You Can't Handle The Truth von Aphrodi ================================================================================ Epilog ------ „Angel! Hey, Angel!“   Die Worte waren so fern, so schwach, voller Echos, die an Angels Ohr drangen, nicht definierbar, woher, nicht definierbar, wer es war, der sie ihm zukommen lassen wollte. Sie klangen verzweifelt, beunruhigt. Er schien jemandem Sorgen zu bereiten. Doch so sehr es ihm auch Leid tat – immerhin bereitete er sehr ungern anderen Sorge – , so wenig konnte er sich selbst dazu aufraffen, die Augen zu öffnen und nachzusehen, um wen es sich handelte. Eigentlich war eh schon alles egal. Er hatte alles verloren, was ihm wichtig war. Er hatte Jordan verloren. Angel wusste nicht einmal, wann seine Realität zu einer Illusion wurde. Er konnte sich nicht erklären, wann der Kroate plötzlich aufgehört hatte zu existieren, zu leben und stattdessen ein Erzeugnis seines Verstandes wurde. Er wusste nicht mehr, was er wirklich mit ihm erlebt hatte, welche schönen Momente Wirklichkeit waren, ob überhaupt einer dieser Momente wirklich gewesen war. Aber es hatte sich so wirklich angefühlt... Und jetzt wollte er nicht mehr, wollte nicht mehr aufwachen, nicht mehr in die Realität zurück, nicht in eine Welt ohne Jordan Samford. Sie wäre ohnehin genau so leer, so schwarz wie das, was er hier gerade vorfand, was ihn umgab und ihn regelrecht verschlang. Finsternis, Stille, Nichts. Doch manchmal, für kleine Augenblicke – jedenfalls kam es Angel so vor -, da hörte er diese Stimme in weiter Ferne. Schwach, leise, nur in Bruchstücken, sodass das Gesagte oft keinen Sinn ergab. Und manchmal, ebenso selten, da spürte er eine wohlige Wärme an der Hand oder am Arm. Manchmal brachte sie auch seine Wange zum Brennen. „Bitte...Nicht ohne dich...“   Doch egal, wie schön sich diese kurzen Momente anfühlten, egal, welch wohliges Gefühl sich in seinem Körper breit machte, es konnte den Schmerz und die Trauer nicht verdrängen. Nicht einmal mindern. Und anstatt die Guten, die Schönen Dinge zu sehen, die das Leben noch für ihn bereit halten würde, vielleicht, sah Angel nur eine Welt ohne Liebe, ohne Glück und ohne Jordan. Doch die war nicht attraktiv, nicht vielversprechend genug. Sie hielt nur Leid bereit. Einmal schien er es geschafft zu haben, sich selbst etwas vorzumachen, in einer Illusion zu leben, doch noch einmal würde er sich selbst nicht so belügen können. Er würde auf das Ende warten. Und er würde es hier tun, alleine in der Dunkelheit. „...an den Strand gehen...“   Lass uns an den Strand gehen, das waren normalerweise seine Worte. Worte, die er sagte, wenn es zwischen Jordan und ihm nicht gut lief, wenn die Stimmung angespannt war, wenn sie Stress hatten. Ganz zufällig, völlig unpassend, einfach aus einer Lust heraus, aus Sehnsucht. So wie jetzt. Doch dieses Mal waren es nicht seine eigenen. Trotzdem war die Sehnsucht dieselbe. Wenn es einen Himmel gäbe, dann wäre es für Angel der Strand. Für immer mit Jordan. Für immer den Sand unter den Füßen spüren. Für immer im Wasser raufen. Für immer die Sonne untergehen sehen. Wieder spürte Angel Wärme auf seiner Haut, als ob die untergehende Sonne, die lediglich in seinen Gedanken existierte, ihre letzten Strahlen auf seiner Haut verteilte. Vielleicht war es auch der Gedanke an Jordan, der Geruch seines Parfums, der Angel nur zu bekannt war. Und anstatt der Dunkelheit, die sonst auf einen Sonnenuntergang folgte, wurde es überraschend heller und heller, blendend hell, unaufhaltsam. Vielleicht war es jetzt Zeit. Er hatte lange genug gewartet. Als das gleißende Licht nachließ, offenbarte sich ihm nicht der Himmel, den er sich gewünscht hatte, doch als Hölle war das, was er sah, auch nicht zu bezeichnen. Zwar war das fahle, von Augenringen geplagte Gesicht, in das er blickte nicht strahlend schön wie das eines Engels, doch es war das schönste Gesicht, das sich der junge Mann vorstellen könnte. Und er könnte es bis in alle Ewigkeit sehen. Denn es war Jordans. Die geröteten Augen wurden größer, glänzten leicht im Licht der Deckenlampe, füllten sich mit Tränen, die der Sportler nicht zurückhalten konnte. Und jetzt spürte Angel auch den festen Griff um seine Hand. „Du hast mir gefehlt“, sagte Angel schwach, ebenso schwach war sein Lächeln. Und so wenig intensiv es nach außen war, so strahlend war es in seinem Inneren. Mit Jordan musste es ähnlich sein, denn so fertig, wie er aussah, verbarg er all sein glückliches Strahlen in seinem Innersten. In erster Linie wirkte er einfach verdammt erleichtert. „...Dann lieg' das nächste Mal nicht einen Monat lang im Koma!“, kam es wütend von dem Kroaten, was so viel hieß wie Du mir auch... in Jordans Sprache. Wie Angel wusste, wurde er wütend, wenn er besorgt war. Er wurde wütend, wenn er glücklich war, wenn er sich freute, wenn er erleichtert war. Er wurde immer wütend, meistens war es was Gutes. Ein großes Liebesgeständnis oder ein weicher Jordan hätten ihn jetzt nur wieder an der Realität zweifeln lassen müssen, denn das da vor ihm war sein Jordan und er liebte ihn genau so. Aber dennoch verstand er nicht ganz, wieso der hitzköpfige Sportler hier war, wenn das ganz offenbar nicht der Himmel war. „Hab ich das? … Tut mir Leid, ich weiß nicht... so ganz, was passiert ist.“ Er war offenbar im Krankenhaus, jedenfalls verriet das die Ausstattung, ebenso wie die Geräte, an die er angeschlossen waren – und das wunderschöne Nachthemd, das er trug. „Ja... Nachdem Ivana sich aufgelöst hat, bist du völlig zusammengebrochen. Irgendwas hast du gestammelt, dann bist du in Ohnmacht gefallen. Ich hab den Notarzt gerufen, dann hat man dich hier her gebracht, aber du wolltest einfach nicht aufwachen. Also... kam ich jeden Tag hier her, um nach dir zu sehen. Nichts hat sich getan. Und ich dachte, dass du vielleicht nie wieder aufwachen würdest.“ Es war deutlich, wie sehr Jordan all das hier geschlaucht hatte. Er sah kränklich aus, ein wenig abgemagert, völlig geschlaucht. Sein Gesicht war fahl, irgendwie ein bisschen eingefallen, nicht nur die psychische Belastung, hatte seinen Körper so ausgezehrt, die sportliche Belastung hatte ihm scheinbar den Rest gegeben. „Ich hab gehofft, dass... wenn ich mit dir rede, dass du dann aufwachst. Aber da es nicht anschlug, blieb am Ende nicht mehr viel Hoffnung übrig. … Ein Monat, Angel. Ein verdammter Monat.“ Es war deutlich, wie sehr Jordan in diesen Monat gelitten hatte, wie sehr es ihn zerrissen hatte und je länger Angel ihn ansah, desto schuldiger fühlte er sich. Und auch, wenn er sich nicht sicher sein konnte, ob das hier real war, ob das hier nicht wieder nur eine Illusion war, war er bereit es zu glauben. Denn dieser Jordan, der völlig gebrochenen Sportler, würde niemals in seinem Kopf entstehen. So etwas würde er Jordan nicht antun. Könnte er gar nicht. „Es tut mir Leid, Jordan.“ Tat es wirklich. Und er würde versuchen, alles in seiner Macht stehende zu tun, um ihn für dieses Leid zu entschädigen. Ganz ohne Illusionen. „Aber ich versteh' noch nicht so ganz. Es war vorbei, jeder hat seine Kräfte verloren. Du auch.“ „Vielleicht nicht“, begann Jordan, wobei das Vielleicht an dieser Stelle auch gestrichen werden müsste. Es war kein Vielleicht, es war ein Definitv. Der Sportler hatte die letzten Wochen Zeit gehabt, wurde ständig von dieser Frage verfolgt, wurde von dem Albtraum verfolgt, von dem er dachte, dass er vorbei war. Und er war sich nicht mehr so sicher, wer überlebt hatte und wer nicht. Ob er verfolgt werden würde oder nicht. Ob ihm jemand nach dem Leben trachtete oder nicht. Da Angel seine Finger mit im Spiel hatte, konnte so gut wie alles eine Illusion sein. Ihre letzten Jahre, der Frieden um sie herum, der den Glauben erzeugt hatte, dass es vorbei war. „Vielleicht hab ich meine Kräfte gar nicht verloren. Wir dachten nur, dass es so wäre“, begann der Kroate das Ergebnis der letzten Wochen des Nachdenkens weiterzugeben. „Ich bin Sportler, Angel. Fußballer, ein Profi. Das ist ein Mannschaftssport. Zu harte Pässe wären genau so unangebracht wie zu schnelle Sprints. Bin ich zu schnell, können mich die Mitspieler nicht richtig anspielen. Schieß' ich zu hart, können meine Mitspieler die Pässe nicht annehmen und verwerten. Ich musste mich anpassen, ich musste mich selbst drosseln, anders hätte es nicht funktioniert. Das alles ist ohne Nachdenken passiert und ohne es zu merken hab ich gelernt die Kräfte zu unterdrücken und in geringem Maß einzusetzen. Also dachten wir, die Kräfte wären weg. Aber das waren sie nicht. Ich hab nur gelernt, sie zu kontrollieren und zu unterdrücken.“ Die Erklärung war ernüchternd, ließ Angels Blick langsam ernster werden, wirklich glücklich machte ihn der Gedanke daran nicht. Aus seinem Märchen, ein normales, glückliches Leben mit seinem Prinzen zu führen, wurde scheinbar nichts, gönnte man ihnen nicht. Doch Jordan hatte es geschafft seine Kräfte zu kontrollieren. Sie beide hatten es geschafft den Drang sich gegenseitig umzubringen zu kontrollieren. Es war ein Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt in Richtung Normalität. Mehr könnten sie wohl nicht verlangen, nicht, wenn sie zusammen bleiben wollten. „Also wird es niemals enden.“ „Nicht, so lange wir beide leben.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)