An awkward guide how to love if you're slightly German von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Aller Anfang ist schwer ---------------------------------- Freitag, 23.September »Vorsicht!«  Noch ehe Ludwig das Wort ausgesprochen hatte, gab es auch schon ein Poltern, das von einem lauten Knall und einem schlitternden Geräusch begleitet wurde. Er spürte, wie er unsanft auf seinem Allerwertesten landete und der Boden unter ihm leicht vibrierte, als sein schemenhaftes Gegenüber ebenfalls Bekanntschaft mit dem Fußboden machte. Ludwig hob den Blick, während er sich sammelte und den schmächtigen jungen Mann begutachtete, der ihm gegenüber leise in einer melodischen Sprache vor sich hin fluchte. »Accidenti!« Um sie beide herum war der Kofferinhalt des Fremden verteilt. Es dauerte einen Augenblick, bis Ludwig bemerkte, dass er den kleineren Mann anstarrte, doch sobald ihm das bewusst wurde, kehrte das Leben in ihn zurück und er kniete vor dem anderen, die Hand hilfsbereit ausgestreckt.  »Entschuldigen Sie«, murmelte er vor sich hin und lächelte unbeholfen. Der Fremde ließ nicht lange auf sich warten und ergriff die Hand des Deutschen, um ebenfalls auf die Beine zu kommen. »Nein, nein. Mir tut es leid. Ich war mit den Gedanken woanders, das passiert häufiger. Und außerdem harkte dieses verdammte Schloss schon eine ganze Weile… aber dass es so unzuverlässig ist…« Er kicherte lebhaft und Ludwig war überrascht, dass der Fremde so gut Deutsch sprechen konnte. Der kleinere Mann wirkte vom Typ eher südländisch, mit seinen großen bernsteinfarbenen Augen, dem leicht gebräunten Teint und der schmalen Statur. »Vermutlich ist er Italiener«, dachte Ludwig kurz, »Accidenti« war italienisch, soweit er sich erinnern konnte und der Akzent sprach dafür. Es war nicht verwunderlich, auf einem Flughafen Menschen zu treffen, die nicht der deutschen Sprache mächtig waren. Umso schöner war es, dass sie einander zu verstehen schienen. Wieder bemerkte der Deutsche, dass er den Fremden ein wenig zu genau betrachtete und auch er beobachtet wurde. Er musste sich dazu zwingen, etwas zu sagen, weil ihm die Situation sehr unangenehm war. »Ich…« Ludwig stockte. Dann fiel sein Blick auf den Kofferinhalt und seine Hand tastete voran, einen Stoff zwischen den Fingern haltend, den ihm der Fremde sogleich entriss. Schwungvoll landete dieser Fetzen im Koffer, jedoch ohne Sinn für Ästhetik und Ordnung. „… Lassen Sie mich Ihnen helfen.“  »Schon gut, ich werde das einfach selbst aufräumen. Lassen Sie sich von mir nicht ablenken, sonst verpassen Sie noch Ihren Flug.« Ein ansteckendes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Italieners aus, als Ludwig nach dem nächsten Stück Stoff griff, ihn aber diesmal ordentlich mit geschickten Fingern faltete. »So passen sie garantiert besser in den Koffer«, murmelte Ludwig und vermied jeglichen Blickkontakt mit dem Fremden, aus lauter Angst, er könnte sich bei diesem Anblick verlieren. Um sie herum mochte es laut und hektisch sein, doch war das einzige Geräusch, das er in diesem Moment wahrnahm, das Blut, das in seinen Ohren rauschte. Brennende Hitze klomm sein Gesicht empor, sodass er die Kleidung schnell weiter faltete und der Stimme des Fremden lauschte. »Kaum zu glauben, dass es nur drei Minuten gedauert hat, bis ich mich das nächste Mal blamiere. Dabei hatte ich gehofft, Deutschland würde eine Veränderung bringen. Vielleicht ist mir einfach nicht zu helfen, ve.« Der Fremde zuckte mit den Schultern, als wunderte ihn seine Tollpatschigkeit nicht.  Gerne wäre Ludwig näher darauf eingegangen, weil er eine lustige Geschichte dahinter vermutete, doch seine Stimme versagte ihm anstandslos. »Zum Glück sind die Deutschen so verständnisvoll und nett.« Es war, als versuchte der Italiener ein wenig Smalltalk zu betreiben. Während Ludwig die Kleidung faltete, legte der Italiener diese in seinem kleinen Koffer ab. Der Vorgang an sich dauerte vielleicht nur wenige Minuten, doch es kam dem Deutschen wie eine halbe Ewigkeit vor.  Schweigsam reichte er dem Kleineren die Stoffe, bis alles wieder verstaut war und dabei versuchte er, nicht aufdringlich zu wirken, indem er die Sachen nicht eingehend betrachtete, obwohl er neugierig war.  Ludwig erhob sich nach getaner Arbeit und klopfte sich den Staub von der schwarzen Stoffhose. Der Fremde lächelte ihn dankbar an und der Deutsche vergrub tölpelhaft seine Hände in den Hosentaschen. »Nun denn…«, wollte er sich schließlich verabschieden, als er die Hand des kleineren Mannes auf seinem Unterarm spürte und sich Erleichterung in ihm breitmachte. Die Wärme in den Fingern des Südländers wirkte wohltuend auf seine eigenen kalten Gliedmaßen. »Warten Sie! Ich muss mich doch irgendwie erkenntlich zeigen können, für Ihre Hilfe.« Sein Deutsch war nahezu perfekt, aber der Akzent schmeichelte seiner melodischen Stimme. »Das war doch nicht der Rede wert«, winkte Ludwig ab und kräuselte die Stirn. »Ich… ich… habe nur getan, was jeder anständige Bürger getan hätte.« »Aber niemand sonst hat geholfen, also sehe ich es als eine außergewöhnliche Geste an, die einen Gefallen meinerseits verlangt.« »Einen Gefallen…« Ludwig spürte, wie etwas in seinem Magen zu kribbeln begann, aber er versuchte es geflissentlich zu ignorieren. Jetzt war nicht der richtige Moment, die merkwürdigen und unrealistischen Momente im Kopf zu durchleben, die nur in seinen liebsten Romanen geschahen. Das reale Leben war keine romantische Komödie und Ludwig kein Idiot. »A-aber dann würden Sie vermutlich Ihren Flug verpassen…«, dachte der Italiener laut und ließ seinen Blick schweifen. »Allerdings, Sie haben gar keinen Koffer bei sich… Ich brabble schon wieder vor mich hin. Wir könnten einen Kaffee trinken… Wenn Sie Zeit haben.« Die Augen des Italieners wurden größer und er strahlte vom einen Ohr zum anderen. »Oder wir könnten Pasta essen gehen!« Beim Wort ‚Pasta‘ überschlug sich seine Stimme beinahe. »Ich lade Sie ein!« Er wirkte mit einem Mal so glücklich, zufrieden und unschuldig, dass Ludwig meinen konnte, Weihnachten, Ostern und Geburtstag waren auf einen Tag gefallen. »Essen gehen? Wir sind praktisch Fremde!«, fiel der Einwand seinerseits und er kräuselte erneut die Stirn. »Mein Name ist Feliciano Vargas und wie heißt du?« Der Italiener bot Ludwig direkt die Hand an. »So macht man das hier in Deutschland, nicht wahr?« Einen Augenblick zögerte Ludwig, weil es ihm merkwürdig vorkam, dass er unmittelbar geduzt wurde, aber er zögerte nicht bei der dargebotenen Hand. »Ludwig ist mein Name.« Er machte sich gar nicht die Mühe, einem Fremden seinen Nachnamen zu nennen, sondern lächelte schmal in der Hoffnung, dass er die Situation entschärfen konnte. Bevor eine weitere Reaktion seines Gegenübers folgte, wurde er schon in eine Umarmung hineingezogen und Feliciano seufzte zufrieden, an Ludwigs Brust gelehnt, als wären sie jahrelang die besten Freunde gewesen. »Jetzt sind wir Freunde. Können wir also Pasta essen gehen?« Die Einladung an sich verblüffte ihn zwar, aber noch mehr der Umstand, dass er dieser Verabredung spontan zusagte. Er war ohnehin nur hier, um seinen Bruder zum Flughafen zu bringen, das bedeutete, er hatte mehr als genug Zeit und keine anständige Ausrede parat. Aber die brauchte er auch nicht, da ein Teil von ihm diesen charmanten, aufgeschlossenen Feliciano näher kennenlernen wollte.  Das konnte vielleicht noch sehr interessant werden. Kapitel 2: Ein bekanntes Gesicht -------------------------------- Montag, 10. Oktober Ludwig balancierte eine Kladde, einen Kaffee und seine Tasche ein wenig ungelenk in den Händen, während er die Treppen schnellen Schrittes hinaufstieg. Er hasste solche Tage. Normalerweise hatte er morgens mehr als genug Zeit, sich auf den Arbeitstag einzustellen und sich alle Unterrichtsinhalte vorzubereiten. Für gewöhnlich hatte er immer ausreichend Puffer, um kleine Notfälle auszugleichen, doch wenn am Montagmorgen, so wie heute, bereits in der Frühe eine Rundmail kam, in der alle Lehrer gebeten wurden, vor dem Unterricht im Lehrerzimmer zu erscheinen, war das kein guter Einstieg in eine arbeitsreiche Woche. Trotzdem widerstrebte es ihm, auch nur fünf Minuten zu spät zur Sitzung zu kommen. Er fragte sich, was wohl so wichtig sein mochte, dass man alle Lehrer so früh antanzen ließ. Ludwig wusste zwar, dass sein Chef ein heilloser Chaot war, doch es ärgerte ihn trotzdem jedes Mal aufs Neue. Seine Abneigung gegen jegliche Art von Planlosigkeit war stark ausgeprägt und Hektik machte ihn wütend. Er liebte das Gefühl die Kontrolle zu haben und wenn sich etwas eben dieser entzog, brachte ihn das völlig aus dem Konzept. Nur noch zwei Türen Abstand trennten ihn von dem Lehrerzimmer und die Stimme des Rektors drang an seine Ohren. »Ruhe bitte, ich möchte beginnen!« Ludwigs Hals entfuhr ein kehliges Knurren und er beschleunigte seine Schritte auf die letzten Meter. Er war noch nie zu spät zur Arbeit gekommen und damit würde er heute auch nicht anfangen. Während er, vollbepackt wie er war, angestrengt versuchte, die Türklinke hinunter zu drücken, rutschte ihm der Kaffeebecher aus den Händen und im selben Moment gab die Tür nach. Der Inhalt des Bechers spritzte noch mitten im Fall alles in unmittelbarer Nähe nass und um das Chaos perfekt zu machen, kickte er ihn mit seinem Fuß in den Raum, wo er vor den Schuhen eines Kollegen zum Liegen kam. Der Saum der weißen Stoffhose war ebenso besudelt wie Ludwigs eigene aschgraue Anzughose. Schuldbewusst und wie in Zeitlupe hob Ludwig den Blick, um zu sehen, wem er das Vergnügen beschert hatte, aber als seine Augen auf Bernsteinfarbene trafen und sich ein sanftes Lächeln auf den Lippen des anderen Mannes ausbreitete, spürte er sofort kleinperligen Schweiß auf seiner Stirn. Er hatte inständig gehofft, dieses Gesicht niemals wieder zu sehen. »Ve~, wenn das nicht Ludwig ist.« Seine Stimme war herzlich und warm, wie beim ersten Zusammentreffen. In Ludwigs Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was machte Feliciano Vargas hier? Warum traf er von allen Menschen, die ihm je begegnet waren ausgerechnet diesen seltsamen Mann wieder? Er merkte, wie trocken sich sein Mund anfühlte und der Grund war, dass er wie ein Depp mit offenem Mund dastand und Feliciano anstarrte. Aber das war nicht alles. Jedes Augenpaar im Raum war auf ihn gerichtet und sogar der Rektor hatte die Augenbrauen hochgezogen. »Entschuldigen Sie die Verspätung.« Vermutlich hatte er diese Worte das erste Mal in seinem Leben ausgesprochen. Dann fiel sein Blick zurück das nasse Hosenbein und er bückte sich, um den mittlerweile leeren Pappbecher aufzuheben. »Setzen Sie sich, Ludwig, wir wollen anfangen.« Ein wenig ungeduldig trommelte Rektor Jones mit den Fingern auf den Tisch. Seiner Aufforderung nachkommend, schlich Ludwig zu seinem Platz gegenüber von Feliciano Vargas, der ihn offenbar fixiert hatte. Ludwig versuchte ihn geflissentlich zu ignorieren. »Also, wie ich bereits sagte, da Mia Ackermann aufgrund ihres Unfalls momentan nicht unterrichten kann, haben wir glücklicherweise einen Kollegen ausfindig machen können, der ihre Kunstkurse übernimmt.« Sein Blick fiel auf Feliciano, der charmant lächelte, was wiederum gemischte Gefühle in Ludwig auslöste. Er musste seinen Blick abwenden, denn er spürte Hitze auf seinen Wangen. »Ciao zusammen. Mein Name ist Feliciano Vargas und ich werde den Schülern die hohe Kunst des Zeichnens beibringen und den leidenschaftlichen italienischen Charme versprühen.« Bei dem letzten Satz zwinkerte er zuckersüß und lehnte sich entspannt in seinen Sessel zurück. »Ich habe bisher in Italien gelehrt, aber wie ihr sehen könnt, wird die Kommunikation mir keine Probleme bereiten. Ich habe in meinen wilderen Jahren eine Weile in Österreich gelebt. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit und gebt bitte gut auf mich Acht.« Noch bevor er mit seiner Rede geendet hatte, hörte Ludwig einige seiner weiblichen Kolleginnen auch schon tief die Luft einziehen in freudiger Erwartung mit dem aufregenden neuen Kollegen zu schäkern. Ludwig verdrehte genervt die Augen und widmete dem Rektor wieder ganz seine Aufmerksamkeit. »Das ist genau die richtige Überleitung Herr Vargas. Im Rahmen unseres Mentorenprogrammes möchte ich, das Ihnen jemand während ihrer Einführungszeit unter die Arme greift. Es sollte jemand sein der sie zuverlässig anleiten kann.« Er musterte seine Mitarbeiter eingehend und strahlende Gesichter saßen in Reih und Glied, vor allem da der Großteil der Belegschaft weiblich und dem Charme des Italieners verfallen war. Ludwig senkte den Blick, denn er wollte auf keinen Fall, dass die Wahl auf ihn fiel, obwohl es natürlich zahlreiche Freiwillig gab. Alfred Jones, der es als Amerikaner bevorzugte Mr. Jones genannt zu werden, scannte jeden gründlich und lehnte sich dann bedächtig in seinen gepolsterten Chefsessel zurück, während er die Fingerspitzen aneinanderlegte. »Ludwig, ich möchte, dass Sie ihn unter Ihre Fittiche nehmen. Sie scheinen sich ja offenbar zu kennen und ein wenig Vertrautheit macht es Herrn Vargas sicher leichter, sich bei uns einzufinden.« Die Art und Weise wie er dies formulierte und betonte, machte Ludwig unmissverständlich klar, dass es keine Bitte, sondern ein Befehl war. Gehorsam nickte Ludwig, obwohl es ihm überhaupt nicht recht war. Wenn er nur nicht unentwegt an dieses gemeinsame Essen zurückdenken müsste…. Aber nun, da Feliciano praktisch vor seiner Nase war, konnte er es nicht länger aus seinem Gedächtnis streichen. Der kleine Italiener grinste aus der Ferne wie ein Honigkuchenpferd und Ludwigs Herzschlag beschleunigte sich so stark, dass er das Gefühl hatte, es würde ihm jeden Moment aus der Brust springen. Aber das geschah natürlich nicht und irgendwie hörte sich alles um ihn herum hohl und dumpf an, sodass er gar nicht wahrnahm, was der Rektor erzählte. Aber an der Reaktion der anderen konnte er ablesen, dass das Thema stock öde sein musste. Und dann schweifte sein Blick wieder zu Feliciano ab. Er konnte nicht umhin die feinen Gesichtszüge des Italieners zu betrachten. Das einladende, sanftmütige Lächeln und die klugen, warmherzigen und aufmerksamen Augen, die alles genau erfassten. Die vorwitzigen Strähnen, die ihm ins Gesicht hingen, umrahmten das schmale Gesicht ebenso wie die abstehenden haselnussbraunen Fransen rechts und links von seinen Ohren, kaum länger als diese. Eine Besonderheit, die ihm nun zum ersten Mal auffiel war, dass eine einzelne Strähne links sich schwungvoll vom Rest seines Haarschopfes absetzte und bei jeder Bewegung mit wippte. Wenn man nicht wusste, was für ein Tollpatsch er war, wirkte Feliciano vermutlich verführerisch wie ein südländischer Traum. Auch Ludwig war seinem Charme nicht entgangen, obwohl er von dieser Macke wusste, vermutlich weckte es auch ein wenig seinen Beschützerinstinkt. Für Ludwig war es nichts ungewöhnliches, einen anderen Mann attraktiv zu finden, denn das war in der Vergangenheit unzählige Male geschehen. Mit seinem ersten und einzigen Freund war er selbst in seiner Jugend nicht über Petting hinausgekommen. Es war nicht so, dass er sich kein Interesse gehabt hätte, aber es ergab sich einfach nie die Gelegenheit und schließlich hatte er sich auch ziemlich gut selbst unter Kontrolle. Jedoch stellte dieser Feliciano eine Gefahr für seine Selbstbeherrschung dar. Es lag vermutlich an den vielen unbeabsichtigten Berührungen, die das Essen für Ludwig sowohl aufregend als auch anstrengend gestaltet hatten. Am liebsten hätte er einfach Felicianos Hand genommen und sie nicht wieder hergegeben, aber er war sich sicher, dass die Signale, die der Italiener sendete nicht romantischer Natur waren. Die Italiener waren nun mal ein lebensfrohes, offenes Volk und darauf konnte er sich nichts einbilden, also wollte er die aufkommenden flauen Gefühle gar nicht erst akzeptieren. Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass Mr. Jones, die Besprechung beendet hatte. Um ihn herum wurden Mappen zusammengeschoben, Taschen verschlossen und Schlüssel klirrten. Ludwig war gar nicht dazu gekommen, seine Sachen auszupacken, also erhob er sich nur und stockte, als er eine Präsenz neben sich bemerkte: Feliciano, dessen Lächeln unerschütterlich war. Der Saum seiner weißen Stoffhose war vollkommen von Kaffee besudelt, das konnte Ludwig einfach nicht ignorieren. Er wollte sich gerade entschuldigen, als er unterbrochen wurde. »Das ist eine angenehme Überraschung, ve~. Ich hatte gehofft dich wiederzusehen, Ludwig.« Dabei gestikulierte er vor seiner Brust herum, bevor er seine Hand vertraulich auf Ludwigs Oberarm platzierte. Allein der Druck durch den Stoff seines Hemdes bescherte Ludwig eine Gänsehaut und er schalt sich für seine pubertäre Reaktion. Unwillkürlich wich er ein Stück zurück, aber das resultierte nur darin, dass Feliciano sich zu ihm hinüberbeugte. »Ist alles in Ordnung bei dir? Du bist so rot. Hast du Fieber?« Zeitgleich wanderte seine schmale Hand hinauf zu Ludwigs Stirn und fühlte die Temperatur. Ludwig sog scharf die Luft ein und hielt dann den Atem an. »Ve~, wenn du krank bist, solltest du aber zuhause bleiben, Luddy.« Feliciano verengte die Augen zu Schlitzen und er wirkte besorgt, so wie er seine Stirn runzelte. Nach einer gefühlten Ewigkeit fand der Deutsche seine Stimme wieder und atmete weiter. »M-mir geht’s gut.« Es klang weder besonders überzeugend, noch stimmte das gequält wirkende Lächeln auf seinen Lippen. »Es… ist hier drin einfach wahnsinnig heiß.« Um seine Aussage zu unterstreichen, lockerte er seine Krawatte ein wenig und wich dem Blick des Italieners aus. Ein Themenwechsel musste her. »Soll ich…« Sollte er Feliciano siezen oder duzen? Sie waren jetzt Kollegen und so war es üblich, dass sie einander siezten und den Vornamen benutzten, aber sie waren sich vorher auch schon einmal begegnet und hatten sich geduzt… »Ähm… die Klassenzimmer sind im Westflügel… so wie alle kreativen Unterrichtsräume. Ich kann den Weg weisen.« Innerlich seufzte er und hätte sich längst die flache Hand vor den Kopf geschlagen, hätte Feliciano ihn nicht so eingehend beobachtet. »Eccellente! Lass uns gehen!« Bevor Ludwig etwas einwenden konnte, hakte sich Feliciano schon bei ihm unter. Der Größere spürte, wie jede Faser seines Körpers plötzlich anspannte und er sich keinen Millimeter mehr bewegen konnte, obwohl Feliciano durchaus versuchte, ihn dazu zu bringen. Er starrte an Ludwig empor und wirkte sehr irritiert. »Nanu, ve~.« Der Deutsche war wie versteinert und starrte unbeirrt vor sich hin. »Feliciano, würden Sie das unterlassen?« , presste er angestrengt hervor. Seine Stimme war gerade so laut, dass der Italiener sie wahrnehmen konnte. »Ve? Wolltest du mich nicht zum Klassenzimmer begleiten?« Er überging die Distanz, die Ludwig implizierte und löste sich nur langsam vom Blonden, als es ihm dämmerte. Ludwig seufzte erleichtert und holte tief Luft. »Danke.« Schweigend verließen sie das Lehrerzimmer und schlängelten sich durch die Menge der Schüler auf dem Korridor. Während sie beide jeweils einer Gruppe von Schülern auswichen, stießen sie an den Schultern zusammen. Ludwig schluckte nervös und ignorierte das Rumoren in seinem Magen. Insgeheim war er froh, als sie beide vor der prunkvoll verzierten Tür des Kunstraumes standen und Feliciano mit nervösen Fingern den dazugehörigen Schlüssel ins Schloss steckte. Kapitel 3: Der Tag, an dem Ludwig zu spät kam --------------------------------------------- Montag, 10. Oktober Ludwig hatte den Kunstflügel nie von innen gesehen, sein Metier waren Sport und Englisch, aber die mit Bildern behangenen Wände wirkten schon sehr eindrucksvoll auf ihn. Selbst Felicianos Augen waren groß und er sprang beinahe wie ein Kind zwischen den Gruppentischen hin und her. Der Deutsche konnte seinen Anblick kaum davon losreißen. Das Ambiente war eine ganz anderes, jetzt da sie in diesem liebevoll geschmückten Raum standen und sich der Italiener wie wahnsinnig über den Klassenraum und die Ausstattung freute. Ludwig wusste gar nicht, was er sagen sollte, aber Felicianos unbefangene Art seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen, gab ihm das Gefühl, selber zufrieden zu sein. »Sie haben sich alle Mühe gegeben, dem Raum eine passende Atmosphäre zu verleihen« , gab der Blonde zu und ließ seine Finger über das Pult gleiten. »Kunst kann nur entstehen, wenn Künstler und Werk eine Verbindung haben« , sprach Feliciano ernst und ließ dann seinen Blick über die halbfertigen Pappmaché Figuren schweifen, die auf einem Regal in der Ecke standen. »Und wie mir scheint, gibt es eine Menge junger Künstler auf dieser Schule. Das erfüllt mich mit Freude!« Seine Stimme überschlug sich, was Ludwig ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Wenn er ihn so dabei beobachtete, wie er über Kunst sinnierte, vergaß er beinahe, dass er sich eigentlich von dem Kleineren fernhalten wollte. Ludwig musste nicht lange mit sich ringen, um zu entscheiden, dass er dem Ganzen den Lauf lassen würde. »Kunst ist zwar nicht so meins, aber ich verstehe, was andere dazu beflügelt, solche Kunstwerke zu erschaffen« , gab Ludwig zu. »Ve~, das kann ich mir kaum vorstellen.« Feliciano machte auf dem Absatz kehrt und seine Augen fixierten Ludwigs. Langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, bewegte er sich auf den Größeren zu, blieb nur eine Armlänge entfernt stehen. »Du hast Augen, die nach einem Sinn suchen, Luddy. Ich glaube, dass Kunst dich schon ansprechen könnte, wenn du dich darauf einlassen würdest.« Ein freches Grinsen lag auf Felicianos Lippen. »Wie kommst du darauf, dass ich mich nicht darauf einlasse?« Ludwig verschränkte die Arme vor der Brust und die Sorgen ums siezen oder duzen waren vergessen. Feliciano hatte eine solche Ausstrahlung, die einen dazu beflügelte, eine kurze Distanz zu überbrücken. Das war es, was Ludwig bereits während des Essens für zu gefährlich eingestuft hatte. »Du bist sehr darauf bedacht, Abstand zu halten… das blockiert dich, das Wesentliche zu sehen. Dir würden bestimmt andere Details auffallen, wenn du dich nicht ständig mit alltäglichen Gedanken plagen würdest, sondern einfach einen Blick riskierst und darüber nachdenkst, was sein könnte, statt darüber, wie unwahrscheinlich etwas ist.« Der Deutsche schluckte irritiert. Sie waren keine besten Freunde und sie waren sich bisher zwei Mal begegnet, hatten vielleicht zwei Stunden ihres Lebens miteinander verbracht und dieser Fremde sprach Dinge aus, die absolut offensichtlich waren und auch auf die eine oder andere Situation passen würden. Ludwig mochte das Gefühl nicht, wie ein offenes Buch zu wirken, also wandte er seinen Blick ab. »Woher willst du das wissen?« Eine kleine Sorgenfalte stahl sich auf die Stirn des Deutschen. »Ich habe dich ein wenig beobachtet, das ist alles. Du scheinst einen Blick für Schönheit zu haben, aber dennoch scheint es dir nicht recht, dass du dich ihr widmest. Ein sehr widersprüchliches Verhalten, wenn du mich fragst. Aber ich glaube auch, dass du mit der richtigen Einstellung diese Grenzen überwinden könntest.« Feliciano lächelte und gestikulierte während er Ludwig antwortete, dann ließ er seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Diese Gelegenheit nutzte Ludwig, um Feliciano unverhohlen zu betrachten. Es war fast, als hätte dieser einen Schalter umgelegt, war vom Tölpel zum Philosophen aufgestiegen und diese Wandlung hielt Ludwig für durchaus interessant. Als hätte Feliciano seine Gedanken gelesen, trafen sich ihre Blicke erneut und der Italiener kam mit seinen Fingern bedrohlich nah an Ludwigs Gesicht heran. Beinahe wäre er reflexartig ausgewichen, als er bemerkte, dass Feliciano bloß seine Brille von der Nase stibitzte. »Vielleicht hilft es einfach, das ganze aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten« , murmelte der Italiener und schob sich das Gestell auf die Nase. »Ve~… du hast ja wirklich schlechte Augen, Luddy.« Feliciano tat für einen Augenblick so, als würde er schielen und Ludwig musste lachen. »Das liegt in der Familie… bei uns trägt jeder eine Brille… bis auf meinen Bruder, der bevorzugt Kontaktlinsen.« Ludwig packte seine Brille an den Bügeln und entfernte sie sachte aus Felicianos Gesicht, wobei er mit seinen kleinen und Ringfingern unabsichtlich die Wangen des Kleineren steifte und sich ein verschmitztes Grinsen auf das Gesicht des Brünetten legte. »Vielleicht besteht doch noch Hoffnung« , hörte Ludwig den Italiener sagen und er brauchte einen Augenblick, den Sinn dieser Aussage mit dem geschehenen in Verbindung zu bringen. Nur, dass keine Verbindung bestand und Ludwig verwirrt die Stirn kräuselte. »Hoffnung worauf?« Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sich eine gewisse Neugier dahinter verbarg und seine Mundwinkel zuckten merklich. »Dass du rechtzeitig in deinen Unterricht kommst? Wir haben zwanzig Minuten nach acht…« Der Italiener zwinkerte verstohlen und Ludwigs Augen wurden groß, sein Herz begann schneller zu pochen. »Zwanzig… was? Und das sagst du mir erst jetzt?« Gerade, als er sich auf dem Absatz umdrehen wollte, schlangen sich schmale Finger um sein Handgelenk, verlangten nach seinem Verbleib. »Nana, ve~. Luddy… nicht schon wieder.« Die Stimme klang verlangend. Zum x-ten Male irritiert fiel Ludwigs Blick auf den Italiener. »Was ist denn? Ich muss los.« Seine Worte kamen harscher rüber, als sie gemeint waren, aber das verunsicherte Feliciano nicht im Entferntesten. »Du hast dich beim letzten Mal schon nicht anständig verabschiedet, ve~.« Feliciano plusterte seine Wangen auf und starrte Ludwig vorwurfsvoll an. »Wir werden uns heute nicht zum Letzten Mal gesehen haben« , insistierte Ludwig, doch sein Gegenüber blieb stur. »Das dachte ich beim letzten Mal auch, und dann haben wir zwei Wochen nichts mehr voneinander gehört.« Jetzt versuchte Feliciano ihm einen bösen Blick zuzuwerfen, doch er wirkte eher niedlich als bedrohlich, sodass Ludwig das nicht wirklich als böswillige Unterstellung ansehen konnte, also reichte er Feliciano die Hand. »Bis zum nächsten Mal, dann.« »Menno, Luddy. Ich vermisse meine Heimat und die Menschen dort, wir verabschieden uns ganz anders.« Der Brünette zog eine Schnute und tippte flehentlich auf seine Wangen. »Küsschen hier, Küsschen da. So machen wir das, ve~.« Er wirkte, während er das verlangte, nicht unbedingt wie ein erwachsener Mann, doch das schien ihm egal zu sein. Ludwigs Wangen färbten sich rot und sein Kopf war leer. Nur die Worte »Küsschen« und »Feliciano« spukten in seinem Kopf herum. Schockgeweitet starrte er Feliciano an und bekam erneut kein anständiges Wort heraus. »D-d-d-d-das ist au-au-ausgeschlossen!« Der Fluchtreflex packte ihn, er konnte sich gerade so losreißen und bevor Feliciano etwas erwidern oder ansatzweise reagieren konnte, war Ludwig aus dem Raum verschwunden. Er stürmte kopflos und verwirrt über den Korridor der Schule und als er seinen Klassenraum betrat, verstummte die gesamte Klasse. Das war der erste Tag, an dem Ludwig Beilschmidt zu spät kam und es würde vermutlich auch der letzte sein. Kapitel 4: Familienbande ------------------------ Montag, 10. Oktober Feliciano Vargas war von seiner neuen Arbeitsstelle hin und weg. Noch während er seine Finger über das polierte Holz des Pultes gleiten ließ – exakt die Stelle, an der bis vor wenigen Minuten noch Ludwig gelehnt hatte – dachte er darüber nach, dass ihm seine begrenze Zeit hier sehr viel Freude bereiten würde. Als seine Schwester ihm am vergangenen Mittwoch vorgeschlagen hatte, während seines Aufenthaltes in Deutschland für einen Bekannten zu arbeiten, war es ihm wie eine Chance vorgekommen. Er wollte neue Menschen kennenlernen, junge Künstler bewundern und die Zeit bis zur Hochzeit überbrücken. Feliciano war nicht faul und er liebte Herausforderungen, wenn sie mit seinen Interessen konform waren. Ein Klopfen holte ihn aus seinen Gedanken und er hob seinen Blick zur Tür. »Herein!« Es dauerte einen Augenblick, bis die Klinke heruntergedrückt wurde, aber als sich ihm ein bekanntes Gesicht offenbarte, konnte er ein Grinsen nicht verbergen. »Sorella!« Sofort stand er vor ihr und begrüßte den Neuankömmling mit einem Küsschen auf jede Wange. »Dios mio, wie komme ich denn zu dieser Ehre?« »Ich habe Alfred eine Einladung für die Hochzeit überreicht und er meinte, ich solle dich bei deinen Unterrichtsvorbereitungen stören, solange du keine Schüler zu beaufsichtigen hast.« Ein herzliches Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der Brünetten aus und sie ließ ihren Blick schweifen. »Nicht schlecht, ich bin andere Kunsträume gewohnt…« , merkte sie nebenbei an. »Ich weiß, ich weiß.« Feliciano folgte ihr durch den Raum und klopfte hier und da auf die Tische. »Ich freue mich schon, wenn die ganzen begeisterten Schüler hier Kunstwerke erschaffen, ve~.« Seine Augen begannen zu leuchten. »Ich will deine Freude nicht dämpfen, Brüderchen, aber die Deutschen, die ich kenne mögen das Fach, weil sie währenddessen plaudern können und nicht, weil sie Kunst so sehr lieben wie du.« Einen Augenblick starrten sich beide schweigend an, bevor Feliciano ansetzte. »Vielleicht muss man in ihnen einfach nur die Leidenschaft entfachen und sie dazu bewegen, ihren inneren Michelangelo zu erwecken. Sie sind noch leere Hüllen.« Plötzlich wirkte er sehr ernst und Eliza kicherte leise. »Ich wünschte, Romano wäre hier, damit er wüsste, dass in deinem hübschen Köpfchen mehr Beachtung findet, als Pasta, Wein und Frauen.« Ihre Stimme wirkte zwar tadelnd, doch ihre strahlenden Augen verrieten, dass sie es nicht sonderlich ernst meinen konnte. Feliciano hingegen winkte nur ab, da ihm das Thema unangenehm war. »Etwas Anderes als Pasta, Wein und schöne Frauen – unmöglich, nie und nimmer!« Auf seinen Bruder ging Feliciano jedoch nicht ein. Ihr angespanntes Verhältnis war kein Thema, über das er – so wie Elizabeta – nebenbei sprechen konnte. Eliza folgte ihm gedankenverloren durch den Raum und legte dann mütterlich ihre Hand auf seinen Kopf nieder. »Ein Versuch war es wert, Feli.« Damit schwieg sie und wühlte in ihrem Korb herum, der unter ihrem Arm klemmte. Sie holte einen Apfel hervor und legte ihn auf dem Pult ab. »Also, Herr Lehrer, haben Sie denn bereits eine nette Begleitung für die Hochzeit gefunden?« , fragte sie, während ein verzierter Umschlag in ihrer Hand erschien, den sie neben den Apfel platzierte. »Vielleicht habe ich da jemanden im Auge… um mich musst du dir jedenfalls keine Sorgen machen, Liza.« Zuckersüß lächelte Feliciano und folgte Eliza zum Pult, wo sie ihre Arme verschränkte und ihn eindringlich betrachtete, bevor sie die Worte mit Bedacht wählte. »Um dich mache ich mir keine Sorgen. Wenn du schon keine Begleitung findest, wirst du sie auf der Hochzeit finden, aber ich wünschte trotzdem, du könntest die Finger von meinen Brautjungfern lassen. Dein italienischer Charme macht sie ganz wild und sie haben dich nur einmal getroffen.« Feliciano verdrehte die Augen und kniff Eliza in die Wangen. »Du tust ja beinahe so, als wäre es ein Verbrechen, schönen Frauen zu sagen, welches Kunstwerk Gott mit ihnen erschaffen hat.« Er zwinkerte kurz und zog Eliza spontan in eine herzliche Umarmung hinein. Er legte seinen Kopf auf ihrem ab und seufzte zufrieden. »Ve~, ich freue mich schon auf deine Hochzeit… Hast du dir schon überlegt, wie ihr das Problem mit dem Trauzeugen löst?« Eliza seufzte ebenfalls leise. »Leider nicht, aber Gilbert und ich werden das bis zum Ende der Woche entschieden haben. Wir wollten euch beide am Freitag miteinander bekannt machen.« Gerade, als Feliciano darauf eingehen wollte, wurde die Tür aufgeschoben und Ludwig stand halb im Raum. Er starrte Feliciano einen Moment an, dessen Augen überrascht aufgeschlagen waren. Feliciano hatte Elizabeta noch immer im Arm und seinen Kopf auf ihrem abgelegt. Falls Ludwig etwas hätte sagen wollen, verpasste er nun gerade die Gelegenheit, denn sie musterten einander aufmerksam. Der Blonde wurde rot, wie eine Tomate und er wandte den Blick beschämt ab, sah Feliciano nur für einen Augenblick erneut an, bevor er einen Schritt rückwärts machte, gegen die Tür stieß und den Türrahmen seitlich mit seiner Schulter streifte. Im Hinausstürmen zog er den Türgriff geräuschvoll mit und sowohl Feliciano als auch Eliza zuckten zusammen. Das Ganze konnte nur wenige Sekunden gedauert haben, denn die beiden hatten nicht einmal die Chance gehabt, sich voneinander zu lösen. »Schade, ich hätte dir gern jemanden vorgestellt, ve« , murmelte Feliciano enttäuscht. »Heute ist dein erster Tag und du hast schon jemanden an der Angel?« Neugierig stupste Eliza ihm in die Seite und ihre Stimme überschlug sich vor Freude. »Bist du an dieser Information interessiert, weil du uns verkuppeln möchtest?« Feliciano kannte seine Schwester wirklich gut und wie ertappt streckte sie ihm die Zunge heraus. »Hat mein kleiner Bruder da jemand bestimmtes im Sinn?« Sie schlug die Wimpern verführerisch nieder. »Für den Moment solltest du ihr vielleicht hinterhergehen, denn wie es schien, hat sie geglaubt dich bei einem Stelldichein zu stören.« »Glaubst du?« Feliciano klang nicht sonderlich überzeugt, aber er beäugte dennoch die Tür einen Augenblick länger als notwendig. Die Tür stand einen Spalt offen, obwohl es noch vor einer Minute so laut gescheppert hatte, dass der Boden unter ihm leicht vibriert hatte. »Vielleicht wollte er mir einfach eine Einweisung in dieses Computerprogramm geben, wie der Chef vorgeschlagen hatte und hat geglaubt er würde uns stören.« Ein Lächeln intensivierte sich. »Tut mir leid, Liza, ich muss nun wirklich arbeiten. Grazie für die wirklich schöne Überraschung.« Bedächtig platzierte er je einen Kuss auf Elizabetas Wangen und drückte seine Schwester zum Abschied. Feliciano genoss für einen weiteren Moment die Stille und die Atmosphäre des Klassenraums, in dem er von nun an arbeiten würde und ein breites Grinsen übermannte ihn. Vielleicht vermisste er Italien… doch das hier war auch nicht allzu schlecht, gestand er sich ein. Während er den Klassenraum abschloss, fiel ihm ein, dass er sich in diesem absurd-großen Schulgebäude kaum allein zurechtfand und dass er die Kunsträume nur gefunden hatte, weil Ludwig ihn hierher begleitet hatte und er wusste nicht, wo sich dieser aufhielt. Sehr viel weiter konnte er nicht gekommen sein, doch, wenn Feliciano ihn nicht fand und sich verlief, würde er auch den Klassenraum nicht wiederfinden und er würde jemanden fragen müssen. Ein wenig aufgeregt war er nun schon, aber das war kein großes Problem für ihn. Solche Gefühle konnte er problemlos überspielen. Er setzte sein schönstes Sonntagslächeln auf und lief den Korridor hinunter, seine Arme beschwingt neben seinem Körper baumelnd, während er eine Melodie summte. Er würde im nu jemanden finden, der… Im nächsten Moment stieß sein Kopf ziemlich unsanft mit einer sehr muskulösen Brust zusammen, in die sein Gesicht vergraben wurde und Arme schlangen sich für den Bruchteil einer Sekunde um ihn. Ein ziemlich tiefes »Nanu?« drang an seine Ohren, während er seinen Blick hob und in zwei himmelblaue Augen sah. Augenbrauen waren gekräuselt, warmer Atem peitschte auf ihn nieder, während sich auf den Wangen des Größeren langsam aber sicher eine solide Röte ausbreitete. »Ve~, Luddy, da bist du ja!« , murmelte Feliciano verzückt und er schlang seine Arme ebenfalls um den Deutschen. Während er dabei seinen Kopf auf der Brust des Blonden ablegte, spürte er, wie dieser ruckartig die Luft einzog. »Fe-feliciano!« Tadelnd ließen die muskulösen Arme von ihm ab und er wurde bei den Schultern gepackt und so weit nach hinten geschoben, dass sie sich direkt in die Augen schauen konnten. »W-was tust du da?« , stammelte Ludwig offenbar verlegen. »Was ist denn, Luddy?« , fragte Feliciano verwirrt und bemerkte nicht, wie Ludwig ihn immer weiter von sich fortschob. Nur sehr widerwillig ließ Feliciano seine Arme sinken und starrte an dem großen Deutschen empor. Er war sogar kurz davor, wie ein kleines Kind die Lippen zu schürzen, weil er diese Situation absolut nicht verstand, doch dann legte sich Ludwigs warme Hand auf seinen Kopf und er wandte den Blick ab. »Das hier ist unangemessen, Feliciano.« Ludwig räusperte sich kurz und seine Stimme versagte ihm den Dienst. »T-tut mir leid. Ich weiß, ich bin vermutlich ein wenig anhänglich, aber ich mag Umarmungen nun mal wirklich sehr und…« Er kam gar nicht dazu, seine Argumente näher auszuführen. »Ja, aber wir sind hier auf der Arbeit, verstehst du? Wir sind nicht unbedingt ungestört.« Felicianos Augen weiteten sich und ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. »Per fortuna! Ich dachte schon, unsere Freundschaft würde auf die Zerreißprobe gestellt, dabei mag ich dich so.« Er kicherte leise. Ludwig schien unschlüssig und er hatte eine Augenbraue fragend hochgezogen, dann räusperte er sich und lächelte schmal. »Also gut, Feliciano. Lass uns weitermachen, ich habe meiner Klasse einen Arbeitsauftrag gegeben, wir haben also etwas Zeit.« Seine Stimme klang sanfter als zuvor und auch der Ausdruck auf seinem Gesicht war ein anderer. Sanft legte sich eine Hand auf Felicianos Schulter und sie gingen gemeinsam den Korridor entlang, zurück zu seinem Klassenraum. »Ich bin wirklich schon gespannt auf die Schüler, ve~« , murmelte Feliciano gedankenverloren an Ludwig gewandt. »Es ist dieselbe Klasse, die ich gerade unterrichte und ich kann dir versichern, dass sie genauso neugierig auf ihren neuen Kunstlehrer sind.« Ludwig lächelte zuversichtlich und sie betraten den Raum zum zweiten Mal an diesem Tag. Diesmal ließ Feliciano Ludwig den Vortritt und schloss die Tür hinter sich. Während sich Ludwig einen Stuhl ans Pult stellte, fuhr er den Urzeitrechner hoch und Feliciano setzte sich auf seinen bequemen gepolsterten Stuhl neben Ludwig, der bereits damit beschäftigt war, irgendein Passwort in die Tastatur einzuhämmern. »Wir haben bei uns immer alles schriftlich dokumentiert und die Verwaltung hat die Noten und Anwesenheitslisten digitalisiert« , murmelte Feliciano, während er dem Deutschen dabei zusah, wie dieser ein ihm unbekanntes Programm öffnete. »Das war bis vor wenigen Monaten auch noch Gang und Gebe bei uns, aber dann hat eine der Damen aus der Verwaltung ein Kind bekommen und es war schwierig, so schnell einen Ersatz zu finden, der mit dem Pensum seiner Vorgängerin konkurrieren konnte, also haben sie kurzerhand ihre Stellenbeschreibung gekürzt.« »Das war doch sehr nett von euch« , murmelte Feliciano und summte leise eine Melodie vor sich hin. Ludwig drehte gedankenverloren seinen Kopf in die Richtung des Italieners und die Distanz zwischen ihnen war praktisch nicht vorhanden, weshalb beide gleichermaßen den Atem anhielten und sich ein merkwürdiges Grummeln in Felicianos Magen ausbreitete. In dieser Position war es praktisch unmöglich für Feliciano, den Geruch des Deutschen zu übergehen und sein rechtes Auge zuckte nervös, sehr zu seiner eigenen Schande. Er konnte das Rauschen seines Blutes in seinen Ohren hören und dazu passend im Takt das Klopfen seines Herzens in seiner Brust spüren, sehr viel schneller und stärker als gewöhnlich. Sie verharrten so einen Augenblick, bevor der Blick des Deutschen an ihm vorbeiging und etwas in der Ferne fixierte. »Feliciano?« Warmer Atem peitschte ihm ins Gesicht, aber es war nicht unangenehm. »Was ist denn, Luddy?« , krächzte der Italiener vor lauter Aufregung. »Ist das eine Einladung zu einer Hochzeit?« Die Frage kam vollkommen unvermittelt und Feliciano entfernte sich ein Stück von Ludwig, um einen Blick über die Schulter zu werfen, wo er die Einladung von Elizabeta registrierte. »Ja, ist es, warum?« Jetzt löste Feliciano seinen Blick wieder von der Einladung und taxierte Ludwig überrascht. »Das…« Der Blonde war mit einem Ruck aus seinem Stuhl aufgestanden und sein Blick ging durch Feliciano hindurch. »Du bist… der Bruder der Braut?« Seine Stimme klang beinahe flehend und verlangte sofortige Beantwortung, doch Feliciano verstand nicht recht, wieso es Ludwig so sehr aufwühlte. »Sì, das bin ich, ve. Eliza wird eine wunderschöne Braut abgeben, wenn sie erst einmal-« Bevor Feliciano es aussprechen konnte, hörte er den Deutschen auch schon fluchen. »Scheiße… wirklich?« Damit kippte der Stuhl, den er beim Aufstehen beinahe umgeworfen hatte, nun endgültig um und Ludwigs Kehle entrang ein verärgerter Laut. Sein Gesicht war ungewohnt blass und er versuchte gerade, einen minderschweren Hustenanfall unter Kontrolle zu bekommen. Feliciano starrte irritiert an dem Deutschen hoch und schluckte merklich nervös. »Ist alles in Ordnung, Luddy? Du wirst so…« Er kam nicht dazu die Worte auszusprechen, denn Ludwig schien derart fern seiner Gedanken, dass sich nun auch der Italiener erhob und den Blonden in die Brust stupste. »Luddy~!« Als wäre er ein Computerprogramm, das sich einfach aufgehangen hatte, starrte Ludwig an Feliciano vorbei und seine Gesichtszüge waren starr, undefinierbar und erst eine gefühlte Ewigkeit später, stellte er den Stuhl ordentlich hin, nur um sich dann darauf niederzulassen. »Scheiße.« Feliciano hob nachdenklich die Augenbrauen und beobachtete den Deutschen wortlos, wie er offenbar mit der Fassung rang. Kapitel 5: Ein Date ------------------- (zwei Wochen zuvor) Freitag, 23.September Ludwigs Chancen standen wirklich schlecht. Felicianos herzliche Umarmung hatte ihn so überrascht, dass er spontan zugesagt hatte, mit ihm Essen zu gehen. Jetzt, da er neben Feliciano herlief, war es ohnehin zu spät, seine Meinung noch einmal zu ändern. Der kleine Italiener lief beschwingt neben ihm her und drehte unwahrscheinlich oft seinen Kopf, um Ludwig beim Sprechen anzusehen. »Und weil der Flug so spät war, dachte ich, ich könnte genauso gut auf meine Schwester warten. Aber dann habe ich meinen Kopf verloren. Und…« Feliciano stockte. »Nicht, dass mir das nicht irgendwie gefallen hat, in einen so attraktiven Deutschen zu gestoßen zu sein.« Ein charmantes Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Brünetten aus und Ludwig spürte, wie Hitze auf seinen Wangen brannte. Er wusste darauf einfach nichts zu erwidern, also lächelte er nur verlegen und versuchte dann, nicht über seine eigenen Beine zu stolpern, weil die Aufregung ihm so in den Knochen steckte. Hatte Feliciano gerade mit ihm geflirtet? Ludwig spürte, wie sein Herz laut in seinem Brustkorb tobte. »Wir… äh… Dort drüben ist der Italiener.« Steine Stimme klang in seinen Ohren fremd und heiser, selbst ein Räuspern schaffte keine Abhilfe. Das italienische Restaurant, an das sich Ludwig nur vage erinnern konnte, war von außen mit einer kleinen Fensterfront bestückt, die künstlerisch-stilvoll dekoriert war. Über der Tür hing ein Schild, auf dem in grünen, weißen und roten Lettern »Italia? Italia!« geschrieben stand. Ludwig fragte sich, ob es eine geheime Absprache unter Restaurantbesitzern gab, ihren Geschäften ähnliche, unkreative Namen zu geben. Er war mit Sicherheit schon an ähnlich klingenden Italienern in anderen Ständen vorbeigeschlendert, aber das wurde ihm jetzt erst gänzlich bewusst. Er hätte sicherlich einen anderen Ort zum Speisen wählen können, doch dies war das einzige Restaurant gewesen, das sich in unmittelbarer Nähe zum Flughafen befand und er hatte nicht das Bedürfnis, den geheimnisvollen Fremden in seinem eigenen Auto durch die Stadt zu kutschieren. Es war einfach ausgeschlossen, dass er sich selbst erlaubte, den ersten Schritt auf einen anderen Mann zuzumachen und er fand, dass er die Situation erst einmal gründlich analysieren musste, bevor er unüberlegt handelte. Während er die schwere Glastür aufzog, gab er Feliciano genug Zeit, ins Lokal zu schlüpfen, bevor er ebenso eintrat. Warme Luft und ein angenehmer Duft schlugen ihm entgegen und er ließ seinen Blick in dem kleinen, gemütlichen Vorraum schweifen. Die Beleuchtung war eher spärlich und der Großteil kam vor Kopf aus dem angrenzenden Raum. Ludwig zögerte einen Augenblick, aber Feliciano stolzierte voran, eine Melodie vor sich hin summend. Trotzdem schlich sich ein Lächeln auf Ludwigs Lippen und er folgte seiner Begleitung, die schon freudig an der Türschwelle stand und das Mobiliar komplimentierte. Ludwig postierte sich neben Feliciano und staunte auch nicht schlecht über den guten Geschmack, den die Ausstattung vermuten ließ. Außer ihnen befand sich nur eine Kellnerin im Verkaufsraum, die fleißig die Theke mit einer Sprühflasche und einem Microfasertuch polierte und erst zu ihnen aufsah, als Feliciano freudig rief: »Pasta!« Sofort erhellte sich ihre Miene und sie warf ihre Putzutensilien in die Spüle neben sich, was einen Lärm verursachte, den Ludwig leicht zusammenschrecken ließ. »Guten Tag«, murmelte der Deutsche und beobachtete, wie die Kellnerin scheinbar voller Vorfreude ihre Schürze fester zog und beinahe schlitternd, vor lauter Geschwindigkeit, vor ihnen zum Stehen kam. »Ciao, ciao!«, grüßte auch Feliciano und die Kellnerin rückte ihre Brille gerade. »Schön, nicht nur ein Gast, sogar zwei! Heute muss mein Glückstag sein!« Ihre Stimme überschlug sich vor Freude und sie strahlte die beiden Männer zufrieden an. »Darf ich Ihnen beiden einen Tisch bringen… ich meine…« Sie stockte kurz. »Darf ich Sie zu Ihrem Tisch führen?« Sie wirkte ein wenig irritiert, aber das Lächeln auf ihren Lippen war unverwüstlich. »Ja, bitte!«, stimmte Feliciano zu und sie ließen sich von der Kellnerin zum Tisch führen. Da außer ihnen niemand sonst anwesend war, schien der Platz so gut zu sein wie jeder andere, denn sie waren im hinteren Teil des Verkaufsraumes positioniert, der relativ abgeschieden war. Die Kellnerin nahm ihre Getränkebestellung auf und überreichte ihnen die Menükarte, mit der Anmerkung, dass sie in ein paar Minuten wiederkommen würde. »Scheint, als hätten sie hier nicht oft Gäste«, murmelte Ludwig, während er die Karte in die Hand nahm und einen Blick hinüber zu Feliciano schweifen ließ, der fröhlich vor sich hin summte. »Meinst du? Dafür sieht es hier aber doch recht gut aus…« Feliciano hatte die Augen halb geschlossen und starrte über seine Karte hinweg zu Ludwig. »Die Kellnerin wirkte selber überrascht, weil sich hier Gäste eingefunden haben«, erklärte Ludwig und lächelte schmal. »Ve, also bei uns in Italien ist die Stimmung auch so ausgelassen, wenn Gäste ein Etablissement betreten.« Feliciano lächelte und überflog die Speisen einen Augenblick. »Pasta…« Ludwig räusperte sich und ärgerte sich im selben Moment, dass er sich in Wirklichkeit mehr hinter der Karte versteckte, als sich tatsächlich über die Menüauswahl Gedanken zu machen. Unwillkürlich starrte er immer wieder zu dem Italiener hinüber, wagte es aber nicht, ihm tatsächlich in die Augen zu schauen. Sein Puls beschleunigte sich und er schalt sich selbst für seine mangelnde Selbstbeherrschung. Natürlich war er froh, dass sie allein hier waren und niemand sie stören konnte, doch der Gedanke, dass sie unter sich waren hinterließ einen seltsamen Nachgeschmack, sodass er sich auf die Unterlippe biss. Er wollte nicht darüber nachdenken, ob er nun mit diesem Mann essen ging, ob er Hintergedanken hatte, was der andere dachte und dass er sich wahrscheinlich mal wieder unbewusst Hoffnungen machte. Ludwig wollte dieses Essen genießen und seinen Verstand ausschalten, der immer zu hohe Erwartungen an die Situationen stellte und ihn mit nichts als einem Knoten von Enttäuschungen im Bauch zurückließ. Es war nicht so, als hätte er mit seinen siebenundzwanzig Jahren nicht hin und wieder versucht, seinem Jungesellenstand zu entkommen, doch seine Versuche mit anderen zu flirten waren selten von Erfolge gekrönt gewesen. Einmal hatte es da ein Mädchen gegeben, aber sie waren noch Kinder gewesen und bis heute hatte er schreckliche Gewissensbisse, dass er sein Versprechen von damals nicht gehalten hatte, also dachte er mit einem lachenden und einem weinenden Auge daran zurück. Der Blonde schüttelte den Kopf über seine eigenen Gedanken und versuchte sich in Gegenwart von Feliciano nichts anmerken zu lassen. Stattdessen setzte er ein Lächeln auf und entschied sich für eine seiner absoluten Leibspeisen. Als hätte die Kellnerin gerochen, dass er eine Wahl getroffen hatte, kam sie schon mit zwei Kaffeetassen an und stellte sie etwas wacklig vor Feliciano und Ludwig auf dem Tisch ab. »Na, haben sich die Herrschaften entschieden? Darf ich Ihnen schon etwas bringen?« Feliciano lächelte charmant und ließ Ludwig den Vortritt, wie er mit einer Geste demonstrierte. »Eine Lasagne al forno, bitte«, orderte Ludwig und die blonde Kellnerin schrieb die Bestellung auf, anschließend widmete sie ihre Aufmerksamkeit Feliciano. »Ciao, Bella. Eine Frage darf ich stellen, no?« Sie nickte abwartend und Feliciano reichte ihr in einer geschmeidigen Bewegung die Karte. »Wer kam denn auf die Idee, Spaghetti zur Bolognese zu servieren? Das klingt ja furchtbar, ve!« Er wirkte ein wenig schockiert und Ludwig sah unschlüssig zwischen dem Italiener und der Kellnerin hin und her. Er wusste, dass es für Feliciano merkwürdig sein musste, Spaghetti in Kombination zu Bolognese zu sehen, doch in Deutschland war es eine beliebte Leibspeise. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, während die Kellnerin in Erklärungsnot geriet. »Nun, mein Herr, wir servieren es hier, weil die Anfrage sehr groß ist und wir uns nicht exakt an die italienische Zubereitungsart halten«, begann die Blondine und legte den Kopf schief, während sie prüfend gemustert wurde. Feliciano entgleisten die Gesichtszüge. »Aber dann dürft ihr euch doch nicht so einen ehrenvollen Namen geben«, murmelte er vorwurfsvoll. Er wirkte nun doch verärgert und das Lächeln auf den Lippen der Kellnerin erstarb. Ludwig hatte das Gefühl, dass sich die Stimmung merklich abkühlte und er schluckte nervös einen Kloß im Hals hinunter. Fieberhaft dachte er nach, wie er die Situation entschärfen konnte, aber da hatte Feliciano schon nach dem Geschäftsführer verlangt. Im ersten Moment glaubte Ludwig, sich verhört zu haben, da ihm Feliciano nicht wie ein ernsthafter Kritiker vorkam und es ungewöhnlich war, dass der Italiener nicht lächelte. Eine nervöse Unruhe machte sich in ihm breit, weil es ihm unangenehm war, dass Feliciano über eine solche Kleinigkeit Aufruhr veranstaltete. Bevor Ludwig etwas sagen konnte, war die Kellnerin schon Floskeln murmelnd abgerauscht und ließ die beiden Männer allein zurück. »Feliciano… was tust du da?« Ludwig konnte den leichten Anflug von Zittern in seiner Stimme nicht verbergen. Wie konnte es sein, dass Feliciano sich über so etwas aufregte? Dabei hatte er sich doch so sehr auf das Essen gefreut und nun saß er da, ignorierte Ludwigs Frage und starrte nur dorthin, wo die überforderte Kellnerin bis geradegestanden hatte. »Hallo?« Der Deutsche wedelte mit der Hand vor dem Gesicht des Italieners herum, der nicht einmal mit der Wimper zuckte. »Feliciano?« Ein rhythmisches Poltern kündigte an, dass jemand sich ihnen schnellen Schrittes näherte. Schon bald stand ein korpulenter Mann vor ihnen, der seine Hände, an denen noch immer das Mehl haftete, an seiner schwarzen Schürze abwischte und ein schiefes Lächeln auf den Lippen trug. »Verzeihen Sie mir, meine Herren. Annie sagte, Sie wollten mich sprechen?« Er sah zwischen den beiden Männern hin und her. Ludwig schüttelte merklich den Kopf, doch Feliciano erwachte aus seiner Starre. »Ja, das stimmt so.« In Ludwigs Ohren klang die melodische Stimme ungewohnt streng und er wünschte sich insgeheim, dass sich der Erdboden unter ihm auftat. Was auch immer der Kleinere im Sinn hatte, würde den Besitzer ganz sicher beschämen. »Worum geht es denn?« Merklich nervös rieb der Geschäftsführer seine Finger und sein Atem ging hörbar stoßweise, in stiller Erwartung einer Katastrophe. Dabei hatten sie nicht einmal den erkaltenden Kaffee getrunken, geschweige denn etwas gegessen. Es gab keinen rationalen Grund sich zu beschweren. »Wer kommt denn auf die Idee, Spaghetti Bolognese auf die Karte eines italienischen Restaurants zu schreiben? Das grenzt beinahe an Blasphemie!« Feliciano legte den Kopf schief und er sah den Besitzer eindringlich an. »Diese Frage hat so noch keiner gestellt«, gab der Mann zu, »Hören Sie, wenn sie Bolognese nicht mögen, dann…« »Darum geht es hier nicht, Signore. Ich wette keiner Ihrer Gäste weiß, was die italienische Küche auszeichnet, weil sich auch Ihr Restaurant nicht von anderen abhebt! Deshalb haben sie kaum Gäste zu Besuch und das wird so bleiben, wenn Sie sich nicht mit den typisch italienischen Gerichten beschäftigen, ve!« Felicianos Stimme hatte einen beinahe patriotischen Unterton angeschlagen und Ludwig seufzte. Der Mann, dem er seine Aufmerksamkeit schenkte, war in Wirklichkeit ein unverschämter, kleinkarierter Wichtigtuer. Kopfschüttelnd legte er eine Hand auf Felicianos Unterarm. »Feliciano, bitte…« Er wollte nicht, dass diese Situation wegen einer so unbedeutenden Sache eskalierte. Er wollte mit diesem charmanten Kerl einen Kaffee trinken und seinem entzückenden Dialekt lauschen. Feliciano sah ihn kurz an, seine haselnussbraunen Augen strikt auf Ludwig gerichtet und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte der Deutsche, dass ihm das Herz in der Brust seinen Dienst versagte. Ein Lächeln breitete sich auf den Lippen des Italieners aus. »Lassen Sie mich Ihnen zeigen, wie eine gute Bolognese schmeckt, dann kann ich mit ruhigem Gewissen dieses Restaurant verlassen und Sie sind um eine Erfahrung reicher, no?« Der korpulente Mann schien einen Augenblick zu überlegen und rieb sich über seine Glatze, aber dann lächelte er überschwänglich. »Einverstanden!« Es dauerte einen Augenblick, bis Ludwig verstand, dass sich die beiden einig geworden waren. Er ließ seinen Blick schweifen und bemerkte, dass Feliciano ihn beobachtete. »Irgendwelche Einwände?« Zögerlich schüttelte Ludwig den Kopf, gähnende Leere herrschte in seinem Kopf vor. Ludwig spürte, wie sich die schmalen, langen Finger des Italieners auf seine kräftigen Pranken legten, während sich sein Gegenüber erhob. Ludwig brauchte eine gefühlte Ewigkeit, auf die Situation angemessen zu reagieren. Feliciano hielt ihn mit seinem Blick so gefangen, dass der Italiener seine Finger unter Ludwigs Kinn legen musste und ihm einen Kuss auf die Wange hauchte. »Aufwachen, Träumer.« Wie aus einer Trance erwachend, bemerkte der Deutsche, die non-existente Distanz zwischen ihnen. »Ja… ich… Verzeihung.« Damit war er aufgestanden und sein Gesicht brannte vor Hitze. Er war sich sicher, dass ihm seine Stimme erneut versagen würde, also schwieg er nur und folgte Feliciano und dem Geschäftsführer in den hinteren Bereich, wo sie beide mit Hauben und Schützen ausgestattet wurden. Während sie nebeneinander am Waschbecken standen und sich für die Küche wuschen, fand Ludwig seine Sprache wieder. »War das wirklich notwendig?« Diese Frage spukte ihm schon eine Weile im Kopf herum. »Du glaubst wahrscheinlich, dass ich meinen Verstand verloren habe, oder?« Der Brünette lächelte amüsiert. »Gewissermaßen habe ich das… aber man nimmt dem Buch ja nicht das Ende vorweg, ve.« Während der Deutsche noch damit beschäftigt war, seine Hände abzutrocknen, fingerte Feliciano an Ludwigs Schürzenträgern herum. »Die steht dir wirklich gut, Luddy. Trägst du auch zuhause eine Schürze?« Das Lächeln wurde charmanter. »Ja…« Eine leichte Röte lag auf Ludwigs Wangen und er bemerkte, dass Feliciano einen Schritt auf ihn zugekommen sein musste, weil nun wirklich nicht mehr viel Raum zwischen ihnen war. »Ich auch! Auf meiner steht: Baci il cuoco, was in etwa bedeutet…«, Feliciano ließ seine Finger über den Schriftzug der Schürze gleiten und zeichnete damit unsichtbare Muster auf Ludwigs Brust, »Küss den Koch.« Dann sah er auf und seine großen Augen starrten zu Ludwig empor. * * * Ludwig reichte Feliciano das Salz und spürte eine warme Hand auf seiner. Es war nur eine kurze Berührung, aber es kam ihm deutlich länger vor, als notwendig. Neben ihm flötete der Italiener fröhlich vor sich hin und salzte den Nudelteig, aber er hätte schwören können, dass dieser ihm eine Sekunde zuvor zugezwinkert hatte. Ludwig bemerkte, dass seine Hände zitterten, während er das Hackfleisch mit einem Löffel in der Pfanne in kleinere Brösel teilte. Feliciano ließ neben ihm immer wieder einzelne Prisen der Gewürze fallen, die er neben sich aufgebahrt hatte und Ludwig verteilte sie fachmännisch im Ragout. Neben den Karottenstücken war auch ein Stück Käse in der Pfanne zerlaufen, den Ludwig vorher noch nie gesehen hatte, aber das Essen duftete jetzt schon himmlisch. Der Manager des Restaurants sah den beiden interessiert über die Schulter, indes erzählte Feliciano eifrig lauter Weisheiten aus der Küche seines Landes und warum man zur Bolognese Tagliatelle statt Spaghetti servierte und dass es eine Schande war, alle Zutaten in der Küche zu haben und sie nicht zu nutzen. Es schien den Mann nicht zu stören, dass Feliciano ihm seine Unvollkommenheit vor Augen hielt, denn er antwortete mit demselben Enthusiasmus und schien sich sehr über die Tipps zu freuen. Hin und wieder drängte er sich zwischen die beiden Männer und starrte auf das Kochfeld, auf dem die die Sauce kochte. Nebenbei erzählte ihnen der Chef noch, dass es ein lange gehegter Traum gewesen war, ein italienisches Restaurant zu eröffnen, weil seine Familie mütterlicherseits aus Italien, genauer gesagt aus Caivano, stammte, aber aufgrund ihres frühen Ablebens blieb die italienische Küche die einzige Verbindung zu seiner Mutter. »Meine Großeltern haben jede Verbindung zu meiner Mutter abgebrochen, als sie mit meinem Vater nach Deutschland verschwunden ist. Von mir wollten sie auch gar nichts wissen…« Bedauernd rieb sich der beleibte Mann das Kinn und seufzte leise. Ludwig wollte es ihm gleichtun und seufzen, weil ihm der schwitzende Mann für seinen Geschmack zu dicht auf der Pelle hing, aber bei Feliciano schien der Mann auf offene Ohren zu stoßen. »Das ist ja eine Schande«, antwortete der Italiener mitfühlend und legte den Kopf schief. »Und das, wo die Familie uns doch alles bedeutet! Aber heutzutage ist das alles nicht mehr, was es mal war…« Das Ragout köchelte vor sich hin und Ludwig spitzte ebenfalls seine Ohren. Es klang beinahe so, als hätte seinen neu ernannter Freund ein ähnliches Übel mit seiner eigenen Familie erlebt und wollte den Chef nun aufmuntern. Im Gegensatz zum Italiener hatte Ludwig keine Lust, so zu tun, als hätte ihn diese Geschichte besonders ergriffen und er schielte vorsichtig zu Feliciano hinüber, um sich zu vergewissern, dass er mit dem Essen so weiterverfahren konnte. Er hasste es, wenn er kein Rezept hatte, an das er sich punktgenau halten konnte, aber er hatte es sich bisher nicht anmerken lassen. »Feliciano?« »Ja?« »Muss ich bei dem Ragout noch etwas beachten? Wie lange muss es köcheln?« »Nun, es darf jetzt für ungefähr eine Stunde auf kleiner Temperatur schmoren, bevor es serviert werden kann.« Feliciano lächelte schmal und wandte sich dem Blonden zwinkernd zu. »Wir könnten in der Zwischenzeit etwas essen und einen neuen Kaffee bestellen. Der Nudelteig muss nur noch in die Nudelpresse und darf trocknen.« »Natürlich geht das alles aufs Haus!«, rief der Manager ihnen erfreut hinterher und stemmte die Hände in die Hüften. »Und nochmals vielen Dank!« »Können wir das hier so unbedacht kochen lassen?«, murmelte Ludwig und kratzte sich etwas unsicher an der Stirn. »Warum nicht? Wir sind ja auch zum Vergnügen hier, also… sollten wir uns vergnügen, nicht wahr?« Seine Stimme überschlug sich beinahe, aber er konnte sich schnell wieder fangen, bevor er ein breites Grinsen aufsetzte. »Oder möchtest du den ganzen schönen Tag in der warmen Küche verbringen und mich in meiner hübschen Schürze beobachten?« Es dauerte einige Sekunden, bis Ludwig klar wurde, dass Feliciano ihm einen Schritt nähergekommen und der Chef verschwunden war, aber er drehte sich nur langsam zu seinem Gesprächspartner hin, beinahe so, als ob er diesem nicht über den Weg traute. »Wie bitte?« »Lass uns zum Tisch zurückkehren, Luddy.« Die schlanken Finger des Italieners fanden ihren Weg in Ludwigs Hände und obwohl er das Bedürfnis hatte, sie ihm zu entziehen, konnte er es nicht, weil er wie angewurzelt dastand. »L-luddy ist kein korrekter Spitzname für meinen Namen«, sagte er stattdessen verklemmt und schluckte nur. Seine Gedanken rasten und er starrte unentwegt auf Felicianos Lippen, während dieser unbeirrt vor sich hin kicherte. »Ich weiß, aber jetzt ist es mein Spitzname für dich. Ludwig ist so ein wunderschöner Name und wenn ich dir einen anderen gebe, geht der Zauber verloren.« Bestimmt drückte er die Hand des Deutschen und machte Anstalten, in den Verkaufsraum zurückzugehen. »Lass uns endlich Essen, ich habe einen Riesenappetit.« Feliciano ließ seine Hand nicht los, sondern manövrierte Ludwig sicher in die Umkleide, wo sie ihre Schürzen ablegten und anschließend gemeinsam an ihren Tisch zurückkehrten. Dort stand Ludwigs bestellte Lasagne, die zwar kalt war, aber einladend duftete. Nur einen Moment später kam die Kellnerin zu ihnen und tauschte den kalten Kaffee gegen einen heißen. Sie bot den Ludwig an, die Lasagne aufzuwärmen und verschwand dann für einen Augenblick. Ludwig bat außerdem um einen zweiten Teller und so teilten sie sich schließlich die Lasagne, die sie schweigend aßen. Ludwig hob den Kopf und beobachtete Feliciano für einen Moment, der sich genüsslich eine gefüllte Gabel in den Mund schob und dann zum Deutschen aufsah. »Schmeckt es dir?« »Ja, das ist gar nicht mal so schlecht«, antwortete der Blonde und lächelte schmal, bevor er sich mit einem Tuch über den Mund wischte. »Also gut, aber wir haben auch noch ein wenig Zeit… daher nutze ich einfach mal die Gelegenheit, dich ein wenig auszufragen.« Ein Grinsen zierte die Lippen des Italieners und er ließ die Gabel sinken, den letzten Bissen schluckend. »M-mich ausfragen? So interessant bin ich nun auch wieder nicht«, winkte Ludwig beschämt ab und faltete die Hände unter dem Kinn, weil er keinen blassen Schimmer hatte, wohin er sonst mit ihnen wollte. »Ich bin in einem fremden Land und spreche mit einem netten, zweifelsfrei klugen und vielseitig interessierten Deutschen. Ein bisschen neugierig bin ich schon und das ist nichts, wofür man sich schämen sollte.« Wie selbstverständlich intensivierte Feliciano seinen Blick und schien ganz Ohr für den Blonden. Röte breitete sich auf Ludwigs Wangen ob der Komplimente aus und er wusste nicht so recht, was er darauf antworten sollte, also entschied er sich gar nicht darauf einzugehen. Es verlangte jedoch ein Räuspern, damit seine Stimme kräftig genug für eine Antwort war. »Nun… viel gibt es über mich jedenfalls nicht zu erzählen. Ich denke, dass du deutlich… interessanter scheinst als ich es je sein werde.« »Luddy, sag so etwas nicht! Ich möchte alles über dich erfahren! Was machst du zum Beispiel beruflich? Und hast du Geschwister?« In einer lässigen Bewegung nippte Feliciano an seinem Kaffee und wärmte seine Hände an der heißen Kaffee, ehe er den Blick darauf senkte. Ludwig hob zweifelnd die Augenbrauen. Er war sich nicht sicher, wie viel er dem Fremden erzählen wollte, aber wenn er ebenso über den Italiener erfahren wollte, musste er zunächst selbst mit einigen Informationen aufwarten. »Ich bin… Beamter… Lehrer, um genau zu sein. Und ich unterrichte in der Sekundärstufe. Außerdem habe ich einen großen Bruder, der zwei Jahre älter ist als ich.« Ein verheißungsvolles Leuchten trat in Felicianos Augen und er grinste verschmitzt vor sich hin. »Da haben wir ja gleich zwei Sachen gemeinsam. Genau genommen habe ich Kunst studiert, aber ich habe mich auf das Unterrichten spezialisiert. Und einen älteren Bruder habe ich auch. Jeder, der uns sieht würde uns glatt für Zwillinge halten, aber er ist ein Jahr älter als ich.« Die Art, wie Feliciano sich freute und den Kopf in den Nacken warf, nur um dann vergnügt zu lachen bescherte Ludwig ein wohliges Gefühl in der Brust und er ahnte nichts Gutes. Trotzdem konnte er nicht vermeiden, dass er sich mehr zu Feliciano hinüberbeugte und sich der Abstand zwischen ihnen immer weiter verringerte, da auch der Italiener seine Hände unter seinem Kinn gebettet hatte. »Du sagtest auch etwas von einer Schwester…«, erinnerte sich Ludwig. »Ja, das stimmt. Ich besuche sie für einige Wochen! Sie ist nicht meine leibliche Schwester, aber wir sind zusammen aufgewachsen, also wird sie mich eine Weile aushalten können. Wir haben uns immerhin jetzt ein halbes Jahr nicht mehr gesehen.« Die Andeutung eines Lächelns war auf den Lippen des Italieners zu erkennen und er legte den Kopf schief. »Ist deine Freundin auch Lehrerin?« Ludwig verschluckte sich beinahe an seinem Kaffee, als er letzteres hörte und räusperte sich beklommen. »Das ist… ein schwieriges Thema. Momentan halten mich meine Hunde und mein Job sehr auf Trapp. Ich habe praktisch keine Zeit für… jemanden außerhalb.« Mit gesenktem Blick und geröteten Wangen starrte er auf seine Hände und hoffte, dass Feliciano nicht nachforschte. »Das ist wirklich schade, Luddy. Dabei ist es so viel schöner sein Leben mit jemandem zu teilen. Vermutlich würden sich auch deine Hunde über weitere Gesellschaft freuen…«, antwortete Feliciano ernsthaft bedrückt und Ludwig bemerkte, wie die Hand des Italieners flach auf dem Tisch ruhte und erheblich dichter an seiner Hand lag, als noch vor einigen Minuten. »Vermutlich, ja. Aber es fällt mir auch nicht wirklich leicht, jemanden kennen zu lernen. Ich bin… vielleicht ein wenig schüchtern in Gegenwart anderer. Auf manche wirke ich vermutlich sogar bedrohlich… auch wenn ich nichts Böses im Sinn habe. Für Menschen wie mich ist die Chance auf Erfolg erheblich geringer…«, murmelte Ludwig und lächelte gezwungen. Überrascht hob Feliciano seine Augenbrauen und begann sogleich mit seinen Händen wild zu gestikulieren. »Das stimmt doch gar nicht! Du siehst gut aus, du dürfest bei den Bellas doch großen Erfolg haben. Du bist groß, gut gebaut, hast diese außergewöhnlichen blauen Augen und eine angenehm-tiefe Stimme. Außerdem wirkt das Schüchterne auf viele Frauen sehr charmant.« Ludwig wusste, er tat besser daran, sich nicht auf die Engelszunge des Italieners einzulassen, aber die Komplimente wirkten Wunder und er wurde ungeahnt mutig. »Mein Problem ist, dass… mich die von dir genannte Zielgruppe nicht anspricht, Feliciano.« Der Deutsche schluckte nervös und konnte den Blickkontakt mit dem Italiener nicht länger halten. »Oh, das heißt, du stehst auf…«, machte es bei Feliciano ‚Klick›. »Ja…«, bekräftigte Ludwig und musste sich räuspern. »Tut mir leid, wenn es dir unangenehm sein sollte. Nicht jeder… versteht es.« »Mir ist das doch nicht unangenehm!«, gab Feliciano zurück und legte den Kopf neugierig schief. »Weißt du, ich vertrete ja die Meinung, dass daran nichts Verwerfliches ist. Liebe ist Liebe. Ob nun so oder so. Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen und müssen uns wegen solchen Dingen nicht mehr schämen. Aber du hast recht, das macht es doch schwieriger, als ich dachte. Hast du jemanden im Auge?« »N-nein, aber selbst, wenn, wüsste ich nicht, wie ich auf ihn zugehen sollte.« Erneutes Räuspern, Ludwig fühlte sich sichtlich unwohl, aber sie hatten Glück, dass sie so abgeschieden vom Rest der anderen Tische waren. Hier konnte er ungestört über solche Dinge reden und irgendwie tat es gut, seine Probleme mit einem völlig Fremden zu diskutieren, den er hiernach niemals wiedersehen würde. Das machte es einfacher, alles offen auszusprechen. »Nun… wir können so eine Situation ja mal simulieren und ich sage dir, wie deine Chancen stehen, hm?« Feliciano lehnte sich entspannt in seinen Sitz zurück. Die Idee war bescheuert genug, dass Ludwig einmal mehr darüber nachdachte, statt sie direkt zu verwerfen, wie er es normalerweise getan hätte. Heute war für ihn eine wahre Premiere. Er ging mit einem Fremden essen, offenbarte ihm sein wohlgehütetes Geheimnis und konnte davon sogar profitieren. »In Ordnung.« »Musst du später noch Autofahren?« Ludwig schüttelte den Kopf. »Ich habe das Auto für meinen Bruder und seine Verlobte hier stehen lassen. Ich kann auch nach Hause laufen. Warum?« »Du überlegst dir einen netten Anmachspruch, mit dem wir deinen Charme testen und ich bin in zwei Minuten wieder da, einverstanden?« Etwas verwirrt legte Ludwig den Kopf schief, nickte aber nur zustimmend. Vermutlich musste Feliciano auf die Toilette und ihm schadete die Vorbereitungszeit nicht, ehe er sich vollkommen um Kopf und Kragen redete. Feliciano verschwand selig lächelnd und ließ Ludwig am Tisch allein zurück. Dieser legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke, während er darüber nachdachte, wie er jemanden ansprechen würde, der ihm gefiel. Aber außer den üblichen dümmlichen Anmachen, die er selbst belächelte, fiel ihm nichts Gescheites ein. Auch nicht, als Feliciano mit einer Flasche Wein in der Hand und zwei bauchigen Gläsern in der anderen zurückkam. »Und dabei habe ich mich an die ‚Kein Bier vor Vier›-Regel gehalten«, neckte Ludwig den Italiener lächelnd, als sich dieser hinsetzte und alles auf dem Tisch neu arrangierte, sodass sie mehr Platz hatten. »Das ist kein Bier, sondern Wein. Und zum Essen ist alles erlaubt. Wir bekommen gleich noch ein Dolce, also dürften wir entschuldigt sein.« Zwinkernd öffnete Feliciano den Korken und befüllte beide Gläser gleichermaßen, bevor er eines davon zu Ludwig hinüberschob »Cin-cin!« »Zum Wohl«, murmelte Ludwig überrumpelt und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass ihm alles sehr spanisch – in diesem Fall wohl eher italienisch – vorkam. Er hob das Glas und stieß mit Feliciano an. Noch eine Premiere an diesem Tag. Der Wein schmeckte ganz gut und das, obwohl Ludwig Weine ansonsten verschmähte. »Sehr gut«, gab er auch an Feliciano weiter, der zufrieden grinste. »Das hatte ich gehofft!« Während sie den Wein tranken, gab Feliciano ihm noch eine Weile Zeit, eine gute Strategie zu finden und schließlich wurde ihnen noch der Nachtisch gebracht, den sie verzehrten. Das Tiramisu schmeckte beiden ebenso vorzüglich und bis die Sauce für das Bolognese-Ragout fertig war, dauerte es ohnehin noch. »Nun… Wollen wir‹s mal versuchen?«, fragte Feliciano, nachdem sie die Weinflasche gemeinsam halb geleert hatten. »Ja, schon. Aber ich kann nicht beschwören, dass es gut ist, was ich mir da überlegt habe. Ich habe mir jedenfalls überlegt, was ich sagen könnte, wenn es dabei um d-dich ginge. Rein theoretisch, n-natürlich. Bereit?« »Ich bin schon gespannt wie ein Flitzebogen!« Ludwig räusperte sich geräuschvoll und arrangierte sich auf seinem Sitz, ehe er Feliciano in die Augen schaute und seinen Blick senkte. »W-wenn ich dir jetzt sagen würde, dass du ein aufregendes Lächeln hast, würdest du vermutlich denken, dass ich versuche, dich anzumachen, oder? Denn das war mein Plan.« Stille. Sobald die Worte seinen Mund verlassen hatten, spürte er das Blut in seinen Ohren rauschen und sein Herz klopfte so wild in seinem Brustkorb, dass es mühelos daraus hervorgesprungen sein konnte. Felicianos Lächeln war verschwunden und er starrte Ludwig nur sprachlos an, was problematisch war, weil dieser dadurch nicht einmal ansatzweise erahnen konnte, wie der Italiener darüber dachte. »Zu viel?« Nervös leckte sich Ludwig über die Lippen und sein Gesprächspartner schien aus seiner Starre zu erwachen. »N-nein, gar nicht. Eigentlich passt es sogar ganz gut zu dir, denke ich, aber… wirklich überzeugt hat mich dein Blick… so als wäre ich etwas Wertvolles. Ich denke, w-wenn du das soweit beibehältst, könntest du schneller vom Markt sein, als du geplant hast.« Feliciano wirkte nervös und sein Lächeln wirkte ebenso gequält. Ludwig seufzte. »Sehr überzeugt scheinst du nicht, wenn ich das anmerken darf.« »D-das ist es nicht. Aber wenn du mich nach meiner Nummer gefragt hättest, wäre ich nicht abgeneigt. Du warst wirklich… überzeugend.« Ludwig bemerkte, wie sich Feliciano mit seinen Händen durch das Haar fuhr und schließlich wieder zu ihm hinüberbeugte. »Dann… solltest du mir deine Nummer vielleicht geben«, rutschte es dem Blonden heraus und er zuckte selber ob seines fordernden Tonfalls zusammen. Ohne zu zögern nahm sich Feliciano eine Serviette und suchte nach einem Stift, den er in der Innenseite seiner Jacke fand. Mit gezielten Bewegungen brachte er einige Ziffern zum Vorschein und schob die Serviette Ludwig erwartungsvoll zu. »Lass mich nicht die üblichen drei Tage zittern. Das Leben ist kurz.« Kapitel 6: Ludwigs Verwirrung ----------------------------- Freitag, 14. Oktober Ludwig lag schweißgebadet und wach in seinem Bett, die Decke von sich gestrampelt und mit klopfendem Herzen an die Decke starrend. Seine Augen waren erschrocken aufgerissen und er rieb sich mit dem Unterarm über die feuchte Stirn. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass er von dem Treffen mit Feliciano geträumt hatte, doch nun hatte das ohnehin schon unangenehme ‚Date‘ einen seltsamen Beigeschmack bekommen. Zumindest in Bezug auf seine neuesten Erkenntnisse. Natürlich konnte es sich noch immer um ein Missverständnis handeln, doch Ludwig hatte die kleinen Hinweise mühelos zu einem verständlichen und recht offensichtlichen, großen Ganzen verbunden. Sein Bruder Gilbert hatte ihm erst in der vergangenen Woche erzählt, dass seine Verlobte ihren kleinen Bruder nach Deutschland geholt hatte, damit er an der Hochzeit teilnehmen konnte und Trauzeuge sein würde. Seine Verlobte war Elizabeta, die Ludwig bisher noch nicht kennengelernt hatte, aber die Einladungen, die sie verschickt hatten, war am gestrigen Tag in seinem Briefkasten aufgetaucht. Dieselbe Einladung, die bei Feliciano Vargas auf dem Pult gelegen hatte. Mit persönlicher Widmung der Braut. »Für meinen kleinen, süßen Bruder.« Etwas regte sich in Ludwigs Magen, während er sich darüber ärgerte, dass das Schicksal fleißig einen Plan für ihn zu schmieden schien. Eigentlich wollte er Feliciano nach diesem ersten Treffen nicht mehr wiedersehen, weil dieser Gefühle in ihm ausgelöst hatte, die Ludwig verängstigten. Aber dann war dieser in der Schule aufgetaucht und hatte sich als neuer Kunstlehrer entpuppt. Zu allem Übel schien Feliciano Vargas auch noch der Bruder der Braut zu sein, die sein eigener Bruder, Gilbert Beilschmidt, zu ehelichen gedachte. Er hatte den Italiener noch nicht damit konfrontiert, aber er war sich ziemlich sicher, dass es der Wahrheit entsprach. Und dass sich der charmante Fremde ihm gegenüber ganz und gar nicht zurückhaltend benahm, setzte dem Ganzen ein i-Tüpfelchen auf. Seit Montag waren vier Tage vergangen, heute war Freitag und so sehr Ludwig auch versuchte, dem Brünetten aus dem Weg zu gehen, war dies nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Feliciano war jemand, für den ‚persönlicher Freiraum‘ ein Fremdwort war. Wenn er Lust dazu hatte (und bei jeder Begrüßung) umarmte er Ludwig und jegliche Versuche ihn fortzuschieben resultierten darin, dass der Italiener Bärenkräfte entwickelte, die man ihm aufgrund seiner schmalen Statur kaum zumutete. Ludwigs mündliche Beschwerden ignorierte Feliciano geflissentlich und in jeder Pause, die Ludwig mittlerweile an verschiedenen Orten zelebrierte um seine Ruhe zu haben, fand Feliciano den nervösen Deutschen wider jeder Logik. Diese Beharrlichkeit resultierte darin, dass Ludwig mittlerweile der Überzeugung war, dass seine Gegenwehr grundsätzlich sinnfrei war. Feliciano war niemand, der sich durch Regeln oder soziale Gepflogenheiten beirren ließ und das war vermutlich der Punkt, den Ludwig am meisten störte. Er liebte Regeln und Ordnung. Er war diszipliniert und gewissenhaft. Ganz anders als der impulsive und energiegeladene Italiener, der sich nicht um Konsequenzen zu scheren schien. Ludwig wollte nicht, dass jemand dachte, die beiden würden eine Beziehung miteinander führen, vor allem, weil Feliciano bei den Damen der Schöpfung gegenüber deutlich zurückhaltender war, obwohl diese sehr eindeutige Signale aussandten. Kopfschüttelnd setzte sich Ludwig auf und rutschte in einer geschmeidigen Bewegung aus dem Bett. Er konnte nun ohnehin kein Auge mehr zubekommen und der Wecker würde in weniger als zwei Stunden schellen. Er konnte die Zeit noch sinnvoll nutzen, indem er joggen ging und innerhalb von zehn Minuten stand er fertig angezogen vor der Haustür, die schwarzen Kopfhörer über seine Ohren stülpend. Während er in einem anständigen Tempo losjoggte und die Straße hinab lief in Richtung Hafen, versuchte er all seine Gedanken aus dem Kopf zu verbannen zu verbannen und stattdessen die Morgendämmerung in Augenschein zu nehmen. Während der Himmel über ihm noch in einem dunklen Blauton gehalten war, ging er in Richtung Horizont bereits in ein helleres Blau über und schließlich erstreckte sich knapp über dem Horizont ein knapper orangefarbener Streifen. Kalte Luft schlug ihm entgegen, während er in einem zügigen Tempo dem Straßenverlauf folgte. Ludwig liebte das morgendliche Joggen, auch wenn er in letzter Zeit immer weniger Gelegenheit dazu gehabt hatte, weil er an zwei Tagen in der Woche vor der Schule noch den Sportklub betreute und mit ihnen kleine Übungen vor dem Unterricht durchführte. Es war der Wunsch der Schüler gewesen und Ludwig war wirklich froh, dass sie den Sport so ernst nahmen, sodass sie auch vor der Schule trainierten, was eigentlich nicht üblich war. Ihm taten die zusätzlichen Trainingseinheiten nicht weh und er nutzte die Gelegenheit, selbst in Form zu bleiben. Seine Gedanken schweiften allmählich wieder ab und vor seinem inneren Auge manifestierten sich zwei bernsteinfarbene Schmucksteine von Augen, die ihn neugierig und aufgeregt anstierten. Eine einzelne Locke wippte bei jeder Bewegung unbekümmert mit und er konnte förmlich seine Stimme hören. »Ve~, Luddy! Wieso bist du immer so unter Strom? Du solltest dich mal ausruhen und eine Siesta halten!« Ein Lächeln schlich sich in Ludwigs Mundwinkel und er musste unwillkürlich die aufkommende Gänsehaut abschütteln. Wie konnte ein Mann, den er vor weniger als drei Wochen kennen gelernt hatte, seine Gedankenwelt so beeinflussen, dass er sich sogar Gespräche vorstellte, die die beiden niemals führen würden und warum war die Stimme des Italieners so präsent in seinem Kopf? Warum konnte dieser kleine, nervige, planlose, anhängliche, pastaliebende Italiener ihn nur so vereinnahmen? Erneut schüttelte Ludwig den Kopf und beschleunigte seine Schritte. Dass ihn alles so mitnahm war nur dem Umstand geschuldet, dass er Feliciano bei jeder Gelegenheit über den Weg lief und dass er ihm nicht wirklich entkommen konnte. Wenn sie nur ein wenig mehr Abstand zueinander hätten, würde er bestimmt nur halb so oft über ihn nachdenken müssen, da war er sich sicher. * * * Es dauerte knapp eine Stunde, bis Ludwig die Puste ausging und der Grund hierfür war, dass er unbewusst immer schneller und schneller gelaufen war, bis er schließlich einen Sprint zu den Hafenanlagen hingelegt hatte. Von Seitenstichen geplagt und völlig außer Atem, machte er sich auf demselben Weg zurück. Schon von weitem konnte er die Silhouette eines ihm bekannten Mannes in der Ferne ausmachen und um diesen herum drei lebendig herumspringende Hunde, die an ihren Leinen zerrten und ihren Halter weiterzogen. Ein lautes Fluchen erklang und Ludwig musste sich ein Grinsen verkneifen. »Wenn das nicht ein liebreizender Anblick ist, Bruderherz« , rief er dem bölkenden Mann hinterher und schloss zu ihm auf, was dazu führte, dass die Hunde im Zug stoppten und sich laut bellend dem blonden Deutschen widmeten. »Na, ihr drei? Kümmert sich Gilbert auch gut um euch?« , murmelte Ludwig, während er seine Hunde streichelte und von seinem leicht verschlafenden Bruder taxiert wurde. »Guten Morgen, West.« »Oh, doch so begeistert am frühen Morgen?« Ludwig ließ von den Tieren ab und hob seine Kopfhörer von den Ohren, um sie um seinen Hals baumeln zu lassen. »Ich hätte nicht gedacht, dich hier zu treffen…« »Ich habe auch nicht das Bedürfnis, hier um fünf Uhr morgens zu stehen und ausgerechnet auf deine Visage zu treffen«, neckte ihn Gilbert. »Und doch bist du hier.« »Aster konnte es nicht erwarten, vor die Tür zu kommen.« Gilbert nickte in die Richtung des aufgeregt mit dem Schweif wedelnden Hundes und verdrehte dann gespielt genervt die Augen. »Ich hätte mich nicht anbieten sollen, wirklich…« »Du hast Urlaub und kannst dich mehr mit ihnen beschäftigen als ich, zumindest im Moment. Außerdem liebst du sie genauso wie ich, also versuch nicht das arme Opfer zu spielen.« Ludwig lachte höhnisch und streichelte Blackie hinter den Ohren. »Ja, das stimmt. Aber Urlaub bedeutet auch, ausschlafen zu können, West« , grummelte Gilbert und gähnte herzerweichend. »Wir müssen noch so viel planen für die Hochzeit, ich habe gar keine Zeit fünf Mal am Tag mit ihnen spazieren zu gehen.« »Jetzt mach aber mal halblang… du tust ja beinahe so, als würden sie dir viel Mühe bescheren. Sie sind praktisch innerhalb von zehn Minuten mit ihren Geschäften fertig, wenn du die Route nimmst, die ich dir vorgeschlagen habe. Aber du fürchtest dich ja vor dem Wald…« Gilbert verzog gespielt schockiert das Gesicht. »Ich, der außergewöhnliche Gilbert Beilschmidt fürchtet sich nicht vor dem Wald, der in unmittelbarer Nähe zum Friedhof ist und wo regelmäßig irgendwelche Jugendlichen merkwürdige Rituale praktizieren, die irgendwann mal nach hinten losgehen.« Seine Stimme zitterte schließlich ein wenig und er räusperte sich geräuschvoll. »Natürlich, so wird es sein, Gil.« Ludwig lächelte schmal und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Nun… ich würde gern länger mit dir plaudern, aber ich muss mich langsam auf den Weg nach Hause machen. Ich muss noch duschen und einige Sachen vorbereiten…« »Ja, lass mich allein zurück hier« , murmelte Gilbert. »Aber vergiss nicht, dass wir heute Abend um sieben verabredet sind. Du sollst schließlich meine Zukünftige nicht erst auf der Hochzeit kennenlernen.« »An mir lag es nicht, dass wir uns noch nicht kennen. Du bist derjenige, der sich für seine Familie schämt« , antwortete Ludwig beinahe vorwurfsvoll. »Ich schäme mich nicht! Aber da sie selbst keine große Verwandtschaft hat, dachte ich, dass ich ihr Zeit gebe, bevor ich ihr meine verrückte Familie vorstelle. Nur weil ich außergewöhnlich bin, bedeutet das nicht, dass selbiges auch für meine Familie gilt.« Spöttisch hob Gilbert eine Augenbraue und wickelte währenddessen die Hundeleinen dichter um seine Faust. »Natürlich, Gil.« Ludwig lächelte nur müde und verdrängte den Gedanken, dass Elizabeta womöglich die große Schwester von Feliciano sein würde und sie noch häufiger als in dieser Woche aufeinandertreffen würden. »Wenn dein Selbstbewusstsein doch nur bei den Hunden ankommen würde, dann hättest du mit Sicherheit keine Probleme sie zu führen. Ist das bei deiner Verlobten auch so? Hat sie heimlich die Hosen an?« Ludwig grinste böse und setzte sich dann in Bewegung, um Gilbert und die Hunde hinter sich zulassen. »Warum musst du immer von dir auf andere schließen?« , rief Gilbert ihm hinterher und die beiden warfen jeweils einen kurzen Blick über die Schulter, bevor sie sich mit einer simplen Handbewegung verabschiedeten. Der Umgangston war immer rau gewesen, aber insgeheim liebten und respektierten sich die beiden. Die Brüder waren nicht der Typ für Zugeständnisse und so endeten die meisten ihrer Treffen in Rivalität und sarkastischen Bemerkungen. Kapitel 7: Ein Ort, um Erinnerungen zu schaffen ----------------------------------------------- Freitag, 14. Oktober Geräuschvoll erhoben sich die Schüler zur Pause und Ludwig sammelte den Test ein, der für heute angesetzt war. Als er die gequälten Gesichter seiner Schüler studierte, seufzte er. Natürlich war Deutsch nicht jedermanns Fach, doch sie mussten sich zusammenreißen, wenn sie gute Noten wollten. Man konnte zwar nicht erwarten, dass die 6. Klässler sich ihrer Lage schon bewusst waren, aber Ludwig hielt sie immer zu Bestleistungen an. Er war erfahren genug um zu sehen, dass bald die Zeit kommen würde, in der sie sich ihrer Lage sehr wohl bewusstwurden und dass sie sich mehr reinhängen würden, aber die Grundkenntnisse mussten bis dahin sitzen. Während auch die letzten Schüler den Klassenraum verließen und Ludwig ebenfalls alles eingepackt hatte, stand ein glücklich grinsender Feliciano in der Tür und winkte ihm aufgeregt zu. »Luddy! Zum Glück hab ich dich noch erwischt!« Ein Knoten bildete sich in Ludwigs Magen. Er war hin und her gerissen zwischen Freude den kleinen Italiener zu sehen und der Furcht, ihm nicht in die Augen sehen zu können. Sein Herz klopfte ihm in der Brust und er versuchte sich nichts davon anmerken zu lassen. Feliciano hatte keine Fragen gestellt, nach seiner eigenartigen Reaktion am Montag und Ludwig hatte mit hämmerndem Herzen das Anwesenheitssystem und die Notendokumentation am Computer erklärt. Es war ihm schwergefallen, doch er hatte unglaubliche Disziplin bewiesen. »Luddy~, lass uns die Mittagspause gemeinsam verbringen. Du bist immer so beschäftigt, aber du musst auch mal eine Siesta halten, sonst überarbeitest du dich noch.« »Ich muss noch einige Dinge erledigen, bevor ich überhaupt an eine Pause denken kann«, widersprach Ludwig und winkte ab. Er wusste zwar, dass er Feliciano damit nicht loswurde, aber er wollte nicht sofort alle Register ziehen. »Du hast doch danach auch eine Vorbereitungsstunde, oder?« Feliciano verengte die Augen zu Schlitzen und ließ sich am Pult neben Ludwig nieder. Der nicht existente Abstand zwischen sorgte dafür, dass sich Ludwig seine schweißnassen Finger an der dunklen Stoffhose abwischen musste. »Feliciano, ich…« Eigentlich wollte er ihm entgegnen, dass er lieber seine Arbeit anständig verrichtete, als sich auf eine Ruhepause zu besinnen, bevor irgendetwas drohte liegen zu bleiben, aber das hätte womöglich nur darin resultiert, dass Feliciano ihn weiter angebettelt hätte. Ergeben seufzte er. Vielleicht würde er endlich aufgeben, wenn er seinen Willen bekam? Ludwig bezweifelte es stark, aber einen Versuch war es wert. Er konnte keinen Streit vom Zaun brechen. »Meinetwegen…« Feliciano machte große Augen und ein breites Grinsen zierte sein schmales Gesicht. »Splendido! Ich hab einen schönen Ort gefunden, an dem wir unsere Pause verbringen können.« Ludwig hob überrascht eine Augenbraue und taxierte den fröhlichen jungen Mann. »Wohin geht es?« »Es ist ein Geheimnis«, murmelte Feliciano und lehnte seinen Zeigefinger gegen seine Lippen. »Du wirst schon sehen, wenn wir da sind.« Ludwig schluckte bei dem Anblick des glücklich vor sich hin kichernden Mannes, der seine Hand nahm und ihn sanft aber bestimmt auf die Beine zerrte. Nachdem er ordnungsgemäß den Klassenraum abgeschlossen hatte, folgte er Feliciano, der fröhlich vor sich hin summte in den zweiten Stock des Hauptgebäudes, bevor sie vor einer unscheinbaren Tür stehen blieben. Ludwig war noch nie in diesem Teil des Gebäudes gewesen, er arbeitete schon einige Jahre hier, aber Feliciano schien sehr viel experimentierfreudiger zu sein. Ohne jeden Zweifel. Woher Feliciano den Schlüssel für diesen Raum hatte, der nicht zum Unterrichten gedacht war, wusste er selber nicht. Während Feliciano mit dem Schloss beschäftigt war, ließ Ludwig seinen Blick aus dem Fenster im Flur schweifen und beobachtete einige Schüler, wie sie über den großen Schulhof schlenderten. Andere spielten auf dem Feld Basketball und wieder andere hatten es sich in der kalten Oktobersonne auf der Wiese gemütlich gemacht und starrten in den Himmel, während sie sich unterhielten. »Ludwig?« Felicianos Stimme holte ihn zurück in die Realität und die Tür stand einen Spalt breit offen. »Komm mit, ich will dir was zeigen…« Mit seiner Lunchbox unter dem Arm geklemmt, ging der Italiener vor und tastete an der Wand nach einem Lichtschalter. »Ve, hier war doch…. Ah, …« Helles Licht durchflutete den Raum und Ludwig brauchte einen Moment, sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen, nachdem sie einen Augenblick im Dunkeln gestanden hatten. Vor ihnen war ein kleiner Raum, der mit einem Tisch, einigen alten Holzregalen und einer Flipchart neben dem Fenster ausgestattet war. Der Raum war minimal breiter als die Flure und auch in der Länge nicht viel größer als die Klassenräume. Vor dem einzigen Fenster hing ein dicker, lichtundurchlässiger Vorhang, den Feliciano mit größter Mühe zur Seite schieben wollte. Ludwig ging ihm zur Hand und zog ihn deutlich erfolgreicher auf, sodass Sonnenlicht in das Zimmer schien. Einzelne Staubflocken tanzten in der Luft und Feliciano schaltete das Licht aus. »So… da wären wir. Ein bisschen staubig, aber ansonsten ist dieser Ort perfekt. Man kann von hier aus das Schloss am Hang sehen… ich werde beim nächsten Mal die Staffelei mitbringen und hier zeichnen.« Ludwig räusperte sich leise. »Dürfen wir überhaupt hier sein? Der Raum wirkt zwar unbenutzt aber…« »Keine Sorge, dieser Raum war wohl einst der Raum der Streitschlichter, aber die haben ihr Revier ja nun im Nebenzimmer des Rektors im Erdgeschoss. Offenbar wollten sich die Leute nicht hier hoch schleppen, um zu streiten.« Feliciano grinste. »Er ist frei und ich habe einen ruhigen Ort zum Malen gesucht.« »Ich kann mir kaum vorstellen, dass Mr. Jones davon erfreut ist…«, zweifelte Ludwig. »Oh, keine Sorge. Ich habe ihn persönlich um Erlaubnis gebeten und solange keine der Clubs Anspruch anmeldet, kann ich hier schalten und walten, wie mir beliebt. Er hat mir sogar den Schlüssel überlassen.« Feliciano hob wie zum Beweis den kleinen Schlüsselring in die Höhe und ließ ihn in seiner Anzugtasche verschwinden. »Oh, na dann ist ja alles in Ordnung.« Ludwig entspannte sich sichtlich und er ließ seine Finger über den Tisch gleiten. »Aber bevor wir hier essen können, müssen wir ein wenig aufräumen, meinst du nicht auch?« Feliciano nickte zustimmend. »Dort im Wandschrank sind einige Utensilien und ich habe auch Tücher mitgebracht.« Erst jetzt bemerkte Ludwig die schmale Umhängetasche, die Feliciano bei sich trug und auf dem Fenstersims ablegte, aus der er einige Stofflappen hervorkramte. Positiv überrascht konnte sich auch Ludwig ein Lächeln nicht verkneifen, während er einen Putzeimer, einen Besen und einen Staubwedel aus dem Schrank holte. Feliciano öffnete das Fenster und ließ die frische Luft in den Raum, während Ludwig am Waschbecken hinter der Tür den Eimer füllte. Der kleine Italiener begann sogleich, mit dem Staubwedel überall entlang zu wischen, was darin endete, dass die Luft von Staub erfüllt war und er sich wie ein Nebelschleier um sie herum manifestierte. Ludwig seufzte. Immer wenn er glaubte, dass sich Feliciano wie ein verantwortungsvoller Erwachsener verhielt, geschahen Dinge wie diese und er konnte nicht anders, als sich mit der flachen Hand vor die Stirn zu schlagen. Diesmal begleitet von einem nach Frischluft schnappendem Röcheln, packte er Feliciano bei den Schultern und schüttelte ihn leicht. »Du Dummkopf, was machst du denn da!« »Ve«, machte der Italiener nur und starrte Ludwig aus seinen großen bernsteinfarbenen Augen an, während er ebenfalls hustete. »Tut mir leid, Luddy! Ich hätte nicht gedacht, dass es so dramatisch wird.« Ludwig – zum Glück geistesgegenwärtig – schob die Tür auf und öffnete auch ein Fenster auf dem Flur, um frische Luft in den kleinen Raum zu lassen. »Du solltest wirklich darüber nachdenken, bevor du etwas tust.« Feliciano nickte schuldbewusst und forderte eine Umarmung ein, dessen Grund sich Ludwig jeder Logik entzog, aber da dies die letzten Tage ohnehin gang und gäbe gewesen war, versuchte er gar nicht erst, den Italiener fortzuschieben. »Bist du mir nun böse, Luddy? Ich wollte nur ein bisschen helfen, immerhin soll dieser Raum auch für dich so schön werden. Ich will, dass du gerne herkommst und mit mir zu Mittag isst und wir ganz viel Pasta essen können, wenn du magst.« Felicianos Augen waren groß und starrten an Ludwig hoch, eine Körperhaltung, die seinen Beschützerinstinkt weckte; sofort wandte er seinen Blick ab und eine verlegene Röte stahl sich auf seine Wangen. »Wegen so einer Kleinigkeit werde ich dir nicht böse sein, aber du solltest wirklich nachdenken, bevor du irgendetwas tust, das andere in Schwierigkeiten bringen könnte«, tadelte Ludwig ihn und strich ihm sanft über das Haar. »Ehehe«, kicherte Feliciano und vergrub sein Gesicht an Ludwigs Brust. Eigentlich wollte Ludwig ihn von sich schieben, weil er Angst hatte, dass der Italiener sein pochendes Herz in der Brust klopfen hörte, was ihn und seine unberechenbaren Gefühle verraten würden, doch stattdessen legte er seinen Kopf auf dem des Italieners ab und schlang seine Arme um ihn. Der Duft, den Feliciano versprühte, machte ihn halb benommen und ließ seine Hemmungen langsam aber sicher entweichen. Feliciano summte an seiner Brust und Ludwigs Herz machte einen weiteren Satz. Er konnte sein Glück kaum fassen, dass es ihm irgendwie erlaubt war, so nah am Objekt seiner Begierde zu sein, ohne dass es ansatzweise merkwürdig war. Es war Ewigkeiten her gewesen, seit er jemandem so nah gekommen war. War das, was er in diesem Moment fühlte tatsächlich pures Glück? Konnte eine Umarmung etwas Derartiges bewerkstelligen? Ludwig war sich nicht sicher, aber wenn er nur ein kleines bisschen länger so fühlen durfte wie in diesem Augenblick… Ein schockiertes Quieken ließ Ludwig erschrocken zusammenfahren und noch während er dabei war, die Situation zu überblicken und sich nach der Geräuschquelle umzudrehen, stieß er mit seinem linken Arm den halb gefüllten Eimer mit Wasser vom Tisch. Es gab einen lauten Knall und die lauwarme Flüssigkeit ergoss sich über ihn, Feliciano und noch viel wichtiger: über seine Arbeitstasche, in der die frisch geschriebenen Tests der Schüler auf ihre Berichtigung warteten. Kapitel 8: Pompei ----------------- Freitag, 14. Oktober Feliciano spürte etwas Warmes an seinen Beinen hinablaufen und plötzlich begann Ludwig laut zu schreien. Der Italiener stolperte unbewusst einen Schritt zurück gegen einen der Schränke und bemerkte aus dem Augenwinkel eine junge Schülerin, die ihre Hände vors Gesicht hielt und laut schluchzend im Flur stand. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah, als sich Ludwig plötzlich auf den Boden kniete und nach seiner Aktentasche griff, die an den meisten Stellen dunkel durch die Nässe wurde. Ludwig fluchte ungeniert vor sich hin, während Feliciano einige der Tücher um ihn herum auf den Boden warf, wo sich eine beachtliche Pfütze gebildet hatte. »Ve, Luddy, du solltest nicht fluchen, da steht eine Schülerin«, schlug Feliciano im Flüsterton vor und der Blonde warf einen Blick über die Schulter. »Verdammt, das ist Mina Carolina aus der 6c… geh sie beruhigen, Feli.« Seine Stimme ließ keinen Widerstand zu, während er versuchte, seine Unterlagen zu retten. Feliciano dachte sich nichts dabei und stieg über das Chaos hinweg, während er Blickkontakt mit dem verschreckten Mädchen hielt, bis er vor ihr stand. »Hey, kleine Bella. Warum weinst du denn? Hast du dich verletzt?« Das Mädchen stand mit weit aufgerissenen Augen vor ihm, Tränen kullerten ihm über die Wangen und es zitterte am ganzen Leib. »N-nein, ich…«, stockte Mina und wischte sich über die Augen. Sie kam gar nicht dazu, ihre Situation zu erklären, denn die Stille wurde durch erneutes Schimpfen von Ludwig unterbrochen. Feliciano drehte sich nur einen Augenblick herum, um zu sehen, wie Ludwig vorankam, aber da krachte auch schon die Tür zu und Mina Caroline lief jammernd über den Flur davon. Seufzend holte Feliciano den Schlüssel aus seiner Hosentasche und öffnete leise die Tür. Ludwig starrte auf etwas in seinen Händen, das vollkommen durchnässt war und aneinanderklebte. Die weißen, losen Blätter waren zum Teil mit roten Flecken übersät, die aus seinen Korrekturstiften kam. Ludwig starrte entgeistert auf den einzigen Klumpen in seinen Fingern, den er zu entwirren nicht vermochte und eine sehr dominante Sorgenfalte prangte auf seiner Stirn. Er sagte nichts und beachtete Feliciano auch nicht weiter, sodass dieser sich zu ihm hinunter hockte und die Unordnung betrachtete, die sie angerichtet hatten. »Soll ich noch ein paar Tücher holen, Luddy?« Wie in Zeitlupe hob Ludwig den Blick und blickte Feliciano ausdruckslos an. Er sagte noch immer nichts, doch man sah, wie sein Kiefer zu mahlen begann und seine Wangen sich rot färbten. Und dann, wie ein ausbrechender Vulkan, warf Ludwig die Blätter auf den noch immer feuchten Boden, sodass das Wasser spritzte, seine Stimme donnerte durch das Zimmer und über den Flur. »Du!« Der peitschende Tonfall ließ Feliciano zusammenzucken und er landete ziemlich unsanft auf seinem Allerwertesten. Ludwigs himmelblaue Augen, die Feliciano sonst mit einer außergewöhnlichen Wärme umfingen, wirkten nun finster und kühl. Feliciano hatte keine Ahnung, dass diese schönen Schmucksteine zu einem solchen Ausdruck fähig waren, auch wenn Ludwig ihm häufiger irritierte Blicke zugeworfen hatte. Bisher hatte er sich immer wohl gefühlt, wenn er von dem Deutschen beobachtet wurde, weil ihm die Aufmerksamkeit wie ein Geschenk vorkam, das persönlicher nicht hätte sein können. Aber jetzt war da etwas anderes, das Feliciano vollkommen überrumpelte und ihm das Gefühl gab, man hätte ihm mit einem einzigen Blick den Boden unter den Füßen weggerissen. »Ve?«, murmelte der Italiener vollkommen verwirrt und starrte zu dem Deutschen hinauf, der sich vor ihm aufgebaut hatte und unverständliche Dinge vor sich hinmurmelte. Feliciano schluckte fest und wich unwillkürlich ein Stück zurück. Er hatte keinen blassen Schimmer, was er falsch gemacht hatte und warum Ludwig nun so verärgert wirkte… Verärgerung war vermutlich nicht einmal ansatzweise der richtige Ausdruck dafür. »Ludwig, lass mich dir helfen!«, bat er deshalb und richtete sich vorsichtig auf, während er seine schlanken Finger um die des Deutschen legte. Ludwig zuckte unter der Berührung und zog seine Hände zurück. »Feliciano, du solltest jetzt wirklich gehen!«, raunte er angespannt und schloss die Augen. »Ich werde mit dem Chaos hier allein fertig. Geh bitte einfach.« Wie zuvor war es ob der Worte doch keine Bitte, sondern eine Aufforderung, die Feliciano sofort verstand. Er nickte nur, einen Anflug von Nervosität spürend, die seine Bewegungen minimal verlangsamte. Es gab keinen Zweifel, dass Ludwig jetzt einen Augenblick brauchte, auch wenn ihm nicht bewusst war, warum sie nicht einfach gemeinsam das Chaos beseitigten und danach den Rest ihrer Pause zusammen verbringen konnten. Vielleicht fühlte sich Ludwig dazu verpflichtet, es allein aufzuräumen, doch er wirkte so ernst, dass Feliciano keinen zweiten Versuch startete. Feliciano schloss die Tür hinter sich, ohne auch nur ein Wort zu sagen und starrte dann an sich herunter. Er hatte selber mehr als genug vom Wasser abbekommen, sodass sich seine graue Stoffhose in ihrem nassen Zustand sehr unvorteilhaft an seine Waden schmiegte. Nach dem Vorfall am Montag mit dem Kaffee war er klug genug gewesen, noch einen Ersatzanzug im Auto aufzubewahren, für den Fall der Fälle, also entschied er sich, diesen erst einmal zu holen. Hier draußen auf Ludwig zu warten brachte keinen von beiden weiter und vermutlich würde Ludwig sogar noch wütend, wenn er ihn hier draußen stehen sah und er seine Pause vergeudete. * * * Feliciano fühlte sich mit seiner sauberen Hose deutlich wohler und obwohl seine Gedanken noch immer um Ludwig kreisten, hatte er es geschafft, sich ins Kunstzimmer zurückzuziehen und keinen Laut von sich zu geben. In seinem Inneren rumorte es und nur zu gerne wäre er wieder zu Ludwig gegangen und hätte ihn beruhigt, doch er wusste instinktiv, dass er vielleicht besser warten sollte, bis der Blonde selbst auf ihn zukam. Ludwigs Wut erinnerte ihn an eine Zeit in seiner Jugend zurück, in der er in Österreich häufiger für sein schlechtes Benehmen gerügt wurde und Elizabeta hatte ihm immer eingeimpft, dass er auf die Gnade des Hausherrn hoffen musste, bevor er ihn mit seinen Entschuldigungen belästigte. Bis zum heutigen Tag hatte sich dieses Verhalten bei ihm eingebürgert, auch wenn er immer wieder das Bedürfnis verspürte, aus dieser passiven Rolle auszubrechen. Aber diesmal ging es nicht um einen gelangweilten Hausherrn, der seiner Späße überdrüssig war, sondern um Ludwig, der ihm sehr wohl etwas bedeutete und dessen Gefühle er einiges an Wert beimaß. Seufzend ließ er sich vor seinem Schreibtisch nieder und startete den Computer. Er hatte seine Lunchbox im Raum vergessen, doch er hatte kein Geld dabei, also musste er sich mit Arbeit ablenken, statt sich über sein Hungergefühl zu beschweren. Während er die Tageswerke seiner Schüler sortierte, schaffte es der alte Computer endlich, hochzufahren und das Programm zu laden, mit dem Feliciano arbeitete. In der ersten Woche hatte Feliciano die Schüler darum gebeten, eine weiße Din A4 Seite mit Dingen zu befüllen, die ihnen in ihrem Leben wichtig waren, um ein Gefühl für die unterschiedlichen Kinder zu bekommen. Viele von ihnen waren erstaunlich gut darin, ihre Hobbys zu Papier zu bringen, also war es für Feliciano gleichermaßen interessant wie erfüllend. Wann immer er Zeichnung von anderen Künstlern sah, begann er damit, sich ihnen verbunden zu fühlen, weil sie ihr Herz und ihre Seele in die Kunstwerke steckten. Selbst wenn jemand nicht so viel Talent hatte, konnte er mit dem, was sie hinterließen etwas anfangen. Menschen waren immer auf der Suche nach Vorbildern und eiferten ihnen nach, dabei steckte in jedem von ihnen etwas Außergewöhnliches. Die Individualität eines Einzelnen machte das Werk zu etwas Besonderem, unabhängig davon, wie viel Talent der Künstler besaß. Schon während seines Studiums war Feliciano auf viele verschiedene Menschen getroffen und einige waren arrogant über das hergezogen, was ihnen persönlich nicht gefallen hatte. Sie hatten kritisiert und verteufelt, anderen ein schlechtes Gefühl gegeben und ihnen die Freude am Malen verdorben. Jemand, der ein derlei verdorbenes Herz hatte, konnte sich zwar einen Künstler schimpfen, aber niemals das Herz eines anderen durch seine Kunst erreichen, davon war Feliciano überzeugt. Dass er sich schlussendlich dafür entschieden hatte, sein Studium als Lehrer zu nutzen, war dem Umstand geschuldet, dass er jungen Künstlern etwas wirklich Wichtiges mit auf den Weg geben wollte. Er wollte, dass sie sich als unfertiges Projekt sahen, dass man immer, immer wieder verbessern konnte. Es würde zwar immer kleine Rückschritte geben und man konnte auf Widerstand stoßen, aber der eigene Wille würde den inneren Künstler auf ewig am Leben erhalten. Während Feliciano die Noten eintrug, die er in der Stunde zuvor festgelegt hatte, fiel ihm nun ein Bild genauer ins Auge. Es war von eben jener Schülerin, die Ludwig und ihn so verschreckt hatte, dass der Eimer heruntergefallen war. Mina Carolina hatte ebenfalls ein Bild gezeichnet. Neben den üblichen Sachen wie Spaß mit Freunden haben, gute Noten und der Zeichnung einer kleinen Katze, gab es in der Mitte des Bildes einen Ausschnitt, wo ein junges, unscheinbares Mädchen stand, dass einen großgewachsenen blonden Mann aus der Ferne anstarrte. Um das Mädchen herum waren ganz viele rote Herzen gezeichnet und der blonde Mann trug eine Brille und legere Kleidung. Was ihn allen voran mit den anderen Details verriet war das durchdringende Blau der Augen. Feliciano konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, während er seine Finger über das Papier gleiten ließ. »Wenn das nicht Ludwig ist…«, murmelte Feliciano und er spürte, wie sein Herz im schnelleren Rhythmus in seiner Brust schlug. Nun konnte er auch erahnen, warum Mina Carolina einfach davongelaufen war. Vermutlich hatte sie gedacht, ihr verehrter Lehrer Ludwig würde in dieser Abstellkammer von einem Raum mit einem anderen Mann perverse Dinge praktizieren. Kinder in dem Alter waren nun mal so, dass sie einzelne Fragmente aus dem Kontext rissen und damit ihre eigene Vorstellung pflasterten, gerade deshalb, weil der Kontakt zweier Menschen des anderen Geschlechts immer etwas Frivoles an sich hatte, besonders in der Pubertät, in der die Gefühle mit einem durchgingen. Felicianos Gedanken schweiften einen Augenblick ab, als er sich in die Situation der Schülerin hineinzuversetzen versuchte. Er konnte es ihr nicht übelnehmen, er hatte Ludwig nicht ohne Hintergedanken in die Arme geschlossen, aber andererseits war es auch nichts gewesen, dass ihre Reaktion gerechtfertigt hätte. Der Italiener war einfach nur begeistert, dass seine Umarmung diesmal weniger einseitig gewesen war, als die letzten Tage, in denen Ludwig immer ein wenig widerstrebend gewirkt hatte. Feliciano hatte keinen blassen Schimmer, warum sich Ludwig so sehr dagegen wehrte, denn er hatte sehr wohl eine Ahnung, dass ihre Gefühle womöglich auf Gegenseitigkeit beruhen könnten. Vielleicht war sich Ludwig einfach nicht bewusst, dass er sich auch zu einem Mann hingezogen fühlen konnte oder er glaubte vielleicht, Feliciano würde es abstoßend finden? Andererseits hatte Ludwig ihm am Montag bereits gesagt, dass ihm die Zuneigungsbekundungen in der Schule unangenehm waren, wenn sie nicht allein waren. Gerade als Feliciano das Bild von Mina wieder zu den anderen legen wollte, wurde die Stille durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. »Herein!« Zögernd wurde die Tür aufgerissen und als hätte er den Teufel verschrien, stand besagte Schülerin im Türrahmen und starrte Feliciano aus großen Augen an. »Mina, richtig? Komm doch rein…«, bot Feliciano an und legte das Bild zu den anderen. »Womit kann ich dir helfen, du warst ja gerade ganz schön aufgewühlt, ve.« »Herr Vargas, ich…« Sie kam allmählich näher ans Pult und starrte auf ihre eigene Zeichnung herab, während sie vor sich hin stammelte. »Sagen Sie es ihm bitte nicht.« Feliciano faltete seine Finger unter dem Kinn zusammen und sah Mina eindringlich an, bevor er das Wort an sie erhob. »Du hast nichts falsch gemacht, Mina. Dir muss das nicht peinlich sein, denn Kunst ist ein Ausdruck deiner Gefühle und wenn sie stark genug sind, kannst du nicht anders, als ihnen Ausdruck zu verleihen. Sie sind nicht dafür geschaffen, auf ewig in dir zu schlummern, sondern sie wollen heraus. Und wenn diese Gefühle für deinen…« Feliciano wählte seine Worte weise. »Wenn Sie für eine Vertrauensperson wie Herrn Beilschmidt sind, dann ist das nun mal so. Natürlich gibt es Regeln, aber das Herz will was es will. Solange du ihn nicht damit bedrängst und ihn nicht in Schwierigkeiten bringst, ist alles in Ordnung. Ich werde es jedenfalls nicht erwähnen.« Er lächelte herzlich und legte den Kopf schief. »Aber… nein, ich will ihn nicht in Schwierigkeiten bringen. Er ist ein guter Mensch… es tut mir wirklich leid wegen vorhin. Ich habe gestört, aber…« Mina wandte den Blick ab. »Sind Sie beiden…? Es sah zumindest so aus, als… nun… er wirkt momentan irgendwie gelassener als sonst und ist in den Pausen nicht mehr nur im Klassenraum.« »Wir sind nur Kollegen, Mina. Du hast da ein bisschen zu viel hineininterpretiert«, winkte der Italiener ab. Er war froh, dass die Brünette ihn ihm Moment nicht ins Gesicht sah, denn sein Ausdruck strafte ihn vielleicht lügen. Es war zwar die Wahrheit, dass sie beiden kein festes Label hatten, doch Feliciano wünschte sich von Herzen, dass er dem Kind einen Namen geben konnte. Sie waren Freunde, Kollegen… aber er wollte mehr. Sein Blick schweifte ab zur Tür, die einen Spalt breit offenstand und er hätte schwören können, eine schemenhafte Gestalt vorbeihuschen zu sehen, aber nach einem kurzen Blinzeln war sie verschwunden. Das Leben schien in Mina zurückzukehren und das Mädchen lächelte leicht. »Vielen Dank, Herr Vargas. Sie sind zwar noch nicht lange bei uns, aber sie sind mindestens so cool wie Frau Ackermann, dass schwöre ich.« Damit machte sie sich davon und ließ Feliciano grübelnd im Klassenzimmer zurück. Kapitel 9: Gedankenchaos ------------------------ Freitag, 14. Oktober Als Ludwig die Tür zu seiner Wohnung aufstieß, wurde er nicht wie gewöhnlich von seinen Hunden begrüßt, sondern blieb unschlüssig einige Sekunden im Türrahmen stehen, bis er sich darüber gewahr wurde, dass seine Hunde bei seinem Bruder waren. Obwohl sie schon eine ganze Woche außer Haus waren, fühlte es sich immer noch merkwürdig an, heimzukommen und sie nicht um die Beine streifen zu spüren. Gedankenverloren warf Ludwig seine Arbeitstasche, die mittlerweile getrocknet war, auf das Sofa seines kleinen Wohnzimmers und öffnete auf dem Weg ins Schlafzimmer seine Krawatte. Seine Laune war nicht die Beste und er hatte keine Lust auf das, was am heutigen Freitagabend auf dem Plan stand, doch es gab keine Möglichkeit, den Termin mit seinem Bruder zu umgehen. Ludwig bemerkte aus dem Augenwinkel, dass er sich am frühen Morgen bereits etwas für das Treffen zurechtgelegt hatte und dass er nun eigentlich eine Dusche benötigte, doch stattdessen ließ er sich auf das gemachte Bett nieder. Mit seinem Gesicht in den Händen vergraben, setzte er die Puzzleteile eines chaotischen Arbeitstages zusammen. Bis zur Mittagspause war der Tag wirklich angenehm gewesen, ganz davon abgesehen dass Ludwigs Gedanken immer abzudriften drohten und er an den attraktiven Italiener denken musste, der sich klammheimlich in sein Leben geschlichen hatte und bei jeder Gelegenheit, seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Ludwig hätte sich ganz sicher nicht so sehr gegen diesen Gedanken gesperrt, wenn nicht alle Zeichen darauf deuten würden, dass er der kleine Bruder von Gilberts Verlobter war. Feliciano hatte diese Befürchtung zwar noch nicht bestätigt, aber Ludwig war nicht dumm. Er konnte eins und eins zusammenzählen. Nachdem sie sich nun schon zwei Mal unverhofft getroffen hatten, würde es vermutlich noch ein drittes Mal geschehen, da war sich Ludwig sicher. Darum widerstrebte es ihm, der Einladung seines Bruders am Abend zu folgen und womöglich auf Feliciano zu treffen. Ganz besonders nach den Ereignissen dieses Tages. Nachdem er Feliciano - der eigentlich vollkommen unschuldig an der Situation gewesen war - wutentbrannt fortgeschickt hatte, wollte er sich eigentlich bei ihm entschuldigen und hatte ihm seine Lunchbox vorbeibringen wollen, doch dann hatte er ein Gespräch zwischen Feliciano und Mina Carolina mitbekommen, das nicht für seine Ohren bestimmt gewesen war. »Du hast da ein bisschen zu viel hineininterpretiert.« Natürlich hatte Feliciano etwas Derartiges geantwortet, weil es sich um eine Schülerin handelte, mit der er sprach und alles andere wäre unangebracht gewesen. Aber die Worte hinterließen ein merkwürdiges Gefühl in Ludwigs Brust. Er spürte den Stich in seinem Herzen und glaubte, dass ihn etwas daran hinderte zu atmen. Als hätte sich ein schwerer Stein auf seine Lungen gelegt, der ihn davon abhielt einen tiefen Atemzug zu nehmen. Selbst jetzt, wenn Ludwig daran zurückdachte, schmerzte es ihn und er warf sich zum ersten Mal seit Ewigkeiten aufs Bett, leise stöhnend und vergrub sein Gesicht im Kissen. War Feliciano ihm wirklich zugetan oder war er einfach sehr offen für Berührungen? Vielleicht machte er sich gerade vollkommen umsonst verrückt und da war gar nichts zwischen den beiden. Wahrscheinlich hatte er all die Zeichen verkannt und Feliciano war einfach freundschaftlich an ihm interessiert. »Du hast da ein bisschen zu viel hineininterpretiert.« Ludwig krächzte vor sich hin und drehte sich in einem Bett von einer Seite auf die andere, während er versuchte den Gedanken abzuschütteln, der sich in seinem Hinterkopf festzusetzen schien. »Du nutzt seine Freundlichkeit nur aus, du hast Hintergedanken und verdirbst ihn.« Warum machte er sich unablässig zum Antagonisten und andere zum Helden? Es war doch vollkommen normal, als gesunder Mensch Gefühle zu entwickeln und wenn diese für den quirligen Italiener nicht ‚normal‘ waren, warum fühlte er dann so? Es musste einen Grund geben, warum er exakt so geschaffen worden war. Während er sich noch immer auf dem Bett hin und her wälzte, spürte er sein Handy in der Hosentasche vibrieren. Seufzend fischte er danach und starrte an die Decke, während er das Gespräch annahm. Er brauchte nicht auf das Display zu schauen, um zu wissen, dass es Gilbert war. »Heya, hier ist dein genialer Bruder, Gilbert!« , tönte es aus den Lautsprechern und Ludwig verdrehte die Augen. »Gilbert, was kann ich für dich tun?« »Warum so unbeeindruckt, freust du dich nicht auf den heutigen Abend? Eliza ist schon ganz aufgeregt, meinen kleinen Bruder kennenzulernen. Sie glaubt, dass du genauso awesome wärst, wie ich. Aber das ist natürlich nicht der Fall… niemand kann so toll sein wie ich! Außer vielleicht Gilbird, aber…« »Gilbert, ich fühle mich wirklich nicht besonders gut heute…« , unterbrach ihn Ludwig mit einer kränklich anmutenden Stimme und hustete zweimal gespielt theatralisch. »Oh, das ist aber ungewöhnlich… das letzte Mal als du krank warst, bist du noch zur Schule gegangen und ich musste deine im Fieberwahn bepissten Bettlaken wechseln! Ha, das waren noch Zeiten!« Gilbert kicherte höhnisch ins Telefon. »Jetzt ist echt nicht der richtige Moment, dich an deine Heldentaten zu erinnern…« , murmelte Ludwig peinlich berührt und hustete noch einmal. »Wie auch immer, ich denke nicht, dass ich es heute Abend schaffe.« »Eine Frage habe ich dann doch, Brüderchen…« , hörte er Gilbert sagen, »Hast du ins Bett gemacht?« »Meinst du heute oder damals?« Ludwig zog die Augenbrauen hoch, obwohl ihm bewusst war, dass sein Bruder ihn gerade nicht sehen konnte, also stopfte er sich ein Kissen unter den Kopf, damit er etwas bequemer lag. »Jetzt gerade in diesem Moment.« »Nein, das habe ich nicht. Wieso bist du so Feuer und Flamme dafür?« , rief Ludwig verärgert. »Dann bist du noch nicht krank genug, um den Abend zu verpassen. Es gibt Bier, das wird dich aufheitern und du hast Wochenende, falls es dir wirklich schlecht geht, kannst du das morgen immer noch ausschwitzen.« Seufzend wechselte Ludwig das Telefon ans andere Ohr. »Wenn es dir so ginge, würden wir alles abblasen und am besten gleich ein Bestattungsunternehmen informieren« , murmelte der Deutsche vorwurfsvoll und schnalzte dann mit der Zunge. »Wir werden also zu dritt speisen, ja?« »Natürlich gehen wir essen… ich muss meine zukünftige Braut ja noch immer bezirzen.« Ludwig konnte durch den Hörer das dümmlich-verliebte Grinsen seines Bruders sehen und er schüttelte nur den Kopf. Eigentlich wollte er nur herausfinden, ob noch jemand dem Essen beiwohnen würde, doch sein Bruder ignorierte seine Frage oder begriff einfach nicht, worauf er hinauswollte. »Wird Elizabeta ihren kleinen Bruder mitbringen?« , fragte er noch einmal, diesmal ausdrücklich, damit Gilbert klar wurde, worauf er hinauswollte. »Ihr kleiner Bruder? Ach, du meinst…« Er stockte, als eine weitere Stimme im Hintergrund auftauchte und offenbar eine Frage an ihn richtete. »Warte, Liz, Ludwig ist am Telefon.« Ein Rauschen und Poltern signalisierte Ludwig, dass irgendetwas an der anderen Leitung passierte und er horchte in die Stille hinein. »Er ist krank, aber ich werde ihn zur Not aus dem Bett schleifen, keine Sorge. Du wirst ihn heute kennenlernen, Liebes.« Ludwig starrte weiterhin an die Decke und konnte die Nervosität in seinem Magen aufsteigen spüren. Er hatte keine Schnitte gegen Gilberts eisernen Willen und es lief alles unweigerlich darauf hinaus, dass seine Befürchtung sich bewahrheitete. Gilbert hatte nicht verneint und allein der Gedanke, dass er Feliciano wieder über den Weg laufen könnte, ließ Ludwigs Herz gleichermaßen schneller schlagen und Übelkeit in ihm aufsteigen. Während der Arbeit hatte er jeden Grund, den Italiener von sich zu stoßen, doch nicht in seiner Freizeit… und wenn Gilbert von ihrer Verbindung erfuhr, würde er die Situation zu seinem Vorteil nutzen, was ein vernichtender Schlag für Ludwig sein konnte. Gilbert nutzte jede Gelegenheit, seinen kleinen Bruder zu schikanieren und Ludwig war nicht gerade scharf darauf, sich seine Zeit mit Feliciano zu verscherzen. Er wollte in Ruhe herausfinden, ob er tatsächlich eine Chance bei ihm hatte und das konnte er nicht, wenn sich Gilbert in dieses Thema einmischte. Vielleicht war alles auch nur halb so schlimm, wie er dachte. Ludwig tendierte dazu, sich über alles und jeden übermäßig viele Gedanken zu machen und das resultierte meist darin, dass er Auseinandersetzungen aus dem Weg ging. »West? Bist du noch dran?« , tönte Gilberts Stimme aus dem Hörer. »Ja, ich habe auch deine Drohung vernommen, keine Sorge.« Ludwig seufzte, während er über den schrecklichen Spitznamen nachdachte, dem ihm sein Bruder in Kindertagen gegeben hatte. Ihr Vater hatte immer behauptet, sie wären unterschiedlicher, als sie je sein könnten, wie Ost und West. Gilbert war zwar der ältere der Brüder gewesen, doch er war sorglos und rebellisch, ein Kind, das einfach nicht erwachsen werden wollte. Ludwig hingegen war pflichtbewusst, bodenständig und sehr viel erfolgreicher in den Dingen, die er anpackte. »Du weißt, ich mache ernst. Ich hole dich um sieben ab, um sicher zu gehen, dass du auch wirklich dabei bist.« Gilbert kicherte vor sich hin und dann erklang ein Signal in der Leitung. Ludwig ließ das Handy aufs Bett fallen und starrte unschlüssig auf die Kleidung, die er sich zurechtgelegt hatte. Es brachte nichts, sich davonstehlen zu wollen, Gilbert würde es ihm ewig nachtragen und ein kleines bisschen, das musste er zugeben, freute er sich dann doch darauf, vor die Tür zu kommen. Alternativ müsste er sich mit dem Ärgernis befassen, dass die Tests, die er eine Klasse heute hatte schreiben lassen, wiederholt werden mussten und dass wertvolle Unterrichtszeit und Freizeit dabei flöten gehen würde. Das Putzwasser hatte all ihre schriftlich festgehaltenen Ergebnisse fortgewischt und er musste seinen Schülern von dieser Tragödie berichten. Sie waren sicher nicht allzu begeistert davon und auch ihm war es unangenehm. Er hatte das Gefühl, dass Felicianos Anwesenheit einen Idioten aus ihm machte und er fühlte sich machtlos und verloren, beinahe so, als würde sein Kopf mit dem Denken aufhören, sobald die beiden zusammen waren. Es passierten lauter verrückte Dinge, die sonst nie passierten, wenn er allein war. Ludwig war nie besonders tollpatschig gewesen und er gelangte ganz sicher nicht in solche Situationen. Jedenfalls nicht ohne Feliciano Vargas. Das Gesicht des Italieners manifestierte sich vor Ludwigs innerem Auge und das umwerfende Lächeln. Bernsteinfarbene Schmucksteine, die ihn intensiv taxierten, die schmale Erscheinung, die elegant vor ihm herlief. Felicianos schmale Finger, die sich mit seinen verharkten und der Duft, den der kleine Italiener versprühte. Er konnte ihn jetzt ganz deutlich vor sich sehen, brauchte nur eine Hand auszustrecken und seine Wärme spüren. Gedanklich hatte sich Feliciano ihm zugewandt und sprach seinen Namen mit diesem melodischen, einzigartigen Akzent. »Luddy~, komm her.« Langsam öffnete der Italiener die oberen Knöpfe seines schwarzen Hemdes und lockerte die blaue Krawatte verführerisch. Es war surreal, aber in Ludwigs Gedanken war es nicht fremd oder merkwürdig, also ließ er diese Vorstellung zu. »Ve. Warum bist du denn so schüchtern? Küss mich einfach… Baci il cuoco…« Ludwig drückte Feliciano fest an sich und das wenige an Stoff zwischen ihnen war nicht genug, um die offensichtliche Erregung zu verbergen. Ludwig spürte, wie seine Hand auf Wanderschaft ging und er langsam seinen Gürtel öffnete. Jetzt oder nie. Er spürte eine solche innere Unruhe in sich, dass er es garantiert nicht mehr unter die Dusche schaffen würde, bevor… Ungeduldig strampelte er seine Hose fort und atmete tief durch. Es brachte ohnehin nichts, die Gedanken zu verjagen, denn er war allein und in Sicherheit. In seiner Brust klopfte ihm das Herz bald zum Hals, nur, weil er an Feliciano dachte und ihn sich vorstellte, wie Gott sie schuf. Warum konnte er sich einfach nicht beherrschen? War er nicht immer diszipliniert gewesen und konnte aus reiner Willenskraft alles erreichen? Warum war es dieser Italiener, der eine ganz andere Seite an ihm aufdeckte? Und warum begann er schon wieder, über alles nachzudenken, statt es einfach zu tun, wie er es unzählige Male vorher getan hatte. Er wollte einfach Befriedigung verspüren und nicht mehr weiter herumrätseln. Seine Hand wanderte in seinen Schritt und schob die Boxershorts ungeduldig herunter. Er wollte einfach an Feliciano denken und sich verdammt nochmal ein wenig Befriedigung verschaffen, ohne dass die Moralpolizei in seinem Kopf Alarm schlug und seine Aktionen bewertete. Frustriert begann er, seine Hand an seinem Schaft auf und ab zu bewegen, doch er merkte bald, dass sich nichts so anfühlte, wie er sich wünschte. Er konnte sich einfach nicht fallen lassen und war angespannt wie sonst nur unter Stress. Obwohl er sich allergrößte Mühe gab, seine Hüften in rhythmischem Tempo zu seiner Hand bewegte, war sein Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt und leise schnaufend, beinahe knurrend, ließ er von sich ab. Jetzt war er nicht nur ein stotternder Idiot, der einem fremden Kerl nachstellte, nein, er konnte nicht einmal den Kopf freibekommen und sich selbstbefriedigen. Dieser Tag konnte eigentlich nur noch besser werden. Kapitel 10: Freund und Feind ---------------------------- Freitag, 14. Oktober Ludwig stand fertig geduscht, in seinem besten Anzug am Fenster und ärgerte sich über die Unpünktlichkeit seines Bruders. Es war 19:13 Uhr und er beobachtete die Autos, die in gleichmäßiger Geschwindigkeit vor seinem Fenster vorbeifuhren. Seine Arme vor der Brust verschränkend und seufzend, lehnte er sich gegen den Fenstersims und beobachtete argwöhnisch die Menschen, die hektisch auf der anderen Straßenseite vorbeiliefen.  Er war versucht, seinen Bruder anzurufen, doch er ließ das Handy besser an Ort und Stelle. Denn wenn er Gilbert nun anrief, würde sich dessen Ankunft nur noch mehr verzögern, daran war er mittlerweile gewöhnt. Auf seinen Bruder war nun mal einfach keinen Verlass.  Erst, als der anthrazitgraue VW Phaeton vor seiner Haustür vorfuhr, erwachte Ludwig aus seinen Gedanken und er sah den hellgrauen Haarschopf aussteigen. Sein Bruder starrte zu seinem Fenster hinauf und machte eindeutige Bewegungen, dass er seinen Hintern vor die Tür schwingen sollte. Sehr zu Ludwigs Überraschung war auch sein Bruder gut gekleidet in einen blauen Anzug, der vermuten ließ, dass ihm dieser Abend auch sehr wichtig war. Tatsächlich überraschte Ludwig Gilberts Stilsicherheit bei seiner Kleiderwahl ein wenig.   Ludwig war schon lange in Aufbruchsstimmung und nahm nur noch kurz den Blumenstrauß, den er vor gut einer Stunde vom Floristen an der Ecke gekauft hatte und sortierte die Primeln ein wenig. Wenn er die Verlobte seines Bruders treffen sollte, dann wollte er auch beweisen, dass er der Bedächtigere der beiden Brüder war.  Ungeduldig öffnete ihm Gilbert die Beifahrertür und witzelte über den Blumenstrauß.  »Glaubst du, dass du meine Ehre damit retten kannst, West?«  Gilberts Augen strahlten nahezu und er wirkte noch hibbeliger als sonst.  »Ich dachte einfach, es ist eine nette Geste, Gil«, antwortete Ludwig und positionierte sich auf dem Beifahrersitz, die Blumen auf dem Schoß drapierend. Nachdem er sich vorschriftsgemäß angeschnallt hatte, beobachtete er seinen Bruder, wie dieser mechanisch in den Wagen kletterte und angestrengt das Lenkrad mit beiden Händen um krampft hielt.  »Um ehrlich zu sein, ich bin wirklich nervös«, presste Gilbert zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und verzog das Gesicht zu einer Fratze. »Dass sie mich aushält, ist schon awesome, aber dann lernt sie heute noch meine vollkommen bekloppte Familie kennen… ich glaube, wir haben bald eine Braut mit kalten Füßen«, scherzte der Ältere.  »Wenn du sie bisher nicht abschrecken konntest, ist deine Familie das geringere Übel. Vater und ich könnten deinen Ruf allerhöchstens aufpolieren, wenn sie erfährt, dass du nicht von Affen aufgezogen wurdest.«  Ludwig lächelte herausfordernd und lehnte sich entspannt in den Sitz zurück.  »Das wird ja ein richtiger Kulturschock für Eliza. Wenn man bedenkt, dass sie auch jahrelang mit einem Affen zusammengelebt hat.«  Gilbert kicherte leise vor sich hin, auch wenn Ludwig nicht ganz verstand, was er damit gemeint hatte.  »Du packst das, Gil.«  Ludwig lächelte schief und konzentrierte sich wieder auf die Sicht vor ihm. »Sag mal… du hast mir darauf gerade keine Antwort gegeben, aber, wir sind doch heute nur zu dritt, oder?«  Seine Gedanken waren noch immer bei Feliciano, aber er hatte nicht den Mumm, seinen Bruder ganz offen zu fragen, aus Furcht, dass er Wind von seinen Gefühlen bekommen könnte. Was das betraf, war Ludwig wirklich paranoid.  »Ach, West. Worum machst du dir diesmal Gedanken? Hast du Angst, dass du das fünfte Rad am Wagen sein wirst? Du hättest eine Frau einladen sollen… Ich kann dir nicht versprechen, dass ich mich zurückhalten werde! Awesome me muss die Braut bezirzen, solange sie nicht endgültig eingefangen wurde.«  Gilbert startete den Wagen und zwinkerte seinem Bruder von der Seite zu.  »Schwachkopf, darum geht’s mir doch gar nicht. Und du weißt, dass ich mir aus Frauen nichts mache!«  Ludwigs Wangen färbten sich rot. Unglücklicherweise wusste sein älterer Bruder von seiner sexuellen Neigung, weil er Ludwig damals mit seinem ersten Freund beim Fummeln erwischt hatte.  »Ich weiß, aber ich habe ja keine Ahnung, welchen Typ von Kerl du bevorzugst. Ich meine… viele schwule Männer stehen ja auch auf eher weibliche Kerle. Nicht, dass ich irgendwie zu oft darüber nachdenke, aber vielleicht stehst du ja auf Kerle, die wie Frauen aussehen, so mit langen Haaren und schmaler Statur… Kiku würde sie vermutlich als Bishounen bezeichnen, der olle Otaku.«  Gilbert lachte leise und lenkte den Wagen in Richtung Südstadt. »Was auch immer Bishounen sind…«  Ludwig schnalzte mit der Zunge. »Mir wäre es sowieso lieber, wenn meine Liebesangelegenheiten von dir unangetastet blieben. Du hast mir schon einmal jemanden vergrault, weißt du noch?«   »Ah, du meinst diesen Kerl, der über Nacht geblieben war, als du deinen ersten Kneipenbesuch mit 18 hattest? Wie hieß er noch gleich…? Oh, … Fabian… Bauer…?«  Ludwigs Wangen flammten bei dem Namen auf. Er würde nie im Leben dieses Erlebnis vergessen, bei dem er endlich in einer Szenenkneipe auf jemanden getroffen war, der nicht aussah, als würde er ‚Ich bin schwul und stolz darauf!‘ auf der Stirn tragen. Einer der ersten, bei denen er lange gerätselt hatte, ob er nicht ausversehen in diesem Etablissement gelandet war und schlussendlich hatten sie sich geküsst, bevor er sich vollkommen hatte zulaufen lassen und es fast zum Äußersten gekommen wäre. Er hätte mit diesem merkwürdigen Individuum beinahe Sex gehabt, weil er nicht gewusst hatte, dass es sich bei ihm um einen masochistisch veranlagten Fetischisten gehandelt hatte, der auf Kaviar und Pinkelspiele stand.  Ludwig war zwar bis heute echt froh gewesen, dass Gilbert das Ganze durch sein plötzliches Einschreiten unterbrochen hatte, doch zwischen den beiden war es seither ein Witz gewesen, dass Gilbert ihm sein Match versaut hatte.  Gilbert hatte ihm am nächsten Tag ein fürstliches Frühstück bereitet, nachdem Fabian Bauer früher als geplant abgereist war. Ludwig hatte das ganze nie wirklich klargestellt und genoss die Schuldgefühle seines Bruders seither.  »Vergessen wir deine Fehler«, antwortete Ludwig nur überheblich.  »Wie ehrenvoll von dir, West. Wenn ich nur halb so selbstlos wäre wie du, würde Vater mir bestimmt mehr Geld zustecken«, witzelte Gilbert.  »Vater schickt uns beiden monatlich denselben Betrag und das weißt du.«  Ludwig räusperte sich. Ihr Vater war ein Geschäftsmann auf Reisen und er ließ es sich auch nicht nehmen, seinen Söhnen trotz ihrer Adoleszenz einen beträchtlichen Geldbetrag monatlich zu schicken, quasi als Ersatz für seine körperliche Anwesenheit. »Das behauptest du, aber er hat mich in meiner Jugend nach Österreich geschickt und nicht dich. Für mich spricht das ganze Bände… Andererseits… hätte er es nicht getan, würde ich heute nicht diese wundervolle Frau treffen. Vater hat sich ins eigene Fleisch geschnitten. Er dachte, das Jahr in Österreich würde mich reifen lassen, stattdessen habe ich einem Mädchen nachgestellt.«  Gilbert zwinkerte Ludwig zu. »Wer weiß, wen du getroffen hättest, wenn dein Arsch statt meiner in Österreich bei diesen Schluchtenscheißern gelandet wäre?«   »Ich hätte garantiert weniger Ärger verursacht als du«, war Ludwig überzeugt und drehte den Strauß Blumen in seinen Händen.  »Vielleicht wärst du dann aber auch der Rebell von uns geworden, wer weiß?«  Der Weißhaarige lächelte schmal. »Die waren dort drüben ganz anders, ich denke du unterschätzt die dort.«   »Wenn du das sagst…«  Ludwig wirkte nicht sonderlich überzeugt und seine Mundwinkel zuckten unmerklich.  »Hach, West…«  Gilbert fasste zu Ludwig hinüber und verwuschelte seine Frisur, begleitet von vielen Prosteten seitens des Blonden. »Gilbert!«, raunte Ludwig und schüttelte seine Mähne aufgewühlt. »Du weißt, dass ich es hasse, wenn du an meinen Haaren rumspielst.«   »Deine heilige Haarpracht, oh Prinz, werde ich fortan huldigen«, grinste Gilbert und konzentrierte sich wieder auf den Straßenverkehr. »Ich weiß gar nicht, wie du dich immer so über Kleinigkeiten aufregen kannst. Und du bist Lehrer, deine Schüler machen wahrscheinlich lauter so Zeug.«  »Nichts ist schlimmer als pubertierende Kinder«, pflichtete Ludwig ihm bei, »Aber irgendwer muss die Jugend von heute ja formen. Sie entwickeln sich zu einem Haufen fauler Früchte.«  Ein ehrliches Lächeln legte sich auf seine Lippen und er ließ seinen Blick aus dem Fenster schweifen.  Gilbert taxierte ihn einen Augenblick und lächelte dann stumm in sich hinein. »Du bist ein verdammter Weltverbesserer. Darum kann ich dich nicht ausstehen!«     * * * Es dauerte nicht lang, da erreichten sie das Restaurant, in dem sie mit Elizabeta Héderváry verabredet waren und Gilbert trat vor dem Lokal nervös von einem Fuß auf den anderen. »Bitte sag nichts, das mich vor ihr in den Schatten stellt, okay?«   Ludwig legte den Kopf schief. »Warum sollte ich das tun? Du bist zwar mein dummer Bruder, der mein Lebtag immer gegen mich gearbeitet hat, doch ich will trotz allem, dass du glücklich wirst.«   Der Blonde stieß seinem großen Bruder liebevoll vor die Stirn. »Ich glaube nicht, dass sie nach allem noch abspringen wird. Sie kennt dich doch schon seit deiner Jugend, oder? Wie viel schlimmer soll sie noch von dir denken, Gil. Sie hat deinen Heiratsantrag angenommen, obwohl sie dich kennt. Nichts auf der Welt könnte euch noch voneinander trennen.«   Vollkommen überrumpelt spürte Ludwig, wie sich die Arme seines Bruders um ihn legten und wie er von Gilbert in eine herzliche Umarmung gezogen wurde.  »Das hasse ich so an dir, West.«  Gilberts Stimme klang gewöhnungsbedürftig, so ganz ohne jegliche Forderungen und ohne das übermächtige Selbstbewusstsein, das Gilberts Aura stärkte.  »Ich weiß, Gil. Und jetzt will ich endlich deine Verlobte kennenlernen«, antwortete Ludwig, der seinem Bruder aufmunternd auf die Schultern klopfte. Kapitel 11: Saturn ------------------ With shortness of breath, I'll explain the infinite How rare and beautiful it truly is that we exist.   Sleeping at Last - Saturn Freitag, 14. Oktober Ludwig hatte erwartet, Feliciano im Restaurant anzutreffen, doch seine Hoffnung wurde jäh enttäuscht. Stattdessen lernte er Elizabeta Héderváry kennen, die außergewöhnlich hübsche und witzige Verlobte seines Bruders.  Die Ungarin hatte lange hellbraune Haare, die ihr in sanften Wellen über die Schulter fielen und ihr im Rücken etwa bis zum Gesäß reichten. Smaragdgrüne Augen starrten Ludwig unverhohlen entgegen und sie lächelte viel, während ihre Finger immer wieder nach Gilbert griffen oder mit seinem Haar spielten. Sie konnten sich beide kaum voneinander lösen und zumindest für Ludwig war das ein gewöhnungsbedürftiges Bild. Ludwig gab es zwar ungern zu, aber die beiden passten aufeinander wie der Topf zum Deckel und sie wirkten im Umgang harmonischer, als ursprünglich erwartet. Ludwig kannte seinen Bruder und dessen natürlich Reaktion auf Menschen… diese blieb jedoch unerwartet aus. Er benahm sich… anständig. Und normal. Und… er war gewöhnungsbedürftig ruhig und zivilisiert.  Gilbert hatte ihm oft davon erzählt, dass es in ihren jungen Jahren immer viele Reibereien zwischen ihnen gegeben hatte und dass Elizabeta eine würdige Gegnerin gewesen war (und besser mit einer Pfanne ausholen konnte, als man ihr vielleicht zutraute).  Aber er hatte es niemals für möglich gehalten, dass allen voran sein Bruder, wie ein verliebter Teenager nicht von einem Mädchen lassen konnte, das ihn gleichermaßen begehrte wie er es. Er wusste, dass sie einander Kontra geben konnten, doch die Hochzeit ließ sie beide wie liebeskranke Welpen wirken und in Anbetracht der bevorstehenden Hochzeit, war es den beiden auch vergönnt.  »Gilbert hat mir erzählt, dass du Lehrer bist?«, hörte Ludwig Eliza sprechen, die ihm direkt das ‚du‘ und ihren Spitznamen angeboten hatte.  »Ja, das stimmt. Ich unterrichte Englisch, Geschichte und Sport«, antwortete er wahrheitsgemäß und lächelte schmal. Der Deutsche nippte an seinem Getränk und starrte zwischen Gilbert und Eliza hin und her. Unbehagen stieg in ihm auf, aber noch war es an der Schwelle zum Erträglichen.  »Das ist wirklich cool! Ich hätte auch gerne Pädagogik studiert, aber ich war bis zu meinem 20. Lebensjahr jemandem verpflichtet und danach habe ich gearbeitet, um meine eigene Wohnung zu finanzieren und das Studium meines Bruders.«  Elizabeta lächelte und legte den Kopf schief. »Vielleicht werde ich das alles nachholen, wenn ich die Gelegenheit habe.«  Ihr Blick wanderte zu Gilbert. »Dein Bruder jedenfalls möchte, dass ich meinen Traum verwirkliche.«   Ludwig nickte Gilbert anerkennend zu und beobachtete schließlich seine Finger. Offenbar war sein Bruder erwachsen und verantwortungsvoll geworden, während dieser sich eine Frau geangelt hatte und das machte ihn schon irgendwie sprachlos. Kaum zu glauben, dass der rebellische Beilschmidt, dem keiner ein solch selbstloses Verhalten zugetraut hätte, ausgerechnet den Menschen gefunden hatte, der die guten Seiten in ihm zum Vorschein brachte.  Ihr Vater fragte bei jedem Telefonat, ob Ludwig sich langsam dazu entschieden hatte, sesshaft zu werden und zu heiraten, aber diese Frage stellte er nie Gilbert. Armin Beilschmidt kannte seine Söhne und ihre Charakterzüge sehr gut, also stellte er nie hohe Erwartungen an seinen Ältesten. Doch Ludwig musste feststellen, dass Gilbert ihn in allen Belangen überholt hatte, obwohl es ihm jetzt erst mit einem Schlag bewusst wurde. Bisher hatte er sich nie in Zugzwang gesehen, obwohl er sich mit seinen siebenundzwanzig Jahren recht alt und überlegen fühlte. Jetzt allerdings merkte er, dass am Erwachsenwerden sehr wohl etwas hing, das ihn reizte.  Allein das Gefühl jemanden zu haben, der so hinter einem stand wie Elizabeta es bei Gilbert tat und das, ohne dass es seine Persönlichkeit verdrehte, wie er es bei vielen anderen seiner Bekannten bemerkt hatte … Ludwig war zweifelsohne neidisch auf seinen großen Bruder und dies würde ein Geheimnis unter strengem Verschluss bleiben.  Er hatte ohnehin niemals vorgehabt, seine Prinzipien über Bord zu werfen und alles zu verwerfen, worauf er hingearbeitet hatte. Denn auch wenn er homosexuell war, hatte er immer auf einen gutbürgerlichen Job mit einer Familie hingearbeitet, weil man es von ihm erwartet hatte. Ein praktisch nicht umsetzbarer Plan, wie ihm zum allerersten Mal in seinem Leben klar wurde und der Gedanke störte ihn plötzlich.  Sein Blick wanderte über den Tisch hinüber zu den Tellern von Gilbert und Elizabeta, wo sie ihre Finger ineinander verschränkt hatten und einander verliebte Blicke zuwarfen. Ludwig konnte jedoch nur darüber nachdenken, wie froh er war, dass dieser Tisch für drei gedeckt war und er trotz all seiner Befürchtungen nichts von Feliciano gehört hatte.  Weder Gilbert noch Elizabeta hatten etwas von einem vierten Teilnehmer beim Essen erwähnt, also fühlte er sich in trügerischer Sicherheit und nickte in regelmäßigen Abständen, während seine Gesprächspartner von ihrem kürzlich erlebten erzählten.  Als jedoch der Kellner kam, der ihre Bestellung aufnehmen wollte, winkte Elizabeta ab. »Wir hätten gern noch ein viertes Gedeck und warten auf jemanden, könnten sie uns wohl noch etwas nachschenken oder ein Aperitif bringen?«  Sie lächelte charmant und Ludwig spürte, wie bei dem Wort ‚viertes Gedeck‘ sein Herz lautstark zu hämmern begann.  Seine schlimmsten Fantasien jagten durch seinen Kopf und er war froh darum, als Eliza nach zehn Minuten aufstand und die Toilette aufsuchte. »Auf wen warten wir?«, zischte Ludwig seinen Bruder an und er nippte noch verzweifelter an seinem Bier.  »Auf ihren kleinen Bruder, aber das habe ich dir doch aber schon vor zwei Wochen gesagt«, beantwortete Gilbert Ludwigs Frage und starrte seinem nächsten Verwandten unverhohlen ins Gesicht. »Warum bist du so rot?«  »Ich bin nicht rot«, verneinte Ludwig und rieb sich die Augen. »Bisher lief es einfach nur recht gut, ich dachte, wir würden den heutigen Abend zusammen verbringen. Zu dritt.«   »Veneciano ist ein echt netter Kerl, ihr werdet euch bestimmt verstehen. Du brauchst dir keine Gedanken um ihn machen.«  Gilbert winkte ab und wechselte das Thema. »Wie findest du sie?«  Er nickte in Richtung seiner Verlobten und grinste zwinkernd.  »Sie ist großartig, Gil.«  Sichtlich erleichtert, lehnte sich nun auch Ludwig in seinem Stuhl zurück. Er hatte sich vollkommen grundlos Gedanken gemacht und Elizabetas kleiner Bruder war nun mal nicht Feliciano Vargas, der immer und überall anwesend zu sein schien, wenn Ludwig vor die Tür trat.  Diese Zufälle konnten sich nun mal nicht dauernd häufen. Ludwig lachte beschwingt und leerte seinen Krug Bier in einem Zug, so wie Gilbert. Sie bestellten erneut und plauderten unbeirrt weiter.  »Nichts für ungut, aber du weißt ja, wie merkwürdig alle neuen Menschen für mich sind. Deine Verlobte ist ein Ding, aber ihr Bruder…das ist wie mit der Schwiegermutter, die kann man grundsätzlich auch nie leiden, oder?«  Ludwig lachte leise und wischte sich über die warme Stirn. Der Alkohol machte sich in seinem Verhalten bemerkbar und er räusperte sich, ehe er etwas Unziemliches von sich gab. »Jetzt weißt du, warum ich euch so lange nicht vorstellen wollte«, grinste Gilbert und blickte über Ludwig hinweg in die Ferne. »Davon mal abgesehen, brauchst du dich gar nicht mehr wundern, dort ist er.«   Noch während Ludwig den Kopf wandte, hörte er Elizabeta rufen. »Da ist ja mein kleiner Fratello! Hallo Feliciano!«   In seinem Kopf machte es ‚Klick‘, noch bevor er das brünette Energiebündel zwischen all den Gesichtern ausgemacht hatte, während er plötzlich stand und über ihr Separee hinwegblickte. »Elizabeta! Es tut mir so leid für die Verspätung!«   Vor lauter Überraschung riss Ludwig die Augen auf und das, obwohl er den Ausgang lange zuvor geahnt hatte und mit offenem Mund taxierte der den schmalen Italiener.  Feliciano warf sich Elizabeta in die Arme und sie drückten sich liebevoll Küsschen auf die Wange, ehe der Italiener dasselbe mit Gilbert praktizierte. »Gilbert, es ist so schön dich zu sehen!«  Ludwig Beilschmidt zuckte ruckartig zusammen und starrte seinen Arbeitskollegen nur entgeistert an. »Feli?«  Seine Stimme stockte und erreichte den Italiener mit den bernsteinfarbenen Augen abrupt.  Es wirkte für den Bruchteil einer Sekunde so, als würde die Welt selbst stehenbleiben, während sie einander genau musterten und sich Feli dann von Gilbert losriss. »Luddy! So eine wunderbare Überraschung!«  Als hätten sie sich nicht am selben Tag… gestritten… warf sich Feliciano dem blonden Deutschen in die Arme und drückte ihn so fest an sich, als wollte er herausfinden, ob Ludwigs Herz in dessen Brust genau so heftig schlug, wie sein eigenes. Ludwig war zu überrumpelt, um genau zu verstehen, was da gerade vor sich ging und obwohl er es geahnt hatte, traf es ihn wie einen Schlag.  Er spürte Felicianos heiße Wange an seiner eigenen und die Arme des Kleineren griffen in Ludwigs Nacken ineinander, als würden sie ihn nicht mehr gehen lassen wollen. Noch nie zuvor in seinem Leben hatte Ludwig eine so herzliche und stürmische Umarmung erhalten wie an diesem Tag und es war ihm für den Augenblick egal, dass er gerade all seine Gefühle wie ein offenes Tagebuch den Anwesenden präsentierte, denn auch seine Finger ruhten auf Felicianos unterem Rücken. »Feliciano!«, murmelte er und drückte den Italiener an sich.  Obwohl es nur wenige Sekunden gewesen sein konnten, fühlte sich Ludwig, als hätte diese Begrüßung ewig angedauert und als sich Feliciano von ihm löste, sahen sie einander unschlüssig an. »Da war so eine Ahnung, aber ich hatte Angst dich zu fragen«, hörte er den Italiener sprechen und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass Gilbert und Elizabeta beide dümmlich grinsten.  »Also müssen wir euch einander gar nicht vorstellen?«, murmelte Eliza positiv überrascht.  »N-nein. Ich… wir sind Arbeitskollegen«, erklärte Ludwig knapp und ließ von Feliciano ab.  »Wir sind Freunde!«, widersprach ihm Feliciano, während ein Kellner kam und ein viertes Gedeck auf den Tisch brachte. Alle Anwesenden blickten sich wortlos an, ehe sie sich am Tisch niederließen und eine unangenehme Stille über sie hineinschwappte. Ludwig vernichtete in einem Zug das Bier, das der Kellner brachte und starrte unablässig auf das zu schnell geleerte Glas.  Eliza und Gilbert wirkten zwar amüsiert, doch Ludwig vermied jeglichen Blickkontakt mit Feliciano, der dicht bei ihm saß und leise vor sich hin summte. Eigentlich hätte er die Situation gerne richtiggestellt, doch die Gelegenheit ergab sich für ihn gar nicht erst, weil immer jemand sprach und er das Gefühl hatte, wenn er einen Einwurf machte, würde er das Thema unnötig aufbauschen. Diesmal kam der Kellner schneller, brachte ihnen erneut Getränke und nahm ihre Bestellungen auf, bei der Feliciano diesmal keine Bedenken äußerte, sondern sich ziemlich schnell für ein Gericht entschieden hatte.  Ludwig war so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, dass er den Smalltalk, der um ihn herum betrieben wurde, kaum Beachtung schenkte. Er war so damit beschäftigt, Feliciano zu betrachten, dass ihm gar nicht auffiel, wie dieser ihm beunruhigte Blicke zuwarf. Sie hatten jedoch keine Gelegenheit darüber zu sprechen, denn sie waren nicht allein am Tisch. Viel zu sehr fürchtete er sich vor Gilberts Beobachtungsgabe und deren Konsequenzen, also lächelte er Feliciano nur entschuldigend an und wartete, bis sich eine Gelegenheit ergab, mit ihm allein zu reden.    * * * Nach einer gefühlten Ewigkeit, entschuldigten sich Elizabeta und Gilbert für einen kurzen Moment an die frische Luft, nachdem sie die geschlagenen letzten fünf Minuten nicht die Finger voneinander lassen konnten und erst als sie außer Sichtweite waren, seufzte Ludwig erleichtert auf. »Endlich sind sie weg…«, presste er zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor und packte Feliciano ungläubig bei den Schultern.  Dieser stammelte überrascht über die Aussage und Ludwigs plötzlicher Berührung und sein linkes Auge zuckte verräterisch. »Was ist denn los, Luddy? Du wirkst so beunruhigt.«   »Beunruhigt ist gut«, zischte Ludwig vor sich hin und legte die Stirn in Falten. »Ist dir das nicht unheimlich? Wir treffen immer und immer wieder aufeinander!«  Eigentlich wollte er etwas Anderes sagen, aber die Worte purzelten aus einem Mund und ließ resigniert von Feliciano ab.  »Freut dich das etwa nicht? Ist doch fast so, als wollte das Universum oder Gott, dass wir Freunde sind«, kicherte Feliciano und hakte sich bei Ludwig unter. »Ich freue mich jedes Mal, wenn ich dich sehe. Du denkst doch nicht, dass ich nervig bin, oder?«   »N-natürlich nicht«, antwortete Ludwig automatisch und spürte, wie eine verräterische Hitze sich auf seinen Wangen ausbreitete. »Obwohl ich mir natürlich verfolgt vorkomme.«   Feliciano grinste charmant. »Dabei stellt sich nur noch die Frage, wer hier wen verfolgt, meinst du nicht?«   Ludwig konnte nicht anders, als ebenfalls Lächeln, während Feliciano den Kopf schief legte. »Wer auch immer der Drahtzieher dahinter allem ist, scheint Pläne zu haben, die sich unserem Wissen entziehen.«  Er wollte Feliciano nicht mit der Nase darauf stupsen, dass er ihn begehrte, doch er hoffte, dass die kleinen Andeutungen ihm reichten.  »Für mich ist das in Ordnung… ich lese schließlich auch keine Bücher rückwärts«, antwortete Feliciano schlicht und eine Hand legte sich vertrauensvoll um Ludwigs Handgelenk. Beinahe so, als wollte der Italiener Ludwigs Puls fühlen, spürte er den fremden Zeige- und Mittelfinger auf seiner Haut.  Noch während Ludwig die sanften Finger bewunderte, hob er seinen Kopf und bemerkte die braunen Augen des Italieners, die um Aufmerksamkeit buhlten und die schmale Unterlippe, auf der Feliciano freimütig herumknabberte.  »Ludwig…«  Sein Name aus Felicianos Mund bewirkte ein wahres Wunderwerk der Gefühle in seinem Inneren und schaltete sein logisches Denken praktisch lahm.  Es war das erste Mal seit gefühlten Ewigkeiten, dass er tatsächlich einen realen Gedanken daran verschwendete, einem anderen Menschen körperlich nah zu sein und es war nicht das erste Mal, dass Feliciano das Ziel dieser Gedanken wurde.  Sein Körper widmete sich Feliciano ohne sein Zutun und er platzierte seine Hände auf Felicianos Schultern, sodass sich dessen Blick hob und den von Ludwig traf. Es herrschte Stille um sie herum und Ludwig fragte sich, was Feliciano in diesem Moment dachte, doch er sprach es nicht aus. Stattdessen betrachtete er die Lippen des anderen und überlegte, wie es sich wohl anfühlen mochte, diese auf seinen eigenen zu spüren. Nur allmählich begriff er, dass es für einen Rückzieher schon fast zu spät war, weil sie sich so nah wie noch nie zuvor waren und sowohl er als auch Feliciano ihre Köpfe zu neigen begannen. Kapitel 12: Eine ehrenvolle Aufgabe ----------------------------------- Freitag, 14. Oktober Ein Räuspern ließ Ludwig zurückzucken und er starrte Feliciano einen Augenblick an. Mit leicht geöffneten Mündern und großen Augen wandten beide ihren Blick Elizabeta zu, die am Tisch stand und selig lächelte.  »Ich bin wieder da… Störe ich?«   Ludwig, sich seiner Situation bewusstwerdend, holte tief Luft und ließ von Feliciano ab, erschrocken seinen Bruder suchend, immerwährend den Kopf schüttelnd und doch keinen Ton sagend.  »Gilbert ist noch kurz zur Toilette gegangen«, murmelte Elizabeta, als konnte sie seine Gedanken lesen und ließ sich am Tisch nieder. Sie saßen glücklicherweise in einer Ecke des Restaurants, in der man sehr abgeschieden von den anderen Gästen speiste und das begrüßte Ludwig sehr, doch hatte man so auch keinen Überblick über den Eingang des Etablissements oder die Toiletten. Wer auch immer ins Separee, platzte mehr oder weniger überraschend hinein. Nervös leckte er sich über die Lippen, während er Felicianos Blick auswich, der scheinbar sofort wieder ungezwungen mit seiner Schwester plauderte. Nur hin und wieder bemerkte er, dass Feliciano ihn besorgt musterte, doch lächelte er nur schmal und fand plötzlich viele andere Dinge wieder interessant, die er bestaunen konnte, wie die Gemälde an der Wand.  Eines der Bilder, war ein Gemälde zweier Frauen, die einander zugewandt waren und ihre Hände ineinander verschränkt hielten. Die brünette linke Dame trug einen Lorbeerkranz auf dem Kopf, während die rechte einen Blumenkranz über ihrem blonden Haar trug. Im Hintergrund konnte man auf der linken Seite eine typisch italienische Landschaft mit Felsküste erkennen und auf der rechten Seite hinter der Blonden eine gotisch aufragende deutsche Stadt. Ein kleines Schild unter dem Gemälde betitelte das Bild mit dem Namen »Italia und Germania« von Friedrich Overbeck. Natürlich handelte es sich hierbei nicht um das Original, aber dennoch dachte Ludwig grimassierend: »Wie passend.«  Er ballte seine Hand zur Faust und platzierte sie auf seinem rechten Oberschenkel, wo er kaum merklich zitterte, während er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Beinahe wäre er Feliciano aus Reflex nähergekommen, als ihm unter diesen Umständen lieb gewesen war.  Während er aufblickte und seinen Bruder aus mehreren Metern Entfernung poltern und schnattern hörte, umfasste seine linke Hand sein leeres Bierglas.  Erst jetzt, da er seinen Bruder blöken hörte, wurde ihm bewusst, was Elizabeta eigentlich gerade mitbekommen hatte und ihm rutschte das Herz in die Hose. Eine Hitze rollte seinen Hals hinauf zu seinen Wangen, wo sie verlieb und ihn wirken ließ, wie einen kleinen Schuljungen. Er hoffte inständig, dass Gilbert sich anderen Dingen widmete und er es auf den Alkohol schieben konnte. Elizabeta warf ihm, ebenso wie Feliciano, hin und wieder einen vieldeutigen Blick zu, aber nachdem Gilbert ein weiteres Bier für die drei Männer bestellte, konnte Ludwig sich seinem Getränk widmen und brauchte nicht immerzu aus den Augenwinkeln die ihm zugewandten Gesichter ignorieren.  Irgendwann stahl sich eine warme Hand in seine, verborgen unter dem Tischtuch des elegant gedeckten Tisches und mit einem Schlag ging sein Puls schneller als zuvor. Er hörte beinahe das Blut in seinem Kopf rauschen und bekam keinen vernünftigen Ton heraus.  Zu seinem Glück wurde das Wort nicht allzu oft an ihn gerichtet und Eliza und Gilbert erzählten von sich aus viel über ihre Pläne für die Hochzeit, während endlich, endlich ihr Essen gebracht wurde. Felicianos Hand, die er nur zum Essen entfernte, ließ Ludwig seine Nähe schmerzlich vermissen.  Es war ihm unangenehm, doch er beeilte sich mit dem Essen, seine Hand in freudiger Erwartung zwischen beide Stühle ausgestreckt und Feliciano ließ seine wie selbstverständlich nach getaner Arbeit in Ludwigs sinken und sie verschränkten sie ineinander. Ihm war gar nicht bewusst, was diese Nähe implizierte und warum er plötzlich nicht mehr von dem Italiener lassen konnte. Es war wie verhext, aber je mehr er das turtelnde Pärchen vor sich sah, desto natürlicher war es für ihn, Felicianos Nähe zu suchen. Und da dieser ohnehin zuerst auf ihn zugekommen war, befahl sich Ludwig auch, sich nicht schuldig wegen seiner Wünsche zu fühlen. Vorerst.  Begleitet von stetigem Herzklopfen verging eine halbe Ewigkeit, bis irgendwann der Tisch vom Essen befreit wurde und die Männer ein neues Bier vor sich stehen hatten. Elizabeta hatte sich selbst einen Obstschnaps gegönnt, aber nur gelegentlich daran genippt.  Schließlich erhob Gilbert das Wort und sah zwischen den am Tisch Anwesenden hin und her. »Also gut… mal abgesehen von diesem urigen kleinen Familientreffen…«  Er stockte und widmete Elizabeta besondere Aufmerksamkeit. »Eliza und ich haben euch nicht nur hergebeten, um euch einander vorzustellen, sondern auch, weil wir eine Bitte an euch beide haben.«   Seine vergleichsweise aufgeregt-schrille Stimme ließen Ludwig und Feliciano zusammenzucken, was sie dadurch bemerkten, dass sie ihre Finger ruckartig fester aneinanderdrückten.  Sie starrten sich einen Augenblick lang schweigend an, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Paar vor ihnen widmeten.  »Wir haben lange darüber nachgedacht, wen wir mit der ehrenvollen Aufgabe betrauen wollen, die Rollen der Trauzeugen zu übernehmen… aber so sehr wir auch gegrübelt haben, sind uns nur zwei Personen eingefallen, die dafür mehr als geeignet sind.«  Eliza lächelte schmal und fasste Gilberts Hände in ihre. »Wir wollen, dass ihr beide diese Aufgabe übernehmt. Ihr dürft gerne zusammen entscheiden, inwiefern ihr euch in die Pläne für die Hochzeit einbringen wollt, wenn ihr unser Angebot annehmt.«   Ludwig saß still da, mit offenem Mund und starrte seinen Bruder ungläubig an. Von allen Dingen, die sie hätten vorschlagen könnten, hatte ihn dies am meisten überrascht. Er hatte ja keinen blassen Schimmer, dass sein Bruder ihm einen solchen Wert beimaß, also stammelte er nur: »I-ich fühle mich geehrt, Gil… aber was ist denn mit Antonio und Francis? Sie sind doch deine besten Freunde, seit der Grundschule!«  Jetzt spürte er, wie die anderen drei ihn anstarrten und er schluckte nur merklich.  »Natürlich sind sie das, aber du bist mein Bruder. Du bist meine Familie und ich vertraue dir, dass du die richtigen Entscheidungen treffen wirst, im Gegensatz zu den anderen beiden Idioten. Außerdem hätte ich mich nie im Leben für einen von ihnen entscheiden können, das würden sie mir bis an unser Lebensende vorwerfen…«  Gilbert zuckte mit den Schultern und grinste frech, während seinem Bruder gerade ein paar Tränen in die Augen stiegen. »Äh, Ludwig, heulst du…?«   Der blonde Deutsche wischte sich mit dem Unterarm über die Augen. »Du hast wirklich keinen Funken Taktgefühl, Gil«, schniefte Ludwig und hatte sich wieder etwas gefasst, als er seinem Bruder entgegensah. Ihm war es zwar schon ein wenig peinlich, dass er so ergriffen von Gilberts Bitte war, aber alles in Allem hatte er diesen Ausgang garantiert nicht erwartet.  Ihre brüderliche Beziehung hatte er immer eher als rivalisierend empfunden und doch hatte Gilbert ihm den ultimativen Vertrauensbeweis in die Hände gelegt. »Danke, Gilbert. Ich werde dich nicht enttäuschen, das schwöre ich.«  Gilbert wirkte selber ein wenig überrumpelt, wegen Ludwigs Ausbruch der Gefühle und ein leichter Rotschimmer legte sich auf seine Wangen. »Das hoffe ich auch… immerhin wirst du auf die Ringe Achtgeben müssen, also wehe du verbockst es.«  Er grinste beschämt.  Während Ludwig noch einen Augenblick brauchte, sich zu sammeln, hörte er Elizabeta und Feliciano dabei zu, wie sich auch der Italiener aufrichtig bedankte. Offenbar war Feliciano weniger überrascht als Ludwig, doch das minderte nicht seine Freude über die ehrenvolle Aufgabe, die ihnen zugetragen worden war.  Ludwig konnte jedoch nicht umhin zu belächeln, dass diese Begebenheit dazu führen würde, dass sie noch viel mehr Zeit miteinander verbringen konnten. Er hatte zwar keinen blassen Schimmer, wohin das alles führte, aber Feliciano schien gern Zeit mit ihm zu verbringen und seine Nähe war ein wunderbares Kleinod.  Noch am Vormittag hatte er sich verrückt gemacht, dass ein weiteres Treffen womöglich die Dynamik zwischen ihnen zerstören konnte, doch was ihm erst jetzt wirklich bewusst wurde war, dass er sich nach der Nähe des Italieners verzehrt hatte. Dieser Gedanke ließ sein Herz schneller schlagen und er musste sich sehr zusammenreißen, Felicianos Hand nicht unbewusst fester zu drücken und seine Gemütslage allen Anwesenden offen darzulegen.  Stattdessen ließ er seinen Daumen über Felicianos Zeigefinger und Daumen streichen, was dazu führte, dass der Italiener ihn aus großen Augen anstarrte, aber so herzlich lächelte, dass es Ludwig ansteckte und er wie ein Honigkuchenpferd grinste.  Gilbert prostete ihm zu. »Freu dich nicht zu früh, Brüderchen. Das bedeutet auch, dass ihr unsere Junggesellenabschiede organisieren müsst.«  Der Weißhaarige lachte seine, wie Ludwig fand, dreckigste Lache und leerte das Bier in einem Zug.  Auch Elizabeta kicherte daraufhin und zwinkerte Ludwig zu. »Ihr werdet das schon hinbekommen, es wird schon gut gehen.«  »Keine Sorge, Gilbert. Wir werden etwas finden, dass dich nicht in Teufelsküche bringt.«  Ludwig erlaubte sich ein überlegenes Grinsen und wandte seinen Kopf um zu Feliciano, der an seinem Bier nippte. »Stimmt’s, Feliciano?«   Der quirlige Italiener tat es ihm gleich und stellte das Glas geräuschvoll ab, bevor er sich ein wenig mehr zu Ludwig hinüberlehnte und Gilbert zuzwinkerte. »Ve, du wirst dich schon wundern, was wir alles auf die Beine stellen werden!«   Die plötzlich non-existente Distanz zu Feliciano ließ Ludwig erröten und er räusperte sich. »Wenn Ihr mich kurz entschuldigt, ich gehe mal einen Moment vor die Tür.«  Es fiel ihm zwar schwer, Felicianos Hand loszulassen, doch er brauchte jetzt frische Luft. Er hatte das Gefühl, er wurde Stück für Stück von Feliciano vereinnahmt und dass er Dinge tat, die er für gewöhnlich bei keinem anderen anstandslos akzeptierte.  Als die kühle Nachtluft in seine Lungen einzog und heiße Wölkchen seine Lippen verließen, starrte er in den dunklen Nachthimmel auf, der sich klar und voller hellleuchtender Sterne über ihm auftat. Sein schnell pochendes Herz, für das Feliciano im nicht gerade geringen Maß verantwortlich war, machte ihn noch verrückt. Er verschränkte die Arme vor der Brust und ging ein paar Schritte die Straße hinauf.  »Luddy!«  Felicianos Stimme durchbrach die Stille der Nacht und er zuckte merklich zusammen. Einen Moment für sich, das war alles, was er wollte. Er spürte, wie seine Unterkiefer mahlten, er sich jedoch nicht umdrehte. »Geh einfach weiter«, befahl sich der große Deutsche. »Du kannst noch immer so tun, als hättest du ihn nicht gehört.«  Er musste erst die Unordnung in seinen Gedanken beseitigen, bevor er dem Italiener wieder in die Augen schauen konnte. Was im schlimmsten Falle passieren konnte war…  Plötzlich spürte er einen warmen Körper an seinen geschmiegt und Arme, die sich um seinen Torso schlangen. »Luddy, lauf doch nicht weg«, murmelte Feliciano in seinen Nacken hinein. Der Italiener kicherte und verschränkte seine Finger vor Ludwigs Bauch ineinander, während der Deutsche deutlich den Bauch einzog, bei dieser Berührung.  »Wa-was tust d-du da, Feli!«, bellte Ludwig und seine Stimme zitterte unweigerlich.  »Ich wollte eine Umarmung, aber du hast versucht wegzulaufen, ve, also muss ich mich damit zufriedengeben«, murmelte Feliciano nur und schmiegte sein Gesicht wie eine Katze an Ludwigs Schulterblättern hin und her, während sein warmer Atem über Ludwigs Hals hinwegfegte.  Ludwig Herz klopfte bedrohlich in seiner Brust, während er versuchte, nicht wie ein stotternder Idiot dazustehen und Feliciano anzumeckern. Insgeheim freute er sich doch über die Umarmung und er wollte Feliciano nicht das Gefühl geben, dass seine Anwesenheit unerwünscht war.  »Feli… lass doch mal für einen Moment los, ich… so… kann ich dich doch gar nicht richtig betrachten…«, murmelte er vor sich hin und war sich gar sicher, dass seine Worte in der Nachtluft unverstanden verloren gingen, doch Feliciano löste sich einen Augenblick von ihm, den Blick gesenkt und Ludwig drehte sich zu ihm herum. »I-ist alles in Ordnung?«   »Ja…«, hörte er Feliciano sagen und dann lehnte der Italiener seinen Kopf wieder gegen seine Brust. »Ludwig, bitte schick mich nicht weg.«  Das Flehen in seiner Stimme ließ Ludwig hart schlucken.  Der Angesprochene legte zögernd seine Arme um den Italiener und lehnte seinen Kopf an den Kleineren an. »Das habe ich nicht vor… ich… dachte einfach… so wäre es… bequemer. Für uns beide.«   Er musste sich sehr zusammenreißen, um das Zittern in seiner Stimme zu verbergen, aber schließlich war es ihm im selben Moment gleichgültig. Feliciano konnte vermutlich gerade spüren, wie sein Herz versuchte, aus seinem Brustkorb zu entkommen, also war jeder Versuch seine Gefühle zu verbergen für die Katz.  »Danke.«   Ludwig starrte an Feliciano vorbei zum Restaurant hinüber, wo gerade Eliza und Gilbert in die Nacht hinaustraten. Eigentlich hatte er nicht das Bedürfnis, dass Gilbert ihn so sah, doch andererseits war ihm im Moment alles egal. Er wollte einfach nur hier stehen, mit Feliciano im Arm und das Glück für einen Augenblick länger genießen, als es anhielt.  Sollte Gilbert doch einen seiner blöden Sprüche reißen… Ludwig würde damit fertig werden. Feliciano wollte bei ihm sein, das konnte vermutlich nicht mal ein Gilbert Beilschmidt ändern. Ein Lächeln legte sich auf Ludwigs Lippen, während er Feliciano einen Kuss auf die Haare drückte. Kapitel 13: Amor(e) ------------------- Freitag, 14. Oktober Elizabeta Héderváry kicherte vor sich hin, während Gilbert seinen Bruder zum Abschied umarmte. Sie hatten einen Plan und der war nicht gerade nervenschonend für die beiden Brüder, aber das machte ihn so heimtückisch und faszinierend.  Während Elizabeta Feliciano jeweils einen Kuss auf die Wangen drückte und sich von ihm verabschiedete, reichte sie ihm ihren Wohnungsschlüssel mit den Worten, dass sie die Nacht bei Gilbert verbringen würde und Feliciano allein heimgehen musste.  »Ve~, aber ich kenne mich doch hier überhaupt noch nicht gut aus und ihr könnt mich doch mit dem Auto einfach vor der Haustür absetzen«, murmelte Feliciano und senkte den Kopf. Er wollte die Nacht nicht allein verbringen.  »Gilbert und ich dürfen schon kein Auto mehr fahren. Aber du kannst Ludwig fragen, ob er mit dir nach Hause geht. Nenn ihm einfach die Straße, ich wette, er kennt sich gut hier aus«, antwortete Eliza, während sie Feliciano über die Haare strich. »Du bist alt genug und musst dir eigentlich keine Gedanken mehr machen. Ich möchte einfach den Abend mit Gilbert verbringen, wenn du verstehst, was ich meine.«  Sie lächelte zwinkernd und drückte Feliciano noch ein letztes Mal an sich.  »Na gut… aber… morgen sehen wir uns wieder, ja?«  Feliciano lächelte ebenfalls und ließ von seiner großen Schwester ab, ehe er zu Gilbert und Ludwig hinübersah.  Eliza beobachtete, wie Felicianos Augen den großen, blonden Deutschen von Kopf bis Fuß taxierten und sich eine leichte Röte auf die Wangen des Italieners stahl. Sie biss sich kurz auf die Unterlippe und knuffte ihn verspielt in die Seite. »Wenn du ihn weiter aus so großen Augen anstarrst, fallen sie dir binnen kurzer Zeit aus.«   Ertappt kicherte Feliciano vor sich hin und kratzte sich verlegen am Kopf. »Ist das so offensichtlich?«   »Ich bin einfach sehr gut darin, Menschen zu lesen.«  Endlich verabschiedeten sich Gilbert und Ludwig voneinander und Gilbert winkte Eliza zu. »Ich wünsche dir eine gute Nacht, Fratello.«   »Ciao!«, murmelte Feliciano und schloss zu Ludwig auf, während Elizabeta sich bei Gilbert einhakte. Sie gingen in unterschiedliche Richtung davon, während sie sich zuwinkten.  »Und? Warst du erfolgreich?«, fragte sie neugierig und schmiegte sich an Gilberts Arm.  »Was glaubst du wohl? Er hatte keinen blassen Schimmer…«  Gilbert hob seinen Zeigefinger in die Luft, während sie die Straße hinab in Richtung Süden spazierten. An seinem Finger baumelte ein Schlüsselbund, der nicht seiner war und ein Grinsen zierte seine Lippen.  »Wird er dich dafür umbringen?«, fragte Eliza, während ihre Stimme vor Freude zitterte. Sie hatte schon den ganzen Abend gespürt, dass zwischen Ludwig und Feliciano eine merkwürdige Stimmung vorherrschte, aber wirklich sicher war sie erst gewesen, als sie bemerkt hatte, wie die beiden sich anstarrten und immer unwillkürliche Berührungen ausgetauscht hatten, als wäre es das normalste der Welt zwischen Freunden.  Dabei wussten Elizabeta und Gilbert bis zu diesem Abend nicht, dass ihre Lieblingsmenschen einander kannten. Ein Zufall war ausgeschlossen.  Verstohlene Blicke, leicht gerötete Wangen, ein Lächeln blühte auf, wenn der andere lächelte. Eliza konnte sich sehr gut vorstellen, was in den beiden vorging. Ihre weibliche Intuition irrte selten und sie freute sich für die beiden ehrlich. Obwohl sie sich von Anfang an geschworen hatte, ihre Finger aus anderer Leute Angelegenheiten herauszulassen, hatte Gilbert sie doch umgestimmt und gesagt, man müsse den beiden doch irgendwie auf die Sprünge helfen, nachdem sie über ihre Erkenntnisse getuschelt hatten.  Sein Bruder Ludwig wäre schüchtern und würde vermutlich nicht verstehen, wenn Feliciano Annäherungsversuche startete und auch Elizabeta konnte nicht beschwören, dass ihr Bruder womöglich spontan blöd wurde, wenn ihn Amors Pfeil traf.  Also hatte Gilbert Ludwigs Schlüssel entwendet, um sicher zu gehen, dass die beiden eine Weile miteinander auskommen mussten. Elizabeta wohnte auch nur zwei Straßen von Ludwig entfernt, wie sich schließlich herausstellte, also vielleicht ergab sich die Möglichkeit, wenn die Sterne nur ein wenig günstig standen…  Plötzlich wurde Eliza von Gilbert gepackt und seine warmen Hände umrahmten ihr Gesicht, während er ihr eindringlich in die Augen schaute. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie stehen geblieben war und Gilbert ein paar Male ihren Namen gesagt hatte.  »Wo bist du nur wieder mit deinem hübschen Köpfchen? Hm?«, murmelte Gilbert, bevor er seine Lippen auf ihre legte und ihr sein warmer Atem ins Gesicht peitschte. Ihre Hände verselbstständigten sich und sie fuhr über seine muskulöse Brust hinauf in sein graugefärbtes Haar. Eine Mischung aus Seufzen und Kichern entkam ihren Lippen, während seine Hände an ihrem Rücken hinab fuhren und knapp über ihrem Steiß zum Stillstand kamen.  »Ich musste nur mal wieder feststellen, dass wir beide überraschenderweise ein gutes Team sind«, antwortete sie schließlich und knabberte auf ihrer Unterlippe herum.  »Überraschenderweise? Traust du mir etwa so wenig zu?«  Gespielt beleidigt verdeckte Gilbert seine Augen mit seiner rechten Hand und drehte sich leicht von seiner Verlobten weg.  »Ich traue dir so einiges zu, aber Feingefühl?«  Sie schnalzte mit der Zunge. »Früher habe ich mehr als einmal pro Tag Gebrauch von der Bratpfanne gemacht, die dein Dickkopf schlussendlich auf dem Gewissen hatte.«  Eliza warf sich ihre langen Locken über die Schulter und steckte ihre kalten Finger in Gilberts warme Jackentaschen.  Gilbert schlang seine Arme um Elizabeta und drückte ihr einen unschuldigen Kuss auf die Stirn. »Wann glaubst du, ruft er an um zu fragen, ob wir seinen Schlüssel gesehen haben?«     * * * Es dauerte nicht lang, da vibrierte Gilberts Handy in seiner Tasche und während Elizabeta die Haustür öffnete, starrte der Deutsche blinzelnd auf das Display. »Wenn man vom Teufel spricht, hm?«   Die Ungarin wandte ihren Blick zu Gilbert um und ihre Finger umschlossen das Mobiltelefon siegessicher. »Gib mir das Telefon, ich weiß schon, was ich ihm erzählen will.«  Sie drückte Gilbert einen unschuldigen Kuss auf die Lippen und zwinkerte vor lauter Vorfreude, ehe sie ihre Stimme etwas verstellte, sodass sie ein wenig angeheitert wirkte. »Igen, ki beszél?«, hauchte sie in das Mikrofon. »Hier ist Elizabeta, denn Gilbert ist nicht in der Lage zusprechen!«   Es dauerte einen Augenblick, bis Ludwigs Stimme an ihre Ohren drang und er sich laut räusperte. »Hier ist Ludwig, hallo Elizabeta.«   »Sei doch nicht so verklemmt, wir sind praktisch eine Familie, Ludwig!«, flötete Elizabeta und musste sich sehr zusammenreißen, nicht laut los zu kichern. Ihre Augen trafen auf Gilberts, der sich wie ein Kind freute, dass sie seinen Bruder ebenfalls ärgern wollte.  »Ja, tut-, tut mir leid. Äh, … sag mal, ist Gilbert gerade wirklich nicht zu sprechen?«  Ludwig war das Gespräch hörbar unangenehm und sie konnte seine Unsicherheit durch das Telefon spüren, aber ihr Herz klopfte wie wild in ihrer Brust. Gilberts kindliche Unarten steckten sie nach all den Jahren immer noch an und sie war Feuer und Flamme, dieses Ding durchzuziehen, das sie losgetreten hatten. »Gilby ist gerade…«  Sie stockte und bedeutete ihrem Verlobten, irgendwelche Geräusche zu machen. Dieser entschied sich, vor sich hinzuflöten und schließlich einen erstklassigen Würgereiz zu imitieren, der selbst Elizabeta blass werden ließ. »Was kann ich denn für dich tun, Lutz… äh… Ludwig. Also…, wenn ich denn helfen kann, hm?«   »Ich… hoffe doch sehr. Also… kann es sein, dass von euch jemand meinen Haustürschlüssel gefunden hat? Ich glaube ich habe mich von Zuhause ausgesperrt.«  Seine Stimme war weniger genervt, als sie vermutlich in seiner Lage geklungen hätte und sie zwinkerte Gilbert zu.  »Was will denn mein Brüdercheeeeen jetzt von uns… ach, Liza, ich will dich einfach diese Stufen hochschleifen und Dinge mit dir anstellen, die-« Eliza lachte leise und unterbrach damit ihren übereifrigen Verlobten.  »Ich glaube, dein Bruder hat sich ausgesperrt«, antwortete sie relativ gefasst und streichelte Gilbert ehrlich über die Wange.  »Meine Güte, dann soll er sich halt für die Nacht bei dir einquartieren… wir suchen morgen einfach gemeinsam nach dem Schlüssel oder holen den Ersatzschlü-«, Ein gespieltes Hicksen unterbrach ihn in seiner ausführlichen Rede, »Heute können wir die nette Nachbarin aber nicht mehr stören. Die liegt doch längst im Bett. Soll er doch mit Feli mitgehen, das ist doch kein Drama, oder?«   »Ja, natürlich. Ach, Ludwig, schlaf doch einfach auf der Couch. Die ist wirklich sehr bequem, das schwöre ich.«  Elizabeta kicherte noch einmal, bevor sie zu schnaufen anfing. »Ich muss jetzt auflegen… Gilbert hat gerade das Gebüsch dekoriert und… er… ist... echt… schwer. Herrje, Gute Nacht, ja? Bis morgen… benehmt euch.«  Damit drückte sie den ‚Gespräch beenden‘ Button seines Mobiltelefones und begann leise zu lachen. »Was dein Bruder nun von uns denkt?«   »Schwer zu sagen, aber er kennt mich recht gut, also ist das alles nicht zu abwegig.«  Gilbert folgte seiner Verlobten in seine Wohnung und ließ die Tür geräuschvoll hinter sich zufallen. »Bekomme ich nun meine Belohnung?«  Seine Stimme wirkte wie die eines kleinen Kindes, das sich auf den Weihnachtsmann freute und Elizabeta konnte nicht anders, als ihre Finger mit Gilberts zu verschränken.  »Als wäre das nicht gleichermaßen deine Idee gewesen«, tadelte sie ihn und schlang ihre Arme um seinen Hals. Kapitel 14: Ludwigs Herz ------------------------ Freitag, 14. Oktober »Scheiße.«  Ludwig berührte den roten Knopf auf seinem Touchdisplay und seufzte, während er das Handy vom Ohr nahm und in seine Hosentasche zurückschob. »Auf die beiden kann ich heute nicht mehr zählen«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.  »Haben sie deine Schlüssel nicht?«  Feliciano starrte seine Begleitung aus großen Augen an, während er sich, seine Arme vor der Brust verschränkend, an die Häuserwand lehnte.  »Nein… Ich weiß auch nicht, ehrlich gesagt dachte ich wirklich, dass ich den Schlüssel in der Tasche hatte, auf dem Weg zum Restaurant. Aber… es kann sein, dass ich ihn auf dem Küchentresen liegen lassen habe, als ich den Strauß für Elizabeta geholt hab. Gott, warum passiert mir das an einem Abend wie diesem? Tut mir wirklich leid, Feli.«  Seine Stimme war erfüllt von Reue und er wandte den Blick beschämt ab. »Du willst wahrscheinlich einfach nach Hause und ich halte dich hier auf.«   »Ich will nicht nach Hause, wenn ich weiß, dass du keinen Ort hast, an den du zurückkehren kannst«, murmelte Feliciano leise. »Meinetwegen kannst du einfach mit mir hochkommen. Ich glaube nicht, dass Sorella etwas dagegen hat.«   »Hat sie nicht, ich meine… sie hat gesagt, dass… ich ruhig auf der Couch schlafen kann, aber ich will euch wirklich nicht zur Last fallen«, stammelte Ludwig und räusperte sich.  »Du fällst mir doch nicht zur Last«, prustete der Italiener erleichtert los und stieß sich von der Wand ab, während er Ludwigs Hand in seine fasste und ihn zur Haustür zog. »Komm, lass uns hochgehen. Es ist echt kalt hier draußen.«  Wie zur Bestätigung stammelte er vor sich hin. »Brr… so ein scheußliches Wetter.«   Der blonde Deutsche murmelte nervös vor sich hin. »Das sagst du jetzt, aber morgen hast du deine Meinung vielleicht schon geändert.«   Feliciano nestelte geschäftig am Türschloss herum, während er eifrig den Kopf schüttelte und schließlich erreichte, was er wollte. »Ganz im Gegenteil. Ich freue mich auf unser Frühstück… ich bin wirklich gut darin, ein ordentliches Frühstück zuzubereiten, das schwöre ich auf Pizza und Pasta!«  Seine Stimme flötete fröhlich durch den Hausflur und er ließ Ludwigs Hand nicht einen Moment los, obwohl sie durch den schmalen Flur nur hintereinander laufend konnten.  Ludwig hatte das Gefühl, dass seine Finger unnötig schwitzten und sein Herz bei jedem Wort Felicianos in seine Hose rutschte, aber er schaffte es dennoch irgendwie, die Stufen in den zweiten Stock zu erklimmen.  Während sich Feliciano am nächsten Türschloss zu schaffen machte, hatte Ludwig die Gelegenheit, die schmale Gestalt des Italieners von hinten in aller Ruhe zu bewundern. Nicht zum ersten Mal, seit sie einander kannten wohlgemerkt, aber nach den paar Bier, die er intus hatte, dachte er sehr wohl häufiger darüber nach. Und das, obwohl er oft Bier trank und eigentlich an einen Konsum wie an diesem Abend gewöhnt war.  Vielleicht war das so ein Hormon, das Feliciano in ihm aktivierte, dass seine sonst so unschuldigen und fokussierten Gedanken derart abschweifen ließen. Der Gedanke daran machte ihn noch nervöser, als er ohnehin schon war und er trippelte von einem Bein auf das andere.  »Tut mir leid, es dauert immer ein bisschen, bis die Tür aufgeht. Das Schloss ist alt und bei mir will das nie so recht«, hörte er Feliciano sagen und seine Bewegungen wurden hektischer. Der Schlüssel klackerte ungeschickt gegen den Türrahmen und der Deutsche schob ihn beiseite. »Ganz ruhig, Feli. Manchmal brauchen diese alten Schätzchen einfach ein wenig Geduld«, murmelte der Deutsche, während er Feliciano den Schlüssel aus der Hand nahm und ihn gewissenhaft in das Schloss stockte. Es dauerte zwar einen Augenblick, bis er erfolgreich war, doch die Tür gab nach innen nach und warme Luft schlug ihnen entgegen.  »Du bist wirklich talentiert mit deinen Fingern«, hörte Ludwig Feliciano sagen, bevor sich der italienische Wirbelwind an ihm vorbei in die Wohnung stahl und der Deutsche wie angewurzelt im Türrahmen stehen blieb. Irgendwie schaltete sich gerade sein Verstand aus, oder es waren tatsächlich eben jene Worte gefallen, die ihn zumindest glauben ließen, dass etwas ganz und gar nicht koscher war.  Klang gerade alles in seinem Kopf annähernd aufreizend wegen des Alkohols oder war er einfach nur vernarrt in den Italiener, sodass jedes seiner Worte einen dezenten unanständigen Unterton erhalten hatte? Ludwig schüttelte den Kopf, während er die Tür ins Schloss fallen ließ und versuchte, sich zu orientieren. Zu seiner linken war offenbar eine kleine Küche und zu seiner rechten ein Badezimmer, dessen Tür offenstand. Feliciano hüpfte durch die Wohnung und erleuchtete währenddessen jeden Raum.  »Willkommen in unserem bescheidenen Heim«, murmelte er vor sich hin, während er schlussendlich vor Ludwig zum Stehen kam. »Wir waren zwar nicht auf Besuch vorbereitet, aber es scheint alles ordentlich zu sein.«   Es dauerte einen Augenblick, bis Ludwig bemerkte, dass die Distanz zwischen ihnen unmerklich war und dass sich Feliciano zu ihm hinüberbeugte. »Das… klingt doch gut.«  Er kam sich vor, wie ein Idiot, dass er vor dem kleineren Mann zurückwich und sich eine verräterische Röte auf seine Wangen stahl. »Es ist… ganz schön warm hier drin.«   »Oh, entschuldige. Ich hatte vorher überall die Heizung aufgedreht, weil mir irgendwie kalt war.«  Der Italiener grinste leicht und begann dann, die Aufteilung der Wohnung zu erklären, die Ludwig  ausgemacht hatte. »Ich werde dann kurz unter die Dusche springen und dir dann dein Bett vorbereiten. Du kannst dich gerne am Kühlschrank bedienen und dir ein Bier nehmen.«   Ludwig folgte Felicianos Vorschlag und setzte sich in der Küche an die Theke und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, das sein Bruder so gerne trank. Während er an dem Bier nippte, hörte er Feliciano unter der Dusche summen und seine Gedanken schweiften ab.  Er verbrachte allein mit Feliciano die Nacht in dieser Wohnung und sein Geist spielte ihm schon die ersten verwirrenden Schauspiele, die er zu unterdrücken nicht vermochte. Wenn er seine unanständigen Gedanken nicht bald aus dem Kopf bekam, würde ein gewisser Kamerad zum Leben erwachen und diesen Umstand konnte er Feliciano nicht plausibel erklären, wenn er davon Wind bekam. Während er seinen Blick über die Einrichtung der Küche schweifen ließ, bemerkte er die Bilder an der Wand, auf denen er seinen Bruder im Jugendalter erkannte und eine hübsche, junge Dame mit schulterlangen Haaren. Seine Lippen zuckten leicht, während er die Details in sich aufnahm. Sein Bruder lächelte so breit auf den Bildern, wie er ihn viele Jahre nicht lächeln gesehen hatte. Ihre Kindheit in Deutschland war nie von viel Liebe geprägt gewesen und Ludwig war schlussendlich froh, dass sich Gilbert über die Jahre immer weniger über ihren Vater aufregte und schließlich sogar ein glückliches Leben zu führen schien.  »Das sind alles Bilder aus den Sommern in Österreich«, drang eine Stimme an seine Ohren, die ihn zusammenfahren ließ. Mit stark polterndem Herzen in seinem Brustkorb seufzte Ludwig und nahm Feliciano in Augenschein, der nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet, direkt hinter ihm stand, während er sich durch die nassen Haare strich.  »Die beiden waren damals zwar längst nicht so gut aufeinander zu sprechen wie heute, aber irgendwie ist auch aus ihnen was geworden«, murmelte Feliciano, während er unverblümt im Kühlschrank herumwühlte, als wäre es etwas derart Normales, vor seinen Gästen so leicht bekleidet dazustehen.  Ludwig konnte nicht umhin zu bemerken, dass das schmale Handtuch genau an einer speziellen Stelle in seinem Steiß sehr locker saß und auf diese Weise den Blick auf Felicianos verlängerten Rücken freigab, weil es sich in einer V-Form über den Hintern des kleineren Mannes wölbte.  Währen der Italiener also irgendetwas im Kühlschrank suchte, hatte Ludwig einen (unfreiwillig) tiefen Einblick auf Dinge, die er seinen unanständigen Gedanken lieber vorenthalten hätte. Den Kopf schüttelnd wandte er den Blick ab und starrte die weiße Wand an, weil es gar nicht so leicht war, nach allem noch das Unschuldslamm zu spielen. Zum Glück drehte sich der Italiener nur kurz zu ihm herum und stürzte ein Glas Milch hinunter, während er zu Ludwig hinüberschaute. »Ich denke aber, dass er dir alles darüber erzählt hat.«  »Gilbert hat mir nie irgendetwas über Österreich erzählt, obwohl ich schwer davon ausgehe, dass es die glücklichsten Ferien seines Lebens gewesen sind.«  Ludwig verbarg seine offensichtliche Enttäuschung, während er am Bier weiternippte. »Aber ich respektiere seine Entscheidung. Vielleicht erzählt er mir irgendwann davon.«   »Du glaubst wirklich, dass dir dein Bruder nicht vertraut, oder?«, hörte Ludwig Feliciano plötzlich sagen und seine Stimme wirkte bedrückt. Er senkte den Kopf und kam vor dem blonden Deutschen zu stehen. »Er hat immer sehr viel Gutes von dir erzählt und er war traurig, dass ihr die Ferien nicht gemeinsam verbringen konntet.«   Feliciano hob seine Hand an Ludwigs Stirn und streichelte zärtlich den Haaransatz nach, bis er am Ohr angekommen war.  Diese Berührung ließ Ludwig so erröten, dass sich Schweißperlen auf seine Stirn stahlen und er sich räuspern musste, um nicht irgendein verräterisches Geräusch des Gefallens verlauten zu lassen. Unsicher legte er den Kopf leicht schief und schmiegte sich an Felicianos schmale Hände, bevor ihm auch diese Geste unangemessen schien. Feliciano verlor darüber jedoch kein Wort.   »Ich wünschte dennoch, er hätte es mir früher gesagt«, murmelte er schließlich und schaffte es nicht, den Blickkontakt zum quirligen Italiener zu halten.  »Viele Menschen haben Angst vor der Reaktion ihres Gegenübers, darum verschließen sie ihre Gefühle. Ich kann das nicht wirklich nachvollziehen, denn man sollte immer ehrlich sein, wenn man jemanden liebt. Auch wenn man Angst hat, denjenigen fortzustoßen…«, hörte er Feliciano sagen und dann fügte er hinzu. »Dich zum Beispiel mag ich, Ludwig. Sehr sogar.«  Besagter Deutscher hob den Kopf und starrte Feliciano einen Augenblick unschlüssig an, bevor zwei federleichte Küsse auf seine Wangen platziert wurden und er nicht anders konnte, als den Brünetten in eine herzliche Umarmung zu ziehen. »Danke, Feli. Ich weiß das zu schätzen.«  Alles in ihm schrie, dass er Felicianos Worte irgendwie zurückgeben musste, ihm sagen musste, dass er ihn auch furchtbar gerne mochte, wenn nicht sogar…  Aber er tat es nicht. Aus Angst oder um seinen Stolz zu wahren. Sein Mut war nur eine entfernte Erinnerung und alles was er tun konnte war, Feliciano im Arm zu halten.  Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie sich voneinander lösten und Feliciano sein Handtuch neu ausrichten musste, nachdem es auf dem halben Weg nach unten war. Ludwig folgte seinem Gastgeber stumm und war überrascht, dass sie in einem der Schlafzimmer endeten. Ludwig stand unschlüssig vor dem Bett und ließ seinen Blick zu Feliciano hinüberschweifen.  »Die Couch ist mir recht, Feli«, protestierte Ludwig, als Feliciano begann, das Bett neu zu beziehen. Kissen und Decken flogen umher und schließlich war dieses Bett der gemütlichste Ort der Welt. Feliciano grinste leicht »Du bist mein Gast, ich könnte es nicht verantworten, wenn du dir auf der Couch Rückenschmerzen holst. Ich werde dort schlafen, es ist ja nur für eine Nacht«, erklärte Feliciano und zog sich schließlich endlich, endlich auch mal eine Boxershorts an, während Ludwig den Blick abwandte und sich räusperte. »Ich denke es bringt nichts, dich davon abhalten zu wollen, oder? Aber wenn es doch zu unbequem ist, dann…«  Er stockte. Konnte er Feliciano einfach so anbieten, gemeinsam in diesem Bett zu schlafen? Es war nicht gerade klein, aber das Angebot an sich mochte vielleicht suggestiv klingen. Und es war auch nicht gerade üblich unter Männern, sich ein Bett zu teilen. Schon gar nicht, wenn sich der eine für den anderen interessierte und man keinen blassen Schimmer hatte, wie der andere fühlte.  Ja, Feliciano mochte ihn als einen Freund und schätzte ihn vermutlich auch, aber würde er mit Ludwig in einem Bett schlafen wollen? Während seine Gedanken in seinem Kopf rasten und er auf keinen Nenner kam, starrte der Italiener ihn fragend an.  »Warum teilen wir uns nicht einfach das Bett?«, hörte Ludwig sich schließlich selbst sagen. Der Deutsche biss sich auf die Unterlippe und schloss die Augen, eine Ablehnung befürchtend. Sein Stolz würde darunter leiden, aber er hatte es gesagt. Man bereute doch nur die Dinge, die man nicht tat, oder? »Sí, das können wir machen. W-wenn es dich nicht stört!«  Feliciano lächelte zufrieden und warf sich auf das Bett, die Hälfte bereits einnehmend. »Dios mio, das ist wirklich besser, als sich auf der Couch herumzuquälen.«   Ludwig stand etwas unbeholfen neben dem Bett und knöpfte sein Hemd auf, während er von Feliciano beobachtet wurde. Das war nicht unbedingt förderlich, aber schließlich konnte er sich von Hemd und Hose befreien, ehe er zu Feliciano ins Bett schlüpfte, nur mit einer Boxershorts bekleidet.  Ihm war nicht entgangen, dass Feliciano ihn eingehend gemustert hatte, aber nun lagen sie beide unter der Decke und starrten in verschiedene Richtungen an die Wand. Ludwigs Wangen zierte ein Rotschimmer, während er versuchte seine Atmung zu kontrollieren.  »Das war ein wirklich aufregender Tag«, murmelte Feliciano, während er sich auf die Seite legte und sich eines der Kissen in den Nacken stopfte. »Ich habe mich die ganze Woche auf diesen Abend gefreut.«   Ludwig ließ seinen Blick zu Feliciano hinüber schweifen und fragend starrte er ihn an. Ihm gingen gerade so viele Fragen durch den Kopf, die er an Feliciano richten wollte und doch verschloss er meisterlich alle von ihnen in eine geheime hintere Ecke seines Hirns. »Merkwürdig, dass wir auf diese Weise wieder aufeinandertreffen, hm?«, murmelte Ludwig nach einer gefühlten Ewigkeit.  »Ich halte das nicht für merkwürdig«, widersprach Feliciano. »Immerhin hatte ich eine Ahnung, nachdem du wegen der Einladung so aufgewühlt warst. Und da du denselben Nachnamen trägst wie Gilbert, dachte ich einfach, das kann kein Zufall sein.«   Ludwig runzelte die Stirn. Also hatten er und Feliciano beide eine ungefähre Ahnung gehabt, doch keiner von beiden hatte den anderen darauf angesprochen? Ein Lächeln zierte seine Lippen, während er die Augen schloss. »Vielleicht war es kein Zufall. Gilbert sagt immer, alles in der Welt ist miteinander verbunden, auch wenn wir die Stränge nicht sehen können. Mich würde es nicht wundern, wenn wir alle Teil eines großen Plans sind. Irgendwelche Fäden des Schicksals, in die wir hineinlaufen und die an einem anderen Ort ein Erdbeben lostreten können.«   »Der Gedanke ist beängstigend…«, gab Feliciano schließlich zu und er wirkte mit einem Mal so verletzlich, dass sich Ludwig dazu genötigt fühlte, etwas Aufmunterndes zu sagen. »Das Erdbeben muss ja nicht zwangsläufig schlecht sein. Es kann gerade gut genug sein, um jemandem den Boden unter den Füßen wegzureißen. Auf eine gute Art, wie wenn man sich verliebt, oder so.«  Er räusperte sich, weil er spürte, wie seine Stimme ihm zu versagen drohte.  »Amore also…«, flüsterte Feliciano und streckte seine Arme nach Ludwig aus.  Vollkommen unvermittelt rutschte der kleine Italiener näher an Ludwig heran und schlang seine Arme um den Hals des perplexen Deutschen. Vor lauter Überraschung war er gerade erstarrt genug, um nicht zurückzuweichen, während der warme Atem des Italieners gegen seinen Hals peitschte, eine Gänsehaut an jener Stelle hinterlassend. »F-feli, w-was tust du da?«, krächzte Ludwig hilfesuchend. Er wollte Feli von sich wegstoßen, aber dann auch wieder nicht, denn diese Nähe war genau das was er wollte. Nur löste sie etwas in ihm aus, dass er nicht kontrollieren konnte. Eine Welle von Gefühlen, denen er nicht Herr wurde. Sein Herz klopfte wie wild in seiner Brust und er klang wie ein verdammter Teenager, während sich Feliciano vermutlich gar nichts dabei dachte.  »Lass uns schlafen, Luddy. Das ganze Gerede hat mich müde gemacht«, seufzte der Italiener an seinem Hals, während er sein Gesicht in Ludwigs Halsbeuge vergrub. »Buona notte.«   Ludwig lag stocksteif auf der Seite, während der warme Körper des Italieners an ihn gekuschelt war. Diese Nacht würde er garantiert kein Auge zubekommen. Nicht, während der leise seufzende Körper ihn mit einer solchen Gewalt umklammert hielt, dass er seinen Geruch unfreiwillig aufnahm oder die ihn immer wieder überrollende Gänsehaut.  Aber das war ganz sicher nicht das schlimmste daran, denn langsam aber sicher schlängelte sich Felicianos Bein um Ludwigs Wade und jeder Versuch Feliciano zu wecken, endete in einer weiteren unverständlichen Antwort seitens des Italieners, der sich fester an Ludwig drückte.  Für eine so schmale Person hatte er ungeahnte Kräfte und Ludwig gab schließlich auf. Er versuchte noch, eine annähernd angenehme Position zu finden, indem er seine Arme um Feliciano legte und das Kissen dichter in seinen Nacken zog.  Die Wärme, die sich entwickelte, gepaart mit dem wirklich anstrengenden Tag ließ Ludwig doch entgegen seiner Befürchtungen, in kurzer Zeit einschlafen. Kapitel 15: Unerwartete Hilfe ----------------------------- Samstag, 15. Oktober Felicianos Kopf lag so dicht an Ludwigs Brustkorb, dass ihm die Veränderung im Atemmuster relativ schnell auffiel. Und als sich der große, schützende Körper um ihn herum sich lediglich ein wenig bewegte, schloss der Italiener die Augen und tat so, als wäre er noch im Land der Träume. Ein gespieltes Schnarchen verließ seine Lippen und seufzend drückte er sich fester an Ludwigs Brust, was darin resultierte, dass das stetige Heben und Senken dieser unterbrochen wurde.  Der Italiener spürte auch das Pochen in Ludwigs Brustkorb, aber er dachte sich nichts dabei, sondern genoss einfach den Moment, in dem er noch etwas Zeit an den Deutschen gekuschelt verbringen zu können. Es dauerte einen Augenblick, bis sich Ludwig erneut bewegte, aber diesmal spürte Feliciano eine breite Hand auf seinem Haar, die darüber streichelte und schließlich in seinem Nacken verweilte.  Eine Gänsehaut überrollte Feliciano, aber es schien Ludwig nicht aufzufallen, denn sein Schauspiel bleib unentdeckt. So hatte er die Gelegenheit, Ludwigs angenehmen Duft aufzunehmen und sich wohlig seufzend an ihn zu schmiegen. Sein eigenes Herz pochte ihm lauthals in der Brust und seine Finger kribbelten vor Aufregung, aber er hatte auch Angst, was geschehen würde, wenn Ludwig bemerkte, dass er wach war.  Bisher hatte er Ludwig immer für sehr distanziert und bedacht gehalten, aber am gestrigen Abend hatte er das Gefühl bekommen, dass sich zwischen ihnen beiden langsam etwas manifestierte. Ludwigs Hand in seiner zu spüren hatte ihn über Bord gehen lassen, in eiskaltes Wasser, absteigend in eine wunderschöne Unterwasserwelt, deren Schönheit er nicht geahnt hatte, weil er die Kälte und das Ertrinken gefürchtet hatte. Aber mit Ludwig an seiner Seite war das in Ordnung, denn dieser hatte praktisch Vorbereitungen getroffen und Feliciano würde nicht ertrinken.  Feliciano konnte nicht von dem Deutschen ablassen und das war ihm schon in kurzer Zeit bewusst geworden. Wann immer sie sich sahen, wollte er ihn umarmen oder nah bei ihm stehen oder seinen Namen aussprechen. Er wollte, dass Ludwig ihn ansah und seinen eigenen Namen sagte oder ihm ein seltenes warmes Lächeln schenkte. Selbst die Falte auf seiner Stirn, die Verärgerung ausdrückte, mochte Feliciano, weil Ludwigs Blick dann intensiver war.  Der Italiener fragte sich, wie Ludwig ihn jetzt wohl ansehen mochte, aber er traute sich nicht, seine Augen auch nur für einen Spalt zu öffnen. Stattdessen entfloh seinen Lippen ein leises: »Ludwig…«  und er sorgte sich um seine Tarnung.  Der Blonde war offenbar für einen Augenblick irritiert, aber als er bemerkte, dass Feliciano noch immer zu schlafen schien, drückte er diesen fester an sich. Es tat nicht weh und es war auch nicht unangenehm, aber Feliciano fürchtete, dass man sein wild schlagendes Herz über die kurze Distanz spüren konnte. »Ach… Feli…«, hörte er den Deutschen leise murmeln und erneut rollte eine Gänsehaut über seinen gesamten Körper.  Feliciano hätte ewig so liegenbleiben können, doch ein Geräusch im Flur holte ihn aus seinen Gedanken zurück. Er hörte den Schlüssel im Schloss und im nächsten Moment tapsten Pfoten über das Parkett im Flur, begleitet vom Hecheln und leisem Bellen. »Shhh, nicht so laut« , zischte Gilbert nebenan und Elizabeta kicherte.  »Die werden wohl doch nicht mehr schlafen, es ist schon Mittag.«  »Scheiße« , murmelte Ludwig über Feliciano hinweg und er versuchte sich vergeblich von ihm zu lösen. Doch dieser dachte gar nicht erst daran, den Deutschen freizugeben.  »Bist du dir sicher, dass er hiergeschlafen hat?« , tönte es aus dem Wohnzimmer und Gilbert räusperte sich.  »Hier steht jedenfalls noch das angefangene Bier. So wie ich ihn kenne war es ihm zu peinlich die Nacht hier zu verbringen. Lass uns doch einfach Feli…«  Die Worte blieben in Gilberts Hals stecken, als er einen Blick durch Felicianos geöffnete Schlafzimmertür riskierte.  »Schatz, was…« , wollte Elizabeta fragen, aber Gilbert schnitt ihr das Wort ab. »Wohnzimmer. Sofort!« , flüsterte er bestimmt und schloss die Schlafzimmertür geräuschlos.  »Wie lange bist du eigentlich schon wach, hm?« , murmelte Ludwig und Feliciano grinste ertappt an seiner Brust.  »Woher weißt du das denn schon wieder?«   Feliciano sah zu ihm auf und war ernsthaft überrascht, denn er hatte alles gegeben, um sich schlafend zu stellen. »Du machst eindeutig merkwürdige Geräusche, die niemand im Schlaf imitieren kann.«  Ludwigs Stimme klang am frühen Morgen sehr viel tiefer und löste einen wohligen Schauer in Feliciano aus. Er wirkte trotzdem eher belustigt als beleidigt.  »Das kann sein. Aber es ist auch so gemütlich, warum sollten wir aufstehen?«  Feliciano schmiegte sich an Ludwig und schloss seine Augen erneut.  »Na ja, ich denke zu allererst müssen wir da ein Missverständnis aufklären.«  Erneut fuhr Ludwigs Hand über Felicianos Haar und verweilte an der Stelle, an der die kleine Locke sich vom restlichen Haarschopf spaltete und ihr Eigenleben zu führen schien.  »Müssen wir das?«  Felicianos Stimme wirkte kindlich naiv, aber er wusste sehr wohl, dass es Ludwig Sorgen bereitete, was sein Bruder von ihm dachte.  »Nun, ich dachte… wir können auch darüber schweigen, aber sie werden bestimmt Fragen stellen.«   »Ich möchte niemandem davon erzählen, Ludwig. Ich will, es einfach nur genießen.«   Felicianos Hände, die sich in der Nacht um Ludwigs Hüfte geschlichen hatten, verweilten auf dem Rücken des Blonden, während seine Finger kleine Zeichen auf die Haut des Größeren zeichneten.  »W-was sonst sollte ich ihnen erzählen?« , stammelte Ludwig hörbar verlegen und eine entzückende Röte bildete sich auf seinen Wangen. Feliciano bemerkte, dass Panik in ihm aufzuwallen schien, denn sein Gesicht war seltsam verzerrt. Er wünschte sich diesen Ausdruck fortzuwischen, doch er wusste nicht wie. Feliciano besaß nicht das Talent, Mimik und Gestik zu deuten, ganz besonders nicht bei dem Deutschen, wo beides nicht sonderlich eindeutig erkennbar war.  Feliciano hob den Blick und sah Ludwig einen Moment unschlüssig an. Diese azurblauen Augen hatten eine anregende Wirkung auf den Italiener und er verspürte den Impuls, seine Lippen auf die des Deutschen zu legen. Es dauerte einen Moment, bis Feliciano mit Ludwig auf Augenhöhe war und sich ein Lächeln auf sein Gesicht stahl. Noch während er sich ein Stück zu dem Deutschen hinunter beugte, bemerkte er, wie dieser hörbar die Luft einsog.  Als er daraufhin nicht versuchte, zurückzuweichen, war es so, als legte sich ein Schalter in Felicianos Kopf um.  Ludwigs Lippen waren ein Stück geöffnet, als Feliciano seine auf die des Blonden senkte und einen unschuldigen, sanften Kuss auf ihnen platzierte. Sie berührten sich nur für einen Augenblick, aber es fühlte sich dennoch so an, als würde Feliciano der Schlag treffen. In seinem Innern tobte ein Sturm, dessen sanfte Briese er noch Sekunden zuvor gewaltig unterschätzt hatte. Er dachte, es wäre eine nette Geste, um Ludwig in Verlegenheit zu bringen oder um sich in andere Gewässer vorzutasten, doch die Hitze, die ihn erwischte, war unbändig.  Als er sich von Ludwig löste, hatte er das erneute Bedürfnis, ihre Münder zu vereinen, aber diesmal war es Ludwig, der ihn an sich zog und ihre Lippen miteinander vereinte. Der erste Kuss mochte zögerlich  gewesen sein, ein unschuldiges Aufeinandertreffen vielleicht, doch damit konnte Feliciano den zweiten nicht annähernd vergleichen. Bevor er darüber nachdenken konnte, spürte er Ludwigs Zunge auf seiner Unterlippe und überrascht öffnete er seinen Mund einen Spalt breit, was für Ludwig offenbar ein deutliches Zeichen war, sich weiter voranzutasten.  Feliciano konnte ein aufgeregtes Stöhnen nicht unterdrücken und er fühlte sich, als könnte er fliegen und sein ganzer Körper zitterte vor Aufregung. Ganz zu schweigen davon, dass sein Körper begann, das Blut in ganz andere Körperregionen zu leiten, während er sich selbst ganz benommen von all diesen Eindrücken fühlte.  Unbewusst schmiegte sich Feliciano an Ludwig an und griff mit seinen schlanken Fingern an Ludwigs Shirt, weil er das Gefühl hatte, nicht mehr zu wissen wo oben und unten war.  Es dauerte einige Sekunden, bis Ludwig darauf reagierte und Feliciano kraftvoll an den Oberarmen packte und sich mit einem Ruck von ihm löste. »Was t-t-tun wir da?«  Mit seinem Handrücken wischte sich der Deutsche über die Lippen und stand in weniger als einer halben Minute aufrecht vor dem Bett, das Hemd vom Vortag verzweifelt überziehend. Während des Knöpfens vertat er sich dann auch noch, sodass er immer hektischer wurde. »I-ich muss gehen« , murmelte er nur vor sich hin, während er in seine Hose stieg und beinahe über seine eigenen Füße fiel.  Feliciano starrte ihm atemlos hinterher, sein eigenes Herz in seinem Brustkorb hämmernd und unfähig sich zu bewegen. Eigentlich hätte er über diese so offensichtliche Ablehnung traurig sein müssen, doch seine Lippen prickelten noch immer von der Berührung mit dem Deutschen und während dieser aus seinem Sichtfeld verschwand, setzte sich Feliciano langsam auf. Sein ganzer Körper kribbelte und er spürte, wie plötzlich Kälte an ihm aufstieg. Der wärmende Körper neben ihm fehlte und die Decke war bis zu seinen Knien weggeschlagen.  Die Tür krachte geräuschvoll zu und alarmierte die Hunde im Nebenzimmer, aber Feliciano bekam von alldem nichts mit. Minuten zogen an ihm vorbei, als wären es Sekunden. Hatte sich Ludwig noch mit Gilbert unterhalten oder war er einfach abgerauscht? Würde er ohne seinen Schlüssel überhaupt in die Wohnung kommen? Er schwang seine Beine über die Bettkante und im nächsten Moment klopfte es an der Tür. »Feli?«  Elizabeta steckte den Kopf zur Tür hinein und musterte ihn aus der Entfernung. »Alles okay? Ich habe Geräusche gehört und…«   »Ich hab Ludwig geküsst und er ist geflüchtet.«  Feliciano senkte den Kopf und ließ die vergangenen Minuten Revue passieren, ehe das Bett neben ihm leicht nachgab und Elizabeta ihn in ihre Arme schloss.  Er spürte, wie Tränen seine Wangen hinabliefen, aber er konnte sie nicht stoppen. Unendliche Traurigkeit schien ihn zu überrollen und er fröstelte plötzlich.  »Ach Feli…« , seufzte seine Schwester und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Vielleicht ist er einfach schüchtern.«  Sie strich ihm durch das Haar und bemerkte, wie Gilbert im Türrahmen stand. »Respekt, ich hätte nicht gedacht, dass ihr gleich so zur Sache kommt« , grinste er leicht, wurde jedoch von Elizas vernichtendem Blick getroffen, sodass das Grinsen auf seinen Lippen erstarb. »Mein Bruder war schon immer sehr verklemmt, er wird vermutlich einfach überrumpelt gewesen sein.«   »Oder ich habe ihn zu etwas gezwungen, das nur ich wollte. Aber… es hat sich so richtig angefühlt. Und… er hat mich… auch… für einen Moment geküsst.«  Der Italiener wischte sich über die Augen, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken und ein herzerweichendes Schluchzen erfüllte den Raum. »Ich habe ihn vergrault.«   Er spürte, wie Elizabeta ihn fester an sich drückte und ihm über den Rücken streichelte. »Du hast ihn nicht vergrault, Feli. Ich mag mich irren, aber ich habe gestern mit meinen eigenen Augen gesehen, wie er dich anschaut. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass eure Gefühle füreinander nicht ebenbürtig sind. Vielleicht lehne ich mich damit weit aus dem Fenster, aber ich habe noch nie ein Paar gesehen, das so harmonisch miteinander umgeht wie ihr beide. Gilbert hat vermutlich recht und Ludwig ist überrumpelt gewesen.«   »Jedenfalls darfst du nicht einfach aufgeben und die weiße Flagge hissen, Veneciano.«  Gilbert kniete nun vor dem kleinen Italiener und verwendete ganz bewusst den Spitznamen, den sonst nur Felicianos älterer Bruder benutzte. »Du bist ein Kämpfer, auch wenn du immer von dir behauptest, dass es dir zu anstrengend ist. Du bist kein Feigling. Du kannst nicht aufgeben, es geht doch hier um… jemand besonderes oder? Du kämpfst so lange für dein Glück, bis du es endlich in den Armen hältst.«   Feliciano hob den Blick und bemerkte das Lächeln auf Gilberts Gesicht, das er vorher nur erahnen konnte. »Wir werden dich nach Kräften unterstützen, versprochen. Gib jetzt nicht auf.«   Elizabeta lächelte ebenfalls und drückte Feliciano einen Kuss auf die Wange. »Ganz genau. Und jetzt stehst du erst mal auf und isst ein bisschen was, bevor du dir deinen hübschen Kopf zerbrichst, in Ordnung?«   »Ehrlich gesagt...", druckste Feliciano herum, »Habe ich eine andere Idee. Ich glaube, ich muss einen kurzen Ausflug zum Bäcker und in den Supermarkt machen und ein Versprechen einlösen.«  Seine Wangen färbten sich leicht, während er sich durch das Haar und das Gesicht fuhr. »Ihr habt recht, ich kann das so nicht stehen lassen.«    Seufzend holte Gilbert etwas aus seiner Hosentasche hervor und ließ es in Felicianos Schoss fallen. »Sag ihm, dass wir die ausversehen mitgenommen haben, weil er sie am Tisch vergessen hat.«  Feliciano nahm den Schlüsselbund in die Hand und drehte ihn in seinen Fingern. »Ist das… sein Schlüssel? Aber habt ihr nicht gesagt, ihr hättet ihn nicht gesehen? Ludwig war sich sicher er hätte ihn…«   Gilbert schnitt ihm das Wort ab. »Stell nicht so viele Fragen und nimm es einfach hin. Ich werde dich jetzt hinfahren und dann sehen wir weiter. Ich wette, dass Ludwig sich längst darüber ärgert, gegangen zu sein.«  Der Grauhaarige wuschelte Feliciano durchs Haar und wandte sich dann an Elizabeta. »Ich gehe nicht eher, bis Ludwig ihn reingelassen hat.«  Zwinkernd drückte er seiner Verlobten einen Kuss auf die Lippen und ging seine Jacke und den Autoschlüssel holen. Kapitel 16: Eine Verschwörung? ------------------------------ Samstag, 15. Oktober Hilflos suchte Ludwig in seinen Taschen nach seinem Schlüssel, während er immer wieder den Kopf hob, in stiller Erwartung jemand würde auftauchen und ihm sagen, dass er das Ziel eines ziemlich üblen Streichs geworden war. Anders konnte er sich nicht erklären, dass er mit Feliciano nicht nur in einem Bett gelandet war und sie leicht bekleidet miteinander gekuschelt hatten, sondern dass der Italiener ihn auch geküsst hatte. Dass er ebenso schuld an allem war, blendete er aus, denn er war zu aufgebracht, darüber nachzudenken, selbst nicht ganz so unschuldig an allem gewesen zu sein.  Er glaubte fest daran, dass alles nur ein Trick war. Bestimmt hatte Gilbert sich gegen ihn verschworen, weil dieser seine Gefühle hundert Kilometer gegen den Wind gerochen hatte und nun damit seinen Spaß trieb.  Er schämte sich dafür, so schlecht von seinem eigenen Bruder zu denken, doch andererseits war eine Situation wie diese ganz genau das, was Gilbert schamlos ausnutzen würde. Ludwig wusste um die besten Freunde seines Bruders und dass sie gemeinsam viele mit ihren Späßen zur Weißglut getrieben hatten, aber er hätte nie im Leben geglaubt, selbst einmal das Ziel ihrer Streiche zu sein. Dieser Gedanke hinterließ bei Ludwig den bitteren Nachgeschmack aus einer Mischung von Zorn und Unglauben. Obwohl er sehr darauf bedacht war, sich von seiner besten Seite zu zeigen, gingen mit ihm heute die Pferde durch und erschöpft von seiner eigenen Fantasie, schlug er seinen Kopf wütend gegen die schwere Haustür. Es machte »Pong!«  und ihm gleichen Atemzug verfluchte er sich selbst.  Noch während er sich seine schmerzende Stirn rieb fiel ihm alles wieder ein. Er hatte seinen Schlüssel schon am gestrigen Abend nicht gehabt, weil er höchst wahrscheinlich auf der Küchentheke lag. Beinahe hatte er das verdrängt, aber nun kam alles mit voller Gewalt zurück. Jede einzelne Peinlichkeit und er wollte diesen Erinnerungen entfliehen. Ein tiefes Knurren entfuhr seiner Kehle und seine Stimmung sank weiter in den Keller, obwohl er sich ganz sicher war, den Tiefpunkt für heute erreicht zu haben. Das Sprichwort schien zu stimmen: Man sollte den Tag nicht vor dem Abend loben.  Schlimmer ging immer, das wusste er mittlerweile und er wollte es wirklich nicht hinaufbeschwören.  »Scheiße«, fluchte er leise und erschrak, als neben ihm eine Frauenstimme erklang.  »Junger Mann, Sie sehen aus, als hätten Sie einen Geist gesehen«, bemerkte Martha Koch mit einem Lächeln auf den Lippen, ihren Obstkorb im Arm haltend. Ihre knöchernen Finger tätschelten liebevoll seinen Unterarm und dann legte sie den Kopf schief. »Vielmehr sehen Sie so aus, als hätten Sie die Nacht bei einer Dame verbracht, wenn Sie mir diese Aussage gestatten.«   Ludwig brauchte einen Moment um zu begreifen, wer da neben ihm stand, bevor er sein Haupt kurz senkte und seiner Nachbarin freundlich zunickte. »Guten Morgen, Frau Koch.«   »Ach… Jetzt sei doch nicht so verklemmt, Junge.«  Spielerisch kniff Martha dem Blonden in die Wange und balancierte den Korb auf ihrem Arm. »Soll ich uns mal reinlassen?«  Der Deutsche nickte verschämt und brachte kaum ein Wort heraus. Obwohl er seine Nachbarin gut genug kannte, um ihr seinen Wohnungsschlüssel anzuvertrauen, hatte er es die letzten drei Jahre nicht übers Herz gebracht, sie zu duzen. Dafür war er schließlich viel zu anständig, weil sie sehr viel älter war als er. Martha Koch war eine sehr offenherzige Frau, die gern viel redete und es hatte nicht lang gedauert, bis Ludwig sie ins Herz geschlossen hatte, aber sie hatte ihn auch oft damit aufgezogen, dass er sie noch immer siezte.  Er spürte, wie sie ihm den Obstkorb in die Hände drückte, während sie an dem Schloss der Haustür nestelte. »Hast du deinen Schlüssel vergessen, oder warum stehst du schon seit zehn Minuten vor der geschlossenen Tür?«  Martha nahm kein Blatt vor den Mund.  »Äh, ja. Ich habe ihn gestern bei meinem Bruder vergessen«, erklärte er, um seine Weste reinzuwaschen. »Es gab gestern ein Treffen wegen seiner Hochzeit. Ich war so nervös, dass ich wohl den Schlüssel vergessen hab«, murmelte er, halb die Wahrheit sagend.  »Ach, der Bruder… stimmt ja, er heiratet ja bald.«  Martha kicherte vor sich hin. »Ich habe sie schon häufiger gesehen, wenn sie mit den Hunden spazieren war.«  Sie ist aber auch eine wunderschöne Frau. Ich frage mich immer, wann es denn bei dir soweit ist, Ludwig.«  Ludwig räusperte sich verlegen. »Sie machen sich zu viele Gedanken, Martha.«   »Ich mache mir hier als einzige Sorgen… wie alt bist du, Junge? 27? 30? Du musst dir eine Frau suchen, bevor deine Soldaten nicht mehr in Reih und Glied stehen. Ich kenne das Problem ganz gut, mein Mann und ich haben es erst versucht, da war es für uns beide bereits zu spät. Und dann ist er so früh verstorben, dass wir nicht einmal ein Kind adoptieren konnten.«  Für einen Augenblick klang sie traurig, bevor sie sich ebenfalls räusperte. »Ich will nicht, dass du irgendwann so einsam endest wie ich.«   Sie gingen gemeinsam lautlos den Weg in das erste Stockwerk hinauf, in dem ihre beiden Wohnungen lagen. Ohne ein weiteres Wort an Ludwig zu verschwenden, der seine Wohnungstür abwartend beäugte, ging Martha den Ersatzschlüssel holen und legte ihm diesen in die Hand. »Ich weiß, du hältst mich für eine alte Frau, die zu viel predigt, aber für dich wünsche ich mir nur das Allerbeste, Ludwig. Ich mag mir umsonst Sorgen machen, aber du lebst für deine Arbeit und ich kann mir vorstellen, dass irgendwo da draußen eine Dame wartet, die ein passendes Erbgut für deine Gene hat.«   Sie grinste leicht und strich ihm herzlich über die Wange, ehe sie die Wohnungstür hinter sich schloss und den blonden Deutschen im Hausflur zurückließ. Unschlüssig öffnete er seine Tür und zog sich in seine Wohnung zurück.  Für Ludwig war es nichts Sonderbares, was die alte Frau angesprochen hatte, weil sie immer sehr verschroben und verwegen übers Schicksal und Gene und verlorene Gelegenheiten sprach, aber am heutigen Tag war er besonders empfänglich für ihre Merkwürdigkeiten, weshalb er sich, endlich in seinem Heim angekommen, erst mal auf das Sofa setzte.  Sie sagte, dass seine Zeit ablaufen würde und er dachte darüber nach, dass Martha die Liebe ihres Lebens zu früh verloren hatte und dass sie nie die Gelegenheit gehabt hatte, das Alter mit dem Mann zu erleben, den sie von ganzem Herzen liebte. Dieser Gedanke machte ihn traurig und er fragte sich, ob er ihr Schicksal vermutlich teilte, weil seine Wünsche so abnormal waren und er vermutlich niemals mit der Person alt werden würde, die er von Herzen liebte.  In all diesen romantischen Büchern und Filmen, die er las und sah, war alles ganz einfach, weil er wusste, dass es ein Happy End geben würde und falls nicht, war es niemals das Ende gewesen. Aber sein Liebesleben war ganz anders, schon sein gesamtes Leben lang.  Immer wenn er etwas erwartet hatte - in der heimlichen Ecke seines Herzens - war etwas ganz anders gekommen. Er hatte schon gar nicht mehr daran geglaubt, dass ihm überhaupt etwas Glück zuteilwerden würde, jedenfalls für einen Bruchteil einer Sekunde, bevor er auf Feliciano getroffen war. Dann war der quirlige Italiener gekommen und hatte seine Welt auf den Kopf gestellt und ihm das Gefühl gegeben, als Mensch an Wert zu gewinnen. Obwohl er nie wirklich darüber nachdachte, dass er eine Chance hatte, fühlte er sich geborgen und verstanden, obwohl sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Ludwig schalt sich selbst für diesen Gedanken. Feliciano war von Anfang an jemand gewesen, der seine Zuneigung Frauen gegenüber offen dargelegt hatte und nur, weil er Ludwig als Kollegen offenbar mochte, konnte er nicht gleich einen solchen Aufriss starten und behaupten, der Italiener hätte sein Leben verändert.  All diese Zeichen, die dieser gesendet hatte, waren nur ein Trugbild gewesen, um Ludwig in eine Falle laufen zu lassen. Vermutlich hatte Gilbert das ganze so aufbereitet, dass man ihn am Tag der Hochzeit bloßstellen würde und das wäre ein Meisterwerk geworden. Wenn Ludwig nicht Wind davon bekommen hätte.  Feliciano Vargas war ein bittersüßer und bezaubernder Köder und Ludwig musste zugeben, dass sein Herz jedes Mal einen Sprung machte, wenn er an ihn dachte oder an die Dinge, die sie gemeinsam erlebt hatten, auch wenn das alles nur Show gewesen war.  Während Martha von einer schönen Frau mit guten Genen gesprochen hatte, war Ludwig die ganze Zeit über das Gesicht des Italieners in den Sinn gekommen und in seiner Brust hatte ein faustgroßes Loch geklafft bei dem Gedanken daran. Er wollte keine leiblichen Kinder oder eine offenbar zur Schau gestellte Familie, wenn er mit jemandem alt werden konnte, den er liebte und der genauso für ihn empfand und diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag.  Gilbert war ein verdammter Bastard, dass er ihm dieses Leben vor Augen führte und mit einem Augenzwinkern eine Welt zerstören konnte, die er sich so sehnlichst herbeiwünschte.  Wenn Feliciano Vargas ihn lieben würde… wäre es das größte Glück, das ihm je zustoßen konnte, auch wenn dieser Traum in weiter Ferne lag und er erst einmal die Schande durchstehen musste, dass man ihn komplett aufs Horn genommen hatte.  Würde er jemals in seinem ganzen Leben für einen Menschen so etwas empfinden können oder lag seine Zukunft so dar, wie die von Martha, die einmal geliebt hatte und ihrem Mann treu geblieben war? Ihm blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn das Klingeln an der Tür holte ihn aus den Gedanken. Irgendjemand wollte mit ihm sprechen doch dazu war er längst nicht in der Lage. Am liebsten wollte er sich das ganze Wochenende daheim verkriechen und zumindest einen Teil von dem gut machen, was er in den Sand gesetzt hatte, wegen des schönen Italieners.  Er musste für seine Klasse noch einen neuen Test festlegen und ihnen diesen schmackhaft machen. Ludwig brauchte die Noten für diese Klasse unbedingt. Er konnte diese Kleinigkeit nicht einfach auf sich beruhen lassen und die Schüler waren interessiert genug, um ihre Noten wissen zu wollen. Seufzend schlug er die Hände über den Kopf zusammen und wartete, bis das Schellen erstarb. Es dauerte eine ganze Weile, aber schließlich nahm er eine der Decken, die er für gewöhnlich für die Hunde verwendete und zog sie sich über die Beine. Heute war ihm alles egal und morgen konnte er immer noch für Ordnung sorgen, wenn ihn die Hundehaare wirklich störten, dachte er grimmig. Ob ihn das wirklich störte, bezweifelte er jedoch, während er seinen Kopf auf die Lehne abstützte und die Augen schloss.  Wer auch immer zu ihm Kontakt aufnehmen wollte, gab relativ schnell nach und er driftete in einen unruhigen Schlaf hinab, während seine Gedanken sich fortwährend mit Feliciano beschäftigten. Sein Schlaf hielt nicht lang genug an, um ihm Entspannung zu bieten, aber als er ein Knarren vernahm und eine Tür in seiner Wohnung aufgeschoben wurde, schreckte er hoch.  Seine Gedanken rasten. Hatte er sich das Geräusch gerade nur eingebildet oder war da wirklich etwas gewesen? Es hätte auch gut sein können, dass ihm seine Fantasie einen Streich spielte, weil er fortwährend mit anderen Gedanken beschäftigt war. Normalerweise waren Geräusche in seiner Wohnung kein Problem, aber diesmal war er allein, seine Hunde bei seinem Bruder und das einzige Geräusch, das er hin und wieder vernehmen sollte war das Klacken der Uhr seines Großvaters.  Erst, als er hörte, wie etwas laut klapperte und sich das Knistern wiederholte, stand er auf und nahm sich das erst beste Werkzeug, das er erreichen konnte und schlich zur Wohnzimmertür, um in den Flur zu spähen. Seine schwarze Taschenlampe in beiden Händen wog schwer und damit konnte er vermutlich jemanden ohnmächtig schlagen, wenn er die richtige Stelle am Kopf traf. Spätestens jetzt war er sich ganz sicher, dass sich jemand Zugang zu seiner Wohnung verschafft hatte, denn er hörte jemanden leise schnaufen und Tüten durchwühlen.  Als Ludwig endlich an der Küchentür angekommen war, entwich ihm alle Farbe aus dem Gesicht. Hinter seiner Küchentheke stand leise summend… Feliciano Vargas, der sich am Brötchenkorb zu schaffen machte und warm dampfende Laibchen hineinwarf.  Wie ertappt hob der Italiener plötzlich seinen Kopf und starrte Ludwig aus großen, angsterfüllten Augen an. »Aaah, du bist ja zuhause! Ich…«  Seine Stimme stockte, während zwei der Brötchen über den Tresen auf den Boden kullerten.  Wie ein verschrecktes Reh verharrte Feliciano in dieser Position, während Ludwig spürte, dass Röte sein Gesicht erklomm. »Was machst du in meiner Wohnung und wie bist du überhaupt reingekommen?«   Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Feliciano die Sprache wiederfand, weil er seine Lippen ein paar Mal öffnete und schloss, ohne ein Wort herauszubekommen, aber seine Stimme war einigermaßen gefasst, als er diesmal ansetzte. »Ich habe Brötchen mitgebracht… ich dachte, vielleicht willst du frühstücken?«  Ein schiefes Lächeln legte sich über seine Lippen und Ludwig bemerkte das Zittern in seinen Händen, während er die Tüte mit den Backwaren fester an sich drückte.  »Das beantwortet nicht meine Fragen!«, stellte Ludwig gereizt fest und verschränkte die Arme vor der Brust, die schwarze Taschenlampe noch immer in der Hand haltend.  »Gil- Gilbert hatte den Schlüssel aus irgendeinem Grund. Er sagte, er hätte ihn wohl gestern ausversehen eingesteckt und… i-ich wusste nicht, ob du in deine Wohnung kommst, also dachte ich, ich bringe ihn dir und… ich wollte nicht mit leeren Händen aufkreuzen, also hat mich Gilbert zum Bäcker und in den S-Supermarkt gefahren, damit… wir frühstücken können.«   Felicianos Antworten unterstützten Ludwigs These, dass Gilbert überall seine Finger im Spiel hatte und so nervös, wie der Italiener gerade wirkte, konnte er gleichermaßen eine Marionette sein wie selbst in das Spiel involviert sein. Ludwig hatte keinen blassen Schimmer, was er glauben sollte, also entschied er sich dafür, bedrohlich zu wirken und die schwere Taschenlampe vor sich auf die Küchentheke abzulegen.  »Ist es in Italien üblich, in fremde Häuser einzubrechen, obwohl einem die Erlaubnis fehlt?«, murmelte Ludwig mit hochgezogener Augenbraue und taxierte den kleineren Mann argwöhnisch.  »Na-natürlich nicht, ich… Scusate… e-es tut mir wirklich leid, Ludwig. Ich dachte mir nichts Böses dabei, ich wollte nur, dass du nach den Strapazen des gestrigen Abends und den Unannehmlichkeiten des Morgens ein schönes Frühstück hast, wenn du nach Hause kommst, ve.«  Der Italiener senkte den Kopf. »Alles was ich mache ist falsch, ve. Du hast vermutlich recht und ich bin eingebrochen, also werde ich…«  Ohne ein weiteres Wort zu sagen, schloss er seinen Mantel und stieg über die am Boden liegenden Brötchen hinweg um die Wohnung zu verlassen.  Ludwig schnappte ihn gerade rechtzeitig am Kragen und drückte ihn gegen den Türrahmen. »Wohin willst du nun wieder verschwinden?«, bellte er ihn an. Feliciano zuckte merklich zusammen und erstarrte wieder zu einer Salzsäule. »Uaaah, Ludwig.«   »Du bleibst schön hier und beseitigst die Unordnung auf dem Boden und danach bereitest du mir das Frühstück zu, wie du gesagt hast«, endete Ludwig schließlich und knöpfte Felicianos Mantel umständlich wieder auf und nahm ihm diesen ab. »Ich werde unter die Dusche springen und du kannst deines Amtes walten. Aber lass die Küche heile und vor allem sauber.«  Ludwig wartete gar nicht erst auf die Antwort des Italieners, sondern verschwand, um den Mantel in die Garderobe zu hängen und schließlich ins Bad, um sich einigermaßen zurecht zu machen. Kapitel 17: Das Bad Touch Trio in Action ---------------------------------------- Samstag, 15. Oktober Gilbert drehte das Bierglas in seinen Händen und starrte auf den Schaum, der sich langsam verflüchtige. Er lächelte der Kellnerin müde zu, die ihm einen sehr eindeutigen Blick über die Schulter zuwarf. Er hatte eine solche Wirkung auf Frauen, auch wenn ihm nur die eine im Kopf herum spukte und bei dem Gedanken an Elizabeta kribbelte es ein wenig in seinem Magen, ehe er dieses Gefühl mit Bier fortspülte. Obwohl er sich auf die Hochzeit freute, war es ihm unangenehm, wie ein verliebter Idiot dreinzublicken und sich Elizas wunderschönes Lächeln und die funkelnden grünen Smaragde vorzustellen, die auf ihn schmelzen ließen.  Er war wie gewöhnlich überpünktlich, wenn er sich mit seinen Jungs zum Trinken traf und es störte ihn auch nicht sonderlich, weil sie in den letzten zwölf Jahren regelmäßig hergekommen waren. Gilbert war immer der erste der drei, obwohl er es ansonsten bevorzugte, ganz besonders, wenn er sich mit Ludwig traf, mindestens eine Viertelstunde zu spät zu kommen.  Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine Gestalt auf den Tisch zukommen und kurz darauf ließ sich Francis ihm gegenüber nieder.  »Oh, unerwartet pünktlich heute«, bemerkte Gilbert mit einem leichten Grinsen auf den Lippen, während er an seinem Bier nippte.  »Oui, heute Morgen war die Deadline für den Artikel über Louna Auditore fällig und ich habe daher den restlichen Tag frei genommen.«  Der blonde Franzose erwiderte Gilberts Mimik und winkte die hübsche Kellnerin heran. »Ich hätte gerne die Nummer drei auf der Weinkarte, danke. Achja, bitte als Flasche.«  Er zwinkerte ihr verwegen zu und sichtlich beschämt grinste die Kellnerin, jedoch nicht ohne einen Seitenblick auf Gilbert zu werfen.  »Nichts gegen diese wunderschöne Maus, aber ich vermisse Joan schon ein wenig. Sie hat ohne Worte verstanden, was wir brauchen…«  Sehnsüchtig schweifte sein Blick in die Ferne und Gilbert seufzte.  »Weißt du, es ist deine Schuld. Du hast sie verjagt mit deinem Antrag.«  »Es war die unverdorbene Liebe, die mich dazu verleitet hat, sie zu meiner Frau machen zu wollen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie ein Wildfang ist und lieber die Welt sehen will, statt sich mit mir in ein hübsches Vorstadthäuschen zurückzuziehen und wunderschöne Kinder in die Welt zu setzen.«  Gespielt dramatisch warf Francis den Kopf in den Nacken und strich sich die Haare aus dem Gesicht.  »Warum klingen deine Pläne immer so verdammt widerlich, obwohl sie eigentlich recht anständig sind. Liegt es an dir oder…«   »An meinem Charme. Das ist die Aura eines Mannes in der Blüte seines Lebens, die jeden erreicht, der dafür empfänglich ist.«   Gilbert verdrehte die Augen und stieß Francis spielerisch vor die Stirn. »Kein Wunder, dass sie gegangen ist, wenn du so einen Stuss von dir gibst. Es kann ja nicht jeder so ein Frauenexperte sein wie ich.«   »Warum dir Elizabeta verfallen ist, wissen wir bis heute nicht, aber irgendetwas musst du wohl richtiggemacht haben.«  Francis grinste provozierend und faltete seine Hände unter dem Kinn zusammen, während die Kellnerin den Wein und ein Glas brachte. »Merci, beauté.«   »Wo bleibt eigentlich Antonio? Hat er wieder verschlafen oder hat ihn der Jetlag gepackt?«   »War er die letzten drei Wochen nicht in Spanien? Ich bezweifle, dass man da vom Jetlag sprechen kann.«   »Ich habe keinen blassen Schimmer.«  Gilbert holte sein Handy hervor und checkte seine Nachrichten. »Geschrieben hat er jedenfalls nichts, vermutlich hält er tatsächlich noch…«  Bevor er es aussprechen konnte, ging die Tür des Lokals geräuschvoll auf und über die Köpfe aller Anwesenden hinweg hörten sie den lauten Spanier rufen. »Perdona!«  Ein paar Sekunden später quetschte er sich neben Francis auf die Bank und grinste verlegen in die Runde. »Ich habe ein wenig… verschlafen. Die Siesta war wirklich gut.«  Ein Rotschimmer lag auf seinen Wangen, doch Gilbert dachte sich nichts dabei und räusperte sich.  »Nachdem wir es nun alle geschafft haben anzukommen…«  Er winkte die Kellnerin herbei, die auch Antonios Bestellung aufnahm und als alle mit Getränken versorgt am Tisch saßen, hob der Weißhaarige das neu aufgefüllte Bierglas hoch. »Wir müssen es heute so richtig krachen lassen!«   Antonio und Francis starrten ihn einen Augenblick argwöhnisch an. »Hattest du eine so harte Woche?«, murmelte der Franzose und grinste pervers. »Ihr wollt doch nicht etwa noch vor der Hochzeit einen kleinen Gilbert zeugen?«   Gilbert prustete los und verschluckte sich beinahe an seinem Bier, während er Francis einen zweifelnden Blick zuwarf. »Nein? Ich meine…, wenn es passiert, ist es nun mal so, aber ich glaube nicht, dass wir soweit sind. Ich wäre vermutlich ein furchtbarer Vater. Ich hatte kein besonders gutes Vorbild.«   »Das hatte ich auch nicht und ich bin gar prächtig geworden, non?«  Francis zwinkerte und grinste leicht, während er ebenfalls etwas vom Wein abtrank.  »Wenn man von deinen Frauengeschichten absieht«, murmelte Antonio und nahm einen recht großzügigen Schluck von seinem Bier.  »Warum geht es immer um mich und mein Liebesleben?«, protestierte Francis und schürzte die Lippen. »Ihr tut ja beinahe so, als wärt ihr nicht selber die schlimmsten Schürzenjäger in der Uni gewesen. Ich erinnere mich an Wochenenden, an denen du jeden Abend eine andere Frau mit auf unser Zimmer gebracht hast, Toni.«   Ertappt rieb sich Antonio den Nacken und nickte zustimmend. »Frankreich mag zwar für die Liebe bekannt sein, aber wir Spanier haben die Leidenschaft erfunden, die unsere Liebhaber flüssig in unseren Händen macht.«   Gerade als Francis etwas darauf erwidern und seinen Stolz verteidigen wollte, klingelte Gilberts Handy und zog die Aufmerksamkeit aller auf sich. »Das ist doch…«  Ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Lippen und er schob das Handy schnell in seine Tasche zurück, ehe jemand das Bild sah, das Feliciano ihm gerade geschickt hatte. »So ein lucky Bastard.«   »Hat dir deine Liebste eine Aufnahme im Evakostüm geschickt?«  Francis hob verspielt die Augenbrauen und lehnte sich neugierig zu Gilbert hinüber.  »Nichts dergleichen«, versicherte ihm der Deutsche und wirkte sehr zufrieden. »Das war Elizas Bruder, Feliciano.« »Was, er schickt dir Nacktbilder?«, prustete Antonio los, erntete aber nur einen bösen Blick von Gilbert.  »Was? Nein! Er hat mir nur seine Fortschritte gezeigt. Aber das geht euch rein gar nichts an.«   »Und warum hört es sich dann so an, als würde uns das sehr wohl etwas angehen? Das klingt wie einer dieser Pläne, die wir früher immer geschmiedet haben.«  Sofort war der Spanier Feuer und Flamme für die Unterhaltung. »Welche perfiden Pläne schmiedest du ohne uns und viel wichtiger ist die Frage: Warum?«  »Wie ‚warum‘? Ich… Herr Gott, es ist nicht so wie ihr denkt. Ich will niemanden verarschen oder so. Ich will Amor spielen und ihr beide würdet mir die Tour ordentlich vermiesen.«  Gilbert kicherte nervös vor sich hin. »Ich glaube außerdem nicht, dass die besagten Personen es gut finden würden, wenn noch mehr in diesen Fall involviert werden.«   »Oh, eine Liebesgeschichte. Comment excitant! Warum vertraust du uns den Fall nicht an, wir beide sind doch quasi Experten in der Liebe, im Gegensatz zu dir. Ich meine, du hast natürlich eine schöne Dame gefunden, die dich erträgt, aber ich glaube kaum, dass dich das dazu qualifiziert, andere ins Verderben zu stürzen!«   Ein leises Knurren erklang und Gilbert funkelte Francis böse an. »So, das glaubst du also? Bisher ist es ganz gut gelaufen und nur dank mir haben die beiden die gestrige Nacht miteinander verbracht!«  Stolz klopfte sich Gilbert auf die Brust. »Und dieses Bild von gerade eben… oh ja.«  Seine Miene war undurchdringlich und sein Blick schweifte ab.  »Du musst uns nichts erzählen, wir können diesen Feliciano auch einfach selber fragen, mit welcher Schönheit du ihn verkuppeln willst. Ich glaube kaum, dass es dir recht ist, wenn wir ihn so direkt belagern…«  Der Spanier leerte sein Bier und legte seinen Arm brüderlich um Francis. »Überlass das einfach uns.« »N-nein! Ihr habt ja keine Ahnung…«  Gilbert wurde nervös, weil seine Freunde weitaus scharfsinniger waren, als er ihnen zutraute.  »Dann hilf uns auf die Sprünge. Wir können deine Gedanken nicht lesen, mon ami.« Gilbert starrte einen Augenblick auf seine Hände, ein wenig schüchtern und gänzlich in Gedanken versunken. Sollte er Antonio und Francis wirklich von seinem Plan erzählen, Feliciano und Ludwig zusammenbringen zu wollen? Seine Freunde waren Tunichtgute, die seine Aufgabe ganz sicher nur halb so ernst nahmen wie er und wenn Ludwig jemals davon erführe, würde er ihn erwürgen oder verbrennen oder vierteilen. Oder einfach alles zusammen.  Aber jetzt, da er den beiden ohnehin schon genug Hinweise geliefert hatte, dass sie selbst darauf kommen konnten, wenn sie nur ein wenig forschten, seufzte er nur und senkte den Blick. »Ich schwöre euch, wenn einer von beiden davon erfährt und ich herausfinde, dass sie es von einem von euch wissen, dann werde ich sowas von die Katze aus dem Sack lassen, sodass jeder in eurem hochgeschätzten Umkreis die dreckigsten und miesesten Geheimnisse über euch zu hören kriegt.«  Recht unbeeindruckt zuckte Francis mit den Schultern. »Nur zu, Gil. Ich habe Kätzchen fauchen hören, die gefährlicher waren als du.«   Antonio boxte dem Franzosen in die Seite. »Sei still, so verrät er uns kein Wort.« Gilbert bereute jedes Wort, aber er räusperte sich dennoch, um seinen Plan zu offenbaren. Wenn Elizabeta davon erfuhr, würde sie die gute alte Bratpfanne in ihren Alltag zurückbringen und dann hatte Gilbert nichts mehr zu lachen.  »Es geht um… meinen Bruder.«   Irritiert legte Francis den Kopf schief. »Ludwig? Und was ist mit diesem Feliciano, von dem du uns gerade erzählt hast? Ist das hinfällig?«  »N-nein.«  Gilbert brauchte einen Augenblick, um seine Antwort in Worte zu fassen, dann taxierte er seine Freunde eindringlich.  Gilbert wählte seine Worte mit Bedacht. »Wie soll ich sagen… es gibt da Zeichen, dass sich mein kleiner Bruder und der von Eliza nähergekommen sind, bevor wir die beiden überhaupt einander vorgestellt haben. Sie… scheinen ein gewisses… Interesse füreinander zu hegen und Elizabeta und ich… haben überlegt, ob es nicht sinnvoll wäre, ihnen etwas unter die Arme zu greifen.«  Er räusperte sich. »Die beiden wissen jedoch nichts von ihrem Glück, also…«  Seine Stimme stockte und er brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu sortieren.  Francis kam ihm jedoch zuvor. »Wie kannst du das alles in diesem ernsten Tonfall sagen, ohne zu lachen?«, fragte er ohne jede Regung auf seinem Gesicht und er starrte Gilbert eindringlich an. »Wir reden hier von Ludwig.«   Der Spanier zeigte eine ähnliche Reaktion und legte den Kopf schief. »Bist du dir da sicher? Ich meine… Ludwig… er… ist er denn… schwul?«   »Ob er schwul ist weiß ich nicht, aber er hatte zumindest mal Interesse an ‘nem Kerl, als er jünger war. Ich habe die beiden… erwischt.«  »Gil, vielleicht war er damals einfach nur neugierig. Du weißt doch selbst, dass eine solche Erfahrung die Sexualität nicht definiert.«  Ein süffisantes Grinsen zog sich über Francis Lippen. »Oder sind wir alle plötzlich bisexuell?«  Er sah zwischen seinen Freunden hin und her, die beide plötzlich rot wurden.  »N-natürlich nicht! Halt die Klappe, Francis.« Gilbert senkte seinen Blick und stürzte das Bier in einem Zug hinunter, ebenso wie Antonio. Beide ertrugen es nicht, ihm in die Augen zu sehen.   »Ihr seid eindeutig zu verklemmt. Die Liebe ist nichts, wofür man sich schämen sollte und ob man sie unter Freunden oder Verliebten praktiziert, welchen Unterschied macht das schon? Ich gehe ohnehin davon aus, dass man sich ein Leben lang nicht auf eine Seite beschränken sollte. Vielleicht ist dieser Jemand für Ludwig nun mal wichtig. Ludwig muss nicht schwul sein und das ist, glaube ich, auch hier nicht der Punkt.«  Francis warf den Kopf zurück und starrte einen Augenblick die Decke an, bevor er fortfuhr. »Du willst diese unglücklichen Seelen also zusammenführen, non?«   »Ja«, antwortete Gilbert schlicht.  »Gibt’s dann eine Doppelhochzeit?«, rief Antonio dazwischen und erntete einen bösen Blick von seinem Gegenüber.  »Toni, nimm das gefälligst ernst!« Gilbert glaubte für einen Moment, dass es ja gar nicht so schlimm werden konnte, wie er erst dachte und im nächsten Moment sah er vor seinem geistigen Auge die bratpfannenschwenkende Elizabeta, wie sie ihn und seine beiden Freunde zum Teufel jagte.     Kapitel 18: In Erklärungsnot ---------------------------- Samstag, 15. Oktober Als Ludwig die Dusche verließ und sich abtrocknete, hörte er Feliciano in der Küche laut auf Italienisch vor sich hinsingen. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, während er sich die Haare trocken rubbelte und in einen bequemen Trainingsanzug schlüpfte. Für einen Moment überlegte er, ob er sich nicht etwas Schickeres anziehen sollte. Zum Glück musste er Feliciano noch nicht gegenübertreten, um seine Kleiderauswahl noch einmal zu überdenken, weil der einzige Zugang zum Badezimmer über das Schlafzimmer führte, aber schließlich zuckte er doch mit den Schultern und entschied sich, die legere Kleidung beizubehalten. Immerhin war doch heute sein freier Tag und Feliciano vollkommen unerwünscht in seine Wohnung eingebrochen.  Er machte sich nicht einmal die Mühe, sein Haar wie in üblicher Manier nach hinten zu frisieren, sondern ließ die blonden Fransen in seiner Stirn hängen. Der Reißverschluss des dunkelgrünen Trainingsanzugs war bis knapp über seinen Bauchnabel zugezogen und entblößte dank des schwarzen Tanktops darunter nur den Nacken und seinen Hals.  »Moment mal, wo ist denn…«, hörte er Feliciano vor sich hinmurmeln und er verließ das Schlafzimmer wortlos. Wie ein Löwe, der die Antilope im Auge behielt schlich er in die Küche und beobachtete den schwer beschäftigten Italiener, wie er auf Zehenspitzen versuchte, etwas aus dem oberstem Fach zu greifen. »Das ist doch… ve. Ist diese Küche für Riesen gebaut?«  »Nein, sie ist nur auf meine Größe abgestimmt.«  Feliciano zuckte merklich zusammen, als er Ludwig bemerkte und er hielt sich zitternd am unteren Regal fest, was zur Folge hatte, dass eine Schale sich von ihrem Platz löste und Feliciano auf den Kopf fiel.  »Autsch!«  Der Italiener rieb sich die Stelle und bemerkte dann, dass Ludwig ihn eindringlich ansah. »Scusa! Ich wollte keine Unordnung machen, aber ich… komme da einfach nicht dran. Ich wollte Rührei machen, aber die Schüsseln sind alle zu klein, bis auf die eine, die da ganz oben im Schrank ist.«  Er seufzte.  »Die Blaue?«  Ludwig trat hinter den kleinen Italiener, der nickte, und hob problemlos die Schüssel aus dem Schrank, um sie seinem Gast zu überreichen. Sie standen unmittelbar nebeneinander und Ludwigs Blick war vieldeutig.  »Grazie, Ludd- Ludwig. Ich… setz dich doch, es ist alles vorbereitet. Das Rührei dauert nicht lang. Ich hoffe du magst Rührei.«  Ludwig nickte nur wortlos und ging hinüber zum Tisch, der reichlich gedeckt war mit allerlei Dingen, die er sonst nie zum Frühstück aß.  Er bemerkte, dass die Brötchen mittlerweile abgekühlt waren und dass ein prall gefüllter Korb mit Obst in der Mitte stand. Wurst, Käse und Schinken war ordentlich und ansehnlich auf weißem Geschirr drapiert und neben der Butter lagen drei verschiedene Arten von Messer. Zwei Tassen Kaffee dampften vor sich hin und da Feliciano offenbar nicht wusste, wie Ludwig seinen Kaffee mochte, waren Milch und Zucker nicht fern.  Da Feliciano noch beschäftigt war, nahm Ludwig die Zeitung, die der Italiener offenbar mit hochgebracht hatte und blätterte interessiert die ersten Seiten durch. Immer wenn er seinen Blick hob und den Italiener betrachtete, stockte dieser in seiner Arbeit, nur um dann deutlich nervöser daran weiterzuarbeiten.  Wenn Ludwig seine Aufmerksamkeit der Zeitung widmete, spürte er jedoch den eindringlichen Blick des Italieners auf sich. Er hatte keinen blassen Schimmer, was diese Spielchen sollten und ob das Teil von Gilberts perfidem Plan war. Vielleicht hatte Feliciano einfach Angst, dass er aufgeflogen und der ganze Spaß vorbei war.  Ludwig wollte nicht so schlecht von seinem Bruder und erst recht nicht von Feliciano denken, aber er war sich unsicher, worauf er sich da eingelassen hatte und ob sein Kopf ihm nicht vielleicht einen Streich spielte. Feliciano konnte diesen Kuss unmöglich ernst gemeint haben, denn er hatte sonst nie auch nur ansatzweise angedeutet, dass er irgendein ernst gemeintes Interesse an Ludwig hatte. Sie waren zwar zusammen essen gegangen, aber das war unmittelbar, nachdem er von Feli als Freund betitelt worden war und dann war in kurzer Zeit alles ziemlich merkwürdig geworden.  Diese Umarmung in der Schule und Felicianos Aussage der Schülerin gegenüber, dass sie nur gute Freunde waren und dann diese völlig verrückte Nacht, in der sie einander in den Armen gehalten hatten… Ludwigs Herz klopfte ihm bis zum Hals und er hasste diese Reaktion. Er hasste es, dass er sich Hoffnungen machte, während es für Feliciano vermutlich alles ein dummes Spiel war.  Aber warum kam er dann angelaufen um sich zu entschuldigen und ihm Frühstück herzurichten? Wollte er sich das schlechte Gewissen reinwaschen oder was beinhaltete der Plan? Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Feliciano ihm besorgt die Hand auf die Schulter legte und ihn eingehend musterte. »Luddy? Ist alles in Ordnung? Du wirkst so…«  Der Brünette kam gar nicht erst dazu, seine Bedenken zu äußern, weil der Deutsche bereits abwinkte.  »Alles ist gut, Feli. Ich habe nur über ein Ereignis in der Nachbarschaft nachgedacht«, log er und spürte die Hitze auf seinen Wangen brennen. Er war kein besonders guter Lügner, aber Feliciano konnte teilweise sehr begriffsstutzig sein und darauf baute er nun.  Erleichterung legte sich auf das Gesicht des Kleineren und er setzte sich auf den Platz gegenüber von Ludwig. »Dann ist ja gut. Ich dachte schon, du wärst mir böse…«  Seine Stimme stockte kurz, bevor er hinzufügte: »Ich weiß, ich kann eine Nervensäge sein, aber ich will nicht, dass du sauer auf mich bist.«  Ludwig spürte ein merkwürdiges Flattern in seinem Magen und seine Finger kribbelten vor Aufregung, aber er schalte sich einen Idioten, jetzt auf Felicianos Engelszunge hineinzufallen. »Wenn du das Chaos danach wieder beseitigst, soll mir das recht sein«, sagte Ludwig ernst.  »Es geht nicht um die Unordnung, Luddy. Es geht um den Kuss«, murmelte der Italiener frei heraus, sodass sich Ludwig am heißen Kaffee verschluckte, an dem er gerade nippte.  Er hatte nicht erwartet, dass Feliciano gleich mit der Tür ins Haus fallen würde und es dauerte einen Moment, bis er sich gefangen hatte. »Was redest du da, Feliciano?«, tadelte Ludwig ihn. »Ich habe dich geküsst«, sprach der Italiener das offensichtliche aus und entlockte Ludwig ein verärgertes Seufzen.  »Daran erinnere ich mich!«  »Ja, aber…«  Feliciano rührte das Essen nicht an, sondern faltete seine Hände ineinander, was der Deutsche als Geste der Reue wahrnahm. »Du hast den Kuss erwidert.«  »Ist gut, Feliciano. Wir müssen darüber nicht reden. Am besten vergisst du das einfach wieder und wir vergraben das Thema dort, wo es niemand je wiederfindet«, antwortete Ludwig monoton, während er sich ein Brötchen aufschnitt und das Thema zu wechseln versuchte.  »Ich will das aber nicht, Ludwig.«  Die Stimme des Italieners zitterte ein wenig, während er das sagte, doch sein Gesicht wirkte ernst und seine Augen waren auf Ludwig fixiert. »Ich will das Thema nicht vergessen oder vergraben. Ich will darüber reden und erklären, wie es dazu kam!«   »Das kann ich mir denken, ohne dass du das hier so detailliert ausbreitest«, widersprach Ludwig seinem Gast und machte Anstalten aufzustehen. Er konnte sich das nicht länger anhören und bereute schon, Feliciano nicht von vorn herein herausgeworfen zu haben, doch er wollte eine gute Beziehung zu ihm beibehalten, weil sie Arbeitskollegen waren und ihre älteren Geschwister einander heiraten würden, aber nun brannte eine Sicherung in Ludwig durch. »Hör einfach auf, mir das Thema aufdrängen zu wollen. Ich will davon nichts hören!«  Ihm war bewusst, dass er sich anhörte wie ein rebellischer Teenager, der von seinen Eltern gerade kritisiert worden war doch er wollte einfach nur, dass es aufhörte.  »Ludwig, hör mich an, ich will dir etwas Wichtiges sagen…«  Feliciano machte einen Satz auf Ludwig zu und griff nach dessen Händen, die ihm augenblicklich entzogen wurden.  »Halt die Klappe! Hör einfach auf zu reden und verschwinde! Verschwinde aus dieser Wohnung und aus meinem Leben und… tu dir keinen Zwang an, sag Gilbert, dass ich mich von ihm nicht verarschen lasse!«  Nun brüllte Ludwig. Sein ganzer Körper zitterte vor Wut. Er starrte auf den Italiener hinab und konnte nicht verhindern, dass sich Tränen in seinen Augen bildeten, die er mit purer Willenskraft zurückhielt. Er würde keinem von beiden die Genugtuung gönnen, ihn jemals so zu sehen und drehte sich auf dem Absatz herum.  Gerade, als er über die Türschwelle ging und sich ins Schlafzimmer zurückziehen wollte, spürte er, wie schon am Abend zuvor einen warmen Körper an seinen Rücken geschmiegt und Arme, die ihn fest umklammert hielten. »Hör auf so einen Blödsinn zu reden, Ludwig. Du machst mir Angst!«  Ein Schluchzen erklang und der Deutsche erstarrte in seiner Bewegung. »Du machst mir Angst, weil du so seltsames Zeug redest und ich will nicht, dass du denkst, dass ich oder Gilbert Spielchen mit dir treiben! Ich habe dich geküsst, weil ich es wollte und nicht, weil ich mir einen Spaß daraus gemacht habe!«   Ludwig zog hörbar die Luft ein und Schwindel packte ihn, sodass er sich an der Wand im Korridor abstützen musste, mit dem ganzen Gewicht von Feliciano auf ihm, und er senkte seine Stirn gegen die kühle Wand. War ihm schon die ganze Zeit so warm gewesen oder hatte er sich in Rage geredet?  Sein Herz klopfte und das Blut rauschte in seinem Kopf, ließ ihm keine Chance über das gerade Gesagte nachzudenken, sondern zwang ihn zu einer Antwort. »Wa-warum? Warum ich?«  Das war vermutlich die blödeste Frage, die er hätte wählen können, aber Felicianos Griff um seinen Bauch wurde fester, inniger.  »Ich weiß nicht. I-ich hab in deine Augen gesehen und dann… dann war da dieses Bedürfnis und… b-b-bevor ich klar denken konnte, hatte ich dich geküsst und a-alles hat sich plötzlich so richtig angefühlt. Ich habe keine Ahnung, warum und wieso ausgerechnet du und… ich will dich jetzt wirklich nicht loslassen, weil ich Angst habe, dass du verschwindest und mich hier zurücklässt und ich dann von der Polizei weggeschleppt werde, weil…, weil…«  Feliciano schniefte vor sich hin und vergrub sein Gesicht in Ludwigs Rücken, Worte murmelnd, die unverstanden verloren gingen.  Es kostete Ludwig einiges an Überwindung, aber schließlich schaffte er es sich irgendwie aus der Umklammerung des Italieners zu befreien, bevor er ihn an den Oberarmen packte, ihn exakt eine Armlänge von sich weghielt und das tränenüberströmte Gesicht von Feliciano Vargas eingehend studierte. Er hätte schwören können, dass in einer Ecke seines Herzens irgendwo ein kleines Stückchen herausgebrochen war, weil er Feliciano in eine solche Situation manövriert hatte. Augenblicklich fühlte er sich schlecht und beugte sich zu dem Italiener hinüber, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken. »Es tut mir leid, Feli. Es tut mir wirklich aufrichtig leid.«  »Was t-tust du denn da? Ich sollte mich bei dir entschuldigen.«  Der Italiener wischte sich mit dem Hemdärmel über die Augen und senkte den Kopf. »Du denkst jetzt bestimmt ich bin eine Heulsuse oder so.«  »Das denke ich nicht… ich… war ein Arschloch, Feli. Tut mir leid, dass ich dich zum Weinen gebracht habe. Ich habe wirklich nicht darüber nachgedacht, wie du dich fühlst. Ich habe nur an mich gedacht und wurde wütend, ohne mir deine Sicht der Dinge anzuhören.«  Ludwig drückte Feliciano dicht an sich und legte seinen Kopf auf der Schulter des Italieners ab. »Ich habe dir Dinge vorgeworfen, die nur in meinem Kopf existierten.«  »Warum solltest du überhaupt darüber nachdenken müssen, ob dich jemand zum Spaß küsst oder es ernst meint? Das ist… traurig. Ludwig, ich würde so etwas nie tun und Gilbert liebt dich wirklich!«  Feliciano vergriff sich in Ludwigs Trainingsjacke und lehnte sich vertrauensvoll an Ludwigs Halsbeuge.  Jetzt, da Feliciano es offen aussprach, klang seine Befürchtung vollkommen bescheuert, aber er war fest davon überzeugt gewesen und es hatte schwer auf seinen Schultern gelastet, nach einem Abend wie dem gestrigen, der ihm wirklich Spaß gemacht hatte. Ludwig schloss die Augen und schlang seine Arme um Feliciano. »Ich hatte Angst, dass es alles ein Traum ist und er wie eine Seifenblase vor meinen Augen zerplatzt. Der Gedanke, dass mir etwas so Gutes widerfahren sollte schien absurd. Warum…«  Er stockte. Das letzte was er nun wollte war, in Selbstmitleid zu versinken, also drückte er Feliciano einen Kuss aufs Haar.  »Du hast also das Bedürfnis gehabt, mich einfach so zu küssen?«  Ludwig löste sich etwas von dem warmen Körper des Italieners und versuchte, dem Blick des Brünetten standzuhalten. »H-hast du das Bedürfnis jetzt gerade… auch?«  Unsicher biss er sich auf die Unterlippe und er musste an Feliciano vorbei an die weiße Wand schauen. Er konnte es nicht ertragen, wie sein Körper auf diesen Mann reagierte und dass es ihm beinahe die Luft zum Atmen nahm, ihm so nahe zu sein und ihn so dicht bei sich zu spüren, mit dem Gedanken, wie es sich anfühlen würde, diese Lippen noch einmal zu berühren, diesmal in der Gewissheit, dass es kein Scherz war.  »Küss mich, dann erfahren wir es, Ludwig«, verlange Feliciano lächelnd, während er seine Finger in Ludwigs Nacken verschränkte.  Es dauerte einen Augenblick, bis Ludwig den Mumm hatte, dieser Aufforderung nachzukommen, aber schließlich verdrängte er seine Nervosität in die hinterste Ecke seines Kopfes und presste seine Lippen bedächtig auf die von Feliciano.  In seinem Magen rumorte es und sein Herz schlug schneller als jemals zuvor, beinahe so, als würde es jeden Moment aus dem Brustkorb hüpfen und davonfliegen. Ludwigs Hände, die auf Felicianos Hüften lagen, verselbstständigten sich und fanden ihren Weg in die Haare des Brünetten, wo sie offenbar nach Halt verlangten.  Feliciano zog Ludwig dichter an sich heran und drückte seinen schlanken Körper an Ludwig und er legte seinen Kopf schief, während seine Zunge über die Lippen des Deutschen strichen, als wollten sie um Einlass bitten.  Ludwig konnte nicht anders, als ihm stattzugeben und er musste sich sehr zusammenreißen, dass ihm seine zittrigen Knie nicht den Dienst versagten. Feliciano entwich ein sanftes, zufriedenes Keuchen, während sie sich für einige Sekunden voneinander lösen mussten, aber als Feliciano seine Hände an Ludwigs Wirbelsäule entlang streichen ließ, trafen ihre Lippen wieder aufeinander, diesmal gieriger als zuvor.  Der Deutsche spürte, dass etwas unterhalb seines Bauchnabels an Selbstständigkeit gewann und vor lauter Aufregung, drückte er Feliciano von sich weg, was ihren Kuss unterbrach und den Italiener aus großen Augen staunen ließ. »I-ist alles in Ordnung?«  Die Wangen des Brünetten waren gerötet und seine Hände lagen auf Ludwigs Brust.  »Ja, ich-« Ludwig sah an sich herab und dann zu Feliciano hinüber, wo ihm auffiel, dass sich in der Skinny Jeans des Italieners ebenfalls eine noch recht unauffällige Beule gebildet hatte. Er musste seinen Blick abwenden, aber im gleichen Atemblick schalt er sich einen Idioten. Er war doch kein pubertärer Teenager mehr, sondern ein gestandener Mann von siebenundzwanzig Jahren, der nicht zum ersten Mal einen Penis im halberigierten Zustand sah, spürte oder selbst sein eigen nannte.  »Wir… vielleicht sollten wir es langsamer angehen lassen«, schlug Ludwig atemlos vor und Feliciano lächelte unschuldig.  »Das machen wir doch… wir sind vollständig bekleidet und nur, weil sich da unten etwas regt, heißt das nicht, dass man sich gleich damit befassen muss… oder? Ich will… einfach nur diese Lippen küssen und…«  Weiter kam er nicht, denn Ludwig umrahmte sein Gesicht mit seinen Händen, um ihre Lippen wieder miteinander zu verbinden. Kapitel 19: Lovino und der spanische Bastard -------------------------------------------- Samstag, 15. Oktober Gilbert Blick war verschleiert und obwohl er selber kaum gerade gehen konnte, stützte er Antonio brüderlich und kicherte dabei wie ein Mädchen. »Kaum zu glauben, dass die Kellnerin Francis eine Ohrfeige gegeben hat. Die wird er morgen noch spüren.«   »Für einen… besten Freund… bist du echt ein gehässiges Arschloch, Gil«, stammelte Antonio vor sich hin und holte ein paar Male tief Luft, bevor er einen weiteren Schritt tun konnte. »Weißte… das war heute echt zu viel… er wird mich umbringen.«   »Wer… Francis? Warum sollte er dich umbringen? Ich habe sie sogar angefeuert!«  Gilbert öffnete ein paar Mal kurz die Augen und schloss sie wieder.  »Nich‘ Francis… da…«  Der Spanier rülpste leise vor sich hin, ehe er in der Bewegung stoppte. »Ich hab euch noch gar nicht von ihm erzählt… ich hab… ich hab da jetzt jemanden. Also jemanden, den ich wirklich mag.«  Er machte eine Pause und klopfte Gilbert auf die Schulter. »Er ist wunderschön… und sexy… und er wird ausrasten, wenn er mich so sieht.«  Bedauern schwang in seiner Stimme mit und übertönte beinahe das betrunkene Säuseln.  »Waaas… er… mein Gott, warum hast du mir das nicht früher gesagt. Du stehst auf Männer? Also hatte Francis doch ein bisschen recht, dass wir alle so komisch drauf sind.«  Gilbert atmete schwer.  »Aber du hast doch… eine hübsche Frau gefunden…«, widersprach ihm der Spanier.  »Ja, aber ich dachte damals wirklich lange, dass sie ein Kerl war. Ich hab mir sogar mehrfach… ähm… ich war ein pubertierender Teenager… du weißt was ich getan hab«, hickste Gilbert und grinste dann vor sich hin. »Sie hat sogar echt spät Brüste bekommen, weißt du.«   »Dafür hat sie jetzt aber fantastische Brüste, mein Freund«, komplimentierte Antonio seinen besten Freund und grinste ebenfalls.  »Du redest da über meine Frau, du dreckiger spanischer Bastard«, empörte sich der Deutsche, bevor er ebenfalls zu kichern anfing.  »Noch nicht, noch nicht. Sie kann noch immer weglaufen…«  Der Brünette wischte sich mit dem Hemdärmel über die Augen. »Gilbert!«, rief er plötzlich aus und löste sich von seinem Kumpel. »Du musst mir eine Ohrfeige verpassen… los jetzt!«  »W-was redest du da?«  Gilbert schüttelte den Kopf und kniff seinen Freund in die Wange. »Du bist dicht, Spanier! Benimm dich und geh fein nach Hause, wie ein braver Junge, der du nie warst.«  »Du sollst mir eine runterhauen, Gilby. Ich muss wieder klarwerden, sonst tötet er mich und ich bin viel zu schön und zu jung um jetzt schon zu sterben!«   »Er wird dich schon nicht töten… ich kenne ihn zwar nicht, aber, wenn er dich schon ausgewählt hat, wird er wohl kein so schlechter Mensch sein«, versuchte der Deutsche ihn zu beschwichtigen.  »Letzte Woche ging er mit dem Tomatenmesser auf mich los, weil ich die Pasta vom Vortag in die Toilette weggekippt habe…«, murmelte der Spanier betrübt und gab ein Wimmern von sich.  »Er wollte auch nicht, dass ich mit euch dubiosen Typen heute ein Trinken gehe, weil er sich abgeschoben fühlte, aber ich konnte ihn… dazu überreden. Aber in diesem Zustand…«   »Schon gut, schon gut… ich… unternehme ja was.«  Gilbert schnalzte mit der Zunge und suchte in seiner Umhängetasche nach etwas, das er sich vorsorglich für den späten Abend zurückgelegt hatte. »Hm… klares Felsquellwasser… biste bereit, Toni?«  Er wartete gar nicht ab, was dieser sagte, sondern ergoss die kleine Halbliterflasche über dem Haupt seines besten Freundes. »Eiskalt, yeah.«   »Hast du sie noch alle?«, schrie Antonio wütend und sprang zur Seite. Ein paar Menschen, die auf der anderen Straßenseite liefen, starrten zu ihnen hinüber und gingen einen Schritt schneller, vor lauter Angst, die verrückten Betrunkenen würden ihnen jeden Moment hinterhersteigen. »Du bist die dümmste Sau unter der Sonne!«   »Danke für das Kompliment«, hauchte Gilbert und zerquetschte die leere Pfandflasche in seinen Händen. »Biste jetzt wach? Oder muss das awesome me tatsächlich zum Schlag ausholen?«  Kichernd wischte ihm Gilbert durch das nasse, wirre Haar und stieß ihn leicht zurück. »Hat’s dir die Sprache verschlagen, huh?«  Der Spanier hatte den Kopf gesenkt und die eiskalten Tropfen liefen ihm den Nacken hinab, in die Kleidung. Das kühle Nass hatte gutgetan, aber er wollte Gilbert noch etwas ärgern und starrte mit einem bösen und vernichtenden Blick zu seinem Freund auf, seine Hände langsam an dessen Hals legend. »Das wirst du mir büßen«, stammelte er dabei dunkel und grinste verrückt.  Gilbert lachte erst leise auf, erschrak dann aber über die Ernsthaftigkeit. »Hey, Toni… wa-was wird das? Wenn du dich jetzt mit mir prügelst, dann…«  Während Toni mit seinen Händen leicht zudrückte, versuchte er seinerseits den Betrunkenen von sich fortzudrücken und stieß ihn mit aller Kraft von sich weg. »Hey, was ist denn in dich gefahren?«  Gerade, als er auf eine Antwort des Spaniers wartete, spürte er eine harte Faust in seinem Gesicht und die Wucht riss ihn glatt um. Er taumelte zurück und landete etwas unsanft auf seinem Hintern und Antonio schrie laut auf. »Was soll denn der Scheiß?!«   »Das sagt der…«, wollte Gilbert gerade ansetzen, der sich seine schmerzende Nase hielt, als jemand über ihm stand und ihn am Hemdkragen packte.  »Du verdammte Kartoffelfresse, fass ihn noch einmal an und ich werde…«  Die wütende Stimme stockte mit einem Mal und der dunkelhaarige Mann riss die Augen schockiert auf. »Gilbert Beilschmidt?«  »Na, wenn das nicht Lovino Vargas ist.«  Gilbert spuckte neben sich auf den Asphalt und bemerkte, dass seine Hand mit Blut besudelt war. Sofort war Antonio neben ihm und versuchte ihm aufzuhelfen. »Lass gut sein, Toni«, murmelte er, während er sich selbst mit Lovinos festem Griff erhob.  »Was sollte denn das, Romano? Das war doch vollkommen unnötig!«, brüllte Antonio. Mit einem Mal wirkten beide ziemlich nüchtern. Der Italiener ließ Gilbert los und seine Fäuste in den Hosentaschen verschwinden. »Ich hab’s ganz genau gesehen, du wolltest ihm etwas antun und ich bin dazwischen gegangen!«, knurrte Lovino und sofort stand der Spanier an seiner Seite. »Wenn du ihn auch nur anpackst, brech ich dir jeden Finger, Beilschmidt.«  Verächtlich starrte der Italiener den Deutschen an.  »Du hast dich ja prächtig entwickelt, will man meinen«, spottete Gilbert und wischte sich mit dem Armrücken über die pochende und blutende Nase.  »Ihr kennt euch?«, murmelte Antonio verwirrt und nahm Lovinos Hand, hauptsächlich um ihn zu beruhigen. »Leider«, spie der Dunkelhaarige nur aus. »Wir hatten ein unglückliches Aufeinandertreffen in Österreich, als er meinte, sich zwischen mir und meinen Bruder stellen zu müssen.«   »Hätte ich denn zusehen sollen, wie du Hackfleisch aus ihm machst?«, zischte Gilbert angriffslustig. »Wer tut so etwas schon seinem eigenen Bruder an?«  Er dachte den Bruchteil einer Sekunde daran zurück, dass Lovino seinen Bruder Feliciano würgte und auf ihn anschrie, während alle um sie herum nur gafften und nicht einschritten. Alle bis auf ihn, der Lovino ohnmächtig geschlagen hatte. »Du hattest das kleine Schläfchen verdient, glaub mir.«   »Du blöder…«  Gerade heizte Lovino wieder richtig auf, während sein spanischer Freund ihn zurückhielt. »Jetzt ist aber mal gut, Romano. Hör auf hier auf offener Straße einen Streit vom Zaun zu brechen.«  Wütend zwang er den Kleineren, ihm in die Augen zu schauen. »Sieh mich an! Und wehe du drehst dich weg. Du kommst jetzt mit mir und dann kommst du erst mal runter.«   »Sagst du, während dein vor Alkohol stinkender Atem mir ins Gesicht peitscht? Du wagst es, mir jetzt Befehle zu geben?«  Lovino riss sich von Antonio los und warf Gilbert einen warnenden Blick zu. »Und du, hör auf dich bei den Menschen einzuschleimen, die ich liebe. Ich kann dich und deine ‚Hilfe‘ nicht gebrauchen und beim nächsten Mal brech‘ ich dir mehr als nur die Nase, versprochen.«   »Ro-romano…«, murmelte Antonio, während sein Freund davon stolzierte und er seufzte leise. »Tut mir leid, Gilbert. Ich muss ihm hinterher, ich habe keine Ahnung, was er alles in seiner Wut zerstört. Du solltest deine Nase untersuchen lassen…«  Damit hatte sich Antonio verabschiedet und lief seinem Liebhaber hinterher.  Gilbert brauchte einen Augenblick, um seine Gedanken zu ordnen, dann holte er sein Handy hervor und starrte auf die Nachricht von Feliciano, die das Bild von ihm und Ludwig enthielt. »Irgendwie hat das Schicksal was dagegen, dass du glücklich wirst, kleiner Veneciano.«  Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen, während er eine Nummer wählte und sich das Telefon ans Ohr hielt.  »Schatz? Ich störe wirklich ungern, aber könntest du mich abholen und ins Krankenhaus fahren?«   Gute zwanzig Minuten später saß eine wütende Ungarin auf dem Fahrersitz und starrte unablässig zu ihrem Verlobten hinüber, statt auf den Verkehr. »Ich kann nicht glauben, dass sich dieser Bunkó überhaupt traut, sich jemandem gegenüber wieder so zu benehmen. Dass ausgerechnet Antonio an ihn geraten ist, kann ich nicht verstehen.«  Sie musste ihrem Ärger Luft machen und obwohl sie sonst eine sehr gute Autofahrerin war, übersah sie die eine oder andere rote Ampel. »Wenn ich ihn in die Finger kriege, dann brauche ich eine Bratpfanne, die ihm diese Flausen aus dem Dickschädel prügelt.«   Gilbert hielt ein blutbeschmiertes Tuch vor seine Nase und hatte den Kopf in den Nacken geworfen, während er seiner Verlobten beim Fluchen zuhörte. »Ich glaube kaum, dass ihn das aufhalten würde. Er ist einfach ein wütendes Kind, das nicht anständig erwachsen geworden ist. Damals hat er nach allem die Flucht ergriffen und konnte seiner Wut keine Luft machen.«   »Du bist ungewöhnlich verständnisvoll heute…«, gab Elizabeta gereizt zurück. »Warum macht dich das nicht wütend?«  »Es ist nicht so, dass mich das nicht wütend macht, aber…«  Gilbert stockte und wählte seine Worte mit Bedacht. »Ich mache mir mehr Sorgen darum, dass sich die beiden Brüder derzeit in derselben Stadt befinden und nichts davon wissen. Mir ist schon klar, dass Ludwig ihn beschützen kann, aber wir müssen es ihn wissen lassen.«   Elizabeta seufzte. »Auch das noch…«   »Manchmal frage ich mich, warum das Schicksal einem immer Steine in den Weg wirft…«  Gilbert wurde ganz still und Eliza legte ihm die Hand aufs Bein. Sie wusste, dass Gilbert diese Worte nur aussprach, weil sie allein waren und er niemals jemand anderem als ihr von seinen Unsicherheiten berichten würde.  Sie lächelte müde und widmete sich wieder dem Verkehr. »Das wird nicht auf ewig so sein… sieh dir uns an, wir sind doch auch glücklich…«   »Wir streiten uns oft genug über die dümmsten Kleinigkeiten.«   »Und danach lieben wir uns wieder genauso wie zuvor.«  »Und wenn du mir irgendwann nicht vergeben kannst für meine Dummheit?«   Elizabeta bemerkte den Unterton in Gilberts Stimme und nutzte die nächste Gelegenheit, um rechts ranzufahren. »Schatz«, murmelte sie, während sie den Motor abschaltete und ihren Gurt löste. Sie schwang ihr Bein auf den Sitz, machte es sich bequem und widmete sich ganz ihrem Verlobten. »Ich weiß, dass du dir darum Sorgen machst, aber ich liebe dich und ich will mit dir alt werden. Nichts was du tust wird meine Meinung je ändern und kein Stein dieser Welt wird zu schwer sein, als dass wir ihn nicht gemeinsam bewegen könnten. Wir werden es uns vor Gott und all unseren Liebsten schwören.«   Gilbert neigte den Kopf zu Elizabeta hinüber und lächelte schmal. »Warum bist du davon so sehr überzeugt?«   »Weil ich dich liebe, Gilbert Beilschmidt. Jede Faser deines Körpers, von deinem Haar bis zu deinen Füßen. Jedes einzelne Muttermal und auch die Kontaktlinsen, die du trägst. Dein komischer kleiner Zeh, den du so sehr hasst und die Geräusche die du machst, wenn ich das hier tue…«  Sie grinste leicht und ließ ihre Finger zu ihm hinüberwandern, was Gilbert erschrocken keuchen ließ. »Nicht hier, junge Dame«, tadelte er sie und ließ das Tuch sinken, das den Blick auf seine blutverschmierte Nase freigab.  »Irgendwie sieht das jetzt aus, als hättest du einen Bart«, gab Eliza zu, während sie ihm einen knappen Kuss auf seine Lippen hauchte und dabei ansatzweise seine verletzte Nase streifte.  »Au«, zischte Gilbert und Eliza kicherte belustigt. »Los, mein tapferer Krieger. Lass uns in die Notaufnahme und deine ehrenhafte Kriegsverletzung untersuchen lassen.« Kapitel 20: Die Ruhe vor dem Sturm ---------------------------------- Sonntag, 16. Oktober Feliciano saß, in Ludwigs Trainingsjacke gekuschelt, auf dem Sofa und spielte mit seinem Handy herum, während der Deutsche neben ihm beschäftigt war, etwas in seinen Laptop einzutippen. Sie saßen schweigend nebeneinander, aber keinem von beiden war die Situation unangenehm, weil sie sich immer wieder vertraute Blicke zuwarfen und einander anlächelten.  Ludwig war sehr gewissenhaft und hatte eine Bedingung gestellt, unter der Feliciano den Nachmittag bei ihm verbringen durfte: Er musste den neuen Test fertigstellen und dann konnten sie am Abend das tun, worauf Feliciano Lust hatte. Dass Ludwig die Arbeit dem Vergnügen vorzog, hatte Feliciano bereits von Gilbert erfahren, aber jetzt merkte er erst einmal, wie akkurat die Beschreibungen des Weißhaarigen waren. Der Italiener war vom Typ her ganz anders und drückte sich gerne vor Aufgaben wie diesen, wenn er konnte und musste sie dann auf den letzten Drücker erledigen. Vielleicht würde Ludwig ja einen guten Einfluss auf ihn ausüben, dachte er.  Im Moment akzeptierte er diese Situation anstandslos, weil er umgeben war von Ludwigs Geruch und seiner Wärme, und weil er seine wundgeküssten Lippen immer wieder abtastete, um sicher zu gehen, dass das alles kein Traum war.  Sie hatten sich wirklich geküsst und sie saßen so dicht beieinander, dass Feliciano nur seine Hand ausstrecken musste, um das Objekt seiner Begierde zu berühren. Wann immer Ludwig in Gedanken verloren dasaß und nicht tippte, schlich sich Felicianos Hand in die des Blonden und entlockte ihm ein Lächeln.  Ludwigs Lächeln war, wie ein heißer Sommertag an einem seiner Lieblingsstrände in Italien, dem Baia del Silenzio, der seinem Namen zwar nicht gerecht wurde, weil dort immer viel los war, an dem man aber die schönsten Sonnenuntergänge miterleben konnte. Ludwigs blaue Augen spiegelten das Meer wider und seine leicht geröteten Wangen den Abendhimmel, der alles in violette und rote Farben tauchte, bevor sich die Nacht über dem kleinen Fischerdorf hinabsenkte.  In Felicianos Brust klopfte sein Herz so schnell, dass ihm die Aufregung irgendwann zu viel wurde und er den Blick abwenden musste, um nicht vollkommen verrückt zu werden. Er lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Handy und spielte ein wenig mit der Kamera herum. »Schau mal, Luddy«, murmelte er, während der den Selbstportraitmodus öffnete und die Kamera auf sie beide richtete. »Deine Muskeln kommen hier ja richtig zur Geltung.«  Der Blonde ließ seinen Blick zur Kamera schweifen und hob eine Augenbraue. »Was wird das, wenn es fertig ist?«  »Ich dachte… vielleicht kann ich ein Bild von uns beiden machen? Damit ich es anschauen kann, wenn ich wieder nach Hause muss.«  Er lachte leise und lehnte seinen Kopf an Ludwigs Schulter an. »Klingt das verrückt? Bestimmt.«   »Wozu brauchst du ein Bild? Du kannst mich jederzeit in Person treffen, wenn du möchtest.«  Ludwig kräuselte die Stirn und starrte auf den Bildschirm, auf dem er sich und Feliciano sah.  »Ve, ich weiß. Aber… darf ich trotzdem eins machen? Du siehst so atemberaubend aus und ich will diesen Moment einfach für immer festhalten.«  Auf diese Aussage hin errötete der Deutsche noch mehr, als er es ohnehin schon war und räusperte sich, weil ihm die Stimme zu versagen drohte. »N-na gut. Aber wehe du postest es überall. Ich will nicht, dass es irgendwo in den Tiefen des Internets auftaucht. Du weißt ja, das Internet vergisst nicht«, belehrte er den Italiener und legte den Laptop zur Seite, um sich ein wenig in Position zu setzen.  Feliciano nutzte die Gelegenheit und kuschelte sich an Ludwigs Brust, während der Deutsche ihm das Handy abnahm und ein bisschen mit dem Winkel spielte, ehe er sich ein wenig entspannte und für Feliciano lächelte. Es dauerte einen Moment, bevor die Kamera fokussierte und einen Schnappschuss machte, aber das Foto war ihnen wirklich gelungen. Ludwig gab Feliciano sein Handy wieder, doch sie verharrten noch eine Weile in der Position, während Feliciano sein Gesicht an Ludwigs Brust gedrückt hatte und er seinen Arm um den Italiener gelegt hatte.  Ludwig hatte das erste Mal seit Ewigkeiten das Bedürfnis, die Arbeit einfach beiseite zu schieben und stattdessen den Moment zu genießen. Er führte seine Hand unter Felicianos Kinn und hob sein Gesicht an, sodass er ihn küssen konnte. Süß und unschuldig, während der Italiener genüsslich seine Augen schloss. Es dauerte nur einen Moment, aber als sie sich voneinander lösten, kribbelte es in Ludwigs Magen, als würden tausende Schmetterlinge den Weg nach draußen suchen.  Er räusperte sich und lächelte ungeschickt. »F-Feli…«, murmelte er und der Brünette legte den Kopf schief.  »Ja, Luddy?«  Neugierige Augen waren auf ihn gerichtet und er spürte, wie eine ungewohnte Nervosität ihn überkam.  »Ach, e-es ist nichts«, winkte er schließlich ab und wandte seinen Blick ab.  Feliciano schlang seine Arme um Ludwigs Hals und setzte sich völlig unvermittelt auf seinen Schoß. »Du kannst mir alles sagen, Luddy«, flüsterte er an sein Ohr und ließ seine Lippen an Ludwigs Halsbeuge hinab wandern.  »F-Feli… ich… ich muss weiterarbeiten«, stammelte der Deutsche nervös, als die Hände des Italieners seine Schultern abwärts bis zur Brust und unter das Tanktop wanderten.  »Arbeiten, sagst du?«  Feliciano genoss sichtlich die Unruhe, in die er Ludwig offenbar manövrierte, denn der Deutsche legte seine großen Hände auf Felicianos Hüften ab und dieser Griff hielt ihn fest. Seine Taten straften seiner Worte Lügen.  »Ja. Ich muss… unser Missgeschick von gestern in Ordnung bringen…«, stammelte der Blonde und spürte, wie Feliciano sein Oberteil, mit einem Grinsen auf den Lippen, hochschob und seine kalten Finger dabei Ludwigs Haut streiften. Augenblicklich sog er die Luft ein, weil die Berührungen ein Kribbeln auf seiner Haut auslösten und er darauf nicht vorbereitet gewesen war.  Feliciano musste seine unbequeme Position ein wenig korrigieren, weshalb er seine Knie jetzt links und rechts von Ludwigs Oberschenkeln platzierte und so weit zu Ludwig hinüberrutschte, dass zwischen ihnen gerade genug Platz war um seine Hände über die definierten Bauchmuskeln gleiten zu lassen. Seine Lippen beschäftigten sich derweil damit, den Weg der Halsbeuge wieder hinauf zu küssen und endeten schließlich an Ludwigs Kinn. »Arbeiten…«, wiederholte Feliciano.  »Ja, arbeiten«, keuchte Ludwig widerwillig und jeglicher Kontrolle entzogen fuhr er mit seinen flachen Handflächen Felicianos Rücken auf und ab. Er konnte nicht abstreiten, dass ihm in diesem Moment die Arbeit fernerlag als jemals zuvor.  Gerade als Feliciano ihre Lippen miteinander verband und zärtlich auf Ludwigs Unterlippe herumknabberte, schreckten beide zusammen, als sie das Klingeln der Tür vernahmen.  Mit vor Schock geweiteten Augen starrten sich die beiden an. »Erwartest du Besuch?«  Feliciano senkte augenblicklich seine Stimme und Ludwig schüttelte den Kopf. Sofort machte der Italiener Platz und ließ sein Gegenüber aufstehen.  Ludwig brauchte einen Moment, um wieder Herr seiner Sinne zu werden, aber es klingelte erneut und danach noch einmal. »Ja, ich komme ja!«, rief er in Richtung Haustür. Bevor er in den Flur trat, sah er noch einmal kurz zu Feliciano zurück, der sich schwer atmend durch die Haare fuhr und den Deutschen nicht eine Sekunde aus den Augen ließ.  Feliciano lächelte selig vor sich hin, während er seine Kleidung einigermaßen sortierte. Ihm war in der Hitze des Gefechts gar nicht aufgefallen, dass Ludwig ihn selbst ganz durcheinandergebracht hatte. Während er mit seinen Fingern die Konturen seiner Lippen nachfühlte, hörte er im Flur ein Gespräch mit. Es war die Stimme einer älteren Frau und die von Ludwig, die sich angeregt unterhielten. »Nun, jedenfalls dachte ich, da es dir heute Morgen so schlecht ging… bringe ich dir etwas zum Mittag vorbei. Oder störe ich gerade?«  Die Stimme klang vorwitzig und als auch Feliciano seine Neugier nicht mehr im Zaum halten konnte, lugte er vom Wohnzimmer aus in den Flur, um Ludwigs ansehnlichen Rücken zu betrachten.  Ludwig hatte die Tür gerade so weit geöffnet, dass er mit seinem Gegenüber sprechen und ihn sehen konnte, daher erkannte Feliciano auch nicht, mit wem er sich da unterhielt, aber sie klang recht sympathisch.  »N-nein, Frau Koch. Sie stören nicht. Ich arbeite gerade an einem Projekt für die Kinder«, log er und strich sich durch das blonde Haar.  »Na, dann störe ich ja doch. Jedenfalls bist du dann mit Essen versorgt. Es ist Linseneintopf, ich habe extra mehr Kartoffeln gekocht für dich. Ich hoffe er schmeckt dir.«  Feliciano sah, wie eine schmale Hand in Ludwigs Wange kniff und er unbeholfen vor sich hin kicherte.  »Danke, Frau Koch.«   »Herrje, nenn mich doch einmal im Leben Martha, Jungchen. Du bist zu verklemmt und ich will dir nichts Böses«, tadelte sie ihn und Ludwig seufze.  »Jawohl, das werde ich«, antwortete Ludwig sichtlich widerwillig und sie drückte ihm die Schale mit dem Essen in die Hände.  »Nanu, wer ist denn das?«   Feliciano hing noch immer im Türrahmen und beobachtete die Szene, ehe ihm auffiel, dass zwei Augenpaare auf ihn gerichtet waren. Erst war da Ludwig, der ihn angespannt anstarrte und das andere Augenpaar gehörte einer schmächtigen, älteren Dame, die ein gepunktetes Kleid und graue Pantoletten mit Blumenornamenten trug.  »D-das ist mein Arbeitskollege, Feliciano. Er hilft mir beim Projekt«, stammelte Ludwig und brauchte einen Moment um zu verarbeiten, dass Martha ihn nun vermutlich mit Fragen überhäufen würde. Sie hatte sich neulich bereits beschwert, dass Ludwig niemals Freunde mit nach Hause brachte und sie nur seinen Bruder kennen gelernt hatte.  »Ciao, Bella. Ich bin Feliciano«, stellte sich der Italiener vor, ohne sich etwas dabei zu denken. Er kam nah genug, dass er Martha die Hand schütteln konnte und lächelte charmant.  »Oh, und dann so ein hübscher, junger Mann. Sind Sie auch Lehrer?«  Martha lächelte verzückt und ging an Ludwig vorbei in dessen Wohnung.  Der Blonde seufzte unmerklich und schloss die Haustür hinter sich. Jetzt war das Chaos perfekt…   * * * Eine gute halbe Stunde später saßen sie auf der Couch, mit dampfenden Tassen in den Händen und plauderten über dies und das. Feliciano hatte mittlerweile erfahren, dass Martha eine alleinstehende alte Dame und seit vier Jahren die Nachbarin von Ludwig war. Sie hatte keine Kinder oder Enkelkinder und war früher als Sekretärin in der Firma ihres Mannes beschäftigt gewesen. Unglücklicherweise war dieser früh an Krebs verstorben und heute vertrieb sie sich die Zeit mit stricken, kochen und ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im örtlichen Altenheim.  Feliciano war fasziniert von ihr und lauschte ihren Worten, während er an seinem schwarzen Kaffee nippte. Zwar wanderte sein Blick hin und wieder zu Ludwig, aber der versuchte nach Möglichkeit keinen längeren Augenkontakt zu halten. Vermutlich wollte er sich vor seiner Nachbarin nicht entblößen oder er war noch nicht bereit, Feliciano als seinen festen Freund vorzustellen.  Moment mal… waren sie nun fest zusammen?  »Die Menschen dort sind wirklich lieb und es macht Spaß, sich mit ihnen zu beschäftigen. Viele von ihnen sind noch sehr agil«, erzählte Martha gerade über ihren Sportkurs im Altenheim und lächelte selig vor sich hin.  Feliciano nickte aufmerksam. »Ich denke, sie freuen sich über die Beschäftigung! Ich habe mal in einem Kinderheim ausgeholfen und man kann gar nicht bemessen, wie viel einem die Bambinis zurückgeben.«   Während Martha ihm beipflichtete, löste sich der Blick des Italieners von seiner Gesprächspartnerin und er musterte seinen blonden Arbeitskollegen von der Seite, der mit seinen Gedanken sehr fernab schien und aus dem Fenster starrte.  Was Ludwig wohl in diesem Moment dachte? Wünschte er sich, dass sie beide wieder allein waren oder dachte er über seine Arbeit nach? Feliciano rieb sich die Nase, bevor er Martha wieder lauschte. »Ich hätte auch gern in einem Kinderheim ausgeholfen, aber auf das Altenheim bin ich gekommen, als meine beste Freundin Lizzy von ihren Kindern dort abgeschoben wurde. Ich habe mich Tag und Nacht um sie gekümmert und bin mit den dortigen Pflegern quasi per du.«  Sie lächelte stolz. »Mittlerweile spricht Lizzy nicht mehr, aber ich weiß ganz genau, dass sie mir zuhört, wenn ich ihr von der Vergangenheit erzähle. Sie liebt die wilden Geschichten aus unserer Jugend.«  Ein melancholischer Ausdruck ergriff sie und ihr Blick schweifte ab.  Ludwig horchte auf und lehnte sich zu Martha hinüber. »Ich bin mir sicher, dass sie sich sehr darüber freut, auch wenn sie es nicht mehr zum Ausdruck bringen kann.«  Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. »Manchmal ist alles, was man für jemanden tun kann, da sein, wenn niemand sonst es aushalten würde, Martha.«   Martha Koch hob überrascht die Hand vor den Mund und starrte Ludwig für einen Augenblick an. »Da… hast du recht. Und du hast mich Martha genannt! Hui!«  Ein Ausdruck purer Freude ließ ihre Augen strahlen, sodass sie Ludwigs Hände in ihre nahm und sie aufgeregt schüttelte. »Ich glaube, der junge Mann hier tut dir gut, Ludwig.«   Ludwig, dessen Wangenfarbe sich von vornehmer Blässe zu rosé wandelte, verschluckte sich beinahe an seinem Kaffee. »Wie meinen? Ich… das war doch dein Wunsch, Martha! Oder etwa nicht?«  »Natürlich und ich finde es gut, also mach dir nicht gleich in die Hose, Jungchen. Ich freue mich einfach, dass du nach all den Jahren doch den Mumm gefunden hast, mich nicht nur als eine nette Nachbarin und alte Frau zu betrachten.«  Sie lächelte warm und zwinkerte Feliciano zu.  »Wie auch immer, ihr zwei Turteltäubchen… ich werde jetzt einen Mittagsschlaf machen gehen und meine Beine hochlegen, das Wasser in meinen Beinen bringt mich noch um und ich bin viel zu jung für diese hässlichen Thrombosestrümpfe, die mir der Arzt aufschwatzen will.«   Ludwig zuckte bei dem Wort »Turteltäubchen« zusammen und wollte gerade etwas erwidern, als Martha ihm das Wort abschnitt. »Irgendwann wirst du verstehen, dass diese kleinen Details, auf die du so prächtig Acht gibst, vollkommen unbedeutend sind«, murmelte sie, während sie seinen Unterarm tätschelte. »Viel Spaß beim ‚Arbeiten‘, Jungs.«   Der Deutsche begleitete sie noch zur Tür und murmelte irgendetwas vor sich hin, dass Feliciano vom Wohnzimmer aus nicht verstand, aber das störte ihn nicht sonderlich. Er öffnete klammheimlich das Nachrichtenprogramm auf seinem Handy und sandte Gilbert das Foto zu, das ihn und Ludwig zeigte, mit der kleinen aber feinen Bildunterschrift: »Melde gehorsam, ich war erfolgreich, Herr Beilschmidt« gefolgt von einem breit grinsenden Smiley. Kapitel 21: Bunt und brüderlich ------------------------------- Sonntag, 16. Oktober Ludwig hatte die Arme vor der Brust verschränkt, während er seinen Bruder fragend dabei beobachtete, wie er sich eine kühlende Salbe auf die Nase strich. Gilberts Gesicht schillerte in den buntesten Farben und insgeheim fragte sich Ludwig, was am gestrigen Samstagabend geschehen sein mochte, dass sein Bruder ihn zu Kaffee und Kuchen eingeladen hatte.  Das war sonst nie der Fall gewesen und sogar Elizabeta hatte mit Engelszunge auf ihn einreden müssen, damit er den beiden einen Besuch abstattete. Feliciano war an diesem Sonntagnachmittag selber mit einigen Vorbereitungen für seinen Unterricht beschäftigt, weshalb er etwas nervös und vollkommen allein im Sessel saß, während das Brautpaar ihn anstarrte.  Er hatte schon insgeheim die Befürchtung, dass Feliciano ihnen eventuell von den Geschehnissen des gestrigen Tages erzählt hatte, doch Eliza und Gilbert wirkten ernst, während sie ihm Kuchen und Kaffee vor die Nase stellten.  »Du fragst dich sicher, warum wir dich herbestellt haben«, begann Elizabeta das Gespräch und lächelte freundlich. Sie legte ihre Hand auf Gilberts Oberschenkel und warf ihm einen kurzen Seitenblick zu.  »Ich wundere mich auch, gegen welche Tür Gilbert gelaufen ist, aber für gewöhnlich stelle ich diese Fragen nie laut.«  Ludwig lächelte schmal und nahm dankend den dampfenden Kaffee in Empfang.  Gilbert hätte vermutlich gelacht, wenn ihm die Situation nicht so verflucht ernst vorgekommen wäre, also beließ er es dabei und räusperte sich nur. »Die Tür hatte einen Namen und einen ziemlich festen Schlag, wenn du mich fragst.«  Seine Nase juckte ihn und er hielt sich gerade so davon ab, mit seinem Fingernagel besonders vorsichtig darüber zu kratzen.  Stattdessen taxierte er seinen Bruder, der große Augen machte und dann leicht schmunzelte.  »So…? Wer war es? Francis oder Antonio? Sie scheinen beide recht aufbrausend und wenn man bedenkt, dass der Samstagabend euer Männerabend ist…«  Ludwig stellte die Tasse geräuschlos vor sich ab und lehnte sich im Sessel zurück.  »Weder noch… aber… du liegst nicht ganz falsch. Es war der Liebhaber von Antonio, der die Situation vollkommen missverstanden hat.«  Gilbert verschränkte die Hände hinter seinem Kopf ineinander und hielt sich dadurch davon ab, an seiner Wunde herumzuspielen.  »Oh…«, machte Ludwig nur und hob eine Augenbraue. »Und der hat dich so zugerichtet?«, schlussfolgerte der Deutsche und lächelte schmal. »Hast du zu viel geflirtet?«  »Schön wär’s, dann hätte ich das ja noch verstanden, doch ich war sowas von unschuldig, wenn auch ein kleines bisschen betrunken und gerade dabei, Toni eins auf die Mütze zu geben.«  Gilbert grinste schmal, zuckte jedoch zusammen, als ein stechender Schmerz sich bemerkbar machte. »Wie auch immer… ich hasse es um den heißen Brei herumzureden. Der Spanier hat sich einen Kerl angelacht, der Lovino Vargas heißt.«   »Vargas, wie… Feliciano?«  Der Blonde verengte die Augen zu Schlitzen. »Ist das ein Zufall?«  »Wie man es nimmt… er… ist der ältere Bruder von Feliciano und die beiden sind… nicht gut aufeinander zu sprechen«, erklärte Gilbert zögerlich, während er sich das Kinn rieb.  Elizabeta saß still neben ihm und probierte den Kuchen, den sie extra für diesen Anlass gebacken hatte und hörte den beiden aufmerksam zu. Sie hatte die Stirn gefurcht und sah nur selten auf, um die beiden Brüder zu beobachten.  »Manchmal bin ich auch nicht gut auf dich zu sprechen. Von welchem Ausmaß reden wir hier?«, verlange Ludwig zu wissen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Muss man sich Sorgen machen, wenn er dich schon so zugerichtet hat?«  »Ich wünschte, ich könnte es verneinen, Bruderherz.«  Gilbert schüttelte den Kopf. »Während meiner Zeit in Österreich hat er mehrfach versucht, mit Feliciano zu sprechen, aber dabei war es nie geblieben. Er hat ihm nur Vorwürfe gemacht und schließlich… hat er ihn vor allen Angestellten halb zu Tode gewürgt.«  »Gewürgt?«, widerholte Ludwig überrascht und zog scharf die Luft ein. »Er wollte ihm wehtun?«  In ihm bimmelten alle Alarmglocken und er saß mehr als aufrecht im Sessel, als er das nächste Mal sprach. »Ist er wegen ihm hier?«  »N-nein… ich glaube nicht. Antonio hat ihn während seines Animateur Jobs in Spanien kennengelernt, wie er mir heute Morgen erzählt hat.«  Er rieb sich die Stelle über seiner Nase, weil er die eigentlich juckende Stelle nicht erreichen konnte und seufzte laut vor sich hin. »Da aber beide in derselben Stadt leben, zumindest für den Moment, wäre es nicht verkehrt, alle darüber zu informieren, für den Fall der Fälle. Wir müssen Feliciano beschützen.«   »Bist du dir sicher, dass er nicht einfach nur mit ihm reden will?«  Ludwig wollte diesem Lovino keinesfalls etwas Boshaftes unterstellen und er wusste noch nicht so recht, wie er mit der Information umgehen sollte.  Eliza schaltete sich ein. »Feliciano vermisst seinen Bruder sehr, auch heute noch. Er würde niemals glauben, dass von ihm eine Gefahr ausgeht, darum mache ich mir solche Sorgen. Feli ist zwar nicht mein leiblicher Bruder, aber ich bin mit ihm aufgewachsen und ich liebe ihn wie einen Bruder. Er hat ein gutes Herz und würde Romano nicht in die Schranken weisen.«  Sie sah Ludwig eindringlich an.  »Wir wissen nicht, wie seine Absichten sind, aber ich bin mir sicher, wenn Feliciano davon erführe, würden er ganz sicher versuchen, ein Gespräch ins Rollen zu bringen. Bevor wir nicht wissen, was Romano beabsichtigt, können wir die beiden nicht aufeinandertreffen lassen.«   »Aber sie beide sind vollkommen erwachsene Männer… wie sollen wir das denn verhindern? Früher oder später könnten sie sich beim Einkaufen über den Weg laufen und wenn wir um sie herumtänzeln und im Auge behalten, fliegt das ohnehin bald auf«, warf der blonde Deutsche ein.  »Du hast recht, Ludwig, aber willst du wirklich das Risiko eingehen?«  Gilbert lehnte sich vor und sah seinen Bruder einige Sekunden an.  »W-wieso ich? Feliciano und ich sind…«   »Ja, ja. Arbeitskollegen…«, beendete Gilbert seinen Satz und lächelte schmal. »Wem willst du das denn weißmachen? Als ob wir das nicht am Freitag mit eigenen Augen bemerkt hätten, wie sehr ihr zwei nurArbeitskollegen seid.«  Der Weißhaarige schüttelte den Kopf. »Nur zu, streite es ruhig ab, aber... das wird dir rein Garnichts bringen. Heute Morgen rief Martha an und hat sich für die Einladung zur Hochzeit bedankt und über den gutaussehenden italienischen Freund geschwärmt, der die Nacht bei dir verbracht hat.«   Ludwig lief so rot an wie eine Tomate und seine Stimme krächzte durch den Raum. »D-da ist rein gar nichts passiert! U-und…das geht doch keinen von euch etwas an! Wa-warum hast du sie überhaupt eingeladen? Verfolgst du mich?«   »Martha kocht die besten Eintöpfe der Welt, Ludwig. Wenn du mal nicht da warst und ich bei dir zu Besuch war, hat sie mir das leckerste Essen gebracht und ich hab alles vernichtet.«  Gilbert grinste leicht.  »Warum muss jeder dauernd in meine Wohnung einbrechen und wieso zum Teufel hattest du überhaupt einen Schlüssel und ganz plötzlich Freitag nicht?«  Ludwig schenkte seinem Bruder einen Todesblick und stopfte wütend den Kuchen in sich hinein.  »Sie hat mich reingelassen… immerhin war ich dein Bruder. Warum sollte sie mir nicht vertrauen? Manchmal bin ich gern bei dir gewesen und habe Unordnung gestiftet, aber mittlerweile bin ich erwachsen genug das nicht mehr zu tun.«   »Mittlerweile?«, rief Ludwig verärgert aus. »Ich wohne da jetzt seit vier verdammten Jahren und wie kannst du dich in der Kürze der Zeit bitte erwachsener verhalten haben? Ich wusste es! Von Anfang an… ich hätte nie so einen Berg Geschirr in der Spüle hinterlassen, es kam mir schon komisch vor, aber ich dachte mir nichts dabei. Und dann meine Pornosammlung! Du hast sie beschnitten, gib’s zu!«  Während er sich in Rage redete, bemerkte er die amüsierten Blicke von Gilbert und Eliza, bis er den Kuchenteller auf den Tisch stellte und sein Gesicht mit seinen Händen verdeckte. »Verdammte Scheiße!«   »Mein kleiner Bruder ist der Süßeste von allen, wenn er beschämt ist«, säuselte Gilbert und hob die Hände an sein Kinn. »Schau ihn dir an, rot wie eine reife Tomate und so zahm wie ein Kätzchen.«  »Ich hasse dich, Gilbert!«, raunte Ludwig und schüttelte angewidert den Kopf. Er war zwar wirklich sehr wütend darüber, dass sein Bruder so in seine Privatsphäre eingedrungen war, doch das konnte nicht im Entferntesten mit der Vorstellung mithalten, was Felicianos Bruder mit ihm anstellen würde.  Ludwig wusste nicht, wie dieser Romano oder Lovino sich verhielt und er konnte nicht einschätzen, wie die beiden Brüder aufeinander reagieren würden. Er musste darauf vertrauen, dass sich Gilbert und Elizabeta über die Maße Sorgen machten.  Es dauerte einen Moment, ehe er zu den beiden aufsah und seufzte. »Wie wollen wir vorgehen, um Feli zu schützen?«   »Ich bin froh, dass du fragst…«  Gilbert legte die Fingerspitzen zusammen, als wäre er der Antagonisten in einem Gangstersteifen und grinste boshaft. »Ich habe einen Plan, der ein wenig an Vorbereitung verlangt.«     * * * Nervös wählte Ludwig die Nummer von Feliciano und räusperte sich, als der fröhliche Italiener ihm ein lautes »CIAO!«  in den Hörer brüllte.  »Ah, Feli… sehr gut, dass du drangegangen bist«, murmelte Ludwig und spürte zwei Augenpaare auf sich, während er sich zur weißen Wand herumdrehte und seinen Blick aus dem Fenster schweifen ließ. »Warum sollte ich nicht drangehen? Jetzt lächelt mich dein hübsches Gesicht an, wenn ich das Telefonat annehme«, tönte es lauthals aus dem Hörer und Hitze loderte auf seinen Wangen. »Feli!«, tadelte er ihn und der Italiener lachte leise.  »Mir wurde beigebracht, dass ich immer die Wahrheit sprechen soll, Luddy. Was kann ich denn für dich tun?«  Der Blonde brauchte einen Moment bevor er seine Gedanken in Form gebracht hatte und er lächelte schmal. »Du bist doch grad zuhause bei Eliza, oder?«  Er wartete einen Augenblick, bis Feliciano seine Frage bejahte.  »Wie wäre es…, wenn du für ein paar Tage zu mir kommst? Schnapp dir all deine Sachen und… ich schlafe auf der Couch.«  Er drehte sich herum und nahm mit Gilbert Augenkontakt auf, um klar zu stellen, dass zwischen ihnen nichts Unanständiges lief, aber im selben Moment brüllte Feliciano in den Hörer, für alle in 10 Metern Reichweite hörbar:  »Nein, danke, ich schlafe lieber wieder bei dir im Bett. Du bist die beste Heizung der Welt, Luddy!«  Der Deutsche verschluckte sich an seiner eigenen Spucke und röchelte vor sich hin, während er durch das Telefon die besorgte Stimme seines Freundes hörte. »Veeee…. Luddy, was ist los? Darf ich nicht bei dir im Bett schlafen? Ich kann auch auf der Couch schlafen, wenn du das nicht willst! Aber wenn ich mich nicht an dich kuscheln darf, ist das echt fies. Darf ich dich denn wenigstens küssen?«   Ludwig ließ den Hörer sinken und die Stimme des Italieners dröhnte laut und eindeutig zweideutig durch den Raum, während sowohl Gilbert als auch Elizabeta ihn aus großen Augen anstarrten.  »Was treibst du mit meinem kleinen Bruder?«, hörte er Eliza zischen und durch die Leitung rief Feliciano. »Ahhh, Sorella! Also weißt du es schon! Luddy und ich sind jetzt zusammen!«  Ohne einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden drückte Ludwig den Italiener weg und starrte das Brautpaar seelenlos an, während sein Arm leblos mit dem Handy in der Hand in der Luft baumelte. »Ich habe ehrlich keine dreckigen Hintergedanken!«, murmelte er vor sich hin, vollkommen verstört und mit dem hilflosesten Ausdruck auf seinem Gesicht.  »Du bist ein Beilschmidt, natürlich hast du Hintergedanken! Vergiss einfach nicht, Gleitmittel zu benutzen, sonst wird das äußerst unschön, nicht wahr Eliza?«   Ludwig wurde ganz bleich, während sich auf Elizas Stirn eine kleine Extrafalte bildete und sich ihre Hand zur Faust wandelte. Sie traf Gilbert genau dort, wo bereits eine violett gesprenkelte Pracht sein Gesicht in eine bunte Landschaft verwandelt hatte. Was sie nicht davon abhielt, ihren Ärger entsprechend abfärben zu lassen. Kapitel 22: Der spanische Boss und ein wütender Romano ------------------------------------------------------ Samstag, 15. Oktober »Es ist alles deine Schuld.«  Die Haustür schlug mit einer solchen Gewalt ins Schloss, dass Antonio die Gläser im Schrank klirren hörte. Er seufzte leise, als Lovino an ihm vorbei stampfte und seine Jacke mit Schwung auf die Garderobe warf, aber sein Ziel knapp verfehlte. Knurrend starrte er auf das Kleidungsstück am Boden und warf dem Spanier einen tödlichen Blick zu. »Ich hab dir gesagt, bleib hier, aber du musstest dich ja mit deinen ‚Freunden‘ treffen. Und jetzt bist du wütend, weil ich dich beschützen wollte?«, spie Lovino ungläubig aus.  »Es gibt einen kleinen Unterschied zwischen: Ich rette dich aus einer Gefahrensituation und ich prügle einen Freund halb zu Tode, weil ich eifersüchtig bin!«, widersprach Antonio und bemerkte, wie sich Lovinos Laune vom einen auf den anderen Moment weiter verschlechterte.  »Eifersüchtig?«, spottete er und drehte sich auf dem Absatz herum, um Antonio seine Abneigung zu zeigen. »Warum sollte ich auf diese Pfeifen eifersüchtig sein? Ich dachte, er will dir betrunken an den Kragen oder an die Wäsche und hab eingegriffen. Wenn dir das nicht passt, dass ich mich um dich sorge, dann verlass mich doch!«   »Warum sollte ich dich verlassen? Du hast diese Wutanfälle andauernd, seit wir aus Spanien zurück sind und ich kann damit nicht umgehen, aber das bedeutet nicht, dass ich dich aufgebe. Nicht jetzt und nicht in Zukunft. Oder willst du mir damit sagen, dass du mich verlassen willst?«  Antonio bückte sich, um die Jacke aufzuheben und Lovino nicht in die Augen sehen zu müssen. Er hatte Angst vor der Antwort, weil sein Freund so unberechenbar in seiner Wut war. Und so wütend wie an diesem Abend, hatte er ihn noch nie gesehen.  »Tz… du verdammter Bastard! Jetzt wälzt du deine Gedanken schon auf mich ab? Was denkst du eigentlich, welches Recht du hast, über mich zu urteilen?«  Lovino schlug mit der geballten Faust gegen den Türrahmen und keuchte leicht, als es knallte.  Antonio war sich sicher, dass sein Geliebter sich bei dieser Aktion verletzt hatte, doch der sagte kein Wort und ertrug offenbar tapfer den Schmerz. Zu gerne wollte er auf den Italiener zugehen und seine Hand küssen, aber im Augenblick war er einfach schockiert und verletzt. Sie hatten ihre Liebe nie turteltaubenhaft zum Ausdruck gebracht und es hatte lange gedauert, bis Antonio überhaupt realisiert hatte, dass Lovino Interesse an ihm hatte, aber sein Verhalten am heutigen Abend sprengte den üblichen Rahmen. »Ich urteile nicht über dich, es war offensichtlich eine Frage. Du bist wieder auf Streit aus und obwohl sich alles geklärt hat, verhältst du dich weiterhin so herausfordernd mir gegenüber, statt dich versöhnen zu wollen. Was soll ich da schon denken?«  Antonio hing die Jacke ordentlich über den Harken und verschränkte dann die Arme vor der Brust.  »Was soll ich da denken?«, äffte Lovino ihn nach. »Das kann ich dir sagen! Du kannst aufhören dich hier wie der Boss aufzuspielen und mir den Freiraum lassen, ohne dauernd alles in Frage zu stellen!«  »Ich spiele mich nicht auf, ich will einfach nur dieses Problem lösen, damit wir endlich, endlich zu den angenehmen Dingen des Abends übergehen können«, seufze Antonio. »Aber offenbar steckt hinter diesem Wutanfall mal wieder mehr, als ich geahnt hatte.«   »Wa-was sollte denn dahinterstecken? Ich spreche Dinge aus, die mich stören. So streitet man, hast du das etwa vergessen?«  Lovino raunte und schlug ein paar Male wütend mit der anderen Hand gegen den Türrahmen, bis die Haut an der Stelle sich rötete. »Dank dir weiß ich sehr genau, wie ein Streit funktioniert, vielen Dank, Romano.«  Antonio machte Anstalten sich herumzudrehen, als er plötzlich spürte, wie etwas ihn zurückzog.  »Wenn du jetzt gehst, dann wirst du es bereuen, Tonio.«  Lovinos Stimme klang todernst, während sein Blick auf den Boden gerichtet war und sein Griff eisern war.  »Ich werde nicht gehen, Roma. Ich dachte einfach, du brauchst deine geliebte Freiheit.«  Der Spanier seufzte. »Ich habe eigentlich keinen blassen Schimmer davon, was du wirklich willst. Du sagst etwas, aber deine Taten zeigen etwas Anderes. Du handelst immer so gegensätzlich und ich bin nicht wirklich gut darin, dich zu verstehen. Aber wenn du dich wegen mir ärgerst, dann tut es mir leid.«   Plötzlich spürte Antonio, wie ihm Lovino mit seinen Fäusten kleine Stöße in den Rücken versetzte. »Du hast keine Ahnung, da hast du Recht. Aber du darfst mich in einem solchen Moment nicht gehen lassen, du Bastard. Du bist der einzige, der mich aushält.«  Er wirkte bockig und als sich Antonio zu ihm herumdrehte, konnte er ihm nicht in die Augen sehen, weil er sich so verletzlich fühlte. »Mach da jetzt kein großes Ding draus, sonst…«   »Sonst was? Sagst du mir dann, dass du mich liebst? So wie gerade eben zu Gilbert?«  Ein Lächeln zierte die Lippen des Größeren und er strich sanft über das Haar seines Liebhabers.  »Pff… Warum sollte ich so etwas sagen? Ich habe meinen Bruder gemeint und nicht deinen nichtsnutzigen Arsch.«  Lovino schüttelte widerwillig den Kopf und versuchte, sich seine Röte nicht anmerken zu lassen, indem er sein Gesicht an der Brust des Spaniers vergrub. »Warum glaubst du immer, du könntest zwischen den Zeilen lesen, Idiota.«   »Weil du ganz klar gesagt hast, Gilbert würde sich zwischen dir und den Menschen stellen, die du liebst. Menschen. Mehrzahl. Er stand buchstäblich zwischen uns. Buchstäblich!«, antwortete Antonio und versuchte, nicht zu selbstgefällig zu klingen, doch es machte ihn glücklich, dass Romano es versuchte abzustreiten, ihn aber insgeheim liebte.  »Unglaublich, dass du wieder auf Kleinigkeiten herumreitest, wie immer! So etwas würde mir nie in den Sinn kommen, Idiota. Es wäre doch bescheuert, sein Herz an so einen Frauenhelden wie dich zu verlieren. Dann wäre ich ja tatsächlich eifersüchtig und das kann ich mir nicht leisten.«  »So, und warum nicht?«, wisperte der Spanier an Lovinos Ohr und bemerkte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Um dem ganzen noch das i-Tüpfelchen aufzusetzen, hinterließ er einen federleichten gehauchten Kuss auf der Wange des Italieners.  »Hör auf so bescheuerte Fragen zu stellen und… k-küss mich einfach! Du hast mich wütend und scharf gemacht und ich hab weder Zeit noch Lust, deine dummen Fragen zu beantworten. Wenn du es jetzt nicht mit mir tun willst, solltest du lieber sofort ins Bett gehen und deinen verdammten Rausch ausschlafen!«, forderte Lovino und starrte in Antonios grüne Augen. Er hielt es exakt drei Sekunden aus, bevor es ihm Unbehagen bereitete und er einfach selbst einen Kuss initiierte. »Du hattest deine Gelegenheit«, murmelte er in den Kuss hinein und ließ seine Hände zum Gürtel seines Liebhabers wandern.  »Ich liebe es, wenn du die Führung übernimmst, cariño«, murmelte Antonio, bevor er seinen Angebeteten in Richtung Schlafzimmer dirigierte.  Aber das Glück hielt nicht lange an. Während Antonio gerade damit beschäftigt war, sich seiner Jeans zu entledigen, klingelte sein Handy und hörte einfach nicht mehr auf ‚Donde estas, yolanda‘ von Pink Martini zu surren.  »Wer ruft dich um diese Uhrzeit noch an?«, meckerte Lovino, während er sich unwillig von seinem Liebhaber löste und seine Küsse einstellte.  »Ich weiß nicht, es ist in meiner Jackentasche«, antwortete der Spanier unbeeindruckt und grinste. »Wir müssen uns daran ja nicht stören.«   »Willst du mich verarschen? Dieses Lied ist zum Kotzen und ich kann mich nicht konzentrieren, wenn dieser Scheißtyp dauernd nach Yolanda schreit!«, murrte der Italiener und rollte sich von seinem Freund herunter. »Geh dran und komm gefälligst schnell wieder, sonst mache ich ohne dich weiter!«  Romano zog sich die Bettdecke über den nackten Körper und beobachtete, wie Antonio geschwind in den Flur stürmte.  »Das lass ich mir kein zweites Mal sagen«, flötete der Spanier und brachte das Handy schließlich zum Schweigen. Sehr zu seinem Bedauern, war er einige Sekunden zu spät und entschied sich, den Ton ganz auszustellen, um Romano nicht weiter zu verärgern. Er schrieb dem Anrufer in Abwesenheit, Gilbert, eine SMS, dass er sich am nächsten Morgen melden wollte und schlich zurück ins Schlafzimmer, wo nur Lovinos Kopf unter der Decke hervorlugte.  »Was hat das so lange gedauert?«, ärgerte der Italiener seinen Freund und ein freches Grinsen lag auf seinen Lippen, bis er es hinter der Decke versteckte.  »Romano, du hast gerade einen schlafenden Riesen geweckt«, murmelte der Spanier, während er langsam, beinahe lasziv, aus seiner Boxershort ausstieg und sie zu Lovino hinüberwarf. »Ich hoffe du bist bereit, diesmal die Verantwortung dafür zu tragen.«  Ein beinahe diabolisches Grinsen legte auf die Lippen des Spaniers, während er einem Raubtier gleich auf seine Beute zu stolzierte. Kapitel 23: Ein Anfang ---------------------- Sonntag, 16. Oktober Ludwig lief im Flur nervös auf und ab. Der Plan war gut, aber Vorsorge war besser. Nachdem er das Telefonat mit Feliciano so abrupt beendet hatte, schrieb er dem Italiener eine ausführliche SMS, in der er ihn darum bat, doch wirklich eine Tasche für ein paar Tage zu packen und die Nächte bei ihm zu verbringen. Auf den ersten Blick hatte ihn dieser Vorschlag von Gilbert nicht gestört, aber je mehr er sich da hineingedacht hatte, desto übler wurde ihm bei dem Gedanken. War es denn in Ordnung Feliciano ganz formal danach zu fragen, dass er für ein paar Tage bei ihm einzog, obwohl ihr Plan beinhaltete, Feliciano und Lovino voneinander fernzuhalten? Er war nicht ganz ehrlich zu seinem italienischen Freund und da gestern einige Dinge passiert waren, die ihre Beziehung vollkommen neu definiert hatten, rauchte ihm nun entsprechend der Kopf und das hörte erst auf, als es an der Tür klingelte und der Italiener freudestrahlend im Türrahmen stand.  Seinen kleinen Koffer in den Händen haltend, stürzte er auf Ludwig ein und drückte ihm unendlich viele, federleichte Küsse auf die Wangen. »Naaa, Luddy. Du bist wirklich toll. Ich habe mich gar nicht getraut zu fragen, ob ich die Nächte bei dir verbringen darf. Ich dachte es stört dich, wegen der Arbeit, aber es macht mich glücklich, dass du es ohne mich nicht aushalten kannst.«   Kichernd ließ Feliciano von Ludwig ab und quetschte sich an seinem trainierten Körper vorbei in die Wohnung. »Hast du schon was gegessen? Soll ich uns Pasta zubereiten?«   Ludwig ließ seinen Blick auf seine Armbanduhr schweifen und räusperte sich dann. »Tut mir leid, aber normalerweise esse ich nach 18 Uhr keine Kohlenhydrate mehr.«   »Was, ve? Keine Pasta am Abend? Wieso…?«   Feliciano klang niedergeschlagen und blieb plötzlich im Flur stehen, Ludwig einen fragenden Blick über die Schulter werfend. »Ich meine… einmal würde es bestimmt nicht schaden... aber für gewöhnlich… weißt du?«  Der Blonde lächelte schmal. »Wenn du willst, mach uns etwas Pasta. Aber das darf nicht zur Gewohnheit werden, verstehst du?«  Völlig unverständlich zuckte Feliciano mit den Schultern und seufzte. »Na gut, also… ich lasse meinen Koffer hier stehen, ist das in Ordnung?«   Ludwig nickte und trat hinter Feliciano. »Ich räume dir ein bisschen Platz frei. Aus dem Koffer zu leben ist dir bestimmt unangenehm.«   Der Deutsche nahm Felicianos Hab und Gut und verschwand im Schlafzimmer.  Er ahnte nicht, dass Feliciano seinen Koffer seit seiner Ankunft in Deutschland kaum ausgepackt hatte. Er hatte unter der Woche in der Freizeit immer dieselben Sachen getragen, die bei Elizabeta in der Wäsche gelandet waren und die er sofort wieder trug, wenn sie sauber waren. Seine Anzüge hatte er im Auto aufgehängt und waren als einzige nicht vollkommen zerknittert.  Während Ludwig den leichten Koffer auf sein Bett hievte und sich schließlich zu seinem geräumigen Kleiderschrank umdrehte, hörte er den Italiener in der Küche wieder summen und es wärmte ihm das Herz. Er hatte zwar keinen blassen Schimmer, was er da vor sich hinsang, aber es klang reizend und Ludwig hatte das Gefühl, dass er sich wirklich daran gewöhnen konnte, ihn um sich zu haben.  Nach einer Weile, als Ludwig zwei Schubladen, zwei Regale und eine Stange freigeräumt hatte, kam Feliciano ins Schlafzimmer geschlichen und umarmte ihn von hinten. »Ich finde es schön, dass du Platz für mich schaffst, aber ist das wirklich in Ordnung?«   Er drückte sein Gesicht in Ludwigs Nacken und der warme Atem peitschte in die Halsbeuge des Blonden.  »Natürlich, warum nicht?«, murmelte Ludwig irritiert. »Ich hab dich doch gebeten herzukommen und… ich wäre ein schlechter Gastgeber, wenn ich dir keinen Platz schaffen würde.«  »Ach so? Ich weiß nicht, ist das denn üblich?«, hinterfragte Feliciano Ludwigs Verhalten und grinste in sich hinein.  »Ich weiß nicht, denn ich habe noch nie jemanden gebeten über Nacht zu bleiben«, gab der Deutsche schließlich zu.  »Ah… also bin ich dein erster…«, stellte der Italiener fest und ließ sich eine halbe Minute Zeit, bevor er fortfuhr. »Dein erster Besucher.«  Eigentlich hatte er auf eine Reaktion von Ludwig gehofft, doch als die ausgeblieben war, hatte er beschlossen das einfach alles selbst in die Hand zu nehmen.  »J-ja. Wieso? Ist das schlimm?«  Sichtlich irritiert räusperte sich der Blonde. »Nein. Ich finde es schön, das macht mich irgendwie zu etwas Besonderem«, gab Feliciano schließlich zu und ließ seine Hände über den Bauchmuskeln des Deutschen kreisen. »Ich bin zwar gerne etwas Besonderes, aber ich hatte auf eine andere Antwort gehofft.«  Für einen Augenblick stand Ludwig der blanke Angstschweiß im Gesicht. Hatte Feliciano etwa gedacht, er wäre erfahrener und war nun enttäuscht oder was hatte er damit implizieren wollen? Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, aber er blieb standhaft und brachte zumindest ein »W-was meinst du?«, zustande. »Ich wollte eigentlich hören, dass du Platz für mich schaffst, als deinen Freund«, kicherte Feliciano, während er sich in den Hals des Blonden verbiss.  »Ahh... Feli… ich dachte, das wäre… offensichtlich. Immerhin hast du deiner Schwester bereits zugerufen, dass ich dein fester Freund wäre, oder?«  Ludwig konnte nicht umhin, ein leises Seufzen von sich zu geben, als sich Felicianos Finger verselbstständigten.  »Du bist ein wirklich braver Junge, Luddy«, seufzte Feliciano, während er unter das Shirt des Deutschen fasste und seine Hände auf Erkundungstour gingen, bevor er sie urplötzlich zurückzog und das Schlafzimmer quasi fluchtartig verließ.  Ludwig starrte fragend vor sich hin, während ihm die Distanz bewusst wurde, aber es dauerte keine zehn Sekunden, bis er das Geräusch vernahm, das zum Abbruch aller Zärtlichkeiten geführt hatte. Überkochendes Wasser.  Ein Grinsen stahl sich auf das Gesicht des Größeren und er schüttelte leicht erregt den Kopf. Feliciano hatte etwas an ihm, das ihn sehr leicht in Ektase versetzte, aber zum Glück wusste das der Kleinere längst nicht und Ludwig verschwand im Bad. »Ich gehe kurz duschen, sag einfach Bescheid, wenn das Essen fertig ist.«   »Ja, mach ich«, tönte es zurück und zwei Minuten später befand sich Ludwig unter einer eiskalten Dusche. Glücklicherweise.    * * * Ludwigs Dusche dauerte eine ganze Weile an, doch er hörte nichts von Feliciano und ließ sich daher Zeit. Etwa so lange, bis er ein Klopfen an der Tür vernahm, während er sich rasierte. »Herein?«, antwortete er nur und die Tür ging breit auf. »Das Essen ist fertig…«, hörte er Feliciano sprechen und dieser lugte durch den Spalt in der Tür ins Bad. »Sei nicht so schüchtern und komm rein, aus der Ferne kann ich ja gar nichts verstehen«, brummte Ludwig und lachte sich insgeheim ins Fäustchen, da er Feliciano in seiner derzeitigen Bekleidung durchaus nervös machen konnte.  Unschlüssig öffnete der Italiener die Badezimmertür und erstarrte in seiner Bewegung, als er Ludwig nur mit einem Handtuch bekleidet vor dem Spiegel sah, die Haare nass und in die Stirn gekämmt, während er sich das Kinn mit einem Elektrorasierer rasierte.  Vollkommen unschuldig sah Ludwig durch den großen Spiegel zu seinem neu gewonnenen Mitbewohner und versuchte mit all seiner Macht, ein Grinsen zu unterdrücken, während Feliciano sichtlich nervös den Blick abwandte. »Das Essen ist fertig. Ich… warte dann drüben auf dich, Ludwig.«  »Interessant«, dachte der Deutsche. Wann immer sich Feliciano unwohl fühlte oder dieser das Gefühl hatte, Ludwig würde sich entsprechend fühlen, nannte er ihn bei seinem vollen Namen und seine Stimme wurde weicher. Er wirkte dann so schüchtern und unscheinbar wie ein Lamm, aber der Blonde wusste auch, dass es Feliciano fertig brachte, die Führung übernehmen zu wollen. Er konnte auch fordernd und zweideutig und lasziv wirken, ebenso wie seine Fingerfertigkeiten ein gewisses Maß an Erfahrung erforderten, die Ludwig fehlte, aber er hatte das Gefühl, dass er dies ganz gut überspielen können würde. Nur weil er keine einschlägigen Erfahrungen gemacht hatte hieß es nicht, dass er die letzten Jahre auf der faulen Haut gelegen hatte. Ihm waren die einen oder anderen erotischen Videos oder Geschichten untergekommen und wenn es darauf ankam wusste er ganz genau, was zu tun war. Hoffte er jedenfalls.  Als wollte er sich selbst noch einmal ermutigen, nickte er seinem Spiegelbild zu und strich sich über das rasierte Kinn. Er hatte nichts für diesen Abend geplant, aber das bedeutete nicht, dass er Feliciano nicht in den Wahnsinn treiben konnte, wenn sie schon einmal die Nacht miteinander verbrachten. Allein der Gedanke daran, bereitete ihm unendliche Freude.  Kurz darauf saß er freudestrahlend am Tisch und verleibte sich die Pasta ein, die Feliciano gekocht hatte und das Pesto war hinreißend.  Feliciano verstand wirklich etwas vom Kochen und Ludwig hätte nicht gedacht, dass Nudeln je so lecker schmecken konnten, also genoss er es sichtlich. Feliciano auf der anderen Seite lächelte zufrieden vor sich hin, als er bemerkte, dass sein Essen gut ankam und schließlich schaufelte auch er von den leckeren Nudeln so viel in sich hinein, dass er zwanzig Minuten später vollgestopft auf der Couch lag und sich den Bauch tätschelte, während Ludwig den Abwasch übernommen hatte.  Es hatte sehr wohl eine Diskussion darüber geben »das Geschirr doch zumindest eine Stunde ruhen zu lassen, damit man das Essen erst mal sacken lassen konnte«, doch Ludwig war nicht der Typ dafür und wollte den Italiener auch nicht an ihrem ersten gemeinsamen Abend zusammen herumscheuchen.  Schlussendlich lagen sie beide zufrieden auf der Couch, Feliciano ging es mittlerweile wieder gut genug, um Annäherungsversuche zu starten. Im Hintergrund lief irgendeine Folge Tatort, der keiner von beiden Aufmerksam folgte und Ludwig hatte die Augen geschlossen, lauschte nur den Stimmen im Hintergrund während sich Feliciano über ihn beugte und mit einem verschmitzten Lächeln erst die Nase und dann die Lippen des Deutschen küsste.  »Luddy… bist du wach?«, flüsterte der Italiener neugierig und ließ seine Hände durch die blonden Haare fahren.  »Vielleicht…«  Die Antwort war nur gehaucht, aber sie genügte Feliciano offenbar, denn er ließ sich auf Ludwig sinken. »Du bist so weich und bequem.«  »Ich weiß nicht, ob das ein Kompliment sein soll oder nicht«, antwortete der Deutsche und musste grinsen, als Feliciano ihm spielerisch gegen den Oberarm schlug.  »Natürlich war das ein Kompliment, Dummerchen«, tadelte der Kleinere ihn und biss ihn zur Strafe leicht in die Unterlippe, sodass der Mann unter ihm ein undefinierbares Geräusch von sich gab.  »Soso, du wirst also bissig, wenn man dich ärgert, hm?«  Die tiefe Stimme des Deutschen verfehlte ihre Wirkung nicht und Feliciano versteckte sein Grinsen in der Halsbeuge des Größeren.  »Ganz genau. Du solltest mich fürchten!«, murmelte der Italiener gespielt furchteinflößend und begann erneut damit, den Hals des Deutschen mit vielen kleinen Küssen zu überschütten. Diesmal hoffte er, nicht unterbrochen zu werden und ließ sich entsprechend Zeit.  Ludwig hatte das Gefühl, dass er Wachs in den Händen dieses Mannes war, weil sein Herz so kräftig schlug, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen, nur, dass es sich besser anfühlte, von Feliciano berührt zu werden. Er musste seine ganze Willenskraft aufwenden, allein um nicht schwach zu wirken.  Er wusste sehr wohl, dass sie beide erwachsene Männer waren und dass normale Genderrollen auf sie nicht anwendbar waren, das hielt ihn nicht davon ab, zitternd und mit klopfendem Herzen und rauschendem Kopf beinahe wehrlos unter dem Italiener zu liegen und atemlos zu ihm hinauf zu starren.  Vielleicht machte ihn das verletzlich und schwach, aber seine Fassade bröckelte langsam aber sicher dahin und er gab sich Felicianos Berührungen hin. Was sollte er auch anderes tun? Die Situation wenden und die Führung übernehmen, wenn er doch keinen blassen Schimmer hatte? Vielleicht war es klug, mit Feliciano über alles zur reden. Würde es die Stimmung zerstören?  »Ve, Luddy. Warum die Sorgenfalte auf der Stirn? Magst du es nicht, wenn ich dich küsse?«, hörte er den Italiener murmeln und um gleichen Atemzug zog er ihn an sich und küsste ihn, um ihm zu zeigen, dass er es sehr wohl mochte.  Seine Zunge bat um Einlass, den ihm Feliciano augenblicklich gewährte.  Es war alles vollkommen verrückt. Sein gesamter Körper reagierte auf jede einzelne Bewegung dieses beschäftigten Kerls und seine Hemmungen flogen davon, während sich Feliciano links und rechts neben seinem Kopf abstützte und seine eigenen Hände auf Wanderschaft gingen.  Ihn überkam eine Gänsehaut, bei den Geräuschen, die Feliciano von sich gab. Eine Mischung aus zufriedenem Seufzen und Keuchen, und als sie sich voneinander lösten, lag sein Name auf Felicianos Lippen.  »Verdammt, Feli«, murmelte Ludwig vor sich hin, als sie beide nach Luft schnappten und die Gelegenheit hatten, einander für den Bruchteil einer Sekunde anzuschauen. »Du bist… unglaublich«, stammelte Ludwig nervös und sein Gegenüber lächelte schmal.  »Ich kann gar nicht glauben, so etwas aus deinem Mund zu hören. Du bist praktisch der Inbegriff von Schönheit mit deinen Augen, wie das weite Meer und der weichen Haut und Muskeln wie diesen!«  Während er das sagte, ließ er seinen Blick an Ludwig hinabschweifen und grinste lasziv. »Kaum zu glauben, dass sich jemand wie du für einen wie mich interessiert.«   »Wa-was redest du da? Es fällt mir wirklich nicht leicht, deine besonderen Eigenschaften in Worte zu fassen, aber das liegt eher daran, dass mir die Worte fehlen, weil du… so außergewöhnlich bist und ich so gewöhnlich.«  Ludwig strich Feliciano eine Strähne aus dem Gesicht und strich sanft mit seinem Daumen über die Wange des Italieners. »Du bringst mich noch um den Verstand, Feli.«  Feliciano lachte leise, während er Ludwig einen Kuss auf die Lippen hauchte. »Lass uns ins Bett gehen, Herr Lehrer.« Kapitel 24: Wahrhaftig ein Monatmorgen -------------------------------------- Montag, 17. Oktober Die Kreide kratzte in einem unüberhörbar quietschenden Ton über die Tafel und ließ die Schüler in ihren Stühlen zusammenzucken. Ludwig war so in seinen Gedanken versunken, dass er nicht bemerkte, wie unwohl sich seine Schüler fühlten, bis eine leise Stimme aus der letzten Reihe ungewöhnlich laut wurde. »Herr Beilschmidt?«, murmelte eine Schülerin, sichtlich genervt und wartete darauf, dass sie bemerkt wurde, doch sie musste sich ganze zwei Mal wiederholen, bis Ludwig sie bemerkte. »Ja, Sarah?«, murmelte er verwundert und stoppte in seiner Bewegung, während alle anderen erleichtert aufseufzten. Erst jetzt sah er ihre Gesichter, die jede Regung von gequält zu befreit zeigten und er schob seine Brille zurecht. »Habe ich etwas verpasst? Sie wirken allesamt eher gequält, als froh darüber, neues Wissen zu erwerben«, fragte er beinahe vorwurfsvoll. »Die Kreide… ich… glaube wir alle währen Ihnen sehr dankbar, wenn Sie es unterlassen könnten, dieses Geräusch zu machen.«  Die blonde Sechzehnjährige lächelte schmal. »Es ist wirklich schwer sich auf den Stoff zu konzentrieren, wenn einem die Ohren dabei bluten.«   »Oh«, machte Ludwig nur und er lächelte schmal. »Tut mir wirklich sehr leid. Es scheint, als wäre heute tatsächlich ein Montagmorgen.«   »Ganz offensichtlich«, kam es aus der hinteren Reihe und ein Kichern folgte, das Ludwig nicht einzuordnen vermochte. »Möchtest du das für alle einmal laut wiederholen, Jean?«, fragte Ludwig die gerade ertönte Stimme und taxierte den Jungen mit den dunkelbraunen Haaren, der frech grinste. »Nein, aber danke für die Aufmerksamkeit. Ich halte sie in Ehren, wenn wir leider ohne sie nach England fahren, Herr B.«  Die eine Hälfte der Klasse lachte über diese Unverschämtheit und die andere sank tiefer in ihre Stühle zurück in Erwartung eines Brüllens, doch Ludwig lächelte nur triumphierend. »In Ordnung… dann kommen wir also zurück zum ‚Present Perfect Progressive‘, dass du so sehr verspottest, Jean. Vielleicht könntest du mir ja sagen, wie folgender Satz korrekt übersetzt heißt?«  Ludwig tippte mit der Kreide auf das gerade geschriebene. Der Blonde ließ sich nicht anmerken, wie genervt er innerlich war und dass ihm der Vormittag so unendlich lang vorkam, aber schlussendlich war auch die 10. Klasse von vor Hormonen sprühenden Teenagern bevölkert, die sich beweisen wollten und auch wenn ihm dieses Verhalten zuwider war, zog er seinen Stoff eisern durch. Insgeheim freute er sich jedoch auf die Mittagspause, in der er mit Feliciano verabredet war. Für gewöhnlich machte ihm die Arbeit sehr viel Spaß, hier und da gab es Klassen, die er gerne unterrichtete und manche eher weniger, aber das hielt sich alles in der Waage. Der heutige Tag fühlte sich jedoch an, als würde er nie enden wollen und nervös trommelte er mit den Fingern auf dem Pult herum, bis sich jemand erbarmte, die Frage zu beantworten und sie endlich weitermachen konnten. Diesmal war es nicht Feliciano, der an seiner Tür stand und sich von den ausschwärmenden Schülern hinausspülen ließ, sondern Ludwig, der sich auf den Weg zum Kunstraum machte. Auf dem Weg dorthin schnappte er hier und da einige Gespräche der Schüler auf, doch nichts davon war besorgniserregend. Am Kunstraum angekommen, klopfte er höflich und öffnete dann die Tür, nur um eine Meute freudig schreiender Teenager beim Spielen zu stören. Es dauerte einen Augenblick, bis er Feliciano Vargas zwischen all den Schülern wahrnehmen konnte und ein schräges Lächeln zierte seine Lippen. »Wenn du eine anständige Note willst, musst du sich schon etwas besser anstellen, Marie«, hörte Ludwig seinen Mitbewohner sprechen, während die anderen sich in zwei verschiedene Teams aufgeteilt hatten und die beiden Spieler anfeuerten. Auf den ersten Blick sah er ein weißes Holzbrett, das an den Außenkanten mit Holzleisten gesichert war und jeweils links und rechts an den schmalen Seiten zwei verschieden farbige Kreise in rot und blau eingezeichnet hatte. Das Wort ‚Airhockey‘ kam ihm in den Sinn, als er sah, dass sowohl Feliciano als auch die Schülerin jeweils einen Spielgriff in den Händen hielten und ihre ‚Tore‘ vor dem Puck verteidigten. »Herr Vargas, Sie sind wirklich zu flink«, gab besagte Schülerin zu und keuchte, als sie nur haarknapp ein Tor abwenden konnte. »Das liegt daran, dass ich auch ein ausgezeichneter Fußballspieler bin und weiß, wann jemand in meinen Punktebereich einzudringen versucht.«  Er lachte leise und wehrte einen Angriffsversuch ab. »Du wirst heute ganz sicher keinen Punkt mehr machen und außerdem ist die Stunde vorüber. Gib auf und geh in die Pause!«   »Wenn Sie versuchen, mich damit abzulenken, haben Sie sich aber ganz tief geschnitten. Ich bin eine Kämpferin!«, erwiderte Marie und verteidigte ihr Tor. Es dauerte einen Augenblick, bis Ludwig die Sprache wiederfand, aber als er sich zu Wort meldete, starrten ihn alle an. »Wenn das hier Kunst ist, habe ich mich immer für die falschen Kurse entschieden«, murmelte er vor sich hin und der Italiener lächelte schmal, bevor er zum Blonden hinüberstarrte. Er formte ein ‚Luddy‘ mit seinen Lippen, sagte aber nichts, bis Marie die Gelegenheit nutzte und den Puck ins Tor jagte. »Jaaa!«, jubelte sie gefolgt vom Chor ihrer Unterstützer, während auf der anderen Seite die Fans von Feliciano sie ausbuhten. »Du hast doch nur die Gunst der Minute genutzt. Wenn Herr Vargas ernst macht, hast du keine Chance!«, meckerte einer der Jungen und Marie kicherte. »Du bist der nächste, den ich hochnehme, Frederick!«, beschwor sie und die Meute löste sich leise tuschelnd auf, während sich jeder seine Tasche schnappte und das Klassenzimmer in die Pause schleichend verließ. Feliciano klatschte freudig in die Hände, während er sich lautstark von seinen Schülern verabschiedete. »Vergesst bitte nicht, morgen eure Pinsel mitzubringen. Wir haben hier leider nicht genug für jeden von euch und wir haben Großes vor!«   Er winkte zufrieden, bis sich auch der letzte Schüler davongestohlen hatte und drehte sich dann zu Ludwig um. »Wollten wir uns nicht oben treffen?«, fragte er schmunzelnd und zog seinen Freund an der Hand näher zu sich, während sie ihre Finger miteinander verschränkten. »Muss ich wohl überhört haben«, antwortete Ludwig, während er das Airhockeyfeld in Augenschein nahm. »Hast du das gebaut?« »Ja, mit den Kindern. Es ist nicht schwer in der Herstellung und sie brauchten etwas, das sie wachmacht«, erklärte der Italiener nur, während er Ludwigs Hand zärtlich küsste. Anerkennend nickte Ludwig und streichelte Feliciano über die Wange, ehe ihm bewusst wurde, dass sie sich noch immer an ihrem Arbeitsplatz befanden und dass derartige Gesten unangebracht waren, wenn sie die Tür nicht verschließen konnten. Um ganz ehrlich zu sein, hatte er sich die ganze letzte Woche schon gefragt, welche Art von Lehrer Feliciano wohl sein mochte, wenn er in seiner Freizeit eher nachlässig und nachgiebig war. Dass Ludwig sehr wohl strikt war und seine Schüler oft zu besserem Benehmen aufforderte, sollte Feliciano mittlerweile bewusst geworden sein, doch der Italiener war ein verschlossenes Buch mit sieben Siegeln für ihn. Er war nach außen hin immer freundlich und schien zufrieden und doch hatte er dunkle Geheimnisse, wie die Vergangenheit mit seinem Bruder oder dass er keine lebenden leiblichen Verwandten außer diesem Lovino hatte, wie Ludwig mittlerweile wusste. Obwohl sie die letzten drei Nächte miteinander verbracht hatten, wussten sie doch kaum etwas über einander und Ludwig hatte sich dazu entschlossen, einige Geheimnisse während der gemeinsamen Mittagspause zu lüften. Er hatte sich frühmorgens vor dem Unterricht sogar die Mühe gemacht, über den Tisch und die Schränke im Streitschlichterraum zu wischen, damit es ansehnlich für sie beide war und sie sich wohl fühlten. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er Felicianos Hand nahm und sie seinerseits küsste. »Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, etwas Leckeres zu zaubern und ich hoffe, dass du Hunger hast.«   »Ist es Pasta? Bitte lass es Pasta sein!«, seufzte Feliciano und genoss die offensichtliche Zuneigung des Deutschen. Er schmiegte seine Wange an die Hand Ludwigs und kicherte zufrieden vor sich hin. Doch ehe der Blonde ihm eine Antwort geben konnte, schwang die Tür auf und ein lautes »Heeeeya!«  hallte durch den Kunstraum. Ein himmelblaues Augenpaar mit zugehörigen blonden Fransen, in einer dunkelgrünen Bomberjacke, stand grinsend im Raum und wedelte wie wild mit den Armen vor sich hin, ehe besagte Person erstarrte und die anderen beiden Männer im Raum irritiert taxierte. »Oh… Ludwig? Feliciano!«   »Mr. Jones?«, murmelte Ludwig vor sich hin, ehe er sich vor lauter Schreck ruckartig von Feliciano entfernte und genügend Abstand zwischen sie brachte. »Das ist nicht…« »…wie es aussieht? Ich dachte solche bescheuerten Sätze bekommt man nur in schlechten deutschen Filmen zu hören! Hoho, also… Hallo, Sie beide…«  Alfred grinste selbstgefällig vor sich hin und klopfte sich dann auf die Brust. »Als ich bemerkt hab, dass Sie beiden einander kennen, hätte ich das aber ganz sicher nicht erwartet, eh…«  Er kratzte sich kurz am Kinn, ehe er fortfuhr, bevor die anderen beiden im Raum etwas sagen konnten. »Eigentlich… wollte ich etwas wegen der Klassenfahrt besprechen, Feliciano, aber das hat sicher Zeit, bis Sie zwei Turteltäubchen fertig sind. Ist immerhin Ihre Pause, also…«  Alfred zwinkerte ihnen zu und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Feliciano neben Ludwig reagierte schneller, als der Deutsche, bevor sich dieser davonmachen konnte, fasste er seine Hände. »Du wirst ihm jetzt nicht hinterhergehen und irgendwas erklären, verstanden?«, murmelte der Italiener ungewohnt scharfsinnig und verengte die Augen zu Schlitzen. »Du hast mir ein Essen versprochen und wir verbringen die Mittagspause zusammen, Luddy. Das mit Alfred kannst du danach noch immer klären und ich weiß, das hast du vor!« Ludwig seufzte hörbar aus lächelte dann schmal. »Du hast recht. Wir können ja nicht immer irgendetwas dazwischen kommen lassen…«   »Ve, zum Glück… ich habe nicht geglaubt, dich überzeugen zu können«, stieß Feliciano aus und schmiegte sich an Ludwigs Arm an. »Grazie! Danke, danke, danke!«  Er überschüttete Ludwigs Hand mit vielen kleinen Küssen, ehe sich der Deutsche räusperte. »Wollen wir?« »Aber natürlich!«     * * * Im alten Streitschlichterraum angekommen, staunte Feliciano nicht schlecht, dass Ludwig sehr wohl ein wenig mehr vorbereitet hatte, als erwartet. Auf dem einst staubigen Tisch war ein hübsches aber dezentes helles Tischtuch ausgebreitet, auf dem zwei Teller mit passendem Besteck angerichtet waren. Dazu war in der Mitte des Tisches ein dreiarmiger Kerzenständer aus Porzellan aufgestellt worden, in dem drei perlmuttfarbene Kerzen in verschiedenen Höhen thronten. Sichtlich nervös nahm Ludwig Felicianos Hand. »D-das Essen habe ich heute Morgen vorbereitet, als du geschlafen hast und daher müssen wir es aufwärmen, aber ich bin mir sicher, dass es gut schmecken wird.«   »Das denke ich auch!«, gab Feliciano beeindruckt zurück und widerstand dem Drang, sich an die Brust seines Freundes zu schmiegen. Er wollte auch nicht zu anhänglich wirken, also lächelte er nur freudig und ließ sich auf einem der Stühle nieder. »Das sieht schon total schön aus, Luddy.« Der Deutsche hatte sich zwar beim ersten Besuch in diesem Raum gefragt, wozu die Schüler hier eine Mikrowelle gebraucht hatten, doch diese kam ihm gerade recht, während er seine Mahlzeit darin aufwärmte und den Blickkontakt mit Feliciano mied. Er war schon ziemlich aufgeregt und hoffte, dass das Essen schmeckte, das er für den quirligen Italiener vorbereitet hatte und weil es sich um ein italienisches Gericht handelte, war er umso nervöser. Feliciano wusste ganz sicher besser zu kochen als er, aber das Original italienische Kochbuch, das er besaß hatte ihn mehr als einmal gut verköstigt und darauf baute er auch diesmal. In der Zeit die das Elektrogerät brauchte um das Essen zu erwärmen, versuchte er etwas Smalltalk zu betreiben. »Ich muss zugeben, ich hatte leider keine Sopressata zur Hand, wie das Rezept vorgeschlagen hat, aber ich denke, es wird mir auch ohne gelungen sein. Ich habe die andere Salami verwendet, die du am Samstag mitgebracht hast«, stammelte Ludwig vor sich hin, sich den Nacken reibend. »Schon in Ordnung, manchmal muss man vom Rezept abweichen, um Meisterwerke zu erschaffen«, ermutigte ihn der Italiener und lächelte sanft. »Setz dich doch, solang. Ich möchte deine Hand halten…«   Ludwig tat, wie ihm geheißen, aber er war sichtlich nervös und seine Hand zitterte, als er die warme Felicianos in seine nahm. Sobald die Mikrowelle ihre getane Arbeit ankündigte, sprang der Blonde jedoch aufgeregt vom Stuhl und holte etwas ungeschickt die heiße Schale heraus, die er mit einem Backhandschuh, den er sich nachträglich doch aus seiner Tasche angelte. Er stellte das Gericht vor ihnen neben den Kerzen ab und legte eine Edelstahlzange dazu. »Und hier… haben wir traditionelle Cannelloni… Hoffentlich jedenfalls.«  Sein schräges Lächeln brachte Feliciano zum Kichern. »Es riecht wunderbar, es sieht gut aus und du hast es gekocht. Warum bist du so nervös? Ich liebe Pasta, egal in welcher Form!«  Bernsteinfarbene Augen trafen auf blaue und der Deutsche lächelte müde, während Feliciano sich eine Portion nahm und voller Vorfreude daran roch. »Ich kann es kaum erwarten, zu probieren.« Dass er Ludwig mit dieser Aussage noch nervöser machte, wusste er natürlich nicht, aber mit zittrigen Fingern nahm sich auch der Deutsche etwas von dem Essen. Der erste Biss des Brünetten wurde voller Argwohn von Ludwig analysiert und jeder Augenaufschlag und jedes Geräusch wurde gründlich überprüft, ehe Feliciano wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen anfing. »Es ist perfetto, Luddy! So und nicht anders haben sie zu schmecken«, lobte er das Gericht mit glänzenden Augen, ehe er sich genüsslich einem weiteren Bissen hingab. Es dauerte noch zwei weitere Bissen, bis sich Ludwig sicher war, dass ihn Feliciano wirklich nicht veralbert hatte und er dann ebenfalls probierte. Er hatte zum ersten Mal die Cannelloni versucht, weil er selber gern herumprobierte, aber sie schmeckten ihm auf Anhieb gut, obwohl sie aufgewärmt waren.  Er hatte glücklicherweise den richtigen Moment gewählt, sodass sie auch von innen recht heiß waren. Seine größte Sorge war gewesen, dass die Sauce zwar köchelte, aber die Füllung noch vollkommen kalt war. Die Befürchtung, dass die Technik gegen ihn arbeitete, war gar nicht so abwegig. Ein Lächeln schlich sich auf sein leicht gerötetes Gesicht, während er Feliciano sein Essen verschlingen sah und sein Herz begann plötzlich wie wild zu schlagen. Was hatte dieses Wochenende doch seine Welt verändert, immerhin hatte er noch vor genau einer Woche versucht, den Italiener zu meiden wo er konnte. Woran lag es, dass seine Bedenken so schnell zerschlagen wurden und warum fühlte er sich so wohlig warm und überhaupt nicht seltsam dabei? Normalerweise machte er sich um jede Kleinigkeit einen Kopf, aber er hatte es bisher auf ein Minimum reduzieren können und allein der Anblick des Italieners reduzierte seinen Stress um gefühlte 100% und entfachte in ihm ein Gefühl der Leidenschaft. Etwas, das Ludwig bisher nur aus Romanen kannte. Kapitel 25: Die Unsicherheiten des Feliciano Vargas --------------------------------------------------- Montag, 17. Oktober Feliciano kräuselte die Stirn und konzentrierte sich angestrengt auf die Worte seines Vorgesetzten Alfred Jones. Eigentlich hätte er jetzt einen Batzen an Arbeiten korrigieren müssen, die vom Wochenende übriggeblieben waren, doch er ahnte, dass Alfred ein wichtiges Anliegen hatte. Es wäre ihm garantiert leichter gefallen, dessen Worten zu lauschen, wenn Alfred Jones nicht während seiner energiegeladenen Rede auf einem Hamburger herumkaute. »Und dann… vielleicht… nächste Woche… Ich denke, dass es… oh, schmeckt der… London.«  Seinem verträumten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war er vollkommen zufrieden in diesem Moment und es kostete den Italiener einiges an Überwindung, ihn in seiner Rede zu unterbrechen.  »Mr. Jones. Ich muss leider zugeben, dass ich kein Wort von dem verstehe, was Sie da sagen«,gestand Feliciano und lächelte beschämt.  »Okay, wir können auch in Englisch…«, begann der Amerikaner, bevor er wieder in seinen Hamburger biss und genüsslich seufzte.  »N-nein. Die Sprache ist nicht das Problem, Sir. Aber wenn sie mit vollem Mund sprechen, verstehe ich kein Wort.«  Einen Augenblick stoppte Alfred in seiner Bewegung, ehe er den Hamburger in seinen Fingern sorgfältig in das Papier zurück wickelte und ihn neben die vier anderen legte, die sorgfältig eingereit auf seinem Schreibtisch lagen.  Schließlich nahm er sich die XXL Cola und schlürfte geräuschvoll durch den Strohhalm während er wieder zu sprechen anfing. »Die Klassenfahrt…« Und wieder ergaben seine fortwährend unterbrochenen Wortfetzen kaum einen Sinn in Felicianos Ohren.  »Sir. Ich verstehe kein Wort, wenn sie essen oder trinken, während Sie sprechen. Vielleicht warten wir einfach, bis Sie fertig sind mit ihrem Mittagessen?«, schlug Feliciano vor und lächelte versöhnlich, ehe er die Hände in seinem Schoß faltete. Autoritäten machten ihn immer etwas nervös, auch wenn Alfred ein guter Bekannter von Elizabeta war. Jetzt hatten sie ein geschäftliches Verhältnis und er wusste nicht so recht, wie er damit umgehen sollte. Er wollte seine Stelle um jeden Preis behalten.  »Mittagessen? Das hier ist mein Snack vor dem Nachmittag… ein Schüler war so nett und hat mir etwas mitgebracht, weil… nun ja. Wie auch immer…«  Alfred grinste leicht. »Die Cola wird ja nicht schlecht, also…«  Er starrte einen Augenblick unschlüssig auf die Burger, ehe er sich räusperte und sich mit den Ellenbogen auf dem breiten Schreibtisch abstützte. Seine Fingerspitzen lagen aufeinander und waren unter seinem Kinn platziert. Feliciano sank sichtlich in seinem Stuhl zusammen, während er so eingehend betrachtet wurde, aber der Amerikaner lächelte schließlich und nahm der Situation ein wenig den Ernst. »Ich wollte die Details der Klassenfahrt besprechen, Feliciano.«  »Ja, das sagten Sie schon. Ich habe den Antrag bereits ausgefüllt und Ihnen ins Fach gelegt…« Feliciano lächelte schmal und ließ seinen Blick durch das geräumige Büro schweifen, in dem zwei deckenhohe Regale gefüllt mit Büchern in allen Größen und Farben standen. Die meisten hatten englische Titel und handelten demnach von Gesetzen oder Motivationsreden, doch kam Feliciano nicht dazu, sich alles genauer anzuschauen, weil Alfred seine Aufmerksamkeit einforderte.  »Ich habe den Antrag erhalten, was das angeht ist alles unter Dach und Fach. Wir können nächste Woche problemlos starten…«, sprach Alfred und kramte dann in seiner Schublade nach einigen Dokumenten.  »Eh… nächste Woche schon?«  Feliciano war leicht irritiert und kratzte sich verlegen an der Stirn, ehe er vor sich hin lachte. »Auf dem Antrag stand kein Datum, da bin ich mir sicher.«  »Ja, das stimmt. Ich wollte die Details ja auch heute mit Ihnen besprechen, Feliciano.«   Alfreds unbekümmerte Miene war unerschütterlich, während Feliciano offensichtlich schockiert war über den knappen Zeitraum. »D-dann starten wir also am Montag?«, fragte der Italiener, nur um sich zu vergewissern und um jedes Missverständnis aus dem Weg zu schaffen. »Yes! Wir werden Montagmorgen mit einem Shuttle starten und am Samstagmittag zurücksein. Ich dachte, das hätte ich letzte Woche erwähnt…«  Alfred seufzte und fuhr sich nachdenklich durch das Haar, ehe er den Kopf schüttelte. »Muss ich wohl vergessen haben, Sie sind doch flexibel, oder, Feliciano?«  Der eindringliche, auf ihm liegende Blick ließ Feliciano schlucken. »Natürlich bin ich das.«  Und er log nicht einmal. Es gab keinen gescheiten Grund, etwas gegen den frühen Reisetermin zu sagen, weil ohnehin so viel unmittelbar bevorstand, dass es ihm lieber war jetzt zu fahren, als kurz vor Weihnachten. »Nächste Woche… das ist dann also die Woche vor den Herbstferien…«, murmelte der Italiener vor sich hin.  »Genau. Und im Prinzip ist alles vorbereitet, sodass Sie nur noch mit Ihrer Anwesenheit glänzen müssen«, bestätigte Alfred Jones und lächelte schief. »Die Kids freuen sich schon gewaltig auf diesen Ausflug, bevor ihre armen Seelen sich dann im neuen Jahr für die Abschlussprüfungen plagen müssen.«  »Wenn Sie das so sagen, fühle ich mich beinahe schlecht dabei«, scherzte Feliciano und erwiderte das Lächeln, ehe er einen Block aus seiner Tasche zog und sich einige Notizen machte. »Was machen Sie da?«  Alfred legte den Kopf schief und beobachtete den Italiener fragend, während er mit seinen Fingern auf dem imposanten Schreibtisch herumtrommelte.   »Ve… Ich mach mir Notizen… ich will nichts vergessen«, erklärte Feliciano ehrlich und kicherte nervös vor sich hin.  »Don´t worry! Ich habe ein Dossier mit allen notwendigen Informationen zur Reise anfertigen lassen. Ich habe es bewusst bis heute zurückgehalten, damit Sie mich mit Fragen überhäufen können, Feliciano.« Ein überlegenes Grinsen stahl sich auf das Gesicht des Amerikaners, während er seinem Untergebenen das Infomaterial aushändigte, mit dem sich sein Ersteller offenbar beschäftigt hatte. In bunten Lettern prangten die großen Buchstaben »London 2016« auf dem Deckblatt und sowohl die amerikanische Flagge als auch die des vereinigten Königreiches zierten die Ränder des Blattes.  Während er, schmal lächelnd, in dem Dossier blätterte, frage Feliciano: »Was hat denn die amerikanische Flagge mit London zu tun?«  Die übermotivierte Stimme seines Vorgesetzten überschlug sich beinahe beim Sprechen. »Na, weil sie einfach cool aussieht, of course!« Mit einem gezielten Sprung stand der Amerikaner motiviert auf beiden Beinen, seine Handflächen auf den Tisch klopfend und zu Feliciano hinübergebeugt. Ein kindlicher Ausdruck trat auf sein Gesicht und beinahe stieß er in der plötzlichen Bewegung den Becher mit dem Getränk um.  Sein Patriotismus überraschte Feliciano nicht sonderlich, aber er schreckte dennoch aus seinen Gedanken auf und wich unwillkürlich etwas von dem Amerikaner zurück. »J-ja, Sir!«  Während Alfred seine Hand zur Faust ballte und sie in die Luft reckte, wirkte er lebendiger als je zuvor und er lachte hämisch vor sich hin. »Diese verdammten Teetrinker werden schon sehen…«, murmelte er vor sich hin, doch Feliciano wagte es nicht, nachzufragen, was sich dahinter verbarg.  Stattdessen nahm er das Dossier an die Brust und lächelte schief. »Ich… werde es mir durchlesen und wenn ich Fragen habe, schreibe ich sie auf, Mr. Jones. Ich wünsche einen buon appetito.«  Der Brünette deutete auf die Hamburger.  »Oh, stimmt! Sie werden ja noch kalt! Und dafür habe ich diesen kleinen miesen Rüpel zum Imbiss geschickt…«, knurrte Alfred und schien dann wieder zu bemerken, dass er nicht allein im Raum war. »Das war nur ein Joke! Ein JOKE!«, lachte er affektiert und kratzte sich am Hinterkopf. »Ich würde meine Autorität nie dafür missbrauchen, einem Problemschüler seine Missetaten zu erlassen, wenn er für mich Botengänge erledigt.«  Dann legte er den Kopf schief, so als versuchte er, den Italiener einzuschüchtern, doch er wirkte nicht sonderlich furchteinflößend.  »Niemand würde Ihnen etwas so Seltsames unterstellen«, winkte Feliciano ab und stand aus seinem Stuhl auf. »Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen.«  »Selbstverständlich… viel Erfolg dabei. Und… nehmen Sie Ludwig nicht so hart ran, er ist ein guter Kerl.«  Für einen kurzen Augenblick wandte Feliciano sich um und starrte Alfred aus großen Augen an, bevor sich seine Wangen leicht rot färbten. Doch dummerweise wusste er darauf nichts Kluges zu erwidern, also räusperte er sich nur und sagte: »Vielen Dank, für das Gespräch, Mr. Jones.«   * * * Feliciano saß schweigend neben Ludwig im Auto, als sich ihr Arbeitstag dem Ende zugeneigt hatte. Dieser Tag war so zauberhaft gewesen, dass der eine unangenehme Gedanke ihm schwerer auf den Schultern wog, als es für gewöhnlich der Fall hätte sein sollen. Normalerweise störte es ihn nicht, wenn etwas plötzlich geschah, das seinen Terminkalender durcheinanderbrachte und er fürchtete sich gewiss nicht vor der bevorstehenden, kurzfristigen Klassenfahrt. Doch etwas in seinem Inneren rebellierte und machte ihm Vorwürfe.  Ein seltsames Gefühl. War es sein Gewissen?  »Ist… alles in Ordnung, Feli?«, hörte er Ludwig sprechen und der Frosch in seinem Hals fand eine andere Stelle, um seine Sprache zum Verklingen zu bringen. »J-ja«, murmelte der Italiener nur und lächelte gezwungen. Für gewöhnlich hätte er Ludwig direkt von der Neuigkeit erzählt, aber dies war der erste richtige Tag ihres Zusammenlebens und alles war so frisch und wunderschön, sodass er sich davor fürchtete, diesen Zauber zu brechen, wenn er das Thema ansprach.  Ludwig hatte ihn gebeten, für eine Weile bei ihm zu bleiben und dies war das Beste, auf das Feliciano hoffen konnte. Er wusste selber, dass er sehr anhänglich war und dass er am liebsten all seine verfügbare Freizeit mit dem Deutschen verbracht hätte. Das Angebot grenzte an ein Wunder.  Er hatte das Gefühl, die Stimmung zu trüben, indem er die Bombe platzen ließ und von der Klassenfahrt sprach. Andererseits war der Termin fest und es nur eine Frage der Zeit, bis Ludwig davon erfahren musste. Und vielleicht würde er es sogar verstehen, weil es sich hierbei um die Arbeit handelte. Ludwig war gewissenhaft. »Du bist so schweigsam…«, murmelte er und warf Feliciano einen kurzen Seitenblick zu, bevor er vor einer roten Ampel Halt machte.  »Tut mir leid, Luddy.« Er war hin und hergerissen zwischen einer Notlüge und der Wahrheit, die ihm deutlich lieber war. Die Reaktion war ihm zu ungewiss.  »W-warum entschuldigst du dich? Wenn du dich nicht gut fühlst oder der Tag anstrengend war, lasse ich dich in Ruhe… Ich muss es nur wissen, damit ich angemessen darauf reagieren kann.« Der Blonde lächelte schmal und räusperte sich dann. »Ich kann wirklich keine Gedanken lesen und habe außerdem das Gefühl, dass dich diese Frage nerven könnte, also…«  »Du könntest mich niemals nerven, Luddy… es ist nur… lass uns darüber sprechen, wenn wir… zuhause… ähm… bei dir sind, bitte?«  Er spürte selber, dass seine Stimme zitterte und dass er sich an seiner Arbeitstasche festhielt, als würde diese ihm Halt geben.  Seit wann dachte er bitte sehr über jedes Wort nach, das über seine Lippen kam und warum sorgte er sich um solche Kleinigkeiten wie den Umstand, dass er seine Arbeit erledigen musste?  Er war Feliciano Vargas. Bekannte seines Großvaters hatten ihm oft gesagt, dass seine unbekümmerte und zuvorkommende Art, ihn von seinem großen Vorbild unterschied: Roma hatte sich immer zuvor Gedanken gemacht und Feliciano hatte immer kopflos drauflosgeplaudert und sich in allerlei Schwierigkeiten manövriert. Er besaß nicht das taktische Denken seines Großvaters oder die Fähigkeit, ein Thema zu wählen und andere mit bloßem Charme von einer Meinung zu überzeugen, die nicht einmal seine eigene war. Allein, dass sein Großvater etwas Derartiges bewerkstelligen konnte, bewies Feliciano nur jedes Mal aufs Neue, dass er dem Erbe seines Großvaters nicht gewachsen war.  Jedoch ertappte er sich dabei, wie ihm die Worte fehlten und er länger als üblich darüber nachdachte, was und auf welche Weise er etwas sagte.  In Ludwigs Gegenwart fühlte er sich zwar immer ohne jeden Zweifel wohl und geborgen, aber auch ein wenig unterlegen. Vielleicht, weil Ludwig anderen gegenüber immer so selbstsicher auftrat, während er selber oft nicht wusste wohin mit sich... Auch jetzt hatte er das Gefühl, nichts auf die Reihe zu bekommen.  Vielleicht machte er sich auch zu viele Gedanken oder war schlichtweg überfordert mit diesen merkwürdigen Gefühlen, mit denen er bisher nichts anzufangen wusste. Nie zuvor hatte er sich in seinem eigenen Verhalten so unsicher gefühlt.  Als Ludwig das Auto auf den Parkplatz lenkte und den Motor abschaltete, öffnete Feliciano gedankenverloren seinen Sicherheitsgurt. Er wollte sich aus dem Beifahrersitz schälen, als er eine Hand auf seinem Unterarm spürte. »Tut mir leid, Feli. Ich… bin gerade wirklich nervös. Du… worüber wolltest du denn mit mir reden?«  Seine Stimme zitterte merklich und er war blasser, als sonst. »Ich weiß, ich komme dir wahrscheinlich ungeduldig vor, aber…«  »Oh… ich habe gar nicht darüber nachgedacht, dass auch du dir darüber Gedanken machen könntest. Es ist wirklich nichts Dramatisches.«  In gewohnter Manier lächelte der Italiener charmant und nahm Ludwigs schweißnasse Hand in seine. »Mach dir keine Sorgen… Es beschäftigt mich zwar, aber es geht nur um die Klassenfahrt, die Alfred geplant hat. Ich wollte die Details mit dir besprechen, weil du doch jetzt auch ein Teil meines Lebens bist.«  Er bemerkte, dass sich Ludwig auf seine Worte hin sichtlich entspannte und sich ein Lächeln erlaubte. Der erleichterte Seufzer verriet ihn und Feliciano spürte dessen Daumen sanft über seinen eigenen Handrücken streichen.  Es hinterließ ein taubes Kribbeln auf seiner Haut und am liebsten hätte Feliciano wie ein pubertärer Schuljunge gequietscht, aber er konnte sich zusammenreißen und grinste nur überglücklich. Er hielt Ludwigs Hand an seine Lippen  und platzierte einen sanften Kuss auf dessen Fingerknöchel.  Auf Ludwigs Gesicht breitete sich ein ansteckendes Lachen aus. Die himmelblauen Augen betrachteten Feliciano eindringlich, aber da sein Blick warm und einladend war, hinterließ es eine Gänsehaut auf den Armen des Italieners. Wenn sie nicht in diesem Auto säßen, hätte Feliciano Ludwig längst geküsst.  Ludwigs Stimme echote in seinem Kopf. »Wir sind nicht ungestört.«  »Lass uns hochgehen, Luddy. Ich will dich endlich küssen und ich kann mich nicht länger zurückhalten.« Er drückte die Hand seines Angebeteten fester und Ludwigs Reaktion ließ eine beachtliche Menge flatternder Schmetterlinge in seinem Magen erscheinen.  Feliciano war trunken vor Glück.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)