Zuerst wanderte Jojos Blick von mir zu ihr, dann sprang sie auf und fiel ihr um den Hals. Sie legte ihren Schirm ab und zog Jojo an sich. Das war zu viel für mich. Ich holte meinen besten Freund, den Wodka aus dem Kühlschrank und verzog mich auf mein Zimmer. Meine Hände zitterten und wirre Gedanken rasten durch meinen Kopf. Gerade erst hatte sich mein Leben beruhigt und ich hatte geglaubt, ich hätte die Kontrolle wiedererlangt und jetzt das? Wie war das möglich? Ich habe doch damals selbst gesehen, wie das Flugzeug abgestürzt ist. Und es hieß, niemand hat das überlebt, wie also konnte sie, meine Mum jetzt hier sein? Ich bemühte mich um Fassung, doch mein Herz pochte wild und drohte mich zu ersticken. Sollte ich mich nicht freuen? Doch konnte ich das? Meine Tür zum Balkon stand offen und jetzt trat sie aus der Dunkelheit ins Licht. Mein ganzer Körper spannte sich an und ich trank noch einen großen Schluck. Ohne etwas zu sagen trat sie ein und nahm neben mir auf dem Sofa platz. Allerdings setzte sie sich ganz vorne an den Rand, als wäre sie auf dem Sprung. „Hi", sagte sie sehr zaghaft und leise. Ich setzte die Flasche erneut zum Trinken an und merkte, wie mir der Alkohol allmählich zu Kopf stieg. „Hi", antwortete ich kühl. „Du fragst dich sicher, wie das alles sein kann. Möchtest du es hören?" Wollte ich? Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wenn du für all das eine plausible Erklärung hast, vielleicht." Sie spielte etwas nervös mit ihren Fingern. „Freut es dich denn gar nicht mich zu sehen?" Ich seufzte und fühlte mich auf einmal wieder wie ein kleiner Junge. Meine Gefühle waren nahezu unbeschreiblich und ich wusste nicht, wie ich sie ihr gegenüber äußern sollte. „Ich frage mich halt, wie das möglich is...vielleicht bringst du ein bisschen Licht in die Sache." Irgendwie schaute sie mich traurig an, vielleicht weil sie sich eine andere Reaktion erhofft hätte. „Kurz vor der Explosion, so etwa 20 Minuten zuvor teilte uns der Pilot mit, dass etwas nicht stimmte. Er nahm Funkkontakt mit dem Flughafen in Edinburgh auf und ein paar wenige von uns schafften es sich die Schwimmwesten überzuziehen und einfach ins Wasser zu springen. Allerdings hielt man alles erst einmal geheim, weil die Explosion ohnehin schon genug Anlass gab, sich das Maul zu zerfetzen. Ich weiß nicht, wie lange ich im Meer getrieben bin....ich wurde irgendwann bewusstlos und erwachte später im Krankenhaus. Ich musste operiert werden und meine Eltern wurden informiert. Sie nahmen mich irgendwann, als mein Zustand stabil war mit zu sich und dort erholte ich mich dann." Mein Magen zog sich zusammen und ich merkte, wie mich die Wut überkam. Ich konnte und wollte mich nicht zügeln. „Und wie lange ist das her? Ich kann dir sagen, wie lange es her ist- 3 Jahre und vier Monate. Drei verfickte Jahre dachte ich du bist tot! Kannst du dir vorstellen wie beschissen das is?", schrie ich sie an und mir war vollkommen egal, dass meine Schwester vermutlich jedes Wort mitbekam. Ich stand auf und schritt im Zimmer auf und ab. „Lukas, Schatz...ich weiß, dass es hart für dich und auch für Johanna gewesen sein muss, aber ich konnte mich an so wenig erinnern. Ich wusste anfangs nicht mal mehr, wer ich bin und wer meine Familie ist. Ich hatte keine Bilder und keine Ausweise...ich wusste nichts von mir...nicht einmal, dass es dich gibt." Mein Körper bebte noch immer vor Wut. Ich trank noch einen Schluck. „Erzähl mir doch nicht, dass dieser Zustand drei Jahre angehalten hat! Weißt du, gerade war mein Leben echt okay...und jetzt tauchst du einfach wieder auf und alles ist in Ordnung oder was?" Meine Schwester kam zu uns, weil sie vielleicht dachte, sie könnte die Situation entschärfen. „Nein, es hat keine drei Jahre gedauert, aber ich musste auch über vieles nachdenken. Es war gut diese Zeit für mich zu haben", sagte sie ruhig. Die Wut in meiner Stimme konnte ich noch immer nicht zügeln. „Ein Anruf hätte gereicht. Ich wäre der letzte gewesen, der kein Verständnis gezeigt hätte, wenn du gesagt hättest, du brauchst noch Zeit für dich! Aber gar nichts von dir hören zu lassen und dann einfach auftauchen?!" Meine Schwester kam zu mir und wollte meinen Arm tätscheln. Ich funkelte sie an und schubste sie weg. „Lukas, gib Mama doch wenigstens eine Chance", flehte sie mich an. „Ich muss niemandem irgendeine Chance geben! Jetzt verschwindet beide und lasst mich alleine!" „Aber Schatz, bitte lass uns reden...ich habe...", stotterte meine Mum, doch sie konnte ihren Satz nicht beenden. „Sofort!!" Sie kamen meinem Wunsch nach. Völlig erschöpft, betrunken und ziemlich breit brach ich zusammen. Ich stellte die Flasche neben mir auf den Tisch und rollte mich zusammen. Ja, eigentlich sollte ich mich freuen, doch das ging irgendwie nicht, da viel zu viel Schmerz mit ihr verband. Vor allem hätte sie sich melden können, das war sie mir schuldig. Doch stattdessen hat sie sich ein schönes Leben gemacht und ihre Vergangenheit begraben, bis ihr jetzt dann wohl doch in den Sinn kam sich mal bei uns sehen zu lassen. Aber nicht mit mir. Schon so viel Schmerz und Leid habe ich ertragen müssen, irgendwann ist es doch auch mal genug. Ein leises Klopfen an der Tür lies mich aufhorchen. Selene. Doch wünschte ich mir jetzt nur eine Person her. Sie reichte mir die Hand und half mir hoch. „Magst du noch was essen?", fragte sie zaghaft. Ich schüttelte mit dem Kopf. „Süßer, du kannst dich nicht nur von Bier und Wodka ernähren. Komm, ein bisschen was essen schadet dir sicher nicht." „Nur wenn sie weg ist." „Deine Mum ist gegangen. Aber ich glaube Jojo ist echt sauer." Und schon wieder stieg diese unbegreifliche Wut in mir auf. „Warum sind nur alle sauer auf mich? Nur, weil ich mir nicht mehr von jedem Arsch auf meinen Gefühlen herum trampeln lasse?", fuhr ich jetzt auch Selene an, bereute es jedoch sofort wieder und griff nach ihrer Hand. „Das wird schon alles wieder werden. Jetzt komm erst mal mit." Selene führte mich in die Küche. Von meiner Schwester und meiner Mum keine Spur. Nur Fabi gesellte sich wieder zu uns. Er nahm mir die Wodkaflasche weg, die ich noch immer umklammert hielt und stellte sie zurück in den Kühlschrank. Ich bekam kaum einen Bissen hinunter, doch, als ich Selenes tadelnden Blick sah, versuchte ich es wenigstens. Doch irgendwie war es auch beruhigend, denn immerhin hatte sie ja Recht, diese ständige Sauferei musste ein Ende haben. Dennoch ließ ich es mir nicht nehmen nach dem Essen einen Joint zu rauchen. „Darf ich dich was fragen?" Ich schaute sie an und wusste, dass ihre Frage etwas mit meiner Mum zu tun hatte. Doch ich nickte und nahm einen tiefen Zug. „Warum hat sie dich gerade so sauer gemacht?" Ich seufzte tief und überlegte, wie ich es ihr am besten erklären konnte und ich wusste, warum sie mir diese Frage stellte. Ihre Eltern wollten nichts mehr mit ihr zu tun haben und meine Mum hätte gern mit mir geredet und ich weigerte mich. Im Nachhinein konnte das schon echt verwirrend für einen Außenstehenden rüberkommen. „Es ist, weil sie mich so viele Jahre hingehalten hat. Noch heute habe ich ihren Tod nicht ganz verarbeitet und dann steht sie auf einmal da, so als wäre nichts gewesen. Sie hat keine Ahnung davon, welche Qualen ich in der Zeit leiden musste. Selene, ich war siebzehn und praktisch auf mich allein gestellt. Wie oft habe ich an sie gedacht oder mir gewünscht, sie wäre noch am Leben, damit ich mich nich so alleine fühle...und dann taucht sie wie aus dem Nichts auf? Das kann ich nich." Ich reichte ihr den Joint und unsere Blicke trafen sich. Ich war nicht sicher, ob sie mich verstand. Doch ihre nächsten Worte bauen mich wieder auf. „Okay, das kann ich nachvollziehen...was hast du jetzt vor?" Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich nicht geschlagen gibt und nochmal hier aufkreuzt. Ich weiß, dass Jojo mein Verhalten nicht gut heißt, aber so bin ich nun mal, sehr, sehr nachtragend." Selene nahm meine Hand und verflocht sie mit ihrer eigenen. „Lukas, ich habe noch nie einen so faszinierenden Menschen wie dich kennengelernt...ich möchte dir auch keine Ratschläge geben, aber vielleicht ist das eine Chance für euch." Ich küsste ihre Hand. „Vielleicht, dennoch kann ich nicht ausblenden, was vorher passiert ist. Ich habe mit ihr nie darüber geredet und woher weiß ich, ob sie sich geändert hat? Ich habe Angst davor, dass sie noch immer so ist und mich abermals im Stich lässt. Ich könnte sowas nicht noch ein weiteres Mal ertragen...das ist der auch ein Grund, weshalb ich so reagiert habe. Sie hat gesagt, bevor sie in das Flugzeug gestiegen ist, dass ich nach außen hin immer so stark und unnahbar wirke und deshalb gut allein zurechtkommen. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus...ich habe Angst, wenn ich alleine bin und ich will gar nicht alleine zurechtkommen, verstehst du? Und im Moment ist alles wieder gut, doch wenn ich mich wieder mit ihr versöhne und sie mich fallen lässt? Was passiert dann? Ich habe keine Lust mehr auf diese Hoch und Tiefs in meinem Leben. Ich möchte endlich vorausschauen können...und bisher bin ich ohne meine Mum klar gekommen, also kann ich das auch weiterhin." „Tue einfach, was du für richtig hältst." Selene kam auf meinen Schoß gekrochen und ich schlang meine Arme fest um sie. Kapitel 43: Jojo und Naoki -------------------------- Lukas hatte Jojo zu ihrer bestandenen Prüfung einen Trip nach Japan geschenkt und sie durfte noch jemanden mitnehmen. Sie wusste auch ganz genau wen, ihre liebe Nina. Vielleicht tat der Abstand zu Lukas mal ganz gut, denn irgendwie hatten sie in den letzten Monaten nur Streit. Er hielt ihr vor, sie würde ihn nicht verstehen und umgekehrt. Jojo freute sich zwar für ihn, dass er wieder jemanden hatte, doch es nervte sie auch, dass er nichts mit ihrer Mum zu tun haben wollte. Aber Jojo legte das Thema erst einmal ad agda. Immerhin hatte Lukas auch schon ein Hotel für sie gebucht und der Flug sollte morgen früh gehen. Der Flug und die Zeitumstellung hatten die Mädchen recht schnell überwunden und da sie sich dort mit der Zeitumstellung herumschlagen mussten, hatte Lukas sie vier Wochen untergebracht. Das Hotel war der Wahnsinn, ein echtes japanisches Häuschen am Rande von Tokio mit Pool und hoffentlich leckerem Essen. Das Wetter war relativ warm, doch reichte es leider nicht zum Sonnenbaden. Die ersten beiden Tage brauchten Nina und Jojo dazu, um das Jetlag zu überwinden. Dann erkundeten sie die Stadt. Nichtsahnend streiften sie bei der Shoppingtour durch Tokio, da meinte Jojo Juka zu erkennen. Sie stieß Nina an. „Was soll ich machen? Ihm Hallo sagen? Lukas bringt mich um." „Er muss es doch nicht erfahren. Vielleicht kennt Juka ja ein paar coole Leute", zwinkerte Nina ihrer Freundin verschwörerisch zu. Also begrüßten sie Juka und er freute sich voll sie zu sehen. „Ich dachte du wärst in Deutschland?", fragte Jojo. „Nein, ich musste weg dort...weißt schon warum und so. Aber cool euch hier zu sehen, wenn ihr Lust habt, heut Abend steigt bei meinem Gitarrist eine Party. Ihr könnt kommen, ich schick euch ein Taxi zum Hotel." Natürlich willigten Nina und Jojo ein. Das Taxi sollte sie Punkt elf abholen. Jukas Gitarrist, der musste wohl echt reiche Eltern haben, denn er wohnte in einem der Penthäuser Tokios. Es war der Wahnsinn dort, die Party schien schon voll im Gange zu sein und der Gastgeber stellte sich den Mädchen als Naoki vor. Dann waren da noch Miyavi, Haruto und Sota. Haruto war Naokis Bruder. Miyavi hatte ein bisschen Ähnlichkeit mit dem Gitarristen Mana von Moix dix Mois und Naoki galt als der Weiberheld schlechthin. Dennoch waren alle sehr lieb und nett. Jojo konnte sogar ein bisschen mit ihrem Anfängerjapanisch punkten, doch den größten Teil des Abends unterhielten sie sich dann doch auf Englisch. So lernte Jojo auch nach und nach Jukas Band kennen. Die Mädchen unternahmen viel mit den Bandjungs, wenn sie nicht gerade alleine die Stadt unsicher machte. Obwohl es Ende August war, schien die Sonne noch angenehm warm und sie sahen sich in der Stadt viel an. Juka und Miyavi zeigten ihnen ein paar schöne geheimere Ecken von Tokio und ebenso das eine oder andere Insiderrestaurante. Jeh öfter sie die Jungs trafen desto mehr fiel Jojo dieser Naoki auf. Das war ja klar, dass sie sich wieder in den Typ verknallen musste, der jede Nacht eine andere mit zu sich nahm. Nina und Jojo verlängerten ihren Aufenthalt und Juka organisierte ihnen eine kleine Wohnung, die direkt neben seiner eigenen lag und durch eine Terrasse miteinander verbunden waren.   Naoki, Naoki, Naoki schwirrte es in Jojos Kopf umher. Er war der Bad Boy schlechthin, fand sie ihn deshalb so toll? Wenn er doch nur ein bisschen öfter mit ihr reden würde? Sie sonnte sich gerade und las ein Buch auf unserer Terrasse, als Juka sich zu ihr gesellte. „Na Jojo, willst du mir nicht etwas sagen?" Klar, dass Juka Bescheid wusste, er kannte sie einfach zu gut. Deshalb waren er und Lukas auch ein so unschlagbare Team gewesen, schoss es ihr durch den Kopf. Und sie wusste langsam, warum Lukas ihn so sehr geliebt hatte. Ein gefährliches Spiel, was sie da spielte, denn Lukas wusste noch immer nicht, dass sie sich mit seinem Ex herumtrieb. „Ähm nee, was denn?" Er lachte und zündete sich eine Zigarette an. „Ich weiß, wen du heimlich anhimmelst. Und wenn du das weiter so offensichtlich machst, weiß es Naoki auch bald." „Ach Mist. Aber ich such mir wahrscheinlich eh immer die falschen aus." „Weiß nicht. Vielleicht gefällst du ihm ja auch." „Aber er hängt immer mit euch rum und bei seinen Partys sind immer voll viele Mädels um ihn herum..." „Da hast du nicht ganz unrecht, deshalb sei vorsichtig mit dem, was du tust. Naoki ist nicht ohne und ich will nicht, dass du dich ins Unglück stürzt." „Lieb von dir. Ich pass auf, versprochen." Jojo hatte sich vorher eher selten Gedanken über Jungs gemacht und vor kurzem war sie ja auch noch der Meinung, dass sie nie einen finden würde, der ihr gefallen könnte, aber dann kam Naoki. Mit seinem leichten Machogehabe, seinen Tattoos, die fast immer zu sehen waren, da er gern mit offenem Hemd oder ganz oben ohne zu sehen war. Jojo konnte ihn ganz schlecht einschätzen. Zu den Jungs war er immer nett und lustig, doch die Mädels lagen ihm zu Füßen und das nutzte er aus. Und außerdem musste sie feststellen, dass sie eine Schwäche für Jungs mit fast Glatze hatte. Sie wollte sich nicht in einen solchen Typen verlieben, doch irgendwie konnte sie nichts dagegen tun. Es klingelte an der Tür und als Jojo seine Stimme ausmachte, wäre sie am liebsten weggerannt. Warum jetzt? Ihr Herz wummerte wie verrückt. Sie hörte Naoki und Juka scherzen. Ihr Japanisch war nicht mal annähernd so gut wie das der beiden. Aber was erwartete sie, immerhin war japanisch ihre Muttersprache. Die Jungs kamen auf die Terrasse zum Rauchen. Jojos Herz blieb fast stehen. Schade, heute trug er ein weißes T-shirt. Naoki winkte ihr nur kurz zu, mehr nicht. Sollte sie auch eine rauchen? Das wäre ihre Chance. Sie unterhielten sich über Musik, dann plötzlich klingelte Jukas Handy. Ihr Herz rutschte noch ein kleines Stück weiter in die Hose, denn Naoki schlenderte in ihre Richtung. „Was liest du?", fragte er in seinem gebrochenen Deutsch und schaute auf den Buchrücken. „Ah das ist nicht so schlecht, hab ich gehört. Was sagst du?" „Ist nicht übel, ich dachte, jetzt muss ich endlich auch mal was von Stepehn King lesen." Naoki zog elegant an seiner Zigarette und setzte sich zu Jojo. „Ich habe nichts von ihm gelesen...bin nicht so der Bücherfan...Filme sind cooler." „Aber die Bücher sind oft besser...du bist ja nur zu faul", rutschte es ihr raus, doch Naoki lachte. „Du bist echt frech...wie alt bist du eigentlich?" „Sechzehn und du?" „Oh, ich bin schon alt...kein Teenie mehr." Er drückte seine Zigarette aus. Juka kam zurück. „Ey Naoki, lass uns die Tage mal ein bisschen spielen. Mir fehlt das voll." „Ja wie gesagt, rede mit den Jungs. Mir ist egal. Deine kleine Freundin hier ist ganz schön vorlaut." Juka grinste. „Ich weiß. Was treibst du heute noch schönes?" Naoki zuckte mit den Schultern. „Heut ist Poolwetter und danach Big Party. Habt ihr Lust?" „Pool nicht, will noch auf meinen Bruder warten, aber vielleicht will Jojo ja mitkommen", sagte Juka und zwinkerte ihr unauffällig zu. Naoki sah sie fragend an. „Klar, warum nicht, zieh mich nur fix um." Oh mein Gott, war Juka wahnsinnig geworden? Jojo zog ihren Bikini an und sie fuhren los. Nicht ins Penthouse, wie sie erst gedacht hatte, nein zum Haus von Naokis Eltern, das ein bisschen außerhalb von Tokio lag. Was für ein Anwesen. Seine Eltern machten gerade Urlaub in Thailand, erzählte er, deshalb hatte er sturmfrei. Jojo war völlig von der Rolle. Nina wollte nicht stören und blieb in der Wohnung, doch sie wollte später mit Juka nachkommen. „Sind wir da jetzt ganz alleine?" Er sah sie über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg an und grinste. „Jepp...hast du etwa schiss?" „Nein, wovor denn." Es waren echt fast 25 Grad, dennoch schreckte Johanna ein bisschen zurück, als sie ihren Fuß ins Wasser hielt, weil es sich kalt anfühlte. „Was willst du trinken?" „Sekt oder so." Naoki trank auch gern und viel, das war ihr nicht entgangen. Er brachte eine Flasche Sekt und Drehzeug. Seine geblümte Badehose ließ ihn dann nicht mehr ganz so wie ein Macho wirken. Dann schenkte er ein und baute einen Joint. Jojos Puls raste noch immer, weil sie sich fragte, was das hier werden sollte. „Du redest ja gar nichts.", bemerkte er. „Ich schaue dir fasziniert beim Drehen zu." Er lachte und zündete den Joint an. „Als ob. Hat es der frechen Göre die Sprache verschlagen?" Sie zuckte mit den Schultern. „Ich frage mich nur, was das hier wird. Sonst redest du kaum mit mir und auf einmal nimmst du mich mit auf dein Luxusanwesen." Wieder lachte Naoki und auch Jojo fand das alles irgendwie amüsant. „Ich habe gern schöne Mädchen um mich. Und außerdem, warum hast du nicht mit mir geredet?" „Ach da waren mir zu viele andere Mädels, die dich anhimmelten." „Du bist echt frech, aber ich mag das." Naoki reichte ihr den Joint. Er war irgendwie anders als sonst, netter, aufgeschlossener und persönlicher. Jojo fühlte sich auf einmal wie in einem Hollywoodfilm. „Warum willst du mir eigentlich nicht verraten, wie alt du bist." „Ist das wichtig für dich?" „Keine Ahnung, ich glaub ich fänd es auch nicht cool, wenn du 28 oder so bist." Naoki brach in schallendes Gelächter aus. „Das ist jetzt fast beleidigend für mich. Wärst du mit 20 zufrieden?" Jojo prostete ihm zu. „Warum nicht gleich so." Auf einmal änderte sich der Ausdruck in seinen Augen. „So so. Ich habe schon gemerkt, dass du nicht ein normales Mädchen bist. Es ist schwieriger mit dir zu flirten. Du hast mehr im Kopf, als die Mädels, die ich sonst treffe." Sie glaubte nicht richtig zu hören. Also war das hier nicht mehr als ein Art One-Night-Stand? Jojo wollte nicht wie alle Mädchen sein und sie wollte sich von diesem Mistkerl nicht einfach rumkriegen lassen. Sie trank ihr Glas leer und hielt es Naoki hin. „Dürfte ich bitte noch etwas haben?" Sie musste sich definitiv Mut antrinken. „Wer hat außerdem gesagt, dass ich mit dir flirten will?" Er schüttelte mit dem Kopf, wahrscheinlicher hatte er sich das einfacher ausgemalt. „Weil du mitgegangen bist." „Na und? Vielleicht wollte ich einfach nur im Pool baden." „Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll Jojo. Aber irgendwie mag ich es." „Redest du sonst nicht mit den Mädels, die du mit ins Bett nimmst?" „Warum sollte ich großartig mit ihnen reden, wenn sie am anderen Tag wieder gehen. Ich habe nicht Zeit für dauernd Gespräche." „Aber du redest mit mir. Und jetzt sag nicht, das ist etwas anderes." „Ich sagte schon, du hast mehr im Kopf. Oft wollen Mädchen nur Sex und gehen wieder." „Nervt dich das nicht? Dauernd andere Frauen zu haben?" Naoki schwieg eine Weile und trank sein Glas leer. „Bisher hat es mich nicht gestört. Ich habe so Freiheiten und muss nicht dauernd rechtfertigen, was ich mache." Johanna fand seinen japanischen Akzent zum Anbeißen süß und irgendwie war er allgemein echt niedlich. „Hast du schon mal eine Freundin gehabt?" „Oh, ich bin echt nicht gewohnt mit Frauen solche Gespräche zu haben. Warum tust du das?" Sie schenkte sich nochmals Sekt nach. „Weißt du...Ich habe in Deutschland ständig Typen getroffen, die an einem Abend zehn Frauen hatten und mir haben die Mädels immer leid getan, die darauf herein gefallen sind. Ich bin kein Mädchen, das sich schnell mal auf sowas einlässt." „Das ist eine gute Einstellung, du gefällst mir. Darauf Prost." Sie gingen nicht mehr in den Pool und der Abend verlief ganz anders, als sich Jojo gewünscht hätte. Naoki respektierte sie, allerdings als gute Freundin. Durch das, was sie gesagt hatte, passte sie nicht mehr in sein Beuteschema, denn er wollte nur dumme Mädels haben. Was für ein Pech für sie. Jojo redete nicht viel, als sie mit Juka und Nina nach Hause fuhr und ging gleich ins Bett.   Am nächsten Morgen holte sie Juka zum Frühstück. Sie schmollte noch immer. Vielleicht sollte sie dem allen auch einfach Zeit geben. Es war Sonntag und sie hatten nichts geplant und draußen war das Wetter echt mies. Miyavi wollte zum Kaffee kommen. Juka wollte kurz zu seiner Mama fahren, nur Nina blieb da. „Willst du drüber reden Süße?" „Da gibt es nicht viel zu reden. Naoki steht auf Mädels ohne Hirn, die nicht viel reden." Nina fing an zu lachen, das irritierte die eingeschüchterte verwirrte Jojo. „Das hat er zu dir gesagt?" „Nein, aber ich hab es doch gesehen. Vor allem dachte ich echt, dass er mich mitnimmt, weil er mich ein bisschen toll findet, aber außer reden war da nix." „Nicht mal ein Kuss?" Jojo schüttelte betrübt mit dem Kopf. „Ich bin vielleicht einfach zu ehrlich gewesen. Ach was weiß ich. Ich hasse ihn!" „Jojo, ich bin stolz auf dich. Warts ab, er meldet sich bei dir oder kommt zufällig vorbei, glaub mir." „Aber warum fängt er dann was mit ner anderen an?" „Jojo...Naoki ist auch nur ein Mann und wenn gestern mehr passiert wäre, würde er dich nicht interessant finden. Du hast ihn beeindruckt, merkst du das nicht?" Jetzt verschlug es ihr die Sprache und sie verstand überhaupt nichts mehr. „Heißt das, er hat gestern nicht versucht mich ins Bett zu bekommen, weil er mich wiedersehen will? Muss ich das verstehen?" „So in der Art. Er fand dich nett und will das nicht gleich versauen. Sex beim ersten Treffen kann viel kaputt machen und das weiß Naoki auch. Also Süße, gib deinem Prinzen ein bisschen Zeit. Er wird von sich hören lassen, vertrau mir." Wie es wohl allen zu Hause ging? Jojo wollte unbedingt Japanologie studieren, doch dafür musste ihr Japanisch besser werden und sie arbeitete hart dafür. Als Jojo Donnerstag aus der Wohnung trat, weil sie einkaufen wollte, wartete draußen eine Überraschung. Naoki holte sie ab. Sie staunte nicht schlecht. „Hey Herzblatt, steig ein, ich zeig dir jetzt mal, wo du richtig japanisch lernst." „Herzblatt?" „Hab ich das falsch gesagt?" „Nein, schon in Ordnung." Jojo grinste und kam seiner Bitte nach. Er sah richtig schick aus, doch seine Art blieb cool wie immer. Sie hielten irgendwo kurz an, um etwas zum Essen zu holen, dann ging es weiter zu einem echt hohen Gebäude. Naoki erklärte Jojo, dass das sowas wie ein World Trade Center von Tokio ist. Sie fuhren bis ganz hoch und machten Picknick über Tokio. „Wow, nicht schlecht. Wie viele Mädels hast du schon hier hoch gebracht." „Du bist die erste", antwortete er ein bisschen kühl. Jojo sollte wohl aufhören die ganze Zeit so sarkastisch zu sein. „Okay. Sushi ist voll toll, ich liebe es." Jetzt grinste Naoki wieder. „Traust du dich nach ganz vorne?" „Ich weiß nicht? Ich hab ein bisschen angst." Er nahm ihre Hand und führte sie zum Geländer. „Das musst du anschauen." Das war echt der Wahnsinn. Vorsichtig legte Naoki seine Arme um Jojo und sie fühlte sich auf einmal so anders. „Es ist der Wahnsinn. Schau mal die Sonne geht unter." Sie spürte seinen Kopf auf ihrer Schulter und es fühlte sich schön an. „Zu deiner Frage von gestern...klar hatte ich schon ne Freundin, aber es hat keine lang mit mir ausgehalten, wegen der Band und so." „Bist du deshalb so?", fragte sie vorsichtig. „Wie?" „Naja, dass du ständig andere Mädels hast." Naoki zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Es wird dunkel, wir sollten gehen." Jojo wurde das Gefühl nicht los, dass sie Naoki an einer wunden Stelle getroffen hatte. Der Nachmittag mit ihm war wunderschön gewesen. Er gab ihr noch einen Kuss auf die Wange und brauste davon. Das junge Mädchen war völlig verwirrt. Fühlte sich so verliebte sein an? Dann verging eine Woche, in der sie gar nichts von Naoki hörte. Das machte sie wahnsinnig. Doch dann kündigte er wieder eine seiner legendären Partys an. Jojo fing langsam echt an, ihn zu hassen. Die Party war auch im Haus seiner Eltern, die scheinbar noch immer im Urlaub waren. Doch irgendetwas war anders, es schienen weniger Mädels anwesend zu sein und die, die da waren kannte sie vom Sehen und sie wusste auch, dass es Freundinnen von Juka waren. Was war mit dem Mann passiert? Er umarmte Jojo als erstes und wirbelte sie durch die Luft, als sie ankamen. Sayuri, Jukas Schwester war heute auch gekommen, das freute Jojo, denn sie hatten sich schon lange nicht mehr gesehen. Sie ging zu ihr und sie tranken etwas zusammen. „Sag mal, findest du Naoki ist anders als sonst?" Sie schüttelte mit dem Kopf. „So oft war ich noch nicht bei ihm, aber nein, warum?" „Sonst waren immer voll viele Mädels da und haben ihn umschwärmt." „Haha stimmt, Naoki und die Frauen, das hat Juka mal erzählt. Vielleicht hat er ja eine Freundin?" Oh, daran hatte sie noch gar nicht gedacht. War das der Grund, weshalb er sich so lange nicht gemeldet hatte? Jojo wurde ganz flau im Magen. Und tatsächlich, da stand er gerade mit einem Mädel und die beiden schienen sich köstlich zu amüsieren. Jojo nahm ihren Cocktail und setzte sich an den Pool. Von drinnen ertönte schöne Musik und ihr war gerade zum Heule zu Mute. Doch noch bevor sie damit anfangen konnte, saß Naoki neben ihr. „Sag bloß, du willst abhauen." „Nee, brauch nur kurz frische Luft." Er legte seinen Arm um ihre Schulter und sie lehnte sich an. „Was hast du letzte Woche schönes gemacht?" „Ich war krank und musste das Haus bissl putzen. Und du?" „Naja, nicht so viel. Hast du Zigaretten?" „Klar oder was besseres?" Sie schaute ihn an und er grinste nur. Seinen glasigen Augen nach zu urteilen war das nicht sein erster Joint an diesem Abend. „Warum nicht." Jojo durfte ihn sogar anzünden. „Wo bist du eigentlich überall tätowiert?", fragte sie dann. „Am Rücken, das an der Seite hier kennste ja...Hüfte, Arm, Beine und naja und ein bisschen höher von Oberschenkel." „Aha", amüsierte sie sich. „Und du?" „Hab leider keine, aber ist noch in der Planung. Weiß aber noch nicht genau was." „Wenn du Zeichnungen brauchst, ich kann das ganz gut." „Woher kannst du eigentlich so gut deutsch?" Naoki schmunzelte. „Ich habe Auslandssemester in Deutschland gemacht und Sprachkurs. Nicht das beste deutsch, aber ich versteh was ich brauche." Sie lehnte noch immer an seiner Schulter und würde so gern mehr von ihm. „Willst du heute bei mir bleiben?" Diese Frage brachte Jojo wieder völlig aus dem Konzept. Sie schaute auf ihr Handy und es war schon recht spät. „Und was dann?" Er verdrehte die Augen. „Werden wir sehen, was passiert." „Ich weiß nicht, ob ich das gut finde Naoki." Er schwieg wieder eine Weile, zündete sich eine Zigarette an und erhob sich. „Überleg es dir", sagte er noch im Gehen. Und schon wieder war dieses komische Gefühl da. Ein Teil von ihr wollte bleiben und ein anderer warnte sie davor. Sayuri und Jojo tanzten noch und sie trank viel zu viel. Was hätte sie davon, wenn sie bei Naoki blieb? Eine einmalige, geniale Nacht? Das wollte sie nicht. Schließlich ergab sich das mehr oder weniger von allein, denn sie war echt betrunken und fuhr mit Juka und Nina nach Hause. Dort heulte sie in ihr Kissen und schlief ein.   Doch am nächsten Tag passierte das Unmögliche. Naoki holte sie ab und sie fuhren zum Penthouse. Er bereitete ihr ein Katerfrühstück zu, oben ohne wohlgemerkt und trug Jojo auf Händen. Sie lagen in seinem Bett und lauschten dem Regen, der aufs Dach prasselte. „Was hättest du eigentlich gemacht, wenn ich gestern bei dir geblieben wäre?", fragte sie endlich. „Dann wärst du heut nicht hier." Jojo setzte sich auf. „Und warum das?" „Weil du so nur ein Mädchen auf einer meiner Partys gewesen wärst." Sie boxte ihn gegen seinen Arm, doch er boxte zurück und das nicht gerade zaghaft. „Ich versteh dich echt nicht. Jetzt bin ich ja auch nur irgendein Mädchen, das in deinem Bett gelandet ist." „Meinst du den anderen hab ich Frühstück gemacht? Die haben nicht mal Kaffee bekommen. Was würdest du machen, wenn ich jetzt nackt hier sitzen würde?" Und wieder setzte er sein charmantes Grinsen auf. „Was soll das Naoki? Naja, fehlt ja nicht mehr viel." „Warum bist du so verschlossen? Ich meine ich mag dich, du magst mich...glaub ich zumindest, lass uns einfach reden und vielleicht ein bisschen Spaß haben." Jojo schaute Naoki lange an und es fehlte nicht mehr viel, da hatte er sie. „Damit du mich auch endlich auf deiner Liste hast?", platzte es aus ihr heraus. „Du spinnst Jojo...frag dich doch mal, warum ich gestern keine anderen Mädels da hatte. Wenn du es so willst...ich könnte hundert andere anrufen, wenn ich wollte...doch gerade hab ich keine Augen für andere...weil ich hab da vor zwei Wochen so eine Süße kennengelernt, doch irgendwie ist die echt schwer von Begriff." Augenblicklich schoss ihr die Röte ins Gesicht. Er meinte es tatsächlich ernst. „Das ist peinlich oder? Ich meine ich führe mich gerade echt blöd auf." „Ich meine, wenn es dir lieber ist, können wir auch noch zwei Mädels mehr zum Spaß haben anrufen", witzelte er. Wieder boxte sie ihn gegen die Schulter. „Warum machst du das immer? Hab ich dir was getan?" Und wieder boxte er doppelt so doll zurück. „Aua, das wird bestimmt ein blauer Fleck. Und was wird das dann mit uns Naoki?" „Ich hab keine Ahnung, lass es uns doch einfach langsam angehen...muss man alles immer gleich planen? Mann du bist echt verdammt schwer zu knacken. Aber ich denke gerade das reizt mich an dir. Ich geh mal nen Joint basteln, vielleicht wirst du dann lockerer." Okay, jetzt mal zum Verständnis. Naoki, den sie jetzt seit zwei Wochen kannte wollte was auch immer mit ihr anfangen. Es war komisch und erschreckend zugleich, wie sich ihr Leben in Japan gewandelt hatte, als wäre sie auf einmal ein anderer Mensch und doch sie selbst. Jojo konnte das schwer definieren. Oder war sie gerade dabei sich zu finden? „Kommst du runter?" Sie rauchten ohne viel zu sagen. Jojo musste das erst einmal verdauen, aber vielleicht sollte sie wirklich lockerer werden und sich auf Naoki einlassen. Und der Joint tat seine Wirkung. „Ich würde dich schon gern küssen", sagte sie. „Ach ja, dann versuch es doch." Sie zog die Stirn in Falten. „Rede ich dir eigentlich zu viel?" Naoki lachte. „Ach was, ich hab den ganzen Tag nix vor." Jojo versuchte sich elegant auf seinen Schoß zu schwingen, was ihr auch einigermaßen gelang und näherte sich seinem Gesicht. Ihr Herz raste und in ihrem Magen rumorte es heftig. Sie berührte seine Lippen nur kurz und schaute ihn dann wieder an. Belustigt verdrehte er die Augen und zog sie wieder zu sich. Dieses Mal wurde ein richtiger Kuss daraus und jetzt konnte er mit ihr machen, was er wollte. Sie fühlte sich wie ein Stück Butter. „Und ist furchtbar oder?", fragte er dann. Jojo war noch immer leicht benommen. „Ähm, was? Nein. Sogar ziemlich gut." „Hast du Lust auf mehr?" „Kannst du mir vorher was versprechen?" Er sah sie erwartungsvoll an. „Was denn?" „Dass ich in nächster Zeit die einzige sein werde..." „Ich verspreche es dir." Er trug sie die Treppe zum Schlafzimmer hoch und ließ auf sein Wasserbett fallen. Dann war er über ihr und küsste sie voller Begierde. Jojo wusste nicht, was sie machen sollte. „Naoki, eins solltest du vielleicht noch wissen.” Er hielt inne und schaute sie fragend an. „Ich habe noch nie mit einem Jungen geschlafen. Hoffe das stört dich nicht und sorry, dass ich dir das jetzt erst beichte.” Naoki lächelte Jojo liebevoll an. „Mach dir da mal keine Sorgen. Dann lass dich fallen und genieße es.” Ihr ganzer Körper schien zu entflammen, als er sie auszog. Jetzt hoffte sie wirklich, dass sie das Richtige tat. Er küsste wieder und seine Zunge glitt über ihren Körper bis zwischen ihre Beine und was er dann tat, war der absolute Wahnsinn. Erstaunlich, wie geschickt jemand mit deiner Zunge sein konnte und ein Mädchen wie sie innerhalb von kürzester Zeit zu einem klitoralen Orgasmus brachte. Jojo musste erstmal wieder klarkommen. Naoki war mittlerweile auch ganz nackt und diese Vermutung, dass Japaner kleine Penisse hätten traf mal sowas von gar nicht zu, zumindest im erigierten Zustand. „Wenn es weh tut oder so, musst du es sagen okay?” Sie nickte und schon küssten sie sich wieder, das könnte sie wirklich den ganzen Tag machen. Vorsichtig drang er in sie ein und nur ein kurzer Schmerz durchzuckte ihren Körper, dann fühlte sich alles einfach unbeschreiblich an. Naoki wusste, was er tat und das beruhigte Jojo. Er hatte sogar an ein Kondom gedacht. Jojo hatte das Gefühl zu explodieren und leider war es viel zu schnell vorbei. Sie ließ sich grinsend in die Kissen sinken. „Wow, ich hatte echt gedacht das erste Mal ist schlimmer.” Er strich ihr eine Haarsträhne zur Seite. „Kommt auf die Person an, mit der du es hast.” Sie lehnte den Kopf an Naoki und betrachtete seinen Körper. So ein verdammt heißer Typ hatte gerade Sex mit mir, sie konnte es immer noch nicht glauben. „Musst du morgen eigentlich arbeiten?” „Schon.” „Wo arbeitest du?” „In einem langweiligen Büro...naja nicht ganz langweilig, ich entwerfe Werbeplakate und sowas. Ist nicht schlecht.”   Später brachte sie Naoki noch nach Hause. Er quatschte noch kurz mit Juka, dann war er weg. Sie ließ sich auf das Sofa plumpsen und konnte nicht aufhören zu grinsen. Juka schüttelte nur mit dem Kopf. „Na was hab ich dir gesagt.” Jojo winkte ab. „Juka, meinst du ich hab das richtige getan?”, fragte sie. „Klar doch.”   Irgendwie waren voll viele Japaner einfach wunderschön. Juka auch. Früher war Jojo immer ein bisschen neidisch auf ihren Bruder, doch jetzt hatte sie ihren eigenen süßen Asiaten. Sie beschloss mit Juka über Naoki zu reden und hoffte, dass keiner der Jungs noch da war. Juka hatte sich die Woche krank schreiben lassen, weil er sich eine Erkältung eingefangen hatte, der Ärmste. Erfreut öffnete er mir die Tür. „Na Kleine, stattest du mir einen Krankenbesuch ab?" „Ja, hab gerade eh nichts zu tun. Geht es dir besser?" „Ja so langsam, vollgepumpt mit Antibiotika, da wird es schnell von alleine besser. Magst du einen Tee trinken? „Voll gern. Triffst du die Jungs heut noch?" „Denk so gegen Nachmittag. Und wie läuft's mit Naoki?" „Total gut. Trotzdem werd ich manchmal nicht ganz schlau aus ihm." Juka lachte und goss den Tee auf. „Naja, er ist ein bisschen verrückt, aber an sich ein lieber Kerl." „Findest du es eigentlich schlimm, dass Naoki dauernd betrunken ist?" Juka kam zu ihr und sie setzten sich auf den weißen Kuschelteppich vor dem Sofatisch. Er sah ein bisschen nachdenklich aus. „Stören tut es mich nicht, aber ich höre da bei dir ein bisschen Kritik heraus." „Jaaa, irgendwie schon. Ich weiß manchmal nicht, wie ich damit umgehen soll. An sich finde ich es nicht schlimm, er kann ja machen, was er will." „Aber irgendwas nervt dich daran. Oder wärst du nur gern öfter dabei? So oft trinkt er ja auch nicht, gut am Wochenende gibt er sich gern mal die Kante, doch Jojo mal ehrlich, da gibt es nichts worüber du dir Sorgen machen musst." „Ja, vielleicht wäre ich gern öfter dabei. Er ist mein erster richtiger Freund und ich will nichts falsch machen." Wieder schwieg Juka einen Moment und trank einen Schluck Tee. „Ich hole jetzt mal ein bisschen weiter aus...Naoki ist nicht ohne Grund so wie er ist, doch das soll er dir bei Gelegenheit selbst erzählen. Doch wenn ich eine Sache aus der Beziehung mit Lukas gelernt habe, dann die, dass du nie versuchen solltest einen Menschen zu ändern. Du kannst mit ihm über alles reden, doch versuche nicht ihn zu ändern. Das ist das Falscheste was du machen kannst." Jetzt war es Jojo, die nachdachte. „Ich habe mich eh schon gefragt, ob du oft an ihn denkst? Schließlich hast du doch auch wieder jemanden." Jukas Lippen kräuselten sich und irgendetwas schien er sagen zu wollen. „Jojo, ich will ehrlich zu dir sein…Shey und ich sind nicht mehr zusammen…es gibt nur einen Menschen, den ich wirklich liebe, doch bei dem hab ich es mächtig verschissen. Ich meine du kannst ja bestätigen, wie er die letzten Wochen drauf war. Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Ich weiß, dass er meinetwegen sehr gelitten hat, damit habe ich irgendwie noch immer zu kämpfen, denn er wäre fast zu Grunde gegangen. Ich vermisse ihn schrecklich." Johanna hatte Juka nach der Trennung von ihrem Bruder nie mehr über ihn reden hören und irgendwie konnte sie Lukas Reaktion ein bisschen nachvollziehen. Zum ersten Mal wurde ihr wirklich klar, was Juka bei ihm angerichtet hatte. „Lukas ist echt am Ende und ich weiß manchmal auch nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Noch nie hab ich ihn so verzweifelt gesehen. Vermutlich wird er mich hassen, wenn er erfährt, dass ich meinen Tokiourlaub mit dir verbracht hab.“ Plötzlich glitzerten Tränen in Jukas Augen und auf einmal wuchs die Hoffnung, dass es doch noch eine Zukunft für Juka und Lukas gab. „Vielleicht ist es besser, wenn du ihm das vorerst nichts sagst.“ „Juka…könnt ihr euch denn nicht wieder versöhnen? Ich kann mit Lukas reden.“ Einen kurzen Moment huschte ein freudiger Ausdruck über Jukas Gesicht. „Glaub das muss ich allein wieder ausbügeln. Ich glaube es ist besser, wenn wir das Thema wechseln.“ „Klar." Irgendwie waren sich Naoki und Lukas ähnlich. Nur würde Jojo zu gern wissen, was in Naokis Vergangenheit passiert war, doch ihn danach zu fragen wäre auch irgendwie komisch. Was sollte sie machen, wenn er es gar nicht erzählen wollte?   Jojo skypte gerade mit ihrem liebsten Lukas, als ihr Naoki schrieb, ob sie nicht zu Juka rüber kommen will. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. Es regnete noch immer und sie klopfte an die Terrassentür. Ihr Freund öffnete ihr und gab ihr einen Kuss. Naoki war schon wieder am Trinken und Kiffen, doch netterweise bekam Jojo auch etwas ab. Da war es trotzdem wieder, dieses unbehagliche Gefühl, das sie nicht abstellen konnte. „Du fährst aber heute nicht mehr nach Hause?", fragte Juka Naoki. Zum Glück verneinte er diese Frage. „Ich kenn da so'n süßes Mädel, das wohnt nebenan." Er zwinkerte ihr zu und schon war alles vergessen. Sie plauderten noch eine Weile und dann verabschiedete sie sich unter dem Vorwand, dass sie ein bisschen müde sei. Naoki folgte ihr. Ihre Wohnung war nicht sehr groß und mit einem Wasserbett konnte sie auch nicht dienen. „Du bist so ruhig, bist du wirklich müde?" Jojo zuckte mit den Schultern. „Eigentlich nicht. Vielleicht wollte ich ja nur ein bisschen Zeit mit dir verbringen." „Vielleicht? Ist alles okay?" „Ja, ich mach mir nur glaub ich gerade zu viele Gedanken, ob ich alles richtig mache und so. Ich meine, ich weiß nicht, was für dich der ausschlaggebende Punkt war, der dich hat beschließen lassen, mit mir zusammen zu sein. Aber ich frage mich immer warum...ich hab nicht mal viel Erfahrungen mit Jungs und vielleicht werde ich dir irgendwann zu langweilig." Naoki zog seine rechte Augenbraue hoch und schaute sie ein bisschen vorwurfsvoll an. „Soll ich dir mal sagen, was langweilig ist? Jede paar Tage eine andere strohdoofe Tussi zu haben, die nichts im Kopf hat und denkt, der Sex mit ihr wäre total gut, obwohl du dir danach nur denkst, hoffentlich ist die nächste besser. Ich gebe zu, ich hätte das auch lassen können, aber ich habe es genossen von Frauen umschwärmt zu werden. Wolltest du das von mir hören?" Na toll, jetzt war Jojo noch unsicherer und sie bemerkte zum zweiten Mal, dass dies ein wunder Punkt zu sein schien. Also hieß es jetzt strategisch vorgehen. Ihr Herz raste vor Aufregung. „Das war doch gar nicht böse gemeint...ich bin nur gerade so unsicher. Was habe ich, was die anderen nicht haben?" Ein Glück er lächelte wieder. „Das weißt du genau...ich habe große Schwäche für hübsche intelligente Mädels und es ehrt dich, dass du nicht vorzählen kannst, mit wie vielen Typen du schon im Bett warst. Ich habe dir das Versprechen gegeben, also hör endlich auf zu denken, du wärst nicht gut genug, denn das macht dich wieder unattraktiv. Ich muss dir echt viel beibringen." Jojo schloss die Augen kurz und öffnete sie dann wieder. Sie hatte das dringende Bedürfnis mit Naoki zu schlafen und sie wollte ihn nackt haben. Was tat er bloß mit ihr? „Okay, hab verstanden." „Hast du eigentlich nur keine Erfahrungen mit Sex oder auch mit anderen Liebesaktivitäten?" Warum hatte sie gewusst, dass er ihr diese Frage irgendwann stellen würde. „Wieso, was hättest du den gerne?" Er grinste verführerisch und nahm ihre Hand. Heute ergriff sie dann wohl die Initiative und ihr wurde heiß und kalt im Wechsel. Doch sie wollte es so sehr. Ihre Hand glitt zwischen seine Beine und sie spürte seine Erektion. Jojo sollte ihren Kopf echt ausschalten. Sie zog Naoki die Klamotten aus und versuchte sich an ihrem ersten Blowjob. Es war echt erotisch und auch sie kam immer mehr in Fahrt. Auf einmal fühlte sich Jojo überlegen und ließ ihn das spüren. Naoki krallte seine Finger in ihren Arm und genoss das Liebesspiel. Sein lustvolles Stöhnen spornte Jojo nur mehr an und dann sein Schrei der Begierde. Seine Körperflüssigkeit ergoss sich in ihrem Mund und sie spülte diese mit Bier runter. „Anata ga suki desu", sagte Naoki. Jojo überlegte. Irgendetwas mit mögen auf jeden Fall. „Ich mag dich?" „Wirklich", ergänzte er. Sie lächelte und küsste ihn. „Ich dich auch." Naokis nackter Körper strahlte vor Schönheit und sie malte mit ihren Finger sein Tigertattoo nach. „Darf ich dich trotzdem noch was fragen?" „Nur, wenn ich dabei eine rauche gehen darf." „Ja klar ich komm mit." Er zog nur seine Hose an und öffnete die Tür der Terrasse. Jojo legte ihre Hände um seine Hüften. „Was denn noch?", fragte er ein bisschen gereizt, als würde er wissen, was jetzt kommt. „Ich habe mich nur gefragt, wie du dann so geworden bist...wenn dich eine Frau glücklich macht, hast du es doch nicht nötig den Casanova zu spielen." Und ja, Jojo war bescheuert. Wenn sie Naoki gewesen wäre, hätte sie das beleidigt und der freundliche Ausdruck in seinem Gesicht verschwand augenblicklich. Er schob ihre Hände von sich weg, stellte sich an die Brüstung mit dem Rücken ihr zugewandt und schwieg. Sie sah nur bläuliche Wölkchen über ihm aufsteigen. Sie hatte es vermasselt. Naoki schien eine halbe Ewigkeit dort zu verweilen und was dann kam, war noch viel schlimmer. Er schob sich an Jojo vorbei, zog seine Klamotten an und ging ohne auch nur ein Wort zu sagen. Ohne sich bei ihr zu verabschieden. Sie musste anfangen zu heulen. Warum hatte sie nicht den Mund halten können? Sie hörte sogar sein Auto. Ihr Herz blieb stehen. Und jetzt musste sie an Lukas Worte denken, wenn man wirklich den Menschen gefunden hatte, den man liebte, konnte es das Schönste und das Schlimmste zugleich sein. Die letzte Woche ihres Urlaubs nahte und sie wagte einen letzten Versuch das wieder gerade zu rücken und schrieb Naoki, dass es ihr leid tat, sogar auf Japanisch. Doch er antwortete nicht. Das war noch viel schlimmer. Jojo verkroch sich und mied Juka, weil sie ihm nicht Rede und Antwort stehen wollte. Da klingelte ihr Handy plötzlich und es war Naoki, der fragte, ob sie zu ihm kommen wollte. Jojo willigte ein und machte sich hübsch. Den Weg zum Penthouse kannte sie mittlerweile, doch noch nie war sie den Weg mit so zittrigen Beinen gelaufen. Sie klingelte und fuhr mit dem Fahrstuhl in den 20. Stock. Jojo wusste nicht, was er die letzten Tage getrieben hatte, doch aufräumen schien wohl nicht dabei gewesen zu sein. Dennoch war es kuschelig warm. Er gab ihr nicht mal einen Kuss und ihr Herz zersprang jeden Moment. Er zündete sich eine Zigarette an. „Ich finde es ganz schön dreist von dir solche Dinge zu mir zu sagen." „Naoki, es tut mir leid, ich wollte das nicht, manchmal sollte ich besser erst denken und dann reden. Ich wollte dich nicht verletzen." „Das stimmt. Ich hatte gehofft sowas umgehen zu können, doch sowas muss man wohl auch irgendwie versuchen zu lösen. Vor ein paar Jahren traf ich ein Mädchen, sie hatte viel mit Cosplay zu tun. Wir kamen zusammen, doch die Männer der Szene zogen wohl weit aus mehr ihr Interesse an als ich. Sie betrog mich mehr als einmal, doch ich verzieh ihr immer wieder, bis mich Juka und mein Bruder zurechtwiesen. Ich habe die Frauen eine lange Zeit echt verachtet und dann dachte ich mir, was sie kann, kann ich schon lange. Ziemlich bescheuert was?" Er drückte die Zigarette aus und zündete sich eine neue an. Jojo wusste nicht, was sie sagen sollte und ließ ihren Blick im Raum umherschweifen. Dann trafen sich ihre Blicke und Naoki schaute noch immer finster drein. „Wolltest du kein Mädchen mehr an dich ranlassen?" „Ich hielt es für überflüssig. Mein Plan hat funktioniert, ich bekam was ich wollte und das auch noch ohne diesen ganzen Gefühlsmist." „Bis ich kam und alles wieder aufgewühlt habe." „Richtig. Aber es ist irgendwie okay, dir das zu sagen, denn du konntest das nicht wissen. Beschissen ist es trotzdem, weil ich nicht weiß, wie das weitergehen soll." Das traf Jojo und sie hatte gehofft, dass er sowas nicht sagen würde. „Hast du mich nur zu dir gebeten, um mir das zu sagen?" „Ja hab ich und jetzt muss ich mich betrinken, sonst werde ich verrückt." Fuck, fuck, fuck, was sollte sie machen? Naoki hatte sie nicht gebeten zu gehen, doch er hatte auch nicht gefragt, ob sie bleiben wollte. Deshalb nahm Jojo die Whiskyflasche vom Tisch, holte zwei Gläser und schenkte ein. Er sah sie fragend an und gerade wirkte er wieder wie einer dieser unnahbaren Bad Boys, das machte ihn nur anziehender. Er drückte den Playknopf der Fernbedienung und es erklang Musik. „Was hast du vor?" „Alleine trinken ist doch doof oder?" Er zuckte mit den Schultern und prostete ihr zu. Wie schaffte sie es Naoki wieder aufzumuntern? Dann stellte sie ihrer Meinung nach eine der dümmsten Fragen, wie man in einer solchen Situation überhaupt stellen konnte, doch ihr fiel auch nichts Besseres ein und sie fragte das auch nur, weil sie gern tanzte. „Sag mal, tanzt du eigentlich gern?" „Ist das jetzt eine Scherzfrage oder so?" Sie schüttelte mit dem Kopf und dann passierte etwas, mit dem sie nie im Leben gerechnet hätte. Naoki ging an seine Anlage, suchte irgendwas und schob eine CD in das Fach. „Schau zu und lerne." Hip Hop Musik erfüllte den Raum. Nicht irgendwelcher stupider Hip Hop, nein sowas, was man immer bei diesen ganzen Dance Shows hört und Naoki tanzte dazu. Jojo verschlug es die Sprache. Sein Körper schien eins mit der Musik zu werden und er beherrschte sogar die eine oder andere Breakdance Nummer. Das Mädchen war sowas von fasziniert und überwältigt zugleich. Dann sah er sie an und winkte sie zu sich. Etwas unsicher erhob sich Jojo mich und kam seiner Bitte nach. Sie spürte seinen warmen Körper und wehrte sich auch nicht, als er ihre Hand erfasste und sowas wie Walzer mit ihr tanzte, durch den ganzen Raum. Sie musste lachen, weil es ihr irgendwie lächerlich und lustig zugleich vorkam. Sie stolperte, doch Naoki fing sie auf und dann, etwas außer Puste landeten sie wieder an ihrer Startposition. Er verstellte etwas an der Anlage und die schöne Musik von vorher erklang wieder. „Wow, wo hast du so tanzen gelernt?", fragte sie noch immer völlig außer Atem. „Ich habe mit 10 angefangen und tanze noch immer. Wenn du willst nehme ich dich mal mit." „Gern. Ist jetzt eigentlich wieder alles gut zwischen uns?" Er lehrte sein Glas und füllte sich nach. Dann seufzte er tief. „Denk schon. Jojo, du bist echt süß und ich mag dich sehr, nur bitte sag sowas nie wieder zu mir. Ich bin nicht stolz auf diese Dinge, doch bin ich jetzt mit dir zusammen oder?" Sie nickte und verkniff sich die Tränen. „Ich hab das auch echt nicht so gemeint und ich wusste nicht, warum es so ist. Meine Güte wir kennen uns seit drei Wochen, mir kommt es schon viel länger vor." Jetzt endlich lächelte Naoki und zündete sich eine Zigarette an. „Tja, scheint wohl ne echt intensive Sache zwischen uns zu sein. Kennst du Buck Tick, die Band die grad läuft?" „Nee, klingt aber echt schön." „Mal ein bisschen was anderes und hat Züge von japanischer Volksmusik. Aber ich mag sie." Naoki bewegte seine Lippen und sang den Text mit. „Wie viel hast du eigentlich schon getrunken?" „Keine Ahnung, aber ein bisschen was schon, warum?" „Ich hab mich nur gefragt, wie du dann noch so gut tanzen kannst." Er grinste charmant. „Alles eine Frage der Körperbeherrschung." Jojo konnte Naoki einfach nicht oft genug anschauen, er war so wundervoll. Jetzt merkte auch sie den Alkohol auch ganz schön und würde gern ganz andere Dinge mit Naoki anstellen. Das gute war, dass heut erst Freitag war und sie somit noch das ganze Wochenende vor sich hatten. Kapitel 44: viele unschöne Überraschungen ----------------------------------------- Irgendwie wuchs Jojo das alles über den Kopf. Naoki beanspruchte seine Band in letzter Zeit sehr oft, deshalb sahen sie sich eher seltener. Und wenn sie sich trafen, war er meist total überdreht und wollte mir von den Dingen berichten, die sie heut bei der Probe ausprobiert hatten. Jojo jedoch verstand nur Bahnhof und wünschte sich doch nur einen Freund, der auch mal wieder Zeit für sie hatte. Immerhin blieben ihnen nur noch drei Tage. Jojo vermisste Lukas und ihre Familie. „Willst du wirklich gehen?", fragte Naoki. Sie zuckte mit den Schultern. „Irgendwann muss ich zurück. Ihr habt hier eure Band, aber was habe ich?" Das schien ihn etwas zu irritieren. „Du hast Juka und mich. Was ist deine Sorge?" Auf einmal war Naoki wieder total einfühlsam, was Jojo sehr rührte. „Ja ich habe euch, aber ihr steckt gerade viel Zeit in eure Musik und ich komme da irgendwie zu kurz. Ich brauch einfach mal eine Pause, verstehst du?" „Ich weiß nicht. Ich dachte immer, du bist glücklich hier?" Sie seufzte wieder. „Irgendwie schon, aber irgendwie hatte ich mir alles leichter vorgestellt und anders eben." Naoki schien sie nicht so ganz zu verstehen und warf ihr einen fragenden Blick zu. „Ist es nur, weil wir uns gerade so intensiv um die Band kümmern? Das wusstest du vorher, dass ich viel mit Musik beschäftigt bin. Es kommen auch andere Zeiten, wo ich wieder öfter Zeit habe. Und was ist mit uns? Ist dir das nicht wichtig?" Jojo war kurz vorm Heulen, weil Naoki alles falsch verstand. „Nein, verdammt, aber ich habe auch meine Prioritäten! Du hast deine Familie hier und ich nicht." „Okay, ich kann das schon nachvollziehen. Tue, was du nicht lassen kannst." Jetzt war sie wütend. Naoki schien nur an sich zu denken, denn wenn sie nicht mehr da war, fehlte ihm etwas. Naja, vielleicht konnte er dann so weiter machen wie vor ihrer Beziehung. Doch er beruhigte sich auch schnell wieder und sie verbrachten noch eine wunderschöne Nacht miteinander. Er bot sich sogar an, Jojo zum Flughafen zu fahren. Ein letzter Kuss und dann der Schock. „Ich wollte damit bis zum Schluss warten Jojo, ich weiß nicht ob ich das so kann. Wir werden lange getrennt sein, es ist vielleicht gut, wenn du dir wieder bewusster wirst, was du willst, nur scheine ich da gerade keine größere Rolle zu spielen. Ich will mit keinem Mädchen zusammen sein, das tausende von Kilometern weg wohnt. Ich wünsche dir viel Glück." Damit hatte sie sich tatsächlich nicht beschäftigt, was sie ohne Naoki tun würde. „Warum sagst du sowas?", wisperte sie. „Weil ich dich sehr lieb habe, aber man sollte einen Vogel nicht in einem Käfig gefangen halten. Vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder." Er drehte sich um und verließ Jojo, damit hatte sie nicht gerechnet. Der Flug erschien ihr unendlich lange und auch ihre Freundin Nina konnte sie nicht so sehr aufmuntern, wie sie es sich gewünscht hatte.   Sie besuchte alle, ihre Familie, ihre Freunde und zog mit Nina zusammen. Sie versuchte Normalität in ihr Leben zu bekommen, doch es fiel ihr sehr schwer. Endlich verwirklichte sie ihren Traum und studierte Japanologie, auch, wenn es irgendwie alte Wunden aufriss. Hier hatte sich in den letzten Monaten so viel verändert und es fiel Jojo schwer damit klarzukommen, denn so viel hatte sie bei ihrer Entscheidung außer Acht gelassen. Lukas war irgendwie oft recht kurz angebunden und hatte wenig Zeit für seine Schwester und Naoki hockte in Tokio. Sie würde nie mehr einen Jungen so toll finden und ihn konnte einfach keiner übertreffen. Jojo wollte nicht ständig rumheulen, denn schließlich hatte sie es so gewollt, deshalb versuchte sie daraus das Beste zu machen. Ihr Dad und Sonja waren sehr froh sie wieder bei sich zu haben und er hatte sich verändert. Jojo verbrachte viel Zeit mit ihrer Familie, weil sie irgendwie das Gefühl hatte, sie musste die verpasste Zeit nachholen. Doch das war falsch, denn die Zeit lief weiter und weiter und man konnte sie gar nicht nachholen. Bei ihrem Studium lernte sie einen Jungen kennen, Lucien und ihr entging auch nicht, dass er ein Auge auf sie geworfen hatte. Von Naoki hörte sie nichts mehr, als hätte es ihn nie gegeben. Nur mit Juka skypte sie ab und an mal. Schließlich traute sie sich ihn nach Naoki zu fragen. „Ihm geht es ganz gut." Das klang nicht gut, doch Jojo hatte das Gefühl, Juka wollte ihr keine weitere Auskunft geben. „Hat er wieder eine Freundin?" „Okay, ich wollte nichts sagen, doch jetzt muss ich das wohl oder übel tun! Natürlich hat er keine und weißt du auch warum? Deinetwegen! Ich sehe die ganze Sache anders Jojo...ich meine es ist okay, wenn du dein zu Hause vermisst, aber Naoki hat es sehr enttäuscht, dass du ihn nicht mal gefragt hast, ob er dich vielleicht begleiten will. Er mag dich wirklich und das tut er noch immer." „Na klar, als ob das alles so einfach wäre!", fuhr sie Juka an. „Einfach? Du weißt genau, dass es nie einfach war. Das sagst du nur, weil du wütend auf mich bist. Aber ich will dir keine Ratschläge erteilen, es ist dein Leben. Ich muss jetzt los." Jetzt wurde meine Abneigung Juka gegenüber immer größer und sie bereute es fast nach Japan geflogen zu sein. Das Gefühl, Lukas hintergangen zu haben, wurde immer schlimmer. Irgendwann musste sie es ihm sagen.   Sie beschloss Gras über die Sache wachsen zu lassen und sich auf ihr Studium zu konzentrieren. Mit Lucien ging Jojo ein paar Mal aus, blöderweise nahm er sie auch einmal mit zu sich nach Hause. Wie immer dachte sie sich nichts dabei. Die Wohnung erinnerte an eine echte Studentenbude mit wenigen Möbeln, einem Bett und einer Möchtegernküche. Aber naja, als Student war man eben nicht besonders wohlhabend. Lucien beschäftigte sich in seiner Freizeit mit Fotografie und wollte auch sie als Model gern mal aufnehmen. Zuerst hatte sie viel Spaß dabei, doch dann schlug er vor, dass sie sich ja ein bisschen mehr ausziehen könnte. Sie zeigte ihm einen Vogel und packte ihre Sachen zusammen. Was war das nur für ein ekelhafter Typ? Zu Hause fiel sie auf ihr Sofa und heulte eine Runde. Sie duschte, um diesen Ekel abzuwaschen. „Wer oder was ist dir denn heute über den Weg gelaufen?", fragte Nina, als sie zur Tür eintrat. Jojo erzählte ihr von Lucien und sie runzelte angewidert die Stirn. „Ich habe vorhin etwas gefunden. Aktuelle Bandfotots...schau ihn dir bitte an und sag mir, dass ich spinne." Jojo drehte den Laptop zu Nina und wartete auf ihre Reaktion. „Wow." Jojo nickte betrübt und ihr Herz schien zu zerspringen. Naoki auf Bildern zu sehen brachte sie fast um den Verstand. „Und du hast dich gar nicht mehr bei ihm gemeldet?" „Nee." „Ich meine ich steh nicht ganz so auf Japaner, aber der ist echt süß Jojo." „Und er hockt in Tokio." „Frag ihn doch, ob er dich besuchen kommt." „Macht er eh nicht." Nina sah sie vorwurfsvoll an und Jojo wusste, sie würde nicht locker lassen. „Na gut." Ihre Hände zitterten, als sie die Nachricht an Naoki verfasste. Ihre Freundin beobachtet sie, als würde sie es sonst nicht tun. Die Mädchen hockten beide total angespannt vor dem Bildschirm und warteten seine Antwort ab. Ganz unten im Fenster erschien dauernd Naoki schreibt, aber ehe etwas kam, schien eine Ewigkeit zu vergehen. Doch dann endlich. Sie klebten förmlich mit den Augen am Bildschirm. „Hey mein Zuckerpüppchen, es tut gut von dir zu hören. Hier ist gerade viel los und planen jetzt Konzerte. Ich habe also wenig Zeit mir Gedanken über Langweile zu machen. Deine Frage verwundert mich ein bisschen, nachdem du so schnell weg von mir wolltest und ich bin noch immer traurig darüber. Doch du fehlst mir...ich schau mal, vielleicht kann ich es irgendwie einrichten okay?" Die Freundinnen schauten sich an, doch Jojo war nicht ganz so zufrieden. Sie bat ihn zu kommen und er dachte vielleicht darüber nach? „Wenn dein Naoki so charmant ist, wie er schreibt, dann aber. Sowas findest du hier sicher nicht.“ „Und was ist, wenn er doch nicht kommt?" „Quatsch." Am nächsten Tag entschuldigte sich Lucien bei ihr und, wenn er nicht so blöd gewesen wäre, hätte Jojo ihn ganz niedlich gefunden. Doch solche Typen hasste sie und immer noch mit den Gedanken bei Naoki verzieh sie ihm. Er lud sie sogar auf ein Konzert ein und danach gingen sie tanzen. Naoki ließ tatsächlich von sich hören und er wollte schon am Wochenende da sein. Jojo war völlig von der Rolle, wie immer, wenn es sich um Naoki drehte. Sie beratschlagte sich stundenlang mit Nina, was sie anziehen könnte. Leider war auch Lucien noch immer irgendwie angetan von ihr, doch sie würgte ihn dauernd ab. Das gefiel ihm nicht, doch irgendwie schien er es einzusehen. Jojo wurde zum echten Nervenbündel und erst einen Tag vorher machte sie sich ernsthaft Gedanken, was sie Naoki wirklich zu sagen hatte. Sie war unsicher und auf einmal fühlte sie sich wieder wie vor ihrer Begegnung. Er als unnahbarerer Bad Boy und sie das kleine schüchterne Mädchen, das nicht im Stande war auch nur einen vernünftigen Satz über die Lippen zu bringen. Sie redete am Abend vorher stundenlang mit Nina über ihr Problem und erzählte ihr auch endlich ausführlich, warum sie Naoki verlassen hatte. „Aber deine Gefühle für ihn scheinen sich ja nicht geändert zu haben." „Das stimmt, aber wie soll das alles funktionieren? Selbst, wenn wir uns verstehen, muss er zurück nach Japan und ich bin noch nicht bereit wieder dort hin zu gehen. Ich möchte mein Studium beenden und außerdem, was ist, wenn ich irgendwann doch genug von ihm habe und mich andere Männer interessieren?" „Dann soll es vielleicht so sein, aber genieße doch das, was du jetzt hast. Meinst du nicht?" Juka kam mit Naoki nach Deutschland. Hoffentlich lief er Lukas nicht über den Weg. Und schon plagte Jojo wieder das schlechte Gewissen. Die beiden sahen wirklich unverschämt gut aus und Naoki hatte wohl beschlossen sich die Haare wieder wachsen zu lassen. Sie fielen sich in die Arme und sie nahm die beiden mit in ihre Wohnung. Nina war noch an der Uni und Juka wollte ein paar Leute besuchen gehen. Also hatten Jojo und Naoki die Wohnung für sich allein und sie war so aufgeregt wie noch nie. „Magst du was trinken?", fragte sie. „Ein Tee wäre toll. Ist grad voll das hässliche Wetter draußen." Sie stimmte ihm zu und setzte Wasser auf. „Schön, dass du da bist." Naoki lächelte, doch irgendwas daran war anders als sonst. Sie schauten sich lange und intensiv in die Augen. Das Teewasser kochte und Jojo setzte Tee auf. „Hast du hier deine Pläne alle verwirklichen können?", fragte er dann. „Naja, das Studium, das ich wollte, hab ich zumindest begonnen. Alles andere läuft irgendwie. Mein Dad hat sich voll gefreut, dass ich wieder hier bin. Und bei dir?" Wieder Schweigen. Was wollte Naoki denn von ihr hören? „Mh naja, alles beim Alten. Mit der Band läuft es super...die Mädels kommen und gehen...wie du siehst hat sich nichts geändert." Vor Schreck wäre ihr die Tasse fast aus der Hand gerutscht. Sie bekam nur einen heißen Schluck auf ihre Strumpfhose. Hatte er das ernsthaft gesagt? Soviel hatte ihm das mit also bedeutet? Jojo konnte es nicht glauben und kämpfte mit der bitteren Enttäuschung. „Wunderbar, wenn du deinen alten Lebensstil wiedergefunden hast. Das scheint dich ja sehr glücklich zu machen. Ich hab seid dem Studium auch voll viele Typen, die bei mir Schlange stehen. Übrigens, falls es dich interessiert, ich habe mit Japanologie begonnen, mit der Voraussicht eventuell wieder nach Japan zu kommen, aber das hat sich dann wohl von allein erledigt.", bemerkte sie zynisch. Naoki hingegen lächelte nur und schüttelte den Kopf. „Von deinem Temperament hast du nichts verloren...schön...doch das mit den Typen, die alle was von dir wollen, glaubt dir kein Mensch Jojo." „Und du? Du hältst dich wohl für total unwiderstehlich?! Oder erträgst du es nur nicht, dass dich eine Frau abgewiesen hat?",  fuhr sie Naoki jetzt wütend an. Heftig biss sie die Lippen zusammen, denn sie wollte ihm nicht die Blöße geben sie weinen zu sehen. „Warum tust du das Naoki?", wisperte sie. „Hör zu...das habe ich gerade nicht ernst gemeint. Ich hatte seit uns keine andere Frau mehr. Nur, als du damals weggegangen bist kam ich mir auch ein bisschen verarscht vor. Weißt du, wenn ich mies gewesen wäre, hätte ich das als Freifahrtsschein gesehen, doch das habe ich nicht. Irgendwie habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben und dann hast du geschrieben." Noch immer wütend funkelte sie Naoki an. „Du bist ein Arsch!", fauchte sie. „Na, hab ich dir gefehlt? Das tragische dabei ist, ich habe echt enthaltsam gelebt..." Noch bevor Jojo etwas erwidern konnte, waren seine Lippen auf ihren. Sachte drängte sie Naoki von sich weg. „Okay, hör zu Naoki. Du bist ein toller Mann, aber ich weiß nicht, ob ich je Teil deiner Welt sein kann, so sehr ich es auch möchte. Ich mag dich sehr und würde mir sehr wünschen, dass das zwischen uns funktioniert, doch ich bin nicht bereit eine Fernbeziehung zu führen. Ich möchte nicht in Japan leben und dein Platz ist nun mal nicht hier...also wird das nie richtig funktionieren und wir machen uns beide etwas vor, wenn wir denken, wir wären dem anderen etwas schuldig. Ich meine, ich fühle mich sehr geehrt, dass du meinetwegen auf Mädels verzichtet hast...doch das musst du nicht mehr. Du warst mein erster Freund und darüber bin ich sehr froh." Naoki ließ von ihr ab und schaute sie mit einem Ausdruck an, den sie nicht ganz deuten konnte. „Wow, sowas sagt mir eine 17 Jährige...vielleicht hast du Recht Jojo und ich mag dich auch sehr. Wahrscheinlich lässt es sich auch nicht vermeiden, dass wir uns ab und zu doch mal sehen...wegen Lukas und so. Komm, lass uns noch was trinken gehen, als gute Freunde. Und vielleicht kann ich dir ja trotzdem noch die eine oder andere Sache in Punkto Liebe beibringen." Jojo boxte ihn gegen seinen Arm und natürlich bekam sie das zurück. Sie hatten noch einen wunderschönen Abend und die Jungs blieben noch eine Woche, dann ging ihr Flug zurück nach Tokio. Naoki und Juka würden ihr fehlen, doch sie hatten ihr Leben dort und sie ihres hier. Nina verstand Jojo nicht und fragte sie, ob es ihr gut ging. Jojo öffnete eine Flasche Wein und setzte sich zu Nina. „Weißt du, Naoki ist toll, aber ich glaube, er wird nicht mein einziger Freund sein und ich will mich irgendwie noch nicht binden und im Moment steht das Studium an erster Stelle." „Okay, wenn das für dich so in Ordnung ist."   Es verging eine ganze Weile, in der nicht viel passierte. Jojo hatte ihre Lerngruppen, die sie regelmäßig besuchte, Klausuren und was eben dazu gehört. Sie repräsentierte das typische Studentenmädchen. Nebenbei jobbte sie in einem Buchladen, um ihr Leben bunter machen zu können und außerdem liebte sie Bücher. Sicher hatte sie sich ab und zu mit Jungs getroffen, doch irgendwie hatte sie eine magische Anziehungskraft auf Volldeppen. Naja, nichts überstürzen. Durch ihren Nebenjob beschäftigte sie sich viel mit Fantasy- und Mystikliteratur, denn die Figuren dort verkörperten das, was sie gern hätte. Völliger Schwachsinn, wie es ihre Freundin Nina immer so schön bezeichnete. Jojo schaute sich Serien wie Charmed oder Buffy an, da war Nina jedoch auch immer dabei. Insgeheim liebte sie diesen okkulten Kram auch, war nur zu feige es zuzugeben. Und ihr Lieblingsfilm war ganz klar Queen of the Damned. Eine Zeit lang standen die Jungs tatsächlich Schlange bei Jojo, doch sie beschloss dieses Kapitel erst einmal ruhen zu lassen. Mit Naoki hatte sie noch immer Kontakt und regelmäßig skypten sie miteinander, was in der Regel echt amüsant war. Ein toller Typ war er eben noch immer. Eines Abends besuchte sie mit Nina ihre Lieblingsbar. Sie lernte einen Kerl kennen und sie trat den Weg nach Hause an, weil das musste sie nicht den ganzen Abend sehen. Jojo holte ihre Jacke sowie die Handtasche und ging hinaus. Die Straßenlaternen gaben ein düsteres Licht ab, weil es neblig war. Schon ein bisschen gruselig. Bis zur Bahnhaltestelle waren es ein paar Meter zu Fuß. Jojo wurde das unruhige Gefühl nicht los, dass sie nicht alleine war und beschleunigte ihre Schritte. Na toll, die S-Bahn fuhr ihr gerade vor der Nase weg. Sie hockte sich auf die Bank und wartete auf die nächste. Immer wieder schaute sie unruhig in der Gegend umher und plötzlich tauchte dieser Typ neben ihr auf. Er sagte nichts, dennoch entging ihr nicht, dass er immer wieder zu ihr rüber schielte. Angst überkam Jojo und unauffällig zückte sie schon mal ihr Handy. Super Akku fast leer, das war ja mal wieder typisch. Bildete sie sich das nur ein oder stand der Typ jetzt näher bei ihr? Was sollte sie tun, zurück zur Bar rennen? Das war wohl die klügste Idee. Langsam erhob sie sich und lief den Weg zurück. Jojo musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass sie verfolgt wurde, also begann sie zu rennen. Auch der Typ rannte und leider gewann er zu schnell an Tempo. Bald holte er das Mädchen ein und rempelte sie gegen die Wand. Sie fiel hin und schlug sich das Knie auf. „Na du kleine Schönheit..." Dazu mehr zu sagen, kam er nicht, scheinbar hatte sie einen unbekannten Retter, doch das bekam sie nicht mehr mit, weil ihr schwarz vor Augen wurde.   Mit leichten Kopfschmerzen und einem schmerzendem Knie erwachte Johanna. Wie immer stieg sie ein wenig verpeilt aus dem Bett, um sich einen Kaffee zu kochen, doch als sie die Umgebung inspizierte landete sie gleich wieder in dem fremden Bett. Wo zur Hölle war sie? Und nach und nach lichtete sich der Schleier und ihr fiel wieder ein, was gestern passiert ist. Hatte sie dieser Typ doch mitgenommen? Unmöglich, da war noch ein anderer. Meine Güte, sie befand sich in einer Villa und jetzt erst wurde ihr bewusst, dass sie beobachtet wurde. „Ich hoffe dir geht es besser. Keine Sorge, du kannst sofort gehen, wenn du willst. Ich wusste nur nicht wo du wohnst." Jojo fiel die Kinnlade runter. Ein Mann. Ein wunderschöner Mann redete da mit ihr. Was? Sie konnte nicht denken, ihr Gehirn war nur Matsch und es schnürte ihr die Kehle zu. Er brachte ihr ein Glas Wasser. Seine schwarzen, langen Dreadlocks waren zusammengebunden und durch sein T-Shirt konnte man seinen Oberkörper erahnen. „Sorry, hab mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Levi." Sie schüttelte mit Kopf, um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Hallo...tut mir leid, ich bin noch etwas neben mir. Ich heiße Jojo...hast du mich gestern gerettet?" Levi nickte. „Was hast du da eigentlich ganz allein gemacht?" Sie trank einen Schluck. „Oh, ich war mit meiner Freundin in der Bar dort und dann wollte ich eher nach Hause. Danke, ich hatte echt schiss." Recht schnell stellte sie fest, dass Levi doch nicht in einer Villa wohnte, sondern nur in einer echt großen Wohnung. Alles war ein bisschen im afrikanischen Stil eingerichtet und sehr gemütlich. Draußen regnete es. „Ja um diese Uhrzeit muss man als Mädel vorsichtig sein. Möchtest du noch was essen oder so? Ich wollte mir gerade was kochen." Erst jetzt bemerkte sie das laute Knurren meines Magens. „Klar, gern...wenn es keine Umstände macht. Wohnst du alleine hier?" Levi bejahte diese Frage und sie folgte ihm die schmale Wendeltreppe nach unten.   Als Jojo dann endlich zu Hause angekommen war, wusste sie nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass sie ein Kerl noch einmal so um den Verstand bringen könnte. Sie erzählte alles, was gestern noch passiert ist, Nina. Und sie war völlig aus dem Häuschen, als sie erwähnte, dass Levi einen 67er Chevrolet Impala in schwarz fuhr. „Oh mein Gott Jojo, den musst du dir warm halten...apropos...dein Bruder hat vorhin angerufen. Vielleicht solltest du dich bei ihm melden." Der Gedanke an Lukas war schön und schlimm zugleich. Sie würde ihn gern sehen, doch wusste sie auch, dass sie ihm endlich erzählen musste, was in Tokio gelaufen war. Nina bemerkte ihre besorgte Miene. „Wird schon nicht so schlimm werden", munterte sie ihre Freundin auf. Jojo warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Da kennst du meinen Bruder aber schlecht. Was soll‘s, jetzt oder nie. Besser, als wenn er es von jemand anderem erfährt." Nina verzog sich auf ihr Zimmer und Johanna rief Lukas kurz an. Er hörte sich gut gelaunt an, wer weiß wie lange noch. Er schlug vor zu ihr zu kommen. Das fand sie okay. In ihrem Kopf wurde sie panisch, aber es war doch ihr Bruder, würde er sie deshalb hassen? Es klingelte. Lukas umarmte Jojo liebevoll wie immer und nahm auf dem Sofa platz. Er war umwerfend wie immer und die Beziehung mit Selene tat ihm sehr gut. Er grinste sie an und fragte, wie es ihr ginge. Sie erzählte ihm zuerst von Levi. „Wow, das klingt ja ganz danach, als wärst du hin und weg von dem Typ....und Dreads....nicht übel. Er bekommt auf jeden Fall einen Bonuspunkt, weil er dich gerettet hat. Aber jetzt erzähl erst mal von Tokio, was habt ihr alles gemacht?" Verdammt, sie hatte gedacht, dass sie ihn noch länger hinhalten kann. Jojo atmete tief durch. „Wir haben uns erst die Stadt angeschaut, dann waren wir shoppen und dann haben wir ein paar Leute kennengelernt." „Das klingt schön...Tokio ist echt verrückt, da ist es gut, wenn man jemanden trifft, der sich dort ein bisschen auskennt." Sie schwieg einen Moment, doch dann platzte es aus ihr heraus. „Lukas, wir haben Juka getroffen...mit ihm waren wir die ganze Zeit zusammen. Er hat uns mit auf Partys genommen und uns seiner Band vorgestellt." Plötzlich verfinsterte sich die Miene ihres Bruders, sie hatte es geahnt. Shit! Shit! Shit! „Ich hoffe ihr hattet viel Spaß miteinander." „Lukas, es tut mir leid...er war in diesem Kaufhaus und ich hab ihn nur begrüßt, was hätte ich denn machen sollen?" Er kaute auf seiner Unterlippe herum, wie immer, wenn ihm etwas nicht passte. „Soll ich dir diese Frage jetzt ernsthaft beantworten? Jojo, ich kann und werde dir nicht verbieten mit ihm rumzuhängen, aber mich verletzt es, dass du es getan hast...bin ich dir so egal?" Scheiße, das war schlimmer, als erwartet. „Nein, bist du nicht...es war halt cool jemanden zu kennen und ich hatte was mit seinem Gitarristen." Jetzt schaute sie Lukas geschockt an. „Mit Naoki? Der alles und jeden vögelt? Bist du eigentlich völlig bescheuert?" „Es ist alles okay...wir hatten was und jetzt ist es vorbei...." Lukas schüttelte nur mit dem Kopf. „Dann kennst du ja jetzt die High Society von Tokio, gratuliere. Weißt du was mich sauer macht Jojo? Mich machst du noch dumm an, dass ich mich mal wieder raffen soll, nachdem mich Juka so scheiße behandelt hat und dann triffst du dich mit ihm? Das kapier ich nicht...wirklich nicht. Und falls es dich beruhigt, dieser Kerl hat sie nicht mehr alle, er wollte mir einreden, dass ich mich nicht von ihm lossagen kann und wollte sich mir aufdrängen....er hat mich gebrochen, mich an den dunkelsten Abgrund geführt und mich in einem Scherbenhaufen zurückgelassen....und du ziehst mit ihm um die Häuser." Heiße Tränen rannen ihr jetzt über die Wangen, weil Lukas recht hatte und als sie sich ins Gedächtnis rief, wie sie ihn damals erlebt hatte, wurde ihr ganz anders. Sie hatte wirklich Angst ihren geliebten Bruder zu verlieren. „Lukas, es tut mir so leid...ich weiß auch nicht was ich noch sagen soll. Ich weiß, dass es falsch war und ich will nicht, dass du denkst, du bist mir unwichtig." „Und dann noch Naoki...er ist echt ein Arsch Jojo und ich hoffe er hat dich nicht mies behandelt, sonst könnte ich nicht mehr an mich halten. Ich hab noch zu tun, mach dir mit Nina noch einen schönen Abend." Völlig aufgelöst ließ Lukas sie zurück.   Schließlich hielt sie es nicht mehr aus und beschloss Lukas einen Tag später besuchen zu gehen. Jojo musste noch ein weiteres Mal mit ihm reden. Irgendwie würde er schon einlenken, hoffte sie. Doch als sie an seinem Haus ankam, traf sie nur auf Selene. Ehrlich gesagt schüchterte sie Jojo ein bisschen ein, weil sie so perfekt zu sein schien und sie war sich nie ganz sicher, ob sie sie mochte oder Lukas zuliebe nur so tat. Doch jetzt glänzte ihr Bruder mit seiner Abwesenheit und Jojo war allein mit ihr. Irgendwie unangenehm. Dennoch empfing sie das Mädchen freundlich. „Ist Lukas nicht da?", fragte sie dann. Sie verneinte die Frage. „Aber er wollte bald zurück sein. Wenn du magst, kannst du solange warten." Jojo setzte sich auf einen der Barhocker in der Küche und drehte Däumchen. Selene schien auch nicht ernsthaft an einem Gespräch mit ihr interessiert zu sein und deshalb verging die Zeit im Schneckentempo. Sie legte sich schon mal zurecht, was sie noch sagen wollte und dann, als hätte er es geahnt, rief Juka an. Sie teilte ihm mit, dass der Zeitpunkt gerade echt beschissen war, doch ihn schien das nicht zu interessieren. Er wollte unbedingt mit ihr reden, also schlug sie ihm vor, sich später zu treffen, erwähnte jedoch dummerweise, dass sie gerade bei ihrem Bruder war. Lukas empfing Johanna nicht weniger freundlich als Selene und zu ihrer Schande kreuzte Juka auch auf, weil es ihm wirklich dringend zu sein schien. Jojos Bruder bat ihn nicht einmal ins Haus. Juka winkte ihr zu, als er sie durch den Türspalt hindurch erblickte. Jojo musste den Blick ihres Bruders nicht sehen, um zu wissen, dass er echt geladen war. „Kann ich kurz mit deiner Schwester reden?" Lukas ließ in ein und sein Gesichtsausdruck ließ Jojo erschaudern. Als wäre seine Schutzhülle zusammengebrochen und diese Mischung aus Schmerz und tiefer Sehnsucht in seinen Augen. Es traf ihn also noch immer. Was sollte Selene nur von all dem Szenario hier halten? „Juka, es ist okay. Du gehst wohl besser und ich kann mich nicht weiter mit dir treffen...ich will es nicht", stammelte Johanna. Plötzlich änderte sich seine Miene und er wandte sich Lukas zu. „Was hast du ihr erzählt mein Hübscher? Dass du nicht möchtest, dass sie mit mir zusammen ist, weil ich dich ruiniert habe?" Ihr blieb der Mund offen stehen. Lukas blieb eiskalt, doch seine Fassade hatte bereits zu bröckeln begonnen. „Juka verpiss dich und lass die Finger von meiner Schwester. Ich bin fertig mit dir, warum kannst du es nicht einfach gut sein lassen." „Schade, ich wollte sie nur fragen, ob sie nicht Lust hat wieder mit nach Tokio zu kommen." „Du bist ein Psychopath Juka...also geh, bitte." „Hast du etwa Angst vor mir? Das bricht mir das Herz." Jukas Stimme trifte nur so vor Sarkasmus und Jojo fiel wieder auf, dass nicht nur ihr Bruder Qualen litt. Jetzt sprang Lukas seine Schutzhülle und man schien fast zu merken, wie sie in tausend Teile zerbarst. „Ich ertrage dich nur einfach nicht....du bist wie ein widerliches Insekt, dass immer wieder versucht seine Fühler auszustrecken und nicht wahrhaben will, dass es gewisse Dinge nicht mehr haben kann." Der Hass in der Stimme ihres Bruders war schon fast angsteinflößend. „Willst du mir jetzt weiß machen, dass es deine kleine Freundin hier geschafft hat dich wieder aufzupäppeln? Gratuliere, eine Glanzleistung. Doch Luki, du wirst niemals vergessen, was zwischen uns war...du kannst es niemals vergessen." Es war erstaunlich was für eine Wirkung Juka noch immer auf Lukas hatte. Und jetzt kam sich Jojo mehr als schäbig vor. „Ich kann es vielleicht nicht vergessen, das ist richtig, aber du hast mir dadurch nur gezeigt, wie viel Lebensgeist wirklich in mir steckt. Ich war kurz davor, allem ein Ende zu setzen Juka, doch ich habe es nicht getan und diese Kraft hat dich immer schwächer werden lassen. Du bist ein Nichts in meiner Welt. Ein trauriger junger Mann, der ewig nach Anerkennung sucht, weil er damals von seinem Vater verstoßen wurde...leider wirst du diese Anerkennung niemals bekommen..." Das alles war wie in einem schlechten Film. Lukas schlug zurück und das mit Erfolg. „Wage es nicht von ihm zu reden", fauchte Juka. „Ohhh, weil dir das nahe geht? Wie fühlt sich das an Juka? Beschissen oder? Ich könnte noch weitermachen, aber das ist unter jeder Würde. Und ja, ich behalte dich in Erinnerung, allerdings den Juka, den ich mal geliebt habe und nicht das arrogante, selbstverliebte Arschloch, das du jetzt bist." Die Stimmung schien sich immer mehr aufzuladen und es war fast so, als kam es endlich zu dem Gespräch, was die beiden schon lange hätten führen sollen.   Ich dachte ich hätte Juka überwunden, ich dachte, ich würde nichts mehr für ihn empfinden, doch jetzt, da er so vor mir stand, war ich gebannt von seiner Schönheit. Gerade war er mehr Sepiroth und meine Wunde, die Selene so liebevoll geflickt hatte, brachen wieder auf mit all ihren Gefühlen. Ich durfte mir jedoch nichts anmerken lassen. Juka stand vor mir, wie ein Häufchen Elend. Ich hatte nicht vorgehabt ihm das alles zu sagen, doch der Zufall wollte es so. Juka schluckte und warf mir einen sehnsuchterfüllten Blick zu, dem ich kaum mehr standhalten konnte. „Du hast Recht...Luki, ich wollte das alles nicht...ich wollte mit dir zusammen sein, doch dann hab ich das von dir und Selene gehört und mir ist eine Sicherung durchgebrannt...ich habe alles zerstört..." Juka hielt sich die Hände vors Gesicht und schluchzte. Jetzt tat er mir fast leid. Er wollte gehen, doch ich wusste, dass ich ihn noch nicht gehen lassen konnte und wandte mich Juka erneut zu. Es war jetzt besser mit ihm allein zu sein und wir gingen zur Couch am Pool. „Kommst du mit eine rauchen?", fragte ich. Juka sah mich an wie ein kleiner Junge, der nicht mehr weiter wusste. „Ich verstehe nicht ganz, was das gerade soll...ich habe dich zerstört und du weist mich dennoch nicht zurück." Ich schwieg eine Weile und zündete mir eine Zigarette an. Dann musste ich grinsen. „Oh nein Juka, du hast mich nicht zerstört...zweifellos, ich war echt nah dran, doch mir geht es so fabelhaft wie schon lange nicht mehr. Und es liegt nich an dir, dass es mir so gut geht. Komisch, dass ich immer gedacht habe, wir wären das perfekte Paar", log ich. Doch tief in meinem Inneren wusste ich, dass nur Juka allein mich komplett machen konnte. Er nahm einen tiefen Zug und lächelte traurig. „Sieht so deine Rache aus? Willst du mir unter die Nase reiben, du hättest mich nie geliebt?" „Das habe ich nich gesagt. Ich will nur, dass du endlich aufhörst dich in mein Leben einzumischen. Ich hasse dich auch nich, aber ich denke unsere Wege trennen sich hier endgültig. Das solltest auch du dir eingestehen." Wir sahen uns lange an und rauchten noch zu Ende. Dann war ich bereit ihn gehen zu lassen und er hatte begriffen, dass in meinem Leben kein Platz mehr für ihn war. Das redete ich mir zumindest solange ein, bis ich es selbst fast glaubte. Doch er zog mich noch ein letztes Mal an sich und es fühlte sich so gut und so vertraut an in seinen Armen zu liegen. Seinen Geruch einzuatmen und in Erinnerungen an schönere Tage zu schwelgen. Wenn es auch nur dieser kurze Moment war. Ich seufzte als er weg war, doch erleichtert war ich keineswegs. Die Kälte kehrte zurück und dort auf meinen Hüften, wo bis eben noch Jukas Hände gelegen hatten, blieb der süße Schmerz zurück. Schmerz den ich keine Minute länger ertrug. Wütend trat ich gegen das Sofa und fegte mit einer Handbewegung den kleinen Tisch leer. Aschenbecher und leere Flaschen hinterließen Scherben. Immer blieben Scherben zurück oder Narben. Mit zittrigen Händen griff ich nach dem abgebrochenen Flaschenhals und ritzte meine Haut auf. Zuerst drang kein Blut aus der Wunde, deshalb folgte ein weiterer Schnitt. Und noch einer. Erst jetzt, als eine leicht klaffende Wunde blieb, erreichte der Schmerz mein Gehirn. Meine blutüberströmte Hand begann zu zittern und das Folterinstrument glitt mir aus den glitschigen Fingern. Das war jetzt das zweite Mal in den letzten Monaten. Kraftlos blieb ich am Boden liegen und ergab mich diesem Gefühl. Gebrochen, mit schlurfenden Schritten und völlig ausgelaugt kehrte ich ins Wohnzimmer zurück. Ich machte mir nicht die Mühe meine Schnitte am Arm zu verstecken. Selene war in Tränen ausgebrochen und meine Schwester versuchte sie ein bisschen zu trösten. Doch ihre Augen nahmen einen entsetzten Ausdruck an, als sie mich sah. „Er steht also nicht mehr zwischen uns, schon klar", wisperte Selene erzürnt. „Selene, ich hab nie behauptet, wir wären ein Paar. Und das gerade war ein Rückschlag zu tausendfach. Sorry, aber ich fürchte niemand kann ihn ersetzen." Jetzt wurde sie wieder ruhiger und wischte ihre Tränen weg. „Naja, wenigstens gibst du es endlich zu!" Ich zuckte mit den Schultern und setzte die Wodkaflasche an. Auf dem Glas blieb ein blutiger Handabdruck. „Dir ist echt nicht mehr zu helfen…macht es dir eigentlich Spaß, Menschen die dich mögen, zu vergraulen?" „Dann lass mich doch in Ruhe..." Sie schüttelte nur genervt mit dem Kopf. „Ich hab versucht dich zu verstehen…ich dachte wir haben dieselben Probleme…aber du willst dir ja gar nicht helfen lassen, stimmt‘s?" Traurig schüttelte ich mit dem Kopf. „Weißt du, kaum ist Juka weg, brichst du zusammen, verletzt dich und drehst durch! Man könnte fast meinen, dir gefällt das. Und denk jetzt ja nicht, dass ich diese Scheiße unterstütze!" „Du bist sauer okay…ja das is meine Art mit dem Schmerz klarzukommen…als ob du nich wüsstest wie das is…wenn ich könnte würde ich diese verfickten Gefühle ausschalten Selene, aber ich kann es nich! Und abgeseh’n davon, wolltest du nich unbedingt Mutter Theresa spielen? Mich retten? Ich kann dir gratulieren, du hast gerade versagt.“ „Fuck Lukas…du stürzt dich noch ins Verderben, aber schön…ich will dich auch gar nicht mehr retten, denn du ist wahrhaftig ein hoffnungsloser Fall." Plötzlich machte meine kleine Schwester einen Schritt auf Selene zu und verpasste ihr eine heftige Ohrfeige. „Bis eben hast du mir noch leid getan. Jetzt nicht mehr. Wage es ja nicht noch einmal so mit meinem Bruder zu sprechen! Vielleicht solltest du dich verpissen!“ Ich glaubte nicht recht zu hören und so hätte ich meine Schwester niemals eingeschätzt. Sie hatte also auch noch Hoffnung für Juka und mich? „So, du verteidigst deinen Psychobruder also? Johanna siehst du denn nicht, dass er sich so kaputt macht?", stammelte Selene und lächelte traurig. „Das werde ich nicht zulassen! Aber ich glaub du tust ihm nicht gut. Auch wenn du gut im Bett bist…Juka wirst du niemals ersetzen." Meine Schwester nickte etwas verlegen. Selene schnappte ihre Sachen und verschwand. Ich ging eine rauchen und mein kleiner Schatten folgte mir. Aus der Wunde sickerte noch immer Blut und ich sollte den Schnitt verarzten, wenn ich nicht gleich umkippen wollte. Deshalb verschwand ich kurz ins Bad. Jojo musterte mich, als ich zurückkehrte. „Lukas...es tut mir echt leid, das alles hier. Ich konnte ja nicht ahnen, dass Juka her kommt...weißt du, ich hab mich in Tokio mit ihm unterhalten und ja, ich hab ihn eine Zeit lang gehasst, aber jeder macht Mal Fehler oder?" Ich nahm einen tiefen Zug und schaute Jojo an. „Was hat er dir gesagt Jojo?" Jojo lächelte schwach. „Er ist traurig…genau wie du und es schmerzt ihn…Juka liebt dich wirklich." Ich drückte die Zigarette aus und schlang meine Arme um Jojo. „Ich wollte nie, dass du mich so siehst…so kaputt…es tut mir leid Jojo.“ Sie zog mich mit sich ins warme Wohnzimmer und bestellte Pizza. Meinen Wodka nahm ich mit zum Sofa. „Kannst du dich noch dran erinnern, wie ich früher immer zu dir gekommen bin, wenn sich Mama und Papa gestritten haben?“ „Klar. Da war irgendwie noch alles okay…auch wenn es beschissen war, wenn sie sich gezofft haben. Ich konnte für dich da sein.“ „Und genau das ist der springende Punkt. Jetzt kann ich mich endlich mal erkenntlich zeigen…ich bin für dich da. Dir geht’s gerade mieser als mies und ich fühle mich mit verantwortlich.“ Ich trank noch einen kräftigen Schluck und zündete mir eine Zigarette an. „Nein bist du nich…ich hab ein Problem Jojo und zwar kein kleines…sowas tut kein normaler Mensch mit gesundem Menschenverstand. Und ich versteh Selene, weil ich gerade nich Mal selbst mit mir leben kann. Es is wie damals…nur stoße ich selbst den einzigen Menschen, der mir wirklich helfen könnte, von mir.“ „Dann werde ich alles dafür tun, um dich wieder aufzubauen…Hör auf dauernd zu denken, ich könnte das nicht ertragen. Ich hab dir schon Mal gesagt, dass ich kein kleines Mädchen mehr bin und ich lass dich nicht noch einmal fallen.“ Das würde ich wohl nie in meinen Kopf bekommen und doch fruchteten Jojos Worte. Sie wollte wirklich für mich da sein und das tat gut. Aber das machte mir auch mehr als deutlich, dass ich jetzt vermutlich meinen großer starker Bruder Status verspielt hatte. Doch war das gerade noch wichtig? Da ich mein Tanktop sehr weit geschnitten war, entgingen meinem Schwesterchen die anderen Narben auch nicht. Sie schaute mich mit einer Mischung aus Entsetzen und Mitgefühl an. Das erste Mal in meinem Leben kamen mir vor Jojo die Tränen. „Du kannst dir nich vorstellen, wie viel mir das gerade bedeutet meine kleine. Aber ich weiß grad nich, ob ich das schaffe…dein Gesichtsausdruck eben sprach Bände.“ „Ja,…ist das nicht schmerzhaft? Ich meine gerade da an der Brust…“ „Natürlich isses schmerzhaft…aber erträglicher als mein kaputtes Herz.“ „Scheiße…okay, dann versuche ich Mal dich aufzupäppeln…zuerst wird der Wodka durch Tee ersetzt. Pizza kommt gleich und dann darfst du den Film aussuchen.“ Ich hielt ihr die Flasche freiwillig hin und sie öffnete dem Lieferdienst, der wenige Minuten später klingelte, die Tür. Kapitel 45: Seelenfrieden? -------------------------- Eine Woche später. Auch mit meiner Mum söhnte ich mich so mehr oder weniger aus. Warum sollte ich es nicht versuchen, immerhin bemühte sie sich sehr und hatte ich mir das nicht immer gewünscht? Sie war jetzt ein halbes Jahr hier und dann wollte sie mit ihrem James wieder zurück nach Schottland. Sie besuchte mich oft und bekochte uns. Jojo und Nina kamen deshalb auch oft zu Besuch. Gerade als wir noch nach dem Essen gemütlich beisammen saßen, klingelte mein Handy, es war Flo, der fragte, ob ich zu Hause sei und dann augenblicklich wieder auflegte. Das war mal komisch. Erstens, weil sich mein Freund gerade eigentlich in Tokio befinden sollte und zweitens, er nicht so wie sonst geklungen hatte. Ich erklärte die Situation kurz und wartete ab. Plötzlich klingelte es und Flo stand mit seinem ganzen Gepäck in der Tür. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen musste etwas Schreckliches passiert sein. „Darf ich reinkommen? Ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen soll", sagte er mit belegter, zittriger Stimme. „Ja natürlich", entgegnete ich. Jetzt bekam ich es wirklich mit der Angst zu tun. So hatte ich meinen besten Freund noch nie zu Gesicht bekommen. Ich warf meinen Gästen, insbesondere Jule einen besorgten Blick zu. Ich nahm Flo seine Tasche ab und führte ihn in mein Zimmer hoch, da ich nicht genau wusste, was er mir vielleicht erzählen wollte, wenn überhaupt. Er ließ sein Gepäck an Ort und Stelle fallen und fiel mir um den Hals. Mir wurde immer mulmiger zumute und ich traute mich kaum ihn zu fragen, was passiert war. „Lukas...ich will sterben...Kami is tot..." Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. „Ach du scheiße!", entfuhr es mir und mein Puls beschleunigte sich. Wenn ich mit allem gerechnet hätte, nur damit nicht. Gedanklich hatte ich mir schon ausgenmalt, wie ich Kami verprügelte, weil er meinen Flo in den Wind geschossen hatte, doch einen Toten konnte man leider nicht zur Rechenschaft ziehen. Wir setzten uns auf den Balkon, denn ich brauchte jetzt frische Luft. Flo baute sich von meinem Zeug einen Joint. Ich eilte schnell in die Küche und holte meinen Not-Schnaps aus dem Kühlschrank. „Ich erzähl euch später alles, wartet nicht auf mich. Danke fürs Kochen Mama..." Nach einem Moment des Zögerns drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange. Sie warf mir einen skeptischen Blick zu, wahrscheinlich wegen dem Schnaps. „Keine Sorge, der ist dieses Mal nicht für mich...ich muss mich jetzt um Flo kümmern." Im Sprint rannte ich wieder in mein Schlafzimmer, weil ich nicht wusste, zu was mein lieber Flo gerade alles fähig war. Doch er saß noch immer auf dem Balkon und rauchte seinen Joint. Glück gehabt. Ich hielt ihm den Schnaps hin. „Und wäre dieser beschissene Juka nich gewesen...er is so ein verficktes Arschloch!" Oh oh, da war jemand richtig wütend. „Erzähl mir mal was Neues...Juka is erst so geworden...willst du mir verraten, was passiert is." Jetzt kamen Flo die Tränen und er reichte mir den Joint. Seine Hände zitterten. „Ich weiß nich...glaub ich kann nich drüber reden...sei froh, dass ich überhaupt hier angekommen bin. Unterwegs boten sich mir so viele Gelegenheiten mich umzubringen..." Ich atmete tief ein und wieder aus. „Ich bin stolz auf dich, dass du es nich getan hast Süßer...denn wem soll ich sonst blöde Namen geben? Komm mal her." Flo rückte näher zu mir, setzte sich mit dem Rücken vor mich, sodass ich die Arme um ihn legen konnte. „Lukas, Kami ist tot...ich will das nich glauben...aber ich hab's gesehen. Die waren gerade bei nem Videodreh und da wollte er wie ein Engel von der Empore herabschweben...eigentlich war er mit Gurten und nem Seil gesichert...aber irgendein Vollidiot hat den Karabiner nich zugedreht und er ist abgestürzt...das war zu viel für mich", schluchzte Flo. Auch ohne, dass er den Vollidioten beim Namen genannt hatte, wusste ich, dass er nur Juka meinen konnte. Dem ging es wohl genauso schlimm, immerhin war er Schuld am Tod seines besten Freundes. „Das klingt richtig übel." Flo reichte mir den Joint. „Kannst du Sanatorium von Metallica rein machen?" „Kann ich schon, ich hab nur ein bisschen Angst dich allein zu lassen." Flo drehte seinen Kopf und zeigte mir einen Vogel, also kam ich seinem Wunsch nach. „Es war eine gute Idee zu dir zu kommen...ich wüsste echt nich, zu wem ich sonst hätte gehen sollen. Wobei ich mir jetzt auch echt gern das Gehirn wegballern würde." „Flo, hör auf mit dem Mist...das endet nur mit einem Horrortrip und das willst du nich." Er nickte und nahm stattdessen einen kräftigen Schluck aus der Flasche. „Ey, ich glaub ich muss Juka umbringen Lukas...Kami, meinen Kami...ich glaube ich hätte ihm dieses Jahr echt nen Antrag gemacht...fuck, warum passiert so ne Scheiße überhaupt?" Wieder trank er vom Schnaps. Ich kannte Flo gut genug, um zu wissen, dass er sich gerade echt in diese Sache hineinsteigerte. Das würde vermutlich eine lange Nacht werden. „Ich kann's dir nicht sagen, aber es hat auch sein Gutes...du bist wieder hier." Flo löste sich aus meiner Umarmung. Der Wirkung des Schnapses nach zu urteilen, hatte Flo heute entweder noch nichts oder wenig gegessen. „Ja aber unter welchen Umständen? Es ist verdammt beschissen, dass Kami tot is...er is tot Lukas...tot!!" Okay, jetzt war er kurz vorm Ausflippen. Ich nahm ihm die Flasche weg und versuchte ihn wieder aufs Sofa zu bekommen. „Flo, bitte beruhige dich...ich weiß, es is heftig...das mit Kami is furchtbar und ich muss mich auch beherrschen, er war auch mein Freund...aber ich wollte damit nur sagen, dass es das Beste war zu mir zu kommen...du hast mir gefehlt, verstehst du?" Zum Glück, Flo beruhigte sich wieder. „Echt? Ich hab dir gefehlt?" „Klar. Wenn einer noch chaotischer is als ich is, bist du es...deshalb hast du gefehlt Flo...es macht ja keinen Spaß alleine Chaos anzurichten. Und glaub mir, ich weiß, wie schlimm es is jemanden zu verlieren, aber sind Freunde nich dazu da, einen wieder aufzubauen?" Flo kamen erneut die Tränen. „Und du bist der beste von allen Lukas...ich glaub ich muss ein bisschen schlafen." Ich bugsierte ihn in mein Bett, war schließlich nicht das erste Mal. Der Arme musste wirklich am Ende sein, denn es dauerte keine viertel Stunde, bis er einschlief. Leise stahl ich mich aus meinem Zimmer und gesellte mich wieder zu meinen Gästen, ohne jegliches Zeitgefühl. Alle schauten mich erwartungsvoll an, doch auch ich musste erst mal wieder klarkommen. Ich seufzte. „Bevor ihr mich alle nervt, Kami hatte einen Unfall und ist tödlich verunglückt. Es ist wohl besser wir machen Schluss für heute." Die Erwartung in allen Augen verwandelte sich in Entsetzen. Meine Mum fuhr Jojo und Nina nach Hause. Mir schnürte es noch immer die Kehle zu und ich musste das erst einmal verarbeiten.   Ich war mir nicht sicher, wie Flo es schaffte so gute Laune zu haben, denn immerhin war seine größte Liebe gestorben. Er hatte seine Haare abrasiert und nur seinen altbekannten Iro stehen lassen. Den musste ich ihm grün färben, wie früher. Ich befürchtete noch immer, irgendwann würde der Moment kommen, in dem er völlig ausrastete und ihn seine Gefühle überrannten. Deshalb wich ich nicht von seiner Seite. Er zeigte mir zwei neue Songtexte und spielte mir auch die Melodie vor. Unerwarteter Weise war diese recht fröhlich, wenn man den Text außer Acht ließ. Doch ich war beeindruckt. Flo bestand auch darauf seine Lieder dieses Mal selbst zu singen, dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Wenn wir denn mal zusammen saßen und uns unterhielten, verdeutlichte er mir immer wieder, wie gern er mich doch hatte und mehr als froh über meine Gesellschaft war. Das lenkte mich glücklicherweise von meinen eigenen Problemen ab und mehr als einmal juckte es mich in den Fingern, weil ich gern gewusst hätte, wie es Juka ging. Wir tobten uns im Underground aus, stylten uns und zogen los. Flo schien sich richtig die Kante geben zu wollen, was ich ihm irgendwie nicht verübeln konnte. Er trank und tanzte und trank und tanzte und ein paar Leute musterten ihn leicht argwöhnisch, außer ein Mann, etwa in unserem Alter. Wahrscheinlich war er ein großer Fan von Eric Draven, denn er hätte locker sein Doppelgänger sein können. Vielleicht hätte man so Brandon Lees Tod verhindern können.   Der Boden begann zu schwanken, doch das war Flo egal. Er ließ so irgendwie seine Gefühle frei. Da stand auf einmal dieser The Crow Typ vor ihm und wollte ihn auf einen Drink einladen. Flo lehnte natürlich ab, denn Kami war der einzige Mann gewesen, den er je haben wollte. „Das ist wirklich Schade, du bist ein Hübscher." „Sorry is nicht drin heut", verabschiedete er sich von ihm und gesellte sich zum zweitschönsten Mann in diesem Raum. Würde es Lukas nicht geben, hätte er jetzt mit Sicherheit schon eine Überdosis Koks oder sowas intus. Der Gedanke, sich einfach das Gehirn wegzuballern wuchs mit jeder Minute und Lukas wusste das. Aber war vielleicht auch gut so. Immerhin hatte er was zum Kiffen dabei und Flo gab ihm zu verstehen, dass er das jetzt dringend bräuchte. Die beiden gingen an die frische Luft ein bisschen weg vom Eingang und es tat unheimlich gut. Flo erzählte Lukas von dem Typ. „Vielleicht solltest du aber auch mit ihm etwas trinken geh‘n. Was hast du zu verlieren?" Er zuckte mit den Schultern und nahm einen tiefen Zug. „Der will doch eh bloß vögeln und das kann ich nich." Lukas sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ja früher oder später suchst du dir bestimmt jemanden...Flo, versuch doch einfach ein bisschen Spaß zu haben. Früher hast du dich immer beschwert, dass dich in nem Club nie ein Schwuler anmacht. Jetzt is genau das passiert und du lässt ihn abblitzen?" Flo hasste Lukas für seine diplomatischen Aussagen und je higher er war, desto besser wurde er darin. „Mann, das war alles vor Kami, ich bin einfach noch nicht so weit. Ich hab ihn über alles geliebt und tue es noch immer. Ich kann jetzt mit keinem anderen rummachen." Er lehnte sich an Lukas Schulter und dieser nahm seinen Freund in den Arm.   Ich wollte ihm ja nur helfen, aber er war selbst alt genug um zu wissen, was gut für ihn war. „Lass uns wieder rein geh‘n Süßer." Gerade wollten wir wieder in den Club, als Flo von irgendwem gerufen wurde. Wir drehten uns um und irgendwoher kannte ich diesen Jungen. Seine Statur war etwas stämmig und er trug ein weites Shirt über seiner Baggy. Auch Flo starrte den Jungen unverfroren an. Dann schien es ihm wie Schuppen von den Augen zu fallen. „Kevin? Bist du das etwa?" Kevin hieß Flo sein jüngerer Bruder, aber konnte der schon so groß sein? Stürmisch umarmte er seinen großen Bruder und Flo schreckte ein bisschen zurück. Dann war auch ich an der Reihe. „Ey Mann, ich hab immer wieder versucht Kontakt mit dir aufzunehmen, aber du warst wie verschollen. Du hast dich echt nochmal krass gewandelt und voll stoned bist du auch..." Flo stoppte seinen Bruder in seiner Euphorie. „Kev...stopp Mal. Wie hast du mich überhaupt gefunden?" „Vor kurzem hab ich den Inhaber vom Underground kennengelernt und irgendwie sind wir auf eure Band gekommen...er hat mich heute angerufen, als er wusste, dass du da bist." „Schön. Jetzt hast du mich gesehen und du kannst wieder nach Hause gehen." „Was? Freust du dich nicht mich zu sehen. Es ist fast 10 Jahre her...liegt dir denn nicht mal was an mir?" Flo und seine Familie war schon immer ein heikles Thema gewesen und ich würde fast meinen, es war noch schlimmer als bei mir. Auch, was aus Kevin wird, hat ihn nie großartig interessiert. Flo hatte schon immer für seine Freunde und die Musik gelebt. „Warum sollte mir was an so nem Arschkriecher wie dir liegen? Du warst doch immer der kleine Süße, der von allen verhätschelt wurde und ich nur immer der drogenabhängige Versager. Was also hast du hier zu suchen?", fragte Flo sehr energisch und genervt. „Arschkriecher? Wie kannst du sowas nur von mir denken? Nimmst du noch Drogen? Ich hatte schon befürchtet, du könntest an einer Überdosis gestorben sein. Flo, ehrlich, ich bin anders und ich suche dich bestimmt schon seit zwei Jahren." Ich merkte, wie mein Freund etwas entspannter wurde. „Kev, selbst wenn...mein Leben ist nichts für dich...ihr seid mir alle egal." Irgendwie tat mir Kevin leid, denn Flo konnte echt ein Sturkopf sein. „Ich hab Koks dabei...hat mir son Typ neulich verkauft." Flo hielt Kevin den Mund zu. „Bist du bescheuert, sag's halt noch lauter. Hast du das schon mal genommen oder was?" Kevin grinste breit und nickte. Seine Stimme wurde jetzt leise und geheimnisvoll. „Sorry, wir könnten in eine Ecke geh'n oder auf die Toilette." Flo zeigte ihm einen Vogel. „Geh nach Hause und spiel mit deinen Autos oder so, aber lass mich in Ruhe!" Kevin bettelte weiter und schaffte es gerade so, dass mein Freund seine Nummer in seinem Handy speicherte.   Das hatte Flo gerade noch gefehlt, ein pubertierender Teenie, der versuchte ihn von sich zu überzeugen. Zugegeben, am Koks hätte er schon Interesse, aber das wäre ja auch echt mies und er wollte kein Unmensch sein. Dennoch fragte er sich, warum sein Bruder gerade jetzt mit ihm Kontakt aufnahm? Letztendlich rief er ihn doch an und sie verabredeten sich im Café von Bastis Bruder. Jedoch schien sein Gemüt heute etwas ruhiger zu sein. „Eyy Mann, es tut mir voll leid, dass ich dich neulich so überrumpelt hab...ich hab so mega gefreut dich zu sehn." Flo zuckte mit den Schultern und zündete sich eine Zigarette an. Mike kam an ihren Tisch und nahm die Bestellung auf. Flo trank einen Kaffee, schwarz und ohne Zucker. So hatte ihn Kami immer gemocht. Die Erinnerung an ihn ließ einen schmerzhaften Stich in seiner Brust zurück. „Kein Thema. Nur halt dich das nächste Mal mit gewissen Themen bitte zurück." Kevin schaute etwas verlegen zur Seite. „Mach ich. Und wie geht es dir sonst?" Er lächelte traurig und zog teilnahmslos an meiner Zigarette. „Naja, ich leb halt mein Leben und versuche das Beste daraus zu machen. Kev, weshalb wolltest du dich unbedingt mit mir treffen? Hast du nichts Besseres zu tun? Oder haben dich deine Eltern geschickt um mich auszuspionieren?" Kevin sah ihn etwas gekränkt an. „Es sind doch auch deine Eltern." „Ich habe seit zehn Jahre keine Eltern mehr oder haben sie mich etwa irgendwann mal wieder erwähnt oder sich gefragt, wie es mir geht?" „Ab und zu reden sie schon über dich. Mutti meinte sogar, sie hätte dich irgendwo gesehen...in der Stadt mit einem Typ." Flo ballte seine Hände zu Fäusten. „Ach ja? Das war dann wohl mein Freund." „Bist du...schwul?" Er nickte und rauchte noch eine Zigarette. Irgendwie wollte er nur noch zurück zu Lukas. Es nervte ihn hier zu sitzen und mit seinem Bruder zu reden. Außerdem wusste er rein gar nichts über Kevin und irgendwie interessierte es ihn auch nicht. „Ja bin ich und? Ist das jetzt schlimm?" „Nein, ich find es okay. Flo ich wollte dich sehen, weil ich wissen musste, was aus dir geworden ist. Auch, wenn du mich vielleicht nie mochtest, ich mochte dich immer. Nur, als ich noch jünger war, hatte ich ein bisschen Schiss mich gegen Mum und Dad zu stellen. Ich war nie der Rebellische, weißt du ja selbst." Der ältere schwieg einen Weile und diese Worte machten irgendwas mit ihm. Seine Familie hatte nie eine Bedeutung für ihn gehabt und jetzt war da auf einmal sein kleiner Bruder und wollte den Kontakt zu ihm aufrecht erhalten? Und das, obwohl er ihm nie einen Anlass dazu gegeben hatte. „Hör mir mal zu Kevin, ich finde es irgendwie cool, dass du das versuchst, aber ich weiß nich, ob ich dir das geben kann, was du möchtest. Mein Leben ist gerade echt komisch...mein Freund ist gestorben und ich weiß gerade selbst nicht weiter." „Wir könnten uns voll abschießen", schlug Kevin vor. Wieder lächelte Flo traurig. „Lass lieber die Finger von dem Zeug." Wieder sah er ihn mit diesem noch so kindlichen Gesicht an. „Wir können uns ja auch nur betrinken." Diese Idee fand Flo nicht ganz so übel, allerdings sich mit seinem kleinen Bruder einen Absturzabend geben? Er wusste nicht, ob das ein so guter Einfall war. Schließlich schrieb er Lukas dann doch, ob es okay wäre, wenn er Kevin mitbringen würde. Lukas hatte nichts dagegen einzuwenden. Ein paar Tage später schrieb Miyavi, ein guter Freund von Kami, ob er nicht doch ein letztes Mal nach Tokio kommen wolle, um sich von meinem Liebsten zu verabschieden. Flo rang mit sich, weil er nicht wusste, ob er das verkraften würde. Doch irgendwie war er ihm das wenigstens schuldig. Miyavi bot ihm sogar an, dass er den Privatjet der Band schickte. Nach einigem Hin und Her und einem Gespräch mit seinem lieben Lukas willigte Flo dann doch ein. Im Flieger bestellte er Whiskey um den Flug schlafend zu verbringen. Trotz seiner Alkoholfahne empfing ihn Miyavi sehr herzlich, doch dieser unerträgliche Schmerz wieder hier zu sein, war nicht zum Aushalten. Flo wollte alles ganz schnell hinter mich bringen. Sie fuhren gleich zum Haus von Kamis Familie. Auch dort wurde er lieb von all den traurigen Gesichtern empfangen. Doch als er Kami dann aufgebahrt in dem kleinen Tempel liegen sah übermannte ihn eine Gefühlswelle, mit der er nicht gerechnet hatte. Unter Tränen und mit zittrigen Knien trat er zu ihm. Das Leben war aus seinem wunderschönen Körper gewichen, sogar das Rot seiner Haare hatte einen aschfarbenen Ton angenommen. Flo wusste nicht, wie lange er so dastand und seinen toten Freund beweinte, doch es gab etwas oder bessergesagt jemanden, der ihn in die Realität zurückrief. Mit hasserfülltem Blick drehte er sich und traf seinen Blick. Auch Juka sah echt beschissen aus und auch war es für ihn sicher nicht leicht, dennoch konnte Flo seine Wut auf ihn nicht bremsen. Er stürmte in seine Richtung und schlug auf ihn ein. Währenddessen beschimpfte er ihn auf‘s Übelste. „Du bist Schuld, dass Kami nich mehr hier is...du verdammter, egoistischer, selbstverliebter Arsch. Nur, weil bei dir immer alles perfekt sein muss, hat Kami mit seinem Leben büßen müssen...ich hasse dich Juka, ich hasse dich so sehr..." All seine unterdrückten Gefühle schienen jetzt aus ihm heraus zu brechen. Miyavi legte seine Arme um seine Taille und zog ihn von Juka weg und jetzt erst sah er sein Gesicht wieder. Auch ihm liefen die Tränen und er hatte sich nicht Mal gegen seine Attacke gewehrt. „Ich kann es dir nicht verübeln, dass du mich hasst, aber hast du Mal bedacht, dass ich in einer noch viel schlimmeren Lage bin? Ich muss ewig mit dem Wissen leben, meinen besten Freund umgebracht zu haben. Glaubst du etwa das ist schön?", fuhr er Flo an. „Du hast es nich anders verdient...", keuchte er noch immer außer sich vor Wut. Dann näherte sich Kamis Mama auf einmal und nahm behutsam Flos Hand. „Flo...bitte aufhören. Es war schlimmer Unfall und für uns alle nicht leicht..." Der Ausdruck in ihren Augen ließ ihn schaudern. Sie wusste, dass Juka ihren Sohn umgebracht hatte und verzieh ihm dennoch. Dann drückte sie ihren fast Schwiegersohn an sich, doch das war zu viel für Flo. Er fragte Miyavi mit erstickter Stimme, ob sie gehen konnten. Den Rest des Tages vergrub Flo sich auf dem Sofa in der Wohnung seines schwarzgekleideten Freundes und heulte. Miyavi war ein sehr verhaltener Mensch und redete nicht viel, was ihm sehr gelegen kam. So langsam beruhigte er sich wieder und wollte am nächsten Tag die Heimreise antreten. Miyavi wollte ihn zum Flugplatz begleiten, doch vorher hatte er noch eine kleine Überraschung für Flo. Er entführte ihn in den Proberaum, in dem er schon so viele Male gewesen war, um Kami beim Schlagzeug spielen zu lauschen. „Was machen wir hier?", fragte Flo. Sein Freund blieb jedoch geheimnisvoll wie immer. „Flo, ich kann deine Wut auf Juka verstehen, aber es ist nicht gut, wenn man so wütend auf jemanden ist, der nichts dafür kann. Sicher war es ein großer Fehler, aber glaubst du Juka tat dies absichtlich?" Wieder füllten sich meine Augen mit Tränen. „Natürlich hat er es nich mit Absicht getan, aber trotzdem....wäre er nich gewesen..." „Was wäre, wenn dir das passiert wäre? Wem würdest du dann die Schuld zuschieben?" Flo schluckte und begriff so langsam, was Miyavi vorhatte. „Dann würde ich vermutlich nich mehr leben...mit dieser Last könnte ich nich weiterleben." Mitfühlend schaute er ihn aus seinen kunstvoll verzierten Augen an. „Siehst du...jetzt stell dir Jukas Situation vor...du hast allen Grund wütend auf ihn zu sein, jedoch solltest du ihn nicht für seinen Fehler verachten. Er wollte dich noch einmal sehen, wenn auch du ihm diese Ehre erweisen möchtest, geh durch die Tür in den Proberaum." Flos Herz krampfte sich zusammen und er wusste nicht, was er tun sollte. Dem Mörder seines geliebten Kami gegenübertreten? Mit zittrigen Händen drückte er die Türklinke und warf Miyavi noch einen Blick zu. Dieser nickte ihm zu und gab ihm zu verstehen, dass er das Richtige tat. Juka hockte inmitten des kleinen Raumes und rauchte. Die halbleere Wodkaflasche in seiner Hand sah Flo erst, als er sie ihm entgegenhielt. Flo nahm einen Schluck und setzte sich zu ihm auf den Boden. Er konnte nicht sagen, wie viel Juka schon intus hatte oder wann er das letzte Mal geschlafen hatte, doch irgendwie wirkte er sehr verletzlich und zerbrechlich. Wo war der selbstbewusste zwei Meter Japaner, der nie ein Blatt vor den Mund nahm? „Was willst du Juka?", begann Flo das Gespräch, von dem er hoffte, es würde ganz schnell vorbei sein. „Ich möchte mich bei dir entschuldigen...glaub mir, Kami fehlt mir genauso wie dir. Ich habe bisher keine Nacht durchgeschlafen...immer plagen mich diese Alpträume und weißt du wie oft ich schon überlegt hab all dem einfach ein Ende zu setzen? Doch was hätte ich davon...vielleicht wärst du glücklich...dann hättest du deine Rache, deinen Frieden, deine Genugtuung." Jetzt auf einmal tat ihm Juka leid und er verstand endlich, wie dieser sich fühlte, auch wenn Flo noch immer wütend war. „Nichts von dem würde mich glücklich machen...es tut mir leid, was ich dir gestern an den Kopf geknallt hab...sicher habe ich es in dem Moment so gemeint, aber ich weiß, dass es dir gerade auch nich gut geht. Zumindest siehst du echt beschissen aus." Juka lachte traurig und trank einen Schluck. „Dein Humor erinnert mich an jemanden, den ich mal sehr mochte. Nein, ich mag ihn noch immer." Flo zog die Augenbrauen hoch und zündete sich eine Zigarette an. „Sind wir jetzt hier, um über Lukas zu reden?" „Ich weiß nicht...eigentlich nicht. Ich wollte nur nicht, dass wir im Streit auseinander gehen...zu viele Menschen habe ich in letzter Zeit verloren und Lukas war ebenso einer von ihnen...jetzt Kami....ich weiß nicht was nun wird." Tränen liefen ihm über seine Wangen und zum ersten Mal begriff Flo, warum Lukas ihn so sehr geliebt hatte. Juka schien die Reinkarnation von Sepiroth und Cloud gleichzeitig zu sein. Final Fantasy 7 war Lukas und sein Lieblingsspiel gewesen. Nicht, dass Juka so böse und skrupellos wie Sepiroth ist, aber eben seine Erscheinung, sein Wesen, so sensibel und verletzlich. Lukas hatte dem nie standhalten können, so sehr er Juka auch liebte. Flos zittrige Hand wanderte zu Jukas Gesicht und wischte ihm die Tränen weg. Ein bisschen erschrocken sah er Flo an. Dieser stellte fest, dass er nicht mehr sauer war. Irgendwie verband sie Kami. „Kann ich dir was erzählen?“ Flo schaute Juka fragend an und nickte. „Ich hab Lukas nie betrogen…das hab ich in die Welt gesetzt, weil wir uns damals so auseinander gelebt haben und ich wollte ihn wieder näher bei mir haben…doch genau das Gegenteil hab ich erreicht.“ Flo fielen die Augen fast aus dem Kopf. „Bitte was? Du musst es Lukas sagen Juka…ich glaub er liebt dich noch immer! Du könntest mit zurück fliegen." Juka warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Und mit bei Lukas wohnen oder was? Außerdem weiß er es." „Aber warum hockst du dann hier?" „Weil es vorbei ist…wir haben unsere Beziehung so kaputt gemacht, dass es kein Zurück mehr gibt.“ „Das glaub ich nich…tue es Juka…sonst wirst du es immer bereuen. Ich kann nich mehr zurück…das is bitter, glaub mir.“ „Erst vermöbelst und beschimpfst du mich und jetzt soll ich mit dir mitkommen? Flo, er hasst mich. Es ist zu spät, ich habe das zerstört, was ich am meisten liebe." Das ganze schien irgendwie gerade aus den Rudern zu laufen. Flo wollte nicht hier bleiben, aber irgendwie wollte er auch, dass Juka mitkam. Verdammter Mist, bloß weg hier. „Juka versuch es, bitte...ich muss los...ich vergebe dir. Lass mal was von dir hören." Flo nahm noch einen letzten Schluck aus der Flasche und wand sich zum Gehen. „Flo...danke." Flo warf ihm noch einen letzten Blick zu und lächelte. Miyavi stand noch immer vor dem Proberaum. Dann hielt er dem Freund seinen Arm hin, damit er sich einhaken konnte. Irgendwie war Flo erleichtert, dass Juka nicht mitgekommen war. Jetzt übermannte ihn wieder die Trauer. Im Flugzeug gab er sich Mandragora Sream auf die Ohren und versuchte abzuschalten. Zu seiner Überraschung begleitete ihn Miyavi nach Deutschland. Er meinte, dort hätte er noch ein paar Dinge, die er erledigen müsste. Flo nickte ein und als er wieder erwachte schien Miyavi zu schlafen. Wie er wohl ohne das ganze Make up aussah? Hatte ihn überhaupt schon mal jemand ohne Schminke zu Gesicht bekommen? Irgendwie war er ohnehin ein Mysterium und Flo stellte fest, dass er kaum etwas über ihn wusste. Auf einmal grinste er und öffnete seine Augen. Flo fühlte sich ein bisschen ertappt. „Du wirkst nachdenklich", stellte er mehr fest als das er fragte. Flo merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. „Ich habe über das Gespräch mit Juka nachgedacht...es war seltsam. Irgendwie war das zwischen uns auf einmal so vertraut..." „Juka kann seinem Gegenüber sehr gut überzeugen...doch er meint es ernst Flo. Es ist gut, dass ihr nochmal gesprochen habt." „Was ist eigentlich mit dir? Du wirkst immer so, als würde dich das kalt lassen...du vermittelst und hältst die Fäden in der Hand." Miyavi lachte. „Ach ja, tue ich das? Korrekt beobachtet...ich mache das mit mir selbst aus. Gefühle sind nicht so mein Ding." Flo fuhr sich durch die Haare und merkte, dass er dringend Mal wieder eine Dusche vertragen konnte. „Aha, nicht dein Ding sagst du...schminken hingegen schon." Wieder lachte Miyavi. „Das schon eher...worauf willst du hinaus Flo?" „Ich weiß nicht, ich habe mich nur vorhin gefragt, was sich hinter deiner Maske verbirgt?" Jetzt erstarb das Lachen auf seinem Gesicht und er schenkte ihnen Whiskey nach. „Das weiß nur ich allein...Juka weiß es auch. Mein Make up gehört zu mir und du wirst mich niemals ohne Schminke sehen. Akzeptiere es einfach." Flo zuckte mit den Schultern, trank sein Glas leer und versuchte wieder zu schlafen. „Wie du meinst."   Es tat gut nach diesem stressigen Tag wieder zu Hause zu sein. Lukas schloss seinen Freund in die Arme und Flo erzählte ihm alles, auch, dass er Juka verprügelt hatte und sich anschließend mit ihm versöhnte. Lukas sagte nicht viel dazu, schien es aber auch nicht schlimm zu finden. Und irgendwas schien auch ihn zu bedrücken. So sehr er es auch versuchte zu verstecken, Flo kannte seinen besten Freund und irgendetwas schien gerade so gar nicht in Ordnung zu sein. Denn wenn er Lukas mal in einem unbeobachteten erwischte, wirkte er sehr sehr traurig und unglücklich. Flo dröhnte sich das Hirn zu. Ab und zu erinnerte ihn Lukas, dass er doch auch mal etwas essen musste. Miyavi war noch immer da und besuchte die Jungs auch des Öfteren, mit ihm hatte Lukas zum Glück kein Problem. Doch wie immer schien er alles von außen zu beobachten. Sie spielten Munchkin, doch Flo war irgendwann so down, dass er schlafen ging. Er träumte von Kami und es war so wundervoll wieder in seinen Armen zu liegen. Das fehlte Flo am Meisten, berührt und geliebt zu werden. Er merkte, als er aufwachte, dass er geweint hatte. Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen weg.  Dann vernahm er ein Geräusch, als würde jemand atmen und dann sah Flo, dass Miyavi auf seinem Sofa schlief. Er trug noch immer seine Klamotten, bis auf die Schuhe und das Make up saß perfekt, er musste schmunzeln. Flo schlüpfte in seinen Bademantel und kochte Kaffee. Sein Freund war wach, als er ins Zimmer zurückkehrte. Lukas und Selene schienen weg zu sein. Dann ging er ins Bad. Flo schaute solange Fern, doch was er dann sah, brachte ihn völlig aus der Fassung. Wenn er nicht seine Klamotten getragen hätte, würde er Miyavi kaum wiedererkennen, denn er war ungeschminkt und duftete herrlich. Flo warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Hab ich irgendwas gewonnen, dass du mich in den Kreis der Auserwählten aufgenommen hast oder so?" Er lachte. „Ich wollte nur mal dein Gesicht sehn und außerdem hab ich dich gestern nur verarscht. Ja, ich style mich gern, das ist ja kein Geheimnis, aber ohne geht‘s auch." Flo war so überrascht, wie viel männlicher Miyavi aussah, dass es ihn völlig aus der Bahn warf und er musste feststellen, dass es ihm sehr gefiel. Jetzt musste er wieder an Lukas Worte denken, dass er sich doch wieder auf etwas einlassen sollte. Aber ausgerechnet Miyavi? „Was machst du eigentlich so lange noch hier?" „Meine Mode und mein Make up verkaufen. Irgendwie muss ich ja auch zu Geld kommen." Flo nickte. Seine Gefühle zu Kami konnte er nicht leugnen, nur musste er sich auch endlich bewusst machen, dass Kami tot war und es stimmte, er hätte sicher nicht gewollt, dass Flo wie die Jungfrau Maria lebte. „Wie lang bleibst du noch?" „Weiß nicht." Sein anzüglicher Blick machte Flo ganz verlegen und er wusste nicht, was er davon halten sollte. Und jeh länger wir uns anschauten, desto mehr wummerte sein Herz. „Miyavi, was wird das hier?" „Sag du es mir? Du hast doch neulich gesagt, dass ich so unnahbar wäre." „Naja, jetzt scheinst du irgendwie genau das Gegenteil zu sein. Ich weiß nicht mal, ob du überhaupt auf Männer stehst." Seine Lippen formten sich zu einem Lächeln. „In einer Sache habe ich gestern die Wahrheit gesagt und zwar, dass ich nicht viel von Gefühlen halte, das heißt jedoch nicht, dass ich keine habe. Ich könnte dir das geben, nachdem du dich so sehr sehnst..." Flo wusste nicht, ob er das konnte und wollte. „Warum solltest du das tun?" „Weil du ein hinreißender hübscher Mann bist." „Bist du deswegen hier in der Stadt?" „Möglicherweise." Stille trat zwischen die beiden und plötzlich klingelte Flos Handy. Lukas fragte, ob er was vom Einkaufen mitbringen sollte. Noch immer etwas verwirrt versuchte Flo normal zu klingen und stellte fest, dass das mit Miyavi nicht ging. Er wollte sich wieder verlieben und keine dumme Affäre. Flo musste mit Lukas reden, es war Zeit, denn eine Sache außer Kami hing ihm noch immer nach.   Ich wusste nicht, was mit Flo in Tokio passiert war, doch irgendwie wirkte er entspannter, ja sogar fast fröhlich. Aber irgendetwas beschäftigte ihn und wir beschlossen Jungsabend im Proberaum zu machen. Spielen, trinken ein bisschen kiffen und reden. Flo erzählte mir von der Sache mit Miyavi und ich wollte mich schon freuen, bis er sagte, dass er das noch immer nicht konnte. „Lukas...ich muss dich was fragen und hoffe du nimmst es mir nicht übel. Ich mein, ich weiß, was mit Juka und dir passiert is…und du weißt, dass er dich nich betrogen hat...?" Ich verdrehte die Augen und zündete den Joint an. „Ja…ich weiß…aber es is trotzdem zu viel passiert." Flo seufzte. „Süßer…auch dein Juka leidet…mehr als du vielleicht glaubst." Das kam unerwartet und traf mich. Außerdem erinnerte ich mich an unsere letzte Begegnung und biss mir heftig auf die Unterlippe. „Hat er dich um den Finger gewickelt?" Mein Freund sah jetzt eher verunsichert, aber auch traurig aus. Ich konnte mir denken, weshalb. „Nein, er hat mir nur erzählt, dass er dich noch liebt und es bitter bereut das zerstört zu haben..." Ich blies den Rauch aus und starrte Löcher in die Luft. Das war irgendwie absurd. Juka, ja ich hasste ihn, doch ich wollte ihn auch wieder. Ziemlich krank und das schien auch mein Freund gerade zu merken, denn dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck, als würde er auf einmal merken, dass er mich an einem wunden Punkt getroffen hatte. „Moment mal, du magst Juka auch noch, hab ich Recht?“ „Ziemlich bescheuert was? Ganz ehrlich, ich würde ihn so gern wiedersehen Flo, aber es wird dadurch nich besser, ich muss mit ihm abschließen...sorry, du hast gerade deine eigenen Sorgen und ich sollte dir zuhören..." Mein Freund schüttelte den Kopf. „Lukas...ich will keinesfalls alte Wunden aufreißen...nur der Ausdruck in deinen Augen gerade…es erschreckt mich." Ich konnte nicht mehr, hielt mir die Hände vors Gesicht und schluchzte. Flo nahm mich in die Arme. „Ich würde so gern glauben, dass er mich noch liebt, aber ich kann nich…er treibt mich in den Wahnsinn, Flo. Einerseits zerreißt es mich fast vor Sehnsucht, doch wenn ich an Juka denke und daran, was er mir angetan hat, kommt dieser unerträgliche Schmerz zurück….“ „Es tut mir so leid…und mit wem hast du schon darüber geredet?“ „Mit keinem, denn jeder, dem ich erzählen würde, dass ich Juka noch immer liebe, würde mich wahrscheinlich einweisen lassen.“ Zum ersten Mal seit Jukas und meiner Trennung hatte ich das Gefühl von einem Freund erst richtig verstanden zu werden. Flo wusste, was ich durchgemacht hatte und ihn schien es sehr mitzunehmen, dass er in dieser Zeit nicht für mich hatte da sein können. „Lukasschatz, das is übel. Dennoch sollte keiner entscheiden, was du fühlen sollst, meinst du nich?“ „Keine Ahnung...ja, verdammte Scheiße ich liebe diesen Scheißkerl und ich kann nie aufhören ihn zu lieben...doch er verachtet mich. Das macht mich wahnsinnig Flo...ich bin verrückt." Meine Seele schien sich Luft zu machen. „Vielleicht solltest du dich dann mit ihm treffen...", schlug Flo vor. „Flo…ich weiß nich, ob ich das ertrage. Ich habe neulich geglaubt er könnte mich nich zerstören, doch er kann es und das bringt mich irgendwann noch ins Grab." Scheiße, scheiße, scheiße. Was sollte ich machen? Doch noch einmal mit ihm reden? „Liebling ich habe dich noch nie so leiden sehen...war das die ganze Zeit so, als ich nicht da war?" Unsicher und eher verhalten schob ich den Ärmel meines Pullis hoch, der die Schnitte meiner letzten selbstzerstörerischen Aktion freigab. „Flo…ich weiß…du willst nur das Beste für mich…aber ich weiß nich, ob ich das kann…ob ich es schaffe. Ich hab das Gefühl, tiefer als jetzt kann ich nich mehr sinken. Mein Selbstbewusstsein hat sich irgendwohin verkrochen und weiß, dass ich ein massives Problem hab…nur komm ich zu keiner Lösung.“ Ich schluckte die Tränen runter.   „Möchtest du, dass ich dir helfe?“ Ich zuckte mit den Schultern und kaute auf meiner Unterlippe herum. Flo verschwand kurz und kam grinsend zurück. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu. „Ich habe gerade mein Date für morgen klar gemacht und dir ein Treffen mit Juka engagiert." Ich riss die Augen weit auf und ging auf ihn los. „Bist du bescheuert? Florian May, ich verfluche dich." Wir kullerten uns auf dem Boden herum und prügelten uns zum Spaß. „Was denn, ich kann dich nich so deprimiert sehen." „Und wen hast du dir organsiert?" Flo grinste. „Miyavi, den heißen Feger."         Kapitel 46: my Boy is back -------------------------- Ich staunte nicht schlecht, doch wenn ich an morgen dachte wurde mir ganz schlecht. Das war vermutlich das Dümmste was ich machen konnte. Mein Körper war so angespannt wie ein Flitzebogen. Ich trank zwei Kaffee, aber das machte es nicht besser, deshalb kifften Flo und ich noch einen. Gerade als wir wieder ins Hause gehen wollten, kamen die beiden Jungs die Einfahrt hoch gelaufen. In meinem Magen krampfte sich alles zusammen. Es war draußen noch schön und wir beschlossen im Pool baden zu gehen. Nach einer Weile verzogen sich Flo und Miyavi. Toll und ich war mit dem Teufel allein. Doch ich wollte etwas ausprobieren und machte mir deshalb nicht die Mühe noch etwas anderes außer meiner Hose anzuziehen. „Es tut mir übrigens leid, was passiert ist...Flo is ganz schön fertig...du sicher auch." Juka schaute mich mit seinem Engelsgesicht an, welches von den Spuren der letzten Wochen gezeichnet war. Die Fältchen an seinen Augen schienen irgendwie markanter als sonst zu sein und obwohl er seine Augenringe versucht hatte zu überschminken, waren diese noch immer sichtbar. „Schon okay, ich habe mich dran gewöhnt...ein Arsch wie ich hat es wohl nicht anders verdient." Jetzt fing er schon wieder mit dieser Mitleidstour an. Ich verdrehte die Augen. „Mhh, ich könnte dir ja Recht geben...ach wie geht's deinem Shey eigentlich?" Juka funkelte mich an. „Ganz gut und deiner Hübschen? Weiß sie, dass ich gerade hier bin?" Verdammt. Warum schien er immer alles zu wissen? „Sie is nich mehr meine Hübsche…Juka, was soll das, wir führen uns beide bescheuert auf. Ich will nich mit dir streiten." Seine Züge wurden weicher. „Die ganze Sache mit Kami hat mich echt fertig gemacht und seine Eltern erheben nich mal Anklage gegen mich...weil ich ja fast zur Familie gehör und so. Ich fühl mich echt richtig mies." „Kann ich verstehen, Flo war ganz schön sauer was?" Juka grinste. „Der hat nen ganz schönen Schlag drauf...darf ich dich eigentlich immer noch nicht wieder Luki nennen?" Allein dieser Satz, diese Worte löste etwas in mir aus, was ich nicht so recht beschreiben konnte. Dieser Mann brachte mein Herz noch immer zum Schmelzen. Im Hintergrund lief gerade Hardcore Superstar mit „Stranger of mine“. Meine unterdrückte Begierde, die mich nach diesem Mann schmachten ließ, schlich langsam aus dem innersten meiner Seele herauf. „Du kannst mich nennen wie du möchtest...Juka..." Ich konnte nicht anders und kroch auf seinen Schoß, ich wollte nicht reden, denn ich hätte ohnehin nicht in Worte fassen können, was gerade in mir vorging. Juka legte seine Arme um mich und so verweilten wir eine ganze Zeit. Ich atmete seinen Duft ein. Etwas von sonnengebräunter Haut, einem Hauch Parfum und Kokosschampoo. In dieser einzigen Umarmung schien die Erlösung all der schmerzhaften Stunden zu liegen. Trotz der Hitze konnte ich es nicht lassen mit den Händen über Jukas Rücken zu streicheln. „Luki, was tust du da bloß?" „Ich weiß es nich...was würdest du tun, wenn ich dir jetzt sagen würde, dass ich dir am liebsten die Seele aus dem Leib vögeln würde?" Jukas Körper spannte sich an und er gab ein leises Stöhnen von sich. „Du bist völlig wahnsinnig. Reicht der Sex mit deiner Tussi nicht aus?" Shit, ich hatte es verkackt. Doch in Jukas Stimme lag dieser spielerische Unterton. „Wie gesagt, zwischen ihr und mir is nichts mehr…seit dem Abend als du hier aufgetaucht bist und zu Jojo wolltest. Außerdem, es geht nich nur um den Sex. Als mir Flo erzählt hat, dass er dich getroffen hat, kam alles wieder hoch." „Und du würdest das einfach so tun?" Würde ich das? Was war ich für ein Narr, wenn ich das tat. Doch du lieeebst ihn!! Schrie mein Unterbewusstsein. „Was springt dabei für mich raus?", fragte ich ihn. Plötzlich küsste mich Juka und in diesem Kuss lag all seine Leidenschaft und tiefe, tiefe Sehnsucht. Ich holte Luft, weil ich vergessen hatte zu atmen. „Das und noch mehr...für immer...Luki, heirate mich." „Juka....was soll das....ist das ein Scherz?" „Nein keinesfalls, du bist der Mann dem ich vor sieben Jahren mein Herz schenkte...du willst mich? Du kannst mich haben. Ich will keine Kämpfe mehr ausfechten, mich vor dir beweisen oder rechtfertigen." Vermutlich sollte ich sowas sagen wie: Okay, ich verzeihe dir und wir werden für immer glücklich sein. Doch so wunderschön sich Jukas Kuss auch angefühlt hatte, ich konnte es nicht. Ja es kam zwar alles zwischen uns wieder hoch, doch jeh mehr ich an unsere guten Tage zurückdachte, desto stärker meldete sich der dunkle Teil in mir und rief mir ebenso die schlimmen Erinnerungen herbei. Ich zuckte zusammen, das entging Juka nicht. Und ich krabbelte von seinem Schoß. Behutsam berührte er meine Hand, doch ich zog sie weg. „Tut mir leid Juka, ich kann das nich…ich kann das alles nich, je mehr ich es mir wünsche, desto schlimmer werden meine Ängste.“ Traurig schaute er mich an, doch seine wunderschönen Lippen blieben stumm. Das Glitzern in seinen Augen verriet, wie verletzlich er am Ende doch war. „Ich habe das niemals gewollt…dich so zu sehen bringt mich um…wir haben uns gegenseitig zerstört Luki.“ „Vielleicht haben wir das…ich weiß es nich…vielleicht bin ich noch sauer, aber vielleicht auch nicht. Gib der Sache Zeit Juka…“ Flo und Miyavi störten unsere traute Zweisamkeit und beiden schien es richtig gut zu gehen. Ich grinste Flo an beschloss noch nichts mit Juka anzufangen. Ich konnte einfach nicht. Meine Schwester kam mich Sonntag besuchen und schien irgendetwas sehr dringendes loswerden zu wollen. „Alles okay?", fragte ich. Sie nickte und holte sich ein Bier. „Jojo, Juka war gestern hier…bis heute Morgen…aber es is nichts passiert“, platzte es aus mir heraus. „Ernsthaft? Und was habt ihr dann gemacht?“ „Vor ein paar Tagen hab ich mich mit Flo über alles unterhalten und da kam auf einmal alles wieder hoch…ich weiß nich, was ich tun soll.“ Sie schwieg, sah mich nicht mal an und trank ihr Bier sehr schnell leer. „Es war bescheuert zu denken, dass du ihn schon vergessen hast und über die Zeit hinweg bist. Ich liebe dich Lukas, aber das weißt du ja…ich hab dich damals echt gehasst…naja nicht gehasst, ich hatte ne scheiß Angst um dich. Doch das letzte Woche…ich will nicht, dass du deinen hübschen Körper so zurichtest und Juka würde das auch nicht wollen. Rede mit ihm über deine Gefühle, denn ich bin noch nicht bereit dich zu verlieren. Doch ich fürchte, das passiert früher oder später, wenn du so weitermachst. Aber ich bin ja nur deine kleine Schwester, die keine Ahnung von solchen Dingen hat.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Jojo schlang ihre Arme um meinen Körper und ließ ihren Kopf gegen meine Brust sinken. „Danke meine Kleine…das wirst du immer sein, aber ich weiß auch, dass du das schon lang nich mehr bist.“   Ich überlegte ob ich Juka anrufen sollte. Nein, besser nichts überstürzen. Morgen war Wochenende. Die anderen beiden Jungs gesellten sich zu mir und Flo wollte alles hören. Es war seltsam Miyavi ungeschminkt zu sehen, doch daran sollte ich mich besser gewöhnen. Unerwarteter weise kam mein Liebster dann doch noch, dann musste er mich eben völlig betrunken ertragen. Doch Juka zog nach, was mich verwunderte, denn sonst ließ er immer den braven Jungen raushängen. Er gab sich richtig die Kante und das machte mir ein bisschen Sorgen. Ich nahm ihn mit auf mein Zimmer. „Juka, was is los?" Er stolperte und ich fing ihn auf. Behutsam führte ich ihn zum Bett. „Ich glaub alle hassen mich, weil ich Kami umgebracht hab und Flo am meisten...was is außerdem mit dir?....nich mal gemeldet hast du dich heut." Oh oh, der war echt mehr als betrunken. „Schatz jetzt hör mir mal zu...dich hasst keiner...es war ein dummer dummer Unfall...und jetzt Schluss damit." „Hast du mich grad Schatz genannt?", lallte er. Ich nickte. Plötzlich wanderten seine Finger über meinen Körper und ich schloss die Augen, um es zu genießen. Jukas Kuss raubte mir den Atem und ich wollte so gern noch einmal von vorne anfangen, doch das musste wahrscheinlich bis morgen warten. Aber würde ich es noch länger aushalten ihm zu widerstehen? „Du hast neulich was Seele aus dem Leib vögeln gesagt", sagte Juka dann auf einmal mit einer derartigen Leidenschaft in seiner Stimme, dass ich es nicht mehr aushielt und ich fragte mich ein weiteres Mal, ob er wirklich so betrunken war, wie er tat. „Hab ich das? Und was is, wenn ich das nur so gesagt hab?" Plötzlich ergriff Juka meine Arme, legte sie über meinen Kopf und stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht auf mich. „Du willst Spielchen mit mir treiben? Gerne." Er zog sich den Gürtel aus der Hose und band meine Hände am Eisengitter meines Bettes fest. Heilige scheiße, was hatte der Verrückte mit mir vor. Er zog mir die Hose aus und sich nur das Oberteil und der Anblick seines maskulinen Oberkörpers ließ mich dahinschmachten. Wie konnte ein Mensch nur eine so impulsive Wirkung auf einen anderen haben. Jukas Zunge wanderte über meinen Körper und glitt zwischen meine Beine zu meinem erregten Glied, welches er mit seinem Mund langsam auf und ab bewegte. Um Himmels Willen, was tat dieser Mann mit mir? Seine Bewegungen wurden schneller und in mir stieg dieses Feuer empor, doch kurz vor meinem Höhepunkt stoppte er und grinste mich selbstgefällig an. „Juka bitte hör nich auf...", flehte ich ihn an, weil ich nicht anders konnte. Mein Gehirn schrie nach mehr. „Ich steh drauf, wenn du mich anflehst." „Elender Bastard...jetzt blas mir endlich einen oder du wirst dir wünschen nie geboren zu sein." „Oh Luki, du glaubst nicht wie erotisch ich dich finde, wenn du sowas zu mir sagst." Und endlich fuhr er mit seinem Spielchen fort. Seine Bewegungen wurden schneller und ich ergoss mich in seinem Mund. Juka machte meine Hände wieder los und ich fiel schon fast über ihn her, so sehr hatte er mir gefehlt. Zum ersten Mal nach solch einer leidenschaftlichen Nacht sah ich Sternchen. Mein Gefühl für war irgendwann und irgendwo zwischen Jukas Schenkeln verloren gegangen und ich fühlte mich sehr wackelig, als ich mich aus dem Bett erhob und ins Bad wankte. Ich spürte Juka förmlich lächeln. Ihm ging es vermutlich nicht anders. Ich betrachtete mein Spiegelbild und auf einmal traf mich diese Gefühlswelle wie ein Orkan. Sie durchzuckte meinen ganzen Körper und mein Unterbewusstsein meldete sich, um mich zu rügen, wie bescheuert ich doch war. Warum um alles in der Welt stieg ich wieder mit dem Typen ins Bett, der mir das Herz herausgerissen hatte? Wieder wurden die Bilder in meinem Kopf deutlich, wie Juka es mit anderen Männern trieb und ich sackte nun vollends zu Boden. Ich hielt mir die Hände vors Gesicht und schluchzte. Ich konnte nicht wieder zu ihm ins Bett. „Komm wieder mit ins Bett...", rief er von draußen, doch mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Juka, wir müssen reden..." Jetzt wurde seine Miene ernster. „Immer, wenn wir über etwas reden, passiert früher oder später etwas schlimmes...können wir das nicht umgehen?" Ich schaute ihn skeptisch an und schüttelte mit dem Kopf. „Nein, bitte hör mir zu." Juka nickte und ich musste ihm die Wahrheit sagen. „Ich kann nicht leugnen, dass ich keine Gefühle mehr für dich habe und wie intensiv sie noch immer sind, kannst du dir nach der letzten Nacht selbst ausmalen. Dennoch gibt es einen Teil in mir, der dich noch immer hasst...ich drücke mich bewusst etwas krasser aus. Ich habe gelogen, als ich dir sagte, du könntest mich nich zerstören...denn du hast es geschafft mich zu brechen und ich war in dieser Zeit ein Zombie, der vor sich hinvegetierte. Ich wollte nichts mehr fühlen und habe gelernt Gefühle abzuschalten, sonst gäbe es mich nicht mehr. Oft hab ich mir auch überlegt mich umzubringen und es ist ein Wunder, dass ich nich an meinen berauschenden Lebensgewohnheiten zu Grunde gegangen bin..." Jukas Augen füllten sich mit Tränen, doch er hielt sie zurück. Er setzte zum Reden an, doch ich hielt ihm den Finger auf die Lippen. „Es gab Tage, da bekam ich mich allmählich wieder in den Griff, bis du mir sagtest, ich könnte meinen eigenen Scherbenhaufen nie mehr reparieren..." Jetzt rannen Tränen seinen Wangen herab. „Lukas, warum tust du das?", flüsterte er mit erstickter Stimme. „Weil, ich hoffe, dass auch du jetzt leidest, so wie ich leiden musste. Vielleicht ist das auch nicht fair und so schön es letzte Nacht mit dir auch war, kann ich das nich. Ich weiß nicht, wie es dir in der Zeit, in der wir getrennt waren ging, aber ich will sowas nicht noch einmal durchmachen." Juka vergrub seinen Kopf in meinem Schoß und weinte, so hatte ich ihn noch nie erlebt und ich glaubte, er bereute es bitter, was er mir angetan hatte. Nach einer Weile schaute er mich aus seinem tränenverschmierten Gesicht an. „Ich weiß auch nicht, ob es fair ist…liebst du mich noch?" „Das hab ich doch vorhin gesagt, aber mittlerweile ist der Teil, der dich verachtet größer…es funktioniert nich Juka." Erneut rannen Tränen seinen Wangen herab und seine Nacktheit ließ ihn noch hilfloser erscheinen. Mein wunderschöner Juka. „Luki...was soll ich sagen. Du hast mich gerade Schachmatt gesetzt. Ich war ein Idiot, mehr als das und kurz nachdem ich wieder in Japan ankam, haben Shey und ich unsere Beziehung beendet...er meinte, ich trinke zu viel. Das war wohl Ironie des Schicksals. Außerdem ist er nicht mit meinen Launen klargekommen...weißt du, als ich dich kennenlernte, habe ich gesagt, dass ich dich immer so akzeptieren würde, wie du bist, habe es aber nie getan...ich will nur eins und das ist dich zurück Luki. Du bist so stark und auch wenn ich ein Arschloch war bin ich froh darüber, dass du dir nichts angetan hast. Ich verspreche dir, dass ich dich von nun an auf Händen tragen werde. Ich akzeptiere deine Arbeit, deine Band und deine Launen...auch, wenn es mir fast nicht zusteht frage ich dich, willst du uns noch eine wirklich letzte Chance geben?" Jetzt kamen auch mir die Tränen, denn mein Herz sehnte sich nach ihm. „Juka…ich kann nicht…." „Bitte", flehte er. Doch ich schüttelte mit dem Kopf, erhob mich und zog mir eine Hose an. Ich schaute Juka von der Seite an und wischte meine Tränen weg. „Weder du noch ich könnten mit mir leben, wenn wir zusammen sind, denn entweder ich schieß mich völlig ab, weil ich es gerade nicht ertrage oder du regst dich über mich auf, weil ich ständig betrunken bin. Das führt zu nichts Juka." Juka schüttelte energisch mit dem Kopf. „Nein, wie kommst du darauf? Du kannst dein Leben so ausgiebig genießen, wie du willst!" „Soll ich mich also zu Tode saufen? Juka ich kann nich, versteh das doch." Juka zog mich an sich und setzte jetzt auf eine andere Taktik. „Außerdem bist du der einzige Mensch mit einer so unstillbaren Libido...das macht dich so unwiderstehlich Luki." Ich schluckte den Kloß im Hals hinunter. „Nur weil ich dich einfach wann und wo ich will vögel?" „Das ist schon ein bisschen skrupellos aber auch echt heiß." Wieder entzog ich mich seinem Charme, auch wenn es mich innerlich fast zerriss. Wenn ich jetzt noch einmal nachgab, wäre ich für immer verloren. „Bitte geh jetzt einfach okay? Vielleicht funktioniert das irgendwann mal, aber jetzt brauch ich Zeit…Zeit für mich…bitte..." Juka zog die Stirn in Falten. „Ist das dein Ernst?" Ich nickte. „Schon…ich will dir keine Vorwürfe mehr machen, geh einfach, sonst wird es noch schwerer", sagte ich und Juka verdrehte die Augen. „Was soll ich sagen..." Er gab mir einen Kuss auf die Wange und verschwand. Ich- ein Häufchen Elend blieb zurück, bis zu den Knien hockend in seinem Scherbenhaufen.   „Oh nein, meine Mum wollte heut zum Essen kommen." „Zum Essen?", fragte mich Flo, der sich gerade mal einen Tag von Miyavi losreißen konnte. Ich hatte ihm allerdings noch nicht gebeichtet, dass seine Mühen umsonst gewesen waren, doch ich hatte das Gefühl, er ahnte es irgendwie. „Ich muss noch was einkaufen..." Flo nahm mich einen Moment in die Arme. „Ach was, ich kann sie ja gern mit japanischen Spezialitäten beeindrucken, das kann ich mittlerweile richtig gut." Ich lächelte etwas schüchtern. „Das wäre voll toll." „Lukas, ich weiß nicht, was passiert ist, aber darüber können wir später gern reden. Aber erst mal den Abend mit deiner Mum überstehen." „Naja komm, so schlimm ist sie auch wieder nicht", scherzte ich. „Immer noch besser als meine oder? Wann kommt sie?" Ich warf einen Blick auf die Uhr. „In etwa einer Stunden. Ich muss halt noch einkaufen." „Was hältst du davon, wenn ich einkaufe und koche?" Ich schenkte Flo ein erleichtertes Lächeln. „Das wäre traumhaft." Ich hüpften noch schnell unter die Dusche, dann gab ich Flo meine Autoschlüssel, damit er in den Supermarkt fahren konnte. Ich traf Fabi in der Küche, als ich gerade Kaffee kochen wollte. Und mir fiel auf, dass wir uns irgendwie seit Tagen nicht mehr gesehen hatten. Ich gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. „Na alles klar?" Er gähnte und nickte. „Ferienarbeit is echt beschissen. Ist Selene eigentlich immer noch weg?" Ich nickte automatisch. „Sie wollte wieder mit ihren Brüdern rumziehen." „Und hat dich sitzen lassen oder was?" „Nee, nich ganz und du wirst mich wahrscheinlich hassen...aber ich hab wieder was mit Juka angefangen...ich hab das Gefühl es geht einfach nicht ohne ihn Fabi." Mein Halbbruder verdrehte die Augen. „Mach was du willst nur schieb dann nich wieder so ne Depriphase", bemerkte er trocken. Ich nickte nur. Flo kehrte nach einer halben Stunde mit dem Einkauf zurück und Fabi ignorierte ihn. Miyavi freute sich riesig, dass Flo für uns kochte, denn es erweckte den Anschein, als wären die beiden schon seit Tagen nicht mehr aus ihrer Liebeshöhle gekommen. „Ey ihr zwei Turteltäubchen, seit ihr jetzt liiert?", fragte ich meinen Freund, um von meiner Baustelle abzulenken. Ich half Flo beim Zwiebeln schneiden. „Mhh mal sehen, was das wird, der Sex ist schon mal gut", lächelte Flo. „Wow, das klingt doch prima." Es verging noch eine halbe Stunde und meine Mum kam hereingeschneit. Sie merkte gleich an, dass es hier köstlich duftete und beäugte, was der Koch da trieb. Sie begann mit Flo zu reden und ich fragte mich, ob sie das auch so unverfroren tun würde, wenn sie wüsste, dass er schwul war. „Na ihr scheint euch ja blendend zu verstehen", bemerkte ich. Flo grinste mich an und hielt mir den Löffel zum Probieren hin. „Lukas, wo ist Selene eigentlich?" Auch meiner Mum erzählte ich dieselbe Geschichte wie Fabi zuvor. Sie runzelte die Stirn. „Außerdem hätte das mit ihr nicht mehr lange funktioniert..." Sie schüttelte etwas ungläubig den Kopf und schien noch immer auf dem Schlauch zu stehen. „Was meinst du? Du findest schon ein anderes Mädchen." „Mama, das ist ja gerade, ich will gar kein anderes Mädchen, ich will überhaupt nie ein Mädchen...ich steh auf Männer und das schon eine ganze Weile." Jetzt fiel ihr es wie Schuppen von den Augen und sie suchte vergeblich nach Worten. „Lukas...wie...was...du stehst auf Männer?" „Richtig ich bin schwul...bin ich jetzt in deiner Symphatieskala wieder gesunken?", fragte ich etwas sarkastisch. „Nein, bist du nicht, es ist nur ungewohnt für mich...aber wie kam es so schnell dazu?" Ich winkte mit der Hand ab. „Das ist eine lange Geschichte, die erzähl ich dir wann anders." „Hattest du schon Mal einen Freund?" Ich nickte und wollte das Thema nicht noch mehr ausweiden, weil ich wusste, dass es mich zerbrach. Als ich rauchen ging, begleitete mich Flo. „Das war doch gar nicht so schlimm oder?" Ich zuckte mit den Schultern. „Mal sehen, was noch kommt", gab ich etwas vorsichtig zurück und mein liebster Freund kümmerte sich weiter um das Essen, jedoch überraschte mich meine Mum hier draußen, als sie urplötzlich um die Ecke bog und an ihrem Gesichtsausdruck wusste ich, dass das Gespräch noch nicht zu Ende war. Hatte sie sich doch nicht verändert? Mir wurde etwas flau im Magen. „Lukas...ich muss das noch mit dir besprechen..." „Jetzt ernsthaft? Ich bin alt genug und ich habe dir auch deutlich gemacht, dass ich mein Leben führe, wie ich es für richtig halte, also untersteh dich irgendeine dumme Bemerkung zu äußern!", zischte ich. „Dein Temperament hast du jedenfalls nicht verloren. Ich will dir auch gar nicht vorschreiben, wie du leben sollst, nur mache ich mir eben Gedanken. Hast du dir das auch gut überlegt? Du kannst niemals Kinder haben...außerdem, was haben Jungs, was Mädchen nicht haben? Bitte erkläre es mir." Doch, sie hatte sich verändert, denn früher hätte sie nie nach dem Grund gefragt, sondern mich verurteilt, egal weshalb. Jetzt stand sie hier und wollte teil an meinem Leben haben. Das rührte mich. „Ich fürchte, ich muss dir die Geschichte doch jetzt erzählen. Es fing an, als ich Juka vor sieben Jahren kennenlernte, ich habe ihn damals in einer Bar getroffen. Wir wurden gute Freunde, doch nebenher versuchte ich meine Beziehung zu Nici irgendwie aufrecht zu halten, doch das funktionierte nicht. Immer, wenn ich in Jukas Nähe war, spürte ich, dass etwas anders war als sonst, doch vorerst habe ich dieses Gefühl ignoriert...irgendwann trennte ich mich endgültig von Nici und wagte etwas Neues." Sie schwieg und schien meine Worte erst einmal zu verarbeiten. „Aber ich verstehe auch nicht, was da jetzt mit Selene war und sie so plötzlich weg ist." Ich seufzte. „Juka und ich haben uns vor einer Weile richtig gezofft und jeder ist seinen Weg gegangen. Sei froh, dass du nicht früher hergekommen bist...die Trennung von ihm war alles andere als schön und ich habe es nie verkraftet...bis wir uns vor zwei Tagen doch wieder getroffen haben, um zu reden. Naja wir sind Freunde oder sowas." Meine Mum schaute mich lange an und ich beschloss noch eine Zigarette zu rauchen. „Aber was gibt er dir, was andere nicht haben?" „Er gibt mir Schutz und Sicherheit. Ich gehöre nicht zu den Männern, die ein Mädchen umgarnen wollen...Mama, in meinem Leben ist eine ganze Menge echt beschissen gelaufen und Juka war der Grund, warum ich nie aufgegeben habe an mich zu glauben." Sie hielt sich die Hände vor den Mund und sah leicht schockiert aus. „Ich bin wirklich eine Rabenmutter, vielleicht hätte ich dir einiges ersparen können." Ich schüttelte mit dem Kopf und lachte traurig. „Nein, hättest du nich und es hat auch nichts mit dir zu tun." „Oh mein Lukas, ich weiß so wenig von dir. Du wirkst so erwachsen und doch beschleicht mich das Gefühl, dass du es noch immer nicht bist." „Mach dir keine Sorgen, ich habe alles im Griff und es ist schön mit dir zu reden." Sie drückte mich kurz an sich und dann machten wir uns wieder auf ins Warme. Ich schenkte meiner Mum Wein ein. Flo war fast fertig und das Essen musste nur noch ein bisschen vor sich hin köcheln. Flo setzte sich zu uns und schenkte sich ebenfalls Wein ein. „Flo, wie geht es dir eigentlich?", fragte ihn meine Mum. „Danke gut. Ich bin gerade auf der Suche nach einem Job, aber sonst ist alles prima." Meine Mum warf ihm einen anerkennenden Blick zu, als hätte sie mit etwas schlechterem gerechnet. „Es ist schön, dass ihr beiden Euch noch so gut versteht. Hast du noch Kontakt zu deinen Eltern?" Oh oh, das war ein wunder Punkt, doch Flo lachte und nippte an seinem Glas. „Ab und zu schon...aber die meiste Zeit bin ich lieber hier. Johanna war ja vor zwei Monaten in Tokio, da war ich auch dort und hab mit ihr eine kleine Stadtführung gemacht." Flo erhob sich und servierte das Essen. Meine Mum war von seinen Kochkünsten hellauf begeistert. „Lukas, ist Florian schon lange arbeitslos?“ Ich verdrehte die Augen. „Nein und er sucht sich schnellstmöglich was." Flo leistete uns dann auch wieder Gesellschaft. Nachdem wir den Wein geleert hatten, räumte ich den Tisch ab und stellte alles in den Spüler. Meine Mum sagte dann, dass sie ein bisschen müde sei und verabschiedete sich von uns. Ich ließ mich etwas erschöpft auf das Sofa sinken. Flo legte seinen Arm um mich. „Lukasschatz, willst drüber reden?", fragte mein Freund. Ich schenkte mir neuen Wein ein und blieb ganz entspannt. „Vielleicht...immer wenn Juka weg is, wünschte ich, er wäre da und wenn er da ist, will ich, dass er geht. Ich kann nich mehr. Heute hatte ich die Kraft ihn gehen zu lassen." Fabi leistete auch seinen Beitrag. „Du hast ja keine Ahnung, wie sehr Lukas gelitten hat Flo! Immerhin war ich in der Zeit für ihn da und das war echt nicht einfach!", platzte mein Bruder heraus. Ich atmete tief ein und wieder aus. Irgendwie musste ich das hier unter Kontrolle bringen. „Fabi, du musst nich immer wieder damit anfangen, es ist vorbei und ich kann nur immer wieder sagen, dass ich von niemanden verlangt hab, sich um mich zu kümmern." „Und dann fängst du doch wieder was mit ihm an. Ich will dich nicht noch einmal so leiden sehen." Ich schaute vorsichtig in Flos Richtung und er warf mir einen mitfühlenden Blick zu. „Süßer, Fabi hat Recht. Aber am Ende musst du entscheiden, was du möchtest. Glaub mir ich weiß wie schwer es ist Juka gehen zu lassen und ich kann auch nachvollziehen, dass du den Wunsch, ihn zu sehen schlecht unterdrücken kannst…noch immer mache ich mir Vorwürfe, weil ich zu diesem Zeitpunkt in Tokio war und nich bei dir." Seine Stimme klang traurig und erschöpft. „Flo, das weiß ich, aber ich habe dir auch gesagt, dass ich dir das nicht übel nehme." Fabi schien sich gerade in Rage zu reden. „Ich hoffe wirklich nich, dass du wieder was mit ihm anfängst. Es war so erschreckend, wie du dich wochenlang besoffen und zugedröhnt hast, weil du es sonst nich ausgehalten hättest. Deine Mitmenschen, unter anderem ich, waren dir völlig egal und deprimiert hast du dich verkrochen!", fluchte er jetzt. „Wie oft willst du mir das denn noch vorhalten? Wenn du es nicht mit mir aushältst, geh doch", fuhr ich ihn an. „Ich würde dir gern glauben okay?", erwiderte er jetzt ruhiger. Gut so, denn ich war auch nicht in der Stimmung zu streiten. Flo hatte sich auch nochmal Wein nachgegossen. „Du hast nicht die Geringste Ahnung was Juka und mich verbindet. Nur, weil du einen kleinen Einblick in unser Beziehungsleben bekommen hast, heißt das nich, dass du dir es erlauben kannst darüber zu urteilen. Denn Fakt is, dass Juka und ich uns schon echt lange kennen und ich aus diesem Grund behaupten kann, dass das nich noch mal passiert! Ich liebe ihn und da kannst weder du noch jemand anderes etwas daran ändern, doch du hast natürlich Recht, ich hab mich echt arschig verhalten und es tut mir leid. Lass uns einfach noch einen schönen Abend haben", entgegnete ich. Flo räusperte sich und wollte dem allen hier wohl auch lieber ein Ende setzen. „Fabi...ich kenne Lukas schon seit der Grundschule und kann bestätigen, dass er der wirklich beste Freund der Welt ist. Noch nie hat er mich enttäuscht oder hintergangen, die Liebe zu seinen Freunden ist unglaublich und wenn er nich wäre, würde ich schon lange unter der Erde liegen. Vertrau ihm einfach…ich darf ihn verprügeln, wenn er sich noch mal so gehen lässt, in Ordnung?" Fabi lachte jetzt und nickte. „Alles klar…ich weiß was du meinst. Klar kennt ihr euch länger, aber du bist meine Familie Lukas und ich sorge mich auch ab und zu um dich." „Schon klar Fabi…alles gut, ich benehme mich. Jetzt muss ich aber ins Bett. Gute Nacht ihr zwei Hübschen.“ Ich warf den Jungs Handküsschen zu und begab mich auf mein Zimmer. Dort ließ ich mich dann der Länge nach aufs Bett fallen. Mein trauriger Blick schien Löcher in die Luft zu starren. Wenn ich gewollt hätte, könnte Juka jetzt hier neben mir liegen und dieser Gedanke trieb mir die Tränen in die Augen. Ich fragte mich, wie viele Eimer hier wohl im Zimmer stehen würden, wenn ich all die Tränen, die ich für Juka vergossen hatte, darin aufgefangen hätte. Sein letzter Blick von heute Nacht verfolgte mich und schien mich wie ein Geist heimzusuchen. Wie hatte ich nur wieder mit ihm schlafen können? Ich verdammter Idiot. Irgendwie konnte ich jetzt unmöglich schlafen und so simste ich Flo, ob er nicht hochkommen wolle. Etwa zehn Minuten später trat er in mein Zimmer, wedelte mit dem Joint in seiner Hand und zwei Bierchen unterm Arm. Ich lächelte schwach. Wir redeten nicht sonderlich viel, aber es tat auch einfach nur gut, ihn hier zu haben.   Am Nachmittag erhielt ich unerwarteten Besuch von Jule und die sah echt mehr als sauer aus. Ich verdrehte nur die Augen und wusste sofort, dass ich das mit Sicherheit Fabi zu verdanken hatte. Dieses Plappermaul von Bruder wusste genau, bei wem er sich auskotzen musste. Ein bisschen verachtete ich ihn dafür. Fabi lehnte selbstgefällig grinsend in meinem Türrahmen. Ich zeigte ihm nur meinen Mittelfinger. Bevor ich etwas sagen konnte, holte Jule aus. „Bist du eigentlich völlig behämmert Lukas? Ich dachte Fabi verarscht mich. Und wie war das neulich, als es dich fertig gemacht hat…als verrückt hat er dich bezeichnet. Was ist bloß los mit dir?“, fuhr sie mich forsch an. „Können wir das Thema jetzt bitte lassen? Ich weiß ich hätte das nich tun sollen, aber es is eben passiert…sorry. Ich bin nun mal nich perfekt.“ „Lukas, mein Schatz, ich habe nur Angst, dass du noch mal so abstürzt. Nicht mal deine eigene Schwester hat dich wiedererkannt. Und dann rennst du diesem Spinner wieder in die Arme? Das ist wirklich verrückt Lukas…tut mir leid, aber ich dachte eigentlich immer du wärst intelligent genug, um den selben Fehler nicht zwei Mal zu begehen.“ „Ich bereue es selbst okay! Und jetzt lasst mich doch alle in Ruhe!“, zischte ich meine Freunde an. „Wir wollen aber nicht gehen, verdammt noch mal. Wir haben dich doch gern!“ Jetzt schwang leichte Verzweiflung in Jules Stimme. „Und das ist auch schön, nur manchmal nervt es mich echt. Ich komme mir vor wie ein beschissenes Kind. Außerdem war Juka ein besonderer Mensch für mich und das wird sich nich ändern, denn es sind auch Dinge zwischen uns passiert, die unglaublich toll waren. Manchmal weiß ich selbst nich, wie dieser ganze Liebesschwachsinn funktioniert, doch Fakt ist, dass Juka der einzige Mensch is, den ich bedingungslos liebte, auch wenn wir viel, viel, viel Scheiß durchmachen mussten. Jeder macht Fehler, der eine größere, der andere kleinere, doch wenn man einmal die Liebe des Lebens getroffen hat, isses verdammt schmerzhaft sie wieder loszulassen. Es tut mir leid, dass ich euch so sehr zur Last gefallen bin. Doch ihr tut so, als wäre ich er größte Versager und könnte nicht auf mich selbst aufpassen. Ganz ehrlich Fabi, als ich in deinem Alter war, habe ich viel beschissenere Dinge getan. Jeder von euch trifft seinen eigenen Entscheidungen und ihr habt euch damals entschieden mir beizustehen. Und Jule, was macht dich so sauer. Die Tatsache, dass ich mich letztendlich nich für dich entschieden habe? Es will mir immer keiner glauben, aber ich bin viel abgefuckter als ihr beide zusammen. Ich renne vom einen Chaos ins nächste, das geht schon Jahre lang so und so sehr ihr mich auch zu mögen scheint, die eine Sache hatte euch Juka voraus- er ertrug mich immer, er duldete meine Launen, meine Selbstverliebtheit und mein nichtvorhandenes Selbstbewusstsein sowie den Schmerz, den ich schon mein Leben lang spazieren trage. Klar hat er es geschafft mich an den Rand des Wahnsinns zu treiben, aber manchmal wünschte ich, wir wären wieder ein Team.“ Die Wut war aus Jules Gesicht gewichen und auch Fabi schien ernsthaft über etwas nachzudenken. „Lukas…es..tut mir so leid…was kann ich nur für dich tun?“ Sie schien sichtlich aus ihrem Konzept gebracht worden zu sein. „Nichts, danke!“, erwiderte ich und knallte die Tür vom Proberaum hinter mir zu und schloss ab. Zu spät realisierten meine Freunde, dass ich mich eingesperrt hatte. Doch ich wollte einfach nur allein sein. Allein mit meinem kaputten Herz und den üblen Gedanken. Alle wollten mir helfen, doch ich ließ mir nicht helfen. Stattdessen stürzte ich mich noch tiefer in die Dunkelheit. Das Hämmern an der Tür übertönte ich mit lauter Musik und mein Handy stellte ich auf stumm. Ich lag nahezu reglos auf dem Sofa und lauschte meinem Herzschlag, der immer unkontrollierter wurde, je mehr ich mich in meine kranke Gedankenwelt wagte. Ich wusste nur zu gut, was mich jetzt wieder runter brachte, denn diese Grenze hatte ich in letzter Zeit schon wieder viel zu oft überschritten und es trieb mich vermutlich noch mehr von Juka weg. Doch war das nicht auch egal? Blieb nur die Frage wo. Arme war langsam ein bisschen auffällig. Meine Brust glich schon einem kleinen Schlachtfeld, wie wäre es dann mit dem Bauch? Langsam und leicht zittrig ließ ich meine Hand in die Hosentasche gleiten. Einen kurzen Moment setzte mein Herz aus, als sich das warme Metall zwischen meine Finger schob. Vorsichtig zog ich es heraus und hielt es vor mein Gesicht. Du bist so krank und gestört. Keiner wird dich jemals so lieben, wie du bist. Schon gar nicht Juka. Flüsterte eine dunkle Stimme in meinem Kopf und heiße Tränen rannen meine Wangen hinab, die meine Sicht etwas verschleierten. Ich schob mein Shirt ein Stück hoch und gab mich dem Schmerz hin. Die Tränen erreichten meine Lippen und ich schmeckte das Salz. Es faszinierte mich jedes Mal auf’s neue, wie das Blut erst wenige Sekunden nach dem Schnitt aus der Wunde drang. Ich verschmierte die rotglänzende Flüssigkeit und hielt mir die Hand vor Augen. Konnte man süchtig nach Schmerzen sein? Oh ja, definitiv. Es gefiel mir so sehr und die Klinge sauste erneut durch die helle Haut unterhalb der Rippen. Wie ein Messer durch ein Stück Butter. Als ich mich aufsetzte, bahnte sich das Blut seinen Weg nach unten. Der Fluss wollte nicht so recht stoppen, deshalb presste ich meine linke Hand auf die Wunde. Mit der rechten fummelte ich eine Kippe aus meiner Schachtel und zündete sie an. Ich drehte die Musik etwas leiser, um zu hören, ob meine Freunde noch immer versuchten die Tür zu öffnen. Doch nichts. Kein Laut drang an mein Ohr. Warum zur Hölle hörte der Schmerz im Kopf nicht auf? Die Stimme wurde unerträglich laut und redete ununterbrochen auf mich ein, wie scheiße und nutzlos ich war. Ich schnitt ein weiteres Mal zu und vermochte die Tränen nicht weiter zu unterdrücken. Ich kippte zur Seite, krümmte mich zusammen und hielt die Rasierklinge noch immer in meinen blutigen Händen. Neben mir gab das Polster etwas nach, als sich jemand setzte. Doch ich war nicht im Stande, die Person auszumachen, wobei ich es mir fast denken konnte. „Es ist soweit alles gut, aber lass mich bitte einen Moment allein mit ihm, okay?“, sprach Flo in sein Handy und legte auf. Er seufzte tief und schaute auf mich herab. Dann zog er mich hoch, in seine Arme. „Was machst du nur wieder, Dummerchen…“, flüsterte er mir zu und wiegte mich sanft. „Ich bin so am Arsch…ein Nichts Flo…egal was ich mache, alle hassen mich…Jule, Fabi…Jojo…Juka“, schluchzte ich und als mir sein Name über die Lippen sprang, brach ich erneut zusammen. Mein Herz tat weh. So weh, dass ich mir an die Brust fasste. „Keiner hasst dich…und du hast mich in deiner Aufzählung vergessen…“, bemerkte er. Das war mir gar nicht aufgefallen. „Hast du zufällig Verbandszeug dabei?“ Mein bester Freund nickte und legte die Mullbinden auf seinen Schoß, rieb seine Hände mit Desinfektionsmittel ein und öffnete die Packung. Mit noch immer zittrigen Händen schob ich mein Shirt erneut hoch, dabei glitt mir der kleine Übeltäter aus der Hand. Diesen beschlagnahmte Flo sogleich und warf mir dabei einen ernsten Blick zu. „Dich kann man echt nicht allein lassen…komm mit, ich bring dich ins Bett.“   Ich wurde in der Mediengestalterfirma, in der ich arbeitete zum Abteilungsleiter befördert, was bedeutete, dass ich mir endlich die verdiente Anerkennung erkämpft hatte und auch mehr Geld bekam. Das wollte ich natürlich mit Flo, Jule und Fabi feiern und wir gingen erst thailändisch Essen und dann in mein Haus, um diesen Erfolg zu begießen. Es ging mir nicht so elendig wie kurz nach der Trennung von Juka, doch zu kämpfen hatte ich noch immer. „Hat sich Juka eigentlich nochmal gemeldet?“, fragte Jule dann. „Nö. Ich hoff fas tut er auch nich.“ „Sonst verprügel ich ihn auch gern für dich“, meinte mein kleiner Bruder. Ich schaute ihn ein wenig vorwurfsvoll an. „Hör auf sowas zu machen.“ Ich arbeitete in den nächsten Tagen viel und verbrachte die Abende oft alleine. Überraschenderweise traf ich Jojo und Fabi eines Abends in meiner Wohnung an. Vorerst ignorierte ich beide, weil ich keine Lust auf blöde Diskussionen hatte. Ich nahm mir ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank und ließ mich auf dem Sofa nieder. Die beiden schlichen wie Schatten hinter mir her. Jojo ergriff zuerst das Wort. „Bist du mir etwa noch immer sauer?“ „Ich war dir nie wirklich sauer…naja anfangs vielleicht, doch ich hätte es an deiner Stelle wahrscheinlich genauso gemacht…aber Naoki Jojo, das endet meist nich gut.“ „Das sagt ja gerade der Richtige…“, warf Fabi ein und ich schaute ihn mit einem vernichtenden Blick an. „Wenn du zum Streiten hier bist, kannst du gern wieder gehen.“ „Nein, eigentlich wollte ich mich bei dir entschuldigen…deine Worte neulich haben mir schwer zu denken gegeben.“ „Ach ja? In wie fern?“, fragte ich und trank einen Schluck. „Naja, du hast gesagt, dass du nur das Gefühl hast, Flo und Juka wären die Einzigen, die dich mögen, aber das stimmt nicht. Du bedeutest mir viel Lukas, immerhin bist du meine einzige Familie.“ Ich schwieg einen Moment, um über meinen nächsten Satz nachzudenken. „Weißt du Fabi…ich habe die meisten meiner Mitmenschen immer glauben lassen, dass ich der coole unnahbare Typ bin, weil ich es unnötig fand meine Gefühle zu zeigen. Ich stehe tief in eurer Schuld, weil so wie ihr mich erlebt habt, war es mir nicht möglich meine Emotionen zu kontrollieren. Was ich euch verschwiegen habe ist, dass ich mich Juka gegenüber in Tokio echt mies verhalten habe. Er führte sich nicht ohne Grund so auf…ich kann auch nicht genau sagen, woran es lag, dass ich mich so sehr von ihm abgewendet habe…doch am Ende hat es uns beide fast umgebracht. Juka ist außerdem der Einzige, der bisher meine Bedürfnisse stillen konnte, das macht es umso komplizierter….“ Jojo holte Fabi und sich auch ein Bier. „Warum kann ausgerechnet er deine Bedürfnisse stillen?“, fragte Jojo und ich wusste worauf das kleine Biest hinaus wollte. „Weil der Sex mit einem Mann nun Mal anders is…intensiver….“ „Auch wenn du wusstest, dass er schon andere Männer verführt hat?“ Ich funkelte meine Schwester böse an und Fabi schien uns nicht mehr ganz folgen zu können. „Lass es einfach oder willst du dich ernsthaft mit mir anlegen? Du weißt doch, wohin das führt.“ „Ja schon, doch hebst du Juka in den Himmel, stellst ihn auf einen Sockel und verbietest mir was mit Naoki anzufangen.“ „Du kanntest ihn damals erst 2 Monate und kenne Juka seid 7 Jahren, das ist ein kleiner Unterschied.“ „Na und…aber was wenn ich Naoki liebe?“ Ich seufzte und hoffte diesen kleinen, wütenden Teenie beruhigen zu können. Dann wusste ich wie ich mir mehr Licht in dieser Sache verschaffen konnte. „Johanna, ich kann dir und will dir nicht verbieten mit Naoki zusammen zu sein, doch heule mir später nich die Ohren voll.“ Sie erhob sich und rannte mit ihrem Bier davon, ich folgte ihr und bekam sie gerade noch so am Ärmel zu fassen. „Lass mich, es ist dir doch eh egal!“, fauchte sie mich an. „Nein eben nich, sonst würde ich nich so ein Drama draus machen. Tue was du denkst, nur lass dich nich von ihm verarschen.“ Ich schob Jojo wieder zum Sofa und auf einmal war ich kaputt und ausgelaugt vom Stress der letzten Tage. Ich verabschiedete mich ins Bett. Doch der nächste Tag wurde die reinste Hölle. Draußen regnete es in Strömen und mein Gemütszustand war düsterer denn jeh. Deshalb blieb ich auch in meinem Zimmer, denn egal, wem ich an diesem Tag über den Weg gelaufen wäre, hätte dieser mich von meiner besten Seite zu sehen bekommen.   Ich hatte doch beschlossen mich mit meiner Schwester zu versöhnen. Immerhin hätte ich es wahrscheinlich auch nicht anders gemacht. Sie und ihre Freundin Nina besuchten uns öfter, seit es wieder besser zwischen uns lief. Es wurden meist gemütliche, aber auch amüsante Abende. Selbst Flo, der gerade jetzt in der Herbstzeit wieder mehr unter Depressionen litt, kroch öfter als sonst aus seiner Höhle hervor. Wenn er gemeinsam mit uns im Wohnzimmer saß, suchte er insbesondere meine Nähe und ich versuchte ihm ein liebevoller Freund zu sein. Alles schien irgendwie normal, ja schon fast schön zu sein. Kapitel 47: Nina ----------------   Nina und Jojo machten es sich an einem besonders stürmischen Abend zu Hause mit Tee und ihren Lieblingsserien gemütlich. Jojos Männergeschichten ließ sie vorerst doch ruhen und genoss stattdessen die wichtigen Dinge. Jedoch war ihr aufgefallen, dass Nina, die sich sonst gern mal einen Mann für eine Nacht gönnte, sich auch sehr zurückhielt. Allerdings verschwieg sie ihrer Freundin den Grund, doch den wollte Jojo endlich herausfinden. „Du bist aber in letzter Zeit auch sehr enthaltsam, was ist da los?“ Nina schaute ihre beste Freundin ein bisschen erschrocken an, als wäre sie ertappt worden. „Es gibt gerade keine brauchbaren Männer auf dem Markt. Und entweder, sie sind Arschlöcher oder schwul.“ „Was kennst du denn für schwule, gutaussehende Männer?“ Sie seufzte. „Jojo, manchmal bist du echt schwer von Begriff…wie viele schwule Typen kennst du denn?“ Jojo überlegte und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. „Lukas??....Ninaschatz, er ist schwul und nein…lass es einfach bleiben.“ „Warum das?….immerhin ist er jetzt wieder single.“ „Und so viel ich weiß ist er gerade wenig an Beziehungen interessiert…du stürzt dich nur ins Unglück, denn entweder er macht dir sofort klar, dass er nicht interessiert ist oder aber er benutzt dich.“ „Selbst wenn ich nur eine nette Abwechslung für ihn bin, reicht mir das…ich bin ja nicht in ihn verliebt oder so…er ist halt nur nach meinem Geschmack.“ Nina lehnte sich zurück und Jojo konnte ihrem Blick entnehmen, dass sie sich nicht so leicht umstimmen ließ.   Mein Lieblingsfamilienfest näherte sich und ich schmiedete insgeheim Pläne, wie es Weihnachten umgehen konnte, denn immer schon brachten diese Feiertage etwas Unangenehmes mit sich. Meine Mum wollte aus Schottland zu uns kommen und unser Dad hatte uns auch eingeladen, doch das hatte ich ganz gekonnt ignoriert. Ich fühlte mich leer und hatte noch keinem erzählt, dass ich Juka noch immer anbetete. Ich war es gewesen, der ihn hatte gehen lassen und ich wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen ist oder doch nicht? Denn mein Herz sagte mir etwas anderes. Langsam ertrug ich diesen Schmerz nicht mehr und langsam trieb er mich regelrecht in den Wahnsinn, denn so sehr ich versuchte den Schein zu wahren, fühlte sich alles falsch an. Es strengte mich an nicht die Gefühle zeigen zu können, die mich wirklich bewegten. Mit keinem wagte ich darüber zu reden, weil ich es leid war ihre dummen Kommentare anzuhören oder mich für meine Gefühle für Juka rechtfertigen zu müssen. Jetzt war ein guter Zeitpunkt mich zu betrinken und in meinem Zimmer zu verkriechen. Ich schaute vor mich und erblickte meinen imaginären Scherbenhaufen, der mit jedem Tag größer wurde. Zu sehr klammerte ich mich an dem Wunsch, dass es zwischen Juka und mir funktionieren würde fest. Und so sehr ich es versuchte, ich konnte nicht loslassen, es war wie ein Fluch. Ich beschloss mit Fabi und Flo feiern zu gehen. Lustiger Weise trafen wir auch Nina und meine Schwester. Mein kleiner Bruder amüsierte sich prächtig und ich so gut es eben ging. Am nächsten Tag gestand mir Fabi, dass er sich Hals über Kopf in Nina verknallt hatte. Das freute mich, denn auch ihm würde ich mal wieder ein nettes Mädel gönnen. Jetzt war es nur noch ein Monat bis Weihnachten und ich spielte schon mit dem Gedanken irgendwohin zu fahren, allein um mal einen klaren Kopf zu bekommen. Jemand kam und legte seine Arme von hinten um mich. „Alles okay Schnucki?“ „Nee, alles beschissen. Vielleicht sollten wir ne Selbsthilfegruppe oder sowas gründen Flo.“ Mein Freund lachte und setzte sich zu mir vor den Kamin. „Und wie nennen wir die dann? Ich hab jetzt mal wieder ein bisschen mit Zeichnen angefangen. Vielleicht geh ich nächste Woche doch mal im Tattoostudio vorbei und frag wie es da aussieht.“ „Cool, klingt nach nem Plan.“ Die nächsten Tage gelang es mir meine Gefühle erstaunlich gut zu verdrängen. Doch vielleicht lag das auch daran, dass ich mich mit Flo wieder öfter als gut war abschoss.   Nina schmachtete noch immer in Erinnerung an den gestrigen Abend. „Nina, bitte. Es geht hier immer noch um meinen Bruder. Er wird jetzt erst mal den Casanova spielen, glaub mir. Und hast du ihn gestern gesehen? Du interessierst ihn nicht. Überlege dir also gut, ob du das wirklich willst. Ich will am Ende keine heulende, völlig fertige beste Freundin hier sitzen haben.“ „Jojo ich muss es riskieren…“ Jojo verdrehte die Augen und stieß mit ihr an. Sie konnte Jojo auch tatsächlich dazu überreden Lukas und Fabi zu ihrer Semesterweihnachtsfeier einzuladen. Sie sagten sogar zu und Nina konnte endlich versuchen ihre Pläne in die Tat umzusetzen. Sie kannte Lukas schon eine halbe Ewigkeit und trotzdem hatte sie ihre Nervosität nicht unter Kontrolle. Ihre Freundin versuchte ihr noch immer einzureden, dass es eine blöde Idee sei sich an ihrem Bruder zu vergreifen. Nicht, weil sie es Nina nicht gönnte, sie machte sich Sorgen, er könnte sie verletzen, doch Nina sah das nicht.   Die Jungs hatten sich echt in Schale geworfen und Lukas sah unglaublich heiß aus. Jetzt bekam Nina doch so ihre Bedenken. Außerdem entging ihr auch nicht, dass sich Fabi mächtig ins Zeug legte und jede Gelegenheit nutzte, um mit ihr zu flirten. Immer wieder versuchte sie ihm aus dem Weg zu gehen, doch er hing ihr dauernd am Rockzipfel. Nina warf ihrer liebsten Jojo einen flehenden Blick zu und natürlich kam sie zu Hilfe. Nina ergriff so die Gunst der Stunde und suchte Lukas auf, den sie nett plaudernd bei einem Mädchen fand. Absichtlich rempelte sie ihn von der Seite an und er wollte sich schon beschweren, als er Nina erkannte. „Hey Nina, ich dachte du bist mit Fabi beschäftigt“, witzelte er. Sie verdrehte die Augen. „Ich musste vor ihm weglaufen. Irgendwie scheine ich heute Abend eine magische Anziehungskraft auf ihn zu haben.“ Schön, er widmete sich ganz ihr und ignorierte das Mädchen. „Wer weiß, vielleicht steht er ja auf dich.“ Sie zog die Stirn in Falten. „Und wenn schon…kein Interesse.“ Lukas ergriff zwei Sektgläser und reichte ihr eines davon. „Gefällt er dir nich? Oder stehst du eher auf die süßen Studenten?“ „Mhh, die Jungs hier sind tatsächlich ganz süß, aber ich steh nicht so auf Strebertypen.“ Lukas lachte und als sie sein Blick traf, war Nina kurz wie gelähmt. Verlegen schaute sie sich in der Menge nach Jojo und Fabi um. Sie redeten, so ein Glück. „Hat meine Schwester eigentlich jemanden?“ Nina schüttelte mit dem Kopf und trank einen Schluck. „Glaub nicht…nach Naoki hatte sie genug von Männern.“ „Um ehrlich zu sein bin ich froh, dass das zwischen den beiden nicht funktioniert hat“, sagte er ernst. „Ich fand ihn ganz sympathisch.“ Lukas kniff die Augen zusammen. „Ein reicher Schnösel, der nur die Frauen und Drogen im Kopf hat….und jedes Wochenende ne andere am Start.“ „Oho, spricht da etwa der besorgte, vernünftige Bruder?“, neckte sie ihn. „Ja, manchmal bin ich das tatsächlich...“ Irgendwie hätte sie sich eine andere Antwort erhofft und trotz seiner kecken Art verbarg sich hinter seiner Fassade ein anderer Lukas. „Naja…ich kann’s ein bisschen verstehen, aber ich hab Naoki in Tokio erlebt…da war er echt nett zu Jojo.“ Ninas Alkoholpegel stieg. Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis Fabi auf einmal wieder neben ihr stand und sie zum Tanzen aufforderte. Nina hatte keine andere Wahl. Später merkte sie den Alkohol ganz schön und tanzte nur noch, bis sie sich irgendwann nicht mehr so richtig erinnern konnte.   Ich schlug meine Augen auf und war etwas irritiert, weil die Umgebung so ungewohnt war und als ich einen Blick neben mich warf, fuhr ich etwas schreckhaft zusammen, erkannte dann jedoch meine Schwester. Jetzt fiel es mir wieder ein, die beiden Mädels hatten sich gestern ordentlich abgeschossen und ich hatte sie nach Hause begleitet. Leise stahl ich mich aus dem Bett und schlüpfte in meine Hose. Was ich jetzt wirklich brauchte, war ein Kaffee, hoffentlich gab es das bei den Mädels. Jojo regte sich auch neben mir und blinzelte mich an. „Morgen…willst du schon abhauen?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nee, nur Kaffee und ne Zigarette wären super.“ Jojo stolperte aus dem Bett, zog ihren Morgenmantel über und schlurfte in die Küche. Ich folgte ihr und sie erlaubte mir sogar in der Küche zu rauchen. „Lukas, kannst du mir einen Gefallen tun?“ „Klar immer doch…um was geht’s?“ Jojo seufzte und warf mir einen seltsamen Blick zu. „Es geht um Nina…ich glaub sie steht auf dich, aber ich denke, dass das eh nicht gut geht…kannst du ihr das irgendwie klar machen? Auf mich hört sie nicht.“ „Hast du ihr erzählt, dass ich ein gestörter, suizidgefährdeter, egozentrischer Psychopath bin?“ Meine Schwester verschluckte sich an ihrem Kaffee, weil sie lachen musste. „Nein hab ich nicht, soll ich?“ Ich zuckte mit den Schulter und nahm einen tiefen Zug. „Mach halt, mir egal. Wird sie nich sauer, wenn sie erfährt, dass du mir gebeichtet hast?“ „Mhh sie muss es ja nicht erfahren. Sie denkt halt, jetzt da du wieder single bist, kann sie es ja probieren…klar fänd ich es cool, aber sie passt so gar nicht zu dir und naja…da wäre noch das andere.“ „Du darfst Juka auch gern beim Namen nennen. Ich komm damit klar…irgendwie.“ „Okay…ich will nur nicht, dass sie sich da in was verrennt.“ „Süße, ich hab besseres zu tun, als mich an deine beste Freundin zu schmeißen…keine Sorge.“   Nina schreckte auf und sank sofort wieder in die weichen schützenden Kissen, weil sie fürchterliche Kopfschmerzen hatte. Nach einer Weile beschloss sie dann aber doch eine Kopfschmerztablette zu holen und quälte sich aus dem Bett. Leise schlich sie aus meinem Zimmer ins Bad und blieb wie angewurzelt stehen. Sie vernahm Stimmen aus der Küche und eine davon gehörte definitiv Lukas. Ihr Herz schlug schneller und sie versuchte sich leise ins Badezimmer zu stehlen. Nicht nur, weil sie fast nichts anhatte, sondern weil sie der Gedanke überkam, dass sie sich gestern wahrscheinlich blamiert hatte. Als Nina in den Spiegel sah, stellte sie fest, dass sie nicht ganz so schlimm aussah, wie sie sich fühlte und ihre Lockenpracht von gestern Abend saß noch immer nahezu perfekt. Das Mädchen atmete tief durch und wollte zurück in ihr Zimmer. Klar, dass Lukas natürlich jetzt aus der Küche trat. Mit verschränkten Armen lächelte er sie verschmitzt an. Mann war das peinlich. „Guten Morgen, ich hoffe dir geht es besser.“ „Hey…naja, hatte schon bessere Tage.“ „Was macht dein Kopf?“ Sie schlüpfte noch schnell in den rosa Bademantel und versuchte diesen gutaussehenden Mann zu ignorieren. „Ich glaub ich mach mir auch mal einen Kaffee. Aber was machst du eigentlich hier?“ „Irgendwer musste dich ja nach Hause bringen.“ Sie erschrak ein bisschen. „War es so schlimm?“ Lukas lächelte wieder. „War okay…dachte nur es wäre besser so.“ Nina nickte nur und war fast am Durchdrehen, denn dieser hübsche, von Tattoos gezierte Mann wusste wahrscheinlich, wie er Mädchenherzen zum Schmelzen brachte. „Hab ich was Schlimmes gemacht?“ „Nur mit Fabi rumgeknutscht.“ Sie verschluckte sich an ihrem Kaffee. „Bitte was???“, fragte Nina entsetzt, als hätte sie die Worte nicht klar und deutlich verstanden. „Du und Fabi…ihr habt rumgeknutscht“, widerholte Lukas sichtlich amüsiert und auch Jojo schien das echt witzig zu finden. Das Mädchen ließ sich auf dem Sofa nieder. „Ach du scheiße…also muss ich das wohl heute gerade biegen“, nuschelte sie eher zu sich selbst. „Warum, er is doch nett und hat bestimmt nichts gegen ein Tächtel Mächtel mit dir.“ „Ich will aber nicht okay!“, fuhr sie ihn an. „Sorry…hatte vergessen, dass du gereizt bist.“ Sie lehnte sich zurück und schlürfte ihren Kaffee. „Ich vermute fast er will was Ernstes und das kann ich ihm nicht geben.“ Lukas sah sie fragend an. „Das schließt du daraus, weil du ihn geküsst hast und es nich mal mehr weißt?“ „Nein, das hat ja vorher schon angefangen…außerdem hab ich gestern schon erwähnt, dass ich nicht auf ihn stehe.“ „Das ist aber schade“, gab er ironisch zurück. „Warum das denn? Er wird’s schon verkraften.“ Lukas zog jetzt auch seinen Pulli wieder an und verwehrte ihr so den Anblick auf seinen schönen muskulösen Körper, der allerdings von Narben übersät war und sie fragte sich, was da passiert war? Vielleicht stand er ja auch auf Fessel- und Bondagespiele? Sowas konnte sie sich immer nicht so richtig vorstellen. „Ich werde dann mal gehen.“ Zum Abschied gab er Nina einen sanften Kuss auf die Wange, der den süßen Schmerz nur noch verstärkte. Auch Jojo umarmte er und die beiden tauschten verschwörerische Blicke aus. „Lukas…danke, dass du mich nach Hause gebracht hast.“ „Gern geschehen.“ Sie verkroch sich in ihrem Zimmer und schaute schnulzige Serien an. Vielleicht hatte Jojo doch Recht und Lukas war nichts für sie.   Fabi war außer sich vor Wut, als ich kam. Er warf mir vor, was mit Nina angefangen zu haben, dabei wollte ich doch nur meine Ruhe. Ich nahm ihm den Wind aus den Segeln. „Ganz ehrlich, wenn dir soviel an ihr liegt, warum hast du sie nich nach Hause gebracht? Außerdem hab ich das auch Jojo zuliebe gemacht, die war nämlich auch echt durch.“ „Wollt ich ja, aber da hast du sie schon mitgenommen. Vor allem hab ich dir gesagt, dass ich sie süß finde und du hast nichts Besseres zu tun als dich an sie ranzuschmeißen“, fuhr er mich an. „Jetzt komm mal runter. Ich hab bei Jojo im Zimmer gepennt und was hätte ich für nen Grund mich an Nina ranzuschmeißen?“ „Ach leck mich doch“, beendete er das Gespräch und verschwand in seinem Zimmer. Ich verstand sein Problem nicht, denn wenn er Nina so toll fand, warum lud er sie nicht mal zum Essen ein oder so. Doch dann kam mir wieder in den Sinn, dass sie Fabi gar nicht so attraktiv fand, aber das sollten die beiden unter sich klären. Ich baute mir einen Joint und klopfte an Flos Zimmertür. „Lust auf eine Wundertüte?“, fragte ich grinsend und er kam mit hinaus ins Wohnzimmer. Ich warf einen Blick auf seine Arme und die sahen echt alles andere als appetitlich aus. Er war noch immer nicht ganz über Kami hinweg und versuchte sich durch körperliche Schmerzen abzulenken. Ich wusste wie das war und trotzdem brach es mir das Herz ihn so zu sehen. Dennoch schien er heute ausgenommen gut gelaunt zu sein. Fabi gesellte sich dann auch zu uns, wahrscheinlich konnte er seinem Drang mit uns zu kiffen doch nicht widerstehen. Er entschuldigte sich außerdem bei mir und ich überlegte kurz, ob ich ihm beichten sollte, dass Nina nicht auf ihn stand, ließ es jedoch bleiben. Da ich morgen arbeiten musste, verabschiedete ich mich recht früh ins Bett.   Als ich Jojo zum Weihnachtsgeschenke shoppen abholen wollte, empfing mich Nina und meinte, meine Schwester wäre noch an der Uni, würde aber gleich kommen. „Bekomm ich vielleicht einen Kaffee?“, fragte ich und merkte, wie ihre Wangen leicht erröteten. Ich musste grinsen. „Natürlich, wollte eh gerade einen machen. Hat Fabi was zu dir gesagt?“ Hatte sie auf einmal doch Interesse an meinem kleinen Bruder? Ich hatte mir geschworen auch mit Nina nicht darüber zu reden. „Wie wäre es, wenn du ihn selbst fragst.“ Sie warf mir einen genervten Blick zu. „Ich geh ihm einfach aus dem Weg, das ist auch eine Antwort auf seine ständigen Nachrichten. Sagt man nicht immer von uns Mädels, dass wir uns nervig verhalten?“ „Reden wir jetzt über Beziehungen?“, fragte ich amüsiert. Nina zuckte mit den Schultern. „Mal ganz ehrlich, ein Mädchen, das sich dauernd bei dir meldet, ist doch uninteressant?“ „Naja, es gibt mir zumindest zu verstehen, dass sie leicht zu haben is. Somit habe ich immer jemanden, der mir in Notfällen zur Verfügung steht.“ Nina schaute mich etwas überrascht an. „Also bist du gerade eher der Casanova?“, fragte sie charmant. „Mag sein. Warum fragst du mich eigentlich über mein Liebesleben aus?“ Sie zuckte mit den Schultern und grinste. „Nur so…aus Interesse.“ Ich zog die Augenbrauen hoch und in dem Moment kam meine Schwester. Wir brachen auch sogleich auf. Jojo und fuhren mit der Bahn in die Stadt und bekamen auch so gut wie alles. Nach unserer Shoppingtour schlenderten wir noch über den Weihnachtsmarkt und tranken Glühwein.   Ungeduldig wartete Nina auf ihre Freundin und endlich, bepackt mit Einkaufstüten traf sie endlich wieder ein. Sie grinste nur, als sie Nina erblickte und schüttelte mit dem Kopf. „Nina, über was hast du mit Lukas gesprochen?“ „Gott, bin ich froh, dass ich endlich darüber reden kann. Wir haben uns über Beziehungen unterhalten und ich hab versucht mehr über Fabi rauszubekommen, aber Lukas sagt nichts. Meinst du er mag mich?“ Jetzt schaute sie Jojo wieder mit diesem ernsten Blick an. „Ninaschatz, ich weiß es nicht und ich bin nicht sicher, wie ich die ganze Situation gerade einschätzen soll. Wir sind übrigens in zwei Wochen bei Lukas eingeladen zum Weihnachten feiern.“ „Mir rutscht jetzt schon das Herz in die Hose, wenn ich dran denke. Kannst du nich was rausbekommen?“ „Vergiss es. Das machst du schön allein.“ Nina funkelte ihre Freundin böse an und ließ die nächste Woche schnell vorübergehen. Als es soweit war, wurde Nina nur noch nervöser. Den 24. Dezember verbrachte sie mit ihrer eigenen Familie und den ersten Feiertag am Nachmittag hübschte sie sich auf und machte sich auf den Weg zu Lukas. Er öffnete ihr die Tür und am liebsten wäre sie in Ohnmacht gefallen, so umwerfend sah er heute aus. Die ersten drei Knöpfe seines schwarzen Hemdes hatte er offen gelassen und es schloss perfekt mit dem Bund seiner Hose ab. Er begrüßte sie wie immer. „Hey, schön, dass du es geschafft hast.“ Nina lernte Lukas und Jojos Mama kennen. Sie war eine sehr nette Frau und man merkte ihr sehr an, dass die beiden ihr viel bedeuteten. Fabi versuchte irgendwann wieder mit ihr zu flirten, doch das Mädchen hatte nur Augen für diesen wunderschönen Mann mit dem Whiskeyglas in der Hand. Doch beachtete er sie kaum und das trieb Nina in den Wahnsinn. Sie spielten nach dem Essen Tabu und Nina war mit Lukas in einer Mannschaft. Sie schlugen sich gut und je weniger Nina darüber nachdachte, wie umwerfend sie ihn fand, desto mehr konnte sie mit ihm in Kontakt treten. Nina und Lukas schlugen alle und als sie schließlich gewonnen hatten, musste sie mit ihm Schnaps trinken. „Das Zeug mag ich gar nicht, aber für dich tue ich das.“ Als Nina wieder dieser Blick traf, als sie anstießen, war es, als wollte ihr Herz zerspringen. Er beugte sich näher zu ihr. „Hättest du das auch für Fabi getan?“ Ohne zu überlegen gab sie ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. „Sicher nicht“, entgegnete sie und setzte mich schweren Herzens zu Jojo. Flirten schön und gut, aber das verschob Nina auf später. Und wie sie gehofft hatte, trafen sich ihre Blicke immer wieder. An diesem Abend fiel es ihr verdammt schwer zu gehen, doch sie wollte nicht, dass Lukas die Oberhand gewann. Durch Jojo hatte Nina genügend von ihm erfahren und wusste, dass er zwar ein Casanova war, aber dennoch einen weichen, sensiblen Kern besaß und diesen musste sie erreichen.   Welch ein Glück, ich hatte die Feiertage überstanden und das ohne Mord und Totschlag. Auf Silvester freute ich mich, weil ich da bei uns die Party des Jahres plante. Flo und ich, wir bauten das Wohnzimmer um und schleppten die Musikanlage vom Keller nach oben. Stühle räumten wir nach unten und die Tische stellten wir an die Wände. Wir waren uns einig, dass der Keller tabu für alle Gäste sein würde. Nun fungierte das Wohnzimmer als relativ große Tanzfläche. Den Poolbereich hatte ich wetterfest gemacht und theoretisch konnte man auch im Winter baden gehen. Ich schloss die Lichterketten an und die größere Lichtmaschine, die Wohnzimmer und Poolbereich beleuchtete. Einen Tag vor Silvester schneite Nina bei uns rein. Ich hörte, wie sie mit Fabi redete und dann nach mir fragte. Jedoch wusste ich nicht, ob ich Lust zum Reden hatte. Ab und an suchten mich dann doch Phasen heim, in denen mir bewusst wurde, dass ich Juka vermisste. Doch dann sagte ich mir immer und immer wieder, dass es einfach nicht funktioniert hätte. Das war die Wahrheit, Juka und ich würden niemals funktionieren. Nina klopfte und trat vorsichtig ein. Ich hockte mit meinem Joint auf dem Sofa und schenkte ihr recht wenig Beachtung. „Hast du kurz Zeit?“ Ich zuckte mit den Schultern und nahm einen tiefen Zug. „Warum nich. Worum geht es?“ „Naja, ich hätte voll Lust ein bisschen singen zu üben und Jojo meinte, ich sollte dich doch mal fragen.“ Jetzt war mein Interesse geweckt. „Hast du schon irgendwelchen Vorkenntnisse?“ Nina schüttelte mit dem Kopf. „Nicht wirklich. In der Schule meinten immer alle, ich sollte doch Sängerin werden, aber ich hatte andere Pläne mit mir.“ Ich lächelte schwach. „Naja, entweder du singst mir was vor oder übst noch ein bisschen für dich…“ „Ich kann dir was vorsingen, wenn du magst…hast du eine Gitarre hier?“ Erstaunt sah ich sie an. Das hätte ich nicht erwartet. „Klar, komm doch mit in den Proberaum nach unten.“ Sie folgte mir und ich war gespannt, was mich erwartete. Nach ein paar wenigen Aufwärmübungen stimmte sie Gods and Monsters von Lana del Rey an, was mich wirklich schwer beeindruckte. Nicht, weil sie den Text perfekt beherrschte, sondern ihre Stimme haute mich echt um. Ich gab ihr dennoch ein paar Tipps, wie sie kleine Unsicherheiten beheben könnte. Wir verbrachten letztendlich fast drei Stunden im Proberaum und redeten über Musik. „Was ist das eigentlich für eine Kette um deinen Hals?“ Nina lachte. „Die hat Elena von dem Vampir Stephan….Vampire Diaries. Kennst du sicher nicht.“ „Jojo hat mal davon geschwärmt, aber ansehen werde ich es mir sicher nich“, scherzte ich. „Ist glaub ich auch eine Mädchenserie.“ Ich baute mir noch einen Joint und fragte Nina, ob sie auch mitrauchen wollte. „Warum nicht.“ Ich spürte ihren Blick wieder auf mir ruhen, doch immer, wenn ich zu ihr sah, wich sie mir aus, wie ein scheues Reh. „Warum guckst du immer weg, wenn ich deine Blicke erwidere?“ Sie fühlte sich ertappt und ich musste lächeln. „Weiß nicht, vielleicht weil ich nicht anders kann.“ „Versteh ich nich…“, bemerkte ich. „Was war vorhin eigentlich los? Du hast so traurig gewirkt.“ Jetzt fühlte ich mich ertappt und Nina war nicht diejenige, mit der ich darüber reden wollte. „Nichts Spannendes.“ „Glaub ich nicht. Ich dachte immer, dass dein Leben voller spannender Abenteuer ist.“ Ich musste lachen und zündete den Joint an. „Wer hat dir das denn erzählt?“ „Das habe ich mir zusammengereimt. Der gutaussehende, geheimnisvolle Bruder meiner besten Freundin…der mich völlig betrunken nach Hause bringt…ich weiß nicht, vielleicht gehen meine Gedanken auch ab und zu mit mir durch.“ Gut, jetzt hatte sie die Karten auf den Tisch gelegt und wohl eher ungewollt offenbart, was der wirkliche Grund ihres Besuches war, nämlich ich. Aber das hatte mir mein Schwesterchen ja schon gesagt. „Was denkst du denn so?“ „Okay, ich hab was getrunken und bin high…ich garantiere für nichts…willst du wissen, warum ich nicht auf Fabi steh?“ „Oho, jetzt wird’s spannend.“ Ich versuchte neugierig zu klingen, obwohl ich die Antwort darauf bereits kannte. „Deinetwegen…irgendwann kam der Tag, da hab ich beschlossen, dass du echt heiß bist.“ Trotzdem musste ich ein bisschen lachen, weil es sich aus ihrem Mund so unbeholfen anhörte. „Nina, liebes…vielleicht solltest du solche Gedanken besser nich haben. Ich bin nicht der Typ, mit dem du zusammen sein willst.“ „Woher willst du das wissen. Ich steh auf Bad Boys.“ Ihre Ehrlichkeit überrumpelte mich etwas. Sie war wie ein aufgewecktes Reh, das sich versuchte dem bösen Wolf zu nähern, weil er ganz alleine ohne sein Rudel doch ganz kuschelig aussah. „Bad Boys also, das denkst du von mir? Ich weit mehr als das und sorry Herzchen, aber du könntest mir nie und nimmer das geben, was ich brauche.“ „Woher willst du das wissen, du kennst mich ja nicht mal richtig.“ „Ich kenne dich besser als du glaubst.“ „Ach ja? Erzähl mir mehr darüber.“ Nina wollte es echt wissen und ich beschloss ihr eine klitzekleine Kostprobe zu geben. Sie setzte sich auf meinen Schoß und ihre Hände glitten unter mein Shirt. Dann beugte sie sich vor, um mich zu küssen. Mit einem Griff um ihre Hüften hatte ich das süße Mädchen unter mich befördert und drückte meine Lippen auf die ihren. Ihre Zunge drang in meinen Mund vor und ich spürte schon fast wie sie das genoss. Deshalb ließ ich von ihr ab und warf ihr einen gelangweilten Blick zu. „Ich hab gesagt, lass die Finger von mir…das meine ich ernst. Du bist zu schade um einer meiner Gelegenheitsficks zu sein. Außerdem kann mich ein Mädchen niemals glücklich machen…ich steh nun Mal auf Männer.“ Ich merkte, wie sie kurz den Atem anhielt und mich dann zu sich zog. „Und wenn ich nur das will?“ „Nina mach keinen Scheiß“, gab ich zur Antwort, blieb ihr jedoch nahe, spürte ihr zartes Herzchen pulsieren und die Mischung aus Lust und Unsicherheit in ihren Augen aufleuchten. Jetzt fragte ich mich tatsächlich wie weit ich gehen sollte. Meine Hände streiften ihre nackte Haut und wieder schien sie den Atem anzuhalten. Mein Kuss war hart und ohne Gefühle. Endlich schob sie mich von sich weg und ein Hauch von Entsetzten lag in ihrem Blick. „Wie gesagt, erstens steh ich auf Männer, zweitens ich bin kein Typ, der auf Kuscheleien und Zärtlichkeit steht und drittens würden wir vielleicht ein paar mal miteinander vögeln, bis du mich langweilst. Ich bin in gewisser Weise egozentrischer Arsch, der keine Skrupel davor süße Mädels wie dich zu verführen, ihnen das blaue vom Himmel zu lügen, um sie dann fallen zu lassen. Was sie fühlen oder wie sehr ich sie verletzt is mir scheißegal Nina…deshalb noch einmal, lass es einfach.“ Unsere Unterhaltung wurde von meinem kleinen Sorgenkind unterbrochen. Flo kam und fragte, ob er uns Gesellschaft leisten könne. Diese Frage würde ich niemals verneinen und es trieb mir die Tränen in die Augen, wenn ich ihn so sah. Das war gerade mein Leben und Flo blieb ein wichtiger Bestandteil darin. Nina schien noch immer etwas perplex zu sein, aber sie gab ihm den Joint. „Lukas, was machst du hier unten eigentlich mit so süßen Mädels.“ „Reden.“ „Als ob…Nina lass dich ja nicht auf ihn ein.“ „Zu spät, aber ich denke Lukas war sehr deutlich.“ Ich hatte das Gefühl mein Kopf würde gleich zerspringen. Erst diese dummen Gedanken an Juka, dann der ziemlich verrückte Abend mit Nina und jetzt ein völlig breiter bester Freund, der Nina vermutlich ihrer letzten Hoffnungen beraubte. „Lukas hat sein Herz vor Jahren verschenkt, also leider Pech für dich.“ Ich dachte schon, er hätte sie in die Flucht geschlagen. Doch dann legte sie freundschaftlich den Arm um Flo und zu lächeln. „Deshalb bist du also so? Das tut mir leid“, wandte sie sich an mich, doch ich zuckte bloß mit den Schultern. „Flo, is alles okay bei dir?“, fragte ich dann und wusste die Antwort eigentlich schon. Er biss sich heftig auf die Unterlippe und schüttelte mit dem Kopf. „Nichts is okay. Jetzt sind schon sechs Monate vergangen und es ist immer noch nich besser Lukas…ich kann nich mehr…wirklich nich…mach doch was dagegen.“ Ich nahm ihn in meine Arme, wie immer, wenn er so aufgelöst war. „Das kann ich nich Süßer und das weißt du auch. Ich kann nur da sein.“ Flo sprang auf und schien in Chaostimmung zu sein. Ich hielt ihn fest. „Lass mich“, fuhr er mich an. „Flo, es wird dadurch nich besser.“ Ich hielt ihn fest und versuchte ihm ein Gefühl der Geborgenheit zu geben und er beruhigte sich. Zum Glück. Ich brachte ihn ins Bett. Nina folgte mir in mein Zimmer. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht, wie sie nach Hause kommen sollte und sie scheinbar auch nicht. Sie strich mir behutsam mit der Hand über die Wange, jedoch wich ich zurück. „Nicht…das macht es gerade nich besser.“ „Sorry…ich hätte heut Abend viel erwartet, nur nicht das.“ Ich funkelte sie misstrauisch an. „Mit was dann? Dass du eine Chance bekommst, nur weil du ne tolle Stimme hast?“ „Quatsch…es hat mich berührt wie du dich um Flo kümmerst. Ich glaube so emotionslos bist du doch nicht.“ Ich verdrehte die Augen. „Flo bedeutet mir nun mal sehr viel. Nina, ich weiß nicht, was du von mir denkst, aber schlag es dir aus dem Kopf. Fabi ist der Bessere von uns Beiden. Ich kann dir ein Taxi rufen, wenn du willst.“ Sie nickte und wir verabschiedeten uns voneinander.   Kapitel 48: Happy? New Year --------------------------- Am nächsten Morgen erhielt ich unerwarteten Besuch von meiner Schwester. „Hey, hast du kurz einen Moment Zeit?“ „Klar, was gibt’s Kleines?“ „Was war da gestern zwischen dir und Nina?“, fiel sie gleich mit der Tür ins Haus. Ich verdrehte die Augen. „Bist du deshalb hier?“ „Ja bin ich.“ „Jojo, ich weiß es nicht…nur war ich gestern auch nicht gerade bester Laune.“ „Das weiß ich und deshalb wollte ich dich ja sehen. Nina schien ziemlich angepisst zu sein. Sorry, dass ich sie nicht aufgehalten habe.“ „Is ja nun nich mehr zu ändern…mir auch egal. Sie is zwar deine Freundin aber solche Mädels gehen mir echt tierisch auf die Eier…hoffentlich hat sie was draus gelernt.“ Das war so typisch Jojo und ein bisschen konnte ich sie verstehen. Sie stellte sich auf ihre Zehenspitzen und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Du musst sie ja nicht mögen, aber sei lieb zu ihr. Ich halte sie das nächste Mal von mehr Dummheiten fern. Bis später.“ Trotz des ganzen Trubels schlugen meine Schwester und Nina auf. Ich trug meine schwarze enganliegende Hüfthose und ein Langarmshirt. Jule und Malen hatten sich auch angekündigt und ich freute mich vor allem auf Jule. Malen war jedoch etwas irritiert, dass Juka und ich kein Paar mehr waren. Ich erzählte ihr die ganze Geschichte und sie sah mich nur lächelnd an. „Dann bist du also wieder zu haben?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ein bisschen Abstand tut ja auch mal gut. Ich bastel mal eine Wunderkerze.“ Irgendwann tanzte ich dann sogar mit Jule und Malen und die zwei Schönheiten schienen mich am liebsten mit irgendwohin schleifen zu wollen, deshalb machte ich mal eine Tanzpause und flüchtete in den Poolbereich. Hielt jedoch kurz inne, nahm Jules Hand und sie folgte mir. Dort fanden wir Nina und Fabi flirtend vor, doch veränderte sich ihr Gesichtsausdruck abrupt, als sich unsere Blicke trafen. Mein Bruder funkelte mich böse an und ich setzte mich vielleicht ein bisschen provokant zu ihnen. „Lukas, kann das nich warten? Wir reden gerade.“ „Ich brauch mal eine kurze Pause mehr nicht. Sind auch gleich wieder weg.“ Fabis Miene erhellte sich ein bisschen, als ihm endlich klar wurde, dass ich nicht wegen Nina hier war, da Jule mich begleitete. Er rauchte auch mit, nur Nina hielt sich zurück und irgendwas schien ihr so gar nicht zu passen. Ich schaute Nina an, doch sie wich meinem Blick aus. Nach ein paar Minuten ging sie und Fabi rannte ihr nach. Jule fing an zu lachen. „Was ist da mit der Kleinen und dir gelaufen?“ Ich erschrak ein bisschen. „Ähm nichts, ehrlich. Ich glaub sie findet mich toll, aber ich kann nicht.“ Jetzt wurde ich wieder ernster, weil dieser bekloppte Japaner schon wieder in meinem Kopf herumschwirrte. „Okay, lass uns wieder tanzen gehen“, säuselte sie mir charmant ins Ohr und lächelte. „Gleich, ich brauch mal kurz ne Pause von dem Trubel.“ Jule holte sich etwas zum Trinken und brachte mir selbstverständlich auch was mit. Ich fände es gar nicht schlecht, wenn das mit Nina und Fabi klappen würden, denn so würde sie vielleicht nicht mehr ganz so auf mich fixiert sein. „Neugierig bin ich trotzdem, warum hat sie dich so angeschaut?“ Eine Weile sagte keiner von uns beiden etwas und wir schauten uns die Sterne durch das Glasdach an. „Sie war gestern bei mir, wollte ein bisschen singen üben und hat sich wahrscheinlich mehr erhofft“, begann ich dann. „Und du hast ihr gesagt, dass es nicht geht?“ Ich schaute Jule an und nickte. „Ich bin so ein hoffnungsloser Fall Jule oder?“ Sie zuckte nur mit den Schultern. „Mhh, ich weiß nicht, ob das jetzt das richtige Thema ist Süßer. Ich habe gerade das Gefühl, dass du gern reden würdest, aber lass uns das auf das neue Jahr verschieben.“ Ich lächelte schwach. „Aber ich würde es viel lieber jetzt klären, bitte.“ „Na gut, als ob ich da nein sagen könnte. Dann erzähl mal.“ Jetzt wurde es spannend. „Es ist noch immer Juka…das wir noch mal zusammen waren, hat überhaupt nichts gebracht. Es war ein Fehler. Es tobt dieser Krieg in mir und ich weiß nich, wie ich ihn gewinnen kann.“ „Aber warum hast du ihn dann überhaupt gehen lassen?“ „Weil es das beste is…glaub ich.“ Ich schüttelte traurig mit dem Kopf und Jule strich mir über die Wange. „Armer Schatz. Lass uns die nächsten Wochen was unternehmen. Habe die Tage zwar noch Meisterprüfung im Studio, aber das bekomm ich mit links hin.“ „Das wäre schön.“ Sie prostete mir zu und wir stießen an. „Da haben wir dann noch genügend Zeit zum Reden, aber jetzt tanzen okay?“ „Naja, okay.“ Gegen später spielten wir dann Bierpong und ich gewann mit Flo gegen Nina und Jojo. Dann war es soweit und das neue Jahr wurde eingeläutet, alle umarmten sich und wünschten sich alles Gute. Mein liebster Flo war zum Glück bester Laune und hielt vor mir eine lange Rede, dass er doch so froh sei mich zu haben und es ohne mich nie geschafft hätte seine Lebensfreude wiederzufinden. Ich umarmte ihn lange und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Malen und Jule verließen unsere Party, weil sie noch woanders eingeladen waren. Fabi hatte soviel getrunken, dass er auf dem Sofa einschlief. Flo, Basti, Malen, Nina und meine Schwester saßen am Pool. Ich gesellte mich zu ihnen. Mein Handy vibrierte in meiner Hosentasche. Wahrscheinlich irgendwelche Neujahrsgrüße. Juka: Luki…ich weiß ich sollte dir besser nicht schreiben, aber ich kann nicht anders. Außerdem bin ich völlig betrunken…egal. Hoffe du hast ne schöne Feier…happy new year…ich liebe dich…immer. Ich umklammerte meine Bierflasche so fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Ich spürte auch, wie mir jeglicher Tropfen Blut aus dem Gesicht wich. Mein Herz schlug immer schneller und ich laß die Nachricht ein weiteres Mal. Doch der Text verschwamm vor meinen Augen. Mir wurde heiß und kalt im Wechsel und das alles geschah innerhalb von Sekunden. Dennoch schien keiner meine plötzliche Panikwelle zu bemerken, außer Flo, der mich fragend ansah. Ich hielt ihm mein Handy hin und griff nach der halbvollen Wodkaflasche auf dem Tisch, nachdem ich mein Bier geext hatte. Nur nicht weiter nachdenken. „Ey Lukas, lass uns auch noch ein paar Kurze übrig.“ Ich warf Nina einen vernichtenden Blick zu. „Sorry Herzchen…das brauch ich jetzt sicher dringender als du.“ Sie schien auch schon echt angetrunken zu sein und kam zu mir. Das würde höchstwahrscheinlich schlecht für sie enden, denn ich hatte meinen Gefühlen für diesen Abend Lebewohl gesagt. Sie schnappte mir die Wodkaflasche aus der Hand und kam auf meinen Schoß. „Dann muss ich mir eben so meinen Teil holen“, scherzte sie. „Nina…tue nichts, was du später bereust…“ „Du bist verdammt sexy Lukas…was würdest du tun, wenn ich dich jetzt küsse?“ Ich zuckte mit den Schultern und spürte auch schon ihre Lippen auf meinen. Ihre zarten unschuldigen Küsse wollten mich beeindrucken, doch mein emotionales Zentrum reagierte nicht. Dann wurde dieses zuckersüße Mädchen von mir weggezogen und meine Schwester warf mir einen hasserfüllten Blick zu. Die beiden verschwanden, ohne auch nur noch ein Wort zu sagen. Mir war alles egal und ich wagte es nicht die Nachricht noch ein weiteres Mal zu lesen. Ich liebe dich. Ich wusste nicht mehr wann und wie ich im Bett gelandet war, nur der mordsmäßige Schädel am nächsten Morgen verriet mir, dass ich sehr viel getrunken haben musste. Ich erschrak ein bisschen, als ich ein Mädchen neben mir im Bett liegen sah. Doch Moment, blonde lange Haare und dieses unschuldige, schöne Gesicht. Jule schlief wie ein Engel. Ich hielt mir den Kopf und massierte ihn mit den Fingerspitzen. Zumindest trug ich meine Unterhose noch. Jule lag auch im Top da, also schien nichts passiert zu sein. Sie lächelte, als sie die Augen aufschlug. „Na wie geht’s dir?“ Sie nickte. „Ganz gut und dir?“ „Naja, könnte besser sein. Wie kommst du eigentlich in mein Bett?“ Wieder lächelte sie und ein leises Kichern entfuhr ihr. „Naja, hab mir ein bisschen Sorgen um dich gemacht und dachte ich komm noch Mal vorbei.“ Ich stieg aus dem Bett und nahm eine Kopfschmerztablette. Ich spürte ihren Blick förmlich und das machte mich irgendwie an. Zumindest meinen sexuellen Teil. „Na gefällt dir, was du siehst?“, fragte ich ein bisschen provokant. „Schätze schon.“ Sie versuchte unbeeindruckt zu klingen. „Hätte nich gedacht, dass du heut Nacht zurück kommst“, neckte ich sie. „Warum denn nicht?“ Ich kroch wieder ins Bett. „Wer weiß. Auf eurer Party gab‘s doch sicher auch süße Typen.“ Jule sah mich grinsend an. „Aber ich mag nun Mal meinen süßen, schwulen besten Freund…außerdem hatte ich gestern keinen Bock auf irgendwelche Spinner, die mir den ganzen Abend ins Ohr lallen, wie heiß ich bin.“ „Und deshalb kommst du zu mir? Du bist süß.“ „Naja, außerdem ich kann doch auch was am Laufen haben und trotzdem hier schlafen.“ Ich verschränkte meine Arme hinter dem Kopf und schloss meine Augen, weil mein Kopf pochte vor Schmerzen. „Sieht dir aber nich ähnlich.“ Jule lachte und legte Kopf ein bisschen schief. „Außerdem hab ich mir wirklich Sorgen gemacht…mein kleiner Herzensbrecher…naja und bevor Nina oder wer weiß noch alles hier in deinem Bett landet und du es später bereust, dacht ich, ich komm zurück und pass auf dich auf.“ „Nina hat sich tatsächlich noch Mal an mich rangeschmissen und wenn sie Jojo nich weggezogen hätte, würde sie jetzt vermutlich hier liegen.“ „Aber denk du wolltest sie nicht haben.“ Ich griff nach meinem Handy und zeigte Jule Jukas Nachricht. „Oh verstehe....“ „Da musste ich meine Gefühle ausschalten…war halt blöd für Nina.“ Sie ließ ihren Blick über meinen Körper wandern. „Mein armer Schatz…du weißt schon, dass ich Juka echt langsam hasse.“ Jules Anwesenheit tat mir gut und ich bekam wieder ein bisschen Ablenkung, doch was stimmte eigentlich nicht mit mir? Zum Glück lief wenigstens an der Arbeit alles gut und ich festigte meine Position dort. Kapitel 49: Selbstreflexion --------------------------- Jetzt war das eingetreten, was Jojo prophezeit hatte. Es war ein Fehler gewesen sich auf Lukas einzulassen und nun musste Nina dafür büßen. Sicher musste er gerade mit seinen Problemen fertig werden, das verstand sie ja, aber warum musste er sich dann so verhalten? Es ist ja auch völlig in Ordnung, wenn er mit Flo wegfährt, aber was war das gestern für eine unpersönliche Verabschiedung? Nachdem was zwischen ihnen gelaufen ist? Auch, wenn es nur ein bescheuerter Kuss war. Vor Jojo versuchte sie den Schmerz zu vertuschen, denn immerhin hatte es ihre Freundin besser gewusst und sie insgeheim auch. Aber es beruhigte sie, denn wenigstens war ihre liebste Freundin glücklich. Sie hatte Jojo dazu gedrängt sich doch noch mal bei ihrem Levi zu melden und es lief gut zwischen den beiden. Des Öfteren unternahmen sie auch was gemeinsam. Erst besuchten sie ihre Bar und später in weiter in einen Club zum Tanzen. Dort fiel Nina ein Mädchen auf, das sie von irgendwoher kannte und plötzlich wusste sie es. Sie war auch bei Lukas Silvesterparty gewesen. Schmerz durchzuckte Nina und sie holte sich ein neues Getränk. Jojo und Levi turtelten miteinander und sie setzte sich schmollend zu ihnen. Auf einmal kam diese Tussi in ihre Richtung. Jojo erhob sich und umarmte sie. Du liebe Zeit, ihr Outfit war mehr als gewagt. Sie hätte auch nichts anziehen können, das hätte dieselbe Wirkung gehabt. Sie begrüßte auch Nina und diese stellte sich ihr vor. „Kennen wir uns nicht?“, fragte sie dann. „Wenn du auch auf Lukas seiner Party warst dann mit Sicherheit“, gab Nina leicht schnippisch zurück. „Apropos Lukas, wo habt ihr den eigentlich gelassen?“ Jojo schien nicht zu merken, dass Nina diese Jule gewaltig nervte. „Ach der ist mit Flo gerade unterwegs. Sie wollen glaub ein bisschen Musik machen.“ „Klingt prima. Kommen sie heut noch her?“ Jojo zuckte mit den Schultern. „Glaube nicht. Kannst ihm ja mal schreiben.“ Auf einmal wendeten sich Jule wieder Nina zu. „Bist du nicht die Kleine, mit der Lukas Silvester rumgeknutscht hat?“ In ihr brodelte es nur so. „Ja, die Kleine bin ich“, entgegnete Nina weit schnippischer als zuvor. Jetzt spürte sie Jojos besorgten Blick von der Seite. „Oh okay, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“ Ninas Miene verfinsterte sich. „Ich kenne dich zwar nicht Jule, aber zwischen mir und Lukas läuft erstens nichts und zweitens woher willst du wissen, wie ich drauf bin.“ Sie lächelte selbstgefällig. „Ich kenne Lukas schon sehr lange Süße und dir steht die pure Eifersucht ins Gesicht geschrieben, weil du sicher weißt, dass ich mich sehr gut mit ihm verstehe.“ Jetzt platzte ihr der Kragen und ihr rutschte die Hand aus. Fragt sich nur, wen das mehr schockte, Nina oder Jule. „Erzähl mir nicht, was ich oder Lukas brauche. Und jetzt lass mich in Ruhe. Reiß lieber noch ein paar heiße Typen auf, das Outfit dazu trägst du ja.“ Wütend funkelte sie Nina an und erhob sich. „Das ich nicht lache. Lern du erst Mal Respekt vor Älteren“, amüsierte sich Jule noch immer. Irgendwie hatte Nina ausgeblendet, dass Jojo und Levi auch noch da waren. Peinlich. Doch auf einmal prustete ihre Freundin los. Nina warf ihr einen fragenden Blick zu. Sie schüttelte nur den Kopf und gab ihr zu verstehen, dass sie das zu Hause mit ihr klären wollte. Levi begleitete sie noch, schlief allerdings heute bei sich. Jojo holte den angefangenen Wein aus dem Kühlschrank. „Was bitte war das denn vorhin?“, fragte sie noch immer amüsiert. Nina trank einen großen Schluck. „Hast du nicht gehört, was diese dumme Kuh gesagt hat?“ „Nur so halb…aber diese dumme Kuh, mein Schatz, ist Lukas beste Freundin.“ „Wohl eher seine Schlampe für alles“, entfuhr es ihr. Wieder lachte Jojo. „Oh mein Gott Nina, was ist bloß los mit dir?“ „Nichts, alles prima.“ Jojo warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. „Verarsch mich nicht. Was ist zwischen euch passiert?“ Und jetzt, was wohl auch dem Alkohol zuschulden kam, brach es aus ihr heraus. „Ich dachte zwischen uns ist mehr als nur so ein beschissener Kuss…ich hätte auf dich hören sollen.“ Jojo nahm Nina in die Arme. „Ich habe geahnt, dass es so kommt…wahrscheinlich hätte ich auch nicht auf dich gehört, wenn es umgekehrt gewesen wäre. Aber Ninaschatz…was soll ich dir jetzt sagen…Lukas ist und bleibt wie er ist. Er erweist sich immer wieder als liebster Bruder der Welt, aber...“ „Aber er warum hast du mich Silvester von ihm weggezogen? Da hätte mehr passieren können“, schluchzte sie. „Spinnst du? Was hast du denn erwartet? Dass ihr miteinander schlaft? Nina, Lukas ist nicht irgendein Typ…seine letzte Beziehung hat ihm übel zugesetzt…ich glaube manchmal er kann und will sich nicht mehr binden, weil er den einzigen Menschen, den er jemals liebte, verloren hat. Mein Bruder tut immer nur so cool, doch er ist sehr verletzlich und Juka hat ihn zerstört. Ich habe es mit eigenen Augen miterlebt und es war das Schlimmste, was mir widerfahren ist. Ich würde mir nichts mehr wünschen, als dass er wieder jemanden an seiner Seite hat, den er so lieben kann wie Juka, doch ich bin nicht sicher, ob er das will. Denn für Juka ist er durch die Hölle gegangen, war tagelang betrunken und high…oft ist er völlig ausgeflippt, weil er es nicht mehr ertragen konnte…es war einfach schrecklich Nina. Ich habe dich sehr lieb, doch falls er dir wirklich so sehr am Herzen liegt, lass es einfach gut sein.“ „Wow, ich wusste nicht, dass es so schlimm war. Das passt so gar nicht zu ihm.“ Jojo lächelte traurig, als würde sie sich zurückerinnern. „Ja ich weiß…dann kommt noch hinzu, dass er nie wirklich eine Familie hatte, weil ihn unsere Eltern verstoßen haben…oh Gott, vermutlich köpft er mich, wenn er wüsste, dass ich dir das erzähle, egal. Ich will dir keine Hoffnung machen, denn die habe ich für euch nicht, so sehr ich ihn liebe…es tut mir leid Süße.“ Tränen rannen Nina über die Wangen, aber nicht, weil sie noch sauer war, sondern weil sie das alles einfach zu sehr ergriff und sie wünschte sich, dass Jojo ihr das nicht erzählt hätte. Noch nie hatte Jojo ihr bei irgendeiner meiner Beziehungen im Wege gestanden und das tat sie auch jetzt nicht, doch sie hatte Nina zu verstehen gegeben, dass es für sie und ihren Bruder niemals eine Chance geben würde. Und das war schlimmer, als alles, was sie bisher ertragen hatte. „Warum erzählst du mir das Jojo?“, schluchzte sie noch immer. „Weil es die Wahrheit ist und ich nicht möchte, dass du unglücklich wirst. Nina, ich will dir keine Vorschriften machen, mit wem du was anfangen darfst und mit wem nicht…aber Lukas, das ist ein gefährliches Spiel, das man kaum gewinnen kann.“ Nina zerriss es innerlich und sie kämpfte mit den Tränen. „Wir sollten schlafen gehen“, sagte sie und gab Jojo einen Kuss auf die Wange. Sie war sich bewusst, dass Jojo sie nur beschützen wollte und dennoch war Nina wütend auf Jojo. Deshalb ging sie ihr so gut es ging aus dem Weg. Schließlich zog sie wie immer um die Häuser, denn jetzt gab es ja keinen mehr, für den es sich zu kämpfen lohnte. Die verzweifelte Nina torkelte von einer Studentenparty zur nächsten und nahm auch öfter als gewollt den einen oder anderen süßen Studenten mit zu sich. Was Lukas konnte, konnte sie schon lange. Jojo versuchte mit ihr zu reden, doch sie konnte nicht. Sie hatte Nina verraten und das wusste sie. Nicht mal eine Chance hatte sie ihr und Lukas geben wollen. Nina verlor das Gefühl für Zeiten und Tage. Ihre Vorlesungen verschlief sie und versiebte zwei Termine für die Abgabe der Hausarbeiten. So plätscherte ihr Leben vor sich hin. Völlig erholt kamen Flo und ich von unserer Shoppingtour. Dort erwartete mich mein Schwesterchen. Jojo umarmte mich sehr lange und überrumpelte mich sogleich. „Lukas, sorry, wenn ich jetzt gleich mit der Tür ins Haus falle, aber ich habe echt Mist gebaut.“ Ich setzte mich zu ihr. „Was ist los, bist du schwanger?“, scherzte ich. Sie schüttelte energisch mit dem Kopf. „Quatsch…es geht um Nina…ich naja, wie soll ich sagen…hab ihr ein paar Dinge über dich erzählt….“ Meine Miene verfinsterte sich. „Was für Dinge?“, fragte ich jetzt ernster. „Naja, ich wollte ihr sagen, dass sie sich das mit dir aus dem Kopf schlagen soll, wegen der Sache mit Juka und so…ich hab ihr erzählt, was er mit dir gemacht hat und wie es dich getroffen hat…außerdem hab ich ihr gesagt, dass ich nicht glaube, dass du jeh wieder bereit sein würdest eine Beziehung zu führen…und dich unser Familienleben negativ geprägt hat. Sie ist zwar meine beste Freundin, aber das steht mir nicht zu…seit dem hasst sie mich und du jetzt wohl auch…“ Ich seufzte und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Dann schaute ich Jojo lange an. „Weißt du Jojo, ich habe alles gerade echt wieder gut im Griff, doch jetzt wieder so ne Scheiße…isses wirklich das, was du von mir denkst? Ich fühle mich geschmeichelt.“ „Es tut mir leid Lukas…Nina war so aufgelöst und ich wusste nicht, was ich sagen soll…bitte verzeih mir, ich hab es nicht so gemeint…ehrlich…ich war nur wütend auf dich und auf sie…alles war einfach komisch und dachte sie Situation so retten zu können.“ „Dann hättest du besser warten sollen, bis ich das mit Nina selbst geklärt habe. Verdammt, manchmal bist du echt bescheuert!“, fuhr ich sie an. „Wo ist Nina jetzt?“ „Vermutlich in der WG und schläft ihren Rausch aus.“ Ich fragte nicht weiter nach und ließ meine Schwester stehen. Flo fragte nicht, was passiert war. Was sollte ich tun? Jetzt war ich gezwungen mit Nina zu reden, obwohl ich gehofft hatte, dass sich das von allein regelt. Ich suchte sie also in der WG auf. Jojo verzog sich in ihr Zimmer. Ich klopfte mehrmals an Ninas Zimmertür und schließlich öffnete sie die. Ich sah ihr förmlich an, dass sie mit jedem gerechnet hatte, nur nicht mit mir. „Sorry, wollte gerade duschen…ähm, was machst du denn hier?“ „Darf ich dir nicht mal mehr hallo sagen?“ „Äh, doch. Hallo.“ Noch immer standen wir in der Tür. „Darf ich auch rein kommen?“ „Weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist…hab noch Besuch.“ Ich musste schmunzeln. „Etwa ein heißer Latino oder eher ein böser Rocker?“ Jetzt huschte auch ein schwaches Lächeln über Ninas Lippen. „Ich meins ernst…das könnte vielleicht was werden und naja…bin gerade nicht in Stimmung um mit dir zu reden.“ „Du bist eine grauenhafte Lügnerin Süße. Erhöht es vielleicht meine Chancen, wenn ich dir noch sage, dass ich über dein Gespräch mit Jojo Bescheid weiß…sie ist heute bei mir gewesen.“ Ninas Augen weiteten sich. „Ooookayy,…trotzdem, muss das jetzt sein?“ So langsam verlor ich die Geduld mit diesem Weibsbild. „Jetzt pass mal auf Nina…wer auch immer da gerade in deinem Bett ist, sag ihm einfach, dein verrückter Ex ist da und wenn er nicht in zehn Minuten weg ist, bekommt er Prügel.“ Sie boxte mich gegen den Arm und verschwand in ihrem Zimmer. Keine zwei Sekunden später stürmte ein süßer, blonder Typ an mir vorbei und warf mir einen angsterfüllten Blick zu. Nina bat mich rein und machte uns Kaffee. „Hast du das ernsthaft gesagt?“ „Klar…Lukas, bevor du was sagst, lass mich reden. Ich hab nachgedacht und mich in etwas verrannt. Jojo hatte Recht, du bist wohl ne Nummer zu groß für mich. Außerdem solltest du dir eher so eine wie Jule suchen, die weiß wenigstens, was du willst. Für mich ist alles geklärt…du kannst dann wieder gehen.“ Ich stellte mich provokant vor Nina. „Ach ja? Weißt du was mich tierisch ankotzt Nina? Dass es immer wieder Menschen in meinem Leben gibt, die zu gern bestimmen, was für mich das Beste ist. Jojo hat mächtig Mist gebaut und das weiß sie auch, sonst wäre sie heute nicht bei mir gewesen…doch immerhin weiß ich jetzt, dass sie mir noch immer nicht verziehen hat…das hat sie damals sehr mitgenommen, kann ich verstehen, aber ich bin auch nur ein Mensch. Was sie dir erzählt hat, kann ich nicht abstreiten, aber es gibt einen Unterschied.“ „Sie hat es nicht erlebt, sondern du.“ Ich nickte. „Richtig…keiner hat nachvollziehen können, wie es mir geht…außer Flo. Und es ist echt mies, dass ich noch immer dafür verurteilt werde. Nina hör zu, es tut mir leid, wie das alles gelaufen ist…es war nicht meine Absicht dich zu verletzen, ehrlich. Nur ich habe die letzten Wochen gebraucht um einen klaren Kopf zu bekommen, verstehst du? In meinem Leben ist soviel falsch gelaufen und es ist auch mal Zeit etwas richtig zu machen.“ Sie schwieg eine Weile und nahm meine Hand. „Und was ist das Richtige Lukas?“ „Das werde ich herausfinden…ich mag dich Nina, doch bevor mehr zwischen uns passiert solltest du dir dein eigenes Urteil von mir bilden. Ich möchte dir auch sagen, dass Jojo mit einer Sache Recht hat, das mit uns funktioniert nicht. Ich habe wieder mehr Ordnung in mein Chaos bringen können, aber das mit uns würde nie gut gehen. Ich glaube mein Lebensstil würde dich kaputt machen. Fabi hingegen würde es wirklich ehrlich mit dir meinen. Aber ich will dir nicht reinreden.“ Sie wendete sich ab von mir und schien noch immer nicht reden zu wollen. „Aber vielleicht hat Jojo auch Recht…die letzten Wochen waren grauenvoll und du hast dich nicht mal gemeldet.“ „Das habe ich, wenn du es nicht für nötig hältst mit mir zu reden, ist es nicht mein Problem.“ „Du kannst dir ja nicht vorstellen, wie die letzten Wochen waren, was ich durchmachen musste…und jetzt willst du so tun, als ob nichts gewesen wäre?“ Dieses Mädchen trieb mich wahrhaftig in den Wahnsinn. „Fang nicht so an…aber ganz ehrlich, wenn du mehr von dem hältst was meine Schwester sagt, bitte. Es stimmt, ich kann nicht in deinen Kopf schauen und weiß nicht, was ihre Worte bewirkt haben, deshalb könntest du es mir sagen, aber auch das scheinst du nicht zu wollen. Ich wollte dir eine Chance geben, aber du willst nicht okay. Dann mach‘s gut Schätzchen.“ Ich drehte Nina den Rücken zu und ging. Fast wäre ich mit Jojo zusammengestoßen, die gerade aus ihrem Zimmer trat. „Lukas, warte, ich wollte dir noch was sagen…“ „Lass mich bloß in Ruhe Johanna“, fertigte ich sie ab. Zu Hause verkroch ich mich in mein Zimmer. Ich war mehr als wütend, vor allem auf meine Schwester. Was bildete sie sich eigentlich ein? Und sicher muss es für sie damals schlimm gewesen sein, doch es kränkte mich zutiefst, dass sie mir nicht vergeben konnte, sondern Nina diese Last aufdrückte. Ich hockte mich mit meinem Whiskeyglas auf den Balkon und schaute in den Sternenhimmel. Seit der Trennung von Juka war viel Zeit vergangen und oft hatte ich mich auch lange mit Flo unterhalten. Er war niemand, der sich jemals in mein Liebesleben einmischen würde, dennoch hat er mir zu verstehen gegeben, dass er wüsste, warum ich Juka so sehr liebte. Und auch nach so langer Zeit, nachdem ich den Versucht startete mich auf Selene einzulassen, scheiterte ich. Juka hatte mich nicht betrogen, was also hielt mich zurück? Zwischen uns war zu viel Mist gelaufen und wir hatten uns Worte an den Kopf geknallt, die nicht mehr zurückgenommen werden konnten. Auch Juka versuchte sich auf eine neue Beziehung einzulassen und ich wusste nicht genau, ob er und Shey noch immer oder wieder liiert waren, doch nur allein dieser Gedanke reichte aus, um mich völlig auszunocken. Immer, wenn ich daran dachte, dass Juka mit einem anderen Typen das Bett teilte, schien eine unsichtbare Hand mein Herz zu zerquetschen. Ich sank in mich zusammen und merkte, wie meine Unterlippe begonnen hatte leicht zu beben. Wie um alles in der Welt war alles nur so beschissen geworden? Juka fehlte mir so schrecklich und zum millionsten Mal wurde mir schmerzlich bewusst, dass kein anderer diese Liebe toppen konnte. Ich hatte das gefunden, was mich zum glücklichsten Menschen der Welt werden ließ und ich hab‘s versaut. Typisch für mich. Dann kam noch der Streit mit meiner lieben Schwester hinzu. Eigentlich hatte ich immer gedacht gerade sie blieb mir treu, würde mich nicht hintergehen, doch scheinbar war ich der einzige aus unserer Familie der anders war. Nein, das stimmte so nicht, Fabi blieb mir noch, falls er sich wieder beruhigt hatte. Ich klopfte an seiner Tür. Freudestrahlend empfing er mich und wir fielen uns in die Arme. „Schön dich wieder zu haben…warum trinkst du allein?“ Wir gingen auf die Terrasse und ich nahm den Whiskey mit. „Fabi…es tut mir leid, wie das neulich alles gelaufen ist. Ich wollte dir echt nich das Mädel ausspannen.“ „Hey Bruderherz, alles cool. Wie geht‘s Nina eigentlich?“ Ich zuckte mit den Schultern und baute uns einen Joint. „Jojo meinte ihr alles erzählen zu müssen, meine beschissene Phase wegen Juka und so…außerdem hat sie mich als den beziehungsunfähigen Arsch hingestellt…“ „Oh fuck…hätte ich ihr gar nicht zugetraut.“ „Ich auch nich.“ „Und was jetzt, stehst du noch auf sie?“ „Ich fand sie zwar schon immer süß, aber sie ist nichts für mich. Außerdem hast du auch mal wieder ein nettes Mädel verdient.“ Tagsüber arbeiten um abends feiern zu gehen. In unserem Stammclub traf ich Jule und sie schmiss sich an mich ran, mehr als sonst, doch das störte mich nicht. Wir flirteten heftig miteinander, doch ich nahm sie nicht mit zu mir, das würde nur ausarten. Die stickige Luft stieg mir zu Kopf und ich kämpfte mich durch die tanzende, verschwitzte Meute um an die frische Luft zu gelangen. Mein Herz pochte schon fast schwer gegen meine Brust und in meinem Kopf fühlte es sich so an, als jemand den Sauerstoffhahn abgedreht. Wie ein Fisch auf dem Trocknen atmete ich die kühle Nachtluft und sank an der Wand zu Boden. Die Musik dröhnte dumpf nach draußen doch ich hatte die Lust am Tanzen verloren. Mit leicht zittrigen Händen zündete ich mir eine Zigarette an und schaute hinauf zu den Sternen. Mein Kopf war so leergefegt und ich fühlte nichts. Ich konnte nicht einmal mehr sagen, wie es war glücklich zu sein. Wie es Juka wohl ging? Fehlte ich ihm ebenso? Dieser Kloß im Magen fühlte sich so langsam wie ein Geschwür, das mich von innen heraus zerfraß und nichts als eine hübsche Hülle zurücklassen würde. Zu Hause trank ich noch einen Whiskey und ließ den Abend Revue passieren. Wie viele Mädchen hatte ich den letzten Wochen eigentlich abgeschleppt? Ich hatte irgendwann aufgehört zu zählen, war vielleicht auch besser so. Dennoch plagte mich mein schlechtes Gewissen. War ich wirklich so? Schließlich konnte ja niemand was für meine Laune. Und dann das Drama mit Nina. Ich hatte sie geküsst, mehr nicht. Jule gesellte sich zu mir und bediente sich am Whiskey. „Du bist einfach gegangen. Nina wollte noch mit dir reden, hat sie dich gefunden?“ „Haha, witzig. Nein hat sie nich. Ich hätte ihr sonst vermutlich auch nur gesagt, dass ich ein beschissener Typ bin, der es nich auf die Reihe bekommt ne vernünftige Beziehung zu führen, aber das hat meine liebste Schwester schon für mich übernommen. Tja, was soll ich sagen, Jojo hasst mich und irgendwie ist alles gerade zum Kotzen.“ „Oh jeh, bist du gerade sehr betrunken?“ Ich sah Jule etwas verwundert an. „Ähm, geht so, warum?“ „Weil ich gern über etwas mit dir reden würde.“ Ich nickte und zog die Stirn in Falten. „Kommt jetzt etwa noch eine Moralpredigt, bitte das ertrage ich heute nich.“ Meine beste Freundin schüttelte mit dem Kopf und ihre Haare flogen hin und her. Das sah irgendwie schön aus. „Nein, keine Moralpredigt. Ich würde dich nur gerne wieder glücklich sehen. Wie lange willst du dir das noch antun?“ Jetzt wurde ich skeptisch. „Mir geht’s gut…ich weiß nich was du meinst“, sagte ich ein bisschen angepisst, dabei wusste ich genau, auf was Jule anspielte. „Lukas, bitte...ich bin zwar blond aber nicht blöd. Was hindert dich daran ihm zu sagen, was du wirklich für ihn empfindest?“ Ich verdrehte die Augen. „Es geht einfach nich…außerdem bin ich längst über Juka hinweg. Und du hasst ihn, schon vergessen?“ „Dann wärst du also bereit eine neue Beziehung einzugehen?“ Ich schenkte mein Glas wieder voll. „Klar, warum nich.“ „Und wie sieht die dann aus? Ich kenn dich gut genug, um zu wissen, dass du nie wieder einen anderen Typen anrühren würdest und die Mädels? Ach komm schon…du hüpfst seit drei Wochen jeden Aber mit ner anderen ins Bett. Erfüllt dich das?“ Ich wusste nicht, was sie vorhatte, aber es machte mich wütend. „Was spielt das für eine Rolle? Ja ich habe ihm vertraut und der Gedanke wieder mit ihm vereint zu sein stellte ich über alles…ich habe ihm mein Herz geschenkt. Willst du das hören?“ Sie schwieg einen Weile und ich zündete mir eine Zigarette an. „Und was genau empfindest du, wenn du bei ihm bist…du in seinen Armen liegst?“ „Was glaubst du denn?“ „Ihr habt also eine glückliche Beziehung gehabt?“ Noch immer funkelte ich Jule angriffslustig an, weil ich den Sinn ihrer Befragung nicht erkannte. „Ja, das kann man wohl sagen. Wir konnten uns immer aufeinander verlassen und ich war so glücklich wie noch nie in meinem Leben.“ Ich konnte mich gerade sehr gut an dieses Gefühl erinnern und schon wieder überkam mich der Wunsch, es wäre wieder so. „Gut. Und wer hat es noch geschafft dich so glücklich zu machen? Selene etwa? Würde ich es schaffen? Ich sag dir das nicht gern mein Hübscher, aber du wirst einen wie Juka nie mehr finden…ich habe eine Vermutung, was dich hindert und ich werde dich so lange nerven, bis du zu ihm gehst…weil ich meinen besten Freund nicht verlieren will.“ Meine Augen weiteten sich und das Gefühl von eben änderte sich und mit rasender Geschwindigkeit stürzte ich wieder in die Tiefe. Mein Herz zersprang und ich krallte mich am Whiskeyglas fest. „Und was genau hindert mich deiner Meinung nach daran?“, wisperte ich, ohne Jule anzuschauen. Sie redete weiter. „Wir alle sind nicht immer perfekt Lukas und ich sicher am allerwenigsten…ich hab viel Mist in meinem Leben verzapft, aber was soll ich tun? Life goes on…aber es gibt eine Sache, die ich nicht verkraften könnte und das wäre einen geliebten Menschen zu verlieren…und was du gerade tust…es verletzt mich und es zerreißt mich fast dich so zu sehn…ich halte das nicht mehr aus…sag mir nur warum?“ In mir tobte der Krieg wieder und es war noch immer wie nach der ersten Trennung. Wutentbrannt warf ich mein Glas gegen die Wand, wo es einen gelblich braunen Fleck hinterließ. Wütend sah ich Jule an. „Weil es gerade keinen gibt, der daran etwas ändern kann. Wolltest du das hören, ja?“ Meine Stimme wurde lauter als beabsichtigt und ich konnte mir denken, dass wir bald Zuschauer bekamen. „Du bist ein miserabler Lügner. Natürlich gibt es jemanden, der das ändern kann…verdammt, wie kann man nur so stur sein!“ „Es is zu spät! Es gibt kein Zurück mehr, warum kann das keiner akzeptieren“, fuhr ich sie an. „Weil du es nicht mal selbst akzeptieren kannst! Wie oft am Tag fragst du dich, was Juka gerade tut oder wie oft träumst du von ihm? Lukas, du arbeitest oder bist feiern…um es zu vermeiden mit dir selbst allein zu sein…hab ich Recht oder hab ich Recht.“ Ich nickte. „Dann kann ich dir nicht versprechen, dass ich noch mit dir befreundet sein kann…ich liebe dich so sehr und wie schon gesagt, ich ertrage es nicht dir dabei zuzusehen, wie du dich selbst zerstörst.“ Jules Worte brachten mich fast um den Verstand und deshalb setzte ich noch eins drauf. „Ach ja? Dann geh doch Jule, geh feiern…was weiß ich. Du hast sicher besseres zu tun als dich mit so nem selbstmordgefährdeten Idioten wie mir rumzuärgern.“ Dann spürte ich einen heftigen Schlag im Gesicht. Erschrocken blickte ich in Jules tränenverschmiertes Gesicht. „Kapierst du denn gar nichts, du verdammter Idiot?“, schluchzte sie jetzt. „Was soll ich denn kapieren?“ „Habe doch endlich den Mut dich zu öffnen…du weißt selbst, dass du mir gerade etwas vormachst…ich habe dich kennen und lieben gelernt Lukas. Du gehörst zu den wenigen Menschen in meinem Leben, die mir sehr am Herzen liegen…warum gibst du auf?“ „Weil ich keine Kraft mehr hab?“, spottete ich, doch Jule ließ sich nicht unterkriegen. „Du weißt, dass das nicht stimmt.“ Jetzt erhob sie sich und stolzierte mit der Bierflasche um den Pool herum. „Und jetzt?“ „Du hast hier und jetzt die Chance dich zu entscheiden.“ „Zu Schade, ich lass mir nich mal von meinen Freunden was sagen…meine Kämpfe hab ich schon immer alleine ausgefochten und das wird sich nich ändern.“ „Scheiße Lukas! Du bist so ein beschissener Arsch…gerade hasse ich dich…so sehr.“ Sie legte ihre Arme von hinten um mich und ihre letzten Worte flüsterte sie in mein Ohr. Ich zog sie über die Lehne auf meinen Schoß und schloss sie in meine Arme. „Es gibt nur einen Menschen, der meinen Schmerz lindern kann…das weiß ich…aber ich steh mir selbst im Weg Jule…ich hab mich selbst soweit, dass ich in ner verfickten Sackgasse steh und nich mehr raus komm.“ „Mehr wollte ich nicht hören Süßer…endlich gibst du es zu…war das so schwer?“ Ich schloss die Augen kurz und öffnete sie dann wieder. „Um ehrlich zu sein ja…wer gesteht sich schon gern ein, dass er sein Leben sowas von nich im Griff hat.“ „Ich hoffe irgendwann macht er dich glücklich.“ „Vielleicht.“ „Lass uns ins Bett gehen, es wird schon hell.“ „Du bist toll Jule,…danke…ich hab dich sehr lieb.“ Am nächsten morgen erwachte ich alleine und dachte schon, Jule hätte die Flucht ergriffen, doch sie hatte Kaffee in der Küche gekocht und brachte ihn mir in diesem Moment ans Bett. Ich lächelte. Dann kuschelte sie sich an mich und ich legte meinen Kopf in ihren Schoß. „Jule ich kann das trotzdem nich.“ Etwas enttäuscht rückte sie von mir weg. „Haben meine Worte denn gar nichts bewirkt?“ „Ich sagte dir bereits, dass ich das nich kann…den Grund kennst du ja jetzt.“ Mehr sagte ich nicht dazu, sondern ging duschen. In meinem Kopf herrschte Chaos. Ich zog mir eine bequeme Hose und einen Pulli an und setzte mich auf den Balkon. Der Joint trug wenigstens ein bisschen dazu bei, dass es mir besser ging. Aber mich wurmte das, weil ich Juka nicht zurückhaben wollte und doch wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich niemanden wieder so lieben konnte wie ihn. Die Jungs waren auch schon wach und wir bereiteten den Brunch gemeinsam vor. Ich musste immer wieder in Flos Richtung schauen, denn er gefiel mir heute gar nicht und dem Verband nach an seinem Arm zu urteilen, hatte er sich wieder geritzt. Warum tat er das und was bedrückte ihn so sehr? Mein Herz wurde schwer und Jule bemerkte meinen sorgeerfüllten Blick. Ich nickte unauffällig in die Richtung meines besten Freundes und sie lächelte schwach. Flo beteiligte sich auch kaum am Tischgespräch und sein Appetit war mehr als dürftig. Ich drehte einen Joint und legte ihm die Hand auf die Schulter. Mit todtraurigen Augen sah er zu mir auf und diese Trauer zerbrach mich fast. Wir hockten uns an den Pool und ich wartete darauf, dass Flo vielleicht etwas sagte, doch nichts. Ich ertrug dieses Schweigen nicht länger. „Flo, was is los?“ Er zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Was soll schon sein?“ Er reichte mir den Joint und ich spürte, wie seine Hände dabei zitterten. „Wir hatten zwei echt coole Wochen und jetzt so? Irgendwas muss doch passiert sein oder isses immer noch das alte Leid?“ Ich traute mich kaum Kamis Namen in Flos Gegenwart auszusprechen. „Jetzt is ein Jahr rum und ich kann ihn noch immer nich vergessen…außerdem dacht ich ja, dass es mit Miyavi was wird…aber irgendwie bin ich vom Pech verfolgt. Hab gestern in der Stadt meine Eltern getroffen…die haben mich nich mal mit dem Arsch angeguckt…Lukas ich kann nich mehr…“ Ich nahm einen tiefen Zug und drückte den Rest aus. „Vielleicht solltest du dir was suchen…nen Job oder ein Hobby oder beides?“, schlug ich vor. „Das bringt doch nichts. Ich hab ja nich mal ne richtige Ausbildung…ich hab nichts, mein Leben ist vollkommen verkorkst und ganz ehrlich, wer stellt schon nen Junkie ein, der nichts vorweisen kann? Du hast wenigstens den Arsch zusammengekniffen und dein Ding durchgezogen…jetzt bist du Personalchef und ich bin der kleine Assi, der sich bei dir durchfrisst.“ Ich seufzte. „Du weißt, dass ich das nicht so sehe…was ist eigentlich mit deinen Zeichnungen? Du wolltest damit in dem einen oder Tattooladen vorbeischauen?“ Flo winkte mit der Hand ab. „Ich will und kann das alles gerade nich Lukas…ich brauch einfach noch Zeit. Wenn es dir auf die Nerven geht, kann ich mir auch gern was Eigenes suchen.“ „Flo, darum geht es doch gar nich, ich mach mir einfach nur Sorgen um dich Süßer. Und ich glaube auch, dass es wenig bringt, wenn du hier nur rumsitzt, dir die Birne zudröhnst und versauerst.“ „Doch genau das will ich gerade tun, weil es das einzige ist, was Sinn macht.“ Ich erkannte mich so gut in Flo wieder, denn genau so hatte ich mich auch gefühlt und ich wusste, dass ich ihn von nichts abhalten konnte. Trotzdem wollte ich es versuchen, denn es tat so unglaublich weh ihn so zu sehen und jetzt verstand ich Fabi, Jojo und alle lieben Menschen, die sich damals um mich sorgten. „Flo, glaub mir, ich weiß, was du gerade durchmachst…doch das bringt nichts…du stürzt nur noch tiefer…bitte, tue es nicht und versuche deinem Leben wieder einen Sinn zu geben…ich würde das nicht ertragen“, flüsterte ich. Mein Freund schaute mich lange an und dann huschte sogar ein kurzes Lächeln über seine Lippen. „Ach Lukas…was würde ich nur ohne dich machen…aber es tut manchmal echt gut benebelt zu sein.“ Ich nickte. „Ich weiß, aber das ist trotzdem auf Dauer echt anstrengend…glaub mir. Ich will dich nicht verlieren Flo.“ Auf einmal fiel er in meine Arme und fing wieder an zu weinen. Ich hielt ihn ganz fest. Dann baute ich uns noch einen Joint und wir beschlossen Pooltag zu machen, da heute laut Kalender der wärmste Tag im Juli sein sollte. Flo hatte sich wieder ein bisschen beruhigt und ich war völlig benebelt. Auch Fabi motivierte ihn, dass er doch mal seine Zeichnungen zum Tätowierer bringen sollte. Ich verabschiedete mich dann von den beiden, weil ich noch eine Mütze voll Schlaf nehmen musste. Doch eigentlich wollte ich nur ein bisschen Zeit für mich. Das war manchmal etwas anstrengend in einer WG, man war nie allein und ich musste irgendwie wie immer den Samariter spielen, wobei ich das gern tat, aber ab und an tat ein bisschen Zeit für mich auch gut. Und später wollte Jule noch kommen oder sollte ich ihr doch sagen, dass sie zu Hause bleiben sollte? Und nach der Arbeit erwartete mich die nächste Überraschung, meine Schwester. „Ernsthaft? Dafür hab ich gerade echt keinen Nerv“, wimmelte ich sie ab und kochte mir einen Kaffee. „Bitte Lukas…hör dir einfach an, was ich zu sagen hab.“ Ich zuckte gelangweilt mit den Schultern. „Dann schieß mal los.“ „Lukas du fehlst mir und es tut mir leid, was ich gesagt habe…sicher war ein Teil davon ernst gemeint, aber jetzt bereue ich das wirklich. Manchmal wünsche ich mir nur eine richtige Familie und dann ärgert es mich, wenn du dich mit Mama zoffst…da denke ich, ich muss dir eins auswischen, aber das ist falsch…denn entweder ich komm damit klar oder eben nicht. Nur so is es echt blöd.“ „Ach tatsächlich, so isses blöd? Dann hättest du dir vorher überlegen sollen, was du zu wem sagst.“ „Lukas bitte, ich…“ „Spar dir das Jojo und falls du mein Vertrauen irgendwann wieder haben willst, solltest du mir Zeit geben. Und da ist noch was, kümmere dich besser um Nina, denn in einem Punkt hattest du Recht, das mit ihr und mir wird niemals klappen. Es tut mir trotzdem leid, sie ist ein liebes Mädchen. Jetzt geh besser.“ Kapitel 50: Manchmal ist Flucht der einzige Ausweg -------------------------------------------------- Was hatte Jojo von dem Gespräch erwartet? Und wieder war sie sauer auf ihren Bruder. In ihr baute sich ein regelechter Groll auf. Dann konnte er sie eben nicht mehr leiden, na und? Ihr kam eine Idee, denn jetzt war es eh egal. sie schrieb Naoki, denn vielleicht hatte er ja Zeit und Lust zu ihr zu kommen. Jojo brauchte dringend Abwechslung und Naoki war ein Meister darin. Sie hoffte nur, dass es Nina gut ging. Sie war für ein paar Tage zu ihrer Familie gefahren. Ja Familie, toll. Auf die konnte Jojo ja dann mal nicht mehr zählen. Naoki schrieb ihr tatsächlich zurück und wenige Minuten später skypten sie. Jojo schüttete ihm ihr Herz aus und er wollte tatsächlich versuchen zu kommen. Sie holte ihn vom Flughafen ab und sie gingen erst mal in die Wohnung, dort gaben sie sich ordentlich die Kante. Naoki wollte unbedingt in den einen Club, wo heute so eine Elektroparty stieg. Jojo zog sich also um und die Party konnte beginnen. Der Club war voll nobel und davor erstreckte sich eine megalange Schlange. Jojo wollte schon abkotzen, doch Naoki grinste sie nur an und griff nach ihrer Hand. Der Türsteher begrüßte die beiden und ließ sie vor den ganzen Leuten hinein. „Praktisch, wenn man das Personal kennt.“ Sie gingen durch einen langen Flur mit roten Wänden, dann eine Treppe herauf und durch eine weitere Tür. Jetzt schlug Jojo Technomusik entgegen und ihr Puls schoss in die Höhe. Sie holten sich Getränke an der Bar und begannen zu tanzen. Normalerweise hasste Jojo Techno, aber heute schien alles anders zu sein. Sie schwebte und jeh mehr sie trank desto freier wurde ihr Geist. Der Beat floss durch ihren Körper und Naoki schien sich köstlich über sie zu amüsieren. Irgendwie kamen sie sich auch wieder näher und im Einklang mit der Musik bewegten sich ihre Körper gefährlich nahe beieinander. Jojo kam es irgendwie komisch vor, weil sie nicht müde wurde, eher im Gegenteil und die Zeit verging auch nicht. Schon seit Stunden tummelten sie sich auf der Tanzfläche mit hunderten von anderen Tanzwütigen, denen es wohl ähnlich ging. Jojo spürte auch keinen Schmerz in ihren High Heels, was sonst immer der Fall war. Sie hatte keine Ahnung wie spät es war, doch sie wollte nicht aufhören zu tanzen. Irgendwann leerte sich der Club und Naoki nahm ihre Hand und führte sie in eine ruhigere Ecke, in der man sich auch setzen konnte. Im Hintergrund dröhnte noch immer laute Musik. „Na Kleines, ist das nach deinem Geschmack?“ Er zündete sich elegant eine Zigarette an und schon wieder könnte sie dahinschmelzen. „Ja, ich bin nur etwas verwundert, dass ich die ganze Zeit so fit bin.“ „Ich hab den Barkeeper bestochen und er hat deinen Drink ein bisschen gepimpt.“ Jojo riss die Augen auf und boxte Naoki gegen den Arm. „Warum wirst du immer gewalttätig…tue nicht so, als ob es dir nicht gefällt…nur das runterkommen wird ein bisschen blöd.“ „Wieso mischt du mir einfach Sachen ins Getränk? Kannst du mich vorher nicht fragen?“ Naoki lächelte nur. „Jojo, jetzt hab dich nicht so. Außerdem kann an sich nicht viel passieren und ich schwöre dir, hier haben die keine gepunschte Scheiße. Aber das nächste Mal sage ich Bescheid. Zufrieden?“ Die beiden tanzten noch ein bisschen und traten dann den Heimweg an. Jojo fühlte sich noch immer voll fit, obwohl sie durchgetanzt hatten und die Sonne sich am Horizont schon zeigte. Allerdings spürte sie jetzt ihre Füße und Naoki trug sie das letzte Stück. Nun doch ein bisschen erschöpft sank sie aufs Sofa. „Danke für den tollen Abend.“ „Gern geschehen. Ich hoffe du hattest Spaß…willst du schlafen jetzt?“ Johanna zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, vielleicht.“ Sie beschlossen wirklich schlafen zu gehen und Jojo nahm Naoki mit in ihr Bett. Die nächsten Tage liefen ähnlich ab und sie könnte sich dran gewöhnen. Sie besuchten das Underground, doch dummerweise war Lukas auch dort und er war ja nicht gerade gut auf Naoki zu sprechen. Die beiden beide hatten wieder was geschmissen und deshalb blieb Jojo recht cool. Dennoch beschlich sie das dumme Gefühl, es könnte Ärger geben. Glücklicherweise war Lukas aber mit Jule beschäftigt. Naoki wollte aber unbedingt zu Flo und ihn begrüßen und dieser freute sich tatsächlich ihn zu sehen. Lukas und Jule wären so unglaublich perfekt zusammen und Jojo wurde fast ein bisschen neidisch. Plötzlich umfingen sie von hinten zwei Arme, es war Malen. Und sie Jojo mich mit auf die Tanzfläche. Hier war alles so anders als in dem Electroschuppen. Viel persönlicher und Jojo könnte heulen vor Glück. Malen und Jojo holten sich was zum Trinken und keinem schien aufzufallen, dass sie was genommen hatte. Noch mal heil davon gekommen. Sie setzten sich zu den anderen und Jojo mied es Lukas anzuschauen. Er sah so glücklich aus und sie bereute es so, was sie gesagt hatte. Sie hatte ihn doch so lieb, warum sah er das nicht ein. Was Johanna dann dennoch verwunderte war, dass er Naoki sehr freundschaftlich gegenüber trat. Sie redeten sogar miteinander. Sie ging wieder tanzen, weil sie diese Heuchelei nicht ertrug. Irgendwann wurde ihr furchtbar heiß und sie drohte zu hyperventilieren. Sie suchte Naoki auf, doch er war weg. Auch Malen fand sie nirgends, deshalb flitzte sie allein an die frische Luft. Die kalte Luft knallte ihr entgegen und erst dachte Jojo, es wäre ihr keiner gefolgt, bis sie Jule im Augenwinkel erhaschte. Oh nein, bitte nicht, sie würde Jojo sicher an Lukas verpfeifen. Sie setzte sich auf die Bank und Jule kam langsam näher. Mann, wie konnte man nur so unglaublich schön sein. Ihre langen blonden Haare flatterten im Wind. Sie hockte sich vor das Mädchen und zündete sich eine Zigarette an. „Alles klar bei dir? Du sahst gerade ein bisschen verloren aus.“ „Glaub schon…brauch nur gerade ein bisschen frische Luft.“ „Hast du zum ersten Mal härtere Drogen genommen?“ Jetzt war Jojo schockiert. War das so offensichtlich. „Ähm, ja“, log sie. Julietta zauberte aus ihrer Tasche eine Flasche Wasser. „Dann solltest du was Nichtalkoholisches trinken. Sonst ist der Kater morgen echt übel.“ Warum war sie auf einmal so freundlich? „Hat Lukas auch was gemerkt?“ „Nein, glaube nicht. Aber du solltest ihn wohl besser meiden, sonst flippt er echt aus.“ „Danke.“ „Keine Ursache, wir waren doch alle mal jung Jojo. Soll ich deinen Freund suchen? Ist wohl besser, wenn ihr geht.“ „Das wäre lieb…Jule ich dachte immer du magst mich nicht.“ Sie lächelte. „Das habe ich nie behauptet oder?“ Jojo schüttelte mit dem Kopf und gefühlte 20 Minuten später kam Naoki. Endlich. Oh nein, er hatte Lukas im Schlepptau und seinem Blick nach zu urteilen wusste er Bescheid. Sie fuhren mit dem Taxi irgendwo hin, wahrscheinlich zu unserer Wohnung. Doch als das Auto vor dem großen Gartentor hielt, bekam Jojo ein bisschen Angst. Naoki machte es sich im Wohnzimmer bequem und Lukas wies seine Schwester an nach oben zu gehen. Mann, der war echt sauer. Shit. Sie hockte sich auf den Teppich und wartete darauf, dass er etwas sagte. „Na, wie fühlt es sich an? Geht es dir wenigstens besser?“ Dieser Arsch, er wusste genau, dass sie gerade einen echt miesen Trip hatte. „Klar mir geht es blendend“, log Jojo, weil sie ihm nicht die Genugtuung geben wollte. „Jojo, du kannst mich nicht verarschen…ich weiß, wie ein scheiß Trip aussieht. Willst du mich irgendwie herausfordern? Oder was ist dein Plan?“ Wütend funkelte sie ihn an. „Ja will ich, deshalb ist Naoki auch da, weil ich genau weiß, dass es dich ärgert.“ Ihr Bruder lachte nur. „Hat dich dein lieber Naoki auch über die Folgen aufgeklärt? Schmeiß dir nur schön weiter Pillen ein, dann kannst du deiner Gesundheit Lebewohl sagen, aber das weißt du sicher. Oder hat er dir erzählt, dass es nicht so cool wie beim ersten Mal is, wenn du es öfter hintereinander nimmst?“ „Das kann dir doch egal sein, du redest doch eh nicht mehr mit mir.“ Lukas schüttelte mit dem Kopf und zündete sich eine Zigarette an. „Wenn es mir egal wäre, hätte ich dich dort im Club gelassen und dann ginge es dir noch beschissener.“ „Spielst du jetzt auf einmal wieder den fürsorglichen Bruder oder was?“ „Ja tue ich. Wenn ich sauer auf dich bin bedeutet das nicht automatisch, dass ich nich mehr auf dich aufpasse.“ Das traf Johanna und jetzt wusste sie, dass er sie noch immer liebte. „Du hast dir also Sorgen gemacht?“ „Natürlich hab ich das Trottelchen…und ich sag es dir wieder, Naoki ist ein echt beschissener Umgang.“ „Wann hast du eigentlich so viel mit ihm zu tun gehabt?“ „Als ich mit Juka in Tokio war und da haben wir genau das getan, was ihr macht, Drogen, Mädchen und am nächsten Tag schlechte Laune.“ Das erstaunte sie ein bisschen und sie hatte immer gedacht Lukas hatte nach seinem Drogendesaster nie mehr was angerührt. „Aber was wenn er sich geändert hat. Ich meine er ist voll lieb zu mir und trägt mich auf Händen.“ „Weil er Sex bekommt Jojo. Weise ihn doch mal zurück, dann wirst du schon sehen, wie er tickt.“ Eigentlich wusste sie das ja, aber sie wollte es nicht hören. „Wenn du willst kannst du die Nacht hierbleiben. Ich habe noch ein Hühnchen mit diesem Arsch zu rupfen.“ Bevor Jojo ihren Bruder aufhalten konnte, war er schon zur Tür raus. Verdammt, jetzt würde er Naoki sicher an Kragen gehen. Wie konnte es dieser Dreckskerl nur wagen Jojo Drogen zu verabreichen. Er wartete noch immer im Wohnzimmer und ich funkelte ihn feindselig an. Zwar hob er die Hand, um etwas zu sagen, doch das war sinnlos, denn da hatte er meine Faust schon in seinem Gesicht. Und die andere Seite auch, damit es gleichmäßig aussah. „Verpiss dich und lass deine Finger von Jojo.“ „Sie hat mich doch angerufen, weil sie sich von dir verlassen fühlte…scheinbar schaffst du es alle zu vergraulen, die dir mal wichtig waren Lukas.“ Ich sah ihn fragend an. „Wen meinst du damit? Etwa dich? Darauf kann ich gut und gern verzichten.“ Er schüttelte mit dem Kopf. „Ich rede von Juka…den hast du ja mal voll hängen lassen.“ Oh oh, ein heikles Thema, dafür verpasste ich ihm noch eine. „Juka is meine Sache. Also geh jetzt besser, bevor du noch mehr Prügel bekommst.“ Ich schrieb Jule, das alles okay sei und sie gern noch mit den Jungs im Underground bleiben konnte. Ich hatte mich um eine zugedröhnte Jojo zu kümmern. Auch eine tolle Beschäftigung und ich fragte mich, warum sowas eigentlich immer mich traf. Leise kam meine Schwester ins Wohnzimmer geschlichen. Sie hatte eine Hose und ein T-shirt von mir an. Ich hatte immer noch keine große Lust mit ihr zu reden und drehte mir einen Joint. Sie setzte sich zu mir. „Bist du mir immer noch böse?“ Ich warf ihr einen scharfen Blick zu. „Was glaubst du denn?“ Ich holte mir noch ein Bier, wenn ich schon nicht mehr im Club trinken konnte, tat ich das eben hier. Ich spielte ja zu gern den Babysitter für meine jüngeren Geschwister. „Lukas, es tut mir leid.“ „Lass es einfach und erzähl mir nich, wie leid es dir tut. Weißt du Jojo, das hat Mama früher auch immer gemacht, mich beschimpft und dann wollte sie sich entschuldigen, aber so funktioniert das nich Süße.“ „Aber was kann ich denn tun, damit du mich wieder magst?“ „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nich. Das sitzt tief und hätte mich vielleicht weniger getroffen, wenn es von jemand anderem gekommen wäre.“ „Hast du Mama damals verziehen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Kam auf den Tag an. Manchmal ließ es mich völlig kalt und an anderen Tagen verfluchte ich sie dafür.“ Vielleicht war es gar nicht so schlecht mit meinem Schwesterchen über früher zu reden. Ich hielt ihr den Joint hin. „Verträgt sich das?“ Ich nickte. „Und mal ehrlich, diesem Schnösel vertraust du und mir nich. Ich frag mich echt, was ich dir getan hab.“ „Kannst du jetzt mal aufhören mir ein schlechtes Gewissen zu machen?“ „Niemals.“ Ich nahm einen tiefen Zug. „War Mama früher eigentlich so wie jetzt?“ Ich überlegte und schüttelte dann mit dem Kopf. „Sie war nich so lebhaft, dieser Ekel hat sie ganz schön unter seiner Fuchtel gehabt, aber sie wollte nie, dass wir das merken. Hat sie ja bei dir scheinbar auch geschafft.“ Eine Weile schwiegen wir und dann stellte mir Jojo eine Frage, die ich gar nicht so einfach beantworten konnte. „Lukas, warum bist du so?“ „Wie bin ich denn?“ „Naja, einerseits so fürsorglich und dann wieder so nachtragend.“ „Das Leben prägt einen nun Mal…so habe ich gelernt keinem zu vertrauen, weil man immer auf die Schnauze fällt. Juka ist ja das beste Beispiel dafür. Und davor gab es auch unzählige Menschen, bei denen ich mal besser die Klappe gehalten hätte.“ „Aber hast du nicht mal gesagt, dass du Juka auch ein bisschen provoziert hast?“ „Naja in gewisser Weise schon, er war unterwegs und ich hab mich abgeschossen und bin mit Naoki um die Häuser gezogen, weil ich ganz genau wusste, dass ihn das rasend machen würde.“ Ich zuckte kurz zusammen, als mich der Schmerz durchfuhr. Traurig lächelte ich. Dieser Mistkerl schaffte es immer noch mir weh zu tun. „Warum hast du nicht mit ihm geredet?“ Ich biss mir heftig auf die Unterlippe, weil das gerade ein Thema war, über das ich mal so gar nicht reden wollte. „Glaub mir, dafür war es schon lange zu spät. Juka merkte, dass es mir nicht passte, dass er so lange arbeitete. Sicher hab ich ihm das gesagt, doch ihm war es egal oder er nahm mich nicht ernst. Also tat ich das, worauf ich Lust hatte. Das traf ihn, aber er sagte nichts sondern…vögelte seinen Produzenten…hatte er mir zumindest erzählt.“ Jetzt schien auch meine Schwester zu merken, dass sie besser das Thema wechseln sollte. Ich entschuldigte mich und ging an die frische Luft. Dort sank ich an der Wand zusammen und musste heulen. Warum tat es nach all der Zeit noch immer so weh? Meine Schwester war mir gefolgt, natürlich, sie wusste was los war. „Lukas es tut mir leid, ich wollte nicht, dass du traurig bist.“ „Weißt du Jojo, du kannst mich dafür hassen, weil ich dich im Stich gelassen habe…aber ich würde es jedes Mal wieder so machen…und warum auch nich? Es ist okay, wenn man mal Schwäche zeigt. Ich wünsche das keinem, aber der Schmerz ist mit nichts vergleichbar.“ „Ja, es wäre okay, wenn du dich nicht den ganzen Tag zugedröhnt hättest und mit uns geredet hättest.“ Ich musste lachen. „Sagte das Mädchen, das sich seit zwei Tagen Pillen schmeißt. Kapierst du es denn immer noch nich? Ich wollte nich reden!“, fuhr ich sie jetzt an. „Aber warum denn nicht? Reden hilft immer Lukas.“ „Nein eben nicht und ich wusste in dieser Zeit genau, wie weit ich gehen konnte. Ich habe es zwar immer bis aufs letzte ausgereizt, aber mehr auch nicht. Ich hab auch jetzt keinen Bock mit dir darüber zu reden, wenn du es nicht kapierst okay. Dann lass mich aber auch in Ruhe.“ Ich holte mir den Wodka und hockte mich raus an den Pool. „Das meine ich Lukas, du ertränkst alles im Alkohol, jammerst aber rum, wenn ich mal Pillen schmeiße.“ „Das ist ja mal ein weltweiter Unterschied.“ Meine Schwester belästigte mich nicht weiter, gut so. Ich bekam wieder einen emotionalen Zusammenbruch, seit langem. Dabei hatte ich doch alles so gut im Griff gehabt. Ich hörte Stimmen, rührte mich jedoch nicht. Erst als Flo rief: „Hier ist er.“, setzte ich mich auf, starrte aber immer noch vor mich hin. Mein Freund gesellte sich zu mir und schickte alle anderen weg. Und irgendwie stellte ich jetzt mehr denn jeh fest, dass es verdammt gut tat ihn hier zu haben. Er nahm mir meinen Wodka weg und umarmte mich. „Wie ich sehe schweigt ihr zwei euch immer noch an.“ Ich nickte. „Ein Gespräch führt zu nichts…Flo, es ist doch manchmal okay sich vollkommen abzuschießen, weil man mit keinem reden will oder?“ „Hatten wir das nich erst kürzlich davon…da wolltest du es mir noch ausreden, aber prinzipiell geht das klar.“ „Das versteht Jojo nich…ich weiß nich, wie ich ihr das erklären soll…es artet immer aus und wir bekommen uns in die Haare.“ „Ich glaub das versteht auch nich jeder…geh noch mal zu ihr, nimm sie in die Arme und dann geht’s dir auch besser.“ Ich lächelte Flo an und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist echt ein Goldschatz.“ Jojo war immer noch sauer. Ich setzte mich zu ihr und legte meinen Arm um ihre Schulter. Etwas zurückhaltend sah sie mich an und dann kam sie auf meinen Schoß gekrochen, so wie sie es früher schon immer getan hatte. Ich schloss meine kleine Schwester in meine Arme und spürte ihre Tränen an meinem Hals. So verharrten wir eine Weile, dann nahm ich ihr Gesicht zwischen meine Hände und wischte ihre Tränchen weg. „Frieden okay?“ „Okay“, schluchzte sie. „Eine Sache möchte ich dir trotzdem noch sagen…ich habe das damals als eine Art Selbstschutz getan Süße, alles andere hätte ich nicht ertragen. Du konntest mir nich helfen, auch wenn du das gern denken würdest. Juka hat mich verletzt, sehr sogar und es trifft mich heute noch, deshalb ist das gerade so ausgeartet. Ich hab dich sehr lieb meine kleine, aber manchmal musst du mich auch mal meine Dinge tun lassen. Du wirst es kaum glauben, aber ich weiß, was für mich das Beste ist.“ „Das war aber mehr als eine Sache. Also war es am Ende doch gut, dass ich Nina ausgeredete habe was mit dir anzufangen. So einen komplizierten Kerl, das ist für selbst für sie zu hoch.“ „Ja schon, nur lass mich sowas das nächste Mal bitte selbst klären okay? Oder komm damit vorher zu mir. Jetzt schlaf ein bisschen. Falls was sein sollte, kannst du gern hoch kommen.“ Ich gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn und fiel dann selbst ins Bett. „Isses okay, wenn ich heute bei dir schlafe?“, fragte Jule. Ich nickte nur und ging mir die Zähne putzen. Jule war wohl das einzige Mädchen, was mit mir im Bett schlief ohne blödsinnige Hintergedanken. Das tat gut zu wissen. „Habt ihr euch wieder vertragen?“ „Irgendwie schon. Ich werde ihn niemals vergessen Jule. Juka hat mich geprägt, positiv als auch negativ, daran lässt sich nichts ändern…er belagert momentan noch immer das Siegerpodest…ich weiß nich ob ihn jemals ein anderer von dort hinunterstoßen kann.“ Jule schaute mich lange sehr nachdenklich an. Dann wurden ihre Züge weicher. „Er hat dir wirklich weh getan…und zwar so richtig…und das tut mir auch so unendlich leid, doch langsam glaube ich, dass du nach vorne schauen solltest.“ Jetzt kamen mir doch die Tränen und ich kuschelte mich in mein Kissen. Der Schmerz brannte in der Brust und wurde ein bisschen besser, als sich Jule an mich schmiegte und über meine Wange strich. „Manchmal würde ich so gern glauben, dass du Recht hast.“ „Ich glaube an dich. Du strahlst eine unglaubliche Magie aus, wenn du die Menschen mit deiner Musik entführst und ich liebe alles an dir Lukas…deine verletzliche Seele genauso wie deinen sonst so stolzen Charakter. Ich finde es schön, wie du dich um die Menschen kümmerst, die dir etwas bedeuten und schätze deine Ehrlichkeit. Deshalb werde ich dich nie aufgeben. Du bist einer meiner Lieblingsmenschen und das wirst du immer bleiben.“ Ich lächelte traurig und schüttelte ungläubig mit dem Kopf. „Wow…da verschlägt es mir glatt die Sprache…und das sagst du einfach so…ohne irgendwas von mir zu wollen…das ist irgendwie schön.“ „Es gab ne Zeit da wollte ich mit dir zusammen sein, doch mittlerweile kennen wir uns schon so lange und ich hab dich als Freund lieber...“ Ich starrte geistesabwesend zur Decke. „Außerdem hält mein Lebensstil eh keiner lange aus. Manchmal frage ich mich, ob es überhaupt möglich ist je wieder mit einem jemandem zusammen zu sein.“ „Wie meinst du das?“, fragte Jule. „Ich will damit sagen, dass ich seid der Beziehung mit Juka noch immer auf Männer stehe, das habe ich nich bedacht. Ich meine, Selene war auch ein attraktives Mädchen und sie hat sich den Arsch aufgerissen. Ich dachte immer ich kann beides und ich wollte nach Juka auch keinen anderen Mann mehr. Doch vielleicht sagt mir das auch nur mein Kopf, weil er an Juka hängt. Aber eigentlich zieht es mich mehr zu Männern hin als zu Frauen.“ Jule schaute mich an und lächelte. „Das hab ich doch neulich schon versucht dir zu sagen Dummerchen. Aber ich glaub ich muss jetzt schlafen. Ist es okay, wenn ich im Bett bleibe?“ Ich erwiderte ihr Lächeln. „Klar.“ Was für ein Abend und irgendwie tat sich Jojo schwer mit einschlafen. Ihr schlechtes Gewissen Lukas gegenüber war auch nicht besser geworden, als er sie umarmt hatte. Sie war gemein zu ihm gewesen und das hatte er nicht verdient. Auch, wenn er manchmal eigene Ansichten hatte, die sie nicht teilen konnte war er doch noch immer ihr Lukas und das würde er immer bleiben. Jojo holte sich noch ein Glas Wasser und wäre fast mit Flo zusammengestoßen, der gerade aus dem Bad stolperte. „Oh sorry!“, sagten sie fast zeitglich und Jojo musste lachen. „Na, is wohl schwer einzuschlafen?“, fragte sie Flo mit einem leichten Unterton in seiner Stimme, weil er sicher auch wusste, dass man mit Drogen im Blut voll aufgedreht ist. Sie zuckte mit den Schultern. „Mhh irgendwie schon.“ „Wenn du willst leiste ich dir noch ein bisschen Gesellschaft, es sollte nich mehr allzu lange dauern, bis die Müdigkeit einsetzt.“ „Oho, da kennt sich aber jemand aus.“ Flo grinste und machte eine lässige Bewegung mit der Hand. „Hab ja sonst nich viel erreicht, doch ich würde wohl nen guten Drogenberater abgeben.“ „Flo…meinst du das mit Lukas wird wieder?“ „Ich hoffe es…kann ihn aber auch versteh‘n.“ „Ich habe ein paar Dinge zu ihm gesagt, die echt gemein waren…vorhin musste ich an früher denken, als er sich immer mit unseren Eltern gezofft hat…er wirkte immer so taff. Doch heute glaube ich er war es nicht.“ Flo seufzte und drehte sich zu ihr. „Lukas hat seine Familie immer mehr bedeutet als mir. Ich hab meine seit mehr als 10 Jahren nich mehr gesehen und es vermisst mich keiner…naja doch Kevin. Das hat mich schon ein bisschen beeindruckt. Aber meine Eltern? Kein Plan wie es denen geht und das is irgendwie traurig, aber ich kenn es nich anders. Lukas war da schon immer anders und manchmal glaub ich heute noch, dass er auf den Tag wartet, an dem er sich mit euren Eltern versöhnt.“ „Glaubst du das wird passieren?“ „Keine Ahnung und ich bin glaub auch nich der, mit dem du über sowas reden kannst.“ Jojo war noch nie so richtig aufgefallen, dass Flo echt hübsch war. Doch vom Charakter vermutlich noch unmöglicher und unnahbarer als ihr Bruder. „Ich würde ihn nur manchmal gern mehr verstehen, aber ich kann nicht…ich denke oft, er sieht in mir immer die kleine Schwester, doch die bin ich nicht mehr Flo. Ich kann ihm helfen und für ihn da sein.“ Flo lächelte. „Dann zeig ihm das. Ich glaub er wird in dir immer seine Kleine sehen…aber mir geht es ähnlich…ich wünschte mir, ich hätte für ihn da sein können…doch ich war in Tokio…er braucht uns alle.“ Flo spielte etwas gedankenverloren an seinem Septumring herum und zündete sich eine Zigarette an. „Und du? Wie geht es dir?“ Er blies blaue Rauchwölkchen in die Luft. „Jeder Tag is ein Kampf…es gibt fast nichts, für das es sich zu leben lohnt…aber ich mach irgendwie weiter…was Lukas kann, kann ich auch.“ Jojo traten die Tränen in die Augen, weil sie schon lange nicht mehr etwas so trauriges gehört hatte. Und ihr Bruder schien der einzige Mensch zu sein, der Flo wirklich noch am Leben hielt. Nicht Basti oder Fabi, nein, nur Lukas. Die beiden musste viel verbinden und das rührte sie zutiefst. „Sag bloß du hast Mitleid mit mir kleine Jojo?“ „Natürlich habe ich das und verdammt ich bin nicht mehr die Kleine. Flo…was ich damit sagen will, wir sind alle für dich da…ich auch, weil wir dich mögen und wäre sehr schade dich nicht mehr zu haben. Ich bin vielleicht nicht mein Bruder, aber ich werde langsam erwachsen und verstehe Dinge besser als früher.“ Sie nahm Flo in die Arme und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Du bist deinem Bruder echt verdammt ähnlich…danke Süße. Ich denke wir sollten jetzt schlafen gehen.“ Meinem Schwesterchen ging es am nächsten Tag zum Glück etwas besser und sie hing mir die ganze Zeit am Rockzipfel. Flo kochte uns was zum Essen, was mich sehr verwunderte, denn das tat er fast nie. Ich war noch immer gerädert von gestern und baute einen Sonntag-Mittags-Joint. Jojo sah mich leicht schockiert an. „Um diese Uhrzeit schon?“ „Erstens ist Sonntag und zweitens kannst du mal schön ruhig sein.“ „Das musste ja kommen.“ Jule bestärkte mich, indem sie meine Kifferleidenschaft unterstützte. Was für eine Frau. Flo hatte asiatisch gekocht und es schmeckte vorzüglich. Danach haute ich mich noch ein bisschen in die Sonne. Mein kleiner Schatten verfolgte mich. „Jojo, ich bin ein bisschen am Arsch…und mir ist gerade nicht nach tiefsinnigen Gesprächen.“ „Schon okay, ich wollt dir nur sagen, dass ich jetzt nach Hause gehe.“ Ich umarmte sie und genoss wieder die warme Sonne, es gab nichts entspannteres. Doch was war das, irgendjemand schnappte mich an Füßen und Armen und ich versuchte zu strampeln. Allerdings half das nichts und ich landete mit einem riesigem Platsch im Pool. Nur gut, dass man durch meine nasse Hippiehose nahezu alles durchsah, aber das war mir gerade völlig egal. Ich kletterte aus dem Pool und rannte den beiden Chaoten nach. Das wurde mir dann allerdings zu dumm und ich schloss den Gartenschlauch an. Dann legte ich ihn zur Seite und wartete, als sei mir egal, dass ich im Pool gelandet bin. Fabi lugt um die Ecke und Flo kam von der anderen Seite. Beide grinsten scheinheilig. Blitzschnell sprang ich auf, schnappte mir den Schlauch und drehte voll auf. Erst traf es Flo, dann Fabi voll ins Gesicht. Das ging dann noch eine ganze Weile so, bis wir Frieden schlossen. Ich zog mich um. Kapitel 51: Rettungsaktion -------------------------- Als Jojo in ihrer Wohnung ankam, erwartete sie Naoki überraschenderweise. Das freute sie irgendwie. „Ich wollte nicht gehen, ohne mich verabschiedet zu haben.“ „Wie nobel von dir.“ Sie konnte die Wut ihres Bruders verstehen, doch Naoki war so unglaublich toll. Selbst, wenn es nach ein paar Monaten nicht mehr funktionieren sollte, wollte sie das jetzt nicht so einfach aufgeben? Das schien er irgendwie zu bemerken. „Würden wir eigentlich auch Spaß haben, wenn ich nicht mit dir schlafen würde?“ Er zuckte mit den Schultern. „Ist das nicht ein Teil davon? Mit dir ist es oft lustig Jojo…klar kommt der Sex noch dazu, was genau willst du mir sagen?“ „Lukas kann dich aufgrund deiner eher verschwenderischen Lebensverhältnisse nicht leiden, aber eventuell könnten wir dem Abhilfe verschaffen…nicht, dass du jetzt auf alles verzichten sollst, aber es ist glaub leichter, wenn wir wieder zusammen wären.“ Naoki schwieg eine Weile. Dann hatten sie den Rest des Tages Sex miteinander. Am nächsten Morgen ging sein Flug, doch Jojo fühlte sich gut. Dennoch hatten sie nichts zwischen sich geklärt. Ein paar Tage später. Jule war sonst nicht der Mensch, der sich in die Beziehungen anderer einmischte, doch diese Mal war es ein absoluter Notfall. Flo war zwar ganz und gar nicht dafür, aber das war ihr egal, denn langsam hatte sie wirklich Angst Lukas zu verlieren. Sein Leben bestand nur noch aus arbeiten und feiern. Naja und das eben richtig. Nicht, dass sie nicht auch ab und an was nahmen, aber nicht so. Lukas hatte die letzten Wochenenden ordentlich übertrieben und das nur, um den Schmerz der Trennung auszublenden. Es zerriss Jule innerlich ihn so zu sehen und es verletzte sie immer wieder, dass sie ihm nicht den sicheren Hafen geben konnte, den er brauchte. Auch nach ihrem Gespräch letzte Woche hatte sie noch immer Hoffnung gehabt, doch die war spätestens jetzt zunichte gemacht worden. Juka spukte noch immer in seinem Kopf herum und daran konnte wohl auch sie nichts ändern. „Hey, lass den Kopf nicht hängen, er mag dich sehr, das weißt du doch.“ „Und doch kann er nicht über seinen Schatten springen Flo. Ich red mit Juka, vielleicht kommt er.“ Flo zog die Brauen hoch. „Jule, du weißt, dass Lukas dich köpfen wird…er hasst sowas.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Besser so als gar nichts. Ich kann ihn so nicht mehr sehen…es bricht mir das Herz. Hast du seine Arme gesehen, Flo? Und ich will nicht wissen, wo er sich noch verletzt hat.“ Ihr war egal, was Flo davon hielt, sie schrieb Juka und hoffte, dass er ihr antwortete. Sie hatte sich einen neutralen Ort ausgesucht, an dem sie sich treffen konnten. Lukas durfte nichts davon mitbekommen, denn sonst würde er sie höchstwahrscheinlich umbringen. Doch Jule musste es tun, vielleicht war das der einzige Weg seine Liebe doch noch zu retten. „Bist du sicher, dass du das tun willst?“ Sie nickte. „Ich kann Lukas nicht länger so sehen Flo und das ist der einzige Weg…die beiden wissen es nur noch nicht.“ „Das wird ihm nicht gefallen.“ „Ich weiß, aber bitte versprich mir, dass du dicht hältst.“ Flo seufzte und nickte schließlich. Jule schnappte sich ihre Tasche, setzte ihre Sonnenbrille mit dem Leomuster auf und machte sich sogleich auf den Weg. Mit jedem Schritt, den sie mehr tat, wurde sie nervöser. Ihre Begrüßung fiel recht freundlich aus und sie hoffte insgeheim, dass alles so klappte, wie sie sich das vorstellte. Nervös klickerten ihre Fingernägel gegen die Kaffeetasse. Auch Juka sah nicht gerade so aus, als würde es ihm gut gehen. Aus seinen Augen war jeglicher Glanz gewichen und auch sonst versprühte er nicht seine ominöse gute Laune Aura. „Du weißt, warum ich mit dir reden wollte oder?“, begann sie die Unterhaltung und er nickte kaum merklich. „Natürlich…aber ich bin nicht sicher, ob ich hören will, was du zu sagen hast.“ Jule nippte an ihrem Kaffee und sah wieder zu Juka auf. „Es ist ganz einfach. Würdest du euch noch eine letzte Chance geben?“ „Ich schon, aber Luki…er macht es nicht Jule.“ Sie seufzte. „Das heißt also, du liebst ihn und du solltest dich langsam fragen, ob du es ertragen könntest, wenn er irgendwann nicht mehr unter uns weilt. Ich bin mehr als verzweifelt Juka und ich weiß, dass er es hasst, wenn man in sein Leben eingreift…aber es steht zurzeit nicht besonders gut um ihn. Ich will ihn nicht verlieren.“ Juka schaute Jule schockiert an. Jetzt packte auch ihn die Angst. „Shit…ich hab‘s geahnt.“ Sie griff nach seiner Hand. „Dann tue was dagegen! Du bist der einzige Mensch, der das kann…bitte“, flehte sie den schönen Japaner an. „Jule, das ist nicht so einfach…er will mich nicht sehen.“ Das Mädchen haute mit der flachen Hand auf den Tisch und war den Tränen jetzt sehr nahe. „Verfluchte scheiße…würde es etwas ändern, wenn ich dir sage, dass er sich wieder selbst verletzt hat?“ Jetzt stieg auch in Juka die nackte Panik herauf und Jule hatte vermutlich Recht, wenn er nicht noch einen letzten Versuch wagte, könnte es zu spät sein. „Ja…ich hab ihn kurz darauf gesehen. Na schön…ich verspreche dir nichts Jule, weil wie gesagt…ich weiß, dass er mich gerade nicht sehen will. Aber ich versuche mein Bestes zu geben…“ Sie fiel ihm um den Hals und hoffte für die beiden Jungs, dass wieder alles gut werden würde. Jetzt schöpfte sie wieder ein bisschen Hoffnung. Alle hatten sich versammelt, um zu überlegen, wie sie Lukas helfen konnten, denn sein derzeitiger Zustand, den er noch so sehr zu überspielen versuchte, war einfach unerträglich. Am meisten wohl für ihn selbst. Wie immer am Freitag kam er früher von der Arbeit und schien auch heute wieder seinen Gefühlen nicht gerecht zu werden. Er gesellte sich zu seinen Freunden und sie alle schauten ihn etwas betreten an. Dann ergriff Jule das Wort. „Lukas, wir haben dich alle sehr lieb und wir wissen, wie sehr dich die letzten Monate und Jahre noch immer mitnehmen…deshalb haben wir uns etwas überlegt.“ Lukas schaute skeptisch in die Runde, dann wanderte sein Blick abwechselnd von Fabi zu Flo und wieder zurück zu Jule. „Und was? Gibt’s ein neues wie-vergess-ich-meine-Vergangenheit-Program?“ Seine Stimme klang zynisch und noch immer hatte Jule Bedenken, dass er sie dafür hassen könnte. Sie schüttelte den Kopf. „Geh hinauf in dein Schlafzimmer und nimm dir soviel Zeit wie du brauchst“, erklärte Flo. Lukas kniff die Augen zusammen und funkelte ihn an. „Ich weiß nich, was ihr schon wieder ausgeheckt habt, aber ich glaub ich will es nich…“, versuchte er zu scherzen. „Lukas, bitte, es ist wichtig für dich…vertraue uns…“, versuchte Jule ihn zu ermutigen, doch ihre Stimme nahm sie kaum mehr als ein Wispern wahr.   Ich hatte keinen Schimmer, was die drei schon wieder im Schilde führten, doch würden sie ja doch nicht locker lassen, also ging ich hinauf in mein Schlafzimmer. Ich versuchte mir auf dem kurzen Weg nach oben zu überlegen, was mich denn aus meiner derzeitigen Misere befreien konnte, doch mir fiel nichts ein. Naja, das stimmte nicht, natürlich fiel mir etwas ein oder eher jemand. Aber daran glaubte ich selbst nicht mehr. Ich öffnete die Tür und aus Gewohnheit drückte ich den Knopf meiner Anlage. Dann erst bemerkte ich, dass ich nicht allein war und jetzt begann der Hass in mir zu brodeln. Was hatten sich meine Freunde nur dabei gedacht? „Ich weiß, du willst mich nicht sehen, aber vielleicht sollten wir reden.“ Es war, als hätte meine Füße plötzlich Wurzeln geschlagen und im Hintergrund erklang das Lied, das ich zuletzt für oder besser gesagt gegen Juka geschrieben hatte, wie passend. Meine Gefühle drohten mich in diesem Moment zu erdrücken. „Was auch immer wir besprechen müssen, lass es uns bitte schnell klären…“, raunte ich mit erstickter Stimme. „Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir zusammen gekommen sind? Nach so vielen Anläufen ist es einfach passiert.“ Das also war der grandiose Plan? Ich konnte meine Wut kaum zügeln. „Und was bitte soll das bezwecken Juka? Glaubst du allen Ernstes das macht alles einfacher?“, fauchte ich ihn an. „Nein tut es nicht, aber damals war so viel unkomplizierter Luki.“ „Ja und?“ „Und deine Gefühle damals…sie waren echt.“ Ich hatte wenig Lust zu reden und drehte mir einen Joint. Ungewollter Weise schweiften meine Gedanken dann doch zu diesem Tag zurück. Da war noch alles okay zwischen uns, die Liebe hatte uns noch nicht zerstört, wir waren Freunde. Sehr gute Freunde, wenn nicht sogar die besten auf der ganzen verschissenen Welt. Wir vertrauten uns blind. Fuck! „Und?“ „Du hast gerade dran gedacht“, sagte Juka etwas erheitert. Ich warf ihm einen zornigen Blick zu. „Hab ich nich.“ „Du kannst noch immer nicht lügen…was würdest du sagen, wenn wir an dieser Stelle nochmal ansetzen?“ Ich wiegte den Joint in meinen Händen hin und her. Das also war die Absicht hinter all dem. „Das funktioniert nich“, blockte ich sogleich ab. „Luki…ich weiß, dass du das nur sagst, um mich zu verletzen. Du willst mich im Glauben lassen, dass du mich nicht mehr liebst…doch du vergisst etwas Süßer…ich kenn dich wahrscheinlich besser als jeder andere. Warum kämpfst du dagegen an?“ „Erzähl du mir doch nichts von Liebe…denn außer, wie man es schreibt, scheinst du ja nicht viel davon zu verstehen“, bemerkte ich zynisch. „Ich hatte wirklich gehofft, es wird einfacher…Du bist wahrhaftig der sturste Mensch, den ich kenne…was willst du tun? Mit einem anderen Typ zusammen sein? Oder einem Mädchen? Du weißt genau, dass dir keiner das geben kann, was du willst.“ „Juka, ich hab‘s soweit geschafft…komm irgendwie klar....“ Lügner! Ich wusste genau, dass das niemals passieren würde. Ich fühlte mich leer und wie ausgekotzt. Irgendwie hatte ich mich schon so reingesteigert, dass ich selbst nicht mehr heraus fand. Ich musste Juka doch einfach nur sagen, was ich fühlte, aber ich konnte nicht. Mir war klar, dass nur er allein mich glücklich machte, doch wurde ich blockiert. Von mir selbst und dieses Hindernis konnte ich nicht überwinden. „Doch zu welchem Preis? Luki, ich weiß es ist schwer zu begreifen…aber verstehst du nicht, mich macht es genauso kaputt. Ne Zeit lang war auch ich fest davon überzeugt, ohne dich leben zu können, doch dann hab ich dich gesehen…den tiefen Schmerz in deinen Augen, der sich mit der süßen Sehnsucht vermischt…ich kann das nicht länger…ich ertrage es nicht mehr von dir getrennt zu sein…“ Wenn ich jetzt ging, konnte ich diesen Abend vielleicht noch halbwegs heil überstehen. „Dann musst du wohl lernen damit zu leben“, entgegnete ich mies gekontert. „Können wir es nicht wenigstens versuchen? Früher bist du immer zu mir gekommen, weil dich Tim so genervt hat…als das mit deiner Mum passierte, versuchte ich dich zu trösten und genau diese Situationen ist der Grund, warum du mich noch magst. Denn du wünscht dir jemanden, der dir zuhört, jemanden, der dir Halt gibt und dennoch deiner Begierde und deiner Leidenschaft gewachsen ist.“ „Ja das kann ich wohl nich abstreiten. Aber jetzt sind Flo und Basti da, wofür brauch ich dich dann?“ „Weil du mich übrigens auch nicht loslassen kannst. Uns verbindet eine gemeinsame Vergangenheit, aber wir halten uns an der falschen fest, beschuldigen uns gegenseitig den anderen kaputt zu machen…doch das führt zu nichts.“ Ich sah Juka lange an und würde ihm gerne glauben. Ich legte den Joint zur Seite und ging eine Zigarette rauchen. Vielleicht hatte Juka Recht. Mein Herz wummerte und ich war ratlos. Konnte das wirklich funktionieren und konnte ich wirklich ohne Juka leben? Ich sank an der Verandatür hinab und blinzelte die Tränen weg. Zwischen uns lag dieser Abgrund, über den ich nicht springen konnte, denn sonst würde mich dieses Ungeheuer verschlingen. „Luki,…“, begann er. Fragend sah ich ihn an. Doch dann schüttelte ich mit dem Kopf. „Okay…dann hör mir jetzt genau zu. Jetzt erinnere du dich an den Abend, als wir zusammengekommen sind und du zu mir sagtest, falls unsere Beziehung scheitert, könntest du mir nicht versprechen, dass wir noch Freunde sein können.“ Entsetzten spiegelte sich nun in Jukas Blick, vermutlich weil er wusste, was ich als nächstes sagen würde. „Willst du das wirklich?“ Ich seufzte tief und winkelte meine Beine an, weil ich es kommen hörte. Es würde nicht zulassen, dass mich Juka wieder bekam. „Ja, weil es nich anders geht…ich kann das nich Juka. Vielleicht irgendwann mal, aber nich jetzt. In einer Sache muss ich dir Recht geben, ja, wir haben uns gegenseitig zerstört, aber so richtig…und auch deshalb kann ich das noch nich. Ich will nicht so tun, als wären wir Freunde, wenn ich bei deinem Anblick jedes Mal innerlich zerbreche.“ „Du musst einfach loslassen…bitte.“ „Ich kann nich Juka…verstehst du das nicht! Es tut mir leid…es is vorbei…für immer.“ Juka erwiderte lange nichts und ich zündete mir doch Joint an. Hätte ich das gewusst, hätte ich mir was zum Trinken mitgenommen. „Nein, bitte tue das nicht!“, flehte er mich an und wie gerne würde ich ihm verzeihen. Doch ich konnte nicht. Die Dunkelheit in mir verschlang mich regelrecht und ließ keine Gefühle zu. So langsam riss mein Geduldsfaden und wenn ich noch länger hier mit Juka sitzen musste, lief ich Gefahr Amok zu laufen. Automatisch tastete ich unter meinem Ärmel nach meiner neuesten Verletzung und ließ meine Hand darauf ruhen. Noch konnte ich dieses Monster in Schach halten. „Hörst du mir eigentlich zu? Ich kann es nicht ertragen dich in meiner Nähe zu haben, weil das was ich will und das was mir gut tut nicht mit meinen Verstand in Einklang gebracht werden kann…es tut mir nich gut von dir getrennt zu sein, doch noch schlimmer isses, in welcher Form auch immer, mit dir zusammen zu sein“, schrie ich ihn jetzt an. Die Tränen brannten in meinen Augen. Er kam näher, doch ich erhob mich und wich aus. Hinter mir kamen die Stufen zum Pool. Blitzschnell drehte ich mich um und rannte nach unten. Natürlich folgte mir Juka, dennoch hielt ich ihn auf Abstand, als ich die letzt mögliche Waffe gegen ihn einsetzte, die ich gegen ihn hatte. Ich war mir nicht mal sicher, weshalb sich das kleine Rasiermesser in meiner Hosentasche befand, doch als ich es in meiner Hand hielt, blieb Juka stehen. „Verdammt noch mal, fällt es dir so schwer über deinen Schatten zu springen? Du kannst mir noch so viel erzählen…dein Blick spricht Bände…ich habe noch nie einen verzweifelteren Menschen gesehen…das bringt mich gerade an meine Grenzen, weil ich dich nicht verstehe…warum Lukas?“, fuhr er mich jetzt an. „Warum?“, fragte ich zurück und schritt weiter zurück, doch wurde ich von der Wand gestoppt. Mist. Die Klinge berührte bereits meine Haut. „Ja, warum? Du tust dir doch selbst keinen Gefallen.“ „Keine Ahnung. Ich kann einfach nich über meinen Schatten springen“, versuchte ich zu erklären und hoffte, dass er diesen Hilferuf verstand. Juka, bitte hilf mir! Lass mich nicht in der Dunkelheit zurück, denn das überlebe ich nicht! „Doch du weißt es, denn du bist so stur wie nachtragend. Du wünscht dir jemanden, der dich so liebt, wie du bist, mit all deinen Macken? Deinem gebrochenen Herzen, deiner zerschundenen Seele? Du verlangst von anderen, dass sie dich so akzeptieren, wie du bist, doch dafür müsstest du dich selbst erst mal akzeptieren. Ich hab meinen Dad sterben sehen und musste miterleben, wie mein bester Freund in den Tod stürzt…das ist echt übel…doch ich hab den Arsch zusammengekniffen…klar hab ich auch drüber nachgedacht den Stecker zu ziehen…aber was hätte ich davon gehabt? Ich stand jeden Morgen vor diesem beschissenen Spiegel im Bad und musste meine Visage ertragen, doch jetzt bin ich froh, dass ich nicht aufgegeben habe. Ich bin mit mir im Reinen…kannst du das auch von dir behaupten?“ Ich schüttelte den Kopf und verdeckte mit dem Handrücken meinen Mund, damit Juka nicht sah, wie meine Lippen bebten. Juka war so stark und das bewunderte ich an ihm. Ich hingegen war ein Nichts. Ja, ich hasste mich gerade mehr als jemals zuvor in meinem Leben, weil ich so nahe dran war, Juka für immer zu verlieren. Meine Hände zitterten heftig, als ich versuchte, die Klinge erneut anzusetzen. Wenn ich mir jetzt die Pulsadern aufschnitt, konnte ich all dem Übel ein Ende bereiten. Ja er hatte Recht, ich verleugnete mich selbst. „Du kennst die Antwort auf die Frage…“, flüsterte ich und irgendetwas hielt mich davon diesen einen endgültigen Schnitt zu setzen. „Natürlich kenne ich die Antwort, deshalb brauchst du mich ja auch Süßer…“ „Ich brauche niemanden, denn gerade hab ich alles bestens im Griff…du solltest dir auch besser nen anderen suchen…das Gespräch is vorbei.“ „Na klar, du hast alles im Griff. Deshalb stehst du auch gerade hier und überlegst, ob du dir die Pulsadern aufschneidest oder nicht. Dann tue es doch…wenn du dich traust…“ Jetzt lachte ich traurig. „Umgekehrte Psychologie? Da musst du dir schon nen besseren Trick einfallen lassen.“ Juka sah mich traurig an und gleich war der Moment gekommen, ich spürte es. Jeden Augenblick würde er weggehen und mich verlassen, ich fühlte es. Schon beinahe durchbrach die Klinge meine Haut. Und was dann? Würde ich dann sterben? Danach würde ich wahrscheinlich nichts mehr fühlen und dieses Monster der Leere pirschte sich immer näher an mich heran. Ich konnte seine Klauen schon förmlich spüren. Kälte umfing mich nach und nach. Juka wirkte in dieser finsteren Stunde wie ein Engel, auch wenn ich nicht an diesen ganzen Quatsch glaubte. Falls Engel wirklich existieren sollten, dann war er bestimmt einer. Oder ein Elfenprinz, denn es war einfacher an magische Wesen dieser Art zu glauben, als an etwas so hochgestochenes wie Engel. Juka atmete tief ein und dann wieder aus. „Schon klar…jetzt bekomm ich nen Arschtritt von dir, weil ich dich so mies behandelt hab…vielleicht tust du das nicht mal bewusst, aber es geschieht und es ist verdammt hart Luki…aber du lässt mir keine andere Wahl.“ Mein Herz brach und ich krümmte mich zusammen, weil der Schmerz mich beinahe zu Boden rang. Ich war mir nicht Mal sicher, ob ich es schaffte, den Schnitt zu setzen, weil mein Gehirn zuvor versagte. Naja jetzt nicht so richtig, doch es schien irgendeine Sicherung durchzubrennen. Ein leises Klirren sagte mir, dass ich meine Waffe verloren hatte und nun allen und jedem ausgeliefert war. Juka würde mich fallen lassen und dann gab es auch keine Freunde mehr, die mich aus dem Dreck ziehen konnten. Ich vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte bitterlich. Meine Beine winkelte ich an,  es hörte nicht auf und das süße Zentrum meiner Gefühle zersprang immer und immer wieder. Doch plötzlich wurde ich hochgezogen und stand wieder auf meinen zittrigen Beinen. „Was tust du da?“, fragte ich mit erstickter betäubter Stimme. „Glaubst du wirklich ich lasse das zu? Wenn ich dich jetzt verlasse, werde ich dich vermutlich nie wieder sehen…“ Um mich herum wurde es allmählich wieder heller und diese düstere Aura schwand. Wie hatte ich glauben können, dass er gehen würde. „Das kann ich wohl nich bestreiten. Und was jetzt?“ Juka zog mich an sich küsste mich innig. Seine Arme lagen wie zwei Schraubstöcke um meinen Körper. In mir tobte noch immer ein Krieg, doch nun schlugen endlich die Guten zurück, um den Schmerz zu verdrängen. Wie sehr hatte ich mich nach meinem schönen Japaner gesehnt. Denn nur sein Kuss und nur seine Liebe schafften es mich von den Toten zurückzuholen. Juka hob mich hoch und trug mich wieder in mein Zimmer aufs Sofa und mein Kopf sank in seinen Schoß. Ich brach in Tränen aus und vergrub mein Gesicht im Kissen. Was war gerade passiert? Ich tat mich schwer es zu begreifen, deshalb setzte ich mich auf seine Oberschenkel mit dem Gesicht ihm zugewandt. Warum stieß mich Juka nicht von sich? Warum ließ er mich mit meinem Schicksal nicht allein? Die Antwort lag selbstverständlich auf der Hand auch ich kannte sie, doch mein malträtiertes Hirn wollte sie nicht so ganz begreifen. Ich schluchzte und vergrub mein Gesicht in Jukas Haaren. Seine warmen Hände streichelten mir über den Rücken. Sein Geruch umnebelte mich und so langsam kehrte die Geborgenheit zurück, die nur dieser wundervolle Mann mir gab. Ich erhob meinen Kopf und schaute Juka mit tränenverschmierten Gesicht an. „Ich werde niemals aufhören für dich zu kämpfen Luki…dafür liebe ich dich zu sehr. Eigentlich hatte ich gehofft, du fängst dich irgendwann und kommst von allein zu mir, aber ich habe nicht gesehen, dass du in deinem Rapunzelturm sitzt und auf mich wartest. Es tut mir so unendlich leid…doch von nun an werde ich dich nie mehr verlassen, versprochen“, sagte mir mein schöner Japaner und erneut brach ich in Tränen aus, unfähig etwas zu erwidern. Er nahm meine Hand und begutachtete meine Arme. Scheinbar hatte ich es nicht geschafft mir den tödlichen Schnitt zu setzen. Meine neuesten Narben war noch nicht ganz verheilt und auf einmal kamen auch Juka die Tränen. Er drückte einen Kuss auf die verletzte Stelle und zog mir mein Shirt über den Kopf. Schon klar, dass ihm die andere Narbe auch nicht entgingen. Jetzt schlang er seine Arme wieder um mich und ich vernahm sein Schluchzen. „Juka, warum weinst du?“, wisperte ich. „Luki…ich will mit dir zusammen sein, weil ich dich nicht so sehen kann. Ich will dich nie mehr leiden sehen…ich will, dass du dir nie mehr Schmerzen zufügst.“ „Ach nein? Juka...“ „Ich lag die letzten Nächte wach und hab mir den Kopf darüber zerbrochen, was ich noch sagen könnte und dann isses mir eingefallen…damals, kurz bevor wir zusammenkamen, glaubte ich nicht an uns…doch du bist einfach nach Tokio geflogen. Das ist vielleicht nicht dasselbe aber ich will und kann dich nicht aufgeben. Nicht nach allem, was wir zusammen geschafft haben…Und ich habe meinem Dad damals ein Versprechen gegeben...“ Ich schnappte mir ein Kissen und legte es in Jukas Schoß. „…Du darfst jetzt nicht aufgeben Luki…ich hab damals in Tokio Fehler gemacht, doch jetzt weiß ich es besser. Ich hab von dir Dinge verlangt, die nicht richtig waren. Aber manches muss wohl geschehen, damit man es ändern kann.“ „Wow…keine Ahnung, was du jetzt von mir hören willst…ich bin zerstört und das war ich schon vor dir Juka…für manche Dinge kannst du wahrscheinlich echt nichts…ich bin halt so.“ „Nein bist du nicht! Luki, ich kenn dich schon eine ganze Weile und so bist du nicht. Weißt du, was dein Problem ist? Du kannst dich nicht binden, weil du nicht in der Lage bist größere Konflikte auszufechten. Immer wirfst du vorher das Handtuch, weil du Angst hast…verletzt zu werden? Aber andere Paare schaffen es auch und ich möchte diese Hürde mit dir gemeinsam überwinden.“ „Ich bin aber nich wie andere, das solltest du langsam wissen.“ „Pass auf, ich mach dir ein Angebot…denk ein paar Tage drüber nach. Ich muss jetzt los.“ „Mo- moment Mal, du sagst mir solche Dinge und verpisst dich dann einfach? Außerdem isses Mitten in der Nacht.“ Liebevoll strich er mit seinen Fingern über meine Wange. „Genau das ist der Punkt mein Hübscher und ich muss…naja in ein paar Stunden arbeiten.“ Ich setzte mich auf und schaute ihn an. „Ich bin nich sicher, ob ich jetzt allein sein kann…du kannst doch auch hier schlafen.“ „Ohh, wie könnte ich nein sagen, wenn du mich so anschaust…na gut. Aber später musst du mich arbeiten gehen lassen.“ Ich nickte nur und erhob mich. Mein Körper fühlte sich völlig erschöpft an, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mir. Doch es gab nichts beruhigenderes als in Jukas Armen einzuschlafen. Er drückte mir einen Kuss auf die Wange und mein Herz drohte vor Freude zu zerspringen, aber mein Gehirn wurde nur von verwirrenden Fragen geplagt. Juka hatte Recht, vielleicht.   Ich erwachte genauso verwirrt wie ich am Abend zuvor eingeschlafen war. Ich trank meinen Kaffee und erst dann kam die Erleuchtung, denn ich war wahrhaftig nicht der Experte, was Beziehungen anging und wir hatten unseren Konflikt nie ausgefochten, weil ich den Schwanz eingezogen hatte. Nach einer Dusche fühlte ich mich etwas besser. Keiner hatte mitbekommen, wann Juka gegangen war und ich fühlte mich auch gerade nicht in der Lage, mit irgendwem zu reden, deshalb verzog mich in meine Kuschelecke am Pool. Erst mal alles sacken lassen. Ich vernahm nicht Mal die leisen Schritte hinter mir. Fast so lautlos wie eine Katze ließ sich Jule neben mich gleiten. Sie zündete sich eine Zigarette an, die ich ihr sogleich wegschnappte. „Du hasst mich vermutlich Lukas…aber es ging nicht anders.“ Ich ließ meinen Kopf an Jules Schulter sinken. „Ein bisschen vielleicht, aber ohne deine Hilfe hätte ich es wohl tatsächlich nich geschafft…dieses Mal nich…das kann ich nie wieder gut machen…“ „Bleibt einfach zusammen…mehr wünsche ich mir nicht.“ „Ich fühl mich wie erschlagen…aber irgendwie gut. Schon verrückt.“ „Tja, hab gehört, so soll sich Liebe anfühlen. Ich muss jetzt auch gehen…die Arbeit ruft. Meld dich mal okay?“ Ich nickte und zog sie in meine Arme. „Bis ganz bald du verrückte Italienerin…und danke.“ Jule warf mir ein charmantes Lächeln zu und weg war sie.   Ich benötigte Zeit für mich, denn ich musste mir selbst über diverse Dinge klar werden. Im Proberaum holte ich die Gitarre um zu spielen, denn das brachte mich immer auf andere Gedanken oder lenkte mich zumindest für eine Weile ab. Ich leerte noch ein Drittel meiner Wodkaflasche und mir wurde bewusst, dass ich wirklich weniger trinken sollte. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und meine Gedanken schweiften wieder zum gestrigen Abend zurück. Juka und ich würden vielleicht einen Weg finden, wieder zueinander zu finden und das hielt mich am Leben. Nicht nur das, die Dunkelheit war jetzt fast ganz verschwunden und ich konnte wieder fühlen, also so richtig. Nicht nur Schmerz und Enttäuschung. Ich fühlte wie das Leben in mich zurückkehrte und mit ihm dieses Kribbeln, wenn man verliebt war. Der Gedanke an meinen schönen Japaner war nicht länger unerträglich, sondern wundervoll. Langsam torkelte ich die Treppe hoch und öffnete die Tür einen Spalt breit. Fabi und Flo saßen mit dem Rücken zu mir und redeten. „Meinst du das is ne gute Idee? Immerhin weißt…naja isses Juka.“ „Fabi…du hast ihn doch selbst erlebt…wir lieben unseren Lukas alle und ich weiß, dass gerade du ihn nich verlieren willst, weil er dein Bruder is…aber mach es ihm nich noch schwerer, als es eh schon is.“ „Ja, schon…aber ich…ach keine Ahnung.“ „Er wird schon wieder und ich bin sicher mit Juka verstehst du dich auch irgendwann…“ Ich lauschte den beiden eine Weile, um herauszuhören, in welche Richtung sich das Gespräch entwickelte. „Ich hoffe nur, dass er glücklich wird.“ „Denk das bekommen die beiden hin…“ Ich stieß die Tür auf. Ein bisschen geschockt sah er mich an. Auch Fabi wirkte leicht panisch. Ich lächelte Flo an. „Na ihr Süßen…darf ich mich zu euch gesellen?“ Ich kannte meinen Freund schon zu lange und wusste jeden Ausdruck in seinem Gesicht zu deuten. „Ich ähm…klar, bist du mir nich sauer?“, stotterte er. Ich warf ihm ein beruhigendes Lächeln zu. „Nein, ich glaub ich hab kapiert, dass mich alle mögen und nur das Beste für mich wollen. Also, alles cool…ich bin ziemlich betrunken…willst’n Schluck?“ Flo zog die Augenbrauen hoch und sah mich fragend an. „Aber mal ehrlich, wie isses gestern gelaufen?“ Ich prostete ihm zu und musste lächeln. „Juka liebt mich…obwohl ich echt übelst abgefuckt bin…lief also ganz gut…“ Auch Fabi strahlte mich an und trank einen Schluck. „Na dann…aber warum sitzt du dann hier und betrinkst dich?“ „Weil das mein Gehirn grad echt fickt…das Gespräch mit Juka war echt übel und es hat mich ganz schön viel Kraft gekostet…wisst ihr, ich dachte immer, ich wär so schlau…aber Juka hat mich mit meinen eigene Waffen geschlagen…das beherrscht er ziemlich gut…naja und jetzt mal sehn.“ „Mann bin ich froh das zu hören. Hab echt schon Schiss gehabt, dass ihr zwei euch an die Gurgel geht.“ „Quatsch…“ Fabi verabschiedete sich dann ins Bett, doch Flo wollte alles wissen. Das würde wohl noch eine lange Nacht werden, in der ich jede Baustelle einzeln abarbeiten musste. „Flo, ganz ehrlich, ich muss mich auch erst Mal sortieren…gerade ist alles noch so frisch…“ „Ich hatte echt angst, dass du mich hasst. Du bist mein bester Freund Lukas…“ Ich rief mir Jukas Worte in Erinnerung. „Juka hat mal gesagt, dass ich zu viel Zeit mit meinen Freunden verbringe und zu wenig mit ihm…als wir noch zusammen waren, vielleicht hatte er nicht ganz unrecht…Freunde sind immer da, doch du bekommst nicht oft die Chance jemanden kennenzulernen, dem du dein Herz schenkst.“ „Habt ihr euch gestritten? Juka und du?“ Ich nickte etwas betrübt und auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob das alles nur Einbildung gewesen war. „Ja, haben wir unter anderem, aber konnten auch ein paar Dinge klären.“ Ich versuchte gefasst zu wirken. „Und jetzt mach es doch nich so spannend. Seht ihr euch noch mal?“ „Du weißt auch schon länger, dass er mich nie betrogen hat…“ Plötzlich bekam Flos Gesicht diesen schuldbewussten Blick. „Sorry, ja…aber was sollte ich denn tun?“ Ich zuckte nur mit den Schultern. „Schon okay…ich werde ein paar Tage weggehen. Hier drehe ich sonst noch durch.“ Mein Freund grinste mich an. „Ha, du gehst mit Juka nach Japan.“ „Nein, nur eben ein paar Tage weg, nen klaren Kopf bekommen und so.“ „Schatz, du bist ein miserabler Lügner…aber gut.“ „Flo…kann ich heut bei dir pennen? Ich kann grad nich allein sein…“ „Klar doch. Ich glaub du tust das Richtige…ihr beiden funktioniert nich ohneeinander. Und ganz ehrlich, ihr seid füreinander geschaffen.“ Ich zog die Stirn in Falten und musterte meinen besten Freund. „Jetzt hör aber mal auf mit dem rumgschleime…ich hoffe es so sehr Flo. Geh’n wir schlafen?“ Flo nickte und ich konnte meine Augen kaum noch offen halten. Kapitel 52: für immer mein -------------------------- Flo wusste als einziger, wohin ich wollte. Ich erledigte an der Arbeit noch ein paar Dinge, holte meine Koffer von zu Hause und traf mich mit Juka auf dem kleinen Privatgelände, von wo der Flieger ging. Es war so irreal mit ihm jetzt hier zu sitzen, wo wir uns doch gestern noch gezofft hatten. In Tokio brauchte ich ein paar Tage für mich und Juka ließ mir diesen Freiraum. Er besuchte seine Familie und fragte auch selten, wie ich meinen Tag verbracht hatte. Entweder war er wirklich vorsichtig oder wollte nichts riskieren. Nach drei Tagen kaufte ich für uns ein, um zu kochen und Jukas überraschten Blick nach zu urteilen, hatte er nicht damit gerechnet. „Voll toll, so langsam werde ich auch nich mehr komisch angeschaut, wenn ich japanisch spreche…scheint besser geworden zu sein.“ Juka grinste. „Das klingt gut. Hast du kein Bier mitgebracht?“ Ich schüttelte den Kopf. „Hab glaub mal ne Alkoholpause nötig.“ „Solche Worte aus deinem Mund…ich bin beeindruckt.“ „Freut mich, wenn wenigstens das noch klappt. Wie geht’s deiner Familie?“ „Ganz gut…sie haben nach dir gefragt. Wenn du magst können wir sie ja zusammen besuchen gehen.“ Ich zuckte mit den Schultern und ging eine rauchen. Die Lichter über Tokio funkelten wundervoll und irgendwie hatte mir dieser Anblick gefehlt. All das hier hatte mir gefehlt, wie mir jetzt schmerzlich bewusst wurde. „Juka, zieh dich an, wir gehen spazieren.“ Er zog die Stirn in Falten und warf mir einen seltsamen Blick zu. „Okay. Wohin soll‘s gehen?“ „Keine Ahnung, alkoholfreie Cocktails trinken oder so.“ Eher unbewusst nahm ich Jukas Hand und wir holten uns Cocktails to go. Die Stadt lebte und nirgends war ein ruhiges Eckchen. Doch das störte mich nicht. Wir schlenderten durch die Straßen und da kam mir eine Idee. Wir schlugen den Weg zur Regenbogenbrücke ein. Ich stellte mich auf die Absperrung und genoss die frische Abendluft. Wir spazierten durch einen Park mit einem wunderschönen Brunnen. Ich balancierte am Rand entlang und versuchte mein Gleichgewicht so gut wie möglich zu halten. Juka lief neben mir her und beobachtete das Schauspiel. „Bis du ins Wasser fällst, du Spielkind.“ „Na und, es is doch warm. Hier halt Mal“, sagte ich und drückte Juka meinen Cocktail in die Hand. „Luki, du hast nen Vollknall.“ „Ich will doch nur eine Runde schaffen, jetzt sei nich so ein Spielverderber.“ Natürlich verlor ich irgendwann den Halt, so sehr ich mich auch bemühte und reflexartig griff ich nach dem ersten, was sich in meiner Nähe befand und das war Juka. Da auch er völlig überrumpelt wurde von meiner schnellen Reaktion, blieb ihm wenig Zeit zum Handeln und er kippte mit um und mit einem lauten Platsch landeten wir im kühlen Nass. Unsere Getränke färbten das Wasser rot und blau. Die konnte man jetzt wohl nicht mehr trinken. Ich konnte mich vor Lachen kaum noch halten. Juka lag über mir und verdrehte nur die Augen, dann erhob er sich und zog mich hoch. Auf schnellstem Weg eilten wir in Jukas Wohnung zurück und hüpften unter die Dusche. Allerdings nacheinander. Doch als Juka aus dem Bad trat, hatte er nichts mehr an. Am liebsten hätte ich diesen göttlichen Anblick ignoriert, doch das gelang mir nur schwer. Vereinzelte Wassertröpfchen rannen seiner Brust herab und seine feuchten Haare waren ein bisschen verstrubbelt. Beim besten Willen ich konnte mich diesem reizenden Mann nicht entziehen. Er leckte sich mit der Zunge die Lippen und stand jetzt fast vor mir, sodass mir sein Gemächt förmlich ins Gesicht sprang. Meine Hände wagten es die Innenseite seiner Oberschenkel zu streifen und schon diese Berührung verlangte mir viel ab. Juka schien es ähnlich zu gehen, denn er legte den Kopf leicht in den Nacken und sog scharf die Luft ein. Gut so. Ich tastete mich weiter zu seinem Knackarsch und drückte ihn zu mir. Ich küsste seinen flachen Bauch und meine Zunge hinterließ unsichtbare Spuren. Niemals würde ich wieder zulassen, dass diesen Körper ein anderer Mann bekam. Juka gehörte mir. Ich wanderte tiefer und machte meinen Besitz deutlich. Fuhr erst sanft über seine Eichel, bevor ich Jukas Penis in den Mund nahm. Als sich seine Finger in meine Schultern krallten und ihm ein kehliges Stöhnen entlockte lächelte ich. Ich stoppte kurz, befeuchtete meine Finger, die sich wieder an Jukas wunderschönen Hintern nützlich machten. Ich umkreiste seine Öffnung und ließ ich meine Finger in ihn gleiten. Der Druck seiner Hände auf meinen Schultern verstärkte sich. Schon wollte ich mich fragen, wie lange Juka mir noch die Oberhand ließ, da packten mich seine Hände auch schon und drückten mich aufs Sofa. Sein Kuss raubte mir den Atem und ehe ich mich versah, war ich meine Hose los. Seine Zunge an meiner Öffnung und seine Hand an meinem harten Glied ließ mich Sternchen sehen. Seine Finger in mir fühlten sich mittlerweile mehr als vertraut an und dann drang er in mich ein. Mein Körper brannte wie Feuer und ich hatte mich beim besten Willen nicht mehr unter Kontrolle. Mein Verstand verabschiedete sich und ich ließ los. Ich berührte diesen wundervollen Körper wie so viele Male davor, denn jetzt wusste ich, dass er nicht durch andere beschmutzt wurde. Unsanft landeten wir auf dem Boden und Juka über mir. Seine Lippen streiften meinen Mund und dann ließ auch er los. Ich stöhnte auf und in meinem Kopf explodierte alles. Dieses Mal duschten wir zusammen. Ohne ein Wort zu sagen standen wir unter dem Wasserstrahl und ohne, dass ich es aufhalten konnte übermannte mich meine unterdrückten Gefühle. Ich bettete meinen Kopf in Jukas Halsbeuge und heulte. Bisher hatte ich mich immer unter Kontrolle, doch dieser Ausbruch machte mir deutlich, wie sehr ich meinen Liebsten doch brauchte. Jukas Arme umfingen mich und umschlossen mich wie eine schützende Hülle. Langsam beruhigte ich mich wieder und wir kuschelten uns auf’s Sofa. „And all I want Is to be with you again And all I want Is to hold you like a dog“, sang Robert Smith leise im Hintergrund. „Singt er ernsthaft hold you like a dog?“, kicherte Juka und auch ich musste lachen. „Ich fürchte schon. Jetzt ist die Woche fast rum…“, stellte ich schweren Herzens fest. Juka zog mich an sich, um mich zu küssen. Keiner von uns beiden wagte es diesen wundervollen Zauber zu zerstören, doch bald war es vorüber und das wussten wir. Juka seufzte. „Luki….“, setzte er an, doch ich schüttelte den Kopf und hielt ihm den Finger auf den Mund. Ich machte es mir auf dem Sofa bequem und kuschelte mich in die Decke. „Kommst du nicht mit ins Bett?“ „Mhh…Juka…ab jetzt passen wir aufeinander auf okay? Bitte versprich mir, dass du mir alles sagst…auch wenn dich was an mir ankotz…egal…meinetwegen können wir uns auch streiten, dass die Fetzen fliegen, aber bitte versprich mir, dass wir uns nie mehr trennen…denn ein Leben ohne dich is ziemlich beschissen.“ „Ich verspreche es Luki…nie mehr ohneeinander…denn auch ich würde das kein zweites Mal überstehen.“ Juka nickte und ergriff meine Hand. Den darauffolgenden Tag verbrachten wir mit seiner Familie und besuchten Kamis Grab. Dann flogen wir zurück und der Alltag holte mich schnell wieder ein, allerdings mit einem Unterschied. Ich hatte genügend Zeit gehabt, um über Jukas Worte nachzudenken und mir wurde klar, was er meinte. Wir schrieben uns dauernd und meine Jungs vermuteten schon, dass ich auf meinem Kurztripp jemanden kennengelernt hatte. Naja, ganz verkehrt war das ja nicht. Kapitel 53: Summer of Love --------------------------   „Du siehst erholt aus“, stellte Jule erleichtert fest. „Naja, so eine Woche mal nix trinken und so…sollte ich wohl öfter machen.“ Auf einmal druckste meine beste Freundin ein wenig rum und lächelte etwas verlegen. „Warum fragst du Juka nicht, ob er mitkommen will? Ich meine auf einen Platz mehr oder weniger kommt‘s nicht an und ich hätte nen schlechtes Gewissen euch jetzt wieder zu trennen.“ Ich spürte förmlich, wie meine Augen leuchteten und konnte ein Grinsen ebenfalls nicht unterdrücken. „Das würdest du wollen?“ „Gerade würde ich alles tun um dich glücklich zu machen.“ Ich verdrehte meine Augen. Jetzt übertrieb sie wirklich. Da schneite Juka auch schon herein und Jule präsentierte ihm ihren Vorschlag und auch er war alles andere als abgeneigt von der Idee. Und ich für meinen Teil hätte mir nichts Schöneres vorstellen können, als mit Juka noch ein paar Tage mehr Sonne zu tanken. Also buchten wir noch einen Platz im Flieger und Jule telefonierte mit ihrer Familie.   Zwei Wochen später flogen wir mit Jule nach Rom. Wir wurden von Jules Tante abgeholt und sie fuhr mit uns zu ihrem Anwesen. Ich hatte eigentlich eher ein kleines Ferienhaus erwartet, doch nachdem wir von Hauptverkehrsstraße abgebogen waren, die uns in die tiefste italienische Pampa zu führen schien, schwanden meine Hoffnungen, dass es dort überhaupt sowas wie warmes Wasser oder Strom gab. Nach etwa einer halben Stunde bei unerträglicher Hitze, schwitzend im Auto wünschte ich mir so langsam meinen Pool im Garten. Dort hätte ich doch auch noch eine Woche verbringen können. Ich wischte mir mit dem Shirt den Schweiß von der Stirn, auch wenn das nicht viel nützte, da ohnehin alles durchnässt war. Das Gerüttel der unebenen Straße, wenn man das so nennen konnte, machte mich schläfrig und ich realisierte nur mehr oder weniger die trocknen Sträucher an mir vorbei ziehen. Plötzlich kam der Wagen zum Stillstand und mir fiel fast die Kinnlade runter. Wir befanden uns auf einem Anwesen mit etwa drei Ferienwohnungen, einem sehr großen Gartengrundstück, in dem viele Bäume wuchsen, die Schatten spendeten und das ganze lag auf einem Hügel. Jule steuerte eines der kleinen Häuschen an, deren Eingang etwas tiefer lag. Im Wohnbereich fand sich ein großes Sofa, welches mit weißem Stoff überzogen war und unzähligen Kissen. Außerdem, zu meinem Erstaunen, stand dort ebenfalls ein großer Flachbildfernseher mit zugehöriger Anlage. Damit war der Raum ausgefüllt. Die erste Tür führte linker Hand zum Schlafzimmer und eine weitere Tür, ein paar Stufen hinab zum Badezimmer. Dort verzierten Mosaiksteine die kompletten Wände und ebenso den Boden und den kompletten Duschebereich. Ich war mehr als beeindruckt und die Dusche lachte mich förmlich an. Doch Jule wollte uns unbedingt zum Pool führen. Wir gingen ein bisschen bergauf und bogen links zu einer Terrasse hinauf. Wenn man ans Ende des Wasserbeckens schwamm, konnte man genau auf Rom blicken. Bevor wir uns noch mehr anschauen konnten, wurden wir auch schon zum Essen gerufen. Jules Mum und ihre Tante kümmerten sich die Woche um die Verpflegung. Ich befand mich definitiv im Paradies.    Meine Freundin weckte uns sehr früh, schleppte uns zum Frühstück und setzte uns Kaffee vor. Der trug dazu bei, dass meine Gehirnzellen allmählich hochfuhren. Wir fuhren mit dem Bus nach Rom hinein und die Hardcorestadtführung begann. Die Sixtina beeindruckte mich neben Rafael seinen Fresken am meisten. Später kehrten wir in einer Trattoria ein, ließen uns Essen und Wein schmecken. Ich war ein bisschen geschafft. Am zweiten Tag stand Collosseum und Forum Romanum auf dem Plan. Wir alberten viel herum und ich fühlte mich unbeschwert. Wir schmuggelten auch eine Flasche Wein mit ins Forum und suchten uns eine geschützte Ecke, in der wir sie vernichteten. „Heut Abend ist in der Nähe von unserem Ferienhaus ein kleines Fest mit Liveband und so. Habt ihr Lust?“ „Klar, ich muss doch auch mal was vom italienischen Lifestyle mitbekommen“, scherzte ich ein bisschen angedudelt. Selbstverständlich verstaute ich die leere Flasche wieder im Rucksack und wir machten beim nächsten Eiscafé halt. „Wenn ich weiter so esse, nehme ich noch zu.“ Jule schüttelte amüsiert mit dem Kopf und Juka drückte mir einen Kuss auf den Mund. „Naja, ein paar Kilo mehr würden dir sicher auch nicht schaden“, scherzte er. „Das läufst du doch alles wieder ab. Macht euch ein bisschen schick heute Abend.“  Jule verschwand im Bad und ich ließ mich aufs Sofa fallen und schloss meine Augen. So ließ es sich aushalten. Ich war sehr gespannt auf dieses Fest. Im weißen Sommerkleid und mal keinen hohen Schuhen präsentierte sich Jule von einer ganz neuen Seite. Anerkennend hielt ich den Daumen nach oben und auch mein Liebster warf ihr ein anerkennendes Lächeln zu. Juka trug eine schwarze Haremshose mit bronzefarbenem Bund und Stickereien in derselben Farbe. Darauf zog er ein fast schwarzes Top, dass leicht schimmerte und dadurch ein bisschen transparent wirkte. Wie war es nur möglich so unverschämt gut auszusehen? „Hübsch. Schade, dass ich schwul bin.“ Sie steckte mir die Zunge raus. Auch ich zog mich um und wir aßen noch mit Jules Mum zu Abend. Dann schlenderten wir den Feldweg entlang. Es war noch immer hell und das liebte ich so sehr am Sommer. Plötzlich erreichten wir eine kleine Lichtung. Von Baum zu Baum waren bunte Lampions gespannt, die ein angenehmes Licht verbreiteten. Um den Platz herum waren Fackeln aufgestellt und auch vor der Bühne erglühten Lichter. Es gab einen Stand mit Essen und einen mit Getränken. Ich kam mir vor wie im Märchen, eine ganz andere Welt. Wir stießen zu einer Gruppe jüngerer Leute dazu, mit denen sich Jule auf Italienisch verständigte, ihnen aber auch deutlich machte, dass wir nur englisch sprachen. Die Band spielte auch hauptsächlich in der Landessprache, doch ich mochte es, weil es sehr melodisch klang. Wir tranken Bier und zu meiner Überraschung ging sogar ein Joint durch unsere Reihen. Die Zeit verstrich, ohne, dass ich es merkte. Irgendjemand brachte mir irgendwann eine Gitarre und wir versammelten uns um das große Lagerfeuer herum. Da ich in Spiellaune war, stimmte ich ein paar Lieder an, da die Band leider aufgehört hatte. Doch jetzt zog es die verbliebenen Leute zu uns und sie lauschten mir. Zu Beginn war ich sehr konzentriert, doch meine Songs gingen mir immer leichter von der Hand. Ab und zu, als ich aufschaute wanderte mein Blick durch die Reihen und im Hintergrund fiel mir ein blonder Junge auf, der lässig am Baum lehnte und rauchte. Ich gönnte mir eine Pause und der Junge kam zu unserer Gruppe. Jule sprang auf und umarmte ihn stürmisch und ich hegte schon die Vermutung, dass es einer ihrer Liebhaber sein könnte, bis sie mich aufgeregt zu sich winkte. „Lukas, Juka, das ist mein Cousin Alex.“ Zu meiner Verwunderung sprach er uns auf Deutsch an und das sogar fast akzentfrei. „Hey, schön euch kennenzulernen“, sagte er und lächelte ein wenig schüchtern. Ich bot ihm etwas von meinem Bier an, er zuckte mit den Schultern und trank einen genüsslich großen Schluck. Dann schlug er vor Nachschub zu organisieren. Ohne zu überlegen oder ihn zu fragen, begleitete ich ihn zur Bar. „Du bist ein ausgezeichneter Musiker“, lobte mich Alex auf dem Weg zur Bar. „Danke. Ich wusste gar nicht, dass Jule soviel Verwandtschaft hier hat.“ „Jepp, es ist schön sie mal wieder zu sehen. Hast du dir Rom schon angeschaut?“ Ich nickte, war mir aber nicht sicher, ob Alex das so wahrnahm. „Wir haben die letzten beiden Tage eine Sightseeing-Tour gemacht und mir tun die Füße noch immer weh.“ Alex lachte. „Wenn du Bock auf das römische Nachtleben hast, sag Bescheid und damit meine ich nicht solche Dorffeste wie hier“, sagte er und zwinkerte mir zu. „Klar warum nich.“ Ich glaubte Alex setzte sich eher unbewusst neben mich und wir tranken eine ganze Menge. Irgendwann drückte mir Juka die Gitarre wieder in die Hände und jetzt erweckte es bei mir den Anschein, als würde ich nur für ihn singen. Im hellen Schein des Feuers wirkte er wieder so elfenhaft und seine blauen Augen ließen mich keinen Moment aus den Augen. Auch Alex musterte mich sehr angetan. Er trug auf einer Seite einen Undercut und in die andere Seite mit mehr Haaren waren zwei Dreadlocks geflochten. Außerdem schmückten seine Ohren mehrere Ringe, rechts wie links und im Läppchen kleine Tunnels. Seinen Körper schienen diverse Tattoos zu zieren, die am Hals unter seinem Shirt hervor lugten. Die langen Wimpern, die seine wunderschönen Schokobraunen Augen umrahmten wirkten nicht feminin. Und sein Gesicht strahlte diese Weichheit aus. Ich legte die Gitarre zur Seite, um etwas zu trinken. Wir wurden immer weniger und irgendwann legte Alex den Kopf in meinen Schoß. Mein Herz wummerte und ich wusste, was das bedeutete, Jules atemberaubender Cousin stand womöglich auf Männer. Auf einmal erhob er sich und zog mich mit sich. Ich drehte mich kurz um und erhaschte Jukas Blick, doch er lächelte mich nur an. Diese Japaner. Scheinbar schien er mir zu vertrauen. Alex ließ sich auf einer der vielen Bänke nieder und drehte einen Joint. „Das ist mal ein Luxus hier. Ich hätte nicht gedacht, dass mein Urlaub noch besser werden kann.“ Wieder warf er mir dieses schüchterne Lächeln zu, was gar nicht zu seiner sonst so casanovaähnlichen Ausstrahlung passte. „Ich könnte dir deinen Urlaub auch versüßen“, warf Alex charmant ein und zündete den Joint an. „Das tust du doch schon“, gab ich zurück. Er nahm einen tiefen Zug und reichte mir den Joint. „Wie kommt‘s, dass du auf Männer stehst?“ „Kam halt irgendwann so…erst dachte ich, ich hätte Probleme eine Beziehung zu führen, doch es waren halt immer Mädels und irgendwann hab ich festgestellt, dass ich Männer echt heiß finde.“ Wieder grinste Alex und zog am Joint. „Ich fand Jungs irgendwie schon immer toll.“ Ich fand ihn sehr attraktiv, keine Frage, aber an Juka kam er leider nicht ran. Dennoch mein Herz schlug mir bis zum Hals, als sich seine Hand auf meine Hüfte legte. Seine Fingerspitzen berührten die nackte Haut unter meinem T-Shirt und ich atmete tief ein. „Und ich dachte schon die Mädels rennen dir Scharenweise nach.“ Alex lachte jetzt. „Flirtest du mit mir?“ „Du hast doch damit angefangen und ich kenn dich nich mal richtig.“ „Das liegt wohl an deinem guten Aussehen.“ „Möglich…aber Alex, eigentlich bin ich vergeben…der hinreißende Japaner dort am Feuer…sorry.“ Alex sah mich ein bisschen enttäuscht an und zog seine Hand zurück. Eins wurde mir in diesem Augenblick klar, Juka und ich gehörten zusammen. Trotz diesen wunderschönen Mannes, der mir gerade gegenüber saß, ließ mich der Gedanke an meinen Japaner auf Wolken spazieren. Augenblicklich verspürte ich den Drang mit Juka zu reden, doch das war gerade ein schlechter Zeitpunkt. „Naja, hätte mich auch gewundert, wenn ein so Hübscher wie du noch zu haben wäre. Aber eigentlich? Das klingt als gäbe es Komplikationen“, stellte er ein bisschen hoffnungsvoll fest. „Jaaa, is ne verworrene Geschichte…wir hatten nen riesen Streit, haben Monate lang nich miteinander geredet und naja, jetzt haben wir festgestellt, dass es nich ohne den anderen geht.“ Alex lächelte. „Klingt schon fast nach einer kitschigen Lovestory.“ „Kitschig trifft es so ganz und gar nich…eher voller Wut, Hass, Enttäuschungen und Missverständnisse.“ „Ist es dein erster Freund?“ Ich nickte. „Ja und ein ganz wundervoller Mensch.“ „Ich hab irgendwie kein Glück und mittlerweile gibt es auch Männer, die meinen, man muss sich erst kennen müssen, um miteinander zu schlafen…das nervt mich ein bisschen, ich mein es ist okay, wenn man wie du vergeben ist, aber diese Pussies…das geht gar nicht.“ Ich musste lachen und zündete mir eine Zigarette an, die mir Alex sogleich wegschnappte. Ich warf ihm einen grimmigen Blick zu. „Ein bisschen Schade isses echt, dass ich vergeben bin, du wärst auf jeden Fall mein Beuteschema“, scherzte ich. „Soll das heißen du findest mich sexy?“ Wir waren wieder auf der Lichtung angekommen. „Ich glaube das war kaum zu übersehen. Nur bin ich Jule echt sauer, denn sie hätte mir echt mal früher sagen können, dass sie einen so heißen Cousin hat.“ Alex lächelte. Wir schlenderten zurück zu den anderen. Jule fielen schon die Augen zu und ich zog sie sanft hoch. Juka griff nach meiner Hand und ich gab ihm mit meinem Blick zu verstehen, dass alles in Ordnung war. Alex kam mit uns und ich war leicht geschockt, als er zu seinem roten Mazda ging und die Schlüssel in seiner Hand schon klimperten. „Du willst jetzt nicht ernsthaft noch fahren!“ Doch Alex warf mir ein zuckersüßes Lächeln zu. „Wäre nicht das erste Mal in diesem Zustand. Ich schaff das schon, aber schön, wenn du dich um mich sorgst.“ Er kam einen Schritt auf uns zu, umarmte erst Jule und dann mich und Juka. Seine linke Hand ruhte auf meiner Schulter und er gab mir einen Kuss auf die Wange. „Ich schreib Jule, wenn ich da bin okay?“ Ich nickte geistesabwesend. „Fahr vorsichtig.“ Mit einem letzten Lächeln stieg er in seinen Wagen und zischte davon. Jule veranstaltete auf einmal Freudensprünge um mich herum. Ich sah sie an, als wäre sie jetzt völlig behämmert. Schließlich hackte sie sich bei uns ein und wir liefen durch die Dunkelheit zurück. Irgendwie kam mir der Weg doppelt so lang vor. Jule schien noch immer zu hüpfen. „Was für ein schöner Abend, fandet ihr nicht auch?“ „Auf jeden Fall. Was steht morgen an, eine weitere Tour durch Rom?“, fragte ich belustigt und spürte. „Morgen dürft ihr zwei Hübschen entscheiden, was wir unternehmen oder auch nicht unternehmen.“ „Fährt Alex oft breit und betrunken?“, fragte ich nach einer kurzen Pause. „Oft nicht, weil er meist in der Stadt unterwegs ist. Aber mach dir wirklich keine Sorgen.“ Jetzt merkte ich langsam die Müdigkeit in meinen Knochen und fiel ins Bett. Das Bett gab ein bisschen nach, als auch Juka neben mir in die Kissen sank. Mir entging auch nicht, dass er seine Klamotten nicht mehr trug. Ich entledigte mich ebenfalls meiner Kleider und blieb vor dem Bett stehen, um diesen Anblick zu genießen. Doch lange hielt ich das nicht durch und schon wenige Minuten befanden wir uns wild knutschend übereinander. Die Hitze ließ mich schwer atmen. Benommen und noch immer etwas keuchend schleppte ich mich auf den Balkon, um eine letze Zigarette zu rauchen. Mein liebster folgte mir. Und die Sorgenfalte zwischen seinen Augen ließ mich stutzig werden. Was bedrückte ihn? „Juka…was is los?“ „Mh…nichts, was jetzt noch von Bedeutung wäre“, wich er geschickt aus, doch kannte ich ihn besser. „Du kannst genauso wenig lügen wie ich…also raus mit der Sprache…bitte.“ „Na schön. Ich mache mir noch immer Vorwürfe Luki…dich so kurz vor dem Absturz zu sehen…es war einfach…ich hätte das nicht ertragen. Und dann die neuen Narben…die hast du dir meinetwegen zugefügt. Erst jetzt habe ich Idiot begriffen, wie sehr du wirklich gelitten hast…es tut mir leid und ich stelle mir noch immer die Frage, wie du mir vergeben kannst.“ Ich bewegte mich einen Schritt nach vorne, sodass ich Juka in meine Arme schließen konnte. „Ich hab’s dir gesagt…ich bin verkorkst…das hab ich nur getan, weil ich mit mir selbst nich mehr klar kam.“ „Erzählst du mir mehr darüber?“, wisperte Juka. „Willst du das wirklich hören?“ Er nickte und ich schaute ihm fest in die Augen. „Naja, so‘n Hang zur Dramatik hatte ich ja schon immer und ich hab auch gedacht, dass dieses Gefühl…dieser Schmerz irgendwann besser wird. Es war so, als würde ich an ner Klippe stehen und jeden Moment den Halt unter den Füßen verlieren…was ja auch dann passiert is. Ich landete im Abgrund, auf meinem imaginären Scherbenhaufen und bin nich mehr rausgekommen.“ Juka liefen die Tränen und er biss sich heftig auf die Unterlippe. „Scheiße…Luki…erzähl mir doch nicht, dass ich daran keine Schuld trage.“ Ich nahm sein Gesicht zwischen meine Hände und hauchte einen sanften Kuss auf seine Lippen. „Verkorkst war ich schon vor dir Süßer…aber es wäre feige gewesen dir die Schuld zu geben. Ich habe mich oft genauso arschig verhalten und außerdem hast du mich gerettet, mein Held.“ Juka schluchzte noch immer und hielt mich fest in seinen Armen. „Und…und wie groß ist dein Scherbenhaufen jetzt?“ „Ich würde sagen, er is fast weg und das hab ich dir zu verdanken…finde dich damit ab, dass wir beide in der Vergangenheit viel Mist gebaut haben. Das sollte uns beiden eine Lehre sein.“ Mein schöner Japaner nickte nur und wir gingen Zähne putzen und dann ins Bett.                                                                                                                                          Wir schliefen ein bisschen länger als die Tage zuvor und irgendwann weckten mich die Wärme und die helle Sonne. Juka schlief noch. Ich stand auf und hüpfte unter die Dusche. Als ich mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt aus dem Bad trat, war mein Liebster ebenfalls munter und zwängte sich an mir vorbei. Doch bevor er ganz verschwand, steckte er seinen Kopf doch noch mal aus dem Badezimmer und gab mir einen Kuss. „Fahren wir heute ans Meer?“ „Klar, gern.“ Trotz des ernsten Gespräches gestern war ich heute in Topform und schnell schlüpfte ich in meine kurze, schwarze Hose und ein graues ärmelloses Shirt. Die Haare ließ ich so trocknen. In der Küche war Antonietta dabei das Frühstück herzurichten. Jules Tante half ihr und die beiden Frauen warfen mir ein liebevolles Lächeln zu. Und jetzt ging mir ein Licht auf, dann war Tante Giada wohl Alex Mum. Ich bekam schon einen Kaffee serviert. „Und gefällt es dir bei uns mein Lieber?“, fragte mich Giada. Ich nahm einen Schluck und nickte. „Ja total. Ich würde sofort hier her ziehen.“ Beide Frauen lachten. Plötzlich horchte Giada auf. „Il mio preferito è.“ Und ich hörte ein Auto in die Einfahrt einbiegen. Der Motor verstummte, die Tür wurde zugeschlagen. Schritte und dann öffnete sich die Haustür. Im hellen Tageslicht wirkte seine gebräunte Haut zum Anbeißen und die hellen Haare hoben sich sehr von seinem Gesicht ab. Alex nahm seine Sonnenbrille ab und begrüßte seine Mutter und seine Tante. Ich war völlig verblüfft, als er mir einen Kuss auf die Wange gab und sich neben mich setzte. Er sagte etwas auf Italienisch, was wohl hieß, dass er auch gern einen Kaffee hätte. „Kommst du mit raus zum Rauchen? Frühstück dauert eh noch.“ Ich nickte und folgte Alex. Wir ließen uns auf der Bank in der Sonne nieder. „Weiß deine Mum eigentlich, dass du schwul bist?“, platzte es aus mir heraus. „Klar. Ist ja nichts Schlimmes“, entgegnete er und lächelte mich an. Ich lächelte zurück und zog an meiner Zigarette. Wenn das nur alle Eltern als so selbstverständlich sehen würden, schoss es mir durch den Kopf. Doch schnell verdrängte ich diesen störenden Gedanke. „Hast du gut geschlafen?“ „Immer doch…und ich finde es noch immer schade, dass du vergeben bist“, amüsierte sich Alex. Nach dem Frühstück wollten wir zum Meer. Alex fuhr und Juka und ich saßen auf der Rückbank. Jule nahm auf dem Beifahrersitz platz und war in ihr Buch vertieft. Alex reichte mir sein Handy, was mit dem der Autoanlage verbunden war. „Such mal schöne Musik aus.“ Ich scrollte durch die Playlisten und kannte den einen oder anderen Künstler. Schließlich entschied ich mich für einen Klassiker- Nine inch Nails. Das neue Album hatte ich zwar zu Hause, jedoch noch nicht wirklich angehört. „Ein Mann mit Geschmack“, witzelte Alex. Am Strand war viel los, doch wir fanden eine kleine, abgelegene Bucht. Mein Herz begann wieder dezent schneller zu schlagen, als Juka sein Shirt auszog. Er hatte die letzten Tage auch ganz gut Sonne getankt, doch diese sexy Bräune ließ seinen Körper keinesfalls unattraktiver wirken. Verflucht, warum musste ich auch dauernd an Sex denken. Ich ließ mich von der Sonne bräunen und schloss die Augen. Alex, Juka und Jule unterhielten sich, doch es drangen nur Wortfetzen an mein Ohr. Ich döste ein und spürte irgendwann Hände auf meinen Rücken. Ich hoffte, sie gehörten meinem schönen Japaner. „Süßer, du verbrennst dich noch…immer diese naiven Deutschen.“ Blitzschnell drehte ich mich auf den Rücken und zog Juka zu mir runter. Sein Körper war warm von der Sonne und roch nach Sommer. „Machst du dich etwa über mich lustig, dafür sollte ich dir den Hintern versohlen.“ Juka lachte und seine Brust vibrierte leicht. „Mach doch, ich steh drauf.“ Diese Aussagen seinerseits machten mich wahnsinnig und ich schlang meine Beine um seine Hüften. Wieder musste er lachen und dieses Mal stimmte ich mit ein. „Was tust du bloß mit mir Juka?“ „Ich liebe dich, das ist alles.“ Diese Aussage ließ mich dahinschmelzen. Manchmal fragte ich mich, wie mich dieser wundervolle Mann nur so abgöttisch lieben konnte. „Geh’n wir baden?“ Ohne eine Antwort abzuwarten ergriff er meine Hand und zog mich hoch. Dann gab er mir einen Klaps auf den Hintern und rannte los. Trotz meines unachtsamen Lebensstils der letzten Jahre war ich komischerweise trotzdem immer ein guter Sprinter gewesen und holte Juka schnell ein. Auch ich verpasste ihm einen Klaps auf den Allerwertesten. „Du bist…fang mich doch“, stachelte ich ihn an und sah, dass er seine Geschwindigkeit beschleunigte, doch da war ich schon am Wasser angelangt und versuchte mich in die rettenden Wellen zu flüchten. Leider ohne Erfolg, denn Juka zog mich am Fußknöchel zurück. Ich versuchte mich freizukämpfen und strampelte mit dem freien Fuß. Dabei bekam mein Hübscher eine ordentliche Ladung Wasser ins Gesicht und fluchte kurz. Ich schwamm ein Stück und blickte dann zurück. Juka tat so, als ob er schmollte, doch ich hob nur die Schultern. Sicher würde ich ihm nicht die Genugtuung geben. „Feigling!“, rief er mir zu. Ich lachte nur. „Du kannst ja nur nich verlieren“, amüsierte ich mich und streckte ihm die Zunge heraus. Doch eh ich mich versah, war er abgetaucht und wieder spürte ich seine Hände an meinen Beinen. Dieses Mal schaffte er es, dass ich den Halt verlor und in die Fluten stürzte. Ich versuchte noch die Luft anzuhalten, aber zu spät. Als ich auftauchte musste ich furchtbar husten, weil ich viel zu viel Salzwasser verschluckt hatte. Ich kraulte zu Juka und tauchte ihn unter, doch leider war er größer als ich, packte mich an meinen Hüften und schmiss mich abermals ins Wasser. Und wieder schluckte ich Salzwasser. Dieser miese Bastard. Das würde er büßen. Ich tat so, als hätte ich genug und bewegte mich wieder Richtung Strand und wie erhofft folgte mir mein Liebster. Als wir uns auf gleicher Höhe befanden, sprang ich von hinten auf seinen Rücken und wie erwartet, warf ihn das zu Boden. Schnell setzte ich mich auf ihn und fixierte seine Handegelenke. Dann kitzelte ich ihn am Hals. Naja eigentlich war es fast egal, wo man ihn kitzelte, denn er war nahezu überall empfindlich. Juka konnte sich kaum noch halten vor Lachen und wand sich unter mir. „Hilfe…okay, okay ich ergebe mich. Verdammt ich hätte wissen müssen, dass du dich nicht so einfach geschlagen gibst…Frieden?“ „Du hast nich Bitte gesagt.“ Gespielt böse funkelten mich seine blauen Augen an. „Schließen wir Frieden? Bitte?“ „Na gut, weil du’s bist.“ Ich kletterte von ihm runter und legte mich wieder zu den anderen beiden. Alex und Jule hatten derweil beschlossen wieder zum Grundstück zurück zu fahren, dort etwas zu essen und Lagerfeuer zu machen. Außerdem gab es dort Wein. Wir hörten die Grillen zirpen und das Knistern den Feuers. Jule kam dann wieder mit einer ihrer grandiosen Ideen. „Lasst uns doch ich habe noch nie…spielen.“ Ich verdrehte die Augen, doch die anderen beiden Jungs schienen hellauf begeistert zu sein. Also fügte ich mich meinem Schicksal. Wir füllten unsere Gläser noch einmal und dann begannen die Spiele. „Ich habe noch nie Sex unter den Sternen gehabt“, begann Alex. Alle tranken, außer Juka und ich warf ihm einen erstaunten Blick zu. Er zuckte nur etwas verlegen mit den Schultern. Jule war die nächste. „Ich hatte noch nie Sex im Pool.“ Alle tranken und ich schüttelte amüsiert mit dem Kopf. „Geht’s hier eigentlich nur ums Vögeln? Ich dachte durch das Spiel erfährt man spannende Intimitäten über die anderen. Was interessiert es mich, wer es wo treibt.“ „Ohh Lukas, du bist voll der Spielverderber…dann nimm doch was anderes…es zwingt dich ja keiner über dein Sexleben zu plaudern“, beschwerte sich meine beste Freundin. „Na schön…ich hatte noch nie ne Freundin.“ Wieder tranken alle, außer Juka. Langsam wurde die Sache spannend und auch Alex schien das zu interessieren. „Heißt das, du bist schon immer schwul?“ Juka schüttelte mit dem Kopf. „Nee nicht ganz. So mit 16 hatte ich was mit nem Mädel, aber wir waren nicht zusammen. Wir hatten nicht Mal Sex, nur so’n bisschen Knutschen und so. Sie hat mich schon rangelassen und ich sie, aber eben ohne, dass wir miteinander geschlafen haben.“ „Und wann hast du festgestellt, dass du auf Männer stehst?“, fragte Jules Cousin weiter. „Als ich meinen damaligen Bandkollegen Kaz kennenlernte. Wir hatten was miteinander und ich fand’s ziemlich geil. Seitdem und naja, ein Mädel hatte von da keine Chance mehr.“ Zum ersten Mal fragte ich mich, wie viele Typen Juka tatsächlich vor mir gehabt hatte und irgendetwas schnürte mir das die Kehle zu. Ich baute einen Joint und schenkte mir Wein nach. „Das heißt, nach Kaz hatte ich noch das eine oder andere Tächtel Mächtel, das war es aber auch schon. In Deutschland war ich ja dann mit Polly liiert, allerdings war das auch nicht das Wahre“, sprach Juka weiter, doch ich war mir nicht sicher, ob ich noch mehr hören wollte und nahm einen tiefen Zug. „Und dann kam Lukas oder?“ Er nickte und warf mir einen liebevollen Blick zu, den ich jedoch nicht erwiderte. „Jepp, dann hab ich meinen kleinen Chaoten getroffen…und was soll ich sagen…“ Ich konnte nicht mehr, erhob mich etwas wackelig weil Gras und Wein keine besonders kluge Mischung ist und rannte weg. Juka verfolgte mich und schloss schnell auf. Ich ließ ihn kommen. „Alles okay Süßer?“ „Weiß nich…warum liebst du mich Juka?“ Er seufzte und nahm mir den Joint aus der Hand, um daran zu ziehen. „Luki…ist es weil ich dich meinen kleinen Chaoten genannt habe?“ Ich nickte und griff nach dem Joint, den mir Juka wieder reichte. „Das bist du aber nun Mal, denn du hast mein Leben völlig auf den Kopf gestellt. Es macht mich wahnsinnig glücklich, wenn ich jeden Morgen aufwache und in dein Gesicht schaue, weil ich mir nicht vorstellen könnte, dass da ein anderer Mann liegt. Ich liebe es, wie viel Zeit und Muse du in deine Musik steckst und mit wie viel Leidenschaft du diese dann auf der Bühne auslebst. Ich mag es, wie du immer versuchst für alle da zu sein und ich steh einfach auf dich…du bist so wunderschön, sexy, raubst mir den Atem…reicht das?“ Ich schlang meine Arme um Juka und schluchzte. „Danke…sorry, aber das Gelaber eben von deinen Exlovern hat mich irgendwie mitgenommen und manchmal denk ich, dass ich nich gut genug für dich bin…ich meine wenn ich uns vergleiche…du bist so makellos und schön. Mein Körper is voller Narben, doch siehst so einfach darüber hinweg.“ „Hast du angst, dass ich dich deshalb abstoßend finde?“ Ich nickte erneut. „Luki, bitte…ich bin ein erwachsener Mann und kann damit umgehen. Ich begehre jeden einzelnen Zentimeter deines Körpers, klar? Und jetzt hör auf so einen Quatsch zu glauben.“ „Du kannst damit umgehen? Das klingt nicht sehr überzeugend. Ich meine…manchmal muss ich selbst damit kämpfen, weil es echt irgendwie erschreckend aussieht.“ Juka seufzte und zog mich enger an sich. „Es erschreckt mich nur, weil ich es nicht verhindern konnte. Und wenn ich sage, dass ich damit umgehen kann meine ich das keinesfalls negativ.“ Mit dieser Antwort gab ich mich vorerst zufrieden und wir gesellten uns wieder zu den anderen beiden ans Feuer.   Am nächten Tag trafen uns mit ein paar Leuten in der Nähe vom Collosseum und liefen dann weiter in eine Bar oder Club. Scheinbar konnte man dort trinken und tanzen. Wir mussten zehn Euro Eintritt zahlen und als wir den Club betraten dröhnte uns der dumpfe Bass entgegen. Juka trug ein sehr enganliegendes Hemd, durch dessen Stoff seine Haut schimmerte. Er ergriff meine Hand, damit wir uns im Getümmel nicht verloren. Den ganzen Abend wich er nicht von meiner Seite. Später verschwand er kurz und kreuzte mit einer Flasche Rotwein wieder auf. Nach diesem Urlaub würde ich vermutlich nie mehr Rotwein trinken können. Dann entführte er mich auf die Raucherterrasse, die wie eine kleine Oase wirkte, denn in dem aufgeschütteten Sand waren Sitzsäcke verteilt und zu meiner Überraschung war es nicht mal voll. Wir verzogen uns in eine ruhigere Ecke und ließen den Abend ausklingen. Die letzten Tage vergingen viel zu schnell und so rückte auch der Abschied von Alex näher. Ich hätte auch noch länger bleiben können, doch das würde meinem Chef sicher nicht gefallen. Jule, Juka, Alex und ich verbrachten den letzten Abend noch zusammen auf dem Grundstück der Ferienwohnung. Am nächsten Morgen nach dem Frühstück hieß es dann wohl Abschied nehmen. Alex folgte mir, um eine zu rauchen. Wir lagen uns lange in den Armen. Später redete er noch mit Jule und fuhr uns zum Flughafen. Ich versuchte zu schlafen und als ich erwachte waren wir schon fast wieder in zu Hause. Jules Mum bestand noch darauf, dass Juka und ich zum Essen blieben und gegen elf traten wir dann den Heimweg an. Die letzten Tage schienen auf einmal so unwirklich und verschwommen vor meinen Augen wie ein Traum.   Juka war zu sich gefahren, weil er unbedingt dort noch ein paar Dinge zu erledigen hatte. Ich tippte ich eine Nachricht an ihn ins Handy und wenige Minuten später erhielt ich die Antwort. Ich hüpfte auf und ab und konnte es kaum erwarten Juka zu sehen. Hoffentlich lief er Fabi nicht über den Weg, denn das würde erst mal böses Blut geben. Nach meiner schlimmen Phase, die ich wegen Juka durchmachte, war mein kleiner Bruder nicht besonders gut auf ihn zu sprechen. Wie mein heimlicher Liebhaber schlich sich Juka über den Balkon in mein Zimmer. Ich umarmte ihn lange und innig. „Hallo schöner Mann.“ „Lang nicht gesehen. Wie geht’s Alex?“ „Eigentlich ganz okay, nur glaub ich, dass er mich vermisst…es fühlt sich irgendwie gut an, wenn auch mal ein anderer außer dir kommt und mich anhimmelt.“ Juka schaute mich leicht irritiert an. „Naja…vielleicht…“, setzte Juka an, doch ich schüttelte energisch mit dem Kopf. „Juka, versteh mich nich falsch…es pusht mein Ego ein bisschen, das is alles und Alex war schon nett, aber er is nich du.“ Jetzt wirkte er beruhigter. „Hauptsache du hattest Spaß.“ „Es war schön so lange Zeit mit dir verbringen zu können.“ Ich hielt sein Gesicht zwischen meinen Händen und wäre am liebsten in seinen blauen Augen versunken. Wahrscheinlich wurden gerade soviele Glückshormone freigesetzt, wie schon lange nicht mehr. Behutsam küsste ich Juka, als könnte ich ihn zerbrechen. Noch immer begriff ich nicht zu Hundertprozent, wie er gerade hier stehen konnte und wir uns nicht stattdessen stritten. Mein Herz hämmerte gegen meine Brust und ich wagte es kaum diesen wundervollen Moment zu zerstören. Juka lächelte mich mit einer Mischung aus Begierde und Freude an. „Das fand ich auch.“ „Juka…warum hast du eigentlich nich früher gesagt, dass da nichts war…ich meine, dann wäre das alles vielleicht anders gelaufen.“ Wieder schlich sich dieser leidende Ausdruck in Jukas Gesicht und ich bereute sofort, ihn das gefragt zu haben. „Luki…ich weiß es nicht…vielleicht hatte ich den Glauben an uns tatsächlich verloren.“ „Und was glaubst du jetzt?“ Juka seufzte und setzte sich auf den Fußboden. „Ich glaube wir lieben uns noch immer und alles Gegenteilige, was ich jemals behauptet hab, nehme ich zurück. Wir kennen uns Inn und auswendig und ich hoffe, nein ich glaube, dass wir es schaffen können. Ich kenn dich auch gut genug, um zu wissen, dass du daran zweifelst Luki…aber ich werde um uns kämpfen…ich hab Kami verloren und meinen Dad…einen weiteren Verlust ertrage ich nicht.“ Niemand sonst schaffte es solche Gefühle in mir zu wecken. Ich wollte Juka so gern wieder in mein Leben lassen und er behielt Recht, dass in mir Zweifel nagten. Nicht nur seinetwegen, sondern auch meinetwegen. Doch sollten wir unseren Gefühlen nicht trauen? „Ja, vielleicht hab ich Zweifel, aber dann lass uns diese aus dem Weg räumen…du hast gesagt, wir schaffen das…dann schaffen wir das auch. Ich weiß, ich bin manchmal unmöglich und schwer unter Kontrolle zu bringen, aber ich glaub an dich…weil ich dich liebe Juka…immer.“ Er zog mich an sich und wir lagen nebeneinander, küssten uns und genossen es den anderen an seiner Seite zu wissen. Kapitel 54: Vaterliebe ----------------------   Ich musste erst um neun an der Arbeit sein und so konnten Juka und ich noch gemütlich frühstücken. Als ich später nach Hause kam, fand ich Juka und Flo plaudernd am Pool. Und mein bester Freund warf mir einen vielsagenden Blick zu. Doch ignorierte ich diese Geste, gab Juka einen Kuss und gesellte mich zu den beiden. „Süßer, wäre es okay, wenn ich kurz mit Flo allein rede?“ Er kniff die Augen zusammen musste dann allerdings lächeln. So verschwand er, wahrscheinlich in meinem Zimmer. Flo wirkte noch immer irgendwie beleidigt und ich fragte mich weshalb. Ich erzählte ihm also die Kurzfassung. „Ja wie du siehst is alles wieder gut…Tokio war ziemlich abgefahren wie immer…Flo is das okay für dich, wegen Kami und so?“ „Ich geb Juka keine Schuld, das weiß er auch…ich denk es is wichtig, dass ihr euch ausgesprochen habt. Du musst mir was versprechen“, sagte Flo. Ich schaute ihn fragend an. „Das da wäre?“ „Verkack es nich…als ich damals auf Kamis Beerdigung war, hab ich mich bisschen mit Juka unterhalten…ich weiß was du ihm bedeutest und umgekehrt…nur kenn ich dich auch ziemlich gut…und nach all den Jahren glaub ich Juka is für dich dieser eine Lukas. Deshalb…schätze das.“ Ich wusste warum Flo das sagte, denn er konnte Kami nicht wieder zurückholen und ich fragte mich noch immer, wie er diesen Schmerz ertrug. Ich nahm ihn in die Arme. „Das werd ich, versprochen.“   Am nächsten Morgen ließ ich Juka schlafen und fuhr recht früh ins Büro, damit ich eher gehen konnte. Mein Chef wollte mich dringend sprechen und so machte ich mich gleich auf den Weg ins sein Büro. Allerdings traf mich dort eine böse Überraschung. Ein Mann im dunkelblauen Anzug saß dort mit verschränkten Armen. Seine Beine waren übereinandergeschlagen und sein Lächeln eisig. „Hallo Lukas, wie ich erfahren habe, kennt ihr beiden euch. Herr Sennert ist ein guter Geschäftspartner und würde uns bei unserem Auftrag für die Banken ein wenig unterstützen. Ist das nicht toll? Könnt ihr die Details in deinem Büro besprechen?“ Ich funkelte meinen Vater wütend an. „Natürlich, nichts lieber als das. Ich bin sicher Herr Sennert sprüht nur so vor Ideen.“ Natürlich entging meinem Chef meine sarkastische Bemerkung nicht, doch er ignorierte sie gekonnt und ich kehrte zurück in mein Büro, ohne darauf zu achten, ob mir mein Vater folgte oder nicht. Er schloss die Tür hinter uns und nahm vor meinem Schreibtisch platz. „Du hast es ja weit geschafft, gratuliere. Hätte ich dir nicht zugetraut.“ „Spar dir dein Gelaber, was willst du wirklich?“ „Ach Lukas, was ist das denn für eine Begrüßung? Aber gut. Ich möchte, dass du mir den Auftrag gibst. Du musst wissen, um meine Firma steht es momentan nicht sehr gut und ich brauche dringend eine Einnahmequelle.“ Ich lachte gekünstelt. „Und warum sollte ausgerechnet ich dir helfen?“ Wieder lächelte er mich eher boshaft an. „Weil ich deinem Chef sonst ein paar unschöne Dinge über dich erzählen könnte.“ Ich zog die Stirn in Falten. „Echt jetzt? Du drohst mir? Wie clever von dir.“ Er schwieg einen Augenblick und musste mir einen guten Schachzug überlegen. „Nenn es doch nicht so, ich bitte dich nur um einen Gefallen, lass es dir bis morgen durch den Kopf gehen.“ Mit diesen Worten verschwand er und ich hoffte, dass sich das alles irgendwie von selbst klären würde.   Als ich am Nachmittag nach Hause kam, traf ich dort erneut auf meinen Vater. Er saß selbstgefällig am Esstisch und trank Kaffee. „Sag bloß, du machst dein Angebot rückgängig“, begrüßte ich ihn. Er lachte höhnisch. „Glaubst du ich gebe mich so einfach geschlagen?“ Ich zuckte mit den Schultern und gab Juka einen Kuss. Mein Vater warf mir einen verstohlenen Blick zu. „Könnte doch sein, vielleicht siehst du ja ein, dass du deine Firma selbst in den Ruin getrieben hast. Erzähl meinem Chef doch was du willst. Ich lasse mich von dir nicht erpressen.“ „Ich mache dir ein letztes Angebot Lukas. Wenn du mir das Haus verkaufst trete ich zurück.“ „Verstehe ich das richtig, du brauchst Geld, würdest mir dennoch das Haus abkaufen? Wenn du wirklich so ruiniert wärst, hättest du das niemals getan. Was also willst du wirklich?“ Er schwieg einen Moment und sein Gesicht sah jetzt nicht mehr so freundlich aus. „Du hast mir alles genommen und jetzt steigst du bei der Konkurrenz ein und erntest die Lorbeeren? Das soll ich einfach so hinnehmen? Ich habe jahrelang Geld in meine Firma gesteckt und du wirst innerhalb von Monaten erfolgreich? Weiß dein Chef, dass du früher mal ein beschissener Junkie warst? Oder hast du ihm erzählt, dass du dich in deiner Freizeit mit Männern vergnügst? Glaub doch nicht, dass er dich dann noch weiter beschäftigt. Ich gebe dir bis morgen Nachmittag Zeit…sonst sorge ich dafür, dass du gekündigt wirst.“ War das gerade wirklich passiert? Ich rannte wutentbrannt an Juka vorbei, in den Proberaum hinunter, wo mein Boxsack hing. Wie verrückt und völlig betäubt prügelte ich darauf ein. Ich trat mit solcher Wucht dagegen, dass ich ihn mit der geballten Faust gerade so stoppen konnte. Dabei platzte die Haut meiner Hand auf, aber das war mir egal. Ich wollte nicht aufhören, auch als nicht als mir das Blut den Händen hinabfloss. Doch als der Boxsack ein weiteres Mal zurückkam, reagierte ich nicht so schnell und er traf mich mit seinem ganzen Gewicht, sodass ich zu Boden geschleudert wurde. Erst jetzt schoss mir der Schmerz in die Glieder und meine Hände zitterten. Dennoch fühlte ich mich ein bisschen besser. Ich schleppte mich ein wenig erschöpft wieder ins Wohnzimmer. Juka schaute mich mitfühlend an, doch ich zuckte nur mit den Schultern. Was sollte ich jetzt tun? Diesen Bastard gewinnen lassen? Nie im Leben und wenn das ganze vor Gericht ging. Das Wasser brannte, als es über meine verwundeten Hände floss. Juka legte seine Arme um mich. „Alles okay?“ „Bestens, du bist hier und alles ist schön.“ Ich drehte mich zu ihm. „Das meine ich nich…ich mein das mit deinem Vater.“ Ich nickte und zog Juka enger an mich. „Ja, wie du gesehen hast noch immer ein sehr charmanter Mann.“ Er löste sich aus unserer Umarmung und begutachtete meine Hände. „Hast du Verbandszeug da?“ „Bestimmt.“ Ich nickte und holte den Kasten aus dem Badezimmer. Behutsam kümmerte sich Juka um meine Verletzungen. Ich biss mir heftig auf die Unterlippe, nicht wegen den Schmerzen, sondern, weil er so lieb war. „So fertig. Vermutlich geht es mich nichts an, aber was willst du jetzt unternehmen?“ „Was habe ich denn für eine Wahl? Zuerst muss ich mit meinem Chef reden und hoffen, dass er mich so sehr schätzt, dass ihn meine Vergangenheit nicht interessiert. Das andere, ich meine, mit wem ich zusammen bin, ist meine private Angelegenheit. Aber mein Vater ist ein übler Mensch.“ „Aber ich meine, du bist jetzt ein Geschäftsmann, was also will er von dir Luki?“ Ich ließ mich auf dem Sofa nieder und schenkte mein Whiskeyglas voll. „Juka…als ich deine Familie wiedergesehen hab, fühlte ich mich auf einmal wieder so geborgen und aufgenommen. Aber ich kann nie der Freund sein, dessen Eltern dich mit offenen Armen aufnehmen…mein Vater war schon immer ein Arsch und meine Mum…naja, sie lebt jetzt in Schottland. Sie bemüht sich zwar gelegentlich, aber im Grunde sieht sie mich jetzt als einen erwachsenen jungen Mann, der sich um sich selbst kümmert. Lustigerweise dachte sie das auch, als ich sechzehn war. Es ist irgendwie kompliziert und ich will nicht, dass du schlecht von mir denkst. Nur bin ich nicht der perfekte Vorzeigefreund.“ Juka legte seinen Arm um meine Schulter und sah mich mit seinen wunderschönen Augen an. „Warum sollte ich schlecht von dir denken? Ich kenn doch die ganze Geschichte Luki und das gehört ebenfalls zu deiner Vergangenheit. Meinst du ich habe immer den lieben, wohlerzogenen Sohn gespielt? Meine Eltern sind mit mir verzweifelt…und ich mit Kami erst, wir beide zusammen, das muss eine Katastrophe gewesen sein.“ Ich musste lachen, weil ich mir ungefähr ausmalen konnte, was die beiden alles angestellt hatten. Juka fuhr fort. „Ich will damit nur sagen, dass ich dich nicht verurteilen kann. Was zwischen dir und deinen Eltern passiert ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Aber dir geht es gut und du bist ein wundervoller Mensch. Lass dich nicht unterkriegen und ich kenne einen guten Anwalt. Dein Chef wird schon Verständnis aufbringen.“ Ich seufzte und schenkte mein Glas erneut voll. „Das hoffe ich.“ Juka strahlte übers ganze Gesicht und ich küsste ihn und schlang meine Arme um seinen Hals.   Ich schlief sehr unruhig und wusste noch immer nicht genau, was ich meinem Chef denn erzählen sollte, entschloss mich dann aber doch für die Wahrheit. Mein Magen krampfte sich zusammen, als ich an seiner Bürotür klopfte. Als er herein sagte, trat ich etwas benommen und sein Zimmer. „Oh guten Morgen Lukas, das trifft sich gut, ich wollte ohnehin mit dir reden. Setz dich.“ Irgendwie wirkte er ein bisschen genervt und ich hoffte, dass mein Vater nicht schon mit ihm telefoniert hatte. „Hätten Sie jetzt Zeit, ich müsste da dringend etwas mit Ihnen besprechen.“ „Na meinetwegen, aber schnell.“ Er sah mich über den Rand seiner Brille an und in seinem weißen Hemd und den grauen Haaren wirkte er sehr respekteinflößend. „Es geht um gestern…sicher ist Ihnen nicht entgangen, dass das mein Vater war.“ „Nein, das wusste ich und deshalb dachte ich, dass du dich freuen würdest. Aber es hatte eher den Anschein, als passt dir das gar nicht…er ist ein großartiger Geschäftsmann.“ „Der kurz vor der Pleite steht“, platzte es aus mir heraus. Herr Wolff warf mir einen scharfen Blick zu. „Wie bitte?“ „Seine Firma geht bankrott, das hat er mir gestern selbst erzählt und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie ich Ihnen das beibringe. Zuerst wollte ich den Auftrag annehmen und mit ihm ins Geschäft einsteigen. Doch er will den Auftrag für sich allein, um seine Firma zu retten.“ Mein Chef stützte sein Kinn in die Hände und starrte nachdenklich an die Decke. „Seltsam, aber was hätte er denn davon?“ „Hören Sie, ich arbeite schon eine ganze Weile hier und habe immer versucht mein bestes zu geben. Ich habe kein besonders gutes Verhältnis zu meinem Vater und er hat mir gedroht, dass er Ihnen Dinge über mich erzählt, die womöglich zu meiner Kündigung führen. Ich schätze Sie sehr Herr Wolff und ich würde Ihnen das nicht erzählen, wenn mir nichts an dieser Firma liegt. Mein Vater kann ein wirklich skrupelloser Ba….Mensch sein und ich werde sein Angebot ablehnen. Ich möchte dieser Firma keinerlei Schaden zufügen und denke, dass wir den Auftrag für die Banken auch allein hinbekommen. Wir haben genügend gute Mitarbeiter, die schon seit Wochen an den Entwürfen arbeiten.“ Mein Chef sah mich lange sehr forschend an. Dann umspielte seine Lippen ein Lächeln. Sein Blick blieb an meinen Händen hängen. „Was hast du angestellt?“, fragte er eher interessiert. „Ich habe mich beim Kampfsport ein wenig zu sehr verausgabt.“ Das war ja nicht mal gelogen. „Was sind das für Dinge, die dein Vater gegen dich in der Hand hat?“ Mein Magen drehte sich. „Ich bin nicht sicher, ob Sie das hören wollen.“ „Aber ich in mir sicher, dass ich das hören will und ich verspreche dir, dass es diesen Raum nicht verlassen wird.“ Ich atmete tief durch. „Ich habe in meiner Jugend ein paar Dinge ausprobiert…war auch deshalb für kurze Zeit im Gefängnis, aber nur in der U-Haft. Ich habe daraus meine Lehre gezogen und seit dem nie mehr was angerührt. Ich bin bestimmt nicht stolz darauf, aber es ist passiert.“ Kurz überlegte ich, ob ich noch weiterreden sollte, hielt mich jedoch zurück. Ich traf mich mit Juka in der Mittagspause, redete allerdings nicht viel. An diesem Tag hörte ich weder etwas von meinem Chef, noch von meinem Vater. Ich war angespannt und stürzte mich in die Arbeit. Ich sagte Juka Bescheid, dass es heute später werden würde. Dann setzte ich mich mit meinen Kollegen zusammen, um mit ihnen über die Entwürfe für die Banken zu sprechen. Wir veränderten noch das eine oder andere, doch mit dem Endergebnis war ich mehr als zufrieden. Die meisten meiner Mitarbeiter waren bereits gegangen und ich saß noch immer an meinem Schreibtisch und erledigte Papierkram. Plötzlich klopfte es an der Tür, mein Chef stand im Rahmen. „Du bist ja immer noch hier. Meinst du nicht, dass du für heute Schluss machen solltest?“ „Nur noch ein paar Minuten, dann bin ich weg.“ Ich war so in meine Arbeit vertieft, dass ich völlig verdrängt hatte, dass mein Vater eventuell noch mal mit meinem Chef gesprochen haben könnte. „Okay. Dann hab einen schönen Feierabend. Ach und Lukas, du hattest Recht…ich mochte deinen Vater früher einmal, jetzt hat er sich sehr…verändert.“ Wie aus einem Traum gerissen, schaute ich auf. „Oh, ähm was soll ich sagen…ich wollte nur die Firma retten, mehr nicht.“ „Und das weiß ich sehr zu schätzen. Danke und jetzt geh nach Hause, nimm dir morgen frei.“ Ich riss die Augen auf. „Ernsthaft?“ Herr Wolff nickte. „Ja…und noch was, alles, was du in deinem Privatleben tust, ist mir egal. Hauptsachen du machst hier eine gute Arbeit. Gute Nacht.“ Und so verschwand er. Auch ich packte meine sieben Sachen zusammen und trat den Heimweg an. Es begann zu regnen und ich konnte mein Glück kaum fassen. Dennoch fühlte ich mich von meinem Vater verraten und das bisschen Hoffnung, das ich noch hatte, dass wir uns irgendwann doch versöhnten, war damit zerstört. Ich nahm den vorderen Eingang, da alle draußen auf der überdachten Terrasse saßen. Ich wollte einen Moment alleine sein. Natürlich durfte mein eisgekühlter Wodka nicht fehlen. Ich öffnete die Balkontür. Um frische Luft ins Zimmer zu lassen und sank erschöpft auf mein Sofa. Doch als hätte er mich doch mitbekommen, ließ Juka nicht lange auf sich warten. Etwas schüchtern trat er nur mit einer weißen, halblangen Hose bekleidet zu mir. Ich lächelte ihn an und er kam auf mich zu. „Gibt es was zu feiern?“, fragte er und nickte mit dem Kopf in Richtung der Flasche in meiner Hand. Ich zuckte mit den Schultern. „Eventuell…ich habe meinem Vater nen Tritt in den Arsch verpasst und mein Chef ist sehr stolz auf mich. Er hat mir morgen frei gegeben.“ Juka setzte sich zu mir und nahm behutsam die Flasche aus meiner Hand. Er prostete mir zu. „Herzlichen Glückwunsch Süßer. Trotzdem wirkst du irgendwie traurig…magst du drüber reden?“ Mein Mund verzog sich zwar zu einem Lächeln, dennoch behielt mein Liebster Recht, denn meine Augen taten es nicht. Ich war mir auch nicht sicher, ob ich drüber reden wollte. Aber vielleicht war es gerade das, was ich öfter tun sollte. „Weißt du, bis gestern hatte ich immer noch ein kleines Fünkchen Hoffnung, dass mich mein Vater doch irgendwie mag…jetzt isses vorbei. Mir wurde klar, dass er mich hasst Juka und ich will den Grund nich verstehen. Ich kenne ihn zwar, doch ich kann und will es nich verstehen.“ „Ist es für dich so wichtig, dass er dich mag?“ Juka hatte zwar früher eine ganze Menge von meinem zerrütteten Familienleben mitbekommen, doch es gab noch immer Dinge, die unausgesprochen waren und über die ich mit noch keinem geredet hatte. Ich atmete tief ein und wieder aus. Dann griff ich nach der Flasche. „Naja er is mein Dad…hofft nich jeder irgendwann von seinen Eltern geliebt zu werden.“ Juka nickte und hauchte mir einen Kuss auf die Wange, der mich ein wenig schaudern ließ. „Manchmal hat er noch so Andeutungen gemacht, als ich für ihn arbeitete und so. Weißt du Juka, meine Eltern schenkten mir alles, was ich mir wünschte, wir reisten viel, ich sah die Welt mit ihren Augen. Bekam immer mit, dass Geld unsagbar glücklich machen musste. Unsere Familie wurde noch perfekter, als meine kleine Schwester zur Welt kam. Ich liebte Jojo vom ersten Augenblick an und sie gab mir auch nie einen Grund eifersüchtig zu sein, denn meine Eltern waren toll. Sie sorgten für uns und kauften immer die teuersten Klamotten, überschütteten uns mit Geschenken, deren Wert mehrere Tausender sein mussten. Ich war mir immer so sicher, dass unsere Familie durch nichts zerstört werden könnte, bis ich ein Teenager wurde…naja, den Teil kennst du ja.“ Ich hielt inne und trank einen Schluck. Mein Herz wurde schwer, denn jetzt folgte der Teil, den ich weniger mochte. „Aber wie genau kam es dazu, dass ihr euch so zerstritten habt?“ „Naja, anfangs war‘s eigentlich noch nich so schlimm. Ich lernte Jule kennen und begann mich für die Gothicszene zu begeistern. Die Musik, die Kunst, die Kleidung…es war so neu und faszinierend. Außerdem mochte ich das Düstere. Wie jeder entwickelte ich eben meine Identität, doch genau das war das Problem. Denn als mir Tim über den Weg lief, wurde ich in eine ganz andere Welt gezogen. Meine ach so liebevollen Eltern wurden auf einmal komisch. Sie verhielten sich mir gegenüber sehr distanziert, machten komische Bemerkungen zu meinem Aussehen und beschwerten sich über mein Verhalten. Sie verlangten von mir, dass ich aufhörte mich weiterhin mit meinen Interessen hinzugeben, denn sonst…zu dem Zeitpunkt kam mir Tim eben gelegen, denn er zog mich noch ein Stück weiter in den Drogensumpf…das haben meine Eltern mitbekommen.“ „Was war das mit dem und sonst was?“ „Sonst würde ich nicht mehr zur Familie passen…doch ich weigerte mich, weil ich diese neue Welt weitererforschen wollte. Ich ließ mich piercen und tätowieren…Persönlichkeiten wie Marilyn Manson zogen mich in ihren Bann, ich wollte auch so begehrt sein. Ich wollte jemand sein, bei dem sich alle umdrehen, wenn er durch die Stadt läuft. Nicht aus Missbilligung oder Entsetzen, nein ich wollte, dass die Menschen mich bewundern. Ich wollte meinen eigenen Stil kreieren, der nur mich ausmacht…Mann das klingt ein bisschen größenwahnsinnig“, stellte ich belustigt fest. Auch Juka warf mir ein amüsiertes Lächeln zu. „Ja schon, aber erzähl weiter. Ich möchte wissen, was aus diesem größenwahnsinnigen, mystischen, dunklen Prinzen wurde.“ „Er fiel und fiel und fiel, weil er das bekam, was er wollte, seine geliebte Familie hingegen verlor. Denn jeh mehr ich mich zu dem entwickelte, der ich sein wollte, desto mehr wendete sich meine Familie von mir ab. Sie fragten nicht einmal nach, warum mich diese Welt so ansprach…es war egal, denn ich zerstörte mit jedem Schritt, den ich weiter tat die Familienidylle. Und sie straften mich mit Ignoranz und Gefühlskälte. Das einzige was ich weiterhin bekam war Geld. Ich war der Aussätzige, der verkommene Sohn, dem nicht mehr zu helfen war. Das verkraftete ich nicht und flüchtete immer mehr in meine Welt oder bessergesagt tauchte ich immer mehr in eine Scheinwelt…wie gesagt ich fiel tief…Drogen benebelten meine Sinne und ließen alles nur noch halb so schlimm erscheinen…ich ließ mich gehen, weil mir alles egal wurde und selbst meine Freunde spielten nur noch eine unbedeutende Rolle. Zum Glück hat Basti mich vor dem Schlimmsten bewahrt und mich völlig zugedröhnt ins Krankenhaus gebracht…damit war das Vertrauen zu meinen Eltern endgültig zerstört. Sie duldeten zwar meine Anwesenheit, aber meine Freunde blieben in ihren Augen ewige Versager, die mein und ihr Leben versaut hatten.“ Ich biss mir auf die Unterlippe und trank noch einen Schluck. „Hast du nie den Versuch unternommen deinen Eltern zu erklären, warum du das getan hast?“ „Doch natürlich, aber sie hörten mir nicht zu. Irgendwann tat es meiner Mum dann doch leid und sie hat versucht über alles zu reden, doch ich musste feststellen, dass ich schon echt abgestumpft war. Zu oft hat sie mir das Gefühl gegeben, dass ich der ausgestoßene Junge bin…ich brachte es nicht über mich, ihr zu verzeihen, auch wenn es mich todunglücklich machte. Ich ließ zwar die Finger von den harten Sachen, dennoch kiffte ich oder betrank mich bis zur Besinnungslosigkeit, weil ich das alles nicht ertrug.“ Ich musste wieder pausieren, weil ich es auch jetzt nicht ertrug darüber zu reden. Es fühlte sich so an, als würde jemand mein Herz zerquetschen. Juka ergriff meine Hand und küsste sie, doch der Ausdruck in seinem Gesicht sprach Bände. Er verflocht seine Finger mit meinen. „Das ist so traurig…“, flüsterte er. „Naja und das hat sich nie mehr richtig eingerenkt. Mittlerweile will ich es tatsächlich auch nicht mehr, dachte ich zumindest. Mit meiner Mum ist es heute nicht viel besser, sie lebt mit ihrem Lebensgefährten in Schottland, denn ich komm ja auch allein klar. Sicher, jetzt tue ich das, weil ich gelernt habe damit klarzukommen. Nur mein Schwesterchen macht mir ab und zu sorgen, ich kümmere mich um sie, doch jetzt ist sie langsam auch kein kleines Mädchen mehr. Ich habe viel erreicht und bin stolz darauf.“ Juka legte seine Arme um mich. „Luki…noch nie habe ich solch einen starken Menschen kennengelernt, wie du es bist. Immerhin bist du mehr als einmal auf die Fresse gefallen und jetzt sitzt du einfach hier und redest mit mir darüber, als wäre es ganz normal.“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nein, normal isses nich…denn viele kennen zwar kleine Details dieser Geschichte, doch ich habe sie noch keinem so erzählt, wie dir gerade.“ „Oh mein Gott“, wisperte Juka und ihm schossen die Tränen in die Augen. „Dabei hätte ich es schon so oft gekonnt…Juka…deshalb bin ich manchmal so wie ich bin.“ Wir schwiegen einen Moment und ich schaute in seine wundervollen blaue Augen mit den unendlich langen Wimpern, die mich so berührt und verletzlich ansahen. Ich fuhr mit dem Daumen über seine Lippen. Noch nie hatte mich jemand so angeschaut und ich musste ihn einfach küssen, doch schien in meinem Kuss mehr Verlangen zu liegen, als ich selbst wahrnahm, denn Juka krallte seine Fingernägel in meine Oberarme. „Scheiße, wie kann man von einem auf den anderen Moment so verschieden sein. Eben wollte ich dich noch einfach nur in die Arme schließen und trösten, doch jetzt will ich ganz andere Dinge mit dir anstellen.“ Ich lächelte verführerisch. „Ach ja? Was denn für Dinge?“ Er schob mich ein bisschen von sich weg, doch ich spürte sein Herz wild pochen. „Okay, ich würde gern noch ein paar Dinge klären…naja, das ist vielleicht etwas unglücklich formuliert…was ich sagen will ist…ahh, kann beim besten Willen nicht denken, wenn du mich so ansiehst…“, stammelte er und brachte mich zum Lachen. Behutsam nahm ich sein Gesicht zwischen meine Hände. „Juka…ich liebe dich…“ Er atmete ein, doch kaum hörbar aus. „Heilige Scheiße Luki…ich liebe dich auch…so sehr.“ Meine Hände glitten von seinem Hals über seinen Oberkörper. Langsam zog er mir mein T-Shirt aus. „Du wolltest vorhin versaute Dinge tun“, stichelte ich und sein eben noch verletzlicher Blick verwandelte sich in pure Leidenschaft. Mir stockte der Atmen und es machte mich fast rasend Juka so begierig nach mir zu sehen. „Wenn du darauf bestehst.“ Mein Puls schoss in die Höhe. Juka führte mich zum Bett und ich war schon ein bisschen enttäuscht. Doch dann nahm er meine Arme, kreuzte sie und band sie am Bettgestell fest. Sein Grinsen wies nun schon fast etwas Animalisches auf. Er zog mich nackt aus und holte eine kleine Kiste hervor. Ich hatte schon von diversen Massagekerzen gehört, doch ich war noch nie in den Genuss gekommen, sie auszuprobieren. Das Wachs tropfte auf meinen Oberkörper und ließ mich zusammenzucken. Juka verrieb die abkühlende Flüssigkeit und wandte sich meinem Penis zu. Ich ließ mich fallen und zögerte meinen Höhepunkt so lange möglich raus. Behutsam band mich mein schöner Japaner los und strich behutsam über die verblassten Narben, die meinen Oberkörper in ein kleines Schlachtfeld verwandelt hatten. „Wann war die?“ „Das war tatsächlich die letzte…du weißt schon, als wir getrennt waren und so. Findest du die echt nich schlimm?“ „Nein, es macht dich besonders und Narben sind irgendwie sexy.“ Ich lächelte Juka an und drehte mich zu ihm. „Nimmst du mich in die Arme?“ Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und Juka strich mir über die Haare. Das war ganz schön viel die letzten Tage und ich merkte jetzt, wie es mich mitgenommen hatte. „Danke für die letzten Tage…was denkst du, wie es jetzt weitergeht?“ Ich seufzte und setzte mich im Schneidersitz hin. Juka verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. „Du bist toll und wenn du willst kannst du gern hier wohnen bleiben oder in deiner Wohnung wie du denkst…nur bin ich ein echt kaputter Mensch Juka…ich hab irgendwie das Gefühl wir müssen so viel nachholen…“ „Das ist wohl wahr, aber du bist nicht kaputt Süßer, sag das nicht immer. Du bist wirklich heiß und ich mag dich sehr...bist du gern mit mir zusammen oder anders formuliert, ist es so, wie du es dir erhofft hast?“, fragte er etwas unsicher. „Klar bin ich gern mit dir zusammen und bei dir fühl ich mich wohl…ich bin ein emotionaler Krüppel aber du schaffst es, dass ich mich nich mehr ganz so beschissen fühle.“ „Ich geb mein Bestes. Was machen wir heute?“ Ich zuckte die Schultern. „Nach was steht dir der Sinn?“ „Wir könnten frühstücken gehen…“, schlug er vor und ich war nicht ganz abgeneigt von dieser Idee. Ich musste mich zusammenreißen und endlich das genießen, was ich hatte. Juka war irgendwie anders, gefühlvoller und auf einmal wieder der Mensch, den ich vor vielen Jahren kennengelernt hatte. Ich wollte ihm so gerne zeigen, dass er der wichtigste  Mensch in meinem Leben war, doch irgendetwas hemmte mich noch immer. Ich hüpfte unter die Dusche und verbrachte eine halbe Ewigkeit dort. Auch Juka machte sich fertig und wir fuhren mit der Bahn in die Stadt. Ich kannte eine kleine Bar, in der man auch frühstücken konnte. Wir suchten uns einen Platz in dem kleinen Hinterhof und gedankenverloren studierte ich die Speisekarte, ohne wirklich zu lesen, was es alles gab. Juka nahm meine Hand und küsste sie. „Willst du mir noch was sagen?“ „Ich habe Angst, dass das zwischen uns wieder schief geht…auch meinetwegen. Ich kann dich nich noch Mal verlieren Juka, doch bin ich mir nich sicher, ob unsere Liebe alles aushält. Und meine größte Sorge isses dich zu enttäuschen…“ „Wir haben doch schon so viel geschafft und ich kenne jetzt alle Seiten von dir. Auch ich habe gelernt, wie ich damit umgehen kann“, sagte er mit fester Stimme. „Ich weiß nich…ich bin ein Meister darin schöne Situationen zu zerstören, denn ich glaube nich an Glück oder ewige Liebe…ich kann damit umgehen, wenn mich jemand attraktiv findet…doch sobald Liebe ins Spiel kommt, versuche ich auszubrechen. Zumindest war das in letzter Zeit immer der Fall…ich hoffe es wird anders.“ „Weißt du, Menschen orientieren sich an dem, was sie kennen, was ja auch normal ist, doch fällt es ihnen schwer über den Tellerrand hinweg zu schauen. Bevor ich dich traf, war ich mir nicht sicher, ob ich in Deutschland bleiben will, doch du hast mich dazu motiviert. Schon allein, um dich dann besser kennenzulernen war es das mir Wert. Ich kann dich verstehen und ich werde alles versuchen, um dich glücklich zu machen, Luki.“ Nach dem Frühstück suchten wir uns ein schönes Plätzchen am Fluss. Ich war noch immer irgendwie deprimiert. „Juka, ich will nich wie ein Schwächling wirken, aber das alles geht glaub ich weit zurück, ich meine, dass ich so geworden bin.“ „Dann erzähl es mir.“ Ich seufzte und irgendwie hatte ich Schiss, dass das alles zu viel für Juka sein könnte. „Ich versuche mich kurz zu fassen…früher, so mit 16 als ich mit Nici zusammen war…die Beziehung war schön, obwohl ich mich oft wie arroganter Arsch verhalten hab…Nici hat immer versucht mich zu verstehen, sie hat es gut gemeint…aber ich ließ es nich zu. Ich wollte der coole Freund sein…dann isses aber doch das eine oder andere Mal passiert, dass sie mich völlig fertig erlebt hat. Das hat sie ziemlich schockiert und ich merkte, wie sie das abschreckt. Ich weiß, dass sie mich sehr gern hatte, aber nicht so sehr, dass es für eine gut funktionierende Beziehung gereicht hätte. Nici konnte mich nie auch nur ansatzweise verstehen. Das mit meiner Family und so…oft hab ich mit Flo geredet und mich machte ihre Eifersucht und ihr Fürsorge krank. Ich konnte mich nie jemanden öffnen, schon gar nich Nici…und dann traf ich dich. Da wurde alles anders.“ Ich vermochte Jukas Blick nicht zu deuten. „Du wolltest sie nur nicht mit deinen Problemen belasten. Ich hatte nie das Gefühl, du bist ihr gegenüber ungerecht. Aber deine Eltern…die Konflikte hast du immer erfolgreich verdrängt oder?“ Ich schaute ihn fragend an. „Was meinst du?“ „Luki, ich hab mir deine Familienprobleme immer angehört aber ich wusste nicht, dass es tatsächlich so schlimm ist. Warum hast du mir das damals nie erzählt? Erstaunt zog ich die Augenbrauen hoch. „Weil ich nich wollte?“ „Ich habe da eine andere Vermutung.“ „Die da wäre?“ „Aus demselben Grund, weshalb du auch so nicht mehr mit mir reden wolltest…du hättet dich vor mir öffnen müssen. Hättest deine Schwäche offenbaren und dir eingestehen müssen, dass es völlig okay ist, sich helfen zu lassen. Du musst nicht immer alles allein schaffen. Wenn ich gewusst hätte, wie schlimm dich das tatsächlich mitnimmt, hätte ich dir damals schon mehr beistehen können.“ Ich wusste nicht was ich sagen sollte, denn darüber hatte mich mir noch nie Gedanken gemacht. Meine Eltern hatten mich immer aufgrund meines Aussehens und wegen meiner Interessen verstoßen, aber Juka hatte mich doch geliebt? Er hatte mich so sehr geliebt, dass es ihm egal war, wie ich herumlief oder wofür ich mich interessierte. Ja, er liebte mich und ich ihn, doch schon immer war er derjenige, für den ich all meine Beziehungen aufgab. Nici und Selene? Ich schaute wieder zu Juka und schluckte den Kloß runter. „Vielleicht…“, krächzte ich und fühlte mich auf einmal ausgelaugt. „Ist es okay, wenn wir darüber reden oder ist dir das gerade zu viel.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Vermutlich nich…weißt du Juka, mein ganzes Leben lang wollte ich nur Musik machen. Aber ich hab es bisher nie geschafft. Du hast mich immer wieder dazu motiviert, doch unsere Beziehung hat mich extrem gebremst…ich habe mich fast aufgegeben und erst als es vorbei war, bot mir meine Musik als einzige die Möglichkeit zu überleben.“ „Aber warum konntest du meinetwegen keine Musik machen?“ „Weil du als Produzent arbeitest und ich immer das Gefühl hatte, nicht gut genug zu sein. Du hast es immer gut gemeint, mit deinen Tipps und so…doch deine Band war so erfolgreich und ich habe dich immer bewundert…“ Juka sagte lange Zeit nichts und nahm sich eine Zigarette. „Luki…das habe ich nie gewollt…ich wollte keinesfalls, dass du dich kleiner machst, als du bist. Wenn du mich fragst, bist du ein grandioser Musiker und jeder, der was anderes behauptet, ist entweder blind oder hat keinen Geschmack…verkaufe dich nicht unter Wert, denn das hast du nicht nötig.“ „Aber ich bin oft unsicher und weiß nich, ob das, was  ich mache, gut ist.“ Juka ergriff meine Hand und zog mich hoch. „Lass uns in dein Studio gehen und wir lassen es ein bisschen krachen.“ Ich schaute ihn fragen an. „Und dann?“ „Ich will dir was zeigen.“ Schulterzuckend folgte ich ihm. Irritiert sah ich mich in meinem Proberaum um, doch mir fiel keine Veränderung auf. Er drehte uns einen Joint. „Ich habe dich schon so oft spielen gesehen und frage mich, was du mit deiner Band oder deiner Musik bezwecken willst?“ „Ich spiele, weil es mir Spaß macht.“ Juka nahm einen tiefen Zug und tat sehr geheimnisvoll. „Gut…hast du Lust auf Party heute?“ „Klar, warum nich.“ Plötzlich griff er in seine Hosentasche und holte ein kleines Plastikpäckchen mit weißem Pulver hervor. Mir fielen fast die Augen raus. Juka? Mein Juka? Das konnte ich kaum glauben. „Du meinst also diese Art von Party…okay. Ich habe bestimmt nichts dagegen.“ „Hast du schon mal gekokst?“ Ich nickte und war irgendwie erstaunt, dass gerade Juka mir diese Frage stellte. Wir zogen eine Line und nahmen den Rest mit. Ich fühlte mich, als könnte ich Bäume ausreißen und die Party, auf die mich Juka mitnahm, war alles andere als langweilig. Es gab sogar ein Koksbuffet und die Lokation glich einem Edelpuff. Grinsend brachte er mir einen Drink und setzte sich zu mir. „Wo zur Hölle sind wir hier?“, fragte ich ihn amüsiert und überrascht zugleich. „Ach ein guter Freund aus Tokio hat hier seinen Club. Wie soll ich sagen, er ist sehr speziell und liebt die Freizügigkeit, Sex, Drugs and Rock’n Roll. Lass uns Spaß haben.“ Im Nebenzimmer schien sowas wie ein Sexraum zu sein und mein Freund schleifte mich dort hin. Alles um mich herum schien viel intensiver zu sein und die Geräusche lauter als sonst. Die Wände waren mit rotem Samt überzogen und ich wollte mehr, mehr von all dem. Ich zog eine weitere Line. Ein süßer Typ, mit nur einer Hotpan bekleidet, brachte mir einen neuen Drink. Ich küsste meinen Juka und dieses intensive Gefühl verstärkte sich. Ich wollte jetzt mehr, nicht nur diesen Kuss. Die Tür im hinteren Eck des Raumes ließ sich öffnen und ich zog Juka hinein, ich hielt es nicht länger aus und rückte ihn fast mit Gewalt an die Wand, doch er lächelte nur amüsiert. Meine Hände berührten ihn und auch das schien mit viel mehr Intensität zu passieren. Seine Fingernägel krallten sich in meinen Rücken und hinterließen mit Sicherheit Kratzspuren. Mein Körper schien zu explodieren und hatte gerade den besten Sex meines Lebens. Irgendwas lag am Boden, woran ich mir die Hand verletzte, aber das störte mich nicht und nach dem gefühlt fünften Orgasmus bebte mein Körper und ich war glücklich. Unsere Klamotten lagen überall verstreut und ich beschaute meine Hand sowie Juka seinen blutverschmierten Körper. Neben mir lag ein Kleiderbügel, der scheinbar die Ursache für meine Verletzung war. Wir mischten uns wieder unter die Partygäste und der Abend wurde immer skurriler. Ein paar der Mädels tanzten an den Stangen, bis eine von ihnen zu Juka und mir kam. Sie goss uns Wodka aus der Flasche in den Mund und setzte sich zwischen uns. Zuerst machte sie mit mir rum, dann mit Juka. Das ganze endete mit einem Dreier. Wir zogen Koks von ihren Brüsten und tranken noch mehr. Ich kam mir vor wie in einem Traum und auch doch nicht. Die meisten der Leute waren fast nackt oder ganz nackt und das ganze Szenario artete zu einer Drogen- und Sexparty aus. Ich verlor jegliches Zeitgefühl und bei all dem Spaß, den ich hatte, sollte das schlimmste noch kommen, nämlich der Tag danach.   Ich erwachte neben meinem liebsten Juka und alles tat mir weh. Und wenn ich alles sage, meine ich wirklich auch alles. Ich versuchte meinen Liebsten zu wecken, was mir nach einer Weile auch gelang und er fühlte sich nicht weniger beschissen. Doch schafften wir es, uns aufzuraffen, unser Klamotten zusammen zu suchen und diesen Ort hinter uns zu lassen. Ich war noch immer völlig berauscht und die Welt um mich herum schwankte verdächtig. Ich stützte mich an der Wand ab und rauchte eine Zigarette. Juka klaute sie mir aus der Hand und nahm einen Zug. Ich lachte und schüttelte den Kopf. „Ich fühle mich echt scheiße…aber so richtig…was zur Hölle haben wir gestern alles getrieben?“ „Frag dich lieber mit wem du es alles getrieben hast“, witzelte er. „Mit dir und hundert Mädels? Keine Ahnung…ich glaub ich will in mein Bett.“ Hand in Hand schlenderten wir nach Hause. Und nach einer endlos langen Dusche fiel ich wie ein Stein in die weichen Kissen. Kapitel 55: Babyglück --------------------- Eigentlich war es nur ein normaler Kontrolltermin beim Frauenarzt. Jojo war gut gelaunt, weil das Wetter noch immer schön war, die Sonne schien und man den ganzen Tag draußen verbringen konnte. Plötzlich wurde die Miene ihrer Frauenärztin skeptisch, so als würde sie etwas sehen, von dem sie nicht wusste, ob Jojo es wissen wollte. Sie stellte ihre Arbeiten ein und auch dem jungen Mädchen wurde ganz mulmig zumute. „Madmoiselle Sennert…ich freue mich ihnen mitteilen zu können, dass sie schwanger sind.“ Augenblicklich erstarrte Johanna zur Salzsäule. „Ich bin was?“, fragte sie noch einmal unsicher nach. „Sie sind schwanger und zwar schon im dritten Monat.“ „Ich kann also nicht mehr abtreiben?“, schoss es aus heraus. Sie schüttelte etwas mitfühlend mit dem Kopf. Jojo versuchte sich zusammenzureißen. Nur schnell weg hier. Sie fragte noch, ob sie irgendwie helfen könne, doch Johanna verneinte und erwidere stattdessen, dass sie das jetzt zu Hause mit ihrem Freund besprechen müsste. Ja, den Freund gab es nur leider nicht und ihre Welt brach zusammen. Wie zur Hölle sollte sie denn jetzt ein Kind großziehen? Außerdem würde ihr Körper nach der Geburt völlig entstellt sein und sie müsste wieder in Form bringen müssen. Johanna wollte kein Kind haben, nicht jetzt. Sie war doch noch viel zu jung. Doch was sollte sie tun? Nina fand ihre Freundin völlig aufgelöst und Jojo erzählte ihr unter Tränen und Schluchzen, was sie erfahren hatte. Nina versuchte zwar Jojo zu trösten, doch das half nichts. Sie war kurz davor völlig auszuzflippen und Ninas Vorschlag, mit Naoki zu skypen, ging gar nicht. Was sollte sie ihm denn sagen? Herzlichen Glückwunsch, du wirst Papa? Nein, keinesfalls. Die einzige, die ihr jetzt vielleicht helfen konnte, war ihre Mutter, also rief sie diese an. Beim dritten Klingeln ertönte ihre Stimme. Noch immer schluchzend teilte Jojo ihr mit, dass sie beim Frauenarzt war. Sie fragte ihre Mum auch, ob sie kommen könnte, weil Jojo sie jetzt brauchte. „Schätzchen, ich bin doch in Schottland und muss arbeiten. Wie stellst du dir das denn vor?“ „Ich bin deine Tochter, verflucht und ich bin schwanger! Ich weiß nicht, was ich tun soll Mama…ich brauche dich, bitte.“ „Johanna, Liebes, ich kann jetzt hier nicht weg. Vielleicht in ein paar Wochen. Geh doch zu einer Beratungsstelle, die helfen dir auch.“ „Ich will aber keine beschissene Beratungsstelle, ich will meine Mutter, verstehst du das nicht?“ „Das verstehe ich schon, aber es geht nun mal nicht. Ich muss jetzt los. Meld dich nochmal. Ich hab dich lieb.“ Wütend hämmerte sie auf die Tasten und schmiss ihr Handy in die Ecke. Wieder brach sie in Tränen aus. „Dumme Kuh! Bin ich ihr so egal?“ Nina legte ihre Arme um ihre hilflose Freundin und Jojo wollte sterben. Wie um alles in der Welt sollte sie das schaffen. Ihr fiel noch jemand ein, mit dem sie darüber reden konnte. Ihr Bruder, doch er würde sie wahrscheinlich verachten, wenn er mitbekommt, dass das Kind von Naoki ist. Also fiel diese Option weg. Wieder musste sie weinen. Jojo litt an Stimmungsschwankungen, Gefühlschaos und das volle Programm. Es kamen Monate in denen es ihr völlig egal war, ob sie ein Kind in sich trug, sie feierte trotzdem und das übertrieben. Sie hasste ihren Körper, weil er immer unförmiger wurde und sie fühlte sich fett. Auf Nina hörte sie schon lange nicht mehr, die sie ständig ermahnte, sie solle auf ihre Gesundheit achten. Jojo kümmerte sich auch nicht mehr um ihr Studium, denn das war ja jetzt ohnehin gelaufen. Wie jeden Abend stand sie vor dem Spiegel, schaute sich an und brach in Tränen aus. Sie verabscheute sich so sehr und das, was da in ihr wuchs noch mehr. Noch drei Monate musste sie durchhalten. Manchmal überlegte Johanna, ob sie all dem nicht jetzt sofort ein Ende setzen sollte? Doch dazu hing sie zu sehr an ihrem Leben. Ihre Mutter hatte nichts mehr von sich hören lassen und das traf sie am meisten. Nina ertrug sie gerade nicht, weil sie neben Jojo wie ein Topmodel aussah. Naoki wusste noch immer nichts von seinem Glück und sie war sich auch nicht sicher, ob sie es ihm erzählen sollte. Weil sie diese Schmerzen und den Druck irgendwann nicht mehr ertrug, rannte sie dann doch zu dem Vorbereitungskurs für Schwangere, auch, wenn es sie nur umso mehr deprimierte. Junge Mütter mit ihren Partnern, die sie unterstützten und liebevoll ihre runde Kugel streichelten. Jojo hasste diese zuckersüßen Pärchen und ihr wurde nur schmerzlich mehr bewusst, dass ihr Kind seinen Vater wohl nie kennenlernen würde. Levi rief sie in den letzten Tagen öfter mal an, doch sie ignorierte ihn. Auf gar keinen Fall wollte Jojo ihm so gegenübertreten. Zu Hause bekam sie einen psychischen Zusammenbruch und Nina versuchte ihre Freundin zu trösten, doch Jojo schrie sie nur an und warf ihr Beleidigungen an den Kopf. Daraufhin ging sie, wohin auch immer. Das Mädchen sehnte sich so sehr nach jemandem mit dem sie reden konnte und beschloss letztendlich doch ihren Bruder aufzusuchen. Vielleicht würde er sie doch verstehen. Da sich der Sommer langsam verabschiedete und der Herbst allmählich mit seinen bunten Blättern nahte, wurde es auch wieder kälter. Mit einem mulmigen Gefühl machte sie sich auf den Weg zu Lukas. Aber würde er sie, seine kleine Schwester, wirklich zurückweisen? Er war doch ihr Bruder, ihr Lukas? Jojo setzte all ihre Hoffnungen in ihn. Weil die Tür immer offen war, klingelte sie nicht und trat einfach ein. Ihre Schuhe zog sie im Flur aus. Einen Moment lauschte sie und erkannte Lukas Stimme. Wahrscheinlich redete er gerade mit Flo oder Juka, falls sie noch zusammen waren. Leise schlich sie zur Wohnzimmertür und klopfte.   Gerade weihte ich meinen schönen Japaner in meine Musikpläne ein. Wie ich mir die nächsten Konzerte vorstellte und welche Rolle er dabei spielen sollte. Ihm schien das zu gefallen. Da klopfte es plötzlich und meine Schwester stand in der Wohnzimmertür. Sie wirkte traurig und scheu, als wüsste sie nicht, wohin sie gehörte. Wie ein kleines zerbrechliches Mädchen. Ich schwang meine Beine über die Sofalehne und nahm sie in die Arme. Erst dann bemerkte ich die kleine Kugel, die sie vor sich herschob. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie weinte. „Lukas, ich wollte es dir sagen, aber ich dachte du hasst mich…was soll ich tun?“ Wir setzten uns auf Sofa und Juka kochte Tee für uns, um mir einen Moment mit meiner Schwester allein zu gewähren. Meine kleine Jojo schwanger und von wem? Das lag wohl auf der Hand. „Ach Jojo, warum sollte ich dich denn hassen. Nur weil du glaubst ich bin sauer, weil es von Naoki ist?“ „Ja genau aus diesem Grund“, schluchzte sie. „Dummerchen. Hab ich deshalb seit zwei Monaten kein Lebenszeichen von dir bekommen? Ich wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben.“ Jetzt lächelte sie ein bisschen. „Lukas, ich hab Mama angerufen…ich wollte dass sie kommt. Aber sie interessiert sich einen Scheiß für mich…ich verstehe das nicht. Ich bin doch ihre Tochter.“ Augenblicklich spürte ich wieder diese Wut in mir und mir wurde klar, dass sich dahingehend nichts geändert hatte. Was hatten wir nur für beschissene Eltern, die ihr kleines Mädchen im Stich ließen, wenn sie schwanger war. Ich schlug mit der Faust auf den Tisch und Jojo schaute mich ein bisschen entgeistert an. Ich nahm sie in meine Arme und gab ihr einen Kuss auf de Stirn. „Schon okay, nich deinetwegen Süße. Nur…es ist…ich hätte mir für dich gewünscht, dass sie wenigstens für dich da is.“ „Was soll ich jetzt machen Lukas? Nina und ich verstehen uns nicht mehr…und auch sonst hab ich irgendwie keinen…“ Ich zog die Augenbrauen hoch und warf meiner Schwester einen vorwurfsvollen Blick zu. „Bin ich etwa niemand? Danke auch.“ „Nein…so war das nicht gemeint…nur halt gerade keine Freunde…und ich will dir nicht zur Last fallen. Du hast sicher gerade deine eigenen Sorgen.“ Juka kam mit einer Kanne Tee zurück und gesellte sich zu uns. Ich konnte nicht anders und musste ihn anlächeln. „Jojo, meine einzige Sorge gerade bist du. Ich will nur das Beste für dich und was auch immer du brauchst, ich schlage es dir bestimmt nicht aus.“ „Ich glaub ich will nicht mehr mit Nina zusammenwohnen…“ Ich dachte einen Moment nach und hatte die rettende Idee. Nur musste das schnell gehen. „Nebenan wollte ich eh noch eine kleine Wohnung anbauen, falls Madame aus Schottland mal zu Besuch kommt, doch das ist ja jetzt erledigt. Wenn du magst, bau ich dir die Wohnung aus…du hast freie Hand, was die Gestaltung betrifft. So hast du deine Ruhe, aber ich bin auch immer in deiner Nähe, falls was ist.“ Jojo fing wieder an zu weinen und ich wischte ihr die Tränen weg. „Du bist der beste Bruder der Welt…“ „Tja, wenn du schon so beschissene Eltern hast…“ Ich telefonierte mit mehreren Firmen und ließ mir Kostenvoranschläge machen. Nach drei Tagen engagierte ich dann eine der Firmen und ließ die Wohnung für meine Schwester bauen. Es dauerte nur wenige Wochen, da ich ihnen mächtig Druck machte. Jojo, Juka und ich besorgten Möbel, damit mein Schwesterchen so schnell wie möglich einziehen konnte. Nun war meine liebe Familie wieder vereint und ich war ein bisschen stolz auf mich. Ich ließ den Abend mit meinem Liebsten im Wohnzimmer ausklingen. „Jojo kann sich glücklich schätzen, dich zu haben.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe immer mein bestes gegeben…ich will einfach nicht, dass meine Schwester so auf sich allein gestellt ist, wie ich es war. Aber lass uns das Thema wechseln und über was Schönes reden.“ Juka grinste mich an. Dann küsste er mich und brachte meinen Verstand schon wieder völlig durcheinander. „Hab ich wirklich einen solchen Einfluss auf dich?“, amüsierte er sich und erst jetzt merkte ich seine Hand zwischen meinen Beinen. „Tja schätze schon. Wenn es nach mir ginge, solltest du den ganzen Tag nackt herumlaufen.“ „Kann ich gern tun.“ Ich nahm sein Gesicht zwischen meine Hände und küsste ihn zärtlich. Niemals hatte ich es für möglich gehalten, das ich wieder eine solche Leidenschaft für ihn empfinden konnte und ich war, wem auch immer dankbar dafür. Juka machte einen ganz anderen Menschen aus mir, ohne mich zu verändern. Mein Selbstbewusstsein hatte ich wieder erlangt und das nicht zu wenig. Er gab mir das Gefühl, der tollste, heißeste unwiderstehlichste Typ der ganzen Welt zu sein. Außerdem interessierte sich Juka für meine Musik und arbeitete mit mir an der Bühnenperformance, die alles andere als langweilig und normal werden würde. Er erfüllte mich mit neuer Schaffenskraft und regte mich zu Denkanstößen an, die zwar schon oft in Erwägung gezogen hatte, jedoch nie in Tat umsetzte. Natürlich konnte ich nicht Marilyn Manson kopieren und das wollte ich auch gar nicht, doch ich konnte meine ganz eigene Horror- Sexshow aufziehen. Vor der Probe fanden Flo und ich mal wieder Zeit füreinander, um zu quatschen. Ich holte uns kaltes Bier von oben und er drehte schon den Motivationsjoint. Gut gelaunt stieß ich mit meinem Freund an. „Lukas…es freut mich, dass Juka dich so glücklich macht.“ Ich grinste. „Ja. Ich fühle mich auch so gut wie schon lange nicht mehr. Ist es nicht seltsam? Immer hab ich gedacht, dass es nie mehr Juka sein wird, der mich so glücklich macht. Und jetzt?.“ „Naja, scheinbar brauchst du jemanden, der so verrückt ist wie du und wenn man euch so zusammen sieht…wird man schon neidisch…trotzdem will ich mal mit euch feiern gehen.“ „Neidisch? Oh nein, ich bin ein mieser Freund…geht es dir gut?“ „Weil es toll ist jemanden wie Juka zu haben. Er versteht dich, respektiert dich, ihr habt unglaublichen Sex…das vermisse ich manchmal…naja, gut is übertrieben, aber geht schon irgendwie.“ „Für dich finden wir auch wieder jemanden, spätestens wenn wir auf Tour gehen. Dafür ändern wir dein Äußeres wieder ein bisschen und dann wirst du sehen, liegen dir die Männer zu Füßen.“ Flo schaute mich etwas irritiert an. „Bin ich dir etwa nicht hübsch genug?“ Ich lachte. „Doch, aber ich vermisse deinen grünen Iro. Mach den mal wieder und dann läuft’s von allein.“ „Na wenn du meinst.“ „Flo…du bist ein echt hübscher Kerl…also zeig was du hast. Sonst werf ich dich aus der Band.“ Freundschaftlich boxte er mich in die Seite und ich schlug ihn zurück. „Kannst du mal aufhören mich zu prügeln? Nur, weil du auf so ne scheiße stehst, heißt das nich, dass ich das ebenfalls gut finden muss.“ „Als ob das jetzt so schlimm war. Ich meins ernst, streng dich an, sonst fliegst du raus.“ Flo lachte. „Klar, du findest doch nie wieder so nen genialen Gitarristen wie mich. Also halt die Klappe und tue nich so, als wärst du der geilste in der Band.“ „Ohne mich gäbe es diese Band gar nich…schon vergessen? Aber sei es drum…wir müssen mal noch‘n Paar Clubs anschreiben.“ „Hab ich schon gemacht und die meisten gehen klar, von einigen hab ich noch keine Antwort. Aber das wird noch.“ „Cool…ich bin echt Mal gespannt.“ Flo nickte nur und wirkte auf einmal wieder ernster. „Lukas, ich glaub Juka hat sich auch verändert oder…?“ Ich seufzte tief. „Ich glaub schon…aber naja, ich kann fast nich verändert sagen, er ist eher wieder wie früher. Ich glaub wir haben diese Auszeit und diesen ganzen Stress für uns gebraucht, um uns bewusst werden zu lassen, dass wir wichtig füreinander sind. Ich weiß, dass mich niemand so glücklich machen könnte wie Juka.“ „Hoffentlich bist du es, denn Juka und du…ihr seid so traumhaft zusammen. Es tut gut dich mit ihm zu sehen…denn so wie er mit dir umgeht…das musst du dir bewahren.“ „Okay Chef“, sagte ich amüsiert. Juka kam dann mit Jule im Schlepptau, was für eine Überraschung, denn wir hatten uns auch eine halbe Ewigkeit schon nicht mehr gesehen. Und scheinbar hatte sie Frieden mit meinem Liebsten geschlossen. Es wurde ein gemütlicher Abend und als Jule erfuhr, dass Jojo schwanger war, flippte sie völlig aus und das munterte mein Schwesterchen auf, denn bisher hatte sie sich noch nicht so richtig mit dem Gedanken anfreunden können. Seit dem Tag war sie fast jeden Tag bei uns und kümmerte sich um Jojo. Wir waren eine kleine Familie, das, was ich immer wollte. Vielleicht nicht ganz so spießig, aber immerhin hatte ich das, was ich wollte und meine Schwester hoffentlich auch.   Ich hatte unsere alte Laube von früher wieder ausfindig gemacht und führte Juka dort hin. Zwar war nicht mehr viel übrig, doch hier verbrachte ich viele schöne und auch schlechte Tage. „Was ist passiert? Du bist so verändert.“ Ich zündete mir eine Zigarette an. „Ich glaub ich hab nen guten Psychologen.“ Juka lachte und umarmte mich, dabei umfingen seine Hände meinen Hintern. „Du bist so schön…ich kann nie genug von dir bekommen.“ Ich küsste ihn sehr innig. „Warum, denkst du etwa schon wieder an Sex?“, scherzte ich. „Ich will den ganzen Tag nichts anderes tun...wolltest du nicht noch zu eurem alten Proberaum?“ Ich nickte und wir fuhren ein Stück mit der S-Bahn. Es war komisch wieder hier zu sein und doch irgendwie heimisch. Der alte Flachbau stand sogar noch da und ich hätte gedacht, jemand hätte ihn abgerissen. Ich ruckelte an der Tür und sie sprang auf. Ein modriger Geruch stieg mir in die Nase und wir traten ein. „Hier könnte man einen prima Club draus machen“, stellte Juka fest. Diese Idee war mir noch gar nicht gekommen, aber er hatte Recht. Ich wusste nicht mal ob diese alte Bude einen Besitzer besaß, aber das ließ sich bestimmt herausfinden. Ich ließ mich auf dem ehemaligen Bühnenrand nieder und stützte mich auf die Ellenbogen. Juka kam elegant in meine Richtung gelaufen und sein Blick brachte mein Blut schon wieder zum kochen. Seine Hände lagen auf meinen Schenkeln und er schob sie langsam hoch, knöpfte meine Hose auf und grinste dabei schon fast dämonisch. Ich ließ mich fallen und genoss den Blowjob. „Vielleicht bekomm ich ja später ne Belohnung.“ „Von mir aus auch jetzt und später?“ Seine Augen leuchteten und er drückte mich unsanft an die Wand und nahm mich von hinten. Ein bisschen benommen machten wir noch die Stadt unsicher. Unterwegs rief ich Flo an, damit er sich nicht wieder ungerecht behandelt fühlte und so stieß er zu uns. Kapitel 56: Ich lass dich nicht im Stich ---------------------------------------- Trotz ihrer Launen begleitete Nina ihre Freundin und ebenso Lukas, als die Wehen einsetzten ins Krankenhaus und beide erlebten auch die Geburt von Jojos Tochter mit. Ihr kam noch immer alles so surreal vor und selbst, als sie nach acht Stunden voller Qualen, Geschrei und unbeschreiblichen Schmerzen das kleine Wesen in den Armen hielt, wusste sie nicht, wie sie sich fühlen sollte. Es schaute sie an, doch die junge Mutter fühlte sich ihm nicht gewachsen. Außerdem waren seine asiatischen Wurzeln kaum zu verkennen. Jojo musste weinen, weil sie nicht wusste, wie sie dem Kleinen eine gute Mutter sein sollte. Sie dachte an ihre eigene Mutter und verfluchte sie, weil sie nicht da war und sie allein auf sich gestellt war. Nach ein paar Tagen durfte Jojo nach Hause. Sie stillte die Kleine, doch das funktionierte mehr schlecht als recht. Irgendwann begann sie dann doch mit der Flasche, weil es sonst nicht genügend zum Essen bekam. Jojo hatte beschlossen die Kleine Alice zu nennen, weil sie sowas wie ein kleines Wunder war. Langsam gewöhnte sie sich an ihre Tochter und sie schrie zwar ab und zu in der Nacht, doch es könnte schlimmer sein. Nein, es stimmte nicht, dass Jojo allein war, denn Lukas und auch Nina standen ihr bei. Vor allem Lukas und sie liebte ihn so sehr dafür. Er hatte ihre kleine Wohnung mit Babysachen ausgestattet und ihr mangelte es in den kälteren Monaten an Nichts. Ab und zu passte er sogar auf Alice auf, damit sie mit Nina feiern gehen konnte. So zogen die Monate ins Land und Weihnachten stand schon wieder vor der Tür. Die Jungs planten ihre kommende Tour und Jojo war mehr als gespannt, denn ihr lieber Lukas schien was Großes zu planen. Alle, auch Flo, Fabi, Jule und Juka wuchsen immer mehr zusammen und für Jojo war das ihre Familie. Jeder kümmerte sich rührend um Alice und sie war ihr kleiner Goldschatz. Sie liebte ihre Tochter von ganzen Herzen und hoffte ihr eine gute Mutter sein zu können.   Bei den meisten hatten die Weihnachtsferien begonnen und dieses Jahr war das erste Jahr, in dem ich mich ernsthaft auf dieses verhasste Fest freute. All meine Lieben waren da und ich freute mich jeden Tag aufs Neue mit Juka zusammen zu sein. Nichts konnte mich glücklicher stimmen. Naja außer unser neuestes Familienmitglied. Ich hatte einen Narren an Alice gefressen und manchmal schickte ich Jojo absichtlich auf Partygänge, um Zeit mit meiner kleinen Nichte verbringen zu können. Meine Schwester wollte sich für meine Hilfe in den letzten Monaten revangieren und bekochte uns Jungs. Gerade wollte ich etwas aus meiner Wohnung holen, als es klingelte. Wie merkwürdig, denn ich erwartete keinerlei Gäste. Ich drückte den Summer und vernahm dieses verdächtige Klacken von High Heels. Ich ahnte schlimmes und als unsere Mum freudestrahlend um die Flurecke bog, begann es in mir zu brodeln. „Du wagst es hier aufzutauchen?“, fragte ich mit erstickter Stimme ohne sie zu begrüßen. Ihr Anflug von Freundlichkeit verschwand augenblicklich. „Ich wollte euch sehen und fragen wie es Johanna geht.“ „Gut würde ich sagen. Sie hat ihre eigene Wohnung, eine wundervolle kleine Tochter und was soll ich noch erwähnen? Oh ja, sie ist glücklich…und das obwohl ihre eigene Mutter nicht mal die Zeit aufbringen konnte ihr beizustehen. Aber mich überrascht das nicht, ist man ja von dir gewohnt.“ Sie biss sich heftig auf die Unterlippe und wich meinem Blick aus. „Ich hatte zu tun Lukas…aber jetzt bin ich ja da. Kann ich sie sehen?“ Jetzt war ich fassungslos. „Sag mal willst du mich eigentlich verarschen? Glaubst du wirklich, dass Jojo dich sehen will?“ „Ich denke das solltest nicht du entscheiden Lukas.“ Ich schüttelte mit dem Kopf und ging durch die Zwischentür in die Wohnung nebenan. Ich teilte meinem Schwesterchen mit, dass sie Besuch bekommen hatte. Sie schaute mich fragend an, doch meine Miene blieb ausdruckslos. „Lukas, wer zur Hölle ist es. Etwa Naoki?“ Ich verneinte ihre Frage und die Anspannung wich. Nichts desto trotz griff sie nach meiner Hand und gab mir zu verstehen, dass ich sie begleiten sollte. Auch ihr fielen die Augen fast raus, als sie unsere Mum erblickte. Und es freute mich irgendwie, dass ihre Reaktion fast mit meiner übereinstimmte. „Das ist ja wohl ein schlechter Scherz Mutter. Du hältst es nicht für nötig meine Anrufe und unzähligen Nachrichten auf der Mailbox zu beantworten, geschweige denn die Geburt deiner Enkeltochter zu erleben…und kreuzt trotzdem hier auf?“ „Ich wollte euch sehen und hoffte, dass wir zusammen Weihnachten feiern.“ Auch Jojo schien zu kochen. „Ganz ehrlich? Nein…ich kann nicht. Du hast es wieder mal geschafft alles zu ruinieren und verlangst jetzt Vergebung? Das hätte dir wirklich eher einfallen müssen. Ich habe meine Familie und ich bin nicht sicher, ob meine eigene Mutter noch dazugehört.“ Jetzt wurden ihre Augen glasig und sie versuchte sich zu rechtfertigen. „Liebes, ich musste wirklich arbeiten…und so sehr ich meinen Chef angefleht habe…er brachte mir kein Verständnis entgegen.“ „Schön…und ich habe auch kein Verständnis für dein Verhalten. Mir ging es schlecht und ich war mir nicht mal sicher, ob ich das Kind behalten will. Weißt du Mama, früher dachte ich manchmal Lukas übertreibt, aber jetzt hast du mich vom Gegenteil überzeugt. Lukas wird immer mehr Familie für mich sein, als du es jemals sein kannst. Tut mir leid.“ Mit diesen Worten drehte Jojo ihr den Rücken zu und verschwand. Jetzt schien meine Mum zu toben.  „Was um Himmels Willen hast du ihr erzählt Lukas? Hetzt du jetzt meine eigene Tochter gegen mich auf?“ Ich lachte traurig und baute einen Joint. „Dieses Mal bin ich fein raus und du hast es selbst verkackt. Ein paar Wochen nachdem Jojo versucht hat dich zu erreichen stand sie völlig verzweifelt hier bei mir. Ich habe nicht mal gefragt, was passiert ist, das hat sie mir von allein erzählt…für mich war das an sich nichts Neues, nur kann ich noch immer nich glauben, dass du denselben Fehler zwei Mal machst. Mir isses mittlerweile egal…leider, aber Jojo nich. Doch auch sie merkt jetzt, dass sie nich auf Unterstützung ihrer Eltern hoffen kann.“ Meine Mum lief nervös auf und ab. „Ich habe versucht immer zu dir zu halten Lukas und das ist der Dank?“ „In welchem Universum hast du denn bitte zu mir gehalten? Meinst du nur, weil mich dein vermeintlicher Tod eine Zeit lang sentimental machte, vergebe ich dir alles? Glaubst du echt, dass unser Gespräch, bevor du nach Schottland geflogen bist, auf einmal über allem steht? Vielleicht hätte ich dir verziehen…ich hatte gehofft, dass du deine Chance erkennst…leider hast du das nicht und willst jetzt mich für deine Fehler verantwortlich machen? So einfach ist das leider nicht, denn ich war für Jojo da und nich du.“ „Na schön…dann gehe ich eben wieder.“ Ich seufzte tief und hörte ihre Schritte in der Ferne verhallen. Ich zuckte zusammen, als mich jemand berührte. Etwas erleichtert entspannte ich mich, als mir bewusst wurde, dass es Juka war. „Kleine Familienkrise?“, fragte er vorsichtig und ich lächelte ihn an. „Mhh, meine Mutter tut ihr bestes, um sich selbst auszuschließen…irgendwie tut sie mir leid. Wenn nur Jojo nich so darunter leiden würde.“ Zaghaft strich er mir über die Wange und küsste mich auf die Stirn. „Und du? Leidest du nicht darunter?“ Ich zündete den Joint an. „Nein, der Zug ist abgefahren. Ich hab was ich brauche und meine Eltern brauch ich nich.“ Juka schaute mich skeptisch an. „Bist du dir sicher?“ Jetzt lachte ich und reichte ihm den Joint. „Alles cool…ganz ehrlich…Ich weiß, das is schwer zu verstehen, aber meine Eltern bremsten mich dauernd nur und unser Verhältnis wird niemals besser werden.“ „Okay…ich glaube dir…gehen wir wieder rüber mein Hübscher?“ Ich nickte und griff Jukas Hand. Doch er hielt mich zurück. „Versprichst du mir, dass wir immer ehrlich zueinander sind?“ Ich küsste ihn. „Klar, versprochen…Juka mir geht es gut…mir ging es nie besser und das allein ist dein Verdienst.“ Seine Augen strahlten mich voller Liebe an. „Mein Gott bist du schön…ich liebe dich Luki.“ „Ich dich auch Juka…ich muss nach Jojo schauen. Kommst du mit?“ Er nickte und wir gesellten uns wieder zu unserer Familie. Jojo kam sofort zu mir und schluchzte, das hatte ich befürchtet. Ich half ihr später noch beim Aufräumen. Jule nächtigte heute in unserem Gästezimmer. Erneut rang meine Schwester mit den Tränen. „Lukas, wie schaffst du das? Ich meine, wie kann es sein, dass sie dir so egal geworden ist?“ Ich seufzte. „Egal ist wohl das falsche Wort…es gibt Menschen in deinem Leben, die hinterlassen Narben…manche sind tiefer als andere…und diese Narben sind nich immer schlecht. Sie machen uns zu den Menschen, die wir heute sind. Dann gibt es diejenigen in deinem Leben, die dich lieben Jojo und das gibt uns Halt. Glaub mir kleines, ich weiß genau, wie du dich fühlst und das kann ich nicht ändern, nur vielleicht ein bisschen besser machen. Ich liebe dich Jojo und hoffe, dass du irgendwann drüber hinweg kommst. Wenn du willst können wir reden…das hilft…“ „Ich bewundere dich großer Bruder…du gibst mir Halt und die Kraft nach vorne zu schauen. Hab ich dir jemals gesagt, dass ich verdammt stolz auf dich bin?“ Ich warf Jojo einen verwunderten Blick zu. „Ähm nein, hast du nicht…und der Grund dafür würde mich brennend interessieren.“ Jetzt lachte meine kleine Schwester. „Naja…trotz deiner exzessiven Phasen hast du nie unsere Familie aus den Augen verloren. Du hast immer an mich gedacht und mich rührt es so dich und Juka zu sehen, weil du endlich wieder glücklich bist. Klar früher warst du das schwarze Schaf in unserer Familie, aber das hat dich nie interessiert. Du hast dein Ding durchgezogen und allen bewiesen, dass nicht du der Verlierer bist, sondern alle anderen. Du bist verdammt stur Lukas und ich liebe dich auch…du bist der beste…du bist definitiv mein Held.“ Ich fühlte mich geschmeichelt. „Okay…das reicht jetzt aber, mit soviel Lob kann ich nich umgehen. Lass uns morgen weiterreden. Gute Nacht Süße.“ Ich schloss sie in meine Arme und gab ihr einen Kuss. Kapitel 57: Rock'n Roll ----------------------- In den kommenden zwei Wochen spielten wir unsere kleine Tour und zu Beginn war es ungewohnt, weil ich schon so lange nicht mehr so viele Gigs hintereinander gespielt hatte, doch nach dem dritten Abend war ich Feuer und Flamme. Ich genoss die Bühne, zog meine nicht ganz unblutige Show ab und ließ vor allem die Herzen mancher Mädchen höher schlagen, wenn ich mein Oberteil auszog. Bei unserem Lied last night on earth fiel ich auf die Knie und sang aus voller Kehle. Ab und zu trank ich hinter Bühne einen Schluck und merkte immer mehr, wie mir das Adrenalin und der Alkohol zu Kopf stiegen. Beides in Kombination war der Höhepunkt meiner Show und ich nahm meine Umgebung kaum noch wahr. Nur die Musik zählte und danach brach ich völlig erschöpft im Backstage zusammen. Doch mein lieber Freund Flo holte mich einer Line wieder zurück ins Leben. Ich musste Juka finden, doch blieb mir das Suchen erspart, denn er kam schon zum Backstage gestürmt und ich rannte ihm in die Arme, strich über sein wundervolles Gesicht und küsste ihn. „Alles klar bei dir?“ Er schüttelte nur mit dem Kopf und lachte. Dann tranken wir noch mehr. Juka und Flo redeten irgendwas, dann wandte er sich mir zu. „Der meisterhafte Rockstar, wie er leibt und lebt.“ Ich grinste ihn selbstgefällig an. Gegen später wurde mir alles zuviel und ich hatte einen Horrortrip, drängte mich an allen vorbei, wollte nur noch an die frische Luft. Zwischendurch holte ich mir noch ein Bier und trank es in einem Zug fast leer. Auf ein einmal überschlug sich alles in meinem Kopf, ich stolperte den Stufen hinunter und fiel hin. Die Flasche zerbrach und ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Unterarm. Mir wurde schwarz vor Augen.   Jojo musste irgendwie an Geld kommen und arbeitete nebenher in einem Striplokal also Gogotänzerin. Zwar war sie die Jüngste, doch bekam sie schon an den ersten Abenden mehrere Lapdances. Irgendwie fühlte sie sich geschmeichelt und irgendwie widerte es sie an. Sie trainierte zu Hause so oft es ihr möglich war, um ihren Körper wieder in Form zu bringen und es funktionierte erstaunlich schnell. Nur ihre Freundin Nina wusste von ihrem Nebenjob und sie wollte keinesfalls, dass ihr Bruder davon Wind bekam. Nach mehreren Wochen merkte sie jedoch schnell, dass es mehr als nervenaufreibend war ihre beiden Jobs weiterhin unter einen Hut zu bringen, denn tagsüber kam Jojo kaum zum Schlafen, weil Alice weinte und sie nicht alles Nina aufbürden wollte. Also redete sie mit ihrem Chef und er ließ mit sich verhandeln, dass Jojo nur vier Mal die Woche arbeiten musste. Levi gab den Versuch noch immer nicht auf, sie anzurufen. Irgendwann schrieb sie ihm, dass sie viel um die Ohren hatte und momentan nicht unbedingt dazu aufgelegt war sich mit Männern zu treffen. Umso überraschter war Jojo, als sie Mittwochabend auf die Bühne trat und ihn in der Menge dahinschmachtender, nach Frischfleisch sabbernder Männer erkannte. Sie tat so, als wäre sie sich seiner Anwesenheit unbewusst. Doch später buchte er sie für einen Lapdance und zog sie in eine eher abgelegene Ecke des Clubs, in der man auch ungestört reden konnte. Jojo glaubte, seine Dreadlocks waren länger als bei ihrer letzten Begegnung. „Nina hatte also Recht, hiermit verdienst du dein Geld.“, sagte er schon fast ein wenig besorgt. Jojo zuckte mit den Schultern und war kurz ein bisschen sauer auf ihre Freundin. Wie hatte sie ihm das nur erzählen können? „Ich muss schnell zu Geld kommen. Wie geht es dir?“ Er schaute sie mit durchdringlichem Blick an, den sie bisher nur von Naoki kannte, bevor er antwortete. „Mir geht es blendend. Ich will zwar nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen…aber irgendwie auch doch, warum tust du das hier Jojo? Macht es dich an, wenn sich diese Lackaffen da vorne an deiner Schönheit laben? Du hast besseres verdient.“ Sie sah leicht betreten zu Boden. „Du hast doch keine Ahnung…wir kennen uns ja auch kaum, woher willst du dann wissen, was gut für mich ist.“ „Das sage ich ja gar nicht, nur versuche ich dich zu verstehen. Außerdem würde es mich interessieren, warum du seit Monaten nicht an dein Handy gehst?“ Levi trank von seinem Wein und noch immer lag dieser seltsame Ausdruck in seinen Augen. „Es ist kompliziert…Dinge sind passiert mit denen ich erst Mal klarkommen muss. Außerdem muss ich weiterarbeiten.“ Er griff sachte nach ihrer Hand, bevor sie die Chance hatte sich zu erheben. „Ich kann den ganzen Abend für dich bezahlen…daran soll es nicht fehlen.“ Jojo seufzte. „Levi, ich kann nicht…“ „Ist es nicht immer kompliziert? Liegt es an mir? Wenn du mich nicht mehr sehen willst, dann sage es mir jetzt.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. Was wollte dieser wunderschöne Mann eigentlich von ihr? Anscheinend besaß er Kohle wie Heu, wenn er sich den ganzen Abend ein Mädchen leisten konnte und sie besaß nichts. War eine alleinerziehende Mutter mit hunderten von Problemen, die er wahrscheinlich nicht nachvollziehen konnte. „Es liegt nicht an dir…in den letzten Monaten ist einfach zu viel schief gelaufen…mehr kann ich dir nicht sagen.“ „Okay, hast du Lust auf einen Ausflug? Zieh dich um, ich kümmere mich um das Finanzielle.“ Jojo wusste nicht, was sie sagen sollte, willigte jedoch dann ein, denn Levi war eine weit aus bessere Gesellschaft, als diese ekelhaften Typen. Draußen vor dem Club hatte er sein Motorrad geparkt. Er reichte ihr einen Helm, den sie zögerlich auf ihren Kopf setzte. Jojo hielt sich gut fest, weil sie ein bisschen paranoid war und noch nie bei einem Mann auf seiner Maschine mitgefahren war. Fühlte sich so Freiheit an? Levi half ihr runter und sie machten es sich in seinem Wohnzimmer bequem. Er schenkte ihr Wein ein und wirkte mit dem Glas in der Hand wie ein unnatürliches Wesen aus Romanen, die sie früher gelesen hatte. Bisher hatte sie Dreadlocks auch immer nur bei Punks oder Hippies gesehen, doch bei Levi wirkten sie so edel. „Levi, was willst du von mir? Ich bin nicht der Typ Mädchen, das gerade Bock auf eine Affäre hat.“ „Jojo, ich möchte dich einfach besser kennenlernen. Du wirkst ein bisschen ängstlich und, als hätte dich jemand schwer enttäuscht.“ „Ja vielleicht. Im Moment ist es wohl einfach mich zu enttäuschen, doch ich habe gelernt, dass ich auf mich allein gestellt bin. Das ist in Ordnung.“ Seine Gesichtszüge wurden weicher. „Nein, das ist nicht okay…keiner sollte allein sein.“ „Naja, ganz allein bin ich auch nicht. Ich habe meinen Bruder und meine Freunde. Mir geht es gut, doch bitte gib mir Zeit für mich.“ Mit seinen langen Fingern schwenkte er sein Weinglas hin und her. „Dann sag mir doch bitte was los ist. Ich gebe dir mein Wort, dass ich dich dann auch in Ruhe lasse.“, flehte er, auch wenn Jojo ihm nicht glaubte, dass er sie dann in Ruhe ließ. „Mein Ex hat mich verlassen und ich war schwanger. Jetzt habe ich eine kleine Tochter zu Hause und damit ich meinen Bruder nicht immer um Geld anbetteln muss, habe ich mir einen Job gesucht. Das war’s. Kann ich jetzt gehen? Auf mich wartet jemand“, platzte es aus ihr heraus und Levi fiel die Kinnlade runter. „Oh mein Gott, das hättest du doch sagen können, ich hätte dir geholfen oder dir Geld gegeben.“ Johanna verdrehte die Augen. „Kapierst du es nicht? Ich will dein Geld nicht Levi. Ich will allein klar kommen und das schaffe ich auch.“ Sie erhob sich, trank leer und rief ein Taxi. Ihre Verabschiedung fiel sehr dürftig aus.   Als sie nach Hause kam, stand das Babybett im Wohnzimmer und Nina schlummerte auf dem Sofa. Sie deckte ihre Freundin zu und lauschte an der Tür zu Lukas seiner Wohnung, ob noch jemand wach war. Flo hockte im Wohnzimmer. Jojo schenkte sich Wein ein und gesellte sich zu ihm. „Alles klar bei dir?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht…meinst du Lukas ist mir sauer, wenn er erfährt, dass ich heimlich in einem Striplokal arbeite?“ Flo schaute sie mit weit aufgerissenen Augen an und fing dann an zu lachen. „Sorry…hast du mir das jetzt echt erzählt? Lass es lieber und es bleibt unser kleines Geheimnis. Dein Bruder würde dir den Kopf abreißen Jojo…du bist sein ein und alles…wenn er mitbekommt, dass du deinen hübschen Körper für andere Männer verkaufst, räumt er dort vermutlich mit ner Shotgun auf.“ Jetzt musste auch sie lachen. „Das sieht ihm ähnlich…aber ich will ihn nicht immer um Geld anbetteln.“ Flo schüttelte verständnislos mit dem Kopf und zündete sich den Joint an, den er gerade gebaut hatte. „Dann such dir doch einen schönen Job…aber solltest du nicht erst mal für deine kleine da sein? Wenn es darum geht, dass dir dein Freiraum fehlt, sag Bescheid…jeder von uns unterstützt dich, das weißt du hoffentlich.“ „Moment mal, ist heut nicht euer letzter Gig? Warum bist du hier und nicht bei den anderen, um zu feiern?“ Er zuckte etwas gleichgültig mit den Schultern. „Ach, kennst uns doch…ist alles wieder mal ein bisschen ausgeartet und später ist Lukas noch irgendwo gestürzt und hat es geschafft sich mit dem Glas seiner zerbrochenen Flasche den kompletten Unterarm aufzuschneiden. Aber alles gut…der Krankenwagen war da und jetzt liegt er im Bett.“ „Shit, so ein Chaot…bist du nicht müde?“ Flo sah Jojo aus traurigen Augen an und schüttelte den Kopf. Sie nahm seine Hand und drückte sie kurz. Er lächelte. „Heute musste ich an Kami denken…er ist immer in meinem Kopf und ich weiß nich, wie ich ihn da rausbekomme.“ Erst jetzt fiel Jojo auf, dass Flo ziemlich kaputt aussah. Sicher hatten die Jungs auf der Tour auch nicht viel Schlaf bekommen, doch Kamis Tod nagte noch immer an ihm. „Da bin ich wohl die falsche Ansprechpartnerin…vielleicht solltest du jetzt trotzdem schlafen.“ Jojo ergriff seine Hand und begleitete ihn in sein Zimmer. Irgendwie wollte sie ihm gern helfen, doch wusste sie nicht genau wie. Deshalb legte sie sich einfach neben ihn und merkte, wie sehr ihr die Gesellschaft von jemandem fehlte. „Fühlt sich gar nich so verkehrt an, wenn man nich allein schlafen muss. Aber ich muss trotzdem kurz meine Hose ausziehen…keine angst mehr nich…nur in Klamotten schlafen is komisch“, amüsierte er sich. Jojo kannte Flo schon ihr ganzes Leben und deshalb empfand sie es auch nicht irgendwie befremdlich mit ihm in einem Bett zu schlafen. Außerdem war er schwul. Trotzdem beschämte es sie ein wenig, als er nur so in Unterhose wieder zu ihr ins Bett kam. Wollte nicht jedes Mädchen einen schwulen Kumpel, mit dem man über alles reden konnte?   Ich erwachte durch die Schmerzen in meinem rechten Arm. Der Platz neben mir war leer, deshalb zog ich meinen Bademantel über und ging nachschauen, ob es schon Kaffee gab. Mir wurde ein bisschen schummrig auf dem Weg hinunter und etwas durchgefroren wärmte ich mich am Kamin. Juka, nur in Unterhose bekleidet, brachte mir eine Tasse mit einer köstlich duftenden Flüssigkeit darin. Dann nahm er mein Gesicht zwischen seine Hände und küsste mich. „Alles okay mein Hübscher?“ Ich nippte an meinem Kaffee und schenkte Juka ein Lächeln. „Klar…war ein verrückter Abend und ich hab wiedermal Mist gebaut…“ Seine Miene wurde ernster. Das passierte nicht häufig, doch wenn Professor Matsamuto seine Stirn in Falten legte und mit besorgter Miene seinen hilfsbedürftigem Patienten begutachtet, hieß das nichts Gutes. Doch da war noch etwas in seinem Blick und ich war ihm eine Erklärung schuldig. „Luki…das gestern…was war los mit dir…“ Ich seufzte. „Juka es tut mir leid, aber ich hatte nen echten Aussetzer und glaub ich sollte echt mal kürzer treten….“ Ein süßes schüchternes Lächeln umspielte seine Lippen. „Süßer…du hast mich wirklich geschockt…und dann noch dein Unfall zum Glück war Jule schnell da. Mach das bitte nicht mehr…ich will dich nicht durch so einen Quatsch verlieren.“ Ich winkte ihm belustigt mit meiner freien Hand zu. „Hallo, ich stehe hier vor dir, mir geht es gut und ich hab nicht vor irgendwohin zu gehen.“ Juka gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf und bereitete das Frühstück vor. Flo arbeitete seit kurzem im Tattoostudio, weil er endlich seinen Schweinehund überwunden hatte und sein Leben wieder in die Hand nahm. Jojo schaukelte Alice in den Schlaf und stellte sie mit dem Wagen an die frische Luft. Juka musste zur Arbeit und später wollten wir uns in der Stadt treffen. Solange erledigte ich noch ein paar Dinge.   Lukas schien es wieder gut zu gehen und Flo hatte ihm tatsächlich nichts erzählt. Aber unter der Bedingung, dass Jojo ihren Job noch heute kündigte und das tat sie dann auch. Sie hatte Flo versprochen noch im Tattoostudio vorbeizukommen, also hübschte sie sich ein bisschen auf und machte sich mit Alice auf den Weg in die Stadt. Jojo wollte keine der typischen Mamis sein, denen man ansieht, dass sie die Nacht wieder kein Auge zugetan hatten, sondern bewies genau das Gegenteil und schob den Kinderwagen in hochhackigen Winterstiefeln. Flo freute sich über ihren Besuch und zeigte ihr alles. Das Studio war edel in schwarz rot eingerichtet und seine Kollegen waren ganz angetan von ihrer Tochter. Sie schlummerte in ihrem Wagen und ließ sich auch nicht von Billy Idol wecken. Jojo schaute Flo zu und musste feststellen, dass er sich gar nicht so dumm anstellte. An seinem Körper selbst gab es ja kaum noch Platz für neue Tattoos, aber dass er sein Handwerk so talentiert beherrschte hätte sie nicht gedacht. „Kannst du mir auch eins stechen?“ „Klar, aber wie wäre es, wenn wir das heut Abend zu Hause machen?“ Jojo nickte und in dem Moment fing Alice mit weinen an. Sie verabschiedete sich und freute sich auf später. Endlich, ihr erstes Tattoo. Zuerst wirkte Flo ein bisschen gestresst und sie dachte schon, er hätte es vergessen, als er gegen neun dann doch zu ihr rüber kam. „Sorry…hab dich nich vergessen.“ Jojo zeigte ihm das Bild der etwas abgewandelten Horror-Alice und in fast fünf Minuten zauberte er den Entwurf auf das Papier. „Wow, viel schöner als meins.“ Er zwinkerte ihr zu. „Wohin willst du es haben?“ Sie schob ihr Top ein bisschen hoch und zeigte ihm die Stelle seitlich der Hüfte. Ihr Oberteil ließ sie oben und legte sich auf’s Sofa. Flo desinfizierte die Stelle und platzierte den Entwurf. Dann zeigte er es Jojo, ob sie zufrieden sei und legte los. Jojo wusste nicht, worauf sie sich einließ und als Flo die Nadel ansetzte, musste sie sich dermaßen zusammenreißen nicht zusammen zu zucken. Der Schmerz war übler, als sie erwartet hatte, doch sie biss die Zähne zusammen. Flo begann bei der Umrandung und kommentierte seine Arbeit ein bisschen, sodass Jojo ungefähr wusste, was als nächstes kam. Die Schattierung und das Ausmalen waren auch nicht ohne, doch Jojo wollte durchhalten und nach etwa zwei Stunden hatte der Künstler sein Werk vollendet und schien ganz zufrieden mit sich zu sein. Jojo schaute sich im Spiegel an und klatschte begeistert in die Hände. Flo klebte die kleine Alice auf ihrer Haut noch mit Folie ab und belehrte Jojo, allerdings eher aus Spaß, wie sie es pflegen musste. Ihr lief ein angenehmer Schauder über den Rücken, als Flo sie berührte. „Vielen vielen Dank. Bleibst du noch auf einen Drink hier?“ „Warum nicht.“ Die nächsten Tage verbrachten sie viel Zeit miteinander. Flo kam meist nach der Arbeit zu ihr, sie quatschten oder er unterrichtete Jojo im Zeichnen. „Schau, das Gesicht ist eigentlich einfach…zuerst die Augen…Nase…Mund…Haare…“ Er schien sich sehr zu konzentrieren und etwas betreten stellte Jojo fest, dass seine Zeichnung Kami nicht gerade unähnlich war. Über sein Gesicht huschte wieder dieses traurige Lächeln. „Er fehlt dir sehr nicht wahr?“ Flo nickte. „Aber er ist nun mal nicht mehr da, damit muss ich mich abfinden…“ „Ist es schwieriger als bei deiner Familie?“, sprudelte es aus ihr heraus. Hoffentlich nahm er ihr die Frage nicht übel. „Jojo, meine Familie habe ich seit Jahren nich mehr gesehen. Außer Kevin, der ab und an zu Besuch kommt…Lukas und ihr hier in der WG seid meine Familie. Davor war es Kami…also um deine Frage zu beantworten…ja, es war oder ist noch viel schlimmer.“ Sie konnte nicht anders und nahm Flo in die Arme. Das schien ihn ein bisschen zu überraschen, doch er lächelte sie an. Neugierig berührte sie seinen fast glatt rasierten Kopf und fuhr über die blauen und schwarzen Sterne links von seinem Undercut. „Tut das da oben nicht weh?“ „Glaub mir es gibt schlimmere Stellen“, witzelte er. Sie beschlossen dann noch the Walking Dead anzuschauen. Am Morgen wurde Jojo von dem kleinen Schreihals geweckt. Irgendwie waren Flo und sie auf dem Sofa eingeschlafen. Schon die zweite Nacht mit ihm. Sie stillte Alice und hatte kurz vergessen, dass sie ja jetzt tätowiert war. Dann duschte sie die kleine Maus und machte sie frisch. Flo schaute ihr dabei zu, weil er auch noch was lernen wollte, falls er mal Babysitten musste. Draußen war ein wundervoller Herbsttag und Jojo beschloss mit der kleinen in den Tierpark zu gehen. Lukas, Juka und Flo schlossen sich an. Lukas und Jojo hatten einen kleinen Vorsprung. „Lukas…ich muss dich unbedingt was fragen.“ „Oh Jojo, ich liebe es, wenn du Gespräche so beginnst, denn dann kann es nur um Jungs gehen“, amüsierte sich ihr Bruder. Sie seufzte. „Ja es geht um Jungs…genau genommen um einen Jungen…einen ganz besonderen und er läuft genau hinter uns.“ „Ja, da muss ich dir Recht geben…Flo is ein echtes Sahneschnittchen…aber auch eine echte Herausforderung. Willst du wirklich einen Typen, der deinem wahnsinnigen Bruder ähnelt?“ Jojo musste lachen und in dem Moment räusperte sich Alice. Sie schob ihr den Schnuller wieder in den Mund zurück und sie schlief weiter. „Hast du etwa was anderes erwartet? Ich mag in voll gern und die letzten Tage mit ihm waren sehr schön. Wir haben sogar im selben Bett geschlafen…und er ist so hübsch…vielleicht finde ich ihn auch einfach nur echt heiß, weil mir der Sex fehlt.“ „Auf diesen Tag habe ich mich gefreut…früher wolltest du mit mir nie über Sex reden…du scheinst doch älter zu werden.“ Jojo warf ihrem Bruder einen bösen Blick zu. „Ich meins ernst…was rätst du mir?“ „Wenn du wirklich nur Sex von ihm willst, sag ihm das. Flo ist offen für sowas und weißt dich maximal aus dem Grund zurück, weil du meine Schwester bist.“ „Und jetzt kommt das aber…“ „Richtig, jetzt kommt das aber…Flo ist schwul Kleines…und so reizend ich den Gedanken finde, dass ihr was miteinander haben könntet ist das glaub ich eher keine gute Idee.“ Jojo seufzte und sie warteten auf die anderen beiden. Lukas und Juka küssten sich. Sie alberten herum und sie vermisste dieses Gefühl oder einen Menschen an ihrer Seite, mit dem sie herumblödeln konnte. Plötzlich, als könnte er meine Gedanken lesen, schnappte sie Flo und tat so, als würde er sie in den Löwenkäfig werfen wollen. Jojo lachte, strampelte und kreischte auf einmal. Behutsam setzte sie Flo wieder ab und schuckelte Alice ihren Wagen, weil sie der Tumult geweckt hatte. „War ein Spaß du Süße…ich würde deiner Mami niemals etwas tun…dafür hab ich zu viel Schiss vor ihrem Bruder.“ „Nur deshalb?“, tat Jojo beleidigt. „Nein, so ein bezauberndes Mädchen würde ich niemals an die Löwen verfüttern.“ Ein schelmisches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ach nein? Da bin ich ja beruhigt. Jetzt schuldest du mir noch ein Tattoo.“ „Gern, aber das kostet langsam, da rettet dich auch kein Löwenkäfig…“ „Naja, ein bisschen Geld hab ich ja noch…das muss weg, sonst fragt mich Lukas noch, woher ich soviel habe.“ „Das war ein Witz. Klar bekommst du es umsonst.“ „Auch weil du Angst vor meinem Bruder hast?“ Flo zog die Stirn in Falten. „Seit wann bist du eigentlich so frech?“ Jojo zuckte unschuldig mit den Schultern. In dieser Nacht träumte sie von Flo und schreckte hoch, weil ihr Baby weinte. Wahrscheinlich zahnte sie wieder. Damit war nicht zu spaßen, denn das bedeutete für Jojo tatsächlich viele schlaflose Nächte. Doch da musste sie durch, schließlich traf es die Süße viel schlimmer, denn sie hatte Schmerzen. Diese versuchte sie ein bisschen mit Kamille zu lindern und irgendwie schlief Alice nur liegend auf ihr ein. Völlig fertig rief Johanna Nina an, ob sie vorbeikommen könnte und innerhalb der nächsten Stunde befand sich ihre beste Freundin in ihrer Wohnung. „Du bist ein Engel…ich muss duschen und mich ein bisschen aufputschen. Gehen wir danach was essen?“, rief sie ihr auf dem Weg ins Badezimmer zu und sie bejahte die Frage. Unter der Dusche schweiften ihre Gedanken wieder Mal zu Flo. Sollte sie ihn fragen, ob er später vorbeikommt? Oder sollte sie warten bis er mal wieder was unternehmen wollte? Naja, sie hatte noch genügend Zeit das zu überdenken. Nina stellte fest, dass Jojo echt ein bisschen fertig aussah und nahm Alice für den Rest des Tages. Johanna liebte sie dafür und gönnte sich ihren wohlverdienten Mittagsschlaf. Flo wollte dann tatsächlich noch vorbeikommen und eventuell mit dem zweiten Tattoo beginnen. Jojo hoffte, dass er keinen Rückzieher macht, wenn er die Stelle erfuhr. Sie setzte Punsch auf, weil es unerträglich kalt war. Dann stillte sie Alice und legte sie ins Bett, in der Hoffnung, dass sie diese Nacht mehr ruhiger schlafen würde. Wie beim letzten Mal zeichnete Flo ihren Entwurf innerhalb kürzester Zeit und die Stelle, unter Jojos Brüsten schien ihn nicht weiter zu stören. Ihr wurde heiß und kalt im Wechsel und sie ertrug den Schmerz. „Wie hast du es eigentlich geschafft nach deiner Schwangerschaft so schnell wieder so super auszusehen? Manche Frauen scheinen dafür Jahre zu brauchen.“ Jojo mochte seine direkte, ehrliche Art. Doch sie war ein bisschen enttäuscht, dass ihn ihr fast nackter Körper zuvor nicht wenigstens ein bisschen beeindruckt hatte. „Viel Sport, gesundes Essen und an der Stange tanzen.“ Sie lachten. „Sehr beeindruckend. Naja, du als Gogotänzerin warst bestimmt nicht der schlechteste Anblick.“ „Ich will ja nicht arrogant sein, aber ja…glaub da waren ein paar, die konnten mir nicht das Wasser reichen.“ „Trotzdem gut, dass du das nich mehr machst…dafür bist du zu schade.“ Sie würde ihn so gern fragen, ob er nicht vielleicht bisexuell war, traute sich aber nicht. Alice weinte durchs Babyfon und Jojo beruhigte sie. „Naja, aber verdienen tut man damit aber echt gut.“ Flo warf ihr einen tadelnden Blick zu. „Denk nich Mal dran…außerdem gibt es schönere Dinge als Geld. Klar man brauch es und gerade du wegen Alice und so…aber nich mit so nem beschissenen Job. Weißt du eigentlich, dass du wunderschöne Brüste hast? Und ich verfluche dich ein bisschen, dass ich eingewilligt habe dir das Tattoo heute zu stechen.“ Oh Gott! Jojos Herz hatte kurz ausgesetzt und wahrscheinlich bekam ihr Gesicht gerade die Farbe einer Tomate. Jetzt rief sie sich Lukas Worte wieder in den Sinn. Aber das brachte sie nicht so rüber sie ich gern gewollt hätte. Flo schien ihr kurzer Schock nicht zu entgehen und er amüsierte sich prächtig darüber. „Und ich hatte mich schon gefragt, ob du schwul oder bi bist.“, entgegnete Jojo. Nein, seine Miene nahm wieder diese ernsten Züge an. „Ich steh noch immer auf Männer, aber an Kami kommt keiner so leicht ran…“ „Sorry, ich wollte nicht wieder damit anfangen.“ „Schon okay…es ist nur so schwer über ihn zu reden…doch wird es auch besser, das hab ich heut gemerkt. Er wird nie wiederkommen und ich kann nich ewig allein bleiben…doch isses echt verdammt hart.“ Das enttäuschte Jojo ein bisschen, weil Flo wirklich ein lieber, hübscher Mann war, doch immerhin hatte sie jetzt einen schwulen Kumpel. Trotzdem würde sie ihm gern helfen, wusste aber nicht wie. „Hast du einen bestimmten Typ Mann, der dir gefällt?“ „Ich glaub ich hab ne Schwäche für Japaner und ich hatte damals auch überlegt was mit Juka anzufangen, aber sag das deinem Bruder bloß nich…das kommt natürlich nich in Frage…Miyavi is ganz süß, aber auch nich das, was ich will.“ „Vielleicht sollten wir mal wieder einen Trip nach Tokio machen, ich kann Naoki eine aufs Maul hauen und du…gehst auf…Männerjagd.“ Flo lächelte schwach. „Darüber hab ich tatsächlich schon mal nachgedacht…Kamis Familie besuchen und so…das mit Naoki kann ich auch für dich übernehmen. Fehlt er dir?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht…irgendwie schon…aber er weiß noch immer nichts von seiner Tochter.“ „Jojo, du musst es ihm sagen…vielleicht ändert sich dann für dich etwas.“ In dem Moment ertönte das Babyfon. Ohne es bemerkt zu haben, war ihr Flo gefolgt. „Isses okay, wenn ich heute bei dir schlafe?“ Jojo nickte nur und legte ihre schlafende Tochter wieder ins Bett. Flo hatte Recht und sie musste mit Naoki reden, da kam sie nicht drum herum, aber sie hatte Angst vor seiner Reaktion. Das letzte Mal war er zwar sehr charmant, doch das musste nichts bedeuten. Jojo fragte ihre liebste Nina um Rat. Auch sie fand den Gedanken nach Tokio zu reisen gar nich so schlecht, denn so konnte Naoki seine Tochter sehen. Nina schlug vor sich noch einen Tag um ihr Baby zu kümmern, sodass Jojo mit Flo reden konnte. Kein schlechter Plan. Doch Flo wollte schon übermorgen nach Japan fliegen. Das War zu knapp und sie verschob es. Kapitel 58: Flo versucht es... ------------------------------ Miyavi wollte sich mit ihm treffen. Es fühlte sich komisch an wieder hier zu sein, denn alles erinnerte ihn an Kami. Flo wartete in einem Café im Zentrum, in dem er früher auch oft mit ihm gefrühstückt hatte. Der Schmerz brannte in seiner Brust und er biss sich auf die Unterlippe. Etwas abgehetzt nahm Miyavi auf dem Stuhl ihm gegenüber platz und bestellte einen Kaffee. „Schön dich zu sehen.“ Flo rang sich ein gezwungenes Lächeln ab. „Find ich auch.“ „Willst du heute zu Kamis Familie?“ Er nickte und zündete sich eine Zigarette an. „Hast du später Lust auf Konzert und dann Party?“ Flo seufzte. „Weiß noch nich…vielleicht. Kann ich eigentlich die Tage bei dir schlafen?“ „Klar, hab ich dir ja angeboten…es kann aber auch sein, dass die Jungs heute Abend auch mitkommen.“ „Ich bin nich sicher, ob ich sie sehen will.“ „Überleg es dir. Dann lass uns jetzt deine Sachen in die Wohnung bringen.“ Miyavis Wohnung erreichten sie zu Fuß und sie war nicht besonders groß, doch sehr geschmackvoll eingerichtet. Sehr düster, wie er eben selbst immer auftrat. Flo machte es sich auf dem Sofa bequem und telefonierte mit Kamis Bruder. In einer Stunde konnte er vorbeikommen. Zur Bahnhaltestelle waren es ein paar Meter. Die Sonne schien warm auf sein Gesicht und passte so gar nicht zu seiner Stimmung. Sein Herz war schwer und er hoffte, dass er das überstand. Kamis Mum war überglücklich ihn zu sehen und lud Flo zum Tee ein. Sie erzählte ihm, was die letzten Jahre alles passiert war, doch er hörte nur mit einem Ohr hin. Im Wohnzimmer hing ein überdimensional großes Bild von Kami und seine wunderschönen grünen Augen lächelten auf Flo herab. Bevor er wieder zu Miyavi ging, wollte er noch einen Umweg machen, um Kamis Grab zu besuchen. Sein Herz zog sich zusammen, als er den Friedhof betrat und die Innschriften auf seinem Grabstein las. Erst jetzt wurde ihm wieder schmerzlich bewusst, dass Kami wirklich tot war und nie wieder zurückkam. Flo legte seine Rose, die er zuvor noch gekauft hatte zu ihm und kämpfte mit den Tränen. Er sank vor dem Grabstein auf die Knie.   Nachdem ihn Miyavi letztendlich doch überredet hatte, kam Flo mit zu dem Konzert und ebenso zur Party danach. Die Band war nicht übel und er hatte schon einiges von denen gehört, eine dieser coolen angesagten J-rock Szene Bands eben. Aber hätte schlimmer kommen können. Lustigerweise kannte Miyavi die Band persönlich und sie nahmen die Jungs mit zur Aftershowparty. Irgendwann unterhielt sich Flo sehr angeregt mit Tatsuro, dem Sänger der Band. Über seinen langen schwarzen Haaren trug er einen Hut und auch sonst war er sehr stilvoll gekleidet. Er spendierte Flo einen Wodka, genau das, was er jetzt brauchte. Er erzählte ihm von seiner Band und er wollte unbedingt was von Nocturna hören, deshalb zogen sie sich in einem kleineren Raum zurück, der fast einem Aufnahmestudio glich. Flo fragte Tatsuro danach. „Ja richtig, das ist unser Studio. Wir haben beides ein bisschen verbunden, echt praktisch. Hier steht ein Laptop.“ Flo suchte nach einem passablen Lifevideo von der letzten Tour und der andere Sänger war sehr beeindruckt. „Wir waren auch die letzten Monate auf Tour, aber nur in Deutschland.“ „Vielleicht können wir zusammen was machen. Willst du noch was trinken?“ „Hast du Wodka da? Ich hab gerade das Bedürfnis mich abzuschießen.“ Tatsuro lächelte und verschwand kurz. Wenige Augenblicke kehrte er mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück. Die Musik aus dem Club dröhnte im Hintergrund. „Warum, hattest du nen beschissenen Tag?“ „Kann man wohl so sagen. Darf man hier rauchen?“ „Eigentlich nicht, aber bei dir mache ich eine Ausnahme?“ Flo lächelte und war sich nicht sicher, ob das am Alkohol lag oder an etwas anderem, aber so langsam fand er Gefallen an diesem hübschen Sänger. Ob er wohl auf Männer stand? Flo zündete sich eine Zigarette an und Tatsuro tat es ihm gleich. „Übrigens cooles Konzert vorhin.“ „Danke. Wo kommst du eigentlich her?“ Flo leerte sein Glas und schenkte noch mal nach. „Aus Deutschland, bin aber ein paar Freunde besuchen…“ Tatsuro schaute ihn fragend an, als würde er noch mehr erwarten oder er das, was Flo gesagt hatte nicht ganz verstand. „Und warum war dein Tag dann beschissen? Wenn ich fragen darf?“ Er seufzte, warum auch nicht drüber reden. „Du kennst doch sicher Kami, den Schlagzeuger von Jukas und Miyavis Band…er war mein Freund…also Geliebter und ich hab heut seine Eltern besucht und so…“ „Das tut mir leid…war echt übel, für uns alle. Kami ist eine Legende gewesen…ahh dann bist du der Flo…er hat viel von dir erzählt. Wir haben uns zwar nicht so oft gesehen aber wenn, schwärmte Kami immer von dir.“ Flo lächelte traurig und auf einmal legte Tatsuro seinen Arm um seine Schulter. „Aber irgendwann muss ich mal drüber wegkommen…“ „Bestimmt. Du spielst Gitarre oder?“ Er nickte und trank noch mehr. „Dann erspare ich mir die Frage mal, ob du auf Männer stehst.“ Flo schaute zu Tatsuro und er grinste ihn ein bisschen selbstgefällig an. „Vielleicht hab ich ja auch nach Kami beschlossen enthaltsam zu leben“, neckte er den hübschen Sänger. „Das fände ich sehr schade…weißt du…klar hängst du noch an Kami, kann ich dir nich mal verübeln, aber es gibt auch andere schöne Männer, die dich echt interessant finden.“ „Redest du gerade von dir?“ „Mhh. Vielleicht…“ Flo schenkte Tatsuro noch Wodka ein und er zündete sich noch eine Zigarette an. „Du hast Recht…irgendwann muss ich wieder anfangen zu leben. Wie lang seid ihr noch auf Tour.“ „Noch zwei Konzerte, eins hier in Japan und dann Deutschland. Wollt ihr mit einsteigen? Ihr könntet ja als Vorband spielen.“ „Klingt fair. Wo spielt ihr morgen? „Osaka und dann einen Tag Pause. Du kannst morgen mitkommen, wenn du willst und wir fliegen zusammen zurück in deine Heimatstadt.“ „Warum nich. Hab ja noch ein paar Tage frei…ich arbeite nebenher noch in nem Tattoostudio.“ „Cool…bekomm ich eins?“ „Klar, hab mein Zeug zu Hause oder du bezahlst und ich stech es dir im Studio.“ Tatsuro schaute nachdenklich. „Ich kann auch ins Studio kommen, so knapp bin ich ja auch nich bei Kasse. Lust noch ein bisschen feiern zu gehen?“ Flo nickte und folgte Tatsuro in den Club zurück. Irgendwie fühlte er sich seit der Unterhaltung ein bisschen besser. Er schoss sich tatsächlich ganz schön ab und konnte irgendwann nicht mehr stehen. Tatsuro flüsterte ihm irgendetwas zu und Flo nickte nur. Kurz darauf befanden sie sich in einem Taxi und dann mit großer Wahrscheinlichkeit in seiner Wohnung. Na gut, dieser heiße Japaner hatte ihn sicher nicht ohne Grund mitgenommen. Flo verschwand kurz im Badezimmer und spritzte sich Wasser ins Gesicht. Tatsuro lehnte lässig in dem Sessel im Wohnzimmer. „Alles klar bei dir?“ Flo nickte und er winkte ihn zu sich heran. „Willst du mich verführen?“ Er zog Flo auf seinen Schoß. „Warum nicht…“ Tatsuro nahm sein Gesicht zwischen seine Hände und küsste ihn. Flo genoss es und seine Lippen fühlten sich weich und zärtlich an. Er umkreiste seine Zunge mit seiner und einerseits war es komisch außer Kami einen anderen Mann zu küssen, doch es tat auch gut und Flo fühlte wie sehr er sich danach gesehnt hatte. Tatsuros Hände wanderten unter sein Shirt und er ließ es zu.   Flo schlug die Augen auf und wollte schon aufstehen, da fiel ihm diese fremde Umgebung auf. Er inspizierte das Zimmer. Seine Klamotten lagen auf dem Boden verstreut und auch sonst war es nicht besonders ordentlich. Durch die Vorhänge lugte ein Sonnenstrahl und er fragte sich wie spät es wohl sein mochte? Neben ihm schlief dieser schöne Japaner, Tatsuro und als er an die letzte Nacht zurückdachte lief ein angenehmer Schauer über seinen Körper. Flo stand kurz auf, um sein Handy zu holen. Ein paar verpasste Anrufe von Miyavi. Er schlich ins Wohnzimmer und rief ihn zurück. Sein Freund hatte noch einen Termin und Flo beschloss seine Sachen bei ihm zu holen. Hoffentlich dachte Tatsuro nicht, dass er einfach abgehauen ist. Leise schlüpfte Flo in seine Klamotten und eilte los. Unterwegs kaufte er noch zwei Kaffee und klingelte. „Kaffee?“, fragte er. Tatsuro empfing ihn nackt. Heilige Scheiße. „Gern. Ich hatte gehofft, dass du wiederkommst.“ „Das sehe ich oder empfängst du alle in dem Aufzug? Was wäre, wenn nicht ich geklingelt hätte?“ Der hübsche Sänger lachte. „Wie gesagt, ich hoffte, dass du es bist. Außerdem hätte es viel zu lange gedauert, bis ich die Klamotten zusammengesucht hätte.“ Flo stellte seine Tasche im Flur ab und Tatsuro zog ihn wieder mit ins Bett. Er grinste. „Ich hatte lange nicht so guten Sex…meinst du wir können das widerholen?“ „Das sagst du jetzt nur so…aber gern.“ „Nein tue ich nicht…“, schmollte er und Flo gab ihm einen Kuss. „Wie du meinst. Ich geh kurz duschen…kommst du mit?“, fragte er, die letzten Worte kamen etwas zögerlich. Tatsuros Augen funkelten ihn an. „Klar.“ Seine langen schwarzen Haare reichten bis zu seinem Hintern. Er schlug sie mit einem Handtuch ein und warf sich seinen Morgenmantel über. Flo zog seine Hose von gestern an und ein frisches Oberteil. Worauf auch immer das hier hinauslief, er beschloss endlich einen Neuanfang zu wagen. Das Frühstück verbrachten die beiden schweigend, weil Flo auch nicht sicher war, was er sagen sollte. Die letzte Nacht war der Hammer, doch konnte er sich auch vorstellen, dass Tatsuro nicht der Beziehungstyp war. Doch solche Dinge redete er sich auch gern ein, damit die Enttäuschung danach nicht so groß war. Später lümmelten sie noch ein bisschen auf dem Sofa und schauten sich Musikvideos an. Flo beschwerte sich bei ein paar der Bands, dass der Drummer nichts drauf hatte, weil er ständig neben dem Takt spielte. Tatsuro warf sich dann in sein Bühnenoutfit und stylte sich. Flo schaute ihm dabei zu und er schien das offensichtlich zu genießen. „Du magst es angehimmelt zu werden oder?“ Er lachte und zog ihn an sich. „Vor allem von dir. So fertig, los geht’s.“ Im Tourbus der Jungs ging es lustig zu und auch jetzt floss der Alkohol wieder. Es schien nichts Unübliches zu sein, wenn einer der Jungs seinen Lover mitbrachte. Flo genoss das Konzert und die Party danach, doch dieses Mal verließen sie die feiernde Meute eher und hatten ihren Spaß miteinander. Einen Tag später ging es dann mit dem Flieger zurück und Flo schlug vor Tatsuro seine Stadt ein bisschen schmackhaft zu machen. Sie brachen in den Seepark ein machten blöde witzige Bilder mit den Dinos und auf den alten Fahrgeschäften, die Mal zu einem Freizeitpark gehört hatten. Tatsuro war beeindruckt. Flo fragte Lukas später, ob er morgen Lust auf ein J-Rock Konzert hatte und sein Freund willigte ein. Auch dieses Mal endete die Aftershowparty mit einem großen Besäufnis bei ihnen im Haus. Jetzt sollte Flo echt über eine Alkoholpause nachdenken. Tatsuro regte sich neben ihm und schaute Flo ziemlich verpeilt an. Er küsste ihn und brachte ihm Kaffee ans Bett, doch er zog den sonnigen Pool vor. „Flo…ich hab jetzt noch‘n paar Tage Zeit.“ Flo glitt ins kühle Wasser und ließ sich treiben. Tatsuro zog ihn an sich und schon umfingen seine Lippen wieder die seinen. „Was schwebt dir denn vor?“ „Wir könnten noch was zusammen unternehmen. Ich hab noch nen Tattoo offen.“ „Stimmt…“ Jeh mehr Zeit Flo mit Tatsuro verbrachte, desto vertrauter wurden sie miteinander und jetzt bahnte sich dieses unschöne Gefühl an. Flo wusste nicht, ob er nur eine seiner Affären war oder doch mehr? Für ihn war er nach Kami der erste Mann, dem er wieder ein bisschen Vertrauen entgegenbrachte, doch fürchtete Flo sich vor seiner Reaktion. Aber irgendwie traute er sich auch nicht danach zu fragen. Kapitel 59: Nicht einfach ------------------------- Ein Jahr später. So zogen die Monate ins Land, doch Jojo wollte eine gute Mutter sein. Alice fing sogar schon mit sprechen an. Sie konnte Ma-ma und das erfüllte das junge Mädchen mit Stolz. Fast zeitgleich begann sie mit Krabbeln. Jojo schaute ihr zu und ließ sie immer wieder in ihre Richtung kommen. Sie bekam immer mehr Shootinganfragen und nahm diese wahr. Meist begleitete sie ihr Töchterchen. Sie ließ sich noch ein Tattoo am Bein stechen und eins auf dem Rücken. Alice wuchs und machte Jojo zur glücklichsten Mami der Welt. Manchmal bildete sie sich auch ein, dass sie diese Spießermütter mit neidischen Blicken beäugten. Jojo nahm Alice immer öfter an die Hand und sie versuchte zu laufen und sie heulte fast, als sie in Ninas und ihrem Beisein tatsächlich ihre ersten Schritte tat. Die Freundinnen veranstalteten einen Freudentanz und kreischten vor Glück. Doch da kam Jojo in den Sinn, dass sie noch eine unangenehme Sache erledigen musste. Alice konnte zwar noch nicht so viel reden, doch war sich Jojo sicher, dass sie es verstand. Sie zeigte ihr ein Bild von Naoki und erklärte ihr, dass das ihr Papa sei, dieser jedoch ganz weit weg ist. Alice sagte nicht viel dazu, sondern schaute ihre Mama eher irritiert an. Jojo musste lachen und gab ihr einen Kuss. Als Alice schlief skypte sie mit Naoki. „Schön von dir zu hören. Du siehst sehr toll aus, was ist passiert.“ „Deine Tochter ist passiert!“, wollte sie schon antworten, biss sich jedoch auf die Zunge. „Ähm. Mir geht es gut, nichts weiter. Pass auf, ich will es kurz machen und hinter mich bringen“, begann sie. „Jojo, ist alles gut? Oder was verschweigst du mir?“ „Naoki…damals, als du hier warst und wir was miteinander hatten…ich war schwanger…“, fuhr sie fort. „Was? Und wo ist das Kind? Hast du es behalten? Oh Jojo, warum?“ „Dein Kind ist ein Mädchen und heißt Alice. Sie ist jetzt anderthalb Jahre und wohlauf…ich wollte nur, dass du es weißt und verlange keinerlei väterliche Pflichten…ich komm klar.“ Naoki schien erleichtert zu sein. „Dann ist ja gut, ich hab schon schlimmes befürchtet…dann alles Gute. Ihr könnt mich ja mal in Tokio besuchen“, sagte er zum Schluss und beendete das Gespräch. Er beendete das Gespräch? Was zur Hölle! Jojo rief ihn ein weiteres Mal an. „Ist das dein ernst? Interessiert es dich denn überhaupt?“ Er grinste sie selbstgefällig an. „Jojo meine Hübsche, du bist nicht die erste, also jetzt zick mal nicht so rum. Ich muss los. Tschau.“ Und er beendete das Gespräch schon wieder. Jojo war auf hundertachtzig und tigerte durch ihre Wohnung wie eine Raubkatze, die jeden Moment auf ihre Beute springt. Dann bekam sie einen Heulanfall. Hatte sie Naoki tatsächlich so eiskalt abserviert? Wütend und enttäuscht trat sie gegen ihr Sofa, doch das brachte ihr nur Fußschmerzen. Dann schaute sie eben, ob Lukas da war. Knutschend fand sie Juka und ihren Bruder im Wohnzimmer am Kamin. Toll, ihre Motivation wanderte in den Keller, wenn sie die beiden so glücklich sah. Sie stellte das Babyfon auf den Tisch und schenkte sich ein Glas Whiskey ein. Die Jungs starrten sie an. „Was? Darf ich mir denn nicht mal nen Drink gönnen?“ Jojo hoffte so sehr, dass Lukas einfach aufstand und sie in die Arme nahm. Der Kamin wärmte sie und sie genehmigte sich noch einen Schluck. Da es keinen zu interessieren schien, kehrte sie ihnen den Rücken zu. Die Schritte hinter ihr konnte sie noch ignorieren, die Umarmung nicht. Langsam wand sie ihrem Bruder das Gesicht zu und er schaute sie liebevoll an. Wie immer. „Was ist los Süße?“ Johanna trank das Glas leer, stellte es auf den Kaminsims und augenblicklich schossen ihr die Tränen in die Augen. „Hab gerade mit Naoki geskypt und ihm isses egal…ich bin ihm egal, Alice ist ihm egal, alles ist ihm egal Lukas“, schluchzte sie. Er ergriff ihre Hand. „Dann ist er ein Arsch…du brauchst ihn doch nich.“ Sie löste sich aus der Umarmung und schaute ihren Bruder wütend an. „Ach ja? Und was soll ich meiner Tochter erzählen? Sorry kleines, aber dein Vater ist der größte Oberarsch?“ Lukas seufzte. „Jojoschatz, hast du tatsächlich eine andere Reaktion von ihm erwartet?“ Erneut rollten ihr die Tränen über die Wangen, doch versuchte sie gefasst zu wirken. „Um ehrlich zu sein, ja das habe ich…vielleicht bin einfach nur blöd und naiv.“ „Nein, das bist du ganz und gar nich…Naoki war schon immer ein Arsch Kleines. Aber es war sehr mutig von dir ihm das zu sagen.“ Jojo schlang ihre Arme um ihren großen Bruder und war so froh, dass sie ihn hatte. „Davon kommt er trotzdem nicht zurück.“ „Jojo…ich glaube es ist gut, dass er es weiß, doch wenn es ihn nich interessiert, is er der größte Idiot den ich kenne…und du die beste Mami der Welt…Alice kann sich glücklich schätzen.“ Flo knallte die Tür hinter sich zu und das war komisch. Er benahm sich schon seit ein paar Tagen so seltsam und ich konnte mir fast schon denken, woran das lag. Die letzten Tage waren für uns alle sehr ereignisreich gewesen und wir hatten spontan mit MUCC ein Konzert gegeben, was mich noch Mal richtig gepuscht hatte und mir war auch nicht entgangen, was zwischen Flo und dem hübschen Tatsuro lief. Doch die Jungs mussten nach ein paar Tagen wieder nach Japan zurückreisen und das traf Flo wie ich mir dachte. Mir war auch bewusst, dass er nach der Sache mit Kami wahrscheinlich nicht noch eine Enttäuschung verkraftete. Ich klopfte an, doch er reagierte nicht. Also klopfte ich ein weiteres Mal. Dann rief er mir von drinnen ein „Lukas verpiss dich!“ zu. Okay, es war schlimmer als schlimm. Doch ich gab nicht auf und klopfte wieder an Flos Tür. Wieder machte er mir deutlich, dass er mich nicht sehen wollte. Also hockte ich mich vor sein Zimmer. Irgendwann hörte ich dann, dass er den Schlüssel herumdrehte und mir somit Einlass gewährte. Flo lag auf dem Fußboden und starrte Löcher in die Luft. Es beruhigte mich schon mal, dass ich nirgends Blut sah. „Mir is gerade so gar nich nach reden.“ „Klar…aber ich mach mir Sorgen, das ist alles.“ „Es is alles okay.“ Ich nickte. „Deshalb benimmst du dich auch so seltsam…weil alles okay is…schon klar. Ich bin nicht blind Süßer.“ Flo seufzte und schlug mit er Faust auf den Boden. Dann zündete er sich den Joint an. „Lukas…du bist echt nervig…aber gut, du gibst ja doch keine Ruhe…du hast ja mitbekommen, dass sich zwischen Tatsuro und mir was anbahnt…und jetzt? Isser weg…zurück in Tokio…schön, das war‘s dann wohl…naja außerdem fühle ich mich Kami gegenüber schuldig.“ Ich hasste es, wenn Flo sowas sagte und doch erinnerte es mich sehr an mich selbst, wenn ich den Selbstzweifeln verfiel. „Jetzt würde ich dich gern verprügeln…Flo verdammt…hör auf dich schlechter zu machen, als du bist und hast du mal daran gedacht, dass er in Tokio noch Dinge zu regeln hat? Ich meine mit der Band und…er mag dich sicher, nur habt ihr mal drüber geredet, was das zwischen euch is? Vielleicht denkt er ähnlich wie du und tut es als Affäre ab, weil du ihn nich aufgehalten hast…was Kami angeht, er hätte sicher gewollt, dass du glücklich bist.“ „Schon, aber er hätte mir doch auch wenigstens nen Hinweis geben können oder irgendwelche Andeutungen machen…“, stammelte er. „Vielleicht hat er das? Und du hast sie nur falsch interpretiert? Klar…ich weiß wie schwer es für dich is überhaupt wieder jemanden zu vertrauen, aber kläre das zwischen dir und Tatsuro…und selbst wenn es für ihn nur eine Affäre war, dann isses so Süßer…das Leben geht weiter.“ Flo lachte traurig. „Sicher, bei dir is ja auch alles super…ich hab Kami verloren, weil er vor meinen Augen gestorben is…das is ja wohl kein Vergleich zu dir und Juka…und jetzt lass ich mich wieder auf irgend nen Musiker ein?“ Er reichte mir den Joint. „Flo ich liebe dich…du bist mein bester Freund…ich möchte, dass es dir gut geht und ich weiß, dass es das gerade nich tut und du hast Recht, Juka lebt noch und wir haben uns wieder gefunden. Aber was willst du tun? Hier sitzen, Trübsal blasen und für immer darauf warten, dass dich irgendwann jemand erlöst? So bitter es is, das Rädchen dreht sich weiter und der Zeit isses egal, ob es dir beschissen geht oder nich…also raff deinen süßen Arsch auf und ruf Tatsuro an…“ „Und was, wenn ich es nich tue und das hier einfach alles beende? Der Gedanke tut gut und es würde alles so viel einfacher machen…ich ertrage nich noch eine Niederlage.“ Ich wünschte mir jetzt Juka mit seinen psychologischen Kenntnissen her, denn so langsam wusste ich nicht mehr weiter. „Wie kannst du von einer Niederlage reden, wenn du nich mal versucht hast zu kämpfen…weißt du, du hockst hier wie ein Häufchen Elend, jammerst rum und tust nichts…dann mach doch Flo…wenn dir unsere Freundschaft so egal ist und du es nich erträgst mich glücklich zu sehen, dann tue was du nich lassen kannst…“ Mein Herz zog sich zusammen, weil ich jetzt in diesem Moment wirklich nicht sicher war, wie ernst Flo das alles gerade meinte. Etwas Unsichtbares schnürte mir die Kehle zu. Plötzlich vergrub Flo sein Gesicht in den Händen und schluchzte. Ich nahm ihn in die Arme. „Du warst schon immer stark…im Gegensatz zu mir…“ „Klar…ich war so stark, als ich meine Familie hängen ließ und meinen Liebeskummer im Alkohol ertränkt habe…“ „Ich hätte für dich da sein sollen…dann wäre das nich passiert.“ „Es wäre auch passiert, wenn du da gewesen wärst, weil ich so bin…exzessiv und manchmal echt ein egoistisches Arschloch…und jetzt raff dich auf Flo. Du hast es schon so weit geschafft…“ „Ich hab dich lieb Lukas und ich würde dir das niemals antun. Und jetzt geh mir nich weiter auf die Nerven.“ Ich lachte. Juka kauerte über seinen Zetteln am Schreibtisch und ich konnte ihn vom Bett aus beobachten. Mein wunderschöner Japaner, bei dessen Anblick ich jedes Mal aufs Neue dahinschmolz. Ich war auch so froh, dass wir uns noch eine Chance gegeben hatten. „Macht es dir eigentlich Spaß mich die ganze Zeit anzustarren?“, fragte mein Liebster ohne aufzuschauen. „Ja tut es und ich könnte das den ganzen Tag tun. Doch schöner wäre es, wenn du zu mir kommst.“ „Gleich okay, gib mir noch 15 Minuten, dann bin ich für dich da.“ Ich ging solange ins Bad und als ich wieder heraus kam, hatte auch Juka seine Arbeit beendet. Ich legte meine Arme um ihn und seine Hände fuhren über meinen nackten Oberkörper. Wir küssten uns und ich führte ihn zum Bett. „Ich muss auch noch kurz ins Bad, beeile mich.“ Ein bisschen müde kuschelte ich mich in die Kissen und schloss die Augen. Juka schmiegte sich an mich und küsste sanft meine Wange. „Darf ich dich was fragen?“ Ich drehte mich zu ihm und schaute ihn erwartungsvoll an. Juka räusperte sich und stützte seinen Kopf mit der Hand ab. „Neulich…als du deine Mum gesehen hast, wie schlimm war das für dich?“, fragte er mich ein bisschen unsicher. Ich lächelte meinen Liebsten an und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. „Um ehrlich zu sein war es erst komisch, doch schlimm is anders…ich hab jetzt dich Juka und das is auch gut so.“ „Kannst du mir jemals vertrauen?“ „Ich denke das tue ich schon…ich weiß, dass ich gesagt hab, ich könnte es nich, aber du bist anders Juka. Du sagst immer die richtigen Dinge zum richtigen Zeitpunkt und hast mich bestimmt manipuliert, wie auch immer. Bin ich wirklich so exzessiv?“ Juka schüttelte mit dem Kopf. „Glaub nicht…naja, vielleicht ein bisschen, aber das ist okay. Du lebst dein Leben und wenn nicht jetzt wann dann? Es ist doch in Ordnung Dinge auszuprobieren, doch das verstehen manchen Menschen nicht. Ich wünsche mir eine Sache von dir Luki…und zwar überlege dir die Tage, ob du gerade wirklich glücklich bist. Denke auch an deine Familie, damit schließe ich auch deine Mama ein…finde für dich einfach heraus, ob du damit leben kannst, wenn du mit ihr verstritten bleibst. Momentan scheint es dir egal zu sein, doch ich bin nicht sicher, ob ich dir das glauben kann. Wenn du mich vom Gegenteil überzeugst kein Thema mehr.“ Ich sah meinen Juka mit zusammengekniffenen Augen an. „Juka Matsamuto…manchmal würde ich zu gern wissen, was in deinem hübschen Kopf vor sich geht. Aber in Ordnung, wie der Herr wünscht.“ Jetzt kicherte er. „Du bist unglaublich…ist das, worum ich dich bitte so schlimm, dass du dich wie ein kleiner Junge benimmst und beleidigt bist?“ „Ich bin nich beleidigt…nur etwas verwundert und mich würde interessieren, warum ich mir darüber Gedanken machen soll.“ „Sag ich dir ein ein paar Tagen“, hauchte er mir zu und küsste mich. Seine Finger strichen langsam über meinen Körper und Juka erweckte nicht gerade den Eindruck als würde er schlafen wollen. „Was wird das?“, fragte ich mit leicht erstickter Stimme. „Was soll es denn werden?“ Ich warf Juka ein verführerisches Lächeln zu. „Überrasch mich.“ Sein Grinsen wurde breiter, doch irgendwie wirkte er auf einmal auch ein bisschen unsicher. Ich zog meine Augenbrauen hoch. „Deine leicht blutige Horrorbühnenshow hat mich irgendwie echt an gemacht…meinst du, du könntest sowas für mich tun?“ Okay, das war mir neu und amüsierte mich irgendwie, denn ich hatte bisher noch keinen Freund gehabt, der meine selbstverletzende Art als erotisch empfand. Ich holte meinen Ring mit der Kralle aus der Schmuckdose und kniete mich vor Juka. „Was is eigentlich bei dir falsch gelaufen, das du auf so ne sadistische Scheiße abfährst?“, fragte ich ihn amüsiert. „Du bist passiert und hast mich um den Verstand gebracht.“ Langsam setzte ich die Spitze an und fuhr unter meiner Brust entlang. Der süße Schmerz vermischte sich mit meiner feurigen Begierde. Sowas hatte selbst ich zuvor noch nie getan doch es fühlte sich irre gut an. Juka berührte meinen Oberkörper und verschmierte das Blut ein bisschen. Seine Küsse brannten wie Feuer auf meiner Haut und ich ließ mich fallen. Seine Zunge wanderte zwischen meine Beine und ich stöhnte lustvoll und bewegte seinen Kopf langsam vor und zurück. Doch ich hielt mich zurück und genoss dieses Gefühl kurz vorm Orgasmus. Juka drückte mich an die Wand und kam wieder hoch. Er küsste mich alles andere als zaghaft und setzte die Spitze meines Ringes erneut an. Ein dünner roter Rinnsal floss meinem Oberkörper herab und ich grinste ihn selbstgefällig an. Ich drückte ihn mit meinem ganzen Gewicht auf die Matratze und hielt seine Arme über seinem Kopf fest, nicht ohne ihn weiter zu küssen. Meine Lippen umschlossen seinen Penis und seine Hände krallten sich in meinen Rücken, als er kam. Juka schlang seine Beine um meine Hüften und ich drang in ihn ein. Dieses Mal konnte ich mich kaum zurückhalten und erreichte schnell meinen Höhepunkt. Wir hüpften beide noch Mal unter die Dusche und kuschelten uns dann ins Bett. Behutsam strich Juka über meinen verletzten Oberkörper. „Findest du es schlimm, dass ich sowas mag? Ich meine wir müssen das ja nicht ständig tun.“ „Eigentlich nich…ich mag es wenn du mir sagst, auf was du stehst. Und solange ich dir deine Wünsche erfüllen kann, warum nich.“ „Du bist sehr eigenwillig, doch das mag ich an dir…ich hatte früher immer Hemmungen mit meinen Freunden über meine Vorlieben zu reden, aber bei dir ist das nicht so.“ „Ich bin eben heiß und total verdorben…Sex war mich schon immer wichtig und ich je verruchter unmso besser.“ „Ich freu mich auf jedes weitere Mal mit dir…du machst mich völlig verrückt.“ Ich gab Juka einen langen Kuss und kuschelte mich an ihn. Kapitel 60: Marry Me -------------------- Gut gelaunt startete ich in den neuen Tag, mit neuen Ideen und wundervollen Plänen. Wir bekamen zwei Aufträge fertig und Juka besuchte mich an der Arbeit, um mir etwas zum Essen vorbeizubringen. Mir entgingen die Blicke meiner Kollegen nicht, doch ich ließ die Tür zu meinem Büro nicht offen. Später begleitete ich Juka noch nach unten. Flo kam ungefähr zeitgleich mit mir nach Hause, doch mein Liebster musste heute länger an der Arbeit bleiben. Ich holte mir ein kühles Bier aus dem Kühlschrank und ließ mich aufs Sofa plumpsen. „Ey Flo…findest du es sehr kitschig, wenn ich Juka nen Antrag machen würde?“ Mein bester Freund sah mich etwas irritiert an. „Weißt du denn was er vom Heiraten hält?“ „Wir haben früher Mal darüber gesprochen, aber ich will es…Flo, nach dem ganzen Scheiß, den wir durchgemacht haben, hätte ich nich mehr geglaubt, dass es zwischen uns überhaupt noch mal so funktioniert.“ „Süßer, ich weiß du schwebst gerade auf Wolke 7, aber warts erst mal ab. In nem halben Jahr kannste ihn immer noch fragen.“ „Aber wird sind jetzt fast zwei Jahre zusammen und es ist noch nichts Schlimmes passiert…ich meine im Vergleich zu meinen Beziehungen zuvor. Flo ich liebe diesen Mann so sehr.“ Flo lächelte mich ein bisschen traurig an. „Ich weiß, was du meinst. Tue was du nich lassen kannst, aber nur, wenn ich dein Trauzeuge sein darf und du keine spießige Hochzeit feierst.“ Ich musste lachen. „Sehe ich etwa so aus? Meine Feier wird alles andere als spießig.“ „Was für eine Feier?“, fragte Jule neugierig, die gerade aus Jojos Wohnung kam, weil sie auf Alice aufgepasst hatte. Ich lächelte sie an. „Naja Juka und ich vielleicht so…“ Jules Augen begannen zu leuchten und sie gab mir einen Kuss auf die Wange. „Ich glaub er flippt völlig aus…oh mein Gott, willst du das wirklich tun? Darf ich eure Hochzeit planen?“ „Jetzt beruhige dich erst Mal wieder, ich hab ihn noch gar nich gefragt und ich weiß auch nich, wann ich es tue. Also chill mal.“ Ich beschloss noch ein bisschen kreativ zu sein und zog mich im Proberaum zurück. Ich kramte ein paar ganz alte Songs wieder aus und komponierte sie ein bisschen um. Ich fühlte mich so beflügelt und wollte undbedingt mit Juka reden, doch wäre es nicht auch schön, eine passende Stimmung zu schaffen? Die Ringe ruhten schon seit einer Woche in der kleinen Schmuckdose auf meinem Nachttisch. Das wiedersprach meinen Grundsätzen, doch ich könnte mir nichts vorstellen, was ich lieber täte. Mein Hübscher war ein wenig geschafft von seinem langen Tag. Ich massierte ihn und beschloss noch bis zum Wochenende zu warten. Flo nahm also seinen ganzen Mut zusammen und schrieb Tatsuro. Er war gerade online und diese Chance nutzte er. F: Hey schöner Mann. Seid ihr wieder gut in Tokio gelandet? T:  Ja schon, aber bin ein bisschen platt. Geht’s dir gut? F: Du fehlst mir…aber sonst alles gut. T: Du mir auch. Schreiben wir morgen? Muss echt schlafen . Flos Magen krampfte sich zusammen. Doch er gab noch nicht auf. F: Bitte warte noch kurz…ich muss dir noch was sagen… T: ???? F: Weißt du…sorry wenn ich schon wieder damit anfange, aber du warst nach Kami der erste Mann, auf den ich mich wieder einlassen konnte…und naja…was wird das zwischen uns…war es für dich einmalig? T: Süßer, müssen wir das jetzt klären? Einmalig war es sicher nicht aber ich kann dir darauf noch keine 100%tige Antwort geben…so lange kennen wir uns nicht, aber lass es uns herausfinden, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Gute Nacht. F: Okay…schlaf gut. Naja, immerhin schien die Lage nicht ganz so ausweglos zu sein. Er machte sich für‘s Studio startklar und schaute wie ein paranoider Idiot in jeder freien Minute auf sein Handy, um zu checken, ob sich Tatsuro noch Mal gemeldet hatte, auch wenn er wusste, dass er jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit im Bett lag und schlief. Ein Tag verging und noch einer. Zum Glück bot mir die Arbeit im Tattoostudio ausreichend Ablenkung sonst wäre Flo wahrscheinlich irgendwann verrückt geworden. Nach einer Woche schwand seine Hoffnung langsam und er verfiel wieder seinen Selbstzweifeln. Genervt und mies gelaunt feuerte er seine Jacke auf das Sofa in seinem Zimmer und versuchte sich runter zu fahren, doch erschrocken und erfreut zugleich zuckte er leicht zusammen, als sein Blick durch den Raum schweifte. In seinem Bett lag dieser wunderschöne Japaner und schlief. Flo lächelte und beschloss ihn nicht aufzuwecken. Freundschaftlich gab er Lukas einen Klaps auf den Hintern, als er sich pfeifend ein Bier aus dem Kühlschrank holte. Dieser zog die Stirn in Falten und sah seinen Freund verwundert an. „Wer bist du und was hast du mit Flo angestellt?“ Flo lachte und öffnete die Flasche mit seinem Feuerzeug. „Naja, ich hab heut wohl unerwarteten Besuch bekommen…Tatsuro liegt in meinem Bett.“ „Und was machst du dann hier draußen?“ „Er schläft…glaub die letzten Wochen haben ihn echt mitgenommen. Aber er is hier Lukas…ich kann‘s noch gar nich glauben.“ Sein bester Freund lächelte ihn an und gesellte sich zu ihm. „Was hab ich dir gesagt?“ Nachdem die beiden eine Weile gequatscht hatten, nickte Lukas mit dem Kopf in Richtung von Flos Zimmers. Er drehte sich um und da lehnte Tatsuro im Türrahmen und sah ihn an. Seine langen schwarzen Haare stachen sich mit dem weißen T-Shirt und noch immer sah er ein bisschen müde aus. Flo schwang sich über die Lehne. Tatsuro zog ihn an sich und die Welt um ihn herum verschwamm, als sie sich küssten. „Was für eine Überraschung.“ „Das will ich hoffen…kommst du zu mir?“ Lukas zwinkerte Flo zu und er schloss die Tür seines Zimmers. Tatsuro machte es sich auf dem Bett bequem. Er griff nach der Flasche uns trank einen Schluck. „Wie kommt es, dass du hier bist?“, begann Flo das Gespräch. „Weil ich dich sehen wollte…genügt das nicht? Ich meine, ich bin dafür heute mehr als 1000 Kilometer geflogen.“ Flo lächelte etwas schuldbewusst und ihm wurde klar, dass er das nicht für jeden tat. „Na dann…schön dich zu sehen…sorry, ich bin immer noch ein bisschen…verwirrt, irritiert…keine Ahnung, ich kann nich denken, wenn du mich so ansiehst.“ Tatsuro lachte und küsste ihn. Kurz darauf waren die beide nackt und hatten unglaublichen Sex. „So jetzt können wir reden.“ Flo schüttelte nur mit dem Kopf und zog die Decke höher. „Ich wollte dich neulich nich bedrängen oder so…nur es fühlt sich schön an in deiner Nähe zu sein.“ Tatsuro schien seine nächsten Worte genauesten zu überdenken. „Flo…du hast mich keineswegs bedrängt, sonst wäre ich wohl nicht hier. Ich tue mich nur immer schwer mich schnell festzulegen. Ich meine es könnte ja auch sein, dass wir uns in ein paar Monaten auf die Nerven gehen…außerdem ist eine Beziehung bei meinem Lebensstil nicht gerade einfach…aber das weißt du sicher…“ Flo atmete tief ein und wieder aus. „Das verstehe ich doch…und ich bin sicher nich der Typ, der dir die ganze Zeit auf Schritt und Tritt folgt...klar, als Muiker is man viel beschäftigt, das wäre auch kein Problem, kenn das doch selbst. Lass uns sehen, was passiert. Hast du hunger?“ Er wollte sich aus dem Bett schwingen, doch Tatsuro zog ihn zurück. „Flo…ich möchte dir nur keine Dinge versprechen, die ich vielleicht später nicht halten kann. Du hast Angst davor wieder enttäuscht zu werden und das verstehe ich…deshalb lass es uns langsam angehen, denn ich will dich nicht enttäuschen.“ „Okay…jetzt lass uns was essen, ich verhungere sonst.“ „Hast du eigentlich mal darüber nachgedacht…über die Dinge, die ich dich neulich gefragt habe?“, begann Juka das Gespräch beim Frühstück. Nein natürlich hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, ob ich mich mit meiner Mum versöhnen wollte. Das schien er zu merken und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. „Süßer…vielleicht kommt irgendwann der Tag, an dem ich mich wieder besser mit meiner Mum verstehe, doch im Moment kann ich das nich…du hast Recht, das geht nich spurlos an mir vorbei, aber sie hat mich nun mal schwer enttäuscht und das will ich nich noch Mal erleben…das ertrage ich nich ein zweites Mal. Ich muss mir sicher sein, dass sie sich wirklich bemüht wieder einen Platz in meiner Familie zu bekommen.“ „Das klingt fair. Was machen wir heute noch? Vielleicht sollten wir einen Ausflug mit der kleinen Nervensäge machen.“ Ich lachte und war gar nicht so abgeneigt von dieser Idee. Ich fragte meine Schwester, ob sie mit Alice irgendwelche Pläne für heute hatte, doch sie verneinte. Also schnappte ich meine Nichte und wir gingen mit ihr auf den naheliegenden Spielplatz. Wir spielten fangen, natürlich rannte ich nicht so schnell, damit Alice eine Chance bekam und sie schnappte mich drei Mal, was sie sehr lustig fand. Vor Freude kreischend stolperte sie mit ihren kurzen Beinchen durch den Sand und die unebene Wiese, um vor mir wegzulaufen. Ich bekam sie trotzdem und wirbelte sie in der Luft herum. Sie quietschte und kniff die Augen zusammnen, wie es Kinder eben tun, wenn sie glücklich sind. Ich liebte dieses kleine Mädchen über alles und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Lukas, Eis essen?“, fragte sie und himmelte mich mit ihren Kinderaugen an. Natürlich bekam sie Eis, wenn sie mich so anschaute. Juka und ich nahmen Alice in unsere Mitte und spielten mit ihr Engelechen Engelchen flieg, während wir zum nächsten Café schlenderten. Alice wünschte sich wie alle Kinder dieses furchtbare blaue Schlumpfeis. Wir bestellten Kaffee. Und wie ich erwartet hatte, schaffte dieses kleine Monster ihr Eis nicht, aber Hauptsache erst Mal eins haben wollen. „Alice, du weißt doch, dass ich das nich mag. Iss wenigstens noch ein bisschen.“ Sie schaute mich bockig an und schüttelte mit dem Kopf. „Du bist ein unmögliches Kind.“ Wiederwillig aß ich noch ein bisschen vom Rest des Eises, ließ es dann aber auf meinem Teller liegen, weil man das beim besten Willen nicht runterbekam. Juka amüsierte sich köstlich und ich warf ihm einen warnenden Blick zu. „Wo ist Mama?“ „Mama ist arbeiten Süße, aber wir gehen jetzt heim, weil du Mittgasschlaf machen musst.“ „Nein, will nicht.“ „Das war keine Frage mein kleiner Schatz.“ Heftig schüttelte sie mit dem Kopf. Ich bezahlte und nahm Alice an die Hand. Sie jammerte, weil sie nicht mehr laufen wollte. Doch ich ließ mich nicht beeindrucken und motivierte sie das letzte Stück gegen mich ein Wettrennen zu veranstalten. Natürlich ließ ich sie gewinnen und trug sie das letzte Stück bis zum Haus. Meine Schwester stand in der Tür und schüttelte mit dem Kopf. „All meine Mühen werden von dir wohl über Bord geworfen.“ Ich grinste. „Klar, ich bin der coole Onkel, der ihr alles erlaubt. Aber ich glaub das kleine Monster ist müde.“ Alice schlief mir fast auf dem Arm ein und sie wollte, dass ich sie ins Bett brachte. Ich nickte auch kurz mit ein und schlich mich dann aus dem Zimmer. Juka wollte Abendessen kochen und ich half ihm beim Schnibbeln. Besser ging es fast nicht. Gemeinsam saßen wir mit einem Glas Wein noch auf dem Balkon. Mein Puls ging schneller und schneller. Juka lehnte sich an meine Schulter und dieses gewohnte warme Gefühl durchströmte meinen Körper. Ich verflocht seine Hand mit meiner und führte diese zu meinem Mund. Dann schaute ich ihm in seine wundervollen blauen Augen. Doch so sehr ich mich bemühte, ich war einfach nicht der romantische Typ. Deshalb kramte ich den Ring in meiner Hosentasche unauffällig heraus und steckte ihn Juka an. Dessen Augen weiteten sich. Ich zog ihn auf meinen Schoß. „Juka…willst du mich heiraten? Mit mir zusammen sein in Guten als auch in schlechten Tagen…mich lieben, vögeln und ehren?“ Jetzt musste mein Liebster herzhaft lachen und trank noch einen Schluck Wein. „Meinst du das gerade ernst?“ Ich verdrehte die Augen und jetzt war die Situation amüsant und auch ein bisschen peinlich. „Glaubst du wirklich ich kauf nen Ring und frag dich dann zum Spaß? Juka ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser beschissenen Welt…Du hast mir gezeigt, dass ich doch nich so ein Schwachkopf bin wie ich immer dachte…ich möchte mit dir zusammen sein…immer.“ „Du bist immer für eine Überraschung zu haben…Luki…ich hab zwar oft sowas erwähnt, aber ernsthaft Gedanken übers Heiraten hab ich mir tatsächlich nie gemacht…aber ja, ich will dich verruchten, sexbesessenen, heißen Kerl heiraten…wenn nicht dich, wen sonst. Ich liebe dich…so sehr.“ Sein Kopf senkte sich und seine Lippen legten sich auf meine. Diese wundervollen weichen Lippen, die auch so gern an anderen Stellen meines Körpers spürte. Ich zog Juka enger an mich und strich mit meinen Händen über seinen Rücken. Ein bisschen Gogotänzer like zog er sein T-Shirt über den Kopf und spielte mit seinen männlichen Reizen. Ich küsste seinen Bauch und öffnete seine Hose ein Stück. Juka leerte sein Glas und stellte es zur Seite. Er schob seine Hand verführerisch in seine Hose und bewegte sie auf und ab. Dieses Kribbeln durchfuhr meinen Körper. Ich erhob mich und drückte ihn unsanft gegen das Balkongeländer und liebkoste seinen Penis. Juka ergoss sich in meinem Mund und stürzte sich schon fast raubtierartig auf mich. Nach gefühlten Stunden voller feuriger Leidenschaft sanken wir beide auf das Sofa auf dem Balkon. Ich zündete mir eine Zigarette an. „Gibst du mir auch eine“, raunte Juka mir zu. Ich kam seiner Bitte nach. „Sind wir jetzt echt verlobt…fühlt sich verdammt gut an.“ „Du willst ja nur Matsamuto heißen“, necke mich mein Liebster. „Klar nur aus diesem einen Grund…langsam fröstelt es mich.“ „Du sitzt ja auch nackt draußen…gehen wir noch anstoßen?“ Kapitel 61: Alice- das ist dein Dad ----------------------------------- Ich nickte und nahm Jukas Hand. Ich zog mir nur eine Hose über und Juka tat es mir gleich. Wir stießen mit einem Glas Sekt an. Dann holte ich meine Gitarre und spielte für meinen schönen Japaner. Eine private Session nur für ihn ganz alleine. Plötzlich klingelte es an der Haustür und mich überkam das dumme Gefühl, dass es womöglich meine Mum mit ihren unerwarteten Besuchen sein könnte. Ich machte mir also nicht die Mühe schnell zur Tür zu kommen. Da ertönte die Klingel ein weiteres Mal. Ich verdrehte die Augen und öffnete, doch fast schlug ich sie im gleichen Moment wieder zu. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. „Na du hast ja Mut hier aufzukreuzen. Was willst du?“ „Lukas, bitte, kann ich reinkommen?“ Ein höhnisches Lachen entfuhr mir. „Nach deiner letzten Aktion sicher nich…du hast schon genug Chaos veranstaltet.“ „Ich meine es ernst…bitte…ich muss mit dir reden…unbedingt.“ Ich verdrehte die Augen ein weiteres Mal und ließ ihn ein. Juka warf mir einen fragenden Blick zu und ich winkte mit der Hand ab. „Wenn ich mich recht besinne, hast du doch eher was mit meiner Schwester zu klären oder?“ „Ja auch, aber da du immer schaust, dass es Jojo gut geht komm ich da nicht drum herum. Zuerst…Flo und ich haben gesprochen…deine Schwester ist mir nicht egal und ich will sie um eine zweite Chance bitten…ich wollte dir das vorher sagen und du kannst mich nicht abhalten mit Jojo zu reden.“ „Wow Naoki, du hast echt Mumm…und was ist, wenn sie nich mit dir reden will?“ „Das entscheidest nicht du…sondern Jojo…aber vorher noch…ich weiß, dass ich mich wie ein Arsch verhalten hab. Es tut mir leid Lukas…aber manchmal ist Jojo auch nicht so einfach. Ich will es wieder gerade biegen, ehrlich.“ Jetzt wurde ich hellhörig, meinte es Naoki tatsächlich so? Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm trauen sollte, aber würde jemand einfach aus Langerweile mal schnell so weit reisen um sich einen Scherz zu erlauben? Wohl eher nicht und außerdem machte Naoki nicht gerade den Eindruck, als wäre er zum Scherzen aufgelegt, im Gegenteil, was auch immer er die letzten Monate getrieben hatte, das schien sehr an ihm zu nagen. Sein Äußeres wirkte zwar gepflegt und stylisch wie immer, aber innerlich schien es ihm richtig mies zu gehen, das verrieten die eingefallenen Augen und die dunklen Ringe darunter. „Dann rede mit Jojo…aber erhoffe dir keine Freudensprünge ihrerseits.“ Er nickte und verschwand hinter der Tür zur Wohnung meiner Schwester. Juka hatte sich zurückgehalten, doch seine Augen schauten mich noch immer fragend an. Ich musste auf den Schock erst Mal eine rauchen. „Da bin ich ja gespannt.“ Ich nickte geistesabwesend. „Jepp…bin gespannt was mein Schwesterchen davon hält.“   Alice war schnell eingeschlafen und Jojo fühlte sich, als hätte sie gerade ein Zug überrollt, doch nach schlafen war ihr dennoch nicht. Jule kümmerte sich rührend um die kleine Maus und war ihr mehr als eine Hilfe. Doch das konnte sie von jedem hier behaupten und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hätte sie gerade von ihrem Bruder nie erwartet, dass er so einen Narren an seiner Nichte gefressen hatte. Gedanken an ihr Liebesleben zu verschwenden gab Jojo auf, denn das machte sie nur nachdenklich und ohnehin schien sie sich immer in die falschen Typen zu vergucken. Mit dem Babyfon in der Hand kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und setzte Tee auf. Da erhaschte sie im Augenwinkel eine Bewegung und drehte sich um und erstarrte augenblicklich, denn das, was sie da gerade sah, konnte unmöglich wirklich dort stehen. Und was, wenn er es doch war? Seine Erscheinung wirkte nahezu geisterhaft und schien gezeichnet von den letzten Monaten. Die schwarzen Haare verschwanden zur Hälfte unter der Kapuze seines Pullis. Jojo war nicht in der Lage zu sprechen, denn dann würde er vielleicht verschwinden. Mit langsamen zögernden Schritten kam er in ihre Richtung. „Naja…Lukas hat sich auch nicht so gefreut mich zu sehen.“ Endlich fand sie ihre Sprache wieder. „Wa-was um alles in der Welt tust du hier Naoki?“ Ein kaum merkliches Lächeln huschte über sein Gesicht. „Das, was ich schon lange hätte tun sollen…mich bei dir entschuldigen und naja…vielleicht sollten wir das zusammen durchstehen, Jojo. Darf ich sie sehen? Unsere Tochter?“ Auf einmal wurde ihr schwindelig und ihre Hände suchten an der Sofalehne Halt. Jojo träumte noch immer, das war eindeutig nicht real. Sie zwickte sich, merkte jedoch, dass es sehr schmerzte und verzog das Gesicht. Naoki schmunzelte, als er mitbekam, was sie tat. „Ich bin übrigens keine Einbildung…ich stehe hier…“ Er winkte ihr zu und sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Alice ist gerade eingeschlafen, aber du kannst gern hochgehen.“ Er folgte ihrer Handgeste und es war seltsam ihn dabei zu beobachten, wie er zum Schlafzimmer von Alice ging, um sie zu sehen. Was war passiert? Hatte Naoki auf einmal doch sowas wie ein Gewissen bekommen? Die Idee mit dem Tee verwarf Jojo schnell und trank den Wein, den sie gestern geöffnet hatte. Den Schock verdauen. In ihrem Kopf drehte sich alles. War Naoki nur da, um Alice zu sehen oder etwa auch ihretwegen? Das wollte und konnte sie fast nicht glauben. Wenige Minuten später kam er wieder zu ihr. „Sie ist wunderschön…Können wir reden?“ Jojo nippte an ihrem Glas ohne ihm auch etwas anzubieten. „Weißt du Naoki…du tauchst hier einfach auf und alles soll auf einmal wieder normal sein? Nur, weil du dich auf einmal entschieden hast, dass du Papa spielen willst?“, platzte es aus ihr heraus. Er setzte sich zu ihr und seine Augen wirkten müde. „Ich hab nie gesagt, dass alles wieder normal wird…ich war ein Arsch, aber du warst auch nicht ganz fair…tust so, als würde dich die ganze Bandsache nicht stören und dann gehst du einfach weg aus Tokio und wälzt alles auf mich ab…als wäre alles meine Schuld…du wusstest vorher, dass ich die Band habe.“ „Was hätte ich denn tun sollen? Ich war nicht glücklich Naoki…ich vermisste mein Leben hier und war mir nicht sicher, ob ich dir diese Last aufbürden soll…denn die zweite Möglichkeit wäre gewesen, dass du mich begleitest…“ „Und woher wusstest du, dass ich nicht mit dir komme? Bist du auch nur einmal auf die Idee gekommen, mich danach zu fragen? Das kam dann Monate später, als dir aufgefallen ist, dass ich dir doch fehle oder was? Und dann das vor zwei Jahren…ich bin nicht dein Spielzeug, das du immer dann haben kannst, wenn du gerade Bock drauf hast…“ Sie verschluckte sich am Wein, das ging ja wohl zu weit. „Was glaubst du eigentlich wer du bist Naoki? Spielzeug? Glaubst du wirklich ich sehe dich nur als netten Zeitvertreib? Du hast dich doch nicht mehr gemeldet…und ich renn dir nicht hinterher.“ „Ja…das Gefühl hab ich…du hast es nicht geschafft mir in 2 Jahren von Alice zu erzählen…warum? Dachtest du ihr seid mir egal? Jojo, du warst mir nie egal…immer gab es nur dich, seid ich dich kennenlernte…doch du bist so sprunghaft und es ist nicht so einfach dir alles Recht zu machen…ich dachte du willst mich irgendwann nicht mehr…und an dem Tag, als wir über Skype geredet haben…das war ein echt mieser Tag…davon gab es in den vergangenen Monaten mehr als genug und ich will nicht mehr…“ Die unsichtbare Kette, die ihr Herz zu zerdrücken drohte, lockerte sich ein bisschen. Sie war ihm also nicht egal? „Um ehrlich zu sein, ja, ich dachte ich wäre dir egal…deshalb hab ich dir nichts von Alice erzählt…ich ich…Naoki…es tut mir leid…wenn ich gewusst hätte…“ „Wenn du was gewusst hättest? Dass ich doch nicht so ein Arsch bin? Und ich dachte du kennst mich Jojo…das enttäuscht mich schon…ich habe dir damals in Tokio Dinge erzählt, über die habe ich vorher nie mit anderen Mädchen gesprochen. Doch du denkst jetzt auch, dass ich ständig andere habe…und du hast auch geglaubt, dass ich schon eine andere geschwängert habe…das war gelogen…aber glaub was du willst.“ Jojos Groll auf Naoki verflog und jetzt wurde ihr immer mehr bewusst, dass auch sie sich ziemlich mies verhalten hatte und er Recht mit dem, was er ihr vorwarf hatte. „Ja…ich war auch nicht fair dir gegenüber, das tut mir leid…“ „Naja immerhin…die letzten Monate waren einfach nur übel…unser Produzent dreht völlig am Rad…die Band geht immer mehr den Bach runter und wir alle haben noch immer nicht ganz überwunden, dass Kami nicht mehr da ist…aber ich will mir nicht mehr sagen lassen, was ich tun soll und was nicht…Hast du noch mehr Wein?“ Sie nickte und holte ein Glas für Naoki. „Echt so schlimm?“ Naoki seufzte und prostete ihr zu. „Auf was trinken wir?“, fragte er dann. „Wie wär‘s auf einen Neuanfang?“ Jetzt endlich kehrte sein hübsches Lächeln zurück. „Wirklich?“ „Naoki…ich hab dich doch auch nie vergessen und es tut mir mehr als leid, dass ich so schlecht von dir gedacht habe…aber ganz verübeln kannst du es mir nicht…doch jetzt sitzt du hier und erzählst mir all diese Dinge und möchtest Alice mit mir großziehen…das ist alles, was ich mir immer gewünscht habe.“ Ihr traten die Tränen in die Augen und Naoki nahm sie behutsam in seine Arme. Er roch wie immer und Jojo hatte ihn so sehr vermisst. Sie hatte niemals aufgehört ihn zu lieben. Sie strich ihm über die Wange und berührte seine wunderschönen Lippen. Er ergriff ihre Hand und küsste sie. „Ich hab zwar echt keinen Plan vom Kinder erziehen, aber…wird schon schief gehen…hast du ihr von mir erzählt.“ Jojo bejahte seine Frage mit einem Nicken. „Sie weiß, dass du ganz weit weg wohnst…aber glaub, das hat sie noch nicht so verstanden. Es ist schön dich hier zu haben….aber was ist gerade mit der Band und so, macht ihr überhaupt noch was?“ Naoki zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht…Juka ist ja gerade erst Mal hier und weiß nicht, ob er überhaupt wieder nach Tokio will.“ Jojo lächelte. „Möglich…aber nimm Lukas nicht so ernst…so ist er nun Mal.“ Jetzt setzte Naoki sein charmantes Lächeln auf. „Glaubst du echt, dass ich mir von deinem Bruder was sagen lasse? Es gab eine Zeit, da mochten wir uns sehr, doch dann keine Ahnung…seit ich was mit dir hatte spinnt er…und du gehörst zu mir Jojo, genau wie Alice…wenn er ein Problem damit hat…“ „Nein…ich will nicht, dass das mit einer Prügelei endet. Rede morgen einfach noch Mal mit ihm. Lukas ist kein Arsch, sondern nur vorsichtig…“ „Darf ich dich küssen? Das will ich schon die ganze Zeit.“ Jojo musste lachen und zog Naoki an sich. Ihr Körper zuckte leicht zusammen, als er über ihren Rücken strich. Natürlich blieb es nicht nur bei dem Kuss, denn danach hatte sie sich so sehr gesehnt.   Naoki erwartete mich am nächsten Tag in meiner Wohnung und er sah ein bisschen weniger fertig aus. Ich bot ihm Kaffee an, den er dankend annahm. Dennoch schien er sich nicht ganz wohl in seiner Haut zu fühlen. Aber meiner Schwester ging es demnach gut, denn ich hatte keinerlei Beschwerden gehört, also beschloss ich Naoki auch nett zu behandeln. Denn auch ich konnte mich täuschen. Er wollte gerade zum Reden ansetzen, doch ich schüttelte mit dem Kopf und schluckte den Kaffee runter. „Bevor du irgendwas sagst, hör mir bitte zu…ich bin ein schlimmer großer Bruder und hab euch gestern ein bisschen belauscht…ich finde es mutig von dir, dass du Jojo unterstützen möchtest und du hast meinen größten Respekt, denn glaub mir, das kleine Monster kann echt anstrengend sein…ich hab mich vielleicht in dir getäuscht Naoki und es gab mal ne Zeit, da haben wir uns echt gut verstanden…lass uns da ansetzen. Cheers.“ Spaßhaft prostete ich ihm mit meiner Tasse zu und er lachte nur. „Du und Juka also wieder...“ Ich nickte. „Ja letztendlich isses das Beste…mhh das klingt jetzt wie ne Notlösung, nein…ich hab‘s ohne ihn versucht und probiert ihn zu hassen, aber das ging nich….“ „Ohne dich war es unerträglich mit ihm…gerade bei Bandproben und so…ich hab ihn so oft verflucht. Ich hoffe ich bekomme das hin…mit Jojo und der Kleinen, irgendwie denke ich immer, dass ich was falsch mache.“ „Hey Naoki…glaub so viel kannst du gar nich falsch machen…immerhin bist du hier und denk, das bedeutet meiner Schwester viel. Und wir sind ja auch noch da. Bisher haben wir Jojo alle unterstützt und daran wird sich nichts ändern. Dir wird sicher niemand den Kopf abreißen, wenn dich das hier alles ein bisschen überfordert…ich könnt mir das nich mal im Traum vorstellen…glaub deshalb bin ich auch schwul.“ Naoki lachte. „Naja…es ist schön zu wissen, dass wir alle an einem Strang ziehen.“ „Klar. Wie lang bleibst du eigentlich hier?“, fragte ich dann. „Weiß nicht. Schon eine längere Zeit, weil in Tokio ist alles komisch gerade und meine Familie ist meist eh weg. Die reisen viel. Außerdem habe ich zuviel Party gehabt in den vergangenen Monaten…eine Pause tut gut.“ Kapitel 62: Ich bleib bei dir...immer ------------------------------------- Vor allem meinen Koleginnen im Büro entging nicht, dass ich einen Verlobungsring trug, doch bisher hielt ich mich immer sehr bedeckt, da mein Privatleben meine Sache war. Dennoch musste ich Schmunzeln, als sie hinter mir tuschelten. Mir war auch aufgefallen, dass sie mich schon das eine oder andere Mal bei Facebook gestalkt hatten, doch leider ohne Erfolg, denn mein Profil hatte ich so eingestellt, dass es nicht für jeden zugänglich war. Außerdem würden sie dann bedauerlicherweise feststellen müssen, dass ihr toller Chef auf Männer stand. Ich checkte meine Mails und nahm zwei Aufträge an, die ich sogleich an meine Mitarbeiter leitete und sie kurz mit ihnen besprach. Kurz vor der Mittagspause rief mich Juka an und wir trafen uns im Café nebenan. „Willst du nichts essen?“ Ich schüttelte mit dem Kopf und bestellte nur einen Kaffee. „Hab irgendwie keinen Hunger und fühle mich auch ein bisschen schlapp.“ Juka nahm meine Hand. „Willst du später zu Hause ein bisschen verwöhnt werden?“ Ich lächelte und nickte. „Das wäre traumhaft. Du kommst heute eher als ich nach Hause oder?“ „Jepp. Noch zwei Tage, dann ist schon wieder Wochenende.“ Ich wäre so gern länger hier geblieben, doch die Arbeit rief. Ich umarmte und küsste meinen Liebsten und schlenderte wieder in Richtung Büro. Eins der Mädels präsentierte mir stolz ihren ersten Entwurf. Ich gab ihr noch den einen oder anderen Verbesserungsvorschlag, machte ihr dennoch deutlich, dass ich sehr zufrieden war. Auf dem Heimweg rief mich meine Mum an. Auch das noch. Sie wollte sich dringend mit mir treffen, also verschob ich meinen gemütlichen Abend. Eins musste man ihr lassen, sie lief immer schick und gestylt herum. Ich machte ihr jedoch deutlich, dass ich es eilig hatte und essen wollte ich auch nichts, da Juka ja vorhatte für uns zu kochen. Ich zündete mir eine Zigarette an. Meine Mum umarmte mich, doch ich erwiderte ihre Geste nicht. „Wie geht es dir?“ „Komm gerade vom Arbeiten und bin ein bisschen kaputt...sonst ganz okay.“ Sie sah den Ring an meinem Finger. „Hast du dich verlobt?“ Ich nickte und bestellte meinen zweiten Kaffee heute. „Doch bevor du dir Hoffnungen machst, es is kein Mädchen.“ „Na dann. Solange du glücklich bist. Wie geht es Johanna?“ „Gut, sie jobbt jetzt nebenher als Tattoomodel…und das sollte dich auch interessieren, Alice Vater ist aus Japan gekommen, um sich um die beiden zu kümmern.“ Meine Mum zog die Stirn in Falten. „Tattoomodel? Hat sie das von dir?“ Ich verdrehte die Augen und nippte an meiner Tasse. „Klar, von wem sonst. Bist du mal auf die Idee gekommen, dass Jojo ihr Leben ganz allein bewältigt?“ „Naja vielleicht…aber ich frage mich manchmal woher ihr beiden das habt. Du warst ja genauso. Aber das ist wohl die heutige Zeit. Wie lang hast du deinen Freund schon?“ „Seit zweieinhalb Jahren. Hör zu, ich bin gerade nich in der Stimmung um mit dir Smaltalk zu halten. Sag mir einfach, was du willst.“ „Ist es etwa zu viel verlangt mit deiner Mutter einen Kaffee trinken zu gehen?“, fragte sie leicht empört. „Ja ist es, weil ich müde bin und nach Hause will.“ Ich zündete mir noch eine Zigarette an. „Na schön. Dann geh doch.“ „Ich habe ja nich gesagt, dass wir uns nich treffen können, nur bin gerade bissl gestresst vom Arbeiten. Wenn du möchtest kannst du ja später zum Essen kommen…weißt du Mutti…es fällt mir noch immer nich leicht auf einmal so locker mit dir zu reden…du hast mich sehr enttäuscht, aber ich würde dir gern ne Chance geben. Also komm vorbei, lern Juka kennen und vielleicht wird es ja irgendwann…“ Sie sah mich lange an und ein verunsichertes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Lukas, ich weiß, dass ich dich enttäuscht habe, aber ich will es wieder gut machen, versprochen.“ „Das glaub ich erst, wenn ich es sehe.“ Sie umarmte mich ein zweites Mal und ich fühlte mich auf einmal wieder so verletzlich. Denn egal wie wütend ich noch immer auf sie war, bestand dieses unsichtbare Band und auch meine Mum wusste das. Manchmal würde ich ihr so gern verzeihen, aber dann hielt mich mein Unterbewusstsein davon ab. Doch sie war meine Mum und der einzige Mensch, der mich wirklich noch ernsthaft verletzen konnte und davor fürchtete ich mich so sehr, deshalb hielt ich es für sinnvoller sie auf Abstand zu halten. Zu Hause fiel ich aufs Sofa und nickte sofort ein. Irgendwann wurde ich liebevoll von meinem schönen Verlobten geweckt. Noch immer steckte mir der Nachmittag mit meiner Mum in den Knochen und wenn ich daran dachte, dass sie in ein paar Stunden zum Essen vorbeikam, spürte ich diesen Kloß im Hals und mein Magen zog sich zusammen. Sie hatte mir auch schon geschrieben und Juka wollte kochen. Das beruhigte mich jedoch nicht, denn mein Problem war ein ganz anderes. So sehr ich mir auch immer wünschte, sie würde wiederkommen, kam ich jetzt so gar nicht damit klar. Es fühlte sich fast so an, als sei ich wieder 16 und musste dauernd diesen Konflikten standhalten. Juka schien nicht zu entgehen, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, doch tat ich das mit der Antwort einen stressigen Tag gehabt zu haben ab. Je näher der Zeiger auf der Uhr gen 19 Uhr rückte, desto mieser fühlte ich mich. Meine Mum kam völlig entspannt und tat so, als sei alles in bester Ordnung. Selbst bei meiner Schwester schaffte sie es das Eis zu brechen, nicht aber bei mir. Sie schäkerte mit Alice und ich erledigte den Abwasch. Dann brachte sie Alice rüber und ich spürte wie sie mich beobachtete. Und sie schien genauestens zu wissen, was ich tat oder auch nicht tat. Ihre Hand auf meiner Schulter ließ mich kurz inne halten. „Kann ich dir noch was helfen?“ Ich schüttelte den Kopf und schenkte mir noch Wein ein. „Nee, bin jetzt fertig.“ „Und habt ihr die Hochzeit schon geplant?“ „Noch nich…soll auch nichts Großes werden.“ „Und du bist dir sicher, dass du das willst? Ich meine…du wirst niemals Kinder haben können, zumindest nicht auf dem regulären Weg…“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Ich wollte auch noch nie Kinder, aber das kannst du ja nich wissen, weil du mich nie danach gefragt hast.“ Jetzt schien sie zu merken, dass es zwecklos war zu mir durchzudringen. „Lukas…sag mir was ich tun soll, damit das aufhört.“ Ich lachte traurig. „Das hättest du mich vor 10 Jahren fragen müssen…sorry, ich kann das nich…du bemühst dich, das sehe ich schon, aber es is zu spät…“ „Wäre es denn so schlimm, wenn du mir vergibst?“ Ich schwieg einen Augenblick, um die Gedanken in meinem Kopf zu ordnen und trank einen großen Schluck. „Was glaubst du denn, was ich versucht habe. Der Abend wäre ne Chance gewesen…aber irgendwas blockiert mich…womöglich mein Unterbewusstsein.“ „Lukas, es sind so viele Jahre vergangen und trotzdem bist du so nachtragend?“ Ich biss mir heftig auf die Unterlippe, als sich dieser krasse Gefühlsschwall von innen nach außen drängte. „Weißt du eigentlich, was du mir angetan hast? Ich glaube nich, denn offenbar hast du diesen Teil verdrängt…ich war nie gut genug für euch. Ich hatte neulich ne echt nette Begegnung mit meinem Vater, der mich versucht hat zu ruinieren, weil es ihn ankotzt, dass ich jetzt ne höhere Stellung hab als er. Weißt du wie frustrierend das nach all den Jahren noch ist? Und du? Bekommst es nich mal hin, dich um deine Tochter zu kümmern, wenn sie dich braucht. Du hast mich dauernd versucht umzuerziehen…mich gedemütigt…ich bin nur noch hier, weil mir meine Assifreunde mehr als einmal beistanden…die Menschen, die ihr so sehr verachtet habt sind dafür verantwortlich, dass ich jetzt hier stehe Mutti. Ich habe lange und oft überlegt, was ich dir sagen könnte, doch damals is was mit mir passiert und das is ein irreparabler Schaden…“ Meiner Mum wich die Farbe aus dem Gesicht. „Du hast nichts gelernt Lukas…und stur bist du noch dazu. Ich reiße mir hier den Arsch auf und du schätzt meine Mühen keinster Weise.“ „Jeh mehr ich mir wünsche, dass wir uns wieder verstehen, desto weniger kann ich es. Wie schon gesagt, mich habt ihr beide immer behandelt wie den letzten Dreck und ich hatte wirklich Hoffnung, dass es mit Jojo anders läuft, doch dass du deine eigene Tochter nich mal unterstützt, wenn sie schwanger ist? Armselig. Euer ständiger Kampf nach Macht und Anerkennung hat euch scheinbar blind für die wirklich wichtigen Dinge werden lassen. Und noch heute glaube ich, dass ich der Einzig normale in unserer Familie bin…ein Vater, der mich noch heute versucht zu verarschen und dann du? Ganz ehrlich Mutti…ich hab es versucht, aber jedes Mal, wenn ich dich sehe, schnürt es mir die Kehle zu…ich erinnere mich an früher, wie du mich mehr als einmal aus der Wohnung geschmissen hast und mir auch sehr oft deutlich machtest, dass du meinen Lebensstil nich dulden kannst…und jetzt willst du mich auf einmal zurück, weil dir einfällt, dass du was gerade biegen musst…zu spät, ich müsste mich selbst belügen.“ Tränen traten ihr in die Augen und auch mir fiel es alles andere als leicht, so mit ihr zu reden. „Aber Schatz…ich kann nich fassen, dass du sowas sagst…“ „Ich auch nich…aber es ist die Wahrheit….gute Nacht.“ „Aber Lukas, das kannst du nicht machen! Willst du mich ernsthaft nicht mehr in deinem Leben haben?“ „Ich kann nich, tut mir leid…und jetzt geh bitte.“ Ich leerte mein Glas und schenkte mir nach. Jetzt war es gesagt und dennoch fühlte ich mich mieser denn je. Mit Händen zu Fäusten geballt ließ ich meine Mum gehen. Langsam und ausgebrannt sank ich an der Küchenwand zu Boden. Mein Gesicht vergrub ich in meinen Händen. Diese Narbe blieb. Für immer. Juka versuchte sich mir zu näheren, aber auch er schien zu merken, dass es nicht so wie sonst war. Er strich mir behutsam über die Wange, doch ich sah durch ihn hindurch. „Süßer…kann ich was für dich tun?“ Jetzt begegneten sich unsere Blicke. „Nein…keiner kann das gerade…“ Jukas Augen wurden traurig. „Nicht mal ich?“ „Wenn ich es doch sage!“, fuhr ich ihn etwas schroff an. In meinem Kopf ließ sich kein klarer Gedanke fassen. „Lass es mich wenigstens versuchen…du bist gerade nicht wirklich du selbst…bitte.“ „Oh doch…nur was verstehst du denn von der Situation?“ „Mehr als du glaubst.“ „Ach ja? Stimmt, sicher lassen dich deine psychologischen Fähigkeiten auch bei mir nich im Stich.“ Juka lachte traurig und schlug mich mit meinen eigenen Waffen. „Das kannst du gut Luki…und ich dachte du zweifelst an deinem Selbstbewusstsein, als du mir erzählt hast, dass du das zerstörst, was du liebst…das hat wahrscheinlich bei deiner Mum oder meinetwegen auch bei Nici funktioniert, nicht aber bei mir.“ „Genau, jetzt verstehst du es…ich bin völlig gestört, kann mein Kindheitstrauma nich verarbeiten und bin unfähig mich zu binden…“ Juka drehte sein Weinglas nachdenklich in der Hand und sein Blick ließ meine Eingeweide gefrieren. „Klar…und ich bin nur ein dämlicher Typ der darauf hereinfällt. Aber soll ich dir mal was verraten? Du bist weder krank, noch gestört…du bist geprägt von den Ereignissen deiner Kindheit okay…alles andere findet in deinem Kopf statt. Du kannst deiner Mum nicht vergeben, weil sie dich verletzt hat…das hinterließ tiefe tiefe Narben in deiner Seele…diese hindern dich daran ihr zu verzeihen…“ „Warum erzählst du mir diesen Schwachsinn? Als ob ich das nich selbst wüsste.“ „Ich bin noch nicht fertig mein Schatz…darf ich Recht in der Annahme gehen, dass dich das Ringen um Anerkennung nicht stärker sondern schwächer werden ließ? Kein Mensch fügt seinem Körper sonst solche Schäden zu. Ich kenne deine Narben Inn und auswendig, jede einzelne und nicht deine Reaktion jetzt zeigt, wie sehr dir das weh tut, sondern deine Taten…die sprechen Bände…selbst mich weißt du zurück. Weil ich deine wahren Gefühle kennen könnte und das willst du nicht. Damals, als ich dich kennenlernte, dachte ich, das würde zu deiner Masche gehören…aber eher das Gegenteil traf zu…du versuchtest mit aller Kraft vor mir zu verbergen, was du wirklich fühlst, damit ich dich nicht verletzen kann...“ Wieder trank er einen Schluck doch war ich unfähig zu reden. „…Nahezu jede Beziehung, die du eingingst, scheiterte, weil fast jeder dich für arrogant und egoistisch hielt…dabei bist du soviel mehr…ich wusste viele Dinge sofort, ohne dich lange kennen zu müssen…aber soll ich dir noch was verraten? Du machst Fortschritte Süßer…denn so sehr du manchmal versucht alle von dir zu stoßen, fühle ich mich zu dir hin gezogen. Ich lasse dich nicht im Stich, weil ich weiß, dass dich genau das noch mehr trifft…ich glaub du willst das in Wahrheit gar nicht und wünscht dir jemanden, der dich trotzdem liebt, auch wenn du ihn zurückweist…ja, du hast Recht, ich weiß nicht wie es ist sowas zu durchleben, aber ich weiß wie ich mit Menschen umgehen muss, die ich liebe…du kannst mich noch so oft wegschicken…ich gehe nicht. Und ich habe mich geirrt, dein Selbstwertgefühl ist sehr geschädigt…ich war mir bis heute nicht hundertprozentig im Klaren, wie schlimm es wirklich ist, doch du leidest…mehr als du ertragen kannst, doch immer willst für alle da sein…den Helden spielen, was auch wunderbar ist, doch jeh mehr du anderen hilfst, desto weniger tust du für dich…“ Ich schluchzte und kippte zur Seite, doch mein Kopf sank in Jukas Schoß. Immer noch außerstande etwas zu sagen. „Ich wünschte wirklich du hättest mir all das früher erzählt Süßer…es bricht mir das Herz dich so zu sehen, doch ich bin da…immer.“ „Juka woher weißt du das? Was macht dich so sicher?“ „Weil ich noch keinen wie dich geliebt habe…du bist mein ein und alles…es war falsch von dir zu verlangen, mit deiner Mum Frieden zu schließen…das kann ich nicht für dich bestimmen.“ Mein Körper war völlig ausgelaugt und ich wollte nur noch in Jukas Armen liegen. An Schlaf war nicht zu denken. „Ich hab nich damit gerechnet, dass das heut alles so passiert. Eigentlich hatte ich nen harmonischen Abend geplant.“ Mein Liebster wischte mir die Tränen weg und küsste meine Hand. Ich setzte mich hin und lehnte meinen Kopf gegen seine Schulter. Was war gerade geschehen? Juka war noch hier und es war mal nicht wie sonst ausgegangen. So sehr ich ihm auch zeigte, dass ich das mit mir allein ausmachen wollte, entschied er sich dennoch bei mir zu bleiben. Scheinbar setzte er große Hoffnung in mich. „Tja, das hat wohl nicht so ganz funktioniert.“ Mein Pulli rutschte ein Stück über meine Schulter und der große Ausschnitt entblößte meine Brust ein bisschen. Ich sog die Luft ein, als seine Finger über die Narben glitten. „Das war die erste…damals hatte ich mich gerade wieder halbwegs mit meiner Mum vertragen und sie sagte sogar, dass es ihr egal is, wie ich rumlaufe…naja und ein paar Wochen später hab ich gehört, was sie wirklich von mir hält. Sie hatte ne Affäre mit ihrem Kollegen und redete vor ihm über mich…dass sie mich längst aufgegeben hat und so…alles blieb wie vorher und schnell wurde mir klar, dass ich mich durchaus immer mit meinen Eltern verstehen könnte…dafür musste ich nur meine Identität aufgeben…da bin ich ausgeflippt und hab meinen Spiegel zerschlagen.“ „Und die hier?“, fragte Juka und strich über den tiefsten Einschnitt. „War das Resultat eines Abends mit Jule…Nici wollte mir so gern helfen…sie versuchte mich immer zu verstehen, doch ich wies sie zurück. Sie war ein so wundervolles Mädchen, aber nich stark genug…sie schaffte es nie mich zu bremsen und ich hab sie kaputt gemacht…“ „Du hast sie sicher nicht kaputt gemacht…wie hat sie versucht dir zu helfen?“ „Sie wollte immer, dass ich mit ihr rede…ihr erzähle, warum ich mich mit meinen Eltern gezofft hab…dabei war der Grund immer derselbe und ich wollte nich dauernd darüber reden…“ Juka schwieg eine Weile und schien über irgendetwas nachzudenken. „Wie war das für dich, als deine Mum dir plötzlich sagte, dass sie dich doch mag?“ Ich lächelte traurig. „Naja, ich schöpfte neue Hoffnung…doch diese Hoffnung wurde immer wieder zerschlagen…wieder und wieder…und wieder. Irgendwann nahm ich das dann eben hin…was sollte ich auch tun? Deshalb folgten Jahre der Zerstörung aber ja, umso stärker ich werden wollte, desto schwächer wurde ich. Nie konnte ich diesen Schicksalsschlag überwinden…bis heute nich.“ „Hast du irgendwann mit jemandem darüber geredet?“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Oh mein wunderschöner Liebling…wie hast du das nur ertragen?“ „Naja…Flo und Basti waren immer für mich da…später lernte ich dann dich kennen.“ „Luki…ich ertrage es kaum deine Geschichte zu hören und doch will ich es, weil es der einzige Weg ist dich mir wieder näher zu bringen…aber es macht mich so wütend auf deine Eltern…wie können sie so herzlos sein? Und dann bin echt stinksauer auf dich, wenn wir früher darüber geredet hätten, wäre das vielleicht nicht passiert!“ „Jukaschatz…was passiert ist, ist passiert und du hast gerade mehr für mich getan als jeder andere, mit dem ich zusammen war. All das, was ich dir heute erzählt habe…das hab ich noch keinem vor dir gesagt…weil mich bisher nie jemand darauf angesprochen hat…Narben schrecken immer ab, weißt du…sie machen dich zu etwas Unnahbarem und jeder denkt sich seinen Teil.“ „Aber ich bin mit dir zusammen und es ist ein Teil von dir…warum sollte ich das ignorieren?“ „Weil du anders als alle anderen bist…nie hätte ich es für möglich gehalten, dass es jemanden wie dich gibt…immer redete ich mir ein, dass ich es nich verdient hab glücklich zu sein…ich war dauernd high oder betrunken, das war Glück in meinen Augen. Doch du hast mir eine andere Form von Glück gezeigt…es stimmt, ich habe die meisten Menschen, die ich liebe vergrault und das bestätigte immer, dass ich für keinen gut genug war…aber du? Du bist noch hier…und du liebst mich…“ „Ja das tue ich…kommst du mit ins Bett?“ Ich nickte und ging voran. Jojo war dieses Spektakel nicht entgangen und zutiefst betroffen hatte sie sich im Hintergrund gehalten. Ihr waren heute Dinge zu Ohren gekommen, bei denen sie sich nicht sicher war, ob sie diese hatte hören wollen. Dinge, die ihren Bruder und ihre Mutter betrafen. Eigentlich wollte Jojo nur noch mal zu Lukas und dann hörte sie ihn mit Juka reden. Zuerst stritten sich die beiden und dann erzählte Lukas Juka von früher. Sowas hatte er immer vor ihr verheimlicht, wohl zu ihrem eigenen Schutz, doch jetzt hasste sie ihre Eltern mehr denn jeh und zum ersten Mal verstand sie, warum ihr Bruder so war. Jojo zitterte und heiße Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie litt mit Lukas und würde ihm nie mehr Unrecht tun. Ihr wurde auch klar, weshalb er stets bemüht war die Familie zusammenzuhalten und warum er sich nach der Trennung mit Juka so verhielt. Damals verfluchte sie ihn, doch jetzt wurde ihr klar, was das mit ihm gemacht hatte. Wie mies musste man eigentlich sein. Juka war allein im Wohnzimmer und Jojo schlich sich zu ihm. Er zuckte kurz zusammen, als er sie bemerkte. „Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken.“ „Alles gut. Ich dachte du schläfst schon.“ „Wollte ich auch, aber ich hab euer Gespräch mitbekommen…ein zweites Mal sorry, man belauscht niemanden, aber ich wusste das alles nicht Juka. Lukas hat immer alles für sich behalten.“ „Jetzt wissen wir auch warum.“ „Ich glaube du tust ihm gut…danke für alles…“ „Nichts zu danken, er hat es verdient und ich glaub, wir haben noch viel Arbeit vor uns, aber es wird schon werden.“ „Ich dachte immer er nimmt das auf die leichte Schulter…doch als ich ihn heute gesehen habe…es war so furchtbar.“ Juka lächelte. „Ich weiß, aber es war gut für Luki drüber zu reden…Jojo, ich hab Fehler gemacht, die ich sehr bereue und ich werde ihn nicht noch Mal hängen lassen.“ „Das musst du mir wirklich versprechen.“ Juka gab ihr einen Kuss auf die Wange, kreuzte die Finger und sie sagten sich Gute Nacht. Jojo kuschelte sich zu Naoki ins Bett und schwor sich ihre Tochter niemals so zu behandeln. Kapitel 63: Brothers in Arms ---------------------------- Fabi mied es noch immer richtig mit mir zu reden, denn er wich nicht von seiner Meinung ab, dass Juka mir nicht gut tat. Ich jedoch hoffte, dass er sich irgendwann fing. Er schien in den letzten Monaten viel zu arbeiten, denn es gab auch Wochen, da bekam ich ihn gar nicht zu Gesicht und das wiederum bereitete mir große Sorgen. Auch Jojo konnte mir nicht sagen, was er in letzter Zeit so trieb und mich beschlich eine böse Vermutung. Immer, wenn ich versuchte ihn anzurufen, ging er entweder nicht ran oder drückte mich weg. Sein Zimmer schloss er meist ab. Juka beruhigte mich dahingehend, dass er vielleicht Zeit bräuchte mit der Situation klar zu kommen. Doch es ließ mir keine Ruhe. Und leider bestätigte sich meine Sorge, denn schon bald erhielt ich einen Anruf vom Krankenhaus und sofort machte ich mich auf den Weg. „Sind sie der Erziehungsberechtigte?“, fragte mich der Arzt. Ich nickte. „Ja ich bin sein Bruder und er wohnt bei mir. Was ist passiert?“ Der Arzt wurde sehr ernst und wies mich an ihm zu folgen. Wir ließen uns in einer Art Besprechungszimmer nieder. „Eine Passantin rief den Rettungsdienst an, weil ihr Bruder nahe des Hauptbahnhofes gefunden wurde, bewusstlos. Er hat sich eine Überdosis verpasst, doch wir konnten ihn retten. Ich weiß nicht, was sie für ein Verhältnis zueinander haben, aber wenn sie mich fragen, gehört er in eine Entzugsklinik oder müsste zumindest eine Therapie machen.“ Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und atmete tief ein und wieder aus. „Eigentlich war immer alles gut zwischen uns…danke, ich kümmere mich darum. Kann ich zu ihm?“ Fabi schlief und ich setzte mich an sein Bett. Was sollte ich nur tun? Ich schrieb Juka, dass alles soweit im grünen Bereich sei und ich wahrscheinlich die Nacht bei meinem Bruder verbringen würde. Ich nickte auf dem Stuhl ein wurde von den Sonnenstrahlen geweckt. Fabi sah mich an, sagte jedoch nichts. Nach zwei Tagen durfte er nach Hause, doch auch da redete er mit allen nur nicht mit mir. Ich schob ihm das Prospekt der Klinik hin, doch er warf mir einen verächtlichen Blick zu. Irgendwann bekam ich mit, dass er sich wieder einigelte und ich ließ es nicht noch einmal so weit kommen, deshalb arbeitete ich von zu Hause, hockte mich mit meinem Laptop vor sein Zimmertür und wartete. Fast wäre er über mich gestolpert. „Was wird das denn, werde ich jetzt überwacht?“ „Wenn es für dich so aussieht, dann ja.“ Er kam vom Badezimmer zurück und drängte sich an mir vorbei in sein Zimmer, ich folgte ihm, schloss die Tür und hockte mich davor. Fabi tat so, als würde es ihn nicht stören. Später baute er sich einen Joint, das ließ ich noch durchgehen, aber was ich dann sah, verschlug mir die Sprache und meine Alarmglocken läuteten. Mein kleiner Bruder wollte ernsthaft Crystal Meth nehmen. Ich sprang auf und hinderte ihn daran. „Bist du völlig bescheuert Fabi? Das also ist gerade deine Lieblingsdroge? Willst du dich umbringen?“ „Was interessiert dich das…jetzt wo du deinen tollen Lover wieder hast.“ „Warum lässt du es nich gut sein…Juka is meine Sache Fabi und falls du es nich mitbekommen hast, ich hab auch ne Menge Mist gebaut…egal, warum tust du dir sone Scheiße an?“ „Weil die Leute mit denen ich zusammen bin weitaus besser sind als meine tolle Familie hier. Sie versteh‘n mich.“ „Ach ja? Deshalb hat es sie auch interessiert, dass du halbtot warst und irgendeine Fremde den Notarzt gerufen hat. Fabi, das sind keine Freunde sondern Junkies, die so tun, als wären sie deine Freunde.“ „Sie waren ja selbst drauf und außerdem wäre ich wieder aufgewacht.“ Ich sah ihn verständnislos an. „Du hattest eine Überdosis…verdammt da wacht man nich so einfach auf. Wenn die dir im Krankenhaus nich geholfen hätten, wärst du tot!“, fuhr ich ihn jetzt an. „Na und? Mein Leben is eh beschissen. Außerdem hab ich bisher immer nur irgendwelche Pillen genommen, wollte Crystal halt mal ausprobieren.“ „Oh nein, das denkst du vielleicht…Fabi tue sowas nicht…ich wollte dich in der Klinik anmelden, weil ich nich weiter weiß.“ „Und wenn geh ich eh nich hin.“ Na schön, dann musste ich andere Geschütze auffahren. Ich telefonierte mit der Klinik und holte mir Rat. Dann versuchte ich mich um Fabi zu kümmern, verbrachte Zeit mit ihm in seinem Zimmer, damit er nicht auf dumme Gedanken kam. Ich spannte auch alle anderen mit ein, weil ich das Gefühl hatte, allein konnte ich das unmöglich schaffen. Flo meinte, dass ich mit ihm irgendwohin gehen sollte. „Wir könnten zum Beispiel nach Tokio fliegen und Tatsuro besuchen.“ Ich besprach das mit Juka und er fand die Idee gar nicht so schlecht. Also sagte ich Fabi, dass er ein paar Sachen packen sollte und wir machten uns auf die Reise. Mit meinem Chef hatte ich alles klären können und arbeitete zwar für meine Agentur, allerdings nur vom Laptop aus und Konferenzen hielten wir über Skype ab, da lobte ich mir die moderne Technik. Fabi schien froh zu sein, dass es doch nicht in die Entzugsklinik ging. Er redete noch immer nicht mit mir. Wie auch beim letzten Mal übermannte mich dieses wundervolle Gefühl, dass ich mich in Tokio irgendwie zu Hause fühlte. Die Wohnung, die Stadt, die Menschen, einfach alles. Mein kleiner Bruder wohnte in unserem Gästezimmer, das wir durch den Durchbruch in der Wand noch hatten einrichten können. Juka war meist außer Haus und Fabi und ich alleine und wenn er nicht mit mir redete, tat ich auch nicht dergleichen. Ich würde sogar sagen, dass ich dieses Anschweigen länger durchhielt als er. Manchmal, in einer ruhigen Minute dachte ich über seine Worte nach, dass seine vermeintlichen Freunde besser als seine Familie wären. Das wollte mir jedoch nicht einleuchten oder war ich wirklich so streng und auf Regeln bedacht? In manchen Dingen konnte ich das Handeln meiner Eltern sogar ein Stück weit nachvollziehen, nämlich, wenn es um die Sicherheit von einem Menschen ging, den man liebt. Nur leider nahm dieses Gefühl, jemanden in Sicherheit zu wissen bei meinen Eltern ab und es stand nur noch im Fokus mich in irgendeiner Art und Weise fertig zu machen. Warum auch immer. Doch war ich auch so? Klar stritt ich mit Fabi, aber doch nur, weil er mir wichtig war, dass es ihm gut geht. So funktionierte das nicht. Meine Konzentration war bei Null. Ich erhob mich und wollte zu Fabi gehen, um mit ihm zu reden, da er scheinbar dasselbe vorhatte, wären wir fast zusammengestoßen. Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht. Ich kochte uns Tee. „Lukas, können wir reden?“, begann er. Ich nickte und goss das heiße Wasser in die Kanne. „Weißt du, ich war vor ein paar Wochen bei meiner Mum…wollte sie sehen und so…sie hat sich auch mega gefreut,…aber weißt du…sie hatte gerade irgend nen Typen da…trinkt dauernd und…und das hab ich nich ertragen…es is anders als bei dir…du kommst aus anderen Gründen nich mit deiner Family klar. Aber es war so erniedrigend sie so zu sehen und ich hab mich ein bisschen geschämt…hab keine Ahnung was ich tun soll.“ „Naja…vielleicht nich gerade den nächstbesten Dealer suchen.“ Fabi zuckte mit den Schultern. „Schon, aber dann war da noch das mit Juka und dir…ich mein ich hab dich doch gesehen, als du so gelitten hast…deshalb versteh ich es nich ganz…auch wenn es nich alles seine Schuld war…ich check echt nich, was da bei euch los is.“ „Okay, erst mal zu dir. Das tut mir leid und du hättest jeder Zeit zu mir kommen können.“ „Ich weiß und es war dumm von mir, das nich zu tun…ich war glaub einfach nur echt angepisst…wegen Juka und so.“ Ich schüttelte den Kopf. „Na schön…jetzt sind wir ja hier und reden…Fabi ich weiß, dass es nich schön war mich so am Boden zu sehen, doch Juka ist wundervoll. Wir haben uns einige Dinge damals zu einfach gemacht und das war der Fehler. Passiert halt, aber wir haben uns gerafft und ich kann und will mit keinem anderem zusammen sein.“ Fabi schwieg eine Weile und nippte an seinem Tee. „Vielleicht verstehe ich das auch irgendwann mal. Lukas, es tut mir leid…alles. Ich hab nur manchmal solche Selbstzweifel oder Zweifel an anderen…irgendwie hab ich mir immer nen großen Bruder gewünscht, aber ich hab‘s dir nie wirklich gesagt. Außerdem, was hab ich in meinem Leben schon erreicht? Nich mal nen guten Schulabschluss hab ich…ich bin ein wahrer Versager. Bei den Mädels lande ich auch mehr schlecht als recht…es is alles gerade echt deprimierend.“ „Das klingt nach echten Problemen, aber keine Sorge, das bekommen wir hin.“ Fabi sah mich erwartungsvoll an. „Wie kannst du dir da so sicher sein?“ „Weil ich bisher alles hinbekommen hab…selbst Dinge, an die ich nich glaubte.“ Ich beschloss was zum Essen zu kochen, weil Juka bald nach Hause kommen würde und Fabi half mir. „Wann hast du eigentlich gemerkt, dass du auf Männer stehst?“ Ich musste lächeln. „Als ich Juka kennenlernte…erst dachte ich immer, dass er nur ein guter Freund wäre, aber irgendwann…ich war echt ziemlich betrunken…hatten wir was miteinander und da wusste ich es irgendwie…hat dann allerdings noch ne Weile gedauert, bis ich es wirklich gerafft hab.“ „Ich find‘s irgendwie cool…ich mein…naja…so kannst du mir zumindest kein Mädel ausspannen“, witzelte mein kleiner Bruder. „Nimmst du mir das mit Nina etwa immer noch übel? Und außerdem, was is mit dir und ihr? War dann wohl doch nich so schlimm was.“ „Ach weiß nich…haben uns ja noch ein paar Mal getroffen, aber ich glaub ich steh doch nich so auf sie.“ „Auf was für Mädchen stehst du denn so?“ „Keine Ahnung…es muss halt irgendwie passen…ich bin da glaub echt ein bisschen schüchtern.“ In dem Moment hörte ich, wie der Schlüssel in der Tür herumgedreht wurde und ich lächelte automatisch. Ich lehnte mich im Flur an die Wand und wartete. Juka trug sein Businessoutfit und die Brille. Er wirkte so anders, aber irgendwie süß. Als er mich erblickte, streckte er seine Arme aus, zog mich an sich und küsste mich. Nein, ich konnte und wollte niemals einen anderen Mann lieben. „Hallo mein Hübscher…hast du gekocht? Ich bin am Verhungern.“ „Ja, hab ich…zusammen mit Fabi.“ „Heißt das ihr redet wieder miteinander?“ Ich nickte. Nach dem Essen ließ uns Fabi allein und zog sich in seinem Zimmer zurück. Er war Juka gegenüber sehr nett gewesen und das beruhigte mich etwas. „Juka…es tut mir leid, dass unsere Beziehung schon wieder von so vielen Dingen beeinflusst wird…sicher hast du dir das auch anders vorgestellt, wegen Fabi und so…aber er is mein kleiner Bruder und ich kann ihn nich einfach im Stich lassen.“ Juka lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Das ist doch in Ordnung Süßer. Ich weiß worauf du anspielst…aber ich muss wohl auch lernen, dass das zu dir gehört und ich würde es nicht gut heißen, wenn du deinen Bruder sich selbst überlässt. Er kann froh sein dich zu haben.“ Ich lächelte. „Danke. Flo fragt ob wir am Wochenende was machen oder musst du arbeiten?“ „Nee, muss ich nicht. Hab eh die letzten Tage schon wieder viel zu viel gemacht. Halt mich mal davon ab“, scherzte er. Ich setzte mich auf seinen Schoß. „Das kann ich gut. Nur leider hab ich morgen auch noch ein bisschen zu tun.“ „Dann müssen wir uns was anderes überlegen…Luki, geht’s dir eigentlich gut?“ „Denk schon…da is immer noch diese eine Sache, aber ich komm damit klar…ich hab ja dich.“ „Meinst du deine Mum?“ Ich nickte. „Aber ich hab das Gefühl hier isses nich ganz so schlimm…ich liebe Tokio und würde sehr gern länger hierbleiben. Mein Chef meinte, ich könnte auch von zu Hause aus arbeiten, müsste mich halt alle paar Monate mal blicken lassen…aber hier das sind irgendwie wir…woanders fühle ich mich nich mehr heimisch.“ Juka sah mich lange an. „Das haben wir schon einmal versucht und es ist gewaltig nach hinten losgegangen…aber vielleicht hast du Recht. Wir könnten uns auch ein Haus kaufen oder eine große Wohnung…was sagst du dazu?“ Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich war gar nicht so abgeneigt von diesem Gedanken. „Das wäre schon cool…mit mehreren Schlafzimmern…vielleicht zusammen mit Fabi?“ Juka lächelte. „Wenn das dein Wunsch ist und ich glaub in Tokio finden wir was, wo man sich getrost auch mal aus dem Weg gehen kann…meinst du Fabi will das auch?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß ich nich…er braucht glaub schon Beständigkeit in seinem Leben. Ich rede morgen Mal mit ihm.“ Doch das hatte sich erledigt, denn scheinbar hatte er uns ein bisschen belauscht und kam wieder zu uns geschlichen. Er wirkte wie ein kleiner Junge, so unsicher und unbeholfen. „Sorry, ich wollte euch nich stören, kann nur nich pennen…was hab ich da gerade von Wohnung und Haus gehört?“, fragte er neugierig. Juka kam mir zuvor. „Dein Bruder und ich haben überlegt, ob es nicht schöner wäre eine größere Wohnung zu haben. Was meinst du dazu?“ Fabi sah uns abwechselnd an und ich wusste seine Miene nicht so recht zu deuten. „Heißt das ihr wollt hierbleiben?“ „Mich hat es schon immer mehr hier her gezogen Fabi, aber ich kann nichts für dich entscheiden…ich könnt verstehen, wenn du wieder nach Deutschland willst. Nur Juka und ich werden wahrscheinlich hierbleiben.“ Mein kleiner Bruder sah mich lange und etwas nachdenklich an, dann lächelte er. „Was hab ich denn dort schon? Vielleicht sollte ich auch irgendwo neu anfangen Lukas…ich will nur nich, dass ich euch zur Last falle oder so.“ „Nein tust du sicher nich…ich fände es schön dich hier zu haben, wir könnten auch zusammen Musik machen und so…naja und wenn das mit Flo und Tatsuro hält, lässt der sich bestimmt auch öfter hier blicken…und das mit der Band wird schon irgendwie klappen. Ich kann und will dich nur zu nichts drängen, nur denke ich auch, dass dir nen Tapetenwechsel mal gut tut.“ „Damit du auf mich aufpassen kannst?“ „Ich will nich auf dich aufpassen Fabi, du bist alt genug. Ich möchte dir nur eine Möglichkeit geben Beständigkeit in dein Leben zu bringen. Das so viel passieren musste, is auch meine Schuld. Ich glaub manchmal, dass ich dich zu oft dir selbst überlassen habe, dir zu viel zugetraut habe…dabei wollte ich nur der coole große Bruder sein.“ Fabi lachte. „So klein bin ich ja auch nich mehr, aber es ist schön, dass du das sagst und ich könnte mir das echt vorstellen…Deutschland kotzt mich irgendwie an…nichts klappt da und ich fühl mich so verloren dort. Kann unser Haus dann aber nen Pool und Sauna haben?“ Ich lachte. „Mal schauen. Wir können uns ja die nächsten Wochen ein paar Objekte anschauen.“ Juka küsste mich und verschwand im Badezimmer. Fabi verabschiedete sich ins Bett und auch ich wurde langsam müde und machte mich bettfertig. „Luki…willst du das wirklich? Ich meine, es ist ein großer Schritt…und naja, was wird aus Jojo?“ „Jojo hat Naoki und sie kann uns ja jederzeit besuchen kommen. Weißt du Juka, ich war jahrelang für andere da…was ja auch schön ist, aber ich wünsche mir eine Zukunft mit dir. Fabi wird vielleicht auch irgendwann seinen eigenen Weg gehen…ich muss weg aus meiner Heimatstadt…einerseits liebe ich es dort, aber andererseits hab ich das Gefühl, dort werde ich verrückt. Ich weiß, dass alles hast du so ähnlich schon mal gehört, aber jetzt ist es anders…ich sehne mich nach einem Leben mit dir…all meine negativen Gefühle scheinen hier und auch in deiner Nähe wie weggeblasen…und ein bisschen Recht hast du, als du damals sagtest, ich sollte vielleicht mehr in unsere Beziehung stecken…meine Freunde liegen mir noch immer sehr am Herzen, aber das tust du auch Juka.“ Er ließ sich der Länge nach zu mir ins Bett fallen. „Ich glaube dir.“ Kapitel 64: Jukas toller Chef ----------------------------- Wir fanden sogar recht schnell eine schöne große Wohnung mit offener Küche, großem Wohnzimmer, drei Schlafzimmern, zwei Bädern und einem großen Balkon. Ein Bad grenzte an Jukas und meiner Liebeshöhle, das gefiel mir und ich freute mich schon hier zu wohnen. Da wir viele helfende Hände hatten, ging der Umzug recht schnell über die Bühne. Meine Schwester wollte unbedingt zu Besuch kommen und wir peilten mal Ende Juli an. Juka und ich schafften es tatsächlich zusammen zu sein ohne zu streiten, doch fiel mir auf, dass er in den letzten Tagen sehr gestresst schien. Ich fragte ihn, was ihn bedrückt und vorerst tat er die Sache mit einer nichtssagenden Geste ab, doch mich beschlich das Gefühl, dass er gute Miene zum bösen Spiel machte. Schließlich rückte er mit der Sprache raus und erzählte mir, dass er Stress mit seinem Produzenten hatte. Eben dieser, weshalb unsere Beziehung zerbrochen war. Das machte mich unsagbar wütend und ich fragte mich langsam, warum Juka noch für ihn arbeitete. „Begleitest du mich morgen zum Geschäftsessen?“ Ich verdrehte die Augen. „Ernsthaft? Juka, du bekommst doch sicher nen besseren Job. Bist du es nich langsam Leid für diesen Schnösel zu arbeiten?“ „Dieser Schnösel sorgt dafür, dass ich so gut verdiene Luki“ „Ja schön…von mir aus.“ Da ich wusste, dass wir in einem edleren Restaurant dinieren würden, kleidete ich mich dementsprechend ein bisschen eleganter. Ich wollte Juka nicht böse sein, aber irgendwie nervte es mich, dass er sich so von diesem Idioten abhängig machen musste. Wir wurden von einem Kellner zu unserem Tisch geführt und dort wartete bereits ein in schwarz gekleideter Mann, dessen lange Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. Ich vermochte nicht zu sagen, wie alt er wohl sein konnte, doch er erweckte einen sehr reifen Eindruck. Und ein bisschen suspekt war er mir auch. Seine Lippen verzogen sich zu einem falschen Lächeln, als er uns erblickte. Wir schüttelten uns die Hände und er schien nicht mal überrascht, dass Juka in Begleitung erschien. Wir nahmen platz und sogleich kam ein Ober herbei geeilt und servierte Getränke, die der Typ scheinbar schon bestellt hatte. Es gab Wein und die Karte wurde uns gereicht. „Du bist also der sagenumwobene Lukas…schön dich endlich mal persönlich zu treffen.“ Ich stutzte und warf Juka einen fragenden Blick zu. „Schön, wenn mir mein Ruf voraus eilt“, gab ich zurück und die Gläser gaben ein zartes Kling von sich, als wir miteinander anstießen. Jukas Produzent stellte sich mir als Yoshi Tanaka vor. Wir bestellten eine große Platte Sushi und Juka trank seinen Wein ungewöhnlich schnell. Die Stimmung knisterte und ich hatte jeden Moment das Gefühl, sie könnte explodieren. Juka und sein Produzent plauderten über die anstehenden Projekte und ich hörte heraus, dass sie sich da nicht ganz einig zu sein schienen. Juka favorisierte irgendeine Band, die noch sehr neu zu sein schien, doch sein Produzent war dagegen. Ich klinkte mich ein und fragte, was sie denn für Musik machten und warum sie kein Potenzial hätten. „Es ist eben eine dieser neuen Popbands, die es schon wie Sand am Meer gibt. Davon brauchen wir nicht noch mehr“, kam Yoshi Juka mit seiner Antwort zuvor und ich merkte, wie ihn das aufbrachte. Er schenkte sich noch mehr Wein ein. Dennoch verlief das Dinner friedlich und keiner prügelte sich. Juka und ich waren später noch mit Flo und Tatsuro verabredet und nachdem der Abend so begonnen hatte, konnte es ja nur besser werden. Dachte ich zumindest. Ohne, dass es zu einer Einigung gekommen war, gingen wir getrennte Wege. „Ach Juka, wenn ihr später nichts vorhabt, kommt doch auf einen Drink bei meiner Party vorbei.“ Ich vernahm einen tiefen Seufzer von Jukas Seite. Wieder setzte er sein gespieltes Lächeln auf. „Mal sehen. Wir sind jetzt erst Mal verabredet und dann sehen wir weiter.“ Wir machten noch einen Abstecher nach Hause, weil sich Juka umziehen wollte und wir Fabi einsammelten. Mein liebster tauschte seine Hose gegen die enge Lackhose und darüber zog er einen beigen Pulli, der ihm allerdings nur bis kurz über den Bauchnabel reichte. Juka liebte es schon immer sich in Szene zu setzen und mich überraschte es jedes Mal aufs Neue, wie mich sein Sexappeal regelrecht umhaute. In seiner Hose, die nebenbei bemerkt auch perfekt auf seiner Hüfte lag, fädelte er noch einen Gürtel ein. Erst als er seine Plateaustiefel anzog, bemerkte er, dass ich ihn beobachtete. Grinsend stand er vorm Spiegel und frisierte seine Haare. Ich ließ mich auf’s Bett fallen. „Um Himmels Willen…wie kann man so unglaublich heiß sein…wenn ich dir weiter zuschaue, dreh ich durch.“ Seine Stiefel vibrierten leicht auf dem Boden, als er zu mir kam und das Bett gab unter seinem Gewicht etwas nach. Er kniete sich über mich, sodass seine Oberschenkel meine Beine streiften. Er duftete nach meinem Lieblingsparfum und nach Haarspray. „Liebster Schatz…dieses Kompliment kann ich nur zurück geben…doch macht es mich echt an, wenn du sowas sagst, aber das weißt du ja…“ Jukas Lippen, die eben noch fast mein Ohr berührt hatten, wanderten zu meinem Hals und dann zu meinen Lippen. Er biss mir in die Unterlippe und diese süße Leidenschaft floss durch meinen Körper. Seine Hüften bewegten sich gefährlich erotisch und ich spürte Jukas Erektion, was mich nur noch mehr in Fahrt brachte. Das einzige Problem war, wir hatten nicht mehr viel Zeit, deshalb ergriff auch ich jetzt die Initiative und glitt mit der einen Hand zwischen Jukas Beine und bewegte sie auf und ab. Mit der anderen Hand zog ich ihn näher zu mir heran um ihn noch mal zu küssen. Er riss mir förmlich die Klamotten vom Leib und schon waren seine Finger in mir, ich stöhnte auf. Dann drang er ziemlich heftig in mich ein und seine andere freie Hand lag zwischen meinen Schenkeln. Ich schob sie weiter nach oben und er holte mir einen runter. Mein Lustschrei, als ich kam war fast befreiend. Juka verschwand kurz im Bad und auch ich sprang noch mal fix unter die Dusche und stylte mich anschließend. Nicht, dass ich meinem liebsten Konkurrenz machen wollte, doch sollte auch er an diesem Abend ein bisschen schmachten, deshalb zog ich mein Misfits Tanktop über die enge Jeans. Meine Augen umrahmte ich mit schwarzem Kajal und los konnte es gehen. Als wir ins Wohnzimmer kamen, wartete Fabi schon gelangweilt vorm Fernseher. Er verdrehte die Augen. Wir grinsten uns nur an. Wir trafen uns erst in einer kleinen Bar und wollten später weiterziehen. Doch Juka hatte sich noch in den Kopf gesetzt einen Abstecher bei seinem Produzenten zu machen. Das gefiel mir ganz und gar nicht, denn Juka war ziemlich betrunken und ich wusste nicht, ob das gut ausging. „Juka lass doch den Mist, was erhoffst du dir davon?“ Doch Juka lachte nur und zuckte mit den Schultern. Zu spät, scheinbar hatten wir unser Ziel erreicht. Er klingelte und ich wusste nicht, ob ich diese schmierige Visage heute noch Mal ertrug. Yoshi Tanaka öffnete uns persönlich die Tür und schien offenbar hocherfreut uns zu sehen. Es gab ein Begrüßungsgetränk und Juka zog mich mit rein. Die meisten der Gäste hatten sich in eine elegante Abendrobe geworfen, naja und wir stachen da kleines bisschen heraus. War es das, was Juka wollte? Auf einmal umgab ihn eine schon fast mystische Aura. Wir stoppten bei zwei Männern, die Juka wohl kannte. Er stellte sie mir auch vor, doch merkte ich mir ihre Namen nicht. Sie redeten angeregt miteinander und ich sah Yoshi verdächtig zu uns rüberschielen. Und dann bekam ich auch mit warum, die beiden Jungs arbeiteten auch für ihn und Juka versuchte sie gerade von seinem Projekt zu überzeugen, wie auch noch ein paar andere Leute auf dieser Party. Nach etwa einer Stunde verließen wir Yoshis Haus und mich beschlich das Gefühl, dass er froh war uns los zu sein. Mich schien er mit seinem Blick töten zu wollen. Endlich bekam ich wieder Luft zum Atmen. Wir machten uns auf den Weg in einen der Undergroundclubs, wo sowas wie Eve of Destiny lief. „Hast du dem jetzt ernsthaft seine Party versaut?“ Juka lachte. „Ach das klingt aber böse, ich dachte du bist auf meiner Seite. Wenn er mich schon einlädt. Das gibt Krieg nächste Woche und dich hasst er übrigens auch.“ „Mhh, das war nich zu übersehen…aber warum?“ „Tja…er ist ein Arsch Luki…hast ja sicher mitbekommen, dass er verheiratet ist, aber dennoch hat er eine Schwäche für mich. Jetzt aber hat er dich kennengelernt und das grämt ihn. Denn ich hoffe jetzt lässt mich dieser Bastard endlich in Ruhe.“ Gut das leuchtete mir ein und ich hoffte wirklich, dass Yoshi seine Finger von Juka ließ. Wir tanzten noch ein bisschen und gingen dann früh, als die Sonne aufging nach Hause. Hand in Hand schlenderten wir durch die niemals schlafenden Straßen zu unserer Wohnung. „Juka…ich muss Sonntag für zwei Wochen nach Deutschland.“ Mein schöner Japaner blieb abrupt stehen. „Und das sagst du mir jetzt? Seit wann weißt du das denn?“ „Hab es heute Morgen erfahren.“ Juka ließ meine Hand los und lief ein paar Schritte vor mir. Ich schüttelte nur mit dem Kopf und zündete mir eine Zigarette an. Die letzten Meter redete er kein Wort mehr mit mir. Was sollte das denn jetzt schon wieder? Fabi war schon früher gegangen. Juka zog seine Klamotten aus und legte sich ins Bett. „Kannst du mir mal bitte sagen, was los is?“ Er drehte sich zu mir. „Weiß auch nicht, das zieht mich gerade voll runter…geht das jetzt immer so, dass du das so kurz vorher erfährst?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Weiß ich nich…wenn es dich so nervt, komm doch mit.“ „Ja genau, nach dem Mist heute renn ich einfach weg…das muss ich nächste Woche ausbaden. Dann ist es eben so…ich will jetzt schlafen.“ Ich legte mich auch hin, konnte jedoch nicht einschlafen. Warum war Juka auf einmal so komisch? Ich kuschelte mich an ihn und küsste ihn im Nacken. Ich merkte daran, wie er atmete, dass auch er noch wach lag. „Süßer, ich weiß, dass du noch nich schläfst…es sind nur zwei Wochen, dann bin ich wieder mehrere Monate da.“ Juka drehte sich zu mir und seine Gesichtszüge wurden wieder weicher. „Luki, dass isses nicht…nur ich hab ein bisschen Bammel vor nächster Woche…da wäre es schön gewesen dich da zu haben, aber schon okay.“ Kapitel 65: Traumhochzeit ------------------------- Ich flog dieses Mal auch wieder mit unserer privaten Maschine oder bessergesagt ich ließ mich fliegen. Das war wirklich Luxus und dieser ganze Flug und Check In Quatsch fiel weg. In meinem Haus legte ich mich auch noch kurz hin und am nächsten Morgen fuhr ich in die Firma. Meine Kollegen freuten sich voll mich zu sehen und sogleich stürzten wir uns in die Arbeit. Anfangs lief alles ein bisschen schleppend, aber nach ein paar Verbesserungen holten wir auf. Echt geschafft kam ich nach Hause und musste erst Mal zu Jojo, die hatte ich gestern gar nicht begrüßt. Sie hatte sogar gekocht, was für ein Schatz. Und auch meine kleine Alice kam gleich angerannt. Wir redeten kurz miteinander, dann verzog ich mich in mein Zimmer und versuchte Juka zu erreichen, er war tatsächlich schon wach und erzählte mir, dass es gar nicht so schlimm gewesen war. Das beruhigte mich. Mein schönster Tag im Frühling. Und heute sollte es soweit sein. Jetzt, da ich mich für meinen großen Tag in Schale warf, überkam mich doch noch die Nervosität. Nicht, dass ich einen Rückzieher machen wollte, nein, weil es eben Juka war und ich konnte es kaum noch erwarten ihn zu sehen. Sicher würde er wieder alle umhauen. Ich hatte keine Ahnung, was er am heutigen Tag tragen würde und freute mich wahnsinnig darauf meinen Geliebten im Hochzeitsanzug zu sehen. Ich trug ein schwarzes Seidenhemd, eine Anzughose und ein Brokatjacket. Auf den Schlips hatte ich dann aber doch verzichtet. Ich zog noch meine Schuhe an, die auch recht schlicht ausgefallen waren. Sie liefen vorne spitz zu und reichten ein bisschen bis über die Knöchel. Die Schnallen verzierten kleine silberne Totenköpfe. Ich spickelte aus dem Fenster und das Wetter hätte besser nicht sein können- Sonnenschein pur. Und ich im schwarzen Anzug, naja. Es klopfte an meiner Tür und Flo kam herein. Er hakte sich bei mir ein und geleitete mich zum Auto, mit dem wir zum Standesamt fuhren. Plötzlich wurde ich richtig nervös und mein bester Freund schien das zu merken und hielt mir den Flachmann hin. Ich lachte nur und nahm einen kräftigen Schluck. „Fuck…ich glaub ich sterb gleich…“ Flo legte seine Hand auf meine Schulter. „Nee, tust’e nich…weil du jetzt Juka heiraten wirst…wahh, das is übel krass. Von allen hätte ich gedacht, dass sie sich mal trauen, nur nich von dir.“ Ich gab meinem Freund einen Klaps auf den Hinterkopf und nahm noch einen Schluck. „Manchmal solltest du einfach besser den Rand halten.“ Ich leerte den Flachmann und fühlte mich ein bisschen entspannter. Beim Standesamt stiegen wir aus und meine Schwester nahm mich in Empfang. Ich hatte ihr versprochen, dass sie mich zum provisorischen Altar führen durfte. Sie warf mir einen skeptischen Blick zu. „Bist du schon wieder betrunken?“ „Niemals…“ „Lukas…du bist unmöglich.“ Plötzlich fühlte ich alles, was ein Mensch an positiven Emotionen fühlen konnte und mein Herz hämmerte so laut, dass es alle im Raum hören mussten. Jojo führte mich durch den Gang und alle starrten mich an, doch das realisierte ich gar nicht richtig. Meine Augen waren nur auf einen einzigen Punkt im Raum fixiert und ich fragte mich zum tausensten Mal, wie ein Mensch nur so wunderschön sein konnte. Juka war schon immer der Paradisvogel von uns beiden gewesen, doch heute übertraf er alles an Schönheit und Eleganz, wenn das überhaupt möglich war. Seine schwarzgoldene Hose betonte seine langen Beine und schloss perfekt mit dem weißgoldenen Hemd ab. Darüber trug er ein schwarzes Samtjacket mit goldenen Stickereien am Kragen und an den Ärmeln. Die Spitzenärmel des Hemdes lugten hervor, was sicher so gewollt war. Sein Blick traf mich und seine Lippen formten das Wort Wow. Das galt wohl mir. Als wir dann endlich nebeneinander standen, begann die Standesamttante ein bisschen was zu erzählen, wie wir uns kennenlernten, ein paar Anekdoten aus unserer gemeinsamen Zeit und dann kam sie zu dem Antrag. Doch mir war es unmöglich richtig bei der Sache zu bleiben. „Lukas Sennert, ich frage dich, ist es dein eigener und freier Entschluss, mit dem hier anwesenden Juka Matsamuto die Ehe einzugehen, so antworte mit Ja…“ Oh, diese Worte gaben mir gerade den Rest, denn es klang so endgültig. Mein Körper schien nur noch aus einer Art Puddingmasse zu bestehen, die jeden Moment in sich zusammenfiel. Juka lächelte mich an und nahm meine Hand. Ich erwiderte sein Lächeln und der Pudding verwandelte sich in flüssiges Glück. „Ja…“, antwortete ich endlich. „Juka Matsamuto, ich frage dich, ist es dein eigener und freier Entschluss, mit dem hier anwesenden Lukas Sennert die Ehe einzugehen, so antworte mit Ja…“ „Ja.“ Nachdem wir uns die Ringe angesteckt hatten, kam endlich das Ehegelübde. Ich war mir sicher, dass Juka etwas Tolles sagen würde, doch ich fand meins auch nicht übel. Mein liebster ließ mir den Vortritt. Ich räusperte mich und sah Juka in die Augen. „Mein liebster Juka, es fühlt sich echt schräg an jetzt hier zu stehen, wissend, dass alle mich anstarren und voller Erwartungen sind oder auch denken, dass ich das hier verkacke. Aber man heiratet nur einmal…eigentlich…bei mir soll‘s auf jeden Fall bei diesem einen Mal bleiben.“ Ich warf einen Blick auf meinen Zettel, zerriss ihn kurzerhand und beschloss spontan wie immer zu sein. Flo kicherte hinter mir und auch Juka grinste. Also fuhr ich fort. „Sind wir doch mal spontan…denn wenn ich spontan bin, entstehen immer die besten Songs oder die ehrlichsten Texte…ich könnte dir meine Gedanken von gestern vortragen, aber das wäre ja langweilig…außerdem welcher Idiot ließt seine intimsten Worte an solch einem Tag von nem beschissenen Zettel ab…also, jetzt…Juka…du wunderschöner Mann, der es geschafft hat meine Seele zu berühren und zwar schon, als wir uns in der kleinen Bar trafen. Du warst an diesem Abend etwas besonderes für mich, weil du mich aufgefangen hast…ich hab die ganze Zeit auf deinen Hintern gestarrt, als du den Sekt an der Bar geholt hast und hab dich insgeheim schon damals echt heiß gefunden. Nichts desto trotz…der Weg bis zum Hier und Jetzt war schon hart und steinig…ich bin nich einfach, ein echter Sturkopf und manchmal auch ziemlich egoistisch. Ich glaub ich hab auch dich an deine Grenzen gebracht, doch du hast mich nie aufgegeben. Manchmal versteh ich bis heut nich ganz warum. Vielleicht magst du das Chaos ja, mit mir wird’s wenigstens nie langweilig. Juka…du machst mich glücklich, ein Zustand, den ich wohl nie ganz begreifen werde…aber es ist schön und mit dir an meiner Seite fühle ich mich stark und unbesiegbar, das hat mir bisher noch keiner geben können. Ich hab mich den ganzen morgen gefragt, was du wohl anhaben könntest…wie du mir heute gegenüber trittst, aber es ging nicht…ich konnte es mir nicht vorstellen, weil du in solchen Dingen einfach unschlagbar unberechenbar bist…so war es auch…ich sehe dich und könnt heulen vor Glück, weil du so wunderschön bist…mein wunderschöner Japaner…ich liebe dich bis in alle Ewigkeit.“ „Wow…Luki, was soll ich da noch sagen…manchmal hätte ich gern deine Spontanität…aber ich bin eher der Ordnungsfreak und alles muss geplant sein, doch du schaffst es immer wieder mit Erfolg meine Ordnung völlig durcheinander zu bringen und das ist wundervoll, denn du hast Recht, ohne dich wäre mein Leben grau und langweilig. Keiner, der mich mitten in der Nacht anruft, nur weil er was Schlimmes geträumt hat oder dann wäre da auch keiner, der mir einfach nach Tokio folgt, nur um mir zu sagen, dass er mich liebt. Süßer…mich macht es ebenso glücklich dich zu haben, denn…wie soll ich sagen…oft sagt man mir nach, dass ich stark und selbstbewusst wirke, doch das bin ich nur mit dir an meiner Seite…du hast mir viel beigebracht und durch dich habe ich erfahren dürfen, was es tatsächlich heißt, jemanden bedingungslos zu lieben, denn das tue ich…dich lieben…für immer.“ Dieser Kuss jetzt war anders als alle anderen, denn von nun an waren wir auf Ewig miteinander verbunden und dieses Gefühl war mit Worten kaum zu beschreiben. Ich hatte eine relativ kleine und gemütliche Location am Fluss gemietet, die eine Bühne mit einer Strandbar besaß. Ein Teil war auch überdacht, falls das Wetter nicht mitspielen sollte, doch heute war einfach alles perfekt. Der Weg vom Standesamt zu der Strandbar war nicht besonders weit, doch Juka und ich wurden mit dem Cabrio chauffiert. Bei der Strandbar angekommen, trennte ich mich von meinen Schuhen und meinem Jacket. Wir nahmen die Glückwünsche unserer Gäste entgegen und all diese rührenden Worte ließen mich fast sentimental werden, vor allem bei Jukas Mum. Nach diesem Teil folgte nun endlich der angenehme Teil- essen, trinken und feiern. Unüblicher weise erheiterte ich mein Gemüt mit Cocktails, versuchte mit allen zu reden und genoss meinen Tag. Auf Jukas und meinen Wunsch bestand das Buffet nur aus vegetarischen Köstlichkeiten. Als sich die Sonne dem Horizont neigte wurde unsere Party gecrashed. Wie hätte es auch anders sein können. Ein paar unserer Freunde standen gerade auf der kleinen Empore und erzählten Anekdoten über mich oder Juka. Doch diese Idylle wurde nun gestört, als meine Eltern den Platz am Mikrofon einnahmen. Auch noch beide zusammen, das musste sie sehr viel Überwindung gekostet haben und ich fragte mich tatsächlich wer wen am Ende überredet hatte. Ich zog meinen Stuhl direkt vor die Bühne und setzte mich mit den Armen auf die Lehne gestützt abwartend darauf, um zu lauschen, was mir meine tollen Eltern zu sagen hatten. „Mein lieber Schatz…ich kann noch immer nicht glauben, dass du mir das antust. Auch wenn wir uns nicht so nahe standen, hättest du uns wenigstens einladen können…das trifft uns sehr hart“, begann meine Mum. Naja, das war noch nicht schlimm. „Da kann ich mich nur anschließen mein Sohn. Ich kann nach unserem letzten Treffen nicht erwarten, dass du mir wohl gesonnen bist…du hast mich zutiefst beeindruckt und gebe zu, früher hätte ich nie gedacht, dass aus dir mal was wird. Scheinbar ist meine Denkweise gegenüber mancher Dinge doch etwas altmodisch.“ Meine Mum warf mir ein scheinheiliges Lächeln zu und ich erwiderte es sehr gezwungen, sodass es fast weh tat. Plötzlich stand Juka neben mir und legte seine Hand auf meine Schulter. Ich signalisierte ihm, dass alles in bester Ordnung sei. Dann erhob ich mich und schritt langsam und so würdevoll wie möglich zu der kleinen Empore, stellte mich zwischen meine Eltern und legte den rechten Arm um meinen Vater und den linken um meine Mutter. „Mh, schon fast beeindruckende Worte und noch beeindruckender, dass ihr gekommen seid, ohne dass ich euch eingeladen habe…aber hey, ich mag Überraschungen. Mama, Papa….danke für eure liebevollen Worte, aber…sie sind mir scheißegal…oh verzeiht meine Ausdrucksweise, in gehobenen Kreisen drückt man sich ja etwas gediegener aus. Schön, ihr seid also hier um alles wieder gerade zu biegen, was ihr in den letzten 10 Jahren verbockt habt? Sorry…da kommt ihr zu spät. Mhh ich kenn mich nich so gut aus, was macht man mit ungeladenen Gästen, die einem die Hochzeit vermiesen wollen? Ich könnt euch rauswerfen lassen, aber das wäre nich lustig.“ Meine Mum warf mir einen verstohlenen Blick zu und mein Vater schien es auch nicht witzig zu finden. „Es ist witzig, dass gerade ihr beiden, meine Eltern heute gekommen seid, denn so habt ihr endlich mal die Gelegenheit meine Freunde kennenzulernen…also ich meine die Leute, die ihr immer als drogenabhängige Assis bezeichnet habt.“ Ich ließ meine Eltern stehen und ging einen Schritt zur Seite und schaute in die Menge. „Lukas was wird das hier?“, fragte meine Mutter etwas pikiert. Ich konnte mir ein herablassendes Grinsen nicht verkneifen. „Lass dich überraschen…so jetzt wird’s ein bisschen kitschig…Basti, Flo, Jojo und Fabi würdet ihr mal zu mir kommen?“ Meine Freunde folgten meiner Bitte und traten an meine Seite. Flo grinste mich an und er schien als einziger zu wissen, was ich vorhatte. „Mama, Papa…darf ich euch meine Freunde vorstellen? Ich weiß, vom Sehen her kennt ihr euch, aber jetzt lernt ihr euch vielleicht auch ein bisschen kennen…wobei, wenn ich genauer drüber nachdenke will ich das gar nich…diese vier Menschen, die gerade neben mir stehen waren schon immer meine wahre Familie. Nicht ihr und ich denke durch meine Freunde habe ich alles fürs Leben gelernt…alles, was ihr mir niemals beigebracht habt, weil ich ja der böse Satanistegruftinsohn war, den ihr nie haben wolltet. Aber einen habe ich noch vergessen…Juka?“ Mein Vater funkelte mich mit bitterbösem Blick und meine Mum, waren das etwa Tränen, die da in ihren Augen glitzerten? Wie rührend. Auch Juka trat zu uns und dann tat er etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Er ging zu meinen Eltern hinüber. „Herr und Frau Sennert, ich kann nicht behaupten, dass es mich freut Sie beide endlich mal kennenzulernen…ich kenne Lukas schon sehr lange und manchmal hätte ich mir gewünscht seine Eltern zu treffen, doch nachdem, was er erzählt hat, ist es wohl besser, dass sich unsere Wege erst jetzt kreuzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie wissen, was für ein wundervoller Mensch Lukas ist und das ist sehr bedauerlich. Es hat mich sehr viel Kraft und Arbeit gekostet Lukas jetzt da zu haben, wo er ist, doch ich würde es immer wieder tun, weil ich Ihren Sohn von ganzen Herzen liebe und es keinesfalls mehr dulden werde, dass es Menschen gibt, die ihm weh tun.“ Mein Liebster nahm mich in die Arme und küsste mich. Das schien meine Eltern noch mehr zu treffen und ich feierte innerlich meinen Triumph. „Du kannst uns nicht von deiner Schwester fernhalten und schon gar nicht von Alice. Auch wir haben ein Recht darauf unsere Enkeltochter zu sehen. Die ja scheinbar unser einziges Enkelkind bleiben wird, wenn man bedenkt, dass du niemals Kinder in die Welt setzt“, konterte mein Vater. Doch ich blieb standhaft. „Was nur weil du denkst schwule Pärchen können keine Kinder haben? Das ist in deiner Welt vielleicht so, doch du solltest mal nach vorne schauen, wir haben uns entwickelt. Aber soweit willst du nicht denken…für dich bin ich doch ohnehin ein Klotz am Bein…wie geht’s deiner Firma eigentlich? Ich hoffe der Schaden is nich zu groß? Und natürlich kann ich euch nich verbieten Jojo und Alice zu sehen, die Frage is halt, ob sie das wollen.“ Jetzt wurde meine Mutter leicht hysterisch. „Lukas…das kannst du nicht tun! Du kannst doch deine Eltern nicht ernsthaft aus deinem Leben streichen!“ „Warum sollte ich das nich können? Ihr habt es beide geschafft, dass ich euch gegenüber nichts mehr empfinde. Der Zug is abgefahren. Wie gesagt die Zuneigung hättet ihr mir vor zehn Jahren geben sollen…jetzt komm ich tatsächlich allein klar. Ihr habt immer gesagt, ich werde es mal zu nichts bringen und was jetzt? Ich leite ne ziemlich große Firma mit, bekomme ne Menge Geld und wisst ihr was? Auch wenn ich viel Geld verdiene, stelle ich mich nich auf ein höheres Podest, um zu beweisen, dass ich was Besseres bin. Denn Geld allein kann niemals glücklich machen, das habt ihr mir gezeigt. Und jetzt noch was…ich bin kein Arsch und schmeiße niemanden raus, aber ich denke nach dieser Ansprache geht ihr freiwillig.“ Wir schnitten unsere Torte an, die die Form einer riesigen Gitarre hatte, in den Farben schwarz weiß und grün. Dann holte ich noch einen Cocktail an der Bar und gesellte mich zu meinen Gästen. Die Runde wurde langsam kleiner und plötzlich tauchten weitere Überraschungsgäste auf, dieses Mal allerdings welche, über deren Kommen ich mich tatsächlich freute. Denn es waren meine Arbeitskollegen, meine vier besten Mädels. Ich empfing sie herzlich und holte ihnen etwas zum Trinken. „Wow, Sie sehen so toll aus.“ Ich winkte mit der Hand ab. „Lassen wir doch ab heute diese Förmlichkeiten. Ich bin Lukas“, sagte ich scherzhaft, denn mir war ja klar, dass die Mädels meinen Namen kannten. Wir stießen an. Von hinten umfingen mich zwei Arme und die Augen meiner reizenden Kolleginnen weiteten sich. Eine verschluckte sich sogar an ihrem Sekt und mir entfuhr ein herzhaftes Lachen. „Siehst, du ich hab dir doch gesagt, dass Herr Sennert…ähm Lukas nicht auf Frauen steht“, meinte Kristin. „Na ihr Süßen, habt ihr das Rätsel jetzt endlich gelöst? Ihr hättet mich auch einfach fragen können.“ Juka stellte sich den Mädels jetzt selbst vor und sie schienen ihn auch sehr charmant zu finden. „Naja, aber du bist unser Vorgesetzter. Das macht man dann doch eher nicht. Aber ich hab immer ein bisschen vermutet, dass du nicht auf Frauen stehst“, sagte Kristin erneut. „Warum isses so offensichtlich, dass ich schwul bin?“ „Nee, nicht unbedingt, aber ich hatte es im Gefühl.“ „Interessant. Naja und mein Facebookprofil hat euch ja auch nich weitergebracht“, witzelte ich. Sina sah mich mit einer Mischung aus Entsetzen und peinlich berührt an. „Du wusstest davon? Dabei waren wir doch immer so vorsichtig.“ „Kein Problem, ich hätte meinen Chef sicher auch gestalkt. Aber Mädels, alles was heute Abend hier passiert, bleibt hier okay?“ Die grinsten mich an. „Aber klar doch Chef.“ Basti spielte ein bisschen DJ und kramte alte Sachen von früher raus. Fever Ray. Juka zog mich auf die Tanzfläche. Dort waren wir nicht die einzigen, die das Tanzbein schwangen, doch wohl die einzigen, die sich mit Blicken fast auszogen. Dieser Mann, nein mein Mann wusste einfach, wie er mich um den Finger wickeln musste. Seine Hände glitten unter mein halboffenes Hemd und sein Mund liebkoste meinen Hals. Wir befanden uns zwar in der tanzen Menge, trotzdem überkam mich das Gefühl, dass alle uns anstarrten. „Ich würde gern mit dir verschwinden“, raunte mir Juka zu und das musste er mir nicht zwei Mal sagen. Unten am Strand war keiner und mein Liebster drückte mich unsanft in eine der Strandmuscheln. Er löste auch die letzten paar Knöpfe von meinem Hemd und blickte voller Begierde auf mich herab. „Nach was steht dir der Sinn?“ Juka zog mir meinen Vollfingerring mit der Kralle vom Finger und steckte ihn sich an. Ich grinste ihn verführerisch an, doch er setzte ihn bei sich selbst an. Das hatte er noch nie getan. „Bist du sicher, dass du das willst?“ Er nickte und umschloss meine Hand mit seiner. Langsam setzte er am Schlüsselbein an und die Kralle hinterließ eine Blutspur. „Es brennt ein bisschen, aber irgendwie fühlt es sich gut an. Ich glaube wir sollten sowas öfter ausprobieren.“ „Du bist echt verrückt, aber ich kann damit leben“, sagte ich und zog Juka an mich, um ihn zu küssen. Mein Körper brannte wie Feuer und ich wollte Juka haben, ihn spüren und meinetwegen könnte das die ganze Nacht andauern. Doch unsere Gäste warteten sicher auf uns, also mischten wir wieder unters Volk. Kapitel 66: Flitterwochen ------------------------- Meine Schwester wünschte sich, dass wir noch eine Weile blieben und da wir ohnehin unsere Flitterwochen planten, kamen wir ihrer Bitte nach. Außerdem hatte sie für Alice einen Kindergartenplatz gefunden und fragte mich, ob ich sie bei der Besichtigung begleiten könne. Ich kannte den Kindergarten sogar, was heißt kennen ist wohl der falsche Ausdruck, er befand sich in unserer Wohngegend und ich war schon ein paar Mal daran vorbeigelaufen. Vor allem ist mir der große Garten positiv aufgefallen und ich war auf den Innenbereich gespannt. Eine Frau, etwa Mitte vierzig empfing uns. Wir schritten durch einen Flur und bogen dann rechts in einen Raum, der dem Anschein nach als Mitarbeiterzimmer fungierte, weil er mit einem großen Tisch, Stühlen und einem PC ausgestattet war. Die Frau bat uns zu warten. Alice saß auf meinem Schoß und verhielt sich recht schüchtern und auch mein Schwesterchen wirkte etwas angespannt. War sicher nicht einfach sein Kind in die Obhut anderer zu geben, doch Jojo lag viel daran, dass Alice soziale Kontakte knüpfte und ich fand auch, dass das nicht schaden konnte. Dann kam eine andere Frau zu uns, die wahrscheinlich für die Hausführungen verantwortlich war. Als sich unsere Blicke trafen musste ich grinsen. Jojo warf mir einen fragenden Blick zu. „Hallo Nici, freut mich dich zu sehen.“ „Ähm…hey…und ich dachte mir schon, dass mir der Nachname irgendwie Bekannt vorkommt. Aber du oder Johanna?“ Wir begrüßten uns recht neutral und erst jetzt checkte es auch mein Schwesterchen und wirkte auf einmal entspannter. „Nein, ich hab Lukas nur mitgenommen, weil mein Freund verhindert ist. Alice gehört zu mir.“ Nici schüttelte den Kopf und lachte. „Das ist echt verrückt. Wie geht es euch?“ „Gut und dir?“ Nici beugte sich zu Alice und begrüßte auch sie und erstaunlicherweise lächelte das kleine Monster. Das tat sie nicht bei allen neuen Leuten, die sie sah. „Mir auch. Wenn ihr wollt führe ich euch Mal herum.“ Ich nahm Alice an meine Hand und wir folgten Nici. Die Kita war ein bisschen wie ein Marktplatz aufgebaut. In der Mitte des Gebäudes lag die Turnhalle und von dort zweigten verschiedene Räume ab- Bauzimmer, Puppenzimmer, Atelier und Werkstatt. Es gab vier Gruppen, wovon eine Krippe war. Nici erzählte uns alles sehr genau, auch, wenn man sich das unmöglich alles am ersten Tag merken konnte. Alice interessierte sich vor allem für das Puppenzimmer mit Spielküche und Verkleidungseck. Dort durfte sie sich auch ein bisschen näher umschauen und meine Schwester blieb an ihrer Seite. Nici und ich hielten uns im Hintergrund und nutzten die Gelegenheit zum Plaudern. „Echt schön dich mal wiederzusehen. Was hast du in den letzten Jahren so getrieben?“ „Ach so einiges…bin mittlerweile Personalchef in einer Mediengestalterfirma, mache nebenher noch Musik und sonst läuft’s eigentlich auch ganz gut. Und bei dir?“ „Auch…hab halt die Ausbildung gemacht und bin seit kurzem die stellvertretende Leitung hier. Wohne mit Ina in einer Wohnung nicht weit von hier und das wars…du wirkst sehr zufrieden und glücklich.“ Wir schauten uns einen Moment schweigend an und ich überlegte, ob ich ihr sagen sollte, dass ich verheiratet war. Oh Mann, das klang noch immer so komisch. „Ja, das bin ich in der Tat…und was macht die Liebe?“ „Mh, nicht viel…bisher hab ich den Traumprinz auf seinem edlen Ross noch nicht getroffen…oh mein Gott, bist du ernsthaft verheiratet?“, fragte Nici ganz erstaunt. Stimmt, der Ring an meinem Finger. „Ähm ja das bin ich…und das noch gar nich so lange. Überrascht dich das etwa?“ Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Naja…früher hätte ich das sicher nicht für möglich gehalten…aber meinen Glückwunsch.“ „Danke…ich glaub Alice gefällt es hier“, wechselte ich das Thema. Ich ging zu den beiden, schnappte sie und warf sie in die Luft, dabei lachte meine Nichte vergnügt. „Wollen wir langsam wieder gehen oder ziehst du heut schon hier ein?“ „Ja…ich mag das Kleid haben“, sagte Alice und zeigte auf ein violettes Kleid in dem Kinderschrank. „Vielleicht darfst du bald jeden Tag hier her kommen, da kannst du das Kleid immerzu anziehen, aber Mami und ich wollen gehen okay?“ Alice setzte ihren bockigsten Blick auf, den sie zu bieten hatte, doch ich lächelte sie an. „Ich will hierbleiben. Mama, ich will noch spielen!“ Doch Jojo zuckte mit den Schultern. „Du hast gehört, was dein Onkel gesagt hat.“ „Ihr seid gemein.“ „Ja ich weiß, doch es hilft alles nichts. Sag noch Tschüss.“ Alice weigerte sich zuerst, dann nahm ich sie hoch auf meine Schultern und schon bekam sie bessere Laune. „Also ihr drei…der Platz wäre auf jeden Fall da. Ab September eben erst. Wäre schön, ich würde mich freuen und ich kann euch versprechen, dass die kleine hier gut aufgehoben ist.“ „Das bezweifle ich nicht“, erwiderte meine Schwester. „Dann hören wir voneinander. Es wäre schön, wenn du mir bis morgen Bescheid gibst. Ich weiß das ist kein einfacher Schritt, also lass es dir durch den Kopf gehen Johanna. Ich bringe euch noch zur Tür.“ Alice verabschiedete sich doch von Nici und wir liefen nach Hause. Jojo boxte mich vergnügt in die Seite. „Das war ja ein interessantes Wiedersehen.“ Ich zog die Stirn in Falten. „Klar…aber ich denke Nici macht das prima. Besser als so ne Tussi, die Alice dann noch zum Prinzesschen erziehen will.“ „Das sagt der richtige. Du hast Alice doch längst zur Prinzessin erzogen, sie himmelt dich an Lukas.“ Ich lachte. „Ich weiß und ich find‘s voll cool.“ Vor meiner kleinen Nichte hielt ich mich wirklich mit rauchen und trinken zurück, doch jetzt musste ich eine rauchen. Juka war mittlerweile auch auferstanden und lungerte am Pool herum. Ich ließ mich neben ihn in den freien Liegestuhl fallen und zündete mir eine Zigarette an. „Hallo auch und wo bleibt mein Kuss?“, beschwerte er sich. „Sorry Schatz.“ Ich beugte mich zu ihm herüber und gab ihm einen Kuss. „Du wirkst ein bisschen verwirrt.“ „Mhh. Waren doch Alice Kita angucken und Nici, also meine Ex ist dort stellvertretende Leitung…das hat mich durchaus ein bisschen verwirrt, aber war ganz nett. Das kleine Monster is dort in guten Händen.“ „Hat dich Nici erkannt?“ Ich warf Juka einen irritierten Blick zu. „Was soll dir Frage, klar hat sie mich erkannt…schon vergessen, wie sie mich früher immer angehimmelt hat.“ Juka kniff die Augen zusammen und versuchte böse zu schauen, jedoch funktionierte das nicht, weil er lachen musste. „Und du kleiner Charmeur hast es natürlich auch heute genossen von ihr angeschmachtet zu werden.“ Ich schüttelte den Kopf und nahm einen tiefen Zug. „Natürlich nich…was denkst du denn von mir.“ Juka beugte sich zu mir rüber und küsste mich zaghaft auf die Wange. „Und selbst wenn, wäre es mir egal Süßer…ich bin mit dir verheiratet und nicht Nici.“ „Das is wohl wahr…es war trotzdem komisch sie zu sehen. Wir sollten uns langsam Mal um die Flitterwochen kümmern.“ Jukas Grinsen wurde breiter und er zog sein Tablet zu sich. „Wie du mich kennst hab ich da schon Mal Vorarbeit geleistet und entweder Malediven ins Sun Island Resort, wenn du nur Strand, Erholung und Sonne willst. Dann geht’s weiter, das Wina Holiday Villa auf Bali oder zu guter Letzt das South Ari Atoll, was mein Favorit wäre. Hab auch alle drei schon reservieren lassen, es sei denn du findest alle doof.“ Ich musste lachen und konnte nich anders als in zu küssen. „Du bist unglaublich, weißt du das eigentlich? Dann das, was dir am besten gefällt. Gibt’s da auch nur Sonne, Strand und Erholung?“ Juka nickte. „Schätze deshalb bist du mit mir zusammen“, witzelte er. Also ging unser Flug in einer Woche auf die Malediven. Wir schauten uns Bilder von dem Hotel und der Umgebung an. Weiße Sandstrände und blaues Meer, sonst nichts. Ich freute mich Unser Flug ging abends und wir würden knapp zehn Stunden in der Luft sein, aber ich konnte ja schlafen. Irgendwann morgens sollten wir landen und dann erwartete uns Strand, Sonne und Meer. Ich war gespannt auf unsere Unterkunft und hoffte, dass es eines der Steghäuschen war, mit einem kleinen Pool auf der Veranda. Ich schlief tatsächlich und erwachte auch erst, als sich unter uns blaues Meer und weißer Sandstrand ersteckte. Vom Flughafen wurden wir zum Strand gefahren und da stiegen wir in ein Boot ein, das uns zu unserer Unterkunft brachte. An der Rezeption wurden wir herzlich willkommen geheißen und zu unserem Zimmer geleitet. Mir fielen die Augen fast aus den Höhlen, ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Etwas so wunderschönes hatte ich noch gesehen. Wir erhielten den Schlüssel und der Page ließ uns alleine. Unser Zimmer war nicht sehr groß, doch es genügte völlig. Ich öffnete die Tür zur Veranda und schaute direkt aufs Meer. Warme salzige Luft wehte mir ins Gesicht und ließ meine Haare in alle Richtungen fliegen. Ich fühlte mich nicht mal müde oder erschöpft und kam mir vor wie am Ende der Welt. Juka grinste mich zufrieden an. „Lass uns was trinken gehen“, schlug ich vor und mein Liebster schien nicht abgeneigt von der Idee zu sein. Ich ließ meine Schuhe im Zimmer, setzte meine Sonnenbrille auf und ergriff Jukas Hand. Gemütlich schlenderten wir über den Holzsteg zur Bar. Das Wasser um uns herum plätscherte beruhigend und von irgendwoher drang Musik, die mein unbeschwingtes, leichtes Gefühl noch untermalte. Wir bestellten uns zwei Bier und ließen uns in einer der Sitzecken nieder. Außer uns waren nicht sehr viele Besucher da oder vielleicht schliefen sie auch noch. Später erkundigten wir uns, was man hier so alles unternehmen konnte. Es gab ein paar Bars, außerdem hatten sie hier ihr Hausriff, wo man schnorcheln oder tauchen konnte. Unser Hotelpage bot uns ein paar Möglichkeiten an und falls wir uns für eine davon entscheiden sollten, könnten wir jederzeit zu ihm kommen. Wir beschlossen jedoch spontan zu sein und erst mal diese kleine Insel näher unter die Lupe zu nehmen. Es gab sogar ein Wäldchen. Dort hielten wir an, ich sprang am Strand herum bespritzte Juka mit Wasser. Dieser ließ sich das natürlich gefallen und versuchte mich zu fangen, doch ich war schneller. Allerdings gab der Sand unter meinen Füßen immer mehr nach und machte mich langsamer. Schließlich breitete ich meine Arme aus und ließ mich fangen. Wir landeten etwas unsanft im nassen Sand und ich musste lachen. Nie hatte ich mich glücklicher gefühlt. „Ich habe dich selten so albern erlebt“, bemerkte Juka. Ich gab ihm einen Kuss und zuckte unschuldig mit den Schultern. „Das ist wohl ein Zeichen, dass es mir gerade echt gut geht.“ „Das freut mich…ich mag es, wenn du glücklich bist…da haben wir vielleicht doch was richtig gemacht.“ Ich legte meinen Kopf schief und stützte mich mit den Ellenbogen im Sand ab. „Ja das haben wir…ich könnt mir auch keinen anderen vorstellen, mit dem ich jetzt lieber hier wäre.“ „Und ich mag es, wenn du diesen Anflug von Romantik zeigst.“ Meine Arme sanken tiefer in den Sand und ich ließ mich auf den Rücken fallen. Meine Klamotten waren mittlerweile komplett nass, weil ich halb im Wasser lag und jedes Mal, wenn eine Welle kam, spürte ich die Kühle des Meeres unter mir. „Ja, wenn ich will kann ich tatsächlich romantisch sein…kommst du mit schwimmen?“ Ich zog mein Shirt aus und ließ mich ganz ins Wasser gleiten. Juka blieb am Strand sitzen und beobachtete mich. Später kehrten wir zur Bar zurück und genehmigten uns noch einen Drink. Ich entschied mich für Whiskey mit Eis. Wir tranken und redeten. Zwischendurch besuchten wir dann doch mal eines der Restaurants, doch kehrten anschließend wieder in die Bar zurück. Wir nahmen noch was zum Trinken mit auf’s Zimmer, weil mich jetzt so allmählich die Müdigkeit überkam. Den nächsten Tag ließen wir ähnlich entspannt angehen, doch beschlossen wir doch mal Schnorcheln zu gehen. Diese vielen Korallen und all die bunten Fische waren faszinierend und wir brachten einige Stunden im Riff zu. Dann gab es wieder Mal Drinks an der Bar. Für später ließen wir uns Wein auf unser Zimmer kommen und genossen den Rest des Tages am Pool. „Ich hab dich noch gar nicht rauchen gesehen“, bemerkte Juka. „Mhh, irgendwie hab ich auch nich so das Verlangen danach. Aber jetzt, wo du es erwähnst.“ Ich holte meine Zigaretten und zündete mir eine an. Juka reichte mir mein Weinglas und setzte sich zu mir an den Pool. „Hast du mal überlegt aufzuhören?“ „Nee eigentlich nich…es gibt halt Tage, da rauche ich mehr an manchen weniger. Warum, nervt es dich?“ Juka schüttelte den Kopf und trank einen Schluck. „Quatsch…du Luki, mir ist da neulich so eine Idee gekommen.“ „Na wenn du schon so anfängst, kann das nichts Gutes sein“, scherzte ich. „Das liegt wohl im Auge des Betrachters…ich hab keine Lust mehr mit Yoshi zu arbeiten und ich hab bei meinen Kollegen auch mitbekommen, dass er sie tyrannisiert. Vor allem Kim…bei ihr ist er auch schon Mal hangreiflich geworden, aber sie hat Schiss vor ihm. Es gibt ein paar Leute, die zu mir aufschauen und wenn ich den Rest noch auf meine Seite bekomme, geht der Arsch von ganz alleine.“ Ich zog die Augenbrauen hoch und nahm einen genüsslichen Zug. „Schön und gut, aber wie stellst du dir das vor?“ „Ich bräuchte deine Hilfe.“ „Aha…und was soll ich tun? Yoshi kann mich nich leiden, schon vergessen?“ „Ja, das ist mir schon bewusst, aber du müsstest ja nicht mit ihm arbeiten, sondern mit Kim…du schickst ein Demo in die Agentur, ich kümmere mich drum, das Kim das bearbeiten muss und, dass du mit der Band ins Studio zum live vorspielen kommst. Kim wird dir nahe legen dich von Yoshi unter Vertrag nehmen zu lassen, doch du machst ihr mit deinem zuckersüßen Charme klar, dass du nur von mir unter Vertrag genommen werden willst…naja, du musst sie ein bisschen um den Finger wickeln…und den Rest erledige ich dann.“ „Juka, das ist verrückt, er kennt mich doch!“ „Ja, aber Kim nicht. Und wenn ich ihn davon überzeuge, dass das Demo von einer kleinen eher unbekannten Band ist, juckt ihn das eh nicht. Er angelt sich doch nur dir großen Fische. Also…was sagst du?“ Ich schüttelte lachend den Kopf. „Wenn mir das nächste Mal jemand weis machen will, du wärst der Vernünftigere von uns beiden, muss ihn echt vom Gegenteil überzeugen…aber okay…meinetwegen.“ Ich leerte mein Glas und schenkte mir nach. „Ich wirke immer nur so seriös und es muss ja nicht jeder mein wahres Ich kennen…es reicht, wenn du weißt, wie ich wirklich ticke.“ „Ach ja, du wirkst seriös? Du glaubst wohl, nur weil du nich tätowiert bist, denken die Leute du seist normal? Jukaschatz, du bist mit mir verheiratet, den Joker gibt’s ab jetzt nich mehr, denn neben mir wirkst du alles andere als seri-ös!“ Juka schwieg eine Weile und strich vorsichtig über meine Narben am Oberkörper. Manchmal wurde ich nicht ganz schlau aus ihm. Eigentlich dachte ich immer ihn zu kennen, doch dann war auf einmal so sentimental wie jetzt und ich wusste nicht, woran das lag. „Luki…kann ich dich was fragen?“ „Alles was du willst.“ „Damals, als du dir die Narben zugefügt hast…was hast du dabei gefühlt…ich hab dich das nie gefragt und es ist auch in Ordnung, wenn du nicht drüber reden willst.“ Jukas Art und Weise, wie er immer wieder den Versuch wagte, mir noch näher zu kommen rührte mich. Und keiner außer ihm hätte mir diese Frage stellen dürfen, ohne dass ich völlig ausgeflippt wäre. Doch mein Juka war nicht irgendjemand. „Um ehrlich zu sein, war das Gefühl ziemlich gut…klar hat’s weh getan, aber es hatte was Befreiendes…und es war das erste Mal seit langem, dass ich meinen Körper überhaupt wieder spürte.“ Juka verflocht seine Hand mit meiner und strich über meinen rechten Arm, der ebenfalls von kleinen Schnittwunden überseht war, die auch die Tätowierungen nicht ganz kaschieren konnten. „Und da? Hattest du keine Angst, dass du dir versehentlich die Pulsadern aufschlitzt?“ „Nee, dazu waren die Einschnitte nich tief genug.“ „Und warum hast du irgendwann aufgehört dir weh zu tun?“ Mein Herz zog sich ruckartig zusammen und ich schnappte kurz nach Luft, denn irgendwie wurde mir erst jetzt das Ausmaß dieser Verletzungen klar. „Ich bin mir nich sicher…vielleicht hat es mir irgendwann genügt meinen Körper mit Tattoos zu schmücken…das is ja auch eine Art von Schmerz, den man aushalten muss…“ „Wow…neben dir fühle ich mich manchmal so…ich weiß nicht…ich habe das Gefühl dich beschützen zu müssen. Ich glaube ich würde es nicht ertragen, wenn du dir noch mehr Verletzungen dieser Art zuzuziehen würdest…und damit meine ich die größeren…nicht die kleinen Kratzer, die dein Ring hinterlässt.“ Ich schwieg eine Weile und zündete mir noch eine Zigarette an. Juka hatte damit angefangen und ich wollte jetzt mehr hören, wollte noch weiter gehen. „Und weshalb würdest du es nich ertragen? Ich meine, was macht das für einen Unterschied, ob wir uns jetzt bei unseren Sexspielchen verletzten oder ich mir mit ner Glasscherbe die Brust aufschlitze.“ Meine Worte bewirkten, das was ich beabsichtigt hatte, denn Jukas Blick war nun ernster, ja schon fast ein bisschen ängstlich. Nici hatte diesen Teil von mir nie stand halten können, doch schaffte es Juka? Gerade war ich mir da nicht mehr ganz so sicher. Doch er fing sich schnell wieder. „Weil ein Kratzer wieder verheilt, ohne eine Narbe zurückzulassen…wenn du dir allerdings bewusst eine Verletzung zufügst, um die Schmerzen zu spüren und auch jeden, den der dich nackt sieht, wissen lässt, dass das gewollt war…ist das ein weltweiter Unterschied. Und ich würde es aus dem Grund nicht ertragen, weil ich dann versagt hätte. Ich glaube, wenn Nici es geschafft hätte dich emotional zu erreichen, hättest du das nie getan. Doch sie zeigte Angst und Verzweiflung und konnte dir nicht den Halt bieten, den du nötig hattest. Ich kann‘s ihr nicht verübeln, aber ich weiß, dass ich dich halten könnte Luki…auch wenn es oft ein Drahtseilakt ist. Und warum solltest du dir Schmerzen zufügen, wenn du glücklich bist?“ Ich musste grinsen und eben aus diesem Grund würde ich mich immer wieder für Juka entscheiden. „Keine Ahnung…weil ich’s erotisch finde.“ Juka zog die Stirn in Falten und nippte an seinem Glas. „Bestimmt…Luki, du weißt was ich meine oder? Ich will nicht, dass du denkst ich finde dich abstoßend…ich möchte dich nur verstehen.“ „Ich weiß und das ist schön…ich werde auch nur mit dir über sowas reden können.“ Ich kippte den letzten Schluck von meinem Wein runter, zog meine Hose aus und hüpfte in den Pool. Auf dem Rücken ließ ich mich treiben und der sanfte Abendwind kitzelte meinen nackten Körper. Auch mit geschlossenen Augen spürte ich Jukas anzüglichen Blick und es erregte mich ungemein. Als ich meine Augen wieder öffnete, stand auch er nackt vor mir und ließ sich ins Wasser gleiten. „Luki…ich liebe dich so sehr.“ „Ich dich doch auch…und du machst mich noch immer völlig willenlos.“ Am oberen Ende des Pools konnten wir beide stehen und ich umschlang Juka mit meinen Beinen. Meine Zunge umkreiste die seine und ich schmeckte den süßen Wein auf seinen Lippen. Langsam drehte ich ihn mit dem Rücken zu mir und drang vorsichtig in mich ein. Er stöhnte auf und krallte sich am Poolrand fest. Ich war nicht stürmisch wie sonst sondern genoss es seinen Körper zu spüren. Immerhin blieb uns alle Zeit der Welt. Wir setzten unser Liebesspiel im Trocknen fort. Juka zog mich auf sich und ich merkte, wie er sich kaum noch zügeln konnte. Dann endlich, seine Finger krallten sich in meinen Hintern und etwas erschöpft sank er zurück in die Kissen. „Du bist der absolute Oberhammer Luki, weißt du das?“ Ich lächelte. „Danke mein Schatz. Dieses Kompliment kann ich nur zurückgeben.“ „Oh Mann, ich bekomm immer noch eine Gänsehaut, wenn du mich Schatz nennst.“ „Warum denn das? Weils nich zu mir passt oder was?“ „Jepp…ich weiß eben, dass ich was ganz besonderes bin…ich glaub ich geh duschen, kommst du mit?“ Ich warf Juka einen belustigten Blick zu und zog dabei meine rechte Augenbraue hoch. „Nur duschen oder bekomm ich noch’n Blowjob?“ „Komm mit du kleines Sexmonster…“ Nach der Dusche fühlte ich mich tatsächlich ein bisschen ausgelaugt. Erschöpft ließ ich mich in die Strandmuschel fallen und betrachtete die untergehende Sonne. „Juka…die Zeit is vorbei…ich hab nich vor meinen Körper noch weiter zu verstümmeln.“ Er seufzte und lehnte seinen Kopf an meine Schulter. „Ich hoffe nur, dass ich dich nie mehr enttäuschen werde. Du bist der wertvollste Mensch in meinem Leben und seit wir hier sind, wird mir erst richtig bewusst, wie schön es ist dich so glücklich zu sehen.“ Ich verschluckte mich an meinem Wein. „Jetzt hör mal mit diesem Geschmalze auf…du ziehst schon eine Schleimspur hinter dir her.“ Juka funkelte mich an und verschwand Richtung Bett. Na toll. Ich ging kurz ins Bad und dann zu Juka. „Schatz…das war ein Spaß…aber du weißt auch, dass ich mit soviel Liebe nicht umgehen kann.“ Juka drehte sich zu mir und lächelte ein bisschen. „Ich werde trotzdem nicht damit aufhören.“ „Tja dann fürchte ich musst du meine dummen Sprüche manchmal ertragen.“ Ich küsste meinen wunderschönen Japaner und war insgeheim froh, dass er mich mit solch liebenswerten Worten überschüttete. Oft tat ich das nur mit einem blöden Spruch ab, weil mich seine Worte sprachlos machten, doch ich genoss jedes einzelne. Bei meinen Exfreundinnen hatte mich das eher genervt, aber Juka war eben anders. Es war, als würden wir beide uns in diesen zwei Wochen neu kennenlernen. Und das tat uns beiden gut, denn so wuchs das Vertrauen wie ein unsichtbares Band. Juka und ich waren stärker denn je und so traten wir unsere Heimreise nach Tokio an, um dort für Gerechtigkeit zu sorgen. Um ehrlich zu sein, fand ich das ganze irgendwie aufregend und mein Adrenalinschub pushte mich zusätzlich. Kapitel 67: Süße Rache ---------------------- Meine Jungs und ich kreuzten also im Studio auf, nachdem uns Kim versichert hatte, dass sie unsere Demo liebte und uns unbedingt einladen wolle. Da das Studio ein paar Häuser von der Agentur entfernt lag, standen die Chancen Yoshi über den Weg zu laufen sehr gering. Wir waren trotzdem vorsichtig und ich kam mir vor wie ein Krimineller, der auf der Flucht war. Lena war zum ersten Mal in Tokio, wie auch Basti und die beiden waren schwer beeindruckt von der Stadt. Dennoch ermahnte ich sie, dass dafür später auch noch Zeit blieb. Kim erwartete uns schon und winkte uns aufgeregt in den Proberaum. Auf einmal blieb Flo stehen und mir wurde auch schlagartig klar warum. Alles hier erinnerte ihn an Kami. Doch schien er sich schnell wieder im Griff zu haben und folgte uns. Kim wollte eine kleine Kostprobe, um sich zu vergewissern, dass wir live nicht beschissen klangen und erfreut zollte sie uns Applaus. Sogleich fiel sie mit der Tür ins Haus und wollte uns mit dem ganzen Papierkram konfrontieren. Da ergriff ich das Wort. „Ich würde gern noch klären, wer uns dann unter Vertrag nimmt, denn wie mir zu Ohren gekommen ist, gibt’s da mehrere Leute.“ Die junge Frau hielt einen Augenblick inne und schien zu überlegen. „Natürlich mein Chef…Herr Tanaka.“ Lass deinen zuckersüßen Charme spielen. So ein Vollidiot, aber mal sehen, was ich noch drauf hatte. Ich lehnte mich ein bisschen über den Tisch und schaute Kim tief in die Augen. „Ein guter Freund von mir hat mir aber jemand anderes empfohlen und zwar einen Mann namens Juka Matsamuto…von ihm würde ich gern unter Vertrag genommen werden.“ Ich merkte ihre Unsicherheit, also lehnte ich mich ein bisschen weiter aus dem Fenster. „Ich kann das auch gern persönlich mit deinem Chef klären.“ „Nein, nein, das ist es nicht. Nur nimmt der Chef momentan die Aufträge lieber selbst in die Hand.“ „Hör zu Süße…ich weiß über ein paar Dinge, die hier bei euch in der Agentur laufen Bescheid und entweder bekomme ich Juka oder keinen…Kim…ich glaube echt, du bist ein nettes Mädel und ich bitte dich jetzt um eine Sache. Yoshi Tanaka wird bald durch diese Tür kommen, um nach dem Rechten zu sehen. Er traut dir nicht, stimmt‘s? Doch lass dir nich auf der Nase herumtanzen…“ Fragend schaute sie mich an. Ein Hauch von Panik lag in ihrem Blick. „Aber was passiert dann? Ich kann ihn nicht hintergehen.“ Ich nahm ihre Hand. „Kim, uns bleibt nich mehr so viel Zeit…sag mir nur eins, ist er dir gegenüber schon Mal handgreiflich geworden?“ Plötzlich füllten sich ihre Augen mit Tränen, doch tapfer schluckte sie diese hinunter. Sie sagte nichts, jedoch nickte sie kaum merklich. Flo hatte heimlich gefilmt, also hatte ich meinen Beweis gegen diesen Bastard in der Hand. In dem Moment flog die Tür auf und Yoshi platzte herein. „Kim! Wie lange dauert das denn, ich habe heute noch andere Termine…ist die Band jetzt…“. Er verstummte und ich warf ihm ein eiskaltes Lächeln zu. „Hallo, schön dich zu sehen. Ich habe Kim gerade erklärt, dass ich gern Juka als Produzenten hätte.“ Finster blitzten mich seine zu Schlitzen verengten Augen an. „Lukas, schön dich zu sehen. Du also steckst hinter dieser düsteren, melodischen Stimme. Ich hätte es wissen müssen. Zu Schade, dass ich deiner Bitte nicht nachkommen kann.“ Ich erhob mich und stellte mich ihm gegenüber. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen. Meine Band hielt sich im Hintergrund. „Wie bedauerlich, darf ich den Grund dafür erfahren?“ Yoshi tat einen Schritt in meine Richtung und war mir gefährlich nahe. „Natürlich…weil ihr mich dann ruinieren würdet. Kim, du hättest diesen Mann niemals herkommen lassen dürfen, er steckt mit Juka unter einer Decke.“ Ich musste losprusten. „Was du nicht sagst…wir stecken unter einer Decke, im wahrsten Sinne des Wortes…und lass mich raten, das grämt dich…du hast schon immer einen Narren an Juka gefressen, doch hältst du ihn an der kurzen Leine…er ist jetzt unerreichbar für dich, also lass deine Finger von ihm…und von Kim übrigens auch!“ Meine Worte schienen ihn ein bisschen einzuschüchtern. Doch hatte er noch nicht genug. „Das ich nicht lache…als ob ich das nötig hätte. Und Kim ist eine treue Mitarbeitern, stimmt’s meine Liebe?“ Die arme nickte. „Ich weiß, was du Juka damals angetan hast und du kannst dich glücklich schätzen, dass er noch immer hier ist…ich hätte schon längst andere Maßnahmen ergriffen.“ „Hahaha, spielst du jetzt etwa den Helden Lukas? Wie armselig, du hast keinerlei Beweise.“ Ein triumphierendes Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus. Ich gab Flo ein Zeichen und er ließ das Video laufen, Kim erschrak. Und auch aus Yoshis Gesicht wich die Farbe. Wieder kam er mir zu Nahe, sodass ich seinen Atem riechen konnte. Nicht gerade appetitlich. „Leider falsch…und ich frage dich noch einmal, bekomme ich Juka als Produzenten?“ „Nur, weil er dir verfallen ist und du mit ihm das Bett teilst brauchst du nicht zu glauben, dass er mir nicht gehorcht. Juka hat Respekt vor mir und das solltest du auch haben.“ Jetzt war Bogen kurz vorm Überspannen, doch ich musste meine Wut in Zaum halten. „Ich habe keinen Respekt vor Menschen, die anderen Gewalt androhen und sie damit einschüchtern. Und weißt du was ich glaube? Erstens unterschätzt du mich gewaltig und zweitens ist dir der Ernst der Lage nich bewusst! Ich weiß, was du Juka angetan hast und auch aus Kim bekomme ich mehr raus…du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder du gehst freiwillig oder wir sehen uns vor Gericht wieder.“ Yoshi verlor die Fassung noch immer nicht. Hoffentlich klappte bei Juka alles wie geplant und ich hoffte auch, dass er nicht mehr all zu lang auf sich warten ließ. „Lukas, das ist ein schlechter Scherz. Du kleiner, nichtssagender Musiker kannst mich nicht ruinieren.“ Ich wollte schon ansetzen, doch plötzlich sprang Kim neben mir auf. „Vielleicht nicht Lukas aber ich Herr Tanaka. Lukas hat mir heute viel Mut gemacht und ich hätte schon länger meinen Mund aufmachen sollen. Ich bin es leid, dass Sie mich mit ihren anzüglichen Blicken anschmachten und auch die ständigen, scheinbar zufälligen Berührungen an meinem Hintern oder woanders will ich nicht länger dulden! Ich habe außerdem Sie und Juka beobachten können. Ich habe auch mitbekommen, dass er sich gegen Sie wehrte. Damit soll jetzt endlich Schluss sein.“ Yoshi Tanakas Gesicht nahm die Farbe der Tapete an und man sah ihm förmlich an, dass er mit einem solchen Aufstand nicht gerechnet hätte. Die Tür öffnete sich erneut und Juka betrat mit einem breiten Grinsen den Raum. Unsere Blicke trafen sich. „Oh hallo mein Hübscher, du auch hier?“, scherzte er und zu meinem Erstaunen trug er nicht sein Bürooutfit, wie sonst. Die enge schwarze Hose legte sich wie eine zweite Haut um seine Beine und der graue transparente Pulli darüber ließ seinen muskulösen Oberkörper hindurchschimmern. „Ja, ganz rein zufällig…hat bei dir alles geklappt?“ „Jepp…Yoshi, alles was hier gerade gesagt wurde, hab ich vom Aufnahmeraum aus gehört und aufgenommen. Doch das ist noch nicht alles. All deine Mitarbeiter waren Zeuge und sie stehen jetzt versammelt im Flur. Sicher kannst du dir denken, dass sie nicht gerade gut auf dich zu sprechen sind. Was wirst du jetzt tun?“ Als würde er es nicht wahrhaben wollen, warf Yoshi einen Blick nach draußen und dort stand sein ihm sonst so treu ergebenes Volk. Doch alle warfen ihm verachtende Blicke zu und einige beschimpften ihn sogar. „Juka, das wirst du büßen! Du bekommst meinen Posten, ich gebe ihn dir freiwillig, aber denke nicht, dass ich schon fertig mit dir bin.“ Voller Zorn stapfte Yoshi Tanaka von dannen und doch bereiteten mir seine Worte ein wenig Unbehagen. Das behielt ich allerdings vorerst für mich. Schon wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als mich Juka an sich zog und küsste. Nach diesen unsagbar tollen Flitterwochen verzehrte sich mein Körper mehr denn je nach ihm und ich wünschte mir diese Tage der Zweisamkeit sehnlichst zurück. Ich hasste es meinen schönen Mann mit anderen zu teilen. „Wow, du hast dich gut geschlagen Süßer…danke dafür.“ „Gern geschehen…ich hoffe nur, er bleibt der Firma jetzt fern…ähm, ich hab dich nie gefragt, ob du uns jetzt ernsthaft unter Vertrag nimmst?“ „Natürlich tue ich das, nur mit deinem Einverständnis selbstverständlich…und das der Jungs.“ „Gerne, nur fürchte ich in deiner Gegenwart kann ich nich arbeiten Juka…schon jetzt kann ich an nichts anderes denken, als dir die Kleider vom Leib zu reißen, um versaute Dinge mit dir anzustellen.“ Juka so die Luft ein und ließ von mir ab. „Manchmal verfluche ich dich und deine unstillbare Libido…kannst du mal bitte aufhören so mit mir zu reden, wenn all die Menschen um uns herum stehen?“, flüsterte mein Liebster leicht genervt und doch erregt von meinen Worten. „Niemals“, flüsterte ich ihm ins Ohr. „Du bist der unmöglichste Mann der Welt.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Damit kann ich leben…wie geht es heute eigentlich noch weiter?“ „Ne kleine Erfolgsparty gefällig? Hab schon Getränke rauf bringen lassen und jetzt hab ich dringend einen kalten Drink nötig.“ Juka schien wirklich ein bisschen angepisst zu sein und das nervte mich. Deshalb ging ich ihm aus dem Weg und ließ Flo ein Bier für mich holen. Er schaute mich fragend an, doch ich schüttelte nur mit dem Kopf. „Bock auf nen Joint?“ Oh, ich hatte seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gekifft, aber warum eigentlich nicht. Und ich merkte das Wunderkraut sofort und es katapultierte mich mehr als gewollt aus der Realität. Hoffentlich bekam Juka das nicht mit. Flo und ich hatten uns in den kleinen Bandraum zurückgezogen. Tatsuro war heute leider verhindert, wollte aber eventuell später noch nachkommen. Flo der Schlingel hatte noch Wodka von zu Hause geschmuggelt. Auch Fabi fand uns und beschwerte sich, dass wir ihm nicht Bescheid gesagt hatten. So langsam stieg mir alles ein bisschen zu Kopf und in meinem Gehirn spielten sich lauter alberne Dinge ab. Ich kippte seitlich um und musste furchtbar lachen. „Was hast du dem denn gegeben Flo?“ Ich setzte mich wieder auf und versuchte böse zu schauen, was mir jedoch nicht ganz gelang. „Dem? Wer issn das? Ich bin ein bisschen blau und bekifft…hast’n Problem damit?“ „Na toll und ich wollte jetzt ernst mit dir reden…“ „Versuchs doch…ich höre zu.“ Juka rutschte näher zu mir heran. „Luki, das vorhin war nicht so gemeint…ich war nur unter Strom…naja…und da, ich weiß auch nicht…und jetzt bist du schon wieder völlig breit…“ Ich schwang mich auf Jukas Schoß, sodass ich mit dem Gesicht zu ihm gewandt saß. Dann hielt ich ihm den Joint hin und er nahm einen Zug. „Na und? Ich bin Rockstar.“ „Du willst mich heute reizen oder? Wenn du so weiter machst, schläfst du auf dem Sofa.“ Ich zog genüsslich an dem Joint und trank einen Schluck Wodka. „Ich will gar nichts, nur meinen Spaß haben und entweder du machst mit oder gehst…Süßer, für mich war das gerade auch nich leicht…ich hab mit dem Kerl geredet, der seine Finger nich von dir lassen konnte…am liebsten würde ich ihn noch immer eine rein hauen, weil es in mir brodelt. Kannst du das verstehen?“ „Ach Luki…das ist doch schon lange vorbei.“ „Ja, aber es macht für mich keinen Unterschied. Also hatten wir wohl beide nen beschissenen Tag, der aber dennoch gut endete. Also lass uns zusammen feiern, bitte.“ „Da draußen sind meine Kollegen…ich bin der neue Chef und ich kann mich heute nicht so abschießen und ich bitte auch dich darum, dich zurückzuhalten. Wir können die Aftershowparty gern zu uns nach Hause verlegen, da kannst du tun und lassen, was du willst.“ Ich nahm Jukas Gesicht zwischen meine Hände und küsste ihn begierig. Dann seufzte ich. „Okay…ich versprechs. Müssen wir lange hier bleiben?“ Juka grinste. „Noch etwa eine Stunde. Ist das in Ordnung?“ Ich nickte und Juka mischte sich wieder unters Volk, wie auch ich. Meinen Wodka tauschte ich gegen Bier ein. Nach einer Stunde verließen wir die Räumlichkeiten tatsächlich und zu Flos Überraschung erwartete Tatsuro vor dem Proberaum auf uns. Ich nahm Jukas Hand und gemeinsam schlenderten wir mit den anderen zu unserer Wohnung. Dort betranken wir uns dann mit Wodka und ich wusste nur noch, dass ich irgendwann völlig fertig ins Bett fiel. Am nächsten Tag kehrten wir zum Proberaum zurück, um dort aufzuräumen und um uns um den ganzen Papierkram zu kümmern. Juka hatte alles vorbereitet und wir mussten eigentlich nur noch unterschreiben. Ich fühlte mich, als hätte mich ein Zug überrollt und sehnlichst sehnte ich mich nach meinem Bett zurück, doch leider musste das warten. Denn für heute waren noch ein paar Termine angesetzt. Ein erstes Shooting der Band stand bevor, weil Lena und Basti nur noch ein paar Tage bleiben würden sowie eine Überarbeitung unserer Demo. Wow, ich bekam sogar meine eigene Maskenbildnerin, doch zum Glück kannte ich sie schon, es war Kim. Noch mehr fremde Menschen hätte ich heute auch nicht ertragen. Sie kaschierte meine Augenringe so gut es ging und schminkte meine Augen schwarz. Mit dem Endergebnis war ich mehr als zufrieden. Man konnte zumindest nicht erkennen, dass ich eine Nacht durchgesoffen hatte. Trotzdem gönnte ich mir mit Flo vor dem Shooting noch eine Line Koks, um irgendwie den Tag zu überstehen. Das Shooting verlief recht schnell. Wir suchten uns die besten Bilder heraus, die letztendlich im Booklet erscheinen sollten. Beim Singen überkamen mich dir größeren Probleme und Juka war alles andere als gnädig mit mir. Schließlich schaffte ich es dann doch mich einzig und alleine auf die Musik und meinen Gesang zu konzentrieren. Dann endlich nach acht Stunden Studioarbeit hatten wir die Aufnahme im Kasten. Ich sank völlig erschöpft auf dem Sofa im Aufnahmeraum nieder. „Magst du ein Feierabendbier haben?“, fragte mich Juka und ich nickte nur. „Aber bitte zu Hause…ich mag mit dir nach Hause gehen.“ Das musste ich nicht zwei Mal sagen und glücklicherweise war unser Weg dorthin nicht all zu weit. „Mein armer Schatz…du bist echt geschafft was?“ Ich schlurfte zum Kühlschrank und holte Fabi, Juka und mir ein Bier. Es war schon wieder fast zwölf und für morgen hatte sich mein Schwesterchen angekündigt. Ich fragte mich wirklich, wie ich das überleben sollte. „Ich bin voll am Arsch und morgen kommt Jojo und das kleine Monster…ich hab Alice echt gern, aber das wird anstrengend…glaub ich.“ Juka gab mir einen Kuss und als mein Bier leer war, verabschiedete ich mich ins Bett. Vorher wollte ich noch duschen. Wenige Minuten später folgte mir mein Liebster. „Das bekommen wir schon hin. Wann wollte Jojo kommen?“ „Glaub so gegen Mittag. Musst du morgen arbeiten?“ Er nickte und ich zog einen Flunsch. „Aber nicht lange, versprochen. Jetzt aber schnell ins Bett mit dir.“ Ich hielt kurz Inne, zögerte dann jedoch, weil ich nicht sicher war, ob es gut war, wenn ich Juka davon erzählte. Doch zu spät, denn schon wieder schaute er mich mit diesem fragenden Blick an, dem ich nie gewachsen war. Als würde er schon etwas wissen. „Juka…ich hab heut mit Flo was genommen…nur im ein bisschen fitter zu sein und um den Tag irgendwie rum zu kriegen. Ich will nur, dass du das weißt und ich will auch, dass du weißt, dass es nich zur Gewohnheit werden wird.“ Seine Lippen formten sich zu einem liebevollen Lächeln und er schloss mich ins seine Arme. „Schon okay…ich hatte schon fast so eine Vermutung, aber es tut gut das von dir zu hören. Lass uns schlafen gehen.“ Wie ein Stein fiel ich ins Bett, kuschelte mich in Jukas Arme und sog seinen Geruch ein. Ich konnte nicht in Worte fassen, wie sehr ich ihn liebte. Kapitel 68: Wer einmal lügt dem glaubt man nicht... --------------------------------------------------- Mein Wecker holte mich aus dem erholsamen süßen Schlaf und noch immer fühlte ich mich ziemlich mitgenommen. Doch ich freute mich auch auf Jojo und meine Nichte. Draußen herrschten noch immer sommerliche Temperaturen, obwohl es schon September war. Ich schlüpfte in ein T-shirt und meine schwarze Hippiehose und kochte mir einen Kaffee. Juka war schon weg und Fabi schien auch nicht zu Hause zu sein. Ich hockte mich auf die Terrasse und genoss die Sonne auf meinem Gesicht. Im Hintergrund lief Pink Floyd und dann ertönte auch schon die Klingel. Etwas schwermütig erhob ich mich und schlurfte zur Tür, um den Summer zu betätigen. Alice rannte mir in die Arme und ich war ein bisschen überwältigt. Ich umarmte meine Schwester und Naoki begrüßte ich mit einem freundschaftlichen Handschlag. „Lukas, weißt du, ich hab hunger“, überfiel mich Alice sogleich und Jojo verdrehte die Augen. „Ist ja nicht so, als ob du vorhin nicht schon was bekommen hast. Jetzt lass uns erst Mal ankommen.“ Ich nahm meine Nichte auf den Arm. „Was hättest du denn gern?“ Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Kindergesicht aus. „Nudeln mit Tomatensoße.“ „Okay, aber nur wenn du mir beim Kochen hilfst.“ Ich zeigte Jojo und Naoki noch kurz das Gästezimmer und bereitete anschließend das Mittag mit Alice zu. Mit ihren dreieinhalb Jahren konnte ich ihr schon zumuten Tomaten zu schneiden. „Hast du deine Hände gewaschen?“ Ich lachte. „Natürlich und du?“ Sie nickte und begann mit ihrer Arbeit. Tatsächlich waren ihre kleinen Hände sehr flink und dennoch vorsichtig. Ich hackte die Zwiebeln und den Knoblauch klein und fasziniert schaute mich Alice an. „Wenn ich groß bin, will ich auch so schnell Zwiebeln schneiden.“ Jojo und Naoki tauchten gar nicht wieder auf, wer weiß was die beiden trieben. Wahrscheinlich waren sie auch mal froh ihre Ruhe zu haben. „Das kannst du sicher. Tust du die Tomaten in den Topf?“ „Ja. Wo ist Juka?“ „Noch arbeiten, aber er kommt heute auch nicht so spät.“ Komischerweise achtete ich gerade auf meine Aussprache, wenn ich mit Alice redete. Sonst war mir das eher egal und ich verschluckte mal einen Buchstaben, doch mir lag viel daran, dass meine kleine Nichte richtig sprechen lernte. Ich setzte Nudelwasser auf und kochte mir noch einen Kaffee. Irgendwie würde ich jetzt gern eine rauchen, aber in Alice Anwesenheit fühlte ich mich dabei immer so schlecht. Deshalb ließ ich es bleiben. Sie sprang von ihrem Stuhl herunter, den ich ihr hingestellt hatte, damit sie an die Arbeitsfläche kam. „Lukas weißt du, ich hab keine Windel mehr.“ „Wow das ist ja toll. Musst du auf’s Klo?“ „Nein, aber ich sag Bescheid okay. Das hab ich mit Mama und Papa geübt.“ Alice rannte auf die Terrasse zum Pool und hängte ihre Füße ins Wasser, zog sie jedoch blitzschnell wieder zurück und kicherte. „Willst du später baden gehen?“, fragte ich. „Das Wasser ist aber so kalt.“ „Wenn du drin bist, wird’s besser. Komm wir schauen nach unseren Nudeln.“ Ich hob sie hoch, damit in den Topf spickeln konnte. Vorsichtig fischte ich eine Nudel heraus, pustete und gab sie Alice. „Ist fertig.“ Nach dem Essen wollten Naoki und Jojo in die Stadt und sich eventuell mit Naokis Eltern treffen. „Wollt ihr Alice mitnehmen?“ „Mhh, ich bin nicht sicher, ich glaube sie ist echt müde. Wäre es okay, wenn wir sie bei dir lassen?“, fragte mich Naoki. Ich zuckte mit den Schultern. „Klar, vielleicht bekomm ich sie ja dazu Mittagsschlaf zu machen.“ „Hast du zu viel gefeiert oder was?“ „Naja mehr oder weniger, die letzten beiden Tage waren einfach nur etwas stressig. Juka hat es endlich geschafft die Agentur zu übernehmen und das is halt mit viel Arbeit verbunden.“ „Ah cool, freut mich für ihn. Wurde ja auch langsam Zeit.“ Ich nickte. Jojo räumte ab, obwohl ich ihr sagte, sie müsse das nicht tun. Dann machten sie beiden Turteltäubchen auf den Weg in die Stadt. Alice schien kein Problem damit zu haben allein bei mir zu bleiben. Sie wollte unbedingt einen Film schauen. „Arielle ist mein Lieblingsfilm, hast du den?“ Wir lümmelten uns auf das riesige Sofa im Wohnzimmer und ich durchsuchte meine Onlinevideothek. Und tada, Arielle war auch dabei. „Solltest du nicht Mittagsschlaf machen?“ Sie schüttelte heftig mit dem Kopf und schaute mich an, als würde ich nicht genau wissen, was ich da gerade gesagt hätte. Fernsehen war jetzt tödlich, denn ich befürchtete, ich würde dabei einschlafen. Ich lag längs auf dem Sofa und auf einmal kam Alice angekuschelt und ihr kleiner Körper lag auf mir. Ihr Köpfchen schmiegte sich an meine Brust. Ich lächelte zufrieden und legte meine Arme um sie. Tatsächlich fielen mir die Augen schon beim ersten Drittel des Filmes zu und die kleine rothaarige Meerjungfrau sang mich in den Schlaf. Naokis Eltern waren noch unterwegs und deshalb verabredeten sie sich für später zum Abendessen mit ihnen. Vielleicht war Alice da auch wieder fit. Jojos Bruder hatte ihr den Schlüssel zur Wohnung mitgeben und als die beiden eintraten lag er auf der Couch, ihr Töchterchen halb auf ihm und beide schliefen friedlich. Jojo wies Naoki an, leise zu sein. Juka war mittlerweile auch da und sie setzten sich raus in die Sonne. Jojo umarmte ihren Schwager. „Die beiden da drin sind ja zuckersüß.“ „Ja das sind sie und ich glaube Luki muss Schlaf nachholen.“ „Was habt ihr denn gemacht? Er hat nur erzählt, dass du jetzt die Firma leitest.“ Juka nickte. „Genau, das war nicht so einfach und ohne die Hilfe deines Bruders wäre mir das nicht gelungen. Mein Exchef ist ein ziemlicher Widerling und wir mussten ihn ein bisschen überlisten, aber alles gut. Jetzt hab ich Nocturna unter Vertrag genommen und wir haben gestern auch schon die ersten Aufnahmen gemacht. Naja und eben die Party am Abend zuvor…das schlaucht ganz schön.“ „Naja, er sah ein bisschen so aus, als hätte er zwei Nächte durchgesoffen…manchmal mache ich mir Sorgen um Lukas.“ Juka warf Jojo einen entwarnenden Blick zu. „Süße, deinem Bruder geht’s gut und glaub mir, ich pass auf ihn auf.“ Naoki verabschiedete sich auch, weil er sich noch ein bisschen auf’s Ohr hauen wollte. „Das hoffe ich.“ „Jojo…er bedeutet mir genauso viel wie dir und ich hab manchmal das Gefühl, dass du mir die Fehler der Vergangenheit noch immer nicht ganz verziehen hast.“ Verdammt, jetzt hatte er sie ertappt. Jojo lächelte etwas verlegen. „Tut mir leid…eigentlich nicht, weil ich sehe, was für einen Einfluss du jetzt auf ihn hast. Er ist eben meine Familie…und er hat soviel für mich getan.“ Juka seufzte. „Es ist nicht allein mein Einfluss, sondern auch Lukis Wille…ich tue kaum etwas und ich weiß, dass ihn nicht verändern muss Jojo. Das macht er von ganz allein, weil er merkt, was ihm gut tut. Dein Bruder ist auch nur ein Mensch, der irgendwann Mal genug vom ständigen Feiern hat und sesshaft werden möchte. Er ist weit aus nicht so kompliziert, wie er sich immer gern hinstellt.“ „Wow…es klingt schön, wie du das sagst. Lukas kann sich wirklich glücklich schätzen dich zu haben.“ „Glaub mir das weiß er, aber ich könnte mir auch keine Minute mehr ohne ihn vorstellen.“ „Ich geh mich auch noch ein bisschen ausruhen. Kannst ja Bescheid sagen, wenn die beiden munter sind.“ „Mach ich.“ Später bei Naokis Eltern. Irgendwie war es immer wieder befremdlich auf Naokis Eltern zu treffen, da sie ja die meiste Zeit unterwegs waren und Jojo das Haus nur ohne sie kannte. Alice ließen sie ein bisschen im Schwimmbecken plantschen. Jojo hatte auch nicht das Gefühl, dass sie ihrer Tochter viel Beachtung schenkten. Beide wirkten sehr reserviert und kühl und Jojo stellte sich die Frage, wie die beiden Spaß miteinander haben konnten. Naoki redete mit seinem Vater irgendwas, wovon sie nicht alles verstand, weil ihr Japanisch ganz schön eingerostet war. Sie blieben noch zum Abendessen und da Alice wieder ein bisschen quengelig wurde, traten sie auch recht zeitig den Heimweg an. Doch plötzlich hielt Naoki inne. „Wollen wir nicht hier übernachten?“ „Mhh, ich glaube ich würde lieber zurück, weil ich auch nicht alle Sachen von Alice dabei habe. Ein anderes Mal gerne.“ „Du fühlst dich nicht wohl hier oder?“ Jojo seufzte und hielt ihre Tochter an der Hand. „Nein, das ist es nicht…ich bin nur kaputt und würde Lukas auch gern noch Mal sehen.“ Naoki schaute leicht säuerlich und verzog das Gesicht. „Meinst du er hat seinen Rausch ausgeschlafen?“ In seiner Stimme schwang ein sehr sarkastischer Unterton mit. „Du hast es doch gehört, er hat die letzten Tage viel gearbeitet…solltest du vielleicht auch mal wieder tun.“ Wütend funkelte sie ihr Freund an. „Ach jetzt bin ich nicht mehr gut genug oder was? Ich bin da für Alice und dich, reicht das nicht?“ Jojo sog die Luft ein und hasste es in Alice Gegenwart mit ihm zu streiten. „Nein, ich habe lediglich gesagt, dass es dir auch gut tun würde wieder zu arbeiten. Es ist schön, dass du für uns da bist, aber denk auch mal wieder an dich. Vorher hab ich es auch allein hinbekommen!“ Naoki zündete sich eine Zigarette an, noch eine Angewohnheit, die Jojo nervte, zumindest im Beisein ihrer Tochter. „Stimmt, da hattest du ja deinen tollen Bruder, der von jedem angehimmelt wird, weil er so unwiderstehlich ist.“ Sie warf Naoki einen verachtenden Blick zu. „Ernsthaft? Du bist eifersüchtig auf Lukas?“ Alice zog an ihrer Hand und sie gingen weiter. Dann fing sie an zu meckern und Jojo setzte sie in ihren Baggie. „Ja bin ich. Hast du ihn heute mit Alice gesehen? So lag sie mit mir noch nie auf dem Sofa…selbst die Kleine vergöttert deinen Bruder und ich bin ihr Vater, eigentlich wäre ich derjenige, den sie so verehren sollte oder nicht?“ Jojo war kurz davor auszuflippen. „Ja und? Lukas war auch in den ersten Jahren für Alice da, was erwartest du denn?“ Die Leute auf der Straße starrten schon komisch und die Kleine weinte. „Ja, ja, nur weil du mir nichts von Alice erzählt hast!“ „Ach jetzt bin ich wieder Schuld, klar.“ Die drei stiegen aus der Bahn aus und hatten fast Lukas und Jukas Wohnung erreicht. Naoki wurde langsamer und blieb auf einmal ganz stehen. „Weißt du was…geh doch zu deinem tollen Bruder…ich geh mich jetzt betrinken.“ „Ist das dein scheiß ernst?“, fuhr Jojo ihn an. Er nickte. „Viel Spaß euch. Falls du mich sehen willst, ich penn in meiner Wohnung.“ Und mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Nicht mal ein Kuss, nichts. Das war heute nicht ihr erster Streit gewesen, aber dafür der schlimmste, denn noch nie hatte Naoki Jojo so zurückgelassen. Sie kämpfte mit den Tränen und klingelte. Fast schweigend gab sie Alice was zum Essen und legte sie danach schlafen. „Mami, ist Papa böse auf mich?“ Diese unschuldigen Kinderworte brachten sie dann doch zum Heulen. „Nein Süße. Weißt du, erwachsene streiten sich eben manchmal. Papa kommt bald wieder. Schlaf jetzt mein Schatz.“ Jojo streichelte sie noch eine Weile und als ihr die Augen zufielen, stahl sie sich leise davon, ließ die Tür jedoch einen Spalt breit offen. Draußen hatte es begonnen zu regnen und ihre beiden Brüder warteten mit Juka im Wohnzimmer auf sie. Jojo setzte sich zwischen Lukas und Fabi. „Na kleine Schwester, wo hast du Naoki gelassen?“, fragte der jüngere von beiden. Sie biss sich heftig auf die Unterlippe. „Der ist in die nächste Bar gegangen, um sich abzuschießen.“ „Gut so, ich kann ihn ohnehin nich ausstehen.“ Lukas gab Fabi einen Klaps auf den Hinterkopf. „Wir haben uns gestritten und er wollte mit mir bei seinen Eltern bleiben, wozu ich keine Lust hatte. Außerdem ist er extrem eifersüchtig auf dich Lukas.“ Lukas sah sie ein wenig irritiert an und zog die Schultern hoch, als wäre er sich keiner Schuld bewusst. „Was hab ich denn getan?“ „Es ist wegen Alice…er glaubt, dass sie dich mehr mag als ihn und macht mich dafür verantwortlich, weil ich ihm erst so spät von ihr erzählt habe.“ „Der soll sich mal nich so haben…er hätte doch auch mal eher zu dir kommen können. Ich glaub er is nur wegen Alice geblieben“, mischte sich Fabi wieder ein. „Ich hab keine Ahnung…nur bin ich gerade echt ratlos…toll, erst betrinkt er sich und dann vögelt er mit der nächstbesten Tussi rum, die seinen Weg kreuzt…“ Juka hatte sich bisher zurückgehalten, doch auch ihm schien das Gespräch irgendwie nahe zu gehen, denn er sah sehr besorgt aus. „Jojo…Naoki war schon immer ein Draufgänger und ich habe gehofft, dass du ihn bekehren kannst. Ich habe ihn vor einem Jahr aus der Band geworfen, deshalb ist er zu dir gekommen, allerdings war ihm nicht bewusst, dass ich wieder mit Lukas zusammen bin. Er hat versucht neu anzufangen, weil die Band sein Leben war. Doch hat er ein paar unschöne Dinge über Kami gesagt, die ich jetzt nicht wiederholen möchte…naja und er war echt angepisst…doch sicher bedeutest du ihm auch etwas, sonst wäre er nicht so lange bei dir geblieben…nur hier holt ihn eben seine Vergangenheit wieder ein.“ Jukas Worte trafen das junge Mädchen sehr und jetzt hasste sie Naoki erst recht. Und sie konnte ihre Tränen kaum noch zurückhalten. Plötzlich klingelte ihr Handy. Natürlich rief Naoki an. Mit zittrigen Händen nahm sie den Anruf entgegen. „Hey.“ „Hey. Verzeihst du mir?“ „Ich weiß nicht…vielleicht, wenn du jetzt herkommen würdest.“ „Ja klar, ich mach immer was du willst. Dann nicht, ich hab auch ohne dich Spaß.“ „Bitte tue das nicht Naoki. Komm einfach her und lass uns reden.“ „Keine Lust. Hier sind gerade zu viele hübsche Mädels.“ Die Wut schnürte ihr die Kehle zu und ihre Hand zitterte heftig. „Wenn du das tust, wirst du Alice und mich nie wiedersehen.“ „Dann bye bye Baby.“ Frust und Enttäuschung überrannten Jojo und jetzt musste sie wirklich heulen. Dieser widerliche Bastard. Jetzt konnte sie wenigstens ein bisschen nachvollziehen, wie sich ihr liebster Bruder gefühlt haben musste. Auch spürte sie auf einmal den Drang sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken zu müssen. Lukas und ihr Blick trafen sich. Wieder musste sie heulen und er zog sie in seine schützenden Arme. „Jojo…was kann ich dir Gutes tun?“ „Ich weiß es nicht…hast du irgendwelche Drogen da?“ Lukas zog die Stirn in Falten. „Das lässt du mal schön bleiben. Komm mal mit.“ Er schwang sich elegant über die Sofalehne während Jojo etwas unbeholfen darüber kletterte. Draußen hatte es aufgehört zu regnen, doch es war kühl. Lukas schnappte sich eine Decke und führte seine Schwester zu einem versteckten Plätzchen, der ihr zuvor gar nicht aufgefallen war. Der überdachte Teil der Terrasse und dort stapelten sich haufenweise Kissen, die als Sitzmöglichkeiten dienten. Als Lukas einen Schalter betätigte, leuchteten rote, gelbe und violette Lampions, die an einer Lichterkette befestigt waren. Sie kuschelten sich in die Decke und er bot ihr eine Zigarette an, die sie dankend annahm. „Das sind die einzigen Drogen, die du von mir bekommst. Willst du drüber reden?“ „Naja, was soll ich sagen, Naoki ist ein Arsch. Ich wünschte es wäre anders gelaufen…jetzt werde ich wohl allein wieder nach Hause fliegen.“ „Es tut mir leid…ich kann dir nich Mal nen vernünftigen Ratschlag geben Süße…Liebe kann echt weh tun…aber Jojo, du hast Alice und für sie musst du stark sein…es war falsch von mir mich damals so hängen zu lassen und du hattest ein Recht wütend auf mich zu sein…ich hab versagt, weil ich nich für dich da sein konnte…wenn ich die Zeit noch Mal zurückdrehen könnte, würde ich es anders machen, egal wie beschissen ich mich fühle.“ „Aber ich hab‘s verkraftet oder? Ich weiß, Alice ist noch klein und sie braucht mich…bei ihr kannst du es ja wieder gut machen…sie liebt dich Lukas, sehr sogar.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Das hab ich heut auch gemerkt…sie erinnert mich an dich, als du noch so klein warst. Oft hast du dich mitten in der Nacht zu mir geschlichen oder wolltest auf mich warten. Du hast mich immer wieder zurückgeholt Jojo, du warst der Grund, warum ich allen Scheiß zu Hause ertragen habe…ich wollte dich niemals enttäuschen und doch habe ich es so oft getan. Manchmal glaube ich, dass mein Verhalten genau so selbstsüchtig war wie das unserer Eltern.“ Jojo atmete tief ein und wieder aus und die Worte ihres Bruders machten sie wahnsinnig traurig. „Denk doch sowas nicht. Du bist und bleibst mein Held und in den letzten Jahren warst du mehr für mich da, als jeder andere. Ich hab vorhin gedacht, dass ich dich schon verstehe, denn es ist echt heftig, wenn einem das Herz gebrochen wird, aber ich schaff das. Es tut gut zu wissen, dass dir all das leid tut, aber das muss es nicht.“ „Das sagst du jetzt…aber durch Alice hast du jetzt erfahren, wie wundervoll es sein kann einen so kleinen Menschen heranwachsen zu sehen. Du versuchst ihr eine gute Mutter zu sein und doch hast du heute beschlossen nicht mehr mit Naoki zusammen zu sein, weil du glaubst, es is gut für sie. Doch was wirst du tun, wenn sie irgendwann zu ihrem Vater möchte? Kinder können manchmal unberechenbar sein und das solltest darauf gefasst sein.“ „Dann muss ich sie wohl oder übel gewähren lassen. Doch jetzt kann ich sie von ihm fernhalten, denn vermutlich ist es ihm ohnehin egal. Willst du eigentlich echt keine Kinder?“ Lukas lachte und zündete sich noch eine Zigarette an. „Nee, das brauch ich nich auch noch. Ich glaub ich hab ein bisschen dazu beitragen können, dass aus dir ein anständiges Mädchen wird und ich werde auch immer für Alice da sein, aber eigene Kinder? Niemals.“ Jojo schaute ihren Bruder eine Weile an und noch immer war sein Gesicht von Müdigkeit gezeichnet. Doch in seinem Blick lag dieser kämpferische liebevolle Ausdruck, der ihr soviel Kraft gab. Irgendwas an ihm war anders als sonst, doch sie konnte nicht genau ausmachen, was es war. „Liebst du Juka eigentlich noch genauso wie am ersten Tag?“ Das Lächeln, was ihn jetzt umgab war unbeschreiblich, so zärtlich und voller Glück. „Nicht genauso, aber meine Gefühle ihm gegenüber sind stärker geworden. Manchmal frage ich mich noch immer, warum er mit mir zusammen is…aber eigentlich spielt das auch keine Rolle.“ „Und naja…ich hoffe die Frage kommt jetzt nicht blöd…hat sich in der Zeit, in der ihr zusammen seid, was an eurem Liebesleben verändert?“ Lukas lachte und zog genüsslich an seiner Zigarette. „Reden wir jetzt über Sex?“, fragte er amüsiert und Jojo nickte. „Irgendwie schon. Und das obwohl wir nüchtern sind.“ „Das is doch egal…Jojo, je mehr du einen Menschen liebst, desto intensiver kann dein Sexleben sein. Manchmal glaube ich Fabi ignoriert uns in dieser Beziehung oder ihm isses einfach egal.“ „Also wird es bei euch nicht weniger?“ „Nein, zum Glück…das wäre furchtbar. Aber mit Juka isses auch was ganz anderes…früher dachte ich immer, dass es schnell vorbei sein muss, aber es is einfach der Wahnsinn, wenn sich der Sex über mehrere Stunden zieht. Oder der Ort kann auch eine reizende Rolle spielen.“ Sie bewunderte ihren Bruder für seine Offenheit und wahrscheinlich würde es ihn auch nicht stören beim Sex irgendwo erwischt zu werden. Jojo hingegen wäre das schrecklich peinlich und war sie da eher ein bisschen verklemmt. „Naja, ich glaub ich muss da noch einiges lernen. Mit Naoki war‘s zwar gut, aber ich weiß auch nicht. Wie schaffst du es so offen mit dem Thema umzugehen?“ Er erhob sich. „Okay…ich geh uns mal was zum Trinken holen. Dann können wir weiterreden.“ Wenige Minuten später kehrte Lukas zwei Bier zurück. „Weil es mir egal is, was andere von mir denken Süße. Wenn es nach mir ginge würde ich den ganzen Tag nackt herumlaufen und Juka hätte sicher auch nichts dagegen…ich liebe Sex, wobei ich manchmal glaube ich bin leicht extrem in dieser Hinsicht…willst du das echt hören?“ Jojo nickte und sie stießen an. „Ja auf jeden Fall. Extrem also?“ Ihr Bruder trank einen Schluck. „Naja…es kann man schon mal etwas härter sein…ich mag dieses ewige gekuschel vorher nich….ich steh lieber auf Fesselspielchen oder anzügliches Sexgelaber. Ich will dabei etwa spüren und dennoch seine Zärtlichkeit und Begierde fühlen. Außerdem mag ich es für Juka gut auszusehen.“ „Das stimmt, überzeugt von dir warst du schon immer. Aber ich dachte, du stehst auf voll tätowierte Mädels oder eben Jungs…was fasziniert dich an Juka so?“ „Oh Mann, wo soll ich da anfangen…klar an erster Stelle steht seine unvergleichliche Art und wie er mit mir umgeht, so liebevoll und fürsorglich, doch wie sagt man so schön, stille Wasser sind tief? Juka braucht keine Tattoos, es sei denn er will sich unbedingt eins stechen lassen, aber es is sein Style, wie er sich kleidet und eben diese Tiefe seines Charakters. Ich kann‘s nich beschreiben, aber achte Mal drauf. Aber mal ehrlich kleine Schwester, es gibt bessere Typen als Naoki.“ Sie trank einen Schluck und schaute Lukas traurig an. „Mhh…aber er ist so toll. Zumindest kann er das sein.“ „Aber toll sein is nich alles. Denk lieber daran, was dich an ihm nervt und wenn diese Argumente überwiegen, hat er eh verloren.“ Wieder stiegen ihr dir Tränen in die Augen. „Das hab ich bereit getan…und er hat verloren. Aber ich hab mir so sehr gewünscht, dass Alice mit beiden Elternteilen aufwächst.“ „Sie hat ne tolle Mum. Was brauch sie also mehr? Jojo, lass dich nich von dem Gedanken leiten. Sie is dein kleines Mädchen und das wichtigste ihn ihrem Leben bist du.“ „Aber wie soll ich das alleine schaffen Lukas? Ich hab ein riesen Haus, du bist in Tokio und ich das Gefühl das wird alles zu viel! Es würde mir schon helfen, wenn du nicht so weit weg wärst.“ Lukas sah jetzt ernst und sehr nachdenklich aus. Sie wusste, dass sie Unmögliches von ihm verlangte und sie glaubte fast nicht daran, dass er sie begleiten würde, denn sein Leben war jetzt hier. Zusammen mit Juka. „Jojo…wir sollten jetzt schlafen gehen.“ Sie hatte es geahnt und ihre Augen spiegelten mit Sicherheit diese verzweifelte Enttäuschung wieder. Lukas nahm sie in seine Arme und küsste sie auf den Scheitel. „Wir finden eine Lösung, versprochen. Jetzt geh ins Bett.“ „Alles klar…ich glaub das war genügend Ablenkung, danke Bruderherz.“ Ich stellte die Flaschen noch in die Küche und dachte eigentlich die anderen beiden wären schon im Bett. Da spürte ich eine Hand, die mir unters T-shirt glitt. Ein süßer Schmerz schnürte mir fast die Kehle zu und Juka ließ von mir ab. Ich hielt eine Sekunden den Atem an, als mir bewusst wurde, dass Juka keine Klamotten trug. „Kommst du mit ins Bett?“, fragte er, doch ich presste ihn an die Wand und ließ meine Hände über seinen nackten Körper gleiten. Meine Lippen suchten begierig seinen Mund und ich biss ihm leicht in die Unterlippe. „Ich fürchte ich schaff‘s nich bis ins Bett.“ Sein Körper vibrierte leicht, als er lachte. „Du bist wirklich unmöglich.“ Ich war hin und hergerissen, weil ich Angst hatte Juka zu enttäuschen, aber auch für Jojo da sein wollte. Nachdem ich Juka in der Küche förmlich überfallen hatte, rauchte ich noch eine letzte Zigarette. Mein Liebster folgte mir in einer Decke eingekuschelt. Ich war nicht in der Lage ihm in die Augen zu sehen, doch er nahm mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, sodass ich ihn unweigerlich anschauen musste. Ich ertrug schon allein den Gedanken nicht, wieder längere Zeit von ihm getrennt zu sein. In dieser Nacht schlief ich sehr unruhig. Die nächsten Tage waren Studio angesagt und ich hatte noch immer keine Entscheidung gefällt, die Zeit lief mir davon. Juka war irgendwie mehr beschäftigt als sonst und es ergab sich auch kein geeigneter Moment, in dem ich hätte mit ihm reden können. Mir blieben nur noch zwei Tage. Als ich am Nachmittag nach Hause kam, waren Jukas Mum und seine Schwester zum Essen zu Besuch. Die Stimmung war ausgelassen und freudig. Auch meine Schwester schien wieder etwas entspannter zu sein. Ich umarmte Juka und gab ihm einen Kuss. „Hast du kurz Zeit zum Reden?“, fragte ich endlich und er willigte ein. Ich war so nervös wie schon lange nicht mehr. „Was gibt’s mein Hübscher?“ Ich räusperte mich. „Juka…ich weiß nich wie anfangen soll, aber ich glaub ich muss weg aus Tokio…nich deinetwegen oder so…ich kann Jojo nich im Stich lassen. Und es ist egoistisch von mir so zu handeln, denn so musst du wieder drunter leiden, aber es muss ja nich für lange sein. Nur, bis sich alles ein bisschen eingepegelt hat.“ Juka zog mich zu sich und küsste mich. „Soll ich dir mal was verraten mein liebster Schatz? Das weiß ich längst und ich habe deiner Schwester schon versprochen, dass wir mit ihr kommen werden. Die Agentur hab ich Kim überschrieben…ich habe andere Pläne, aber das erzähl ich dir wann anders. Yoshi ist weg und sie wird das schaffen. Und was dich betrifft, du musst dir keine Vorwürfe machen, weil es das Richtige ist. Jojo braucht dich oder bessergesagt uns. Deshalb wird meine Mum in unser Haus ziehen und dein Visum läuft in zwei Monaten ohnehin ab. Ich hab mit den Behörden telefoniert und es wäre viel Stress und noch mehr Papierkram, um die japanische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Also geht’s morgen zurück nach Deutschland.“ Ich schüttelte ungläubig mit dem Kopf und war einfach sprachlos, doch mir fiel ein Stein vom Herzen. Dann musste ich anfangen zu lachen. So wie es aussah, hatte ich mir ohne Grund solche Sorgen gemacht. „Und wie lange weißt du das alles schon?“ „Seit drei Tagen“, gab er unschuldig zur Antwort. Ich funkelte ihn böse an. „Und du hältst es nich für nötig mich in deine Pläne einzuweihen?“ „Ich hab‘s dir jetzt gesagt…außerdem wollte ich dich überraschen und dein dummes Gesicht sehen.“ Ich legte meine Arme um seinen Hals und sah ihm tief in die Augen. „Juka…ich weiß nich, was ich sagen soll…du bist einfach der Beste…ich liebe dich.“ „Naja ich hatte die Wahl hier ohne dich oder in Deutschland mit dir zu sein…ich will nie mehr ohne dich sein Luki. Das haben wir schon viel zu oft hinter uns.“ Kapitel 69: Der charmante Barkeeper ----------------------------------- Jojos vermeintlicher Traummann war zwar über alle Berge, aber dafür schien alles andere super zu laufen. Sie versuchte Naoki hinter sich zu lassen und zu ihrer Enttäuschung ließ er auch nichts mehr von sich hören. Dennoch wollte sie die gemeinsame Zeit mit ihm in guter Erinnerung behalten. Nur war es schwierig Alice zu erklären, dass ihr Papa vermutlich nie wieder kommen würde. Im Kindergarten fühlte sie sich wohl und Jojo war mehr als froh, dass Nici ihre Bezugserzieherin war. Sie nutzte ihre Zeit wieder öfter, um auch mal wieder etwas für sich zu tun und Lukas und Jojo wechselten sich am Wochenende immer mit Babysitten ab. Nina, Jule, Lena und Jojo besuchten ihre Lieblingsbar und es tat verdammt gut, total aufgetakelt vom anderen Geschlecht bewundert zu werden. Ihre Modelkarriere lief nebenher auch in voller Fahrt und mittlerweile war sie ein nicht mehr ganz so unbekanntes Gothic-Tattoomodel. Jojo hatte ab uns zu auch das eine oder andere Date gehabt, jedoch immer so, dass es vorerst vor Alice geheim blieb, denn sie wollte ihr nicht jeden Typen vorstellen, mit dem sie sich traf. „Ey Jojo, der Kerl da an der Bar scheint dich echt scharf zu finden“, sagte Jule schon leicht beschwipst. Unauffällig drehte ich meinen Kopf und es war wie ein Déjà-vu. Kein Wunder, dass sie der Kerl so anschaute, sie kannten sich. Es war Levi. Doch er trug seine Haare anders. Seine Dreads hatte er abgeschnitten, scheinbar schon vor einer Weile denn seine Haare reichten ihm bis zu den Schultern. Und Jojo war mir nicht sicher, ob diese goldblonden Locken echt waren. Die leichte Lockenpracht vielleicht schon, aber diese Haarfarbe? Dennoch harmonierte sie perfekt mit seinen bernsteinfarbenen Augen und dem Whiskey in seinem Glas. Die ersten drei Knöpfe seines Hemdes standen offen und es schmiegte sich perfekt an seinen muskulösen Körper. Plötzlich erhob er sich und das Klacken seiner schwarzen Schlangenlederschuhe, die hoffentlich nicht echt waren, kam näher. Vor Jojo blieb er stehen und sie stellte etwas unbeholfen fest, dass der Stoff seines Hemdes sehr sehr durchsichtig war. Sie schluckte und ihre Freundinnen schienen Levi auch anzuschmachten. Er ergriff ihre Hand und küsste sie zärtlich. Ein leichter Schauer durchfuhr ihren Körper. „Guten Abend Ladys, darf ich diese reizende Dame vielleicht auf einen Drink zur Bar entführen?“ „Klar doch“, antwortete Jule sofort und Jojo folgte Levis Bitte. Er bestellte ihr noch einen Wein, denn ihr Glas am Tisch war ohnehin leer. Konnte es sein, dass er den Moment abgepasst hatte? „Schön dich zu sehen. Gut siehst du aus.“ „Danke. Mir geht es auch gut…und dir?“ „Ich kann nicht klagen. Wie geht es deiner Tochter? Sie müsste doch mittlerweile auch drei oder so sein.“ Levi erinnerte sich also, was hatte sie von einem Gentleman wie ihm auch anderes erwartet. „Naja, sie ist jetzt vier…fast richtig geschätzt. Alice entwickelt sich prima, hätte echt nie gedacht, dass es so schön sein kann Mutter zu sein.“ Levi schenkte ihr ein bezauberndes Lächeln. „Tja, so ändern sich die Dinge. Hast du ein Bild von ihr?“ Jojo zog ihr Handy hervor und durchsuchte die Galerie. Ihre Wahl fiel auf das Bild mit Lukas, wo die beiden auf dem Sofa schliefen, denn das mochte sie besonders. „Wow, eine Süße…verzeih die Frage aber ist das dein Freund?“ Jojo schüttelte lachend den Kopf. „Nein, das ist mein Bruder. Ich versuch sie zu erziehen und Lukas sorgt dafür, dass all meine Mühe umsonst ist…der coole Onkel eben, bei dem sie fast alles darf.“ „Ihr scheint euch sehr nahe zu stehen…du und dein Bruder meine ich.“ „Ja, das tun wir auch und ohne ihn wäre ich in den letzten Jahren ein bisschen verloren gewesen.“ Auf einmal erklang Musik von der kleinen Bühne. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass da eine Band spielte. „Die Deftones spielen heute, kennst du die?“ „Vom Hören Sagen…aber ich könnte dir jetzt keinen Songtitel nennen.“ „Soviele Lieder sind mir auch nicht bekannt. Hast du Lust zu tanzen?“ „Ähm klar, warum nicht.“ Jojo winkte ihren Mädels zu und Nina streckte den Daumen nach oben. Zuerst bewegte sie sich eher langsam zur Musik, die recht schwer und gitarrenlastig klang und dennoch melodisch. Die helle Stimme des Sängers fand Jojo ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber es passte zum Rest. Levi und sie waren fast die einzigen auf der Tanzfläche, doch das störte sie nicht. Zwischen der urigen Theke, an der mehrere verwitterte Hocker aus Holz standen und den kleinen Tischen mit den wild dureinandergewürfelten Stühlen war die Bühne. Und naja, so besonders viel Platz blieb da gar nicht zum Tanzen, doch sie machten das Beste draus. Die Deftones stimmten ein Cover von Simple Man an. Jojo klatschte vergnügt in die Hände. „Ahh ich liebe dieses Lied“, rief sie Levi zu und er grinste sie sehr charmant an. Eher ungewollt berührten sich unsere Körper und dann nahm er ihre Hand. Vorsichtig legte er sie um seine Hüfte und Jojos Puls schoss in die Höhe. Mit seinem Blick versicherte er sich, dass das, was tat in Ordnung ist. Er führte sie und sie tanzten zusammen. Jojo fühlte sich auf einmal wieder hübsch und begehrenswert. Dieses Gefühl genoss sie in vollen Zügen. Sie lachten viel, weil ihr hin und wieder ein Patzer unterlief. Levi drehte sie und ließ sie dann wieder sanft in seine Arme gleiten. Nach drei oder vier Liedern gönnten sie sich dann eine Pause und bestellten neue Drinks. Jojo kehrte wieder zu ihren Mädels zurück. Nina fächelte sich Luft zu und gab mir zu verstehen, dass ihre kleine Tanzeinlage echt heiß war. Jojo erzählte ihren Freudinnen auch, dass Levi und sie sich kannten. Nina sah ihre Freundin mit aufgerissenen Augen an. „What? Das war Levi…Jojo, das ist langsam kein Zufall mehr. Bitte schnapp ihn dir dieses Mal.“ „Ich weiß nicht so richtig.“ „Trauerst du etwa noch immer deinem Naoki nach? Süße, vergiss ihn…es gibt Bessere“, mischte sich Jule ein und Jojo wusste, dass sie Recht hatte. Doch war sie sich nicht sicher, ob sie schon bereit für etwas Neues war. Zu Hause schlich Jojo noch einmal in Alice Zimmer und schaute ihre kleine schlafende Schönheit an. Ohne Naoki wäre dieses kleine Wesen niemals auf der Welt und doch schaffte er es sie so traurig und wütend zu machen. Und was wäre, wenn Alice nicht wäre? Würde sie dann von einem One-Night-Stand zum nächsten ziehen? Sie liebte ihre Tochter mehr als alles andere auf der Welt und sie traf keine Schuld und dennoch erinnerte sie Jojo unweigerlich immer an den Mann, der sie hatte sitzen lassen. Doch dafür durfte Jojo sie niemals verantwortlich machen, denn sie wollte Alice mehr bieten und ihr eine liebevolle Mutter sein. Und dann war da noch Levi, der gutaussehende Gentleman, der die Hoffnung noch immer nicht aufgab. Doch Jojo war sich mehr als sicher, dass sie niemals etwas Ernsteres mit ihm anfangen konnte. Warum funktionierte das mit dieser ganzen Liebesscheiße immer in Filmen, nicht aber im wirklichen Leben? Warum mussten wir unter den Fehlern anderer leiden und warum verliebte man sich immer in die falschen Männer? Jojo brachte Alice in den Kindergarten und fuhr dann weiter zur Arbeit, jedoch noch immer nicht wirklich gut gelaunt. Später fragte Lukas, ob er Alice abholen könne und Jojo kehrte in Lieblingsbar ein. Alleine. Dort bestellte sie Tequilla. Und auf einmal kam sie sich vor wie eines dieser armeseligen Mädchen in den Serien, die sie so mochte. Allein und verlassen. Ertränkt ihren Frust im Alkohol. Ihre Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln, als sie ihren zweiten Shot bestellte. Scheinbar schien heute Kitsch- und Lovesong Donnerstag zu sein. Und Nummer drei kam an die Reihe. Der blonde Baarkeeper, der ihr irgendwie noch nie aufgefallen war, zog seine Augenbrauen hoch. „Es geht mich vermutlich nichts an, aber da scheint jemand nen echt miesen Tag gehabt zu haben.“ Jojo schaute den Typen an und versuchte so dämlich wie möglich zu lächeln. „Ach wirklich? Was hat mich verraten, dass ich hier alleine aufkreuze? Ja, weißt du, ich hatte nicht nur einen beschissenen Tag, sonder gleich einen beschissenen Monat. Aber hey…das Leben geht weiter…und jetzt gönne ich mir eben Mal eine Pause, was ist daran so falsch?“ „Sorry meine Hübsche, ich wollte dir nicht zu nahe treten…weißt du, ich bin hier nur der Barkeeper und werde dafür bezahlt nett zu sein. Doch wenn dir das nicht passt, kann ich auch gern der arrogante Arsch raushängen lassen.“ Jetzt musste Jojo irgendwie lachen. „Schon okay, ich entschuldige mich für mein Verhalten…schließlich kannst du nichts dazu. Ich bin übrigens Jojo.“ Was war bloß in sie gefahren? Sie verhielt sich doch sonst immer so schüchtern und jetzt flirtete sie ernsthaft mit dem Barkeeper? „Ich weiß…ähm ich meine freut mich, ich bin Jayden…wenn du willst auch Jay, mir egal.“ Jojo kniff die Augen zusammen und fragte sich gerade, ob das wirklich passierte. „Wie du weißt?“ Jayden rollte mit den Augen. „Hallo, ich bin der Barkeeper und du kommst öfter her…ich hab gehört, wie dich deine Freundinnen neulich mit deinem Namen angesprochen haben.“ „Und das merkst du dir?“ „Klar…ein Viertel meines Gehirns ist für alle Cocktailnnamen und deren Zusammensetzung zuständig und in dem anderen Viertel speichere ich Namen.“ Kaum noch konnte sie ein Lachen unterdrücken. „Sowas bescheuertes habe ich ja noch nie gehört…also kennst du dich nur mit Cocktails und Frauen aus.“ Jayden erhob den Zeigefinger und zog den ein wenig nach unten. „Du hörst nicht zu…ich sagte Namen, nicht Frauennamen…außerdem, warum soll ich mir auch Frauennamen merken? Kommen ja schließlich auch männliche Besucher hier her.“ Ihr stieg eine leichte Röte ins Gesicht. Augenzwinkernd schob er ihr noch einen Tequila rüber. „Nur, wenn du einen mit mir trinkst.“ „Sorry Baby, bin im Dienst und da trinke ich nie.“ Ihr Herz setzte einen Augenblick aus und irgendwie schien die Luft hier drinnen sehr dünn zu sein. Jojo fächelte sich mit einem Flyer Wind zu. „Ich denke, ich sollte dann gehen…es ist schon spät.“ „Ich hoffe das liegt nicht an meiner aufdringlichen Art“, sagte er etwas enttäuscht. „Nein, nur zu Hause wartet meine kleine Tochter auf mich“, platzte es aus ihr heraus und noch bevor sie sich bewusst werden lassen konnte, was sie da gerade gesagt hatte, war es schon zu spät. Sie saß noch immer auf dem Barhocker und irgendeine unsichtbare Kraft hielt sie dort. „Wow…ich flirte hier mit dir und dann haust du sowas raus?“ „War ja klar, sobald eine Tussi ein Kind hat, ist sie für euch gestorben, weil warum sollte sich Mann auch mit einem so kleinen Nervenbündel herumschlagen, wenn man Tussen haben kann, die solche Probleme nicht haben!“ Jayden sah auf einmal sehr nachdenklich aus und schien ernsthaft über seine nächsten Worte nachzudenken. Dann schüttelte er mit dem Kopf uns strich mit der Hand seine Haare aus dem Gesicht. „So war das nicht gemeint…ich hab mich eben nur gefragt, wo der Mann ist, der eigentlich an deiner Seite stehen sollte.“ Und das trieb ihr dann doch die Tränen in die Augen, doch sie wollte nicht mit Heulen anfangen. „Tja, den gibt’s leider nicht…das heißt ihn gibt es schon, aber wir sind fertig miteinander…“ „Das tut mir leid…“ Jojo zuckte nur mit den Schultern und erhob sich endlich. Was für ein beschissener Abend. Sie ließ fünfzehn Euro an der Bar zurück und ging. Glücklicherweise stellte ihr Bruder keine Fragen, sondern teilte ihr nur mit, dass Alice schlief und er fragte sie, ob sie noch hungrig sei. Jojo schüttelte nur mit dem Kopf und ging ins Bett. Kapitel 70: Schwanengesang -------------------------- Ein grauer Tag im Frühling. Flo stieg aus dem Flieger und schlenderte zur Gepäckhalle. Die letzten Tage in Tokio hatten im bummerangmäßig wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert und voller Bitterkeit musste er sich eingestehen, dass er noch nicht bereit war eine neue Beziehung einzugehen. Tatsuro hatte es gut gemeint und wollte mit ihm Kamis Grab besuchen und da passierte es. Die Erinnerungen kamen wieder hoch. Erinnerungen, die er so lange verdrängt hatte, um den Schmerz zu unterdrücken. Ja der Schmerz, dieser unerträgliche Schmerz. Und schon schwirrte Kamis Bild wieder in seinem Kopf umher. Seine roten langen Haare, die sein wunderschönes Gesicht mit den rehbraunen Augen umrahmten. Seine Magenkrämpfe traten wieder häufiger auf und das Loch in seinem Herzen, diese unendliche Leere konnte einfach niemand füllen. Da kam auch schon der Koffer. Flo griff danach und schritt in die dunkle Nacht hinaus und hielt nach einem Taxi Ausschau. Als ihn dann endlich eines der gelben Autos wahrnahm, stieg er ein und gab die Adresse an. Der Rest der Fahrt wurde nur von einer wortkargen Unterhaltung gefüllt, denn Flo hatte einfach keine Lust zum Reden. Zu Hause schlich er in sein Zimmer und setzte sich auf das gemachte Bett. Flo hatte noch nie einen geliebten Menschen verloren und es trieb ihn in den Wahnsinn, denn er konnte noch immer nicht verkraften, dass Kami einfach nie wieder kommen würde. Nie wieder würde Kami seinen Namen aussprechen und ihm dabei so liebevoll anlächeln. Nie wieder würden ihn seine roten Haare wachkitzeln, wenn sie nebeneinander im Bett lagen. Nie wieder würde er dieses Gefühl spüren, wenn Kamis Lippen die seinen berührten oder dieses sonderbare Kribbeln, wenn er sich ihre Körper nahe kamen. Flo trieb es unweigerlich die Tränen in die Augen und er schluchzte. Wie sollte er jemals mit diesem Schmerz klarkommen? Schließlich ermahnte er sich dann ein bisschen zu schlafen.   Ich hatte nicht mitbekommen, dass Flo aus Tokio zurück war. Ich freute mich und machte uns Frühstück. Dennoch entging mir nicht, dass mein bester Freund etwas geknigt wirkte, aber darüber würde er sicher reden, wenn er bereit dazu war. Flo schlug vor übers Wochenende mit Basti und mir zum See fahren und ich fand diese Idee brillant, denn es war eine Ewigkeit her, dass wir nur was zu dritt unternommen hatten. Also packte ich meine Campingsachen, besorgte noch was zum Trinken, Grillzeug und stieg mit Flo ins Auto. Natürlich durfte seine Gitarre nicht fehlen. Dann holten wir unseren Dritten im Bunde ab und fuhren zum See. Da es bereits Mitte Mai war, konnten wir davon ausgehen, dass sich noch nicht all zu viele Leute an unserem See herumtrieben. Und so war es auch. Wir hatten freie Platzwahl und schlugen unser Zelt auf. Flo überredete uns schließlich an den Klippen oben zu grillen. Mir war dabei zwar etwas mulmig zumute, aber ich willigte ein. Mir wurde deshalb mulmig, weil die Klippe den einen oder anderen schon das Leben gekostet hatte. Es gab auch immer wieder ein paar durchgeknallte, die Mutproben veranstalteten- wer traut sich runter zu springen. Deshalb wurde diese Klippe für geraume Zeit abgesperrt und auch streng überwacht. Doch da seit zwei Jahren keiner mehr zu Tode gekommen war, hob man die Sperrung auf. Wir nahmen den einfachen Weg nach oben, über einen Grashang. Der Blick von oben war überwältigend und wir ließen uns gemütlich an der Feuerstelle nieder. Flo schnappte sich sogleich den eisgekühlten Wodka und füllte drei Becher. „Das war echt eine gute Idee…“, meinte Basti und wir stießen an. Nach einer halben Stunde grillten wir unseren Käse und die Kartoffeln. Da hatten wir schon ganz schön was intus und Flo spielte auf seiner Klampfe. Ich ließ mich ins feuchte Gras sinken und grinste. Besser hätte mein Leben gerade wirklich nicht sein können. „Basti…ich fänds cool, wenn du ein einziges Mal mit Lukas und mir kiffst.“ Basti zog die Stirn in Falten und warf Flo einen fragenden Blick zu. „Warum sollte ich das tun. Ich hab noch nie gekifft Flo und das wird auch so bleiben.“ „Probier es doch nur ein Mal…für mich“, bettelte unser Freund. Basti seufzte und zuckte dann lässig mit den Schultern. „Ach was soll‘s…aber nur dieses eine Mal. Aber haltet mich bitte davon ab, wenn ich vor lauter Euphorie von der Klippe springen will“, scherzte er. Flo freute sich wie ein kleines Kind zur Weihnachtszeit und bastelte uns sogleich eine Wundertüte. Ich schenkte noch Wodka ein und war irgendwie ein bisschen aufgeregt. Basti hatte noch nie gekifft. Als Flo den Joint anzündete, stieg mir der süßliche Geruch vom Marihuana in die Nase. Unsere Augen richteten sich gespannt auf Basti, als dieser einen tiefen Zug nahm, dann noch einen und er reichte an mich weiter. Flo war nicht gerade sparsam gewesen und ich merkte schon bei den ersten Zügen, wie das Gras seine Wirkung entfaltete. Wie mochte es da erst bei Basti sein? Ein leichtes Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. „Mh gar nicht so übel Jungs.“ Doch schien dem Armen das Wunderkraut ganz schön auszuhebeln und er pennte innerhalb der nächsten halben Stunde weg. Flo und ich hielten uns wacker. „Hast du schon mal über den Tod nachgedacht? Ich mein auch damals als das mit Juka war…“ Ich warf Flo einen skeptischen Blick zu und zog an meiner Zigarette. „Ähm naja ein bisschen vielleicht…aber nie ernsthaft…du etwa?“ „Nen bisschen schon…ich meine Kami kommt nie zurück Lukas…du erinnerst dich an deine Zeit ohne Juka?“ Ich nickte und wollte eigentlich ungern an diese schmerzhafte Zeit zurückdenken. „Tue ich…“ „Dann stell dir vor es wäre immer so…jeden Tag. Du kannst nich mehr schlafen, weil du ihn dann vor dir siehst. Du quälst dich, weil dich fast alles an ihn erinnert, jedes Lied, die Menschen um dich herum, der letzte bleibende Geruch seines Parfums in deinen Kissen…du versuchst dem Schmerz standzuhalten, weil dir alle sagen, es wird besser…doch das tut‘s nich…“ Während er so redete wurden seine Augen immer kleiner und sein Kopf sank in meinen Schoß. Mein armer Schatz, wenn ich ihm doch nur helfen könnte. Und ich selbst versuchte nicht einzuschlafen, weil ich mich davor fürchtete Flo wäre dann weg. Hätte sich von den Klippen gestürzt oder sonst was. Ich wusste nur zu gut, welche Höllenqualen er litt und trotzdem musste es doch weitergehen. Oder nicht? Wäre ich in der Lage ohne Juka weiterzuleben? Ich wusste es nicht. Lange schaute ich in die Sterne hinauf und dachte über Flos Worte nach. Juka war alles für mich, mehr noch und wenn er nicht mehr war, würde meine Welt unweigerlich einstürzen. Nichts würde von mir übrig bleiben. Aber was war mit Basti und Flo? Mit all den lieben Menschen um mich herum? Konnten sie mich am Leben halten? Ich kannte die Antwort und schmiegte mich an meinen besten Freund, sodass ich jede ach so kleine Bewegung mitbekam. Das Knistern des Feuers weckte mich und sowie der Geruch von Kaffee und Brötchen. Als ich blinzelte unterhielten sich Flo und Basti bereits. Und der Kaffee war tatsächlich keine Sinnestäuschung gewesen. Mir tat alles weh, deshalb baute ich einen Joint. Die Sonne kam raus und es wurde richtig warm, deshalb beschlossen wir uns ein bisschen abzukühlen. Flo hielt einen Moment inne. Ich ergriff blitzschnell seine Hand. „Denk nich mal dran! Du wirst dieser beschissenen Klippe keinen Schritt näher kommen…sonst muss ich dich irgendwo fest ketten.“ Mein Freund lachte nur und folgte uns. Das Wasser war eisig und wir hielten es alle drei nicht sonderlich lange aus. Bibbernd hockten wir uns ins Gras und ließen uns von der Sonne trocknen. „Wisst ihr noch damals als und dein Bruder Basti mit in diese Bar genommen hat? Da war’n wir noch süß und unschuldig. Und was is jetzt aus uns geworden…“ Basti schien dieser unterschwellige Ton zu entgehen, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass mit Flo was nicht stimmte. „Und Lukas ist mit Jule durchgebrannt…“ Meine Freunde lachten. „Ja stimmt…das war schon krass für uns…lässt uns einfach sitzen und zischt da mit dem heißen Mädel ab.“ „Sorry, ich war jung und musste meine Ehre verteidigen.“ „Ehre? Gibt’s das in deinem Wortschatz überhaupt?“, witzelte Flo und erst jetzt merkte ich, dass er schon wieder an der Wodkaflasche hing. Ich zeigte ihm meinen Mittelfinger. „Übrigens is alleine saufen voll unkollegial“, warf ich ein und schnappte ihm die Flasche weg. Basti schüttelte nur mit dem Kopf und ließ uns machen. Wie immer eben. Plötzlich begann Flo eine mir unbekannte Melodie zu spielen und erstaunlicherweise sang er auch dazu. Das kam ungefähr einmal in hundert Jahren vor und wir lauschten ihm. Ich war mir nicht sicher, ob es an meinem Rausch lag, doch in diesem Lied lag soviel Schmerz und Leid, dass es mich fast zu Tränen rührte. Wir klatschten Applaus und kurz erhaschte ich einen Blick in Flos Augen, der mich erschaudern ließ. Denn auch in seinen Augen spiegelte sich dieser undendlich traurige Ausdruck. „Ich hab mich übrigens von Tatsuro getrennt…irgendwie fühlt es sich nich richtig an…“, rückte Flo dann mit der Sprache heraus. „Aber es lief doch alles so super bei euch“, warf Basti auch ein bisschen entsetzt ein. Doch mich beschlich auf einmal eine sehr sehr düstere Vorahnung. „Schon, aber…ich kann nich…Tatsuro is lieb und so…aber er is nich Kami. Ich weiß, das klingt dämlich, aber dauernd vergleiche ich Tatsuro mit ihm und das is nich fair. Kami war perfekt…das mit uns war perfekt…ich wollte ihn heiraten, weil er das Beste war, das mir im Leben widerfahren is…ihr beiden seid meine besten Freunde und wart immer für mich da…aber manchmal glaub ich das reicht nich.“ Ich hatte so sehr gehofft, dass Tatsuro Flos Schmerz lindern konnte. Doch ich wusste selbst nur zu gut, dass man ein gebrochenes Herz schwer heilen konnte. In diesem Falle wäre das Kami sicher auch gelungen, aber der weilte nun Mal nicht mehr unter den Lebenden. „Flo…das is okay…dann lass dir Zeit…“ Die Sonne verschwamm allmählich am Horizont und färbte den Himmel in ein orangrotes Licht. Blut wurde diese Nacht vergossen, hallten Legolas Worte in meinem Kopf, auch wenn er den Morgen meinte, nachdem die Soldaten Rohans alle Uruks abgeschlachtete hatten. Die Farbe des Himmels war dieselbe und ich hatte auf einmal eine scheiß Angst. Wir waren mittlerweile wieder an unserer Feuerstelle angekommen. „Ich weiß nich, ob‘s das noch bringt. Basti du warst immer er Vernünftige von uns dreien und hast Lukas und mir oft den Arsch gerettet. Lukas…du hast das, was du dir immer gewünscht hast. Kannst du mir was versprechen?“ Ich nickte und spürte wie meine Alarmglocken läuteten, doch ich war unfähig mich zu bewegen. „Was denn?“ „Kläre das mit deiner Mum…vertrage dich wieder mit ihr…und mit deinem Dad auch. Nur so kannst du deinen Frieden bekommen Süßer, aber das weißt du sicher selbst…pass gut auf Juka auf…und du auf Lena Basti.“ Flo erhob sich und noch immer hielt er die Gitarre in den Händen. Wieder stimmte er dieses traurige Lied an. „Hast du das geschrieben?“, fragte Basti schließlich. Flo nickte geistesabwesend. „Fänd es cool, wenn wir das in der Setlist aufnehmen.“ Endlich gehorchten mir meine Glieder wieder und ich eilte zu Flo. Behutsam legte ich ihm meine Arme von hinten um seine Hüften. „Flo…bitte sag mir, dass ich mich irre“, flüsterte ich ihm kaum hörbar zu. „Lukas, du wusstest, dass dieser Tag irgendwann kommt…tief in deinem inneren wusstest du es.“ Ich schloss meine Arme fester um meinen Freund. „Tue es nich…bitte“, flehte ich. Die Gitarre lehnte am Pfeiler neben dem Lagerfeuer und Flo wandte sich mir zu. „Schau mir in die Augen und dann sag mir was du siehst?“ Ich nahm sein Gesicht zwischen meine zittrigen Hände und sah ihn lange an, um mich davon zu überzeugen, dass sein Schmerz nicht echt war. „Du bist traurig, aber das bekommen wir hin…zusammen. Du musst nur fest daran glauben.“ „Lügner…und ein schlechter noch dazu…was siehst du wirklich?“ Ich konnte nicht und zog Flo an mich. Er wehrte sich nicht. „Weißt du, warum ich dich so gern hab Lukas? Weil du immer ehrlich zu mir warst…warum jetzt nich?“ Mein Magen krampfte sich zusammen und auch Basti trat jetzt zu uns. „Weil das bedeuten würde, dich in deinem Wahnsinn zu unterstützen und das kann ich nich…“ „Wahnsinn? Ernsthaft? Ich würde dir niemals Vorwürfe machen Süßer, das weißt du, aber ich kann nich mehr…versteht ihr zwei…ich ertrage diesen Schmerz nich mehr…ich werde mich niemals damit abfinden, dass Kami tot is…weil er das war, was ich immer wollte. Er war mein Herzensmensch…die Liebe zu ihm war so rein und ehrlich…so perfekt. Kami hat mich meine Vergangenheit vergessen lassen, weil er mir eine Zukunft gab…doch die gibt es nich mehr. Ein Teil von mir starb mit ihm und ich kann diesen Teil nich reanimieren, egal was ich auch versuche. Ich kann es nich…niemand kann das.“ „Aber du wirktest doch glücklich in den letzten Monaten“, warf Basti ein, dem nun auch der Ernst der Lage bewusst wurde. „Tja, dann bin ich wohl ein guter Schauspieler.“ Mir schnürte es die Kehle zu und ich rang nach Luft, Flo noch immer in meinen Armen haltend. Zaghaft legte er seine linke Hand an meine rechte Wange und die rechte Hand ruhte auf Bastis Wange. Seine Lippen drückten erst mir und dann Basti einen liebevollen Kuss auf die Stirn. „Flo…“, krächzte ich und versuchte meine Tränen nicht länger zurückzuhalten. „Ich liebe euch beide sehr, das wisst ihr hoffentlich…aber ich kann nich mehr…ihr seid auch ohne mich glücklich…Lukasschatz du mit deinem Juka und Basti du hast deine Lena…vielleicht finde ich Kami wieder…irgendwo. Das macht es leichter…ihr werdet mich niemals vergessen.“ Flo befreite sich aus meinem Griff und nahm seine Gitarre. Auf einmal bekam sein Gesicht einen friedlichen Ausdruck. Meine inneren Alarmglocken waren schriller und lauter denn je und doch stand ich da, als wäre ich versteinert. Flo näherte sich der Klippe. Er stand mit dem Rücken zum Abgrund und winkte uns zu. Endlich löste sich meine Versteinerung und ich rannte los, bekam Flos Hand zu fassen, doch sie entglitt mir und ich sah meinen besten Freund in die Tiefe stürzen. Auch wusste ich, dass er diesen Sturz niemals überleben konnte, denn dort, wo er im Wasser aufschlug, ragten kaum sichtbar scharfkantige Steine heraus. Es musste also an ein Wunder grenzen, dass Flo nicht dort aufprallte. Mein Herz raste und obwohl es schon fast dunkel war, konnte man noch ganz schwach erkennen, was sich ereignete. Mein lieber Freund schlug auf das harte Gestein und obwohl die Entfernung zu groß war, um ein Geräusch zu hören, vernahm ich gedanklich das Knacken seiner Knochen. Auch die Gitarre zersprang in tausend Einzelteile. Ohne auch nur über irgendetwas nachzudenken rannte ich den Hang hinab bis zum Wasser und sah ihn unterhalb der Klippen treiben. Ich sprang in den See und zog Flo an Land. Völlig außer Atem schnappte ich nach Luft und nun lag sein lebloser Körper vor mir. Ich verpasste ihm eine Ohrfeige, weil ich mir einbildete, dass er davon vielleicht zur Besinnung kam. Doch einen toter Mensch blieb nun mal tot. Ich konnte seine Verletzungen in dem dämmrigen Licht nicht ausmachen, doch merkte ich wie sein Blut an meinen Händen klebte. Mir war schlecht und elendig zumute. Flo, mein liebster Flo hatte sich vor meinen Augen das Leben genommen und ich hatte es nicht verhindert. Ich kniete vor seinem reglosen Körper und ließ meinen Kopf auf seine Brust sinke. Dann brach ich bitterlich in Tränen aus. Ich wollte, dass er zurück kam, mit mir scherzte. Von mir aus konnte er sich auch betrinken, wann er wollte. Hauptsache er kam zurück. Ich realisierte nicht, was um mich herum geschah. Irgendjemand rief meinen Namen, aber ich wollte nicht hören. Ich wollte nur, dass Flo wieder aufwachte. Dann wurde ich weggezogen und vernahm mehrere Stimmen, schnelle Schritte und Sirenen. Wie lange hatte ich über meinem toten Freund gekauert? Und wo war Basti? Panisch sah ich mich um und dort hockte er wie ein Häufchen Elend. Doch Lena war an seiner Seite. Wieder übermannte mich diese Übelkeit und ich taumelte, doch wurde aufgefangen und fand mich in den schönsten blauen Augen wieder, die mir so vertraut waren. Meine blutverschmierten Hände hinterließen Spuren auf Jukas hellgrauem Shirt, doch das schien ihm egal zu sein. „Luki, du musst deine nassen Klamotten loswerden, sonst erkältest du dich. Ich hab im Auto eine Decke.“ Ich folgte Juka und tat das, was er von mir verlangte doch meine Gedanken überschlugen sich. Immer wieder sah ich Flo in den Abgrund stürzen. Zu Hause stürmte ich aus dem Auto und verbarrikadierte mich im Proberaum. Blinde Verzweiflung überkam mich und ich schlug die Holzvitrine mit Flos E-Gitarre kurz und klein. Um mich herum splitterte Holz, doch ich hörte nicht auf. Sie Saiten sprangen ab und wieder fiel Flo in meinem Kopf. Ich schrie und schlug wie wild um mich, bis ich umringt von Holzsplittern mit der kaputten Gitarre meines toten Freundes zu Boden sank. Noch immer völlig benommen stapfte ich die Treppen hinauf und holte den Wodka aus dem Kühlschrank. Jojo kam angestürmt, doch mein Liebster hielt sie zurück. „Süße, nicht jetzt…ich erzähl dir später alles, aber lass Luki im Moment seine Ruhe.“ Auch in Flos Zimmer bekam ich die Unterhaltung der beiden mit. „Flo…er ist…tot…“ Ich sah Jojos Reaktion nicht, aber bei mir lösten diese vier Worte den endgültigen Zusammenbruch aus. Warum hatte er das getan? Und erst jetzt fiel mir das weiße Pergament auf dem Bett auf. Ich nahm es zwischen meine noch immer blutigen zittrigen Finger und versuchte die Worte durch meinen Tränenschleier zu entziffern.       An meine beiden Schätzchen, ich habe ein neues Lied geschrieben und ich glaube ich hab es euch am See vorgespielt. Und ich meine es ernst, dass ich mir wünsche, dass ihr es spielt. Auch wenn du dich zuerst weigern wirst Lukas, weil du wütend und verletzt bist. Aber ich glaube mit der Zeit wirst du es lieben. Und ich habe eine Bitte- mach dir keine Vorwürfe, du hättest mich nicht retten können. Niemand hätte das. Ich weiß, mein Verhalten war feige und nicht fair euch gegenüber. Basti und du waren die besten Freunde, die man sich wünschen kann und ich danke euch für all die Stunden, in denen ihr mein Leben bereichert habt. Ihr wart die Familie, die ich nie hatte. Doch als ich Kami kennenlernte fühlte ich noch etwas anderes- Liebe. Diese Liebe stellte ich über alles, denn Kami wurde für mich alles. Er erfüllte mein Leben und ich war auf einmal etwas Besonderes. Ich weiß du kannst nachvollziehen wie es ist von der eigenen Familie verstoßen zu werden Lukas und ich habe dir nie erzählt, dass mich das genauso fertig machte. Nur wollte ich stark für uns beide sein. Ich wollte, dass du denkst mir ist meine Familie egal, damit ich dich nicht mit meinen Problemen belasten muss. Mit Kami hab ich darüber geredet und er hat mich aufgebaut. So, wie Juka und Lena das bei euch beiden tun. Also wisst ihr wie wichtig es ist mit dem Menschen zusammenzuleben, den man liebt. Deshalb muss ich diesen Weg gehen. Ihr wisst, dass ich nicht an Gott oder so glaube, aber dennoch spinne ich mir manchmal zusammen, dass Kami und ich uns in einem anderen Universum wiedersehen. Ziemlich verrückt oder? Seid mir nicht böse, ich hab euch lieb und ich werde für immer auf euch aufpassen. Euer Flo   Da der Brief an uns beide geschrieben war, fand ich es nur gerecht, wenn Basti ihn auch zu lesen bekommt. Deshalb fotografierte ich ihn ab und schickte Basti Flos Worte über WhatsApp. Ich las die Zeilen immer und immer wieder. Nachdem ich die halbe Flasche Wodka geleert hatte, brachte ich den Rest zurück in den Kühlschrank. Im Wohnzimmer brannte nur das kleine Licht zwischen den Sofas. Ich kehrte in den Proberaum zurück, um mein Chaos zu beseitigen. Dort fand ich Juka, der schon begonnen hatte die groben Holzsplitter in einen großen Karton zu räumen. „Ich kann das auch machen Juka.“ Mein hübscher Japaner drehte sich um, weil er mich nicht hatte kommen hören. „Luki…ich weiß nicht, was ich sagen soll…“ Ich schüttelte nur mit dem Kopf, zündete mir eine Zigarette an und half Juka. Lange sprach keiner von uns auch nur ein Wort. Als alles aufgeräumt war fiel ich erschöpft auf das rote Ecksofa und mein Liebster kam zu mir. Ich rauchte eine weitere Zigarette und auch Juka griff nach der Schachtel. „Er hat das alles geplant…Kami hat es geschafft einen besseren Menschen aus Flo zu machen…das konnte ich nie, weil wir uns gegenseitig mit unseren Problemen hochgeschaukelt haben. Ich hab versucht für ihn da zu sein…so wie Basti, aber wir haben nicht ausgereicht Juka…und das schlimme is, dass ich ihm das nich mal übel nehme, weil ich es wahrscheinlich genauso gemacht hätte…wir beide, Flo und ich sind richtig abgefuckt…einer mehr als der andere. Uns sind Freunde und Familie scheißegal, wenn es um die Liebe unseres Lebens geht…“ Juka strich mir liebevoll über die Wange. „Mein armer Schatz…ich pass auf dich auf versprochen und was immer du gerade brauchst, lass es mich wissen. Luki…ich weiß wie es dir geht.“ Ich versuchte zu lächeln, was mir jedoch nicht so ganz gelang. „Klar…Kami und so…aber ich hab es die ganze Zeit kommen sehen, doch immer gehofft, dass Flo das nich durchzieht…zu viel Schiss hat. Weißt du, warum er sich von den Klippen gestürzt hat?“ Juka schüttelte mit dem Kopf. „Weil er so sterben wollte wie Kami. Flo hatte die Hoffnung, dass er so wieder mit Kami vereint sein würde…traurig, aber romantisch.“ „Heftig…die Frage ist vermutlich blöd, aber kommst du mit ins Bett?“ Die Frage war ganz und gar nicht blöd und ich nickte nur. Vorher wusch ich mir noch das getrocknete Blut von den Händen und putzte meine Zähne. Mein Handy piepte und Basti schickte mir ein weinendes Smiley. Außerdem fragte er, ob er morgen auf einen Kaffee vorbeikommen könne. Klar immer und wann du willst, antwortete ich. Dann kroch ich zu Juka ins Bett. Mein Körper fühlte sich ausgelaugt und müde an. Zum Glück war morgen erst Sonntag. „Juka…bitte nimm mich in die Arme.“ Und das tat er auch.   Aus Kaffee wurde dann doch Bier. Basti und ich hockten in Flos Zimmer und schwelgten in Erinnerungen. In den guten und in den weniger guten. „Ich kann‘s noch immer nicht glauben.“ „Mhh, so geht’s mir auch Basti…mein Kopf kann und will das nich verarbeiten. Gehst du morgen arbeiten?“ „Nope…das pack ich nicht.“ Ich lehnte mich zurück und irgendwie konnte ich nicht mal mehr heulen. Die Trauer war wie ein dunkler Schleier, der mich einhüllte. „Lukas…hattest du Flo eigentlich lieber als mich?“ Ich warf meinem Freund einen leicht irritierten Blick zu und zündete mir eine Zigarette an. „Wie kommst du denn auf diese dumme Idee? Ihr seid zwar beide grundverschieden, aber ich hatte euch immer gleich gern.“ „Naja, ich frag ja nur, weil…du weißt schon Flo eben auch schwul war.“ Jetzt musste ich ein bisschen Lächeln. Doch nur ganz schwach, sodass es kaum jemand merkte. „Nur weil wir uns hin und wieder schwuchtelige Spitznamen gaben? Ich kann mir gern einen für dich überlegen…“ Basti schwieg einen Moment und lachte dann auf. „Keine Ahnung warum ich sowas denke…mit ihm bist du eben anders umgegangen als mit mir.“ Ich nahm einen tiefen Zug und blies Ringe in die Luft. „Sorry, wenn dir das manchmal komisch vorkam…das wollte ich nich. Aber wie Flo richtig gesagt hat, warst du immer der Vernünftige von uns…hast auf uns aufgepasst, wenn wir uns mit irgendwelchem Scheiß zugedröhnt haben. Du warst immer genauso wichtig Basti und ohne dich wären Flo und ich sicher schon viel früher abgekratzt.“ Mein Freund lächelte traurig und ich konnte mir denken, zu welchem Tag seine Erinnerungen gerade schweiften. „Das kann ich nicht ganz abstreiten…oh Mann, er fehlt mir so…dauernd haben wir ihm seinen Mist vergeben, weil das seine charmante Art ausglich…weißt du noch, als ihr euch vorm Konzert so übel gezofft habt?“ Ich nickte. „Klar…hast du jemals daran gezweifelt, dass er uns eventuell doch im Stich lassen könnte?“ „Naja, vielleicht ein winziges bisschen…hatte schon Muffensausen, als er einfach abgehauen ist…aber das ist eben Flo…nee, er hätte uns niemals im Stich gelassen.“ Ich trank einen Schluck. „Ach nein? Und was is mit jetzt?“ Die Bitterkeit in meiner Stimme konnte ich kaum unterdrücken. „Was hättest du getan? Flo war bestimmt nie einfach, aber doch versuchte er uns ein guter Freund zu sein…mit seiner Family das hab ich fast geahnt…und dann frag ich mich, warum ich ihn nie darauf angesprochen habe…“ Ich biss mir heftig auf die Unterlippe, weil ich mir nicht sicher war, ob ich Bastis Frage wirklich beantworten sollte. „Wahrscheinlich hätte ich mich ähnlich verhalten…diesen stolzen Egoismus hatten wir wohl gemein.“ Dann tat Basti etwas, das er nur sehr sehr selten tat. Er legte seinen Arm um mich und ließ seinen Kopf auf meine Schulter sinken. „Kannst du mir trotzdem versprechen, dass du bei mir bleibst? Ich mag zwar vernünftig sein und muss mich nicht dauernd bis zur Besinnungslosigkeit betrinken, doch dich auch noch zu verlieren, würde ich nicht ertragen.“ Bastis Stimme brach am Ende des Satzes fast ab und das machte mir deutlich, wie sehr er mich brauchte. „Bastischatz…ich gebe dir mein Wort. Wir müssen jetzt irgendwie zusammen stark sein, auch wenn‘s schwer wird. Das schlimme is…dauernd sehe ich Flo von dieser verfickten Klippe stürzen und dann dreht sich mir der Magen rum. Schätze dieses Bild bekomm ich nie wieder aus meinem Kopf.“ „Okay…bekomm ich noch’n Bier und baust du uns nen Joint?“ „Klar Süßer.“ Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange und Basti lächelte ein bisschen. Als ich mit Bier zurückkehrte hing mein Freund am Handy. „Ich hab gestern noch‘n paar Fotos geschossen…willst du sie seh’n?“ Wollte ich das? Sicher war ich mir nicht. Deshalb öffnete ich mir das Bier und baute einen Joint. „Weiß nich…vielleicht später…aber Basti, nich, dass du jetzt auch anderes Zeug probieren willst, nur weil du auf den Geschmack gekommen bist.“ „Schon klar…ich hab alles im Griff. Nur noch nen letzten Joint…für Flo.“ Und zum ersten Mal an diesem tristen Abend musste ich tatsächlich lachen. „Wenn Flo wüsste, dass du seinetwegen mit dem Kiffen angefangen hast…schon irgendwie sowas wie Situationscomic.“ „Mhh…aber kannst du mir erklären warum? Ich meine…warum konnten wir ihm nicht helfen? Das macht mich übel fertig. Es ist anders als bei meinem Dad damals…er hatte nen Grund, weil er kaum Kohle zum Überleben hatte und sich den Verstand weggesoffen hat. Aber Flo? Scheiße mit 27? Und was war das dann mit Tatsuro? Seinetwegen ist er doch nach Tokio geflogen und dann aus und vorbei? Was ist da bloß schief gelaufen.“ Ich bekam den ersten Zug und der Joint ballerte schon echt heftig. Wie gerne hätte ich Flo jetzt da. Wie gerne würde ich ihm sagen, dass alles gut werden würde, solange wir bei ihm blieben. Doch das wäre nichts weiter als eine Lüge, denn ich wusste es besser. „Wenn ich nich so blind gewesen wäre, hätte ich ihn retten können…“, brach es aus mir heraus und ich konnte nicht mehr. Schluchzend hielt ich mir die Hände vors Gesicht. „Wie meinst du das?“, fragte Basti vorsichtig. „Ich hab ihn jeden Tag geseh’n…wie er alles in sich hineingefressen hat. Nur auf Koks oder so war er relativ normal…nich so depri eben…aber ich hab mich nur um meinen Scheiß gekümmert. Ich vergesse den Abend niemals, als Flo hier auftauchte und mir sagte, dass Kami tot is…das musste die Hölle sein…warum hab ich ihn nich aufgebaut…ihn dazu ermutigt mit den Drogen aufzuhören. Stattdessen hab ich mitgemacht und ihm die Ohren vollgeheult…Juka hier Juka da…Basti ich hätte mehr tun können…“ „Du hast für deine Liebe gekämpft um für Flo da zu sein…sonst hättet ihr euch vermutlich gegenseitig zerstört…hör auf mit den Vorwürfen…dasselbe könnte ich auch behaupten, aber wo steh‘n wir dann? Flo und du seid euch verdammt ähnlich, mit dem einen Unterschied, dass er immer noch eins drauf setzten musste…selbst jetzt. Als das damals mit Juka und dir war…auch du warst nah dran einfach aufzugeben…doch ich glaube deine Schwester hat dich am Leben gehalten. Ich glaub, selbst wenn du nicht wieder mit Juka zusammengekommen wärst, würdest du heute genauso mit mir hier sitzen. Lukas…vielleicht hätten wir mehr tun können, aber Flo war eben Flo…du kannst nichts daran ändern und ich kann es auch nicht.“ Ich wischte mir die Tränen weg und exte mein zweites Bier. „Wahrscheinlich hast du Recht…ich glaub ich geh pennen. Willst du noch heim?“ Basti zuckte mit den Schultern. „Nee, ich glaub ich schlaf auf dem Sofa.“ Ich richtete meinem besten Freund sein Nachtlager im Wohnzimmer und noch lange lagen wir uns in den Armen. „Basti…ich hab dich sehr lieb…wir schaffen das…irgendwie“, flüsterte ich ihm zu und er nickte mir nur kaum merklich zu. Wir hatten fast die halbe Nacht mit Reden verbracht und das hatte uns beiden gut getan. Zu meiner Überraschung war mein schöner Japaner noch wach. Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln, als ich die Schlafzimmertür hinter mir zuzog. Juka streckte die Arme nach mir aus und ich kroch auf seinen Schoß, mit dem Gesicht zu ihm gewandt. „Hast du heute überhaupt schon was gegessen Liebling?“ „Nich wirklich…geht grad nich.“ Juka zog mir mein Shirt über den Kopf und fuhr mit den Händen über meinen nackten Oberkörper. Wieder füllten sich meine Augen mit Tränen, doch mein liebster küsste sie weg. Und Flo hatte nicht ganz Recht, denn es war fast genauso schlimm seinen besten Freund zu verlieren wie den Mann, dem man sein Herz geschenkt hatte. „Und schon wieder leidet unsere Beziehung unter meinen Problemen.“ Juka zog die Stirn in Falten. „Quatsch…red keinen Unsinn. Bleibst du morgen zu Hause?“ Ich nickte. „Aber ich kann dich gerade unmöglich glücklich machen.“ Jukas Hände umfassten mein Gesicht und er zog mich enger zu sich, sodass sich unsere Nasenspitzen fast berührten. „Luki…wir sind verheiratet…das ist für mich Glück genug doch das Leben dreht sich nicht alleine um das Glück, das weißt du nur zu gut. Aber wir versuchen das Beste draus zu machen. Ich weiß, dass es dir gerade richtig beschissen geht…Kami fehlt mir genauso Süßer…jeden Tag…ebenso mein Dad, aber ich kann‘s nicht ändern…aber dann bist da noch du. Mein wunderschöner Mann für den alles tun würde. Ich kann dich auffangen Luki und ich werde alles daran setzen, dass es dir bald wieder ein bisschen besser geht.“ Meine Lippen pressten sich auf seine, als könnte nur dieser eine Kuss mich am Leben halten.     Kapitel 71: Danke ----------------- Ich beschoss am nächsten Tag eine persönliche Unterredung mit meinem Chef zu führen, um ihm zu erklären, warum ich meinen Sonderurlaub beanspruchen wollte. Auch machte ich mir an diesem Morgen nicht viel aus meiner arbeitsgerechten Kleidung und zog das an, was ich auch sonst in meiner Freizeit trug. Meine liebenswerten Kolleginnen freuten sich schon, als ich aus der Fahrstuhltür trat, doch dann gefror ihr Lachen ganz schnell. Ich versuchte sie trotzdem so wie immer zu begrüßen und klopfte bei meinem Chef. Er bat mich sogleich herein und musterte mich einen Augenblick. Ich versuchte mich zusammenzureißen. „Hallo Herr Wolf…ich wollte nicht einfach anrufen…am Wochenende gab es einen Todesfall in meinem Freundeskreis…und ich würde gern Sonderurlaub beantragen.“ Der ältere Mann mit den grauen Haaren warf mir einen mitfühlenden Blick zu. „Oh, mein Beileid. Das sind ja keine sehr guten Nachrichten. Selbstverständlich lasse ich Sie beurlauben. Nehmen Sie sich Zeit und lassen mich wissen, wenn es Ihnen besser geht.“ Ich nickte und verabschiedete mich. Dann klärte ich noch ein paar Dinge mit den Mädels und ging. Wie seltsam es sich doch anfühlte, wenn derselbe Alltag, den man sonst so mühelos bewältigen konnte, auf einmal richtig kompliziert wurde. Die Welt drehte sich einfach weiter, doch leider ohne Flo. Das erschien mir irgendwie trostlos. Zu Hause drehte sich das Rad auch weiter und meine Schwester wartete schon auf mich. Warum auch immer schien sie mit irgendetwas unzufrieden sein. Das fehlte mir gerade noch. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu. „Lukas, ich weiß dir geht es gerade nicht so gut, aber kannst mir trotzdem versprechen, dass es nicht so wie damals bei Juka wird? Davor hab ich nämlich echt Angst.“ Mein ohnehin schon zart besaitetes Gemüt schien durch diese paar Worte noch mehr strapaziert zu werden. Den ganzen Vormittag hatte ich gut gemeistert und jetzt kam meine tolle einfühlsame Schwester. „Jojo, ich hab dich echt lieb, aber du hast darüber verdammt noch mal nich zu entscheiden! Hab ich dir jemals vorgeschrieben, wie du dich verhalten sollst, als Naoki dich im Stich gelassen hat? Also untersteh dich mir vorzuschreiben, was ich zu tun habe.“ Das schien auch schon auszureichen, um sie zum Schweigen zu bringen. Dann drehte sie sich doch um. „Kannst du Alice später vom Kindi abholen?“ Ich nickte gedankenverloren und fragte mich, was ich ihr gerade getan hatte. Schade, da musste ich meinen Plan wohl verwerfen. Denn zu gerne hätte ich mich jetzt tatsächlich betrunken. Doch nicht, wenn ich meine kleine Nichte später noch um mich hatte. Aber vielleicht war es auch genau das, was ich jetzt brauchte. Dieses kleine Nervenbündel. Ich rief im Kindergarten an und hatte glücklicherweise Nici am anderen Ende. Ich fragte sie, ob es möglich wäre, dass ich Alice um zwölf abhole, sodass sie dann zu Hause Mittagsschlaf machen kann. Meine Ex hatte nichts dagegen. In der Zeit die mir noch blieb, kochte ich etwas zum Essen. Denn Juka hatte Recht, ich musste auch ab und zu Nahrung zu mir nehmen. Das Klingeln an der Tür lenkte mich dann jedoch davon ab. Als ich öffnete stand ich einer Frau gegenüber, die ungefähr in den Fünfzigern war und ich wusste, dass ich sie irgendwo schon Mal gesehen hatte. Ihr dunkelblondes Haar war zu einem Knoten zusammengebunden und das moosgrüne Kleid passte ihr perfekt, als wäre es eine Maaßanfertigung. Darüber trug sie einen cremefarbenen Blazer und schwarze Highheels. Ihr Blick wirkte sehr kühl und es erweckte fast den Eindruck, als koste sie der Besuch große Überwindung. „Du bist doch Lukas oder?“ Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. „Ja Frau May, der bin ich. Wir hatten ja nicht allzu oft das Vergnügen…was kann ich für Sie tun?“ Auch ich war jetzt mehr als Begeistert von meinem Besuch, bat sie dennoch herein und bot ihr sogar einen Kaffee an. „Wie du dir sicher denken kannst geht es um Florian. Willst du dich an der Beerdigung beteiligen? Wir standen uns nicht sonderlich nahe und ich will das so schnell wie möglich hinter mich bringen. Es ist alles schon soweit beantragt und die Annonce war heute in der Zeitung. Die Bestattung wird Freitag sein, also falls du noch irgendwas dazu beitragen willst, sag Bescheid.“ Sie kritzelte ihre Nummer auf einen Zettel und überreichte mir diesen. Ich war wie vom Donner gerührt und schüttelte fast mechanisch mit dem Kopf. Flos Mutter sah mich fragend an. „Alles klar…dann wünsche ich Ihnen noch einen wunderschönen Tag.“ All die Worte, die mir durch den Kopf schossen konnten nicht im Geringsten meinen Hass auf diese Frau ausdrücken, die da gerade vor mir stand. Doch immerhin gelang es mir diesen einen Satz vor Sarkasmus nur so triefen zu lassen. „Dann Tschüss.“ Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, wo ich mich wirklich ganz dringend betrinken musste. Da gab es nur ein Problem, Alice. Verdammt. Also machte ich völlig benommen auf den Weg zum Kindergarten. Ich war nicht der einzige, der eines der Kinder abholen wollte. Aber ich war der einzige, dem verstohlene Blicke zugeworfen wurden und mir entging auch nicht, dass die anderen Eltern über mich redeten. Deshalb zog ich meine Kapuze noch tiefer ins Gesicht und wartete darauf, dass Nici meine Nichte endlich raus brachte. Kurz nach zwölf kamen die Kleinen dann mit noch drei Erzieherinnen aus dem Gebäude. Alice erblickte mich und kam auch schon angerannt. Auch meine wundervolle Exfreundin schien noch etwas mit mir besprechen zu wollen. „Hey…wie geht’s dir? Ich hab‘s heute Morgen in der Zeitung gelesen…es tut mir so leid.“ Ach stimmt, die Annonce. Ich bemühte mich nicht ein Lächeln herauszuquälen. „Wie soll‘s mir schon gehen Nici? War bei der Kleinen alles okay?“ Sie merkte, dass sie das Thema besser ließ. „Ja, sie hat noch einen kleinen Snack bekommen. Aber sonst war alles gut.“ „Gut, dann mach‘s gut.“ Ich nahm Alice an der Hand und wir liefen nach Hause, wo ich das Mittagessen fertig zubereitete. Da sie schon fast am Tisch einschlief, brachte ich sie anschließend ins Bett. Allerdings wollte sie bei mir oben schlafen und nicht in ihrem eigenen Zimmer, das wunderte mich ein bisschen. Zum Glück schlief sie schnell ein und ich konnte nicht anders. Auch wenn sowas unverantwortlich war, ich baute mir einen Joint. Dann fragte ich mich, wie Eltern das bewältigten. Ich schaffte es ja nicht Mal vor meiner kleinen Nichte mich zu beherrschen. Doch ging es nicht auch darum vor seinen Kindern Schwäche zu zeigen? Und war Alice nur meine Nichte? Oder sah sie in mir tatsächlich sowas wie eine Vaterfigur. Ich konnte das nicht einschätzen. Dem Babyfon nach zu urteilen schlief mein kleiner Schatz tief und fest. Und irgendwie schien der Tag heute nicht besser zu werden, denn völlig entnervt kam meine Schwester aus ihrer Wohnung gestolpert. „Hast du Alice abgeholt?“ Ich nickte Richtung Babyfon und zündete meinen Joint an. „Nee, hab‘s vergessen“, entgegnete ich genervt. „Und wo ist sie dann? Ich dachte du legst sie schlafen.“ „Jojo…deine kleine Tochter liegt wohl behütet in meinem Schlafzimmer. Sieh nach wenn du mir nich glaubst.“ „Achso gut.“ „Und übrigens, ich weiß nich, was ich dir gerade getan hab, aber lass deine Laune an jemand anderem aus. Ich hab grad echt keinen Nerv für sowas.“ Meine Schwester antwortete eine Weile nicht, doch dann schien sie sich endlich ein bisschen zu entspannen. „Tut mir leid…ich bin nur gerade nicht sicher, wie ich mich dir gegenüber verhalten soll. Es fühlt sich für mich an, als wäre Flo in Tokio oder so…“ Jetzt holte ich Eiswürfel und Whiskey, egal was Jojo dazu sagte. „Isser aber leider nich…“ „Lukas…es tut mir so leid…kann ich irgendwas für dich tun?“ „Vielleicht mal aufhören dich wie eine Idiotin zu verhalten…ich meine was erwartest du von mir Jojo? Ich reiß mich ja schon zusammen, aber ganz im Ernst…lass so ne Scheiße wie heute einfach bleiben.“ Mit diesen Worten verzog ich mich in den Proberaum und kam Flos Wunsch nach. Es zerriss mich fast, als ich den Song zum ersten Mal auf der Gitarre spielte, doch ich rief mir immer wieder ins Gedächtnis, dass es für meinen besten Freund war. Irgendwann konnte ich sogar den Text singen ohne dass meine Stimme dabei zitterte oder abbrach. Ich wagte eine erste Aufnahme und schickte sie Basti. Irgendwann kam Juka mit Pizza und Bier in den Proberaum. Ich spielte ihm mein Tageswerk vor. „Wow, das klingt sehr schön und verdammt emotional.“ „Naja zumindest ist mir das geglückt.“ „Willst du noch ein bisschen allein sein?“ Ich schüttelte den Kopf und brach mir ein Stück der Vier-Käse-Pizza raus. „Juka…da Flo ja jetzt nich mehr da is…brauch ich nen neuen Gitarristen. Aber ich kann nich son beschissenes Casting machen und will die Stelle auch nich ausschreiben. Flo kann niemand ersetzen…aber du wärst ein würdiger Nachfolger.“ Juka lächelte mich liebevoll an und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. „Meinst du das funktioniert? Du und ich zusammen auf der Bühne…“ Da war auf einmal wieder diese Leidenschaft in mir. „Klar tut es das…ich will keinen anderen haben…ich hab mich noch gar nich bei dir bedankt.“ „Wofür denn“, fragte er etwas irritiert. „Dafür, dass du so verständnisvoll bist und mich auch mal in Ruhe lässt. Doch gerade brauch ich zwar Ruhe, aber nich vor dir…“ Ich beugte mich zu ihm herab und küsste ihn so sehnsuchterfüllt, denn seine körperliche Nähe fehlte mir wahrhaftig und ich wollte, dass er das spürte. Seine warmen Hände auf meiner nackten Haut erregten mich ungemein und ich riss ihm die Klamotten vom Leib. Ich nahm ihn hart und begierig. Meine Fingernägel hinterließen leichte Kratzspuren auf seinem Rücken und auch mein Körper war übersehen von roten Striemen. „Baby…das war verdammt heiß…“, flüsterte mir Juka zu und ich zündete mir eine Zigarette an. „Und längst überfällig…Süßer…ich hatte letzte Nacht nen komischen Traum.“ „Was denn für einen?“ Ich öffnete die Bierflaschen und zog die Kuscheldecke über uns. „Naja…wir haben ein Konzert gegeben…Flo zu ehren und so…war auch alles super nur danach hab ich mich wieder echt übel rausgeschossen. Hab mit Fabi auch Extasy geschmissen und so…dann hab ich mir Flos Namen in den Arm geritzt. Als du das gesehn hast, bist du voll ausgeflippt und hast mich nach Hause gebracht.“ Ich hielt Inne und trank einen Schluck. „Naja…“, setzte Juka an, doch ich gab ihm zu verstehen, dass es noch weiter ging. „Wir haben uns heftig gestritten…irgendwann später und du bist gegangen…da is mir was klar geworden. Klar isses echt beschissen seinen besten Freund zu verlieren, aber es is nich damit zu vergleichen dich verlieren Juka.“ Seine Gesichtszüge wurden weicher und er küsste mich auf die Stirn. „Oh Luki…es wäre auch okay gewesen, wenn du den Verlust von Flo mit dem meinen gleichsetzt. Ich weiß doch wie nahe ihr euch standet…bitte zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Selbst wenn es so wäre, müsste ich damit leben und wäre es vollkommen in Ordnung.“ „Vielleicht wäre es das…aber ohne dich war mein Leben die Hölle und ohne Flo isses zwar auch schlimm, aber du machst es erträglicher…der Traum hat mich deshalb schockiert, weil ich das früher mit Sicherheit tatsächlich getan hätte. Aber ich hab ja dich und du bist um einiges besser als jede Droge.“ Mein Liebster lächelte mich an. „Ich fühle mich wahrhaftig geehrt Süßer…und ich bin verdammt stolz auf dich. Ich meine, ich würde dir nicht verbieten dich so abzuschießen, aber dennoch bin ich froh, dass du es nicht tust…ich finde es schön, dass du es meinetwegen nicht tust.“ Ich schenkte Juka ein liebevolles Lächeln. „Du bist Schuld, dass ich doch irgendwie erwachsen und spießig werde.“ Juka gluckste. „Ähm…erwachsen vielleicht, spießig auf keinen Fall…das verbiete ich dir…aber manchmal ein bisschen vernünftig sein schadet nicht.“ Kapitel 72: Forever in my heart ------------------------------- Die Beerdigung wurde schlimm und nichts hätte schlimmer für Flo sein können, als dieses würdelose Begräbnis, das seine Familie für ihn engagiert hatte. Ich schämte mich fremd. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. Dennoch rührte es mich zutiefst, dass auch unsere alten Klassenkameraden kamen- Chris, Yvonne Jessica und sogar Nici. Nun stand mein Freund dort und war nur noch ein Häufchen Asche. Ich ballte die Hände zu Fäusten, sodass meine Knochen weiß heraustraten. Dieser verdammte Idiot da vorne erzählte irgendwelchen Bullshit, dem ich nicht zuhören konnte, da die Hälfte davon ohnehin nur Gelaber war, das sich seine Eltern aus dem Ärmel gezogen hatten. Nach dem andächtigen Geschwafel wollten sich schon alle erheben, doch ich sprengte wieder Mal die Party, weil ich es nicht ertrug, dass mein bester Freund einen so unwürdigen Abschied bekam. Die Trauergemeinde hielt inne und wendete sich mir zu. Ich musste wohl sehr durch wirken, mit meiner abgewetzten Röhrenjeans, dem schwarzen Tanktop und meiner Kapuzenjacke, welche ich mir tief ins Gesicht gezogen hatte. Ich räusperte mich, bevor ich ans Mikro trat. „Ich weiß, dass ich nich unbedingt erwünscht war, wie auch ein paar andere Freunde von Flo, doch gehören wir nun Mal auch dazu und ich bin mir sicher, dass ich allen hier mehr über Flo erzählen kann. Denn das, was ich zuvor gehört habe, waren nichts als nutzlose Worte, die Flo nich im Geringsten beschreiben. Und dann noch diese elendige Lüge, wie er angeblich ums Leben gekommen ist…ja, das mit dem See stimmt, aber er is nich ertrunken, sondern hat sich umgebracht…ich weiß das, weil ich‘s gesehen habe. Er kam in dieser Welt einfach nich mehr klar und seine Eltern, die ihn hätten unterstützen sollen, haben ihn aufgegeben…Flo war ein unglaublich wertvoller Mensch und zu schade, dass das seine Familie nie sehen konnte. Das war’s.“ Als ich den Pult verließ trafen mich die Blicke von Flos Eltern und ja, wenn Blicke töten könnten. Nur bei einem schienen meine Worte Anklang gefunden zu haben, Flos kleinem Bruder. Kevin stand da wie bestellt und nicht abgeholt. Niemand schien ihn zu beachten und keiner sagte etwas. Alle standen etwas betreten da und wendeten sich eher zögerlich dem Ausgang zu, doch ich blieb. Kevin sah mich lange an, als würde er etwas von mir erwarten, deshalb lud ich ihn, wie auch ein paar andere, zu mir ein, um meinem liebsten Freund eine echte, würdevolle Trauerfeier zu schenken. Ich kämpfte wieder mit dieser Leere in mir. Es war tatsächlich nicht so schlimm wie bei Juka damals, aber es war auch nicht einfach. Wie ich schnell feststellen musste, war Kevin völlig betrunken und auch sehnte mich diesen Zustand schnellstmöglich zu erreichen. Die üblichen Freunde, Nici und auch meine ehemaligen Klassenkameraden begleiteten mich und ich entzündete ein kleines Feuer in der Feuerschale im Garten, um das wir saßen und redeten. Bis Kevin einen Zusammenbruch erlitt und ich ihn nach drinnen geleitete. „Hier trink mal nen Wasser…“, sagte ich und reichte ihm das randvolle Glas. „Danke…ich glaub ich bin echt fertig.“ „Das is okay.“ Plötzlich sah er mich wieder mit diesen unendlich traurigen Augen an. „Ich wünschte wirklich, ich hätte Flo besser gekannt…er war bestimmt nen cooler großer Bruder.“ Ich seufzte und legte mir meine nächsten Worte genau zurecht. „Kev…er war vielleicht ein echter Freund, aber ein Bruder war er dir nie…wie auch…aber ich glaube insgeheim hast gerade du ihm viel bedeutet. Ich geh jetzt noch mal raus…ruh dich aus, schlaf ein bisschen oder so…“ Vorsichtshalber hatte ich Kevin einen Kotzeimer bereit gestellt, denn ich wollte nicht unbedingt, dass er mein Sofa oder den Teppich einsaute. Ich gesellte mich wieder zu meinen Freunden ans Feuer, natürlich nicht ohne meinen Wodka. Anders würde ich diesen Abend heute nicht überleben. Basti kam an meine Seite und schon fühlte ich mich nicht mehr ganz so alleine, denn er wusste, was gerade in mir vorging. Alle erzählten sich Geschichten über Flo und lachten, weil er ein so witziger Mensch war, doch ich enthielt mich. Dann ruhte Jessicas Blick auf mir. Ich drehte mir gerade einen Joint und erwiderte ihren Blick. „Lukas…sag doch auch mal was.“ Ich dachte eine Weile nach und eigentlich hatte ich keine richtige Lust mehr auf diese Pappnasen. „Ihr wisst doch alles über Flo…warum also soll ich euch was erzählen?“ „Weil gerade ihr beiden euch sehr nahe standet“, warf Nici ein. Ich nahm einen tiefen Zug und sah stumm in die Runde. „Sorry…ich kann gerade nichts sagen…bis auf das er mir fehlt. Flo war immer da und jetzt is er‘s nich mehr.“ Basti räusperte sich neben mir. „Mich erstaunt es, dass ihr heut alle hier seid. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass ihr Flo so sehr mögt…bis auf du Nici und doch find ich es gut hier zu sitzen und über ihn zu reden…das hätte ihm sicher gefallen…er war ein prima Freund, wenn auch etwas eigen…und ein bisschen verrückt vielleicht. Flo hat gesagt, dass ich immer der Vernünftige bin, doch hat er dafür gesorgt, dass wir uns nie aus den Augen verlieren…ich dachte immer, Lukas, Flo und ich sind das verhasste Dreiergespann der Klasse, weil wir irgendwie dauernd aus der Reihe tanzten…“ „Das wart ihr tatsächlich, aber ich hab euch immer gemocht.“ Jessica warf gerade mir ein hinreißendes Lächeln zu, doch ich verdrehte die Augen und zog an meinem Joint. „Konnte man uns überhaupt mögen? Ich erinnere mich dran, dass diverse Leute immer über Flo und mich gelästert haben…ohh hast du Lukas heut schon gesehn? Der sieht mal wieder übel fertig aus!“ Chris Miene wurde jetzt ein bisschen feindselig. Er ließ sich einfach noch immer gern provozieren. „Na und. Hat das etwa nicht gestimmt? Ihr habt euch doch dauernd mit irgendwelchem Mist zugedröhnt.“ Ich lachte. „Klar und das tue ich heute noch…aber hieß es nich immer gerade bei Flo und mir, dass wir voll die Loser sind und nie was erreichen? Ups…ging wohl nich ganz auf.“ „Lukas, was willst beweisen? Fängst du jetzt ernsthaft Stress an?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Nö hatte ich jetzt nich vor, aber wenn du dich angegriffen fühlst, selbst Schuld Chris. Oder gib halt einmal zu, dass du gern ein bisschen mehr wie Flo und ich gewesen wärst.“ „Ja und wenn schon? Was spielt das jetzt für eine Rolle?“ „Das würde deine Anwesenheit rechtfertigen, mehr nich…mir fällt kein anderer Grund ein. Wenn ich falsch liege, kläre mich auf.“ Chris stieg eine leichte Röte ins Gesicht, die selbst im Schein des Feuers erkennbar war. „Vielleicht hast du Recht…aber ihr wolltet mich ja nie dabeihaben.“ Ein Schwall Wodka kam aus meinem Mund, weil ich losprusten musste. Mit dem Handrücken wischte ich mir über die Lippen. „Das lag ja mal nich an mir oder an Flo…weiß nich, aber du hast doch Scheiße rumerzählt. Wieso eigentlich?“ Dieses Mal zuckte Chris mit den Schultern. „Weil es mich frustriert hat nicht mehr zu euch zu gehören. Und als ich dann auch noch aus der Band geworfen wurde, war ich einfach pissig drauf. Sorry. Können wir diesen alten Zwist nicht begraben?“ „Meinetwegen…ich bin auch nich nachtragend.“ Plötzlich stupste mich Juka mit seinem Ellenbogen in die Seite. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu und er schüttelte nur grinsend den Kopf und beugte sich zu mir. „Du und nicht nachtragend? Das ist ja wohl sowas von gelogen“, flüsterte er mir zu. Ich steckte ihm die Zunge raus und trank noch einen Schluck. Zwischendurch wechselte ich zu Bier, doch ein Shot zwischendurch ging immer. Und so wurde ich immer betrunkener.   Nici stellte sich an diesem Abend mehrere Fragen. Die erste war, waren Juka und Lukas wirklich verheiratet? Sie kannte den Ring an seinem Finger, der war ihr schon aufgefallen, als er und Jojo die kleine Alice im Kindergarten angemeldet hatten. Doch dann mussten die beiden ja schon ewig ein Paar sein. War es möglich, dass Juka es tatsächlich geschafft hatte Lukas zu bändigen? Und wenn ja, wie zur Hölle hatte er das angestellt? Die beiden wirkten sehr sehr vertraut miteinander, aber sie hatten sich bisher noch nicht einmal geküsst. Juka war allgemein eher zurückhaltend. Das passte doch so gar nicht zu Lukas, der die Aufmerksamkeit förmlich anzog. Und bedauerlicherweise musste sich Nici auch noch nach so vielen Jahren eingestehen, dass ihr Ex auch heute noch echt heiß war. War sie nur aus diesem einen Grund mitgekommen? Ihr tat es schon leid um Flo, doch sie genoss es auch gerade Lukas um sich zu haben. Wie bescheuert. Dieser stritt sich gerade mit Chris oder räumten sie nur einen alten Zwist aus dem Weg? Nici hatte es immer gehasst, wenn Lukas sich so abgeschossen hatte und auch jetzt störte sie es irgendwie, weil er dann immer so frustrierend ehrlich war. Das überspielte er sonst mit seinem Charme. „Chris, ich kapier nur nich, warum du dann so geworden bist? Hast wohl Schiss vor deiner Familie gehabt was?“ „Naja, so mit der Familie brechen, wie du und Flo es getan haben, fällt nicht jedem so leicht.“ „Alter, willst du mich verarschen? Als hätte ich das absichtlich geplant…klar. Meinst du ich fand das cool? Du musst mich ja echt für dumm halten.“ „Naja, du hast immer alles auf die leichte Schulter genommen…deine Familie war dir egal. Du hattest deine Freunde, das finde ich echt cool. Dir ging alles leicht von der Hand…dafür hab ich dich bewundert und Flo auch…“ „Das is mehr als armselig…die traurige Wahrheit is, dass du mich nie so kennenlernen wolltest wie Flo oder auch Basti mich kannten. Denn für das, was du mir so an Wundertaten zuschreibst, will ich nich bewundert werden.“ „Warum nicht? Manchmal hätte ich mir auch gewünscht, ich hätte meinen Eltern die Meinung geigen können.“ Lukas lächelte traurig und sein Gesicht bekam diesen Ausdruck, den Nici nur zu gut kannte. Und es schmerzte zu wissen, dass Lukas noch immer so fühlen konnte. Sie hatte ihn nie trösten können, wenn er an diesem Punkt angekommen war. Nici hatte nie die Kraft aufbringen können bis zu ihm durchzudringen und das wurmte sie noch immer. „Das hättest du vielleicht tun sollen, aber könntest du auch mit den Konsequenzen leben Chris? Ein zerrüttetes Familienleben…Eltern die dich für immer hassen…nur eine Hand voll Freunde, die dir immer wieder den Arsch retten…das schafft man nich allein…Flo hat es nich geschafft. Deshalb is er nich mehr hier, weil er die Liebe seines Lebens verlor und seine Eltern sich nen Scheiß für ihn interessierten…der einzige der wirklich was für ihn übrig hatte, war Kevin. Dem Rest is Flo egal und soll ich dir sagen, was dich neidisch machte? Dass wir immer zusammengehalten haben, obwohl es uns beschissen ging…Flo war der beste Freund, den man sich wünschen konnte, weil er immer da war und das hast du dir insgeheim auch gewünscht, doch das Opfer konntest du nich bringen…denn das hätte bedeutet, du müsstet deine Familie verraten…dazu wärst du nie bereit gewesen…deshalb wirst du nie zu uns gehören, sorry.“ Nici blieb die Spucke weg. Das war nicht der Lukas, den sie kannte. Doch was war passiert? Der Lukas, der das gerade gesagt hatte, strotzte nur so vor Selbstvertrauen und irgendwas oder irgendwer schien ihm den Rücken zu stärken.   „Ey fick dich Lukas…ich wollte heut Frieden schließen, aber du bist echt noch immer ein Arsch.“ „Wenn ich was mit dir zu tun hätte haben wollen Chris, wäre ich schon viel früher zu dir gekommen…und echt cool, dass du Flo diese Ehre erweist, ihn hätte das sicher amüsiert. Aber ich brauch keine neuen Freunde…“ Mein kleiner Bruder baute gerade den zweiten Joint. „Ich frag mich wirklich woher du dein großkotziges Selbstvertrauen nimmst.“ „Mhh, mal überlegen? Vielleicht hab ich einfach auch nur keinen Bock mit Menschen zu reden, die mich früher scheiße fanden…oder nein, ich hab ne andere Idee…du warst neidisch auf uns, weil wir an die coolen illegalen Sachen gekommen sind? Ja Chris, es war absolut genial fast an dem Mist kaputt zu gehen…weißt du was? Verpiss dich einfach.“ Irgendwie war ich wütend auf Chris, weil er so einen geistigen Dünnschiss von sich gab, aber ich genoss auch meinen Triumph. Tatsächlich stellte ich mir das erste Mal die Frage, ob Chris schon immer so beschränkt gewesen war? Ich konnte nicht ganz nachvollziehen, was genau er sich von mir erhoffte, doch Flo hätte das sicher zum totlachen gefunden. Verdammt, schlechter Wortwitz. Chris verließ die Runde tatsächlich und mit ihm sein Gespann Jessica und Yvonne. Gut so, denn noch länger hätte ich diesen Haufen hier nicht ertragen. Blieb nur noch Nici und das war irgendwie okay. Das Feuer brannte kaum noch und wir verlegten die Party zum Pool runter. Ich holte meine Gitarre und begann zu spielen, wie Flo es früher so oft getan hatte. Jule stieg mit ihrer leicht kratzigen Punkrockstimme ein und alle lauschten uns gebannt. Doch die sonst so heilende Wirkung der Musik setzte heute nicht ein und ich fühlte mich elender als zuvor. Sie nahm die Klampfe an sich und stimmte Rosary Blue an. Aber ich konnte nicht und verzog mich an den Pool. In diesem Lied lagen zu viele Erinnerungen. Eine Weile hockte ich tatsächlich allein da, dennoch wurde ich das Gefühl nicht los von meinen Freunden beobachtet zu werden. Ich zog meinen Vollfingerring von der Hand und erinnerte mich an das Gespräch mit Juka bezüglich meiner Narben und warum ich das getan hatte. Heute spürte ich seit sehr langer Zeit das erste Mal wieder den Drang diesen Schmerz der Selbstverletzung fühlen zu müssen, weil mit Flo ein Teil von mir ebenfalls gestorben war. Aber immer als ich die Spitze des Ringes ansetzte, hielt ich Inne. Stattdessen hämmerte ich mit meinen Fäusten gegen die Wand, exte den letzen Schluck Wodka und schmiss die Flasche gegen die Wand. Heulend sank ich zu Boden. Auf einmal fühlte sich mein Körper so müde und ausgelaugt an, als hätte ich nächtelang durchgefeiert. Jukas Arme umfingen mich und ich spürte seine Wärme. Er führte mich zurück zum Sofa. Dann kam Jojo plötzlich auf meinen Schoß gekrochen und Basti lehnte sich an meine Schulter. Er drückte meine Hand. „Für uns ist‘s auch schwer, aber mach keinen Mist…ich hab versprochen auf dich aufzupassen.“ Ich schluchzte noch immer und zündete mir eine Zigarette an. „Ich brauch keine Aufpasser…werde schon nichts Schlimmes tun.“ Mein liebster brachte mir eine Flasche Wasser, die ich fast bis zur Hälfte leerte.   Nici schoss die Situation auf dem Dach der kleinen Laube wieder in den Kopf. Lukas war deprimiert wegen der Situation bei sich zu Hause und auch Nici hatte gerade Stress gehabt und zwar seinetwegen. Sie hatte ihm helfen wollen, doch er blockte ab und verschloss sich vor ihr. Dann war da noch die zerbrochene Flasche und die Glasscherbe in seiner Hand. Jetzt wiegte er nur seinen spitzen Ring in den Händen, die Situation war fast dieselbe, nur ging nicht sie zu ihm sondern Juka. Sie verstand nicht, was die beiden miteinander redeten, doch Lukas schien sich schnell zu beruhigen. Wie zur Hölle schaffte das dieser unglaublich attraktive Japaner nur? Jetzt spürte Nici die Müdigkeit in den Knochen. Sie verabschiedete sich von allen, so auch von Lukas. Etwas länger als nötig lagen sich die beiden in den Armen. Dann geschah etwas, das das Mädchen nicht für möglich gehalten hatte- Juka wollte sie nach Hause bringen. Er bestand schon fast darauf und schließlich willigte sie ein. Das erste Stück gingen sie nebeneinander ohne zu reden, doch dann begann Juka ein Gespräch. „Dir liegt noch viel an Lukas oder?“ „Irgendwie schon…er war meine erste große Liebe.“ Hoffentlich sah er nicht, wie sie errötete. „Kann ich nachvollziehen.“ „Juka, wie schaffst du es zu ihm durchzudringen? Ich meine seit ich Lukas kenne, lässt er niemanden auch nur in die Nähe seines emotionalen Zentrums…ich hab‘s nie geschafft.“ Er schien eine Weile nach den richtigen Worten zu suchen. „Weißt du Nici…ich habe dich beobachtet, wie du ihn heute angesehen hast…ich kann es dir nicht mal verübeln…er ist eben wunderschön. Einerseits unnahbar und doch verletzlich. Und doch sind meine und deine Gefühle zu ihm grundverschieden. Du magst ihn noch immer, himmelst ihn vielleicht sogar noch ein bisschen an, aber ich liebe ihn. Und diese Liebe Nici war das schwerste und das schönste, was ich je in meinem Leben gewagt habe.“ Nici warf Juka einen fragenden Blick zu. „Warum das schwerste?“ „Weil mich dieser wundervolle Mann an die Grenzen des Wahnsinns trieb, doch ich wollte ihn haben…so sehr und wir waren eine Zeit lang getrennt, weil ich glaubte, diese Liebe würde uns zerstören, dabei war genau das Gegenteil der Fall. Ich musste sie akzeptieren und ab da wurde es besser.“ „Dann hast du das geschafft was mir nie gelungen ist. Ich hab damals erlebt, wie er sich den Arm vor meinen Augen aufgeritzt hat…was sollte ich dagegen tun…“ „Vermutlich nichts…“ „Und dann kommst du und dich betet er an…so hab ich ihn noch nie gesehen.“ Juka zuckte etwas schuldbewusst die Achseln. „Naja geplant hab ich das ja auch nicht…es ist halt passiert.“ „Aber wie erträgst du seine Launen, seine Art und Weise manchmal und sein Hang zu Alkohol und Drogen? Heute hat er selbst bestätigt, dass er noch immer gern was nimmt.“ „Luki ist weit aus braver als vor ein paar Jahren. Heute war eine Ausnahme seit langer Zeit und den Grund kann ich nachvollziehen. Ich weiß er redet nicht gern über seine Gefühle, doch wenn er es tut, muss man sehr sensibel sein…auch ich kann ihn nicht vor sich selbst beschützen und er hätte sich heute genauso den Arm aufritzen können…hat er aber nicht.“ „So da wären wir…Juka versteh mich nicht falsch, ich freue mich für euch beide, vor allem, weil es Lukas gut geht. Pass auf ihn auf.“ „Das werde ich. Gute Nacht.“   Juka begleitete Nici nach Hause, war wohl besser so. Jojo lag mit ihrem Kopf auf meinem Schoß, da durchbrach ein zartes Stimmchen unsere schweigsame Runde. „Mama, ich kann nicht schlafen. Ich glaub da sind Monster in meinem Zimmer.“ Wir drehten uns alle in Richtung des kleinen Mädchens. Meine Schwester sah mich an und nickte mit dem Kopf. Ich schwang meine Beine über die Lehne und schloss Alice in meine Arme. Ihr kleiner Körper zitterte. „Schon gut mein Liebling, zeig mir die Monster und ich vertreibe sie.“ In ihrem Zimmer war natürlich nichts, trotzdem wollte sie lieber bei mir schlafen. Diesen Wunsch gewährte ich ihr selbstverständlich. Auch ich kuschelte mich zu ihr ins Bett. Vorher schaute ich unter meinem Bett nach, ob sich da Monster befanden, um meine kleine Nichte zu beruhigen. Irgendwann kuschelte sich Juka zu uns und ich zog ihn enger an mich. Sein Atem blies leicht in meinen Nacken und ich spürte seine Brust, die sich auf und ab senkte. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief ich ein. „Guten Morgen schöner Mann.“ Ich drückte mein Gesicht ins Kissen um diesen grellen Licht zu entfliehen. Juka begann mich zaghaft zu küssen. Erst im Nacken, an den Armen und auf der Wange. „Ich fühl mich wie ein Halbtoter…und Flo is Schuld.“ „Magst du Frühstück im Bett haben?“ „Mhh…vielleicht. Aber dazu musst du weggehen und das will ich nich. Is Alice schon aufgestanden?“ Juka nickte und lächelte und gab mir einen Kuss. „Aber ich bin ja bald zurück, solange kannst du ja noch ein bisschen schlafen.“ Doch irgendwie konnte ich nicht mehr schlafen. Ich wälzte mich von einer Seite auf die andere und stand letztendlich doch auf. Das überraschte meinen Hübschen etwas. Jojo beerte uns auch mit meiner kleinen Nichte im Schlepptau. Allerdings war mir ganz und gar nicht nach Konversation zumute. Nicht mal rauchen konnte ich, weil mir schon allein bei dem Gedanken übel wurde. Juka hatte mir Tee gekocht und liebte ihn dafür, weil er immer zu wissen schien, was ich brauche. Kapitel 73: Zukunftsvisionen ---------------------------- Jetzt waren schon wieder mehrere Monate ins Land gezogen und ich bekam langsam wieder Fernweh. Oder war es eher der Aspekt, weil ich mich in Japan mehr zu Hause fühlte als hier? Sicher gab es dort auch blöde Leute, aber nach dem gestrigen Abend wollte ich meine eigentliche Heimatstadt ganz weit hinter mir lassen. Jojo kam auch allein klar. Außerdem hatte sie ja noch Jule und ihre Freundinnen. Meine Zeit hier war vorüber und obwohl ich meine Arbeit sehr mochte reizte es mich noch mehr gänzlich ins Musikbusiness einzusteigen. Mit Sicherheit bot sich da auch hier eine Möglichkeit doch ich war fertig mit dieser Stadt. Ich duschte eine halbe Ewigkeit und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Jojo unterhielt sich bei knisterdem Kaminfeuer mit Juka und Fabi. „Kann ich kurz mit dir reden?“, fragte ich meinen Schönen. Doch dann kam mir in den Sinn, dass es vielleicht besser war das hier vor allen anzusprechen. „Was los?“ Ich seufzte. „Mir fehlt Tokio…“ Diese drei Worte riefen ganz unterschiedliche Reaktionen bei meinen drei Freunden hervor. Jojo wirkte leicht entsetzt, wie erwartet. Fabi fragte sich wohl, ob er mitkommen sollte oder nicht und Juka lächelte mich mit seinem hinreißenden Lächeln an. „Mhh dachte mir schon, dass demnächst sowas kommt…“ „Ja klar wusstest du wieder alles. Bei dir wundert mich echt nichts mehr.“ Auch mein Schwesterchen schien sich jetzt gefangen zu haben. „Aber was ist dann mit mir?“ „Jojo, du bist kein kleines Mädchen mehr und ich traue dir durchaus zu, dass du von nun an auch auf eigenen Beinen stehen kannst. Du bist jetzt erwachsen und wenn wirklich was passiert, kann ich noch immer zurückkommen. Aber das war schon wieder zu lange.“ Fabi räusperte sich. „Da muss ich euch auch was offenbaren…ich hab mich noch mal beim Wirtschaftsgymnasium gemeldet du gefragt, ob ich meinen Abschluss nachholen kann. Dann hab ich gestern den vorgestern den Aufnahmetest gemacht und bestanden.“ Ich wuschelte meinem kleinen Bruder durch die Haare. „Wow cool, ich bin stolz auf dich.“ Plötzlich erhob sich Jojo und rannte scheinbar völlig wutentbrannt in ihre Wohnung. Sie knallte sie Tür hinter sich. Ich verdrehte die Augen, warf Juka und Fabi einen leicht hilflosen Blick zu und folgte ihr. Meine Schwester hockte mit angezogenen Beinen auf dem Sofa und tat als würde sie mich nicht sehen. „Was hab ich jetzt schon wieder gesagt?“ Ihre Stirn runzelte sich etwas und in ihren Augen lag dieser enttäuschte Ausdruck. „Zu mir hast du noch nie gesagt, dass du stolz bist…aber Hauptsache Fabi holt sein Abi nach…das ist ja so großartig.“ „Jojo…das is doch gerade gar nich das Problem…du bist sauer, weil ich weggehen will, stimmt‘s?“ „Du bist nich besser als Mama. Sie drückt sich auch immer vor allem.“ „Jetzt hör aber auf…du weißt, dass das nicht wahr ist. Du hast doch hier alles Süße…vor was hast du Angst?“ „Davor, dass du niemals zurück kommst.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Und wenn schon…das heißt nich, dass wir uns nich sehen werden. Es wird zwar seltener als jetzt, aber wir sehen uns Jojo, versprochen.“ „Du warst immer da und das macht es so schwer…ich vermisse dich jetzt schon“, sagte sie und zog einen Schmollmund. „Ach jetzt magst du mich doch wieder. Interessant, aber schön zu wissen“, bemerkte ich etwas spitz. „Lukas, ich weiß hier ist es gerade schwer für dich, wegen Flo und so…und klar komme ich allein zurecht, doch bin ich mir nicht sicher, ob ich das auch möchte.“ „Es geht nich nur um Flo, das steckt viel mehr dahinter. Außerdem kann ich mir nich vorstellen ewig in der Firma zu arbeiten. In Tokio hätte ich mit Juka zusammen ne Agentur, die wir leiten könnten…“ „Und mit welcher Band willst du dort berühmt werden? Basti geht’s doch ohne dich auch nicht gut…er brauch dich und die Band gerade jetzt…Alice wird dich schrecklich vermissen…sie geht mir ja jetzt schon dauernd auf die Nerven, wann sie mal wieder zu dir kann. Ich bitte dich nicht oft um einen Gefallen, aber jetzt tue ich es…bitte geh nicht.“ Ich seufzte und wusste nicht richtig, was ich davon halten sollte. Sicher hier war meine Familie, aber ich wollte auch meine Ziele erreichen. Dennoch behielt Jojo Recht, denn was wäre meine Band ohne Basti, Lena und Fabi. Verflucht, ich hasste es wenn sie versuchte ihren Willen durchsetzte und mich mit ihrer süßen liebevollen Art um den Finger wickelte. „Jojo…ich würde alles für dich tun, das weißt du…“ Noch bevor ich weiterreden konnte, hüpfte sie auf meinen Schoß mit dem Gesicht mir zugewandt. „Eben deshalb ja…liebster großer Bruder…du würdest mir sonst echt sehr fehlen.“ „Na schön, du hast mich überredet…aber lass uns wenigstens in den Weihnachtsferien nach Tokio fliegen…“ Jojo drückte mir einen Kuss auf die Wange und lächelte. Dann setzt sie sich wieder neben mich. „Alice hat mich neulich wieder nach Naoki gefragt…ich hab versucht ihr das zu erklären, bin aber nicht sicher, ob sie es verstanden hat.“ „Sie muss mit ihren 4 Jahren auch noch nich alles verstehen…spiele ich in ihrem Leben wirklich eine so große Rolle?“ Meine Schwester warf mir einen vielsagenden Blick zu. „Schätze schon…immerhin bist du der einzige konstante Mann in ihrem Umfeld…ich glaub auch manchmal das für sie eher eine Vaterfigur bist als Naoki. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen schräg, aber du warst von Anfang an da…sie liebt dich Lukas.“ Ich lehnte mich zurück und starrte Löcher in die Luft. „Ich geh noch ne Runde spazieren, bin später wieder da okay?“ Jojo nickte und ich schlüpfte in meinen Pulli und zog meine Jacke über. Juka fragte, ob er mich begleiten solle, doch ich verneinte diese Frage. Da ich nicht wirklich darauf geachtet hatte, wohin mich meine Füße trugen, war ich umso mehr überrascht, als ich mich im Park nahe meines Elternhauses befand. Gute und schlechte Erinnerungen kamen hoch. Ich hockte mich im Schneidersitz auf die Wiese, unter dem Ahornbaum, der schon langsam seine bunten Blätter verlor und rauchte eine Zigarette. Mein Fernweh war größer denn je und doch waren mir die Hände gebunden. Sicher verstand ich Jojo, aber ich konnte nicht. Tatsächlich fühlte ich mich deshalb ein bisschen schlecht, doch hatte ich nicht auch mal ein Recht darauf mein Leben zu leben? Immerhin war ich jetzt fast dreißig und wollte endlich meinen Traum verwirklichen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis und ich wusste, wenn ich mit Juka darüber reden würde, würde er auf meiner Seite stehen, allerdings würde er mich sicher auch ermahnen die Konsequenzen meines Verhaltens zu tragen. Noch immer nicht schlüssig, was ich tun sollte, kehrte ich nach Hause zurück. „Alles okay?“, fragte mein Hübscher. Ich zuckte mit den Schultern. „Willst du drüber reden?“ „Vielleicht, obwohl ich sowieso weiß, was du sagen wirst.“ Juka legte die Stirn in Falten und zog mich auf seinen Schoß. „Ach ja? Dann erzähl mal.“ „Hattest du schon Mal das Gefühl irgendwo nich hinzugehören?“ „Mhh kommt drauf an…ich hab mich eine Zeit lang einsam gefühlt, aber nicht zugehörig? Könnte ich jetzt nicht behaupten.“ „Jojo will, dass ich bleibe…sie meinte auch wegen Alice und so…aber es läuft immer gleich…ich denke mehr an andere als an mich. Klar hab ich hier meine Band und meine Familie, aber ich sehne mich nach mehr…ich will die Welt sehen, herumreisen, Musik machen und einfach mal an mich denken.“ Juka erwiderte lange nichts, sondern schaute mich eine Weile an. Seine Miene wirkte sehr nachdenklich und er schien über irgendwas nachzudenken. „Dann lass es uns tun Luki…ich meine was haben wir zu verlieren?“ „Was? Du machst mir kein schlechtes Gewissen, von wegen, das was ich vorhabe is zwar cool, aber…bla bla bla…du würdest mich nich davon abhalten?“ Juka schüttelte den Kopf. „Ich habe eher gehofft, dass du irgendwann mal sowas wollen würdest. Naja, ich hab daraus gelernt,…der Versuch dich von etwas zu überzeugen, was du nicht willst ist zwecklos. Aber ich merke immer mehr, was du eigentlich willst und ich weiß auch, was dich davon abhält. Wenn ich Jojo wäre, würde ich dich sicher auch davon überzeugen wollen hier zu bleiben. Doch ich frage jetzt dich…und ich will, dass du mir eine ehrliche Antwort gibst…was willst du Luki?“ „Das, was ich vorhin schon erwähnt habe. Mal an mich denken…das tun, was ich will und versuchen endlich mit meiner Musik Erfolg zu haben. Ich meine, wir haben ja schon angefangen und wenn es darum geht die Songs einzuspielen, muss ich entweder nach Deutschland oder die Jungs müssen nach Tokio kommen…klar war es stressig…die Aufnahmen, die Tour und all das, aber ich werde dieses Gefühl nie vergessen. Außerdem hab ich echt keinen Bock mehr früh aufzustehen, irgendwohin arbeiten zu geh’n und so…keiner kann das glaub besser nachvollziehen als du.“ Juka warf mir ein liebevolles Lächeln zu. „Dann muss das deine Schwester wohl akzeptieren.“ Ich seufzte. „Irgendwie schon, aber ich hab auch Angst, dass sie mich dafür hasst Juka…es is alles irgendwie kompliziert.“ Juka sagte lange nichts, dann wurde seine Miene sehr sehr nachdenklich. „Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen blöd und ich will mich da eigentlich auch nicht einmischen, aber denkst du nicht auch, dass Jojo irgendwann auf eigenen Beinen stehen sollte? Du hast mehr als genug für sie getan Luki…“ Kapitel 74: Lebe deinen Traum ----------------------------- Ich überdachte diese Entscheidung gründlich und wog sorgfältig das Für und Wieder ab. Außerdem machte ich mir auch Gedanken darüber, ob ich das auch wirklich wollte und nicht nur Juka zuliebe handelte. Es war schon recht spät, doch meine Schwester war noch auf. Sie schaute gerade irgendwelche Vampirserien und drückte Pause, als sie mich kommen sah. Sie lächelte. Ich nahm neben ihr Platz. „Was schaust du da schon wieder für Quatsch?“, neckte ich sie. „Originals…ist sowas wie eine Nebenserie von Vampire Diaries.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Na dann…muss dir ja gefallen. Jojo ich muss mit dir reden und ich weiß, dass dir das, was ich dir zu sagen habe, nich gefallen wird.“ Meine Schwester kniff die Augen zusammen und in ihrem Blick lag sowas wie Enttäuschung, aber auch Neugier. „Lass mich raten, mein Bitten und Flehen ist bei dir auf taube Ohren gestoßen und du verlässt uns doch?“ Ich verdrehte die Augen. „Wenn du es so übertrieben ausdrücken möchtest, bitte. Und wenn du unbedingt sauer auf mich sein willst, dann muss ich wohl damit leben. Aber ich kann unmöglich mit dem Gedanken leben, dass ich meine einzige Chance verspielt habe, das zu tun, was ich wirklich will Jojo.“ „Und was ist mit mir? Ich kann die nächste Jahre auch vergessen, weil ich gebunden bin…was wird aus meinen Träumen? Du hast versprochen mich zu unterstützen…du bist am Ende doch wie unsere Eltern!“ „Stopp! Wage es nich mich auf diese Ebene zu stellen…wenn ich fies wäre, könnte ich dir vorrechnen, was ich dir zu Liebe alles getan habe, aber das will ich nich. Fast 20 Jahre habe ich immer versucht dich zu unterstützen…für dich da zu sein, obwohl es mir mehr als mies ging, aber das war es mir wert Jojo und ich würde es immer wieder tun. Du bleibst immer meine kleine Schwester und wenn ich merke, dass du meine Hilfe brauchst, bin ich sofort für dich da…doch du bist jetzt tatsächlich alt genug um dein Leben selbst zu meistern.“ Ihr stiegen die Tränen in die Augen und sie wehrte sich, weil sie nicht nachgeben wollte. „Dann geh halt…werde glücklich und lass ab und zu was von dir hören.“ „Du machst es einem echt nich leicht…gute Nacht Süße.“ Ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange und ging wieder in meine eigenen vier Wände. Juka schien an meinem Gesichtsausdruck abzulesen, wie es gelaufen ist und quälte mich nicht mit dummen Fragen. Er kochte uns noch einen Tee, dann zogen wir uns ins Schlafzimmer zurück. Den nächsten Tag bekam ich meine Schwester kaum zu Gesicht. Nur Alice schneite irgendwann herein und tänzelte um mich herum. Wenige Minuten später tauchte auch Jojo auf. „Machst du mir einen Kaffee?“ Ich nickte und betätigte die Knöpfe an der Maschine. „Warst du heute nicht im Kindergarten Alice?“, fragte ich meine Nichte. Sie setzte ihr kindliches Lächeln auf, das ich so mochte und schüttelte den Kopf. „Nein, nein…Mami hat mich mit zu ihrer Arbeit genommen.“ Ich warf meiner Schwester einen fragenden Blick zu. „War ein kurzer Tag heute.“ „Lässt du deine miese Laune jetzt an mir aus?“ „Wer sagt, dass ich miese Laune habe?“ Ich schüttelte nur verärgert mit dem Kopf und schluckte meine Worte runter, weil ich vor Alice nicht mit meiner Schwester streiten wollte. Da kam Juka, mein Retter. Ich gab ihm einen Kuss. „Süßer, hast du Lust mit Alice ein bisschen draußen zu spielen…ich fürchte ich muss was mit Jojo klären.“ Natürlich liebte es Alice im Garten eine Laubschlacht zu machen und Juka kam meiner Bitte nach. Ich wartete bis die beiden außer Höhrweite waren und stellte Jojo ihren Kaffee hin. „Na das hast du ja clever gelöst…gut, dass dein Juka immer zur Stelle ist, wenn man ihn braucht.“ „Jetzt pass mal auf Johanna…du hast damals unbedingt was mit Naoki anfangen wollen und ich kann nichts dafür, dass du schwanger warst! Du bist pissig, weil ich wieder mit Juka zusammen bin…weil es bei uns funktioniert und bei dir nich? Okay…schön, ab morgen bin ich weg, da musst du mein Glück nich mehr ertragen. Ich hätte echt mehr von dir erwartet, aber auch gut.“ „Was ist so falsch dran, wenn ich neidisch bin? Was ist so falsch dran, wenn ich nicht will, dass du gehst? Du warst immer bei mir Lukas und ich hab dich lieb…ich bin nicht wirklich neidisch…es ist halt einfach blöd, Menschen die man liebt gehen zu lassen.“ „Aber ich bin doch nich der einzige hier, dem du wichtig bist…Fabi is noch da, Jule, Nina, allen liegt etwas an dir Süße. Und ich werde auch immer Mal wieder nach Hause kommen.“ „Aber die sind nicht du.“ „Ja dennoch muss ich mich entscheiden und das habe ich getan. Ich hab dich auch sehr lieb Jojo, aber ich gehe, ob du willst oder nicht.“ „Ja, weil du am Ende trotzdem immer das tust, was du willst. Egal ob es anderen dabei schlecht geht…und ich weiß eigentlich auch den wahren Grund…du hältst es hier nicht mehr aus, schon klar. Sorry, ich bin die letzten Monate wohl etwas abgestumpft, vielleicht weil in meinem Leben gerade gar nichts läuft. Ich renne irgendwelchen Typen hinterher, die mich wahrscheinlich für völlig bescheuert halten…ich bin hin und hergerissen, ob ich mich mit Mutti wieder vertragen soll und dann Alice…sie ist lieb und alles, aber ich hab irgendwie kaum noch Zeit für mich.“ „Erstens, wenn dir unsere Mum fehlt, ruf sie an und sag ihr das. Scheinbar entwickelte sie doch noch sowas wie Muttergefühle, zumindest bemüht sie sich. Da isses ohnehin besser, wenn ich nich da bin. Das andere kommt von allein…ich bin vielleicht kein Experte dafür, wie man die perfekte Beziehung führt, aber ich glaube in der Hinsicht bist du nich ganz so kompliziert wie ich.“ Jojo trank einen Schluck und sah mich forschend an. „Glaubst du? Ich hab schon viel Mist gesehen.“ „Dann mach es anders Jojo…und ich weiß, dass deine Bemerkung mich einschließt…vielen Dank“, bemerkte ich etwas gekränkt. Es war wirklich besser, wenn wir uns eine Weile nicht sahen. Ich hatte das Gefühl meine Schwester konnte gerade nicht loslassen, ertrug es aber auch nicht mich um sich zu haben. Ich packte meine Sachen und telefonierte mit unserem Pilot. Der war startklar und Juka war ein wenig verwundert, dass ich so schnell weg wollte. Aber auch dieses Mal stellte er keinerlei Fragen. Ich verabschiedete mich von meinen Freunden und meinen Geschwistern und dann fuhr Basti auch schon vor, der uns zum Flugplatz brachte. Mein schöner Mann oder mein Chef, wie man es wollte lernte mich ein. Naja einiges wusste ich ja schon und mit der Technik war ich ebenfalls vertraut, allerdings bereitete mir die japanische Schriftsprache ein bisschen Ärger. Ich konnte mich zwar mittlerweile ganz gut verständigen, aber beim Schreiben und Lesen hatte ich noch so meine Problemchen. Deshalb stand mir Kim meist zu Seite oder einer der anderen Kollegen. Zu Hause lernte ich fleißig, denn immerhin gehörte es zu meinem neuen Job. Jukas Geburtstag stand vor der Tür und steckte mit beiden Händen in den Vorbereitungen. Wir wollten bei uns zu Hause feiern und ich organisierte die Party. Jukas Mum und Sayuri unterstützten mich, was die Verköstigung an. Natürlich gab es Sushi und ich kümmerte mich um die Bowle. Bei den Vorbereitungen nutzte ich fast jede Gelegenheit zu lesen, was auf den Verpackungen und so stand. Jukas Mum lobte mich und meine Bemühungen schien sie zu freuen. Dann gegen 18 Uhr trudelten die ersten Gäste ein- Miyavi, Tatsoru und Haruto. Der Rest von Tatsorus Band wollte auch noch nachkommen. Sayuri brachte noch ein paar Freundinnen mit, Kim und andere Kollegen kamen und natürlich mein Star des Abends. Ich umarmte und küsste ihn. „Ich dachte eher an einen gemütlichen Abend zu zweit“, flüsterte mir Juka ins Ohr. „Du kennst mich doch…ich liebe dich, aber Partys finde ich auch toll. Morgen haben wir den ganzen Tag Zeit. Jetzt amüsiere dich.“ Ich gab meinem liebsten ein Klaps auf den Po und schon war er im Getümmel verschwunden. Auf unserer Terrasse hatte ich Lichterketten angebracht und kleine Sitzmöglichkeiten, wo man rauchen konnte. Dorthin begab ich mich. Kim und ein paar andere Mädels hatten sich dort versammelt und freuten sich gerade über etwas. Und als ich dort war, wurde mir auch klar weshalb. Sie zeigten mir ein Video von Naokis neuster Band. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, weil sie so unglaublich schlecht war. Ich stieß mit den Mädels an und zündete mir eine Zigarette an. Kim stellte mir die drei anderen auch vor. Apropos Kim, die sah heut ganz anders aus als sonst, wie auch die anderen drei. Sie gehörten wohl zu den Lolitagirls, denn alle vier hatten sich mit Röckchen, Korsagen und Rüschen geschmückt. Mit ihren Plateauschuhen waren sie fast so groß wie ich. Die übergroße Schleife in Kims blonden Haaren war beinahe so große wie ihr Kopf, doch ich fand sie bezaubernd. Es gab im Wohnzimmer auch eine Karaokestation und die Mädels wollten unbedingt mit mir singen. Ich ließ mich breitschlagen, schnappte mir unterwegs allerdings noch ein Bier. Die Auswahl war groß, dafür hatte ich gesorgt und der erste Song war irgendwas japanisches, dabei versagte ich Sang und Klanglos. Kim beschloss deshalb, dass ich das nächste Lied aussuchen durfte. Meine Wahl fiel auf Erasure little espect. Kim sang mit mir gemeinsam und anschließend zollten uns unsere Freunde Beifall. Dann trat Juka ans Mikrofon und Tatsuro zu ehren stimmte er Ender Ender an. Natürlich stieg der andere Sänger da mit ein. Juka und ich lieferten uns später noch das eine oder andere Duell, denn wir beide wollten beweisen, wie gut wir waren. Allerdings schlugen wir uns mehr oder weniger gleich gut. Ich hielt mich heute sogar etwas mit trinken zurück, weil ich die Party und unsere Gäste im Auge behalten wollte, dafür schien sich Juka heute so richtig abzuschießen, ob bewusst oder unbewusst. Es freute mich, wenn er seinen Spaß hatte. Und auf einmal, ich wusste zu meiner Belustigung nicht genau warum, lief nur noch Horrorpunk- Nim Vind, Wednesday 13, Goolsby und andere. Ich feierte es total und warf meine Pläne, mich nicht zu betrinken über Bord. Dafür war die Stimmung gerade Mal viel zu gut. Mir war gar nicht so bewusst gewesen, dass Naokis Bruder Haruto so ein Horrorfanatiker war, doch wir rasteten beide total aus, als something wicked anlief. Immer noch lachend und völlig benebelt begaben wir uns auf den Balkon, um einen Joint zu rauchen. Haruto prostete mir zu und ich grinste. Die kühle Nachtluft tat gut, ich lehnte mich über Brüstung und genoss meinen Lieblingsausblick. Die Stadt der tausend Farben. „Lukas, hast du eigentlich mal Bock was zusammen zu machen?“, fragte Haruto auf Englisch. Ich reichte ihm den Joint und trank einen Schluck. „Klar, warum nicht…besser als Naoki sind wir auf jeden Fall“, witzelte ich und hoffte, dass ich da mal keinen wunden Punkt getroffen hatte. Doch Haruto bekam einen Lachanfall und verschluckte sich fast am Rauch des Joints. „Oh Shit…ich hab ihn heut erst gesehen und er präsentierte mir voller Stolz seinen Song. Jetzt spricht er nicht mehr mit mir, weil ich ihm meine ehrliche Meinung gesagt hab…außerdem ist er übelst angepisst, weil ich heut auf eurer Party bin.“ „Er kann auch gern kommen, wenn er sich den ganzen Abend dumme Sprüche anhören will. Aber ich dachte immer ihr versteht euch so gut.“ Haruto nickte auch. „Die meiste Zeit schon, nur manchmal sind wir uns nicht so einig…zum Beispiel seine Mädels dauernd und das Ding, was er mit deiner Schwester abgezogen hat. Wie geht es Jojo und der Kleinen?“ „Denke ganz gut. Meine Schwester hat alles im Griff und Alice is mega süß.“ Ich zeigte ihm Bilder und auch er war ganz angetan, allerdings nicht nur von der kleinen Alice. „Sorry…es ist ja deine Schwester, aber sie ist echt heiß. Verstehe meinen Bruder nicht, wie er sie hat sitzen lassen.“ Ich seufzte. „Tja…fand das auch nich so cool. Aber will mich da auch nich weiter einmischen.“ Plötzlich grinste er mich verschwörerisch an. „Und du und Juka? Bei euch scheint es ja richtig gut zu laufen.“ „Ja…wir hatten so unsere Höhen und Tiefen, aber jetzt isses perfekt. Hoffe ich bekomm diese blöde Staatsbürgerschaft, weil hier weg will ich eigentlich nicht so schnell.“ „Mhh, ich glaub das wird schwierig, aber da ihr verheiratet seid, könnt ihr es doch mit dem Ehegattenvisum probieren. Das dürfte weniger Probleme geben.“ Auf einmal wurde ich hellhörig. „Ich glaub das hab ich schon gehört oder Juka hat es mal erwähnt, stimmt…oh Mann, bin ein bisschen nervös deswegen. Auch wegen Homoehe und so. Bin nicht sicher, ob die das hier anerkennen.“ „Ich kenn da ein paar Leute, vielleicht kann ich ein gutes Wort für euch einlegen. Aber was zieht dich nach Tokio? Deutschland ist doch auch schön.“ Ich zuckte mit den Schultern und seufzte. „Mh schon, aber da hängen zu viele negative Erinnerungen dran…Flo und so. Musste weg da und Tokio ist einfach verrückt und genau nach meinem Geschmack.“ Haruto grinste. Langsam löste sich die Party auf, auch Kim verabschiedete sich und ich machte es mir auf dem Sofa bequem. Ich checkte meine Mails auf dem Handy und meine Schwester fragte mich, ob wir die Tage mal skypten. Ich würde ihr später antworten, denn jetzt hielt mich mein schöner Mann davon ab. Eigentlich war ich echt betrunken und müde, doch es gab nichts erotischeres als Juka zu beobachten, wie er noch recht elegant durch die Wohnung torkelte, um das Gröbste aufzuräumen. Irgendwann bemerkte er meine anzüglichen Blicke. „Anstatt mich so anzuschmachten, könntest du mir auch ein bisschen helfen, da müssen wir nach dem Aufstehen nicht so viel machen.“ „Niemals werde ich damit aufhören…dieser Anblick is zu göttlich.“ Juka grinste mich ein bisschen fies an und zog sein Oberteil aus. Jetzt war ich doch nicht mehr so müde. Bei jeder seiner Bewegungen spannten sich seine Muskeln an und dessen war er sich mehr als bewusst. Er folterte mich und ich hatte nun die Wahl ihm zu helfen, weil ich dann schneller bekam, was ich wollte oder ich litt länger und ließ ihn alleine aufräumen. Schließlich gewann meine Gier und ich erhob mich. Na gut, was er konnte, konnte ich auch, aber ich wollte diesen Joker noch nicht zücken. Tatsächlich schafften wir es in einer halben Stunde die Wohnung soweit in Ordnung zu bringen, dass es nicht mehr ganz so chaotisch aussah. Zu meiner Freude gab es noch eisgekühlten Wodka, den nahm ich mit ins Schlafzimmer. Juka warf mir einen fragenden Blick zu, ich tat ein bisschen geheimnisvoll. Dort entledigte ich auch mich meines Oberteils und lehnte lässig an der Wand. In aller Ruhe öffnete ich die Flasche und trank einen Schluck. Jukas bohrender Blick ließ mich grinsen. „Komm und hol dir, was du willst Herzblatt“, lockte ich ihn und er nahm meine Hand, um mich auf’s Bett zu ziehen. „Na dann…was hast du schon wieder für teuflische Pläne?“ „Wer weiß das schon…leg dich hin…“ Ich ließ ein bisschen der klaren Flüssigkeit auf seinen Oberkörper träufeln und fing den Rinnsal mit meiner Zunge ein. Mit dem Eiswürfel in meinem Mund umkreiste ich Jukas Nippel, die sich augenblicklich versteiften und er gab ein leichtes Stöhnen von sich. Mein Herz raste und ich konnte mich kaum noch zurückhalten. Doch was wäre guter Sex ohne ein nervenraubendes Vorspiel? Den Rest des Eiswürfels nahm ich in die Hand und setzte mich auf Jukas Oberschenkel. Seine Bauchmuskeln spannten sich ein bisschen an, als meine kalte Hand über seinen Körper wanderte. Ich öffnete den Knopf seiner Hose und stellte fest, dass er keine Unterhose trug. Fuck, Juka wusste leide auch, was mich völlig willenlos machte. Doch ich versuchte mich noch immer zu beherrschen und küsste seinen Bauch, ohne seinem besten Stück zu nahe zu kommen. Ich presste meine Hüften gegen seine und bewegte mein Körper auf und ab. Juka wollte mich an den Armen packen und mich umdrehen, doch ich war schneller und grinste ihn selbstgefällig an. „Da hat aber jemand heute viel Selbstbeherrschung…“ Ich küsste ihn, bevor er noch mehr sagen konnte und jetzt drückte auch er sich gegen mich. „Ich bin selbst ganz überrascht.“ „Weißt du eigentlich, dass es manchmal unerträglich ist, neben dir auf der Bühne konzentriert Gitarre zu spielen?“ „Wie kommst du jetzt darauf?“ „Das fühlt sich ein bisschen an wie jetzt…du bist der heißeste Mann der Welt Luki…und wenn du immer so neben mir stehst und singst, macht mich das ganz verrückt.“ Ich grinste und küsste ihn wieder voller Begierde. Juka schlang seine Beine um meine Hüften und biss mir in die Unterlippe. Ich riss mich von seinen Lippen los und zog ihm die Hose aus. Dieses Mal überwältigte mich Juka und nahm mich. Jetzt konnte auch ich mich nicht mehr beherrschen. Ich rollte von ihm runter und hörte in mich, wie sich mein Puls wieder verlangsamte. „Aber sieh es mal so…all die süßen Mädels, die mich anhimmeln, werden mich nie bekommen…weil ich allein dir gehöre.“ Juka beugte sich zu mir, um mich zu küssen. Allerdings dieses Mal ein zaghafter Gute Nacht Kuss. „Das macht es auch erträglich…danke für den schönen Abend mein Schatz.“ „Keine Ursache.“ „Du wirktest sehr glücklich heute…das freut mich.“ „Juka, hier bin ich auch glücklich…mehr als das.“ Kapitel 75: Jojo schlägt zurück ------------------------------- Zwei Tage später skypte Jojo mit ihrem Bruder, obwohl sie noch immer ein wenig enttäuscht von ihm war, doch das ließ sie sich kaum anmerken. Er fehlte ihr und deshalb wollte sie ihn und Juka besuchen. Auch, wenn das Risiko bestand in Tokio auf Naoki zu treffen, sie nahm das in Kauf. Und naja, vielleicht fing sich ihr liebestoller Ex ja doch noch, weil er seine Tochter sehen wollte. Geistesabwesend schüttelte das Mädchen mit dem Kopf und rief ihren Bruder an. Lukas wirkte sehr entspannt und sah wunderschön aus, wie immer eben. Er erwähnte zwar, dass er gerade viel zu tun hatte, sich aber dennoch über ihren Besuch freuen würde. Jojo war schon sehr mulmig zumute, als sie in Tokio landete, denn nahezu alles hier erinnerte sie an Naoki und schon spürte sie wieder diesen Schmerz, jedoch nicht so extrem, wie sie erwartet hätte. Doch warum sollte sich Naoki für Alice interessieren? Immerhin waren jetzt schon wieder knapp drei Jahre vergangen, in denen er es nicht mal für nötig gehalten hatte sich nach ihr zu erkundigen. Lukas empfing die beiden Mädels mit offenen Armen, allerdings fuhren sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Haus ihres Bruders. Manchmal fragte sich Jojo wirklich, wie er dieser Stadt so viel abgewinnen konnte. Es war hektisch, voll mit Menschen und unerträglich laut. Dennoch schien auch Alice eine Faszination für die japanische Metropole zu entwickeln, denn während sie sich umschaute spiegelte sich in ihren Augen dieses Leuchten. War Jojo denn tatsächlich die einzige, die Tokio nicht ausstehen konnte? Sie schmollte ein wenig und achtete kaum auf ihre Umgebung. Sie wollte nur, dass die U-Bahn endlich die Haltestelle erreichte und sie aussteigen konnte. Auch der Mann ihres Bruders empfing Jojo freudestrahlend und auf einmal wurde ihre Laune ein bisschen besser. Lukas wollte noch ins Studio, weil er mit irgendwem einen Song aufnehmen wollte. Zuerst zog es Jojo in Betracht in der Wohnung zu bleiben. Endlich mal Ruhe und ein bisschen Zeit für sich haben, doch ihre Tochter bettelte sie an, was blieb ihr da schon übrig. Haruto, Naokis Bruder erwartete sie vor dem Studiogebäude, na toll, das hatte ihr gerade noch gefehlt. Jemand, der sie an ihrem charmanten Ex erinnerte. Sie hockte sich lustlos in den Aufnahmeraum. Alice saß bei Juka und ließ sich erklären, welche Knöpfe welche Funktionen hatten. Jojo sah die beiden Jungs durch die Scheibe und fand es ein bisschen verwunderlich, dass ihr Bruder Gitarre spielte, das tat er selten. Haruto setzte die Kopfhörer auf und schloss seine Augen einen Moment, bis er schließlich einstieg. Naja okay, das klang gar nicht so schlecht. Das Lied war harmonisch und sehr langsam zugleich. Das Mädchen trommelte mit ihren Fingern im Takt dazu und Alice drehte sich zu ihr um und lächelte. Dieses erwiderte Jojo und versuchte den Alltag irgendwie zu verdrängen und sich zu entspannen. Vielleicht war es hier doch nicht so beschissen, wie sie geglaubt hatte. Nach etwa einer Stunde war die Aufnahme fertig und Haruto schlug vor bei Lukas und Juka noch was zu trinken. Die nächsten paar Minuten liefen fast wie in Zeitlupe ab und Jojo wusste nicht, wie ihr geschah. Ihr Bruder öffnete die Tür und stieß fast mit Naoki zusammen, der in den Armen von zwei Mädels ins Studio stolperte. Jojo erschrak, denn der Vater ihres Kindes sah völlig verwahrlost und ziemlich zugedröhnt aus. Wenn die beiden Mädels ihn nicht halten würden, würde er wahrscheinlich umfallen. Jojos Magen zog sich zusammen und sie legte ihre Arme schützend um Alice. Juka fragte ihn irgendwas auf japanisch und Naoki lachte aus vollem Halse. „Was für eine Überraschung…hallo meine Hübsche…ich hab nicht gewusst, dass du da bist…“, richtete er seine Worte an Jojo. „Ich hab es auch nicht für nötig gehalten dich davon in Kenntnis zu setzen. Lukas gehen wir?“ Plötzlich stürzte sich Haruto mit wutverzerrtem Gesicht auf seinen Bruder und zog ihn ein bisschen weg. Jojo verstand nicht alles, da die beiden in ihrer Muttersprache redeten, doch es war nicht zu verkennen, dass Haruto richtig sauer war. Naoki schien das alles noch immer echt witzig zu finden, nahm seine Begleitrinnen wieder in die Arme und warf Jojo noch einen letzten Blick zu. „Okay, ich glaub ich bin nicht erwünscht…bye bye Herzblatt.“ Er warf ihr noch einen Handkuss zu und das Mädchen merkte, wie ihr die Tränen hochstiegen, dennoch versuchte sie diese zu unterdrücken. Sie war sich auch nicht sicher, ob Alice gerade realisiert hatte, dass das ihr Vater gewesen ist. Juka schnappte die kleine und nahm sie auf seine Schultern. Lukas legte seinen Arm um Jojos Schulter und zog sie mit sich. Zu Hause brachte sie ihre kleine Tochter ins Bett und legte sich zu ihr. „Mama, war das Papa eben?“ Diese Worte trafen Jojo wie ein Schlag. Sie biss sich auf die Lippen und nickte. Selbst dabei versuchte sie noch zu lächeln. „Ja mein Schatz…aber ich glaube ihm ging es heute nicht so gut.“ „Der Lenny hat mal gesagt, dass sein Papa immer sagt, wenn man Alkohol trinkt wird man komisch. Hat mein Papa auch Alkohol getrunken?“ Jojo schluckte. Warum musste Alice gerade sowas aufschnappen und sich dann auch noch daran erinnern? Verflucht. „Vielleicht. Aber jetzt musst du schlafen.“ Alice schaute sie mit großen Augen an. „Aber Papa hat bestimmt nicht mehr lieb. Er hat nicht hallo zu mir gesagt.“ Jetzt kamen die Tränen doch und Jojo stürmte aus dem Schlafzimmer und bat ihren Bruder Alice ins Bett zu bringen. Dann brach sie auf dem Boden zusammen. Juka nahm sie in seine Arme und führte sie zum Sofa. „Süße, es tut mir leid…Naoki hat sich wieder Mal von seiner besten Seite präsentiert.“ „Aber warum Juka?“ „Diese Frage kann ich dir unmöglich beantworten. Anata wa nani o iimasu ka?“, wandte sich Juka an Haruto. Dieser schüttelte nur mit dem Kopf und rollte mit den Augen. „Kare wa bakada!“ Jojo wusste, dass das sowas wie Idiot oder Vollidiot hieß. Immerhin schien Haruto nicht ganz so bescheuert wie sein Bruder zu sein. Aber er schien auch kaum oder kein deutsch zu sprechen. Naja, man konnte nicht alles haben. „Jojo…he will never change…sometimes I think he is one the best persons I know…but today…he’s an asshole, sorry.“ Jetzt erinnerte sich Jojo, dass sie sich vor längerer Zeit schon mal mit Haruto auf Englisch unterhalten hatte. Das ging ja. Sie schluchzte immer noch und fragte, ob er mit ihr eine rauchen kommen wollte. „Yes.“   Was für ein Abend und es tat mir sehr leid für mein Schwesterchen, das würde Naoki noch bitter bereuen. Sie hockte mit dem Weinglas auf der Heizung in unserer offenen Küche. Sie schaute mich aus tränenverschmierten Augen und wirkte so hilflos. Ich kniete mich vor sie und nahm ihre Hand in meine. „Alice schläft…kann ich dir was Gutes tun?“ Sie schüttelte mit dem Kopf und trank einen großen Schluck. „Eigentlich hatte ich tatsächlich noch Hoffnung, aber als ich ihn heut so gesehen habe…Naoki ist wieder dort, wo er sich am wohlsten fühlt und Verantwortung übernehmen muss er ja nicht. Ich glaube ich habe noch nie jemanden so gehasst.“ „Kann ich nachvollziehen…trotzdem geht es irgendwie weiter Jojo.“ Plötzlich verzerrte sich ihr süßes Gesicht und ich sah den Schmerz in ihren Augen. „Hast du das auch zu Flo gesagt? Nicht alle denken so…Hauptsache du bist glücklich…dir isses doch egal, wie es mir geht!“, fuhr sie mich an und wusste, dass mich ihre Worte trafen. „Das hab ich tatsächlich, aber Flo war ne ganz andere Baustelle und ja, die konnte ich nich reparieren…ich kann deinen Zorn verstehen, aber du solltest ihn nich an anderen auslassen.“ Meine Schwester lachte traurig, doch ich wusste, dass sie noch nicht fertig war. „Ja, weil du immer alles verstehen kannst…jetzt, aber ohne Juka bist du dazu auch nicht in der Lage…ohne deinen tollen Freund bist du ein Nichts…genauso abgefuckt wie ich gerade, nein sogar noch schlimmer.“ „Deshalb brauchen wir jemanden an unserer Seite…du dachtest es könnte Naoki sein, aber jetzt wurdest du enttäuscht und hasst alle um dich herum?“ „Ja vielleicht…ja weißt du Lukas es geht weiter…ich schaue meinem tollen Bruder bei seinem glücklichen Leben zu…und ja, vielleicht bin ich neidisch auf dich. Und weißt du auch warum? Weil du trotz deiner Rückschläge das bekommen hast, was du wolltest…ich meine was erwartet man auch sonst von einem charmanten heißen Typen wie dir…du kannst jeden um den Finger wickeln wenn du willst und das weißt du.“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten. „Manchmal würde ich dir wünschen, dass du die Dinge erlebt hast, die mir widerfahren sind, denn dann würdest du nich so arrogant daher reden…und manchmal hätte ich dich vielleicht ins offene Messer laufen lassen sollen, tschuldige, dass ich mich um dich gesorgt habe kleine Schwester. Du beschuldigst mich andere zu manipulieren, weil ich so unglaublich gut aussehe? Das mag oft so rüberkommen, aber die Menschen mögen mich nich Aufgrund meines guten Aussehens Schwesterherz, denn das is nun Mal nich alles.“ „Ach nein? Du suhlst dich in Selbstverliebtheit…und alle, die nicht gut genug für dich sind, lässt du nicht in dein Leben…so war‘s doch mit Naoki!“, schrie sie mich jetzt fast an und zog die Trennwand zu, damit es den Lärm wenigstens ein bisschen abdämpfte. „Denkst du das ernsthaft? Nachdem, was er dir angetan hat! Schön…weißt du Johanna, einerseits tust du immer so erwachsen und willst alles selbst klären, doch dann bettelst du mich an alles stehen und liegen zu lassen, nur damit du nich allein bist. Du tust immer, als wäre alles okay, doch das isses nich…aber fechte deine Kämpfe allein aus. Such bei mir die Fehler, halte mir vor, was ich bei dir verkackt hab…wenn du mit den Konsequenzen leben kannst.“ Mit diesen Worten ließ ich sie mit ihrem Rotwein allein, denn das musste ich mir nicht auch noch antun. Meine Schwester enttäuschte mich immer mehr und je öfter sie mir beteuerte, wie sehr sie mich doch liebte, desto öfter zerstörte sie diese Vorstellung mit solchen Aktionen wieder. Ich ging geradewegs ins Schlafzimmer und rauchte auf dem kleinen Balkon noch eine Zigarette. Langsam drehte ich mich um, als ich die Hand auf meiner Schulter spürte. „Sag einfach nichts…es is vorbei. Johanna meint mich hassen zu müssen, dann soll sie das tun.“ „Luki…du kannst sie nicht auch noch fallen lassen. Sie war nicht gerade schmeichelhaft dir gegenüber, aber kannst du ihr das verübeln nach dem Desaster heute Abend?“ Ich nahm einen tiefen Zug und hörte das Knistern der verbrennenden Glut. „Ich werde nich den ersten Schritt machen. Dauernd zerstört sie das, was mich glücklich macht…kommt mir irgendwie Bekannt vor.“ Er legte seine Hände um meine Hüften und küsste mich auf die Stirn. „Du weißt, dass du das nicht willst, aber lass uns eine Nacht drüber schlafen.“ Doch ich fand in dieser Nacht wenig Ruhe und stand irgendwann auf, um mir ein Glas Wasser zu holen. Die Wohnung lag in völliger Dunkelheit und doch drangen Geräusche an mein Ohr. Es klang nach einem Schluchzen und jetzt, da sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich meine Schwester an der Terrassentür hocken. Saß sie etwa noch immer da? Nein, weil sie ein Top und ihre Schlafhose trug. Sie tat so, als würde sie mich nicht bemerken. Mit verschränkten Armen stellte ich mich vor sie und schaute zu ihr hinab. Ich zog das Band meines Bademantels ein wenig enger. Jojos Arme waren ein bisschen kühl und ich legte ihr eine Decke über. „Ich bin vorhin einfach gegangen, aber ich glaub du warst noch nich fertig oder?“ Sie sah mich leicht irritiert an. „Warum gehst du nicht einfach schlafen und lässt mich in Ruhe.“ „Weil ich keinen Bock auf nen miesen Tag morgen hab…passt grad nich in mein harmonisches Leben.“ „Tut mir leid, was ich gesagt hab…“ „Nein tut es nich…dich kotzt es noch immer an…aber was willst du Jojo? Ich meine du hast in letzter Zeit nichts Besseres zu tun, als mir vorzuhalten, wie perfekt mein Leben is. Als ob ich das nich selbst wüsste. Und ich werde nich so einfach alles hinter mir lassen. Das hab ich lang genug getan…aber es bedeutet nicht, dass du mir nich wichtig bist.“ Sie schluchzte wieder und ich legte vorsichtig meinen Arm um ihre Schulter. „Ich hab das Gefühl, ich schaff das alles nicht…dauernd mache ich mir Vorwürfe ich könnte keine gute Mutter sein. Neulich saß ich fast die halbe Nacht in unserer Lieblingsbar und hab mit dem Barkeeper geredet…den Tequila gab‘s irgendwann umsonst…Alice war mit Nina zu Hause, nur was soll sie von mir denken, wenn ich sowas tue?“ Ich fing leise an zu lachen. „Jojo, das ist nichts, wofür du dich schämen solltest…du gehörst vielleicht nich zu den konservativen Mums, aber Vorwürfe machen musst du dir ganz sicher nich. Und Alice wird dich noch die eine oder andere schlaflose Nacht kosten, aber ich weiß, dass du das schaffst.“ „Wirklich? Manchmal kann ich das selbst nicht glauben…und dann seh ich Naoki mit seinen Tussen…das ist einfach ungerecht.“ „Dann lass ihn das wissen…ich meine von einer Hohlnuss wie ihm kannst du nich erwarten, dass er das versteht, aber vielleicht schadet es nich, wenn du ihm das sagst.“ „Ich hab ein  bisschen Angst davor…“ „Mein kleiner Schatz, du hast nichts zu verlieren…aber ich will dich nich zwingen, tue einfach das, was du für richtig hältst. Und jetzt sollten wir wieder schlafen gehen.“ Meine Schwester schlang ihre Arme um meinen Körper und es tat gut zu wissen, dass wir wieder im selben Team spielten.   Jojo fühlte sich fast wie damals, als sie Naoki schon einmal besucht hatte, nachdem sie ihn so verärgert hatte, da sie an seiner Treue zu ihr zweifelte. Welch schicksalhafte Ironie, denn seither hatte sich so viel zwischen ihnen geändert. Wenn sie dieses Bild von vor zwei Tagen in ihrem Kopf unwillentlich heraufbeschwor, kam ihr das Kotzen. Naoki. Der Mann, den sie mal geliebt hatte. Und irgendwie auch noch ein bisschen liebte, dennoch musste sie einen Cut machen. Mit schwitzigen zittrigen Händen drückte sie die Klingel. Als niemand antwortete, versuchte sie es ein zweites und auch ein drittes Mal. Endlich erklang das fast schon vertraute Summen und sie fuhr mit dem Fahrstuhl in den zwanzigsten Stock. Oben angekommen, öffneten sich die Fahrstuhltüren und Jojos Blick schwankte sogleich nach rechts, wo Naokis Apartment lag. Lässig lehnte der Casanova in der Tür und beäugte das Mädchen von oben bis unten. Natürlich trug er nur eine Hose und Jojo versuchte sich auf sein Gesicht zu konzentrieren und den Rest seines Körpers zu ignorieren, was ihr sichtlich schwer fiel. „Welch hoher Besuch…wie komme ich zu dieser Ehre. Sag bloß ich hab dir gefehlt.“ Jojos Lippen verzogen sich zu einem gespielten Lächeln. „Wohl eher nicht. Kann ich reinkommen oder habe ich dich gerade bei einer deiner Orgien gestört?“ Er lachte kurz auf und zuckte mit den Schultern. „Um ehrlich zu sein…ja hast du, aber wir können trotzdem reden. Für dich unterbreche ich sogar meine Orgien.“ Das Mädchen verzog angewidert das Gesicht und folgte ihrem charmanten Ex ins Wohnzimmer. Dort hockten auf dem Sofa die beiden Mädels, mit denen Naoki vor zwei Tagen schon angetorkelt kam. Sie trugen nur noch ihre Unterwäsche und Highheels. Außerdem schienen sie sehr berauscht zu sein, mit was wollte Jojo gar nicht wissen. Sie kicherten und tuschelten miteinander, als sie Jojo erblickten. Naoki jedoch schickte die beiden in sein Schlafzimmer und nahm auf dem kleinen schwarzen Hocker platz, um sich eine Line zu ziehen. Wie angewurzelt stand die Mutter seines Kindes neben ihm. „Willst du dich nicht setzen?“ In ihr kochte es vor Wut und sie musste sich beherrschen, um nicht völlig den Verstand zu verlieren. „Na schön…immerhin scheinst du nicht jeden Tag eine andere zu haben.“ Er zündete sich eine Zigarette an und etwas nervös bediente sich Jojo selbst und schenkte sich einen Drink ein. „Sag schon, weshalb bist du hier?“ „Ich wollte dich ein letztes Mal sehen, bevor ich wieder fliege…natürlich hatte ich die Hoffnung, wir könnten normal miteinander reden, aber ich fürchte das hat sich erledigt.“ Naoki sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Bin wohl nicht dazu gemacht, um Vater des Jahre zu werden und es ist mir egal Jojo. Damals wollte ich es versuchen, weil ich dich wirklich geliebt habe…aber irgendwann muss man Prioritäten setzen. Ich kann kein Kind großziehen…eigentlich wollte ich ohnehin nie welche haben. Meine Welt ist hier und ich mag es so.“ Jojo schenkte sich noch einmal nach und ihr Herz wummerte so laut, dass man es eigentlich hätte hören müssen. „Dann hätten wir das ja geklärt…ich will dich auch nicht länger von deinen sexuellen Aktivitäten abhalten. Nur erwarte bitte niemals, dass ich Alice auch nur in deine Nähe lasse. Du stößt sie von dir? Okay, damit habe ich wohl mehr zu kämpfen als sie, doch ich akzeptiere es.“ Plötzlich lachte er. „Naja, vielleicht treff ich sie ja irgendwann, wenn sie alt genug ist und feiern gehen kann.“ Das Mädchen konnte nicht sagen, wer überraschter war, sie oder Naoki, als sie ausholte und ihm eine knallte. Doch er brach nur in schallendes Gelächter aus. „Du bist widerlich. Auf nimmer wiedersehen“, fauchte sie ihn an. Auf einmal wirkte er sehr ernst. Ja fast erwachsen und verantwortungsbewusst. Ein trauriges Lächeln schlich sich auf seine Lippen und dieser enttäuschte Blick in seinen Augen verriet ihr, dass es ihm vermutlich doch nicht so gut ging, wie er vorgab. „Tut mir leid…das war daneben. Ich kann dir nicht verübeln, dass du diesen Groll auf mich hast…immerhin gebe ich dir gerade keinen Grund, mich zu mögen. Nur sollst du wissen, dass ich dir alles gegeben hätte, wenn du es zugelassen hättest…nur tut es scheiße weh, immer das dritte Rad am Wagen zu sein…das war ich schon immer.“ Jojo hielt inne und schaute den Mann an, dem sie einst ihr Herz geschenkt hatte. Plötzlich ging er zu der Kommode, holte einen Briefumschlag hervor und reichte ihn dem Mädchen. „Lies ihn, wenn du bereit dazu bist…“, waren seine letzten Worte. Er beugte sich zu ihr und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. Heiße Tränen brannten in ihren Augen, die sie mit aller Gewalt versuchte zu unterdrücken.   Sie erzählte ihrem Bruder nur die Kurzfassung, weil sie so schnell wie möglich zurück nach Deutschland wollte. Weg aus Tokio und so weit wie möglich weg von Naoki. Wobei, da hätte sie wahrscheinlich noch weiter gemusst, doch das musste fürs erste genügen. Juka organisierte den Flieger und die Jungs fuhren Alice und Jojo zum Flugplatz. „Nur das du es weißt…Weihnachten komm ich sicher nicht. Falls du uns sehen willst, musst du kommen.“ „So schlimm? Lass uns die Tage einfach skypen…meld dich, wenn du angekommen bist und Grüße an Basti, Fabi und so…ich hab dich lieb Jojo.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und sie vermisste ihren Bruder schon jetzt furchtbar. Auch Juka nahm sie kurz in die Arme und dann stieg sie ein. Kapitel 76: Er liebt mich, er liebt mich nicht... ------------------------------------------------- Jojo machte drei Kreuze, als sie die Tür zu ihrer Wohnung aufschloss. Alice schlief auf ihrem Arm und sie trug ihre kleine Schönheit sogleich ins Bett. Das Zähneputzen durfte heute ausfallen. Die Müdigkeit saß auch dem jungen Mädchen in den Knochen, doch an Schlaf war jetzt nicht zu denken. Sie musste dringend mit jemandem reden und warf einen Blick ins Wohnzimmer nebenan. Dort saßen alle versammelt, Basti, Fabi, Jule, Nina und Jayden. Jojo staunte nicht schlecht und sie freute sich sehr. „Was tut ihr denn alle hier?“ Ihre beste Freundin kam auf sie zugerannt und umarmte sie. „Tja Lukas hat mich angerufen und gesagt, dass wir hier auf dich warten sollen…irgendwas is wohl passiert“, beantwortete Fabi ihre Frage. Jojo war zu Tränen gerührt und berichtete von ihrem chaotischen Trip. Alle waren außer sich und versuchten sie zu trösten. Fabi holte ihr ein Bier und Nina sagte ihr mehr als einmal, dass sie so froh sei, dass Jojo wieder da ist, obwohl sie ja nicht mal eine Woche weg war. Aber schön zu wissen. Die Freunde redeten noch lange, doch dann löste sich die Runde auf. Nur einer blieb. „Du solltest wirklich aufhören diesem Spinner hinterher zu rennen.“ Jojo warf Jay einen vernichtenden Blick zu. „Witzig, denn genau das hab ich mit meinem letzten Besuch bei ihm bezwecken wollen.“ „Und hat es auch funktioniert?“ Sie sackte ein bisschen in sich zusammen und ihr Kopf sank in die weichen Sofakissen. „Ich hoffe es…ich meine dieser beschissene Bastard hat es nicht mal für nötig gehalten seine Fickbekanntschaften weg zu schicken! Ahhh, ich hasse ihn und trotzdem fühlt sich alles komisch an…ich bin immer noch frustriert und verletzt.“ „Puh, das waren viele Schimpfwörter in einem Satz Herzchen. Dem Kerl sollte echt jemand die Fresse polieren…ich meine wärst du irgend so eine dahergelaufene Tussi, könnt ich sein Verhalten eventuell verstehen, aber du bist Johanna Sennert…wie kann er dich nur von der Bettkante stoßen…ohne Scheiß Süße, er weiß nicht, was ihm entgeht.“ Jojo biss sich auf die Unterlippe und drehte ihr Gesicht weg. „Wow…danke, dein verkorkster Humor hat mir gefehlt.“ „Das freut mich zu hören…immerhin hab ich meine Schicht für dich sausen lassen.“ Jojo blickte ihren neusten Freund ergriffen an und musste grinsen. Wie Recht ihr Bruder doch gehabt hatte. Sie hatte auch hier Freunde und Menschen um sich, die sie liebten. „Ernsthaft? Hoffentlich wirst du da nicht gefeuert.“ „Keine Sorge, ich hab gesagt, es geht um Leben und Tod.“ Jetzt musste sie wirklich lachen. „Du spinnst wirklich…aber schätze das ist eine der Eigenschaften an dir, die ich so mag…und dein dämlicher Humor…deine blöden Sprüche…tut irgendwie gut in deiner Nähe zu sein.“ „Oha das klingt ja schon fast wie eine Liebeserklärung, jetzt übertreib mal nicht so.“ „Ich übertreib nicht Jay…das sag ich, weil‘s stimmt.“ Er setzte seine Cappi ab und strich sich durch seine blonden Haare. Jayden erinnerte Jojo an jemanden, den sie mal sehr gerne gehabt hat, doch der leider nicht mehr unter den Lebenden weilte. Sie und Flo hatten sich zwar erst in den letzten Jahren richtig angefreundet, doch dann war es sehr intensiv gewesen. Allerdings unterschied die beiden Jungs eine entscheidende Sache voneinander, Jayden war nicht schwul. Und das fand Jojo auch gut so, denn auch wenn sie noch einen klitzekleinen Funken für Naoki empfand hatte sie endlich begriffen, dass sie ihn nie wieder zurückhaben wollte und endlich Platz für eine neue Liebe schaffen musste. Und warum nicht Jay? Er war süß, witzig, manchmal charmant aber vor allem brachte er sie wirklich zum Lachen und in seiner Gegenwart fühlte sie sich so ungezwungen. Außerdem war er musikalisch sehr bewandert und zu guter letzt punktete er natürlich auch mit seinem Körperschmuck. Im Gesicht zählte Jojo vier Piercings, doch wer weiß, wo er noch welche hatte. „Über was denkst du gerade nach? Du wirkst so abwesend.“ Jojo zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck. „Weiß nicht…bin nicht sicher, ob du das wissen willst.“ „Wenn ich es nicht wissen wöllte, würde ich dich nicht daran fragen.“ „Ich hab mich in letzter Zeit oft mit Lukas gestritten, weil ich ein bisschen neidisch auf ihn war…völlig bescheuert ich weiß…aber er hat auch viel durchgemacht und jetzt hat er trotzdem alles. Naja und ich hab eine wundervolle Tochter, die mir manchmal den letzten Nerv raubt.“ „Vielleicht ist das so, aber was hättest du denn gern so dringend, was Lukas hat?“ Jojo seufzte. „Es ist kompliziert zu erklären…er hat seinen Juka und immer wenn ich die beiden zusammen sehe, freue ich mich, weil sie so glücklich sind…doch da wird mir immer wieder schmerzlich bewusst, was mir fehlt. Verstehst du?“ Jay spielte etwas gedankenverloren mit einer Haarsträhne. „Mhh…das heißt also dich kotzt diese ganze Pärchenscheiße übel an, weil du gerade keinen hast, der all das mit dir machen könnte. Stimmt das in etwa?“ Jojo musste wie schon so oft an diesem Abend lachen. „Ja so in etwa.“ „Und was genau hindert dich daran?“ „Naja, mir fehlt der richtige Partner zum Blödsinn machen.“ Nachdenklich sah er Jojo an. „Und was genau verstehst du unter dem richtigen Partner? Ich meine, ab wann kann man von richtig und falsch reden? Klar, du weißt, was du nicht willst, woher aber kannst du wissen, was du willst?“ Jojo schlug die Arme über ihrem Kopf zusammen. „Verdammte scheiße…das klingt mega kompliziert…woher soll ich wissen, was ich will? Ich glaub ich wünsche mir nur jemanden, mit dem ich über alles reden kann, dem ich vertrauen kann und der für mich da ist, wenn es mir mies geht…doch diese Sorte Jungs ist wohl schwer zu finden.“ Jayden lachte. „Manchmal ist es weit aus einfacher, als man denkt Liebling und nicht jeder Typ ist ein Volldepp, auch, wenn er sich manchmal so verhält.“ „Flirtest du etwa mit mir?“, witzelte Jojo und fühlte sich ebenso geschmeichelt. „Wer weiß das schon? Vor etwa nem Monat sah ich dich mit diesem Levi in der Bar und ich hab mich gefragt, ob ihr zusammen seid…doch dann fiel mir auf, wie du ihn ansiehst…da wurde mir klar, der arme Tropf wird nie eine Chance bekommen. Dann warst du ewig lange nicht da und dann kam dieser Tequilaabend. Du warst noch sehr verletzt, doch je öfter wir uns dann gesehen und unterhalten haben, entging mir nicht, wie du mich angesehen hast. Du bist ein wundervolles intelligentes Mädel Jojo und weißt du warum ich immer mit dir geredet habe?“ Das leicht verwirrte Mädchen schüttelte mit dem Kopf. „Damit es kein anderer tut…naja zumindest kein anderer Typ. Du hast gesagt, du wärst überfordert mit allem, dabei bist du einfach unglaublich stark. Glaub mir als Barkeeper hört man oft eher unbewusst Geschichten, die man besser nicht hören sollte…unter anderem von alleinerziehenden Müttern oder auch Vätern. Naja, aber dann kamst du.“ Sie seufzte und trank noch einen Schluck. „Wie meinst du das und dann kam ich?“ Jayden grinste. Dabei zeigten sich kleine Grübchen in seinem Wundwinkel. „Naja…auch wenn’s dir nicht so vorkommt…immer wenn du von deinen Problemen erzählst, klingt es für dich vielleicht so als könntest du keines davon lösen, doch dabei tust du genau das. Manchmal sucht man sich bewusst bestimmte Menschen aus, mit denen man redet, trinkt oder Spaß hat. Whatever…Süße…ich muss jetzt los. Ein bisschen Schlaf wäre gut, aber wir sehen uns die Tage okay?“ Plötzlich spürte Jojo einen Kloß im Hals. Sie wollte nicht, dass sie Jayden jetzt verließ. Doch konnte sie dagegen wohl wenig unternehmen. Deshalb ließ sie ihn ohne Widerstand gehen und hoffte, dass er sich melden würde. Der Alltag kam schneller als erwünscht. Jojo ging ihrer Arbeit nach und brachte Alice vorher in den Kindergarten. Und noch zwei Wochen bis Weihnachten. Dieses Fest kam ihr dieses Jahr so trostlos wie noch nie vor, denn wahrscheinlich würde sie den Heiligabend allein mit Alice und vielleicht Fabi verbringen. Alle anderen würden bei ihren Familien sein. Dieser Gedanke trieb ihr die Tränen in die Augen, doch schnell wischte sie sich die Augen trocken. Ihr Tag war heute nicht besonders ereignisreich gewesen und eigentlich hatte sie jetzt Feierabend, dennoch fehlte ihr die Motivation etwas Kreatives mit ihrer freien Zeit anzufangen. Müde vom Alltag und etwas deprimiert drückte sie auf den Knopf ihrer Kaffeemaschine und lauschte geistesabwesend dem Geräusch zermahlener Bohnen. Sie zuckte deshalb ein bisschen zusammen, als die Tür zur anderen Wohnung aufschwang und ihr geliebter Bruder eintrat. „Überraschung“, sagte er voller Freude und umarmte Jojo. Und augenblicklich war ihre trübsinnige Stimmung wie weggeblasen. Lukas war da, das hieß wohl die Feiertage würden doch nicht so mies werden. Die Geschwister lagen sich lange in den Armen und wieder musste Jojo an ihren letzten Streit denken rügte sich insgeheim für die Worte, die sie ihrem Lukas an den Kopf geknallt hatte. „Überraschung gelungen.“ „Naja, du hast gesagt, dass du nich in Tokio feiern willst, also is ja wohl klar, dass ich zu dir komme.“ „Bist du alleine?“ Er nickte. „Jepp, aber Juka will in zwei Wochen nachkommen. Wir haben alle Zeit der Welt mein Schatz.“ Jojo umarmte ihren Bruder erneut und gab ihm einen Kuss auf die Wange. So verkorkst war Lukas gar nicht, denn immerhin war er da, ihretwegen. „Kommst du mit Alice abholen? Da können wir noch auf den Weihnachtsmarkt. Sie nervt mich schon die ganze Woche, weil sie unbedingt Riesenrad fahren will.“ Lukas grinste. „Na klar. Ich zieh mich nur noch um, draußen isses arschkalt.“ Der erste Schnee hatte sich blicken lassen und da minusgrade herrschten, blieb er liegen und bedeckte die Welt mit seiner Zuckerwatteschicht. Nach langem hin und her hatte ich mich letztendlich doch entschlossen eher zu meiner Schwester zu fliegen, denn auch wenn sie manchmal unausstehlich war, wusste ich, dass sie sich das am meisten wünschte. Sie erzählte mir, dass sie sich in Jay verguckt hatte. Während wir vor der Kita warteten, rauchte ich noch eine Zigarette. Ich merkte das Jetlag und auch, dass ich die letzten Tage viel zu wenig Schlaf bekommen hatte, aber was tut man nicht alles für die liebe Familie. Alice war außer sich vor Freude, als sie mich sah. Ich wirbelte mein kleines Mädchen durch die Luft. Nici wollte noch kurz mit uns reden, dennoch schien es nichts Schlimmes zu sein. Das verriet ihr amüsiertes Grinsen. „Ich war heute sehr überrascht von Alice…wir saßen so beim Mittag und es ging um Familie und Mama und Papa…so halt, da hat ein anderes Mädchen gesagt, dass nur Männer und Frauen heiraten können. Alice hat auf einmal ganz komisch geguckt und meinte, dass das gar nicht stimmt, weil ihr Onkel Lukas mit ihrem Onkel Juka zusammen ist. Fand ich irgendwie süß…erstaunlich, dass sie das schon so checkt.“ Ich musste lachen. „Tja, sie is eben was besonderes…und naja, es kommt halt immer drauf an, wie man sowas verkauft.“ „Das stimmt. Also dann, habt einen schönen Tag. Bis morgen Alice“, verabschiedete sich Nici. Meine Nichte winkte ihrer Erzieherin. „Tschüss Nici.“ Ich ließ sie runter und nahm ihre Hand. „Bist du bereit Kleines? Wir gehen jetzt Riesenrad fahren.“ Alice strahlte mich an und hüpfte vergnügt auf der Stelle. „Ja ja ja, wie schön. Das habe ich mir schon die ganze Woche gewünscht.“ „Ich weiß, das hat mir deine Mami verraten.“ „Bist du extra hier, weil du mit mir Riesenrad fahren willst?“, fragte sie mich ganz erstaunt. „Ja, nur deshalb. Also los.“ Jojo schüttelte nur mit dem Kopf und grinste vor sich hin. Den Weg zum Weihnachtsmarkt legten wir zu Fuß zurück, da es nicht sehr weit zu laufen war. Ich lud meine Mädels ein und obwohl es echt hoch war, beugte sich Alice dauernd über die Brüstung der Gondel, um runter zu schauen. Ich hielt meine Hände schraubstockartig um ihre Hüften, weil ich ein bisschen Angst hatte. Natürlich fuhren wir auch noch eine zweite Runde. Dann hatten wir uns einen Glühwein und einen Kinderpunsch verdient. Alice bekam noch einen Schokoapfel und sah danach aus wie ein Schokomonster. Ich fotografierte sie, während sie lustige Grimassen mit ihrer Schokoschnute schnitt. Anschließend putzte sie Jojo. Nach zwei Stunden waren wir so durchgefroren und traten den Heimweg an. Ich hatte Basti geschrieben, ob er heute Abend nicht vorbeikommen wolle. Jojo hatte noch ein Date mit ihrem Jay und ich passte auf meine Nichte auf. Nachdem sie so lange in der Wanne geplantscht hatte, dass ihr beinahe Schwimmhäute wuchsen, kam sie endlich raus, schlüpfte in ihren Schalfi und bestand auf ihre Gute Nacht Geschichte. Sie wünschte sich Heffalump. Allerdings fielen ihr in der Hälfte schon die Augen zu. Ich gab ihr einen Kuss und nahm das Babyfon mit ins Wohnzimmer rüber. Basti wartete schon und wir umarmten uns lange. Das Rot seiner strubbeligen Haare war schon ziemlich ausgewaschen und er wirkte ein bisschen dünner als sonst. „Es ist so schön dich zu sehn.“ „Das stimmt. Wie geht’s dir?“, fragte ich und holte uns ein Bier. Er zuckte mit den Schultern und zündete sich eine Zigarette an. „Ganz gut. Aber es ist komisch, dass du so weit weg bist…und der andere Chaot fehlt mir so wahnsinnig.“ Mein bester Freund wirkte traurig. Ich drehte uns einen Joint. „Ich vermisse Flo auch…dachte auch, dass es irgendwann mal besser wird.“ „Mhh, geht mir genauso. Aber ich hab ja auch noch Lena….“ Ich lächelte Basti an und nahm einen tiefen Zug. Mein letzter Joint lag schon Monate zurück und es drehte mich etwas. „Eben…wie läuft es zwischen euch?“ „Irgendwie gut.“ „Irgendwie gut? Bastischatz…was is da los?“ „Is halt alles nich mehr so cool wie früher….und ich zieh mich glaub auch immer mehr zurück“, antwortete Basti. „So ne Flaute hat wohl jeder Mal…Magst du sie noch?“ „Schon, aber ich vermiss es auch mal nen völlig sinnlosen Männerabend zu machen.“ Ich lachte, reichte ihm den Joint und sah meinen Freund fragend an. Er zuckte mit den Schultern und nahm ein paar Züge. „Wohl wahr…aber versprich mir, dass du wieder ein paar Kilo zunimmst…du gefällst mir grad nich.“ Basti zog die Stirn in Falten. „Bin ich es sonst nicht immer gewesen, der auf dich aufpasst?“ Irgendwas schien noch was mit ihm zu sein und ich beschloss ihn nicht gehen zu lassen, bevor ich es aus ihm herausgequetscht hatte. Ich legte meinen Arm um Bastis Schulter. „Ich bin jetzt älter und werde spießiger…haben wir nich immer aufeinander aufgepasst? Basti, was auch immer gerade los is…bitte sag es mir…ich merk das doch.“ Er reichte mir den Joint und schaute mich leicht betreten an. „Mir geht’s irgendwie grad nicht so gut…das ganz letzte halbe Jahr steck ich einfach nicht weg…vor allem das mit Flo…dauernd seh ich diese Bilder in meinem Kopf. Doch ich kann mit keinem drüber reden, weil auch andere ihre Probleme haben und ich für alle da sein will…aber wenn ich allein bin kommt alles hoch. Ich ess kaum noch was und alles erscheint mir so trostlos.“ Ich schluckte und kam mir grausam vor. Niemals hätte ich gedacht, dass Basti jemals seine Lebenslust verlor, doch jetzt saß er hier und erzählte mir genau das Gegenteil. „Und du glaubst, ohne Lene wird es besser?“ „Keine Ahnung. Weißt du Lukas…manchmal bin ich mir nicht mal mehr sicher, ob das zwischen ihr und mir noch richtige Liebe ist oder nur ne gute Freundschaft. Ich mag sie, sehr sogar und kann mir auch vorstellen mit ihr zusammenzubleiben, aber ich bin so ausgebrannt…und sollte es nicht so sein, dass der Mensch, den man zu lieben glaubt einen aufbaut?“ Ich seufzte und holte uns noch ein Bier. „Okay Süßer…ich bin kein Psychiater, aber eins is grad klar…dir geht’s mehr als beschissen und ja, vielleicht sollte Lena es schaffen dir da durch zu helfen, doch scheinbar funktioniert das nich…aber vielleicht solltest du dir dessen erst mal klar werden…ob du sie noch liebst oder nich. Naja und das andere…is heftig…aber du musst nich immer für andere da sein. Wenn dich alles ankotzt und du ne Pause brachst, is das völlig okay.“ „Aber alle halten immer durch…Lena mit ihrem Job…sie ist kaum krank, weil sie der Meinung ist, das kommt dumm. Mir fehlt gerade die Motivation für alles.“ „Wann hast du das letzte Mal Musik gemacht?“ Basti zuckte mit den Schultern. „Das letzte Mal hab ich unser Album eingespielt…danach kaum noch.“ Ich packte meinen Freund am Arm und zog in mit in den Keller, wo unsere Instrumente standen. Mein Bier stellte ich auf dem Tisch ab und dann legten wir los. Wir spielten alles, unsere Songs, aber auch alles andere, was uns so einfiel. Ich sang und spielte Gitarre. Basti haute mich noch mehr um als sonst und ein leichter Schauer lief mir über den Rücken, weil ich es einfach liebte mit ihm zu spielen. Er gab den Takt vor und nickte mir dann zu, mein Part begann und gemeinsam schienen wir unschlagbar. Nach unserer Session war mein Freund wie ausgewechselt. „Das hab ich bitter nötig gehabt…aber jetzt echt Mal was ernstes…ich glaub ich kann nicht mehr mit Lena zusammen sein…ich weiß, vorher hab ich was anderes gesagt und du denkst jetzt sicher ich hab nen Vollknall, aber ich denk es geht nicht mehr. Mike meinte neulich auch, dass ich voll krank aussehe. Und ich kann mir echt nicht mehr anhören, dass ich doch lieber nen vernünftigen Job machen soll, weil alles andere hat eh keinen Wert.“ „Das heißt sie hat keinen Bock mehr Musik zu machen?“ Basti nickte traurig und zündete sich eine Zigarette an. „Das hat sie auch schon ziemlich deutlich gemacht. Sie wollt mir auch weis machen, dass du mich oder die Band im Stich gelassen hat.“ „Ich hab fast befürchtet, dass sie irgendwann rumzickt. Was denkst du darüber?“ Mein Freund lachte. „Is das ein Witz? Ich mein mir geht’s ewig lang beschissen und du kommst wieder und ich bin wieder ich. Glaub ich red schon noch mal mit ihr, aber mach ihr auch deutlich, dass sich was ändern muss. Außerdem find ich, ich sollte was an mir ändern…was sagst du?“ „Wie gesagt bissl zunehmen könntest du wieder…kleiner Spargeltarzan.“ Basti knuffte mich in die Seite. „Ich meins ernst…“ „Ja mach doch…was schwebt dir denn genau vor?“ „Mh, mal andere Haare…oder andere Frisur…gehst du morgen mit mir shoppen?“ „Klar. Willst du seriöser werden oder was?“ „Nee, muss nich sein, aber vielleicht braune oder schwarze Haare. Rot geht mir langsam auf’n Keks.“ Wir trafen uns zum Frühstück in der Stadt, um Basti einen neuen Look zu verpassen. Zuerst hielten wir beim Friseur und mein Freund ließ seine Haare an den Seiten kürzen, in der Mitte ließ er die längeren Haare stehen, die er sich komplett schwarz färben wollte. Mir sagte sein neuer Look zu. Dann kaufte er sich noch ein paar neue Hosen, Shirts und Schuhe. Ich durfte alles mit aussuchen. Da unsere Shoppingtour fast den ganzen Tag in Anspruch genommen hatte, verabredeten wir uns für später. Kapitel 77: längst überfällig ----------------------------- Zwei Tage später, Sonntag und genau eine Woche vor Weihnachten tauchte unsere Mum mal wieder auf und wollte unbedingt den Nachmittag mit uns verbringen. Sie hatte sogar Stollen gebacken und ich tat anfangs so, als wäre alles gut, weil meine kleine Nichte noch anwesend war. Doch gegen Abend, als Alice dann endlich im Bettchen war, fiel der Vorhang. Ich hatte bereits mein viertes Bier. „Puh, endlich muss ich nich mehr so tun, als fände ich den Tag heut toll.“ Meine Schwester verpasste mir unterm Tisch einen Tritt. „Und ich dachte schon, du bist endlich mal zur Vernunft gekommen“, entgegnete meine Mum etwas entrüstet. „Der Tag wird nie kommen. Cheers…beehrst du uns Weihnachten eigentlich auch mit deiner Anwesenheit? Oder glänzt du mit Abwesenheit?“ „Und was wenn ja? Wirst du dann auch so charmant sein oder völlig besoffen in irgendeiner Ecke liegen? Deine arrogante Art kotzt mich langsam an, ich hab‘s kapiert okay.“ „Tja, kennst mich doch. Ich verpiss mich jetzt…hab noch was zu tun.“ „Lukas! Wenn du jetzt gehst verzeih ich dir das nie!“, rief sie mir nach. „Und warum glaubst du interessiert mich das?“, konterte ich und verzog mich meine Wohnung. Ich zog Jacke und Schuhe an, um noch ein bisschen frische Luft zu schnappen. Gegen die Kälte nahm ich auch meinen Wodka mit. Mein Ziel war der Hauptfriedhof. Ich trank einen kräftigen Schluck und hockte mich im Schneidersitz vor Flos Grabstein. Die Tränen stiegen mir in die Augen und ich trank noch einen Schluck. „Hey mein Freund…wie geht’s dir? Mir eigentlich ganz gut, doch es is noch immer verdammt schwer hier her zu kommen und zu wissen, dass du nich da bist. Du fehlst mir so…deine dummen Sprüche oder auch deine einfühlsamen Worte…Flo, ich dreh echt durch…Juka kommt erst in ner Woche…meine Mutter tyrannisiert mich…nich, dass mich das stört, naja ein bisschen vielleicht. Aber es is keiner da, mit dem ich meine Witze darüber machen könnte….scheiße Flo, ich hasse dich noch immer für deinen Selbstmord“, schluchzte ich verzweifelt und kippte zur Seite. Dabei verschüttete ich etwas Wodka. Ich presste meine Hände vors Gesicht und heulte bitterlich. Torkelnd, dreckig und nach Alkohol stinkend verließ ich den Friedhof wieder. Mit zittrigen Händen zündete ich mir eine Zigarette an. Zu Hause war es dunkel und ich wusch meine Hände. Da fiel mir die kleine Rasierklinge am Waschbeckenrand auf. Ich nahm sie zwischen Zeigefinger und Daumen. Sah sie einfach nur an. Als ich mich aufs Sofa kuschelte hielt ich sie noch immer in den Händen. Ich begutachtete meinen linken Arm und strich vorsichtig über die Narben. Was machte da eine weitere schon? Doch wann hatte ich mich zum letzt Mal geritzt? Juka, den ich zuvor nicht erreicht hatte, rief mich jetzt zurück. Es tat gut sein hübsches Gesicht während des Sprachanrufes zu sehen. „Vermisst du mich etwa schon?“ „Gerade isses unerträglich“, lallte ich, obwohl ich mich versuchte zu beherrschen. „Ich komm in vier Tagen Süßer, schaffst du das noch?“ Ich schniefte und nickte. „Bestimmt…nur hier erinnert mich so viel an Flo…und meine Mutter will Weihnachten kommen…das halt ich nich aus.“ „Oh mein armer Schatz…ich komm ganz bald, versprochen. Kopf hoch…ich würde dich so gern in die Arme nehmen. Luki…bitte halt durch…unternimm was mit Jojo und Alice, deshalb wolltest du doch früher fliegen. Ich kenne diesen Blick von dir…versuch keinen Blödsinn zu machen.“ Wieder nickte ich nur und sah die Besorgnis in Jukas Gesicht. „Okay…ich freu mich auf dich. Bis bald.“ „Ich liebe dich Luki.“ „Ich weiß…ich dich auch.“ Und dann war er verschwunden. Jayden brachte Jojo noch nach Hause. Sie sorgte sich um ihren Bruder und hatte den Film mit ihrem Schwarm gar nicht richtig genießen können. Doch sie war nicht einmal verärgert, schließlich wusste sie, dass sich ihr Bruder niemals mit ihrer Mum verstehen würde. Nichts desto trotz erwischte sie sich manchmal beim Tagträumen, in denen sie genau diesem Wunsch nachhing. Jay begleitete sie noch in ihre Wohnung. Bisher lief jedes Treffen nahezu identisch, sie unternahmen etwas zusammen und dann gab er ihr einen Kuss und verschwand in der Nacht. Sie hatten auch nach diesem einen Abend nicht noch einmal über dieses etwas zwischen ihnen gesprochen. Naja, vielleicht dachte Jay ja auch, sie würde in ihm nur irgendeinen Kumpel sehen. Einerseits war er so liebenswert und dann beeindruckte er sie wieder mit seinem derben Humor. Ihr ganzer Körper spannte sich an, wenn er seinen Arm zärtlich um sie legte und ihr dieses schiefe Lächeln zuwarf. In Jojos Magen rumorte es und je besser sie Jayden kennenlernte, desto mehr mochte sie ihn. Doch dieses Mögen war nicht mehr nur ein Gefühl, dass man für einen guten Freund empfindet, es wuchs. Doch sie traute sich nicht ihm das zu sagen. Heute bat sie ihn mit hinein und er willigte ein. „Magst du noch was trinken? Hab noch einen Wein offen.“ „Klar, aber nur, wenn du mittrinkst.“ Sie nickte und verteilte den Wein auf zwei Gläser. Dann saßen sich die beiden gegenüber. Jayden prostete ihr zu. Er stellte sein Glas auf dem Tisch ab und Zog seinen Pulli über den Kopf. Dabei rutschte sein T-Shirt hoch und Jojo versuchte sich im Zaum zu halten. Plötzlich kam ihr so ein Gedanke. „Du Jay…ich glaub ich hab da neulich jemanden kennengelernt…aber bin nicht sicher, wie ich ihm sagen soll, dass ich ihn mag…naja, vielleicht sogar mehr als nur mag.“ Er trank einen Schluck und grinste sie an. Nicht mal ein bisschen enttäuscht wirkte er. Verdammt. „Hast du etwa Angst, dass du ihm deine Gefühle nicht sagen kannst, weil dafür sonst immer der Mann zuständig ist? Ich denke ihr Mädels wollt Gleichberechtigung und persönlich finde es auch mal ganz charmant, wenn das Mädel den ersten Schritt macht.“ Na toll, jetzt wusste sie zwar, was er wollte, dennoch brachte sie das nicht weiter. „Mhh, aber ich bin da irgendwie immer ein bisschen zu schüchtern…hast du noch nen besseren Vorschlag?“ Sein Grinsen wurde breiter und er drehte sein Glas hin und her. Dabei fixierte er Jojo mit seinen Augen und dem Mädchen wurde heiß und kalt im Wechsel. „Den hätte ich allerdings, die Frage ist nur, ob du ihn genauso toll findest wie er dich.“ Jetzt war sie vollends verwirrt und schaute ihn fragend an. „Na dann, ich bin ganz Ohr.“ Bevor sich Jojo versah, hatte Jayden sein Glas auf Tisch gestellt und das Mädchen auf seinen Schoß gezogen. „Ich finde du solltest dem Typen sagen, dass du ihn echt heiß findest…ihn vielleicht küssen…und den Rest überlasse ich dir meine Hübsche.“ Während er mit ihr sprach knöpfte er langsam ihre Strickjacke auf. „Wow…du hast mich ein bisschen überrumpelt und isses nicht ein bisschen arrogant zu denken, dass es sich hier tatsächlich um dich handelt?“, neckte sie ihn. Jay löste seine Hände von ihr und verschränkte sie hinter seinem Kopf. „Dann geh doch zu deinem tollen Kerl.“ Sie wollte ihn so gern küssen. Doch vorher glitten ihre Hände unter sein T-Shirt und schoben es nach oben, über den Kopf. Zuerst kribbelten nur ihre Hände, dann wanderte dieses Gefühl in die Arme hoch. „Halt die Klappe!“, sagte Jojo und küsste ihren Jayden endlich. Dabei wanderten ihre Hände vorsichtig über seinen Oberkörper. Sie spürte die leichten Muskeln unter ihren Fingerspitzen und küsste ihn inniger. Auch Jay blieb nicht untätig und löste den Verschluss ihres BHs. „Ich befürchte meine Zurückhaltung der letzten Tage übermannt mich…jetzt kann ich dir ja sagen, dass ich seit Wochen völlig verrückt nach dir bin…“ „Das kann ich nur zurückgeben…“ Jojo befreite Jayden vom Rest seiner Klamotten und setzte sich wieder auf ihn drauf. Erst langsam und dann etwas schneller bewegte sie ihren Körper auf und ab. Dann ging alles irgendwie viel zu schnell. „Sorry Süße…ich mach das wieder gut, aber gerade ging‘s nicht anders.“ Jojo musste lachen und gab ihm einen Kuss. „Okay, ich werde bald darauf zurückkommen…bleibst du heute Nacht hier?“ „Wenn du möchtest gern.“ Raff dich endlich du dämlicher Idiot! Das sagte ich mir immer wieder und irgendwie schien es auch zu funktionieren. Ich stand gerade vor meinem Kleiderschrank und überlegte, was ich anziehen könnte. Da ich mittlerweile echt viele Klamotten besaß, fiel mir die Auswahl schwer. Während ich so vor mich hingrübelte, hörte ich meine Zimmertür auf und wieder zu gehen. Ich lugte aus meinem begehbaren Kleiderschrank heraus und ich hatte gehofft, dass es mein wunderschöner Mann war. Doch auf den musste ich wohl noch drei Tage warten, stattdessen erblickte ich meinen kleinen Bruder. Mit einer Geste machte ich ihm deutlich, dass ich mich noch anziehen wollte, er aber warten könnte. Letztendlich entschied ich mich für eine meiner leicht zerfetzten Röhrenjeans. Darüber zog ich mein schwarz weiß gestreiftes Langarmshirt mit Kapuze. Fabi freute sich wie verrückt mich zu sehen. „Ich glaub unten erwartet dich Besuch.“ Fragend sah ich ihn an. „Und wer?“ „Glaub Alice Erzieherin…aber sie wollte komischerweise nicht zu Jojo oder so…hat nach dir gefragt.“ Ich verdrehte die Augen und mir entfuhr ein tiefer Seufzer. „Dann geh ich mal besser meinen Besuch empfangen.“ „Ähm…kennt ihr euch von früher oder so?“ Ich grinste mein Brüderchen etwas unbeholfen an. „Sie is meine Ex.“ „Scheiße…die is übelst heiß…“ „Sorry Fabi, aber glaub das is nich dein Geschmack…lass uns später reden. Mich interessiert, was sie von mir will.“ Nici stand im Wohnzimmer und wirkte irgendwie fehl am Platz. Und noch immer das schüchterne Lächeln, wenn sie in meiner Gegenwart war. Etwas amüsiert schüttelte ich mit dem Kopf. „Hey.“ „Hallo. Wie geht’s dir?“ „Nici ernsthaft? Halten wir jetzt wie zwei Fremde Smalltalk? Willst du nen Kaffee?“ Sie nickte. „Naja…irgendwie muss man ja beginnen.“ Ich ließ zwei Kaffee aus meiner Hightech Maschine und erinnerte mich, dass sie ihren Kaffee auch nur mit Milch mochte, wie ich. „Das klingt fast so, als würdest du irgendwas Ernstes mit mir bereden wollen.“ Wieder huschte dieses schüchterne Grinsen über ihr Gesicht. „Naja…irgendwie schon…vielleicht. Aber ist komisch.“ „Komisch? Warum denn das? Jetzt bin ich neugierig.“ Sie räusperte sich. „Und genau das ist mein Problem mit dir…in deiner Gegenwart fühle ich mich immer so seltsam…ich hab immer Angst was Falsches zu sagen.“ „Bitte was? Jetzt hör aber auf…immerhin hast du mich schon nackt gesehen. Warum dann so schüchtern?“ „Das meine ich…du wirkst noch immer so selbstsicher. Ich meine, ja klar hab ich dich schon nackt gesehen…aber das meine ich nicht. All das damals…unsere Beziehung und so…ich wollte dir nur sagen, dass ich froh bin, dass es nicht gehalten hat.“ Jetzt war ich verwirrt und scheinbar sah sie mir das auch an. „Jetzt musst du mich echt aufklären.“ „Naja, wenn ich ehrlich bin finde ich dich noch immer wahnsinnig sexy, aber ich glaube du bist jetzt glücklich…ich hab neulich, nach Flos Beerdigung mit Juka gesprochen und er ist das, was du brauchst Lukas. Sicher haben dir das schon viele gesagt und bestimmt bist du dir auch im Klaren, das ihr ein verdammt heißes Paar seid, aber ich wollt dir das schon immer Mal sagen.“ Ich lächelte und zündete mir eine Zigarette an. „Danke Nici…du wirst es nich glauben, aber das bedeutet mir tatsächlich viel. Es gab ne Zeit, da hätte ich mir gewünscht, dir das geben zu können, was du dir so sehnlichst erträumt hast. Aber ich musste mich erst selbst finden…musste vor allem mit mir selbst klar kommen…damals…du hast mal gesagt, dass du mich bewunderst, weil ich scheinbar nichts an mich ran lasse. Aber das Ausmaß dieses Verhaltens hast du ja selbst gesehen. Und du hast mich schon ab und zu zum Nachdenken gebracht, aber wie gesagt…mein größtes Problem war immer, dass ich mir selbst im Weg stand.“ „Und das tust du jetzt nicht mehr?“ Ich zuckte mit den Schultern. „In den meisten Fällen tue ich das nich mehr. An manchen Tagen fällt es mir schwerer, vor allem jetzt, da Flo weg is…aber irgendwie geht’s schon…doch das hätte ich nie ohne Juka geschafft. Ich war nie so stark, wie du vielleicht gedacht hast. Bin ich auch jetzt nich, allerdings sehe ich viele Dinge anders als früher.“ „Das freut mich…klingt fast so, als wirst du doch noch vernünftig.“ Ich musste lachen. „Die Befürchtung hatte ich auch schon…schön, vielleicht sieht man sich ja jetzt wieder öfter. Ich will dich nich rauswerfen, aber ich will mich noch mit Basti treffen.“ Mein bester Freund und ich besorgten die letzten Geschenke für Weihnachten und ließen den Abend in meinen vier Wänden ausklingen. Fabi gesellte sich auch zu uns und so folgte Bier auf Glühwein. Wir unterhielten uns lange über Flo und dementsprechend wurde die Stimmung etwas gedrückt. Als ob das nicht ausgereicht hätte, schneite meine liebste Mutter dann noch herein. Ich sollte mir echt mal angewöhnen die Tür abzuschließen, sodass meine Gäste gezwungen waren die Klingel zu benutzen. Basti hatte sich ohnehin zum Gehen bereit gemacht und Fabi verabschiedete sich ins Bett. Sie beteuerte mir, dass sie nur reden wollte. Ich bot ihr einen Wein an, holte mir noch ein Bier und baute mir einen Joint. Sie beäugte mich mit merkwürdigem Ausdruck, verkniff sich jedoch jegliche Kommentare. Ich zündete ihn an und nahm einen tiefen Zug. Meine Mum prostete mir zu. „Du scheinst ja nich aufzugeben…das sollte ich dir fast anrechnen“, bemerkte ich sehr zynisch. „Ich wünschte du könntest erkennen, dass ich es wirklich ernst meine.“ Ich lachte traurig. „Deshalb sitzt du jetzt hier und schaust mir dabei zu, wie ich mir das Gehirn vernebeln lasse. Hast du nichts Besseres zu tun?“ Sie schaute mich leicht vorwurfsvoll an. „Früher hätte mich das wohl nicht interessiert, aber Dinge ändern sich mein Schatz.“ „Echt jetzt, Schatz? Spar dir das.“ Meine Mum nippte an ihrem Glas und stellte es auf den Tisch. „Lukas, du hast allen Grund sauer auf mich zu sein und ich weiß, dass du es mir sicher nicht einfach machst. Aber ich habe mich geändert, sehe viele Dinge anders und mir ist schmerzlich bewusst geworden, dass der Mensch, den ich am meisten liebe nahezu unerreichbar ist. Doch ich gebe nicht auf.“ „Und wer hat dir zu dieser Erkenntnis verholfen?“ „Niemand…da musste ich wohl selbst drauf kommen. Ich wohne wieder in der Stadt und dachte, dass wir uns wieder öfter sehen könnten.“ Ich zog meinen Pulli aus, weil der Kamin ganz schön einheizte. „Klar, ich hab auch sonst nichts zu tun.“ Ich schwankte ein bisschen zum Kühlschrank und holte mir ein neues Bier. „Lukas, es tut mir leid und zwar alles. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich damals für Druck bekommen habe…es stimmt nicht ganz, dass du ein unerwünschtes Kind warst…ich habe mich so gefreut, als ich erfuhr, dass ich mit dir schwanger war. Nur die Umstände waren etwas kompliziert. Ich war eben noch sehr jung und teilweise auf mich allein gestellt. Dein Vater wollte anfangs nichts von dir wissen, dann nach zwei Jahren entschied er sich dann doch uns beizustehen. Und ich…naja, ich war in vielen Dingen auch noch unerfahren…und gerade in deiner schlimmen Phase habe ich genau das getan, was ich nicht hätte tun sollen…ich habe alles falsch gemacht, was nur ging.“ Mein Magen schnürte sich zusammen und ich zündete mir eine Zigarette an. „Wow, Glückwunsch zu dieser Erkenntnis. Das hätte ich dir auch sagen können. Immerhin war ich der Leidtragende. Und die hier…“, sagte ich und zeigte auf meine Narben am rechten Arm. „Stammen von einem verzweifelten Jungen, der nich mehr weiter wusste…der oft damit gerungen hat sich vielleicht doch zu ändern…doch verstand er den Grund nie so richtig, weshalb er das tun sollte. Diese Verletzungen sind nich einfach so aus Spaß an der Freude entstanden oder weil ich es cool fand…es lenkte mich vom eigentlichen Schmerz ab, denn es is verdammt hart von den eigenen Eltern mehrmals gesagt zu bekommen, dass man ungeliebt is oder der ungewollte Sohn…das hinterlässt tiefe tiefe Narben. Und nenn mich nachtragend oder sonst was…der Grund, weshalb ich mit dir gebrochen habe ist, dass ich es nich noch einmal ertragen würde so behandelt zu werden. Ja, ich fliehe vielleicht vor diesem Problem, aber so kann ich wenigstens ruhiger leben.“ Ich merkte, wie ergriffen sie von meinen Worten war und sie schluckte, dennoch verrieten ihre glasigen Augen, dass sie den Tränen nahe war. „Lukas…ich weiß und ich erinnere mich nur zu gut an diesen einen Tag, als du blutüberströmt in deinem Zimmer standest…ich habe zu Klaus gesagt, dass ich dich aufgegeben habe…doch das hatte ich nie, wirklich. Und obwohl ich so viel falsch gemacht habe, bin ich unglaublich stolz, was du aus dir gemacht hast. Du bist dir immer treu geblieben, tust das, was du schon immer tun wolltest und du hältst deine Familie zusammen. Du bist ein hübscher junger Mann…oh mein Schatz, wie gerne würde ich dich wieder in meinem Leben haben. Nicht um die verlorene Zeit nachzuholen, sondern um bei dir zu sein, mit dir zu reden…um dir zu zeigen, dass ich dich unterstützen möchte.“ Ich seufzte tief und schrieb Juka nebenher, was hier gerade vor sich ging und ich nicht mehr weiter wusste. Sollte ich es wirklich wagen meine Mum wieder in mein Leben zu lassen? Juka stand mir bei und meinte, ich solle auf meine Gefühle hören. „Weißt du Mutti…ein Teil von mir, etwa 20% wünschen sich nichts mehr, aber die anderen 80% sträuben sich dagegen…das hab ich dir schon Mal erklärt, du hast mich zutiefst verletzt. Ich kann‘s einfach nich…weil ich nie so selbstbewusst und standhaft war…dauernd werden mir liebe Menschen entrissen und dann kommst du…ebenfalls einer der Menschen die mir viel bedeutet, doch du verlangst mir zu viel ab…weißt du, dass sich Flo vor kurzem umgebracht hat? Und kannst du dir vorstellen, wie beschissen das is? Ich hab grad noch mit der Baustelle zu kämpfen und du kommst wieder angekrochen…um mir irgendwann doch zu sagen, dass dich alles an mir tierisch ankotzt? Nein, das verkrafte ich nich…“ Jetzt kamen ihr doch die Tränen. Mein Herz raste. „Mein armer Liebling…ich verspreche dir, dass ich dich nicht enttäusche. Das mit Flo wusste ich nicht…es tut mir so unendlich leid.“ „Woher will ich denn wissen, dass du die Wahrheit sagst?“, fuhr ich sie gereizt an. „Das kannst du nicht…das stimmt, aber du kannst es versuchen und ich werde es dir beweisen.“ Ich schüttelte nur mit dem Kopf und zündete mir noch eine Zigarette an. „Wie viele zweite Chancen hattest du denn schon? Und wie viele davon hast vergeigt?“ „Lukas ich weiß…aber ich lasse nicht locker, bis du sagst, du versuchst es.“ Ich zuckte mit den Schultern, lehnte meinen Kopf in den Nacken und nahm einen tiefen Zug. „Ich glaub ich hab heut nen guten Tag…dann auf eine zweite Chance“, sagte ich und prostete meiner Mum zu. Zuerst wollte ich noch die eine oder andere Bedingung stellen, entschied mich dann aber dagegen, denn wenn sie wirklich wieder ein Teil meiner Familie sein wollte, dann müsste ihr das auch so klar sein. „Ich glaub dein Juka tut dir gut.“ „Da bist du nich die erste, der das auffällt. Bist du sicher, dass du damit leben kannst, nen schwulen Grufti als Sohn zu haben?“ Sie lächelte mich liebevoll an. „Nichts lieber als das…danke Lukas…ich gebe mein bestes versprochen.“ „Versprich mir nich so viel…zeig es mir einfach. Aber ich fürchte, ich muss jetzt ins Bett. Wenn du magst kannst du auch gern im Gästezimmer schlafen.“ „Danke, aber ich hab mir schon ein Taxi gerufen.“ Meine Mum leerte ihr Glas und zog sich an. Ich begleitete sie noch zur Tür und lang schauten wir uns an. Dann umarmte sie mich und mein Körper spannte sich an, denn dieses Gefühl der mütterlichen Liebe war mir fast fremd. Ich räumte im Wohnzimmer noch auf und plötzlich kam meine Schwester hereingeplatzt. Eigentlich hatte sie doch mit Jayden ausgehen wollen? Sie schien außerordentlich gut gelaunt zu sein. Ich warf ihr einen fragenden Blick zu. „Mutti hat gesagt, dass sie bei dir war.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Und jetzt?“ „Naja, sie wirkte recht entspannt, so als wäre es gut zwischen euch beiden gelaufen.“ „Vielleicht…ja…das wird sich noch zeigen Jojo. Ich muss jetzt ins Bett.“ Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und begab mich in mein Schlafgemach. Trotz der Müdigkeit fand ich keine Ruhe. Deshalb schrieb ich noch mit Juka, vielleicht war er ja schon wach. Seine Antwort kam schnell und er schlug vor kurz zu skypen. Ich griff nach meinem Tablet auf dem Nachtisch und wählte ihn an. Auch mein schöner Japaner lümmelte noch im Bett und sah ein wenig verschlafen aus. „Ihr habt euch also vertragen? Wie geht’s dir damit?“ „Das isses ja…ich weiß es nich…es war so komisch, als sie mich umarmt hat. Und ich hab immer noch Angst, dass es einfach nur mal wieder son Anflug von Freundlichkeit is. Kenn ich ja von ihr zu Genüge.“ Juka verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. „Luki…ich glaub du hast das Richtige getan…du fehlst mir ganz furchtbar.“ Ich lächelte und warf einen Handkuss zu. „Du mir auch. Noch zwei Tage, es sei denn du kommst eher.“ Ich konnte nur seinen nackten Oberkörper sehen und fragte mich, ob er eine Unterhose trug. „Hab heute noch viel zu tun, wird also schwierig. Aber in zwei Tagen, versprochen…ich finde, du solltest eindeutig weniger Klamotten tragen, wenn du mich schon weckst.“ Ich grinste und zog mein T-Shirt aus. Juka stellte seinen Laptop an den Bettrand und drehte sich in Kamera. „Und ich hab mich schon gefragt, ob du nackt bist“, sagte ich amüsiert. Er grinste nur und fing an sich herumzuspielen. Juka tat so, als hätte er das schon oft gemacht und es erregte mich ungemein. „Ja bin ich und ich hab langsam das Gefühl mir platz bald was…willst du mir dabei zuschauen?“ Jukas Stimme hatte diesen vertrauten rauen Klang und ich wünschte ich könnte das tun, was er gerade bei sich tat. Obwohl ich sowas noch nie getan hatte, wollte ich meinem Schönen auch etwas bieten. Ich postierte mein Tablet so, dass auch er mich ganz sehen konnte. Und ob ich mich nun mit mir allein vergnügte oder Juka mir dabei zusah, machte kaum einen Unterschied. Ich mochte meinen Körper und scheute mich erst recht nicht mich selbst zu berühren. „Also…stell dir vor ich würde jetzt neben dir liegen. Ich küsse dich, beiße leicht in deine Unterlippe und unsere Zungen berühren sich.“ Juka hatte die Augen geschlossen. „Und was tust du dann?“ „Ich küsse dich weiter am Hals entlang…sauge an deinen Nippeln, bis dieses Kribbeln deinen Körper erfüllt…lecke dir die Eier…nehme deinen wunderschönen Penis in den Mund und umkreise ihn mit der Zunge. Meine Finger wandern tiefer in dich hinein…“ Mein Herz raste, denn je mehr meine Vorstellungen Gestalt annahmen, desto mehr schwand meine Selbstbeherrschung. Mein Orgasmus kam schneller als gewollt, aber meine Lust war noch immer nicht gestillt. Und Juka schien es ähnlich zu gehen. Aber da war wohl nichts zu machen. Wir mussten uns noch zwei Tage gedulden. Kapitel 78: du hast mir gefehlt ------------------------------- Trotz, dass ich ausschlief, fühlte ich mich noch immer völlig fertig. Mein Kopf schien maßlos überfordert mit all den neuen Informationen zu sein. Meine Mum und ich, konnte das echt gut gehen? Ich kam damit gerade gar nicht klar. Deshalb verwarf ich den Gedanken aufzustehen und drehte mich wieder um. Als ich erneut aus dem Schlaf schreckte fühlte ich mich besser und stand auf, schaltete meine Anlage ein und duschte ausgiebig. Da ich heute nicht vorhatte mein Haus zu verlassen, warf ich mich auch nicht in Schale und schmiss mich stattdessen in Jogginghose und bequemen Kapuzenpulli. Im Wohnzimmer entfachte ich das Feuer im Kamin und rang mich durch etwas Nahrhaftes zu mir zu nehmen. Irgendwie war es im ganzen Haus still und niemand belästigte mich beim Serienschauen. Ich versuchte mich abzulenken und nicht an Juka zu denken. Nicht nach dieser frustrierenden Nacht. Das war das erste Mal seit unserer Beziehung, dass ich litt. Er fehlte mir und zwar sehr. Jeder Gedanke an ihn endete irgendwann damit, dass wir irgendwo Sex hatten. Wie sollte das bloß enden? Irgendwann schlief ich dann wieder ein und als ich abermals erwachte, war es draußen schon dunkel. Und noch immer schien mein Haus menschenleer zu sein. Auch gut, also verlegte ich meinen Serientag wieder in mein Zimmer ins Bett. Das nennt man mal einen produktiven Tag. Irgendwann piepte mein Handy und Juka fragte mich, ob ich ihn morgen vom Flughafen abholen könne. Meine Miene erhellte sich augenblicklich. Ich erhielt eine weitere Mitteilung von meiner Mum, wann wir uns denn übermorgen treffen wollten. Meinetwegen so gegen vier. Das antwortete ich meiner Mum und Juka schickte ich ganz kitschig ein Herz als Antwort. Vielleicht sollte ich ein Blowjob Emoji erfinden. Bei diesem Gedanken musste ich lachen. Ein bisschen aufgeregt wartete ich auf meinen Geliebten. Naja aufgeregt war wohl das falsche Wort, ich konnte es kaum noch erwarten ihn in meine Arme zu schließen. Zwei Wochen ohne Juka waren eindeutig zu viel. Zum Glück war es erst elf Uhr, so hatten wir noch alle Zeit der Welt. Ich schnippten den Zigarettenstummel weg und rettete mich bibbernd vor Kälte in die Eingangshalle in der Hoffnung mein liebster konnte sich schnell durch die Menge kämpfen. Meine Augen suchten die Umgebung nach meinem großen hübschen Japaner ab, doch der kam nicht. Nervös wippte ich mit dem Fuß und dann fixierten meine Augen diesen einen Punkt, der immer näher kam. Meine Füße setzten sich fast automatisch in Bewegung und machten erst Halt, als Juka seine Arme um mich schlang und sich unsere Lippen aufeinander pressten. Als ich von ihm abließ, übermannte mich ein kurzer Schwindelanfall. Juka lachte nur und zog mich wieder an sich. Allerdings tat der Kuss und die Tatsache, dass wir sehr nahe beieinander standen seine Wirkung. Ich ergriff seine Hand und führte ihn zum Auto. „Früher hast du wenigstens noch Hallo gesagt, bevor du mich in deinen Lusttempel entführst.“ Ich grinste ihn schief an und entriegelte meinen Wagen. „Hallo wunderschönster Mann der Welt…isses krank, wenn ich seit gestern nur nach daran denken kann dich zu vögeln? Juka…ich dreh gleich durch, ernsthaft.“ „Erst seit gestern? Dafür wirkst du aber echt gelassen…aber fahren wir.“ Während der Fahrt fluchte ich unnötig über den regen Verkehr hier in der Stadt auf und fuhr auf freier Strecke auch fast ein bisschen zu schnell, aber in meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken und Jukas Hand auf meinem Oberschenkel machte es nicht besser. Ich parkte den Wagen in der Einfahrt und hielt meinem liebsten die Tür auf. Verdammt, ich wollte ihn endlich nackt haben. Als wir endlich das Schlafzimmer erreicht hatten, stürzte sich Juka schon fast auf mich. Sein Kuss war hart und besitzergreifend. Meine Klamotten war ich schneller los, als ich gucken konnte. Dann vernahm ich über meinem Kopf ein leises Klick und schon waren meine Hände in Handschellen an das Metallgestell gekettet. Dieser Tag versprach verdammt gut zu werden. Juka liebte es mich ein bisschen zu quälen und dann von mir angebettelt zu werden und ich stand verdammt noch Mal auf seine Spielchen. In meinem Kopf hatte das Kopfkino bereits begonnen. Er hingegen zog nur sein Oberteil aus, doch mir entging die Wölbung zwischen seinen Beinen nicht und ich bezweifelte, dass er lange durchhielt. Ich schlang meine Füße um seine Hüften und zog ihn zu mir heran. Wieder küssten wir uns und seine Zunge begann meine zu liebkosen, erst sanft und dann biss er in meine Unterlippe, nicht ohne ein lustvolles Stöhnen von sich zu geben, denn mein Fuß bewegte sich in seinem Schritt auf und ab. Ich zog ihn noch näher zu mir, wenn das überhaupt möglich war. Er keuchte auf. Seine Fingernägel krallten sich in meinen Oberkörper und hinterließen nicht ganz unblutige Kratzer. Meine Geduld wurde dann doch belohnt, denn seine Zunge begab sich auf Wanderschaft, hinterließ unsichtbare Spuren und als diese über Kratzer fuhr, zuckte ich leicht zusammen, als sich Schmerz und Lust vermischten. Seine Lippen saugten sich fest und er verpasste mir einen saftigen Knutschfleck. Jukas Hand war zwischen meinen Beinen und seine Finger taten das, was sie am besten konnten. Sein Mund küsste meinen Schwanz und seine Zunge leckte den Lusttropfen auf. Scheiße, mein Körper brannte nur so vor Lust. Mein Penis verschwand in Jukas Mund, ich bäumte mich auf und stöhnte voller Begierde. Sein geschicktes Spiel zwischen Zunge und Lippen brachten mich wahnsinnig schnell zum Höhepunkt. Ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr beherrschen. Doch danach wollte ich noch immer mehr. „Fick mich…jetzt sofort!“, forderte ich ihn auf und endlich zog er seine verdammte Hose aus, griff nach dem Gleitgel und drang mit voller Wucht in mich ein. Mir entfuhr ein kehliger Schrei. Dann schlang ich meine Beine wieder um ihn, um seine Bewegungen kurz zu stoppen. „Mach die Handschellen los.“ Juka grinste. „Um mein kleines Raubtier zu befreien? Na schön.“ Ich stieß ihn von mir und drückte ihn zu Boden. Mit dem Rücken ihm zugewandt setzte ich mich auf Juka und ließ in wieder in mich gleiten. Scheiße fühlte sich das gut an. Ich sah ihn zwar nicht, merkte aber dennoch, wie er seinen Orgasmus auch nicht länger zurückhalten konnte. Allerdings liebte er es die Oberhand zu haben, deshalb ergriffen mich seine Hände, hoben mich von ihm runter und sein Körper presste den meinen mit voller Wucht gegen die Wand. Wieder drang er in mich ein, wurde schneller und ergoss sich in mir. In Sekundenschnelle drehte er mich um 180 Grad und seine Lippen lagen wieder auf meinen. „Und jetzt mein Hübscher…nimm mich…ich will dich in mir spüren.“ Das musste mir Juka nicht zweimal sagen. Unsanft drückte ich ihn zu Boden, liebkoste seine Öffnung erst mit den Fingern, bevor ich ihn nahm. Erst ließ ich mir Zeit und genoss das rein und wieder raus. Als sich die Lust aufbaute wurden auch meine Stöße schneller und unbeherrschter. Nach meinem zweiten Orgasmus innerhalb einer Stunde sank ich etwas erschöpft auf den Teppich. Mein Körper bebte und ich fuhr mit der Zunge über meine trockenen Lippen. Jukas Kopf ruhte auf meiner Brust und mein Herz schlug noch immer wie wild. „Auch schön dich zu sehen…du Sexmonster.“ Ich lachte aus vollem Halse. „Als ob nur ich davon profitieren würde. Kommst du mit unter die Dusche? Keine Bange, die nächsten zwei Stunden hast du Ruhe vor mir.“ Juka beugte sein Gesicht über mich und gab mir einen Kuss. „Schade…ich könnte gerade so weitermachen.“ „Aber mich als Sexmonster betiteln…jaja.“ Wir verbrachten noch mal fast eine Stunde unter Dusche und danach spürte ich jeden Muskel meines Körpers. Mein Magen knurrte und wir beschlossen Pizza zu bestellen, weil ich zu faul war einkaufen zu gehen. Juka wollte unten essen und mit schmerzverzerrtem Gesicht quälte ich mich die Treppen runter. Mein Liebster krümmte sich vor Lachen und auch mein Halbbruder warf mir einen argwöhnischen Blick zu. Juka begrüßte Fabi und der wollte natürlich auch Pizza haben. Mit einem Seufzen ließ ich mich auf’s Sofa fallen und zündete mir eine Zigarette an. Die beiden anderen platzierten sich link und rechts von mir. Juka telefonierte den Pizzaservice an und gab die Bestellung auf. Noch immer spürte ich Fabis Blick von der Seite. Langsam drehte ich mich nach rechts. „Was?“ „Ich frag mich nur…wobei…will ich das wissen?“, besann sich mein kleiner Bruder im letzten Moment und ich grinste ihn breit an. „Glaub mir…willst du nich…aber ja, deine Vermutungen gehen wahrscheinlich in die richtige Richtung…zumindest sollte dir klar sein, dass ich nich von der Treppe gefallen bin.“ „Fuck…na dann, Hauptsache ihr hattet euren Spaß.“ Juka kniff mir in den schmerzenden Oberschenkel und schrie kurz auf. „Verdammt, lass den Scheiß.“ Doch mein schöner Japaner hielt sich den Bauch vor lachen. Ich funkelte ihn kampfeslustig an. „Mach nur weiter so, wenn du mit den Konsequenzen leben kannst.“ Eine Dreiviertelstunde später läutete es an der Tür. Juka schwang seine Beine grazil über die Sofalehne, als hätte er keine Leiden davon getragen. Das Essen verlief weitestgehend schweigend und ich fühlte mich auch elendig müde. Deshalb verabschiedete ich mich recht früh und Juka folgte mir. Ich putzte noch meine Zähne und spürte seine Hände an meinen Hüften. Sein Kopf lag auf meiner Schulter und sah mich im Spiegel an. „Du hast mir wirklich gefehlt Luki…und tut mir leid, wenn ich dich heut zu sehr beansprucht habe.“ Ich spülte meinen Mund aus und steckte die Zahnbürste in die Halterung. Jukas Hände auf meinem Körper verursachten noch immer ein Kribbeln, aber auf angenehme Art und Weise. Ich nahm sein Gesicht zwischen meine Hände und küsste ihn. „Schon okay, das war es Wert. Kommst du mit ins Bett?“ „Gleich, muss noch kurz ins Bad.“ Ich nahm kaum mehr wahr, dass sich mein Liebster an mich schmiegte, dennoch spürte ich irgendwie auch, dass er mir undendlich gefehlt hatte. Kapitel 79: Versöhnung ---------------------- Erschrocken schreckte ich hoch, weil ich die wohlige Wärme neben mir nicht mehr fühlte. Da, wo Juka gelegen hatte war die Matratze noch ein bisschen eingedellt. Als das Geräusch der Dusche durch die offene Badezimmertür an meine Ohren drang, sank ich erleichtert wieder in die weichen Kissen. Und schon schweiften meine Gedanken wieder ab, Juka nackt in der Dusche. Was zur Hölle tat dieser Mann mit mir? War es normal jemanden so unendlich scharf zu finden? Naja, scheinbar schon und immerhin waren wir verheiratet. Ich schreckte ein zweites Mal hoch, verdammt, heut war Weihnachten und ich lag noch im Bett. Wie spät mochte es wohl sein? Ich warf einen Blick auf mein Handy. Noch früh am Tage, also keine Panik, deshalb schloss ich meine Augen noch mal. Juka war fertig und ich hörte ein Rascheln dicht neben mir. Wasser seiner nassen Haare tropfte auf meine Brust. Er roch nach Duschgel und Shampoo. Sogar seine Lippen waren noch ein bisschen feucht, als er mir einen Kuss aufdrückte. „Aufstehen Schlafmütze.“ Wiederwillig öffnete ich die Augen ein drittes Mal. „Ich kann nich laufen und außerdem is Weinachten und meine Mum kommt in ein paar Stunden.“ „Denk ihr habt euch wieder vertragen?“ „Mhh, schon…is halt trotzdem komisch…weiß auch nich.“ „Süßer das wird schon. Ich mach erst Mal Frühstück und dann wird alles gut.“ Juka warf sich mächtig in Schale und zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass er dieselben Klamotten trug wie an dem Tag, als wir uns kennenlernten. Nur, dass seine Haare damals blond und nicht braun gewesen waren. Ich entschied mich für eine meiner schwarzen Röhrenjeans und für ein schwarzes Hemd. Meine Schwester hatte das Kochen übernehmen wollen, was mir recht war. Ich wurde ein bisschen nervös, wenn ich an das Zusammentreffen von Juka und meiner Mum dachte. Hoffentlich ging es gut aus. Fabi war bei seiner Mum und deren Lebensgefährten eingeladen. Trotz anfänglicher Kommunikationsschwierigkeiten entwickelte sich der Tag echt ins Positive. Meine Mum wirkte sehr ausgelassen und nachdem wir beschlossen hatten nur Jojo und Alice zu beschenken fiel auch dieser Teil gemütlich aus. Und nachdem das kleine Nervenbündel endlich in den tiefen Jadgründen lag, setzte meine Schwester Glühwein auf. Allerdings zogen wir in meine Hälfte des Hauses, denn dort konnte ich rauchen. Die beiden Mädels scherzten und Jojo genoss es sichtlich ihre Mutter wieder an ihrer Seite zu wissen. Ich hingegen hielt mich dezent zurück und das entging ihr selbstverständlich nicht. Einen verpassten Anruf von Fabi. Ich ging in den Flur, um ihn zurückzurufen, doch er nahm nicht ab. Wenige Minuten später stolperte mein Halbbruder in die Wohnung und rannte mich fast über den Haufen. Meine Hand streifte seinen Arm und den Blick, den mir Fabi zuwarf, sprach Bände. Er kickte seine Schuhe weg und hängte den Mantel auf. Während Fabi kurz im Bad verschwand, klärte ich meine Mum darüber auf, wer er war. Und sie staunte nicht schlecht. Doch weitere Details verschob ich auf später. Irgendwie erschöpft ließ sich mein Brüderchen auf die Couch sinken. Dann trafen mich seine Augen wieder mit diesem flehenden Blick. „Lukas…kannst du nen Joint bauen?“ „Wenn du mir dann erzählst was los is.“ Fabi schüttelte unweigerlich mit dem Kopf und ich langte unter den Sofatisch, wo mein Drehzeug versteckt lag. „Es is so komisch drüber zu reden…schon fast peinlich. Kann Weinachten nich einmal normal ablaufen?“ Ich reichte ihm den fertigen Joint und er zündete ihn an. „Ich fürchte fast das funktioniert nich“ Plötzlich fiel sein Körper in sich zusammen und ich vernahm nur noch sein Schluchzen. Behutsam nahm ich ihm den brennenden Joint aus der Hand. „Fabi…was is passiert?“ Mein kleiner Bruder schien jetzt irgendwie ausgeblendet zu haben, dass wir nicht allein waren, denn er begann zu reden. „Heute Mittag war noch alles okay…wir ham uns unterhalten und ich hab echt geglaubt, dass wir uns nen schönen Abend machen…aber später kam dann ihr Macker und noch zwei Freundinnen. Sie haben getrunken und dann begannen sie wieder mit ihren obszönen Sexspielchen…so jeder mit jedem und so…das macht mich einfach nur fertig.“ Ich nahm einen tiefen Zug. „Heftig…aber jetzt bist du hier.“ Wieder begannen seine Augen zu flimmern und sich mit Wasser zu füllen. „Wo ich auch nich wirklich hingehöre…nirgends hab ich nen festen Platz.“ „Fabi, red keinen Mist. Du bist und bleibst mein Bruder.“ „Halbbruder wohl eher…der kleine Bastard, der durch komische Umstände das Licht der Welt erblickt hat. Mehr bin ich doch nich Lukas.“ Ich schüttelte mit dem Kopf, schleifte ihn hier raus, denn das konnte länger dauern. Juka wurde etwas mulmig zumute. Zwar verlief der Abend bisher ganz gut und er hatte auch den Eindruck, dass die Absichten von Sabine keinesfalls schlecht waren. Dennoch wollte er das für sich klären, denn seinen Liebsten noch einmal so traurig zu sehen, wollte unbedingt vermeiden. Sabine prostete ihrem Schwiegersohn zu und lächelte, wenn auch nur schwach. „Schön, dass wir uns endlich mal besser kennenlernen Juka“, begann sie das Gespräch. „Ich wünschte ich könnte das auch so unvoreingenommen sehen wie du.“ „Wie meinst du das?“ Er seufzte und nippte an seinem Wein. „Naja, ich freue mich für Lukas, dass er es endlich geschafft hat dich zur Besinnung zu bringen. Entschuldige, wenn ich mich so hart ausdrücke, aber ich hab ihn gesehen…er litt und das nicht zu wenig. Oft versuchte er seine Gefühle zu verstecken, aber ich kenne ihn einfach zu gut. Weißt du Sabine, meine Familie ist meilenweit weg, doch wir verstehen uns. Ich konnte mir nie vorstellen, wie es andersrum hätte sein können, bis ich Lukas traf. Dein Sohn ist der wundervollste Mensch, den ich jemals kennenlernen durfte…aber seine Geschichte nimmt mich noch jetzt mit, deshalb lege ich dir Nahe ihn nicht noch einmal zu verarschen. Das hat er nicht verdient.“ Sabine war fast sprachlos und die Worte des jungen Japaners waren schon fast anmaßend, aber er hatte Recht und dessen war sie sich bewusst. „Wow, klare Worte und ich muss feststellen, dass du wohl kein Blatt vor den Mund nimmst. Ich könnte mich jetzt angegriffen fühlen, aber das weiß ich selbst Juka. Ich habe nicht vor Lukas noch einmal von mir zu stoßen, das habe ich viel zu lange getan. Ich liebe ihn und es erfüllt mich mit Stolz ihn jetzt zu sehen, wie er sich um alles kümmert. Ja, er ist wahrhaftig ein toller Junge.“ „Eben deshalb. Versteh mich nicht falsch, ich würde es auch begrüßen, wenn wir uns gut verstehen, schon allein Lukas zuliebe. Aber ich fürchte das dauert noch eine Weile.“ Sabine sah diesen eigentümlichen jungen Mann an. „Es beeindruckt mich, wie sehr du dich für Lukas einsetzt. Dennoch möchte ich nicht, dass wir Konkurrenten sind. Die Fehler der Vergangenheit kann ich nicht rückgängig machen, aber ich denken es wäre kontraproduktiv, wenn wir gegeneinander arbeiten.“ Juka schenkte noch einmal nach. „Ich denke, dass sehe ich genauso und dennoch möchte ich dir den Ernst der Lage begreiflich machen. Es hat sehr sehr lange gedauert Lukas so zu haben, wie er jetzt ist…wir haben auch unsere schweren Zeiten durch und auch ich bin kein Unschuldsengel, aber ich weiß, was ich an ihm habe und dass er mich unsagbar glücklich macht. Naja und ich glaube ich würde es selbst nicht noch einmal verkraften ihn so am Boden zu sehen.“ Sabine kostete es viel Überwindung, aber sie konnte sich dazu durchringen Jukas Arm zu berühren. Sie wollte ihm zeigen, dass er sich keine Sorgen machen musste. „Ich schätze deine Ehrlichkeit und ich habe es Lukas schon versprochen, dass ich ihm nichts Böses will und dasselbe sage ich dir Juka. Ich habe mich lang genug damit gestraft, doch wenn ich jetzt nicht versuche wann dann?“ Juka lächelte das erste Mal aufrichtig. „Dann geben wir unser bestes. Cheers!“ Fabi fiel in sein Bett, als würde sich sein Körper nichts mehr wünschen und drückte sein Gesicht in die Kissen. Gerade erhob ich mich, als seine Hand meinen Arm umschloss. „Kannst du kurz bei mir bleiben? Ich weiß, dass is egoistisch und so…wegen Juka, aber ich weiß auch nich…“ Ich legte mich neben meinen kleinen Bruder und stützte meinen Kopf mit der Hand ab. „Nichts daran is egoistisch Fabi. Juka wird schon mit meiner Mum klarkommen oder ihr ein schlechtes Gewissen einreden, weil sie mich so scheiße behandelt hat.“ Fabi grinste ein bisschen. „Trotzdem musst du mir doch irgendwie Recht geben…ich meine Jojo und du, ihr wart schon immer irgendwie eure eigene Familie…du warst zwar immer nett, aber du kannst mich doch nich ernsthaft als Bruder sehen?“ Ich zog die Stirn in Falten. „Und als was sollte ich dich dann sehen? Fabi, ich will mal eine Sache klarstellen…nur, weil ich Jojo schon ihr ganzes Leben lang kenne und dich nich, bist du mir nich weniger wichtig. Ich find’s voll prima nen jüngeren Bruder zu haben…die Familie oder die Verhältnisse aus denen du kommst haben für mich nich die geringste Bedeutung. Außerdem kann ich froh sein, dass wir uns begegnet sind und ich bin mega stolz auf dich, dass du dich nich zu so nem Arschloch wie unserem Vater entwickelt hast. Du bist gut so wie du bist Süßer.“ Die jüngere Ausgabe von mir lachte nur und zündete sich eine Zigarette an. Nicht ohne auch mir eine anzubieten. „Hast du jetzt ernsthaft Süßer zu mir gesagt?“, amüsierte er sich noch immer. „Ja das hab ich und so nenne ich nur Menschen, die mir sehr am Herzen liegen.“ „Cool…manchmal wünschte ich hätte halb so viel Selbstbewusstsein wie du. Du bist der coole große Bruder den ich schon immer wollte, aber ich hab’s Gefühl ich komm da nich mit…“ Ich legte meine Hand auf Fabis Schulter und sah ihn direkt an. „Und mit was genau willst du mitkommen? Mir musst du ganz sicher nichts beweisen.“ „Weißt du…immer wenn ich meine Mutter so sehe denke ich, dass ich mich nie für Liebe oder so begeistern kann…“ Ich zog die Stirn in Falten. „Fabi, das is ein beschissenes Beispiel und nur deshalb solltest du nich auf Sex verzichten…da verpasst du was, glaub mir.“ „Aber alle Mädels, mit denen ich was anfange oder die ich süß find…da komm ich nie weit, weil sie mich irgendwann nich mehr interessieren…sag mal, wie hast du eigentlich gemerkt dass du…naja, du weißt schon…“ Mir entfuhr ein glucksendes Geräusch und ich hoffte Fabi fiel das nicht auf. „Dass ich schwul bin? Eben so…Mädels interessierten mich nich mehr, dafür schien mein Verstand immer dann mit mir Amok zu laufen, wenn mich Juka in irgendeiner Art und Weise berührt hat.“ Mein kleiner Bruder warf mir wieder diesen Blick zu, den ich nicht ganz deuten konnte. In dem Moment klopfte es an seiner Zimmertür. Fuck! Ich hatte die Zeit völlig vergessen. Meine Mum wollte sich verabschieden und ich geleitete sie zur Haustür. Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und lächelte dann verschwörerisch. „Was?“, fragte ich etwas irritiert. „Ich glaube dein Juka ist ein wirklich toller Mann. Schlaf gut und bis bald.“ „Danke, das weiß ich…tschau.“ Noch immer etwa lädiert gesellte ich mich wieder zu meinem Mann. Auch Fabi war noch Mal aus seinem Zimmer gekommen. Juka kniff die Augen feindselig zusammen und funkelte mich an. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um nicht loszulachen. Schon klar, er versuchte mir ein schlechtes Gewissen zu machen, weil ich ihn mit meiner Mum allein gelassen hatte, aber ich konnte ihn so beim besten Willen nicht ernst nehmen. Ich zündete mir noch eine Zigarette an und setzte mich zwischen Fabi und Juka. Mein kleiner Bruder wirkte noch immer irgendwie verstört. „Glaub Fabi steht auf Männer“, flüsterte ich meinem Liebsten freudig zu, jedoch so, dass Fabi es hören konnte und Jukas Gesichtszüge entspannten sich wieder ein bisschen. „Und du glaubst jetzt, dass du so ablenken kannst?“ Ich nickte und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Juka kniff mir in meine noch immer schmerzenden Oberschenkel und verfiel in eine Art Lachen und musste ebenfalls vor Schmerz aufschreien. „Du kannst echt richtig arschig sein…sorry Schatz, aber das mit Fabi war wichtig.“ Jetzt lächelte er mich selbstgefällig an und ich fragte mich was das schon wieder sollte. „Irgendwie steh ich drauf dich ab und an zu quälen.“ „Mhh, is mir nich entgangen.“ Juka verabschiedete sich dann auch ins Bett und ich wollte nachkommen, sobald sich Fabi ein bisschen beruhigt hatte. „Okay,….hast du dir auch schon mal Pornos reingezogen? Ich meine nich diese dummen billigen…es gibt ja mittlerweile schon echt gute.“ Mit weit aufgerissenen Augen sah mich mein Brüderchen an und schüttelte heftig den Kopf. „Ähm nein…wie gesagt, ich fand das Thema bisher eher komisch und naja…nen schlechten Porno hab ich wohl auch bei meiner Mutter.“ Ich seufzte. Da musste ich wohl doch echt tiefer ansetzen. Ich durchforstete die Medienbibliothek meines Tablets und fand schnell wonach ich suchte. „Bereit?“, fragte ich dann? „Ähm…bereit wofür?“ Ich nickte gen Bildschirm. „Jule und Malen kennst du ja…sie wollten unbedingt miteinander rummachen und dabei gefilmt werden. Is nichts schlimmes, versprochen…nur schau‘s dir an und sag mir, was du dabei fühlst…macht es dich an oder eher nich…“ „Lukas, ernsthaft? Weiß nich, ob ich das so cool finde.“ Ich grinste und drückte play. Diesen Film hatte ich vor ein paar Jahren mit Flo gedreht und dieser Gedanke ließ den Schmerz kurz aufflammen, jedoch verebbte er auch schnell wieder. Jule knutschte nur ein bisschen mit Malen rum und ich schielte zu Fabi rüber, dennoch blieb seine Miene unergründlich. Da ich ihn nicht mit Pornos abschrecken wollte, zeigte ich ihm als nächstes einen Ausschnitt aus King Cobra, das kam einem Porno schon verdammt nahe und selbst mir wurde ein bisschen heiß, als ich Keegan Allen und James Franco bei ihren heißen Zungenküssen zusah. Dieses Spielchen führten wir noch eine Weile und immer dann, wenn sich zwei echt heiße fast nackte Männer auf dem Bildschirm räkelten, zeigte auch mein lieber kleiner Bruder etwas Regung. Oder sollte ich lieber Erregung sagen? Amüsiert grinste ich in mich hinein. „Okay, ich glaub ich hab dich genug gequält…“, scherzte ich, doch auf einmal schaute mich Fabi mit sehnsuchterfülltem Blick an. „Fühlt es sich so an, wenn du Juka küsst…ich meine…wie soll ich sagen…ich fand’s schon irgendwie heiß. Aber ich meine wie erträgst du das bei Juka?“ „Was meinst du warum ich dauernd mit ihm im Bett bin…nur so ertrage ich es. Aber das klingt so, als wäre das etwas Schlimmes. Das, was du gerade fühlst Süßer nennt sich Lust. Und glaub mir, bist du dieser Lust einmal verfallen kann es wunderschön sein.“ Fabi zündete sich eine Zigarette an. „Wow, zu viele Infos…vielleicht sollte ich das ausprobieren.“ „Darf ich dich was fragen?“ Er nickte. „Gibt es jemanden, den du gern küssen würdest?“ Wieder nickte Fabi. „Und an diesen jemand habe ich gerade immer denken müssen, aber ich bin noch nich so weit…sag mal was anderes, seid ihr Silvester hier oder in Tokio?“ „Eigentlich würde ich übermorgen gern zurückfliegen…warum, willst du mitkommen?“ Ein leicht süffisantes Grinsen breitete sich auf Fabis Gesicht aus und begriff sofort. „Wäre cool…nur wenn‘s euch nich stört.“ „Quatsch…aber jetzt sollten wir echt Mal pennen geh’n. Gute Nacht.“ Ich zwinkerte ihm zu und begab mich zu meinem hübschen Mann ins Bett. Kapitel 80: Das liegt wohl in der Familie ----------------------------------------- Fabi war aufgeregter als gewöhnlich, denn schließlich würde er ihn heute sehen. Der Junge hegte noch immer Zweifel, ob er wirklich auf Männer stand. Außerdem war es ja nicht nur dieser Umstand, denn es fiel ihm allgemein schwer mit dem Thema Sex umzugehen. Fabi würde seine Mutter zwar nicht als Prostituierte bezeichnen, aber das, was sie tat kam dem verdammt nahe. Und dann auch noch was mit einem Typen anfangen? Doch er erinnerte sich an den Abend zurück, an dem er mit Lukas diese Filme angeschaut. Verdammt, schon wenn er auch nur das Wort Porno dachte stieg ihm die Röte ins Gesicht. Wie schaffte es sein älterer Bruder nur so locker mit diesem Thema umzugehen? Er schien sich außerdem auch wenig Gedanken darüber zu machen, was andere davon hielten, dass er schwul ist. Fabi wünschte sich, er könnte das auch. Nichts desto trotz, jetzt erst Mal den Abend abwarten. Der Jüngere hatte Lukas eingeweiht, denn schließlich musste er ja wissen, wen er alles einladen musste. Wobei Miyavi sicher so oder so zur Party erschienen wäre. Dann kündigte sich ein weiteres Problemchen an. Fabi war noch nie der Typ für Mode oder Styling gewesen. Er besaß lediglich schwarze Hosen und schwarze oder graue Shirts. Aber war das auch passend für einen Kerl wie Miyavi? War der nicht eher extravagantes gewohnt? Der Junge verteilte das Haargel in den Händen und fuhr sich dann durch seine dunkelbraune Haarpracht. Anschließend warf er noch einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Naja, irgendwie ganz okay, dachte er bei sich. Die ersten Gäste kamen bereits unter ihnen auch Tatsuro, Flos Exlover nach Kami. Fabi beschloss auch schon ein bisschen mit Trinken anzufangen, damit er etwas mutiger wurde. Ein paar Mädels waren auch da und Fabi erkannte Kim und plauderte ein bisschen mit ihr. Draußen auf dem Balkon lag Schnee, doch das hielt ihn nicht vom Rauchen ab. Lukas und Tatsuro begleiteten ihn. „Tatsuro steht übrigens auch auf Männer, falls du dich noch nich für unseren Paradiesvogel entscheidest“, witzelte er, doch Fabi warf ihm nur einen bösen Blick zu. Drinnen im Wohnzimmer ging es weiter heiter her. Es waren mittlerweile doppelt so viele Menschen wie vorher. Es klingelte erneut und galant bewegte sich Juka in Richtung Tür. Fabi beschloss sich noch ein Bier zu holen und dann irgendwo eine Sitzmöglichkeit finden. Er steuerte auf’s Sofa zu, da erstarrte er zur Salzsäule und war augenblicklich wieder stocknüchtern. Miyavi unterhielt sich mit Tatsuro und bevor es sich Fabi anders überlegen konnte, winkte ihn Tatsuro auch schon heran. Er rutschte ein bisschen, sodass Fabi inmitten der beiden Männer platz fand. Na super, das konnte ja lustig werden. Er krallte sich an der Bierflasche fest und probierte Miyavi links neben sich zu ignorieren, doch das schien schier unmöglich. Plötzlich legte Tatsuro seinen Arm um Fabis Schulter und er beugte sich ein bisschen zu dem Jüngeren herüber. „Lukas hat erzählt, du versuchst gerade herauszufinden, ob du auf Männer stehst…sag Bescheid, wenn du dich entschieden hast.“ Fabi schluckte und verfluchte seinen Bruder. Auch Miyavi legte seinen Arm um Fabis Schulter. Was zur Hölle passierte hier gerade? „Lass dich bloß nicht von Tatsuro verführen…der kann ein ganz schöner Aufreißer sein“, witzelte Miyavi. Fabi fühlte sich mit der Situation leicht überfordert und entschuldigte sich bei seinen Verehrern. Er zog seinen auch schon leicht angetrunkenen Bruder am Arm und schloss die Badezimmertür hinter ihnen. „Lukas…verdammt, was soll ich machen? Ich bin völlig überfordert…hättest du deine Klappe nich einfach halten können?“ Fabis Bruder lachte nur. „Fabischatz…ich wusste doch, dass du niemals von allein die Initiative ergreifst, deshalb hab ein bisschen nachgeholfen. Genieß einfach den Abend, check die Lage und lass dich überraschen.“ „Das sagst du so leicht…und wie soll das gehen, wenn die beiden mit mir wettflirten?“ „Lass dich drauf ein oder nich…versuche herauszufinden, wo deine Grenzen sind oder ob du es überhaupt willst.“ Fabi sog die Luft ein und seufzte tief. „Na schön, aber weih mich das nächste Mal bitte ein.“ Wieder lachte der Ältere, schüttelte mit dem Kopf und mischte sich wieder unters Partyvolk. Auch Fabi nahm seinen Platz wieder ein und beschloss tatsächlich den Abend einfach zu genießen. Zum Rauchen wurde er dummerweise nur von Tatsuro begleitet, den er irgendwie auch mochte, aber nicht so sehr wie Miyavi. „Also…du und Miyavi?“ Fabi fiel das Feuerzeug fast aus der Hand und etwas perplex schaute er seinen Gegenüber an. Doch dieser lächelte. „Woher?...“ „Fabi, mir entgeht nicht wie du ihn anschaust und er hat vermutlich Recht…ich bin eher ein Aufreißer, toure mit der Band und da bleibt kaum Zeit für Affäre oder Beziehung.“ „Oh…okay…aber ich weiß nich mal, ob er mich auch mag…es is komisch.“ „Dann frag ihn…schätze du fehlst ihm schon…ich lass euch alleine.“ Fabi hatte gar nicht gemerkt, dass auch Miyavi den Balkon betreten hatte. Sein schwarzer Strickmantel reichte fast bis zum Boden und elegant schritt er zur Brüstung. Das Hemd mit den Rüschen am Kragen und dem Ärmelsaum schloss mit dem Bund seiner Hose ab. Seine Finger zierten mindestens sieben Ringe und die schwarzen langen Haare fielen ihm über die Schultern. Die Augen waren kunstvoll geschminkt mit Liedstrich und so. Fabi bezweifelte, dass er das bei sich geschweige denn bei anderen so hinbekam. Der Ohrring baumelte hin und her, wenn Miyavi seinen Kopf bewegte. „Is dir nich kalt?“, fragte Fabi. „Nein, ich mag den Winter und ich mag die Nacht…bissl kühl ist es schon, aber es geht.“ „Mir is der Sommer lieber…da isses warm und so. Rauchst du eigentlich?“ Miyavi verneinte diese Frage und Fabi kam sich irgendwie komisch vor. „Darf ich dich etwas fragen?“ „Klar“, antwortete der Kleinere und irgendwie merkte er trotz der Kälte wie ihm auf einmal fast schon heiß wurde. „Hattest du schon was mit einem Mann?“ „Ähm…nein…ich bin mir nich mal sicher, ob ich’s mag.“ „Möchtest du, dass ich es dir zeige?“ Himmel, ja bitte, dachte Fabi. Brachte jedoch keines der Worte über die Lippen. Plötzlich legte Miyavi seine Hand um Fabis Hüfte und trotz des Shirts spürte er die Hitze, die immer mehr in ihm aufstieg. „Is dein schwarzer Lippenstift eigentlich wasserfest oder so?“ Miyavi entfuhr ein herzhafter Lacher. „So lange dir nur das Sorgen bereitet, aber ja, ist er tatsächlich. Warum fragst du?“ Auf einmal schien Fabi die Hitze fast zu erdrücken. Ihre Gesichter waren sich jetzt so nahe, dass sie sich ohne Probleme küssen könnten, doch warum passierte nichts? Wartete Miyavi auf irgendein Zeichen? Eher unbewusst beugte sich Fabi noch ein Stück vor und ihre Lippen streiften sich, doch dieses Gefühl ließ ihn zurückfahren. Miyavi schaute seinen kleinen Verehrer liebevoll in die Augen und seine Finger glitten kaum merklich über Fabis Wange. „Fabi, ich unterbreite dir ein Angebot…nur wenn du möchtest natürlich?“ Warum musste er sich auch noch so vornehm ausdrücken? Fabi kam sich vor wie der letzte Idiot. „Und was wäre das für ein Angebot?“, krächzte er und schämte sich schon wieder. Miyavi ließ ihn nicht aus den Augen und sein Finger glitt weiter, an Fabis Hals entlang. Eine Gänsehaut überkam ihn. „Wir können zusammen herausfinden, was du magst oder auch nicht magst. Ich helfe dir dir darüber klar zu werden, ob du dich auf einen Mann einlassen könntest oder nicht.“ „Aber warum solltest du das tun?“ „Weil ich auch mal in deiner Situation war und ich nicht möchte, dass du dich auf irgendeinen Vollidioten einlässt. Glaub mir, vor allem Männer können echte Arschlöcher sein. Du bist süß und zu schade um so unerfahren in die große weite Welt hinausgelassen zu werden.“ Jetzt kam sich Fabi erst recht bescheuert vor. War ja nicht so, dass er völlig unerfahren war. Naja, er hatte was mit einem Mädel gehabt. Der Sex war die reinste Katastrophe. Aber auch nur, weil er sich nie etwas getraut hatte. Und nun stand er diesem wundervollen Mann gegenüber, der ihn in eine Welt entführen wollte, die er nicht kannte. Er schluckte und zündete sich noch eine Zigarette an. „Das heißt wir haben was miteinander…du probierst Dinge mit mir aus…und das war’s?“ Ein Lächeln huschte über das Gesicht des düsteren Japaners. „So in etwa ja. Doch eine Sache wäre da noch, ich tue nichts, was du nicht willst. Ich werde keinesfalls plötzlich über dich herfallen, denn immerhin sollst du das mit uns genießen und keine Angst bekommen.“ Fabi nahm einen tiefen Zug und versuchte die Miene des anderen zu ergründen, doch wollte ihm das nicht gelingen. „Schließt das auch…Sex mit ein?“ „Wenn du es möchtest. Aber lass uns klein anfangen, es gibt auch genügend andere Dinge um sich zu amüsieren.“ „Mhh…klar…dann haben wir wohl einen Deal…ähm Miyavi, das kommt jetzt vielleicht blöd oder so, aber kannst du in dieser Zeit vielleicht nur mich haben und nich zehn andere? Das würde es glaub einfacher machen.“ Und wieder kam Miyavi seinem kleinen Schützling sehr nahe. Er umfasste Fabis Gesicht mit seinen Händen. „Damit kann ich leben…darf ich dich küssen?“ Und da kehrte diese Hitze zurück und das Herzrasen. Fabis Hände krallten sich an dem Geländer hinter sich fest. Er konnte nur nicken und das nächste was er spürte waren Miyavis Lippen auf seinen. In seinem Kopf legte sich augenblicklich ein Schalter um, denn nichts fühlte sich gerade besser an als dieser Kuss. Miyavis Zunge leckte über Fabis Lippen und er öffnete den Mund leicht. Und ein weiteres Mal wurde sein Körper von dieser Begierde ergriffen. Schweren Herzens ließ er von diesem wunderschönen Mann ab. „Heilige scheiße…“, entfuhr es Fabi und er hätte sich am liebsten für diese Worte geohrfeigt. Was sollte Miyavi jetzt von ihm denken? Dass er leicht zu beeindrucken war? „Na wenn dir das schon gefallen hat kann ich dir noch viel mehr zeigen…“ „Mhh…wie spät isses eigentlich? Nich, dass wir Silvester verpassen.“ Miyavi warf einen Blick auf sein Handy. „Wir haben noch eine Stunde. Möchtest du noch was trinken?“ Oh ja, nichts lieber als das. Seinen Körper wieder unter Kontrolle bringen. Fabi mochte es zwar, wenn sein Verstand etwas benebelt war, doch so, dass er selbst noch die Kontrolle behielt. Allerdings war er sich nicht so sicher, ob er Miyavi standhalten konnte. Er hielt Fabi sogar die Tür auf und brachte ihm ein Bier mit. Miyavi selbst trank nur Wasser. „Magst du keinen Alkohol?“, fragte Fabi vorsichtig. „Nein…ich hab es immer wieder versucht, aber das artet nur aus. Ab und an kiffen ist okay, aber sonst nichts.“ „Respekt…ich glaub ich trink viel zu gern…aber sollte wohl auch manchmal nich ganz so übertreiben.“ „Dein guter Vorsatz für nächstes Jahr?“, stichelte Miyavi und Fabi boxte ihn eher unbewusst gegen den Arm. „Es macht mich wohl auch ein bisschen lockerer.“ Und schon wieder war er diesem gutaussehenden Mann gefährlich nahe. Dieses Mal nicht unbewusst legte Fabi seine Hand um Miyavis Hüfte und zog ihn zu sich. Ihm entging auch das lüsterne Glitzern in dessen Augen nicht. „Jetzt wird aber jemand mutig…gut für mich schätze ich.“ „Küss mich…bitte“, flüsterte Fabi seinem Angebeteten zu. Dieser Lächelte. „Nichts lieber als das.“ Und wieder schien Fabis Körper zu brennen, sodass er es kaum ertrug. Andererseits konnte er von Miyavis Lippen nicht genug bekommen. Wieder war er, der sich von dem Kuss löste. Unter dem Vorwand auf’s Klo zu müssen, suchte er den Raum nach seinem großen Bruder ab, doch dieser war unauffindbar. Und da auch von Juka jegliche Spur fehlte, konnte sich Fabi denken, was die beiden trieben. Ob er das mit Miyavi auch irgendwann könnte? Er schloss das Badezimmer hinter sich ab und versuchte sich runterzufahren. Bis vor einer paar Tagen hatte er noch nicht Mal in Erwägung gezogen, dass er auf Männer stehen könnte. Doch das erklärte vieles. Sein Desinteresse für hübsche Mädels. Es fühlte sich noch nicht Mal schlecht an, allerdings trieb es sein Puls in die Höhe, wenn er an Miyavi dachte. Verdammt. Konnte er sich nicht zusammenreißen? Eine gefühlte Ewigkeit stand er nur rum, ging kurz auf die Toilette und wusch sich die Hände. Lukas und Juka waren wieder da. Schien ja schnell gegangen zu sein. Fabi beneidete die beiden ein wenig, weil sie so gelassen miteinander umgingen. Selbst, wenn sie sich mit anderen Leuten unterhielten, warfen sie sich immer wieder liebevolle Blicke zu oder Juka tätschelte Lukas im Vorbeigehen. Sie passten einfach perfekt zueinander. Fabi seufzte und kippte den letzten Schluck Bier hinunter, um sich ein neues zu holen. Da ergriff Lukas seine Hand und zog in mit auf den Balkon. Dieses Mal schien es viel kälter zu sein. Er hielt Fabi den Joint vors Gesicht und lächelte. „Nich, dass du wieder rumheulst“, neckte er seinen kleinen Bruder. „Blödmann…aber schön, wenn du an mich denkst.“ Lukas zündete den Joint an und nahm einen tiefen Zug. Fabi betrachtete den Älteren und wäre manchmal gern ein bisschen wie er. Er mochte seinen Klamottenstil, ein bisschen gewagt, weil Lukas gern zeigt, was er hat. In dem Fall seine Tattoos, die seinen gute gebauten Körper zierten und die Hälfte seiner Oberteile bestand aus Tanktops oder transparenten Shirts oder beides in einem. Außerdem war sich Lukas seiner charmanten Ausstrahlung zu hundert Prozent bewusst, dennoch gehörte er nur einem Mann. Er hielt Fabi den Joint hin. „Was geht eigentlich bei dir und unserer Prinzessin?“ Fabi verschluckte sich am Rauch und musste husten, als ihm ein Lachen entfuhr. „Prinzessin? Warum das denn?“, kicherte er noch immer und versuchte das Kratzen im Hals mit Bier zu lindern. „Findest du nich? Manchmal hat Miyavi was von ner hübschen unnahbaren Prinzessin. Irgendwie süß.“ „Weiß er, dass du dich hinter seinem Rücken über ihn lustig machst?“ Lukas warf seinem Bruder ein leicht arrogantes Lächeln zu. „Fabischatz…ich kenn deinen Lover schon ne ganze Weile…aber ich glaub er mag es echt nich so genannt zu werden…sag ihm das also ja nich.“ Fabi überkreuzte seine Finger und gab sein Ehrenwort. Auf einmal schlug es irgendwo zwölf Uhr. Mitternacht. Er prostete Lukas zu, doch dieser zog ihn in seine Arme. „Frohes Neues Kleiner…“ „Danke, wünsch ich dir auch…“ Die beiden Jungs sahen sich noch eine Weile an und kehrten dann zu den anderen Gästen zurück. Fabi fand schnell, was er suchte und als sich ihre Blicke trafen, wurde in ihm sein ganz eigenes Feuerwerk entfacht. „Auf ein aufregendes Jahr Süßer“, flüsterte Miyavi und Fabi würde am liebsten mit ihm irgendwohin verschwinden. Tatsächlich artete der Abend noch ein wenig aus, als Lukas mit dem Wodka kam. Fabi trank zwar, hatte jedoch irgendwann einen mächtigen Filmriss. Um sich herum vernahm er Stimmen und leise Musik. Sein Kopf war auf etwas weichem gebettet und fühlte sich schwer an. Bei dem Versuch die Augen zu öffnen scheiterte er. „Kann ich dich nur um einen Gefallen bitten?“ War das Lukas? Fabi erkannte es nicht genau, denn alles schien noch so vernebelt. „Ich weiß was jetzt kommt Lukas, aber ich verspreche dir, dass ich ihn nicht verarschen werde. Ich mag ihn echt und wie gesagt, wenn er die Erfahrung machen möchte, will ich nicht, dass er das mit irgendwem tut.“ Diese Worte kamen aus dem Mund seiner wundervollen Prinzessin. Shit, Fabi biss sich heftig auf die Lippen, um nicht plötzlich loszulachen. So witzig war das doch nun wirklich nicht, aber er konnte sich beim besten Willen nicht mehr zusammenreißen. Etwas unbeholfen setzt er sich hin und musste noch immer kichern, doch dann verstummte er abrupt, denn erst jetzt stellte er fest, dass es Miyavis Schoß gewesen sein musste, in dem er gerade geschlafen hatte. Konnte es noch peinlicher kommen? Er spürte, dass sein Gesicht die Farbe einer Tomate annahm. Jetzt wollte er gern im Boden versinken. Drei Augenpaare sahen ihn fragend an. „Bist du wieder von den Toten erwacht? Dann kann ich ja auch gehen.“ „Wie du gehst? Isses schon so spät?“ „Naja, fast fünf…wollte dich nur nicht aufwecken.“ In Fabis Magen zog sich alles zusammen. Also hatte er die letzten beiden Stunden verpennt? Dabei hätte er doch so gern noch Zeit mit Miyavi verbracht. „Mhh…hab ich irgendwas Peinliches gemacht?“, fragte er schließlich. „Nein Schatz, alles gut“, beantwortete Lukas seine Frage und Fabi war erleichtert. Insgeheim mochte er es mittlerweile, wenn sein großer Bruder ihm solche Namen gab. Nach einem kurzen Moment des Zögerns setzte er sich auf Miyavis Schoß, mit dem Gesicht zu ihm gewandt und hoffte damit keine Grenze zu überschreiten. „Sehen wir uns morgen noch Mal?“ „Sehr gerne. Aber erst muss ich ein bisschen schlafen. Ich komm morgen einfach vorbei.“ Er hauchte Fabi einen letzten Kuss auf den Mund und verabschiedete sich von den anderen beiden. Elegant und schon fast majestätisch zog er sich seinen Mantel über und verschwand. Fabi ließ sich in die Sofakissen sinken und seufzte tief. „Darf ich hier rauchen oder muss ich in die Kälte raus?“ „Du darfst auch hier rauchen…alles okay bei dir?“, fragte Juka. „Glaub schon…nur glaub ich…naja ich denk ich bin voll verknallt.“ „Das is bei nem Kerl wie Miyavi nich ganz verwerflich. Ich würd ihn auch nich von der Bettkante stoßen“, erwiderte Lukas und Juka gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. Zwei Stunden zuvor. Ich hatte Fabi ein bisschen im Auge behalten und mir war nicht entgangen, dass er sich Hals über Kopf in Miyavi verliebt hatte. Und nie hätte ich ihm dazu geraten, was mit ihm anzufangen, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass Miyavi meinen kleinen Bruder sorgsam behandelte. Trotzdem würde ich später noch ein Wörtchen mit ihm wechseln. Und da saßen wir nun. Fabi hatte es ein bisschen übertrieben und auch ich fühlte mich ziemlich betrunken, dennoch war ich nicht eingeschlafen. Mein Brüderchen lag mit dem Kopf in Miyavis Schoß und auch er schien diesen Moment zu genießen. Ich baute mir noch einen Joint und lehnte mich an Jukas Schulter. „Miyavi…Fabi is verdammt schüchtern, wie du sicher schon bemerkt hast und ich will nich, dass er sich in irgendwas verrennt.“ „Das ist schon fast beleidigend mein Lieber, aber ich verstehe deine Sorge. Doch muss ich dir beichten, dass mir dein jüngerer Bruder schon beim letzten Mal positiv aufgefallen ist. Sein zartes bescheidenes Wesen, das er hinter seiner coolen Art zu verstecken versucht.“ Juka legte seine Hand auf mein Bein. „Kommt dir das bekannt vor Luki? Liegt wohl in der Familie.“ Ich funkelte meinen Liebsten böse an und widmete mich wieder Miyavi zu. „Fabi is sehr sensibel…und ich hab auch ein bisschen Schiss, weil er ja theoretisch übermorgen zurück muss, zwecks Schule und so…hast du das bedacht?“ Mein Freund lächelte mich an. „Glaubst du ich würde ihm ein solches Angebot machen wenn ich das nicht schon geplant hätte. Mein Laden kann ich auch eine Weile an meine Kollegin übergeben und ich hab in Deutschland noch ein paar Dinge zu erledigen. Ich werde mit Fabi fliegen und aufpassen, dass er auch ja zur Schule geht.“ „Meinst du er lässt sich drauf ein? Immerhin geht es hier um Sex und schon allein bei dem Wort läuft er knallrot an.“ „Wird sich zeigen. Ich hab ihm gesagt, dass ich nichts tun werde, was er nicht will.“ „Kann ich dich nur um einen Gefallen bitten?“ „Ich weiß was jetzt kommt Lukas, aber ich verspreche dir, dass ich ihn nicht verarschen werde. Ich mag ihn echt und wie gesagt, wenn er die Erfahrung machen möchte, will ich nicht, dass er das mit irgendwem tut.“ Auf einmal regte sich Fabi in Miyavis Schoß und fing an zu lachen, einfach so. „Bist du wieder von den Toten erwacht? Dann kann ich ja auch gehen“, fragte unsere Prinzessin dann. „Wie du gehst? Isses schon so spät?“ „Naja, fast drei…wollte dich nur nicht aufwecken.“ Die Enttäuschung war ihm regelrecht anzusehen. Mein armer kleiner Bruder. Vielleicht hatte er sich ja tatsächlich mehr von diesem Abend versprochen. „Mhh…hab ich irgendwas Peinliches gemacht?“ „Nein Schatz, alles gut“, antwortete ich ihm und das schien ihn sehr zu beruhigen. Ich war etwas überrascht, als sich Fabi auf Miyavis Schoß schwang und warf Juka ein erfreutes Lächeln zu. „Sehen wir uns morgen noch Mal?“ „Sehr gerne. Aber erst muss ich ein bisschen schlafen. Ich komm morgen einfach vorbei.“ Die beiden Turteltäubschen küssten sich noch einmal und dann erhob sich Miyavi. „Darf ich hier rauchen oder muss ich in die Kälte raus?“, fragte Fabi dann. „Du darfst auch hier rauchen…alles okay bei dir?“, fragte Juka. „Glaub schon…nur glaub ich…naja ich denk ich bin voll verknallt.“ „Das is bei nem Kerl wie Miyavi nich ganz verwerflich. Ich würd ihn auch nich von der Bettkante stoßen“, erwiderte ich und Juka gab mir einen Klaps auf den Hinterkopf. „Aber ich hoff ich vermassel es nich…weil ganz ehrlich, was will son Typ wie Miyavi mit einem wie mir?“ „Süßer, er wird schon wissen, was er tut.“ Ich schickte Fabi dann ins Bett, weil er für den nächsten Tag gewappnet sein sollte. Irgendwie fand ich das alles sehr aufregend. Kapitel 81: Soll ich es wirklich wagen? --------------------------------------- Fabi erwachte doch die Kopfschmerzen blieben aus. Dafür kam diese Aufregung volle Kanne wieder. Was würde heute passieren? Er stand auf, doch Lukas und Juka schienen noch zu schlafen, deshalb beschloss er duschen zu gehen und erst dann Kaffee zu kochen, denn es konnte ja sein, dass Miyavi bald kam. Und ihm dann ungeduscht gegenüberzutreten ging mal gar nicht. Fabi überlegte kurz wieder mit Trinken anzufangen, aber verwarf den Gedanken schnell. Schließlich wollte er nicht, dass Miyavi ihn für einen Alki hielt. Der Vormittag zog sich wie Kaugummi und Fabi war kurz vorm Durchdrehen. Auch die Jungs waren mittlerweile aufgestanden, doch so sehr sich Lukas auch bemühte, Fabis Aufregung wurde nicht besser. Er bekam kaum einen Bissen runter. Sein Bruder legte ihm seinen Arm um die Schulter. „Entspann dich…dein Traumprinz kommt gleich und holt dich ab.“ Doch entspannen war leichter gesagt als getan. Fabi rannte gefühlte 10 Mal aufs Klo und dann ertönte die Klingel. Wie sollte er Miyavi überhaupt begrüßen? Durfte man seine Affäre küssen? Langsam schlich er aus dem Badezimmer in die Küche, wo alle fröhlich plaudernd saßen. Der Langhaarige drehte sich zu ihm um und lächelte. Fabi fielen fast die Augen aus dem Kopf. Miyavi sah so anders aus, doch nicht weniger attraktiv. Irgendwas fehlte und dann fiel es ihm auf. Die Schminke. Hatte er das mit Absicht getan? Jetzt standen sich die beiden gegenüber, doch Fabi brachte keinen Ton heraus. „Hey Süßer, hast du Lust auf einen Ausflug?“ „Hi…ähm klar? Wohin geht’s?“ „Entweder in die Stadt, was essen oder trinken. Das ist die erste Möglichkeit. Die andere Variante wäre ein Abstecher in meine Wohnung. Was du möchtest.“ Fabis Herz schlug ihm bis zum Hals. „Ich zieh mich an und denk kurz drüber nach okay?“ In Rekordgeschwindigkeit hatte Fabi Jacke und Schuhe angezogen. Miyavi erhob sich und hackte sich bei ihm unter. Der Kleinere war sich noch immer unsicher, doch merkte er, dass sein Lover eine Antwort erwartete. Fabi atmete noch einmal tief ein und dann wieder aus. „In deine Wohnung…wenn‘s okay is.“ „Alles was du möchtest. Wie gesagt ich tue nichts ohne deine Erlaubnis.“ „Was is eigentlich wenn ich nich weiß ob ich was mag oder nich, weil ich es noch nie probiert habe?“ Sie stiegen in die Bahn und fuhren ein Stück. „Glaub mir, du merkst recht schnell, was du magst und was nicht.“ „Na gut.“ Miyavis Wohnung bot weit aus weniger Platz als das Haus seines Bruders. Küche und Wohnzimmer waren fast ein Raum und dann kam gleich neben der Eingangstür links das Badezimmer und eine Tür weiter das Schlafzimmer. Fabi entledigte sich seiner Schuhe und seiner Jacke. „Lass uns ins Wohnzimmer gehen. Möchtest du was trinken?“ „Tee?“ Miyavi lächelte und verschwand kurz in der Küche. Fabi schaute sich um. Die Wände im Wohnzimmer waren mit schwarzer Brokattapete beklebt und es wirkte alles sehr edel, wie der Hausherr selbst. Und wieder übermannten ihn diese Komplexe. Auf einmal erklang Musik und Fabi fuhr herum. „Was möchtest du tun?“ „Wenn ich das wüsste…kannst du nich irgendwas mit mir anstellen?“ Die Miene des schönen Japaners wurde sehr ernst. „Sicher?“ Fabi nickte und hoffte dies nicht zu bereuen. Miyavi kam näher und legte seine Hände um seine Hüften. Seine dunkelbraunen Augen schienen ihn fast zu durchbohren. „Gut. Du kannst jederzeit stopp sagen…und damit meine ich jederzeit. Das ist wichtig Fabi.“ Dieser konnte wieder nur nicken, denn nun war er gefangen und umnebelt von Miyavis Charme. Sie blieben stehen und Fabi schloss die Augen, während er geküsst wurde. Doch sehr zaghaft und behutsam strich Miyavi über sein Gesicht, den Hals und seinen Oberkörper. Fabi spannte sich an und zuckte etwas zusammen, als er merkte, welch Schauer Miyavis Hände hinterließen. Und dabei trug er noch seine Klamotten. Der Jüngere hatte nicht darauf geachtet, was sein Liebster heute trug und wehrte sich auch nicht dagegen, als Miyavi seine Hände nahm und sie an seinen Körper führte. Denn unter seinen Fingern spürte er nackte Haut und ein angenehmes Kribbeln durchzuckte ihn. Jetzt wagte er es doch nachzusehen, aber wurde ein wenig enttäuscht, denn sein Japaner trug noch all seine Kleidungsstücke. Nur schloss sein Pullover ziemlich genau mit dem Bund seiner Hose, sodass sich Fabis Finger wohl unbewusst unter den Stoff geschoben hatten. Doch die weiche Haut fühlte sich so gut an und er wollte mehr davon. Wollte ihn sehen. Wieder küssten sie sich und als Fabis Hände höher wanderten, krallten sich Miyavis Hände stärker in seine Haut. Bedeutete das ihm gefiel es so berührt zu werden? „Kannst du den Pulli ausziehen?“, überwand sich Fabi schließlich zu fragen und erntete ein zufriedenes Lächeln. „So schüchtern scheinst du ja doch nicht zu sein…und das ohne Alkohol.“ Langsam hob sich der schwarze Stoff und die langen Haare fielen über Miyavis Oberkörper. Das Schwarz stach sich mit dem hellen Ton seiner Haut. Fabi tat nichts sondern betrachtete nur diese halbnackte Schönheit. Das Piercing in der rechten Brustwarze sprach ihn sehr an. Und doch wurde die Schönheit trügerisch, denn auch vereinzelte kleine Narben am Bauch und den Armen zierten diesen schönen Mann. „Ganz ehrlich, scheiß auf Brüste und so…das is um Längen besser.“ Miyavi bekam einen Lachanfall und auch Fabi stimmte mit ein. Er beschloss ihn noch nicht nach den Narben zu fragen. Vielleicht würde er es auch von ganz allein erfahren. „Aber gleiches Recht für alle…zieh dein Shirt aus Süßer.“ Fuck, damit hatte Fabi wieder mal nicht gerechnet, aber tat was von ihm verlangt wurde. Doch er kam sich schmächtig und klein vor. Er wurde zu Miyavi gezogen und schon lagen ihre Lippen wieder aufeinander. Aber es war anders, denn der schützende Stoff der Kleidung fehlte und es machte Fabi fast wahnsinnig. „Kannst du noch weitergehen? Weiter als der Kuss meine ich.“ Wieder loderte diese Begierde in Miyavis Augen und Fabi verlor sich fast, als er dessen Hand zwischen seinen Beinen spürte. „Noch weiter?“, fragte Miyavi mit dem Wissen, dass sich Fabi ihm nicht mehr entziehen konnte. Er wurde aufs Sofa gehievt und der Knopf seiner Hose sprang auf. Die Hose war er bald los und die beachtliche Wölbung in seiner Unterhose ließ ihn wieder Mal erröten. Doch das brachte den schönen Japaner keineswegs aus der Fassung. Er umkreiste Fabis Nippel und seine Hand war noch immer zwischen seinen Beinen. Fabi konnte nicht anders und stöhnte auf. Als die fremde Hand sich in seinen Shorts wiederfand und sein hartes Glied umschloss, keuchte er. Ihm war, als würden tausende von kleinen Nadeln durch seinen Körper gejagt. Schon bald war er seine Unterhose auch los und sein Verstand schaltete sich gänzlich aus, denn Miyavis Zunge an seiner Erregung war heftig. Als sich seine Lippen dann auch noch auf und ab bewegten, krallten sich Fabis Hände in eines der Sofakissen. Wenn das so weiterging, würde sein Orgasmus schneller kommen, als beabsichtigt. Er biss die Zähne zusammen, doch es half alles nichts und er ergab sich. Die Lust übermannte ihn. Fabi hatte das Gefühl sich nicht mehr bewegen zu können. Hatte er jetzt ernsthaft einen Blowjob von Miyavi bekommen? Verdammt! „Mh, mein Tee is wahrscheinlich kalt.“ „Schon, aber trinken kannst du ihn dennoch.“ Fabi zog seine Klamotten wieder an und wirkte noch immer leicht benommen. Was genau tat er hier eigentlich? Und dann kam ihm ein furchtbarer Gedanke. Morgen musste er zurück nach Deutschland fliegen. Ein komisches Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus. Ja ihm wurde fast ein bisschen übel, doch versuchte er dieses Gefühl zu überspielen. Miyavi umfing ihn mit seinen Armen. Das ertrug er kaum. „Und was jetzt?“ „Wir könnten noch einen Film anschauen oder magst du gehen?“ Fabi zuckte mit den Schultern. „Können wir noch nen Film anschauen und was essen oder so?“ „Klar…wo bleibt nur meine Gastfreundschaft, tut mir leid. Ich kann uns was kochen, allerdings gibt’s bei mir nur Gerichte ohne Fleisch.“ „Bist du Vegetarier?“ „Ja, sogar seit einem Jahr vegan.“ Fabi lächelte ein bisschen verlegen. „Wow, du trinkst nich, achtest auf deine Ernährung…noch was?“ „Wir können auch gern was bestellen, ich zwinge ja keinen so zu leben wie ich.“ „Nein, so war’s nich gemeint…ich finds cool, nur hab ich mich nich noch nie so wirklich mit meiner Ernährung befasst…kochen kann ich auch nich wirklich. Maximal Nudeln oder Pizza bekomm ich hin.“ Miyavi lachte herzhaft und zog zu Fabis Enttäuschung seinen Pulli wieder an. „Dann koch ich dir mal was Schönes. Und wer weiß, vielleicht bekomm ich dich ja dazu meine Ansichten zu teilen.“ Fabi half beim Gemüse schnibbeln und erkundigte sich hin und wieder, was für Gewürze sein hübscher Japaner untermischte. Nach einer halben Stunde war das Essen fertig und Fabi musste sich eingestehen, dass er mehr als begeistert von Miyavis Kochkünsten war. Sie schauten sich noch einen Film und der Jüngere merkte, wie ihn langsam aber sicher die Müdigkeit übermannte. Deshalb beschloss er nach Hause zu gehen. Miyavi begleitete ihn und zum Abschied lagen sich die beiden sehr sehr lange in den Armen. Erschöpft und ausgelaugt packte Fabi seine Sachen zusammen, doch dieses Gefühl wurde immer unerträglicher. Am liebsten würde er sich jetzt betrinken, doch stattdessen entschied er sich nur für das grüne Wunderkraut. Auch Lukas gesellte sich zu ihm. Juka war wohl noch irgendwo unterwegs. „Was is los Fabi?“ Er biss sich heftig auf die Unterlippe. Reden war noch nie seine Stärke gewesen. Doch er konnte sich nicht mehr zusammenreißen. „Was wäre, wenn ich die Schule einfach schmeiße und hier bleibe? Ich hab keinen Bock zurück zu fliegen.“ Lukas warf seinem jüngeren Bruder einen tadelnden Blick zu. „Es sind nur noch zwei Jahre…meinst du nich, dass das zu schaffen is? Dir stehen dann viel mehr Wege offen. Isses wegen Miyavi?“ Jetzt kamen doch diese beschissenen Tränen. „Es is wegen allem…dir, Miyavi…hier isses einfach besser…aber was erwarte ich mir von dieser Geschichte eigentlich? Für ihn bin ich doch nur sein Betthäschen…ich meine der Kerl is der Wahnsinn, warum sollte er sich ausgerechnet für mich entscheiden?“, schluchzte Fabi und Lukas legte seinen Arm um ihn. „Weil die Liebe manchmal seltsame Wege geht Süßer…und das lass mal Miyavis Entscheidung sein. Versprich mir, dass du morgen fliegst…“ „Willst du mich loswerden?“ Lukas verdrehte seine Augen. „Nein du Dummkopf, ich will nur nich, dass du dir die Chance auf ein gutes Leben verbaust…und wenn du Ferien hast können wir uns gern sehen. Müssen da ohnehin wieder ein bisschen Musik machen.“ Der Wecker klingelte viel zu früh und Fabi hatte absolut keine Lust aufzustehen. Doch schließlich musste er morgen wieder in der Schule sein. Fuck. Die letzten beiden Tage kamen ihm vor wie ein Traum. Sollte das jetzt einfach vorbei sein? Er quälte sich ins Badezimmer und kochte sich anschließend einen Kaffee. Juka hatte sich noch gestern von ihm verabschiedet, weil er heute sehr früh weg musste. Sein Bruder brachte ihn noch zum Flughafen. Sie redeten nicht sonderlich viel miteinander und Fabi kämpfte mit seinen Gefühlen. Wie um alles in der Welt sollte er es jetzt ohne Miyavi aushalten? Wenn er an gestern dachte und seine Hände noch immer auf seinem Körper spürte wurde ihm ganz anders. Noch nie hatte jemand ein solches Gefühl in ihm ausgelöst. Und er wollte definitiv mehr davon, doch wann würden sie sich das nächste Mal sehen? Kurz vorm Check in vernahm er schnelle Schritte hinter sich und dann schien die Welt einen kurzen Moment stehen zu bleiben. Fabis Herz machte einen Sprung. „Puh, gerade noch geschafft. Tut mir leid, ich hab dir gestern nichts gesagt, weil ich es nicht versprechen konnte, aber jetzt bin ich hier.“ „Aber…“, setzte Fabi an, doch ihm fehlten die Worte. Konnte es sein, dass er Miyavi doch mehr am Herzen lag als er geglaubt hatte? Im Flugzeug fiel Fabi tatsächlich in seinen wohlverdienten Schlaf und wachte erst kurz vor der Landung auf. Und der schöne Japaner war noch immer da. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Gemeinsam warteten sie in der Gepäckhalle auf ihre Koffer. Jojo wollte sie in zehn Minuten vom Flughafen abholen. „Sag mal…wo übernachtest du eigentlich?“, fragte Fabi auch um ihn ein bisschen zu necken. Dieser zog die Augenbrauen hoch und seine Lippen umspielte ein süffisantes Lächeln. „Mh…ich könnte mir ja ein Hotel nehmen“, überlegte Miyavi. Fabi konnte nicht anders und musste ihn dauernd anschauen. Dabei hätte er fast seinen Koffer verpasst. Was tat dieser Mann mit ihm. „Naja…du könntest auch bei mir wohnen. Wie lang bleibst du eigentlich und was hast du hier noch zu tun?“ „Wäre eine Option. Ich hab hier noch ein paar Termine und wie hätte ich das zwischen uns am Leben halten sollen, wenn uns tausende von Kilometern trennen.“ Manchmal überrumpelte Fabi diese Direktheit und er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Jojo erwartete die beiden in der Eingangshalle. Sie schien zu wissen, dass Fabi nicht allein kam, denn sogleich begrüßte sie den dunklen Prinzen mit offenen Armen. Völlig erledigt brach Fabi auf dem Sofa zusammen. Wo würde Miyavi diese Nacht schlafen? Es gab viele Möglichkeiten, die diese Villa zu bieten hatte. Doch wenn er ehrlich war, kam nur eine einzige infrage. Zumindest für ihn, doch ob das sein Lover genauso sah, bezweifelte er. Immerhin waren sie kein Paar. „Ich glaub ich muss bald pennen geh‘n…muss morgen ja zur Schule. An Schlafplätzen mangelt es hier ja nich…“ „Okay. Ich muss ohnehin noch ein bisschen arbeiten. Dann schlaf gut Süßer“, hauchte ihm Miyavi zu und küsste ihn. Nur ungern trennte sich Fabi jetzt, doch es musste sein, denn sonst würde er diese Nacht vermutlich keinen Schlaf bekommen. Kapitel 82: Einen Schritt weiter? --------------------------------- Die Schule war alles andere als aufregend und jede Stunde zog sich elendig lange hin. In der Pause tauschten sich seine Klassenkameraden über die Ferien aus und darüber, wie toll ihre Neujahrspartys doch gewesen waren. Lisa, ein Gothicmädel aus Fabis Klasse fragte auch ihn nach seinen Ferien. „Was? Ähm sorry, war in Gedanken…ich war in Tokio bei meinem Bruder. Nichts Spannendes halt.“ „In Tokio und nicht spannend? Ey Fabi…wie kann es da nicht spannend sein! Erzähl mir mehr“, forderte ihn das Mädchen auf und rückte ihm für seinen Geschmack viel zu nahe. Fabi kam nicht zum ersten Mal der Gedanke, dass Lisa vermutlich auf ihn stand. „Naja…mein Bruder wohnt da halt und in seinem Haus haben wir gefeiert. Viel von der Stadt hab ich auch gar nich geseh’n…war nur zwei Tage da.“ „Voll krass. Und dein Bruder, wohnt er da alleine?“ „Nee mit seinem Freund und zusammen haben sie dort ne Plattenfirma.“ „Abgefahren. Hast du nicht Mal gesagt ihr habt eine Band?“ „Mh, Nocturna, falls dir das was sagt?“ Lisa nickte aufgeregt. „Klar kenn ich die…der Sänger ist ziemlich abgedreht…und wie er immer mit dem Gitarristen flirtet.“ Fabi musste lachen, denn Lukas Bühnenperformance war in der Tat sehr gewöhnungsbedürftig. Er hatte sich daran gewöhnt nur fragte er sich auch nie, wie das wohl auf das Publikum wirkte. „Ja genau dieser Verrückte is mein Bruderherz…und der Gitarrist sein Mann. Ich bin nur der Keyboarder im Hintergrund.“ „Oha…hätte eher gedacht, dass das so ein Macho ist. Krass. Spielt ihr Mal wieder?“ „Erst mal nehmen wir ein neues Album auf und dann sehen wir weiter…ich halt dich auf dem Laufenden.“ Das Klingeln zum Unterricht unterbrach die Unterhaltung. Noch zwei Stunden. Gott sei Dank. Umso näher das Ende der letzten Stunden kam, desto nervöser wurde Fabi, denn er war nicht sicher, was ihn zu Hause erwarten würde. Doch zu seiner Enttäuschung bekam er den hübschen Japaner kaum zu Gesicht. Nur abends manchmal zum Essen, doch das war’s. Freitag nach der Schule stellte sich Fabi dann einer weiteren unangenehmen Hürde. Er wollte seine Mutter besuchen, ihr zumindest alles Gute im neuen Jahr wünschen und wieder gehen. Er ersparte sich die Mühe die Klingel zu benutzen, da sie ohnehin nicht aufmachen würde. Doch als er die Wohnung betrat, kam ihm ein stechender Geruch entgegen und er hielt sich Mund und Nase zu. „Mutti? Bist du da?“ Er hielt es für hygienischer seine Schuhe anzulassen und ging ins Wohnzimmer. Dort standen Gläser, teils leer und teils noch halb voll. Auf manchen der Flüssigkeiten bildete sich bereits eine pelzige Schicht. Wieder hielt sich Fabi die Hand vor den Mund, um nicht zu würgen. Er überwand all seinen Ekel und sammelte die Gläser ein, um sie in der Küchenspüle auszuleeren. Doch als er die paar Stufen ins nächste Zimmer trat, traf ihn fast der Schlag und nun konnte er sich auch erklären, woher der Gestank kam. Er riss alle Fenster in der Küche auf und schnappte sich einen Müllsack, um dort alle Essensreste dort hinein zu werfen. Zu seinem Glück fand er auch noch ein paar Einweghandschuhe, um diesen Schweinestall zu beseitigen. Fabi brachte fast zwei Stunden damit zu die Küche wieder in einen halbwegs passablen Zustand zu bekommen. Da fiel die Haustür ins Schloss und er wusste nicht ob er sich freuen sollte seine Mutter zu sehen. Sie jedoch schien überglücklich und umarmte ihn liebevoll. Wer weiß, wo sie sich wieder herumgetrieben hatte. Schon früher war es so gewesen, er hatte sich um den Haushalt gekümmert, während sie unterwegs war. Auf Partys, bei ihren Lovern oder sonst wo. „Schön dich zu sehen mein Schatz…oh und du hast aufgeräumt, wie nett von dir. Aber ich bekomm gleich noch Besuch…wenn du verstehst was ich meine“, kicherte sie wie ein kleines Mädchen. „Sag Mal, warst du wenigstens beim Arzt und hast dich untersuchen lassen? Nichts, dass du dir was einfängst.“ Sie winkte ab und zündete sich eine Zigarette an. „Ach Schatz…es gibt doch Verhütungsmittel…keine Sorge.“ Fabi wurde wütend. Wie konnte sie das so auf die leichte Schulter nehmen? Er schnappte sich den Wodka und trank einen großen Schluck. „Als ob du immer daran denkst…scheiße ich mach mir einfach nur Sorgen um dich! Aber das is dir egal…ich hau ab…viel Spaß noch.“ Ohne ein weiteres Wort ließ er seine Mutter stehen und knallte die Wohnungstür hinter sich. Dann fuhr er mit der Bahn zu seiner Lieblingsbar und bestellte Whiskey-Cola. Das frustrierte ihn immer wieder aufs Neue und das mit Miyavi deprimierte ihn genauso. Fast noch schlimmer. Warum hatte er sich die ganze Woche nicht blicken lassen? Wollte er auf einmal doch nichts mehr von ihm wissen? Fabi bestellte sich eine zweite Runde. Und eine dritte, dann war sein Portmonee leer. Na toll. Dann war jetzt wohl Zeit nach Hause zu fahren. Er kickte seine Schuhe in die Flurecke und hängte die Jacke an die Garderobe. Was für ein beschissener Tag. Doch was war das? Ihm stieg ein köstlicher Duft in die Nase und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er heute kaum etwas Nahrhaftes zu sich genommen hatte. Er lugte um die Ecke und erspähte Miyavi am Herd. Seine langen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und seine Garderobe fiel heute sehr schlicht aus. Doch selbst in schwarzer Hippiehose, dem Shirt und der flauschigen Kuschelweste darüber sah er zum Anbeißen aus. Fabi räusperte sich und Miyavi drehte sich um. „Oh, ich hatte schon befürchtet du kommst heute gar nicht mehr. Alles okay? Du siehst mitgenommen aus.“ Fabi zuckte mit den Schultern. „Kein Plan…war nen mieser Tag…“, sagte er ein bisschen zu schnippisch und bereute es sofort. Doch Miyavi schien dies zu ignorieren und kam zu ihm, legte seine Arme um Fabi und gab ihm einen Kuss auf den Mund. „Tut mir leid. Jetzt iss erst Mal was und wie sich der Rest des Abends gestaltet, darfst alleine du entscheiden.“ Noch immer leicht aufgebracht schob Fabi diesen schönen Mann ein Stück von sich. Er konnte nicht anders, er musste sich jetzt Luft machen, musste das klären. „Weißt du…die ganze Woche bekomm ich dich kaum zu Gesicht und jetzt so? Weiß nich, ob ich das kann und darauf dein nur Betthäschen zu sein, hab ich auch keinen Bock mehr.“ Sein Gegenüber erwiderte lange nichts und plötzlich bekam Fabi angst, er könnte ihn verärgert haben. „Gut. Dann frage ich dich, was du dir sonst erhoffst?“ „Weiß nich…ich bin nich der Typ für Affären…ich kann das nich“, stotterte er und wusste, dass sich Miyavi mit dieser Antwort sicher nicht zufrieden gab. „Und was diese Betthäschengeschichte betrifft…Fabi, hast du dich auch nur einmal gefragt, warum ich mit dir mitgekommen bin?“ „Weil du hier sowieso was zu erledigen hast und ich nen netter Zeitvertreib bin.“ „Wenn ich einen netten Zeitvertreib hätte haben wollen wärst sicher nicht du meine erste Wahl.“ Das traf den Jüngeren wie ein Schlag und zwang ihn fast in die Knie. Auch das Wasser sammelte sich in seinen Augen und es schnürte ihm die Kehle zu. Hieß das, er war nicht mal das? Nicht mal ein netter Zeitvertreib? Verflucht, wie hätte er das auch jemals denken können. „Dann geh doch…sicher kennst du hier jede Menge Typen, die es mehr bringen als ich…“, flüsterte er und spürte jetzt doch die Tränen, die in ihm aufstiegen. So fühlte es sich also an, wenn einem das Herz gebrochen wurde. Definitiv eine Erfahrung, die er nicht all zu oft machen musste. Plötzlich spürte er Miyavis Hände auf seinen Schultern ruhen. Was sollte das jetzt werden? „Ich habe mich vermutlich ein bisschen unglücklich ausgedrückt. Was ich damit sagen wollte ist, dass ich nicht an einem netten Zeitvertreib interessiert bin sondern an dir Dummerchen. Ja, ich habe hier noch einiges zu tun, aber in erster Linie bin ich deinetwegen hier und es tut mir leid, dass ich den Anschein erweckt habe, mein Interesse dir gegenüber hätte sich geändert.“ Und zum zweiten Mal an diesem Abend wurde Fabi überrascht. Was hatte das zu bedeuten? So langsam wurde ihm schwindelig, denn dieses hin und her in seinem Kopf verursachte schon fast ein Schleudertrauma. „Und was heißt das jetzt für uns?“, fragte Fabi dann vorsichtig. „Glaub doch nicht, dass du der einzige von uns beiden bist, der fast wahnsinnig dabei wird, wenn wir uns küssen. Fabi, ich drehe beinahe durch, wenn du mich berührst…verstehe das bitte nicht falsch, du gibst noch immer das Tempo vor, aber ich liebe es von dir angefasst zu werden.“ „Wow…ich weiß nich…aber…aber warum haben wir dann nur ne Affäre?“ „Weile eine Beziehung ein gewagter Schritt ist und ich wollte nicht, dass du dich bedrängt fühlst. Möchtest du denn mit mir zusammen sein?“ Tränen rannen nun doch seinen Wangen herab und ihm fiel ein Stein vom Herzen. Die ganze Zeit hatte er geglaubt Miyavi wäre nicht an ihm interessiert, dabei schien genau das Gegenteil der Fall zu sein. Nach diesem beschissenen Tag hatte Fabi nicht mehr an einen so schönen Abend geglaubt. Er wischte sich die Tränen weg, doch es kamen sofort neue. „Sorry…aber ich glaub du hast gerade meine Tag gerettet…ich würde sehr gern mit dir zusammen sein…scheiße, ich komm mir gerade vor wie der letzte Vollidiot.“ Miyavi lachte und küsste seine Tränen weg. „Rede keinen Blödsinn. Und jetzt musst du etwas essen. Ich wusste nicht was du trinken magst.“ „Ein warmer Tee wäre super.“ Wieder umspielte dieses amüsierte um Lächeln Miyavis Lippen. „Sag bloß ich hab positiven Einfluss auf deinen Alkoholkonsum?“ „Naja…immerhin hab ich vorhin drei Rum-Cola getrunken…glaub das reicht für heute.“ Das Essen war köstlich und Fabi könnte sich durchaus daran gewöhnen. Sein Liebster hatte irgendwas mit Kokossauce gezaubert und durchaus hatte Fabi darüber nachgedacht auf Fleisch zu verzichten und das nicht nur um Miyavi zu beeindrucken. Ziemlich vollgefressen räumten sie das Geschirr in die Spülmaschine. „Wo hast du die Woche eigentlich geschlafen?“ Miyavi nickte mit dem Kopf in Richtung der zweiten Tür links. „In Flos altem Zimmer…war irgendwie seltsam.“ „Jetzt, naja…du weißt schon…kannst du auch gern bei mir schlafen.“ „Das klingt verführerisch…was schwebt dir heute noch vor mein Hübscher?“ Für Fabi wurde es immer normaler, wenn ihm Miyavi solche Namen gab. Es fühlte sich sogar ziemlich gut an. „Ich mag noch eine rauchen geh‘n und dann…dann kannst du mit mir tun, was du willst.“ „Sowas solltest du nicht so leichtfertig sagen…aber gut.“ „Miyavi…isses okay, wenn ich‘s Lukas erzähle? Glaub er hat sich letzte Woche ein bissl Sorgen gemacht.“ „Klar.“ Fabi war noch immer völlig durch den Wind. Wow, das war ja schneller als erwartet passiert. Doch er konnte sich noch immer nicht vorstellen, was Miyavi gerade an ihm fand. Zweifel stiegen erneut in ihm auf. Andererseits glaubte er auch nicht, dass der schöne Japaner ihn anlügen würde. Sollte er ihn vielleicht danach fragen? Aber kam das dann nicht ein bisschen blöd? Verdammt, es war zum Mäuse melken. In seinem Zimmer stand der Tee schon bereit und auch Miyavi ließ nicht lange auf sich warten. Doch zog er die Stirn sogleich in Falten und warf ihm einen fragenden Blick zu. „Fabi, was bedrückt dich?“ Der Jüngere seufzte lauter als beabsichtigt. „Keine Ahnung, wie ich das sagen soll…ich kann nich gut reden oder meine Probleme ansprechen.“ „Dann versuch es“, bat ihn Miyavi und ließ sich neben Fabi auf’s Bett nieder. Mann es war nahezu unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen, wenn er ihn so ansah. „Warum ich? Nich, dass ich es nich will…aber ich wusste bis vor kurzem nich Mal, dass ich auf Männer stehe.“ Jetzt wurden seine Gesichtszüge weicher und seine Hand streifte Fabis Wange. „Dir scheint das sehr wichtig zu sein, na schön. Aber bitte nimm mir das nicht übel…ich fürchte ich habe eine Schwäche für jüngere, süße Jungs.“ „Also bin ich nich der erste, der sich von dir verführen lässt?“, fragte Fabi ein bisschen enttäuscht. „Der erste bestimmt nicht, aber vor dir hatte ich immer Partner die auf demselben Stand wie ich waren. Aber ich hatte noch keinen Freund, der so viel jünger ist als ich und zudem noch fast jungfräulich, was die Liebe unter Männern angeht.“ „Wow und ich dachte schon, du vergnügst dich hauptsächlich mit Jüngeren.“ „Nein, vor dir war ich mir nicht einmal darüber im Klaren. Doch ich hab dich gesehen und…was soll ich sagen, du hast mich fasziniert. Ist die Antwort ausführlich genug?“ Fabi nickte und seine Wangen brannten noch immer vor Scham. „Ich bin nur echt irgendwie…naja unsicher…weil du jeden haben könntest.“ Etwas belustigt verdrehte Miyavi die Augen. „Ich will aber dich Fabi und keinen anderen. Da können mir noch so viele Typen nachrennen und jetzt hör auf dir deinen hübschen Kopf über solchen Unfug zu zerbrechen.“ Etwas stürmisch wurde er geküsst und schon umfing ihn dieses vertraute Gefühl. Fabi vergriff sich an dem Reisverschluss von Miyavis Weste und zog sie ihm aus. Doch immer wenn er dachte, sein hübscher Japaner könnte nicht noch besser aussehen, überzeugte er ihn vom Gegenteil. Das Oberteil war nicht nur an den Ärmeln transparent, sondern auch am Rest des Körpers. Fabi schaute seinen Liebsten an und küsste ihn wieder. Langsam schob er Miyavis Oberteil nach oben und über seinen Kopf. Wieder betrachtete er den schönen Japaner, war dennoch ein bisschen unsicher, was er mit ihm anstellen sollte. Dies schien auch der Ältere zu bemerken und zog elegant seine Hose aus. Schon allein der Anblick versetze Fabi fast ins Aus. Sein Herz pochte wild, als Miyavi seine Hände ergriff und diese langsam an seinem Körper entlangführte. Da schöpfte er plötzlich neuen Mut, weil er nicht als Idiot des Abends dastehen wollte und entledigte sich ebenfalls seiner Klamotten. Bis auf die Unterhose. Miyavi warf ihm ein verführerisches Grinsen zu. Fabi wünschte sich gerade jetzt für einen Moment Lukas zu sein, denn der fackelte bestimmt nicht lange. Doch während er so dachte, lagen Miyavis Lippen schon wieder auf seinen eigenen und Fabi keuchte kurz. Er wollte so gern mehr, doch kam er sich so dumm und unbeholfen vor. Sein Liebster sollte doch auch endlich Mal auf seine Kosten kommen. Deshalb ließ er endlich los und ließ seine Hand zwischen Miyavis Beine gleiten. Es turnte ihn ziemlich an, diesen schönen Mann zu berühren. Aber er wollte noch mehr mit ihm anstellen. „Willst du nen Blowjob?“ „Nichts lieber als das“, hauchte ihm Miyavi ins Ohr und Fabi erschauderte kurz weil diese Worte so viel mit ihm machten. Noch nie hatte er sich auf sexueller Ebene so zu einem Menschen hingezogen gefühlt. Er küsste den schönen Japaner am Hals entlang abwärts und stockte kurz. Er war einem anderen Mann noch nie so nahe gewesen. Seine Zunge umspielte die Eichel und dann nahm er Miyavis bestes Stück ganz in den Mund. Verflucht, fühlte sich das erotisch an und auch dem anderen schien es zu gefallen, denn ihm entfuhr ein kehliges Stöhnen. Fabi setzte immer wieder seine Zunge ein und hielt dann wieder inne. „Isses okay so?“ „Ja, mach weiter…ein bisschen schneller vielleicht.“ Fabi kam Miyavis Bitte nach und noch bevor er sich über den Abschluss seiner Tat Gedanken machen konnte, ergoss sich Miyavi in seinem Mund. Nicht, dass es schlimm war, nur ungewohnt, etwas seltsam und warm. Fabi spülte mit einem Schluck Tee nach und ihm entging der amüsierte Ausdruck des Älteren nicht. „Machst du dich etwa lustig?“ „Niemals…ich hab mich nich gefragt, ob ich dich warnen soll…allerdings wollte ich deine Reaktion sehen…tut mir leid.“ „Mhh“, grummelte Fabi. „Oh, hab ich jetzt die Stimmung versaut? Kann ich’s wieder gut machen?“ „Ich möchte wissen, wie es sich anfühlt Miyavi…bitte.“ „Sicher?“ Fabi nickte und Miyavi zauberte irgendwoher Gleitgel. Er verrieb einen Klecks auf Fabis Penis und legte sich breitbeinig vor ihn. „Aber ich dachte…“, stotterte der Jüngere. „Ist okay Süßer…das andere kommt wann anders.“ Wieder setzten die Hitze und das Herzklopfen ein, doch der hübsche Japaner half ihm. Und dann passierte es fast von alleine, er glitt hinein und Miyavi bäumte sich unter ihm auf. Verdammt es fühlte sich schon fast zu gut an und Fabi war nicht sicher, wie lange er das durchhalten würde. Seine Stöße wurden fast automatisch schneller. „Ich...glaub…ich kann nich…länger“, keuchte er und sein Lover gab ihm zu verstehen, dass es in Ordnung ist. Völlig benommen sank Fabi in die Kissen. „Ach du scheiße…es is echt verdammt geil.“ Miyavi beugte sich zu ihm herab, um ihn zu küssen. „Freut mich wenn es dir gefallen hat.“ Kapitel 83: Seelenschmerz ------------------------- Diese märchenhafte Idylle verging nur leider viel zu schnell, weil Miyavi zurück nach Tokio musste und es war nicht ganz klar, wann sich die beiden wiedersehen würden. Fabi verging schon jetzt fast vor Sehnsucht und auch, wenn er regelmäßig mit Miyavi skypte, zerriss ihn dieses Gefühl fast. Doch etwas Gutes hatte das ganze, Fabi konzentrierte sich voll auf die Schule, damit er etwas zu tun hatte. Er versuchte ein bisschen an seinem Aussehen zu arbeiten und kreierte seinen eigenen Stil. Ab und zu verabredete er sich mit Jule und Basti, die mittlerweile sowas wie ein Paar waren oder jammte mit Basti im Proberaum. Der Frühling kam und ging, doch Miyavi musste in Tokio noch immer die Stellung halten. Lisa und ein paar andere aus seiner Klasse nervten ihn zum hundertsten Mal, dass sie unbedingt Mal was zusammen unternehmen mussten. Obwohl Fabi nicht so richtig Lust hatte, willigte er schließlich doch ein. Tom schlug einen Kinobesuch vor, da Guardians of the Galaxy 2 gerade lief. Naja, das konnte vielleicht ganz witzig werden. Fabi holte Popcorn und Cola. Lisa platzierte sich neben ihn und naschte von seinem Eimer. Innerlich verdrehte Fabi die Augen, denn das nervte ihn tierisch. Warum ließ er nicht einfach die Katze aus dem Sack? Wovor fürchtete er sich? Dass seine Klassenkameraden ihn als Schwuchtel beschimpften? Wenn er ehrlich war, traf das schon irgendwie zu. Deshalb hielt er seinen Mund. Doch entzog er sich weiterer Annährungsversuche, aber Lisa schien hartnäckig zu sein. Irgendwann versuchte sie ihre Hand mit seiner zu verflechten, aber Fabi tat fast beiläufig so, als müsste er kurz auf sein Handy schauen. Naja, wenn er schon dabei war, schickte er Miyavi ein Herz und hoffte Lisa bekam das mit. Echt kitschig und sonst nicht seine Art, doch manchmal musste das sein. Der Film war sonst sehr amüsant und danach wollten die Freunde noch was trinken gehen. Fabi schloss sich wohl oder übel an, simste allerdings nebenher mit Miyavi und weihte ihn ein. Dieser jedoch schien sich herzlich zu amüsieren und bedauerte es nicht da zu sein, denn dann hätte er seinem liebsten aus der Patsche helfen können. „Fabi, du sagst ja gar nichts. Mit wem schreibst du außerdem dauernd?“, fragte Lisa und rückte ihm schon wieder gefährlich nahe auf die Pelle. „Was geht dich das denn an?“, gab er genervt zurück und holte sich einen Jacky-Cola. Doch das machte die Situation keinesfalls besser. Er verspürte kaum Lust sich am Gespräch seiner Klassenkameraden zu beteiligen und außerdem vermisste er Miyavi. „Jetzt sei mal nicht so ein Griesgram. Erzähl uns lieber was von dir.“ Fabi zuckte mit den Schultern und trank einen Schluck. „Was willst du denn wissen? So viel gibt’s da gar nich.“ „Hast du eigentlich eine Freundin?“ Shit, das musste ja früher oder später kommen, wenn der Alkohol floss. „Lisa, jetzt hör Mal zu…egal ob ich eine hab oder nich, ich bin nich an dir interessiert okay? Also hör auf die ganze Zeit mit mir zu flirten! Das nervt.“ Fabi war selbst etwas überrascht, wie aufbrausend er auf einmal war. Danach stand er auf und ging nach Hause. Endlich standen die rettenden Sommerferien vor der Tür und für Fabi gab es nur eine Möglichkeit, wo er diese verbringen würde. Den Flug hatte er schon vor Monaten gebucht. Es tat gut auch Lukas wiederzusehen, denn auch sein Bruder hatte ihm gefehlt. Lukas meinte, dass Miyavi in seiner Wohnung schon auf Fabi warten würde. Dieser konnte es kaum mehr abwarten. Die beiden Japaner vertrieben sich auf der sonnigen Terrasse die Zeit und Fabi stand wie angewurzelt im Wohnzimmer und beobachtete Miyavi von dort aus. Eine Hand auf seiner Schulter ließ ihn zusammenzucken. „Willst du nich zu ihm gehen?“ „Schon…“ Doch als hätte er Fabis Anwesenheit gespürt, erhob sich Miyavi. Die schwarze Glitzerhotpan verbarg nur soviel wie nötig und auch das Top verdeckte nur den Brustbereich des schönen Japaners. Eine schwarze Stoffweste mit Fransen rundeten dieses völlig skurrile Outfit ab. Ein Teil seiner Haare waren einem Knoten zusammengebunden und der Rest fiel ihm locker über die Schultern und den Oberkörper. Fabi wurde von Miyavi umarmt und schon schoss ihm diese Leidenschaft durch den Körper. Ohne auch nur weiter drüber nachzudenken, zog er seinen liebsten in sein Zimmer und hielt dann Inne, weil er sich ein bisschen vor sich selbst genierte. Doch Miyavi schien das amüsant zu finden. „Willst du mich verführen?“ Fabi zuckte etwas verlegen mit den Schultern, doch dann spürte er schon Miyavis Lippen auf seinen und das stachelte ihn wieder an, denn er konnte diesem schönen Mann nicht zu lange wiederstehen. Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis sie nackt übereinanderlagen und Miyavis Hände Fabis Körper erkundeten. Doch der Sex dieses Mal war anders, irgendwie intensiver und der hübsche Japaner übernahm den dominanten Part, was Fabi nicht unbedingt missfiel. Verschwitzt und ein bisschen außer Puste lagen die beiden jetzt nebeneinander und Miyavi stützte seinen Kopf ab und sah zu Fabi hinab. „Wir sollten uns öfter nicht sehen, wenn du das solche Auswirkungen auf dich hat“ scherzte Miyavi, doch Fabi trafen diese Worte mehr als vielleicht beabsichtigt. Er seufzte tief und augenblicklich kippte seine Stimmung. „Ich fürchte nur, so kann ich keine Beziehung führen…so lang von dir getrennt zu sein war echt hart.“ „Jetzt haben wir erst Mal sechs Wochen Zeit.“ „Und dann? Fliege ich wieder allein zurück? Ich weiß, dass is vielleicht nich fair…aber ich weiß nich, wie ich das durchhalten soll.“ Miyavi legte sich auf den Rücken und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf. Fabis Herz schlug schneller, als er seinen Blick über diesen wunderschönen Körper schweifen ließ. „Willst du damit sagen, du vertraust mir nicht?“ „Nein…es is nur…ihr seid alle hier und zu Hause isses so einsam. Basti hängt jetzt dauernd mit Jule rum und ich hab das Gefühl die haben nur sich im Kopf…da fühl ich mich so allein.“ „Kannst du nicht wenigstens versuchen den Moment zu genießen?“ „Irgendwie gerade nich, bevor ich darüber geredet habe…keine Ahnung ob du überhaupt verstehen kannst, was ich damit meine…nich mal meine Mutter will mich sehen, hat nur ihre Typen im Schädel.“ „Süßer wir bekommen das hin, versprochen. Ich habe jetzt soweit alles geregelt, nur meine Kollegin ist schwanger und alles kam etwas eher als erwartet, da musste ich erst mal jemanden finden, der den Laden schmeißen könnte wenn ich weg bin. Das geht leider nicht von heute auf morgen. Aber jetzt ist alles save.“ „Mhh verstehe, aber du hast mir Dinge versprochen und naja…glaubst du immer noch, dass wir das alles so verwirklichen können?“ Jetzt wurde der Gesichtsausdruck von Miyavi ernster. „Das bedeutet also doch, du vertraust mir nicht? Dieses Thema hatten wir doch schon, dachte ich zumindest.“ Fabi spürte wieder diesen Kloß im Hals und wusste nicht so recht, wie er sich aus dieser Misere wieder herauswinden konnte. Natürlich vertraute er Miyavi, das war gar nicht das Problem. „Ich vertraue dir…ganz sicher nur…wie soll ich sagen…glaub mich wurmt was anderes…“ „Aber du kannst es mir nicht sagen?“, hakte der Ältere weiter nach und Fabi schoss wieder Mal die Röte ins Gesicht. „Es is mir unangenehm…“ Plötzlich erhob sich Miyavi und schlüpfte wieder in seine Klamotten. Fabis Magen schnürte sich zusammen. „Ich muss noch Mal los…Haruto gibt heut eine Party, vielleicht sehen wir uns dort.“ Er drückte Fabi einen Kuss auf die Wange und verschwand. Dann zog auch Fabi seine Klamotten wieder an und schlurfte ins Wohnzimmer. Seine Augen suchten den Raum ab, bis er fand, was er suchte. Lukas sah fast so aus als wäre er in der Sonne eingeschlafen, doch als der Jüngere zu ihm trat, schob dieser seine Sonnenbrille ein Stück auf die Nase vor und musterte ihn. „Na dein Willkommenssex scheint ja nich so toll gewesen zu sein.“ „Halt bloß die Klappe…kann ich mit dir reden?“ „Immer doch mein Schatz…schieß los.“ Sein Bruder zündete sich eine Zigarette an und bot auch Fabi eine an. „Isses dir damals schwer gefallen dir einzugestehen, dass du auf Männer stehst?“ „Mhh…ich glaub ich war da eher offen. Mich hat es halt selten interessiert, was andere von mir denken.“ „Und deine Klassenkameraden? Haben die das nich mitbekommen?“ Lukas zuckte mit den Schultern und nahm einen tiefen Zug. „Kann ich grad gar nich sagen…da gab es das eine Mädel, das immer was von mir wollte…und der hab ich irgendwann ne ordentliche Abfuhr erteilt, weil‘s mich tierisch genervt hat. Aber sonst war mir das echt egal.“ „Glaub das unterscheidet uns…ich kann es nich ganz abschalten und denke manchmal schon, dass ich von anderen verachtet werden könnte, weil ich auf Männer stehe.“ „Liebst du Miyavi?“ „Schätze irgendwie schon…zumindest hatte ich solche Gefühle vorher noch nie.“ „Dann rede mit ihm darüber Fabi, er wird dir schon nich den Kopf abreißen.“ „Geht ihr zu Harutos Party heut?“ Lukas nickte. „Hast du vielleicht ein paar Klamotten für mich? Weißt ja, ich bin da manchmal etwas unbeholfen.“ Fabi ließ sich von seinem älteren Bruder beraten und durfte sich an dessen Kleiderschrank bedienen. Er entschied sich für das transparente Top und eine knielange Shorts. Lukas gab ihm noch den einen oder anderen Schminktipp und dann fuhren sie auch schon los. Fabi musste sich erst an sein neues ich gewöhnen, doch nach einer Weile fühlte er sich gut. Er suchte in der Menge nach dem großen schlanken Japaner mit den langen schwarzen Haaren, doch der war nirgends zu sehen. Wieder verstärkte sich dieses bedrückende Gefühl in seiner Magengegend. Also holte sich Fabi einen Drink und gesellte sich zu Lukas. Doch fiel es ihm schwer sich am Gespräch zu beteiligen, weil sein Blick immer wieder suchend in der Menge verschwand und als nach einer Stunde noch immer kein Miyavi aufgetaucht war, verlor Fabi die Hoffnung, dass er überhaupt noch kommen würde. Er leerte sein Bier, drehte sich um, weil er sich ein neues Getränk holen wollte, da umfingen ihn auf einmal zwei Arme. „Kommst du mit zum Pool raus?“, fragte ihn Miyavi und Fabi willigte ein, nicht ohne sich noch ein Bier zu holen. Sie ließen sich am Beckenrand nieder und baumelten die Füße ins Wasser. Miyavi hatte seine Hotpan von heute Nachmittag gegen einen Rock eingetauscht, der bis zum Boden reichte und an den Seiten einen Schlitz hatte, der seine langen Beine entblößte. „Geht’s dir gut?“ Sein schöner Japaner zuckte mit den Schultern und dann erst bemerkte er das Cocktailglas. Normalerweise trank Miyavi nie Alkohol oder war das ein alkoholfreier Drink? „Naja…ich glaube wir sollten reden. Ich habe heute nicht meinen besten Tag…dafür wollte ich mich entschuldigen.“ „Schon okay…was trinkst du da eigentlich?“ „Gin Tonic.“ „Hab ich dich jetzt etwa doch zum trinken animiert?“ Ein kurzes Lächeln huschte über Miyavis Lippen. „Nee…das tue ich eben ein Mal im Jahr…“ „Darf ich den Grund erfahren?“ „Mh, heut ist mein Geburtstag.“ Fabi verschluckte sich an seinem Bier und warf dem Älteren einen überraschten Blick zu. „Und das erfahre ich erst jetzt? Ich meine, ich hätte dich gern mit etwas überrascht oder dir nen Kuchen gebacken oder…“ „Fabi…!“, unterbrach ihn der Ältere. „Ich habe es dir absichtlich verheimlicht, weil ich diesen Tag nicht besonders mag…es erinnert mich an eine Zeit zurück, an die ich nicht erinnert werden möchte.“ „O-kay…willst du mir mehr darüber erzählen?“ „Eigentlich nicht, aber ich glaube es wäre besser, wenn ich das tue. Weißt du, meine Eltern sind, wie soll ich sagen…wir hatten früher immer Hasen und meine Eltern haben mich immer an meinem Geburtstag gezwungen bei der Schlachtung zuzuschauen und meine Hasen dann zu essen. Ist vielleicht nichts Ungewöhnliches denkst du dir jetzt, aber sie haben das schon fast böswillig zelebriert. Und je älter ich wurde, desto mehr wehrte ich mich gegen diese Lebensweise. Damit kamen meine Eltern nicht klar und auch nicht damit, dass ich schwul bin. Ich denke halt nicht gern daran. Naja und von da an weigerten sich weder mein Vater noch meine Mutter noch Zeit mit mir zu verbringen. Geburtstage oder sowas gab es dann praktisch nicht mehr. An diesem Tag fuhren sie immer weg und ließen mich alleine. Deshalb mag ich meinen Geburtstag nicht.“ Fabi rutschte etwas näher zu seinem Freund. „Das tut mir leid…kann ich irgendwas machen, dass es dir besser geht?“ Miyavi warf seinen Kopf in den Nacken und schaute zu Fabi herüber. „Fabi, ich weiß du denkst ich bin makellos, doch das bin ich nicht. Gelegentlich holt auch mich meine Vergangenheit ein und ich bin nicht besonders gut darin mich anderen zu öffnen…zumindest was dieses Thema betrifft.“ Das war seine Chance Miyavi ein bisschen näher zu kommen, ohne sich wie der letzte Trottel zu fühlen. „Du musst nich drüber reden wenn du nich willst…mit beschissenen Familienverhältnissen kenn ich mich auch aus. Naja und irgendwie schön, dass du’s mir erzählt hast…ich dacht schon, ich hab was falsch gemacht.“ Miyavi schüttelte mit dem Kopf und zog Fabi auf seinen Schoß. „Nee, alles gut…“ „Was machen wir heute noch?“ „Keine Ahnung…ich fürchte ich bin ziemlich betrunken.“ „Das ich das mal erlebe. Was hast du eigentlich unter deinem Rock?“ „Sieh doch nach“, amüsierte sich Miyavi und Fabi fühlte sich sofort wieder stocknüchtern. Er schob den dünnen Stoff etwas zur Seite und musste grinsen, als die goldene Shorts zum Vorschein kam. „Du stehst auf so Glitzerquatsch oder?“ „Manchmal ein bisschen…ich würde dich gern küssen.“ „Mach doch.“ Fabi musste feststellen, dass Miyavi wirklich mehr als betrunken war, doch wich er nicht von dessen Seite, aus Angst er könnte irgendeine Dummheit anstellen. Später brachte Fabi ihn nach Hause und überlegte, ob er gehen oder bleiben sollte, entschloss sich letztendlich für letzteres. Am nächsten Morgen wachte Fabi recht zeitig auf und beschloss seinen hübschen Japaner zu überraschen. Er googelte nach einem veganen Kuchenrezept und versuchte sich in der fremden Küche zu orientieren. Dummerweise waren alle Aufschriften der Verpackungen auf Japanisch. Logisch. Doch als er diese näher inspizierte und auch das eine oder andere probierte, fand er alle Zutaten für einen Schokokuchen. Fabi vermischte die Zutaten in der Schüssel und heizte den Ofen vor. „Wenn das mal gut geht“, murmelte er zu sich selbst. Da er kein Blech fand, beschloss er die Teigmasse einfach in eine Auflaufform zu gießen. Und ab in den Ofen. Miyavi schlief noch immer, als er vorsichtig ins Schlafzimmer spähte. Naja, bei dem, was er alles getrunken hatte, musste er seinen Rausch wohl ausschlafen. Da überkam den Jüngeren auf einmal ein unschöner Gedanke, wenn Miyavi erst mit irgendwem getrunken hatte, musste er ja vorher noch woanders gewesen sein. Was war, wenn das nicht nur ein Trinkkumpane gewesen ist? Abgesehen davon kam ihm sein eigenes Problem wieder in den Sinn, was war, wenn er nie zu dieser Art von Beziehung stehen konnte? Betrübt ließ er sich am Küchenschrank vor dem Ofen niedersinken. Fabi verfluchte sich selbst für seine Gedanken und wünschte sich mehr denn je er könnte ein bisschen mehr wie Lukas sein. Den interessierte es nun Mal nicht, was andere von ihm dachten. Bisher hatten sie ja auch nur sehr einseitigen Sex gehabt, weil Fabi nicht wusste, ob er wirklich wollte, dass Miyavi so weit ging. Oder doch? Er griff sich verzweifelt ins Haar und fluchte vor sich hin. Nach einer halben Stunde war der Kuchen laut Rezept fertig und Fabi holte ihn aus dem Ofen. Da vernahm er Schritte und schaute etwas schüchtern zu Miyavi hoch, als er die Küche betrat. Naja immerhin trug er seine goldene Boxershorts. „Hast du mir ernsthaft einen Kuchen gebacken?“ fragte dieser angenehm überrascht. Fabi stieg eine leichte Röte ins Gesicht. „Naja, irgendwie schon…“ „Du bist süß. Danke…gibt’s den jetzt zum Frühstück?“ „Klar, hoffe nur, er is was geworden.“ Das Essen verlief recht schweigsam und Miyavi machte sich nicht die Mühe etwas anzuziehen. Fabi ließ dieser Anblick nicht kalt, doch wusste er auch nicht, ob er die Initiative ergreifen sollte. Schließlich wollte er ja nichts tun, was er später bereuen würde. „Dein Kuchen ist himmlisch Fabi…ich danke dir, ist lange her, dass mir jemand eine Freude gemacht hat. Ich geh kurz duschen. Lukas hat vorhin angerufen, du kannst ihn ja fragen, was er wollte.“ Miyavi hauchte Fabi einen Kuss auf die Stirn und verschwand im Badezimmer. Kurze Zeit später vernahm der Jüngere das Rauschen des Wassers. Irgendwie lief das gerade alles nicht so, wie er sich das gewünscht hätte. Lukas wollte im Studio eine Bandsitzung einberufen, naja immerhin lenkte das ab. Die beiden Jungs machten sich fertig und fuhren zum Studio. Dort erwartete sie eine große Überraschung. Naja vielleicht war diese Überraschung wohl für Fabi und Lukas sehr bewegend, denn im Studio warteten Toshiya und Shinya von Dir en Grey. Sie begrüßten die Jungs mit einem Handschlag und Juka unterbreitete der Band seine Idee, dass er gerne am neuen Nocturna Album weiterarbeiten würde und so schnell einen Bassisten sowie einen Schlagzeuger organisieren musste. Die Jungs hatten gerade nicht viel tun und würden gerne für dieses Nebenprojekt hilfreich zur Seite stehen. Lukas schien völlig aus dem Häuschen und unterhielt sich sogleich mit Shinya. Fabi blieb wie immer im Hintergrund, doch der schöne Gitarrist mit den langen schwarzen Haaren konnte er nicht mehr aus den Augen lassen. Miyavi war ihm gerade ferner denn je und er wusste nicht, wie er ihn wiederholen konnte. Was lief hier gerade so falsch? Auch das elektrisierende Zusammenspiel zwischen Bassist und Gitarrist entging Fabi nicht und er spürte diesen stechenden Schmerz in der Brust. Nach der Probe blieben sie noch im Studio und begossen diesen erfolgreichen Tag. Nicht einmal Lukas schien in seiner Euphorie zu merken, wie schlecht es seinem kleinen Bruder erging. Doch wozu gab es Alkohol? Und der floss reichlich. Plötzlich tauchte Miyavi neben Fabi auf und legte sein Arm um dessen Schulter. „Alles okay?“ Der jüngere schüttelte heftig mit dem Kopf. Da wurde er gegen seinen Willen mit vor den Proberaum gezogen. Sein schöner Japaner warf ihm einen fragenden Blick zu und Fabi versuchte sein Gleichgewicht zu behalten. Es begann leicht zu tröpfeln. „Du hast gesagt, wir geh‘n das langsam an…doch du hast heut nichts Besseres zu tun gehabt als mit dem Dir en Grey Bassisten zu flirten…meinst du das find ich cool?“ „Bitte was? Toshi und ich sind alte Freunde Fabi…wir haben früher oft zusammen gespielt.“ „Naja umso besser…ich kann dir eh nie geben, was du willst…kann mir ja nich mal selbst eingestehen, ob ich auf Männer stehe oder nich.“ „Fabi bitte…belüge dich nicht selbst. Ich habe gesehen, was du wirklich fühlst. Warum verleugnest du das jetzt?“ „Weil ich so bin Miyavi und erzähl mir doch nich, dass dich das erfüllt.“ „Aber ich würde mir wünschen, dass es funktioniert und ich gebe dir die Zeit, die du brauchst.“ „Ich brauch keine Zeit…ich bin einfach zu feige, kapierst du das? Ich kann nich über meinen Schatten springen.“ Wäre der langhaarige gerade in einer besseren Verfassung gewesen, hätten ihm Fabis Worte womöglich nicht derart getroffen, doch heute überspannte das all seine Kräfte und er kehrte dem Jüngeren einfach den Rücken und rannte weg. Wie auch hatte er glauben können, dass ausgerechnet Fabi mit ihm zusammen sein will? Kapitel 84: Immer diese Exfreunde --------------------------------- Fabi verkroch sich in seinem Zimmer und kam nur zum Essen oder Duschen raus. Allerdings wusste er auch, dass sein Bruder ihn nicht ewig in Ruhe ließ. Gerade wollte Fabi eine Zigarette rauchen, weil er glaubte Lukas und Juka wären unterwegs, da umfingen ihn zwei Arme von hinten. Das ließ ihn so zusammenzucken, dass seine Zigarette auf den Boden fiel. „Redest du endlich mit mir?“, fragte der Ältere mit sanfter Stimme. Doch Fabi schüttelte heftig mit dem Kopf. „Es geht nich Lukas, alles wird zu viel und ich kann das alles nich…Miyavi is toll und so, aber ich verdiene ihn nich…ich hab nich das Recht von ihm zu verlangen, dass er ewig auf mich warten soll.“ „Auf was kann er denn nicht ewig warten? Du musst dich schon klarer ausdrücken.“ Fabi seufzte und unterdrückte die sich anbahnende Gefühlswelle. „Es is immer noch dasselbe…ich meine wir haben miteinander geschlafen…das heißt ich mit ihm…anders wollt ich das bisher noch nich, weil ich‘s mir einfach nich vorstellen kann…dennoch bringt es mich fast um, wenn ich an ihn denke. Und vor drei Tagen nach der Probe hab ich ihm genau das gesagt…seit dem is Miyavi weg und…und ich hab keine Ahnung was ich tun soll!“, schluchzte er jetzt doch und Lukas zog seinen Bruder in die Arme. „Wenn du Miyavi sehen willst, geh zu Tatsuro…Süßer, wenn du dir keine Klarheit verschaffst wirst du es nie wissen. Ich bin auch nicht sicher, ob es sinnvoll ist dir einen Rat zu geben…dennoch wünsche ich mir, dass du das Richtige tust.“ „Aber was is das Richtige? Ich weiß das ja nich mal selbst.“ Ein tiefer Seufzer entwich Lukas und er nahm Fabis Gesicht zwischen seine Hände. „Dann beantworte mir jetzt ein paar simple Fragen. Wie fühlt es sich an in Miyavis Nähe zu sein?“ „Naja, gut…vielleicht mehr als das…irgendwie wohl…reicht das?“ Lukas nickte nur und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an. „Na schön. Fühlt es sich falsch an wenn er dich küsst?“ „Eigentlich nich…eher fast selbstverständlich…“ „Wie fühlt es sich an, wenn er dich berührt? Und ja, das schließt auch den Sex mit ein.“ Fabi errötete augenblicklich denn schon mit Miyavi war es manchmal ein Kampf über dieses Thema zu reden doch jetzt auch noch mit Lukas? „Naja…weiß nich, eben gut…du weißt das doch selber“, protestierte er und hoffte sich aus der Affäre ziehen zu können. „Natürlich weiß ich das selbst und ich behaupte Mal ganz dreist mein Sexleben ist um Längen besser als deins kleiner Bruder. Du weißt nicht Mal die Hälfte und doch verleugnest du es.“ „Na und? Kann ja nich jeder so offen sein wie du!“ „Darum geht es gar nicht Fabi…außerdem hab ich noch eine letzte Frage an dich. Was fühlst du, wenn du dir vorstellst, Miyavi flirtet in deiner Gegenwart mit einem anderen Typen?“ Und da war er wieder, dieser stechende Schmerz und dieses Mal rang dieser Fabi fast zu Boden, doch Lukas hielt ihn. „Und das mein Schatz ist Liebe…du kannst jetzt weiter Trübsal blasen, dich noch mehr verbarrikadieren und dir einreden, dass du es nicht ertragen würdest, wenn Miyavi dich vögelt oder du gehst zu ihm. Verbaue dir diese Chance nicht.“ Fabi verfluchte Lukas. Aber nur, weil er wieder Mal Recht hatte. Deshalb machte er sich nach vier Tagen auf zu Miyavi und sein Herz rutschte ihm fast in die Hose. Er kannte den Weg zu Tatsuro und hoffte, dass dieser nicht zu Hause war. Doch schon, als er den Klingelknopf betätigt hatte, sprang die Tür fast von allein auf. Die Wohnung lag im selben Viertel wie die von Juka und Lukas, doch war das Haus nicht ganz so groß und auch die Wohnung selbst schien eher schlicht und klein gehalten. „Was willst du denn hier?“ „Ähm…is…Miyavi bei dir?“, fragte Fabi schon fast schüchtern. „Und was wenn ja?“ Fabi vernahm merkwürdige Geräusche aus der Wohnung, doch da er bisher nur bis zur Flurtür gekommen war, blieb ihm die Sicht verwehrt. „Wenn das Fabi ist, sag ihm ich will ihn nicht sehen!“, dröhnte eine Stimme von drinnen und es war nicht allein die Stimme, nein viel mehr die Worte ließen den kleineren zusammenzucken. Er will mich nicht sehen, dachte er bei sich. Doch jetzt war er schon einmal hier. „Hör zu Tatsuro…ich war vielleicht nich ganz fair…aber ich glaube ich muss für ihn kämpfen…“ Augenblicklich änderte sich der Gesichtsausdruck des Freundes von zornig in bemitleidendenswert. „Dann wünsch ich dir viel Glück…vielleicht solltet ihr echt reden. Ich hau für eine Stunde ab.“ Damit verschwand Tatsuro und Fabi fühlte sich noch elender. Mit pochenden Herzen wagte er sich ins Wohnzimmer und dort fand er Miyavi. Doch nicht den Miyavi den er kannte, nein, dieser schien viel mehr von sich preis zu geben und Fabi wusste nicht, ob er das sehen wollte. Selbstgefällig lehnte Miyavi am Sofa und grinste ihn schon fast mit diabolischem Lächeln an. Fabi bekam eine Gänsehaut. „Auf diesen Kerl ist absolut kein Verlass…aber schön, hast du mich etwa vermisst? Oder willst du auf einmal doch mehr?“ Die bittere Enttäuschung in Miyavis Stimme war kaum zu überhören und Fabi hätte sich gewünscht, dass er betrunken gewesen wäre oder sonst was. Doch er schien zu hundert Prozent bei Verstand zu sein und das jagte dem jüngeren eine scheiß Angst ein, denn im sich ausdrücken war er einfach miserabel. „Ich…ich bin nich sicher…du ziehst mich auf eine magische Art und Weise an, die ich nich begreife Miyavi.“ „Und doch bist du zu feige um es herauszufinden…“ „Ja vielleicht…und was wenn nich? Die letzten Tage ohne dich waren grausam.“ „Ach ja? Das kann ich nicht behaupten.“ Fabi merkte, wie seine Hände anfingen zu zittern. Was wollte Miyavi damit andeuten? Die aufsteigende Übelkeit schnürte ihm die Kehle zu. „Was meinst du damit?“, fragte er schließlich, auch wenn er nicht sicher war, ob er die Antwort hören wollte. „Ich fürchte ich hab das zwischen uns kaputt gemacht Süßer…es liegt nicht an dir…die letzten Tage waren einfach zu viel und da ist es passiert.“ Das unschöne Gefühl in Fabis Brust verstärkte sich. „Was ist passiert?“ „Ich war bei meinem Ex…willst du noch mehr wissen?“ Die Übelkeit stieg nach oben und Fabi rannte auf’s Klo. Dort kotzte er sich aus, im wahrsten Sinne des Wortes und dieses flaue Gefühl im Magen nahm allmählich ab. Auch die Tränen brachen jetzt aus ihm heraus und er konnte sich dieser neuen Gefühlswelle nicht mehr entziehen. Miyavi hatte Sex mit seinem Ex gehabt. Einem Ex, dem Fabi vermutlich nie gewachsen sein würde, denn mit seinem Erfahrungen konnte er den schönen Japaner nicht glücklich machen. Fabi war sich nicht sicher, wie lange er sich im Klo eingesperrt hatte, nur bekam er mit, dass Tatsuro wieder da sein musste, denn Miyavi schien mit irgendjemanden zu reden. Ausgelaugt zog sich Fabi hoch und beschloss eine neue Taktik anzuwenden. Ohne große Worte griff er nach Miyavis Hand und zog ihn mit sich. Kapitel 85: 団結しました Danketsu shimashita --------------------------------------- „Lass uns zu dir gehen.“ War das einzige was er gerade herausbrachte. Nach zwanzigminütiger Fahrt mit der Metro, die weitestgehend schweigend verlief kamen sie an Miyavis Wohnung an. Dort kündigte Fabi nur, dass er duschen musste. Alleine. Eine weitere Ewigkeit verging und die Stunde der Wahrheit nahte. Wenn er jetzt alles auf eine Karte setzte, könnte er seinen schönen Japaner vielleicht noch umstimmen. Mit nur einem Handtuch um die Hüften kehrte der jüngere ins Wohnzimmer zurück. Miyavi saß noch immer auf dem Sofa. Wäre Fabi doch nur ein bisschen angetrunken, dann wäre das vielleicht einfacher. Als er sich unmittelbar vor diesem wunderschönen Mann befand, ließ er die Hüllen fallen. Wenn er ihn auch nur ein bisschen attraktiv fand, würde er das jetzt hoffentlich zeigen. „Miyavi…ich find es nich unbedingt toll, dass du deinen Ex gevögelt hast, aber ich hab begriffen, dass ich dich nich so einfach gehen lassen kann…und ja ich hab lang darüber nachgedacht…wenn du mich noch willst…hier bin ich…und stehe dir für alle Schandtaten zur Verfügung.“ Sogleich wurde Fabi näher herangezogen und seine Lippen fanden sich auf denen von Miyavi wieder. Doch dieser Kuss übertraf alles und der jüngere vergaß fast zu atmen. Die Hände seines liebsten glitten an seinen Seiten entlang und diese Berührung ließ ihn aufstöhnen. „Bist du sicher, dass du das willst? Irgendwann wirst du an den Punkt kommen, wo du die Kontrolle verlierst“, hauchte Miyavi in sein Ohr. „Dann lass sie mich verlieren…“ „Verdammt Fabi…du weißt nicht, was du damit anrichtest.“ Miyavi klang auf einmal so anders und irgendwie fühlte Fabi, dass seine Entscheidung vielleicht nicht ganz so dumm gewesen war. „Ich will nich, dass ein anderer Typ dich befriedigen muss…ich allein will das tun Miyavi…“ Der ältere grinste und küsste Fabi wieder. Dieses Mal ließ auch Miyavi seinen kleinen Liebhaber merken, wie besitzergreifend er sein konnte. Seine Lippen trafen die des jüngeren mit voller Härte und Fabi zuckte leicht zusammen, als sich Miyavis Zähne sanft in seine Unterlippe gruben. Doch nicht nur dort hinterließ er Bissspuren. Seine Zunge wanderte am Hals entlang bis hinab zu seinen Brustwarzen. Erneut durchzuckte den kleineren süßer Schmerz, immer dann wenn der schöne Japaner Bisse hinterließ. Miyavi drückte Fabis Schenkel auseinander und küsste den Innenseiten entlang. Langsam vermischten sich Schmerz und Leidenschaft. Allerdings berührte er Fabi zwar an seinen sensiblen Stellen, doch nie dort wo er es am meisten ersehnte. Ihm war, als würde sein Körper mittlerweile vor Hitze glühen. „Willst du noch weiter gehen?“, fragte Miyavi und grinste dabei wieder sehr lüstern. Fabi konnte nur nicken. Da spürte er zwei Finger zwischen seinen Pobacken hinabgleiten bis hin zu seiner Öffnung. Er ahnte, was jetzt kommen würde und schon füllten ihn Miyavis Finger aus, sodass er sich in die Kissen krallte. Immer tiefer und schließlich kam ein zweiter und ein dritter Finger hinzu. Da traf Fabi auf einmal eine Welle der Lust und sein Körper bäumte sich auf. „Oh…fuck…hör bloß nich auf damit…“, keuchte der jüngere. „Glaub mir das hatte ich nicht vor…“ Fabi war nicht mehr in der Lage klar zu denken, so war ihm auch entgangen, dass Miyavi irgendwann seine Klamotten ausgezogen hatte und nun spürte er seine Erregung. Langsam tastete sich der ältere vor, um abzuschätzen, wie weit er tatsächlich gehen konnte. Doch als sich Fabi lustvoll wand, drang er noch tiefer, bis er ganz in ihm versank. Jetzt sah er Sternchen und das gerade übertraf alles, was er bisher erlebt hatte. Miyavi bewegte sich erst langsam und immer dann, als er Fabi an seiner intimsten Stelle streifte, überkam den jüngeren erneut diese Leidenschaft. Sein Körper stand in Flammen und er wusste nicht mehr wo unten und wo oben war. Die Stöße beschleunigten sich und mit jedem Mal mehr, die Miyavi erneut tiefer drang, bäumte sich Fabi ihm mehr entgegen. Als er dann auch noch Hand des Älteren an seiner Erektion spürte war alles vorbei und Fabi ließ los. Ja er wagte es die Kontrolle abzugeben und es fühlte sich super an. Sein Körper wurde ein letztes Mal von einer tzunamiartigen Welle der Leidenschaft gepackt und dann war es vorbei. Miyavi brach über ihm zusammen und es fühlte sich fast komisch an, als er sich aus Fabi entfernte. Langsam erwachte der kleinere aus seiner Trance und schaute in das lächelnde Gesicht seines Freundes. „Wow…“, sagte er und schon küsste ihn Miyavi wieder. Und obwohl er gerade erst den intensivsten Orgasmus seines Lebens gehabt hatte, breitete sich schon wieder dieses Feuer in seinem Körper aus. Was tat dieser Mann nur mit ihm? „Ich bin noch lange nicht fertig mit dir. Du willst mir gehören? Dann gewöhn dich schon Mal dran“, raunte Miyavi und Fabi war es unmöglich auch nur noch einen klaren Gedanken zu fassen. Fast mechanisch folgte er seinem schönen Japaner in die Dusche, um dort die Spuren der letzten Stunde zu beseitigen, zumindest äußerlich. Dessen Hände wirkten jetzt fast sanft, als sie damit beschäftigt waren Fabi einzuseifen. „Oh mein…Gott…du machst mich…wahnsinng“, entfuhr es ihm. Miyavi grinste selbstzufrieden und seine Hände wanderten schon wieder tiefer in südliche Regionen. Fabi stöhnte erneut auf, als der ältere seine Zunge über den Hals gleiten ließ und wieder leicht ins seine Brustwarzen biss. Ein himmlisch erotisches Schwindelgefühl überkam Fabi und er stützte sich auf Miyavi ab. Dieser wandte sich schon wieder seiner Körpermitte zu und bevor sich Fabi versah, wurde er hochgehoben. Seine Erregung unmittelbar an Miyavis Eingang reibend. Als sie dann schließlich wieder miteinander verschmolzen, verließ den jüngeren abermals sein Verstand. Beide kamen fast zur gleichen Zeit und lagen sich danach in den Armen. Die Herzen pochten wild und Fabis Beine würden wahrscheinlich den Halt verlieren, wenn ihn Miyavi nicht in seinen Armen halten würde. Der schöne Japaner machte sich nicht die Mühe etwas anzuziehen, wogegen Fabi in den schwarzen Satinmorgenmantel schlüpfte. Sein Körper zitterte noch immer leicht, doch er fühlte sich gut. Mehr als gut. Sanft küsste er Miyavis Nacken, während dieser etwas zum Essen zauberte. „Okay, jetzt isses wohl offiziell…ich bin dir hoffnungslos verfallen…und ich will nich, dass dich jemals wieder ein anderer Kerl hat…“ Sein Lover wandte sich mit dem Gesicht ihm zu. „Das sind gewagte Worte Fabi. Bist du dir dessen wirklich sicher?“ „Ja das bin ich…tut mir leid, dass ich an uns gezweifelt hab.“ Wieder wurde er in Miyavis Arme gezogen. „Du musst dich für nichts entschuldigen Süßer…ich war der Arsch und ich danke dir, dass du mir verzeihst. Bereit für Runde drei?“ Fabi glaubte nicht richtig zu hören und doch würde er sich nicht dagegen wehren, zu sehr liebte er diesen Körper. Er liebte diesen Mann und war froh über sich selbst diese Entscheidung getroffen zu haben. Der Rest des Abends bestand aus Kuscheln und Filme schauen. „Kann ich dich was fragen?“, fragte Fabi und Miyavi nickte. „Klar.“ „Warum bist du zu deinem Ex gerannt und nich zu mir?“ Miyavi seufzte. „Warum wusste ich, dass diese Frage irgendwann kommt…aber jetzt hast du definitiv verdient die ganze Wahrheit zu hören. Die Geschichte mit meinem Geburtstag kennst du ja, naja Akatsuki hat mich damals bei sich aufgenommen, wir kannten uns aus einer Bar, in der ich mich damals des Öfteren aufhielt. Er nahm mich irgendwann mit zu sich und zeigte mir andere Wege mit dem Schmerz und den Enttäuschungen umzugehen. Dir sind ja sicherlich schon die kleinen Narben an meinem Körper aufgefallen…diese stammen von diversen Sexspielchen…ich hoffe du verachtest mich nicht dafür.“ Plötzlich setzte sich Fabi empört auf. „Das heißt du bist zu ihm gegangen, weil er imstande is deinen Schmerz zu heilen? Mich aber lässt du vier Tage schmoren? Fuck…das is echt hart!“ „Bei ihm geht es weniger um die Linderung des Schmerzes Fabi…es geht um Macht und Dominanz…ich wollte mir einfach nicht mehr so nutzlos vorkommen, verstehst du?“ „Super! Das macht es gerade nich besser…und was is das mit uns? Auch Machtspielchen?“, fuhr er Miyavi jetzt verletzt und wütend an. „War es das für dich?“ „Verdammt, hör auf mir dauernd Gegenfragen zu stellen! Was bin ich für dich Miyavi…bitte sei ehrlich.“ Lange schwieg der Langhaarige und dann bekam sein Gesicht einen Ausdruck, den Fabi nie für möglich gehalten hätte. Es schien so, als würde sein hübscher Japaner endlich seine Gedanken öffnen. Er gab den Blick in seine Seele, sein verletzliches Inneres frei. „Du bist für mich jemand, von dem ich niemals geglaubt hätte, dass es ihn gibt. Zugegeben war meine Intention zu Beginn schon eher locker. Du hast zwar mein Interesse geweckt, dennoch zog ich nicht in Erwägung ewig mit dir zusammen zu sein…auch, weil du mir vermutlich nicht die sexuelle Befriedigung geben konntest, die ich wollte…“ Jetzt sprang Fabi auf und löste sich aus der Umarmung. Wütend funkelten er seinen Gegenüber an. „Moment Mal…du erzählst mir was von irgendwelchen Arschlöchern, die mich ausnutzen könnten, dabei bist du…bist du das größte von allen…“ Miyavi biss sich heftig auf die Unterlippe. „Tja damit hast du wohl nicht ganz unrecht, aber ich bin noch nicht fertig…ich hab gerade die letzten Tage gemerkt, wie sehr du mir fehlst und nichts habe ich mir sehnlicher gewünscht, als dass du mich erfüllst Fabi…und dann kam das heute, du stehst plötzlich nackt vor mir und verlangst von mir völlige Hingabe…du hast vorhin gesagt, dass du nicht willst, dass mich je wieder ein anderer Mann anrührt und diesen Wunsch gewähre ich dir…“ „Und…und warum sollte ich dir glauben?“ „Weil ich dich liebe…das war nicht geplant, aber ich habe mich in dich verliebt und zwar echt heftig…dennoch könnte ich es nicht verhindern, wenn du jetzt genug von mir hast.“ Mehrmals atmete Fabi tief ein und wieder aus. „Na gut…entweder bin ich leicht zu beeindrucken oder naiv, ich weiß es nich…aber es geht nich ohne dich und ich gebe uns eine Chance…bitte enttäusch mich nich.“ Er ließ sich wieder zu Miyavi auf’s Sofa nieder und warf nach anderthalb Tagen einen Blick auf sein Handy. Vier verpasste Anrufe und zwei Nachrichten von seinem Bruder. Morgen wollten sie noch Mal proben, das kam Fabi ganz gelegen. Vor dem Proberaum krallten sich Miyavis Finger auf einmal in Fabis Arm und er warf seinem Freund einen fragenden Blick zu. Dieser deutete nur auf eine Person, die vor dem Eingang auf und ab tigerte. Als diese die Jungs kommen sah, nährte er sich zielstrebig. Fabi hatte so eine Vermutung. „Akatsuki?“ Sein liebster nickte nur. Akatsuki sagte irgendwas auf japanisch zu Miyavi und dieser antwortete in seiner Muttersprache. Dann warf der Fremde Fabi einen verächtlichen Blick zu. Dieser sammelte all seinen Mut. „Du solltest zukünftig besser die Finger von Miyavi lassen. Er wird nich mehr zu dir kommen, denn er hat jetzt mich.“ Akatsuki lachte boshaft. „Dein Ernst? Was willst du mit dem?“, fragte er mehr oder weniger an beide gewandt. „Lass es gut sein Aki…geh einfach.“ „Schon klar. Meld dich, wenn der kleine es nicht mehr bringt.“ Das war zu viel. Fabi holte aus und schlug diesem Machoarsch direkt ins Gesicht. Akatsuki staunte nicht schlecht und wollte schon zurückschlagen, doch da ging Miyavi zwischen die beiden jungen Männer. „Nur über meine Leiche. Verschwinde, das meine ich ernst. Du bist nicht gut für mich.“ Der Verletzte lachte noch ein letztes Mal und verschwand. Auf einmal zog Miyavi Fabi etwas stürmisch an sich und küsste ihn. Nicht zum ersten Mal kam sich der jüngere etwas überrumpelt vor. Allerdings könnte er sich daran gewöhnen. Die beiden Turteltauben wurden von einem Klatschen gestört und als sie sich suchend umsahen, wer ihnen da denn Beifall zollte, schauten sie in Lukas grinsende Visage. „Wie es scheint habt ihr euch wieder vertragen. Deshalb ist mein kleiner Bruder also seit anderthalb Tagen unerreichbar. Na dann, bis gleich“, gab er amüsiert von sich und drückte die Zigarette aus. Fabi warf seinem liebsten ein schüchternes Lächeln zu. „Sorry…ich konnte nich anders…hoffentlich lässt er dich jetzt in Ruhe.“ „Wer Lukas oder Aki?“ „Haha…ich mein’s ernst.“ „Danke Süßer, ich wollt schon immer Mal, dass sich ein Kerl für mich prügelt.“ Fabi schüttelte nur den Kopf. „Manchmal spinnst du echt. Lass uns rein gehen.“ Lukas und Fabi hatten gerade mehr oder weniger Pause, denn zuerst wollten sich die Jungs einspielen und das ohne Gesang. Also verschwanden die beiden noch Mal an dir frische Luft, um zu rauchen. Forschend schaute Lukas seinen jüngeren Bruder an, doch Fabi tat, als würde er das nicht mitbekommen. „Maaaannnn, jetzt erzähl schon. Du weißt doch, dass ich neugierig bin.“ Jetzt konnte sich Fabi ein Grinsen nicht mehr verkneifen und nahm einen tiefen Zug. „Ich bin keine Jungfrau mehr. Zufrieden?“ Lukas klopfte ihm auf die Schulter. „Das klingt so süß und unschuldig aus deinem Mund…ich hoffe du bereust es nicht.“ „Nee, das nich, nur fürchte ich hab jetzt nen anderes Problem.“ Frech und charmant zugleich grinste Lukas wieder. „Lass mich raten, du bist auf den Geschmack gekommen?“ Fabi nickte. „Es is fast schon Folter…schon allein wenn ich an gestern denke hab ich das Gefühl verrückt zu werden.“ „Oh glaub mir das kenn ich nur zu gut…Juka schafft es auch dauernd mich von einer Sekunde auf die nächste völlig in den Wahnsinn zu treiben.“ Nach ein paar Minuten des Schweigens räusperte sich Fabi. „Kann ich dich was fragen Bruderherz?“ „Klar alles.“ Fabi zündete sich noch eine Zigarette an. „Warum hast du Juka damals verziehen?“ „Oh oh…was hat Miyavi angestellt?“ „Is egal…nur…ach drauf geschissen, er hatte was mit seinem Ex und ich nehm ihm das nich mal übel…ich meine bin ich zu naiv? Immerhin könnte er jeden haben.“ „Puh…echt mies. Ich hab ihm Schläge angedroht, falls er dich beschissen behandelt. Aber ich glaub du kommst ganz gut allein zurecht. Solange ihr das geklärt habt. Und zu Juka…ich hab ihm verziehen, weil alles andere sinnlos erschien…diese Liebe, diesen einen Menschen zu verlieren war schlimmer als alles andere, was ich zuvor erlebt habe. Klar kommt auch mir ab und an noch in den Sinn, was wäre wenn er jetzt jemanden kennenlernt, den er toller als mich findet…aber das schwindet immer mehr. Solange es bei einem Ausrutscher bleibt, kann man das noch verkraften und nimm es mir nicht übel, aber ihr hattet auch noch ein paar Dinge zu regeln. Wichtig ist das hier und jetzt.“ „Ich hab mich übrigens nie bei dir entschuldigt…“ Lukas warf seinem Bruder einen fragenden Blick zu. „Wofür denn?“ „Naja…ich hab damals als das mit Juka und dir war oder bessergesagt nich war ziemlich hässliche Dinge zu dir gesagt…jetzt weiß ich, wie du dich gefühlt haben musst…“ „Schon gut Süßer…wenn man es selbst nie erlebt hat, kann das auch keiner nachvollziehen. Lass uns Mal wieder rein gehen. Wer weiß, was die Chaoten da tun.“ Kapitel 86: Das süße schwarze Fellknäuel ---------------------------------------- Die Probe dauerte bis spät in die Nacht hinein und völlig erledigt fiel Fabi ins Bett. „Willst du deine Klamotten anlassen?“, witzelte Miyavi. „Ich bekomm heut nichts mehr hin fürchte ich“, antwortete der jüngere und spürte sofort, welche Auswirkungen seine Worte hatten. „Tja, dann muss ich das wohl übernehmen, denn ich kann es nicht dulden, dass du so viel anhast.“ „Fuck…ich hab vergessen, dass du zum Sexgott mutierst, wenn wir allein sind.“ „Vergessen? Das kränkt mich zutiefst, das bedeutet ja dann, dass ich doch zu zaghaft mit dir umgesprungen bin.“ Fabis Puls beschleunigte sich, denn er war nicht sicher, was Miyavi nun schon wieder vorhatte. Doch schon allein die Vorstellung in wieder zu spüren machte ihn ganz benommen. „Was hast du vor?“, krächzte er. Der ältere grinste nur, gab Fabi einen Kuss und kramte dann etwas aus der Kiste unterm Bett hervor. „Süßer…jetzt musst du genau das tun, was ich dir sage, sonst könnte es unangenehm werden.“ „Mhh, ich hab ein bisschen Angst…“ „Vertrau mir, es wird dir gefallen. Schließ deine Augen und entspann dich.“ Miyavis Zunge wanderte über Fabis Körper und er schloss tatsächlich seine Augen und genoss das Vorspiel. Die Hand des schönen Japaners an seinem Eingang war nichts Neues mehr, doch dieses Mal war es anders. Irgendwas führte er ihm ein, sowas wie Lustkugeln. Zuerst fühlte es sich seltsam und fremd an, doch je tiefer das Spielzeug vordrang, desto intensiver das Gefühl und Fabis Körper nährte sich schon wieder seinen Grenzen. Er krallte sich in die Bettwäsche, als Miyavi sein Glied mit dem Mund umschloss und seine Lippen auf und ab bewegte. Sein Körper schrie nur so vor Lust und diese zuckte wie kleine Elektroschläge durch ihn durch. Kurz bevor diese heiße Welle des Höhepunktes heranrollte, unterbrach Miyavi sein Spiel und zog ebenso die Kugeln zurück. Dann begann er von vorne und wiederholte das auch ein drittes Mal. „Bitte…Miyavi…“ „Hab Geduld.“ Damit zog er die Analkette ein letztes Mal heraus und drang in Fabi ein. Seine nicht ganz unsanften Stöße wurden schneller und Fabi sah Sternchen. Soviel konnte ein Mensch unmöglich ertragen und sein völlig überreizter Körper schien zu zerspringen, als der ersehnte Höhepunkt endlich kam. Zufrieden rollte sich Miyavi von Fabi runter und küsste ihn sanft auf die Stirn. „Holy Shit und ich dachte besser kann’s fast nich mehr werden…ich hab das Gefühl mein Kreislauf läuft Amok.“ Sein liebster brach in schallendes Gelächter aus. „Wir sollten jetzt schlafen mein Hübscher.“ Miyavi wurde seinem Versprechen, Fabi Dinge zu zeigen, die er sich nicht einmal im Traum ausgemalt hatte, mehr als gerecht. Bedauerlicherweise rückte das Ende der Ferien in immer greifbarere Nähe und dementsprechend verschlechterte sich Fabis Stimmung. Ihm war die Lust auf Schule so sehr vergangen, dass schon allein der Gedanke daran dieses bedrückende Gefühl in der Magengegend auslöste. Da konnte ihn sein liebster noch so oft aufbauen und ihm erzählen, dass er so bald wie möglich nachkommen würde. Und schließlich war der Tag X da. Einfach so und viel zu schnell. Nach einem eher unruhigen Flug und einer recht schweigsamen Taxifahrt ließ sich Fabi auf sein Bett fallen und bastelte sich einen Joint. Bloß nicht an morgen denken. Müde schleppte er sich zur Schule, wo ihn seine Mitschüler Lisa und Tom schon freudestrahlend erwarteten. Das Mädchen fiel ihm sogleich um den Hals und überfiel ihn mit tausenden von Fragen. Wie seine Ferien gewesen seien, ob er im Urlaub war oder sonst etwas Interessantes erlebt hätte. Fabi seufzte und zündete sich eine Zigarette an. Er sehnte sich einfach nur nach Miyavi, dessen Wärme, dessen Bett. Was sollte Fabi erzählen? Dass er sich die meiste Zeit von einem Typen hatte vögeln lassen, sodass ihm hören und sehen verging? Nein, nicht irgendein Typ, sondern sein Typ. Sein Freund. Fabi grinste. „Mach mal langsam Lisa, erstens isses Montag und zweitens bin ich mit meinen Gedanken noch echt weit weg.“ „Aha. Dann hast du wohl jemanden kennengelernt?“, fragte das Mädchen neugierig. Fabi zuckte mit den Schultern und drückte die Zigarette im Ascher aus. „Wie man’s nimmt.“ „Du hältst dich bedeckt wie immer. Damit müssen wir wohl leben.“ Es ärgerte ihn, dass er nicht einfach zu seiner Homosexualität stehen konnte. Was war schon dabei? Nach der nicht ganz so stressigen Woche beschlossen die Freunde am Freitag im Underground feiern zu gehen. Fabi schien es fast wie Déjà-vu, als er den Weg zur Wohnung seiner Mutter einschlug. Warum tat er sich das überhaupt noch an? Wäre es nicht besser, wenn er sie einfach in Ruhe ließ? Nervös schloss er die Tür auf und als er eintrat, schlug ihm eine Wand aus kaltem Rauch entgegen. Sein Magen drehte sich um und er schluckte dieses unschöne Gefühl hinunter. Wie immer fand Fabi seine Mutter eher leicht bekleidet mit ihren sogenannten „Freunden“ im Wohnzimmer vor. Alle schienen schon gut bei der Sache zu sein. Als sie ihn in der Tür stehen sah, gab sie ein freudiges Quieken von sich. „Oh schön dich zu sehen mein Schatz. Setzt dich doch zu uns.“ „Wollte nur seh’n ob’s dir gut geht.“ „Immer doch. Trink was mit uns Schatz.“ Bilder von Miyavi und seinem edlen Antlitz kamen in seinem inneren Auge zum Vorschein. Miyavi, der sich dem Alkohol und anderer Drogen losgesagt hatte. Hier an dem Ort, wo seine Familie, seine Mum lebte zeigte sich genau das Gegenteil. Das machte Fabi wütend, mehr als das. Gerne würde er seine Mum doch zurückhaben, stattdessen umgab sie sich mit den größten Vollidioten und besoff sich sinnlos. Tränen traten in seine Augen. „Schon okay, ich störe euch nich länger.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ diesen Ort der Schande, um sich selbst in den nächsten Abgrund zu stürzen. Lisa und Tom erwarteten ihn bereits vorm Underground, doch seine Laune wollte nicht besser werden. Vielleicht verging das nach der ersten Rum-Cola. Fabi tanzte irgendwann und bemerkte im Augenwinkel etwas sehr sehr violettes. Als er sich umdrehte, sprang ihm ein junger Mann in die Augen oder bessergesagt dessen Outfit, denn es war fast ausschließlich lila. Sogar seine Haare und sein Make-up fielen diesem bonbonfarbenen Ton zum Opfer. Der Typ grinste und unweigerlich erwiderte Fabi sein Lächeln. Er wurde ein bisschen provokant angetanzt und genoss das. Dennoch achtete er darauf nicht zu sehr mit seinen Hüften zu kreisen, um den Fremden nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Nach zwei Liedern gönnten sie sich einen Drink und Fabi schleifte den Neuen mit zu seinen Freunden. „Du bist kein schlechter Tänzer…ich bin übrigens Konsti“, sagte der Fremde und hielt Fabi seine Hand hin. „Cool, ich bin Fabi. Schön dich kennenzulernen.“ Jetzt da sich Fabi ein bisschen Mut angetrunken hatte, hätte er dieser Lisa endlich zu gern gezeigt, dass sie nicht auch nur den Hauch einer Chance bei ihm hatte, doch dazu fehlte jemand und mit dem Gedanken an Miyavi kehrte die süße Sehnsucht zurück. „Ich kenn dich zwar nicht, aber du scheinst jemanden echt ganz doll zu vermissen.“ Irritiert blickte Fabi zu Konsti. „Echt jetzt? Is das so offensichtlich?“ „Naja, dein Blick eben war echt voll süß und der Typ weiß das hoffentlich.“ „Mo-moment mal…woher willst du wissen?...“ „Fabi ich bin stockschwul und seh es jemandem an der Nasenspitze an. Außerdem hättest du nicht so aufreizend mit mir getanzt, wenn du eine Hete wärst.“ „Krass…stimmt aber irgendwie…weißt du mein Freund is in Tokio. Zwar will er nächste Woche kommen, aber er fehlt mir so schrecklich.“ „Oh, dann freu dich doch auf nächste Woche. Ich hol uns noch was zum Trinken, nicht weglaufen.“ Das violette Konstimonster wackelte zur Bar und Fabi musste nur grinsen, da traf sein freudiger Blick den von Lisa. Etwas zurückhaltender als sonst kam sie näher und setzte sich neben ihn. „Kennst du den?“ „Jetzt schon. Schein ein netter Kerl zu sein.“ „Weißt du was ich nicht raffe Fabi…bei uns bist du völlig verschlossen und dann kommt da so ein lila angezogener Kerl daher und Schwupps, redest du den ganzen Abend mit ihm. Was hab ich dir bloß getan?“ Fabi fühlte sich leicht berauscht und auch ein wenig selbstsicher. Deshalb legte er seinen Arm um Lisas Schulter und sah ihr tief in die Augen. „Du hast mir gar nichts getan nur gib es endlich auf mich anzubaggern. Das nervt übel und außerdem bin ich…steh ich auf…Männer.“ Jetzt war es raus. Zum ersten Mal hatte sich Fabi zu seiner Sexualität bekannt und es fühlte sich super an. Lisa hingegen schien tatsächlich sehr enttäuscht zu sein. „Okay…shit…na dann. Und der da ist dein Beuteschema oder was?“ Fabis Grinsen wurde breiter und jetzt wünschte er sich seinen schönen Japaner erst recht her. Langsam schüttelte er mit dem Kopf. „Nee, der is ganz süß, aber ein bissl zu lila…nich extravagant genug…“ „Ähm ooookay, was ist denn für dich extravagant genug?“ Fabi überlegte kurz, ob er irgendwelche jugendfreien Bilder von Miyavi auf seinem Handy hatte oder zumindest ein Bild, wo er etwas mehr trug als nur seine Shorts und schließlich wurde er fündig. Schon allein das Foto brachte Fabis Herz zum Rasen und er fragte sich tatsächlich, wie er es noch eine Woche ohne den schönen Japaner aushalten sollte. „Wow! Der sieht schon echt heiß aus. Ich find Japaner eh irgendwie reizvoll, die Musik…sag mal kennst du Dir en Grey?“ Fabi grinste und da kam Konsti schon mit den Getränken zurück. „Klar kenn ich die. Haben neulich sogar zusammen was im Studio aufgenommen“, plauderte er, als wäre das das normalste der Welt. Lisa fiel die Kinnlade runter. „Bitte was? Das geht eindeutig zu weit…kannst du mir ein Autogramm besorgen?“ „Sicher. Danke Konsti…kommst du mit tanzen?“, fragte Fabi seinem neuen Freund zu und deutete mit den Augen in Richtung Lisa. Konsti begriff schnell und tat wie ihm geheißen. Fabi entschuldigte sich und folgte dem pinken Etwas, der seine Hand ergriff und ihn auf die Tanzfläche schleifte. Er wollte endlich, dass sich sein Gehirn abschaltete und er nicht mehr an die Ereignisse des Tages denken musste. Mit Miyavi hätte er wenigstens darüber reden können, doch mit seinen vermeintlichen Freunden mied er dieses Thema lieber. Auch weil es ihm selbst irgendwie peinlich war. Konsti tanzte ihn wieder ein bisschen an, doch nach einer Weile beschloss er sich abzuschießen. Das schaffte Fabi dann auch, denn als er erwachte, wusste er weder, wie er nach Hause gekommen war beziehungsweise wann er in seinem wohlig warmen Bett gelandet ist. Sein Kopf dröhnte und das Klingeln seines Handys riss ihn aus dem wohligen Schlaf. Langsam und unter größter Konzentration versuchte er seine Augen zu öffnen. Schon zehn verpasste Anrufe von seiner Mum? Das war äußerst merkwürdig. Nachdem er sich schließlich aus den warmen Federn gequält hatte und eine halbe Ewigkeit unter der Dusche verbracht hatte, rief er zurück. Seine Mutter wollte unbedingt, dass er zum Kaffee trinken vorbei kam und nach einigen Hin und Her entschloss er sich zu gehen. Immerhin war es seine Mutter. Überraschenderweise waren sie nur zu zweit und es gab sogar Kuchen. Auch wenn der wahrscheinlich vom nächsten Tankstellenbäcker um die Ecke war. Der gute Wille zählte oder nicht? Sie umarmte ihn sogar, dennoch war ihr Zustand eher erschreckend. Sie wirkte müde und abgemagert. Dennoch war sie freundlich und heute schien die Wohnung auch aufgeräumter zu sein als sonst. „Wie geht es dir mein Schatz?“, fragte sie und schenkte Kaffee ein. Da vernahm er auf einmal ein Rumpeln und winselnde Geräusche, die einem Tier ähnelten. Fabi schaute seine Mutter fragend an und diese versetzte ihrem Heißgetränk einen Extraschuss Wodka. „Ist das dein Ernst? Findest du nich, dass das zu weit geht? Es Sonntagmorgen und du fängst an mit saufen?“ „Nein, das ist nur wegen meiner Kopfschmerzen“, versuchte sie zu kontern, doch genau jetzt fiel dem Jungen ihre zittrige Hand auf, mit der sie die Tasse zum Mund führte. Wieder dieses Winseln und sowas wie ein Bellen. „Mutti, was is hier los?“ Sie hielt Fabi am Arm fest, doch dieser sprang auf und begab sich Richtung Badezimmer, um die Tür zu öffnen. Der Gestank aus diesem Raum übertraf alles, was er bisher ertragen musste. Doch die Krönung des ganzen war das kleine, mitternachtsschwarze winselnde Etwas, das inmitten des Zimmers hockte und nahezu in seinen eigenen Fäkalien vegetierte. Fabi riss entsetzt den Mund auf und begab sich zu dem Tierchen. „Es..es tut mir leid, ich wollte einen Hund, um nicht mehr so einsam zu sein, doch er ist so klein und dauernd nervt er mich. Bellt und will fressen.“ Wut stieg in ihm hoch. „Bist du eigentlich völlig bescheuert? Wie alt is der Kleine?“ „Jetzt vielleicht elf Wochen, ich hab ihn aus dem Tierheim geholt. Aber er hört nicht auf mich.“ Fabi setzte den Welpen in die Badewanne und stellte das Wasser an, um ihn von seiner eigenen Kacke zu befreien. Das Tierchen wehrte sich kaum und zitterte am ganzen Leib. Außerdem schien der kleine Hund am Verhungern zu sein, denn fast jede Rippe konnte Fabi unter seinen Fingern spüren. „Hast du sonst noch irgendwo irgendwelche Tiere versteckt?“, fragte er entsetzt, doch seine Mutter schüttelte mit dem Kopf. „Du kannst ihn auch gern mitnehmen, hier stirbt er vermutlich eh irgendwann, weil ich gelegentlich vergesse, dass er da ist.“ Der Junge war fassungslos, trocknete das Tierchen ab und wickelte ihn in seine Jacke. Er verabschiedete sich nicht einmal von seiner Mutter und knallte die Tür hinter sich zu. Sein erster Anlaufpunkt war der Tierarzt. Dort war es um die Uhrzeit sogar recht leer und er ließ den Welpen untersuchen. Er schilderte seine Situation und erklärte auch, dass er nicht mehr zu seiner Mutter zurück dürfte. Die freundliche Tierärztin schien sein Enthusiasmus zu beeindrucken, gab ihm noch eine Entwurmungskur mit und meinte, dass er in etwa einer Woche noch einmal zur Untersuchung kommen solle. Leihweise bekam er sogar eine Leine mit Halsband. Doch der kleine Hund zitterte noch immer wie Espenlaub. „Ähm, da wäre noch eine letzte Sache…hätten sie vielleicht Hundefutter? Sonntags sind alle Läden zu und ich fürchte der kleine benötigt dringend etwas Nahrhaftes.“ Die Ärztin lächelte und gab ihm eine Packung mit. Fabi bedankte sich und trug den kleinen Welpen nach Hause. Auf dem Sofa breitete er eine Decke aus und bettete ihn darauf. In der Küche bereitete er eine Schale mit Wasser und eine mit Futter vor, dann klopfte er bei seiner Schwester. „Hey Brüderchen, was gibt`s?“ „Öhm…bitte frag nich nach dem warum wieso weshalb, aber notgedrungen haben wir jetzt nen Hund. Einen Labrador…ich kümmere mich so gut es geht, aber wenn ich Schule hab isses dumm und ich wollt dich fragen, ob du die Tage ab und zu nach ihm schauen kannst, wenn ich weg bin?“ Jojos Augen glänzten vor Freude und sie hatte das kleine Fellknäuel auch schon entdeckt. Erschöpft lag der Hund auf seiner Decke und inspizierte seine Umgebung von dort aus. „Oh Gott, ist der süüüüüß.“ Fabi hörte zwei Tage nichts von seiner Mutter, doch es verletzte ihn. Wie konnte er ihr so egal sein? Und immer mehr brannten sich diese Bilder ein. Der Alkohol schien ihr wichtiger zu sein, als ihr eigener Sohn. Er fraß all das in sich hinein, denn mit wem wollte er auch darüber reden? Jojo? Konsti? Die einzigen beiden Menschen, mit dener sich hätte vorstellen können über diese Sache zu sprechen, befanden sich gerade in Tokio. Also musste er das aussitzen. Miyavi würde ja hoffentlich bald wieder bei ihm sein. Am nächsten Tag nach der Schule machte er einen spontanen Abstecher ins Piercingstudio und ließ sich Dermal Anchors etwas oberhalb des linken und des rechten Hüftknochens stechen. Und da kam Fabi auf den Geschmack und beschloss Jule noch zu besuchen. Das Motiv hatte er ohnehin schon eine Weile im Kopf, doch mit dem Zeichnen tat er sich etwas schwer. Er weihte Julietta in seine Tattoopläne ein und da sie gerade keine Kundschaft hatte, zauberte sie Fabi einen Entwurf der Extraklasse hin. Das Tattoo sollte auf den Rippen platziert werden und eine Art Ausschnitt des inneren seines Körpers werden, nur dass man keine Knochen oder Muskelstrenge sehen sollte, sondern Zahnräder und Schrauben. Ähnlich wie ein kleines Uhrwerk, im Stil des Steampunk eben. Jule versprach am nächsten Tag einfach bei Fabi vorbeizukommen und ihm einen Hausbesuch abzustatten. Er konnte es kaum erwarten und die schlechte Laune wich ein bisschen. Kapitel 87: Die drei magischen Worte ------------------------------------ Nach Jules Tattoosession waren jetzt zwei Tage vergangen und Fabi konnte die Folie endlich entfernen. Gestern hatte er sich wieder mit seiner Mutter getroffen und ihr Verhalten nahm jetzt ein ganz neues Ausmaß an. Er konnte und wollte sich damit nicht befassen und doch traf es ihn so sehr. Eingekuschelt in eine Decke hockte er am Sofa beim Pool und zündete sich eine Zigarette an. Und trotz alledem kehrten seine düsteren Gedanken zum gestrigen Tag zurück.   „Hallo mein Schatz, ich wollte dir Volker vorstellen. Du wirst es nicht glauben, aber er hat mich entdeckt!“ „Wie er hat dich entdeckt? Ich meine, besser als das letzte Mal siehst du aus, aber was genau meinst du?“ „Hör zu kleiner, ich bin im Pornogeschäft und deine Mutter ist eine richtig heiße Schnitte, die mir eine Menge Kohle einbringt. Außerdem ist sie die perfekte Blondine mit blauen Augen…eben typisch deutsch. So mag ich es. Weißt du, ich bin nicht rechts oder so, aber die ganzen Ausländer gehen mir tierisch auf die Eier. Die sollen erst mal richtig deutsch sprechen lernen. Und ein ausländisches Mädchen kommt mir auch nicht vor die Kamera.“ „Spinnst du Mutti? Der Typ nutzt dich nur aus, siehst du das nich?“ „Schatz, du verstehst das nicht. Volker dreht gerade einen ganz großen Film.“ „In dem dich alle nackt sehen? Oder wie du es mit irgendwelchen Kerlen treibst? Das is widerlich…“ „Aber das bringt auch mir jede Menge Geld ein.“ „Super! Geld, das du dann versaufen kannst?“   Fabi sank auf dem Sofa zusammen und ein Bellen ließ ihn aufschrecken. Luzifer hopste vor der Couch herum und wedelte mit seinem Schwanz. Fabi nahm ihn hoch und drückte sein tränennasses Gesicht in das weiche Fell des Welpen. Dieser schmiegte sein Köpfchen an sein Herrchen und Fabi begann zu schluchzen. Wieder schweiften seine Gedanken ab.   „Jetzt auf, was du sagst Bürschchen. Deine Mutter ist eine tolle Frau und ich verarsche sie bestimmt nicht. Ich verwette meinen Arsch drauf, dass wir auch irgendwann miteinander auskommen.“ Dieser Volker-Widerling versuchte Fabi durch die Haare zu wuscheln, doch dieser entzog sich der Hand schnell. Wer weiß wo er mit der schon überall gewesen war. „Das bezweifle ich…denkst auch irgendwann mal an mich Mutti?“ „Ja erst heute…ach, da fällt mir ein, ich hab für die Wohnung eine Putzfrau bestellt. Naja, du weißt ja, es sah schon echt sehr unordentlich aus…ich hab gesagt mein Sohn hat eine Party gefeiert. Das ist doch okay oder?“ „Du hast was? Nur weil du es nich auf die Reihe bekommst deinen Scheiß aufzuräumen, muss ich das ausbaden? Ich bin sprachlos…“ „Hey, hey, jetzt nimm das deiner Mutter nicht übel, sie hat sich nichts dabei gedacht“, mischte sich Volker wieder ein. Fabi warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Ach ja? Du mit deiner eigeschränkten Sichtweise musst mir gar nichts erzählen…und von wegen nich rechts…verarschen kann ich mich selbst…!“ Fabi erhob sich vom Tisch und wollte schon gehen. „Schatz, was hast du jetzt vor? Willst du nicht mal mit deiner Freundin vorbeikommen? Du hast doch eine Freundin oder?“ Wut stieg in ihm doch. „Nein hab ich nich…ich hab nen Freund und der is zu eurem Bedauern auch noch Japaner…tschau.“     Miyavi wollte mit Fabi skypen und dieser Gedanke ließ sein Herz schneller schlagen. Als er den Vidoanruf entgegennahm, schlich sich das Lächeln automatisch auf seine Lippen. „Hey mein Hübscher…wie geht’s dir?“, fragte sein schöner Japaner. Fabi erzählte ein bisschen von seiner Woche und, dass er eine Überraschung für Miyavi hätte. „Ich hoffe zumindest, dass du es magst…“ „Jetzt machst du mich wirklich neugierig. Übermorgen flieg ich zu in Ordnung?“ Fabi nickte nur und ignorierte dieses unschöne Gefühl in seiner Magengegend. Was würde er dafür geben diesen wundervollen Mann jetzt sofort bei sich haben zu können. „Das halte ich gerade noch so aus“, versuchte er zu witzeln, doch Miyavi schien ihn besser zu kennen, als ihm bewusst war. „Fabi…was ist los. Deine Lippen lächeln mich an, doch in deinen Augen spiegelt dich diese Traurigkeit.“ Fabi biss sich heftig auf die Lippen und zündete sich noch eine Zigarette an. „Ich erzähl’s dir in zwei Tagen okay? Schon gut, das is nichts für ein Ferngespräch…mir geht’s super, versprochen…und jetzt muss ich glaub ich ein bissl pennen…“, würgte er ab und auch Miyavi begriff, dass es nichts brachte das Gespräch weiterzuführen. Es war Samstagabend, doch Fabi war gerädert von dieser beschissenen Woche und verzog sich zu Luzifer, wie er den kleinen Hund getauft hatte, ins Wohnzimmer und schaute Fern.   Miyavi hatte auch begriffen, dass mit seinem liebsten etwas ganz und gar nicht stimmte. Fabi war schon immer etwas unbeholfen gewesen, wenn es um seine Gefühle ging, doch das heute war anders. Und ob der ältere heute oder in zwei Tagen flog, spielte kaum eine Rolle, also telefonierte er mit seiner Freundin, die den Laden in Tokio vorübergehend übernahm und dann mit seinem Piloten. Der war zwar weniger erfreut von dieser spontanen Planänderung, dennoch versicherte er Miyavi, dass die Maschine in zwei Stunden abflugbereit sein würde. Während des Fluges versuchte er ein bisschen zu schlafen. Mit dem Taxi ging es dann schnell weiter zu Fabis Haus. Dort fand er den jüngeren zusammengerollt auf dem Sofa. Fabi schlief und der kleine Hund neben ihm auch? Moment Mal, wann hatte sein Freund erwähnt, dass er sich einen Hund holen wollen? Miyavi erinnerte sich nicht. Der Welpe schaute ihn an und wackelte mit dem Schwänzchen. Vorsichtig streichelte er sein Fell. Dann zog er die Decke beiseite, nahm Fabi behutsam auf seine Arme und trug ihn ins Schlafzimmer. Dort befreite Miyavi seinen liebsten von dessen Kleidung und hielt kurz inne, bevor er ihn zudeckte. „Das also ist deine Überraschung. Damit kann ich definitiv leben“, flüsterte er zu sich selbst, nicht ohne zu Schmunzeln und schlüpfte unter die Decke, bedacht darauf Fabi nicht zu wecken.   Fabi brummte der Schädel ein bisschen und das, obwohl er seit Tagen keinen Tropfen Alkohol anrührte. Vielleicht war es auch einfach nur dieser elendige Stress. Er blinzelte und ließ sich wieder in die Kissen sinken, da merkte er plötzlich, wie sich neben ihm etwas rührte. War Luzifer etwa im Bett? Doch ihm stockte der Atem, als er in sein Lieblingsgesicht blickte. Diese dunklen, fast schwarzen Augen und das schiefe Lächeln. Miyavi hatte seinen Kopf in die Hand gestützt und lächelte. „Wie…was tust du denn hier?“, fragte der jüngere sichtlich verwirrt. „Ich konnte es nicht mehr erwarten und da bin ich schnell zu dir geflogen. Schlimm?“ Fabi schüttelte den Kopf, als könne er das noch immer nicht fassen. „Ähm nee, ganz und gar nich…hast du mich etwa auch ausgezogen?“ Miyavis Lächeln wurde breiter. „Naja, ich hätte dich auch in Klamotten schlafen lassen können.“ „Das is schon ein bisschen…naja…pervers?“ Der schöne Japaner lachte. „Süßer…das muss dir nicht peinlich sein und meine Vorlieben kennst du ja mittlerweile. Außerdem musste ich doch deine Überraschung bewundern“, sagte er und schob die Decke bis zu Fabis Hüften. Diesem wurde auf einmal wieder heiß und kalt im Wechsel. „Woher willst du wissen, dass das die Überraschung is?“ „Oho, erwartet mich noch mehr? Jetzt bin ich gespannt.“ Peinlich berührt biss sich Fabi auf die Unterlippe. Würde er es jemals schaffen Miyavis schamlose Bemerkungen zu kontern? „Mh nichts…das is die Überraschung…hoff du magst es…aber ich dachte du wolltest erst in zwei Tagen kommen.“ „Nach dem Gespräch gestern? Wirklich?? Verrätst du mir endlich, was los ist?“ „Mir…kann das nich warten? Ich meine…es is gar nich so wichtig.“ Miyavis Miene wurde härter und er legte eine Hand an Fabis Wange. „Nicht ernst? Sag das noch mal und ich muss dich verprügeln. Süßer…ich hatte echt ein bisschen Angst um dich.“ „Angst weshalb?“ Der Japaner rollte mit den Augen. „Du magst mich vielleicht mit deinen Worten täuschen, doch dein Gesicht spricht Bände. Ich weiß, dass du nicht gern über deine Gefühle redest, aber wenn du eine richtige Beziehung mit mir führen willst, gehört das nun Mal auch dazu. Es ist furchtbar dich so leiden zu sehen. Ich möchte einfach für dich da sein, das ist alles.“ Diese Worte reichten aus, um bis ins tiefste seiner geschundenen Seele zu dringen. Noch nie hatte jemand für ihn da sein wollen und nach dem ganzen Desaster in Tokio hatte Fabi manchmal noch immer ein bisschen an Miyavi gezweifelt. Er konnte noch immer andere Typen haben, die weit aus besser waren als er. Doch der schöne Japaner lag jetzt hier bei ihm. In seinem Bett und wollte für ihn da sein. Die Tränen brachen von ganz allein aus dem Jungen heraus, der sich bis gestern noch so verloren vorkam. Und Miyavi tat das einzog richtige und zog seinen Schützling in eine liebevolle Umarmung. Schließlich erzählte Fabi seinem liebsten von der letzten Begegnung mit seiner Mutter und wie er dazu kam, Luzifer mitzunehmen. „Mein Liebling…ich bin da, solange du mich brauchst.“ Etwas irritiert blinzelte Fabi durch seinen Tränenschleier hindurch. „Wie jetzt? Musst du nich zurück nach Tokio?“ Ein verschwörerisches Grinsen umspielte Miyavis Lippen. „Ich wollt es dir noch nicht sagen, aber ich eröffne auch hier einen Laden, weil ich hier ohnehin viele Kunden habe.“ Der kleinere fiel seinem schönen Japaner um den Hals und unterdrückte einen weiteren Heulanfall. „Das klingt super…hast du Lust auf Frühstück?“ „Gern…“   In der Schule musste Fabi ein Referat halten und dann kam er auch noch mündlich dran. Er versuchte das Beste draus zu machen. Beim Umziehen vor dem Sportunterricht entging ihm nicht, wie Timo sein Tattoo begutachtete. „Krass, hat das nicht weh getan?“, fragte dieser dann. Fabi zuckte mit den Schultern. „War okay.“ Fabis Lungen schrien nur so nach einer Zigarette und endlich, als er aus der Turnhalle raus war, konnte er seinem Drang Befriedigung schenken. Lisa schloss zu ihm auf und bettelte ihn um eine Zigarette an. Schweigend reichte Fabi ihr die Schachtel. „Sag mal, hast du das eigentlich ernst gemeint?“ Fabi sah das Mädchen fragend an. „Was meinst du?“ „Naja…eben, dass du schwul bist.“ „Warum sollt ich das nich ernst meinen.“ Er nahm einen tiefen Zug. „Weil irgendwie kann ich mir das bei dir nicht vorstellen…und dieser Kerl, den du mir gezeigt hast…es passt einfach nicht zu dir, das ist alles.“ „Das is mal ne echt beschissene Aussage. Klingt fast so, als würde es dich stören. Ich hab mir das nich ausgesucht und wenn es dich so nervt…es zwingt dich keiner mit mir rumzuhängen.“ „Nein, so war das nicht gemeint…es ist okay.“ Abrupt blieb Lisa stehen und schaute geradeaus zu dem Mann mit dem schwarzen Poncho und den passenden Stiefeletten darunter, die ebenfalls Fransen trugen. Seine langen schwarzen Haare umrahmten sein blasses Gesicht. Neben ihm an der Leine hockte ein kleiner Labrador, der aufgeregt mit dem Schwanz wedelte. Fabi tätschelte erst den kleinen Hund und dann sah er den Mann an. Seine Hände legten sich um seine Hüften und die Gesichter der beiden näherten sich. Sie wirkten sehr vertraut miteinander und Fabis sonst so harten Gesichtszüge wurden weicher. „Hey, das is ja ne Überraschung. Dachte, du hast zu tun?“ „Alles schon erledigt. Und da dachte ich mir, dass ich dich ja von der Schule abholen könnte.“ Endlich schenkte Fabi seinem liebsten ein Lächeln und hauchte ihm ein Kuss auf die Lippen. Trotz der Kälte heizten ihm Miyavis Berührungen ganz schön ein. „Gehen wir nach Hause?“ „Und was dann?“, fragte der ältere verschwörerisch. Fabi stieg eine leichte Röte ins Gesicht. Wie immer wenn sein Freund dieses lüsterne Glitzern in den Augen hatte. „Klären wir, wenn wir da sind“, tat Fabi das Gespräch ab, doch Miyavi zog ihn an sich und küsste den jüngeren. Er erwiderte den Kuss und schon wurde ihm wieder ganz schummrig. Ob bewusst oder unbewusst schob sich Miyavis Hand unter Fabis Pullover und die Hitze begann sich allmählich an einer ganz bestimmten Stelle seines Körpers zu sammeln, deshalb riss er sich los. Jetzt wussten wohl alle in seiner Schule, dass er erstens vergeben und zweitens schwul war. Aber es machte ihm eigentlich gar nichts mehr aus. „Du bist süß, wenn du so schüchtern tust.“ Fabi steckte seinem liebsten die Zunge raus und nahm seine Hand. Doch als Miyavi loslaufen wollte, hielt ihn der jüngere noch zurück. Fragend schaute er seinen Lover an. Fabi schluckte etwas verlegen. „Miyavi…ich liebe dich…“ Nun war es gesagt und Fabi war froh darüber. Sein Freund lächelte ihn liebevoll an. „Ich liebe dich auch Fabi.“ Damit traten die beiden endlich den Heimweg an. Kapitel 88: Die Pflichten als Onkel und bester Freund ----------------------------------------------------- Ich wollte meine Schwester überraschen und da schon wieder viel zu viel Zeit verstrichen war kam ich ihrer Bitte nach. Juka blieb noch in Tokio, wollten aber auch nachkommen. Ich tippte schnell eine Nachricht an Jojo, dass sie Alice nicht vom Kindergarten abzuholen bräuchte. Das Lächeln, als mich meine kleine Nichte sah, brachte mein Herz zum Schmelzen und sie kam in meine Arme gerannt und überhäufte mich mit Küsschen. „Mama hat gar nicht erzählt, dass du kommst.“ „Sie wusste auch nichts davon, ich wollte euch überraschen.“ „Gehst du mit mir auf den Wasserspielplatz? Da sind meine Freundinnen heute auch mit ihren Mamas“, bettelte Alice und schaute mich mit ihren großen braunen Augen an, wie könnte ich da nein sagen. Sie stellte mich auch gleich ihren Freundinnen Susi und Anne vor, die beide in Begleitung ihrer recht jungen Mütter waren. Für die drei Mädchen schien das kein Problem zu sein, dass wir jetzt gemeinsam einen Ausflug auf diesen besagten Wasserspielplatz machten, doch die jungen Frauen musterten mich etwas skeptisch. Ich setzte mein charmantestes Lächeln auf und versuchte ganz freundlich zu sein. „Ich fürchte die drei haben unsere Nachmittagsplanung für uns beschlossen. Ich bin Lukas, Alice Onkel“, stellte ich mich vor und hoffte das Eis wenig brechen zu können. Tatsächlich erwiderte die Blondine meine Geste und reichte mir die Hand. „Freut mich, ich bin Maxi, Susis Mum. Dann nehmen wir dich Mal mit oder Helen?“, wandte sie sich der anderen Frau zu und diese nickte. Die kleinen Mädchen liefen ein Stück vor uns und ich musste ein bisschen schmunzeln. Der Spielplatz lag nur wenige Gehminuten vom Kindergarten entfernt und während die Mädels sich amüsierten, nahmen wir im Gras platz und beobachteten das kindliche Treiben. „Darf ich dich was fragen Lukas?“, fragte mich Helen, die Brünette. Ich nickte. „Klar.“ „Was ist eigentlich mit Alice Vater? Johanna redet nicht viel darüber und wir haben uns auch schon ein paar Mal getroffen, aber uns noch nicht getraut sie danach zu fragen.“ Ich war mir nicht sicher, ob ich das Recht dazu hatte über Jojos Privatleben zu quatschen. Und eben genau über dieses sensible Thema. Auch, wenn sie jetzt ihren Jayden hatte, würde Naoki immer ein heikles Gesprächsthema bleiben und ich hatte das Gefühl ihr Unrecht zu tun, wenn ich jetzt aus heiterem Himmel mit zwei Mädels, die ich gerade erst kennengelernt hatte, über ihr Privatleben plauderte. „Ich denke das solltet ihr meine Schwester selbst fragen und ich glaube, dass sie es euch erzählen würde. Nur würde ich mir komisch vorkommen…wie alt seid ihr eigentlich?“, lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung und es schien okay zu sein. Maxi antwortete mir. „Ich bin 22 und Helen 24. Du?“ „Ich werde dieses Jahr 30.“ Die jungen Frauen schauten mich etwas verdutzt an. „Was? Krass du könntest locker als 25 durchgehen.“ Ich lachte und da die drei kleinen sehr vertieft in ihr Spiel schienen, wagte ich es eine Zigarette zu rauchen. Maxi tat es mir gleich. „Hab mich wohl gut gehalten“, witzelte ich. „Hast du auch Kinder?“ „Nee, Alice reicht mir.“ „Aber du bist verheiratet“, stellte Helen mehr fest als das sie fragte. „Ja das schon, aber das heißt ja nich gleich, dass man Kinder haben muss. Außerdem isses für meinen Mann in Ordnung keine Kinder zu haben.“ Die Reaktion anderer Menschen auf meine Homosexualität war immer wieder göttlich. Ich fragte mich oft, was die Menschen in mir sahen und scheinbar erfüllte ich nicht ganz die Kriterien eines schwulen Mannes. „Ah abgefahren, dabei hätte ich immer gedacht Schwule sehen etwas…naja eben nicht unbedingt aus wie du?“ Ich konnte mir mein Lachen nicht verkneifen. „Weil ich nich so rede oder meine Outfits nich so tukik ausfallen? Ausnahmen bestätigen die Regeln.“ Die jungen Frauen stimmten in mein Lachen ein. Plötzlich kam meine kleine Nichte angerannt und brach bitterlich in Tränen aus. Sie hatte sich ihr Knie aufgeschlagen und blutete ein bisschen. Ich nahm sie auf meinen Schoß und tupfte ihre Wunde vorsichtig mit einem Taschentuch ab. „Mein armer Schatz, was hast du denn angestellt?“ „Bin auf den Steinen ausgerutscht“, schluchzte Alice und ich barg sie in meinen Armen. „Brauchst du ein Pflaster?“ „Jaaaa.“ Zum Glück hatte ich die Notfallverbandstasche für Ausflüge dabei. Manchmal überraschte es mich fast, wie vorausschauend ich dachte. Ich entließ Alice wieder. Meine Schwester schrieb mir, dass sie sich jetzt auch auf den Weg zum Wasserspielplatz machen würde. Jojo erspähte ich schon von weitem und erhob mich, um das ältere Exemplar von Alice zu umarmen. Auch sie gab mir einen Kuss auf die Wange. „Du hast mir fürchterlich gefehlt.“ „Ihr mir auch. Eigentlich wollte ich nach Hause, aber das kleine Monster hat mich etwas überrumpelt und jetzt hock ich hier mit den beiden reizenden Damen.“ Helen und Maxi grinsten mich an und wir gesellten uns wieder zu ihnen. „Wie geht es Fabi eigentlich und wie läuft es mit Miyavi?“, fragte ich dann. „Denke ganz gut, die beiden müssen jetzt erst Mal ein bisschen herausfinden, wie es weitergeht, aber ich glaube das schaffen sie.“ Dann schaute mich Jojo mit ihrem verschmitzten Blick an. „Und du? Ganz allein? Überlebst du das überhaupt so lange ohne Juka?“ Ich boxte sie gegen den Arm. „Er will ja bald nachkommen, das werde ich schon schaffen.“ Als Alice das zweite Mal angerannt kam und knatschig wurde, weil sie etwas essen wollte, traten wir den Heimweg an. Außerdem wollte mich Basti noch besuchen kommen. Jayden erwartete uns schon mit dem Abendessen. Gegen neun brachte ich meine Nichte dann ins Bett und entfachte das Lagerfeuer im Garten, stellte das Bier kalt und bastelte mir einen Joint. Mit gedankenverlorenem Blick in die knisternden Flammen gerichtet schweifte ich ab. Meine Lippen formten sich zu einem traurigen Lächeln und ich biss mir auf die Unterlippe. Wie schön wäre es jetzt, wenn auch Flo hier bei uns sitzen könnte. Seinen Tod würde ich wohl niemals ganz verarbeiten können. Mein Schwesterchen brachte mir meine Klampfe und fragte, ob ich nicht etwas spielen könne. Ich kam ihrem Wunsch nach. Basti, der gerade angekommen war, zollte mir Beifall. Ich schloss meinen besten Freund in die Arme und so verweilten wir einige Augenblicke. „Hallo mein Schatz“, begrüßte ich ihn und lächelte. Dann fuhr ich mit der Hand über seine 6 Millimeter Frisur. „Hey.“ Jojo und Jayden verabschiedeten sich dann irgendwann ins Bett. Ich spielte noch ein bisschen und Basti hörte mir zu. Mein liebster Freund sah so verändert aus und das lag wohl nicht nur an seiner neuen Frisur. „Wer hat dir eigentlich den Kopf verdreht? Du wirkst so anders.“ Und schon stahl sich wieder dieses verliebte Lächeln auf seine Lippen. „Mh mal überlegen, sie ist unglaublich heiß, bekannt für ihre nicht immer ganz jugendfreien Outfits, ist ein bisschen verrückt und nein, es ist nicht Lena.“ Ich zündete mir eine Zigarette an und reichte Basti ein Bier aus dem kalten Brunnen. „Oookay…das heißt ihr habt euch jetzt doch getrennt und du bist tatsächlich allein auf Brautschau gewesen?“ Basti wurde etwas verlegen. „Naja nicht ganz…sagen wir es mal so, nach der Trennung war ich schon viel unterwegs, allerdings nie allein. Bin ein bisschen mit Jule um die Häuser gezogen…naja und da ist eben so einiges passiert. Aber bin selbst noch nicht ganz sicher, was das jetzt zwischen uns wird.“ „Oho hat dich unsere kleine Diva bezirzst? Schön zu hören.“ „Vielleicht ein bisschen. Lena war mega angepisst, weil sie glaub gehofft hat, dass es doch irgendwie noch ne Chance für uns gibt.“ „Naja, man kann’s nich jedem Recht machen und sie hatte ihre Chance Basti.“ „Mh, schon…und mit Jule kann ich reden…auch ab und zu wegen Flo und so. Isses für dich auch noch so schwer? Ich meine jetzt ist’s fast ein Jahr her doch es fühlt sich an als wäre es gestern gewesen und als du gerade so gespielt hast, hat mich das voll an ihn erinnert…“ Ich atmete tief ein und wieder aus. Also litt Basti auch noch darunter, sehr sogar. „Ich glaub deshalb komm ich so selten, weil es mich fertig macht…zu wissen, dass Flo mit mir hier gewohnt hat…sein eigenes Zimmer hatte…das is so übel Basti.“ „Wem sagst du das…immerhin kannst du dem etwas Abhilfe verschaffen. In Tokio bekommst du sicher genügend Ablenkung.“ „Ja schon, aber es is ja nich so, dass ich Flo vergessen hätte. Nur hier is alles so nah und frisch…es tut mir leid, für dich muss es die Hölle sein.“ „Ich komm schon klar, bekomm genügend Abwechslung.“ Zwischen uns lag ein nicht ganz unbekümmertes Schweigen und ich sorgte mich ein bisschen um meinen Freund. „Bist du mir auch sauer, weil ich einfach abgehauen bin? Da wärst du nich der erste.“ Unsere Blicke trafen sich. „Nee…das isses nicht…das Thema hatten wir schon Mal ein bisschen. Damals, als es dir so mies ging wegen Juka, warum bist du da nicht zu mir gekommen? Flo hat sich voll die Sorgen gemacht und mich angerufen, doch er war ja in Tokio…manchmal denk ich, dass ich vielleicht doch nur das dritte Rad am Wagen war und jetzt das mit Jule…sie ist deine Ex und ich will nicht, dass du denkst ich…ach ich weiß auch nicht wie ich das ausdrücken soll.“ Da war er wieder, mein Basti. Gott sei Dank. Ich schnappte mir das Drehzeug und baute noch einen Joint. „Das damals hatte nichts mit dir oder Flo zu tun…ich wollte einfach keinen um mich haben, weil mir alle sowieso wieder erzählt hätten, was gut oder schlecht für mich wäre. Das musste ich mit mir allein regeln Basti. Und wann hattest du bitte das Gefühl das dritte Rad am Wagen zu sein?“ „Keine Ahnung…manchmal, wenn ihr irgendwas genommen habt und ich mich da rausgehalten habe.“ „Quatsch…das war halt so, deshalb hab ich dich nich weniger lieb…du kannst außerdem jetzt mit mir einen drauf machen.“ Verschmitzt grinste mich Basti an und nahm mir den Joint aus der Hand. „Willst du noch feiern gehen oder was?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Why not? Hab die letzten Wochen auch hart gearbeitet, da kommt mir das ganz gelegen.“ Das ließ sich Basti nicht zwei Mal sagen und scheinbar war auch er ganz versessen darauf mit mir um die Häuser zu ziehen. Also zog ich mich noch um, stylte mich und los ging es. Ich schrieb meinem kleinen Bruder, was er und Miyavi heute so trieben, denn vielleicht konnten wir ja was zusammen unternehmen. Fabi antwortete mit gefühlten hundert Smileys und schrieb nur Underground. Er fiel mir um den Hals, als wir in dem Club eintrafen. Doch dann kümmerte er sich gleich wieder um Miyavi. In der Sitzecke hockten noch ein Junge und ein Mädel, die sich mir als Timo und Lisa vorstellten. Plötzlich hüpfte das Mädel hysterisch herum. „Oh mein Gott, du bist doch Fabis Bruder und der Sänger von Nocturna oder?“ Ich lächelte und bejahte ihre Frage mit einem Nicken. „Jepp, der bin ich. Freut mich, dass wir doch nich mehr so unbekannt sind, wie ich gedacht hab.“ „Ey ich liebe eure Musik. Darf ich euch einen Drink spendieren?“ Basti und ich tauschten Blicke aus und nickten ihr zu. „Klar. Zwei Bier.“ Jule beehrte uns später auch noch mit ihrer Anwesenheit und ich war gefangen zwischen lauter Paaren, doch das störte mich nicht, denn Basti wich trotz alledem nicht von meiner Seite und wir machten uns wie früher über diverse Menschen auf der Tanzfläche lustig. Auch wenn ich selbst nicht den besten Tänzer abgab, ich verschonte die Clubbesucher wenigstens mit meinen unrhythmischen Bewegungen. Doch manche waren schon mutig. Bei einem Typ, der sich gerade auf dem Dancefloor verausgabte war nicht sicher, ob er wirklich tanzte oder die anderen eher mit seinem Gefuchtel verscheuchen wollte. Der Alkohol stieg mir viel zu schnell zu Kopf, denn zwischen den Bieren schlich sich hin und wieder ein Tequila. Fabi und ich alberten herum. Er erzählte mir, wie toll es mit Miyavi lief und wie er immer mehr auftaute und sich dem anderen öffnete. Mein bester Freund hingegen war verdächtig still geworden und auf einmal sprang er auf und rannte hinaus. Ich warf meinem Bruder einen entschuldigenden Blick zu und auch Jule zuckte mit den Schultern. „Ich hab keine Ahnung, was jetzt los war. Vielleicht sollte jemand nach Basti schauen“, flüsterte sie mir zu. „Isses okay, wenn ich geh?“, fragte ich und sie nickte zur Antwort. Ich drängte mich durch die tanzende Menge und eilte Richtung Ausgang. Basti lehnte an der Wand und blickte auf, als er mich sah. „Is alles gut bei dir?“ Er zuckte mit den Schultern und zog an seiner Zigarette. „Weiß nicht. Es passiert schon wieder…mit Fabi kannst du jetzt auch deine Homowitze machen und ich? Sorry, ich steh nun Mal nicht auf Kerle.“ „Oooookay. Das also is dein scheiß Problem? Er is mein Bruder Basti und wir haben uns nur ein bissl unterhalten. Darf ich das jetzt nich mehr? Muss ich mich jetzt rund um dir Uhr um dich kümmern?“ „Müssen tust du gar nichts Lukas…und ja, du hattest Recht, ich bin sauer, dass du einfach weggegangen bist“, bluffte mich Basti jetzt an, doch mir entging auch nicht der Schmerz, der sich hinter seinen Worten verbarg. „Na schön…ich hab keinen Bock mit dir zu streiten. Dann komm doch ein paar Wochen mit nach Tokio.“ „So einfach stellst du dir das vor? Super!“ Ich ging einen Schritt auf ihn zu und zündete mir ebenfalls eine Zigarette an. Mit einer Hand stütze ich mich an der Wand ab, weil ich etwas schwankte. „Ja vielleicht stell ich es mir so einfach vor…hast du nen anderen Vorschlag?“ Er zuckte mit den Schultern und verzog seinen Mund zu einem Flunsch. Gerade hatte er was von einem kleinen bockigem Jungen. „Weiß nicht…nur ob du es willst oder nicht, ich bin das dritte Rad am Wagen. Früher und jetzt auch!“ „Und vor allem sind wir gerade mega betrunken.“ „Ja umso besser. Heißt es nicht so schön, Betrunkene sagen immer die Wahrheit?“ „Komm schon, is das dein ernst? Mag ja sein, aber hör auf dir so ne gequirlte Scheiße einzureden…ja, ich versteh, wenn du sauer bist, weil ich abgehauen bin und ich verstehe, wenn ich mich in den letzten Monaten nich so oft gemeldet hab, aber du warst für mich nie das verfickte dritte Rad am Wagen Basti. Und wenn ich mit Flo, Fabi oder sonst wem meine Homowitze mach…is das echt so schlimm? Mit dir hab ich weitaus mehr Insiderwitze als mit Fabi oder sonst wem. Außerdem will er oft nur ein paar Tipps haben.“ Basti hockte mittlerweile auf dem Boden, wie ein kleines Häufchen Elend. Und dafür, dass es schon Mitte September war, kühlten die Nächte noch immer nicht so ganz ab und es hatte gefühlte 25 Grad. „Ja, vielleicht isses egoistisch, aber ich will meine Zeit am liebsten nur mit dir verbringen, weil du sonst so verdammt weit weg bist. Und mir isses scheißegal, auf wen du stehst oder mit wem du was redest, aber ich finde ich hab gerade ein größeres Anrecht auf dich.“ Ich zog Basti hoch und schlang meine Arme um ihn. „Natürlich hast du das Süßer…deshalb machen wir jetzt noch’n bissl Homeparty. Nur der Pool, du und ich.“ „Gibt’s bei dir noch genug zum trinken?“ Ich warf ihm einen empörten Blick zu. „Diese Frage beantworte ich aus prinzip nich.“ Basti hackte sich bei mir ein und wir erwischten gerade so die heranfahrende S-Bahn. Bei mir angekommen, entledigte ich mich meines Oberteiles, weil es einfach unerträglich schwül war. Meine Schuhe kickte ich in die nächste Ecke und holte eisgekühlten Wodka und zwei Bier. Plötzlich ergriff Basti meine Hand und wir verließen das Grundstück wieder. Nachdem wir ein paar Schritte gegangen waren, ahnte ich, was er vorhatte. Mein Magen zog sich zusammen, doch auch mir war diese Idee schon gekommen. Das Tor quietschte und die kleinen Kieselsteine piekten unter meinen nackten Füßen. Der Friedhof lag im Dunklen und doch kannten wir den Weg. FLORIAN MAY laß ich auf dem Grabstein und die beiden Flaschen fielen ins Gras. Meine Fingernägel gruben sich schmerzhaft in meine Handflächen. Ich ließ mich ins Gras vor Flo und neben Basti sinken. Seine Hand auf meinem Oberschenkel erzielte eine beruhigende Wirkung. „Wie oft kommst du her?“, fragte ich dann mit erstickter Stimme und trank einen Schluck Wodka. „So oft ich kann…stell ihm neue Blumen hin…manchmal reden wir auch. Das heißt ich rede, erzähl ihm was so alles passiert ist, seit er nicht mehr da ist.“ In mir kroch die Trauer empor und mir war bewusst, dass ich diesen Moment schon viel lange heraus gezögert hatte Flo mal zu besuchen, doch mir wurde auch klar weshalb. So sehr ich meine düstere Erscheinung und die Gothicszene mochte, mit dem Tod konnte ich nicht umgehen und es war nahezu unvorstellbar, dass mein einst so lebhafter, chaotischer Flo jetzt in der Erde unter uns verweste. Ich biss mir heftig auf die Unterlippe und trank noch einen kräftigen Schluck. „Auf dich alter Freund“, prostete ich in Richtung Grabstein. Basti schien zu merken, dass mein Stimmungsbarometer gerade in den Keller wanderte und legte seinen Arm um mich. Ich sank an seine Schulter und kämpfte mit den Tränen. Dann hielt ich Basti die Flasche hin und stieg auf Bier um. „Ich glaub das hätte Flo gefallen…mitten in der Nacht völlig dicht auf dem Friedhof rumhängen.“ Ich lächelte traurig und sank in Bastis Schoß. Griff doch noch einmal nach der Wodkaflasche und schaute zu meinem besten Freund hoch. Dann wand ich den Blick zu Flo und zündete mir eine Zigarette an. „Ey Floschatz…Basti spinnt, weißte das? Er wollt mir vorhin erzähl’n, dass ich dich lieber hatte…sag ihm mal bitte, dass das völliger Bullshit is…aber ein bisschen Recht hat er…ich bin ein beschissener Freund, bekomm es nich Mal auf die Reihe dich zu besuchen…du fehlst uns ganz furchtbar…aber das weißt du sicher.“ Ich pustete einen Handkuss in die Richtung von Flos Grabstein und erhob mich. Dieses Mal ergriff Bastis Hand und wir traten den Heimweg an. Etwas melancholisch hockten wir am Pool und der Wodka war bis zur Hälfte geleert. Morgen würde mich ein grauenvoller Kater erwarten. „Geh’n wir ne Runde schwimmen?“, schlug ich vor. „Warum nicht.“ Aufgrund der Hitze heute hatte ich auf eine Unterhose verzichtet, zog meine Hose aus und warf sie auf den Liegestuhl. Als ich in den Pool sprang umfing das kühle Wasser meinen Körper wie angenehmer Umhang. Ich tauchte auf und ließ mich auf dem Rücken treiben. Basti tat es mir nach und ich musste grinsen, als ich sah, dass er seine Unterhose noch trug. Nachdem wir ein paar Runden gedreht hatten beschlossen wir noch einen Joint zu rauchen. Oh Mann, der nächste Tag würde richtig übel werden, meldete sich mein Gewissen kurz, doch ich trank noch mehr Wodka und spülte diesen lästigen Gedanken fort. Ich schlüpfte wieder in meine Hose und baute die Wundertüte. Diese Kombination flashte richtig und ich kippte kichernd nach hinten um. „Geht’s dir gut?“, fragte mich Basti etwas belustigt. „Immer doch…“ Ich hatte nicht darauf geachtet, wie spät es mittlerweile war, nur die aufgehende Sonne erinnerte mich daran, dass wohl bereits der nächste Tag begann. „Scheiße es wird schon hell“, bemerkte auch mein bester Freund. „Willst du mir damit jetzt sagen, dass du mich verlassen musst?“, bemerkte ich gewollt theatralisch. Basti kicherte. „Spinner…irgendwann muss ich ja mal meinen Rausch ausschlafen. Ich fürchte echt das wird übel, wenn der Alkohol nachlässt.“ „Diesen Gedanken hatte ich heut auch schon ein paar Mal. Aber vielleicht is pennen geh’n gar keine so schlechte Idee.“ Wir lagen uns lange in den Armen. „Is bei uns wieder alles gut Süßer?“, fragte ich etwas unsicher. „Ja alles gut…ich hab dich lieb“, erwiderte Basti, ohne sich aus der Umarmung zu lösen. „Kommst du später noch Mal vorbei?“ „Ich will erst schlafen, aber ich meld mich okay?“ Ich nickte und löste mich endlich. Basti winkte mir noch und beseitigte noch die Spuren unseres Besäufnisses. Danach duschte ich eine halbe Ewigkeit und wollte eigentlich schlafen gehen, da sah ich jemanden die Einfahrt hinauf kommen. Mein Blick auf die Küchenuhr verriet mir, dass es bereits 9 war und diejenige, die da gerade kam entpuppte sich als meine Mum. Ich schlüpfte in meine Hose vom Abend zuvor und warum auch immer kam sie zuerst in meine Wohnung. Warum gewöhnte ich mir auch nicht endlich an abzuschließen. Sie strahlte mich erfreut an, denn seit meiner Ankunft hatten wir uns noch nicht gesehen. Ein kurze Umarmung und ein Kuss auf die Wange folgten. Ich fühlte mich noch immer echt betrunken und fürchtete, dass man meine Alkoholfahne bis 10 Meter gegen den Wind riechen konnte. Auch meiner Mum schien das nicht zu entgehen und sie musterte mich skeptisch. „Hallo Schatz, schön dich zu sehen. Ich wusste gar nicht, dass du kommen wolltest.“ „Bin auch gestern erst gelandet.“ „Deshalb hat Johanna zum Frühstück eingeladen, sicher wollte sie mich überraschen.“ Bei dem Gedanken Frühstück rebellierte mein Magen heftig. „Ich fürchte das müsst ihr ohne mich einnehmen…bis vor ner Stunde war Basti noch da und ich sollte bissl Schlaf nachholen.“ „Dann stehst du doch vor heute Abend nicht mehr auf. Ich dachte wir könnten heute noch was unternehmen.“ „Können wir das nich auf morgen verschieben?“ „Na schön…ich werde mich wohl nie dran gewöhnen, dass deine Freunde an erster Stelle stehen“, beschwerte sie sich. Ich verdrehte die Augen. „Ich bin gestern angekommen okay? Wir haben noch die ganze Woche. Was bist du denn so pissig?“ Leicht erzürnt funkelte sie mich an. „Ich bin pissig, weil es mein Sohn nicht mal für nötig hält mir zu sagen, dass er zu Besuch kommt!“ Sie betonte extra das Wort pissig, weil es mein Wortlaut war. „Wie gesagt, ich hätte mich schon noch gemeldet und wie schon gesagt, wir haben die ganze Woche Zeit.“ Ich versuchte ruhig zu bleiben und langsam kroch mir die Müdigkeit in die Knochen, sodass es mir fast unmöglich war noch länger wach zu bleiben. Doch ihr prüfender Blick über meinen Oberkörper ließ mich innehalten. „Willst du dir eigentlich noch mehr Tattoos stechen lassen?“, fragte meine Mum dann eher vorwurfsvoll als interessiert. Ein stechender Schmerz durchzuckte mich. „Wage es ja nich…du hast mir damals was versprochen…wage es nich das noch einmal zu zerstören, sonst siehst mich echt nie wieder. Und wenn schon, ich lass mich soviel und sooft tätowieren wie ich Lust hab. Es is mein Körper…“ Sie schluckte ihre nächsten Worte runter und lächelte. Gut so und es machte mich ein bisschen stolz. Ich hatte das Ruder in der Hand und ich wollte um Himmels nicht, dass sie sich ein weiteres Mal von mir abwand, doch sollte sie auch merken, wenn sie dir Grenze überschritt. Naja fast zumindest. Ich gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange. „Lass uns nen Kompromiss finden, ich schlaf jetzt ein paar Stündchen und koch heut Abend für uns, okay?“ Meine Mum nickte und ich entlockte ihr ein liebevolles Lächeln. „Okay mein Schatz. Schlaf schön.“ Kapitel 89: Du bist meine Muse ------------------------------ Erst, als der Club dicht machte, begaben auch wir uns auf den Heimweg. Eine weitere verhängnisvolle Nacht mit meinem liebsten Freund. Aber das hatte wir beide bitter nötig gehabt. Ich fiel völlig berauscht in mein Bett und hoffte nur, dass dieses karussellartige Gefühl in meinem Kopf endlich nachließ. Da ich es gestern ordentlich übertrieben hatte, mal wieder, war der Morgen danach mehr als grausam. Noch immer ziemlich schwach auf den Beinen schaffte ich es gerade so unter die Dusche, ohne, dass es mich hinhaute. Dann schlüpfte ich in eine kurze bequeme Hose und zog ein ärmelloses Shirt drüber. Sicher würden schon alle wach sein und ich würde mal wieder der letzte sein, der sich am Frühstückstisch blicken ließ. Tatsächlich. Jojo hatte draußen unter den Bäumen einen größeren Holztisch aufgebaut, an dem meine Familie beisammen saß. Die Sonne blendete viel zu hell und bei dem Gedanke an Essen drehte sich mein Magen um. Ich ließ mich erschöpft in den einzigen Liegestuhl fallen. Alice sprang auf meinen Schoß und begann mit Hoppe Hoppe Reiter. Meine Schwester warf mir ein fieses Grinsen zu, worauf ich ihr meinen Mittelfinger zeigte, allerdings, dass es meine Nichte nicht sah. Auch unsere Mum beglückte uns mit ihrer Anwesenheit. „Ein guten Morgen sagt man wohl nicht mehr?“, fuhr sie mich an. Ich sah sie entnervt an. „Guten morgen liebste Mutti…sorry, wenn ich nich so gesprächig bin, war gestern mit Basti feiern. Noch weitere Ausführungen?“ „Dann solltest du vielleicht lieber deinen Rausch ausschlafen.“ Auf diesen Satz reagierte ich nicht, setzte mich an den Tisch und schenkte mir Orangensaft in ein Glas. Alice hing fast wie eine Klette an mir, schon fast süß. „Läuft das in Tokio gerade auch so?“ „Ey ohne scheiß…ich geh gleich wieder. Natürlich nich und warum muss ich mich eigentlich dafür rechtfertigen, weil ich mit meinem besten Freund trinken war?“ „Tut mir leid, jetzt flipp doch nicht gleich so aus. Erzähl doch mal, was macht ihr in Tokio oder woran arbeitet ihr gerade?“ Ich ließ dieses Friedensangebot gelten, weil sie es vielleicht wirklich nicht so gemeint hat. „Ich caste halt neue Bands und ich mach nebenher noch mein Zeug…Texte schreiben, Musik komponieren, sowas halt.“ „Klingt gut…scheint als hast du deine Berufung gefunden.“ „Das hoffe ich, sonst wär’s echt dumm…ne läuft echt gut und mein Chef scheint auch ganz zufrieden mit mir zu sein.“ „Mit dein Chef meinst du aber schon Juka oder?“, hakte meine Schwester nach. Ich lächelte und nickte. „Jepp…hatte schon bisschen Schiss, dass das Zusammenarbeiten mit ihm schwierig wird…er ist halt der ewige Perfektionist, aber scheinbar stelle ich mich nicht ganz so dämlich an.“ Um den häuslichen Frieden zu wahren, riss ich mich zusammen und blieb wach. Dennoch merkte ich, dass zwei Tage hintereinander feiern echt anstrengend wurde. Alice Freundinnen kamen auch zum Baden und ihre beiden Mütter unterhielten sich mit meiner Schwester. Ich beobachtete die Mädchen beim Plantschen und meine Gedanken schweiften an vergangene Tage zurück, als Jojo noch so klein war. Vom Wesen her glich ihr Alice ungemein, dieses süße unschuldige Mädchen, dass mich auf eine Art und Weise zu vergöttern schien, die ich nicht ganz begriff. Und doch erfüllte mich dieses Gefühl mit Wärme und Glück. Meine Nichte ließ sich auf meinen Schoß plumpsen und lächelte mich an. Sie zog mir die Sonnenbrille von der Nase und stupste diese an. „Du bist so schön Lukas.“ Ich lächelte und diese wohlige Wärme verstärkte sich. Und sowas sagte mir ein kleines Mädchen, nach zwei durchzechten Nächten. „Hast du genug vom Baden?“ „Ja, es ist langsam kalt und ich hab hunger.“ „Dann sollten wir vielleicht was zum Essen machen. Hast du einen bestimmten Wunsch?“ „Nudeln und Tomatensoße?“ Ich musste lachen. „Ernährst du dich auch noch von etwas anderem? Das gab es doch erst vor zwei Tagen.“ „Na und, ich mag das eben.“ Ich zog Alice zu mir und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Wie könnte ich ihr diesen Wunsch abschlagen. Ich wäre sicherlich ein grauenvoller Vater und mein Kind wäre mit Sicherheit total verzogen, weil ich ihm alles durchgehen lassen würde. „Hilfst du mir beim Kochen?“ Meine kleine Nichte nickte. Doch sie machte keine Anstalten von meinem Schoß aufzustehen. Währenddessen verabschiedeten sich unsere Gäste und meine Schwester übernahm das Kochen. War mir auch Recht. Alice blieb bei mir und als Jojo in der Wohnung war, beugte sie sich verschwörerisch zu mir. „Lukas, hast du Papa in Tokio gesehen?“, flüsterte sie mir zu, als würde sie befürchten, Jojo könnte sich noch immer in Hörweite befinden. „Nein, hab ich nicht Süße. Warum fragst du? Vermisst du ihn?“ Ihre Augen schauten mich neugierig an. „Was heißt vermissen?“ „Naja, wenn du jemanden sehr lieb hast und ihn aber nicht so oft sehen kannst, vermisst du ihn, wenn er nicht da ist.“ „Dann vermiss ich dich oft.“ Ich seufzte hingebungsvoll. „Würdest du deinen Papa gern wiedersehen?“ Alice zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Vermisst er mich?“ „Das kann ich dir nicht beantworten mein Schatz.“ Ich zückte mein Handy und beschloss sie zu filmen. Vielleicht weckte das ja Naokis Interesse. Wobei schon allein beim Gedanken an ihn in mir die Wut hochzukochen begann. „Was machst du da?“ „Ich filme dich. Erzähl mir was Lustiges!“, bat ich Alice. Sie schnitt Grimassen, zog ihre Ohren lang und drückte ihre süße Stupsnase nach oben. Ich lachte. Dann wurde sie wieder ernster. „Ich glaub ich mag Papa nicht, weil er nicht lieb zu Mama war.“ „Ja, das stimmt.“ Ihre zierlichen Fingerchen strichen über meine Tätowierungen am Arm und der Brust. „Lukas, hat dir da jemand weh getan?“, fragte sie, als sie meine Narben erblickte. „Ja, kann man so sagen.“ „Mama sagt, dass Narben nur bei schlimmen Verletzungen kommen. Wer hat dir da weh getan?“ Dieses Thema mit meiner kleinen Nichte zu besprechen überforderte mich völlig und ich benötigte etwas Zeit, um die richtigen Worte zu finden. „Ich erinnere mich nicht mehr so genau meine kleine. Ist schon zu lange her“, log ich und sie schien sich mit der Antwort zufrieden zu geben. Jojo rief uns zum Essen rein und ich merkte wieder, wie mich die Müdigkeit übermannte. Auch meiner Schwester schien das aufzufallen. „Schatz, ich glaube dein Onkel macht heut Mittagsschlaf mit dir.“ „Du bist meine Retterin Jojo, sonst würde ich den Tag nich überleben.“ Alice ergriff meine Hand. „Aber ich will in deinem Bett schlafen.“ Ich hatte nichts dagegen einzuwenden und trug das kleine Fliegengewicht dir Treppen hoch. Wie traumhaft, diese weichen Kissen und diese Gemütlichkeit, die mich umfing. Alice kuschelte sich an mich. „Singst du mir ein Gute-Nacht-Lied?“ Als Alice noch kleiner gewesen ist, hatte ich begonnen ihr unsere Lieder vorzusingen, damit sie einschlief. Und was soll ich sagen, auch meine kleine Nichte mochte meine Musik und das erfüllte mich mit Stolz. Als ihr Atme gleichmäßig ging und ihre Augen geschlossen blieben, tat ich ihr das gleich und bekam endlich meinen wohlverdienten Schlaf. Morgen würde ich meinen Juka endlich wiedersehen und mit diesem Gedanken verabschiedete auch ich mich ins Traumland. Ich hatte gefühlt den ganzen Tag verschlafen und fühlte mich putzmunter. Doch einen Blick auf mein Handy ließ mich aufschrecken, denn ich hatte nicht nur den Tag verschlafen sondern die komplette Nacht auch. Quasi war schon ein neuer Tag angebrochen. Naja auch gut, immerhin ging es mir jetzt besser und ich war voller Tatendrang. Das Haus fand ich leer vor. Wahrscheinlich waren alle arbeiten oder unterwegs. Ich lehnte mich gegen die Wand und wartete, dass mein Kaffee durchlief. Etwas ungeduldig trommelte ich mit meinen Fingern auf der Arbeitsfläche umher. Ich holte die Milch aus dem Kühlschrank und goss einen Schluck in meine Tasse. Mh, was könnte ich denn heute unternehmen? Draußen schien die Sonne, also schnappte ich mir meine Gitarre und spielte ein bisschen. Die neuen Songs gingen mir leicht von der Hand und ein ganz neues Gefühl erfüllte mich beim Spielen. Zuerst übte ich nur die Melodie, dann begann ich dazu zu singen. Dieses berauschende Gefühl nahm immer mehr zu und ich verschmolz mit meiner Musik. Die Melodie floss und meine Finger zupften geschickt die Akkorde. Alles um mich herum verschwamm und ich blendete die Realität völlig aus. Nach meiner kleinen Privatsession von mir für mich zündete ich mir eine Zigarette an. Ich zuckte ein wenig zusammen, als jemand Applaus klatschte. War ich wirklich so abgelenkt gewesen, dass mir das entgangen war? Mein Engel in weiß. Elegant und doch immer etwas anrüchig. Er schaffte es perfekt auf diesem schmalen Grad zu wandeln und mich mit seiner puren Anwesenheit in den Wahnsinn zu treiben. Seine Kleidung verdeckte genau soviel wie nötig und seine weiße Hose saß perfekt auf seinen Hüftknochen. Juka lehnte an der Hauswand. Sein Koffer stand neben ihm und er lächelte mich an. Da ich noch nicht so lange auf den Beinen war, trug ich nur meine Hippiehose. Ich streckte die Arme nach ihm aus, doch er schüttelte nur belustigt mit dem Kopf. Also erhob ich mich und ging zu ihm. Meine Hände kribbelten und ich wollte ihn küssen. „Na, hast du mich vermisst?“, hauchte er mir zu und ich schloss einen Moment die Augen. „Ein bisschen vielleicht.“ Juka warf mir einen beleidigten Blick, doch ich nahm sein Gesicht zwischen meine Hände und küsste ihn endlich. Meine Zunge streifte seine Unterlippe und er gewährte mir Einlass. Der Kuss wurde intensiver und schon drückte mich mein Liebster gegen die Wand. Ich ließ kurz von ihm ab und musste nach Luft schnappen. „Das hat sich aber gerade nicht nach nur einem bisschen angefühlt“, witzelte er und seine Hände glitten an meinen Seiten lang. Seine Lippen legten sich wieder besitzergreifend auf meine Lippen und seine Berührungen auf meinem Körper ließen mich leicht aufstöhnen. Mit der Zunge leckte er über meinen Hals und meine Brustwarzen verhärteten sich, als Juka mit den Piercings spielte. Ich sog die Luft durch die Zähne, als er hineinbiss und dieser süße Schmerz durch mich hindurch jagte. Außerdem merkte ich, wie sich die Hitze allmählich in meiner Körpermitte staute und ich spürte auch Jukas Härte, als er wieder vor mir stand, um mich zu küssen. Juka knöpfte sein weißes Hemd auf und belagerte einen der Liegestühle, nicht ohne mich auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Wir hatten uns zwar nur zwei Tage nicht gesehen, aber unser Liebesleben war in den letzten Wochen viel zu kurz gekommen. Er zog mich auf seinen Schoß. „Hey Babe, nach was steht dir der Sinn?“ Ich grinste ihn verführerisch an und zog sein Kinn ein Stück zu mir. „Meiner Meinung nach hast du ein Kleidungsstück zu viel an…wir könnten baden gehen und dann sollten wir uns vielleicht gegenseitig ein bisschen verwöhnen.“ Juka sah mich fragend an. „Das klingt schon mal nicht übel…und was genau willst du mit mir tun?“ Ich zog ihn hoch und knöpfte seine Hose auf, zog sie ihm langsam über seinen Knackarsch und kickte sie weg. Meine Hände wanderten jetzt über seine nackte Haut. „Kommst du mit in den Pool?“ Jukas Augen blitzten mich lüstern an und auch ich zog meine Hose aus. Wir glitten langsam ins Wasser und meine Lippen suchten die seinen. Meine Hüfte rieb sich an ihm, ich spürte seine Erregung deutlich, ohne den störenden Stoff und so entlockte ich ihm ein leichtes Stöhnen. Meine Küsse wanderten über den Hals bis zu seinen Brustwarzen, die ein bisschen reizte, als ich hineinbiss. Sogleich krallten sich Jukas Hände in meine Schultern und dort hinterließ er sicher nicht ganz unblutige Spuren. Ich schmunzelte. Heute wollte ich ihm nicht den dominanten Part überlassen. „Oh Gott Luki…du machst mich wahn-sinnig“, gurrte mein liebster. „Das is mein Ziel Sweetheart…also entspann dich.“ Ich ließ kurz von ihm ab und betrachtete meinen Juka. Diese endlosen blauen Augen, in denen ich mich regelmäßig verlor, sein leicht herzförmiger Mund und dieses markante Gesicht. Ich küsste ihn wieder und biss in seine Unterlippe, dabei drückte sich sein Unterkörper gegen meinen. Wie sollte ich bloß meine Selbstbeherrschung behalten? Ich zog Juka zu der Sitzbank im Pool, wo das Wasser weniger tief war. Meine Küsse wanderten tiefer und schon merkte ich, wie er versuchte die Oberhand zu gewinnen, doch ich ließ ihn nicht. Meine Finger wanderten geschickt zwischen Jukas Beine und schoben sich in ihn. Meine Zunge blieb selbstverständlich nicht untätig und leckte über seine Erregung, die sich mir in ihrer vollen Größe präsentierte. Ich verrieb den Lusttropfen mit der Zungenspitze und versenkte den dritten Finger. Juka biss sich auf die Unterlippe und sein Kopf warf er lustvoll in den Nacken. „Was…tust du nur…mit mir…“, raunte er und ich grinste. „Meine Besitzansprüche klären“, gab ich mit erregter Stimme zurück und zog meine Finger aus ihm heraus, hob sein Becken noch ein bisschen höher und drang vorsichtig in ihn ein. Scheiße fühlte sich das gut an und jetzt kamen mir die letzten Tage Enthaltsamkeit teuer zu stehen, denn schon drohte mich diese leidenschaftliche Gefühlswelle zu übermannen. Er führte meine Hand zurück zu seinem Penis und bewegte sie. Hitze stieg in mir auf und ich ließ mich mitreißen. „Baby…komm für mich…“, raunte mir Juka zu und ich ließ los. Jukas Körpersaft floss über meine Hand und ich zog ihn hoch, in die Dusche. Ich wollte schon meinen Triumph feiern, da wurde ich durch einen einzigen Kuss schon wieder ins Paradies befördert und Jukas Finger in mir verliehen diesem fast willenlosen Gefühl nur Nachdruck. Er stimulierte mich an meinem empfindlichen Punkt und ich sah Sternchen. „Ohhh fuck…“, stöhnte ich nur noch als er mich an sich zog und meine Beine seine Hüften umschlossen. Er drückte mich an die kühle Steinwand der Dusche und drang nicht ganz so zaghaft in mich, aber auch nur weil er wusste, dass ich es härter mochte. Meine Hände krallten sich in seinen Haaren fest und ich war mir fast sicher, dass seine Lippen an meinem Hals Spuren hinterließen. Jukas Stöße wurden schneller und sein Puls unkontrollierter. Dann wieder langsamer. Er quälte mich und das mit Vergnügen. Doch ich genoss es auch ihn in mir zu spüren, so tief. Er bewegte sich wieder schneller. Seine Hand pumpte meine Erregung perfekt im Takt und kurz vor meinem Höhepunkt, brach er ab. Mir entfuhr ein gequältes Seufzen. Jukas Fingernägel kratzten über meine Brust und der leichte Schmerz ließ mich erzittern. „Netter Versuch, aber du weißt doch selbst, dass du mir den dominanten Part liebend gern überlässt…“ Damit fing er wieder an sich zu bewegen, immer schneller, immer tiefer und seine Hand pumpte er wieder im Takt. Mit einem erlösenden Schrei erschlaffte mein Körper. Ich war unfähig zu antworten, noch immer war mein Gehirn ziemlich vernebelt und ich stellte die Dusche an. Kühles Wasser rieselte auf unseren verschwitzten Körper und ich schloss die Augen. Jukas Küsse im Nacken ließen mich leicht schaudern. „Natürlich macht mich das an, aber es is auch immer wieder ziemlich sexy dich auch ein bisschen willenlos zu sehen.“ Seine Hände auf meinem Körper hinterließen noch immer dieses wundervolle Kribbeln und seine Zunge hinterließ ein leichtes Brennen auf den Kratzern. Mein süßer sadistischer Liebling. Wir lagen in der warmen Sonne und meine Hand griff nach seiner. „Juka…“ Ich drehte mich ein bisschen zur Seite um ihn anschauen zu können. „Mhh, was denn?“ „Ich hab da ne Idee für’s neue Album…mit den Texten hab ich auch schon begonnen…“ „Das hab ich gehört und es war atemberaubend Luki.“ „Es soll unsere Geschichte werden…ich meine naja eher die guten Parts, die in denen wir uns wiedergefunden haben und uns erneut lieben lernten…die Musik soll ausdrücken, wie sehr wir uns gegenseitig inspirieren und respektieren. Ich möchte, dass alle wissen, wie viel du mir bedeutest Juka und wie sehr du mich schätzt ohne mich großartig ändern zu wollen.“ Schon allein um diesen Ausdruck gerade in Jukas Gesicht zu sehen, waren es diese Worte Gold wert, aber das war erst der Anfang meiner Rede. „Wow…“, kam es nur von ihm und ich fuhr fort. „Naja, wobei ein bisschen verändert hast du mich ja trotzdem…durch dich habe ich gelernt mit meinen Gefühlen umzugehen, sie zu kontrollieren, trotz des Schmerzes…ich meine es is noch immer übel krass hier zu sein…ohne Flo und so, aber so lange du an meiner Seite bist, isses okay…nein mehr als das. Du hältst mich, stehst mir bei und gibst mir Kraft. Mit dir an meiner Seite is vieles so viel einfacher und ich frag mich noch immer, wenn ich morgens neben dir aufwache, womit ich das verdient habe? Doch irgendwie denke ich auch, dass es jeder verdient hat glücklich zu sein und du bist in vielerlei Hinsicht so viel positiver als ich…du bist mein perfektes Gegenstück…du bist mein Licht am Ende des Tunnels, mein Engel auf Erden, der es immer wieder schafft meine dämonische Seite zu bekämpfen. Ich danke dir dafür…ich liebe dich dafür.“ Mein liebster grinste mich völlig verliebt an und waren das Freudentränchen, die in seinen Augen glitzerten? Hatten ihn meine Worte tatsächlich so berührt? Juka nahm meine Hand und drückte sie. „Immer noch wow und selbst wenn ich jetzt etwas zu erwidern wüsste, würde ich es nicht sagen, denn das würde deinen Worten gerade nicht gerecht werden. Ich liebe dich auch Luki…so sehr…mein kleiner Dämon, das trifft es ziemlich gut“, lachte er küsste mich. Kapitel 90: Ein letztes Mal Drama --------------------------------- „Süße, wir müssen reden.“ Jojo schaute von ihrer Arbeit am Wohnzimmertisch auf und warf mir einen fragenden Blick zu. „Über was denn?“ Ich ließ mich neben ihr nieder. „Es geht um Alice…“, begann ich. „Was hat sie angestellt? War sie frech oder so?“ Ich lächelte und schüttelte mit dem Kopf. „Nein keine Sorge…nur ich hab mich gefragt, ob du sie für zwei Wochen entbehren könntest?“ „Ähm, hast du vor sie mit nach Tokio zu nehmen?“, fragte meine Schwester etwas skeptisch und schien mich gut genug zu kennen, um den Grund zu erahnen. „Nur wenn du einverstanden bist…sie hat mich in letzter Zeit oft nach Naoki gefragt…und ich dachte, naja, vielleicht sollte sie ihn sehen.“ „Bist du jetzt völlig irre? Hast du schon vergessen, dass er sich nen Scheiß für Alice und mich interessiert?“, fuhr sie mich an. Behutsam legte ich meine Hand auf ihre Schulter. „Jojo, glaubst du ernsthaft, ich will dir und Alice was Böses? Sie ist ein Mädchen von fünf Jahren und willst du ihr etwa verbieten ihren Vater zu sehen?“ „Ja, wenn es sein muss…was ist, wenn er es sich auf einmal doch anders überlegt und sie mir wegnehmen will? Das würde ich nicht verkraften.“ „Süße…das wird nich passieren. Ich werd ihm lediglich sagen, dass Alice da is und wenn er will kann er vorbeikommen. Ich lasse weder zu, dass er irgendwie allein mit ihr is, geschweigenden sie mit irgendwohin nimmt.“ „Weiß trotzdem nicht, ob ich das so toll finde. Außerdem bedeutet das, dass du auch bald wieder weg bist.“ Ich verdrehte die Augen. „Ein paar Tage bin ich ja noch da. Überlege es dir bitte oder rede auch mit ihr darüber. Ich glaub sie will dich nich fragen, weil sie weiß, dass Naoki dich sehr verletzt hat. Jojo sie liebt dich und nichts kann etwas daran ändern. Und wolltest du nich neulich ein bisschen mehr Zeit für Jayden und dich?“ Mein Schwesterchen seufzte und ließ sich noch tiefer in die Sofakissen sinken. „Das schlimme ist, dass du vermutlich Recht hast und ich hab mich insgeheim schon gefragt, wann dieser Tag kommt. Dass sie allerdings mit dir darüber spricht hätte ich nicht erwartet. Aber vielleicht besser jetzt als später…pass auf meinen kleinen Schatz auf…und ja, zwei Wochen mal wieder Zeit nur für mich zu haben klingt in der Tat traumhaft.“ Ich schloss sie in meine Arme und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.   Vier Tage später traten wir den Heimweg an und meine kleine Nichte freute sich riesig. Allerdings brachte ich es nicht übers Herz ihr zu sagen, dass ihr toller Vater vermutlich nichts von ihr wissen wollte. Alice schaute erst einen Film, dann schlief sie im Flugzeug ein. Ihr Kopf sank gegen meine Schulter. Juka lächelte mich leicht süffisant an. „Was is?“ „Ist es schlimm, dass ich diese Seite an dir verdammt sexy finde?“ „Was, dass ich gut mit Kindern umgehen kann? Tja, jetzt haben wir das kleine Monster zwei Wochen am Hals. Und was willst damit jetzt andeuten?“ Juka zuckte mit den Schultern. „Nicht mehr und nicht weniger, als du gerade sagtest…ich habe keine Zeit für Kinder Luki und vermutlich auch keinen Nerv, aber Alice ist toll und ich mag sie. Ich glaube, falls wir Kinder hätten, wärst du ein wundervoller Dad.“ Ich schüttelte heftig mit dem Kopf und öffnete mir eine Cola. „Vergiss es…ein Grund weshalb ich schwul geworden bin…ich will echt keine Kinder Juka. Ich bin gern der coole Onkel, aber mehr nich.“ Mein liebster warf mir einen Handkuss zu den ich mit einem Lächeln erwiderte.   Einen Tag nach unserer Ankunft rief ich Naoki an, ob er Interesse daran hätte seine Tochter zu sehen und zu meiner Überraschung willigte er ein zu uns zu kommen. Alice freute sich total und ich hoffte wirklich, dass er sich benahm. Und dennoch empfing ich ihn mit feindseligem Blick. Unsere Begrüßung war kaum mehr als ein Nicken. Alice hingegen kam gleich angerannt und umarmte Naoki, was ihn sichtlich zu überfordern schien. Wir machten es uns bei Kaffee und Kuchen auf dem Sofa bequem und meine kleine Nichte unterhielt uns mit Kindergartengeschichten. Die eine oder andere Anekdote brachte dann auch ihren werten Herr Papa zum Schmunzeln. „Wollen wir nicht noch was essen gehen? Ich lade euch ein.“ Am liebsten hätte ich verneint, aber diesen leuchtenden, bittenden Kinderaugen konnte ich nun mal keinen Wunsch abschlagen. Juka schlug vor in unser Sushirestaurante des Vertrauens zu gehen und Naoki war einverstanden. „Papa, gibt’s hier auch so tolle Spielplätze? In Mama und meiner Stadt bin ich immer auf dem Wasserspielplatz.“ „Bestimmt, aber es gibt auf jeden Fall ein Disney Land mit vielen coolen Prinzessinnen. Da können wir ja hingehen, was sagst du Lukas?“ Meine Lippen kräuselten sich und das letzte was ich wollte, war mit diesem Spinner ins Disney Land zu fahren. „Wäre ne Überlegung wert.“ „Schön. Wie lang bist du da meine kleine?“, fragte er Alice. Meine Kleine? Sie war bestimmt alles nur nicht eine Kleine! Ich sollte mich echt zusammenreißen. Juka verpasste mir unter dem Tisch einen Tritt und ich warf ihm einen bösen Blick zu. „Zwei Wochen oder Lukas?“ Ich nickte nur und nippte an meinem Getränk. Was war nur los mit mir? Naoki stellte sich nicht mal so dumm an und sein Verhalten Alice gegenüber war sehr nett, doch in mir war die Bombe kurz vorm Explodieren. „Ich hab noch einige Termine, aber vielleicht nächstes Wochenende?“, fragte er und schaute in die Runde. Meine Nichte hüpfte aufgeregt neben mir auf und ab. „Oh bitte bitte bitte Lukas!“ „Meinetwegen.“ Sie umarmte mich und ich versuchte zu Lächeln. Später skypten wir mit meiner Schwester, weil sie unbedingt alle Details wollte. Natürlich musste Alice gleich erzählen, dass wir kommendes Wochenende ins Disney Land fahren wollten. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel, damit sie sich keine Sorgen machte. Ich schlief schlecht in dieser Nacht und wurde dauernd wach. Da hörte ich, wie mich Alice rief und ich eilte eine Etage tiefer, wo sie im Schlafanzug und ihrer Kuschelkatze im Arm stand. Mit glasigen Augen sah sie mich an. „Was ist los mein Schatz?“ „Mir ist immer warm und wieder kalt…und der Bauch tut weh.“ Ich nahm sie in die Arme und fühlte, dass sie erheblich heißer war als normal. Auch Juka kam die Wendeltreppe herunter. „Haben wir was gegen Fieber da?“ Er schüttelte den Kopf. „Aber ich besorge was. Ihr zwei bleibt hier.“ Ich drückte ihm einen Kuss auf die Lippen, kuschelte Alice in eine Decke ein und nahm sie mit hoch in unser Schlafzimmer. Juka würde sicher zu Sayuri fahren, weil sie als angehende Krankenschwester sicher alles an Medikamenten besaß. Mir war ein bisschen komisch zumute und ich hoffte, dass Alice schnell wieder gesund werden würde. Sie schlummerte schon wieder weg, doch ich bekam kein Auge zu. Etwa eine halbe Stunde später hörte ich die Tür wieder ins Schloss fallen und wenig später kam er mit einer Tablette sowie einem Glas Wasser zurück. Ich weckte Alice und sie schluckte brav ihre Medizin, um gleich wieder zu schlafen. Juka kuschelte sich wieder zu uns ins Bett. „Das wird schon wieder Luki.“ Als ihr Atme regelmäßiger ging konnte auch mich etwas entspannen und schlafen.   Juka verabschiedete sich am nächsten Morgen ins Büro und ich arbeitete von zu Hause. So gut das eben möglich war. Eigentlich hätte ich Alice gern mit ins Studio genommen, weil ich dort noch ein paar Aufnahmen machen musste, doch ich konnte sie schlecht so mitnehmen. Deshalb tat ich was irgendwie in meiner Macht stand. Allerdings stimmte mich das alles ganz und gar nicht zufrieden, deshalb tat ich etwas, wofür mich meine Schwester vermutlich hassen würde, wenn sie davon Wind bekäme. Ich rief Naoki an und bat ihn für zwei bis drei Stunden bei Alice zu bleiben, damit ich ins Studio rüber gehen konnte. Er willigte sogar ein und meinte, er könne seine Termine auch flexibel legen. „Süße, Papa kommt für ein paar Stunden. Ich muss kurz was arbeiten, aber verspreche, dass ich so schnell wie möglich zurück bin.“ „Papa ist okay. Darf ich noch einen Film gucken?“ Ich zeigte ihr, wie man Filme in der Mediathek auswählen konnte, da klingelte es auch schon. Im Wohnzimmer hatten wir eine Kamera installiert, die mit Juka und meinem Handy verbunden war, sodass wir alles sehen konnten. Damals war das eher zum Spaß gewesen, doch jetzt erwies sich diese Spielerei als weitaus nützlicher als gedacht. Natürlich verschwieg ich das meinem tollen Schwager und hoffte für ihn, dass er das nicht verkacken würde. Im Studio kam ich schneller voran und delegierte Aufgaben an meine Mitarbeiter. Hin und wieder warf ich einen Blick auf mein Handy. Auch zu Hause schien alles in Ordnung zu sein. Juka brachte mir zwischendurch einen Kaffee und ein Sandwich. „Weil du sicher wieder vergisst etwas zu essen…irgendwann muss ich dich bestimmt halb ohnmächtig vor Hunger und Durst nach Hause tragen.“ „Spinner. Ich hab vorhin gefrühstückt und heut Abend wollte ich was kochen.“ Fast automatisch warf ich wieder einen Blick auf die Kamera. Da traf mich fast der Schlag, obwohl Alice zu schlafen schien, telefonierte dieser Bastard mit irgendwem und war gerade damit beschäftigt sich einen Joint zu drehen. Ich warf Juka einen besorgten Blick zu. „Geh…er hatte seine Chance Luki.“ Meine Schritte konnten nicht schnell genug sein und ziemlich abgehetzt kam ich in meiner Wohnung an. Naoki vergnügte sich gerade auf dem Balkon und hatte mich nicht gehört. Alice schlief noch immer. Sie tat mir echt leid. Ich riss die Balkontür auf und funkelte ihn wütend an. Abrupt beendete er sein Gespräch und bemerkte sofort, dass er es verbockt hatte. „Du lernst echt nichts dazu oder? Verpiss dich einfach und wage es ja nich zurückzukommen!“ „Was regst du dich denn so auf? Ich habe nichts getan. Alice schläft und ich habe auch noch Sachen zu tun.“ „Dich abzuschießen und vollaufen zu lassen? Naoki reiz mich nich noch mehr. Geh einfach, bevor ich mich verliere“, drohte ich ihm. „Jetzt tue doch nicht so, als ob du immer unschuldig bist Lukas. Außerdem ist das meine erste Zigarette heute und damit meine ich erste…darf ich nicht mal ein Energy trinken, um wach zu bleiben? Übertreib es halt, du kannst mir nichts vorwerfen, weil ich nichts getan hab“, antwortete er. Und tatsächlich, das, was auf dem Bildschirm wie ein Joint und Alkohol ausgesehen hatte, war tatsächlich nur eine normale Zigarette und ein Energydrink. Ich atmete tief ein und wieder aus. „Ich fände es trotzdem besser, wenn du in ihrer Gegenwart nicht rauchst, okay?“ Naoki zuckte gelassen mit den Schultern und drückte die Kippe aus. „Zufrieden?“ Hatte ich Naoki etwa doch falsch eingeschätzt? Er wirkte weder benebelt noch betrunken. „Okay…ich bin eben etwas empfindlich, was Alice angeht.“ Leicht nervös kaute er auf seiner Unterlippe herum. „Das kann ich mittlerweile irgendwie nachvollziehen…sie ist ein schönes Mädchen. Ich würde ihr nie etwas tun, was ihr schaden könnte…also komm Mal runter!“ Er hauchte seiner Tochter noch einen Kuss auf die Stirn und verließ meine Wohnung. Ich schlich leise in die Küche und kochte meinem kleinen Liebling etwas zum Essen, denn wenn sie erwachte, hatte sie sicher hunger. Ich lud Sayuri zum Essen ein, aber nicht nur, weil ich ihre Gesellschaft schätzte, sondern auch, weil ich sie fragen wollte, ob sie in den nächsten zwei Tagen Zeit hätte auf Alice aufzupassen, denn wir mussten die Aufnahmen fertig bekommen und so krank konnte ich Alice nicht mit ins Studio nehmen. Sie hatte nichts dagegen und auch meine Nichte schien Jukas jüngere Schwester sehr zu mögen. Sie schmiedeten schon Pläne, was sie in den Tagen gemeinsam spielen würden. Erst jetzt beruhigte ich mich gänzlich und konnte am nächsten Morgen, ohne mir Sorgen machen zu müssen, ins Studio fahren. Am Ende des Tages versagte meine Stimme ein bisschen, aber wir bekamen alle Aufnahmen und ein bisschen geschafft ging ich eine rauchen. Da hörte ich eine Stimme, die ich sofort erkannte, aber nicht mochte. Ich lugte um die Ecke und da stand Naoki flirtend mit einer seiner hundert Fickbekanntschaften. Die Wut der letzten Tage kochte wieder hoch. Ich drückte meine Zigarette aus und schritt auf den jüngeren zu. Er hielt inne, als er mich sah, grinste dann aber. „Oh hallo Lieblingsschwager. Wie geht’s?“ An seinem verschleiertem Blick und dem Aspekt, dass er leicht schwankte, schien er schon wieder völlig drauf zu sein. „Du wagst es mich so zu nennen? Das bin ich sicher nich für dich. Was verschlägt dich überhaupt hier her?“ „Ach ich hab nen Remix von meiner Single machen wollen, aber dein dämlicher Freund meinte, dass er das nicht macht. Juka hat gesagt, dass meine Musik scheiße ist…muss er gerade sagen. Der bekommt doch auch nichts auf die Reihe…“ Naoki war das Letzte und ich konnte nicht länger zuhören. Meine Faust sauste fast automatisch ins sein Gesicht und sogleich lief Blut aus seiner Nase. Unerwarteter weise traf mich sein Schlag mindestens genauso hart. Auch ich schmeckte Blut und drückte ihn gegen die Wand. „Halt einfach deine Fresse und wag es nich noch Mal so über Juka zu urteilen. Wobei ich ihm Recht geben muss, deine Musik is grottig…verkauft sich das überhaupt?“ Naoki rammte mir sein Knie in den Bauch worauf ich ein weiteres mal zuschlug. Und wieder und wieder. Das Mädchen heulte nur noch und plötzlich wurde ich von Naoki weggezogen. Juka reichte mir ein Papiertaschentuch, mit dem ich mir das Blut aus dem Gesicht tupfte und erst jetzt merkte ich die Schmerzen. Vorsichtig betastete ich meine Nase, die zwar höllisch weh tat, aber nicht gebrochen zu sein schien. Naoki hatte mit seiner Tussi das Weite gesucht. „Musste das echt sein?“, fauchte mich mein Liebster an. „Ja musste es, weil er dich beleidigt hat Juka. Sorry, dass ich für dich Partei ergreife.“ Seine Züge wurden weicher. „Du weißt ich mag es nicht, wenn du dich schlägst und schon gar nicht mit Naoki.“ „Aber du bist es und Alice und Jojo…alle, die er verletzt hat und die zufällig zu meiner Familie gehören!“, motzte ich ihn jetzt an. „Aber es ist doch nichts passiert Luki. Okay, er hat sich gerade beschissen verhalten, aber Alice geht’s gut. Er war ihr ein guter Vater. Also lass es doch gut sein.“ „Genau das is der springende Punkt, er hat sich gerade beschissen verhalten! Und nur weil er einmal nett zu seiner Tochter ist, heißt das noch gar nichts! Du bist besser als er!“ Ich redete mich in Rage. „Ja genau, es ist seine Tochter und nicht deine. Ist es das, was dich so wütend macht? Dass er sich rührend um sie gekümmert hat und seine Chance nicht verspielt hat? Was er in seiner Freizeit treibt, kann dir doch egal sein.“ „Super! Dir scheint es ja genauso am Arsch vorbeizugehen. Ich geh heim, hab keinen Bock mehr mit dir zu reden. Bis später irgendwann.“ „Luki, warte…“ „Juka lass es einfach. Wir sind hier eh fertig.“   Ich schrieb Sayuri, dass sie Alice kurz ablenken musste, denn so mit Blut beschmiert wollte ich ihr nicht unter die Augen treten. Leise schlich ich in die Wohnung und verschwand auch gleich im Badezimmer, um zu duschen. Dann gesellte ich mich zu den Mädels. Meine kleine Nichte kuschelte sich an mich und ihr schien es wieder besser zu gehen. „Wo hast du denn meinen Bruder gelassen?“, fragte Sayuri etwas misstrauisch. Ich setzte ein Lächeln auf und hoffte, dass dieses nicht zu gespielt aussah. „Der hat noch ein paar Dinge im Studio zu erledigen, aber kommt sicher bald nach.“ „Achso. Was ist mit deiner Nase und an deiner Lippe passiert?“ Erst jetzt betrachtete mich auch Alice näher. „Oh nein, das tut doch weh. Was hast du da?“ Ihre zierlichen Finger tippten ganz sanft gegen meine Nase und ich fuhr leicht zusammen, als mich der Schmerz durchzuckte. „Der Mikroständer ist umgefallen und mir genau auf die Nase. Halb so schlimm und wird sicher bald besser“, log ich, doch die beiden schienen mir das abzukaufen. „Bringst du mich noch ins Bett? Mami sagt immer ich muss spätestens um 10 schlafen.“ Ich senkte beschämt meinen Blick, es war weit nach zehn. Sayuri verabschiedete sich und ich brachte meine kleine Nichte ins Bett. Ich selbst konnte nicht schlafen, wie so oft in den letzten Tagen. Mein Magen fühlte sich an, als wäre er voll mit Backsteinen, mein Herz als steckte es in einer Korsage und meine Gedanken liefen Amok. Ich hatte doch nur gewollt, dass Alice ein paar schöne Tage hier hat, eventuell ihren Vater besser kennenlernt und auch eben ihre asiatischen Wurzeln kennenlernt. Doch das hatte ich wohl jetzt verbockt und mit Juka hatte ich mich auch mal wieder gezofft. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und sprang vom Sofa auf. „Scheiß drauf“, murmelte ich zu mir selbst und holte ein Bier aus dem Kühlschrank. Draußen rauchte ich eine Zigarette und ärgerte mich über mich selbst, weil ich wieder allen hatte gerecht werden wollen und nichts auf die Reihe bekam. Mittlerweile waren fast zwei Stunden vergangen und Juka war noch immer nicht da, was wohl hieß, dass er echt sauer war, sich mit jemandem über mich auskotzte oder aber seinen Frust wegsoff. Das kam nicht oft vor, aber ab und an kam es vor und dieser Gedanke behagte mir gar nicht. Ich schluckte und versuchte das erdrückende Gefühl in meiner Magengegend zu ignorieren. Gerade als ich die Balkontür schloss, vernahm ich das Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss umgedreht wurde. Stimmen und etwas Gepolter. Ich grub die Fingernägel in meine Hände, den wie das klang, erwartete mich wohl Option zwei. Haruto und ein weiterer Kerl, der mir irgendwie bekannt vorkam stützten Juka rechts und links, um ihn aufs Sofa zu befördern. Dummerweise trug dieser heute seine Plateaustiefel, in denen man volltrunken besonders gut laufen konnte. Haruto winkte mir zu und ich gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass ich mich jetzt um Juka kümmerte. „Ich dacht du schläfst schon…“, lallte mein Mann. „Wie du siehst schlafe ich noch nich…ging auch nich…“ Juka startete den Versuch seine Stiefel auszuziehen, scheitere aber kläglich und ich erbarmte mich und half ihm. „Sorry, dass ich jetzt erst komm…hab bissl viel getrunken…“ „Wer war der andere Typ gerade noch…Haruto und? Irgendwie kam er mir bekannt vor“, fragte ich und plötzlich wich Juka meinem Blick aus. „Kaz…“ Mehr musste er nicht sagen, um meine gerade verglommene Wut wieder auflodern zu lassen. „Der Kaz?“ „Ja, der Kaz…“ „Verdammt Juka! Warum? Sind wir jetzt da angekommen, wo du deinem Ex die Ohren vollheulst?“ Ich fühlte mich, als hätte mir jemand mit einem Gummihammer auf den Kopf geschlagen. „Wir ham…nur geredet un getrunken…alles gut Luki…“ „Aber es dein beschissener Ex…du weißt wie mich sowas trifft…“ Auf einmal sprang Juka auf und rannte zum Bad. Das was ich hörte, reichte. Er kotzte sich förmlich die Seele aus dem Leib. Auch ich fühlte mich wie ausgekotzt und das, obwohl ich fast nichts getrunken hatte. Nach ein paar Minuten kam er zurück und ich hielt ihn, als er schwankte, beförderte ihn wieder auf die Couch und stellte ihm eine Flasche Wasser hin. „Hatte keine Ahnung das er kommt…wollte grad gehen, da isser aufgetaucht…und warum bis du so zickig? Hab ja nich mit ihm gevögelt oder so.“ Das war genug. Ich knallte die Balkontür hinter mir zu, um noch eine zu rauchen. Tränen stiegen mir in die Augen und ich griff nach meinem Handy in der Hosentasche. Nach dem dritten Mal klingeln ertönte eine vertraute warme Stimme. „Sorry, hab ich dich geweckt? Bei dir isses noch voll früh…aber ich brauch jetzt jemanden zum Reden.“ „Nee alles cool, was ist passiert?“ „Ich hab Naoki verprügelt und mich mit Juka gezofft…daraufhin hat er sich mit seinem Ex betrunken…aber halt im Proberaum und die waren auch nich allein…Jetzt liegt er sturzbetrunken auf dem Sofa und ich schmolle, weil er mit seinem Ex zusammen war…grad isses scheiße Basti und ich wünschte du wärst hier.“ Auf der anderen Seite der Leitung blieb es einen Moment still. „Und was von all dem nervt dich am meisten? Das mit seinem Ex oder?“ „Schon…es is sein verfickter Ex…und der sieht nich Mal scheiße aus…ahhh, ich dreh gleich durch. Warum macht er das?“ „Aber Juka ist zu dir nach Hause gekommen, weil er mit dir zusammen ist. Außerdem was regst du dich denn so auf? Immerhin hast du auch noch Kontakt mit deinen Exfreundinnen…Nici…Jule.“ „Wer bist du? Mein bester Freund oder mein Feind?“ „Lukasschatz…ich meine ja nur. Ich weiß du flippst gern wegen sowas aus, weil du immer noch denkst, Juka könnte irgendwann nen besseren als dich finden, aber ich hab das Gefühl das will er gar nicht. Er liebt dich und ja mein Gott, er war mit seinem Ex was trinken, na und?“ Ich seufzte. „Kannst du mal bitte aufhören so beschissen diplomatisch zu sein? Das weiß ich doch selbst…sauer bin ich trotzdem.“ „Das darfst du ja auch sein, aber du kannst Juka keinen Vorwurf machen. Vielleicht solltet ihr morgen reden, wenn er wieder bissl nüchtern ist.“ „Wird wohl das Beste sein…hast du dir eigentlich überlegt herzukommen…du fehlst mir…weil ich könnt dir anbieten mit unserem Privatjet zu kommen. In acht Tagen fliegt Alice zurück und da könntest du mit nach Tokio fliegen.“ „Puh, wenn ich das schaffe…ich sag dir noch Mal bescheid okay?“ „Alles klar…ich sollt jetzt pennen geh’n.“ „Schlaf schön und träum was süßes…“ Ich musste lächeln. „Danke…werd‘s versuchen.“ Jetzt fühlte ich mich ein bisschen besser, rauchte noch eine letzte Zigarette und schloss die Balkontür ab. Juka lag schon in den tiefen Jagdgründen, doch er trug noch alle seine Klamotten, deshalb zog ich ihn mit aller Kraft und Mühe bis auf die Unterhose aus, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und legte mich zu Alice.   Am nächsten Tag weckten mich Sonnenstrahlen, ein köstlicher Geruch und leise Stimmen. Alice lag nicht mehr neben mir. Ich streckte mich und gähnte. Die Gedanken an gestern Abend beziehungsweise an letzte Nacht ließen mein sonniges Gemüt wieder verdunkeln, dennoch beschloss ich aufzustehen und zog meinen Bademantel über. Auch Jukas Satinmorgenmantel hing nicht mehr am Haken. Es duftete nach Kaffee und Pfannkuchen. Eine Tür schloss sich und die Unterhaltung verstummte. An die Wand gelehnt beobachtete ich das Treiben meines wunderschönen Mannes. Er schien mich nicht zu bemerken. Die Bänder seines Morgenmantels hingen fast am Boden, das hieß er trug ihn offen. Alice schien weg zu sein, vielleicht mit Sayuri unterwegs. Leise schlich ich an Juka heran und legte meine Arme von hinten um ihn, spürte seinen muskulösen Bauch unter meinen Fingern und automatisch stoppten meine Berührungen am Bund seiner Boxershorts. „Tut mir leid, was ich gestern gesagt hab…es war dumm an dir zu zweifeln, auch wenn du sturzbetrunken warst.“ Mein liebster wendete sich mir zu und lächelte sanft. „Ja das war dumm, aber alles gut…wie geht’s deiner Nase?“ „Könnte schlimmer sein…tut noch ein bisschen weh und hat halt ein wenig Farbe bekommen.“ Jukas Hände glitten in meinen Bademantel und behutsam hauchte er einen Kuss auf mein verletztes Riechorgan. Dann wandte er sich wieder den Pfannkuchen zu, doch mein Kopf wollte jetzt etwas ganz anderes. Ich stellte die Pfanne vom Herd und streichelte wieder über seinen Bauch und dieses Mal hielt ich nicht am Bund seiner Unterhose an. Glitt tiefer und entlockte ihm dieses wundervolle kehlige Stöhnen, was mich nur noch mehr anspornte. Mit einem Ruck drehte ich ihn zu mir, küsste ihn voller Begierde und drang mit meiner Zunge in seinen Mund. Schob meine Hände in seine Shorts und zog sie runter. Meine Küsse und meine Zunge wanderten tiefer bis hin zum Objekt der Begierde. Ich umkreiste die Spitze und ließ meine Zähne an Jukas Erektion entlangfahren. Seine Hände krallten sich in meine Schultern. Ich erhob mich wieder, um ihn zu küssen. Mein Mittel- und Zeigefinger streiften seine Lippen. Er verstand was ich wollte und befeuchtete sie mit seiner Zunge. Das Lodern in seinem Blick ließ mich grinsen. Nach unserer nicht ganz so kurzen Unterbrechung widmete sich mein liebster wieder dem Frühstück zu und ich schaute ihm verliebt dabei zu.   Gedankenverloren rauchte ich eine Verdauungszigarette auf dem Balkon und ließ meinen Blick über Tokio schweifen. Ich war glücklich, sehr sogar.   ENDE Epilog: Oder der Kampf um die Prinzessin ---------------------------------------- Jojo war gerade damit beschäftigt mal wieder ihre Wohnung zu putzen. Im Schlafzimmer zog sie alle Betten ab, warf das Bettzeug gleich in die Wäsche und wischte Staub. Das war Mal wieder ein guter Zeitpunkt, um Ordnung in ihrem Nachtisch zu schaffen. Sie verteilte den Inhalt auf dem Bett. Da setzte ihr Herz auf einmal aus und schlug danach doppelt so schnell weiter. Utsukushī josei stand auf dem Kuvert. Jojo schluckte und obwohl sie Naoki schon zwei Jahre nicht gesehen hatte, hallten dessen Worte in ihrem Kopf. „Lies den Brief erst, wenn du bereit dazu bist.“ Doch was meinte er damit? „Ach verflucht seist du dämlicher Kerl!“, sagte sie zu sich selbst und öffnete den Umschlag, um den Brief zu lesen. Liebste Johanna, diese Zeilen habe ich verfasst, kurz nachdem wir uns im Studio über den Weg gelaufen sind und du ziemlich fassungslos warst, weil ich zwei Mädels an meiner Seite hatte. Ich habe sie mit zu mir nach Hause genommen und da hocken sie jetzt. Machen vor mir miteinander rum, während ich mir eine Line nach der anderen rein ziehe und nebenher an dich denke. Deshalb hab ich beschlossen diesen Brief zu schreiben, weil du mich ohnehin nicht sehen willst. Vielleicht gebe ich ihn Lukas irgendwann oder wer weiß, vielleicht bekommst du ihn auch niemals zu lesen, denn was bedeutet für dich schon das sinnlose Geschwafel von einem Idioten wie mir. Versuchen will ich es dennoch. Ich möchte nicht, dass du denkst Alice oder du wären mir egal, nur hab ich keine Ahnung, wie ich dich zurückgewinnen kann. Ich weiß, mein Leben vor dir passte dir so gar nicht und ich habe an dem Tag, an dem ich einfach abgezischt bin, mächtig übertrieben. Als du mich dann angerufen hast und gefragt hast, ob ich zurückkomme, war ich schon ziemlich zukekokst und wollte dir eins auswischen, weil ich so sauer war. Willst du wissen, was ich tatsächlich getan hab? Ich saß alleine zu Hause. In meinem ach so tollen Penthouse, doch die Betonung liegt auf allein. Ich wollte keine anderen Mädchen um mich herum haben, nein ich wollte dich. Nur dich und das immer. Jojo, hab ich dir jemals gesagt, dass ich dich liebe? Ich glaube, das hab ich versäumt, wie so vieles. Doch es ist die Wahrheit. Ich liebe dich, denn jedes Mal, wenn ich dich sehe, geht die Sonne für mich auf und mein Herz schlägt viel schneller als sonst. Du bist die Frau, mit der ich alt werden möchte, naja, vielleicht sollten wir vorher heiraten? Ich weiß es nicht. Bin nicht Mal sicher, wie du zum Heiraten stehst, weil ich nie danach gefragt habe und jetzt ist es zu spät. Ich habe die Liebe meines Lebens einfach gehen lassen. Ziemlich bescheuert oder? Falls du diesen Brief irgendwann liest, hoffe ich, dass du mir vergeben kannst. Mehr erhoffe ich mir gar nicht. Aber vielleicht erreichen dich diese Zeilen auch niemals und diese geschriebenen Worte landen im Müll. Jojo, ich wollte immer nur das Beste für dich. Naoki Heiße Tränen benetzten Jojos Gesicht und sie schluchzte heftig. Den Brief drückte sie fest an ihre Brust. Zum Glück war niemand da, der sie hätte hören können. Sie weinte bitterlich und wünschte sich, dass Naoki jetzt bei ihr sein könnte. Dieser dämliche Idiot! Warum hatte sie den Brief nur nicht früher gelesen? Bevor Jayden ihr den Heiratsantrag gemacht hatte. Ihr Herz schmerzte. Ja Jayden, der gerade mit Alice unterwegs war, um Vorbereitungen für die Hochzeit zu treffen. Zwar waren noch nicht alle Details geplant, doch die Location stand und die Karten sollten die Tage verschickt werden. Wieder erlag sie einem Heulanfall. Sie musste dringend mit jemandem reden und wählte die Nummer, die sie mittlerweile Inn und auswendig kannte. „Süße, gerade ist es schlecht, kann ich dich zurückrufen?“ „Nina…kannst du kommen?“, schluchzte sie. „Oh nein, was ist passiert? Egal, ich bin gleich da!“ Erleichtert atmete Jojo auf, den Brief noch immer in den Händen haltend. Irgendwie war sie unfähig sich zu bewegen und als sie unten die Tür hörte, rief sie nur, dass ihre liebste Freundin ins Schlafzimmer kommen solle. Sofort wurde Jojo in Ninas Arme geschlossen und weinte bitterlich. „Süße, was um Himmels Willen ist denn passiert? Du machst mir echt gerade Sorgen.“ Jojo hielt Nina mit zittrigen Händen den Brief hin. „Lies das“, bat sie und die Blonde überflog die Zeilen. Mit großen Augen und offenem Mund starrte sie Jojo an. „Von wann ist der Brief?“ Sie tippte auf das Datum rechts oben in der Ecke. Etwa ein Jahr alt. „Nina…was mach ich denn jetzt?“ Nina blies die Backen auf und lies so etwas Luft entweichen. Sie kratzte sich am Hinterkopf und ihr Blick richtete sich gen Decke, während sie sich den Kopf darüber zermattete, was ihre beste Freundin denn tun konnte. „Was für eine Scheiße! Warum hast du den doofen Brief auch jetzt erst gelesen?“ „Weil ich vergessen hab, dass er ihn mir gegeben hat…hab heut aufgeräumt und ihn durch Zufall gefunden.“ „Shit…vielleicht hat Naoki ja auch vergessen, dass er ihn geschrieben hat, immerhin war er laut seiner Worte mächtig zugedröhnt.“ Jojo verdrehte die Augen und putzte sich die Nase. „Irgendwie will ich das nicht glauben. Meinst du, ich soll nach Tokio fliegen? Ich muss das vor der Hochzeit klären Nina…“ „Oh Süße…glaubst du, dein Zukünftiger wird begeistert von der Idee sein?“ Jojo zuckte mit den Schultern und erneut traten ihr die Tränen in die Augen. „Ich könnte sagen, dass ich Lukas besuchen will…oder ich frag Naoki, ob er herkommt? Das wäre Option B.“ „Boah, ich weiß nicht…das ist irgendwie alles ziemlich heftig. Und was dann Jojo? Was erwartest du dir davon?“ „Ich weiß es nicht…“ „Hör mal zu, du bist mit einem wunderschönen Mann zusammen, den du bald heiraten wirst. Naoki ist Alice Vater und er sieht sie ja auch ab und zu, aber deshalb jetzt alles über den Haufen zu werfen? Es sei denn, du hast auf einmal Zweifel?“ Wieder zuckte sie mit den Schultern. „Ich weiß es nicht…nur hab ich das Gefühl diese Sache nicht am Telefon oder so klären zu können.“ Nina zog ihre verzweifelte Freundin in die Arme. „Pass auf, du schläfst da eine Nacht drüber und wenn du morgen immer noch das Bedürfnis hast, dich bei ihm melden zu müssen, tust du das. Aber nicht ohne mich“, betonte sie noch extra. Jojo nickte. „Danke, du bist die Beste.“ „So und jetzt muss ich los, für dich hab ich meinen Friseur versetzte.“ „Sorry…dann bis morgen. Kommst du zum Mittagessen?“ „Geht klar.“ Die Freundinnen umarmten sich und Jojo setzte ihre eigentliche Tätigkeit fort. Wenig später kehrten auch Jay und ihr kleiner Liebling zurück. Kurz dachte sie wieder an den Brief und nicht zum ersten Mal fiel ihr auf, wie viel Ähnlichkeit Alice mit ihrem Daddy hatte. Doch das hatte sie die Jahre wohl eindeutig verdrängt. „Hast du geweint Schatz?“, fragte ihr Verlobter. Jojo lachte ein bisschen zu überspitzt. „Ähm nein, sind wohl die Pollen, alles gut.“ Jayden zog die Stirn in Falten und musterte sie. „Pollen? Du hattest doch noch nie Heuschnupfen“, wunderte er sich und das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Sowas kann man immer bekommen…es ist echt alles okay.“ Die kleine Familie aß zusammen und dann brachte sie Alice ins Bett. Dieses Jahr würde sie schon in die Schule kommen. Wahnsinn wie schnell die Zeit verging. Wie jeden Abend sang sie ihrer Tochter noch ein Gute-Nacht-Lied vor und hauchte einen Kuss auf ihre Stirn. „Mama…ist wirklich alles okay?“, fragte sie dann. „Sicher…sag Mal, vermisst du Papa?“ Etwas verwundert schaute Alice ihre Mutter an. „Manchmal schon. Aber ich hab ihn ja dieses Jahr schon gesehen…ich glaub er vermisst dich…“ Jojo schluckte heftig. „Wie kommst du darauf?“ „Naja, er schaut mich immer so traurig an und er hat keine anderen Freundinnen mehr. Manchmal hab ich sie kurz gesehen, aber die letzten Besuche nicht.“ „Schlaf jetzt mein Schatz. Ich hab dich lieb.“ „Ich dich auch Mama.“ Mit schwerem Herzen stieg Jojo die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, wo Jayden auf sie wartete. Lächelnd zog er sie in eine Umarmung und küsste sie zaghaft. „Hab ich dir heut schon Mal gesagt, dass ich dich liebe?“, säuselte er ihr ins Ohr und vorsichtig schob sie ihn von sich, schüttelte den Kopf und versuchte zu Lächeln. „Nein…“, antwortete sie. Zu mehr war sie gerade nicht fähig. „Jojo, was ist los?“ „Nichts“, kam es wie aus der Pistole geschossen und sie erschrak selbst über den gereizten Ton in ihrer Stimme. „Und warum glaub ich dir das nicht? Hast du Streit mit Lukas? Oder Nina?“ „Es ist nichts okay! Und jetzt lass es gut sein!“ Entschuldigend hob ihr Liebster die Hände und drehte sich beleidigt weg. „Dann halt nicht“, motzte er. Jojo holte sich ein Glas, schenkte sich Wein ein und verschwand zum Pool. Dort zog sie sich hin und wieder zurück, wenn sie ihre Ruhe haben wollte. Der Brief steckte noch immer in ihrer Hosentasche. Sie rief Naokis Instagram Account auf und checkte seine letzten Einträge. Da entdeckte sie ein neues Tanzvideo, bei dem ihr der Atem stockte. Bei seinen Bewegungen wirbelten seine mittlerweile blauen schulterlangen Haare durch die Luft. Alles sah so leicht und unbeschwingt aus, als würde er fliegen. Irgendjemand applaudierte im Hintergrund. Haruto sprang kurz ins Bild und winkte. Die beiden Brüder gaben sich ein High-five und zu Ende war das Video. Erneut traten Jojo Tränen in die Augen und auf einmal war alles wieder da. Die Erinnerung an den Trip nach Tokio, wo sie Naoki kennengelernt hatte. Wieder begann sie zu weinen und je mehr Bilder sie sich ansah, desto mehr verzehrte sich ihr Herz nach diesem Mann. Und dann handelten ihren Gefühle schneller, als ihr Verstand. Jojo: Hey, wie geht es dir? Ich hab deinen Brief heut gelesen, wenn du dich überhaupt noch erinnerst, dass du ihn geschrieben hast. Ich bin ziemlich durcheinander und wünschte, wir könnten reden. Schnell, ohne die Nachricht ein weiteres Mal zu lesen, drückte sie auf senden. Nachdem sie ihr Glas geleert hatte, kehrte sie zu Jayden zurück. Jedoch machte sie ihm gleich deutlich, dass sie ins Bett wollte. In dem Moment vibrierte ihr Handy. Verflucht. Ihr Verlobter lag neben ihr und auch er scrollte noch durch die neusten News. Also schaute sie nach. Doch es war nur Nina, die ihre eine Gute-Nacht wünschte und ein Herzchen schickte. Tief seufzend legte Jojo das dumme Telefon endlich weg und knipste das Licht aus. Nach einem kurzen Zögern gab sie Jayden noch einen Kuss, denn das hatte er nicht verdient. Nach dem Frühstück brachte sie Alice in den Kindergarten und Jay ging arbeiten. Sie tat, als wäre wieder alles in bester Ordnung und versuchte es als dummes Hirngespinst abzutun. Nina kam zum Mittag und brachte Sushi mit. Jojo warf ihrer Freundin einen vernichtenden Blick zu und diese zuckte unschuldig mit den Schultern. „Sorry, mir wurde erst danach klar, dass das vielleicht eine dumme Idee ist. Zu spät.“ Sie setzten sich ins Wohnzimmer auf das Sofa, weil es gemütlicher war. „Ich hab ihm geschrieben…gestern Abend.“ „Jojo!“, rief Nina empört aus und die angesprochene zuckte leicht zusammen. „Sorry…ich konnte nicht warten. Er hat eh noch nicht geantwortet.“ „Trotzdem. Du und deine Kurzschluss Reaktionen. Musst du heut nicht ins Studio?“ „Nee, erst morgen. Die Kampagne hat ihren Auftrag um einen Tag verschoben.“ Die Mädchen aßen eine Weile schweigend, dann musterte Nina ihre Freundin eine Weile. „Weißt du, was ich mich gefragt habe?“ Jojo schüttelte mit dem Kopf. „Was denn?“ „Ob du ihn noch liebst? Naoki meine ich…“ „Schon klar…vielleicht…kann ich irgendwie nicht sagen.“ „Darüber solltest du vielleicht erst mal nachdenken…“ „Und was, wenn ja?“, fragte sie schüchtern und mit einem richtig schlechten Gewissen. „Dann ist es so…ihr solltet wirklich reden…“ Jojo seufzte. „Sag das Naoki Mal.“ Sie schaute auf ihr Handy, doch noch immer keine Antwort von ihm. „Nina, ich dreh durch…vor allem merkt Jayden was…ich hab keine Ahnung, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll“, schluchzte Jojo jetzt schon wieder. Nina klappte den Laptop auf, der auf dem Tisch lag und schaltete ihn an. Das Password kannte sie. Dann suchte sie nach Flügen nach Tokio. „Morgen elf Uhr geht ein Flug. Soll ich buchen?“ „Ernsthaft?“ Nina rollte die Augen. „Jaaaaaha, ernsthaft. Und ich komme mit…Alice auch, da haben wir mehr oder weniger ein Alibi…“ „Ahhhh, das ist verrückt…“ Jojo telefonierte mit ihrem Fotografen und fragte, ob sie das Shooting verschieben könne. Sie schob ein Notfall mit ihrem Bruder als Vorwand ein. Dann buchte Nina den Flug und sie packte einen Koffer. Zwischendurch setzte sie ihren Bruder noch von ihrer Reise in Kenntnis. „Drehst du jetzt völlig durch? Ich weiß nicht, was gestern passiert ist Jojo, aber so langsam denke ich, du bekommst kalte Füße…ich komm mit…allein fliegt ihr da nicht hin“, fuhr Jayden seine Verlobte an. „Doch…ich war schon oft allein in Japan…bitte Jay, vertrau mir…“ Seufzend ließ er sich auf die Couch sinken und strich sich über sein Gesicht. „Ja cool. Mama, sehen wir Papa auch?“ Heftig biss sich Jojo auf die Unterlippe und schloss kurz die Augen. Das entging ihrem Freund natürlich nicht. „Geht es etwa darum? Um deinen verfickten Ex?“ Sie presste ihm die Hand auf den Mund. „Nicht vor Alice!“, presste sie durch die knirschenden Zähne. „Das sagt man nicht Jay“, warf auch das junge Mädchen ein. Er entschuldigte sich bei ihr. Jayden fuhr sie zum Flughafen und sie umarmten sich lange. Im Flugzeug schauten sie die ganze Zeit Filme und Alice dämmerte irgendwann weg. Jojo und Nina schossen blöde Selfies mit Snapchat und kicherten dabei. Dann bestellten sie sich den zweiten Sekt. Ihr Bruder holte sie ab und sie fuhren zu seiner Wohnung. Dort wartete Juka auch schon und schloss die drei Mädchen in die Arme. Alice bekam gar nicht genug von ihrem Onkel und beschlagnahmte ihn sogleich. Jojo schmunzelte und auf einmal schienen all ihre Probleme nicht mehr ganz so furchtbar zu sein. „Was verschafft uns eigentlich die Ehre dieses Spontanbesuchs?“, fragte Lukas endlich und Jojo schluckte. Zog den Brief aus ihrer Tasche und reicht ihn ihrem Bruder. Dieser schüttelte nur lachend den Kopf und musterte seine Schwester mit diesem ernsthaft-Blick. Auch Juka hatte sich mit dem Inhalt vertraut gemacht und noch bevor Lukas etwas sagen konnte, ergriff sein wundervoller Mann das Wort. „Luki…ich finde es sehr mutig von Naoki, denn das passt irgendwie zusammen. Selbst ihr kommt mittlerweile ganz gut miteinander aus, weil er sich verändert hat, seit er wieder tanzt und mit der seiner Band tourt.“ „Jojo, du weißt schon, dass du in vier Monaten heiratest?“ „Ja, ich weiß und jetzt?“ Ihr Bruder winkte mit der Hand ab. „Mach, was du willst…“ Jojo hübschte sich auf, zog sich um und schminkte sich. Ihr Herz drohte zu zerspringen und sie war so nervös wie schon lange nicht mehr. Ein letzter Blick auf ihr Telefon verriet, dass Naoki noch immer nicht geantwortet hatte. Egal. Obwohl ihr die letzte Nacht in den Knochen hing, fühlte sie sich sehr wach. Alice sollte heute bei Lukas und Juka bleiben, wie auch Nina. Jojo kämmte ihre langen schwarzen Haare und flocht einen lockeren Zopf. Sie trat aus dem Bad und ihre Familie musterte sie. „Mama, warum machst du dich so hübsch für Papa?“, fragte ihr kleines Mädchen und sie lief rot an. „Einfach so…bis später.“ Jojo wusste nicht einmal, ob Naoki zu Hause war, doch nach Lukas Aussage musste er morgen arbeiten und die Wahrscheinlichkeit, dass er sich in seinem Penthouse aufhielt, war sehr groß. Den Weg dorthin kannte sie im Schlaf. Die bunten Lichter der Stadt stressten sie jedes Mal auf’s Neue und immer wieder fragte sie sich, wie man nur gern in dieser verrückten Stadt leben konnte. Nach zehn Minuten hatte sie ihr Ziel erreicht und klingelte. Als seine Stimme durch die Gegensprechanlage erklang, blieb ihr Herz kurz stehen und sie brachte keinen Ton raus. Ein weiteres Mal fragte er vermutlich, wer dort sei. Auf Japanisch eben. Er klang gereizter als zuvor. „Na-oki? Ich bin’s…“, antwortete sie schnell. „Fuck…“, antwortete er und sie konnte nicht einschätzen, ob das gut oder schlecht war. Schon war sie dran und drauf kehrt zu machen, da ertönte der Summer der Tür. Mit zittrigen Knien und flatternden Herzen fuhr sie in den zwanzigsten Stock. Die Tür zu seiner Wohnung stand offen und der Herr des Hauses lehnte im Türrahmen. Sein aufgeknöpftes Hemd gab den Blick auf seinen perfekten Oberkörper frei und Jojo konnte kaum mehr klar denken. Doch Moment, wenn sein Hemd offen stand, bedeutete das, er hatte Frauenbesuch? Das Blau seiner Haare leuchtete im Kontrast zu seiner hellen Haut. Verflucht, er sah unverschämt gut aus. Jojo blieb vor ihm stehen und sie schauten sich in die Augen. „Hey…“, begrüßte sie ihn. „Hey“, gab er zurück. Doch keiner der beiden rührte sich. „Darf ich rein kommen? Oder ist es gerade ungünstig…“ Naoki seufzte und trat einen Schritt zur Seite. Hinter sich schloss er die Tür. „Willst du was trinken?“ „Bier?“ Er verschwand in der Küche und kehrte mit zwei geöffneten Flaschen zurück. Wieder standen sie sich wie zwei Fremde gegenüber. Jojo legte ihre Jacke ab und warf sie auf’s Sofa, welches sie nur knapp verfehlte. „Hast du meine Nachricht bekommen?“, fragte sie schließlich. Er nickte nur und schwebte zum Sofa, auf dem er sich nieder ließ. „Ich hab dir auch geantwortet, nur scheinbar hast du das nicht mehr gelesen…“, antwortete er und automatisch zog das Mädchen ihr Handy heraus. Tatsächlich, eine ungelesene Nachricht. Naoki: Freut mich zu hören. Nur wie schon gesagt, es ist zu spät. In ein paar Monaten wirst du heiraten. Ich wünsch dir alles Gute. Er wusste es also. Trotzdem stand sie jetzt hier und konnte ihre Augen nicht von diesem wunderschönen Mann abwenden. Der Vater ihrer kleinen Tochter. Langsam schlich sie auf ihn zu und setzte sich mit etwas Abstand neben ihn. „Alice ist auch da und würde dich gern sehen.“ Zum ersten Mal an diesem Abend huschte ein Lächeln über seine Lippen. „Das würde mich freuen.“ Naoki schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und bot auch ihr eine an, die sie dankend annahm. „Wie geht es dir sonst?“ Er blies den Rauch aus und schaute sie wieder an. „Schlechten Menschen geht es immer gut oder wie geht der Spruch bei euch?“ Oh, wie hatte sie diesen süßen japanischen Akzent vermisst. „Ich meine es ernst.“ Er lachte kurz auf. „Und? Ich auch.“ „Naoki…dein ernst? Ist das alles?“ Wieder entfuhr ihm dieses gequälte Lachen. Er verschränkte seinen Arm hinter dem Kopf, wodurch er noch mehr von seinem heißen Body preisgab. Ein letzter Zug, dann drückte er die Zigarette im Aschenbecher aus. Und dann ereilten sie die Gefühle des letzten Tages. Ohne wirklich über die Konsequenzen nachzudenken schwang sie sich auf seinen Schoß und küsste ihn. Naoki überrumpelte der Kuss mindestens genauso, doch auch er hätte sich gerade nichts Schöneres vorstellen können. „Jojo, was tun wir hier?“, nuschelte er in den Kuss. „Wenn du mir einmal hier und jetzt sagst, was du mir geschrieben hast, lasse ich dich in Ruhe.“ „Was, dass ich…dich liebe?“ Jetzt war es vorbei mit ihrer Selbstbeherrschung und sie brach erneut in Tränen aus, doch Naoki hielt sie fest. Sie schluchzte bitterlich und vermutlich hätte sie sich das Make up sparen können. „Du bist so ein verdammter Idiot!“, beschimpfte sie ihn, doch er lachte nur. „Ach ja? Und weshalb?“ „Weil es zu spät ist! Hast du das nicht selbst gesagt?“, schluchzte sie noch immer und nahm das Taschentuch, welches Naoki ihr reichte. „Ja das habe ich…und dennoch bist du hier bei mir…was soll ich denn nun davon halten?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er Jojo erneut in einen Kuss. Doch dieses Mal intensivierte er diesen, schob seine Zunge zwischen ihre Lippen und sie gewährte ihm Einlass. Ihr ganzer Körper sehnte sich so sehr nach ihm, doch das konnte sie unmöglich tun. „Sag du es mir?“ „Mh, das beweist mir, dass ich vielleicht noch die Chance bekomme, bei dir zu landen…du bist hier und nicht bei ihm…also werde ich um dich kämpfen…und wer weiß, vielleicht heiratest du mich?“ Jojo musste lachen und schüttelte nur den Kopf. „Du bist verrückt…“ „Nicht weniger verrückt als du…ich meine ein Brief? Scheiße Jojo, du hast echt einen Knall.“ Nicht ganz unsanft boxte sie Naoki gegen den Arm. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute er sie an. „Du lernst auch nicht dazu…“, sagte er, holte aus und ließ seine Faust nicht zu doll gegen ihren Oberarm sausen. „Aua…“, murrte sie, doch Naoki grinste überlegen und zündete sich noch eine Zigarette an. „Ich muss ja echt einen beschissenen Eindruck hinterlassen haben, wenn du den Brief erst jetzt gelesen hast…“ Eine leichte Röte stieg ihr ins Gesicht. „Ich hab mich erst nicht getraut…dann hab ich ihn verlegt und gestern beim Putzen gefunden…“ Jetzt bekam Naoki einen Lachanfall, der sie ein wenig auf und ab hüpfen ließ. „Das klingt schon fast unglaubwürdig…aber dir traue ich das sogar zu…“ „Es stimmt…aber hast du das vorhin ernst gemeint?“ Er fixierte sie mit seinen dunklen Augen und grinste. „Aber sowas von…Süße, ich hab dich schon einmal verloren…und die bist Mutter meines kleinen Mädchens, ist das nicht Grund genug?“ „Vielleicht…“ „Wann fliegt ihr eigentlich zurück?“ Jojo zuckte mit den Schultern. „Ist noch nicht gebucht…“ Verschmitzt grinste Naoki. „Dann wird sie mein Privatjet zurückbringen Madame…und ich komme selbstverständlich mit…die Konkurrenz abchecken…“ „Naoki, du spinnst!“ „Nicht weniger als du…wer fliegt denn einfach so zu mir? Jojo, ich fahre alle Geschütze auf…das meine ich ernst! Falls du das nicht willst und weißt, dass du dich ohnehin für ihn entscheidest, sag mir das jetzt…“ Jojo, die noch immer auf Naokis Schoß saß und vermutlich aussah wie ein schlecht geschminkter Grufti, schmiegte sich an ihn. Berauscht von seiner Schönheit und überwältigt von seiner Ehrlichkeit, die sie sich früher gewünscht hätte. Liebevoll strich sie über die Tattoos auf seiner Brust. Wie weich sich seine Haut doch anfühlte. Dann schaute sie ihm wieder tief in die Augen, doch auch darin fand sie nichts Schlechtes. Früher hatte sein Blick immer so mysteriös gewirkt, als könne er sich vor ihr nicht öffnen oder als müsste er ihr etwas verheimlichen. Doch das konnte sie nicht finden. Sie küsste ihren Naoki ein weiteres Mal. Dann erhob sie sich schweren Herzens. „Na schön…wenn du bereit bist, um mich zu kämpfen, bin ich gespannt, wie du das anstellst. Ich will ehrlich zu dir sein…Jayden macht mich glücklich Naoki, sehr sogar. Alice mag ihn, doch sie vermisst dich…das merke ich.“ Auch Naoki erhob sich und sein Hemd glitt zu Boden. Er griff Jojo bei den Oberschenkeln und zog sie hoch, sodass sie auf seinen Hüften saß. Nur nicht schwach werden, dachte sie bei sich. Noch nicht zumindest. „Und du? Vermisst du mich auch?“, säuselte er ihr zu und stibitzte sich einen Kuss. „Ich erwarte, dass du fair spielst“, brachte sie nur mühevoll hervor. „Das tue ich doch immer…bekomm ich trotzdem eine Antwort?“ „Ja…sehr sogar…also, mein tapferer Ritter, kämpfe um deine Prinzessin und jetzt lass mich runter, ich muss gehen.“ Gespielt böse kräuselte sich seine Stirn. „Du kleine Hexe…und was soll ich jetzt mit mir anfangen? Erst kochst du mich weich und lässt mich dann hungernd zurück?“ „Dir wird schon was einfallen…ich betrüge Jay nicht und glaub mir, es fällt auch mir nicht leicht…doch ich denke, das warten lohnt sich…bitte, sei einmal im Leben vernünftig…“ Naoki ließ sie tatsächlich runter. „Wow…ich liebe dich, du wunderschönes Mädchen…kommst du morgen zum Abendessen?“ „Wenn ich Alice mitbringen darf“, erwiderte Jojo und Naoki biss sich heftig auf die Unterlippe und kniff die Augen zusammen. „Sehr gerne…und jetzt geh, bevor ich noch über dich herfalle…“, raunte er und Jojo schnappte ihre Jacke, schlüpfte in ihre Schuhe und zog die Tür hinter sich zu. Im Fahrstuhl fächelte sie sich mit der Hand Luft zu, um wieder atmen zu können. Noch immer spürte sie Naokis Lippen auf den ihren. Er liebte sie. Ein verträumtes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht und sie wollte ihn zurück. So sehr. Wie hatte sie nur so lange ohne ihn überlebt und warum hatte sie diesen verfluchten Brief nicht früher gefunden. Sie schallt sich selbst. Doch das war nun nicht mehr zu ändern und es lag eine Menge unschöner Arbeit vor ihr. Noch immer völlig verliebt grinsend kam sie zurück in die Wohnung ihres Bruders. Drei Augenpaare musterten sie inständig, doch sie grinste weiter, ließ sich zwischen Lukas und Nina auf dem Sofa nieder und kuschelte sich an ihre beste Freundin. Nina legte ihren Arm um Jojo und strich über ihren Kopf. „Er liebt mich…so richtig…keine Angst, es ist nichts passiert. Wir haben uns nur unterhalten und Naoki will mich zurückerobern“, erzählte sie noch immer auf Wolke 7 schwebend. „Süße, bist du dir da ganz sicher?“, fragte Lukas und sie wand sich ihrem Bruder zu. „Lukas, wenn mich einer versteht, dann wohl du. Naoki hat sich verändert und das zum Positiven…und vermutlich würde ich mich immer für ihn entscheiden. So wie du dich immer für Juka entscheiden würdest…Chaot hin oder her…“ Jetzt endlich grinste ihr Bruder und wurde von seinem wundervollen Mann in die Arme gezogen. „Ja, da kann ich wohl nicht dagegen halten. Du weißt aber schon, dass das mit Jayden ne unschöne Sache wird?“ „Tja…das muss ich wohl ausbaden…Naoki will mitkommen und Jay zuliebe sollten wir recht zeitig zurück. Ich will ihn nicht länger auf die Folter spannen, das hat er nicht verdient.“ Johanna kuschelte sich zu ihrem kleinen Mädchen ins Bett und träumte von Naoki. Vorher schrieb sie ihm noch, ob es in Ordnung sei, wenn sie übermorgen zurückflogen. Als Antwort schickte er nur ein grinsendes Smiley. Belustigt schüttelte sie mit dem Kopf, knipste ein Bild von Alice, bevor sie das Licht ausschaltete und schickte es ihm. Zurück kamen gefühlt hundert Herzchen. Sie schickte ihm ein letztes Kuss Emotji und legte das Handy weg. Pünktlich erreichten sie den kleinen Flugplatz, wo die Maschine schon wartete. Alice rannte ihrem Papa schnurstraks in die Arme und er schleuderte sie durch die Luft. Jojo umarmte ihren Bruder und Juka sehr lange, denn auch die beiden Chaoten fehlten ihr. „Ich hab dich lieb…pass auf dich auf…und auf ihn“, sagte Lukas und zeigte auf Naoki. Jojo grinste und nickte. „Ich melde mich. Sag Fabi liebste Grüße. Vielleicht kommen wir bald zurück oder sehen uns auf unserer Hochzeit…“ „Wie, ich denke, du heiratest nicht? Jetzt bin ich verwirrt.“ „Mh, ich hab nie gesagt, dass ich nicht heirate…die Frage ist nur wen…“ Lukas schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Juka, wehe, du sagst mir noch einmal, dass ich verrückt bin…zumindest kann Jojo jetzt nicht mehr abstreiten, dass wir miteinander verwandt sind.“ Während des Fluges kümmerte sich Naoki rührend um sein Töchterchen, was Jojos Herz zum Schmelzen brachte. Sie verfasste eine Nachricht an ihren „noch-Verlobten“ und teilte ihm mit, dass sie in ungefähr zehn Stunden da sein würden. Als Alice genug vom Spielen hatte, wollte sie Filme schauen. Naoki zog sein kleines Mädchen auf seinen Schoß und stellte das Ipad auf den Tisch. Sie suchte den Film aus und lehnte sich an ihren Papa. Hin und wieder warf er Jojo liebevolle Blicke zu, die sie erwiderte. „Wow…die beiden sind so süß zusammen…“, flüsterte Nina ihrer Freundin zu. Jojo nickte und dämmerte ebenfalls weg. „Soll ich mir ein Hotel nehmen?“ Jojo schüttelte energisch den Kopf. „Nein…komm einfach mit…ich rede mit ihm. Das wird ziemlich hässlich, aber ist okay. Kümmerst du dich solange um die Kleine?“ „Sehr gerne“, erwiderte Naoki und Johanna würde ihn zu gerne küssen nur musste das wohl bis später warten. Ihr Liebster zog sich mit ihrer gemeinsamen Tochter in Lukas alter Wohnung zurück und Jojo machte sich auf den Weg zu Jayden. Dieser wartete im Wohnzimmer auf sie. Schnitt gerade Pizza, die er bestellt hatte. Fragend schaute er erst zu ihr und dann im Raum umher. „Wo ist Alice?“ Jojo räusperte sich. „Nicht hier…“ „Ist sie etwa bei ihm?“ „Jayden…er ist ihr Vater und ich kann und will ihr den Kontakt nicht verbieten.“ Etwas beleidigt zuckte er mit den Schultern. Das junge Mädchen seufzte schwer und drehte ihren Verlobungsring, den sie am Finger trug hin und her. Dann zog sie ihn ab und legte ihn auf den gedeckten Küchentisch vor ihren Verlobten. Seine Augen weiteten sich und in seinem Blick spiegelte sich Verwirrung. „Ooookayyy…was wird das?“, erkundigte er sich. „Jayden…ähm…ich…ich kann dich nicht heiraten…ich dachte es funktioniert mit uns, aber das tut es nicht. Ich bin nicht bereit und beende es, bevor es noch schlimmer wird…es tut mir so leid, aber ich liebe Naoki…es war schon immer Naoki…“ Der verwirrte Mann ihr gegenüber lachte verdutzt auf. „Du verarscht mich gerade oder? Jojo, bist du jetzt völlig verrückt?“ Sie musste irgendwie lächeln. „Komisch, genau das hat mich Naoki auch gefragt…ja vielleicht bin ich das. Ich kann nicht mit dir zusammen sein…ich erwarte nicht, dass du mir vergibst…doch auf lange Zeit ist es das Beste, denn ich könnte dich nie glücklich machen und umgekehrt.“ Jayden wich jegliche Farbe aus dem Gesicht und er ließ seine flache Hand auf den Tisch sausen, sodass die Pizzastücke kurz in die Luft flogen. „Hast du vergessen, was er dir angetan hat?“ „Ja…aber er hat sich geändert…“ „Das sagen doch alle…sei nicht dumm Jojo, das hast du nicht nötig!“, fuhr er sie an und Tränen glitzerten in seinen Augen. In dem Moment öffnete sich die Wohnung zu Lukas Wohnung und Jayden starrte den anderen Mann wie einen Eindringling an. „Er ist hier?“, keuchte er. Alice schlief auf Naokis Arm und er gab nur zu verstehen, dass er sie ins Bett bringen würde. „Jay, bitte. Mach es nicht noch schwerer…geh einfach. Es ist vorbei.“ „Oh nein…so einfach lass ich dich nicht ziehen…“ Er kam um den Tisch herum und küsste Jojo. Doch für das Mädchen fühlte sich dieser Kuss so falsch an. Naoki beobachtete sie von der Treppe aus. Langsam kam er auf sie zu. Legte seinen Arm um Jojo und fixierte den anderen Mann. „Jayden…hör zu…ich bin vielleicht nicht der Mann, den Jojo verdient hat, aber ich bin der Mann, für den sie sich entschieden hat und dafür bin ich ihr unendlich dankbar. Außerdem habe ich ein Kind in die Welt gesetzt und habe beschlossen, dass meine Tochter nicht von einem anderen Mann erzogen werden soll. Diese Verantwortung obliegt allein mir und Johanna. Ich wünsche dir, dass du selbst irgendwann Kinder hast und mich vielleicht verstehst…hier geht es auch nicht darum, wer Jojo verdient und wer nicht, denn dann hätte ich haushoch verloren.“ Jayden entspannte sich ein bisschen, doch seine Miene war nich immer verletzt und enttäuscht. „Ich hatte gehofft, dass du ein Arsch bist, dem ich böse sein könnte und der es verdient, eine auf sein loses Mundwerk zu bekommen…aber du? Scheiße, gegen dich hatte ich doch niemals auch nur den Hauch einer Chance…pass auf die beiden auf.“ Mit diesen Worten umarmte er Johanna kurz und verschwand. Etwas benommen stand Jojo da und versuchte das Geschehene zu verarbeiten. Ein bisschen selbstgefällig lehnte Naoki mit verschränkten Armen am Tisch und grinste. Ohne ein Wort zu sagen, bewegte sich Jojo zum Kühlschrank und holte den Wein heraus. Ohne zu fragen schenkte sie auch Naoki ein Glas voll. Völlig geflashbackt stützte sie ihren Kopf in die Hände und fing an zu lachen. Dann trafen sich ihre Blicke und dieses liebevolle Lächeln brachte ihr Herz zum Schmelzen. Dann leckte seine Zunge über seine Lippen und er zog sich sein Shirt über den Kopf. Dieses landete achtlos auf dem Boden hinter ihm. „Wenn du noch ein bisschen davon erzählst, wie toll du es findest Papa zu sein und so, musst du gar nicht mehr so viel kämpfen. Naoki…ich liebe dich…versprichst du mir was?“ Er kam näher auf sie zu und schloss sie endlich in seine Arme. „Alles, was du willst“, antwortete er. „Keine Spielchen mehr. Nie mehr andere Frauen. Wir sind von nun an immer ehrlich zueinander und dafür bekommst du eine allerletzte Chance von mir.“ Naoki legte seinen Kopf leicht schief und zog Jojo noch enger zu sich. „Damit kann ich leben. Wir drei sind jetzt ein Team…“, er hielt kurz inne und fing Jojos Blick ein. „Das mit dem Heiraten meine ich übrigens ernst. Johanna Sennert, möchtest du meine Frau werden?“ Sofort schossen ihr die Tränen in die Augen, doch das Lächeln würde für immer bleiben. Jetzt wusste sie, warum ihr Bruder all das für Juka aufgegeben hatte. So fühlte sich also wahre Liebe an. „Ja…ich will“, gab sie mit erstickter Stimme zur Antwort. Und endlich küsste sie ihr wunderschöner Mann. „Naoki…kneif mich mal…“ Er lachte nur und boxte ihr dieses Mal ziemlich doll gegen den Arm. „Reicht das?“ „Du bist so bescheuert.“ „Tja und von nun an für immer dein Problem“, witzelte er und küsste sie, bevor sie etwas entgegnen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)