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Halme der Nacht Lyrik, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Aus Herzen und Hirnen
sprießen die Halme der Nacht,
und ein Wort, von Sensen gesprochen,
neigt sie ins Leben.

Stumm wie sie
wehn wir der Welt entgegen:
unsere Blicke,
getauscht, um getröstet zu sein,
tasten sich vor,
winken uns dunkel heran.

Blicklos
schweigt nun dein Aug in mein Aug sich,
wandernd
heb ich dein Herz an die Lippen,
hebst du mein Herz an die deinen:
was wir jetzt trinken,
stillt den Durst der Stunden;
was wir jetzt sind,
schenken die Stunden der Zeit ein.

Munden wir ihr?
Kein Laut und kein Licht
schlüpft zwischen uns, es zu sagen.

O Halme, ihr Halme.
Ihr Halme der Nacht.

Paul Celan

Oh Captain, mein Captain! Lyrik, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Oh Captain, mein Captain
Die schwere Fahrt ist aus
Das Schiff hat jedem Sturm getrotzt
Nun kehren wir stolz nach Haus
Der Hafen grüßt mit Glockenschall
Und tausend Freudenschreien
Vor aller Augen rauschen wir auf sichrem Kiel herein

Aber Herz, ach Herz, ach Tropfen blutig rot
Wo auf dem Deck mein Captain liegt
Gefallen, kalt und tot

Oh Captain, mein Captain
Steh auf und hör den Schall
Steh auf, dir gilt der Flaggengruß
Dir gilt das Jauchzen all
Die Sträuße dir, die Kränze dir
Und weit entlang am Strand
Das Menschenmeer, Gesichtermeer
Dir freudig zugewandt

Hier Captain, liebster Vater
Hier ist mein Arm als Halt
Es ist nur Traum, dass du hier liegst
Gefallen, tot und kalt

Mein Captain gibt nicht Antwort
Seine Lippen sind bleich und still
Mein Vater fühlt nicht meinen Arm
Hat nicht mehr Kraft noch Will
Das Schiff liegt heil vor Anker nun
Die Reise ist nun aus
Von schwerer Fahrt, das Siegerschiff
Kam vom Triumph nach Haus

Jauchzt, ihr Gestade, Glocken dröhnt
Ich aber knie in Not
Wo auf dem Deck mein Captain liegt
Gefallen, kalt und tot
 

Andere Übersetzung:

O Käpt’n, mein Käpt’n, zu End’ ist unsre Reis’
wir haben jedes Riff umschifft, der Sieg war unser Preis.
Am Kai entlang der Glockenklang, der Menge Lustgespinster;
das Auge folgt dem festen Kiel, der Barke, wild und finster.

O Herz, o mein Herze!
O Tropfen feucht und rot,
wo auf dem Deck mein Käpt’n liegt,
gefallen, kalt und tot.

Erhebe dich, mein Käpt’n und hör den Glockenton!
Steh auf - dir ist die Flagg’ gehißt, dich grüßt das Jagdhorn schon.
Mit Bändern, Blumen tausendfach der Hafen ist geschmückt
für dich allein. Es ruft nach dir die Menge hoch beglückt.

O Käpt’n, mein Vater!
Mein Arm, dem Haupt zum Halt.
Im Traum nur liegst du auf dem Deck,
gefallen, tot und kalt.

Mein Vater gibt nicht Antwort, sein Mund ist bleich und still.
Mein Vater spürt nicht meinen Arm, hat weder Puls noch Will.
Das Schiff, es geht vor Anker. Zu End’ ist seine Reis’,
zurück gekehrt nach wilder Fahrt - der Sieg, das war der Preis.

Ihr Ufer, jauchzt! Ihr Glocken, klingt!
Ich aber geh in Not
dahin, wo nun mein Käpt’n liegt,
gefallen, kalt und tot.
 

Original:

O Captain my Captain! our fearful trip is done;
The ship has weather’d every rack, the prize we sought is won;
The port is near, the bells I hear, the people all exulting,
While follow eyes the steady keel, the vessel grim and daring:

But O heart! heart! heart!
O the bleeding drops of red,
Where on the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.

O Captain! my Captain! rise up and hear the bells;
Rise up - for you the flag is flung - for you the bugle trills;
For you bouquets and ribbon’d wreaths - for you the shores a-crowding;
For you they call, the swaying mass, their eager faces turning;
Here Captain! dear father!
This arm beneath your head;
It is some dream that on the deck,
You’ve fallen cold and dead.

My Captain does not answer, his lips are pale and still;
My father does not feel my arm, he has no pulse nor will;
The ship is anchor’d safe and sound, its voyage closed and done;
From fearful trip, the victor ship, comes in with object won;
Exult, O shores, and ring, O bells!
But I, with mournful tread,
Walk the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.

Walt Whitman

Rezitatorenwettstreit 2003 Lyrik, Rezitation, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Das Thema lautete "Alter-nativ".



Die Spitze

I
 
Menschlichkeit: Namen schwankender Besitze,
noch unbestätigter Bestand von Glück:
ist das unmenschlich, daß zu dieser Spitze,
zu diesem kleinen dichten Spitzenstück
zwei Augen wurden? - Willst du sie zurück?
 
Du Langvergangene und schließlich Blinde,
ist deine Seligkeit in diesem Ding,
zu welcher hin, wie zwischen Stamm und Rinde,
dein großes Fühlen, kleinverwandelt, ging?
 
Durch einen Riß im Schicksal, eine Lücke
entzogst du deine Seele deiner Zeit;
und sie ist so in diesem lichten Stücke,
daß es mich lächeln macht vor Nützlichkeit.
 
 
II
 
Und wenn uns eines Tages dieses Tun
und was an uns geschieht gering erschiene
und uns so fremd, als ob es nicht verdiene,
daß wir so mühsam aus den Kinderschuhn
um seinetwillen wachsen -: Ob die Bahn
vergilbter Spitze, diese dichtgefügte
blumige Spitzenbahn, dann nicht genügte,
uns hier zu halten? Sieh: sie ward getan.
 
Ein Leben ward vielleicht verschmäht, wer weiß?
Ein Glück war da und wurde hingegeben,
und endlich wurde doch, um jeden Preis,
dies Ding daraus, nicht leichter als das Leben
und doch vollendet und so schön als sei's
nicht mehr zu früh, zu lächeln und zu schweben. 

Rainer Maria Rilke

Rezitatorenwettstreit 2006 Lyrik, Rezitation, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Der Wettstreit im Jahre 2006 fand zum ersten Mal nicht in unserer Schulaula statt, sondern im Goethetheater in Bad Lauchstädt. Das Thema lautete "Glotzt nicht so romantisch!" und basierte auf einer Aussage von Brecht. Dazu habe ich mir das Gedicht von einem deutschen Autoren herausgesucht, der heftige und sarkastische Texte beim Ubooksverlag veröffentlicht, die sehr viel Gesellschaftskritik, aber auch auf eine skurile Art und Weise Schönheit beinhalten.

 

Flieg, Gedanke

Man fand Oleandra
Nackt auf dem Bett
Dieses Billighotels
Auf blutgetränktem Laken
Eine geleerte Flasche Whiskey
Ca. 10 Schachtel Zigaretten
Halten einzig und allein
Die Totenwachen
Und sind gleichzeitig
Zeugen eines Schrittes
Richtung Ausgang

Ihr Hirn klebt am Spiegel
Das waren ihre Gedanken
Die sie beizeiten um ein Projektil wickelte
Und außerhalb ihres schönen Kopfes verbreiten wollte

Jetzt sind ihre Gedanken
Ein undefinierbarer Haufen
Toter Zellen
Vermengt mit Blut
Für Sekunden
Zwischen ihrem Schädel
Und dem Spiegel
Durch luftleeren Raum
Freundlich tänzelnd

Universen, die außerhalb ihres Kopfes
Ihre verwundeten Runden zogen
Mit ihren Gedanken aufzuspalten

So ihr Wille
So diese Tat
Tatsächlich

Ihr Gesicht liegt neben ihrem Kopf
Und lacht über sie
Sie ist aber schon lange weg
Richtung Ausgang

Niemand konnte in ihren Kopf sehen
Jetzt schon
Aber verstehen
Kann man sie trotzdem nicht
Mehr ...

Dirk Bernemann

Rezitatorenwettstreit 2007 Lyrik, Rezitation, Zitatsammlung

Autor:  halfJack
Dies ist das Gedicht, das ich auf meinem letzten Rezitatorenwettstreit zum Thema "Leonardo DaVinci" vorgetragen habe. Es stammt aus den "Blumen des Bösen" von Charles Baudelaire.



Die Leuchttürme


Rubens, du Strom Vergessens, Garten lässiger Lüste
Und Pfühl von Fleisch, drauf Liebe nicht gedeiht; doch her
Das Leben strömt und ewig wogt; so bebt die Wüste,
So schwingt die Luft im Blau und schwillt im Meer das Meer.

Lenardo Vinci, unvermessner dunkler Spiegel,
Drin Engel ohne Harm mit süßem Lächelmund,
Den noch verschlossen hält geheimen Wissens Siegel,
In Gletscherschatten ruhn und in Zypressengrund.

Rembrandt, Siechenhaus, wo trübes Raunen lauert
Und dessen Dunkel nur ein Crucifixus schmückt,
Wo weinendes Gebet aus Unrathaufen schauert,
Die winterlich Geleucht in jähem Strahl durchzückt.

O Michelangelo, du Land, wo Urweltrecken
Den Heilanden gesellt sind und im Dämmerlicht
Gespenster schwer von Kraft sich hoch wie Säulen strecken
Und starrer Finger Krampf der Laken Fessel bricht.

So schamlos wie der Faun, verbissen wie die Ringer,
Du, der des Packes Schönheit auf vom Boden las,
Puget, du Herz voll Stolz, du Fahler und Geringer,
Ein Rudersklavenfürst, der nie vom Schmerz genas.

Watteau, du Mummenschanz, Wo viel erlauchte Herzen
Den Schmetterlingen gleich sich wiegen im Geloh,
Gebrächlich Ziergebräu, verklärt durch Flimmerkerzen,
Aus den der Taumel in des Reigens Wirbel floh.

Goja, du Albdruck schwer von ungewussten Dingen,
Von Frühgeburten gargekocht beim Hexenfest,
Von Spiegelalten und von Mädchen zart, die Schlingen
Selbst Teufeln legen, zerrn sie nackt die Strümpfe fest.

Delacroix, du Blutsee heimgesucht von Mahren,
Verschattet von des Tanns unsäglich grünem Blick,
Wo unter bleichen Himmeln seltsame Fanfaren
Verwehn wie leise Seufzer Weberscher Musik.

O ihr Verwünschungen, ihr Flüche, Tränen, Lallen,
Verzückte Schreie, Lobgesänge laut und stumm,
Seid Echos, die aus tausend Labyrinthen hallen!
Ihr seid dem Herz, das stirbt, ein göttlich Opium!

Und das ist gut, denn sieh: wir können, Herr und Walter,
Kein besser Zeugnis geben unsrer Würdigkeit
Als dies Geschluchz von Glut, das Alter wälzt zu Alter
Und sterben geht am Grenzwall deiner Ewigkeit!


Charles Baudelaire



Es ist interessant, zu sehen, wie unterschiedlich ein und dasselbe Gedicht übersetzt werden kann. Hier ist eine andere deutsche Version.



Die Leuchttürme


Rubens, der Trägheit Garten, des Vergessens Bronnen,
Ein Lager blüh'nden Fleisches, der Liebe leer,
Doch so von Leben und von Glut durchronnen
Wie von der Luft das All, das Meer vom Meer.

Leonard da Vinci, Spiegel tief und dunkel,
Wo Engel lächeln süss und rätselschwer
Aus Fichtenschatten, grünem Eisgefunkel
Von ihrer Heimat Gletschergipfeln her.

Rembrandt, das Haus der Traurigen und Kranken,
Von einem hohen Kruzifix erhellt,
Gebete, Seufzer überm Unrat schwanken,
Ein kalter Schimmer jäh ins Dunkel fällt.

Buonarroti, fern, wo Riesenschatten schweben,
Wo Herkules mit Christus sich verband,
Gespenster steil aus ihrer Gruft sich heben,
Mit starrem Finger fetzend ihr Gewand.

Der in des Pöbels Wut, des Fauns Erfrechen,
Der Schönheit fand selbst in der Schurken Reich,
Puget, du grosses Herz voll Stolz und Schwächen,
Der Sklaven König, kummervoll und bleich.

Watteau, ein Fest, wo Herzen leuchtend irren,
Den Schmetterlingen gleich, ein Faschingsball,
Lieblicher Zierat, Glanz und Lichter schwirren
Und Tollheit wirbelnd durch den Karneval.

Goya, ein Nachtmahr, ferner wirrer Schrecken,
Leichengeruch vom Hexensabbat weht,
Wo, lüsterner Dämonen Gier zu wecken,
Die nackte Kinderschar sich biegt und dreht.

Und Delacroix, Blutsee, wo Geister hausen.
Im Schatten tief, der Himmel schwer wie Blei,
Wo durch die trübe Luft Fanfaren brausen
Seltsamen Klangs, wie ein erstickter Schrei.

Dies alles, Fluch und Lästerung und Sünden,
Verzückungsschrei, Gebet und Todesschmerz
Ist Widerhall aus tausend dunklen Gründen,
Berauschend Gift für unser sterblich Herz.

Ein Schrei ist's, der da gellt in tausend Stürmen,
Die Losung, die von tausend Lippen schallt,
Leuchtfeuer, das da flammt von tausend Türmen,
Des Jägers Ruf, der durch die Wildnis hallt.

Ein Zeichen, Gott, das wir dir bringen wollen,
Vor deinen Herrlichkeiten zu bestehn,
Glühende Tränen, die durchs Weltall rollen
Und an der Ewigkeiten Rand vergehn.


Charles Baudelaire