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Onones Kinder

von

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Neumond

Neumond
 

Schnell jagten Wolken über den Himmel, verhüllten den Mond und saugten sein Licht begierig in sich

auf. Donner grollte in weiter Ferne wie die Trommeln eines gigantischen Heeres, und Blitze erleuchteten

den pechschwarzen Himmel für den Bruchteil eines Augenblickes.

Während jenen Momenten wirkten die Bäume und Sträucher wie groteske Gestalten, ihre langen Arme

schlugen durch den Sturm wehrlos hin und her, der Regen peitschte über die Ebene.

Kleine Bäche wurden zu reißenden Fluten, in welchen es weder für Mensch noch Tier ein Halt gab. Leise

rauschte es auf, fuhr über Geröll und Schlamm, löste das vertrocknete Blut und nahm es mit sich fort.

Niemand vermochte zu sagen, wie viele Menschen wohl in diesen Wäldern den Tod gefunden hatten.

Und doch reinigten die Wassermassen auch hier die Wel.

Befreiten es von der Schande des Krieges und der Last von zu vielen Seelen das Blut in sich aufgesaugt

zu haben.

Es war nicht der erste Krieg den dieses Land erduldete. An den ersten konnten sich nur noch die Alten

und Weisen der Stämme Barolons erinnern.

Damals, als das Volk der Ogronier, die Wölfe aus dem Eismeer hoch aus dem Norden in ihr Land

eingefallen waren und es binnen weniger Monate vermocht hatten ein gesamtes Land niederzuringen

und es mit harter, unbarmherziger Hand zu regieren.

Jahre der Gefangenschaft folgten, und die Kinder, welche in jenen dunklen Jahren das Licht der Welt

erblickten, waren die Kinder des Kriegsgottes Gyrox.

Diese Kinder schien es bestimmt zu sein in einer Zeit aufzuwachsen, in welcher Freiheit ein Traum aus

längst vergangenen Tagen war, Ehre und Liebe unter einer Last aus Trümmern auf ewig begraben

lagen.

Jene Kinder sollten es sein, die ihr Land in den zweiten großen Krieg führten und die Wölfe zurück in

ihre eisige Heimat trieben in welcher sie früher oder später der Tod erwartete. Und dennoch litt das

Land weiterhin stumme Qualen, die Götter hatten es nicht nur mit dem Blut der Menschen gestraft,

auch versiegten die heiligen Quellen.

Die Tiere zogen sich tief in die Wälder zurück und nahmen die immer vorhandenen Geräusche aus Wald

und Wiese mit sich fort. Die Welt starb mit jedem Tag mehr und dennoch war der letzte Funke von

Hoffnung immer noch nicht verglüht...

Melodisch trommelten Regentropfen auf das Dach aus Stroh und Lehm hinab, sie sangen ihr eigenes

stummes Lied und spendeten den Menschen im inneren einwenig Zeit der Ruhe. Ruhig lag das kleine

Dorf geschützt hinter dem gewaltigen scharfen Kanten des Berges.

Nur in den Fenster dieses Hauses brannte noch Licht, wie ein Wegweiser glühte es hinaus in die kalte

und stürmische Nacht. Eine drückende Stille umschloss die drei Gestalten im inneren des Hauses, leise

knackte das Feuer im Kamin und einige Funken stoben aus der kreisrunden Öffnung, verglühten jedoch

augenblicklich in der kalten Luft.

Keuchend wandte sich eine junge Frau am Boden, fest krallten sich ihre Fingernägel in die weiche Decke

unter ihr. Krämpfe schüttelten ihren Leib, Schweißperlen rannen von ihrer Stirn hinab und verbanden

sich an ihrer Wange mit Tränen des Schmerzes. Eine ältere Frau richtete sie ein wenig auf. „Ruhig“,

flüsterte sie leise und wischte mit einem durchnässten Tuch über die erhitzte Stirn. „Gleich ist alles

vorüber, es kann nicht mehr lange dauern, meine Liebe.“

„Ruhig?“ zischte es ärgerlich zurück. Grüne Augen fixierten das alte Gesicht und unverhohlener Hass

lag in diesem Blick. „Nur wegen euch ist es doch erst zu all dem gekommen. Niemals, niemals hätte ich

freiwillig...“ ein jeher Schrei erstickte die letzten Worte im Keim, unter heftigen Schmerzen bäumte sich

der Körper auf.

Eilig stellte die dritte Frau die Schale mit heißem Wasser zu den Füßen der jungen Frau ab und betastete

prüfend den gewölbten Leib. Sanft wanderten die grauen Augen über das sich ihr bietendes Schauspiel,

und ein Lächeln der Zuversicht zierte die Lippen. „Das Kind hat sich gedreht“, erklärte sie ruhig und

strich der keuchenden Frau sacht einige Haarsträhnen aus der Stirn. „Ich vermute es wird nicht länger

auf sich warten lassen. Seid ihr bereit?“

„Ich, nein. Nein, ich muss warten, ich weiß, sie wird kommen. Ich...“

„Sei doch keine Närrin“, erwiderte die andere nun sichtlich verärgert. „Das Kind wird nicht warten, nur

weil du dir etwas in den Kopf gesetzt hast.“

„Schweig, Leta. Du hast kein Recht auf diese Art und Weise mit mir zu sprechen. Du hast wohl

vergessen wer ich bin“, keuchend suchte die grünen Augenpaare die der Heilerin. „Ira“, wisperte es nun

bittend und ohne jeglichen Zorn.

„Es muss doch eine Möglichkeit geben, irgendeine.“

Kurz schien die Heilerin zu überlegen, schüttelte schließlich verneinend ihr rotes Haar.

„Nein, verzeiht mir, aber Leta hat Recht. Auch wenn es euch nicht gefallen sollte, es gibt keine

Möglichkeit. Keine, die ich verantworten könnte. Euer Kind oder Ihr selbst könntet Schaden nehmen. Ich

bin Bredal geweiht, und es ist meine Aufgabe Leben zu schützen, nicht es nach den Wünschen der

Menschen zu formen.“

Resignierend lies sich die junge Frau zurück auf die weiche Decke gleiten, hektische Gedanken fluteten

durch ihren Geist, trieben ihn weit fort. An einen anderen Ort, weit weg von der Enge und der

Beklemmung des Raumes.

Kleine durchsichtige Perlen bannten sich ihren Weg durch die fest zusammen gepressten Augenlider

hindurch, kühlten die erhitzten Wangen und fielen lautlos zu Boden. Ein grässlicher Schmerz

durchschnitt die kurze Ruhe ihres Geistes und ihr schien, als würde ihr Körper in zwei Hälften gerissen.

Rüde hievte die ältere Frau sie ein Stück hinauf, entkräftet lies sie es über sich ergehen, auch dass kalte

Hände fest ihre Schultern umschlossen und kurz, aber umso schmerzhafter zudrückten.

Leise Worte berührten ihr Gehör, vermochten es jedoch nicht durch diese Wand aus Taubheit zu

durchdringen, und jenen Ort zu berühren in welchem das Leben von Anbeginn der Zeit entsprang.

„Jetzt zier dich nicht so“, zischte erneut diese beißende Stimme.

„Ich habe es dir gesagt, niemand wird mehr kommen. Was hast du anderes erwartet? Hast du wirklich

geglaubt, dass solch ein Mensch seinen Stolz vergisst? Nein, du bist allein und wenn du dich nicht

zusammen reißt, dann werde ich...“

Ein lautes Krachen folgte auf die letzten Worte, kalter Wind drang von der geöffneten Tür. Schwer

hallten Schritte in der Stille auf und blieben erst dicht vor der zusammen gesunkenen Gestalt stehen.

Sanfte Hände berührten die geröteten Wangen und zitternd öffneten sich die grünen Augen, blickten in

das über Jahre so vertraute Gesicht.

Ein Lächeln der Erleichterung verscheuchte den Kummer und die Angst. „Du, du bist gekommen“,

wisperte die junge Frau und barg ihr Gesicht in der Handfläche ihres Gegenübers. „Natürlich bin ich

gekommen“, erwiderte die angesprochene und kniete sich hinab.

„Ich habe es dir doch geschworen, erinnerst du dich nicht?“ Ein missbilligendes Schnaufen ließ die

geschundenen Gesichtszüge der Besucherin noch weiter verhärten. Für einen kurzen Moment bedachte

sie die alte Frau mit einem verächtlichen Blick und in diesen merkwürdigen Augen aus Bernsteinerner

Farbe blitzte es gefährlich auf. Erschrocken wich Leta einige Schritte zurück, gab ihren Platz an jene

Person frei, welche schon die ganze Zeit dort zuweilen hatte.

Argwöhnisch beobachtete Ira diese Szenerie, noch nie in ihrer langen Laufbahn als Heilerin war die

Geburt eines Kindes durch äußeren, wie innere Umstände, so maßgeblich beeinflusst worden.

Stumm sah sie zu, wie die Fremde sanft den Körper der anderen stützte, deren Kopf an ihre Brust

bettete und leise Worte murmelte.

Für den Bruchteil eines Augenblickes erspürte Ira eine merkwürdige Energie, sanft breitete sie sich über

die Gebärende aus, hüllte den krampfenden Leib ein und spendete ihm eine nie gekannte Ruhe.

Vorsichtig wagte Ira einen verstohlenen Blick auf die Fremde, bemerkte trotz der liebevollen Gesten

eine Art der Anspannung, welche wohl nicht von der Situation herrührten, sondern weit tiefer gehen

mochte, als es sich die Heilerin ausmalen konnte.

Erst der schrille Schrei der werdenden Mutter holte Ira zurück aus ihren eigenen Gedanken. Tief atmete

sie durch, stemmte ihre Knie fest in den Boden.

„Es ist soweit,“ erklärte sie ruhig und sachlich, kannte sie diesen Vorgang doch wie die Konturen ihrer

eignen Hand und nun las sie in den Gesichtern der Anwesenden Sorge. Keuchend wandte sich der

bebende Körper unter ihren Händen, laute der Erschöpfung und des Schmerzes hallten von den Wänden

des Raumes wider. Fest umklammerte die junge Frau die Hände der ersehnten Gefährtin. „Ich kann, ich

kann nicht mehr“, stöhnte sie leise und suchte in den Augen der anderen Zuflucht. Sacht strich diese ihr

über die Wange küsste die schweißnasse Stirn. „Doch, du kannst es ist bald vorbei. Du bist stark, ich

bin bei dir. Ich bin bei dir...“

„Es ist in der Tat bald vorbei“, bekräftigte Ira und lächelte aufmunternd zu beiden hinüber. „Ihr müsst

nur noch einmal eure ganze Kraft zusammen nehmen.“ Kurz hielt sie inne, spürte, wie das neue Leben

sich seinen Weg in die Welt bannte.

„Jetzt“, rief sie laut und dem schmerzenden Gebrüll aus der erwachsenen Kehle gesellte sich ein

weiterer kräftiger Laut. Lächelnd blickte Ira auf ihre Hände hinab, sanft hielt sie das neugeborne Kind

zwischen ihren Händen. Vorsichtig hob sie es einwenig an, damit die Mutter es sehen konnte. „Ein

Junge“, verkündete sie leise lachend. „Ihr habt einen wunderschönen Sohn.“

Zärtlich wischte Ira mit einem nassen Tuch dem Kind über das Gesicht, befreite es von dem Blut seiner

Mutter, band die Nabelschnur ab, und hüllte es in eine weiche Decke.

„Ein Junge“, wisperte die junge Frau und nahm der Heilerin ihr Kind aus den Armen. Erneut traten ihr

Tränen in die Augen, doch dieses Mal waren es keine Tränen des Schmerzes sondern Tränen der

Freude. Lächelnd blickte sie in die Augen ihres Sohnes.

„Hallo“, flüsterte sie leise und strich über die winzige Stirn. „Hallo mein Junge.“ Kurz blickte sie hinauf

in das andere Gesicht. „Ist er nicht wunderschön?“

„Ja,“ bestätigte die Angesprochene und küsste noch einmal flüchtig die erhitzte Stirn. „Er ist

wunderschön.“

„Ein Junge“, erklang die nun wohlwollende Stimme Letas aus der hintersten Ecke des Raumes. „Ein Sohn

für den Stamm. Dein Vater wäre so stolz auch dich, Ayesha. Wie froh wäre er an diesem Tag nur

gewesen.“

Sorgenvoll furchte Ira die Stirn, als sie die Gefühlsregung in den Augen der Fremden wahrnahm.

Schmerz las sie in diesem Blick, Schmerz und Wut.

„Ich würde euch vorschlagen“, wandte diese sich Leta zu und funkelte sie von neuem angriffslustig an.

„Das ihr die frohe Botschaft sofort verbreitet, dann hätte Ayesha wenigstens für einen Moment ruhe vor

eurem Geschwätz.“

„Glaubt ihr wirklich, ich lasse mich auf diese Art von euch maßregeln?“ gab Leta nun ebenso

aufgebracht zurück. „Ich muss mir von jemandem wie euch keine Befehle erteilen lassen.“ Leise begann

der kleine Junge zu wimmern, beschützend barg Ayesha das Gesicht ihres Sohnes an ihrer Brust. „Ich

glaube“, begann sie leise doch ihre Stimme gewann etwas von ihrer Festigkeit zurück. „Es wäre besser

wenn du jetzt gingest, Leta.“

Als habe man sie geschlagen stand die alte Frau mitten im Raum, unter den Blicken der drei anderen

Frauen wuchs ihre Verstimmtheit mit jedem Moment mehr. Mit schnellen Schritten eilte sie an ihnen

vorbei und schlug die Tür laut hinter sich zu. Befreit atmete Ayesha, Tochter des Arlons und Oberhaupt

dieses Dorfes, durch.

Durch das verschwinden Letas fiel eine gigantische Last von ihren Schultern wie Schnee bei den ersten

Sonnenstrahlen ab. Lächelnd blickte sie zurück auf ihren neugebornen Sohn, seine jungen Augen

blickten seinerseits erstaunt zu ihr hinauf.

„Wisst ihr schon einen Namen für ihn?“ fragte die Heilerin und nahm ihr den Jungen wieder ab.

Erschöpft lies sich Ayesha zurück auf die Kissen sinken, eine nie gekannte Müdigkeit erfüllte ihrer

Glieder, schweigend blickte sie zu der Gestalt hinüber, welche immer noch neben ihr kniete und ihr

sacht über die Wange strich.

„Caleánus“, flüsterte sie leise und lächelte. „So soll sein Geburtsname lauten, der Name, unter welchen

ihn die Welt kennen wird ist Cale. Cale, Sohn der Ayesha...“
 

Frisch wehte der Wind von Norden her, vertrieb die dunklen Wolken und gab den Blick auf den jungen

Mond frei. Schwer atmend trat Ira aus der Tür des Hauses, sie hatte alles getan, was nötig gewesen war.

Mutter und Kind schliefen den erholsamen Schlaf der Erschöpfung, das Haus hatte sie mit Bannzauber

gegen Geister belegt, damit sich keine böse Seele dem Kind nähren konnte. Ira genoss für einen

Moment die Stille der Nacht, und schlang ihren schweren Umhang fest um sich. Nachdenklich verlor

sich ihr Blick in den Sternen.

Dies war ihre letzte Aufgabe in dieser merkwürdigen Nacht, sie wollte mehr über das Schicksal des

Neugebornen wissen, und diese Antworten konnte sie nur in den unendlichen weiten des nächtlichen

Firmamentes finden.

Nur wenige Sterne erhellten die Nacht, Neumond vertrieb für gewöhnlich die einzigen Lichter am

Himmel, damit nur sein Licht am hellsten erstrahlen konnte.

Forschend starrte Ira hinauf, je ballten sich ihre Finger zu Fäusten, während ihre Augen die

Konstellationen der Sterne und des Mondes lasen. Ein leises Keuchen entrann ihrer Kehle, sie spürte,

wie ihr Wesen die Botschaft der Sterne entrollte.

Mit ungewöhnlicher Klarheit lagen nun die von den Göttern geschriebenen Anlagen vor ihren Augen.

„Nein“, dachte sie und schüttelte kurz ihren Kopf, ein leises Dröhnen hinter ihren Augen ließ ihre Hände

erzittern. Schnell drehte sie sich dem erleuchteten Fenster zu, erinnerte sich an die tiefgrünen Augen

des Jungen und schlug die Hände vor ihr Gesicht.

„Gefällt euch nicht was ihr seht?“ Erschrocken drehte sich Ira völlig der Tür zu. Das abgekämpfte und

müde Gesicht der Fremden sah sie fragend an. Leise schloss diese die Tür und trat zu ihr.

„Beide schlafen noch immer, euer Trunk hat wahrlich Wunder getan.“ Leise lachte sie und wischte sich

kurz mit dem Handrücken über die Augen. Still starrte Ira die Gestalt an, welche fast mit der Schwärze

der Nacht verschmolz.

„Wer seid ihr?“ traute sich nun die Heilerin jene Frage zustellen, welche ihr schon während der ganzen

Zeit auf der Zunge brannte.

„Ist das für euch von solcher Wichtigkeit?“ Ein Seufzen folgte und die Frau rieb sich nervös über ihre

Wangen, erst jetzt bemerkte Ira die tiefe Narbe auf der rechten Wange der Frau und wandte den Blick

abrupt ab. „Glaubt mir, es ist besser, wenn ihr nicht wisst wer ich bin“, erklang es ruhig und doch

bestimmt auf die zuvor gestellte Frage.

„Vielleicht würde es euch zu viele Probleme bereiten, deshalb, vergesse ich eure Frage einfach. Nun

sagt, was sprechen die Sterne?“

„Die Sterne stehen in ungewöhnlicher Konstellation“, seufzte Ira nun ihrerseits und richtete ihren Blick

hinauf zu den glitzernden Lichtern.

„Ich kann nicht alles lesen, was sie wohl zu sagen haben. Diejenigen, welche unter dem Neumond

geboren werden sind Suchende, getrieben werden sie ihr ganzes Leben nach der Jagd auf eine einzelne

Antwort. Er wird stark und mutig werden, sein Geist wird mit der Last der Jahre gewiss zu Weisheit

heran reifen. Und doch sehe ich auch schreckliche Dinge...“

„Welche?“ die Stimme der Frau wurde plötzlich kalt wie der Nordwind und ihr Blick wanderte ebenfalls

hinauf zu den Sternen.

„Er wird sein ganzes Leben lang einsam sein, diejenigen, welche er liebt wird er von sich stoßen. Er wird

seine Freunde hassen und seine Feinde lieben, immer zu wird er getrieben werden von einem Hass, für

welchen er den Grund nicht kennt und doch wird er versuchen auf diesen Zorn eine Antwort zu finden.

Er wird die falschen Menschen für Verbrechen bezichtigen, für welche diese Menschen keine Schuld

tragen.

Er wird lieben, und doch wird womöglich eben diese Liebe den Tod bringen...“

Ein leises Keuchen drang zu Ira hinüber, leicht neigte sie ihr Gesicht der Fremden zu.

„Ihr werdet ihn wieder sehen, soviel kann ich sagen, doch ich kann nicht erkennen unter welchen

Umständen dieses Wiedersehen enden wird. Er wird sich an einem ganz bestimmten Punkt entscheiden

müssen welchen Weg er beschreiten wird, und dieser Weg ist untrennbar mit etwas großem verbunden.

Er wird großes vollbringen, doch ob diese Taten Leben oder den Tod bringen kann niemand sagen.“

„Seid Ihr euch mit dieser Prophezeiung sicher?“

Bei dieser Frage und der Sorge in ihr begann Ira zu erschaudern. „Wer weiß was die Götter für ihn

bereithalten. Ich kann nur lesen, was sie mir zu sehen geben. Die letzten Worte wird der Junge selbst

hinzufügen müssen.“

„Ich danke euch“, erklang die feine Stimme und das ehemals müde Gesicht zierte nun Sorge. „Danke für

alles, ich hoffe, ihr werdet euch erst morgen auf eure Reise begeben. Es ist spät und ich möchte nicht,

dass ihr euch in Gefahr begebt.“

Ein leises Lachen stahl sich über Iras Lippen und sie schüttelte verneinend den Kopf. „Sorgt euch nicht,

ich werde in den Morgenstunden aufbrechen, außerdem kann ich gut für mich selbst sorgen.“

„Daran habe ich auch nicht gezweifelt.“

„Das hoffe ich“, freundschaftlich hielt Ira ihrem Gegenüber die Hand hin, aus irgendeinem Grund fühlte

sie, ein merkwürdiges Gefühl der Dankbarkeit für diese Frau. „Ich begebe mich nun zur Ruhe, es war

ein langer Tag. Es war mir eine ehre. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.“

„Wenn die Götter es wollen, bin ich mir sicher.“

Entgegnete die andere und schüttelte kurz die ihr angebotene Hand, nachdenklich sahen die

leuchtenden Augen der Heilerin nach. „Welche seltsame Prophezeiung“, dachte sie und riskierte noch

einen kurzen Blick hinauf in den Himmel.

Seufzend öffnete sie die Tür und trat in die tröstliche Stille des Hauses ein. Ein seltsames Gefühl befiel

ihre Glieder, es war beinahe so, als wäre man nach einer langen Reise wieder nachhause zurückgekehrt.

Auf leisen Sohlen schlich sie in den Raum, in welchem Mutter und Kind friedlich schliefen. Lange ruhte

ihr Blick auf diesem Bild, fest brannte es sich in ihrem Gedächtnis fest, niemals wieder würde sie es

vergessen, dessen war sie sich sicher.

„Du siehst so glücklich aus“, flüsterte sie der schlafenden leise zu, und strich versonnen über das

schwarze Haar. „Ich war so lange fort“, schuldbewusst sengte sie ihr Haupt und ihre Augen begegneten

denen des Neugeborenen. Sanft löste sie das Kind aus den Armen Ayeshas und blickte schweigend in

die grünen Augen des Kindes. Zärtlich küsste sie den mit Flaum bedeckten Schopf.

„ Er wird großes vollbringen, doch ob diese Taten Leben oder den Tod bringen kann niemand sagen...“

Immer wieder und wieder hallten die Worte der Heilerin in ihrem Kopf, beinahe warnend prägten sie

sich in ihrem Herzen ein.

Leise sang sie dem Jungen ein Lied, welches sie noch aus ihrer Kindheit kannte, doch auch diese

liebliche Melodie brachte die Stimme in ihrem Kopf nicht zum Schweigen: „ Er wird lieben, und doch

wird womöglich eben diese Liebe den Tod bringen...“

Tief atmete sie den Duft des Neugebornen in ihre Lungen ein, und fragte sich leise selbst: „Was wird

wohl aus dir werden? Wer wirst du sein, wenn ich dich wieder sehe?“
 

Bredal: Gott der Familie, Beschützer der Kinder und der Ehe, barolonischer Gott.
 

*Gyrox: Gott des Krieges. Krieger und Kriegerinnen beten diesen Gott vor Beginn einer Schlacht an.

Gyrox ist einer der unberechenbarsten Götter des Landes Barolon. Man sagt, er weide sich an den

Schreien der Sterbenden Menschen und sitze auf einem Thron aus Menschengebein
 

Nachwort:

Ich bin wieder da*gg*. Mit einer neuen Geschichte, in welcher vieles noch im verborgenen liegt. Tja, ich

hoffe, dem einen oder anderen hat dieser Prolog gefallen. Wie schon gesagt, man muss die erste

Geschichte "Die Trauerweide" nicht unbedingt gelesen haben, ich hoffe, ich habe alles soweit gut und

verständlich rüber gebracht.

Ich kann gar nicht sagen, wie sehr mir die Arbeit an dieser Geschichte gefehlt hat, aber auch nicht wie

schwer er war, diesen Prolog zu tippen. Es war eine größere Arbeit, als ich zu beginn hin dachte und ich

habe glaube ich 20 Mal neu angefangen, Konzepte verworfen etc. Deshalb hoffe ich, dass alles soweit

verständlich und halbwegs in Ordnung ist.

In diesem Sinne freue ich mich auf die nächsten Kapitel. An dieser Stelle, danke an diejenige, welche es

bis hier her gelesen haben!
 

Danke, bis bald
 

seen
 

©2006 by Lena Petri

Wintersturm

Wintersturm
 

Sanfte ergoss sich rötliches Licht über die mit Schnee bedeckten Ebenen. Leise ächzten die kahlen Baumwipfel unter der gigantischen Last der eisigen Umklammerung. Dicke Schneeflocken fielen lautlos zur Erde hinab, vernichteten die winzigen Spuren von Tieren, beinahe so, als hätten diese keine Berechtigung der vollkommen makellosen Welt aus Eis und Schnee einwenig Leben zu verleihen. Laut heulte der Wind auf, und verwehte einiges weißes Nichts im Licht der Sonne, unnatürlich rot glühte es für den Bruchteil eines Herzschlages auf, und verwandelte sich in das eisige Nichts zurück, was es zuvor gewesen war. Die Welt schlief unter ihrem dicken Leichentuch, verschloss ihre Augen vor den Ereignissen der Menschen. Schlafen wollte sie, ihre Wunden heilen, und erst im Frühling die dicke Schicht aus Eis und Kälte zu durchbrechen.

Schnelle Schritte eilten über den feuchten Waldboden, dumpf hallten die schweren Stiefel des Mannes durch das dürre Geäst der lichten Baumwipfel. Laut keuchte sein Atem, sein Blut pulsierte heftig in seinen Adern und pochte unaufhörlich gegen seine Schläfen. Hektisch wandte er sich um, seine dunklen Augen versuchten in der Dunkelheit des Waldes Bewegungen auszumachen, doch der Wald blieb stumm und tot. Kein Vogel war zu hören, kein Tier steckte seinen Kopf aus dem Unterholz hervor, um dem lauten Treiben zuzuschauen, es schien, als wäre er das einzige Lebewesen weit und breit. Es wäre so einfach sich dieser Illusion hinzugeben, doch er wusste es besser, er war nicht alleine.

„Wo steckst ihr nur?“ dachte er und blieb keuchend stehen. Er spürte, wie sich sein innerstes vor Erschöpfung verkrampfte, bemerkte den bitteren Geschmack von Blut in seinem Mund und spie den blutigen Speichel auf den Waldboden. „Ausruhen“, dachte er und lehnte sich gegen den mächtigen Stamm einer Eiche. „Nur ganz kurz…Ausruhen.“

Tief sog er die eisige Luft in seine Lungen, fühlte, wie sich seine Glieder langsam entspannten, sein Herz sich beruhigte. Für einen kurzen Moment schien die Welt in Ordnung zu sein, für den winzigen Augenblick eines Augenaufschlags ging es ihm gut…

Ein schneidender Schmerz lies ihn zusammen sacken, tief hatte sich der Dolch in seinen Oberschenkel gebohrt, aus der Kehle des Mannes entrann ein mit Schmerz angefüllter Schrei. Ein leises Surren kündigte die nächste auf ihn zufliegende Waffe an, er versuchte noch sich zu aus der Geschossbahn zu winden, doch auch dieser Dolch fand sein Ziel in seiner Schulter. Keuchend sank er zu Boden, er hörte Stimmen, das Geäst auf dem Waldboden knackte unter dem Gewicht von Stiefeln. Langsam tastete sich seine rechte Hand zu dem kleinen Dolch, welcher sein Bein so blockierte, dass er es kaum noch anwinkeln konnte. Fest umschlossen seine Finger den Griff, doch bevor er ihn herausziehen konnte, umfasste eine andere Hand seinen Arm und hielt ihn zurück.

„An deiner Stelle würde ich das lieber sein lassen“, die Stimme über ihm klang jung, er blickte auf, seine dunklen Augen begegneten den grünen Augen eines jungen Mannes, wie ein dunkler Schatten stand er über ihm, verdunkelte die Sonne, er spürte den kalten Stahl eines Schwertes an seiner Kehle. „Du hast uns wirklich ganz schön viel Aufwand gekostet, mehr Aufwand, als dein Kopf überhaupt wert ist“, schnaubte der jüngere und sah ihn lange an. „Wie lange jagen wir diesem Kerl jetzt schon hinter her, Eylon?“ fragte er und wandte sich einem älteren Mann zu, welcher sich aus einem nahe gelegenen Dickicht heraus schälte, mit dem er bis zu diesem Moment vollkommen verschmolzen war.

„Lange genug, um mehr zu fordern“, erklärte der angesprochene, und bückte sich zu dem verletzten hinunter. Seine Hand kramte aus einem Beutel an seiner Seite ein zusammen gefaltetes Stück Pergament hervor. „Ja, wir haben ihn“, erklärte Eylon kurz, nachdem er den Steckbrief gemustert hatte, und hievte den Verletzten auf die Füße. „Mord, Raub und Hochverrat? Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir doch so einen dicken Brocken jagen, Ragan, Sohn des Draken. Wen hast du auf dem Gewissen?“ fragte der jüngere der beiden und blickte kurz auf den Steckbrief. „Wölfe (*)“, gab Ragan mit schmerzverzehrtem Gesicht zurück und lächelte schief. „Sehr viele Wölfe.“

„Aber ich hätte niemals gedacht, dass meine eigenen Landsleute mich dafür irgendwann hinrichten lassen und jagen würden,“ fügte er in seinen Gedanken wehmütig hinzu.

„Der Krieg ist seit mehr als zehn Jahren vorbei“, sagte der ältere. „Die Zeiten und Feinde ändern sich. Mord bleibt allerdings Mord.“

Tief atmete Ragan durch, und sah auf seine nun gefesselten Hände hinab, er keuchte kurz, als der Dolch aus seinem Bein gezogen, und seine Wunde versorgt wurde. Kaum merklich schüttelte er den Kopf, nein, er hätte wahrlich niemals gedacht, dass er eines Tages hingerichtet werden würde, weil er seine Familie beschützen und Rache für all die Grausamkeiten nehmen wollte, welche man ihm angetan hatte. „Zeiten ändern sich wahrlich“, dachte er und lächelte bitter. „Menschen aber nicht.“ Schweigend sah er die zwei Männer an, musterte sie, der ältere von beiden besaß ein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht, und durch sein braunes Haar und Bart zogen sich bereits viele graue Schleier. Der jüngere ließ ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen, musterte ihn ebenfalls mit seinen grünen Augen, in welchen ein Alter zu liegen schien, welches nicht zu seiner körperlichen Entwicklung passen mochte. „Woher kommst du, Kleiner?“ fragte Ragan und runzelte leicht seine Stirn, dieses Gesicht, es kam ihm bekannt vor, doch er wusste nicht in welchem Zusammenhang es ihm bereits schon einmal begegnet sein konnte.

„Das geht dich nichts an“, erklärte der angesprochene und lächelte kalt. „Und wenn du mich nach meinem Namen fragen möchtest, der geht dich auch nichts an, alter Mann.“

Ragan nickte kaum merklich und lehnte sich zurück an den Baum, sein Blick wanderte hinauf zum Himmel, durch das knorrige Geäst konnte er deutlich erkennen, dass sich der Himmel verdunkelte. Mächtige Wolken zogen von Norden herauf, der Wind frischte merklich auf, und einige vereinzelte Schneeflocken trafen bereits sein Gesicht. Ein leises Seufzen entfuhr seiner Kehle, unbeweglich stand er da, blickte hinauf in den Himmel, der Schmerz in seinem Oberschenkel und Schulter verblasste langsam, er spürte zwar immer noch das heiße Blut aus der Wunde austreten und seinen Arm hinunter laufen, doch es kümmerte ihn nicht mehr. All die Anspannung, welche Jahrzehnte lang seine Glieder befallen hatte, war wie verschwunden. Man hatte ihn gefangen, ein zurück gab es nun für ihn nicht mehr. Er hatte gewusst was geschehen würde, sollte man ihn jemals gefangen nehmen, und dennoch hätte er niemals damit gerechnet, dass es so zu ende gehen würde.

Nein, niemals hätte er sich vorgestellt, dass sich die rechte Hand von Markos (*) dem schlauen Raben, wie sein toter Freund immer noch bei den Ogroniern genannt wurde, sich so leicht fangen ließ.

Ein bitteres Lächeln stahl sich über sein Gesicht, während der ältere Mann namens Eylon noch einmal seine Fesseln fester schnürte und ihn mit festem Griff mit sich führte. Zurück in die gleiche Richtung, aus welcher Ragan vor so vielen Jahren geflohen war. Zurück, zu jenen Menschen, welche kein Recht besaßen über ihn zu urteilen. Ohne Gegenwehr ließ er sich abführen, es wäre auch vergebens gewesen sich zu wehren, er hatte keine Waffen und die beiden Jäger waren sehr gut ausgebildet, er würde kaum eine Chance haben lebend davon zu kommen, und er fühlte sein Alter mit jedem Tag mehr und mehr.

„Hey, Cale“, rief Eylon dem jüngeren der beiden zu. „Vergiss unseren Proviant nicht, es ist weit bis Kalmas (*).“

Cale, bei dem erklingen dieses Namens, wandte sich Ragan abrupt um, starrte den jungen Mann lange an. Jetzt erinnerte er sich, diese Augen, das schwarze Haar, nun erkannte er ihn. Wusste wen er vor sich hatte. Das letzte Mal, als er dieses Gesicht gesehen hatte, war es jünger gewesen, kindlich, selbst das Blut welches sein Gesicht bedeckt hatte, war nicht imstande gewesen dies zu ändern. An Tränen erinnerte sich Ragan, an verzweifelte Augen, an Schreie, Rauch…

Kurz zuckte Ragan vor eisiger Kälte zusammen, er spürte sie nicht nur in seinen Gliedern, oder auf seiner Haut, sondern es war eine Kälte die ihm entgegen schlug, welche viel tiefer reichen mochte, als es das menschliche Auge oder dessen Sinne erfassen konnte. Ohne, dass es ihm bewusst war, wanderten seine gefesselten Hände zu seinem Hals hinauf, bis diese in der Mitte seiner Brust ruhten. Tief atmete er die kalte Luft in seine Lungen, konzentrierte sich.

„Onone (*)“, wisperte er in seinen Gedanken. „Onone, Göttin der Träume. Siehe, was ich dich sehen lasse, höre, was ich dich vernehmen lasse… Komm zu mir, Oh Göttin der Träume…“

„Was machst du da?“

Verstört öffnete Ragan seine Augen, das zuvor dunkle Braun seiner Iris zierte nun eine helle Farbe, beinahe wie aus Eis durchsichtig und klar erschienen sie, und Eylon legte befremdet die Stirn in Falten. „Komm jetzt! Bei all den Göttern, ich werde zu alt für diese Arbeit.“

Leise fluchend zog Eylon Ragan hinter sich her, mit langsamen Schritten folgte dieser lächelnd.

„Sie werden nicht kommen“, zischte es zu seiner Rechten.

„Was? Was hast du gesagt?“

„Du hast mich schon genau verstanden“, zischte es erneut wütend, und grobe Hände schubsten Ragan einige Schritte vorwärts. „Sie werden nicht kommen, so sehr du sie auch eben angefleht habe magst… Besonders sie hört niemals zu, wenn du um Hilfe rufst.“

„Oh, ich verstehe. Du hast es also gespürt“ flüsterte Ragan zurück. „Aber wie ich sehe, hast du in den letzten Jahren nichts dazu gelernt, kleiner Welpe.“ Wie angewurzelt blieb Cale stehen, betrachtete den Gefangenen, wie sich dieser nun langsam von ihm entfernte.

„Tue nicht so, als würdest du mich kennen“, erwiderte er bitter und holte den verloren gegangenen Abstand wieder auf.

„Aber, aber“, flüsterte Ragan und lächelte ihn an. „Ich kenne dich, wie du jetzt vor mir stehst, tatsächlich nicht mehr. Aber ich weiß noch, wie du vor einigen Jahren warst, Cale Sohn der…“ er ahnte den Schlag bevor er ihn überhaupt traf, es wäre eine Leichtigkeit gewesen ihm auszuweichen, doch aufgrund der Fesseln fand der Schlag sein Ziel. Keuchend fiel Ragan auf die Knie, erneut spie er sein Blut in den Schnee und hörte den heftigen Atem des Jungen über sich.

„Wage es nie wieder ihren Namen In den Mund zunehmen“, zitternd klang die Stimme und Ragan fühlte die Wut, welche sich in jeder einzelnen Faser seines Gegenübers ausdehnte wie ein hässliches Geschwür. „Hast du mich verstanden, du verdammter Bastard?“ schrie Cale und schlug erneut zu. „Du hast kein Recht ihren Namen auszusprechen, ihr elenden Huren und Bastarde von Onone seid Schuld, Schuld an allem!“

„Cale“, rief Eylon, welcher einige Schritte vor ihnen gegangen war. „Was? Warum? Was ist hier los?“

Lange starrten sich Ragan und Cale an, immer noch fühlte Ragan die Wut in dem Jungen brennen. Sah, wie er seine Hände zu Fäusten ballte, weiß traten seine Fingerknöchel unter der blutverschmierten Haut hervor.

„Lass ihn uns jetzt von hier wegschaffen“, sagte Cale und brach den Blickkontakt. „Ich habe genug von ihm.“

Wortlos kämpfte sich Ragan auf die Füße, und sah Cale lange nach, wie dieser mit festem Schritt voran ging. Der Wind heulte leise auf, beinahe Wehklagend erschien es seinen Ohren, ein stummes Lied welches nur er verstehen konnte. „Er ist es wirklich“, dachte er. „Ayeshas Sohn.“ Mit zittrigen Händen wischte sich Ragan sein Blut aus dem Gesicht und starrte gedankenverloren auf den frostigen Waldboden. „Was ist nur mit dir passiert, Kleiner? Was ist nur passiert?“ fragte er sich selbst und schüttelte kaum merklich den Kopf. Erinnerungen durchströmten seinen Geist, Erinnerungen an einen kleinen Jungen, der ihm hinterherlief. An das Lachen eines Kindes, unbeschwert und frei. Wie glücklich das Kind auf eine Frau zulief, seine kleinen Arme um ihren Hals warf „Mama und ich haben dich so vermisst…“

Glasklar erinnerte sich Ragan an diese Begebenheiten und fragte sich, wie viel Hass in dem jungen Mann existieren mochte, um all das vergessen zu haben. „Ich erinnere aber noch“, dachte er und fühlte wie der kleine Stein über seinem Herzen aufglühte. „Und sie auch…“
 

Erklärungen:
 

(*) Wölfe: Das Volk der Ogronier stammt von den Küsten der Eismeere hoch im Norden des Landes Barolons. Vor Jahren fielen sie in Scharen in die Regionen um den Katzenstein ein und brachten schon bald das ganze Land unter ihre Kontrolle. Sie entmachteten die Stämme, zerschlugen die Bündnisse und vernichteten jeden der ihnen gefährlich wurde. Einen genauen Grund für ihr Handeln lässt sich nur vermuten. Wahrscheinlich waren die natürlichen Ressourcen in ihrer Heimat aufgebraucht und man suchte nach neuen Gebieten. Ihr Hauptstützpunkt liegt in Kalmas, doch überall befinden sich kleine gut bewaffnete Außenposten. Die Ogronier sind wie ihre eigentliche Heimat rau, wild und gnadenlos. Nicht um sonst tragen sie bei der Bevölkerung von Barolon den Namen "Die Wölfe aus dem Eismeer". Sie wurden im zweiten Krieg zurück Sie wurden im zweiten Krieg zurück in ihre kahle, tote Heimat gedrängt.
 

(*) Markos: Sein Name bedeutete in der Sprache Barolons "schlauer Fuchs". Bereits seit früher Kindheit lernte Markos die Schattenseiten des Lebens kennen. Er wurde mit den Jahren ein fähiger Kämpfer und übernahm nachdem Tod seiner Schwester das Amt des Oberhauptes. Viele Jahre brachten Markos und seine Gefolgsleute damit zu, den Ogronier mit Überfällen und kleinen Gefechten das Leben schwer zu machen, immer mit dem Ziel, irgendwann wieder die Freiheit über das Land zurück zuerobern. Doch nicht nur dies war Markos Lebensinhalt, ebenso sehr suchte er sein ganzes Leben nach der Tochter seiner verstorbenen Schwester. Nach Jahren der Suche fand er seine Nichte Ryan und dennoch währte dieses Glück nicht lange. Von heftigen Visionen geplagt zwang Markos Ryan mit ihm zusammen in den Krieg zuziehen, und sie auf seine Nachfolge vorzubereiten. Markos starb ebenfalls in der Schlacht von Kalmas. Er hinterließ seine Frau Nima und seine Kinder Allessa, Lia und Naya.
 

(*) Kalmas: Hauptstadt des Landes Barolon. Wurde unter der Herrschaft der Ogroniern zum Hauptstützpunkt ihres Diktatur. Bevor dem zweiten großen Krieg diente sie als Hauptsitz des Rates der Wölfe.
 

(*) Onone: Göttin der Traumwelt, der Wünsche und Sehnsüchte der Menschen. Brolonische Göttin
 

© Lena Petri 2010

Der Weg zu goldenen Stadt

Der Weg zu goldenen Stadt
 

(13 Jahre zuvor)

Mit heftigen Stößen trommelte der Sturm gegen die Fensterscheiben, Blitze zerrissen den schwarzen Nachthimmel und ein deutlicher Donner grollte in der Ferne. Vorsichtig drückte die kleine Kinderhand die schwere Holztür einen Spalt auf, sorgsam darauf bedacht von niemandem bemerkt zu werden. Der helle Schein von Feuer stach ihm in die Augen und der Junge blinzelte leicht, bis sich seinen Augen an das helle Licht angepasst hatten. Leise atmete er ein und aus, und lugte durch den Spalt hindurch. Zwei Frauen saßen dicht am Feuer, eine von ihnen leicht zusammen gesunken, er konnte deutlich erkennen, dass ihr Körper zitterte. Zaghaft streckte die blonde Frau eine Hand aus, ließ sie dann jedoch sofort wieder sinken, ihr Blick – ihre Augen schienen traurig, fast geschockt.

„Es tut mir leid, Ryan.“ Die Stimme klang rau, bebte leicht als sie die Worte sprach, kaum merklich wischte sich die Frau über ihre Augen.

„Du - Du kannst wirklich nichts mehr tun? Ich meine, wir können nichts mehr tun?“

Mit schrecken erkannte der Junge, wie die andere Frau leicht den Kopf schüttelte, plötzlich drang ein Laut an seine Ohren, der sein Mark erschaudern ließ. Es war kein Schrei gewesen, viel eher war es einem verwundeten Tier ähnlich, dass sich in gigantischer Agonie wand. Seine kleinen Händen klammerten sich am Türrahmen fest, ein Holzsplitter drang in einen seiner Finger, doch er bemerkte es kaum, still stand er da, und hörte diesem erstickten Laut zu, während sich in seinen grünen Augen Tränen zusammeln begannen.

„Es tut mir so leid,“ stammelte es wieder, und dieses Mal nahm die andere Frau die zitternde Hand ihres Gegenübers in die ihre und drückte sie sacht. „Ihre Wunden sind zu schwer, die Entzündung in ihrem Körper bedingt das hohe Fieber, und die inneren Blutungen… Ich kann nichts tun.“

„Bei Onone,“ wisperte es leise. „Warum tust du mir das an? Warum? Wie soll ich es ihm nur erklären – Wie soll ich es ihm nur erklären?“

Vorsichtig wurde der bebende Körper in einer Umarmung gefangen, ersticktes Schluchzen verlor sich mit den Geräuschen des Sturms.

„Wie lange?“ fragte die größere der beiden Frauen und wischte die Spuren der Tränen von ihren Wangen.

„Ich weiß es nicht,“ erklang die ehrliche Antwort. „Vielleicht ein bis zwei Tage… Ich kann es nicht genau sagen.“

„Ich-Ich kann sie doch nicht verlieren, nicht jetzt, nicht so… Ich…“ die letzten Worte wurden von einem erneuten Schluchzen verschluckt, durch einen dicken Tränenschleier hindurch sah der Junge, wie sich der Körper der Frau nach vorne bog, und dieser mit Wogen von Trauer durchgeschüttelt wurde. Langsam ließ er seine Hand sinken, trat mehrere Schritte zurück und schluchzte leise. „Mama,“ dachte er nur und dann traf ihn der gesammelte Schmerz wie ein einziger gigantischer Schlag, seine Beine gaben nach, und er rutschte die kalte Steinwand hinter sich kraftlos hinunter. Tränen überspülten sein kindliches Gesicht, und er vergrub es in seinen angezogenen Beinen…
 

Kaum merklich begannen die Augenlider des jungen Mannes zu flattern, mit einem erstickten laut öffneten sie sich vollständig, rasche Atemzüge entglitten seiner Lunge und er setzte sich verstört auf. Der sanfte Schein des Feuers erhellte die kleine Waldlichtung nur minimal, Schatten tanzten an den mächtigen Baumstämmen und erweckten den Eindruck, als würde hinter jedem dieser möglichen Verstecke ein potenzieller Feind lauern. Erneut blies er die Luft durch seine Zähne hindurch, und fuhr sich schlaftrunken über die Augen. „Nur ein Traum,“ flüsterte er sich selbst aufmunternd zu. „Nur ein Traum...“

Es war schon eine sehr lange Zeit her gewesen, dass er von solchen Träumen heimgesucht worden war, es war lange her, dass er ihr Gesicht gesehen, ihren Blick auf sich gespürt oder ihre Stimme vernommen hatte. Für einen kurzen Moment schloss Cale noch einmal seinen Augen, und versuchte seine ungleichmäßige Atmung unter Kontrolle zu bringen. Immer noch glaubte er diese Augen auf sich gerichtet zu spüren, diese seltsamen Augen – Augen aus Bernstein....

Ein leichtes Gähnen entfuhr ihm, und er richtete sich mit einem Ruck auf, merkwürdig taub fühlten sich seine Glieder an, während er versuchte sich zu strecken. Das gleichmäßige schnarchen von Eylon drang an seine Ohre, sein Weggefährte schlief tief und fest, sein Kopf ruhte an einem Stamm und die schlaffe Hand hielt immer noch den Knauf seines Messers umschlossen.

„Schlechte Träume, Kleiner?“

Argwöhnisch wandte sich Cale ihrem Gefangenen zu, er bemerkte wie sich der Blick des älteren Mannes in diesem Moment veränderte. Er konnte nicht deuten was sich genau in diesen abspielte, doch er bemerkte genau, wie sich der Schein des Feuers für einen kurzen Augenblick in den Augen des anderen brach.

„Habe ich dir nicht schon einmal gesagt, dass ich es nicht leiden kann, wenn du mich so nennst?“ fragte Cale und ließ sich dicht neben Eylon nieder sinken. Der Schlafende zuckte kurz, und gab einen laut des Missmutes von sich, doch er schlief weiter. „Und außerdem,“ fuhr Cale fort und stocherte nachdenklich mit einem Ast in die Glut des Feuers hinein. „Es geht dich nun wahrlich nichts an, von was ich geträumt habe“

„Wahr,“ bemerkte Ragan und setzte sich ein wenig auf. Er spürte, wie seine alt gewordenen Knochen schmerzten. „Allerdings weißt du genauso wie ich, deinen Kumpanen lasse ich hier außen vor, dass ich dich schon lange genug kenne um dich so anzureden.“

Ein kaltes Lächeln stahl sich über Cales Lippen, zaghaft wandte er dem älteren Mann wieder seinen Blick zu. „Ich muss wirklich sagen, für einen Gefangenen bist du verdammt vorlaut,“ ein leichtes Lachen erklang von seinem Gegenüber und Ragan nickte sacht.

„Ja, das bin ich wohl. Ich habe irgendwie nie verstanden, wie man sich als Gefangener verhalten soll. Immerhin es ist das erste Mal für mich. All die Jahre habe ich es immer geschafft Leuten wie euch zu entkommen. Ich werde wahrlich alt.“ Ein lautes Seufzen begleitete Ragans letzte Worte. Er fühlte sein alter mit jedem Tag mehr und mehr, wie viel hatte er schon gesehen, ertragen müsse, doch er konnte nicht einfach los lassen, sie brauchte ihn mehr als es ihr womöglich selbst bewusst war.

„Hätte ich gewusst, dass es sich um dich handelt, hätte ich den Auftrag nicht angenommen.“ Die unvermittelte Ehrlichkeit in dieser Äußerung traf Ragan unerwartet, verstohlen betrachtete er den jungen Mann, welcher das absolute Ebenbild seiner Mutter war, ob ihm dies bis jetzt als Segen oder Fluch erschienen sein mochte, konnte Ragan nur erahnen.

„Ich weiß, Cale,“ antwortete Ragan ebenso leise und starrte Gedanken verloren in die Flammen des Feuers. Schweigend saßen beiden neben einander, ein leichter Windstoß ließ das Geäst über ihnen ächzen und stöhnen, der schwarze Nachthimmel zeigte an einigen wenigen Stellen bereits die Spuren des Morgens.

„Wird es so ablaufen wie immer?“

Tief atmete Cale durch, vergewisserte sich mit einem verstohlenen Blick, dass Eylon immer noch fest schlief. Es behagte ihm nicht, dass er vor seinem Freund solch ein Geheimnis verbergen musste, insbesondere ein solches, welches sie beide den Kopf kosten könnte.

Auf der anderen Seite wusste er genau, dass der ältere Mann gewiss Einspruch erhoben hätte, sobald Cale ihm alles erklären würde, und es war nicht von der Hand zu weisen, dass sie beide gut von diesem „Handel“ lebten. Schweigend blickte Cale Ragan an, erst jetzt fiel ihm auf, wie alt dieser Mann geworden war, seid dem er ihn das letzte Mal gesehen hatte, was sich für ihn wie eine kleine Ewigkeit angefühlt hatte.

„Ich denke schon,“ erklärte er leise, und ein sachtes Nicken begleitete seine Worte. „Ich meine, keiner von euch war lange in Gewahrsam. Du wirst da keine Ausnahme sein, außer sie möchte dich loswerden, alter Mann.“

„Warum benutzt du nie ihren Namen?“ fragte Ragan ebenso leise, während er sein Gegenüber sorgsam musterte, doch er konnte keine Gefühlsregung in der Körperhaltung des Jungen ausmachen.

Ein leises Lachen entfuhr Cale, und er schüttelte leicht seinen Kopf. „Weil es gefährlich ist ihren Namen auszusprechen,“ erklärte er und seine Stimme nahm einen eisigen Ton an: „Manch einer hat für weniger seinen Kopf verloren, ich persönlich mag ihn an dem Platz, an dem er im Moment sitzt. Außerdem seid ihr in den Augen von vielen nichts weiter als eine Bande von Meuchelmördern, wie töricht wäre es da herum zu prallen wer ich bin und was ich alles weiß, und wen ich alles kenne oder auch nicht?“

Sprachlos nickte Ragan, und starrte gedankenverloren auf seine Handflächen. Fast hatte er vergessen, was dieser Junge von ihnen eigentlich hielt, doch warum ließ er sich dann immer wieder von neuem was diese zwielichtigen Geschäfte mit ihr ein? Er kannte sie noch aus der Zeit als Markos, sein bester Freund und ihr Anführer, ihre Geschickte gelenkt hatte, dennoch hatte er sie nie verstanden.

„Warum tust du dann, was du tust?“ fragte er schließlich und sah dem Jungen zu, wie er sich aufrichtete und sich katzengleich streckte.

„Es bringt mir viel Geld,“ gab er knapp zurück und begann sein Nachtlager zusammen zu packen. „Außerdem muss man sich ja irgendwie die Freiheit von euch erkaufen, da lasse ich mich lieber auf einen Handel ein. Steh jetzt auf, wir müssen los, in 3 bis 4 Tagen sind wir in Kalmas.“

Schweigend erhob sich Ragan, ließ sich von dem Jungen seine Fesseln richten, und sah zu, wie dieser seinen Begleiter sacht weckte. Augenblicklich schloss Ragan seine Augen, mit aller Macht konzentrierte er sich auf das Gesicht und die Präsenz einer Person. Er spürte, wie sich der kleine weiße Stein über seinem Herzen langsam erwärmte. Er keuchte leise, als sein Geist sich für einen kurzen Moment von ihm löste, davon trieb, als wäre er eine Rauchschwade im Wind. Unangenehm begannen sich seine Gesichtszüge zu verkrampfen, als sein Geist den der anderen Person berührte, er fühlte diese bekannte Präsenz mit einer Mischung von Chaos, Schuld und Sorge so deutlich, dass seine Knie leicht zu zittern begannen. Kaum merklich versuchte sein unsichtbares Gegenüber ihn zu beruhigen, er hörte sanfte Worte in Freundschaft und Sorge gesprochen, und er riss sich für diesen Moment zusammen. „In drei Tagen,“ flüsterte er in seinen Gedanken der Person zu. „Kalmas – In drei Tagen – Ich warte – Er ist auch da...“
 

Schnelle Schritte durchschnitten die Stille, welche über dem kleinen versteckt liegenden Dorf lag. Am Himmel zeigten sich die ersten Spuren des heranbrechenden Tages, und der feine Schimmer des Morgens tauchte die Landschaft in ein diffuses Licht. Dumpf hallten die Schritte der jungen Frau auf dem mit Tau bedeckten Gras wider, immer noch dröhnte ihr Kopf vor Schmerz. Selten hatte sie solch starke Empfindungen gespürt, und noch nie hatte sie sich bewusst in solch eine Angelegenheit eingemischt…

Auch aus diesem Grund trugen sie ihre Füße nun umso schneller, und ihr schlechtes Gewissen schlug mehr als heftig.

„Sie wird mich bestimmt einen Kopf kürzer machen,“ dachte Naya, jüngste Tochter des Markos, und blieb kurz unentschlossen stehen. Ihr Blick fixierte die Tür, welche zu einer der größeren Hütten eintritt gewährte, und sie trat nervös von einem Bein aufs andere.

Nur ungern zog Naya den Ärger oder Zorn ihrer Base auf sich, doch in diesem speziellen Moment war es Naya unmöglich gewesen ihrer Neugier zu widerstehen. Sie war einfach zu stark gewesen, von dieser Empfindung war für sie eine nie geahnte Anziehungskraft ausgegangen, dass es sie sehr viel Willenskraft gekostet hätte ihr zu widerstehen, Willenskraft die sie in diesem Augenblick nicht gewillt gewesen war aufzubringen.

Tief atmete Naya die kühle Morgenluft in ihre Lungen, und blies sich dann einige verirrte braune Haarsträhnen aus den Augen.

„Bei Cipos (*) Arsch,“ presste sie genervt durch ihre Zähne hindurch. „Benimm dich nicht wie ein feiges Huhn, es ist nur Ryan. Nur Ryan...“

Noch einmal atmete Naya tief durch, räusperte sich, und klopfte drei Mal an die schwere Holztür.

Sie lauschte angespannt, doch es ertönte keine Stimme, niemand öffnete die Tür, leise drehte sie den Knauf und das Schloss schnappte ächzend auf. Zögernd betrat Naya das innere der Behausung, eine wollige Wärme schlug ihr entgegen, die einen starken Kontrast zu ihren durchgefrorenen Gliedern zeichnete.

Leise schloss sie die Tür hinter sich, und sah sich für einen kurz um, ihre Augen benötigten einen Moment um sich an die hellen Lichtverhältnisse zu gewöhnen, doch dann sah sie die zusammen gesunkene Gestalt, welche dicht vor dem Feuer saß.

„Seit wann betritt man einfach ein Haus, ohne das eine Zustimmung gegeben wurde?“

Die Stimme wirkte ruhig, doch Naya erkannte den tadelnden Unterton in ihr sofort. Augenblicklich sträubten sich die feinen Härchen in ihrem Nacken, ihre Haut begann zu prickeln, als würde sie mit tausenden von Nadelstichen traktiert werden. Sie sog scharf die Luft ein, ihr schwindelte. Irgendetwas in diesem Raum ließ ihren Geist unstet werden, sie spürte deutlich das heiße glühen ihres Anhänger durch ihre Kleidung hindurch. „Was, was ist das?“ dachte sie, und stützte sich sacht am Rahmen der Tür ab.

„Naya? Ist alles in Ordnung?“ hörte sie diese ruhige Stimme sprechen, sie schluckte hart, sah auf, und bemerkte, dass sich ihre Base erhoben hatte. Hoch gewachsen war sie, ihre ebenfalls langen braunen Haare fielen ihr zottelig über die Schultern, und ihr Blick haftete mit einer Mischung aus Ärger und Sorge auf ihr, deutlich konnte Naya die schwarzen Schatten unter den sonst so wunderschönen Augen sehen. Sie hatte schon seit Wochen geahnt, dass Ryan kaum noch schlief.

Langsam fühlte Naya, wie sich ihr Körper wieder normalisierte, der Schwindel verfolg so schnell wie er gekommen war.

„Es geht schon wieder...Ich, ich wollte mich entschuldigen,“ erklärte sie, allerdings hoffte sie, dass ihre Stimme etwas fester in den Ohren Ryans geklungen hatte, als es ihr erschien. Sie setzte sich auf, und begegnete dem spöttischen Lächeln ihrer Base mit gehobenen Augenbrauen.

„Was?“ fragte sie unwirsch, und wischte sich einige lästige Haarsträhnen aus der Stirn, während sie Ryan anfunkelte.

„Wenn das der Anfang deiner Entschuldigung werden sollte, dann würde ich diesen lieber noch überdenken. Er taugt nämlich nicht wirklich viel,“ gab Ryan nun mit einem noch breiteren grinsen zurück, während sie die junge Frau vor sich musterte. Zufrieden stellte sie fest, dass die Wangen des Mädchens nun ein leichter rötlicher Schleier zierte, und sie betreten den Blick senkte. Ryan seufzte leise, und kehrte wieder an ihren Platz am Feuer zurück. Sie wusste, dass Naya noch sehr jung war, und allzu oft ertappte sie sich dabei, wie sie feststellte, dass sie selbst nicht anders gewesen war, als sie so alt gewesen war wie Naya heute.

„19 Sommer,“ dachte sie und starrte gedankenverloren in die Flammen des Feuers. „Sie ist noch so jung...“

„Es tut mir leid,“ langsam ließ sich Naya neben Ryan am Feuer nieder, und spielte nervös mit ihren im Schoss liegenden Händen. „Ich weiß, ich hätte nicht...Ich hätte euch nicht ausspionieren dürfen...“

„In der Tat hättest du das nicht tun dürfen,“ fiel ihr Ryan ins Wort. Ihr Ton hatte an Schärfe zugenommen, doch während sie die jüngere Frau ansah, lag in ihren Augen keine Spur von Zorn. „Naya, so etwas kann mehr als gefährlich sein, nicht nur für dich, auch für andere. Du besitzt noch nicht vollkommen Kontrolle über diese Fähigkeiten, es wäre ein leichtes für dich gewesen dich dort zu verlieren als ich dich von mir wegstieß.“

„Aber er ist auch mein Freund,“ entgegnete das Mädchen und ballte ihre Hände zu Fäusten. „Ich mache mir auch Sorgen um ihn.“

„Ich weiß,“ sanft umschlossen Ryans Hände die ihrer Base, und drückten sie sacht. „Es ist nur, du bist die einzige die mir aus meiner Familie übrig geblieben ist. Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn ich dich durch so eine Dummheit verlieren würde.“

Die letzten Worte Ryans waren kaum mehr als ein Hauchen. So viele Menschen waren bereits von ihr gegangen, unwiederbringlich fort, und schmerzlich wurde ihr bewusst, dass selbst geliebte Erinnerungen langsam mit der Zeit zu verblassen begannen.

„Das Rad der Zeit hört niemals auf sich zu drehen, jeder nimmt irgendwann seinen Platz dort ein, wohin wir alle eines Tages gehen müssen.“

Ein bitteres Lächeln huschte über Ryans Lippen, erst jetzt nach so vielen Jahren war sie in der Lage die Worte ihres verstorbenen Onkels zu verstehen. Erst jetzt, wo soviel bereits verloren war...

„Ryan?“

Die zitternde Stimme Nayas holten Ryan aus ihren düsteren Gedanken, sie schüttelte sacht ihren Kopf, und sah ihr Gegenüber lange schweigend an, wieder einmal traf es Ryan wie ein Schlag, wie sehr dieses Mädchen ihrem Vater ähnelte. Es ging dabei für Ryan nicht einmal um Äußerlichkeiten, welche zweifelsohne eher nach Nayas Mutter Nima geraten waren, allerdings glich die gesamte Körpersprache des Mädchens ihrem verstorbenen Vater. Das spöttische Lächeln, das leichte anheben der Augenbrauen wenn sie überrascht oder skeptisch dreinschauen wollte. Ihre Augen, sie besaß die gleichen unergründlichen Augen wie ihr Vater, sie waren beinahe kristallklar, nur der feinste Hauch von blau durchzog ihre Iris, auf Ryan hatten sie immer wie Spiegel gewirkt.

„Erschrecken dich deine Augen?" wieder hörte Ryan die Stimme ihres Onkels in ihrem Gedächtnis. „Meine haben mich mein ganzes Leben lang erschreckt. Eine Laune der Natur, nichts, vordem man sich fürchten muss, Ryan.“

„Welch ein Irrtum,“ wisperte sie so leise, dass es kaum zu vernehmen war, doch Naya hob argwöhnisch ihren Blick.

„Was hast du gesagt?“ fragte sie, und setzte sich etwas auf, um Ryan besser ansehen zu können. Ihr Gesicht lag im Halbschatten, deutlich konnte Naya die lange Narbe auf der rechten Wange Ryans erkennen. Sie kannte die Geschichte, wie Ryan zu ihr gekommen war, und dennoch hatte sie es immer vermieden Ryan direkt darauf anzusprechen. Es war, als würde man einen Teil ihrer Erinnerung berühren, welchen sie lieber für immer vergessen wollte, und diesen stummen Wunsch hatte Naya immer respektiert.

„Entschuldige, ich habe nur laut gedacht“ urplötzlich klang die Stimme Ryans rau in den Ohren des Mädchens und ihr Blick wurde prüfender, irgendetwas stimmte nicht mit ihr, doch es lag nicht in Nayas ermessen diese Ahnung zu bestätigen.

„Es tut mir wirklich leid, Ryan,“ erklärte Naya aufrichtig. „Es wird nicht wieder vorkommen, ich verspreche es.“

„In Ordnung,“ zum ersten Mal seit dem Beginn ihres Gesprächs lächelte Ryan das Mädchen warm und fürsorglich an. Es war diese Art und Weise zu lächeln, an was sich Naya immer erinnern würde. Auf diese Wiese war es Ryan in Nayas Kindheit mehr als einmal gelungen das Kind von einem bösen Traum zu beruhigen oder Trost zu spenden.

Stumm saßen beide nebeneinander, verstohlen blickte Naya zu Ryan hinüber, fieberhaft überlegte sie nun, wie sie ihr zweites Anliegen so vorbringen konnte, dass Ryan keine andere Wahl übrig blieb, als sie mitzunehmen.

„Warum drängt sich mir der Gedanke auf, dass die Entschuldigung nicht alles war, weswegen du hier bist?“ fragte Ryan und seufzte leise, innerlich darauf gefasst, was gleich folgen würde.

„Ich, ich möchte mit euch gehen, wenn ihr Ragan da raus holt. Bitte, lass mich mitgehen, Ryan. Bitte.“

Müde fuhr sich Ryan über die Augen, sie war darauf gefasst gewesen, dass Naya bald mehr Verantwortung tragen wollte. Sie war auch darauf gefasst gewesen, dass sich dieser Wunsch für Naya typischer Art und Weise in größeren Dimensionen manifestieren mochte, doch niemals hätte sie mit dieser Bitte gerechnet.

„Ich kann dir deine Bitte aber nicht erfüllen,“ sagte Ryan ernst, und hielt die sich windenden Hände Nayas in ihren fest. „Versteh doch, du bist einfach zu wichtig. Was würde passieren wenn sowohl dir als auch mir dabei etwas passieren würde? Was wird aus unseren Leuten, wer kümmert sich um sie? Es tut mir leid, aber es geht nicht, versteh mich doch...“

„Immer soll ich verstehen,“ schrie Naya, ihre Stimme hatte nun einen eisigen Tonfall angenommen, und in ihren Augen blitzte es gefährlich auf. „Warum verstehst du mich nicht? Ich möchte endlich helfen, nicht immer nur hier warten, und hoffen dass ihr alle gesund zurückkommt. Ich bin es leid, immer raus gehalten zu werden, ich kann gut auf mich selbst aufpassen.“

Zornig starrte Naya in die Glut des Feuers, die Holzscheide waren beinahe ganz runter gebrannt, und alles was von dem eben noch prasselnden Kaminfeuer übrig geblieben war, lag nun als rot glühende Glut am Boden des Kamins. Mit sanfter Gewalt drehte Ryan ihr Gesicht in ihre Richtung, forschend blickte sie in die Augen des Mädchens, und erkannte, was in ihnen so sorgsam verborgen lag.

„Du möchtest ihn wieder sehen, nicht wahr?“ fragte sie und strich sanft mit ihrem Daumen über die Wange Nayas. „Es geht hierbei nicht nur um Ragan, du möchtest mit Cale sprechen.“

„Ja,“ so simpel diese Antwort sich auch in den Ohren Ryans anhörte, so wusste sie doch sehr genau, was sich hinter dieser einfachen Aussage alles verbarg. Sie konnte sich noch sehr genau an die Zeit erinnern, in welcher Naya und Cale unzertrennlich gewesen waren. Sie waren beste Freunde, Vertraute, fast wie Bruder und Schwester.

Ryan wusste genau, wie sehr es Naya damals gekränkt hatte, dass er ohne ein Wort des Abschiedes an sie davon gegangen war. Sie selbst erinnerte sich noch sehr genau an diesen Tag, an sein wütendes Gesicht, seine Anschuldigungen und seinen Zorn, nichts hatte sie ihm entgegen zu setzen, nichts außer, dass sie seiner Mutter, Ayesha, ein Versprechen gegeben hatte.

„Ayesha...“ dachte sie wehmütig und sog scharf die Luft in ihre Lungen, als habe man sie geschlagen. „Ich darf jetzt nicht an sie denken,“ ermahnte sich Ryan und versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Sie dürfte jetzt nicht an sie denken...

Ein gequälter Laut entrann ihrer Kehle, und sie biss sich hart auf die Unterlippe, der schale Geschmack von Blut berührte ihre Zunge. Sie spürte den bestürzten Blick Nayas auf sich, tief atmete sie durch, ermahnte sich immer wieder und wieder, doch sie spürte immer deutlicher, wie sich ihre Kehle zusammen schnürte.

„Du darfst mitkommen,“ stieß sie plötzlich hervor, vermied es jedoch Naya dieses Mal direkt in die Augen zu sehen, zu sehr war die Furcht sie könnte sie Spuren von Tränen in ihren Augen erblicken.

„Wirklich?“ fragte das Mädchen ungläubig, und löste ihre Hände aus denen Ryans.

„Ja, aber du musst mir versprechen, dass du genau das tust, was ich dir auftrage, hast du verstanden? Du tust genau das, was ich sage, Naya.“

„In Ordnung, danke, danke,“ sanft küsste Naya ihre Base auf ihr Haar, drückte ihr noch einmal sacht die Hand.

„Du solltest jetzt besser gehen,“ sagte Ryan, und wischte sich kurz über die Augen, vernichtete die feinen Spuren von Tränen aus ihren Augen. „Wir müssen heute aufbrechen, wenn wir rechtzeitig in Kalmas eintreffen wollen. Du solltest deine Sachen jetzt zusammen packen, ich rede mit Bal wegen einem Pferd für dich. Los, du solltest keine Zeit verschwenden, solltest du nicht fertig sein, bleibst du hier.“

Sie hörte die eiligen Schritte Nayas hinter sich, das zu schlagen der Tür, dann nur noch Stille. Zitternd saß Ryan vor dem nun verloschenen Feuer, stoßweise entrann ihr Atem nun ihrer Kehle. Heiße Spuren von Tränen liefen ihr nun frei über die Wangen, sie schluchzte leise und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. „Ich habe versagt,“ stammelte sie, ihr Körper wurde von Wogen des Schmerzes hin und her geschüttelt, wie ein Blatt im Wind.

„Ayesha,“ flüsterte sie leise, und es überwältigte sie, welchen Schmerz sie bei der Erwähnung dieses Namens verspürte. Sacht wiegte sie ihren Oberkörper hin und her, vergrub abermals ihr Gesicht in ihren Händen, und weinte in der Einsamkeit ihres Hauses, wie sie es in den letzten Jahren so viele unzählige Male getan hatte.
 

*Cipo: Eine junge Göttin des Frohsinns und der Ausschweifung. Sie ist es, welche die Netzte der Irrungen und Wirrungen strickt und darin arme Seelen einfängt, aus welchem sich ein Verirrter niemals wieder befreien kann.
 

Nachwort: Ich hoffe dem einen oder anderen hat dieses neue Kapitel gefallen. Ich habe am Anfang versucht mal etwas Neues einzubringen, und hoffe, es hat niemanden allzu sehr verwirrt. Ich trage mich mit dem Gedanken, immer an jedes neue Kapitel so einen Teil dran zu setzen, ich hoffe, es ist im Sinne der Leser.

Vielen Dank fürs lesen!
 

© 2011 Lena Petri

Die schwarze Wölfin

Die schwarze Wölfin
 

(20 Jahre zuvor)
 

Heftig trommelte der Regen auf das Dach des Hauses hernieder, der Wind peitschte die Äste der Weiden am See im heftigen Kampf hin und her. Der Donner grollte in der Ferne immer noch bedrohlich und einige schnelle Blitze durchzuckten den dunklen Nachthimmel und erleuchteten den kleinen Raum im inneren für den Bruchteil von Momenten. Die Kerzen im Zimmer waren schon seit geraumer Zeit erloschen, ebenso glühte das Feuer im Kamin nur noch wild auf und wehrte sich gegen sein erlöschen.

Eng umschlungen lagen die Silhouetten zweier Gestalten auf dem Bett in der Mitte des Raumes, tief versunken in der Wärme des anderen Körpers, tiefe Atemzüge waren zu vernehmen, suchende Hände die nicht wahrhaben mochten, dass es wirklich die Person war nach der man sich so lange verzehrt hatte, berührten warme von Schweiß überzogene Haut. In diesem Augenblick, auch wenn er noch so flüchtig sein mochte, war die Welt mit all ihren Entbehrungen und Schrecken so wie immer hätte sein sollen. Sanft umfing eine zitternde Hand die Wange der anderen Person, drehte diese in ihre Richtung und hauchte einen zarten Kuss auf ebenso zitternde Lippen.

„Sieh mich bitte an.“ Die Stimme war bestimmt aber in ihr lag eine ungeahnte Zärtlichkeit. Grüne Augen trafen sein Gegenüber und erneut verschlug es ihr die Sprache, wie einfach sie sich in diesen verlieren könnte. Augen, welche die Farbe von Bernstein besaßen, diesen kostbaren kleinen Steinen, welche man mit viel Glück an den Ufern des Sees finden konnte. „Du bist so wunderschön,“ hauchte es nah an ihrem Ohr und die feinen Härchen auf ihrem Nacken richteten sich auf, ein Schauder jagte ihren Rücken hinunter und sie erwiderte den nun fordernden Kuss. Sie hatte aufgehört die Tage zu zählen, wie lange sie sich nach dieser Nähe gesehnt hatte, hatte beinahe die Hoffnung aufgegeben, dass sie erneut in den Armen des Anderen liegen durfte. Viel zu viel Zeit war vergangen...

„Ich liebe dich, Ayesha.“ Tränen traten in ihre Augen, sie kämpfte gegen sie und doch wusste sie, dass sie den Kampf bereits verloren hatte, als die kleinen verräterischen Perlen ihre Wangen hinunter liefen und die Hand, welche immer noch ihr Gesicht an seinem Platz hielt, benetzten. Erneut spürte sie die bebenden Lippen der anderen auf ihren und sie ergab sich deren bittenden Verlagen. Sie spürte sanfte Hände die sie auf den anderen Körper zogen, Hände die in der Lage waren so unglaublich schreckliche Dinge zu vollbringen, doch bei ihr so sanft waren die Berührungen einer Sommerbrise. „Ryan“, ihre eigene Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und sie schaute in das so vertraute Gesicht. Ihr waren die Veränderungen in diesem nicht entgangen, auch hatte sie die neuen Narben auf dem Körper gespürt und sie mochte nicht daran denken wann und wie diese entstanden sein mochten. Langsam ließ sie den Blick an ihrem Gegenüber hinunter wandern, berührte jede Faser des anderen Körpers bis ihre Finger an einer kleinen Unebenheit nahe des Herzens stehen blieben. Sie vernahm wie der Atem der anderen Person kurz innehielt und sie fuhr vorsichtig über das dickere Gewebe. Ihre Augen suchten die der anderen und ihre Lippen berührten sanft die immer noch schmerzhafte Haut. Sie spürte wie die Hand von ihrer Wange sich in ihren schwarzen Haaren vergrub und ihr Gesicht sanft umfangen wurde. Erneut grollte der Donner in der Ferne auf, sie hörte die gesprochenen Worte, spürte wie sich die anfangs sanften Küsse in Verlangen wandelten. In diesem Moment wollte sie nicht daran denken, dass es sich womöglich nur um einen erneuten gestohlenen Augenblick handeln mochte. Nein, in diesem Moment war die Welt so wie sie immer hätte sein sollen...
 

Hoch erhoben sich die Stadtmauern von Kalmas gegen das scharfe Profil der Berge. Ragan wischte sich den Schweiß so gut es seine gebundenen Hände zulassen mochten aus der Stirn. Wie lange war er nicht mehr in dieser Stadt gewesen? Jahrzehnte war es her gewesen, dass er die mächtigen Tore und die Zitadelle der Stadt gesehen hatte. Sein Blick verlor sich in den Massen an Menschen, welche die Straßen säumten, sich an Ständen drängten und das Stimmgewirr ließ ihn schwindeln. Er war ein Mann des Waldes, der Berge und spürte wie sich seine Kehle immer enger zuschnürte. Seine Hand umfing den Knauf des Sattels und seine Augen ruhten auf dem jungen Mann vor ihm, der sein Pferd an dem seinen führte. Seit ihrer Unterhaltung in der jener Nacht hatte es Cale vermieden auch nur ein Wort mehr mit Ragen zu wechseln. Ragan ahnte warum der junge Mann versuchte jeden seiner Blicke zu meiden, hatte er ihn doch, wenn auch nur für kurze Zeit, hinter seine Maske blicken lassen. Eine Maske die sicherlich sein Überleben gewährleistete und doch war es Cale sichtlich unangenehm, dass der ältere Mann so gut über ihn Bescheid wusste. Während ihrer Reise waren Ragen so viele Kleinigkeiten an dem jüngeren aufgefallen die er so gut kannte. Die Art wie Cale einen Knoten knüpfte, wie er sprach, sich bewegte und mit seinem Kameraden lachte. Er war das Ebenbild seiner Mutter und doch sah er in vielen unüberlegten Gesten seine eigene Anführerin, welche er mit den Jahren zu verehren begonnen hatte. Ein zaghaftes Lächeln umspielte seine Lippen, doch er versuchte es so gut wie möglich zu verstecken, jetzt war nicht die Zeit dafür sich in Tagträumen zu verlieren. Er musste all seine Sinne zusammen nehmen, wenn er aus dieser Situation wieder heil heraus kommen wollte.

Langsam führte Cale und Eylon die Pferde durch die verwinkelten Gassen der Stadt. Immer näher kamen sie der Zitadelle, die sich hoch im Stadtkern erhob. Der goldene Turm glänzte im Sonnenlicht und das Wappen des neuen Hohen Rates wehte sacht im morgendlichen Wind. Ragans Miene verfinsterte sich, und ein leiser Fluch in seiner Heimatsprache entwich seinen Lippen. Cale drehte leicht seinen Kopf in seine Richtung, sagte jedoch nichts. Ragan war sich sicher, dass der junge Mann wusste was er und seines Gleichen von diesen Feiglingen hielten. „Wir sind gleich da,“ hörte Ragan die Stimme von Eylon hinter sich sprechen und er sah wie Cale leicht nickte. Tief amtete Ragan die bereits stickige Luft der Stadt ein, die Straße wand sich einen kleinen Hügel hinauf, die Hufe der Pferde scharrten hart auf dem steinigen Pflaster und kamen schließlich vor einem kleineren Tor, vor dem zwei Wachen positioniert waren zum stehen. Ragan glaubte in diesem Moment in den Augen einer der Wachen eine erstaunte Regung bemerkt zu haben.

Mein Ruf eilt mir wohl doch voraus , dachte er und richtete seinen Blick auf seine gefesselten Hände. Unsanft wurde er von seinem Pferd hinunter gezogen, und er blickte in Cales versteinertes Gesicht. „Na los, alter Mann. Rein mit dir ich hab heute noch so einiges vor und der Tag ist noch jung.“ Leise seufzte Ragan, wehrte sich jedoch nicht, als Eylon und Cale ihn zwischen sich nahmen und ihn in die Richtung des kleinen Tores schubsten. In der Tat, dachte er und konnte sich ein erneutes Lächeln nicht verkneifen. In der Tat würde an diesem Tag noch vieles passieren.
 

Schwer wiegte die Geldbörse in Cales Tasche, selbst nachdem er Eylon seinen Anteil ausgezahlt und Ragan mit den Wachen in den Kellern der Zitadelle verschwunden war, spürte er immer noch das Gewicht. Tief atmete er durch, um ihn herum erfüllte laute Musik das Wirtshaus und er schaute nachdenklich in seinen Krug. Schon seit Stunden saß er an einem kleinen Tisch in der hintersten Ecke und dennoch war es ihm nicht möglich ungestört seinen Gedanken nachzuhängen. Sobald sein Getränk im Begriff war zur neige zu gehen, wurde ein neuer Krug vor ihm abgestellt und jemand schlug ihm anerkennend auf die Schulter, dass er es gewesen war der den mächtigen Ragan, Stellvertreter der schwarzen Wölfin, endlich dingfest gemacht hatte. Eylon hatte die ganze Anerkennung mit gönnerhafte Miene über sich ergehen lassen und schlief nun direkt vor Cale zwischen seinen ganzen geleerten Krügen auf der Tischplatte. Cale lächelte schief, und nahm einen Schluck, in seinen Gedanken ermahnte er sich dem Wirt für ein Zimmer für Eylon zu bezahlen, damit er dort seinen Rausch ausschlafen konnte.

Müde fuhr sich Cale über die Augen, es war nicht das erste Mal gewesen, dass er jemanden den Wachen der Stadt übergeben hatte den er kannte und dafür mehr als gut bezahlt wurde. Manchmal kannte er diese Menschen nur flüchtig, aber dieses Mal war es jemand gewesen, der ihn bereits gekannt hatte, als er noch ein Junge war. Ein Kind so voller Zorn und Furcht dessen erster Instinkt es gewesen war jeden Menschen von sich wegzustoßen. Ragan war einer der wenigen Menschen gewesen, der sich darum bemüht hatte seinen Zorn stumm zu ertragen, da er gewusst hatte vorher dieser rührte. Wie lange war all das nur her? In einem anderen Leben, dachte Cale missmutig und lehnte sich leicht in seinem Stuhl zurück. Selten war es vorgekommen, dass sich Cale für das was er tat geschämt hatte, und dennoch saß er nun hier und seine Gedanken waren bei dem alten Mann.

Er wird nicht lange dort bleiben müssen, dachte er und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Krug. Ryan wird ihn schneller dort heraus holen als die anderen. Merkwürdig fremd klang dieser Name in seinen Gedanken, es war ein Name welchen er sich verboten hatte auszusprechen, selbst dann wenn es nur in seinen Gedanken war. Ryan, erneut hallte der Name in seinen Gedanken wieder und er verzog leicht sein Gesicht. Die schwarze Wölfin...

Das laute Stimmengewirr der Nachbartische und die drückende Luft aus Tabakrauch und unzähligen Menschen begann Cale die Luft abzuschnüren. Langsam richtete er sich auf, und bemerkte, dass seine Beine ihm zwar gehorchten aber sein Kopf sich von den vielen Krügen Bier unangenehm zu drehen begann. Erneut atmete er tief durch, spannte seinen Körper und bahnte sich den Weg in Richtung des Wirtes der hinter seiner Theke stand.

Fahrig suchte Cale in seinem Geldbeutel nach ein paar Münzen und legte diese auf die schwere hölzerne Theke. Zu seiner Verwunderung schob der Wirte ihm sein Geld wieder zurück und als er den erstaunten Blick in Cales Augen bemerkte beugte er sich leicht nach vorne. „Behaltet euer Geld, ist das mindeste für denjenigen der Ragan, den grauen Eber gefangen hat. Wieder einer weniger, was?“ Ein leises Lachen entfuhr Cale, doch er brachte seine Gesichtszüge schnell wieder unter Kontrolle und sengte seinen Blick zu einem dankenden Nicken. „Ja, wieder einer weniger“, stimmte er mit ein und Blickte in Richtung des Tisches. Eylon schlief immer noch friedlich in Mitten der Menschen. Er räusperte sich und winkte den Wirt erneut zu sich heran. „Könnte ich euch darum bitten, meinem Kameraden dort hinten ein Zimmer herzurichten, leider war er nicht im Stande eurem guten Bier lange zu widerstehen.“ Der Wirt lachte und nickte. „Gerne, Herr. Und für euch?“ Cale schüttelte nur verneinend seinen Kopf, er musste an die frische Luft und mochte keinen Moment länger in diesem Haus verbleiben als es nötig für ihn war.

Langsam bahnte er sich erneut den Weg durch den Menge, spürte ab und an wie eine Hand erneut anerkennend auf seine Schulter klopfte und betrunkene Stimmen ihm zu prosteten „Und das nächste Mal die schwarze Wölfin, Junge!“

Als die schwere Tür des Wirtshauses hinter ihm endlich ins Schloss fiel und Cale die saubere Luft in seine Lungen einsog fühlte er sich unglaublich erleichtert. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich die Meldung von Ragans Gefangenschaft so schnell verbreiten mochte. Er konnte nun nur vermuten, dass die Wachen ein sehr sorgsames Auge auf ihren neuen Gefangen haben würden. Vorsichtig wischte sich Cale einige verirrte Haarsträhnen aus der Stirn, er jetzt bemerkte er, wie lange er und Eylon in dem Wirtshaus gesessen hatten.

Die Sonne war schon weit über den Turm der Zitadelle gezogen, das Treiben auf den Straßen war bereits weniger geworden, und das sanfte Licht des Nachmittags machte Platz für einige wenige Schatten. Gedankenverloren begann Cale ziellos durch die Straßen der Stadt zu laufen. Er konnte sich nicht erklären, warum ihn der alte Mann immer noch so sehr beschäftigte. Die Begegnung mit seiner eigenen Vergangenheit und einem Leben, das er längst geglaubt hatte hinter sich gelassen zu haben, drückten in nieder als wären unzählige Gewichte auf seinem jungen Körper festgeschnürt. Er hasste das Gefühl, das selbst nach all diesen Jahren nur der Gedanke an einen einzigen Name dieser im Stande war eine so große Macht über ihn auszuüben.

Wie lange er bereits durch die Straßen der Stadt gelaufen sein mochte, konnte er nicht mehr sagen. Die Sonne war im Begriff hinter den Bergen zu versinken und der Dämmerung endlich Platz zu machen.

Erschöpft hielt Cale inne und lehnte seine erhitzte Stirn gegen die kühle Steinwand einer Seitenstraße, der kühle Stein half ihm seine immer noch rasenden Gedanken zu ordnen, und er war so in diese versunken gewesen, dass er die dunkle Gestalt welche ihm schon seit einiger Zeit gefolgt war bis jetzt nicht wahrgenommen hatte. Erst jetzt nahm er hinter sich eine rasche Bewegung war, und er war gerade noch im Stande dazu sich unter dem Schlag weg zu ducken, welcher ihn ansonsten mit Sicherheit von den Beinen geholt hätte. Angespannt wich Cale einige Schritte zurück, immer noch war sein Geist leicht von den vielen Getränken benebelt, und er verfluchte sich innerlich für seine eigene Torheit.

Sein Angreifer war gut einen Kopf kleiner als er, doch hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man einen Gegner niemals wegen dessen körperlichen Statur unterschätzen sollte. Er spürte wie sich seine Muskeln anspannten, und er wich dem gut platzierten Tritt mit einer schnellen Bewegung aus, im Gegenzug versuchte er einen ebenso gezielten Schlag seinem Gegner zu versetzen, doch dieser wich ihm mit Leichtigkeit aus. Schwer atmend ballte Cale seine Fäuste und schlug abermals in Richtung der vermummten Gestalt. Diese holte ihn jedoch mit einem gezielten Schwung von den Beinen und seine Nase kam in direkten Kontakt mit dem Knie seines Angreifers. Er fühlte einen stechenden Schmerz seine Nervenbahnen durchzucken und heiße Wut brannte in ihm. Er warf sich auf seinen Gegner, versuchte mit all seinem Geschick sein Gegenüber in eine Position zu bringen, die es ihm erlauben würde eine Oberhand zu gewinnen. Sein Ellenbogen wand sich um den fremden Hals und im nächsten Moment fühlte er wie seine Rippen unter der Wucht eines Schlages ächzten und ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Sein Kinn kam in Kontakt mit einem harten Schlag und er fiel rücklings auf das harte Pflaster der Straße.

Abwehrend hob er beide Hände und blickte endlich in das Gesicht seines Angreifers. Mit weit aufgerissenen Augen nahm er die Person vor sich wahr, erkannte die eisigen Augen welche nur durch einen Schimmer aus Blau durchzogen wurden. Er versuchte zu lächeln, doch der beißende Schmerz in seinen Rippen ließ ihn auf keuchen. In seinem Mund sammelte sich der metallene Geschmack von Blut und er spuckte dieses angewidert auf das Pflaster.

„Schön dich zu sehen, Naya“, sagte er, und hielt sich seine immer noch schmerzende Seite.
 

Auf leisen Sohlen schlich Ryan durch die Gänge der Zitadelle. Jeder Nerv in ihrem Körper vibrierte mit Anspannung, es war töricht hier zu sein, dass wusste sie, aber sie wusste auch das nur sie es sein durfte die ihren Freund aus seiner Lage befreien sollte. Unzählige solcher Missionen hatte sie an andere übertragen, hatte sie sich der Gefahr aussetzen lassen selbst gefangen genommen zu werden. Sie wusste, dass ihre Leute es mit Argwohn beäugt hätten, wenn sie auch dieses Mal im Schutz des Waldes verblieben wäre. Sie hätte ihr Gesicht verloren, und Ryan wusste wie wichtig der Glaube ihrer Leute in sie war.

Sie müssen einen Grund haben weiter zu mache, Ryan. Sie vertrauen uns ihr Leben an, niemals dürfen wir etwas verlangen, was wir nicht auch selbst fähig sind zu tun. Merk' dir das gut, ein guter Anführer ist einer von ihnen nicht jemand der über ihnen steht.

Ein leises Seufzen entfuhr Ryans Lippen, glasklar hallte die Stimme ihres Onkels in ihren Ohren, und sie war immer noch fasziniert, wie deutlich diese in ihrem Gedächtnis verankert war. Markos hatte sie wahrlich gut vorbereitet. Aus den unzähligen Räumen die den langen Flur säumten drangen die Geräusche von schlafenden Menschen an ihre Ohren, und sie lächelte zufrieden. Der Schlaftrunk im Essen der Wachen hatte also gewirkt und es war von großem Vorteil gewesen, dass die einzige womöglich immer noch loyale Person in dieser Stadt in der Küche der Zitadelle arbeitete. Sie hatte kein Blutvergießen gewollt, zu viel Blut war bereits vergossen worden. Viel zu viel...

Leise schlich Ryan weiter, Jahre des Trainings ließen sie über den steinernen Boden eilen wie ein Geist. Nur das leise Rascheln ihrer Kapuze war zu vernehmen und sie stieg über die umher liegenden Soldaten ohne einen Laut. Es kann nicht mehr weit sein, dachte sie und lugte vorsichtig um die Ecke.

Auch hier war der Flur gesäumt mit schlafenden Wachen, leise pirschte sie sich voran bis sie endlich an der letzten Tür angelangt war. Leise klopfte sie in einem ihr vertrauten Rhythmus gegen die hölzerne Tür und stieß ein Stoßgebet zu Onone, dass Ragan in dieser Zelle sein mochte.

„Onone, dein Segen sei uns stets gewiss.“ flüsterte Ragan die Parole und Ryan atmete geräuschvoll aus. „Ragan,“ flüsterte sie leise und hörte das sich jemand in der Zelle bewegte. „Ryan? Bist noch bei allen Sinnen. Was machst du hier?“ fragte Ragan, und Ryan hörte den tadelnden Unterton in seiner Stimme. Mit einer schnellen Bewegung holte Ryan den Dietrich aus ihrem Umhang und begann mit geschickten Fingern das Schloss zu öffnen. „Was soll ich hier wohl machen“, entgegnete sie spöttisch und fluchte leise als das Schloss immer noch nicht nachgeben wollte. „Aber wenn du lieber noch einen Tag hier bleiben willst, wäre jetzt eine gute Zeit es zu sagen.“

„Ist jetzt wirklich die Zeit für Scherze?“ hörte sie Ragans immer noch tadelnde Stimme und sie versuchte sich auf die Arbeit vor ihr zu konzentrieren. „Ich will wissen was in Ferons (*) Welt du hier machst!“

Endlich spürte Ryan wie das Schloss unter ihren Bemühungen nachgab und sie die schwere Tür öffnen konnte. Im fahlen Licht der Dämmerung fiel ihr Blick auf ihren alten Freund und sie ignorierte den wütenden Blick Ragans als sie ihn in ihre Arme zog und fest an sich drückte. „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist,“ wisperte sie leise und ein ehrliches Lächeln umspielte ihre Lippen. Ragan erwiderte die feste Umarmung, sanft legte er seine Hand auf Ryans Wange, doch dann färbte sich sein Blick wieder mit Argwohn.

Er hatte geahnt, dass Ryan womöglich plante dieses Mal dabei zu sein, wenn einer der ihren befreit werden musste. Doch er hatte gehofft, sie würde in sicherer Entfernung auf ihn warten und sich nicht selbst in Gefahr bringen. Sie wäre nicht Markos Nichte, wenn sie nicht hier wäre, dachte er und gegen all seine Bemühungen lächelte er auf Ryan hinab. „Du weißt schon, dass das absolut unverantwortlich von dir ist, oder?“ fragte er schließlich und bemerkte wie Ryan sich zu ihrer vollen Größe aufrichtete und ihn musterte. „Und du weißt,“ begann sie flüsternd. „Das du erstens nichts anderes von mir erwartet hast, und zweitens war es meine Pflicht als Oberhaupt dich nachhause zu bringen. Und so sehr ich eine gute Lektion schätze, jetzt ist nicht wirklich die Zeit dafür, Ragan.“ Er nickte rasch und folgte Ryan ebenso leise wie möglich durch die Flure. Er bemerkte die schlafenden Wachen um sich und sein Blick bohrte sich in Ryans Rücken. „Sie schlafen,“ flüsterte sie leise. „Hast du etwa geglaubt ich hätte sie alle vergiftet? Zugegeben würde das sicherlich meinem Ruf gerecht werden, aber ein einfacher Schlaftrunk sollte sie für noch für ein paar Stunden unfähig machen.“ Anerkennend nickte Ragan, und sie durchquerten mit schnellen Schritten die Korridore. Immer tiefer drangen sie in die Zitadelle ein, und ein unangenehmer Geruch stieg in Ragans Nase und er rümpfte sie missmutig. „Die Abwasserkanäle?“ fragte er schließlich, als Ryan über einer schweren Bodenluke zum halten gekommen war. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Doch, ich selbst bin über die oberen Fenster hinein gekommen. Aber eine solche Kletterpartie kann ich dir in deinem Alter nicht mehr zumuten, das ist unser einziger Weg nach draußen.“ erklärte Ryan und machte sich an der schweren Bodenluke zu schaffen. „Ryan, Cale ist hier.“ Bei der Erwähnung dieses Namens, hielt Ryan kurz inne. Erinnerungen versuchten sich in ihr Gedächtnis einen Weg zu bahnen. Erinnerungen an in Streit gesprochene Worte, an eine Zeit in der sie noch geglaubt hatte, dass sich alles so fügen würde wie sie sich es immer gewünscht hätte. Erinnerungen an grüne Augen, welche seiner Mutter so gleich waren. „Ich weiß,“ flüsterte sie leise. „Aber um ihn müssen wir uns keine Sorgen machen, jemand anderes kümmert sich bereits um ihn, damit kein Verdacht auf ihn fallen kann.“ Ragan runzelte argwöhnisch seine Stirn und stellte dann die Frage, auf welche er bereits glaubte eine Antwort zu wissen. „Wer?“

Ryan antwortete nicht, sondern machte sich weiter an der Bodenluke zu schaffen, die endlich mit einem lauten Krachen nachgab. „Das kann nicht mehr wahr sein. Ausgerechnet die Kleine? Kaum bin ich ein paar Tage weg und schon werdet ihr alle wahnsinnig?“

„Ich nehme deine Beanstandungen zu unserem Plan gerne später entgegen,“ erwiderte Ryan und schwang sich auf die Leiter die in den schwarzen Schacht führte. „Aber jetzt müssen wir wirklich los.“

Sorgenvoll blickte Ragan Ryan nach, und als der faulige Gestank von Abwasser seine Nase erfüllte konnte er sich einen leisen Fluch nicht verkneifen. Tief amtete er ein, sammelte sich und folgte Ryan schließlich die schmale Leiter hinunter in die Schwärze. „Ich werde wahrlich zu alt für solche Abenteuer.“
 

„Du hast wirklich einen fiesen rechten Harken bekommen“, erklärte Cale und wischte sich erneut sein Blut aus den Mundwinkeln. Immer noch stand Naya stumm über ihm, starrte ihn an, und er erkannte das noch immer ihr gesamter Körper und Anspannung stand. Langsam ließ er seine Hände sinken und verharrte in seiner Position, es war ihm lieber im Unrat zu sitzen als sich einen erneuten Hieb einzufangen.

„Und du schlägst immer noch wie ein zehnjähriger.“ Fremd klang ihre Stimme in seinen Ohren, und er senkte leicht seinen Blick, wie vertraut war diese ihm vor Jahren gewesen...

Mit einer schnellen Handbewegung schlug Naya die Kapuze ihres Umhangs hinunter, und nur mit der größten Überwindung gelang es ihr ihren eigenen raschen Atem wieder zu normalisieren. Ungläubig starrte sie die Person vor sich an, wie vertraut war diese ihr gewesen und die bittere Erkenntnis überfiel sie, dass dieser Mann für sie wie ein Fremder war. All die Fragen welche sie so lange beschäftigt hatten waren wie fortgespült und alles was sie tun konnte war ihn anzustarren.

„Darf ich aufstehen?“ fragte Cale und als er nur ein kurzes Nicken als Antwort erhielt, rappelte er sich unter lautem Ächzen auf seine Füße. „War es wirklich nötig, mir fast eine Rippe zu brechen? Ein einfaches blaue Auge hätte glaube ich gereicht.“

„Nein, nötig war es nicht,“ erklärte Naya und wich kaum merklich einen Schritt zurück, als sich Cale an der Steinmauer abstützte. „Gut getan hat es trotzdem.“

„In Ordnung, ich sehe schon. Möglicherweise habe ich das verdient.“

„Möglicherweise?“ Ohne es zu wollen war Nayas Stimme lauter geworden und sie spürte, wie der Zorn wieder in ihr aufstieg den sie so lange in sich getragen hatte. „Möglicherweise hätte ich dir zusätzlich wohl auch lieber die Nase brechen sollen.“

Ein leises Lachen entfuhr Cales Kehle, doch er bereute es sofort als er den stechenden Schmerz in seiner Seite spürte. „Du wärst nicht die erste Frau, die mir das androht, Naya.“ Augenblicklich bereute Cale seine Worte, als feste Hände ihn gegen die Steinmauer schubsten und ihm erneut ein schmerzender Laut entronn. „Du hast uns einfach im Stich gelassen, uns alle!“

„Unter den Umständen war es das einzig richtige und du weißt das, du hättest ebenso wie ich gehandelt.“ Bohrend suchten blaue Augen die seinen, doch er vermied es ihnen zu begegnen.

„Du hast deine Familie...“

„Meine Familie ist schon seit langem tot,“ spie er ihr nun ebenso verächtlich entgegen und die Hände die ihn an seinem Platz gefangen gehalten hatten, lösten sich von seiner Weste.

„Du hast mich im Stich gelassen.“ In die eben noch so feste Stimme hatte sich ein leichtes Zittern geschlichen, und Cale blickte sein Gegenüber nun zum ersten Mal bewusst an. Naya Gesicht war wie versteinert und in ihren Augen lag Enttäuschung. Er bemerkte, dass ihre braunen Haare zu einem strammen Zopf geflochten waren, welcher sicherlich praktischer war als ihr früher offenes Haar. Wie gut kannte er noch das Gefühl ihrer Haare auf seinen Fingern. Sie rochen nach Sommerblumen...

„Und es vergeht kein Tag an dem ich das nicht bereue,“ flüsterte er schließlich und versuchte eine Hand Nayas mit der seinen zu umfangen, aber sie ließ diese Geste nicht zu. Stumm standen sie sich gegenüber, versuchten zu erkennen was in dem anderen vorgehen mochte, schließlich richtete sich Naya auf und hielt ihm ihre Handfläche entgegen. Cale seufzte leise und kramte in seiner Tasche nach seinem Geldbeutel. Sanft legte er ihr einige Goldstücke in die Hand und sie verstaute diese mit einer schnellen Bewegung in ihrer eigenen Tasche. Immer noch ein gutes Geschäft, dachte er und senkte abermals seinen Blick.

Über ihnen ertönten die schrillen Glocken der Zitadelle, und Naya schlug ihre Kapuze wieder über ihr Haar. Ofenbar waren einige Wachen doch wieder schneller zu Bewusstsein gekommen als sie dachten, sie murmelte ein schnelles Gebet zu Onone, dass Ryan und Ragan schon die Stadt verlassen hatten. Mit einem letzten Blick wandte sich Naya um, doch eine Hand umklammerte ihren Unterarm und hielt sie fest. „Es war schön dich wiederzusehen, Naya.“ Sanft war die Stimme von Cale geworden und sie atmete tief durch. „Gib Ty meinen Gruß, ich hoffe es geht ihm gut.“

„Ich weiß zwar nicht, ob er auf diesen Wert legt, aber ich werde es ausrichten.“ erklärte sie schnell und versuchte sich aus der Umklammerung zu befreien.

„Ich hoffe wir sehen uns wieder...“

„Wenn es Onone will. Du weißt wo du uns findest, Cale.“ Mit einem Ruck löste sich Naya von ihm und eilte so schnell ihre Füße sie tragen konnten die Seitenstraße hinunter bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war.
 

* Feron: Gott der Dunkelheit.
 

© 2018 L. Petri

Träumer

Träumer
 

(18 Jahre zu vor)
 

"Sie ist noch ein Kind, Ryan."

Bestimmt hallte die Stimme Ayeshas durch das kleine Arbeitszimmer, und Ryan musterte ihr Gegenüber schweigend. Schon seit geraumer Zeit saßen sie sich gegenüber, und immer wieder kehrte ihre Konversation zu diesem Punkt zurück. Sie spürte wie Aufregung ihre Glieder befiel, bemerkte wie sich ihre Hände kaum merklich zu Fäusten ballten um den Druck in ihren Gliedern ein Ventil zu geben. Schweigend musterte sie Ayesha, ihr waren die dunklen Schatten unter ihren Augen nicht entgangen, sie hatte vesucht in den grünen Augen Verständnis zu finden, doch dieses Mal sah sie nichts als Zorn.

Tief amtete Ryan durch, sie hasste es die kostbare Zeit welche sie zusammen verbrachten mit Streit zu verschwenden, doch sie wusste, dass sie in diesem Augenblick nicht in der Lage war ihn abzuwenden. All zu deutlich hatte sich diese Konfrontation abgezeichnet seit sie hier war.

"Sie ist kein Kind mehr", erklärte sie bestimmt und richtete sich in ihrem Stuhl auf. "Alessa ist dreizehn Jahre alt, und sie möchte lernen, sie muss lernen, wenn sie in dieser Welt überleben will."

"Dreizehn", flüsterte Ayesha leise und schüttelte missmutig ihren Kopf. "Sie ist noch so jung."

"Ich war viel jünger als mein Training begann..."

"Ja, und wir beiden wissen, wohin dich das geführt hat." Scharf sog Ryan die Luft in ihre Lungen, die Anspannung in ihrem Körper verwandelte sich mit jeder Sekunde mehr in heiße Wut, doch sie versuchte sie in sich zu ersticken, sie würde nicht auf Ayesha Worte eingehen. Nicht wenn sie in Zorn gesprochen waren, und darauf abgezielt hatten, sie zu verletzen. Ayesha war nicht entgangen, wie sich Ryans Körpersprache verändert hatte. Sie selbst konnte sich nicht erklären, warum sie dieses Thema so sehr aufwühlte. Seit Ryan ihr von ihrem Plan erzählt hatte, ihre älteste Cousine als ihre Nachfolgerin auszubilden befiel Ayesha bei diesem Gedanken eine unglaubliche Kälte.

"Verzeih," flüsterte sie und suchte Ryans Blick. "Ich wollte dich nicht verletzen."

"Doch," entgegnete Ryan hitzig. Sie senkte leicht ihre Blick und starrte auf ihre zusammen geballten Hände. "Genau das wolltest du." Es war kaum mehr als ein Hauchen, und doch konnte Ayesha deutlich die Verletzlichkeit in der Stimme wahrnehmen.

"Ich weiß, dass du die Bräuche meiner Leute nicht billigst," erklärte Ryan und hob leicht ihr Kinn, über ihr Gesicht hatte sich die Maske des Oberhauptes ihres Stammes gelegt. Ein Gesicht, das so unbewegt und frei jeder Emotion war, dass es Ayesha schwindelte. Sie hasste es, wie Ryan so einfach in diese Rolle fallen konnte, in diesem Moment war sie nicht sie selbst. Nur für Ayesha und wenige weitere Vertraute legte sie diese stoische Maske ab, und es brach Ayesha das Herz, dass Ryan es für nötig hielt sich nun vor ihr auf diese Art und Weise zuschützen.

"Meine Leute haben leider nicht das Glück ihre Kinder vor der Welt verstecken zu können, bis sie erwachsen sind. Wir müssen früh lernen uns zu verteidigen, sonst sterben wir. Wir müssen lernen unsere Gabe unter Kontrolle zu halten, sonst verlieren wir uns in ihr. Alessa muss lernen was es heißt zu führen, und sie muss lernen was es heißt Onone zu dienen. Ich wünschte ich hätte jemanden gehabt der mir hätte helfen können all das zu verstehen und zu bewältigen. Es ist unser Weg. Meiner und der meiner Leute, und du hast nicht das Recht über mich zu urteilen, Ayesha."

Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, und Ayesha spürte wie sich Ryans Worte auf sie legten wie tausende von Gewichten. Erschöpft senkte sie den Blick, ihre Hand ruhte auf ihrer Stirn, als könnte sie so ihre rasenden Gedanken ordnen. Sie hörte wie die Beine des Stuhls auf dem harten Steinboden knarrten, sie fühlte Ryans sanfte Hand auf ihrem Kinn und sie ließ es zu, dass Ryan ihr Gesicht in ihre Richtung drehte. "Ich tue das für uns. Alessa ist meine einzige Möglichkeit irgendwann bei dir zu sein, für immer. Wir träumen schon so lange davon, ich möchte nicht das es irgendwann nichts mehr als das ist. Ein Traum..."

Ayesha starrte Ryan ungläubig an, ihr Mund presste sich zu einer scharfen Linie zusammen und sie entwand ihr Gesicht Ryans Hand. "Und du verdammst dafür ein Kind zu einem Leben voller Entbehrungen? Nur weil wir beide nicht fähig sind dieses Leben zu leben? Wenn das der Preis für unseren Traum ist, dann will ich ihn nicht."

Langsam ließ Ryan ihre Hand sinken, sie fühlte wie in ihrem Inneren Enttäuschung, Angst und Wut sich zu einer gefährlichen Mischung zusammen brauten. Sie trat einen Schritt von Ayesha zurück, und sie wusste bereits wie sehr sie die nächsten Worte bereuen würden, bevor sie ihre Lippen verlassen hatten. "So wie ich das sehe, träumst du schon lange einen anderen Traum..."

"Wovon redest du, Ryan" erwiederte Ayesha und fuhr sich abermals über ihre müden Augen, sie hatte keinen Funken Kraft mehr in ihren Gliedern für einen erneuten Schlagabtausch.

"Glaubst du wirklich ich bin so dumm? Glaubst du etwa, ich wüsste nicht warum er hier ist? Glaubst du wirklich ich wüsste nicht was hier vorgeht?"

"Er ist hier um seinen Sohn zu sehen," spie ihr Ayesha entgegenen und erschrack wie scharf und hart ihre Stimme in ihren eigenen Ohren widerhallte.

"Wie oft hat er dich gefragt? Wie oft, Ayesha?"

"Und du weißt wie oft ich nein gesagt habe" Mit einer schnellen Bewegung war Ayesha von ihrem Stuhl aufgesprungen und die Fucht ihrer Bewegung ließ diesen mit einem lauten Krachen umkippen. Sie fühlte wie sich in ihren Augen Tränen sammelten, doch sie kämpfte mit all ihrer Willenskraft darum ihre Schwäche nicht zuzeigen. Sie sah wie sehr Ryan darum kämpfte die Kontrolle über sich nicht zu verlieren, sie fühlte wie sich eisige Kälte in ihren Gliedern ausbreitete und sie wusste, dass der kleine Stein über ihrem Herzen diese Kälte nur verstärkte.

"Ryan..." sie suchte in ihrem Kopf nach den richtigen Worten um die andere Frau zu beruhigen, doch in diesem Moment wurde die Tür zu ihrem Arbeitszimmer aufgestoßen und ohne dem Neuankömmling einen Blick zu schenken wusste sie wer es war.

"Alles in Ordnung, Ayesha?"

Angespannt entwich ihr Atem ihrer Kehle und ihr Blick richtete sich auf Torat, welcher mit ihrem schlafenden Sohn in seinen Armen in der offenen Tür stand und Ryan feindsellig musterte. Sie öffnete ihren Mund, doch die Worte blieben aus, welche hätte sie auch wählen sollen? Sie hatte keine Kraft mehr zu kämpfen.

Ihre Augen suchten die Ryans und ein leises Wimmern entwich ihrer Kehle, als sie in diesen nichts mehr fand als Enttäuschung.

"Ja," erklärte Ryan und wandte Ayesha ihren Rücken zu. "Alles in Ordnung." Mit schnellen Schritten durchquerten sie das Arbeitszimmer, kurz hielt sie inne, ihre Schultern senkten sich niedergeschlagen. "Wenn es Onone will, sehen wir uns wieder. Lebwohl..."

Kraftlos sank Ayesha auf den kalten Boden hinunter, fest umklammerten ihre Hände ihre Knie. Sie hörte die eiligen Schritte Ryans und das zuschlagen der Tür zu ihrem Haus. Erst in diesem Moment fiel ihr auf, wie leise Tränen ihre Wangen hinabflossen....
 

Mit einem schmerzverzehrten Gesicht richtete sich Cale in seinem Bett auf. Selbst drei Wochen nach seinem zusammentreffen mit Naya in Kalmas schmerzten seine Rippen immer noch. Er wusste, dass er ihre Wut verdient hatte, doch er hätte auch sehr gut auf eine gebrochene Rippe verzichten können. Erschöpft rieb er sich über seine Wangen, und spürte die harten Stoppeln auf seinen Handflächen, der Morgen war noch jung und die Sonne war nur ein roter Schimmer hinter dichten Wolken.

Nachdenklich blickte er ins Leere, immer noch hatte er dieses kalte Gefühl in seiner Bauchgegend, wenn er an Naya dachte. Wie vertraut waren sie einst gewesen? Sie waren den Großteil ihrer Kindheit zusammen aufgewachsen, sie beide und Ragans jüngster Sohn Ty waren eine eingeschworene Gemeinschaft gewesen. Nichts hätte damals zwischen sie kommen können...

Nur meine eigene Dummheit, dachte er bitter und schlug die Bettdecke von sich. Still saß er in den weichen Laken, es hatte keinen Sinn mehr noch einmal zu versuchen Schlaf zu finden, spätestens jetzt war er mit seinen Gedanken an vergangene Zeiten nicht mehr in der Lage dazu. Mit einem leisen Seufzer schwang Cale seine Beine über den Rand des Bettes und begann sich anzukleiden. Das Zimmer war klein, die Einrichtung spartanisch, bis auf wenige kleine Erinnerungsstücke hier und da hätte niemand gedacht, dass dieses Zimmer jemanden gehörte. So sehr es diesen Wänden an Wärme mangelte, so sehr schätzte er es dafür, dass es wenigstens ein kleines Stückchen Zuhause für ihn darstellte. Er hatte sich, nach dem sich die Lage in Kalmas nach Ragans Ausbruch wieder beruhigt hatte, von Eylon verabschiedet. Er wusste, dass sein Freund und Partner wieder zu seiner Familie wollte, und Cale hatte ihn ziehen lassen. Welche Arbeit jetzt auf ihn warten würde, konnte er alleine erledigen. Doch auch er hatte sich nach allem was in Kalmas passiert war, nach einer kurzen Zeit für sich selbst gesehnt. So war er an den einzigen Ort zurückgekehrt, welchen er als Zuhause bezeichnen konnte.

Immer noch leicht benebelt vom Schlaf der vergangenen Nacht, trat er an den kleinen Waschkrug am Fenster und benetzte sein Gesicht mit kühlem Wasser in der Hoffnung, das es den letzten Rest der Müdigkeit aus seinen Gliedern vertreiben würde. Sein Blick fiel auf die kleine Kette die auf dem Tisch neben ihm lag. Für jeden anderen mochte sie unscheinbar wirken, doch für Cale war sie das kostbarste in seinem Besitz. Sanft umfingen seine Finger das alte Lederband, der kleine weiße Stein funkelte leicht im Licht der jungen Sonne. Als Kind hatte er sie jeden Tag um den Hals seiner Mutter gesehen, sie hatte sie nie abgelegt. Nie...

Onone wird dich beschützen. Auf diese Weise bin ich und sie immer bei dir, du wirst niemals alleine sein. Möge Onone dich schützen... Leg sie niemals ab...Ich liebe dich, mein Sohn...

Immer noch klar hallte die Stimme seiner Mutter in seinen Gedanken, sie war so schwach in diesem Moment gewesen, doch in seinen Erinnerungen so deutlich. Mit all seiner Kraft drängte er die Erinnerung an sie zurück. Er konnte sich nicht mehr erlauben schwach zu sein, er war kein Kind mehr. Sanft strich er mit dem Zeigefinger die Linien des Steins nach, spürte wie er sich unter seinen Berührungen erwärmte. Er kannte diesen zaghaften Versuch Kontakt aufzunehmen, er wusste wem dieser Stein eigentlich gehörte und er ließ seinen Finger sinken. Tief amtete Cale durch, und zog das Lederband über seinen Kopf, bis der Stein in der Nähe seines Herzens ruhte.

Als er die Tür seines Zimmers aufstieß, umfing ihn Stille. Niemand schien bereits auf den Beinen zu sein. Langsam stieg Cale die Stufen der Treppen hinunter, im großen Raum des Wirtshauses loderte noch die Gluht der letzten Nacht, einige dreckige Krüge standen auf der Theke, er seufzte erneut, sammelte sie ein und durchquerte den Raum um in die kleine Küche zu gelangen, die an den Raum angeschlossen war.

Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als ihm wohlige Wärme entgegen schlug und er das leise singen vernahm. Unbewegt verharrte er in der geöffneten Tür und in seinem Blick lag eine Zärtlichkeit, die er sich nur selten erlaubte. Stumm sah er der Frau zu, wie sie das noch heiße Brot von der Feuerstelle holte, einen großen Kessel aufsetzte und dabei nie ihren Gesang unterbrach. Er kannte das Lied, er hatte es unzählige Male gehört als er noch ein Kind war. Immer dann, wenn die Alpträume zu schrecklich wurden, er aus seinem Schlaf geschreckt war, in diesen Momenten hatte es nur diese Stimme vermocht ihn zu beruhigen.

Langsam wandte sich die Frau um, und nahm erst jetzt den immer noch andächtig lauschenden jungen Mann im Türrahmen wahr. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und sie wischte sich einige blonde verwirrte Haarsträhnen, die aus ihrem Zopf gefallen waren zur Seite.

"Guten Morgen, Cale. Du bist früh auf den Beinen."

Cale erwiderte das sanfte Lächeln, stellte die Krüge auf den kleinen Tisch in der Mitte der Küche und lehnte sich gegen die Kante des Tisches. "Das gleiche könnte ich über dich sagen," entgegenete er.

"Mir bleibt ja auch nichts anderes übrig. Wenn ich mich hier um nichts kümmere, hätten unsere Gäste nichts zu essen, und das wäre mehr als schlecht für das Geschäft. Setzt dich, Frühstück müsste gleich fertig sein."

Dankend nahm Cale den Becher mit heißer Milch entgegen, und als der Geschmack von Honig seine Zunge berührte lächelte er versonnen. Gedankenverloren blickte Cale der Frau zu, wie sie ihrer Arbeit nachging, er konnte nicht mehr genau sagen wie viele Male er schon hier gestanden und ihr bei ihrer Arbeit zugesehen oder geholfen hatte.

"Ich hoffe du hast gut geschlafen, Kleiner," sagte die Frau und mit einem spöttischen Lächeln fügte sie leise hinzu. "Und ich hoffe alleine."

Cale entfuhr ein leises Lachen und er nahm ihr die Schüssel mit Haferbrei aus der Hand, die sie im Begriff war ihm zu reichen. "Ja, danke, ich habe gut geschlafen. Und natürlich alleine, Teleri."

"Wenn ich nicht wüsste, dass Sia eine Schwäche für dich hat, müsste ich nicht immer nachfragen, wenn du hier bist, mein Junge," erklärte Teleri und setzte sich ihm gegenüber. Ihre blauen Augen funkelten immer noch schelmisch, und Cale konnte sich in diesen Momenten ein sehr gutes Bild davon machen, wie Teleri gewesen sein mochte als sie in seinem Alter gewesen war. Ein angenehmes Schweigen legte sich über sie, während sie ihr Frühstück aßen. Immer wieder sah Cale von seiner Mahlzeit auf um Teleri anzusehen. Die ältere Frau war eine Vertraute seiner Mutter gewesen, er wusste aus Erzählungen dass diese Beziehung keine einfache gewesen war und es hatte lange gedauert, bis beide Frauen sich mit Respekt und Zuneigung behandelt konnten. Häufig fragte er sich, wie tief diese Freundschaft hätte reifen können, wenn seine Mutter noch am Leben gewesen wäre. Er war Teleri unendlich dankbar, wie offen sie ihm ihre Vergangenheit erzählt hatte, eine Vergangheit die so verflochten mit seiner Mutter und Ryan gewesen war, dass er sich in stillen Momenten immer gefragt hatte, wie Teleri in der Lage gewesen war zu verzeihen, und seiner Mutter bis zum Ende beizustehen...

"Du bist unglaublich still heute Morgen. Alles in Ordnung, Cale? Seit du aus Kalmas zurückgekehrt bist, bist du noch mehr am grübeln als sonst."

"Ich bin nicht am grübeln, ich bin nur nachdenklich."

Scheu senkte Cale seinen Blick und stocherte in seinem Frühstück herum, um seinen Händen eine Tätigkeit zu verschaffen. Das laute Lachen Teleris ließ ihn aufblicken, sein Gegenüber hielt sich die Hand vor den Mund, und schüttelte sacht ihren Kopf.

"Nachdenklich ist nur ein schöneres Wort für grübeln, Kleiner. Also, spuck es aus, was lässt deine Stirn so Falten schlagen?"

Argwöhnisch nahm Cale einen weiteren Bissen, kaute langsam und bedächtig.

"Wenn du es nicht sagen willst ist es..."

"Ich habe Naya gesehen."

Mit einem lauten Klappern fiel Teleri der Löffel aus der Hand, sie machte keine Anstalten ihn vom Boden aufzuheben. Stattdessen blickte sie Cale schweigend an, ihr Mund war leicht geöffnet, als suche sie nach den richtigen Worten. "Wann? Wo?" fragte sie schließlich und hatte sichtlich Mühe das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Sie hatte das Mädchen schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Seit dem Tag, an welchem sie Cale hier einen Zufluchtsort gewährt hatte erschien es Teleri, als hätte Naya nicht nur mit Cale abschließen müssen...

"In Kalmas," erklärte Cale und hielt seine Stimme so neutral wie möglich.

"Lass mich raten, die gebrochene Rippe und das blaue Auge waren ihre Art dich zu begrüßen?" Schweigend nickte er und blies nervös die angestaute Luft aus seinen Lungen. Er spürte den bohrenden Blick Teleris und schaute auf. Die ältere Frau hielt seinem Blick schweigend stand, lehnte sich leicht in ihrem Stuhl zurück und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

"Hast du auch Ryan gesehen?" fragte sie schließlich und er schüttelte verneinend seinen Kopf. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen vermochte er sich auszumalen, was geschehen wäre, wenn er Ryan dort getroffen hätte.

"Cale," bei der Erwähnung seines Namens hob er den Blick. Teleris Augen waren sanft geworden, sie löste ihre verschränkten Arme und ihre rechte Hand legte sich sacht über seine zusammengeballte Faust. "Warum tust du dir das schon so lange an? Du vermisst Naya, du vermisst Ty... Ich weiß, dass du auch sie vermisst..."

"Nein," erklärte er schnell, und in seine Stimme hatte sich Bitterkeit geschlichen. "Selbst wenn es jemals einen Weg zurück gegeben hätte... Nein, es ist besser so wie es ist. Ryan und ich, das ist Vergangenheit."

"Ach, Kleiner. Weißt du wie häufig ich diesen Satz in meinem Leben schon gesagt oder gedacht habe?" Teleri hielt immer noch seine Faust mit ihrer Hand umschlossen, ihre Finger gaben einen leichten aufmunternden Druck an seine Haut ab, und sie lächelte ihn an. "Ich selbst habe schon so häufig gedacht, dass sie nur noch ein Teil meiner Vergangenheit ist, sie ist es nie lange geblieben. Ryan hat ein Talent dafür nie wirklich zu gehen."

Cale war nicht entgangen wie sich das Lächeln auf Teleris Lippen verändert hatte. War es vor wenigen Augenblicken noch aufmunternd gewesen, so hatte sich kaum merklich Wehmut über Teleris Antlitz gelegt. Er ahnte warum, und löste seine bis zu diesem Moment immer noch zusammen gekrampfte Faust, sanft umfing seine Hand die Teleris und gab ebenso sacht den aufmunternden Druck an sie zurück.

Ein Weg zurück, dachte er und schüttelte abermals leicht seinen Kopf. Unmöglich... nachdem was ich getan habe, gibt es keinen Weg mehr zurück. Niemals...

"Was willst du jetzt tun?" fragte ihn Teleri und brach das Schweigen, das sich über sie gelegt hatte.

"Ich weiß es noch nicht. Ich werde morgen nach Aranei aufbrechen, dann sehe ich weiter. Arbeit gibt es für mich dort immer."

"Schade, dass du direkt wieder verschwinden willst, aber das meinte ich nicht mit meiner Frage, Cale," erklärte Teleri, erhob sich von ihrem Stuhl und drückte sanft seine Schulter. "Ich hoffe du weißt, was du tust." Cale spürte, wie sie ihm einen flüchtigen Kuss auf seine Stirn hauchte und sich dann wieder ihrer Arbeit widmete.

Ja, das hoffe ich auch, dachte er und blickte Gedanken verloren der Sonne zu, wie sie immer höher wanderte und ihre Strahlen das Blattwerk der Bäume vor dem Fenster zum leuchten brachten. Das hoffe ich auch...
 

Angespannt rieb sich Ryan über die Stirn, die vielen unterschiedlichen Stimmen in dem Raum ließen sie schwindeln. Gefühlt seit einer kleiner Ewigkeit saß sie in Mitten ihrer Leute, hörte wie die jeweiligen Sippenoberhäupter gegeneinander redeten, doch keines der Worte erreichte die Ohren des anderen. Diese Zusammenkünfte waren für sie jedes Mal von neuem ein Kraftakt, und sie wusste nicht, wie ihr Onkel es all diese Jahre durchgestanden hatte ohne auch nur einmal die Kontrolle zu verlieren, und diesen Narren die Wahrheit ins Gesicht zu schreien...

Aus den Augenwinkln nahm sie die Gestalt wahr, die sich auf leichten Sohlen einen Weg durch die Menschen bahnte und dicht neben ihr zum stehen kam.

"Matena (*)," kaum merklich zuckte Ryan bei der Erwähnung ihres Titels zusammen. Wie sehr hasste sie ihn, wieviel hatte sie diesem Titel geopfert und wieviel war sie ihm noch schuldig? "Er ist zurück."

Ohne ein Wort zu sprechen nickte Ryan sacht und hob gebieterisch ihre linke Hand. Augenblicklich verstummten die Stimmen und Ryan war dankbar für den kurzen Moment der Stille. "So informativ diese Zusammenkunft auch war, ebenso kurz wird sie auch sein."

Einer der Männer furchte seine Stirn und erhob sich von seinem Platz an der langen Tafel. "Matena, die Angelegenheit ist noch nicht beendet und im Namen der Sanaa (*) erwarte ich Klärung. Die Sippe der Banei (*) schuldet uns Kompensation!"

Eine ältere Frau war nun ebenfalls aufgesprungen und funkelte den anderen feindselig an. "Kompensation? Für wen haltet ihr euch Odwyn?"

"Ihr wisst genau was ihr uns schuldig seit, Auciet. Ich erwarte von unserem Oberhaupt einen Rechtsspruch."

Ryan war der Missmut in der Stimme des Mannes nicht entgangen und für einen kurzen Moment ließ sie es zu, dass der Geräuschpegel anwuchs. Fest umklammerten ihre Finger die Armlehne ihres Stuhls am Kopf des Tisches, immer deutlicher nahm sie die Anspannung in ihrem Körper wahr. Fühlte wie ihre Geduld immer mehr schwand.

"Genug!"

Laut hallte ihre Stimme von den Wänden wieder, und mit Genugtung sah Ryan wie die Oberhäupter erschrocken zusammenfuhren. Schon vor Jahren hatte sie gelernt ihre Stimme zu kontrollieren, mit den Jahren war sie zu ihrem wichtisten Instrument geworden und sie wusste es gezielt einzusetzen. Langsam richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und ließ ihren Blick über die nervösen Männer und Frauen gleiten. "Es geht hier nicht um die Erhaltung unserer Gemeinschaft, es geht nicht um Krieg oder das Leben eurer Menschen. Das Gebaren was ich hier sehe ist erbärmlich!"

"Bei allem Respekt, Matena..."

"Schweigt, Odwyn." Langsam glitt der ältere Mann wieder auf seinen Sitzplatz zurück und legte seine Hände in den Schoß, seine Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammengepresst als müsse er die Worte, die sich bereits auf seiner Zunge geformt haben krampfhaft zurückdrängen.

"Bei all eurem Zwist geht es um fünf Schafe, die vielleicht und möglicherweise versprochen waren oder auch nicht und ich werde keinen Augenblick länger damit zubringen euch dabei zu zuhören, wie ihr euch anschreit wie kleine Kinder." Für einen kurzen Moment holte Ryan tief Luft, und winkte dann die Gestalt zu sich, welche immer noch dicht neben ihrem Stuhl Position bezogen hatte. "Reder, gib Odwyn genau fünf Schafe aus unseren Stallungen."

"Ja, Matena," erwiderte der Mann und verbeugte sich leicht.

"Mit dieser Geste sehe ich die Angelegenheit als erledigt an. Geht eures Weges. Möge Onone euch segnen." Der leise Gruß schallte von unterschiedlichen Lippen ihr entgegen, und langsam leerte sich der Raum. Als die schwere Tür endlich hinter dem letzten Oberhaupt ins Schloß fiel, sank Ryan müde auf ihren Stuhl zurück.

"Narren," dachte sie und nahm einen Schluck aus ihrem Becher. Das leise Knarren der Tür drang an ihre Ohren und innerlich rüstete sich Ryan für das wohl bedeutungsvoller Gespräch, was ihr nun bevor stand.

"Matena", hörte sie die Stimme des jungen Mannes in ihren Ohren und erneut schloß sie kurz ihre Augen.

"Bitte, nenn mich nicht so, Ty," sagte sie leise und hörte wie die schweren Schritte neben ihr zum stehen kamen. Sie blickte auf, das junge Gesicht zierte ein dichter, dunkler Bart den ihr Gegenüber bei seiner Abreise noch nicht getragen hatte. Die dunklen Haare waren länger geworden und doch hätte Ryan dieses Gesicht unter tausenden erkannt.

"Ich wusste nicht wie formell dieses Treffen werden würde oder auch nicht," erklärte Ty und setzte sich auf den nun leeren Stuhl zu ihrer rechten.

"Es tut gut dich zu sehen," sacht umfing Ryans Hand die des jungen Mannes und ihre angespannten Nerven beruhigten sich, als er ihr das Lächeln zurück gab.

"Ja, dich auch, Ryan."

"Auch wenn ich überrascht davon bin, dass du schon wieder zurück bist. Deine Mission war noch nicht beendet."

Ein leiser Laut entrann Tys Kehle und er schüttelte leicht seinen Kopf. "Ich weiß nicht, ob ich drei Monate als kurz erachte," sagte er schließlich und schenkte sich einen Schluck Wein in einen der Becher. "Als ich Nachricht von der Gefangenschaft meines Vaters erhielt war ich schon im Hafen von Helton angekommen. Ich war viel zu lange weg, wenn du mich nach meiner Meinung fragst." Schweigend blickte Ryan in die Flammen des Kamins, sie suchte in ihrem Kopf nach den richtigen Worten, doch ihr Geist schien wie ausgelaugt. "Hast du etwas heraus gefunden," fragte sie schließlich.

"Gerüchte," erwiderte Ty und ließ sich gegen die Lehne des Stuhls sinken. "Schauergeschichten, die man einem Kind erzählt wenn es nicht gehorcht. Ich bin selbst über die Grenze zum Eismeer gereist, doch ich habe keine Spur von ihm gefunden. Er ist ein Geist, Ryan. Nicht mehr und nicht weniger."

Tief amtete Ryan durch und dennoch beruhigte diese Antwort nicht dieses immer noch nagenden Gefühl in ihrer Brust. Sie wusste nicht, warum ihr Onone jede Nacht den gleichen schrecklichen Traum schenkte, doch sie konnte diese Kälte in ihrem Inneren nicht ignorieren.

"Und von ihr, irgendwelche Spuren?"

Nachdenklich setzte Ty seinen Becker an die Lippen, trank einen Schluck und schwieg bedächtlich."Nein," sagte er schließlich und seine dunklen Augen suchten die Ryans. "Warum suchst du immer noch?"

"Ich habe es versprochen, Ty. Ich halte mein Wort," sagte Ryan bestimmt und schloß für einen Moment ihre müden Augen. Sie hatte mit dieser Antwort gerechnet, und dennoch war sie schwer zu akzeptieren.

"Es ist schon so viele Jahre her, es gibt von ihr keine Spur. Wir haben jeden Winkel dieses Landes nach ihr durchsucht, sie ist tot, Ryan."

Schweigend saßen beide neben einander, das leise Knacken des Feuers war das einzige Geräusch und Ryan sehnte sich nach der Ruhe der Nacht, auch wenn sie bereits wusste, dass sie ihr keinen Frieden schenken würde. Mit einem kräftigen Zug leerte Ty seinen Becker und erhob sich.

"Wenn es in Ordnung ist, würde ich jetzt gerne zu meiner Frau. Ich bin froh rechtzeitig hier zu sein, bevor mein Kind das Licht der Welt erblickt. Ein Vater sollte dabei sein, wenn sein Kind geboren wird."

Sanft lächelte Ryan und nickte, doch bevor Ty sich zum gehen abwenden konnte, umfingen ihre Hand seinen Unterarm. "Naya braucht dich, Ty," leise war ihre Stimme geworden. Ihre Cousine hatte seit Kalmas kein Wort über ihr Zusammentreffen mit Cale gesprochen, doch Ryan musste, dass Naya litt. Sie vermochte es nicht dies zu zeigen, hielt es womöglich für eine Schwäche, doch Ryan ahnte, dass sie nur bei ihrem ältesten Freund diese Maske fallen lassen würde.

"Cale?"

"Ja, sie hat ihn gesehen. Sie braucht dich."

Kaum merklich nickte Ty und drückte sacht ihre Hand. "Ich kümmere mich um sie. Gute Nacht, Matena."

Mit einer leichten Verbeugung ließ Ty Ryan zurück. Die plötzliche Stille legte sich wie eine Decke über sie, ausgelaugt blieb Ryan in ihrem Stuhl sitzen. Sie spürte wie sich eine kleine Stelle dicht über ihrem Herzen kaum merklich erwärmte und sie legte beschützend ihre Hand dort ab.

Es wird ihr wieder gut gehen. Mach dir keine Sorgen, ich passe auf sie auf...
 

Mit zitternden Händen hielt sie die kleine Papierrolle in den Händen. Ihr Daumen strich über das dunkle Siegel aus Wachs. Jede einzelne Nervenende in ihrem Körper vibrierte vor Anspannung, als das gehärtete Material endlich unter ihren Fingern nachgab. Eilig strich sie den Brief glatt, zog die fast herunter gebrannte Kerze näher zu sich um die Worte besser entziffern zu können...

Es ist Zeit. Halte dich bereit, unsere Zeit ist endlich gekommen...

Es waren nur wenige Worte, doch für sie waren sie alles, was sie wissen musste. Kaum merklich zuckten ihre Mundwinkel und in ihren dunkelblauen Augen machte sich Erkenntnis breit. Wie lange hatte sie auf diese Nachricht gewartet?

Es ist Zeit...
 

© 2018 L. Petri
 

*Matena/Mateno: Titel des Oberhauptes der Vereinigung des weißen Steines (Onones Kinder). Die weibliche Form ist Matena, die männliche Mateno.

*Onones Kinder: Die Vereinigung gliedert sich in insgesammt sechs Stämme. Die Sanaa, die Banei,

die Harlau, die Taeseli, die Lanida und die Kouangu. Unterstellt sind sie nur dem Oberhaupt Onones.

Wiegenlied

(13 Jahre zuvor)
 

Wild wandte sich der kleine Körper in den Laken des Bettes, feine Schweißperlen hatten sich dicht am Haaransatz gebildet und ließen das dunkle Haar an der Stirn festkleben. Fest waren die Augen geschlossen und doch war zu erkennen wie der schlafende Geist des Kindes hinter den Augenlidern kämpfte, die Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammen gepresst und ein leises wimmern durchschnitt die Stille des Zimmers.

Urplötzlich durchzuckte ein gellender Schrei die nächtliche Ruhe, immer noch schien der Junge darum zu kämpfen die Erinnerungen, welche seinen Schlaf zu einer Qual machten in einen Ort tief in sich zu verbannen, an welchen sie ihn nicht weiter verletzen konnten. Tränen verfingen sich in seinen Wimpern, als es ihm wie so oft nicht gelang diese Bilder aus seinen Träumen auszulöschen. Immer wieder hörte er ihre Stimme, spürte ihre Berührungen die so sanft waren wie eine leichte Brise im Frühling. Er kämpfte jeden Tag darum nicht zu vergessen wie ihre Stimme geklungen hatte, wie ihr Geruch gewesen war, wie schön ihr Lachen... Doch in diesen Momenten, wenn die Nacht ihm diese schrecklichen Träume schenkte, sehnte er sich danach alles einfach vergessen zu können....

Mit einem heftigen Ruck wurde die Tür zu dem kleinen Zimmer aufgestoßen und schnelle Schritte halten über den Steinboden. Feste Arme zogen den immer noch bebenden Körper an sich, er wehrte sich mit all seiner Kraft gegen diese Berührungen, versuchte die Hand, die seine schweißnassen Haare aus der Stirn strichen weg zu schieben. Ein leises Summen drang an seine Ohren, er hörte wie sich das beruhigenden Summen in ein leises Lied verwandelte und sein kleiner Körper sanft hin und her gewiegt wurde. Langsam stieg sein Geist aus der Traumwelt empor und er öffnete vorsichtig seine Augen. Im fahlen Schein einer Kerze konnte er die Umrisse der anderen Person wahrnehmen, seine immer noch von Tränen schwimmenden Augen begegneten dem besorgten Blick der Frau und er vergrub sein Gesicht in ihrer Schulter. „Mama“, wimmerte er leise und seine kleinen Hände vergruben sich in den Armen, die ihn immer noch beschützend festhielten.

„Ich bin bei dir, Cale,“ hörte er die Stimme leise in sein Haar flüstern. „Ich bin bei dir, mein Junge.“

Sanfte Lippen drückten sich auf seine Stirn und erneut drang das leise Lied an seine Ohren. Es beruhigt sein wild schlagendes Herz, holten ihn mit jedem Moment mehr zurück in die Wirklichkeit. Langsam normalisierte sich seine Atmung und er traute sich seinen Blick nun ganz der Person zu schenken die ihn in ihren Armen hielt. Die braunen Haare waren zerzaust vom Schlaf der Nacht und er bemerkte erst jetzt die Anspannung die in dem anderen Körper lag. Der frische Geruch von Wäldern drang an seine Nase, ein Duft der so untrennbar mit dieser Person verbunden war, dass es ihm leicht schwindelte. Er kannte ihn gut, hatte ihn unzählige Male wahrgenommen, doch noch nie in dieser Intensität.

„Warum?“ fragte er leise und drückte sein Gesicht noch tiefer an den kleinen Ort zwischen Hals und Schulter um den beruhigenden Duft einatmen zu können. „Warum schenkt Onone mir diese Träume?“

Eine sanfte Hand strich durch sein wirres Haar und die andere ruhte beschützend auf seinem Rücken. „Ich weiß es nicht,“ flüsterte die Angesprochene leise. „Ihre Wege sind selbst mir manchmal unergründlich.“

„Warum tut es so weh, Ryan“, schluchzte er und suchte nun den Blick der anderen Person. „Warum tut es so weh...“

Leise begann er erneut zu weinen, doch die beschützenden Arme ließen ihn nicht los. Sie hielten ihn fest und sein eigener fester Druck um sie waren für ihn wie ein Anker der ihn in der Wirklichkeit festhielt. „Wenn, wenn wir etwas verlieren, das wir geliebt haben dann tut es unendlich weh, Cale. Es gibt nichts, was du dagegen tun könntest...“

„Hört es irgendwann auf?“ fragte er leise und bemerkte wie die Frau scharf die Luft in ihre Lungen sog, als würde sie sich selbst vor der Antwort fürchten, welche sie dem Kind in ihren Armen nicht zumuten wollte.

„Nein“, erklärte sie ebenso leise und zog ihn noch tiefer in ihre Arme, versuchte ihm und sich selbst Halt zu geben. „Nein, aber es wird sich irgendwann verändern. Der Schmerz wird irgendwann nachlassen, Cale. Aber das Gefühl, dass du sie vermisst, wird egal wie viel Zeit auch vergehen mag nicht weniger werden...“

Er nickte sacht, er hatte gewusst, dass sie ihn nicht anlügen würde. Welchen Sinn hätte es auch gehabt, wusste er doch selbst, dass er niemals im Stande dazu sein würde sie zu vergessen. Vorsichtig lehnte sich die Frau gegen den Kopf des Bettes, umschloss seinen immer noch leicht zitternden Körper mit ihren Armen und er barg sein Gesicht an ihrer Brust. Er spürte wie sich der kleine Stein an der Kette, die um seinen Hals lag, flüchtig erwärmte. Leise hörte er sie Worte murmeln, verstand sie aber nicht. Es waren alte Worte in einer Sprache die nur wenige in der Lage waren zu sprechen. Sein Körper entspannte sich und er umschlang den andere Körper fester mit seinen Armen, sog die Wärme der anderen Person in sich auf.

„Sie fehlt mir,“ murmelte er leise. „Sie fehlt mir...“

Sanft streichelte die Frau über seinen Rücken. „Sie fehlt mir auch,“ er hörte die Traurigkeit in ihrer Stimme und für einen kurzen Moment glaubte er Tränen auf seinem Haar zu spüren. „Sie fehlt mir auch...“ wiederholte sie erneut und begann dann leise wieder zu singen. Tief amtete er ihren Duft in seine Lungen, ergab sich ihren sanften Berührungen bis er endlich in einen dunklen, traumlosen Schlaf versank.
 

Mit schnellen Bewegungen fuhr Naya die Flanke ihres Pferdes entlang. Im jungen Licht der Sonne leuchtenden die Staubpartikel auf, die aus dem Fell ihres Hengstes mit jeder Berührung austraten. Entspannt stand er dicht neben ihr und genoss sichtlich ihre Zuwendungen. Naya lächelte leicht und kratzte Zert sanft am Ansatz seiner Mähne. Sie wusste, dass er es liebte an dieser Stelle berührt zu werden und das sachte tänzeln seiner Vorderhufe zeigte ihr, dass ihre Annahme richtig war. Schon seit Anbruch des Tages war Naya in den Stallungen, hier fand sie die Ruhe, welche sie sonst nirgendwo im Dorf zu finden schien. Nur hier konnte sie ihre immer noch fiebrigen Gedanken ordnen und sich in einfacher Arbeit verlieren. Ihr Blick fiel auf ihre immer noch leicht bläulichen Handknöcheln und sie verfluchte sich innerlich, dass es Cale vermochte sie selbst jetzt noch einzuholen. Sie hatte es bis jetzt erfolgreich vermieden mit Ryan über ihr Zusammentreffen mit Cale sprechen zu müssen. Sie wusste, dass Ryan ahnte wie sehr sie das Treffen mit ihm beschäftigte, doch sie hatte kannte ihre ältere Cousine zu gut, sie würde sie niemals bedrängen über etwas zu sprechen, wofür sie im Moment nicht bereit war.

Vorsichtig beugte sich Naya zu den Hufen ihres Hengstes hinab, umfing sacht eine der Vorderhufen und begann die letzten Reste der Erde und Verkrustungen ihres morgendlichen Ausrittes aus den Hufen zu entfernen. Zufrieden ließ den letzten Huf zu Boden sinken, ihre Finger glitten erneut über die Flanke des Tieres und hielten an seiner Blässe inne. Sanft streichelte sie über das kurze Haar.

„Was soll ich nur tun, mein Großer“, flüsterte sie leise und schüttelte leicht ihre Kopf. „Nach allem was passiert ist, müsste er mir egal sein. Warum schafft es dieser verdammte Kerl immer wieder, dass es nicht so ist.“ Mit einem lautem Schnauben schubste Zert seine Schnauze sacht in ihre Armbeuge und seine braunen Augen schienen sie verständnisvoll anzublicken.

„Siehst du,“ erwiderte sie leise und ihre Mundwinkel zuckten leicht spöttisch. „Du weißt es auch nicht, oder?“

„Das er dir nicht wirklich helfen kann, mag vielleicht daran liegen, dass er nur ein Pferd ist, Naya.“

Für einen kurzen Moment schloss Naya ihre Augen, versuchte sich für das folgende Gespräch zu rüsten, sie hörte wie das Stroh leise unter den Schritten ihres Freundes zu rascheln begann und Zert von einer Stelle auf die andere zu tänzeln begann. „Er scheint deine Worte nicht zu billigen, Ty,“ erklärte sie und bemühte sich das Tier wieder zu beruhigen. Schweigend ließ sich Ty gegen die Holzwand sinken und seine Augen suchten die ihren.

„Du bist in diesen Tagen schwer zu finden, Naya,“ er lächelte spitz und streichelte das Tier ebenso zärtlich durch die Mähne. „Ich habe überall nach dir gesucht. Am See, im Dorf und dann ist es mir eingefallen wohin du gehst, wenn du von niemandem gefunden werden möchtest.“

„Wenn du weißt, dass ich nicht gefunden werden möchten, was machst du dann hier,“ ihre Stimme war härter geworden als sie es beabsichtigt hatte. Beschämt senkte sie ihren Blick und begann mit einer schnellen Bewegung das Sattelzeug zusammen zu suchen, und es an den Harken im hinteren Teil des Stalles zu verstauen, immer noch darum bemüht Ty nicht anzublicken.

„Nun ja, ich dachte schon das mich meine beste Freundin auf dieser Welt irgendwann sehen möchte. Ich war lange weg, vielleicht zu lange.“

Genervt blies Naya die Luft aus ihren Lungen und wandte sich endlich ihrem ungebeten Gast zu. Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust und musterte ihn kurz. „Der Bart steht dir nicht,“ erklärte sie bestimmt und das laute Lachen Tys erhellte die angespannte Stimmung zwischen ihnen.

„Hast du dich mit meiner Frau abgesprochen?“ fragte er und kam einige Schritte auf sie zu. „Ich könnte schwören Anya hat das gleiche zu mir gesagt.“

„Dann solltest du auf die Frauen in deinem Leben hören, wir wissen es meistens besser.“

Argwöhnisch strich sich Ty über die dichten Haare an seinem Kinn und schüttelte dann verneinend den Kopf. „Ich denke, dieses Risiko ist es mir wert,“ erklärte er immer noch lächelnd und blieb dicht vor ihr stehen. Seine dunklen Augen fanden endlich die ihren und Naya spürte wie die Anspannung aus ihren Gliedern wich, wie Schnee bei den ersten Strahlen der Sonne. Sacht umfing Ty ihre Schultern und blickte ihr forschend ins Gesicht. „Du siehst nicht gut aus.“

Es war mehr als eine Feststellung und Naya senkte ihren Blick, sie ahnte, dass Ryan Ty womöglich über alles informiert hatte was in Kalmas passiert war. Sie spürte wie seine Finger ihr Kinn umfingen und es sacht anhob, damit er ihr wieder in die Augen blicken konnte.

„Kann ich dich jetzt endlich umarmen, oder müssen wir diese Scharade noch weiter aufrecht erhalten?“

Ein leises Lachen stahl sich auf Nayas Lippen und sie zog ihren Freund in ihre Arme, kaum merklich lehnte sie sich in seinen beschützende Körper und ihre Hände vergruben sich in seinen Rücken. Stumm hielt er sie fest, wie er es so viele Male bereits getan hatte, und sie erlaubte sich in dieser Umarmung schwach zu sein. Gedankenverloren streichelte Ty ihren Hinterkopf, in den langen Monaten alleine hatte er seine Freundin vermisst, hatte sich Sorgen um sie gemacht, er wusste um ihr Talent sich in Situationen zu bringen die für sie häufig schwer waren zu meistern.

„Ich habe ihn gesehen“, murmelte Naya leise und barg ihr Gesicht an seiner Brust, hörte das laute schlagen seines Herzens. „Ich weiß,“ entgegnete er ebenso leise und legte seine Stirn zärtlich gegen die ihre. „Möchtest du darüber sprechen?“

Ty war nicht entgangen, wie der Körper in seinen Armen zu beben begann, er konnte nicht deuten ob vor Furcht, Zorn oder Traurigkeit, aber er hatte es deutlich gespürt. Als Naya ihm immer noch keine Antwort auf seine Frage gegeben hatte trat er einen Schritt zurück, umfing das Gesicht Nayas mit seinen Händen und zwang sie ihn anzusehen.

„Ich bin für dich da,“ erklärte er und Naya konnte die Ehrlichkeit in seinen Worten förmlich spüren. „Du hättest ihn nicht wiedererkannt, Ty. Er war so anders, so kalt,“ niedergeschlagen ließ Naya ihre Hände sinken, und ihre immer noch angespannten Nerven schienen in jedem Teil ihres Körper unangenehm zu vibrieren.

„Es ist Jahre her, dass wir ihn gesehen haben, Naya. Menschen verändern sich, ob wir es wollen oder nicht. Er musste überleben, vielleicht war er nur so in der Lage dazu.“

Er war wie ein Fremder, dachte sie bitter und löste sich aus der beschützenden Umarmung ihres Freundes.

„In diese Lage hat er sich selbst gebracht, niemand hat ihn dazu gezwungen,“ abermals erschrak sie sich selbst über die Härte in ihrer Stimme. „Für seine Lage trägt nur er die Verantwortung. Bestimmt hätte es einen anderen Weg gegeben, aber er ist einfach abgehauen, ohne ein Wort ohne, ohne...“

„Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass wir ihm vielleicht niemals einen anderen Weg gezeigt haben?“ fragte Ty und hielt dem zornigen Blick Nayas stand. „Vielleicht ist es an uns ihm diese Tür offen zu halten.“

Die bissige Antwort erstarb auf Nayas Lippen und sie musterte Ty argwöhnisch. Er vermisst ihn, dachte sie und ließ entmutigt ihre Hände sinken. „Vielleicht,“ murmelte sie schließlich. „Wie konnte er nur so einfach verschwinden? Wie konnte er es zu lassen, dass sie alle Schuld auf sich genommen hat? Warum konnte er so einfach gehen...“

Schwer hingen diese Frage über ihnen und keiner der beiden fand in diesem Moment auf sie eine Antwort. Seufzend umfing Ty Nayas Rechte mit der seinen und zog sie langsam zum Ausgang der Stallungen. „Komm, lass uns was zu essen finden, du siehst aus, als könntest du auch etwas vertragen. Wann war das letzte Mal, dass du etwas ordentlich gegessen hast und noch dazu in meiner charmanten Gesellschaft?“

„Das ist viel zu lange her,“ lachte Naya leise und strich Ty sacht durch sein dunkles Haar. „Ty,“ bei der Erwähnung seines Namens hielt der Angesprochen kurz inne und wandte ihr sein Gesicht zu. „Es ist schön, dass du wieder da bist, mein Freund.“

Ty erwiderte den Druck ihrer Hand mit der seinen. „Ich kann dich ja keinen Moment aus den Augen lassen, ohne dass du Dummheiten anstellst. Du bist schlimmer als meine beiden Schwestern zusammen.“

„Und du liebst es, dass ich so bin.“ Mit hochgerecktem Kinn schritt Naya stolz an ihm vorbei in das Sonnenlicht des Morgens. Leise schnaubte Ty durch seine Nase und schüttelte spöttisch seinen Kopf. „Ich möchte es nicht anders haben“, flüsterte er leise und folgte seiner Freundin hinaus in den jungen Morgen.
 

Missmutig zog Cale die Kapuze seines Umhanges tiefer in die Stirn. Der Regen hatte in den frühen Morgenstunden eingesetzt und durchweichte seit dem erbarmungslos nicht nur die Straßen von Aranei sondern auch merklich seine Kleidung. Schwer sog Cale die drückende Luft in seine Lungen, seine Glieder schmerzten immer noch von der Reise und er war froh endlich in der Stadt angekommen zu sein. Wie er es Teleri angekündigt hatte, war er wenige Tage später aufgebrochen. Bei seiner Abreise hatte er ihren nachdenklichen Blick auf sich gespürt, er wusste, dass sie es hasste ihn jedes Mal von neuem fortgehen zu sehen, nicht wissend wann sie ihn womöglich wiedersehen würde.

Mit schnellen Schritten bahnte er sich den Weg durch die verwinkelten Gassen der Stadt, er war froh bereits Arbeit gefunden zu haben und nicht all zu lange hier bleiben zu müssen. Er hasste die Enge und er sehnte sich bereits jetzt schon wieder nach der Weite und den Wäldern.

Du bist ihr so ähnlich, mein Junge. Ich glaube du weißt gar nicht wie sehr.

Die Worte Teleris hallten in seinem Geist und er verzog verächtlich sein Gesicht. Wie sehr hasste er den Umstand, dass er ihr so ähnlich war. Er hatte sich immer gefragt ob es nur die Jahre in ihrer Gesellschaft waren, die sie beide so gleich gemacht hatten, ob er ohne es zu wollen Eigenarten von ihr angenommen hatte, die nun so schwer waren abzulegen. Er wusste es nicht, und dennoch war sich Cale bewusst wie ähnlich er seiner Ziehmutter war. Er hatte lange versucht es zu verleugnen, aber mit den Jahren schien es vergebene Lebens mühe zu sein sich den Tatsachen zu widersetzen.

Hör endlich auf an sie zu denken, ermahnte er sich selbst und bog in eine der kleinen Seitenstraßen ein. Es war nicht mehr weit bis zu dem Gasthaus, in welchem er hoffte ein Zimmer für die Nacht und eine warme Mahlzeit zu finden. Das laute Stimmengewirr aus den umliegenden Häusern drang an seine Ohren und er schüttelte irritiert seinen Kopf. Nach Tagen der Stille war die Geräuschkulisse der Stadt zu viel für seine Ohren.

Aus den Augenwinkeln bemerkte ein hinter sich eine Bewegung, er blickte schnell über seine Schulter, doch als er niemanden wahrnehmen konnte verwarf er das ungute Gefühl in seiner Magengegend so schnell wie es gekommen war.

Ich muss mich dringend ausruhen, dachte er und gähnte leicht. Die Reise war anstrengender gewesen, als er für möglich gehalten hatte und dennoch ließ ihn dieses Gefühl kurz innehalten. Unbewusst wanderte seine Hand zu dem Knauf des kleinen Dolches an seinem Gürtel, er lauschte doch nur die Geräusche der Stadt waren zu vernehmen. Hufe die über den Boden scharrten, Stimmen die um den Preis für Waren feilschten, des Meckern von Vieh. Trotz allen diesen mondänen Geräuschen spürte er deutlich die Anspannung in seinen schmerzenden Gliedern, es war wie der Verbote von einer unbekannten Gefahr. Er hatte dieses Gefühl unzählige Male verspürt und es ließ ihn langsam den Dolch aus der Scheide an seinem Gürtel ziehen, sein Körper machte sich für einen Kampf bereit obwohl er nirgendwo einen Gegner ausmachen konnte. Ein stechender Schmerz in seiner Halsgegend ließ ihn gegen die steinerne Wand eines Hauses sinken.

„Was in Zandrus (*) Hölle,“ zischte er und seine Hand betastete die schmerzende Stelle dicht bei seinem Puls. Seine Finger umfingen einen harten Gegenstand und mit einer schnellen Handbewegung zog er den kleinen Pfeil aus seiner Haut. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Cale auf den spitzen Gegenstand, der sich in sein Fleisch gebohrt hatte. Er versuchte einen schnellen Schritt nach vorne zu vollführen um in die nächste Seitenstraße abtauchen zu können, doch in seinem Kopf begann sich die Welt immer schneller um ihn zu drehen. Sein Atem entwich ihm nur noch stoßweise seiner Kehle und er ahnte, in welche Mixtur der Pfeil getränkt worden sein mochte. Seine Beine gehorchten ihm nicht mehr und er sank langsam auf die Knie. Der Regen prasselte auf ihn nieder und seine Augen suchten hektisch nach seinem Angreifer. Auf allen Vieren versuchte er voran zu kommen, doch auch seine Arme befielen eine ihm bis dahin nicht bekannte Schwäche.

Steh auf, dachte er und versuchte erneut sich aufzurichten, doch sein Körper gehorchte seinen Befehlen nicht mehr.

Steh auf!

Langsam sank sein Kopf auf das nasse Pflaster der Straße, er hatte keine Kontrolle mehr über sein Wesen und selbst sein bis zu diesem Zeitpunkt wild schlagendes Herz schien langsam den Kampf gegen das Gift in seiner Blutbahn zu verlieren. Seine Augenlider wurden schwer und mit letzter Kraft rollte er sich auf den Rücken. Der Regen benetzte sein Gesicht, doch sein lebloser Körper spürte die Kälte kaum. In sein Blickfeld schob sich eine dunkle Silhouette, er versuchte noch einen Blick auf das Gesicht der Gestalt zu erhaschen, doch dann schlossen sich seine kraftlosen Augen und mit Schrecken spürte er wie sein Herz immer langsamer schlug bis es schließlich still in seiner Brust ruhte.
 

Der Schein von unzähligen Kerzen erhellte den kleinen Raum. Schwer lag das alte Buch auf den Knien des Mannes, der Mitten im Raum in einem Sessel saß. Sein Zeigefinger fuhr die geschwungene Handschrift nach, als könne er so das Wissen in ihr schneller in sich aufsaugen, als es nur mit seinen Augen möglich war. Sein Körper mochte zwar seit vielen Jahren zerbrochen sein, doch sein Geist war so scharf wie er es immer gewesen war.

Sein Blick fiel auf die verdickte Haut seiner Hand, unzähliges Narbengewebe ließ die leichte Bewegung schmerzen. Nur selten erlaubte er sich in der Nacht zu lesen, er wusste, dass das Licht der Kerzen in diesen Momenten von Nöten war. Doch selbst nach all den Jahren ertrug er ihren Schein nur hinter den Behältern aus Glas in welchen sie ruhten. Doch er brauchte diese Ablenkung, er wollte nicht in der Stille sitzen und sich in seinen Gedanken verlieren.

Sie wird mich nicht enttäuschen, dachte er stolz und schlug vorsichtig die nächste Seite in dem Buch auf. Sie hat mich nie enttäuscht.

Tief amtete er durch, hörte das leise Rasseln das seiner Lunge entstieg und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. Er war kaum mehr als ein Schatten seines früheren Selbst, er hatte Jahre damit zugebracht den Schmerz in seinem Körper zu kontrollieren. Doch nun war er nicht nur Meister über diesen, er hatte viel dazu gelernt. Er hatte die Zeit in welcher er stumm den Ereignissen der Welt hatte zu sehen müssen wahrlich weise genutzt. Wie sehr hatte er es gehasst sich in den Schatten zu verstecken, untätig dabei zu zusehen wie aus ihm nichts anderes wurde als eine Erinnerung...

Nicht mehr lange, er lächelte erneut und sein Blick verlor sich wieder in den Seiten des Buches und in der Stille, aus welcher er bald erlöst werden würde.
 

* Zandrus: Ogronischer Krieger aus dem ersten Krieg um Barolon.
 

© 2018 L. Petri

Erinnerungen

(18 Jahre zuvor)
 

Dunkle Wolken verhüllten die Sonne, der mächtige Wind peitschte die Äste der Trauerweide am Ufer des Sees über dessen Oberfläche. In den letzten Monaten hatte sich das Wetter zu verändern begonnen. Die Luft war schleichend immer kälter geworden, das dichte Blattwerk der Bäume hatte sich zu beginn in wunderschöne Farben gehüllt, um nun leblos zu Boden zu sinken. Die Natur hatte Schritt für Schritt begonnen zu sterben, umhüllte die Welt in eine trügerische Stille.

Müde fuhr sich Ayesha durch ihre schwarzen Haare, schon seit den frühen Morgenstunden befand sie sich in ihrem Arbeitszimmer und die Mauern des Zimmers schienen sie mit jedem Augenblick mehr zu erdrücken. Wie sehr hatte sie als Kind dieses Zimmer gehasst. Es war in diesen Jahren der Ort gewesen, an welchen ihr Vater für sie unerreichbar war.

Den Großteil des Tages hatte sich Arlon in dieses Zimmer zurückgezogen, und es war Ayesha nie gestattet gewesen ihn während dieser Zeit zu stören. Welche Ironie war es, dass nun sie selbst in diesem Zimmer gefangen war? Missmutig fiel ihr Blick auf die unzähligen Briefe auf ihrem Schreibtisch, Leta hatte es sich nicht nehmen lassen sie immer wieder von neuem mit Arbeit zu versorgen.

„So kommt Ihr wenigstens nicht zum nachdenken,“ hatte die alte Frau ihr aufmunternd erklärt, doch Ayesha war das spöttische Lächeln auf ihren Lippen nicht entgangen. Sie wusste nur zu gut, dass Leta mit den Ereignissen der letzten Monate mehr als zufrieden war.

Tief amtete Ayesha die Luft in ihre Lungen, seit jenem Abend hatte Ayesha nichts mehr von ihr gehört. Sie wusste nicht wie es ihr ging, wo sie war, ob Ryan sie womöglich ebenso sehr vermisste wie es Ayesha jeden Moment tat. Sie sehnte sich nach ihrer Stimme, ihren Händen die es vermochte sie im Hier und Jetzt zu halten, ihrer Präsenz in welcher nur sie selbst sein konnte... Gedankenverloren wanderten ihre Finger das dünne Lederband hinab zu dem kleinen Anhänger, umfassten ihn beinahe zärtlich, doch erneut fühlte sie nur die kalte Oberfläche des Steins. Er bescherte ihr keine Botschaft, kein Zeichen. Sie ahnte wie viel Kraft es Ryan kosten mochte sich vor ihr derart zu verschließen.

„Wo bist du nur?“ flüsterte sie leise und umklammerte für den Bruchteil einer Sekunde den kleinen Anhänger. „Ich weiß, dass du mich fühlst. Wo bist du nur?“

Seufzend richtete Ayesha ihren Blick wieder auf das Pergament, welches vor ihr lag, und begann des Brief Torats zu ende zu lesen. Sie lächelte leicht, als sie den Abschnitt über Cale erreichte. Sie war froh zu hören, dass es ihm gut ging. Er würde noch einen weiteren Monat bei seinem Vater und dessen Leuten weilen, er vermisste sie, doch Ayesha wusste wie wichtig es für ihm war Zeit bei seinem Vater zu verbringen. Sie wäre niemals in der Lage dazu ihm diese Zeit zu stehlen, sie selbst wusste was es bedeutete wenn einem dieser Teil auf ewig fehlte.

Leise öffnete sich die Tür zu ihrem Arbeitszimmer, ohne den Blick vom dem Brief zu nehmen, verfinsterte sich Ayeshas Miene und sie ließ die Person ungerührt das Zimmer betreten. „Lass mich alleine, Leta. Für heute brauche ich weder neue Ermahnungen noch dich in meiner Nähe,“ erklärte sie bestimmt, erschrak jedoch im nächsten Moment, als das klare Lachen einer jungen Stimme die Stille des Zimmers durchschnitt.

„Was du auf jeden Fall brauchst sind neue Wachen, Kleine. Sie sollten wissen, dass man nichts von Fremden, seien sie auch noch so charmant, annehmen sollte.“

„Was willst du hier, Teleri?“ fragte Ayesha ohne ihren Blick von dem Brief zu nehmen. Sie hatte versucht ihre Stimme fest und gebieterisch klingen zu lassen, und betete zu Moya (*), das es ihr gelungen war. Unbekümmert zog sich ihr ungebetener Gast einen Stuhl heran, ließ sich mit einem zufriedenen Seufzer nieder und beäugte interessiert die ihr unbekannte Umgebung.

„Nett hast du es hier, etwas kahl und unpersönlich, aber sicherlich einer Frau deines Standes würdig,“ bemerkte Teleri und griff nach dem unberührten Becher auf Ayeshas Schreibtisch. „Du erlaubst?“ Ohne eine Antwort abzuwarten schenkte sie sich aus dem daneben stehenden Krug ein.

„Fühle dich ganz wie zuhause,“ schneidend war Ayeshas Stimme geworden und sie verschränkte abwehrend ihre Arme vor der Brust. Schweigend musterten sich beide Frauen, schienen abzuwarten wer als erstes die erdrückende Stille zwischen ihnen beenden würde. Deutlich fiel Ayesha auf, wie wenig sich Teleri seit ihrer letzten Begegnung verändert hatte. Sie umgab immer noch die gleiche Aura wie damals. Unbeugsam, schön und dem Leben, was ihr nur all zu häufig den Boden unter den Füßen fort gezogen hatte trotzend. In den blauen sie musternden Augen konnte Ayesha den Hauch von Missbilligung erkennen. Kaum merklich räusperte sich Ayesha und fixierte Teleri mit einem forschenden Blick.

„Was willst du hier?“ fragte sie erneut und spürte wie sie unter dem spöttischen Blick Teleris immer unruhiger wurde.

Nachdenklich nahm Teleri einen weiteren Schluck aus dem Becher, ließ sich leicht im Stuhl zurück sinken. „Kannst du dir das wirklich nicht denken?“

„Ich wüsste nicht, was wir beide zu sprechen hätten,“ entgegnete Ayesha leise.

„Ich will wissen, wann du mich von dem Häufchen Elend, das bei mir seit Monaten ihr Leid ertränkt endlich erlöst. So amüsant diese Pose vielleicht noch vor ein paar Wochen für die Götter gewesen sein mochte, sie wird mit jedem Tag mehr schlecht für mein Geschäft.“

„Ryan? Sie... sie ist bei dir,“ wild rasten die Gedanken in Ayeshas Geist, all die Monate der Ungewissheit, der Sorge verwandelten sich in kalte Enttäuschung.

„Natürlich ist sie bei mir, wo soll sie sonst hin. Wen hat sie denn außer uns beiden,“ erklärte Teleri spitz. „Nima und Ragan haben bereits versucht sie zum gehen zu bewegen, aber der störrische Esel lässt sich ja von niemanden etwas sagen.“

„Und warum glaubst du, sie würde auf mich hören?“

Teleri war die Veränderung in Ayeshas Stimme nicht entgangen, sie konnte die Kränkung deutlich in jedem einzelnen Wort vernehmen. Sie hatte bereits während ihrer Reise zum Katzenstein geahnt, dass dieser Kampf kein einfacher werden würde.

„Du machst Witze, oder?“ fragte sie irritiert und faltete sacht ihre Hände ineinander. „Ayesha, sie liebt dich, ein einziges Wort von dir und sie wäre schneller aus der Tür als ich Cipos Arsch sagen könnte. Glaubst du ich wäre aus irgendeinem anderen Grund hier?“

Argwöhnisch runzelte Ayesha ihre Stirn, richtete sich in ihrem Stuhl auf und funkelte Teleri aus zornigen Augen an. „Sie ist bei ihr...“ dachte sie und spürte wie Eifersucht durch jede Faser ihres Körpers wie Gift zu ihrem Herzen wanderte.

„Ich denke, sie ist genau dort wo sie sein möchte. Du hast also das wieder, was du schon so lange zurück wolltest. Glückwunsch, sie gehört dir.“

Kopfschüttelnd barg Teleri ihr Gesicht in ihren Handflächen. Wie konnte diese Frau nur so töricht sein?

„Zum einen kann mir nichts gehören, was es schon seit Jahren nicht mehr tut,“ begann sie mit ruhiger Stimme zu erklären und ließ Ayesha keinen Moment aus den Augen. „Und zum anderen, nehme ich mir nichts, was bereits jemand anderem gehört. Das Ayesha ist wohl eher dein Gebiet, wenn ich mich recht erinnere...“

Die trotzige Antwort erstarb in Ayeshas Kehle und sie senkte beschämt ihren Blick. Nur all zu gut wusste sie, dass Teleris Worte nicht darauf abgezielt hatten sie zu verletzen, sie waren die Wahrheit. Eine Wahrheit, die Ayesha nur all zu gerne versuchte in den tiefsten Winkeln ihrer Vergangenheit zu verbannen. Sanfte Finger umfingen ihre Hand und die blauen Augen Teleris suchten ihren Blick.

„Ayesha, ich habe bestimmt nicht den weiten Weg auf mich genommen um Spielchen mit dir zu spielen. Wenn du mich fragst ob ich sie liebe, dann ja, ich liebe sie und genau aus diesem Grund bin ich hier. Ich will und kann nicht einen Moment länger zu schauen, wie sie sich quält. Es ist mir egal ob du mir glaubst oder nicht, aber ich kann nicht tatenlos zu sehen wie sie sich wegen dir zugrunde richtet.“

Die Aufrichtigkeit in Teleris Worten traf Ayesha mit der Wucht eines gigantischen Schlags. Sie kämpfte darum ihre Fassung zu bewahren, versuchte sich hinter der unnahbaren Fassade die sie sich über die Jahre aufgebaut hatte zu verstecken. Es war zwecklos, Tränen glitzerten in ihren Wimpern und sie verstärkte den Druck um Teleris Hand. „Ich vermisse sie,“ gab sie schließlich zu und spürte wie die Last der letzten Monate von ihr abfiel.

„Was sitzt du dann noch hier?“ fragte Teleri leise...
 

Ein dumpfes, tiefes Schlagen drang an seine Ohren, ein tiefer Atemzug füllte seine Lungen und seine Kehle brannte von dem Sauerstoff der jede Faser seines Körpers zu versengen schien. Keuchend versuchte Cale seine Augen zu öffnen, doch ihn umgab nur Dunkelheit. Panisch versuchte er sich aufzurichten, doch seine Beine gaben unter dem Gewicht seines Körpers nach als wäre er ein Neugeborenes, das versuchte seine ersten zaghaften Schritte in dieser Welt zu vollführen.

Deutlich spürte er sein hämmerndes Herz in der Brust, die Atemzüge wurden unregelmäßig, er schüttelte seinen Kopf. Vorsichtig versuchte er seine Hände zu bewegen, doch seine Finger waren taub und unbrauchbar, er konnte ein unbekanntes Gewicht um sie fühlen, stöhnend ließ er seinen Rücken gegen die kalte Wand aus Stein sinken. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so hilflos gefühlt, das kalte Gefühl von Panik befiel seine Glieder und Cale versuchte abermals sich aufzurichten, um nur erneut wieder hart auf dem nach faulen Stroh riechenden Boden aufzuschlagen.

Kaum merklich spürte er wie der Boden unter ihm leicht zu vibrieren begann, Schritte kamen näher und ein fester Griff umfing seine Oberarme. Er versuchte sich zu wehren, immer noch gefangen in der Dunkelheit seines erloschenen Augenlichts. Der Griff verstärkte sich und er spürte wie er gegen die Wand des Raumes gelehnt wurde. Er versuchte zu sprechen, doch aus seiner Kehle entrann nur ein gurgelnder Laut.

„Spare dir deine Kräfte, du wirst sie noch brauchen.“

Kalt war die Stimme über ihm, als wäre aus ihr schon vor Jahren alle Wärme gewichen, ein Schauer jagte seinen Rücken hinunter und er fühlte wie sich die feinen Härchen in seinem Nacken aufrichteten. Sein Körper spürte die Gefahr die von dieser Frau ausging, auch wenn seine Augen sie nicht erblicken konnten. Tief atmete er durch, brachte seine rasenden Gedanken unter Kontrolle.

„Wo... wo bin ich,“ krächzend war seine Stimme, als hätte er sie seit Wochen nicht benutzt. Rau war seine Kehle und er bemerkte erst jetzt das unangenehme Gefühl der Trockenheit in seinem Mund, als wäre er Tage lang ohne Wasser gerannt. Das leise Kratzen von Stiefelsohlen kam immer näher, er hörte das Plätschern von Wasser, ein kaltes Metall drückte auffordernd gegen seine Lippen. Er fühlte das kühle Wasser an seinen aufgesprungenen Lippen, und es kostete ihn all seine Willenskraft den Mund nicht zu öffnen.

Ein leises Lachen durchschnitt die Stille des Raumes und der Druck gegen seine Lippen intensivierte sich für den Bruchteil eines Momentes.

„Trink,“ hörte er die Stimme nun sanfter sprechen. „Wenn ich dich hätte tot sehen wollen, hätte ich es in Aranei bereits erledigt.“

Zögernd öffnete Cale seine Lippen, doch als die ersten kühlen Tropfen seine Zunge benetzten, verließ ihn seine Willenskraft und er trank gierig das ihm dargebotene Wasser. Immer schneller rann das kühle Wasser seine Kehle hinunter, bis er seinen Kopf prustend der Kelle entwand.

„Langsam, du hast seit Tagen keine Flüssigkeit zu dir genommen.“

Seit Tagen... wie lange bin ich schon hier? Fragte er sich und öffnete hoffnungsvoll seine Augen, doch wie zu vor umfing ihn nur beklemmende Dunkelheit.

„Ich, ich kann nicht sehen“, keuchte er atemlos.

„Ein unerwünschter Nebeneffekt,“ erwiderte die Frau ungerührt, und er hörte wie sie sich in seiner Nähe auf den Boden niederließ. „Du wirst bald wieder sehen können.“

Stöhnend setzte sich Cale auf, froh, dass ihm seine Beine für diese so kleine Bewegung gehorchten. Deutlich vernahm er den Atem der Frau, die stumm in seiner Nähe verweilte.

„Wo bin ich,“ fragte er erneut, seine Stimme klang fester und er spürte wie die Taubheit mit jedem Augenblick mehr aus seinen Gliedern zu weichen begann.

„Im Norden,“ gab ihm die Frau zur Antwort und er konnte das spöttische Lächeln förmlich fühlen, das von ihr auszugehen schien. „Alles weitere wirst du erfahren sobald du wieder mehr unter den Lebenden weilst als unter den Toten.“

Mit einer schnellen Bewegung erhob sich die Frau, ihre Schritte hallten sacht auf dem Boden wider und ein dumpfes Klopfen ließ Cale kaum merklich zusammenzucken.

„Openian (*),“ das Knarren der schweren Tür ließ Cale aufhorchen und ohne ein weiteres Wort verschwand die Frau aus dem Raum, laut fiel die Tür ins Schloss.

Ogronier , dachte er und hielt sich seine schmerzende Seite. Ich stecke dieses Mal ziemlich tief im Dreck...

Erschöpft ließ Cale seinen Kopf gegen die Wand sinken, die Ausweglosigkeit seiner Situation erdrückte ihn mit jedem Atemzug. Tief holte er Luft, konzentrierte sich darauf seinen Geist über die Grenzen seines Gefängnisses hinweg treiben zu lassen. Er fühlte wie sich ein Teil seiner Präsenz von ihm löste, er biss seine Zähne zusammen und konzentrierte seine Gedanken auf die letzte Person auf dieser Welt die er um Hilfe anflehen wollte.

Ich stecke ziemlich in Schwierigkeiten... Ryan... ich brauche Hilfe... Hilfe... Bitte... Ogronier... Ich weiß nicht was ich tun soll...Bitte...Norden...
 

Das sanfte Rauschen der mächtigen Weide war das erste was ihr Gehör wahrnehmen konnte. Der sanfte Nebel begann sich im aufkommenden Wind immer mehr in Nichts zu verwandeln. Deutlich konnte sie nun ihre Umgebung wahrnehmen, und die Erkenntnis wo sie sich befand ließ ihr Herz schwer werden vor Trauer.

Zögernd lief sie die ersten Paar Schritte in Richtung des Ufers, der Kies knirschte unter ihren Füßen, sie roch den Duft der Wälder der sie wie eine schützende Decke umhüllte. Leise plätscherten die Wellen des Sees und umspülten ihre Füße, deutlich spürte sie die Kälte des Wassers auf ihrer Haut. Es war so wirklich, und doch wusste sie, dass es sich hier nicht um die Wirklichkeit handeln konnte, so sehr sie sich auch danach sehnen mochte. Aus ihren Augenwinkeln hatte sie die zwischen den Wurzeln der Trauerweide sitzende Gestalt bereits wahrgenommen, doch sie verbot sich mit all ihrer Willenskraft sie anzusehen.

„Es ist lange her,“ Zärtlichkeit lag in der Stimme, Sehnsucht und Traurigkeit. Tief amtend schloss sie ihre Augen, es war einfacher es über sich ergehen zu lassen ohne den Blick auf die Person zu richten nach der sie sich jeden Augenblick verzehrte.

„Ich weiß, dass du nicht wirklich hier bist,“ erklärte sie bestimmt und richtete ihren Blick wieder auf den See, nur um ihre Augen erneut niedergeschlagen zu schließen. „Warum straft mich Onone mit diesen Träumen?“

Sie hörte wie sich die Gestalt von ihrem Sitzplatz erhob und erst dicht vor ihr zum stehen kam, sie konnte den Duft des anderen Körpers deutlich riechen. Lavendel, Wildkräuter und etwas unvergleichliches, was nur diese Person ausgemacht hatte. Immer noch hielt sie krampfhaft ihre Augen geschlossen, wollte nicht sehen, was im Morgen wieder verschwunden war. Eine sanfte Hand legte sich auf ihre Wange, und sie erschrak über die Wärme die sie deutlich auf ihrer Haut fühlen konnte. Es war so wirklich...

„Ryan, ich bin hier. Sieh mich bitte an.“

Verzweifelt schüttelte sie ihren Kopf, sie konnte sich diesen Moment der Schwäche nicht erlauben. Sie wusste, dass sie dafür am Ende nur mit mehr Schmerz bezahlen würde. Die zweite Hand umfing ihre andere Wange, hielt sie gefangen und warme Lippen pressten sich fordernd auf die ihren. Ein leiser Seufzer entfuhr ihr, Tränen brannten auf ihren Wangen als sie sich endlich dem Gefühl tief in sich nachgab. Fest umschlangen ihre Arme den anderen Körper, zogen ihn so dicht an den ihren, dass die fremde und doch so bekannte Wärme jeden Millimeter zu versengen schien. Zögernd öffnete sie ihre Augen und ihr Atem stockte in ihrer Kehle, als sie nach so langer Zeit endlich die so vertrauten Augen erblickte. Sanft lehnte sie ihre Stirn gegen die der anderen, klar hörte sie ihren Atem der über ihre Lippen streichelte. „Ayesha“; flüsterte Ryan und erlaubte sich zum ersten Mal die Person in ihren Armen anzublicken. „Wie, wie ist das möglich“, flüsterte Ryan leise und hörte das klare Lachen Ayeshas dicht an ihrem Ohr.

„Es ist nicht das erste Mal, dass ich versuche dich zu sehen. Bis jetzt warst du sehr beharrlich darin es nicht geschehen zu lassen.“

„Ayesha, es tut mir so leid,“ stammelte Ryan und vergrub ihr Gesicht in Ayeshas Schulter, gierig sog sie den Duft ihrer Haut in ihre Lungen, beinahe hätte sie ihn in all den Jahren vergessen.

„Ich hab versagt, in so vielen Belangen... Es tut mir so leid...Verzeih...“

Sanft legte Ayesha ihren Zeigefinger auf ihre Lippen und schüttelte sacht ihren Kopf. „Es gibt nichts, für das du dich entschuldigen müsstest. Hörst du Ryan? Nichts!“

Ungläubig nickte Ryan, nahm das Gesicht Ayeshas sanft in ihre Hände. „Bei Onone, warum bist du nicht hier?“

„Ich bin immer bei dir“, erklärte Ayesha zärtlich und umfing ihre Lippen abermals mit den ihren. Sacht legte sie ihre Handfläche auf die Stelle über Ryans Herzen. „Ich bin immer genau hier.“ Sanft zog Ayesha Ryan in ihre Arme, stumm schien sie die andere eine Ewigkeit zu halten. Der Wind begann allmählich abzuflauen, der Nebel kroch lautlos über den See, hüllte die eng umschlungenen Körper ein.

„Ryan,“ flüsterte Ayesha leise und suchte ihren Blick. „Ich habe nicht mehr viel Zeit. Höre mir gut zu, es kommt etwas auf euch alle zu was ich in seinen Ausmaßen nicht in der Lage bin zu beschreiben. Wir haben vieles zusammen durchgestanden, und es tut mir leid, dass ich für all die anderen Dinge nicht an deiner Seite war...“

„Ayesha...“

„Lass mich bitte aussprechen“, bestimmt war Ayeshas Stimme geworden und Ryan gehorchte ihr ohne Widerworte. „Aber das ist eine Gefahr, die weder du noch ich jemals gesehen haben. Cale ist in großen Schwierigkeiten, er braucht Hilfe. Unser... unser Sohn braucht dich, vielleicht mehr als jemals zu vor.“

Immer dichter wurde der Nebel, und mit jedem Moment verstärkte Ryan den Druck um Ayeshas Körper, versuchte ihn festzuhalten, sie nicht wieder aufzugeben. Sanfte Hände lösten ihren Klammergriff und Ayesha führte ihren Handrücken an ihre Lippen. „Es ist Zeit...“

„Bitte,“ stieß Ryan hervor. „Bitte lass mich nicht wieder alleine... Ich will genau hier bleiben, hier bei dir.“

„Die Zeit ist dafür noch nicht gekommen“, Traurigkeit ließ Ayeshas Stimme leicht zittern, sacht strich sie Ryan über die Wange und sie lächelte schief. „Und ich hoffe, dass dieser Moment noch eine ganze Weile dauert.“

Niedergeschlagen schloss Ryan ihre Augen, kämpfte gegen die erneut in ihr aufsteigenden Tränen. Wie unfair war es einen geliebten Menschen zwei Mal zu verlieren, und auch dieses Mal nichts dagegen tun zu können.

„Aber wenn dieser Moment gekommen ist, dann werde ich genau hier auf dich warten...“
 

„Ayesha...“ mit einem gellenden Schrei fuhr Ryan aus ihrem Schlaf empor. Stille schlug ihr entgegen und sie konnte nur ihren keuchenden Atem vernehmen. Schmerz brannte in jedem Winkel ihres Körpers. Immer noch glaubte sie Ayeshas Wärme zu spüren, gedankenverloren strich sich Ryan über ihre Lippen. Es war so wirklich gewesen, so greifbar, beinahe so als hätte Onone ihr nicht wieder einen grausamen Streich gespielt. Stöhnend ließ sie sich in die Kissen zurück sinken, feine Schweißperlen liefen ihren Nacken hinunter, wütend schlug sie die Bettdecke von sich und setzte sich an den Rand des Bettes. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass sie von Ayesha geträumt hatte, doch noch nie waren diese Träume so real gewesen wie dieser.

In ihrem Geist begann Ryan zu zählen, versuchte so ihren panischen Atem unter Kontrolle zu bringen. Ihr Kopf dröhnte und sie hörte deutliche Worte in ihrem Geist widerhallen.

Hilfe...Ryan...Ogronier... Hilfe... Norden...

So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte die Stimme in ihrem Geist nicht zum schweigen bringen. Sie konnte die Angst in ihr beinahe fühlen.

„Cale,“ flüsterte sie leise und wischte sich erschöpft den Schweiß von der Stirn. Ein lautes Klopfen riss sie aus ihren Gedanken . Mit einem tiefen Atemzug erhob sie sich, schlang den Mantel neben ihrem Bett über ihre Schultern und trat aus ihrem Schlafzimmer in den Flur hinaus.

„Herein.“

Mit einem Ruck öffnete sich die Tür des Hauses und Reder stand mit gezückter Waffe im Türrahmen. „Verzeiht, Matena. Ich habe Schreie gehört, ist mit euch alles in Ordnung.“

Ein spöttischer Laut entrann ihrer Kehle, wie konnte überhaupt irgendetwas in ihrem Leben in Ordnung sein, wenn sie sich mehr nach der Traumwelt verzehrte als nach dem wahren Leben?

„Reder, schlag Alarm. Bring Ragan, Ty und Naya zu mir.“ Gebieterisch war ihre Stimme geworden, sie erkannte die Verwirrung in dem Gesicht des jungen Mannes, doch sie wusste, dass sie für Erklärungen keine Zeit hatte.

„Und beeil dich!“

„Ja, Matena,“ ohne ein weiteres Wort verschwand Reder in der dunklen Nacht. Im nächsten Moment ertönte das dumpfe Dröhnen eines Horns und Ryan konnte von der Tür ihres Hauses sehen, wie in den umliegenden Häusern der flackernde Schein von Kerzen die Fenster erhellte.

Schwer amtend krallten sich ihre Finger in das Holz des Türrahmens.

Ich hoffe du hast Recht, Ayesha... Ich hoffe du hast Recht, dachte sie, während um sie herum die Stille der Nacht von dem erneuten Klang des Hornes durchzuckt wurde.
 

Worterklärungen:
 

* Moya: Durch die Ehe von Zert (Nacht) und Moya (Tag) wurde am Anbeginn der Zeit das Land geschaffen. Durch die Verbindung der beiden Gegensätze entstanden das Leben und die Götterwelt Barolons.
 

* Openian: aufmachen, öffnen (ogronische Sprache)
 

© 2018 L. Petri


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wow, ich habe nun wirklich nicht mehr damit gerechnet diese Geschichte irgendwann weiter zu schreiben. Leider ist das Leben wirklich dazwischen gekommen...
Verlassen hat mich diese Geschichte aber nie, und in den letzten Monaten kam endlich die Muse zurück und auch die Zeit sich endlich wieder dem zu widmen, was mir soviel Freude macht. Dem Schreiben, ich hoffe sehr, dass das nicht nur eine kurze Angelegenheit war, weil ich selbst wissen will wie alles Enden soll. Ich habe zwar die letzten Jahre fleißig immer mal hier und da handschriftlich Entwürfe geschrieben, aber die müssen erst Mal alle in ein Konzept gebracht und der Weg muss neu angelegt werden. Alles was ich versprechen kann ist, dass ich diese Geschichte zu ende bringen werde. In erster Linie für mich, und sollte sich der eine oder andere über ein neues Kapitel freuen, dann ist es alle Mühe wert. Bis bald.... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich bin wirklich froh, wieder ein Kapitel geschafft zu haben und so langsam aber sicher bewegen wir uns Richtung "es geht bald richtig los."
Ich hoffe wirklich, dass die Rückblicke immer am Anfang funktionieren und nicht zu verwirrend sind beim lesen. Sie machen mir aus irgendeinem Grund große Freude zu schreiben. Ich liebe diese kleinen Einblicke in das Leben von Ryan und Ayesha, auch wenn dieser hier kein wirklich schöner war, aber er ist wichtig im großen und ganzen der Geschichte und auch für beide. Ich habe nie gedacht, dass nach "der Trauerweide" alles gut zwischen ihnen ist. Es wäre nicht realistisch und ich bemühe mich wirklich ihnen in dieser Geschichte einen Platz zu geben. Das Wiedersehen mit Teleri war ebenso schön zu schreiben, sie ist eine meiner Lieblingsfiguren und ich fand es sehr passend sie an dieser Stelle wieder einzuführen. Ich hoffe sehr, dass dieses Kapitel dem einen oder anderen gefallen hat.
Danke und bis bald Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, wieder ein Kapitel fertig, zwar etwas kleiner als das Letzte, aber ich bemühe mich. Ich hoffe, dass dieses Mal keine all zu großen Fehler mehr im Text sind. Habe zwar jetzt mehrfach drüber gelesen, aber um 1 Uhr hoffe ich, dass man es mir nachsieht.

Ich hoffe dieses Kapitel funktioniert, irgendwie war ich mir beim tippen nicht wirklich darüber im klaren... Sowas passiert leider häufiger und ich habe viele Teile von Links nach Rechts geschoben bis es für mich jetzt gepasst hat. Gerade das Gespräch zwischen Ty und Naya habe ich unzählige Male umgeschrieben, dann komplett gelöscht, nur um es wieder zu schreiben... Tja, manchmal brauchen Charaktere länger um das zu sagen, was sie sagen wollen.
Auf jeden Fall kommt die Sache langsam ins Rollen und ich wollte wirklich spätestens in den nächsten Kapiteln alles soweit haben, dass wir los legen können.

Danke für's lesen und ich versuche das nächste Mal schneller zu sein. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tja, ich wollte dieses Kapitel schon vor einer gefühlten Ewigkeit gepostet haben. Leider hat das Leben andere Pläne gehabt und neben erheblichen Streß auf der Arbeit hat sich leider auch noch eine familäre Krise dazugesellt... Daher kommt das Update sehr viel später als geplant.

So langsam kommt der Plot ins Rollen, viele wissen ich bin eine Freundin von langsamer Entwicklung, aber wenn es mal los geht dann geht es auch los, um es mal etwas platt zu formulieren.
Ich hoffe das Kapitel ist in sich stimmig, besonders hoffe ich, dass die Szene zwischen Ryan und Ayesha nicht allzu kitschig geworden ist, hin und wieder habe ich nämlich dazu einen Hang...
Aber diese Szene ist für mich auf einer persönlichen Ebene sehr wichtig. Vor 10 Jahren ist meine Mutter an Krebs verstorben, und ich hatte sehr viele Jahre nach ihrem Tod Träume in denen ich wirklich das Gefühl gehabt hatte sie wäre in diesem Moment da gewesen... Nun, mir viel es zwar schwer diese Szene aus diesem Grund zu schreiben aber ich denke wirklich, dass Menschen niemals gänzlich aus unserem Leben verschwinden.

Noch ein Satz zur ogronischen Sprache. Ich kenne meine Grenzen und eine eigene Sprache zu entwicklen ist mir leider viel zu hoch. Dennoch wollte ich diese Kultur etwas mehr zum Leben erwecken und ihr etwas eigenes geben, so werden immer mal wieder Wortwendungen auftauchen die ich als ogronisch bezeichne. Geliehen ist sie aus dem altenglischen und ich finde es irgendwie passend.

Ach ja, und ich wollte an dieser Stelle noch kurz was sagen: Wie ich schon mal geschrieben habe, machen mir diese kurzen Einblicke in eine frühere Zeit mehr als Spaß. Dieser hier natürlich auf Grund von vielen Dingen, unter anderen die Interaktion zwischen Ayesha und Teleri...
Und diese Einblicke schaffen es wirklich, dass ich sobald diese geschrieben sind das Kapitel recht schnell getippt habe. Den Großteil dieser Szenen habe ich fest geplant, aber es gibt noch ein paar Möglichkeiten für zukünftige Kapitel. Sollte also jemand einen Wunsch für solch eine Szene haben, also im Prinzip was man gerne sehen würde, lasst es mich einfach wissen. Ich gebe mein Bestes ;)

An dieser Stelle möchte ich mich noch mal ganz herzlich bei Igel bedanken, die unermüdlich mein Geschreibsel nach dem posten verbessert und ich bin dafür so dankbar wie ich es in Worten kaum ausdrücken kann. Ich hoffe dieses Mal wird es besser werden als beim letzten Mal, aber ich halte mich schon mal breit für die Korrektur.

Bis bald Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Igel242002
2018-06-13T18:33:09+00:00 13.06.2018 20:33
Hey,

das Kapitel liest sich gut und gefällt mir. Die Entscheidung zwischen Ryan und Ayesha nicht frei von Schwierigleiten und Unstimmigkeiten darzustellen, ist in meinen Augen genau richtig und auch in sich schlüssig.

Ein paar Kleinigkeiten, namentlich Rechtschreibfehler, sind mir aufgefallen ohne jedoch den Lesefluss zu beeinträchtigen.

Im Rückblick:

>> ... Sie selbst konnte sich nicht erklären, warum sie dieses Thema so sehr aufwüllte.
Ich würde mal auf 'aufwühlte' tippen

>> ... Sie hasste es, wie Ryan so einfach in diese Rolle fiallen konnte,...
wohl '... in diese Rolle fallen konnte'...

>> ... Ich wünschte ich hätte jemanden gehabt der mir hätte helfen konnte all das zu verstehen...
... 'der mir hätte helfen können'...

>> ... spie ihr Ayesha entgegenen und erschrack wie scharf und hart ihre Stimme in ihren eigenen Ohren wiederhallte.
...Ayesha entgegen und erschrak ... widerhallte.

>> ... die Einrichtung spantanisch,...
vermutlich 'spartanisch'

>> ... loderte noch die Gluht der letzten Nacht, einige dreckige Krüge standen auf der Thecke,...
... loderte die 'Glut' der letzten Nacht....... auf der 'Theke',..

>> ... lauschenden jungen Mann im Türrahmen war.
... im Türrahmen 'wahr'.

kein Rechtschreibfehler, aber bei: > ...wischte sich einige blonde verirrte Haarsträhnen,...
würde ich eher den Schwerpunkt auf verwirrt legen denn auf die Haarfarbe, also: ... einige verirrte blonde...
immerhin geht die Handlung (wischen) auf die Position der Haare zurück

>> ... wie Teleri gewesen sein mochte als sie in seinem Alter gewesen war
Das doppelte gewesen klingt für mich nicht so flüssig, wie wäre es mit: '... wie Teleri in seinem Alter gewesen sein mochte'

>> ... Seit du aus Kalmas zurückgekehrt bist, bist du noch mehr am grübeln als sonst." "Ich bin nicht am grübeln, ich bin nur nachdenklich."
An sich passt das, mir persönlich gefällt 'am grübeln' nicht so, würde: ... zurückgekehrt bist, grübelst du noch mehr ls sonst. / Ich grüble nicht, ich bin nur nachdenklich.

>> ... legte sich sacht über seine zusammengeballten Faust.
... 'über seine zusammengeballte Faust.'

>> ... gaben einen leichten aufmunternd Druck... und kurz darauf noch mal > ... gab ebenso sacht den aufmunternd Druck
in beiden Fällen müsste es 'aufmunternden' Druck heißen

>> ... brach das Schweigen, dass sich über...
müsste: ... Schweigen, 'das' sich ... denn welches würde auch gehen, daher nur ein s

>> ... die vielen unterschiedlichen Stimmen in den Raum ließen sie schwindeln
... Stimmen in 'dem' Raum ließen...

>> ... Aus den Augenwinklen nahm sie Gestalt wahr,
'Augenwinkeln' und hier fehlt ein Wort, entweder 'die' oder 'eine' gehört vor 'Gestalt'

>> ... Die Sippe der Banei (*) schulden uns Kompensation...
'schuldet' denn die Sippe ist Singular... auch wenn sie aus vielen Menschen bestehen mag

>> ... Krieg oder das Leben euerer Menschen. Das Gebarren was ich hier sehe ist erbärmlich!"
... das Leben 'eurer' Menschen. Das 'Gebaren' ...

>> ... Schaafe
du hast mal kurz hintereinander 'Schaafe' geschrieben; sollte es sich nicht um eine Schaffung deinerseits handeln, reicht ein a 'Schafe'

>> ... das dunkle Sigel aus Wachs. Jede einzelne Nervenende in ihrem Körper vibrierte vor Anspannung, als das gehärtete Material endlich unter ihren Finger nachgab
... das dunkle 'Siegel' aus Wachs. 'Jedes' einzelne... ... endlich unter (entweder) 'ihrem' finger (oder) 'ihren Fingern' nachgab...


Ich freue mich achon auf das nächste Kapitel.


Schönen Restabend noch,
igel


PS: Bevorzugst Du meine Kommentare hier, oder wie früher via email?

Von: abgemeldet
2006-07-17T17:09:20+00:00 17.07.2006 19:09
Nicht schlecht^^ dein Schreibstil ist wirklich schön und man hat richtig Lust dazu weiterzulesen...


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