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Nadezhdas Entscheidung

von

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Lebe ich noch? Sterbe ich? Oder bin ich schon tot?

TROPF --- TROPF --- TROPF

Lebe ich noch? Sterbe ich? Oder bin ich schon tot?

TROPF --- TROPF --- TROPF

Dunkelheit. Um mich herum ist nichts als Dunkelheit. Vor meinem inneren Auge sehe ich den Säureregen langsam durch das meterdicke Gestein des Höhlendaches, an armdicken Stalaktiten entlang in die nach Schwefel stinkenden Lachen des Höhlengrundes rinnen.

TROPF --- TROPF --- TROPF

Wie in Zeitlupe beobachte ich, wie der Tropfen in das Schwefelmeer eindringt, kreisrunde Wellen schlägt und wieder in die Höhe gewirbelt wird, als würde die Lache ihn ausspeien.

Selbst hier, in den Katakomben des Zentralmassivs, gibt es kein Entkommen vor der Verdammnis, die die Menschheit selbst heraufbeschworen hat.
 

Die großen Zivilisationen – vor Jahrtausenden zerstört.

Die tiefen Wälder – niedergebrannt, in der Hoffnung, wiederzuerrichten, was längst verloren war.

Das Leben auf der Oberfläche des Planeten, den man einst Erde nannte – untergegangen im Feuersturm, den die Menschen selbst entfachten.

Was von ihnen noch übrig ist, hockt in tiefen, dunklen Höhlen und fristet ein erbärmliches Dasein.
 

Und noch immer herrscht Krieg. Bin nun auch ich ein Opfer dieses Krieges geworden?

Kriegsherren sind erfinderisch. Da sie nicht selbst an die Oberfläche zurückkehren können, haben sie Drachen gezüchtet, die sie für sich kämpfen lassen. Volk gegen Volk, Stamm gegen Stamm, jeder bemüht, seine knappen Ressourcen zu Lasten des Anderen zu mehren. Stirbt der Drache, ist der Stamm dem Untergang geweiht.
 

Wir sind anders. Denn wir sind die Drachentöter. Wir töten nicht, um zu unterwerfen, sondern um Allianzen zu schließen. Unsere Mission ist es, die Drachenkriege zu beenden und die Menschheit zu einen. Und unsere Sippe wächst. Jahr für Jahr, Monat für Monat, mit jedem toten Drachen folgen mehr verzweifelte Menschen unserem Glauben.

Doch diese Drachen waren zu stark für mich und meinen Vater. Wer konnte auch ahnen, dass das alte Drachenweibchen ein fast ausgewachsenes Junges hat.
 

„Vater? VATER!“

Mit einem Satz springe ich auf die Beine und reiße meine Augen auf. AH, was blendet das! Der glutrote Ball der Morgensonne strahlt durch den Eingang der Höhle in das Gewölbe, so dass ich meine Augen mit meinem Arm abschirmen muss. Ich lebe also noch. Gut.

Ein geheimnisvolles Mädchen

Nur langsam gewöhnen sich meine Augen an die Helligkeit.

"Der Drache!"

Im Reflex ziehe ich mein Schwert, mächtig schallt das metallische Schleifen der Klinge an der Scheide von den Höhlenwänden wieder. Adrenalin schießt in meine Adern und lässt mich meinen Schmerz vergessen.
 

Wie ein Gebirge türmt sich das Ungetüm aus grünschillernden Schuppen vor mir auf. Das Drachenweibchen. Es ist tot! Sein Kadaver nimmt fast die Hälfte des Höhlenraumes ein. Über und über ist es mit blutigen Einstichen übersät. Dunkelbraunes Blut hat sich in angetrockneten Rinnsalen einen Weg durch das Schuppengeflecht gesucht und sich in großen Lachen am Höhlenboden angesammelt. Vater, du Teufelskerl, du hast es tatsächlich erledigt!

"Vater? NEIN!"

Vor dem weit aufklaffenden Hals des Drachenkadavers liegt der regungslose Körper meines Vaters in einer Pfütze aus Drachenblut, das Schwert noch eng umschlungen. Ich stürze auf ihn zu, rüttle ihn, schüttle ihn, schlag mit der Faust auf sein Herz - doch es nutzt nichts. Seine toten Augen starren mich an, als würden sie fragen: Wo warst du? Mir gefriert das Blut in den Adern. Er ist tot, hat sein Leben gegeben, im Kampf gegen unseren mächtigsten Feind. So, wie er es sich immer gewünscht hat. Doch zu früh, viel zu früh, er stand doch noch in der Blüte seiner Jahre. Tränen schießen mir in die Augen. Zu gerne würde ich mich von der Trauer überwältigen lassen. Neben ihm niederknien, ein letztes mal seine Hand halten, Abschied nehmen und ihm danken für alles, was er für mich getan hat.
 

Doch diese Welt erlaubt keine Trauer. Die Sonne steigt höher und höher und schon bald wird sich die Höhle in einen Glutofen verwandeln. Die Salzsäure Lachen werden verdampfen und alles Organische, was sich dann noch an diesem unwirtlichen Ort befindet, zersetzen. Keine Zeit für Trauer. Keine Zeit für eine angemessene Beerdigung. Ich werde mich tief in den Berg zurückziehen müssen, um die Hitze des Tages zu überstehen. Den toten Körper meines Vaters werde ich den Salzsäuredämpfen überlassen müssen. Was für ein schreckliches Ende. Andächtig schließe ich seine Augen und halte für einen Moment inne.
 

"AAH"

Ein Stöhnen hallt durch das Gewölbe. Blitzschnell ergreife ich mein Schwert. Das Drachenjunge. Sollte es noch hier sein? Der Kadaver versperrt mir die Sicht auf den hinteren Teil der Höhle. Behände springe ich auf meine Beine und klettere über den gebeugten Hals des Drachenweibchens auf die andere Seite.

"Bei den Göttern!"

Auf einer Moräne aus Geröll liegt ein Mädchen. Gekrümmt vor Schmerzen, die nackten Arme und Beine vom Körper fortgestreckt, ihr einfaches weißes Kleid getränkt von blutigen Wunden, ihr Gesicht unter einem Schwall braunrot schimmernden Haares verborgen. Ein seltsames Gefühl ergreift mich. Erbarmen? Mitgefühl? Dieses arme, hilflose Mädchen löst einen Beschützerinstinkt in mir aus. Wo mag sie bloß hergekommen sein?
 

Vorsichtig hetze ich über das Geröll, bemüht, die Steine nicht ins Rutschen zu bringen. Das Mädchen wimmert leise vor sich hin. Sanft ergreife ich ihre Schulter und drehe sie auf den Rücken. Sie ist so schwach und zart. Ich knie neben ihr nieder, hebe ihren Kopf mit meiner Hand sanft an und streiche ihr das mittelgescheitelte Haar aus dem Gesicht. Sie hat ein ebenmäßiges Antlitz mit hübschen, schmalen Lippen. An ihren Ohrläppchen baumeln kleine, tropfenförmige Perlen. Ihre Lider zucken. Langsam, ganz langsam öffnet sie die Augen.

Bei den Göttern, ihre Pupillen sind klar und ihre Iris ist von tiefer dunkelbrauner Farbe. Wie kann das sein? Nur wir Drachentöter haben klare Augen, nur wir wagen uns ans Licht. Der Rest der Menschheit lebt tief unten in den Höhlen, umgeben von ewiger Dunkelheit. Ihre Augen sind seit Generationen trüb und farblos, angepasst an das Leben im schwachen Licht der Pechfackeln. Doch dieses Mädchen muss in der Helligkeit wandeln. Aber sie ist nicht von unserem Stamm, nein ganz sicher nicht.
 

Verwirrt starrt das Mädchen mich an. Plötzlich funkelt es in ihren Augen, als würde sie mich erkennen. Wie aus heiterem Himmel richtet sie sich auf und beginnt, wild auf mich einzuschlagen. Wie ein Regen prasseln ihre kleinen Fäuste auf meinen Brustpanzer nieder.

"Hey, langsam, was soll das, ich habe dir doch nichts getan?!"

Doch dieses Aufbäumen scheint all ihre Kraft verbraucht zu haben. Hilflos sinkt sie in meine Arme. Sie ist wieder ohnmächtig geworden.
 

Was war denn das? Und was mache ich jetzt mit ihr? Mein Plan war es, mich heimlich in die Höhlen des Volkes zu schleichen, dessen Drachen wir getötet haben. Dort wollte ich mich verstecken, bis ich in der Kühle der Nacht zu meinem Stamm zurückkehren kann. Doch dieses arme Geschöpf braucht dringend Hilfe. Dafür muss ich sie schnellstmöglich zu diesen Menschen bringen. Aber wir haben ihren Schutzdrachen getötet, im guten Willen, sie zu befreien und mit unserem Stamm zu vereinen. Um dafür nicht auf der Stelle getötet zu werden, bedarf es Diplomatie, sehr viel Fingerspitzengefühls und eines imposanten Auftretens. Nichts davon habe ich, noch nicht. Vater hat diese Verhandlungen geführt und ich habe ihn stets dafür bewundert. Nun ist er tot. Werde ich in seine Fußstapfen treten können? Oft genug beobachtet habe ich ihn ja. Aber lieber würde ich mich wie ein Dieb in der Nacht davonstehlen. Und dieses arme Mädchen seinem Schicksal überlassen? Nein, so feige bin ich nun auch wieder nicht.
 

Fortsetzung folgt...

Marsch durch die Dunkelheit

Vorsichtig hebe ich sie hoch. Sie ist leicht wie eine Feder, was für ein Glück. Ich lege sie über meine Schulter, so habe ich wenigstens noch eine Hand frei, um mich festhalten zu können. Schon für mich allein ist der Abstieg durch die Katakomben in das Innerste des Bergmassivs gefährlich und beschwerlich. Mit ihr wird es ein riskantes Abenteuer. Doch ich muss ihr helfen, ich muss einfach. Wie beseelt bin ich von dem Gedanken, sie zu retten und nochmals in ihre wunderschönen, klaren braunen Augen zu blicken. Dieses Mädchen hat mich berührt, mich verändert, als hätte sie mich verzaubert. Warm und weich liegt sie auf meiner Schulter, während ich meinen Weg durch das Geröll suche. Sie riecht so gut.
 

Ah verdammt, ich muss aufpassen. Beinahe wäre ich auf dem losen Gestein ausgerutscht und den Abhang hinab gestürzt. Aus dem Gewölbe führt ein Gang tiefer in den Berg hinein. Eng ist es hier, stickig und muffig. Mit Mühe und Not klettere ich über Stalagmiten und versuche mit dem Kopf den Stalaktiten auszuweichen. Hoffentlich komme ich im Labyrinth der Gänge nicht vom Weg ab. Ich bin ein guter Fährtenleser, darauf hat Vater stets geachtet. Doch ein ums andere mal habe ich uns auch schon in die Irre geleitet. Dann musste Vater uns auf den rechten Weg zurückführen. Ach Vater, ich vermisse dich schon jetzt so sehr, wie soll ich bloß ohne dich zurecht kommen?

Der Höhlengang fällt zunehmend ins Dunkle. Nur vereinzelt dringen noch verirrte Sonnenstrahlen bis hier unten vor. Aufmerksam taste ich mich durch die Dunkelheit. Es hat keinen Zweck, ich werde eine Pechfackel entzünden müssen.
 

Vorsichtig lege ich das Mädchen zu Boden, um eine Fackel aus meinem Köcher zu ziehen. Es dauert eine Weile, bis ich sie mit dem Feuerstein und ein wenig Zunder zum Brennen bekomme.

"Oh nein!" Im flackernden Licht der Pechfackel entdecke ich, dass ein riesiges, schwarzes Loch vor uns aufklafft. Zwei, drei Schritte weiter und wir wären hineingestürzt. Vorsichtig leuchte ich mit der Fackel in die Dunkelheit. Du meine Güte, nur wenig mehr als zwei Fuß breit führt der Pfad zu meiner Linken über dem Abgrund an einer Steilwand entlang. Mit dem Fuß stoße ich einen Kiesel hinab. Und lausche. Zunächst höre ich gar nichts. Dann, ganz entfernt: "KLACK - KLACK, klack, klack". Dieser Abgrund muss unendlich tief sein.
 

Wie soll ich das bloß schaffen? Das Mädchen, die Pechfackel und mich selbst festhalten? Ich habe doch nur zwei Hände! Es nutzt nichts, ich werde sie irgendwie an mir festbinden müssen, dann bekomme ich wenigstens eine Hand frei. Ich nehme das Seil von meinem Gürtel und verbinde ihre Füße damit, als wollte ich sie fesseln. Dann hebe ich die Kleine auf meinen Rücken und verknote ihre Hände vor meiner Brust. Den Rest des Seiles schlinge ich mehrfach wie einen Gürtel um meine Hüfte und ihren Körper und knote die beiden Enden so fest es geht vor meinem Bauch zusammen. Fertig. Ja, so könnte es gehen. Ich beuge mich ein paar mal auf und ab, doch die Verbindung hält, ohne zu rutschen. Vorsichtig nehme ich die Fackel in meine Rechte und taste mich seitwärts mit dem Rücken zum Abgrund die Felswand entlang.

Hoffentlich wacht das Mädchen jetzt nicht auf. Sich gefesselt auf meinem Rücken über dem dunklen Abgrund wiederzufinden, würde sie sicherlich in Panik versetzen.
 

Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor, bis wir die Steilwand endlich passiert haben. Aber auch danach bleibt es ein beschwerlicher Marsch. Felsabgänge, Wassereinbrüche und Geröll sorgen dafür, dass ich nur langsam voran komme. Immer tiefer dringen wir in das Bergmassiv vor. Langsam fällt die Temperatur, doch die Anstrengung treibt mir weiter den Schweiß aus den Poren. War das Mädchen anfangs noch leicht wie eine Feder, kommt sie mir nun bereits schwer wie ein Sack Kohlen vor. Ich entzünde die dritte Pechfackel und noch immer ist keine Menschenseele in Sicht. Sollte ich mich verlaufen haben?
 

Fortsetzung folgt...

Ein unerfreulicher Empfang

Plötzlich weitet sich der Gang. An einem Abhang entlang führt der Pfad in ein riesiges Gewölbe. Wie ein dunkles, unterirdisches Tal liegt es vor mir. Hier müssen doch Menschen siedeln, dieser Ort erscheint wie geschaffen dafür. Aber bislang sehe ich nur den Widerschein meiner eigenen Fackel. Doch halt. Ein schwacher Luftzug weht mir einen Geruch entgegen, sauer und übel, dass sich mir der Magen umdreht. Der typische "Duft" der Höhlenbewohner. Sie sind also hier, verstecken sich irgendwo hinter den Felsblöcken, lauern, beobachten mich mit ihren trüben großen Augen und warten auf eine gute Gelegenheit, über mich herzufallen. Ich nehme die Fackel in meine Linke und kralle meine Rechte am Knauf meines Schwertes fest. Das kalte Metall zu fühlen vermittelt mir ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Dann dringt das Prasseln schwerer Stiefel und metallischer Rüstungen an mein Ohr. Aha, das Empfangskomitee, meine Ankunft scheint sich herumgesprochen zu haben. Dann sehe sich sie. Um eine Felsnase herum marschiert gut ein Dutzend Soldaten auf mich zu. Silbern glänzen ihre Rüstungen im Schein der Pechfackeln. Ihr Hauptmann baut sich mit geschwollener Brust vor mir auf und brüllt mit fester Stimme: "Übergebt uns die Prinzessin und legt euer Schwert nieder!"
 

Prinzessin? Damit hatte ich nicht gerechnet. Noch fester umklammere ich den Knauf meines Schwertes, bis die Knöchel weiß hervor treten. Ich beiße die Zähne zusammen und blinzle die Soldaten böse an. Es hat keinen Zweck. Es sind zu viele und sie sind zu gut gerüstet. Ich ziehe mein Schwert aus der Scheide und mannigfaltig schallt das Säbelrasseln der feindlichen Soldaten von den Höhlenwänden wieder.
 

"Halt, halt, ich will sie doch bloß losschneiden!"

Mit einem Hieb trenne ich das Seil vor meiner Brust und werfe mein Schwert dem Hauptmann vor die Füße. Vorsichtig nehme ich das Mädchen von meinem Rücken in meine Arme und strecke es den Soldaten entgegen. Unsanft entreißen sie mir die Kleine, hilflos muss ich zusehen, wie zwei grobschlächtige Kerle sie davon tragen. Alles, wirklich alles in mir sehnt sich danach, die Prinzessin zurückzuerobern.

"Fesselt ihn und verbindet ihm die Augen!"

Brutal binden sie mir mit meinem eigenen Seil die Hände auf den Rücken. Scharf schneiden sich die groben Fasern in meine Handgelenke. Dann wird es dunkel um mich, einer der Soldaten hat mir ein muffiges Tuch um die Augen gebunden.

"Vorwärts!"

Von hinten erhalte ich einen heftigen Stoss und falle voran. Immer wieder stolpere ich über loses Geröll. Sicher würde ich ständig fallen, wenn nicht zwei Soldaten mich an den Oberarmen stets wieder nach oben reißen würden. Was für eine Qual. Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor, bis sie mich eine Treppe hinauftreiben. Oben angekommen stoßen sie mich brutal zu Boden und ziehen mir die Binde von den Augen. Unerwartet finde ich mich in einem prächtigen Saal wieder. Ich blicke auf einen kunstvoll gestickten Gobelin. Rot und blau schillert er und kündet von längst vergangenen Zeiten. Er zeigt einen Baum, über dem sich ein riesiger Vogel erhebt, Leben, das längst Geschichte ist und nur noch in den alten Sagen und Legenden existiert.
 

Vor dem Wandteppich steht ein mächtiger Thron, von dem sich ein stattlicher Mann mit einem dichten, weißen Bart erhebt. Sein Helm ist gekrönt mit Edelsteinen, dies muss der Herrscher dieses Volkes sein. Die Soldaten stellen die Prinzessin auf ihre Füße. Den Göttern sei Dank, sie ist wieder bei Bewusstsein!

Der König kommt langsam auf sie zu und mustert sie. Böse funkeln seine trüben Augen aus tiefen Höhlen unter dem weißen Gestrüpp seiner buschigen Augenbrauen.

"Vater..."

"Nadezhda! Du wagst es, in dieser Gestalt vor mir zu erscheinen?" Der König holt aus und streckt sie mit einem Schlag seiner flachen Hand zu Boden.

Ich will aufspringen, der Kleinen zu Hilfe eilen, so kann er seine Tochter doch nicht behandeln. Doch die Soldaten drücken mich brutal an meinen Schultern zurück auf die Knie. Hass steigt in mir auf. Am liebsten würde ich diesen Despoten mit bloßen Händen erwürgen.

"Empfindest du denn gar keine Verantwortung für dein Volk?"

Prinzessin Nadezhda liegt am Boden und kämpft mit den Tränen. Langsam wendet sie ihren Kopf zu mir und blickt mich durch eine Strähne ihres rotschimmernden Haares mit ihren tiefbraunen Augen hilfesuchend an. Blassrot prangt der Abdruck der Hand ihres Vaters auf ihrer zartweißen Wange. Ein Kloß steigt in meinem Hals auf. Mit aller Kraft bäume ich mich auf, versuche um mich zu schlagen und mich zu befreien, doch die Soldaten halten mich fest im Griff.
 

"Schafft sie in ihre Gemächer und bringt sie zur Besinnung!"

"Wie könnt ihr so mit ihr umgehen, seht ihr denn nicht, dass sie schwer verletzt ist?", platzt es aus mir heraus.

Schweren Schrittes kommt der König auf mich zu und blickt mir tief in die Augen.

"Das sagt gerade der, der für ihr Dilemma verantwortlich ist? Du hast schwere Schuld auf dich geladen, Drachentöter." Verächtlich spuckt er mir ins Gesicht. "Dafür wirst du büßen müssen. Werft ihn in den Kerker!"

Die Soldaten lachen dreckig und zerren mich davon.
 

Fortsetzung folgt...

In der Arena

Im Dunkel der Zelle komme ich langsam zur Besinnung. Nach und nach baut sich das Adrenalin in meinen Adern ab und der Schmerz kehrt in meinen Körper zurück. Meine Wunden beginnen zu brennen, ich hatte sie ganz verdrängt. Erschöpft breite ich mich im Staub auf dem Boden des Verlieses aus und starre zur Decke. Ein seltsames Gefühl überkommt mich, als wäre das Mädchen noch bei mir. Noch immer spüre ich sie, noch immer rieche ich sie, als wäre sie weiterhin auf meinen Rücken gefesselt. Ich taste mit den Händen nach meinem Hals, doch ihre sanften Arme sind nicht mehr dort, ich taste nach meinem Rücken, doch ihr warmer Körper ist verschwunden. Dennoch spüre ich sie ganz in meiner Nähe. Halluziniere ich? Ich sehe meine Mutter, wie sie lacht und davon erzählt, dass auch ich mich eines Tages in ein Mädchen verlieben würde. Dass sie mein Herz erobern und mir den Kopf verdrehen würde. Für mich war das immer Weibergeschwätz. Wir Jungs wollten kämpfen, Helden sein, an Mädchen zu denken erschien uns albern. Doch nun? Sollte es das sein? Sollte ich mich verliebt haben? Nein, undenkbar.
 

Ich falle in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Plötzlich weckt mich ein furchterregendes Grollen. Es scheint direkt durch den Boden der Zelle zu dringen. Ein Drache! Ein Drachentöter spürt seinen Feind, selbst durch meterdickes Gestein. Das Junge lebt also noch. Vermutlich verdanke ich diesem glücklichen Umstand mein Leben.
 

Das Grollen des Drachens begleitet mich fortan. Stunde für Stunde, Tag für Tag. Wie viele? Ich weiß es nicht. Im Dunkel der Zelle ist mir jegliches Gefühl für die Zeit abhanden gekommen. Mir bleibt nur zu zählen, wie oft der Wärter lustlos mit dem Fuß einen Blechnapf mit ekelig stinkenden, gelben Schleim in meine Zelle stößt. Die ersten drei male konnte ich noch wiederstehen, doch inzwischen würge ich das Zeug in mich hinein, als würde ich nichts Besseres kennen. Es ist wohl bereits der siebte Napf, über den ich mich mit Heißhunger her mache, als das Rasseln von Schlüsseln im Schloss meiner Zellentür mich hochschreckt.
 

„Steh auf und zieh dich an!“

Anziehen, der ist gut. Stiefel und Rüstung haben sie mir weggenommen. Eilig schlüpfe ich in mein Gewand, dann zerren mich zwei kräftige Soldaten auch schon an den Armen nach draußen. Barfuss treiben sie mich durch die finsteren Gänge der Festung. Ich bin zu geschwächt, um noch irgendeinen Widerstand leisten zu können.
 

Durch eine Tür schubsen sie mich in ein gleißendes Licht.

Eine künstliche Sonne! Ich habe Geschichten davon gehört, doch würde ich sie nicht mit eigenen Augen sehen, ich würde es nicht glauben. Strahlendweiß hängt sie an straff gespannten Seilen über mir.

Langsam gewöhne ich mich an die Helligkeit. Im Halbdunkel um die künstliche Sonne herum erkenne ich Tribünen, die aufsteigenden Ränge dicht an dicht besetzt mit schwatzenden, glupschäugigen Unterweltlern. Eine Arena. So sieht also meine Strafe aus. Sie wollen sich noch an mir belustigen, bevor sie mich umbringen.
 

Über einem riesigen, zweiflügeligen Holztor prangt eine Loge, in welcher der König mit seinem Hofstaat Platz genommen hat. Aber wo ist Prinzessin Nadezhda? Ich kann sie nirgends entdecken. Hoffentlich ist es ihr gut ergangen.

Der König erhebt sich und der Pöbel verstummt.

„Wohlan, tapferer Drachentöter...“ Er spricht die Worte mit soviel Ironie, dass ein grunzendes Lachen durch die Menge wogt.

„ihr erhaltet Gelegenheit, Euch zu bewähren. Tötet ihr unseren Drachen, so werden wir uns euch anschließen...“, das Grunzen schwillt zu einem lauten Brüllen an und selbst der König hält sich den Bauch vor Lachen, als hätte er einen guten Witz gemacht.

Ohne Schwert und Rüstung gegen einen Drachen zu kämpfen - wohlwahr ein aussichtsloses Unterfangen.

„tötet der Drache euch, so ist eure Schuld gesühnt. Wohlan, möge der bessere gewinnen.“

Der König klatscht in die Hände und einige Bedienstete stürmen herbei, um die mächtigen Flügel des Tores zu öffnen. Flugs bringen sie sich hinter den Absperrungen der Arena in Sicherheit.
 

Beängstigendes Grollen erklingt aus den Tiefen der Toröffnung. Dann, mit einem Satz stürzt es aus der Dunkelheit auf mich zu: Das Drachenjunge! Blau schillert sein massiger Körper im Licht der künstlichen Sonne. Haushoch ragt sein mit grünen Schuppen bedeckter Hals vor mir auf. Seine riesigen, krallenbewehrten Schwingen, den Flügeln einer überdimensionalen Fledermaus gleich, schlagen auf und ab und wirbeln Staub in mein Gesicht.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Langsam bewege ich mich rückwärts, blicke nach links, blicke nach rechts, doch es gibt keinen Ausweg, ich bin dem Drachenjungen ausgeliefert. Sicher wird es seine Mutter rächen wollen. Blitzschnell rast sein Kopf auf mich nieder, das zahnbewehrte Maul weit geöffnet. Ich springe zur Seite, hetze in seinen Rücken. Die Schnelligkeit ist mein Vorteil. Doch was soll ich tun? Hilflos blicke ich auf seinen mit scharfen Wirbelzacken gepanzerten Rücken. Ich habe nichts, aber auch gar nichts, mit dem ich ihm Schaden zufügen könnte.
 

Wie eine Peitsche schlägt sein Schwanz um sich, bemüht, mich mit dem Dorn an seiner Spitze zu erwischen. Ich brauche all meine Schnelligkeit, all meine Konzentration, um den präzisen Schlägen auszuweichen. Behäbig dreht sich der Drache, schlägt mit seinen gewaltigen Schwingen und erhebt sich ein stückweit über den Boden. Gierig streckt er seine messerscharfen Krallen nach mir aus. Ein Raunen geht durch das Publikum. Was soll ich tun? Es hat keinen Sinn. Ich schließe die Augen, breite meine Arme aus und lasse mich auf die Knie fallen. Ich ergebe mich meinem Schicksal. Nun töte mich schon, worauf wartest du noch?

Drachenflug

Doch nichts passiert. Dabei ist er genau vor mir, schmerzend spüre ich seinen heißen Atem in meinem Gesicht. Vorsichtig hebe ich meine Lider – und blicke direkt in die schlitzförmigen Pupillen seiner schwefelgelben Augen. Irgendetwas ist dort, irgendetwas blinzelt in diesen Augen, irgendetwas, das ihn davon abhält, mich zu töten. Dann beginnt er wieder mit den Flügeln zu schlagen, wie Schwerthiebe zerschneiden seine Schwingen die Luft. Langsam steigt er höher, bis sein schuppiger Körper direkt über mir kreist. Als wäre ich seine Beute, lässt er seine Krallen auf meine Schultern niederfahren und reißt mich in die Höhe.
 

Mit einem Ruck verliere ich den Boden unter meinen Füssen. Mein Puls rast, Todesangst keimt in mir auf. Der Drache fliegt so dicht über die Tribünen hinweg, dass das Publikum versucht, johlend meine Beine zu ergreifen. Dann, mit zwei, drei kräftigen Flügelschlägen, gewinnt er an Höhe und steigt über die künstliche Sonne hinaus. Im Augenwinkel sehe ich noch, wie der König einem Gefolgsmann zufrieden auf die Schulter klopft. Bilde ich mir das nur ein, oder strahlt ein Lachen in seinem bärtigen Gesicht?

Der Pöbel dagegen tobt. "Buh", "Pfui" rufen sie und werfen dem Drachen nach, was ihnen in die Finger kommt. Sicherlich fühlen sie sich um das Spektakel betrogen. Was hat der Drache mit mir vor, warum hat er mich nicht gleich in der Arena getötet? Hilflos baumle ich in seinen mächtigen Krallen und versuche, die Angst zu verdrängen, um wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
 

Sein Flügelschlag wird langsamer und regelmäßiger. Aus dem Rund trägt er mich hinaus in das dunkle Tal. Aber was sage ich, es ist gar nicht mehr dunkel! Deshalb hatten sie mir die Augen verbunden! Wie ein Flickenteppich breiten sich braune und grüne Felder unter mir aus, beschienen vom Licht dutzender künstlicher Sonnen. Bewässerungsgräben mit frischen, klaren Quellwasser versorgen die Felder bis in die entlegensten Winkel. Bei den Göttern, dieser Stamm ist wahrlich gesegnet. Die Höhlenbewohner auf den Feldern blicken erstaunt zu uns auf, lassen Hacken und Schaufeln fallen und winken uns zu. Dunkle, runde Brillengläser schützen ihre trüben Augen vor dem Licht der künstlichen Sonnen.
 

Der Drache gleitet ruhig durch den Luftstrom, der sanft das Tal durchfließt. Immer enger rücken die Talränder an uns heran, mir scheint es fast, als würden sie zu einem einzigen Punkt zusammenzulaufen. Genau darauf hält der Drache zu. Wie in einer Düse wird der sanfte Wind in diesem Trichter beschleunigt, schwillt an zu einem Sturm, der Staub und kleine Steinchen umherwirbelt, die sich schmerzend in mein Gesicht schneiden.
 

Schaukelnd steuert der Drache durch den Luftsog. Dann, die engste Stelle haben wir gerade passiert, fliegen wir in einen senkrecht aufsteigenden, nicht enden wollenden Kamin. Meine Güte, die Wände sind grob behauen, man kann noch die Abdrücke der Spitzhacken erkennen. Dies muss Menschenwerk sein. Ich kann es kaum glauben. In Wirbeln strömt die heiße Luft nach oben, auf ein winziges Pünktchen Tageslicht zu. In Kreisbahnen gewinnt der Drache langsam an Höhe. Mir kommt es wie eine Ewigkeit vor, dann, plötzlich, als würde der Kamin uns ausspucken, bin ich umgeben von Licht. Die Mittagssonne! Schweiß rinnt aus all meinen Poren. Würde der Drache mich nicht mit seinem gewaltigen Körper beschatten – ich würde auf der Stelle verbrennen.
 

Unter mir breitet sich ein vertrocknetes Tal aus. Doch was ist das? Auf hohen Türmen drehen sich Räder im Wind, dutzende und aberdutzende, der ganze öde Talboden ist damit bedeckt. Die alten Techniken, sie haben sie wiederentdeckt! Dies muss die Quelle ihrer Energie sein.
 

Der Drache steuert auf eine im Schatten liegende Felswand zu. Den Augen eines Totenschädels gleich, starren zwei kreisrunde Höhlenöffnungen aus dem rotbraunen Gestein. Der Drache holt aus und wirft mich mit Schwung in eine der Öffnungen. Mehrfach überschlage ich mich, bis ich gegen einen Holzpfosten pralle. Verwundert blicke ich auf und reibe mir meine schmerzende Stirn: Ein Bett, ich bin gegen ein Bett geprallt! Dieser Raum scheint eher für Menschen, denn für Drachen geschaffen zu sein. Ein Felsüberhang spendet angenehmen Schatten und die besondere Thermik des Tals sorgt für eine gleichmäßige Kühlung. Neben dem Bett steht eine Kommode mit einem Kerzenleuchter, darüber hängt ein Gobelin, ähnlich dem im Thronsaal. Fasziniert betrachte ich die Bilder darauf, Bilder aus längst vergangenen Zeiten, von der Zerstörung der großen Zivilisationen, von dem im Feuersturm versunkenen Meer der Fäulnis und von einem Mädchen, das engelsgleich vom Himmel hinabsteigt. Andächtig streiche ich mit meinen Fingerspitzen über das alte, brüchige Gewebe. Die Augen des Mädchens! Sie kommen mir merkwürdig vertraut vor.
 

Ein Knacken und Knirschen reißt mich aus meinen Gedanken. Der Drachen zwängt sich rückwärts durch die Höhlenöffnung. Erschrocken drehe ich mich um. Vom Boden bis zur Decke füllt er den Raum. Diese Höhle ist viel zu klein für ihn, warum hat er mich hier hergebracht? Ängstlich drücke ich mich mit dem Rücken an die Wand. Dann geschieht das Unerwartete. Mir scheint es, als würde der Drachen zu leuchten beginnen, eine grellgelbe Aura umgibt ihm, die immer heller, immer strahlender wird. Ich kneife die Augen zusammen. Im Inneren des Lichts glaube ich, den Drachen zusammenschrumpfen zu sehen, glaube zu erkennen, wie sein Schwanz sich in den Körper zurückzieht, seine Kopfschuppen zu braunroten Haar zerfließen, seine blauen Schuppen zu einem seidig glänzenden Kleid verschmelzen und seine krallenbewehrten Flügel und Klauen sich in die zarten Hände und Füße eines anmutigen Mädchens verwandeln.
 

"Prinzessin Nadezhda?“

Kann es möglich sein? Mit dem Rücken zu mir, den Blick weit über das Tal gerichtet, murmelt sie leise: "Ich bin eine Drachenwandlerin.“
 

Fortsetzung folgt...

Vereinigung

Nur langsam gelingt es mir, die Fassung wiederzugewinnen und ihr zu lauschen.

„Vor Generationen, als wir begannen, die ersten Drachen zu züchten, ist eine meiner Vorfahrinnen eine Symbiose mit einem Drachen eingegangen. Diese Gene wurden weitervererbt, von der Mutter zur Tochter, von Generation zu Generation. Meine Vorfahrinnen empfingen als Menschen und gebaren als Drachen. Wie sie muss auch ich mich bis zu meinem 18. Lebensjahr entscheiden, was ich sein will, Drache oder Mensch, danach gibt es kein zurück mehr."
 

Ich mustere sie. Ihre zarten Schultern, ihre schmalen Hüften, ich schätze sie auf höchstens 16. "Da hast du ja noch ein wenig Zeit", lache ich. Langsam weicht die Spannung aus meinem Körper.

Unvermittelt dreht sie sich zu mir um. Ein Lächeln huscht über ihre schmalen Lippen. Ihr rotbraunes Haar flattert im Wind und die kleinen Perlen an ihren Ohrläppchen baumeln auf und ab. Auf die Brust ihres Kleides ist das Abbild eines Drachens gestickt, des Drachen, der sie gerade noch selbst war. Entwaffnend strahlt sie mich aus ihren großen braunen Augen an.
 

"Und nun? Willst Du mich nicht töten? Jetzt hättest du Gelegenheit dazu."

Ich merke, wie ich rot werde. "Ich... äh.... nein, natürlich nicht. Hegst du denn keinen Groll gegen mich?"

"Wegen meiner Mutter? Dein Vater und meine Mutter haben sich gegenseitig getötet. So ist das nun einmal im Krieg. Natürlich hege ich Groll. Aber nicht gegen euch. Ich hege Groll gegen diesen Krieg und gegen die Menschen die ihn führen."

Betreten blicke ich zu Boden.

"Aber ihr Drachentöter seit töricht. Zu glauben, dass die Drachen das Problem sind. Es sind die Menschen, sie werden weiter Krieg führen, auch wenn alle Drachen tot sind."
 

Langsam wendet sie sich von mir ab und blickt wieder auf das Tal hinab.

"Das Tal der Winde. Dort hat mein Stamm früher gelebt. Damals, bevor die Drachen kamen. Dort lebte auch eine berühmte Vorfahrin von mir. Sie hatte ebenso kühne Pläne wie ihr. Man sagt mir eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr nach, doch das sind nur Äußerlichkeiten."

"Das Mädchen auf dem Wandteppich?"

Nadezhda nickt kurz mit dem Kopf.

"Auch sie wollte die Menschheit auf den Pfad der Tugend zurückführen. Doch was ist geschehen? Unser fruchtbares Tal wurde zerstört, wir selbst mussten es niederbrennen aus Furcht vor den giftigen Sporen. Und dann mussten wir uns in die Höhlen zurückziehen. Nein, diesen Traum habe ich ausgeträumt."
 

"Wenn du das sagst, klingt das so aussichtslos, aber glaube mir, es gibt Hoffnung. Du musst kein Drache werden. Du kannst eine Frau werden. Ich werde dich beschützen, mein ganzer Stamm wird euer Volk beschützen. Es wird euch an nichts mangeln."

Ich breite meine Arme aus, möchte sie an mich drücken, doch kurz bevor ich ihre zarten Schultern berühre, zucke ich zurück. Mit einem Ruck wendet sie sich zu mir und blickt mir direkt in die Augen.

"Du bist so süß."
 

Unvermittelt drückt sie mich an sich. SIE drückt MICH an sich! Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht. Hilflos stehe ich da, die Hände hinter ihrem Rücken, ohne zu wagen, sie zu berühren.

Mein Herz rast, wilder, fester als im Kampf gegen den schrecklichsten Drachen. Bei den Göttern, sie wird es spüren! Ihr Kopf liegt direkt auf meiner Brust. Ist das peinlich.
 

Nur langsam, ganz langsam traue ich mich, sie zu umarmen. Ihr Haar riecht so gut. Ganz tief atme ich ein, als könnte ich sie in mich hineinsaugen. Sie blickt zu mir auf und wie ein Magnet zieht es mich zu ihr hin. Erst stupsen unsere Nasen aneinander, dann berühren sich unsere Lippen und dann spüre ich auch schon ihre Zunge in meinem Mund. Wir küssen uns, küssen uns, wie ich noch nie zuvor einen Menschen geküsst habe, küssen uns, wie nur Verliebte das tun. Alles um mich herum dreht sich, nein, wir drehen uns, engumschlungen tanzen wir durch den Raum. Ich fühl mich wie im Rausch. Auf einmal stolpere ich rückwärts, lande mit dem Rücken auf dem Bett. Wir wälzen uns umher, küssen uns noch immer, eine Hitze steigt in mir auf, als würde ich verbrennen.
 

Plötzlich ist sie über mir. Sie strahlt über das ganze Gesicht, ihre Wangen leicht gerötet. Bei den Göttern, diese Augen! Ich könnte darin versinken. Knopf für Knopf beginnt sie mein Hemd zu öffnen. Ich will etwas erwidern, doch sie macht nur „Psst!“ und legt mir zwei Finger auf den Mund.
 

Schüchtern öffne ich Ihr Kleid und streife es von ihren schmalen Schultern. Sanft streiche ich über ihre Rückenwirbel, kaum zu glauben, dass dies gerade noch die Wirbelzacken eines Drachen waren. Ihre Haut ist so warm, so zart, so weich, keine Spur von einer Schuppe. Wir reiben uns aneinander, können gar nicht genug voneinander bekommen. Unsere Körper eng umschlungen, als wären wir eins, wälzen wir uns über das Lager.

Noch nie habe ich mich mit einem Mädchen vereinigt. Dies wird mein erstes Mal sein.

Ende und Anfang

Der donnernde Flügelschlag eines Drachens reißt mich aus einem tiefen, wohligen Schlaf. Eines Drachens? Entsetzt springe ich auf, stürme zu der Höhlenöffnung. Majestätisch kreist ein Drache über dem Tal der Winde.
 

„Nadezhda, NEEEEEEIIIIIIIIIIIIN!“

Ich schreie mir die Lunge aus dem Hals, beuge mich weit über die Felsbrüstung, so weit, dass die heißen Aufwinde meine Wangen fast versengen. Unerwartet legt sich eine faltige Hand auf meine Schulter und zieht mich zurück. Erschrocken drehe ich mich um und blicke in das bärtige Gesicht des Königs. Wie ist er hier hergekommen?
 

„Sie hat mich hergeflogen, als du noch schliefst“, verständnisvoll blickt er mir in die Augen, „Sie möchte, dass ich dir erkläre...“

"Warum“, unterbreche ich ihn, „warum hat sie das getan? Es gab doch keinen Grund!“

Verzweiflung macht sich in mir breit. Sollte ich das, was ich gerade erst gewonnen, was ich begehre, wie sonst nichts auf dieser Welt, schon wieder verloren haben?

"Gräme dich nicht", sagt er mit überraschend weicher Stimme "sie hatte sich doch längst entschieden."

Fragend blicke ich in seine Augen.

"Aber... aber sie ist doch noch keine 18, sie musste sich doch noch nicht entscheiden, oder? Bitte sage mir, dass sie noch keine 18 ist!"

Ein Lächeln huscht über sein Gesicht.

"Nun, Nadezhda wirkte schon immer ein wenig jünger. Ich weiß es noch, als ob es gestern wäre. Glaube mir, heute vor 18 Jahren ist sie aus dem Ei geschlüpft!"

"NEIN!" Ich schlage meine Hände vors Gesicht, Tränen fließen mir durch die Finger und mein ganzer Körper zittert vor Verzweiflung.

Vorsichtig nimmt der König meine Hände und lässt seinen Blick zu Nadezhda schweifen. Wie er sie betrachtet – er muss sie lieben, sicher ebenso wie ich, das wird mir jetzt klar.

„Dann liebt sie mich gar nicht?“, frage ich mit verheulten Augen.

„Doch sie liebt dich, mehr als alles andere, das musst du mir glauben. Doch sie kennt ihre Verantwortung gegenüber ihrem Volk.“

Tröstend drückt er mich wie ein Vater an sich.

„Sie wird jetzt eine Weile beschäftigt sein. Sie muss doch das Nest bauen. Das Nest für...
 

eure TOCHTER!"
 

THE END



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Isogi
2007-05-05T14:28:42+00:00 05.05.2007 16:28
wow^^voll geil! Ich war total überrascht! Ich wär nie darauf gekommen dass sie der drache ist! *fettlob*
Hassu echt super gemacht^^ Weiter so! XD
Von:  june-flower
2007-03-10T16:52:03+00:00 10.03.2007 17:52
Beeindruckend.
Das war das erste, was mir nach dem Lesen einfiel, eigentlich war es sogar das englische Wort, egal.
Ich kann nur sagen, dass deine FF einfach genial ist, die Handlung und die Charaktere und alles ist einfach perfekt, eine absolut geniale Geschichte!
Und total schön zu lesen. Dein Stil ist echt klasse! Meine Hochachtung und ein riesiges Lob!
june
Von: abgemeldet
2007-02-24T20:02:15+00:00 24.02.2007 21:02
ich liiiieeebe deinen schreibstil!!! du drückst dich echt schön aus, und deine story ist auch nicht schlecht (wenn auch zum schluss traurig T_T).
tolle idee, die du hattest, ich persönlich wäre nie darauf gekommen. (naja, ich habe auch noch nie darüber nachgedacht, wie nausicaä (absolut schöner film) weitergehen könnte.)
also dickes lob von meiner seite!


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