Grauzone von sharx (Was sonst noch passiert ist) ================================================================================ Kapitel 2: Nur ein kurzer Blick ------------------------------- Kapitel 2 Nur ein kurzer Blick Leise knarrten die Planken um mich herum als ein Windstoß die Morrigan erfasste, doch ich blieb reglos liegen. Das Schiff war sicher vertäut im Hafen von New York. Ich musste mir keine Sorgen machen und ließ mir die Ereignisse der letzten Wochen noch einmal durch den Kopf gehen. Achilles hatte sich bedeckt gehalten als ich ihm Brief und Manuskript überreicht hatte. Er zeigte nur selten wirkliche Gefühle, doch meinte ich Sorge in seinem Blick zu sehen. Auch hatte ich von Selena berichtet, dabei ein paar Details ausgelassen, die außer mir niemanden etwas angingen. Sie war eine harmlose Reisende, die einfach nur Pech gehabt hatte. Liam hatte sich ebenfalls bedeckt gehalten und da ich vorübergehend nicht wirklich etwas für die Bruderschaft tun konnte, hatte ich die Morrigan reparieren lassen und trainiert. Noch immer war da das Gefühl, von den Anderen nicht als vollwertiges Mitglied akzeptiert zu werden. Dabei war ich nun schon seit vier Jahren hier. Vor allem de La Vérendrye zeigte seine Verachtung deutlich. So gut es ging, ging ich ihm aus dem Weg. Meine Nächte hatte ich an Bord der Morrigan verbracht. Hier war ich nun zu Hause. Nichts gegen meine Unterkunft in der Siedlung, doch das hier war etwas anderes. Hier gehörte ich einfach her. Auf das Deck, eines Schiffes, wo ich Wind und Wellen hören konnte. Wie Liam gesagt hatte, begann die Erinnerung an Selena zu verblassen und ich hatte versucht sie zu vergessen. Vergebens. Immer wieder fragte ich mich, ob sie es sicher bis nach Philadelphia geschafft hatte und ob sie noch lebte. Die Straßen und Wege waren gefährlich für eine Frau, die alleine unterwegs war. Eine Ablenkung kam, als Anfang März ein alter Freund von Achilles eintraf. Adéwalé, groß, dunkelhäutig, um die sechzig und von Kämpfen gezeichnet, berichtete von einem Erdbeben in Haiti und gestohlenen Artefakten. Viele seien dabei gestorben und natürlich hatten die Templer ihre Finger im Spiel. Ich hatte das Gespräch belauscht, denn mir war klar, dass man mir nicht immer alles erzählte und ich war einfach neugierig. Selbst als Adéwalé sich verabschiedete, ich war zufällig gerade bei Achilles als er an uns heran trat, erfuhr ich nicht viel mehr über die Angelegenheit. Nur, dass diese Relikte, die gestohlen worden waren, von „Jenen, die vor uns kamen“ stammten. Ein Manuskript und eine Schatulle. Laut Achilles hatte derjenige, der diese Artefakte besaß, Zugang zu der Macht unserer Vorfahren. Diese Vorläufer, wer sie auch gewesen waren, beschäftigten Achilles schon seit ich ihn kannte. Daher glaubte ich ihm, was er sagte, auch wenn ich es nicht verstand. Denn wie sollten ein Buch und eine Kiste jemandem zu Macht verhelfen können? Zwei Wochen später schickte man mich auf Mission. Erst ließ Liam mich im Unklaren über das genaue Ziel, doch sobald wir unterwegs waren rückte er mit der Sprache heraus. Ich sollte diese Artefakte zurückholen, welche die Templer gestohlenen hatten. Wie es aussah, begann die Bruderschaft mir zu vertrauen. Sonst hätten sie sicher einen anderen ausgewählt. Immerhin waren diese Artefakte hunderte, wenn nicht sogar tausende von Jahren alt und, den Erzählungen nach, sehr wertvoll und mächtig. Liam begleitete mich auf meinem Weg um, wie er es ausdrückte, auf meinen Hintern aufzupassen. Ein Scherz auf meine Kosten, doch wenn es von ihm kam, war es nicht so tragisch. Ich ärgerte ihn immerhin auch ab und an. Zu dem war ich froh, dass er dabei war. Er war einer von den engsten Vertrauten von Achilles und würde sicher eines Tages, wenn Achilles nicht mehr war, Mentor der Bruderschaft werden. Zu dem war er mein bester Freund. Von ihm war es leichter Informationen zu bekommen als von anderen, auch wenn er mir längst nicht alles sagte. Bei Port la Joye stießen wir auf de La Vérendrye. Sein erster Kommentar, als er mich sah, war: „Ah, der Bauernlümmel ist endlich zurück. Wurde auch Zeit.“ Alleine dafür hätte ich mich gerne noch einmal mit ihm geschlagen. Als wäre es meine Schuld, dass wir wenig Wind hatten. Zu seinem Glück hatte er Informationen, das Manuskript betreffend. Besser gesagt einer seiner Spione, der mit den Piraten zusammen arbeitete, hatte Informationen. Da sein eigenes Schiff in Anticosti vor Anker lag, und besagten Spion sich eben dort mit ihm treffen wollte, blieb mir nichts anderes übrig als ihn mitzunehmen. Die Aussicht darauf, Hinweise zu bekommen, machte seine Anwesenheit auf meinem Schiff etwas erträglicher. Ich versuchte ihn weitgehend zu ignorieren, doch das ging schlecht. Ständig mischte er sich in die Unterhaltungen mit Liam ein. Sicher tat er es, um mir deutlich zu machen, dass er über mir stand. Wie gerne ich ihn doch über Bord geworfen hätte. Trotz der Unannehmlichkeiten bekam ich nun auch von ihm ein paar Antworten. Über die Piraten im Allgemeinen und dass dieser eine, der Spion Le Chasseur, der Bruderschaft gegenüber loyal war. Darüber, dass die Templer einen Großteil der Kolonien beherrschten und weitreichenden Einfluss besaßen. Und über Adéwalé, der nur so kurz in der Siedlung gewesen war, das ich kaum Gelegenheit bekommen hatte mich mit ihm zu beschäftigen und der von Liam offensichtlich bewundert wurde. Er sei die lebende Inkarnation des Kredos, meinte dieser. Ein Ehemaliger Sklave, der sich selbst und viele seiner Brüder befreit hatte. Es dauerte lange, bis wir Anticosti erreichten und von Frühlingswetter war noch keine Spur zu erkennen. Im Gegenteil. Je weiter wir nach Norden kamen, um so kälter wurde es. Dabei hatten wir schon April. Als wir anlegten schneite es. Ich hatte die Hoffnung gehegt dieses Jahr keinen Schnee mehr sehen zu müssen, doch warum sollte sich das Wetter nach meinen Wünschen richten? Liam und der Chevalier gingen schon voraus, während ich das vertäuen der Morrigan überwachte. Ich wollte sichergehen, dass sie noch da war, wenn ich zurückkam. So kam ich ein klein wenig später zu der Unterhaltung mit dem Spion dazu. Ohne das Gespräch zu stören gesellte ich mich zu den anderen und lauschte. Es ging um Pelzhandel und den Überfall auf englische Schiffe. Da hielt ich mich lieber heraus. Zugegeben, beim Gedanken an eine üppige Ladung, Fässer voll mit eingelegtem Fleisch und Kisten mit Rumflaschen kam auch ich in Versuchung. Le Chasseur warf dem Chevallier ein paar Pläne zu, die dieser auf dem Tisch ausbreitete. Möglichst unauffällig stellte ich mich daneben und warf einen Blick darauf. Baupläne für eigentümliche Waffen, die an Schiffen befestigt werden konnten. Dagegen hätte ich wirklich nichts einzuwenden, wenn sie den funktionierten. Dann wandte sich das Gespräch dem Manuskript zu, wegen dem wir hier waren. Dem Spion zu folge hatte er es gesehen, doch die Sprache in welcher es verfasst war, kannte er nicht. Dazu gab es Zeichnungen von Pflanzen und Tieren in wirren Farben, als befände sich der Zeichner in einem Opiumrausch. Weder er noch die Briten konnten sich darauf einen Reim machen und er hatte sich nicht zu sehr damit beschäftigen können, oder es stehlen, um nicht aufzufallen. Viel half das nicht weiter, doch er wusste, zu wem das Manuskript unterwegs war. Einem Templer mit Namen Lawrence Washington. Den Namen hatte ich schon einmal gehört und wusste, dass er im Orden viel Einfluss besaß. Liam bestätigte dies und somit stand fest, dass wir uns um ihn kümmern mussten. Zum einen weil er ein Templer war und große Pläne verfolgte. Zum anderen war er bald im Besitz des Manuskriptes. Möglich, dass er auch wusste wo sich die Schatulle befand. Zu meiner Erleichterung trennte der Chevallier sich in Anticosti von uns. Er hatte eigene Pläne. Mir war das nur recht. So machte ich mich, wieder mit Liam allein, auf den Weg um Achilles Bericht zu erstatten. Kurz vor New York gerieten wir in einen Sturm bei dem zwei meiner Männer verletzt wurden und eines der Segel einriss. Daher gingen wir vor Anker. Ich musste zugeben, dass bei mir noch ein paar andere Gründe mitgespielt hatten. Hope würde hier sein. Sie hatte sich hier einiges aufgebaut, wofür ich sie nur bewundern konnte. Auch wenn sie mich mehr mit Verachtung strafte als mir einmal ein Lächeln zu schenken, mochte ich sie sehr. Doch da gab es noch etwas anderes, weswegen ich hier her kommen wollte. Mein Blick wanderte, wie so oft, zu der Bank, auf der Selena geschlafen hatte. Nicht das ich sie wirklich vermisste. Wir hatten uns einfach zu häufig gestritten, doch ich machte mir Sorgen um sie. Sie hatte hier in New York einen Zwischenstopp machen wollen und vielleicht, mit etwas Glück, war sie noch hier. Zwar waren seit unserer Begegnung mehrere Monate vergangen, doch ich hatte keine Ahnung wie schnell sie unterwegs war. Früh am nächsten Morgen raffte ich mich auf, ließ das Segel flicken, schickte die beiden Verletzten zu einem Doktor und verließ die Morrigan um Vorräte für die weitere Reise zu besorgen. Immerhin ging es nach Two Bends und das war ein gutes Stück von hier entfernt. Weiter im Landesinneren, aber übers die Flüsse vom River Valley mit der Morrigan erreichbar. In diesem Fall war es gut, das mein Schiff vergleichsweise klein war und diese Flüsse befahren konnte. Es war ein herrlicher Tag. Die Sonne schien und in den Straßen und Gassen herrschte bald reges Treiben. Liam hatte sich auf den Weg zu Hope gemacht und da die Beiden ohne mich besser zurecht kamen ließ ich ihn. Ich hatte ohnehin anderes zu tun und wollte dabei lieber nicht gestört werden. Als ich meine Einkäufe erledigt hatte schlenderte ich durch die vertrauten Straßen, lauschte den Gesprächen und hörte mich in Gasthäusern und Absteigen um, doch niemand hatte jemanden gesehen, der Selena auch nur geähnelt hätte. All zu überraschend war das nicht. Die Stadt war groß genug um in ihr Wochen lang unbemerkt zu bleiben. So wandte ich mich wieder dem Hafen zu. Ich sollte sie mir wohl aus dem Kopf schlagen und mich auf wichtigeres konzentrieren. Mir lief ein Junge vor die Füße. Er mochte acht oder neun Jahre sein, und musterte meine Waffen kritisch. Fast so, als glaube er nicht, dass ich damit umgehen konnte. Als ich in diesem Alter gewesen war, hatte ich noch bei meiner Tante gelebt und war viel in den Straßen herum gewandert. Dabei war ich mehr als einmal in Schwierigkeiten geraten, doch ich hatte mich immer irgendwie herauswinden können. 'Kinder fallen wenig auf', ging es mir durch den Kopf, 'Und sie sind gute Beobachter. Einige zumindest.' Gerade wollte ich ihn nach Selena fragen, da drehte er sich auch schon um und rannte davon. Sah ich so angsteinflößend aus? Einen Moment lang dachte ich darüber nach, ihm hinterher zu laufen, ließ es jedoch bleiben. Auch ich wandte mich zum Gehen, wobei ich mit jemandem zusammenstieß. Es war ein junger Mann, der ins Wanken geriet. Gerade als ich den Mund öffnete um mich zu entschuldigen, stieß er mich grob zur Seite. „Pass doch auf.“ Sofort wurde ich wütend. Er hätte eben so gut aufpassen können. Anstatt etwas zu erwidern stieß ich ihn meinerseits, noch etwas gröber, in die andere Richtung. Er taumelte ein paar Schritte rückwärts, dann ging er auf mich los. Na prima. Unter seinem ersten Schlag duckte ich mich hinweg, setze selbst zu einem Schlag an und traf ihn hart am Kinn. Schon wichen die Passanten um uns herum zurück. Als ich erneut ausholen, und ihn damit zu Boden schicken wollte, hörte ich hastige, schwere Schritte und wandte mich um. Soldaten. Auch das noch. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass der Mann zu einem neuerlichen Schlag ausholte, den ich abfing und meine Faust in seinem Magen vergrub. Für so etwas hatte ich nun wirklich keine Zeit. Bei Soldaten wusste man nie und da ich wirklich keine Lust auf Ärger hatte rannte ich los. „Stehen bleiben!“ rief einer, doch ich achtete nicht darauf. Ich war im Training und schnell. Die würden mich nicht in die Finger bekommen. Haken schlagend rannte ich Richtung Hafen, wo ich sicher leichter verschwinden konnte, da dort mehr los war als hier. In der Menge tauchte ich unter und als die Soldaten an mir vorbei liefen wartete ich einen kleinen Moment, bevor ich auf eines der Lagergebäude kletterte um mich über die Dächer davon zu machen. Hier oben fühlte ich mich frei. Das Gedränge unten in den Straßen konnte mich hier nicht weiter behindern und ich sah zu den Menschen hinunter, die ihre Einkäufe trugen, sich unterhielten, oder bei den Fischern um die Waren feilschten. Mein Blick ging zur Morrigan. Liam kehrte gerade zum Schiff zurück und ich entdeckte auch Hope, die in die andere Richtung davon ging. Ihr Hüftschwung sorgte dafür, dass ihr so mancher hinterher blickte. Auch ich sah ihr einen Moment lang nach und lächelte. Wie gern ich doch mehr von ihr hätte als nur meine Träume... Dann entdeckte ich eine weitere vertraute Gestalt. In den selben Kleidern, die sie schon auf der Morrigan getragen hatte, dem Rapier an der Seite und ihrem Rucksack auf den Schultern, ging Selena unter mir durch die Straße. Es erleichterte mich ungemein sie zu sehen. Sie hatte es bis hier her geschafft. Ein Mädchen zupfte an ihrem Kleid und sie sah hinunter, ging in die Hocke und unterhielt sich mit ihr. Sie war zu weit entfernt, als das ich etwas hätte verstehen können und ich sprang auf ein anderes Dach um lauschen zu können. So wie die Beiden da miteinander sprachen erweckte es den Eindruck, als würden sie sich kennen. „War sie denn bei einem Arzt?“ fragte Selena das Mädchen. „Unsere Nachbarin hat uns geholfen. Sie ist sehr nett, aber...“ - „Ich würde deine Mutter gerne kennenlernen. Meinst du, das ist in Ordnung?“ Das war seltsam. Was wollte sie denn bei der Mutter der Kleinen? Da ich nicht dazwischen platzen wollte beobachtete ich von oben weiter das Geschehen und sah, wie das Mädchen Selena bei der Hand nahm und mit sich zog. Um nicht von ihnen entdeckt zu werden blieb ich weiterhin auf den Dächern. Zu dem kam ich hier oben besser voran als dort unten. All zu weit ging es nicht. Sie verschwanden in einem schmalen Haus zwischen einer Wäscherei und einem kleinen Geschäft. Wirklich seltsam das Ganze. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Selena sich hier mit den Bewohnern anfreundete, doch genau das tat sie. Da ich Zeit hatte, wartete ich auf dem Dach bis sie wieder heraus kam, doch noch immer war das Mädchen bei ihr. Sie gingen zu einer anderen Wohnung, ein paar Schritte entfernt und auch dort blieben sie eine Weile. Als sie dieses Mal heraus trat zog sie eine Uhr aus der Tasche. Wo hatte sie die her? Es war eine kleine Taschenuhr an einer Kette, die sie um den Hals trug. Die hatte sie vor ein paar Monaten noch nicht besessen. Entweder hatte sie die gestohlen, was ich nicht hoffte, oder aber hier ging etwas nicht mit rechten Dingen zu. Langsam machte sie sich auf den Weg, die Straße hinunter und ich folgte ihr erneut. Natürlich hätte ich auch einfach hinunter springen und mit ihr reden können, doch hatte ich das Gefühl, dass ich mehr erfahren würde, wenn ich es nicht tat. Sie steuerte einen Pub an, ließ sich draußen, etwas entfernt von den anderen Gästen, auf einer Bank nieder und ließ den Rucksack von den Schultern gleiten. Gleich darauf zog sie ihr Notizbuch heraus. Gut, das war nun wirklich etwas langweilig und ich kletterte vom Dach herunter um mich unten dichter an sie heran zu schleichen. Damit sie mich nicht bemerkte, ging ich an der Hausecke in Deckung und sah nun, dass ein betrunkener Mann auf sie zusteuerte. Ich kannte ihn vom Sehen her. Ein unangenehmer Zeitgenosse der zu oft zu viel trank und sich dann mit jedem anlegte. Einer der nicht wusste wann es genug war. „Na, Süße“, lallte er und ich machte mich bereit einzugreifen, falls nötig. Selena sah nur kurz von ihrem Buch auf, wandte sich aber gleich wieder ab. „Was's los? Bin ich dir nicht hübsch genug?“ Er langte nach ihrer Schulter und ich ließ meine Knöchel knacken. Der sollte bloß seine Finger von ihr lassen. Selena rutschte der Stift übers Papier und ärgerlich sah sie hoch. „Oh, sorry“, der Kerl grinste, was überhaupt nicht zu seinen Worten passte, „Hab ich die Lektüre gestört?“ - „Verschwinde.“ Ich kannte ihren Tonfall. Der verhieß nichts gutes, „Sucht euch ein anderes Mädchen, dass ihr belästigen könnt. Gerade als sie ihr Buch wegstecken wollte griff er nach ihrer Hand. Ich verließ meine Deckung. Auch wenn es mich nichts an ging, wollte ich nicht, dass ihr etwas passierte. „Zier dich nicht so.“ - „Los lassen.“ Ihre Stimme war ruhig. Gefährlich ruhig. Der Mann lachte nur und zog sie hoch. Bevor ich eingreifen konnte stieß Selena ihm ihren Stift in die Hand, die sie festhielt, und mit einem Aufschrei ließ er sie los. Abrupt blieb ich stehen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Schon zog sie das Rapier und hielt ihm die Klinge entgegen. Ich wich wieder zu meiner Deckung zurück. Sie wusste wirklich wie man sich verteidigte, auch wenn es nicht die eleganteste Lösung war. „Du Hure“, rief der Kerl, zog den Stift aus seiner Hand und trat auf sie zu. „Keinen Schritt weiter, oder ihr bereut es.“ Wie es aussah geriet Selena genau so leicht in Schwierigkeiten wie ich und ich war dankbar für Liams Einfall sie zu bewaffnen. Hätte sie das Rapier nicht, hätte sie weglaufen müssen um sich zu schützen. Noch immer sah der Kerl so aus, als wolle er ihr etwas zu leide tun. Nur die Klinge, die sich dicht vor seiner Brust befand, hielt ihn davon ab. „Verschwindet und wascht die Wunde aus. Ihr wollt doch nicht eure Hand verlieren, oder?“ Dabei klang sie, als würde es ihr nicht all zu viel ausmachen, wenn es so wäre. Hatte sie nicht Menschen helfen wollen? Gut der hier hatte sie belästigt, doch eine Hand zu verlieren bedeutete oft, nicht mehr Arbeiten zu können. Ihm schien das gerade klar zu werden, denn er wich einen Schritt zurück und sie senkte ihre Klinge ein paar Zoll. Als er ein Tuch aus der Hosentasche zog und sich das Blut von den Fingern wischte kam es ungläubig von ihr: „Damit wollt ihr euch verbinden?“ Dann war es ihr doch nicht egal. „Was schert es dich?“ gab er zurück, fluchte und wickelte das Tuch um die Wunde. Selena senkte die Waffe. „Geht nach Hause und schlaft euren Rausch aus und wenn ihr das nächste Mal eine Frau ansprecht, dann benehmt euch besser. Nicht alle sind so freundlich wie ich.“ Bei der Bemerkung musste ich schnauben. Als wenn das gerade eben freundlich gewesen wäre. Das Einzige, was daran freundlich war, war die Tatsache, dass sie ihn nicht getötet hatte. Vermutlich hätte ich es getan. Er funkelte sie noch einmal an, trollte sich jedoch und sie steckte die Waffe weg. Dann packte sie ihre Sachen zusammen und sah zu, dass sie vom Ort des Geschehens verschwand. Eine kluge Entscheidung denn es konnte sein, dass jemand die Obrigkeit benachrichtigt hatte. Mit Soldaten sollte sie sich besser nicht anlegen. Erst ging sie noch normal und ich folgte ihr, doch dann wurden ihre Schritte schneller. Kurz verlor ich sie aus den Augen und ich kletterte wieder auf die Dächer um sie von dort aus im Blick zu behalten. Wo wollte sie nun hin? Hatte sie vielleicht eine Unterkunft, hier in der Stadt? Wenn ja, würde es leichter sein sie wieder zu finden und auch zu beobachten, wenn es meine Zeit erlaubte. Der Weg, den sie wählte, führte zu dem Anwesen, in dem Hope lebte. Möglich, dass es Zufall war, doch ich fand es seltsam. Das hier war nicht die Gegend für jemanden wie sie. Dicht vor dem Anwesen wurden ihre Schritte langsamer und sie sah sich um. Auch ich ließ meinen Blick kurz schweifen. Ein paar von Hopes Männern lungerten vor dem Durchgang zum Haus doch sonst war nichts verdächtiges zu sehen. Wollte sie etwa dort hin? Sicher nicht. Hope hätte es doch Liam oder mir erzählt wenn Selena für sie Arbeiten würde. Oder nicht? Doch sie ging am Haus vorbei und da in dieser Richtung die Häuser endeten musste ich auf den Boden zurück, wenn ich ihr weiter folgen wollte. Wo wollte sie nur hin? In Gedanken versunken machte ich mich an den Abstieg. „Habt ihr nichts besseres zu tun?“ Die Stimme riss mich aus meinen Grübeleien und sorgte dafür, dass ich die letzte Kante verfehlte. Schmerzhaft kam ich mit der Schulter voran auf dem Boden auf und keuchte. Genau die selbe Stelle wie ein paar Monate zuvor. Mühsam rappelte ich mich auf und sah zu Hope auf, die die Augenbrauen hochgezogen hatte und ein leicht amüsiertes Lächeln auf den Lippen trug. „Wie oft braucht ihr diese Lektion noch, Shay? Lasst euch nicht ablenken.“ „Mindestens dieses eine Mal“, gab ich zurück und klopfte mir den Staub von den Kleidern. „Ich muss euch doch einen Grund geben mich tadeln zu können.“ Ein leichtes Lachen kam von ihr und es wärmte mir das Herz. Sie lachte so selten. „Verzeiht, dass ich euch nicht bemerkt habe. Meine Aufmerksamkeit war auf anderes gerichtet.“ - „Nun, das habe ich gemerkt.“ Täuschte ich mich oder klang sie wirklich etwas enttäuscht? Sie konnte doch nicht wissen hinter wem ich her gewesen war. Es sei denn sie wäre mir gefolgt. Zutrauen würde ich es ihr. Ich sah mich nach Selena um, doch sie war verschwunden. Verdammt. Ich hatte meine Chance vertan mit ihr zu sprechen und wusste nicht einmal, ob sie hier irgendwo lebte oder gerade im Begriff war die Stadt für immer zu verlassen. Sollte das der Fall sein, würde ich sie nicht wieder sehen. Betrübt wandte ich mich wieder zu Hope. „Hat Liam euch schon aufgesucht?“ Etwas besseres fiel mir nicht ein. „Das hat er. Und er ist zurück zur Morrigan. Ihr solltet euch auch besser auf den Weg machen. Achilles erwartet sicher euren Bericht.“ „Wäre er in der Siedlung geblieben...“ Begann ich doch sie schnitt mir das Wort ab, „Er ist ein viel beschäftigter Mann und hat sich um vieles zu kümmern. Er kann sich nicht in der Gegend herum treiben und Mädchen nachschleichen.“ Dann hatte sie mich beobachtet. Wie peinlich. „Ich habe nur trainiert“, versuchte ich mich heraus zu winden. „Unbemerkt jemanden verfolgen. Ihr wisst schon.“ Ich versuchte es mit einem Lächeln und fügte hinzu: „Euch habe ich auch schon verfolgt.“ „Stimmt.“ Sie wurde ernst doch ein Hauch von Erheiterung blieb erhalten. „Nur, dass ihr darin bislang nicht sonderlich erfolgreich wart. Immerhin ist sie euch gerade entkommen. Genau so wie ich euch jedes Mal entkommen bin, wenn ihr euch an meine Fersen geheftet habt.“ Sie lächelte. „Ihr müsst besser werden Shay, wenn ihr mich bekommen wollt.“ Sie ließ mich stehen und ich sah ihr nach, wie sie sich mit einem noch etwas stärkeren Hüftschwung auf den Weg zu ihrer Bleibe machte. War das nun ernst gemeint oder nicht? Wir waren uns noch nie näher gekommen und ihre Worte passten nicht zu dem was sie nun tat. Frauen... Wie sollte man aus ihnen nur schlau werden? Mit leisem Seufzen kehrte ich zur Morrigan zurück. Dieser Besuch hatte mehr Fragen aufgeworfen als er geklärt hatte. Und Hope? Es war frustrierend immer wieder nur wage Andeutungen zu bekommen ob ich eine Chance hatte oder nicht. Zu dem hatte ich das Gefühl, dass sie mehr an Liam interessiert war als an mir. Langsam kehrte ich zur Morrigan zurück und ging an Deck. Liam wartete schon auf mich. Die Arme vor der Brust verschränkt lehnte er an der Reling und sah grimmiger aus als sonst. „Ihr seid schon zurück?“ Ich versuchte mir möglichst nichts anmerken zu lassen, doch seine Miene wurde noch finsterer. „Im Gegensatz zu euch, ja. Was hat euch so lange aufgehalten?“ Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Es konnte nicht schaden. Immerhin waren wir Freunde. „Ich habe Selena gesehen und bin ihr gefolgt.“ „Gefolgt? Aus welchem Grund? Wir haben einen Auftrag, Shay.“ Wieso nur war er deswegen wütend? Er hatte sich mit Hope getroffen. Sicher nicht nur wegen des Auftrags. Mir war es nicht entgangen wie er sie hin und wieder ansah und auch nicht, dass er in der Siedlung recht häufig in ihrer Nähe anzutreffen war. „Ich wollte nur wissen ob...“ - „Es gibt wichtigeres als sie“, unterbrach er mich, „Wenn das hier vorbei ist könnt ihr sie so oft besuchen und verfolgen wie ihr wollt, aber nun solltet ihr euch auf eure Aufgabe konzentrieren. Diese Artefakte sind mächtig und wir können es nicht riskieren ihre Spur wieder zu verlieren.“ Das war ungerecht, doch er war der ältere von uns beiden. Und er hatte von Achilles den Auftrag „auf meinen Hintern aufzupassen“. Mir wäre es lieber, er würde das Ganze nicht so ernst nehmen. „Na schön. Wie ihr meint. Ihr konntet sie ja von Anfang an nicht leiden.“ Ich ging zum Ruder und gab den Befehl den Anker zu lichten und die Taue zu lösen. Zeit von hier zu verschwinden. Liam stellte sich neben mich. „Zwischen nicht trauen und nicht mögen ist ein Unterschied.“ Er warf einen letzten Blick über den Hafen, bevor er sich mir wider zuwandte. „Und ich traue ihr auch jetzt noch nicht wirklich. Auch ich habe sie gesehen, Shay. Hier am Hafen.“ „Habt ihr mit ihr gesprochen?“ fragte ich und er schüttelte den Kopf. „Sie ist uns gefolgt, Hope und mir. Ich weiß nicht wie lange, doch habe ich sie zwei Mal gesehen und sie mich auch. Sie hat keinen Versuch gemacht mich anzusprechen auch dann nicht, als ich alleine war und nur so getan, als hätte sie mich nicht bemerkt.“ Warum hätte sie auch mit ihm reden sollen? Er hatte ihr kaum einen Grund geliefert ihn zu mögen. „Vielleicht wollte sie nur wissen wohin ihr geht und ob ich in der Nähe bin.“ Das war etwas weit aus dem Fenster gelehnt doch möglich war es. Sie war an mir interessiert gewesen, auf ihre ganz eigene Art, die ich nicht ganz durchschaut hatte. Während wir den Hafen verließen schwiegen wir. Erst als wir offenes Meer erreichten wandte ich mich ihm wieder zu. „Glaubt ihr, sie hat sich in der Stadt niedergelassen?“ Liam senkte den Blick und fuhr sich über den Kopf. Er hatte die Haare erst vor wenigen Tagen abrasiert doch man konnte sie schon wieder sehen. Kleine dichte Stoppeln die seinen Schädel bedeckten. „Möglich, auch wenn ich bezweifle, dass sie direkt in New York lebt. Sie sah danach aus, als wäre sie nur für einen Besuch hier.“ Leise seufzte er und schob sich die Kapuze über als der Wind auffrischte. Warum schor er sich auch ständig die Haare ab? Kein Wunder, dass es ihm so zu kalt wurde. „Ich hoffe nur, dass sie sich nicht in Schwierigkeiten bringt“, fügte er hinzu und ich lächelte. Dann erzählte ich ihm von der Auseinandersetzung, die ich beobachtet hatte. Das brachte das Lächeln auf Liams Lippen zurück. „Nun, ich verstehe warum ihr so an ihr interessiert seid. Ihr ähnelt euch.“ Er gab mir einen leichten Stoß in die Rippen und ich verstand den Seitenhieb. Ich geriet so oft in Schwierigkeiten, dass es ein Wunder war, das ich noch lebte. Selena hatte das selbe Talent. „Immerhin hat sie sich aus der Angelegenheit gewunden ohne, dass es Tote gegeben hat. Hätte ich eingegriffen wäre es anders ausgegangen.“ - „Stimmt. Was das angeht ist sie zurückhaltender.“ Wir brauchten über zwei Wochen bis wir Two Bends erreichten. Wind und Strömung waren gegen uns und wir kamen nur sehr langsam voran. Daher wunderte es mich keineswegs bei unserer Ankunft Hope vorzufinden. Sie musste über Land her gekommen sein. Genau wie Achilles und Kesegowaase. Bei der Besprechung fügten sich die ersten Teile zusammen. Die Templer versuchten mit allen Mitteln die Artefakte zu verstehen. Sie hatten das Manuskript bei vielen Wissenschaftlern und Stämmen herumgezeigt, doch keinen Erfolg gehabt. Sie machten sich keine große Mühe zu verbergen, dass es in ihrem Besitz war. Fast so, als würden sie die Bruderschaft nicht fürchten. Ich berichtete von Washington, in dessen Auftrag das Manuskript unterwegs war und Hope meinte, dass einer seiner Diener ein Paket entgegen genommen hätte. Dieses sei nun auf dem Weg zu ihm. Eine gute Gelegenheit ihn zu finden und das Paket abzufangen bevor es ihn erreichte. Bevor Liam und ich zur Morrigan zurückkehrten, um eben jenen Auftrag ausführen zu können, nahm Hope mich zur Seite, was mich wunderte. „Wisst ihr wer das Mädchen war, das ihr in New York verfolgt habt?“ fragte sie gerade heraus und in mir breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Wie viel wusste sie? „Ich kenne ihren Namen“, wich ich aus, „Sonst weiß ich recht wenig. Warum fragt ihr?“ Sie senkte einen Augenblick die Lieder, dann sah sie mich wieder an. „Nun, ihr seid offensichtlich nicht der Einzige, der an ihr interessiert ist. Ich habe mich ein wenig umgehört und meine Spione ausgeschickt.“ Das mulmige Gefühl in meinem Magen wurde stärker. So wie Hope es sagte verhieß es nichts Gutes. „Was habt ihr in Erfahrung gebracht?“ fragte ich vorsichtig und sie legte den Kopf schief. „Wenig.“ Langsam gingen wir Richtung Anleger, Liam hinterher, der sich darum kümmern wollte, das wir ablegen konnten, wenn ich eintraf. „Meine Spione haben mir nur von einer Frau berichtet auf die die Beschreibung passt. Soweit ich gehört habe suchen ein paar Rotröcke nach ihr. Warum weiß niemand.“ - „Vermutlich wegen einer Auseinandersetzung bei einem Pub. Sie ist dort mit einem Betrunkenen aneinander geraten und hat seine Hand mit einem Stift durchbohrt.“ „Einem Stift?“ - „Ja, sie hatte ihn gerade in der Hand als er sie gepackt hat. Da hat sie zugestochen. Ich habe es gesehen.“ Sie schwieg für ein paar Sekunden. Dann meinte sie: „Vielleicht habt ihr recht. Dennoch ist es eigenartig, dass die Rotröcke sich für so etwas mehr als ein paar Tage interessieren.“ Da war etwas dran. „Sie neigt dazu in Schwierigkeiten zu kommen. Ich bezweifle, dass es wirklich etwas zu bedeuten hat.“ Damit wollte ich hauptsächlich mich selbst beruhigen. „Habt ihr erfahren können wo sie sich aufhält? Lebt sie in New York?“ Hope hob die Augenbrauen. Ihr gefiel mein Interesse an dieser anderen Frau offensichtlich nicht. „Nein“, gab sie trocken zurück und blieb stehen. „Aber vielleicht weiß ich es, wenn ich zurück komme. Auch wenn es mich nicht sonderlich interessiert.“ Ihr Ton war kühl geworden und auch ich blieb stehen. „Es ist auch unwichtig“, beschwichtigte ich sie gleich und ließ meinen Blick über ihren Körper gleiten. Wenn ich die Beiden miteinander verglich war Hope eindeutig mein Favorit. Sie war weiblicher. Selena hatte freiwillig Hosen getragen und sich darin wohl gefühlt. Nein, da war mir eine richtige Frau lieber. „Danke, dass ihr es mir gesagt habt“, fuhr ich fort, „Jetzt kann ich meine Aufmerksamkeit wieder wichtigeren Dingen zuwenden.“ Und mein Blick blieb einen Moment an ihrer schmalen Taille hängen bis sie mit zwei Fingern eine Aufwärtsbewegung machte und ich zurück in ihr Gesicht sah. Sie lächelte. „Tut das, Shay. Washington und das Paket warten auf euch.“ Sie legte mir eine Hand auf den Arm und ließ mich erneut etwas verwirrt stehen. Wieder wusste ich nicht was ich davon halten sollte. Vielleicht sollte ich es einfach mal darauf anlegen und ihr offen sagen, was ich für sie empfand. Nur, dass ich Angst vor der Antwort hatte... Ich erzählte Liam nichts von meiner Unterhaltung mit Hope. Das war zu privat. Während unserer Weiterfahrt redeten wir über Washington und die Artefakte. Liam war überzeugt davon, dass der Templer wusste wo sich die Objekte befanden. So wie er es darlegte passte alles irgendwie zusammen. Dann machte er mir noch klar das Lawrence Washington ein schlechter Mensch war. Nicht nur, dass er Templer war, nein. Er war auch Sklavenhalter. Er führte noch weitere Dinge auf, doch ich hörte nur mit halbem Ohr zu als er meinte, dass der Mann auf jeden Fall sterben müsse. Mir war schon klar, dass man den Templern die Kolonien nicht überlassen durfte, doch musste man sie alle gleich umbringen? Wir fanden das Schiff, auf dem sich das Paket befinden sollte und folgten ihm, bis wir kurz vor Mount Vernon auf eine Blockade stießen. Offenbar hatten die Templer doch ein wenig Angst vor uns. Es war jedoch ein schwacher Versuch, um Assassinen aufzuhalten. Liam meinte ich solle dem Schiff an Land weiter folgen und erinnerte mich noch einmal daran das Washington sterben musste und ich erwiderte nur: „Ich werde mich darum kümmern.“ Den ganzen Weg über, den ich das Schiff verfolgte, fragte ich mich, ob es wirklich nötig war diesen Mann zu töten. Er hatte mir persönlich nichts getan. Warum also einen Fremden ermorden? Nur, weil es meine Aufgabe war? Ich war Assassine. Ich sollte mir über solche Dinge keine Gedanken machen. Liam würde schon wissen warum der Mann sterben musste. Das sollte ich nicht in Frage stellen. Dennoch blieb da ein leichter Zweifel. Ich verbannte meine Fragen und Einsprüche in den Hinterkopf und schlich mich auf das Schiff, als es angelegt hatte. Wo war dieses Paket? Suchend sah ich mich mit Hilfe des Adlerauges um. Eine Kiste an Deck erregte meine Aufmerksamkeit und als ich sie öffnete fand ich darin ein eigentümliches Gewehr, samt Munition. Ich hatte schon einige Gewehre gesehen doch die Munition warf Fragen auf. Es waren keine Kugeln, sondern Pfeile. Auch die Art wie man es laden musste war anders und Pfeile konnte man nicht mit Schießpulver abfeuern. Eine wirklich seltsame Waffe. Gerade als ich zu dem Schluss kam mich später eingehender mit ihr zu befassen sagte jemand hinter mir: „Ihr da!“ Ich wirbelte herum und drückte ab, als ich nur ein paar Meter von mir entfernt einen Soldaten sah, der auf mich zu kam. Obwohl ich keinen Schuss hörte knickte der Mann im Lauf ein und sackte zu Boden. „Wie kann das sein? Man hört gar nichts“, sagte ich zu mir selbst und starrte auf die Waffe. Ein lautloses Gewehr war eine perfekte Waffe für Attentate. Genau das was ich gebrauchen konnte. Ich steckte sowohl Gewehr als auch Munition ein und dankte im Stillen dem unbekannten Washington für dieses Geschenk. Auch wenn er es mir nicht freiwillig gemacht hatte. Bevor ich das Schiff verließ untersuchte ich den Soldaten. Er war nicht tot. Diese Pfeile waren offensichtlich mit irgendeinem Gift versehen, dass ihn hatte einschlafen lassen. Mit einem geübten Griff sorgte ich dafür, dass er so schnell nicht wieder aufwachte, denn einen alarmierten Soldaten konnte ich wirklich nicht gebrauchen. Dann machte ich mich auf den Weg Washington zu finden. Um das Manuskript zu bekommen und ihn zu töten. Meinem Training sei dank, und auch der neuen Waffe, schaffte ich es unbemerkt bis dicht an mein Ziel heran. Lawrence sah alles andere als gesund aus. Er hustete und legte sich immer wieder die Hand an die Brust, als hätte er schmerzen. In seiner Begleitung war ein Rotrock. Das verhinderte, dass ich ihn töten konnte, denn Zeugen konnte ich keine gebrauchen. Zu meinem Pech kamen noch weitere Männer hinzu so dass ich warten musste. Washington schickte den Rotrock fort mit der Bitte ihn als Gastgeber zu vertreten. Einen kleinen Moment lang war ich verwirrt doch dann begriff ich. Der Rotrock hatte ihn Bruder genannt. Das Lawrence ihn fortschickte, um sich mit diesen Männern ungestört unterhalten zu können, war offensichtlich. Hier ging etwas geheimes vor und ich war froh ihn nicht sofort getötet zu haben, so wie Liam es sicher gewollt hatte. Washington schien zu wissen, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleib. Er bat darum seinen Bruder mit den Angelegenheiten der Templer in Frieden zu lassen, was mich irritierte. Seit wann wollten Templer andere vor sich schützen? Doch ich konnte mir darüber nicht weiter den Kopf zerbrechen, denn schon sprach er einen der Männer, Wordrop, auf das Manuskript an. Also hatte Liam recht. Washington wusste tatsächlich etwas über die Artefakte und diese Männer ebenfalls. Ich versuchte mir ihre Gesichter einzuprägen, denn sicher waren auch sie im Orden. Wordrop war zuversichtlich das Geheimnis des Manuskriptes bald entschlüsseln zu können. Er meinte, er würde den Inhalt kennen. Nun, was brachte es, einen Text zu kennen, den man nicht verstand? Der Zweite, dem er sich zuwandte hieß Smith. Dieser sollte auf eine Reise gehen und versprach, mit Antworten zurück zu kehren. Auf was für Fragen er Antworten holen wollte sagte er nicht, doch war ich mir sicher, dass es sich dabei um die Schatulle handelte Als sie gingen schlich ich mich dichter an mein Ziel an. Mein Herz klopfte stärker. Ich hatte schon mehr als einen Menschen getötet, doch bislang war es immer nur aus Notwehr gewesen. Das hier war etwas anderes. Es war eine gezielte Tötung. Je länger ich zögerte um so stärker wurden meine Gewissensbisse. Der Mann war krank. Er würde vermutlich eh nicht mehr lange leben. Und es war möglich, dass er noch wertvolle Informationen für mich hatte. So schob ich meine Kapuze über, um nicht erkannt zu werden, und trat an ihn heran, als er gerade, etwas abseits seiner Gäste, an einem Baum halt machte um ausgiebig zu husten. „Master Washington?“ Er wandte sich nicht um, hustete nur und hob eine Hand, zum Zeichen, das er noch einen Moment brauchen würde. Ich gab ihm diese Zeit da sich keine Wachen in der Nähe befanden und auch sonst keiner wirklich auf uns achtete. Als er sich, etwas erschöpft, an den Baum lehnte und mich ansah erkannte ich Verwirrung in seinem Blick. Er wusste mich nicht einzuordnen. Bevor ihm klar werden konnte das sein Tod vor ihm stand, trat ich dichter an ihn heran, fuhr mit einer Bewegung des Handgelenks die Verborgene Klinge aus und drückte sie ihm vor die Brust, nur um klar zu machen, dass ich jederzeit zustoßen konnte, wenn er mir den Anlass dazu geben sollte. „Ihr seid zu spät, Assassine“, keuchte er, wobei er zwischen der Klinge und meinem, unter der Kapuze verborgenem Gesicht, hin und her blickte. Er schrie nicht um Hilfe. Vielleicht hoffte er, ich würde ihn laufen lassen, wenn er sich ruhig verhielt. „Es ist nie zu spät, Templerpläne zu vereiteln, Master Washington.“ - „Aber meine Pläne sind schon im Gange.“ Abermals hustete er, stärker als zuvor und er klang fast wie ein Lachen, „Euch hier her zu locken, gab meinen Bundesgenossen Zeit zur Flucht.“ Wieder hustete er und schloss einen Moment die Augen. „Ich danke euch, dass ihr mir ein schnelles Ende gewährt.“ Seine Hand fuhr zu seinem Gürtel. In Erwartung, er würde einen Dolch oder etwas ähnliches ziehen stieß ich ihm die Klinge in den Leib. Als ich hinunter sah erkannte ich, dass er nur versucht hatte ein Taschentuch zu ziehen. Es fiel aus der erschlaffenden Hand. Er hatte mich getäuscht und mit seinen letzte Worten auch noch verhöhnt. Wütend zog ich die Klinge zurück und ließ ihn langsam zu Boden gleiten. „Und ich danke euch, für das Offenlegen eurer Pläne. Hinterhältige Schlange.“ Seine Worte gingen mir jedoch weiterhin durch den Kopf und als ich das Donnern von Kanonen hörte rannte ich los. Liam musste angekommen sein und es klang so, als würde er beschossen werden. Während ich rannte hallten die Worte in meinem Kopf nach. „Ich danke euch... ein schnelles Ende... ein schnelles Ende... ein schnelles...“ Das ich ihn getötet hatte, war für ihn eine Erlösung gewesen. Eine Erlösung vom Leid seiner Erkrankung. Der Gedanke machte es erträglicher und doch stimmte es mich nicht glücklich. Selbst Tage später tauchte immer wieder diese Szene vor meinen Augen auf. Liam meinte nur, es wäre notwendig gewesen, doch ich sah das anders. Der Mann hätte nicht mehr lange zu leben gehabt und seine Genossen waren schon unterwegs. Er hätte ihre Rückkehr nicht mehr erlebt, selbst wenn ich ihn nicht eliminiert hätte. Nein, in diesem Punkt irrte Liam sich. Es war nicht notwendig gewesen ihn zu töten. Es sorgte nur dafür, dass die Machtverhältnisse der Templer früher neu verteilt wurden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)