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Dokumentarisches Theater: Punk DDR, Dokumentarisches Theater

Autor:  halfJack

Vorführung im Museum zum Thema Scham und Stasi
Endversion:

Eine unaufgeräumte Wohnung, Blätter liegen auf dem Boden. A sitzt auf einem Tisch, neben ihm ein Kassettenspieler. Laute Punkmusik ist zu hören.

B kommt herein.

Musik aus.

A: „Hast du schon gehört? Die Bullen suchen nach dir.“

B: „Waren sie hier? Haben sie die Wohnung durchsucht?“

A: „Nein, sie haben ein paar unserer Leute auf der Straße befragt. Aber sie werden sicher bald hier aufkreuzen.“

B: „Dann wäre es besser, wenn sie die Texte nicht finden.“ B greift aufgeregt nach den Blättern am Boden, auf denen die Zitate des Dialogs stehen, und heftet sie an die Wand.

A: „Du hast Angst, das ist klar. Angst davor, dass die Bullen vor deiner Tür stehen und probieren mit deinen Texten ein Ding zu drehen.“

B: „Für die ist das nur konspiratives Gedankengut, das vernichtet gehört. Wenn es weg ist, ist es weg. Das sehe ich nie wieder, höchstens in Untersuchungshaft, als Beweisobjekt bei einer Befragung.“ B hebt ein weiteres Blatt auf, wendet sich von A ab und dem Publikum zu, spricht leise, aber deutlich, wobei er das Blatt weiter mustert. „Denen ist es egal, ob mir das wehtut. Die kennen kein Mitleid und keine Scham. Wenn sie das vernichten, zerstören sie ein Stück von mir selbst.“

Musik an.

B (schreiend über die Musik): Ich habe die Geschichte nicht gemacht
Und bin doch abgegrenzt und scharf bewacht
Sie sprechen vom Arbeiter- und Bauerstaat
Und vernichten ihre eigene Saat
Ich weiß nicht, hätte Marx geweint oder gelacht,
könnte er sehen, was ihr mit uns macht
Wir sind neugeboren in Trauer.“

Musik aus. A steht auf, geht zu B.

B: „Wir sind die Fehlgeburten der Mauer.“

A nimmt B den Zettel ab, hält ihn warnend hoch.

A: „Das kann dir eine Menge Ärger einbringen.“

A behält den Zettel den Rest der Szene bei sich.

B: „Ärger habe ich auch so. Überall kontrollieren sie dich, nehmen dir den Ausweis, rauben dir die Identität. Wo sollen wir denn hin? Sind wir eine Gefahr? Ich glaube, das ist reine Schikane, weil wir nicht ins Bild passen. Wir provozieren, klar, aber wir wollen doch bloß tun, worauf wir Lust haben. Wenn du nur mal zu einem Konzert willst, hält die Transportpolizei dich so lange fest, bis der Zug abgefahren ist. Ich habe Verbote für öffentliche Plätze und ganze Stadtviertel, nur weil ich mich dort mal mit meinen Freunden treffe. Ich darf praktisch nur noch die Strecke zwischen meiner Arbeitsstelle und der Wohnung benutzen. Sogar willkürliche Festnahmen sind eine Alltäglichkeit geworden.“

A (ironisch militaristisch): „Die Bezeichnungen sind nicht korrekt, Genosse. Im Neusprech des Staatsapparats nennt man das anders. Ansammlungen von mehr als drei Personen sind eine 'Zusammenrottung' und Festnahme heißt offiziell 'Zuführung'.“

B: „Da hast du Recht, man kann ohne weiteres bis zu 24 Stunden lang auf irgendeiner Polizeistation zugeführt sein.“

A: „'Zur Feststellung eines Sachverhaltes'.“

B: „Sobald ich mich mit ein paar von unseren Leuten gleichzeitig an einem Ort befinde, sind wir keine Freunde mehr, sondern...“

A: „...eine ‚antikommunistische Gruppierung’.“

B: „Dabei klingt das wie ein Widerspruch in sich. Kommunismus sollte doch von Gemeinschaft leben. Stattdessen wird jeder zwischen den Mauern isoliert und bloßgestellt. Ich frage mich, wo ich die nächste Nacht verbringen werde.“ B geht auf die Knie und nimmt die Hände auf den Rücken. „Wieder im Hof eines Polizeireviers, festgeknotet an einem Fahnenmast?“ Während A spricht, heftet B nun nach und nach weitere Zettel an die Wand.

A: „Letztens wurde ich für zwölf Stunden in Polizeigewahrsam genommen, weil ich die Straße diagonal überquert habe. Die Polizisten haben mich mal wieder in eine Diskussion über mein 'unsozialistisches und dekadentes Aussehen' verwickelt, das aus schwarz gefärbten Haaren und Schnürstiefeln besteht. Ich habe aus der DDR-Verfassung zitiert, dass jeder aussehen darf, wie er will und es nicht auf das Aussehen ankommt, dann wies ich darauf hin, dass Margot Honecker, unsere Volksbildungsministerin und die Frau des Staatsratsvorsitzenden, sogar blau gefärbte Haare hat. Als ich die Genossen in Widersprüche verstrickte, kam der überzeugende Satz: 'Nun werden se nich noch frech!'“

B (lachend): „Den Satz müssen sie wohl in der Ausbildung wieder und wieder üben. Ich kann es mir richtig vorstellen. Eine Reihe von Beamten und Obermeister Meier sagt: ‚Sprechen sie mir nach!‘ Und alle: ‚Nun werden se nich noch frech!‘“

B will weitere Zettel vom Boden aufheben, hält aber im Folgenden inne und hört A zu.

A: „Wir fuhren auf irgendein Polizeirevier und ich musste mich dort ausziehen, damit meine Sachen genau überprüft werden konnten. Die haben jeden Zettel gründlich studiert und jede Kassette abgehört, während ich mehr oder weniger nackt daneben stand.“

B (sich abwendend und leise): „Hast du dich da nicht geschämt?“

Musik an.

A sitzt wieder auf dem Tisch und B hängt nun allmählich die letzten Zettel an die Wand.

B (nach einer Pause laut): „Man traut sich kaum, die Wohnung zu verlassen. Aber vielleicht ist es sogar hier nicht sicher.“

Musik aus.

A: „Meinst du nicht, du übertreibst?“

B: „Die haben uns doch von Anfang an umsorgt und umlagert. Kannst du dich nicht erinnern? Unser erstes Konzert hatten wir mitgeschnitten, und die Aufnahmen wurden sofort geklaut. Oder wenn sie dir ganz detailliert Sachen erzählen, von denen kaum einer was weiß. Das ist doch alles merkwürdig.“

A (ironisch unheilvoll): „Und beim Nachhausekommen meinst du wohl, du spürst, dass jemand in der Wohnung war. Vorhänge im Nebenhaus scheinen sich zu bewegen. Ach, hör doch auf. Wenn wir reden wollen, sollten wir sonst vielleicht besser auf die Straße gehen.“

B: „Das Schlimmste bei solchen Ängsten ist doch gerade die Frage: Ist das wahr oder träumst du das bloß?“ B hängt den letzten Zettel an die Wand, der Boden ist nun leer. „Der ganze Bullenstress und die ständige Überwachung nerven auf die Dauer zwar ganz schön, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.“ Wendet sich wieder von A ab, dem Zuschauer zu und spricht leise, wie für sich. „Kann man sich an so etwas gewöhnen und nichts mehr dabei fühlen? Wenn ich mich auf mein Gefühl verlasse, dann ist die Paranoia real. Man muss sich damit auseinandersetzen und darauf achten, mit wem man wie spricht. Darum bin ich froh, mich auf meine Freunde verlassen zu können.“ Während B abgewandt ist, faltet A langsam das Blatt vom Anfang zusammen und schiebt es schließlich in seine Hosentasche, wo es ein Stück hervorlugt.

Stimme aus dem Publikum: „Das eigentlich Überraschende für uns war im Nachhinein, dass die Stasi direkt unter uns gewirkt hat, also aktive Macher in der Szene hatte. Wir hatten geglaubt, dass sich die peripheren Mantelträger um uns kümmern. Wir haben nicht gewusst, dass da Freunde und Kollegen involviert sind.“

A: „Unsere Aufmüpfigkeit war altersgemäße, pubertäre Unzufriedenheit.“

B: „Ob uns das nicht peinlich war? Mit zerrissenen Hosen und wilden Haaren, während die Leute dich anstarren und murmeln: Dass die sich nicht schämen.“

A: „Das Problem ist doch, dass der Staatsapparat dir deine Scham abgewöhnt.“

B: „Bei dem einen Mal, da hatte ich irgendsoein Top an und da knallte mir die linke Brust raus. Na ja, ich steck die doch nicht wieder rein, ich lass die doch draußen. Die haben auch alle gedacht, das gehört dazu. Vorher war ich im Grunde genommen beschämt, katholisch und romantisch. Und da stieg ich auf die Bühne und ja, ist mir doch wurscht, ob der Busen rausguckt oder nicht. Da hat sich schon viel in mir verändert. Was bringt es denn auch? Du kannst dir nicht die ganze Zeit Gedanken machen, was andere über dich denken. Dir selbst ist das viel wichtiger als den anderen.“

Publikum: „Dass die sich nicht schämen.“

B: „Das Problem ist doch, dass der Staatsapparat dir deine Scham abgewöhnt.“

A: „Irgendwann merkst du, dass es egal ist. Weil du dem Apparat egal bist. Also muss man machen, dass es wirklich keine Rolle mehr spielt. Dann können sie dich auch nicht mehr bloßstellen.“

Publikum: „Dass die sich nicht schämen“

A: „Das Problem ist doch, dass der Staatsapparat dir deine Scham abgewöhnt.“

B: „Punk war unser Ausdrucksmittel. ‚Anarchie’ war nur ein Symbol dafür, dass wir uns nicht unterordnen wollten. Eigentlich ganz normaler Teeniekram: Musik, Radau und Provokation. Wir wollten mit lustigen Aktionen schocken. Randale war immer nur Pose. Das haben aber leider nicht alle kapiert.“

Publikum: „Dass die sich nicht schämen.“

B: „Das Problem ist doch, dass der Staatsapparat dir deine Scham abgewöhnt.“

A: „Wenn möglich will der Staat dieses ganze feindliche Potential einbuchten oder wegschicken. Etliche von unseren Leuten wurden in den Westen abgeschoben und das nicht einmal freiwillig. Vor die Alternative gestellt ‚Westen oder Knast’, wählten sie doch lieber den Weg durch die Mauer.“

B: „Einen Weg, den viele von ihnen von sich aus nicht gesucht hätten.“

Publikum (mehrfach wiederholt und überlagernd): „Dass die sich nicht schämen.“ usw.

B (unterbricht das Stimmengewirr laut): „Das Problem ist doch, dass der Staatsapparat dir deine Scham abgewöhnt!“

A: „Doch was ist, wenn man keine Alternative hat? Welchen Weg wählt man dann? Die erste Generation von ‚staatsfeindlichen Subjekten‘ in der DDR wurde binnen kürzester Zeit nahezu gänzlich ‚zersetzt‘. Bald stellte sich der Osten trostloser dar als zuvor, zahlreiche Freunde sind nahezu spurlos verschwunden.“

B: „Die Punkszene war zerschlagen. Ich hatte Verfolgungswahn, richtig heftig. Ich habe viel Alkohol getrunken und Tabletten genommen in der Hoffnung, zu sterben. Ich bin besoffen auf die Straße, völlig heulend. Und das war für mich am schlimmsten, weil mir bewusst wurde, dass mir niemand helfen kann.“

A: „Wie krank muss ein System sein, damit es sich vor seiner Jugend fürchtet?“

B: „Wir wollten anders sein, auffallen, herausfallen. Wir wollten uns von den Normalos abgrenzen, doch wollten wir auch selbst abgegrenzt und ausgegrenzt sein?“

A und B (gleichzeitig): „Wir sind allein.“

Dokumentarisches Theater: Punk DDR, Dokumentarisches Theater

Autor:  halfJack

Vorführung im Museum zum Thema Scham und Stasi
3. Version:

Eine unaufgeräumte Wohnung, Blätter liegen auf dem Boden. Eine Tafel zum Aufklappen symbolisiert einen Schrank, an ihr können Zettel mit Magneten befestigt werden; wenn man sie zuklappt, ist davon nichts mehr zu sehen. A sitzt an einem Tisch, neben ihm ein Kassettenspieler. B kommt herein.

A: „Hast du schon gehört? Die Bullen suchen nach dir.“

B: „Waren sie hier? Haben sie die Wohnung durchsucht?“

A: „Nein, sie haben ein paar unserer Leute auf der Straße befragt. Doch sie werden sicher bald hier aufkreuzen.“

B: „Dann wäre es besser, wenn sie die Texte nicht finden.“ B greift nach einem Blatt am Boden und betrachtet es. „Wo soll ich das verstecken? An der Rückseite des Schranks vielleicht?“ B klappt die Tafel auf und heftet den aufgehobenen Zettel daran. Darauf steht das Zitat, das A kurz darauf spricht.

A: „Du hast Angst, das ist klar. Angst davor, dass die Bullen vor deiner Tür stehen und probieren mit deinen Texten ein Ding zu drehen.“

B: „Für die ist das nur konspiratives Gedankengut, das vernichtet gehört. Wenn es weg ist, ist es weg. Das sehe ich nie wieder, höchstens in Untersuchungshaft, als Beweisobjekt bei einer Befragung.“ B hebt ein weiteres Blatt auf, wendet sich von A ab und dem Publikum zu, spricht leise, aber deutlich, wobei er das Blatt weiter mustert. „Denen ist es egal, ob mir das wehtut. Die kennen kein Mitleid und keine Scham. Wenn sie das vernichten, zerstören sie ein Stück von mir selbst.“ Währenddessen ist auch A von B abgewandt und dreht die Musik (oder statisches Rauschen) bei dem Kassettenspieler etwas lauter, um womöglich B nicht zu hören. Sehr laut, fast schreiend liest B den Liedtext auf einem der Zettel vor. (Alternativ wird nicht vorgelesen, sondern ein entsprechendes Lied abgespielt.)

B: Ich habe die Geschichte nicht gemacht
Und bin doch abgegrenzt und scharf bewacht
Sie sprechen vom Arbeiter- und Bauerstaat
Und vernichten ihre eigene Saat
Ich weiß nicht, hätte Marx geweint oder gelacht,
könnte er sehen, was ihr mit uns macht
Wir sind neugeboren in Trauer
Wir sind die Fehlgeburten der Mauer.1

A dreht die Musik leiser und nimmt B den Zettel ab.

A: „Das kann dir eine Menge Ärger einbringen.“

A heftet das Papier an die Tafel, worauf der vorgelesene Liedtext steht.

B: „Ärger habe ich auch so. Überall kontrollieren sie dich, nehmen dir den Ausweis, rauben dir die Identität. Wo sollen wir denn hin? Sind wir eine Gefahr? Ich glaube, das ist reine Schikane, weil wir nicht ins Bild passen. Wir provozieren, klar, aber wir wollen doch bloß tun, worauf wir Lust haben. Wenn du nur mal zu einem Konzert willst, hält die Transportpolizei dich so lange fest, bis der Zug abgefahren ist. Ich habe Verbote für öffentliche Plätze und ganze Stadtviertel, nur weil ich mich dort mal mit meinen Freunden treffe. Ich darf praktisch nur noch die Strecke zwischen meiner Arbeitsstelle und der Wohnung benutzen. Sogar willkürliche Festnahmen sind eine Alltäglichkeit geworden.“

A (ironisch): „Die Bezeichnungen sind nicht korrekt, Genosse. Im Neusprech des Staatsapparats nennt man das anders. Ansammlungen von mehr als drei Personen sind eine 'Zusammenrottung' und Festnahme heißt offiziell 'Zuführung'.“

B (monoton): „Da hast du Recht, man kann ohne weiteres bis zu 24 Stunden lang auf irgendeiner Polizeistation zugeführt sein.“

A: „'Zur Feststellung eines Sachverhaltes'.“

B: „Sobald ich mich mit ein paar von unseren Leuten gleichzeitig an einem Ort befinde, sind wir keine Freunde mehr, sondern...“

A: „...eine ‚antikommunistische Gruppierung’.“

B: „Dabei klingt das wie ein Widerspruch in sich. Kommunismus sollte doch von Gemeinschaft leben. Stattdessen wird jeder zwischen den Mauern isoliert und bloßgestellt. Wer weiß, wo ich die nächste Nacht verbringen werde. Wieder im Hof eines Polizeireviers, festgeknotet an einem Fahnenmast?“

A: „Letztens wurde ich für zwölf Stunden in Polizeigewahrsam genommen, weil ich die Straße diagonal überquert habe. Die Polizisten haben mich mal wieder in eine Diskussion über mein 'unsozialistisches und dekadentes Aussehen' verwickelt, das aus schwarz gefärbten Haaren und Schnürstiefeln besteht. Ich habe aus der DDR-Verfassung zitiert, dass jeder aussehen darf, wie er will und es nicht auf das Aussehen ankommt, dann wies ich darauf hin, dass Margot Honecker, unsere Volksbildungsministerin und die Frau des Staatsratsvorsitzenden, sogar blau gefärbte Haare hat. Als ich die Genossen in Widersprüche verstrickte, kam der überzeugende Satz: 'Nun werden se nich noch frech!'“

B: „Den Satz müssen sie wohl in der Ausbildung wieder und wieder üben.“

A: „Wir fuhren auf irgendein Polizeirevier und ich musste mich dort ausziehen, damit meine Sachen genau überprüft werden konnten. Die haben jeden Zettel gründlich studiert und jede Kassette abgehört, während ich mehr oder weniger nackt daneben stand.“

B (nach einer Pause von A abgewandt, als würde er die Frage nicht an A stellen): „Hast du dich geschämt?“ Statt zu antworten, dreht A die Musik lauter.

B: „Man traut sich kaum, die Wohnung zu verlassen. Aber vielleicht ist es sogar hier nicht sicher.“

A (dreht die Musik leiser): „Meinst du nicht, du übertreibst?“

B: „Die haben uns doch von Anfang an umsorgt und umlagert. Kannst du dich nicht erinnern? Unser erstes Konzert hatten wir mitgeschnitten, und die Aufnahmen wurden sofort geklaut. Oder wenn sie dir ganz detailliert Sachen erzählen, von denen kaum einer was weiß. Das ist doch alles merkwürdig.“

A (ironisch unheilvoll): „Und beim Nachhausekommen meinst du wohl, du spürst, dass jemand in der Wohnung war. Vorhänge im Nebenhaus scheinen sich zu bewegen. Ach, hör doch auf. Wenn wir reden wollen, sollten wir sonst vielleicht besser auf die Straße gehen.“

B: „Das Schlimmste bei solchen Ängsten ist doch gerade die Frage: Ist das wahr oder träumst du das bloß? Der ganze Bullenstress und die ständige Überwachung nerven auf die Dauer zwar ganz schön, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.“ Wendet sich wieder von A ab, dem Zuschauer zu und spricht leise, wie für sich. „Kann man sich an so etwas gewöhnen und nichts mehr dabei fühlen? Wenn ich mich auf mein Gefühl verlasse, dann ist die Paranoia real. Man muss sich damit auseinandersetzen und darauf achten, mit wem man wie spricht. Darum bin ich froh, mich auf meine Freunde verlassen zu können.“ Während B von A abgewandt ist, faltet A langsam ein letztes Blatt zusammen, das er in der Hand hält und schließlich in seine Hosentasche schiebt. Dabei/danach eine Stimme aus dem Publikum oder vom Tonband:

Publikum: „Das eigentlich Überraschende für uns war im Nachhinein, dass die Stasi direkt unter uns gewirkt hat, also aktive Macher in der Szene hatte. Wir hatten geglaubt, dass sich die peripheren Mantelträger um uns kümmern. Wir haben nicht gewusst, dass da Freunde und Kollegen involviert sind.“

Während der folgenden Aussagen entfernen sich A und B schrittweise voneinander zur jeweils vorderen Ecke rechts und links.

A: „Unsere Aufmüpfigkeit war altersgemäße, pubertäre Unzufriedenheit.“

B: „Ob uns das nicht peinlich war? Mit zerrissenen Hosen und wilden Haaren, während die Leute dich anstarren und murmeln: Dass die sich nicht schämen.“

A: „Das Problem ist doch, dass der Staatsapparat dir deine Scham abgewöhnt.“

B: „Punk war unser Ausdrucksmittel. ‚Anarchie’ war nur ein Symbol dafür, dass wir uns nicht unterordnen wollten. Eigentlich ganz normaler Teeniekram: Musik, Radau und Provokation.“

A: „Dass die sich nicht schämen.“

B: „Das Problem ist doch, dass der Staatsapparat dir deine Scham abgewöhnt.“

A: „Irgendwann merkst du, dass es egal ist. Weil du dem Apparat egal bist. Also muss man machen, dass es wirklich keine Rolle mehr spielt. Dann können sie dich auch nicht mehr bloßstellen.“

Publikum: „Dass die sich nicht schämen“

A: „Das Problem ist doch, dass der Staatsapparat dir deine Scham abgewöhnt.“

B: „Wir wollten mit lustigen Aktionen schocken. Randale war immer nur Pose. Das haben aber leider nicht alle kapiert.“

Publikum: „Dass die sich nicht schämen.“

B: „Das Problem ist doch, dass der Staatsapparat dir deine Scham abgewöhnt.“

A: „Wenn möglich will der Staat dieses ganze feindliche Potential einbuchten oder wegschicken. Etliche von unseren Leuten wurden in den Westen abgeschoben und das nicht einmal freiwillig. Vor die Alternative gestellt ‚Westen oder Knast’, wählten sie doch lieber den Weg durch die Mauer.“

B: „Einen Weg, den viele von ihnen von sich aus nicht gesucht hätten.“

Aus unterschiedlichen Stellen im Publikum werden die ein oder zwei Sätze abwechselnd, überlagernd, lauter werdend wiederholt, möglicherweise auch von A und B mit Widerrede des zweiten Satzes begleitet.

Publikum: „Dass die sich nicht schämen.“ usw.

Publikum oder A/B: „Das Problem ist doch, dass der Staatsapparat dir deine Scham abgewöhnt.“

B unterbricht das Stimmengewirr mit einem lauten Ausruf („Ruhe!“, „Hey!“ o.ä.).

A: „Doch was ist, wenn man keine Alternative hat? Welchen Weg wählt man dann?“

B: „Die Punkszene war zerschlagen. Ich hatte Verfolgungswahn, richtig heftig. Ich habe viel Alkohol getrunken und Tabletten genommen in der Hoffnung, zu sterben. Ich bin besoffen auf die Straße, völlig heulend. Da war eine Situation, ich stehe an so einer Lichtlampe und heule und eine Frau fragt, ob sie mir helfen kann. Und das war für mich noch schlimmer, weil mir bewusst wurde, dass mir niemand helfen kann.“

A: „Wie krank muss ein System sein, damit es sich vor seiner Jugend fürchtet?“

B: „Wir wollten anders sein, auffallen, herausfallen. Wir wollten uns von den Normalos abgrenzen, doch wollten wir auch selbst abgegrenzt und ausgegrenzt sein?“

A: „Die erste Generation von ‚staatsfeindlichen Subjekten‘ in der DDR wurde binnen kürzester Zeit nahezu gänzlich ‚zersetzt‘. Bald stellte sich der Osten trostloser dar als zuvor, zahlreiche Freunde sind nahezu spurlos verschwunden.“

A und B (nacheinander oder gleichzeitig): „Wir sind allein.“

__________

1 Liedausschnitt von The Leistungsleichen

Nächste Bearbeitung für Endversion:
1. Vereinfachung der Aktion um den Kassettenrekorder, musikalische Unterbrechungen und szenische Gestaltung spezifizieren
2. Tafel weglassen, stattdessen Klebezettel o.ä. (welche Requisite?)
3. Ein paar Kürzungen und Umstellungen des Textes

4. Im Hintergrund Originalaufnahmen ohne Ton, Fotografien und/oder Zitate?

Dokumentarisches Theater: Punk DDR, Dokumentarisches Theater

Autor:  halfJack

Derzeit arbeite ich an einem Projekt fürs Museum, bei dem die Staatssicherheit der DDR unter dem Aspekt von Emotionen dargestellt werden soll: Angst, Scham und Ohnmacht. Inszeniert wird das ganze mit dokumentarischem Theater. In der Gruppe "Künstler" beschäftigen sich folgende Szenen mit dem Bereich Musik und Punk.

2. Version:

1.      Szene

A befindet sich in einer unaufgeräumten Wohnung, ein Regal mit Büchern steht dort, Blätter liegen auf dem Boden. B kommt herein.

A: „Hast du schon gehört? Die Bullen suchen nach dir.“

B: „Waren sie hier? Haben sie die Wohnung durchsucht?“

A: „Nein, sie haben ein paar unserer Leute auf der Straße befragt. Doch sie werden sicher bald hier aufkreuzen.“

B: „Dann wäre es besser, wenn sie die Texte nicht finden.“ B greift nach einem Blatt am Boden und betrachtet es. Währenddessen spricht jemand aus dem Publikum:

Du hast Angst, das ist klar. Angst davor, dass die Bullen vor deiner Tür stehen und probieren mit deinen Texten ein Ding zu drehen.

B: „Für die ist das nur konspiratives Gedankengut, das vernichtet gehört. Wenn es weg ist, ist es weg. Das sehe ich nie wieder, höchstens in Untersuchungshaft, als Beweisobjekt bei einer Befragung.“ Stimme aus dem Publikum:

Durch das permanente Agieren der Staatssicherheit fühlten wir uns von Anfang an umsorgt und umlagert. Unser erstes Konzert hatten wir mitgeschnitten, und die Aufnahmen wurden uns sofort geklaut. Heute weiß ich, wer es war, die wurden von einem Freund bei der Stasi abgeliefert. Wir waren fast umstellt. Wir haben versucht, das zu machen, woran wir Spaß hatten, und mit Texten nach unserem Gestus umzugehen. Und hinterher musste man schauen, was passierte, und notfalls seinen Arsch retten.

B wendet sich von A ab und dem Publikum zu, spricht leise, aber deutlich, wobei er das Blatt weiter mustert. „Denen ist es egal, ob mir das wehtut. Die kennen kein Mitleid und keine Scham. Wenn sie das vernichten, zerstören sie ein Stück von mir selbst.“

A und B sammeln zusammen ein paar Blätter Papier vom Fußboden. A hält inne und schaut sich eines der Blätter länger an, währenddessen wird per Tonband etwas eingespielt oder jemand aus dem Publikum spricht:

Ich habe die Geschichte nicht gemacht
Und bin doch abgegrenzt und scharf bewacht
Sie sprechen vom Arbeiter- und Bauerstaat
Und vernichten ihre eigene Saat
Ich weiß nicht, hätte Marx geweint oder gelacht,
könnte er sehen, was ihr mit uns macht
Wir sind neugeboren in Trauer

Wir sind die Fehlgeburten der Mauer.1

A: „Das kann dir eine Menge Ärger einbringen.“

B faltet die Blätter zusammen und schiebt sie hinter die Bücher im Regal.

B: „Ärger habe ich auch so. Überall kontrollieren sie dich, rauben dir den Ausweis und damit die Identität. Die Transportpolizei hält dich so lange fest, bis der Zug abgefahren ist. Ich habe Verbote für öffentliche Plätze und ganze Stadtviertel, nur weil ich mich dort mal mit meinen Freunden treffe. Sogar willkürliche Festnahmen sind eine Alltäglichkeit geworden.“

A: „Die Bezeichnungen sind nicht korrekt, Genosse. Im Neusprech des Staatsapparats nennt man das anders. Ansammlungen von mehr als drei Personen sind eine 'Zusammenrottung' und Festnahme heißt offiziell 'Zuführung'.“

B: „Da hast du Recht, man kann ohne weiteres bis zu 24 Stunden lang auf irgendeiner Polizeistation 'zur Feststellung eines Sachverhaltes' zugeführt sein.“ Stimme aus dem Publikum:

Wo würde er die nächste Nacht verbringen? Wieder im Hof eines Polizeireviers, festgeknotet an einem Fahnenmast?

B: „Ich darf praktisch nur noch die Strecke zwischen meiner Arbeitsstelle und der Wohnung benutzen. Sobald ich mich mit ein paar von unseren Leuten gleichzeitig an einem Ort befinde, sind wir keine Freunde mehr, sondern eine antikommunistische Gruppierung. Dabei klingt das wie ein Widerspruch in sich. Kommunismus sollte doch von Gemeinschaft leben. Stattdessen wird jeder zwischen den Mauern isoliert und bloßgestellt.“ Stimme aus dem Publikum:

Beim Nachhausekommen spürten sie es, dass jemand in der Wohnung gewesen war. Vorhänge im Nebenhaus schienen sich zu bewegen. Wenn sie reden wollten, gingen sie auf die Straße. Das Schlimmste bei solchen Ängsten ist immer die Frage: Ist das wahr oder träumst du das bloß?

B: „Der ganze Bullenstress und die ständige Überwachung nerven auf die Dauer zwar ganz schön, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.“ Wendet sich wieder von A ab, dem Zuschauer zu und spricht leise, wie für sich. „Kann man sich an so etwas gewöhnen und nichts mehr dabei fühlen? Wenn ich mich auf mein Gefühl verlasse, dann ist die Paranoia real. Man muss sich damit auseinandersetzen und darauf achten, mit wem man wie spricht. Darum bin ich froh, mich auf meine Freunde verlassen zu können.“ Während B von A abgewandt spricht, faltet A langsam ein letztes Blatt zusammen, das er in der Hand hält und schließlich in seine Hosentasche schiebt. Dabei eine Stimme aus dem Publikum:

Das eigentlich Überraschende für uns war im Nachhinein, dass die Stasi direkt unter uns gewirkt hat, also aktive Macher in der Szene hatte. Wir hatten geglaubt, dass sich die peripheren Mantelträger um uns kümmern. Wir haben nicht gewusst, dass da Freunde und Kollegen involviert sind.

A: „Wenn möglich will der Staat dieses ganze feindliche Potential einbuchten oder wegschicken. Etliche von unseren Leuten wurden bereits in den Westen abgeschoben und das nicht einmal freiwillig.“

Vor die Alternative gestellt ‚Westen oder Knast’, wählten sie dann doch lieber den Weg durch die Mauer. Einen Weg, den viele von ihnen von sich aus nicht gesucht hätten.

A: „Doch was ist, wenn man keine Alternative hat? Welchen Weg wählt man dann?“

B: „Wir wollten anders sein, auffallen, herausfallen. Wir wollten uns von den Normalos abgrenzen, doch wollten wir auch selbst abgegrenzt und ausgegrenzt sein?“

A: „Die erste Generation von ‚staatsfeindlichen Subjekten‘ in der DDR wurde binnen kürzester Zeit nahezu gänzlich ‚zersetzt‘. Bald stellte sich der Osten trostloser dar als zuvor, zahlreiche Freunde sind nahezu spurlos verschwunden.“

A und B gleichzeitig: „Wir sind allein.“

Unsere Aufmüpfigkeit war altersgemäße, pubertäre Unzufriedenheit. Punk war unser Ausdrucksmittel. ‚Anarchie’ war nur ein Symbol dafür, dass wir uns nicht unterordnen wollten. Eigentlich ganz normaler Teeniekram: Musik, Radau und Provokation. Wir wollten mit lustigen Aktionen schocken. Randale war immer nur Pose. Das haben aber leider nicht alle kapiert. Wie krank muss ein System sein, damit es sich vor seiner Jugend fürchtet?

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1 Liedausschnitt von The Leistungsleichen

Nächste Bearbeitung für verschiedene Varianten:
1. Zitate wieder ins Gespräch integrieren, aber deutlich abgrenzen (mit Text auf Leinwand hervorgehoben)
2. Metaphorische Gestaltung mit stummer Aktion auf der Bühne und zugeordneten Aussagen aus dem Publikum
3. Straßensituation mit Polizist probeweise wieder einbauen oder zu eigener Szene gestalten

Dokumentarisches Theater: Aktenöffnung DDR, Dokumentarisches Theater

Autor:  halfJack

Derzeit arbeite ich an einem Projekt fürs Museum, bei dem die Staatssicherheit der DDR unter dem Aspekt von Emotionen dargestellt werden soll: Angst, Scham und Ohnmacht. Inszeniert wird das ganze mit dokumentarischem Theater. In der Gruppe "Aufarbeitung" beschäftigt sich folgende Szenen mit der Aktenöffnung.

1. Version:

1.      Szene:

A: „Die verbrennen Akten!“

B: „Ja, natürlich vernichten wir die Akten, das ist ein Befehl vom Minister. Wir müssen alle Akten vernichten, die sind ja illegal!“

A: „Wieso sind sie jetzt plötzlich illegal? Der Staat hat sie doch jahrelang rechtens geführt.“

B: „Ich weiß von nichts. Was wollt ihr eigentlich von mir?“

A: „Ich erstatte Anzeige gegen den Leiter der Kreisdienststelle, den Leiter der Bezirksverwaltung und gegen den Minister."

Stimme aus dem Publikum: Und das war eigentlich doch ein erhebendes Gefühl. Der Staatsanwalt musste die Anzeige zur Kenntnis nehmen, und ein Polizist musste das auch noch tippen. Man hat wirklich gemerkt, wie schwer es ihm fiel – ihm fiel ja das Tippen ohnehin schon schwer, aber so etwas noch zu schreiben, das war also ganz bitter gewesen.

B: „Sie können die Räume versiegeln, ich kann Ihnen auch eine Betriebsbesichtigung anbieten. Doch in ihrem Interesse wäre es besser, wenn niemand mehr Zugriff darauf hat.“

KD-Chef/B greift in ein Regal, zieht eine Akte heraus und blättert während des Erzählens darin herum.

A: „Können wir da auch mal hineinsehen?“

B: „Nein, das unterliegt dem Datenschutz.“

A: „Wieso können Sie noch hineinschauen und wir nicht? Das sind doch unsere Akten.“

B: „Wenn Sie da nicht reinschauen können, dann kann es wenigstens auch niemand sonst.“

A: „Aber sie schauen doch hinein.“

B: „Ich weiß nicht, was sie von mir wollen. Was ist, wenn die deutsche Einheit kommt? Dann hat auf Ihre Akten der Verfassungsschutz Zugriff und die westdeutsche Wirtschaft, das wird wieder zu Ihrem Nachteil ausgenutzt. Über Weihnachten sollten wir das alles vernichten. Während der Feiertage fällt es nicht auf. Dazu müssen sie jetzt den Mut beweisen, das muss endlich fort, das Zeug.“

Stimme aus dem Publikum: Ich hatte immer Angst, dass im Bürgerkomitee einmal irgendwie ein Beschluss aus dem Affekt heraus gefasst und der Vernichtung zugestimmt wird. Dabei war natürlich auch die Sorge, wenn das in einem Bezirk gemacht wird, dann klappt das auch in anderen Bezirken.

Viel später fanden wir einen Schrank im Keller, randvoll mit Akten. Neugierig schauten wir uns die Sache natürlich an. Zufällig war da ein alter Mann dabei, der fand da eine Akte über seine Zwangsaussiedelung aus dem Grenzgebiet. Und als ich die Reaktion dieses Mannes erlebte, da wurde mir klar: Es war richtig, die Akten aufzubewahren und im Nachhinein zugänglich zu machen für eine Aufarbeitung, bei allen Schwierigkeiten, die damit immer noch bestehen.

Nächste Bearbeitung:
1. Gesprächsstituation natürlicher gestalten, Dialog ausbauen
2. Emotionen einbinden

Dokumentarisches Theater: Punk DDR, Dokumentarisches Theater

Autor:  halfJack

Derzeit arbeite ich an einem Projekt fürs Museum, bei dem die Staatssicherheit der DDR unter dem Aspekt von Emotionen dargestellt werden soll: Angst, Scham und Ohnmacht. Inszeniert wird das ganze mit dokumentarischem Theater. In der Gruppe "Künstler" beschäftigen sich folgende Szenen mit dem Bereich Musik und Punk.

1. Version:

1.      Szene

A sitzt in einer unaufgeräumten Wohnung. B kommt herein.

A: „Die Bullen waren da und haben dich gesucht. Sie wollten wissen, wo du bist. Als wir gesagt haben, wissen wir nicht, sind sie wieder abgehauen.”

B: „Haben sie die Wohnung durchsucht?“

A: „Nein, aber die werden sicher wiederkommen.“

B: „Spätestens, sobald sie mich gegriffen haben. Dann ist es besser, sie werden die Texte nicht finden. Ich habe nicht genügend Durchschläge davon.“

A und B sammeln ein paar Blätter Papier vom Fussboden, A liest eines vor.

A: „‚Ich habe die Geschichte nicht gemacht
Und bin doch abgegrenzt und scharf bewacht
Sie sprechen vom Arbeiter- und Bauerstaat
Und vernichten ihre eigene Saat
Ich weiß nicht, hätte Marx geweint oder gelacht,
könnte er sehen, was ihr mit uns macht
Wir sind neugeboren in Trauer
Wir sind die Fehlgeburten der Mauer.‘1

...Das kann dir eine Menge Ärger einbringen.“

B faltet die Blätter zusammen und schiebt sie hinter die Bücher im Regal.

B: „Ärger habe ich auch so. Andauernd werden wir auf der Straße kontrolliert, werden von der Transportpolizei auf einem Bahnhof so lange festgehalten, bis unser Zug abgefahren ist, oder bekommen ein Verbot für öffentliche Plätze und ganze Stadtviertel ausgesprochen, wenn wir uns dort nur mit Freunden treffen. Ich darf praktisch nur noch die Strecke zwischen meiner Arbeitsstelle und meiner Wohnung benutzen. Willkürliche Festnahmen sind eine Alltäglichkeit, und obwohl der ständige Bullenstress auf die Dauer nervt, habe ich mich mittlerweile daran gewöhnt.“

A: „Die Bezeichnungen sind nicht korrekt, Genosse. Im Neusprech des Staatsapparats nennt man das anders. Ansammlungen von mehr als drei Personen können als 'Zusammenrottung' geahndet werden und die offizielle Form der Festnahme heißt 'Zuführung'.“

B: „Man kann ohne weiteres bis zu 24 Stunden lang auf irgendeiner Polizeistation 'zur Feststellung eines Sachverhaltes' zugeführt sein. Ich frage mich, wo ich die nächste Nacht wohl verbringen werde. Wieder im Hof eines Polizeireviers, festgeknotet an einem Fahnenmast?“

A: „Letztens wurde ich für zwölf Stunden in Polizeigewahrsam genommen, weil ich die Straße diagonal überquert habe. Die Polizisten haben mich mal wieder in eine Diskussion über mein 'unsozialistisches und dekadentes Aussehen' verwickelt, das aus schwarz gefärbten Haaren und Schnürstiefeln besteht. Ich habe aus der DDR-Verfassung zitiert, dass jeder aussehen darf, wie er will und es nicht auf das Aussehen ankommt, dann wies ich darauf hin, dass Margot Honecker, unsere Volksbildungsministerin und die Frau des Staatsratsvorsitzenden, sogar blau gefärbte Haare hat. Als ich die Genossen in Widersprüche verstrickte, kam der überzeugende Satz: 'Nun werden se nich noch frech!'“

B: „Den Satz müssen sie wohl in der Ausbildung wieder und wieder üben.“

A: „Wir fuhren auf irgendein Polizeirevier und ich musste mich dort ausziehen, damit meine Sachen genau überprüft werden konnten. Die haben jeden Zettel gründlich studiert und jede Kassette abgehört, während ich mehr oder weniger nackt daneben stand.“

B: „Wie krank muss ein System sein, damit es sich vor seiner Jugend fürchtet?“

 

2.      Szene

Zwei Personen sitzen Rücken an Rücken in einem leeren Raum. (Andere Version: Mehrere Personen sitzen durcheinander in einem leeren Raum, schauen einander nicht an.)

A: „Durch das permanente Agieren der Staatssicherheit fühlten wird uns von Anfang an umsorgt und umlagert. Unser erstes Konzert hatten wir mitgeschnitten, und die Aufnahmen wurden uns sofort geklaut. Heute weiß ich, wer es war, die wurden von einem Freund bei der Stasi abgeliefert. Wir waren fast umstellt. Wir haben versucht, das zu machen, woran wir Spaß hatten, und mit Texten nach unserem Gestus umzugehen. Und hinterher musste man schauen, was passierte, und notfalls seinen Arsch retten.“

B: „Das eigentlich Überraschende für uns war im Nachhinein, dass die Stasi direkt unter uns gewirkt hat, also aktive Macher in der Szene hatte. Wir hatten geglaubt, dass sich die peripheren Mantelträger um uns kümmern. Wir haben nicht gewusst, dass da Freunde und Kollegen involviert sind.“

A: „Einmal hatte ich ein Aha-Erlebnis, als die Stasi mir ganz detailliert Sachen erzählte, die kaum einer wusste. Aber ich war zu naiv zu erkennen, dass die eventuell von einem Freund kommen könnten. Ich dachte einfach nicht, dass die uns so nah stehende Leute haben.“

B: „Ich hab mich immer auf mein Gefühl verlassen. Die Paranoia war real und man musste sich irgendwie damit auseinandersetzen und darauf achten, mit wem man wie spricht.“

A: „Bei öffentlichen Konzerten war das eine richtig blöde Atmosphäre. Du hast gemerkt, die Stasi ist da und lauert nur darauf, die ganze Veranstaltung abzubrechen, bloß weil jemand auf die Bühne geht und da irgendwas von sich gibt, vielleicht sogar noch ein Instrument in die Hand nimmt. Du siehst von denen nichts, aber du spürst, dass du beobachtet wirst und dass da was läuft, hinter den Kulissen.“

B: „Warum hat man manche so sehr gefürchtet? Das Problem war der ‚Multiplikationsfaktor‘. Bei der einen Inszenierungen kommen, wenn immer ausverkauft ist, pro Jahr höchstens soundso viele Leute hin. Falls ein Gedichtband die Runde macht und weiterverschenkt wird, lesen das maximal soundso viele Leute. Das ist alles abschätzbar. Doch bei einer Szene, die irgendwo in einer Kneipe auftritt oder an einer Straßenecke oder beim Picknick im Wald, da kennen wir den Multiplikationsfaktor nicht.”

A: „Wenn möglich wollte der Staat dieses Potenzial einbuchten oder wegschicken. Unsere Leute wurden in den Westen abgeschoben, viele von ihnen nicht ganz freiwillig. Vor die Alternative gestellt, ‚Westen oder Knast‘, wählten sie lieber den Weg durch die Mauer. Einen Weg, den viele von ihnen von sich aus nicht gesucht hätten. Die erste Generation von ‚staatsfeindlichen Subjekten‘ in der DDR wurde so binnen kürzester Zeit nahezu gänzlich ‚zersetzt‘. Als ich nach meinem ‚Dienst an der Waffe‘ zurück durfte, stellte sich der Osten trostloser dar als zuvor. Zwei Drittel meines Freundeskreises waren nahezu spurlos verschwunden. Ich war allein.“

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1 Liedausschnitt von The Leistungsleichen

Nächste Bearbeitung:
1. Erzählte Situation mit Polizisten ausgliedern, zu eigener Szene schreiben
2. Emotionen klarer herausstellen, womöglich Kommentator eingliedern
3. Szene freier und mit weniger Text gestalten, Zeitzeugenaussagen einfügen und deutlich abgrenzen