Grauzone von sharx (Was sonst noch passiert ist) ================================================================================ Kapitel 16: Eine unerwartete Bitte ---------------------------------- Kapitel 16 Eine unerwartete Bitte „Master Cormac. Gut, dass ihr so früh schon Zeit habt.“ Der Colonel hatte mir noch am gestrigen Abend die Nachricht zukommen lassen, dass er mich am Morgen sprechen wollte. Da ich keine Ahnung hatte, um was es gehen konnte, war ich kurz nach Sonnenaufgang aufgebrochen. Monro war allein, als ich bei ihm ankam. Er stand an fast der selben Stelle wie am Tag zuvor, doch dieses Mal den Blick aufs Meer gerichtet. Als ich an ihn heran trat, wandte er sich mir zu. „Ihr wolltet mich sprechen, Colonel?“ „Das wollte ich. Und es ist gut, dass ihr nun schon hier seid.“ Kurz musterte er mich, doch ich konnte nicht erkennen, was er dachte. „Ihr habt noch immer die Absicht, das alte Fort Arsenal wieder aufzubauen oder zumindest einen Teil davon, sehe ich das richtig?“ „Das stimmt, Sir. Es liegt nahe am Hafen und es ist besser, eine derartige Anlage nicht leerstehen zu lassen. In der Stadt gibt es noch immer Banditen. Einmal haben sie sich dort schon niedergelassen. Ein weiteres Mal sollte man es ihnen nicht ermöglichen. Außerdem... Sollten sich die Franzosen zu einem Angriff auf die Stadt entschließen, brauchen wir jede Verteidigung die wir bekommen können.“ „Habt ihr die Mittel um alles wieder herzurichten?“ Da hatte er einen wunden Punkt getroffen. Ich war nicht vermögend und der Aufbau würde meine Mittel weit überschreiten. „Für eine komplette Sanierung sicherlich nicht. Noch nicht.“ Solange ich keine feste Arbeit hatte, würde daraus auch so schnell nichts werden. Ich konnte schlecht andere Schiffe überfallen und das, was wir aus dem französischen Fort mitgenommen hatten, reichte bei weitem nicht. „Wie wäre es, wenn ihr euch im Bereich der Schifffahrt anbietet? Oder beim Aufbau der Stadt helft? Es gibt genügend Wohngebäude, die nicht mehr nutzbar sind und renoviert werden müssten. Sie sind zu günstigen Preisen zu erwerben, und ihr könntet sie anschließend vermieten. Eine gute Einnahmequelle und Material könntet ihr selber heranschaffen. Ihr besitzt ein Schiff.“ Da hatte er Recht. Darüber sollte ich wohl nachdenken. Für eines dieser Häuser würde mein Geld sicher reichen. Vielleicht auch für zwei und was das Material anging... Ich wollte nicht auf Diebstahl zurückgreifen müssen, doch wenn ich es den Franzosen abnahm... Der Gedanke gefiel mir nicht wirklich, war aber eine Option. „Darüber werde ich nachdenken. Es klingt... nach einem Plan.“ „Gut. Doch das ist nicht der Grund, warum ich euch gebeten habe herzukommen.“ Seine Miene wurde ernster und ich spannte mich ein wenig an. „Ich hatte gestern den Eindruck, als würde euch etwas bedrücken. Zumindest bis sich Miss Berg zu uns gesellte.“ Diese Aussage erwischte mich kalt und ich hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Daher schwieg ich. Natürlich hatte ich mich etwas unwohl gefühlt in der Gesellschaft von Templern. Selbst als Selena sich dazu gesetzt hatte, hatte ich nicht wirklich das Gefühl bekommen dazu zu gehören. Ich war noch nicht so weit. „Wie gut kennt ihr sie?“ Irgendwie hatte ich schon mit einer Frage, sie betreffend, gerechnet. Immerhin war er es gewesen, der sie zu mir geschickt hatte und die Art, wie wir am Vorabend miteinander umgegangen waren, hatte deutlich gezeigt, dass wir miteinander bekannt waren. Verwunderlich war nur der ernste Ausdruck, den Monro an den Tag legte. „Nicht all zu gut. Sie...“ Ich konnte ihm schlecht sagen, dass sie mich geschlagen hatte. Das warf sowohl auf sie, als auch auf mich ein schlechtes Licht. „Sie war für ein paar Tage bei mir an Bord, vor einigen Jahren, als sie auf dem Weg in die Kolonien war. Und sie hat sich gemeinsam mit den Finnegans um mich gekümmert.“ Monro nickte und legte, nachdenklich geworden, eine Hand ans Kinn. „Dann wisst ihr wohl eben so wenig wie ich, von wo genau sie kommt.“ „Tut mir leid Sir, nein. Ich weiß nur, dass sie aus Europa kommt. Mehr nicht.“ Selbst das konnte eine Lüge gewesen sein. Mir hatte damals die Zeit gefehlt, um ihre Aussage zu überprüfen und es wäre mir sicherlich auch nicht gelungen, den Kapitän ausfindig zu machen, der sie auf diesem kleinen Eiland ausgesetzt hatte. Wieder nickte er und schwieg einen Moment. „Stimmt es, dass ihr eine Abneigung gegen sie habt?“ „Eine Abneigung?“ Wie um alles in der Welt kam er auf einen solchen Gedanken? „Ich habe nichts gegen sie, auch wenn sie manchmal etwas anstrengend ist.“ Manchmal auch etwas mehr. Wir hatten oft genug Meinungsverschiedenheiten, aber eine wirkliche Abneigung hatte ich nicht gegen sie. Monro wandte sich wieder dem Meer zu. „Würdet ihr ihr vertrauen, Master Cormac? Und bitte seid ehrlich.“ Darüber musste ich nun einen Moment nachdenken. Vertraute ich ihr? Sie hatte mich nicht bestohlen, trotz der Möglichkeiten. Sie hatte sich um mich gekümmert. Sie hatte mich nicht an Liam verraten. „Ja. Ich vertraue ihr.“ Nun sah er mich wieder an. Ernst, aber mit einem Hauch von Zufriedenheit. „Ich weiß, dass es seltsam klingt, doch würdet ihr mir, sie betreffend, einen Gefallen tun?“ „Das kommt ganz darauf an.“ Denn all zu gut verstand ich mich noch immer nicht mit ihr. „Sie ist viel unterwegs, in den Kolonien. Manchmal ist sie für Wochen oder auch für Monate nicht aufzufinden. Ich wüsste gerne, wohin sie verschwindet und ich hätte sie gerne unter Beobachtung. Ich kann ihr schlecht einen meiner Männer zur Seite stellen. Das würde sie ablehnen und es wäre zu auffällig.“ „Und habt ihr auch eine Idee, wie ich sie beobachten soll? Sie wird es ebenso ablehnen, von mir überall hin begleitet zu werden und auf meine Fragen nicht antworten.“ Bislang hatte ich kaum eine wirkliche Antwort von ihr auf meine Fragen bekommen. Sie war immer ausgewichen, wenn es zu persönlich wurde. „Zufällig weiß ich, dass sie zur Zeit ohne Arbeit ist. Ihr könntet ihr eine Anstellung anbieten. Als Dienstmädchen. Das Fort Arsenal besitzt ein recht großes Wohnhaus. Wenn ihr dort einzieht, könnt ihr sicher jemanden gebrauchen, der euch zur Hand geht.“ Auf dem Weg, zurück zum Fort, dachte ich über Monros Worte nach. Er hatte recht, dass ich Hilfe gebrauchen konnte. Zudem hatte ich nicht wirklich etwas dagegen, sie häufiger zu sehen. Wenn ich so dafür sorgen konnte, dass sie nicht wieder verschwand, und ich wollte nicht, dass sie ging, würde eine feste Anstellung bei mir sicher dazu beitragen, sie zum Bleiben zu bewegen. Doch warum wollte er, dass sie überwacht wurde? War sie doch nicht im Orden? Nach dem gestrigen Abend war ich mir fast sicher, dass sie dazu gehörte. Nun war ich es nicht mehr. Vielleicht hatte sie doch keine Ahnung von alledem. Fast im selben Moment kam mir ein anderer Gedanke. Vielleicht wollte er mich überwachen lassen. Wenn ich unterwegs war, hatte ich Gist an meiner Seite. Der konnte dem Colonel alles sagen, was in der Zeit passierte. War ich an Land, war Gist irgendwo, aber nicht in meiner Nähe. Wenn ich Selena bei mir arbeiten ließ, hatte sie ideale Bedingungen, um mich auszuspionieren. Begann ich gerade unter Verfolgungswahn zu leiden? Es konnte alles Zufall sein. Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich einen Moment brauchte, um zu realisieren, dass ein Stück vor mir Jemand auf der Straße unterwegs war, den ich kannte. Es war noch immer früh am Morgen, daher wunderte es mich sehr, Selena zu sehen, die auf direktem Weg zum Fort war. Ohne nach ihr zu rufen folgte ich, denn ich wollte sehen, was sie tat. Zwar hatte sie gesagt, dass ich sie so schnell nicht wieder los wurde, doch sie konnte kaum gewusst haben, dass man mir sie als Dienstmädchen vorschlug. Nein, sie musste einen anderen Grund haben, hier zu sein. Sie verschwand im Durchgang der Mauer, die das Fort umgab, und ich beeilte mich etwas. Immerhin wollte ich wissen was sie vor hatte. Ich erreichte die Stelle, an der ich sie zuletzt gesehen hatte und fand sie etwa zwanzig Schritt von mir entfernt, mitten auf dem Platz vorm Wohnhaus. Sie war stehen geblieben und sah zum Haus hinüber, ging dann aber zum zweiten Durchgang weiter, der zum Anleger führte. Dort lag die Morrigan vertäut. Möglich, dass sie davon ausging, mich dort anzutreffen, falls sie wegen mir hier war. Warum sollte sie sonst hier sein? Pure Neugierde? So schätzte ich sie nicht ein, doch was wusste ich schon wirklich über sie oder über Frauen im Allgemeinen? Leise ging ich weiter und sah, wie sie auf mein Schiff zuging und mit der Hand über die Außenwand strich. Ich war zu weit entfernt, um zu verstehen was sie sagte, doch sie sprach ganz offensichtlich mit dem Schiff. Vorsichtig näherte ich mich und hörte ihre letzten Worte. „Er verlässt sich auf dich.“ Also damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. „Ihr mögt Schiffe wirklich“, sagte ich, als ich sie erreicht hatte. Sie fuhr zusammen und als sie sich zu mir umdrehte, verlor sie das Gleichgewicht. Rasch streckte ich den Arm aus und hielt sie fest, damit sie nicht zwischen Rumpf und Steg hindurch ins Wasser fiel. So etwas konnte gefährlich sein. „Vorsicht.“ Sanft zog ich sie von der Kante weg und ließ sie los, als sie wieder festen Stand hatte. „Nicht, dass ihr ins Wasser fallt.“ „Würdet ihr mich retten?“ fragte sie, mit einem Rotschimmer um die Nase, der mir deutlich machte, dass ihr die Vorstellung wohl gefallen würde, von mir aus dem Wasser gezogen zu werden. „Ich denke schon“, gab ich zurück und versuchte nicht daran zu denken, wie sich nasse Kleider so eng an ihren Körper legten, dass alle Konturen sichtbar wurden. „Was habt ihr da eben zur Morrigan gesagt?“ denn ich hatte nur den Schluss gehört. „Nicht so wichtig“, wich sie aus und wandte den Blick ab. Schon wieder. Warum nur verheimlichte sie dauernd etwas? War es ihr einfach nur peinlich? Konnte es etwas geben, dass so schlimm war, dass sie nicht wollte, dass ich davon erfuhr? Dann hob sie doch noch einmal den Blick und wechselte das Thema. „Warum wolltet ihr nicht, dass ich wieder verschwinde? Ich dachte, nach allem was passiert ist, würdet ihr mir lieber aus dem Weg gehen wollen.“ Wie kam sie darauf? Wenn jemand Grund hatte, einen anderen zu meiden, dann war sie es. „Ihr solltet weniger denken“, doch ihre Aussage erinnerte mich an etwas, das Monro mir vorhin gesagt hatte. 'Stimmt es, dass ihr eine Abneigung gegen sie habt?' Sie hatten sich über mich unterhalten. Was hatte sie ihm alles erzählt? Es sah danach aus, als läge ich mit meiner Vermutung richtig, dass Monro sie in meiner Nähe wissen wollte, damit sie mich beobachten konnte. War es dann sinnvoll, der Bitte des Colonels nachzugehen und sie einzustellen? Vielleicht täuschte ich mich aber auch. Es gab eine Möglichkeit das heraus zu finden. Sie auf die Probe zu stellen. „Ich hätte gerne ein paar Dinge geklärt.“ Wenn es denn möglich war, mit ihr in Ruhe zu reden. „Wenn ihr einen Moment Zeit habt?“ „Auch zwei“, erwiderte sie prompt, was mich verwirrte. Auf ihren Lippen breitete sich ein Lächeln aus. „Es wird wohl noch dauern, bis ihr meine Art von Humor versteht.“ Wieder senkte sie den Blick, doch dieses Mal merkte ich, dass sie es nur tat, um nicht grinsen zu müssen. Es brauchte wirklich Zeit, um diesen Humor zu verstehen, denn ich erkannte den Witz nicht. Mit einer Geste bat ich sie, mir zu folgen. Hier unter freiem Himmel wollte ich ihr lieber kein Angebot machen und auf dem Weg zum Fort hatte ich die Gelegenheit mir zu überlegen wie genau ich vorgehen sollte. Zu dem würde der Zustand der Räume im Wohnhaus ihr, mehr als alle Worte, zeigen, dass ich wirklich ein wenig Unterstützung gebrauchen konnte. Sie folgte schweigend und als sie nach mir das Haus betreten hatte, legte ich den Riegel vor. Noch immer war alles schmutzig und heruntergekommen. Ich hatte kaum Zeit gehabt, mich um irgend etwas zu kümmern. Selena lächelte, während ihr Blick über alles wanderte, an dem sie vorbei kam. Ich hielt es für sinnvoll sie nicht mit nach oben zu nehmen. Im unteren Teil gab es einen Raum, nahe der Küche, der nicht ganz so schmutzig war, wie die anderen. Den steuerte ich an und lehnte mich drinnen an ein abgedecktes Möbelstück. „Vor ein paar Minuten hatte ich die Gelegenheit mich noch einmal mit dem Colonel zu unterhalten“, begann ich und achtete genau auf ihre Reaktion auf meine Worte. Kaum hatte ich Monro erwähnt spannte sie sich an und sie wirkte längst nicht mehr so sicher wie draußen. Das war interessant. „Dabei kamen wir irgendwie auf euch zu sprechen.“ Aus der Unsicherheit wurde leichte Sorge. Fürchtete sie, Monro könnte mir etwas über sie verraten haben, dass ich nicht wusste, oder umgekehrt? „Und das bedeutet?“ fragte sie vorsichtig, als hätte sie vor der Antwort Angst. Mir entging nicht, wie ihr Blick zu den Fenstern huschte, als suchte sie nach einem Fluchtweg, für den Notfall. Als ob sie mir entkommen könnte, wenn es darauf ankam. Ich wollte sie nicht noch mehr verunsichern. Ihre Reaktion reichte mir, um zu wissen, dass sie nicht in Monros Auftrag hier war. Ich hatte mich in seinen Absichten wohl getäuscht. Es war nicht ich der überwacht werden sollte. Ihm ging es wirklich nur darum, möglichst viel über sie zu erfahren. „Er meinte, ihr könntet Arbeit gebrauchen.“ So hatte er es zwar nicht ausgedrückt, doch das war wohl weniger wichtig. Sofort entspannten sich ihre Züge und sie musterte mich, als fragte sie sich, was für eine Art von Arbeit ich ihr anbieten könnte. „Da liegt er nicht ganz falsch.“ Sie lehnte sich, mir gegenüber, an einen Tisch und neigte leicht den Kopf zur Seite. „Dann seid ihr derzeit ohne eine Anstellung?“ Natürlich war sie das, doch sie musste nicht wissen, dass ich es wusste. „Derzeit, ja.“ Sie ließ ihre Finger über den Tisch gleiten, wobei sie eine Spur im leichten Staub hinterließ. Dann sah sie auf ihre Fingerkuppen und rieb den Schmutz herunter. „Was für eine Arbeit hättet ihr anzubieten?“ War das nicht offensichtlich? Sicher konnte sie nicht mit Hammer und Säge umgehen. Für die Renovierung würde ich Fachkräfte benötigen. „Ihr habt euch damals um die Morrigan gekümmert. Ihr erinnert euch? Nun das hier - “ ich machte eine ausladende Geste, um möglichst viel vom Gebäude einzuschließen, „ist etwas größer als ein Schiff und es ist in keinem sehr guten Zustand. Ich könnte jemanden gebrauchen, der mir zur Hand geht.“ Dabei versuchte ich ein wenig hilflos auszusehen. In gewisser Weise war ich das auch. Das hier überforderte mich. Selena lächelte jedoch wieder. „Eine Anstellung als Dienstmädchen also.“ Ihr Blick glitt über den Fußboden, der geschrubbt werden musste, die Fenster, durch die nur wenig Licht fiel und zu den Wänden, von denen sich die Tapeten lösten. „Eine nicht ganz einfache Aufgabe, Master Cormac. Ich hoffe nur, dass ich euch nicht enttäuschen werde.“ Von dem Tag an tauchte sie jeden Morgen pünktlich um acht Uhr auf und, nun ja, arbeitete für mich. Schnell war mir klar, dass sie sich weit mehr von anderen Frauen unterschied, als ich bisher gedacht hatte. Bei vielen häuslichen Dingen wusste sie wohl wie man es machen sollte, konnte es jedoch nicht umsetzen. Dafür bewies sie in handwerklichen Dingen ein Geschick, dass eher ungewöhnlich war. Ich beobachtete sie manchmal heimlich. Immerhin sollte ich für den Colonel so viel wie möglich über sie in Erfahrung bringen. Nie überraschte ich sie bei etwas Verbotenem. Sie putzte, wischte, klopfte Teppiche aus und entstaubte Bilder und Bücher. Schränke, Regale und Kisten wurden entrümpelt, und sie verheimlichte mir nichts von deren Inhalt. Kleinere Reparaturen an Möbelstücken führte sie selber aus und sogar an größere wagte sie sich heran, wobei ich sie oft aufhielt. Ich glaubte einfach nicht, dass sie es schaffen würde und ich wollte nicht, dass ihr etwas passierte. Wenn ich nachts alleine im Haus zurück blieb und es mir in meinen Räumen, mit einem kleinen Abendessen und meiner Rumflasche, am Kamin bequem machte, hatte ich die Ruhe, um ein wenig nachzudenken. Im Großen und Ganzen ging es mir ganz gut. Ich hatte ein Haus, ein Schiff und musste derzeit nicht Hunger leiden. Mein Gesundheitszustand war einigermaßen gut, auch wenn ich noch immer Albträume hatte, doch ich hatte keine Schmerzen mehr. Trainieren war wieder möglich und auch nötig. Sollte ich auf einen meiner ehemaligen Brüder treffen, würden sie sicher versuchen mich zu töten. Ich musste mich wappnen. Doch da war noch etwas, an das ich ständig denken musste. Selena. Von den Zimmern, die ich als Schlaf- und Arbeitszimmer nutzte, hielt sie sich, nach einer kurzen Grundreinigung, komplett fern. Erst dachte ich, es läge nur daran, dass sie sich im groben um das ganze Haus kümmern wollte, um später die wichtigen Zimmer gründlich zu reinigen, doch dann merkte ich, dass sie sich auch von mir distanzierte. Auch wenn sie beinahe den ganze Tag da war, sah ich sie nur Mittags und auch nur, wenn ich nach ihr rief. Kochen tat sie nicht, wofür ich dankbar war. Bei den Finnegans hatte sie in deren Abwesenheit gekocht. Wirklich schmackhaft war es nicht gewesen und so stellte ich mich lieber selbst in die Küche, auch wenn ich dafür eben so wenig geeignet war wie sie. Vielleicht sollte ich auch dafür jemanden einstellen, doch noch hatte ich kein regelmäßiges Einkommen. Solange ich keines der Häuser in der Stadt hatte herrichten lassen, konnte ich es auch nicht vermieten. Mit dem Geld das ich besaß, erwarb ich vorerst nur ein Haus und ließ es renovieren. Mieter würden sich finden, sobald es fertig gestellt war und ich sah alle paar Tage nach dem Rechten, um zu sehen, wie die Arbeiten voran gingen. Selena ließ ich in der Zeit alleine im Fort zurück. Ein Versuch ihr zu zeigen, dass ich ihr vertraute und auch ein Test, um zu sehen, ob ich ihr wirklich trauen konnte. Als ich Gist davon erzählte war er alles andere als begeistert. Er erinnerte mich stark an Liam. Auch er meinte, man könne ihr nicht trauen und es wäre leichtsinnig, sie alleine in dem Haus zu lassen. Woher kam nur dieses Misstrauen? War ich schlicht zu blauäugig, was sie betraf? Nach zwei Wochen war der Großteil des Hauses wirklich wieder bewohnbar und ich begann mich hier wohl und auch sicher zu fühlen. Alle Außentüren waren mit neuen Schlössern und stabilen Riegeln versehen worden. Fast alle Zimmer waren sauber und die wenigen Fenster, die kaputt gewesen waren, hatte ich ersetzen lassen. Es würde noch dauern, bis hier alles so aussah wie ich es gerne haben wollte, doch langsam ging mein Geldvorrat zur Neige und weitere Renovierungsarbeiten mussten vorerst warten. Eines nachmittags tauchte Gist bei mir auf, mit einer Nachricht vom Colonel. Er hatte einen Auftrag für mich, falls ich dazu die nötige Zeit hatte. Zum einen hatte er von einem kleinen Verbrechernest erfahren, im River Valley. Zum anderen war ein Schiff mit Material angegriffen worden und war so schwer beschädigt, dass eine Reparatur mehrere Wochen in Anspruch nehmen würde. Ob ich möglicherweise die Waren abholen und zu seinem Stützpunkt bringen könnte. Eine Aufgabe, die mir ein wenig Geld einbrachte und bei der ich weiteren Schurken das Handwerk legen konnte. Dazu kam, dass der Weg zu den Gesetzesbrechern an dem Hafen vorbei führte, an dem das beschädigte Schiff lag. Also sagte ich zu. Der Haken an der Sache war, dass ich für eine solche Fahrt mehrere Tage unterwegs sein würde. Konnte ich Selena so lange hier alleine lassen? Sie ging mir aus dem Weg, seit sie für mich arbeitete und das, wo sie vorher bei den Finnegans kaum eine Minute von meiner Seite gewichen war. Sie musste einen Grund haben, mich auf einmal zu meiden. Die beste Möglichkeit den Grund zu erfahren war, sie dazu zu bringen, auf engstem Raum eine Weile mit mir alleine zu sein. Vielleicht würde sie mir aber auch einfach sagen, was los war, wenn ich sie darauf ansprach. Da ich ohnehin mit ihr wegen der bevorstehenden Reise sprechen musste, konnte ich bei der Gelegenheit gleich einen Versuch starten. Ich machte mich auf die Suche nach ihr und fand sie in einem der kleineren Zimmer, wo sie gerade Kleider aus einem Schrank holte. Auf dem Boden war schon ein kleiner Haufen alter Kleidungsstücke, die längst aus der Mode waren und Löcher von Motten zeigten. Die waren sicher nicht mehr zu retten Entweder bemerkte sie mich nicht, oder aber sie ignorierte es, dass ich im Türrahmen stand und ihr zusah. Tat sie noch irgend etwas anderes außer aufräumen? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgend jemanden gab, der daran wirklich Freude hatte. Sie wirkte nicht so, als würde es ihr etwas ausmachen und so ging ich leise den Gang wieder hinunter. Wenn es ihr Spaß machte... Dann konnte sie nichts dagegen haben, das Gleiche auch auf der Morrigan zu tun. Sie hatte dort schon einmal für Ordnung gesorgt. Als ich bei der Tür anlangte, die zu meinen Räumen führte, wandte ich mich um und rief nach ihr. Wenn, dann wollte ich sie im Arbeitszimmer sprechen und nicht zwischen Tür und Angel. Es sollte so unauffällig wie möglich wirken. Die Tür ließ ich offen und trat an den Tisch heran, auf dem ich einen Teil meiner Karten liegen hatte. Eine davon breitete ich nun aus und strich sie glatt. Die Route für die kommenden Tage musste eh geplant werden. Leise klopfte es und ich hob den Kopf. „Ihr wolltet mich sprechen?“ Selena stand an der Tür und sah mich fragend an. Höflich konnte sie wirklich sein, wenn sie es wollte. „Das wollte ich.“ Ich winkte sie heran, denn sie stand mir viel zu weit weg. Bei diesem Gespräch wollte ich ihr in die Augen sehen. Ihre Schritte waren zögernd und sie wirkte nervös. Es war wirklich seltsam wie nervös sie war, seit sie hier arbeitete. Früher war sie selbstsicherer aufgetreten. „Warum seid ihr hier?“ fragte ich und sofort trat dieser verschreckte Blick in ihre Augen. Vor was hatte sie nur solche Angst? „Ihr... habt es mir doch angeboten.“ Das hatte ich und sie hatte angenommen. Schon an jenem Tag hatte sie nervös gewirkt. Gleich nach dem ich ihr gesagt hatte, Monro habe mit mir über sie gesprochen. „Das meine ich nicht.“ Ich hatte angenommen, sie nun zu einem Geständnis zu bringen. Ihr irgendwie entlocken zu können, was los war, doch ich hatte mich geirrt. Sie sah mich nur an, wich meinem Blick nicht aus. „Was meint ihr dann?“ fragte sie statt zu antworten und ich sah, dass sich ihre Hände in den Stoff ihres Kleides krallten. „Ihr geht mir aus dem Weg. Glaubt nicht, ich würde es nicht bemerken.“ „Ich wollte euch nur nicht auf die Nerven gehen.“ Noch immer sah sie mich an. Würde sie lügen, würde sie meinem Blick nicht standhalten. Soweit verstand ich sie schon. „Ihr habt hier einiges zu tun, da wollte ich nicht stören.“ „Das ist alles?“ Das sollte wohl ein Scherz sein. Schon senkte sie den Kopf. Also war da wirklich noch mehr. Etwas, das sie mir nicht sagen wollte. „Ich möchte mich nur nicht wieder mit euch streiten.“ Ging es wirklich nur darum? Bei den unterschiedlichen Ansichten, die wir ab und an hatten, war Streit wohl unvermeidlich. Mir war nicht entgangen, wie sie auf den Rum reagiert hatte, den ich häufiger als früher trank. Sie mochte keinen Alkohol. Selbst jetzt stand eine Flasche auf dem Tisch. „Ich streite mich auch nur ungern“, sagte ich mit einem leichten Lächeln, wurde aber gleich wieder ernst. „Wie auch immer, ich muss für ein paar Tage fort. Nicht lange, doch in der Zeit werdet ihr auf euch gestellt sein.“ Wenn ich mit etwas auf diese Worte gerechnet hatte, dann mit Erleichterung. Nicht erwartet hatte ich den nun fast geschockten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Nein, ich verstand sie wirklich nicht. Ihr Blick huschte von meinem Gesicht zur Karte auf dem Tisch, dann durch den Raum. Sie öffnete den Mund, schloss ihn jedoch gleich wieder. Der Gedanke, alleine hier zu bleiben, gefiel ihr offenbar überhaupt nicht. Oder aber sie wollte nicht, dass ich auf Reisen ging, wusste nur nicht, wie sie mich daran hindern sollte. Von ihr würde ich mir den Aufbruch allerdings nicht ausreden lassen. So wandte ich ihr den Rücken zu und sah wieder auf die Karte. Keine all zu weite Strecke. „Ich werde morgen um acht auslaufen.“ Ich machte eine kurze Pause und fügte hinzu: „Seid pünktlich, wenn ihr mit wollt.“ Hinter mir blieb es still, doch ich widerstand dem Drang, mich umzudrehen. Es war nur ein Angebot. Sie konnte hier bleiben, weiter Schränke auswischen und Kleider aussortieren. „Meint ihr das ernst?“ Sie klang ungläubig. Natürlich, es war ein seltsames Angebot. Ich langte nach dem Rum. „Ich muss verrückt sein, aber – ja.“ Ich nippte an der Flasche und stellte sie rasch wieder ab. Besser wenn ich tagsüber weniger von dem Zeug trank. Ich hörte wie sie näher kam und wandte mich ihr wieder zu. Dabei legte ich, wie zufällig meine Hand auf die Karte, um zu verhindern, dass sie all zu viel erkennen konnte, doch sie sah überhaupt nicht auf die Karte. „Es ist an euch, ob ihr euch das antun wollt. Ihr wisst, wie es auf See zugehen kann.“ Immerhin war sie schon einmal mit mir gesegelt. Das waren andere Zeiten gewesen und die jetzigen Umstände waren nicht wirklich besser. Kaum einer würde verstehen, warum ich eine Frau mit an Bord nahm, wo es doch hieß, es würde Unglück bringen. „Und es ist an euch, ob ihr mir vertraut.“ Selena lächelte. „Ich werde pünktlich sein, Master Cormac.“ In ihrem Blick lag etwas, das ich nicht ganz zu deuten vermochte. Zum Teil konnte es Freude sein, doch da war noch etwas anderes. Fast so, als wollte sie mir sagen: „Ich werde mitkommen und dann werden wir sehen, ob ich euch trauen kann.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)