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Besser die NPD als die AfD? Politik

Autor:  halfJack

Morgen sind Landtagswahlen in Sachsen. Ich habe den Wahl-O-Mat konsultiert und der sagt mir, ich solle zu 75% Die PARTEI wählen. Der Wahl-O-Mat versteht also, dass ich zynisch bin. Er sagt mir auch, dass die AfD mit 29,5% die letzte Partei ist, die ich wählen sollte. Sogar im Gegensatz zu den 38,6% für die NPD. Ich soll also lieber die NPD wählen als die AfD ...? Woran das liegt, kann ich nicht ausmachen. Vielleicht hat die NPD keine Wolfsbeauftragte Frau Grimm, die dafür sorgt, dass unsere Kinder nicht von Wölfen gerissen werden. Vielleicht hat die NPD nicht die Idee, Drohnen mit Wärmebildkameras über unseren Feldern einzusetzen, um Rehkitze vorm Mähdrescher zu retten. Das ist kein Scherz, steht alles in ihrem Wahlprogramm, unter der Überschrift: "Altparteien lassen unsere Tierwelt brutal sterben." Und das von einer Partei, die den Klimawandel leugnet.

Ein Viertel der Sachsen soll sie ja trotzdem wählen, daran ändern auch Skandale nichts. Und ich kann es mir vorstellen, wenn ich manchen Leuten in meinem Umfeld so zuhöre. Der alten Dame zum Beispiel, die in der Straßenbahn den nächsten Dreckhügel an einer Baustelle zum Anlass nimmt, um die Flüchtlinge dafür verantwortlich zu machen. Oder den Leuten im Pausenraum auf Arbeit, die den alten Spruch "Die nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg" wie ein Mantra wiederholen, während in Dresden händeringend an jeder Ecke nach Arbeitskräften gesucht wird.
Die Fragen des Wahl-O-Mats geben diese Ansichten und Prioritäten ziemlich gut wieder. Ich versuche das mal sinngemäß zu rekonstruieren: Eigene sächsische Grenzpolizei? Soll Wohngeld nur Deutschen zukommen? Sollen Asylbewerber in Abschiebehaft genommen werden? Was sind das für Fragen? Die wirklich wichtigen Inhalte erscheinen dagegen zweitrangig. Der Schwerpunkt wird verschoben.
Es sind die immer gleichen Phrasen, die aus der allgemeinen, teils unbegründeten Unzufriedenheit der Menschen heraus entstehen. Das heißt nicht, dass es uns super geht. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer, wir investieren viel zu wenig, machen durch die schwarze Null unsere Wirtschaft kaputt, vernachlässigen die Bildung und Infrastruktur usw. usw. Aber die AfD fürchtet sich vorm bösen Wolf? Das ist bezeichnend und war bereits damals beim Wahlerfolg der NSDAP Trend. Wirtschaftskrise und hohe Arbeitslosenquote in den 30er Jahren bescherten ihnen diesen Wahlerfolg, aber er ging nicht von den tatsächlich Betroffenen aus, sondern von jenen, denen es eigentlich gut ging und die nur eine diffuse Angst verspürten. "Panik im Mittelstand" nannte es der Soziologe Theodor Geiger. Eine Angst vor dem, was einseitige Berichterstattung einem vorgaukeln kann, vor Überfremdung oder davor, irgendwelches Geld weggenommen zu bekommen, von dem man gar keine Ahnung hat, wo es überhaupt anfällt und wo es hinfließt. Es ist die Suche nach simplen Antworten und eben die Angst vorm bösen Wolf.

Ich sehe die AfD keineswegs als gleichwertige Gefahr wie die NSDAP, sondern betrachte nur die Tendenz von Menschen zu Umbruchzeiten, die sich verschiedenen Extremen zuneigen. Thomas Childers bezeichnete die NSDAP als "Sammelbewegung des Protestes". Auch die AfD ist ein Sammelbecken für alle Schichten, obwohl es durchaus höhere prozentuale Anteile gibt, wie etwa den männlichen Arbeitnehmer mittleren Alters. Und von diesem, so meine Erfahrung, höre ich auch die meisten Mythen. Dass wir wieder stolz sein sollen, zum Beispiel auf unsere deutschen Soldaten im Weltkrieg. Wir sollten einen Begriff wie "völkisch" wieder etablieren, er sei ja grundsätzlich nichts Schlechtes. Der Autobahnbau hätte Arbeitsplätze geschaffen, die Wirtschaftskrise sei überwunden worden, es hätte Konsum und Wohlstand gegeben und nur so ein Quatsch. Aber ein Mythos muss ja nicht wahr sein, um Wirkung zu entfalten.

Nein, ich finde die AfD nicht unbedingt gefährlich, zumindest nicht in diesem Ausmaß. Und ich glaube auch nicht, dass es der richtige Weg ist, sie aus jeder Diskussion auszuschließen und ihre Wähler per se als Idioten zu bezeichnen. Wie gesagt, diese Wähler kommen aus jeder Schicht und werden nur frustrierter und engstirniger, wenn man sie so darstellt, glaube ich. Auch wenn die Diskussion wie das Schachspiel mit einer Taube ist. Doch ich glaube, wenn die AfD stärker an der Regierung partizipiert, werden wir uns noch viel mehr mit unnötigem Quatsch beschäftigen und nicht mit den wirklich wichtigen Dingen.

Darum zum Abschluss noch ein Video von Semsrott. Vielleicht sollte ich doch Die PARTEI wählen. Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Wertewandel der digitalen Gesellschaft Digitalisierung, Politik, Wirtschaft

Autor:  halfJack

Gar nicht so einfach, diesem Thema einen Namen zu geben. Bei Wertewandel denken wir wahrscheinlich in erster Linie an gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen, aber mir geht es hier auch um die Definition des Wertes an sich, um das neue Kapital und um eine moderne Interpretation von Marx, die uns mittlerweile an vielen Stellen begegnet.

Ich möchte in diesem Eintrag ein paar Videos sammeln, die sich mit dem Wertewandel unserer Gesellschaft in jener doppelten Auslegung befassen. Das dient mir eigentlich zur Übersicht und um ein paar Gedanken festzuhalten. Aber vielleicht findet auch der eine oder andere Mitleser etwas Interessantes für sich oder hat etwas beizusteuern.
 

Digitaler Kapitalismus
Michael Seemann beschäftigt sich hier mit der Frage, wie sich durch die Digitalisierung das Kapital eines Unternehmens wandelt und was für Auswirkungen das auf Eigentum, Arbeit, Markt und Wachstum hat. Frühere Definitionen dieser Aspekte können solche modernen Unternehmensstrukturen nicht mehr erfassen (genauso wenig, wie es unsere Steuern tun).

Seemann ist nicht der beste Redner, aber seine Darstellung ist auch für Laien leicht verständlich. Er schneidet nachvollziehbar ein paar Negativaspekte von Datensammlung / Big Data an, beispielsweise Preisdiskriminierung durch das Abgreifen eines consumer surplus. Die Probleme müssen demnach nicht gleich bei Horrorszenarien wie in China beginnen.
 

Digitale Dystopie in China
Trotzdem ist Big Data in China das Beispiel schlechthin für eine Dystopie der Digitalisierung. Noch ein Beleg dafür, dass unsere Vorstellungen von Kapitalismus und Sozialismus langsam obsolet geworden sind, denn die Kontrolle der Regierung wird in diesem Fall über das Punktesystem von Alibaba ausgeübt, also mit kapitalistischen Mitteln.

Es ist wie eine Payback-Karte für Gedankenkontrolle. Wer die richtigen Produkte kauft, bekommt Pluspunkte und somit Vergünstigungen in allen Bereichen, er erhält Reisefreiheit und Vorteile im Job. Wer hingegen die falschen Produkte kauft (Alkohol, Videospiele etc.) oder sich auffällig verhält, seine Rechnungen zum Beispiel nicht pünktlich zahlt, erhält Punktabzug. In Zukunft kann es sich in China ebenso negativ auswirken, mit den falschen Leuten befreundet zu sein. Um den eigenen Wohlstand nicht zu gefährden, nimmt man vielleicht lieber Abstand von Menschen, die einen niedrigen Punktescore haben. Somit können der Regierung unliebsame Personen sozial isoliert werden, ohne sie überhaupt noch inhaftieren zu müssen.
 

Yanis Varoufakis über Kapitalismus
Zurück zu Europa und einem Mann, den ich sehr schätze: Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister in Griechenland. Es ist zwar eine Sendung über Philosophie, aber in dem Gespräch geht es viel eher um Politik und Wirtschaft. Die ersten zehn Minuten drehen sich größtenteils um Kindheit und Jugend von Varoufakis, danach reitet der Moderator lange auf unwichtiger Kleiderordnung rum. Der ist mir ohnehin unsympathisch, zitiert falsch und haut sogar ein paar eigentlich schon rassistische Aussagen raus (die Griechen seien ein unehrliches Volk oder so). Aber nach einer Viertelstunde geht es dann um Kapitalismus und den Unterschied zwischen Preis und Wert bzw. eine neue Art von Wertschöpfung, die von Kapital und Geld unabhängig ist.

Es geht u.a. um die Entfremdung von der eigenen Arbeit und um Disintermediation in allen Bereichen. Viele Berufsfelder sind überflüssig geworden, ein Resultat davon sind Bullshit-Jobs, daher sollten wir uns darauf besinnen, welchen (Lebens-)Wert wir uns wirklich erarbeiten. Ein paar der angeschnittenen Aspekte werden auch im folgenden Jung&Naiv-Interview nochmal aufgegriffen.
 

Varoufakis über die Situation in Europa
Das Interview ist vom letzten Jahr, Varoufakis sagt bereits den Untergang der SPD bei der folgenden Wahl voraus, was vielleicht kein Talent ist, wenn man die Entwicklung beobachtet hat. Interessanter ist allerdings seine Vorstellung von einem bedingungslosen Grundeinkommen, das er mehr als einen Anteil am Kapital der digitalisierten Großkonzerne sieht. Damit sind wir wieder beim ersten Thema angelangt: Big Data als neuem Kapital der Unternehmen. Da wir gezwungenermaßen unsere Daten abgeben und Konzerne damit arbeiten, sind wir quasi zu inoffiziellen Mitarbeitern geworden. Daher fordert Varoufakis eine Dividende für alle Bürger aus dieser neuen Wertschöpfung.

Anfangs noch belächelt und für naiv und utopisch gehalten, so ist das bedingungslose Grundeinkommen mittlerweile in die politischen Diskussionen eingegangen. Auch das ist ein Zeichen des doppelten Wertewandels unserer Gesellschaft.
 

Richard David Precht über den historischen Kontext
Precht sieht die mögliche Umsetzung eines bedingungslosen Grundeinkommens in einer Finanztransaktionssteuer. Das Interview hier ist ganz informativ, weil er auf die Entwicklung der letzten 100 Jahre eingeht und erklärt, warum das keine Träumerei, sondern eher ein logischer Schritt ist, da sich unsere Gesellschaft in diesem tiefgreifenden Wandel befindet.

Anfang der 70er Jahre gab der Club of Rome mit den "Grenzen des Wachstums" eine noch heute bekannte Studie in Auftrag, die den Fortschritt, nicht nur mit Blick auf die Ressourcen, in seine Schranken weist. Die Vorteile des Kapitalismus und der Globalisierung trugen zum Frieden bei und gingen mit einer Fortschrittsgläubigkeit einher. Fortschritt war automatisch positiv konnotiert. Aber diese Perspektive sollte nun langsam zu einem Ende kommen. Eine moralische Umorientierung zeichnet sich bereits ab und spiegelt sich in den zahlreichen Debatten über Nachhaltigkeit wider. Der Wandel sollte sich aber auch bei Bildung, Arbeit und Wertschöpfung zeigen.

Tage des Schreckens: Bild dir deine Meinung (auch ohne BILD) Medien, Politik

Autor:  halfJack

Wenn Menschen eine Meinung haben, dann suchen sie in jeder neuen Nachricht Hinweise, die ihre Annahme bestätigen, und stufen gegenteilige Informationen als weniger wichtig ein. Das heißt aber nicht, dass Medien keine Macht besäßen. Sie vermitteln uns von Beginn an nicht nur Informationen, sondern eben auch besagte Meinungen.
Die letzten beiden Einträge zum Thema Flüchtlinge, Fremdenfeindlichkeit, PEGIDA etc. habe ich über Falschannahmen geschrieben. Dieser Eintrag hier soll sich nun speziell mit der Vermittlung in den Medien, vor allem im Fernsehen, beschäftigen. Denn was mich an der ganzen Kiste zunehmend stört, eigentlich schon regelrecht beunruhigt, ist die Art und Weise, wie in den Medien flächendeckend mit der Thematik umgegangen wird. Hierbei möchte ich mich auf keine Seite stellen; mir war sowohl die übertriebene Propagierung der Willkommensstimmung nicht ganz geheuer – als würden wir gar nicht daran denken, dass damit viel Arbeit und eine enorme Verantwortung auf uns zukommen – als auch die jetzige Darstellung der letzten Ereignisse – als würde ganz Deutschland im Abgrund versinken und der Terror an jeder Ecke lauern.

Mittlerweile ist es normal, dass viele durch diverse Internetseiten schon längst über alles Bescheid wissen, bevor sie die Nachrichten einschalten oder erst recht eine Zeitung aufschlagen. Ist das der Grund, warum man das Gefühl bekommt, die Nachrichten seien nicht mehr zur Berichterstattung da, sondern um der ganzen Geschichte einen reißerischen Titel zu geben? Namensgebungen wie „Nacht der Gewalt“ oder „Woche des Schreckens“ machen es nicht besser. Das klingt verdächtig nach Horrorfilm, man denkt unwillkürlich an Blitz- und Donnerschlag im Hintergrund. Vor einigen Jahren kannte ich so etwas nur aus den Überschriften der BILD-Zeitung, nun sehe ich solchen Unsinn auf N24. Wobei „Unsinn“ vielleicht nicht unbedingt taktvoll klingt, denn die Geschehnisse sind schlimm genug. Man kann auch nicht immer verlangen, dass die Nachrichten stets distanziert und neutral bleiben, das erwarte ich auch gar nicht, aber die Auswahl und Inszenierung der Informationen ist meines Erachtens zu einseitig.
Vor einem Jahr hatte die übertriebene Propagierung der Willkommenskultur möglicherweise noch etwas Positives. Die Berichterstattung war einseitig, aber sie hatte wenigstens keinen negativen Effekt, führte sogar zu Initiative und Tatkraft, besonders bei den Jüngeren. Diese Tendenz kehrt sich nun mit der Angst ins Gegenteil um.

Ich möchte Merkel keineswegs in den Himmel heben, es gibt genügend Kritikpunkte, die man in den Nachrichten mal ansprechen sollte und die komischerweise stillschweigend hingenommen werden, aber eine Sache beim Kurs im Flüchtlingsthema ist doch irritierend. Sie sagte am Anfang: „Wir schaffen das!“, doch gleichzeitig mit dem mahnenden Zeigefinger, dass es nicht einfach werden würde, dass es Einschränkungen geben könnte und alle mithelfen müssten. Jetzt scheint es fast, als hätte nie jemand den zweiten Teil ihrer Aussage gehört. Es wird kritisiert, dass Merkel noch immer an ihrer Devise festhalte. Sonst regt sich doch auch jeder darüber auf, dass Politiker erst das eine sagen und später etwas ganz anderes machen. Verstehe ich das richtig, dass es nun so furchtbar ist, dass sich ein Politiker mal an sein Versprechen halten will und nicht vom Kurs abrückt? Kritik ist niemals verkehrt, aber nicht in einem Guss, indem man die Aufnahme von Flüchtlingen in Frage stellt, kurz nachdem man einen Amoklauf als Terrorakt verkauft hat.

Nun kann eingewendet werden, dass die Nachrichten das gar nicht eindeutig so darstellten oder dass es nicht flächendeckend geschieht. Aber wer macht sich ausreichend durch Zeitungen und Internetportale ein vollständiges Bild? Zumindest die Leute in meiner Umgebung machen das nicht, bei ihnen wird schlicht (auch jetzt noch!) die Meinung vertreten, die letzten drei, vier Anschläge hätten alle Terrorhintergrund und wären verschuldet durch die Flüchtlingskrise.
Bei den Ereignissen in München handelte es sich jedoch nicht um einen weiteren IS-Terroranschlag, sondern um einen Amokläufer, einen Deutsch-Iraner, der sich selbst eindeutig als Deutscher bezeichnete und dessen Motivation Fremdenhass war. Dafür spricht auch, dass seine Opfer sehr unterschiedlicher Nationalität waren: ungarisch, deutsch-türkisch, deutsch, türkisch, kosovarisch, griechisch und staatenlos. Das Motiv des Fremdenhasses entspräche demnach sogar dem Gegenteil von dem, was einige in meiner Umgebung behaupten.
Wer sich mit Kriminalgeschichte beschäftigt, weiß, dass das Empfinden der Bevölkerung, wie es um die Sicherheit bzw. Kriminalität steht, häufig nicht mit der tatsächlichen Kriminalitätsrate einhergeht. (Über Kriminalitätsstatistik könnte man an dieser Stelle auch ein Fass aufmachen, aber das würde hier den Rahmen sprengen; wer möchte, kann dazu trotzdem gern was sagen.)  Dieses Empfinden wird beeinflusst von größeren Ereignissen und natürlich von den Medien. Da wird so eine Anhäufung von Attentaten aufgebauscht zur „Woche des Schreckens“, weil es dem Tenor der Masse und mitunter der Politik gefällt. Die Medien vermitteln das, was die Leute hören wollen, und die Leute reden den Medien nach dem Mund.
In den „Tagen des Schreckens“ häuften sich scheinbar die Fälle von Menschen mit Migrationshintergrund. Aber dieser rassistische Amoklauf oder ein Fall, in welchem ein Mann seine Frau mit einem Dönermesser (in den Nachrichten wurde daraus gleich eine Machete gemacht) angreift, hat nichts mit Terror zu tun, trotzdem wird es in diesen Kanon gestellt. Warum? Um die Leute in Panik zu versetzen? Was ist mit Fällen von deutscher Kriminalität, wenn die sich mal häufen, warum wird das alles nicht in den Nachrichten breitgelatscht? Man merkt sofort, dass sich alles nur auf Terror ausrichtet, da sind auch die Anschläge in Thailand in weiter Ferne wichtig. Weil es das allgemeine Unsicherheitsgefühl der Leute wiederspiegelt und gerade gut zur Stimmung passt? Zumindest habe ich in den regulären Medien nichts davon gehört (anderen wird es da vielleicht anders gehen), wie in Japan ein Mann 19 Menschen in einem Heim umbrachte. Und was war das Motiv? Der Täter hasste Behinderte. Wird man sich vielleicht bei uns gedacht haben: Nee, passt nicht zur derzeitigen Stimmung, können wir weglassen.

Klar, das ist nur mein Empfinden, aber ich glaube, dass durch nicht wenige der Medien bestimmte Korrelationen vermittelt werden, die so gar nicht vorhanden sind und die mir äußerst bedenklich erscheinen. Dann werden Personen auf der Straße interviewt, die meinen, sie würden sich jetzt nicht mehr unbedingt auf öffentliche Plätze trauen, wo viele Menschen sind. Es könnte ja was passieren.

Ja, ich habe auch Angst. Zum Beispiel vor Kugelschreiberteilen. Wie viele Leute sterben in der westlichen Welt an verschluckten Kugelschreiberteilen? Es ist der Wahnsinn. Vor Schokoriegeln habe ich auch Angst. Wie ungesund Fettleibigkeit ist. Ich glaube, ich sollte rauchen, um nicht dick zu werden. Wenn ich dann noch überlege, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, bei einem Autounfall zu sterben, wir müssten alle panische Angst davor haben, in unsere Autos zu steigen und das nicht erst seit gestern. Zu Hause bleiben kann man aber auch nicht, denn die meisten Unfälle passieren im Haushalt, oder nicht? Was mache ich jetzt? Statistisch gesehen passiert am wenigsten im Fahrstuhl, habe ich mal gehört. Ich sollte vielleicht nur noch Fahrstuhl fahren. Oder Flugzeug fliegen. Wenn das Flugzeug dann in ein Hochhaus knallt, hat man letztlich wohl einfach nur Pech gehabt.

Kartoffeln statt Döner: Vorurteile und Möglichkeiten zur Aufklärung PEGIDA, Politik

Autor:  halfJack

Das ist ein Eintrag, den ich eigentlich schon lange, lange verfassen wollte und der jetzt vermutlich zu einem Sammelsurium an Gedanken werden wird, die ich über die letzten Wochen anhäufte. Wahrscheinlich teile ich das thematisch noch auf; der erste Part befasst sich mit Falschannahmen und Vorurteilen und der zweite soll sich um die Darstellung in den Medien drehen.

Erster Auslöser hierfür war irgendeine Sendung über Foodtrucks. (Sorry für diese äußerst präzise Angabe; wer weiß, wovon die Rede ist, kann das gern ergänzen.) In dieser Sendung war unter anderem ein Mann mit türkischem Migrationshintergrund, der auf ein Schild von rechtstendierten Demonstranten reagierte, auf dem stand: „Kartoffeln statt Döner!“ Als Zeichen für mehr Zusammenhalt entwickelte er daraufhin einen Döner mit Kartoffeln, quasi unter dem Motto: Türkei ♥ Deutschland. Eigentlich eine löbliche Sache, die Idee fand ich ganz gut, aber was mich vielmehr irritierte, war dieses Klischee der Identifikation mit... Essen?
Und dann auch noch unter größtenteils falschen Annahmen. Um es mal salopp zu formulieren: „Kartoffeln statt Döner“ ist an sich schon himmelschreiend absurd und komisch, wenn man bedenkt, dass Kartoffeln aus Amerika stammen und der klassische Döner, wie er noch heute hier verkauft wird, in dieser Version aus Deutschland. Natürlich gab es schon vorher gedrehtes Fleisch am Spieß, was für die Türkei durchaus typisch ist, und zudem waren es türkische Einwanderer, die die Grundlagen nach Deutschland brachten. Ob der Döner nun zuerst in Berlin oder in Reutlingen verkauft wurde, sei mal dahingestellt, aber darin zeigt sich meines Erachtens eine starke internationale Assimilation. Wir können viel voneinander lernen und profitieren, warum sollten wir als Deutsche also nur Kartoffeln essen? Doch Moment, warum soll die Kartoffel überhaupt für Deutschland stehen?
Ja ja, die gute alte Kartoffel, mit der sich die Deutschen so gern identifizieren. Es kommt mir vor, als würden manche dieser Leute glauben, schon die alten Germanen hätten sich ihre Kartoffeln überm Feuer geröstet. Durch mein regionales Umfeld höre ich eine ganze Menge Grütze. Fakt ist jedenfalls, dass Kartoffeln erst im 17. Jahrhundert zu uns kamen und sich die Bauern sogar anfangs mit Händen und Füßen dagegen wehrten, sie anzubauen. Einer geschichtlichen Anekdote zufolge soll Friedrich der Große eine List angewandt haben, indem er Kartoffelfelder von Soldaten bewachen ließ. Was bewacht wird, muss wohl wertvoll sein, deshalb sollen die Knollen nachts von den Bauern gestohlen worden sein. Jedenfalls waren Kartoffeln alles andere als beliebt und vollkommen unpreußisch. Es brauchte schon Zeit und einen „Kartoffelbefehl“, bevor die Deutschen auf den Geschmack kamen.

Wenn man sich also etwas auf sein Deutschsein einbildet, sollte man dann nicht ein bisschen mehr über unsere Geschichte Bescheid wissen? Gerade heute in Zeiten des Internets, wo man nur mal ein paar Sekunden zum Googeln braucht, um etwas herauszufinden? Dabei sehe ich diese Sache gar nicht so eng. Wenn man mitten im Gespräch etwas raushaut, von dem man aufgrund von Klischees überzeugt ist, dann finde ich das nicht so wild. Man kann ja nicht alles wissen und Vorurteile oder falsche Vorstellungen gibt es immer. Doch spätestens wenn ich ein Schild mit irgendeinem Slogan schreiben will, um damit zu einer Demonstration zu gehen, würde ich diese paar Sekunden doch mal aufwenden, um zu überprüfen, ob das stimmt, was ich da behaupte.
Bei einer der PEGIDA-Demonstrationen lief mal jemand mit einem Schild herum, auf dem sinngemäß stand: „Rettet die deutsche Spache!“ Rechtschreibfehler inbegriffen. Klar kann sich jeder mal verschreiben, aber gerade bei solch einer Botschaft würde ich mein Schild vorher lieber zehnmal durchlesen, bevor ich es mir über den Kopf halte und mich damit lächerlich mache.

Gegen Meinungen aus rechts und links habe ich überhaupt nichts, erachte sie sogar als Opposition für notwendig und fruchtbar, solange etwas dahintersteckt. Nur leider begegnen mir immer wieder im Gespräch mit Personen, die sich selbst gar nicht als rechts sehen, die aber eindeutig derartige Meinungen vertreten, größtenteils Falschannahmen, Irrglauben, Halbwissen und ein erschreckend niedriges Bildungsniveau. Mit Argumenten kommt man da dummerweise nicht weit. Damit meine ich nicht, dass sich alle von Anfang an querstellen und nicht zuhören, zum Teil habe ich sogar Einlenken und Zustimmung erlebt, aber bei der nächsten Unterhaltung ist es, als hätte man nie etwas gesagt, als wäre das alles wieder gelöscht. Woran liegt das nur? Ich vermute, dass es dazwischen im familiären und Freundeskreis zu Diskussionen kommt, in denen man sich gegenseitig bestätigt, hochschaukelt und am Ende gestärkt durch das Kollektiv die eigene Meinung für richtig hält. Was kann man dagegen tun? Oder ist es ein Kampf gegen Windmühlen?
Vor anderthalb Jahren ließ ich mal meinen Frust über PEGIDA in einem anderen Blog-Eintrag aus und musste gerade feststellen, dass viele der Falschannahmen noch immer nicht beseitigt sind und dass ich an dieser Stelle einiges wiederholen könnte, obwohl nicht alles aktuell ist. In der Zwischenzeit hat sich in den Köpfen der Menschen jedoch kaum etwas geändert. Kann man tatsächlich nichts tun?

Ins Rollen gebracht von den Stipendiaten der TU Dresden versucht man es jetzt mit einer Bierdeckel-Aktion: Für einen Stammtisch ohne Parolen.
Kurz zusammengefasst handelt es sich dabei um ein Projekt, in dem über typische Vorurteile auf beidseitig bedruckten Bierdeckeln mit nachprüfbaren Fakten und Zahlen aufgeklärt wird. Man machte sich in der AG Asyl Gedanken darüber, wie man an die Leute herankommen könnte, da doch die Debatten meistens in den entsprechenden einstimmigen Kreisen geführt werden. Das Stichwort Stammtischparolen führte dann zu dieser Aktion von Aufklärung durch Bierdeckel, die seit Juli in Sachsen läuft.
Natürlich gibt es auch Bedenken. Bringt das überhaupt etwas? Bewirkt es vielleicht sogar das Gegenteil und führt erst recht zu Aggressionen? Werden diese Argumente wieder nur mit „Lügenpresse“ beiseitegeschoben? Außerdem könnten sich diejenigen davon angegriffen fühlen, die nicht in der Kneipe sitzen und so einen Bierdeckel in die Hand nehmen, die stattdessen über die Medien davon erfahren und das Gefühl haben, man würde sie alle in einen Topf mit alkoholisierten Kneipensitzern werfen. Bereits die negative Berichterstattung über PEGIDA kam bei vielen nicht gut an, weil sie sich nicht ernst genommen und als Rechtsradikale abgestempelt fühlen.

Was denkt ihr? Gibt es Möglichkeiten? Ist so eine Aktion mit Bierdeckeln gut oder eher der falsche Weg?