Grauzone von sharx (Was sonst noch passiert ist) ================================================================================ Kapitel 1: Blinder Passagier ---------------------------- Kapitel 1 Blinder Passagier „Ihr wollt es, Shay? Es gehört euch.“ Der Chevallier machte eine Verbeugung in meine Richtung, die mehr Spott als alles andere war und fuhr dann fort. „Nun bringt mich zurück zu meinem Schiff.“ Es gefiel mir überhaupt nicht von ihm herumkommandiert zu werden. Was glaubte dieser Mann, wer er war? Eine neuerliche Auseinandersetzung würde mir wohl nur neuerlichen Ärger einbringen und noch immer spürte ich einen dumpfen Schmerz im Gesicht, wo mich seine Faust getroffen hatte. Irgendwann bekomme ich schon noch die Gelegenheit, es dir heimzuzahlen, dachte ich. Jede Gemeinheit bekommt er irgend wann zurück. Doch die ganze Angelegenheit hatte auch etwas gutes. Dieses Schiff gehörte mir. Mein eigenes Schiff. Ein paar der Schmuggler, die wir gerettet hatten, schlossen sich uns an. Für den Anfang würden sie als Crew reichen, doch sicher brauchten wir bald mehr Leute. Nun jedoch gab es wichtigeres. Gerne hätte ich vor unserem Aufbruch das Schiff komplett in Augenschein genommen, doch der Chevallier drängte uns abzulegen, damit wir den Überresten seiner Flotte zur Seite stehen konnten. Anders gesagt, er forderte mich dazu auf sein Schiff zu retten. Einen kleinen Moment spielte ich mit dem Gedanken die Gerfaut untergehen zu lassen, nur um dem Franzosen eins auszuwischen, doch dann müsste ich ihn bis nach Daevenport bringen. Nein, je eher ich ihn los werden konnte um so besser war es. Als wir nahe genug an den Konflikt auf See herangekommen waren gab ich den ersten Feuerbefehl, bevor einer der Briten auch nur begriff, dass wir keine Unterstützung, sondern Gegner waren. Im Handumdrehen wendete sich das Blatt zu unseren Gunsten und zum ersten Mal wirkte de la Verendrey zufrieden. Sein Schiff hatte Schaden genommen, doch es war noch immer seetauglich. Er ließ sich zu seinem Schiff rudern und erleichtert atmete ich auf als seine Gestalt kleiner wurde. „Welchen Kurs soll ich setzen, Shay?“ Liam trat an meine Seite und ich sah ihn mit einem Lächeln an. Es war gut ihn weiterhin an Bord zu haben. Es zeigte mir, dass wir trotz allem immer noch Freude waren und er es vorzog, mit mir zu segeln, auch wenn die Gerfaut etwas mehr Komfort zu bieten hatte als die Morrigan. „Zeit dem Mentor Bericht zu erstatten, meint ihr nicht auch?“ - „Weise Worte, Kapitän. Weise Worte.“ Liam zwinkerte. Es war etwas ganz anderes wenn Liam diese Art von Scherz machte, als wenn sie vom Chevallier kamen. Ich wusste wie diese Worte gemeint waren und diese kleinen Neckereien zwischen uns waren rein freundschaftlich. „Ihr solltet euch vorher vielleicht ansehen wie es um die Morrigan steht“, meinte Liam und ich zog die Augenbrauen hoch. „Nicht dass wir auf halber Strecke absaufen.“ Da hatte er recht und nun, wo die Gefahr vorerst vorüber und keine französische Nervensäge an Bord war, konnten wir uns in Ruhe umsehen. Ich schickte zwei Männer unter Deck um nach Schäden zu suchen und machte mich selbst auf, die Kapitänskajüte zu inspizieren. Liam blieb an Deck um ein Auge auf die Umgebung zu haben. Ein etwas unangenehmer Geruch stieg mir in die Nase, als ich die Tür öffnete. In diesem Punkt hatte der Chevallier recht. Die Morrigan stank. Das würde sich schon noch ändern und ich hatte nun keine Lust mich darum zu kümmern. Um alles hier drin in Augenschein nehmen zu können bräuchte ich sicher Stunden und so begnügte ich mich erst einmal mit einer groben Übersicht. Ein paar Kisten standen an den Seiten. Fässer, Seile, ein Regal mit ein paar Flaschen. Ein großer Tisch in der Mitte auf dem eine Seekarte lag, mitsamt allem was man benötigte um einen Kurs festzulegen oder den Standort zu bestimmen. Weiter hinten wurde es wohnlich mit einem großen Schreibtisch, Kommoden, Waffen- und Kleiderständer und eine großzügige Koje. Darüber ein Regal mit ein paar Büchern. Bücher? Der vorherige Kapitän musste viel Zeit zum lesen gehabt haben. Mein Blick wanderte über den Schreibtisch und blieb am Logbuch hängen. Damit würde ich mich wohl befassen müssen, dachte ich bitter. Logbucheinträge waren wichtig, doch schreiben war nicht gerade eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Ich ging um den Tisch herum um mir den Inhalt der Schubladen anzusehen, wobei ich an die gepolsterte Sitzbank stieß die sich über einen Großteil der Heckwand erstreckte. Kurz spürte ich einen kalten Luftzug am Bein und sah mir die Sache genauer an. Ich war schon auf einigen Schiffen, die Kajüte des Kapitäns war jedoch immer ein Ort gewesen, den ich nur selten zu Gesicht bekommen hatte. Selbst als ich mit meinem Vater auf See gewesen war, hatte ich einen Platz unten bei der Mannschaft gehabt. Es hatte keine Sonderstellung gegeben, nur weil ich zur Familie gehörte. Ich zog an der Sitzfläche und sie ließ sich problemlos nach oben klappen. Ein Loch kam zum Vorschein mit Blick aufs Meer. Nett, einen eigenen Abtritt zu haben. Gerade als ich die Klappe wieder schloss klopfte es an der Tür. „Ja?“ Einer der beiden, die ich unter Deck geschickt hatte, trat zögernd ein. Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen, ging es mir durch den Kopf. Daher wusste ich nicht wie ich ihn nun ansprechen sollte und wartete einfach ab. „Kapitän, wir haben im Frachtraum etwas gefunden, das ihr euch ansehen solltet.“ Es war ungewohnt so angesprochen zu werden, doch ein gutes Gefühl wenn jemand einem Respekt entgegen brachte. Daran konnte ich mich durchaus gewöhnen. „Worum geht es?“ Wegen einer Ratte würde ich nicht unter Deck gehen. Dazu gab es hier viel zu viele Dinge zu entdecken. „Sieht danach aus, als hätten die Briten einen Passagier an Bord gehabt.“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Die Morrigan war kein Passagierschiff und hier hatten sich nur Soldaten aufgehalten. Neugierig geworden folgte ich dem Mann in den Frachtraum und blieb vor einer Gefängniszelle stehen. Hinter den Eisenstangen befand sich eine junge Frau, die nicht den Eindruck erweckte, als würde sie hier her gehören. Sollte das ein schlechter Scherz sein? Eine Frau auf so einem Schiff. Noch dazu eingesperrt. Was hatten die Roastbeefs mit ihr vor? Hier unten war es recht dunkel und wir hatten nur eine Laterne. Daher konnte ich sie nicht all zu deutlich sehen. Auf den ersten Blick fand ich jedoch nichts ungewöhnliches an ihr. Nichts, was mir einen Hinweis darauf geben konnte, warum man sie eingesperrt hatte. Sie sah aus, als wäre sie noch nicht lange in dieser Zelle und hätte keine Ahnung warum sie dort war. Sie trug einen kurzen Mantel über ihren Kleidern, hatte das dunkle Haar zu einem Zopf gebunden und eine leicht schief sitzende Brille auf der Nase. Das Licht der Laterne reflektierte sich in den Gläsern, so dass ich ihre Augen nicht sehen konnte. Ich schätzte sie auf Anfang bis Mitte Zwanzig, auch wenn es schwer war das bei diesem schwachen Licht zu sagen. Bevor ich ein Wort an sie richtete schärfte ich meine Wahrnehmung. Vor ein paar Monaten hatte Kesegowaase begonnen mir diese Fähigkeit beizubringen, die er das Adlerauge nannte. Sie machte es leichter Verbündete, Feinde oder auch Ziele ausfindig zu machen und voneinander zu unterscheiden. All zu gut beherrschte ich es jedoch noch nicht. Daher dauerte es einen Moment bis ich den leichten blauen Schimmer wahrnahm, der sie umgab. Blau war gut. „Ich nehme an, es gibt einen Grund dafür, dass ihr hier eingesperrt sein, Miss.“ Der Blick den sie mir zuwarf, war alles andere als glücklich und als sie antwortete, lag ein leichtes Zittern in ihrer Stimme. „Das ist alles nur ein Missverständnis.“ Sie wich einen Schritt vom Gitter zurück und fügte hinzu: „Und seid keiner von denen, die mich hier her gebracht haben.“ Das stimmte, aber es erklärte nicht, warum man sie eingesperrt hatte. Kurz wechselte ich einen Blick mit den beiden Matrosen, dann wandte ich mich zum Gehen. Darüber musste ich mit Liam reden. Er kannte sich besser aus als ich. „Bringt sie nach oben“, befahl ich den beiden Männern und ließ sie dann alleine. Eine Frau an Bord. So etwas bedeutete nur ärger. Es brachte Unglück eine Frau an Bord zu haben. Andererseits hatten wir den Kampf gegen die britischen Soldaten gewonnen. Da wusste ich aber auch noch nicht, dass sie an Bord war. Zu dem hielt ich nicht all zu viel von diesem Aberglauben. Wieder an der frischen Luft winkte ich Liam zu mir herunter und erzählte ihm von ihr. „Irgend etwas stimmt bei der Sache nicht. Es gibt keinen Grund eine wehrlose Frau einzusperren und auf eine Insel wie diese mitzunehmen.“ Liam runzelte die Stirn. Immer wenn er nachdachte hatte er diese Falte zwischen den Augenbrauen. „Vielleicht gehört sie zu den Schmugglern. Dann müsste einer von denen sie erkennen.“ „Die Beiden da unten sahen nicht danach aus als hätten sie sie schon einmal gesehen.“ Schon waren Schritte auf der Treppe zu hören und ich wandte mich der Luke zum Frachtraum zu. Einer der Männer hielt sie am Arm fest und mir fiel auf, dass sie leicht humpelte. Bei Tageslicht sah sie älter aus als dort unten. Ende zwanzig vielleicht und ihr Haar wirkte nicht mehr so dunkel. Im Grunde war sie gar nicht mal unattraktiv. Kaum das sie die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte riss sie sich los und stieß ihn von sich. Sie machte ein paar Schritte als hätte sie ernsthaft vor fortzulaufen, doch Liam war schneller. Von hinten schlang er seine Arme um sie und hielt sie fest. „Hey, hey. Ganz ruhig, ja.“ Anstatt aufzugeben begann sie damit sich gegen seinen Griff zu wehren. „Los lassen“, fauchte sie. Liam ließ sich dadurch nicht beeindrucken. „Keiner hier hat vor euch etwas zu tun“, wollte er sie beruhigen, doch sie versuchte nur nach ihm zu treten, verfehlte sein Bein jedoch. „Ihr sollt mich loslassen.“ - „Wenn ihr aufhört zu zappeln, sicher.“ Diese Bemerkung ließ ein paar der Anwesenden lachen und auch ich musste schmunzeln. Das brachte sie anscheinend zur Besinnung, denn sie hörte auf sich zu wehren. Als Liam sie losließ drehte sie sich langsam zu ihm um. „Geht doch.“ Dabei klang er leicht amüsiert, auch wenn man es ihm nicht ansah. Ihr Blick huschte nun von einem zum anderen, dann hinaus aufs Meer und rüber zur Gerfaut. Ihre Schultern sackten ein wenig nach unten als ihr klar wurde, dass sie sich auf dem offenen Meer befand und es keine Möglichkeit zur Flucht gab. „Also“, begann ich, und sie wandte sich mir zu, „Können wir uns nun in Ruhe unterhalten, oder zieht ihr es vor unter Deck zu bleiben?“ - „Warum sollte ich mich mit Piraten unterhalten?“ Ich warf Liam einen Blick zu der mit den Schultern zuckte. „Wir sind keine Piraten, Miss“ Ich lächelte leicht. Sie schien nicht überzeugt. „Ach nein? Dieses Schiff gehört der Royal Navy und ihr seht nicht nach einem Soldaten aus.“ - „Ich bin auch kein Soldat, aber zu euch. Wer seid ihr und warum hat man euch eingesperrt?“ Sie zögerte einen Moment bevor sie mit leiserer Stimme sagte: „Selena Berg und warum man mich eingesperrt hat...“ Sie fuhr sich über den Hinterkopf, „Die haben mich niedergeschlagen. Ich habe keine Ahnung wie ich hier aufs Schiff gekommen bin.“ „Wer hat euch niedergeschlagen?“ fragte Liam und verschränkte die Arme. Das er ihr nicht glaubte war deutlich zu erkennen. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, warum jemand einfach so eine Frau niederschlagen sollte. „Ein britischer Soldat, nach dem ich mich geweigert habe zu kooperieren.“ Wieder wechselte ich einen Blick mit Liam und trat dann auf sie zu, was sie zurückweichen ließ. „Und was wollte er von euch?“ Wieder zögerte sie einen Augenblick. „Ich sagte schon, es war ein Missverständnis. Ich habe mich verlaufen und bin gestürzt. Dummerweise direkt vor die Nase eines Soldaten und das wohl auch noch in einer Sperrzone. Die haben mich mitgeschleift, ihrem Truppenführer gesagt ich würde zu irgendwelchen Schmugglern gehören und mich dann niedergeschlagen um sich später mit mir zu befassen.“ Sie rieb sich den Arm, „Was das bedeuten sollte will ich lieber nicht wissen.“ Mir fiel auf, dass ihr Kleid an den Knien Flecken hatte. Auch der Mantel hatte ein paar Schmutzstellen. Ein Teil der Geschichte konnte durchaus stimmen, auch wenn sie nicht sehr glaubwürdig klang. Doch aus welchem Grund auch immer man sie mitgeschleppt hatte, mich ging es nichts an. Sie war nicht meine Gefangene. „Dann wäre es wohl am Besten euch wieder zurück zu bringen.“ - „Nein.“ Das überraschte mich nun wirklich. Ich war davon ausgegangen, dass sie so schnell wie möglich wieder an Land gehen wollte. Dann hatte sie wohl doch nicht ganz die Wahrheit gesagt. „Ich meine...“ Ihr Blick huschte kurz zu Liam der den Kopf etwas weiter senkte, dann zurück zu mir, so als wäre sie nicht sicher wer von uns beiden hier das Sagen hatte. „Ich hab mich nicht einfach verlaufen. Ich kenne die Insel nicht und habe nach einer Möglichkeit gesucht von dort weg zu kommen. Man hat mich dort zurück gelassen. Bitte, ich suche keinen Streit. Ich möchte nur irgendwie in den Kolonien ankommen.“ Das klang schon vernünftiger, auch wenn es sicher noch nicht die ganze Geschichte war. Sie verheimlichte etwas und meine Neugierde wuchs. „Wenn das so ist, dann können wir uns auch während der Weiterfahrt darüber unterhalten. Wir segeln Richtung Boston.“ Ich sah wie Liam sich bei diesen Worten leicht anspannte. Er hatte ganz offensichtlich etwas dagegen, aber er hatte hier nicht das sagen. „Boston klingt gut, aber ich möchte nicht zur Last fallen.“ Wieder etwas das ehrlich klang. „Einer mehr an Bord wird nicht so schlimm sein.“ Ich deutete hinauf ans Steuerrad und zögernd folgte sie der Aufforderung. Es konnte sicher nicht schaden sie bis zum nächsten Hafen mitzunehmen. Vielleicht wurde es sogar ganz unterhaltsam. Ich ließ Segel setzen und Liam gesellte sich an meine rechte Seite. Nach einem unsicheren Blick stellte Selena sich nach links, blieb jedoch etwas auf Abstand. „Von wo stammt ihr, Miss?“ Mir war ihr Akzent aufgefallen. Einer, den ich nicht einordnen konnte und ich hatte schon so manchen gehört. „Von überall und nirgends“, wich sie aus. „Was ist mit euch?“ Ohne darüber nachzudenken antwortete ich: „New York.“ Aus irgend einem Grund entlockte ihr das ein Lächeln. Dieses kleine Heben der Mundwinkel ließ sie gleich etwas entspannter wirken. „Wo ward ihr zuletzt?“ fragte ich weiter, „Warum hat man euch auf dieser Insel zurück gelassen?“ Denn das war es, was mich besonders interessierte. Wenn sie sich das alles nur ausdachte, würde sie über kurz oder lang einen Fehler machen. „Wir waren von St. John's unterwegs nach Québec. Dort wohnt die Tante einer Freundin, mit der ich unterwegs war. Sie wollte uns für ein paar Tage aufnehmen. Auf der Fahrt wurde ich dem Kapitän wohl ein wenig zu frech, auch wenn ich nur die Wahrheit gesagt habe.“ „Was habt ihr ihm denn gesagt? Das sein Schiff zu langsam ist und es von Ratten wimmelt?“ - „Nein“, wieder lächelte sie, ein wenig mehr als vorher. „Ich glaube es war eher so etwas wie: 'Finger weg, sonst Finger ab.' Nur nicht ganz so nett ausgedrückt.“ Liam kicherte hinter vorgehaltener Hand bei dieser Bemerkung, doch ich war nicht sicher, ob ich die Anspielung richtig verstanden hatte. „Und wie klingt es in nicht so nett?“ - „Ich glaube das wollt ihr nicht wirklich hören. Auf jeden Fall fand er es nicht witzig und meinte mir ein paar Manieren beibringen zu müssen. Da hat er mich ohne Gepäck ausgesetzt. Naja fast ohne. Den Rest hat mir einer der Soldaten abgenommen.“ Bei diesen Worten erstarb ihr Lächeln. Ich versuchte mir vorzustellen, was ich an ihrer Stelle getan hätte. Wenn man mir bei diesen Temperaturen alles abgenommen und mich auf einer Insel ausgesetzt hätte. Gut, ich konnte jagen und wusste wie man überlebt. Selena wirkte wie jemand der nicht wusste wie man in der Wildnis zurecht kam. Sie lehnte sich nun mit dem Rücken ans Geländer und sah mich direkt an. „Vielleicht war es gut so. Euer Schiff gefällt mir besser als das dieses Halunken.“ - „Es gefällt euch?“ Ich war mir sicher, dass sie es nicht ernst meinte. Die Morrigan war im Vergleich zu einer Handelsgaleere, die üblicherweise für Überfahrten genutzt wurden, klein und unkomfortabel. Wieder huschte ein Lächeln über ihre Lippen und ich fühlte meinen Verdacht bestätigt. „Es ist beschädigt, das stimmt und an einigen Ecken müsste geschrubbt werden, aber es ist eher die Bauart die mir zusagt, versteht ihr?“ Nein ich verstand gar nichts, ließ sie jedoch weiter reden. „Nicht zu klein aber klein genug um wendig zu sein und wie es aussieht ist es noch ausbaufähig.“ Sie ließ ihre Hand über das Geländer gleiten und wurde wieder ernst. „Dieses Schiff... Es gehört euch nicht wirklich, sonst wäre sein Zustand sicher besser.“ „Ich habe es... in Verwahrung genommen,“ sagte ich vorsichtig. Das war zumindest nicht gelogen. „Sein Vorbesitzer brauchte es nicht mehr.“ - „Dann seid ihr doch ein Pirat oder rechtfertigt ihr euch immer damit?“ Das hatte gesessen. Ich wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch mir fiel nichts passendes ein. Selena senkte den Blick und als selbst Liam nichts dazu sagte löste sie sich vom Geländer und entfernte sich ein paar Schritte. Ich verstand, wieso dieser Kapitän sie für frech gehalten und ausgesetzt hatte. Sie hatte ein loses Mundwerk, auch wenn ich zugeben musste, dass an ihrer Logik durchaus etwas dran war. „In gewisser Weise hat sie Recht“, meinte Liam, leise genug, damit Selena ihn nicht hören konnte. „Wir sind keine Piraten,“ gab ich zurück, „Und die Briten haben es wirklich nicht mehr gebrauchen können.“ Immerhin waren sie tot. „Schon, aber seht es aus ihrer Sicht. In ihren Augen sehen wir wie Piraten aus, auch wenn wir nicht unter schwarzer Flagge segeln. Oder zumindest wie Freibeuter.“ Ich warf Selena einen Blick zu, doch sie hatte uns den Rücken gekehrt und hielt sich an der Reling fest, die Augen aufs Meer gerichtet. Wie sollte ich sie von dem Irrglauben abbringen, das wir Piraten waren? Ich konnte ihr schlecht erzählen, dass wir in Wahrheit Assassinen waren. Das würde sie nur in Panik versetzen, falls sie mir glauben schenkte. Es dauerte lange bis sie sich wieder zu uns gesellte und nach kurzem zögern ergriff sie das Wort: „Tut mir leid. Ich wollte euch nicht vor den Kopf stoßen.“ - „Im Grunde habt ihr recht“, antwortete Liam, „Würde man alles mit den Worten: 'Sein Vorbesitzer brauchte es nicht mehr' an sich nehmen, wären wir alle in kürzester Zeit Mörder, Diebe und Plünderer und die Welt würde im Chaos versinken da es kein Recht und keine Ordnung mehr gäbe.“ „Ich habe schon verstanden. Und ich glaube nicht, dass ihr etwas nur aus Eigennutz tun würdet.“ - „Was wir tun, tun wir für Frieden und Freiheit.“ - „Und verschont das Leben Unschuldiger“, murmelte sie und Liams Augen verengten sich. Ich beschwichtigte ihn mit einer leichten Handbewegung. Sicher war ihre Wortwahl nur Zufall gewesen. Eine Hoffnung, dass keiner von uns ihr etwas zu leide tat. Diese Haltung konnte ich nachvollziehen. Sie kannte uns nicht und wenn ihre Geschichte stimmte, versuchte sie nun wohl so wenig Ärger wie möglich zu verursachen. Erneut trat Stille ein und sie vermied es einen von uns anzusehen. „Vielleicht wäre es besser, wenn ihr mich am nächst möglichen Hafen absetzt und nicht ganz bis nach Boston mitnehmt“, sagte sie unvermittelt, was mich stutzig machte. „Das dürfte derzeit schwer werden. Bis zum nächst besseren Hafen sind noch einige Meile zu segeln.“ Sie seufzte. „Und wie stellt ihr euch das vor? Es war töricht hier zu bleiben.“ - „Auf einmal?“ Es überraschte mich, dass sie nun so dringend von Bord wollte, wo sie doch vorher nicht hatte gehen wollen. Dann war sie wohl noch immer der Meinung unter Piraten zu sein. „Wenn man ein paar Stunden Zeit zum Nachdenken hat dann fallen einem Dinge ein, auf die man sonst erst kommt wenn es zu spät ist. Ich weiß ja nicht, aber habt ihr euch die Situation angesehen in der ich stecke? Gut, vorher saß ich alleine auf einer Insel fest und wäre vermutlich erfroren oder verhungert. Dann hat man mich niedergeschlagen, auf ein Schiff gebracht und eingesperrt. Jetzt bin ich die einzige Frau unter...“ Sie warf einen Blick übers Deck, „20 Männern und habe keinen Ort an dem ich wirklich sicher wäre außer der Gefängniszelle unten im Frachtraum.“ Der Blick den sie mir nun zuwarf machte mir deutlich, dass sie mir nicht traute. Dabei hatte ich ihr nun wirklich keinen Grund geliefert. Dann fügte sie leiser hinzu: „Und es gibt hier wohl kaum einen Ort an dem ich mich frisch machen könnte.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und der Groschen fiel. Das Grinsen konnte ich nicht unterdrücken. „Also was das angeht... Da gibt es durchaus eine Möglichkeit.“ Bei diesen Worten stieg Selena eine leichte Röte ins Gesicht und sie senkte den Blick noch weiter. „Ich kann euch wohl kaum den Abtritt der Mannschaft zumuten. In der Kapitänskajüte ist auch einer. Wenn es sein muss, könnt ihr den nehmen. Aber...“, und ich warf ihr einen strengen Blick zu, „Der Rest dort geht euch nichts an. Verstanden?“ „Aye, Kapitän“, gab sie zurück. „Wäre es dann unverschämt wenn ich mal kurz...“ Sie deutete nach unten nach unten und verzog leicht das Gesicht was mich zum schmunzeln brachte. „Geht, bevor ihr euch ins Hemd macht.“ Schon huschte sie die Stufen hinunter und verschwand in der Kajüte. Vielleicht hatte sie nur aus diesem Grund gesagt, das sie von Bord gehen wollte. Um ungesehen pinkeln zu können. Ein Eimer unten im Frachtraum hätte es sicher auch getan, doch hatte ich die Hoffnung ihr mit dieser Geste ein kleines Gefühl von Sicherheit geben zu können. Kaum war Selena verschwunden wandte Liam sich mir zu. „Glaubt ihr wirklich, dass sie sich daran hält?“ - „Sie kann sich schlecht auf die Reling setzen. Zu dem gibt es dort drin nichts, das ihr etwas über uns sagen könnte.“ - „Sie könnte euch bestehlen.“ Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Es wäre für sie nicht klug jetzt zu stehlen, falls sie es vorhaben sollte. Von hier kann sie nicht fliehen. Und ihr habt sie gehört. Sie ist die einzige Frau hier. Mir ist es lieber wenn sie sich an Orten aufhält zu dem nur wir beide zutritt haben und nicht die ganze Crew.“ Doch mich beschäftigte noch etwas anderes. Wo sollte ich sie für die Nacht unterbringen? Sie war hier nirgendwo sicher. Eine der Hängematten im Mannschaftsquartier kam nicht in Frage. Eben so wenig die Koje in der Kajüte. Würde ich ihr die anbieten würde sie nur glauben ich hätte einen Hintergedanken dabei. Der Wind frischte auf und die Morrigan schwankte leicht. Aus der Kajüte war nichts zu hören und ich überlegte kurz hinunter zu gehen und zu schauen, ob Selena den Abtritt überhaupt gefunden hatte. Schon war das Schlagen der Tür zu hören und sie erschien wieder an Deck. Fast stieß sie mit einem der Mannschaft zusammen als sie sich zur Seite wandte um wieder zu uns hinauf zu steigen. Der Mann stieß nur eine Beleidigung aus und Selena warf ihm einen vernichtenden Blick zu, schwieg jedoch. „Nette Crew“, sagte sie mit einem leichten Lächeln als sie sich wieder neben mich stellte. „Es wundert mich, dass ihr ihn nicht zurecht weist, wo ihr euch doch sogar mit einem Kapitän angelegt habt.“ Das wunderte mich wirklich. Nach ihren Worten zu urteilen hatte sie sich von dem nicht all zu viel gefallen lassen. Und dafür büßen müssen. Vielleicht lag es daran, dass sie es sich nicht auch mit mir verscherzen wollte. „Das war etwas anderes. Zwischen unhöflich und unverschämt ist noch ein kleiner Unterschied und erst wenn einer eurer Männer unverschämt wird, werde ich ich es auch. Ich glaube zwar nicht, dass es Eindruck macht wenn mir die Hand ausrutscht aber ein Knie an der richtigen Stelle dürfte den erwünschten Effekt bringen.“ Liam zog scharf die Luft ein. Ich musste lachen. Auch wenn sie nicht danach aussah wusste sie offensichtlich, wie man sich jemandem vom Leib hielt. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, warum dieser Kapitän sie über Bord geworfen hatte. „Wozu braucht ihr dann noch Schutz? Ihr könnt euch doch selbst verteidigen.“ „Gegen einen vielleicht aber wohl auch nur einmal. Im Grunde habe ich keine Chance gegen halbwegs starke Männer die wohl auch teilweise eine Ausbildung im Kampf hinter sich haben.“ Selenas Lächeln war verschwunden und als ich ihr in die Augen sah, wich sie nicht aus. Wie kam sie nun schon wieder auf so einen Gedanken? Sie hatte weder Liam noch mich in Aktion gesehen. Oder etwa doch? „Ich habe eure Waffen bemerkt.“ fuhr sie fort, als hätte sie meine Gedanken gehört, „Für einfache Seeleute sind das ein wenig viele und ihr müsst dieses Schiff irgendwie in euren Besitz gebracht haben. Sicher hat die Navy es euch nicht kampflos überlassen. Zudem...“ Sie wandte sich nun an Liam, dessen Augen fast von der Kapuze verdeckt wurden, „Ihr seid sehr stark und ich nehme an, dass dieser lederne Überwurf nicht nur Zierde ist.“ „Ihr scheint euch auszukennen“, kam es von Liam, doch mir ging eine ganz andere Frage durch den Kopf. Warum achtete sie auf solche Dinge? Waffen waren in dieser unruhigen Zeit nichts ungewöhnliches doch sie stellte Zusammenhänge her, die eine einfache Frau sicher nicht erkennen würde. Wer war sie wirklich? „Kaum“, sagte sie leise und holte mich aus meinen Gedanken. „Ich halte mich aus dem Kampfgeschehen lieber heraus“ - „Klingt allerdings so, als hättet ihr schon einiges gesehen.“ - „Man sieht es ja leider beinahe täglich. Es ist schade, dass viele nur diesen Weg zur Lösung eines Konfliktes kennen.“ Ich hatte das deutliche Gefühl, dass sie das Thema beenden wollte, doch Liam hakte nach. „Was würdet ihr denn tun?“ - „Ich weiß nicht. Reden? Muss es denn immer gleich Blutvergießen geben?“ - „Vielleicht nicht, aber es spart Zeit.“ Darauf schwieg sie. War reden wirklich eine Option? Darüber hatte ich bislang noch nicht nachgedacht. Aber ich war auch noch nicht in eine Situation gekommen in der es Zeit zum Reden gegeben hätte. Da hieß es immer ich oder der andere und da war mir das eigene Leben wichtiger. Langsam wurde es dunkel und ich ließ die Positionslaternen entzünden. Ab und an schielte ich zu Selena herüber. Sie versuchte ein gähnen zu unterdrücken und immer wenn der Wind ein wenig stärker blies schlang sie die Arme um den Körper. Ihr musste ganz schön kalt sein. Wenn ihre Geschichte stimmte hatte sie alleine auf dieser Insel gehockt. Jetzt stand sie seit Stunden hier oben. Warum sagte sie nichts? Als ich ein unmissverständliches Magen knurren aus ihrer Richtung hörte gab ich das Ruder an Liam ab. „Kommt, Miss“, wandte ich mich an Selena, „Ihr seht aus als könntet auch ihr eine Pause vom ewigen Stehen vertragen.“ Zu dem gab es mir die Gelegenheit kurzzeitig alleine mit ihr sprechen zu können. Egal wie gut ich auch mit Liam befreundet war, er musste nicht immer alles wissen und ich hatte das Gefühl, dass er sie nicht sonderlich mochte. In der Kajüte machte ich mich auf die Suche nach etwas Essbarem. Irgendwo hier musste es die Vorräte vom vorherigen Kapitän geben, doch hatte ich noch nicht die Gelegenheit gehabt mir alles anzusehen. Daher brauchte ich einen Moment um Zwieback und Dörrfleisch zu finden. Besser als nichts. Ein paar Äpfel lagen in einer Schale, doch die sahen nicht mehr sehr appetitlich aus und ich wollte sie Selena nicht zumuten. Dann fand ich eine Flasche Rum und Becher. Der würde Sie sicher ein wenig aufwärmen und vielleicht lockerte das Zeug auch ihre Zunge ein wenig. Als ich den Becher abstellte merkte ich, dass Selena unschlüssig nahe der Tür stehen geblieben war und mich beobachtete. Ich deutete auf einen Stuhl der neben ein paar Kisten stand und füllte den Becher mit Rum. Für mich war es in Ordnung aus der Flasche zu trinken, doch sicher war es höflicher ihr einen Becher anzubieten. Mit dem Stuhl in den Händen trat sie an die Tisch heran, stellte ihn ab, blieb jedoch stehen. „Setzt euch.“ Langsam störte es, ihr alles vorgeben zu müssen. Vor ein paar Stunden noch war sie so Selbstbewusst aufgetreten. Nun wirkte sie wie ein eingeschüchtertes Kind. Mit keinem Wort hatte sie erwähnt, dass ihr kalt wurde, sie hungrig und müde war. Fast so, als hätte ich eine andere Person vor mir. „Stimmt etwas nicht?“ fragte sie als sie sich gesetzt hatte und ich schob ihr wortlos den Becher hin. „Was ist das?“ - „Es wird euch wieder aufwärmen. Ich habe gemerkt, wie euch kalt geworden ist.“ - „Oh...“ etwas verlegen nahm sie den Becher zur Hand und sah hinein, „Danke.“ Ich nahm einen Schluck aus der Flasche, doch sie trank nicht. Worauf wartete sie? Selbst den Zwieback rührte sie nicht an. „Es ist kein Gift drin“, versuchte ich sie zu beruhigen, doch sie schien nicht überzeugt. „Ich trinke für gewöhnlich keinen Alkohol.“ Gut, das war nicht all zu ungewöhnlich, doch konnte sie keine Ausnahme machen? Ich hatte ja nicht vor sie betrunken zu machen. „Nie?“ fragte ich, nur um sicher zu gehen. „So gut wie nie. Ich vertrag ihn nicht sonderlich gut.“ Entweder eine Ausrede um nicht trinken zu müssen, oder aber ein paar wahre Worte. „Was passiert denn wenn ihr zu viel bekommt?“ Erneut nahm ich einen kleinen Schluck aus der Flasche. Der Rum tat gut. Er brannte in der Kehle und wärmte. Zu dem machte er mich ein klein wenig mutiger. Nicht, dass ich mich als Feige bezeichnen würde, doch Frauen waren so eine Sache... Bei ihnen musste man vorsichtig sein. Ein falsches Wort und es war vorbei. Selena wurde nun sehr ernst. „Ich werde dann sehr direkt und verletzend. Etwas zu ehrlich für die Meisten. Und es kann auch sein, dass ich aggressiv werde. Glaubt mir, das wollt ihr nicht erleben.“ Sie nippte am Becher und stellte ihn zur Seite. Dann neigte sie den Kopf und sah mich an. „Seid ihr es gewohnt, dass so etwas funktioniert?“ Diese Frage überraschte mich. Was sollte funktionieren? Bevor ich etwas sagen konnte fuhr sie fort: „Vermutlich denken nun alle auf dem Schiff dasselbe. Selbst euer Begleiter wird sich seinen Teil denken da wir beide hier alleine sind.“ „Sekunde“, setzte ich an, doch sie hob die Hände und ließ mich nicht weiter reden. „Alle werden nun denken, dass zwischen euch und mir mehr ist, und selbst wenn wir beide es abstreiten wird es kaum einer glauben. Dazu habt ihr mich ein wenig zu bereitwillig weiter mit segeln lassen. Jetzt sitzen wir hier, oder besser ich sitze hier, ihr bietet mir Alkohol an und da fragt ihr euch was ich damit meinen könnte wenn ich frage ob das normalerweise funktioniert? Ich bitte euch. Für die meisten Frauen wäre es ein offener Versuch sie rum zu bekommen.“ Was um alles in der Welt ging bei ihr im Kopf vor? Hatte sie so eine schlechte Meinung von mir? Mir verschlug es beinahe die Sprache und selbst als ich den Mund öffnete um etwas zu sagen, redete sie einfach weiter. „Vermutlich seid ihr jedoch wirklich nur um mein Wohl besorgt und wollt mich unbeschadet schnell wieder los sein. Daher, danke für das freundliche Angebot, aber... Nein danke.“ Sie nahm sich einen Zwieback und sah mich an. Ich konnte nichts tun außer sie anzustarren. Ging sie wirklich davon aus, dass ich ihre Situation ausnutzen würde? Um meine Gedanken zu ordnen sah ich auf die Flasche in meiner Hand. Der Rum war wohl doch keine gute Idee gewesen. Dann sah ich zur Tür. Von Draußen war nichts weiter zu hören als das Meer und der Wind, der in die Segel blies. „Ich bin noch nie einer Frau wie euch begegnet“, gab ich zu, setze mich auf die Tischkante und nahm noch einen Schluck aus der Flasche. „Nicht nur, dass ihr es schafft mich alle paar Minuten aus dem Konzept zu bringen, ihr seid... sehr Wortgewandt.“ „Ich habe gelernt mit Worten umzugehen auch wenn es mir manchmal schwer fällt den Mund zu halten und mir hin und wieder etwas raus rutscht, was nicht sonderlich gut für mich ist.“ Darauf musste ich lachen. Auch sie lächelte leicht. „Oh ja, ihr redet euch um Kopf und Kragen. Kein Wunder, dass man euch auf dieser Insel ausgesetzt hat.“ Langsam begann ich ihre Geschichte wirklich zu glauben. So wie sie sich benahm war es wohl nur eine natürliche Reaktion gewesen sie auszusetzen. „Tut mir leid wenn ich etwas gesagt habe, das euch...“ - „Stopp.“ unterbrach ich sie und sie verstummte augenblicklich. „Ihr müsst euch nicht entschuldigen. Das was ihr gesagt habt stimmt. Auf euch müssen wir wirklich wie Piraten wirken.“ - „Für mich die einzige Erklärung wie ihr in den Besitz dieses Schiffes gelangt seid.“ Musste sie dauernd davon anfangen? Schon wandte sie sich ab und biss sich auf die Unterlippe. „Ich wollte nicht schon wieder damit anfangen.“ - „Warum tut ihr es dann?“ Sie hob den Blick, sah mich jedoch nicht wirklich an. „Das sind diese Dinge die mir einfach raus rutschen. Und die mich in Schwierigkeiten bringen.“ Sie legte den Zwieback zur Seite und wischte sich die Krümel von der Hand. Ja, es würde sie wirklich noch in Schwierigkeiten bringen, wenn sie nicht aufhörte. Ich stellte die Flasche ab und rutschte vom Tisch. „Immerhin deutet alles darauf hin“, verteidigte sie sich nun, „Eure Waffen. Ihr habt euch mit der Navy angelegt. Ihr habt dieses Schiff an euch genommen. Ein einfacher Seemann würde so etwas sicher nicht tun. Und ihr wirkt auf mich nicht wie ein Soldat. Selbst wenn es stimmen würde, ich kann und ich werde euch keinen Vorwurf machen. Ihr hättet mich über Bord werfen können oder da unten verrotten lassen. Stattdessen gebt ihr mir eine Chance.“ Vielleicht hätte ich es tun sollen. Sie dort unten lassen, oder zurück auf diese Insel bringen. „Ich töte keine Unschuldigen und ihr seid keine Gefahr für einen von uns.“ Wieder wandte ich mich ihr zu und in ihren Augen lag nun ein leichter Anflug von Angst. „Aber ihr tötet. Darüber habt ihr mit eurem Freund gesprochen. Wenn es nötig ist, tut ihr es. Und ihr habt es getan.“ Das ärgerte mich nun wirklich. Es gab nun einmal Situationen in denen es keine andere Möglichkeit gab als zu töten. „Würdet ihr das nicht?“ Kurz sah sie mich an, dann senkte sie wieder den Blick. Das war Antwort genug. Sie würde ebenfalls töten wenn es nicht anders ging. Wenn es um das eigene überleben ging waren alle anderen Dinge eher Nebensache. „Und eins sollte euch klar sein.“ Langsam ging ich zu ihr zurück, „So ganz glaube ich euch eure Geschichte nicht. Ohne wirklichen Grund hätten die Rotröcke euch sicher nicht eingesperrt. Da steckt noch mehr dahinter. Ihr müsst es mir nicht verraten, ich werde es herausfinden.“ Das schien sie nun doch einzuschüchtern. Ihre Stimme zitterte als sie fragte: „Und wie wollt ihr das anstellen?“ Ja, sie hatte Angst. Das hatte ich nicht beabsichtigt. Nicht wirklich. Sie sollte nur mit ihrer Moralpredigt aufhören. Es konnte aber nicht schaden sie ein klein wenig einzuschüchtern. Sie in ihre Schranken weisen. Nur damit sie keine Dummheiten machte. Ich trat noch etwas näher an sie heran und legte ihr die Finger unters Kinn, damit sie mich ansah. „Da gibt es viele Möglichkeiten.“ Was nun kam ging zu schnell für mich. Einen Augenblick noch sah sie mich mit leichter Angst an und im nächsten schnellte ihre Hand nach vorne und griff so fest in meinen Intimbereich, dass ich vor Schmerz auf keuchte. Ich versuchte dem Griff zu entkommen, doch das machte es nur schmerzhafter. „Glaubt ja nicht, dass ich mir alles werde gefallen lassen nur weil ihr der Kapitän dieses Schiffes seid“, fauchte sie, ließ los und stieß mich von sich. Davon musste ich mich nun erst einmal erholen. Hatte sie nicht vor ein paar Stunden noch gesagt, ein Knie an der richtigen Stelle bringt den gewünschten Effekt. Ich konnte nicht sagen, das ich nicht gewarnt gewesen wäre, doch ich hatte nicht damit gerechnet, das sie soweit gehen würde. Als ich mich wieder gefangen hatte und ihr zu wandte um die Sache zu erklären hielt sie den Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, wie einen Schild vor sich um mich auf Abstand zu halten. Vorsichtig machte ich einen Schritt auf sie zu. Mir war es lieber, wenn es nicht zu noch mehr Missverständnissen oder Verletzungen kam. Sie hob den Stuhl nur noch weiter. „Zurück.“ Deutlich hörte ich die Angst aus ihrer Stimme heraus und hob beschwichtigend die Hände. „Ganz ruhig.“ - „Ich bin ruhig.“ Der Stuhl begann in ihren Händen zu zittern. Lange würde sie ihn nicht mehr halten können. „Ich hatte nicht vor...“ - „Ach nein?“ schnitt sie mir da Wort ab, „Ihr Männer seid doch alle gleich.“ Das tat weh. Ich hatte nicht vor gehabt ihr irgend etwas anzutun doch wie sollte ich ihr das begreiflich machen wenn sie nicht einmal mehr zuhören wollte? Sie machte einen Schritt Richtung Tür, kam jedoch nicht weit. Die Morrigan schwankte und sie verlor das Gleichgewicht. Als sie den Stuhl fallen ließ nutzte ich meine Chance und sprang auf sie zu. Sie durfte nun nicht nach draußen rennen. Das würde die ganze Situation nur schlimmer machen. Ihre Flucht endete am Kartentisch, den sie offenbar übersehen hatte, denn sie prallte dagegen. Schon war ich bei ihr und hielt sie fest. „Ich will euch nichts tun“, versuchte ich es noch einmal, doch sie strampelte und versuchte sich aus meinem Griff zu befreien. Mir blieb nichts anderes übrig als sie ins Reich der Träume zu schicken, auch wenn ich es nicht gerne tat. Während ich meinen Griff verstärkte sagte ich leise: „Es ist zu eurem eigenen Besten.“ Sie sackte in sich zusammen und vorsichtig legte ich sich am Boden ab. Was nun? So hatte das Ganze nicht ablaufen sollen. Ich konnte sie hier nicht liegen lassen und Liam würde mir nie und nimmer glauben, das sie schon schlief, wenn ich nun wieder an Deck ging. Die Wahrheit konnte ich ihm allerdings auch nicht erzählen, sonst landete Selena womöglich wieder in ihrer Zelle. Ein wenig Hilfe konnte ich nun allerdings gut gebrauchen und so holte ich Liam dazu. Ich trat nach draußen und winkte ihn zu mir. Er gab das Ruder an einen der Matrosen weiter und kam herunter. „Was ist los? Ich habe Gepolter gehört.“ Erst als die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war klärte ich ihn auf. „Ich hab da ein Problem“, und ich deutete auf die bewusstlose Selena am Boden. Er schob die Kapuze zurück. „Was habt ihr getan?“ Schon drängte er sich an mir vorbei und ging neben ihr in die Hocke, fühlte ihren Puls. „Shay“, er war ernst und ich fürchtete schon, ich hätte es übertrieben. „Was ist passiert?“ „Sie...“ Nein, ich konnte es ihm einfach nicht sagen. Das wäre zu peinlich. „Wir... Ich meine...“ Liam zog die Augenbauen zusammen und ich senkte den Blick. „Es war nichts. Sie wollte raus, hat den Stuhl dabei umgeworfen und ist zusammengeklappt.“ - „Habt ihr gestritten?“ Hatte er das etwa gehört? „Ihr Temperament ist mit ihr durchgegangen. Irgendwann wird ihr das sicher noch mal zum Verhängnis. Ich wollte nur...“ - „Sie kann hier nicht liegen bleiben.“ Ohne auf weitere Erklärungen zu warten hob er sie vorsichtig hoch. Als Liam die Koje ansteuerte hielt ich ihn auf. „Nein, Liam. Das geht nicht.“ - „Wieso?“ - „Nach dem was sie gesagt hat wäre das keine gute Idee.“ Mein Blick fiel auf die Sitzflächen im Heck. Die waren gepolstert und breit genug um darauf liegen zu können. Ich deutete darauf und er brachte sie dorthin. Genau so vorsichtig wie er sie hochgehoben hatte legte er sie hin. Als er ihren Mantel öffnete ging ich dazwischen. „Was soll das werden?“ „Was denn? Glaubt ihr etwa ich will sie ausziehen? Es kommt mir nur besser vor sie nicht in Mantel und Schuhen schlafen zu lassen. Helft mir wenn ihr so um ihr Wohl besorgt seid.“ Und ob ich das war. Gemeinsam befreiten wir sie vom Mantel und der zusätzlichen Jacke die sie darunter trug. Dann zog ich ihr die Schuhe aus und holte von der Koje eine Decke. Auch wenn es hier wärmer als draußen war, wirklich warm war es nicht und als ich ihre Hände unter die Decke schob merkte ich, das diese eiskalt waren. „Es ist wohl das Beste sie einfach schlafen zu lassen“, meinte Liam als wir fertig waren und zu ihr runter blickten. Ich hatte den Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, neben die Bank gestellt und ihren Mantel darüber gehängt. Ihre Brille legte ich auf die Sitzfläche und seufzte. „So hatte ich mir das nicht vorgestellt.“ Von Liam kam nur ein Schnauben und ich wandte mich ab. Noch immer lag das unangetastete Abendessen auf dem Tisch. Mir war der Appetit vergangen. „Ich werd' wieder nach oben gehen. Ruht euch aus, wenn ihr wollt“, sagte ich ohne ihn anzusehen und ging hinaus. Ich brauchte nun wirklich etwas Zeit für mich. Anscheinend verstand Liam, denn er kam mir nicht nach. Ich trat ans Ruder und der Matrose, der Liam vertreten hatte, überließ es mir wortlos. Frauen... Warum hatte sie so überreagiert? Ich verstand Frauen einfach nicht. Eine ganze Weile grübelte ich über ihr Verhalten bis mir der Gedanke kam, dass sie wohl schlechte Erfahrungen gemacht hatte und das nicht nur mit dem Kapitän. Es konnte gut sein das man ihr Gewalt angetan hatte. Sollte das der Fall sein, war es nur verständlich, warum sie mich angegriffen hatte. Der Wind wurde sanfter und die Morrigan glitt ruhig durchs Wasser. Keine Wolke war am Himmel und ich konnte nur ein einzelnes Schiff in der Ferne ausmachen. Gut so. Ich hatte keine Lust auf einen neuerlichen Kampf. Kurz nach Mitternacht kamen leise Geräusche aus der Kajüte. Bald danach kam Liam heraus und stieg die Treppe hoch. Er wirkte müde, dennoch löste er mich ab. „Wartet noch einen Moment bevor ihr runter geht“, sagte er als ich mich auf den Weg unter Deck machen wollte. „Stimmt etwas nicht?“ Kurz zuckte sein Mundwinkel. „Selena. Sie ist wach.“ So wie er es sagte klang es als hätte sie Liam erzählt was passiert war. „Hat sie... Etwas gesagt?“ - „Nicht viel. Nur...“ Kurz senkte er den Blick, bevor er den Kopf schüttelte. „Sie hat nach euch gefragt.“ Hatte sie? Warum solle ich dann noch nicht wieder nach unten gehen? „Und was habt ihr ihr gesagt?“ - „Nichts weiter. Ich werde mich da nicht einmischen. Ich habe ihr nur gesagt, dass es für sie besser ist da zu bleiben wo sie ist. Gebt ihr die Möglichkeit wieder einzuschlafen falls sie lieber nicht reden möchte.“ Dann hatte auch sie nichts preisgegeben. Das war auch besser so. Ich wartete noch eine halbe Stunde bevor ich nach unten ging und Liam alleine ließ. Möglichst leise öffnete ich die Tür und schlüpfte hinein. Nur eine einzelne Laterne brannte noch. Etwa zu wenig für meinen Geschmack. So entzündete ich eine weitere und sah zu Selena rüber. Sie hatte sich auf die Seite gerollt und rührte sich nicht. Ich trat näher an sie heran und ging vor ihr in die Hocke. Wie sie so da lag, tief schlafend, wirkte sie erneut als wäre sie Anfang zwanzig, wenn überhaupt. Die Decke war etwas verrutscht und ich entdeckte eine Kette die sie trug. Nichts besonderes. Ein Lederband mit einem Anhänger daran. Dann hatte man ihr doch nicht alles weggenommen. Als ich mich wieder aufrichten wollte fiel mir noch etwas auf. Unter dem Stuhl mit ihrem Mantel lag ein Rucksack. Wo kam der denn plötzlich her? Sie hatte doch gesagt, dass man ihr alles abgenommen hatte. Vorsichtig zog ich ihn etwas näher heran und öffnete ihn. Oben auf lag eine Tasche mit Verbänden. Darunter ertastete ich weiteren Stoff und tippte auf Kleidung oder weiteres Verbandsmaterial. War sie etwa eine Art Krankenschwester? Danach sah sie nun wirklich nicht aus. Ich würde sie morgen danach fragen wenn sich eine Gelegenheit bot. Nun sollte ich besser zusehen, dass ich ein wenig Schlaf bekam. Leise schob ich die Tasche zurück unter den Stuhl und begann damit Waffen und Kleider abzulegen. Als ich das Hemd ausziehen wollte zögerte ich. Sicher machte es keinen guten Eindruck wenn sie wach wurde und ich halbnackt hier herum lief. So behielt ich Hemd und Hose lieber an als ich in die Koje krabbelte. Die Laken waren kalt doch durch die Decke wurde es rasch warm. Ich lauschte in die Nacht hinein bis ich den ruhigen Atem von Selena hören konnte. Gut, dass sie schlief. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen und ich hatte kein Ahnung wie ich ihr wieder entgegen treten sollte. Da hatten wir wohl beide Mist gebaut. Als ich wach wurde war ich einen Moment nicht sicher wo ich war. Alles kam mir fremd vor und ich hörte ein Geräusch, das ich nicht einordnen konnte. Langsam hob ich den Kopf und ließ den Blick schweifen. Zwei Laternen die unter der Decke hingen und den Raum erhellten. Ein Tisch, ein Stuhl, doch das Geräusch kam von weiter hinten. Ich richtete mich ein wenig auf, so dass ich über den Stuhl sehen konnte, und sah Selena, wie sie sich auf der Bank zusammengekauert hatte, die Decke um die Schultern gelegt und... schrieb. Ganz eindeutig, daher kam dieses leichte Kratzen. Ihr Blick war auf etwas geheftet, das sie auf den Knien hatte. Immer wieder strich sie etwas durch und schrieb von neuem. Eine Weile sah ich ihr einfach nur zu, bis sie den Blick hob und zu mir herüber sah. „Habe ich euch etwa geweckt?“ fragte sie leise und legte Buch und Stift zur Seite. „Wenn ja, dann tut es mir leid. Ihr könnt sicher Schlaf gebrauchen.“ „Warum schlaft Ihr nicht?“ fragte ich zurück und sie seufzte. „Geht nicht mehr.“ Kurz sah sie Richtung Tür, als erwarte sie, Liam käme herein. Dann stand sie auf, wickelte die Decke um sich und kam zu mir herüber. Was sollte das nun werden? Ich richtete mich weiter auf und sie setze sich ans Fußende der Koje. „Ihr habt eurem Freund nicht gesagt was wirklich hier passiert ist. Warum?“ - „Über solche Dinge sollte man nicht reden.“ - „Es tut mir leid.“ Sie sah auf ihre Hände und atmete tief durch. „Ich hoffe, dass ich euch nicht verletzt habe.“ Wenigstens hatte sie eingesehen, dass sie falsch reagiert hatte und ihre Entschuldigung klang ehrlich. Dennoch konnte ich nicht anders als ihr deutlich zu machen, dass sie so etwas besser nicht noch einmal tat. „Es war demütigend, entwürdigend und äußerst unverschämt. Und ja, ihr habt mich verletzt. Meinen Stolz.“ Darum hatte ich Liam auch nichts davon erzählt. Es kratzte einfach zu sehr an meinem Ego. „Normalerweise werde ich nicht Handgreiflich aber... Ich habe überreagiert. Es tut mir wirklich leid.“ - „Solltet Ihr...“ - „Es wird nicht wieder vorkommen. Versprochen.“ Beinahe flehend sah sie mich an. „Bitte, wenn ich könnte, dann würde ich die Zeit zurück drehen und mich anders entscheiden. Aber das kann ich nicht. Alles was ich tun kann ist um Verzeihung bitten und es... vielleicht irgendwie wieder gut machen, auch wenn das schwer möglich sein wird.“ Wie wollte sie das wieder gut machen? Obwohl... Nein, daran sollte ich nicht einmal denken. Ich wollte nicht, dass sie in mir einen Mann sah, für den Frauen nur einen Zweck hatten. Denn so war ich nicht. Statt dessen sagte ich: „Wie wäre es, wenn ihr mir ein paar Fragen beantwortet, und dieses Mal ehrlich?“ Langsam schüttelte sie den Kopf und wandte sich wieder ab. „Das geht nicht.“ Mit der Antwort hatte ich gerechnet, doch ich wollte wissen was los war. Warum sie so reagierte, um mich besser darauf einstellen zu können. „Wieso nicht? Was habt ihr zu verbergen?“ fragte ich weiter und sie stand auf. „Hört auf, bitte.“ Sie entfernte sich zwei Schritte, blieb dann jedoch stehen, „Ich will mich nicht wieder mit euch streiten und das würde sofort passieren.“ „Dann sagt mir die Wahrheit.“ - „Das kann ich nicht.“ Irgendwie bestätigten diese Worte meinen Verdacht und ich stieg aus der Koje. Sie zog die Decke enger um sich als ich auf sie zu trat und ich erkannte, dass sie die Augen geschlossen hatte. Vorsichtig legte ich ihr die Hände auf die Schultern und sie zuckte zusammen. „Wer hat euch weh getan?“ Ich versuchte einen beruhigenden Ton zu treffen, doch in solchen Dingen war ich unerfahren. Wenn es um Gefühle ging war ich eine schlechte Wahl und das hier überforderte mich leicht. Sie schwieg und vorsichtig drehte ich sie zu mir um. „Miss.“ Noch immer reagierte sie nicht und ich seufzte. Nun öffnete sie zumindest die Augen doch gleich darauf wich sie vor mir zurück und meine Hände glitten von ihren Schultern. War ich ihr zu nahe getreten? Dabei hatte ich nur... ja was eigentlich? Ich war mir nicht mehr sicher was ich gewollt hatte. Sie ließ ihren Blick über mich gleiten als würde sie abschätzen was ich als nächstes vor hatte. Dann kehrte sie zu der Bank zurück, auf der sie geschlafen hatte und setzte sich. „Legt euch wieder schlafen, Kapitän“, sagte sie leise, „Ihr braucht ihn dringender als ich. Und ich komm schon klar. Irgendwie.“ „Miss ich...“ - „Bitte Kapitän, keinen Streit. Nicht schon wieder.“ Dabei hatte ich mich nur entschuldigen wollen. Sie sah mich an und in ihrem Blick lag so etwas wie Verzweiflung. Als wüsste sie selbst nicht wie sie mit der ganzen Situation umgehen sollte. „Ich will mich auch nicht streiten.“ Als ich nun vorsichtig näher an sie heran trat huschten ihre Augen erneut über meinen Körper und mir wurde bewusst, dass ich das Hemd noch immer offen hatte. Keine guten Voraussetzungen für ein Gespräch und ich begann die Knöpfe zu schließen. „Ich werde nur nicht schlau aus euch.“ Von ihr kam ein freudloses, leises Lachen bevor sie antwortete: „Aus mir wird niemand schlau. Glaubt mir. Das haben schon viele gesagt. Ich bin wie ein Buch mit sieben Schlössern und immer wenn man eins geöffnet hat schließt sich ein anderes wieder.“ - „Und warum verschließt ihr euch vor der Welt?“ - „Aus Selbstschutz?“ Nun, das erklärte zumindest ein wenig, wenn auch längst nicht alles. Vor ihr ging ich in die Hocke, so das ich zu ihr hoch sehen musste um ihr in die Augen schauen zu können. Dunkle Augen, die nahezu schwarz wirkten. Es konnte sein, dass ich mich täuschte, doch hatte ich geglaubt, dass sie blaue Augen hatte. Warum waren sie nun so dunkel? „Ich würde euch gerne verstehen.“ - „Das glaube ich euch sofort.“ Sie lächelte leicht doch wieder hatte sie ein Zittern in der Stimme als sie sagte: „Aber nicht heute.“ Vorsichtig legte ich meine Hände auf die ihren, die sie auf den Knien zu Fäusten geballt hatte. Nur ganz leicht zuckten sie, doch sie zog sie nicht weg. „Morgen“, sagte ich leise und rückte noch ein klein wenig näher, „Aber glaubt nicht, dass ich euch ohne eine Antwort von Bord gehen lasse.“ „Aye, Kapitän“, kam es leise von ihr. Schon richtete ich mich wieder auf und ließ sie los. Mein Blick fiel auf das Buch, dass auf der Stuhlfläche lag, neben ihrer Brille und mir fiel der Rücksack wieder ein. Eine bessere Gelegenheit sie zu fragen würde ich wohl kaum bekommen. „Übrigens, was ist das für eine Tasche? Sagtet ihr nicht man hätte euch alles weggenommen?“ und ich deutete auf den Rucksack, der unterm Stuhl hervor lugte. Sie folgte meinem Fingerzeig und schluckte. „Hat man auch. Ich hab ihn hier gefunden als ich... Den Abtritt nutzen durfte. Ich meine... Gesucht hab ich ihn nicht, er lag auf einer der Kisten und...“ sie brach ab und ich musste grinsen. „Ihr redet zu viel.“ - „Darf ich... ihn behalten? Das ist alles was mir noch geblieben ist.“ Konnte es schaden ihr diese Sachen zu überlassen? Wenn es wirklich ihre einzige Habe war, dann war es nur gerecht sie ihr zurück zu geben. Wenn nicht... Nun, auf ein paar Verbände konnte ich durchaus verzichten. Daher nickte ich nur. Mit etwas Glück sah sie es als Vertrauensbeweis an. Ich kehrte zur Koje zurück und ließ mich auf der Kante nieder. Kurz sah ich noch einmal zu ihr und sie senkte hastig den Blick, was mich schmunzeln ließ. Sie hatte recht. Aus ihr wurde man nicht schlau. Ich nahm mir vor mehr auf meine Wortwahl zu achten um möglichen Missverständnissen leichter aus dem Weg zu gehen. Und ich würde nicht noch einmal versuchen sie so unter Druck zu setzen wie ich es getan hatte. Nicht dass sie noch einmal handgreiflich wurde, wie sie es ausgedrückt hatte. Früh am Morgen erwachte ich von neuem, doch dieses Mal schlief Selena. Gut so. Schnell zog ich mich an und genehmigte mir ein kleines Frühstück und einen Schluck Rum, um mich der Kälte besser stellen zu können. Für sie legte ich ebenfalls etwas hin, damit sie nicht suchen musste wenn sie wach wurde. Noch war es draußen dunkel, doch nicht mehr lange und der Tag würde anbrechen. Leise verließ ich die Kajüte und gesellte mich zu Liam. Leichter Schneefall behinderte die Sicht und er hatte ein paar der Segel einholen lassen. Bei Dunkelheit war es sicherer nicht zu schnell unterwegs zu sein. Es konnten immer Hindernisse im Wasser sein die übersehen wurden. „Alles Ruhig soweit?“ fragte ich, als ich ihn ablöste und Liam nickte. „Alles ruhig, Kapitän.“ Er warf mir einen Blick zu und senkte den Kopf. „Schläft sie noch?“ - „Aye. In der Nacht war sie wach. Sie...“ Es war wohl das Beste Liam auf den neusten Stand zu bringen und so erzählte ich von dem Rucksack, den Verbänden und dem Buch in welches sie offensichtlich Notizen gemacht hatte. „Irgend etwas verbirgt sie noch immer, aber ich glaube ihr einen Großteil ihrer Geschichte. Wenn auch nicht alles.“ - „Da gebe ich euch Recht“, stimmte Liam mir zu. „Es passt nicht alles zusammen. Ich denke, je länger sie sich mit einem von uns unterhält um so eher wird sie einen Fehler machen. Und es kann gut sein, dass sie euch etwas anderes erzählt als mir.“ Da hatte er recht. „Vielleicht ist es so möglich die Wahrheit aus ihr heraus zu bekommen. Aber... Ist es wirklich wichtig? Ich meine, sie ist keine Gefahr für einen von uns. Sie ist nur... seltsam.“ - „Seltsam und verschwiegen. Zumindest in einigen Punkten.“ Bei diesen Worten sah er mich an, als wüsste er mehr als ich. Doch woher? Sie hatten kaum Zeit gehabt sich alleine zu unterhalten. „Auf was wollt ihr hinaus?“ fragte ich daher, doch Liam schwieg. Bei genauerem hinsehen, erkannte ich ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen. „Liam?“ Von ihm kam ein amüsiertes schnauben bevor er mich wieder an sah. „Was Frauen angeht, Shay, müsst ihr noch einiges lernen.“ Mehr bekam ich nicht aus ihm heraus. Und so was nannte sich nun Freund. Langsam begann es zu dämmern und der Schneefall nahm etwas zu. Ob Selena noch immer schlief? Es konnte nicht schaden nach ihr zu sehen und nach Liams Kommentar wollte ich gerne noch einmal alleine mit ihr sprechen, wenn es denn möglich war ohne sich wieder zu streiten. So gab ich das Kommando abermals an Liam ab und verschwand. Selena lag, in die Decke gekuschelt auf der Bank und schlief allem Anschein nach noch immer. Nun da es hell war und sie es nicht bemerkte, ließ ich meinen Blick einen Moment auf ihrem Gesicht ruhen und suchte nach etwas, das mir sagen konnte wie alt sie wirklich war. Ich konnte sie natürlich auch einfach fragen, doch wer sagte mir, dass sie in dem Punkt ehrlich war wo sie doch auch in anderen Dingen die Wahrheit strapazierte. „Miss?“ Sie murrte leicht und versuchte sich zu drehen, hatte dafür jedoch nicht den nötigen Platz. Die Augen hielt sie weiterhin geschlossen. „Miss“, sagte ich nun etwas lauter und rüttelte leicht an ihrer Schulter. Müde blinzelte sie und sah mich etwas verschlafen an, was mich lächeln ließ. „Endlich wieder wach?“ Das sie um diese Zeit noch immer so tief hatte schlafen können. Fast als hätte sie in der Nacht kaum ein Auge zu getan. Wie sie so da lag, mit kleinen Augen und wirren Haaren, wirkte sie schon wieder jünger. Und nun, ohne Brille und bei Tageslicht merkte ich, das mir das Licht letzte Nacht einen Streich gespielt hatte. Ihre Augen waren doch blau. „Was heißt hier endlich?“ fragte sie leise und fuhr sich übers Gesicht. „Wie spät ist es?“ - „Also das Frühstück habt ihr verpasst.“ Sie rappelte sich auf und ich erhob mich. Ihr Blick huschte einmal von meinem Haaransatz bis zu den Knien und wieder hinauf. „Schlechtes Wetter da draußen?“ fragte sie und auch ich sah einmal an mir herunter. Die Jacke war feucht vom Schnee doch ich lächelte. „Es gibt kein schlechtes Wetter.“ Natürlich war es mir lieber wenn es nicht schneite oder regnete, doch solange wir keinen Sturm hatten, war alles in Ordnung. Ein wenig Feuchtigkeit machte mir nichts aus. „Das sehe ich anders, aber gut.“ Sie schob die Decke zur Seite und ich merkte wie sie fröstelte. Hier drin war es nun Mal nicht so warm wie es an einem heimischen Kamin wäre. Seefahrt war nichts für Frauen. Besonders nicht zu dieser Jahreszeit. Schnell schlüpfte sie in ihre Schuhe und setzte die Brille auf. „Wo sind wir im Moment?“ fragte sie während sie ihre Haare richtete und ich trat an den Tisch mit der Seekarte. „Mitten im Atlantik, weit weg von der Küste und nicht in der Nähe von Feindschiffen.“ Was auch immer man als Feindschiff ansehen mochte. Für mich waren es die Briten. Nach dem, was sie bisher über sich preisgegeben hatte ging es ihr da ähnlich. „Und was liegt heute an, Kapitän?“ Diese Frage überraschte mich. Was sollte schon anliegen? „Für euch? Gar nichts. Außer ein paar Antworten zu geben.“ Denn noch immer wollte ich mehr über sie wissen. Zögernd kam sie zu mir herüber, wobei sie die Arme um den Oberkörper schlang. Ihr war wirklich kalt. Etwas Rum würde das ändern, doch sie trank ja keinen. „Ihr sagtet gestern etwas von St. John's und Québec.“ Ich zeigte ihr auf der Karte die Orte und fuhr dann mit dem Finger weiter nach unten „Warum segelt ihr dann mit uns Richtung Boston? Das liegt in einer ganz anderen Richtung.“ Mein Finger blieb auf Boston liegen und ich sah sie an. „Stimmt, doch mein Ziel war nicht Québec. Dorthin wollte meine Freundin, mit der ich unterwegs war. Ihre Tante hat dort Arbeit für sie und einen Mann in Aussicht, den sie heiraten soll. Ich wollte nur ein paar Tage bleiben und dann über Land bis Boston und von dort über New York bis Philadelphia.“ Als sie ihrerseits über die Karte fuhr zog ich meine Hand zurück. „Oder aber, falls es sich anbietet, bis hier per Schiff und dann weiter durchs River Valley. Je nach dem was am günstigsten ist. Von daher bietet es sich an wenn ich bis Boston kommen könnte, ohne größere Probleme.“ Schon zeigte sie eine andere Route und ich richtete mich auf. Wenn das eine Lügengeschichte sein sollte, dann war sie gut durchdacht. Es konnte durchaus sein, dass sie die Wahrheit erzählte. Als sie mich nun ansah fragte ich mich was passiert wäre, wenn der Kapitän sie nicht von Bord geschickt hätte. Wäre sie irgendwann wirklich an ihrem Ziel angelangt? Eine solche Reise war riskant. Vor allem für eine Frau, die alleine unterwegs war. „Dann wäre es keine gute Idee euch in Halifax von Bord gehen zu lassen. Das wäre unser nächster Halt.“ Wieder senkte sie den Blick auf die Karte und ein kleines Nicken war zu sehen. „Es sei denn ich würde dort ein anderes Schiff finden, das mich weiter bringt.“ „Richtig. Allerdings sind nicht alle Seeleute ehrenhaft. Das habt ihr selbst erlebt.“ Selena lächelte und ich fragte mich was daran lustig sein sollte. Da sie es mir nicht verriet fügte ich hinzu: „Es ist sicherer wenn wir euch bis Boston bringen. Oder zumindest bis Portland. Jedenfalls, solange ihr nichts dagegen habt und... Wir uns vertragen.“ „Letzteres könnte schwer werden, aber ich werde mein Bestes geben.“ - „Gut.“ Ich stieß mich vom Tisch ab und deutete auf das Bündel mit ihrem Frühstück. Sie sollte wirklich noch etwas essen. „Ich möchte nicht riskieren, dass ihr verhungert. In Halifax nehmen wir neue Vorräte an Bord.“ „Ich möchte nicht zur Last fallen.“ Das hatte sie schon einmal gesagt. Bisher war sie noch keine Last geworden nur... es war nicht einfach mit ihr umzugehen. „Schon in Ordnung“, beruhigte ich sie. „Noch haben wir genug.“ Das stimmte. Zwar hatte ich mir nicht angesehen was alles im Frachtraum war, doch die Beiden die ich dort hinunter geschickt hatte, hatten mir von den Vorräten berichtet. Genug um bis Boston zu kommen, doch ich wollte trotzdem in Halifax anlegen. Nichts gegen Dörrfleisch und Zwieback, aber auf Dauer hing mir das zum Hals raus. Gerade als ich die Kajüte verlassen und sie alleine lassen wollte wandte sie sich noch einmal an mich. „Kapitän?“ Langsam drehte ich mich um. Sie hielt das Bündel in der Hand und sah aus, als würde sie gerade ihren Mut zusammen nehmen. „Ihr sagtet gestern, ihr hättet dieses Schiff an euch genommen, da sein Vorbesitzer es nicht mehr benötigt. Daher nehme ich an, dass alles hier“, sie machte eine leichte Geste über die Inneneinrichtung, „bis vor Kurzem einem Anderen gehört hat und ihr noch nicht alles eingesehen habt. Richtig?“ Auf was wollte sie hinaus? Diese Andeutung, das es mir nicht gehörte ärgerte mich. Zu dem wusste sie, dass es mich ärgerte. Warum also sprach sie es schon wieder an? „Ich meine damit nicht, dass es euch nicht gehört sondern... Nun, gestern Abend, oder heute Nacht, je nach dem wie man es sehen möchte, wurde ich dazu aufgefordert möglichst unter Deck zu bleiben und ich habe wirklich nicht die Absicht mich nach Draußen zu begeben. Da ist es mir im Moment zu kalt.“ Ich hatte sie nicht dazu aufgefordert. Doch mir vielen Liams Worte wieder ein als er mich abgelöst hatte. Dennoch war er es der ihr nicht über den Weg traute. Warum also wollte er, dass sie hier blieb wo es doch offensichtlich war, dass hier einiges von Wert war. Doch ich ließ sie weiter reden. „Und ich habe euch letzte Nacht auch versichert, dass ich meinen... Fehltritt, gerne wieder gut machen würde. Mir ist durchaus bewusst, dass ihr mir nicht wirklich vertraut und ich verstehe das, aber wenn ihr es mir gestattet, dann würde ich gerne hier drin für ein wenig Ordnung sorgen. Immerhin muss ich mich irgendwie nützlich machen und es wäre für mich eine Möglichkeit euch zu zeigen, dass ihr mir zumindest in diesem Punkt vertrauen könnt. Ich bin kein Dieb.“ Sie war klüger als ich angenommen hatte. Und entweder konnte sie Gedanken lesen oder aber sie war gut im Raten. Langsam trat ich erneut auf sie zu, ließ sie dabei nicht aus den Augen. Sollte sie lügen, würde ich es ich vielleicht ansehen können. „Ihr wollt hier Ordnung schaffen?“ „Naja, das ist wohl das Einzige, was ich an Bord tun kann und wenn ich mich hier so umsehe, könnte es ganz nützlich sein.“ Frech. Noch immer war sie frech und Vorlaut. Aber sie hatte recht. Hier drin herrschte Chaos und ich hatte im Moment weder Zeit noch Lust mich darum zu kümmern. Trotzdem war ich vorsichtig. „Und bei der Gelegenheit auch sämtliche Dokumente hier drin ansehen?“ Ich verschränkte die Arme und wartete ab. „Was interessiert mich das? Es wären doch eh sicher welche von eurem Vorgänger und nicht von euch, also selbst wenn ich auf der Suche nach Informationen über euch wäre, hier würde ich kaum etwas finden. Ich möchte wirklich nur behilflich sein und euch Arbeit abnehmen.“ Genau das hatte ich Liam am Vorabend auch gesagt. Sollte sie etwas über uns herausfinden wollen, dann würde sie hier nicht fündig werden. „Vermutlich ist es wirklich besser als euch an Deck herum laufen zu lassen. Ihr habt recht, so ganz traue ich euch nicht, aber gut. Ab und an werde ich nachsehen kommen was ihr hier treibt und sollte ich euch bei etwas erwischen...“ „Dann sperrt ihr mich für die restliche Fahrt in den Frachtraum. Oder werft mich von Bord.“ Sie sagte es mit einem Lächeln, doch genau das ging mir ebenfalls durch den Kopf. Sollte sie stehlen, würde ich sie einsperren. Ich erwiderte ihr Lächeln, sagte jedoch nichts. Dann wandte ich mich um und verließ die Kajüte. Liam winkte mich zu sich als ich an Deck kam und ich stieg zu ihm hinauf. „Wie geht es unserer Prinzessin?“ fragte er und gab das Ruder an mich ab. „Prinzessin? Liam, wisst ihr etwas über sie, das mir verborgen geblieben ist?“ Denn sie war alles andere als eine Prinzessin. Als Antwort schnaubte er nur. War also wieder nur einer seiner schlechten Scherze. „Sie ist wach und sie... will sich nützlich machen.“ - „Nützlich?“ Er klang dabei so ungläubig das ich beinahe gelacht hätte. „Nun jemand hat sie aufgefordert unter Deck zu bleiben. Was also soll sie die ganze Zeit dort in der Kajüte anstellen? Still auf der Bank sitzen und die Wand anstarren?“ „Und wie will sie sich nützlich machen? Soll sie in die Takelage klettern oder nach oben ins Krähennest?“ Das er ihr das nicht zutraute war offensichtlich. „Nein. Sie hat angeboten zu putzen. Eine typische Aufgabe für eine Frau, meint ihr nicht?“ Ich sah ihn an und erkannte das ihm dieser Gedanke überhaupt nicht gefiel. „Ihr traut ihr?“ Nein, das tat ich nicht. Nicht ganz. Doch ich wollte es. „Ich gebe ihr die Chance mir zu beweisen dass ich ihr trauen kann. Sie hat einen kleinen Rucksack, in den nicht viel hinein passt. Wenn sie wirklich stehlen will dürfte es leicht sein es zu finden.“ Sicher würde sie nicht so dumm sein und es versuchen. „Und sie hat mir gesagt, wenn ich sie erwischen sollte, dürfte ich sie über Bord werfen oder einsperren. Glaubt ihr, dass sie schwimmen kann?“ „Würdet ihr sie denn über Bord werfen?“ Die Antwort blieb ich schuldig, da sich die Tür der Kajüte öffnete und Selena heraus kam. Sie ging zu einem der Matrosen und fragte nach Eimer und Lappen. Als dieser nur meinte von ihr keine Befehle anzunehmen drehte sie sich zu mir um und bat um die Erlaubnis ihn unter Deck schicken zu dürfen. „Erlaubnis erteilt“, rief ich zurück und trotz des Schneefalls sah ich ihr lächeln. „Unverschämt“, hörte ich Liam neben mir sagen, doch ich achtete nicht darauf. Das sie sich gerade keine Freunde unter den Matrosen machte war mir klar, doch ich hoffte, dass es keiner von ihnen wagen würde ihr etwas anzutun. Besonders solange ich es sehen konnte. Kurz darauf hatte sie ihren Eimer, ließ ihn mit Wasser aus dem Meer füllen und ging zurück zur Kajüte. „Sieht doch ganz danach aus als würde sie wirklich putzen wollen. Was meint ihr?“ Wandte ich mich an Liam. „Wir werden sehen“, sagte er trocken und verschränkte die Arme. „Gebt ihr ein paar Stunden. Dann können wir nachschauen was sie alles versucht zu verstecken.“ - „Ihr traut ihr wirklich nicht.“ Das fand ich schade. Sie versuchte nun wirklich dafür zu sorgen, dass wir besser miteinander auskamen. Liam dagegen legte es offenbar darauf an sie zu reizen. „Ich lasse mich nur nicht davon beeinflussen, dass sie eine Frau ist. Seid vorsichtig, Shay. Nur weil sie euch schöne Augen macht, heißt das nicht, dass sie es auch so meint.“ Ich starrte ihn an. Wann bitte hatte Selena mir schöne Augen gemacht? Sicher sagte er es nur um mich wieder einmal zu ärgern und ich hatte keine Lust mich wegen Selena mit ihm zu streiten. Sollte er doch glauben was er wollte, ich wollte ihr vertrauen. Daher schwieg ich eine ganze Weile. Unten aus der Kajüte war immer mal wieder ein leises Geräusch zu hören und als es gegen Mittag aufklarte übergab ich das Ruder einem der Matrosen. „Nun könnt ihr euch von ihrer Ehrlichkeit überzeugen“, sagte ich zu Liam der mir folgte. „Das werde ich. Ihr könntet sie etwas ablenken. Sicher wird sie mir ihre Tasche nicht freiwillig überlassen.“ Sie ablenken... Er war es der ihr nicht traute. Warum sollte ich ihm dabei helfen? Als wir die Wärme der Kajüte betraten war Selena gerade dabei ein paar Papierrollen auf den Kartentisch zu legen. Sie sah auf und ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Nannte Liam das etwa schon 'Schöne Augen machen'? Wohl kaum. „Regnet es?“ fragte sie und achtete darauf, dass kein der Karten runter fiel. „Das nicht, aber Schnee ist auch nicht besser.“ Liam klopfte sich ein paar Flocken vom Mantel und trat weiter nach hinten durch. Ich folgte ihm und als ich einen Blick über die Schulter warf sah ich, wie Selena einen Lappen zur Hand nahm um die Spuren auf dem Boden wegzuwischen. Das war nun wirklich etwas übertrieben. „Gönnt euch eine Pause“, meinte ich und knöpfte meine Jacke auf. Sicher war es besser die eine Weile nicht zu tragen. Gerade als ich sie aufs Bett werfen wollte hielt sie mich auf. „Bitte, nehmt den Kleiderständer dafür.“ Sei deutete auf einen Ständer in einer Ecke, den ich vorher noch nicht wirklich wahrgenommen hatte. Daraufhin ließ ich meinen Blick durch den Raum wandern. Es war wirklich ordentlicher als vorher. Das Bett der Koje war gemacht, die Bücher in den Regalen stützten einander ab und auf der Kommode lag nichts mehr herum. Auch war etwas von dem Mief verschwunden, der hier vorher geherrscht hatte. „Ihr habt die ganze Zeit über geputzt?“ Liam schob sich die Kapuze nach hinten und sah sie ernst an. Etwas, das sie nicht beeindruckte. „Geputzt und aufgeräumt, auch wenn es nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung ist.“ „Ihr ward fleißig.“ Er trat zu den Papierrollen bei den Karten und sah sich eine davon an. Es waren Seekarten. „Erklärt ihr mir euer System?“ Ich hielt mich da raus. Liam war es der sie bloßstellen wollte, nicht ich. Das sollte er bitte alleine machen. Ich wollte damit nichts zu tun haben. Als sie nicht antwortete und ihn nur etwas verwirrt ansah, fragte er erneut: „Ihr habt für Ordnung gesorgt. Nach welchem System?“ - „Ich habe versucht möglichst wenig zu verändern. Wäsche, Bücher, Karten, Rum und Zwieback, Waffen und dort hinten alles was in irgend einer Weise mit Geld zu tun hat.“ Dabei deutete sie auf die einzelnen Bereiche. Rum und Zwieback. Ein gutes Stichwort. Ich trat an die Kommode heran und holte zwei Flaschen heraus. Eine reichte ich Liam, der sich daraufhin von den Karten entfernte und sich stattdessen an den Schreibtisch lehnte. Die andere öffnete ich für mich selbst. „Für wahr, ihr ward fleißig.“ Langsam ging ich zu der Ecke, wo sie das Geld hin getan hatte. Eine Schatulle stand dort auf einem schmalen Tisch und ich sah hinein. „Nicht schlecht. Die Roastbeefs sind gut bei Kasse.“ Lächelnd nahm ich eine Münze heraus und besah sie eingehend, legte sie jedoch gleich wieder zurück. Dann nahm ich einen Schluck aus der Flasche und drehte mich zu ihr um. „Habt ihr bei eurer Suche etwas interessantes gefunden?“ „Suche?“ Sie zog die Augenbrauen hoch. „Ich habe nicht nach etwas gesucht.“ Sie hatte sich mir zugewandt und kehrte Liam den Rücken. Dieser nutzte die Gelegenheit und huschte um den Tisch herum. Schon hatte er ihren Rucksack in der Hand, stellte ihn auf der Tischplatte ab. Ob sie es gehört hatte oder einfach nur meinem Blick folgte, ich wusste es nicht. Auf jeden Fall wirbelte sie herum und ich sah das Entsetzen in ihrem Blick. „Nein“, entfuhr es ihr. Als sie einen Schritt auf ihn zu machen wollte hielt ich sie am Handgelenk fest. Liam ließ sich nicht stören. Er zog an einem Band und öffnete die Tasche langsam. „Dann wollen wir mal sehen was ihr uns vorenthalten wollt.“ Er ging wirklich davon aus, dass sie uns bestohlen hatte und zugegeben, so wie sie sich gerade benahm war es schon etwas verdächtig. „Lasst eure Finger von meinen Sachen.“ Sie versuchte sich zu befreien, doch ich ließ nicht los. All zu fest hielt ich sie jedoch nicht. Sie hatte so dünne Handgelenke und ich wollte ihr nicht weh tun. „Keine Sorge, Miss“, versuchte ich sie zu beruhigen, „Sollte sich der Verdacht nicht bestätigen...“ - „Ich habe euch mein Wort gegeben, euch vertraut.“ Das war wahr. „Beruhigt euch“, versuchte ich es erneut. Selena sah mich an, mit einem Blick, der schon etwas schmerzte. Dann... Sie musste gemerkt haben, das ich meinen Griff etwas gelockert hatte, denn plötzlich riss sie sich los und hastete auf Liam zu, bevor ich sie erneut zu fassen bekam. Dieser hatte schon die Tasche mit Verbänden und eine Glasflasche aus ihrer Tasche geholt und hielt nun das Buch in der Hand, in welches sie letzte Nacht geschrieben hatte. Schon war sie bei ihm und zog den Rucksack an sich. „Es reicht.“ Liam blieb gelassen und drehte das Buch in seiner Hand. „Gebt das zurück, es gehört mir“, fuhr sie ihn an und er hob den Blick. „Was habt ihr zu verbergen?“ - „Gar nichts. Das ist einfach Privat. Lese ich eure Aufzeichnungen?“ Tat sie es? Woher sollte einer von uns das wissen? Sie hatte hier Stunden lang gesessen und hatte alle Bücher zur freien Verfügung gehabt. Auch das Logbuch. Zugegeben, ich hatte noch immer nichts hinein geschrieben, doch sie hätte es sich ansehen können, wenn sie es gewollt hätte. Trotz ihrer Worte schlug er das Buch auf und sah hinein. Ich kannte Liam gut genug um an seinem Gesicht ein paar Dinge ablesen zu können und so wie er die Augen verengte konnte es nur eines heißen. Was auch immer dort geschrieben war, er konnte es nicht verstehen. Nun wurde ich doch neugierig und ich trat näher heran. „Gebt es zurück“, forderte sie ihn erneut auf und er klappte es zu bevor ich einen Blick hinein werfen konnte. Das fand ich nun etwas ungerecht. Ich ging nicht davon aus, dass ich etwas lesen konnte das er nicht verstand, doch es mir nun einfach vorzuenthalten war nicht fair. „Von wo kommt ihr wirklich?“ Liams Stimme bekam einen unangenehmen Ton und es wunderte mich nicht, dass Selena den Kopf etwas senkte. „Das ist unwichtig“, kam es leise von ihr. „Für mich ist es schon wichtig. Also, antwortet.“ Liam duldete keine weiteren Widerworte oder Ausreden. Mir war das klar und sie verstand es offenbar auch. „Europa“, gab sie noch leiser von sich, „Mehr müsst ihr nicht wissen.“ Das erklärte ihren Akzent. Doch es widerlegte irgendwie ihre gesamte vorherige Geschichte. „Ihr seid aus Europa hier her gekommen?“ fragte ich und sah erneut auf das Buch in Liams Hand. War dieses Buch die Möglichkeit zu erfahren wer sie wirklich war? Auch wenn ich ihr gerne vertrauen wollte, sie warf immer neue Fragen auf. „Was ist daran so verwunderlich?“ giftete sie mich nun an, „Irgend wer wird ja wohl irgendwann die Kolonien besiedelt haben. Was also ist so sonderbar daran aus Europa in die Kolonien zu gehen?“ Da hatte sie recht. Meine Eltern waren immerhin aus Irland übergesetzt. Ebenso die Liams. „Eine Überfahrt ist nicht gerade günstig und dauert recht lange“, kam es von Liam der sich nun am Tisch abstützte. „Ihr wollt uns also erzählen, dass ihr den ganzen weiten Weg hier her gemacht habt um eine Freundin zu begleiten.“ „Hätte ich sie alleine fahren lassen sollen? Sie ist nicht so wie ich. Auf sie wartet Arbeit und eine Ehe.“ - „Und was wartet auf euch?“ - „Eine Rückfahrkarte nach Hause sofern ich irgendwann in Philadelphia ankomme.“ - „Und dorthin kommt ihr natürlich sehr leicht ohne Geld.“ Woher wusste er, das sie kein Geld bei sich hatte? Das hatte sie in meiner Gegenwart nicht erwähnt. Mich beschlich der Gedanke, dass Liam mir etwas verschwieg. „Darum geht es also.“ Sie warf den Rucksack zurück auf den Tisch und Liam einen finsteren Blick zu, „Ihr glaubt ich habe die Gelegenheit genutzt und mir hier die Taschen voll gestopft? Für wie dumm haltet ihr mich? Was wäre das für eine Art mich dafür zu bedanken dass ihr mich mit nehmt wenn ich euch bestehle? Nur zu. Sucht nach Geld, Schmuck oder anderen Dingen die ich eurer Meinung nach zu Geld machen könnte. Ihr werdet nichts finden. Oder wollt ihr mir auch noch das wenige nehmen, das man mir gelassen hat?“ Sie fuhr sich an den Hals und löste ihre Kette. Diese warf sie ebenfalls auf den Tisch, neben den Rucksack. „Bedient euch.“ Das war mir nun doch etwas unangenehm. Ich fand, Liam war zu weit gegangen. „Miss, bitte...“ begann ich, doch sie schnitt mir das Wort ab. „Ihr habt euer Urteil über mich doch längs gefällt. Alle beide. Ein verlogenes Frauenzimmer, das stiehlt sobald man nicht hin sieht und dem man auf keinen Fall trauen kann. Deswegen muss man auch mit einer Waffe in der Hand schlafen.“ Diese Worte trafen mich. Was hatte Liam in den wenigen Stunden, die er hier mit ihr alleine gewesen war angestellt? Mit einer Waffe in der Hand zu schlafen war ein sehr deutliches Zeichen von Misstrauen. Kein Wunder, das sie so vehement dagegen gewesen war ihre Tasche herzugeben. Ich sah die Endtäuschung in ihrem Blick als sie sich abwandte und nach vorne verschwand wo sie sich auf eine Kiste setzte, die Arme verschränkte und allem Anschein nach versuchte nicht in Tränen auszubrechen. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte ich Liam, der schon wieder den Rucksack zu sich heran zog. „Liam, habt ihr wirklich mit einer Waffe in der Hand geschlafen?“ - „Ich wollte sicher gehen das sie keine Dummheiten macht.“ „Sie ist eine unbewaffnete Frau. Was für Dummheiten sollte sie schon anstellen?“ - „Unbewaffnet...“ Er griff in die Tasche und zog ein kurzes Messer in Lederscheide heraus. Erst jetzt fiel mir auf, dass an seinem linken Ärmel Blut klebte. Recht weit unten. Vermutlich nur von einem der Briten die wir hatten erledigen müssen. Dennoch überraschte es mich. „Sie verbirgt etwas und das gut. Euch hat sie vielleicht um den Finger gewickelt aber mich nicht.“ „Es bringt nichts die ganze Zeit über Verdächtigungen auszusprechen. Damit provoziert ihr sie doch nur. Und sie hat mich nicht um den Finger gewickelt.“ - „Ach nein?“ Er schob das Messer zurück und nahm das Buch zur Hand. „Ihr verteidigt sie, als würdet ihr sie seit Jahren kennen.“ Das wurde mir nun doch zu viel. „Es reicht“, sagte ich etwas lauter und Liam hielt mitten in der Bewegung inne. „Wir verhalten uns wie Kinder.“ Liams ernste Miene wich Resignation. „Es macht wohl keinen Sinn darüber zu diskutieren.“ Er steckte auch die Wasserflasche zurück und zog das Band des Rucksacks wieder zu. „Das hier ist jetzt euer Schiff und ihr entscheidet was mit all dem hier geschieht.“ Er sah zu Selena rüber und auf seiner Stirn lag eine leichte Sorgenfalte. Ja, es war mein Schiff. Und Selena war nun einmal hier. Wenn ich als Kapitän beschloss ihr zu vertrauen, dann sollte Liam zumindest die Höflichkeit haben und sich etwas zurück halten. „Wir sollten uns zusammenreißen. Alle drei. Bis nach Boston ist es noch weit.“ Bei dieser Bemerkung verdrehte Liam leicht die Augen. Von Selena kam ein leises: „Wer hat denn damit angefangen?“ Doch es klang, als würde sie niemanden wirklich beschuldigen wollen. Dann stand sie auf und näherte sich ein paar Schritte, blieb jedoch auf Abstand. „Gut, ich werde mich zusammenreißen. Immerhin möchte ich gerne in einem Stück in Boston ankommen. Oder zumindest in Halifax.“ Sie seufzte und sah zuerst mich, dann Liam und wieder mich an. „Waffenstillstand?“ „Waffenstillstand“, sagte Liam und schob ihr den Rucksack zu. „Und keine Fragen. Vorläufig.“ - „Damit kann ich leben.“ Sie wirkte etwas erleichtert und nahm den Rucksack vom Tisch. Auch mich erleichterte es, das Liam auf Fragen verzichten wollte. Es war schon schlimm genug, dass ich mich mit ihr stritt. Um die Situation etwas zu entspannten trat ich zur Karte und nahm einen Schluck aus der Flasche, denn ich musste mich nun doch etwas aufwärmen und auf andere Gedanken kommen. Dann nahm ich mit der anderen Hand den Stechzirkel. „Also wir sind etwa hier.“ Ich setzte ihn vorsichtig auf die Karte und Selena trat an mich heran. Auch Liam näherte sich, stellte sich jedoch auf die andere Seite. „Mit unserer derzeitigen Geschwindigkeit werden wir frühestens, also wenn nichts dazwischen kommt, morgen gegen Mittag in Halifax anlegen können.“ Mit ein paar kleinen Schritten des Zirkels deutete ich unsere Route an und richtete mich auf. Selenas Blick ruhte auf der Karte und ich verkniff mir ein Lächeln in dem ich einen weiteren Schluck trank. Dann hielt ich ihr die Flasche hin. Sie zog die Augenbrauen hoch und es fiel mir wieder ein. „Stimmt ja.“ Ich seufzte leicht, „Ihr trinkt ja nicht.“ Dabei hätte es ihr sicher gut getan. Ich verkorkte die Flasche und stellte sie auf einem freien Flecken ab. „Als dann, zurück ans Ruder.“ Ich holte mir einen der Äpfel, denn wirklichen Hunger hatte ich nicht, und biss hinein. Lecker war etwas anderes. „Wollt ihr nicht etwas mehr essen als nur das?“ Ich hatte den Mund voll und konnte daher nicht antworten. Liam nahm es mir ab. „Wir könnten auch an Land gehen und jagen, wenn euch das lieber ist.“ Fast hätte ich mich verschluckt. Seine Worte klangen wie ein Vorwurf und es wunderte mich nicht das Selena nach Luft schnappte. Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und ging hinaus. Stille trat ein und ich wandte mich Selena zu. „Das vorhin tut mir leid.“ - „Schon gut. Es hätte ja sein können, dass er recht hat.“ Sie ließ ihre Finger über die Tischkante gleiten und sagte etwas leiser: „Danke, dass ihr mir vertraut, jedenfalls ein wenig.“ Das ließ mich lächeln. Ich nahm die Kette, die sie abgenommen hatte und hielt sie ihr entgegen. „Ihr habt mir versichert, dass ihr kein Dieb seid und ich euch andernfalls von Bord werfen kann. Ich glaube nicht, dass ihr all zu gut schwimmen könnt und das riskieren würdet.“ „Ganz sicher nicht. Ein klein Wenig hänge ich dann doch an meinem Leben.“ Sie nahm die Kette an und als sich unsere Blicke trafen wurde mein Lächeln noch etwas breiter. „Ihr solltet wirklich darauf achten was ihr sagt. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass ihr diese Kette schon gestern getragen habt, Liam hätte sie womöglich als Diebesgut angesehen.“ Leichtes Entsetzen trat in ihren Blick und ich lachte. Es war so einfach ihr Angst einzujagen. Fast schon zu einfach. „Nicht so schreckhaft. Ihr könnt nicht sonderlich gut lügen. Ich hätte es durchschaut.“ Das stimmte nicht ganz, doch musste sie es ja nicht wissen. Noch immer lächelnd legte ich ihr eine Hand auf die Schulter, in der Hoffnung sie würde verstehen, dass ich es nicht wirklich ernst gemeint hatte. Auch wollte ich ihr sagen, dass ich dagegen gewesen war ihre Sachen zu durchsuchen. Mir fielen nur nicht die richtigen Worte ein und so schwieg ich, ging an ihr vorbei und holte meine Jacke. „Ihr erkältet euch noch wenn ihr die wieder anzieht.“ Mitten in der Bewegung hielt ich inne. Erst beschwerte sie sich wegen meines Essverhaltens und nun gab sie mir auch noch solche Ratschläge. Sie sollte wirklich ganz dringend an ihrem Mundwerk arbeiten. „Soll ich etwa so raus gehen?“ Denn ich trug nur mein Hemd und eine Weste. Das war alles andere als ausreichend. „Die Jacke ist nicht durchnässt. Ein paar Stunden wird sie noch halten.“ Und ich zog sie an auch wenn ich zugeben musste, dass es alles andere als angenehm war dieses klamme Ding wieder am Körper zu tragen. Eine andere Jacke hatte ich jedoch nicht. „Außerdem hält mich der Rum warm.“ Wobei mir noch etwas anderes einfiel, das mich warm halten könnte. Was für ein Gedanke... Gut, dass sie mir das nicht am Gesicht ablesen konnte. „Übertreibt es hier drinnen nicht.“ - „Hab ich nicht vor Sir.“ Sir... So hatte man mich bisher noch nie angesprochen. Das klang so förmlich. Der Wind fuhr mir durch die Kleider als ich hinaus trat und ich fröstelte. Einen zusätzlichen Schluck Rum hätte ich nun gut gebrauchen können. Doch es war besser nicht zu viel zu trinken. Ich war der Kapitän und sollte von daher eher nüchtern bleiben. Liam erwartete mich hinterm Ruder und ich ließ ihm dieses Mal die Position. Stattdessen lehnte ich mich ans Geländer, so wie Selena es am Tag zuvor getan hatte und sah ihn an. „Worüber habt ihr gestern mit ihr gesprochen?“ fragte ich, denn es musste einen Grund für seine Worte geben. „Über nichts wichtiges.“ Er wollte es mir also nicht verraten. Schön. Wenn er unbedingt stur sein wollte, dann konnte ich das auch. „Habt ihr sie bedroht?“ fragte ich weiter und bekam nur einen ärgerlichen Blick zurück. „Hat sie euch beleidigt oder warum seid ihr so grob in ihrer Gegenwart?“ - „Grob?“ Liam schnaubte. „Ich bin nicht grob. Ihr seid zu freundlich. Wenn das so weiter geht macht ihr sie noch glauben, dass es in den Kolonien für sie einfach wird. Ihre Einstellung zum Leben ist naiv. Sie muss aufwachen, bevor es zu spät ist.“ Damit ließ er das Ruder los und trat zur Seite, damit ich es nehmen konnte. Zu dem machte er mir damit deutlich, dass er nicht weiter darüber reden wollte. Auch wenn es mich ärgerte nahm ich das Ruder und schwieg. Der Himmel klarte langsam auf und die Sonne kam heraus. An Steuerbord kam Land in Sicht, doch ich wusste, dass wir noch weit von einem guten Hafen entfernt waren. Hin und wieder schielte ich zu Liam hinüber, doch er hatte sich so gestellt, dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. In ihren Mantel gehüllt trat Selena an Deck. Sie leerte den Eimer über die Reling aus und kam zu uns nach oben. „Ich glaube, dass ich so gut wie fertig bin. Bis auf den Fußboden.“ Dabei sah sie keinen von uns an. Entweder war sie noch wütend wegen ihrer Tasche, oder aber Liam hatte doch recht und sie verschwieg etwas. „Allerdings gibt es da etwas das ihr euch ansehen solltet.“ Meine Neugierde war erneut geweckt und da es mir hier zu langweilig wurde und Liam keine Anstalten machte zu folgen, gab ich das Ruder erneut an ihn weiter und folgte Selena unter Deck. Was konnte sie gefunden haben von dem sie meinte, mich würde es interessieren? Sie kannte mich doch gar nicht. Drinnen deutete sie zur Wertschatulle, neben der nun ein Umschlag lag, daneben ein Ring. „Dort. Das lag in der letzten Kiste. Ich denke, dass euch das interessieren wird.“ Der Name des Empfängers sagte mir nichts, doch als ich den Umschlag umdrehte und das Siegel erkannte, besah ich mir auch den Ring eingehender. Das Zeichen der Templer prangte auf beidem. „War sonst noch was in der Kiste?“ versuchte ich möglichst gelassen zu sagen, denn sie sollte nicht merken, dass es mich wirklich interessierte. „Geld, der Ring und...“ sie trat zu mir und öffnete eine Kiste zur linken. „Den Rest habe ich hier drin gelassen. Ich war mir nicht sicher, was das zu bedeuten hat. Daher dachte ich, es wäre besser es euch zu zeigen.“ Darin lagen Kleider und oben auf erneut etwas mit einem Templerkreuz. Sie hatte recht. Das was interessant. Ich brach das Siegel und überflog den Brief. Im groben ging es darum, dass ein weiteres Mitglied in den Orden aufgenommen werden sollte und um ein Manuskript mit Aufzeichnungen über Aktivitäten der Assassinen in den vergangenen Jahren. „Das wird Achilles interessieren.“ Ich sah wieder runter auf die Kiste, denn wenn der Brief korrekt war, dann befand sich besagtes Manuskript ebenfalls in dieser Kiste. Da erst bemerkte ich, das Selena mich beobachtet und das ich offensichtlich mit mir selbst gesprochen hatte. „Ihr habt den Brief nicht gelesen.“ Das war eher eine Feststellung als eine Frage, denn wie hätte sie ihn lesen und dann neu versiegeln können? „Wie sollte ich? Er war versiegelt.“ „Woher wusstet ihr, dass er wichtig ist?“ Denn sie war keine von uns. Sie konnte nicht wissen was es mit all dem hier auf sich hatte, es sei denn sie war selbst ein Templer oder ein Spion der Assassinen. Doch dann hätte sie die Dinge hier versucht zu vernichten oder an sich genommen. „Ich wusste es nicht. Für mich sah das ganze nur sehr offiziell aus, das ist alles.“ Gab sie zurück, wirkte jedoch etwas unsicher. Offiziell... Das war es in der tat, doch sie sollte davon wirklich besser nichts wissen. Und es war besser, wenn ich nicht den Eindruck erweckte, dass hier etwas geheimes vor sich ging. So nahm ich den Inhalt der Kiste genauer in Augenschein, hob die Kleider an und suchte darunter nach dem Buch. „Sucht ihr etwas?“ fragte sie zögernd und ich sah zu ihr hoch. Sie hatte die Kiste vor mich durchsucht. Wenn es hier drin war, dann wusste sie davon. „War ein Buch dabei?“ fragte ich doch sie schüttelte nur leicht den Kopf. „Keine Bücher, Dokumente, Karten oder ähnliches. Nur der Brief, die Kleider und eben das was von Wert war. Fehlt denn etwas?“ So wie sie es sagte klang es wirklich ehrlich. Ich schob mein Misstrauen beiseite. „Im Brief wurde ein Manuskript erwähnt“, sagte ich daher und achtete genau auf ihre Reaktion. „Vielleicht wurde es herausgenommen. Wenn es noch hier ist, dann sicher zwischen den anderen Büchern oder den Papieren am Tisch. An den habe ich mich nicht heran getraut.“ Sie deutete nun auf den Schreibtisch und ich richtete mich wieder auf. Gut möglich das es dort war, doch warum hätte man es aus der Kiste nehmen sollen? Dem Brief nach war der Kisteninhalt für ein Ordensmitglied bestimmt gewesen. Der Kapitän hätte nicht das Recht gehabt irgend etwas heraus zu nehmen. Mein Blick huschte über die Bücher. Die standen anderes da als noch heute morgen. „Ihr habt sie sortiert?“ Sie biss sich auf die Unterlippe, „Nicht wirklich. Nur so gestellt, dass man die Titel lesen kann, sofern vorhanden.“ Entschuldigend sah sie mich an und ich klappte die Kiste zu. Den Brief steckte ich innen in die Jacke, denn den würde ich nicht hier herum liegen lassen, und ging zum Regal hinüber. Hinter mir knarrte eine der Dielen und ich drehte mich um. Selena war an die Schatulle heran getreten und hatte den Ring in der Hand. Sie sah ihn sich genau an mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Dann legte sie ihn vorsichtig zurück und wandte sich in meine Richtung. Prompt wurde sie rot als sie bemerkte, dass ich sie beobachtet hatte. Frauen und Schmuck... „Werft ihn weg, das ist besser.“ Schon wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder den Büchern zu. „Warum?“ fragte sie, so unschuldig, dass ich sicher war, dass sie keine Ahnung hatte was sie da in der Hand gehalten hatte. „Selbst wenn es Silber ist, ist es besser ihn los zu werden. Werft ihn weg.“ Ich sah mich nicht zu ihr um, sondern versuchte mich zu konzentrieren. Es war einfacher mit dem Adlerblick dieses Buch zu finden, als jedes einzeln in die Hand zu nehmen. „Wenn ihr ihn wegwerfen wollt... Dürfte ich ihn behalten?“ fragte sie vorsichtig und ich wirbelte zu ihr herum. Meinte sie das wirklich ernst? „Warum wollt ihr ihn haben?“ Denn der einzige Grund für mich war, dass sie sehr wohl wusste um was es dabei ging und sie... Eine von ihnen war. „Ihr wollt ihn wegwerfen und mir gefällt er.“ Sie zuckte mit den Schultern, als gäbe es keine weiteren Gedanken dazu. Naiv, schoss es mir durch den Kopf. Liam hatte sie naiv genannt. Das war sie wirklich. Wenn es um Schmuck ging wurden Frauen blind. „Ich habe keine Verwendung dafür. Wenn ihr ihn wollt, nehmt ihn. Aber ihr solltet ihn nicht offen tragen.“ Das war so ziemlich die einzige Warnung die ihr ihr mit auf den Weg geben konnte. Sollte sie ihn nehmen wenn er ihr gefiel. Vielleicht konnte sie ihn in den Kolonien zu Geld machen wenn sie knapp bei Kasse war. „Danke“, sagte sie und sie löste ihre Kette vom Hals. Sie schob den Ring darauf und hängte sie sich erneut um, schob den Anhänger und Ring zurück unter ihren Mantel und nichts war mehr davon zu sehen. Ich kümmerte mich erneut um die Bücher und nach kurzem begann eines von ihnen leicht zu schimmern. „Ah, da ist es ja.“ Es war ein dünnes Buch und schlecht gebunden dazu. Dennoch blätterte ich kurz darin und musste lächeln. Gut, dass das hier nicht mehr in den Händen des Ordens war. „Habt ihr das richtige Buch gefunden?“ Selena war ein paar Schritte zu mir gekommen, jedoch auf Abstand geblieben. „Ich glaube schon.“ Kurz sah ich sie an. Erleichterung spiegelte sich in ihrem Blick und noch etwas anderes das ich nicht einordnen konnte. „Vielleicht war es gut, dass ihr durch die Kisten gegangen seid und nicht ich. Sonst hätte es gut sein können, dass mir das hier entgangen wäre.“ Vielleicht war es etwas übertrieben. Wenn ich die Zeit gehabt hätte, dann wäre ich sicher irgendwann durch all die Kisten durch gegangen. Doch ich hielt es für richtig es ihr zu sahen. Immerhin hatte sie den ganze Vormittag hier drin geschrubbt und für Ordnung gesorgt, während ich... Meiner Arbeit nachgegangen war. „Ihr hättet es sicher gefunden.“ Sie lehnte sich leicht gegen den Kartentisch als ich das Buch zuklappte und ebenfalls unter meiner Jacke verstaute. „Möglich.“ Als ich sie erneut ansah merkte ich wie ihr Blick über mich huschte. Die Jacke, den Waffengurt und dann über mein Gesicht, als hätte sie mich bisher noch nicht gesehen. Ich hob die Augenbrauen. Wenn sie vorher schon rot geworden war, dann war das nichts im Vergleich zu dem, was nun passierte. Hastig wandte sie ihr Gesicht ab. In dem Moment begriff ich, was Liams Lächeln zu bedeuten hatte. Und seine Bemerkung, ich müsse noch einiges über Frauen lernen. So wie sie mich angesehen hatte gefiel ich ihr offensichtlich. Und Liam hatte das bemerkt. Das erklärte einen Teil ihres Verhaltens. Warum sie so erpicht darauf war das ich ihr verzieh. „Wie sieht es aus, wollt ihr euch für den Rest des Tages hier unten verkriechen oder noch ein wenig Seeluft schnuppern?“ Denn wenn ich recht hatte, würde sie mit nach oben kommen. „Wenn ihr mich an Deck ertragen könnt.“ Ich unterdrückte ein Grinsen. Nach dem was sie erzählt und angedeutet hatte, hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie überhaupt Interesse an Männern hatte. „Ihr habt genug getan für heute.“ Ich trat auf sie zu und legte ihr die Hand auf die Schulter, „Gönnt euch eine Pause.“ Und leistet mir Gesellschaft. Denn sicher würde Liam mich nur anschweigen oder erneut unpassende Bemerkungen machen. „Darf ich mir etwas zu essen mit nehmen?“ Wieder musste ich lächeln. Sie versuchte wirklich nichts zu tun, das ich nicht wollte oder nicht gutheißen könnte. „Natürlich.“ Sie sollte immerhin nicht verhungern. Sie war eh schon so dünn. „Dann komme ich gleich nach.“ Sie ging hinüber zur Ecke mit den Vorräten und ich machte mich auf den Weg nach Draußen. Die Crew stimmte einen Shanty an und ich löste Liam wieder ab. „Und, was hatte sie euch zu zeigen?“ fragte er und ich klopfte auf meine Jacke, wo sich Brief und Buch befanden. „Das erkläre ich später.“ Wenn ich nun damit anfing konnte es sein, das Selena es mitbekam und das wollte ich nicht riskieren. Sie war zu gut darin Zusammenhänge zu erfassen. Gleich darauf kam sie an Deck und stieg zu uns ans Ruder, doch blieb sie nicht stehen. Sie setzte sich links neben mir auf den Boden und begann, recht zufrieden, an einem Streifen Dörrfleisch zu knabbern. „Ihr seht glücklich aus.“ kam es unvermittelt von Liam und sie sah auf, ein Lächeln auf den Lippen. „Warum auch nicht? In diesem Augenblick bin ich es. Das Wetter ist gut, die Crew singt und wie es aussieht ist alles friedlich.“ Ihr Lächeln wurde noch etwas breiter und sie wandte sich dem Meer zu, „Würden jetzt noch ein paar Delfine oder ein Wal vorbei kommen wäre das Bild perfekt.“ Liam gab ein ungläubiges Schnauben von sich sagte jedoch nichts mehr dazu. Auch Selena schwieg, doch noch immer lag dieses leichte Lächeln auf ihren Lippen. Ich ließ beide in Frieden und lauschte den Shantys. Immerhin musste man sich nicht immer unterhalten. Nach einer Weile fing Liam an über Schiffe zu reden. Ein gutes Thema. Harmlos. Er redete von den Vorzügen großer Schiffe und ich hielt mit denen kleinerer dagegen. Fast war es, als wäre Selena überhaupt nicht da. Sie saß still neben mir und lauschte, oder sie hing ihren eigenen Gedanken nach. Als die Sonne im Begriff war unterzugehen tauchte sie das Eismeer in orange. Sie stand auf, trat an die Reling und stützte sich daran ab, den Blick in die Ferne gerichtet. Liam legte mir kurz die Hand auf die Schulter, dann trat er an sie heran. Ich fürchtete schon, er würde wieder etwas sagen, dass sie verärgern könnte. Daher lauschte ich angestrengt um kein Wort zu verpassen. „Wollt ihr weiterhin schweigen? - „Wolltet ihr nicht auf Fragen verzichten?“ Sie sah ihn nicht an, seufzte jedoch, „Ich habe meine Gründe. Zu dem gibt es nicht viel zu erzählen.“ Kurz schwieg sie bevor sie mit abwesender Stimme meinte: „Fast so als würde alles in Flammen stehen.“ Da hatte sie recht. Mit etwas Fantasie könnte man meinen, das Wasser und die Eisberge würde brennen. Ein beunruhigender Gedanke. Liam musste es ähnlich gehen denn er fragte: „Was ist los?“ - „Es ist nur... Ich fürchte, dass hier wirklich bald alles in Flammen steht.“ - „Wie kommt ihr darauf?“ - „Die Menschen sind dumm. Sie glauben, dass man einen Krieg gewinnen kann, aber da täuschen sie sich. Im Krieg gibt es keine Gewinner und Krieg wird kommen. Früher oder später. Wir können einfach nicht anders.“ Wieder schwieg sie einen Moment und es wurde dunkler. Das Rot verschwand und wich einem dunklen blau. „Und wenn das Feuer nicht mehr brennt bleibt nichts übrig als Asche. Ich frage mich oft, ob es Sinn hat helfen zu wollen. Es gibt zu viel Hass auf der Welt und die Menschen lernen nur selten aus ihren Fehlern.“ - „Und doch habt ihr diesen Weg gewählt.“ - „Das habe ich.“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu. Liam lehnte nachdenklich an der Reling und sah zu Boden. Wann hatte sie ihm von ihrem Weg erzählt? Und warum hatte er es mir verschwiegen? So viel zum Thema bester Freund. Gut, ich hatte ihm auch nicht alles gesagt aber das war etwas anderes. Einer der Matrosen entzündete die Positionsleuchten und Liam kam zu mir zurück. „Ich werd mich eine Weile ausruhen. In ein paar Stunden löse ich euch ab.“ Und er ließ mich alleine zurück. Kurz darauf stelle Selena sich wieder neben mich. Sie wollte offensichtlich nicht unter Deck, auch wenn es hier nun wieder kalt wurde. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Liam war bisher alles andere als freundlich zu ihr gewesen und sicher wollte sie daher nicht mit ihm alleine sein. „Sind das Schiffe da vorne?“ fragte sie nach einer Weile vorsichtig und deutete nach Steuerbord. In der Ferne waren Lichter zu sehen. „Das ist die Küste von Cape Breton Island. Dort sind ein paar kleinere Häfen. Gut möglich dass dort Schiffe vor Anker liegen“, gab ich zurück. „Und ihr geht nicht vor Anker?“ - „Nicht hier. Es ist besser sich von der Küste fern zu halten.“ - „Warum? Ist es dort nicht sicherer?“ Dafür das ich ihr keine Fragen stellen sollte fragte sie ganz schön viel. Aber was sollte sie auch sonst tun? Zu dem waren diese Fragen nicht persönlich. „Es ist nirgendwo sicher. Die Zeiten sind schlecht.“ „Dann war es wohl wirklich Glück für mich, dass ihr dieses Schiff übernommen habt. Wer weiß, sonst wäre ich jetzt möglicherweise nicht mehr am Leben.“ Sie sah mich an, wandte sich jedoch sofort wieder ab als ich ihren Blick erwidern wollte und fuhr fort: „Ihr hättet mich nicht mitnehmen müssen und habt es dennoch getan. Und dass ohne dafür etwas zu verlangen.“ „Das kann ich auch schlecht. Ihr habt kein Geld bei euch und...“ Nun ließ ich meinen Blick über sie gleiten, was ihr offensichtlich unangenehm war, „Ich möchte, dass ihr nicht all zu schlecht von mir denkt.“ „Ich denke nicht schlecht über euch. Dazu habe ich keinen Grund.“ Es erleichterte mich wirklich das sie das sagte. Dann vertraute sie mir ein wenig. Dabei war ich auch nur ein Mann und sie eine Frau. Noch dazu sah sie wirklich nicht schlecht aus. „Dann hoffe ich, dass es so bleibt.“ Es kehrte erneut Stille ein und nur das Rauschen der Wellen und das Knarren der Morrigan war zu hören. Nach und nach verschwanden die Sterne und bald begann es erneut zu schneien. Sie wickelte sich etwas fester in ihren Mantel und senkte den Blick aufs Deck. „Ihr seid so still“, sagte ich nach einer Weile, denn nur schweigend nebeneinander stehen war mir zu langweilig. Vielleicht konnte ich mich ja doch irgendwie mit ihr unterhalten. „Ich möchte nur nicht wieder etwas falsches sagen. Es gefällt mir gerade ganz gut, dass wir uns nicht streiten.“ - „Ich streite mich auch nicht gerne, doch ihr müsst zugeben, dass es nicht leicht ist mit euch zu reden.“ Daraufhin lachte sie. „Ich hatte schon immer das Problem, dass jemand der mich nicht kennt mit meiner Art nicht zurecht kommt. Ich bin zu ehrlich.“ Zu ehrlich? Dabei war sie verschwiegen und... Nun, vielleicht log sie ja doch nicht. Aber wer würde von sich schon behaupten, dass er log? „Beantwortet ihr mir dann ganz ehrlich eine Frage?“ Einen Versuch war es immerhin wert. Auch wenn ich nicht damit rechnete, dass sie wirklich darauf einging. Immerhin hatten wir auf Fragen verzichten wollen. „Eine harmlose wäre sicher möglich.“ - „Gut. Wieso Philadelphia?“ Sie seufzte. „Ich hätte sicher auch von Québec zurück gekonnt aber wenn ich schon mal hier bin, möchte ich es auch nutzen. Wie oft kommt man sonst schon in ein anderes Land? Vielleicht finde ich hier meine Bestimmung und muss nicht wieder zurück. Wenn nicht, dann kann ich von dort aus ein Schiff nehmen und nach Hause segeln. Ich habe Verwandtschaft hier. Nicht sehr enge, aber genug, dass sie mir eine Überfahrt bezahlen würden.“ Was für ein Blödsinn. Die Verwandtschaft musste reich sein wenn sie einer entfernten Verwandten einfach so eine Fahrkarte besorgen konnten. Oder aber sie war wirklich so naiv daran zu glauben. Ich begann mir ernsthaft Sorgen um sie zu machen, auch wenn ich sie kaum kannte. Im Grunde ging es mich nichts an was aus ihr wurde, wenn sie in Boston von Bord ging, doch es würde mir schon leid tun wenn sie nicht in ihre Heimat zurück kam. Wo auch immer die war. Der Schneefall nahm an Stärke zu und die Lichter der Küste verschwanden. Ich ließ einen Teil der Segel einholen und drosselte so die Geschwindigkeit. Nicht, dass ich etwas übersah und wir gegen einen Felsen oder einen Eisbrocken fuhren. „Beantwortet ihr mir auch eine Frage?“ - „Kommt darauf an,“ Denn ich hatte nicht vor mehr über Liam und mich preis zu geben. Sie tat es ja auch nicht. „Keine Sorge, es ist nichts persönliches. Bis Halifax ist es noch ein gutes Stück und bis Boston noch viel weiter. Ich würde die Zeit gerne ein wenig Sinnvoll nutzen, solange nichts dagegen spricht und ich euch nicht auf die Nerven gehe.“ Himmel. Musste sie so weit ausholen um eine Frage zu stellen? „Auf was wollt ihr hinaus?“ - „Erklärt ihr mir die Begriffe und Befehle an Bord? Auch wenn ich schon eine enorme Strecke übers Meer hinter mir habe, all zu viel habe ich dabei nicht über Schiffe gelernt.“ Meinte sie das wirklich ernst? Frauen... Die solle mal einer verstehen. Da ich nichts anderes zu tun hatte tat ich ihr den Gefallen und begann mit Kleinigkeiten wie Backbord, Steuerbord, Bug und Heck und ging irgendwann über zu den unterschiedlichen Befehlen . Sie lauschte schweigend und nur sehr selten fragte sie nach, wenn sie etwas nicht ganz verstand. Angenehm. Wirklich Angenehm. „Wollt ihr euch nicht langsam zurückziehen?“ fragte ich nach einer Weile, da es doch allmählich unangenehm kalt wurde und sie wieder einmal versuchte ihre Müdigkeit zu verbergen. „Es wird doch etwas spät.“ „Ich hab heute Morgen lange genug geschlafen. Was ist mit euch?“ - „Ich warte bis Liam zurück kommt.“ Denn der hatte es sich vermutlich in der Koje bequem gemacht und die würde ich sicher nicht mit im zur selben Zeit teilen. „Wie lange kennt ihr euch schon? Ihr seid sehr vertraut miteinander.“ - „Seit meiner Jugend“, gab ich zurück, „Ich kann mir keinen besseren Freund vorstellen. Wir haben viel erlebt.“ Besser, er hatte mir schon ein paar mal den Hintern gerettet, doch das gehörte nicht hier her. Nicht das sie noch dachte, ich könne nicht auf mich selbst aufpassen. Aus der Kajüte kam ein leiser Fluch. Liam musste wieder wach sein, doch was war dort unten los? Kurz darauf trat er an Deck, doch er trug seinen Mantel nicht. „Habt ihr einen Moment Zeit, Miss?“ Was sollte das nun werden? Ich sah Selena an, die allem Anschein nach keine Ahnung hatte, was das bedeuten sollte. „Soll ich wirklich?“ fragte sie mich leise und ich nickte. Gerne hätte ich ihr etwas Mut zugesprochen. Er würde es sicher nicht wagen ihr etwas anzutun, solange ich in der Nähe war. Das wäre nicht gut für unsere Freundschaft. Zögernd folgte sie der Aufforderung und schloss hinter sich die Tür. Ich spitzte die Ohren, doch durch das Rauschen der Wellen konnte ich nicht wirklich etwas verstehen. Nur undeutliches Gemurmel kam herauf und ich gab auf. Ich würde ihn fragen, wenn er mich ablöste. Es dauerte nicht all zu lange da kam Liam wieder heraus. Ohne Selena mitzubringen. „Was war?“ fragte ich ohne Umschweife und Liam schob den linken Ärmel zurück. Ein sauberer Verband war an seinem Handgelenk. „Das ist alles?“ „Was habt ihr gedacht? Ihr wollt ihr vertrauen. Ich versuche es ebenfalls. Nur auf meine Weise.“ Und er schob mich sanft zur Seite um das Ruder zu nehmen. „Jetzt ist es an euch, euch auszuruhen, Shay.“ Er nickte und ich verstand. Langsam ging ich hinunter und fragte mich, was diesen Sinneswandel bei Liam ausgelöst haben konnte. So sehr war ich in meine Gedanken vertieft das ich, als ich die Kajüte betrat, einen Moment brauchte um zu verstehen was ich da sah. Selena stand hinten an der Sitzbank und zog gerade ihre Strickjacke aus. Mitten in der Bewegung hielt sie inne und wir starrten einander an. Ich fing mich als erstes wieder. „Ich kann draußen warten bis ihr fertig seid.“ Denn es war nur anständig ihr die Möglichkeit zu geben sich ungesehen auszuziehen. „Ich habe nicht wirklich Kleider für die Nacht. Mein Gepäck ist auf dem Schiff geblieben. Bis auf das hier und das hilft mir grade nicht weiter.“ Sie zupfte an ihrem Kleid. „Oh.“ Das stellte natürlich ein Problem da. Bei dem Gedanken das sie unbekleidet unter einer Decke die Nacht verbrachte und das nur ein paar Schritte von mir entfernt, brachte mein Blut in Wallung. Vorsichtig trat ich auf sie zu, blieb dann jedoch stehen. Besser ich kam ihr nicht zu nahe. „Habt ihr beim Aufräumen nichts gefunden, das gehen würde? Ihr kennt das Inventar besser als ich.“ Sicher gab es in einer der Kisten ein Hemd das sie anziehen konnte. „Schon, doch die Sachen gehören mir nicht. Ich würde nicht ohne zu fragen etwas anziehen, was nicht mir gehört.“ Das ließ mich lächeln. Ich ließ meinen Blick über sie gleiten und versuchte mir vorzustellen wie sie in Männerkleidern aussah. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ich senkte den Blick. “Ich warte draußen. Zieht euch um.“ Schon drehte ich mich um und ging. Je eher ich hier raus kam um so schneller bekam ich den Kopf wieder klar. Der kalte Wind blies mir ins Gesicht und ich schloss die Augen. Tief atmete ich durch und versuchte nicht daran zu denken was sie gerade da drin tat. Ich hörte ihre Schritte. Das quietschen eines Scharniers und dann trat wieder Stille ein. Vor meinem inneren Auge sah ich wie sie sich das Kleid auszog und ich spürte, wie sich bei mir etwas regte. 'Nicht an so etwas denken, Shay', ermahnte ich mich selbst leise und lehnte mich an die Tür. Wie lange würde sie wohl brauchen? Als ich die Augen öffnete sah ich, dass einer der Mannschaft zu mir herunter sah und den Mund öffnete um etwas zu sagen. Ich winkte ihn fort. Das Ganze war auch so schon peinlich genug. Als ich einen Blick in die Kajüte warf, breitete Selena gerade die Decke über der Bank aus. Sie trug nun ein weites und recht langes Hemd. Es war ihr mehrere Nummern zu groß und sie sah darin etwas verloren aus. Ich konnte mein Grinsen nicht unterdrücken und sie schlüpfte hastig unter die Decke, zog die Beine an und schlang die Arme darum. Wie ein kleines Kind, dachte ich und legte den Waffengurt ab, danach die Jacke. Ich merkte deutlich, dass ich in der letzten Nacht wenig Schlaf gehabt hatte und die Kälte draußen hatte meine Muskulatur etwas verspannt. Gerade als ich mich ein wenig streckte fragte sie: „Schläft euer Freund immer so wenig?“ Das sie jetzt ausgerechnet über Liam reden musste. Gab es denn nichts anderes? „Es ist seine Sache. Wenn er meint, dass es ihm reicht, soll es mir recht sein.“ Und es war mich auch herzlich egal. Wenn er wollte, konnte er sich auch tagsüber hinlegen. Etwas missmutig trat ich zur Vorratsecke, gönnte mir einen Schluck Rum um wieder warm zu werden und holte mir etwas zu Essen heraus. Wir brauchten wirklich andere Vorräte. Das Zeug hier war nahezu ungenießbar. Was fanden die Briten nur an diesem Dörrfleisch? Es hielt sich länger, gut, aber es schmeckte scheußlich und wenn man immer nahe der Küste unterwegs war, konnte man doch auch mal etwas frischeres an Bord holen. „Wollt ihr auch oder habt ihr schon?“ fragte ich Selena. Soweit ich wusste hatte sie das letzte Mal am frühen Nachmittag etwas gegessen, und da nicht sonderlich viel. „Danke, ich hab keinen Hunger.“ Ich sah sie an. Keinen Hunger? Vermutlich schmeckte es ihr ebenso wenig wie mir. „Esst ihr immer so wenig?“ - „Ich würde sage meinen letzte Mahlzeit ist nicht so lange her wie die eure.“ Ertappt. Vor allem da ich kaum etwas zu Mittag gehabt hatte. Dennoch wurmte es mich etwas das sie mich darauf hinwies. Um ihr nichts an den Kopf zu werfen, und damit erneut einen Streit vom Zaun zu brechen, wandte ich mich ab, begann an dem Streifen Fleisch zu kauen und knöpfte die Weste auf. Danach legte ich die verborgene Klinge ab und ließ mich auf der Kannte der Koje nieder um mich der Stiefel zu entledigen als mir wieder einfiel, dass ich ja nicht alleine war. Ein Blick zu Selena und ich musste erneut gegen ein Grinsen ankämpfen. Sie hockte noch immer da, den Kopf auf den Knien und beobachte mich. „Auf was wartet ihr?“ fragte ich und sie hob fragend den Kopf. „Was meint ihr?“ - „Ihr seht aus als würdet ihr auf etwas warten.“ „Nun ja. Ich kann schlecht die Kajüte verlassen, damit auch ihr euch umziehen könnt.“ Bildete ich es mir nur ein, oder wurde sie gerade wieder rot um die Nase? Zu dem sah sie nicht danach aus als würde es sie stören. Kurz sah ich an mir runter, dann zu ihr und lächelte. „Wollt ihr das wirklich sehen?“ Schon vergrub sie das Gesicht in der Decke und ich lachte, „Dachte ich mir.“ Auch wenn es schmeichelhaft war, dass sie hatte zusehen wollen. Dann war sie wirklich an mir interessiert. In gewisser Weise. Noch einmal stand ich auf und zog mir das Hemd aus. Bei der Bewegung spürte ich ein Ziehen im Rücken und ich erinnerte mich an den Sprung mit dem ich Liam hatte überwältigen wollen. Als er mich abgewehrt hatte, war ich hart auf den Boden geschlagen und genau dort zog es nun. Die Stelle hatte ich auch in der Nacht schon gespürt, doch nicht so sehr wie nun. Vorsichtig machte ich ein paar Bewegungen um die Stelle genauer zu lokalisieren und hörte ein leises „Wow.“ von Selena. Wieder drehte ich mich zu ihr um. Ihr Blick klebte nahezu an meinem Oberkörper und ich sah selbst an mir runter. Damit konnte ich sie schon beeindrucken? So viele Muskeln waren da nicht, doch ich war einigermaßen stolz auf das Wenige, was ich hatte. Liam war um einiges kräftiger. Von ihr kam ein leises Seufzen und ich konnte mir ein leicht belustigtes Schnauben nicht verkneifen. Sie sollte wirklich aufpassen was sie sagte und tat. Auch wenn ich versuchte mich so ehrenhaft wie möglich zu benehmen und ihr nicht zu nahe zu treten, ich war auch nur ein Mann mit gewissen... Bedürfnissen. Damit sie meine Gesicht nicht sah und daran eventuell etwas ablas, drehte ich ihr den Rücken zu und schob die Decke zur Seite. „Wie ist das passiert?“ kam es von ihr und ich hörte, wie sie aufstand. „Was denn?“ fragte ich so unbekümmert wie möglich und drehte mich wieder zu ihr um. Sie kam um den Tisch auf mich zu, einen besorgten Blick in den Augen. Was hatte sie vor? Als sie meinen Arm berührte und versuchte noch einmal auf meinen Rücken zu sehen wich ich aus. Das ging sie nichts an. Und ich musste mich nicht verarzten lassen wie Liam. „Ich habe nicht vor euch zu verletzen.“ Als ob ich mich davon überzeugen lassen würde. „Da ist gar nichts.“ - „Ach nein?“ Wieder versuchte sie mich zu drehen, doch dieses Mal hielt ich ihre Hand am Gelenk fest. „Es ist alles in Ordnung.“ Doch das war es nicht. Sie stand vor mir. Nur mit diesem Hemd an, welches am Halsausschnitt etwas zu viel Haut zeigte. Und ich... Ich hatte auch nicht mehr wirklich viel an. Es wäre nun ein leichtes sie in die Koje zu ziehen. Und sie hätte kaum eine Chance sich gegen mich zu wehren. Mein Blick heftete sich auf ihre Lippen. Wie es wohl wäre sie zu küssen? Sie versuchte ihre Hand zu befreien, doch ich ließ nicht los. Unter dem Stoff zeichneten sich die Konturen ihrer Brüste ab. Ich wollte sie an mich ziehen. Ihren Körper an meinem spüren. Ihre Wärme. Der Gedanke erregte mich aufs neue. Wieder versuchte sie ihre Hand los zu bekommen und dieses Mal ließ ich sie. Hastig wich sie einen Schritt zurück und stieß mit dem Rücken an den Tisch. Panik stand in ihren Augen, was mich wieder zur Besinnung brachte. Ich durfte das nicht, so sehr ich es mir auch in diesem Moment wünschte. Sonst wäre ich nicht besser als dieser Kapitän. „Legt euch schlafen“, sagte ich und sie gehorchte sofort. Schnell verschwand sie unter ihrer Decke und zog sie so hoch, das ich nur noch ihre Haare sehen konnte. Gut so. Ich entledigte mich noch der Hose und legte mich ebenfalls hin. Doch nun hatte ich ein kleines Problem. Da unten forderte jemand Aufmerksamkeit. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Ich versuchte an etwas anderes zu denken und das beharrliche Pochen zu ignorieren. Es dauerte jedoch schmerzlich lange bis es nachließ. Die ganze Zeit über versuchte ich so ruhig zu atmen wie möglich. Besser wenn sie nicht erfuhr was sie da eben bei mir ausgelöst hatte. Sicher würde sie sonst nicht mehr hier nächtigen wollen und wirklich darauf bestehen in Halifax von Bord zu gehen. Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn als ich die Augen erneut öffnete waren die Kerzen in den Laternen fast herunter gebrannt. Zeit aufzustehen und den Kopf wieder klar zu bekommen. Leise zog ich mich an und ließ mich kurz hinterm Schreibtisch nieder. Auch wenn ich es nicht mochte, ich musste mit diesen Logbucheinträgen beginnen und festhalten was hier an Bord passiert war. Es dauerte nicht lange und ich hatte eine grobe Zusammenfassung der Ereignisse zu Papier gebracht und verließ danach die Kajüte ohne Selena zu wecken. Sie konnte ruhig noch schlafen. Dann gab es weniger Probleme. Da sie genau dort lag, wo sich der Abort befand, ein wenig unpassend, aber es war nun einmal die beste Stelle außer der Koje um zu schlafen, begnügte ich mich mit dem der Mannschaft. „So früh auf den Beinen, Kapitän?“ kam es von Liam als ich mich zu ihm gesellte und er das Ruder an mich übergab. Früh? Am Horizont begann es schon langsam zu dämmern was hieß, das ich länger geschlafen hatte als in der Nacht zuvor. „Es ist spät genug und ich möchte sichergehen, dass wir heute Halifax erreichen. Ich bin das Dörrfleisch leid.“ Doch es kam anders als ich es gedacht hatte. Wir hatten uns in der Nacht wieder etwas von der Küste entfernt und erneut schneite es. Stärker als bisher und so dauerte es bis ich das Schiff sah, dass sich uns näherte. Schiffe waren nichts ungewöhnliches doch dieses bereitete mir Unbehagen. Je heller es wurde um so dichter kam es heran. Der Schneefall ließ nach und ich sah ich die Flagge. Die Royal Navy. Und sie befanden sich auf Kollisionskurs mit uns. Wir schafften es gerade noch ihnen auszuweichen, da donnerten ihre Kanonen. Ein Zittern durchlief die Morrigan. Eine oder auch mehrere der Kugeln mussten getroffen haben. Durch den Kampf um die Gerfaut hatten wir kaum noch Kugeln an Bord. Eine Auseinandersetzung war daher nicht ratsam. Dennoch waren sie schneller unterwegs als wir, da die Morrigan beschädigt war und daher nicht auf volle Geschwindigkeit gehen konnte. „Macht euch bereit. Die werden mit allen Mitteln versuchen uns zu versenken“, rief ich der Mannschaft zu und sie bereiteten die Kanonen vor und warteten auf meinen Befehl. Wir landeten einen guten Treffer doch erneut setzten sie zum Rammen an und dieses Mal kamen wir nicht rechtzeitig davon. Hart trafen die Schiffe aufeinander und es riss mich von den Beinen. Kaum hatte ich mich aufgerappelt, da sah ich auch schon, wie sich ein paar Soldaten aufs Schiff schwangen. Die wollten uns entern... Nicht mit mir. Die Morrigan gehörte mir und ich würde sie bis aufs Blut verteidigen. Alles andere verschwand im Hintergrund. Liam zog seine Pistolen doch ich achtete nicht weiter auf ihn. Der kam schon alleine zurecht. Mit meinem Säbel hieb ich nach einem Soldaten, parierte mit der anderen Hand einen Schlag und stach zu. Um mich herum gab es nichts als Schreie und Klirren von Waffen nur unterbrochen von einem gelegentlichen Schuss. Dann war es vorbei. Auf der Morrigan gab es keine Soldaten mehr und ohne darüber nachzudenken sprang ich hinüber auf das andere Schiff, dass sich mit Enterhaken an meines gekrallt hatte und hieb dort weiter auf Körper ein, biss keiner mehr übrig war. In meinen Ohren rauschte es und alles andere war gedämpft. Blutrausch... So nannte man es wohl. Ich brauchte einen Moment bis ich wieder klar sehen konnte. Einer meiner Männer war mit mir auf das Schiff der Soldaten gesprungen und hielt sich nun den Arm. Blut lief daran herunter und in seinen Augen spiegelte sich der Schmerz. Doch er hatte überlebt. Keiner der Soldaten hatte sich ergeben. Sie alle waren tot. Ich war mir nicht sicher was ich gemacht hätte wenn einer um sein Leben gebettelt hätte. Um mich abzulenken wies ich meine Crew an das Schiff auszuschlachten. Kugeln, Lebensmittel, Wertgegenstände und Waffen. Alles was man gebrauchen konnte. Danach würde ich das Schiff versenken und versuchen nicht mehr daran zu denken. Wieder auf der Morrigan suchte ich nach Liam. Wo war er? Ich konnte ihn nirgends sehen und bekam Panik. War er getroffen worden oder über Bord gegangen? Gerade wollte ich nach ihm rufen, da kamen zwei Matrosen aus der Kajüte, die einen toten Soldaten zwischen sich trugen. „Was zur Hölle...“ begann ich und trat auf die Tür zu. „Geht da nicht rein, Kapitän“, sagte einer von ihnen und in mir zog sich alles zusammen. Selena... Sie war dort drin gewesen. Allein. Unbewaffnet. „Ist sie...“ Doch ich brach ab. Der Gedanke war zu schmerzhaft. „Nein, Kapitän. Master O'Brian kümmert sich gerade um sie. Ich schloss die Augen und atmete erleichtert durch. Ihr war nichts zugestoßen. Doch warum musste Liam sich dann um sie kümmern? Schon streckte ich die Hand nach der Tür aus, ließ sie jedoch wieder sinken. So wie ich mich gerade fühlte und nach dem was ich getan hatte, wollte ich ihr lieber nicht unter die Augen kommen. Ich hatte mich wie ein Pirat verhalten. Nach ein paar Minuten kam Liam aus der Kajüte, blass und mit grimmigem Gesicht. „Was ist los mit ihr? Ist sie verletzt?“ fragte ich sofort und er schüttelte den Kopf. „Ihr fehlt nichts. Nicht körperlich zumindest.“ Liam wies einen Matrosen an einen großen Eimer Wasser in die Kajüte zu bringen und winkte mich dann mit sich zu den toten Soldaten hinüber. Man hatte schon begonnen ihnen die Waffengurte und Geldbeutel abzunehmen. Nur bei einem war es noch nicht passiert. Der, den sie aus der Kajüte geholt hatten. „Er muss sich gleich nach dem Angriff dort hinein geschlichen haben. Ich weiß nicht was passiert ist, aber er hat sie offenbar angegriffen.“ Liam kniete sich neben die Leiche und deutete auf die Wunde. „Unsere Prinzessin weiß anscheinend wie man kämpft. Sie hat ihn getötet. Nicht ganz zielsicher, aber effektiv.“ Das konnte ich nicht glauben. Selena und jemanden töten? Dann erzählte er mir was er wusste. Er hatte gesehen, dass die Tür zur Kajüte einen Spalt offen stand, war hinein gegangen und hatte Selena am Boden vorgefunden, den Soldaten tot vor sich, Hände und Kleid blutig, selbst jedoch unverletzt und kaum ansprechbar. Ihr erster Toter. Liam hatte ihr das Blut von den Fingern gewischt, etwas zu trinken gegeben, für die Nerven, und nun jemanden mit Wasser zu ihr rein geschickt, damit sie ihr Kleid auswaschen konnte. „Es ist besser, wenn wir sie eine Weile in Ruhe lassen.“ Dann nahm er dem Toten die Waffen und das Geld ab. „Und wenn sie soweit ist, sollte sie das hier bekommen.“ - „Ihr wollte sie bewaffnen?“ Seit wann traute er ihr soweit, dass er ihr eine Waffe in die Hand geben wollte? „Sollten wir noch einmal angegriffen werden, muss sie eine eigene Waffe haben“, war alles was er noch dazu sagte. Ich ließ das andere Schiff versenken und wir nahmen wieder Fahrt auf. Die Toten warfen wir über Bord und bald hatten meine Männer das Deck sauber geschrubbt. Während sie einen Shanty anstimmten hörte ich, wie auch in der Kajüte gesungen wurde. Nicht durchgehend, doch an einigen Stellen stimmte Selena in die Verse mit ein. Als die Crew verstummte sang sie weiter. Ich verstand kein Wort davon und sah Liam fragend an. „Sie versucht sich abzulenken, das ist alles.“ - „Und was singt sie da? Es... ist nicht in Englisch.“ Er zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“ Was immer es auch war, es klang traurig. Ein Lied mit mehreren Strophen und ihre Stimme verlieh ihm etwas tragisches. Es dauerte nicht lange und sie trat aus der Kajüte heraus. Mir stockte der Atem und ich sah Liam an, dass er eben so überrascht war wie ich. Hätte ich nicht gewusst das sie es war, ich hätte mich gefragt wer da an Deck gekommen war. Sie trug eine dunkle Hose und ein Hemd, das sie sich in den Bund gesteckt hatte. Auf den ersten Blick dachte ich tatsächlich sie wäre ein Mann, wäre da nicht der leichte Hüftschwung gewesen. Sie hängte ihr Kleid an eines der Netze, über die man zum Krähennest hinauf kam und leerte danach den Eimer mit Wasser über der Reling aus. Schon machte sie sich wieder auf den Rückweg, doch als sie kurz zu uns hoch sah winkte ich sie zu mir. Ich musste einfach wissen wie es ihr ging und mich davon überzeugen, dass alles in Ordnung war. „Ihr wolltet mich sprechen?“ sagte sie kühl als sie oben ankam und sah an mir vorbei, als wäre ich überhaupt nicht da. Das tat weh. „In der Tat, das wollte ich,“ doch so wie es gerade aussah wollte sie nicht mit mir reden. War sie enttäuscht oder verärgert, da ich ihr nicht zur Seite gestanden hatte? Das ich sie nicht beschützt hatte? „Wir haben derzeit kaum Wind. Ich hatte gedacht es dürfte euch interessieren, dass wir frühestens am Nachmittag anlegen werden.“ „Es lässt sich nicht ändern.“ Noch immer klang sie kalt. „Geht es euch gut?“ fragte ich vorsichtig und von ihr kam ein übertriebenes. „Klar.“ Ihr ging es alles andere als gut. „Es ist alles in bester Ordnung. So wie es eben ist wenn man zum ersten Mal im Leben einen Menschen tötet und danach sein Blut aus den Kleidern wäscht.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ich sah, dass es in ihren Augen feucht wurde. Allem Anschein nach wollte sie mir gegenüber keine Schwäche zeigen. „Deswegen frage ich. Ich kann mir vorstellen, dass es euch mit diesem Gedanken nicht gut geht.“ - „Ach wirklich?“ Nun fuhr sie herum und sah mich an, Zorn im Blick. „Ihr wisst gar nichts. Schon gar nicht über mich oder wie es mir gehen könnte.“ - „Dann erzählt.“ „Ich...“ doch sie brach ab und drehte sich von mir weg. Wie konnte ich ihr nur sagen, dass ich sie wirklich verstand? Mir war es bei meinem ersten Toten auch nicht gerade blendend gegangen und ich war um einiges jünger gewesen als sie. Nach ein paar Minuten versuchte ich es erneut: „Auch wenn es euch vielleicht nicht gefällt, es gibt ein paar Dinge die ich loswerden muss.“ Sie hob den Blick gen Himmel, als wäre dort etwas interessantes zu sehen. Eine Unverschämtheit sondergleichen, doch ich versuchte meiner Stimme nichts anmerken zu lassen. Nicht, dass wir uns schon wieder in die Haare bekamen. „Ihr habt heute bewiesen, dass ihr auf euch aufpassen könnt. Vielleicht war es Glück, vielleicht ward ihr besser als er, ich frage nicht nach. Keiner hat gesehen was passiert ist und da ihr unverletzt gesiegt habt spricht das für euer können. Ich weiß, dass ihr dem Töten abgeneigt seid und wir, Liam und ich, haben uns darüber unterhalten. Was auch immer euer Geheimnis ist, wir werden nicht weiter fragen, es sei denn ihr wollt es selbst erzählen.“ Ungläubig sah sie mich an. Dann warf sie Liam einen Blick zu, der sich weiterhin heraus hielt. „Danke“, sagte sie, nun schon ruhiger. „Ich wünschte, ich könnte es euch sagen, aber es geht nicht.“ - „Schon gut. Jeder hat seine Geheimnisse.“ Immerhin war ich ein Assassine. Etwas, das sie besser nicht erfuhr. „Da wir das nun geklärt hätten gibt es noch zwei Dinge.“ Sie zog die Augenbrauen hoch und hastig fuhr ich fort: „Es ist an euch ob ihr es annehmt oder nicht aber das hier gehört nun euch.“ Ich deutete auf die Waffen des Soldaten, den Gurt und den Beutel mit Münzen, den er getragen hatte. Zögernd streckte sie die Hand nach dem Beutel aus und sah hinein. „Dem Sieger gehört die Beute“, sagte sie leise und zog den Beutel wieder zu. „Ich denke ich werde es annehmen.“ Die Waffen ließ sie jedoch liegen. Kein Wunder. Was sollte eine Frau auch mit Waffen anfangen? „Gut. Das Andere... Ich nehme an, dass ihr uns in Halifax verlassen wollt. Das müsst ihr nicht.“ - „Doch“, sagte sie sofort und es machte mich ein wenig traurig, das sie nicht einmal rüber eine Antwort nachgedacht hatte. „Ich will nicht, dass ihr denkt, ich wüsste das nicht zu schätzen“, fuhr sie fort, „Aber ich möchte lieber von Bord gehen. Das heute hat mir gereicht. Noch einmal habe ich sicher nicht so ein Glück und ich bezweifle, dass ihr mir bis zum nächsten Gefecht, das ganz sicher kommen wird, den richtigen Umgang mit einer Waffe beibringen könnt.“ „Vermutlich nicht. Da habt ihr recht“, warf Liam nun ein und sie sah zu ihm rüber. „Es bedarf Jahre ein guter Kämpfer zu werden und dazu fehlt uns wirklich die Zeit. Dennoch, wenn ihr ein Schwert führt, solltet ihr zumindest die Grundlagen beherrschen.“ Er bückte sich und nahm den Säbel des Soldaten zur Hand. Als er ihr das Heft entgegen hielt sah sie mich fragend an und ich nickte. Wenn es jemanden gab, der wusste wie man damit umging, dann war es Liam. Und er war ein guter Lehrer. Zudem war es seine Idee. Da würde ich mich nicht einmischen. Mich beschlich jedoch der verdacht, dass er das Ganze auch noch aus einem anderen Grund tat. 'Sie weiß wie man kämpft', hatte er gesagt. Jetzt wollte er testen ob er richtig gelegen hatte oder nicht. Da ich mich aufs Ruder konzentrieren musste konnte ich nur zuhören und ab und an einen Blick über die Schulter werfen. Zwar war gerade nirgends ein Schiff zu sehen oder etwas anderes das uns behindern konnte, doch ich wollte kein Risiko eingehen. Daher hörte ich nur Liams Anweisungen und dachte mir meinen Teil. Erst als Selena sagte: „Ich weiß, ihr meint es gut aber... Ich glaube nicht, dass das hier meine Art von Waffe ist.“ drehte ich mich noch einmal um. Sie stand da, den Säbel in der Hand und führte eine elegante Drehbewegung aus bei der sie die Klinge hoch zog, einen Schlag nach unten andeutete und dann zur Seite führte. Ich verstand nun was Liam gemeint hatte. Die Bewegung war nicht perfekt, doch gut genug um misstrauisch zu werden. Das sah wirklich danach aus, als hätte sie es schon häufiger gemacht. „Ihr hattet schon einmal ein Schwert in der Hand“, sagte Liam und sie begann zu lachen „Das kann man auch mit einem Besenstiel machen. Glaubt mir, ich bin kein Nahkämpfer.“ Sie wog die Klinge in der Hand. „Ich mag lieber größere Distanzen.“ - „Also eher Gewehr oder Pistole?“ hakte Liam sofort nach und sie antwortete prompt: „Pfeil und Bogen.“ Pfeil und Bogen? Das waren Waffen der Indianer. Nichts was man als zivilisierter Mensch heutzutage noch nutzte. „Mir wird kalt. Ich geh besser und hol meinen Mantel.“ Sie gab Liam den Säbel zurück und ohne ein weiteres Wort und etwas schneller als nötig gewesen wäre, verschwand sie wieder unter Deck. „Was war das jetzt?“ frage Liam als er sich neben mich stellte. „Keine Ahnung. Aber ihr hatten offenbar recht. Sie weiß wie man eine Klinge führt.“ Liam schnaubte. „Sie ist untrainiert aber sie muss schon eine gewisse Ausbildung bekommen haben. Auch wenn die nicht sonderlich gut gewesen sein kann.“ „Und was hat es mit Pfeil und Bogen auf sich? Wer glaubt ihr würde einer Frau das beibringen?“ Zumindest wenn sie nicht schon wieder geflunkert hatte. Es hatte nur so ehrlich geklungen. Zu dem war sie angetrunken da war es schwerer zu lügen. „Das ist die Frage. Sie ist ein einziges Rätsel und je länger sie hier ist um so mehr Fragen kommen auf anstatt das sie beantwortet werden.“ Da gab ich ihm recht. War wohl wirklich besser wenn sie von Bord ging, bevor noch etwas passierte. Etwas schlimmeres als bisher. Sie brauchte lange bis sie wieder zu uns zurückkam und dieses Mal hatte sie ihren Rucksack dabei. Sie stellte ihn oben ab und mir war klar, dass sie wirklich gehen würde, sobald wir Halifax erreichten. „Okay, ich gebe es zu“, sagte sie leise, „Ja, ich hatte schon einmal eine Waffe in der Hand, aber das war nur... Spielzeug. Also zählt das nicht wirklich, oder?“ „Und wo habt ihr gelernt mit Pfeil und Bogen umzugehen?“ Kam Liam mir zuvor und ich presste die Lippen aufeinander. Er durfte also Fragen stellen und ich nicht. Das war ungerecht, wo ich der Kapitän war. „Wolltet ihr nicht auf Fragen verzichten?“ konterte sie und ich unterdrückte mein Lächeln. Wehren tat sie sich also immer noch. „Ich möchte nicht lügen“, sagte sie gedämpft, „Für mich ist es eine Art Sport. Hin und wieder habe ich mit einem Bogen schießen können und ich war recht gut damit, aber ich habe ihn nie als Waffe angesehen.“ Sport... Sie musste viel Freizeit haben. Dann war sie womöglich doch aus besserem Hause. „Es ist wirklich nicht leicht auf Fragen zu verzichten, da ihr einem immer neue Rätsel aufgebt.“ Sie lächelte als ich sie ansah. „Das tut mir leid. Ich weiß, dass es nicht leicht ist mit mir.“ Sie sah hinunter auf die Waffen am Boden. Liam hatte den Säbel dorthin zurückgelegt und sie dachte offensichtlich nach. „Ist es wirklich in Ordnung wenn ich die an mich nehme? Ich meine, eine Frau und eine Waffe, das sieht doch ein wenig seltsam aus.“ - „Im Moment seht ihr nicht so sehr nach einer Frau aus.“ - „Was? Ach so.“ Sie sah an sich runter. Nun da sie den Mantel trug war vom Hemd nichts mehr zu sehen, doch die Hosen... „Meint ihr, ich würde auf Entfernung als Mann durchgehen“, Sie setzte die Kapuze des Mantels auf, „Wenn ich mich ein wenig bedeckt halte?“ „Auf Entfernung ja. Aber ihr solltet besser nicht reden. Sonst fallt ihr augenblicklich auf.“ Sie würde auch so auffallen. Der Mantel machte deutlich, das sie eine Frau war. Er war in der Taille zu eng geschnürt und ihre Schultern waren zu schmal. Sie schob die Kapuze zurück und lächelte wieder. „Tut mir leid, ich hätte vorher fragen sollen, aber ich habe keine Kleider zum wechseln. Ich hoffe, dass es nicht so tragisch ist, dass ich mir diese hier ausleihe.“ und sie zupfte an der Hose. „Es ist befremdlich eine Frau zu sehen die eine Hose trägt.“ Und die es auch noch freiwillig tut. „Die sind recht bequem“, gab sie zurück und ich zog die Augenbrauen hoch. Seltsam. Ich hatte nun schon einige Frauen getroffen doch keine hatte je behauptet Hosen wären bequem. Zu dem gehörte es sich einfach nicht. Ihr schien das Ganze herzlich egal zu sein. Sie bückte sich nach dem Münzbeutel, den sie hatte liegen lassen und steckte ihn nun ein. Dann glitten ihre Finger über die Waffe. „Wollt ihr nicht doch noch ein wenig damit üben? Immerhin haben wir noch etwas Zeit.“ Liam sah zu ihr runter und sie lächelte unsicher. „Wenn ihr vorsichtig mit mir umgeht. Ich bin Anfänger.“ - „Liam ist anfangs immer vorsichtig“, warf ich ein, „Er hat auch mir einiges beigebracht und er ist ein guter Lehrer.“ „Und es stört euch nicht wenn wir hier an Deck trainieren?“ - „So schlimm wird es nicht sein.“ Und es konnte ihr wirklich nicht schaden. Zu dem hatte Liam etwas zu tun und er war wirklich ein guter Ausbilder. Eine Stunde lang trainierten sie und ich steuerte die Morrigan langsam dichter zur Küste. Bis Halifax war es nicht mehr weit und der Wind wurde stärker. Liam unterbrach das Training und kam zu mir zurück. Er sah recht zufrieden mit sich aus. Ich warf einen Blick zu Selena, die sich an die Reling gesetzt und die Augen geschlossen hatte. „Wie macht sie sich?“ - „Es könnte schlimmer sein.“ Da der Abschied nun näher rückte wollte ich gerne noch einmal versuchen ein paar Informationen aus ihr heraus zu bekommen. Zu dem hatte sie sich beruhigt und man konnte wieder normal mit ihr reden. Daher ging ich zu ihr rüber und ging vor ihr in die Hocke. Noch immer hatte sie die Augen geschlossen und ich sah sei einfach nur an. Als sie die Augen aufschlug zuckte sie zusammen. Sie hatte mich wohl nicht kommen hören. „Ihr wollt wirklich in Halifax gehen?“ Versuchte ich es erneut. „Ja, das dürfte das Beste sein. Ich will nicht zur Last fallen und ich habe noch einen weiten Weg vor mir.“ „Er wäre kürzer würdet ihr hier bleiben.“ Ich wollte nicht, dass sie ging. Noch nicht. Es gab noch so viel, das ich über sie wissen wollte und wir hatten so wenig Zeit. Wieder glitt ihr Blick über mich und es machte sich so wie am Abend zuvor, leichte Erregung breit als der Blick irgendwo auf der Höhe meines Gürtels hängen blieb. Ich hoffte inständig, dass man mir nichts ansah. „Ihr müsst mir nicht antworten aber hat das Zeichen eine Bedeutung?“ Ich folgte ihrem Fingerzeig und lächelte breiter. Sie wies auf die zusätzliche Gürtelschnalle. „Das ist der Lebensbaum. Nichts Geheimnisvolles.“ Ein leichtes Nicken kam von ihr und ich neigte den Kopf leicht zur Seite. „Darf ich dann auch eine Frage stellen?“ - „Wenn es eine harmlose Frage ist ja, denn ich würde mich gerne einmal ganz normal mit euch unterhalten, ohne dass wir gleich streiten.“ „Wie alt seid ihr?“ denn das wollte ich nun wirklich gerne wissen. Es war so unglaublich schwer sie einzuschätzen. „Vierundzwanzig“, gab sie zurück und ich lächelte. „Dann lag ich ja nur knapp daneben.“ - „Für wie alt habt ihr mich denn geschätzt?“ Nun wurde ich etwas verlegen. „Es ist schwer euch einzuschätzen. Mal wirkt ihr wie ein kleines Mädchen und dann wie Anfang dreißig. Daher hatte ich euch zwischen zwanzig und zweiundzwanzig eingestuft“, auch wenn es nicht ganz stimmte. Es war jedoch höflich eine Frau jünger einzuschätzen als sie es wirklich war. „Danke.“ Sie sah mir in die Augen und ich erwiderte den Blick. Augen wie das Meer, dachte ich. Und nicht nur wegen der Farbe. Es lag Wasser darin. Als ich noch klein gewesen und bei meiner Tante gelebt hatte, hatte sie mir einmal gesagt, das man solchen Augen jegliche Emotion ablesen konnte. Darin war ich nicht sonderlich gut, doch ihr Blick war sanft. Plötzlich lief sie rot an und sah zur Seite. „Woran denkt ihr gerade?“ Denn so etwas kam nicht von irgendwo. „Wollt ihr das wirklich wissen?“ Sie blinzelte zu mir hoch und ich musste Lächeln. „Ja, es würde mich interessieren.“ - „Na gut.“ Sie atmete einmal tief durch und versuchte einigermaßen gelassen zu sagen: „Ich habe daran gedacht dass ihr schöne Augen habt.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. Bitte was? Schöne Augen? Was für ein Blödsinn. Wegen so etwas wurde man nicht rot. „Wirklich“, bekräftigte sie ihre Worte und als ich mich kurz zur Seite wandte griff sie nach meiner Hand. Etwas, mit dem ich nun überhaupt nicht gerechnet hatte. „Ihr seid insgesamt ein gutaussehender Mann. Nicht nur von den Augen her.“ Doch nun sah sie mich nicht mehr an, nur noch auf ihre Finger, die meine Hand umschlossen hatten. Als wäre ihr gerade erst bewusst geworden, dass sie es getan hatte. Kaum da ich den Versuch unternahm, meinerseits ihre Hand zu nehmen, zog sie ihre zurück. Schade. „Wieso nur werde ich nicht schlau aus euch?“ Sie sah mich an, noch immer einen leichten Rotschimmer um die Nase. „Ich...“ „Shay!“ rief Liam und wir sahen beide in seine Richtung. „Vor uns.“ Ich erhob mich und sah sofort was Liam bemerkt hatte. Da wir schon dicht an die Küste gekommen waren, gab es hier vereinzelte Felsen oder kleinere hohe Inseln. Hinter einem dieser Felsen, genau in Fahrtrichtung, tauchte eine Fregatte auf. „Denen sollten wir besser ausweichen.“ Das Scharmützel am Morgen hatten wir nur mit Mühe überstanden und ich hatte wirklich keine Lust auf dem Meeresboden zu landen. Hastig trat ich ans Ruder und gab Befehle. Ich drehte am Steuerrad und wir änderten den Kurs „Wir sind schneller als die oder?“ Selena war zu uns herüber gekommen. Sie klang nervös. Kein Wunder, nach dem was am Morgen passiert war. „Im Normalfall schon. Nur, die Morrigan ist beschädigt. Wir können nicht auf volle Fahrt gehen ohne zu riskieren dass sie auseinander bricht. Aber wir sind wendiger und in Küstennähe können wir sie besser abhängen sollten sie uns folgen wollen.“ „Ihr müsst euch keine Sorgen machen“, begann Liam, „Mit etwas Glück haben die kein Interesse an uns.“ - „Ich mache mir mein Glück, Liam.“ Das musste nur noch einmal klargestellt werden. „Dann mach ich mir keine Sorgen.“ Selena legte mir die Hand auf die Schulter und ein wohliger Schauer durchlief mich. Schon nahm sie ihren Rucksack und setze sich mit diesem wieder an die Reling. Als ich nach kurzem zu ihr rüber sah, hatte sie ihr Buch in der Hand und schrieb. Zu gerne hätte ich gewusst was sie schreib, doch sie würde es mir sicher nicht verraten. Da der Wind weiter auffrischte, kamen wir schneller voran als ich ursprünglich gedacht hatte und so erreichten wir die Bucht, in welcher der Hafen von Halifax lag, kurz nach Mittag. Liam rief Selena zu uns zurück und sie steckte ihr Buch ein, verschnürte den Rucksack und kam zu uns. „Wir sind bald da.“ Er wies zur Küste wo sich der Eingang zur Bucht befand. Ein ungeübtes Auge hätte die Einfahrt von unserer Position übersehen können. Doch über die kleinen Hütten hinweg konnte man Masten erkennen. Ebenso das Leuchtfeuer. „Gut. Dann hol ich mal mein Kleid.“ Schon lief sie los um es zu holen. Wirklich schade, dass sich unsere Wege hier trennten. Ich konnte sie nicht zwingen hier zu bleiben. Sie war ein freier Mensch und sie musste ihre eigenen Entscheidungen treffen. Wir näherten uns dem Hafen und ich ließ meinen Blick über die Schiffe gleiten. Keine britischen Flaggen. Das war gut. Doch etwas anderes zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Schoner der offensichtliche Umbauarbeiten hinter sich hatte. Der Anblick gefiel mir ganz und gar nicht. Ein Seitenblick auf Liam bestätigte meinen Verdacht. Hier sollte Selena nicht von Bord gehen. „Geht unter Deck“, wies ich sie an, wandte den Blick nicht von dem Schiff ab. „Was? Aber...“ - „Das war keine Bitte, Miss, sondern ein Befehl. Unter Deck mit euch. Sofort. Und dort bleibt ihr solange bis ich etwas anderes sage.“ Nun sah ich sie an, so ernst ich konnte, damit sie nicht weiter widersprach. „Aber ich...“ - „Sofort. Liam, bringt sie in die Kajüte.“ Ohne zu zögern trat Liam vor und fasste Selena am Arm. Sie schnappte sich ihren Rücksack und ließ sich mitziehen, wenn auch nicht ganz ohne Gegenwehr. Ich hörte sie noch sagen: „Was soll das? Ich wollte von Bord gehen“, als die Tür auch schon ins Schloss fiel und nichts weiter zu hören war. Ich konnte nur hoffen, dass niemand sie gesehen hatte. Ich steuerte den ersten freien Liegeplatz an und wir gingen vor Anker. Das würde ein kurzer Aufenthalt werden. Je schneller wir von hier wieder verschwanden um so besser war es. Nach dem die Morrigan sicher vertäut war wies ich die Matrosen an nach Schäden zu suchen und diese zu beseitigen und ging in die Kajüte. Selena stand da, die Arme vor der Brust verschränkt und funkelte mich wütend an. „Ihr bleibt wo ihr seid. Und ihr bleibt ruhig. Ich erkläre das später.“ Dann wandte ich mich meinem Freund zu, „Liam, solange ich von Bord bin habt ihr das Kommando. Ich werde mich beeilen.“ - „Tut das. Und seid vorsichtig.“ Er wusste genau warum ich besorgt war und offenbar teilte er meine Sorge wirklich. Kurz nach mir verließ er die Kajüte und trat noch einmal auf mich zu. „Es ist nicht fair sie im Unklaren zu lassen. Sie könnte eine Dummheit begehen.“ - „Darum lasse ich euch auch hier. Liam. Ihr müsst darauf achten, dass sie sich nicht von Bord schleicht solange dieser Schoner hier liegt.“ Er nickte nur und ich nahm die Waffen des toten Soldaten an mich. Selena kam mit denen nicht zurecht. Sie brauchte etwas anderes. Etwas leichteres. Liam runzelte die Stirn. „Und was habt ihr damit vor?“ Ich lächelte. „Umtauschen. Ihr seid es, der sie bewaffnen wollte. Ich besorge ihr etwas passenderes.“ Dann ging ich von Bord. Vorräte besorgen und neue Kugeln für die Kanonen. Zu dem wollte ich einen genaueren Blick auf den Schoner werfen. Nur um sicher zu gehen, dass ich mich nicht irrte. Ich irrte mich nicht. Wie ich es befürchtet hatte, handelte es sich bei dem Schiff um das eines Sklavenhändlers. Da war es wirklich besser, wenn hier keine Frau ohne Begleitung vorbei kam, die noch dazu fremd in der Gegend war. Auch wenn Selena doch etwas anstrengend war, das hatte sie nicht verdient. Eine Stunde lang besorgte ich Waren und fand schließlich einen Händler, der mit den Säbel abkaufte und bei dem ich eine angemessenere Waffe erstehen konnte. Leicht, elegant und nicht ganz so auffällig. Gut, auffallen würde sie damit trotzdem aber sie würde sicher besser damit zurecht kommen. Wieder bei der Morrigan angelangt fielen mir die Soldaten auf, die sich die Schiffe aufmerksam ansahen. Höchste Zeit schnell von hier zu verschwinden. Zuallererst brachte ich das Paket, in dem sich die neue Waffe befand, in die Kajüte. Selena stand bei der Seekarte und sah zu mir auf, als ich eintrat. Wortlos ging ich an ihr vorbei, legte das Paket ab und ging wieder hinaus. Sicher würde sie das ärgern, doch ich hatte nun keine Zeit es zu erklären. „Macht euch nützlich“, wies ich die Crew an. „Die Kisten müssen unter Deck und beeilt euch. Sichert die Ladung damit wir auslaufen können.“ Je schneller wir weg waren um so eher konnte ich Selena erzählen warum wir sie nicht hatten von Bord gehen lassen. Sicher wurde sie mit jeder Minute die verstrich ungeduldiger und wütender. Als alles verstaut war lichteten wir den Anker und verließen den Hafen. Bei einer sicheren Entfernung vom Ufer bat ich Liam Selena nach oben zu holen. Sie folgte der Bitte und lehnte sich etwas provozierend ans Geländer, sah mich an und verschränkte die Arme. „Nun? Ich bin gespannt auf die Erklärung.“ „Seht ihr den Schoner mit den grauen Segeln?“ Sie warf einen Blick zum Hafen und nickte. „Was ist damit?“ - „Das sind Sklavenhändler.“ Sie zog die Augenbrauen hoch „Woher wisst ihr das?“ Das sie mir nicht glaubte war offensichtlich. „Niemand der noch bei Sinnen ist würde so ein Schiff auslaufen lassen. Es ist zu alt und zu stark beschädigt. Zu dem kann man selbst von Außen die Umbauarbeiten sehen. Viele Sklavenhändler bedienen sich alter, ausgedienter Schiffe und verändern sie für ihre Zwecke. Für ungeübte Augen sind es normale Schiffe.“ „Aber ihr könnt sie erkennen?“ Noch immer klang sie ungläubig. „Nicht immer. Das hier war jedoch leicht zu erkennen.“ - „Warum unternehmt ihr nichts dagegen?“ - „Wir sind nicht gut genug gerüstet um es mit ihnen aufnehmen zu können. Schon gar nicht im Hafen.“ Kurz schwieg sie und sah noch einmal zu dem Schiff hinüber. „Wegen denen habt ihr mich also nicht von Bord gelassen?“ - „Zu eurer Sicherheit. Eine Frau die alleine reist und sich nicht auskennt wäre eine leichte Beute.“ - „Dann stehe ich noch tiefer in eurer Schuld als bisher.“ „Macht euch darüber keine Gedanken, Miss.“ Liam klang freundlich. Etwas, das er fast die ganze Fahrt über nicht hinbekommen hatte. Nicht in ihrer Gegenwart. Ich sah ihn sogar lächeln und mir wurde klar, dass auch er sich ein wenig um sie sorgte. Wenn auch nicht so wie ich es tat. Selena schwieg und als ihr Blick suchend über den Boden wanderte verkniff ich mir ein Lächeln. „Sucht ihr etwas?“ fragte ich unschuldig, denn mir war klar nach was sie Ausschau gehalten hatte. „Naja, ich hatte mich noch nicht wirklich entschieden, ob ich das Schwert annehme oder lieber nicht. Jetzt ist es nicht mehr da.“ - „Ihr sagtet, dass es nicht eure Art von Waffe ist.“ Sie nickte nur und wechselte das Thema: „Wie lange wird es nun noch bis Boston dauern?“ Das war eine gute Frage. Je nach dem wie der Wind mitspielte. „Bei gutem Wind sind wir morgen bei Einbruch der Dunkelheit da. Vielleicht ein wenig schneller.“ - „Morgen...“ Sie klang traurig. Wäre sie so gerne von Bord gegangen? Bevor ich weiter fragen konnte löste sie sich vom Geländer und trat ins Heck, stützte sich auf die Reling und sah zur Küste. Eine ganze Weile ließen wir sie in Ruhe. Sicher das Beste, was wir nun tun konnten, doch als die Sonne tiefer sank löste Liam sich von meiner Seite und ging zu ihr. Ich spitzte die Ohren denn von ihrem Gespräch wollte ich kein Wort verpassen. „Ihr wirkt bedrückt.“ begann Liam und ich war verwundert darüber wie sanft er klingen konnte. „Ein wenig vielleicht.“ - „Wärt ihr so gerne von Bord gegangen?“ - „Schwer zu sagen. Ja und nein. Ich hätte schon gerne etwas von Halifax gesehen aber ich bin auch froh, dass ihr mich bis Boston bringt. Andererseits bin ich nicht sicher, dass ich diese Nacht überstehe.“ Das verstand ich nicht. Warum sollte sie denn die Nacht nicht überstehen? „Wie kommt ihr darauf?“ fragte er weiter und ich war froh, dass er es tat. „Ich mache mir nur etwas Sorgen. Und ich bezweifle, dass ich nach dem was heute früh passiert ist werde schlafen können.“ Kurz trat Stille ein, dann kam es etwas leiser von Liam: „Wenn ihr jemanden braucht, der zuhört...“ - „Normalerweise bin ich diejenige die anderen zuhört. Danke für das Angebot, aber ihr habt sicher wichtigeres zu tun“ - „Wie ihr meint.“ Er kam zu mir zurück und stellte sich an seinen Platz, als wäre nichts gewesen. Fragend hob ich die Augenbrauen doch er hob die Hand und schüttelte leicht den Kopf. Er wollte nicht mit mir darüber reden, solange sie in der Nähe war. Verständlich. Immerhin wusste ich nicht wie gut ihre Ohren waren. Es dauerte nicht lange da hörte ich ihre Schritte, doch sie ging an uns vorbei, die Treppe hinunter und verschwand. Ich sah ihr nach, doch sie blickte nicht auf. Daher wandte ich mich nun an Liam. „Und?“ fragte ich denn nun konnte er es mir verraten. „Ich hoffe, dass sie die Nacht übersteht“, gab er trocken zurück und ich hob die Augenbrauen. „Wieso sollte sie nicht? Die vorherigen hat sie auch überstanden.“ - „Shay...“ begann er in einem Tonfall der mir sagte, dass ich ein Idiot war, „Sie hat heute um ihr Leben fürchten müssen und einen Mann getötet. Sie wird angst davor haben einzuschlafen.“ Das war natürlich möglich. „Wir werden ihr dabei nicht helfen können. Sie muss es alleine durchstehen.“ Denn wie sollte einer von uns dafür sorgen, dass sie nicht davon träumte? Ich konnte ihr schlecht anbieten mit mir die Koje zu teilen um sie... Ganz böser Gedanke. Die Dämmerung brach an und ich beschloss nach Selena zu sehen. Liam wollte sich anschließen und ich nickte. Für die kurze Zeit konnte auch einer der anderen das Ruder übernehmen. Doch ich musste noch kurz hinunter in den Frachtraum. Immerhin hatte ich Vorräte besorgt und ein etwas besseres Abendessen als bisher würde uns allen gut tun. Als ich wieder zurück kam wartete Liam auf mich. „Ist euch klar, dass ihr viel zu freundlich zu ihr seid?“ fragte er und ich hob die Augenbrauen. „Bin ich das?“ Natürlich war ich freundlich zu ihr. Immerhin wusste ich wie sie sich zur Wehr setze, wenn ich es nicht war, auch wenn ich Liam nichts davon gesagt hatte. „Sie hat heute bewiesen, dass sie in der Lage ist jemanden zu töten.“ - „Und sie leidet darunter. Ich werde sie nicht wie eine Gefahr behandeln und ihr damit einen Grund liefern mich anzugreifen.“ Einmal hatte mir voll und ganz gereicht. Liam schnaubte und öffnete die Tür zur Kajüte. „Ihr solltet wenigstens darüber nachdenken“ - „Werde ich. Bei Gelegenheit.“ Ich ließ die Tür hinter mir zufallen und Liam schob sich die Kapuze nach hinten. Das Bündel mit unserem Abendessen legte ich vorerst auf dem Kartentisch ab und öffnete die Jacke, um sie auszuziehen als ich Selena am Schreibtisch sitzen sah. Sie saß tatsächlich in dem Sessel, der dem Kapitän vorbehalten war, ihr Notizbuch vor sich, den Stift in der Hand. „Bevor ihr fragt: Ich habe nicht geschnüffelt, nicht weiter aufgeräumt und mich nicht an eurem Rum vergriffen.“ Sie klappte ihr Buch zu und sah uns abwechselnd an, „Und am Geld auch nicht.“ Sofort warf ich einen Blick zur Geldschatulle, doch das war natürlich Unsinn. Selbst wenn sie etwas herausgenommen hätte konnte ich das so nicht sehen. „Und was habt ihr dann gemacht?“ Ich hängte die Jacke über einen Stuhl und sah sie fragend an. „Mich gelangweilt und versucht einen klaren Gedanken zu fassen. Nicht gerade leicht wenn einem zu viel im Kopf herum geht. Was treibt euch unter Deck? Pause?“ - „In der Tat.“ Auch Liam legte seinen Mantel zur Seite und streckte sich. Sicher fühlten seine Muskeln sich ähnlich an wie meine. Wenn nicht sogar schlimmer. Immerhin hatte er über eine Stunde lang versucht Selena den Schwertkampf beizubringen. Da es hier drin doch etwas dämmrig war, trotz der Kerzen auf dem Schreibtisch, entzündete ich noch ein paar weitere und setzte neue Kerzen in die Laternen. Dann holte ich den Rum heraus, nahm das Bündel vom Kartentisch und öffnete es. Sofort breitete sich der Duft von frischem Brot aus und ich lächelte, als ich Selenas Blick bemerkte. Auch ihr musste der Zwieback zum Hals heraus hängen. Auch eine dicke, geräucherte Wurst hatte ich dabei. Um Längen besser als das Dörrfleisch und viel schmackhafter. Liam nahm sich den Rum und nippte daran als ich begann das Brot in dicke Scheiben zu schneiden. Auch von der Wurst säbelte ich etwas herunter „Hier.“ Ich reichte erst Liam, dann Selena eine Portion und lehnte mich an die Tischkante. „Darf ich fragen wie der Rest der Reise geplant ist, oder steht das noch nicht fest?“ fragte Selena als ich gerade mit etwas Rum das Brot herunterspülte. Sie hatte ihren Becher mit Wasser gefüllt und sah fragend zwischen uns hin und her. Ich tauschte einen Blick mit Liam der mir wieder einmal zuvor kam mit der Antwort: „Was sollten wir planen?“ Liam strich sich über den rasierten Schädel, „Wir hoffen einfach, dass nichts weiter passiert bis wir in Boston ankommen.“ „Und wo wir gerade bei nichts passieren sind“, ich löste mich vom Tisch und holte das Paket mit der neuen Waffe, welches ich ihr hin hielt. „Das ist für euch.“ Damit hatte sie offensichtlich nicht gerechnet, denn sie verschluckte sich beinahe an ihrem Abendessen. „Wie meint ihr das, für mich?“ Bei der Frage lächelte ich. „Macht es auf.“ Zögernd nahm sie das Paket entgegen und sah zu Liam. Auch mein Blick huschte zu ihm hinüber. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt doch ich erkannte in seinen Augen eine Spur von Heiterkeit. „Nur zu.“ Ich setzte mich wieder auf die Tischkante und sah sie erwartungsvoll an. Sie begann an dem Knoten herum zu fummeln, doch gelang es ihr nicht ihn zu öffnen. Bevor es für sie peinlich wurde zog ich meinen Dolch und hielt ihn ihr, den Griff voran, hin. Mein Lächeln konnte ich nicht verbergen. Sie schnitt die Schur durch und öffnete das Paket. Als sie die Stofflagen, in denen die Waffe eingewickelt war zur Seite schlug, wurden ihre Augen groß. Auch Liam konnte ich ansehen, dass er etwas überrascht war, meine Wahl jedoch billigte. Ein Rapier mit passendem Dolch, Scheide und Gurt. „Das... das kann ich nicht annehmen.“ - „Könnt ihr.“ Ich nahm einen neuerlichen Schluck Rum und deutete auf die Waffe in ihren Händen. „Mit dem Schwert seid ihr nicht zurecht gekommen. Es war zu schwer. Ein Rapier ist leicht und passt zu einer Frau. Damit fallt ihr weniger auf. Außerdem...“ Ich warf Liam einen Blick zu, „Hab ich dazu die andere Waffe verkauft. Dementsprechend gehört sie ohnehin euch.“ „Und ihr glaubt das ich damit besser zurecht komme?“ Sie zog das Rapier und sah sich die Klinge an, wog sie in der Hand. „Das werden wir morgen sehen“, warf Liam ein, stopfte sich den Rest Brot in den Mund und wischte sich die Hände an der Hose ab. „Heute hätte es keinen Sinn mehr, es ist bald Dunkel.“ Er warf einen sehnsüchtigen Blick zur Koje. Da war jemand müde. Vorsichtig schob Selena die Klinge zurück und wickelte sie erneut in die Stoffbahn ein. „Danke“, war alles was sie sagte doch ich hörte heraus, das sie nur so Wortkarg war, da ihr schlicht die Worte fehlten. Etwas das mich freute. „Schon in Ordnung. Ihr sollt euch verteidigen können.“ Auch ich beendete mein Abendessen und gönnte mir einen weiteren Schluck Rum. Wenn Liam nun schlafen ging, würde ich mich noch einmal der Kälte stellen. Da konnte ich etwas Wärme im Bauch gebrauchen. Danach wickelte ich Brot und Wurst wieder in das Bündel und legte es zu den Vorräten. „Gut. Ich geh wieder hoch.“ Ich sah Selena an, die ihre Portion mit Wasser herunter spülte. „Leistet ihr mir Gesellschaft?“ - „Ja, das dürfte eine gute Idee ein.“ Sie nahm ihren Mantel doch bevor sie mir folgte steckte sie ihr Notizbuch in den Rucksack zurück und legte ihre neue Waffe auf die Bank, auf der sie schlief. Fast als wäre sie ihr zu kostbar um sie wirklich zu tragen. Auch ich zog meine Jacke wieder an und ging ihr voraus. Draußen Schneite es schon wieder. Dicke Flocken wirbelten übers Deck und ich hörte wie sie sagte: „Na das kann spaßig werden.“ Ich sagte lieber nichts, ging hinauf und löste den Matrosen am Ruder ab. Selena stellte sich zu mir und schwieg ebenfalls. Sie schien über etwas nachzudenken und ich wollte mich nicht schon wieder mit ihr streiten. Nach einer ganzen Weile unterbrach ich dann doch die Stille. „Würdet ihr mir einen Gefallen tun?“ Auch ich hatte nachgedacht und sie gab mir so viele Dinge zum Nachdenken, dass ich zumindest ein paar Antworten haben wollte. „Einen Gefallen?“ - „Nur wenn ihr wollt“, räumte ich sofort ein, denn ich wollte sie in keiner Weise zu etwas überreden, dass sie nicht wollte. „Um was geht es?“ Natürlich war es etwas heikel das Thema nun noch einmal anzusprechen, das war mir klar, aber einen Versuch war es wert. „Heute Vormittag, nach dem Angriff, da habt ihr gesungen. Ich würde das Lied gerne noch einmal hören.“ - „Ich weiß nicht ob das eine gute Idee ist.“ Täuschte ich mich oder wurde sie da gerade etwas verlegen? Da es dunkel war konnte ich es nicht so genau sehen. „Bitte.“ Und sie tat mir den Gefallen. Während sie sang sah sie in die Ferne und wieder schwang dieser traurige Ton in ihrer Stimme mit. Sie konnte recht gut singen, doch ich verstand kein einziges Wort. Als sie geendet hatte blieb es still. Keiner der Crew sagte auch nur ein Wort doch ich sah, dass einer ihr einen verstohlenen Blick zuwarf. Vielleicht hatte er sie verstanden. „Es klingt traurig. Wovon handelt es?“ fragte ich nach einer Weile und sie erzählte von einer unglücklichen Liebe, die mit dem Tod beider endete. Ja, das war wirklich traurig. Sie erwähnte noch andere Lieder, sang jedoch nicht noch einmal. „Ich kenne zwar recht viele Lieder und Melodien, bin jedoch nicht Textsicher“, meinte sie entschuldigend. Schade war es schon. Ich mochte ihre Stimme. Dann fragte sie mich nach meiner Kindheit. Irgend etwas fröhliches an das ich mich erinnerte. Meine Kindheit war nicht gerade lustig gewesen doch mir war klar warum sie nun nichts trauriges hören wollte. So erzählte ich wirklich eine kleine Geschichte aus meiner Kindheit. Wie ich zusammen mit Liam unterwegs gewesen war, im Alter von acht Jahren. Schon damals waren wir Freunde gewesen, wenn auch nicht so wie heute. Es tat gut sich daran zu erinnern und nach kurzem gab auch sie etwas mehr von sich preis. Zwar erfuhr ich noch immer nicht von wo sie wirklich kam, doch das sie eine ältere Schwester hatte und in einem kleinen Dorf aufgewachsen war. Sie mochte Bücher, was mich schmunzeln ließ, da ich nicht all zu viel davon hielt, und ich merkte, dass sie wirklich offen mit mir sprach. Als Liam aus der Kajüte kam wirkte er nicht sonderlich ausgeschlafen. „Ich bin froh wenn wir im Heimathafen anlegen,“ sagte er und rieb sich die Schulter. „Nichts gegen die Koje, aber mein Bett ist mir lieber.“ Dann übernahm er das Ruder und mit einem Kopfnicken bat ich Selena mir zu folgen. Sicher wurde auch sie langsam müde und sollte sich ausruhen. Mit einem leichten Seufzen zog sie ihren Mantel aus und hängte ihn über eine Stuhllehne. Ich blieb an der Tür stehen und sah ihr zu. Sie musste wirklich müde sein wenn sie schon anfing sich in meiner Gegenwart auszuziehen. Ich hatte nichts dagegen nur wäre es wirklich besser für sie wenn ich ihr die Möglichkeit gab es ungestört zu tun. „Ich werde wohl wieder draußen warten, bis ihr fertig seid.“ Schon drehte ich mich um und wollte gehen. „Sekunde“, kam es von ihr und ich zögerte. „Was?“ fragte ich, denn was um alles in der Welt konnte sie in einem Moment wie diesem von mir wollen? Sie kam zu mir und blieb direkt vor mir stehen. Bislang hatte sie lieber etwas Abstand gewahrt. Daher wurde ich nun etwas unsicher. „Ich...“ sie brach ab und kurz senkte sie den Blick bevor sie mir wieder in die Augen sah, „Würdet auch ihr mir einen Gefallen tun, so wie ich euch oben an Deck?“ Einen Gefallen? Sie lächelte als habe sie meine Gedanken gelesen, „Keine Sorge. Nur einen ganz Kleinen.“ - „Was denn?“ - „Bitte, schließt kurz die Augen.“ Was? Nun verstand ich wirklich gar nichts mehr. Warum sollte ich... Aber gut, wenn es ihr eine Freude bereitete... So seufzte ich leicht und schloss die Augen. Erst passierte gar nichts. Dann spürte ich ihre Lippen auf meiner Wange. Ich öffnete die Augen wieder, da ich sicher war mich getäuscht zu haben, doch sie zog sich gerade von mir zurück. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet und es verschlug mir die Sprache. Ich wollte sie fragen was das zu bedeuten hatte, doch meine Stimme wollte mir nicht gehorchen. Sie lächelte leicht. „Danke, Master Cormac.“ - „Wofür?“ brachte ich nun doch heraus und ihr lächeln wurde eine Spur breiter. „Für alles“, und sie kehrte zu ihrer Bank zurück. Ich brauchte einen Moment um mich wieder zu fangen. War das gerade wirklich passiert? „Ich... glaube ich leiste Liam noch ein wenig Gesellschaft.“ Denn ich brauchte eine Abkühlung. Mein Kopf brauchte die Abkühlung um wieder klar denken zu können. Zu dem konnte sie sich umziehen. So ging ich hinaus und stieg wieder zum Ruder hinauf. Liam zog die Augenbrauen zusammen. „Was ist los?“ fragte er und wollte das Ruder an mich übergeben, doch ich winkte ab. Das konnte er ruhig weiter machen. Die Stelle an der Selenas Lippen meine Haut berührt hatten kribbelte leicht. Sie hatte mich tatsächlich geküsst. Ein wenig schüchtern, ja, aber sie hatte es getan. Von sich aus. „Shay?“ - „Ihr hattet recht. Ich muss noch einiges über Frauen lernen.“ Vor allem über welche wie Selena. „Was ist passiert?“ Sollte ich es ihm wirklich sagen? Besser ich behielt es für mich. „Sie hat sich noch einmal bedankt. Für alles. Irgendwie.“ Fragend sah er mich an, doch ich wollte wirklich nicht weiter darauf eingehen. „Und wie hat sie sich bedankt? Ich hoffe doch, dass ihr nicht euren Anstand vergesst.“ Ich starrte ihn an. Dann wusste er also was in mir vor sich ging und er ahnte was gerade in der Kajüte passiert war. „Ich weiß mich zu benehmen. Meistens.“ Denn ab und an fiel es mir doch schwer. „Sie hat mich geküsst, nicht ich sie.“ Jetzt war es heraus. Liam schnaubte. „Nun, man muss euch hin und wieder mit der Nase auf gewisse Dinge stoßen, damit ihr es bemerkt. Aber ihr solltet besser nicht darauf eingehen.“ Er wurde nun sehr ernst, „Sie wird uns bald verlassen und es ist unwahrscheinlich, dass ihr sie wiedersehen werdet. Macht ihr keine Hoffnungen.“ Als ob ich das nicht wüsste. Dennoch stimmte mich der Gedanke Traurig. „Sicher würde sie mich eh nicht mehr in ihrer Nähe haben wollen, wenn sie wüsste was ich bin.“ Sie war kein Assassine und die Wahrheit wäre sicher unerträglich für sie. Ich blieb noch eine Weile oben bis ich sicher sein konnte, dass Selena fertig umgezogen und unter ihrer Decke verschwunden war. Vielleicht schlief sie auch schon. Als ich die Kajüte betrat war alles still und ein Blick in die Ecke genügte. Sie hatte sich zusammengerollt und schlief. Gut so. Schnell entledigte ich mich meiner Kleider und schlüpfte in die Koje. Mit ihr wäre es hier sicher wärmer... 'Schlag dir solche Gedanken aus dem Kopf', schalt ich mich, 'Liam hat recht. Morgen wird sie von Bord gehen und du wirst sie nicht wieder sehen. Also mach dir selbst keine Hoffnungen.' Zudem gab es immer noch Hope. Sie war greifbarer, auch wenn sie mir die kalte Schulter zeigte und meine Annäherungsversuche abtat. Ein lautes Knarren weckte mich. Einen Moment fragte ich mich woher es gekommen war und lauschte in die Nacht. Dann hörte ich ein weiteres Knarren von der Bank, auf der Selena schlief. Draußen herrschte heftiger Seegang und die Morrigan schwankte, doch ich vermutete, dass das nicht der Grund war. Trotz der Geräusche konnte ich ihren Atem hören. Viel zu schnell für jemanden der ruhig schlief. Vorsichtig richtete ich mich auf und sah zu ihr rüber. Sie zog gerade die Decke enger um sich, hatte die Augen offen und starrte auf die Tür, als fürchtete sie, es würde jemand herein kommen. Hatte sie schlecht geträumt? Nach dem was am Tag passiert war, würde mich das nicht wundern. Nun es ging mich nicht wirklich etwas an, dennoch stand ich auf, wobei nun die Koje knarrte. Leise ging ich zu ihr rüber. Sie hatte die Augen geschlossen und tat als würde sie schlafen. Vor ihrer Bank ging ich in die Hocke und mein Knie knackte verräterisch. Sie ließ sich nichts anmerken, doch ich konnte ihr am Gesicht ansehen, das sie wirklich nicht schlief. Eine Strähne ihres Haares war ihr ins Gesicht gefallen und ich strich sie zur Seite. Bei der Berührung zuckte sie zurück und schlug die Augen auf. „Schlechte Träume?“ fragte ich vorsichtig, denn es war gut möglich, dass sie nicht darüber reden wollte. Nach kurzem Zögern nickte sie. „Das dachte ich mir.“ Oder besser, ich hatte es befürchtet, „Irgendwann wird es vorbei gehen. Doch im Moment...“ - „Muss ich es wohl ertragen.“ Die Haarsträhne war wieder nach vorne gefallen und ich strich sie erneut zurück. Dieses Mal blieb sie ruhig und schloss die Augen, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Dann sah sie mir in die Augen. „Wie kommt Ihr damit zurecht?“ fragte sie und ich dachte einen Moment nach. „Ich? Ich versuche nicht daran zu denken und wenn es nicht anders geht, dann lenke ich mich so lange ab bis es wieder ganz hinten im Kopf verschwunden ist. Oder ich helfe ein wenig nach, auch wenn das zu einem schweren Kopf führt.“ Eine Lösung die ich nicht empfehlen konnte. Vor allem nicht einer Frau die dem Alkohol abgeneigt war. Mehr konnte ich ihr nun nicht helfen. Sie musste selber lernen mit solchen Erlebnissen umzugehen. Kurz legte ich ihr die Hand auf die Schulter. „Versucht wieder einzuschlafen, auch wenn es schwer fällt. Ihr seid nicht allein.“ Darauf lächelte sie nur und ich erhob mich wieder. Als ich mich umwandte um zur Koje zurück zu gehen sagte sie leise: „Harte Landung?“ - „Was meint ihr?“ fragte ich zurück, auch wenn ich mir denken konnte auf was sie anspielte. „Ach tut nicht so. Ihr habt selbst gemerkt, dass auch ihr nicht ganz unbeschadet geblieben seid. Ihr könnt euren Rücken vielleicht nicht sehen, aber ihr spürt es genau.“ Ich drehte mich wieder zu ihr um. Sie hatte sich aufgesetzt und die Decke war nach unten gerutscht. Das Nachthemd saß nicht ordentlich, da es ihr zu groß war, und zeigte etwas mehr Haut als am Abend zuvor. „Mir geht es gut“, versuchte ich mich aus der Situation zu retten doch sie ließ nicht locker. „Ich habe eine Salbe die es schneller heilen lässt. Ich bin auch ganz vorsichtig dabei.“ Es ärgerte mich schon etwas, dass sie so hartnäckig war, doch dann seufzte ich. „Ihr gebt ja doch nicht auf.“ Wenn es ihr eine Freude bereitete, dann sollte sie ihre Salbe drauf schmieren. Schaden konnte es sicher nicht. So ging ich zu ihr zurück und sie schwang die Beine von der Bank und langte nach ihrem Rucksack. Um nicht in Versuchung zu kommen mir ihre Beine anzusehen oder in ihren Ausschnitt zu schauen, ging ich erneut in die Hocke, mit dem Rücken zu ihr. Gleich darauf stieg mir ein angenehmer Duft in die Nase und ihre Finger berührten mein Schulterblatt. Sie war wirklich vorsichtig dabei und verteilte die Salbe in kleinen kreisenden Bewegungen. Während sie arbeitete sagte sie kein Wort und ich schloss die Augen und ja... ich genoss es. Es war nicht schwer sich vorzustellen wie es wäre wenn sie das an anderer Stelle tun würde. Ihre Hände waren weich und warm. Sehr angenehm. Daher war es schade, als sie sagte sie sei fertig. „Ich frage lieber nicht, was das war.“ - „Arnika.“ antwortete sie prompt und ich richtete mich auf, sah zu ihr runter. „Danke.“ Und ich meinte es wirklich ernst. „Wofür?“ - „Für alles.“ Das ließ sie lächeln. Ich hatte die selben Worte genutzt wie sie. „Vielleicht sollte ich mich auch noch einmal bedanken. Für die Ablenkung.“ Darauf musste ich kichern. Ja es passte zu ihr einen Dank nicht einfach so hinzunehmen und vielleicht stimmte es auch, dass das hier gerade eine Ablenkung für sie gewesen war. Mich hatte es abgelenkt. Leider nicht auf so eine Weise die ich gebrauchen konnte. „Gute Nacht, Kapitän“, kam es von ihr, als ich die Koje erreichte und ich sah noch einmal zu ihr zurück. „Schlaft gut, Selena.“ Mit etwas Glück, konnte sie nun doch noch ein wenig schlafen. Ich würde es können und vielleicht von ihr träumen. Und ich träumte wirklich von ihr. Sie stand an Deck in den Kleidern der Bruderschaft, das Haar offen und vom Wind nach hinten geweht. Flackerndes Licht eines brennenden Schiffes fiel auf sie und sie hielt einen Bogen in der Hand. Ihr Gesicht war ernst und völlig ruhig. Ein schöner und erschreckender Anblick zugleich. Das nächste Mal wachte ich von alleine auf. Ausgeruht und in meine Decke gekuschelt. Noch immer hatte ich dieses Bild vor Augen und brauchte einen Moment um mir klar zu machen, dass es nur ein Traum gewesen war. Etwas, das nicht passieren würde. Wieder einmal ließ ich sie schlafen als ich aufstand. Genau wie am Tag zuvor schrieb ich die Ereignisse des vorangegangenen Tages ins Logbuch, doch ich konnte mich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern. Daran würde ich arbeiten müssen, sobald Selena von Bord war. Es fiel mir schwer mich auf meine eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren wenn sie dabei war. Nach einem raschen Frühstück, für Liam nahm ich etwas mit, stiefelte ich hinaus und die Tür fiel etwas lauter ins Schloss als gewollt. Es war doch windiger als ich erwartet hatte. Liam hatte alle Hände voll zu tun die Morrigan durch die Fluten zu lenken. Das würde spaßig werden heute. Nur ein paar Minuten nach mir, verließ Selena die Kajüte. Dann hatte ich sie wohl mit der Tür geweckt. Sie kam jedoch nicht zu uns nach oben, sondern ließ sich ihren Eimer mit Wasser füllen und verschwand wieder in die Wärme. Einen Moment fragte ich mich was sie wohl mit dem Wasser vorhaben könnte doch ich erinnerte mich daran, dass sie schon am ersten Tag einen Ort zum „frisch machen“ brauchte. Sicher hatte sie dabei nicht nur den Abtritt gemeint. Na da würde sie die Zähne zusammen beißen müssen. Das Wasser war eiskalt und alles andere als angenehm. Ich ließ ihr Zeit. Das Wetter war eh nicht dafür geeignet an Deck herum zu laufen. Vor allem, wenn man nicht schwimmen konnte. Die See war rau und es konnte leicht passieren, dass man über Bord ging. Nein, dort wo sie war, war sie besser aufgehoben. Erst als sich der Sturm etwas legte und die Dämmerung anbrach, trat Selena wieder an die Luft und kam zu uns nach oben. Leichter Schneefall hatte eingesetzt. Kleine wirbelnde Flocke, die übers Deck geweht wurden. Selenas Schritte waren etwas unsicher und sie hielt sich gut am Geländer fest als sie zu uns hoch stieg. Unsere Blicke trafen sich als es in ein Wellental hinab ging und ich lächelte angesichts ihrer geweiteten Augen. Mir gefiel ein solches Wetter. Ihr hingegen machte es angst. Ich hatte schon schlimmere Stürme als diesen überstanden und so wie es am Himmel aussah würde es bald nachlassen. Nach einer halben Stunde wurden die Wellen flacher und der Wind etwas schwächer. Leichte Entspannung trat bei der Crew ein und auch Liam lockerte seine Haltung. Da keiner Anstalten machte etwas zu sagen wandte ich mich zuerst an Selena. „Ihr seid früh hoch heute.“ „Irgendwann muss ich doch auch mal einigermaßen pünktlich aufstehen, meint ihr nicht?“ Musste sie das? „Nun, es ist eure Sache. Ihr gehört nicht zur Crew und habt keinerlei Verpflichtung an Bord.“ Die hatte sie wirklich nicht. Aufgeräumt und geputzt hatte sie. Freiwillig. Es gab für sie nicht wirklich etwas zu tun, daher hätte sie auch liegen bleiben können, wenn sie es gewollt hätte. „Verpflichtungen vielleicht nicht, aber ich dachte mir, dass es gut wäre die Zeit zu nutzen die ich noch habe. Das Wetter hat durch den Morgen zwar einen Strich gemacht aber... Nun, wenn das Angebot noch steht würde ich gerne noch einmal etwas Unterricht nehmen. Jedenfalls wenn es keine Sicherheitsbedenken gibt.“ „Habt ihr gefrühstückt?“ fragte Liam und sie biss sich auf die Lippen. Anscheinend nicht. Doch vielleicht war es auch meine Schuld. Ich hätte ihr etwas raus legen sollen. Daran hatte ich nicht gedacht. Anders gesagt, ich hatte damit gerechnet, das sie sich selbst bedienen würde, doch sie hielt offenbar weiter daran fest, nichts zu nehmen, das ihr nicht gehörte. Mit Ausnahme der Kleider die sie trug, denn es waren wieder die Männerkleider vom Vortag. Dann war ihr Kleid wohl noch nicht trocken. „Also nicht“, bemerkte Liam und verschränkte die Arme vor der Brust. „Gut. Bevor wir beginnen, wie ist euch das Training gestern bekommen?“ - „Ein wenig Muskelkater, aber sonst geht es mir gut.“ Ein wenig? Entweder untertrieb sie gerade um nicht so schlecht da zu stehen, oder aber sie war besser in Form als erwartet. „Untrainiert. Ich habe nicht wirklich etwas anderes erwartet. Holt eure Waffe.“ Anscheinend sah Liam das ganze anders. Aber er war ja auch der Trainer und nicht ich. Ohne Wiederworte huschte sie hinunter und kam gleich darauf mit ihrem neuen Rapier zurück. Liam hielt sie auf, als sie den Waffengurt umlegen wollte. Erst sollte sie sich ein wenig aufwärmen. Die restliche Müdigkeit aus den Gliedern vertreiben um Verletzungen zu vermeiden. Ich gab das Ruder an den Matrosen ab, den ich bisher immer gebeten hatte, und sah ihnen zu. Da sich diese Waffe von der anderen in der Handhabung etwas unterschied begann er mit den Grundlagen, doch Selena war nicht ganz bei der Sache. Ihr unterliefen immer wieder kleine Fehler und Liam wurde ungeduldig. „Konzentriert euch“, ermahnte er sie und ich bekam das Gefühl, dass es sie nervös machte, dass ich ihr zusah. Eine Stunde lang führte sie Bewegungen aus. Immer erst langsam, bis Liam damit zufrieden war, danach schneller. Es sah alles andere als elegant aus, aber für einen Anfänger gar nicht mal übel. Dann unterbrachen sie das Training, da sie eine Pause brauchte und Liam winkte mich zu sich. Das musste ja passieren. Er deutete stumm auf meine Waffe und ich zog sie. „Ihr kennt das Spiel, Shay. Zeigt mir, was ihr könnt.“ Wir trainierten nicht oft mit scharfen Waffen. Die Verletzungsgefahr war einfach zu groß, doch die einfachen Grundschritte konnten auch so geübt werden. Zu dem war es sicher auch eine lehrreiche Lektion für Selena. Wenn sie sah das wir wirklich kämpfen konnten, würde sie sich nicht mit uns anlegen wollen. Ich spürte ihren Blick während Liam mich herum scheuchte. Immer wieder griff er an, legte Finten und wich meinen Schlägen aus. Liam war ein exzellenter Schütze, doch auch im Nahkampf konnte ich ihn immer noch nicht bezwingen. Auch als es ans entwaffnen ging konnte ich ihm nicht das Wasser reichen. Ich schaffte es nur zwei Mal ihm seinen Säbel zu entwenden, während er damit bei mir keinerlei Probleme hatte. „Könnt ihr mir das beibringen?“ fragte Selena als ich aufgab und ich sah zu Liam. Das war sein Job, nicht meiner. „Entwaffnen oder es verhindern?“ fragte er zurück und sie lachte. „Beides. Ich möchte ungern von meiner eigenen Klinge aufgespießt werden.“ - „Habt ihr euch denn schon wieder erholt?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ein wenig. Es ist eh unmöglich mich bis Boston in irgend einer Disziplin fit zu bekommen. Ein paar Grundlagen dürften für den Anfang reichen.“ Liam ließ seinen Blick über sie wandern und dachte offensichtlich nach. „Später. Jetzt solltet ihr besser erst einmal etwas essen.“ „Was ist mit euch? Ihr könnt doch sicher auch eine Stärkung gebrauchen.“ - „Später.“ Später? Es ging schon langsam auf Mittag zu und selbst ich bekam allmählich wieder Hunger. Ich übernahm erneut das Ruder und Liam stellte sich zu mir. Selena ließ ihren Blick übers Wasser gleiten, doch sagte sie nichts weiter als sie sich wieder in die Kajüte verzog. „Wollt ihr es ihr wirklich beibringen?“ fragte ich, kaum das sie verschwunden war und Liam ließ ein leichtes Seufzen hören. „Es kann nicht schaden und sie hat recht. Wirklich fit werde ich sie nicht bekommen können. Es wird kaum ausreichend sein um ihr wirklich zu nützen, aber vielleicht fühlt sie sich dann etwas besser.“ Einen Moment überlegte ich ihm zu sagen das er viel zu nett zu ihr war, verkniff mir den Kommentar jedoch. Es gefiel mir ganz gut, dass er etwas freundlicher zu ihr war. Auch wenn sich heute wohl unsere Wege trennten war es mir lieber, wenn sie uns in guter Erinnerung behielt. Als sie zurückkam hielt Liam Wort und unterwies sie ein wenig im entwaffnen. Dieses mal sah ich ihnen nur über die Schulter hinweg zu. Nur ein wenig, denn ich wollte sie nicht stören. Es wurde ein ruhiger Nachmittag und langsam näherten wir uns unserem Ziel. Aus dem Krähennest kam der Ruf: „Land in Sicht“ und Selena brach ihre Übungen mit Liam ab. „Ich sollte wohl besser meine Tasche holen, oder?“ Nun, dieses Mal würde sie wirklich gehen. Ich bezweifelte, dass es etwas geben konnte, dass sie zum Bleiben bewegen konnte. Ohnehin war es besser, wenn sie uns hier verließ. Wir konnten sie nicht mit zur Siedlung nehmen. Außenstehende hatten dort nichts zu suchen. „Es ist noch Zeit bis wir anlegen aber bitte. Ich halte euch nicht auf.“ Das würde ich wirklich nicht. Auch wenn es schade war. Sie warf mir einen Blick zu der mir deutlich machte, dass sie meinen Unterton mitbekommen hatte. Kurz meinte ich so etwas wie Trauer in ihren Augen zu sehen, doch sie wandte sich schon ab und ging ein letztes Mal in die Kajüte hinunter. Als sie zurückkam trug sie wieder ihr Kleid. Jetzt nach dem ich sie in Hosen gesehen hatte wirkte es fast ein wenig unpassend. Den Waffengurt hatte sie überm Mantel befestigt und ihren Rucksack über der Schulter. Ob sie wirklich nichts eingesteckt hatte? Da sie nun gehen würde, wäre es für sie die letzte Gelegenheit etwa zu stehlen. Nein, ich wollte ihr vertrauen. Sie hatte mehr als einmal gesagt, dass sie nicht stehlen würde. Wir erreichten Boston als es zu dämmern begann. Der Hafen war gut besucht, doch es gab noch freie Liegeplätze. Sicher könnten wir über Nacht auch hier bleiben. Boston war derzeit ein recht ruhiges Pflaster, doch mir war es lieber so schnell wie möglich in den Heimathafen zurück zu kommen. „Hier trennen sich dann unsere Wege.“ Ich konnte den Anflug von Endtäuschung nicht ganz verbergen. „Da habt ihr wohl recht“, erwiderte sie und trat näher an mich heran, „Danke für alles. Ich wünsche euch für die Zukunft alles Gute und hoffe, dass sich unsere Wege eines Tages wieder kreuzen.“ - „Auch euch alles Gute, Miss.“ Ich zögerte, dann streckte ich ihr die Hand entgegen. Näher würde ich ihr nicht kommen. Lächelnd nahm sie an und einen Moment verharrten wir so, sahen einander in die Augen. Wenn es nach mir gegangen wäre, ich hätte sie nicht wieder los gelassen. Gerade als ich glaubte sie wolle noch etwas sagen senkte sie den Blick und ließ meine Hand los. Dann wandte sie sich an Liam: „Danke für das Training.“ - „Ich hoffe, dass ihr es nie braucht.“ Auch er reichte ihr die Hand, „und auch, dass ihr euren Weg nicht verliert.“ Lächelnd schüttelte sie seine Hand, ließ jedoch schneller los als bei mir. „Danke.“ Soweit ich sehen konnte waren keine Soldaten am Pier unterwegs und ich fand auch sonst keine offensichtlichen Bedrohungen. Hier konnte ich sie ruhigen Gewissens von Bord gehen lassen. Nur das sie dafür klettern musste. „Dann wollen wir mal sehen, dass wir euch sicher an Land bekommen.“ Damit sie nicht ins Wasser fiel sprang ich zuerst von Bord und hielt ihr vom Steg aus die Hand hin. Liam sorgte derweil an Deck dafür, das sie nicht abrutschte, als sie über die Reling kletterte. Dann zog ich sie zu mir herunter und sie landete in meinen Armen. Langsam sah sie zu mir auf. Das war nun doch etwas dichter als ich gedacht hatte und ich erwartete halb, dass sie mich von sich stoßen würde. Sie tat es nicht. Ein leichter Rotschimmer legte sich um ihre Nase. Dann löste sie sich von mir und etwas bedauernd ließ ich ihre Hand los. „Also... Noch mal danke für alles.“ Sie sah mich nicht an doch der Rotschimmer war etwas stärker geworden. „Wo geht ihr hin?“ Auch wenn es mich nichts anging wollte ich wissen wie ihre weitere Reise aussah. „Mein Ziel ist Philadelphia aber zuerst werde ich versuchen bis New York zu kommen. Vielleicht begegnen wir uns dort einmal. Ihr sagtet ja, dass ihr aus der Gegend kommt.“ Stimmt, genau das hatte ich ihr gesagt. „Möglich. Ich werde die Augen offen halten. Das solltet ihr auch tun. Und seid vorsichtig. Die Straßen sind nicht ungefährlich.“ - „In diesen Zeiten ist es überall gefährlich, aber ich werde auf mich aufpassen.“ Das hoffte ich wirklich. Wir waren uns in einer Hinsicht ähnlich. Sie neigte, genau wie ich, dazu in Schwierigkeiten zu geraten. Sie nickte mir noch einmal zu, hob die Hand zum Abschied und setzte ihre Kapuze auf. Dann wandte sie sich um und ging. Liam legte mir die Hand auf die Schulter. „Wir sollten los, Kapitän.“ Natürlich. Hier zu stehen würde nichts daran ändern, dass ich sie schon jetzt irgendwie vermisste. Mit einem leichten Seufzen kletterte ich zurück aufs Schiff, gab den Befehl die Leine zu lösen und kurz darauf glitten wir langsam wieder aus dem Hafen hinaus. Ich sah mich nicht noch einmal um. Selena musste nun ihren Weg fortsetzen und ich den meinen. „Kopf hoch, Shay. Bald sind wir zu Hause.“ Daran sah ich in diesem Moment nicht all zu viel Positives. Sicher würde der Chevallier nur gehässige Bemerkungen machen und wir würden jeden Tag trainieren. Egal wie das Wetter war. Dennoch ließ ich volle Segel setzen sobald es möglich war und wir glitten in den Sonnenuntergang hinein. Da wir uns nun ungestört unterhalten konnten zeigte ich Liam den Brief, den Selena gefunden hatte. Ebenso das Buch. Den Ring und die Tatsache, das sie ihn mitgenommen hatte verschwieg ich jedoch. Liam überflog den Brief und blätterte durch die Seiten des Buches. „Und sie hat es gefunden?“ fragte er, als er mir beides zurück gab. „Den Brief hat sie gefunden, ihn aber nicht gelesen. Das Buch lag zwischen den anderen. Ich bezweifle, dass sie hinein gesehen hat. Und selbst wenn, sie wird kaum etwas damit anfangen können.“ Darauf schwieg er eine Weile bis er etwas leiser sagte: „Und wenn sie nur so getan hat als ob?“ Das ging mir nun doch etwas zu weit. „Liam, Sie hätte es verschwinden lassen wenn sie auf Seiten der Templer stehen würde und mich nicht darauf aufmerksam gemacht. Ihr wollt ihr unbedingt misstrauen.“ „Ich versuche nur mich nicht täuschen zu lassen. Habt ihr euch die Mühe gemacht sie einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen?“ Ich runzelte die Stirn. „Ja, das habe ich. Und ich habe nichts verdächtiges an ihr gefunden.“ - „Dann habt ihr sie offenbar anders wahrgenommen als ich.“ Diese Bemerkung sorgte für ein leicht flaues Gefühl im Magen. „Was meint ihr?“ fragte ich, auch wenn ich nicht sicher war, ob ich es wirklich hören wollte. „Ich habe sie häufig beobachtet und mit allen Sinnen betrachtet. Und es war sehr seltsam was ich gesehen habe, Shay.“ - „Seltsam?“ nun wurde ich neugierig. Liam war, was den Adlersinn anging, um einiges besser als ich. „Ihre Aura war unbeständig. Darum habe ich ihr anfangs auch misstraut. Sie war rötlich aber nicht immer.“ - „Sicher weil sie euch nicht getraut hat. Als ich es versucht habe war es eindeutig blau.“ Wieder wurde er nachdenklich. „Vielleicht“, sagte er nach einer Weile, „Vielleicht.“ Es dauerte bis zum frühen Morgen bis wir die Siedlung erreichten. Diese Nacht über legte ich mich nicht schlafen. Wenn wir angelegt hatten würde ich Schlaf nachholen und dann, später, bei Achilles vorstellig werden. Der schlief um diese Zeit und ich wollte ihn nicht wecken. Nach dem die Morrigan sicher vertäut war verabschiedete Liam sich, um sich in seinem eigenen Bett gründlich auszuschlafen. Ich blieb an Bord. Zwar hatte auch ich hier mein eigenes kleines Reich, doch nun hatte ich ein Schiff. Auf dem Wasser hatte ich mich immer wohler gefühlt als an Land. Alleine in der Kajüte verriegelte ich die Tür und setze mich in den Stuhl hinterm Schreibtisch. Logbucheintrag. Doch ich saß nur da, die Feder in der Hand und lauschte in die Nacht hinein. Alles war ruhig. Das leise plätschern von Wasser, das Rauschen von Blättern, doch keine Stimmen die zu mir herein wehten. Ich legte die Feder zur Seite und stand auf. Das würde ich erledigen wenn ich wieder wach war. Mein Blick fiel auf die Bank. Kissen, eine zusammengelegte Decke, Hemd und Hose ordentlich gefaltet. Meine Finger glitten über den Stoff. Rau, aber das Material hielt warm. Vor ein paar Stunden hatte sie die noch am Körper getragen. „Vergiss sie“, ermahnte ich mich, ging zur Koje und zog mich aus. Als ich unter die Decke kroch stieg mir etwas in die Nase. Ein Geruch, der nicht hier her passte. Es war die Salbe, die Selena benutzt hatte. Etwas davon musste in der Decke sein. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, es hatte doch etwas Linderung gebracht. Ich schloss die Augen und sog den Duft tief ein. Das war alles was von ihr übrig war und bald würde auch das verschwunden sein. So wie sie. Kapitel 2: Nur ein kurzer Blick ------------------------------- Kapitel 2 Nur ein kurzer Blick Leise knarrten die Planken um mich herum als ein Windstoß die Morrigan erfasste, doch ich blieb reglos liegen. Das Schiff war sicher vertäut im Hafen von New York. Ich musste mir keine Sorgen machen und ließ mir die Ereignisse der letzten Wochen noch einmal durch den Kopf gehen. Achilles hatte sich bedeckt gehalten als ich ihm Brief und Manuskript überreicht hatte. Er zeigte nur selten wirkliche Gefühle, doch meinte ich Sorge in seinem Blick zu sehen. Auch hatte ich von Selena berichtet, dabei ein paar Details ausgelassen, die außer mir niemanden etwas angingen. Sie war eine harmlose Reisende, die einfach nur Pech gehabt hatte. Liam hatte sich ebenfalls bedeckt gehalten und da ich vorübergehend nicht wirklich etwas für die Bruderschaft tun konnte, hatte ich die Morrigan reparieren lassen und trainiert. Noch immer war da das Gefühl, von den Anderen nicht als vollwertiges Mitglied akzeptiert zu werden. Dabei war ich nun schon seit vier Jahren hier. Vor allem de La Vérendrye zeigte seine Verachtung deutlich. So gut es ging, ging ich ihm aus dem Weg. Meine Nächte hatte ich an Bord der Morrigan verbracht. Hier war ich nun zu Hause. Nichts gegen meine Unterkunft in der Siedlung, doch das hier war etwas anderes. Hier gehörte ich einfach her. Auf das Deck, eines Schiffes, wo ich Wind und Wellen hören konnte. Wie Liam gesagt hatte, begann die Erinnerung an Selena zu verblassen und ich hatte versucht sie zu vergessen. Vergebens. Immer wieder fragte ich mich, ob sie es sicher bis nach Philadelphia geschafft hatte und ob sie noch lebte. Die Straßen und Wege waren gefährlich für eine Frau, die alleine unterwegs war. Eine Ablenkung kam, als Anfang März ein alter Freund von Achilles eintraf. Adéwalé, groß, dunkelhäutig, um die sechzig und von Kämpfen gezeichnet, berichtete von einem Erdbeben in Haiti und gestohlenen Artefakten. Viele seien dabei gestorben und natürlich hatten die Templer ihre Finger im Spiel. Ich hatte das Gespräch belauscht, denn mir war klar, dass man mir nicht immer alles erzählte und ich war einfach neugierig. Selbst als Adéwalé sich verabschiedete, ich war zufällig gerade bei Achilles als er an uns heran trat, erfuhr ich nicht viel mehr über die Angelegenheit. Nur, dass diese Relikte, die gestohlen worden waren, von „Jenen, die vor uns kamen“ stammten. Ein Manuskript und eine Schatulle. Laut Achilles hatte derjenige, der diese Artefakte besaß, Zugang zu der Macht unserer Vorfahren. Diese Vorläufer, wer sie auch gewesen waren, beschäftigten Achilles schon seit ich ihn kannte. Daher glaubte ich ihm, was er sagte, auch wenn ich es nicht verstand. Denn wie sollten ein Buch und eine Kiste jemandem zu Macht verhelfen können? Zwei Wochen später schickte man mich auf Mission. Erst ließ Liam mich im Unklaren über das genaue Ziel, doch sobald wir unterwegs waren rückte er mit der Sprache heraus. Ich sollte diese Artefakte zurückholen, welche die Templer gestohlenen hatten. Wie es aussah, begann die Bruderschaft mir zu vertrauen. Sonst hätten sie sicher einen anderen ausgewählt. Immerhin waren diese Artefakte hunderte, wenn nicht sogar tausende von Jahren alt und, den Erzählungen nach, sehr wertvoll und mächtig. Liam begleitete mich auf meinem Weg um, wie er es ausdrückte, auf meinen Hintern aufzupassen. Ein Scherz auf meine Kosten, doch wenn es von ihm kam, war es nicht so tragisch. Ich ärgerte ihn immerhin auch ab und an. Zu dem war ich froh, dass er dabei war. Er war einer von den engsten Vertrauten von Achilles und würde sicher eines Tages, wenn Achilles nicht mehr war, Mentor der Bruderschaft werden. Zu dem war er mein bester Freund. Von ihm war es leichter Informationen zu bekommen als von anderen, auch wenn er mir längst nicht alles sagte. Bei Port la Joye stießen wir auf de La Vérendrye. Sein erster Kommentar, als er mich sah, war: „Ah, der Bauernlümmel ist endlich zurück. Wurde auch Zeit.“ Alleine dafür hätte ich mich gerne noch einmal mit ihm geschlagen. Als wäre es meine Schuld, dass wir wenig Wind hatten. Zu seinem Glück hatte er Informationen, das Manuskript betreffend. Besser gesagt einer seiner Spione, der mit den Piraten zusammen arbeitete, hatte Informationen. Da sein eigenes Schiff in Anticosti vor Anker lag, und besagten Spion sich eben dort mit ihm treffen wollte, blieb mir nichts anderes übrig als ihn mitzunehmen. Die Aussicht darauf, Hinweise zu bekommen, machte seine Anwesenheit auf meinem Schiff etwas erträglicher. Ich versuchte ihn weitgehend zu ignorieren, doch das ging schlecht. Ständig mischte er sich in die Unterhaltungen mit Liam ein. Sicher tat er es, um mir deutlich zu machen, dass er über mir stand. Wie gerne ich ihn doch über Bord geworfen hätte. Trotz der Unannehmlichkeiten bekam ich nun auch von ihm ein paar Antworten. Über die Piraten im Allgemeinen und dass dieser eine, der Spion Le Chasseur, der Bruderschaft gegenüber loyal war. Darüber, dass die Templer einen Großteil der Kolonien beherrschten und weitreichenden Einfluss besaßen. Und über Adéwalé, der nur so kurz in der Siedlung gewesen war, das ich kaum Gelegenheit bekommen hatte mich mit ihm zu beschäftigen und der von Liam offensichtlich bewundert wurde. Er sei die lebende Inkarnation des Kredos, meinte dieser. Ein Ehemaliger Sklave, der sich selbst und viele seiner Brüder befreit hatte. Es dauerte lange, bis wir Anticosti erreichten und von Frühlingswetter war noch keine Spur zu erkennen. Im Gegenteil. Je weiter wir nach Norden kamen, um so kälter wurde es. Dabei hatten wir schon April. Als wir anlegten schneite es. Ich hatte die Hoffnung gehegt dieses Jahr keinen Schnee mehr sehen zu müssen, doch warum sollte sich das Wetter nach meinen Wünschen richten? Liam und der Chevalier gingen schon voraus, während ich das vertäuen der Morrigan überwachte. Ich wollte sichergehen, dass sie noch da war, wenn ich zurückkam. So kam ich ein klein wenig später zu der Unterhaltung mit dem Spion dazu. Ohne das Gespräch zu stören gesellte ich mich zu den anderen und lauschte. Es ging um Pelzhandel und den Überfall auf englische Schiffe. Da hielt ich mich lieber heraus. Zugegeben, beim Gedanken an eine üppige Ladung, Fässer voll mit eingelegtem Fleisch und Kisten mit Rumflaschen kam auch ich in Versuchung. Le Chasseur warf dem Chevallier ein paar Pläne zu, die dieser auf dem Tisch ausbreitete. Möglichst unauffällig stellte ich mich daneben und warf einen Blick darauf. Baupläne für eigentümliche Waffen, die an Schiffen befestigt werden konnten. Dagegen hätte ich wirklich nichts einzuwenden, wenn sie den funktionierten. Dann wandte sich das Gespräch dem Manuskript zu, wegen dem wir hier waren. Dem Spion zu folge hatte er es gesehen, doch die Sprache in welcher es verfasst war, kannte er nicht. Dazu gab es Zeichnungen von Pflanzen und Tieren in wirren Farben, als befände sich der Zeichner in einem Opiumrausch. Weder er noch die Briten konnten sich darauf einen Reim machen und er hatte sich nicht zu sehr damit beschäftigen können, oder es stehlen, um nicht aufzufallen. Viel half das nicht weiter, doch er wusste, zu wem das Manuskript unterwegs war. Einem Templer mit Namen Lawrence Washington. Den Namen hatte ich schon einmal gehört und wusste, dass er im Orden viel Einfluss besaß. Liam bestätigte dies und somit stand fest, dass wir uns um ihn kümmern mussten. Zum einen weil er ein Templer war und große Pläne verfolgte. Zum anderen war er bald im Besitz des Manuskriptes. Möglich, dass er auch wusste wo sich die Schatulle befand. Zu meiner Erleichterung trennte der Chevallier sich in Anticosti von uns. Er hatte eigene Pläne. Mir war das nur recht. So machte ich mich, wieder mit Liam allein, auf den Weg um Achilles Bericht zu erstatten. Kurz vor New York gerieten wir in einen Sturm bei dem zwei meiner Männer verletzt wurden und eines der Segel einriss. Daher gingen wir vor Anker. Ich musste zugeben, dass bei mir noch ein paar andere Gründe mitgespielt hatten. Hope würde hier sein. Sie hatte sich hier einiges aufgebaut, wofür ich sie nur bewundern konnte. Auch wenn sie mich mehr mit Verachtung strafte als mir einmal ein Lächeln zu schenken, mochte ich sie sehr. Doch da gab es noch etwas anderes, weswegen ich hier her kommen wollte. Mein Blick wanderte, wie so oft, zu der Bank, auf der Selena geschlafen hatte. Nicht das ich sie wirklich vermisste. Wir hatten uns einfach zu häufig gestritten, doch ich machte mir Sorgen um sie. Sie hatte hier in New York einen Zwischenstopp machen wollen und vielleicht, mit etwas Glück, war sie noch hier. Zwar waren seit unserer Begegnung mehrere Monate vergangen, doch ich hatte keine Ahnung wie schnell sie unterwegs war. Früh am nächsten Morgen raffte ich mich auf, ließ das Segel flicken, schickte die beiden Verletzten zu einem Doktor und verließ die Morrigan um Vorräte für die weitere Reise zu besorgen. Immerhin ging es nach Two Bends und das war ein gutes Stück von hier entfernt. Weiter im Landesinneren, aber übers die Flüsse vom River Valley mit der Morrigan erreichbar. In diesem Fall war es gut, das mein Schiff vergleichsweise klein war und diese Flüsse befahren konnte. Es war ein herrlicher Tag. Die Sonne schien und in den Straßen und Gassen herrschte bald reges Treiben. Liam hatte sich auf den Weg zu Hope gemacht und da die Beiden ohne mich besser zurecht kamen ließ ich ihn. Ich hatte ohnehin anderes zu tun und wollte dabei lieber nicht gestört werden. Als ich meine Einkäufe erledigt hatte schlenderte ich durch die vertrauten Straßen, lauschte den Gesprächen und hörte mich in Gasthäusern und Absteigen um, doch niemand hatte jemanden gesehen, der Selena auch nur geähnelt hätte. All zu überraschend war das nicht. Die Stadt war groß genug um in ihr Wochen lang unbemerkt zu bleiben. So wandte ich mich wieder dem Hafen zu. Ich sollte sie mir wohl aus dem Kopf schlagen und mich auf wichtigeres konzentrieren. Mir lief ein Junge vor die Füße. Er mochte acht oder neun Jahre sein, und musterte meine Waffen kritisch. Fast so, als glaube er nicht, dass ich damit umgehen konnte. Als ich in diesem Alter gewesen war, hatte ich noch bei meiner Tante gelebt und war viel in den Straßen herum gewandert. Dabei war ich mehr als einmal in Schwierigkeiten geraten, doch ich hatte mich immer irgendwie herauswinden können. 'Kinder fallen wenig auf', ging es mir durch den Kopf, 'Und sie sind gute Beobachter. Einige zumindest.' Gerade wollte ich ihn nach Selena fragen, da drehte er sich auch schon um und rannte davon. Sah ich so angsteinflößend aus? Einen Moment lang dachte ich darüber nach, ihm hinterher zu laufen, ließ es jedoch bleiben. Auch ich wandte mich zum Gehen, wobei ich mit jemandem zusammenstieß. Es war ein junger Mann, der ins Wanken geriet. Gerade als ich den Mund öffnete um mich zu entschuldigen, stieß er mich grob zur Seite. „Pass doch auf.“ Sofort wurde ich wütend. Er hätte eben so gut aufpassen können. Anstatt etwas zu erwidern stieß ich ihn meinerseits, noch etwas gröber, in die andere Richtung. Er taumelte ein paar Schritte rückwärts, dann ging er auf mich los. Na prima. Unter seinem ersten Schlag duckte ich mich hinweg, setze selbst zu einem Schlag an und traf ihn hart am Kinn. Schon wichen die Passanten um uns herum zurück. Als ich erneut ausholen, und ihn damit zu Boden schicken wollte, hörte ich hastige, schwere Schritte und wandte mich um. Soldaten. Auch das noch. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass der Mann zu einem neuerlichen Schlag ausholte, den ich abfing und meine Faust in seinem Magen vergrub. Für so etwas hatte ich nun wirklich keine Zeit. Bei Soldaten wusste man nie und da ich wirklich keine Lust auf Ärger hatte rannte ich los. „Stehen bleiben!“ rief einer, doch ich achtete nicht darauf. Ich war im Training und schnell. Die würden mich nicht in die Finger bekommen. Haken schlagend rannte ich Richtung Hafen, wo ich sicher leichter verschwinden konnte, da dort mehr los war als hier. In der Menge tauchte ich unter und als die Soldaten an mir vorbei liefen wartete ich einen kleinen Moment, bevor ich auf eines der Lagergebäude kletterte um mich über die Dächer davon zu machen. Hier oben fühlte ich mich frei. Das Gedränge unten in den Straßen konnte mich hier nicht weiter behindern und ich sah zu den Menschen hinunter, die ihre Einkäufe trugen, sich unterhielten, oder bei den Fischern um die Waren feilschten. Mein Blick ging zur Morrigan. Liam kehrte gerade zum Schiff zurück und ich entdeckte auch Hope, die in die andere Richtung davon ging. Ihr Hüftschwung sorgte dafür, dass ihr so mancher hinterher blickte. Auch ich sah ihr einen Moment lang nach und lächelte. Wie gern ich doch mehr von ihr hätte als nur meine Träume... Dann entdeckte ich eine weitere vertraute Gestalt. In den selben Kleidern, die sie schon auf der Morrigan getragen hatte, dem Rapier an der Seite und ihrem Rucksack auf den Schultern, ging Selena unter mir durch die Straße. Es erleichterte mich ungemein sie zu sehen. Sie hatte es bis hier her geschafft. Ein Mädchen zupfte an ihrem Kleid und sie sah hinunter, ging in die Hocke und unterhielt sich mit ihr. Sie war zu weit entfernt, als das ich etwas hätte verstehen können und ich sprang auf ein anderes Dach um lauschen zu können. So wie die Beiden da miteinander sprachen erweckte es den Eindruck, als würden sie sich kennen. „War sie denn bei einem Arzt?“ fragte Selena das Mädchen. „Unsere Nachbarin hat uns geholfen. Sie ist sehr nett, aber...“ - „Ich würde deine Mutter gerne kennenlernen. Meinst du, das ist in Ordnung?“ Das war seltsam. Was wollte sie denn bei der Mutter der Kleinen? Da ich nicht dazwischen platzen wollte beobachtete ich von oben weiter das Geschehen und sah, wie das Mädchen Selena bei der Hand nahm und mit sich zog. Um nicht von ihnen entdeckt zu werden blieb ich weiterhin auf den Dächern. Zu dem kam ich hier oben besser voran als dort unten. All zu weit ging es nicht. Sie verschwanden in einem schmalen Haus zwischen einer Wäscherei und einem kleinen Geschäft. Wirklich seltsam das Ganze. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Selena sich hier mit den Bewohnern anfreundete, doch genau das tat sie. Da ich Zeit hatte, wartete ich auf dem Dach bis sie wieder heraus kam, doch noch immer war das Mädchen bei ihr. Sie gingen zu einer anderen Wohnung, ein paar Schritte entfernt und auch dort blieben sie eine Weile. Als sie dieses Mal heraus trat zog sie eine Uhr aus der Tasche. Wo hatte sie die her? Es war eine kleine Taschenuhr an einer Kette, die sie um den Hals trug. Die hatte sie vor ein paar Monaten noch nicht besessen. Entweder hatte sie die gestohlen, was ich nicht hoffte, oder aber hier ging etwas nicht mit rechten Dingen zu. Langsam machte sie sich auf den Weg, die Straße hinunter und ich folgte ihr erneut. Natürlich hätte ich auch einfach hinunter springen und mit ihr reden können, doch hatte ich das Gefühl, dass ich mehr erfahren würde, wenn ich es nicht tat. Sie steuerte einen Pub an, ließ sich draußen, etwas entfernt von den anderen Gästen, auf einer Bank nieder und ließ den Rucksack von den Schultern gleiten. Gleich darauf zog sie ihr Notizbuch heraus. Gut, das war nun wirklich etwas langweilig und ich kletterte vom Dach herunter um mich unten dichter an sie heran zu schleichen. Damit sie mich nicht bemerkte, ging ich an der Hausecke in Deckung und sah nun, dass ein betrunkener Mann auf sie zusteuerte. Ich kannte ihn vom Sehen her. Ein unangenehmer Zeitgenosse der zu oft zu viel trank und sich dann mit jedem anlegte. Einer der nicht wusste wann es genug war. „Na, Süße“, lallte er und ich machte mich bereit einzugreifen, falls nötig. Selena sah nur kurz von ihrem Buch auf, wandte sich aber gleich wieder ab. „Was's los? Bin ich dir nicht hübsch genug?“ Er langte nach ihrer Schulter und ich ließ meine Knöchel knacken. Der sollte bloß seine Finger von ihr lassen. Selena rutschte der Stift übers Papier und ärgerlich sah sie hoch. „Oh, sorry“, der Kerl grinste, was überhaupt nicht zu seinen Worten passte, „Hab ich die Lektüre gestört?“ - „Verschwinde.“ Ich kannte ihren Tonfall. Der verhieß nichts gutes, „Sucht euch ein anderes Mädchen, dass ihr belästigen könnt. Gerade als sie ihr Buch wegstecken wollte griff er nach ihrer Hand. Ich verließ meine Deckung. Auch wenn es mich nichts an ging, wollte ich nicht, dass ihr etwas passierte. „Zier dich nicht so.“ - „Los lassen.“ Ihre Stimme war ruhig. Gefährlich ruhig. Der Mann lachte nur und zog sie hoch. Bevor ich eingreifen konnte stieß Selena ihm ihren Stift in die Hand, die sie festhielt, und mit einem Aufschrei ließ er sie los. Abrupt blieb ich stehen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Schon zog sie das Rapier und hielt ihm die Klinge entgegen. Ich wich wieder zu meiner Deckung zurück. Sie wusste wirklich wie man sich verteidigte, auch wenn es nicht die eleganteste Lösung war. „Du Hure“, rief der Kerl, zog den Stift aus seiner Hand und trat auf sie zu. „Keinen Schritt weiter, oder ihr bereut es.“ Wie es aussah geriet Selena genau so leicht in Schwierigkeiten wie ich und ich war dankbar für Liams Einfall sie zu bewaffnen. Hätte sie das Rapier nicht, hätte sie weglaufen müssen um sich zu schützen. Noch immer sah der Kerl so aus, als wolle er ihr etwas zu leide tun. Nur die Klinge, die sich dicht vor seiner Brust befand, hielt ihn davon ab. „Verschwindet und wascht die Wunde aus. Ihr wollt doch nicht eure Hand verlieren, oder?“ Dabei klang sie, als würde es ihr nicht all zu viel ausmachen, wenn es so wäre. Hatte sie nicht Menschen helfen wollen? Gut der hier hatte sie belästigt, doch eine Hand zu verlieren bedeutete oft, nicht mehr Arbeiten zu können. Ihm schien das gerade klar zu werden, denn er wich einen Schritt zurück und sie senkte ihre Klinge ein paar Zoll. Als er ein Tuch aus der Hosentasche zog und sich das Blut von den Fingern wischte kam es ungläubig von ihr: „Damit wollt ihr euch verbinden?“ Dann war es ihr doch nicht egal. „Was schert es dich?“ gab er zurück, fluchte und wickelte das Tuch um die Wunde. Selena senkte die Waffe. „Geht nach Hause und schlaft euren Rausch aus und wenn ihr das nächste Mal eine Frau ansprecht, dann benehmt euch besser. Nicht alle sind so freundlich wie ich.“ Bei der Bemerkung musste ich schnauben. Als wenn das gerade eben freundlich gewesen wäre. Das Einzige, was daran freundlich war, war die Tatsache, dass sie ihn nicht getötet hatte. Vermutlich hätte ich es getan. Er funkelte sie noch einmal an, trollte sich jedoch und sie steckte die Waffe weg. Dann packte sie ihre Sachen zusammen und sah zu, dass sie vom Ort des Geschehens verschwand. Eine kluge Entscheidung denn es konnte sein, dass jemand die Obrigkeit benachrichtigt hatte. Mit Soldaten sollte sie sich besser nicht anlegen. Erst ging sie noch normal und ich folgte ihr, doch dann wurden ihre Schritte schneller. Kurz verlor ich sie aus den Augen und ich kletterte wieder auf die Dächer um sie von dort aus im Blick zu behalten. Wo wollte sie nun hin? Hatte sie vielleicht eine Unterkunft, hier in der Stadt? Wenn ja, würde es leichter sein sie wieder zu finden und auch zu beobachten, wenn es meine Zeit erlaubte. Der Weg, den sie wählte, führte zu dem Anwesen, in dem Hope lebte. Möglich, dass es Zufall war, doch ich fand es seltsam. Das hier war nicht die Gegend für jemanden wie sie. Dicht vor dem Anwesen wurden ihre Schritte langsamer und sie sah sich um. Auch ich ließ meinen Blick kurz schweifen. Ein paar von Hopes Männern lungerten vor dem Durchgang zum Haus doch sonst war nichts verdächtiges zu sehen. Wollte sie etwa dort hin? Sicher nicht. Hope hätte es doch Liam oder mir erzählt wenn Selena für sie Arbeiten würde. Oder nicht? Doch sie ging am Haus vorbei und da in dieser Richtung die Häuser endeten musste ich auf den Boden zurück, wenn ich ihr weiter folgen wollte. Wo wollte sie nur hin? In Gedanken versunken machte ich mich an den Abstieg. „Habt ihr nichts besseres zu tun?“ Die Stimme riss mich aus meinen Grübeleien und sorgte dafür, dass ich die letzte Kante verfehlte. Schmerzhaft kam ich mit der Schulter voran auf dem Boden auf und keuchte. Genau die selbe Stelle wie ein paar Monate zuvor. Mühsam rappelte ich mich auf und sah zu Hope auf, die die Augenbrauen hochgezogen hatte und ein leicht amüsiertes Lächeln auf den Lippen trug. „Wie oft braucht ihr diese Lektion noch, Shay? Lasst euch nicht ablenken.“ „Mindestens dieses eine Mal“, gab ich zurück und klopfte mir den Staub von den Kleidern. „Ich muss euch doch einen Grund geben mich tadeln zu können.“ Ein leichtes Lachen kam von ihr und es wärmte mir das Herz. Sie lachte so selten. „Verzeiht, dass ich euch nicht bemerkt habe. Meine Aufmerksamkeit war auf anderes gerichtet.“ - „Nun, das habe ich gemerkt.“ Täuschte ich mich oder klang sie wirklich etwas enttäuscht? Sie konnte doch nicht wissen hinter wem ich her gewesen war. Es sei denn sie wäre mir gefolgt. Zutrauen würde ich es ihr. Ich sah mich nach Selena um, doch sie war verschwunden. Verdammt. Ich hatte meine Chance vertan mit ihr zu sprechen und wusste nicht einmal, ob sie hier irgendwo lebte oder gerade im Begriff war die Stadt für immer zu verlassen. Sollte das der Fall sein, würde ich sie nicht wieder sehen. Betrübt wandte ich mich wieder zu Hope. „Hat Liam euch schon aufgesucht?“ Etwas besseres fiel mir nicht ein. „Das hat er. Und er ist zurück zur Morrigan. Ihr solltet euch auch besser auf den Weg machen. Achilles erwartet sicher euren Bericht.“ „Wäre er in der Siedlung geblieben...“ Begann ich doch sie schnitt mir das Wort ab, „Er ist ein viel beschäftigter Mann und hat sich um vieles zu kümmern. Er kann sich nicht in der Gegend herum treiben und Mädchen nachschleichen.“ Dann hatte sie mich beobachtet. Wie peinlich. „Ich habe nur trainiert“, versuchte ich mich heraus zu winden. „Unbemerkt jemanden verfolgen. Ihr wisst schon.“ Ich versuchte es mit einem Lächeln und fügte hinzu: „Euch habe ich auch schon verfolgt.“ „Stimmt.“ Sie wurde ernst doch ein Hauch von Erheiterung blieb erhalten. „Nur, dass ihr darin bislang nicht sonderlich erfolgreich wart. Immerhin ist sie euch gerade entkommen. Genau so wie ich euch jedes Mal entkommen bin, wenn ihr euch an meine Fersen geheftet habt.“ Sie lächelte. „Ihr müsst besser werden Shay, wenn ihr mich bekommen wollt.“ Sie ließ mich stehen und ich sah ihr nach, wie sie sich mit einem noch etwas stärkeren Hüftschwung auf den Weg zu ihrer Bleibe machte. War das nun ernst gemeint oder nicht? Wir waren uns noch nie näher gekommen und ihre Worte passten nicht zu dem was sie nun tat. Frauen... Wie sollte man aus ihnen nur schlau werden? Mit leisem Seufzen kehrte ich zur Morrigan zurück. Dieser Besuch hatte mehr Fragen aufgeworfen als er geklärt hatte. Und Hope? Es war frustrierend immer wieder nur wage Andeutungen zu bekommen ob ich eine Chance hatte oder nicht. Zu dem hatte ich das Gefühl, dass sie mehr an Liam interessiert war als an mir. Langsam kehrte ich zur Morrigan zurück und ging an Deck. Liam wartete schon auf mich. Die Arme vor der Brust verschränkt lehnte er an der Reling und sah grimmiger aus als sonst. „Ihr seid schon zurück?“ Ich versuchte mir möglichst nichts anmerken zu lassen, doch seine Miene wurde noch finsterer. „Im Gegensatz zu euch, ja. Was hat euch so lange aufgehalten?“ Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Es konnte nicht schaden. Immerhin waren wir Freunde. „Ich habe Selena gesehen und bin ihr gefolgt.“ „Gefolgt? Aus welchem Grund? Wir haben einen Auftrag, Shay.“ Wieso nur war er deswegen wütend? Er hatte sich mit Hope getroffen. Sicher nicht nur wegen des Auftrags. Mir war es nicht entgangen wie er sie hin und wieder ansah und auch nicht, dass er in der Siedlung recht häufig in ihrer Nähe anzutreffen war. „Ich wollte nur wissen ob...“ - „Es gibt wichtigeres als sie“, unterbrach er mich, „Wenn das hier vorbei ist könnt ihr sie so oft besuchen und verfolgen wie ihr wollt, aber nun solltet ihr euch auf eure Aufgabe konzentrieren. Diese Artefakte sind mächtig und wir können es nicht riskieren ihre Spur wieder zu verlieren.“ Das war ungerecht, doch er war der ältere von uns beiden. Und er hatte von Achilles den Auftrag „auf meinen Hintern aufzupassen“. Mir wäre es lieber, er würde das Ganze nicht so ernst nehmen. „Na schön. Wie ihr meint. Ihr konntet sie ja von Anfang an nicht leiden.“ Ich ging zum Ruder und gab den Befehl den Anker zu lichten und die Taue zu lösen. Zeit von hier zu verschwinden. Liam stellte sich neben mich. „Zwischen nicht trauen und nicht mögen ist ein Unterschied.“ Er warf einen letzten Blick über den Hafen, bevor er sich mir wider zuwandte. „Und ich traue ihr auch jetzt noch nicht wirklich. Auch ich habe sie gesehen, Shay. Hier am Hafen.“ „Habt ihr mit ihr gesprochen?“ fragte ich und er schüttelte den Kopf. „Sie ist uns gefolgt, Hope und mir. Ich weiß nicht wie lange, doch habe ich sie zwei Mal gesehen und sie mich auch. Sie hat keinen Versuch gemacht mich anzusprechen auch dann nicht, als ich alleine war und nur so getan, als hätte sie mich nicht bemerkt.“ Warum hätte sie auch mit ihm reden sollen? Er hatte ihr kaum einen Grund geliefert ihn zu mögen. „Vielleicht wollte sie nur wissen wohin ihr geht und ob ich in der Nähe bin.“ Das war etwas weit aus dem Fenster gelehnt doch möglich war es. Sie war an mir interessiert gewesen, auf ihre ganz eigene Art, die ich nicht ganz durchschaut hatte. Während wir den Hafen verließen schwiegen wir. Erst als wir offenes Meer erreichten wandte ich mich ihm wieder zu. „Glaubt ihr, sie hat sich in der Stadt niedergelassen?“ Liam senkte den Blick und fuhr sich über den Kopf. Er hatte die Haare erst vor wenigen Tagen abrasiert doch man konnte sie schon wieder sehen. Kleine dichte Stoppeln die seinen Schädel bedeckten. „Möglich, auch wenn ich bezweifle, dass sie direkt in New York lebt. Sie sah danach aus, als wäre sie nur für einen Besuch hier.“ Leise seufzte er und schob sich die Kapuze über als der Wind auffrischte. Warum schor er sich auch ständig die Haare ab? Kein Wunder, dass es ihm so zu kalt wurde. „Ich hoffe nur, dass sie sich nicht in Schwierigkeiten bringt“, fügte er hinzu und ich lächelte. Dann erzählte ich ihm von der Auseinandersetzung, die ich beobachtet hatte. Das brachte das Lächeln auf Liams Lippen zurück. „Nun, ich verstehe warum ihr so an ihr interessiert seid. Ihr ähnelt euch.“ Er gab mir einen leichten Stoß in die Rippen und ich verstand den Seitenhieb. Ich geriet so oft in Schwierigkeiten, dass es ein Wunder war, das ich noch lebte. Selena hatte das selbe Talent. „Immerhin hat sie sich aus der Angelegenheit gewunden ohne, dass es Tote gegeben hat. Hätte ich eingegriffen wäre es anders ausgegangen.“ - „Stimmt. Was das angeht ist sie zurückhaltender.“ Wir brauchten über zwei Wochen bis wir Two Bends erreichten. Wind und Strömung waren gegen uns und wir kamen nur sehr langsam voran. Daher wunderte es mich keineswegs bei unserer Ankunft Hope vorzufinden. Sie musste über Land her gekommen sein. Genau wie Achilles und Kesegowaase. Bei der Besprechung fügten sich die ersten Teile zusammen. Die Templer versuchten mit allen Mitteln die Artefakte zu verstehen. Sie hatten das Manuskript bei vielen Wissenschaftlern und Stämmen herumgezeigt, doch keinen Erfolg gehabt. Sie machten sich keine große Mühe zu verbergen, dass es in ihrem Besitz war. Fast so, als würden sie die Bruderschaft nicht fürchten. Ich berichtete von Washington, in dessen Auftrag das Manuskript unterwegs war und Hope meinte, dass einer seiner Diener ein Paket entgegen genommen hätte. Dieses sei nun auf dem Weg zu ihm. Eine gute Gelegenheit ihn zu finden und das Paket abzufangen bevor es ihn erreichte. Bevor Liam und ich zur Morrigan zurückkehrten, um eben jenen Auftrag ausführen zu können, nahm Hope mich zur Seite, was mich wunderte. „Wisst ihr wer das Mädchen war, das ihr in New York verfolgt habt?“ fragte sie gerade heraus und in mir breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Wie viel wusste sie? „Ich kenne ihren Namen“, wich ich aus, „Sonst weiß ich recht wenig. Warum fragt ihr?“ Sie senkte einen Augenblick die Lieder, dann sah sie mich wieder an. „Nun, ihr seid offensichtlich nicht der Einzige, der an ihr interessiert ist. Ich habe mich ein wenig umgehört und meine Spione ausgeschickt.“ Das mulmige Gefühl in meinem Magen wurde stärker. So wie Hope es sagte verhieß es nichts Gutes. „Was habt ihr in Erfahrung gebracht?“ fragte ich vorsichtig und sie legte den Kopf schief. „Wenig.“ Langsam gingen wir Richtung Anleger, Liam hinterher, der sich darum kümmern wollte, das wir ablegen konnten, wenn ich eintraf. „Meine Spione haben mir nur von einer Frau berichtet auf die die Beschreibung passt. Soweit ich gehört habe suchen ein paar Rotröcke nach ihr. Warum weiß niemand.“ - „Vermutlich wegen einer Auseinandersetzung bei einem Pub. Sie ist dort mit einem Betrunkenen aneinander geraten und hat seine Hand mit einem Stift durchbohrt.“ „Einem Stift?“ - „Ja, sie hatte ihn gerade in der Hand als er sie gepackt hat. Da hat sie zugestochen. Ich habe es gesehen.“ Sie schwieg für ein paar Sekunden. Dann meinte sie: „Vielleicht habt ihr recht. Dennoch ist es eigenartig, dass die Rotröcke sich für so etwas mehr als ein paar Tage interessieren.“ Da war etwas dran. „Sie neigt dazu in Schwierigkeiten zu kommen. Ich bezweifle, dass es wirklich etwas zu bedeuten hat.“ Damit wollte ich hauptsächlich mich selbst beruhigen. „Habt ihr erfahren können wo sie sich aufhält? Lebt sie in New York?“ Hope hob die Augenbrauen. Ihr gefiel mein Interesse an dieser anderen Frau offensichtlich nicht. „Nein“, gab sie trocken zurück und blieb stehen. „Aber vielleicht weiß ich es, wenn ich zurück komme. Auch wenn es mich nicht sonderlich interessiert.“ Ihr Ton war kühl geworden und auch ich blieb stehen. „Es ist auch unwichtig“, beschwichtigte ich sie gleich und ließ meinen Blick über ihren Körper gleiten. Wenn ich die Beiden miteinander verglich war Hope eindeutig mein Favorit. Sie war weiblicher. Selena hatte freiwillig Hosen getragen und sich darin wohl gefühlt. Nein, da war mir eine richtige Frau lieber. „Danke, dass ihr es mir gesagt habt“, fuhr ich fort, „Jetzt kann ich meine Aufmerksamkeit wieder wichtigeren Dingen zuwenden.“ Und mein Blick blieb einen Moment an ihrer schmalen Taille hängen bis sie mit zwei Fingern eine Aufwärtsbewegung machte und ich zurück in ihr Gesicht sah. Sie lächelte. „Tut das, Shay. Washington und das Paket warten auf euch.“ Sie legte mir eine Hand auf den Arm und ließ mich erneut etwas verwirrt stehen. Wieder wusste ich nicht was ich davon halten sollte. Vielleicht sollte ich es einfach mal darauf anlegen und ihr offen sagen, was ich für sie empfand. Nur, dass ich Angst vor der Antwort hatte... Ich erzählte Liam nichts von meiner Unterhaltung mit Hope. Das war zu privat. Während unserer Weiterfahrt redeten wir über Washington und die Artefakte. Liam war überzeugt davon, dass der Templer wusste wo sich die Objekte befanden. So wie er es darlegte passte alles irgendwie zusammen. Dann machte er mir noch klar das Lawrence Washington ein schlechter Mensch war. Nicht nur, dass er Templer war, nein. Er war auch Sklavenhalter. Er führte noch weitere Dinge auf, doch ich hörte nur mit halbem Ohr zu als er meinte, dass der Mann auf jeden Fall sterben müsse. Mir war schon klar, dass man den Templern die Kolonien nicht überlassen durfte, doch musste man sie alle gleich umbringen? Wir fanden das Schiff, auf dem sich das Paket befinden sollte und folgten ihm, bis wir kurz vor Mount Vernon auf eine Blockade stießen. Offenbar hatten die Templer doch ein wenig Angst vor uns. Es war jedoch ein schwacher Versuch, um Assassinen aufzuhalten. Liam meinte ich solle dem Schiff an Land weiter folgen und erinnerte mich noch einmal daran das Washington sterben musste und ich erwiderte nur: „Ich werde mich darum kümmern.“ Den ganzen Weg über, den ich das Schiff verfolgte, fragte ich mich, ob es wirklich nötig war diesen Mann zu töten. Er hatte mir persönlich nichts getan. Warum also einen Fremden ermorden? Nur, weil es meine Aufgabe war? Ich war Assassine. Ich sollte mir über solche Dinge keine Gedanken machen. Liam würde schon wissen warum der Mann sterben musste. Das sollte ich nicht in Frage stellen. Dennoch blieb da ein leichter Zweifel. Ich verbannte meine Fragen und Einsprüche in den Hinterkopf und schlich mich auf das Schiff, als es angelegt hatte. Wo war dieses Paket? Suchend sah ich mich mit Hilfe des Adlerauges um. Eine Kiste an Deck erregte meine Aufmerksamkeit und als ich sie öffnete fand ich darin ein eigentümliches Gewehr, samt Munition. Ich hatte schon einige Gewehre gesehen doch die Munition warf Fragen auf. Es waren keine Kugeln, sondern Pfeile. Auch die Art wie man es laden musste war anders und Pfeile konnte man nicht mit Schießpulver abfeuern. Eine wirklich seltsame Waffe. Gerade als ich zu dem Schluss kam mich später eingehender mit ihr zu befassen sagte jemand hinter mir: „Ihr da!“ Ich wirbelte herum und drückte ab, als ich nur ein paar Meter von mir entfernt einen Soldaten sah, der auf mich zu kam. Obwohl ich keinen Schuss hörte knickte der Mann im Lauf ein und sackte zu Boden. „Wie kann das sein? Man hört gar nichts“, sagte ich zu mir selbst und starrte auf die Waffe. Ein lautloses Gewehr war eine perfekte Waffe für Attentate. Genau das was ich gebrauchen konnte. Ich steckte sowohl Gewehr als auch Munition ein und dankte im Stillen dem unbekannten Washington für dieses Geschenk. Auch wenn er es mir nicht freiwillig gemacht hatte. Bevor ich das Schiff verließ untersuchte ich den Soldaten. Er war nicht tot. Diese Pfeile waren offensichtlich mit irgendeinem Gift versehen, dass ihn hatte einschlafen lassen. Mit einem geübten Griff sorgte ich dafür, dass er so schnell nicht wieder aufwachte, denn einen alarmierten Soldaten konnte ich wirklich nicht gebrauchen. Dann machte ich mich auf den Weg Washington zu finden. Um das Manuskript zu bekommen und ihn zu töten. Meinem Training sei dank, und auch der neuen Waffe, schaffte ich es unbemerkt bis dicht an mein Ziel heran. Lawrence sah alles andere als gesund aus. Er hustete und legte sich immer wieder die Hand an die Brust, als hätte er schmerzen. In seiner Begleitung war ein Rotrock. Das verhinderte, dass ich ihn töten konnte, denn Zeugen konnte ich keine gebrauchen. Zu meinem Pech kamen noch weitere Männer hinzu so dass ich warten musste. Washington schickte den Rotrock fort mit der Bitte ihn als Gastgeber zu vertreten. Einen kleinen Moment lang war ich verwirrt doch dann begriff ich. Der Rotrock hatte ihn Bruder genannt. Das Lawrence ihn fortschickte, um sich mit diesen Männern ungestört unterhalten zu können, war offensichtlich. Hier ging etwas geheimes vor und ich war froh ihn nicht sofort getötet zu haben, so wie Liam es sicher gewollt hatte. Washington schien zu wissen, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleib. Er bat darum seinen Bruder mit den Angelegenheiten der Templer in Frieden zu lassen, was mich irritierte. Seit wann wollten Templer andere vor sich schützen? Doch ich konnte mir darüber nicht weiter den Kopf zerbrechen, denn schon sprach er einen der Männer, Wordrop, auf das Manuskript an. Also hatte Liam recht. Washington wusste tatsächlich etwas über die Artefakte und diese Männer ebenfalls. Ich versuchte mir ihre Gesichter einzuprägen, denn sicher waren auch sie im Orden. Wordrop war zuversichtlich das Geheimnis des Manuskriptes bald entschlüsseln zu können. Er meinte, er würde den Inhalt kennen. Nun, was brachte es, einen Text zu kennen, den man nicht verstand? Der Zweite, dem er sich zuwandte hieß Smith. Dieser sollte auf eine Reise gehen und versprach, mit Antworten zurück zu kehren. Auf was für Fragen er Antworten holen wollte sagte er nicht, doch war ich mir sicher, dass es sich dabei um die Schatulle handelte Als sie gingen schlich ich mich dichter an mein Ziel an. Mein Herz klopfte stärker. Ich hatte schon mehr als einen Menschen getötet, doch bislang war es immer nur aus Notwehr gewesen. Das hier war etwas anderes. Es war eine gezielte Tötung. Je länger ich zögerte um so stärker wurden meine Gewissensbisse. Der Mann war krank. Er würde vermutlich eh nicht mehr lange leben. Und es war möglich, dass er noch wertvolle Informationen für mich hatte. So schob ich meine Kapuze über, um nicht erkannt zu werden, und trat an ihn heran, als er gerade, etwas abseits seiner Gäste, an einem Baum halt machte um ausgiebig zu husten. „Master Washington?“ Er wandte sich nicht um, hustete nur und hob eine Hand, zum Zeichen, das er noch einen Moment brauchen würde. Ich gab ihm diese Zeit da sich keine Wachen in der Nähe befanden und auch sonst keiner wirklich auf uns achtete. Als er sich, etwas erschöpft, an den Baum lehnte und mich ansah erkannte ich Verwirrung in seinem Blick. Er wusste mich nicht einzuordnen. Bevor ihm klar werden konnte das sein Tod vor ihm stand, trat ich dichter an ihn heran, fuhr mit einer Bewegung des Handgelenks die Verborgene Klinge aus und drückte sie ihm vor die Brust, nur um klar zu machen, dass ich jederzeit zustoßen konnte, wenn er mir den Anlass dazu geben sollte. „Ihr seid zu spät, Assassine“, keuchte er, wobei er zwischen der Klinge und meinem, unter der Kapuze verborgenem Gesicht, hin und her blickte. Er schrie nicht um Hilfe. Vielleicht hoffte er, ich würde ihn laufen lassen, wenn er sich ruhig verhielt. „Es ist nie zu spät, Templerpläne zu vereiteln, Master Washington.“ - „Aber meine Pläne sind schon im Gange.“ Abermals hustete er, stärker als zuvor und er klang fast wie ein Lachen, „Euch hier her zu locken, gab meinen Bundesgenossen Zeit zur Flucht.“ Wieder hustete er und schloss einen Moment die Augen. „Ich danke euch, dass ihr mir ein schnelles Ende gewährt.“ Seine Hand fuhr zu seinem Gürtel. In Erwartung, er würde einen Dolch oder etwas ähnliches ziehen stieß ich ihm die Klinge in den Leib. Als ich hinunter sah erkannte ich, dass er nur versucht hatte ein Taschentuch zu ziehen. Es fiel aus der erschlaffenden Hand. Er hatte mich getäuscht und mit seinen letzte Worten auch noch verhöhnt. Wütend zog ich die Klinge zurück und ließ ihn langsam zu Boden gleiten. „Und ich danke euch, für das Offenlegen eurer Pläne. Hinterhältige Schlange.“ Seine Worte gingen mir jedoch weiterhin durch den Kopf und als ich das Donnern von Kanonen hörte rannte ich los. Liam musste angekommen sein und es klang so, als würde er beschossen werden. Während ich rannte hallten die Worte in meinem Kopf nach. „Ich danke euch... ein schnelles Ende... ein schnelles Ende... ein schnelles...“ Das ich ihn getötet hatte, war für ihn eine Erlösung gewesen. Eine Erlösung vom Leid seiner Erkrankung. Der Gedanke machte es erträglicher und doch stimmte es mich nicht glücklich. Selbst Tage später tauchte immer wieder diese Szene vor meinen Augen auf. Liam meinte nur, es wäre notwendig gewesen, doch ich sah das anders. Der Mann hätte nicht mehr lange zu leben gehabt und seine Genossen waren schon unterwegs. Er hätte ihre Rückkehr nicht mehr erlebt, selbst wenn ich ihn nicht eliminiert hätte. Nein, in diesem Punkt irrte Liam sich. Es war nicht notwendig gewesen ihn zu töten. Es sorgte nur dafür, dass die Machtverhältnisse der Templer früher neu verteilt wurden. Kapitel 3: Das übliche Dilemma ------------------------------ Kapitel 3 Das übliche Dilemma „Wie lange wollt ihr noch schlafen?“ Mit einem Ruck wurde mir die Decke weggezogen und jemand öffnete die Läden vor meinem Schlafzimmerfenster. Geblendet vom plötzlichen Sonneneinfall konnte ich nicht sehen wer mir da den Schlaf nicht gönnte, doch die Stimme hatte ich erkannt. „Was heißt hier lange?“ Mühsam richtete ich mich auf und rieb mir verschlafen die Augen. Von Liam kam ein Schnauben, „Es ist schon nach acht, Shay. Höchste Zeit für euch, ein paar Strohpuppen ins Jenseits zu befördern.“ Ich ließ mich zurück auf die Strohmatratze fallen. Training... Als ob das Leben nur daraus bestand. „Ich habe letzte Nacht bis elf trainiert. Gönnt mir eine Pause.“ Als Antwort warf er mir nur meine Kleider auf den Bauch. Nur gut, dass er nicht die Stiefel genommen hatte. Liam wartete draußen auf mich. Noch immer war ich müde und wegen der sommerlichen Wärme, hatte ich mir nur Hemd und Hose angezogen. Den Waffengurt an der Hüfte und die verborgene Klinge am Arm trat ich aus der Tür und streckte mich. Ohne ein Wort ging er los und ich trottete hinterher. Noch nicht einmal gefrühstückt hatte ich. Das konnte was werden. „Was liegt heute an?“ fragte ich denn sicher hatte er das mit den Strohpuppen nicht ernst gemeint. „Das seht ihr, wenn wir da sind.“ Er steuerte das Trainingsgelände an und ich sah, dass dort ein gutes dutzend andere Assassinen warteten. So viele? Hatte ich irgend etwas verpasst? Bis auf vier waren alle männlich und ich kannte sie höchstens vom Sehen her. Auch wenn es eine angenehme Abwechslung war fand ich, dass Frauen hier wenig zu suchen hatten. Nicht dass ich etwas dagegen hatte nur... Ich war noch immer der Ansicht, dass Frauen und Assassinen nicht wirklich zusammen passten. Immerhin waren sie es, die Kinder zur Welt brachten. Da sollten sie nicht andere töten. Eine von ihnen, eine kleine blonde, lächelte als ich näher kam und ließ ihren Blick über mich gleiten. Ihr langes Haar war leicht gewellt und sie hatte es zusammengesteckt, bis auf ein paar Strähnen die ihr ins Gesicht fielen. Die Haut war von der Sonne gebräunt und über der Nase hatte sie Sommersprossen. Irgendwie niedlich doch sicher war ich nicht hier um flirten zu dürfen. Dennoch zwinkerte ich ihr zu als Liam sich räusperte. „Nun, da Shay sich dazu durchringen konnte das Bett zu verlassen...“ Ich gab ihm einen leichten stoß in die Rippen und er lächelte, „Da wir alle hier sind, können wir anfangen. Das heutige Training ist anders als sonst.“ Er machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: „Ihr alle habt schon einmal jemanden beschattet, belauscht oder verfolgt. Seht das Ganze heute als ein großes Versteckspiel hier auf dem Gelände.“ Das sollte wohl ein Scherz sein. Liam musste meine Gedanken gelesen haben denn seine Miene wurde ernster. „Aber es ist kein normales Versteckspiel. Alle bis auf einen werden sich verstecken und versuchen den einen, der übrig ist, auszuschalten. Dieser eine wiederum muss versuchen die anderen zu finden und seinerseits auszuschalten oder sie zu umgehen. Ziel ist es die Glocke am Ende des Feldes zu erreichen.“ Dann erklärte er die Regeln. Die Angreifer durften sich nicht zeigen außer die Zielperson war in unmittelbarer Nähe oder stand mit dem Rücken zu einem. Als „Ausgeschaltet“ galt, wer einen angedeuteten Treffer auf Schläfe, Solarplexus oder Herz abbekommen hatte. Waffen waren verboten. Richtiges Ausschalten ebenfalls. Wer sich zeigte hatte maximal 2 Sekunden um zu handeln, ausschalten oder fliehen, sonst war er raus. Gut, das klang nun schon etwas besser. Dennoch hätte ich lieber weiter geschlafen. Vielleicht konnte ich das ja nachholen wenn es an mir war mich zu verstecken. Sicher würde es den ganzen Vormittag dauern wenn jeder seine Chance bekommen sollte. Elf Möglichkeiten für mich ein Nickerchen zu halten. Doch aus meinem Plan wurde nicht all zu viel. Trotz meiner Müdigkeit merkte ich schnell, dass es Spaß machte den anderen aufzulauern. Wirklich zuschlagen tat ich bei keinem und es kam durchaus vor, dass es einer überhaupt nicht bis in meine Nähe schaffte. Daher war ich um so glücklicher, als die Kleine, die mich angelächelt hatte, an der Reihe war und bei ihrem Versuch dicht an meinem Versteck vorbei kam. Sie war vorsichtig, sehr leise und sah sich häufig um. Mir war aufgefallen, dass sie sich immer in Büschen oder unter Blättern versteckt hatte anstatt auf Bäume zu klettern. Anscheinend lag klettern ihr nicht sonderlich. Ich hockte im hohen Gras und als sie vorbei kam näherte ich mich leise. Zwar sah sie einmal alarmiert in meine Richtung, wandte dann jedoch den Blick ab. Das war meine Chance. Kaum hatte sie sich umgedreht schlich ich an sie heran, packte sie von hinten, hielt ihr den Mund zu und zog sie zu mir ins Gras, wo wir vor den Augen der anderen verborgen waren. Erst wollte sie sich wehren, doch dann weiteten sich ihre Augen und unter meinen Finger spürte ich ihr Lächeln. „Ausgeschaltet“, flüsterte ich und nahm die Hand von ihrem Mund. Ihr Lächeln wurde breiter. Als sie den Mund öffnete um etwa zu sagen legte ich einen Finger darauf. „Scht...“ Dann beugte ich mich zu ihr runter. Ihre Hand legte sich in meinen Nacken und sie zog mich zu sich. Damit hatte ich nicht gerechnet. Kurz bevor sich unsere Lippen trafen gab sie mir mit der andere Hand einen leichten Stoß auf den Solarplexus und flüsterte: „Ausgeschaltet.“ Bevor ich wusste was los war lag ich auf dem Rücken und sie war über mir. Ich war zu überrascht um zu handeln. Sie hauchte einen Kuss auf meine Stirn bevor sie sich aufrichtete. „Ihr solltet vorsichtig sein. Frauen kämpfen mit unfairen Mittel.“ Sie hatte einen leichten französischen Akzent was sie noch etwas niedlicher machte. So unter ihr zu liegen brachte mein Blut in Wallung. Als ich meine Hand nach ihr ausstreckte wehrte sie diese ab. „Ich muss noch die Glocke erreichen, Shay.“ „Ihr habt verloren. Ich habe euch erwischt.“ - „Ihr könntet mich laufen lassen und ich revanchiere mich später dafür.“ Erneut lächelte sie und ließ einen Finger über mein Gesicht wandern. „Und wie wollt ihr euch revanchieren?“ Würde sie sich nun hinsetzen, könnte sie es bemerken dass mich die ganze Situation nicht kalt ließ. Sie zwinkerte und legte ihren Finger auf meine Lippen. „Der Tag ist noch lang...“ Ich ließ sie gehen, auch wenn es gegen die Regeln war. Als die Reihe an mir war nutzte ich alles was ich über das aufspüren von Zielen und Feinden gelernt hatte und wann immer ich einen entdeckte machte ich einen Umweg. Zwei versuchten mich anzugreifen, doch ich war schneller und wo es ging, nahm ich den Weg über die Bäume. Dort war es schwerer an mich heran zu kommen. Wie ich befürchtet hatte, dauerte es den ganzen Vormittag bis wir alle durch waren und als auch der letzte sein Ziel erreicht hatte, hatte ich Hunger. Während der Trainingszeit war ein Eintopf gemacht und Geschirr heraus gebracht worden. Wir konnten uns zusammen um ein großes Kochfeuer setzen und gemeinsam essen. Normalerweise zog ich mich bei solchen Treffen lieber zurück oder gesellte mich zu Liam. Der hatte sich jedoch schon mit zwei anderen zusammengesetzt und unterhielt sich angeregt. Die kleine blonde ließ sich mit ihrer Schale neben mir nieder, etwas dichter als es üblich gewesen wäre, doch mich störte es nicht. Sie war wirklich süß. „Ich bin übrigens Genievre“, sagte sie und schenkte mir erneut ein Lächeln. „Ich bin Shay, aber das wisst ihr offenbar schon.“ Immerhin hatte sie mich so genannt als wir im Gras gelegen hatten. „Seid ihr nur für heute hier oder habt ihr vor länger zu bleiben?“ denn dann hätte ich mehr Gelegenheit sie richtig kennen zu lernen. „Nun...“ Ihr Blick wanderte einmal über mich und erneut regte sich bei mir etwas. Was war nur los mit mir, dass ein einzelner Blick schon ausreichte. „Ich gehe davon aus, dass wir eine Woche bleiben, wenn nicht zwei. Isaac Barnes, mein Mentor, meinte es wäre gut für meinen Bruder und mich auch noch andere Assassinen zu treffen und von ihnen zu lernen.“ „Euer Bruder?“ Sie deutete mit ihrem Löffel auf einen der anderen, die mit uns trainiert hatten. Ein großer Kerl mit braunem, kurzen Haar und sauber gestutztem Bart. Sein Gesicht war kantig und wie bei Liam lag eine tiefe Falte zwischen seinen Augenbrauen. Die Ärmel des Hemdes hatte er hochgekrempelt und offenbarte stark behaarte, kräftige Arme. Er mochte Anfang dreißig sein. Sie dagegen konnte nicht älter als zwanzig sein und war eher zierlich. Was für ein Unterschied. Kurz warf er uns einen Blick zu, wandte sich jedoch gleich wieder seiner Schale zu. Bei einem älteren Bruder musste ich vorsichtig sein. Sollte er es sich in den Kopf setzen seine kleine Schwester zu schützen... Auf einen Streit unter Gleichgesinnten hatte ich nun wirklich keine Lust. „Muss ich mich vor ihm in acht nehmen?“ Denn er machte durchaus den Eindruck gut zuschlagen zu können und ich war froh, dass er mir bei meiner Runde nicht in die Quere gekommen war. Da hatte ich auch noch nicht gewusst, das die Beiden verwandt waren. „Oh nein. Er gehört nicht zu denen, die einen immer nur beschützen wollen. Louis ist ohnehin wütend auf mich, weil ich hier bin. Ich habe meinen eigenen Kopf und lasse mir von ihm nicht vorschreiben, wie mein Leben aussehen soll. Nun meint er, dass ich meine Fehler selber machen soll, ich aber nicht auf Hilfe hoffen darf, wenn es schief geht.“ Eine interessante Einstellung. Dabei dachte ich das Frauen gerne beschützt wurden. Andererseits war Hope ähnlich veranlagt. Auch sie ließ sich von niemandem etwas sagen. Außer von Achilles, der auch ihr Mentor war. Sie hatte sich den Assassinen angeschlossen und war eine wirklich gute Ausbilderin geworden. Perfekt darin jemanden völlig ungesehen und lautlos zu töten. Sie war eine der wenigen Frauen, vor der ich Respekt hatte. Genievre machte auf mich nicht den Eindruck, als würde sie wirklich etwas vom Töten verstehen. Sie war zierlich und ihre Augen... Der Ausdruck darin machte mir klar, dass sie es ernst meinte. Sie wollte das alles hier und war bereit den Preis dafür zu zahlen. „Und wie kommt eine Frau auf den Gedanken sich der Welt der Männer zu stellen?“ Bei der Frage sah sie eine Weile auf ihren Löffel. Es dauerte bis sie antwortete und ihre Worte waren traurig. „Mein Bruder wird nicht immer da sein um mich zu schützen. Unsere Eltern... Sie wurden getötet, vor einigen Jahren.“ Sie sah mich an und in ihrem Blick lag Trauer und Wut. „Ich möchte nicht noch einmal zusehen müssen wie man mir jemanden nimmt den ich liebe. Mein Leben braucht einen Sinn und der liegt sicher nicht im Wäschewaschen und Böden schrubben.“ Ihr könntet euch einen Mann suchen und Kinder groß ziehen, dachte ich, sprach es jedoch nicht aus. Wir aßen schweigend zu ende und als sie ihre Schale leer hatte stand sie auf und ging. Hätte ich das Thema doch nur nicht angesprochen. Ich hatte einfach kein Glück was Frauen anging. Liam hatte recht. Ich musste bei ihnen noch einiges lernen. Dabei war es mir leichter gefallen, als ich noch etwas jünger war. Nach dem Essen ging das Training weiter, doch nun hieß es wirklich Waffentraining. Genievre gesellte sich zu den anderen Frauen. Ihr Bruder kam zu mir rüber. Ich fürchtete schon, dass er wissen wollte warum seine Schwester so niedergeschlagen aussah, doch er war sehr wortkarg und sprach das Thema nicht an. Es war angenehm mit ihm zu kämpfen. Etwas ganz anderes als gegen Liam anzutreten, der zwar deutlich besser war als ich, doch auch berechenbarer. Louis... Das schien ein beliebter Name unter Franzosen zu sein. Der Chevalier hieß ebenfalls so. Dieser Louis war mir um einiges lieber. Von ihm kamen keine Beleidigungen oder Sticheleien. Sein Akzent war stärker als der seiner Schwester. Vermutlich weil er so wenig sprach. Er hatte eine interessante Art zu kämpfen. Die Wahl unserer Übungswaffen war uns überlassen worden und er hatte sich für zwei gleich lange Holzstöcke entschieden. Erst hatte ich ihn dafür belächelt, doch er war so schnell mit ihnen, dass ich oft nicht hinterher kam. „Wo habt ihr das gelernt?“ fragte ich nach einer Weile und ein Lächeln huschte über seine Lippen. „In Gasthaus von mein Eltern. Immer wenn jemand begann mit Ärger, ich habe ihn hinaus geworfen. Mit Besen.“ Das erinnerte mich an etwas, das ich Anfang des Jahres gehört hatte. 'So etwas kann man auch mit einem Besen machen.' Offenbar war etwas dran an der Geschichte. Louis war wirklich gut. Mit einem Holzstock konnte man vielleicht kein richtiges Schwert abwehren, aber jemandem die Finger brechen oder Respekt einprügeln. Ich ließ mir von ihm zeigen wie er kämpfte und er bat mich im Gegenzug meine Technik zu zeigen. Später wurden die Trainingspartner getauscht. Alles in Allem war es ein angenehmer Tag, trotz wenig Schlaf. Genievre kam zwar nicht noch einmal zu mir, doch wenn sie wirklich eine Woche hier bleiben würden, dann gab es noch genügend Gelegenheiten sich zu unterhalten. Langsam wurde es Abend und man trennte sich. Diejenigen, die zu Gast waren, wurden im Gästehaus untergebracht und ich ging zur Morrigan. Da Fremde in der Siedlung waren wollte ich sie über Nacht lieber nicht unbeaufsichtigt lassen. Etwas übertrieben, doch mir war es so lieber. Kurz bevor ich beim Anleger ankam hörte ich hinter mir im Gebüsch ein Rascheln. Sofort blieb ich stehen und lauschte in die Nacht hinein. Gar nicht so einfach, da es hier noch andere Geräusche gab. Ich versuchte mich zu konzentrieren und nach ein paar Augenblicken begann es im Gebüsch zu schimmern. Na, so was konnte ich auch. Als ob nichts gewesen wäre ging ich weiter, doch nun nicht mehr zum Schiff, sondern am Anleger vorbei und zum Wald hinüber. Immer wieder hörte ich es hinter mir Rascheln, drehte mich aber nicht noch einmal um. Kaum hatte ich die Bäume erreicht lief ich los, um die Stämme herum und blieb hinter einer dicken Eiche stehen. Gleich darauf kam Genievre an mir vorbei. „Verfolgen müsst ihr noch üben“, sagte ich leise und sie fuhr zusammen. „Erschreckt mich nicht so“, gab sie zurück und sah mich einen Moment ärgerlich an, doch dann lächelte sie wieder. „Ich hatte gehofft, ihr würdet alleine zurück gehen, wohin auch immer.“ Sie trat auf mich zu blieb jedoch knapp außerhalb meiner Reichweite stehen. „Und warum seid ihr mir gefolgt?“ Sie kannte mich kaum und es konnte gefährlich sein einfach jemandem nach zu laufen. Bei ihr hatte ich nichts dagegen und hätte ich es darauf angelegt, wäre ich ihr entkommen. Sie zuckte mit den Schultern. „Einfach sehen ob ich es schaffe euch zu verfolgen, ohne, dass ihr es bemerkt.“ Ihr Blick huschte über mich und ich löste mich vom Baumstamm. „Ganz gelungen ist euch das nicht.“ - „Ihr habt mich bemerkt.“ - „Das habe ich.“ Vorsichtig strich ich eine ihrer Locken nach hinten und sie schloss die Augen. „Vielleicht habe ich es darauf angelegt, dass ihr mich bemerkt.“ Nun musste ich lächeln und legte die Hand auf ihre Schulter. „Und vielleicht habe ich es darauf angelegt, dass ihr mir folgen könnt.“ Der Mond stand schon am Himmel als wir aus dem Wald zurückkehrten. Gerne hätte ich sie mit in meine Bleibe genommen, doch das ging nicht. Sicher würde man es bemerken und wenn Liam erneut eine Weckaktion plante war es nur peinlich wenn ich nicht alleine war. Auch zu ihr konnte ich nicht mitgehen. Männer und Frauen schliefen grundsätzlich getrennt und im Gästehaus teilten sich zwei Frauen ein Zimmer. Irgendwie war es schade sich von ihr trennen zu müssen. Als sie mich zum Abschied auf die Wange küsste musste ich mich zusammenreißen sie nicht noch einmal an mich zu ziehen. Hier waren zu viele Augen und Ohren. Im Wald, unbeobachtet von allen anderen, hatte ich mich weniger zurückhaltend gezeigt. Es hatte mich überrascht, dass sie sich mir so einfach hingegeben hatte, doch ich hatte jede einzelne Sekunde genossen. Nun wo ich ihr hinterher sah, mit den Augen ihrem Hüftschwung folgend, fühlte es sich das Ganze falsch an. Ich hätte es nicht tun, diesem Verlangen nicht nachgeben dürfen. Rückgängig machen konnte ich es nicht mehr. Die Nacht verbrachte ich auf der Morrigan, doch ich fand kaum Schlaf. Immer wenn ich die Augen schloss sah ich Genievres Gesicht und hatte ihre Stimme im Ohr. Die ganze Zeit über wiederholte sich das Geschehene in meinem Kopf. Als ich doch irgendwann einschlief hatte die Frau in meinen Träumen das Gesicht von Hope. Am nächsten Tag war ich froh, dass ich vom Training befreit wurde. Achilles schickte mich nach Boston um dort mit einem Verbindungsmann in Kontakt zu treten. Mir kam das sehr gelegen, denn das gab mir einen Grund zu verschwinden. Liam würde das Training weiter begleiten und konnte daher nicht mit. So segelte ich ohne ihn. Mit der Crew verstand ich mich ganz gut und hatte so langsam von fast allen den Namen im Kopf. Sie alle standen irgendwie mit der Bruderschaft in Verbindung, auch wenn sie sicher oftmals nicht wussten um was es wirklich ging. Der Steuermann, Marcus Hunt, war ein netter Kerl ende dreißig mit einer Menge Erfahrung auf See. Ihm konnte ich ruhigen Gewissens das Ruder überlassen wenn ich schlafen ging oder anderweitig beschäftigt war. Die See war ruhig und unbeschadet langten wir in Boston an. Ich war nicht oft hier. Deutlich konnte man sehen, dass die Stadtverwaltung nur wenig für die einfache Bevölkerung tat und eher in die eigene Tasche Wirtschaftete. Verdammte Templer. Denen ging es nur um den eigenen Profit. Für meinen Geschmack gab es hier viel zu viele Rotröcke, doch ich durfte nichts gegen sie unternehmen. Achilles hatte mich gewarnt. Unter ihnen gab es auch Spione der Bruderschaft. Solange ich nicht wusste wer auf welcher Seite stand konnte ich nur dafür sorgen, dass man mich in Frieden ließ. Gut dass ich nicht all zu weit in die Stadt hinein musste. Hier kannte ich mich nicht sonderlich gut aus und hatte keine Lust mich zu verlaufen. Der Verbindungsmann war ein Hafenarbeiter, etwas untersetzt aber sehr Muskulös. Er musterte mich wenig freundlich als ich auf ihn zu trat und tat dann so als wäre ich nicht da. Mit geübtem Griff packte er einen Sack und warf ihn sich über die Schultern. Dabei hatte er offenbar den Schwung unterschätzt denn er begann zu wanken. „Vorsicht.“ Schon war ich bei ihm und hielt den Sack fest. Darauf erntete ich nur einen grimmigen Blick. „Was wollt ihr?“ fragte er mit einer Stimme, die mich an Sandpapier erinnerte. „Ich habe zu tun. Zehn Säcke müssen noch auf das Schiff.“ Ich warf einen Blick zu den Säcke, dann folgte ich seinem Blick hinüber zu einer Handelsgaleere die am Kai vertäut lag. Ein gutes Stück zu gehen und die Säcke waren wohl wirklich schwer. „Ich suche einen Mann. William Clark. Das seid ihr doch, oder?“ Kurz verengten sich seine Augen, dann nickte er zu den Säcken und ich verstand den Wink. Er ging schon weiter als ich mir einen der Säcke auf die Schultern wuchtete. Die waren wirklich schwer. Ohne ein weiteres Wort machte er sich auf den Weg zu der Galeere und ich folgte ihm. Über die Rampe ging es hinauf auf die „black swan“ und wir legten die Säcke neben den Großmast. Mein Rücken bedankte sich, als die Last verschwunden war. Kaum waren wir wieder auf dem Steg richtete er das Wort an mich. „Man nennt mich Will.“ Er wischte sich über die Stirn. „Was kann ich für euch tun, Junge?“ Nun klang er schon freundlicher. Aus meiner Hosentasche zog ich den Brief, den Achilles mir für ihn mitgegeben hatte und ein Lächeln huschte über seine Lippen. „Ah... So ist das.“ Mit flinken Fingern öffnete er den Umschlag und las die Nachricht. Dann runzelte er die Stirn. „Schön. Du kannst ihm ausrichten, dass ich mich darum kümmern werde. In einer Woche werde ich ihm eine Nachricht zukommen lassen.“ Nun zog er etwas aus seiner Tasche. Einen Moment dachte ich, er wolle mir ebenfalls einen Brief geben, doch es war ein Briefchen mit Streichhölzern. Er riss eines davon an und hielt es an das Papier. Der Mann war gründlich. Keine Beweise zurücklassen. „Ich werde es ausrichten.“ - „Helft ihr mir noch mit einem der Säcke?“ Will ließ das brennende Blatt zu Boden fallen und sah zu wie es sich ein kringelte. „Einen könnte ich noch schaffen.“ Auch wenn sich mein Rücken sicher beschweren würde. „Nur Mut. Die anderen sind nicht so schwer.“ Da hatte er recht. Mit was auch immer der erste Sack gefüllt gewesen war, der hier wog etwa die Hälfte. Nach dem ich auch diesen abgeladen hatte verabschiedete ich mich von ihm und schlenderte zurück Richtung Morrigan. Ich hatte es nicht eilig. Der Crew hatte ich gesagt, dass wir wohl erst am nächsten Morgen wieder auslaufen würden und ich ging davon aus, dass sich der ein oder andere in ein Bordell geschlichen hatte. Sollten sie sich ruhig vergnügen, solange sie am nächsten Tag auf der Matte standen, damit wir ablegen konnten. So strich ich doch ein wenig durch die Straßen und hielt Ausschau nach einem guten Aussichtspunkt. Es konnte nicht schaden etwas mehr über Boston zu erfahren als ich wissen musste. Ein Kirchturm sprang mir ins Auge und ohne groß darüber nachzudenken kletterte ich hinauf. „So etwas Respektloses“, hörte ich unter mir jemanden schimpfen und warf einen Blick zurück. Eine ältere Frau sah kopfschüttelnd zu mir hoch und hob die Faust. „Schämen solltest du dich, auf ein Gotteshaus zu steigen.“ Ich komme immerhin noch hinauf, dachte ich. Du kannst nur schimpfen. Doch ich achtete nicht weiter auf sie. Höher und höher ging es hinauf und bald hörte ich ihre Stimme nicht mehr. Oben angelangt atmete ich tief durch. Eine leichte Brise wehte mir um die Nase und zerzauste mein Haar. In der Luft lag der Geruch von nahendem Regen. Mein Blick wanderte über die Straßen und Dächer von Boston. Von hier oben sah alles viel kleiner aus und doch konnte ich vieles deutlich erkennen. Zwei Kneipen, mehrere kleinere Geschäfte, ein paar Ställe und einen abgesperrten Bereich wo sich die Rotröcke verschanzten. Nur zu gerne wäre ich dort hin gegangen und hätte nach Beweisen gesucht, dass sie auf der falschen Seite standen. Dafür war ich jedoch noch nicht weit genug Ausgebildet. Ich wusste, dass es meine Fähigkeiten übersteigen würde. Zudem konnte es sein, dass ich bei dem Versuch jemanden töten musste und Unschuldige durfte ich nicht töten. Andererseits, waren Soldaten unschuldig? Es war nicht an mir diese Frage zu beantworten und es war auch nicht an mir überhaupt solche Fragen zu stellen. Achilles entschied wer Unschuldig war und wer nicht. Wenn er mir ein Ziel vorgab hatte ich es zu beseitigen und hier hatte ich keine Ziele. Langsam machte ich mich an den Abstieg und kehrte zur Morrigan zurück. Meine Gedanken kreisten jedoch weiter. War es denn richtig, dass allein Achilles diese Entscheidungen traf? Woher wusste er das es keine andere Möglichkeit gab? Welches Recht hatte er über Leben und Tod zu entscheiden? Mir kam das Attentat auf Washington wieder in den Sinn. Liam zu Folge hatte er sterben müssen, doch ein genaues Warum hatte ich nicht bekommen. Durch dieses Attentat waren unsere Feinde nur vorsichtiger geworden. Wir hatten nichts damit erreicht und uns blieb nur ihre Schatten zu jagen. Kapitel 4: Geheimnisse ---------------------- Kapitel 4 Geheimnisse Oktober 1752 Mit einem flammenden rot ging die Sonne unter. Schon lange hatte ich mir nicht mehr die Zeit genommen einen Sonnenuntergang zu beobachten. Oft hatte ich anderes zu tun oder aber es bot sich nicht so ein Schauspiel wie ich es nun zu sehen bekam. Mit einem leichten Seufzen lehnte ich mich an die Reling der Morrigan und sah aufs Meer hinaus. Hier, in der Siedlung war es so friedlich. Warum konnte es nicht so bleiben? In den vergangenen Wochen hatte ich miterlebt wie in New York die Bürger auf die Straßen gegangen waren. Die Proteste wegen der kalendarischen Umstellungen hatten zu Ausschreitungen geführt und es war sicherer gewesen die Straßen zu meiden. Hope hatte von vielen Verletzten gesprochen. Sogar von Toten. Die Obrigkeit hatte hart durchgegriffen und die Soldaten hatten alles in ihrer Macht stehende getan um die Ordnung wieder herzustellen. Berichten zufolge war es in anderen Orten nicht besser gewesen. Auch aus Boston und Philadelphia hatten wir Nachricht erhalten, dass es zu Unruhen gekommen war. Hinter mir hörte ich Schritte und senkte den Kopf. Ich kannte dieses Geräusch. Liam stellte sich neben mich und lehnte sich ebenfalls an die Reling. „Ihr wart sehr still die letzten Tage“, sagte er nach kurzem Schweigen und ich hob den Blick. Als ob er nicht genau wüsste warum ich so schweigsam war. Es war nun schon zwei Monate her, dass Achilles mich nach Boston geschickt hatte um dort mit William Clark zu sprechen. Bei meiner Rückkehr waren Genievre und Louis schon fort gewesen. Knapp drei Wochen später erfuhr ich, dass Genievre tot war. Auch wenn ich sie kaum gekannt hatte ging mir ihr Tod doch nahe. Es ärgerte mich, dass ich vor meinem Aufbruch nicht doch noch einmal mit ihr gesprochen hatte. Andererseits hätte ich nicht gewusst, was ich ihr hätte sagen sollen. Mir tat es nicht wirklich leid, dass ich sie verführt hatte. Immerhin hatte sie es selbst gewollt. Bei der Nachricht über ihr Ableben hatte ich mich in einem Punkt jedoch auch bestätigt gefühlt. Frauen hatten bei den Assassinen nichts zu suchen. Sie waren nicht für ein solches Leben bestimmt und sie hatte es gewusst. Auch ihr Bruder hatte es gewusst und sie nicht daran gehindert es dennoch zu versuchen. „Es ist einfach viel passiert“, gab ich zurück und wandte mich wieder dem Meer zu. Ich wollte nicht mehr daran denken. Und ich wollte auch nicht an die Unruhen der letzten Wochen denken. Mir wäre es ganz lieb, wenn Liam mich einfach noch eine Weile allein gelassen hätte, doch das tat er nicht. Ohne einen Kommentar hielt er mir einen Brief hin. „Was ist das?“ fragte ich und nahm ihn entgegen. „Das ist eben aus New York gekommen. Ich dachte mir, es könnte euch interessieren.“ Aus New York? Vorsichtig faltete ich das Blatt auseinander. Die Handschrift erkannte ich nicht, dennoch überflog ich die Zeilen. Der Brief war nicht an mich gerichtet, doch der Inhalt... „Ist diesen Informationen zu trauen?“ Ich konnte das nicht glauben. Liams Miene wurde sehr ernst und er nickte. „Ich denke schon. Vor ein paar Wochen habe ich schon einen Brief erhalten. Wie es aussieht hat Selena sich in der Stadt niedergelassen.“ Er atmete einmal tief durch und fuhr dann fort: „Und sie wurde dabei beobachtet, wie sie in ein britisches Fort ging. Mehr als einmal.“ Ich verstand es nicht. Was hatte sie mit dem Militär zu tun? „Das muss ein Irrtum sein. Warum sollte sie freiwillig dort hin gehen? Sie hat einen Soldaten getötet.“ Und warum hatte Liam angefangen Informationen über sie zu sammeln? „Eine gute Frage. All zu viel konnte ich darüber nicht in Erfahrung bringen. Es sieht jedoch danach aus, als hätte es den ein oder anderen Zwischenfall gegeben, in den sie verstrickt war. Nicht nur die Auseinandersetzung die ihr beobachtet habt.“ Nun lehnte er sich mit dem Rücken an die Reling und ließ seinen Blick über den Anleger schweifen. „Meinen Quellen nach ist sie angegriffen worden, als sie die Stadt verlassen hat. Wohin sie wollte weiß niemand so genau und danach hat man einen Monat lang nichts von ihr gehört oder gesehen.“ „Was soll das bedeuten, sie wurde Angegriffen? Von wem?“ Ich verstand das alles nicht. Warum verschwieg er mir soviel in letzter Zeit? Er wusste genau, dass ich mir Gedanken um sie machte und dennoch gab er solche Informationen nicht an mich weiter. So was nannte sich nun Freund. Liam zuckte mit den Schultern. „Irgendwer, ich weiß es nicht. Aber ist es nicht seltsam? Sie freundet sich mit der Obrigkeit an und wird prompt zur Zielscheibe.“ Ich schnaubte. „Zufall.“ Denn was sollte es sonst sein. „Liam, ihr interpretiert zu viel in die Sache hinein. Ich bezweifle, dass sie in irgend welche Machenschaften verwickelt ist. Sie...“ Ja was? Sie hatte ein Talent in Schwierigkeiten zu geraten. Und sie hatte ein Geheimnis. „Ich suche nach Zusammenhängen, das ist alles.“ Er löste sich von der Reling. „Vielleicht solltet ihr das auch tun.“ „Warum fragt ihr sie nicht? Jetzt wo sie wieder in der Stadt ist könnt ihr sie aufsuchen einfach fragen.“ Auch wenn sie ihm sicherlich nicht antworten würde. Schon auf der Morrigan hatte sie kaum über sich oder ihre Vergangenheit gesprochen. Da würde sie bestimmt nicht über das reden, was sie nun tat. Liam warf mir einen ärgerlichen Blick zu. „Vielleicht werde ich das sogar tun.“ Meinte er das ernst? Ich sah ihm nach, als er von Bord ging und als er nicht mehr zu sehen war, wandte ich mich wieder dem Meer zu. Die Sonne war fast zur Gänze verschwunden und am Horizont zeichneten sich Wolken ab. Selena... Sie war noch immer hier. Dabei hatte sie zurück nach Europa gewollt. Ich konnte nicht verhehlen, dass es mich freute, dass sie noch da war. Dem Brief zufolge war sie vor etwa einer Woche in der Stadt gesehen worden. In Begleitung eines Mannes. Um wen es sich dabei gehandelt hatte stand nicht in dem Brief doch es hieß, dass sie wohl nur einen kurzen Besuch gemacht hatte und gleich wieder gegangen war. Seltsam. Wirklich sehr seltsam. In den folgenden Tagen war es Liam der Wortkarg und schweigsam war. Immer wieder warf er mir grimmige Blicke zu. Ich ließ ihn schmollen und kümmerte mich um meine eigenen Angelegenheiten. Besser gesagt, ich erledigte die Aufgaben, die man mir stellte. Mir war es nur recht, dass mein Freund mich ignorierte. So konnte ich meinen eigenen Gedanken nachhängen und ich kam zu dem Schluss, dass er sich täuschen musste. Das alles hatte nichts zu bedeuten. Soweit ich wusste, wollte sie Menschen helfen. Zumindest hatte Liam mir das erzählt. Es war gut möglich, dass sie sich einfach nur um ein paar Verwundete gekümmert hatte. Als Liam Mitte Oktober an mich herantrat war ich gerade dabei einen Haufen Holz zu spalten. Eine äußerst lästige Aufgabe, doch immer noch besser als sich um die Pferde zu kümmern. Ich konnte Pferde nicht leiden. Genau so wenig wie sie mich mochten. „Wie sieht es aus, Shay. Wollt ihr einen Rekord im Feuerholz machen aufstellen oder stechen wir in See?“ Die Art wie er es sagte machte deutlich, dass er keine Lust hatte, weiter auf mich wütend zu sein. Zu dem liebte er das Meer ebenso wie ich es tat und es gab nichts schöneres als der Natur zu trotzen. Zu dem kannte ich ihn gut genug um zu wissen, dass mehr dahinter steckte als sich einfach nur vor der Arbeit zu drücken. „Nichts lieber als das“, erwiderte ich nur und schlug die Axt in den Block, wo sie stecken blieb. Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Züge und er klopfte mir auf die Schulter. „Ich ruf die Crew zusammen. Geht und bereitet alles vor damit wir bald auslaufen können.“ Schon ging er davon und ich sah ihm nach. Wohin sollte es überhaupt gehen? Wenn es eine längere Reise sein sollte musste ich mehr Vorräte an Bord bringen lassen. Es dauerte zwei Stunden bis wir bereit zum Aufbruch waren. Liam hatte die Mannschaft wohl schon einen Tag vorher darauf angesprochen und sie waren schnell zur Stelle. Vorräte, Trinkwasser und zu meiner Überraschung auch andere Waren, wurden an Bord gebracht. Als ich Liam danach fragte wurde er wieder ernster. „Nur ein paar Dinge, die nach Glouchester müssen. Wenn wir in Boston halt machen...“ - „Einen Augenblick“, unterbrach ich ihn. „Ich bin der Kapitän. Bevor wir überhaupt los segeln will ich wissen was los ist und wo es hingehen soll.“ Glouchester war nicht all zu weit und ich wolle nicht dort hin. Sicher konnten diese Kisten auch per Kutsche zum Ziel gebracht werden. Was vermutlich sogar schneller ging. Er warf mir einen langen strengen Blick zu, dann seufzte er. „Wir suchen noch immer nach Spuren zu den Artefakten. Hope hat ein paar Männer ausfindig gemacht die etwas wissen könnten. Wir verbinden nur ein paar Dinge miteinander um Zeit und Aufwand zu sparen.“ Warum hatte er das nicht gleich gesagt? Musste er immer so geheimnistuerisch sein? Es war doch viel einfacher, wenn wir offen miteinander sprachen. Ich sagte nichts mehr dazu, ließ die Kisten an Bord bringen und Anker lichten. In Glouchester wartete Louis auf uns. Mir gefiel das ganz und gar nicht. Sicher wusste er was zwischen seiner Schwester und mir passiert war. Zu meinem Glück sprach er es nicht an, half nur stumm die Kisten von Bord auf einen Karren zu laden und meinte dann, in drei Wochen wieder her zu kommen. Für die nächste Lieferung. „Was ist in den Kisten?“ fragte ich Liam als wir weiter Richtung Boston reisten. „Oder geht mich das wiedereinmal nichts an?“ Ein leichtes Schnauben kam von ihm und er schob sich die Kapuze vom Kopf. „Nichts besonderes. Ausrüstung, Kleider und Lebensmittel. Der Stützpunkt hier ist nicht so gut ausgerüstet wie die Siedlung. Sie haben Probleme mit der Ernte und sind auf Hilfe von uns angewiesen.“ Mir wurde peinlich bewusst, dass ich über die anderen Assassinen-Stützpunkte so gut wie gar nichts wusste. Mich hatte es schon gewundert, dass eine Bruderschaft auf Haiti existiert hatte. Vielleicht sollte ich mich damit etwas mehr befassen wenn wir wieder zurück waren. Es konnte nicht schaden zu wissen wo wir überall steckten. Nur für den Fall, dass es einmal Problem gab und ich Hilfe brauchte. Ein paar Meilen von Boston entfernt gerieten wir mit einem britischen Schiff aneinander. Es war ähnlich wie der Angriff Anfang des Jahres. Sie versuchten uns zu rammen, doch dieses Mal war die Morrigan besser ausgestattet und wir konnten ihnen ausweichen. Wir gingen selbst zum Angriff über und nach zwei Salven der Breitseitenkanonen ging das Schiff unter. Ein paar der Soldaten sprangen von Bord, klammerten sich an Kisten oder Fässer und ich hörte ihre Rufe. Sollte ich sie wirklich ertrinken lassen? Immerhin hatten sie uns zuerst attackiert. Es wäre nur richtig sie ihrem Schicksal zu überlassen. Andererseits... „Holt die Segel ein!“ rief ich und drehte am Rad um die Morrigan zu wenden. Auch wenn ich Assassine war, ein paar dieser Männer hatten vielleicht gar nicht gewollt, dass wir angegriffen wurden. Wir konnten sie unten im Frachtraum einsperren und in Boston laufen lassen. In der Zwischenzeit konnten sie darüber nachdenken ob sie wohl auf der richtigen Seite standen oder nicht. „Was habt ihr vor Shay?“ Liam warf mir einem besorgten Blick zu und ich erwiderte: „Sie rausholen. Hier ist kein anderes Schiff in der Nähe und bis Boston ist es nicht mehr weit.“ Ich sah ihm an, dass er protestieren wollte doch mein Blick musste ihm gezeigt haben, dass ich es ernst meinte. Kurz darauf hatten wir drei Männer aus dem Wasser gefischt, ihnen die Waffen abgenommen und ließen sie an Deck bewachen. Auch ein paar der Kisten und Fässer hatten wir geborgen. Nicht all zu viel, doch die Zeiten waren schlecht. Da nahm man was man bekam. Die drei Soldaten waren nicht sonderlich gesprächig, doch ich konnte ihnen ansehen, dass sie dankbar waren, aus dem Meer geholt worden zu sein. In Boston gab ich ihnen die Waffen zurück. „Wir sind immerhin keine Piraten“, sagte ich zu einem der die Waffe zögernd zurück nahm. „Aber ihr solltet euch überlegen wen ihr angreift. Andere hätten euch eurem Schicksal überlassen.“ Es war ein seltsames Gefühl zu sehen wie sie davon gingen. Normalerweise tötete ich Menschen und rettete sie nicht. Machte mich das nun zu einem besseren Mann? Schweigend sah ich ihnen nach bis Liam neben mich trat. „Ihr last sie wirklich gehen.“ - „Warum nicht?“ - „Diese Männer haben versucht euch zu töten.“ - „Sie waren auf einem Schiff, dass versucht hat uns zu versenken. Das bedeutet nicht, dass sie es gewollt haben.“ Ungläubig sah er mich an und schüttelte dann den Kopf. „Lasst uns losgehen. Wir sollten nicht länger als nötig in der Stadt bleiben.“ Er klopfte mir auf die Schulter und ging am Hafen entlang zu einem Lagerhaus, dass ich schon einmal aufgesucht hatte. William saß auf einer Kiste, eine qualmende Pfeife im Mund und starrte aufs Meer. Er wandte den Kopf als er unsere Schritte hörte und stand auf. „Ah, Wurde auch Zeit. Dachte schon ihr würdet mich einen weiteren Tag warten lassen.“ - „Es gab eine kleine Auseinandersetzung auf See. Nichts ernstes.“ - „Verstehe, verstehe.“ Er nickte und nahm einen tiefen Zug aus seiner Pfeife. „Nun, ich nehme an, dass ihr wegen der Information hier seid.“ „Was habt ihr in Erfahrung gebracht?“ Liam verschränkte die Arme vor der Brust und Will senkte die Stimme. Sein Blick huschte über den Pier, doch es war niemand in der Nähe. „Dieser Samuel Smith... Ich habe Freunde, die schon für ihn gearbeitet haben. Sie sagen, er ist nach Europa aufgebrochen. Schon vor Monaten. Es heißt, dass er auf der Suche nach Wissenschaftlern sei. Warum, dass weiß niemand so genau.“ Er zuckte mit den Schultern und rieb sich den Nacken. „Wie auch immer. Er ist ein wohlhabender Mann. Einer der gut bezahlt wenn er Arbeit für einen hat.“ Für mich klang das nicht nach einem schlechten Menschen. Doch wenn er ein Templer war, dann war er ein Feind. „Sollte einer eurer Bekannten hören dass er aus Europa zurück ist, dann schickt uns eine Nachricht. Es ist wichtig, dass wir mit ihm sprechen.“ - „Natürlich, natürlich.“ Sein Blick verweilte einen Moment auf mir und er lächelte. „Wie sieht es aus? Helft ihr mir mit ein paar Säcken?“ „Tut mir leid, aber wir haben nicht so viel Zeit.“ Liam hob die Hand und wandte sich um. Will sah ein wenig enttäuscht aus doch sagte er nichts weiter dazu. Zögernd folgte ich Liam, zurück zum Schiff. „Für mich klingt es nicht so, als wäre der Mann eine Bedrohung“, sagte ich leise und Liam wurde langsamer. „Shay, er ist ein Templer. Nur weil er hin und wieder großzügig ist bedeutet es nicht, dass er ein guter Mensch ist. Er verwaltet die Reichtümer des Ordens. Dieses Geld könnte vielen nützen, wenn es in den richtigen Händen wäre. Stattdessen wird damit Unheil gestiftet.“ Nun, da war sicher etwas dran. Das hieß aber nicht, dass Smith unbedingt ausgeschaltet werden musste, wenn er zurück war. Vielleicht konnte man ihn überzeugen, dass er auf der falschen Seite stand. Doch noch war er nicht zurück. Bis es soweit war, sollte ich mir um ihn wohl keine Gedanken machen. Später saß ich am Schreibtisch und machte die Eintragungen ins Logbuch. Noch immer vernachlässigte ich diese Pflicht etwas und blätterte lieber durch die Eintragungen des Vorgängers. Dabei las ich sie in umgekehrter Reihenfolge doch etwas wirklich interessantes hatte ich dabei noch nicht gefunden. Nur ein Eintrag hatte mir ein klein wenig Aufschluss gegeben. Der Eintrag, bevor ich die Morrigan übernommen hatte. Der vorherige Kapitän war sehr Pflichtbewusst gewesen mit seinen Eintragungen. Penibel hatte er alle wichtigen Ereignisse des Tages mit Uhrzeit der Eintragung festgehalten. 9:25 An backbord haben wir französische Schiffe gesichtet. In diesen Gewässern sind sie eher selten anzutreffen. Der Kommandant der Flotte hat mich damit beauftragt herauszufinden was sie planen. 10:10 Eines der Schiffe ist dicht an der Küste entlang gesegelt und es wurden Beiboote zu Wasser gelassen. 10:40 Wir wurden entdeckt und das Schiff hat abgelegt ohne die zuvor an Land gegangenen Männer wieder aufzunehmen. Wir gehen der Sache auf den Grund und werden auf der Insel nach ihnen suchen. 11:20 An einer günstigen Stelle sind wir vor Anker gegangen. An Land haben wir die Reste eines Lagers gefunden und dort ein paar Schmuggler in Gewahrsam genommen. 11:30 Zwei meiner Männer haben eine Frau überrascht, wie sie sich Zutritt zum Lager verschaffen wollte. Bislang haben wir noch keine Informationen aus ihr herausbekommen. Sollte sie zu den Schmugglern gehören Dort brach der Eintrag ab. Es musste der Moment gewesen sein, als wir die Morrigan übernommen hatten. Wenn der Kapitän nicht gelogen hatte, und warum hätte er es tun sollen, dann hatte es Selena auch nicht getan. Sie war wirklich von den Soldaten eingesperrt worden. Mit einem Seufzen klappte ich das Logbuch zu und lehnte mich zurück. Wieso nur musste ich immer wieder an sie denken? War es die Art wie sie versuchte mit der Welt zurecht zu kommen? Ihre Ansichten über das Leben? Oder einfach nur die Tatsache, dass ich wusste, dass sie mich mochte? Diesen Gedanken schob ich bei Seite. Selbst wenn es so war, es war zu riskant sich auf mehr als eine flüchtige Bekanntschaft einzulassen. Ich war Assassine und sie verabscheute das Töten. Sie würde auch mich verabscheuen, wenn sie erfuhr was ich war. Nein, ich sollte sie mir wirklich aus dem Kopf schlagen. Der Wind war von Boston an gegen uns und wir kamen nur sehr langsam voran. Leichter Unmut machte sich bei der Crew breit und ich verstand es. Das Wetter wurde schlechter und es war frustrierend wenn man kaum voran kam. So erreichten wir New York zwei Tage später als geplant. Ich gab der Crew Landgang, damit sie abschalten konnten, ließ drei Mann an Bord, um auf die Morrigan aufzupassen, und machte mich mit Liam gemeinsam auf den Weg zu Hope. Jedes Mal, wenn ich vor diesem Anwesen stand fragte ich mich, wie sie es geschafft hatte sich das leisten zu können. Gefragt hatte ich sie nie und würde es auch nicht tun. Es war ihr Geheimnis und ich respektierte das. Sie öffnete die Tür nicht selbst. Ein junges Dienstmädchen ließ uns ein und wies nur auf eine Tür am Ende der Eingangshalle. Liam war schon oft hier gewesen und man kannte ihn. Ich dagegen... Nun das hier war das erste Mal, dass ich in das Haus selbst hinein ging. Normalerweise hatte ich Hope nur bis zur Tür gebracht oder Liam von hier abgeholt. Daher sah ich mich unauffällig um. Von außen sah das alles hier nach viel Geld aus, doch drinnen fehlte ein wenig der Glanz. Alles war einfacher, schlichter gehalten. Keine Bilder an den Wänden, kein Teppich auf der Treppe die nach oben führte und ein paar der Fliesen auf dem Boden hatten Risse. Doch es war alles tadellos sauber. Das Zimmer, welches ich nach Liam betrat, war ein Salon mit hohen Fenstern und einer leicht abblätternden Seidentapete. Die Möbel die hier standen wirkten vernachlässigt. Noch bevor ich mich darüber wundern konnte steuerte Liam schon auf eine weitere Tür zu, klopfte an und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Dieser Raum unterschied sich deutlich von dem davor. Er wurde von einem großen Schreibtisch beherrscht mit einem rot gepolsterten Stuhl dahinter. Hohe Regale voller Bücher und Papiere bedeckten die Wände. Im Kamin brannte ein Feuer und spendete Licht und Wärme. An einer Wand war eine Landkarte befestigt, mit kleinen Nadeln darauf. Vor der Karte stand Hope und wandte sich zu uns um, als wir eintraten. Kurz zuckte ein Lächeln über ihre Lippen als sich unsere Blicke trafen, doch gleich wurde sie wieder ernst. „Ihr seid spät.“ Ja ich freute mich auch sie zu sehen. „Das Wetter hat uns einen Strich durch die Planung gemacht. Der Rückweg dürfte leichter sein.“ Liam öffnete seinen Mantel, zog ihn jedoch nicht aus. Hier drin war es wärmer als draußen. Für meinen Geschmack sogar etwas zu warm. Frauen mochten es nun einmal etwas wärmer. Sie bot uns Stühle an, die um einen kleineren Tisch standen und ging zum Schreibtisch hinüber. Während wir uns setzten suchte sie dort nach etwas. Mein Blick wanderte zu der Karte an der Wand zurück. Ich erkannte die Küstenlinie an der sich die Kolonien befanden. New York und viele weitere Orte waren beschriftet, doch die Nadeln befanden sich nicht immer unbedingt in den Städten. Bei Boston steckte eine Nadel außerhalb der Stadt und in New York befand sich ebenfalls eine. Sie war jedoch nicht dort wo wir uns gerade befanden. Als Hope sich wieder zu uns umdrehte wandte ich mich rasch den Bücherregalen zu und tat, als würden diese mich interessieren. Dabei hatte ich überhaupt kein Interesse an Büchern. „Kaum vorstellbar, dass ich sie alle gelesen habe, oder?“ Ich spürte, wie ich bei diesen Worten leicht rot wurde. Es war wirklich kaum vorstellbar, dass Hope sie alle gelesen hatte, doch woher wusste sie, was in meinem Kopf vor sich ging? „Sicher waren einige davon interessant.“ Etwas besseres fiel mir einfach nicht ein. Als ich sie ansah wusste ich, dass sie meinen erbärmlichen Versuch etwas interessantes zu sagen lächerlich fand. Schon wandte sie sich Liam zu. „Hier. Die Karte die ihr haben wolltet.“ Er nahm das Blatt entgegen und sah es sich an. Dabei hielt er es so, dass ich nicht sehen konnte worum es ging. Also verbarg er noch immer etwas vor mir. „Gut. Das wird die Angelegenheit leichter machen.“ Er faltete das Blatt zusammen und steckte es ein. „Habt ihr noch etwas über das Mädchen in Erfahrung bringen können?“ Bei diesen Worten verfinsterte sich ihre Miene. „Soweit ich weiß hat sie New York schon vor Wochen verlassen. Einer meiner Spione hat versucht ihr zu folgen, doch hat er kurz außerhalb der Stadt ihre Spur verloren. Es könnte erneut Wochen dauern bis sie wieder zurück kommt.“ Mir war augenblicklich klar von wem die Rede war, schwieg angesichts der angespannten Stimmung. Dann hatte Liam Hope damit beauftragt nach ihr zu suchen. Ich verstand nicht warum er ein solches Interesse an ihr hatte. Damals wollte er sie so schnell wie möglich wieder loswerden und jetzt... Warum nur wurde ich das Gefühl nicht los, dass er mir etwas wichtiges verheimlichte? „Dann hat sie hier keine Unterkunft?“ - „Die hat sie.“ Es war deutlich zu hören, das Hope dieses Thema nicht mochte. „Man hat sie bei einem Ehepaar untergebracht, nahe am Hafen.“ - „Untergebracht? Was soll das heißen?“ Sie seufzte und ließ sich auf dem letzten freien Stuhl nieder. „Damit meine ich, dass sie dort auf Anweisung hingebracht wurde. Aber es ist sehr schwer etwas über sie in Erfahrung zu bringen.“ So wie sie es sagte und wie ihre Miene sich verhärtete, hatte sie auch nicht wirkliches Interesse daran etwas über sie in Erfahrung zu bringen. Liam legte die Stirn in Falten und rieb sich das Kinn. Eine Weile schwieg er und dachte angestrengt nach. „Vielleicht ist es auch unnötig sich deswegen Gedanken zu machen. Es gibt wichtigeres. Smith ist nach Europa aufgebrochen.“ „Mit der Schatulle, ich weiß.“ Augenblicklich war sie wieder besser gelaunt. „Für die Dauer seiner Abwesenheit hat sein ältester Sohn die Geschäfte übernommen. Er agiert von Boston aus. Ich habe einen Spion in seinem Haushalt untergebracht. Sobald er zurück ist, werde ich davon erfahren.“ Ich tauschte einen Blick mit Liam. Schon wieder Boston. „Hat dort nur sein Sohn seinen Sitz oder auch Samuel selbst?“ fragte ich und ihre Augen wurden etwas schmaler. Fast kam es mir so vor als gefiele es ihr nicht, dass ich mich in dieses Gespräch einmischte. „Nur sein Sohn. Einer seiner Söhne.“ Sie machte eine Pause und wandte sich wieder an Liam. „Was das Manuskript angeht... Es sieht danach aus, dass dieser Wardrop es noch immer besitzt doch ich konnte noch nicht in Erfahrung bringen wo er es aufbewahrt. Ein Attentat auf ihn ist derzeit nicht ratsam.“ Das sah ich genau so, doch mich fragte man natürlich nicht. Ich war insgesamt der Meinung, dass es nicht ratsam war einen von ihnen zu eliminieren. Auch ich hatte mich ein wenig umgehört, auch wenn ich natürlich nicht die Möglichkeiten und den Einfluss hatte wie die anderen. Doch ich hatte gehört, dass seit dem Tod von Lawrence Washington die Templer vorsichtiger geworden waren. Sollte nun noch einer von ihnen sterben konnte es gut sein, dass sie sich in ihren Löchern verkrochen und wir diese Artefakte nie in die Finger bekamen. Als wir zur Morrigan zurückkehrten war meine Laune recht weit gesunken. Schweigend ging ich neben Liam, dem meine Stimmung zwar auffiel, dazu jedoch nichts sagte. Noch bevor wir den Hafen erreichten blieb ich stehen. „Warum stellt ihr so viele Nachforschungen an? Ich dachte, ihr wärt froh gewesen als Selena das Schiff verlassen hat. Ich verstehe nicht, warum ihr euch noch für sie interessiert.“ Auch Liam blieb stehen, sah mich jedoch nicht an. „Ich tue das für euch, Shay. Auch wenn ihr es vielleicht nicht versteht.“ Das verschlug mir die Sprache. „Für... für mich?“ Langsam hob er den Blick. „Ich sehe euch doch an, dass ihr immer noch an sie denkt. Wir wissen so gut wie nichts über sie. Daher versuche ich in Erfahrung zu bringen was sie hier tut.“ Was sie tut, wo sie sich aufhält und mit wem sie Kontakt hat. Das klang für mich nach mehr als nur einem Freundschaftsdienst. „Und warum habt ihr mir das verschwiegen? Wolltet ihr damit warten bis ihr etwas erfahren habt das sie in ein schlechtes Licht rückt?“ Denn das was er mir über seine Nachforschungen gesagt hatte deutete an, dass sie sich mit den Briten und möglicherweise sogar mit den Templern verbündet hatte. „Um eben so eine Auseinandersetzung zu vermeiden.“ Wieder senkte er den Blick. „Ich bin nicht voreingenommen, was sie angeht. Der Weg, den sie eingeschlagen hat, ist gefährlich. Ebenso ihre Ansichten.“ Er machte den Eindruck noch etwas sagen zu wollen, ging dann aber weiter und ich folgte ihm. „Ihr habt mit ihr gesprochen, oder? Irgendwann während der Fahrt habt ihr unter vier Augen miteinander geredet.“ Wie sonst konnte er solche Dinge wissen. Liam nickte und fuhr sich über die Stoppeln, die seinen Kopf bedeckten. „Wir hatten die Gelegenheit uns zu unterhalten, während ihr geschlafen habt. Noch in der ersten Nacht. Für sie ist jedes Leben wichtig, egal um wen es sich handelt und was er getan haben könnte. Zumindest hat sie das gesagt.“ „Nur das?“ hakte ich nach, denn ich sah ihm an, dass da noch mehr war. „Nein, doch ich habe ihr versprochen es für mich zu behalten.“ Ein Lächeln huschte über seine Lippen und er warf mir einen kurzen Seitenblick zu. „Ich werde mich daran halten. Vielleicht erzählt sie es euch eines Tages selbst.“ Mir blieb wohl nichts anderes übrig als das zu hoffen. Dazu musste ich sie zuallererst wiederfinden und hier in New York war sie nicht mehr. Vielleicht hatte sie sich nun doch auf den Heimweg gemacht. Liams Worte machten mir jedoch ein wenig Hoffnung. Es war möglich, dass sie mich nicht für meine Taten verurteilte, sollte sie davon erfahren. Vor allem dann nicht, wenn ich ihr erklären konnte warum ich es getan hatte. Auf der Rückreise machten wir, wie abgemacht, noch einmal in Glouchester halt. In New York hatten wir noch einmal Vorräte an Bord genommen und diese luden wir gerade ab, als sich Louis der Morrigan näherte. Dieses Mal war er jedoch nicht allein. Zwei Männer waren bei ihm. Einer trug eine ganz ähnliche Kutte wie Achilles. Ich schätzte ihn auf um die 40. Das Haar war dunkel und kurz und er hatte eine üble Narbe im Gesicht. Für mich war klar, dass es sich bei diesem Mann um einen Assassinen handelte und so wie er auf uns zu kam hatte er mehr zu sagen als die anderen. Der zweite Mann wirkte jünger, trotz der weißen Haare die das dunkle blond schon fast zur Gänze verrieben hatten. Seine Kleider waren geflickt und staubig und nicht wirklich für diese Jahreszeit ausgelegt. Er beachtete uns nicht wirklich, sah sich nur ein wenig um und hielt sich im Hintergrund. Der Assassine stellte sich als Isaac Barnes vor. Einen Namen, den ich schon einmal gehört hatte. Er wies auf den anderen der aufsah als sein Name fiel. „Das hier ist Remus.“ Dieser nickte, sagte aber nichts. Isaac wies nun auf Liam und mich und stellte uns vor. Als Remus meinen Namen hörte verfinsterte sich seine Miene derart, das es mir vorkam, als würde er mir gleich an die Gurgel gehen. Dabei hatte ich ihn noch nie gesehen, geschweige denn von ihm gehört. „Stimmt etwas nicht?“ fragte da ich mir diese Reaktion nicht erklären konnte. „Nichts wichtiges“, wich er aus und versuchte seine Züge zu glätten, doch es gelang ihm nicht wirklich. Ich fragte mich woher diese Abneigung mir gegenüber wohl kam. So lauschte ich dem Gespräch zwischen Liam und Isaac nur mit halben Ohr. Louis war schon weiter gegangen und half beim beladen des Karren, mit dem sie die neuerlichen Vorräte fortbringen wollten. „Wie lange seid ihr schon in den Kolonien?“ fragte Liam und ich sah auf. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und da er, so wie ich auch, seine Kapuze aufgesetzt hatte, konnte ich sein Gesicht nicht wirklich sehen. „Seit etwas mehr als einem Monat“, erwiderte Remus nach kurzem zögern. Mir fiel sein Akzent auf. Er kam mir bekannt vor auch wenn ich ihn nicht einordnen konnte. „Isaac meint, ihr wärt aus Europa her gekommen. Wieso?“ Europa... Natürlich. Remus hatte den selben etwas breiten Akzent wie ihn auch Selena hatte. Nun verschränkte Remus die Arme vor der Brust. „Das ist privat.“ Es war beinahe zu spüren wie Liam sich bei diesen Worten leicht anspannte. Auch in seiner Stimme lag ein gewisser Unterton, den ich nur zu gut von ihm kannte. Den schlug er immer dann an, wenn er sich über etwas ärgerte. „Wie auch immer, wir könnten fähige Kämpfer brauchen. Wenn ihr euch dazu in der Lage fühlt.“ - „Mit etwas Training sicher. Aber erst wenn wieder alles verheilt ist.“ Remus legte sich eine Hand an die Seite und ich erkannte, dass dort mehr schlecht als recht Blut ausgewaschen worden war. Nach kurzem schweigen, in dem Liam ihn musterte, wandte er sich an mich. „Wir sollten aufbrechen. Je eher wir zurück sind um so besser ist es.“ Noch einmal sah er zu Isaac, „Solltet ihr in nächster Zeit noch Unterstützung benötigen, dann sendet eine Nachricht. Bis dahin alles Gute.“ Wir machten uns auf den Weg zurück zum Schiff und ich warf einen letzten Blick über die Schulter zu diesem Remus. Ein sonderbarer Zeitgenosse. „Was haltet ihr von ihm?“ fragte Liam als wir außer Hörweite waren. „Von Remus? Nicht viel.“ gab ich zu. „Er sah so aus als hätte ich ihm irgend etwas getan.“ Mich ließ der Gedanke nicht los dass es sich genau so verhielt. Ich hatte nur keine Ahnung was es sein konnte. „Das Gefühl hatte ich auch.“ bestätigte er, „Ihr habt ihn noch nie gesehen, oder?“ - „Nicht das ich wüsste. Aber ich erinnere mich nicht an jeden, den ich irgendwann einmal getroffen habe.“ - „Mit etwas Glück hat er euch nur mit jemand anderem verwechselt.“ Darauf lächelte ich. „Ich mache mir mein Glück, Liam.“ Kapitel 5: Verlust ------------------ Kapitel 5 Verlust Kalt und klar brach das neue Jahr an. Schon vor Tagen hatte es angefangen zu schneien und als die Sonne aufging lag die Siedlung in eisiger Pracht da. Bei diesen Temperaturen war das Training kein Vergnügen und ich war froh, dass Liam mich nicht mehr all morgendlich um acht weckte. Hin und wieder, aber nur selten, tauchte er jedoch früh morgens auf, und wenn ich noch nicht auf den Beinen war, warf er mir Schnee ins Gesicht um mich zu wecken. Er bestand darauf, dass ich mich abhärtete und schickte mich barfuß durch den Schnee, hielt mich an, mich mit dem kalten Zeug abzureiben oder ließ mich bis zum Sonnenaufgang in Hosen und Stiefeln, auf die Strohpuppen einschlagen. Ich war jedoch nicht der Einzige, den er so herum scheuchte und ich sah sogar, wie er selbst sein Trainingsprogramm durchzog. Wohl um uns zu zeigen, dass er es nicht tat nur um uns zu quälen. Nur selten kamen Boten aus den Kolonien zu uns und noch weniger erfuhr ich von dem, was sie zu berichten hatten. Wann immer es möglich war, und ich mich unbeobachtet fühlte, schlich ich mich hoch ins Arbeitszimmer von Achilles, um mir dort die Karten anzusehen. Auch sah ich mir immer wieder die Bilder an, die er an eine Wand gepinnt hatte und die durch Fäden miteinander verbunden waren. Templer und ihre Beziehungen zueinander. Das fand ich sehr interessant, auch wenn ich die Männer nicht kannte. Eines Morgens brach Liam nach New York auf. Als ich ihn begleiten wollte schüttelte er den Kopf. „Es ist besser, wenn ihr hier bleibt. In letzter Zeit haben sich in der Nähe britische Soldaten gezeigt. Wir brauchen hier jeden für den Fall, dass es ärger gibt.“ Was sollten Soldaten hier wollen? Aber gut, Liam wusste in solchen Dingen eher Bescheid, als ich es tat. So blieb ich in der Siedlung, absolvierte mein Training, hauptsächlich unter den strengen Augen von Kesegowaase, während Achilles in seinem Arbeitszimmer über Briefen und Papieren brütete. Als Liam zwei Wochen später aus New York zurück war sah ich ihm an, dass ihn etwas beschäftigte. Natürlich fragte ich ihn was passiert sei, bekam aber keine Antwort. Er sah mich nur mit diesem „Ich weiß mehr als du“ Blick an, was mich gründlich ärgerte. Diese ewigen Geheimnisse gingen mir auf die Nerven. Anfang Februar, ich hatte es mir in der Koje auf der Morrigan mit einem Becher Rum bequem gemacht und las im Logbuch, klopfte er an die Tür. „Ich wollte nicht stören nur...“ - „Ihr stört nicht. Kommt rein.“ Ich legte das Buch beiseite und stand auf. „Was gibt es?“ Er schob die Kapuze nach hinten und schloss sorgsam hinter sich die Tür. „Ich hatte zwar versprochen es nicht zu sagen doch glaube ich, dass ihr es erfahren solltet.“ Bei mir machte sich Unbehagen breit. So wie er redete musste irgend etwas unangenehmes vorgefallen sein. „Um was geht es?“ „Selena.“ Natürlich. Er hatte weiter herumgeschnüffelt und nun wohl endlich etwas gefunden was ihn störte. „Sie ist zurück in New York. Ich habe sie getroffen als ich dort war.“ In seinem Blick lag eine gewisse Trauer und obwohl ich wissen wollte was denn nun passiert war, hatte ich zugleich Angst vor dem was er sagen konnte. „Sie hat mich gebeten euch nicht zu sagen das sie dort ist. Noch nicht. Ich sehe keinen Grund es euch länger zu verheimlichen da ich weiß, dass sie euch gerne sehen würde.“ Sein Mundwinkel zuckte und er fuhr fort: „Außerdem hat sich mein Verdacht bestätigt. Sie hat wirklich irgend etwas mit den britischen Soldaten dort zu tun. Ich habe selbst gesehen wie sie in das Fort hinein ging.“ „Das muss nicht unbedingt etwas schlechtes sein.“ Ich hatte mit etwas viel schlimmerem gerechnet. „Sie will Menschen helfen. Vielleicht kümmert sie sich dort nur um Verwundete.“ Kurz sah er mich an, dann nickte er. „Das ist natürlich möglich. Ich dachte, es würde euch interessieren, daher bin ich hier.“ Er fuhr sich über den Schädel und seufzte dann. „Ich nehme an, dass ihr die Gelegenheit nutzen wollt und nach New York aufbrecht, richtig?“ Durchschaut. Das Lächeln konnte ich mir nicht ganz verkneifen. „Wenn nichts dagegen spricht werde ich mich morgen auf den Weg machen.“ Denn ich wollte sie wirklich gerne wieder sehen. Bei der Gelegenheit konnte ich sie auch gleich fragen, was es mit diesen Besuchen im Fort auf sich hatte. Zwar ging ich nicht davon aus, dass sie mir alles erzählen würde, doch es war möglich, ein paar Details zu erfahren, die sie Liam verschwiegen hatte. „Das dachte ich mir. Nun, die Information, das sie dort ist, habt ihr nicht von mir. Wenn ihr von Bord geht und euch auf die Suche nach ihr macht, werde ich auf der Morrigan bleiben. Oder ich statte ein paar Bekannten einen Besuch ab.“ Schon wollte er sich zu Gehen wenden, als sein Blick auf das Logbuch fiel. „Habt ihr in den Aufzeichnung noch etwas gefunden?“ Auch ich sah auf das Buch und nahm es zur Hand. „Nicht all zu viel. Ich weiß nur, dass Selena uns nicht angelogen hat. Sie wurde wirklich von den Briten gegen ihren Willen an Bord gebracht. Man hat sie für eine der Schmuggler gehalten. So steht es zumindest hier drin“, und ich wedelte leicht mit dem Buch. „Nur weil sie in einem Punkt ehrlich war heißt es nicht, dass auch der Rest ihrer Geschichte stimmt. Aber egal. Mir ging es nun eher um die Kiste. Die mit den Kleidern. Steht da etwas darüber, woher sie kam?“ Ach ja, die Templerkiste. An die hatte ich schon lange nicht mehr gedacht. Als wir in die Siedlung zurückgekehrt waren hatte ich sie Achilles übergeben, mitsamt dem Brief und des Buches. Danach war die Angelegenheit für mich erledigt gewesen. „Darüber habe ich noch nichts gefunden.“ Da ich nicht danach gesucht hatte. „Vielleicht finde ich noch etwas. Wenn es so ist, sage ich es euch.“ Oder auch nicht. Da Liam vor mir Geheimnisse hatte war es nur fair, wenn ich es genauso hielt. Der Tag, an dem wir New York erreichten, war der erste schöne des Monats. Zwar war es noch immer kalt, doch die Sonne stand am Himmel und vom Schnee und Regen der letzten Tage war nichts mehr zu sehen. Von Liam bekam ich die Adresse, wo Selena nun wohnte. Er blieb wirklich auf dem Schiff, während ich mich auf den Weg machte. Etwas nervös war ich schon als ich die Treppe hinauf stieg doch auf mein Klopfen antwortete niemand. Wäre auch zu einfach gewesen. Mir bleiben nur drei Möglichkeiten. Vor der Tür warten bis sie zurückkam, in der Stadt nach ihr suchen oder die Tür aufbrechen und drinnen auf sie warten. Letzteres wollte ich lieber nicht und so machte ich mich daran in den Straßen nach ihr zu suchen. Dabei blieb ich auf den Dächern und entfernte mich langsam von dem Gebäude in Richtung Fort. Immer wieder blieb ich stehen und ließ konzentriert den Blick schweifen. Dennoch dauerte es bis zum Nachmittag bis ich sie sah. Nun, Hope sah ich zuerst. Sie stand vor der Tür eines etwas vornehmeren Hauses und unterhielt sich mit einem Butler. Selbst vom Dach gegenüber konnte ich erkennen, dass dem Mann nicht wohl in seiner Haut war. Gerade als ich vom Dach herunter wollte entdeckte ich Selena, die in der Gasse neben dem Haus stand und vorsichtig um die Ecke spähte. Noch während ich mich darüber wunderte wich sie in die Gasse zurück nur um kurz darauf aus ihr heraus zu treten, die Augen auf ihre Tasche gerichtet, in der sie nach etwas zu suchen schien. Gebannt sah ich zu wie sie sich ebenfalls der Tür näherte, da wandte Hope sich zum gehen und schritt davon. Auf Selena achtete sie überhaupt nicht als diese ihr einen guten Abend wünschte. Bildete ich mir das nur ein oder verengten sich ihre Augen wirklich als sie Hope hinterher sah? Ich fixierte sie noch etwas intensiver bis ihre Aura zu schimmern begann und stutzte. Sie war nicht mehr blau. Doch sie war auch nicht rot. In meiner Erinnerung stiegen Liams Worte hoch: „Ich habe sie häufig beobachtet und mit allen Sinnen betrachtet. Und es war sehr seltsam was ich gesehen habe, Shay. Ihre Aura war unbeständig.“ Jetzt verstand ich, was er damit gemeint hatte. Etwas derartiges hatte ich noch nie gesehen. Während ich hinsah veränderte sich der blaue Schimmer zu einem rötlichen, dann wechselte er wieder. Zwischendurch verschwammen die Farben, wurden zu einem hellen goldgelb und wurde wieder ein blasses blau. Ich war so gebannt von diesem Anblick, dass ich nicht darauf achtete was sie dort tat bis sie sich auch schon wieder abwandte und den Butler, noch niedergeschlagener als zuvor, im Türrahmen stehen lies. Dieses Mal, so nahm ich mir vor, würde ich mich nicht abschütteln oder von etwas ablenken lassen, und so folgte ich ihr bis zum Hafen. Mich interessierte es sehr, was sie hier wollte. Sie machte nicht den Eindruck, als würde sie bald in See stechen wollen, doch vielleicht suchte sie auch nur nach etwas oder jemandem. Bei einem Jungen erstand sie eine Zeitung und zu meinem Verdruss setzte sie sich auf eine Bank und begann zu lesen. Das sollte nun wohl ein Scherz sein. Nach kurzem beobachten wurde es mir zu dumm. Ich kletterte vom Dach und ging zu ihr. Immerhin war ich hier um mit ihr zu reden. Neben ihr ließ ich mich auf der Bank nieder. „Wolltet ihr nicht nach Philadelphia?“ fragte ich und auf ihre Lippen legte sich ein Lächeln. Sie deutete auf eine Anzeige ihrer Zeitung, der Schlagzeile nach etwas über eine Epidemie, und Antwortete: „Ist wohl ganz gut, dass ich nicht dort bin. Zu dem“, sie sah auf, „Wollten wir nicht auf Fragen verzichten?“ Das wollten wir, in der Tat. Dennoch würde ich es dieses Mal nicht tun. Es freute mich, dass sie meinem Blick nicht auswich und ich erkannte in ihren Augen, dass es sie wirklich freute mich zu sehen. „Ich hätte nicht erwartet euch hier zu treffen. Wie kommt es, dass ihr noch hier seid?“ Anstatt sofort zu antworten faltete sie die Zeitung zusammen und legte sie neben sich. „Es ist nicht verboten hier zu sein, oder?“ Sie ließ ihren Blick über mich gleiten, von den Haaren, über meine Jacke bis zu den Waffen am Gürtel. „Aber was tut ihr an Land? Solltet ihr nicht auf eurem Schiff sein?“ Von wegen auf Fragen verzichten. Sie hatte nicht einmal auf meine geantwortet und konterte mit einer Gegenfrage. Das hatte sie vorher nicht getan. Ich konnte so etwas jedoch ebenfalls. „Auch ein Seemann braucht ab und an festen Boden unter den Füßen.“ So wie sie es getan hatte ließ ich meinerseits den Blick über sie gleiten. Sie sah müde aus doch wirkte sie nicht so als würde es ihr schlecht gehen. Auf ihrem Rock zeichneten sich ein paar Flecken ab. Schmutz und... Wenn ich es nicht besser wüsste hätte ich gesagt es sei Blut. „Ihr wirkt erschöpft. Geht es euch gut?“ „Es ist alles in Ordnung. Ich habe viel zu tun, das ist alles.“ Ihr Tonfall war eindeutig. Sie wollte nicht wirklich darüber sprechen. Ich konnte aber nicht an mich halten. Ich brauchte etwas, dass mir sagte, dass ich mir keine Sorgen mehr machen musste, dass Liam unrecht hatte oder aber einen Grund um sie mir endgültig aus dem Kopf schlagen zu können. „Dann habt ihr hier Arbeit gefunden?“ - „Das habe ich. In gewisser Weise.“ Sie atmete tief durch und wandte sich dem Meer zu, „Ich glaube ich habe hier den Platz gefunden an den ich gehöre.“ Wieder war sie der Frage ausgewichen. „Und was tut ihr?“ hakte ich nach. Irgendwann würden ihr die Ausflüchte ausgehen doch ich hatte ein wenig Angst davor nun wirklich etwas zu hören, dass ich nicht hören wollte. „Das was ich tun wollte. Ich versuche zu helfen wo ich kann, auch wenn es im Moment weniger die einfachen Bürger dieser Stadt sind, sondern eher deren Beschützer.“ Also doch. Liam hatte Recht mit seiner Vermutung. „Beschützer.“ Dieses Wort hätte ich nicht für die britischen Besatzer gewählt, was man mir wohl auch anhören konnte. Wie konnte sie freiwillig für die arbeiten? „Beschützer, ja. Ich helfe nicht dabei für Recht und Ordnung zu sorgen, sondern nur dabei diejenigen wieder zusammen zu flicken die beim Versuch diese Stadt vor Banditen und Gesindel zu schützen Körperlich und Seelisch verwundet werden.“ Wieder sah sie aufs Meer hinaus und eine Weile schwiegen wir. Irgend etwas stimmte nicht bei dem was sie sagte. Sie verschwieg etwas, wie auch vorher schon. Was auch immer sie vorhin abgeliefert hatte, es musste etwas mit ihrer „Arbeit“ zu tun haben und sie hatte das Gespräch zwischen dem Butler und Hope belauscht. Dazu dieser Rotschimmer in ihrer Aura... Erneut konzentrierte ich mich. Da ich so dicht bei ihr saß war ihre Aura noch deutlicher zu erkennen. Noch immer schwankte die Farbe doch sie war mehr bei blau als dass sie ins rot driftete. Dennoch machte mich dieser Anblick nervös. Etwas musste sich verändert haben und ich war mir beinahe sicher, dass sie es wusste. Als hätte sie meinen intensiven Blick gespürt sah sie mich an und ich wich ihrem Blick aus. „Es ist schön euch wieder zu sehen. Auch wenn es vielleicht nicht danach aussieht.“ Ihre Stimme war sanft und die Worte ließen mich wieder lächeln. „Ich bin froh zu sehen, dass es euch gut geht“, erwiderte ich, „Als wir euch in Boston absetzten war ich sicher euch nicht wieder zu sehen.“ - „Weil ich zurück in die Heimat wollte?“ - „Weil ihr das Talent habt in Schwierigkeiten zu geraten.“ Genau wie ich. Nur, dass ich mich besser verteidigen konnte und das Land besser kannte. Mit einem leichten Lachen lehnte sie sich zurück: „Dagegen habt ihr mich doch ausgerüstet. Auch wenn ich es glücklicherweise bisher nicht habe in Anspruch nehmen müssen.“ Das war eine Lüge. Ich hatte selbst gesehen wie sie einem anderen Mann die Klinge vor die Brust gehalten hatte. Davon konnte sie nichts wissen. „Freut mich zu hören.“ Dabei stimmte es mich traurig, dass sie mir die Wahrheit verschwieg. Vielleicht merkte sie es, denn erneut verfielen wir einen Moment in Schweigen. „Was habt ihr im letzten Jahr getrieben?“ fragte sie nach kurzem, „Ich habe euch kurz gesehen, hier in New York.“ Irritiert sah ich auf und sie fuhr fort: „Kam mir so vor als wärt ihr auf der Flucht gewesen. Vor allem da vier Soldaten hinter euch her waren.“ Das war nun doch etwas peinlich. Ich erinnerte mich an den kleinen Zwischenfall. „Oh das.“ Ich ließ den Blick über den Hafen schweifen. Sicher war es nicht gut wenn ich ihr die Wahrheit erzählte. Sie tat es schließlich auch nicht. „Ärger folgt mir überall hin.“ „Und ich gerate leicht in Schwierigkeiten, was?“ Sie nahm die Zeitung zur Hand und rollte sie fest zusammen. „Wie auch immer, ich werde bald aufbrechen.“ Damit überrumpelte sie mich glatt. Sie wollte fort? „Wohin? Geht ihr doch zurück nach Europa?“ Denn dann würde das hier wohl das endgültiges Ende bedeuten. „Nein“, gab sie zurück und sah mir wieder in die Augen. „Ich gehe nach Boston zurück. Man hat mich gebeten dort hin zu kommen.“ Boston... Dort waren die Templer aktiver als hier. Ebenso die Soldaten. Die Gegend dort war gefährlich. „Und wie kommt ihr dort hin?“ Denn sollte sie vorhaben eine Schiffspassage zu nehmen konnte ich nur hoffen, dass sie auf einem Schiff landete, dass nicht unter feindlicher Flagge unterwegs war. Leicht seufzte sie. „Das steht noch nicht fest. Vielleicht mit einem Schiff der Royal Navi oder über Land mit einem Pferd. Vielleicht kann ich mich auch einer Truppe anschließen oder einem Händler, dann bin ich zumindest vor Wegelagerern und Wölfen sicher.“ Sie zog ihren Mantel etwas enger um sich als eine kalte Böe ihr die Haare nach hinten blies. „Das entscheide ich morgen. Ich wäre euch dankbar wenn ihr in den nächsten Tagen keine Schiffe der Navi versenken würdet. Ich möchte gerne heile in Boston ankommen.“ Hatte sie etwa meine Gedanken erraten? Nun wenn ihr das Leben von Soldaten mehr wert war als meins trennten sich hier unsere Wege. Ich stand auf und sah zu ihr runter. „Das kann ich nicht versprechen.“ Vielleicht wurde mein Tonfall etwas bitter, doch es fiel mir einfach zu schwer meinen Unmut über ihre Entscheidung nicht zu verbergen. „Wenn Ihr euch mit der Navi einlasst, kann ich nichts für euch tun.“ „Einlassen?“ Auch sie stand auf und ich sah dass sie die Zeitung so fest umklammerte, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie hatte doch wohl nicht ernsthaft vor mich damit zu schlagen, oder? „Die können zumindest dafür sorgen, dass mir nichts passiert.“ So war das also. Sie steckte wirklich mit den Roastbeefs unter einer Decke. Warum sonst sollten die sie schützen? Es war sogar möglich, dass es noch viel schlimmer war und sie tatsächlich in irgend einer Weise für den Feind arbeitete. Der Gedanke tat weh. „Ihr habt euren Weg gewählt“, sagte ich leise, „Viel Glück dabei.“ Noch einmal sah ich sie an. Sie brauchte einen Moment um zu begreifen was ich mit meinen Worten gemeint hatte. Als sie es verstand wandte ich mich ab und ging langsam davon. Ihr Blick bohrte sich in meinen Rücken. Ich schob die Kapuze über den Kopf doch das half natürlich nicht. Es sorgte jedoch dafür, dass die entgegenkommenden Passanten mein Gesicht schlechter sehen konnten. Ich wollte nicht, dass irgend wer meine Gefühle sehen konnte. Auf direktem Weg kehre ich zur Morrigan zurück. Liam stand an Deck und als er fragen wollte ob ich Erfolg gehabt hatte reagierte ich nicht. Ich stiefelte in die Kajüte, knallte die Tür hinter mir zu und holte den Rum. Nach einem kräftigen Schluck ging es mir besser, doch es würde mehr brauchen um den Ausdruck zu vergessen der auf ihrem Gesicht gelegen hatte. Viel mehr. Kapitel 6: Anders als geplant ----------------------------- Anders als geplant Es vergingen Tage, dann Wochen ohne das Liam noch einmal fragte was in New York passiert war. Ich konnte nur hoffen, dass es so blieb, denn ich hatte nicht vor noch ein einziges Mal über Selena zu sprechen oder an sie zu denken. Letzteres war schwer doch immer wenn sich ein Gedanke bei mir einschleichen wollte begann ich zu trainieren, wobei es egal war ob ich lief, kletterte, auf Strohpuppen einschlug oder Liegestütze machte. Liam hatte gemerkt, dass ich nicht reden wollte doch hin und wieder sah ich ihm an, dass ihm etwas auf den Lippen lag. Immer wenn er den Eindruck machte mich doch fragen zu wollen sah ich zu, dass ich verschwand. Meist begab ich mich dann auf die Morrigan, was ein deutliches Zeichen war, mich in Ruhe zu lassen. Anfang Mai wurden wir von Achilles los geschickt Informationen über einen Mann namens Cedric Harris einzuholen. Wer oder warum er von Interesse war sagte man mir nicht. Mir konnte es auch egal sein. Hauptsache, ich kam für eine Weile aus der Siedlung heraus. So machten Liam und ich uns auf den Weg nach Stamford, wo der Mann seine Wohnung hatte. Während der Reise befasste ich mich abends gerne mit dem Logbuch, doch ich fand keinerlei Einträge über Templeraktivitäten oder Informationen die Kiste betreffend. Fast so, als habe der Kapitän nicht gewollt, dass man es zurückverfolgen konnte. Eine Tatsache die ich seltsam fand, da er mehrfach am Tag detaillierte Eintragungen gemacht hatte. Der allererste Eintrag lag ein halbes Jahr zurück und ich hatte bei der Durchsuchung des Schreibtisches noch ein weiteres Logbuch gefunden. Das alles zu lesen würde mir doch etwas zu lange dauern, zumal ich leichte Probleme hatte die Handschrift betreffend. Der vorherige Kapitän hatte nicht gerade deutlich geschrieben. Bis wir in Stamford ankamen hatte ich einiges über den langweiligen Alltag der britischen Flotte erfahren. Es hatte wohl hin und wieder leichte Probleme mit der Disziplin gegeben, doch das war nichts ungewöhnliches. Nichts von alledem war wirklich interessant und von daher eher eine Lektüre um einzuschlafen. Wir erreichten den Hafen an einem regnerischen Abend und ich gab der Mannschaft die Erlaubnis zum Landgang. Zumindest einem Teil, denn ein paar mussten auf die Morrigan achtgeben. Liam verließ ebenfalls das Schiff um schon einmal die Lage zu sondieren. Da er der ältere von uns beiden war und genauere Informationen besaß, war das nur fair. Zu dem kannte er sich hier, wie in vielen anderen Orten entlang der Küste, besser aus, als ich es tat. Nach nur einer Stunde kam er zurück, nass geregnet und mit finsterem Gesicht. Noch bevor ich fragen konnte was passiert war sagte er, ich solle meine Ausrüstung anlegen und mitkommen. Das klang alles andere als gut und so beeilte ich mich mit Schutzkleidung und Waffen. Der Regen war noch stärker geworden und da die Dunkelheit eingesetzt hatte wurde es zusehends schwerer etwas zu sehen. Für Liam jedoch kein Grund es langsam angehen zu lassen. Kaum hatte ich die Kajüte verlassen schritt er auf die Laufplanke zu und ich lief ihm nach. „Liam, wohin gehen wir?“ fragte ich, als er sich nach links wandte und auf eine schmale Gasse zuhielt. „Der werte Mr Harris hat eine Verabredung. Einer von uns wird ihm folgen müssen, während der andere seine Wohnung durchsucht.“ „Verfolgen. Nun, das kann ich. Aber was wenn er mich entdeckt?“ Bei meinen Worten blieb Liam stehen. Er hatte sich wegen des Regens die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und ich konnte nur seinen Mund sehen. „Ich werde ihm folgen. Ihr durchsucht die Wohnung nach Informationen.“ Das fand ich nun etwas ungerecht. Ich konnte eben so gut jemanden verfolgen. „Und wonach genau soll ich suchen? Bisher habt ihr mir noch nicht verraten was wir hier wirklich tun sollen.“ Liam wandte sich um und ging weiter, ein wenig langsamer als zuvor und ich gesellte mich an seine Seite. „Der Mann hat offenbar engen Kontakt zu den Templern. Eben habe ich ein Gespräch belauscht das diese Vermutung stützt. Er will in Kürze zu einem Treffen mit einem Ordensmitglied aufbrechen. Es ist gut möglich, dass er Unterlagen oder Aufzeichnungen besitzt. Informationen über andere Mitglieder und deren Aktivitäten. Danach sollt ihr suchen.“ Ich hielt das für keine gute Idee, schwieg jedoch. Für solche Aufgaben war ich eindeutig die falsche Wahl. Gut, ich konnte mich in Gebäude einschleichen, ich konnte jemandem folgen, doch ich war nicht gut darin Dokumente zu sichten und ihnen Informationen zu entnehmen. Wir erreichten das Haus und ich sah an der Fassade hoch. Ein einfaches Gebäude aus Holz, mit dunkel roter Farbe angestrichen, die an einigen Stellen bröckelte. So wie ich es sah, ein Haus wie jedes andere auch. Fensterläden, die zum Großteil geschlossen waren und auf den ersten Blick, keine Möglichkeit irgendwo gut einsteigen zu können. Dazu ein Zaun, der einen Hinterhof eingrenzte. „Also, sobald er fort geht hefte ich mich an seine Fersen. Er wohnt nicht allein, doch seine Frau ist ausgegangen. Ihr dürftet daher auf keine Hindernisse stoßen.“ Liam stand dicht neben mir so dass er flüstern konnte. Auch wenn gerade niemand in der Nähe war, und der Regen laut prasselte, konnte es nicht schaden auf Nummer sicher zu gehen. „Und habt ihr auch eine Idee wie ich in das Haus hinein kommen soll, ohne, dass es hinterher bemerkt wird?“ Einbruch stand nicht gerade oben auf der Liste von Dingen die ich gerne tat. Ich hatte nicht vor etwas zu stehlen. Sollte man mich erwischen würde es jedoch nach nichts anderem aussehen und das gefiel mir nicht. „Ihr werdet schon einen Weg finden. Hinten ist eine zweite Tür und laut meiner Quelle vergisst er gerne sie abzuschließen. Sonst müsst ihr ein wenig nachhelfen. Wenn es nicht klappt, auch gut. Dann warten wir ein oder zwei Tage. Einen Versuch zu wagen, wenn er nicht im Haus, ist würde sich allerdings anbieten.“ Wenn es so einfach war, warum übernahm er dann nicht selbst diese Aufgabe? Doch weitere Fragen konnte ich nicht mehr stellen. Seine Zielperson verließ das Haus und Liam ließ mich zurück. „Wunderbar“, murmelte ich und atmete tief durch. Mir blieben nun zwei Optionen. Zum Schiff zurückgehen und so tun, als hätte es nicht geklappt oder aber den Auftrag erfüllen und riskieren bei einem Einbruch ertappt zu werden. Beides nicht sonderlich verlockend. Erst als von Liam und seinem Ziel nichts mehr zu sehen war kletterte ich auf ein benachbartes Gebäude und sah mir die Lage von weiter oben an. Die Hintertür hatte er gesagt, doch die konnte ich von hier aus nicht sehen. Zu dem waren die mannshohen Zäune, die den hinteren Bereich schützten, oben angespitzt. Da konnte ich nicht einfach rüber klettern. Entweder hatte er etwas zu verbergen, oder aber das Haus gehörte vorher jemandem der angst vor Eindringlingen hatte. Was auch der Grund dafür war, es erschwerte mir den Einstieg. Da war es auch nicht hilfreich zu wissen, das die Tür dort vielleicht nicht verschlossen war. Ein Vielleicht war keine Sicherheit. Einen Versuch war es jedoch wert. Da ich nicht über den Zaun klettern konnte brauchte ich einen anderen Weg auf das Grundstück. Es kostete etwas Überwindung, doch ich nahm Anlauf und nahm die Dachstrecke. Riskant bei diesem Regen aber machbar. Vor allem wenn man einen guten Lehrer im Klettern hatte und den hatte ich wirklich. Nahezu lautlos landete ich auf dem Dach. Die Schindeln waren glitschig und ich achtete darauf nicht auszurutschen, während ich auf die andere Seite schlich. Immerhin wollte ich nicht gesehen werden. „Dann wollen wir mal.“ Langsam und vorsichtig näherte ich mich der Dachkante, die zum Hinterhof zeigte, und sah hinunter. Niemand war zu sehen. In einigen Fenstern der Nachbarhäuser war Licht, was für mich nur gut war. Solange es hinter den Fenstern hell war, konnten die Bewohner nichts von dem erkennen was draußen passierte. Beim Abstieg achtete ich darauf möglichst dicht am Haus zu bleiben und bei jedem Fenster an dem ich vorbei kam testete ich, ob es nicht vielleicht offen war. Leider fand ich keines. Unten angelangt wartete ich einen Augenblick und lauschte in die Nacht hinein, was beim Prasseln des Regens nicht gerade leicht war. Auf der anderen Seite des Zauns hörte ich Schritte. Dem Klang nach schwere Stiefel, was auf Soldaten hinwies. Die waren wirklich überall. Äußerst lästig diese Briten. Ich hatte keine Lust mit denen aneinander zu geraten. Die Schritte verklangen und ich löste mich aus dem Schatten. Bis die wieder hier vorbei kamen hatte ich sicher ein paar Minuten. Genügend Zeit für mein Vorhaben. Nervös war ich dennoch, als ich zur Tür schlich und die Hand auf die Klinge legte. Mit leisem Knarren schwang sie nach innen auf. Warme, feuchte Luft schlug mir entgegen und ich zögerte. Ich wusste nicht warum, doch diese Luft sorgte für leichtes Unbehagen. Ewig konnte ich hier allerdings nicht stehen bleiben. So schlüpfte ich hinein und zog die Tür hinter mir zu. Drinnen war es noch dunkler und ich konnte kaum etwas erkennen. Daher gönnte ich meinen Augen eine kurze Gewöhnung. Immerhin wollte ich nirgends gegen laufen und mich damit verraten. Es dauerte nicht lange und ich erkannte einen Zuber, Waschbrett und ein paar Leinen, an denen Wäsche hing. Ich war in der Waschküche gelandet. Daher die feuchte Luft. All zu viel verstand ich nicht davon. Um meine Kleider kümmerte ich mich zwar selbst, doch wirklich sauber waren sie oftmals nicht. Trotzdem fand ich es ungewöhnlich die Fenster geschlossen zu halten, damit die Feuchtigkeit nicht nach draußen ziehen konnte. Mir konnte es egal sein. Es waren nicht meine Kleider und ich war nicht hier um über seltsame Angewohnheiten von fremden Menschen nachzudenken. Mein Auftrag ging vor. Möglichst leise schlich ich durch den Raum zur nächsten Tür, wobei mir auffiel, dass meine Stiefel bei jedem Schritt ein unangenehmes, schmatzendes Geräusch von sich gaben. Das hatte mir gerade noch gefehlt. Nasses Schuhwerk. Selbst von meiner Jacke tropfte es ein Wenig. Sicher hinterließ ich Abdrücke auf dem Boden. Verdammter Regen. Ich unterdrückte den Fluch, der mir auf den Lippen lag und drückte die nächste Tür auf. Sie quietschte nicht und ich betrat den Hausflur. Wo war wohl das Arbeitszimmer? Sicherlich nicht im Erdgeschoss. Wieder hielt ich einen Moment inne. Dieses Mal um mich zu konzentrieren. Auch wenn es nicht leicht war mit Hilfe des Adlerauges Gegenstände und andere Objekte ausfindig zu machen, würde es mir die Suche sicher etwas erleichtern. Während ich meine Sinne Ordnete hörte ich nur mein eigenes atmen und meinte sogar meinen Herzschlag zu hören. Sonst war es im Haus absolut still. Langsam ließ ich meinen Blick über den Boden und die Türen wandern, auf der Suche nach einer Spur. Einer Schwingung, der ich folgen konnte. Orte, die oft aufgesucht wurden, oder an denen Dinge verborgen waren hatten eine andere Schwingung als verlassene Bereiche. Es dauerte schmerzlich lange bis ich etwas entdeckte. Ein leichtes schimmern, das von oben kam. Kaum das ich mich in Bewegung setze, verschwand das Schimmern, doch ich wusste wo ich es gesehen hatte und auch was es gewesen war. Eine Türklinke im ersten Stock. Die erste Stufe der Treppe knarrten ebenfalls als ich einen Fuß darauf setzte und ich versuchte so dich an der Wand wie möglich zu gehen. Dort knarrte es weniger. Selbst wenn niemand im Haus war wollte ich leise unterwegs sein. Oben angelangt ging ich zu der Tür, die mir ins Auge gefallen war. Sie war verschlossen. Wäre auch zu einfach gewesen. Ich ging in die Hocke und besah mir das Schloss näher. Fast hätte ich gelacht. Mit einem so simplen Schloss wollte er seinen Raum schützen? Das war lachhaft. Mit einer leichten Bewegung des Handgelenks ließ ich meine verborgenen Klinge hervor schnellen und schob diese ins Schloss hinein. Ein paar Sekunden später hörte ich es klicken. „Na also.“ Leicht lächelnd betrat ich das Arbeitszimmer und blieb abrupt stehen. Ich hatte mit ein paar Büchern gerechnet, einem Schreibtisch und Papieren. Das hier sah eher nach einer Werkstatt aus. Zu dem roch es nach Farbe. Gut Bücher gab es auch, doch anstatt eines Schreibtisches gab es nur ein kleines Stehpult. Der Rest des Raumes wurde von einer Werkbank beherrscht, mit Werkzeugen, Pinseln, Lederstücken und Dingen, die mir nichts sagten. Was sollte das nun bedeuten? Hatte Liam sich im Haus geirrt? Vorsichtig machte ich einen Schritt weiter in den Raum hinein, ließ den Blick schweifen und die Klinge wieder unter der Armschiene verschwinden. Die brauchte ich nun nicht mehr. Eindeutig eher eine Kammer, in der gearbeitet wurde. Hier lagen sicher keine wichtigen Dokumente. Es musste noch ein anderes Zimmer geben. Dennoch nutzte ich erneut das Adlerauge. Dort, auf der Werkbank schimmerte es und ich trat näher. Zwischen Feilen und Hämmern lag ein Blatt Papier mit einer Zeichnung darauf, daneben eine Gürtelschnalle, die genau der Zeichnung entsprach und eindeutig das Zeichen des Templerordens trug. Neugierig geworden nahm ich das Papier zur Hand. Es waren zwei Blätter. Das eine war die Zeichnung, das andere ein Brief. Der Inhalt war nichts besonderes. Nur die genaue Gestaltung der Gürtelschnalle und bis wann sie benötigt wurde. Ich suchte nach dem Umschlag in dem der Brief gesteckt haben musste und fand ihn am Stehpult. Der Absender war ein Arthur Smith. Gut, es gab viele die Smith hießen, doch dieser lebte in Boston. Genau dort, wo sich der Sohn vom guten Samuel Smith aufhielt. Konnte das ein Zufall sein? Das Stehpult sah ich mir nun etwas genauer an. Die Schreibplatte konnte man hochklappen und darunter fanden sich weitere Briefe und ein Notizbuch. Gerade als ich hinein sehen wollte hörte ich draußen auf dem Flur ein Knarren. Mein Blick fuhr zur Tür. Ich hatte sie nicht geschlossen und vom Flur kam Licht näher. Hektisch sah ich mich um. Die einzige Deckung bot die Werkbank, doch sie war drei Schritte von mir entfernt und das Licht wurde heller. Mit einem Satz sprang ich vom Pult fort, mit dem Zweiten erreichte ich die Werkbank. Schon sah ich eine Kerze im Türrahmen auftauchen und duckte mich hastig. Wieder knarrte es und ich betete, dass ich hier oben auf dem Boden keine nassen Spuren hinterlassen hatte. Ein Blick zum Pult sagte mir, dass ich vergeblich hoffte. Dort wo ich gestanden hatte, waren ein paar Tropfen auf dem Holzboden zu sehen. Sicher sah es vor der Werkbank nicht anders aus. Wer auch immer da gerade im Türrahmen stand musste schon blind sein um das nicht zu sehen. Wieso war überhaupt jemand hier? Liam hatte doch gesagt, die Frau sein ausgegangen. „Hallo?“ kam eine zittrige Stimme von der Tür. Weiblich und jung. Vielleicht ein Kind. Auch das noch. Ich zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht und verharrte in angespannter Haltung. Kurz blieb es still, dann kamen Schritte näher. Zögernd. So leise es eben ging wich ich zurück. Gut, dass die Werkbank mitten im Raum stand und es mir so möglich war, darum herum zu schleichen um ausweichen zu können. Unter meinem Schuh knarrte die Bodendiele und ich verzog das Gesicht. „Ist da wer?“ Die Panik in der Stimme war deutlich zu hören. Mir ging es gerade nicht viel besser. Ich wollte kein Kind angreifen, doch wenn es näher kam würde mir nichts anderes übrig bleiben. Wieder blieb es still und ich versuchte auf den Schattenwurf zu achten. Als es etwas dunkler in meiner Richtung wurde wagte ich einen kurzen Blick über die Werkbank hinweg. Etwa zwei Schritte von der Tür entfernt, in einem weißen Nachthemd, das Haar offen und wirr, stand ein Mädchen. Sie konnte nicht älter als sieben oder acht sein. Eine kleine Kerze in einem Halter, den sie vor sich hielt, suchte sie mit den Augen die andere Seite des Raumes ab. All zu viel würde sie so nicht sehen können, mit der Kerze vor sich. Anscheinend wusste sie das nicht. Für mich war es gut. Als sie sich in meine Richtung wandte duckte ich mich erneut. Plötzlich wurde es dunkel im Zimmer. Offenbar hatte sie die Hand zu schnell bewegt und die Kerze war erloschen. Ihre Augen mussten sich nun erst an die Dunkelheit gewöhnen. Das war meine Chance. Ich huschte um die Werkbank herum und verließ meine Deckung. Gerade als ich sie erreichte drehte sie sich um. Der Kerzenhalter glitt ihr aus der Hand. Bevor sie schreien konnte hatte ich sie schon gepackt und hielt ihr den Mund zu. „Scht. Nicht schreien, sonst haben wir beide ein Problem.“ Mit großen Augen sah sie zu mir hoch. Sie machte nicht einmal den Versuch sich zu wehren, dennoch nahm ich meine Hand nicht von ihrem Mund. „Bist du allein?“ Nach kurzem zögern nickte sie leicht, starrte mich dabei noch immer an. Ich konnte ihr Zittern spüren. „Gut.“ Ich atmete tief durch. „Dann verschwindest du am Besten wieder in dein Bett. Ich will dir nicht weh tun müssen, aber wenn du es nicht tust, lässt du mir keine andere Wahl. Verstanden?“ Wieder nickte sie. Bevor ich sie los ließ fiel mir noch etwas ein. „Und kein Wort zu irgend jemandem. Wenn du jemandem sagst, dass ich hier war, erfahre ich es. Das willst du nicht, oder?“ Nun schüttelte sie den Kopf und ihr Zittern wurde stärker. Vorsichtig nahm ich die Hand von ihrem Mund. Kein Laut kam über ihre Lippen. Auch als ich sie losließ kam nichts von ihr. Sie machte nicht einmal den Versuch wegzulaufen. Sie starrte mich nur an. Ohne sie aus den Augen zu lassen bückte ich mich und hob den Kerzenhalter auf. Den drückte ich ihr in die Hand und gab ihr einen leichten Schubs Richtung Tür. „Geh schlafen“, flüsterte ich und sie rannte los. Ich hörte ihre Schritte auf dem Flur, dann eine Tür die geschlossen wurde. Ob sie sich wirklich daran halten würde mich nicht zu verraten wusste ich nicht. Auch konnte ich nicht sicher sein, dass sie nicht aus dem Fenster ihres Zimmers kletterte und nach Hilfe Ausschau hielt. Ich musste mich beeilen und von hier verschwinden. Es war zu riskant etwas mitzunehmen. Daher blätterte ich nur kurz durch das Notizbuch und sah mir die Absender der Briefe an. Auf einem Stück Papier notierte ich rasch ein paar der Namen bevor ich alles zurück legte. Es sollte möglichst so aussehen, als wäre niemand hier gewesen. Mir stieg ein Geruch in die Nase und ich stutzte. Es roch nach Urin. Mein Blick fiel auf den Boden. Das Mädchen musste sich vor Angst ins Hemd gemacht haben. Eine kleine Pfütze war dort, wo sie gestanden hatte. „Auch das noch.“ Mir blieb nicht die Zeit dieses Malheur zu beseitigen. Ich konnte nur hoffen, dass es weg trocknete bis der Hausherr wieder seine Werkstatt betrat. Meine Notizen faltete ich sorgsam zusammen und schob sie unter meine Kleider in der Hoffnung, dass sie trocken bleiben, bis ich die Morrigan erreichte. Dann sah ich zu, dass ich fort kam. Die Tür zog ich hinter mir zu, machte mir aber nicht die Mühe sie wieder zu verschließen. Wer eine Hintertür offen lässt, kann auch eine andere Tür vergessen. Im Flur lauschte ich, konnte aber außer einer Kutsche die draußen vorbei fuhr nichts verdächtiges hören. Nicht mehr ganz so vorsichtig wie auf dem Weg nach oben, schlich ich die Treppe hinunter und durch den Gang zur Waschküche. Von dem Mädchen oder irgend einer anderen Person war nichts zu sehen oder zu hören. Wieder an der frischen Luft musste ich feststellen, dass es nun noch stärker regnete und in den Nachbarfenstern die Lichter erloschen waren. Nur gut, dass es keinen Mond gab der mich anleuchten würde. Der Wind hatte jedoch gedreht und den Regen direkt auf die Hauswand fallen lassen. Diese war nun nass und rutschig. Es sah ganz danach aus, als würde meine Pechsträhne nicht reißen wollen. Genervt sah ich mich nach einem anderen Ausgang um, doch es gab keinen. Über den Zaun kam ich nicht ohne zu riskieren mich daran zu verletzen. Auch gab es keine weiteren Türen. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Fassade hoch zu klettern und zu hoffen, nicht zu stürzen. Es war alles andere als einfach hoch zu kommen. Das Wasser lief mir in die Ärmel und meine Finger wurden kalt. Einmal rutschte mein Fuß weg und ich konnte mich gerade noch festhalten. Das war wirklich nicht mein Wetter und ich verfluchte Liam dafür, dass er mir diese Aufgabe gegeben hatte. Sicher war der schon längst wieder auf dem Schiff und genehmigte sich einen Becher Rum. Wundern würde es mich nicht. Oben auf dem Dach angekommen atmete ich erst einmal durch und schüttelte etwas Wasser aus den Ärmeln. Der Abstieg würde leichter sein, doch musste ich dazu wieder auf das andere Dach rüber springen. Dort gab es an der Häuserwand ein paar Kisten auf die ich mich runter lassen konnte. Mir behagte es nur nicht von diesem Dach aus Anlauf zu nehmen. Die Schindeln waren nass und ich konnte es nicht riskieren auszurutschen. Ein Sturz vom Dach konnte mein Ende sein. So trat ich zur Dachkante und sah auf die Straße runter. Dank des Regens war kaum jemand unterwegs. Soldaten konnte ich keine entdecken, doch dort. an einer Hausecke, lehnte eine Gestalt, durch einen Vorsprung vom Regen geschützt und dicht an der Hauswand. Die Entfernung war zu groß um etwas genaues erkennen zu können. Die Chance von dort gesehen zu werden wenn ich hinunter kletterte war sehr gering. Daher wagte ich den Abstieg ohne zu springen. Naja, fast ohne. Als ich das Fenster im ersten Stock erreicht hatte und meine Finger die Fensterbank umfassten ließ ich mich das letzte Stück fallen. Schlamm spritzte, als ich landete, in alle Richtungen, doch zumindest war ich nicht all zu laut dabei. Mein Blick wanderte zu der Hausecke. Dort tat sich nichts. So als sei nichts gewesen, ging ich davon, auf die nächste Seitenstraße zu und begann, kaum das ich um die Ecke war, zu rennen. Nur um sicher zu gehen. Bis zur Morrigan schlug ich immer wieder einen anderen Weg ein, lief mal langsam, dann wieder schnell und tat alles, um mögliche Verfolger abzuschütteln. Kurz vorm Hafen machte ich eine Pause hinter einem kleinen Verschlag und wartete. Nur das Prasseln vom Regen war zu hören und langsam kroch mir die Kälte in die Glieder. Nach einer Minute, in der niemand vorbei gekommen war und ich auch nichts weiter gehört oder gesehen hatte, ging ich weiter. Ich war klatschnass und brauchte dringend andere Kleider. Meine Laune sank mit jedem weiteren Schritt. Der einzige Hoffnungsschimmer war der Gedanke an die trockene und zumindest etwas wärmere Kajüte und einen kräftigen Schluck Rum zum aufwärmen. Liam war noch nicht zurück als ich das Schiff erreichte. Um ihn machte ich mir kaum Sorgen. Er war sehr erfahren was beobachten und verfolgen anging. Ich verschwand in der Kajüte und entledigte mich der nassen Kleider. Jacke, Stiefel, Socken und Hose. Alles tropfte. Selbst meine Hemdsärmel waren fast bis zu den Achseln feucht. Nur die Weste hatte nichts abbekommen. Ich zog mir gerade eine frische Hose an als es an der Kajütentür klopfte und Liam herein kam. Auch er tropfte, doch seine Kleider waren etwas Wasserfester als meine. „Wie ist es gelaufen?“ fragte er und zog die Jacke aus. Darunter war seine Kleidung trocken. Was für ein Glückspilz. „Ich habe ein paar Namen und Adressen, auch wenn ich nicht mit Sicherheit sagen kann, dass sie etwas mit dem Orden zu tun haben. Wie war es bei euch?“ Ich griff nach einem Hemd und zog es über während Liam sich auf die Suche nach einer Flasche Rum machte. Mich störte das nicht. Wir waren Freunde und er teilte seine Vorräte an Land mit mir so wie ich meine hier an Bord mit ihm teilte. „Eine Sackgasse, würde ich sagen.“ Er entkorkte die Flasche, nahm einen Schluck und lehnte sich an die Kommode. „Er hat sich zwar mit einem bekannten Templer getroffen, aber er selbst hat offensichtlich keine Ahnung für wen er da wirklich arbeitet. Genau wie eure Freundin.“ Diese Worte trafen mich völlig unvorbereitet und sofort wurde meine Laune noch schlechter. Warum musste er sie erwähnen? Ich wollte nicht über sie reden und jetzt schon gar nicht. Daher wandte ich mich ab und zog mich weiter an. „Was ist los?“ fragte er und als ich nicht antwortete seufzte er. „Seit wir aus New York zurück sind seid ihr schlecht gelaunt. Was ist passiert, zwischen euch und Selena?“ Einen Moment lang dachte ich wirklich darüber nach, ihn zu schlagen. Einfach weil er den Namen ausgesprochen hatte. Doch dann fiel meine ganze Wut in sich zusammen. „Ihr hattet recht. Ich war blind.“ Und ich erzählte ihm von dem Gespräch am Hafen. Dabei ließ ich nichts aus. Auch nicht, dass sie mich angelogen hatte. Einen Fehler zuzugeben ist nie leicht und in diesem Fall fiel es mir noch schwerer. Wir hatten uns oft genug wegen ihr gestritten und ich hatte sie immer verteidigt. „Wie es aussieht habe ich mich in ihr getäuscht“, endete ich und lehnte mich an einen Zaun. Liam sah mich einen Moment an, dann schüttelte er den Kopf. „Nicht ganz. Sie hat keine Ahnung, dass sie von denen nur ausgenutzt wird.“ Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sein Blick war finster. „Es ist schon etwas her, und da ihr nicht mehr über sie reden wolltet, habe ich es für mich behalten, aber es kam ein Bericht aus Boston.“ Ich horchte auf, doch gleichzeitig krampfte sich in meinem Inneren etwas zusammen. Fragend sah ich ihn an und Liam fuhr fort. „Einer unserer Spione wurde gefangen genommen. Er hatte viele Informationen über uns und die Gefahr, dass er unter Folter reden würde war groß. Es wurde jemand darauf angesetzt ihn zu befreien und falls das nicht möglich sein sollte, ihn zum Schweigen zu bringen.“ Das war nichts neues für mich. Es kam hin und wieder vor, dass die Tarnung von jemandem aufflog. Und es kam auch vor, dass diese Person dann eliminiert werden musste. Wenn man sie kannte war das keine leichte Aufgabe. „Hat man euch damit beauftragt?“ fragte ich, denn Liam war oft unterwegs. Zu dem wusste ich, dass er selbst schon zwei Mal eine solche Aufgabe hatte übernehmen müssen und beide Male war er danach mürrisch gewesen und hatte sich noch verbissener als sonst daran gemacht, nach Templern Ausschau zu halten. Er senkte den Kopf. „Nein, aber ich habe den Bericht aus erster Hand. Der Spion wurde in einem britischen Fort gefangengehalten wo einer von unseren Männern stationiert ist. Mit ihm habe ich mich ebenfalls unterhalten.“ Kurz brach er ab und atmete tief durch. Was er dann erzählte klang recht verrückt. Liam zufolge hatte man den gefangenen Spion in ein britisches Fort nahe Boston gebracht wo er verhört worden war. Dank eines seit längerem dort stationiertem Assassinen wusste man wo er gefangengehalten wurde. Da er selbst seine Tarnung nicht auffliegen lassen durfte, musste ein Anderer den Gefangenen eliminieren, bevor dieser etwas verraten konnte. Die Schwierigkeit dabei war, dass es mehr als nur eine Person gab die versuchte an Informationen zu gelangen. Zum einen waren es die Männer, die ihn täglich verhörten und dabei nicht gerade zimperlich waren. Zum anderen hatte man Selena damit beauftragt den Mann wieder zusammen zu flicken und ihn dabei möglichst ebenfalls auszuhorchen, wobei sie, glücklicherweise, kläglich gescheitert war. Kurz vor seinem Tod hatte der Spion dem Assassinen gesagt dass sie von ihm nichts erfahren hatte und das sie selbst keine Ahnung davon hatte warum er dort war und was das alles zu bedeuten hatte. Hätte sie etwas gewusst, wäre auch sie nun tot. „Wir haben uns wohl beide geirrt. Zumindest in manchen Dingen.“ Endete Liam. Das musste ich nun erst einmal verdauen. Wenn wirklich stimmte was er da sagte, dann konnte es sein, dass sie wirklich ahnungslos war. Sie neigte zur Gutgläubigkeit und das konnte schnell ausgenutzt werden. Die Tatsache, dass sie für den Feind arbeitete blieb jedoch bestehen. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gab es bei der Sache. Wenn sie wirklich unwissend war, konnte man sie, möglicherweise, noch von der richtigen Seite überzeugen und somit verhindern, dass sie sich selbst schadete. Templer waren gerissene und Skrupellose Menschen. Jemanden wie sie konnten sie in kürzester Zeit zerstören. „Dann wäre es wirklich möglich, dass sie... Glaubt ihr, dass man sie überzeugen könnte, dass die Briten nicht zu ihren Freunden zählen?“ Fragend sag ich Liam an der nur leise seufzte. „Vielleicht. Sicher bin ich nicht. Doch es könnte schwer werden.“ Wie so oft fuhr er sich über den Schädel und sah sich einmal um. „Sie ist verschwunden. Einen Tag nach dem Angriff im Fort. Sie wurde dabei verletzt, auch wenn es wohl nicht schlimm war. Am nächsten Morgen war sie fort. Niemand hat sie seither gesehen.“ Verschwunden. Schon wieder. „Dann soll es wohl nicht sein.“ Ich versuchte meine Endtäuschung nicht zu zeigen, doch vor Liam konnte ich sie schlecht verbergen. Er trat auf mich zu und klopfte mir auf die Schulter. „Mit etwas Glück, taucht sie bald wieder in New York auf. Und wo wir schon bei Glück sind.“ ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Hope hat sich Sorgen um euch gemacht. Es kann nicht schaden ein wenig freundlicher zu ihr zu sein.“ Das war deutlich. „Ich mache mir mein Glück.“ Und es würde nun beginnen. Liam hatte recht. Hope war greifbar und sie war eine wundervolle Frau. Ich wusste, dass auch er ein Interesse an ihr hatte doch wenn er gerade nicht flunkerte, hatte ich eine Chance bei ihr. Kapitel 7: eine kleine Hoffnung ------------------------------- Kapitel 7 Eine kleine Hoffnung New York, September 1753 „Glaubt ihr wirklich, ich würde euch nicht bemerken?“ Hope klang belustigt und leicht beschämt verließ ich mein Versteck. Die Sonne stand schon tief. Bald würde es dunkel werden. Eine gute Zeit um jemanden in den Straßen zu verfolgen doch für heute hatte ich es wieder einmal verpatzt. Noch immer fiel es mir schwer ihr unbemerkt zu folgen und immer erwischte sie mich. Wie auch dieses Mal. „Ihr müsst noch eine Menge lernen, Shay“, sagte sie und lächelte. Allein dieses Lächeln war es wert von ihr ertappt zu werden. Seit ich von meinem letzten Auftrag zurück war, hatte ich begonnen mich Hope zu nähern. Ganz vorsichtig, denn egal was Liam sagte, wirklich glauben konnte ich es nicht. Bislang hatte keiner meiner Versuche Wirkung gezeigt. Vielleicht ging ich die ganze Angelegenheit auch falsch an. Da ich es mir nicht mit ihr verscherzen wollte, war ich möglicherweise zu vorsichtig. „Wie habt ihr mich dieses Mal bemerkt?“ fragte ich und strich die Haare nach hinten, „Es muss doch eine Möglichkeit geben sich an euch heran zu schleichen.“ Darauf lachte sie nur, doch sie lachte mich nicht aus. „Ich werde euch immer bemerken, wenn ihr zu nah an mich heran kommt, Shay. Habt ihr vergessen, dass ich euer Lehrer bin? Alles was ihr übers Anschleichen und Verstecken wisst, habt ihr von mir und ihr seid nicht gerade ein fleißiger Schüler.“ Da hatte sie recht. Ich war wirklich ein wenig faul. So wie sie es sagte klang es noch etwas schlimmer als es war. „War ich zu laut, zu auffällig oder einfach nur im falschen Versteck?“ Ein wenig frustriert war ich schon, denn dies war mein nahezu zwanzigster Versuch gewesen. „Ich habe euch gesehen. Ihr könnt noch immer nicht ganz mit eurer Umgebung verschmelzen.“ Bei diesen Worten schwang wieder der übliche, leicht überhebliche, Ton in ihrer Stimme mit, was mich ein wenig deprimierte. Hope lächelte jedoch. „Ihr ward allerdings besser als bei eurem letzten Versuch.“ Sie legte mir kurz eine Hand auf die Schulter und ihr Lächeln wurde breiter. „Ihr seid konzentrierter bei der Sache. Das macht sich bemerkbar.“ War das ein Lob? Besser wenn ich es nicht als solches auffasste. „Wohl noch nicht konzentriert genug. Sonst hättet ihr mich nicht bemerkt.“ Darauf schwieg sie und ich strich mir, etwas unsicher geworden, ein paar Haare aus dem Gesicht. Bald würde ich sie stutzen müssen um nicht ganz so ungepflegt auszusehen. Es trat eine unangenehme Stille ein. Während ich fieberhaft überlegte was ich sagen konnte spürte ich ihren Blick auf mir ruhen. „Warum folgt ihr mir?“ Hope lehnte sich an einen Baumstamm und neigte leicht den Kopf zur Seite. „Ist es nur aus Trainingsgründen, oder verfolgt ihr dabei ein anderes Ziel?“ Damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich spürte, wie mir eine leichte Röte den Hals hinauf kroch. Nur gut, dass man es nicht so schnell sehen würde, denn etwas peinlich war es mir schon so durchschaubar zu sein. „Nun, zum Teil ist es Training, ja.“ Sie machte Anstalten weiter zu gehen und lud mich mit einer Geste der Hand dazu ein, sie zu begleiten. „Und der andere Grund? Hattet ihr vor mich hinterrücks zu überfallen?“ Der Gedanke schien sie zu amüsieren. Mich machte er nervös, wenn sie mir so etwas zutraute. „Überfallen ist wohl nicht das richtige Wort dafür.“ Langsam gingen wir die Straße entlang, die zu dem Anwesen führte, in dem Hope lebte. „Eher hatte ich die Hoffnung euch überraschen zu können.“ „Überraschen? Womit?“ Möglich dass sie sich nur etwas dumm stellte, oder das Gespräch am Laufen halten wollte ohne mich wieder wie einen Idioten aussehen zu lassen. Sicher konnte sie sich denken, mit was ich sie hatte überraschen wollen. „Mit dem wachsen meiner Fähigkeiten, auch wenn sie wohl noch nicht so weit sind, das ich euch damit beeindrucken kann.“ Hätte sie mich nicht entdeckt, dann wäre es wirklich etwas gewesen um ihr zu imponieren. Nun war ich nur wieder der Schüler, der nichts dazu gelernt hatte. Hope lachte leise. „Eure Fähigkeiten sind gewachsen, Shay. Nicht soweit wie erhofft, aber doch schon deutlich bemerkbar.“ Sie blieb stehen und ließ ihren Blick über mich gleiten. „Wir können ja testen, ob ihr wirklich besser geworden seid oder einfach nur einen besseren Tag hattet als sonst.“ Etwas verwirrt sah ich sie an. „Und wie wollt ihr...“ doch statt zu antworten deutete sie auf etwas hinter mir. Irritiert drehte ich mich um, doch da war nichts, was hätte von Interesse sein können. „Was ist...“ Ich wandte mich wieder Hope zu, doch diese war schon ein gutes Stück von mir entfernt, weiter die Straße hinunter und sie rannte noch immer. Sollte das nun ein Scherz sein? Lief sie vor mir weg oder... Und ich begriff. Ich sollte sie einholen. Ein Spiel. Eine Verfolgungsjagd, bei der ich zeigen sollte was ich wirklich konnte. Ich rannte los, doch Hope hatte einen gewaltigen Vorteil. Sie lebte hier, kannte jede Straße, jedes Haus und jeden Schuppen. Zu dem war dies ihr Spezialgebiet. Doch auch ich hatte einen Vorteil ihr gegenüber. Sie konnte mit ihren Schuhen und dem Kleid weniger gut klettern als ich. Ihr Vorsprung schrumpfte etwas, als sie auf die Dächer wechselte. Ich behielt recht mit meiner Vermutung, dass ihre Schuhe sie etwas behinderten. Dennoch schaffte sie es aus meinem Blickfeld zu verschwinden. Als ich die Stelle erreichte, wo ich sie zuletzt gesehen hatte, war von ihr nichts mehr zu sehen. „Verdammt.“ So schnell gab ich mich nicht geschlagen. Sie musste sich irgendwo in der Nähe verstecken. Durch die Verfolgung war ich leicht außer Atem und brauchte einen Moment um mich konzentrieren zu können. Vielleicht konnte ich sie mit dem Adlerauge aufspüren. Die Welt um mich herum wurde schärfer, die Geräusche klarer, doch egal in welche Richtung ich auch blickte, von Hope war keine Spur zu entdecken. So musste ich mich wohl auf andere Fähigkeiten verlassen. Den gesunden Menschenverstand zum Beispiel. Aufmerksam musterte ich die Umgebung. Wo konnte man sich verstecken wenn es schnell gehen sollte? Hier oben gab es keine Kisten, hinter denen man sich verbergen konnte und keine Schornsteine. Das einzige, was ein gutes Versteck bieten würde, war ein kaputtes Fenster, eines verlassenen Gebäudes zu meiner linken. Würde Hope wirklich in ein verlassenes Haus einsteigen? Einen Versuch war es zumindest wert. Aufgeben konnte ich danach noch immer. Möglichst leise schlich ich an das Fenster heran und lauschte nach innen. Nichts war zu hören und ich konnte drinnen auch nicht wirklich etwas erkennen, zumal es langsam dunkel wurde. Vorsichtig, um mich nicht an einem Stück Glas zu verletzen das noch im Rahmen steckte, kletterte ich hinein. Drinnen war es stickig und staubig. Unter meinen Stiefeln knirschte Glas und ich blieb stehen um meine Augen an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Rechts von mir bewegte sich etwas, doch bevor ich reagieren konnte wurde ich zur Seite gezogen und mit dem Rücken an die Wand gedrückt. Vor mir, nur Schemenhaft zu erkennen, stand Hope. So nah, wie wir uns noch nie gewesen waren. Ihre Hand hielt meine am Gelenk fest, so dass ich mit der Rechten nichts machen konnte. „Ihr habt mich gefunden. Wenigstens das habt ihr geschafft.“ Ihre Stimme war leise und ein klein wenig bedrohlich, „Aber wenn ich ein Gegner gewesen wäre, dann wärt ihr nun tot, Shay.“ Ich sah an mir runter und erkannte, dass sie mir ihre verborgene Klinge vor die Brust hielt, was mich schwer schlucken ließ. Die ganze Situation begann mir ein wenig Angst zu machen. Mein Puls beschleunigte sich und es fiel mir schwer ruhig zu atmen. „Allerdings muss ich zugeben, dass ihr euch besser geschlagen habt als erwartet.“ Die Klinge verschwand von meiner Brust und wurde durch ihre Hand ersetzt. Das ließ mich noch etwas schneller atmen. „Dann bin ich also kein hoffnungsloser Fall?“ fragte ich mit leicht belegter Stimme und spürte, wie ihr Griff an meinem Handgelenk noch etwas stärker wurde. „Nein, das seid ihr nicht.“ Sie kam noch etwas näher und dann, ohne Vorwarnung, hauchte sie mir einen Kuss auf die Wange. „Aber ihr müsst noch eine Menge lernen, wenn ihr mehr wollt.“ Schon ließ sie mich los und trat einen Schritt zurück und entzog sich damit einer Erwiderung von meiner Seite. Als sie sich dem Fenster näherte, um wieder hinaus zu schlüpfen, hielt ich sie auf. „Wartet, bitte.“ Hope blieb stehen und wandte sich mir zu. „Ich...“ Doch ich hatte keine Ahnung was genau ich sagen sollte. „Es ist ungerecht. Immer wieder bekomme ich nur wage Andeutungen von euch.“ Langsam trat ich auf sie zu. Sie sagte nichts, machte aber auch keine Anstalten zu verschwinden, was mir ein wenig Mut machte. „Diese Ungewissheit macht es nicht leichter. Ich weiß nicht mehr, wie ich mich in eurer Gegenwart verhalten soll.“ Durch das Dämmerlicht konnte ich ihre Gesichtszüge nicht all zu deutlich erkennen, doch meinte ich sie lächeln zu sehen. „So wie sonst auch, Shay. Höflich, mit Respekt“, sie kam näher und stand gleich darauf vor mir, „Und ihr solltet möglichst keine anderen Frauen erwähnen, wenn wir uns unterhalten oder ich in Hörweite bin. Sonst bekomme ich noch das Gefühl, dass ihr es nicht ernst meint.“ Dann war sie eifersüchtig? Das passte so gar nicht zu ihr. Zumal sie oft so unnahbar war, dass es völlig ausgeschlossen schien überhaupt von ihr bemerkt zu werden. „Ich meine es durchaus ernst.“ Ich kam nur nicht all zu gut mit einer Zurückweisung zurecht. Hope hatte, soweit ich wusste, bisher jeden abgewiesen, der ihr hatte näher kommen wollen. „Nun“, erneut legte sie ihre Hand auf meine Brust, „Dann hoffe ich, dass es so bleibt.“ Ihre Lippen trafen auf die meinen und vorsichtig legte ich die Arme um sie. Sie wich nicht zurück, versuchte nicht, sich aus meiner Umarmung zu lösen und ich zog sie an mich. Der Kuss währte nicht lange doch kam er mir wie eine Ewigkeit vor. Hope war es, die ihn unterbrach und mich sanft, aber bestimmt von sich schob. „Es gibt noch einiges zu erledigen. Sowohl für euch, als auch für mich.“ Wie konnte sie in so einem Moment nur an Aufträge denken? Gab es denn nichts anderes für sie? Vielleicht hatte sie meine Endtäuschung bemerkt denn ein kurzes Lächeln huschte über ihre Lippen. „Wir wollen doch nichts überstürzen“, sagte sie sanft. „Und ihr seid, soweit ich weiß, noch für ein paar Tage in der Stadt.“ Das konnte ich nicht bestreiten. Ich hatte die Morrigan nach New York gebracht um sie überholen zu lassen. „Es dauert nun einmal, ein Schiff zu pflegen und die Handwerker hier sind geschickter als die in der Siedlung.“ Entschuldigend hob ich die Schultern. „Oder habt ihr etwas dagegen, dass ich hier bin?“ „Dagegen? Nein. Immerhin bietet es euch die Möglichkeit mich, unter irgendwelchen Vorwänden, besuchen zu kommen.“ Darauf musste ich lachen. Bisher hatte ich immer, dieses hinterher schleichen mal ausgenommen, einen guten Grund gehabt wenn ich sie aufgesucht hatte. „Wenn das so ist, werde ich sicher einen Grund finden um euch zu besuchen.“ Ich machte den Versuch sie noch einmal in die Arme zu schließen, doch Hope entwischte mir. Schon war sie am Fenster. „Das hoffe ich, Shay. Und lasst mich nicht zu lange warten.“ Mit diesen Worten verschwand sie aus dem Gebäude und ließ mich zurück. 'Frauen', dachte ich und ging ebenfalls zum Fenster. 'Wie sollte man sie nur verstehen wenn sie so... kompliziert waren?' Meine Laune war jedoch ausgesprochen gut, als ich mich auf den Weg, zurück zur Morrigan machte. Ich hatte eine Chance bei ihr. Kapitel 8: Glücksmoment ----------------------- Kapitel 8 Glücksmoment Die Reparatur der Morrigan dauerte länger als erwartet. Erst fehlte es an Material und dann kam es zu einem Unfall, der zwei Männern beinahe das Leben kostete. Liam, dem das Ganze zu lange dauerte, hatte sich über Land auf den Weg zurück zur Siedlung gemacht, so das ich nun alleine in der Stadt war. Nun, nicht ganz allein. Hope war noch immer hier, doch durch die Probleme mit dem Schiff, konnte ich nicht so häufig zu ihr, wie ich es wollte und es kam vor, das sie nicht zu Hause war, wenn ich sie abends besuchen wollte. Zwei ganze Wochen dauerte es, bis wir wieder ablegen konnten, doch abends wollte ich nicht auslaufen. Mir war es lieber das früh am Morgen zu tun, zumal es nach einem Unwetter aussah. Ich persönlich hatte nichts gegen etwas rauere See, doch ohne Liam war es mir zu riskant. Da wartete ich lieber noch etwas länger. An diesem Abend machte ich mich noch einmal auf den Weg zu Hope. Nur ein weiteres Mal hatte ich es in der ganzen Zeit geschafft sie zu treffen. Nicht gerade das, was unter „Nicht zu lange warten lassen“ fiel, doch irgendwie war in diesen Wochen alles gegen mich gewesen. Selbst das Wetter war gegen mich. Noch bevor ich bei Hopes Anwesen anlangte fing das Unwetter an und ich war klatsch nass als ich läutete. Natürlich war es möglich, dass sie nicht zu Hause war, doch zumindest wollte ich ihr bei einem ihrer Angestellten einen Nachricht da lassen. Nur damit sie Bescheid wusste, dass ich abreisen würde. Doch ich hatte Glück. Sie war nicht nur zu Hause, sie hatte sogar Zeit. Während ich dem Dienstmädchen folgte, welches mich zum Arbeitszimmer führte, kam ich nicht darum herum zu bemerken dass sie recht hübsch war. Innerlich schlug ich mich. An so etwas sollte ich nicht denken wenn ich wirklich vor hatte mit Hope eine ernstere Verbindung einzugehen als dieses bisherige bloße Andeuten. „Shay. Schön, dass ihr Zeit gefunden habt.“ Hope klang, wie üblich, kühl und herablassend. Der Tonfall kränkte mich. Als wäre es ganz allein meine Schuld, dass wir uns nur so selten gesehen hatten. Sie hätte mich auf der Morrigan besuchen können, wenn sie gewollt hätte. „Du kannst für heute Feierabend machen“; sagte sie an das Dienstmädchen gewandt. „Ich reche heute mit keinen weiteren Besuchern.“ - „Sehr wohl, Miss. Vielen Dank. Einen angenehmen Abend.“ Sie machte einen leichten Knicks und verließ das Zimmer. Kaum hatte sich die Tür geschlossen stand Hope auf und kam auf mich zu. „Ihr seid ganz schön nass geworden. Da Draußen bahnt sich ein Unwetter an.“ Ich sah an mir runter. Meine Kleider tropften vom Regen und hinterließen Flecken auf dem Boden. „Stimmt, doch heute war meine letzte Gelegenheit her zu kommen.“ Trotz der Kapuze waren meine Haare feucht geworden und ich strich sie zurück. „Da nehme ich ein bisschen Regen gerne in Kauf.“ „Ein bisschen Regen? Sieht mir eher nach einer Sintflut aus. Kommt. Zieht die nassen Sachen aus und wärmt euch auf.“ Ihr Ton hatte sich komplett verändert. Nun, da wir alleine waren, klang sie um so vieles freundlicher. Sie wies auf einen Stuhl nahe dem Kamin und ich zog die Jacke aus, hängte sie über die Lehne, damit sie trocknen konnte. „Ich hatte es die letzten zwei Abende schon einmal versucht, doch ihr wart nicht zu Hause.“ Verteidigte ich mich im Nachhinein. Immerhin hatte es bei ihrer Begrüßung so geklungen, als würde sie sich darüber ärgern. „Ich weiß“, sagte sie, holte einen Becher aus einem der vielen Schränke und eine Flasche. Sie goss etwas ein und reichte mir den Becher. „Mein Dienstmädchen hat mir gesagt, dass ihr hier wart.“ Zögernd nahm ich den Becher entgegen und nahm einen Schluck. Es war Rum. Damit hatte ich nicht gerechnet. Warum hatte sie so etwas im Haus? Sicherlich nicht um ihn selbst zu trinken. Mir tat er nach der nassen Kälte dort draußen jedoch gut. „Ihr habt also vor, morgen abzureisen. Sind die Reparaturen abgeschlossen?“ Sie ließ sich an dem selben kleinen Tisch nieder, an dem wir schon einmal, zusammen mit Liam gesessen hatten, und ich setzte mich zu ihr. „Wir sind vor etwa zwei Stunden fertig geworden. Ich wollte jedoch nicht bei dem Wetter auslaufen. Das ist zu riskant.“ Erneut nahm ich einen Schluck. Der Rum wärmte und er machte mich auch etwas lockerer. Noch immer hatte ich Probleme mich in Hopes Nähe zu entspannen. Sie war eine Dame. Ich wollte keine Fehler machen. „Eine kluge Entscheidung.“ Sie legte eine Hand auf die meine und ich spürte ihre Wärme. Meine Finger waren dagegen regelrecht kalt. „Ein Sturm ist nicht zu unterschätzen. Ihr habt zwar einiges an Erfahrung aber auch die Verantwortung für eure Mannschaft. Da ist es besser keine unnötigen Risiken einzugehen.“ Darauf fiel mir wie so oft keine passende Antwort ein. Ich sah nur auf ihre Hand, die noch immer auf der meinen lag. Wieso nur war ich bei ihr so unsicher? Sie hatte doch schon deutlich gemacht, dass es von ihrer Seite her durchaus Interesse an mir gab. Vorsichtig drehte ich meine Hand und ihre Finger glitten in die Handfläche hinein. Zarte Finger, denen man nicht anmerken konnte zu was sie in der Lage waren. Auch wenn Hope nicht danach aussah, sie war Assassine. „Für so schüchtern hatte ich euch nicht gehalten.“ Ihre Worte rissen mich aus meinen Gedanken und ich spürte, wie mir eine leichte Röte ins Gesicht stieg. „Ich möchte es nur nicht verderben“, gab ich zu was sie lächeln ließ. Schüchtern war ich normalerweise nicht. Das hier war jedoch kein Spiel. Wenn ich es vermasselte würde ich ihr nicht mehr in die Augen sehen können, was sich negativ auf zukünftige Missionen und Aufträge auswirken konnte. Zu dem hatte ich keine Lust mir etwaigen Spott von Liam anhören zu müssen. Hopes Blick wurde weich. „Ich hatte genügend Zeit euch zu beobachten und mir ein Bild von euch zu machen. Ich bezweifle, dass ihr es verderben werdet.“ Mit der freien Hand stupste sie den Becher an und ich nahm einen weiteren, kleinen Schluck. Übertreiben sollte ich es nicht mit Trinken, auch wenn ich einiges ab konnte. „Doch ich glaube“, fuhr sie fort, „dass ihr wirklich aus diesen nassen Kleidern heraus solltet.“ Sie stand auf und trat an mich heran. „Ihr sollt euch nicht erkälten.“ Ich sah an mir herunter. Die Jacke hatte zwar einiges abgehalten, doch nicht alles. An Kragen und Ärmelsäumen war das Hemd feucht und noch immer lief ab und an ein Tropfen aus dem Haaren am Hals entlang. Zu dem war auch die Hose von den Knien abwärts durchweicht. Nur sah ich keine Möglichkeit mich hier umzuziehen. Immerhin hatte ich keine trockene Kleidung mitgebracht. Ihre Finger glitten über meine Schulter und lösten einen angenehmen Schauer aus. War das ganze gerade eine Andeutung? Als sie eine leichte Bewegung mit dem Kopf machte stand ich auf und sie ging voran. Nicht all zu schnell. Ganz gemächlich, mit wiegendem Gang. Sie führte mich aus dem Arbeitszimmer, zurück in die Eingangshalle und dort eine Treppe hinauf. Schweigend folgte ich und spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Hier oben war ich noch nie gewesen. Hier waren ihre Privaträume in die sie, soweit ich wusste, noch nicht einmal Liam gelassen hatte. Im ersten Zimmer brannte nur das Feuer im Kamin. Sonst gab es kein Licht, doch es reichte aus um zu erkennen was sie hier aufbewahrte. Schemenhaft erkannte ich Regale mit Büchern und Vitrinen, die einzelne Sammlerstücke beinhalteten. Hope hatte eine Leidenschaft für schöne, mehr oder weniger wertvolle Dinge. Da es so dunkel war konnte ich keine der zur Schau gestellten Objekte betrachten. Dazu hatte ich auch keine Zeit, denn Hope ging durch dieses Zimmer hindurch in ein weiteres, kleineres, in dem es noch dunkler war. Ich konzentrierte mich auf ihre Schritte, denn viel konnte ich nicht mehr von ihr sehen und wollte nicht in irgend etwas hinein laufen. Wieder öffnete sie eine Tür und ich fand mich in einem warmen, wieder durch einen Kamin, erhellten Zimmer wieder, in dem es angenehm nach Flieder duftete. Ich erkannte den Geruch nur, weil Hope mir vor einiger Zeit gesagt hatte, dass sie Flieder mochte. Ein großes Himmelbett stand an der Wand, dazu ein Kleiderschrank in dem meine gesamte Ausstattung mehr als zwei mal Platz gefunden hätte, eine Kommode und ein Frisiertisch. Sie hatte mich in ihr Schlafzimmer geführt. Sachte schloss ich die Tür hinter mir, ließ dabei den Blick nicht von Hope, die lächelnd mitten im Raum stand. Meine Unsicherheit war verflogen. Ich musste nicht fragen warum sie mich hier her gebracht hatte. Langsam trat ich auf sie zu und als ich dieses Mal meine Arme um sie legte kam sie mir entgegen. Unsere Lippen trafen sich und während meine Hände auf die Suche nach der Verschnürung ihres Kleides waren schoben ihre Finger sich zu meinem Kragen hinauf, wo sie die Knöpfe an meinem Hemd öffneten. Draußen tobte noch immer das Unwetter und der Wind rüttelte an den Fensterläden. Ich spürte einen Luftzug, der über meine nackte Haut strich und zog die Decke ein wenig höher. Das Feuer war heruntergebrannt und es war merklich kühler geworden. Unter der Decke dagegen war es warm. Hope lag, den Kopf an meiner Schulter, neben mir und schlief. Es war zu dunkel um etwas erkennen zu können, doch ich ahnte, dass sie noch immer das leichte Lächeln auf den Lippen hatte, mit dem sie eingeschlafen war. Ich dagegen war wach geblieben, hatte ihren Schlaf bewacht und sie beobachtet, bis das Licht vom Kamin erloschen war. Danach hatte ich nur noch ihrem Atem gelauscht und mich nicht getraut mich zu bewegen um sie nicht zu wecken. Auch jetzt versuchte ich möglichst wenig an meiner Lage zu verändern, als ich die Decke höher schob um sicher zu gehen, dass auch sie nicht fror. Leicht regte sie sich, schmiegte sich jedoch nur enger an mich, was mich lächeln ließ. Die schöne, stolze Hope, die sich von keinem etwas bieten ließ und wie eine wütende Katze die Krallen ausfahren konnte, war nun ganz sanft und verletzlich. Sie war eine Frau, die „Mann“ beschützen wollte. Sie würde es nicht zulassen, dass ich sich schütze, wenn sie wach war. Daher tat ich es während sie schlief. Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffnete fiel Licht durch die Spalten der Fensterläden und das Bett neben mir war kalt und leer. Ich hatte nicht bemerkt, dass Hope aufgestanden war und wusste daher nicht, ob sie schon länger fort war oder erst seit ein oder zwei Minuten. Etwas mühsam richtete ich mich auf. Meine Schultern schmerzten leicht. Ich war es nicht gewohnt auf dem Rücken zu schlafen und hatte die Decke wohl nicht hoch genug gezogen. Das machte mir jedoch keine Sorgen. Sicher würde der Schmerz bald nachlassen, sobald ich ein wenig Bewegung in die Muskulatur gebracht hatte. Mein Blick glitt umher. Auf dem Boden lagen meine Kleider verstreut. Letzte Nacht hatte ich mir keinerlei Gedanken darüber gemacht wo welches Kleidungsstück von mir landete und so brauchte ich eine Weile um alles zusammen zu suchen und mich anzuziehen. Gänzlich trocken waren die Hosen nicht, doch es gab schlimmeres. Nasse Füße zum Beispiel und die Socken waren trocken, wenn auch kalt. Gerade als ich den zweiten Socken anzog hörte ich vor der Tür Schritte und sah auf, als die Tür geöffnet wurde. Mit einem Becher, aus dem es leicht dampfte, trat Hope ins Zimmer und blieb abrupt stehen als sie mich auf der Bettkante sitzen sah. „Ihr seid schon auf.“ Sie klang enttäuscht und ich begriff. Sie hatte mich mit dem Becher Tee oder was es auch war, wecken wollen. Hätte ich das geahnt, wäre ich liegen geblieben. Nun hatte ich ihr diesen Moment verdorben. „Ihr seid ebenfalls schon auf, und offenbar länger als ich.“ Denn Hope war komplett angezogen, frisiert und hatte sich in der Küche betätigt. Oder jemanden darum gebeten sich dort zu betätigen. Ich hatte keine Ahnung wie viel Personal sie beschäftigte und wann diese hier auftauchten. Möglicherweise blieben auch einige im Haus. Ich stemmte mich vom Bett hoch und trat auf sie zu. „Es war ein sehr einsames Aufwachen.“ Etwas, das ich als kein gutes Zeichen deuten konnte. Vielleicht hatte sie es heute morgen bereut was in der letzten Nacht zwischen uns gewesen war. „Ihr saht sehr friedlich aus, als ich aufgewacht bin. Da wollte ich nicht stören.“ Sie hielt mir mit einem Lächeln den Becher hin. Es war Kaffee darin. Bislang hatte ich erst ein Mal Kaffee getrunken und das war Jahre her. Für gewöhnlich hielt ich mich an Tee und selbst den bekam ich nicht jeden Tag. Das Gebräu war heiß und süß. „Zucker?“ fragte ich daher und nahm schmunzelnd einen weiteren Schlucke. Hope lächelte noch etwas breiter. „Damit schmeckt er gleich viel besser“, gab sie zurück. Offenbar erleichterte es sie, dass es mir zusagte. „Unten ist das Frühstück fertig. Sicher habt ihr nichts gegen eine Stärkung, bevor ihr euch auf See begebt.“ Wieder auf See... Ich hatte nun wirklich keine Lust mich auf den Weg zur Siedlung zu machen. Nicht nach der letzten Nacht. Sicher sah sie mir das an, denn sie gab mir einen sanften Kuss auf die Wange. „Schaut nicht so traurig, Shay. Wir sehen uns bald wieder.“ Diese Worte hatte ich noch immer im Kopf als ich gut eineinhalb Stunden später den Befehl zum Ablegen gab. „Wir sehen uns bald wieder.“ Ich hoffte, dass sie Recht behielt. Es gab einfach zu viele Dinge die sie daran hindern konnten zur Siedlung aufzubrechen. Oder aber Schiffe, die sich dazu entschlossen uns zu versenken. Kapitel 9: schlechte Kunde -------------------------- Kapitel 9 schlechte Kunde Langsam wurde es kälter. Wie jedes Mal, wenn sich das Jahr langsam dem Ende zu neigte, fiel es mir schwer morgens aus dem Bett zu kommen. Nicht, dass es mir je wirklich leicht gefallen war, doch wer stand schon gerne auf, wenn es draußen noch dunkel war? Leider gab es genug, denen die morgendliche Dunkelheit und damit einhergehende kühle Luft, nichts ausmachte. Liam tauchte regelmäßig auf und warf mich aus dem Bett. „Seid froh, dass es noch nicht schneit sonst würde ich euch ganz anders wecken“, sagte er und warf mir meine Hosen zu. All zu übel nahm ich ihm diese Behandlung nicht. Er wusste, eben so gut wie ich, dass ich gerne schlief. Zu dem machte es keinen guten Eindruck ständig zu spät beim Training aufzutauchen. Hope hatte Wort gehalten und war, eine Woche nach mir, in der Siedlung aufgetaucht, mit Informationen für Achilles und ein paar Briefen aus der Stadt. Sie ließ sich nicht anmerken, dass sich zwischen ihr und mir etwas verändert hätte. Sie gab sich kühl und abweisend. Allerdings nur solange andere in der Nähe waren. Eines Abends, Ende Oktober, kam sie mich besuchen. Es war das erste Mal überhaupt, dass sie mich hier besuchte und ich hatte lange Zeit angenommen, dass sie nicht wusste in welcher der Hütten ich untergebracht war. Überrascht sah ich sie an, als ich die Tür öffnete und sie davor stehen sah, ein leicht überhebliches Lächeln auf den Lippen und verschränkten Armen. „Ist es gestattet eure Räumlichkeiten zu betreten oder habt ihr etwas zu verbergen?“ fragte sie, als ich, noch immer überrascht, keine Anstalten machte, sie herein zu bitten. Wortlos trat ich zur Seite und ließ sie herein. Da ich in keiner Weise mit ihr gerechnet hatte, herrschte das übliche Chaos im Raum, doch zumindest war es einigermaßen sauber. Da ich nicht all zu oft hier war gab es nicht wirklich viel, dass ich schmutzig machen konnte. Nur dass ich gerne meine Sachen einfach auf den Boden warf, anstatt sie ordentlich zurück zu legen. „Was verschafft mir die Ehre eures Besuches?“ fragte ich und schloss die Tür. Zur Sicherheit schob ich den Riegel vor, denn ich hatte keine Lust nun von Liam unterbrochen zu werden. „Wie wäre es mit...“ sie ließ ihre Finger über den Tisch gleiten, der mitten im Raum stand, voll mit Karten und Papieren, „Ich wollte euch sehen.“ Sie wandte sich mir zu und lehnte sich an den Tisch. „Immerhin ist seit unserem letzten Treffen unter vier Augen bald ein Monat verstrichen.“ Diese Worte machten mich etwas verlegen wo ich sie damals nicht wirklich hatte alleine lassen wollen. Aus ihrer Sicht musste es so aussehen, als wäre mir die Sache doch nicht so ernst. „Ich hatte auf eine günstige Gelegenheit gewartet“, wich ich aus. „Es ist beinahe unmöglich sich alleine mit euch zu unterhalten.“ Das stimmte. Entweder unterwies sie andere Assassinen im Anschleichen und unbemerktem Töten, oder sie unterhielt sich mit Liam, dem Chevallier oder Achilles. Bei einigen dieser Unterhaltungen durfte ich dabei sein, doch danach wurde sie so gut wie immer aufgehalten oder aber mich hielt man auf. Es war wirklich nicht leicht und ich wollte hier, wo so viele zusehen konnten, nicht einfach zu ihrer Unterkunft gehen. Das war zu offensichtlich. Vorsichtig trat ich auf sie zu und blieb vor ihr stehen. „Glaubt nicht, ich hätte euch auch nur einen Tag lang vergessen.“ Denn das hatte ich nicht. Vor allem aber dachte ich an diese eine Nacht und träumte ab und an davon. Mittlerweile war ich mir nicht mehr sicher, ob es wirklich passiert oder doch nur eine Ausgeburt meiner Fantasie war. „So etwas hört eine Frau gerne.“ Ihre Stimme war, im Vergleich zu dem herrischen Ton beim Training, wie ausgewechselt. Mit einem amüsierten Lächeln sah sie an mir herunter. „Sagt mir eins. Habt ihr nur dieses eine Hemd oder sehen bei euch alle Kleidungsstücke identisch aus?“ Sie berührte einen der Knöpfe und auch ich sah an mir herunter. All zu viele Hemden besaß ich wirklich nicht und ich trug, in der Tat, das selbe Hemd wie vor einem Monat. Es wunderte mich, dass es ihr aufgefallen war. „Ein paar unterschiedliche habe ich schon. Nur nicht all zu viele.“ Und alle hatten schon die ersten Nähte und Flecken, die ich nicht mehr heraus bekam. Dieses hier, war noch eines meiner besseren. Vielleicht sollte ich mir bei Gelegenheit ein neues zulegen. Hope ging darauf überhaupt nicht ein. Sie war mehr damit beschäftigt den Knopf, den sie eben noch so interessant gefunden hatte, langsam zu öffnen. Ich trat noch etwas dichter an sie heran und sie hob den Blick. Sachte strich ich ihr über die Wange, dann zum Kinn und zog sie leicht zu mir heran. Sie schloss die Augen, noch bevor sich unsere Lippen trafen. Ganz langsam schob ich mich noch näher an sie heran, schlang einen Arm um ihre Taille und ließ die andere Hand vorne vom Kinn her über den Hals abwärts gleiten. Ein Klopfen an der Tür sorgte dafür das wir uns abrupt voneinander lösten. „Shay?“ Eindeutig, das war die Stimme von Liam. Ich sah zu Tür, wo sich die Klinke nach unten bewegte. Wie gut, dass ich den Riegel vorgeschoben hatte und er nicht herein konnte. Was konnte er um diese Zeit von mir wollen? Wir waren mit dem Training durch. Er hatte mich an diesem Tag genug gescheucht. Wieder klopfte es, energischer dieses Mal und mit einem tiefen Seufzen wandte ich mich der Tür zu. „Schon gut, lasst die Tür ganz“, sagte ich etwas lauter um das Klopfen zu übertönen. Das Klopfen erstarb und ich entriegelte die Tür. Liam stand dort, ernst und mit einem leicht besorgten Ausdruck auf dem Gesicht. „Was gibt es? Ist etwas passiert?“ fragte ich und versuchte ihm den Blick nach drinnen zu versperren. „Das kann man wohl sagen.“ Er sah mich nicht an, hielt den Blick gesenkt und machte den Eindruck, als wäre ihm mehr als unwohl in seiner Haut. So sah er nur dann aus, wenn etwas wirklich unangenehmes passiert war. Und ich wusste, dass er es mir nicht zwischen Tür und Angel erzählen wollte. Daher trat ich zur Seite und ließ ihn herein. „Normalerweise hätte ich bis morgen früh gewartet aber...“ Er sah auf und erblickte Hope, die sich eine der Karten genommen hatte. Vermutlich um so zu tun, als wäre sie offiziell hier und nicht aus privaten Gründen. Sein Blick huschte zwischen Hope und mir hin und her, dann seufzte er. „Ich wusste nicht, dass ihr Besuch habt.“ Gerade, als ich mir eine Ausrede einfallen lassen wollte um Hopes Anwesenheit zu begründen, kam sie mir zuvor. „Schon gut, Liam. Ich glaube, das was Shay und ich zu besprechen haben, kann auch noch etwas warten.“ Sie legte die Karte zurück auf den Tisch und kam zu uns, zur Tür. „Ich bin sicher, das diese Angelegenheit noch einen Tag warten kann.“ Dabei sah sie mich an und zwinkerte, so das Liam es nicht sehen konnte. Dann ging sie an uns vorbei und verschwand in die Nacht. Einen Augenblick standen Liam und ich nur da und sahen ihr hinterher, dann ließ ich die Tür ins Schloss fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Also, was ist so wichtig, dass es nicht bis morgen warten kann?“ Kurz sah er mir in die Augen, wandte sich aber schnell ab. „Ich habe eine Nachricht erhalten. Eine, die in gewisser Weise auch euch betrifft. Aus Boston.“ Warum konnte er nicht einfach gleich auf den Punkt kommen? Dieses drum herum Gerede ging mir bei ihm doch ab und an auf die Nerven. „Und was für eine Nachricht war das?“ Ich konnte mir nicht denken, dass es etwas gab, das so wichtig sein konnte. „Ihr wisst, dass ich Kontakte zu vielen anderen Standorten der Bruderschaft habe und auch, dass Achilles mir von sehr vielen Aktivitäten erzählt.“ Natürlich wusste ich das. Liam würde sicher selbst Mentor werden, wenn es an der Zeit war. Achilles bereitete ihn darauf vor. Für mich war es nichts neues, daher nickte ich nur und schwieg. „In Boston gab es einen Zwischenfall. Soweit ich weiß, war es eine gut geplante Aktion, von mehreren Assassinen zugleich ausgeführt. Ein Schlag gegen die Templer, die planten, die Bruderschaft in Glouchester auszumerzen. Es gab Hinweise und Berichte von Spionen. Sie mussten handeln bevor der Plan der Templer...“ „Kommt bitte zur Sache“, unterbrach ich ihn. Die Aktivitäten anderer Assassinen interessierten mich nur wenig, solange es nichts mit meinen Missionen zu tun hatte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgend etwas mit den Artefakten zu tun haben konnte. Liam sah verärgert aus. Er mochte es gar nicht, wenn ich ihn unterbrach. „Also gut. Ich mach es kurz. Selena ist tot.“ Die Worte standen im Raum und ich brauchte einen Moment um zu verstehen was er da gesagt hatte. Was hatte ein Angriff auf Templer mit dem Tod von Selena zu tun? Nach mehreren Sekunden des Schweigens sagte ich dann: „Was soll das heißen, sie ist tot? Ich verstehe nicht...“ „Laut meinen Informationen hatte sie engen Kontakt zu den Templern in Boston und New York. Sie wurde oft mit bekannten Mitgliedern des Ordens gesehen und wurde durch ihr Handeln zu einer Gefahr. Daher hatte man beschlossen sie...“ „Eine Gefahr? Wie sollte sie eine Gefahr darstellen“ Das war nicht zu fassen. Selena, die einen halben Zusammenbruch hatte, nach dem sie einen Mann getötet hatte. Die kaum eine Klinge führen konnte. Die ein so loses Mundwerk besaß, dass sie sich damit selbst schadete. Wie sollte sie eine Gefahr für die Bruderschaft darstellen? „Ihr habt sie kennengelernt, Liam. Sie war harmlos.“ Offenbar hatte ich mich nun im Ton vergriffen, doch mir war das egal. Ich dachte, Liam hätte mir den Abend verdorben, in dem er auftauchte, doch das hier war weit schlimmer als das bloße verderben eines Treffens mit Hope. „Es war nicht meine Entscheidung“, sagte er kühl und verschränkte nun seinerseits die Arme vor der Brust. „Ich habe mit dieser Angelegenheit nichts zu tun. Ich überbringe nur die Nachricht, weil ich dachte, dass es euch interessieren könnte.“ Nun, interessieren tat es mich wirklich. Und nun, da ich wusste, warum er so weit ausgeholt hatte mit seiner Erzählung, wollte ich alles wissen. Alles, was er über die Sache wusste. Und ich wollte wissen wer es gewesen war, der Selena getötet hatte. Es dauerte nicht lange, bis Liam mit seiner Geschichte fertig war. Ich unterbrach ihn nicht noch einmal, während er erzählte. Demnach hatte es ein gut durchdachtes Attentat gegeben, an mehreren Orten zur selben Zeit nur, dass der Assassine, der sich um Selena hatte kümmern sollen, kurz vorher gestürzt war und ein anderer einspringen musste, der für diese Aufgabe nicht vorbereitet war. Die anderen beiden Attentate hatten reibungslos funktioniert, doch Selena hatte man danach nicht aus den Augen gelassen, bis sie wieder in ihrer Unterkunft war. Dort hatte der Assassine auf sie gewartet und war beim Attentat selbst ums Leben gekommen. Selena war, dem Dienstmädchen zu folge, ein paar Tage danach an der Verwundung gestorben. Das es auch den Angreifer erwischt hatte, machte es etwas erträglicher, doch nur ein wenig. Selena hatte sich nicht kampflos geschlagen gegeben. Eine Weile trat Stille ein. Liam und ich hatten uns an den Tisch gesetzt und ich hatte mir einen Becher Rum eingeschenkt, um das alles besser verarbeiten zu können. Nun saß ich da und starrte auf den halbvollen Becher. Wieso nur machte ihr tot mir so zu schaffen? Sie war nur eine flüchtige Bekanntschaft gewesen und doch tat es weh. „Tut mir leid“, kam es irgendwann von Liam und ich sah auf. Er wirkte wirklich so, als täte es ihm leid, doch das machte sie nicht wieder lebendig. Erst Genievre, die kurz nach unserem Stelldichein bei einem Auftrag ums Leben gekommen war und nun Selena. Die zweite Frau, die mir etwas bedeutet und die ich nun verloren hatte. Würde es mit Hope genau so werden? Allein der Gedanke, Hope könnte etwas zustoßen, war grauenhaft. Wieder trat Stille ein und ich spürte, das Liam mich ansah. Ich hatte mich wieder meinem Becher zugewandt, trank jedoch nicht. Mir war der Appetit darauf vergangen. Irgendwann erhob er sich und legte mir kurz eine Hand auf die Schulter. „Ich lass euch dann besser allein. Wir sehen uns morgen, beim Training.“ Zur Antwort hob ich nur die Hand und lauschte seinen Schritten die zur Tür gingen, kurz innehielten und dann verschwanden. Lange saß ich noch da, starrte auf den Rum und versuchte mir einzureden, dass es keinen Unterschied machte, was passiert war. Das es notwendig gewesen war. Doch ich konnte mir nicht vorstellen wie irgend etwas, dass Selena getan hatte, einen Anlass dazu geben konnte, sie töten zu lassen. Nur weil sie mit Templern gesehen worden war, hieß das noch lange nicht, dass sie bewusst für sie gearbeitet hatte. Vermutlich hatte sie die ganze Zeit über keine Ahnung gehabt. Am nächsten Morgen brauchte länger ich um in die Gänge zu kommen und beim morgendlichen Training war ich nicht wirklich bei der Sache. Hope sah ab und an fragend zu mir herüber, doch ich wandte mich ab. Ich wollte keine Fragen beantworten oder über das reden, was Liam mir am Vortag anvertraut hatte. Zu dem hatte ich einen Entschluss gefasst. Es war besser wenn ich mich nicht der Illusion hingab, es könnte etwas aus uns werden. Gut, ich mochte Hope wirklich sehr, doch wenn es wirklich zu einer Beziehung zwischen uns kommen sollte und sie dann starb... Das würde ich nicht überstehen. Besser, wir beließen es dabei und kümmerten uns um unsere Aufgaben. Ich musste diese verdammten Artefakte finden. Vielleicht war es danach möglich, sich um persönliches zu kümmern. Kapitel 10: Zusammenfassung --------------------------- Kapitel 10 1754 - Eine Zusammenfassung der Ereignisse Die Suche nach den Artefakten erwies sich als äußerst schwierig. Auch wenn wir alles unternahmen um zu erfahren wo sie sich befanden erhielten wir erst im März wieder neue Hinweise. Samuel Smith war aus Europa zurück. Ihm hatte Washington die Schatulle anvertraut. Eine gute Gelegenheit, sie ihm abzujagen, falls er sie noch hatte. Wir machten uns auf den Weg um uns mit Le Chasseur zu treffen, der Informationen für uns hatte. Mit einiger Genugtuung sah ich bei unserer Ankunft, dass der Chevallier auf seiner Reise weniger Glück gehabt hatte als Liam und ich. Sein Schiff war schwer beschädigt und wurde gerade repariert. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, denn er sah wirklich sehr deprimiert aus und hatte einiges getrunken. Mir würde es sicher nicht anders gehen, wäre die Morrigan in dem Zustand wie die Gerfault. Die Informationen, die der Pirat für uns hatte, waren ausreichend, um Smith aufzuspüren und er hatte noch eine Überraschung für uns. Eine neue, schnell feuernde Waffe, die am Schiff befestigt werden konnte und eine Ramme, die in der Lage war Eis zu durchbrechen. Da sagte ich sicher nicht nein. Als wir uns wieder auf See begaben um Smith zu jagen schloss sich, sehr zu meiner Verärgerung, der Chevallier an. Wie nicht anders zu erwarten gab er gehässige Kommentare von sich, dass mein Schiff, er nannte es Fass, langsam sein. Nun, mein Schiff war, im Gegensatz zu seinem, in der Lage die Verfolgung aufzunehmen. Seine Bemerkungen sorgten nicht dafür, das meine Laune sank. Ich hatte eine neue Waffe und wollte sie ausprobieren. Wir fanden Smith's Schiff und nahmen die Verfolgung auf. Leider konnte ich nicht darauf schießen. Die Gefahr es zu versenken war zu groß. Die Schatulle ging vor. So schaffte der Templer es, uns in einen Hinterhalt zu locken aus dem wir nur knapp entkamen. Glücklicherweise war die Morrigan wendig und die angreifenden Schiffe hatten Schwierigkeiten uns zu erwischen. Gänzlich unbeschadet kamen wir jedoch nicht aus der Angelegenheit heraus. Zu dem nutzte Smith die Gelegenheit um zu verschwinden. Nun, ganz verschwand er nicht. Er wartete in sicherer Entfernung um zu sehen ob wir von seinen Leuten aufgehalten wurden. Hätte er besser bleiben lassen sollen, denn so konnten wir die Verfolgung wieder aufnehmen. Kurz bevor wir ihn erreichten gab es neuerliche Probleme. Irgendwie schafften sie es, das Meer in Brand zu setzen. Wir mussten langsamer werden und den Feuerinseln ausweichen. Nicht gerade einfach, da wir durch eine Passage mussten, in der es stark wehte. Doch wir schafften es. Smith gelang es in der Zeit anzulegen und als wir sein Schiff erreichten waren bis auf die Crew und den Kapitän alle vom Schiff verschwunden. Während ich mich auf die Suche nach dem Templer und der Schatulle machte, wollten Liam und der Chevallier sicherstellen, dass niemand mit dem Schiff entkam. So machte ich mich daran den Spuren im Schnee zu folgen, Soldaten auszuweichen und möglichst unbemerkt an mein Ziel heran zu kommen. Mit etwas Geschick schaffte ich es, Smith von seinen Männern zu Isolieren und dann, stellte ich ihn. Seine Hand, mit der Klinge zitterte, während er mit der anderen eine kleine Schatulle an sich drückte. Es war offensichtlich, dass er bislang kaum ein Schwert geführt hatte. Anstatt mich mit der Waffe anzugreifen, versuchte er, mich mit Worte zu verunsichern. Das ich meine Taten bereuen und die Bruderschaft mich nur benutzen würde. Als ob die Templer etwas anderes tun würden. Mühelos schlug ich ihm die Klinge aus der Hand und er stolperte rückwärts, fiel hin und ließ die Schatulle los. Als ich sie an mich nahm unternahm er einen letzten verzweifelten Versuch mich umzustimmen. „Selbst die besten Wissenschaftler aus ganz Europa konnten es nicht zum Laufen bringen.“ Möglich, dass er recht hatte, doch was ging mich das an? Ich war hier um die Schatulle in die Hände zu bekommen. Und um diesen Mann zu töten. Doch es fiel mir nicht leicht. Wie schon bei Washington hatte ich das Gefühl, dass es nicht nötig sein würde. Samuel Smith verwaltete die Reichtümer der Templer. Er war kein Kämpfer. Hätte er mich angegriffen, wäre es etwas anderes gewesen. So tötete ich nur einen alten, ängstlichen und übergewichtigen Mann. Bei meiner Rückkehr zur Morrigan stellte ich fest, dass der Chevallier das Schiff von Smith an sich genommen hatte, um schon einmal voraus zu fahren. Gut, dass ich den nun nicht mehr ertragen musste. Vorsichtig erwähnte ich, dass ich nicht ganz damit einverstanden war, wie wir diese Artefakte in unseren Besitz brachten. Liam ging sofort dagegen an. Smith sei ein gefährlicher Mann gewesen. Ein Templer, der obendrein die Schatulle besessen hatte. Ich begann mich zu fragen, ob ihm klar war was er da sagte. Für ihn war anscheinend jeder sofort gefährlich, sobald er Templer war oder mit ihnen zu tun hatte. So wie Selena. Hätte er sie angegriffen, wenn sie mit diesen Artefakten in Berührung gekommen wäre? War das vielleicht der wahre Grund, warum sie getötet worden war, und er wollte es mir nur nicht erzählen? Es war besser, nicht weiter zu fragen und Liam nicht in Rage zu bringen. Allein das ich an dieser Mission zu Zweifeln begann genügte schon um bei ihm für Sorgenfalten zu sorgen. Auf der Rückfahrt vermied ich es das Thema noch einmal anzuschneiden und zurück in der Siedlung ging ich meinen Angelegenheiten nach. Ich hatte mir diese Schatulle etwas genauer angesehen, doch für mich sah sie unscheinbar aus. Obwohl es Löcher, Rillen und Vertiefungen gab, war es unmöglich sie zu öffnen. Was auch immer ihr Geheimnis war, ich würde es nicht erfahren. Nicht, solange wir keine Spur von dem Manuskript hatten. Nur ein paar Monate später teilte Liam mir mit, dass wir nach Albany aufbrechen sollten. James Wardrop war aus seinem Mauseloch gekrochen und er hatte das Manuskript bei sich. Liam zählte auf der Reise die Verbrechen dieses Mannes auf. „Hat Stämme von ihrem Land vertrieben“, „Steckt hinter Massakern“, „Nutzt das Gesetz für seine Zwecke“. Wieder ein Mann über den es anscheinend nichts Gutes zu berichten gab. Oder aber man hatte sich nicht die Mühe gemacht etwas positives über ihn zu erfahren. Über Smith hatte ich selbst Informationen beschafft und mir hatte man nichts Negatives über ihn sagen können. Mit der Ausnahme, dass er ein Templer war. Langsam beschlich mich der Gedanke, dass Liam und mit ihm auch Hope, Kesegowaase und Achilles eine etwas einseitige Sicht der Dinge entwickelt hatten. Kritik oder ein einfaches Hinterfragen wurde misstrauisch beäugt oder sofort niedergedrückt. In Albany angelangt merkte ich, dass Hope noch immer nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen war. Das ich, nach unserem unterbrochenen Treffen, keinen Versuch gestartet hatte mich bei ihr zu melden, hatte sie mir sehr übel genommen. Ich konnte es an ihrem Blick sehen und sie richtete ihre Worte, bei der Lagebesprechung hauptsächlich an Liam, nicht an mich. Fast so, als wäre ich nicht da. Das tat schon etwas weh, doch war ich selbst schuld. Dummerweise hatte ich das Gefühl Liam wüsste ganz genau was zwischen uns los war, denn auch er machte den Eindruck auf mich wütend zu sein. Was mich verwirrte war, dass seine Bemerkung über Lawrence Washingtons Tod, wie ein Vorwurf klang. Er war es gewesen, der mir hatte einreden wollen, der Mann müsse sterben. Er hatte meine Bedenken abgetan und mir gesagt, ich solle mich über diesen Tod freuen, weil er die Templer in Chaos stürzen würde. Nun sagte er „Seit ihr ihn eliminiert habt ist Wardrop aufgestiegen. Alle Mittel der Templer stehen ihm jetzt zur Verfügung.“ Ich ließ es bleiben, ihn auf den Widerspruch seiner Worte hinzuweisen oder zu erwähnen, dass ich dagegen gewesen war ihn zu töten. Es hätte eh nichts gebracht. Kurz darauf trennten wir uns. Liam und Hope, die ohne mich eh besser auskamen, wollten verhindern, dass Wardrop entkam, während es meine Aufgabe sein würde, den Mann ausfindig zu machen und ihm das Manuskript zu stehlen. Ach ja: Und ihn zu töten. Es reichte nicht aus, das Manuskript aus den Klauen der Templer zu befreien. Auf meinem Weg stieß ich auf einen kleinen Menschenauflauf. Ein Mann, der etwas erhöht vor der 'Albany Hall' stand, redete von nationaler Einheit und Unabhängigkeit. Erst schenkte ich dem keinerlei Beachtung, bis ich merkte, dass sich unter den Zuschauern ein Mann befand, den ich von einem Bild aus den Räumen von Achilles kannte. William Johnson. Ein Templer. Es war gut möglich, dass er wusste wo sich das Manuskript befand. Hier konnte ich ihn jedoch nicht in die Mangel nehmen. Es waren zu viele Leute hier und ich wollte keine Massenpanik auslösen. Daher wartete ich darauf, dass der Vortrag endete um ihm folgen zu können. Aus diesem Plan wurde jedoch nichts. Kaum war der Vortrag beendet trat Johnson auf den Mann zu und verwickelte ihn ein ein Gespräch. Da sich die Menge nicht gleich zerstreute nutzte ich deren Schutz um dichter heran zu kommen. So erfuhr ich, dass der Mann Franklin hieß und die Templer ihm die Schatulle hatten geben wollen um sie in Gang zu setzen. Nun, das war interessant. Vielleicht ein Ansatzpunkt für später, wenn sich auch das Manuskript in unserem Besitz befand. Mitten in dem Gespräch, als es gerade darum ging wann die Übergabe stattfinden sollte, trat ein Rotrock dazu und Johnson unterbrach sich. Ich weiß nicht was mich mehr überraschte. Die Art wie Johnson mit dem Soldaten redete oder die Tatsache, dass dieser sich einschüchtern ließ. Johnson machte auf mich nicht den Eindruck, als würde er zur Armee gehören. Der Rotrock wurde zu Wardrop geschickt und ich zögerte nicht lange. Der Mann würde mich direkt zu ihm führen und kurz vor seinem Ziel schaltete ich ihn aus. So war gewährleistet, dass sich meine Zielperson nicht aus dem Gebiet entfernte, solange ich nach ihr suchte. Ganz so einfach wurde es nicht. In das Fort, in dem sich der Mann befand, kam ich zwar recht leicht hinein, doch dort wimmelte es von Soldaten. Eine ganze Weile beobachtete ich von einem hochgelegenen Punkt aus die Patrouillen, machte mein Ziel ausfindig und suchte mit den Augen das ganze Gelände nach möglichen Verstecken ab. Wenn möglich wollte ich niemanden außer meinem Ziel töten. Erst als ich sicher war, einen Weg gefunden zu haben, machte ich mich daran näher an Wardrop heran zu kommen. Langsam arbeitete ich mich vorwärts. Anschleichen, von hinten KO schlagen, Schlafpfeile bei Scharfschützen (ich liebte dieses Luftgewehr), und unachtsamen Soldaten die Luft abschnüren und sie hinter Büschen verstecken. Lautlos kam ich meinem Ziel näher und näher, ohne, dass er etwas davon bemerkte. Zum Schluss waren nur noch er und ich in dem geschützten Innenhof übrig. Als Wardrop unter seiner Jacke ein dickes Buch hervor holte und sich daran machte, es in eine Kiste zu legen nutzte ich meine Chance. Er war abgelenkt. Von hinten trat ich an ihn heran, riss ihm das Buch aus den Händen und stieß ihn zur Seite. Völlig überrascht ging er zu Boden, doch er fing sich recht schnell wieder. Auch er war ein alter Mann. Die Haut gelblich und er sah krank aus. Wieder einer, der sich nicht verteidigte, oder auch nur die Möglichkeit hatte sich zu verteidigen. Er machte nicht einmal den Versuch aufzustehen. Alles was er tat um mich aufzuhalten war, mir vor Augen zu führen, was die Templer mit der Unterstützung der Briten taten. Ordnung ins Chaos bringen. „Wenn alles erlaubt ist, ist niemand sicher“, sagte er, womit er recht hatte. Ich war allerdings nicht hier, um mich vom Orden überzeugen zu lassen. Ich war Assassine und ich hatte eine Mission. So trat ich an ihn heran und ging vor ihm in die Hocke. „Selbst der Teufel, kann die Heilige Schrift für seine Zwecke missbrauchen“, gab ich ihm zur Antwort, bevor ich ihn mit der verborgenen Klinge tötete. Kein Gefühl von Triumph kam in mir auf, als ich auf den Toten hinunter sah und das Manuskript unter meine Jacke schob. Es machte mich traurig. Diese Männer, die ich wegen der Artefakte hatte töten müssen, hatten ihre Ideale gehabt. Sie hatten an die Sache geglaubt, so wie wir an die unsere glaubten. Ich konnte nur hoffen, dass es das wirklich wert war. Zurück auf der Morrigan erzählte ich Liam von dem Gespräch, das ich belauscht hatte. Er hielt es für einen guten Ansatzpunkt. Von Franklin hatte er schon gehört, wusste aber nicht wo sich dieser aufhielt. Nun zur Zeit war er hier in Albany, doch das brachte uns nichts, denn die Schatulle war in der Siedlung. Zu dem musste das ganze Unterfangen gründlich geplant werden. Es dauerte daher einen ganzen Monat bis wir uns erneut auf die Reise begeben konnten. Dieses Mal waren beide Artefakte, Schatulle und Manuskript, in meinem Besitz und ich war zum ersten Mal wirklich aufgeregt. Wenn alles gut ging, dann würde ich zum ersten Mal in meinem Leben die Macht der Edensplitter und mit ihnen die der Vorläufer, mit eigenen Augen sehen. Bislang hatte ich nur davon gehört und ich konnte sie mir noch immer nicht vorstellen. An meinem Zielpunkt erwartete mich Hope. Achilles hatte sie mit dieser Mission beauftragt und angesichts der Wichtigkeit dieser Aufgabe, hatten wir unsere persönlichen Probleme zur Seite geschoben. Wir konnten uns keine Fehler erlauben und mussten uns aufeinander verlassen können. Das sich ein Unwetter anbahnte machte die ganze Situation nur noch drückender. Franklin war, als wir ihn erreichten, mitten in irgendwelchen Vorbereitungen und nahm keinerlei Notiz von uns als ich Hope und mich vorstellte. Erst als ich ihm Schatulle und Manuskript zeigte legte er seine Arbeit nieder und warf einen Blick darauf. Seine Antwort war jedoch ernüchternd. Er könne sein Experiment nicht durchführen. Erst als ich ihm sagte, dass Master Johnson, der ihn ja auf das Experiment angesprochen hatte, keine Verzögerungen gutheißen würde, lenkte er ein. Seine Blitzableiter seien von Soldaten beschlagnahmt worden. Wenn ich sie zurückholen könnte, würde es vielleicht noch klappen. Begeistert war ich von der Aktion nicht, doch was tat man nicht alles um an Antworten zu kommen. Hope half bei den Vorbereitungen und ich zog los, Blitzableiter besorgen. Dabei hatte ich nicht einmal eine Ahnung davon, was Blitzableiter waren. Ich konnte nur hoffen zufällig das zu finden, was ich brauchte. Überraschenderweise ging es leichter als gedacht. Ich fand zwei Soldaten die sich über Franklin unterhielten und über seine Experimente mit Blitzen. Einer hatte eine Kiste dabei, die er zu einem Lager bringen sollte und ich verfolgte ihn, unbeobachtet über die Dächer, und schaffte es so, das Lagerhaus und die beschlagnahmten Dinge zu finden. Mit den Stangen beladen, machte ich mich auf den Rückweg. Das Unwetter war fast bei uns angekommen und ich beeilte mich. Nicht, dass ich wasserscheu wäre, doch bei einem Gewitter musste man vorsichtig sein. Dann war es soweit. Die Blitzableiter standen, das Unwetter war genau über uns und Franklin... hantierte mit Drähten an der Schatulle herum. Ich hatte keine Ahnung was er da tat und zuckte zurück, als ein Blitz direkt in eine der Stangen einschlug. Das war wirklich gefährlich, was hier passierte. Ein Blick zu Hope sagte mir, dass auch sie nervös war, das hier jedoch zu Ende bringen wollte. Auch Franklin war kurz vom Tisch zurückgewichen, machte aber sofort weiter. Beim nächsten Einschlag wurden wir von einem grellen Licht geblendet, das von der Schatulle ausging und instinktiv hielt ich die Hände vors Gesicht und ging in Deckung. Es kam keine Explosion, mit der ich gerechnet hatte und als Hope sagte: „Eine Karte,“ sah ich auf. Sie hatte recht. Über der Schatulle schwebte, aus bläulichem Licht, eine Karte der Erde. Sie war nicht flach, sondern eine Kugel, wie die Erde, und sie war durchsichtig, so das ich einen kleinen Moment brauchte um zu begreifen was ich vor mir hatte. Auf ihr waren drei Punkte durch leuchtende weiße Linien markiert, die wie Nadeln aus Licht über der Karte schwebten. Es war einfach unglaublich. „Wo ist das?“ fragte Hope und deutete auf einen der Punkte. Da ich mit Karten vertraut war erkannte ich den Ort sofort. Zumal ich schon einmal dort gewesen war. „Portugal“, gab ich zurück, „Lissabon, da bin ich sicher.“ Doch kaum hatte ich es ausgesprochen verschwand die Karte wieder und von ihr blieb nichts als ein leuchtendes Abbild auf meiner Netzhaut. Hope, die sich schneller gefasste hatte als ich, hastete zu Franklin und den Artefakten hinüber. Sie forderte mich auf zu verschwinden, half Franklin beim Aufstehen und nahm Schatulle und Manuskript an sich. Mir gefiel das nicht, doch sie hatte recht. Die Soldaten würden sicher bald hier sein, bei dem, was hier gerade vorgefallen war. Immerhin war der Blitz eingeschlagen, und bei einer Frau vermutete man eher keine mysteriösen Objekte. Ich dagegen... Ich trug Waffen und geriet auch so schon oft genug in Schwierigkeiten. Nein, es war besser wenn man bei mir nichts fand, sollte ich festgesetzt werden. Das Bild der Karte, spukte die ganze Fahrt über in meinem Kopf herum. Lissabon... Wie lange war es her, dass ich dort gewesen war? Es waren schon ein paar Jahre. Zu der Zeit hatte ich noch kein eigenes Schiff besessen. Ich war noch nicht einmal in der Bruderschaft. Seltsam, da ich in den letzten Monaten zeitweise das Gefühl gehabt hatte, schon ewig bei den Assassinen zu sein. Es war erstaunlich wie schnell man Dinge vergessen konnte. Eine Sache geriet nach diesem Abend nicht so schnell in Vergessenheit. Hope und ich hatten diese Mission gemeinsam überstanden. Damit waren unsere privaten Probleme zwar nicht aus der Welt, aber wir kamen wieder miteinander aus. Es war wieder möglich sich mit ihr zu unterhalten und Liam, dem es natürlich nicht entging, lächelte, als Hope mir eines Abends, nach dem Training, eine gute Nacht wünschte. So wie es Freunde tun. Kapitel 11: Lissabon -------------------- Kapitel 11 Lissabon In der Siedlung war es noch nie so friedlich gewesen. Wir hatten Herbst und anstatt zu trainieren, halfen wir auf den nahegelegenen Höfen bei der Ernte, um als Lohn die Vorratskammern der Siedlung zu füllen. Das war eine gute Methode um sich gegenseitig zu unterstützen. Achilles waren solche Zweckverbindungen wichtig und ich begann zu verstehen warum. Alleine konnten wir uns hier nicht versorgen. Es lebten einfach zu viele in der Siedlung und nur die wenigsten davon brachten das mit, was man für den Ackerbau benötigte. Hier lebten zwar einige die handwerklich geschickt waren oder auch mit Tieren umgehen konnten, doch fehlte es an Wissen und Erfahrung, um selber Felder zu bestellen. Dazu kam, dass wir dazu nicht den nötigen Platz hatten. Wir lebten hier in einem Bereich, der von Briten, wie Franzosen in Frieden gelassen wurde. Sicher würde sich das ändern, wenn wir anfingen ungefragt das Land zu nutzen, das uns umgab und wir durften keine Aufmerksamkeit auf uns lenken. So zogen wir tagtäglich aus, um Getreide von den Feldern zu holen, bei der Heuernte zu helfen, und was sonst so anfiel für ein paar starke Hände. Immer, wenn wir abends zurückkamen, lauschte ich mit einem Ohr nach Hinweisen darüber, wie es nun weiter gehen sollte. Wir hatten mit Hilfe der Schatulle einen Ort ausfindig gemacht, an dem sich ein Tempel der ersten Zivilisation befinden sollte. Sicher plante Achilles eine Expedition dort hin, doch wen er schicken würde stand noch nicht fest. Ich war mir sicher, dass es De La Verendrey treffen würde. Er war ein erfahrener Seemann, zuverlässig und, nun ja, er kam aus Europa. Zu dem sprach er mehr Sprachen als ich es tat. Daher war ich überrascht, als Hope mir eines Abends, ganz vertraulich, mitteilte, Achilles würde mich in den nächsten Tagen darauf ansprechen, dass ich diese Mission leiten sollte. Diese Worte machten mich unglaublich stolz. Es bedeutete, dass Achilles mir wirklich vertraute. Ich nutzte meine Zeit um mich mit den Karten vertrauter zu machen. Immerhin war es einige Jahre her, dass ich das letzte Mal in Lissabon gewesen war. Dabei fiel mir auf, dass diese leuchtende Nadel, ich hatte einfach keine passendere Beschreibung dafür, an einem Punkt gewesen war, den ich kannte. Ich hatte es wieder und wieder ausgemessen, was nicht einfach war. Immerhin hatte ich die Karte der Vorläufer nicht sonderlich lange gesehen und musste aus dem Gedächtnis heraus den Punkt mit meinen Karten vergleichen, doch ich landete immer wieder in der Nähe eines Klosters und dem damit verbundenen Gotteshaus, das ich schon einmal besucht hatte. Dann war es soweit. Achilles rief mich zu sich. Nervös war ich nicht, als ich losging, doch dann sah ich, dass Hope dort wartete. Auch wenn wir wieder besser miteinander auskamen war es nicht mehr so wie früher. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, doch in meinem Versuch mich locker zu geben, übertrieb ich ein klein wenig. Das es keine große Sache war, den Ort zu finden. Das ich schon ein, zwei Mal dort gewesen war. Bei der Erinnerung an meinen letzten Besuch dort rutschte mir heraus, dass ich die Schwestern, des Klosters besucht hatte. Bei diesen Worten musste ich wohl etwas zu zufrieden oder schwärmerisch ausgesehen haben, denn Hopes Gesichtsausdruck sagte mir deutlich, dass sie keine Frauengeschichten von mir hören wollte. Viele Worte verloren wir nicht mehr Achilles gab mir die Warnung mit auf den Weg, dass Edensplitter gefährlich waren und Hope versicherte mir, die Morrigan, die für diese Reise nicht geeignet war, würde sicher in New York bleiben. Was mich etwas verwunderte war die Neuigkeit, dass Liam mich nicht begleiten würde. Vielleicht konnte man gerade wirklich nicht auf ihn verzichten, doch auf einer so langen Fahrt würde er mir sehr fehlen. Auch wenn er oft etwas mürrisch war, er war noch immer mein bester Freund. Es war ein seltsames Gefühl ohne ihn aufzubrechen. Dazu kam, dass mir Schiff und Crew unbekannt waren. Nur zwei meiner üblichen Mannschaft waren an Bord und ich war froh sie dabei zu haben. So eine Reise trat man nicht mit lauter Unbekannten an. Achilles meinte zwar, dass auch die anderen loyale Matrosen waren, doch fragte ich mich, ob sie auch dann noch loyal waren, wenn sie wussten um was es hier ging. Zur Tarnung waren wir als normales Handelsschiff unterwegs. Damit erregten wir weniger Aufmerksamkeit und niemand schöpfte schnell Verdacht. Wir hatten eine angenehme und ruhige Überfahrt und je näher wir Portugal kamen, um so aufgeregter wurde ich. Was würde mich wohl in diesem Tempel, dieser Stätte der Vorläufer erwarten? Im November erreichten wir den Hafen von Lissabon. Die Anleger waren belegt und so mussten wir etwas weiter draußen vor Anker gehen. Für uns war es weniger schlimm. Ein paar der Matrosen bekamen Landgang und ich schloss mich ihnen an, um schon mal die Lage zu sondieren. Es war immer besser nicht gleich drauf los zu stürmen, vor allem, da es wirklich wichtig war, dass alles glatt ging. Gemütlich schlenderte ich durch die Straßen und sah mich um. Die Stadt hatte sich verändert und ich brauchte etwas, um den Ort wieder zu finden. Zu nah ging ich nicht heran. Aus sicherer Entfernung ließ ich den Blick über die Mauern gleiten, die Stufen, die zur Kirche hinaufführten und das Gebäude an sich. Nun, Kirche traf es nicht. Das hier war eher eine Kathedrale, auch wenn sie teilweise wie eine Festung aussah. Und es war alt. Wer auch immer diese Anlage erbaut hatte, er lebte sicher schon lange nicht mehr. Früher war mir das nie aufgefallen, doch da hatte ich auch nicht auf solche Dinge geachtet. Ich war ein ahnungsloser dummer Junge gewesen. Ich merkte mir den Rückweg gut und machte mich am nächsten Morgen daran, meine Aufgabe hier zu erfüllen. Möglich, dass ich es mir nur einbildete, doch hatte ich das Gefühl, als würden die Mauern etwas ausstrahlen. Etwas altes, ehrwürdiges, dass von den Besuchern eines Gottesdienstes sicher als Aura ihres Gottes bezeichnet werden konnte. Als ich vor den Mauern stand überkam mich plötzliche Ehrfurcht. Ich stand hier, vor einem so alten Bau und würde mich gleich daran machen ein Relikt aus der Zeit vor Adam und Eva zu suchen. Angst flackerte in mir auf. Wenn ich dieses Relikt nicht fand, es nicht bergen konnte, würde ich die Bruderschaft enttäuschen. Wenn mich jemand dabei ertappte, wie ich es stahl, denn es war nichts anderes als Diebstahl etwas von seinem ursprünglichen Ort zu entfernen, würde es mich in gewaltige Schwierigkeiten bringen und hier konnte ich mich mit den Menschen kaum verständigen. Ich sprach kein Portugiesisch. Ich schob den Gedanken bei Seite, atmete tief durch und öffnete die Tür. Auch wenn man in Gotteshäusern für gewöhnlich Hüte und Kopfbedeckungen abnahm, ließ ich meine Kapuze auf, als ich in das Gebäude schlüpfte. Im Altarraum wurde gerade eine Messe abgehalten und niemand achtete auf mich, da ich mich im Hintergrund in den Schatten aufhielt. Vielleicht wäre sinnvoller gewesen nicht am Tag her zu kommen, doch Nachts wurden Kirchen und andere Gotteshäuser verschlossen und in eine Kirche wollte ich nicht einbrechen. Auch wenn ich nicht gläubig war empfand ich so etwas als schändlich. Unauffällig sah ich mich um. Irgendwo hier musste es Hinweise darauf geben wie man an das Artefakt heran kam. Mir blieb eine gute Stunde Zeit, solange dauerte die Messe. Danach würden sich hier Besucher das Gotteshaus ansehen und ich wäre nicht mehr unbeobachtet. So konzentrierte ich mich und ließ den Blick schweifen. Es dauerte bis mir etwas auffiel, das für ein solches Gebäude ungewöhnlich war. Wiederkehrende Symbole waren nichts besonderes, doch sie waren so gestaltet, dass man hineingreifen und sich so am Mauerwerk hochziehen konnte. Mein Blick wanderte weiter nach oben. Durch die Balken und Querstreben konnte ein geübter Kletterer sich gut fortbewegen und... Es gab schmale Plattformen dort oben. Ich konzentrierte mich noch etwas mehr, die meditativen Gesänge der Messebesucher halfen dabei, und oben, genau bei den Plattformen, leuchtete es schwach an der Wand. Bei jeder dieser Plattformen. Das musste es sein. Dort würde ich etwas finden um in diesen Tempel zu gelangen. Einen Hinweis, Schlüssel oder was auch immer. Noch einmal warf ich einen Blick über die Besucher und den Priester, der etwas auf Latein von sich gab. Noch eine Sprache die ich nicht verstand. Egal, keiner beachtete mich und so kletterte ich hinauf, in die Stützbalken. Leise knarrte das Holz unter meinem Gewicht, doch das Echo der Predigt, oder was auch immer der Priester von sich gab, übertönte alles andere. Vorsichtig, um nicht zu stürzen oder zu viele Geräusche zu machen, kletterte ich zu der ersten Plattform, hockte mich hin und sah mir die Stelle genauer an, die mir das Adlerauge gezeigt hatte. Es war ein Ornament in dem sich unten ein Loch befand. Von Metall eingefasst. Das musste eine Art von Mechanismus sein, nur, dass ich keinen passenden Hebel oder Schlüssel dafür besaß. Ohne groß darüber nachzudenken, ob es sinnvoll war oder nicht, fuhr ich meine verborgene Klinge aus und begann damit in diesem Mechanismus herum zu bohren. Ein Schlüssel tat immerhin auch nicht wirklich etwas anderes. Es überraschte mich, dass die Klinge, nach kurzem Widerstand, in das Loch hinein rutschte und sich ohne Mühe drehen ließ. Ich meinte ein leises Klicken zu hören und spürte eine leichte Vibration, als würde sich etwas schweres langsam in Bewegung setzen. Ich konnte nur hoffen, dass die Plattform unter meinen Füßen nicht gleich weg klappen und mich in die Tiefe stürzen lassen würde. Zur Sicherheit hielt ich mich fest und sah mich um. Niemandem dort unten schien irgendetwas aufzufallen. Auch nicht, dass sich im hinteren Teil, nahe der Stelle an der ich mich verborgen hatte, etwas am Boden tat. Die große steinerne Einlegearbeit war an einer Stelle leicht aus dem Boden gefahren. Nur ein paar Zentimeter, doch sie lag nun deutlich über den anderen. Befand sich dort der Eingang? Blieb nur zu hoffen, dass die Messe lange genug dauerte und die Besucher mehr mit Gebeten als irgend etwas sonst beschäftigt waren, denn wenn sich in einer Kirche der Boden auftat, war das nicht gerade beruhigend. Auf dem Weg zu den anderen Punkten ging ich genau so vorsichtig vor. Trotzdem wäre ich einmal beinahe abgerutscht. Die Wände waren alt und unter meinen Fingern begann der Stuck zu bröckeln. Das war aber das Einzige, dass nicht nach Plan verlief. Keiner bemerkte irgend etwas von dem was ich tat. Niemand sah zu mir hoch und die Bewegung im Boden blieb unbemerkt. Besser hätte es nicht laufen können. Zuversichtlich machte ich mich an den Abstieg und ging zu dem Bodenrelief, das nun komplett etwa acht Zentimeter aus dem Boden ragte. Vorsichtig setze ich einen Fuß darauf, dann den zweiten. Nichts passierte. Etwas enttäuscht trat ich bis zur Mitte und wieder spürte ich diese leichte Vibration. Bevor ich mich rühren konnte begann das Relief, mit mir darauf, im Boden zu versinken und vor mir eröffnete sich ein Durchgang der in einen Tunnel führte. Die Stufen, die nach unten führten, waren in den nackten Fels geschlagen und je weiter ich kam um so weniger Spuren von Bearbeitung waren zu entdecken. Deutlich war zu erkennen, dass hier schon seit geraumer Zeit niemand mehr gewesen war. Der Gang endete in einer natürlichen, weitläufigen Höhle. Kleine, vertrocknete Pflanzen waren auf dem sandigen Boden und obwohl ich unter der Erde war, konnte ich alles deutlich erkennen. Von irgendwo kam Licht, doch es war weder Tageslicht, noch kam es von Kerzen, oder Fackeln. Wer hätte hier auch Fackeln anzünden sollen? Dann sah ich in dem seltsamen Licht eine eindeutig künstlich erschaffene Struktur. Eine sehr spitz zulaufende Pyramide, doch es gab keinen Weg dort hin. Vor mir fiel der Boden steil ab und es ging mindestens 10 Meter in die Tiefe. Wieder und ganz unvermutet, spürte ich erneut eine Vibration im Boden. Hektisch sah ich mich nach dem Ausgang um, in Erwartung, er würde sich verschließen und mich hier einsperren, doch das folgende leichte Rumpeln kam aus der anderen Richtung. Mir klappte der Mund auf, als sich wie durch Zauberei eine Brücke aus großen, flachen Gesteinsbrocken zwischen der Pyramide und mir aus der Tiefe erhob. Was für Genies waren diese Vorläufer gewesen? Wie konnten sie etwas erschaffen, dass nach so langer Zeit noch immer so reibungslos funktionierte? Und das ohne, dass es in den letzten Jahrhunderten gewartet worden war. Sie mussten unglaublich mächtig gewesen sein und doch... und doch waren sie verschwunden. Vorsichtig, da ich der Brücke nicht ganz traute, näherte ich mich der Pyramide. Vor ihr senkten sich drei Säulen ab, die leuchtende Muster auf ihrer Außenseite trugen. Das Licht, dass sie aussandten, war genau wie das aus der Schatulle. Ich war eindeutig am richtigen Ort. Auf der mittleren Säule befand sich etwas, das sich langsam drehte. Erst als ich direkt davor stand, und es genauer in Augenschein nehmen konnte, erkannte ich, dass es schwebte. Ein acht-zackiges, etwa 20 cm großes schwarzes Gebilde, mit leuchtenden weißen Ecken. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Es bewegte sich um die eigene Achse, völlig frei in der Luft. Das musste der Edensplitter sein. Was sonst konnte frei schweben? Vorsichtig streckte ich die Hände aus und fing es sanft aus der Luft. Kaum hatte ich es berührt, glühten auf der Oberfläche feine Linien auf. Woraus auch immer dieses Artefakt bestand, es war leicht. Gerade wollte ich mir das Objekt genauer ansehen da zerfiel es auch schon, obwohl ich mehr als vorsichtig damit umgegangen war. Ich hatte es weder gedrückt noch geschüttelt. Es machte keine Geräusche als es sich vor meinen Augen in nichts als Luft auflöste, doch selbst wenn es etwas von sich gegeben hätte, das nun folgende Rumpeln hätte es übertönt. Die Lichter an den Säulen erloschen und die Erde begann zu zittern. Erst leicht, dann immer stärker. Sofort war mir klar, dass ich dieses Mal keinen sanften Mechanismus ausgelöst hatte. Das hier war mehr. Nur einen halben Meter von mir entfernt schlug ein Gesteinsbrocken auf. Völlig egal was das hier war, ob sich hier noch etwas Wertvolles befand oder nicht, ich musste hier raus. Und so rannte ich. Der Boden zitterte und bebte unter meinen Füßen und ich flehte, dass die Brücke nicht unter mir zusammenbrechen möge. Panik machte sich in mir breit. Hinter mit krachte ein weiterer Brocken auf den Boden und dieses Mal traf er die Brücke. Ich schaffte es auf die rettende Seite, doch nun bebte die ganze Erde. Selbst in dem Tunnel lösten sich Steine aus der Decke und Staub rieselte herunter. Kaum hatte ich das Ende des Tunnels erreicht wurde mir bewusst, dass das Beben nicht nur unten in der Kammer stattgefunden hatte. Die halbe Decke der Kathedrale war eingestürzt. Hinter mir krachte es und der Tunnel stürzte in sich zusammen. Die Stätte der Vorläufer und all seine Geheimnisse wurden unter Tonnen von Gestein begraben. Darüber konnte ich mir in diesem Moment jedoch kaum Gedanken machen. Im Mauerwerk der Kathedrale entstanden Risse, die immer länger und länger wurden. Menschen schrien und obwohl ich sie nicht verstehen konnte hörte ich die Angst in den Stimmen. Ich rannte los. Kopflos bahnte ich mir einen Weg ins Freie. Unter meinen Füßen bekam der Boden Risse. Teilweise sackte er um ein paar Zoll ab und immer wieder wankte ich, versuchte auf den Beinen zu bleiben. Die Welt um mich herum war ein einziges Chaos geworden. Gebäude stürzten in sich zusammen. Feuer brachen aus. Fensterscheiben barsten unter der Last zusammenbrechender Mauern und Glassplitter flogen durch die Luft. Menschen rannten durcheinander, wurden von Trümmern getroffen, eingeklemmt, von Flammen erfasst... Die Straße, die ich hatte nehmen wollen, war von Trümmerteilen versperrt und zwischen den Häusern war es gefährlich. Dennoch bahnte ich mir einen Weg, sprang über Balken und kletterte über halb eingestürzte Dächer. Einmal gab ein Dach unter mir nach und ich stürzte in ein demoliertes, brennendes Wohnzimmer. Ein anderes Mal begann ein Haus zu schwanken und stürzte zur Seite, bevor ich es nach draußen schaffte und ich wurde durch ein Fenster geschleudert. Fast hätten mich die Trümmer des Hauses danach unter sich begraben doch ich schaffte es gerade noch darunter hervor zu kriechen. Meine Arme und Beine schmerzten. An den Händen hatte ich Blut und irgend etwas lief mir übers Gesicht ins Auge und verschleierte die Sicht. Mühsam rappelte ich mich auf, wischte übers Gesicht und rannte weiter. Ich musste aus der Stadt raus. Zum Hafen. Zurück zum Schiff. Dort war ich sicher. Zumindest sicherer als hier. Durch die Panik und das Beben hatte ich die Orientierung verloren. Alles sah anders aus. Immer wieder suchte ich nach höher gelegenen Punkten um nach dem Meer zu suchen und zum Schluss sprang ich durch ein Fenster und landete, nach kurzem Fall, im kalten Wasser. Sofort sogen sich die Kleider voll und zerrten beim Schwimmen an mir. Dazu war ich vom Rennen erschöpft, keine guten Aussichten. Irgendwie schaffte ich es zu dem Schiff, mit dem ich hergekommen war und kletterte an Bord. Einer der Matrosen, der mich hatte kommen sehen, half mir und dann sahen wir gemeinsam zu der zerstörten und brennenden Stadt. Erst jetzt sah ich das ganze Ausmaß der Zerstörung Kaum ein Haus hatte dem Beben standgehalten. „Wie konnte Gott ihnen das nur antun?“ fragte der Matrose. „Gott hat nichts damit zu tun“, gab ich zurück. Daran war ich schuld. Ich ganz allein. Kapitel 12: ein tiefer Fall --------------------------- Kapitel 12 ein tiefer Fall 'Es war meine Schuld.' Immer wieder tauchten diese Worte in meinem Kopf auf. Ich hatte dieses Beben ausgelöst. Ich hatte dieses Artefakt berührt. Es war in meinen Händen zerfallen und darauf hin war alles in sich zusammengebrochen. Was auch immer diese Kammer geschützt hatte war verschwunden, nur weil ich dort hinein gegangen und dieses schwebende Teil berührt hatte. Meine Schuld. Es ließ sich nicht leugnen. Wäre ich nicht gewesen, hätten all diese Menschen nicht sterben müssen. Der Gedanke fraß sich wie Säure in mich hinein und hinterließ einen dumpfen, nicht enden wollenden Schmerz. Als hätte ich nicht schon genug Schmerzen. Bei meiner Flucht aus der Stadt hatte ich mich verletzt. Erst auf dem Schiff hatte ich die Zeit gefunden mich darum zu kümmern und das Pochen überm Auge gespürt. Irgend etwas musste mich im Gesicht getroffen haben und es hatte mein Auge haarscharf verfehlt. Dazu kamen Prellungen und diverse kleine Schnitte. Ich würde es überleben. Wir blieben eine Woche im Hafen vor Anker. Aus dem Handel, der hatte betrieben werden sollen, wurde nichts. Die Menschen hatten genug andere Probleme. Ich blieb meist für mich und versuchte dieses Gefühl von Schuld abzuschütteln, doch es ging nicht. Jedes Mal, wenn ich an Deck kam und zur Stadt hinüber sah, überkam es mich von neuem. Die Rauchsäulen waren verschwunden doch eine Wolke aus Düsternis und Trauer lag über der Stadt. Zwei der Matrosen, die zur Zeit des Bebens an Land gewesen waren, befanden sich ebenfalls unter den zahllosen Opfern. Jeden Tag kamen neue Berichte und die Liste mit Vermissten und getöteten an Land wurde länger und länger. 500... 700... 1000... Ich wollte das nicht mehr sehen doch die Zeitungen zogen meinen Blick an wie ein Magnet. Als ich es nicht mehr aushielt ließ ich den Anker lichten und wir machten uns auf die Rückreise. Ich hatte die Hoffnung, mir würde es besser gehen, wenn ich die Stadt nicht mehr sehen musste, doch nachts träumte ich davon. Es ließ mich einfach nicht los und um zu vergessen begann ich zu trinken, um schlafen zu können. Rum hatten wir einigen an Bord. Zum Aufwärmen an kalten Tagen und es wurde nachts wirklich bitterkalt. Nach zwei Wochen auf See, und jeder Menge Zeit zum Nachdenken, schlichen sich andere Gedanken in meinen Kopf. Adéwalé hatte Achilles von einem Beben auf Haiti erzählt. Es ging dabei um eine Stätte der Vorläufer. Mir war eingefallen, was Adéwalé Achilles erzählt hatte. Über das Beben in Haiti. Dort hatte sich ebenfalls ein Tempel befunden. Ich hatte die Markierung auf der Karte noch im Kopf, war mir aber vorher nicht sicher gewesen. Nun war ich es. Es musste damals genau so gewesen sein wie bei mir. So etwas durfte nicht noch einmal passieren. Doch da war noch mehr. Achilles hatte mich geschickt, obwohl es bessere Kandidaten gegeben hatte. Chevallier, der älter und erfahrener war oder Liam, der mehr über die Vorläufer wusste als ich und den Achilles schon als Nachfolger handelte. Warum also hatte man mich geschickt? Nun, warum wohl. Ich war entbehrlich. Achilles hatte es nicht riskieren wollen jemand wichtigen zu verlieren. Er hatte Liam mit einer anderen Mission betraut, damit der nicht da war, als die Wahl auf mich fiel. Konnte es denn etwas anderes bedeuten, als dass Achilles genau gewusst hatte was passieren konnte? Und er hatte mich nicht darauf vorbereitet. Er hatte mich in diesen Tempel geschickt und meinen Tod in Kauf genommen. Während der endlosen Stunden auf See war meine Wut ins Unermessliche gestiegen. Auf Achilles, der mich losgeschickt hatte ohne die Risiken zu überdenken und auf die Vorläufer selbst, die uns in ihren Schriften nicht davor gewarnt hatten, wie gefährlich ihre Relikte waren. Im selben Atemzug erkannte oder besser ahnte ich, dass die Templer, die genau diese Artefakte gestohlen hatten, dies zum Schutz der Welt getan hatten. Sie hatten den Zusammenhang zwischen der Schatulle und dem Beben erkannt und sie und das Manuskript mitgenommen um solche Unglücke zu verhindern. Und ich hatte auf Anweisung von Achilles alles daran gesetzt diese Artefakte zurück zu holen. Konnte ich mich noch mehr hassen? War es nicht offensichtlich, dass alles, was ich für die Bruderschaft getan hatte, zu genau dieser Katastrophe geführt hatte? Die Fahrt dauerte lang. Viel länger als ich erwartet hatte. Mitte November waren wir aufgebrochen und Anfang Februar kamen wir an. Hier herrschte tiefster Winter, mit niedrigen Temperaturen und viel Schnee. Meine Wut war nur wenig abgeflaut und ich noch immer fest entschlossen Achilles die Meinung zu sagen. So wie bisher konnte es nicht weiter gehen. Er musste einsehen wie gefährlich diese Artefakte waren, sonst würden weitere Menschen sterben. Unangemeldet platzte ich mitten in ein Gespräch zwischen Achilles und Hope hinein. Ich hatte nicht warten wollen bis er Zeit hatte. Das hier musste jetzt geklärt werden, bevor er noch einmal einen solchen Fehler begehen konnte, doch Achilles wollte nicht zuhören. Schlimmer noch. Hope nahm Achilles in Schutz und tat meine Worte ab, als hätte ich mir das alles ausgedacht. Selbst Liam stellte sich gegen mich in dem er mich aus dem Zimmer schob. Sie wollten einfach nicht zuhören. Keiner von ihnen. Mir war klar, dass sie nicht aufhören würden nach weiteren Tempeln zu suchen. Blind wie sie waren, würden sie damit über kurz oder lang die Welt zerstören. Das konnte ich nicht zulassen. Wenn sie mir nicht zuhören wollten musste ich eben dafür sorgen, dass sie ihr Ziel nicht erreichten. Hope hatte sicher von weiteren Punkten erzählt und auch ich erinnerte mich, dass neben Lissabon und Haiti mindestens ein weiterer Ort markiert gewesen war. Sie würden versuchen die Schatulle erneut in Gang zu setzen um diesen Ort zu finden. In der Nacht schlich ich mich ins Haus. Ich hatte keine Ahnung wo ich nach den Artefakten suchen musste doch sicher bewahrte Achilles sie bei sich auf. Etwas unwohl war mir schon dabei. Immerhin waren die Assassinen meine Brüder, meine Familie. Das hier war mein zu Hause geworden. Doch ich musste es einfach tun. Um Schlimmeres zu verhindern. Es war absolut still als ich mich durch die Räume schlich. Wo auch immer die anderen waren, hier war niemand. Gut, denn so musste ich keine Fragen beantworten, oder mein Handeln rechtfertigen. Nach und nach suchte ich die Räume ab und betrat zum Schluss das Arbeitszimmer von Achilles. Mein Blick wanderte über die Einrichtung bis ich am Schreibtisch ein Schimmern wahrnahm. Die Schublade war verschlossen doch ich stemmte sie mit meiner Klinge auf und griff hinein. Das Manuskript. Immerhin eines der Artefakte. Die Schatulle wäre mir lieber gewesen, doch sie brauchten beides um einen Tempel zu finden. Ohne dieses Buch würden sie ganz schön dumm dastehen. Gerade als ich es unter meine Jacke geschoben hatte fand Achilles mich. Er musste geahnt haben, dass ich etwas unternehmen würde und ich machte mich auf das Schlimmste gefasst. Er griff mich an, doch auch ich war ein Assassine und er nicht mehr der Jüngste. Ich hatte von Liam genug gelernt, trat ihm die Beine weg und schaffte es durchs Fenster zu entkommen. Ein Sprung, der in einer Schneewehe endete, doch zumindest meine Landung etwas weicher machte. Dann machte ich mich an meine Flucht. Dabei hatte ich nicht einmal eine Ahnung wohin ich fliehen sollte. Ich hatte nun die ganze Bruderschaft gegen mich. Es war nahezu unmöglich zu entkommen ohne irgend jemanden dabei zu töten. Immer wieder wich ich Angreifern aus und versteckte mich so gut es ging. Ich hörte wie Hope rief und versuchte mich zum Aufgeben zu bewegen, sah, wie Liam schoss und mich beinahe unter einem Haufen Steinen begrub und dann sah ich die Klippe. In meinem Versuch alle zu umgehen, hatte ich nicht mehr darauf geachtet wohin ich gerannt war und stand vor der Wahl in den Tod zu springen oder von einem der Assassinen ermordet zu werden. Hinter mir hörte ich Schritte und als ich mich umwandte rutschte mir das Herz in die Hose. Achilles, Hope, Liam, Chevallier und noch ein paar andere schnitten mir den Weg ab und ich wusste, dass ich es niemals schaffen würde gegen sie alle zu bestehen. Zumal ich keinen von ihnen töten wollten. Hope unternahm einen letzten Versuch mich zur Vernunft zu bringen. Ich hörte ihrer Stimme an, dass sie nicht wollte, dass es so endete, doch es war zu spät. Ich hatte meine Entscheidung getroffen. Sie durften das Manuskript nicht zurückbekommen. So viele waren deswegen schon gestorben. Was machte da einer mehr noch für einen Unterschied? Zumal dieser eine so viel Leid damit verursacht hatte. Daher wandte ich mich ab und ging auf die Klippe zu. Liam rief nach mir und als ich nicht reagierte... Kurz bevor ich die Kante erreichte und mich zum Sprung bereit machte hörte ich den Schuss. Brennender Schmerz machte sich in meinem Rücken breit und ich fiel. Die Luft rauschte an mir vorbei. Mir kam ein tröstender Gedanke. Wenn ich im Meer landete und mein Körper unterging, dann verschwand mit mir das verfluchte Manuskript. Mit der Schulter schlug ich auf und mir schwanden die Sinne. Kapitel 13: Überleben --------------------- Kapitel 13 Überleben Die Welt bestand nur noch aus Schmerz und Kälte. Etwas anderes schien es nicht mehr zu geben. Jeder Atemzug war eine Qual. Ich wusste nicht, wie lange ich auf dem Felsen gelegen hatte. Es konnten Minuten oder auch schon Tage gewesen sein. Um mich herum war alles weiß und selbst mein Kopf war voll von undurchdringlichem Nebel. Beim Versuch mich aufzurichten übermannte mich beinahe der Schmerz. Ganz in der Nähe plätscherte Wasser. Ein Gedanke schaffte es in mein Hirn. 'Ich bin nicht tot'. Mühsam zog ich mich vorwärts bis meine Finger in eisiges Wasser tauchten. Beim Sturz hatte ich wohl das Meer verfehlt. Ein Wunder, dass ich noch lebte. Da hatte ich wohl Glück gehabt. 'Ich mache mir mein Glück', dachte ich und zog mich ein paar Zoll vorwärts. Irgendwie schaffte ich es über ein vereistes Stück zum Ufer hinüber. Schnee drang unter meine Jacke und das Hemd. Bald waren meine Kleider feucht vom Schmelzwasser. Die Kälte saugte mir das Leben aus den Knochen doch ich kämpfte mich weiter vorwärts. 'Nur noch ein Stück', sagte ich mir immer wieder. 'Nur noch ein Stück'. Mein linker Arm war kaum zu gebrauchen und meine Beine verweigerten mir ihren Dienst. 'Wenn du hier liegen bleibst finden sie dich und dann war alles umsonst. Sie werden dich töten und sich dieses verdammte Manuskript zurück holen.' Doch ich hatte keine Kraft mehr. Ich musste mich ausruhen. Wenn nur mein Kopf wieder richtig funktionieren würde... Als ich die Augen wieder öffnete sah ich ein Gesicht über mir. Nein, es war vorbei. Sie hatten mich doch noch in die Hände bekommen. Ich war zu schwach um mich zu wehren als man mich auf den Rücken drehte. Mir fielen die Augen zu und ich hoffte, dass es schnell ging. Doch der Gnadenstoß kam nicht. Mühsam versuchte ich zu blinzeln um zu verstehen was um mich herum passierte. Alles war undeutlich und verschwommen. Ich hörte Stimmen, konnte jedoch nichts verstehen. Jedes Mal wenn ich es schaffte die Lider zu heben sah die Welt anders aus. Eine Zeltplane. Kahle Äste von denen Schnee fiel. Etwas, das mich an einen Planwagen erinnerte. Segel die sich im Wind bauschten. Es war schwer Realität und Traum auseinander zu halten. Immer wieder kamen Erinnerungen an Lissabon hoch. Wie um mich herum die Stadt zusammenbrach und in Flammen aufging. War ich überhaupt aus der Stadt entkommen? Vielleicht hatte ich die Reise nach Hause und meinen Verrat an den Assassinen nur geträumt. Vielleicht war das alles hier nur ein Traum. Mein Zeitgefühl verschwand und es dauerte lange bis ich begriff, dass ich mich nicht in der Siedlung der Bruderschaft aufhielt. Hin und wieder sah ich jemanden, der meine Wunden versorgte, mir etwas zu trinken oder zu Essen gab, wobei ich kaum schlucken konnte, oder ich hörte eine ruhige Stimme die mit mir sprach, leises Summen oder auch Gesang. Nach einer Weile waren es immer die Selben, die sich um mich kümmerten. Ein älterer Mann und eine Frau und... Selena. Ich musste Fieber haben. Ganz sicher entsprang sie nur meiner Fantasie denn es war nicht möglich, dass sie hier war. Möglich dass schon Wochen vergangen waren als das Fieber langsam nachließ und mein Kopf etwas klarer wurde. Noch immer fiel es mir schwer mich zu bewegen oder zu unterscheiden, was real war und was nicht. Ich spürte, wie jemand meinen Arm bewegte und ein leichter Schmerz in der Schulter machte mir deutlich, dass ich nicht träumte. Als ich den Kopf drehte sah ich sie auf der Bettkante sitzen. Selena, die gerade dabei war, einen Verband anzulegen. Es konnte nicht ein. Sie war tot. Liam hatte es mir erzählt. Sie war bei einem Angriff ums Leben gekommen. Das ließ nur einen Schluss zu. „Bin ich tot?“ meine eigene Stimme war mir fremd. Heiser und schwach. Es waren die ersten Worte seit Wochen, die ich über die Lippen brachte. Sie hob den Kopf und sah mich an. Ihre Augen waren dunkel wie die Nacht doch sie lächelte. „Noch nicht“, sagte sie sanft und legte meinen Arm vorsichtig ab. „Aber ihr... seid doch tot.“ Ich verstand das nicht. Wie konnte sie hier sein, wo auch immer das war. Wieder lächelte sie, rückte etwas näher an mich heran und berührte sacht meine Schulter. „Nein, Shay. Ich lebe noch. Genau wie ihr.“ Liam hatte gelogen. Hatte er es nur getan um es mir leichter zu machen sie zu vergessen? Hatte er möglicherweise selber falsche Informationen bekommen? Was es auch war. Ich war froh, dass er falsch gelegen hatte. Die Tatsache, dass sie noch lebte und hier war, hatte allerdings auch einen Haken. Sie kümmerte sich um mich und ich konnte nichts dagegen tun. Zum Glück war sie nicht die Einzige, die sich um meine Gesundheit sorgte. Das Ehepaar, bei dem ich hier untergebracht war, die Finnegans, waren zum Großteil diejenigen, die nach dem Rechten sahen. Nur wenn sie sich ausruhten, war Selena da und übernahm ihre Aufgaben. Was mir daran so unangenehm war, war die einfache Tatsache, dass ich alleine kaum etwas zustande brachte. Ich konnte nicht alleine Essen, mich nicht aufrichten und... Ich konnte das Bett nicht verlassen um mich zu erleichtern. Ihr machte die ganze Situation wenig aus, was mir zeigte, dass sie in den vergangenen Jahren wohl mehr als einen Mann in einer ähnlichen Lage gesehen und versorgt hatte. Dennoch gefiel es mir nicht wenn sie mich nackt sah. Sie ließ sich nichts anmerken, wurde nur gelegentlich ungehalten wenn ich mich all zu lange sträubte. Ich war froh, als ich wieder in der Lage war mich selbst zu waschen. Sie bestand auf eine gewisse Reinlichkeit, was mir gehörig gegen den Strich ging. Es war jedoch leichter sich einfach zu fügen, zumal ich sonst Gefahr lief, dass sie bei der Versorgung meiner Verletzungen weniger sanft war. Ein Umstand, den ich nicht gerne in Kauf nahm. Die Tage vergingen und langsam heilten meine Wunden und Knochen. Beim Sturz hatte ich mir fast die Schulter gebrochen. Dazu waren zwei Rippen geprellt und das linke Handgelenk verstaucht. Die Kugel von Liam war von der Schutzweste stark ausgebremst worden und im unteren Rippenbogen steckengeblieben. Alles in allem hatte ich wirklich Glück gehabt. Von dem was draußen in der Welt vor sich ging erfuhr ich kaum etwas. Das Zimmer in dem ich lag hatte zwar Fenster, doch konnte ich nicht aufstehen und hinaus sehen. Auch erzählte mir niemand etwas. Für die Welt war ich tot und es war wohl ganz gut, dass ich nichts erfuhr. So musste ich mir keine Sorgen machen und konnte in Ruhe gesund werden. Für mich war es eine Erleichterung als ich es schaffte mich mit Hilfe im Bett aufzurichten und noch besser wurde es, als ich ein paar Schritte gehen durfte. Alleine konnte ich es zwar noch nicht, doch es hieß, dass ich auf dem Weg der Besserung war und es nur noch eine Frage von Tagen sein konnte, bis ich nicht mehr auf Hilfe angewiesen war. Noch immer schlief ich fiel und träumte schlecht. Auf der langen Seereise von Europa zurück hatte ich mich teils im Alkohol ertränkt doch hier gab es keinen. Zu dem war ich sicher, dass ich keinen bekommen würde, selbst wenn ich darum bat. Kurz nach dem ich zum ersten Mal seit Wochen das Bett verlassen hatte kam eine Nachricht bei den Finnegans an die sie dazu veranlassten für ein paar Tage zu verreisen. Am nächsten Tag war ich mit Selena allein. Wirklich allein. Die ganze Zeit über hatte ich mich gefragt, warum sie überhaupt hier war. Wir hatten uns nicht gerade im Guten voneinander getrennt. Ich konnte nur davon ausgehen, dass man sie gebeten hatte das alles zu tun. Sie selbst konnte kaum noch einen Grund haben freundlich zu mir zu sein. Nicht ein einziges Mal hatte sie gefragt was passiert war. Ohnehin redete sie nicht sonderlich viel und nun, da wir alleine waren, wurde es noch weniger. Dabei gab es kaum einen Moment, in dem sie nicht im Zimmer war. Bis spät in die Nacht saß sie an dem kleinen Tisch und schrieb oder sie hatte es sich nahe dem Fenster in einem Sessel bequem gemacht, mit einem Wollknäuel, und strickte. Mir kam es so vor, als würde sie nur gehen, wenn sie sich ums Essen kümmern musste. Sie tat alles um meine Situation zu verbessern, sorgte dafür das immer etwas zu trinken da war, dass ich zu essen bekam und auch, dass sich meine Muskulatur langsam wieder aufbaute. Auch fragte sie immer wieder ob ich etwas brauchen würde und wie es mir ging. In der dritten Nacht wachte ich auf und fand sie, als ich den Kopf zur Seite drehte, schlafend am Tisch. Sie musste über ihren Notizen eingenickt sein. Warum legte sie sich nicht hin? Dumme Frage. Sie blieb hier, weil ich noch immer nicht alleine zurecht kam. Irgendwie tat es mir leid, dass ich ihr solche Unannehmlichkeiten machte. Besser, wenn ich sie nicht weckte, doch ich musste dringend pinkeln. Vorsichtig drehte ich mich auf die Seite und unterdrückte ein Stöhnen als meine Rippen zu schmerzen begannen. Da war noch lange nicht alles wieder verheilt. „Warum weckt ihr mich nicht?“ Ich sah auf. Selena hatte sich am Tisch aufgerichtet und rieb sich die Augen. Offenbar hatte sie mich gehört. „Ihr braucht auch mal eine Pause.“ Das brauchte sie sicher. Mir war es nicht entgangen wie sich ihre eigene Verfassung in den letzten Tagen verschlechtert hatte. Auch wenn sie den Finnegans zugesichert hatte es alleine zu schaffen, war mir klar, dass sie sich mit dieser Aufgabe etwas übernommen hatte. Ich versuchte mich hoch zu stemmen und schon war sie an meiner Seite und half mir in eine sitzende Haltung. Dabei vermied ich es sie anzusehen. Mir war es noch immer unangenehm wenn sie mir helfen musste damit ich pinkeln konnte. Andererseits war es noch peinlicher würde ich ins Bett machen. Sie hatte mir eine kleine Geschichte erzählt als ich mich beim ersten Mal geweigert hatte mir von ihr helfen zu lassen. Ob es stimmte wusste ich nicht, doch als sie mir davon erzählte, wie sie selbst einmal in einer ganz ähnlichen Situation gewesen war, hatte ich meinen Stolz etwas weiter nach hinten geschoben. Dennoch war ich froh als ich hinterher wieder unter der Decke lag. Sie ließ sich neben mir auf der Bettkante nieder. „Ihr wisst, wenn ihr etwas braucht müsst ihr es nur sagen.“ Nein, das würde ich nicht tun. Je mehr ich ihre Freundlichkeit ausnutze um so schlimmer machte ich es. Ich wollte nicht in ihrer Schuld stehen. Als sie die Decke höher zog und mich sorgsam zudeckte kam ich mir wie ein kleines Kind vor. So musste es sein, wenn man als Kind krank war und sich die Mutter um einen kümmerte. Ob es wirklich so war konnte ich nicht wissen. Ich hatte nie eine Mutter gehabt und meine Tante... Das war nicht das Selbe. Irgendwie war es angenehm und fast wünschte ich mir, sie würde mir das Haar zurück streichen und mir sagen dass alles gut werden würde. Was für ein peinlicher Gedanke. Damit sie es mir nicht ansah senkte ich den Blick und drehte den Kopf leicht zur anderen Seite. Ich sollte mir keinerlei Hoffnungen machen. Sobald ich wieder genesen war, würde sie verschwinden. „Wie kann man nur so stur sein.“ Mit einem leichten seufzen stand sie auf, nahm den Nachttopf mit und ließ mich allein. Mir entging es nicht, dass sie am folgenden Tag noch wortkarger war als vorher und auch nicht, dass ihr Blick traurig wurde. Ein paar Mal wollte ich sie fragen was los war, ließ es jedoch bleiben. Sie verließ das Zimmer nun häufiger für ein paar Stunden und ich ertappte mich dabei wie ich da lag und auf ihre Schritte lauschte. Einen Tag später erwachte ich aus einem Albtraum und fand mich alleine im Zimmer wieder. Auf dem Nachttisch stand Wasser und ein Becher mit kaltem Tee. Wie lange hatte ich geschlafen? Draußen war es hell doch half mir das nicht weiter. Als ich mich drehte spürte ich zwar den üblichen Schmerz in den Rippen doch merkte ich auch, dass mein Kopf wieder mit Watte gefüllt war. Trotz der Decke war mir kalt und das Kopfkissen war feucht von Schweiß. Das Fieber war zurück. Auch das noch. Egal wie unangenehm es mir war, es wurde Zeit meinen Stolz zu begraben. „Selena?“ Es kam keine Antwort. Wo auch immer sie stecke, sie hatte mich nicht gehört. „Selena!“ rief ich nun etwas lauter doch noch immer antwortete sie nicht. War ihr etwas zugestoßen? Hatte sie es satt sich um mich zu kümmern und war gegangen? Durch die erneute Fieberattacke tauchten die wildesten Gedanken in meinem Kopf auf und leichte Panik machte sich breit. Ich versuchte mich hoch zu stemmen. Wieder protestierten meine Rippen bei der Bewegung doch ich biss die Zähne zusammen und schaffte es mich auf die Bettkante zu setzen. Mühsam kam ich auf die Beine und machte einen unsicheren Schritt Richtung Tür, dann noch einen. Als ich am Ende des Bettes anlangte begann es vor meinen Augen zu Flimmern. Ich schaffte es nicht zurück auf die Matratze und als mein Kreislauf zusammenbrach, krachte ich auf den Boden. Der Schmerz in den Rippen brachte mich zurück. Ich war unglücklich aufgekommen und meine ohnehin noch nicht verheilten Rippen waren wohl weiter geschädigt worden. Zumindest fühlte es sich so an. Mit einiger Anstrengung schaffte ich es zurück ins Bett und biss mir dabei auf die Lippen um nicht zu schreien. Ich war wirklich noch nicht so weit alleine zurecht zu kommen. Doch was sollte ich machen, wenn Selena nicht zurückkam? Wenn ihr etwas zugestoßen und sie nun selbst verletzt war? Trotz dieser Gedanken schlief ich wieder ein. Ein leise Summen neben mir weckte mich. Dann hatte sie mich doch nicht im Stich gelassen. Die Angst davor hier alleine liegen und auf den Tod warten zu müssen, löste sich. Ein kühles Tuch wurde mir auf die Stirn gelegt und jemand strich mir vorsichtig übers Haar, dann die Wange und den Hals. Es war nur noch angenehm und ich tat so, als würde ich schlafen, damit sie nicht aufhörte. Als sie mich vorsichtig an der Schulter rüttelte öffnete ich die Augen. Mit besorgtem Blick saß sie neben mir und hielt einen Becher mit frischem Tee in der Hand. Ich kannte diesen Tee und obwohl er abscheulich schmeckte trank ich ihn, ohne mich zu beschweren. Mitten in der Nacht wurde ich wieder wach. Im Zimmer war es dämmrig und ich erkannte sofort, dass Selena erneut hier im Zimmer eingeschlafen war. Dieses Mal im Sessel. Auf dem Tischchen neben ihr brannte eine einzelne Kerze und ich sah sie eine ganze Weile einfach nur an. „Legt euch schlafen“, sagte ich leise, als sie sich regte und sie schlug die Augen auf. „Ihr tut euch keinen Gefallen wenn ihr hier bleibt.“ Sie konnte sich ruhig schlafen legen. Ich fühlte mich besser als noch ein paar Stunden zuvor. Da konnte sie ruhig an sich selbst denken und sich erholen. Langsam richtete sie sich auf und kam dann zu mir rüber. Sie sah vollkommen fertig aus. „Ich möchte euch nicht alleine lassen.“ Darauf hin musste ich leicht lachen, was ich sofort bereute da mir davon die Rippen weh taten. Von meinem Sturz hatte ich ihr nichts gesagt. Ich wollte mir keinen Vortrag über Unverantwortlichkeit anhören müssen, den sie sicherlich auf Lager gehabt hätte oder, dass sie sich Vorwürfe machte, weil sie nicht dagewesen war. „Was soll mir schon passieren?“ Was fürchtete sie, dass ich in ihrer Abwesenheit anstellen konnte? Ich konnte ja noch nicht einmal alleine aufstehen ohne dabei auf die Nase zu fallen. Weglaufen war also nicht möglich. Genau so wenig konnte ich mir ansehen, was sie die ganze Zeit über schrieb. Davon abgesehen, dass ich es sicher nicht hätte lesen können. „Wie wäre es mit: Ihr könntet sterben?“ fragte sie und setzte sich auf die Bettkante, legte eine Hand auf meine Stirn. Warum nur taten ihre Berührungen so gut? Es lag so viel Wärme und Trost darin. Vielleicht hatte sie ja recht und es war wirklich so etwas wie ihre Bestimmung sich um andere zu kümmern. Wenn es so war dann tat sie das alles wirklich nur, weil ich ihr derzeit leid tat. „Wen würde das schon kümmern?“ ich schloss die Augen um sie nicht ansehen zu müssen. In den letzten Tagen hatte ich nicht das Gefühl bekommen, dass ich ihr wirklich wichtig war. Zwar hatte sie mich umsorgt doch das hatte sie auch bei Soldaten getan. Ich war nur einer von vielen. Der Schlag ins Gesicht traf mich völlig unvorbereitet. Er war nicht sonderlich kräftig doch da ich in keiner Weise damit gerechnet hatte, spürte ich ihn um so deutlicher. Überrascht sah ich sie an und erkannte zu meiner Bestürzung, dass sie nicht nur wütend sondern auch verletzt aussah. „Ist euch schon einmal der Gedanke gekommen, dass es durchaus Menschen gibt, denen ihr wichtig sein könntet? Vermutlich nicht.“ Sie stand auf und holte die Kerze vom Tisch. „Ihr habt recht. Ich tue mir wirklich keinen Gefallen wenn ich hier bleibe. Totale Zeitverschwendung.“ Bei den letzten Worten kippte ihre Stimme als würde sie gegen Tränen ankämpfen. „Selena...“ doch sie verließ das Zimmer ohne sich noch einmal umzudrehen. Was hatte ich da nun wieder angerichtet? „Großartig, Shay. Wirklich gut gemacht“, schalt ich mich selbst und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. Ich hatte sie wohl komplett falsch eingeschätzt. Ich war ihr wichtig. Noch immer. Am nächsten Morgen nahm ich mir vor mich zu entschuldigen. Egal was sie auch von mir verlangte, ich würde es tun. Selbst wenn es ums Waschen ging, würde ich mich nicht beklagen. Als sie das Zimmer betrat, mit einem Frühstückstablett in Händen und verquollenen kleinen Augen, bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ich hoffte, dass sie mich ansehen würde doch tat sie es nicht. Immer wenn ich dazu ansetzte etwas zu sagen wandte sie sich ab, nahm etwas zur Hand oder bat mich beim Verbandswechsel etwas festzuhalten oder mich zu drehen. Sie wollte nicht mit mir reden, dass war eindeutig. Schon räumte sie ihre Sachen zusammen und wandte sich zum Gehen und ich hatte mich noch immer nicht bei ihr entschuldigt. „Ich habe Liam getroffen“, sagte sie unvermittelt und für einen Augenblick hörte ich erneut den Schuss der mein Leben beenden sollte. Langsam drehte sie sich zu mir um und sah mich an. „Er behauptet ihr wärt tot.“ Ich starrte sie an. Wenn sie mit ihm gesprochen hatte, dann wusste die Bruderschaft vielleicht schon in diesem Augenblick das ich noch lebte und wo ich war. „Was habt ihr ihm gesagt?“ fragte ich vorsichtig und konnte nicht verhindern dass man mir meine Panik anhören konnte. „Gar nichts. Irgend etwas ist zwischen euch Beiden vorgefallen und so wie er es gesagt hat, tut es ihm nicht wirklich leid.“ Einen Moment lang schloss ich die Augen und es machte sich Erleichterung bei mir breit. Er wusste also nicht, dass ich noch lebte. „Ihr müsst mir nicht sagen was passiert ist aber... wenn ihr jemanden braucht, der einfach nur zuhört...“ Meinte sie das ernst? Vermutlich schon, doch ich konnte es ihr nicht erzählen. Sie wusste nicht was ich war oder was ich getan hatte. Sollte sie erfahren dass wegen mir tausende unschuldige Menschen gestorben waren, würde sie womöglich selbst die Klinge ziehen und mich dafür töten. Nein, besser sie erfuhr es nicht. Ich hörte wie ihre Schritte sich entfernten. Langsam, als hoffte sie, ich würde doch noch etwas sagen. Dann war es still. Kapitel 14: Neue Freunde ------------------------ Kapitel 14 Neue Freunde Von Tag zu Tag ging es mir besser. Meine Rippen heilten, auch wenn der Sturz dafür gesorgt hatte, dass ich zwei Wochen länger damit zu tun hatte. Ich konnte aufstehen und versuchte anhand der Straße, die ich durch das Fenster sehen konnte, zu erraten wo ich war. Mir kam das alles bekannt vor und ich tippte auf New York. Die Finnegans waren zurückgekommen, kurz nach dem Selena das Zimmer verlassen hatte und danach war sie nicht wieder aufgetaucht. Ob ich sie mit meinen Worten so sehr gekränkt hatte oder ob es einen anderen Grund für ihr Verschwinden gab wusste ich nicht und ich traute mich nicht zu fragen. An einem Nachmittag, langsam hatte ich es satt immer nur in diesem Zimmer zu sein, auch wenn ich aus dem Fenster sehen konnte, wurden die Finnegans von Banditen angegriffen. Auch wenn ich noch nicht wieder voll einsatzbereit war, mobilisierte ich ein paar Reserven und ging dazwischen. Verlernt hatte ich nichts, ich war nur etwas langsamer als gewohnt. Dennoch gelang es die Strolche zu vertreiben. Barry, der Ehemann, erzählte, dass die Stadt schon seit einiger Zeit mit diesen Banditen zu tun hatte. Keine guten Nachrichten. Ob es daran lag, dass ich die Kerle vertrieben hatte, oder ob sie es einfach für einen guten Zeitpunkt hielten, keine Ahnung. Auf jeden Fall statteten sie mich noch am selben Tag mit neuen Kleider aus. Meine alte Garderobe war laut ihrer Aussage nicht mehr zu retten gewesen. Es wunderte mich, dass keiner von Beiden mich auch nur ein einziges Mal gefragt hatte was passiert war. Ich hatte zu dem nicht gefragt wie ich hier her gekommen war und als Barry halb im Scherz meinte, ich wäre wohl betrunken von einem Schiff gefallen gab ich ihm recht, nur um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Das passte zwar nicht zu meinen Verletzungen, doch mir war es gleich. Die Kleider, die sie mir gaben, hatten einst ihrem Sohn gehört. Ich sah es Cassidy, Barrys Frau, an, dass sie nicht über ihn reden wollte und hielt mich mit Fragen zurück. Und Fragen hatte ich. Hemd und Hose passten. Meine alte Schutzweste war zwischen den Kleidern und jemand hatte sie weitestgehend vom Blut gereinigt und das Loch geflickt. Auch eine lange Lederjacke hatten sie für mich. Sie war zwar gebraucht, aber in gutem Zustand. Selbst meine Waffen bekam ich zurück ohne nach ihnen fragen zu müssen doch einer der Gurte gehörte mir nicht. Auf ihm war ein Kreuz, so wie ich es von den Templern kannte. War das ein Zufall? Nun, da es mir besser ging, wurde es Zeit, sich um mein Äußeres zu kümmern. Da ich Wochenlang nichts anderes als dieses Zimmer gesehen hatte, war es nicht tragisch gewesen, sich gehen zu lassen. Als ich mich nun zum ersten Mal seit langem wieder in einem Spiegel sah, erkannte ich denjenigen nicht, der mich da anstarrte. Wie lange war ich schon hier? Mein Haar war länger geworden und wie es aussah klappte es langsam mit einem Bart, auch wenn ich zugeben musste, dass er mir nicht stand. Alles in Allem sah ich sehr runtergekommen aus und tat nun das, wozu Selena mich immer genötigt hatte. Ich wusch mich. Gründlich. Auch den Bart rasierte ich mir ab, doch was sollte ich mit den Haaren machen? Sollte ich mir den Schädel rasieren, wie Liam es tat? Nein. Ich beschloss sie so zu lassen nur, dass ich sie, nach einer Wäsche, zusammen band. Als Cassidy mich später sah und meinte, ich würde wie ein richtiger Gentleman aussehen, wurde ich doch etwas verlegen. Stimmte, sie kannte mich nur in diesem zerrissenen Zustand, in dem ich wohl hier angekommen war. Langsam begann ich mich zu fragen, wie lange ich mich hier noch würde verstecken können. Immerhin wollte ich den Finnegans nicht ewig auf der Tasche liegen. Es war für sie auch so schon schwer genug über die Runden zu kommen. Doch wo sollte ich hin? Ich hatte kein zu Hause mehr, keine Freunde und keine Familie. Ich war ganz allein. Nichteinmal mein Schiff hatte ich noch. Alles was mir geblieben war, waren meine Waffen und ich war wirklich froh, dass mir die geblieben waren. Auch mein Geld war noch da. Gut, viel hatte ich nie bei mir getragen, doch es war besser als nichts. Drei Tage nach dem Zwischenfall mit den Banditen sah ich vom Fenster aus, wie sich erneut so ein Kerl vorm Haus herum trieb. Einer allein würde für mich kein Problem sein und ich hatte es wirklich satt hier festzusitzen. Mir ging es gut genug um wieder nach draußen zu gehen und eine kleine Jagd würde mir sicher gut tun. Da ich nicht wusste ob ich hier her zurückkehren würde, fragte ich, ob ich bei meiner Ankunft zufällig ein Buch dabei gehabt hatte. Das Manuskript, welches ich den Assassinen gestohlen hatte, war nicht bei den Dingen gewesen, die ich zurück bekommen hatte. Leider wussten sie nichts von einem Buch. Dann blieb nur die Hoffnung, dass es im Meer gelandet und damit unbrauchbar geworden war. Ich verabschiedete mich von ihnen, sagte nicht was ich vor hatte und verließ das Haus. Draußen erwartete mich warme Sommerluft und der Bandit. Es war einer der Beiden, die schon einmal hier gewesen waren. Er erkannte mich offenbar ebenfalls, denn kaum hatte ich einen Schritt auf ihn zu gemacht, rannte er auch schon los. 'Dann wollen wir mal', dachte ich und heftete mich an seine Fersen. Er war gut. Für einen einfachen Schläger zu gut. Ohne Mühe kletterte er auf die Dächer in der Hoffnung mir zu entkommen, doch das konnte ich auch. Zwar war ich nicht mehr so kräftig wie früher, durch meine Verletzung hatte ich stark abgebaut, doch noch immer gut genug um ihm zu folgen. Leider hatte er Tricks auf Lager, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Er ließ etwas fallen und hinter ihm entstand eine Rauchwolke, die meine Sicht behinderte. Wäre ich nicht ausgewichen, hätte mich dieser Rauch sicher noch stärker behindert. So konnte ich ihm weiter folgen und ihn stellen, bevor er sich aus dem Staub machen konnte. „Also“, ich zog ihn am Kragen hoch, „Was haben du und deines Gleichen gegen die Finnegans?“ „Ich? Gar nichts. Mein Boss hat mich geschickt.“ Was für ein Weichei. So ein Bisschen reichte schon aus um ihn zum Zittern zu bringen? Lachhaft. „Ah, und wo finde ich den?“ Er gab mir eine Beschreibung und ich ließ ihn laufen. Der würde sich so schnell nicht mehr blicken lassen und ich konnte mich ganz in Ruhe auf den Weg zu dem Unterschlupf machen. Schwarzer Rauch, der aus einen Innenhof kommt... Das musste zu finden sein. Doch nun, da die Verfolgung vorbei war, spürte ich meine Rippen wieder. So ganz fit war ich noch nicht. Für so ein paar Banditen würde es aber reichen. Zumindest, wenn die anderen genau so waren wie der Typ von eben. Es dauerte über eine Stunde, bis ich den Rauch entdeckte. Ich war über die Dächer gelaufen und hatte mir dabei die Stadt von oben angesehen. Ganz klar, ich war in New York. Das hieß, dass ich aufpassen musste. Hier hatte Hope sich ein gut funktionierendes Netz aus Spionen aufgebaut. Wenn ich nicht acht gab, würde die Bruderschaft bald wissen, dass ich noch lebte. Vorsichtig schlich ich mich an das Versteck heran und sondierte von oben die Lage. Für ein ungeübtes Auge sah das hier recht harmlos aus. Es war nichts ungewöhnliches, wenn sich Männer in einem Hinterhof trafen, doch das hier war mehr als das. Auf einem der Dächer ging ein bewaffneter Mann auf und ab und sie alle trugen die selbe Art von Kleidung. Das waren keine gewöhnlichen Straßendiebe, sondern eine richtige Bande. Vermutlich sogar eine gut organisierte Bande, denn an einem Fahnenmast wehte eine Flagge. Offensichtlich ihr Bandenzeichen. Von meinem Beobachtungsposten aus sah ich eine ganze Weile zu, wie sie da unten zusammen hockten, auf und ab gingen, sich berieten. Es steckte ein Muster dahinter. Gut, das würde es mir leichter machen, wenn ich dort eindrang. Mir war es lieber nicht entdeckt zu werden, wenn ich die Bande hochgehen ließ. Nach einer guten halben Stunde, die ich mit Beobachten verbracht hatte, stand mein Plan. Zumal ich in dieser Zeit dort unten den entdeckt hatte, der wohl der Anführer war. Er trat selbstbewusster auf als der Rest, war schwerer bewaffnet und auch seine Kleidung war etwas auffälliger. Das war der, den ich suchte. Wenn ich ihn ausschaltete, hatten die Finnegans ihre Ruhe. Zuerst kümmerte ich mich aber um den Schützen auf dem Dach. Als er schlief machte ich mich daran an den Anführer heran zu kommen. Dabei schlug ich seine Leute lieber nieder, anstatt sie zu töten. Ich hatte schon genug Menschen auf dem Gewissen. Den Anführer stellte ich im Hof und ihn erledigte ich wirklich. Egal warum er den Finnegans das Leben schwer gemacht hatte, nun würde er es nicht mehr können. Als ich ihn mir genauer ansah fiel mir das Tuch auf, dass er vorm Gesicht trug. Es diente eindeutig zu mehr als nur zur Vermummung. Ich nahm es ihm ab, immerhin brauchte er es nicht mehr, und untersuchte es. Im Bereich der Nase war etwas in den Stoff eingearbeitet, damit es eng anlag und es war mehr als nur eine Schicht an Stoff. Dieses Tuch machte es einem wohl möglich bei Rauch ungehindert weiter atmen zu können. Praktisch. Wirklich praktisch. Als ich mich aufrichtete um zu gehen musste ich feststellen, dass ich nicht mehr alleine war. Der Lärm, den der Kampf verursacht hatte, hatte Soldaten angelockt. Ich machte mich darauf gefasst mir den Weg freikämpfen zu müssen, doch es kam anders. Es stellte sich heraus, dass es keineswegs nur der Lärm gewesen war. Die Finnegans hatten wohl geahnt, dass ich etwas unternehmen würde und hatten dem Mann, der nun vor mir stand, Bescheid gegeben. Er stellte sich als Colonel George Monro vor und er bedankte sich bei mir, das ich dieses 'Gesindel' von hier vertrieben hatte. Ich wusste nicht was ich davon halten sollte. Meine bisherigen Erfahrungen mit der britischen Armee waren alles andere als gut gewesen und ich blieb misstrauisch. Das Monro sich wünschte, dass die Kolonien sicher waren, klang schön, doch reden konnte man viel. Da er merkte, dass ich ihm nicht glaubte, bewies er mir, dass er es ernst meinte. Es war seltsam, doch während ich mit ihm durch die Straßen ging und er ein klein wenig erzählte, zum Beispiel dass der Sohn der Finnegans früher für ihn gearbeitet hatte, sah ich ihn in einem anderen Licht als zuvor. Wir kamen zu einem Haus, dass schwer beschädigt war. Wohnen konnte man darin nicht mehr. In dem Bandenquartier hatten wir Geld gefunden. Da es mir nicht gehörte machte es mir nichts aus, dass der Colonel es dazu einsetzen wollte, das Haus wieder in stand zu setzen. Anscheinend stimmte, was er sagte. Er unterstütze die Bewohner von New York und wenn ich es richtig verstanden hatte, hatte der junge Finnegan es ganz ähnlich gehalten. Eine Bemerkung vom Colonel ließ mich aufhorchen. Er meinte, New York, könne unter meiner Aufsicht erblühen und jeder brauche doch eine Aufgabe. Vielleicht hatte er Recht. Nach allem was ich bisher getan hatte war es möglich hier neu anzufangen. Und das tat ich. Auch wenn ich nicht viel von Architektur, Gebäuderenovierung und dergleichen verstand, half ich mit, als die Materialien eintrafen. Es tat gut wieder etwas tun zu können und zu sehen, dass es einen positiven Effekt auf die Menschen hatte, machte es nur noch besser. Dennoch blieb ich nicht all zu lange. Die Finnegans hatten den Colonel informiert, da sie sich Sorgen um mich gemacht hatten. Ich sollte sie beruhigen, bevor ich mich hier weiter aufhielt. Dazu musste ich aber zuerst das Haus wieder finden. Zwar kannte ich die Stadt recht gut, doch hatte ich mir bei der Verfolgungsjagd nicht den Weg gemerkt. Ich suchte nach bekannten Punkten und fand schließlich die Häuserfront, die den Finnegans gegenüberlag. Die hatte ich durch das Fenster lange genug angesehen um sie wieder erkennen zu können. Drinnen erwartete mich das Ehepaar, das wirklich froh war, dass es mir gut ging. Doch auch der Colonel war hier. Er hatte ihnen gesagt was passiert war und hatte, wenn es mich nicht störte, eine Bitte an mich. Da ich es leid war nur herum zu sitzen sagte ich zu und er bat mich einem Freund von ihm aus der Patsche zu helfen. Kurz darauf war ich unterwegs zu einem alten Fort, in dem sich ein paar Verbrecher niedergelassen hatte und wo ich den Freund finden sollte, den diese Schurken hängen wollten. Als ich ankam erkannte ich, dass diese Leute zur selben Bande gehörten, die ich ein paar Stunden zuvor schon kennengelernt hatte. Von denen gab es eindeutig zu viele in dieser Stadt und ich würde nicht zulassen, dass sie noch weitere Unschuldige verletzen, bedrohten oder ihnen sonst wie schadeten. So griff ich ein, als sie gerade einem Mann die Schlinge um den Hals legten. Das musste der Freund vom Colonel sein. Christopher Gist. Mit einem gezielten Schuss durchtrennte ich das Seil und sprang Gist zur Seite, als die Banditen sich auf ihn stürzen wollten. Dieses Mal machte ich mir nicht die Mühe sie nur KO zu schlagen. Sie hatten einen Menschen töten wollen und dafür ließ ich sie nun bezahlen. Keinen ließen wir entkommen und als der Kampf vorbei war nahm ich mir die Zeit mich Gist vorzustellen und ihm zu sagen, dass der Colonel mich geschickt hatte um ihn da raus zu holen. Kurz darauf deutete er zum Hafen wo, wie er sagte, das Schiff dieser Banditen lag. Mich traf fast der Schlag als ich erkannte, dass es die Morrigan war. Wie kam die hier her? Hatte Hope nicht auf sie aufpassen wollen? Nun, Hope hielt mich für tot, doch das war kein Grund mein Schiff zu verkaufen. Eine halbe Stunde später hatte ich 6 weitere Banditen aufgestöbert und einen aus einem Turm in die Tiefe gestoßen. Sie alle hatten sich im Bereich der Morrigan aufgehalten und das nahm ich persönlich. Sie war mein Schiff und ich überließ sie niemandem sonst. Gist half mir, wenn auch nicht sehr erfolgreich und bot dann an, eine Crew für das Schiff zu besorgen. Da sagte ich nicht nein, doch ich wollte mir dieses Fort noch einmal genauer ansehen. Zum einen konnte es sein, dass dort noch jemand war, und zum anderen hatten diese Gebäude schon ewig leer gestanden und ich brauchte eine Bleibe. Langsam wurde es dunkel und ich sah mich in dem Haupthaus um. Hier waren ganz eindeutig nur ein paar der unteren Räume genutzt worden. Alles war schmutzig, staubig und heruntergekommen. Ich fand eine volle Flaschen mit Rum und ein paar Dokumente. Sonst hatten die Banditen nur Dreck zurück gelassen. Ich sah auf die Flasche. Wie lange hatte ich nun schon keinen Rum mehr getrunken? Ein Schluck konnte nicht schaden. Immerhin hatte ich mir nach diesem Kampf eine kleine Belohnung verdient. Der Alkohol brannte in der Kehle und ich hustete. Das Zeug war stark. Oder aber ich war nichts mehr gewohnt. Mit der Flasche in der Hand erkundete ich weiter das Haus. In den oberen Räumen war schon lange niemand mehr gewesen. Ich testete jede einzelne Stufe der Holztreppe, als ich nach oben ging und sah mir die Zimmer an. Auch hier lag Staub, wenn auch nicht so viel wie unten. Es ließ sich noch erahnen, wie es früher einmal hier ausgesehen haben musste. Teure Tapeten, die sich teils von den Wänden lösten, gerahmte Bilder, ein geschnitzter Schreibtisch, ein geräumiges Bad mit Wanne, Gäste- oder Dienstbotenzimmer... Auch ein Schlafzimmer mit Himmelbett fand ich. Es war ebenfalls abgedeckt und es wirbelte etwas Staub auf, als ich vorsichtig das Laken herunter zog. Irgendwie sah es sehr einladend aus und ich war müde. Draußen wurde es Nacht und es sah nicht danach aus, als würde hier noch irgendwo ein Bandit herum laufen. Dennoch verriegelte ich die Tür zu diesen Räumen sorgsam von innen, gönnte mir noch etwas Rum und ließ mich vorsichtig auf dem Bett nieder. Es konnte nicht schaden eine Stunde oder zwei hier zu liegen. Ein Sonnenstrahl, der mir direkt aufs Gesicht schien, weckte mich. Es war früher morgen und ich hatte einen Moment lang keine Ahnung wo ich war. Als ich mich aufrichtete pochte hinter meinen Schläfen ein Schmerz, den ich nur zu gut kannte. Dabei hatte ich doch gar nicht so viel getrunken. Ein Blick auf die Flasche, die auf dem Nachttisch stand, sagte etwas anderes. Da fehlte eindeutig mehr als nur ein paar Schluck, doch ich erinnerte mich nicht daran mehr getrunken zu haben. Ich sah an mir runter. Na, zumindest hatte ich daran gedacht mich auszuziehen, bevor ich mich hingelegt hatte. Dann ließ ich den Blick schweifen. Zerschlissene Vorhänge vor schmutzigen Fenstern, Staubpartikel in der Luft, ein großes Himmelbett... Stimmte, ich war in das alte Fort gegangen und hatte mich dort umgesehen. So schnell es mit einem Kater ging zog ich mich an und räumte die Möbel zur Seite, die ich vor die Tür gestellt hatte. Vielleicht hätte ich die Nacht besser auf der Morrigan verbringen sollen. Nun ja, die lief mir nicht weg. Zumindest hoffte ich es, denn wer konnte schon sagen wie viele Banditen es hier in der Stadt wirklich gab und wenn die sich einmal ein Schiff besorgen konnten, dann taten sie es womöglich auch noch ein weiteres mal. Meine Sorge blieb unbegründet. Die Morrigan lag friedlich im Wasser und als ich an Deck kletterte verflüchtigte sich der Kater ein wenig. Das hier war mein Schiff. Mein zu Hause. Am Vortag hatte ich nur kurz nachgesehen, ob sich auch niemand mehr an Bord befand und hatte dann die Tür zur Kajüte verriegelt. Nun nutzte ich die frühe Stunde um mich hier genauer umzusehen. Es war gut möglich, dass ich auf Informationen stieß, die mir sagten, wer in den letzten Monaten hier das Kommando gehabt hatte. Als erstes fiel mir jedoch etwas anderes auf. In der Kajüte müffelte es. Ähnlich wie an dem Tag, als ich sie das erste mal betreten hatte doch nun war es schlimmer. Hier hatte jemand Pfeife geraucht. Das würde dauern den Geruch wieder los zu werden und Selena war nicht hier, um für Ordnung zu sorgen. Dabei hätte die Kajüte ihre fähigen Hände gebrauchen können. Damit meine ich nicht, dass ich nicht in der Lage war Ordnung zu halten. Ich hatte nur keine Lust dazu und hier herrschte wirklich Chaos. Kleider, Bücher, Karten... Alles lag verstreut, aber es sah nicht so aus, als wäre es durchsucht worden. Es war nur unordentlich. Damit würde ich mich später irgendwann beschäftigen. Das Logbuch war nun am wichtigsten. '2. Juni 1756 Nachtrag...' Das war die letzte Eintragung. Juni? Wir hatten schon Juni? Ich war über drei Monate von der Welt isoliert gewesen? Damit hatte ich nicht gerechnet und es beunruhigte mich etwas. Ich hatte keine Ahnung was in dieser Zeit alles passiert war. Nun, die Welt stand noch, was hieß, dass die Bruderschaft es nicht geschafft hatte einen weiteren Tempel zu finden. Immerhin etwas. Ein Geräusch, draußen auf dem Steg, riss mich aus meinen Gedanken. Durch die Fenster sah ich einen Schemen, der sich dort bewegte und klappte das Logbuch zu. Das hier musste wohl warten. Darauf gefasst es noch einmal mit irgend einem Schurken aufnehmen zu müssen trat ich an Deck, doch unten auf dem Steg warteten nur drei Männer mit Seesäcken und Gist, der zu zu mir hoch lächelte. Ich kletterte zu ihm runter und er musterte die Morrigan. „Ein schönes Schiff. Und wie versprochen habe ich eine Crew gefunden.“ Drei Männer sollten eine Crew sein? Doch bevor ich darauf hinweisen konnte, tauchen noch zwei auf. Nun, es war noch früh am Morgen. Gut möglich, dass noch mehr kamen. „Eine Position habe ich unbesetzt gelassen“, fuhr Gist fort. Das er die Positionen schon vergeben hatte... Ich würde mir ansehen wie gut diese Männer waren und notfalls umbesetzen. Doch ich fragte mich, auf was Gist wohl hinaus wollte. „Sagt Shay, habt ihr einen ersten Maat?“ Nein, den hatte ich nicht mehr. Ich hatte nur noch mein Schiff. Besser, ich hatte es wieder. Meinen alten ersten Maat würde ich nur nicht zurück bekommen. „Er ist lange fort.“ Der Gedanke machte mich traurig. Ich hatte mit Liam viel erlebt und er hatte mir so manches Mal den Hintern gerettet. Sollte ich ihm nun wieder begegnen, würde er nicht zögern mich zu töten. „Dann bewerbe ich mich für den Posten, Kapitän.“ Ein verlockendes Angebot. Ich kannte ihn kaum, doch Gist schien ganz in Ordnung zu sein. Zudem stand er in Verbindung zu Monro und der war auch irgendwie ganz in Ordnung. Ich hatte Gist das Leben gerettet, er hatte sich um die Crew gekümmert. Es konnte nicht schaden ihm eine Chance zu geben. „Willkommen an Bord.“ Ich hielt ihm die Hand hin und er schlug ein. Ob es eine gute Idee war würde sich zeigen. Ich hatte nun zumindest das Gefühl nicht mehr ganz alleine zu sein. Vielleicht hatte ich einen neuen Freund gefunden. Einen, auf den ich mich eben so verlassen konnte wie ich es früher bei Liam gekonnt hatte. Kapitel 15: Freund oder Feind ----------------------------- Kapitel 15 Freund oder Feind? Wir brachen am Abend auf. Gist hatte vorgeschlagen Monro aufzusuchen und da ich wusste, dass der sich in Albany aufhielt, war es eine gute Gelegenheit zu sehen wie gut die Crew und wie zuverlässig Gist war. Dazu kam, dass ich es kaum erwarten konnte wieder auf See unterwegs zu sein. Es brauchte nur ein paar Tage und ich fühlte mich, als hätte es den Sturz von den Klippen nie gegeben. Noch immer träumte ich manchmal von Lissabon oder davon, wie Liam auf mich schoss, doch nun konnte ich diese Träume im Rum ertränken, wenn es nötig wurde. Es gab niemanden, der mich daran hinderte. Während der Fahrt erzählte mir Gist etwas mehr über Monro. Es war interessant zu hören wie er über ihn und dessen Ideale dachte. Wie es aussah hatte der Colonel wirklich ehrenhafte Absichten. Gut möglich, dass ich mich dem Kampf zur Umsetzung dieser Pläne anschloss. Sichere Grenzen, fairer Handel und Freiheit waren durchaus auch in meinem Interesse. Als wir Albany erreichten wartete der Colonel schon auf uns. Und Gist hatte schlechte Nachrichten für ihn. Er hatte erfahren, dass es ein französisches Fort in der Nähe gab und dass diese Banditen, die ihn gefangen genommen hatten, von dort ihre Waffen bekamen. Mir hatte er nichts davon erzählt, doch ich hatte ihn auch nicht gefragt. Das alles klang nicht gut und als Monro andeutete, es könnte zu einem Angriff auf New York kommen musste ich nicht lange überlegen. Ich würde mich ihnen anschließen. Erst einmal für diese Mission. Wenn sich herausstellte, dass sie falsch lagen, gab es noch immer die Möglichkeit mich von ihnen zu trennen. Der Colonel begleitete uns auf der Reise zu dem Fort und ich nutzte die Gelegenheit ihn ein wenig aus der Reserve zu locken. Zumindest versuchte ich es, doch es gelang mir nicht. Für jede meiner Fragen, oder Andeutungen hatte er gute Antworten und Gegenargumente. Er kam mir nicht wie ein Fanatiker vor. Eher wie ein Träumer. An seinen guten Absichten zweifelte ich am Ende der Fahrt nicht mehr. Eine seiner Ansichten fand ich besonders interessant. Gist hoffte, dass die Franzosen sich wehren würden, doch Monro, Colonel der britischen Armee, sah das anders. Er unterstützte meine Idee, nur den Kommandanten des Fort zu eliminieren, um die übrigen Männer zu demoralisieren. Der geringst mögliche Aufwand für den größt möglichen Nutzen. Nur, dass wir vorher die Verteidigung durchbrechen mussten. Wir fanden das Fort bei Anbruch der Dunkelheit. Das machte es für die Verteidiger schwerer uns zu sehen, doch wir hatten auch Probleme die Geschütze ausfindig zu machen. Die Morrigan war gut ausgerüstet und wir hatten genügend Munition an Bord, um es mit ihnen aufzunehmen. Zudem waren wir wendig genug, um dem Kugelhagel auszuweichen. Der Kampf dauerte bis zum Anbruch der Nacht. Als wir auch den letzten Geschützturm in Trümmer gelegt hatten, gingen wir vor Anker und im Schutze der Dunkelheit schlichen wir uns ins Fort hinein. Ich machte mich auf die Suche nach dem Kommandanten, Gist deckte mich, doch ich verlor ihn bald aus den Augen. Ich hoffte, dass er zurecht kam. Überall waren kleinere Feuer ausgebrochen und die Franzosen waren mehr damit beschäftigt sie zu löschen, als nach Eindringlingen Ausschau zu halten. So kam ich einigermaßen unbehelligt zum Ziel und war überrascht, als ich die Tür hinter mir schloss. Der Mann der hier auf mich wartete, war kein Unbekannter. Es war der Pirat Le Chasseur. Kurz hatte ich den Eindruck, als wüsste er nichts von meinem Verrat an der Bruderschaft, doch als er die Waffe zog änderte sich das. Dies war mein erster Kampf gegen einen meiner ehemaligen Brüder. Auch wenn ich ihn kaum gekannt hatte war es doch ein seltsamen Gefühl. Vor allem da er mir sagte, ich müsse ihn töten, wenn ich nicht wollte, dass die Bruderschaft erfuhr, dass ich noch lebte. Er war schnell. Schneller als ich ihm zugetraut hätte und es war beinahe unmöglich seine Verteidigung zu durchbrechen. Zudem hatten wir nicht allzu viel Platz. Überall standen Fässer und die brachten mich auf eine Idee. Mit einiger Mühe schaffte ich es, ihn in die richtige Position zu manövrieren, griff an und als er abwehrte trat ich ihn in den Unterleib und stieß ihn so mitten in die Fässer hinein. Er stürzte, zwei der Fässer gingen zu Bruch und er ließ die Waffe fallen. Benommen, von was auch immer an Resten in den Fässern gewesen war und wohl auch vom Aufprall, brauchte er einen Moment, um zu begreifen, was passiert war. Da war es allerdings schon zu spät. Ich trat an ihn heran und schob mit dem Fuß seine Waffe zur Seite, als er danach greifen wollte. Bevor ich ihn tötete, fragte ich ihn, was er an Land tat. Immerhin war er Pirat und eher auf dem Meer unterwegs. Ich erfuhr nur, dass es sich um spezielle Waffen handelte, Giftgas zum Einsatz gegen die Kolonialherren. Was es genau damit auf sich hatte, wollte er mir nicht verraten, doch mir reichte das als Anhaltspunkt. Dann tat ich, was ich tun musste. Er hatte recht. Wenn er überlebte, würde er den Assassinen sagen, dass ich noch lebte. Das Risiko konnte ich nicht eingehen. So tötete ich ihn, doch leicht fiel es mir nicht. Einen Moment blieb ich noch neben seinem toten Körper sitzen, dann gab ich mir einen Ruck. Es gab Wichtigeres zu tun. Die Franzosen mussten aufgeben oder aber bis zum letzten Mann bekämpft werden. Auch wenn es mir widerstrebte, packte ich die Leiche und zerrte sie nach draußen. Sicher würde man sonst nicht glauben, dass er wirklich tot war. Eine halbe Stunde später hatte es sich herumgesprochen, dass Le Chasseur tot war und der letzte Widerstand brach. Dennoch empfand ich keinen Triumph. Das was ich getan hatte war... Notwendig. Wurde ich nun genau wie Liam? Nein, das hier war etwas Anderes. Hier ging es um mehr. Wir blieben über Nacht und warteten auf britische Soldaten, die das Fort übernehmen sollten. Besser man ließ es nicht unbeobachtet, um den Franzosen keine Chance zu geben, es wieder in Besitz zu nehmen. Die Männer trafen erst am Mittag des nächsten Tages ein und ich nutzte die Zeit, um mich umzusehen und auch um dafür sorge zu tragen, dass Le Chasseur ein vernünftiges Begräbnis bekam. Das schuldete ich ihm. Auch wenn er mein Gegner gewesen war, einst hatte ich ihn Bruder genannt. Monro brach vor Gist und mir auf, da er einiges zu erledigen hatte und ich hatte es nicht eilig nach New York zurück zu kehren. Gut, dort wartete das alte Fort Arsenal auf mich, doch wollte ich mich wirklich in ihm niederlassen? Würde es jemanden stören? Schon seit ich ein Kind gewesen war hatte es leer gestanden und natürlich war es nicht erlaubt gewesen, dort zu spielen. Gist zerstreute meine Gedanken als er meinte, er wäre bei der Durchsuchung des französischen Forts auf Karten von Handelsrouten und einen beträchtlichen Geldbetrag gestoßen. Die Karten konnten sicher helfen die Navy zu unterstützen, wenn mir danach wäre und das Geld... Nun, gegen Geld sagte ich nichts. Zumal der Aufbau der Gebäude in New York einiges kosten würde. Der Weg zurück war angenehm ruhig, doch ein klein wenig Ablenkung von meinen Gedanken wäre nicht schlecht gewesen. So konnte ich mich nur mit Rum ablenken. Keine wirklich gute Option und Gist war nicht sehr hilfreich. Dazu kam, dass ich mit ihm nicht über meine Sorgen reden konnte. Es war besser, wenn er nichts aus meiner Vergangenheit erfuhr, solange ich nicht wusste mit wem ich es wirklich zu tun hatte. In mir keimte ein Verdacht auf, doch ich konnte ihn nicht beweisen. Der junge Finnegan hatte für Monro gearbeitet und unter den Sachen, die einst ihm gehört hatten war dieser Waffengurt mit dem Templerkreuz gewesen. Auch an Monros Kleidern hatte ich das Zeichen entdeckt. Es war gut möglich, dass er Templer war und wenn es so war, dann konnte Gist auch dazu gehören. Der Gedanke beunruhigte mich, denn wenn es stimmte, durfte keiner von ihnen erfahren, wer ich war. Wieder in New York verabschiedete sich Gist und ich nahm mir noch einmal das alte Fort vor. Das letzte Mal hatte ich nur einen groben Blick auf die Räume geworfen, da es spät gewesen war. Nun war noch nicht einmal Mittag und ich hatte Zeit. Wenn ich wirklich hier einziehen wollte, musste ich wissen, ob das Gebäude noch zu retten war oder nicht. Schnell wurde mir klar, dass ich das alleine nicht schaffen würde. Gut, ich hatte etwas Geld, doch die Reparaturen würden weit mehr kosten. Einen Teil konnte man sicher wieder bewohnbar machen, doch vor allem im oberen Stockwerk gab es ein paar Zimmer, bei denen es sich nicht lohnen würde. Wie sollte ich nur all den Schmutz entfernen? Gerade sah ich mir unten die Küche an, als ich ein Klopfen an der Haustür hörte. Dieses Geräusch versetzte mich in Alarmbereitschaft. Außer Gist wusste niemand, dass ich hier war. Zwar hatte ich Monro gegenüber erwähnt, dass es mich reizen würde hier zu bleiben, doch ich bezweifelte, dass er diese Worte für bare Münze genommen hatte. Vielleicht waren ein paar Banditen zurück gekommen, doch die würden kaum klopfen. Da ich allein durch grübeln nicht herausfinden konnte wer da draußen war, ging ich zur Tür und öffnete. Einen Moment glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Dort draußen in Kleidern, die ich persönlich als etwas freizügig beschreiben würde, stand Selena. Sie wirkte genau so überrascht wie ich mich fühlte, fing sich jedoch schneller. Ihr Blick huschte über meine Kleider und ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus. Ihr gefiel offensichtlich was sie sah. „Master Cormac. Ihr habt euch eine interessante neue Bleibe besorgt.“ Diese Worte rissen mich vom Anblick ihres Dekolletees los, dass etwas tiefer ausgeschnitten war als üblich. Natürlich war es warm, doch ich kannte kaum eine Frau, die solche Einblicke gewährte. Außer sie legte es darauf an. Sicher gehörte Selena nicht zu dieser Sorte Frau. „Woher wisst ihr, dass ich hier bin?“ fragte ich, noch immer etwas verwirrt. Sie war die Letzte, mit der ich gerechnet hatte. Ihr Lächeln wurde etwas breiter als sie sagte: „Ich habe meine Quellen.“ Wieder eine dieser Aussagen, die mehr Fragen aufwarfen, als sie beantworteten. Offenbar sah sie mir das an denn sie fügte hinzu: „Colonel Monro hat mich her geschickt, mit einer Nachricht für euch. Es ist Zufall, dass ich davon erfahren habe.“ „Ihr kennt den Colonel?“ Langsam hatte ich das Gefühl als würden sich ein paar Puzzlestücke zusammen fügen. Sie hatte auf der Morrigan Unterlagen von Templern gefunden und mich darauf aufmerksam gemacht. Sie hatte den Ring behalten wollen. Sie kannte Monro. Sie hatte Liam nicht erzählt, dass ich noch lebte. Sie war oft mit Templern gesehen worden. Wusste sie womöglich doch mit wem sie da Kontakt pflegte und auch was ich bis vor kurzem noch gewesen war? „Wir sind uns ein paar Mal begegnet in den letzten Jahren.“ Bei diesen Worte wandte sie den Blick ab. Ihr Lächeln verschwand nicht, doch sie wollte nicht, dass ich ihr in die Augen sah. Schon bei unserer ersten Begegnung hatte sie etwas verheimlichen wollen. Dieses Mal würde ich sie nicht so einfach davon kommen lassen und hakte nach. „Dann arbeitet ihr für ihn?“ Ich zog die Tür zu, denn wenn der Colonel etwas von mir wollte, dann würde er es mir sicher selbst sagen wollen. Es sei denn sie hatte einen Brief für mich, doch sie zog nichts aus einer der Taschen, die sie am Gürtel trug. „Hin und wieder, aber nicht oft.“ Sie zuckte mit den Schultern und als ich Anstalten machte los zu gehen folgte sie mir. „Aber woher kennt ihr ihn? Ich hatte den Eindruck, dass ihr euch von der Obrigkeit lieber fern haltet.“ „Das... war Zufall“, wich ich aus. Wenn sie nicht mit der Sprache heraus rückte, dann würde ich es auch nicht tun. „Wie auch immer, er möchte euch sprechen.“ Nun sah sie mich wieder an. Ich fragte mich, warum er ausgerechnet sie geschickt hatte mir eine Nachricht zu überbringen. Vielleicht weil sie als Frau eher unauffällig war oder aber, weil wir uns kannten. Dann gab sie mir eine Wegbeschreibung und wandte sich ab, um in die andere Richtung weiter zu gehen. „Ich glaube, ich muss mich bei euch entschuldigen“, sagte ich rasch, denn ich wollte nicht, dass sie schon ging. Es gab noch so viel, das ich sie fragen wollte und wenn sie nun ging konnte es sein, dass sie wieder für Wochen verschwand. Überrascht drehte sie sich um. „Für was?“ Stimmte. Im Grunde hatte ich nichts getan, dass eine Entschuldigung wert war, doch ich hatte sie, als sie mich gepflegt hatte, mit meinen Worten verletzt. „Ihr hattet es nicht leicht mit mir.“ Mit einer leichten Geste forderte ich sie dazu auf mich noch ein Stück zu begleiten und sie gesellte sich wieder an meine Seite. „Ich wollte mich schon eher entschuldigen, doch ihr wart nicht da.“ „Schon in Ordnung.“ Kurz sah sie zu Boden, lächelte aber. „Ihr müsst euch nicht entschuldigen. Ich bin diejenige, die um Verzeihung bitten muss.“ Als ich nicht darauf antwortete, fügte sie hinzu: „Die Ohrfeige. Das hätte ich nicht tun sollen.“ Ich lachte. Es ging nicht anders. Diesen Schlag ins Gesicht hatte ich damals wirklich verdient und wohl auch gebraucht um zu begreifen, wie viel Glück ich gehabt hatte. Ich war nur knapp dem Tode entronnen und meine Einstellung war zu dem Zeitpunkt alles andere als zuversichtlich gewesen. „Die verzeihe ich. Aber nur einmal.“ Auch wenn sie nicht kräftig zugelangt hatte, man tat es einfach nicht. Sollte sie nun noch einmal ausholen, würde ich wohl zurückschlagen. Kurz darauf trennten sich unsere Wege. Es war besser allein zu Monro zu gehen. Ich wollte nicht, dass es zu falschen Eindrücken kam. Dennoch hielt ich sie kurz zurück, als sie sich umdrehen und gehen wollte. „Ich hoffe doch, dass ihr nicht wieder verschwindet.“ „Was meint ihr?“ „Es ist nicht leicht euch zu finden und...“ ich brach ab, da ich ihr nicht sagen wollte, dass ich sie gerne wiedersehen wollte. Zu erfahren, dass sie noch lebte und sie danach für Wochen täglich zu sehen... Es war seltsam, doch der Gedanke, dass sie wieder aus meinem Leben verschwand, vielleicht für immer, gefiel mir nicht. „Keine Sorge.“ Ihr Blick wurde sanft. „So schnell werdet ihr mich nicht wieder los.“ Dann zwinkerte sie und ging. Wie hatte ich das jetzt zu verstehen? Es klang jedoch danach, als würde sie noch eine Weile in der Stadt bleiben, auch wenn ich nicht wusste wo. Vielleicht wussten es die Finnegans oder Monro. Nun machte ich mich erst einmal auf den Weg zu dem Treffen. Wenn es wirklich wichtig war, dann würden meine privaten Angelegenheiten noch etwas warten müssen. Der Colonel sah beunruhigt aus, als ich bei ihm eintraf. Er erzählte, dass sich die Informationen, die ich von Le Chasseur bekommen hatte, bestätigten. Die hiesigen Gesetzesbrecher planten giftige Gase einzusetzen, jedoch gegen das Volk. Eine beunruhigende Nachricht. Noch beunruhigender war es zu hören, dass sie Benjamin Franklin für ihre Pläne missbrauchten, um neue Waffen zu konstruieren, und der Auftraggeber offenbar eine Frau war. Sofort musste ich an Hope denken, hoffte aber inständig, mich zu irren. Wenn sie und die Assassinen gegen die Templer vorgingen konnte ich das verstehen. Naja, nicht mehr so ganz doch das hier war etwas anderes. Das Volk mit Gas anzugreifen, um eine Wirkung bei anderen zu erzielen, passte nicht zu den Grundsätzen, an die sich die Bruderschaft bislang gehalten hatte. Es hieß: Verschone das Leben aller Unschuldiger. Daran hielten sie sich offenbar nicht mehr. Da ich schon einmal mit Franklin zu tun gehabt hatte, bot ich an, mir die Sache genauer anzusehen. Dabei konnte ich vielleicht auch erfahren, ob es sich bei der Frau wirklich um Hope handelte oder nicht. Ich hoffte inständig, dass es nicht sie war. Um an Franklin heran zu kommen musste ich zuallererst diejenigen los werden, die ihn bewachten. Den Kleidern nach, handelte es sich auch bei diesen Männern um dieselbe Bande, mit der ich schon Bekanntschaft gemacht hatte. Wie viele gehörten denn noch dazu? Als ich es schaffte, an den Forscher heran zu kommen, war der gerade dabei das Haus zu verlassen. Mir blieb nicht viel Zeit. In unmittelbarer Nähe hatte ich zwar alle erkennbaren Bandenmitglieder ausgeschaltet, doch ich konnte nicht wissen, wo sich noch weitere befanden. Ich wollte nicht, dass einer von ihnen uns zusammen sah. So sprach ich ihn offen auf die Forschungsergebnisse an und er händigte mir, ohne zu zögern, einen Prototypen aus. Dann meinte er noch, er würde bald nach Europa abreisen und ob ich wohl 'Mistress Hope' darüber informieren könnte. Damit war die Sache klar. Sie steckte dahinter und mit ihr die Bruderschaft. Es war traurig zu erfahren, was aus ihnen geworden war und zu welchen Mitteln sie zu greifen bereit waren. Vermutlich taten sie es schon, als ich noch zu ihnen gehörte nur, dass man es mir nie erzählt hatte. Kurz darauf traf ich mich erneut mit Monro. Der Prototyp war mit dem Luftgewehr kompatibel und da er mir ansah, dass ich mit den Gedanken komplett woanders war, schlug er vor, die Waffe auf sicherem Boden zu testen. Es stellte sich heraus, dass man mit diesem Prototypen kleine, handliche Bomben abfeuern konnte. Monros Männer hatten es geschafft, etwas von dieser Munition zu beschaffen und es gab nicht nur Gasgranaten, sondern auch welche, die eine gewisse Sprengkraft besaßen. Es war alles andere als einfach, damit zu zielen, doch mit etwas Übung konnten sie sicher sehr hilfreich sein. Vor allem das Gas, welches dazu diente Menschen einschlafen zu lassen, fand ich praktisch. Wenn es möglich war andere nur außer Gefecht zu setzen, ohne ihnen dabei zu schaden, war ich dafür es einzusetzen. Zum Wohle des Volkes. Gerade als ich mich zum Fort zurückziehen wollte meinte Monro, dass sich in der Nähe eine alte Manufaktur befand, in welcher das Gas gelagert wurde. Zudem versuchten die Banditen es zu destillieren. Wenn ihnen das gelang, konnten sie damit ganze Teile der Stadt lahm legen. Besser, ich kümmerte mich darum. Er gab mir eine Warnung mit auf den Weg, da die Bestandteile des Gases wohl sehr gefährlich waren. Es war beruhigend, dass er um mein Wohl besorgt war. Ich machte mich daran diese Manufaktur ausfindig zu machen und als ich dort war, vernichtete ich die Gastanks. Von diesem Zeug sollte nichts mehr übrig bleiben. Während ich arbeitete trat Gas aus und unten im Hof lagen bald ein paar der Banditen, die die Dämpfe eingeatmet hatten. Ich hatte keine Ahnung wie stark die Wirkung war und konnte daher nicht sagen, ob sie nur schliefen oder tot waren. Kurz überlegte ich, sie dort heraus zu holen, doch als einer der Gastanks explodierte, ließ ich es bleiben. Das dort unten waren keine unschuldigen Männer gewesen. Wenn sie sich mit den Assassinen einließen... Seltsam, wie schnell man seine Ansichten änderte. Hatte ich nicht vor ein paar Monaten noch ganz anders gedacht? Ich hörte von der Straße her Schreie. Natürlich hatten die Bürger die Explosion gehört und sicher würden bald Soldaten hier auftauchen, um den Vorfall zu untersuchen. Besser ich verschwand. Das alles hier sah nach einem Unfall aus und es gab keine Hinweise darauf, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen war. Ich machte mich auf die Suche nach Monro, denn sicher wollte er wissen, ob ich Erfolg gehabt hatte, und fand ihn bei seinem Stützpunkt, wo er auf dem Wehrgang stand. Bei ihm war Gist, der zu den Rauchsäulen hinüber sah. Ihn freute der Anblick und Monro gratulierte mir zu meinem Erfolg. Er meinte, New York wäre nun sicher. Ich war anderer Ansicht. Es brauchte mehr als ein paar Explosionen um dieses Problem, die Banden und ihre Hintermänner, los zu werden. „Der Junge hat recht“, sagte jemand hinter mir und ich wandte mich um. Zwei Männer waren an uns heran getreten, von denen ich einen kannte. Vom Sehen her, doch das reichte mir. Es war William Johnson, den ich vor einem Jahr in Albany mit Franklin gesehen hatte. Er war Templer. Damit bestätigten sich nun fast alle meine Vermutungen und mir war klar, dass ich mich auf sehr dünnem Eis befand. Auch wenn ich den Assassinen den Rücken gekehrt hatte, hieß das nicht, dass die Templer auf einmal meine Freunde waren. Der andere Mann sprach mich mit meinem Namen an, obwohl ich mich nicht vorgestellt hatte. Das konnte nur heißen, dass er schon von mir gehört hatte, von wem auch immer. Auch er gratulierte mir zu meinem Erfolg und stellte mir Johnson vor, danach sich selbst als Jack Weeks. Als er mir die Hand hin hielt mit den Worten: „Schön euch kennenzulernen.“ tat ich es ihm nach kurzem Zögern gleich, um nicht unhöflich zu sein. Dabei konnte ich nicht sagen, dass ich mich wirklich freute und Johnson sah ebenfalls nicht gerade glücklich aus. Gist merkte offenbar gar nichts, denn er schlug vor, gemeinsam einen trinken zu gehen, wobei ich von meinen Abendteuern erzählen könnte. Sicherlich würde ich nichts derartiges erzählen, doch es wäre keine kluge Entscheidung die Runde nun zu verlassen. Das wäre zu auffällig und würde für Misstrauen sorgen. Dennoch fühlte ich mich alles andere als wohl, als sich die Gruppe in Bewegung setzte. Noch einmal wandte ich mich den Rauchsäulen zu, die die Stelle markierten, an der die Manufaktur gestanden hatte. Aus irgend einem Grund hatte ich das Gefühl, aus dieser Richtung beobachtet zu werden und ließ den Blick über die Straßen und zu den Dächern gleiten, doch noch bevor ich mich hätte konzentrieren können, richtete Monro sein Wort an mich. „Stimmt etwas nicht, Master Cormac?“ fragte er und in seinem Blick las ich, dass er mir mein Unbehagen ansah. „Ich bin nur etwas verwirrt“, wich ich aus. „Ich muss Gas eingeatmet haben.“ Mit der Wahrheit konnte ich nun nicht herausrücken. 'Ich war Assassine und bin nun unter Templern. Irgendwie macht mich das nervös und zu dem habe ich gerade eine Anlage in die Luft gehen lassen und fühle mich beobachtet.' Nein, solche Dinge sollte ich besser für mich behalten. „Ein Alé wird euch gut tun.“ Monro legte mir freundschaftlich eine Hand auf die Schulter und wir folgten den anderen, die schon ein paar Schritte voraus gegangen waren. „Kommt, hier sind nur Freunde. Man kümmert sich um euch.“ Freunde... Ich kannte weder den Colonel noch Gist wirklich und die anderen beiden... Aber vielleicht hatte er ja recht. Bislang hatte man sich um mich gekümmert oder aber dafür gesorgt, dass sich jemand um mich kümmerte. Nur ein paar Straßen weiter betraten wir einen Pup. Bis auf eine kleine Gruppe an der Bar war er vollkommen leer. Verwunderlich war es nicht, da wir erst frühen Abend hatten. Sicherlich würde sich das bald ändern. Nun allerdings konnte man sich noch ungestört unterhalten. Wir hatten uns gerade einen Tisch ausgesucht, so weit wie möglich von der Bar entfernt, als die Tür erneut geöffnet wurde. Erst als ich merkte, dass alle anderen dort hin sahen und Johnson jemanden heran winkte, drehte auch ich mich um. Es war nicht zu fassen. Mit einer Selbstverständlichkeit, die ich nie erwartet hätte, kam Selena zu uns an den Tisch, doch sie behielt einen höflichen Abstand. Mir fiel der Blick auf, den der Colonel aufsetze. Ihm gefiel ihre Anwesenheit anscheinend nicht, was mir sagte, dass sie keiner Einladung gefolgt sondern aus eigenem Antrieb hier war. „Gentleman.“ „Wie kommt ihr hier her?“ fragte ich und kam somit den anderen zuvor. Selena lächelte nur. „Intuition.“ Kurz sah ich zu den Anderen und erkannte, dass sie mit dieser Aussage genau so unzufrieden waren, wie ich und sie fügte hinzu: „Ich habe euch gesehen.“ „Dann seid ihr uns gefolgt?“ und mir dämmerte, dass sie es gewesen sein musste, die mich beobachtet hatte. „Wenn man rund zwanzig Meter als folgen ansehen kann, dann ja.“ Noch immer sagte keiner der anderen etwas, was sie offenbar verunsicherte. „Aber ich möchte nicht stören.“ Bei diesen Worten sah sie zu Johnson, der sie immerhin an den Tisch gewunken hatte, doch es war Monro der antwortete: „Ihr stört nicht. Bitte, setzt euch zu uns.“ Der letzte noch freie Platz am Tisch war zwischen Jack und mir. Da ich Jack nicht kannte war ich in gewisser Weise froh, ihn nicht neben mir zu haben. Es war seltsam in dieser Gesellschaft am Tisch zu sitzen. Alle kannten sich und ich saß als Neuling zwischen ihnen. Nun, ganz stimmte das nicht. Selena und Jack hatten vorher wohl noch keinen Kontakt zueinander gehabt, denn sie stellten sich einander vor. Dennoch fühlte ich mich eher wie ein Eindringling, der hier nichts zu suchen hatte. Ich nutzte die erste halbe Stunde hauptsächlich für Beobachtungen und hielt mich aus den Gesprächen eher heraus. Gist stellte sich als jemand heraus, der die Stimmung heben konnte und nach dem ersten Alé ein Päckchen Karten heraus holte, um mit Jack zu spielen, wobei er sich weiterhin an den Gesprächen beteiligte. Jack war offen mit seinen Kommentaren, zurückhaltend beim Trinken und neugierig, was er gut kaschierte. Er ließ Fragen in die Unterhaltung einfließen und unterbrach immer wieder das Kartenspiel mit Gist, um besser zuhören zu können. Der Colonel unterhielt sich hauptsächlich mit Johnson oder Gist über die Aktivitäten der Gesetzesbrecher und wie man gegen sie vorgehen konnte. Dabei warf er immer wieder einen Blick zu Selena, die sich kurz an einer Kartenrunde versucht, aber rasch aufgegeben hatte. Danach war sie der Unterhaltung gefolgt und nur sehr selten steuerte sie etwas dazu bei. Sie wählte ihre Worte mit Bedacht und wiedereinmal hatte ich den Eindruck, als würde sie nicht alles verraten was sie wusste, oder vermutete. Sie klang, als hätte sie über das Thema schon längere Zeit nachgedacht. Johnson taute nach dem ersten Alé etwas auf und verhielt sich danach nicht mehr so abweisend, mir gegenüber. Ich erfuhr, dass er Kontakte zu einigen Indianerstämmen hatte und sich mit ihrer Kultur vertraut machte, um sie besser verstehen zu können. Nach einer weiteren Stunde verließ er allerdings die Runde und der Colonel folgte bald darauf. Ich wäre auch gerne gegangen, doch mir gefiel der Gedanke nicht Selena hier mit Gist und Jack sitzen zu lassen und sie machte nicht den Eindruck gehen zu wollen. Zwar hielt sie sich sehr lange an dem einen Alé fest, das sie bestellt hatte, und welches vom langen Stehen sicher nicht besser wurde, doch sie war dabei sich die Regeln des Spiel erklären zu lassen, das die Beiden spielten. So bestellte ich mir einen weiteren Krug und blieb sitzen. Gegen Acht schob Selena ihren Krug von sich. Den ganzen Abend über hatte sie nur an dem Getränk genippt und ein kleiner Rest war noch immer darin enthalten. Ich erinnerte mich wage daran, dass sie nur sehr selten Alkohol trank. Erstaunlich, dass sie sich überhaupt ein Alé bestellt hatte. Als sie meinte, es wäre langsam an der Zeit für sie nach Hause zu gehen, leerte ich meinen Krug rasch aus. „Wenn es euch recht ist, begleite ich euch ein Stück“, bot ich an. „Immerhin wird es bald dunkel und die Straßen sind nicht sicher.“ Ich wollte eh gerne wissen, wo sie wohnte und da bot es sich an sie zu begleiten. Sie lehnte nicht ab. Eine ganze Weile ging ich schweigend neben ihr her und warf ihr immer wieder einen Blick zu. Konnte es wirklich sein, dass sie zu den Templern gehörte? Sie trug keinen Ring, zumindest sah ich keinen, und auch an ihren Kleidern fand ich nichts, dass diese Vermutung bestätigt hätte. Monro und Johnson gehörten dazu, daran hatte ich keine Zweifel mehr und selbst bei Gist war ich mir mittlerweile sicher. Doch wie passte sie in dieses Bild hinein, außer, dass sie so gut wie alle der Runde gekannt hatte. „Worüber denkt ihr nach?“ fragte sie und blieb stehen. Auch ich hielt an und überlegte, ob ich es ihr sagen sollte oder nicht. „Ich bin nur verwundert“, sagte ich dann. „Bis auf Jack kanntet ihr alle.“ „Auf was wollt ihr hinaus?“ Mein Blick wanderte die Straße hoch. Es war kaum jemand unterwegs und niemand in unmittelbarer Nähe. Auch auf dem Weg hinter uns war keiner. „Seit wann arbeitet ihr für...“ Nein, ich durfte nicht direkt nach dem Orden fragen und änderte den Satz, „für den Colonel?“ Leicht zog sie die Augenbrauen hoch und setzte ihren Weg fort. „Ich habe ihn ein paar Monate nach meiner Ankunft in den Kolonien kennen gelernt, falls ihr darauf hinaus wollt. Er wurde auf mich aufmerksam, nach dem ich ein paar Bürgern geholfen hatte.“ Kurz verfielen wir erneut in Schweigen und ich überlegte wie ich sie nach den anderen beiden fragen konnte ohne zu neugierig zu erscheinen, doch sie hatte meine Gedanken wohl erraten und sagte: „Und bevor ihr weiter fragt, Master Johnson ist eher eine flüchtige Bekanntschaft, ebenso wie Gist.“ Hatte ich mich doch geirrt? Dabei hatte es gerade so gut zusammen gepasst. Ich wollte weiter fragen, ließ es dann aber bleiben. Besser ich gab keinen Anlass für einen Streit, zumal ich doch etwas mehr getrunken hatte als beabsichtigt, was dazu führen konnte schneller zu reden als zu denken. So schwiegen wir erneut und ich sah mir die Gegend an, durch die wir gingen. Nicht gerade das, was ich erwartet hatte. „Hier wohnt ihr?“ fragte ich, als sie vor einem schmalen Haus stehen blieb, das schon bessere Tage gesehen hatte. „Derzeit ja. Es ist allerdings nicht sicher wie lange noch.“ Sie zuckte leicht mit den Schultern. „Ich musste schon ein paar Mal umziehen.“ Noch einmal sah ich an dem Haus hoch. Im Winter musste es dort drinnen kalt sein. In dieser Gegend waren die Häuser alle nicht sonderlich gut in Schuss und die Wohnungen klein. Wenn man nicht viel Geld besaß, konnte man sich nichts anderes leisten und wenn sie hier lebte, dann hatte sie wohl nicht all zu viel. Sie war nahezu mittellos in die Kolonien gekommen. Das hier war immer noch besser, als auf der Straße schlafen zu müssen. „Danke, dass ihr mich bis hier gebracht habt. Jetzt komme ich alleine zurecht.“ Sie lächelte aufmunternd und suchte in einer ihrer Taschen nach dem Schlüssel. „Es war wirklich sehr angenehm, nicht alleine gehen zu müssen.“ „Es... war mir ein Vergnügen.“ Naja, nicht wirklich, denn ich hatte kaum etwas in Erfahrung bringen können. Zumindest wusste ich nun wo ich sie finden konnte. Sie wandte sich halb der Tür zu, doch aus dem Augenwinkel beobachtete sie mich. „Nun, ich hoffe doch, dass auch ihr nicht so schnell wieder verschwindet. Ich würde mich gerne erneut mit euch treffen, wenn ihr nichts dagegen habt.“ Diese Worte erleichterten mich und ich musste lächeln. Etwas, dass ich schon eine ganze Weile nicht mehr getan hatte. „Vorerst bleibe ich in der Stadt. Ich habe einige Dinge zu erledigen bevor ich wieder aufbreche.“ Auch wenn ich nichts versprechen konnte. „Dann wünsche ich euch eine gute Nacht und hoffe, dass wir uns bald wieder sehen.“ Kurz sah es so aus, als wolle sie mir zum Abschied die Hand reichen. So wie sie es bei Liam getan hatte, damals in Boston. Das war alles schon so lange her und doch erinnerte ich mich daran. Auch wie sie in meinen Armen gelandet war, als sie von Bord kletterte. Fast hoffte ich, sie würde stolpern, damit ich sie auffangen konnte, doch natürlich passierte das nicht. „Euch auch eine gute Nacht.“ Ich wartete noch, bis sich die Tür hinter ihr schloss, bevor ich mich selbst auf den Heimweg machte. Diese Nacht würde ich allerdings auf der Morrigan verbringen. Dort war ich sicher besser aufgehoben, als in dem staubigen Himmelbett im alten Fort. Kapitel 16: Eine unerwartete Bitte ---------------------------------- Kapitel 16 Eine unerwartete Bitte „Master Cormac. Gut, dass ihr so früh schon Zeit habt.“ Der Colonel hatte mir noch am gestrigen Abend die Nachricht zukommen lassen, dass er mich am Morgen sprechen wollte. Da ich keine Ahnung hatte, um was es gehen konnte, war ich kurz nach Sonnenaufgang aufgebrochen. Monro war allein, als ich bei ihm ankam. Er stand an fast der selben Stelle wie am Tag zuvor, doch dieses Mal den Blick aufs Meer gerichtet. Als ich an ihn heran trat, wandte er sich mir zu. „Ihr wolltet mich sprechen, Colonel?“ „Das wollte ich. Und es ist gut, dass ihr nun schon hier seid.“ Kurz musterte er mich, doch ich konnte nicht erkennen, was er dachte. „Ihr habt noch immer die Absicht, das alte Fort Arsenal wieder aufzubauen oder zumindest einen Teil davon, sehe ich das richtig?“ „Das stimmt, Sir. Es liegt nahe am Hafen und es ist besser, eine derartige Anlage nicht leerstehen zu lassen. In der Stadt gibt es noch immer Banditen. Einmal haben sie sich dort schon niedergelassen. Ein weiteres Mal sollte man es ihnen nicht ermöglichen. Außerdem... Sollten sich die Franzosen zu einem Angriff auf die Stadt entschließen, brauchen wir jede Verteidigung die wir bekommen können.“ „Habt ihr die Mittel um alles wieder herzurichten?“ Da hatte er einen wunden Punkt getroffen. Ich war nicht vermögend und der Aufbau würde meine Mittel weit überschreiten. „Für eine komplette Sanierung sicherlich nicht. Noch nicht.“ Solange ich keine feste Arbeit hatte, würde daraus auch so schnell nichts werden. Ich konnte schlecht andere Schiffe überfallen und das, was wir aus dem französischen Fort mitgenommen hatten, reichte bei weitem nicht. „Wie wäre es, wenn ihr euch im Bereich der Schifffahrt anbietet? Oder beim Aufbau der Stadt helft? Es gibt genügend Wohngebäude, die nicht mehr nutzbar sind und renoviert werden müssten. Sie sind zu günstigen Preisen zu erwerben, und ihr könntet sie anschließend vermieten. Eine gute Einnahmequelle und Material könntet ihr selber heranschaffen. Ihr besitzt ein Schiff.“ Da hatte er Recht. Darüber sollte ich wohl nachdenken. Für eines dieser Häuser würde mein Geld sicher reichen. Vielleicht auch für zwei und was das Material anging... Ich wollte nicht auf Diebstahl zurückgreifen müssen, doch wenn ich es den Franzosen abnahm... Der Gedanke gefiel mir nicht wirklich, war aber eine Option. „Darüber werde ich nachdenken. Es klingt... nach einem Plan.“ „Gut. Doch das ist nicht der Grund, warum ich euch gebeten habe herzukommen.“ Seine Miene wurde ernster und ich spannte mich ein wenig an. „Ich hatte gestern den Eindruck, als würde euch etwas bedrücken. Zumindest bis sich Miss Berg zu uns gesellte.“ Diese Aussage erwischte mich kalt und ich hatte keine Ahnung, was ich dazu sagen sollte. Daher schwieg ich. Natürlich hatte ich mich etwas unwohl gefühlt in der Gesellschaft von Templern. Selbst als Selena sich dazu gesetzt hatte, hatte ich nicht wirklich das Gefühl bekommen dazu zu gehören. Ich war noch nicht so weit. „Wie gut kennt ihr sie?“ Irgendwie hatte ich schon mit einer Frage, sie betreffend, gerechnet. Immerhin war er es gewesen, der sie zu mir geschickt hatte und die Art, wie wir am Vorabend miteinander umgegangen waren, hatte deutlich gezeigt, dass wir miteinander bekannt waren. Verwunderlich war nur der ernste Ausdruck, den Monro an den Tag legte. „Nicht all zu gut. Sie...“ Ich konnte ihm schlecht sagen, dass sie mich geschlagen hatte. Das warf sowohl auf sie, als auch auf mich ein schlechtes Licht. „Sie war für ein paar Tage bei mir an Bord, vor einigen Jahren, als sie auf dem Weg in die Kolonien war. Und sie hat sich gemeinsam mit den Finnegans um mich gekümmert.“ Monro nickte und legte, nachdenklich geworden, eine Hand ans Kinn. „Dann wisst ihr wohl eben so wenig wie ich, von wo genau sie kommt.“ „Tut mir leid Sir, nein. Ich weiß nur, dass sie aus Europa kommt. Mehr nicht.“ Selbst das konnte eine Lüge gewesen sein. Mir hatte damals die Zeit gefehlt, um ihre Aussage zu überprüfen und es wäre mir sicherlich auch nicht gelungen, den Kapitän ausfindig zu machen, der sie auf diesem kleinen Eiland ausgesetzt hatte. Wieder nickte er und schwieg einen Moment. „Stimmt es, dass ihr eine Abneigung gegen sie habt?“ „Eine Abneigung?“ Wie um alles in der Welt kam er auf einen solchen Gedanken? „Ich habe nichts gegen sie, auch wenn sie manchmal etwas anstrengend ist.“ Manchmal auch etwas mehr. Wir hatten oft genug Meinungsverschiedenheiten, aber eine wirkliche Abneigung hatte ich nicht gegen sie. Monro wandte sich wieder dem Meer zu. „Würdet ihr ihr vertrauen, Master Cormac? Und bitte seid ehrlich.“ Darüber musste ich nun einen Moment nachdenken. Vertraute ich ihr? Sie hatte mich nicht bestohlen, trotz der Möglichkeiten. Sie hatte sich um mich gekümmert. Sie hatte mich nicht an Liam verraten. „Ja. Ich vertraue ihr.“ Nun sah er mich wieder an. Ernst, aber mit einem Hauch von Zufriedenheit. „Ich weiß, dass es seltsam klingt, doch würdet ihr mir, sie betreffend, einen Gefallen tun?“ „Das kommt ganz darauf an.“ Denn all zu gut verstand ich mich noch immer nicht mit ihr. „Sie ist viel unterwegs, in den Kolonien. Manchmal ist sie für Wochen oder auch für Monate nicht aufzufinden. Ich wüsste gerne, wohin sie verschwindet und ich hätte sie gerne unter Beobachtung. Ich kann ihr schlecht einen meiner Männer zur Seite stellen. Das würde sie ablehnen und es wäre zu auffällig.“ „Und habt ihr auch eine Idee, wie ich sie beobachten soll? Sie wird es ebenso ablehnen, von mir überall hin begleitet zu werden und auf meine Fragen nicht antworten.“ Bislang hatte ich kaum eine wirkliche Antwort von ihr auf meine Fragen bekommen. Sie war immer ausgewichen, wenn es zu persönlich wurde. „Zufällig weiß ich, dass sie zur Zeit ohne Arbeit ist. Ihr könntet ihr eine Anstellung anbieten. Als Dienstmädchen. Das Fort Arsenal besitzt ein recht großes Wohnhaus. Wenn ihr dort einzieht, könnt ihr sicher jemanden gebrauchen, der euch zur Hand geht.“ Auf dem Weg, zurück zum Fort, dachte ich über Monros Worte nach. Er hatte recht, dass ich Hilfe gebrauchen konnte. Zudem hatte ich nicht wirklich etwas dagegen, sie häufiger zu sehen. Wenn ich so dafür sorgen konnte, dass sie nicht wieder verschwand, und ich wollte nicht, dass sie ging, würde eine feste Anstellung bei mir sicher dazu beitragen, sie zum Bleiben zu bewegen. Doch warum wollte er, dass sie überwacht wurde? War sie doch nicht im Orden? Nach dem gestrigen Abend war ich mir fast sicher, dass sie dazu gehörte. Nun war ich es nicht mehr. Vielleicht hatte sie doch keine Ahnung von alledem. Fast im selben Moment kam mir ein anderer Gedanke. Vielleicht wollte er mich überwachen lassen. Wenn ich unterwegs war, hatte ich Gist an meiner Seite. Der konnte dem Colonel alles sagen, was in der Zeit passierte. War ich an Land, war Gist irgendwo, aber nicht in meiner Nähe. Wenn ich Selena bei mir arbeiten ließ, hatte sie ideale Bedingungen, um mich auszuspionieren. Begann ich gerade unter Verfolgungswahn zu leiden? Es konnte alles Zufall sein. Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich einen Moment brauchte, um zu realisieren, dass ein Stück vor mir Jemand auf der Straße unterwegs war, den ich kannte. Es war noch immer früh am Morgen, daher wunderte es mich sehr, Selena zu sehen, die auf direktem Weg zum Fort war. Ohne nach ihr zu rufen folgte ich, denn ich wollte sehen, was sie tat. Zwar hatte sie gesagt, dass ich sie so schnell nicht wieder los wurde, doch sie konnte kaum gewusst haben, dass man mir sie als Dienstmädchen vorschlug. Nein, sie musste einen anderen Grund haben, hier zu sein. Sie verschwand im Durchgang der Mauer, die das Fort umgab, und ich beeilte mich etwas. Immerhin wollte ich wissen was sie vor hatte. Ich erreichte die Stelle, an der ich sie zuletzt gesehen hatte und fand sie etwa zwanzig Schritt von mir entfernt, mitten auf dem Platz vorm Wohnhaus. Sie war stehen geblieben und sah zum Haus hinüber, ging dann aber zum zweiten Durchgang weiter, der zum Anleger führte. Dort lag die Morrigan vertäut. Möglich, dass sie davon ausging, mich dort anzutreffen, falls sie wegen mir hier war. Warum sollte sie sonst hier sein? Pure Neugierde? So schätzte ich sie nicht ein, doch was wusste ich schon wirklich über sie oder über Frauen im Allgemeinen? Leise ging ich weiter und sah, wie sie auf mein Schiff zuging und mit der Hand über die Außenwand strich. Ich war zu weit entfernt, um zu verstehen was sie sagte, doch sie sprach ganz offensichtlich mit dem Schiff. Vorsichtig näherte ich mich und hörte ihre letzten Worte. „Er verlässt sich auf dich.“ Also damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. „Ihr mögt Schiffe wirklich“, sagte ich, als ich sie erreicht hatte. Sie fuhr zusammen und als sie sich zu mir umdrehte, verlor sie das Gleichgewicht. Rasch streckte ich den Arm aus und hielt sie fest, damit sie nicht zwischen Rumpf und Steg hindurch ins Wasser fiel. So etwas konnte gefährlich sein. „Vorsicht.“ Sanft zog ich sie von der Kante weg und ließ sie los, als sie wieder festen Stand hatte. „Nicht, dass ihr ins Wasser fallt.“ „Würdet ihr mich retten?“ fragte sie, mit einem Rotschimmer um die Nase, der mir deutlich machte, dass ihr die Vorstellung wohl gefallen würde, von mir aus dem Wasser gezogen zu werden. „Ich denke schon“, gab ich zurück und versuchte nicht daran zu denken, wie sich nasse Kleider so eng an ihren Körper legten, dass alle Konturen sichtbar wurden. „Was habt ihr da eben zur Morrigan gesagt?“ denn ich hatte nur den Schluss gehört. „Nicht so wichtig“, wich sie aus und wandte den Blick ab. Schon wieder. Warum nur verheimlichte sie dauernd etwas? War es ihr einfach nur peinlich? Konnte es etwas geben, dass so schlimm war, dass sie nicht wollte, dass ich davon erfuhr? Dann hob sie doch noch einmal den Blick und wechselte das Thema. „Warum wolltet ihr nicht, dass ich wieder verschwinde? Ich dachte, nach allem was passiert ist, würdet ihr mir lieber aus dem Weg gehen wollen.“ Wie kam sie darauf? Wenn jemand Grund hatte, einen anderen zu meiden, dann war sie es. „Ihr solltet weniger denken“, doch ihre Aussage erinnerte mich an etwas, das Monro mir vorhin gesagt hatte. 'Stimmt es, dass ihr eine Abneigung gegen sie habt?' Sie hatten sich über mich unterhalten. Was hatte sie ihm alles erzählt? Es sah danach aus, als läge ich mit meiner Vermutung richtig, dass Monro sie in meiner Nähe wissen wollte, damit sie mich beobachten konnte. War es dann sinnvoll, der Bitte des Colonels nachzugehen und sie einzustellen? Vielleicht täuschte ich mich aber auch. Es gab eine Möglichkeit das heraus zu finden. Sie auf die Probe zu stellen. „Ich hätte gerne ein paar Dinge geklärt.“ Wenn es denn möglich war, mit ihr in Ruhe zu reden. „Wenn ihr einen Moment Zeit habt?“ „Auch zwei“, erwiderte sie prompt, was mich verwirrte. Auf ihren Lippen breitete sich ein Lächeln aus. „Es wird wohl noch dauern, bis ihr meine Art von Humor versteht.“ Wieder senkte sie den Blick, doch dieses Mal merkte ich, dass sie es nur tat, um nicht grinsen zu müssen. Es brauchte wirklich Zeit, um diesen Humor zu verstehen, denn ich erkannte den Witz nicht. Mit einer Geste bat ich sie, mir zu folgen. Hier unter freiem Himmel wollte ich ihr lieber kein Angebot machen und auf dem Weg zum Fort hatte ich die Gelegenheit mir zu überlegen wie genau ich vorgehen sollte. Zu dem würde der Zustand der Räume im Wohnhaus ihr, mehr als alle Worte, zeigen, dass ich wirklich ein wenig Unterstützung gebrauchen konnte. Sie folgte schweigend und als sie nach mir das Haus betreten hatte, legte ich den Riegel vor. Noch immer war alles schmutzig und heruntergekommen. Ich hatte kaum Zeit gehabt, mich um irgend etwas zu kümmern. Selena lächelte, während ihr Blick über alles wanderte, an dem sie vorbei kam. Ich hielt es für sinnvoll sie nicht mit nach oben zu nehmen. Im unteren Teil gab es einen Raum, nahe der Küche, der nicht ganz so schmutzig war, wie die anderen. Den steuerte ich an und lehnte mich drinnen an ein abgedecktes Möbelstück. „Vor ein paar Minuten hatte ich die Gelegenheit mich noch einmal mit dem Colonel zu unterhalten“, begann ich und achtete genau auf ihre Reaktion auf meine Worte. Kaum hatte ich Monro erwähnt spannte sie sich an und sie wirkte längst nicht mehr so sicher wie draußen. Das war interessant. „Dabei kamen wir irgendwie auf euch zu sprechen.“ Aus der Unsicherheit wurde leichte Sorge. Fürchtete sie, Monro könnte mir etwas über sie verraten haben, dass ich nicht wusste, oder umgekehrt? „Und das bedeutet?“ fragte sie vorsichtig, als hätte sie vor der Antwort Angst. Mir entging nicht, wie ihr Blick zu den Fenstern huschte, als suchte sie nach einem Fluchtweg, für den Notfall. Als ob sie mir entkommen könnte, wenn es darauf ankam. Ich wollte sie nicht noch mehr verunsichern. Ihre Reaktion reichte mir, um zu wissen, dass sie nicht in Monros Auftrag hier war. Ich hatte mich in seinen Absichten wohl getäuscht. Es war nicht ich der überwacht werden sollte. Ihm ging es wirklich nur darum, möglichst viel über sie zu erfahren. „Er meinte, ihr könntet Arbeit gebrauchen.“ So hatte er es zwar nicht ausgedrückt, doch das war wohl weniger wichtig. Sofort entspannten sich ihre Züge und sie musterte mich, als fragte sie sich, was für eine Art von Arbeit ich ihr anbieten könnte. „Da liegt er nicht ganz falsch.“ Sie lehnte sich, mir gegenüber, an einen Tisch und neigte leicht den Kopf zur Seite. „Dann seid ihr derzeit ohne eine Anstellung?“ Natürlich war sie das, doch sie musste nicht wissen, dass ich es wusste. „Derzeit, ja.“ Sie ließ ihre Finger über den Tisch gleiten, wobei sie eine Spur im leichten Staub hinterließ. Dann sah sie auf ihre Fingerkuppen und rieb den Schmutz herunter. „Was für eine Arbeit hättet ihr anzubieten?“ War das nicht offensichtlich? Sicher konnte sie nicht mit Hammer und Säge umgehen. Für die Renovierung würde ich Fachkräfte benötigen. „Ihr habt euch damals um die Morrigan gekümmert. Ihr erinnert euch? Nun das hier - “ ich machte eine ausladende Geste, um möglichst viel vom Gebäude einzuschließen, „ist etwas größer als ein Schiff und es ist in keinem sehr guten Zustand. Ich könnte jemanden gebrauchen, der mir zur Hand geht.“ Dabei versuchte ich ein wenig hilflos auszusehen. In gewisser Weise war ich das auch. Das hier überforderte mich. Selena lächelte jedoch wieder. „Eine Anstellung als Dienstmädchen also.“ Ihr Blick glitt über den Fußboden, der geschrubbt werden musste, die Fenster, durch die nur wenig Licht fiel und zu den Wänden, von denen sich die Tapeten lösten. „Eine nicht ganz einfache Aufgabe, Master Cormac. Ich hoffe nur, dass ich euch nicht enttäuschen werde.“ Von dem Tag an tauchte sie jeden Morgen pünktlich um acht Uhr auf und, nun ja, arbeitete für mich. Schnell war mir klar, dass sie sich weit mehr von anderen Frauen unterschied, als ich bisher gedacht hatte. Bei vielen häuslichen Dingen wusste sie wohl wie man es machen sollte, konnte es jedoch nicht umsetzen. Dafür bewies sie in handwerklichen Dingen ein Geschick, dass eher ungewöhnlich war. Ich beobachtete sie manchmal heimlich. Immerhin sollte ich für den Colonel so viel wie möglich über sie in Erfahrung bringen. Nie überraschte ich sie bei etwas Verbotenem. Sie putzte, wischte, klopfte Teppiche aus und entstaubte Bilder und Bücher. Schränke, Regale und Kisten wurden entrümpelt, und sie verheimlichte mir nichts von deren Inhalt. Kleinere Reparaturen an Möbelstücken führte sie selber aus und sogar an größere wagte sie sich heran, wobei ich sie oft aufhielt. Ich glaubte einfach nicht, dass sie es schaffen würde und ich wollte nicht, dass ihr etwas passierte. Wenn ich nachts alleine im Haus zurück blieb und es mir in meinen Räumen, mit einem kleinen Abendessen und meiner Rumflasche, am Kamin bequem machte, hatte ich die Ruhe, um ein wenig nachzudenken. Im Großen und Ganzen ging es mir ganz gut. Ich hatte ein Haus, ein Schiff und musste derzeit nicht Hunger leiden. Mein Gesundheitszustand war einigermaßen gut, auch wenn ich noch immer Albträume hatte, doch ich hatte keine Schmerzen mehr. Trainieren war wieder möglich und auch nötig. Sollte ich auf einen meiner ehemaligen Brüder treffen, würden sie sicher versuchen mich zu töten. Ich musste mich wappnen. Doch da war noch etwas, an das ich ständig denken musste. Selena. Von den Zimmern, die ich als Schlaf- und Arbeitszimmer nutzte, hielt sie sich, nach einer kurzen Grundreinigung, komplett fern. Erst dachte ich, es läge nur daran, dass sie sich im groben um das ganze Haus kümmern wollte, um später die wichtigen Zimmer gründlich zu reinigen, doch dann merkte ich, dass sie sich auch von mir distanzierte. Auch wenn sie beinahe den ganze Tag da war, sah ich sie nur Mittags und auch nur, wenn ich nach ihr rief. Kochen tat sie nicht, wofür ich dankbar war. Bei den Finnegans hatte sie in deren Abwesenheit gekocht. Wirklich schmackhaft war es nicht gewesen und so stellte ich mich lieber selbst in die Küche, auch wenn ich dafür eben so wenig geeignet war wie sie. Vielleicht sollte ich auch dafür jemanden einstellen, doch noch hatte ich kein regelmäßiges Einkommen. Solange ich keines der Häuser in der Stadt hatte herrichten lassen, konnte ich es auch nicht vermieten. Mit dem Geld das ich besaß, erwarb ich vorerst nur ein Haus und ließ es renovieren. Mieter würden sich finden, sobald es fertig gestellt war und ich sah alle paar Tage nach dem Rechten, um zu sehen, wie die Arbeiten voran gingen. Selena ließ ich in der Zeit alleine im Fort zurück. Ein Versuch ihr zu zeigen, dass ich ihr vertraute und auch ein Test, um zu sehen, ob ich ihr wirklich trauen konnte. Als ich Gist davon erzählte war er alles andere als begeistert. Er erinnerte mich stark an Liam. Auch er meinte, man könne ihr nicht trauen und es wäre leichtsinnig, sie alleine in dem Haus zu lassen. Woher kam nur dieses Misstrauen? War ich schlicht zu blauäugig, was sie betraf? Nach zwei Wochen war der Großteil des Hauses wirklich wieder bewohnbar und ich begann mich hier wohl und auch sicher zu fühlen. Alle Außentüren waren mit neuen Schlössern und stabilen Riegeln versehen worden. Fast alle Zimmer waren sauber und die wenigen Fenster, die kaputt gewesen waren, hatte ich ersetzen lassen. Es würde noch dauern, bis hier alles so aussah wie ich es gerne haben wollte, doch langsam ging mein Geldvorrat zur Neige und weitere Renovierungsarbeiten mussten vorerst warten. Eines nachmittags tauchte Gist bei mir auf, mit einer Nachricht vom Colonel. Er hatte einen Auftrag für mich, falls ich dazu die nötige Zeit hatte. Zum einen hatte er von einem kleinen Verbrechernest erfahren, im River Valley. Zum anderen war ein Schiff mit Material angegriffen worden und war so schwer beschädigt, dass eine Reparatur mehrere Wochen in Anspruch nehmen würde. Ob ich möglicherweise die Waren abholen und zu seinem Stützpunkt bringen könnte. Eine Aufgabe, die mir ein wenig Geld einbrachte und bei der ich weiteren Schurken das Handwerk legen konnte. Dazu kam, dass der Weg zu den Gesetzesbrechern an dem Hafen vorbei führte, an dem das beschädigte Schiff lag. Also sagte ich zu. Der Haken an der Sache war, dass ich für eine solche Fahrt mehrere Tage unterwegs sein würde. Konnte ich Selena so lange hier alleine lassen? Sie ging mir aus dem Weg, seit sie für mich arbeitete und das, wo sie vorher bei den Finnegans kaum eine Minute von meiner Seite gewichen war. Sie musste einen Grund haben, mich auf einmal zu meiden. Die beste Möglichkeit den Grund zu erfahren war, sie dazu zu bringen, auf engstem Raum eine Weile mit mir alleine zu sein. Vielleicht würde sie mir aber auch einfach sagen, was los war, wenn ich sie darauf ansprach. Da ich ohnehin mit ihr wegen der bevorstehenden Reise sprechen musste, konnte ich bei der Gelegenheit gleich einen Versuch starten. Ich machte mich auf die Suche nach ihr und fand sie in einem der kleineren Zimmer, wo sie gerade Kleider aus einem Schrank holte. Auf dem Boden war schon ein kleiner Haufen alter Kleidungsstücke, die längst aus der Mode waren und Löcher von Motten zeigten. Die waren sicher nicht mehr zu retten Entweder bemerkte sie mich nicht, oder aber sie ignorierte es, dass ich im Türrahmen stand und ihr zusah. Tat sie noch irgend etwas anderes außer aufräumen? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgend jemanden gab, der daran wirklich Freude hatte. Sie wirkte nicht so, als würde es ihr etwas ausmachen und so ging ich leise den Gang wieder hinunter. Wenn es ihr Spaß machte... Dann konnte sie nichts dagegen haben, das Gleiche auch auf der Morrigan zu tun. Sie hatte dort schon einmal für Ordnung gesorgt. Als ich bei der Tür anlangte, die zu meinen Räumen führte, wandte ich mich um und rief nach ihr. Wenn, dann wollte ich sie im Arbeitszimmer sprechen und nicht zwischen Tür und Angel. Es sollte so unauffällig wie möglich wirken. Die Tür ließ ich offen und trat an den Tisch heran, auf dem ich einen Teil meiner Karten liegen hatte. Eine davon breitete ich nun aus und strich sie glatt. Die Route für die kommenden Tage musste eh geplant werden. Leise klopfte es und ich hob den Kopf. „Ihr wolltet mich sprechen?“ Selena stand an der Tür und sah mich fragend an. Höflich konnte sie wirklich sein, wenn sie es wollte. „Das wollte ich.“ Ich winkte sie heran, denn sie stand mir viel zu weit weg. Bei diesem Gespräch wollte ich ihr in die Augen sehen. Ihre Schritte waren zögernd und sie wirkte nervös. Es war wirklich seltsam wie nervös sie war, seit sie hier arbeitete. Früher war sie selbstsicherer aufgetreten. „Warum seid ihr hier?“ fragte ich und sofort trat dieser verschreckte Blick in ihre Augen. Vor was hatte sie nur solche Angst? „Ihr... habt es mir doch angeboten.“ Das hatte ich und sie hatte angenommen. Schon an jenem Tag hatte sie nervös gewirkt. Gleich nach dem ich ihr gesagt hatte, Monro habe mit mir über sie gesprochen. „Das meine ich nicht.“ Ich hatte angenommen, sie nun zu einem Geständnis zu bringen. Ihr irgendwie entlocken zu können, was los war, doch ich hatte mich geirrt. Sie sah mich nur an, wich meinem Blick nicht aus. „Was meint ihr dann?“ fragte sie statt zu antworten und ich sah, dass sich ihre Hände in den Stoff ihres Kleides krallten. „Ihr geht mir aus dem Weg. Glaubt nicht, ich würde es nicht bemerken.“ „Ich wollte euch nur nicht auf die Nerven gehen.“ Noch immer sah sie mich an. Würde sie lügen, würde sie meinem Blick nicht standhalten. Soweit verstand ich sie schon. „Ihr habt hier einiges zu tun, da wollte ich nicht stören.“ „Das ist alles?“ Das sollte wohl ein Scherz sein. Schon senkte sie den Kopf. Also war da wirklich noch mehr. Etwas, das sie mir nicht sagen wollte. „Ich möchte mich nur nicht wieder mit euch streiten.“ Ging es wirklich nur darum? Bei den unterschiedlichen Ansichten, die wir ab und an hatten, war Streit wohl unvermeidlich. Mir war nicht entgangen, wie sie auf den Rum reagiert hatte, den ich häufiger als früher trank. Sie mochte keinen Alkohol. Selbst jetzt stand eine Flasche auf dem Tisch. „Ich streite mich auch nur ungern“, sagte ich mit einem leichten Lächeln, wurde aber gleich wieder ernst. „Wie auch immer, ich muss für ein paar Tage fort. Nicht lange, doch in der Zeit werdet ihr auf euch gestellt sein.“ Wenn ich mit etwas auf diese Worte gerechnet hatte, dann mit Erleichterung. Nicht erwartet hatte ich den nun fast geschockten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Nein, ich verstand sie wirklich nicht. Ihr Blick huschte von meinem Gesicht zur Karte auf dem Tisch, dann durch den Raum. Sie öffnete den Mund, schloss ihn jedoch gleich wieder. Der Gedanke, alleine hier zu bleiben, gefiel ihr offenbar überhaupt nicht. Oder aber sie wollte nicht, dass ich auf Reisen ging, wusste nur nicht, wie sie mich daran hindern sollte. Von ihr würde ich mir den Aufbruch allerdings nicht ausreden lassen. So wandte ich ihr den Rücken zu und sah wieder auf die Karte. Keine all zu weite Strecke. „Ich werde morgen um acht auslaufen.“ Ich machte eine kurze Pause und fügte hinzu: „Seid pünktlich, wenn ihr mit wollt.“ Hinter mir blieb es still, doch ich widerstand dem Drang, mich umzudrehen. Es war nur ein Angebot. Sie konnte hier bleiben, weiter Schränke auswischen und Kleider aussortieren. „Meint ihr das ernst?“ Sie klang ungläubig. Natürlich, es war ein seltsames Angebot. Ich langte nach dem Rum. „Ich muss verrückt sein, aber – ja.“ Ich nippte an der Flasche und stellte sie rasch wieder ab. Besser wenn ich tagsüber weniger von dem Zeug trank. Ich hörte wie sie näher kam und wandte mich ihr wieder zu. Dabei legte ich, wie zufällig meine Hand auf die Karte, um zu verhindern, dass sie all zu viel erkennen konnte, doch sie sah überhaupt nicht auf die Karte. „Es ist an euch, ob ihr euch das antun wollt. Ihr wisst, wie es auf See zugehen kann.“ Immerhin war sie schon einmal mit mir gesegelt. Das waren andere Zeiten gewesen und die jetzigen Umstände waren nicht wirklich besser. Kaum einer würde verstehen, warum ich eine Frau mit an Bord nahm, wo es doch hieß, es würde Unglück bringen. „Und es ist an euch, ob ihr mir vertraut.“ Selena lächelte. „Ich werde pünktlich sein, Master Cormac.“ In ihrem Blick lag etwas, das ich nicht ganz zu deuten vermochte. Zum Teil konnte es Freude sein, doch da war noch etwas anderes. Fast so, als wollte sie mir sagen: „Ich werde mitkommen und dann werden wir sehen, ob ich euch trauen kann.“ Kapitel 17: Eine beschwerliche Reise ------------------------------------ Kapitel 17 Eine beschwerliche Reise Früh am nächsten Morgen bereitete ich alles zum Aufbruch vor. Gist hatte ich noch am Abend gebeten, die Crew zusammenzutrommeln und sich um Vorräte zu kümmern. Er überwachte nun das Beladen der Morrigan und ich ging noch einmal zum Haus zurück, um die Tür zu verriegeln. Etwas überrascht stellte ich fest, dass William Johnson dort auf mich wartete. Sein Anblick ließ meine Laune ein klein wenig sinken. Ich konnte mich noch nicht an die Tatsache gewöhnen, nun mit den Templern zusammen zu arbeiten. Zumal ich mir sicher war, dass er mich nicht sonderlich gut leiden konnte, warum auch immer. „Ihr seid noch hier, das ist gut“, begann er, ohne Zeit auf eine Begrüßung zu verschwenden. „Ich hörte, dass ihr aufbrechen wollt. Im Auftrag vom Colonel.“ „Er bat mich um einen Gefallen, das ist alles.“ Ihn ging das nun wirklich nichts an. Oder etwa doch? Ich hatte keine Ahnung wer hier wem unterstand. „Gefallen oder nicht. In der Gegend, in welcher das Schiff liegt, kam es in letzter Zeit oft zu Angriffen auf britische Schiffe. Zum einen durch Franzosen, aber auch durch Piraten.“ Er zog unter seiner Jacke einen Umschlag hervor, den er mir reichte. „Ihr seid nicht bei der Royal Navi, daher könnte euch das hier helfen, wenn ihr euch aufgrund von Angriffen verteidigen müsst.“ Ich nahm den Umschlag an, öffnete ihn aber nicht. „Was ist das?“ fragte ich nur und sah Johnson an. Warum sollte er mir helfen wollen? Einem Fremden. „Es ist kein Freibrief für alles, aber das Dokument sagt aus, dass ihr im Dienst der Navi steht. Sollte es also nötig sein, andere Schiffe zu versenken...“ „Danke.“ Aber noch immer verstand ich nicht, warum er mir das gab. „Ist die Gegend so gefährlich?“ Ich trat zur Tür und verschloss sie sorgsam. Auch wenn ich einen Großteil an Habseligkeiten auf der Morrigan hatte, wollte ich es möglichen Einbrechern nicht zu leicht machen. „Drei Schiffe haben wir allein in der letzten Woche verloren. Es ist Krieg. Die Franzosen werden immer dreister.“ Das erklärte zumindest, warum Monro mich schickte. Jemanden, der nicht unter britischer Flagge segelte. „Ich werde die Augen offen halten.“ Ich ging davon aus, dass er nun gehen würde, doch als ich mich wieder Richtung Hafen wandte, folgte er mir. „Wie macht sich Miss Berg?“ fragte er und ich blieb stehen. Das ging ihn nun wirklich nichts an. Und woher wusste er, dass sie für mich arbeitete? Erzählten die Templer sich untereinander denn wirklich alles? „Ich kann mich nicht beschweren.“ Genaueres würde ich ihm sicher nicht sagen. „Gut, denn bei ihr weiß man nie wirklich, was sie tut. Nicht, dass sie euch in Schwierigkeiten bringt.“ „Was meint ihr damit?“ „Ihr scheint sie noch nicht sonderlich gut zu kennen. Sie steckt voller Überraschungen, daher solltet ihr vorsichtig sein. In ihrer Umgebung passieren manchmal sehr seltsame Dinge.“ War das so? Langsam ging ich wieder weiter und dachte kurz über diese Worte nach. Es gab seltsame Zufälle, die passiert waren, während oder nach dem sie an einem Ort aufgetaucht war. Der Angriff auf die Morrigan, nach dem sie die Kiste mit den Templersachen gefunden hatte. Der Überfall auf die Finnegans, kurz nach ihrem Verschwinden. Natürlich konnte das wirklich alles nur Zufall sein, doch es gab da noch mehr. Wie hatte sie es die ganze Zeit über geschafft, hier zu überleben, wenn sie nur gelegentlich arbeitete und ohne Geld hier her gekommen war? Warum hatte man sie für tot gehalten, wo sie doch äußerst lebendig war? „Es gibt sicher eine Erklärung dafür.“ Es musste eine geben. Und ich würde herausfinden was es war. Wir erreichten den Anleger und Johnson blieb stehen. „Ihr habt vor sie mitzunehmen?“ Einen Moment verstand ich nicht wie er darauf kam. Mein Blick huschte über die Männer, die sich bei der Morrigan tummelten, teils an Deck, teils noch am Steg, doch Selena konnte ich nicht entdecken. Dann sah ich sie und musste lächeln. Kein Wunder, dass ich sie nicht sofort erkannt hatte. Sie stand neben ein paar Kisten, den Rucksack zu ihren Füßen und anstatt eines Kleides trug sie „Hosen?“ Bei diesem Wort drehte sie sich um, mit einem Lächeln auf den Lippen. Kurz sah sie an sich herunter, sagte jedoch nichts. „Ihr segelt also mit, sehe ich das richtig?“ Auch wenn es offensichtlich war. Sonst hätte sie kaum eine Tasche dabei und sich Hosen angezogen. „Wenn ihr mich an Bord ertragen könnt und die Morrigan nicht eifersüchtig wird.“ Was für eine Vorstellung. Ein eifersüchtiges Schiff. Aber vielleicht war das der Grund dafür, dass viele eine Frau nicht an Bord haben wollten. Ein Schiff war immerhin auch eine 'sie'. „Und wenn ihr keine anderen Aufgaben für mich habt, Master Johnson“, wandte sie sich ihm zu und ich sah, dass sich seine Miene etwas verfinsterte. „Mich wundert es nur, dass ihr euch traut, alleine auf dieses Schiff zu gehen.“ „Ich bin nicht alleine, Sir, und in den vergangenen Jahren habe ich einiges darüber gelernt, wie man sich verteidigt.“ Hatte sie das? Von wem? Diese kleine Unterweisung von Liam konnte kaum ausreichend sein, um sich zu behaupten. „Auf ein Wort?“ fragte Johnson und machte eine leichte Geste zum Zeichen, dass er sich mit ihr unter vier Augen unterhalten wollte. Er wirkte verärgert. Mir konnte es egal sein, wenn die Beiden ein Problem miteinander hatten, solange es nicht dazu führte, dass ich weitere Probleme mit ihr hatte. Da das Gespräch nicht für mich bestimmt war, kletterte ich an Bord. „Bestes Segelwetter würde ich sagen“, begrüßte mich Gist und strahlte. „Und die Vorbereitungen sind so gut wie abgeschlossen. Es fehlen nur noch zwei Mann, dann sind wir fertig zum Auslaufen.“ „Sehr gut.“ Ich warf einen Blick hinunter zum Steg, wo sich Selena mit Johnson unterhielt. Er wirkte noch immer leicht verärgert. Sie dagegen schien bester Laune zu sein. „Ist das dort unten Selena? Was hat sie hier zu suchen?“ Da gab es wohl noch jemanden, der etwas gegen ihre Anwesenheit hier hatte. Man konnte ihm deutlich ansehen, dass ihm der Gedanke nicht gefiel, sie dabei zu haben. „Ihr habt sie doch hoffentlich nicht eingeladen, mit uns zu segeln, oder?“ „Genau das habe ich getan. Und ich werde diesbezüglich keine Kritik dulden. Auch wenn es heißt, dass eine Frau an Bord Unglück bringt, werde ich sie mitnehmen. Von solchem Aberglauben halte ich nichts.“ Gist zog die Augenbrauen hoch. „Nun es ist eure Angelegenheit. Ich hoffe nur, ihr wisst genau, was ihr da tut. Mit ihr zu reisen ist... anstrengend.“ Da hatte er wohl recht, doch ich würde es ihm sicher nicht bestätigen. Um eine Erwiderung kam ich herum, denn Selena verabschiedete sich gerade von Johnson und kam zum Schiff herüber. Der Rucksack, den sie dabei hattet, war größer, als der, mit dem sie hier in den Kolonien angekommen war. Und er war offensichtlich auch schwerer. Sie versuchte an der Stiege hoch zu klettern, doch hatte sie deutlich Probleme dabei. Natürlich, als Frau hatte sie nicht das nötige Geschick oder die Kraft sich hoch zu ziehen. Um es für sie nicht all zu peinlich zu machen, bot ich ihr die Hand und zog sie hoch. Kaum dass sie festen Stand hatte, ließ ich sie los. Nicht, dass es zu irgendwelchen falschen Eindrücken kam. „Nun, ihr wisst wo ihr eurer Gepäck lassen könnt“, sagte ich und deutete auf die Kapitänskajüte. Einen anderen Ort gab es für sie nicht. Dort hatte ich sie im Blick und niemand von der Crew hatte dort etwas zu suchen. Wortlos ging sie hinein und ließ die Tür hinter sich zufallen. Der Blick, den mir Gist dabei zuwarf, zeigte deutlich seine Verwunderung. Ich ignorierte ihn vorläufig und ging hinauf zum Ruder. „Ich hatte schon einmal das 'Vergnügen' mit ihr zu reisen“, setzte er seinen Versuch fort, mich umzustimmen. „Es ist nicht all zu lange her und es war keine vergnügliche Reise.“ „Von wo ward ihr unterwegs und wie?“ Denn ich glaubte nicht, dass er sie auf einem Schiff getroffen hatte. „Von Boston nach New York. Per Pferd. Ich bin ein guter Reiter.“ Er klang etwas stolz, als er das sagte, „Was man von ihr nicht gerade behaupten kann. Sie wäre gestürzt, hätte ich nicht eingegriffen.“ „Was ist passiert?“ hakte ich nach, denn alles, was ich über sie an Informationen sammeln konnte, war eine Möglichkeit, ihr auf die Schliche zu kommen. „Ihr Pferd ist mit ihr durchgegangen. Oder, es war zumindest gerade dabei.“ Ich hätte gerne noch mehr erfahren, doch das Schlagen einer Tür sagte mir, dass Selena die Kajüte wieder verlassen hatte. Sie sollte besser nicht erfahren, dass man sich über sie unterhielt. Kurz sah sie sich um und kam zu uns nach oben. „Fertig machen zum Ablegen, Männer“, rief ich, „Leinen los und alles an Bord.“ Gist gab den Befehl weiter, wenn auch mit etwas anderen Worten, weit weniger freundlich, und ich sah aus dem Augenwinkel, wie Selena in sich hinein grinste. Wieder verstand ich den Witz nicht, über den sie sich amüsierte. Langsam glitten wir aus dem Hafen und Selena wandte sich an Gist. „Stimmt etwas nicht, Master Gist?“ Auch ich sah zu ihm und erkannte, dass er so aussah, als würde ihn etwas stören. „Nun, euch hier zu sehen ist recht überraschend und das ihr erneut Hosen tragt noch viel mehr.“ Erneut? Ich kannte sie schon in solchen Kleidern, doch wann hatte er sie so gesehen? „Eine Hose ist an Deck weit praktischer als ein Kleid“, gab sie trocken zurück und richtete sich nun an mich. „Darf ich erfahren wohin die Reise geht oder ist es ein Geheimnis, dass ihr lieber für euch behalten wollt?“ „Keineswegs.“ Der erste Teil der Reise war kein Geheimnis. Vom zweiten würde ich ihr jedoch nichts erzählen. „Wir segeln zu einem Hafen im River Valley.“ Kurz meinte ich zu sehen, wie sich ihre Augen bei diesen Worten verengten, doch es konnte auch eine Sinnestäuschung sein. „Wie lange werden wir unterwegs sein?“ Stimmt, dass hatte ich vergessen ihr zu sagen. Zudem wusste ich es selber nicht genau. „Ein paar Tage, denke ich. Je nach Wind und Wetter.“ Darauf schwieg sie. Auch Gist hielt den Mund und so verbrachten wir die ersten Meilen ohne uns zu unterhalten. Nur ab und an gab ich einen Befehl. Wir hatten wirklich gutes Reisewetter und ich ließ volle Segel setzen. Immer wieder sah ich zwischen meinen beiden Begleitern hin und her. Es war offensichtlich, dass zwischen ihnen nicht gerade die beste Freundschaft herrschte. Während Selena leise vor sich hin lächelte und die Fahrt sichtlich genoss, schien Gist nach etwas zu suchen, über das er sich ärgern konnte. Irgendwann fragte er gerade heraus, wie es mit ihrem Training lief. Die Frage erwischte sie kalt und ich lauschte nun gespannt. Sie hatte erwähnt, in den letzten Jahren dazugelernt zu haben. Vielleicht erfuhr ich nun von wem. „In letzter Zeit weniger gut“, kam es leise von ihr. Das Thema war ihr wohl unangenehm. „Ich hatte nicht die nötige Zeit und niemanden zum Üben.“ „Würdet ihr gegen mich antreten?“ fragte ich spaßeshalber. Sicher würde sie ablehnen. Sie hatte mich gegen Liam kämpfen sehen und sicher ahnte sie, dass ich sie nicht so sehr schonen würde. „Ich hätte keine Chance.“ Sie lächelte. „Im Ernst, um gegen euch zu bestehen, müsste ich Jahre lang jeden Tag trainieren und selbst dann wäre ein Sieg eher Glück als wirkliches Können. Da müsste ich schon auf unfaire Mittel zurückgreifen.“ „Unfaire Mittel?“ fragte Gist und verschränkte die Arme, „Was soll das sein? Wollt ihr ihn vergiften?“ „Nein“, war alles was sie dazu sagte. Ihre Stimme klang auf einmal traurig und sie wandte den Kopf ab, so das ich ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Trotz meiner Neugierde hoffte ich, Gist würde nun den Mund halten. Es war doch klar, dass seine Worte bei ihr etwas ausgelöst hatten, an das sie nicht erinnert werden wollte. „Was meint ihr dann?“ Selena seufzte bei der Frage und verließ ihren Standort. Erst dachte ich, sie würde ins Heck verschwinden, um ihre Ruhe zu haben, doch sie trat auf Gist zu. Ich änderte meinen Stand ein wenig, um Beide im Blick zu haben. Was immer jetzt auch passierte, ich wollte nichts davon versäumen. „Ich meine damit, dass ich auf Waffen zurück greifen müsste, die nicht sofort als solche erkennbar sind.“ Sie trat sehr dicht an ihn heran und er spannte sich an, in Erwartung eines Angriffs, der nicht kam. Sie sah nur zu ihm auf. „Wisst ihr, ich bin nur eine Frau und da muss ich auf Methoden zurück greifen, die etwas ungewöhnlich sind.“ Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, wohl aber das von Gist, dessen Augen sich weiteten, als sie ihm ganz sachte die Hand auf die Brust legte. Eifersucht keimte in mir auf, doch dann sah ich, was sie wirklich tat. Gist, der nur Augen für die Hand auf seine Brust hatte, merkte nicht, wie sie mit der anderen Hand nach seinem Dolch griff. „Ich weiß ja nicht, wie ihr das seht, Master Gist, aber es ist ab und an, und auch wirklich nur in ganz besonderen Fällen möglich, jemanden, mit etwas unfairen Mitteln, zu bezwingen.“ Während sie redete, zog sie langsam den Dolch und drückte ihn leicht an seine Seite. Wenn sie gewollt hätte, hätte sie ihn töten können. Sie zielte mit der Klinge genau unter den untersten Rippenbogen. Ein kräftiger Stoß und es wäre vorbei mit dem guten Christopher. „Glaubt mir, Gist. Ich stecke voller Geheimnisse und es gibt einige unfaire Mittel auf die eine Frau zugreifen kann.“ Die Klinge weiter an seiner Seite löste sie sich von ihm und gewährte einen Blick auf seine derzeitige Lage. Etwas beschämt sah er an sich runter. Er hatte sich ablenken lassen. „Noch Fragen?“ Schweigend nahm er den Dolch entgegen, den sie ihm hinhielt, und ich musste mir ein Lachen verkneifen. Die Waffen einer Frau... So war das also. Gut, dass ich darüber nun Bescheid wusste. „Also, seid ihr sicher, dass ihr mit mir trainieren wollt? Einen meiner Tricks kennt ihr nun.“ Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah mich an. Ein leicht schelmisches Lächeln auf den Lippen. „Darauf würde ich nicht hereinfallen.“ Auch wenn es gelogen war. Sollte sie versuchen mich auf eine ähnliche Weise um den Finger zu wickeln... Vermutlich würde ich darauf eingehen. Noch immer mochte ich sie. Mit ein Grund warum ich nichts gegen ihre Anwesenheit hier hatte. Es war besser, wenn sie das nicht wusste und auch, dass Gist nichts davon erfuhr. „Mich würde dennoch interessieren, ob ihr euch verbessert habt.“ „Kaum und ich habe nicht vor, mich hier an Deck mit euch zu duellieren. Hier habt ihr immerhin den...“ Das Wort das sie nun benutzte hatte ich noch nie gehört und ich war mir sicher, dass es kein Englisch war. Es klang wie Heimvorteil, doch ich hatte keine Ahnung, was es bedeutete. „Den – Was?“ fragte ich und selbst Gist sah ratlos aus. „Sagen wir es so. Ihr seid Seemann und auf einem Schiff zu Hause. Ich dagegen bin eher an Land unterwegs und kann mich bei stärkerem Seegang nur schwer auf den Beinen halten. Ihr habt daher einen Vorteil, den ich nicht ausgleichen kann.“ Und das nannte man nun... Wie hatte sie es ausgedrückt? Heimvorteil. Ein seltsames Wort. Ob die Umschreibung nun zutraf oder sie es sich ausgedacht hatte, sie weigerte sich jedenfalls, mit mir zu üben. Schade. Ich hätte gerne gesehen, ob sie sich verbessert hatte oder nicht. Jetzt, wo ich über die ganze Sache nachdachte, merkte ich erst, dass sie das Rapier nicht dabei hatte. Nur der schlanke Dolch, den sie von mir dazu bekommen hatte, hing an ihrem Gürtel. Ob sie das Rapier noch besaß? Vielleicht hatte sie es verkauft, aus Geldmangel. Das wäre schade, aber es gehörte ihr und ich hatte nicht das Recht dazu, ihr deswegen einen Vorwurf zu machen. Wir kamen gut voran und als es zu dämmern begann, gingen wir in einer geschützten Bucht vor Anker. Da wir im Landesinneren segelten, war es sicherer, nachts nicht weiter zu fahren. Hier gab es viele Felsen und die Gefahr aufzulaufen oder etwas zu rammen war einfach zu groß. Da es langsam Zeit wurde, sich auf die Nacht vorzubereiten, teilte ich eine Nachtwache ein und ging selbst mit Selena in die Kajüte. Gist folgte unaufgefordert. Etwas das Selena offensichtlich missfiel. Sie versuchte es nicht zu zeigen, doch mir war klar, dass sie ihn lieber nicht in ihrer Nähe haben wollte. So schnell es ging, ohne unhöflich zu sein, sorgte ich dafür, dass er wieder ging. Sein Platz war entweder an Deck oder in seiner eigenen Koje unten bei der Crew. Ihm würde ich es nicht gestatten, hier alleine in der Kajüte zu bleiben. Soweit vertraute ich ihm dann doch noch nicht. „Ich lasse euch ein paar Minuten alleine“, sagte ich zu Selena, nach dem ich für ein sparsames Abendessen gesorgt hatte. Sie beschwerte sich nicht über den Zwieback, warf mir jedoch einen leicht enttäuschten Blick zu, als ich mir einen etwas kräftigere Schluck Rum genehmigte. „Ihr könnt euch für die Nacht umziehen, ich... warte solange draußen.“ Ich persönlich hätte nichts dagegen ihr zuzusehen, wenn sie sich umzog, doch ich war mir sicher, dass es ihr nicht gefallen hätte. Mir selbst machte es nicht mehr all zu viel aus mich in ihrer Gegenwart zu entkleiden. Zumal sie besser als irgendwer sonst wusste wie ich aussah. Gist stand draußen. Es wirkte so, als habe er gelauscht und ich runzelte die Stirn. „Gist?“ Er wirkte nicht die Spur verlegen. „Seid ihr sicher, dass es eine gute Idee ist, sie dabei zu haben? Eine Frau in der Kajüte des Kapitäns sorgt für Gerüchte.“ „Macht euch darüber keine Gedanken. Beim letzten Mal gab es auch keine.“ Zumindest hatte ich davon nichts mitbekommen. „Und glaubt ihr nicht, dass ich drinnen bleiben würde, wenn sie sich auszieht, wenn zwischen ihr und mir irgend etwas wäre?“ „Warum habt ihr sie dann mitgenommen? Sie ist nur jemand auf den man aufpassen muss, sollte es gefährlich werden.“ „Ich hoffe, dass es ruhig bleibt und außerdem ist sie mein Problem, nicht das eure. Ich habe nicht vor, mich auf weitere Diskussionen einzulassen.“ Ich sah ihn streng an „Also, wenn ihr sonst nichts zu tun habt, legt euch schlafen oder aber achtet an Deck darauf, dass nichts passiert.“ Kurz funkelte er mich an, dann verschwand er unter Deck. Ich sah ihm nach, dann warf ich einen Blick in die Kajüte. Selena war nicht zu sehen. Ich schlüpfte hinein und fand sie auf der Bank, wo sie sich unter die Decke verkrochen hatte. Ob sie etwas von dem gehört hatte, was Gist gesagt hatte? Bevor ich mich schlafen legt, nahm ich noch einmal den Rum zur Hand. Solange ich nicht alleine war, wollte ich von Albträumen lieber verschont bleiben. Dennoch hatte ich ein leicht schlechtes Gewissen, als ich ihren Blick spürte. Während meiner Genesungszeit hatte ich nur ein einziges Mal nach Rum gefragt. Sie hatte entschieden abgelehnt, mir welchen zu geben. Nun konnte sie ihn mir nicht mehr vorenthalten. Noch bevor es draußen zu dämmern begann, wachte ich auf. Erneut hatte Liam im Traum auf mich geschossen. Wie lange würde ich solche Träume noch ertragen müssen? Ein Blick zur Bank beruhigte mich. Selena schlief und hatte nichts mitbekommen. Leise stand ich auf und zog mich an. Hunger hatte ich keinen, nahm mir dennoch einen Zwieback und... Rum. Wie gut, dass ich einen recht großen Vorrat davon hatte. Auch gut, dass ich ihn nicht offen stehen hatte. Ein Kapitän, der sich betrank, war kein gutes Vorbild. An Deck war es ruhig und von Gist noch nichts zu sehen. Das Wetter war über Nacht umgeschlagen. Der Wind hatte gedreht und wir kamen nun weniger schnell voran. Da ich vor hatte, möglichst an diesem Tag unser erstes Ziel zu erreichen, ließ ich den Anker lichten und vorerst nur halbes Segel setzen. Damit waren wir zwar langsamer, doch es war auch noch nicht wirklich hell. Nach einer gefühlten Stunde tauchte Gist an Deck auf. Seine schlechte Laune vom Vortag schien verflogen. Mit einem „Guten Morgen, Kapitän“, begrüßte er mich, stellte sich an meine Seite und ließ den Blick über den nahen Küstenstreifen gleiten. „Glaubt ihr, dass wir heute ankommen? Der Wind hat gedreht.“ „Ich hoffe es. Der Colonel braucht die Waren und...“ kurz sah ich mich um und senkte die Stimme ein wenig. Die Crew musste nichts von dem zweiten Auftrag wissen. „Diese Banditen könnten ihr Lager abbrechen, bevor wir eintreffen. Ich möchte so schnell wie möglich ankommen und ihnen das Handwerk legen.“ „Nun, dann sollten wir auf volle Fahrt gehen, meint ihr nicht? Wenn es möglich ist die Halunken auszuschalten, sollten wir keine Zeit verlieren.“ Da gab ich ihm Recht und wir setzen auch noch die letzten Segel. Als die Sonne aufging, kamen aus der Kajüte Geräusche. Kurz darauf betrat Selena das Deck. Noch immer trug sie Hosen. Wirklich seltsam, dass sie solche Kleider vorzog, wo sie doch alles andere als, nun ja, weiblich waren. Diese Hosen passten ihr zu dem sehr gut, was darauf schließen ließ, dass sie sie extra für sich hatte anfertigen lassen. „Ihr seid schon auf den Beinen?“ rief ich zu ihr runter und sie wandte sich mir zu. Etwas langsamer als am Vortag kam sie zu uns hoch, hielt sich dabei am Geländer fest. „Es fällt schwer zu schlafen, wenn es draußen hell ist. Mir jedenfalls.“ Sie schlief insgesamt nicht so viel. In der Zeit, die sie mich gepflegt hatte, hatte sie mit sehr wenig auskommen müssen und ich hatte nur selten mitbekommen, dass sie schlief. Auch jetzt war ich mir sicher, dass sie lange wach lag. „Habt ihr gefrühstückt?“ Ich ging davon aus, dass sie es so hielt wie früher. Da hatte sie meist vorher gefragt, bevor sie sich etwas zu essen genommen hatte. „Die Frage gebe ich zurück. Habt ihr etwas gegessen?“ Die Frage ärgerte mich ein wenig. Es war nur gut gemeint und von ihr kam dieser leicht vorwurfsvolle Blick, als wüsste sie genau, wie mein Frühstück ausgesehen hatte. Daher schwieg ich. Gist versuchte den ganzen Vormittag über, die Stimmung zu heben, doch meine Laue war recht weit im Keller. Selbst Selena schwieg. Warum hatte sie mitkommen wollen? Sie tat nichts, außer an Deck zu stehen und sich die Landschaft anzusehen, die an uns vorbei zog. Am Nachmittag erreichten wir den Hafen. Schon aus der Entfernung sah ich das beschädigte Schiff. Es lag etwas abseits und ja, es war wirklich stark beschädigt. Dass es überhaupt bis hier her gekommen war, war ein Wunder. Kurz bevor wir anlegten, verschwand Selena unter Deck. Schade. Ich hätte sie gerne mit an Land genommen. Damals hatte sie in Halifax unbedingt von Bord gehen wollen und nun versteckte sie sich. Verstand einer die Frauen... So ging ich allein, übergab das Kommando an Gist und machte mich auf die Suche nach dem Kapitän des beschädigten Schiffes. Mit ihm musste ich die Warenübernahme klären. Ich fand ihn bei seinem Schiff, wo er die Reparatur beaufsichtigte. Nach dem ich ihm erklärt hatte, dass Monro mich schickte, um die Waren, die er für ihn transportierte, zu übernehmen, war er erst skeptisch, doch als ich ihm von Gist erzählte, war er überzeugt. Ihn kannte er offenbar. Schnell regelten wir den Transport zu meinem Schiff und ich machte mich auf die Suche nach einem Waffenhändler. Die Morrigan brauchte neue Kanonenkugeln. Ich wollte kein Risiko eingehen. Als ich zum Schiff zurückkam, war die Warenübernahme so gut wie abgeschlossen. Gist konnte ich nirgends entdecken und ging davon aus, dass er unter Deck war und das Verladen überwachte. Daher war ich überrascht zu sehen, wie er aus der Kajüte kam. Da drin hatte er nichts zu suchen und er sah verärgert aus. „Was ist los, Gist? Ihr seht so aus als wäre etwas passiert.“ Ich versuchte mir möglichst nicht anmerken zu lassen, dass es mich störte, dass er mit Selena alleine gewesen war. Meine Anweisung für ihn war klar gewesen. Auf das Schiff aufpassen. „Euer Gast“, er sprach das Wort mit hörbarer Verachtung aus, „Wird langsam etwas unverschämt. Wisst ihr, dass sie eure Sachen durchsucht?“ „Woher wisst ihr, dass sie es tut? Ich kann mich nicht erinnern, euch gebeten zu haben, sie zu bespitzeln oder aber in meiner Abwesenheit in die Kajüte zu gehen.“ „Ich wollte nach dem Rechten sehen, nach dem es da drin geklappert hat. Sie war gerade dabei, eine Kommode zu durchwühlen.“ „Die Große auf der linken Seite?“ fragte ich und er nickte. „Das ist in Ordnung. Sie hatte Hunger und weiß wo sie etwas zu essen findet. Ich mache mir da keine Sorgen und ihr solltet es auch nicht.“ Dann hatte sie zumindest etwas zu Mittag gehabt. Mehr als ich von mir behaupten konnte. „Und ihr lasst sie einfach gewähren? Sie könnte euch bestehlen. Habt ihr euch nie gefragt, wie sie es fertig bringt, ohne eine feste Anstellung hier zu überleben?“ Das schon wieder. Auch Liam hatte mich davor gewarnt, ihr zu sehr zu trauen. Es gab zwar seltsame Zwischenfälle in ihrer Umgebung, doch das hieß nicht, dass sie etwas damit zu tun hatte oder stahl. Wir liefen aus und ich setzte den Kurs auf das Bandenversteck. Die Zeit hatten wir und ich wollte gerne noch etwas länger unterwegs sein. Immerhin hatte ich noch eine Aufgabe zu erledigen. Eine, von der Gist nichts wusste. Aus der Kajüte kamen immer mal wieder Geräusche, doch ich ging nicht hinunter, um nachzusehen. Es gab nicht viel, was Selena dort tun konnte und so ging ich davon aus, dass sie ihrer üblichen Beschäftigung nachging und aufräumte. Als es zu dämmern begann, fing Gist erneut an zu nerven. „Sie ist seit Stunden dort drin alleine“, und „Ihr solltet wirklich kontrollieren, was sie dort treibt.“ Konnte er es nicht einfach gut sein lassen? Nein, er redete weiter und irgendwann wurde es mir wirklich zu dumm. „Wenn ihr ihr sowenig vertraut, warum geht ihr dann nicht und seht nach was sie tut?“ Es war nun schon seit einer guten halben Stunde ruhig in der Kajüte. Vielleicht hatte sie es sich einfach nur in ihrer Ecke bequem gemacht und kritzelte in ihr Buch. „Es ist nicht meine Aufgabe mich um...“ Ich ließ das Ruder los und das Rad drehte sich frei. Kurz schwankte die Morrigan, doch mir war das egal. „Gut, ich sehe nach. Aber, wenn alles in Ordnung ist, will ich nicht mehr über das Thema reden. Nie wieder.“ Ich winkte einen Matrosen heran, der das Ruder übernehmen sollte, und stapfte nach unten. Gist folgte. Er wollte sich wohl davon überzeugen, dass ich ihn nicht über das, was ich zu sehen bekam, belog. Leise öffnete ich die Tür zur Kajüte und fand sie leer vor. Von Selena war nichts zu sehen. So ging ich hinein und fand sie, zusammengerollt auf der Bank. Allem Anschein nach tief schlafend. „Was habe ich gesagt?“ sagte ich leise, um sie nicht zu wecken. „Nichts weswegen ich mir Sorgen machen müsste.“ Ebenso leise kehrte ich zur Tür zurück, schob Gist hinaus und schloss die Tür hinter uns wieder. „Seht ihr, Gist. Sie tut nichts Verbotenes. Ihr könnt unbesorgt schlafen gehen. Ich bleibe noch eine Weile hier.“ Ich konnte eh nicht schlafen. Besser gesagt, ich hatte Angst davor einzuschlafen. Wortlos ging er unter Deck und ich stieg wieder zum Ruder hinauf, ließ den Matrosen aber weiter steuern. Es konnte nicht schaden jemanden zu haben, der außer mir und Gist dazu in der Lage war, ein Schiff zu manövrieren. War ja möglich, dass wir Beide ausfielen. Bevor ich mich selbst schlafen legte, ließ ich Anker werfen und teilte die Crew in Gruppen auf. Ein paar brauchte ich auch nachts an Deck. Der Rest konnte sich ausruhen und in ein paar Stunden sollten die Männer abgelöst werden. Dann verschwand ich in der Kajüte. Bis auf eine Laterne waren alle Lichter gelöscht. Die Kerze darin würde die Nacht über reichen und mehr Licht brauchte ich nicht. Eine Weile stand ich nahe der Rückbank und sah auf Selena runter. Woher kam nur dieses Misstrauen von Gist? War ich schlicht zu blauäugig ihr gegenüber? Da ich zu keiner Antwort kam, zog ich mich aus und benebelte vorm Zubettgehen noch meinen Verstand. Dieses Gefühl von Benommenheit tat gut. Es blendete die Realität und die Vergangenheit aus, machte alles erträglicher. Ich hoffte, dass es für eine Nacht reichte. Es reichte nicht. Ich rannte durch die Straßen von Lissabon, sah Kinder in Hauseingängen kauern oder auf die Straße fliehen, wo sie von Trümmerteilen getroffen oder einstürzenden Mauern erschlagen wurden. Ich wollte weiter, doch jemand hielt mich an der Schulter fest. Vor mir riss der Boden auf und ich fiel... fiel... Abrupt richtete ich mich auf. Mein Herz raste und ich spürte kalten Schweiß auf der Haut. Mein Mund war wie ausgetrocknet und mir war ein wenig übel. Neben mir, auf dem Rand der Koje, saß Selena und zog gerade ihre Hand zurück. Also hatte sie gemerkt, dass ich schlecht schlief und mich geweckt. Sicher hoffte sie, dass ich ihr davon erzählte, doch das konnte ich nicht. Ohne sie anzusehen, schob ich die Decke zur Seite und sie stand hastig auf, um mir Platz zu machen. Ich brauchte dringend etwas zu trinken. Die Wirkung meines Schlummertrunks hatte nicht gereicht und um noch ein wenig Schlaf zu bekommen, brauchte ich Nachschub. „Schlechte Träume?“ fragte Selena vorsichtig, als ich die Rumflasche aus der Kommode holte. Ohne zu antworten nahm ich einen tiefen Zug und schloss einen Moment die Augen. Das tat gut, aber würde es reichen? Kurz warf ich ihr einen Blick zu und obwohl es wirklich recht dunkel war, konnte ich sehen, dass sie sich Sorgen machte. Trotzdem nahm ich einen weiteren Schluck. „Ich weiß dass ihr schlecht träumt.“ „Warum fragt ihr dann?“ fuhr ich sie an und knallte die Flasche auf den Tisch. Ihre Fürsorge ging mir auf die Nerven. Darum hatte ich sie nicht mitgenommen. Wut keimte in mir auf, verstärkt durch den Alkohol. Es war schlimm genug, dass mich diese Träume verfolgten, da musste sie nicht auch noch den Finger in die Wunde legen. „Schön“, kam es von ihr und ich starrte sie an. „Dann lasse ich euch das nächste Mal in eurem Elend allein.“ Sie wandte sich ab und wollte zur Bank zurückkehren. „Langsam frage ich mich, warum ich hier bin.“ Nun, dafür war sie nicht hier. Ich brauchte niemanden, der mir nervige Fragen stellte. Und schon gar nicht brauchte ich jemanden, der mich wie ein Kind behandelte. Sie schaffte es nicht bis zur Bank. Ihre Worte ärgerten mich und ich war wütend, dazu angetrunken. Ich packte sie am Oberarm und drehte sie zu mir. Diese Respektlosigkeiten sollte ich ihr langsam austreiben. Was glaubte sie, wer sie war? Sie war nur ein Dienstmädchen. Ein freches, unverschämtes Dienstmädchen und sie hatte kein Recht dazu, mich so zu behandeln. Doch warum war sie dann hier? Warum hatte sie mitkommen wollen? Noch immer hielt ich sie fest, doch ich sah ihr nicht in die Augen. Mein Blick wanderte tiefer und glitt über ihr Nachthemd, unter dem sich deutlich ihre Brüste abzeichneten. Es wäre so einfach den Stoff zu zerreißen und ich hätte sie nackt vor mir. Der Gedanke erregte mich. „Nur zu“, sagte sie und ich glaubte mich verhört zu haben. Das hatte sie nicht gesagt. Ich sah ihr in die Augen, um sicher zu gehen, dass ich mich verhört hatte. Ihr Blick war kalt und voller Abscheu. „Sorgt dafür, dass ich auch noch das letzte bisschen Respekt vor euch verliere.“ Ich ließ sie los, doch nur um ausholen zu können. Ich war wütend. Sehr wütend und die Art wie sie mit mir redete, machte es nur schlimmer. Wann hatte sie mir je Respekt entgegengebracht? Der Schlag traf sie mitten ins Gesicht. Durch den Alkohol hatte ich meine Kraft weniger gut kontrollieren können und sie wohl härter getroffen, als beabsichtigt. Sie ging zu Boden und hatte wirklich Glück, vorher nicht mit dem Kopf gegen die Kommode zu knallen. Das hätte mich wachrütteln sollen, doch tat es das nicht. Schon war ich bei ihr und drehte sie auf den Rücken. Sie zappelte und versuchte mich zu schlagen, doch ich wischte die Hand einfach zur Seite. Mit meinem Gewicht drückte ich sie gegen den Boden und hielt mit einer Hand beide Hände von ihr fest. Sie hatte so dünne Handgelenke, dass das keine große Sache war. Es war allzu leicht sie zu überwältigen. Ein Schlag hatte genügt und sie lag am Boden. Von wegen, sie könne auf sich aufpassen. Noch immer war ich wütend und holte erneut aus. Doch dann hielt ich inne. Selena schrie nicht. Auch hatte sie aufgehört zu zappeln. Ich spürte ihre Anspannung. Sie hatte den Kopf zur Seite gedreht, die Augen fest zusammengedrückt und wappnete sich für den bevorstehenden Schlag. Das war es nicht, was mich veranlasste die Hand sinken zu lassen. Es war der rote Fleck, der sich auf ihrer Wange abzeichnete. Dort, wo ich sie getroffen hatte. Verdammt, was hatte ich da getan? War ich nun schon so weit gesunken, dass ich eine Frau schlug? Hatte sie nicht angedeutet, dass ihr genau so etwas schon einmal passiert war? Und ausgerechnet ich, derjenige, der sie schützen wollte und der in gewisser Weise in ihrer Schuld stand, fiel nun über sie her, wie ein wildes Tier. Als sie mich unsicher und ängstlich von unten her anblinzelte, senkte ich den Blick. Ihr Nachthemd war verrutscht. Ich hockte zwischen ihren Beinen und der Stoff war so weit nach oben gerutscht, dass er gerade eben noch ihre Scham verdeckte. Ich wandte mich ab und stand auf. In diesem Moment fand ich mich selbst ekelhaft. Die Rumflasche stand noch immer auf dem Tisch und ich war versucht, noch einen Schluck zu nehmen, doch das würde es nicht besser machen. Ohne noch etwas zu sagen ging ich zur Koje zurück und kroch hinein. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich hörte ein Rascheln und kurz darauf drang ein vertrauter Geruch an meine Nase. Es war die Salbe, die sie bei mir angewandt hatte. Das machte es nur schlimmer. Ich musste hier raus, doch es war besser zu warten, bis sie wieder schlief, falls sie sich schlafen legen würde. Wären wir in einem Hafen, sie würde ihre Tasche packen, sich anziehen und verschwinden. Ich würde nicht einmal den Versuch machen, sie daran zu hindern. Die Minuten verstrichen quälend langsam, doch ich hörte nichts von der Bank. Schlief sie? Lag sie wach und wartete darauf, dass ich es mir anders überlegte und sie doch noch... Daran sollte ich wirklich nicht denken, auch wenn es schwer war. Nach einer gefühlten halben Stunde stand ich leise auf. Selena hatte sich unter der Decke zusammengerollt und schlief, oder sie tat so. Ich konnte das nicht unterscheiden. Selbst auf die Entfernung sah ich den dunklen Fleck auf ihrer Wange. Der würde sicher ein paar Tage zu sehen sein und mich jedes Mal daran erinnern, was passiert war. Möglichst ohne Lärm zu machen zog ich mich an und verließ die Kajüte. Sollte sie nur so tun als würde sie schlafen, würde es sie beruhigen, wenn ich nicht mehr da war. Wenigstens sie sollte noch etwas Ruhe bekommen. Auch wenn ich nicht wirklich munter war, ich hielt es keine Sekunde länger mehr aus, mit ihr in einem Raum zu sein. Dazu kam, dass mir nun entschieden schlecht war. Eindeutig zu viel Alkohol. Und es machte sich ein dumpfer Schmerz hinter den Schläfen breit. Das würde eine sehr lange Nacht werden. An Deck sah ich mich um. Die Notbesetzung starrte aufs Wasser oder zum nahen Ufer, doch in unserer Umgebung tat sich nichts. Ich konnte nirgendwo andere Schiffe ausmachen. Auch wenn es riskant war, hier in der Nacht unterwegs zu sein und meine Aufmerksamkeit nicht gerade die Größte war, ließ ich den Anker lichten und das Hauptsegel setzen. So waren wir langsam unterwegs, aber immerhin fuhren wir. Ich musste meinen Auftrag erledigen und dann schnell zurück nach New York. Es war ein Fehler, Selena mitzunehmen. Sie wusste nun, dass sie mir nicht trauen konnte. Es begann gerade zu dämmern, da tauchte Gist auf. „Was ist denn mit euch passiert, Kapitän?“ fragte er und mir wurde bewusst, wie ich aussehen musste. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht mich vernünftig einzukleiden und natürlich hatte ich auch nicht daran gedacht, mich um die Haare oder eine Rasur zu kümmern. Mir war nicht danach, ihm die Wahrheit zu sagen und so band ich mir nur die Haare neu und strich mir, ein wenig müde, übers Gesicht. Na, all zu stoppelig war ich nicht. Im Moment sollte ich eh besser kein Rasiermesser in die Hand nehmen. Gist ließ nicht locker. Mit einem leichten Lächeln hakte er nach. „Ihr seht aus, als hättet ihr nicht geschlafen. Wurdet ihr wach gehalten?“ „Mir ist nicht danach, darüber zu reden.“ Ich wollte mich nun nicht auch noch mit ihm in die Haare bekommen, zumal ich sicher war, dass ich eine Schlägerei mit ihm im Moment eher verlieren würde. Ich warf ihm einen Blick zu der deutlich machen sollte, dass es mir ernst war und so schwiegen wir eine ganze Weile. Langsam wurde es heller, doch es war bewölkt. Das sah nach einem trübem Tag aus. Ganz so, wie ich mich fühlte. Gist schlug irgendwann ein Frühstück vor. Mir war entschieden schlecht und in meinem Kopf wurde der Schmerz immer schlimmer. Dennoch bat ich ihn, mir von den Vorräten Dörrfleisch zu holen und einen Krug Wasser. Auf meiner Zunge war ein Pelz und ich hatte einen üblen Geschmack im Mund. Danach kaute ich auf dem Streifen Fleisch herum und versuchte nicht hinterm Ruder einzuschlafen. Kurz nach Mittag entdeckte ich einen Anleger. Es war nur ein schmaler Steg, der ins Wasser führte, doch da nirgendwo ein Boot zu sehen war und am Ufer nur eine alte, halb eingestürzte Hütte stand, war mir klar, dass das hier der Ort sein musste, den ich suchte. Der Steg war einfach zu neu, um zu der Hütte gehören zu können. „Sieht so aus, als hätten die Banditen vor sich hier in der Gegend häuslich nieder zu lassen“, sagte ich zu Gist und auch er sah zu dem Steg und der Hütte. „Gut möglich, aber es könnte auch sein, dass hier in der Nähe Franzosen stecken, die hier Waren verstecken.“ Das konnte natürlich auch sein. Der Steg reichte weit genug ins Wasser, um ein Schiff von der Größe der Morrigan anlegen zu lassen. „Ich werde mir das ansehen. Wenn die Strolche hier in der Nähe sind, werde ich sie finden.“ Und sie erledigen. Zwar war ich müde, doch ich musste einfach etwas Sinnvolles tun. Verbrecher jagen war sinnvoll. „Wollt ihr das alleine erledigen? Ich meine... Ihr könntet doch sicher ein wenig Unterstützung gebrauchen.“ Ja, das konnte ich, doch ich wollte alleine gehen. Ich brauchte Bewegung und ich hatte keine Lust, mir weitere Fragen anzuhören. „Ich gehe allein. Eure Aufgabe ist es, das Schiff zu sichern und alles für einen schnellen Aufbruch bereit zu halten. Ich weiß nicht wie lange ich brauchen werde, aber falls es nötig wird, dann müsst ihr die Morrigan in Sicherheit bringen.“ Kurz schwieg ich und sah zum nahenden Ufer. Ein kleiner Sandstrand und danach dichter Wald. Es würde nicht leicht werden dort etwas zu finden. „Und noch etwas. Ich möchte nicht, dass Selena das Schiff verlässt. Was immer sie euch auch sagen mag, ihr werdet sie nicht von Bord lassen.“ Nicht, bevor ich mich bei ihr entschuldigt hatte und hier wollte ich sie nicht aus den Augen verlieren. „Was ist zwischen euch und ihr vorgefallen?“ versuchte er es noch einmal, doch ich ignorierte die Frage. Er konnte sich gerne seinen Teil denken. Ich würde ihm nichts erzählen. Das war privat und es war mein Problem. Wir erreichten den Anleger und ich sprang von Bord. Hoffentlich konnte ich das schnell erledigen. An Land erkannt ich, dass es neben der Hütte einen schmalen Weg gab, der in den Wald führte. Er war wirklich sehr schmal, doch so angelegt, dass man gut auf ihm gehen konnte. In sanften Windungen führte er langsam einen Hügel hinauf und ich lauschte immer wieder. Außer Vögel konnte ich eine Weile nichts hören, doch dann... Stimmen. Zu dem roch ich etwas. Ich suchte mir einen geeigneten Baum und kletterte vorsichtig hinauf. Durch die Äste erkannte ich, dass nicht all zu weit entfernt eine kleine Lichtung war und dort standen vier Zelte um ein Lagerfeuer herum. Das was ich gerochen hatte war zum einen das Feuer. Zum anderen das, was darüber hing und meinen Magen knurren ließ. Eintopf. Ein offensichtlich guter Eintopf. Ein Mann stand daneben und rührte in dem Kessel. Auf dem Boden hockten zwei weitere und unterhielten sich. Ich versuchte mich zu konzentrieren, doch es klappte nicht. Meine Kopfschmerzen wurden nur schlimmer und so beschränkte ich mich aufs normale Beobachten. Wenn es nur drei waren, dann würde ich sie schon klein kriegen. Sie sahen harmlos aus, doch ich erkannte die Kleidung. Wieder dieselbe Bande. Langsam glaubte ich nicht mehr an Zufälle. Das alles sah nach einem wirklichen Planer aus. Jemandem, der wusste wie man Leute einsetzte und sie kontrollieren konnte. Jemanden, der Kontakte zu den Verbrechern hatte. Jemandem, wie Hope. Ich wusste, dass sie in New York zum Teil mit Taschendieben zusammenarbeitete und sie hatte überall Augen und Ohren. Die Bandenmitglieder, die ich nun schon kennengelernt hatte, waren teilweise keine einfachen Schläger gewesen. Es würde passen, dass sie mit der Bruderschaft unter einer Decke steckten. Vorsichtig kletterte ich vom Baum und suchte mir einen guten Punkt, um angreifen zu können. Diese Gasgranaten hatte ich bislang noch nicht wirklich zum Einsatz bringen können. Eine gute Gelegenheit zu testen, wie sie in der freien Natur wirkten. Es würde alles um so vieles leichter machen, wenn sie sich nicht wehrten. Die Granate traf nicht so zielgenau wie ich erhofft hatte, doch sie kam nahe genug heran, um alle drei außer Gefecht zu setzen. Erst als sich keiner von ihnen mehr rührte trat ich näher und beendete die Angelegenheit. Gerade als ich den Letzten der drei ins Jenseits befördert hatte, hörte ich hinter mir ein Knacken. Instinktiv rollte ich mich zur Seite, doch ich war zu langsam. Ein scharfer Schmerz durchfuhr meinen linken Arm und ich kam nicht so elegant auf die Beine, wie ich gehofft hatte. Zwei Männer standen da und starrten mich wütend an. Der schlankere und kleinere mit Säbel, der Zweite, groß und breitschultrig, mit einem schweren, zweihändigen Hammer. Gegen eine solche Waffe hatte ich noch nie kämpfen müssen und hatte keine Ahnung wie man ihr am Besten auswich. Sicherlich würde sie mir alle Rippen auf einmal brechen, sollte sie mich treffen. Vielleicht hätte ich Gist doch mitnehmen sollen. Zeit für eine Strategie bekam ich nicht. Schon griff der Schlanke erneut an und ich wich zurück, zog meine Klinge. Schnell war mir klar, dass der Große eher langsam war, seine Schläge mit dem Hammer aber eine enorme Wucht hatten. Er nutzte das Gewicht der Waffe, was ihn aber auch angreifbarer machte, da er zum Ausholen Zeit benötigte. Der Andere dagegen war schnell und versuchte mich seinem Kumpanen zuzutreiben. Die Beiden waren ein eingespieltes Team und ich war nicht komplett einsatzbereit. Der linke Arm schmerzte bei jeder Bewegung doch ich brauchte ihn, um das Gleichgewicht zu halten. Meinen Dolch zum Abwehren zog ich gar nicht erst. Ich hätte die Klinge kaum halten können. Meine einzige Chance war es, die Beiden voneinander zu trennen und dann die Abwehr zu durchbrechen. Das war leichter gesagt als getan. Immer wieder musste ich den Hieben des Hammers ausweichen und wurde langsam müde. Schlafmangel, Kater und zu wenig zu Essen waren wirklich keine gute Grundlage für eine solche Auseinandersetzung. Ein kräftiger Schlag und mir wurde die Klinge aus der Hand geschlagen. Jeder normale Bandit würde in so einer Situation aufgeben. Ich war kein Bandit. Ich war ehemaliger Assassine und ich hatte ein Ass im Ärmel. Im wahrsten Sinne. Hinter mir hörte ich ein „Erledige den Bastard.“ wandte mich jedoch nicht um. Meine Aufmerksamkeit galt nur dem Kerl vor mir, der mit seiner Klinge zustoßen wollte, um mich damit aufzuspießen. Viel Zeit hatte ich wirklich nicht und als ich auswich, spürte ich, wie die Klinge über meine Jacke glitt. Mit einer schnellen Bewegung der rechten Hand fuhr ich die verborgene Klinge aus und überwand das Stück, das ihn und mich voneinander trennte. Ich traf und die Klinge drang ohne großen Widerstand durch Haut und Fleisch. Für einen Moment schien die Zeit still zu stehen. Die Augen des Mannes weiteten sich, dann sackte er in sich zusammen. „Nein!“ kam ein Schrei von hinter mir und ich hörte die schweren Schritte des anderen. Als ich herum wirbelte sah ich, wie er im Lauf den Hammer hob, das wutverzerrte Gesicht und auch, dass er alles auf diesen einen Schlag setze. In letzter Sekunde sprang ich zur Seite. Der Hammer zischte knapp an mir vorbei und brachte den Kerl aus dem Gleichgewicht. Diese Gelegenheit nutzte ich und rammte auch ihm die Klinge in den Leib. Die Waffe glitt ihm aus der Hand und landete mit dumpfem Aufschlag am Boden. Er selbst blieb auf den Beinen. Auch als ich die Klinge zurückzog stand er noch immer, leicht schwankend, doch noch nicht gewillt sich dem Unausweichlichen zu fügen. Seine Finger tasteten nach der Stelle, wo ich ihn durchbohrt hatte und er starrte auf das Blut auf seinen Fingern. „Nein...“ kam es noch einmal leise von ihm bevor auch er zusammenbrach und es auf der Lichtung still wurde. Sehr still. Nur mein eigener Atem war zu hören und ich war überrascht, wie schnell ich atmete. Ich war am Ende meiner Kräfte und spürte meinen Herzschlag deutlicher als je zuvor. Das war wirklich knapp gewesen. Eine Weile sah ich auf die Toten hinunter, bis ich mir einen Ruck gab. Ich konnte hier nicht ewig stehen bleiben. Hastig durchsuchte ich die Zelte nach Briefen, Karten oder anderen Dokumenten, die helfen konnten weitere Banditen aufzuspüren. Danach tastete ich die Leichen ab. Plündern war nichts, dass ich gerne tat, doch es war notwendig. Jeder, der auf diese Leichen stieß, würde eher von anderen Banditen ausgehen, wenn alles von Wert verschwunden war. Einer der Banditen hatte ein großes Tuch in der Tasche. Das stopfte ich durch den Schnitt in der Jacke auf die Wunde, um die Blutung etwas zu stoppen, dann nahm ich meine Waffe und stand unschlüssig vor dem blubbernden Eintopf. Was für eine Verschwendung, den verkommen zu lassen, doch mir war der Appetit vergangen. Es war nicht so einfach später wieder auf die Morrigan zu klettern. Mein Arm behinderte mich. Die Wunde pochte und musste dringend richtig versorgt werden. Den ganzen Weg zurück hatte ich das Tuch darauf gedrückt und war nur froh, dass es nicht durchweichte. Wieder an Deck ignorierte ich den fragenden Blick von Gist und ging direkt in die Kajüte. Ob ich nun Hilfe bekam oder nicht, dort war alles, was ich brauchen würde, um mich notfalls selber zu verbinden. Im ersten Moment sah ich Selena nicht und fürchtete, sie sei doch irgendwie von Bord verschwunden. Dann entdeckte ich sie vor der Kommode, in der ich meine Kleider verwahrte. Ein kurzer Blick durch den Raum sagte deutlich, dass sie die Zeit für weitere Aufräum- und Putzarbeiten genutzt hatte. Es sah schon fast wieder so aus, wie ich es von früher her kannte. Vorsichtig trat ich an sie heran, blieb aber auf Sicherheitsabstand. „Ihr räumt auf?“ Sie fuhr zusammen und sah zu mir hoch. So leise hatte ich mich nun auch nicht bewegt, dass sie mich nicht hatte bemerken können. Möglicherweise hatte sie nur nicht mit mir gerechnet. Die Stelle im Gesicht, die letzte Nacht noch rot gewesen war, hatte sich in ein leichtes Grün verfärbt. Es sah weniger schlimm aus, als befürchtet. Unwillkürlich streckte ich meine Hand nach ihr aus, doch sie wandte sich ab. „Was soll ich sonst machen? Es ist so ziemlich das Einzige, dass ich an Bord tun kann.“ Sie klang frustriert und ich merkte, dass sie noch immer nicht gut auf mich zu sprechen war. Als sie aufstand und sich an mir vorbei schieben wollte, hielt ich sie auf. Sofort verzog sie ihr Gesicht, als ich ihren Arm berührte und ich ließ sie los, versperrte ihr aber den Weg. Sie sah mich nicht an, hatte den Kopf gesenkt und vermied es überhaupt in meine Richtung zu sehen. „Warum wolltet ihr mitkommen?“ fragte ich vorsichtig. Sie wirkte so unglücklich und sie hätte sich diese Reise nicht aufbürden müssen. Es war ihre freie Entscheidung mich zu begleiten. „Das frage ich mich auch“, gab sie zurück und wandte sich ab. Da sie nicht an mir vorbei kam, kehrte sie in die Ecke zurück, wo auch ihr Rucksack lag. Fort von mir. Eindeutiger hätte es nicht sein können. Mit einem leichten Seufzer begann ich meine Waffen abzulegen, um die Jacke ausziehen zu können. Das Tuch war sehr blutig, genau wie das Hemd. Gerade wollte ich mir den Schnitt genauer ansehen, da landete auf dem Tisch neben mir eine Tasche mit Verbänden und ich sah auf. Wortlos schob Selena meine Hand zur Seite und begutachtete die Wunde. Ich wollte etwas sagen. Sie musste sich nicht darum kümmern. Es war halb so schlimm, doch im Grunde konnte ich mich glücklich schätzen, dass sie sich darum kümmerte. So hielt ich still als sie die Wunde reinigte und einen Verband anlegte. Die ganze Zeit über hob sie nicht einmal den Blick und wandte sich ab, kaum dass sie fertig war. Ganz vorsichtig legte ich dieses Mal eine Hand an ihren Arm, etwas tiefer als das Mal davor. Offenbar hatte ich dort in der letzten Nacht etwas zu fest zugepackt. „Danke“, sagte ich leise und ließ sie wieder los. Noch immer sah sie mich nicht an, verschwand aber auch nicht gleich wieder in ihrer Ecke. „Wenn... es euch recht ist und ihr es mir hinlegt, wasche ich das Hemd morgen aus.“ Kurz flackerte ihr Blick in meine Richtung, doch sie vermied es, mich direkt anzusehen. „Natürlich wäre es besser, das gleich zu tun, bevor das Blut eintrocknet, aber das möchte ich euch lieber ersparen.“ „Dann müsstet ihr den Verband erneuern. Dabei sitzt der hier gerade gut.“ Sie hatte ja auch Übung darin, mich zu verbinden. „Es reicht, wenn ihr es morgen versucht. Wenn es nicht mehr zu retten ist, habe ich ein Hemd weniger. Es gibt Schlimmeres.“ Vorsichtig blinzelte sie zu mir herüber, als würde sie meinen Worten nicht glauben. Dann nahm sie ihr Verbandszeug und kehrte zu dem Rucksack in der Ecke zurück. Ja, es gab wirklich Schlimmeres. Das zerstörte Vertrauen zwischen uns. Nichts würde das je wieder in Ordnung bringen können. „Das letzte Nacht tut mir leid.“ Mich zu entschuldigen war das Mindeste, dass ich tun konnte. Selena drehte sich um und sah mir nun endlich in die Augen. Meine Worte hatten sie überrascht und sie wusste offensichtlich nicht, wie ernst es mir damit war. Sagen tat sie nichts, doch dann lächelte sie. Ganz leicht nur, doch es erleichterte mich ungemein. Dieses Lächeln war ein Anfang. „Wollt ihr weiterhin hier bleiben oder kommt ihr mit an Deck?“ Immerhin konnte sie sich nicht ewig hier verkriechen. Vorsichtig zog ich die Jacke wieder an. Den Schnitt würde ich in den nächsten Tagen reparieren müssen, oder ihn reparieren lassen. Mit Nadel und Faden war ich nicht so geschickt. Noch immer tat die Bewegung weh und ich musste wirklich langsam sein. „Geht schon vor, ich komme gleich nach“, kam es nach kurzem Zögern von ihr und ich war erleichtert. Wenn sie mit nach oben kam, war das ein gutes Zeichen. Sie brauchte wirklich nicht lange. Nur zwei Minuten nach mir kam sie an Deck, in ihre Jacke gewickelt und stieg zu Gist und mir zum Ruder. Anstatt sich neben mich zu stellen, setzte sie sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden. Wieder so ein seltsames Verhalten. Ich würde sie wohl nie verstehen. Der Wind war abgeflaut und so ließen wir uns zum Großteil von der Strömung mitziehen. Außer uns waren keine größeren Schiffe zu sehen. Nur ein kleines Ruderboot mit einem Angler darin. Es sah nach einem ruhigen Nachmittag aus. Das konnte mir nur Recht sein. Für heute hatte ich genug Scherereien gehabt. Irgendwann begann Gist Vorschläge zur Verbesserung der Morrigan zu machen. Dafür fehlte derzeit zwar das Geld, doch ich hörte mir gerne an, was er verändern würde. Nahtlos ging das Gespräch zum Thema Waffen über und ich merkte, wie Selena aufhorchte. Eine Frau, die sich für Waffen interessierte, war nicht alltäglich „Wenn ich mich recht erinnere, habt ihr eher ein Händchen für Schusswaffen als für Schwerter“, denn ich erinnerte mich daran, dass sie etwas von Pfeil und Bogen erzählt hatte. „Ich ziehe die Entfernung vor, da bieten sich Schusswaffen an.“ Wieder lächelte sie leicht, auch wenn sie mich nicht ansah. Es gefiel mir um so vieles besser, wenn sie lächelte. „Wie gut seid ihr?“ fragte Gist und sie zuckte mit den Schultern. „Ein stehendes Ziel ist leichter, als eins in Bewegung und je näher ich dran bin. um so einfacher wird es.“ Sie streckte sich und lehnte sich etwas nach hinten, stützte sich mit den Händen am Boden ab. „Und ich habe es schon geschafft auf 20 Meter eine Kugel zu treffen. Das ist einige Jahre her, doch mit etwas Übung und dem richtigen Bogen würde ich es wohl wieder schaffen.“ Zwanzig Meter. Es schien sie stolz zu machen, doch es kam ganz auf die Größe der Kugel an. Bei einem Apfel würde ich schon sagen, dass es ein guter Treffer gewesen war. Bei einem Kürbis eher weniger. „Bogen?“ Gist klang, als hielte er es für lächerlich, einen Bogen zu nutzen. „Wer schießt denn noch mit Pfeil und Bogen?“ Langsam wandte sie ihm den Blick zu. „Die Mohawk Indianer, zum Beispiel, und ich ziehe eine leise Waffe vor. Mit einer Pistole oder einem Gewehr alarmiert ihr jede Wache im Umkreis und sollte der Schuss daneben gehen ist euer Ziel gewarnt. Es geht schneller einen neuen Pfeil zu ziehen, als eine Pistole zu laden. Leise Waffen sind unauffälliger und ich ziehe nicht gerne Aufmerksamkeit auf mich.“ „Nicht?“ Die Frage war so provozierend, dass es mich wirklich wunderte, dass Selena nicht darauf antwortete. Sie lächelte nur wieder und sah aufs Meer. „Wo habt ihr schießen gelernt?“ Hakte er nach und sie sah ihn wieder an. Genau diese Frage wurde ihr schon einmal gestellt und genau wie damals antwortete sie nicht. „Bei der Navi?“ Da ich keinen Streit mit ihr wollte hielt ich mich aus dem Gespräch heraus. Es interessierte mich wann und wo sie es gelernt hatte, doch ich würde nicht danach fragen. „Eine Frau, die weiß wie man kämpft, muss es von jemandem gelernt haben der...“ „Gist!“ Die Lautstärke hinter diesem einen Wort sagte deutlich, dass sie wütend war. „Es ist egal, wo ich es gelernt habe oder wann. Meine Vergangenheit geht niemanden etwas an.“ Sie stand auf und ging ganz nach hinten ins Heck. Sicher, um weiteren Fragen zu entgehen. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Kurz zögerte ich, dann gab ich das Ruder schweigend an Gist und folgte ihr. „Warum schweigt ihr?“ Sie fuhr zusammen, als ich die Frage stellte. Wie konnte man so schreckhaft sein? „Weil es ihn nichts angeht“, erwiderte sie und sah mich an, „Außerdem... Ihr schweigt genau so.“ Da hatte sie wohl nicht ganz unrecht, weswegen ich ihrem Blick auswich. „Seht ihr? Genau das meine ich.“ Wieder wandte sie sich dem Meer zu. „Warum sollte ich euch alles erzählen, wenn ihr weiterhin schweigt? Das wäre ungerecht und ich habe nicht vor, weiter in euch vorzudringen, solange ihr es nicht aus freien Stücken erzählen wollt. Dem Ärger gehe ich lieber aus dem Weg.“ Die Anspielung verstand ich sofort und ich ignorierte den Seitenhieb. Den hatte ich wohl verdient. Dennoch musste sie verstehen, warum ich nicht reden wollte und das ihre Fragen mit Schuld an dem Ausbruch gewesen waren. „Es gibt Dinge, über die ich lieber nicht rede.“ Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Reling und senkte den Blick „Und ich glaube nicht, dass ihr das hören wollt.“ Von Toten hörte man nicht gerne und auch nicht von untergehenden Städten. „Geht mir genau so, auch wenn ich gemerkt habe, dass es gut tut sich hin und wieder jemandem anzuvertrauen.“ Vorsichtig legte sie mir eine Hand auf den Arm und ich hob den Blick. „Aber nur, wenn es jemand ist, dem man auch vertrauen kann.“ Wieder ein Seitenhieb. „Drei Menschen denen ich vertraut habe sind tot. Ich möchte nicht, dass ihr der nächste seid.“ Mit diesen Worten ließ sie mich stehen und kehrte in die Kajüte zurück. Das war nicht das, womit ich gerechnet hatte. Waren dies die seltsamen Zufälle, die in ihrer Umgebung passierten oder war es eine versteckte Warnung an mich? Möglich war es und wenn es stimmte, konnte ich das Misstrauen der Anderen ihr gegenüber nachvollziehen. Auch warum Monro wollte, dass sie beobachtet wurde. Es klang jedoch so, als würde ihr der Tod dieser drei Menschen nahe gehen und auch, als würde sie nicht wollen, dass mir etwas zustieß. Für den Rest des Tages sah ich sie nicht mehr. Gist versuchte aus mir heraus zu bekommen was Selena gesagt hatte, doch sie hatte Recht. Das ging ihn nichts an. Ich fragte ihn stattdessen, ob er etwas mehr über diese seltsamen Dinge wusste, die um sie herum passierten. „Zum Teil. Ich hatte einen guten Bekannten. Samuel Smith.“ Bei diesem Namen zog sich mein Inneres zusammen, doch ich sagte nichts. „Sein Sohn, Arthur, war in Boston stationiert. Ein guter Mann. Sehr ehrenhaft und ein Freund von William Johnson. Er wurde vor etwa zwei Jahren ermordet. Miss Berg war nicht nur zur selben Zeit am selben Ort, sie war seine Begleitung an dem Abend.“ Seine Begleitung. Irgendwie störte es mich, obwohl es zwei Jahre zurück lag und Smith nun tot war. Doch warum hätte sie etwas damit zu tun haben sollen? „Wie ist er ums Leben gekommen?“ „Er wurde vergiftet.“ Gift... Würde zu einer Frau passen. Hatte Selena daher so auf die Behauptung von Gist reagiert als er fragte, ob sie mich vergiften wollte? Dann fiel mir etwas ein. Vor ein paar Jahren hatte ich einen Brief in die Hände bekommen. Der Absender hieß Arthur Smith und wohnte in Boston. Dieser Smith hatte mit dem Orden zu tun. Das konnte nun kein Zufall mehr sein. „Kannten sie sich gut?“ Auch wenn es nun keine Rolle mehr spielte, wollte ich so viel wie möglich über ihre Vergangenheit erfahren. Sie selbst würde es mir sicher nicht erzählen, selbst wenn ich sie fragte. „Ich glaube schon. Sie waren immerhin gemeinsam auf diesem Empfang und ich glaube sie hat des öfteren das Fort besucht, in dem er stationiert war.“ Dann musste er einer von den dreien gewesen sein. Wer waren die anderen Beiden? Gehörte der junge Finnegan mit dazu? Diese Frage würde Gist mir nicht beantworten können und so ließ ich das Thema vorerst fallen. Obwohl ich in der Nacht nicht viel Schlaf bekommen hatte und entsprechend müde war, ging ich erst nach Anbruch der Dunkelheit nach unten. Wie nicht anders zu erwarten schlief Selena schon. Besser ich ließ sie in Frieden. Als ich mich auszog fiel mir der Verband wieder ein. Er hatte sich verfärbt. Da er über dem Hemd war konnte ich es nun nicht ausziehen und sicher würde ich alleine keinen guten Ersatz hin bekommen. Mit einem tiefen Seufzer ging ich zu ihr rüber und hockte mich vor die Bank. „Miss Berg?“ vorsichtig rüttelte ich an ihrer Schulter, doch sie murrte nur und zog die Decke höher. „Selena?“ versuchte ich es noch einmal und sie blinzelte. „Was ist los?“ fragte sie verschlafen und es tat mir leid, sie geweckt zu haben. Sicher konnte sie eben so gut Schlaf gebrauchen wie ich. „Tut mir leid, euch zu wecken. Hätte ich gewusst, dass ihr schon...“ Was hatte ich erwartet? Das sie auf mich wartete? Hätte ich am Mittag einfach das Hemd ausgezogen, hätte sie nun weiter schlafen können. Ich hatte sie in dem Moment nur nicht noch einmal darum bitten wollen. „Könntet ihr den Verband erneuern?“ Wenn sie nun ablehnte, musste ich sehen wie ich es alleine hin bekam, doch sie richtete sich auf und strich ihre Haare aus dem Gesicht. „Sicher.“ Sie klang so müde, dass es mir wirklich leid tat, sie geweckt zu haben. Als sie die Decke zur Seite schob stand ich rasch auf. Besser ich ließ ihr so viel Freiraum wie möglich. Nicht, dass sie sich bedrängt fühlte. Sie griff nach ihrer Jacke, die sie überzog und nahm ihren Rucksack. Wortlos deutete sie zum Tisch und ich folgte der Aufforderung. Das frische Verbandsmaterial und die kleine Flasche, in der sie etwas zum Reinigen hatte und das enorm brannte, legte sie neben mir auf die Tischplatte und ich lehnte mich etwas an. Sicher würde sie die Wunde wieder mit dem Zeug abtupfen. Vorsichtig löste sie den Verband und legte ihn zur Seite. „Zieht das Hemd aus“, sagte sie ohne mich anzusehen und ich zögerte. Der Ton, den sie angeschlagen hatte, ähnelte einem Befehl. Da ich mich nicht rührte, sah sie mich an und ihr wurde wohl klar, was mich irritiert hatte. „Ich meine...“ Doch sie musste den Satz nicht beenden. Natürlich musste ich das Hemd ausziehen. Das hatte ich eh vor gehabt, nur diese direkte Art von ihr und dieser Unterton... Fast so wie vor einigen Wochen bei den Finnegans. Ohne sie anzusehen zog ich mir das Hemd über den Kopf und mir stieg dabei etwas in die Nase, das mir nun doch unangenehm war. Das Hemd stank. Ich selber konnte nicht viel besser riechen und ich wusste, wie sehr sie es gehasst hatte, wenn ich angefangen hatte nach Schweiß zu riechen. Glücklicherweise sagte sie nichts dazu, obwohl ich ihr ansah, dass sie es bemerkt hatte. Schweigend wischte sie die Haut um die Wunde herum sauber und tupfte sehr vorsichtig die Wundränder ab. Dann verband sie die Stelle neu. Ihre Bewegungen wurden immer langsamer. Mir kam es so vor, als würde sie dagegen ankämpfen etwas zu sagen und als sie fertig war, schloss sie einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, zuckte sie zurück. Es sah so aus als hätte sie gerade ein Gespenst gesehen oder aber, dass ihr aufgefallen war, etwas falsch gemacht zu haben. „Was ist los?“ fragte ich, denn ich verstand die Reaktion nicht. Vorsichtig tastete ich den Verband ab, doch da schien alles in Ordnung zu sein. „Selena?“ Sie starrte mich an, Fassungslosigkeit im Blick. Kurz wischte sie sich über die Augen und starrte mich erneut an. Irgend etwas stimmte nicht. Ich trat einen Schritt auf sie zu, doch sie wich zurück. „Stimmt etwas nicht?“ „Nein, ich...“ Wieder wischte sie sich über die Augen, „Ich sollte mich wohl wieder hinlegen. Schlafen. Ich... fange an zu halluzinieren.“ Sie wandte sich ab und kehrte langsam zur Bank zurück, wobei sie den alten Verband zusammenknüllte. Konnte es sein, dass sie gerade unbewusst das getan hatte, was ich als Adlerauge kannte? Das war nicht möglich. Ihre Reaktion deutete darauf hin, aber so etwas passierte nicht ohne guten Grund. Es musste einen Auslöser dafür geben und den konnte sie nun nicht gehabt haben, es sei denn... „Ihr traut mir nicht. Ist es das?“ Ich griff nach meinem Hemd und sah sie an. Wenn sie mir nicht traute, und zugegeben, derzeit war ich nicht sehr vertrauenswürdig, da ich sie angegriffen hatte und sie überwachen sollte, konnte es sein, dass sie mich genau so wahrgenommen hatte. Als einen Feind. Das plötzliche Auftauchen einer rötlichen Aura musste erschreckend sein, wenn man nicht wusste, was es zu bedeuten hatte. Ich musste sicher gehen. „Was habt ihr gesehen, dass euch solche Angst macht?“ Denn sie hatte Angst. Sie sah sich in der Kajüte um, als suchte sie nach einem Ausweg. „Bitte, ich bin müde. Da passiert so etwas schon einmal“, wich sie aus. Also war es nicht das erste Mal, dass es vorgekommen war. Da ich sie weiterhin fragend ansah, setzte sie noch hinzu: „Ich möchte nicht, dass ihr mich für verrückt haltet.“ Dann hatte sie keine Ahnung, von dem was gerade mit ihr passiert war. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte mich wieder an den Tisch. „Ihr seid seltsam. Das war mir vom ersten Moment an klar, doch für verrückt halte ich euch nicht.“ Kurz konzentrierte ich mich auf sie und ihre Aura trat hervor. Noch immer war sie instabil, schwankte zwischen rot und blau, wechselte ins weißliche und wanderte wieder zu blau. „Ab und an kommt es mir so vor, als würde ich Dinge klarer sehen. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber... Es macht mich etwas nervös.“ Also doch. Sie hatte die Begabung, konnte sie aber nicht gezielt einsetzen. Im Normalfall müsste ich nun meinen Mentor benachrichtigen, doch ich war kein Assassine mehr und ich hatte keinen Mentor. „Manche Gegenstände werden hervorgehoben“, begann ich und ließ sie nicht aus den Augen. „Menschen und Tiere sind von einem leichten Schimmer umgeben und ihr seht Dinge, als würdet ihr durch eine Wand sehen.“ So in etwa konnte man es beschreiben. Einen Moment lang starrte sie mich nur an, dann nickte sie zögernd. Was nun? Es konnte Zufall sein, doch wie Gist und Monro gesagt hatten, gab es einfach zu viele Zufälle in ihrer Umgebung. „Seit wann habt ihr diese...“ Wie sollte ich es nennen? Gabe? Denn genau das war es. „Es fing hier an.“ Sie sah zu Boden, als wäre es an genau der Stelle passiert, wo sie nun stand. „Kurz nach dem...“ Sie brach ab und ich beendete den Satz in Gedanken. Kurz nach dem ich einen Menschen getötet hatte. Wie sollte ich nun mit ihr umgehen? Nicht jeder war in der Lage, diese Gabe zu nutzen und bei ihr war es ohne vorheriges Training aufgetreten. Sollte ich sie unterweisen? Ein solches Talent musste genutzt werden. Es konnte auch für sie wertvoll sein. Leider hatte die Sache einen Haken. Sie wäre in der Lage, mich zu durchschauen. Ich musste in Ruhe darüber nachdenken. Das Für und Wieder gegeneinander abwägen und ich musste mir wirklich sicher sein, dass sie die Gabe besaß. Doch nicht mehr heute. Es war einfach zu viel passiert, als das ich mich auch noch damit beschäftigen wollte. So ging ich zur Kommode rüber, um mir einen Schlummertrunk zu genehmigen. Den konnte ich nun wirklich gebrauchen und er würde ein wenig den Schmerz in meinem Arm betäuben. Als ich die Klappe öffnete, stand eine einzelne Flasche dort wo am Abend zuvor noch acht gewesen waren. Was sollte das nun wieder? „Selena?“ Ich nahm die Flasche heraus und versuchte gegen den Drang anzukämpfen sie zu zerschlagen und mit dem Stumpf auf sie los zu gehen. „Wo ist der Rum?“ „Ich habe es nur gut gemeint“, kam es kleinlaut von ihr, doch das war keine Antwort auf meine Frage. Sie hatte nicht das Recht dazu, mir meinen Alkohol weg zu nehmen. Sie war nicht meine Mutter oder irgend jemand, dem ich unterstand. Es verhielt sich genau anders herum. „Wo - ist - er?“ ob ich trank oder nicht, war ganz allein meine Entscheidung und ich ließ mir da nicht rein reden. Sie hatte ja keine Ahnung, was ich durchgemacht hatte. Sie konnte das nicht nachvollziehen. Ich brauchte den Rum, um schlafen zu können. Sie ging zu der Kommode in der ich meine Kleider hatte und holte hinter den Hemden einen Schlüssel hervor. Darum hatte sie sich also gekümmert, als ich sie dort hatte sitzen sehen. Von wegen aufräumen. Sie hatte die Flaschen weggeschlossen und den Schlüssel versteckt. Eine Flasche hatte sie mir gelassen. Immerhin etwas, doch warum mischte sie sich auf so eine Weise in mein Leben ein? Sie drehte den Schlüssel in ihren Fingern und sah elend aus. Natürlich merkte sie, dass ich wütend war und das war etwas, das sie wohl nicht gewollt hatte. „Ihr müsst das verstehen“, sagte sie leise. „So wie letzte Nacht, wollte ich euch nicht noch einmal erleben.“ Das war hart und sie hätte nicht deutlicher sagen können, wie wenig Kontrolle ich über mich hatte, wenn ich getrunken hatte. Natürlich hatte der Rum eine große Rolle dabei gespielt, doch nicht nur. Einen Moment lang sahen wir einander nur an und sie wirkte als rechnete sie damit, ich würde sie erneut schlagen. Ich hatte große Lust es zu tun, doch das hätte ich nicht auf den Rum schieben können. Sie wollte nicht, dass ich mich noch einmal betrank und ihr dann weh tat. Ich wollte es auch nicht. Langsam stellte ich die Flasche zurück und ging zur Koje. Das würde eine lange Nacht werden. Nur wenige Stunden nach dem ich eingeschlafen war, weckte mich einer meiner Träume. Verdammt. Schon wieder eine kurze Nacht mit zu wenig Schlaf. Es wäre ein leichtes aufzustehen und mir doch einen Schluck oder zwei zu genehmigen. Selena schlief, soweit ich das beurteilen konnte. Sie würde es nicht bemerken, doch wer garantierte mir, dass ich mich nicht wieder daneben benahm? So setzte ich mich auf und lehnte mich an die Wand. Draußen war es noch dunkel und ich hörte nur leises Plätschern von Wellen. Wieso nur kamen diese Träume immer wieder? Lag es daran, dass ich mich noch immer schuldig fühlte oder war es meine Strafe für das, was ich getan hatte? Wann würde es endlich nachlassen? Eine ganze Weile starrte ich nur an die Decke und versuchte meinen Kopf leer zu bekommen. Es dauerte bis ich das Geräusch von der Bank realisierte. Selenas Schlaf wurde unruhig, bis sie aufschreckte. Ich sah nicht zu ihr rüber. Also schlief auch sie schlecht. Erst als ich hörte, wie sie ihren Platz verließ, sah ich zu ihr. Sie hatte sich die Decke um die Schultern gelegt und ging zur Kommode, holte die Rumflasche heraus und kam zu mir. Wortlos ließ sie sich auf der Bettkante nieder und hielt mir die Flasche hin. „Wolltet ihr mich nicht davon fern halten?“ Versteh einer die Frauen. Erst machte sie so ein Theater deswegen und nun wollte sie, dass ich doch trank? „Schon.“ Sie sah auf, vermied es aber, mir direkt in die Augen zu sehen. „Aber ich möchte nicht, dass ihr um euren Schlaf kommt. Wenn das hier die einzige Möglichkeit ist, euch vor euren Träumen zu schützen, muss es wohl sein.“ „Warum liegt euch so viel daran?“ Langsam verstand ich wirklich nichts mehr. Ich war alles andere als freundlich zu ihr gewesen und sie versuchte noch immer dafür zu sorgen, dass es mir gut ging. „Ich sehe es nicht gerne, wenn jemand leidet. Und ihr leidet im Moment, da ihr nicht schlafen könnt.“ Das klang logisch. Da sie mir noch immer die Flasche hin hielt, nahm ich sie entgegen, trank aber nicht. „Ihr schlaft ebenfalls schlecht.“ Sie konnte sicher genau so gut einen Schluck vertragen wie ich, nur dass sie keinen Alkohol anfasste. „Nicht nur ihr habt einiges erlebt. In den letzten Jahren habe ich so manches Mal dem Tod ins Auge gesehen. Das verfolgt mich. Doch ich glaube, dass ihr weit aus Schlimmeres durchgemacht habt, als ich.“ Ihr Blick glitt über meinen nackten Oberkörper und ich spürte förmlich wie er die Narben entlang wanderte. „Es muss schrecklich gewesen sein“, sagte sie leise und in mir krampfte es sich zusammen. Es klang so, als wüsste sie, woher ich diese Narben hatte. Dabei hatte ich nichts erzählt. Wie konnte sie also irgend etwas wissen? Als sie mir nun in die Augen sah, wirkte sie traurig und wandte sich rasch ab. „Ihr redet im Schlaf.“ beantwortete sie die unausgesprochene Frage. Vielleicht hatte sie es mir angesehen, oder aber sie wollte der Frage zuvor kommen. „Nicht oft, aber als ihr krank ward habt ihr im Fieber vor euch hin gemurmelt. Ich kann nur ahnen, was ihr wirklich erlebt habt.“ „Wie viel wisst ihr?“ Denn wenn es stimmte, was sie sagte, dann konnte ich alles Mögliche erzählt haben. Und ich erinnerte mich nicht daran. Es war möglich, dass sie alles wusste. Von Lissabon, meinem Verrat, der Bruderschaft... „Genug, um den Rum zu verstehen.“ sie sah wieder auf, doch ich wich ihrem Blick aus. „Nicht genug, um euch verstehen zu können. Es ist unangenehm und auch schmerzhaft sich zu erinnern oder über das zu sprechen, was man erlebt hat, aber es tut gut sich jemandem anzuvertrauen.“ Möglich, dass es stimmte, doch ich konnte nicht darüber reden. Nicht mit ihr. Sie wusste schon viel zu viel. Auch als sie aufstand hob ich den Blick nicht. „Denkt darüber nach. Auch darüber, ob ihr mir wirklich vertraut. Wenn ihr eine Entscheidung getroffen habt, lasst es mich wissen. Gute Nacht.“ Mit leisen Schritten kehrte sie zu ihrer Bank zurück und legte sich hin. Eine ganze Weile saß ich noch da und starrte auf die Flasche in meiner Hand. Dann stellte ich sie auf den Boden und zog die Decke hoch. Vertraute ich ihr? Konnte ich ihr wirklich vertrauen? Sie bot mir immer wieder an, ihr alles zu erzählen und wenn ich ehrlich war, ich würde schon gerne einmal wirklich darüber reden. Nur wollte ich nicht, dass sie mich für das verachtete, was ich getan hatte. Kapitel 18: Gewissheit ---------------------- Kapitel 18 Gewissheit Am Morgen erwachte ich mit einem Plan im Kopf, als hätte mein Kopf die ganze restliche Nacht gearbeitet. Bevor ich nicht wusste, was genau hier gespielt wurde, würde ich mein eigenes Ding durchziehen und dazu brauchte ich Verbündete. Unabhängige Verbündete. Den Assassinen hatte ich den Rücken gekehrt und nun war ich in unmittelbarer Nähe von Templern, die mich auf ihre Seite ziehen wollten. Zwar sagten sie es nicht, doch ganz blöd war ich nicht. Es ging selbst bei diesem recht kleinen Auftrag vom Colonel eher um eine Angelegenheit des Ordens als um Militärangelegenheiten. Bei keinem meiner derzeitigen Verbündeten konnte ich mir sicher sein, dass ich ihnen trauen konnte. Gist war mit Monro befreundet, die Finnegans standen ebenfalls in guter Bekanntschaft mit ihm und Johnson war Templer durch und durch. Mit Jack hatte ich noch zu wenig Kontakt gehabt. Blieb noch Selena, die man mir zur Seite gestellt hatte und die ich meinerseits überwachen sollte. Mit ihr würde ich anfangen. Sie war anders als der Rest. So gut wie jeder misstraute ihr und sie hatte Geheimnisse. Viele Geheimnisse. Es gab eine Möglichkeit zu testen, ob sie mich letzte Nacht angeschwindelt hatte, oder ob sie wirklich die Gabe besaß. Wenn dem so war, konnte ich sie unterweisen, es zu beherrschen. Ich war niemandem mehr unterstellt und musste keinem gegenüber Rechenschaft ablegen, wenn ich dieses Wissen an eine andere Person weiter gab. Das Ganze war allerdings riskant. Ich musste für diesen Test einen Ort aufsuchen, der der Bruderschaft all zu bekannt war. Eine alte Höhle der Indianer. Kesegowaase hatte mich zum Training dort hin geführt. Es war möglich dort auf ihn oder einen anderen Assassinen zu stoßen, doch an keinem anderen Ort konnte man so gut lernen wie dort. Zur Sicherheit weihte ich niemanden in diesen Plan ein. Ich wollte nicht, dass Gist sich einmischte oder Selena etwas aufschnappte. Da sie ohnehin erst sehr spät an Deck kam, hatte sie vom Kurswechsel nichts mitbekommen. Gist bemerkte es sofort, als er zu mir ans Ruder trat. „Ich habe noch eine Kleinigkeit zu erledigen, bevor wir nach New York zurück kehren können“, wich ich seiner Frage aus. „Es wird nicht lange dauern und es ist besser, wenn ich das jetzt erledige.“ „Und um was geht es? Als erster Maat sollte ich wissen, wohin wir fahren.“ Eine geschickte Frage doch mich bekam er nicht so schnell dazu zu reden. „Das ist privat. Nichts gegen euch, aber auch ich habe ein paar Geheimnisse. Je weniger ihr wisst, um so besser ist es derzeit.“ Da sich seine Miene verfinsterte, setzte ich noch hinzu: „Macht euch keine Sorgen. In zwei, spätestens drei Tagen sind wir zurück und der Colonel bekommt seine Lieferung.“ Da ich den Weg zur Höhle nur über Land kannte, musste ich auf meinen Karten ein wenig suchen, um eine Strecke zu finden, die mich dicht genug an mein Ziel heran brachte. Dazu kam, dass es eine Strecke sein musste, die auch ein ungeübter Kletterer bewältigen konnte. Zum Glück gab es einen kleinen Nebenfluss, den ich nehmen konnte. Der würde mich dicht an mein Ziel bringen. Wir brauchten bis zum frühen Nachmittag, um den Punkt zu erreichen, den ich ausgewählt hatte. Selena hatte Wort gehalten und hockte nun im Mittelschiff mit einer kleinen Wanne voll Wasser und wusch meine Hemden. Ich hatte die Gelegenheit genutzt, dass sie nicht in der Kajüte war, und mich ein wenig frisch gemacht. Es war wirklich nicht einfach mit einer Frau zu reisen, denn ungestörte Momente gab es für mich so kaum. „Was wollt ihr an einem Ort wie diesen?“ fragte Gist als ich den Anker werfen ließ. Konnte er sich nicht einmal aus meinen Angelegenheiten heraus halten? „Etwas in Erfahrung bringen. Etwas Wichtiges.“ Ich warf Selena einen Blick zu, die ein wenig besorgt zum Ufer hinüber schaute. Sie fragte sich wohl genau dasselbe wie Gist. „Ich muss euch nicht daran erinnern, dass ihr verletzt seid und...“ doch das ging mir nun wirklich zu weit. „Gist, ich weiß was ich tue. Und ich muss es jetzt erledigen. Ihr bleibt hier und ihr haltet ein Auge auf die Umgebung. Ich gehe nicht davon aus, dass sich hier in der Gegend jemand aufhält der die Morrigan angreift, aber ihr solltet dennoch jedem Schiff misstrauen, das hier vorbei kommt.“ Doch ich rechnete nicht mit Schiffen. Der Nebenfluss war schmal und selbst die Morrigan war schon etwas groß für das Gewässer. „Mir gefällt das nicht. Warum könnt ihr mir nicht sagen, was ihr vor habt?“ Er wirkte nervös und auch verärgert. Doch ich blieb stur. „Damit ihr es mir nicht ausredet.“ Wieder sah ich zu Selena, die sich wieder der Wäsche zu gewandt hatte und ein wenig energischer als vorher mein Hemd bearbeitete. „Um diese Angelegenheit muss ich mich alleine kümmern.“ Langsam ging ich zu ihr hinunter und legte mir die passenden Worte zurecht. „Gibt es Probleme?“ fragte sie etwas besorgt, als ich näher kam. Natürlich, hier gab es nichts weiter zu sehen, als Bäume, Felsen und einen schmalen Streifen Strand. Kein Steg, keine Hütte oder irgend etwas, das auf Zivilisation hindeutete und es war noch zu früh, um für die Nacht zu ankern. „Keine Probleme, doch...“ Wie sollte ich es ihr erklären? Besser ich ließ sie solange im Unklaren, wie es möglich war. „Wenn ihr etwas Zeit habt, wie wäre es mit einem Landgang?“ Misstrauisch musterte sie mich. Verständlich nach dem, was passiert war. Sie traute mir noch nicht wieder, doch ich hatte, seit sie den Rum versteckt hatte, keinen Schluck mehr getrunken. Es war wichtig, dass ich mich unter Kontrolle hatte und eine neue Grundlage für ein gegenseitiges Vertrauen schuf. Zumindest, wenn sie dazu bereit war. „Warum wollt ihr mich mitnehmen? Sonst weiht ihr mich doch auch nicht in eure Aktivitäten ein.“ Stimmte, doch das hier war etwas anderes. Hier ging es um sie und nicht um irgend welche Missionen oder Aufträge. „Ich möchte nur sehen, ob ihr mir vertraut.“ Und nebenbei hoffte ich, mehr über sie zu erfahren. Sicher war sie gut darin Dinge zu verschweigen, doch unter bestimmten Umständen, war es nicht mehr möglich sich zu verstellen. Sie senkte den Kopf und warf dem Ufer einen unsicheren Blick zu. Ich konnte fast sehen wie sich die Gedanken in ihrem Kopf formten. Mit mir alleine von Bord zu gehen, in ein für sie unbekanntes Gebiet, war ein enormes Risiko. Dort würde sie niemand schreien hören und sollte sie vor mir weglaufen müssen, würde sie dort niemand finden. „Und wie wollt ihr dort hin kommen? Mit eurer Ausrüstung dürfte es schwer sein zu schwimmen.“ Wieder etwas, bei dem sie Recht hatte. Mich überraschte aber, dass sie dabei nur von mir sprach. Für sie konnte es nicht leichter sein sich über Wasser zu halten, es sei denn, dass sie doch schwimmen konnte. Noch etwas, das ich bei Gelegenheit in Erfahrung bringen musste. Fürs Erste ließ ich das Beiboot zu Wasser und ohne ein weiteres Wort brachte sie die Wäsche in die Kajüte zurück. Als sie wieder kam, hatte sie den Dolch am Gürtel. Soviel zum Thema Vertrauen. Nach mir kletterte sie ins Boot hinunter, wobei ich ihr ein wenig Hilfestellung geben musste. Ihr Gleichgewichtssinn war nicht der Beste und das kleine Boot schwankte bedenklich, als sie es erreichte. Zwei der Matrosen ruderten uns zum Ufer hinüber. Ich sah den Beiden an, wie wenig sie von Selena hielten und dass sie sich, genau wie Gist, fragten, was das alles sollte. Die kurze Strecke über schwiegen wir, und selbst als wir aus dem Boot kletterten sagte keiner ein Wort. Ich bat die beiden Männer, das Boot zu sichern und auf uns zu warten. Dann ging ich zügig auf den Wald zu, Selena hinter mir. Erst als wir ein gutes Stück auf dem schmalen Wildpfad gegangen waren, brach sie das Schweigen. „Nun, wie wollt ihr herausfinden, ob ich euch traue, oder geht es noch um etwas Anderes? Ertappt blieb ich stehen und wandte mich zu ihr um. Hatte sie auf der Morrigan oder im Beiboot noch unsicher gewirkt, so war nun nichts mehr davon zu sehen. Sie wirkte eher erwartungsvoll. Woher konnte sie wissen, dass ich noch einen anderen Grund hatte, sie mitzunehmen? War ich so durchschaubar? „Ihr seid hier. Das setzt ein gewisses Vertrauen voraus. Doch ihr habt Recht. Es gibt noch etwas Anderes.“ Wenn ich mich nicht täuschte, flackerte für einen Moment Angst in ihrem Blick auf, doch es verschwand gleich wieder. „Und was habt ihr vor?“ Darauf antwortete ich nicht. Sie würde schon noch merken, was ich wollte. Zügig ging ich weiter, achtete aber darauf, dass sie schritt halten konnte. Der Weg wurde steiler und an ein paar Stellen musste ich ihr helfen, damit sie weiter kam. Mich behinderte mein Arm und mehr als nur einmal fragte ich mich, ob ich nicht doch besser mit diesem Ausflug hätte warten sollen, bis ich wieder ganz hergestellt war. Doch vielleicht war dies meine einzige Möglichkeit. Dann erreichten wir ein kleines Plateau und dort lag der Eingang zur Höhle. Mir war warm geworden unter meiner Jacke und ich hörte Selena schwer atmen. Da war ich wohl etwas zu schnell für ihre Verhältnisse gelaufen. Oder aber sie war noch schlechter zu Fuß, als ich erwartet hatte. Wirklich eigenartig, wo sie doch in den vergangenen Jahren zwischen Boston und New York hin und her gereist war. „Ich möchte euch etwas zeigen“, sagte ich und deutete auf den Eingang. Fragend sah sie erst mich, dann das Loch im Felsen an. Ihre Augen verengten sich leicht. Da sie sich nicht rührte, ging ich voraus und nach kurzem Zögern folgte sie. Weit mussten wir nicht gehen. Nach rund zwanzig Schritten erreichte ich die gesuchte Stelle und blieb erneut stehen. Durch ein Loch, weiter oben, kam Sonnenlicht in die Höhle. Nicht all zu viel, doch es reichte aus, um die Malerei an der Felswand zu sehen. Zwei Figuren und ein paar Linien, die sie miteinander verbanden. Von wem genau dieses Bild war hatte mir nicht einmal Kesegowaase sagen können, als er mich hier her geführt hatte. Alles was er mir sagen konnte war, dass diese Bilder, es gab wohl noch mehr davon, einzigartig waren. Einem normalen Betrachter hatten sie nicht wirklich etwas zu bieten. Einfache, helle Strichzeichnungen auf dunklem Stein. Als ich sie das erste Mal gesehen hatte, hielt ich es für einen Scherz, bis ich gelernt hatte, das Adlerauge zu nutzen. Da änderte sich alles. Es hatte mich überrascht, verwirrt und mir Angst gemacht. Ich dachte, ich würde verrückt werden, als sich die Zeichnung vor meinen Augen verändert hatte. Selena ging an mir vorbei, direkt auf die Malerei zu. Ich ließ sie nicht aus den Augen. Obwohl nichts besonderes daran zu erkennen war, ließ sie ihre Finger leicht über den Stein gleiten und ihre Lippen bewegten sich, ohne dass sie etwas sagt. Das war nicht die Reaktion, die ich von ihr erwartet hatte. Mir kam es so vor, als habe sie damit gerechnet, hier auf eine Malerei zu stoßen oder aber dass sie schon einmal etwas Ähnliches gesehen hatte. Fast rechnete ich damit, dass sie von irgendwo ihr Notizbuch hervorholte und es abzeichnete, was natürlich nicht passierte. Mit fragendem Blick wandte sie sich mir zu. „Warum zeigt ihr mir das?“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich war neugierig.“ Und ich war es noch immer. „Seht es euch an.“ Sie gehorchte und wandte sich wieder dem Bild zu. „Ich kann nichts besonderes daran entdecken.“ Es hätte mich auch gewundert, wenn es auf Anhieb geklappt hätte. Und doch war ihr, als sie die Malerei gesehen hatte, ein Gedanke gekommen, den sie nicht hatte aussprechen wollen. „Kommt hier her und seht genau hin.“ Mit ein wenig Abstand ging es leichter, als wenn man direkt davor stand. Zu dem wollte ich, dass sie nicht zu weit von mir entfernt stand, wenn die erhoffte Veränderung eintrat. Es würde sie sicher wieder in Angst versetzen, so wie in der letzten Nacht. Mit einem leisen Seufzer, als hielte sie es für Zeitverschwendung, kam sie zu mir und stellte sich neben mich. Wieder sah sie zur Wand, ohne dass sie den Eindruck machte, etwas Anderes zu sehen, als Fels und Zeichnung. Entweder hatte ich mich geirrt oder aber es fehlte ein Auslöser. Ich trat hinter sie und unsicher sah sie über die Schulter zu mir hoch. Ich nickte nur zur Wand und sie drehte den Kopf. „Schließt die Augen und atmet tief durch.“ Genau das hatte sie letzte Nacht getan. „Dann seht noch einmal hin.“ Mir war klar, dass diese Situation nicht leicht für sie sein konnte. Sicher dachte sie noch immer daran, wie ich in der Nacht beinahe über sie hergefallen war. Hier in der Höhle war es dämmrig, sie war mit mir ganz allein und ich forderte sie auf, die Augen zu schließen. Daher konzentrierte ich mich, allerdings auf sie und nicht auf die Wand. Immer noch die beste Möglichkeit sofort zu erkennen, ob etwas nicht stimmte. Ihre Aura wurde sichtbar. Bläulich, hellte sich auf und wurde wieder blau. Wo war das Rot geblieben? Keine Spur war noch davon zu sehen. Wie konnte das sein? Zögernd streckte ich meine Hände nach ihr aus und legte sie ihr sacht auf die Schultern. Sie spannte sich leicht an, machte aber keinen Versuch, mir auszuweichen. Der Blauton um sie herum blieb. Da ich so dicht hinter ihr stand und mich zu dem voll auf sie konzentrierte, nahm ich noch mehr wahr. Ihren Duft. Anders konnte ich es nicht nennen. So nah war ich ihr bewusst noch nie gewesen und ich merkte, wie anziehend ich ihre persönliche Duftnote fand. Zu anziehend und meine Hände lagen noch immer auf ihren Schultern. Es fiel schwer dem Drang zu widerstehen, sie in die Arme zu schließen. Schon stellte ich mir vor, meine Hände über ihren Körper gleiten zu lassen. Ganz vorsichtig. Fragte mich wie es schmeckte, wenn ich ihren Hals küsste. Wie würde sie reagiere, wenn ich... „Wie ist das Möglich?“ Ihre Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Meine Konzentration ließ nach und der blaue Schimmer verschwand. Stimmte ja. Ich war aus einem anderen Grund hier. „Ist das Zauberei?“ Die Nervosität in ihrer Stimme machte klar, dass sie etwas Derartiges noch nie gesehen hatte. Deutlich erinnerte ich mich daran, wie ich mich gefühlt hatte, als sich das Bild vor meinen Augen verändert hatte. Dieses ineinander gleiten der Linien, Muster bildend und zu ihrem Ursprung zurückkehrend. War es Zauberei? „Nein“, war alles was ich dazu sagte. Mit Zauberei hatte es nichts zu tun. Diese Bilder waren auf dieselbe Art entstanden, wie die Edensplitter, nach denen so verzweifelt gesucht wurde. Leider hatte ich noch immer keine genaue Vorstellung davon, wie das alles zusammenhing. „Warum zeigt ihr mir das?“ fragte sie noch einmal und drehte sich zu mir um. Sofort nahm ich die Hände von ihren Schultern. „Was hat das zu bedeuten? Warum kann ich auf einmal solche Dinge sehen? Das kann nicht normal sein.“ Nicht normal... Dann wäre auch ich nicht normal. „Gehen wir zurück zur Morrigan. Ich erkläre es unterwegs.“ Jedenfalls soweit ich es erklären konnte. Die Höhle konnte uns nun nicht mehr verraten, als sie es getan hatte. Besser wir verschwanden von hier. „Was da eben passiert ist“, begann ich, als wir wieder ins Sonnenlicht traten, „Es ist eine Art Urinstinkt.“ Etwas langsamer, als auf dem Hinweg, gingen wir los. „Nicht jeder ist dazu in der Lage, ihn zu beherrschen. Bei vielen ist er soweit verkümmert, dass es unmöglich ist, ihn zu wecken. Ihr seid offenbar eine der Wenigen, die ihn noch nutzen können.“ Ich warf ihr einen Blick über die Schulter zu und sie senkte den Kopf. Wieder eine Reaktion mit der ich nicht gerechnet hatte. Sie hatte auf alles anders reagiert, als ich angenommen hatte. Gestern noch hatte sie kurzzeitig Panik gehabt, war nervös gewesen und vor mir zurückgewichen. Als sich vorhin die Malerei vor ihren Augen verändert hatte, war sie erstaunlich ruhig geblieben. „Wie oft ist es nun schon bei euch aufgetreten?“ fragte ich daher. Sie musste etwas Ähnliches schon einmal gesehen haben. Anders konnte ich es mir nicht erklären. „Nicht wirklich oft. Drei oder vier Mal, aber erst, seit ich hier bin. Früher gab es das nicht.“ Sie hielt den Blick weiterhin gesenkt und blieb stehen. „Ihr... beherrscht diesen Urinstinkt, sehe ich das richtig?“ Endlich sah sie mich wieder an. Unsicher, doch sie tat es. „Das tut ihr doch.“ „Einigermaßen“, gab ich zu und ging weiter, „Ich bin kein Experte und derjenige, der mir beibrachte, es zu beherrschen...“ ich brach ab und kurz schwiegen wir. „Könnt ihr mir etwas erklären?“ fragte sie nach einer Weile und als ich mich zu ihr umwandte, sah ich, dass sie wieder stehen geblieben war. „Kommt darauf an, um was es geht.“ Denn alles konnte ich sicher nicht erklären „Warum jetzt?“ Die Frage verstand ich nicht. Sie sah mich an und da ich nicht antwortete, fuhr sie fort: „Warum ist es jetzt dazu gekommen? Ich meine, was war der Auslöser? Ich habe schon einiges erlebt, aber erst seit ich hier bin ist dieses... dieser Instinkt oder was es auch ist, das erste Mal in Erscheinung getreten. Ich bin nichts Besonderes, das war ich nie. Warum passiert das ausgerechnet mir?“ Darauf wusste ich nun wirklich keine Antwort. Mich hatte man darauf trainiert, sie nicht. „Ich weiß es nicht“, sagte ich und wich ihrem Blick aus. „Es kann sein, dass es mit der Situation zu tun hatte, in der ihr beim ersten Mal wart. Sicher bin ich nicht, da ich die genauen Umstände nicht kenne.“ Beinahe bereute ich es schon, sie hier her gebracht zu haben. Sie war noch verwirrter als vorher. „Kann man es wieder los werden?“ Langsam schüttelte ich den Kopf. „Das nicht, aber man kann lernen, es zu kontrollieren.“ Ich sah zu ihr hoch und wies sie mit einer Handbewegung an, mir wieder zu folgen. „Wenn ihr es kontrollieren könnt, wird es nicht mehr ungewollt auftreten.“ „Könnt ihr mir das beibringen?“ Wieder sah ich sie an. Ich hatte gehofft, sie würde mir diese Frage stellen. Auch wenn es mich freute, hatte der Gedanke einen bitteren Beigeschmack. Sie wollte es beherrschen, damit es nicht wieder auftrat und nicht, um es zu nutzen. Dennoch nickte ich. „Ich werde es versuchen.“ Und wenn ihr es beherrscht, dachte ich, werdet ihr euch hoffentlich dazu entschließen, es nutzen zu wollen. Kapitel 19: Schatzsuche ----------------------- Kapitel 19 Schatzsuche „Links – Oben – Links – Ausweichen.“ Die Klinge der Übungswaffe traf Selena an der Hüfte und sie biss die Zähne zusammen. Ich hatte nicht all zu fest zugeschlagen, aber sie würde wohl einen weiteren blauen Fleck bekommen. Seit fast zwei Wochen unterwies ich sie nun schon im Kampf, doch ich konnte nicht sagen, dass sie große Fortschritte machte. Jeden Morgen, bevor sie anfing, sich um Haus und Garten zu kümmern, übte ich mit ihr den Umgang im Adlerauge. Abends, wenn es etwas abkühlte, trainierten wir mit stumpfen Klingen. Wenn ich sie traf, was doch recht häufig passierte, schrie sie nie. Sie fluchte oder verzog das Gesicht. Ich fragte mich, ob das ihre Art war, Stärke zu zeigen. „Noch einmal“, wies ich sie an, doch sie hob abwehrend eine Hand. „Sekunde.“ Sich die Hüfte haltend hob sie vorsichtig das linke Bein. „Verdammt“, zischte sie und rieb sich die Stelle, an der sie getroffen worden war. „Seid ihr verletzt?“ Dann würde ich es für heute gut sein lassen. Übertreiben wollte ich es immerhin nicht. Ich war ja nicht Liam, der einen bis an seine Grenzen gehen ließ. „Geht gleich wieder.“ Tief atmete sie durch, „Aber ihr könntet ruhig ein wenig sanfter sein.“ „Ein echter Gegner ist auch nicht sanft“, gab ich zurück, was sie lächeln ließ. Seit wir wieder in New York waren, hatte sie nur selten gelächelt. Sie war viel ernster als üblich und auch nachdenklicher. Natürlich sagte sie mir nicht was los war. So konnte ich nur raten und darin war ich bei ihr noch nie gut gewesen. „Einen echten Gegner würde ich auch anders behandeln.“ Sie deutete mit der Klinge in Richtung meiner Beine und ich verstand die Andeutung. „Ist das eine Art Universallösung bei euch?“ Bei unserer aller ersten Begegnung hatte ich Erfahrung damit gemacht, wie sie sich normalerweise gegen Männer zur Wehr setzte. „Vielleicht.“ Wieder lächelte sie. „In vielen Fällen ist es hilfreich, aber es klappt nur bei Männern. Und auch nicht bei allen.“ „Warum versucht ihr nicht, mich wie einen echten Gegner zu behandeln?“ Sie senkte den Blick und schob mit dem Fuß einen kleinen Stein zur Seite. „Das riskiere ich lieber nicht“, sagte sie leise und biss sich auf die Unterlippe. Dann hob sie die Klinge. „Also gut. Noch einmal.“ Doch sie war nicht richtig bei der Sache. Obwohl ich etwas langsamer und mit weniger Kraft zuschlug, traf ich sie noch zwei Mal und brach dann komplett ab. „Genug für heute.“ Es hatte so keinen Sinn mehr. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass der Treffer an der Hüfte noch immer schmerzte, doch ich sah, dass sie anders auftrat als vorher. Besser ich ließ sie für heute in Frieden, damit sie sich ein wenig auskurieren konnte. Als sie später in ihre Bleibe zurückkehrte und ich alleine im Fort zurück blieb, ließ ich mir das, was sie gesagt hatte, noch einmal durch den Kopf gehen. „Das riskiere ich nicht“, hatte sie gesagt. Was sollte schon passieren? Sie war in keiner Weise gut genug, um mich ernsthaft zu verletzen. Es hatte nicht einmal weh getan, als ihr vor ein paar Monaten die Hand ausgerutscht war. Da hatte es mich nur überrascht. Hatte sie sich daher nicht gegen mich gewehrt, weil sie mich nicht verletzen wollte? Passen würde es. Am nächsten Morgen merkte ich sofort an ihrem Gang, dass sie noch immer leichte Schmerzen hatte. Vielleicht hatte ich doch etwas zu fest zugeschlagen oder aber sie war überempfindlich. Ich musste mir in Erinnerung rufen, dass sie nur eine Frau war. Darauf musste ich wohl etwas mehr Rücksicht nehmen. Mittags kam Gist vorbei. Er hatte gute Neuigkeiten für mich. „Seit ihr vor zwei Wochen diese Banditen erledigt habt, ist es um einiges ruhiger geworden. Der Colonel ist sehr zufrieden.“ Das war zumindest ein Anfang. Die Sicherheit von New York lag mir persönlich am Herzen. Es war meine Heimat und nun, als erwachsener Mann, konnte ich mehr tun, als früher. Das war jedoch nicht der einzige Grund für Christophers Besuch. „Ihr habt bei diesen Schurken doch Karten gefunden.“ Karten, Dokumente und Briefe. Das Meiste davon war unbrauchbar gewesen. „Auf was wollt ihr hinaus?“ „Ich habe mir die Freiheit erlaubt einen Blick darauf zu werfen. Für mich sieht zumindest eine davon sehr nach einer Schatzkarte aus. Meint ihr nicht?“ und er zog die Karte aus seiner Tasche. Ich sah auf die Karte. Schatzsuche war nicht gerade etwas, mit dem ich meine Zeit vergeuden wollte. Andererseits hatte ich gerade nicht wirklich etwas, das all zu viel von meiner Zeit in Anspruch nahm. „Gut möglich“, gab ich zu, „aber glaubt ihr, dass sich so etwas lohnt?“ „Das weiß man vorher nie. Ihr seid nun seit fast zwei Wochen hier. Ein wenig Bewegung wird der Morrigan gut tun, meint ihr nicht?“ Nun, er war es nicht, der die Crew für einen solchen Ausflug bezahlen musste. Etwas eingehender musterte ich die Angaben auf dem Blatt. All zu weit war es nicht. „Wenn wir die Crew auf das absolute Minimum reduzieren, dürfte es gehen. Aber ich muss erst genau prüfen, wo sich diese Koordinaten befinden“, denn die Karte beinhaltete nur Koordinaten und eine grobe Zeichnung dessen, wo sich der mögliche Schatz befand. Keine Angaben darüber, ob es auf dem Festland oder auf einer Insel war. Ich ging zu dem Tisch hinüber, an dem ich den Teil meiner Karten aufbewahrte, die ich nur selten brauchte. Es war unpraktisch auf der Morrigan alles mitzuschleppen. Es machte den Raum der Kajüte nur unnötig voll. Nach kurzem Suchen fand ich eine Karte, auf der ich die gesuchte Koordinate ausfindig machen konnte. „Es ist eine Insel.“ Ich deutete auf den ungefähren Punkt, denn so genau war meine Karte nicht. „Irgendwo dort müsste es sein.“ Was hieß, dass ich wirklich mit der Morrigan fahren musste. „Soll ich der Crew Bescheid geben?“ Gist wirkte begeistert von der Vorstellung und ich gab nach. Auch mich zog es wieder aufs Wasser. „Gut. Aber wirklich nur so viele, wie wir brauchen. Ich möchte die Kosten so gering wie möglich halten.“ Denn wenn es sich nicht lohnte, waren weniger Männer zu bezahlen. „Es werden sicher nicht mehr als zwei Tage sein und die Risiken sind sehr gering. Wenn wir morgen in aller Frühe aufbrechen, sind wir morgen Abend zurück. Wenn das Wetter mitspielt.“ Gist machte sich auf, die Männer zusammenzutrommeln und ich suchte Selena. Wenn ich für ein paar Tage nicht hier war, sollte sie es wissen. Nicht, dass sie vor verschlossener Tür stand und sich womöglich Sorgen machte. „Dann wünsche ich euch eine gute Fahrt“, sagte sie und lächelte. In den letzten Tagen hatte sie oft ein wenig besorgt gewirkt, doch nun sah sie beinahe erleichtert aus. „Ich hatte die Hoffnung, ihr würdet mich begleiten.“ Als eine Art Training. Sie hatte noch immer Probleme mit dem Adlerauge und hätte mir sicher gut bei der Schatzsuche helfen können. Doch andererseits war es vielleicht wirklich besser, wenn sie hier blieb. Dann gab es weniger Gerüchte, sie betreffend, und ich würde mich nicht vor ihren Augen blamieren, sollte es keinen Schatz geben. „Danke für das Angebt, doch ich muss leider ablehnen.“ Ihr Blick wurde sanft. „Im Grunde trifft es sich gut, das ihr fort müsst.“ Sorgsam legte sie eine meiner frisch gewaschenen Hosen zusammen und strich die Falten glatt. „Und warum trifft es sich gut?“ hakte ich nach, da sie nicht weiter sprach. Wieder lächelte sie. Dieses Mal ohne mich dabei anzusehen. Ein Zeichen dafür, dass sie entweder nicht ehrlich war oder etwas verbergen wollte. „Da ich selbst ebenfalls für ein paar Tage fort müsste. Da bietet es sich an, es auf den Zeitraum zu legen, in dem auch ihr unterwegs seid.“ Sie wollte fort? Monro hatte mir gesagt, dass sie gerne für einige Zeit verschwand. War dies einer dieser Momente?“ „Wo werdet ihr hin gehen?“ fragte ich und legte meine Hand auf die nächste Hose, die sie falten wollte. „Frage ich, wohin eure Reise geht?“ wich sie aus und nahm statt der Hose ein Hemd. Als ich sie erneut unterbrach seufzte sie. „Habe ich eure Erlaubnis zu gehen? Immerhin bin ich eure Angestellte und ihr wisst, dass ich hin und wieder auch Aufträge vom Colonel, Master Johnson oder auch anderen entgegen nehme.“ Da hatte sie Recht und es war richtig, dass ich ihr erlauben musste, zu gehen. Sonst würde sie bleiben müssen. Allerdings hatte sie ihren eigenen Kopf und wenn ich ihr verbot zu gehen, würde sie in meiner Abwesenheit trotzdem verschwinden. Dann war es fraglich, ob sie zurückkommen würde. „Von mir aus, aber es gefällt mir nicht.“ „Master Cormac“, begann sie und zog mit einem Ruck das Hemd unter meiner Hand weg, „Ich kann auf mich aufpassen. Ihr habt mich immerhin dafür ausgerüstet und trainiert.“ Hatte ich, doch ich wusste, wie schlecht sie wirklich darin war, sich zu verteidigen. Das sagte ich ihr lieber nicht. Es war nicht gut, sich im Streit zu trennen. Früh am Morgen brach ich auf. Gist hatte wirklich nur so viele, wie für diese Reise unbedingt nötig waren, zusammen gerufen. Gut so. Sollte sich das alles als Fehlschlag erweisen, musste ich nicht all zu viele von meinem Ersparten bezahlen. Weit war es wirklich nicht. Wir brauchten bis zum Abend, um die kleine Insel zu erreichen. Noch einmal überprüfte ich die Koordinaten, um das Gebiet so weit wie möglich eingrenzen zu können. Dann setzen wir mit dem Beiboot zur Insel über, da es noch hell war und wir noch für mindestens eine Stunde Licht haben würden. Gist nahm ich dieses Mal mit. Es war seine Idee gewesen, dann konnte er auch bei der Suche helfen. „Ich hoffe wirklich, dass es die Sache wert ist“, denn noch immer hatte ich leichte Zweifel. „Möglich ist alles. Gebt dem Abenteuer eine Chance. Wer weiß, wann ihr wieder eine solche Gelegenheit bekommt.“ Ihm machte das alles Spaß. Kaum dass wir den Strand hinter uns gelassen hatten schloss er zu mir auf. „Wo habt ihr eigentlich Selena gelassen? Hatte sie kein Interesse?“ „Sie hat anderes zu tun, als mich auf einer Fahrt wie dieser zu begleiten“, antwortete ich und hoffte, ihn damit zum Schweigen zu bringen. „Anderes? Sagt nicht, dass sie abgereist ist.“ Er klang dabei, als würde er sich freuen, sie los zu sein. „Um ehrlich zu sein, ist sie das wirklich. In ein paar Tagen will sie wieder zurück sein.“ Zumindest hatte es so geklungen. Ein paar Tage konnten heißen, dass sie zwischen zwei und acht Tagen fort war. Genauere Angaben hatte ich von ihr nicht bekommen. Mir blieb nur darauf zu vertrauen, dass sie zurückkam. „Nun, dann stellt euch darauf ein, eine Weile auf sie verzichten zu müssen. Sie verschwindet gerne für etwas längere Zeit. Ihr Rekord liegt bei etwas mehr als einem Jahr.“ „Sie sagte Tage“, betonte ich noch einmal und sah ihn leicht verärgert an. „Nicht Wochen oder Monate.“ „Schon gut. Aber wundert euch nicht, wenn es doch etwas länger dauert.“ Er wischte sich über die Stirn und sah gen Himmel. „Ah, ich mag die Sonne, aber an Land ist es deutlich wärmer, als auf der Morrigan.“ Sonne war mir immer noch lieber als Regen. Er hätte seine Jacke ja auch auf dem Schiff lassen können. Ich hielt den Mund und ging weiter. Die Karte hatte ich dabei. Nur zur Sicherheit. Es begann gerade zu dämmern, als wir den Bereich der Koordinaten erreichten. Keine guten Voraussetzungen für den Rückweg, doch ich konnte mich verteidigen, sollten wir von jemandem, oder etwas, angegriffen werden. Immerhin gab ich hier wilde Tiere. „Also, hier in diesem Bereich“, ich umfasste mit einer Geste ein Gebiet von von rund dreißig Schritt, „Müsste sich die Stelle befinden.“ Ich sah auf die Karte und Gist stellte sich neben mich, um ebenfalls Zeichnung mit Landschaft zu vergleichen. „Die drei Bäume dort... das dürften diese hier sein.“ Ich wies auf eine Baumgruppe, die um einiges älter aussah, als die auf der Zeichnung, von der Anordnung aber zutraf. „Und das da hinten ist möglicherweise dieser Felsen.“ Warum nur hatte man Bäume als Kennzeichnung genommen? Die konnten gefällt werden oder bei einem Sturm oder Brand zerstört werden. Zu dem wuchsen sie und veränderten sich. Da waren Felsen schob etwas beständiger. Selbst Gebäude konnten einstürzen. Landschaften änderten sich. Geografische Koordinaten waren dagegen von Dauer und ich war froh, sie auf dieser Karte zu haben. „Dann müsste es da vorne sein.“ Gist deutete auf einen Felsvorsprung und ich verglich die Stelle. Konnte es wirklich so einfach sein? Anscheinend schon. Wir stiegen zu dem Vorsprung hinauf und sahen uns um. Gist entfernte sich ein paar Schritte und ich nutzte die Gelegenheit, dass er mich nicht ablenkte, um mich zu konzentrieren. Verborgene Dinge hatten ihre ganz eigene Schwingung und wenn man sehr aufmerksam war... Es dauerte nicht all zu lange und ich nahm ein leichtes Schimmern wahr. Eher wie ein Zittern, so wie die heiße Luft über einem Lagerfeuer. Auf dem Boden, an eben jener Stelle, ragte ein Stück Stein aus der Erde. Ich ging in die Hocke und strich über die Kante. Dieser Stein war größer als diese eine Ecke und nicht auf natürliche Weise so geformt worden. Ein Großteil davon war mit Sand und dunkler Erde bedeckt, so dass ich die genaue Größe nicht feststellen konnte. „Ich glaube, ich habe die Stelle gefunden“, rief ich über die Schulter und gleich darauf war Gist da. „Könnt ihr mir helfen? Ich habe keine Ahnung wie groß diese Platte ist.“ Zu zweit legten wir die Ränder der Steinplatte frei und stemmten sie danach hoch. Das was nun zu Tage kam war etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Selbst Gist sah alles andere als glücklich aus. In dem nicht sonderlich tiefen Loch unter der Platte lag kein Schatz. Mit Kettenhemd, Helm und Schwert auf der Brust lagen dort die sterblichen Überreste eines Menschen, der schon vor vielen Jahren verstorben sein musste. Ich konnte keinerlei Schmuck an ihm ausmachen. Weder trug er eine Kette noch Ringe. Das Grab sah nicht danach aus, als wäre es geplündert worden. Es war nur einfach nichts Wertvolles darin. „Da habt ihr euren Schatz“, sagte ich zu Gist und sah auf. Er schien enttäuscht, fing sich aber schnell wieder. Da es langsam dunkel wurde, wollte ich lieber von hier verschwinden. Nicht, dass ich an Geister glaubte, doch der Tote mochte es sicherlich nicht, dass wir seine letzte Ruhe störten. Gerade wollte ich mich wieder aufrichten, als mir etwas ins Auge fiel. Eine Hand hatte man um den Griff des Schwertes gelegt. Die andere lag neben ihm auf einer kleinen Schachtel. Als ich sie heraus nahm, erkannte ich im schwächer werdenden Licht eine Einlegearbeit auf dem Deckel. Schlagartig wurde mir klar, was das hier für ein Grab war. Der Tote trug zwar nichts, das ihn in irgend einer Weise identifizieren konnte, doch die Schachtel trug das Zeichen des Ordens. Das hier war ein Tempelritter. „Lassen wir ihm seinen Frieden“, sagte ich zu Gist und schob die Schachtel unter meine Jacke. Die würde ich mir auf dem Schiff genauer ansehen. „Kein Wort über diese Sache. Zu niemandem. Es ist besser, wenn nicht noch andere herkommen und seine letzte Ruhe stören.“ Wir schoben die Platte an ihren ursprünglichen Platz zurück und wandten uns zum Gehen. „Was ist mit der Schachtel?“ fragte Gist und ich legte die Hand an die Stelle, wo sie sich unter dem Stoff leicht abzeichnete. „Die sehen wir uns auf der Morrigan an. Es wird dunkel. Wir sollten uns beeilen.“ Wir waren nur zu zweit auf diese Insel gekommen. Es konnte schwer werden im Dunkeln das Beiboot zu finden und die Matrosen an Deck würden es nicht leicht haben, uns zu erkennen, wenn wir zum Schiff zurück ruderten. Den Rückweg legten wir so schnell es ging zurück. Wir mussten an manchen Stellen vorsichtig sein, da die Bäume dicht standen und der Boden uneben war. Durch mein Training bei der Bruderschaft war ich sehr trittsicher. Gist dagegen stolperte ab und an. Dazu war er deutlich zu hören. Ich musste daran denken, wie ich früher mit Liam unterwegs gewesen war. Wir hatten uns oft einen Spaß daraus gemacht, wer leiser laufen konnte und manchmal, wenn er hinter mir gewesen war, musste ich mich umdrehen, um sicher zu sein, dass er noch da war. Selbst Selena konnte leiser auftreten als Gist, doch sie wog auch weit weniger als er. Als wir den Strand erreichten, war die Nacht angebrochen. Wir konnten die Lichter der Morrigan sehen. Zumindest dachten die Männer dort mit und hatten die Positionsleuchten entzündet. Mit dem Beiboot kamen wir rasch zurück zum Schiff. Da es keinen Sinn hatte nun noch aufzubrechen, teilte ich nur noch eine Nachtwache ein und ging mit Gist in die Kajüte. Nach dem ich zwei weitere Lampen entzündet hatte, holte ich die Schachtel unter der Jacke hervor und legte sie auf den Tisch. Sie war alt, doch noch immer in recht gutem Zustand. Im Licht der Lampen war die Einlegearbeit noch besser zu erkennen. Kein Zweifel, es war die ursprüngliche Form des Templerkreuzes. Der Deckel ließ sich nicht so einfach öffnen. Die Schachtel hatte sich im Laufe der Jahre verzogen und ich musste meine Klinge zur Hilfe nehmen. Ganz vorsichtig öffnete ich sie und fand im Innern einen, in Stoff eingeschlagenen, Gegenstand. Der erste verrückte Gedanke war, es könnte sich um ein altes Artefakt handeln, doch ich verwarf die Idee wieder. Ein Templer wäre nicht so dumm gewesen, etwas so Wertvolles so leicht zugänglich zu verstecken. Gist trat näher heran und ich wickelte den Gegenstand aus. Es war eine kleine Steintafel mit Linien darauf. Nichts, was mich an die Vorläufer erinnerte. Der Stein war rechteckig und die Ränder an einigen Stellen eingekerbt. Es sah so aus, als müsste dort etwas angelegt werden. „Sieht nach einer weiteren Karte aus, meint ihr nicht auch?“ Kam es von Gist und ich gab ihm Recht. Das sah wirklich nach einer Karte aus. Besser, nach einem Kartenfragment. Das hieß also, es gab noch mehr von diesen Gräbern, mehr Steintafeln und mehr Karten, die den Weg zu ihnen zeigten. Vielleicht gab es doch einen Schatz. Einen alten Schatz der Tempelritter. Gerüchte und Legenden gab es viele. Ich glaubte nicht einmal an die Hälfte davon. Doch was, wenn sie so etwas wie einen Edensplitter besessen und ihn versteckt hatten? Die Karte, die mich hier her geführt hatte, hatte ich bei diesen Banditen gefunden, bei denen ich mir schon fast sicher war, dass sie von der Bruderschaft unterstützt wurden. Konnte es sein, dass auch die Assassinen hinter dem her waren, was die alten Tempelritter versteckt hatten? Wenn es so war, durfte ich nicht zulassen, dass sie Erfolg hatten. Kapitel 20: Eine böse Überraschung ---------------------------------- Kapitel 20 Eine böse Überraschung Es vergingen Tage, dann Wochen, ohne dass Selena zurückkehrte. Erst dachte ich mir nichts dabei, doch als sie selbst nach drei Wochen nicht auftauchte, begann ich mir Sorgen zu machen. Sie hatte von Tagen gesprochen. Hätte ich sie nur nicht gehen lassen. Ich wusste nicht einmal, wohin sie hatte gehen wollen. Nach einer weiteren Woche, der September war angebrochen, ging ich zu ihrer Unterkunft, doch sie öffnete nicht. Der Mann, der die Wohnung vermietete, hatte sie seit ihrer Abreise nicht mehr gesehen. Und er ärgerte sich, da sie mit der Miete im Rückstand war. Er sagte mir auch, dass bis vor kurzem noch jemand für sie gezahlt hatte, doch die letzte Zahlung war ausgeblieben. Wieder ein Rätsel, sie betreffend. Wer sollte für sie die Miete zahlen? In der Hoffnung, Monro habe sie auf Reisen geschickt, ging ich zu ihm. Er war bei seinem Stützpunkt und wie üblich fühlte ich mich hier alles andere als wohl. Bis vor ein paar Monaten, hatte ich die britischen Soldaten noch als Feinde angesehen. Nun konnte ich hier ungehindert ein und ausgehen. Auch der Colonel hatte keine Ahnung, wohin Selena verschwunden war. Schlimmer noch. Seine Miene zeigte leichte Enttäuschung. „Ich hatte die Hoffnung, ihr würdet dafür sorgen, dass sie nicht noch einmal geht.“ „Es klang so, als habe sie einen Auftrag erhalten. Daher dachte ich, ihr wüsstet davon.“ Ich bekam ein leicht schlechtes Gewissen. Er hatte mir aufgetragen sie zu beobachten und ich verlor sie aus den Augen. „Wie es aussieht, hat sie euch getäuscht. Wie lange ist sie nun schon fort?“ Kurz dachte ich nach. „Seit etwas mehr als einem Monat. Erst dachte ich, sie würde sich nur verspäten. Jetzt glaube ich eher, ihr ist etwas zugestoßen.“ „Davon würde ich nicht ausgehen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah in die Ferne. „Vor einiger Zeit ist sie für mehr als ein Jahr spurlos verschwunden. Damals hielt ich sie für tot. Aus gutem Grund, denn es gab Gerüchte darüber.“ Ich nickte, denn auch ich hatte sie für tot gehalten. Bis sie an meinem Krankenbett wieder aufgetaucht war. „Und sie hat euch nicht gesagt wo sie in dieser Zeit gewesen ist?“ „Nein. Ich weiß nur, dass sie nach jemanden suchen wollte und um dies ungestört erledigen zu können, ließ sie das Gerücht von ihrem Ableben verbreiten.“ Dann hatte sie ihn also ebenfalls getäuscht, oder täuschen lassen. Für mich bedeutete es, dass ich mich nicht darauf verlassen konnte, dass sie mir die Wahrheit erzählte. Als ob ich es je gekonnt hätte. Da ich noch immer nicht wusste, wohin sie verschwunden sein konnte, blieb mir nur noch eine Möglichkeit. Ihre Unterkunft. Vielleicht gab es dort Hinweise auf ihren Verbleib. Natürlich konnte ich nicht einfach so dort hinein. Außer natürlich ihr Vermieter ließ mich in die Wohnung. Hatte der einen Zweitschlüssel? Wie sollte ich erklären, dass ich in die Wohnung musste? Abends versuchte ich mir einen Plan zurecht zu legen, doch es wollte sich einfach keine vernünftige Lösung finden. Selbst Gist hatte keinen Vorschlag zu machen, als er vorbeikam und ich ihm davon erzählte. „Was erhofft ihr euch von einer Durchsuchung ihrer Sachen?“ Er nahm die kleine Schachtel in die Hand, die wir aus dem Grab mitgenommen hatten und ließ die Finger darüber gleiten. „Glaubt ihr wirklich, sie lässt etwas liegen, dass sie verraten könnte?“ Fragend sah er mich an und legte die Schachtel zurück. „Einen Versuch ist es wert. Außerdem klingt es so, als würde der Hausbesitzer sie in den nächsten Tagen aus der Wohnung werfen. Sie ist mit der Miete im Rückstand. Irgendwer hat bis vor kurzem für sie gezahlt. Ihr wisst nicht vielleicht wer?“ „Nein“, gab er trocken zurück. „Aber es ist seltsam. Warum sollte jemand für sie Geld ausgeben?“ Genau das hatte ich mich auch gefragt. Und auch, warum diese Person es nun nicht mehr tat. War es wegen ihrer Abwesenheit oder war etwas Unvorhergesehenes passiert? Am nächsten Tag ging ich noch einmal zu der Wohnung und sah an der Fassade hoch. Die Fensterläden waren geschlossen und kein Einsteigen möglich. Das Türschloss würde mich vor ein Problem stellen, zumal die Tür direkt an die Straße grenzte. Es war einfach unwahrscheinlich, dass es niemand bemerkte, wenn ich versuchte, es aufzubrechen. Tagsüber würde ich nicht unbemerkt einsteigen können. Außer ich legte es darauf an gesehen zu werden. Gerade wollte ich Anlauf nehmen, um die Tür einzutreten, da kam der Hausbesitzer um die Ecke. „Ihr schon wieder.“ Er wirkte ein wenig genervt. „Sie ist noch immer nicht zurück.“ „Sie ist im Mietrückstand?“ fragte ich, nur um wirklich sicher zu gehen, dass sich an dieser Situation nichts geändert hatte. „Das ist sie. Seit einer Woche.“ „Würdet ihr lieber jemand anderen hier wohnen lassen? Jemanden, der pünktlich zahlt?“ „Wer würde das nicht? Es gibt genug Leute, die her wohnen wollen. Aber es lässt sich nicht ändern. Ich kann sie schlecht auf die Straße setzen, wenn sie nicht da ist. Dadurch bekomme ich mein Geld auch nicht.“ „Habt ihr einen Schlüssel für die Wohnung?“ Denn dann musste ich nicht zu drastischen Maßnahmen greifen. „Natürlich nicht. Den habe ich Miss Berg gegeben. Ich habe keinen Ersatzschlüssel.“ „Ich komme für den Schaden auf“, sagte ich und trat die Tür ein. Das Material gab erstaunlich leicht nach und die Tür krachte an die Wand. „Was zum...“ doch ich ließ den Mann stehen und betrat den schmalen Hausflur, der zu einer ebenso schmalen und recht steilen Treppe führte. Bei jedem zweiten Schritt fürchtete ich, sie könnte zusammenbrechen, so sehr knarrte sie unter meinen Füßen. „Das ist Einbruch,“ rief mir der Besitzer nach, doch noch immer achtete ich nicht auf ihn. Oben angelangt, sah ich mich um. Durch die geschlossenen Fensterläden kam kaum Licht herein und so ging ich durch das Zimmer, um das Fenster und dann die Läden zu öffnen. Was ich dann sah, überraschte mich. Die Wohnung, oder eher das Zimmer, war wirklich klein. Ein schmaler Schrank, ein kleiner Ofen und ein ungemachtes Bett. Dazu eine Waschecke und eine Leine, die sich durchs halbe Zimmer spannte, auf der man Kleider trocknen konnte. Nahe am Fenster stand ein Tisch mit Stuhl und dort lagen Blätter, Bücher, Briefe und Schreibutensilien, sowie Nähmaterial. Auf dem Boden, um den Tisch herum, lagen zerknüllte Blätter. Über der Stuhllehne hing ein Rock, an der Leine Socken und eine Bluse. Es wirkte so, als wäre hier vor kurzem noch jemand gewesen und es war unordentlich. Ich hob eines der Blätter auf und strich es glatt. Was auch immer darauf stand, ich konnte es nicht lesen. Nicht nur die Sprache kannte ich nicht, auch die Schrift war in meinen Augen unleserlich. Hatte Liam, der damals in ihr Notizbuch gesehen hatte, nicht das selbe Problem gehabt und nicht lesen können, was dort geschrieben stand? „Ich rufe die Wachen, wenn ihr nicht augenblicklich verschwindet“, begann der Mann von neuem und ich wandte mich ihm zu. „Das ist nicht nötig. Ich sagte schon, ich komme für den Schaden auf. Und ich zahle den Mietrückstand.“ Den würde ich ihr vom Lohn abziehen. „Ihr könnt euch nach einem neuen Mieter umsehen. Miss Berg zieht heute aus. Sollte sie in den nächsten Tagen hier auftauchen, könnt ihr ihr mitteilen, dass ihre Habe bei mir ist.“ Im Fort konnte ich mir in aller Ruhe ansehen, was sie hier zurückgelassen hatte. Der Mann begann vor sich ihn zu stammeln und ich trat einen Schritt auf ihn zu. „Macht euch keine Sorgen. Ich werde gut auf all das hier aufpassen“, und ich machte eine Geste ihre Dinge umfassend. Noch einmal sah er mich unsicher an, doch als ich ihm ein paar Münzen in die Hand drückte, hellte sich seine Miene auf. Ich schickte einen Boten zu Gist und nutzte die Zeit, bis zu seinem Eintreffen, um mich weiter umzusehen und schon die ersten Dinge zusammenzuräumen. Ich begann damit die zerknüllten Blätter vom Boden aufzulesen und strich sie nacheinander glatt. Auch wenn sie die hatte wegwerfen wollen, für mich konnten sich dort Informationen befinden. Jedenfalls, wenn ich herausfand, welche Sprache es war. Es waren allerdings nicht nur beschriebene Blätter, sondern auch durchgestrichene Zeichnungen. Waren die wirklich von ihr? Einige sahen so aus, als wären sie aus einem Buch heraus gerissen worden und ich sah zu dem kleinen Stapel an Büchern auf dem Tisch. Darum würde ich mich später kümmern, wenn ihre Sachen bei mir untergebracht waren. Nun schob ich nur alles zusammen, was noch auf dem Tisch war, und nahm die Wäsche von der Leine. Gerade als ich den Kleiderschrank öffnete, hörte ich Schritte auf der Treppe. Am schweren Gang erkannte ich Gist und sah nicht auf. Mich beschäftigte etwas ganz Anderes. Im Schrank befand sich eine überschaubare Anzahl an Kleidungsstücken. An einem Kleiderbügel hing der Waffengurt samt Rapier. Dann hatte sie es also nicht verkauft. Doch da war noch etwas und ich griff danach, gerade als Gist den Raum betrat. „Ich hätte nicht gedacht, dass ihr wirklich hier einbrecht“, sagte er und kam zu mir rüber. Ich sah ihn nicht an, sondern starrte auf die Jacke, die ich gerade aus dem Schrank geholt hatte. Die Jacke eines Assassinen. „Was ist das?“ fragte Gist und ich strich über den groben, grauen Stoff. Es gab keinen Zweifel. Das hier war meine alte Jacke. Wie kam die hier her? Warum hatte Selena meine Jacke in ihrem Schrank hängen? Hatten die Finnegans mir nicht gesagt, sie wäre nicht mehr zu retten gewesen? Ich erkannte die Stelle, an der Liams Kugel eingeschlagen war. Sorgsam war das Blut ausgewaschen und das Loch zugenäht worden. Auch andere Flecken, von früher, waren verschwunden. Gut, sie war nicht wie neu, aber doch tragbar. „Ich glaube, da ist mir jemand eine Erklärung schuldig“, sagte ich leise, nahm die Jacke vom Bügel und warf sie aufs Bett. Dann sah ich zu Gist. „Die gehört mir. Ich wüsste zu gerne, wie sie hier her gekommen ist. Aber das wird sie mir sicher erzählen, wenn sie zurück kommt.“ „Glaubt ihr?“ Er klang ungläubig, doch ich nickte. „Sie wird keine andere Wahl haben.“ Denn ich würde ihr keine Wahl lassen. Ihre kleinen persönlichen Geheimnisse konnte sie gerne behalten. Auch was ihre seltsame Vergangenheit anging, über die sie nicht sprechen wollte. Das hier war etwas, was mich persönlich betraf und ich hatte ein recht auf die Wahrheit. Dann räumte ich den Schrank aus und legte alles weitere aufs Bett. „Die Sachen nehmen wir mit. Zu zweit dürfte es gehen, alles zu tragen.“ Denn so viel hatte sie wirklich nicht hier gelassen. Ihre Bücher und die beschriebenen Blätter wickelte ich in einen Rock ein, damit nichts wegwehen konnte. Gist drückte ich ein paar Kleidungsstücke in die Hände, den Rest nahm ich an mich. Bevor wir gingen, sah ich mich noch nach möglichen Verstecken um, hob Kissen und Matratze an und sah auf den Schrank. Nichts. „Gehen wir. Hier sind wir fertig.“ Kapitel 21: Antworten --------------------- Kapitel 21 Antworten „Sehr geehrte Miss Berg. Da ich Euch nicht angetroffen habe und die Finnegans mir nicht sagen konnten, wann Ihr zurückkehrt, bleibt mir nur die Hoffnung, dass Euch diese Zeilen rechtzeitig erreichen. Ich habe lange über Eure Worte nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass Ihr in gewisser Weise richtig liegt. Nach allem was bisher geschehen ist, dürfte es besser sein, wenn ich mich vorerst selbst um diese Angelegenheit kümmere. Dennoch hoffe ich, dass Ihr meiner Bitte nachkommt, sobald es unserem Bekannten besser geht. Ich bin überzeugt, dass Ihr eher als ich in der Lage seid, zu ihm durchzudringen. Verbindlichst Colonel George Monro. Mai 16th 1756“ Das brachte mich nicht weiter. Seit nun mehr zwei Wochen versuchte ich aus dem, was ich in Selenas Unterkunft gefunden hatte, Anhaltspunkte zu bekommen, wo sie steckte. Doch die wenigen Briefe, die sie dort aufbewahrt hatte, waren alle zu alt und warfen eher Fragen auf, als sie zu klären. Drei Notizbücher hatte ich gefunden. Voll mit Texten und Zeichnungen, doch ich verstand sie nicht. Nur ab und an tauchten Namen auf. Darunter mein eigener. Auch bei einigen Zeichnungen war ich mir sicher, dass sie mich darstellen sollten. Schlafend. An Deck der Morrigan. Beim Training an den Strohpuppen hinterm Haus. Sie hatte mir weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als ich gedacht hatte. Die wenigen Namen, die sie aufgeschrieben hatte, brachten mich eben sowenig weiter, wie die Briefe. Nur einer konnte möglicherweise nützlich sein. Erst hatte ich Johnson gelesen, doch nach dem ich ein paar mal häufiger darauf geschaut hatte, war daraus ein Jones geworden. Eine Frau in Boston. Ich fragte Gist nach ihr und er runzelte die Stirn, als er den Namen hörte. „Ich kenne eine Mrs Jones in Boston. Nicht all zu gut, aber ich durfte sie kennenlernen. Sie verkehrt in etwas anderen Kreisen als ich. Ihr Mann war ein hohes Tier beim Militär und sie kennt viele Offiziere in der Stadt.“ Wieder das Militär. Selena hatte erwähnt, dass sie in dem ein oder anderen Fort gewesen war. Gut möglich, dass dieser Kontakt über einen Soldaten hergestellt worden war. Vielleicht sogar über Monro, der ja Colonel der britischen Armee war. In mir kam der Verdacht auf, dass es zwischen Selena und Boston eine Verbindung gab, die mir niemand erklären wollte, oder es konnte. Seit sie einen Fuß in die Kolonien gesetzt hatte, war sie immer wieder dort aufgetaucht. Gut möglich, dass sie auch jetzt dort war, und ich spielte mit dem Gedanken, dort hin zu segeln und der Sache auf den Grund zu gehen. Doch ich konnte hier nicht weg. Es war verrückt. Solange Selena nicht wieder hier war, wollte ich nicht auf Reisen gehen. Nicht einmal um sie zu suchen, denn es konnte sein, dass sie in meiner Abwesenheit zurückkam. Dann stand sie vor einer verschlossenen Tür, ohne eigene Unterkunft. Mir blieb nichts anderes übrig als abzuwarten. Erst Mitte Oktober, als ich schon beinahe die Hoffnung aufgegeben hatte, sie noch einmal zu sehen, tauchte sie wieder auf. Ich kam gerade von einem Treffen mit Monro zurück, der sich nach meinen Fortschritten, meine Suche betreffend, erkundigt hatte. Als ich durch den Torbogen trat, sah ich sie, wie sie am Brunnen saß, den Rucksack zu ihren Füßen und die Hand durchs Wasser gleiten ließ. Wie zufrieden sie aussah. Hatte sie noch nicht gemerkt, dass sie kein Dach mehr über dem Kopf hatte? Sicher würde sie nicht so unbeschwert aussehen, wenn sie es wüsste. Es war wirklich seltsam, dass sie hier saß, als wäre alles in bester Ordnung. Fast zwei Monate war sie fort gewesen, ohne ein Lebenszeichen. Eine ganze Weile stand ich nur da und sah sie an, bis sie den Blick hob und mich bemerkte. „Master Cormac.“ Sie stand auf und trat ein paar Schritte auf mich zu, blieb dann jedoch stehen. Vielleicht sah sie mir an, dass ich leicht verärgert war, wegen ihrer Verspätung. Nun da sie vor mir stand fiel mir etwas auf. Schuhe, Kleid und Frisur sahen nicht danach aus, als wäre sie unterwegs gewesen. Es hatte in der letzten Nacht stark geregnet und die Wege waren schlammig. Selbst die Straßen hier in der Stadt waren nicht gerade sauber, doch ihr Rocksaum wies kaum Schmutz auf. „Gist sagte, ihr wolltet mich sprechen.“ Keine Entschuldigung. Kein Anflug von schlechtem Gewissen, da sie zu spät kam. Nicht das geringste Anzeichen dafür, dass es ihr leid tat. Nein. 'Gist sagt, ihr wolltet mich sprechen.' Mehr hatte sie mir nicht zu sagen? Auch ich machte einen Schritt auf sie zu, blieb jedoch auf Abstand. „Das ist richtig. Wo ward ihr? Ihr sagtet etwas von ein paar Tagen, nicht von Monaten.“ Sie besaß genügend Anstand nun den Kopf zu senken. Immerhin etwas. „Ich wurde aufgehalten. Es tut mir leid, dass ich euch keine Nachricht habe zukommen lassen, dass es länger dauert.“ So ehrlich es auch klang, ich glaubte ihr nicht. „Aufgehalten.“ Gab es eine schwächere Ausrede? „Wie auch immer, ich habe einige Fragen und die sollten wir besser nicht hier klären.“ Nicht an einem Ort, von dem sie hätte fliehen können. Ich würde sie nicht gehen lassen, bevor ich Antworten hatte. Ich machte eine Geste zum Wohnhaus und sie folgte nach kurzem Zögern, ihren Rucksack in der Hand. Sorgsam verschloss ich die Tür hinter ihr und ging dann voraus, hoch in mein Arbeitszimmer. In den vergangenen Wochen hatte ich versucht selbst für ein wenig Ordnung zu sorgen, doch mir lag es einfach nicht. So hatte sich schon wieder eine leichte Staubschicht auf alles gelegt. Das Feuer im Kamin war noch nicht ganz herunter gebrannt und da ich es mir angewöhnt hatte es fast durchgehend in Gang zu halten, war es angenehm warm. Wieder schloss ich hinter ihr die Tür und merkte, wie sie sich umsah, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Natürlich. Sie sah, dass ich mir in ihrer Abwesenheit nicht die Mühe gemacht hatte alles sauber zu halten. Das war ja auch ihre Aufgabe. Nicht meine. Als sie ihre Tasche abstellte ging ich weiter. Es war einfacher, wenn sie einen Anstoß bekam, sich zu erklären. Zu dem würde sie, sobald sie die Jacke sah, wissen, dass sie ein Problem hatte. Angrenzend ans Arbeitszimmer, hatte ich einen Raum, in dem ich meine Ausrüstung verwahrte. Natürlich hatte ich nicht alles hier. In einem der Nebengebäude, das früher wohl einmal hier stationierten Soldaten als Lagerhaus gedient hatte, war ich auf einige alte Waffenständer gestoßen. Grob vom Schmutz befreit hatte ich sie mit hier her genommen und legte nun jeden Abend meine Waffen darauf ab. Auch ein paar Kleiderständer hatte ich dort gefunden, auf denen wohl Uniformen oder ähnliches gewesen sein mussten. Nun hing auf einem davon die Jacke, die ich aus ihrer Unterkunft mitgenommen hatte. Hier hatte ich nur einen kleinen Tisch, an dem ich meine Waffen pflegen konnte. Zu diesem ging ich, da er am nächsten an der Jacke war, drehte mich zu Selena um und lehnte mich an die Tischplatte. Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie bemerkte, dass hier etwas hing, das nicht da sein dürfte. Ein paar Sekunden lang sahen wir einander nur an, dann glitt ihr Blick neben mich und ich erkannte aufkommende Angst in ihren Augen. „Ich hätte es euch sagen sollen“, sagte sie leise und senkte den Kopf. „Ich...“ doch sie brach ab. Ja, sie hätte es mir sagen sollen. „Ihr wisst also, warum ich euch sprechen wollte?“ „Ich kann es mir denken, aber... Es tut mir leid. Wirklich. Ich hätte sie euch zurückgeben sollen. Die Finnegans meinten, ihr hättet sie zurückgelassen und ich habe nur versucht sie zu retten.“ Retten? Nun, das hatte sie getan. Ich konnte sie wieder anziehen, wenn ich denn wollte. Sie biss sich auf die Unterlippe und sah noch immer zu Boden. Doch ich war noch nicht zufrieden mit der Antwort. Daher schwieg ich und wartete auf mehr. „Ihr hattet sicher einen Grund sie dort zu lassen und ich wollte abwarten bis...“ sie sah mich an und die altbekannte Trauer, wenn es um meine Vergangenheit ging, war in ihren Blick zurückgekehrt. „Nun bis ihr mir von euch aus erzählt was passiert ist. Ihr habt euch verändert und ich war mir sicher, dass an der Jacke Erinnerungen hängen, die ihr lieber vergessen wollt.“ Diesen Blick mochte ich nicht und da sie mit ihrer Vermutung richtig lag, widmete ich meine Aufmerksamkeit kurzzeitig meinen Stiefeln, um ein wenig Zeit zu gewinnen. Dann sah ich selbst zu der Jacke hinüber. „Ihr habt recht. Sie steckt voller Erinnerungen.“ Erinnerungen an meinen besten Freund, der versucht hat, mich zu töten. „Darum hat es mich nicht gestört, als man mir sagte, sie sei nicht mehr zu retten gewesen. Könnt ihr euch vorstellen, wie es war, sie bei euch zu finden?“ Sie antwortete nicht. Langsam, meinem Blick ausweichend, trat sie auf den Kleiderständer zu. Ihre Finger glitten über den Stoff und sie sah aus, als wüsste sie ganz genau, wie es in mir aussah. Dann veränderte sich ihre Miene und in die Erkenntnis, dass ich in ihrer Unterkunft gewesen war, legte sich auf ihre Züge. Dennoch sah sie mich nicht an, als sie leise fragte: „Warum ward ihr in meiner Bleibe?“ Langsam trat ich an sie heran, bewahrte jedoch einen gewissen Abstand. Ich wollte nicht, dass sie sich durch meine Nähe bedrängt fühlte. „Ihr kamt nicht zurück. Ich hatte die Hoffnung, etwas zu finden, dass mir sagt wo ihr steckt.“ Nun drehte sie sich zu mir um und starrte mich an, als hätte ich etwas gesagt, mit dem sie nicht gerechnet hatte. War es denn so unglaubwürdig, dass ich mir Gedanken über ihren Verbleib machte? „Seid ihr fündig geworden?“ Nein, das war ich nicht, sonst hätte ich mir keine weiteren Sorgen machen müssen, hätte einen Boten zu ihr geschickt oder wäre selbst los gesegelt, um zu sehen, ob es ihr gut ging. „Das nicht“, gab ich zu und obwohl mir ihr Blick unangenehm war, wich ich nicht aus. „Es hat nur weitere Fragen aufgeworfen.“ „Was für Fragen?“ Wieder richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Jacke, was mich nun doch ein klein wenig ärgerte. Wenn ich ihr Gesicht nicht sah, wusste ich nicht, ob sie mich anschwindelte. „Wo ward ihr? Ihr hattet keinen Auftrag vom Colonel und auch nicht von Johnson. Die wussten nämlich nichts von eurer Abreise.“ Und ich stand wie ein Idiot da, weil ich ihr geglaubt hatte. „Das ist privat“, gab sie zurück. „Aber ich habe auch eine Frage.“ Sie drehte sich um und ich sah einen leichten Anflug von Zorn in ihrem Blick. „Was ist aus meinen Sachen geworden? Die Wohnung ist neu vermietet. Mein Schlüssel passt nicht mehr. Wo sind meine Kleider, die Bücher, meine Notizen? Und vor allem: Wie seid ihr in meine Bleibe hinein gekommen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein ehemaliger Vermieter euch einfach so hinein gelassen hat.“ Ich seufzte. Es war klar, dass sie diese Fragen stellen würde und auch, dass sie mir nicht sagte, wo sie gewesen war. „Eure Sachen sind hier. Ich wollte nicht riskieren, dass sie entsorgt werden.“ Und ich hatte sie mir ansehen wollen. „Was den Vermieter angeht, der wollte euch eh hinauswerfen. Wer auch immer eure Miete gezahlt hat, hat damit aufgehört und ihr ward im Rückstand.“ Das war ihr nun unangenehm. Ich fragte mich, was für sie schlimmer war: Die Zahlungseinstellung ihres mysteriösen Gönners, ihr Mietrückstand oder aber, dass ich davon erfahren hatte. Es sorgte auf jeden Fall dafür, dass sie nicht weiter fragte und ich gab mir einen Ruck. Monro wollte noch immer, dass ich sie unter Beobachtung behielt. Sie hatte keine Unterkunft mehr und ich wollte mich nicht weiter mit ihr über diese Thema unterhalten, da es so aussah, als würde es nur wieder zu Streit führen. „Nun, da ihr keine Unterkunft mehr habt“, ich machte eine kleine Pause und atmete tief durch. „Hier ist genügend Platz für zwei.“ „Ich soll hier bleiben?“ Diese Wortwahl irritierte mich ein wenig. Sollen. Nicht dürfen oder können. Es war nur ein Angebot und keine endgültige Entscheidung meinerseits. So wie sie es sagte klang es, als wollte sie nicht hier bleiben. „Bis ihr etwas Anderes gefunden habt. Es sei denn, ihr wollt euch gleich etwas Anderes suchen. Es ist nur ein Angebot. Immerhin sind eure Sachen eh hier und da ihr für mich arbeitet...“ wieder brach ich ab. Vielleicht hatte ich mich etwas zu weit vorgewagt, doch es würde vieles leichter machen, wenn sie hier blieb. „Nein. - Ich meine -“ Ihr Blick huschte kurz durch den Raum, dann lächelte sie. „Danke für das Angebot. Wenn es wirklich in Ordnung ist, dann bleibe ich hier.“ Kurz sah es so aus, als wollte sie noch etwas sagen, doch dann schwieg sie und ich trat auf sie zu. „Dann zeige ich euch euer Zimmer.“ Und ich ging voran zu der Kammer, in der ich ihre Sachen aufbewahrte. Da ich nicht gewusst hatte, ob sie hier bleiben würde oder nicht, hatte ich ihre Kleider auf das Bett gelegt, den Rest auf den kleinen Tisch, den ich in das Zimmer gestellt hatte. Zugegeben, es war etwas kleiner, als ihre vorherige Unterkunft, doch ich war mir sicher, dass es für sie auch Vorteile mit sich brachte, hier zu wohnen. Von dem Tag an lebten wir unter einem Dach. Die ersten Tage, und vor allem die Nächte, waren etwas ungewohnt. Zu wissen, dass ich nicht alleine war, ließ mich etwas ruhiger schlafen. Die Wände waren dünn, doch ich hoffte, dass sie es nicht mitbekam, wenn ich doch einmal aus einem Traum aufschreckte. Im Bad brachte ich einen Riegel an, damit die Tür von innen verschlossen werden konnte. Ich wollte nicht von ihr gestört werden oder aber sie stören, wenn sie sich frisch machte. Auch ihre Tür ließ ich mit einem Schloss versehen und gab ihr den Schlüssel. So konnte sie, wenn sie es denn wollte, ihre Sachen einschließen, wenn sie das Haus verließ. Was ich ihr nicht sagte war, dass ich einen Zweitschlüssel besaß. Ich hoffte, ihn nie zu brauchen, doch sicher war sicher. Wir nahmen das Training wieder auf und ich versuchte immer wieder ein paar Antworten aus ihr heraus zu bekommen, wenn sie am wenigsten damit rechnete. Mir fiel auf, dass sie abends, nach dem Training, zugänglicher war. So erfuhr ich, dass sie ihre Verwandtschaft in Philadelphia besucht hatte. Den kleinen Rest, den es noch gab. Sie hatte feststellen müssen, dass nur noch eine Tante übrig war, der es nicht gut ging. Daher hatte es so lange gedauert mit ihrer Rückkehr. Auch erzählte sie mir, wenn wir abends noch zusammen saßen, ein wenig mehr über sich und ihre Erlebnisse. Dabei beschränkte sie sich leider auf die letzten vier Jahre. Die Dinge, die mich wirklich interessierten, sprach sie ebenfalls nicht an. Dennoch kamen wir irgendwann auf ihre Zeit in Boston zu sprechen. Da es am Nachmittag heftig angefangen hatte zu regnen, war unser Training ausgefallen und wir saßen stattdessen im Arbeitszimmer. Einem der wenigen Räume im Haus, die wirklich warm waren, sah man von der Küche ab. „Ihr seid recht häufig dort.“ Von meinem Platz am Schreibtisch sah ich zu, wie sich ihre Hände gleichmäßig bewegten. Sie strickte an etwas, das ich für eine Socke hielt. „Wie kommt es dann, dass ihr hier eine Wohnung hattet?“ „Meist bin ich nur für ein paar Tage in Boston und oft bekomme ich in dieser Zeit eine Unterkunft gestellt.“ Sie zählte die Maschen auf ihren Nadeln und schon kam wieder das leise Klacken, als sie weiter strickte. „In letzter Zeit ist es weniger geworden.“ „Habt ihr dort Freunde, oder Bekannte?“ Denn ich musste an ihre Notizen denken. Noch immer wusste ich nicht genau wer diese Mrs Jones war, die darin vorgekommen war. „Nicht mehr viele. Die meisten Bekannten habe ich unter den Soldaten. Durch die ewigen Kämpfe mit den Franzosen sind leider einige von ihnen verstorben.“ „Nur dadurch?“ fragte ich weiter, denn sie war in Boston verletzt worden. Zwei Mal soweit ich wusste und das war das Werk von Assassinen gewesen. Sie warf mir einen Blick zu, der deutlich machte, dass sie das Thema nicht mochte und so schwiegen wir eine Weile, bis sie antwortete: „Nicht nur. Zwei wurden ermordet.“ Dieser Satz stand einen Moment im Raum und kurzzeitig war nichts weiter zu hören, als das Knistern des Kaminfeuers und der Regen, der noch immer gegen die Fensterläden prasselte. „Seither versuche ich den Ort zu meiden, wenn es möglich ist. Ich möchte nicht daran erinnert werden.“ Nach kurzem Zögern stand ich auf und ging zu ihr. Sie hatte es sich in einem der Sessel am Kamin bequem gemacht und sah nun in die Flammen, anstatt auf ihre Strickarbeit. Ich ließ mich, ihr gegenüber, in dem anderen Sessel nieder. „Ich mag mich irren, aber kurz danach kam das Gerücht über euren Tod auf. Habe ich recht?“ Als sie mir nun in die Augen sah, erkannte ich den Kampf, der in ihrem Inneren stattfand. Sie fragte sich, wie viel sie mir erzählen konnte. Ich hoffte, dass sie mir alles sagte, doch schon senkte sie den Blick und nickte nur. Obwohl es nun mehr als deutlich war, dass sie nicht weiter darüber reden wollte, konnte ich es nicht dabei belassen. „Warum?“ fragte ich leise und sie seufzte. Dann legte sie die Nadeln zur Seite und sah mich direkt an „Weil man versucht hat, auch mich zu töten. Ich weiß nicht warum, doch ich hatte unverschämtes Glück zu überleben. Danach hielt ich es für besser, eine Weile zu verschwinden. Ich wollte verhindern, dass man nach mir sucht. Daher ließ ich das Gerücht verbreiten, nicht mehr am Leben zu sein.“ Noch immer sah sie mich an und ich senkte den Blick. Immerhin wusste ich, dass es den Angriff gegeben hatte und warum. Nur eins verstand ich nicht. Monro hatte sie erzählt, dass sie in dieser Zeit nach jemandem gesucht hatte. Mir sagte sie nun, dass sie nur hatte verschwinden wollen. Es passte nicht zusammen. Ihr Angreifer war tot. Nach ihm musste sie nicht mehr suchen. Doch wer war es dann? Und warum verschwieg sie mir dieses Detail? „Jetzt ihr“, riss sie mich aus meinen Gedanken und ich sah auf. Sie deutete auf meine Schulter. „Wer hat auf euch geschossen?“ Warum nur musste sie danach fragen? Ich wollte es nicht verraten. Andererseits schuldete ich ihr wohl eine Antwort. Immerhin hatte sie mir auch geantwortet. Sie kam mir allerdings zuvor in dem sie sagte: „Es war Liam, habe ich recht?“ Volltreffer. Hatte sie geraten, oder wusste sie doch mehr als sie mir verriet? Langsam nickte ich. „Woher wisst ihr davon?“ fragte ich, statt einer Erklärung. „Irgendwie war es klar. Er hat mir von eurem Ableben erzählt. Eure Reaktion, als ich von dem Treffen mit ihm erzählte, tat ihr übriges. Es brauchte nicht viel, um den Zusammenhang zu erkennen. Seither segelt ihr mit Gist und habt Liam nicht mehr erwähnt.“ Kurz schwieg sie, dann griff sie erneut zu ihren Nadeln. „Ich frage nicht, was genau passiert ist. Das ist eure Angelegenheit.“ Für diese Worte war ich dankbar. Auch ich fragte nicht weiter. Mir wurde langsam klar, dass Selena nicht zu unterschätzen war. Selbst bei wenigen Informationen konnte sie Zusammenhänge erkennen und zu den richtigen Schlüssen gelangen. Ich begann mich zu fragen, was sie noch alles wusste, ahnte oder zumindest für möglich hielt. Und ich war mir sicher, dass die Antwort in ihren Notizbüchern zu finden war. Kapitel 22: Zwiespalt --------------------- Kapitel 22 Zwiespalt Die Tage vergingen und langsam wurde es kälter. Da ich weder von Monro noch von sonst jemandem etwas hörte, beschäftigte ich mich hauptsächlich mit dem Durchstöbern der restlichen Nebengebäude und kleineren Reparaturen. Auch trainierte ich häufiger als sonst an den Strohpuppen oder aber übte mich im Klettern. Oftmals hatte ich das Gefühl, dabei beobachtet zu werden und einmal, als ich rasch über die Schulter blickte, entdeckte ich Selena an einem Fenster, wie sie mir beim Klettern zusah. Abends sprach ich sie darauf an und sie wurde ein wenig rot. „Ich bewundere es nur. Es gehört einiges dazu, sich an einer Wand hochziehen zu können.“ Dann sah sie zu Boden und ich lächelte. „Hauptsächlich ist es Kraft, aber ihr habt schon recht. Man muss sehen können, wo die Hände und Füße Halt finden. Wollt ihr es versuchen?“ Ich wusste selber nicht, warum ich es ihr anbot, doch nun hatte ich es getan und sie nahm das Angebot an. Schon am nächsten Tag versuchte ich ihr das Klettern beizubringen. Schnell zeigte sich, dass sie durchaus die nötige Kraft besaß. Ihr mangelte es nur an Selbstvertrauen. Auch erkannte sie die Spalten oftmals nicht, in die man die Finger schieben konnte, um Halt zu finden. Sicherheitshalber ließ ich sie nicht hoch klettern. Sie sollte sich lieber nur an der Mauer entlang tasten. Ich blieb dicht bei ihr und beobachtete genau ihre Bewegungen, um sie verbessern zu können. So verging der November und sie lernte rasch dazu. Als es auf den Dezember zuging und die Steine oftmals nass und rutschig waren, brach ich die Kletterübungen ab. Unser Kampftraining verlegte ich auf einen Raum im Erdgeschoss, der leer stand. Es stellten sich leichte Verbesserungen ein. Vor allem, da ich das Hauptaugenmerk auf Verteidigung und nicht auf Angriff legte. Ich bezweifelte, dass sie, außer in einer wirklichen Notsituation, je einen anderen Menschen töten würde. Das auf der Morrigan war ein Unfall gewesen, der sie völlig aus der Bahn geworfen hatte. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass es ihr hier in meiner Nähe gefiel, entging mir nicht die leichte Veränderung in ihrer Miene, je näher wir dem Ende des Jahres kamen. Nur selten verließ sie das Haus und wenn sie zurückkehrte, lag dieser besorgte Ausdruck auf ihren Zügen, den ich schon vor ein paar Monaten bemerkt hatte. Kurz vor ihrem Verschwinden. Ich ahnte, dass sie bald erneut aufbrechen würde. Wir saßen nun häufiger abends beisammen. Immerhin war es in meinen Räumen warm, im Gegensatz zu ihrer Kammer. Ab und an schrieb sie in ihre Notizbücher oder blätterte darin. Dann wieder saß sie am Kamin und machte sich mit Nadel und Faden über meine Kleider her. Nähte ausbessern, Risse flicken, Löcher stopfen. Dafür hatte sie wirklich ein Talent. Mitte Dezember bestätigte sich dann meine Vermutung. Sie saß erneut am Kamin, dieses Mal mit ihren Stricknadeln, als sie sich mit ruhiger Stimme an mich wandte. „Ich werde morgen abreisen.“ Sie sagte es, als handle es sich um eine Nebensächlichkeit, doch in meinem Innern zog es sich zusammen. Ich wollte nicht, dass sie ging. „Ihr wollt gehen?“ Es ließ sich nicht verhindern, dass meine Stimme zeigte, wie sehr mich diese Worte trafen. „Es lässt sich leider nicht länger aufschieben.“ Das verstand ich nicht. Warum sollte es nicht warten können? Sie hatte keinerlei Briefe bekommen, weder von Monro noch von sonst irgend wem. Zumindest hatte ich nichts davon mitbekommen. „Wohin werdet ihr gehen?“ Denn wenn es wieder nach Philadelphia ging, würde ich sie begleiten. Diese Tante von ihr wollte ich mir ansehen und Selena auf dem Weg ein wenig Begleitschutz geben. Zu dieser Jahreszeit war es auf den Straßen gefährlich. Nicht nur Banditen trieben sich hier herum. Auch Wölfe und andere Raubtiere gab es dort draußen und eine einzelne Person, die zu Fuß unterwegs war, war für sie eine leichte Beute. „Nach Hause“, war alles was sie sagte und ich starrte sie an. Hatte sie nicht gesagt, dass sie nicht zurück in die Heimat wollte? Warum dann ausgerechnet jetzt ein solcher Sinneswandel? Dabei hatte ich gedacht, dass sie sich hier wirklich wohl fühlte und bleiben wollte. „Ihr wollt zurück nach Europa?“ fragte ich, nur um sicher zu gehen, sie nicht falsch verstanden zu haben. Sie nickte und senkte den Blick. „Ich muss wissen, ob es der Familie gut geht.“ „Dann schreibt einen Brief und fragt.“ Es wäre um so vieles einfacher und auch sicherer für sie. Auf einer so langen Fahrt konnte viel passieren. „Es ist besser, wenn ich für ein paar Tage dorthin zurück gehe.“ „Es ist gefährlich dort draußen. Besonders zu dieser Jahreszeit.“ Stürme, Eis und was am Schlimmsten war: Aus den kleinen Kämpfen zwischen Briten und Franzosen, war ein handfester Krieg geworden. Krieg machte auch vor Handelsschiffen nicht halt. „Wartet bis zum Frühjahr.“ Denn vielleicht überlegte sie es sich dann noch einmal und blieb. „Das kann ich nicht. Ich bin schon viel zu lange hier, auch wenn es mir hier besser gefällt als dort.“ Sie sah auf und ich erkannte, dass es sinnlos war. Sie hatte ihre Entscheidung längst getroffen und nichts, dass ich sagte, würde sie hier halten können. „Es ist meine Familie.“ Eine Familie über die sie nicht sprach und von der ich nicht mehr wusste, als ein paar Kleinigkeiten. Nur bei unserer ersten Fahrt hatte sie mir ein paar Informationen gegeben. Danach hatte sie eisern geschwiegen. „Wie lange werdet ihr fort sein?“ Denn je nach Wetterlage konnte eine Fahrt vier bis sechs Wochen dauern, auch abhängig vom Schiffstyp. Kurz schwieg sie. „Ein paar Monate wird es wohl in Anspruch nehmen.“ Natürlich. Hin und zurück. Wenn sie dann noch für ein paar Wochen blieb... Ich legte das Buch zur Seite, in dem ich gelesen hatte, und ging zu ihr. „Mir gefällt der Gedanke nicht, dass ihr nach Europa fahrt. Es sind schwere Zeiten.“ Versuchte ich es noch einmal und ließ mich in dem Sessel, ihr gegenüber, nieder. „Geht nicht. Bitte.“ Ich wusste nicht warum, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie so schnell nicht zurück kommen würde. „Es tut mir leid, aber es muss sein.“ Vorsichtig legte sie mir eine Hand auf den Arm. Obwohl sie mich schon häufiger berührt hatte, immerhin hatte sie mich oft genug verbunden, löste die Hand nun einen wohligen Schauer in mir aus. „Aber ich verspreche euch, dass ich wieder kommen werde. Und ich werde auf mich aufpassen, mich nicht in Gefahr begeben und meine Zunge hüten.“ Als ob sie das könnte. Ich sah auf die Hand, die auf meinem Arm lag und verspürte den Drang meine auf die ihre zu legen. Es war seltsam, doch seit sie hier wohnte, waren meine Gefühle für sie stärker geworden. Sie war schon lange kein einfaches Dienstmädchen mehr, falls sie es denn je gewesen war. Ich begann sie zu vermissen, wenn ich mit Gist unterwegs war und sie hier blieb. Gerade als ich meine Hand hob um ihre zu nehmen, zog sie sie zurück. Ein Hauch von Enttäuschung keimte in mir auf, verschwand aber rasch wieder. Zwischen uns gab es wohl doch keine Romantik, auch wenn es schade war. Früh am nächsten Morgen brach sie auf. Ich hatte sie ein Stück begleiten wollen, doch sie lehnte ab. „Ihr habt anderes zu tun, als mir Begleitschutz zu geben“, war alles was sie dazu sagte und zog das Band ihres Rucksacks zu. Einen Moment wirkte sie so, als wollte sie mir noch etwas sagen und ihre Hand zuckte leicht in meine Richtung. Doch schon senkte sie den Blick und warf sich die Tasche über die Schulter. Es wurde gerade hell als sie das Haus verließ und ich sah ihr hinterher. Am Torbogen wandte sie sich noch einmal zu mir um und hob die Hand. Dann verschwand sie aus meinem Blickfeld. Ob sie wirklich zurückkehrte? Nun, sie hatte es versprochen, doch was hieß das schon? Es konnte so viel passieren auf ihrer Reise. Ich wusste nicht einmal von wo genau sie aufbrechen wollte. Aus irgend einem Grund hatte ich vergessen, sie danach zu fragen. Seltsam, dass ich sie nicht einmal bis zum Hafen oder einem der Ställe begleiten sollte. Verließ sie wirklich New York oder war das alles nur eine Ausrede? Wie von selbst setzen sich meine Füße in Bewegung. Nein, sie sollte nicht gehen. Sie sollte mich nicht hier alleine lassen, doch als ich den Durchgang erreichte und den Blick von einer Seite zur anderen wandte, in der Hoffnung sie zu entdecken, war von ihr nichts mehr zu sehen. Kutschen, Fußgänger, Reiter... Die Stadt war schon lange wach und selbst hier, so dicht am alten Fort, waren zu dieser Stunde Menschen unterwegs. Um Selena jetzt noch ausfindig zu machen müsste ich mir einen Aussichtspunkt suchen. Kalter Wind blies mir entgegen und ich fröstelte. Ich hatte vergessen, mir eine Jacke überzuziehen. Wenn ich hier noch lange stand, würde ich nur krank werden und es war niemand da, der sich dann um mich kümmerte. Selena war fort. Drei Tage später saß ich mit Monro, Gist und Johnson in einem Pub und starrte auf den Krug vor mir. „Sie ist also erneut abgereist?“ fragte Monro und sah mich forschend an. Dass ich sie erneut aus den Augen verloren hatte schien ihn wirklich zu stören. „Ich habe versucht sie zum Bleiben zu überreden, aber sie wollte nicht. Sie meinte, sie müsse zurück in ihre Heimat.“ So hatte sie es zwar nicht ausgedrückt, aber im Grunde war es das Selbe. Ob nun Heimat, oder zu Hause, wo war da schon der Unterschied? „Und sie hat mir versichert in ein paar Monaten wieder zurück zu kommen.“ Woher sie das nötige Geld dafür nehmen wollte wusste ich allerdings nicht. „Hat sie euch gesagt was sie dort will?“ fragte Johnson und nahm einen Schluck Alé. Auch er schien wirklich daran interessiert zu sein, wohin sie verschwand, wenn sie nicht hier war. „Sie möchte ihre Familie besuchen und sehen, ob alles in Ordnung ist.“ „Und dafür reicht es nicht aus, einen Brief zu schreiben?“ mischte sich Gist ein und wiederholte damit, was mir selbst durch den Kopf gegangen war. Er hatte schon etwas mehr getrunken und seine Stimme war etwas lauter geworden, weswegen ich meine eigene dämpfte. Wir waren hier nicht unter uns. Es konnten genügend Leute zuhören und bei seinen Worten hatte am Nachbartisch ein junger Mann den Kopf gehoben. „Anscheinend nicht. Vielleicht wollte sie nicht, dass ich erfahre wo genau ihre Eltern leben. Oder aber, sie möchte nicht, dass irgend jemand erfährt wo sie hier wohnt. Zu dem hat ihre Abwesenheit auch etwas Gutes.“ Und ich zog eines ihrer Notizbücher aus meiner Jackentasche. Sie hatte es zurückgelassen und es konnte nicht schaden, es sich erneut anzusehen. „Das hier gehört ihr.“ Ich schob das Buch Monro zu, der es mit einem Stirnrunzeln in die Hand nahm. „Woher habt ihr das?“ „Aus ihrem Zimmer. Sie hat einiges hier gelassen, was dafür spricht, dass sie zurückkommen wird. Leider bin ich nicht in der Lage es zu lesen.“ Ich deutete auf das Buch und er schlug es wahllos auf. Seine Augen verengten sich ein wenig und mir entging nicht, wie Johnson behutsam den Krug abstellte und Monro aufmerksam ansah. Der blätterte ein paar Seiten weiter und hielt inne. „Das hat sie geschrieben? Ein sehr eigenwillige Schreibweise.“ „Soweit ich weiß, ja. Warum?“ War der Colonel etwa in der Lage zu verstehen was dort geschrieben stand? Er warf Johnson einen Blick zu der deutlich zeigte, dass sich gerade eine Vermutung bestätigt hatte. Mich ließ man an diesem Wissen nicht teilhaben. Dennoch antwortete Monro: „Sie weiß mehr, als sie uns verrät.“ Wieder blätterte er ein paar Seiten weiter und ein leichtes Lächeln umspielte seine Augen. „Und ihr scheint Eindruck auf sie gemacht zu haben.“ Schon klappte er das Buch zu und schob es mir wieder hin. „Es ist gut, dass sie nun bei euch wohnt. Sorgt dafür, dass diese Bücher, falls es noch mehr davon gibt, nicht in falsche Hände geraten. Wenn möglich schließt ihr Zimmer ab. - Und wenn sie zurück kommt, möchte ich mit ihr sprechen.“ Als Monro mir etwas später, ganz im Vertrauen, sagte, um was für eine Sprache es sich handelte, legte sich mir ein Stein in den Magen. Ich wusste, dass es unter den Assassinen jemanden gab, der diese Sprache beherrschte. Und diese Person hatte eine Wohnung, hier in New York. Hope. „Ihr wirkt besorgt, Master Cormac.“ Der Colonel hatte mich ein Stück meines Weges begleitet und blieb nun stehen. „Es ist nur - Ich hatte die Hoffnung, langsam das eine oder andere zu verstehen. Leider kommen nur immer mehr Fragen und Probleme auf. Und ja, ich fange an, mir Sorgen zu machen.“ Noch immer hatte ich keine Ahnung, was in diesem Notizbuch stand, dass sich wieder in meiner Jackentasche befand. „Berechtigt“, begann er und ging langsam weiter. „Auch ich sorge mich in letzter Zeit, aber aus anderen Gründen. Eine friedliche Einigung mit den Einheimischen scheint nicht mehr möglich zu sein. Die Franzosen sind uns derzeit einen Schritt voraus und in vielen Fällen bedeutet es, dass das Volk zu leiden hat. Es ist Krieg ausgebrochen. Etwas, dass ich gerne vermieden hätte. Noch sind die Städte einigermaßen sicher, doch wie lange es noch so ist...“ Er brach ab und wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, bis ich das Wort ergriff. „Wenn es etwas gibt, dass ich tun kann, dann bin ich bereit. Ich bin kein Soldat, aber ich habe ein Schiff und wenn ich kann, werde ich euch unterstützen.“ ============================================================================ Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, mit dem neuen Kapitel und es wird auch noch dauern, bis das nächste online kommt. Wird aber auf alle Fälle weiter gehen und dann vermutlich auch wieder regelmäßiger ^^' Kapitel 23: Kaperfahrt ---------------------- Kapitel 23 Kaperfahrt Zwei Tage nach meinem Treffen mit Monro erhielt ich einen Brief, mit der Bitte, einen Schiffskonvoi zu begleiten. Als zusätzlicher Schutz. Genau das, wofür die Morrigan gebaut war und da ich dem Colonel meine Unterstützung zugesichert hatte, sagte ich zu. Ich rechnete mit Problemen während der Reise, doch alles verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. Solche Aufträge nahm ich gerne entgegen, zumal ich sie bezahlt bekam. Zusätzliches Geld konnte ich gut gebrauchen. Von da an bekam ich mehr zu tun. Kleinere Aufträge als Begleitschutz, oder aber man bat mich in der Stadt für ein wenig mehr Sicherheit zu sorgen. Noch immer gab es Banditen und es trieben sich auch ein paar Schläger herum. Je sicherer die Stadt wurde, um so besser ging es auch den Bewohnern. Nur musste ich aufpassen nicht zu viel Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Noch hielten die Assassinen mich für tot und je länger es so blieb, um so besser war es für mich. Mit viel Schnee brach das neue Jahr an und als ich morgens aus dem Haus trat, kehrte zum ersten Mal so etwas wie Frieden bei mir ein. Es war nun bald ein Jahr her, dass ich mit den Assassinen gebrochen hatte. Was hatte sich in dieser Zeit alles verändert? Nun, hauptsächlich hatte ich mich selbst verändert. Meine Ansichten waren nicht mehr die Selben. Ebenso meine Freunde, wenn ich sie denn so nennen konnte. Ich hatte mit meinem Fortgang mein ganzes vorheriges Leben hinter mir gelassen und war hier neu angefangen. Mit dem Schnee kehrte etwas Ruhe ein, doch je ruhiger es wurde, um so unruhiger wurde ich. Ich musste etwas tun. Mir behagte es nicht, alleine in dem großen Haus zu sein. Wäre Selena doch nur nicht gegangen. Vor allem an den Abenden vermisste ich ihre Gesellschaft. Ich war dem Rat von Monro gefolgt und hatte ihre Kammer abgeschlossen. Besser gesagt, ich hatte sie wieder abgeschlossen. Um an ihre Notizen zu kommen, hatte ich die Tür öffnen müssen. Gut, dass ich diesen Zweitschlüssel besaß. In der Zeit, in der ich keine Aufträge hatte, und im Januar gab es für mich nur sehr wenig zu tun, ging ich noch einmal die Aufzeichnungen und Dokumente durch, die ich im vergangenen Jahr bei ein paar Banditen gefunden hatte. Auch sah ich mir die Unterlagen an, die bei Le Chasseur in dem französischen Fort gelegen hatten. Bisher hatte ich mich nur wenig damit beschäftigt und es auch nicht für all zu wichtig gehalten. Nun, da ich Zeit hatte, fand ich die Idee, mich um diese Handelsrouten zu kümmern, nicht mehr so langweilig. Je länger ich auf diese Routen sah, um so interessanter fand ich sie. Allein mit der Morrigan hatte ich kaum eine Chance, den Franzosen die Handelswege abzuschneiden und die Waren an die Briten weiterzuleiten. Dazu bräuchte ich mehr als nur ein Schiff. Vielleicht sollte ich mich nach einem zweiten umsehen. Als ich erneut einen Brief von Monro bekam, hatte ich kurz das Gefühl, jemand hätte meine Gedanken gelesen. Er bat mich darum ein Schiff abzufangen, dass seinen Informationen zu Folge, die französische Armee mit Waren versorgen sollte. Es war genau das, was ich ohnehin geplant hatte. Da es sich um ein einzelnes Schiff handelte, würde ich es wohl mit der Morrigan schaffen, ihnen diese Waren abzunehmen. Ich ließ Gist die Crew zusammentrommeln und wir machten uns auf den Weg. Es tat gut wieder auf See zu sein. Auch wenn es in der Kajüte weit kälter als im Fort war, fühlte ich mich hier wohler. Ich gehörte einfach auf ein Schiff. Ich ließ mich nicht vom Wetter abhalten. Schnee und Kälte störte mich nicht. Selbst Eis würde mich, dank der Ramme die die Morrigan besaß, nicht aufhalten. Zu dem hatte ich mein Schiff ein klein wenig verbessern lassen. Neue Kanonen, mehr Kugeln und Fässer, in denen ich Öl aufbewahrte, das in Brand gesetzt werden konnte. Für einen Überfall auf ein französisches Schiff waren wir daher gut gerüstet. Solange man uns nicht zu viel Ärger machte, würde es eher ein Vergnügen werden. Wir brauchten zwei Tage, um die Brigg ausfindig zu machen. Sie war nicht all zu schnell unterwegs. Sicher wegen der Ladung. Daher hatten wir keine Probleme damit sie einzuholen. Mit gebührendem Seitenabstand, um keinen Verdacht zu erregen, setzten wir zum überholen an. Erst als wir gleichauf waren, ließ ich die Luken öffnen und die ersten Kanonen abfeuern. Wie man ein anderes Schiff zu entern hatte, wusste ich. Sobald das gegnerische Schiff nicht mehr manövrierfähig war, konnte man es mit Enterhaken ran ziehen. Dabei war Vorsicht geboten. Nur weil sie nicht mehr steuern konnten, hieß es nicht, dass sie sich nicht mehr verteidigten. Doch es kam anders. Anstatt zurückzuschießen, ließ der andere Kapitän volle Seegel setzen und versuchte, uns zu entkommen. Damit hatte ich nicht gerechnet, doch egal wie er auch versuchte uns auszuweichen, die Morrigan war schneller und schnitt ihm jedes Mal den Weg ab. Noch einmal ließ ich eine Salve an Kugeln auf das Schiff abfeuern und zu meiner Verwunderung holten sie ihre Segel ein. Gaben die etwa auf? So etwas hatte ich noch nie erlebt. Vielleicht war es jedoch ganz gut so. Je weniger Menschen verletzt oder getötet wurden, um so besser war es. Längsseits der Brigg wurden wir langsamer und ich sah an Deck des Schiffes den Kapitän, wie er das Ruder verließ und ins Mittelschiff hinunterstieg. Er rief irgendwelche Befehle, die ich nicht verstand und die Männer an Bord, die schon ihre Säbel gezückt hatten, senkten die Klingen. Fragend sah ich Gist an, der mit den Schultern zuckte. Mir sollte es recht sein, wenn niemand zu Schaden kam. Dennoch blieb ich Misstrauisch. Es konnte eine Falle sein. „Ihr bleibt hier. Zur Sicherheit“, sagte ich zu ihm und er nickte. „Sollte einer den Versuch machen mich anzugreifen, dann wird er erschossen.“ Ich war der Erste, der sich auf die Brigg hinüber schwang. Niemand griff mich an. Die Matrosen standen nur da und sahen mich unsicher an. Fast so, als erwarteten sie, ich würde einen nach dem anderen töten, wie Piraten es sicher tun würden. Der Kapitän trat auf mich zu, unbewaffnet und erst jetzt sah ich, dass er schon ein alter Mann war. Sicher hatte er die 50 schon überschritten. „Ihr segelt nicht unter schwarzer Flagge,“ begann er ohne Umschweife. „Warum also greift ihr uns an? Haben wir euch einen Grund gegeben?“ „Das nicht, Kapitän. Wir sind nur an eurer Ladung interessiert. Wenn ihr sie uns übergebt wird niemand verletzt.“ Ich meinte diese Worte wirklich ernst. „Welche Ladung?“ Da ich nicht ganz genau wusste um welche Art von Waren es sich handelte verschränkte ich nur die Arme vor der Brust. „Die Ladung, die für die französische Armee bestimmt ist. Sicher wisst ihr, von was ich rede.“ Kurz schwiegen wir. Er sah mich an, ernst und ungerührt und ich hielt stur dagegen. Dann lächelte er. „Euer Schiff ist für diese Ladung viel zu klein.“ Nun musste ich lächeln. „Dann werde ich mir wohl euer Schiff ausleihen müssen, um die Fracht in Sicherheit zu bringen. Es sei denn...“ setzte ich an, da sich der Kapitän verspannte und ich aus den Augenwinkeln sah, wie einer der Matrosen die Hand zu seiner Waffe gleiten ließ, „Ihr segelt von nun an unter meinem Kommando weiter. So könnt ihr euer Gesicht wahren.“ Kaum merklich zog er die Augenbrauen zusammen. „Ihr könnt nicht sicher sein, dass ich weiterhin kooperiere, wenn ihr außer Sicht seid.“ „Doch, das kann ich.“ Ich lockerte meine Haltung „Für die restliche Reise wird ein Teil meiner Männer euer Schiff übernehmen und ihr verweilt als Gast auf meinem Schiff.“ Ich machte eine Geste zur Morrigan. „Natürlich könnte ich auch euch und eure Mannschaft töten lassen, aber wozu, wenn man sich auch so einigen kann.“ Kurz darauf befand sich der Kapitän in der Gefängniszelle unter Deck und zehn meiner Männer waren auf das andere Schiff gewechselt. Unter ihnen war Gist, da ich ihm am meisten vertraute und mein Steuermann Robert, der von so gut wie allen nur Bob genannt wurde. Wenn er sich nun gut machte, würde ich ihm vielleicht eines Tages ein Schiff überlassen. Zumindest, wenn ich weiter Schiffe entern sollte. Bevor wir weiter segelten, inspizierte ich die mysteriöse Fracht, die nicht auf mein Schiff passen sollte. Mit Gist und einer Laterne ging ich in den Frachtraum und besah mir die Fässer und Kisten. Alles hier war gut festgezurrt und es wunderte mich, dass es keine Laternen gab, die man hätte entzünden können. Als ich die erste Kiste aufbrach, verstand ich warum. Das ganze Schiff war mit Waffen, Schießpulver, Kanonen und Kugeln beladen. Kein Wunder, dass sie so langsam unterwegs gewesen waren und auch verständlich, warum der Kapitän lieber aufgegeben, als einen Kampf riskiert hatte. Ein Treffer an der falschen Stelle und das Schiff wäre mit Ladung und Crew in die Luft geflogen. Doch es gab auch eine Kiste, die mit einem Schloss gesichert war. Als ich diese aufbrach, musste ich schlucken. Sie war bis zum Rand mit Münzen gefüllt. So viel Geld hatte ich noch nie gesehen. Es musste sich dabei um finanzielle Unterstützung für die Armee handeln. Immerhin wollten auch Soldaten bezahlt werden. Diese Kiste ließ ich auf die Morrigan, in meine Kajüte bringen. Alles andere war mir zu riskant. Ich fragte mich, ob es Monro um die Waffen oder um das Geld gegangen war, als er diese Fracht hatte aus dem Verkehr ziehen wollen. Vielleicht ging es um beides, doch das würde ich erst erfahren, wenn ich ihn traf, was noch ein paar Tage dauern würde und ich ertappte mich dabei, wie ich immer wieder zu der Kiste sah. Mit dem Inhalt konnte ich ohne Probleme ein neues und unbeschwertes Leben beginnen, weit fort von hier. Auch ohne zu wissen, wie viele Münzen es waren, wusste ich, dass es sich um ein kleines vermögen handelte. Allein der Gedanke dieses Geld einfach zu behalten fühlte sich wie Verrat an. Nein, ich würde alles, bis auf die letzte Münze beim Colonel abliefern. Dann konnte er entscheiden was damit passieren sollte. Auf dem Weg zurück nach New York sorgte ich dafür, dass es der Kapitän so bequem wie möglich hatte. Als es Abend wurde, ging ich zu ihm unter Deck. Es gab ein paar Dinge, die ich von ihm wissen wollte. Mit etwas zu essen und einer Flasche Rum trat ich auf die Zelle zu. Anfangs war er alles andere als gesprächig. Nach dem er allerdings ein wenig getrunken hatte, ich selbst hielt mich sehr zurück, taute er ein wenig auf. Sein Name war Benedict Thatcher. Er war seit seiner Kindheit auf See, wie alle Männer in seiner Familie, und der erste, der es bis zum Kapitän geschafft hatte. Irgendwie war er ganz in Ordnung. Das er sich nicht verteidigt hatte lag daran, dass ihm das Leben seiner Crew wichtiger war als die Ladung. Er hatte die Fahrt ohnehin nicht übernehmen wollen, brauchte jedoch das Geld, das ihm diese Fahrt eingebracht hätte. Im Grunde war er froh die Fracht los zu werden. Nun machte er sich nur Sorgen, um seine Zukunft. Sicher würde es Fragen geben, wo die Waren abgeblieben waren und in einigen Häfen konnte er sich nun nicht mehr blicken lassen. Später, alleine in der Kajüte, dachte ich lange über ihn nach. Natürlich war es möglich, dass er alles erfunden hatte. Ich wollte ihm gerne glauben. Wer immer derjenige gewesen war, der ihn mit dieser Fahrt beauftragt hatte, würde es nicht gutheißen, dass er seine Fracht nicht verteidigt hatte. Gleiches galt für den Empfänger. Es sah so aus, als gäbe es noch etwas, dass ich zu erledigen hatte. Kurz vor New York ließ ich mich zur Brigg rüber rudern. Es wurde Zeit, sich mit Gist zu beraten. Immerhin wollte ich nicht 20 unbewaffnete Männer umbringen lassen. Sie hatten keine Gegenwehr geleistet, als sie ins Vorkastell gesperrt worden waren und hatten sich glücklicherweise die Fahrt über ruhig verhalten. Nur einen Matrosen der ursprünglichen Crew hatte man Deck gelassen. Einen jungen Bursche von 16 Jahren, der Finn hieß und Wasser übers Deck kippte, um es zu schrubben. „Sollten nicht alle eingesperrt werden?“ fragte ich, als ich ihn entdeckte. Gist winkte ab. „Der Junge schrubbt nur das Deck und das Gemüse in der Kombüse. Wir lassen ihn nicht aus den Augen.“ „Gut. Dennoch will ich, dass er ebenfalls weggesperrt wird, bevor wir anlegen. Ich möchte nicht, dass einer die Chance nutzt und von Bord geht. Wir löschen nur die Ladung und brechen wieder auf.“ „Und was machen wir danach mit der Crew? Ihr habt doch nicht vor, sie hinterher einfach laufen zu lassen?“ So wie ich ihn verstand, hätte er alle getötet. Mir widerstrebte ein solcher Gedanke. „Ich habe dem Kapitän mein Wort gegeben. Das werde ich halten. Und daher möchte ich nicht, das irgend wer weiß wo wir die Fracht ablegen.“ Gist schnaubte, doch er widersprach nicht. Er sperrte Finn zu den anderen und gut zwei Stunden später legte die Brigg am Pier an. Eilig löschten wir die Ladung und ich war froh, das Zeug los zu sein. Während die Matrosen arbeiteten, schickte ich einen Boten zum Militärstützpunkt der Stadt. Monro sollte erfahren wo wir die Ladung abgelegt hatten, damit seine Männer die Fracht holen konnten, sobald wir wieder fort waren. Die Morrigan ließ ich etwas entfernt vor Anker gehen, zwei Kanonen schussbereit auf das andere Schiff gerichtet und bereit jederzeit wieder zu verschwinden. Es kam jedoch etwas anders als geplant. Eine halbe Stunde, nach dem ich den Boten losgeschickt hatte, tauchte er in Begleitung des Colonels und vier Soldaten wieder auf. „Ah, Master Cormac.“ Monro kam auf mich zu, recht zufrieden aussehend, „Wie ich sehe, habt ihr das Schiff abfangen können.“ „Aye. Wir löschen gerade die Ladung. Ihr könnt dann nach belieben darüber verfügen.“ Ich zögerte, doch dann unterrichtete ich ihn über die Geldkiste und darüber, dass ich vorhatte sowohl den Kapitän als auch dessen Crew am Leben zu lassen. „Diese Entscheidung liegt ganz bei euch, Master Cormac. Ich für meinen Teil finde, dass man nie einen Kampf suchen sollte. Kapitän Thatcher hat getan, was er für das Richtige hielt, um das Leben seiner Männer zu retten. Was das Geld betrifft“, Er warf einen Blick zu den beiden Schiffen, dann wieder zu mir. „Ein Teil davon steht euch zu. Solltet ihr in nächster Zeit weitere Aufträge wie diese annehmen, so wird es sich bei den anderen Schiffen und deren Ladung ebenso verhalten.“ Ich ließ uns zur Morrigan rudern, wo er die Kiste in Empfang nahm. Mir war es lieber, wenn er selber entschied wie es damit nun weiter ging und er lies sie neu verschließen und dann von Bord bringen. Ganz sicher war ich mir nicht, ob er mir wirklich einen Anteil zukommen lassen würde, doch ich wollte ihm in diesem Punkt vertrauen. Gegenseitiges Vertrauen war einfach wichtig. Als Gist eine Stunde später die Segel setzen ließ, um wieder auszulaufen, atmete ich auf. Das war schon mal erledigt. Mit einem letzten Blick über den Pier nahm ich zur Kenntnis, dass vor der Lagerhalle zwei von Monros Soldaten Posten bezogen hatten. Die anderen waren mit ihm und der Geldkiste verschwunden. Von unten aus dem Frachtraum, kamen Rufe von Kapitän Thatcher, doch ich ignorierte ihn vorerst. Ich konnte ihn nicht von Bord gehen lassen. Nicht jetzt und nicht hier. Wir hatten eine gute Meile zwischen uns und das Festland gebracht, als ich ihn an Deck bringen ließ. Er wirkte nervös. Vielleicht glaubte er, ich würde doch nicht Wort halten. „Von wem genau habt ihr diesen Transportauftrag erhalten?“ fragte ich ihn und er runzelte die Stirn. „Das ist nicht mehr von Bedeutung.“ „Vielleicht doch. Immerhin möchte ich, dass unserer Vereinbarung nichts im Wege steht. Zum Beispiel jemand, der euch auflauern könnte, um zu erfahren, wo seine Ware abgeblieben ist.“ Während ich sprach behielt ich die Brigg im Auge. Noch immer führte Gist dort das Kommando und gab mir mit einem Handzeichen zu verstehen, dass alles in Ordnung war. „Ihr meint es wirklich ernst, Kapitän Cormac, dass ich unter eurer Flagge segeln soll.“ Dann hatte er meinen Worten wohl wirklich nicht vertraut. „Ich hätte nichts dagegen. Ihr habt ein gutes Schiff und Erfahrung auf See. Es gibt einige Dinge, die ich mit der Morrigan nicht bewältigen kann. Fahrten nach Europa zum Beispiel“ Dafür war mein Schiff wirklich zu klein. Sie war nur als Begleitschiff gedacht und hatte nicht die Ladekapazitäten für die Vorräte, die man für eine solche Fahrt benötigte. „Ihr könntet solche Fahrten übernehmen.“ Thatcher schwieg und ich fuhr fort: „Ihr habt eure letzte Ladung verloren, Kapitän. Wenn sich das herum spricht, dafür könnte ich schnell sorgen, wird euch niemand erneut anheuern. Ihr hättet ein Schiff aber keine Aufträge.“ Ich machte eine kleine Pause und sah, dass meine Worte ihre Wirkung nicht verfehlten. „Wenn ihr unter meiner Flagge segelt, habt ihr Aufträge und niemand wird je erfahren, was genau passiert ist.“ Kurz dachte er darüber nach, dann nickte er. „In Ordnung, Kapitän. Doch nur, wenn das auch für meine Crew gilt. Es sind gute Männer und ich habe die Verantwortung für sie.“ Dafür hatte ich Verständnis. „Eurer Crew wird eben so wenig passieren wie euch. Nun, ein paar würde ich weiterhin durch meine ersetzen. Vorübergehend. Macht euch keine Sorgen um die Männer. Sie sind in meiner Crew gut aufgehoben.“ Thatcher wollte widersprechen, doch dann gab er resigniert auf. Zehn Minuten später hatte er auf seinem Schiff wieder das Kommando. Robert blieb mit fünf anderen dort, um ein Auge auf ihn und das Schiff zu haben. Die vier übrigen kamen mit sechs mir fremden Matrosen zur Morrigan zurück. Nun, nicht ganz fremd. Der Schiffsjunge Finn, der das Deck geschrubbt hatte, war unter ihnen. Einen Augenblick lang fragte ich mich, warum Thatcher einen Jungen, der noch grün hinter den Ohren war, zu mir aufs Schiff gelassen hatte. Finn klärte mich jedoch darüber auf, dass es sein eigenen Wunsch gewesen war. „Ganz ehrlich, Sir. Ich habe nichts gegen die Seefahrt und auch nichts gegen einen strengen Kapitän.“ Er fuhr sich durch die Haare und warf einen Blick zur Brigg, wo ich den Hut des Kapitäns auf dem Achterdeck erkannte, „Aber ich hatte nie wirklich vor bei Old Ben zu segeln.“ „Old Ben?“ War das der Spitzname des Kapitäns? „Benedict Thatcher. Old Ben. Mein Onkel.“ Kapitel 24: Außenposten ----------------------- Kapitel 24 Außenposten Eine baufällige Hütte am Waldrand, ein Steg, der zu neu aussah und weit ins Wasser ragte und ein schmaler Pfad, der sich dicht neben der Hütte hinter den Bäumen verlor. Das war der Ort, an dem Thatcher die Segel einholen ließ. Ich war zu ihm auf die Fleur de lise gegangen, da sein Schiff erwartet wurde, nicht die Morrigan. Gist folgte uns in sicherem Abstand und behielt uns genau im Auge. „Und hier sollt ihr die Ladung abliefern?“ fragte ich, da ich mir keinen schlechteren Ort vorstellen konnte um Kriegsgüter abzuladen. Keine Menschenseele war zu sehen. Kein Ruderboot, keine Zelte oder ähnliches. Selbst die Hütte wirkte, als wäre sie seit Jahren ungenutzt. „So lautete mein Auftrag.“ Er wirkte angespannt und es gefiel ihm offensichtlich nicht hier zu sein. Schließlich kam er ohne Ladung hier an und wurde von mir in gewisser Weise erpresst. Doch er hatte die Fahrt über in keiner Weise versucht das Schiff wieder unter seine Kontrolle zu bringen. „Ihr solltet bezahlt werden, wenn ihr ankommt, doch ich sehe niemanden, der die Ware entgegennehmen könnte.“ Er wies zu dem Pfad. „Eine halbe Meile den Weg hinunter ist ein Außenposten. Ich sollte dort hin gehen. Alles Weitere würde sich dann klären.“ Ich sah zu dem Pfad. Das Alles erinnerte mich an einen ganz ähnlichen Anleger, den ich vor einer gefühlten Ewigkeit angesteuert hatte. Dabei war es nur wenige Monate her. Dort war ich auf Banditen gestoßen und hatte mich zu sicher gefühlt. Ein Fehler, den ich beinahe mit dem Leben bezahlt hatte. Hier würde es sicher keine Banditen geben, sondern Soldaten. Im Kampf ausgebildete Männer. „Ich nehme an, dass ihr mir den Namen des Mannes sagen könnt, von dem ihr das Geld bekommen solltet.“ Ich hatte nicht vor dort hin zu gehen, zu klopfen und einfach hinein zu spazieren um ihn zu töten. Das musste heimlich erledigt werden. „Er heißt Levett. General de brigade Piere Levett.“ Er sprach es mit leichter Abscheu aus, so als würde der Name und Rang eines Franzosen seine Zuge beleidigen. „Ein General also.“ Das würde die Suche sicher erleichtern. „Ihr bleibt besser hier. Nicht dass ihr euch in Schwierigkeiten bringt.“ Oder mich, denn ich traute es ihm zu, dass er mich verriet, wenn ich mit ihm zusammen dort hin ging. „Und was habt ihr vor?“ Nun klang er leicht besorgt, doch ich lächelte. „Das was nötig ist, um dafür zu sorgen, dass euer Ruf keinen weiteren Schaden nimmt.“ Bevor er noch mehr sagen konnte, gab ich einem meiner Männer ein Zeichen und er übernahm das Kommando. Auch an Gist, etwas 200 Schritt von uns entfernt gab ich das vereinbarte Zeichen. Er wusste, dass ich nun das Schiff verließ und er, sollte hier etwas verdächtiges passieren, die Fleur de lise versenken durfte. Kurz kontrollierte ich meine Waffen, dann ging ich von Bord. Es war möglich, dass es einen Späher gab, der die Ankunft des Schiffes meldete. Daher musste ich vorsichtig sein und die Umgebung im Auge behalten. Der Pfad war wirklich Schmal doch so ausgetreten, dass er eindeutig von Menschen und nicht von Tieren stammen musste. Zu dem konnte ich Stiefelspuren erkennen. Immer wieder blieb ich stehen und lauschte, doch außer den normalen Waldgeräuschen war nichts zu hören. Die ersten Hinweise darauf, dass Thatcher mich nicht belogen hatte, fand ich 100 Schritt vom Strand entfernt. Gerade hatte ich um eine Kurve gehen wollen, als ich durch die Blätter etwas blaues sah und hastig schlüpfte ich ins nächste Gebüsch. Keine Sekunde zu früh, denn schon kam ein französischer Soldat den Pfad entlang geschlendert. Er ging langsam und sah gelangweilt aus. Sein Gewehr hatte er locker an der Schulter hängen und sein Blick war auf den Boden gerichtet. Einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich ihn töten sollte, doch es würde ausreichen ihn zu betäuben. Der Soldat... er konnte noch keine 20 sein. Nein ihn zu töten wäre nicht richtig. Daher wartete ich, bis er an meinem Versteck vorbei war. Dann trat ich aus dem Gebüsch heraus. Ohne einen Laut von mir zu geben packte ich ihn von hinten und er, völlig überrumpelt, machte nicht einmal den Versuch zu schreien, bevor ich ihm auch schon eine Hand auf den Mund presste und ihn, mit geübten Griff, ins reich der Träume schickte. Sein Körper erschlaffte in meinen Armen und ich zog ihn hinein ins Buschwerk, wo ich ihn, unsichtbar vom Weg, ablegte. Dann ging ich weiter, doch lief ich nicht auf dem Pfad. Immerhin konnte es sein, dass noch weitere Soldaten die Angewohnheit entwickelt hatten, sich leise zu bewegen. Um sicher zu gehen schärfte ich meine Sinne und untersuchte die Umgebung, während ich weiter schlich. Dann, nach etwa 5 Minuten, hörte ich zum ersten Mal Stimmen. Männerstimmen die in französisch sprachen. Also waren hier wirklich mehr als nur ein Soldat. Vorsichtig näherte ich mich den Stimmen und bemerkte, dass sie auf einer kleinen Lichtung ihre Zelte aufgeschlagen hatten. Ich blieb in Deckung und nahm die Szene in mich auf. 6 Zelte, für je zwei Mann. Ein größeres Zelt, in dem ein Tisch und ein paar Kisten und kleine Fässer standen. Eine weitere, größere Kiste, stand ein paar Schritt entfernt. Zentral in der Mitte ein großes Kochfeuer mit Baumstümpfen drum herum als Sitzgelegenheit. Drei Wege führten von der Lichtung fort. Einer in die Richtung, aus der ich gekommen war, einer Richtung Norden, wieder in den Wald hinein und der Letzte schlängelte sich auf einen kleinen Hügel zu, der Nordwestlich lag. An jedem der Pfade standen zwei Soldaten und passten auf. Drei saßen am Feuer und zwei standen in dem größeren Zelt und unterhielten sich. Wieder schärfte ich meine Sinne und die Auren wurde sichtbar. Ich wollte nur sichergehen, dass ich niemanden übersah. Immerhin wollte ich nicht den selben Fehler machen wie bei den Banditen. Da hatte ich zwei übersehen und fast mit dem Leben dafür bezahlt. Im Grunde konnte jedoch niemand sonst hier sein. Elf waren hier und einen hatte ich schon erwischt. Solange die Zelte nicht doppelt belegt waren, und das bezweifelte ich, waren alle hier. Ich war mir sicher, dass dieser Levett im Zelt war. Die beiden Männer dort hatten mehr Abzeichen an ihren blauen Röcken. Zu dem wirkten sie, selbst auf die Entfernung, als hätten sie mehr Autorität Auch kam es mir so vor, dass der ältere eine hellere Aura besaß. Zu dumm nur, dass ich von meinem Punkt aus nicht an sie heran kam. Zu dem wollte ich nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen. Was wenn ich sie sich gegenseitig erledigen ließ? Natürlich wäre das feige, doch hier hatte ich es mit elf Soldaten zu tun und ich war allein. Sollte mich einer Entdecken, war ich tot. Nun, da ich hier im Gebüsch saß, wurde mir bewusst, dass ich vermutlich keine andere Wahl hatte als sie alle zu töten. Elf Leben für ein Schiff mit Crew, von dem ich nicht einmal wusste, ob es danach wirklich loyalen Gefolgsleute waren. Lohnte sich das? Vielleicht reichte es aus den General zu töten. Vielleicht wussten die anderen nicht wie der Kapitän hieß, der ihnen die Waren brachte. Vielleicht wussten sie nicht einmal, dass eine Lieferung hier her unterwegs war. 'Nur den General', dachte ich und zog das Luftgewehr von der Schulter. Ich hatte nur noch sehr wenige vergifteter Pfeile. Vier verursachten tiefen Schlaf, drei starke Halluzinationen. Wenn ich Levett vergiftete, griff er womöglich die anderen an, die keine andere Wahl hatten, als ihren Brigadeführer zu töten. 'Das ist feige aber immer noch besser als alle zu töten.' Vorsichtig lud ich das Gewehr und zielte. Ich legte auf den älteren an und drückte ab. Lautlos sirrte das Geschoss durch die Luft und erwischte den Mann in dem Moment, in dem der andere ihm gerade den Rücken zu kehrte. Seine Hand schoss hoch doch es war schon zu spät. Die Wirkung trat innerhalb von wenigen Sekunden ein und noch bevor er etwas sagen konnte, Aufmerksamkeit darauf legen konnte, dass hier etwas nicht stimmte, zog er auch schon seine Waffe und stürzte sich mit einem Schrei auf den Soldaten, mit dem er sich eben noch unterhalten hatte. Augenblicklich brach Panik aus und sie Franzosen zogen ihre Waffen. Sie schienen nicht zu begreifen was vor sich ging. Nun, das war auch nicht einfach zu verstehen. Ihr General hatte sich innerhalb von Sekunden in ein wildes Tier verwandelt, dass auf einen ihrer Kameraden mit dem Säbel einschlug. Am liebsten hätte ich mich abgewandt, da ich mir den Anblick eines Gemetzels gerne ersparen wollte, doch ich musste wissen ob mein Plan aufging. Schon rannten die drei vom Feuer zum großen Zelt und griffen ein. Der General, so hoffte ich zumindest, hatte den ersten Mann niedergestreckt und ging nun auf die drei Soldaten los. Drei gegen einen. Erst versuchten sie noch ihn zu beruhigen. Zumindest glaubte ich dass, denn mein Französisch bestand aus 5 Wörtern. Doch nach kurzem Wortwechsel merkten sie offensichtlich, dass sie nichts anderes tun konnten als ihn zu töten. Es dauerte keine Minute bis der Mann zusammenbrach und seine rote Aura erlosch. Zwei Tote. Besser als Elf. Auch die anderen Soldaten scharten sich nun um die beiden Leichen und an ihren aufgeregten Stimmern erkannte ich, dass ihnen die Sache nicht geheuer war. Es wurde Zeit für mich zu verschwinden, doch dann deutete einer grob in meine Richtung und in mir krampfte es sich vor Schreck zusammen. Sie konnten mich nicht gesehen haben. Und auch nicht gehört haben, dass ich geschossen hatte. Das Luftgewehr machte keine Geräusche. Zumindest keine die man hier hören konnte. Doch dann verstand ich. Es ging nicht um mich. Ihnen war aufgefallen, dass ihr Kamerad noch nicht zurück war, von was auch immer. Vielleicht hatte er nur in Ruhe pinkeln wollen. Auf alle Fälle gingen nun zwei zu dem Pfad, der hinunter zum Strand führte. Sollten sie bis zum Ufer kommen, würden sie das Schiff sehen und dann war das, was ich hier getan hatte Sinnlos. Ich musste die Beiden aufhalten, den wir kamen nie schnell genug von hier fort. So schnell ich es konnte, ohne dabei Lärm zu machen, schlich ich den Beiden hinterher. Ich wollte nicht noch mehr Tote haben, doch zwei gleichzeitig konnte ich nicht KO schlagen. Lautlos folgte ich ihnen, bis die Stimmen aus dem Lager nicht mehr zu hören waren, dann griff ich an. Ich hatte das Überraschungsmoment auf meiner Seite und der erste war KO, noch bevor der andere die Waffe ziehen konnte. Dem Schlag mit dem Säbel wich ich mit einer Drehung aus und rammte ihm die Faust mitten ins Gesicht. Blut spritze und er taumelte rückwärts. Ich setzte einen weiteren Schlag hinterher und er ließ die Waffe fallen. Schon packte ich ihn in den Würgegriff und gleich darauf sackte er ohnmächtig zu Boden. Das alles war in wenigen Sekunden passiert und ich war dankbar, dass der Soldat nicht geschrien hatte. Das verschaffte mir Zeit. Ich rannte los, den Pfad hinunter. Wir mussten so schnell es eben ging von hier fort. Als ich an der Stelle vorbei kam, an der ich den jungen Soldaten in die Büsche gelegt hatte, wurde ich langsamer. Immerhin konnte es sein, dass er wieder zu sich gekommen war, doch von ihm war nichts zu sehen. Gut so. Schon wurde ich wieder schneller und näherte mich der Biegung, hinter welcher der Strand lag. Zu meiner großen Erleichterung waren beide Schiffe noch da. Noch während ich mich näherte, rief ich zu den Matrosen, sie sollen den Anker lichten und sprang auf den Steg. Es kam Bewegung in die Männer und obwohl es nicht meine Crew war, taten sie was ich ihnen sagte. Sie lösten die Vertäuung, mit denen das Schiff am Steg befestigt war und ich hörte das Rasseln der Kette, als sie den Anker hoch zogen. Andere eilten hoch in die Takelage, um die Segel zu setzen. Offensichtlich hatte Gist auf der Morrigan gesehen was vor sich ging, denn als ich an Bord der Fleur de lis war sah ich, wie sich auch dort etwas an Deck tat. Thatcher kam auf mich zu, mit besorgtem Blick doch ich winkte ab, bevor er etwas sagen konnte. „Wir sollten verschwinden, bevor sie merken was passiert ist.“ Sagte ich knapp und eilte hoch zum Ruder. Die ersten Segel entrollten sich und ich packte das Ruder mit festem Griff, begann es zu drehen. Viel zu langsam, so kam es mir vor, entfernten wir uns vom Ufer. Der Wind hatte stark nachgelassen und die Segel konnten kaum etwas einfangen. Wir würden uns von der Strömung tragen lassen müssen. Nervös sah ich immer wieder den Pfad hinauf doch nichts regte sich. Lange konnte es jedoch nicht mehr dauern bis die übrigen Franzosen erneut misstrauisch wurden, da ihre Kameraden nicht zurückkamen. Die Morrigan drehte etwas schneller als wir. Gist wartete jedoch. Er wollte uns offensichtlich Rückendeckung geben. Es war beruhigend zu wissen wie gut ich mich auf ihn verlassen konnte. Fast so gut wie damals auf Liam... Dieser hatte mir oft aus der Patsche geholfen, bis er mir in den Rücken geschossen hatte. Sicher würde er es erneut tun, wenn er erfuhr, dass ich überlebt hatte. Er war Assassine. Gist war Templer und würde mich sicherlich ebenfalls erschießen, sollte er erfahren, dass ich einst Assassine gewesen war. Und wer war ich nun? Ich stand zwischen zwei erbitterten Feinden, darauf achtend meine Identität nicht preis zu geben, da dies meinen Tod bedeuten würde. Anstatt mich zu verstecken und ein neues, ruhiges Leben zu beginnen, war ich dabei meinen ehemaligen Feinden zu helfen in der Hoffnung... Ja auf was? Frieden? Vielleicht, doch würde es sicher mehr brauchen für Frieden in den Kolonien als den Nachschub an Kriegsgütern für die Franzosen zu behindern. Ich war mir sicher, dass meine letzte Schlacht noch lange nicht geschlagen war und auch, dass ich es nicht würde verhindern können, mich den Assassinen entgegenzustellen. Das Schiff driftete in die Strömung und langsam nahmen wir Fahrt auf. Wieder sah ich zum Ufer doch alles war still. Keine Soldaten stürmten auf den Strand, keine lauten Rufe hallten aus dem Wald heraus. Wir hatten fast eine halbe Meile zwischen uns und den Steg gebracht, da stolperten vier in blau gekleidete Gestalten an den Strand, doch wir waren zu weit entfernt, als dass sie noch etwas hätten unternehmen können. Zu dem sahen wir harmlos aus. Eine Brigg mit französischem Namen und ein Begleitboot ohne erkennbare Flagge die sich langsam Fluss abwärts bewegten und um eine sanfte Biegung außer Sicht verschwanden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)