Zum Zuschauen verdammt von ougonbeatrice ================================================================================ Kapitel 5 - ... und durch ------------------------- Tess rutschte das Herz Richtung Boden, als ihr Ollivander, den Oberkörper auf beiden Armen gegen den Tresen gestützt, einen eindringlichen Blick zu warf. "Motto? Welches Motto?" Sie schluckte schwer und hoffte die Situation entschärfen zu können, bevor sie in die falsche Richtung eskalierte. "Der Zauberstab sucht sich seinen Meister", wiederholte er mit sanfter Stimme sein Credo, durch das Tess kurz davor stand aufzufliegen. "Das sage ich oft, keinen Zweifel. Und wie der Zufall es will habe ich genau diesen Satz vor kurzer Zeit gesagt. Zu dem jungen Harry Potter, für den Sie ebenfalls ein reges Interesse zeigten?" Er sprach vollkommen sachlich, doch die leichte Erhöhung am Ende seines Satzes machte deutlich, dass er eine Erklärung verlangte. Doch eine Erklärung war etwas, das Tess ihm schlecht geben konnte. Sie setzte ein Lächeln auf und wich seinem Blick aus. "Wer zeigt kein Interesse an Harry Potter?" Ihre Gegenfrage schien nicht genug zu sein, um Ollivander vom Thema abzubringen. Seine Augen verengten sich, doch er schwieg. In dieser peinlichen Stille wagte es Tess nicht zu reden, ja noch nicht einmal laut zu atmen. "Miss Harris. Ich lebe lange genug um zu erkennen, wenn ich jemanden vor mir habe, der etwas verheimlicht. Und ich lebe lange genug um zu wissen, dass man diese Leute nicht allzu sehr mit Fragen bedrängen sollte." Er stieß sich mit einem tiefen Seufzer vom Tisch ab und legte die Hände hinter den gestreckten Rücken. "Dennoch komme ich nicht umhin ... verwundert zu sein angesichts ihrer", er neigte den Kopf leicht nach unten, "Erscheinung und ihrer mehr als fragwürdigen und spärlichen Geschichte." Mit jedem seiner Worte wurde Tess Miene ernster. Sie wusste es. Ihre Geschichte war zu nichts zu gebrauchen gewesen. Seufzend schloss sie die Augen, denn sie wusste auch, wenn eine Schlacht verloren war. "Ich versichere Ihnen, ich habe keine bösen Absichten." Keine Absichten, die sie in dieser Zeit und in dieser Welt womöglich mit Todessern in Verbindung brachten. "Mag sein, dennoch frage ich mich, was sie hier suchen." Um Tess drehte sich alles. Die Hand an der Schläfe verzog sie das Gesicht zu einer Grimasse und lachte. "Das weiß ich selbst nicht genau." Ollivander hob fragend die Stirn. "Ich kann nicht zurück, zumindest wüsste ich nicht wie." Sie wusste ja nicht einmal, wie sie hier gelandet war. Zugegeben, wirklich Gedanken hatte sie nicht über ihre Heimreise gemachte, aber ... "Ich glaube, ich will auch gar nicht weg", formulierte sie ihre Gedanken. Mit einem Ruck fixierte sie Ollivander und sprach mit fester Stimme weiter, wenn sich auch Kopfschmerzen bildeten. "Mein ganzes Leben über wollte ich hier sein. Jetzt bin ich es. Vielleicht sollte ich einfach neu anfangen." Neu anzufangen war sowieso ihr Plan gewesen. Die Startbedingungen hier waren ein wenig schlechter, so ganz ohne Geld in der Tasche und mit nichts als den Sachen an ihrem Leib. Bedachte man aber den Ort und die Welt, so ergaben sich ganz neue Möglichkeiten. "Die Wahrheit ist, ich bin einem Muggel wahrscheinlich ähnlicher, als jeder Hexe oder Zauberer in England. Aber ich weiß Dinge." "Wie zum Beispiel, dass der junge Harry Potter heute hier war?" "Zum Beispiel, ja", erwiderte sie nickend und zeigte auf den Stab. "Oder, dass Sie die besten Zauberstäbe herstellen." "Sie sind also zufällig hier und wissen Dinge?" Ollivander hatte geduldig ihrem Vortrag gelauscht und hatte nun noch einmal den Kern ihrer Aussage zusammengefast. Aus seinem Mund klang es jedoch irgendwie merkwürdiger, als sie sich das Sekunden vorher in ihrem Kopf ausgemalt hatte. Wobei Tess zugestehen musste, dass momentan alles merkwürdig war. "Wenn Sie wollen könnte man sagen, dass ich eine mittellose Wissende bin auf der Suche nach meinem Platz in der Welt." Geschlagen hab sie die Arme von sich und ließ sie sofort wieder fallen. Ollivander nickte. "Der Stab könnte Ihnen womöglich helfen. Er hat sie schließlich erwählt." Tess glaubte ein Blitzen in seinen Augen zu sehen, doch ihre Gedanken schweiften schnell zu einer anderen Frage. "Was genau ist es eigentlich für ein Stab, also aus was besteht er, Kern, und so", stammelte sie verlegen. Sie hoffte mit dieser Frage ein wenig von ihrer Person ablenken zu können. Mit Erfolg. "Ja richtig, das hatte ich ja gar nicht erwähnt, wie nachlässig. Weißdorn mit einem Kern aus Einhornhaar, 11 Zoll", rezitierte er mit geübter Stimme. "Weißdorn und Einhornhaar", wiederholte Tess ehrfürchtig und grinste schief. "Nun, ich habe gewiss nicht ihr Talent Dinge zu sehen." Tess Wangen liefen leicht rosa an. "Doch ich denke, dass dieser Stab tatsächlich für jemanden gedacht war, der sucht. Eine kindliche Seele, womöglich." Seine Erläuterung erinnerte sie ein wenig an die seltsamen Interpretationen der verschiedenen Zauberstabhölzer, nach denen man je nach Holz besonders abenteuerlustig sein sollte oder dazu bestimmt in der Politik zu arbeiten. Vielleicht bedeutet Weißdorn ja in ihrem Fall auch arm wie eine Kirchenmaus zu sein. "Mr Ollivander, mir ist nicht wohl bei dem Gedanken Ihnen kein Geld geben zu können. Erlauben Sie mir wenigstens für Sie zu arbeiten." "Ich brauche aber keine Angestellte. Ich hatte noch nie eine Angestellte, wieso auch? Ich bediene immer nur einen Kunden gleichzeitig", sagte er mit einem Schwenker Richtung geschlossener Tür. "Ich könnte putzen, Tee machen, kochen, was Sie wollen", drängte Tess. Ollivander kratze sich an seinem Bartstubbeln. "Der Stab ist wirklich nicht viel wert, es ist nicht nötig, da-" "Bitte, meinem Gewissen zuliebe." Ollivander seufzte und gab sich geschlagen. "In Ordnung. Aber viel wird es nicht zu tun geben." Tess jubelte innerlich über ihren ersten kleinen Erfolg, wenn man von ihrer Klettertour von heute Mittag absah. "Danke, Mr Ollivander", brachte sie erleichtert heraus und hielt sich zurück, ihn nicht noch ein zweites Mal innerhalb kürzester Zeit zu umarmen. Angestellte bei Mr Ollivander persönlich zu sein, das war doch was! "Sie werden aber nicht in dieser Erscheinung hier arbeiten", sagte er, als er sich abwandte. "Gehen Sie zu Madam Malkin und kleiden Sie sich richtig ein. Sagen Sie ihr, sie soll die Rechnung an mich schicken. Das können Sie dann gleich mit abarbeiten", setzte er schnell nach, als Tess bereits wieder protestieren wollte, um sie zu besänftigen. "Ich nehme an, sie wissen, wo Madam Malkins ist?", fragte er zynisch. "Immerhin wissen Sie Dinge." Tess neigte sich ein wenig nach unten, um ein Grinsen zu verbergen, drehte sich um, wurde jedoch noch einmal zurück gerufen. "Vergessen Sie ihren Stab nicht." Tess Augen leuchteten, als sie nach der eingepackten Schachtel griff und den Laden durch die Tür verließ, die sich nun widerstandslos öffnen ließ. Die Sonne stand bereits sehr tief, doch auf der Straße war noch immer reges Treiben. Mit dem Stab in der Hand fühlte sich Tess wie ein ungestümes Kind mit dem Wunsch zu jubeln, zu hüpfen und jeden zu umarmen, der ihr begegnete. Selbst wenn das bedeutete, jeden einzelnen auf der Straße um den Hals zu fallen. Ein wenig an die steinerne Wand des Laden gedrückt ballte sie freudig die Hände und unterdrückte einen lauten Schrei. Ihre Nägel stachen dabei unangenehm in ihre Haut, was für Tess jedoch nur ein weiterer Beweis war, dass sie noch immer bei vollem Bewusstsein war. Fasziniert glitt ihr Blick nach oben zum blauen Himmel, der ihr nun noch heller und strahlender vorkam, und weiter zum weißen Gebäude Gringotts. Alles erschien ihr plötzlich anders. Selbst das Marmorgebäude begeisterte sie, sodass sie sich fragte, wie sie vor Kurzem nur müde Zucken konnte, als sie das Gebäude sah. Mit neuer Energie stieß sie sich ab, packte den Stab aus, den Ollivander vor gerade einmal ein paar Minuten mühsam verschönert hatte und wiegte ihn in der Hand. Er war wirklich grob und nicht sehr ansehnlich. Doch es war ihrer! Kaum hatte sie das Holz in Händen, durchströmte sie wieder diese angenehme Wärme, die scheinbar auch die Stiche ihrer kleinen Wunden zu lindern schien. Die Schachtel unterm Arm und den Stab locker in den Fingern hängend, schlenderte sie die Straße zurück zu Madam Malkins, wobei sie sich anstrengen musste nicht bei jedem zweiten Schritt zu hüpfen. Du bist 25, benimm dich auch so, ermahnte sie sich in Gedanken. Sie konnte sich irren, doch ihr kam es so vor, als würden die Leute weniger starren, weil sie nun ein Zauberstab neben sich trug. Man konnte also wirklich herumlaufen, wie man wollte, Hauptsache irgendwo hatte man einen Zauberstab, vermerkte sie innerlich. Madam Malkins hatte sie schnell wieder gefunden, in deren Schaufenster sich die Puppe noch weiterhin in verschiedenen Posen drapierte. Statt nur davor zu stehen, ging sie mit sicherem Schritt hinein. Auch hier begleitete ein Klingeln ihr Eintreten, wobei dieses Klingeln ein wenig höher war, als das von Ollivanders. Innen trat sie sofort auf weichen Teppichboden, ein harter Kontrast zum Zauberstabladen und dessen staubigem Holzboden. Dicht an dicht tummelten sich die buntesten Gewänder auf verschiedenen Ablagen. Im Gegensatz zu Ollivanders war hier alles heller, freundlicher und einladender. Auch wuselten hier mehrere Angestellte herum, die verschiedene Gewänder oder auch Stoffbahnen herum trugen. "Ja bitte?", rief eine stämmige Hexe von der Seite. "Guten Abend, ich möchte gerne ein paar Arbeitskleider. Komplett", sie zeigte an sich herunter. "Wie Sie sehen, habe ich das dringend nötig." Die Hexe im malvenfarbigen Outfit lächelte routiniert und führte sie weiter nach hinten in einen abgetrennten Bereich. Mit einer Handbewegung bat sie Tess sich auf den Schemel zu stellen, der bereits eine tiefe, von tausenden Kunden eingetretene, Delle in der Mitte hatte. Ihren Stab samt Kiste legte sie vorher daneben. "Arbeitskleider? Welcher Art?", fragte sie, während sie ihre Maße nahm. Tess, für die es bereits das zweite Mal an diesem Tag war, streckte artig ihre Arme aus. Die Hexe beschwörte Maßband, Pergament und Stift, die sofort die jeweiligen Zahlen niederschrieben. "Hilfskraft, bei Ollivander." Die Hexe hielt inne. "Bei Garrick? Der alte Kerl hatte noch nie eine Angestellte", sie trat ein wenig zurück und betrachtete sie prüfend. Tess sah, wie ihr Ausdruck neugierig wurde. Zeit einzuschreiten. "Ich habe mir einen neuen Stab gekauft, wie sie sehen", sie deutete auf den Boden neben sich, "habe aber leider nicht die Mittel ihn zu bezahlen, daher hat er mir angeboten es abzuarbeiten." Ihre Worte verunsicherten die Hexe nur noch mehr. Schnell hob Tess die Hände. "Oh, er übernimmt auch die Rechnung hier. Daher würde ich Sie bitten nur etwas Schlichtes auszusuchen. Etwas Einfaches und Billiges, wenn möglich." Die Hexe schien nicht überzeugt, verabschiedete sich jedoch mit einem Nicken, nachdem sie Tess gebeten hatte kurz zu warten und sich schon mal zu entkleiden. Als sie so dastand, konnte sie nicht anders als über den Gesichtsausdruck der Hexe zu kichern, die vermutlich hinter dem Vorhang die neuste Klatschgeschichte verbreitete, dass Ollivander eine junge Angestellte hatte. Sollte sie nur. Stück für Stück schälte sie sich aus ihren Klamotten, bis sie nur noch in Unterwäsche und fröstelnd da stand. Es gab keine Spiegel, sondern nur ebenfalls mit Teppich gepolsterte Wände. So konnte sie nichts tun, als wippend auf dem Schemel zu stehen und zu warten, bis die Hexe wieder erschien. Nach einer Weile hörte sie schließlich ihre Stimme. "Ich komme rein." Der Vorhang glitt ein wenig zur Seite und die stämmige Hexe erschien; mit einem Berg an Gewändern. "Ich habe hier eine kleine Auswahl für Sie. Probieren Sie, was Ihnen gefällt." Geniert so entblößt vor einer Fremden zu stehen, bedeckte sich Tess so gut es ging. Die Hexe war höflich genug ihren Blick zu senken und sich zurück zu ziehen, sodass Tess sich den Berg an Kleidung näher anschauen konnte. Geschockt musste sie feststellen, dass sie genau das waren: Kleider. Tess war noch nie von Kleidern begeistert gewesen, oder von Röcken. Kritisch hob sie eines der Modelle hoch. Ein schlichtes olivfarbenes Kleid mit hohem Ausschnitt und langen Ärmeln. Der Rest sah ähnlich aus, mit einigen wenigen Verzierungen hier und da. Glücklicherweise gab es nirgends Rüschen. Neben den Kleidern gab es auch verschiedene Strumpfhosen und Umhänge, für die sich Tess weitaus mehr interessierte. Sogar Schuhe fand sie unter dem Stapel. Schlichte, niedrige schwarze Schuhe zum Schnüren. Seufzend griff sie nach einer dunklen Strumpfhose und probierte sich durch einige der Exemplare, die ihr alle auf Anhieb passten. Die Hexe hatte wahrlich gute Arbeit gemacht ihre Maße aufzunehmen. Ein Kanariengelbes und Rotes mit weit ausgestelltem Ausschnitt rührte sie jedoch nicht an. Sie konzentrierte sich auf die dunkleren Farben. Letztendlich entschied sie sich für das Olivfarbene, das weich auf der Haut lag, ein paar Strumpfhosen, einem Pack Unterwäsche, das sie nicht probiert hatte – wird schon passen – und einer zweiten Garnitur aus einem ähnlichen, aquamarinem Kleid mit etwas kürzeren Ärmeln. Zu beiden passten die Schnürschuhe und der schwarze mit kleinen, silbernen Sternen bestickte Umhang. "Haben Sie etwas gefunden?", hörte sie erneut die Stimme der Hexe. "Ja, ich würde das hier gerne gleich anlassen." Die Hexe trat ein und begutachtete die Auswahl. "Sehr nett sehen Sie aus." Sie schwang ihre Hand und die mit Teppich bezogene Wand schwang beiseite, um kurz darauf einen Spiegel freizugeben. Zum ersten Mal sah sich Tess in ihren neuen Kleidern. Ihr eigener Anblick erschien ihr fremd, was nicht zuletzt an dem luftigen Unterteil lag, das ihr knapp bis an die Knie ging. Ihre offenen, schwarzen Haare fielen über den Umhang sodass es aussah, als ob ihre eigenen Haare sie einhüllten. Verlegen griff sie nach einer Strähne. In kurzen Bewegungen drehte sie sich, sodass der Unterrock des Kleides ein wenig flog. Damit konnte man arbeiten. "Ich packe Ihnen den Rest mit Ihren Kleidern ein." Die Hexe bückte sich nach Tess' kurzer Jeans und ihrem mittlerweile verschwitzem Top, wurde jedoch von Tess unterbrochen. "Nein", sagte Tess, während sie sich noch immer im Spiegel betrachtete, "die alten Kleider brauch ich nicht mehr." Die Hexe nickte und verschwand mit Tess' restlicher Ausbeute. Sie selbst stieg vom Schemel und griff nach ihrem Stab, während sie ihre alten Kleider auf dem Boden ignorierte. Ohne sich umzuschauen verließ sie die Umkleide und atmete den Duft eines neuen Lebens ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)