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Vorbeigeschwiegen

Warum hast du nichts gesagt?
von

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Lukas Abling

Ich will nicht lange drumherum reden, ich bin kein Freund dieser langen und nervenaufreibenden Anfänge. Ich liebe es auch nicht, wenn am Anfang einer Geschichte sofort mit irgendwelchen typischen oder theatralischen Floskeln begonnen wird. Deshalb werde ich nun nicht lange herum drucksen oder versuchen einen Roman oder gleich ein Oskarreifes Drama daraus zu machen und hier aufzuschreiben.

Dies hier ist eine Geschichte. Doch es ist nicht irgendeine Geschichte.
 

Es ist meine Geschichte!
 

Ein bisschen Einleitung muss allerdings sein, mein Name ist Lukas Abling und ich bin Student einer Kunsthochschule im 3. Semester. Ich bin kürzlich 21 Jahre alt geworden und hatte bis zu meinem Geburtstag gedacht, ich währe der glücklichste Mensch auf Gottes Erde, doch dem war nicht so. Es sollte sich alles ändern, der Traum vom Glück verwandelte sich in einen Alptraum des Hasses.

All dies hat etwas mit meinem bis dorthin besten Freund Markus Corton zu tun. Markus ist ebenfalls Student, doch er studiert Literaturgeschichte und Ägyptologie ebenfalls im 3. Semester. Unsere beiden Universitäten sind sogar ganz in der Nähe, so dass wir uns gemeinsam eine kleine Wohnung gemietet haben. Wir kennen uns praktisch schon seit einer Ewigkeit, doch dass daraus mehr werden würde, hat jeder geahnt.

Jawohl, sogar seine damalige Exfreundin, hatte mit ihm Schluss gemacht und ihm gesagt, er sollte nicht so blauäugig sein und endlich einsehen, dass er sich in einen Jungen verliebt hat und noch dazu in seinen besten Freund! Das muss man sich einmal vorstellen und dann auch noch von seiner Ex!

Ich bin froh, dass ich mir so etwas von meiner Freundin nicht anhören musste, na ja, um ehrlich zu sein, ich hatte auch nur einmal eine Freundin, ihr Name war Christin, ich wollte damals nur testen wie das so ist mit einem Mädchen zusammen zu sein, doch es hat mich niemals so sehr gereizt wie die Anwesenheit eines hübschen jungen Mannes. Kurz um, ich bin schwul und das Mädchen. das damals das Vergnügen oder besser den Schaden hatte, mit mir zusammen zu sein, ist inzwischen eine meiner besten Freundinnen geworden und wir treffen uns noch immer häufig.

Doch wieder zurück zum Geschehen, man muss sich vorstellen, zwei süße Jungs, der eine ein Maler, der andere ein zukünftiger Schriftsteller. So etwas hat doch schon einen gewissen Reiz, oder?

Doch die ganze Misere begann an einem Freigagmorgen. Ich weiß gar nicht mehr, wie es geschah, doch in diesem Moment wurde mir zum ersten Mal wirklich bewusst, wie sehr wir uns doch unterschieden.

Man muss sich das Ganze so vorstellen, dass sich zwei Burschen Hals über Kopf ineinander verliebt hatten, doch im Laufe der Zeit stumpfte ihr Verhältnis ab. Dieser Prozess schritt nur langsam fort und das innerhalb von einem Jahr, doch nun war es soweit, dass es beide erkannten. Bis jetzt waren sie blind gewesen und ganz plötzlich war es da.

Dieses Gefühl, dieser Schmerz und diese Wut.

Ich erkannte erst jetzt wie weit wir in diesem Moment voneinander entfernt waren. Gemeinsam saßen wir beide am Esstisch und frühstückten stumm. Ich schlürfte nur schnell ein Müsli hinunter, während sich Markus ein Croissant mit Butter und Erdbeermarmelade gönnte. Versohlen blickte ich zu Markus hoch, der seine Zeitung wie jeden Morgen aufgeschlagen hatte und darin las. Man konnte sein Gesicht nicht sehen, nur seine braunen Haare lugten hinter der Morgenausgabe der Daily News hervor.

Ich konnte es mir in dem Moment nicht erklären, doch da war so ein eigenartiges Gefühl in meinem Bauch, ich konnte mir genauso wenig erklären, woher es kam. Vielleicht war auch einfach nur das alte Müsli daran schuld, doch in meinem Kopf kreisten Bilder. Bilder von Markus und mir, als wir noch glücklich waren. Damals haben wir nie so still am Tisch gesessen und haben unser beider Anwesenheit so als alltäglich geradezu als normal und selbstverständlich empfunden. Früher haben wir gemeinsam gelacht und noch Witze darüber gerissen, was der andere geträumt hat. Heute ist es so, dass wir schweigen. Früher hat Markus mir Spaß halber mein Essen geklaut und das obwohl er überhaupt kein Müsli mag, oder er hat mich zum Abschied geküsst, bevor er in die Uni musste. Heute ist das ganz anders. Heute werde ich als etwas grundsätzliches wahrgenommen, ich bin für ihn zu einem Möbelstück geworden, auf das man anfangs noch acht gibt und bei dem man jedes Staubkörnchen abwischt. Ja, genau das bin ich für ihn gewesen, ich war für ihn wie ein neues Sofa, auf das man sich nur vorsichtig hinsetzt und bei dem man nicht Essen darf, aus Angst man könnte einen Fleck auf die weißen Polster machen, ich war ein heiliges Stück für ihn, doch nun bin ich das nicht mehr. Ich bin für Markus nicht mehr so wichtig. Es ist inzwischen egal, ob man Flecken auf das Sofa macht, denn es ist alt und ramponiert. Man kann sich sogar darauf werfen, ohne Angst haben zu müssen, dass Federn in ihrem Inneren springen. Ich bin alt und nicht mehr neu und jetzt werde ich einfach abgewertet, ich kann nur noch darauf warten, ganz ausgetauscht zu werden von einem neuen Sofa, dass er wieder liebkosen wird und das er wie einen Schatz beschützen wird… zumindest am Anfang.

Doch andererseits, ich bin doch genauso, ich habe ihn doch auch vernachlässigt und inzwischen kämpfe ich auch nicht mehr um seine Gunst.

Stumm stehst du auf und bringst deinen Teller zum Geschirrspüler und räumst ihn klaglos ein. Dann nimmst du die Zeitung, wie jeden Morgen, in die Hand und faltest sie zweimal und legst sie auf den Stapel für das Altpapier, das ich danach wegräumen werde.

Ich beobachte dich, wie immer, genauso still und frage nur kurz, wann du wiederkommst. Doch es ist nicht die besorgte oder hoffende Frage, ob du bald wieder bei mir sein wirst, nein, es ist einfach nur eine Floskel, es ist wie wenn sich zwei Menschen auf der Straße treffen, die sich seit 10 Jahren nicht mehr gesehen haben und dann ein Gespräch anfangen mit den typischen Sätzen wie „Hallo, wie geht es dir? – Gut und dir?“ Es ist einfach nur ein kleines „Wann kommst du wieder?“ ohne große Emotionen oder Hoffnungen. Deine Antwort ist mir auch klar. Du antwortest wie jeden Morgen: „Wie immer, spät, ich muss noch in die Bibliothek. Also dann bye“ Früher hast du mich zum Abschied noch geküsst, dann ist nur noch der flüchtige Kuss auf die Stirn gekommen und nun küsst du mich überhaupt nicht mehr. Ich verstehe gar nicht warum ich das nie bemerkt habe, doch an diesem einen morgen scheint mir alles so entsetzlich klar zu sein. Nie habe ich wirklich wahrgenommen wie sehr wir uns entfernt haben und wie wenig wir beide uns noch um einander bemühen.

Stumm und ohne große Gefühle, selbst ohne mich noch einmal anzusehen, stapfst du hinaus. Ich sehe dir noch ein letztes Mal nach und dann mache auch ich mich fertig, um alles Übrige noch zu erledigen, bevor auch ich los muss.

Während ich also denn Müll hinausbringe, kommen mir tausend Gedanken und Erinnerungen, an die Zeit wie sie früher war. Zu gerne würde ich noch einmal mit dir lachen, mit dir Späße machen, doch das geht nicht mehr. Zeitweise ist es mir sogar sehr lieb und recht, wenn du weg bist, ich bin manchmal wegen einfachen Kleinigkeiten von dir derart in Rage, dass ich dich hasse. Jawohl, ich hasse dich, so tief bin ich schon gesunken und du hasst mich auch, das spüre ich. Doch gleichzeitig wollen wir es beide nicht. Ich denke, du weißt auch, was ich fühle und fühlst es selber.

Doch warum sagst du nichts, wenn du es doch auch spürst? Warum schweigst du?

Wenn ich einmal ernst mit dir reden will oder über meinen Tag spreche, dann giftest du mich nur an und ich gifte zurück, vorbei sind die Zeiten in denen wir nicht mehr von einander lassen konnten. Vorbei sind die Zeiten in denen wir und noch geliebt haben.

Inzwischen ist mir alles so egal geworden, doch warum ist das so?

Unsere Beziehung ist nur mehr ein Funke, der am verglühen ist, nur noch ein kleiner Windhauch und es ist vorbei, wenn wir es nicht mehr schaffen dieses Band zu knüpfen. Dann werden wir beide zugrunde gehen und uns gegenseitig hinunterziehen.

Meine damalige Freundin, Christin, hat mir einmal ein Gedicht geschrieben, an das ich gerade denken muss, und es passt so herrlich zu unserer derzeitigen Situation:

Ehre das Band der Freundschaft,

und reiß es nie entzwei!

Denn knüpft man es doch wieder,

der Knoten bleibt dabei!

Es stimmt. Wenn unsere Freundschaft nun wirklich reißt, dann wird es sehr schwer sein, sie jemals wieder zu flicken.

Inzwischen bin ich wieder oben in der Wohnung und will gerade meine Jacke zurück in den großen Schrank hängen, doch da fällt mir etwas auf, etwas das ich seit langen nicht mehr wahrgenommen habe.

Ein Bild!

Ein Gemälde, das ich einmal gemalt habe. Es ist alt und staubig. Ich habe es am Anfang unserer Beziehung gemalt. Damals haben Markus meine Bilder noch gefallen, doch jetzt nicht mehr. Inzwischen werden sie einfach nur noch so zur Kenntnis genommen.

Doch dieses Bild war einmal sehr wichtig für mich und jetzt merke ich erst, dass ich es seit Monaten überhaupt nicht mehr betrachtet habe. Doch wieso?

Das Bild habe ich von einem Foto nachgemalt, um das Foto selber niemals zu verlieren, habe ich es zwischen das Holz und das Spanntuch der Leinwand geklemmt. Behutsam hole ich das Foto aus seinem Versteck und betrachte es. Darauf sind zwei junge Männer zu sehen, der eine mit tief dunkelbraunen Haaren, der zweite mit damals gefärbt Roten. Beide lachen, wobei der etwas Größere mit den braunen Haaren den kleineren Rotschopf lachend von hinten umarmt. Man kann sofort auf dem Foto die Liebe und Wärme spüren, ein Gefühl, das ich lange nicht mehr gekannt habe und schon zu lange nicht mehr gefühlt habe. Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern, ich bin zwar um ein halbes Jahr älter als Markus, doch trotzdem um ein Stückchen kleiner als er. Ich habe eine Wette verloren und musste mir von meiner Freundin Christin meine Haare rot färben lassen. Inzwischen ist die Farbe wieder draußen und mein Haar wieder braun, doch es war süß, wie mich Markus angelächelt hat, als er mich als Rotschopf sah. Christin hat natürlich den Blick, mit dem er mich ansah, sofort durchschaut und hat ihn sofort zu einem Foto überredet und ich muss sagen, es ist das schönste Foto geworden, das ich je gesehen habe.

Ich habe das Foto als großes Leinwandportrait gemalt und verewigt. Es hängt nun direkt neben dem Kleiderkasten, wo es für jeden, der den Raum betritt, sofort ein Blickfang ist. Warum habe ich es dann nur so lange nicht mehr angesehen?

Ich spüre, wie noch mehr Trauer in mir hochsteigt und wie sich ein Klos in meinem Hals bildet.

Aufgelöst und völlig durcheinander wegen meiner Gefühle, gehe ich noch mal ins Wohnzimmer zurück und setze mich auf die Couch. Noch immer halte ich das Foto in meiner linken Hand, doch sie zittert. Meine Hand zittert während ich es betrachte und leise rinnen mir einzelne Tränen über die Wangen. So gerne würde ich mir die Zeit von damals zurückwünschen, doch dazwischen ist viel zu viel passiert und ich weiß gar nicht, wie ich das Ganze wieder einrenken sollte. So sitze ich jetzt da, schluchzend und mit einem Foto in der Hand, ein Foto das schon längst vergessen wurde. Ein Foto, das eine Zeit zeigt, die schon längst vergangen ist.

Eigentlich sollte ich schon längst weg sein – auf dem Weg zur Uni. Doch ich kann nicht, ich komme einfach nicht auf.

Und da höre ich das Schloss. Jemand sperrt die Türe auf und ich höre, wie schwere Schritte über den Flur gleiten. Auch wenn es ein Einbrecher sein sollte, wäre es mir in diesem Moment egal. Am besten wäre es, wenn er mich gleich erschießen würde. Doch dann sehe ich auch schon das Gesicht des Ankömmlings. Es ist Markus.

Erschrocken sieht er mich an: „Was tust du denn noch hier? Solltest du nicht schon längst in der Uni sein?“

In diesem Moment setzte all meine Trauer aus. Sie war vorbei. Dieser eine Satz und diese Tonlage dazu, sie brachten mich dazu, wieder auszusetzen und anstelle der Trauer kam ein anderes Gefühl wie auf Bestellung und es war die Wut.

Nur Markus bloße Anwesenheit machte mich wütend, mich machte die Art, wie er mich ansah und die Art, wie er es als störend klingen ließ, dass ich mich noch in der Wohnung aufhielt, wütend.

„Darf ich etwa nicht mehr hier sein?“, meine Antwort ist knapp, scharf und giftspritzend. Auch Markus Miene verfinstert sich ebenso wie meine. Jetzt geht es wieder los, wie beinahe jeden Abend, nur das es dieses mal Morgen ist. Normalerweise können wir uns kaum noch in die Augen sehen.

Wir kommen abends völlig entnervt von der Uni heim und dort giften wir uns gegenseitig an. Doch ich will mir das nicht mehr gefallen lassen. Wütend zeige ich ihm das Foto „Siehst du das? Was siehst du auf diesem Bild? – Und jetzt bitte ich dich, uns beide anzusehen! Sieh was aus uns geworden ist… „

Aber du siehst mich nur schweigend an, du weißt anscheinend nicht, was du sagen sollst oder wie du mich jetzt runtermachen kannst. Vielleicht tut dir diese Unterhaltung aber auch genauso weh wie mir.

Vielleicht tut dir diese Tatsache, dieses glückliche Bild anzusehen genauso weh wie mir, denn du sagst leise: „Anscheinend sind wir nun keine Freunde mehr… ich habe so lange gewartet das du etwas sagst…“ Ich glaube dir nicht. „Du hast mich doch immer nur ignoriert! Warum hast du nicht etwas gesagt?“ Der Schmerz steht uns beiden direkt ins Gesicht geschrieben, doch du bist diesmal der erste, der eine einzelne Träne in seinen Augen blitzen lässt. Ich habe dich erst einmal weinen gesehen und hoffte, ich müsste dies nie wieder, doch in diesem Moment war es mir so egal, in diesem einen Moment hasste ich dich.

Du hast nie etwas gesagt und ich auch nicht. Wir haben aneinander vorbeigeschwiegen, ohne etwas zu unternehmen oder zu sagen. Somit sind wir beide Schuld, wir haben beide das Gleiche gedacht und das falsche gemacht und ich frage mich immer noch…
 

… warum hast du nichts gesagt!
 

Fin

Markus Corton

Ich bin ein Mensch, der es liebt, wenn er lange reden kann. Ich rede viel und ich rede gerne. Doch mir ist manchmal nicht bewusst, dass ich mit meinem Gerede andere Menschen verletze oder störe.

Für mich gehört einfach dieser kitschige und klischeehafte Anfang dazu, man kann noch kurz einige seiner Gefühle loswerden und andere auf das kommende Vorbereiten.

Doch ich werde mich dennoch kurz fassen, damit die Geschichte endlich ihren Anfang haben kann.

Ja, ich schreibe hier eine Geschichte, doch es ist nicht irgendeine Geschichte. Nein, es ist eine Geschichte über Liebe, die zu Hass wird. Es ist eine Geschichte über Trauer und Einsamkeit. Doch es wird kein Roman, es wird keine Legende, kein Hirngespinst, es wird alles wahr sein. Jedes Wort wird aus meiner Seele sprechen und wie gesagt, es ist nicht irgendeine Geschichte…
 

Es ist meine Geschichte!
 

Um mich einmal vorzustellen, mein Name ist Markus Corton und ich bin Student an einer renommierten Universität und studiere Literaturgeschichte und Ägyptologie. Mein großer Traum ist es, einmal Schriftsteller zu werden. Ich habe diesen Traum schon sehr lange, da ich gerne lese, Recherchen mache und genauso gerne schreibe. Bis jetzt sind meine Werke allerdings nur Kurzgeschichten geworden und ich hoffe, dass ich einmal einen richtigen Roman verfassen kann. Bis jetzt hat mir dazu leider nur die Geduld gefehlt.

Eine wichtige Rolle in meinem Leben und in dieser Geschichte gebührt meinem bisweilen besten und engsten Freund, Lukas Abling.

Lukas ist ebenfalls Student und er ist, wie ich, im 3. Semester. Allerdings studiert er nicht wie ich Literaturgeschichte, sondern Kunst.

Er malt leidenschaftlich gerne und ist wirklich begabt. Früher haben wir oft davon geredet, dass wenn ich einmal ein Buch schreiben werde, er für mich das Cover entwerfen wird und zusätzliche Illustrationen, wenn es nötig wäre.

Oh ja, das war unser Traum, es kann allerdings auch sein, dass es nur mein Traum war und ich ihn nur hineingezogen habe, doch es war wirklich eine wunderbare Zeit.
 

Doch das hat sich alles verändert. Am Anfang waren wir unzertrennlich, wir kennen uns schließlich schon seit einer halben Ewigkeit.

Und am Ende wurde es sogar mehr als nur Freundschaft, ja, ich habe mich richtig in Lukas verliebt. Damals hatte ich noch eine Freundin, ihr Name war Isabel, doch sie hat mit mir Schluss gemacht. Doch die Art und Weise, wie es passierte, werde ich niemals vergessen. Sie hat mir eine Kopfnuss verpasst und mich anschließend angelächelt, während ich noch immer völlig verwirrt war, stemmte sie lächelnd die Hände in die Hüften und meinte nur, ich solle nicht so blauäugig sein und endlich zu Lukas gehen und ihm meine Liebe gestehen.

Ich war natürlich völlig entsetzt, denn dass ein Junge einen anderen Jungen lieben kann oder besser, dass ich mich in einen anderen Jungen verlieben könnte, an das hätte ich niemals gedacht. Für mich war das, wie ein Schlag ins Gesicht, als sie mir die Augen für meine Gefühle öffnete. Dann hat sie mich sanft angesehen und mich noch einmal zum Abschied geküsst. Sie hauchte mir nur noch ein „Wehe du versaust es! Ihr seid für einander bestimmt!“ ins Ohr und ging dann.

Es war einfach Wahnsinn! Ich stand sicher noch 10 Minuten an derselben Stelle und wusste nicht, was ich tun sollte. Sollte ich gehen? Sollte ich bleiben? Sollte ich Isabel fragen, ob sie den Verstand verloren hatte?

Doch ich habe das getan, was wohl jeder erwartet hatte. Ich ging zu Lukas und habe ihm alles gestanden. Er hat mich damals lächelnd angesehen und geküsst.

Ich hatte noch nie zuvor einen Jungen geküsst, doch es war einfach fantastisch und so unbeschreiblich schön.

Doch ich weiche irgendwie vom Thema ab, ich will meine Geschichte an dem Tag beginnen, an dem alles zusammenbrach. Dem Tag, an dem Lukas und ich uns zum letzten Mal vom Alltag treiben ließen.

Es war ein Freitagmorgen und der Tag begann wie jeder Tag. Ich spürte schon seit langer Zeit, dass mit uns etwas nicht mehr stimmte, doch an diesem Tag war die Stimmung noch gespannter und geladener als sonst. Ich habe längst aufgehört, zu versuchen Lukas zu halten. Ich habe längst aufgehört zu kämpfen. Denn ich habe zu viel versucht und zu lange gehofft, dass auch er etwas tut.

Wir sitzen gemeinsam am Frühstückstisch, genauso wie immer. Ich lese meine Zeitung, wie immer und Lukas isst sein Müsli, wie immer. Inzwischen kann ich ihn nicht einmal mehr wirklich ansehen ohne Tränen in meinen Augen zu spüren. Wir haben uns einst so sehr geliebt, wie sehr sehne ich mir doch diese Zeit zurück, in der wir noch glücklich zusammen waren, doch das ist schon lange vorbei und wie es aussieht wird diese Zeit auch nie wieder kommen. Um mich vor Lukas Blicken zu schützen, verstecke ich mich hinter meiner Zeitung, so wie ich es seit Wochen täglich mache. Ich kann ihm einfach nicht ins Gesicht sehen.

Ich liebe ihn doch noch immer, doch wir haben uns so sehr von einander wegbewegt und ich weiß gar nicht warum? Ich warte Tag für Tag, dass er einmal aufwacht und sieht, wo wir uns im Moment befinden. Ich warte nur, dass er einmal die Augen öffnet und bemerkt, wie weit wir schon von einander entfernt sind.

Früher habe ich noch versucht, Zeichen zu setzen, früher habe ich noch versucht, ihn zu halten. Doch er hat sich ganz in seiner eigenen Welt verkrochen und sieht nicht einmal, wie sehr ich leide.

Sieht er es denn wirklich nicht? Versteht er meine Zeichen wirklich nicht? Merkt er nicht, dass ich mich von ihm distanziere?

Ich versuche mich von ihm fern zu halten, ich versuche Distanz aufzubauen, damit er vielleicht bemerkt, wie viel ich ihm bedeute und wieder versucht mir ein Stückchen näher zu kommen. Doch er tut nichts, er bewegt sich nicht, sieht mich nicht einmal mehr an. Er ist so festgefahren in seiner Welt, in der noch immer alles heil ist. Wann wird diese bloß endlich zerbrechen?

Noch ein letztes Mal beiße ich von meinem Croissant ab und räume meinen Teller schnell in den Geschirrspüler. Es ist schon beinahe ein Ritual bei uns, ich erinnere mich noch deutlich daran, wie Lukas oft mit mir geschimpft hat, als ich am Anfang unseres Zusammenlebens nie mein Geschirr weggeräumt habe. Heute mache ich es automatisch. Ich erinnere mich auch noch den Tag, an dem unser Geschirrspüler kaputt ging und wir gemeinsam am Spülbecken standen und Teller abwuschen. Du hast mich mit Wasser bespritzt und ich habe dir den Schaum in die Haare geschmiert. Am Ende artete das ganze zu einer riesigen Wasserschlacht aus und die ganze Küche stand unter Wasser.

Wir waren beide von oben bis unter pitschnass, doch wir waren glücklich. Wir waren zwar völlig fertig, doch wir lachten und haben uns gegenseitig geholfen. Du kannst es zwar im Moment nicht sehen, doch ich schmunzle bei dem Gedanken an unsere gemeinsame Wasserschlacht. Aber ich sage kein Wort. Stumm räume ich noch das letzte Besteckteil in den Geschirrspüler ein und nehme mir meine Zeitung. Ich falte sie schnell und lege sie auf den Stapel zu den anderen Zeitungen, die du dann wieder wegwerfen wirst.

Ich denke daran, dass ich früher nie zum Frühstück die Zeitung gelesen habe, ich habe mit dir am Frühstückstisch herumgealbert, doch jetzt brauche ich diese Zeitung. Ich brauche sie, um mich dahinter zu verstecken.

Ich kann dir nicht in die Augen sehen, während du meine Zeichen nicht verstehst. Ich dachte anfangs, ignorieren hilft, doch du hast es nicht bemerkt. Dann dachte ich, es hilft, wenn ich dir Zeichen gebe, aber du hast sie nicht verstanden. Ich habe dich angegiftet, doch anstatt zu fragen, was mich bedrückt, anstatt zu fragen, was mir fehlt, giftest du nur zurück. Ist dir noch nicht aufgefallen, wie weh mir das alles tut?

Doch du bemerkst es gar nicht. Wie immer sitzt du da und isst dein Müsli. Ich sehe versohlen zu dir, doch du bemerkst es nicht, anscheinend sind deine Gedanken wieder irgendwo anders. Du hast dich so sehr verändert.

Du bist gefühlskalt mir gegenüber geworden und zeigst keinerlei Emotionen mehr. Anscheinend hast du uns auch schon aufgegeben. Ich stehe hinter dir, mit dem Blick auf dich gerichtet, doch du merkst es nicht, du zeigst mir nur die kalte Schulter. Schnell ziehe ich mir die Schuhe an und streife mir den Mantel über und jetzt kommt sie, die Frage, die du immer stellst. Wie stets kommt sie in derselben Tonlage. „Wann kommst du wieder?“ Deine Stimme ist emotionslos und ohne Hoffnung, ohne die freudige Erwartung, die du früher immer mitklingen liest. Es ist nur noch zu alltäglich, diese Frage zu stellen, sie kommt überhaupt nicht mehr von Herzen, sie wird nur noch der Höflichkeit halber gestellt. Genauso antworte ich der Höflichkeit halber mit denselben Worten, wie beinahe jeden Tag. „Wie immer, spät, ich muss noch in die Bibliothek. Also dann bye“ Mich erschreckt, wie gefühlskalt selbst meine Stimme klingt. Ich erkenne mich selbst kaum wieder, doch du wirst es sicher nicht merken.

Du hast nicht einmal bemerkt, dass ich dich schon lange nicht mehr zum Abschied geküsst habe.

Bin ich dir denn wirklich schon so egal geworden? Bin ich für dich nur noch ein lästiges Anhängsel?

Ohne mich noch einmal nach dir umzudrehen, gehe ich hinaus. Ich weiß, wenn ich mich jetzt wieder umdrehen würde, würdest du mich nicht ansehen. Ich habe mich zu oft umgedreht und zu oft hast du mich nicht angesehen, zu oft habe ich gewartet, dass du vielleicht doch noch etwas sagst oder den Blick mir zu liebe hebst, doch du hast nichts gesagt, mich nicht einmal angesehen. Ich weiß, wenn ich mich auch diesmal umdrehen würde, würde ich in Tränen ausbrechen. Ich bin es so leid, von dir keine Beachtung mehr zu bekommen.

Schnell schließe ich die Türe hinter mir. Nun stehe ich im leeren Flur des Wohngebäudes. Bei dem Gedanken an dich schleichen sich einzelne Tränen über meine Wangen. Ich bin traurig über die verlorene Zeit und wütend wegen deiner Engstirnigkeit.

Doch nun höre ich Schritte in der Wohnung, das bist du, Lukas, ich weiß, du wirst nun wie beinahe jeden Morgen den Müll raus bringen und anschließend zur Uni gehen. Ich gehe nun auch besser, ich will nicht, dass du mich so hier siehst, doch schon höre ich das Schloss der Türe, schnell verstecke ich mich hinter dem breiten Pfeiler im Flur und warte bis du an mir vorbeigegangen und außer Sichtweite bist. Nun steige ich die Stufen zum Dachboden nach oben. Hier bin ich oft in den letzten Tagen. Mit diesem Ort verbinde ich so viele Erinnerungen und Emotionen. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem wir uns das erste Mal geküsst haben. Damals hast du mich auch hier nach oben geführt, du hast mir immer von den Sternen erzählt und dann hast du sie mir durch dieses Dachlukenfenster gezeigt.

Eine kleine Leiter führt vom Dachboden nach oben zu einem kleinen abgeflachten Dachstück, hier hast du uns eine Decke aufgebreitet und wir sind die ganze Nacht hier gelegen und haben die Sterne beobachtet. Damals hattest du so ein Strahlen in den Augen. Nun sitze ich alleine hier und beobachte den bewölkten Himmel. Langsam, fast sogar zäh, rollen sich die Wolken über das Firmament und geben nicht eine einzige Lücke frei. Nicht einmal ein winziges Stückchen des sonst so beruhigenden Blau kann man jetzt sehen. Ich weiß noch, wie ich dir früher immer unter dem blauen Himmel meine Geschichten vorgelesen habe. Damals hast du dich an meine Schulter gelehnt und still meinen Gedichten für dich gelauscht.

Doch nun tust du das nicht mehr, du würdigst keine meiner Geschichten mehr, hast sämtliche nicht mehr gelesen. Früher hast du dich um jede kleine Geschichte von mir gerissen, sogar während ich noch daran schrieb, hast du mir über die Schulter gesehen und stumm mitgelesen. Ich habe oft in der Spiegelung meines Laptops beobachtet, wie du deine Lippen zu den Wörtern bewegst. Wie dein Gesicht sich zu jeder Emotion meiner Figuren mitbewegt hat. Du hast richtig mitgefühlt mit meinen Geschichten.

Doch nun interessiert dich nicht mehr, was ich tue. In diesem Moment fällt mir ein, dass ich noch etwas in der Wohnung liegen gelassen habe. Ich will mir nur noch schnell eines meiner Lehrbücher holen und werde dann losgehen in die Uni.

Du müsstest im Übrigen auch schon längst weg sein, das würde heißen, dass ich einen Moment für mich alleine sein könnte.

Rasch steige ich die schmale Leiter hinunter und nehme noch einige Stufen bis zu unserer Wohnung. Langsam schließe ich die schwere Türe auf und trete ein. Ich weiß, dass niemand hier ist, doch irgendetwas beunruhigt mich. Schweren Schrittes stapfe ich in Richtung Wohnzimmer, in dem meine ganzen Bücher gestapelt liegen. Doch da sitzt du!

Dein Gesicht ist von Tränen verschmiert und in der Hand hältst du etwas, doch ich kann es nicht genau erkennen, ist es ein Stück Papier oder doch ein Foto?

Erschrocken frage ich nur: „Was tust du den noch hier? Solltest du nicht schon längst in der Uni sein?“ Doch was mich noch mehr erschreckt, ist der Tonfall in meiner Stimme, so hart und abstoßend wollte ich gar nicht klingen. Doch anscheinend ist es schon zu spät. Du bist gekränkt über meine barsche Begrüßung und lässt deiner Wut freien Lauf. „Darf ich etwa nicht mehr hier sein?“ Deine Stimme ist voller Schmerz. Doch man sieht dir an, wie wütend du darüber bist. Ich kann nicht anders, mein Gesicht verfinstert sich ebenfalls, doch ich kann nichts tun, als dich anzustarren.

Jetzt präsentierst du mir das Foto in deiner Hand, es ist ein altes Foto und ich hatte es schon beinahe vergessen. In deinem Blick ist nichts Trauriges mehr, nein, du spiegelst nur noch Verachtung wieder und wütend schreist du mir entgegen: „Siehst du das? Was siehst du auf diesem Bild? – Und jetzt bitte ich dich, uns beide anzusehen! Sieh was aus uns geworden ist… „

Ich kann nichts tun als zu schweigen, mir fehlen die Worte, doch ich spüre wie sich einzelne Tränen über meine Wangen ergießen wollen. Verzweifelt versuche ich sie zurückzuhalten, doch ich schaffe es nicht mehr.

Dich mit diesem Bild in der Hand zu sehen, ist für mich unerträglich. Auf dem Bild waren wir beide noch glücklich, wir waren beide noch verliebt und unbeschwert und nun sind wir so voller Hass. Noch schlimmer zu ertragen ist die Gleichgültigkeit in deinem Blick, als du die erste Träne über meine Wange laufen siehst. Leise sage ich nur: „Anscheinend sind wir nun keine Freunde mehr… ich habe so lange gewartet das du etwas sagst…“ Doch du glaubst mir nicht, du schreist mich nur an: „Du hast mich doch immer nur ignoriert! Warum hast du nicht etwas gesagt?“

Der Schmerz steht uns beiden direkt ins Gesicht geschrieben, nun ist es endlich passiert. Nun ist deine perfekte Welt einfach eingestürzt. Du bist aufgewacht und siehst, was aus uns geworden ist. Doch warum hast du nicht schon früher etwas gesagt?

Ich habe so lange gewartet, dass du mich ansprichst, dass du versuchst unsere Beziehung und unsere Freundschaft zu retten. Doch du hast es nicht einmal gemerkt oder etwa doch?

Doch im Grunde sind wir beide schuld. Wir haben beide geschwiegen, anstatt etwas zu unternehmen, ich habe gewartet, anstatt selber zu handeln. Wir haben beide das Gleiche gedacht und das Falsche gemacht. Doch ich frage mich immer noch…
 

…warum hast du es nicht bemerkt?
 

Fin



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Salatgurke
2007-02-19T16:00:09+00:00 19.02.2007 17:00
hallöle
ich bin ja die erste die etwas zu deinem Kapi schreibt *freu*
also ich finde es sehr schön
und gefühlvoll geschrieben
und es ist soooooo was von traurig *schluchz*
beim lesen musste ich mich echt zusammenzureißen um nicht loszuheulen
*knuddel*
isa


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