Grauzone von sharx (Was sonst noch passiert ist) ================================================================================ Kapitel 21: Antworten --------------------- Kapitel 21 Antworten „Sehr geehrte Miss Berg. Da ich Euch nicht angetroffen habe und die Finnegans mir nicht sagen konnten, wann Ihr zurückkehrt, bleibt mir nur die Hoffnung, dass Euch diese Zeilen rechtzeitig erreichen. Ich habe lange über Eure Worte nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass Ihr in gewisser Weise richtig liegt. Nach allem was bisher geschehen ist, dürfte es besser sein, wenn ich mich vorerst selbst um diese Angelegenheit kümmere. Dennoch hoffe ich, dass Ihr meiner Bitte nachkommt, sobald es unserem Bekannten besser geht. Ich bin überzeugt, dass Ihr eher als ich in der Lage seid, zu ihm durchzudringen. Verbindlichst Colonel George Monro. Mai 16th 1756“ Das brachte mich nicht weiter. Seit nun mehr zwei Wochen versuchte ich aus dem, was ich in Selenas Unterkunft gefunden hatte, Anhaltspunkte zu bekommen, wo sie steckte. Doch die wenigen Briefe, die sie dort aufbewahrt hatte, waren alle zu alt und warfen eher Fragen auf, als sie zu klären. Drei Notizbücher hatte ich gefunden. Voll mit Texten und Zeichnungen, doch ich verstand sie nicht. Nur ab und an tauchten Namen auf. Darunter mein eigener. Auch bei einigen Zeichnungen war ich mir sicher, dass sie mich darstellen sollten. Schlafend. An Deck der Morrigan. Beim Training an den Strohpuppen hinterm Haus. Sie hatte mir weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als ich gedacht hatte. Die wenigen Namen, die sie aufgeschrieben hatte, brachten mich eben sowenig weiter, wie die Briefe. Nur einer konnte möglicherweise nützlich sein. Erst hatte ich Johnson gelesen, doch nach dem ich ein paar mal häufiger darauf geschaut hatte, war daraus ein Jones geworden. Eine Frau in Boston. Ich fragte Gist nach ihr und er runzelte die Stirn, als er den Namen hörte. „Ich kenne eine Mrs Jones in Boston. Nicht all zu gut, aber ich durfte sie kennenlernen. Sie verkehrt in etwas anderen Kreisen als ich. Ihr Mann war ein hohes Tier beim Militär und sie kennt viele Offiziere in der Stadt.“ Wieder das Militär. Selena hatte erwähnt, dass sie in dem ein oder anderen Fort gewesen war. Gut möglich, dass dieser Kontakt über einen Soldaten hergestellt worden war. Vielleicht sogar über Monro, der ja Colonel der britischen Armee war. In mir kam der Verdacht auf, dass es zwischen Selena und Boston eine Verbindung gab, die mir niemand erklären wollte, oder es konnte. Seit sie einen Fuß in die Kolonien gesetzt hatte, war sie immer wieder dort aufgetaucht. Gut möglich, dass sie auch jetzt dort war, und ich spielte mit dem Gedanken, dort hin zu segeln und der Sache auf den Grund zu gehen. Doch ich konnte hier nicht weg. Es war verrückt. Solange Selena nicht wieder hier war, wollte ich nicht auf Reisen gehen. Nicht einmal um sie zu suchen, denn es konnte sein, dass sie in meiner Abwesenheit zurückkam. Dann stand sie vor einer verschlossenen Tür, ohne eigene Unterkunft. Mir blieb nichts anderes übrig als abzuwarten. Erst Mitte Oktober, als ich schon beinahe die Hoffnung aufgegeben hatte, sie noch einmal zu sehen, tauchte sie wieder auf. Ich kam gerade von einem Treffen mit Monro zurück, der sich nach meinen Fortschritten, meine Suche betreffend, erkundigt hatte. Als ich durch den Torbogen trat, sah ich sie, wie sie am Brunnen saß, den Rucksack zu ihren Füßen und die Hand durchs Wasser gleiten ließ. Wie zufrieden sie aussah. Hatte sie noch nicht gemerkt, dass sie kein Dach mehr über dem Kopf hatte? Sicher würde sie nicht so unbeschwert aussehen, wenn sie es wüsste. Es war wirklich seltsam, dass sie hier saß, als wäre alles in bester Ordnung. Fast zwei Monate war sie fort gewesen, ohne ein Lebenszeichen. Eine ganze Weile stand ich nur da und sah sie an, bis sie den Blick hob und mich bemerkte. „Master Cormac.“ Sie stand auf und trat ein paar Schritte auf mich zu, blieb dann jedoch stehen. Vielleicht sah sie mir an, dass ich leicht verärgert war, wegen ihrer Verspätung. Nun da sie vor mir stand fiel mir etwas auf. Schuhe, Kleid und Frisur sahen nicht danach aus, als wäre sie unterwegs gewesen. Es hatte in der letzten Nacht stark geregnet und die Wege waren schlammig. Selbst die Straßen hier in der Stadt waren nicht gerade sauber, doch ihr Rocksaum wies kaum Schmutz auf. „Gist sagte, ihr wolltet mich sprechen.“ Keine Entschuldigung. Kein Anflug von schlechtem Gewissen, da sie zu spät kam. Nicht das geringste Anzeichen dafür, dass es ihr leid tat. Nein. 'Gist sagt, ihr wolltet mich sprechen.' Mehr hatte sie mir nicht zu sagen? Auch ich machte einen Schritt auf sie zu, blieb jedoch auf Abstand. „Das ist richtig. Wo ward ihr? Ihr sagtet etwas von ein paar Tagen, nicht von Monaten.“ Sie besaß genügend Anstand nun den Kopf zu senken. Immerhin etwas. „Ich wurde aufgehalten. Es tut mir leid, dass ich euch keine Nachricht habe zukommen lassen, dass es länger dauert.“ So ehrlich es auch klang, ich glaubte ihr nicht. „Aufgehalten.“ Gab es eine schwächere Ausrede? „Wie auch immer, ich habe einige Fragen und die sollten wir besser nicht hier klären.“ Nicht an einem Ort, von dem sie hätte fliehen können. Ich würde sie nicht gehen lassen, bevor ich Antworten hatte. Ich machte eine Geste zum Wohnhaus und sie folgte nach kurzem Zögern, ihren Rucksack in der Hand. Sorgsam verschloss ich die Tür hinter ihr und ging dann voraus, hoch in mein Arbeitszimmer. In den vergangenen Wochen hatte ich versucht selbst für ein wenig Ordnung zu sorgen, doch mir lag es einfach nicht. So hatte sich schon wieder eine leichte Staubschicht auf alles gelegt. Das Feuer im Kamin war noch nicht ganz herunter gebrannt und da ich es mir angewöhnt hatte es fast durchgehend in Gang zu halten, war es angenehm warm. Wieder schloss ich hinter ihr die Tür und merkte, wie sie sich umsah, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Natürlich. Sie sah, dass ich mir in ihrer Abwesenheit nicht die Mühe gemacht hatte alles sauber zu halten. Das war ja auch ihre Aufgabe. Nicht meine. Als sie ihre Tasche abstellte ging ich weiter. Es war einfacher, wenn sie einen Anstoß bekam, sich zu erklären. Zu dem würde sie, sobald sie die Jacke sah, wissen, dass sie ein Problem hatte. Angrenzend ans Arbeitszimmer, hatte ich einen Raum, in dem ich meine Ausrüstung verwahrte. Natürlich hatte ich nicht alles hier. In einem der Nebengebäude, das früher wohl einmal hier stationierten Soldaten als Lagerhaus gedient hatte, war ich auf einige alte Waffenständer gestoßen. Grob vom Schmutz befreit hatte ich sie mit hier her genommen und legte nun jeden Abend meine Waffen darauf ab. Auch ein paar Kleiderständer hatte ich dort gefunden, auf denen wohl Uniformen oder ähnliches gewesen sein mussten. Nun hing auf einem davon die Jacke, die ich aus ihrer Unterkunft mitgenommen hatte. Hier hatte ich nur einen kleinen Tisch, an dem ich meine Waffen pflegen konnte. Zu diesem ging ich, da er am nächsten an der Jacke war, drehte mich zu Selena um und lehnte mich an die Tischplatte. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie bemerkte, dass hier etwas hing, das nicht da sein dürfte. Ein paar Sekunden lang sahen wir einander nur an, dann glitt ihr Blick neben mich und ich erkannte aufkommende Angst in ihren Augen. „Ich hätte es euch sagen sollen“, sagte sie leise und senkte den Kopf. „Ich...“ doch sie brach ab. Ja, sie hätte es mir sagen sollen. „Ihr wisst also, warum ich euch sprechen wollte?“ „Ich kann es mir denken, aber... Es tut mir leid. Wirklich. Ich hätte sie euch zurückgeben sollen. Die Finnegans meinten, ihr hättet sie zurückgelassen und ich habe nur versucht sie zu retten.“ Retten? Nun, das hatte sie getan. Ich konnte sie wieder anziehen, wenn ich denn wollte. Sie biss sich auf die Unterlippe und sah noch immer zu Boden. Doch ich war noch nicht zufrieden mit der Antwort. Daher schwieg ich und wartete auf mehr. „Ihr hattet sicher einen Grund sie dort zu lassen und ich wollte abwarten bis...“ sie sah mich an und die altbekannte Trauer, wenn es um meine Vergangenheit ging, war in ihren Blick zurückgekehrt. „Nun bis ihr mir von euch aus erzählt was passiert ist. Ihr habt euch verändert und ich war mir sicher, dass an der Jacke Erinnerungen hängen, die ihr lieber vergessen wollt.“ Diesen Blick mochte ich nicht und da sie mit ihrer Vermutung richtig lag, widmete ich meine Aufmerksamkeit kurzzeitig meinen Stiefeln, um ein wenig Zeit zu gewinnen. Dann sah ich selbst zu der Jacke hinüber. „Ihr habt recht. Sie steckt voller Erinnerungen.“ Erinnerungen an meinen besten Freund, der versucht hat, mich zu töten. „Darum hat es mich nicht gestört, als man mir sagte, sie sei nicht mehr zu retten gewesen. Könnt ihr euch vorstellen, wie es war, sie bei euch zu finden?“ Sie antwortete nicht. Langsam, meinem Blick ausweichend, trat sie auf den Kleiderständer zu. Ihre Finger glitten über den Stoff und sie sah aus, als wüsste sie ganz genau, wie es in mir aussah. Dann veränderte sich ihre Miene und in die Erkenntnis, dass ich in ihrer Unterkunft gewesen war, legte sich auf ihre Züge. Dennoch sah sie mich nicht an, als sie leise fragte: „Warum ward ihr in meiner Bleibe?“ Langsam trat ich an sie heran, bewahrte jedoch einen gewissen Abstand. Ich wollte nicht, dass sie sich durch meine Nähe bedrängt fühlte. „Ihr kamt nicht zurück. Ich hatte die Hoffnung, etwas zu finden, dass mir sagt wo ihr steckt.“ Nun drehte sie sich zu mir um und starrte mich an, als hätte ich etwas gesagt, mit dem sie nicht gerechnet hatte. War es denn so unglaubwürdig, dass ich mir Gedanken über ihren Verbleib machte? „Seid ihr fündig geworden?“ Nein, das war ich nicht, sonst hätte ich mir keine weiteren Sorgen machen müssen, hätte einen Boten zu ihr geschickt oder wäre selbst los gesegelt, um zu sehen, ob es ihr gut ging. „Das nicht“, gab ich zu und obwohl mir ihr Blick unangenehm war, wich ich nicht aus. „Es hat nur weitere Fragen aufgeworfen.“ „Was für Fragen?“ Wieder richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Jacke, was mich nun doch ein klein wenig ärgerte. Wenn ich ihr Gesicht nicht sah, wusste ich nicht, ob sie mich anschwindelte. „Wo ward ihr? Ihr hattet keinen Auftrag vom Colonel und auch nicht von Johnson. Die wussten nämlich nichts von eurer Abreise.“ Und ich stand wie ein Idiot da, weil ich ihr geglaubt hatte. „Das ist privat“, gab sie zurück. „Aber ich habe auch eine Frage.“ Sie drehte sich um und ich sah einen leichten Anflug von Zorn in ihrem Blick. „Was ist aus meinen Sachen geworden? Die Wohnung ist neu vermietet. Mein Schlüssel passt nicht mehr. Wo sind meine Kleider, die Bücher, meine Notizen? Und vor allem: Wie seid ihr in meine Bleibe hinein gekommen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein ehemaliger Vermieter euch einfach so hinein gelassen hat.“ Ich seufzte. Es war klar, dass sie diese Fragen stellen würde und auch, dass sie mir nicht sagte, wo sie gewesen war. „Eure Sachen sind hier. Ich wollte nicht riskieren, dass sie entsorgt werden.“ Und ich hatte sie mir ansehen wollen. „Was den Vermieter angeht, der wollte euch eh hinauswerfen. Wer auch immer eure Miete gezahlt hat, hat damit aufgehört und ihr ward im Rückstand.“ Das war ihr nun unangenehm. Ich fragte mich, was für sie schlimmer war: Die Zahlungseinstellung ihres mysteriösen Gönners, ihr Mietrückstand oder aber, dass ich davon erfahren hatte. Es sorgte auf jeden Fall dafür, dass sie nicht weiter fragte und ich gab mir einen Ruck. Monro wollte noch immer, dass ich sie unter Beobachtung behielt. Sie hatte keine Unterkunft mehr und ich wollte mich nicht weiter mit ihr über diese Thema unterhalten, da es so aussah, als würde es nur wieder zu Streit führen. „Nun, da ihr keine Unterkunft mehr habt“, ich machte eine kleine Pause und atmete tief durch. „Hier ist genügend Platz für zwei.“ „Ich soll hier bleiben?“ Diese Wortwahl irritierte mich ein wenig. Sollen. Nicht dürfen oder können. Es war nur ein Angebot und keine endgültige Entscheidung meinerseits. So wie sie es sagte klang es, als wollte sie nicht hier bleiben. „Bis ihr etwas Anderes gefunden habt. Es sei denn, ihr wollt euch gleich etwas Anderes suchen. Es ist nur ein Angebot. Immerhin sind eure Sachen eh hier und da ihr für mich arbeitet...“ wieder brach ich ab. Vielleicht hatte ich mich etwas zu weit vorgewagt, doch es würde vieles leichter machen, wenn sie hier blieb. „Nein. - Ich meine -“ Ihr Blick huschte kurz durch den Raum, dann lächelte sie. „Danke für das Angebot. Wenn es wirklich in Ordnung ist, dann bleibe ich hier.“ Kurz sah es so aus, als wollte sie noch etwas sagen, doch dann schwieg sie und ich trat auf sie zu. „Dann zeige ich euch euer Zimmer.“ Und ich ging voran zu der Kammer, in der ich ihre Sachen aufbewahrte. Da ich nicht gewusst hatte, ob sie hier bleiben würde oder nicht, hatte ich ihre Kleider auf das Bett gelegt, den Rest auf den kleinen Tisch, den ich in das Zimmer gestellt hatte. Zugegeben, es war etwas kleiner, als ihre vorherige Unterkunft, doch ich war mir sicher, dass es für sie auch Vorteile mit sich brachte, hier zu wohnen. Von dem Tag an lebten wir unter einem Dach. Die ersten Tage, und vor allem die Nächte, waren etwas ungewohnt. Zu wissen, dass ich nicht alleine war, ließ mich etwas ruhiger schlafen. Die Wände waren dünn, doch ich hoffte, dass sie es nicht mitbekam, wenn ich doch einmal aus einem Traum aufschreckte. Im Bad brachte ich einen Riegel an, damit die Tür von innen verschlossen werden konnte. Ich wollte nicht von ihr gestört werden oder aber sie stören, wenn sie sich frisch machte. Auch ihre Tür ließ ich mit einem Schloss versehen und gab ihr den Schlüssel. So konnte sie, wenn sie es denn wollte, ihre Sachen einschließen, wenn sie das Haus verließ. Was ich ihr nicht sagte war, dass ich einen Zweitschlüssel besaß. Ich hoffte, ihn nie zu brauchen, doch sicher war sicher. Wir nahmen das Training wieder auf und ich versuchte immer wieder ein paar Antworten aus ihr heraus zu bekommen, wenn sie am wenigsten damit rechnete. Mir fiel auf, dass sie abends, nach dem Training, zugänglicher war. So erfuhr ich, dass sie ihre Verwandtschaft in Philadelphia besucht hatte. Den kleinen Rest, den es noch gab. Sie hatte feststellen müssen, dass nur noch eine Tante übrig war, der es nicht gut ging. Daher hatte es so lange gedauert mit ihrer Rückkehr. Auch erzählte sie mir, wenn wir abends noch zusammen saßen, ein wenig mehr über sich und ihre Erlebnisse. Dabei beschränkte sie sich leider auf die letzten vier Jahre. Die Dinge, die mich wirklich interessierten, sprach sie ebenfalls nicht an. Dennoch kamen wir irgendwann auf ihre Zeit in Boston zu sprechen. Da es am Nachmittag heftig angefangen hatte zu regnen, war unser Training ausgefallen und wir saßen stattdessen im Arbeitszimmer. Einem der wenigen Räume im Haus, die wirklich warm waren, sah man von der Küche ab. „Ihr seid recht häufig dort.“ Von meinem Platz am Schreibtisch sah ich zu, wie sich ihre Hände gleichmäßig bewegten. Sie strickte an etwas, das ich für eine Socke hielt. „Wie kommt es dann, dass ihr hier eine Wohnung hattet?“ „Meist bin ich nur für ein paar Tage in Boston und oft bekomme ich in dieser Zeit eine Unterkunft gestellt.“ Sie zählte die Maschen auf ihren Nadeln und schon kam wieder das leise Klacken, als sie weiter strickte. „In letzter Zeit ist es weniger geworden.“ „Habt ihr dort Freunde, oder Bekannte?“ Denn ich musste an ihre Notizen denken. Noch immer wusste ich nicht genau wer diese Mrs Jones war, die darin vorgekommen war. „Nicht mehr viele. Die meisten Bekannten habe ich unter den Soldaten. Durch die ewigen Kämpfe mit den Franzosen sind leider einige von ihnen verstorben.“ „Nur dadurch?“ fragte ich weiter, denn sie war in Boston verletzt worden. Zwei Mal soweit ich wusste und das war das Werk von Assassinen gewesen. Sie warf mir einen Blick zu, der deutlich machte, dass sie das Thema nicht mochte und so schwiegen wir eine Weile, bis sie antwortete: „Nicht nur. Zwei wurden ermordet.“ Dieser Satz stand einen Moment im Raum und kurzzeitig war nichts weiter zu hören, als das Knistern des Kaminfeuers und der Regen, der noch immer gegen die Fensterläden prasselte. „Seither versuche ich den Ort zu meiden, wenn es möglich ist. Ich möchte nicht daran erinnert werden.“ Nach kurzem Zögern stand ich auf und ging zu ihr. Sie hatte es sich in einem der Sessel am Kamin bequem gemacht und sah nun in die Flammen, anstatt auf ihre Strickarbeit. Ich ließ mich, ihr gegenüber, in dem anderen Sessel nieder. „Ich mag mich irren, aber kurz danach kam das Gerücht über euren Tod auf. Habe ich recht?“ Als sie mir nun in die Augen sah, erkannte ich den Kampf, der in ihrem Inneren stattfand. Sie fragte sich, wie viel sie mir erzählen konnte. Ich hoffte, dass sie mir alles sagte, doch schon senkte sie den Blick und nickte nur. Obwohl es nun mehr als deutlich war, dass sie nicht weiter darüber reden wollte, konnte ich es nicht dabei belassen. „Warum?“ fragte ich leise und sie seufzte. Dann legte sie die Nadeln zur Seite und sah mich direkt an „Weil man versucht hat, auch mich zu töten. Ich weiß nicht warum, doch ich hatte unverschämtes Glück zu überleben. Danach hielt ich es für besser, eine Weile zu verschwinden. Ich wollte verhindern, dass man nach mir sucht. Daher ließ ich das Gerücht verbreiten, nicht mehr am Leben zu sein.“ Noch immer sah sie mich an und ich senkte den Blick. Immerhin wusste ich, dass es den Angriff gegeben hatte und warum. Nur eins verstand ich nicht. Monro hatte sie erzählt, dass sie in dieser Zeit nach jemandem gesucht hatte. Mir sagte sie nun, dass sie nur hatte verschwinden wollen. Es passte nicht zusammen. Ihr Angreifer war tot. Nach ihm musste sie nicht mehr suchen. Doch wer war es dann? Und warum verschwieg sie mir dieses Detail? „Jetzt ihr“, riss sie mich aus meinen Gedanken und ich sah auf. Sie deutete auf meine Schulter. „Wer hat auf euch geschossen?“ Warum nur musste sie danach fragen? Ich wollte es nicht verraten. Andererseits schuldete ich ihr wohl eine Antwort. Immerhin hatte sie mir auch geantwortet. Sie kam mir allerdings zuvor in dem sie sagte: „Es war Liam, habe ich recht?“ Volltreffer. Hatte sie geraten, oder wusste sie doch mehr als sie mir verriet? Langsam nickte ich. „Woher wisst ihr davon?“ fragte ich, statt einer Erklärung. „Irgendwie war es klar. Er hat mir von eurem Ableben erzählt. Eure Reaktion, als ich von dem Treffen mit ihm erzählte, tat ihr übriges. Es brauchte nicht viel, um den Zusammenhang zu erkennen. Seither segelt ihr mit Gist und habt Liam nicht mehr erwähnt.“ Kurz schwieg sie, dann griff sie erneut zu ihren Nadeln. „Ich frage nicht, was genau passiert ist. Das ist eure Angelegenheit.“ Für diese Worte war ich dankbar. Auch ich fragte nicht weiter. Mir wurde langsam klar, dass Selena nicht zu unterschätzen war. Selbst bei wenigen Informationen konnte sie Zusammenhänge erkennen und zu den richtigen Schlüssen gelangen. Ich begann mich zu fragen, was sie noch alles wusste, ahnte oder zumindest für möglich hielt. Und ich war mir sicher, dass die Antwort in ihren Notizbüchern zu finden war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)