Tanabata 七夕 von Haraldsdaughter (Das Tagebuch einer Zeitreisenden.) ================================================================================ Prolog: Fantasie ---------------- Es kommt mir alles wie ein Traum vor. Surreal und weit entfernt und längst vergangen dazu. Eine kindliche Spinnerei, eine lebhafte Fantasie, um den tragischen Tod meiner Eltern verarbeiten zu können. Selbst heute bin ich nach wie vor erstaunt, wie lebhaft meine Fantasie einst war. Der Versuch, meine Fantasie heute noch derart anzuregen, ist schlicht unmöglich. Mir wird bewusst, dass die Kindheit ein einmaliges Geschenk ist. Und trotz allem kommt es mir nach wie vor so real vor. Ein weiterer Beweis, dass kindliche Unschuld unantastbar ist. 矯めるなら若木のうち。 Ein junger Baum kann leicht gebogen werden. Japanisches Sprichwort Heute weiß ich, dass es im Alter von zehn Jahren aufgehört hat. Da fing mein Leben erst so richtig an. Dank Kagome Higurashi. Obwohl der Anfang nicht einfach war. Nicht nur Kagome besaß eine blühende Fantasie, sondern auch ihre gesamte Familie, bestehend aus dem Bruder Sota, der Mutter und dem Großvater. Zugegeben, ich dachte, wenn schon der Großvater selbst äußerst fantasiereich war und der Junge nicht anders konnte, als zu glauben, was man ihm auftischte, dass zumindest die Mutter vernünftig und rational wäre. Leider stellte sich heraus, dass sie ihre Tochter in all dem Unsinn unterstützte, den sie tat. Nicht nur die enormen Fehlzeiten ihrer damaligen Schulzeit, während sie im alten Brunnen saß und wirklich dachte, sie befände sich im Mittelalter. Sondern, wie erwähnt, die Fehlzeiten zu unterstützen. Selbst wenn sie den Abschluss gerade noch so geschafft hatte. Heute kenne ich den Begriff: Endogene Psychose. Offenbar hielt es die Familie für angebracht, mitzuspielen, statt sie zu einem Psychiater zu schicken, um mit Medikamenten ihr ein normales Leben zu ermöglichen. Vermutlich, so glaube ich es heute, erlaubte es der Tempel nicht. Nicht der Tempel wortwörtlich, sondern ihr Zuhause. Schließlich befindet sich dieser alte Tempel seit mehreren hundert Jahren in ihrem Familienbesitz und ist traditionsgeschwängert. Wer würde zu einem Tempel gehen und beten, wenn dort ein Mädchen mit einer sehr ausgeprägten endogenen Psychose lebte? Schnell würde das Gerücht eines Fluches des Tempels aufkommen, das sich wirtschaftlich schädlich auswirken würde. Der Tempel war und ist die Haupteinnahmequelle der Familie Higurashi. Kagome's Mutter, die von allen lediglich Higurashi-Sama angesprochen wird, ist 68 Jahre alt. Sota hat Jura studiert und lebt mit seinen 35 Jahren, seiner Frau Eda und seiner Tochter Tami im Tempel, den er übernommen hat. Der Großvater verstarb leider vor einigen Jahren an einer Grippe. In seinem Schwachsinn glaubte er, dass uraltes Dämonenblut ihm helfen würde zu genesen und zu stärken. Und Kagome selbst leidet offenbar noch immer unter der endogenen Psychose, denn, so habe ich es gehört, ist sie ab und zu da und dann wieder weg vom Bildschirm. Unauffindbar. Außerdem darf nach wie vor niemand den alten Brunnen betreten, der aber vor drei Jahren eine kleine Neuerung bekam: Ein neues Dach sowie eine neue Holzverkleidung und Dämmung der Wände. Das Ganze soll, laut Medienberichten, stolze 2,5 Mio. Yen gekostet haben! Rund 23.000 US-Dollar, 20.000 Euro, grob gerechnet. Ein ganzer Batzen Geld also sowohl in den USA als auch in Europa. Das lieferte mir den Grund nach wie vor zu glauben, dass es Kagome leider noch immer nicht geschafft hatte, aus den Klauen ihrer Psychose zu entkommen. Es kam bereits ein Journalist zum Tempel und hinterfragte das ständige Fehlen der eigentlichen Erbin des Tempels: Kagome. "Wie begründen Sie das ständige Verschwinden Ihrer Schwester, Higurashi-San?", war die forsche Frage des Journalisten gewesen. "Sie arbeitet sehr hart für den Tempel und dessen Zukunft." Sota war äußerst erwachsen geworden, reif und intelligent. Diese Antwort überraschte mich nicht. "Was genau arbeitet sie denn?" "Sie ist für die Instandhaltung der Tempelanlagen verantwortlich und bemüht sich, den Kräutergarten zu hegen und zu pflegen." "Da kaum ein Besucher sie je zu Gesicht bekommt: Dürfen wir mit ihr einmal persönlich sprechen?" "Das ist nicht möglich. Sie ist erkältet und liegt im Bett. Sie braucht Ruhe. "Das können Sie uns doch nicht seit 12 Jahren verkaufen! Wir haben rennomierte Ärzte, die sich den Gesundheitszustand Ihrer Schwester gerne einmal anschauen würden." "Wir haben bereits einen sehr guten Arzt, danke!" Sota wirkte genervt, in dem Interview. "Einen sehr guten Arzt? Der nicht in der Lage ist, sie zu heilen? Und wenn ein Besucher kommt, sieht er sie zu dem alten Schuppen laufen, in dem sich ein uralter Brunnen befindet. Sagen Sie, Higurashi-San, was verschweigen Sie uns? Welches Geheimnis hütet der Brunnen?" "Wissen Sie, genau dieses Geheimnis ist der Erfolg unseres Tempels." "Ist das also nur ein Trick, um mehr Besucher anzuziehen?" "Nein, das Geheimnis ist sehr real. Und dennoch bitte ich um Respekt und Wahrung unserer Traditionen." "Higurashi-San, das wird aber die Leser nicht befriedigen." Der Dialog fand ein jähes Ende, als sich Sota umgedreht hatte und wieder im Haus verschwunden war. Das heizte die Diskussion nur mehr ein, was an einem alten Brunnen so interessant sein konnte. Es gab Jugendliche, die versucht hatten, einzubrechen, in den alten Brunnen. Ein weiterer Grund, laut Sota, den Brunnen besser zu schützen und das Gelände mit neuen Kameras gleich mit. Niemand sollte das Geheimnis herausfinden, dass es Kagome psychisch alles andere als gut ging. Die ehemaligen Freundinnen und der ehemalige Verehrer, mir sind die Namen entfallen, wurden ebenfalls interviewt und haben kundgetan, was es alles für Probleme mit ihrer Gesundheit gegeben hatte. Von einem Hexenschuss bis zu einem rheumatischen Anfall war vieles dabei. Man hatte ihr Geschenke im Wert von mehreren tausend Yen gemacht, um ihr zu helfen. Orthopädische Einlagen, teure Salben und Cremes, Bäder, Gutscheine für Badehäuser, therapeutische Massagen und vieles mehr. Und die Familie war nicht ein einziges Mal verlegen weiter zu lügen. Warum halfen sie Kagome nicht? Zu Beginn, als ich mit zehn Jahren aus meiner Trauer fand, hielt Kagome meine Fantasie aufrecht und lebendig. Das fand ich ganz toll, aber mehr und mehr verlor ich den Bezug dazu. "Du kannst jederzeit mit mir zurück in den Brunnen und alle Freunde wiedersehen. Sie vermissen dich schon sehr, seit du hier zur Grundschule gehst. Aber Mama meint, das wäre ganz gut für dich, neue Kontakte zu knüpfen, neue Freunde kennenzulernen und vor allen Dingen sicher zu leben." Ich erinnere mich, wie hart es für mich war, meine Fantasie aufgeben zu müssen ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)