You Can't Handle The Truth von Aphrodi ================================================================================ Doubt VS. Belief ---------------- Schlüssel klirrten, die Tür fiel ins Schloss, der Gucci-Kulturbeutel landete auf dem Sideboard im Flur. Nochmal ein Klirren der Schlüssel, die sich zu dem Kulturbeutel gesellen durften. Als Jordan die Küche betrat, dachte er für einen kurzen Moment wirklich, er wäre im falschen Haus gelandet. Natürlich eigentlich unmöglich, hatte er doch gerade mit seinem Schlüssel die Haustür aufgeschlossen. Aber das war eben Jordan. Als ob er sich mit solchen Details beschäftigte, wenn vor seinen Augen ein kleines Mädchen am Tisch saß, ein Glas Saft mit Strohhalm vor sich. Ihre Beine baumelten leicht in der Luft umher. Es würde noch einige Zeit dauern, bis sie beim Sitzen den Boden berühren würden. War für ihn allerdings auch egal, wie kurz ihre Beine waren. Fakt war, da saß ein Kind an seinem Küchentisch. In seinem Haus.   „Wer ist das?“, fragte der Fußballer fast ein wenig plump, blickte dabei zu Angel rüber, der irgendetwas am Herd machte. Was, das konnte ernicht erkennen, der Blick wurde von dem Körper des anderen einfach versperrt. Er erinnerte sich nicht daran, dass der Psychologe heute auf eines der Kinder aus der Nachbarschaft aufpasste - ganz ehrlich, er wusste nicht einmal, wie diese aussahen. Jordan konnte also nicht mal sagen, zu wem sie gehörte.   „Deine Tochter.“ Angel drehte sich bei seinen Worten nicht mal um, alles was der Sportler von ihm sehen konnte, war seine Kehrseite und er war deutlich irritiert von dem trockenen Humor, den sein Lebensgefährte gerade an den Tag legte.   „Haha, klar, sehr lustig. Deinen dicken Bauch hab ich all die Monate nicht bemerkt“, gab der Kroate nun selbst zurück, deutlich sarkastisch. Er hatte keine Lust auf diese Art von Scherze und eigentlich wollte er jetzt primär etwas essen. Sein Hunger meldete sich deutlich und der leckere Geruch, der die Küche flutete, machte es nicht besser. Da Angel den Tisch noch nicht gedeckt hatte, übernahm es Jordan, ging zu Angel, um sich an einem der Schränke bedienen. Dabei fiel dem Kroaten der ernste Blick auf dessen Gesicht auf, die Worte, die folgten, versprühten nichts Anderes.   „Für mich ist daran auch nichts lustig. Sie ist deine Tochter Ivana, sagt sie. Und wenn ich sie mir so angucke, kann ich nicht abstreiten, dass sie dir ähnlich sieht.“   „Schwachsinn! Ich hab' keine Tochter!“, zischte Jordan ihm leiser zu, er war sich da auch ganz sicher. Klar, er hatte natürlich öfter Sex mit Mädchen gehabt, ganz im Gegensatz zu Angel, doch eine Tochter? Das war unmöglich. Das war Schwachsinn. Vor allem kam sie hier gerade wie aus dem Nichts.   „Keine von der du wusstest.“   „Hör auf, diesen Scheiß auch noch zu unterstützen! Das ist nicht meine Tochter!“, kam es energisch von dem Kroaten, der langsam aber sicher seine Beherrschung verlor, ebenso wie seine gedämpfte Stimme. Er war aufgebracht, das war ihm anzusehen. Seine Augen funkelten wild und wenn das hier nicht sein eigens bezahltes Haus gewesen wäre, dann hätte er mal eben etwas demoliert. Doch auch Angel schien gerade seine Ruhe zu verlieren, verzog das Gesicht etwas und sah den Kroaten nicht gerade entzückt an.   „Du verletzt ihre Gefühle, Jordan.“ Definitiv. Das Mädchen war vom Stuhl gerutscht und aus der Küche geflüchtet, noch bevor Jordan seinen Kopf zu ihr drehen konnte. Ein bisschen Leid tat es ihm im Nachhinein schon, aber er war sich einfach furchtbar sicher, dass es eine Lüge war. Für Lügner hatte er im Allgemeinen nicht viel übrig, nicht einmal für sich selbst. Noch bevor Angel dem Mädchen nacheilen konnte – es hatte so eben die Haustür hinter sich zugeschlagen – wurde er aufgehalten, fest am Arm gepackt und streng angesehen.   „Lass mich los!“   „Nicht bevor wir hier fertig sind!“   „Im Ernst, Jordan-“   „Oh, ich meine es auch total ernst!“   Keiner der beiden wollte nachgeben, ihre Blicke hingen fest aufeinander. Während Jordans Augen vor Wut funkelten, waren Angels eher von vernünftiger Ernsthaftigkeit getränkt. Nur Blicke, kein einziges Wort folgte. Einen Moment lang wirkte es so, als würden sie beide versuchen, die Kontrolle über ihre Emotionen zurück zu bekommen, sich zu beruhigen, damit sie sich nicht wieder stritten, sich Dinge an den Kopf warfen – der Punkt traf besonders auf Jordan zu -, sich verletzten. Ein ganz vernünftiges, ruhiges Gespräch. Jedenfalls war das der Plan, das, was besonders Jordan versuchte. Angel hatte damit in der Regel keine Probleme...   „Wieso glaubst du diesen Scheiß?“   „Weil es vielleicht kein Scheiß ist.“   „Sicher ist es der, dieses Mädchen taucht einfach so auf und plötzlich soll ich ihr Vater sein? Was ist mit den ganzen Jahren davor? Warum jetzt?“   „Vielleicht ist in ihrer Familie irgendetwas vorgefallen, vielleicht geht es ihrer Mutter nicht gut, das wissen wir doch alles nicht. Aber das heißt noch lange nicht, dass es eine Lüge ist, Jordan. Sie stand hier vor der Tür mit deinem Namen und deiner Adresse.“ Dass Angel gleich wieder versuchte irgendetwas zu analysieren, war für Jordan nicht einmal überraschend, es war immerhin irgendwo sein Job. Doch das bedeutete noch lange nicht für ihn, dass der Psychologe Recht hatte, nur, weil er Psychologe war. Jordan konnte ja genau so gut Recht haben. Wenn es nach ihm ging, hatte er es sowieso immer. Deswegen überzeugten ihn die Worte seines Lebensgefährten auch ganz und gar nicht, eher im Gegenteil. Sie gaben ihm nur noch mehr Grund für Negativdenken.   „Siehst du! Da fängt es schon an! Wieso hatte sie die Adresse? Ich steh' nicht mal im Telefonbuch! Das ist irgendein verrückter Groupie, der mir ihre Tochter unterschieben will, ein Stalker-Groupie wahrscheinlich noch!“, sprach Jordan seine grandiose Idee aus. So musste es schließlich sein, fand er. Mittlerweile hatte er sich einen Namen gemacht, Groupies waren da nicht mehr unüblich. Viele Mädchen himmelten junge, gutaussehende Fußballer an, manche von denen waren auch nett, schüchtern, zurückhaltend. Aber andere waren regelrecht krankhaft, so viel hatte der Kroate schon selbst mitbekommen. Der ein oder andere seiner Kollegen hatte diesbezüglich die ein oder andere Schauergeschichte zu erzählen, von denen Jordan immer hoffte, er würde niemals in so eine involviert werden. Und jetzt war er scheinbar schon mittendrin.   „Vielleicht von deiner Mutter, vielleicht aus-“   „Klar! Warum sagt mir meine Mutter dann nicht, dass ich ein Kind habe, huh?! Schwachsinn!“   „Weil sie dich nicht erreicht hat? Jordan, du bist nie erreichbar! Ich hab dich schon so oft angerufen, erst Freitag wieder, und alles, was ich zu hören kriege, ist ständig die Stimme deiner Voicemail-Ansage!“   „Ach. Und das ist jetzt meine Schuld?!“   „Das meine ich ja gar nicht“, sagte Angel, seufzte leise. Er stieß sich von der Arbeitsplatte ab, an der er gerade noch gelehnt hatte. Er wollte nicht streiten. Sie hatten schon so viele Streits hinter sich, dass sie eigentlich für ein ganzes Leben reichen würden und gerade jetzt, wo sie so langsam zur Ruhe kamen, älter und reifer wurden, ein Leben zusammen hatten, wollte er es nur noch genießen. Er wollte die Zeit mit Jordan, die er hatte, genießen. Sie hatten beide viel um die Ohren, ihre Jobs nahmen sie ein. Vor allem Jordan war oft weg, zwei Tage am Wochenende mindestens. Dazu kamen noch alles halbe Jahr ein Trainingslager nach dem anderen, Pokalspiele, Länderspiele, für die er meistens bis nach Europa fliegen musste, denn Jordan spielte nicht für die USA. Er spielte für Kroatien. Wahrscheinlich würde es auch nur noch eine Frage der Zeit sein, bis europäische Clubs bei ihm anfragten. Dass er Jordan in diesen Momenten meistens nicht einmal von sich aus erreichen konnte, war eine Qual für den jungen Mann. Wenn sie sich schon nicht sahen, dann wollte er wenigstens mit ihm reden, übers Telefon zwar, aber besser als gar nicht. Und selbst da waren lange Gespräche eine Rarität. Wenn er überhaupt erreichbar war, war Jordan kurz angebunden. Meistens rief er deswegen schon immer selbst an, wenn er Zeit für Angel hatte. Ansonsten blieb das Handy aus, so verlangte es der Verein. Handyklingeln im Bus, Handyklingen in der Kabine, Handyklingeln beim Mittagessen, beim Physiotherapeuten, bei der Teambesprechung. Das alles wurde bestraft. Und so sehr Angel das auch verstehen konnte, es frustrierte nicht weniger, wenn alles, was er wieder und wieder zu hören bekam, nur diese Voicemail-Ansage war.   „Warum ziehst du nicht einfach nur in Betracht, dass es möglich wäre, Jordan?“   Eine Antwort darauf wollte Angel gar nicht, er verstand es einfach nur nicht. Doch das war nicht die erste Situation, in der er nicht verstand, wie Jordan wieder und wieder so einen Tunnelblick aufsetzen konnte. Nicht mehr nach links oder rechts sehen, fest auf seiner Meinung beharren, nur, weil es vielleicht einfacher war, angenehmer, akzeptabler. So war er allerdings schon immer. Langsam hatte Angel es zumindest hingenommen, doch dieses Mal war es größer. Es ging um ein kleines Mädchen, um Jordans scheinbare Tochter. Wenn Jordan sich rücksichtslos und stur ihm gegenüber verhielt, war das eine Sache. Das konnte er irgendwie ertragen, doch bei der kleinen Ivana konnte Angel nicht still dasitzen. Das konnte er nicht ertragen. Und da Jordan scheinbar kein Wort mehr herausbrachte, der Herd schon ein Weilchen ausgeschaltet war, verließ er endlich den Raum, um dem kleinen Mädchen nachzueilen und sie wieder nach Hause zu holen.   Lange suchen musste Angel sie nicht, er konnte Ivana schon beim aus der Tür Gehen sehen, wie sie auf dem Bordstein an der Straße vor ihrem Haus saß, die Schultern hochgezogen, den Kopf nach vorne auf die Knie gelehnt, über denen auch die Arme zusammengelegt waren. Vorsichtig und wortlos ging er zu dem kleinen Mädchen, sah ein wenig bedrückt zu ihr herunter und setzte sich dann schweigend neben sie. Seinen Blick richtete er ebenso auf die Straße, wie das Mädchen es tat. Kein spezieller Punkt - ehrlich gesagt sah Angel gar nichts, als würde er durch alles hindurch sehen, was sich seinen Augen in den Weg stellte.   „Er meint es nicht so“, begann er leise, rührte sich ansonsten keinen Millimeter, genau so wenig, wie er seinen Blick auch nur ein Stückchen aus dem Nichts nahm. „Er kann ganz furchtbare Dinge sagen, das weiß ich. Wahrscheinlich weiß das niemand besser als ich.“   Ein schwaches Lächeln lag Angel auf den Lippen. Er war oft dabei, wenn der Kroate wieder schlimme Dinge zu anderen sagte. Dinge, die Gefühle verletzen konnten, diskriminierende Dinge, beleidigende Dinge. Und er würde es niemals selbst sagen, doch die Dinge, die Jordan ihm sagte, waren vermutlich die verletzendsten, die er überhaupt jemandem an den Kopf schmiss. Jedenfalls war das in ihrer Vergangenheit so. Was er allerdings mit seinem guten Glauben an Jordan sagen konnte, war-   „Manchmal wird er böse, besonders dann, wenn er Hunger hat. Oder wenn er anderen Kummer hat. Und dann sagt er Sachen, die er eigentlich gar nicht sagen will, weißt du? Dann tut es ihm ganz furchtbar leid, nur kann er das nicht richtig zeigen. So wie er es auch nicht richtig zeigen kann, wenn er jemanden lieb hat.“ Angels Blick ging zur Seite, doch das Mädchen hatte ihr Gesicht noch mehr in ihren Armen begraben, reagierte nicht auf seine Worte. Es ließ den jungen Mann wieder nach Worten suchen, die irgendetwas besser machen könnten. Worte, die er sich die letzten Jahre immer und immer wieder selbst gesagt hatte, Worte, die ihm halfen, wenn er wieder eine schwere Zeit mit Jordan durchmachte. Worte, die ihm immer wieder Mut gemacht hatten, die Hoffnung weckten. Diese Worte zu sich selbst zu sagen, war aber doch anders, als sie einem kleinen Mädchen zu sagen, das verdammt verletzt war, weil ihr Daddy sie verleugnete. Vorsichtig legte er eine Hand auf ihren Rücken, ganz behutsam.   „Ich weiß, es ist schmerzhaft. Und es ist viel verlangt, aber du musst ihm Zeit geben. Wir schaffen das zusammen, okay? Du bist ein großes, starkes Mädchen, das sehe ich sofort, aber wenn du jemanden brauchst, dann bin ich für dich da. Ich werde immer für dich da sein.“ Erleichterung machte sich in Angels Gesicht breit, als das kleine Mädchen sich rührte, den Kopf hob und ihn aus großen, geröteten Augen ansah, ein sanftes Lächeln mischte sich dazu, als Ivana ihre schmalen Arme um ihn schlang – jedenfalls so weit, wie sie reichten – und ihre Wange unterhalb Angels Brust anschmiegte.   „Wirklich immer?“   „Wirklich immer.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)