Diagnose
5. Kaya Diagnose
Als Ärztin ist mir die Anatomie des Menschen ein Begriff, nicht nur von Frauen, auch von Männern. Ich kann sämtliche Knochen, Sehnen und Muskeln bei ihrer lateinischen Bezeichnung benennen, sie zuordnen und sagen, welche Aufgabe sie im Organismus erfüllen. Auch in der Praxis bin ich geübt, kann Knochenbrüche behandeln, Medizin und Mixturen herstellen, Ratschläge erteilen und vor allem eine treffende Diagnose stellen. Aber hier ist das etwas ganz anderes! Es geht nicht um das Befühlen eines Arms, ob dieser auch wirklich gebrochen ist oder nicht, oder um eine Abtastung der Bauchdecke zur Diagnose einer Appendizitis, sondern nur um das Erkennen einer Person.
Nur. Wer hat dieses schwachsinnige Wort eigentlich erfunden? Jedenfalls jemand, der nicht wie ich nackt und mit verbundenen Augen auf einem Piratenschiff stand! Mir bleibt auch nichts erspart. Daß Lysop aber auch immer auf die Tricks seiner Freunde hereinfallen muß. Einen Vorwurf will ich ihm zwar nicht machen, aber ich sollte ihm mal bei Gelegenheit ein bißchen ins Gewissen reden.
Zurück zu meinem Problem, oder eher dem Mann, der vor mir steht. Mit Sicherheit kann ich nur eines über ihn sagen: es ist nicht mein Freund Lysop!
Diese Hände passen nicht zu ihm. Sie sind groß, feingliedrig, warm und zielstrebig. Für sie ist der weibliche Körper kein Neuland, kein Tabuthema. Außerdem sind sie nicht so rauh wie Lysop’s, wenn auch nicht weich. Durch seine Experimente und Zimmermannsarbeiten sind die Fingerkuppen verhornt, gezeichnet von Schnitten und kleineren Verbrennungen. Das fehlt diesen Händen hier. In diesen Händen, die mich berühren, steckt Kraft und Energie, die nicht auf handwerkliches Geschick zurückzuführen ist.
Von meinen Schultern gleiten sie herunter, tiefer, zu meinen eigenen Händen, die ich mich bis jetzt noch nicht getraut habe zu benutzen. Von dort wagen sie einen Sprung zu meinen Hüften, verweilen einen Moment in dieser Position, scheinen meine Figur abzuschätzen. Nun mein Bauch. Der vermag ihn zu interessieren, drückt leicht dagegen. Was er jetzt wohl denkt? Aber auch hier bleibt er nicht lange, scheint seine Information bereits erhalten zu haben. Die Reise geht weiter, höher. Ob er wohl….
Ich spüre deutlich wie meine Brustwarzen sich verengen, lauern auf den Moment, ob sie nun berührt werden, ja oder nein. Fremde Fingerkuppen wandern über sie hinweg, lassen sie verschwinden in der warmen Handfläche, werden kurzzeitig vollkommen verdeckt. Wieso kribbelt es mich so? Ein anderer Mann als mein Freund tauscht mit mir diese intime Geste, doch ich wehre mich nicht. Zuviel Neugier und Verwirrung stecken in diesem Spiel, reizen meine Sinne, als daß ich es beenden will. Verrückt, oder?
Aber wer ist das nun? Ich sollte endlich selbst auf Entdeckungsreise gehen und nicht zu viele Gedanken daran verschwenden, wie er mich erkundet. Meine Hände treffen als erstes auf etwas hartes, gewölbtes, über das ich vorsichtig drüber streiche. Man, sind das Muskeln! Ein weiterer Grund, weshalb es nicht Lysop sein kann. Huch, was ist denn das? Wohl eine Unebenheit in der Haut. Wo fängt die denn an? Vom Musculus deltoideus über die Linea alba zum Musculus rectus abdominis, weiter über den Musculus obliquus externus abdominis bis hin zur Spina iliaca anterior superior!
Ob das eine Narbe ist? Armer Kerl! Aber dann ist es vermutlich nicht Sanji, er ist doch recht eitel, wenn es um seinen Körper geht. Heute Mittag waren wir doch alle am Strand, da müßte mir diese Narbe ja eigentlich aufgefallen sein. Aber der einzige, der sich das T-Shirt ausgezogen hat war Ruffy gewesen, nur der hat keine Narbe, zumindest nicht auf dem Oberkörper. Bleibt nur Zorro übrig. Ha, des Rätsels Lösung wäre also gefunden! Und wenn nicht, wäre das auch nicht schlimm, schließlich kenne ich ihn nicht besonders gut.