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Scherben

von

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Zerbrochen

Hi ^^

So, da hab ich mal wieder was verbrochen...

Fragt lieber nicht, was der Auslöser dafür war, ihr würdet 1. es nicht glauben und 2. mich in die Geschlossene einweisen lassen...

Hoffe euch gefällts, wenn nicht... auch gut. Bin über jeden Kommi dankbar ^^

Viel Spaß beim Lesen

Eure Naoko ^^
 


 

Kapitel 1
 

Zerbrochen
 

„Ich weiß nicht, was sie hat. Ich meine, was ist gegen Wäsche aus dem Trockner einzuwenden?“

„Keine Ahnung“, antwortete ich.

„Ach ja, man muss sie bügeln. Aber wer bügelt schon T-Shirts? Natürlich meine Freundin…“

Da waren wir wieder mal, mitten in der Stadt, mitten am Nachmittag und mitten in einem seiner Monologe über Marie. Marie war die Freundin meines besten Freundes Elias, genannt Li. Er liebte sie, keine Frage. Wäre es nicht so, würde er sich nicht aufregen sondern Schluss machen. In solchen Dingen war er konsequent.

Sie waren seit fünf Jahren zusammen, seit unserem Abiball.

Es war ein merkwürdiger Abend gewesen. In einer Ecke des Saales machte ich mit meiner bis heute letzten Freundin Schluss und in der anderen Ecke knutschten die alkoholisierten, frisch Verliebten. Hätte nie gedacht, dass es so lange hält mit den beiden…
 

Wir sind seit der Grundschule befreundet, Li und ich. Seine Eltern sind in die Nachbarwohnung gezogen und unsere Mütter waren der Meinung, wir würden auf jeden Fall Freunde fürs Leben. Ich glaube, nicht nur ich zweifelte stark daran. Immer öfter haben sie uns gegen unseren Willen zusammen gesteckt. Mir war dieser große, dünne Junge immer zu aufgeweckt, zu hibbelig. Und ich war ihm zu ruhig, wie ich mittlerweile weiß. Aber das war unseren Müttern egal. Wir mussten zusammen sein. Ich hatte kaum Freunde, er war noch zu neu in der Stadt um welche zu haben, also fehlten uns auch die Ausreden. Irgendwann fingen wir dann Wohl oder Übel an zu reden, hauptsächlich gegen unsere Mütter und unsere Lehrer, die obwohl wir in verschiedene Klassen gingen, im Großen und Ganzen dieselben waren. Letztendlich ging die Rechnung auf.

Als wir in der zweiten Klasse waren, zogen sie nebenan ein, in der Vierten waren wir unzertrennlich. Bei ihm konnte ich mich ausheulen, wenn ich mich wieder einmal mit meiner Mutter gestritten hatte, ohne dass es mir peinlich gewesen wäre. Und er schlich sich immer zu mir, wenn seine Eltern sich stritten. (Praktischer Weise waren die Zweitschlüssel unserer Wohnungen in der des jeweils anderen deponiert gewesen.)
 

Mittlerweile studierte er Medizin, ich Jura. Marie hatte vor kurzem ihr Studium abgeschlossen und war nun die einzige Nicht-Studentin in unserer Dreier-WG. Als wir mit dem Studium begonnen haben, zogen Li und ich zusammen. Ein Jahr später kam Marie dazu, weil sich ihre WG auflöste. Seit dem stapelte sich das schmutzige Geschirr nicht mehr in der Spüle, die Wäsche wurde regelmäßig gewaschen und die Staubschicht auch an nicht unmittelbar sichtbaren Stellen war bald Geschichte. Wir waren von freien Studenten zu hart arbeitenden Sklaven geworden, aber uns blieb nichts weiter übrig, wenn wir nicht weiter von Tiefkühlpizza und BicMäcs leben wollten. Und nicht erst seit damals war ich zum Seelsorger aufgestiegen, nur war ich es nun für beide.
 

„Hörst du mir noch zu?“

Plötzlich wedelte eine Hand vor meinem Gesicht und riss mich aus meinen Gedanken.

„Ähm… ja klar, Wäsche waschen…“, brachte ich hervor.

„Gut, du hast nicht zugehört“, meinte Li grinsend.

„Wieso? Hast du nicht grad was von Wäsche gesagt?“

„Das ist eine Viertelstunde her. Echt, manchmal mache ich mir wirklich Sorgen um dich, Mäxchen.“ Er grinste immer noch und verwuschelte mir die Haare. Manchmal habe ich das unwiderstehliche Bedürfnis, ihm für so was eine rein zuhauen.

„Lass das und beschwer dich lieber weiter über deine Freundin, obwohl es wahrscheinlich besser wäre, mit ihr zu reden und nicht mit mir.“

„Ich will sie aber behalten, und wenn ich ihr alles sagte, was ich dir sage… ich glaube, das wäre das Ende unserer Beziehung“, sagte er todernst, und wie schon oft, sah ich ihm an, dass das auch sein Ende wäre, wenigstens vorläufig.

„Ich weiß, aber wenn ihr immer nur mit anderen darüber redet… meinst du nicht, dass das irgendwann zur Katastrophe führt?“

„Im Moment habe ich aber auch keine Lust auf Katastrophen.“ Er seufzte, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte auf die halbleere Kaffeetasse vor ihm. Ich schwieg ebenfalls und nippte an meinem Milchshake.

„Weißt du, ich will sie nicht verlieren“, sagte er auf einmal leise.

„Ich weiß“, erwiderte ich.

„Aber verstehst du es auch?“

„Wie meinst du das?“

„Na ja, du hattest noch nie eine längere Beziehung…“

„Und deshalb soll ich es nicht verstehen, Angst um eine Beziehung zu haben? Oder einen Menschen zu verlieren, den ich liebe?“

„Du hast Recht. Tut mir Leid“, meinte er leise und ahnte glücklicher Weise nicht, was mir durch den Kopf ging. Als er mit Marie zusammen kam fürchtete ich, ihn zu verlieren, als sie bei uns einzog, eigentlich immer seit dem Abiball und besonders, wenn sie in der Nähe war. Bis jetzt habe ich ihn nicht verloren und mir ist klar, dass ich darüber glücklich sein sollte, aber ich war es nicht. Sobald ihr Name in Verbindung mit seinem fiel, wollte ich die Unterhaltung beenden, wenn sie zusammen waren und so total verknallt taten, wollte ich am liebsten wegrennen.
 

Ich hasste sie nicht, hatte ich nie, dafür war sie zu nett, zu sehr auf meiner Wellenlänge. Wir waren schon zu Schulzeiten befreundet, wir drei. Das fing in der elften Klasse so an und ging immer so weiter, nur dass sich zwei von uns in einander verliebten. Keine unvorhersehbare Entwicklung, zugegeben, aber dennoch überrumpelten sie mich damit, zumal nicht einmal Li etwas in diese Richtung angedeutet hatte. Und noch dazu hatte ich mich gerade von meiner Freundin getrennt, wofür es mehrere Gründe gab. Er war einer davon. Allerdings habe ich ihm das nicht erzählt, nie. Ich erzählte ihm, dass ich sie nicht mehr liebte, dass ich mich offensichtlich nur noch für Männer interessierte, aber nicht, für welchen im Besonderen…
 

„Du bist schon wieder meilenweit weg, oder?“

Wieder einmal unterbrach Li meine Gedanken.

„So offensichtlich?“, fragte ich.

„Ja, du rührst seit fünf Minuten deinen Shake mit dem Strohhalm um, ohne einen einzigen Schluck zu trinken. Das tust du nur, wenn du denkst.“

„Echt? Tu ich das? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“

„Seit ich dich kenne machst du das.“

„Dann kann ich ja weitermachen.“

„Nicht, wenn du mir nicht sagst, worüber du nachgedacht hast.“

„Das willst du gar nicht wissen.“

„Wieso? Denkst du darüber nach, wie der Typ, den du letzte Woche abgeschleppt hast, im Bett war?“

„Nein, ich habe darüber nachgedacht, wie du im Bett wärst.“ Ständig mache ich solche blöden Witze, die er mir nicht übel nimmt, die mir aber jedes Mal einen Stich ins Herz versetzten, weil es eben doch nur Witze sind, die nicht ernst gemeint waren und somit von ihm nicht ernst genommen wurden.

„Wäre ich jetzt im Bett, wäre ich wahrscheinlich eingeschlafen“, meinte er.

„Es ist drei Uhr nachmittags, und du bist erst um zwölf aufgestanden“, erwiderte ich.

„Du kennst mich, am Wochenende könnte ich nur schlafen.“

„Du solltest zum Arzt gehen, das kann nicht gesund sein.“

„Keine Sorge, mit meinem Gesundheitszustand ist alles in Ordnung.“

„Woher willst du das wissen?“

„Schon vergessen? Ich studiere Medizin und das schon seit Jahren. Glaub mir, ich kann so etwas beurteilen.“

„Selbstdiagnosen sind meist falsch, auch bei Ärzten.“

„Ist ja schön, dass du dir Sorgen machst, aber mir geht es gut, wie immer.“

Ich schüttelte nur den Kopf und schlürfte mein Glas leer.

„Bist du dann fertig?“, fragte Li und ich nickte. „Gut, dann lass uns gehen. Du musst mir noch helfen, einen Anzug auszusuchen.“

„Wieso eigentlich immer ich? Und wozu brauchst du einen Anzug?“

„Du, weil du weißt was mir steht und ich ohne dich nur auf den Verkäufer hören würde, der keine Ahnung hat. Und den Anzug brauche ich, weil ich Marie überraschen will indem ich einmal seriös aussehe und sie in ein richtig gutes Restaurant einlade.“

„Bis letzten Mittwoch hast du nicht einmal daran gedacht, dass morgen euer Jahrestag ist.“

„Ein Grund mehr, sie umzuhauen.“

„Wenn du meinst.“
 

Wir bezahlten und gingen ein paar Straßen weiter, wo sich mehrere Herrenausstatter befanden, die unter normalen Umständen alles andere als unsere Preisklasse waren.

„Und du bist sicher, dass du dir das leisten kannst?“, fragte ich mit Blick auf die Preisschilder.

„Was meinst du, warum ich mich ständig von dir einladen lasse?“, grinste er, klopfte mir auf die Schulter und verzog sich mit mehreren Anzügen, die ihm der Verkäufer in die Hand gedrückt hatte, in die Umkleide. Nach einer halben Ewigkeit entschied Li sich dann endlich, oder besser gesagt, der Verkäufer verlor gegen mich, weil ich den am besten aussehenden Anzug ausgesucht hatte. Was kann ich denn dafür, dass das zufällig auch der billigste war?

„Ich wusste es“, meinte Li als wir den Laden verließen.

„Was wusstest du?“

„Dass du mich vor dem Verkäufer retten würdest. Und wie du das gemacht hast… Du bist einfach der Beste.“

„Ich weiß“, grinste ich und versuchte meinen Herzschlag zu ignorieren, der sich bei jedem noch so unschuldigen und freundschaftlichen Kompliment von ihm verstärkte und seine Frequenz erhöhte. Ich überspielte es jedes Mal, wenn er mich anlächelte, wenn er mich, zufällig oder nicht, berührte, wenn er etwas sagte, wenn er im Raum war…

Wir gingen durch einen kleinen Park in Richtung Straßenbahn, doch an einer Ecke auf der anderen Straßenseite stand ein knutschendes Pärchen, was nicht weiter interessant gewesen wäre, wäre mir nicht eine Hälfte des Pärchens irgendwie bekannt vorgekommen. Ich blieb stehen und beobachtete die beiden. Sie lösten sich von einander und von diesem Augenblick an hasste ich sie, abgrundtief und von ganzem Herzen.

„Maximilian, kommst du? Oder muss Papi dich an die Leine nehmen?“, rief Li fröhlich. Er hatte natürlich nichts mitbekommen und stand, den Anzug im Karton unter dem Arm, etwas weiter und sah mich fragend an.

„Komm ja schon“, murmelte ich und ging weiter. Ich glaube, in diesem Moment, als ich mich noch einmal kurz zu ihr umsah, hat sie mich ebenfalls gesehen.

„Was war denn?“, fragte er.

„Nichts“, log ich.

„Du solltest nicht soviel denken“, meinte er nur und zog mich weiter.
 

Am nächsten Tag brach sie ihm in einem ziemlich teuren Restaurant das Herz.

Ich war mit einem Freund im Kino gewesen und als ich nach Hause kam, fand ich ihn, wie der in seinem neuen Anzug auf meinem Bett lag und mich aus verweinten Augen ansah.

Die Wohnung selbst sah aus wie ein Schlachtfeld. Überall lagen ihre Sachen, ihre Klamotten, ihre Vasen, Zimmerpflanzen und Kaffeetassen, allesamt zerbrochen, ihre Bücher, einfach alles, verstreut auf dem Boden. Selbst wenn ich keine Ahnung gehabt hätte, so waren das eindeutige Zeichen von Liebeskummer. Und dann lief das bei uns immer gleich ab.

Ich legte mich neben ihn, sah ihn an und wartete. Er sollte anfangen. Keine blöden Fragen, keine Sätze wie „Andere Mütter haben auch schöne Töchter.“ (oder Söhne, je nach dem). Das war ungeschriebenes Gesetz. Nicht quatschen, einfach nur da sein. Diese Vorgehensweise hatte sich seit Jahren herausgebildet, seit wir überhaupt mit Beziehungen angefangen hatten. Und es war die erfolgreichste Methode.
 

Wie lange wir da lagen, wie viele einzelne Tränen über sein Gesicht rannen, ich weiß es nicht, aber nur zu gerne hätte ich jede einzelne davon weggeküsst. Ich fragte mich, ob er jemals aufhören würde, sie zu lieben, ob ich jemals aufhören würde, ihn zu lieben.

„Sie liebt mich nicht mehr“, flüsterte er mit erstickter Stimme. Hinter seinem Kopf sah ich den Wecker auf 2:47 umschalten.

„Hat sie das gesagt?“

Er nickte. „Sie hat einen anderen. Und sie meinte, du wüsstest es.“

„Irgendwie habe ich gehofft, sie verwechselt zu haben.“

„Seit wann?“

„Seit gestern Abend, in dem Park.“

„Du hast sie also gesehen und nichts gesagt?“ Fast unhörbar schwang in dieser Frage ein Vorwurf mit, aber trotzdem zerriss es mir fast das Herz.

„Wie gesagt, ich hoffte, sie verwechselt zu haben. Und sie sollte es dir sagen. Du weißt, wie ungern ich der Überbringer schlechter Nachrichten bin.“

„Ich weiß, und ich bin froh darüber.“

„Wieso froh?“

„Sonst würde ich dich vielleicht jetzt hassen.“

„Würdest du?“

„Ja, vielleicht, weil du es mir gesagt hättest, wärst du der Böse, oder ein Teil des Bösen. Und das bist du nicht.“

Ich lächelte ihn nur dankbar an. Dankbar, weil er mir doch keinen Vorwurf zu machen schien. Dankbar, weil er zu verstehen schien, weshalb ich nichts gesagt hatte.

„Ich hasse sie nicht, noch nicht. Vielleicht werde ich das nie. Ich würde gerne, aber es geht nicht.“ Noch immer sprach er mit dieser leisen, erstickten Stimme. Ich war kaum lauter.

„Wenn es soweit kommt, ist es so. Wenn nicht, dann nicht.“

„Du verstehst das?“

„Du liebst sie, und ein paar Stunden nach einer Trennung kann man so was nie genau sagen, oder?“

„Hilf mir auf die Sprünge. Wie lang hat deine längste Beziehung gedauert?“

„So ziemlich genau ein Jahr.“

„Wer hat Schluss gemacht?“

„Er.“

„Hast du damals nicht nach fünf Minuten gesagt, du hasst ihn?“

„Ja, aber nach zwei Tagen wurde mir klar, dass ich ihn nicht hasste, dass ich ihn nie geliebt hatte, und dass er mir eigentlich völlig egal war.“

„Du meinst, ich soll noch warten bevor ich sage, dass ich sie hasse?“

„Warte solange du willst, wenn es ewig dauert, auch gut.“

Er schwieg eine Weile, dann fragte er: „Weißt du eigentlich, wie weh es tut?“

„Nein, das weiß ich nicht“, gab ich zu.

„Dann kannst du dich glücklich schätzen.“

Wieder liefen Tränen über sein Gesicht.

„Ich will gar nicht heulen“, meinte Li. „Ich hasse es zu heulen.“

„Keiner wird davon erfahren“, versprach ich.

„Danke.“ Er zwang sich zu einem Lächeln.

„Dazu sind Freunde doch da, oder?“

Wieder lächelte er, diesmal allerdings weniger gezwungen.

„Du bist süß“, murmelte er und schloss die Augen.

Ich war nur froh, dass er nicht mehr sah, wie rot ich wurde und wie schnell mein Herz schlug. Allerdings griff er im Halbschlaf nach mir und zog sich an mich heran. Ich strich ihm sanft über den Rücken, auch noch als er schon längst schlief, bis auch ich irgendwann einschlief.
 

Ende Kapitel 1
 

(Bitte nicht gleich töten, lasst mir noch eine Chance zum Flüchten...)

Wiederaufbau

Hi

Weiter gehts...

Ja, ich weiß, dass ich krank bin, vielleicht auch ein bisschen fies, aber auf jeden Fall dankbar für jeden Kommi ^^

Also dann, viel Spaß beim Lesen

Eure Naoko ^^
 


 

Kapitel 2
 

Wiederaufbau
 

Es wurde gerade erst hell, als ich wieder aufwachte. Besonders lange hatte ich also nicht geschlafen. Noch ein bisschen verpeilt wie ich war, brauchte ich einige Augenblicke, bis ich realisierte wer der verknitterte schwarze Anzug neben mir war. Dann fiel mir die vergangene Nacht wieder ein, seine verweinten Augen, die leise Stimme, mein rasendes Herz… Jetzt lag sein friedlich schlafendes Gesicht keine zehn Zentimeter von meinem entfernt, die getrockneten Tränen noch sichtbar auf seinen Wangen.

„Ich liebe dich“, flüsterte ich, jedoch war es kaum mehr als eine Bewegung der Lippen. Mein Herz schlug wieder einmal wie wild und Zurückhaltung war gestern. Zumindest in diesem Augenblick, da er schlief und ich wach war. Bevor ich selbst wusste, was ich tat, berührten meine Lippen seine, nur eine Sekunde lang. Eine Sekunde, die ewig schien und doch zu schnell vorbei war. Eine Sekunde, die ich sofort bereute und vermisste.

Li kuschelte sich etwas mehr in die Kissen, murmelte etwas Unverständliches und schlief weiter. Ich stand auf. Zu gern wäre ich liegen geblieben, aber dann hätte ich nicht widerstehen können, hätte ihn wieder küssen wollen, und das durfte ich nicht, egal, wie sehr ich es wollte.
 

Als ich ins Wohnzimmer kam traf mich fast der Schlag. Das Chaos, das Li angerichtet hatte, war schlimmer als es am Vorabend im Halbdunkel ausgesehen hatte. Man konnte kaum den Raum durchqueren, ohne auf irgendetwas zu treten. Aber erstmal ins Bad, was anderes anziehen und Kaffee machen, dann kümmerte ich mich um das Durcheinander.

Alles, was kaputt war, kam in den Müll, der Rest in Tüten in den Wandschrank im Flur neben den Staubsauger. Den halben Vormittag hatte ich zu tun, die andere Hälfte verbrachte ich mit Lernen in der Küche.

„Ich hatte einen merkwürdigen Traum…“ Li erschreckte mich ziemlich als er auf einmal von der Tür her sprach.

„Was denn für einen?“, fragte ich.

„Ich war in einer Beziehung und ziemlich glücklich. Aber plötzlich wurden mir die Augen zugebunden, aber nicht von meiner Freundin, die stand vor mir und ziemlich weit weg. Und dann wurde ich geküsst, nicht von ihr, und wachte auf in einer ziemlich zerfallenen Ruine, allein, und mir wurde klar, dass ich alles nur geträumt hatte… und alles, von Anfang bis Ende, schien so verdammt real…“

„Manchmal ist das so“, erwiderte ich. Hatte er doch etwas gemerkt? Oder nicht, und sein Unterbewusst sein hatte alles schön in den Traum eingebaut, irgendwie? Ich wusste es nicht, konnte ihn aber auch nicht fragen.

Er nahm sich eine Tasse Kaffee und setzte sich mir gegenüber an den Küchentisch, der voller Bücher lag.

„Aber mal was anderes.“ Ich sah ihn fragend an, aber er starrte nur in seine Tasse, während er weiter sprach. „Ich erinnere mich dunkel, dass ich gestern ein leichtes Durcheinander angerichtet habe…“

„Es sah aus als wäre eine Bombe eingeschlagen. Ich habe aufgeräumt, man konnte nämlich kaum noch den Boden sehen.“

„Tut mir Leid, da bin ich wohl doch ziemlich ausgetickt.“

„Schon gut.“

„Sag so was nicht, da bekomme ich nur ein schlechtes Gewissen, weil du alles allein gemacht hast.“

„Hätte ich dich wecken sollen?“

„Ja.“

„Sorry, aber das konnte ich nicht.“

„Wieso? Hattest du Angst, ich würde dich hauen?“

„Auch.“

„Wie? Auch?“

„Ich hielt es einfach für besser, dich schlafen zu lassen. Es schien dir so ganz gut zu gehen.“

„Danke“, meinte Li nur und lächelte ein wenig. „Manchmal weiß ich echt nicht, was ich ohne dich machen würde.“

„Durchdrehen?“, schlug ich vor.

„Wahrscheinlich. Aber erstmal werde ich duschen gehen und mir was anderes anziehen“, sagte er und verließ die Küche wieder. Als er noch schlief hatte er viel besser ausgesehen, nicht halb so fertig wie jetzt.

Wenig später sah ich ihn durch die geöffnete Tür, wie er nur mit einem Handtuch um die Hüften und mit hängendem Kopf in sein Zimmer schlurfte. Den Rest des Tages kam er nicht mehr heraus, ließ auch niemanden herein sondern drehte nur die Musik lauter sobald ich klopfte. Jetzt hatte es ihn also richtig getroffen…
 

In den nächsten Tagen sah ich ihn kaum. Ständig saß ich in der Bibliothek um mich auf die anstehenden Prüfungen vorzubereiten und er kam fast nie aus seinem Zimmer, wenn ich da war. Schließlich fing er ein Praktikum im Krankenhaus an, wo er fast nur noch war, wenn er nicht gerade schlief. Marie hatte ihre Sachen zum Glück an einem Tag geholt, an dem wir nicht zu Hause waren und den Schlüssel in den Briefkasten geworfen. Ich war froh, sie nicht sehen zu müssen, denn ich sah jeden Tag wie schlecht es Li ging, wie sehr sie ihn verletzt hatte und jeden Tag hasste ich sie dafür ein bisschen mehr.

Mitte August, zwei Monate später, rief mich Lis Mutter an. Ihr Sohn hatte seit der Trennung nicht mehr mit ihr geredet, immer nur ich. Und nun bat sie mich, ihn in den nächsten Zug nach Hause zu setzten, da sein Großvater 80 wurde. Ich solle ihn doch bitte überreden, das ganze Wochenende zu bleiben. Ich versprach, mein Bestes zu tun.

Am Abend saß ich vor Lis Zimmertür und versperrte ihm den Weg als er schließlich von der Arbeit kam.

„Lass mich durch“, murrte er nur.

„Du hast dieses Wochenende frei, drei Tage lang.“

„Woher weißt du das?“

„Du solltest deinen Dienstplan nicht offen herum liegenlassen, wenn du nicht willst, dass ich ihn sehe.“

„Er lag in meinem Terminplaner, in der Schreibtischschublade.“ Okay, da lag er wirklich bevor ich ihn gesucht hatte…

„Egal. Fakt ist, dein Opa wird 80 und du musst nicht arbeiten, was deine Mutter auch weiß. Du wirst also nach Hause fahren müssen.“

„Keine Lust.“

„Ich werde sterben, wenn du nicht fährst, willst du das wirklich riskieren?“

„Wieso solltest du sterben, wenn ich nicht zu so einem dämlichen Familienfest fahre?“

„Weil deine Mutter mich töten würde.“

Er seufzte. „Na gut, schlimmer kann es eh nicht mehr werden.“

„Du fährst?“

„Ja, ja, und jetzt lass mich endlich durch“, brummte er und ich ließ ihn durch.
 

Keine 24 Stunden später saß er im Zug und ich war dabei einen kleinen Plan in die Tat umzusetzen.

Gleich nachdem Lis Mutter angerufen hatte, hatte ich wiederum einen Freund angerufen, einen mit besonders großem Wagen…

Und schon waren wir dabei, Lis Zimmer auf den Kopf zustellen. Alles, was auch nur ansatzweise nach Marie aussah, kam weg, endgültig. Drei- oder viermal fuhren wir zu Mülldeponie um den Kram loszuwerden. Dann einige Touren zu IKEA und in den Baumarkt und alles war bereit. Glücklicher weise war mein Kumpel praktisch veranlagt, sodass wir dem Zimmer zu einem einigermaßen vernünftigen Aussehen verhalfen und auch noch pünktlich fertig wurden. Nun waren also die Wände nicht mehr hellblau sondern rot, als Verzierung gab es keine Palmenposter mehr sondern schwarze Tribalmuster, die Möbel waren nicht mehr aus weißgetünchtem Holz sondern aus mattem Stahl. Eigentlich sah es so aus, wie er es haben wollte als wir einzogen, es uns aber nur leisten konnten, ein paar vereinzelte Sachen neu zukaufen und nicht von irgendwelchen Freunden oder Verwandten zu bekommen. Jetzt war es zwar auch ziemlich teuer gewesen, aber das war Li mir allemal wert. Und meinem Kumpel als Gegenleistung beim Umzug zu helfen, das konnte ich auch noch verkraften.
 

Sonntagabend. Ich saß ziemlich k.o. im Wohnzimmer und ließ mich vom Fernsehprogramm berieseln.

„Ich hätte nie auf dich hören und lieber hier bleiben sollen.“

„Es war ein Familienfest, natürlich will man da nicht hin oder gleich wieder weg“, antwortete ich Li, der plötzlich in der Tür stand.

„Und warum hast du mich dann hingeschickt?“

„Weil du mal raus musstest.“

„Danke, aber ich komme auch so ganz gut zurecht“, murrte er und ging in sein Zimmer.

Natürlich kam er keine 30 Sekunden später wieder zurück.

„Sag mal, hast du mir irgendwas zu sagen?“

„Was meinst du?“, fragte ich mit Unschuldsmiene zurück, aber er zerrte mich nur vom Sofa und in sein Zimmer, in dem es noch nach frischer Farbe roch.

„Bemerkst du was?“, fragte er.

„Du meinst bis auf die Tatsache, dass hier nichts aussieht wie vor ein paar Tagen?“

„Warum…?“, flüsterte er.

„Ich dachte, es tut dir gut.“

Er sagte nichts weiter sondern umarmte mich nur.

„Heißt das jetzt, es gefällt dir?“, murmelte ich.

„Du bist wirklich der Beste. Danke.“

„Immer doch.“
 

Mein Plan schien aufgegangen zu sein. Er verkroch sich nicht mehr in seinem Zimmer, nein, er wollte es gar nicht mehr verlassen. Dennoch war alles anders. Die Tür stand immer offen und jetzt war er sauer, wenn man nicht herein kam. Er legte es regelrecht darauf an, dass ich es auch nicht mehr verließ. DVDs zum Beispiel durften nur noch auf seinem Computer angeschaut werden, und nicht nur einmal schliefen wir dabei auf seinem Bett ein.

Kurz vor Weihnachten hatte sich dann alles wieder einigermaßen normalisiert. Wir gingen wieder aus, allerdings meist nur zu zweit, da alle unsere Freunde in festen Beziehungen steckten und immer mit ihren Anhängseln weggehen wollten. Aber auf fröhliche Liebeszurschaustellungen hatten wir beide keine Lust.
 

Unsere Weihnachtseinkäufe machten wir wie immer auf den letzten Drücker, zumindest was die Geschenke für unsere Familien anging. Diese wiederum verbrachten die Feiertage zusammen im Skiurlaub, sodass wir sie erst nach Neujahr wieder sahen und uns reichlich Zeit blieb, ihnen etwas zu besorgen. Lis Geschenk hatte ich schon seit Anfang Dezember in meiner Kommode versteckt, obwohl wir ausgemacht hatten, uns nichts zuschenken.

„Ob das was für meine Mum wäre?“, fragte er als wir auf unserer kleinen Shoppingtour an einem Schaufenster vorbei kamen.

„Oh ja, sie freut sich sicher über ein Topfset“, meinte ich mit schwer überhörbarem Sarkasmus in der Stimme.

„Aber was soll ich ihr denn sonst schenken?“ Er schien leicht verzweifelt.

„Was schönes. Etwas, das nicht für den Haushalt ist.“

„Und was wäre das?“

„Hat sie nicht ständig irgendwelche riesigen Ohrringe drin?“

„Gute Idee.“ Sofort wurde ich in die Schmuckabteilung des nächsten Kaufhauses gezerrt und sollte Ohrringe aussuchen.

„Max?“ Die Stimme kam mir bekannt vor und langsam drehte ich mich um. „Wusste ich doch, dass du das bist.“ Sie lächelte, sie hatte wirklich und wahrhaftig den Mut, mich anzulächeln.

„Ja, und?“ Meinte ich nur.

„Suchst du was für deine Mum?“ Smalltalk? Das war doch nicht ihr Ernst, oder?

„Nein, hab schon was.“ Es ist eigentlich selten, dass ich so einsilbig bin, aber bei bestimmten Personen geht es eben nicht anders.

„Was machst du dann…“

„Marie…“ Li kam soeben von der Kasse und sah sie wie versteinert an.

„Liebling, gehen wir“, sagte auf einmal ein Typ neben ihr. Ich glaube, es war derselbe, mit dem ich sie damals im Park gesehen hatte.

„Ja, gehen wir“, antwortete sie leise, drehte sich um und verschwand mit ihrem Lover aus unserem Blickfeld.

„Ich brauch frische Luft.“ Li ging an mir vorbei und aus dem Laden, ich folgte ihm.

Wir sprachen nicht wieder darüber, aber es war ein Schlag ins Gesicht für ihn gewesen. Den ganzen Abend sprach er kaum ein Wort, ging jedem Blickkontakt aus dem Weg. Es war Zufall gewesen, mehr nicht, aber es war die Katastrophe, die irgendwann hatte kommen müssen.

Dementsprechend sah dann auch unser Einkaufswagen aus als wir aus lauter Verrücktheit am 24. unsere Lebensmittelvorräte auffüllen wollten. Hätte ich nicht ein paar Lebensmittel eingepackt, hätten wir uns mehrere Wochen von Alkohol ernähren müssen. Die Weihnachtsstimmung war sowieso verflogen, zumal ja alle Familienfestivitäten ausfielen, also war es ziemlich egal, ob es jetzt Tiefkühlpizza oder Gans gab, wobei die Pizza unserem Kochtalent eher entsprach.
 

Am Abend lagen wir schon ziemlich stark alkoholisiert auf seinem Bett und auf dem auf dem Bildschirm tobte gerade die Schlacht um Mittelerde.

„Ich hab dir mein Geschenk noch gar nicht gegeben“, sagte, oder besser, lallte Li plötzlich.

„Haben wir nicht gesagt, wir schenken uns nichts?“

„’Tschuldigung, konnte nicht widerstehen.“ Schwankend stand er auf und holte eine kleine Schachtel aus dem Schrank. „Hier.“

Ich nahm die Schachtel und starrte sie an. „Was ist das?“

„Mach es auf.“

„Warte kurz.“ Er sah mich überrascht an, als ich aufstand und ebenfalls leicht schwankend das Zimmer verließ. Eigentlich hatte ich ihm das Geschenk erst ein oder zwei Tage später geben wollen, aber wenn er es so wollte… Ich drückte ihm mein Geschenk in die Hand. „Konnte auch nicht widerstehen, sorry.“

„Zugleich?“

Ich nickte, wir nahmen die kleinen Geschenkschachteln und öffneten sie gleichzeitig. Entgeistert starrte ich auf den Ring, der darin war.

„Ich glaube, wir haben sie vertauscht“, sagte ich leise. Li nickte nur und wir tauschten. Und wieder starrte ich auf den Ring, den ich ihm gekauft hatte. Er hingegen brach in unkontrolliertes Gelächter aus und ließ den Ring fallen, den er gerade hatte, wessen das auch immer war. Ich nahm ihn hoch und sah auf die beiden identischen Ringe. Sie hatten sogar dieselbe Größe.

„Rechter Zeigefinger?“, fragte ich leise, das waren die einzigen Finger bei denen uns dieselben Ringe passten.

„Ja.“

„Das kann nicht wahr sein, oder?“, flüsterte ich.

„Ich glaube, es ist wahr“, lachte er und bekam sich gar nicht mehr ein.

„So komisch ist das nicht.“ Ich legte die Ringe beiseite, lehnte mich zurück und sah auf dem Bildschirm einen weiteren Ring in glühende Lava fallen. Eigentlich war es schon komisch, aber irgendwie machte es mir Angst. Ich hatte gewusst, dass ihm der Ring gefallen würde, weil wir in solchen Sachen einen ähnlichen Geschmack hatten. Und unsere Kleiderschränke hätten eigentlich auch eineiige Zwillinge sein können. Doch gerade das war es, was mir wieder einmal schmerzlich klar wurde. Wir waren uns so nah und doch konnten wir uns nie so nah sein, wie ich es mir erträumte.

„Doch“, grinste er und legte seinen Kopf neben meinen.

„Du hast zuviel getrunken“, meinte ich und sah ihn an.

„Vielleicht. Ist das schlimm?“

Ich schüttelte den Kopf obwohl ich wusste, dass dann alles bei ihm passieren konnte.

Er grinste unbeirrt weiter und ich begann Schlimmes zu ahnen.

„Schade“, murmelte er plötzlich.

„Was?“

„Kein Mistelzweig in der Nähe.“

„Warum?“

„Dann hätte ich eine Ausrede, dich zu küssen.“

„WAS?“ Ich wusste es doch…

„Auch egal.“ Er legte seine hand auf meine Wange, zog mein Gesicht zu seinem und küsste mich. Schließlich fing er auch noch mit zitternden Händen an, mein Hemd aufzuknöpfen…

Mein Verstand wehrte sich mit allen zur Verfügung stehenden Kräften. Er hatte einfach zuviel getrunken um zu wissen was er tat. Er war schlicht und einfach besoffen, deswegen tat er das, nur aus diesem Grund, nur deshalb… Aber mein Körper ließ sich voll und ganz auf dieses gefährliche Spiel ein, das mir höchstwahrscheinlich zum tausendsten Mal das Herz brechen würde…
 

Ende Kapitel 2
 

(Ich sag ja, dass ich krank bin...)

... gescheitert?

Und nach einer etwas längeren Kreativ-Pause hier nun das Ende (Ich weiß selbst, dass ich hierfür ungewöhnlich lange gebraucht habe, aber ich schiebs einfach auf die Stadt in der ich grade bin und die nicht gut zum Schreiben geeignet ist, jedenfalls nicht für mich...)

Viel Spaß beim Lesen

Eure Naoko ^^
 

… gescheitert?
 

Schmerzen waren das erste, was ich am nächsten Morgen spürte. Unerträgliche Kopfschmerzen. Dazu kamen noch die Sonne und der Schnee, der sie vom gegenüberliegenden Dach direkt in mein Gesicht weiterleitete.

Aber… gegenüber meinem Zimmer standen doch gar keine Häuser… und ich hatte keine schwarze Bettwäsche… oder vier Füße, die unter der Bettdecke hervorschauen konnten…

Langsam drehte ich mich um und sah direkt in Lis Gesicht. Auch er schien gerade aufzuwachen. Er sah mich kurz an, schloss die Augen und schlief wieder ein.

Doch nur wenige Sekunden später riss er sie weit auf und saß plötzlich aufrecht im Bett.

„Was… was machst du hier?“, fragte er erschrocken.

„Schlafen?“, meinte ich unsicher. Konnte er sich etwa nicht erinnern?

„Aber… wenn du hier nur geschlafen hast, warum guckst du dann so schuldig? Und warum liegen unsere Klamotten im ganzen Zimmer verstreut?“

„Weil du sie dahin geworfen hast.“

„Wieso sollte ich?“

„Vielleicht weil… weil es so einfacher für uns war, mit… miteinander zu… zu schlafen…“ Meine Stimme wurde innerhalb dieses Satzes immer leiser, war zum Schluss kaum noch zu hören.

„Wir haben WAS?“ Dafür wurde Li immer lauter.

„Miteinander geschlafen“, flüsterte ich unsicher während sich mein Kopf auf seine eigene bevorstehende Explosion vorbereitete.

„Nein, haben wir nicht!“

„Doch.“

„Du weißt, dass ich nicht auf Männer stehe, also kann das nicht sein!“

„Aber… na ja, du hast angefangen…“

„Hab ich nicht!“

„Du kannst mir ruhig glauben und, wenn es dir nichts ausmacht, aufhören hier rumzubrüllen, das tut weh.“

Er schwieg eine Weile in Gedanken versunken. Dann fragte er leise: „Warum sollte ich mit dir…?“

„Woher soll ich das wissen? Du hast es getan und ändern lässt sich das nicht mehr.“

„Aber ich kann mich nicht einmal daran erinnern…“

„Kein Wunder, so voll wie du warst.“

„Voll? Echt?“

„Sturzbesoffen.“

„Dann wissen wir ja, was los war.“

„Was?“

„Du weißt besser als ich, dass ich nur Scheiße baue, wenn ich betrunken bin. Das gestern war dann sicher keine Ausnahme.“

Ich sah ihn kurz an, dann stand ich auf. „Ich geh duschen.“
 

Das Wasser war so heiß, dass es mich fast verbrühte aber das merkte ich nicht einmal.

Und Li merkte offensichtlich nicht, dass er immer Scheiße baut, egal ob er getrunken hat oder nicht… Dieser verdammte Idiot.

„Alles in Ordnung?“, rief er plötzlich durch die geschlossene Tür.

„Ja, verdammt.“

„Dann komm da raus, du duschst seit über einer Stunde und hier kommt schon Dampf unter der Tür durch.“

„Mecker nicht rum, ich komm ja schon.“ Ich wickelte mich in meinen Bademantel, verließ das Bad und ging ohne ihn auch nur anzusehen in mein Zimmer. Er sagte noch irgendetwas, aber ich hörte ihn nicht.
 

Einige Stunden später spürte ich eine zögernde Hand auf meiner Schulter aber ich sah ihn nicht an, starrte nur auf die verschneiten Bäume auf der anderen Straßenseite. Falls er schon etwas gesagt hatte, so war es verklungen bevor ich es gehört hatte.

„Was ist los? Warum redest du nicht mit mir?“, fragte er leise, irgendwie ängstlich.

„Keine Lust.“

„Hör wenigstens zu, ja?“

„Meinetwegen“, seufzte ich.

„Es tut mir Leid.“

„Was?“

„Das, was gestern passiert ist. Es war dumm. Aber ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe.“

„Dann sind wir ja schon zwei.“

„Weißt du, ich erinnere mich jetzt daran, und du hattest Recht. Tut mir Leid, dass ich dir nicht geglaubt habe.“

„Passiert.“

„Warum redest du so? Bist du sauer deswegen? Ich hab mich doch schon entschuldigt, mehr kann ich doch auch nicht tun.“

Ich antwortete nicht.

„Ich verspreche dir, dass so etwas nie wieder vorkommen wird.“

Ich schwieg.

„Bitte, sag was“, flehte er mich regelrecht an.

„Ich sagte doch schon, dass ich keine Lust habe zu reden. Reicht dir das nicht?“

„Aber…“

„Geh!“

„Was?“

„Du sollst gehen. Ich will allein sein, also geh…“

„Aber…?!“

„Hau ab“, brüllte ich ohne ihn anzusehen. „Ich hab gesagt, du sollst gehen!“

Ich drehte mich noch etwas weiter von ihm weg. Um nichts in der Welt wollte ich, dass er meine Tränen sah. Und als die Tür leise ins Schloss fiel, brach ich heulend wie ein Kleinkind zusammen.

Die letzte Nacht war die beste meines Lebens gewesen. Obwohl ich wusste, wie viel er getrunken hatte. Obwohl ich wusste, dass es für ihn nur ein Spiel war. Aber seine Reaktion schmerzte einfach nur. Wie konnte er das nur einfach so abtun? Wie konnte er alles einfach so von sich schieben? Wie konnte er mir das antun? Wie…?
 

Ich liebte ihn für das, was er war. Ich hasste ihn für das, was er gesagt hatte. Und aus diesem Grund konnte ich nicht in seiner Nähe sein. Nicht solange er die Sache so betrachtete, solange er so tat als wäre es nichts gewesen. Er ahnte ja gar nicht, wie viel mir dieses Nichts bedeutete… aber sagen konnte ich es ihm einfach nicht.

Jede Nacht ging ich allein weg, und fast jedes Mal mit einem anderen nach Haus, um nicht in unsere Wohnung zu müssen, um ihm nicht zu begegnen.

Schlafen konnte ich sowieso nicht. Immer wenn ich die Augen schloss, sah ich ihn vor mir. Wie er heulend auf meinem Bett liegt. Wie er versteinert vor Marie steht. Wie er Grimassen schneidet als unser Direktor auf unserer Abschlussfeier zu seiner ‚Bitte-schlafen-Sie-jetzt-alle-mal-ein,-das-was-ich-sage-interessiert-eh-niemanden’-Rede ansetzte. Wie er mit einer Riesenpackung ‚Merci’ vor mir steht nachdem ich sein Zimmer überarbeitet habe und meint, dass das nicht annähernd genug sei, um sich bei mir zu bedanken, aber das sei leider die größte Packung, die es gab (sie war ungefähr so groß wie unsere gesamte Wohnung…).

„Leg dich endlich hin und schlaf“, murmelte der Typ auf dessen Bett ich saß und dessen Namen ich schon längst wieder vergessen hatte.

„Nein, ich gehe.“ Ich stand auf und zog mich wieder an.

„Es ist fast drei Uhr nachts und draußen ist es minus 20 Grad kalt.“

„Lass das mal meine Sorge sein.“

Draußen war es wirklich eiskalt, aber das war mir egal.

Es war mittlerweile Ende Januar und ich hatte seit Weihnachten nicht mehr mit Li gesprochen. Er entschuldigte sich ständig bei mir, ohne auch nur zu ahnen, dass ihm das falsche Leid tat. Dennoch konnte ich es ihm nicht sagen, es ging einfach nicht.

Ich hatte Angst, er würde es genauso abtun wie diese eine Nacht. Oder, dass er mich hassen würde. Dass ich zuviel von mir preisgeben würde, mit dem Resultat, ihn endgültig zu verlieren.
 

Zwei Stunden brauchte ich nach Hause, aber ich wollte laufen, wollte das Gefühl haben jederzeit erfrieren zu können. Wahrscheinlich hätte ich nicht einmal etwas dagegen gehabt zu sterben. Ich weiß es nicht.

In unserer Wohnung war es stockduster als ich ankam, und ich beließ es dabei. Alles, was auch nur annähernd hell und freundlich war, schreckte mich in letzter Zeit ab. Die Vorhänge in meinem Zimmer zog ich extra zu, damit nicht noch aus Versehen Tageslicht herein kommen konnte.

„Du kannst mir nicht ewig aus dem Weg gehen.“ Mein Herz blieb fast stehen als die leise Stimme hinter mir ertönte.

„Was tust du hier?“

„Ich habe auf dich gewartet.“

„Wieso?“

„Weil ich mit dir reden will.“

„Keine Lust. Ich bin müde und will schlafen.“

„Du wirst dir anhören, was ich dir zu sagen habe. Und keine Widerworte.“

„Rede, vielleicht höre ich dir ja wirklich zu.“

„Du wirst, da bin ich mir ganz sicher.“ Die Siegesgewissheit in seiner Stimme machte mir irgendwie Angst. „Dass wir seit über einem Monat nicht mehr vernünftig miteinander reden können… ich glaube, ich weiß jetzt woran es liegt.“

„Woran denn?“ Ich hatte mich immer noch nicht umgedreht und starrte weiter die Vorhänge an.

„Ich habe den dringenden Verdacht, dass du in mich verliebt bist.“ Mein Herz übersprang diesmal gleich mehrere Schläge. „Du bist nicht sauer, wegen dem was IN dieser Nacht passiert ist, oder?“

Warum schüttelte ich den Kopf? Warum konnte ich ihn nicht einfach anlügen?

„Was ist es dann?“, flüsterte er.

„Ich will dich nicht verlieren.“ Es hätte mich nicht gewundert, wenn er mich nicht gehört hätte, so leise, wie ich sprach.

„Aber du sagst es mir nicht, und bist deshalb genau auf dem besten Wege dahin.“

„Ich will dich nicht verlieren“, wiederholte ich stupide.

„Sag, dass ich mich nicht irre, und du wirst mich nicht verlieren.“

„Du irrst dich aber.“

„Ich hörte seine Schritte hinter mir, spürte seine Hände auf meinen Schultern, den sanften Druck, mit dem er mich zu sich umdrehte.

„Sag mir das ins Gesicht.“ Er hob mein Kinn, damit ich ihn direkt ansah.

„I… ich kann nicht“ entgegnete ich und drehte mich wieder weg.

„Also habe ich Recht.“ Seine Arme umfingen mich von hinten, sein Kinn legte sich auf meine Schulter, aber ich konnte mich nicht wehren.

„Wie kommst du eigentlich darauf?“, fragte ich leise.

„Ich habe viel nachgedacht in den letzten Tagen und Wochen, aber erst gestern ist mir ein Licht aufgegangen. Dein Verhalten seit Weihnachten. Alles, was du seit Marie für mich getan hast…“

„Du…“

„…hast Recht?“

Ich nickte leicht und im selben Moment war ich erleichtert und von riesiger Angst erfüllt. Wie würde er reagieren? Würde er es abtun? Oder mich hassen?

„Du bist süß.“ Er löste sich so von mir, dass er mich abermals umdrehen konnte. Und alles was ich tun konnte war, ihn anzustarren wie der letzte Volldepp. Er hatte das wirklich gesagt... und er beugte sich wirklich zu mir und gab mir einen Kuss auf die Wange… und er hauchte mir gerade wirklich ein „Ich liebe dich“ ins Ohr.

Und wie reagierte ich Trottel? Ich stieß ihn von mir und schrie ihn fast an: „Sag das nicht, wenn du es nicht so meinst!“ Ich war schon wieder kurz davor zu heulen.

„Ich meine es ernst“, sagte er todernst. „Bitte glaube mir. Der letzte Monat hat mir mehr wehgetan als die Trennung von Marie, aber das habe ich erst gestern realisiert.“

„Wir sind ja auch schon seit Ewigkeiten befreundet, da kann das doch gut sein…“

„Auch, wenn mir neben unserer Freundschaft eben auch deine körperliche Nähe fehlt? Unser sinnloses Gequatsche genauso wie dein Lächeln? Wenn ich dir genauso gerne zuhören will wie ich dich berühren will?“

„Aber… du hast doch gesagt, dass…?!“

„Dass es nur ein One-Night-Stand war? Noch dazu vom Alkohol ausgelöst? Das… das war dumm von mir, tut mir Leid.“

„Aber…“

„Kennst das schöne Sprichwort ‚In vino veritas’ nicht? Ich weiß, dass deine Lateinkenntnisse praktisch nicht existent sind, aber ich dachte, soviel hätte ich dir beigebracht?“

„Du meinst…?“

„Es war der Alkohol, ja, aber nur weil er früher wusste, was ich will als ich es selbst wusste.“

Ich sah ihn nur weiter völlig verunsichert an und sein Bild verschwamm vor meinen Augen. Aber er lächelte.

„Ist das denn so traurig, dass du gleich weinen musst?“

Den Kopf schüttelnd wischte ich mir ungeschickt die Tränen aus den Augen.

„Eine Frage noch: Wie lange schon?“, fragte er vorsichtig.

„Seit… seit unserem letzten Schuljahr“, gestand ich auf den Boden starrend. Und innerhalb weniger Augenblicke lag ich wieder in seinen Armen.

„Ich… ich wollte dich nicht verlieren. Außerdem hattest du Marie…“

„Das ist vorbei. Und du wirst mich nicht verlieren“, lächelte er.

Ich nickte nur leicht und wurde zum Bett geschoben, wo ich an ihn gekuschelt fast augenblicklich einschlief.
 

Ein Traum. Das war alles nur ein Traum. Aber warum lag dann ein Arm über meinem? Und warum konnte ich jemanden neben mir atmen hören?

Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah, dass meine Hand mit einer anderen verknotet war. An den Zeigefingern identische Ringe, dabei hatte ich meinen seit Weihnachten nicht gesehen, hatte ihn versteckt, damit ich ihn nicht sehen musste…

„Den hab ich gestern gesucht und gefunden. Eigentlich hatte ich ihn dir im wachen Zustand geben wollen, aber du warst so schnell weg“, flüsterte Li leise neben meinem Ohr.

„Kein Traum…“, murmelte ich nur und drehte mich zu ihm um.

„Nein, kein Traum. Und noch etwas, was ich dir schon früher sagen wollte: Ich gebe dir hiermit die Erlaubnis, mich Idiot nennen zu dürfen, wann immer du es für angebracht hältst.“

„Halt die Klappe“, sagte ich nur bevor ich ihn küsste. Und zum ersten Mal war ich wirklich glücklich.
 

The End
 

(Ich hoffe euch hats gefallen. Freu mich auf eure Kommis ^^)



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Kommentare zu dieser Fanfic (9)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Noise
2007-12-25T22:51:59+00:00 25.12.2007 23:51
ja, wirklich sehr süß!
Die Storyline gefällt mir auch echt gut :). Ich weiß nicht ganz, was ich sagen soll außer: Süß!
Tut mir Leid für meine Unkreativität. Sorry ^^°.

sehr schön :)
nur das ende fand ich ein bisschen zu... schnell. Trotzdem extrem süße Fic ^_^!

aoyagi
Von: abgemeldet
2007-11-15T20:27:26+00:00 15.11.2007 21:27
Sehr süße Story! Und dein Schreibstil gefällt mir auch. :)
Ich guck mal in deine anderen Storys rein!

Gruß,
Ju-chan
Von: abgemeldet
2007-11-08T21:16:27+00:00 08.11.2007 22:16
*schmacht* Wow! Tolle Geschichte! Ich hab richtig mit dem armen Max mitgelitten^^ Und dein Stil gefällt mir auch, sehr mitreißend^^
MfG,PS
Von:  Yuki_no_hitohira
2007-11-04T16:13:41+00:00 04.11.2007 17:13
Süß! Einfach nur süß!! Nur zu kurz. *seufz*
Will mehr lesen!

Von:  Sakiko_Seihikaru
2007-11-01T12:10:52+00:00 01.11.2007 13:10
Endlich!
Endlich sind sie zusammen!
Ich habe mich kurz vor Schluss echt gefragt, wie du das wieder hinbiegen willst, aber du hast es echt geschafft. Einfach toll!
Die beiden sind so süß ^^ *Max- und Li-Fähnchen schwenk*
Wenn das dabei rauskommst, wenn du daheim bist, solltest du dir überlegen, eventuell doch da zu bleiben *g*. Nein, Scherz!
Dann freu ich mich mal auf deine nächste Story, mal sehen, wann ich sie kommentieren kann ^^
Von: BlaiseZabini
2007-11-01T08:13:30+00:00 01.11.2007 09:13
alos ich schliess mich Shunya an die geschichte ist der hammer!!!
die beiden waren so süß!!!
hach
*seufz*
ich weiß gerade garnicht was ich sagen soll!
ich hab total mit Maximilian mitgeliten und auch Li tat mir irgendwie leid als er so ignuriert wurde!
Das mit den Ringen fand ich total schön und auch das Ende war richtig passend!
mach weiter so!
ich gespannt was noch alles kommt
Lg Blaise

Von:  Shunya
2007-10-31T00:15:46+00:00 31.10.2007 01:15
Wow, ich bin echt sprachlos.
Die Geschichte ist einfach der Hammer!!! O.o
Dein Schreibstil ist klasse und du hast die Geschichte wirklich gut rüber gebracht. Respekt!!!
Die Storyline gefiel mir total gut und auch die beiden Jungs waren einem von Anfang an sehr sympathisch!
Das Ende war echt dramatisch. Ich war die ganze Zeit nur am Hoffen das die beiden auch ja noch zusammen kommen würden. ;)
*fav*
Von:  Misuzu
2007-10-31T00:13:54+00:00 31.10.2007 01:13
hey, warum willst du flüchten? is doch toll
ich finds blos jetzt schon schade, wenn ich sehe, dass deine Fanfic ganz kurz is xD
Von:  Sakiko_Seihikaru
2007-07-16T17:46:13+00:00 16.07.2007 19:46
Boah... NEIN! DA KANNST DU NICHT AUFHÖREN!!!
Wie gemein!
Sie sind so süß, scheiß auf besoffen oder nicht (heißt es nicht sogar, ein Betrunkener erzählt meist die Wahrheit? Nur das Li es eben tut? ^^) oh man, wie putzig.
Ich liebe die beiden und HASSE Marie, obwohl es schon gut ist, das sie Li verlassen hat, wäre sonst ungünstig...
Ok, ich freu mich aufs nächste Kapi. *'Li x Max'-fähnchen schwenk*


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