Zwischen Molotowcocktails und Shakespeare von Curupira ================================================================================ Kapitel 20: Kapitel 19. ----------------------- Mir die müden Augen reibend, stehe ich an meinem Zimmerfenster und starre hinaus in die Dunkelheit. Dabei versuche ich, die lauten Gedanken in meinem Kopf, die mich am Schlafen hindern, zum schweigen zu bringen. Doch immer wenn ich denke, dass ich es geschafft habe, taucht eine neue Frage in meinem Kopf auf. Sind wir sicher im Internat? Was wenn es wirklich einen Maulwurf gibt, der für Paul spioniert? Werden unsere Familien sicher sein, wenn wir nicht hier sind? Wer könnte der Maulwurf sein? Eine der Ordensschwestern? Eine Schülerin? Was kann ich tun, damit niemanden etwas passiert? Seufzend lehne ich meine Stirn gegen die kühle Fensterscheibe und atme tief ein. Als ich wieder ausatme, beschlägt die Scheibe dort, wo mein Atem auf das Glas trifft. Hinter mir kann ich Juli gleichmäßig atmen hören. Sie schläft schon seit zwei Stunden. Hatte aber auch ziemliche Schwierigkeiten, einzuschlafen. Ich sollte auch noch einmal versuchen, zu schlafen. Weshalb ich mich am Fensterbrett abstoße und langsam durch mein dunkles Zimmer, zu meinem Bett stolpere, wo ich mich an den Rand setze. Juli hat sich während meiner Abwesenheit die ganze Decke unter den Nagel gerissen und ich habe Mühe, mir einen Teil davon zurückzuerobern. Ich spüre, dass mein Körper müde ist, aber ich habe Angst davor, mich in die Arme von Morpheus zu begeben. Als ich mich neben Juli unter die Decke kuschle, spüre ich, wie sie erschaudert, weil ich so ausgekühlt bin. Sie rutscht näher zu mir und legt, ohne wach zu werden, einen Arm um mich. Mit einem Lächeln auf den Lippen schließe ich meine Augen und gewähre dem Schlaf die Chance, mich zu holen. Knapp fünf Stunden später schrecke ich hoch, weil jemand laut an meiner Zimmertür klopft und beinahe hätte ich mich dazu hinreißen lassen, zu schreien. »Fuck«, stoße ich aus und versuche mein Herz zu beruhigen, dass so schnell schlägt, als wäre ich einen Marathon gelaufen. »Ja?«, rufe ich und taste nach Juli und springe auf, weil sie nicht neben mir im Bett liegt. Meine Zimmertür geht im selben Moment auf, wie Juli aus dem Badezimmer kommt. Erleichtert atme ich aus und sehe zu Lari, die mich verschlafen ansieht. »Ich habe Geräusche gehört und dachte, ich komme fragen, ob ihr mit runter in die Küche kommt.« »Wenn du mich noch schnell duschen lässt?«, frage ich zurück, gehe zu Juli, drücke ihr einen schnellen Kuss auf die Lippen und verschwinde, ohne auf eine Antwort zu warten im Badezimmer. Eine viertel Stunde später sitzen wir alle in der Küche und sehen nicht ausgeruht aus. Scheinbar habe nicht nur ich in dieser Nacht schlecht geschlafen. Mit einer Tasse Kaffee in den Händen, in Juli und Laris Fall Kakao, starren wir uns gegenseitig an und nippen ab und zu an unseren Tassen. Dabei erwische ich mich mehr als einmal dabei, wie ich zu der notdürftig geflickten Fensterscheibe blicke und erwarte, dass jeden Augenblick etwas geschieht. Vermutlich zucke ich deshalb erschrocken zusammen, als ich Julis Hand auf meinem Oberschenkel spüre. Beruhigend streichelt sie mich und ich ergreife ihre Hand, bevor sie sie wegziehen kann. Als ich ihr in die Augen sehe, spüre ich, wie mein Herz schneller zu schlagen beginnt und die berühmten Schmetterlinge in meinem Bauch Saltos fliegen. Wenn sich Verliebtheit so anfühlt, dann war ich vor ihr in niemanden auch nur ansatzweise verliebt. Denn mit jedem Tag der vergeht und den ich in ihrer Nähe verbringe, spüre ich, wie das Gefühl in mir heranwächst, ja größer wird. In meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht gedacht, dass ich so viel in mir, für einen einzelnen Menschen fühlen kann. Ich fahre aus meinen Überlegungen, als meine Schwester einen spitzen Schrei ausstößt und Juli meine Hand festdrückt. Die provisorische Pappfensterscheibe ist abgefallen. Von ganz allein, klärt uns Papa auf, nachdem er mit einem Hammer in der einen und seiner Kaffeetasse in der anderen Hand nachgesehen hat, ob sich draußen jemand herumtreibt. Kollektives, erleichtertes Ausatmen ist die Folge davon, als Papa sich wieder auf seinen Stuhl fallen lässt und den Hammer vor sich auf den Tisch legt. Mama fragt in die Runde, ob sie jemand zum Brötchen kaufen begleiten möchte, weshalb ich meine Tasse austrinke, Julis Hand loslasse und aufstehe. »Ich wäre dabei«, erwidere ich, weil ich spüre, dass ich meinen Kopf ein bisschen freibekommen muss. Mama und ich ziehen uns, nach etwas Protest von Juli und den Anderen, die der Meinung waren, ich solle nicht rausgehen, im Flur unsere Jacken an. Statt auf ihre Sorge einzugehen, habe ich Juli vor versammelter Mannschaft einen Kuss gegeben und bin in den Flur geflohen, bevor sie noch etwas sagen konnte. »Das war nicht die feine englische Art«, grinst Mama, als sie mir die Tür aufhält und ich hinaus trete und gierig die kühle Herbstluft einatme. Schulterzuckend lächle ich und gehe schweigend neben Mama die Straße zum Bäcker runter. Dabei fallen mir mehrere unbekannte Männer auf, die uns alle zu beobachten scheinen. »Keine Sorge«, erklingt Mamas Stimme neben mir und ich sehe sie fragend an. »Die Typen sind vom Personenschutz, die haben dein Vater und der Vater deiner Freundin gestern noch angeleiert. Der Mann hat gute Kontakte.« Ich ignoriere, wie Mama das Wort Freundin betont, weil ich heute nicht darüber nachdenken möchte, wieso sie sich so schwer damit tut, zu akzeptieren, dass ich Juli mag. Besonders weil sie bei Lari nicht so ist. »Sag mal«, beginne ich und gehe locker neben Mama her und spüre, wie ein Teil der Anspannung mit dem Wissen, dass Personenschützer hier sind, von mir abfällt. Mama bleibt kurz vor der Bäckerei stehen und sieht mich neugierig an. »Wann wusstest du, dass du Papa liebst?« »Oho«, grinst Mama und sieht mich nachdenklich an. »Als es schon zu spät war, einen Rückzieher zu machen. Ich glaube so richtig bewusst ist es mir geworden, als er mir einmal im pinken Bademantel seiner Schwester die Tür geöffnet hat, welchen er sich nur übergeworfen hat, weil ich um Mitternacht weinend auf seiner Türschwelle stand und er nicht wollte, dass ich seine blauen Flecken sehe, die er sich am Tag zuvor wegen mir zugezogen hat.« »Blaue Flecken?«, erstaunt sehe ich Mama an und frage mich, was Lari und ich alles nicht wissen, über Mama und Papa. »Dein Vater und ich waren Eislaufen. Das kann er ja heute noch nicht richtig«, beginnt Mama mit einem verträumten Lächeln zu erklären. »Davon hatte er die Hämatome.« »Und warum standest du weinend auf seiner Türschwelle?« Mamas Lächeln wird schwächer als sie sich daran erinnert. »Eine gute Freundin von mir ist an diesem Tag schwer verunfallt und im Krankenhaus verstorben. Warum willst du das eigentlich wissen?«, fragt Mama mich, als sie mir die Tür zur Bäckerei aufhält. Ich schlüpfe an Mama hindurch und bin mir unsicher, was ich Mama sagen soll. Die Wahrheit? Wir stellen uns an und ich spüre Mamas Blick in meinem Rücken. »Aus Neugier«, weiche ich ihr schließlich aus, weil ich ihr nicht in einer Bäckerei von meiner Unsicherheit erzählen will. Als wir dran sind, gebe ich die Bestellung auf und Mama bezahlt. Draußen vor der Bäckerei berührt Mama mich an meinem Arm und sieht mich ernst an. »Und warum wolltest du das wirklich wissen?« Wir gehen langsam nebeneinanderher und ich atme tief ein, bevor ich Mama ansehe. »Weil ich nicht weiß, was sie ganzen wirren Gefühle hier drin«, ich deute auf meine Brust, »bedeuten. Ist es lediglich die anfängliche Verliebtheit? Oder ist es schon Liebe, so wie du Papa liebst?« Mama legt mir ihre freie Hand auf die Schulter und hält mich an. »Ach Romy«, lächelt sie. »Denke nicht so viel darüber nach was genau du fühlst, sondern genieße den Moment, so lange er andauert. Niemand kann dir sagen, ob ihr für die Ewigkeit gemacht seid. Nicht immer hält die erste Liebe, aber was du da fühlst, scheint schon über die anfängliche Verliebtheit hinauszugehen.« Mamas Worte liegen schwer in meinem Bauch, als wir ohne weitere Worte nach Hause gehen. Sind Juli und ich Material für die Ewigkeit oder werden wir uns irgendwann trennen? Jetzt kann ich mir das Null vorstellen, sie irgendwann einmal gehen zu lassen. Ich will Mama in ein paar Jahren einen Vogel zeigen können, für ihre Worte und ihr beweisen, dass auch die erste Liebe ewig halten kann. Am Nachmittag, nach einem ausgedehnten Frühstück, sodass das Mittagessen ausfiel, beladen wir Ralfs Kofferraum mit unseren Sachen. Seit dem Gespräch mit Mama bin ich still und grüble darüber nach, ob es wirklich Liebe ist und ob ich überhaupt lieben kann nach meinen Taten. Juli schaut mich schon die ganze Zeit so komisch an, weil ich so in mich gekehrt bin. »Alles Okay?«, fragt Juli und hält mich an meinem Arm fest, als wir für eine letzte Überprüfung, ob wir nichts vergessen haben, in mein Zimmer stehen und ich durch den Raum zu meinem Schreibtisch gehen will. Einem Impuls nachgebend, ziehe ich Juli nah an mich und küsse sie stürmisch. Mit meinem Fuß kicke ich die Tür ins Schloss, bevor ich uns langsam zu meiner Couch leite, wo ich Juli auf meinen Schoß ziehe. Atemlos unterbricht sie unseren Lippenkontakt und ich atme tief ein und gegen Julis freie Haut die sich über ihr Schlüsselbein spannt, aus. Urplötzlich, ohne dass Juli etwas gemacht hat, verwandeln sich die Schmetterlinge in kleine, aufgeregte Spatzen, die auf und ab hüpfen, als wollen sie zum Fliegen abheben und ich fühle mich so zittrig, dass ich mich fest an Juli klammere. Sanft streicht sie mir immer wieder über den Rücken, sieht mich fragend an, verlangt aber mit keiner Geste, dass ich ausspreche, was gerade an mir nagt. »Juli«, murmle ich ihren Namen und erschaudere, als ich spüre wie mich meine Gefühle überrollen und mein Herz so laut schlägt, dass Juli es doch hören muss. »Was tust du mit mir? Ist das Liebe? Liebe ich dich? Liebst du mich?« Juli hält mit ihrer Hand inne, schiebt mich etwas von sich, damit sie mich ansehen kann und ich sehe die stummen Tränen, die an ihren Wangen hinablaufen. »Warum weinst du?«, flüstere ich und sehe sie besorgt an. Ich spüre, wie sich mein Magen unangenehm verknotet. Habe ich etwas falsches gesagt? Ich streiche ihr die Tränen aus dem Gesicht und sehe, dass ein Lächeln an ihren Lippen zupft. »Weil du mich sehr glücklich machst«, erwidert sie und küsst mich sanft und sieht mich an. »Wenn du willst, dass es Liebe ist Romy, dann liebe mich. Wenn nicht, dann ist das auch okay. Aber sei dir sicher, dass ich dich Liebe und das tun werde, so lange ich lebe, auch wenn jeder sagt, dass wir in unserem Alter nicht von ewiger Liebe sprechen sollten.« »Ich will, dass das zwischen uns funktioniert«, hauche ich. »Ich will dich für immer. Ich will uns für immer.« Nach diesen Worten spüre ich Julis Lippen stürmisch auf den Meinen. Wir lassen uns von dem Moment und unseren Gefühlen einfangen und ich kann mir sehr gut vorstellen, was passiert wäre, wenn Ralf nicht gegen den Türrahmen lehnen und sich räuspern würde. Ich hätte die Tür abschließen sollen. »Wir wollen losfahren«, grinst Ralf mich amüsiert an und ich ziehe meine Hand unter Julis Tanktop hervor und lege sie unschuldig auf ihre Hüfte. »Und deine Schwester und Nina wollen sich auch noch von euch verabschieden.« Juli klettert von meinem Schoß und seufzt enttäuscht, verspricht mir mit ihren Augen aber, dass das hier noch nicht vorbei ist. »Wir sind bereit«, antwortet sie Ralf und zieht mich von der Couch hoch. »Haben wir alles?« Ich pralle leicht gegen sie und platziere einen Kuss unterhalb ihres Ohrs, bevor ich ihre Hand mit meiner verbinde und mich im Zimmer umsehe. »Nein, alles im Kofferraum, denke ich«, erwidere ich und ziehe Juli an Ralf vorbei, aus meinem Zimmer und hinab in den Flur, wo Papa, Mama und die Anderen schon auf uns warten. Im allgemeinem Durcheinander verabschieden wir uns alle und nach weiteren dreißig Minuten sitzen Juli und ich endlich im Auto, auf Ralfs Rückbank. Von mehreren Männern, von denen Mama meinte, es seien Personenschützer, beobachtet, fährt Ralf die Straße entlang. Ich atme erst auf, als wir die Stadt weit hinter uns gelassen haben und uns augenscheinlich niemand folgt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)