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Das Jahr, in dem Meisterdiebe, Schülerdetektive und Tennis aufeinandertrafen

Ein Crossover zwischen DetektivConan/MagicKaito und Prince of Tennis
von

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Prolog

Es war der ersten Tag des neuen Schuljahres und Fuji Syuusuke - der zwar nicht so viel Wert auf Pünktlichkeit legte wie ein gewisser alter Bekannter von ihm, aber nichtsdestotrotz noch nie dazu geneigt hatte, zu spät zum Unterricht zu erscheinen -, war sich nur allzu gut der Tatsache bewusst, dass er bereits vor mehr als zehn Minuten ein Klassenzimmer hätte betreten sollen, das zu finden sich in dem großen Schulgebäude als gar nicht mal so leicht herausstellen könnte, hatte er zuvor doch noch nie auch nur einen Fuß in die besagte Bildungsstätte gesetzt.

Da weit und breit niemand mehr zu sehen war, den er, wie er es ursprünglich vorgehabt hatte, beiläufig nach dem Weg hätte fragen können, handelte es sich überdies um einen eher ungünstigen Zeitpunkt für die Durchführung eines solchen Unterfangens.

Jedoch war es nicht ohne Grund, dass man Fuji Syuusuke einen Genius nannte. Auch auf sich allein gestellt würde er sein Ziel letztendlich erreichen - es würde wohl nur ein paar Minuten länger dauern.

Es sei denn, er beeilte sich; dann könnte er es vielleicht sogar in derselben Zeit schaffen. Allerdings hätte er ohnehin noch beinahe pünktlich sein können, wäre es ihm gelungen, sich dazu durchzuringen, das oh so gemächliche Tempo, welches er auf dem Weg zur Schule üblicherweise einschlug, ausnahmsweise ein wenig zu erhöhen. Es war ein guter Vorsatz gewesen, welchen er in ähnlicher Form schon viel zu häufig gefasst hatte und den in die Tat umzusetzen ihm auch dieses Mal nicht gelungen war.

Stattdessen hatte er den idyllischen Anblick genossen, der sich ihm gleich nach Verlassen des Hauses geboten hatte. Mit einem beinahe kindlichen Vergnügen, das in seinem Freundeskreis normalerweise nur der stets lebhafte Eiji an den Tag legte, hatte er sich umgesehen und versucht, sich so viele Details wie möglich von dem einzuprägen, was er sah.

Der strahlendblaue Himmel, der so wenig zu wünschen übrig ließ, dass er dem Pinsel eines besonders talentierten Malers hätte entsprungen sein können. Die zahlreichen Bäume, von denen zu dieser Jahreszeit nicht wenige mit Kirschblüten beladen waren und die sich gemächlich im Takt der leichten Brise wiegten, welche ein angenehmes Prickeln auf seiner Haut zurückgelassen hatte. Das vergnügte Zwitschern, das aus allen Hecken und Sträuchern zu hören war und das all die Dinge, die einen derart vollkommenen Tag ausmachten, perfekt widerspiegelte.

Das alles rechtfertigte in seinen Augen ganz eindeutig eine kleine Verspätung.

Und selbst jetzt, wo es außer den verlassenen Korridore und kahlen Wänden, die ihn umgaben, doch eigentlich nicht mehr viel zu sehen gab, hatte Syuusuke nicht vor, sich in irgendeiner Weise zu hetzen.

Es bestand, so fand er, kein wirklicher Grund zur Eile.

Eine Einstellung, die nicht darauf zurückzuführen war, dass er faul gewesen wäre. Oder gar arrogant, wie es manch eine böse Zunge womöglich behauptet hätte. Besonders die letztere der beiden Anschuldigung wäre vollkommen lächerlich gewesen, denn wenn es jemanden gab, der nicht nur um Fuji Syuusukes mangelnden Elan wusste, sondern ihm den fehlenden Enthusiasmus auch noch tatsächlich übelnahm, dann war das der junge Genius selbst.

Und vielleicht noch sein kleiner Bruder, aber diese Angelegenheit war dann doch etwas komplizierter als das.

Tatsache aber ist, dass Syuusuke eine noch so große Abneigung gegenüber seinem mangelnden Eifer empfinden mochte – es änderte nichts daran, dass ihm alle Dinge einfach so in den Schoß zu fallen schienen und er folglich nur selten einen Grund dazu sah, sich für irgendetwas wirklich anzustrengen.

Allerdings stimmte es wohl, dass dieser Umstand auch einer der ausschlaggebenden Gründe dafür war, weshalb sein eigener Bruder einst eine solche Aversion gegen ihn gehegt hatte.

Noch immer reichte der bloße Gedanke an jene Zeit - in der Yuuta so unerreichbar für ihn gewesen war, dass es Syuusuke beinahe körperliche Schmerzen bereitet hatte -, um ein dumpfes, beklemmendes Gefühl in seiner Magengegend zurückzulassen.

Damals hatte er mit ansehen müssen, wie sehr sein kleiner Bruder darunter gelitten hatte, ständig mit ihm, dem sogenannten Wunderkind, verglichen zu werden.

Dabei war Yuuta eine so komplexe und vor allem liebenswürdige Person, dass es Syuusuke zunächst vollkommen absurd erschienen war, wie überhaupt jemand auf die Idee kommen könnte, sie beide ernsthaft und vor allem derart hartnäckig miteinander vergleichen zu wollen. Für ihn war Yuuta immer perfekt gewesen, einer der wunderbarsten und liebenswertesten Menschen der Welt – wenn nicht sogar der wunderbarste und liebenswerteste überhaupt.

Kein Wunder also, dass es ihm anfangs vollkommen unbegreiflich erschienen war, wie jemand ihn seinem kleinen Bruder vorziehen könnte, ganz gleich in welcher Hinsicht.

Nicht, weil es ihm an Selbstbewusstsein gemangelt hätte, sondern weil es in seinen Augen niemanden gegeben hatte, der auch nur annährend so einmalig liebenswert gewesen wäre wie sein kleiner Bruder. Eine Ansicht, an der sich bis heute nicht viel geändert hatte.

Natürlich hatte er trotzdem nicht lange gebraucht, um hinter die offensichtlichen, rationalen Gründe dafür zu kommen, weshalb so manch einer das etwas anders sah. Aber dass er sich dieser Gründe bewusst gewesen war, bedeutete nicht, dass er sie auch tatsächlich verstanden hatte. Tatsächlich mutete ihm das Ganze auch nach all den Jahren noch leicht befremdlich an.

Nicht, dass die Leute in dieser Sache großen Wert auf seine Meinung gelegt hätten.

Denn wäre das der Fall gewesen, wären manche Dinge in seinem und vor allem Yuutas Leben womöglich anders verlaufen.

Doch wenngleich Syuusuke sich noch immer von Zeit zu Zeit die Frage stellte, ob er zu jenem Zeitpunkt nicht doch irgendetwas hätte tun können, um seinem Bruder all das leichter zu machen, war sein tiefes Bedauern nichts im Vergleich zu der Freude, die er empfand, wann immer er daran dachte, wie sehr sich die Dinge nach dem Turnier von vor über drei Jahren zum Besseren gewendet hatten – und das tat er nicht selten.

Kein Wunder also, dass Fuji Syuusuke die meiste Zeit über beinahe so fröhlich war, wie er sich gab.

Vor allem an jenem Tag, an dem er sich in aller Ruhe seinen Weg durch die verwaisten Korridore der Edoka Highschool suchte, stellte es sich, wie Syuusuke müßig feststellte, als äußerst schwierig heraus, seine Gedanken auf andere Pfade zu lenken. Was nicht weiter verwunderlich war, war doch Yuuta der Grund dafür, dass er das Haus beinahe zwanzig Minuten später verlassen hatte als gewöhnlich.

Nicht, dass es Syuuske jemals in den Sinn gekommen wäre, seinem kleinen Bruder die Schuld für seine eigene Unpünktlichkeit zu geben.

Schließlich war zweifellos ganz allein seine Entscheidung gewesen, Yuutas Erkältung als einen ihm nur allzu willkommenen Vorwand dafür zu benutzen, seinen nur ein Jahr jüngeren Bruder endlich einmal wieder so sehr zu verhätscheln, dass dieser kurz davor gewesen war, seine Zimmereinrichtung nach ihm zu werfen.

Es war wirklich schade, dass Yuuta es nur dann zuließ, dass sein großer Bruder ihm über einen längeren Zeitraum hinweg all seine Aufmerksamkeit schenkte, wenn er gerade wenigstens im metaphorischen Sinne ans Bett gefesselt und Syuusuke hilflos ausgeliefert war.

Und selbst dann erwies sich das Bemuttern für diesen auf Dauer noch als ausgesprochen schwierig, brachte er es doch nichts übers Herz, seinen Lieblingsbruder gegen dessen Willen tatsächlich und buchstäblich mit einem Seil oder wahlweise auch Handschellen daran zu hindern, das nächtliche Lager zu verlassen.

Nun sollte man meinen, die Aussicht, den eigenen Bruder mit Handschellen an ein Bett zu ketten, würde auf die meisten Menschen mehr als nur ein klein wenig verstörend wirken - besonders dann, wenn sie in der Tat keine romantischen Gefühle für diesen hegen. Und vermutlich tut sie das auch.

Nicht jedoch auf Fuji Syuusuke, dem diese Vorstellung lediglich ein sehnsüchtiges Lächeln entlockte.

Beiläufig fragte der junge Genius sich, ob das vielleicht der Grund dafür sein könnte, weshalb er selbst seinen Freunden zuweilen nicht so ganz geheuer zu sein schien, oder ob das doch eher auf seine Vorliebe für eher unkonventionelle Nahrungsmittel zurückzuführen war. Möglicherweise aber lag es auch einfach nur an seiner leicht sadistischen Ader, die sich immer häufiger bemerkbar machte, seit er das letzte Mal die Schule gewechselt hatte, sowie der Tatsache, dass er sich noch nie sonderlich viel Mühe damit gegeben hatte, besagte sadistische Ader auf Dauer vor seinen Mitmenschen zu verbergen.

Nun ja, im Grunde spielte es keine Rolle, welche dieser drei Punkte nun die Hauptursache für die Wirkung darstellte, die er zuweilen auf seine Menschen hatte, oder ob er nicht vielleicht sogar einen weiteren potentiellen Grund auf seiner mentalen Liste vergessen und somit außer Acht gelassen hatte.

Viel wichtiger war es schließlich, sich schon einmal zu überlegen, was er seinem kleinen Bruder nach der Schule am besten mitbringen sollte. Als Gute-Besserungs-Geschenk, sozusagen.

Einen Teddybären vielleicht?

Neue Unterwäsche?

Oder doch etwas weniger… Unkonventionelles?

Hm.

Syuusuke lächelte vergnügt.

Er würde sich aller Voraussicht nach viel Zeit mit dieser Entscheidung lassen, selbst wenn er jetzt schon einmal damit begann, sich ernsthafte Gedanken darüber zu machen. Schließlich handelte es sich hierbei um eine Angelegenheit von größter Bedeutsamkeit.
 

Im Nachhinein gab es für Syuusuke keinen Zweifel daran, was der Grund für seine ebenso kurzweilige wie untypische Unaufmerksamkeit gewesen war.

Nicht nur war er für einige Augenblicke ganz und gar in seine (recht unterhaltsamen) Grübeleien vertieft gewesen, er hatte auch nicht damit gerechnet, so spät nach Unterrichtsbeginn noch jemanden außerhalb der Klassenräume anzutreffen.

Verständlich also, dass er, als er um eine Ecke in den nächsten Korridor bog, nicht mit der Person rechnete, die gerade aus der ihm entgegengesetzten Richtung kam und soeben im Begriff gewesen war, genau dasselbe zu tun wie er – um die Ecke biegen.

Ein äußerst unglücklicher Zufall.

Zwar gelang es dem in seiner Freizeit tennisspielenden Genius gerade noch in letzter Sekunde, innezuhalten, jedoch stellte sich das rechtzeitige Ausweichen als ein wesentlich schwierigeres, ja unmögliches Unterfangen heraus – nicht zuletzt deshalb, weil das ihm entgegenkommende Individuum nicht einmal Notiz von ihm zu nehmen schien und daher keinerlei Anstalten machte, ihm sein Vorhaben zu erleichtern.

Ganz offensichtlich war er also nicht der Einzige, der dazu neigte, die Gedanken ausgerechnet in den unpassensten Momenten ein wenig schweifen zu lassen.

Die Wucht des Aufpralls war nicht sonderlich groß, reichte jedoch aus, um Syuusuke, der das Lächeln für den Moment eingestellt und die Augen vor Überraschung ein gutes Stück weit geöffnet hatte, den ein oder anderen Meter rückwärtstaumeln zu lassen.

Die zweite betroffene Person indessen, deren Schritte bis dahin recht schnell gewesen waren, kam etwas weniger glimpflich davon und wurde bei dem Zusammenstoß prompt auf den Boden befördert.

Nachdem er dann schließlich sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, stand Syuusuke noch für die Dauer eines Atemzugs wie erstarrt da und rührte sich nicht.

Jedoch brauchte er keine zwei Sekunden, um seine anfängliche Verwunderung zu überwinden. Im nächsten Moment hatte sich auch schon wieder das übliche heitere Lächeln auf seine Züge gelegt.

Er streckte den Arm aus, der zweifelsohne männlichen Person entgegen, die in ihn hineingelaufen und infolgedessen eher unsanft auf ihren vier Buchstaben gelandet war.

Dabei nahm er beiläufig zur Kenntnis, dass er es mit einem ungefähr gleichaltrigen Jungen mit relativ kurzem, dunkelbraunem Haar zu tun hatte, das den Eindruck auf ihn machte, als unterhielte es keine sonderlich freundschaftlichen Beziehungen mit Kämmen und überhaupt allem, was den schändlichen Versuch unternehmen könnte, es zu bändigen.

Als der andere Jugendliche die ihm angebotene Hand lediglich perplex anstarrte, legte Syuusuke leicht den Kopf schräg.

„Alles in Ordnung?“, erkundige er sich, nun doch ein wenig besorgt.

Der Angesprochene hob den Kopf; blaue Augen – wesentlich dunkler, aber nicht weniger ausdrucksstark als Syuusuke eigene - schlossen sich kurz und wurden gleich darauf wieder geöffnet; ein Vorgang, der sich anschließend noch einige Male wiederholte.

Dann jedoch schien der dunkelhaarige Junge seine kurzfristige Orientierungslosigkeit innerhalb weniger Atemzüge zu überwinden.

Mit einem leicht verlegenen, aber nicht gerade schmalen Grinsen ergriff er die ihm dargebotene Hand.

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich, während Syuusuke ihm wieder auf die Beine half. „Ich hatte es etwas eilig.“ Obwohl seinem Gegenüber das Ganze nicht übermäßig unangenehm zu sein schien, war es ihm offenbar peinlich genug, um sich verlegen den Hinterkopf zu reiben.

Syuusuke winkte ab.

„Ich habe auch nicht aufgepasst“, gestand er. Längst hatte wieder ein unbekümmertes Lächeln den Weg auf seine Lippen gefunden. „Fuji Syuusuke“, stellte er sich dann vor, wie es die Höflichkeit gebot, und verzichtete für den Moment darauf, die Hand des anderen Jungen loszulassen, wenngleich die Etikette wohl eigentlich auch das verlangt hätte.

Sein neustes Opfer jedoch schien sich daran nicht zu stören; was, so fand Syuusuke, äußerst schade war.

„Kuroba Kaito“, erwiderte der Junge, auf dessen Gesicht sich noch immer das Grinsen von zuvor abzeichnete, aus dem mittlerweile jede Spur von Verlegenheit gewichen war.

Nachdem auch ein flüchtiges, in Japan nicht gerade übliches Händeschütteln es nicht vermochte, seine neue Bekanntschaft auch nur ansatzweise aus dem Konzept zu bringen, beschloss Syuusuke – für den es ein Kinderspiel war, seine ehrliche Enttäuschung über diese Tatsache zu verbergen -, es erst einmal gut sein zu lassen.

„Hm“, machte sein Gegenüber nachdenklich, nachdem Syuusuke also doch noch seine Hand losgelassen hatte. „Ich glaube nicht, dass ich dich schon mal gesehen habe. Du bist nicht zufällig neu hier?“

„Mhm“, bestätigte Syuusuke, der es sich nun doch wieder anders überlegt hatte, und nickte fröhlich.

Der andere Junge hob leicht eine Braue.

„Und du kommst gleich am ersten Tag gut eine halbe Stunde zu spät?“, fragte er, offenbar belustigt.

Syuusuke strahlte ihn an und nickte abermals.

Zufrieden stellte er fest, dass seine Bemühungen, sein Gegenüber aus der Ruhe zu bringen, nicht länger vergebens waren; wobei ihn ein Misserfolg dieses Mal ohnehin stark gewundert hätte.

Wie erwartet zeigte die altbewährte Taktik langsam aber sicher den gewünschten Erfolg.

„Wie auch immer…“, begann Kuroba, der, wenn Syuusuke nicht alles täuschte, nun doch ein wenig nervös geworden war. Allerdings musste man ihm lassen, dass er sein Unbehagen offenbar recht gut zu verbergen wusste. „Ich glaube, ich gehe dann mal besser. Bevor die erste Stunde ganz vorbei ist. Also, bis dann!“, verabschiedete der Dunkelhaarige sich dann auch schon, etwas plötzlich vielleicht, aber keineswegs unfreundlich und indem er die Hand zu einem flüchtigen Winken hob.

Syuusuke wartete einen Moment.

„Saaa, Kuroba-kun“, begann er schließlich und verfolgte erst einmal in aller Ruhe die Wirkung dieser harmlosen Worte. Vergnügt sah er zu, wie der andere Jugendliche abrupt innehielt (regelrecht erstarrte), nur um gleich darauf einen fragenden (fast schon etwas beunruhigten) Blick über die Schulter zu werfen. Dann erst fuhr er fort: „Du bist nicht zufällig im dritten Jahr?“

Kuroba blinzelte.

„Doch, wieso?“

„Könntest du mir dann vielleicht den Weg zur 3b beschreiben?“ Dieses Mal war Syuusukes Lächeln ein höfliches. „Natürlich nur, wenn es keine zu großen Umstände macht.“

„3b?“ Nicht zum ersten Mal blinzelte der andere Junge perplex. Gleich darauf allerdings zeigte sich auch schon wieder ein gutgelauntes Grinsen auf seinem Gesicht. „Wenn das so ist, komm einfach mit. Ich wusste nicht, dass wir in dieselbe Klasse gehen.“

„Danke“, erwiderte Syuusuke, noch immer lächelnd.

Während er dem dunkelhaarigen Jungen folgte, bei dem es sich also um einen seiner neuen Klassenkameraden handelte, beschlich ihn das Gefühl, dass dieses Schuljahr sich auch außerhalb des Tennisplatzes als durchaus interessant herausstellen könnte.

Und für gewöhnlich war auf seinen Instinkt Verlass – ganz besonders dann, wenn es um potentielle Unterhaltungsfaktoren ging.

Fuji Syuusuke

Es kostete Kaito seine ganze Selbstbeherrschung, sich nicht alle zwei Sekunden nach seinem neuen Mitschüler umzudrehen, nur um sicherzugehen, dass dieser nicht plötzlich ein Messer gezückt hatte und im Begriff war, sich auf ihn zu stürzen.

Dabei wusste er sehr wohl, dass diese Befürchtung unbegründet und absolut lächerlich war. Schließlich war er im Moment nicht Kaitou Kid, der Meisterdieb, sondern Kuroba Kaito, der zwar ein ausgesprochen fähiger Hobbyzauberkünstler, aber dennoch auf den ersten Blick nichts weiter war als ein ganz normaler Jugendlicher, der in wenigen Minuten aus den herkömmlichen Gründen zu spät zum Unterricht erscheinen würde – und nicht weil er bis spät in die Nacht damit beschäftigt gewesen war, einen besonders kostbaren Edelstein aus einer berühmten Juwelensammlung zu entwenden, während zahlreiche rechtschaffene Bürger wie die Polizei und ein gewisser halbbritischer Schülerdetektiv ihn verfolgt und eine handvoll weniger gesetzestreuer Scharfschützen ihm mit einer beunruhigenden Hartnäckigkeit nach dem Leben getrachtet hatte.

Nein, er hatte nichts zu befürchten, und es gab keinen logischen Grund für die Annahme, dass das gut gehütete Geheimnis um seine wahre Identität so plötzlich und auf unerklärliche Weise aufgeflogen sein sollte.

Demnach war die Person hinter ihm aller Wahrscheinlichkeit nach auch kein Mitglied irgendeiner zwielichtigen Verbrecherbande, die es auf seinen Kopf abgesehen hatte, sondern ebenfalls nichts weiter als ein ganz gewöhnlicher Oberstufenschüler, der aus einem ganz banalen Anlass schon am ersten Schultag nicht gerade in Sachen Pünktlichkeit glänzte.

Doch obwohl Kaito sich all dessen bewusst war, änderte das nichts an der Tatsache, dass er auch weiterhin dieses Kribbeln im Nacken verspürte, das ihm sagte, dass der Junge hinter ihm noch immer dasselbe Lächeln im Gesicht trug, das dort nun schon seit mindestens zehn Minuten residierte, nur ab und an ein wenig breiter wurde und sich ansonsten nicht einmal ansatzweise zu verändern schien.

Und irgendetwas an diesem Lächeln vermochte es, selbst Kaito, der nun schon seit beinahe einem Jahr mit einem seiner beharrlichsten Kritiker in dieselbe Klasse ging und weiß Gott nicht leicht aus der Ruhe zu bringen war, nervös zu machen.

Vielleicht lag es einfach nur daran, dass er in letzter Zeit zu wenig Schlaf bekommen hatte, aber dieser Fuji Syuusuke war ihm nicht ganz geheuer. Er hatte ein ungutes Gefühl dabei, ihm so ohne weiteres den Rücken zuzukehren.

Dementsprechend erleichtert war er, als er und sein neuster Mitschüler endlich den Klassenraum erreichten. Gleichzeitig schalt er sich einen Narren und beschloss, dass er es mit seinen nächtlichen Ausflügen wirklich nicht mehr so sehr übertreiben durfte.

Normalerweise konnte er sich auf seinen Instinkt verlassen. Und das war eine dringende Notwendigkeit, wenn er in der nahen Zukunft weder im Gefängnis landen noch die Radieschen von unten betrachten wollte. Falls sein sechster Sinn also auf einmal verrücktspielte, war das mit Sicherheit kein gutes Zeichen.

Natürlich war Kaito nicht leichtsinnig genug, seine neuste Bekanntschaft trotz ihrer beunruhigenden Wirkung auf ihn so einfach als harmlos abzutun.

Nein, er würde diesen Fuji im Auge behalten – nur, um sicherzugehen.

Aber während er den anderen Jugendlichen beobachtete, wie er sich mit einer Verbeugung und überhaupt in aller Höflichkeit bei der Lehrerin für sein Zuspätkommen entschuldigte, mit einem Lächeln, das ebenso aufrichtig um Verzeihung zu bitten schien wie seine Worte und der Rest seiner Körpersprache und an dem ganz klar nichts Unheimliches war, konnte Kaito nicht anders, als es für keineswegs unwahrscheinlich zu halten, dass seine Fantasie mit ihm durchgegangen war.

Nun, kein Wunder.

Wenn man bedachte, wie sich die Dinge in letzter Zeit entwickelt hatten, war es wohl ohnehin nur eine Frage der Zeit gewesen, bis seine geistige Gesundheit ein für alle Mal genug haben und ihren Koffer packen würde.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Kaito den Blick, mit dem Hakuba Saguru ihn bedachte. Es war jene Art von Blick, die typisch für seinen halbbritischen Rivalen war und ihn dementsprechend ärgerte. Der Ausdruck in den dunkelbraunen Augen war ein wissender - hochmütig und selbstgefällig, so als hätte Hakuba ihn soeben eindeutig und unanfechtbar als weltweit gesuchten Verbrecher entlarvt.

Mühsam unterdrückte Kaito den kindischen - aber erstaunlich heftigen - Impuls, den Kopf um grob geschätzte sechzig Grad zu drehen und dem hochnäsigen Schülerdetektiv die Zunge herauszustrecken. Dabei tröstete er sich mit dem Wissen, dass er seinem Rivalen, so hartnäckig und ärgerlich dieser auch sein mochte, stets einen Schritt voraus und Hakuba einfach nur ein schlechter Verlierer war.

Kein Grund also, sich über das übliche Gehabe des selbstgerechten Idioten aufzuregen. Zumal es Dinge gab, die von weitaus größerer Bedeutung waren.

Zum Beispiel Aoko, seine Sandkastenfreundin, die ja eigentlich liebenswert und süß und sowieso toll war, aber ihm einen mehr als ausreichenden Anlass zur Sorge bot, wenn sie ihn, so wie jetzt, mit leicht zusammengekniffenen Augen fixierte, die verrieten, dass sie sich gedanklich gerade eigens für ihn vorgesehene Foltermethoden beschäftigte.

Wobei der Mopp ja noch in Ordnung war. Solange sie nur nicht auf die Idee kam, mit F-… diesen Dingern auf ihn loszugehen.

Feucht und glitschig, mit ausdruckslos vor sich hinstierenden Augen… beim bloßen Gedanken daran lief es Kaito eiskalt den Rücken herunter.

Um sich von dieser Vorstellung - bei der es sich womöglich um eine Zukunftsvision handelte - abzulenken, richtete er seine Aufmerksamkeit rasch wieder auf Fuji.

„Ich hatte mich ein wenig verlaufen“, erklärte dieser der Lehrerin gerade. „Aber Kuroba-san war so freundlich, mir den Weg zum Klassenraum zu zeigen.“

Die hochgewachsene Frau nickte verständnisvoll und sah kurz zu Kaito hinüber, den sie bereits im letzten Jahr unterrichtet hatte. Dieser schenkte ihr ein breites Grinsen, während er an einen seiner besonders spektakulären Zaubertricks vom letzten Jahr dachte, bei dem die Pädagogin ihm unfreiwillig assistiert hatte.

Schade nur, dass die Farbe so schnell wieder rausgegangen war. Andernfalls hätte Aoko aber vielleicht wirklich auf ihre Geheimwaffe zurückgegriffen.

Wie dem auch sei, im Moment schien die Lehrerin erstaunlicherweise gar nicht an jenes denkwürdige Ereignis des letzten Jahres zu denken. Oder vielleicht doch, denn sie betrachtete Kaito für ein paar Sekunden mit jener Art von Ausdruck in den Augen, den man häufig zu sehen bekommt, wenn eine Person etwas oder jemanden plötzlich in einem ganz neuen Licht sieht.

Und dann schenkte sie ihm ein flüchtiges, aufrichtiges Lächeln, bevor sie sich, noch immer mit überaus freundlicher Miene, wieder dem anderen Jugendlichen zuwandte.

„Fuji Syuusuke, richtig?“

Der Junge mit dem sandfarbenen Haar nickte.

„Hai“, bestätigte er, noch immer lächelnd.

„Ich bin Arasashi Kamiko, deine neue Klassenlehrerin“, stellte die dunkelhaarige Frau sich vor und Kaito beschlich das Gefühl, dass die Gute soeben einen neuen Lieblingsschüler gefunden hatte. „Auch wenn die Klassen neu zusammengesetzt wurden, bist du vorerst der Einzige hier, der neu an der Schule ist.“ Kaito fragte sich, was genau mit vorerst gemeint war. „Und wenn man bedenkt, aus was für einer Schule du zu uns gekommen bist“, fuhr die Lehrerin fort und senkte ihre Stimme dabei etwas, sodass Kaito, der nun einmal zur Neugierde neigte und trotz seines doch recht vorwitzigen Wesens selten zu offener Unhöflichkeit tendierte, froh darüber war, dass er noch nicht die Erlaubnis erhalten hatte, sich einen Platz zu suchen, „wird die Umstellung vermutlich umso größer sein. Wenn du also Fragen hast, kannst du jederzeit zu mir kommen oder dich an einen deiner Klassenkameraden wenden. Aber ich denke, du wirst dich recht schnell eingewöhnen.“ Sie strahlte ihr Gegenüber an, welches das Lächeln der Lehrkraft ebenso freundlich erwiderte, sich brav bedankte und versprach, sich bei etwaigen Problemen oder Unklarheiten an sie zu wenden.

Die Lehrerin nickte zufrieden und ließ den Blick nachdenklich durch die Klasse schweifen.

„So…wo setzen wir dich denn am besten hin?“, murmelte sie, allerdings lauter, als sie zuvor gesprochen hatte, während Kaito sich fragte, ob die Pädagogin ihn vielleicht vergessen hatte. Irgendwie sah es stark danach aus.

Kaum hatte die Lehrerin ihre Absicht geäußert, Fuji einen Sitzplatz zuzuweisen, gehörte die Stille im Raum, die ohnehin bereits zu bröckeln begonnen hatte, endgültig der Vergangenheit an. Die Großzahl der Mädchen hatte aufgeregt zu tuscheln begonnen und hier und da war überdies ein leises, begeistertes Quietschen zu hören. Zu den wenigen Ausnahmen gehörte, wie Kaito zufrieden feststellte, Aoko. Und natürlich Akako, die zwar interessiert schien, aber das Ganze dennoch mit der gewohnten Gelassenheit verfolgte.

Vermutlich war sie insgeheim damit beschäftigt, die üblichen finsteren Pläne zu schmieden, über die Kaito lieber gar nicht erst genauer nachdachte.

Und so leid ihm Fuji auch tat, er wäre froh, wenn Akako sich ein neues Lieblingsopfer suchen würde. Irgendwie bezweifelte er allerdings, dass er so viel Glück haben würde.

Er tröstete sich damit, dass Aoko, nachdem Fuji es (absichtlich?) so hatte klingen lassen, als wäre Kaito nur seinetwegen zu spät gekommen, nicht mehr so aussah, als ob sie ihn demnächst in ein Sushi-Restaurant schleifen würde.

Gerade, als die Tutorin den Mund aufmachen wollte, um dem Jungen direkt zu ihrer Linken einen Platz zuzuweisen, übertönter ein aufgeregter Ruf das Durcheinander der zahlreichen Stimmen, die mit eifrigem Geflüster beschäftigt waren.

„Hoi, hoi, Fujiko-chan!“, rief jemand aus der letzten Reihe – und überraschenderweise handelte es sich bei der Person, die halb aufgesprungen war, den Arm in die Luft gestreckt hatte und eifrig winkte, um ein Wesen männlichen Geschlechts. „Hierher!“

Der somit Angesprochene sah, sichtlich überrascht, zu dem Jungen mit dem erstaunlich dunkelroten Haar und den vor freudiger Erregung leuchtenden graublauen Augen. Ebenso wie Kaito, der den besagten Jungen in den letzten zwei Jahren schon des Öfteren gesehen hatte. Er kannte ihn nicht persönlich, aber wenn er sich recht entsann, war er in der Tennismannschaft der Schule, die, schenkte man den Gerüchten Glauben, jedes Jahr besser zu werden schien.

„Eiji!“ Auch Fuji klang ehrlich erfreut. Sein Lächeln veränderte sich, zwar nur kaum merklich, aber genug, um einen wesentlich sympathischeren Eindruck auf Kaito zu machen. Offenbar kannten die beiden sich nicht nur, sondern waren auch gute Freunde; ansonsten hätten sie sich schließlich mit Nachnamen angesprochen oder zumindest ein Suffix an den Vornamen gehängt. Gut, Kikumaru hatte sogar beides getan – Gebrauch von Nachnamen und Suffix gemacht -, aber… Fujiko-chan? Zugegeben, ein kreativer Spitzname, aber doch eher niedlich als höflich. Wäre es jemand mit einer etwas ernsteren Persönlichkeit gewesen, der ihn verwendete, wäre das durchaus ein Anlass zum Spekulieren gewesen. Würde beispielsweise Hakuba… an dieser Stelle brach Kaito ab, vermied es gerade noch mit Mühe und Not, lauthals loszuprusten und versuchte, sich nichts von seinem inneren Lachkrampf anmerken zu lassen. An dem Tag, an dem Hakuba jemanden mit einem so intimen Kosenamen bedachte, würde der Detektiv keine Probleme mehr damit haben, Kaitou Kid dingfest zu machen. Denn dieser würde anschließend für die nächsten drei Monate lachend am Boden liegen und alle Hände voll damit zu tun haben, nicht zu ersticken. Womöglich bekäme das Wort „totlachen“ dann sogar eine ganz neue Bedeutung.

„Ich darf doch?“, fragte Fuji die etwas perplex dreinschauende Pädagogin höflich und schaute von ihr zu dem freien Platz neben dem Rothaarigen in der letzten Reihe.

„Hu?“, machte die die Lehrerin zunächst nur, doch dann fing sie sich rasch wieder und lächelte. „Oh. Ja, sicher, setz dich nur. Es ist schön, dass du hier schon jemanden kennst.“

Der betreffende Jugendliche schenkte der Frau noch ein letztes gewinnendes Lächeln, bevor er sich zu seinem rothaarigen Freund gesellte, der sich vor Begeisterung offenbar kaum auf dem Stuhl halten konnte.

Kaito hätte die beiden noch weiter beobachtet, wäre der Tutorin nicht plötzlich wieder eingefallen, dass er auch noch da war.

„Ah, Kuroba-kun“, sagte sie nicht unfreundlich und vertuschte bemerkenswert gut den Umstand, dass sie ihn beinahe vergessen hätte – wäre es nur nicht so offensichtlich gewesen. „Du möchtest sicher neben Nakamori-san sitzen, nicht wahr?“ Sie lächelte ihn an. Es war kaum zu übersehen, dass sie sich mit den Gedanken an einem Ort befand, den außer ihr niemand zu sehen vermochte, weshalb Kaito sich ebenso wortlos wie dankbar von ihr abwandte und sich neben dem temperamentvollen Mädchen niederließ, das in der vorletzten Reihe saß und dessen Platz, wie der junge Zauberkünstler zu seinem äußersten Verdruss feststellen musste, direkt vor dem von Hakuba Saguru lag.

Dass der Schülerdetektiv sich in die allerletzte Reihe und ausgerechnet hinter Aoko gesetzt hatte, konnte im Grunde nur zwei Dinge bedeuten: Entweder, er wollte seinen Rivalen ärgern – was ihm in dem Fall auch gelungen war – oder aber er wollte seinen Hauptverdächtigen im Fall Kaitou Kid im Auge behalten, was, das könnte Kaito ihm jetzt schon sagen, pure Zeitverschwendung wäre. Doch dem süffisanten Lächeln zufolge, das der halbbritische Möchtegern-Holmes ihm schenkte, teilte Hakuba diese Meinung nicht – außerdem deutete es stark daraufhin, dass nicht nur eine der beiden obengenannten Varianten zutraf.

Zunächst war der Blick, der Kaito dem halbbritischen Ärgernis zuwarf, alles andere als erfreut. Aber dann dachte er daran, dass er sich auf diese Weise in Zukunft umso besser bei seinem hartnäckigsten Gegenspieler für Aktionen wie diese revanchieren könnte, und das hintersinnige Grinsen, das sich bei dem Gedanken an all die wunderbaren Möglichkeiten auf seine Züge legte, dämpfte die Schadenfreude seines blonden Klassenkameraden sichtlich. Schließlich warf Hakuba ihm einen letzten argwöhnischen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Lehrerin richtete, die gerade dabei war, die Schüler um Ruhe zu bitten.

Zufrieden wandte Kaito sich seiner Sitznachbarin zu.

„Guten Morgen“, zwitscherte er fröhlich und schenkte seine Sandkastenfreundin ein breites Grinsen.

Unverzüglich drehte diese den Kopf in Richtung der Tafel, wohl trotz allem immer noch eingeschnappt wegen seines Zuspätkommens.

„Idiot“, murmelte sie, klang dabei aber wesentlich freundlicher, als sie es vermutlich beabsichtigt hatte. Weshalb Kaito froh war, dass Aoko sich so demonstrativ von ihm abgewandt hatte; ansonsten wäre ihr nämlich mit ziemlicher Sicherheit das verräterische Lächeln aufgefallen, das sie ihm entlockt hatte. Ein Lächeln, das sich offenbar nicht im Geringsten um die Bedeutung des Wörtchens Pokerface scherte.

Schließlich richtete auch Kaito seine Aufmerksamkeit wieder auf die Japanischlehrerin, die gerade - und erfreulicherweise wohl etwas verspätet - die Anwesenheitsliste durchging. Nachdem allerdings sein Name aufgerufen worden war und er brav „Hier!“ gerufen und den Arm gehoben hatte, lehnte er sich im Stuhl zurück und gähnte herzhaft.

Die meiste Zeit über war der Unterricht so langweilig, dass er es sich kaum vorzustellen vermochte, wie eintönig die Schule wohl ohne seine Zaubertricks und Aokos einzigartige Fechtkünste wäre, die sie regelmäßig mithilfe gewisser Putzutensilien unter Beweis stellte. Besonders die Tatsache, dass selbst Hakubas vergebliche Versuche, ihn als international gesuchten Meisterdieb zu überführen, dazu beitrugen, dass er noch nicht vor Langeweile gestorben war, gab ihm zu denken. Sogar Akakos Geschwafel von dunkler Magie und bösen Dämonen kam ihm manchmal ganz recht – und das wollte schon etwas heißen.

Er warf einen neugierigen Blick über die Schulter, zunächst direkt hinter sich, wo Hakuba gerade damit beschäftigt war, ausgiebig seine berüchtigte Taschenuhr zu studieren.

Irgendwie tat es gut zu wissen, dass er nicht der Einzige war, der Tag für Tag nach Mitteln und Wegen suchen musste, sich die Zeit zu vertreiben, wenn er nicht einschlafen wollte. Denn auch wenn der blonde Detektiv sich alle Mühe gab, es nicht zu offensichtlich werden zu lassen (Kaito fragte sich, ob das die berühmten britischen Manieren waren und, falls dem so war, nach welchen fragwürdigen Kriterien Hakuba wohl entschied, wann er von solchen banalen Dingen wie Taktgefühl Gebrauch machte), so gab es doch keinen Zweifel daran, dass der Sherlockholmesfanatiker dem Unterrichtsstoff die meiste Zeit über genauso wenig abgewinnen konnte wie er selbst - ganz einfach, weil er sich vollkommen unterfordert fühlte. Natürlich hatte Kaito nichts, mit dem er diese Theorie hätte beweisen können, doch zumindest im Englischunterricht konnte man den Halbbriten regelmäßig dabei ertappen, wie er den Blick ziellos durch den Raum schweifen ließ, auf der Suche nach irgendetwas, das ihn für die Dauer der Stunde beschäftigen würde.

Eine Suche, die zumeist vergebens war, war Englisch doch eines der wenig Fächer, in denen selbst Kaito den Versuch unternahm, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Denn auch wenn ihm der Gebrauch römischer Buchstaben und der englischen Grammatik wenig Schwierigkeiten bereitete, so kämpfte er doch wie die meisten Japaner mit der ungewohnten Aussprache. Was vermutlich hauptsächlich daran lag, dass er sich einfach nicht wirklich für das Fach begeistern konnte – denn auch in Englisch ging es mit dem Stoff so langsam voran, dass Kaito bereits nach nur ein paar Minuten wieder das Interesse verloren hatte und nur noch körperlich anwesend war, während seine Gedanken sich um alles mögliche drehten, nur nicht um die Lehrkraft, der er eigentlich hätte lauschen sollen.

Genauso wie jetzt.

Bevor Hakuba ihn bemerken und aufsehen konnte, wanderte Kaitos Blick weiter und blieb schließlich an jenem Jungen hängen, dessen Bekanntschaft er erst vor wenigen Minuten auf eher unkonventionelle Art und Weise gemacht hatte und der ebenfalls kein großes Interesse an dem zu haben schien, was auch immer die Lehrerin über das neu begonnene Schuljahr zu sagen haben mochte. Stattdessen hatte Fuji das Gesicht dem Fenster zugekehrt, welches sich direkt links von seinem Platz befand, und schien gedankenverloren die Bäume oder auch den Himmel zu betrachten.

Der junge Zauberkünstler wollte sich gerade weiter im Klassenzimmer umsehen, als das momentane Objekt seines Interesses den Kopf wandte und ihn ebenfalls ansah. Kaito blinzelte verblüfft, als sein Blick an den seltsam eisblauen Augen haften blieb, die ihn für die Dauer eines Herzschlags überrascht ansahen; allerdings nur, um sich dann sogleich wieder zu schließen und so die Wirkung des strahlenden Lächelns zu verstärken, das ihr Besitzer Kaito schenkte.

Dieser wiederum quittierte die Geste mit einem leichten Grinsen, das zwar keineswegs unfreundlich war, sich aber nichtsdestotrotz unmöglich deuten ließ.

Fuji war ihm nicht unbedingt unsympathisch, aber irgendetwas an seinem neuen Klassenkameraden war… nun, faul wäre wohl etwas übertrieben, aber irgendetwas an ihm wirkte... eigenartig. Und es war nicht nur sein ständiges Lächeln, auch wenn das vermutlich ein entscheidender Faktor war.

Und solange Kaito nicht wusste, was genau die Ursache dafür war, dass ihm in Gegenwart dieses Jungen so unwohl zumute war, würde er sich bei dem Umgang mit ihm ganz und gar auf sein Pokerface verlassen, von dem er ohnehin auch im Alltag ständig Gebrauch machte.

Schließlich war Vorsicht bekanntermaßen besser als Nachsicht.

Und es gab nur wenige Menschen auf der Welt, die diese Weisheit ebenso sehr verinnerlicht hatten wie Kuroba Kaito, der zwar nicht viel davon hielt, sich unnötig Gedanken über Dinge zu machen, aber dennoch an seinem Leben hing.

So sehr, dass er es sich nicht leisten konnte zu leugnen, dass es im Falle eines beinahe auf der ganzen Welt gesuchten Kriminellen mit zahlreichen Feinden auf beiden Seiten des Gesetzes vermutlich keine völlig unbegründete Paranoia geben konnte.

Denn Menschen müssen nicht immer das sein, was sie zu sein vorgeben.

Und kaum jemand wusste das besser als Kuroba Kaito, der selbst nicht nur bewandert in der Kunst des Schauspielens, sondern ein wahrer Meister der Verkleidung war.



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