Grauzone von sharx (Was sonst noch passiert ist) ================================================================================ Kapitel 3: Das übliche Dilemma ------------------------------ Kapitel 3 Das übliche Dilemma „Wie lange wollt ihr noch schlafen?“ Mit einem Ruck wurde mir die Decke weggezogen und jemand öffnete die Läden vor meinem Schlafzimmerfenster. Geblendet vom plötzlichen Sonneneinfall konnte ich nicht sehen wer mir da den Schlaf nicht gönnte, doch die Stimme hatte ich erkannt. „Was heißt hier lange?“ Mühsam richtete ich mich auf und rieb mir verschlafen die Augen. Von Liam kam ein Schnauben, „Es ist schon nach acht, Shay. Höchste Zeit für euch, ein paar Strohpuppen ins Jenseits zu befördern.“ Ich ließ mich zurück auf die Strohmatratze fallen. Training... Als ob das Leben nur daraus bestand. „Ich habe letzte Nacht bis elf trainiert. Gönnt mir eine Pause.“ Als Antwort warf er mir nur meine Kleider auf den Bauch. Nur gut, dass er nicht die Stiefel genommen hatte. Liam wartete draußen auf mich. Noch immer war ich müde und wegen der sommerlichen Wärme, hatte ich mir nur Hemd und Hose angezogen. Den Waffengurt an der Hüfte und die verborgene Klinge am Arm trat ich aus der Tür und streckte mich. Ohne ein Wort ging er los und ich trottete hinterher. Noch nicht einmal gefrühstückt hatte ich. Das konnte was werden. „Was liegt heute an?“ fragte ich denn sicher hatte er das mit den Strohpuppen nicht ernst gemeint. „Das seht ihr, wenn wir da sind.“ Er steuerte das Trainingsgelände an und ich sah, dass dort ein gutes dutzend andere Assassinen warteten. So viele? Hatte ich irgend etwas verpasst? Bis auf vier waren alle männlich und ich kannte sie höchstens vom Sehen her. Auch wenn es eine angenehme Abwechslung war fand ich, dass Frauen hier wenig zu suchen hatten. Nicht dass ich etwas dagegen hatte nur... Ich war noch immer der Ansicht, dass Frauen und Assassinen nicht wirklich zusammen passten. Immerhin waren sie es, die Kinder zur Welt brachten. Da sollten sie nicht andere töten. Eine von ihnen, eine kleine blonde, lächelte als ich näher kam und ließ ihren Blick über mich gleiten. Ihr langes Haar war leicht gewellt und sie hatte es zusammengesteckt, bis auf ein paar Strähnen die ihr ins Gesicht fielen. Die Haut war von der Sonne gebräunt und über der Nase hatte sie Sommersprossen. Irgendwie niedlich doch sicher war ich nicht hier um flirten zu dürfen. Dennoch zwinkerte ich ihr zu als Liam sich räusperte. „Nun, da Shay sich dazu durchringen konnte das Bett zu verlassen...“ Ich gab ihm einen leichten stoß in die Rippen und er lächelte, „Da wir alle hier sind, können wir anfangen. Das heutige Training ist anders als sonst.“ Er machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: „Ihr alle habt schon einmal jemanden beschattet, belauscht oder verfolgt. Seht das Ganze heute als ein großes Versteckspiel hier auf dem Gelände.“ Das sollte wohl ein Scherz sein. Liam musste meine Gedanken gelesen haben denn seine Miene wurde ernster. „Aber es ist kein normales Versteckspiel. Alle bis auf einen werden sich verstecken und versuchen den einen, der übrig ist, auszuschalten. Dieser eine wiederum muss versuchen die anderen zu finden und seinerseits auszuschalten oder sie zu umgehen. Ziel ist es die Glocke am Ende des Feldes zu erreichen.“ Dann erklärte er die Regeln. Die Angreifer durften sich nicht zeigen außer die Zielperson war in unmittelbarer Nähe oder stand mit dem Rücken zu einem. Als „Ausgeschaltet“ galt, wer einen angedeuteten Treffer auf Schläfe, Solarplexus oder Herz abbekommen hatte. Waffen waren verboten. Richtiges Ausschalten ebenfalls. Wer sich zeigte hatte maximal 2 Sekunden um zu handeln, ausschalten oder fliehen, sonst war er raus. Gut, das klang nun schon etwas besser. Dennoch hätte ich lieber weiter geschlafen. Vielleicht konnte ich das ja nachholen wenn es an mir war mich zu verstecken. Sicher würde es den ganzen Vormittag dauern wenn jeder seine Chance bekommen sollte. Elf Möglichkeiten für mich ein Nickerchen zu halten. Doch aus meinem Plan wurde nicht all zu viel. Trotz meiner Müdigkeit merkte ich schnell, dass es Spaß machte den anderen aufzulauern. Wirklich zuschlagen tat ich bei keinem und es kam durchaus vor, dass es einer überhaupt nicht bis in meine Nähe schaffte. Daher war ich um so glücklicher, als die Kleine, die mich angelächelt hatte, an der Reihe war und bei ihrem Versuch dicht an meinem Versteck vorbei kam. Sie war vorsichtig, sehr leise und sah sich häufig um. Mir war aufgefallen, dass sie sich immer in Büschen oder unter Blättern versteckt hatte anstatt auf Bäume zu klettern. Anscheinend lag klettern ihr nicht sonderlich. Ich hockte im hohen Gras und als sie vorbei kam näherte ich mich leise. Zwar sah sie einmal alarmiert in meine Richtung, wandte dann jedoch den Blick ab. Das war meine Chance. Kaum hatte sie sich umgedreht schlich ich an sie heran, packte sie von hinten, hielt ihr den Mund zu und zog sie zu mir ins Gras, wo wir vor den Augen der anderen verborgen waren. Erst wollte sie sich wehren, doch dann weiteten sich ihre Augen und unter meinen Finger spürte ich ihr Lächeln. „Ausgeschaltet“, flüsterte ich und nahm die Hand von ihrem Mund. Ihr Lächeln wurde breiter. Als sie den Mund öffnete um etwa zu sagen legte ich einen Finger darauf. „Scht...“ Dann beugte ich mich zu ihr runter. Ihre Hand legte sich in meinen Nacken und sie zog mich zu sich. Damit hatte ich nicht gerechnet. Kurz bevor sich unsere Lippen trafen gab sie mir mit der andere Hand einen leichten Stoß auf den Solarplexus und flüsterte: „Ausgeschaltet.“ Bevor ich wusste was los war lag ich auf dem Rücken und sie war über mir. Ich war zu überrascht um zu handeln. Sie hauchte einen Kuss auf meine Stirn bevor sie sich aufrichtete. „Ihr solltet vorsichtig sein. Frauen kämpfen mit unfairen Mittel.“ Sie hatte einen leichten französischen Akzent was sie noch etwas niedlicher machte. So unter ihr zu liegen brachte mein Blut in Wallung. Als ich meine Hand nach ihr ausstreckte wehrte sie diese ab. „Ich muss noch die Glocke erreichen, Shay.“ „Ihr habt verloren. Ich habe euch erwischt.“ - „Ihr könntet mich laufen lassen und ich revanchiere mich später dafür.“ Erneut lächelte sie und ließ einen Finger über mein Gesicht wandern. „Und wie wollt ihr euch revanchieren?“ Würde sie sich nun hinsetzen, könnte sie es bemerken dass mich die ganze Situation nicht kalt ließ. Sie zwinkerte und legte ihren Finger auf meine Lippen. „Der Tag ist noch lang...“ Ich ließ sie gehen, auch wenn es gegen die Regeln war. Als die Reihe an mir war nutzte ich alles was ich über das aufspüren von Zielen und Feinden gelernt hatte und wann immer ich einen entdeckte machte ich einen Umweg. Zwei versuchten mich anzugreifen, doch ich war schneller und wo es ging, nahm ich den Weg über die Bäume. Dort war es schwerer an mich heran zu kommen. Wie ich befürchtet hatte, dauerte es den ganzen Vormittag bis wir alle durch waren und als auch der letzte sein Ziel erreicht hatte, hatte ich Hunger. Während der Trainingszeit war ein Eintopf gemacht und Geschirr heraus gebracht worden. Wir konnten uns zusammen um ein großes Kochfeuer setzen und gemeinsam essen. Normalerweise zog ich mich bei solchen Treffen lieber zurück oder gesellte mich zu Liam. Der hatte sich jedoch schon mit zwei anderen zusammengesetzt und unterhielt sich angeregt. Die kleine blonde ließ sich mit ihrer Schale neben mir nieder, etwas dichter als es üblich gewesen wäre, doch mich störte es nicht. Sie war wirklich süß. „Ich bin übrigens Genievre“, sagte sie und schenkte mir erneut ein Lächeln. „Ich bin Shay, aber das wisst ihr offenbar schon.“ Immerhin hatte sie mich so genannt als wir im Gras gelegen hatten. „Seid ihr nur für heute hier oder habt ihr vor länger zu bleiben?“ denn dann hätte ich mehr Gelegenheit sie richtig kennen zu lernen. „Nun...“ Ihr Blick wanderte einmal über mich und erneut regte sich bei mir etwas. Was war nur los mit mir, dass ein einzelner Blick schon ausreichte. „Ich gehe davon aus, dass wir eine Woche bleiben, wenn nicht zwei. Isaac Barnes, mein Mentor, meinte es wäre gut für meinen Bruder und mich auch noch andere Assassinen zu treffen und von ihnen zu lernen.“ „Euer Bruder?“ Sie deutete mit ihrem Löffel auf einen der anderen, die mit uns trainiert hatten. Ein großer Kerl mit braunem, kurzen Haar und sauber gestutztem Bart. Sein Gesicht war kantig und wie bei Liam lag eine tiefe Falte zwischen seinen Augenbrauen. Die Ärmel des Hemdes hatte er hochgekrempelt und offenbarte stark behaarte, kräftige Arme. Er mochte Anfang dreißig sein. Sie dagegen konnte nicht älter als zwanzig sein und war eher zierlich. Was für ein Unterschied. Kurz warf er uns einen Blick zu, wandte sich jedoch gleich wieder seiner Schale zu. Bei einem älteren Bruder musste ich vorsichtig sein. Sollte er es sich in den Kopf setzen seine kleine Schwester zu schützen... Auf einen Streit unter Gleichgesinnten hatte ich nun wirklich keine Lust. „Muss ich mich vor ihm in acht nehmen?“ Denn er machte durchaus den Eindruck gut zuschlagen zu können und ich war froh, dass er mir bei meiner Runde nicht in die Quere gekommen war. Da hatte ich auch noch nicht gewusst, das die Beiden verwandt waren. „Oh nein. Er gehört nicht zu denen, die einen immer nur beschützen wollen. Louis ist ohnehin wütend auf mich, weil ich hier bin. Ich habe meinen eigenen Kopf und lasse mir von ihm nicht vorschreiben, wie mein Leben aussehen soll. Nun meint er, dass ich meine Fehler selber machen soll, ich aber nicht auf Hilfe hoffen darf, wenn es schief geht.“ Eine interessante Einstellung. Dabei dachte ich das Frauen gerne beschützt wurden. Andererseits war Hope ähnlich veranlagt. Auch sie ließ sich von niemandem etwas sagen. Außer von Achilles, der auch ihr Mentor war. Sie hatte sich den Assassinen angeschlossen und war eine wirklich gute Ausbilderin geworden. Perfekt darin jemanden völlig ungesehen und lautlos zu töten. Sie war eine der wenigen Frauen, vor der ich Respekt hatte. Genievre machte auf mich nicht den Eindruck, als würde sie wirklich etwas vom Töten verstehen. Sie war zierlich und ihre Augen... Der Ausdruck darin machte mir klar, dass sie es ernst meinte. Sie wollte das alles hier und war bereit den Preis dafür zu zahlen. „Und wie kommt eine Frau auf den Gedanken sich der Welt der Männer zu stellen?“ Bei der Frage sah sie eine Weile auf ihren Löffel. Es dauerte bis sie antwortete und ihre Worte waren traurig. „Mein Bruder wird nicht immer da sein um mich zu schützen. Unsere Eltern... Sie wurden getötet, vor einigen Jahren.“ Sie sah mich an und in ihrem Blick lag Trauer und Wut. „Ich möchte nicht noch einmal zusehen müssen wie man mir jemanden nimmt den ich liebe. Mein Leben braucht einen Sinn und der liegt sicher nicht im Wäschewaschen und Böden schrubben.“ Ihr könntet euch einen Mann suchen und Kinder groß ziehen, dachte ich, sprach es jedoch nicht aus. Wir aßen schweigend zu ende und als sie ihre Schale leer hatte stand sie auf und ging. Hätte ich das Thema doch nur nicht angesprochen. Ich hatte einfach kein Glück was Frauen anging. Liam hatte recht. Ich musste bei ihnen noch einiges lernen. Dabei war es mir leichter gefallen, als ich noch etwas jünger war. Nach dem Essen ging das Training weiter, doch nun hieß es wirklich Waffentraining. Genievre gesellte sich zu den anderen Frauen. Ihr Bruder kam zu mir rüber. Ich fürchtete schon, dass er wissen wollte warum seine Schwester so niedergeschlagen aussah, doch er war sehr wortkarg und sprach das Thema nicht an. Es war angenehm mit ihm zu kämpfen. Etwas ganz anderes als gegen Liam anzutreten, der zwar deutlich besser war als ich, doch auch berechenbarer. Louis... Das schien ein beliebter Name unter Franzosen zu sein. Der Chevalier hieß ebenfalls so. Dieser Louis war mir um einiges lieber. Von ihm kamen keine Beleidigungen oder Sticheleien. Sein Akzent war stärker als der seiner Schwester. Vermutlich weil er so wenig sprach. Er hatte eine interessante Art zu kämpfen. Die Wahl unserer Übungswaffen war uns überlassen worden und er hatte sich für zwei gleich lange Holzstöcke entschieden. Erst hatte ich ihn dafür belächelt, doch er war so schnell mit ihnen, dass ich oft nicht hinterher kam. „Wo habt ihr das gelernt?“ fragte ich nach einer Weile und ein Lächeln huschte über seine Lippen. „In Gasthaus von mein Eltern. Immer wenn jemand begann mit Ärger, ich habe ihn hinaus geworfen. Mit Besen.“ Das erinnerte mich an etwas, das ich Anfang des Jahres gehört hatte. 'So etwas kann man auch mit einem Besen machen.' Offenbar war etwas dran an der Geschichte. Louis war wirklich gut. Mit einem Holzstock konnte man vielleicht kein richtiges Schwert abwehren, aber jemandem die Finger brechen oder Respekt einprügeln. Ich ließ mir von ihm zeigen wie er kämpfte und er bat mich im Gegenzug meine Technik zu zeigen. Später wurden die Trainingspartner getauscht. Alles in Allem war es ein angenehmer Tag, trotz wenig Schlaf. Genievre kam zwar nicht noch einmal zu mir, doch wenn sie wirklich eine Woche hier bleiben würden, dann gab es noch genügend Gelegenheiten sich zu unterhalten. Langsam wurde es Abend und man trennte sich. Diejenigen, die zu Gast waren, wurden im Gästehaus untergebracht und ich ging zur Morrigan. Da Fremde in der Siedlung waren wollte ich sie über Nacht lieber nicht unbeaufsichtigt lassen. Etwas übertrieben, doch mir war es so lieber. Kurz bevor ich beim Anleger ankam hörte ich hinter mir im Gebüsch ein Rascheln. Sofort blieb ich stehen und lauschte in die Nacht hinein. Gar nicht so einfach, da es hier noch andere Geräusche gab. Ich versuchte mich zu konzentrieren und nach ein paar Augenblicken begann es im Gebüsch zu schimmern. Na, so was konnte ich auch. Als ob nichts gewesen wäre ging ich weiter, doch nun nicht mehr zum Schiff, sondern am Anleger vorbei und zum Wald hinüber. Immer wieder hörte ich es hinter mir Rascheln, drehte mich aber nicht noch einmal um. Kaum hatte ich die Bäume erreicht lief ich los, um die Stämme herum und blieb hinter einer dicken Eiche stehen. Gleich darauf kam Genievre an mir vorbei. „Verfolgen müsst ihr noch üben“, sagte ich leise und sie fuhr zusammen. „Erschreckt mich nicht so“, gab sie zurück und sah mich einen Moment ärgerlich an, doch dann lächelte sie wieder. „Ich hatte gehofft, ihr würdet alleine zurück gehen, wohin auch immer.“ Sie trat auf mich zu blieb jedoch knapp außerhalb meiner Reichweite stehen. „Und warum seid ihr mir gefolgt?“ Sie kannte mich kaum und es konnte gefährlich sein einfach jemandem nach zu laufen. Bei ihr hatte ich nichts dagegen und hätte ich es darauf angelegt, wäre ich ihr entkommen. Sie zuckte mit den Schultern. „Einfach sehen ob ich es schaffe euch zu verfolgen, ohne, dass ihr es bemerkt.“ Ihr Blick huschte über mich und ich löste mich vom Baumstamm. „Ganz gelungen ist euch das nicht.“ - „Ihr habt mich bemerkt.“ - „Das habe ich.“ Vorsichtig strich ich eine ihrer Locken nach hinten und sie schloss die Augen. „Vielleicht habe ich es darauf angelegt, dass ihr mich bemerkt.“ Nun musste ich lächeln und legte die Hand auf ihre Schulter. „Und vielleicht habe ich es darauf angelegt, dass ihr mir folgen könnt.“ Der Mond stand schon am Himmel als wir aus dem Wald zurückkehrten. Gerne hätte ich sie mit in meine Bleibe genommen, doch das ging nicht. Sicher würde man es bemerken und wenn Liam erneut eine Weckaktion plante war es nur peinlich wenn ich nicht alleine war. Auch zu ihr konnte ich nicht mitgehen. Männer und Frauen schliefen grundsätzlich getrennt und im Gästehaus teilten sich zwei Frauen ein Zimmer. Irgendwie war es schade sich von ihr trennen zu müssen. Als sie mich zum Abschied auf die Wange küsste musste ich mich zusammenreißen sie nicht noch einmal an mich zu ziehen. Hier waren zu viele Augen und Ohren. Im Wald, unbeobachtet von allen anderen, hatte ich mich weniger zurückhaltend gezeigt. Es hatte mich überrascht, dass sie sich mir so einfach hingegeben hatte, doch ich hatte jede einzelne Sekunde genossen. Nun wo ich ihr hinterher sah, mit den Augen ihrem Hüftschwung folgend, fühlte es sich das Ganze falsch an. Ich hätte es nicht tun, diesem Verlangen nicht nachgeben dürfen. Rückgängig machen konnte ich es nicht mehr. Die Nacht verbrachte ich auf der Morrigan, doch ich fand kaum Schlaf. Immer wenn ich die Augen schloss sah ich Genievres Gesicht und hatte ihre Stimme im Ohr. Die ganze Zeit über wiederholte sich das Geschehene in meinem Kopf. Als ich doch irgendwann einschlief hatte die Frau in meinen Träumen das Gesicht von Hope. Am nächsten Tag war ich froh, dass ich vom Training befreit wurde. Achilles schickte mich nach Boston um dort mit einem Verbindungsmann in Kontakt zu treten. Mir kam das sehr gelegen, denn das gab mir einen Grund zu verschwinden. Liam würde das Training weiter begleiten und konnte daher nicht mit. So segelte ich ohne ihn. Mit der Crew verstand ich mich ganz gut und hatte so langsam von fast allen den Namen im Kopf. Sie alle standen irgendwie mit der Bruderschaft in Verbindung, auch wenn sie sicher oftmals nicht wussten um was es wirklich ging. Der Steuermann, Marcus Hunt, war ein netter Kerl ende dreißig mit einer Menge Erfahrung auf See. Ihm konnte ich ruhigen Gewissens das Ruder überlassen wenn ich schlafen ging oder anderweitig beschäftigt war. Die See war ruhig und unbeschadet langten wir in Boston an. Ich war nicht oft hier. Deutlich konnte man sehen, dass die Stadtverwaltung nur wenig für die einfache Bevölkerung tat und eher in die eigene Tasche Wirtschaftete. Verdammte Templer. Denen ging es nur um den eigenen Profit. Für meinen Geschmack gab es hier viel zu viele Rotröcke, doch ich durfte nichts gegen sie unternehmen. Achilles hatte mich gewarnt. Unter ihnen gab es auch Spione der Bruderschaft. Solange ich nicht wusste wer auf welcher Seite stand konnte ich nur dafür sorgen, dass man mich in Frieden ließ. Gut dass ich nicht all zu weit in die Stadt hinein musste. Hier kannte ich mich nicht sonderlich gut aus und hatte keine Lust mich zu verlaufen. Der Verbindungsmann war ein Hafenarbeiter, etwas untersetzt aber sehr Muskulös. Er musterte mich wenig freundlich als ich auf ihn zu trat und tat dann so als wäre ich nicht da. Mit geübtem Griff packte er einen Sack und warf ihn sich über die Schultern. Dabei hatte er offenbar den Schwung unterschätzt denn er begann zu wanken. „Vorsicht.“ Schon war ich bei ihm und hielt den Sack fest. Darauf erntete ich nur einen grimmigen Blick. „Was wollt ihr?“ fragte er mit einer Stimme, die mich an Sandpapier erinnerte. „Ich habe zu tun. Zehn Säcke müssen noch auf das Schiff.“ Ich warf einen Blick zu den Säcke, dann folgte ich seinem Blick hinüber zu einer Handelsgaleere die am Kai vertäut lag. Ein gutes Stück zu gehen und die Säcke waren wohl wirklich schwer. „Ich suche einen Mann. William Clark. Das seid ihr doch, oder?“ Kurz verengten sich seine Augen, dann nickte er zu den Säcken und ich verstand den Wink. Er ging schon weiter als ich mir einen der Säcke auf die Schultern wuchtete. Die waren wirklich schwer. Ohne ein weiteres Wort machte er sich auf den Weg zu der Galeere und ich folgte ihm. Über die Rampe ging es hinauf auf die „black swan“ und wir legten die Säcke neben den Großmast. Mein Rücken bedankte sich, als die Last verschwunden war. Kaum waren wir wieder auf dem Steg richtete er das Wort an mich. „Man nennt mich Will.“ Er wischte sich über die Stirn. „Was kann ich für euch tun, Junge?“ Nun klang er schon freundlicher. Aus meiner Hosentasche zog ich den Brief, den Achilles mir für ihn mitgegeben hatte und ein Lächeln huschte über seine Lippen. „Ah... So ist das.“ Mit flinken Fingern öffnete er den Umschlag und las die Nachricht. Dann runzelte er die Stirn. „Schön. Du kannst ihm ausrichten, dass ich mich darum kümmern werde. In einer Woche werde ich ihm eine Nachricht zukommen lassen.“ Nun zog er etwas aus seiner Tasche. Einen Moment dachte ich, er wolle mir ebenfalls einen Brief geben, doch es war ein Briefchen mit Streichhölzern. Er riss eines davon an und hielt es an das Papier. Der Mann war gründlich. Keine Beweise zurücklassen. „Ich werde es ausrichten.“ - „Helft ihr mir noch mit einem der Säcke?“ Will ließ das brennende Blatt zu Boden fallen und sah zu wie es sich ein kringelte. „Einen könnte ich noch schaffen.“ Auch wenn sich mein Rücken sicher beschweren würde. „Nur Mut. Die anderen sind nicht so schwer.“ Da hatte er recht. Mit was auch immer der erste Sack gefüllt gewesen war, der hier wog etwa die Hälfte. Nach dem ich auch diesen abgeladen hatte verabschiedete ich mich von ihm und schlenderte zurück Richtung Morrigan. Ich hatte es nicht eilig. Der Crew hatte ich gesagt, dass wir wohl erst am nächsten Morgen wieder auslaufen würden und ich ging davon aus, dass sich der ein oder andere in ein Bordell geschlichen hatte. Sollten sie sich ruhig vergnügen, solange sie am nächsten Tag auf der Matte standen, damit wir ablegen konnten. So strich ich doch ein wenig durch die Straßen und hielt Ausschau nach einem guten Aussichtspunkt. Es konnte nicht schaden etwas mehr über Boston zu erfahren als ich wissen musste. Ein Kirchturm sprang mir ins Auge und ohne groß darüber nachzudenken kletterte ich hinauf. „So etwas Respektloses“, hörte ich unter mir jemanden schimpfen und warf einen Blick zurück. Eine ältere Frau sah kopfschüttelnd zu mir hoch und hob die Faust. „Schämen solltest du dich, auf ein Gotteshaus zu steigen.“ Ich komme immerhin noch hinauf, dachte ich. Du kannst nur schimpfen. Doch ich achtete nicht weiter auf sie. Höher und höher ging es hinauf und bald hörte ich ihre Stimme nicht mehr. Oben angelangt atmete ich tief durch. Eine leichte Brise wehte mir um die Nase und zerzauste mein Haar. In der Luft lag der Geruch von nahendem Regen. Mein Blick wanderte über die Straßen und Dächer von Boston. Von hier oben sah alles viel kleiner aus und doch konnte ich vieles deutlich erkennen. Zwei Kneipen, mehrere kleinere Geschäfte, ein paar Ställe und einen abgesperrten Bereich wo sich die Rotröcke verschanzten. Nur zu gerne wäre ich dort hin gegangen und hätte nach Beweisen gesucht, dass sie auf der falschen Seite standen. Dafür war ich jedoch noch nicht weit genug Ausgebildet. Ich wusste, dass es meine Fähigkeiten übersteigen würde. Zudem konnte es sein, dass ich bei dem Versuch jemanden töten musste und Unschuldige durfte ich nicht töten. Andererseits, waren Soldaten unschuldig? Es war nicht an mir diese Frage zu beantworten und es war auch nicht an mir überhaupt solche Fragen zu stellen. Achilles entschied wer Unschuldig war und wer nicht. Wenn er mir ein Ziel vorgab hatte ich es zu beseitigen und hier hatte ich keine Ziele. Langsam machte ich mich an den Abstieg und kehrte zur Morrigan zurück. Meine Gedanken kreisten jedoch weiter. War es denn richtig, dass allein Achilles diese Entscheidungen traf? Woher wusste er das es keine andere Möglichkeit gab? Welches Recht hatte er über Leben und Tod zu entscheiden? Mir kam das Attentat auf Washington wieder in den Sinn. Liam zu Folge hatte er sterben müssen, doch ein genaues Warum hatte ich nicht bekommen. Durch dieses Attentat waren unsere Feinde nur vorsichtiger geworden. Wir hatten nichts damit erreicht und uns blieb nur ihre Schatten zu jagen. 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