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Chalk 'n Cheese

Wenn man das Unerkannte entdeckt
von

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Die erste Begegnung

VORWORT
 

Hallo!^^

Nachdem nun einige schon einen Kommentar abgegeben haben, mag ich es an der Stelle einmal klar und deutlich sagen: es gibt maaaaaaaaassig Stories, in denen sich Menschen und Vampire verlieben. Nicht alles ist 'fast wie Twilight'.

Ich habe keine Ähnlichkeiten versucht herzustellen und will keine Vergleiche aufstellen oder Ideen klauen.

Meine Story ist eine eigenständig dastehene Geschichte und ich möchte nicht hören, dass manche Szenen irgendwelchen anderen ähneln.

Das Leben ist eine Wiederholung, trotzdem sagt keiner "Boah, das is aber geklaut!". Also bitte, Leute ... geht ohne Vorurteile daran und bildet euch selbst eine Meinung ;3
 

Außerdem kann es gut sein, dass manche Stellen etwas seltsam erscheinen. Ursprünglich - und auch jetzt noch - ist es eig der Plot für einen Manga. Und das muss ja nur zeichnerisch gut rüberkommen ;D
 

Nun zur Hauptgeschichte!
 

Großbritannien, ein kleiner Vorort von London …
 

In einer ruhigen Straße war am Abend nichts als das beschauliche Dasein vieler Häuschen zu beobachten. Doch das größere, dunkle Haus in der Mitte dieser Straße war der Schandfleck der Stadt, wie Nachbarn es betitelten. Etliche Morde wurden dort begangen und nun lebten zwei rätselhafte junge Männer dort drin …

"Ich geh dann mal", sagte eine knurrende Männerstimme und seine Augen leuchteten rot auf in der schwarzen Finsternis.

"Lass dich nicht erwischen", antwortet ihm eine weitere Männerstimme, allerdings klang sie sanfter.

"Mich kriegt keiner."

"Aber die Menschen sind nicht blind", mahnte Christopher seinen Bruder Robin, der daraufhin augenblicklich verschwunden war.
 

Emily Brucker las sich gerade ihre Kursliste durch und stellte freudig fest, dass sie dieselben Kurse hatte wie ihre Freunde Anna und Tom.

Endlich Highschool! Das sollte doch die schönste Zeit des Lebens sein - sie musste sich unbedingt einen Freund suchen, damit sie auch jemanden für den Abschlussball im 3. Jahr hatte.

Kaum im ersten Kurs angekommen, wurden die Schüler direkt mit Informationen überhäuft. Bei der Anwesenheit fiel auf, dass ein Schüler in keiner der Stunden von diesem Tag anwesend war: Christopher Stone. Ein blasser junger Mann, aber weitgehend gutaussehend. Trotzdem: wie konnte man nur am ersten Tag nicht da sein!?

Wildes Getuschel ging in den Pausen um, als man erfuhr, wie er aussah und wie er hieß. Er kam von einer anderen Schule aus einem Außenviertel, in der es wohl ziemlich übel zugegangen war. Dementsprechend hartnäckig waren auch die Vorurteile.

Dann wurde Emily aus ihren Gedanken gerissen, als am Ende der letzten Stunde nachmittags der Lehrer plötzlich ihren Namen rief und sie zu sich bat.

"Du bist Emily Brucker?"

"Ja."

"Und du wohnst ziemlich nahe am Stadtrand, richtig?"

"Genau."

"Wenn du Zeit hättest, würde ich dich dringend bitten, diese ganzen Informationsblätter und das Unterrichtsmaterial Christopher Stone vorbeizubringen. Er hat leider eine sehr seltene Krankheit und kann daher nur selten in die Schule kommen. Er hat auch einen Privatlehrer, der ihm alles beibringt. Wäre wirklich furchtbar lieb, wenn du das tun könntest!"

"Klar doch", seufzte sie mehr als gehorsam zu klingen und ging mit hängendem Kopf aus dem Klassenraum. Jetzt musste sie auch noch Postbotin spielen!

Erst, als sie schließlich an besagter Adresse ankam, fiel ihr auf, wie oft sie schon an diesem Haus vorbeigegangen war. Aber jemanden in ihrem Alter hatte sie nie wirklich dort gesehen.

Und sonderlich gepflegt sah es hier auch nicht aus ... nicht ganz verwildert, aber Rasen gemäht hatte man hier bestimmt schon ein halbes Jahr nicht mehr.

Sie suchte vergeblich nach der Klingel und drückte schließlich hoffnungslos gegen das eiserne Tor, was sich leise quietschend öffnete.

'Na toll ...'

Langsam ging sie auf das Haus zu. Es war irgendwie unheimlich. Die Fenster waren alle ringsum verschlossen und ließen kein Sonnenlicht herein, das seltsam zu schwinden schien, seit sie den Vorgarten betreten hatte. Es wurde dunkler …

Sie ging zwei Schritte die Treppe zur Veranda hoch und wurde plötzlich mit einem heftigen Ruck unsanft an den Stützbalken des Dachvorsprungs gepresst.

Sie war erstarrt, als sie ein dunkelrotes, leuchtendes Augenpaar ansah, dessen zugehörige Hände sie festhielten, als würde sie gefesselt sein.

"Wer bist du?" Seine Stimme war dunkel und fast ein Knurren.

Doch sie bekam keinen Ton heraus. Rotleuchtende Augen!?

"Was willst du hier!?"

Sie sah seine fletschenden Zähne und ebenfalls Reißzähne.

Ihre Augen wurden nur noch größer und ihr Herz pochte unaufhaltsam. Sie hatte keine Kraft, sich zu wehren. Das war doch kein Mensch vor ihr!

"Keine Antwort ist auch eine Antwort ..." Er kam ihrem Hals merklich näher und bleckte seine Fangzähne. Sie kniff ihre Augen fest zusammen und spürte seinen widerlich heißen Atem und begann zu zittern; sie wäre weggerutscht, würde dieses fremde Etwas sie nicht so festhalten.

Dann merkte sie, wie sie ruckartig losgelassen wurde und hörte nur noch ein Fauchen, was sich entfernte.

Sie sackte in sich zusammen und riss ängstlich die Augen auf.

"Dieser ..." Noch ein Knurren. "Bist du OK?"

Was für eine angenehme Stimme. Dann kniete sich jemand vor sie. Ein junger Mann, etwa ihr Alter. Blass, relativ groß, dunkelbraune Haare und Augen.

Er lächelte nicht, sondern sah sie besorgt an.

"Hat er dich ..." Sie schüttelte den Kopf. '... gebissen', vervollständigte sie den Satz innerlich und in ihr widerstrebte sich alles, an so etwas überhaupt zu denken.
 

"Gut ... wir üben gerade ein Theaterstück und ich hab mit ihm gewettet, dass er keine rumkriegt mit seinem gespielten Charme, den er sonst nicht besitzt." Nun grinste er.

Rumkriegen?

Wer würde ein Mädchen denn so rumkriegen wollen!? Der hatte aber noch einiges zu lernen.

"Ich hab eher gedacht, er wollte mich ..." Sie wurde rot. "... beißen. Wie ein Vampir."

Der junge Mann verlor sein Lächeln wieder, stand auf und reichte ihr seine Hand.

"Dann sag ich ihm Bescheid, wie er rüberkommt." Er lächelte entschuldigend, aber dennoch ausdruckslos.

"Ach ja ... ich bin übrigens Emily Brucker. Wir sind in vielen Kursen zusammen und da du nicht zur Schule kommen konntest, habe ich dir die Info-Blätter und so mitgebracht."

Sie kramte in ihrer Tasche und überreichte ihm alles.

Er bedankte sich höflich.

"Ach, ich bin übrigens -"

"Christopher Stone, ich weiß." Ihr Lächeln schien ihn zu verblüffen. "Genau. Ähm ... magst du vielleicht einen Tee und ein paar Sandwiches? Du hattest doch seit der Mittagspause sicher nichts mehr zu essen." Sie wurde rot. Emily nickte nur und lächelte unsicher. Gemeinsam gingen sie ins Haus und er ging in die Küche.

'Wenn die beiden was essen, sind sie keine Vampire.' Irgendwie beruhigte sie dieser Gedanke, auch wenn sie keine Beweise hatte.

Aber diese roten Augen von seinem Bruder waren doch keine Einbildung gewesen...
 

Auch im Haus selbst waren keine Anzeichen von Vampiren vorhanden. Es sah aber generell etwas älter aus, nicht wie von 2 modernen, jungen Männern, sondern ... als wäre die Zeit

irgendwann stehen geblieben - in den 90ern etwa. Sie entdeckte Fotos auf dem Kaminsims. Sie zeigten die beiden Brüder mal zusammen, mal allein und dann mit einer hübschen Frau,

die wohl ihre Mutter zu sein schien.

Dann kam Christopher aus der Küche und trug ein beladenes Tablett mit Sandwiches, Tomaten, Äpfeln, Milch und Tee ins Wohnzimmer. Erst als er die Teetassen abstellte,

bemerkt Emily ihn und erschrak ein wenig. "Ich bins nur," beruhigte er sie. Er merkte wohl, dass ihr noch die Begegnung mit Robin in den Knochen lag und kam zu ihr.

"Lebt ihr beiden alleine?"

"Sie ... wurde ermordet." Emilys Gesicht verzog sich augenblicklich schmerzerfüllt. "Das ist ja schrecklich! Entschuldige." "Schon ok. Wollen wir?" Er drehte sich zum Tisch um, wo die Teezeit bereit war.

Sie nickte schüchtern, wunderte sich aber, warum soviel auf dem Tisch stand. Das würde sie nie alles essen können. "Erwartest du noch Besuch?" Er sah sie verständnislos an. "Wegen der Menge an Essen ..."

Sie deutete auf den Tisch. Er lachte auf. "Nein, niemanden. Iss, soviel du magst, den Rest verputze ich." Sie schaut ihn ungläubig an. "Dann hast du aber 'ne Menge zu essen."

Sie musste Grinsen, als sie sein Nicken sah. Und tatsächlich schaufelte er sich eine Menge an Sachen rein, was sie zum Lachen brachte und für gute Stimmung sorgte.

Nach einer Weile ... "Sag mal, warum kannst du denn nicht zur Schule kommen? Wenn ich fragen darf."

Er räusperte sich. "Ich habe leider eine starke Sonnenallergie. Aber wenn es bewölkt ist oder Winterzeit, kann ich mich draußen aufhalten. Da sind die Strahlen dann nicht sonderlich stark."

"Deswegen bist du so blass. Oh man ... was ein Leben." Er seufzte. "Ja, schon krass. Manchmal wünschte ich, es wäre vorbei. Dann hätte ich endlich meine Ruhe."

Emily hätte beinahe ihre Teetasse fallen gelassen.

"S-so schlimm? Aber kannst du keine Medikamente dagegen nehmen?"

"Nichts wirkt, leider." Sie schwiegen wieder. "In der Mitte des Monats wird es besonders schlimm, auch wenn ich drinnen bin. Daher solltest du da besser nicht herkommen. Ich könnte ... sehr verändert sein.

Und in dem Zustand sollte mich niemand sehen, nicht mal Robin." Emily sah ihn ungläubig an, aber nickte nur. "Ist gut."

"Hast du eigentlich einen Freund?" Diesmal verschluckte sie sich an einem Stück Sandwich. Er sah beschämt zu Boden. "Schon gut, blöde Frage ..." Anscheinend bereute er seine Frage.

Emily fing sich schnell wieder und wischte sich ein paar Tränen weg. Sie war rot geworden. "Nein, ist schon ok ... ich habe niemanden," presste sie heraus.

Dann herrschte eine peinliche Stimmung. "Wieso?" Emilys Frage schien fast zusammenhanglos. Doch Christopher sah sie wissend an.

"Nur so."

"Uhum. Ich - muss dann langsam los. Meine Eltern fragen sich sicher schon, wo ich bleibe."

"Oh, ok."

Er begleitete sie zum Tor.

"Danke für die Teezeit."

"Oh, als Gegenleistung für die Infos und als Wiedergutmachung für die Sache mit meinem Bruder von vorhin war das doch nix. Bitte."

Sie lächelte angespannt. Er beugte sich zu ihr und flüsterte beinahe. "Du solltest ihm trotzdem nicht nochmal begegnen. Er könnte sich meinen Tipp zu Herzen nehmen und es nochmals versuchen."

"Bloß nicht," wehrte sie erschrocken ab.

Er öffnete ihr das Tor. "Pass auf dich auf." "Mach ich." Er schloss das Tor und drehte sich herum. Emily stand reglos da. Irgendwie faszinierte er sie. Da fiel ihr ein, dass für die nächsten Tage regnerisches

und stürmisches Wetter angesagt war.

"Christopher!", rief sie plötzlich und er drehte sich um, als hätte er geahnt, dass sie noch einmal mit ihm reden würde.

"Morgen soll es regnen!" Sie wurde rot.

Er lächelte, drehte sich dann wieder um und ging ins Haus.
 

Am nächsten Morgen war der Himmel wolkenverhangen und aus unerfindlichen Gründen beeilte sich Emily, zur Schule zu kommen.

Doch zum Klingeln erreichte sie gerade noch rechtzeitig das Chemielabor und sah sich atemlos nach einem Sitzplatz um.

"Guten morgen, Miss Brucker. Auch schon wach."

"Tschuldigung, die Busse hatten Verspätung", murmelte sie.

"Na dann mal auf ihren Platz."

Emily steuerte einfach einen freien Platz oben im Raum an, eine der letzten Reihen.

Hektisch packte sie ihre Sachen aus und versuchte, sich zu beruhigen, als sie Christopher Stone plötzlich neben sich sitzen sah und atemlos erschrak. Er war doch eben noch nicht dort gesessen!?

Sie versuchte zu lächeln und begrüßte ihn leise. "Morgen."

Er schien sie nicht gehört zu haben, doch dann drehte er schließlich leicht seinen Kopf und nickte kaum merklich, ohne die Miene zu verziehen.

Emily sah wieder Richtung Tafel und wusste nicht recht, was diese Begrüßung zu bedeuten hatte. Er schien so distanziert im Gegensatz zu gestern. Hatte sie etwas falsch gemacht?

Innerlich ratterte ihr Hirn, bis sie sich sagte, dass er sicher nur müde war und sich nach der Stunde nochmal richtig mit ihr unterhalten würde.

Doch als die Stunde ohne ein weiteres Wort zu Ende ging, verschwand er schneller, als sie gucken konnte und sah ihn nicht mals mehr durch die Tür gehen. Was sollte das? Wieso mied er sie auf einmal,

wo sie sich doch gestern so gut verstanden hatten.

Direkt kamen mehrere Mädchen auf Emily zu und grinsten. "Na, wie ist er so?"

"Er sieht so gut aus!"

"Was habt ihr geredet? Hat er was von sich erzählt?"

Emily fühlte sich ziemlich bedrängt.

"Nein, er hat nichts weiter gesagt, keine Ahnung." Sie zuckte mit den Schultern.

Die Mädchen sahen sich enttäuscht an. "Schade ..."

"Aber du warst doch bei ihm Zuhause, stimmt's? Ich hab gehört, wie der Lehrer dich darum gebeten hat gestern." Die Augen von Rose Tate glitzerten neugierig.

Emily stand auf und nahm ihre Jacke und ihre Tasche über den Arm. "Er ist ziemlich normal, wirklich. Kein Stück mehr besonders als die Jungs in unserer Klasse."

"Waas? Und weißt du auch nicht, was er für eine Krankheit hat?"

Emily verdrehte genervt die Augen. "Nein. Kann ich jetzt durch? Ich hab Mathe."

Sie quetschte sich durch die Mädchen, die weiter aufgeregt redeten, als sie schon aus der Tür war.
 

Seufzend ging sie hinaus und erschrak, als sie am Handgelenk festgehalten wurde. "Dankeschön", hörte sie eine Männerstimme und wand sich um. Es war Christopher.

Wieso wurde sie jetzt rot?

"Wofür?", fragte sie verwirrt. "Dass du nichts ausgeplaudert hast." Er grinste.

"Was gibt es schon auszuplaudern?", fragte sie misstrauisch und drehte sich wieder zum Gehen um. Er holte sie mühelos ein, als wäre sie nicht von ihm weggegangen.

"Naja, es gäbe so einiges ... aber das, was du weißt, reicht schon, um nicht ausgeplaudert zu werden."

"Schon ok. Ich hab's nicht nötig, länger mit diesen Gänsen zu reden." Sie stolzierte fast schon arrogant.

"Aha." Er sah sie von der Seite an und grinste in sich hinein. "Was hast du jetzt?"

"Mathe ...", antwortete sie mürrisch.

"Ok." Sie gingen ein Stück zusammen das Foyer entlang, während sie interessiert angeschaut wurden.

"Was soll das, Christopher?"

"Wie?" Er sah sie verwirrt an.

"Na, die starren doch nicht wegen mir. Hör sofort auf damit", befahl sie, doch ihre Stimme brach bei den letzten Worten ab und sie wünschte sich, nie damit angefangen zu haben.

Christopher sah sie verständnislos an.

"Bitte, sag mir, was los ist. Hab ich was getan?"

Sie brummte mürrisch. "Na, die starren dich alle an."

Er sah sich um und lächelte. „Naja, ich sehe halt ziemlich unnormal aus, nicht? Da starren Leute schon mal gern. Menschen halt.“ Doch er bereute sofort, was er gesagt hatte und überspielte seine Worte mit einem Grinsen.

„Na danke“, sagte Emily beleidigt. „Außerdem siehst du keineswegs unnormal aus. Ganz im Gegenteil. Die Mädchen in unserem Kurs eben waren doch ganz scharf auf dich, nicht gemerkt?“ Sie sprach ziemlich abschätzig.

„Doch, klar. Aber ich muss doch nicht den Macho raushängen lassen … sonst hasst du mich ja noch mehr“, gestand er wahrheitsgemäß.

Emily musste kichern. „Ich hasse dich doch nicht.“

„Aber du bist nicht gerade nett zu mir.“

„Hat andere Gründe.“

„Ach ja?“

„ … Nein. Aber egal. Du raffst es eh nicht.“

Er sah sie verwundert an. „Glaub mir, ich werde es schon kapieren. Bin ja nicht blöd.“

„Ich weiß es selbst nicht. Ich bin irgendwie sauer auf dich und mich selbst. Frag besser nicht …“, warnte sie ihn und wurde rot.

„Ich find es eh noch raus.“ Er grinste und ging dann in eine andere Richtung als sie. „Man sieht sich.“

Sie winkte ihm benommen und in ihrem Hirn drehte sich alles.

Die folgenden Tage sahen sie sich ab und zu zwischen den Stunden und in manchen Kursen, da das Wetter es auch erlaubte, dass er zur Schule kommen konnte.

Dann folgten wieder ein paar Tage Sonnenschein und er kam nicht zur Schule, doch Emily musste auch nicht mit Schulsachen zu ihm nach Hause, daher sahen sie sich erst am Mittwoch wieder.
 

"Hey, Emily! Lass uns nach der Schule noch Schuhe einkaufen, ja?"

Emily blickte verdattert von ihrem Frühstück auf und sah in das begeisterte Gesicht ihrer Freundin Anne. "Was?"

"Es geht auch ganz schnell. Ich hab sie mir schon zurücklegen lassen. Ganz rosa und-"

"Ok, ok."

"Super!"

"Hey, Mädels!", begrüßte Tom seine beiden Freundinnen. "Ey, Mathe ist sowas von ätzend ... will nicht einer mit mir tauschen?"

Die beiden Mädchen lachten laut auf. "Dann hast du erst gar keine Chance auf den Abschluss!", kicherte Anne. Emily schien sich nicht ganz zu konzentrieren und ihre Freunde merkten das natürlich.

"Emi? Alles ok? Du bist so ruhig." Tom wedelte mit einer Hand vor ihrem starren Gesicht.

Sie schrak wieder ein wenig auf. "Ich ... bin nur müde, mehr nicht."

"Schon? Aber Vollmond ist doch erst am Wochenende ... was beschäftigt dich denn Nachts?", feixte Tom.

"Doch nicht etwa ein Junge??", horchte Anne nun auf und kam Emily näher.

"W-was!? Ach wo ... ich lese nur zu lange und kann nie aufhören." "Oh man ... was ist denn so spannend, dass es dich nicht loslässt? Im Moment ist doch nix gutes auf dem Markt."

"Doch! Eine Vampirgeschichte ... aber die ist schon was älter."

"Oh", erklang es von Tom und Anne gleichzeitig - ein abschätzendes 'Oh'. "Ehrlich, du solltest in der Realität leben, Süße", ermahnte Anne sie.

"Genau. Du brauchst doch keinen Vampir, der dich nachts wachhält. Das kann ich gern übernehmen." Tom lächelte sie machohaft an und hatte sie am Kinn berührt.

Emily wurde rot und sie spielte die Beleidigte. "Lasst mich! Ich - geh mir was zu trinken holen."
 

Schnell stand sie auf und ging durch die Mensa zu einem Getränkeautomaten. Dabei kam sie am Schulgarten vorbei, der durch eine große Glasscheibe vom Schulinnern getrennt war. Es regnete wie aus Kübeln und man konnte kaum 10 Meter weit gucken. Doch etwas ließ sie erstarren - jemand.

Christopher lehnte an der Wand vom Schulgebäude gegenüber. Im Regen. Ganz lässig, als wäre nichts.

Er sah gen Boden und bemerkte nicht, wie Emily ihn anstarrte und ihr Mund offen stand. Warum faszinierte er sie nur so? An ihm war nichts anders, als an anderen Jungs. Tom, ihr bester Freund, war einer der beliebtesten Jungs an der Schule, doch er wollte sich nicht entscheiden und war lieber mit ihr und Anne zusammen.

Zugegeben, Christopher war ein wenig schmächtiger als andere Jungs, aber nicht auffallend. Und seine Haut war etwas blasser, aber er kam ja auch nie an die Sonne. Das war auch das einzig seltsame.

Aber faszinierend war kein Detail an ihm, sondern eher seine ganze Person.

Sie wusste nicht, wie lange sie da schon stand und ihn beim Nichtstun beobachtete. Nicht mal als er aufsah, wandte sie ihren Blick von ihm ab. Sie war wie hypnotisiert.

Er ging langsam auf sie zu und blieb ausdruckslos einen halben Meter von der Glasscheibe entfernt im Regen stehen. Dann lächelte er leicht.

Plötzlich wachte Emily aus ihrer Hypnose auf und wurde augenblicklich rot. Sie lief hektisch zur Glastür, die um die Ecke des Flures lag und zog die Tür auf. Kalte Regenluft strömte ihr entgegen.

"Christopher! Komm rein!", rief sie beinahe und er folgte ihren Worten. Klatschnass trat er in den warmen Schulflur ein. Emily sah ihn ungläubig an und musste lachen. "Was hast du da draußen gemacht?

Wurdest du ausgesperrt?"

Er lächelte nur weiter und ging dann an ihr vorbei. Sie wollte sich gerade zu ihm umdrehen, als er schon verschwunden war.

"Christopher?" Sie ging hinterher, doch als sie in den anderen Flur schaute, sah sie nur das rege Treiben der Mensa. Auch auf dem Fußboden waren keine Pfützen mehr zu sehen. "Was soll das? Wo bist du?"
 

Sie rannte verwirrt zu Anne und Tom zurück. Die unterhielten sich gerade und schauten grinsend auf, als Emily auf sie zukam.

"Habt ihr den Neuen gesehen?"

"Wen?"

"Na, Christopher Stone."

Tom und Anne sahen sie verwirrt an. "Nö, ist der denn heute in der Schule? Sonst habe ich den gleich in Mathe", sagte Anne.

"Oh."

"Wieso?", fragte Tom neugierig.

"Ach ..." Sie wurde wieder rot und schaute nach unten.

"Wiiie? Kennst du ihn so gut?", fragte Anne mit gespitzten Ohren. „Man hat euch ja in letzter Zeit öfters beobachten können.“

Dann klingelte es.

"Wir sehen uns!" Emily verschwand so schnell wie möglich hinter der nächsten Abbiegung und blieb dort mit hämmerndem Herzen stehen. Sie musste mit Christopher sprechen. Irgendwie.

Wieso war er so verschwiegen gewesen? Was hatte er vor? Was hatte er allein im Regen gemacht? Wieso faszinierte er sie so?

Die Mensa hatte sich restlos geleert und man hörte nur noch entfernt Stimmen in den Klassenräumen. Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie ihn frei bekommen und begab sich auch zu den Treppen,

als sie ein tiefes, leises Lachen hörte. Sie erstarrte und horchte angestrengt. Von wo war das gekommen und wer lachte so ... teuflisch?

Wieder ein Lachen, das verstummte.

Sie drehte sich um und suchte das Foyer mit ihren Augen ab. Niemand war zu sehen. Doch dann hörte sie Schritte aus der Richtung, aus der gekommen war und sah plötzlich eine bekannte Gestalt.

"Hallo, Emily Brucker."

Es war Robin, Christophers Bruder. Sie musste an den Vorfall von letztens denken und bekam Panik. Niemand konnte ihr hier helfen. Christopher war sicherlich schon im Unterricht.

"H-hallo." Sie stand unsicher da und versuchte, stark zu klingen.

"Hast du dich gut erholt nach meiner kleinen Attacke?", grinste er bösartig und ging langsam auf sie zu.

"Robin. Lass mich bitte in Ruhe. Ich weiß, das ihr ein Theaterstück geprobt habt. Du kannst das also lassen. Ich muss in den Unterricht."

Entschlossen dreht sie sich um und sah sich im nächsten Augenblick Robin gegenüber, der auf der 2. Stufe stand und den Arm an die Wand ausgestreckt hatte, um ihr den Weg zu versperren.

"Ach, mein Bruder leugnet es also immer noch. Typisch." Er grinste heimtückisch.

"Dabei ..." Er kam eine Stufe herunter - "Wärest du doch ..." Er stand knapp vor ihr und strich über ihre Wangen zu ihren zitternden Lippen, während seine Augen wieder rot zu leuchten begannen. "Seine Leibspeise."

Das war das Stichwort. Sie trat ihm mit voller Wucht gegen das Schienbein und rannte aus der Schule über den Schulhof. Leibspeise? Was sollte das? War Christopher solch ein Ladykiller?

Oder war es anders gemeint...?

Sie sah ihn nicht hinter sich und wurde langsamer, bis sie sich an einer Wand anlehnte und sich versuchte zu beruhigen. Vielleicht war Robin einfach nur verrückt. Reif für die Klapse. Aber diese Augen ...

Sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Das war wie ein Albtraum.

Dann wurde ihr auf einmal die Luft abgeschnürt und 2 starke, eiskalte Hände schlangen sich herrschsüchtig um sie. Robin hatte sie gefasst und hielt ihr den Mund zu und mit der freien Hand die

Handgelenke zusammen.

"Glaubst du etwa ernsthaft, dass du mir entkommen kannst? Mein Opfer ..." Genüsslich leckte er an ihrem Schlüsselbein.

Emily stiegen die Tränen in die Augen. Warum half ihr denn keiner!?

Plötzlich zischte es und Robin wich von ihrem Hals. "Oh, wenden wir kleine Zaubertricks an, um mich von dir fernzuhalten?" Er lachte höllisch.

Zaubertricks? Was meinte er denn damit? Sie hatte nichts getan. Sie konnte nichts tun ... war ihr Schicksal besiegelt, hier zu sterben? Bevor sie Antworten von Christopher erhalten konnte!?

"Halt einfach still, es geht schnell und schmerzlos ..." Flüsterte er an ihrem Ohr und dann spürte sie einen stechenden Schmerz im Hals und hörte einen wütenden Schrei.

Nicht er

Und dann wurde sie endlich sanft behandelt und spürte einen warmen Atem an ihrem Gesicht. Ihre Augen waren vor Schock geschlossen, sie war wie gelähmt. Sie wollte ihren Tot nicht miterleben,

sich nicht dagegen wehren und wusste, jeden Moment würde sie ganz entschlafen ...

Das nächste, was sie sah, war rein nichts. Doch sie war am Leben. Sie spürte ihren Körper. Sie wusste, dass sie denken konnte und existierte. Der Untergrund war wunderbar weich und warm.

Ein Bett? Schwankend stand sie auf und tastete sich vorwärts. Sie erreichte einen Knauf und zog daran - eine Tür. Sie war schon mal hier gewesen. Doch sie erkannte nicht, wo genau sie sich befand.

Wacklig ging sie aufs Treppengeländer zu und als sie merkte, dass ihr schwindelig wurde, krallte sie sich daran fest, bevor sie herabsank.

"Urg ..." Ihr war schlecht, weil sich alles drehte und nicht aufhören wollte.
 

Nach etwa 5 Minuten machte sie den Versuch und öffnete ihre Augen. Der Schwindel war soweit abgeklungen und sie stand langsam auf und ging die Treppen hinunter.

Im Foyer angekommen wankte sie auf die Türe zu und wollte sie öffnen. Doch sie bewegte sich nicht. Panik stieg in ihr hoch. Man hatte sie als Geisel genommen!

Sie war zumindest eingeschlossen an einem Ort, den sie nicht kannte.

"Geh besser nicht heraus."

Emily erstarrte. Die Stimme kannte sie doch und nach ein paar Sekunden hoffte sie, demjenigen, an den sie dachte, würde die Stimme wirklich gehören.

Und tatsächlich - Christopher kam aus dem Wohnzimmer auf sie zu. Allerdings sehr langsam.

Sie wollte etwas sagen, aber ihr stiegen nur die Tränen in die Augen, doch sie wusste nicht warum.
 

Christopher stand nun vor ihr und sah sie mitleidig an.

"Hab keine Angst, hier passiert dir nichts." Dann trafen die Erinnerungen Emily wie ein Schlag - Robin, die Flucht, der Schmerz ...

"Was ist er?", fragte sie ihn angsterfüllt und begann zu zittern.

"Psscht", machte er und drückte sie leicht an sich.

"Dasselbe wie du - jetzt."

Emily riss ihre Augen auf. Vor Schock konnte sie nicht sprechen. War sie etwa das, was sie dachte ...? Das war unmöglich. Keine Chance.

Sie kicherte unbelustigt. "Sehr witzig." Und riss sich von ihm los. Ihr Gesichtsausdruck war bitterernst und dennoch ängstlich.

Christopher ließ den Kopf hängen. "Es tut mir so leid. Ich kam zu spät ..."

Er ballte die Fäuste und biss sich auf die Lippe.
 

Ein eisiger Schauer lief Emily den Rücken hinunter. Sie war ein Vampir geworden. Ohne, dass sie groß etwas davon mitbekommen hatte.
 

"Nein!", schrie sie und riss die Haustür auf.

"Emily! Nicht!" Christopher bekam sie am Handgelenk zu fassen, doch schrak sofort zurück.

Sie lief die Treppen hinunter ins Freie und blieb stehen. Sie verdampfte nicht. Ihr tat auch nichts weh. Erstaunt blickte sie sich um.

Christopher stand nur auf dem Treppenabsatz und sah sie misstrauisch an.

Emily ging wieder zu ihm zurück und sah ihn prüfend an.

"Ich verstehe das ni- Ah!" Er wollte sie am Hals berühren, wo deutlich Robins Bissspuren zu sehen waren, doch das Sonnenlicht, das am Ende des Tages doch noch herausgekommen war, ließ seine Hand wieder zurückschrecken.

"Christopher ..."

"Nein, vergiss es, es ist nichts. Ich habe noch zu tun. Geh besser nach Hause. Und mach dir keine Sorgen wegen Robin. Ich habe ihn in die Schranken gewiesen."

"Aber was ist nun mit mir? Er ist ein ... Vampir, oder?"
 

"Du scheinst unversehrt. Geh bitte. Und komm nie wieder hierher." Die letzten Worte waren fast wie ein Knurren herübergekommen und Emily schrak zurück.

"Ich erzähle es niemandem!", versicherte sie ihm, doch er hatte sich schon wieder zum Gehen umgedreht.

"Deine Sachen sind noch im Schulspind. Geh jetzt."

Emily stand reglos da.

"Verschwinde!", rief Christopher und verjagte sie schließlich. Sie rannte so schnell wie möglich nach Hause und ignorierte das wiederkehrende Schwindelgefühl.
 

Die Nacht war so unruhig wie nie. Sie träumte von Vampiren ... Christopher lächelte sie so charmant an, wie sie es nie bei ihm gesehen hatte und kam ihr näher.

Doch dann fletschte er seine Reißzähne und biss sie in die Hand. An der Stelle wachte sie japsend auf und fühlte, dass sie schweißgebadet war. Sie schüttelte widerstrebend ihren Kopf, stand auf, wusch sich ihr Gesicht und schnappte dann am Fenster etwas kühle Luft.

Der gestrige Tag war sicher ein Albtraum, der nie geschehen war.

Nach kurzer Zeit Überlegen, ging sie zum Spiegel in ihrem Zimmer und besah sich ihren Hals. Es war nichts zu sehen. Sie atmete erleichtert aus, doch etwas stimmte trotzdem nicht.

Ihre Erinnerungen waren so wirr, dass sie nicht wusste, welcher Tag überhaupt gewesen war und was sie gemacht hatte.

Seufzend kauerte sie sich aufs Bett und hörte ihrem nun wieder beruhigten Pulsschlag zu. Am Himmel leuchtete ein fast voller Mond. Friedlich lag der Stadtrand im Schlaf. Kein Wunder um 2.30 Uhr nachts.

Sie versuchte, erneut einzuschlafen und schaffte es sogar.

Die beiden letzten Wochentage vergingen sehr langsam. Das Wochenende stand somit endlich vor der Tür. Emily verbrachte in der Schule jede freie Minute mit Freunden und Klassenkameraden, um nicht allein zu sein. Christopher kam diese Tage nicht zur Schule.

Sie war wohl wirklich nicht zum Vampir mutiert. Klein Blutdurst, keine Sonnenscheu. Also war es wohl wirklich alles nur ein Traum gewesen. Mit diesem Gedanken konnte sie leichter durch den Alltag gehen,

bis der Lehrer sie am Freitag Nachmittag nach der letzten Stunde zu sich rief. Nichtsahnend ging sie mit einem freundlichen "Ja?" auf ihn zu. Er packte ihr einen Stapel Blätter in eine Hülle.

"Könntest du die bitte Mr. Stone vorbeibringen? Er hat ja die Woche über fast ganz gefehlt und sollte nichts vom Unterricht verpassen."

Diese Bitte riss ihr fast die Beine vom Boden weg. Aber noch mehr schockierte sie, dass sie sich neben ihrer Panik auch zu freuen schien, ihn sehen zu können. Mit sehr gemischten Gefühlen willigte sie ein und machte sich auf den Weg. Schneller als gewollt stand sie vor seinem Haus und betrachtete es widerwillig.

Dann drückte sie gegen das eiserne Tor, doch es ließ sich nicht so einfach aufdrücken, wie beim ersten Mal. Sie versuchte es abermals, doch es rührte sich nicht.
 

Sie wollte schon aufgeben und motzte leise vor sich hin, als sie ein entferntes Schreien hörte. Es kam aus dem Haus und gehörte eindeutig Christopher. Sie stürmte abermals zum Tor und wünschte,

sie hätte sich diesen schmerzvollen Schrei nur eingebildet. Doch dann ertönte es abermals und brach schnell wieder ab.

Sie rüttelte panisch am Tor und bekam es schließlich mit einem Ruck auf. 'Geht doch', dachte sie und stürmte zum Haus, dessen Türen ebenfalls verschlossen waren.

Wieder ein Schrei. Diesmal hörte sie ihn deutlicher. Er war schmerzerfüllt und beinhaltete gleichzeitig Hass.

"Christopher!?", rief Emily verzweifelt.

'Du dumme Tür, geh doch auf!' Und sie stolperte beinahe in das Haus hinein. Angespannt lauschte sie im Foyer nach Christopher und ein Keuchen aus dem Obergeschoss ließ sie herumfahren.

Christopher lehnte mit nacktem Oberkörper und verkrampft am Geländer.

"Was willst du hier?", presste er knurrend hervor.

Emily sah ihn geschockt an. "Du hast geschrien und -" "Geh! Geh einfach wieder. Es ist nichts ..." Doch er sank am Geländer zusammen und verharrte schnaubend.

"Dir geht's doch nicht gut. Ich rufe einen Arzt!" Emily zückte ihr Handy und wollte die Treppen hinaufgehen. "Wag es dich ja nicht!", zischte er atemlos.

Emily blieb erschaudernd auf der Treppe stehen. "Geh einfach wieder." Er schleppte sich schlaff in ein Zimmer, kam aber nur bis kurz über die Schwelle und krümmte sich keuchend.
 

Sie dachte nicht weiter nach und kam zu ihm gerannt. Als sie ihn gerade berühren wollte, hätte er sie fast mit seiner flachen Hand erwischt. "Was hab ich dir gesagt?", knurrte er, sah sie jedoch nicht an.

"Aber du bist total von der Rolle. So lass ich dich nicht allein! Hat Robin dir etwas angetan!?" Sie beharrte auf eine Antwort.

Er krabbelte beinahe weiter nach vorn und hielt sich Nase und Mund zu. "Ist dir schlecht? Brauchst du Medizin? Ist es wegen deiner Allergie?", fragte Emily weiter mit besorgter Stimme.

Christopher antwortete nicht mehr, bis er das offene Fenster erreichte und mehrere, tiefe Züge Luft schnappte.

Emily schwieg und ging auf ihn zu.

"Kapierst du es denn nicht, Emily? Lass mich endlich zufrieden. Du machst es nur noch schlimmer. Ich kann kaum atmen!" Er versuchte, ruhig zu klingen.

Sie war verunsichert. "Was habe ich denn getan? Ich will dir doch nur helfen. Sag mir, was ich tun kann."

"Unmöglich", lachte er abschätzig und sah sie immer noch nicht an.

"Ach was. Sag mir einfach, was du brauchst. Ich möchte dir helfen, unbedingt."

"Du willst mir wirklich helfen? Und nicht davonlaufen, um dich in Sicherheit zu bringen? Dummer Mensch ..."

Bevor sie auch nur eine dunkle Vorahnung fassen konnte, sah sie seine leuchtend roten Augen in der Dunkelheit glühen, als er seinen Kopf langsam in ihre Richtung drehte.

Sie erstarrte vor Schock, doch war irgendwie darauf gefasst gewesen, dass ihr Alptraum doch keiner war und Christopher mit darin verwickelt war.

"Nein, will ich nicht", sagte sie mit erstaunlich fester Stimme, doch wagte es nicht, sich zu bewegen.

Christophers Miene wurde unwirsch; mit so einer Antwort hatte er nicht gerechnet. Doch er ließ sich seine Überraschtheit nicht anmerken und war im nächsten Augenblick vor ihrem Gesicht.

Sein heißer Atem vermischte sich mit ihrem und ihr Herz pochte bis zum Hals. Sie musste schlucken. Er legte seine eiskalten Hände auf ihre glühenden Wangen und sein Gesicht wurde wieder weicher,

seine leuchtenden Augen schwächten ab.

Er seufzte und lächelte leicht. "Ich kann es nicht ... nicht dich." Sie sah, dass er sich absolut beherrschen musste.

"A-also bist du auch ein ..." Sie traute sich nicht, das Wort auszusprechen und Fakten zu erhalten. Er nickte nur kurz und stand abrupt auf, was ihn direkt wieder taumeln ließ.

Er lehnte sich gegen die Tür und fasste sich an die Stirn.

"Und was willst du jetzt machen?", fragte Emily und stand auch auf.

"Keine Ahnung. Weiter leiden. Deswegen wollte ich dich auch nicht an Vollmond hierhaben. Da sind wir immer besonders ... durstig." Er grinste abschätzig.

"Aber wie überstehst du das?", bohrte sie weiter nach.

"Indem ich trinke." Seine Augen blitzten bei der Antwort auf und hefteten sich auf Emily. Die war wieder wie erstarrt, doch kam plötzlich auf ihn zu und drückte eine Hand auf seine kalte Brust.

Mit der anderen Hand schob sie ihre Haare in den Nacken und sah ihn unsicher an. Er erkannte natürlich, was sie machen wollte und stieß sich von Emily weg zum Bett.

"Wie kannst du nur-!?", knurrte er laut.

"Aber ich will dir helfen!", sagte sie schnell und kam wieder auf ihn zu.

"Nein, ich will nicht, dass du auch solch ein Monster wirst!" Er hielt sich wieder Nase und Mund zu.

"Aber Robin konnte mich auch nicht verwandeln! Kann ich nicht immun sein!? Bitte - ich will dir helfen!", flehte sie.
 

Christopher wurde ruhiger. "Du kennst mich doch kaum und willst mir trotzdem helfen." "Und, dass du niemand anderen umbringst, wenn ich auch nicht dran sterbe, aber auch nicht verwandelt werde."

"Aber wir kennen uns doch kaum", widersprach er.

"Ich weiß. Ich bin nicht dumm. Aber ... irgendwie faszinierst du mich, Christopher. Nicht auf DIE Art und Weise ... ich kann's nicht genau sagen", gab sie verwirrt zu.

"Mir geht es genauso", gab er ebenfalls zu. "Deswegen will ich dir auch nicht wehtun." Er drehte sich wieder zum Fenster um und atmete tief ein und aus.

Plötzlich schlang Emily die Arme um ihn und drückte sich leicht an seinen Körper.

"Ich will aber nicht, dass du leidest! Und so weh tut es gar nicht." Sie sprach beruhigend auf ihn ein.

"Emily ... wenn du doch zum Vampir werden würdest, will ich das nicht zu verantworten haben", lenkte er wieder ein und befreite sich aus ihrem Griff. Doch er kam nur ein paar Meter bis zur Türschwelle

und sackte wieder in sich zusammen.

Emily wurde langsam wütend und stürmte auf ihn zu. "Christopher!" Er sah sie kraftlos an.

Sie strich wieder ihre Haare aus dem Nacken und beugte sich zu ihm hinunter. "Bitte ...", flehte sie abermals und dann spürte sie den heißen Atem und eine heiße Flüssigkeit ihren Hals hinunterlaufen.

Es tat nicht weh. Der Schmerz blieb aus, den sie erwartet hatte wie bei Robin.

Christopher war so sanft, er konnte gar kein Monster sein. Sie hatte ihn fest an sich gedrückt, doch ihr Griff wurde lockerer; sie fühlte sich zunehmend schwächer.

Als Christopher das bemerkte, hörte er sofort auf, sie auszusaugen und hielt sie fest an sich gedrückt. Er leckte sich das Blut von seinen Lippen und wurde sofort von Schuldgefühlen überrannt.

"Es tut mir so leid, Emily ..." Hatte sie etwa ein Schluchzen gehört?

Sie lächelte und hatte die Augen geschlossen. "Ich wollte es so. Es hat auch nicht wehgetan, keine Sorge."

Sie blieben weiter aneinander geschmiegt im Türrahmen sitzen und es wurde still.

"Verführ mich nicht nochmal so." Er hatte wieder Kraft gesammelt und erhob sich mit ihr im Arm. "Versprich es mir."

Sie sah ihn nicht an und schüttelte den Kopf. "Kann ich nicht. Ich will dich nicht leiden sehen."

"Ich dich auch nicht, Emily!" Er berührte die Bisswunde und sie zuckte vor Schreck etwas auf.

"Bitte, versprich es mir", sagte er nochmals eindringlich. Sie seufzte und nickte schließlich.

Er trug sie hinunter ins Wohnzimmer auf die Couch und ging in die Küche, holte Sandwiches und Getränke sowie einen Verbandskasten.

Emily war noch nicht wieder zu Kräften gekommen, als Christopher sie verband. Erst, als sie ein paar Bissen gegessen und etwas getrunken hatte, wurde sie wieder klarer im Kopf.

"Was ist mit Robin?", fragte sie dann. Christopher hatte sie die ganze Zeit nur schweigend beobachtet.

"Er ist nicht hier. An Vollmond jagt er immer außerhalb der Stadt und meist auch im Ausland."

Emily blieb der Bissen beinahe im Hals stecken. Das Wort 'jagen' war in dem Moment so absurd ... es ging um Menschenleben. Die schaltete er mit einem Biss aus. Panik kroch in ihr hoch.

Jetzt erst wurde ihr bewusst, in welcher Gefahr sie sich befunden hatte. Aber aus unerfindlichen Gründen war sie wohl immun gegen Vampirbisse. Sie spürte nichts außer anämischem Schwindel. Zum Glück.

Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte sie ihm vielleicht nicht ihr Blut angeboten...

„Wie fühlst du dich?“, fragte er sie mit besorgter Miene.

„Uhm, es geht langsam wieder!“, lächelte sie beruhigend und formte ein Peace-Zeichen.

Christopher lächelte sie erleichtert an. „Es darf wirklich nicht mehr zu so etwas kommen, Emily.“

Sie genoss den Klang ihres Namens aus seinem Mund … es klang wie eine Droge, die versuchte, sie mit sich zu reißen und nie mehr loszulassen. Sie betrachtete seine Lippen. Sie waren wunderschön, so rötlich und dennoch weich wie Samt. Und sie passten zu seiner etwas bleicheren Hautfarbe. Etwa wie ein männliches Schneewittchen, aber mit männlichem Stolz.

„Emily?“

Sie schreckte aus ihrer Hypnose auf.

„Jaja“, sagte sie schnell. „Schon klar.“
 

Christopher stand auf und ging an ihr vorbei. Ihr fiel sein leichter, aber bestimmter Gang auf. Nicht so schlurfend wie bei den anderen Jungs, einfach eleganter. Wo er wohl wieder hinging?

Doch sie konnte nicht weiterdenken, da ihr langsam die Augen zufielen. Es war wohl doch mehr als anämischer Schwindel. Langsam nickte sie auf dem Sofa ein und sie rollte sich gemütlich zusammen. Sie fühlte sich hier sicher, obwohl sie mit einem blutrünstigen Vampir in einem Haus war. Aber er tat ihr nicht weh, dessen war sie sich seltsam sicher. Und dann war sie in der Luft und spürte warme, angenehme Luft um sich herum. Sie sah sich um, doch sie sah nur helles Blau um sich herum und dunkleres unter sich.

Sie fragte sich nicht, warum sie dort war. Aber es gefiel ihr.

Dann roch sie etwas … das kam ihr doch bekannt vor. Ein angenehmer Geruch, nach … es war undefinierbar, aber es roch nach Christopher. Sie wusste nicht, weshalb sie seinen Geruch kannte, aber es war eindeutig seiner.

„Emily.“

Seine Stimme klang schmerzlich. Erschrocken drehte sie sich um und sah ihn vor sich. Sie musste hochschauen. Er schwebte ebenfalls und sein Mund war blutverschmiert.

„Was hast du getan?“ Doch er sah sie nur weiter schweigend an. Dann spürte sie, dass etwas warmes ihren Hals hinunterlief und sie fasste sich schützend an ihren Nacken. Er hatte ihr Blut getrunken. Plötzlich öffnete er seinen Mund zum Sprechen und sie sah seine Fangzähne.

„Emily … ich darf dir nicht wehtun.“

„Dann lass es doch“, entgegnete sie mürrisch.

„Wir dürfen es nicht machen.“ Er klang, als wolle er sie nie wiedersehen und ihr Herz begann schmerzlich zu Pochen.

„Ok. Wir finden schon einen andere Weg“, sprach sie beruhigend, doch ein Flehen lag gleichzeitig in ihrer Stimme.

Und Christopher begann zu entschwinden. „Es ist nicht gut, wenn wir uns begegnen.“ Er lächelte sanft, aber traurig.

„Was soll das heißen?“ Emily erschrak über sein Verschwinden und wollte ihm nachlaufen, doch sie kam nicht von der Stelle.

„Es ist nicht gut“, wiederholte er und verschwand immer weiter im blauen Nichts.

„Christopher! Bleib hier!“, schrie sie verzweifelt und griff in die Leere. Sie blinzelte. Es war nur ein Traum gewesen. Doch wo war sie? Ihr Bett, ihr Zimmer. War sie nach Hause gegangen!? Aber … wann und wieso? Sie war doch bei Christopher Zuhause gewesen. Oder etwa nicht?

Schnell fasste sie sich an den Hals und … da war nichts. Kein Pflaster, keine Bissspuren.

„Nein!“ Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett und lief mit entsetztem Gesicht vor den Spiegel, um noch einmal nachzuschauen. Doch auch sichtbar war nichts dergleichen. Ihre Schuhe und ihre Tasche standen wie immer an dem Platz, wo sie sie Mittags nach der Schule hinlegte. Sie hatte ein langes Nachtshirt an und sah dann auf die Uhr. Es war 10 Uhr morgens. Die Sonne ging gerade auf und es war Samstag. Völlig verwirrt öffnete sie die Zimmertür und lauschte in die stille Wohnung. Ihre Eltern waren zusammen einkaufen, wie jeden Samstag.

Emily ging duschen und ihre Gedanken kreisten nur um den gestrigen Abend. Oder was sie dachte, das passiert wäre. Wieso war sie so unentschlossen? Sie konnte jetzt noch seinen heißen Atem auf ihrer Haut spüren und das Gefühl, als ihr eigenes, warmes Blut ihr über den Hals gelaufen war bis zum Schlüsselbein. Sie hatte ihn beobachtet, an seinen Lippen gehangen und seinen Gang analysiert. Das war unmöglich alles nur erträumt!

Doch sie traute sich auch nicht, zu ihm zu gehen. Er wohnte nur ein paar Straßen entfernt von ihr.

Aber allein die Vorstellung, es wäre alles nur Betrug gewesen, fraß ein Loch in ihr Herz. Was, wenn er wie in ihrem Traum auf einmal verschwunden wäre, ohne sie zu verabschieden? Aber nur um sie vor sich zu schützen, wäre kein Grund. Sie war ja immun gegen ihn.

Geistesabwesend schüttelte sie die Gedanken fort und kam dampfend aus dem Bad. Das Wochenende hatte sie mit Lernen verplant und hoffte, die Zeit würde schnell vorbeigehen, damit sie am Montag hoffentlich ihn wiedersehen könnte.

Doch als sie die Zimmertür öffnete, bekam sie eine Antwort, die sie nicht erwartet hätte.

„Guten morgen.“ Christopher lag ausgestreckt auf ihrem Bett und sonnte sich. Sie war wie versteinert und ihr klappte der Mund auf.

Er neigte seinen Kopf und begann zu grinsen. „Du musst dich doch nicht so schick machen – extra für mich“ – und zwinkerte ihr zu. Sie wurde wieder klar im Kopf. „ …?“

Mit einem Knall zog sie ihre Zimmertür ins Schloss und lief ins Schlafzimmer ihrer Eltern.

Er war da! Hier, in ihrer Wohnung!! Er existierte wirklich … Schnell zog sie sich Klamotten ihrer Mutter über, die glücklicherweise dieselbe Kleidergröße hatte und kam dann zögernd zu ihrem Zimmer zurück. Ob er noch da war nach ihrer Reaktion von eben?

Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter und spähte mit einem Auge hinein. Doch da war niemand. Sie öffnete die Türe ganz. Leer. Was war denn nun wieder los? Hatte sie jetzt sprechende Halluzinationen!?

Enttäuscht ging sie zum Fenster und zuckte zusammen, als sie die Tür ins Schloss fallen hörte und ihn vor sich sah, als sie sich umdrehte.

„Aber sonst geht’s, ja?“, blaffte sie ihn an und drehte sich wieder schmollend zum Fenster um.

„Was ist denn? Geht’s dir nicht gut?“ Er tänzelte um sie herum und sah sie missverstanden an. „Bist du noch nicht wieder fit von gestern?“

Sie wurde rot. Sie hatte sich erholt. Aber nicht von ihm. Im Gegenteil.

„Doch, alles prima.“ Sie drehte sich ruckartig um und er blieb endlich still stehen und reckte sich wieder normal.

„Super.“ „Mh-hm.“

„Warum kannst du in der Sonne sein?“, fiel ihr mit einem Mal ein und sie wollte ihn vom Fenster wegschieben, doch er berührte ihre Hände sanft. „Wenn ich aufgeladen bin, geht es für ein paar Tage. Dank dir.“

Wow. Sie war von seinem sanften Lächeln überwältigt. Doch sein Gesicht wurde wieder normal und er löste sich aus ihrer Berührung. „Deine Eltern kommen gerade wieder.“ Sie sah ihn fragend an, da sie nichts gehört hatte in der Wohnung.

„Bis später oder so.“ Und mit einem Satz war er aus ihrem Fenster entschwunden. Sie keuchte auf, doch erinnerte sich daran, dass Vampire wohl so oder so übermenschlich waren und ihm der Sprung aus der 3. Etage wohl nicht viel gemacht hatte. Wie war er sonst in ihr Zimmer gelangt?

Kopfschüttelnd ging sie ihren Eltern entgegen.

„Morgen, Schatz.“ Ihre Mutter umarmte sie strahlend. „Morgen Mama, morgen Papa.“

Ihr Vater lächelte sie sanft an.

Eltern waren schon etwas tolles. Besonders, wenn sie einmal NICHT geschieden waren wie bei so vielen Familien. Es war schlimm genug, dass man sich stritt, aber wegen nichtigen Dingen aufzugeben, war noch erbärmlicher und zeigte, dass man es nicht ernst miteinander gemeint hatte.

Das Eheversprechen sollte andersherum lauten. Nicht ‚In guten wie in schlechten Tagen‘. Die schlechten überwiegen oftmals und sind daher viel wichtiger zu überstehen.

„Warum trägst du eigentlich meine Sachen? Hast du nichts mehr im Schrank?“, fragte ihre Mutter plötzlich, als sie den Salatkopf aus dem Korb holte und sich Emily genauer besah.

„Öhm … ich mag das Oberteil eben!“, konterte sie hastig. Doch ihre Mutter schien nicht überzeugt. „Und die Jeans auch, ja? Und die Socken?“

„… Ja“, sagte sie übertrieben und fügte dann schnell hinzu: „Ich bin dann mal weg, treffe mich noch mit wem.“

Sofort war die Stimme ihres Vaters zu hören. „Ein Junge?“ Er klang neugierig.

Emily zuckte zusammen und seufzte genervt. „Oh mein Gott! Ja. Ein männliches Wesen“, sagte sie gequält und spielte beleidigt. War es so unnatürlich, sich mit dem anderen Geschlecht zu treffen?

„Wie heißt er? Kennen wir ihn?“, wollte ihre Mutter wissen und versuchte, so beiläufig wie möglich zu klingen.

„Keine Ahnung. Er wohnt hier in der Nähe. Christopher heißt er, Christopher Stone.“

Dann wurde es still. Weder Mutter noch Vater regten sich besonders.

Emily bemerkte die gespannte Stimmung. „Ist was?“

Da tauchte ihr Vater hinter ihr auf. „Den triffst du bitte nicht mehr, Emily.

Wir gönnen dir jeden, aber nicht ihn.“

„Was?“ Emily musste der Schreck und die Widerspenstigkeit im Gesicht stehen, denn ihr Vater wurde ungehaltener.

„Dieser Familie darfst du nicht zu nahe kommen, hörst du? Sie werden von allen aus diesem Viertel gemieden. Weißt du nicht, was damals passiert ist? Habt ihr das nicht in der Schule durchgenommen?“

Emily schüttelte langsam den Kopf und sah verwirrt drein.

„Emily …“ Ihre Mutter kam jetzt auf sie zu. „Vor 10 Jahren etwa … hat dort ein Blutbad ohne Gleichen stattgefunden. Der Vater ist ausgerastet und hat seine Frau umgebracht. Und - laut Zeitungsberichten -auch die beiden Söhne. Aber sie wurden manchmal gesehen. Man glaubt, sie seien …“

Emily musste schlucken. Wusste man etwa Bescheid?

Ihr Vater ergriff wieder das Wort. „Man glaubt, sie seien böse Geister. Dämonen, Zombies, was auch immer. Aber sie unterstreichen ihr Verhalten auch extrem durch ihr seltsames Gehabe. Wenn man sie einmal sieht, gehen sie nicht sondern … beamen sich beinahe. In den näheren Convinis sieht man sie auch nie. Und sie gehen nur Nachts heraus. Fast wie … Vampire.“ Er beendete seine Rede leiser als anfangs.

Emily steckte ein großer Klos im Hals, doch sie musste ihre Eltern unbedingt davon überzeugen, dass das keinesfalls stimmte. Zumindest oberflächlich.

Sie zwang sich zu einem abschätzigen Grinsen.

„Ihr übertreibt, echt. Erstens sind die beiden Brüder wohlauf. Zweitens kommt Christopher immer zur Schule, wenn es nicht gerade sonnig ist, denn drittens hat er eine Sonnenallergie. Viertens erklärt das auch, warum man ihn nur Nachts sieht. Und sein Bruder ist der seltsamere von beiden, aber auch … nett.“ Sie zwang sich zu einem beschwichtigenden Lächeln und sah ihren Eltern in die Augen.

„Vergiss es, Emily.“ Ihr Vater drehte sich um und seine Stimme klang aufgebracht.

„Du weißt nicht, was du da sagst. Du wirst diesen Typen nicht wiedersehen. In der Schule reicht es schon. Wenn er dir Schaden zufügen sollte -“ „Aber Papa-“

„-Weiß ich nicht, was ich machen werde.“ „Er tut mir nichts!“ „Emily!“ Sie zuckte zusammen. Ihr Vater war selten so aufgebracht und er schien es wirklich ernst zu meinen.

„Du kannst nicht über mein Leben bestimmen.“ Emily zitterte vor Wut und Angst, doch sie wollte nicht aufgeben.

„Solange du meine Tochter bist, werde ich dich vor allem Übel fernhalten, das diese Welt bevölkert. Und wenn es Monster sind!“, donnerte er und seine Augen blitzten, als er sie erneut ansah.

„Emily, versteh uns bitte. Du hättest ihn gar nicht kennenlernen dürfen. Normalerweise hat er Privatunterricht Zuhause.“

„Aber er ist nicht schlimm! Ihr kennt ihn doch gar nicht!“, flehte sie.

Ihre Mutter schüttelte mit dem Kopf. „Wir kannten ihre Eltern nur zu gut. Und das war schon genug, um uns künftig von ihnen fernzuhalten.“

Was sollte das …? Artete diese Situation in eine Romeo-Julia-Show aus!? Wo waren die Demokratie und die Menschenrechte hin?

„Aber … ich mag ihn.“ Sie sah gen Boden und merkte, wie sie rot wurde und ihr Tränen der Verständnislosigkeit in die Augen schossen.

„Emily. Bitte.“ Ihr Vater legte ihr eine Hand auf die Schulter. Er klang fast schon mitleidig.

„Wir wollen nur dein Bestes, glaub uns. All die Jahre haben wir auf deinen ersten Freund gewartet und mit gefiebert, wenn du von deinen Freunden geredet hast. Aber wir haben doch nicht erwartet, dass gerade ER es sein würde. Finde einen anderen, aber nicht ihn. Bitte, Emily.“

Was sollte sie machen? Sie wollte ihre Eltern nicht enttäuschen und vielleicht würde er sie irgendwann wirklich noch verletzen. Es musste doch noch genug andere Jungs zum Verlieben geben! Dabei wusste sie auch nicht mal, was genau sie für Christopher empfand. Er interessierte sie einfach auf eine spezielle Art und Weise. Aber mehr auch wieder nicht … oder?

Sie nickte schließlich. „Gut. Ich … lass es gut sein. Ich bin schließlich nicht in ihn verliebt. Er ist eben nur nett, wirklich. Mehr nicht.“ Sie grinste leicht und ihre Eltern schienen erleichtert.

„Hoffentlich meinst du das ernst.“ Ihr Vater klang trotzallem nicht besonders überzeugt. Sie nickte nur und schloss ihre Zimmertür hinter sich.

‚Oh je … wenn das mal kein Drama gibt. Jetzt bloß nicht verlieben! Nein, nein, nein!‘, ermahnte sie sich innerlich. Aber Gefühle konnte man eh nicht aufhalten. Entweder, sie waren da und erfreuten einen oder schmerzten. Im Moment waren sie eher schmerzhaft, doch Emily versuchte, das Gefühl zu unterdrücken. Sie wollte doch Lernen. Also ran ans Werk.

Sie holte ihren Laptop auf den Schreibtisch, schaltete den Fernseher ein und war bald in komplizierte Matheformeln vertieft, als sie aufschreckte. Es war bereits dunkel. Doch sie fühlte sich kein Stück schlauer. Jetzt erst erwischte sie sich dabei, wie sie bei Wikipedia nach Vampiren geforscht hatte und im Fernsehen eine Reportage über Dracula lief.

‚Zufälle gibt’s‘, dachte sie ironisch und schaltete beides aus, um nicht weiter daran zu denken.
 

„Schatz?“ Ihre Mutter kam herein.

„Hm?“ Emily dreht sich auf ihrem Schreibtischstuhl herum und merkte erst jetzt, wie verspannt sie vom stundenlangen Sitzen gewesen war.

„Magst du Abendessen kommen? Du hast die ganze Zeit im Zimmer gehockt.“

Sie sah Emily vorwurfsvoll an.

„Mama, ich hab Mathe gelernt!“, entgegnete sie empört.

Lachend ging ihre Mutter wieder in die Küche.

„Ist ja gut. Dann komm, sonst wird es kalt.“

„Jaja.“
 

Einschlafen war an diesem und dem darauffolgenden Abend so gut wie unmöglich. Sie drehte sich in alle möglichen Lagen und gab schließlich auf. Schnaubend setzte sie sich auf und starrte aus dem Fenster in die sternklare Nacht. Es war wie immer friedlich, nur in der Ferne war der nächtliche Straßenverkehr zu hören.

Was er wohl gerade machte? Schlafen? Oder … sie sollte wirklich nicht darüber nachdenken. Sie hatte ihren Eltern versprochen, sich nicht weiter mit ihm abzugeben und so machte sie es sich nur schwerer, diesem mysteriösen, unglaublich interessanten und gutaussehenden Wesen aus dem Weg zu gehen.

Aber wenn sie sich heimlich trafen …?

Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Was sollte er schon von ihr wollen? Außer ihrem Blut war sie nichts wert für ihn. Sie war doch nur ein gewöhnliches Mädchen, was zufällig von seiner wahren Existenz erfahren hatte. Und jetzt war sie so leichtgläubig und erwartete sonst was? Nein, sicher nicht!

Entschlossen legte sie sich ins Bett und fiel nach einer weiteren halben Stunde endlich in einen aufwühlenden Traum.

Ihre Eltern kamen darin vor, sie kämpften. Doch sie sah nicht mit oder gegen wen.

Aber plötzlich sah sie Blut. Überall war es. Und mittendrin Christopher.

Unliebsame Wahrheiten

Entsetzt versuchte sie zu ihm zu kommen, doch ihre Beine schienen zu schwer. Sie wollte rennen, aber sie kam nicht vom Fleck. Sie schrie und weinte, doch es ging nicht. Sie streckte ihre Hand aus und wachte ruckartig auf. Sie hatte ihre Hand tatsächlich ausgestreckt, doch anders als in ihrem Traum wurde sie von einer anderen Hand gehalten und am Ende des Arms sah sie ein besorgter Christopher an.

Sie riss ihre Augen noch mehr auf und zog ihre Hand blitzschnell zurück. Träumte sie etwa immer noch?

„Wa-?“

„Alles OK? Du hast nur schlecht geträumt.“ Er lächelte sie beruhigend an.

„Ah … W-was machst du hier?“ Sie war verwirrt und ging sich durch die die Haare.

„Ich wollte nur mal vorbeischauen, weil … du dich nicht mehr gemeldet hast seit heute morgen.“ Er blickte verlegen zur Seite.

Sie musste schlucken. Ihr kamen sofort wieder die Worte ihrer Eltern in den Sinn.

„Ich … darf dich nicht mehr sehen, Christopher.“ Emily flüsterte es fast, aber Christopher hatte es genau gehört und lachte ironisch auf. „Ach ja? Sagt wer?“

Sie blickte ihn düster an. „Meine Eltern. Sie meinen, du seist kein guter Umgang für mich.“

Er stand starr auf. „Tun sie das. Die kennen mich doch gar nicht. Und sooft sehen wir uns ja auch nicht.“

„Hab ich auch gesagt. Aber sie haben Angst vor dem, was in der Vergangenheit passiert i-“

Sein Finger schnellte auf ihre Lippen und er sah sie durchdringend an. „Deine Mam ist wach. Leg dich hin!“

Er verschwand lautlos in ihrem Kleiderschrank, als ihre Mutter die Tür öffnete und den Kopf hindurch steckte. „Emily?“ Sie sahen sich perplex an.

„Ich hab schlecht geträumt. Hab ich geschrien?“ Emily grinste verschmitzt.

Ihre Mutter kam zu ihr und setzte sich neben sie aufs Bett.

„Nein, du hast nichts getan. Aber ich hab dich nicht schnarchen hören wie sonst, also dachte ich-„ „Mama!“ Emily schnaubte peinlich berührt.

„Was denn? Stimmt doch“, entgegnete sie ihrer Tochter und lachte. Christopher im Schrank musste ebenfalls Grinsen, als er das hörte.

„Naja, was hast du denn geträumt? Wenn man seine Albträume erzählt, träumt man sie nicht mehr.“

Emily überlegte kurz, was sie erzählen sollte und was nicht. „Von euch beiden. Es war irgendwie … gruselig. Ihr habt gekämpft.“ Sie sah ihre Mutter an. Die zog nur ihre Augenbrauen hoch.

„Und ich dachte schon, es wären Monster drin vorgekommen“, tat sie es mit einem Achselzucken ab und kicherte.

„Aber Mama … Christopher kam auch darin vor. Ihr habt gegen ihn gekämpft.“ Nun wurde Emily ernster, obwohl sie nicht wusste, wieso. Als ob ihre Mutter Träume deuten konnte.

Sie stand auf und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Es war ja nur ein Traum“, sagte sie bestimmt.

Als sie schon wieder fast aus der Tür raus war, hielt Emily sie auf. „Ich werde ihn aber wiedersehen.“

Die Tür schloss sich ohne einen weiteren Kommentar.

Emily saß bedröppelt in ihrem Bett und ließ sich in die weichen Kissen fallen.

Augenblicklich war Christopher wieder an ihrer Seite und sie spürte sein Gewicht auf der Matratze neben sich.

„Du hast also von einem Kampf geträumt?“, fragte er ernst.

Sie sah zu ihm auf. „Hmhm. Ja. Und viel Blut. Und ich hab dich da liegen sehen, aber ich kam nicht heran. Ich kam einfach nicht näher.“ Sie sah seufzend nach draußen und betrachtete den abnehmenden Mond. „Aber es war ja nur ein Traum“, beruhigte sie sich.

Christopher schien nachdenklich. „Hoffentlich“, pflichtete er ihr nach einer Weile voll Schweigen bei.

Emily spitzte die Ohren. „Was?“

„Aaach, schon ok.“ Er grinste und näherte sich ihrem Gesicht, doch stoppte kurz davor und hielt schweigend inne.

Emily sah ihn mit pochendem Herzen an. „W-willst du mich beißen?“, fragte sie erregt, aber ängstlich.

Er musste lachen und gab ihr einen schnellen Kuss auf die Stirn. „Nein, keine Sorge. Ich geh jetzt wieder. Wir sehen uns … wann immer es bewölkt sein sollte.“ Er stand auf, doch sie hielt ihn am Handgelenk fest. „Kann ich dich … besuchen kommen?“ Sie war leicht rot geworden und ihre Stimme war zittrig.

Er ließ sein Handgelenk locker fallen. „Besser nicht. Robin hat immer noch ungezügelte Lust auf frisches Blut, besonders von süßen Mädchen. Ich kann dich gerne benachrichtigen, wenn ich weiß, dass er für längere Zeit außer Landes ist.“

„Und du auch … trinken willst“, fügte sie kleinlaut hinzu.

Er entzog sich ihrem Griff. „Das hatten wir doch geklärt, oder? Nie wieder will ich dich verletzten. Klar?“

Sie sah ihn verschreckt an und nickte dann leicht zur Bettdecke gewandt. „Aber es tat nicht weh“, fügte sie schnell hinzu. Er antwortete nicht, doch sie wagte es nicht aufzusehen. Allein seine geballte Faust ließ sie erschaudern, die sie direkt vor sich sah. Emily versuchte, sich zu beruhigen.

„Ich habe nichts gemerkt außer einer leichten Gänsehaut“, gab sie flüsternd zu und im nächsten Moment wurde sie sanft, aber bestimmt in die Kissen zurückgedrückt.

Christopher hatte sie fest gepackt und sah sie wütend an.

„Du darfst dein Leben nicht so einfach aufs Spiel setzen, Emily Brucker. Weißt du, wie viele Vampire da draußen auf so eine wie dich lauern, die nur zu gerne freiwillig ihr Blut hergibt!? Sie bringen dich um im Gegensatz zu mir!“

Emily begann leicht zu zittern und er lockerte seinen Griff um ihre Oberarme etwas. „Versteh doch … wenn du auf einen reinblütigen Vampir triffst, kannst du sogar selbst zum Vampir werden und DAS willst du sicher nicht!“

Sie schluckte. „Aber was ist an einem ewigen Leben so schlimm?“ Fast rechnete sie mit einem erneuten Wutausbruch, doch er sah sie nur verständnislos an, immer noch dicht über sich schwebend.

„Ich meine … du bleibst ewig jung, kannst alles machen, was du möchtest und …“ Doch er schüttelte verständnislos den Kopf und legte seine Stirn auf ihre.

„Es …“, begann er ruhig, „es ist ein verfluchtes Leben. Du kämpfst ständig mit dir selbst, den Menschen in deiner Umgebung keinen Schaden zuzufügen. Dennoch hast du Hunger. Unbändigen Hunger. Oh Emily, ich habe so oft einen Ausweg finden wollen, doch bis heute keinen richtigen gefunden. Immer noch verletze ich die, die ich liebe.“ Nun sah er ihr direkt in die Augen. Seine flackerten rötlich auf, doch waren voll Schmerz und Leid.

Sie erschrak beinahe bei diesem Anblick und ihre Hände tasteten sich seinen Rücken entlang bis zu seinem Nacken und schlangen sich sanft darum.

„Ich will dir helfen, Chris“, flüsterte sie flehend in sein Ohr. Er schlang ebenfalls seine Arme um sie und drückte sie fest an sich. Er vergrub seinen Kopf an ihrem Hals und atmete ihren Duft ein. „Danke“, flüsterte er zitternd. „Aber wie?“

Sie sah nachdenklich zur Decke. Wenn er sie doch nur akzeptieren würde als Quelle, wäre das Problem doch gelöst, oder? Er müsste nicht mehr mit sich selbst ringen, unschuldige Menschen zu töten. Sie war immun gegen sein Gift. Wo lag also das Problem?

Christopher löste sich von ihr und setze sich aufrecht hin. „Es gibt keine Möglichkeit.“

„Doch. Ich möchte- ich will, dass du mich nimmst.“ Emily setzte sich ebenfalls aufrecht hin und sah ihn ernst an. „Emi-“ „Christopher Stone. Du hast nur eine Möglichkeit zu überleben, oder? Sei doch einfach egoistisch. Sieh mal -“ „NEIN!“, stoppte er sie erzürnt, doch keiner von beiden beachtete, dass Emilys Eltern ihn gehört haben könnten.

„Sei nicht so stur!“, motzte sie ihn an. „Mir passiert nichts, ok? Und wenn, ist es meine Entscheidung! Dann werde ich halt zum Vam- hey!“ Doch Christopher stand schon auf ihrem kleinen Balkon.

„Lieber sterbe ich, als dass ich dir wehtue!“, schrie er fast, als er sich hinunterstürzte.

„Chris!“ Emily hechtete hinterher, doch sie sah nur noch einen Schatten weghuschen.

Und auf einmal hörte sie schnelle Schritte und als sie sich vom Balkon ins Zimmer umwand, kamen ihre Eltern - ihr Vater voran – ins Zimmer gestürmt. „Emily!“, rief er erzürnt und stand mit seiner Frau im Zimmer. Sie stand ruckartig auf und ihr Herz pochte schneller denn je.

„Ja?“, fragte sie mit erstickter Stimme und wagte sich nicht wieder hinein, obwohl es draußen immer kälter zu werden schien.

„Was sollte das eben? War er hier!?“

„Wer?“

„Du weißt genau, wen wir meinen, Fräulein. Schwindel uns nicht an. Wenn er es wirklich war, dann -“ Ihr Vater machte einen Schritt auf sie zu.

„Wie sollte er denn hierher gekommen sein? Die Wohnungstür ist verschlossen. Hier war niemand. Ich habe nur frische Luft geschnappt“, versuchte sie so lässig wie möglich zu sagen und nicht verärgert oder hektisch zu klingen.

„Du kannst wen anderes veräppeln, Madame. Hier war eindeutig ein anderer als du. Das hat man doch gehört.“

„Dann habt ihr es euch eingebildet, wirklich.“ Sie kam wieder herein und schloss die Balkontüre fest zu. „Darf ich dann schlafen gehen?“, fragte sie beiläufig und legte sich gemütlich ins Bett.

„Darüber sprechen wir dann morgen.“ Nicht ganz überzeugt suchte er das Zimmer mit seinen Augen ab, doch als Emilys Mutter ihn am Arm mit nach draußen zog, wehrte er sich nicht.
 

Ihr schossen augenblicklich die Tränen in die Augen, als die Tür geschlossen wurde. Wieso wollten die beiden nicht, dass sie sich trafen!? Und wieso verschmähte Christopher ihr Blut, wenn sie ihm doch versichert hatte, dass es ihr nicht schaden würde?

Sie fühlte sich alleingelassen und weinte sich schließlich nach scheinbar endlosen 2 Stunden in den Schlaf.
 

Viel zu früh weckte sie der Wecker um 7 Uhr morgens und sie beeilte sich nicht sonderlich, in die Schule zu kommen. Ihre Mutter scheuchte sie wie immer, schneller zu machen, sonst würde sie zu spät sein. Aber sie verloren kein Wort über die vergangene Nacht.

Ihr Brot schmeckte wie Pappe und als sie aus der Türe hinaus war, schlurfte sie gemächlich Richtung Bus. So lustlos war sie seit langem nicht gewesen. Aber sonst gab es auch nie einen Grund, doch heute … sie wollte sich am liebsten vergraben und niemanden mehr sehen. In Christophers Haus wäre es dunkel genug, sich zu verstecken, aber dann müsste sie ihm ja über den Weg laufen. ‚Besser nicht‘, dachte sie mürrisch nach. Heute war es auch noch bewölkt, also erwartete er sie wohl oder übel in der Schule. Oder vielleicht hatte er sich ja schon umgebracht. Ihr lief auf einmal ein kalter Schauer über den Rücken, aber sie verscheuchte die dummen Gedanken. So ernst kann es ihm niemals gewesen sein. Sonst hätte er sie ja auch vorher nicht gebissen gehabt.

Als sie in den Bus einstieg, staunte sie nicht schlecht, dass er in der letzten Reihe saß. Doch er sah sie nicht an, sondern starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Sie setzte sich wie gewohnt in die Mitte und versuchte, ihn nicht allzu offensichtlich anzustarren.

„Morgen, Emily!“, begrüßte Tom sie freudig. Ihr bester Schulfreund schlang sofort einen Arm um sie und zog sie gut gelaunt zu einer Umarmung – soweit es ging, wenn man nebeneinander saß – heran und sie lächelte nur müde, aber blieb bei ihm angelehnt.

„Alles ok? Du wirkst ziemlich abgeschlachtet …“ Er sah sie fragend an.

„Aaach … hab nicht gut geschlafen“, sagte sie mürrisch und machte es sich an seiner Schulter bequem.

„Na dann, hol es nach. Dauert ja noch ein bisschen, bis wir da sind.“ Er summte gut gelaunt ein Lied, während Emily ihr Herz bis zum Hals pochte. Hatte Christopher sie bemerkt? Und verstand er ihre Gestik, dass sie sich bei Tom angelehnt hatte? Hoffentlich empfand er wenigstens ein bisschen Eifersucht und entschuldigte sich bei ihr, dass er so schnell abgedampft war in der Nacht.

Aber sie sollte sich ja eh von ihm fernhalten. Nichts leichter als das.

Und es dauerte an. Stunden. Tage.

Er hatte sie nie beachtet, wenn sie in den Bus kam und war danach den ganzen Tag nicht mehr zu sehen. Die Stunden, in denen sie zusammen Unterricht hatten, setzte er sich nach ganz vorn mit der Ausrede, dort besser sehen zu können und tauschte mit einem Mädchen den Platz. Nach Hause nahm er anscheinend keinen der Busse in seine Richtung.

Besucht hatten sie sich ebenfalls nicht.

Am 4. Tag, als sie wie gewohnt in den Bus einstieg, saß Christopher nicht in der hintersten Reihe. Aber es war doch regnerisch draußen!?

Fast schon intuitiv setzte sie sich auf ihren Platz in der Mitte des Busses und erschrak beinahe bei Christophers ausdruckslosem Gesicht, das sie anstelle von Tom, sah. Er verfolgte ihre Bewegungen mit seinen Augen, war aber sonst reglos. Emily war zu perplex, um ihn zu begrüßen. Stattdessen hörte sie weiter hinter sich Tom nach ihr rufen, doch sie winkte nur und drehte sich wieder nach vorn um.

„Morgen“, sagte sie kleinlaut und merkte nur, wie eine lauwarme Hand ihre erfasste und nicht mehr losließ. Er schwieg, sah aus dem Fenster und rührte sich keinen Zentimeter.

Was sollte sie davon halten? Erst ging er ihr eine halbe Woche lang deutlich aus dem Weg und dann diese seltsame Begrüßung. Hatte er etwas geplant? Oder nutzte er sie jetzt aus und wollte so tun, als sei nichts gewesen?

Als sie an der Schule ankamen, ließ er sie schließlich frei, nur um sie danach wieder zu nehmen und Emily in den leeren Gang mit dem Getränkeautomat zu führen.

Er legte seine Tasche ab und stand mit dem Rücken zu ihr. Sie rührte sich allerdings nicht, sondern beäugte ihn nur misstrauisch.

„Chris.“

„Emily.“ Seine Stimme klang gebrochen, als würde er verzweifelt sein. War er es etwa? Sie kam langsam auf ihn zu, doch schrak zurück, als Chris sich mit einem Ruck umdrehte und ihre Hände in seine nahm.

Er sah bedrückt auf ihre vor Aufregung zitternden, kalten Hände hinunter.

„Emily“, wiederholte er ihren Namen, „entschuldige bitte. Das hätte ich nicht tun sollen.“

Mitleid stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er sie endlich ansah und ihr Herz pochte mehr als sonst bei seinem Anblick. Er war keineswegs in guter Verfassung. Eher sah es so aus, als ob er nächtelang durchgemacht hatte. Augenringe und seine sonst eh blasse Haut erschienen heute noch unerträglicher als sonst.

„Was denn?“, fragte sie und kam einen Schritt näher an ihn heran, dass ihre Körper sich fast berührten.

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe dich weggestoßen, als du mir helfen wolltest und bin einfach so verschwunden.“ Nun versuchte er zu lächeln, doch es misslang ihm auf ganzer Linie. „Ich bin nicht besonders gut im Diskutieren und finde nie die passenden Argumente.“

„Vielleicht, weil du wusstest, dass ich Recht hatte in der Debatte?“ Emily grinste ihn siegessicher an.

Er seufzte und sah ihr wieder in die Augen.

„Sowas ähnliches. Hör zu.“ Er zog sie an seine Brust und legte seine Arme um sie. Seine Stimme war nah an ihrem Ohr. „Ich werde nur im äußersten Grenzfall auf dich zurückgreifen und dann nur mit deiner Erlaubnis.“ „Und wenn wir mal getrennt sind und du dringend Blut brauchst? Dann vergreifst du dich an jemand anderem, oder?“ Sie stemmte sich etwas von ihm ab und sah ihn missbilligend an. „Genau das will ich ja vermeiden, Chris. Du solltest regelmäßig …“ Sie vermied den Ausdruck verwirrt, „sonst bist du nachher zu ausgelaugt und das will ich nicht! Stell dir mal vor, dich greift dann ein anderer Vampir an! Ich habe keine Chance, zu dir zu kommen. Was dann?“ „Dann bist du mich wenigstens los.“

Sie sah ihn bestürzt an. „Spinnst du!? Also … ich will bestimmen, wann du sollst, ja!?“

Er sah sie unverständlich an und gab ein Kichern von sich. „Oh man … da habe ich die ganzen Tage nachgegrübelt und du wirfst meine Pläne dann doch wieder über den Haufen. Emily, das geht nicht.“ Er massierte seine Stirn mit einer Hand und schien gestresst.

„Bitte!“ Er sah verwirrt zu ihr und merkte sofort, dass sie ihn mit ihrem Augenklimpern und der süßlichen Stimme und ihren weiblichen Reize rumkriegen wollte.

„L-lass mich drüber nachdenken!“, wich er aus und sah aus dem Fenster.

„Nein!! Du brauchst deinen Schlaf. Sieh dich doch mal an“, rief sie entsetzt. Sie war doch aufmerksamer gewesen, als er gedacht hatte. Doch er lächelte nur und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Schon gut. Ich überlege es mir ein anderes Mal.“

„Und wenn es dann schon zu spät ist?“, murrte Emily erneut und verschränkte die Arme vor sich.

Er sah sie nur mit den Augen an, rührte sich nicht und packte sie dann blitzschnell. Er drückte sie an die Wand und war nur Millimeter von ihrem Gesicht entfernt, als er langsam runterrutschte und sie seinen heißen Atem an ihrem Hals spürte.

„H-hier?“, sagte sie atemlos und sie spürte deutlich ihren Puls an der Stelle, die Christopher anhauchte.

Seine Zunge glitt genüsslich über ihre zitternde Haut und sie hörte, wie er seinen Mund öffnete. Mit stockendem Atem schloss sie die Augen und wunderte sich, als nichts passierte. Dann hört sie sein leises Lachen und sein Kopf tauchte wieder vor ihrem Gesicht auf.

„Nein, nicht hier“, grinste er schelmisch und hob seine Tasche vom Boden auf.

Emily stand immer noch hochrot und perplex an der Wand. „Kommst du? Wir sind eh schon zu spät.“ Er drehte sich in Richtung Cafeteria um und sah sie lächelnd an.

Sie nickte nur und ging dann neben ihm her, sagte aber kein Wort. Was hatte er damit denn bezweckt? Kneifen würde sie nicht. Wenn er weitergegangen wäre, wäre es ihr auch recht gewesen. Sogar sehr recht.

„Und warum hast du nicht weitergemacht?“ Jetzt war er es, der sie perplex ansah.

„Naja, muss ja nicht unbedingt in der Schule sein, wo uns jeder sehen kann.“ Er wurde ein wenig rot. Obwohl – ehrlich gesagt, wurde er eher normal Hautfarben zum sonst blassen Teint.

„Dann müssen wir uns ja jetzt öfter sehen, hm?“, fragte Emily fröhlich und hopste beinahe neben ihm die Treppen herauf. „Ich dachte, deine Eltern verbieten es dir, mich zu sehen?“, fragte er beiläufig.

Emily blieb wie angewurzelt stehen. „Glaubst du, sie wissen, wer du wirklich bist?“ Sie sah ihn besorgt an. „Also, sie rasten völlig aus, wenn ich von dir erzähle oder so.“ Traurig sah sie auf die Stufen vor sich.

„Emily …“ Er ging die paar Stufen zu ihr hinunter und hob ihr Kinn mit seiner Hand an. „Ich glaube, jeder hier ahnt etwas, aber keiner will es sich eingestehen. Es ist einfach zu absurd. Hättest du es dir vorher vorstellen können, dass in der realen Welt, in der Fakten die Köpfe der Menschen beherrschen, so etwas wie meine Art existieren könnte?“ „Ich … weiß nicht. Ich habe es immer gehofft, aber wenn man nie einen Beweis sieht, glaubt man es irgendwann nicht mehr ganz und es verschwindet aus dem Bewusstsein.“

„Siehst du? In den Nachrichten hätte man als erstes von Monstern wie uns gehört, weil wir-“ „Du bist kein Monster!“, unterbrach sie ihn aufbrausend und ging eine Stufe höher und näher auf ihn zu.

„- Weil wir ihre ganze Welt auf den Kopf stellen würden. Es würde Panik herrschen und alles geriete außer Kontrolle. Aber wir beherrschen uns und lassen den Menschen ihren Mythos aus Geschichten und Sagen.“

Emily schnaubte und stand immer noch unbeirrt eine Stufe unter ihm. Ihr Blick war wütend. „Trotzdem bist du kein Monster!“, sagte sie beleidigt.

„Herrgott, Emily.“ Er musste kichern. „Nenn mich, wie du willst. Aber dass unsere Art Menschen aussaugt, ist sicher nicht normal.“

Sie nickte zustimmend. „Aber es ist ok. Für mich.“ Sie sah beschämt weg. Sie war die einzige, die immun war. Unter all den Milliarden Menschen auf dieser Welt sollte sie die einzige sein, die immun gegen Vampirbisse war!?

„Bin ich die … einzige?“, fragte sie neugierig und unverhohlen. Sein Lächeln verschwand. „Nein. Es gibt aber auch nicht besonders viele, vielleicht ein Dutzend, die immun sind. Und meist …“ Er machte eine kaum merkliche Pause und sah sie durchdringend an. „Meistens sind es Menschen von magischer Abstammung. Sei es, dass ihre Ur-ur-ur-ur-ur-ur-Verwandten selbst Vampire waren oder sonst eine genetische Veränderung vorhanden ist. Aber normale Menschen sind normalerweise nicht immun.“

Emily horchte auf. Doch sie erschrak, als ihr Lehrer auf dem Treppenabsatz auftauchte und hektisch mit einem Stapel Papier wedelte. „Warum seid ihr denn so unpünktlich und quatscht hier auch noch rum!? Na los, rein!“, drängte er die beiden.

Sie liefen hinter ihm her und verschwanden still auf ihren Plätzen. Einige kicherten, als sie die beiden zusammen reinkommen sahen und manche pfiffen ihnen hinterher. Das Liebespaar schlechthin hatte sich also wieder gefangen!? Emily stellte sich die Schlagzeilen der nächstmöglichen Schulzeitung vor und wurde wieder rot. Liebespaar? Von wegen … sie mochte ihn, sehr sogar. Aber Liebe war es nicht. Nicht von ihrer Seite aus. Doch etwas anderes sollte sie viel eher beschäftigen: nur Menschen magischer Abstammung waren immun gegen Vampirbisse. Das hieß also, sie war von magischer Abstammung? Wussten ihre Eltern davon und verheimlichten es ihr? Aber es gab doch nie Anzeichen, dass sie irgendwie magische Kräfte hatte. Das klang wirklich zu absurd. Die Menschen glaubten eben doch nur, was sie sahen und kannten. Die Hoffnung schwang immer mit, eines Tages einen Geist zu sehen oder dergleichen, aber weil nie etwas Handfestes geschah, verflogen die Hoffnung und der Glaube daran.

Sie wollte aber unbedingt wissen, ob sie nicht doch magische Kräfte hatte. Aber war irgendetwas ungewöhnlich gewesen an ihr? Außer, dass sie bisher keinen Freund in ihren 18 Jahren hatte und relativ normal war, nichts in solchem Ausmaße. Sie musste unbedingt daran denken, Christopher deswegen zu fragen. Er sollte sich wohl mit sowas auskennen.

Doch bevor sie am Unterrichtsende dazu kam, mit ihm allein zu reden, zerrte Anna sie neben sich und die beiden gingen zusammen zur Sporthalle. Christopher ging fragend dreinschauend in seinen nächsten Unterricht und ließ die beiden wortlos weggehen.

Anna hibbelte nervös an Emilys Seite. „Erzähl schon! Was läuft da?“ Sie quietschte aufgeregt.

Emily wurde wieder rot. „Ähm, was sollte wo laufen?“, fragte sie unschuldig, aber durchschaubar.

„Zwischen dir und dem Neuen, dieser Chris!“

Emily räusperte sich. „Erstens heißt er ChrisTOPHER, zweitens läuft da nix. Wir verstehen uns einfach nur gut. Basta.“ Sie verzog keine Miene.

Anna betrachtete sie misstrauisch. „Sicher? Gaaaanz sicher, Emily Brucker?“ Sie grinste Emily schelmisch an. „Jahaa, ganz bestimmt“, antwortete Emily lang gezogen und zog die Tür zur Umkleidekabine auf. Wie erwartet standen sie lärmend da und sahen Emily neugierig an.

„Na, Brucker, wie ist er so?“, fragte ein Mädchen mit blonden, kurzen Haaren und fragte somit die Frage der gesamten Mädchengruppe.

Emily seufzte. „Hört mal … er ist wie jeder andere Junge auch. Überzeugt euch doch selbst und sprecht ihn an.“

Darauf folgte ein Murmeln unter allen. „Aber er ist irgendwie unheimlich. Er sieht zwar gut aus, aber er ist irgendwie zu blass …“ „Ja, und dass er nur selten zur Schule kommt, macht es noch mysteriöser.“ „Seine Eltern sollen wohl ermordet worden sein.“ „Waaaas?“ Auf einmal Stille.

Emily schwieg. Sollten sie doch denken, was sie wollten. Sie kannte es besser, als jeder hier.

„Aber es geht auch das Gerücht um, ein Vampir habe die Eltern getötet!“, meinte ein rothaariges Mädchen.

Eine geschockte, spannungsgeladene Stille breitete sich aus.

„Stimmt das, Emily?“

Doch sie war geschockt. „W-wie kommt ihr darauf? Ich weiß es nicht.“ Sie drehte sich um und schaute in die verblüfften Gesichter ihrer Mitschülerinnen. „Keine Ahnung.“

„Vielleicht ist er ja auch ein Vampir? Das würde seine helle Haut und so erklären“, meinte Anna schließlich. Emily wagte es nicht, sich aufzuregen. Das wäre zu verdächtig.

„Oh je, wir leben im 21. Jahrhundert. Seid doch mal realistisch, Mädels“, grinste Emily unsicher. „Dann hätte man doch bestimmt viel mehr Aufsehen um diesen Fall gehabt als sowieso schon.“

„Hm, stimmt auch wieder. Wenn die Existenz solcher Monster-“ Emily zuckte innerlich zusammen. „-bewiesen worden wäre, würden wir heute wahrscheinlich damit zugemüllt werden in den Medien.“
 

„Aber er sieht so gut aus …“, schwärmte plötzlich Rose Tate, die Schönheit der Klasse. „Er würde gut zu mir passen. Zusammen wären wir das Glamour-Paar an der Schule, oder?“

„Ooohja, Rose!“, pflichtete ihr Fanclub ihr bei. Sie war nicht sonderlich zimperlich, sondern gab gerne ihre Stärken zu und preiste diese auch bei jeder Gelegenheit. Doch Emily ging das gewaltig gegen den Strich. Sie schluckte ihren Ärger aber hinunter und ging stapfend zur Sporthalle. Wie konnte sich diese Rose nur einbilden, er würde etwas mit ihr zu tun haben wollen? Sie konnte es sich nicht mal ansatzweise vorstellen, dass Christopher mit einem anderen Mädchen außer ihr redete. War sie etwa besitzergreifend? Jetzt, da sie so über ihn nachdachte, fiel ihr auf, dass sie seine Nähe suchte. Sie wollte ihn trösten, wo sie gerade so viele falsche Behauptungen über ihn gehört hatte. Aber sie allein wusste die Wahrheit und konnte ihm helfen. Doch er war nicht hier. Er saß in einem anderen Unterricht, neben jemand anderes. Vielleicht ein hübsches Mädchen, das gut roch und er hatte vielleicht das Bedürfnis, sie zu … Und wenn schon. Er war ja vorher auch ohne sie zurecht gekommen. Und Single war er bestimmt nicht seit jeher, im Gegensatz zu ihr. Aber sie konnte sich doch nicht in einen Vampir verlieben!? Er lebte doch ewig und sie alterte. Und nur knapp 2 Jahre trennten beide voneinander. Nun gut, genug Zeit, sich zu entwöhnen, was nicht mal angefangen hatte oder fortgeschrittener war, als sie selbst es ahnte …

Nach Sport beeilte sie sich ohne wirklichen Grund und lief fertig bepackt aus der Kabine, als die letzten aus der Sporthalle kamen.

Hatte Christopher schon Schule aus? Sie musste seinen Stundenplan unbedingt wissen. Aber es hatte schon lange zur Pause geklingelt und sie sah ihn nirgends warten, also ging sie mit hängendem Kopf Richtung Nachhause. Den Bus hatte sie um wenige Minuten verpasst und der nächste würde erst wieder in einer halben Stunde fahren, in der sie zweimal Zuhause wäre.

Der Wind blies ihr kalt ins Gesicht und in den Nacken und sie verfluchte sich, dass sie keinen Schal mitgenommen hatte. Gerade nach Sport war man doch geschwitzt und anfällig für Erkältungen bei dem Wetter. Konnte Christopher dann überhaupt von ihr Blut bekommen, wenn sie erkältet war? Sie verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte sich winddicht zu verpacken, doch sie scheiterte kläglich und fror weiterhin.

Als sie über Feld ging, war es besonders schlimm und sie rannte ein Stück, um warm zu bleiben. Als sie dachte, hinter sich jemanden rufen zu hören, blieb sie kurz stehen und blickte sich um, doch es war niemand zu sehen. Sie joggte weiter und im nächsten Moment hörte sie die Stimme wieder, diesmal jedoch neben sich. „Warte doch“, sagte Christopher freudig und Emily wäre vor Schreck fast gestolpert.

„Huch! Erschreck mich nicht so, bitte!“, lachte sie ihn an, als er sie am Handgelenk festgehalten hatte und gerade hinstellte.

„Sorry. Aber du warst nicht mehr da und da hab ich wen gefragt und die meinten, du seist gegangen, statt auf den Bus zu warten.“ Er lächelte sie an.

„Jaah … ich hab auch geguckt, ob du da warst, aber ich hab nix gesehen.“

„Vielleicht sollten wir mal Handynummern tauschen, was?“, fragte er grinsend. „Dann wissen wir, was der andere macht.“

Emily wurde wieder rot. „Ok.“

„Peinlich?“, lachte Christopher.

„W-was? Nein, ich freue mich“, gab sie ehrlich zu. „Sag mal … hattest du schon mal eine Freundin?“

Er wirkte überrascht. „Eine Freundin?“, antwortete er schnippisch.

„Oh je, wie viele denn sonst?“ Sie klang amüsiert, aber ihr war innerlich etwas mulmig. War er etwa so ein Ladykiller gewesen?

„Nein, ich meinte … eine richtige hatte ich erst eine. Da war ich … 14, 15 Jahre alt. Erste Erfahrungen und so. Aber nix ernstes.“ Er starrte in die Ferne.

„Hmhm.“

„Und du?“, fragte er zurück.

„Muss ich das echt beantworten?“, fragte sie ohne ihn anzusehen.

„Oah, Meneater, oder was?“, lachte er und knuffte sie in die Seite.

Sie wich kichernd zur Seite. „Alles andere als das!“, sagte sie bitter und kaute auf ihrer Lippe.

„Wirklich? Das ist echt schade – für dich.“ Er sah sie ernsthaft an, schaute dann jedoch nach vorne und musste grinsen.

Sie sah ihn fragend an. „Was soll das? Du machst dich lustig über mich!“, sagte sie beleidigt und legte einen Schritt zu, doch natürlich brachte es nichts und er war wieder an ihrer Seite.

„Ich hab mich nicht über dich lustig gemacht! Ehrlich.“ Er stand nun vor ihr, um ihr ins Gesicht zu sehen.

Doch sie sah an ihm vorbei. „Ach, und was sollte das Grinsen grad?“ Sie kniff die Augen zusammen, um nicht zu viel kalten Wind abzubekommen, den sie wieder extrem spürte, da sie stehen geblieben waren.

„Ich habe mich gefreut. Nur deswegen.“ Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Dass ich noch niemanden hatte? Danke. Das wollte ich hören. Ich weiß-“ Sie ging an ihm vorbei, „dass ich nicht besonders attraktiv bin und schon gar kein süßes Mädchen, was Jungs beschützen können. Ich bin stark genug, mich zu wehren und weiß, was ich will. Wer das nicht abkann, hat Pech gehabt. Dann bleib ich eben alleine. Besser, als-“ Er tauchte wieder direkt vor ihr auf, mit ernster Miene und wollte etwas sagen, doch sie schnitt ihm das Wort ab – „Besser als eine Klette bei mir zu haben, die nur groß Töne spucken kann und sonst nichts draufhat, wie die meisten heutzutage.“

Sie sah ihn durchdringend an. Seine Miene wurde weicher. Doch er sagte nichts mehr und trat wieder zurück von ihr. Sie sahen sich ausdruckslos an. Dann lächelte Emily und kam auf ihn zu. Sie nahm seine eiskalte Hand, die im Wind als Faust ausgeharrt hatte und legte sie in ihre Hände.

„Damit waren alle Typen außer dir gemeint.“ Sie lehnte ihren Kopf an seine Burst und lauschte dem Wind. Dann spürte seine freie, eiskalte Hand an ihrem Nacken und sie bekam noch mehr Gänsehaut.

„Uwaaah, es ist kalt!“ Sie stellte sich näher an ihn heran und zitterte. Christopher gab ihr einen Kuss auf die Haare. „Hast recht. Wir gehen besser.“ „Oder rennen, ok? Dann wird einem warm.“

„Du wirst kläglich verlieren“, scherzte er.

„Ich weiß. Aber ich bin die beste in Sport.“ Sie grinste zu ihm hinauf. „Wer als erstes an dem ersten Haus da hinten ist?“

Sie nickte zu dem Haus am Ortseingang, das in etwa 1 km Entfernung stand.

„Von mir aus.“ Christopher ließ sie los und beide stellten sich nebeneinander.

„Uuund …. Los!“, rief Emily und beide rannten los. Christopher flog eher, so schien es ihr und war auch im nächsten Augenblick am Haus angelangt, als sie erst die ersten 10 Meter hinter sich gebracht hatte.

Doch dann wollte sie ihm natürlich zeigen, was sie drauf hatte und wurde schneller und schneller …
 

Christopher war längst am Haus und hielt vergnügt Ausschau nach Emily. Doch die kam erschreckend schnell näher und innerhalb der nächsten 10 Sekunden war sie bei ihm.

„Na?“, grinste sie und war nicht mal sonderlich außer Atem.

„Also, wärst du kein Mensch, wäre ich nicht erstaunt, aber DAS hat noch kein anderer hinbekommen. SO schnell war ich ja früher nicht mal.“ Er lächelte bewundernd.

„Ich weiß auch nicht, wieso ich das kann. Ich mache eigentlich nie Sport und habe trotzdem seit ich denken kann bei allen Sportveranstaltungen den 1. Preis geholt.“

„Du Wunderkind, du!“, neckte er sie und sie gingen langsam die Straße vom Ortseingang entlang, bis sie um ein paar Ecken bogen und vor Christophers Zuhause standen.

„So, da bin ich“, sagte er und sah abwechselnd zum Haus und zu ihr. Sie lächelte und nickte.

„Dann sehen wir uns morgen.“ Sie winkte und ging ein paar Schritte rückwärts, sah ihn ebenfalls winken und drehte sich dann auf dem Absatz um.

Dass sie sich so nicht sehen durften, merkte Emily eigentlich nicht wirklich. Doch wenn die Schule vorbei war, kam ihr der restliche Tag unendlich lang vor. Es gab nicht viel zu tun und sie langweilte sich.
 

Bei Christopher hingegen war es nicht ganz so ruhig.

„Tag, Bruder.“ Robin stand in der Küchentür und begrüßte seinen jüngeren Bruder mit einem verschmitzten Grinsen.

„Hi, Rob- was hast du wieder getan?“, rief er entsetzt aus, als er das Blut am Mund seines Bruders sah.

Robin kam weiter grinsend auf ihn zu. „Ich habe das getan, was alle Vampire tun, mein Lieber. Und ich rate dir, das solltest du auch langsam, sonst werde ich es melden. Und du weißt, wie die Obrigkeit auf Regelverstöße reagiert.“

„Was interessieren die mich? Ich bin ja nicht freiwillig einer von denen geworden“, sagte er abschätzig und sprang hoch aufs Treppengeländer und in sein Zimmer.

Robin kam unverzüglich hinterher und donnerte Christopher an die Wand, die mehrere Teile Putz regnete.

„Wag es ja nicht, so zu reden. Dir scheinen die Vorteile deiner Artgenossen auch zu gefallen, also entscheide dich endlich: Vampir oder Tod?“

„Du hast nicht über Recht oder Unrecht zu urteilen, Robin.“ Christophers Blick war ruhig geblieben, fast schon provozierend. Robin schleuderte ihn durch das Zimmer, doch Christopher federte sich lässig an der Wand ab und landete auf seinen Füßen.

„Sonst melde ich dich noch.“

„Als ob du dich zu Ihnen trauen würdest.“

„Haha, glaub mir, ich würde. Und jetzt lass mich in Frieden.“ Christopher zog seine Schuhe aus und flog runter in die Küche, wo er sich wieder einmal mehrere Gerichte auf einmal kochte, die allesamt rot-lastig waren.

Als er ins Wohnzimmer trat, sah er eine Frauenleiche auf dem Sofa liegen. „ROBIN!“, brüllte er durchs Haus. „Bring sie hinaus!!“

Er tauchte direkt hinter ihm auf. „Keine Eile, ich hab sie noch nicht leer gemacht. Ich heb mir was für später auf.“ Er grinste und ging auf sie zu. „Ihr Blut ist einfach zu köstlich.“

Robin hob sie an, um erneut von ihr zu schmecken und Christopher lief ein kalter Schauer über den Rücken. Natürlich hatte er auch Durst, aber er erkannte die Frau bzw. das Mädchen. Er kannte sie von der Schule. Sie war blond und sehr schön. Aber an den Namen erinnerte er sich nicht.

„Sie ist auf meiner Schule. Was da los sein wird, wenn sie erfahren, dass sie verschwunden ist!“

Christopher schluckte.

Robin sah unschuldig von ihrem Hals auf. „Und? Warum sollte man dich denn verdächtigen? War doch bisher auch nicht so.“

Er drehte um und ballte die Hände zu Fäusten. Er verspürte das Bedürfnis, Emily zu sehen, doch was sollte er ihr sagen? Sie da mit reinzuziehen wäre unvernünftig und brächte ihr rein nichts außer Kummer.

„Vergrab sie bitte nicht im Garten, sondern bring sie weit weg.“

„Ai, Sir.“ Er grinste, was Christopher nicht entging. „Was hast du vor?“ Er beäugte seinen älteren Bruder misstrauisch.

„Och, nix. Ich bring sie nur weg von unserem Haus.“

„Ja, tu das.“

Christopher ging kopfschüttelnd und fluchend wieder in die Küche.

Zusammen

Am nächsten Morgen schien die Sonne wie ein Hoffnungslicht vom sonst so trüben Herbsthimmel.

Angesichts dieser Tatsache kam Emily mit Tom allein vom Bus zur Schule. Sie hatten ein angeregtes Gespräch über ihr Mittagessen begonnen und waren gerade an mehr oder minder ekligen Kombinationen angelangt, die sich gegenseitig steigerten und worüber sie herzhaft lachen mussten.

„Na, was seid ihr denn schon am frühen Morgen so gut drauf?“, fragte Anna neugierig, als sie in die Schule traten, wo Anna auf die beiden immer wartete.

„Morgen Anna!“ Emily umarmte ihre Freundin.

„Ach, über perverses Essen, was Emi verschlingt“, feixte Tom und umarmte Anna ebenfalls herzlich.

Emily knuffte ihn in die Seite. „Aber du!“, fauchte sie gespielt beleidigt. Sie mussten wieder lachen.

Gemeinsam gingen sie zur ersten Unterrichtsstunde.

Im Physiksaal saßen die drei ganz oben in der letzten Reihe.

„Wer muss eigentlich heute das Referat vorstellen?“, kam es plötzlich von Tom, der nie gut im Reden vor einer Menschenmenge gewesen war.

„Uhm, ich glaube, die Gruppe von Rose“, betonte sie extra höhnend, um ihr Missfallen zu zeigen.

„Aber du darfst doch nicht so über sie reden, Ms Brucker!“, äffte Anna sie lachend nach.

Die Stunde begann und der Lehrer überprüfte die Anwesenheit.
 

Rose Tate saß beinahe erstarrt auf ihrem Platz und blickte nach unten, ihre langen blonden Haare hingen wie ein Trauerschleier vor ihrem Gesicht.

„Oh man, wir sind heute dran … Ich will nicht!“, flüsterte Kathrine O’hara, eine Anhängerin des R.T.-Fanclubs und verzog das Gesicht zu einer leidenden Miene.

Neben ihr saß noch ihre Freundin Donna Mitchell, die vor Aufregung keinen Ton rausbrachte, sondern nur hektisch nickte.

„Hey Rose. Sollen wir nicht sagen, dass wir das Referat nicht mithaben?“

„Ja, oder d-das wir n-noch nicht f-fertig sind“, pflichtete Donna ihr aufgeregt bei und beide sahen die unbewegte Rose ungeduldig an.

Doch sie antwortete nichts.

„Rose! Man … hast du nicht gut geschlafen? Dann können wir das ja als Ausrede benutzen! Du bist zu müde und wir können nicht vortragen, OK?“, schlug Kathrine vor und klatschte in die Hände.

„Ob wir d-damit durchkommen?“ Donna zweifelte sehr an dieser Idee.

„Keine Ahnung. Oder wir benutzen unsere weiblichen Reize!“, kicherte Katharine.

„Haha, ja“, lachte Donna unsicher.

„Hm, wo wir grad davon sprechen, irgendjemand hat heute kein Deo benutzt.“ Sie rümpfte die Nase und Donna tat es ihr gleich. „Uuh, ja, hast recht.“
 

„Rose, Kathrine, Donna?“, ertönte es von ihrem Physiklehrer über das Geschnatter der Klasse und die beiden Mädchen Kathrine und Donna sprangen aufgeregt von ihrem Platz auf und antwortetem ihm beide mit einem Ja.

Dabei stieß Kathrine Rose leicht an und die fiel reglos auf den Boden.

Sofort war es still geworden und alle starrten auf die leblos am Boden liegende Rose.

„Rose! Tut mir leid, alles in Ordnung?“ Kathrine stürzte perplex zu ihr und drehte sie um – ein gellender Aufschrei.

Kathrine wich erschrocken in die Bank zurück und zitterte am ganzen Körper. Die Mitschüler, die um sie herum saßen, waren ebenfalls aufgesprungen und drängten sich an den Rand der Klasse.
 

Rose war kreideweiß, ihre Augen weit aufgerissen, ihr Hals und Gesicht voller Blut.
 

Keiner wagte etwas zu sagen. Auf einmal war dennoch von einigen Seiten ein Würgegeräusch zu hören und alle liefen panisch aus dem Raum. Der Lehrer schloss die Tür hektisch ab und lief zum Lehrerzimmer.

Die Schüler eilten entweder hinaus an die frische Luft oder zur Toilette, vorbei an anderen Klassenlehrern und Schülern, die den Aufschrei gehört hatten und nun aus den Klassen kamen.
 

Anna und Emily stützten Tom, dem schlecht geworden war und setzten sich draußen auf eine Pausenbank.

Anna sprach als erste, nachdem alle drei der Schock getroffen hatte.

„Was ist nur mit ihr passiert?“, flüsterte sie mit aufgerissenen Augen.

Emily bekam keinen Ton heraus. Sie überkam eine fürchterliche Ahnung und sie wollte sie verdrängen, so gut es ging. Tränen standen in ihren Augen.

„Urgh … es war jedenfalls mehr als eklig“, presste Tom heraus, der den Kopf nun mit zusammengekniffenen Augen nach hinten warf und tief nach Luft schnappte.

„Wer hatte denn einen solchen Hass auf sie? Ich mein, sie war schlimm, aber doch nur oberflächlich …“, gab Anna zu und presste die Lippen aufeinander. Sie war ebenfalls den Tränen nahe.

Endlose Minuten verstrichen, in der von überall her Gespräche zu hören waren von anderen Schülern, die ebenfalls raus gekommen waren und diskutierten.

Jetzt hörte man auch Krankenwagensirenen und dazwischen verzweifelte Schluchzer.

Als die Stimmen um die Ecke bogen, sah man die beiden Freundinnen Donna und Kathrine begleitet von der Vertrauenslehrerin.

„Sie war eiskalt!“, sagte Kathrine mit erstickter Stimme und ihr fielen immer wieder neue Tränen über die Wangen. „Und all das Blut … Oh mein Gott!“, flüsterte Donna und weinte still.

„Es kam aus ihrem Hals, ganz sicher!“, fügte Kathrine mahnend hinzu. „Wie irre ist das?“

„Ihre Kehle …?“ Doch Donna musste sich die Hände vor ’s Gesicht halten um nicht zu laut los zu weinen.
 

Anna fing nun auch an zu weinen und Tom nahm sie in den Arm. „Wie grausam“, flüsterte sie.

Emily wurde panisch. Eine Halswunde? Oder tatsächlich ein Schnitt durch ihre …?

Sie sah hinauf in den Himmel und sah nur trübe Regenwolken. Wo war Christopher? Bei so einem Wetter würde er doch kommen.

Sie wollte ihn niemals verdächtigen; viel eher fiel Emilys Verdacht auf Robin, seinen Bruder. Wenn es dann überhaupt eine Bisswunde gewesen war, es hatte ja niemand explizit darüber gesprochen.
 

„Emily!“ Alle Schüler drehten sich erschrocken um und dann sahen sie Christopher, der nach jemandem zu suchen schien. Als er Emily erblickte, schien er erleichtert und kam mit einem leichten Lächeln auf sie zu.

„Chris!“ Ihre Stimme erstarb bei den letzten Buchstaben und er nahm sie stürmisch in den Arm.

„Wer ist es?“, fragte er schließlich und sah Emily, Tom und Anna an.

„R-Rose Tate“, antwortete Anna ihm.

„Diese blonde …?“

„Ja.“

Zum Glück sah man nicht, wie bleich Chris wurde und wie er es zu unterdrücken versuchte.

„Oh man. Das ist wirklich scheiße!“ Er umarmte Emily wieder fest.

Christopher kam Emily mit dem Gesicht nahe ans Ohr. „Es tut mir leid“, flüsterte er und Emily wusste sofort, dass es etwas mit den beiden Brüdern zu tun hatte. Doch Christopher war es doch nicht gewesen – oder?

Sie schüttelte nur den Kopf und ihre Tränen sogen sich sofort in seine weiche Jacke.

„Robin?“, fragte sie kaum merklich und hoffte - um Gottes Willen - dass er Ja sagen würde.

Sie spürte, dass Christopher kurz zögerte, doch dann merkte sie sein Nicken und hörte ein leises Ja.

Sie schluchzte auf und warf ihre Arme um seinen Nacken. Er war es nicht gewesen! Er hatte sie nicht getötet! Er hielt sein Versprechen weiterhin, niemand unschuldigen zu töten, während Emily immun gewesen war gegen seinen Biss.

Dann ertönte ein Knacken aus den Lautsprechern, die über das Schulgelände verteilt waren.

„Achtung, eine Durchsage. Der Unterricht ist für heute in allen Stufen beendet. Der Physikkurs der Stufe 11 möchte bitte zu seinem Raum zurückkehren.“

Man hörte schrille Stimmen, die jubelten. Sie kamen aber von jüngeren Schülern, die garantiert nicht mitbekommen hatten, was passiert war.
 

„Na denn.“ Tom stand seufzend auf und half Anna hoch. „Wir können bestimmt unsere Sachen holen.“

„Oder sie verhören uns“, entgegnete Christopher ruhig und ließ von Emily ab, nahm dafür aber ihre Hand. Anna nickte beklommen an Toms Schulter und sie gingen Richtung Eingang, der schon verstopft war von Schülern, die unbedingt nach Hause wollten.

Doch als ein paar Schüler Christopher sahen, wichen sie ihm mit ängstlichem Blick aus.

Emily entging das natürlich nicht und sie zerrte ihn schnell hinter sich her zum Klassenraum, um so schnell wie möglich aus der Schule flüchten zu können.
 

„Bitte paarweise aufstellen!“, hörten sie eine fremde Stimme rufen und sahen, dass die Polizei einige Männer in der Schule postiert hatte. Im Klassenraum waren zwei Beamte, die akribisch darauf achteten, wer hinein ging und dass ja nichts angefasst wurde, außer den eigenen Jacken und Taschen und beäugten sie, als sie hinausgingen.

„Ob sie … noch da liegt?“, fragte Anna panisch in die Runde und alle Schüler um sie herum zuckten mit den Achseln, aber wurden auch leicht nervös. Eine Leiche sah man nicht alle Tage.
 

Christopher blieb relativ ruhig und hatte die Augen geschlossen. Emily schluckte und sah, dass sie dem Klasseneingang immer näher kamen. Und ehe sie sich versahen, waren sie vorletzter.

„Bitte geht sofort zu eurem Platz, fast nichts an, schmeißt nichts herunter und seid vorsichtig. Die Spurensicherung ist schon auf dem Weg.“ Der Beamte, der ihnen ruhig erklärt hatte, was zu tun war, schielte unter seiner blauen Kappe zu Christopher und musterte ihn.

Emily wurde ungeduldig. Wieso sahen ihn alle so seltsam an? Hatte sie etwas verpasst?? Stand auf seiner Stirn heute groß und deutlich Vampir?

„So, bitte die nächsten“, ertönte es von einem Polizeibeamten drinnen.

Christopher schob Emily sanft voran und ging mit geschlossenen Augen und ihr an der Hand zu den Plätzen in der hintersten Reihe.

„Sie liegt noch da“, flüsterte Emily zitternd und starrte förmlich auf den Leichnam in der Mitte des Raumes, der mit einer weißen Plastikhaube umhüllt war. Jedoch lugten ihre Haare hervor, deren Spitzen leicht rötlich waren.

„Ja, man riecht es“, knurrte Christopher beinahe und Emily dachte, sie hätte seine Augen kurz rot auflodern sehen, doch im nächsten Moment war es wieder verschwunden und er lächelte sie leicht an. „Komm, lass uns gehen.“ Er schien es eiliger als sie zu haben, doch sie willigte ein und nahm sich ihre Jacke und ihren Rucksack und sie gingen schnellen Schrittes aus dem Raum. Christopher rannte beinahe aus der Schule und Emily kam kaum hinterher.

„W-warte doch!“, rief sie ihm hinterher, doch er war schon draußen und sog mehr frische, kalte Luft ein als seine Lunge beinhalten konnte.

Emily kam nun ebenfalls raus, nachdem sie sich noch ihre Jacke übergezogen hatte und sah ihn besorgt an. Christopher atmete weiter tief ein und aus und sah wieder ruhiger aus.

„Alles ok?“

Endlich sah er sie an und lächelte wehleidig. „Ja, alles ok. Bei dir auch?“

Sie nickte, aber sah dann zu Boden. Er sagte ihr nicht die Wahrheit. Er wollte sicher trinken. Oder hoffte sie, dass er es wollte? Sie fühlte sich immer mehr zu ihm hingezogen, doch es passierte nicht allzu viel und so kamen sie sich schließlich sehr nahe, wenn er sie zärtlich berührte und sie seinen heißen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Bei dem Gedanken wurden ihre Wangen rosig und ihr wurde klar, was sie da überhaupt gedacht hatte.

Dann sah sie Christophers Hand vor sich. „Kommst du?“ Sie nickte und nahm seine Hand. „Wir können doch zu Fuß gehen, oder? Wir haben ja Zeit.“

Sie nickte erneut und lächelte ihn zufrieden an, doch dann kamen ihr blitzartig die Vorwürfe ihrer Eltern in den Sinn, die sie von Christopher fernhalten sollten.

Ruckartig blieb sie stehen und klammerte sich mit beiden Händen an seine Hand. Er drehte sich zu ihr herum. „Was ist-“ „Lass uns … nicht nach Hause gehen. Ich will nicht.“ Sie stockte, doch es war ihr egal. Sollte er ruhig merken, dass sie nervös war und trotzdem mit ihm allein sein wollte.

Er grinste sie wissend an. „Aha … du möchtest mit mir zusammen bleiben. Und wenn du nach Hause gingst, würden deine Eltern dich nicht mehr raus lassen, allein wegen dem Mord, stimmt’s?“

Sie nickte beklommen.

„Gut. Was sollen wir denn machen? Schlag was vor.“

Emily sah perplex auf. „Ich weiß nicht … Mir ist eigentlich alles recht.“

„Na, zu mir willst du sicher nicht. Robin muss erst …“ Er hielt sich die Hand beiläufig vor den Mund und hustete leise. „Naja, er hat zu tun.“

Emily sah ihn schockiert an. „Robin … wieso hat er sie getötet? Was hat Rose ihm getan?“, sprudelte es nun aus ihr heraus und ihr schossen sofort Tränen in die Augen.

Christopher sah sie traurig an.

„Ich habe dir gesagt, wir seien Monster und … machen vor niemandem Halt, wenn es uns dürstet.“ Er wich ihrem Blick aus.

„Aber … nicht du! Verallgemeinere das nicht“, lenkte sie ein.

„Aber ich habe schon Unschuldige getötet, Emily. Bis ich auf den Trichter kam, es anders zu probieren sind Jahre vergangen, in denen ich den Vampirinstinkt ausgelebt habe. Und dann kamst du …“ Er sah sie wieder an, jedoch ausdruckslos. „Ich sage nicht, dass ich es bereue, dich getroffen zu haben, aber … ich hätte dich nicht benutzen dürfen. Niemals. Es tut mir so-“ Doch dann legte Emily ihm einen Finger auf den Mund.

„Sag sowas nicht. Es ist völlig ok für mich, glaub mir. Hätte ich Angst vor dir oder Panik, zu sterben, wenn du mich beißen würdest, würdest du das merken.“

Seine Augen wurden größer. „Du willst sterben?“

„Häh?“ Jetzt machte sie ebenfalls große Augen und ihr Mund klappte auf.

„Du meinst, es wäre dir egal, wenn du durch mich sterben könntest“, beharrte er und seine Miene verdunkelte sich.

Sie lachte auf. „Wenn du es so siehst, ja“, grinste sie ihn an.

Doch sein wütendes Gesicht machte ihr nichts aus. Erst, als er sie gepackt hatte und ihr zu nahe war, verschwand es.

„Wie kannst du so etwas sagen!? Ich würde das niemals zulassen! Du hast gefälligst zu leben.“

Sie schürzte ihre Lippen und sah zu Boden, wurde leicht rot.

„Aber …“

„Nichts aber“, widersprach Christopher ihr und rüttelte sie schwach, in der Hoffnung, sie würde zu Vernunft kommen.

Das wurde ihr zu viel. Sie konnte sich nicht richtig konzentrieren, wenn er sich so benahm und versuchte sich zu befreien, doch er ließ nicht mal ansatzweise locker.

„Lass mich los, Chris, bitte!“, flehte sie energisch doch er schüttelte tonlos den Kopf und sah sie weiter geladen an.

Sie seufzte. „Hör zu … ich habe einen eigenen Willen, ein eigenes Leben und weiß selbst, was ich soll und was nicht.“

Er nickte und ließ sie endlich los. „So und nicht anders, Ms Brucker.“ Er sah sie an, als wären sie Fremde. Er kam ihr auf einmal distanzierter vor als jemals und Emily wurde starr vor Schreck doch sie wusste nicht genau, warum.

„Chris, ich meine nur, dass … ich will …“ Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und begann zu zittern. Was war jetzt los? In ihrem Kopf schwirrten endlose Gedanken, die sie nicht zuordnen konnte.

Sie zwang sich zu reden, aber es wollte nichts aus ihr heraus.

Die Angst überrannte sie. Eine Angst, die stärker war als jede andere Angst, die in ihrem Leben gespürt hatte.

Er wollte sie verlassen. Ganz bestimmt.

Sie streckte ihre Hand zitternd nach ihm aus und er ergriff sie sofort.

„Was ist los, Emily? Geht ’s dir nicht gut?“ Er beugte sich besorgt zu ihr hinunter.

Doch sie konnte ihre Gedanken nicht aussprechen. Es wäre zu endgültig, wenn er es tatsächlich vorhatte.

Wenn er einfach sagen würde ‚Richtig geraten, schönes Leben noch‘. Doch konnte sie ihn überhaupt aufhalten? Es war mehr als töricht, ihn so sehr lieben gelernt zu haben in der kurzen Zeit, die sie sich nun kannten. Und er empfand niemals so wie sie, bestimmt nicht. Ihm machte es nichts aus wegzugehen.

Er suchte sich andere Opfer, die er aussaugen konnte und an denen er sich anderweitig vergehen konnte, wenn er wollte und niemals würde es jemand erfahren.

Jetzt rannen ihr unbewusst Tränen über die Wangen. Christopher hockte sich vor sie und nahm ihr Gesicht in seine Hände.

„Emily! Bitte, sag etwas!“ Er wurde unruhig. „Was ist denn los? Ist es wegen mir??“

Sie nickte langsam und kam wieder zur Besinnung.

„Bleib bei mir“, flüsterte sie heiser, doch er verstand es und stand sofort wieder aufrecht und drückte sie an sich.

„Das muss dir doch keine Sorgen bereiten.“ Er drückte sie fest an sich und hörte sie aufschluchzen.

„Ich will doch nicht weg von hier.“ Hatte er hier oder dir gesagt? Emily hatte in dem Moment tief eingeatmet und wurde wieder unsicher. Das war schon ein Unterschied. Doch im Augenblick zählte nur dieser Moment. Ein vielleicht entscheidender Moment.

„Aber du siehst keine Zukunft …“, versuchte sie so ruhig wie möglich zu sagen und ließ etwas von ihm ab.

Er sah sie durchdringend an.

„Schwierig …“, gab er seufzend zu. „Oder kompliziert. Aber es kommt drauf an, was du mit Zukunft meinst. Ewig hier bleiben kann ich nicht. Jetzt, da ich in die Öffentlichkeit getreten bin, kann ich nicht mehr lange hier wohnen bleiben. Höchstens noch 5 Jahre.“

Emily wurde etwas beruhigter. Das war genug Zeit, um Klarheit zu gewinnen, was wichtig war.

„Und …“

„Ich?“, ergänzte sie und wurde augenblicklich wieder rot.

„Du? Willst du umziehen?“, fragte er perplex und bekam einen strafenden Blick als Antwort.

„Nein! Das meinte ich nicht … was ist mit uns?“ Sie sah ihm nun direkt in die Augen und seine Arme zuckten um sie herum.

„Mit uns? Na, du wirst bestimmt nicht ewig von mir ausgesaugt werden wollen. Spätestens, wenn du einen Freund hast, will der sicher nicht, dass du dauernd mit einer Wunde am Hals rumläufst.“

Sie biss sich auf die Zunge. Er schloss also eine gemeinsame Zukunft aus.

„Doch, das würde er wollen.“

„Und dein Bräutigam auch? Das würde aber zur baldigen Scheidung führen“, lachte er amüsiert, während Emily immer trauriger wurde.

„Er auch, sicher.“

Jetzt wurde Christopher misstrauisch. Er schien sie wirklich nicht zu verstehen.

„Sag mal … reden wir über dieselbe Person?“, fragte er sarkastisch und zog eine Augenbraue hoch.

Sie befreite sich schließlich aus seiner Umarmung.

„Nein, sicherlich nicht.“

„Aber wer würde denn-“

„DU!“, schrie sie verzweifelt und war auf einmal wie außer Atem. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schwer. Erneut liefen ihr ungehindert Tränen über die Wangen. „Ob du es glaubst oder nicht.“

Sie lief in Windeseile an ihm vorbei so schnell sie konnte. Christopher konnte sie einholen, wenn er wollte, doch der blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf den Fleck, an dem Emily eben noch gestanden hatte. Er vergaß sogar, zu atmen …
 

Emily lief den nebligen Feldweg entlang, doch blieb nicht lange in der Richtung, die sie nach Hause führte, sondern bog einfach links ins Feld ein auf den kleinen Forst zu, der sich in dem Nebel zu verstecken versuchte; wie sie.

Außer Atem hielt sie schließlich an einem Baum relativ am Anfang des Waldes inne und versuchte, ihr rasendes Herz zu beruhigen. Sie war doch sonst nie so außer Atem, doch heute hatte sie sich nicht aufs Laufen konzentriert, sondern war mit ihren Gedanken ganz woanders.

Ob er ihr nachlief? Oder nahm er das als Bestätigung, sofort aus ihrem Leben zu verschwinden, um bloß nicht wieder von ihr zu trinken oder sie gar zu töten?

Erst jetzt merkte sie wieder etwas von ihrer Umgebung. Es war neblig, sie sah nicht sehr weit und die kalte Luft stach ihr schmerzlich in der Lunge beim Einatmen.

Nebel? Wo kam der her? Es war doch heute Morgen noch sonnig gewesen und dann hatte es sich nur zugezogen. Und wieso war es auf einmal so eisig kalt? Emily konnte wetten, dass es heute Morgen nicht so eisig gewesen war. Besonders, da sie jetzt erhitzt war, müsste ihr eigentlich warm sein, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Sie sah sich zähneklappernd um, doch erkannte nichts vor sich. Wie kam sie hier nur wieder heraus ohne sich zu verlaufen?

Der Forst war immer nur ein Forst gewesen, den sie am Rande des Feldes wahrgenommen hatte, aber den sie niemals zuvor durchquert hatte.

Als sie gerade nachdachte, aus welcher Richtung sie gekommen war, hörte sie ein leises Knacken ein paar Meter vor sich und erstarrte.

War es etwa Christopher?

Doch dann nahm sie ein leises, dunkles Lachen wahr und wich sofort an den Baum zurück. Das war eindeutig nicht Christopher. Irgendjemand anders hatte sie vielleicht entdeckt und nichts Gutes im Sinn.

Sie schwieg und sah angestrengt in den Nebel, um vielleicht doch etwas auszumachen, was die Person verraten würde. Doch dann war es wieder totenstill.

War der Mann stehen geblieben? Hatte er sie gehört? Ihr stockte der Atem und sie dachte, ihr pochendes Herz würde sie jeden Moment verraten.

Ihr wurde schwindelig von dem weißen Nichts vor sich und sie wollte gerade die Augen zusammenkneifen, als ein eisiger Hauch sie am Hals streifte und als sie sich umwandte, grinste sie ein fahles Gesicht böswillig an.

Sie stolperte nach hinten und fiel polternd auf den feuchten Waldboden.

„Hab doch keine Angst, meine süße Emily.“

Seine Stimme war sehr dunkel und ein wenig rau; woher kannte er ihren Namen? Sie war sich 100%ig sicher, diese Stimme nicht zu kennen. Doch jemand fremdes kannte sie.

„Ich tue dir nicht weh.“ Sie sah ihn auf sich zukommen und erkannte, dass er schulterlange schwarze Haare hatte, einen altertümlichen Anzug wie aus dem 18. Jahrhundert trug und seine Zähne … nicht die eines Menschen waren.

Emilys verschrecktes Gesicht wandelte sich in eine ruhigere Miene. ‚Er kann mich doch eh nicht töten‘, dachte sie schnippisch und stand auf, ihren Blick nicht von ihm ablassend.

„Was wollen Sie?“

Er kam noch einen Schritt näher und war noch einen halben Meter von ihr entfernt.

„Weißt du, dein kleiner Freund hat mir was Interessantes verraten …“ Er grinste wissend und hob seine Hand, doch Emily wich ihr aus.

„Welcher Freund?“, fragte sie wütend.

„Na, sagen dir die Stone ’s was?“ Er ging nun ein paar Schritte um sie herum. „Mir kam zu Ohren, du seist wohl öfters bei Ihnen gewesen, aber immer noch am Leben.“

„Und?“ Emily schluckte hart. Das konnte nur Robin verraten haben.

„Oho … du weißt also nicht, was dir erspart geblieben ist bis jetzt?“ Er grinste und blieb hinter ihr stehen, doch sie wagte es nicht, ihn ebenfalls anzusehen.

„Bist du denn gar nicht neugierig, was deine Freunde …“, er streckte eine Hand aus und strich durch ihre Haare, „ … wirklich sind?“

Jetzt zitterte sie doch ungewollt und schrie in Gedanken nach Christopher.

Doch sie drehte sich mutig um und wich ihm aus. „Ich muss nicht wissen, was er für ein Wesen ist, um ihn zu mögen.“

Das schien dem Vampir zu gefallen. „Du akzeptierst uns also? Das höre ich doch gern. Hast du nicht den Wunsch, auch eine von uns zu werden?“

Diese Frage machte Emily sofort sprachlos. Mit so einem Angebot hatte sie nicht gerechnet. Ihr Gesicht musste sie verraten haben, denn als nächstes lächelte der Vampir freundlicher als zuvor.

„Du musst wissen, Emily, ich bin aus einer alten Familie, die schon etliche von uns in die Welt gesetzt haben. Es ist ein langes Leben, voller Leidenschaft und Abenteuer.“

Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Das wäre doch eigentlich … „Das wäre doch die Lösung deines eigentlichen Problems, oder?“ Er streckte zum 3. Mal die Hand nach ihr aus und sie ließ es zu.

Zu verlockend war dieses Angebot. Würde sie auch zu einem Vampir werden, könnte sie vielleicht ewig mit Christopher zusammenbleiben und er müsste sich keine Vorwürfe mehr machen, sie töten zu können.

„Na? Wie sieht es aus?“, fragte er erneut und kam ihr noch näher.

„Ich …“

Der Vampir kam ihrem Hals gefährlich nahe und sofort packte Emily wieder die Panik. Sie war nicht gut genug darauf vorbereitet. Das war zu plötzlich. Konnte er sie wirklich verwandeln? Und was würde Chris dazu sagen? Was, wenn sie doch sterben würde? Oder scherzte der Vampir und wollte einfach nur ihr Blut, das eigentlich für Christopher reserviert war?

Dann ließ er augenblicklich von ihr ab und sah unbestimmt in den Nebel.

„Ach, schade …“, seufzte er und im nächsten Moment kam Christopher fauchend an seine Stelle gesprungen, während der Vampir ihm sogleich auswich.

Er holte gerade Luft, um ihn anzubrüllen, doch der Vampir verschwand darauf hin im Nichts.

Emily war wie versteinert, zitterte jedoch am ganzen Körper. Christopher drehte sich um und besah sie, besonders am Hals. Er sagte kein Wort, sondern nahm sie in seine Arme und flog mit ihr aus dem Wald raus.

Sie bekam nicht wirklich mit, wohin er lief. Ihre Gedanken kreisten nur darum, was sie wirklich wollte und wenn, ob es richtig war. Sie krallte sich an Christopher fest, als wollte sie ihn nie wieder loslassen.

Als er schließlich zum Stehen kam, waren sie an einem See angelangt, umgeben von Wiesen und Wäldern.

Es war zur Abwechslung auch nicht totenstill, sondern man hörte Frösche quaken und Enten, die sich irgendwo in den hohen Gräsern am Ufer stritten.

Er ließ sie sanft zu Boden gleiten.

„Wo sind wir?“, fragte sie und sah sich um.

„Weit weg von Zuhause. So 15 km, schätze ich. Ich war früher oft hier angeln mit meinem Vater und habe den Platz immer geliebt.“ Sie sah, dass er in Erinnerungen schwelgte und umfasste seinen Arm.

„Es ist wirklich wunderschön hier! Sehr … romantisch“, endete sie leicht stotternd und wurde rot.

„Ja, allerdings.“ Er lächelte sie zustimmend an. „Ich war zwar ewig nicht mehr hier, habe es aber dafür gut gefunden! Hah.“ Er tätschelte anerkennend seine linke Schulter und grinste triumphierend.

Emily lachte auf. „Du bist generell ziemlich flott! Warum fährst du eigentlich immer mit dem Bus zur Schule? Den Feldweg könntest du doch so langflitzen und früh morgens achtet da eh keiner drauf.“

Er sah sie belustigt an. „Nein, es wäre wirklich zu auffällig. Die Nachbarn sind immer ganz misstrauisch, und so ist es wenigstens etwas normaler.“

„Hm … mir ist es egal, wie unnormal du bist.“ Sie schmiegte sich an seinen weichen Arm und betrachtete den Halbmond, der das Wasser glitzern ließ. Er antwortete nur mit einem leichten Seufzen.
 

„Ah! Guck mal!“ Emily ging ein Stück Richtung Wasser und winkte Christopher zu. „Schwäne!! Ganz viele“, sagte sie aufgeregt und sah, wie sich 3 elegante, im Mondlicht leuchtende Schwäne langsam im Wasser bewegten, nachdem sie aus dem Schilf aufgetaucht waren.

„Der dritte ist kleiner, wahrscheinlich ein Babyschwan“, sagte Christopher, der neben Emily stand und ebenfalls neugierig die Vögel betrachtete.

„Ooh, wie süß. Eine kleine Familie.“ Sie seufzte zufrieden und kniete sich hin, um ihren Finger im anschwappenden Wasser kreisen zu lassen.

Christopher sagte dazu nichts. Seine Familie wurde zerstört. Er sehnte sich zwar nach einer neuen, aber Ängste, dass sie erneut zerbrechen konnte, weil Vampire eben unberechenbar waren, ließen ihn diesen Gedanken mehr begraben als aufleben.

Emily sah zu ihm hinauf. „Was planst du für deine Zukunft, Chris? Ich mein, wenn du ewig lebst und ewig so jung … was plant man da?“ Nun stand sie wieder auf und sah ihn interessiert an.

„Hm … bisher habe ich nur Zuhause gelebt. Aber Pläne …? Erst mal mit meinem Dasein zurechtkommen und dann … ich weiß es wirklich nicht. Schlag was vor.“ Er sah sie grinsend an.

Sie zögerte, doch: „Ich will die Zukunft mit dir verbringen. Solang es geht. Für immer und ewig. Aber nur, wenn du magst.“

Er schien verblüfft. „Wie soll das gehen? Im Ernst, Emily … du wirst alt und stirbst. Solange bleibe ich sehr gerne bei dir. Aber allein der Gedanke, dass ich dann verliere, ist jetzt schon grausam.“

Sie wurde wieder rot. Ihm lag also etwas an ihr!?

„Ich bleibe! Für immer …“ Ihr Blick durchdrang ihn und er verstand mit einem Mal, was sie meinte. Der Vampir vorhin war es also doch gewesen … Gerade er hatte ihr solch ein verlockendes Angebot gemacht.

„Vergiss es. Das willst du nie und nimmer“, wehrte er ab und sah aufs Wasser.

„Doch. Ich will, bitte“, beharrte sie.

„Du weißt nicht, was du da sagst, Emily, echt. Du hast null Ahnung, wie es wirklich ist. Angenommen, du wärest auch ein … ein Vampir. Könntest du es übers Herz bringen, Menschen zu töten, die du vielleicht sogar kennst? Und ihnen dann das Blut herauszusaugen, nur, damit du allein weiterexistieren kannst? Willst du so ein Monster werden wie Robin? Dein Leben ist sowas von eingeschränkt, du bist nur auf die Nahrungsbeschaffung erpicht und kannst nie richtige Beziehungen aufbauen. Es ist alles nur eine Frage der Zeit, bis sämtliches, was du dir aufgebaut hast, zerstört wird. So ein Leben willst du nicht führen. Es gibt keinen Ausweg und du lebst ewig. Du vergisst nie und verzeihst nie. Du wirst eiskalt und unberechenbar.“ Er presste die letzten Worte geradezu aus seinem Mund. Es war ihm schwergefallen, dies alles zu erzählen, das spürte Emily. Sie nahm sanft seine Hände und legte sie an ihr Gesicht.

Dann sah sie ihn gutmütig an.

„Aber du könntest dir nicht vorstellen, aus all dem hier auszubrechen und neu anzufangen?“

Er sah sie traurig an und nickte. „Aber nicht allein“, entgegnete er und seine Stimme klang sehr zerbrechlich. Sie hatte seinen Nerv getroffen, sein tiefstes Innerstes aufgewühlt. Einen Kern, den vorher niemand getroffen zu haben schien.

Vorladung

Merry Christmas für euch alle *_*

Als Weihnachtsgeschenk gibt's schon vorläufig das nächste Kapitel ^^

Sonntag kommt dann wie gewohnt das nächste ;D
 

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„Hm“, machte Emily.

Eine Weile beobachteten sie schweigend den ruhigen See und die Enten, die sich langsam ebenfalls zur Nachtruhe begaben und im hohen Schilf verstummten.

Die Wasseroberfläche wurde wieder glatt und der Halbmond spiegelte sich nun deutlich leuchtend darin.

Christopher hockte sich neben sie.

„Ist dir nicht kalt?“, fragte er sie leise und Sorge schwang in seiner Stimme mit. Er rieb mit der rechten Hand über ihren Rücken.

Sie starrte gedankenverloren über den See.

„Was glaubst du, wie viele deiner Art da draußen leben?“, entgegnete sie tonlos.

Christopher zog eine Augenbraue hoch und setzte sich schließlich neben sie ins Gras, das langsam feucht wurde von der Kälte.

„Gute Frage. Mehr, als du denkst, nehme ich an. Da die meisten schon seit Anbeginn der Zeit existieren und sich weiter verbreitet haben, könnten es wirklich eine ganze Menge sein.“

„Wie vermehren sie sich? Wie wir Menschen …?“ Die Frage war ihr etwas peinlich, doch sie wollte es unbedingt wissen.

Christopher zögerte. „Sie … eigentlich wie ihr, aber … auch, wenn Menschen zu Ihnen werden.“

„Aber du kannst mich nicht in einen Vampir verwandeln, stimmt’s?“ Sie blickte nur mit ihren Augen zu ihm, um nicht allzu interessiert zu wirken und ihn wieder wütend zu machen.

„Nur Reinblüter können einen Menschen in einen Vampir verwandeln. Ich kann Menschen nur töten, wenn ich sie beiße, aber nicht verwandeln.“ Er sah sie jetzt mit seinem Oberkörper zu ihr gedreht an.

„Aber nicht mich“, sagte Emily leise und schloss die Augen.

„Nein“, antwortete er matt und sah ebenfalls wieder gen See. „Woran auch immer das liegen mag. Aber ich bin eigentlich recht froh darüber.“

„Eigentlich?“, schmunzelte sie.

„Ja, also … wenn ich mir vorstelle, dass du nach Robins Biss in der Schule hättest tot sein können und ich dich niemals weiter kennenlernen gedurft hätte, wäre ich wahrscheinlich bald über die Barrikaden gegangen.“

„Was?“ Emily raffte sich entsetzt auf.

„Du weißt nicht, wie schwierig es ist. Kannst mit niemanden in engeren Kontakt treten weil ich ihn dann vermutlich bald getötet hätte und Robin allein genügt mir doch nicht. Ich fühle ja auch immer noch wie ein Mensch und habe auch meine … Bedürfnisse. Wie lieben.“

Er beugte sich leicht zu ihr und lächelte sie leicht an. Emily wurde schlagartig rot.

„Ah – ach so. Ja, das ist natürlich wahr. Sonst wär das Leben ja nicht lebenswert.“

Er nickte und legte seinen Kopf auf ihre Schulter.

„Wenn ich dir allerdings lästig werde, brauchst du es nur zu sagen. Dann bin ich sofort weg.“

Emily wurde steif und ihr Mund begann zu zittern.

„Nein. Niemals.“

„Ich kann aber nervig sein, wetten?“

Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wenn, dann bin ich nervig und du gehst freiwillig“, entgegnete sie traurig. Christopher hob seinen Kopf etwas an und legte seine Stirn auf ihre.

„Niemals“, schmunzelte er und hatte seine Augen geschlossen.

Sie spürte seinen sanften, gleichmäßigen Atem an ihrem Mund und ihre Hände schlangen sich wie Magneten um seinen Nacken. Sie musste ihn einfach bei sich haben. Er durfte nicht weggehen.

„Mh … du bist so schön warm.“

Er sank an ihr Schulterbein hinab und hauchte sie dort unwillkürlich fordernd an.

Emily drückte ihn noch fester an sich und spürte seine Arme ebenfalls um sich herum schließen. Er war nicht so warm wie sie, soweit sie das durch ihre Jacke spüren konnte. Aber es war ihr egal.

Christopher glitt mit seiner Zungenspitze sanft über ihre Sehne am Hals und bewegte sie langsam auf und ab und gab ihr einen leichten Kuss auf die Schlüsselbeinmulde.

Emily wusste, dass er ihr Blut brauchte. Wie lange war es jetzt her, seit er das letzte Mal getrunken hatte? Seit sie herausgefunden hatte, dass er ein Vampir war. Und das war jetzt gut eine Woche her.

Sie reckte ihren Hals etwas, doch er wehrte direkt ab.

„Nicht, Emily“, sagte er schwach und kämpfte gegen sich selbst.

„Wenn du es nicht sofort machst, muss ich dich dazu zwingen. Und das tut mir dann weh im Gegensatz zu dir“, presste sie entnervt hervor und drückte ihn näher gegen sich.

„Aber … Emi-“ Doch schon hatte er seine Zähne in ihren Hals gebohrt und trank fordernd ihr Blut.

„Geht doch“, flüsterte Emily und schloss die Augen.

Ein paar Tropfen entglitten seinem Durst und rannen ihren Hals hinunter. Das warme Blut interessierte Emily jedoch nicht im Geringsten. Sie waren sich nie näher gekommen, als es jetzt der Fall war und sie genoss seine Nähe in vollen Zügen, trotz dass ihr allmählich schwindelig wurde.

Aber auch wenn er sie gänzlich leer saugen würde, wäre sie gerne für ihn gestorben.

Christopher merkte, dass ihr Griff lockerer wurde und stützte sie mit seinen Armen ab, bis er schließlich von ihr abließ. Emily sank langsam an seine Brust.

„Alles OK?“, fragte sie völlig selbstlos, aber mit gebrochener Stimme.

„Es tut mir leid, Emily!“ Er drückte sie fest an sich.

„Ich lebe … doch noch, aber …“ Sie machte eine Pause. Ihre Stimme war sehr leise und schwach. „Ich … will …“ Doch weiter kam sie nicht und Christopher hörte schließlich nur noch ihren ruhigen Atem. Sie war so geschwächt, dass sie sofort eingeschlafen war.

Er hielt sie im Arm, stand auf und war daraufhin sofort in der Nacht verschwunden.
 

Am nächsten Morgen wurde Emily vom wärmenden Sonnenlicht geweckt. Ihr fiel die letzte Nacht mit einem Schlag wieder ein und sie drehte sich im Bett herum. Ihre Augen hatte sie geschlossen und sie versuchte sich daran zu erinnern, was passiert war, nachdem Christopher ihr Blut getrunken hatte.

Ihr entwich unkontrolliert wie im Traum ein „Chris“ und sie erschrak leicht, als ihr eigener Name als Antwort kam, aber real klingender als im Traum.

Sie öffnete die Augen und sah in Chris Gesicht. Er lag auf der Decke neben ihr im Bett uns sah sie liebevoll an. Doch sie brachte keinen Ton heraus, sondern wurde rot.

„Bin ich froh, dass du aufgewacht bist. Ich dachte echt, ich hätte dich bis auf den letzten Tropfen Blut ausgesaugt.“ Er legte seine Hand auf ihre Schulter und strich sanft hin und her.

Emily robbte an seine Brust und sog seinen Geruch ein.

„Nein, es war nicht schlimm“, nuschelte sie.

„Hm“, machte er und schloss seine Augen.

Sie schlug die Augen auf. „Was ist mit meinen Eltern!?“

Er grinste. „Sie sind nicht Zuhause. Beide weg.“

Sie raffte sich ein wenig auf und schaute zur Tür. „Aber heute ist doch Schule … sie würden mich nie zu spät kommen lassen!?“

Christopher grinste weiter. „Ich hab einen Zettel an die Tür gehängt. Hab geschrieben, dass du dich nicht gut fühlst und du heute Zuhause bleiben würdest.“

Sie sah ihn neckend an und warf sich auf ihn. „Ich glaub ’s wohl! Erst verführst du mich in der Nacht, dir mein Blut zu geben und dann das!“

Sie rollten auf ihrem Bett eng umschlungen hin und her, bis Emily auf ihm lag und er sie stoppte.

„Selber Schuld, wenn du so lecker bist.“

„Pah. Ausrede.“ Ob er wirklich nur an ihrem Blut interessiert war und ihre Person selbst deswegen erduldete?

Emily legte ihren Kopf auf seine Brust und versuchte, wieder ruhig zu atmen.

„Was ist eigentlich, wenn dieser Vampir von gestern wieder auftaucht und mich beißt?“, fragte sie plötzlich aus dem Zusammenhang heraus und merkte, wie Christophers Atem ungleichmäßig wurde.

„Ich töte ihn, ganz einfach“, antwortete er kalt.

„Aber wenn er mich zum Vampir machen könnte?“

„Er war kein Reinblut.“ Er schüttelte seinen Kopf. „Das würde ich merken. Sie haben eine so starke Aura, dass ich sie in ein paar Kilometern schon spüren könnte. Der Rest sind alles nur Schmarotzer, die sich einfach durchfressen und leere Versprechungen machen, WENN sie denn mal auf einen Menschen treffen, der freiwillig zu einem Vampir werden will.“

Emily grinste. „OK.“

„So“, sagte Christopher und setzte sich auf. „Ich muss dann langsam los.“

„Los? Aber draußen … scheint die Sonne!“, sagte Emily entsetzt.

„Ich bin voll aufgeladen, keine Sorge. Da ertrag ich’s ein paar Stunden in der Sonne.“ Er stand auf und streckte sich.

„Aber du gehst doch zur Schule, oder?“, fragte sie skeptisch.

„Nein. Heute ist eine Vorladung zu einem Fest. Für Vampire. Sie müssen feststellen, wer alles ‚neu‘ dabei ist und wen sie in ihre Gesellschaft aufnehmen und wen lieber nicht.“

„Was?“ Sie sah ihn verständnislos an, doch er lächelte sie beruhigend an.

„Es passiert nichts, keine Sorge. Nur vorsorglich, damit keiner durch ’s Raster fällt und entkommen kann.“

„D-durch ‘s Raster fallen …? Bewachen sie euch beide?“ Ihre Stimme wurde ängstlich.

„So in etwa, ja. Nicht rund um die Uhr, aber wer nicht zur Vorladung erscheint, wird überprüft und meist … naja, jedenfalls ist es wichtig.“

Emily wurde noch unruhiger. Er verschwieg ihr doch etwas!?

„Was passiert meist?“

„Keine Sorge. Sie werden aufgespürt und … bestraft. Also, ich muss dann-“ Er war aufgestanden und wollte gerade zum Fenster gehen, als Emily ihn am Hemdzipfel gepackt hatte.

„Pass auf dich auf.“ Ihre Wangen wurden wieder etwas rot und sie sah ihn flehend an.

„Mach ich.“ Er legte ihr kurz seine Hand auf den Kopf und war dann zum Fenster raus verschwunden.
 

Weg war er … es erschien ihr wie eine Ewigkeit, dass sie jemals ohne ihn gelebt hatte. Es kam ihr vor, als wären sie schon ewig so zusammen gewesen. Eine unerklärliche Verbundenheit fesselte sie an ihn und er an sie. Doch jetzt war sie allein und wusste nicht recht, was sie mit der Zeit anfangen sollte. Zu zweit war es so einfach, die Stunden wie im Flug vergehen zu lassen.

Sie entschied, erst einmal duschen zu gehen und sich auf die wichtigeren, menschlichen Dinge zu konzentrieren. Schule war wichtig, ihre Eltern lagen ihr am Herzen. Und Anna und Tom nicht zu vergessen, ihre menschlichen Freunde. Sie wollte doch ihr Leben nicht einem einzigen Wesen widmen, wollte unabhängig bleiben!

Mit einem siegessicheren Lächeln zog sie sich schließlich frische Kleidung an und machte sich an die Hausaufgaben und lernte für die bevorstehenden Prüfungen mit vollem Elan.

Sie räumte ihr Zimmer ordentlich auf und machte die Wohnung ebenfalls sauber. So eifrig war sie lange nicht gewesen. Zuletzt wohl irgendwann auf der Mittelschule, als sie mal verliebt gewesen war und voller Tatendrang.

Ein erhebendes Gefühl, dennoch wurde ihr trotzallem bewusst, dass es ohne ihn nicht ging. Wieso, war ihr nicht klar, aber gäbe es ihn nicht, würde sie weiter ihr trostloses Dasein fristen und ein normales Leben führen wie jeder andere auch.

Unvorstellbar!

Jede Minute ohne ihn schmerzte beinahe und fraß ein Loch in ihr Herz. Ob normale Liebe auch so einnehmend war und so bedingungslos? War sie so schmerzlich und so unbedingt wie diese Liebe? Gab es einen Unterschied zwischen Vampirliebe und der zwischen Menschen? Oder war es gerade so unglaublich, weil es gerade diese beiden unterschiedlich-gleichen Gefühle waren?

Emily stockte und sie versuchte, die Gedanken an ihn zu verdrängen.

Durfte er wirklich ihr ganzes Bewusstsein einnehmen? Konnte sie denn keine Sekunde ohne sein Bild vor den Augen verbringen? War sie etwa besessen?

...

Und wenn schon. Im Moment wollte sie nichts lieber, als ihren Gefühlen und Gedanken freien Lauf zu lassen und sich ihm ganz hinzugeben. Auch wenn sie eines Tages bitter dafür bezahlen müsste. Entweder mit ihrem Leben oder ihrer Seele …

Emily schreckte auf, als sie gerade den Spiegel in ihrem Zimmer putzte und sie einen Schlüssel an der Wohnungstür hörte. Es war ihre Mutter. Emily erkannte ihren schnellen Gang, der in die Küche eilte und dann durch den Flur auf Emilys Zimmer zu.

Sie öffnete leise die Tür und spähte nichtsahnend hinein.

„Hallo Mama“, begrüßte Emily sie freudig und strahlte sie an.

Ihre Mutter öffnete verblüfft die Türe weiter. „Dir geht’s wieder besser, Emily?“ Sie kam auf ihre Tochter zu.

„Mhm. Ich dachte, ich werde krank, als ich heute Morgen aufgestanden bin … hatte Kopfweh und mir war schwindelig. Aber ich hab bis eben geschlafen und jetzt geht es wieder.“

Ihre Mutter lächelte verwirrt. „Na dann. Ich mach gleich Essen, ja?“

„Super.“
 

„Ach, wir haben übrigens Post bekommen. Dein Vater und ich sind heute ganz kurzfristig eingeladen worden“, fragte Emilys Mutter sie, als beide das Essen vorbereiteten.

„Von wem denn?“

„Arbeitskollegen. Kannst gerne mitkommen, da sind bestimmt auch Jungs in deinem Alter.“

„Mama!“, wehrte Emily ab. „Verkuppel mich bloß nicht mit wem von denen. Die Jungs von heute sind alle dämlich. Das wird nie was.“ Sie starrte beleidigt auf die Kartoffel, die sie halb geschält in der Hand hielt.

„Aber mit der Einstellung bekommst du nie jemanden. Du musst ihnen auch eine Chance geben, sich dir zu öffnen. Die meisten tun ja nur so cool, wenn sie im Rudel unterwegs sind. Aber kaum bist du mal mit einem allein, kann er ganz anders sein. Das ist mit jeder Generation das gleiche, glaub mir.“

Emily antwortete darauf nichts, sondern fragte sich, wann sie Christopher sich jemals so benehmen hat sehen … Doch sie hatte ihn nie mit Jungs in seinem Alter gesehen bis jetzt. Entweder, er war allein oder mit ihr unterwegs.

Vielleicht hatte ihre Mutter ja recht. Aber sie sollte ja keinen Verdacht schöpfen.

„Sehe ich anders, aber gut … Trotzdem will ich nicht“, betonte sie noch einmal.

„Ist ja gut. Aber du kommst mit?“

„Vielleicht. Wo ist das denn? Und was für eine Feier?“, fragte sie mit absichtlichem Desinteresse.

„In einem Hotel in der Innenstadt. Das oberste Stockwerk mit einer angesagten Bar, die er gemietet hat, also schon etwas nobler. Hast du passende Sachen dafür?“

„Denke schon.“

„Aber du musst mir versprechen, Emily … das du in unserer Nähe bleibst. Ich weiß nicht, wie voll es dort sein wird. Und manche Kollegen sind mir noch nie ganz geheuer gewesen und du bist ein junges, hübsches Ding.“

Emily zog die Augenbrauen hoch. „Glaubst du, die schleppen mich ab!? Als ob ich so doof wär, Mama. Ich kann mich gut wehren.“

„Hm, ist gut.“
 

„Robin? Bist du fertig?“ Christopher stand im Anzug vor dem Spiegel in seinem Zimmer und seufzte.

„Hrm …“, knurrte Robin und trat ein paar Sekunden später an Christophers Türrahmen.

Er sah gar nicht glücklich aus in so einem feinen Anzug, doch es stand ihm ungemein und er wirkte sehr elegant.

„Ich hab keinen Bock zu diesem Schaulaufen zu gehen. Sollen die doch Hausbesuche machen“, motzte er laut herum.

„Aber es integriert uns auch weiter in die Gesellschaft ein. Denk doch mal daran“, erinnerte Christopher ihn tadelnd und rückte seine Krawatte zurecht.

„Pah … Ich will gar nicht mehr von denen wissen.“

„Rob …“

Christophers Bruder war selten so angespannt und nervös.

„Sie waren es doch, die uns in diese Welt hineingezogen haben. Sie sind Schuld daran, dass ich dauernd Durst habe und Menschen töten muss und völlig austicke, wenn ich Blut rieche.“

Christopher nickte gedankenverloren.

„Warum sollen wir denen auch noch zeigen, dass es uns gut geht unter ihnen!? Sollen sie doch wissen, dass wir am liebsten sterben wollen würden!“ Er brüllte beinahe vor Wut und atmete schwer.

„Robin, beherrsch dich bitte. Ich verstehe ja, was du meinst. Voll und ganz“, versuchte Christopher ihn zu besänftigen und kam nun auf Robin zu.

„Als ob … du hast doch deine kleine Freundin, die du aussaugen kannst. Auf dir lastet nicht die Schuld, nächtlich Menschen umzubringen und dich immer weiter von deinem menschlichen Ich zu entfernen, bis du eines Tages nur noch ein instinktgesteuertes Monster bist.“

Er sah Robin scharf an. „Ich mache das trotzallem nicht aus Vergnügen. Auch wenn sie sagt, es tue ihr nicht weh. Sie … vergiss es. Du darfst sie nicht anrühren.“

Robin zog eine Augenbraue hoch. „Glaubst du, sie könnte …?“

„Nein, das nicht.“

„Legenden können wahr werden.“

„Sie ist nur ein Mensch, glaub mir.“

„Aber was ist mit ihren Tricks?“ Robin wurde langsam wütend.

„Tricks?“ Christopher kniff die Augen zusammen.

„Na klar. Hast du es nie bemerkt? Ihre Haut hat geglüht, gebrannt …“

„Nein, bestimmt nicht. Lass uns gehen, sonst werden sie ungehalten. Lass uns einfach gute Miene zum bösen Spiel machen.“
 

„Wooow“, machte Emily, als sie vor dem pompösen Hotel aus dem Taxi stieg und ihren Eltern ins selbige folgte. Es war wirklich ein Nobelhotel und zur jetzigen späten Stunde sah sie nur noch gut gekleidete Menschen in der Lobby umhergehen, die anscheinend das Nachtleben genießen wollten.

Sie selbst hatte ein schlichtes langes hell rosa Kleid an, das korsettartig ihren Oberkörper umhüllte und kurz über ihren Knöcheln endete. Das Kleid hatte sie sich für genau solche Anlässe besorgt und wurde schon auf ihrem Mittelschul-Abschluss getragen.

Emily stieg mit ihren Eltern und weiteren Gästen in den Fahrstuhl und es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie in der 50. Etage angelangt waren. Die Türen öffneten sich und in der Bar, die sie betraten, herrschte eine angenehme Atmosphäre. Emily schien vor lauter Erstaunen nicht die leichten Kopfverbeugungen der Gäste zu sehen. Es gab nur schummriges Licht und relativ ausgelassene Gesprächsrunden.

Alle Altersklassen waren hier vermischt und Emily staunte nicht schlecht, dass so viele junge Leute mit den älteren Semestern plauderten, als wären sie Großväter und Enkel.

„Bleib bei uns, Emily“, erinnerte sie ihre Mutter und zog sie an der Hand hinter sich her durch den fast schon ausgefüllten Raum, der ziemlich groß war. Emily nickte und gehorchte brav.
 

„Hallo, meine Lieben!“, begrüßte sie ein älterer Herr freundlich.

Emily lächelte nur und hörte nicht weiter den Gesprächen zu, die ihre Eltern mit ihm führten. Ihr fiel nicht auf, dass sie beinahe mit ihm flüsterten und ihre Gesichter für eine Sekunde lang ernst ausgesehen hatten.

Sie schrak wie aus Trance auf, als sie laut auflachten.

„Wirklich gut, mein Lieber“, prahlte ihr Vater und schlug dem älteren Herrn anerkennend auf die Schulter.

Emily wurde schnell langweilig und sie vergaß, dass sie bei ihren Eltern bleiben sollte. Gedankenverloren ging sie durch die Menge, die ihr Platz zu machen schien, was sie aber nicht bemerkte, und blieb an den Panoramafenstern stehen, die ihr einen atemberaubenden Blick auf die nächtliche Skyline von London boten. Erstaunt suchte sie bekannte Gebäude und versuchte auszumachen, wo genau ihr Haus sein musste. Und das von Christopher …

Wie es ihm wohl gerade erging? Hoffentlich gab es keinen Streit wegen Robin. Sie wusste ja nicht, wie penibel diese Vampirgesellschaft sein musste, wenn sie sogar ihre Artgenossen überwachen ließ.

Seufzend ging sie an den Fenstern weiter entlang und hatte den Raum einmal umrundet, als Unruhe sie aufblicken ließ. Sie hörte ihre Mutter ihren Namen rufen und die Menschen vor ihr bildeten schließlich eine kleine Gasse. Emily blickte ihre Mutter erstaunt an, die kopfschüttelnd auf sie zukam.

„Was hab ich dir gesagt?“ Sie blickte Emily fest in die Augen.

„Ich bin doch da. Aber was soll ich die ganze Zeit -“ Sie bemerkte, dass alle die beiden anstarrten und verstummte.
 

„Na, wen haben wir denn da?“

Emily erstarrte. Diese Stimme … Ihre Mutter drehte sich verwirrt um und gab den Blick frei - auf Robin und Christopher.

„Was machst du bei solch einer Veranstaltung, Ms Brucker?“, hakte Robin weiter misstrauisch und amüsiert zugleich nach.

Emily wurde steif. ‚Solch eine Veranstaltung‘? Wieso? Was machten die beiden hier?
 

„Komm, Emily.“

„Aber …“

„Höre!“ Diesen Ton war Emily von ihrer Mom nicht gewöhnt. Sie ging artig hinter ihr her.

Doch als sie an Robin vorbei war, sah sie Chris‘ entsetztes Gesicht und blieb stehen.

„Chris“, begann sie und berührte sanft seinen Arm.

Was bedeutete dieser Blick? Es war Verzweiflung, Unverständnis … alles in einem.

Plötzlich wurde Emily vehement am Arm gepackt.

„Junges Fräulein, hör auf deine Mutter“, ermahnte sie ihr Vater und zog sie bestimmt mit sich.

„Chris? Chris! Dad, lass mich los!“, rief sie verzweifelt und wand sich mit einem Ruck erfolgreich aus dem Griff.

„Emily Brucker!“, donnerte ihr Vater, doch blieb stehen.

Emily war aber schon zu Christopher zurückgekehrt und nahm seine Hand in ihre Hände.

„Emily.“ Seine Stimme war fest, trotz des erschreckten Gesichtsausdrucks. „Tu, was deine Eltern dir sagen. Geh.“

Planung

„Emily.“ Seine Stimme war fest, trotz des erschreckten Gesichtsausdrucks. „Tu, was deine Eltern dir sagen. Geh.“

Emily verzog das Gesicht.

„Was? Ich möchte aber bei dir -“

„Geh!“, befahl er, nun lauter und senkte wütend den Kopf.

Emily wich erschrocken zurück. Was war nur los mit ihm? Was hatte sie denn getan, dass er so reagierte!?
 

„Du bleibst jetzt wirklich die ganze Zeit hier, klar?“, ermahnte ihre Mutter sie hektisch und zog sie auf eine Couch in der Ecke der Bar.

„Warum? Was soll das, Mama?“

„Emily … es ist nur zu deinem Schutz, glaub mir.“ Ihre Mutter hatte die Augen geschlossen.

„WAS ist zu meinem Schutz? Du lässt mich keine Sekunde aus den Augen als wäre ich ein Kleinkind!“, sagte sie aufgebracht und ihre Hände waren zu Fäusten geballt.

„Es kommen genug junge Leute unter die Räder, mein Schatz. Und diese Stones sind eh kein Umgang für dich“, versuchte sie sie zu beruhigen und legte ihr eine Hand auf die linke Faust, doch Emily scheuchte sie weg.

„Mama, ich mag ihn, klar? Ich entscheide immer noch, mit wem ich Umgang habe und mit wem nicht!“ Ihre Augen glühten förmlich vor Wut.

„In dem Fall leider nicht, Süße.“ Ihre Mutter lächelte sie an. Ein falsches Lächeln.

Nun stand Emily aufrecht und sie hatte wütende Tränen in den Augen stehen.

„Ich bin volljährig. Du hast mir nichts mehr zu sagen.“
 

Christopher stand in einigen Metern Entfernung und beobachtete die beiden unauffällig, während er an einem Glas Champagner nippte. Robin versuchte sich ernsthaft in Konversation mit einem, aber sein ironischer Unterton war kaum zu überhören.

Doch Chris wusste nicht recht, was er von Emilys Auftreten auf DIESEM Event halten sollte. Weshalb war sie hier und wusste sie, was genau für eine Veranstaltung das hier war?

Wer waren ihre Eltern, dass sie solche Aufmerksamkeit von den anderen Gästen bekamen?

Und dann sah er, dass Emily wutentbrannt aus der Bar verschwand. Sie stieg sofort in den offenstehenden Lift und die Türen schlossen sich so schnell, dass keiner ihrer Eltern sie erreichen konnte, die panisch und wütend hinter ihr her gestürzt waren.

Er stellte sein Glas ab und verschwand unauffällig …
 

Emily rannte panisch aus dem Hotel und achtete weder auf vorbeilaufende Gäste noch darauf, dass es draußen begonnen hatte zu regnen, als sie nasstriefend die dunklen Straßen entlanglief.

Wut und Enttäuschung trieben sie voran und durch den Regenschleier schien sie nur noch ein verwaschener hell rosa Farbfleck zu sein.

Wieso hielten ihre Eltern sie seit neuestem so fern von Menschen? Sie musste bei ihnen bleiben … Junge Leute kamen oft unter die Räder … ja, aber schon seit Anbeginn der Zeit! Warum wurden sie gerade jetzt so panisch? Hatte das nicht alles erst mit Christopher begonnen? War er der Grund für alles? Aber er tat doch niemandem etwas …

Sie wurde langsamer und auf einmal kam ihr ein seltsamer Gedanke, der aber alles erklären würde.
 

Wussten ihre Eltern, dass er und Robin Vampire waren?
 

Nun blieb Emily mitten im Regen stehen und schaute auf den nassen Boden, an dem kleine Rinnsale entstanden und zwischen den Steinen umher flossen.
 

Das ergab tatsächlich Sinn. Wenn sie wussten, dass er ein Vampir war, wollten sie natürlich nicht die Gefahr eingehen, dass ihr etwas passieren könnte.

Aber das würde nie funktionieren. Sie konnten Emily nicht von ihm abhalten. Niemals.
 

Und plötzlich wurde sie von zwei Armen von hinten sanft, aber fest umschlungen.

„Lauf nicht weg, Emily.“

Christophers Stimme klang traurig, so nah an ihrem Ohr.

Sie schüttelte den Kopf. „Meine Eltern …“, begann sie.

„Haben völlig recht“, endete er.

Sie drehte sich erschrocken um und er ließ von ihr ab.

„Womit haben sie recht?“, fragte sie stirnrunzelnd.
 

Und dann begannen seine Augen rot zu leuchten, doch er blieb stehen wo er war.

„Ich bin gefährlich. Robin ist noch gefährlicher.“ Er verzog kein Gesicht.

Emily lachte abschätzig und drehte sich mit dem Rücken zu ihm.

„Ich liebe die Gefahr. Das weißt du doch.“ Sie drehte ihren Kopf leicht zu ihm zurück. „Ich bin volljährig und weiß genau, was ich tue. Keine Ahnung, wieso, aber es ist wirklich so. Kein jugendlicher Leichtsinn oder Fehleinschätzung. Ich stehe 100% zu dem, was ich sage und tue.“

„Wenn du dich da mal nicht täuschst …“

Und dann spürte sie, dass er direkt hinter ihr stand und sie drehte sich zu ihm herum.

Seine Augen leuchteten immer noch gefährlich rot, doch sie hatte keine Angst und blickte ihn unverhohlen an.

Tränen mischten sich unaufhörlich mit dem Regen.
 

„Emily …“ Er war im Zwiespalt mit sich selbst. Einerseits wusste er nicht, was genau Emilys Eltern wussten und wer genau sie waren, andererseits wollte er auf keinen Fall von Emily getrennt sein, was es auch kosten sollte. Doch auf keinen Fall wollte er sie gefährden. Und er wusste eben nicht, zu was ihre Eltern fähig waren, um sie zu schützen.

„Vielleicht sollten wir uns eine Weile nicht sehen, bis deine Eltern sich wieder beruhigt haben.“

Emily riss ihre Augen auf.

„Nein! Das nützt eh nichts, wir sehen uns in der Schule. Und heute … wieso heute eigentlich?“ Sie sah ihn fragend an.

„Ähm … das war … ich weiß nicht …“

„War DAS etwa die Vorladung, wo man euch …?“

Christopher nickte. Emily wich einen Schritt zurück und starrte ins Nichts. Ihre Eltern mussten davon gewusst haben. Das es keine normale Party war. Deswegen verhielten sie sich auch so seltsam. Es waren alles Vampire dort gewesen und … sie nicht!? Ergab das Sinn?

„Chris … Weißt du etwas über meine Eltern?“, fragte sie ihn schließlich und ihre Augen flackerten panisch.

Er schüttelte den Kopf.

„Dort waren alles nur Vampire, richtig?“

Er nickte.

„Aber …“ Emily wurde hektisch und sie sah hinter Christopher, ob sie nicht verfolgt wurden. „Sie müssen doch davon gewusst haben! Deswegen haben sie sich auch so komisch benommen. Sie haben Angst um mich. Aber warum haben sie keine Angst gehabt!?“

„Emily, was sind deine Eltern von Beruf?“, fragte Christopher ernst, aber ruhig.

Sie sah ihn perplex an.

„Sie sind beide im Büro einer weltweiten Firma tätig. Keine Ahnung, wo genau hier in London. Wieso?“ Sie kam wieder näher und legte die Hände krampfhaft an seine Brust.

„Ich weiß nicht, ehrlich. Ich dachte nur …“ Er sah zur Seite und räusperte sich, als Emily ihn krampfhaft zusammen zucken spürte. Seine Augen waren weit aufgerissen und er war unbeweglich.

„Chris? Chris! Was ist los?“ Sie wollte ihn gerade berühren, als…
 

„Christopher James Stone“, knurrte eine dunkle Männerstimme hinter den beiden. Emily erstarrte ebenfalls und sah zitternd über Christophers Schulter.

Dort standen zwei Männer in Schwarz gekleidet und dahinter Emilys Eltern mit ernsten Gesichtern.

Sie merkte, dass Chris sich nicht bewegen konnte und erblickte die rot leuchtenden Augen des linken Mannes in Schwarz.
 

„Emily, Liebes, komm hierher, los.“ Ihre Mutter streckte eine Hand nach ihr aus.

Doch Emily bewegte sich keinen Millimeter und starrte nur voller Panik ihre Eltern an.

Wieso taten sie das? Was wussten sie genau?

Sie bekam keinen Ton heraus, obwohl sie sie anschreien wollte, sie verhören wollte, was ihnen das Recht hierzu gab.

„Ms Brucker, sie hören besser auf ihre Eltern.“ Der rechte Mann in Schwarz kam ein paar Schritte auf sie zu.

Sie stellte sich mit einem Schritt vor Christopher.

„Wagt es ja nicht, ihm etwas anzutun! Das lasse ich nicht zu!“ Sie versuchte, ihr Gesicht so wütend wie möglich aussehen zu lassen und streckte die Arme mit geballten Fäusten aus.

Der Mann in Schwarz zuckte zurück und sah verunsichert zu Emilys Eltern zurück. Beide nickten.

Was bedeutete das jetzt wieder!?

Der Mann ging wieder langsam auf sie zu.

„NEIN!“, schrie sie ihm entgegen und wie durch einen unsichtbaren Schlag flog er einige Meter nach hinten und schlug mit voller Wucht am Boden auf.

Erschrocken wand Emily sich um, ob Christopher etwas getan hatte, doch er war immer noch wie gelähmt.

Ihre Eltern waren sprachlos.

„Emily, hast du etwa …?“ Ihre Mutter klang hoffnungsvoll und ängstlich zugleich.

Emily zog ihre Augenbrauen fragend hoch. „Hab ich was?“

Sie bewegte sich immer noch nicht vom Fleck und erwartete eine Antwort.

Doch jetzt schritt ihr Vater ein.

„Zu gegebener Zeit erklären wir es dir. Komm jetzt.“ Er klang gelassen.
 

„Ich gehe nicht ohne ihn weg! Vergesst es!“ Emily nahm seine steife Hand und er wurde wieder beweglich, obwohl der schwarzgekleidete Mann noch immer mit seinen rot glühenden Augen dastand und verdattert aufblickte, als seine Kräfte nicht mehr zu wirken schienen.

„… Emily.“ Christopher sah sie über die Schulter hinweg an.

„Ich will dir keine Probleme bereiten“, gab sie schließlich zu und drückte seine Hand leicht. „Wir sehen uns in der Schule?“

Er nickte nur und verschwand dann in der Dunkelheit.
 

Emily ging wütend auf ihre Eltern zu.

„Kleines … tut uns leid.“ Ihr Vater legte ihr im vorbeigehen eine Hand auf die Schulter und zog sie direkt zurück. Er keuchte wütend auf, als er verbrannte Stellen an seiner Handfläche entdeckte.

„Schatz, weiß sie es schon?“, fragte Eva ihren Mann.

„Nein. Sie ist sich nichts dergleichen bewusst. Aber sie grübelt, das habe ich sehen können. Sie versteht uns einfach nicht.“

„Verständlich. Langsam aber sicher müssen wir …“

„Ja.“ Albert nickte. „Die Zeit scheint zu kommen. Und am besten, bevor sie diesem Stone-Jungen näher kommen kann.“

Eva nickte ernst und sah ihrer Tochter nach. Emily eilte schnellen Schrittes voller Wut nach Hause.
 

Dort angekommen, warf sie ihre Schuhe in die Ecke, zog sich unbeholfen und ungeduldig um und verschwand unter der Bettdecke in ihrem Bett. Sie war immer noch klatschnass, fror aber kein bisschen und konnte erst recht nicht schlafen. Zu viele Gedanken kreisten in ihrem Kopf.

Sie war ihren Eltern immer so nahe gewesen, konnte ihnen alles erzählen und sie fingen sie immer wieder schützend auf.

Doch heute Abend waren sie ihr entfernter als jemals zuvor. Beinahe wie Fremde.

Diese Vorstellung machte ihr Angst. Sie waren doch beide ganz normale Menschen, wie sie auch. Trotzdem waren sie dort auf dieser Vampirfeier eingeladen und haben Emily auch noch mitgeschleift.

Warum nur!?

Wussten sie wirklich nichts von Vampiren oder verstellten sie sich? Doch wenn sie nichts davon wüssten, hätten sie sich niemals so benommen. Nie und nimmer.

Also stand es fest: Eva und Albert hatten etwas mit der Vampirwelt zu tun. Und Emily hatte nie etwas bemerkt. Garnichts, um ganz genau zu sein. Und weil Vampire so gefährlich waren, wollten sie ihre Tochter beschützen. Verständlich, sogar für Emily. Doch sie wussten ja nicht, was Emily schon getan hatte … und das sollten sie auch nicht erfahren. Sie wollte nichts weiter verraten, was Christopher schaden konnte und musste einfach so tun, als wüsste sie nicht, was er war.

Also durfte sie auch nicht allzu sehr bei ihren Eltern nachhaken und einfach abwarten.

Doch ihre Eltern verrieten nichts. Das Thema wurde fallen gelassen. Sie fragten Emily nichts, sondern verhielten sich beinahe wie immer, wie eine ganz normale Familie. Das waren sie ja eigentlich auch.

Die sonnigen Tage häuften sich fast wochenlang, obwohl der Winter unaufhörlich näher kam und Emily sah Christopher nie, als würde er nicht existieren. Sie trafen sich auch sonst nicht nach der Schule.

Emily machte gegenüber ihren Eltern und Freunden keine Anstalten, ihn treffen zu wollen – äußerlich.

Ihre Gedanken kreisten jedoch täglich um die Hoffnung, ihn sehen zu können und wurden jede Nacht, wenn sie im Bett lag, enttäuscht. Es gab kein Lebenszeichen von ihm.
 

Doch sie hatte sich fest vorgenommen, dieses Thema erst einmal ruhen zu lassen, bis ihre Eltern es nicht mehr von ihr erwarten würden. Vielleicht dachten sie, es wäre aus zwischen den beiden, wo nie etwas hätte beginnen dürfen. Sie sahen ihre Tochter nur stets mit Anna und Tom ausgehen, Hausaufgaben machen und lernen, Videospiele spielen … alltägliche Sachen, die eine normale junge Erwachsene eben so tat und das schien sie zu beruhigen.
 

Ein weiterer, sonniger Tag brach an und der Deutschkurs, in dem auch Anna, Tom und Emily waren, versammelte sich an diesem Morgen aufgeregt schnatternd im Klassenraum.

Sie wollten heute den Skiurlaub in den deutschen Alpen in München planen. Tom war Kurssprecher und versuchte, die Menge zum Schweigen zu bringen.

„So, LEUTE“, rief er und alles wurde still. „Danke. Also, wir wollten uns ja heute mal um die Skifahrt kümmern. Habt ihr alle schon das Geld auf das entsprechende Konto überwiesen?“

Einige nickten, andere bejahten laut.

„Gut. Ihr wisst, dass wir am 20.11. fahren und das morgens früh um 6 Uhr. Seid also pünktlich, oder ihr bleibt hier. Der Zug wartet nicht.“ Emily sah ihn bewundernd an. Er konnte so gut vor vielen Leuten sprechen und sie konnte ihn sich sehr gut als Lehrer vorstellen. Aber er sprach nicht gelangweilt, sondern richtig motiviert und man hörte ihm gerne zu. Auch Anna hing an seinen Lippen, als Emily sie von der Seite aus beobachtete.

Sie grinste in sich hinein. Die beiden waren mehr als ineinander verliebt, das sah sogar in Blinder.

Doch Anna traute sich nicht, es ihm zu sagen und Tom spielte den Unnahbaren, der jede haben konnte. Wieso nur!? Es wäre doch so einfach für die beiden … aber sie machten es sich absichtlich schwer. Im Gegensatz zu ihr und Chris.

Wäre es doch auch nur so leicht für die beiden. Doch es gab viel schwerwiegendere Probleme, die ihre Gefühle ins Abseits drängten und für unwichtig erschienen ließen. Wenn sie doch konkreteres wüsste …

Aber Eva und Albert schwiegen dieses Thema so gut wie tot.

Sie seufzte gedankenverloren und wurde prompt von Tom erwischt.

„Emily, hast du einen Vorschlag für unsere Planung?“ Er grinste sie an.

Sie verzog den Mund, antwortete aber: „Ich bin für eine große Schneeballschlacht!“

Keiner sagte etwas, doch alle starrten sie ungläubig an.

„Oder auch nicht“, murmelte sie und schämte sich für diese kindische Idee.

„Wie wär’s mit einer Schnitzeljagd? Dürfte im Schnee doch etwas besonderes sein, oder?“, schlug Anna mindestens genauso kindisch vor.

Doch diesmal ging ein Raunen um und Tom nickte lächelnd.

„Gute Idee, Anna. Dann darfst du auch überlegen, wie wir das machen sollen.“

Anna streckte ihm die Zunge raus und wandte sich zu Emily um.

„Hilfst du mir mit der Planung?“, flehte sie.

„Klar“, willigte Emily lachend ein.

„Danke!“ Anna umarmte sie stürmisch und sie fuhren mit der Planung fort.
 

Ob Christopher mitfahren würde? Er war ebenfalls in ihrem Deutschkurs. Und irgendwer musste ihn ja benachrichtigen. Doch Emily wurde aus den Gedanken gerissen, als Tom erwähnte, dass er Christopher angerufen hatte deswegen und der zugesagt hatte.

Ihr Herz schlug mit einem Mal höher. Er kam mit? Sie würden sich wiedersehen? Nach schier endlos langen Wochen!?

Sie musste ihre Jubelschreie zurückhalten und fing nur wie blöd an zu Grinsen.

Endlich konnten sie sich wiedersehen, ohne verdächtig zu wirken.
 

„Wie viele Tage sind es noch bis zum 20.?“, fragte sie Anna schnell.

„Rechne doch. Heute ist der 10., also noch 10 Tage.“ Anna schlug sich gespielt auf die Stirn und tätschelte Emily den Kopf. „Armes Ding, Mathe ist echt nicht deins.“

„Nein“, lachte Emily überschwänglich.
 

10 Tage … wie unglaublich lang. Und der Wetterbericht zeigte kein einziges Tief an. Es war wie verteufelt. Als würde der Himmel ebenfalls nicht wollen, dass sich die beiden vorher in der Schule treffen konnten.

Als es zur Pause läutete, saßen Emily, Anna und Tom wie immer an ihrem Tisch und aßen ihr Mittagessen.

„Uhm, was glaubt ihr, kriegen wir in Deutschland da unten zu essen?“, fragte Anna beiläufig und biss von ihrem Apfel ab.

„Würstchen, denke ich … und Brot und …“ Tom grübelte. „Halt dieses typische Bergessen, oder?“

„Brezeln …“, schwärmte Emily. Die mochte sie besonders, aber hier in der Gegend gab es nie besonders leckere davon.

„Oh ja!“, stimmte Tom ein.

Doch Emily driftete wieder einmal zu Christopher ab, während Anna und Tom weiter diskutierten und Pläne für die Fahrt machten.

Dann fiel ihr mit einem Mal siedend heiß ein, was sie die ganze Woche über vergessen hatte und sie stand so schnell auf, dass ihr Stuhl umkippte.

Anna und Tom sahen sie verwirrt an.

„Was ist los, Emi?“

Emily war rot geworden und stammelte nur „I-ich muss weg … entschuldigt ihr mich im Unterricht? Sind ja nur noch zwei Stunden.“ Und ohne eine Antwort abzuwarten lief sie so schnell es ging aus der Schule und den Feldweg entlang, an dem sie wirklich Vollgas gab und innerhalb von fünf Minuten stand sie schnaufend an dem nur allzu gut bekannten Eisentor, das Eindringlinge von dem Haus abhalten sollte, was etwa 20 Meter entfernt stand.

Sie drückte mit aller Macht gegen das Tor, was sich quietschend öffnete und lief den Weg entlang bis zur Eingangstür, an der sie zögernd stehen blieb.

Es war fast Mitte des Monats. Zeit des Vollmonds.

Christopher war dann noch ungezähmter, wenn er durstig war und sie hatten sich schon solange nicht mehr gesehen …

Emily fasste sich mutig ein Herz und klopfte dreimal laut gegen die schwere, reichverzierte Holztür.

Man hörte nichts von innen. Ob sie schon zu spät kam!?

„Chris! Mach auf!“

Nichts.

Wollte er sie nicht rein lassen? War es deswegen …?

„Chris! Bitte! Oder Robin!“

Und bevor sie das nächste Mal klopfen konnte, öffnete sich die Tür, als wäre sie nie geschlossen gewesen und Robin stand nur in Boxershirts vor ihr.

„Hey … was gibt’s? Es ist mitten in der Nacht.“ Er klang zu ihrer Überraschung mal nicht ganz so mürrisch wie sonst, obwohl er die Augen zusammen gekniffen hatte und müde aussah.

„Sorry, ich wollte euch nicht wecken.“ Sie wich einen Schritt zurück.

„Euch? Ich bin allein.“ Er rieb sich das linke Auge.

„Wo ist denn Christopher?“, fragte sie verdattert.

„Weg. Keine Ahnung, wohin. Aber schon seit gestern etwa.“

Emily stutzte. Wo war er denn hingegangen?

„Und wann kommt er wieder?“, fragte sie gelassen.

„Keine Ahnung. Mir egal.“

Emily seufzte und drehte sich herum, als sie am Handgelenk festgehalten wurde.

„Willst du nicht noch etwas bleiben? Ich könnte mal wieder Gesellschaft vertragen.“

Emily stockte der Atem. Bitte!? Gesellschaft? Er? Oder wollte er sie nur benutzen und aussaugen?

Aber sie wollte ihn schon seit langem besser verstehen und drehte sich langsam um.

„Gut.“ Sie nickte und lächelte leicht.

Er ließ sie eintreten und ging sich umziehen.

Er war also doch zivilisiert, dachte Emily und musste kichern. Sie setzte sich auf die eine Sofahälfte und sah zu den Fotos hinüber, die den Kaminsims zierten.

Irgendwann musste sie auch mal ein Foto mit sich und Chris machen. Dann hatte sie ihn wenigstens immer bei sich, wenn sie mal getrennt wurden wie jetzt gerade.
 

„So, Madame, da bin ich.“

Robin glitt elegant an ihr vorbei und setzte sich mit ein bisschen Abstand neben sie.

Doch anstatt ein Gespräch zu beginnen, stützte er seinen Kopf auf seiner Hand ab und starrte sie beinahe an.

Emily fühlte sich mit einem Mal recht unwohl und räusperte sich.

„Also, gibt’s etwas … das du bereden magst?“, fragte sie distanziert und fummelte nervös an ihren Händen herum.

Er grinste in seine Hand hinein. „Nein, eigentlich nicht so. Ich dachte, du möchtest vielleicht reden.“

Emily sah ihn etwas verwirrt an.

„Also … ich … was hat Chris gemacht die ganze Zeit?“

Robin stutzte und sah hinaus in den Garten, der ziemlich hoch gewachsen war.

„Nichts.“ Seine karge Antwort verwunderte Emily.

„Nichts heißt … gar nichts? Oder überhaupt nichts?“, hakte sie nervös nach.

„Kein bisschen irgendetwas. Da es ja immer so sonnig draußen ist, konnte er nichts machen.“

„Aber … du?“

„Ja, ich gehe raus, egal bei welchem Wetter. Ich bin doch gern … unter Menschen.“ Er grinste.

Emily machte einen verächtlichen Ton.

„Aber er hat doch nicht diese paar Wochen nur hier drinnen verbracht und rein gar nichts getan!?“, bohrte sie weiter nach und setzte sich lockerer hin.

Robin seufzte und rollte mit den Augen.

„Ist das so schwer zu kapieren? Müsst ihr Menschen denn immer etwas tun? Nein, er hat NICHTS getan. Lag entweder im Bett oder saß hier auf der Couch. Hat aber nichts großartig gesprochen und auch kaum etwas gegessen. Und erst recht nichts getrunken. Besteht ja nur auf dein Blut.“

„Ich bestehe darauf“, korrigierte sie ihn. „Sonst matert er sich ja nur selbst, bis er schließlich den Verstand verliert und jemand unschuldiges angreift.“

„Genau.“
 

Sie schwiegen wieder, bis Emily die Sache mit der Vorladung einfiel.

„Ach ja, was genau hast DU eigentlich auf dem Treffen zu suchen gehabt?“, kam Robin ihr zuvor und sie stutzte.

„Ich war mit meinen Eltern da. Ein Arbeitskollege hatte wohl Jubiläum oder sowas.“

Robin sah sie scharf an. „Mhm“, machte er nur.

„Aber es war nur ein Vorwand, oder? Es waren alles Vampire außer mir und meinen Eltern, richtig?“, sprudelte es nun aus ihr heraus und sie hatte sich ein Stück nach vorn gebeugt.

„Absolut. Alle außer dir … und deinen Eltern.“ Er schnaubte, doch Emily registrierte es nicht wirklich.

„Aber warum wollen sie mich von Chris fernhalten? Ich verstehe es einfach nicht …“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu Robin und schüttelte den Kopf.

Robin schmunzelte und hob ihr Gesicht an.

„Vielleicht …“

Sie sah auf und blickte in seine glühend roten Augen, die nur ein paar Zentimeter von ihren entfernt waren.

„Weil wir gefährlich sind? Könnte ein Grund sein, meinst du nicht auch?“ Er grinste und seine Fangzähne kamen zum Vorschein.

Doch sie hatte keine Angst und sah ihn weiter fest an.

„Aber nur, weil sie nicht wissen, was ich alles über Chris weiß, oder?“

Robin ließ von ihr ab, doch seine Augen glühten weiterhin.

„Da gibt es soviel mehr, dass du sicher nicht weißt. Aber das wird auch kein normaler Mensch einfach so erfahren. Also mach dir darüber mal keine Gedanken.“

„Aber -“, entgegnete sie, doch konnte nicht weiterreden, da Robin sie rücklings umgeworfen hatte und sie mit dem Oberkörper über der Sofalehne schwebte und sich an ihm festkrallte.

„Ich hab doch gesagt, dass es dich nichts angeht, oder?“ Sein Gesicht endete kurz über ihrer Brust und er starrte ihren Hals gierig an.

Emily erinnerte sich daran, wie sie von ihm schon einmal gebissen wurde und dass es wehtat, anders als bei Christopher.

„Robin, nicht“, keuchte sie, doch der hatte schon seine Zähne gebleckt und fuhr mit seiner Zunge über ihr Schlüsselbein bis hoch zu ihrer Pulsschlagader, die bedrohlich laut pochte und für ihn noch mehr Grund zum Beißen bot.

Als er gerade seine Zähne an ihrem Hals ansetzte, hielt er inne und sah sie an. Für einen Menschen war sie eigentlich recht hübsch, doch ihr Blut war auch außergewöhnlich. Es war nicht normal, dass es jetzt schon so intensiv roch. Doch das war auch alles. Vielleicht hatte sie sich anders ernährt oder es war Christophers Einfluss, dass sie so stark duftete.

Und als er schließlich zubeißen wollte, ließ ihn ein brennender Schmerz zurückweichen und er fiel zurück ins Sofa.

Emily spürte nur, wie er von ihr gewichen war und sah ängstlich auf.

„Ich geh besser.“ Sie stand hektisch auf.

„Warte! Was genau bist du eigentlich?“, rief Robin ihr keuchend hinterher, als sie schon fast bei der Tür war.

Emily stoppte und drehte sich missmutig um. „Was ich bin? Ein Mensch … oder was meinst du?“

Er sah verärgert aus.

„Ein Mensch, der so stark riechendes Blut hat und einen verbrennen kann!? Niemals.“ Er schüttelte verächtlich den Kopf.
 

Blut? Brennen? Was meinte er? Emily sah auf ihre Hände, doch sie waren ganz normal.

Als sie wieder aufblickte, stand Robin vor ihr.

„Raus mit der Sprache. Bist du eine Hexe oder sowas?“ Er sah sie ernst an und sie wich einen Schritt zurück.

„Hexe? Ich hab keine Ahnung … sag du’s mir!“ Sie sah ihn unverhohlen an und wurde unruhig.

„Du veralberst mich, nicht? Du musst doch wissen, wer und was du bist.“ Er ballte seine Hände zu Fäusten.

Emily wich erneut zurück.

„Nein, wirklich nicht, Robin. Ich habe keine speziellen Fähigkeiten. Kann ich jetzt gehen?“

Er schnaubte und ließ sie durch.

Sie verabschiedete ihn und lief durch den Vorgarten.
 

„Ich finde noch raus, wer du bist, Emily Brucker.“

Robin verschwand daraufhin wieder im Haus und es war wieder still.

Emily trottete in unbestimmte Richtungen. Sie musste einfach nur nachdenken.

Was hatte Robin gemeint, wer sie wirklich war? Und sie hatte ihn verbrannt, aber an ihren Händen war nichts zu sehen. Seltsam …

Doch dann fielen ihr die vielen Male ein, als Vampire vor ihr zurückgeschreckt waren und sie nicht wusste warum.

Robin, als er sie das erste Mal angegriffen hatte, war fauchend vor ihr zurückgewichen. Das war nicht Christophers verdienst. Er hatte zu weit an der Haustür gestanden, um ihn wegzuschleudern.

Und dann nochmal in der Schule, wo Robin sie entdeckt hatte und er seine Hand schlagartig von ihr wegriss und meinte, sie habe wohl Zaubertricks angewendet.

Aber wieso passierte es nur ihm? Christopher berührte sie doch auch und hatte keine Schmerzen!?

Hexe … warum sollte sie eine Hexe sein? Nie hatte etwas auf so eine Art Wesen in ihr hingewiesen. Lächerlich.

Kopfschüttelnd lief sie durch die Straßen und nach einer halben Ewigkeit drehte sie um und ging schließlich mit lauter ungeklärten Fragen nach Hause.

Die Sonne war inzwischen hinter Wolken verschwunden, die laut Wetterbericht erst in der Nacht kommen sollten. Es wurde kälter und der Wind heftiger.

Emily hechtete die Straße entlang und war froh, als sie im warmen Treppenhaus ankam.

Ihre Eltern waren noch nicht Zuhause und sie kochte sich eine Tomatensuppe.

Hunger hatte sie zwar nicht wirklich, aber sie musste sich aufwärmen nach dem langen, eisigen Spaziergang. Doch ihr schmeckte die Suppe kaum.

Ihr Kopf tat schon beinahe weh von all den drängenden Ungewissheiten, die nicht geklärt wurden.

Und warum war Christopher einfach weg? Wo war er denn hingegangen, ohne Robin davon zu erzählen!? Suchte er sich etwa Unschuldige zum trinken?
 

All diese Fragen quälten sie die ganze Zeit und sie war damit allein. Die Sonne war an den kommenden Tagen wieder voll und ganz da und erstrahlte alles in hellstem Licht.

Der Deutschkurs fieberte mit Ungeduld auf den Skiurlaub hin. Alle bis auf Emily. Es war kein schlechtes Wetter für den Süden Deutschlands angesagt und das volle drei Tage lang nicht – die Zeit, in der sie dort waren. Also würde Christopher wohl doch nicht mitkommen.
 

Es war der Tag vor der Abreise gekommen und da alle Kurse morgen ihre Reise begannen, hatten sie früher Unterrichtsschluss. Dabei wollte Emily doch nichts mehr als Ablenkung von ihren Sorgen und Fragen, die nicht abnahmen.

Als sie aus dem Fenster sah, war es mal wieder bewölkt gewesen, doch sie hoffte nicht darauf, Christopher zu sehen. Am besten machte sie sich erst gar keine Hoffnungen, dann würde sie auch nicht enttäuscht werden.

„Und, schon gepackt, Emily?“ Tom klopfte ihr freudestrahlend auf die Schulter, während sie die Treppen ins Foyer hinuntergingen.

Emily erwiderte sein Lächeln zaghaft. „Ja, so halbwegs. Will heute so groß nix mehr zu tun haben, daher hab ich das gestern Abend schon gemacht.“

„Ich noch nicht“, seufzte Anna. „Ich weiß gar nicht, wie viel ich mitnehmen soll …“

„Du packst das schon!“, munterte Emily sie auf und sie blieb abrupt am Treppenabsatz stehen, nachdem sie aus der Schule rauskamen.

Ihr fiel die Tasche von der Schulter und Anna und Tom starrten sie perplex an.

Er war wieder da.

Mein Atem

Christopher lehnte lässig an eine Absperrstange gelehnt und lächelte Emily an. Nur sie, niemanden sonst.

Sie schluckte und ging wie in Trance auf ihn zu, bis sie schneller wurde und er sie schließlich in seinen Armen hielt.

„Wo warst du?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme und wühlte ihr Gesicht in seinem Hemd.

Er drückte sie fest an sich.

„Tut mir leid … Aber es gab etwas zu regeln. Wegen dem Auftreten auf der Feier neulich.“

Sie schüttelte den Kopf und sah ihn schließlich an.

„Aber ich hab mich doch extra von dir fern gehalten danach!? Es hat nichts genützt?“ Tränen liefen ihr über die Wangen.

Er nickte. „Doch, es hat etwas genützt. Sie haben mir nur gesagt, dass ich aufpassen muss, weil ich noch ‚frisch‘ bin und es mir nicht direkt verscherzen sollte. Das war alles.“ Er lächelte sie an und küsste ihre Tränen weg.

Sie vergrub ihr Gesicht wieder in seinem Hemd und umschlang ihn fest.

Alle Schüler um sie herum starrten natürlich wie die Gaffer, doch Christopher interessierte es kein Stück.

Als Emily sich langsam wieder beruhigt hatte und normal atmete, gingen sie Hand in Hand los und über den altbekannten Feldweg.

„Ich war so verwirrt, als Robin meinte, er wüsste nicht, wo du seist …“, sagte sie plötzlich, nachdem sie eine ganze Weile einfach nur friedlich schweigend nebeneinander hergegangen waren.

Christopher stutzte.

„Du warst bei uns Zuhause? Wie war er denn drauf?“, fragte er missmutig und sah sie fragend an.

„Normal. Zur Abwechslung mal. Er hat mich sogar zum Reden rein gebeten“, erklärte Emily ruhig.

„Aber …“ Sie sah ihn aus den Augenwinkeln an und Christopher blieb stehen.

„Er hat dich gebissen!?“

Sie hörte Wut aus seiner Stimme heraus, die etwas lauter geworden war.

Emily sah ihn verwundert an. „Nein. Das ist es ja. Er kann es nicht. Also, eigentlich …“

„?“

„Er meint, ich wäre eine Hexe oder sowas, weil er sich an mir immer verbrennen würde.“

„Verbrennen?“

Sie nickte.

„Aber er schien es wirklich ernst zu meinen. Ich sehe keine Brandwunden an meinen Händen, aber ich füge ihm wohl solche Schmerzen zu. Nur wie soll ich das bitte machen? Ich habe doch gar keine besonderen Kräfte. Aber er meint, ich wäre kein normaler Mensch …“ Sie sah besorgt gen Boden.

„Irgendwas ist schon besonders. Aber … ich hab nicht so viele Referenzen, um das ganz eindeutig zu sagen.“

„Referenzen?“ Emily sah ihn fragend an.

„Ähm“, er kratzte sich verlegen am Kopf, „Menschen…“

„Ach so.“ Sie sah ihn unsicher an und schmunzelte. „Und was ist so anders?“
 

Mittlerweile waren sie vor dem Haus der Stones angelangt.

Christopher lehnte sich ans Eisentor.

„Ich weiß es nicht genau. Aber ich komm nicht von dir los … Die paar Wochen, die wir jetzt getrennt waren, waren wie die Hölle, ehrlich gesagt. Doch ich konnte mich davon abhalten, dich zu kontaktieren. Aber frag mich nicht, wie.“ Er verzog den Mund leicht zu einem Lächeln, doch es gelang ihm nicht sonderlich gut.

„Du hast nichts getan, meinte Robin“, entgegnete sie traurig und sah ihn mit großen Augen an.

Er nickte und stieß sich vom Tor ab, um die Arme um Emily zu legen.

Sie umschlang ihn ebenfalls.

„Ich komme heute Nacht vorbei, ja?“, fragte er nahe an ihrem Ohr.

Ihr Herz pochte nun noch mehr als vorher.

„Ja!“, antwortete Emily freudig und drückte sich enger an ihn.

Als sie wieder voneinander abließen, streifte er langsam ihre Wange mit seiner und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Sie winkte, bis er im Haus verschwunden war.
 

Glücklich lief sie den kurzen Weg bis nach Hause und kam überschwänglich in die Wohnung, wo es schon nach Essen duftete.

„Hi, Mom“, rief Emily fröhlich und warf ihre Tasche im hohen Bogen in ihr Zimmer.
 

Eva stand beschäftigt in der Küche und sah ihre Tochter verwirrt an.

„Hallo … Warum bist du denn so aus dem Häuschen. Klausur wiederbekommen?“, fragte sie und grinste neckisch.

„Neeein … morgen ist doch endlich die Kursfahrt! Schnee, Freizeit, Sonne …“ Sie lachte überdreht.

Ihre Mutter verzog das Gesicht, lachte aber mit.

„Na, das freut mich, wenn es dich glücklich macht. Warst ja nicht allzu gut gelaunt in den letzten paar Wochen, nicht?“ Der Unterton war Emily nicht entgangen, doch sie überspielte es mit einem hoffentlich normal klingenden „Joa … kann sein.“ und setzte sich an den Küchentisch, bereit zum essen.
 

Das folgende Gespräch wurde soweit wie möglich oberflächlich gehalten und Emily war froh, als sie fertig waren und sie sich in ihr Zimmer verkriechen konnte, um die restliche Zeit bis zum ins Bett gehen absitzen musste. Voller Ungeduld zählte sie beinahe die Sekunden.

Doch wie es so war, wenn man auf etwas wartete, verging die Zeit noch langsamer als sonst.
 

Sie rollte gedankenverloren mit ihrem Schreibtischstuhl im Zimmer umher, stieß dabei öfters an ihren gepackten Koffer, der noch offen auf dem Boden vor dem Bett lag und pfiff mehrere Lieder, die ihr in den Sinn kamen.

Als sie alle paar Minuten auf die Uhr sah, wunderte sie sich, dass die Zeit einfach nicht vergehen wollte.
 

Doch schließlich wurde es dunkel. Albert kam von der Arbeit nach Hause und sammelte die Familie zum Abendessen ein, dass sie in einem amerikanischen Diner einnahmen.

Beinahe, dachte Emily, wäre die Zeit zu schnell rumgegangen, aber sie hatte noch knapp eine Stunde Zeit um wie gewohnt schlafen zu gehen, sodass ihre Eltern sich nichts dabei denken würden.

Wäre sie zu früh im Bett verschwunden, machten sie sich sicher Sorgen und sahen öfters nach, ob es ihr auch gut ginge. Obwohl sie heute die perfekte Ausrede gehabt hätte: um 6 Uhr musste sie am Kings Cross-Bahnhof sein. 2 Stunden früher als sonst also aufstehen und fertig machen. Der Zug wartete ja nicht, wie Tom es so schön gesagt hatte.
 

Doch Emily ging ins Bad, duschte sich dort eilig und sagte ihren Eltern schließlich gute Nacht, um auch ja dafür zu sorgen, dass keiner der beiden nochmal in ihr Zimmer kam.

Sie löschte das Licht in ihrem Zimmer und öffnete das Fenster einen Spalt breit, damit Christopher auch gut hineinkommen konnte.

Gemütlich kuschelte sich Emily unter die Bettdecke, während sie die Augen weit geöffnet hatte und hinaus in die beinahe-Vollmond-Nacht, die so ruhig war wie immer.
 

Nach einer halben Stunde zuckte sie zusammen. Sie wäre beinahe eingeschlafen, doch im letzten Moment hatte ihr Kopf es verhindern können.

Emily setzte sich auf und rieb sich die Augen. Wo war er bloß? Oder wann war für ihn ‚Nacht‘?

Sie seufzte und legte sich wieder hin, drehte sich enttäuscht auf die Seite, entgegen zum Fenster.

Gegen ihren Willen schlief sie letztlich doch ein, ohne Christopher gesehen zu haben.
 

Ein verworrener Traum folgte, in dem Emily in dem Haus der Stones umherlief, doch es war leer. Keine Möbel, niemand lebte dort. Sie rief immer wieder die Namen der beiden Brüder und suchte jeden Winkel ab, doch sie waren verschwunden.

Und dann hörte sie jemanden ihren Namen sagen. Ruhig und sanft, als wäre er direkt bei ihr. Aber als sie sich umsah, war niemand dort, bis sie von einer schwarzen Dunkelheit aufgesogen wurde und ihre Augen aufschlug.

„Emily“, hörte sie die sanfte Stimme wieder und erkannte, dass sie Christopher gehörte, der neben ihr auf dem Bett lag und sie ansah.

Sie drehte sich mit einem Ruck um und musste erst mal einen klaren Kopf von dem Traum bekommen.

Er lächelte sie an. „Tut mir leid, dass ich erst so spät gekommen bin.“

Sie seufzte und lächelte ebenfalls. „Nicht schlimm. Dafür bist du ja jetzt da.“ Sie legte ihre Hand vor sich und Christopher streichelte darüber.

„Robin musste mal wieder austicken. Der sucht sich immer die ungünstigsten Zeitpunkte dafür aus, sag ich dir.“ Er seufzte angenervt.

„Was war denn los?“, wollte sie wissen.

„Ach, das übliche … er weiß nicht, was er mit seinem Leben anfangen soll. Dabei gäbe es so vieles …“

Er nahm ihre Hand hoch und drückte seine Lippen sanft dagegen.

„… was es wert wäre.“

„Jaah“, nickte sie und kam näher an ihn heran.

„Was hast du denn geträumt? Schien ein ziemlich aufregender Traum zu sein …“ Er grinste sie an.

Sie verzog die Augenbrauen und dachte nach. Was war da noch gleich gewesen?

„Keine Ahnung … aber du kamst drin vor, glaube ich … wie immer eben.“ Sie blinzelte ihn verlegen an.

Er seufzte und richtete sich so auf, dass er sie im Liegen ansehen konnte und knapp über ihr schwebte.

„Wenn ich doch auch nur Träume hätte, in denen du vor kämest“, hauchte er und strich Emily ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht.

„Träumst du nie?“, fragte sie perplex und genoss seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht.

Er schüttelte den Kopf.

„Ich schlafe nicht. Und Tagträume sind nicht dasselbe.“

Sie sah ihn nun verblüfft an. „Du schläfst nicht? Aber … warum hab ich Robin dann letztens geweckt? Hatte er nicht geschlafen?“

„Nein.“ Christopher schmunzelte. „Es ist eher so ein Dämmerzustand. Aber so richtig in Tiefschlaf fallen wir nicht. Und Träume sind auch nicht drin.“

Er tat Emily plötzlich leid. Sie umfasste sein Gesicht sanft und zog es zu sich hinunter auf ihre Stirn.

„Aber du musst doch nicht unbedingt träumen. Ich bin doch hier.“ Sie lächelte ihn an und sah in seine schokobraunen Augen, die ihre ebenfalls fixierten.

„Aber da kann ich mit dir tun und lassen, was ich will. Nur in Wirklichkeit ist es nicht so einfach … Träume steuern dich sozusagen, nicht du unbedingt sie. Und das ist manchmal von Vorteil.“

Emily schnalzte mit der Zunge und schloss die Augen.

„Dann leb deine Wunsch-Träume doch aus. Ich stehe zur freien Verfügung …“
 

Sie hatte die Augen immer noch geschlossen und lächelte leicht. Christopher sah sie neckend an.

„Aber es könnte sein, dass sie dir den Atem rauben“, hauchte er mit verführerisch dunkler Stimme in ihr Ohr.

Ihr Herz schlug schneller.

„Bitte …“, flehte sie.

Christopher glitt ihr Ohr entlang hoch bis zur Wange und atmete sie an. Dann fing er an, sie leicht mit seinen Lippen zu berühren und kam ihrem Kinn langsam näher.

Emily verbrannte förmlich unter seinen sanften, federleichten Berührungen und wartete ungeduldig, bis er ihren Mund erreicht hatte. Doch stattdessen glitt er hinunter bis zu ihrem Schlüsselbein, und setzte nun auch seine Zunge ein, die er wie ein Pinsel über ihre Haut gleiten ließ.

Sie bekam Gänsehaut am ganzen Körper und ihre Arme wurden schlapp. Sie konnte ihn kaum noch umarmen und krallte sich an sein Hemd.

„Alles ok?“, fragte er überflüssigerweise und kam mit dem Gesicht wieder über ihres.

Sie öffnete ungläubig die Augen und schüttelte den Kopf.

„Nein“, keuchte sie.

„Gut“, grinste er und presste seine Lippen schließlich auf ihre. Voller Ungeduld schnappte sie nach seinen und zog ihn noch näher zu sich heran, dass er schließlich nachgab und auf ihr lag.
 

Ein unregelmäßiges, leichtes Keuchen war von beiden zu hören, doch keiner hörte auf, den anderen nach und nach zu verschlingen. Emilys Hände wanderten langsam seinen Rücken und seine Arme runter und wieder hinauf.

Christophers Hände hingegen streichelten ihr Gesicht und ihre Haare.

Beide küssten sich fast geschlagene 2 Minuten und Christopher ließ schließlich von ihr ab. Emily atmete unregelmäßig und stützte ihn ab. Auch Christopher schien noch nicht ganz wieder bei Sinnen zu sein und zitterte leicht über ihr.

„Uff“, machte er und ließ sich wieder auf sie hinab fallen.

Emily musste lachen.

„Was?“, quiekte er und machte einen Schmollmund.

„Du kannst so schnell laufen wie kein anderer und bist topfit, aber das hier lässt dich so ermüden?“ Sie sah ihn grinsend an.

Er richtete sich auf und stützte sich auf den Ellbogen ab.

„Naja, unter anderem auch, weil ich seit unserer letzten Begegnung nichts mehr … ähm …“ Er sah verlegen zur Seite und Emily merkte, wie unangenehm es ihm immer noch war, sie um Blut zu bitten.
 

Sie seufzte kopfschüttelnd und setzte sich auf.

„Na los …“ Emily nahm ihre Haare zur Seite und ihr nackter Hals kam zum Vorschein. Und ehe sie sich versah, klebte Christopher wieder wie eine Klette an ihr und begann gerade, genüsslich an ihrem Hals zu saugen und er schien alle Sinne ausgeschaltet zu haben, da er nicht bemerkte, wie sich Schritte näherten und die Tür von Emilys Zimmer so weit aufgerissen wurde, dass sie laut an die Wand dahinter krachte.
 

Eva und Albert kamen hektisch herein gestürmt und blieben wie angewurzelt mit weit aufgerissenen Augen stehen.

„Was-?“, fing ihre Mutter stockend an und sie hielt sich geschockt die Hände vor den Mund.

Christopher ließ sofort von Emily ab und glitt vor sie. Wenn ihre Eltern jetzt ausrasteten und ihr Geheimnis erfahren würden, wäre sie mit dran beteiligt und würde bestraft werden.

„Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du mieser Bastard!?“, knurrte Albert und er würde jeden Moment explodieren, merkte Emily. Sie musste eingreifen.

„Dad, es ist meine Schuld. Er kann nichts dafür!“ Sie versuchte, vor Christopher zu klettern, doch der hielt sie hinter sich.

Albert kam auf Christopher zugestürmt und packte ihn am Hemd, das er in der Luft hing und nur seine Beine auf dem Bett auflagen.

„Du erlaubst dir, IHR Blut zu nehmen?“, blaffte er ihn nun laut an, doch Christopher verzog keine Miene.

Eva kam zu Emily geeilt und nahm sie in Schutz.

„Bist du in Ordnung, Emily?“, fragte sie besorgt.

Doch Emily riss sich aus der Umarmung und klopfte auf die Arme ihres Vaters, die Christophers Hemd festhielten.

„Lass ihn los, Dad! Mir ist nichts passiert!!“

Er knurrte und warf Christopher aus dem Fenster.

„Chris!“, schrie sie erschrocken, aber wusste im gleichen Moment, dass ihm nichts passiert war.

Sie drehte sich wütend zu ihren Eltern um.

„Emily, er wird dich nicht mehr anfassen, dafür sorgen wir!“, sagte ihr Vater ernst.

„Er tut dir nicht mehr weh, Schatz“, pflichtete ihre Mutter bei und wollte sie wieder umarmen, als sie mit einem Schmerzensschrei zurückwich.

Emily spürte einen ungeahnten Hass in sich aufsteigen. Sollten sie sich doch an ihr verbrennen, wie auch immer das passieren konnte.

Sie ballte ihre Hände zu Fäusten.

„Lasst ihn bloß in Ruhe. Ich weiß mehr über ihn, als ihr denkt. Und ich gebe mein Blut, wem ich will.“ Ein rotes Flackern huschte in ihren Augen umher. Ihre Eltern wichen einen Schritt vor ihr zurück.

„Du weißt nicht, was du da sagst“, gab ihre Mutter zu.

„Bitte, beruhige dich.“ Ihr Vater machte eine schwache Handbewegung.

„Nur, wenn ihr mir endlich sagt, was Sache ist. Was habt ihr mit der Vampirwelt zu tun!?“, sagte sie wütend und wollte nicht eher Ruhe geben, bis sie mehr wusste.

Christopher war währenddessen wieder am Fenster aufgetaucht und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
 

Eva und Albert schluckten und sahen sich missmutig an.

„Na gut …“ Eva setzte sich neben Emily auf die Bettkante und knotete nervös ihre Finger zusammen.

„Ich muss es ihr sagen, Schatz“, presste sie heraus und sah ihren Mann an, der widerwillig nickte.

„Kommt, setzt euch“, sagte sie zu Emily und Christopher gewandt.

Er nahm Emily zwischen sich, lehnte sich an der Fensterwand an und verschränkte die Arme vor ihrem Bauch.
 

„Also“, begann Eva zögernd, „Du weißt, dass dein Vater und ich in einer weltweit fungierenden Firma arbeiten. Diese Firma hat den Decknamen ‚MYKO‘ und gibt sich als Werbeunternehmen aus. Doch … das ist nicht ganz wahr. Sie ist … die weltweite Organisation, die im Untergrund für Ruhe und Ordnung in der Vampirwelt herrscht.“
 

Emily traute ihren Ohren kaum. All die Jahre haben sie es vor ihr verheimlicht. Sie begann zu zittern und Christopher gab ihr einen beruhigenden Kuss ins Haar, wofür er sofort einen bösen Blick von Albert erntete.
 

„Wir wollten es dir nie erzählen, da es so unglaublich für normale Menschen scheint“, fügte sie hinzu und legte eine Hand auf ihr Bein.
 

„Aber … wie kamt ihr denn dazu? Ihr seid doch auch nur normale Menschen, oder?“, sprudelte es aus ihr heraus und sie lehnte sich etwas nach vorne.
 

Eva öffnete den Mund und sah dann Albert unsicher an.

„Schatz …“, begann er und dieses Wort benutzte er nur, wenn es ernst wurde.

„Nein!“ Sie schnitt ihm das Wort ab und sah ihre Eltern unsicher an. „Seid ihr etwa auch …?“

Jetzt bebten sogar ihre Lippen und Christopher merkte, wie sie vor Schreck Gänsehaut bekommen hatte.
 

„Schatz, wir sind trotzdem deine Eltern! Und wir leben ganz normal wie andere auch. Wir sind kein bisschen anders, glaub uns.“ Ihre Mutter hatte ihre andere Hand auch noch auf ihr Bein gelegt und sah sie mit großen, panischen Augen an.

„Tut uns leid, dass wir es verheimlicht haben. Du hättest es auch niemals freiwillig von uns erfahren. Aber unter den gegebenen Umständen“ Er sah forsch zu Christopher hoch, „konnten wir jetzt nicht anders. Bevor wir uns noch weiter entfernen, sollst du lieber die Wahrheit wissen.“
 

„Aber …“ Emily sah sie mit großen, neugierigen Augen an und ihr kam die wichtigste Frage überhaupt in den Sinn.

„Bin ich dann auch ein Vampir?“

Sie hielt den Atem an, so gespannt war sie auf die Antwort. Das würde alles ändern. Sie konnte doch ewig mit Chris zusammen sein, ohne einen reinblütigen Vampir aufsuchen zu müssen. Andererseits verspürte sie keinen Blutdurst und war auch sonst nicht besonders anders als ein normaler Mensch. Bis auf die Tatsache, dass sie unliebsame Leute verbrennen konnte.
 

Ihr Vater holte tief Luft.

„Ja, bist du“, seufzte er und sah zu Boden.

Da war sie.

Die alles entscheidende Antwort.

Doch Emily freute sich nicht wie sie selbst erwartete hatte, sondern schien wie festgefroren. Die Wahrheit war halt doch anders als ein Wunsch, eine Vorstellung.

Sie war hart und endgültig.

„Emily?“, flüsterte Christopher in ihr Ohr und sah sie besorgt an.

Sie nickte benommen.
 

„Schatz, es tut uns so leid, dass wir dich nicht früher darin eingeweiht haben. Aber weißt du, du bist…“ Eva stockte, fing sich aber wieder. „Erst mal nicht so wichtig. Du musst erst diese Tatsache verkraften. Du bist deshalb nicht unnormaler als andere. Warst du bis jetzt auch nicht.“
 

„Und du hast jetzt auf Klassenfahrt erst mal Zeit, das zu verdauen“, pflichtete ihr Vater bei und nickte zu Christopher.

„Wehe, wenn ihr auch nur ein Haar gekrümmt wird“, ermahnte er ihn, doch Christopher nickte nur abwesend und sah weiterhin auf Emily.
 

Sie gingen ohne ein weiteres Wort, aber mit besorgten Mienen hinaus und schlossen leise die Tür.
 

Emily und Christopher saßen unbewegt da.

Er wartete ab, bis sie reden wollte und schwieg.
 

Dann bewegte sie schließlich die Lippen, doch sie schloss sie wieder.

„Emily? Alles ok? Ich bin bei dir …“ Er drückte sie fest an sich und kletterte dann vor sie. Ihre Augen waren leer, doch sie sah ihn an.

„Ich bin … wie du“, flüsterte sie leise.

Er lächelte erleichtert. „Ja.“

Sie wurde wieder klarer im Kopf.

„Aber warum will ich dann kein Blut? Und ich kann auch nicht schnell laufen und bin nicht so stark wie du.“ Nun sah Emily ihn besorgt an.

Er erwiderte ihren Blick, doch suchte nach Antworten.

„Gute Frage. Vielleicht haben deine Eltern dir irgendwas gegeben, was das alles unterdrückt hat die ganze Zeit?“ Er setzte sich im Schneidersitz vor Emily und sah sie fragend an.

Sie runzelte die Stirn.

„Also, so genau weiß ich‘s nicht. Ich wüsste nicht, was ich …“ Sie brach mitten im Satz ab. Da war doch was, was sie monatlich zu essen bekam, was sie aber nie wirklich mochte und nur ihrer Mutter zuliebe aß.

„Tomatensuppe“, sagte sie tonlos.

„Hah, wie ironisch“, meinte Chris. „Wahrscheinlich bekommst du so ein seltenes Pulver darein, was deine Gene unterdrückt.“

Emily nickte fassungslos. Sie hatte nie etwas gemerkt, dabei war sie sonst sehr aufmerksam. Aber gut, welcher normale Mensch nahm schon an, dass er ein Vampir war, wenn so gut wie nichts darauf hinwies!? Und wer hätte gedacht, dass Eltern, die so super fürsorglich und liebevoll waren, so ein dunkles Geheimnis gehütet hatten?

Sie schüttelte gedankenverloren den Kopf und seufzte.

Christopher sah sie amüsiert an.

„Kannst du heute noch schlafen?“, fragte er halb im Spaß.

„Nicht allein“, sagte sie leise und wurde rot. Er grinste und zog sie nach hinten aufs Bett, dass ihr Kopf auf seiner Brust landete. Er hielt sie fest im Arm.
 

„Ja, so ist es besser“, nuschelte sie und schloss ihre Augen, in der Hoffnung, schnell einzuschlafen, um nicht zu viel nachdenken zu müssen.

Und durch Chris‘ Anwesenheit fiel es ihr ungeahnt leicht.

Sie fiel diesmal aber in einen traumlosen Schlaf, der sie ruhig blieben ließ, anders, als Christopher vermutete hatte.

Der weckte sie rechtzeitig vier Stunden später mit einem Kuss, den Emily erst nicht registrierte. Doch als sie die Augen öffnete und ihn neben sich sah, zog sie ihn sofort nochmal zu einem leichten Kuss heran.

„Morgen“, begrüßte er sie und setzte sich auf.

„Morg‘n“, grinste sie müde und rieb sich die Augen. „Wie viel Uhr ist es?“ Sie blinzelte zum Fenster, doch es war alles noch stockfinster.

„4 Uhr. “

Sie seufzte und setzte sich auf. Plötzlich erinnerte sich Emily mit einem Mal an die Wahrheit, die sie gestern erfahren hatte. Sie war ein Vampir. So wirklich, wie unwirklich es ihr erschien.
 

„Was musst du noch einpacken?“, riss Christopher sie aus ihren Gedanken, als er vor ihrem Koffer hockte. Sie sah ihn fragend an.

„Äh, nur noch Zahnbürste und Deo und so … ich mach mich eben fertig.“

Sie stieg unwirsch aus dem Bett auf und ging ins Badezimmer.

Vor dem Spiegel stand sie erst einmal eine ganze Weile.

Sie war immer noch dieselbe, eindeutig. Aber warum sollte denn die Wahrheit wirklich stimmen? Warum glaubte sie ihren Eltern, dass sie tatsächlich ein Vampir sein sollte?

Dieses Mittelchen, was sie ihr wohl monatlich gegeben haben, musste ja sehr stark sein …
 

„Emily? Wir müssen gleich los!“, verkündete Eva, die schon angezogen vor der Tür stand und sich ein Brot in den Mund schob.

„Jaja“, rief Emily und kam gewaschen aus dem Bad. „Ich bin gleich fertig.“

Sie ging schnellen Schrittes in ihr Zimmer zurück, wo Christopher auf dem Bett wartete.

Sie kramte in ihrem Schrank nach übrig gebliebenen Sachen, die nicht im Koffer gelandet waren und holte ein Shirt, eine Sweatjacke und Unterwäsche heraus.

Christopher starrte sie unverhohlen an und sie schnitt eine Grimasse.

„Darf ich mich anziehen?“

„Ich halte dich nicht auf“, sagte er schnippisch und grinste in sich hinein.

Sie seufzte.

„Dann dreh dich aber um, ja? Soweit sind wir noch nicht!“ Sie stapfte ungeduldig auf der Stelle und war rot geworden.

Er setzte sich auf und sah aus dem Fenster.

„Danke.“

Emily zog sich schnell um und besah sich dann im Spiegel. Zum Glück hatte sie ziemlich reine Haut, weswegen sie kein Make up benutzen musste.

Ihre Augen betonte sie dennoch mit Mascara und als sie den Lippenpflegestift aufdrehte, erschien Christopher neben ihr und sah sie neugierig im Spiegel an.

„Hm?“, machte sie, als sie sich den Pflegestift auftrug und die Lippen leicht geöffnet hatte.

„Wozu machst du das? Das brauchst du doch gar nicht“, sagte er mit einem charmanten Lächeln.

Emily drehte den Stift wieder zu und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Wange.

Sie zog sich ihre Jacke an und machte den Koffer zu.

„Wir sehen uns gleich?“

Christopher nickte. Er gab ihr einen Kuss auf den Mund und war dann durch ‘s Fenster verschwunden.

Sie blickte ihm – oder was sie noch von ihm erhaschen konnte – hinterher und ging dann zu ihren Eltern.
 

Die Autofahrt dauerte eine knappe Stunde, bis sie durch den Berufsverkehr endlich am Bahnhof in London ankamen.

Sie verabschiedete sich von ihren Eltern und ging mit ihrem Koffer im Schlepptau los.

Es war ziemlich voll, doch sie fand schnell ihre Gruppe und gesellte sich zu Christopher, der bei Anna und Tom stand.

„Morgen, Emily“, sagten die Drei wie im Chor und sie sah sie verwundert an, umarmte dann aber doch Tom und Anna und gab Christopher einen Kuss.

Die beiden merkten, wie Tom und Anna zusammenfuhren.

„Ihr seid …“, fing Anna an und zeigte auf die beiden im Wechsel.

Emily grinste und wurde rot.

Christopher lächelte nur und sah sich im Bahnhof um, wo gerade der Zug einfuhr, der sie zum Flughafen bringen sollte.
 

Die Zugfahrt verlief ruhig. Die Mehrheit des Kurses schlief oder las Magazine und hörte Musik.

Emily saß neben Christopher und war an seine Schulter angelehnt. Sie las immer noch ihr Buch mit der Vampirgeschichte und war darin vertieft.

Christopher gähnte gelangweilt und sah runter in ihr Buch, las ein paar Zeilen mit, dachte sich seinen Teil und sah dann wieder mit zusammengekniffenen Augen aus dem Fenster.

Es war eindeutig zu hell, als die Sonne aufging und er hatte zu wenig von Emilys Blut abbekommen können letzte Nacht, als dass er heute so resistent gegen das Sonnenlicht war, wie sonst danach.

Er schirmte sein Gesicht gegen das Licht ab und schloss die Augen.
 

„Oh mein Gott!“, kreischte Emily und hibbelte plötzlich auf ihrem Sitz hin und her.

Christopher war sofort hellwach und beugte sich zu ihr. Anna und Tom sahen sie ebenfalls verwirrt an, da sie Musik gehört hatten.
 

„Er will sich umbringen, weil er denkt, sie hätte Selbstmord begangen! Neeeein!“, rief sie flennend und klopfte mit dem Buch auf ihre Beine.

„Was?“, fragte Chris ungläubig und seufzte auf, als sie auf ihr Buch deutete.

„Voll der Schock, Emi!“, nörgelte Tom und schloss wieder die Augen, um seiner Musik zu lauschen.

Anna schüttelte abschätzig den Kopf und lehnte sich ebenfalls wieder zurück.
 

„Das ist nur ein Buch …“ Christopher klopfte ihr beruhigend auf die Schulter und sah sie amüsiert an.

„Aber … dass eine Liebe soweit gehen kann ist doch unglaublich. Die beiden sind so unzertrennbar und dann meint er, es sei besser für sie, wenn er nicht mehr da wäre und geht einfach …“, sagte sie traurig und sie wurde nachdenklich.

„Naja … manchmal ist es besser, wenn man etwas Abstand hat, oder?“, sagte Christopher plötzlich und sah sie stirnrunzelnd an.

„Aber … nein, nicht da. Sie kann doch ohne ihn nicht leben! Und er auch nicht ohne sie und trotzdem verlässt er sie! So ein Schwein …“ Sie schniefte und zog die Beine hoch auf den Sitz.

„Hach je …“ Christopher zog sie zu sich heran und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe.

„Bücher erzählen nicht immer die Wahrheit, weißt du? Vieles ist nur da, um zusätzlich Dramatik aufzubauen, die im normalen Leben nicht vorhanden ist.“

Er streichelte beruhigend über ihr angezogenes Knie.

Emily sah ihn daraufhin mit gläsernen Augen an.

„Du wirst mich also nie verlassen? Ich mein, hier geht’s auch um Vampire … aber du denkst nicht, dass ich ohne dich besser und sicherer dran wäre, oder?“

Sein verblüfftes Gesicht ließ sie zweifeln und sie krallte sich in seinen Ärmel.

„Naja, als der Typ da letztens im Wald war und Robin, also …“ Er kratzte sich verlegen am Kopf. Manchmal hätte er es schon besser gefunden, wen sie von all dem nichts erfahren hätte.
 

Emily drehte sich auf ihrem Sitz um und sah ihn streng an.

„Aber ich bin wie du! Ich kann mich wehren, wenn was sein sollte, oder?“ Sie schürzte ihre Lippen und wartete mit pochendem Herzen auf eine positive Antwort, aber stattdessen gab Anna ihren Senf dazu.
 

„Sag mal, Emily, seit wann zweifelst du an deiner Stärke? Du bist die Jahrgangsbeste in Sport. Das heißt doch wohl schon was, oder?“

Emily schluckte. Wenn Anna doch nur wüsste, gegen wen sie sich im Ernstfall zu behaupten hatte.

Doch sie lächelte und nickte.

„Und du beschützt sie doch auch, oder, Christopher?“, ermahnte Tom ihn jetzt und Christopher sah sich verwundert um und nickte schnell.

„Aber was soll schon passieren“, feixte Anna. „Als ob die Mörder es eher auf dich abgesehen hätten, als auf mich. Ich bin so gut wie unsportlich auf allen Gebieten und viel eher opferwürdig.“ Sie lachte laut auf und sah Emily amüsiert an.

Doch die verstand den Humor nicht.

„Sag sowas nicht, Anna“, sagte sie leise und wirkte bedrückt.

„Aach …“, wehrte sie ab und wedelte mit der Hand. „Tom beschützt mich schon. An den traut sich keiner ran.“

Tom nickte vehement und grinste mit angeschwellter Brust in die Runde.

Anna und er lachten, doch Emily und Christopher konnten nicht wirklich etwas Lustiges oder Amüsierendes an der Tatsache sehen.

„Na denn“, schloss Emily ab und vertiefte sich wieder in ihr Buch.

Es wurde wieder ruhig und jeder hing seinen Gedanken nach.
 

„Schneeeee!“, rief Emily freudig und presste sich die Nase an der Scheibe platt.

Sie waren gerade im Landeanflug über München gewesen, als das Flugzeug endlich aus der grauen Wolkenmasse hinab tauchte und den Blick auf die schneeweißen Alpen freigab.

Hier war es zu Christophers Glück bewölkt gewesen.
 

Als sie landeten und aus dem Flughafen herauskamen, war es eiskalt und alle kuschelten sich in ihre warmen Jacken.

Die beiden Lehrer Miss Temperfield und Mr Hampst, die mitgeflogen waren als Aufsichtspersonen, hatten die Schüler um sich geschart.

„Also, wir nehmen gleich den Bus zur Jugendherberge und treffen uns dann nochmal, um den heutigen Tag durchzugehen.“
 

„Wir gehen aber zusammen in ein Zimmer, ja?“, flehte Anna Emily an, die im Bus neben ihr saß.

„Klar doch. Mit wem denn sonst?“ Emily lächelte.

Tom und Christopher saßen nebeneinander vor den beiden Mädchen und sprachen übers Skifahren.

„Also, ich war schon mal in den Alpen, aber in der Schweiz. Da sind auch voll die geilen Abhänge!“

„Und Snowboarden ist auch super. Schon mal ausprobiert?“, fragte Christopher Tom interessiert.

„Jap. Aber ich hab kein Geld, mir ein eigenes zu kaufen. Ich leih es immer, wenn ich Geld hab.“

„Ich hab zwei. Mein Bruder will nicht mehr Snowboarden. Hab’s sogar dabei. Kannst du gern haben.“

Toms Augen fingen an zu glitzern.

„Im eeeernst?“, fragte er begeistert und jubelte, als Christopher nochmals nickte.
 

Anna und Emily lachten. Dass ihre Jungs sich so gut verstanden, hatten sie vorher noch gar nicht bemerkt gehabt. Aber beide waren sichtlich erleichtert, da ein Streit den Urlaub vermiest hätte und schlechte Stimmung konnten sie daher gar nicht gebrauchen.
 

Der Bus hielt alsbald nach ein paar Kilometern in der weißen Pracht vor einem Gebäudekomplex über mehrere Etagen.

Die Schüler nahmen ihre Koffer und richteten sich nach der Zimmerverteilung in den Räumen ein.

Anna und Emily bekamen das einzige Doppelzimmer; die anderen Mädchen und Jungen bezogen 3-er und 4-er Zimmer.
 

„Wow, sieh mal!“ Anna hüpfte vor dem Fenster in dem kleinen Raum, der mit zwei Einzelbetten und einem kleinen Kleiderschrank ausgestattet war und winkte Emily zu, die gerade ihren Koffer auf das Bett gehievt hatte.

Der Ausblick, der die beiden Mädchen empfing, war atemberaubend: sie hatten so gut wie freie Sicht auf die Sonne über den Alpen, die die schneeweiße Decke in blendendes Weiß verwandelte und alles strahlen ließ.

Emily schüttelte restlos begeistert den Kopf.

„Lass uns schnell rausgehen, bevor wir die Besprechung haben!“ Anna zerrte Emily am Arm Richtung Zimmertür.

„Sehr gute Idee“, pflichtete sie bei und beide liefen ihre Jacken im Laufen anziehend die zwei Etagen hinunter und atmeten die kalte Winterluft ein.

„Vorsiiicht!“, rief Emily lachend und als Anna sich umdrehte, traf sie ein Schneeball genau an der Schulter und sie ließ sich theatralisch in den Schnee fallen.

„Uuuh, getroffen!“, presste sie schmerzhaft heraus.

Emily lachte auf und erhielt einen noch größeren Schneeball als Antwort direkt in den Nacken.

Sie quiekte laut auf.
 

„Sag mal, das hört sich doch ganz nach unseren Mädels an, was?“, grinste Tom, der gerade seinen Koffer in die Ecke gestellt hatte und nun zum Fenster raus sah.

„Hey, ihr beiden!“, rief er durch das halb geöffnete Fenster hinunter und Anna und Emily blickten verwirrt nach oben.

Emily versuchte gerade, Anna Schnee in den Nacken zu schaufeln und sie wälzten sich übereinander. Beide winkten, als sie Tom entdeckten und lachten wieder.

„Lass sehen“, meinte Christopher und löste ihn vom schmalen Fenster ab.

Doch das grelle Weiß blendete ihn so sehr, dass er sich sofort wieder abwand. Er hatte nichts erkennen können und sah nur noch grelle Punkte vor seinem Auge.

„Hell, was?“, lachte Tom und äffte Christopher nach, der versuchte, die Pünktchen wegzublinzeln, doch bekam von ihm direkt einen Knuff in die Seite und schmunzelte daraufhin nur noch.
 

Der Tag verging recht schnell.

Die Klasse versammelte sich zur Mittagszeit im Speisesaal und sie besprachen nach dem Essen die weitere Tagestour: die ersten Ski- oder Snowboardstunden waren geplant.

Viele Schüler trauten sich anfangs nicht, diese Sportarten auszuprobieren und Emily ließ all das eh unbeeindruckt. Keine zehn Pferde würden sie auf eines dieser Bretter bringen und freiwillig einen Abhang runter sausen lassen.

Mit eiserner Miene sah sie ihren Mitschülern zu und Christopher selbst war so beschäftigt gewesen, mit Tom das Snowboarden zu üben, das er Emily scheinbar ganz außer Acht ließ, was sie etwas ungehalten stimmte.

„Es ist echt einfach, Emily!“, hatte ihre Kurslehrerin mit so beruhigender Stimme gesagt, dass Emilys Temperament durchbrannte und sie aufmüpfig „Ja und!?“ geantwortet hatte. Sie seufzte schwer und verzog das Gesicht.

Sie liebte Schnee, keine Frage, aber Wintersport war gar nichts für sie, obwohl sie die sportlichste der ganzen Schule war.

Schnee

Emily stapfte geistesabwesend im Schnee herum, bis die Sonne hinter den Alpen verschwunden war und Anna sie mit hochrotem Kopf freudig empfing.

„Es war total super!“, schwärmte sie, als die beiden Mädchen im Zimmer ankamen und sich aufwärmten.

„Mhm“, machte Emily nur- Ihre Laune war unter den Gefrierpunkt gesunken, doch den Grund kannte sie nicht wirklich. Ihr war vorher klar gewesen, dass der Hauptteil der Kursfahrt aus Skilaufen bestehen würde, und trotzdem war sie nun so schlecht drauf, weil sie den gesamten Nachmittag über nichts machen konnte, als alle anderen ihren Spaß hatten.

Einige Mädchen hatten vor der Fahrt gesagt, sie würden auf keinen Fall Wintersport machen wollen – also hatte Emily sich gedacht, wenigstens mit denen könnte sie sich in der Zeit beschäftigen. Doch selbst diese Anti-Mädchen waren von den gutaussehendsten Jungs des Kurses überredet worden und fuhren nun ohne Pause.
 

„Sag mal…“ Anna hockte sich vor Emily, die auf ihrem Bett saß und mürrisch auf den Boden sah, während sie auf ihrer Unterlippe kaute.

„Willst du es wirklich nicht mal probieren? Du langweilst dich doch sonst die ganzen Tage.“ Sie strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah sie mit Hundeaugen von unten an.

Emily musste unweigerlich lächeln.

„Ich glaub echt nicht, nein…“

„Und wenn ich Christopher frag, ob er-“

„Nein. Er hat mit Tom genug Spaß“, wehrte Emily sofort ab und ihr Tonfall wurde wieder kälter.

Anna schürzte die Lippen.

„Ich will aber auch Spaß mit Tom“, verkündete sie mit einem Zwinkern und stand auf.

„Ich frag ihn gleich. Komm mit!“

Emily wurde abrupt von ihrem Bett gezogen und den Gang hinunter ins erste Stockwerk geschleppt.

„Anna!“, protestierte sie flehend.
 

Da ging auch schon die Tür am Ende des Flures auf und Tom sah die beiden mit einem Grinsen an.

„Damenbesuch!“, rief er ins Zimmer und machte den beiden Platz, hinein zu gehen.

Anna schob Emily vehement ins Zimmer vor sich hinein und lächelte Tom im vorbeigehen an.
 

Drinnen war nur noch Christopher, der von einem Buch aufsah und nicht sonderlich überrascht wirkte.

„Hi“, sagte er matt und lächelte nur kurz. Dann sah er wieder in sein Buch.

Emily war mehr als irritiert. Warum war er so abweisend? Hatte sie etwas falsch gemacht?

Anna und Tom bemerkten die eisige Stimmung.

„Wir gehen nach unten und holen heißen Kakao!“ und schon waren sie aus der Tür und es war wieder still.

Emily stand noch immer inmitten des Raumes und wurde langsam aber sicher nervös.

Christopher las unbehelligt in seinem Buch weiter, doch seine Augen bewegten sich nicht und die Seiten blätterte er auch nicht um.
 

Schließlich setzte Emily sich seufzend auf die Bettkante und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.

Sie überlegte fieberhaft ihre Worte, die sie ihm am liebsten an den Kopf geworfen hätte.

Wieso war er so komisch? Wieso hatte er sie nicht beachtet? War Snowboarden wirklich SO viel wichtiger als sie? Was las er da, wenn er keine Bücher mochte? Wieso –

Doch ihre Gedanken wurden unterbrochen, als sie ein raschelndes Geräusch hörte und im sich nächsten Augenblick Christophers Arme um sie schlangen.

Sein heißer Atme streifte ihr Ohr absichtlich und er drückte seine ungewöhnlich warme Wange gegen ihre.

„Emily …“, hauchte er seufzend.

Doch Emily war immer noch gereizt, obgleich ein großer Teil davon augenblicklich vergessen war.
 

„Was?“, versuchte sie so eisig wie möglich zu klingen, doch sie krächzte es eher heraus.

„Ich …“ Er schluckte und sie spürte, dass er näher an ihren Hals herabsank.

Doch Emily stand abrupt auf und er fing sich überrascht an der Bettkante auf und sah zu ihr hoch.

„Ich …“, begann sie mit unsicherer Stimme, „warum warst du heute so abwesend? Du hast dich kein einziges Mal blicken lassen.“ Jetzt hatte sie es gesagt. Und er durfte ihr Rede und Antwort stehen.

Christopher schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Es ist wegen mir, Emily … hier ist alles so hell und eiskalt … ich -“ Doch er sank tiefer gen Bett und stützte sich kraftlos ab. Sein Atem ging unregelmäßig.

Emily wurde sofort panisch und stürzte auf ihn zu.

„Was ist los? Hast du gestern nicht genug getrunken!?“ Sie hielt ihn fest an den Schultern und versuchte, sein Gesicht zu sehen, doch er versteckte es so gut es ging vor ihr.
 

„Du bist auch ein Vampir … so sollte das nicht sein, Emily“, sagte er leise.

„Aber du willst doch deswegen niemand unschuldigen umbringen!? Und dann auch noch hier!“

Christopher schwieg.

„Na los.“ Sie kniete sich hin und sortierte ihre Haare in den Nacken. Christopher sah gierig auf, doch im selben Moment klopfte es an der Tür und Anna und Tom kamen herein.

Emily stand sofort auf und lächelte sie an.

„Alles ok? Stören wir?“, fragte Anna und reichte Emily einen dampfenden Becher Kakao.

Die schüttelte nur den Kopf und sah zu Christopher herunter, der alle Kraft aufwenden musste, um normal auszusehen und seinen Kakao, den Tom ihm grinsend gab, ruhig in der Hand zu halten.
 

Dann folgten quälende, für Christopher beinahe endlose, Minuten, in denen sie über die nächsten Tage sprachen.

Anna und Emily verabschiedeten sich schließlich für die Nacht und ließen die beiden Jungs allein.

Als sie sich nachtfertig gemacht hatten und im Bett lagen, konnte Emily kein Auge zumachen.

Wie schafften sie es, ohne großes Aufsehen zu erregen, dass Christopher sie treffen konnte, um ihr Blut zu trinken!?

Ihm ging es schlecht. Sie wusste nicht, wie lange er es ohne Blut aushalten konnte, bevor sein Verstand vollkommen abdrehte und er Tom vielleicht im Schlaf überfallen würde.

Nach einer knappen Stunde stand sie still auf, vergewisserte sich, dass Anna schlief und schlich im Morgenmantel auf den Flur.

Es war bereits nach 1 Uhr Nachts und alle mussten ziemlich erschöpft vom Tag gewesen sein, da kaum noch etwas aus den Zimmern zu hören war.

Emily ging die Treppen in die erste Etage hinunter und sah auf den Flur, den die Jungs bewohnten.
 

Sie ging weiter und schlich sich am Nachtpersonal, das an der Rezeption saß und miteinander vergnügt redete, vorbei nach draußen um den Gebäudeteil, bis sie unter dem Fenster von Toms und Christophers Zimmer ankam.

Die Nacht war eiskalt und Emily fror unheimlich.

Mit zitternden Lippen rief sie so leise wie möglich nach Christopher. Die Jungs hatten glücklicherweise das Fenster einen Spalt weit offen.

Doch sie probierte es mindestens fünf Mal, aber es regte sich nichts.

Sie trat auf der Stelle und sah sich um. Durch den hellen Mond, der die einzige Lichtquelle war, glitzerten die Alpenränder in seinem Schein und die weiße Schneelandschaft ließ einen auch nachts gut sehen.
 

„Chris!“, rief sie nun etwas ungebändigter und sah wieder hoch, als sie erschrickt aufquiekte und nach hinten in den Schnee fiel. Christopher war gerade in dem Moment von dem Fenstersims hinuntergesprungen und rappelte sich mühselig aus dem Schnee heraus.

„Sorry“, flüsterte er und ließ sich kraftlos gegen die kalte Steinwand des Hauses sinken.

Seine rotglühenden Augen fixierten Emily müde, die sich kopfschüttelnd aufrappelte und zu ihm gestapft kam.

„Na los“, lächelte sie und beugte sich über ihn.

Er zog sie nahe an sich heran und seine Fangzähne bohrten sich ungezähmt in ihren Hals hinein.

Es tat immer noch nicht weh. Sie genoss seine Nähe, die sie den Tag über vermisst hatte und lauschte seinen Schluck- und Schmatzgeräuschen.

Ihr kam unweigerlich die Vorstellung, dass sie, sobald die Unterdrückung ihres wahren Ichs aufhören würde, auch Blut brauchte.

Rotes, heißes, dickflüssiges Blut …

Bei dem Gedanken wurde ihr schlecht und sie vernahm jetzt den Geruch ihres eigenen Bluts, was sein übriges tat.

Sie holte tief Luft und versuchte sich zu beruhigen. Doch ihr Kopf begann sich jetzt auch noch zu drehen, was ihre Versuche, die Übelkeit loszuwerden, nicht gerade unterstützte. Kein klarer Gedanke formte sich mehr in ihrem Kopf. Sie wusste nicht mehr, wie man richtig atmete und dann wurde ihr schwarz vor Augen…
 

Fangzähne. Sie hatte Fangzähne. Und sie saugte Blut. Die Leiche warf sie danach in eine Ecke und leckte sich genüsslich den Mund mit der Zunge.

Ein kleiner Schritt und sie flog hoch in die Luft und war meilenweit von ihrem Ursprungsort entfernt.

Der Vollmond strahlte ihr entgegen und wurde zur Sonne.
 

Emily öffnete langsam die Augen. Alles war so hell und sonnendurchflutet. Ein angenehm warmes Licht. Und eine angenehm warme Hand, die ihre hielt.

Verwirrt sah sie zur Seite und erkannte, dass jemand bei ihr saß.

Doch ihre Augen öffneten sich nicht richtig und sie wollte etwas sagen, doch ihr Hals war zu trocken.

„Emily!“

Diese Stimme war ihr bestens vertraut.

Sie hörte Schritte, das Geräusch von Wasser und spürte dann eine sanfte, warme Hand in ihrem Nacken, die ihren Kopf langsam nach oben schob.

„Trink was“, flehte die Stimme und sie spürte ein Glas an ihrem Mund.

Behutsam trank sie einige Schlucke und ihr Hals fühlte sich wieder wunderbar geschmeidig an.
 

„Chris“, flüsterte sie und hob zitternd die rechte Hand, die eben von seiner festgehalten wurde.

Christopher nahm sie erneut, diesmal mit beiden Händen.

„Es tut mir so leid“, sagte er mit tränenerstickter Stimme.

Emily wusste nicht ganz, wie sie seine Reaktion zuordnen sollte.

Was meinte er damit? Wofür entschuldigte er sich? Hatte er jemanden getötet?
 

Nun schaffte sie es, ihre Augen weiter zu öffnen und ihn endlich anzusehen.

Er sah gesund aus, aufgeladen, doch sein Gesicht war so von Schmerz verzerrt, dass Panik in ihr hochkroch.

Emily wollte sich zu ihm umdrehen, doch sie war zu kraftlos und ließ es bleiben.

„Was denn?“, fragte sie mit müder Stimme und lächelte leicht.

Er hatte Tränen in den Augen, soweit sie das erkennen konnte. Christopher beugte sich zu ihrer Hand hinunter und küsste leicht ihre Fingerknöchel.

„Ich füge dir nur Schaden zu. Wie hältst du es bloß mit mir aus? Was bedeute ich dir, dass du das mit dir machen lässt?“

Emily seufzte.

„Alles.“ Das war das einzige, was sie sagte und sah ihn wieder an.

„Aber ich bin ein Monster. Ich habe dich bis zur Bewusstlosigkeit …“ Er musste schlucken und konnte nicht weiterreden.

Emily schüttelte leicht den Kopf und sah zur weißen, hellen Decke.

„Das war … meine eigene Schuld“, sagte sie nun mit etwas festerer Stimme. „Ich musste daran denken, wie … es ist, wenn ich bald auch …“ Ihr versagte die Stimme und sie schloss die Augen und atmete tief ein und aus.

„Du musst nicht!“, widersprach Christopher und wurde dabei ungewollt lauter.

„Was?“ Emily sah ihn verblüfft an, doch dann ging die Zimmertür auf und Anna, Tom und die beiden Kurslehrer Ms Temperfield und Mr Hampst kamen herein.
 

„Emily!“ Anna stürmte auf sie zu und knuddelte sie vorsichtig.

„Wie geht’s dir?“, fragte Miss Temperfield, die sie besorgt durch ihre ovale Brille ansah.

„Ihr Puls ist normal, aber noch ein wenig niedrige Temperatur“, stellte Mr Hampst fest, als er eine Hand auf Emilys Stirn und die andere um ihr linkes Handgelenk gelegt hatte.

„Was schlafwandelst du auch draußen herum!?“, schimpfte Tom mit ihr und sah sie dennoch besorgt an.

„Du hättest erfrieren können!“

Anna blickte zwischen Tom und Emily hin und her.

„Tu das nicht wieder, ja?“, flehte Anna und vergrub ihr Gesicht in der Bettdecke über Emilys Bauch.

Emily nickte stumm und sah wieder zu Christopher, der seinen Blick gesenkt hatte und ihre Hände betrachtete, die noch immer verknotet waren.
 

„Wenn du frühstücken magst oder sonst was sein sollte, sag Mr Stone Bescheid, ja? Er wird uns benachrichtigen“, sagte Ms Temperfield und nickte Christopher zu, der sie aus den Augenwinkeln ansah.

Anna, Tom und die beiden Lehrer gingen schließlich.

Es war wieder still.
 

Christopher spürte, wie Emily sich bewegte und sah auf. Sie schob sich langsam auf die linke Hälfte des Bettes und drehte sich endlich in Christophers Richtung um.

Ihr Blick sagte alles und Christopher legte sich behutsam neben sie.

Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Brust und sog den Duft ein, der ihr so vertraut war. Seine Wärme war angenehm und beruhigte sie.

„Du bist alles, was ich brauche“, flüsterte sie in die Stille hinein.

Er war froh, dass sie ihn nicht ansehen konnte und umarmte sie fest. Er vergrub sein Gesicht in ihren Haaren.

„Du auch, Emily. Ich brauche niemanden außer dich“, antwortete er ihr. „Aber ich möchte dir nicht mehr wehtun. Das muss ich wirklich ändern.“

Emily seufzte.

„Du tust mir doch gar nicht weh. Ich … mag es, wenn du es tust …“

Sie war rot geworden und ihr Herz hüpfte. Sie mochte es wirklich, wenn er sie so nah an sich gezogen hatte und ihr Blut trank.
 

Christopher zog eine ungläubige Miene.

„Du magst es?“

Sie nickte nur.

„Es … fühlt sich toll an. Also, alles … dass wir uns so nahe sind und wenn das Blut herunter tropft …“

Sie blinzelte verlegen und vergrub sich verschämt noch weiter an ihn heran.

Er schmunzelte und musste lachen.

„Wirklich, dein Vampirinstinkt erwacht … normale Menschen hätten Todesangst.“
 

Nun reckte Emily ihren Hals nach oben in seine Richtung.

„Bin ich normal, wenn ich in einen Vampir verliebt bin und selbst einer bin – so halb zumindest?“ Sie grinste ihn neckisch an.

„Nein. Ich glaube nicht“, grinste er zurück und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Siehst du. Wenn du dich das nächste Mal entschuldigst, beiße ich dich. Klar?“

„Und womit?“ Christopher hatte bei ihr noch keine Fangzähne entdecken können.

Sie sah ihn verständnislos an.

„Na, mit meinen Zähnen. Sowas geht auch mit normalen Zähnen“, sagte sie beleidigt.

„Ahja.“ Christopher nickte anerkennend und nach einer Weile durchbrach ein Grummeln die Stille.
 

„Huunger“, beschwerte Emily sich und lachte.

Christopher setzte sich auf.

„Ich hol dir was, bleib liegen.“ Emily nickte und zog ihn noch kurz zu einem Kuss heran, als sie ihn dann gehen ließ.

Sie konnte wirklich nicht sagen, dass er eine Bürde für sie war. Mit keiner Faser ihres Körpers sträubte sie sich gegen den Biss, den ihr gab.

Aber Christopher schien das einfach nicht verstehen zu können. Er wollte es einfach nicht.

Ob er sich jemals damit abfinden würde? Spätestens, wenn sie auch ein Vampir wurde … aber ernähren sich Vampire gegenseitig? Kann sowas funktionieren?

Aber dann könnten sie ihr Blut auch gleich bei sich behalten, rein logisch gesehen. Und es würde keine Todesopfer geben.

Die Theorie konnte sie also streichen.

Oder waren Vampire nicht so schlau, diese Methode auszuprobieren?

Und warum musste es gerade menschliches Blut sein? Wieso nicht von Tieren oder anderen Lebewesen?

Menschen konnten doch auch auf Fleisch verzichten … und Christopher ernährte sich auch von normalem Essen. OK, zugegeben, von enormen Mengen und dann auch noch alles rote Lebensmittel wie Tomaten, Erdbeeren, Marmelade, Säfte, rotes Fleisch .... Bestimmt, um seinem Hirn vorzugaukeln, er trinke Blut, damit er niemanden ermorden muss dafür.

Emily bemerkte über die Grübelei nicht, wie Christopher zurück ins Zimmer kam und ihr ein Tablett mit Toast, Eiern und Orangensaft auf den Nachttisch platzierte.

Erst als er ihren Namen sagte, schreckte sie verwundert hoch und nahm dankbar das Frühstück entgegen.

Sie schlang es in Windeseile hinunter und Christopher war sichtlich deprimiert.

Dass er ihr so die Kräfte geraubt hatte, bloß weil er sich nicht beherrschen konnte.
 

Emily stellte das Tablett ab und seufzte zufrieden, als sie sich in die Kissen zurückfallen ließ und Chris glücklich ansah.

Doch er sah durch sie hindurch und seine Miene war immer noch betrübt.
 

„Hey.“ Emily legte ihm eine Hand an die Wange und er schloss die Augen und lehnte sich leicht dagegen.

„Es ist OK. Glaub mir endlich.“

Sie lächelte ihn aufmunternd an und er erwiderte zaghaft.

„Aber ich möchte nicht mehr SO egoistisch sein. Halt mich das nächste Mal auf, ja? Überhaupt, wie konntest du das zulassen!?“ Jetzt wurde er theatralisch, doch Emily erinnerte sich wieder daran, wie ihr erst schlecht und dann schwindelig geworden war.

„Ich“, begann sie und überlegte ihre Worte. „Ich hab mir vorgestellt, was an Blut so toll sein muss, dass ihr Vampire so besessen davon seid. Und dann wurde mir klar, dass ich bald auch trinken müsste und dann wurde mir schlecht. Und du hast dein übriges gegeben, dass mir schwindelig wurde.“

Sie sahen sich beide ausdruckslos an, bis Christopher ihrem Blick auswich.

„Man gewöhnt sich sehr schnell daran. Das ist wie normales Essen für dich. Aber eben die Gourmetvariante des Essens. Und du kannst gar nicht genug bekommen.“

„Also, als wenn ein Mensch besonders auf … Pizza abfährt und die jeden Tag essen will!?“, hakte Emily nach und Christopher nickte.

„Genau. Und für uns Vampire schmeckt Blut einfach wie unser Lieblingsessen. Aber je nach Mensch, mal mehr, mal weniger gut. Als würden verschiedene Zutaten mal beigefügt, mal weggelassen werden.“
 

Emily schmunzelte. Das war eine seltsame, aber einleuchtende Erklärung. Aber …

„Wie schmecke ich denn?“, wollte sie wissen und war auf einmal sehr neugierig.

Christopher überlegte kurz und lächelte dann.

„Gewöhnungsbedürftig. So ein Blut wie deines habe ich nie probieren dürfen. Aber es liegt wohl daran, dass du auch ein Vampir bist. Wir haben eben wieder unseren eigenen Geschmack.“

Emily zog die Augenbraue hoch.

„Aber … wie genau schmecke ich? Gut oder passabel, sodass du halt niemanden sonst wegen Blut missbrauchen musst?“

Christopher wurde ein wenig rot.

Das war ihr neu. Seine blassen Wangen wurden rosa und es gefiel Emily.
 

„Fantastisch“, gab er leise zu und hüstelte künstlich in die Hand.

Emily begann zu lächeln.

„Ja? Hehe~“ Sie wurde ebenfalls rot, aber ihr war es egal.

Er sah sie amüsiert an.

„Ja, es schmeckt … ganz neu. Ganz … unverwechselbar, so … frisch und süßlich. Ein bisschen wie Pina Colada“, erzählte er weiter und versuchte, den Geschmack am besten zu beschreiben. „Und … auch wie Pizza und … Weihnachten. Ja, ein wenig zimtig.“ Er sah sie wieder an und blickte in ihre großen Augen.

„Waas?“, lachte sie auf und fiel zurück in ihre Kissen.

„Hey, das ist wahr!“ Christopher richtete sich empört nach vorn und stützte sich auf der Matratze ab.

Er verzog die Mundwinkel und beobachtete, wie Emily versuchte, sich diese seltsame Mischung vorzustellen.

Sie kam zu dem Entschluss, dass es wie Hauptspeise und Nachtisch mit Getränk nacheinander sein musste. Dann klang es wenigstens nicht übermäßig eklig.
 

„Ok, danach schmecke ich also. Und du?“ Sie sah ihn neugierig an.

„Ich?“ Er schüttelte verwundert den Kopf. „Keine Ahnung.“
 

Emily seufzte. Sie wollte ihm nicht wehtun und Fangzähne waren ihr auch noch nicht gewachsen. Sie glitt mit der Zunge an ihrem Oberkiefer entlang und spürte nur die gewöhnlich langen Eckzähne.

„Und, kommt schon was?“, fragte Christopher neugierig und kam näher.

Emily schüttelte den Mund und zeigte ihm ihre Zähne.

„Nix, oder?“

Er betrachtete sie genau.

„Nein … naja, etwas lang sind sie schon für normale Eckzähne. Aber ich sehe …“

Er beugte sich herunter und schob ihren Mund auseinander. Sie kam sich vor wie beim Zahnarzt. Was machte er denn da?

„Wamahuha?“

„Ich … gucke wegen den … Hah.“

Christopher ließ wieder von ihr ab und setzte sich auf die Bettkante.

„Was?“, fraget sie abermals.

„Ob du schon Giftdrüsen hast. Aber da ist nichts. Oder hattest du in letzter Zeit mal einen seltsamen Geschmack im Mund?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, ich spüre gar keine Veränderung.“

„Gut.“

„Gut? Nicht gut.“

Sie sah Christopher ernst an. Doch er wurde sauer.

„Was soll das heißen? Willst du etwa so schnell wie möglich so ein blutrünstiges Monster werden wie ich?“

„Vielleicht werde ich nicht blutrünstig!? Vielleicht kann ich mich beherrschen!“ Jetzt hatte sie eindeutig auf den gestrigen Abend angespielt und Christopher schüttelte verständnislos den Kopf.

„Du weißt nicht, was du da sagst.“

„Aber du!? Stell dir vor, ich hätte mich von dem Typen letztens -“

„Es hätte nicht funktioniert“, unterbrach Christopher sie forsch.

„- von dem Typen beißen lassen! Oder von einem Reinblut, was auch immer. Dann hättest du nichts dagegen machen können. Ich wäre ein Vampir geworden, so wie ich es bald auch sein werde. Willst du dann nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich auch so ein ‚Monster‘ wie du werde!?“ Emily suchte seinen Blick, doch er sah riguros zum Fenster raus und atmete unregelmäßig.

„Natürlich nicht“, gab er schließlich zu. „Aber sag nicht, dass du jemals freiwillig so geworden wärst. Das wäre ein verdammtes Leben.“

Emily seufzte.

„Lieber ein verdammt-langes Leben mit dir, als ein kurzes Leben.“

„Mit mir“, ergänzte er.

„Ach was. Irgendwann würde man mich für pädophil halten oder so, wenn ich an die 50 Jahre alt bin und einen so jungen Lover an meiner Seite hätte.“ Emily grinste abschätzig und war froh, dass es ihr nicht so ergehen würde. Das Schicksal war zu gütig.

„Emily …“ Christopher nahm ihre Hände in seine. „Ich würde sogar als dein Enkel durchgehen, wenn du alt und grau bist!“ Er sah sie voller Ernst an, doch Emily musste loslachen. Seltsame Vorstellung, ZU seltsam.

„Siehst du! Das wäre ja noch grausamer. Zum Glück-“ Sie sah ihn lächelnd an. „Wird es nicht so enden, stimmt’s?“

Doch Christopher konnte nichts Bestimmtes sagen.

„Das weiß ich nicht. Je nachdem, wann du zu einem richtigen Vampir wirst, könnte dein Körper aufhören, zu altern. Aber genau-“

Doch Emily zog ihn abrupt zu sich hinunter und drückte ihren Mund gegen sein Schlüsselbein.

Christopher wusste, was sie vorhatte und öffnete den Mund um zu Protestieren, aber wusste nicht recht, was er sagen sollte.

Emily verharrte an seinem Hals und sog seinen bekannten, wohlriechenden Duft ein. Doch nach Blut war ihr überhaupt nicht und sie küsste ihn nach kurzer Zeit einfach auf den Hals und ließ ihn wieder frei.

Er stützte sich auf dem Kissen neben ihrem Kopf ab und sah sie durchdringend an.

„Nichts?“

Emily schüttelte den Kopf. „Nicht mal ansatzweise. Außer, dass du gut riechst und ich dich an noch viel mehr Stellen küssen könnte, gar kein Blutdurst.“

Sie sah ihn errötete aus großen Augen an.

„Aha“, grinste Christopher schelmisch und wollte sich gerade zu einem Kuss herunter beugen, als die Tür aufgerissen wurde.

„Emi- Chris!?“ Anna war in der Bewegung erstarrt und hielt noch immer den Türgriff in der Hand. Mit großen Augen stand sie da und die Situation war ihr sichtlich peinlich.

Kein Wunder bei einer solch eindeutigen Pose!

„Anna?“ Emily setzte sich auf, als Chris elegant auf den Stuhl neben dem Bett glitt und Anna schmunzelt ansah.

„Was soll das!? Ich dachte, es ginge dir nicht gut? Und dann seh‘ ich euch hier … boah, nee…!“

Sie vergrub ihr hochrotes Gesicht in den Händen und schüttelte es heftig.

„Aber es ist doch gar nichts- wir haben nur…“, begann Emily und suchte hilfesuchend Christophers Blick.

„Rumgemacht“, beendete er ihren Satz und grinste nun breit.

Emily verdrehte die Augen und biss sich auf die Unterlippe.

„Ganz toll. So, dann geh mal und Anna … was wolltest du? Komm her!“

Emily streckte ihre Arme nach Anna aus und verscheuchte Christopher mit ihren Blicken aus dem Raum.

Anna versetzte ihm noch einen zweifelhaften Blick, als er sie erreichte und ging dann zu Emily.
 

„Wie geht’s dir? Nervt dich der Kerl? Ich mach ihn kalt!“ Sie sah Emily mit mürrischem Gesicht an.

„Nein, schon ok“, beruhigte sie Anna mit einem Lächeln. „Wir … sind zusammen.“

Stille.

„A-also … war das im Zug und so nicht nur Kuscheln aus Langeweile!?“ Anna schien ehrlich schockiert. Es war wohl wirklich so undurchsichtig gewesen, was sie füreinander empfanden.

Emily schüttelte bedröppelt den Kopf.

„Sowas mach ich doch nicht. Entweder oder.“

„A-aber … bist du sicher, dass er der Richtige ist? Ihr kennt euch doch noch gar nicht solange. Hat er dich bestochen? Bedroht er dich?“

Anna schien sichtlich besorgt, doch Emily zog sie zu einer Umarmung heran.

„Nein, er ist genau der, auf den ich bis heute gewartet habe und er wird es immer sein. Mach dir keine Sorgen.“

Anna erwiderte zweifelnd ihre Umarmung und sah ihr dann fest in die Augen.

„Ich hoffe es sehr. Sonst sag mir Bescheid, in Ordnung? Dann ist er dran.“ Anna fasste angriffslustig an ihren Oberarm und strich über die kaum vorhandenen Bizeps.

Emily lachte auf.

„Mach ich.“
 

Den Rest des Tages beschlossen die Mädchen, im naheliegenden Dorf shoppen zu gehen.

Tom und Christopher erzählten sie nichts davon, sondern stahlen sich einfach hinaus und genossen die wärmenden Sonnenstrahlen und den strahlendblauen Himmel.

Sie gönnten sich Crepés, lästerten fröhlich über die Jungs und ihre nervenden Angewohnheiten, probierten verschiedene Outfits und Schmuck an, entschieden sich dann aber doch eher für Unterwäsche.
 

„Glaubst du echt nicht, dass es ZU aufreizend ist?“

Anna drehte sich um sich selbst. Sie trug ein rotes, halb durchsichtiges Negligee mit Spitzenbesatz, was ihr bis zur Hüfte reichte und dazu den passenden Tanga.

„Ach wo, Tom wird es verkraften. Er steht bestimmt auf sowas!“, beratschlagte Emily sie.

„Ja, Chris bestimmt auch. Und du kaufst nur normale Unterwäsche und nicht sowas. Warum??“

Anna sah sie schmollend an.

„W-weil ich nicht soviel Geld ausgeben will. Und ich mag keine Negligees.“ Emily wich ihrem Blick aus.

Würde sie schon soweit gehen wollen mit Chris? Aber was sprach dagegen…? Sie hoffte einfach, die Unterwäsche würde ihm gefallen. Was danach passieren könnte, lag allein i den Händen des Schicksals…
 

„Emily? Hey…“ Anna wedelte mit der Hand vor Emilys Augen. Die schreckte kaum merklich hoch und sah Anna fragend an.

„Was denn? Bist du fertig?“

„Uhum. Ich nehm ‘s. Wenn Tom das nicht gefällt, kann er es umtauschen gehen. Selber Schuld.“
 

Anna ging schnellen Schrittes zur Kasse, nachdem sie sich umgezogen hatte, und Emily folgte ihr wie ein Hund. Als die beiden Mädchen vor das Geschäft traten, wurde es langsam windiger und Wolken hatten sich teilweise vor die Sonne geschoben.
 

„Och nöö ... eben war ‘s doch noch so schön!“, jammerte Anna und zog ihren Schal fester um den Hals, als der kalte Wind ihr ins Gesicht blies.

„Ja, schade“, stimmte Emily ihr zu, doch sie hatte ein seltsames Gefühl. Das Wetter änderte sich hier in Bergen schnell, aber das war nicht das Beunruhigende.

Ein anderer Wind lag in der Luft, eine erdrückende Schwere erfasste ihre Lunge und füllte sie ganz aus. Ob Anna auch so komisch zumute war? Emily blinzelte ihre Freundin durch den immer heftiger werdenden Wind an, doch die meckerte nur unverständliche Worte in ihren Burberry-Schal und hielt sich die Hand vor die Augen, um den Wind abzuschirmen.
 

Der Wind entwickelte sich langsam aber sicher zu einem Schneesturm und die beiden Mädchen hatten Mühe, ihr Hotel in den Augen zu behalten, was noch etwa einen knappen Kilometer entfernt lag und der Schnee wurde immer tiefer und undurchdringbarer.
 

„Was ist das bloß!?“, hörte Emily Anna rufen, als wäre sie meterweit entfernt, dabei waren sie nahe beieinander und wühlten sich durch die Schneemassen, die ihnen bis zu den Knien reichten.

Sie hakten sich gegenseitig unter und kamen langsam, aber stetig voran.

Der blaue Himmel war gänzlich unter dem gräulichen Schneegestöber verschwunden und es war kaum noch die eigene Hand vor den Augen zu sehen.

Anna hielt an.

„Emily“, krächzte sie und sackte ein wenig gen Boden.

„Wir sind gleich da!“ Emily stützte sie mit ihrem Arm und strich ihr mit ihrer eisigen Hand über die Wange, doch auch sie spürte ihre Beine kaum noch, so gefroren waren sie.
 

Wie verrückt war das alles? Eben waren sie noch im Geschäft gewesen und sie hatten Unterwäsche gekauft und waren gut drauf.

Jetzt schien es ihr Ende zu sein, sie würden erfrieren und das so jämmerlich kurz vor ihrem Hotel, wo Tom und Christopher sicher schon ungeduldig auf sie warteten.
 

Emily kam alles vor wie ein Traum … all die Vorfälle, die seit kurzem passiert waren, reihten sich so unauffällig offensichtlich aneinander, dass sie nicht wusste, wo alles enden sollte.

Mit ihrem Tod? Oder dass sie zum Vampir werden würde?

Das Netz schien sich immer weiter zu verstricken und sie hing mittendrin.

Der Schneesturm hatte etwas damit zu tun, auch wenn Emily nicht klar wusste, inwiefern, aber ihr Gefühl, vielleicht sogar ihr verborgener Vampirinstinkt, sagten es ihr.

Besuch

Mit schmerzender Lunge versuchte Emily weiter zu atmen, doch es schien beinahe unmöglich, beim nächsten Atemzug nicht zu sterben.

Dann hörten sie wütende Rufe. Verzweifelte Rufe, nicht im wirren Durcheinander zu orten.

Beide Stimmen vermischten sich und dann wurde es plötzlich dunkler und warm und die Stimmen waren erstaunlich nahe und ruhig.
 

Emily öffnete erschöpft ihre Augen und sah eine gelbliche Decke über ihr.

Sie hörte, dass sich Stimmen entfernten, die weiterhin panisch klangen. Dann war es weitgehend ruhig.

Nur ein Schluchzen und ein leises Flüstern durchdrangen die Stille.

„Emily?“

Emily fühlte sich angesprochen, doch sie sah keinen Körper zur Stimme.

Erst als Christopher sich über ihr Gesicht lehnte, wurde sie klarer im Kopf.

Doch ihre Gliedmaßen waren derart gefroren, dass sie nicht wusste, ob sie sich bewegte oder ob alles taub war.

„Es geht gleich besser. Was habt ihr da draußen gemacht?“ Christopher war besorgt und legte seine Stirn auf Emilys.

Die schluckte, wobei ihr Hals fürchterlich brannte, doch sie bekam ein Flüstern raus.

„Shoppen.“

„Shoppen?“, fragte Christopher laut und sah sich um.

Emilys Blick folgte ihm und er sah Tom auf der Couch gegenüber, der Anna fest an sich gepresst hatte und Christopher fraglich ansah.

„Ohne uns Bescheid zu sagen?“, mahnte Christopher und drehte sich wieder zu Emily.

„Sorry …“, flüsterte sie und zuckte gleichzeitig zusammen.

Ihr Körper brannte, aber sie wusste, dass sie auftaute.

Christopher legte noch zwei Wolldecken mehr über Emily und zog sie sanft hoch an seine Schulter.

Er griff nach einer Tasse mit dampfendem Inhalt.

„Tee“, sagte er kurz angebunden und hielt Emily den dampfenden Früchtetee unter die Nase.

Allein der warme Dampf war das wohltuendste, was sie seit langem erlebt hatte. Sie nippte ein paar Mal und nahm dann mit zitternden Händen die Tasse zwischen ihre Hände, während sie an Christophers Schulter angelehnt saß und die Augen genüsslich geschlossen hatte.
 

„Anna“, krächzte sie und sah zwischen Tom und ihr hin und her.

Anna war immer noch an Toms Brust angelehnt und allein ihre verweinten Augen wanderten zu Emily herüber. Sie lächelte leicht.

Emily seufzte erleichtert auf. Ihr ging es also soweit auch gut. Sie musste Christopher schnellstmöglich fragen, ob der Schneesturm tatsächlich vampirischer Natur war oder ob sie sich nur getäuscht hatte.
 

„Ist es ok, wenn ich heute Nacht bei ihr bleiben könnte?“ Toms Frage kam überraschend, doch Christopher und Emily nickten gleichzeitig.

„Danke“, lächelte er. „Wir gehen dann in unser Zimmer.“ Er hatte Christopher zugenickt und nahm Anna Schließlich in die Arme und trug sie weg.

Beide sahen ihnen nach und sagten nichts.

„Sollen wir auch hoch?“ Christophers Frage klang müde und Emily nickte leicht.

„Ja, ich bin echt kaputt.“ Sie stellte die Tasse auf dem Tisch ab und nahm die Decken von sich herunter.

„Also willst du auch…?“

Bevor Emily wusste, was er meinte, lag sie ebenfalls in seinen Armen und Christopher grinste sie an.

„Meine Prinzessin, die dem Schneesturm fast erlegen hätte“, hauchte er wehmütig und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Niemals“, flüsterte Emily müde und schloss erneut die Augen.
 

Das nächste, was sie merkte, war ein warmes, weiches Bett, in dem sie lag. Alles war ruhig. Doch sie hörte jemanden neben sich atmen und spürte auch die Wärmequelle.

„Bist du wach?“, flüsterte Christopher sanft und Emily öffnete langsam die Augen.

Es war relativ dunkel, doch der weiße Schnee draußen reflektierte das Licht der wenigen Straßenlaternen.
 

Er strich ihr über die Wange und ließ seine Finger auf ihrem Schlüsselbein ruhen.

„Hab … hab ich geschlafen? Wie lange?“, antwortete sie verschlafen und streckte sich leicht.

Er schmunzelte.

„Ja, über zwei Stunden tief und fest.“

Emily drehte sich auf den Bauch und sah, dass die Vorhänge zugezogen waren.

„Wie viel Uhr ist es?“

„Kurz nach 8 Uhr abends.“

„Hm …“ Sie setzte sich auf und sah sich um.

„Sind wir allein?“

„Ja. Tom und Anna sind unten in unserem Zimmer.“

Emily dachte daran, was Anna für einen Aufstand wegen des Negligees gemacht hatte und fragte sich, ob die beiden wohl heute Nacht…

„Warum fragst du?“

„Aach, nur so.“ Sie wurde ein wenig rot, doch dann durchzuckten sie die Erinnerungen an den Schneesturm und ihr Verlangen nach Gewissheit entflammte erneut.

Christopher setzte sich ebenfalls auf.

Emily drehte sich abrupt zu ihm um und setzte ein ernstes Gesicht auf.

„Hast du was gespürt?“, fragte sie direkt und beließ es bei den vier Wörtern.

Christopher stellte sich dumm, zog eine Augenbraue hoch und brummte fragend.

„Na, wegen dem Schneesturm. Das war doch kein normaler Vorfall. Irgendwie … hatte der was … unheimliches, etwas erdrückendes.“

Sie sah ihn hoffnungsvoll an, dass er sie doch bitte bestätigen solle, um sich nicht ganz dumm vorzukommen.

Christopher seufzte und stand vom Bett auf. Er ging auf das Fenster zu und blinzelte durch die Vorhänge nach draußen.

Er drehte sich um wieder, blieb jedoch am Fenster stehen.
 

„Ja, du hast recht.“ Er sah auf den Boden.

„Ein reinblütiger Vampir ist in der Nähe“, sagte er schnell und sah Emily von unten herauf an.

Die bekam große Augen.

„Ein … Reinblut? Was will er hier?“, fragte sie und versuchte, ihre Angst und ihre Neugierde zurückzuhalten.
 

„Ich weiß nicht. Er ist hungrig. Aber solche hochrangigen Vampiren sind nicht wie ich.“

Er kam wieder zum Bett und setzte sich schließlich auf die Kante.

„Nicht wie du?“, hakte Emily nach und kam ihm näher.

„Ja. Sie sind … würdevoller und stolzer. Ihnen ist nicht jeder recht zum Verzehr.“

„Ach, na toll. Aber wenn der wen aus meiner Klasse abmurkst, sind es schon zwei in einem Monat! Das darf nicht passieren! Weißt du, wo er genau ist?“

Christopher schloss die Augen und schien sich zu konzentrieren.
 

„Er … ist etwa … 15 Kilometer entfernt …“, sagte Christopher schließlich.

„So weit?“ Emily runzelte die Stirn.

„Ja, und er wird noch einige Zeit brauchen, bis er hier ist. Er ist sehr geschwächt und konnte so gerade noch das Wetter günstiger gestalten, um in dieser Siedlung hier wieder zu Kräften zu kommen.“

Emily krallte sich an seinen Oberarm und er sah sie etwas geschockt an.

„Bitte“, flehte Emily, „beschütze unsere Klasse!“

Christophers Miene wurde wieder weicher.

„Ich versuche mein Bestes. Solange er geschwächt ist, habe ich gute Chancen.“ Er grinste siegessicher an und Emily schien beruhigt.
 

„Ach, was war vorhin? Ihr wart shoppen?“ Emily zuckte zusammen und wurde ein wenig rot.

„J-ja“, antwortete sie knapp.

„Und, was gefunden?“ Christopher schien sie ganz ohne Hintergedanken zu fragen.

Emily suchte nach ihrer Tasche, doch sie sah sie nirgends.

„Ja. Aber ich hab die Tüte wohl im Schnee verloren.“ Sie sah bedröppelt auf ihre Bettdecke.

„Nnnnicht ganz.“

Christopher holte eine Tüte unterm Bett hervor und ließ sie vor Emilys Nase baumeln.
 

„Hast du reingeschaut?“, fragte sie und wurde noch roter.

„Jain“, entgegnete er scheinheilig und pfiff ablenkend.

„Spanner! Dabei sollte es eine Überraschung werden.“

„Höh?“ Christopher spitzte die Ohren.

„Etwa für mich?“ Er wartete gespannt auf die Antwort, doch bekam nur einen strafenden Blick von Emily.

„Klar. Aber wenn’s dir nicht gefällt, kann ich-“

„Bloß nicht!“

Sie nahm dies als Ablehnung an und schaute enttäuscht.

„Dann tausche ich’s wieder um. Aber beschwer dich nicht-“

„N-nicht umtauschen! Anziehen!“, berichtigte er sich schnell und drückte Emily die Tüte in die Hände.

Sie sah ihn perplex an.

„Jetzt?“

Er nickte.

„Aber … lass uns doch lieber … also … vielleicht nicht, wenn alle schon schlafen und … lass uns noch warten!“

Christopher sah sie belustigt an.

„Glaubst du, ich will dich hier vernaschen?“

Sie erstarrte in der Bewegung.

„Nein, das soll ein besonderer Moment werden.“ Er lächelte sanft.

Sie nickte und war froh über seine Zustimmung.

„Aber …“, begann er erneut und malte Kreise auf dem Bettlaken.

„So ein kleiner Vorgeschmack wäre schon toll…“ Er sah sie mit flehendem Blick an und Emily nickte nachgiebig. Doch in dem kleinen Zimmer gab es keine Möglichkeit, sich ungestört, umzuziehen.

„Dreh dich um! Nicht gucken!“, sagte sie schließlich und Christophers drehte sich nörgelnd um.

„Wenn wir‘s tun, seh ich dich doch auch so …“ Er zog einen Schmollmund und wartete zur Wand gewandt.

„Das … ist was anderes. Dann hast du wenigstens noch etwas, worauf du dich freuen kannst“, meinte Emily, während sie sich umzog.

Christopher grunzte.

„Da gibt es noch einiges mehr, worauf man sich freuen kann.“

Emily lachte.

„Ja!“
 

Christopher wollte sich gerade umdrehen, um zu sehen, wie weit Emily war, und merkte, wie sie sich an seinen Rücken warf.

Er stützte sich an seinen Knien ab.

„Nicht lachen! Mich hat noch keiner so … gesehen“, flüsterte sie mit zitternder Stimme an sein Ohr.

Christopher nickte lächelnd und Emily ließ ihn sich umdrehen.

Die Unterwäsche unterstrich ihre leicht gebräunte Haut, die in der Dunkelheit zwar kaum zu sehen, aber zu erahnen war.

Das leicht bläulich-weiße Licht vom Schnee und der Nacht ließ ihre weiblichen Rundungen mystisch erscheinen und Christopher war sprachlos.

So lange Zeit hatte er keinen Frauenkörper mehr aus dieser Nähe gesehen und einen so wohlgeformten dazu.

„Wunderschön“, flüsterte er.

Emily war es sichtlich peinlich. Sie fühlte sich wie auf dem Präsentierteller, obwohl es dunkel genug war um nicht alles sehen zu können.

Plötzlich fühlte sie zwei warme Hände an ihrer Hüfte, die sie leicht nach vorn zogen und sich schließlich um sie schlangen.

Christopher lehnte seinen Kopf gegen ihren Bauch und seufzte leicht.

Emily strich durch seine Haare.
 

„Emily…“ Christophers Stimme war voller Sehnsucht und Emily schreckte ein wenig auf.

„Was-?“, fragte sie, doch wurde im selben Moment auf die Matratze unter Christopher gezogen.

Er sah sie gierig an, doch war über ihr erstarrt.

Sie spürte seinen wärmenden Körper und merkte erst jetzt, wie ausgekühlt sie war, als sie dort in Unterwäsche gestanden hatte. Sie griff nach seinem Oberteil und zog ihn auf sich hinunter.

Christopher atmete unregelmäßig und küsste sie erregt.
 

Emily wusste nicht genau, was nun folgen würde. Entweder … oder … Doch sie hatten doch gerade noch beschlossen, zu warten!?

Seine Hände tasteten ihren Körper immer fordernder ab und gelangten immer tiefer ihre Seite hinunter, bis sie ebenfalls erregt ihr Bein anwinkelte und sich gegen ihn presste.

Er streichelte ihr Bein sanft.
 

Beinahe wären sie erstickt, hätte Chris sich nicht augenblicklich von ihr abgewendet und lag nun neben Emily.

Von beiden war nur unregelmäßiges, lautes Atmen zu hören.
 

„Entschuldige“, meinte Emily schließlich und drehte sich auf die Seite zu ihm.

Er schluckte und sah sie fragend an.

„Wofür?“

„Na … ich hätte … sowas nicht kaufen sollen. Nicht hier.“ Sie blickte an sich herunter. Ihre Träger waren an den Armen heruntergezogen worden und ihr Dekolleté war mehr als zu sehen.

Christopher lachte leise.

„Das war doch nicht in erster Linie die Unterwäsche schuld, sondern du.“

Jetzt drehte er sich ebenfalls zu ihr auf die Seite und sah ihr in die Augen.

„Ach so.“ Emily grinste ihn an.
 

„Wir schaffen das schon. Aber selbst wenn wir wieder zurück sind … bei dir zu Hause warten deine Eltern und bei mir würde Robin stören.“

Emilys Miene verfinsterte sich.

„Ja … meine Eltern … Themawechsel!“

Sie kniff ihre Augen zusammen und robbte näher an Christopher heran. Der nahm sie in seine Arme und drückte sie fest an sich.

„Das wird nix. Tom ist auf dem Weg.“

„Was?“ Emily sah perplex zur Zimmertür.

Christopher stieg galant über sie aus dem Bett und deckte sie zu.

„Stell dich schlafend!“, sagte er und hielt einen Finger an den Mund, während er sich neben sie setzte. Dann hörte man ein leises Klopfen und Tom steckte seinen Kopf ins Zimmer.

Christopher sah unschuldig auf und folgte Toms Geste, nach draußen zu kommen.

Leise schloss er die Tür hinter sich.
 

„Wie geht’s ihr?“, fragte Tom und wirkte angespannt.

„Gut. Sie schläft schon die ganze Zeit. Was ist mit Anna?“

„Oh, dasselbe“, antwortete er verwirrt. „Hör mal … es werden noch mehr Schüler vermisst. Aber-“

„Was? Noch mehr?“

Christopher wurde wütend. Dieses dümmliche Reinblut musste den Verstand verloren haben, dass der Schneesturm so weitreichende Folgen hatte.

Er ging an Tom vorbei auf das Fenster zu.

„W-warte Chris! Da ist noch was!“

Er lief Christopher den Gang nach und erreichte ihn erst vor dem Fenster, als Christopher dasselbe öffnete.

„Der Schnee liegt metertief! Wir sind voll eingeschneit. Man kann nicht raus. Noch nicht mal mit Schneeschuhen oder Schneemobilen.“

Christopher sah unglaubwürdig auf die weiße Pracht, die beinahe das gesamte Erdgeschoss einnahm.

Wütend schloss er das Fenster wieder.

Er konnte raus.

Aber das durfte man nicht mitkriegen. Seufzend drehte er wieder um und blieb stehen.
 

„Wie viele fehlen?“, fragte er tonlos ohne Tom anzusehen.

„ Drei Leute, als wir nachgezählt haben. Sie sind nicht über Handy zu erreichen und haben niemandem gesagt, wo sie hingegangen sind. Eigentlich hat auch keiner mitbekommen, dass sie überhaupt weggegangen– Chris!“

Christopher lief schnurstracks zu Emily und blieb vor der Tür stehen.

„Ich hoffe, sie tauchen auf“, sagte er mit einem zerknirschten Gesicht und verschwand daraufhin im Zimmer.

Tom blieb bedröppelt im Flur stehen und begab sich dann wieder nach unten zu Anna.
 

„Was war los?“, fragte Emily sofort und setzte sich auf. Als sie Christophers leidiges Gesicht sah, wurde ihr ängstlich zumute.

„Ist was mit Anna?“

Er schüttelte den Kopf. Doch das beruhigte sie nur ein Stück weit.

„Was dann?“ Sie stand auf, ging zu ihm und streichelte seine Oberarme.

„Drei Schüler fehlen und wir sind eingeschneit“, sagte er und biss sich auf die Unterlippe.

Emily erstarrte.

„S-Schüler?“

Sie lief zum Fenster und riss die Gardinen zur Seite. Der Schnee war wirklich hoch und man konnte meinen, sie wären im Erdgeschoss. Es schneite immer noch unaufhörlich, aber ruhiger.

„Oh mein Gott…“, machte Emily und hielt sich die Hand vor den Mund.

„Soviel Schnee … wie können wir denn jetzt raus? Was ist mit den Schülern? W-wie…“

Emily wurde bewusst, dass sie nicht mehr leben konnten, außer sie hatten sich auf Bäume gerettet oder waren sicher in einem Haus untergekommen, das in der Stadt lag, aber ebenfalls eingeschneit war.
 

Christopher legte ihr die Hände auf die Schulter.

„Ich muss zu ihm. Du wartest!“ Er drückte sie sanft zur Seite und öffnete das Fenster weit.

Emily war erstarrt und sah zu, wie Christopher aufs Fensterbrett stieg.

„Was? Bleib hier!“ Sie wollte ihn gerade fassen, da war er schon heruntergesprungen und verschwunden.

Emily krallte sich an die Fensterbank und sah hinaus, ob er irgendwo zu sehen war, doch nichts außer der weißen Pracht regte sich dort.

„C-Chris…“ Ihre Stimme zitterte und sie bekam keinen lauten Ton heraus.

Was, wenn er nun auch im Schnee versank und …? Und zu wem wollte Chris? Zu dem Vampir? Und wenn er ihn fand, würde er getötet, weil der Vampir Hunger hatte!? Wie konnte er sie nur hier allein zurücklassen!?

Zitternd sank sie zu Boden und warme Heizungsluft strömte ihr entgegen, während Schneeflocken auf ihr Haar niederwehten, die von draußen hereingeweht kamen.

Doch sie spürte nichts von beidem…
 

Christopher lief lautlos durch den Schnee, der bei seiner Geschwindigkeit nicht mal die Chance von einem knirschenden Geräusch hatte.

Er war dem Vampir nahe, der das alles verursacht hatte. Sein Geruch war stechend. Blut mischte sich mit einer ungeheuren Süße, die er von Emilys Blut her kannte und das bereitete ihm auf unerklärliche Weise Sorgen.

Langsam wurde der Geruch so stark, dass Christopher sich fragte, ob ihm seine Nase keinen Streich spielte, da er weit und breit niemanden sah.
 

An einem Baum hielt er inne und schloss seine Augen, um sich besser konzentrieren zu können.

Der Vampir musste hier sein, wenn er es nicht besser wüsste, direkt neben ihm.

Doch als er seine Augen öffnen wollte, spürte er einen stechenden Schmerz in seinem Hals und zwei starke, kalte Hände, die ihn zusammenzudrücken schienen.

Also war er doch hier!? Und nun wollte er Christopher aussaugen. Der Schmerz wollte nicht aufhören und ihm kamen böse Erinnerungen an seine Verwandlung vor etwa zehn Jahren, als sein Stiefvater ausgerastet war. Die genauen Gründe dafür hatte er nie gewusst. Er hatte gar nicht wirklich mitbekommen, dass er zum Vampir wurde. An dem Tag hatte er mit ein paar Freunden bis früh morgens in einem Pub gehangen und kam betrunken nach Hause…

Dann ließ der Schmerz nach und Christopher fiel nach vorn in den Schnee.

‚Nicht tot‘, dachte er glücklich und ihm kam Emilys Bild vor Augen, die jetzt sicher krank vor Sorge sein musste, wo er doch so plötzlich verschwunden war.
 

„Hübsch“, sagte eine sanfte Frauenstimme.

Christopher drehte sich abrupt um und sah eine Frau, die vor ihm hockte und ihn anlächelte. Nicht bösartig, aber voller Ehrlichkeit.

Ihre blonden, gewellten Haare waren durchnässt vom Schnee und ihre Skikleidung ebenfalls.

Sie sah sehr menschlich aus, aber ihre Aura war überwältigend für einen reinblütigen Vampir.
 

Christopher richtete sich auf und hielt ihr eine Hand hin.

„Oh, wie Gentlemen-like, wo ich dich doch so attackiert habe.“ Sie grinste und nahm seine Hand.

„Was wollt Ihr hier?“, fragte Christopher höflich, aber bestimmt.

„Ich bin nur auf der Suche nach Essen, mehr nicht. Der Kampf hat lang gedauert und er ist noch nicht ganz vorbei. Aber ich konnte vorerst fliehen.“

Sie sah traurig in die Ferne.

Christopher sah sie ungläubig an.

„Ihr habt gekämpft? Gegen wen?“

„Du weißt nichts davon? Aber du gehörst doch zur Mittelschicht, die mitgekämpft hat.“

Christopher sah sie perplex an.

„Bitte?“
 

Die Vampirdame seufzte.

„Der Krieg, den wir seit kurzem führen. Es ist ausgeartet, nach langer Zeit. Aber es ist wohl nötig, sonst haben wir niemals Frieden.“

Christopher hatte nicht die geringste Ahnung, welche Konflikte genau in der Welt der Vampire vorherrschten, aber es musste etwas schwerwiegendes sein.
 

„Erzählt mir davon!“

„Doch nicht hier, Junge. Mir ist kalt und ich habe Hunger. Du kommst von einem solchen Ort, nicht wahr? Wie ist das Essen dort?“ Sie rieb ihre Hände und sah ihn erwartungsvoll an.

„Ich“, begann Christopher und er wurde etwas nervös. „Ich werde Euch nicht dorthin führen. Diese Menschen könnt ihr nicht haben, tut mir leid.“

„Oh, du hast sie dir schon reserviert? Und willst mir keinen von denen abgeben? Auch nicht dieses Mädchen?“ Nun wurde ihr Gesicht bösartiger und ihr Grinsen noch breiter.

Christopher wich einen Schritt vor ihr zurück.

„Ihr wisst von ihr? Wie-“ Dann kamen ihm die Fähigkeiten in den Sinn, die reinblütige Vampire hatten und die bei jedem unterschiedlich ausgeprägt waren. Sie musste wohl Gedanken lesen können.
 

„Richtig“, sagte sie und nickte anerkennend. Christopher wurde wütend.

„Vergesst es, ich kann Euch nicht weiterhelfen.“ Er drehte sich um. „Schlagt eine andere Route ein oder…“

„DU drohst mir?“, lachte sie leise auf.

Christopher sah sie über die Schulter hinweg an und knurrte.

„Wenn Ihr mir widersprechen wollt, ja.“ Seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
 

Jetzt lachte sie laut auf.

„Das wagst du nicht. Du weißt nicht, wer ich bin, was?“ Ihr Lachen erstarb wieder zu einem Grinsen und sie ging auf ihn zu. Christopher drehte sich abwehrend um.

Die Frau streckte ihre Hand nach ihm aus und berührte sein Gesicht mit zwei Fingern.

„Mein süßer, kleiner Chris“, säuselte sie und sah ihm in die Augen. Dann fiel Christopher augenblicklich in einen tiefen Schlaf und sie fing ihn in ihren Armen auf.

„Leichtgläubiger“, schmunzelte sie und verschwand mit ihm im Schnee.
 


 

„Emily?“ Anna stand augenreibend im Türrahmen und sah Emily am geschlossenen Fenster stehen.

Sie ging auf ihre Freundin zu und gesellte sich neben sie.

„Es hat total viel geschneit. Echt krass.“

„Ja“, seufzte Emily. „Zuviel. Wir sind eingeschneit.“

Anna sah sie erschrocken an und schaute nochmals aus dem Fenster.

„Oh mein Gott…“

Emily ging ein paar Schritte im Zimmer umher. Sie wirkte unruhig und Anna entging das nicht.

„Hey, was ist los? Wir kommen schon noch nach Hause. Die Räumfahrzeuge kommen bestimmt bis morgen Abend, damit wir übermorgen hier wegkommen.“

Emily sah sie missmutig an, lächelte dann aber gespielt.

„Ach, mir ist nur immer noch kalt. Das war aber auch ein Schneesturm.“
 

Anna setzte sich aufs Bett.

„Ja, das ist wahr. Und Tom war so lieb zu mir…“ Sie fasste sich ans Gesicht und seufzte verträumt.

„Aha?“ Emily setzte sich zu ihr und schaute sie neugierig an.

„Jaa … er hielt mich im Arm und meinte, er habe sich Sorgen gemacht und dass ich ihn nie wieder so erschrecken soll.“ Anna wurde rot.

„Und?“, hakte Emily nach.

„Er hat mich gefragt, ob ich dasselbe für ihn empfinden würde, wie er für mich. Und … als ich Ja gesagt habe, hat er mich geküsst … Oh Gott, war das toll!“ Sie ließ sich nach hinten fallen und quietschte aufgeregt.
 

Emily lächelte müde. Sie fühlte einen Anflug von Neid, doch ließ ihn nicht weiter zu.

„Weißt du, er meinte, er liebt mich schon so lange, aber er wollte mir seine Gefühle nicht aufdrängen und die Freundschaft zwischen uns Dreien vielleicht gefährden. Aber da du ja jetzt Chris hast, konnte er es nicht länger für sich behalten. So ein Glück!“

Anna setzte sich wieder auf und grinste Emily glücklich an.
 

„Und, wie läuft es zwischen dir und Chris?“ Sie klatschte Emilys Bein strahlend ab und sah sie erwartungsvoll an. Doch bei Emilys Gesichtsausdruck normalisierte sich ihr Verhalten wieder.

„Eigentlich gut, sehr gut sogar. Aber … wir haben einige interne Schwierigkeiten, die nicht so leicht zu klären sind … Ja, so kann man’s sagen.“

Sie grinste Anna künstlich an.
 

„Ist es der Sex?“, fragte die direkt heraus und fixierte Emily, die rot wurde.

„N-nein, das nicht. Wir haben ja noch gar nicht … also …“ Sie schaute beschämt zu Boden.

Aber Anna erklären, was es mit ihrem Vampirdasein auf sich hatte, konnte sie auch nicht riskieren.

„Es liegt eher an meinen Eltern und seinem Bruder“, berichtigte Emily sich.

„Eine Romeo-und-Julia-Story??“, fragte Anna neugierig und Emily nickte widerstrebend.

„Kann man so sagen, ja.“
 

Anna stand auf und legte die Stirn in Falten (soweit das mit 17 Jahren möglich war).

„Schwierig. Am besten, ihr zieht zusammen! In eine eigene Wohnung. Dann wäre das doch gelöst – Ok, abgesehen vom Geldproblem…“ Sie löste ihre Probleme wie immer auf ihre eigene Weise. Emily grinste.

„Mal schauen“, sagte sie.

„Hm, wo ist Chris eigentlich? Tom ist unten im Aufenthaltsraum, aber den Kerl hab ich nirgends gesehen. Oder versteckst du ihn, weil er nackt ist und ihr eigentlich…?“ Anna kicherte.

„Quatsch!“, entgegnete Emily. „Er … keine Ahnung. Ich hab ihn selbst nicht gesehen.“

Anna nickte.

„Seltsam.“

„Naja, ich geh dann mal wieder zu Tom, ok? Ich wollte ihm unsere erworbenen Heißmacher präsentieren und vielleicht … wird ja was draus.“ Sie zwinkerte ihr zu und ging zur Tür hinaus.

„Aber-“, erwiderte Emily und Anna steckte ihren Kopf nochmals ins Zimmer.

„Aber?“

„Aber seid vorsichtig, wollte ich sagen.“

„Klar!“ Anna grinste und schloss die Tür. Sie trappelte den Flur entlang und war dann nicht mehr zu hören.
 

Emily starrte lange den Boden an. Ihre Gedanken waren weit weg. Würde ihre Zukunft mit Chris auch so rosig werden? Oder war sie geprägt von Unverständnis, Missgunst und Verfolgung von anderen, außenstehenden Personen…? Könnten sie auch so friedlich leben wie normale Menschen?

Was in der kurzen Zeit, seit sie Chris kennengelernt hat, schon alles passiert war, konnte sie kaum glauben. Was würde dann noch folgen!? Noch schlimmer konnte es doch nicht kommen, oder?
 

Ein Knacken ließ Emily aufblicken und sie erschrak, als das Fenster weit geöffnet war und eine Frauengestalt vor ihr auftauchte, die Christopher im Arm hielt.

Sie grinste und warf seinen leblosen Körper auf Emily zu, die erschrocken auf japste, als sie unter Chris‘ Schwere begraben wurde.

„So jung…“, seufzte die Frau und Emily hielt Christopher zitternd im Arm.

„Wer sind Sie? Was haben Sie mit ihm gemacht?“, fragte Emily sie mit bebender Stimme und den Tränen nahe.

Doch die Frau lachte nur genüsslich.

„Er war lecker. Genau richtig. Wenn auch etwas unbekömmlich, da er … naja … sich widersetzt hat und sein Blut irgendwie etwas sauer geworden ist. Aber…“

Sie kam näher auf Emily zu, die sich tiefer ins Bett drückte und streckte ihre Hand nach ihr aus.

„Oh, dieser hasserfüllte Blick!“, bemerkte sie erfreut.

„Du sollst laut ihm besonders gut schmecken…“

Ihre Finger kamen Emilys Gesicht langsam näher und packten sie dann blitzschnell am Kinn.

Doch genauso schnell fuhr ihre Hand wieder zurück und verkrampfte.

„Was war das?“, fragte sie mit geschocktem Gesicht und hielt ihre rechte Hand bedeckt.
 

Emily wusste genau, was passiert war. Sie hatte das leise Zischen genau gehört und wusste, dass sie für ihre Feinde wieder einmal glühend heiß gewesen sein musste. Diese Eigenschaft gefiel ihr langsam und sie machte sie sich zunutze.

Emily legte Christopher sanft aufs Bett und stand auf.

„Wer sind Sie?“, fragte sie mit hasserfülltem Gesicht und kam der Frau näher.

„Ich bin Mary Antonella Fiers und du solltest mir nicht zu nahe kommen, auch wenn du reinblütig bist. Ich greife dich trotzdem an!“

Emily stoppte.

Reinblütig?

Die Frau lachte.

„Du wusstest es nicht? Was bist du denn für eine?“, lachte sie höhnisch.

„Hat man dir das Gedächtnis geraubt? Wie lange lebst du schon? 18 Jahre erst?“ Die Frau las ihre Gedanken ab wie von einem Blatt. Doch Emily versuchte, sich nicht beirren zu lassen.
 

„Dann wirst du mir wohl auch nicht besonders in die Quere kommen können beim Essen, außer, es gibt noch mehr Vampire hier?“, fragte sie gelassen und sah sich um, als würde sie jemanden zu finden hoffen.
 

Emily ballte die Hände zu Fäusten und schrie nun beinahe.

„Sie werden niemanden mehr aussaugen, klar? Hier ist jagdfreies Gebiet! Verschwinden Sie gefälligst!“

Irgendetwas schien der Frau einen dumpfen Schlag verpasst zu haben, da sie wie verdattert zusammengeschrumpft war und Emily furchtvoll ansah.

Die Frau schluckte, nickte, verbeugte sich vor Emily und eilte in die Nacht hinaus.

Nun war Emily an der Reihe, verdattert dreinzuschauen.

So einfach war es, einen Vampir zu verjagen? Das konnte nicht sein, nie und nimmer. Aber was hatte sie denn jetzt anders gemacht? Ihre Haut hatte die Frau nicht erneut berührt … und allein durch Anschreien konnte man sicherlich keine Monster vertreiben…
 

Dann fiel ihr Christopher ein, der immer noch leblos auf dem Bett lag.

Sie vermutete, dass er dringend Blut brauchte und schloss vorsichtshalber die Türe ab, bevor sie sich über ihn beugte und ihn auf den Bauch umdrehte.

„Chris? Chris!“

Sie tätschelte seine Wangen, doch seine Haut war eiskalt.

Konnten Vampiren sterben, indem man ihnen das Blut aussog? Warum hatte Chris sie nicht aufgeklärt!?

„Chris!!“

Langsam wurde Emily panisch. Sie griff nach einer Schere, die auf dem Schreibtisch in einer Box stand und hielt inne. Sich selbst verletzt hatte sie noch nie, aber für Chris …

Doch wo sollte sie sich verletzten? Wo kam am meisten Blut raus, aber so, dass sie nicht verbluten würde?

Sie entschied sich für ihre Armbeuge und kniff die Augen zusammen.

Dann riss sie mit der Klinge ihre Haut auf und fühlte ihr Herz mehr denn je pochen.

‚Für Chris‘, dachte sie immer wieder und hielt ihren Arm, aus dem das Blut hervorquoll, an Christophers Mund. Doch aus dem quoll es ebenfalls hervor. Er schluckte einfach nicht.
 

Emily stockte. Hatte diese Frau ihn wirklich soweit leergesaugt, dass er …? Nein.

„Nein! Chris! Bitte … bitte! Tu mir das nicht an!“

Zeit

„Nein! Chris! Bitte … bitte! Tu mir das nicht an!“

Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Mittlerweile drückte sie die Wunde am Arm mit aller Kraft zu, um nicht noch mehr Blut zu verlieren.

Chris regte sich nicht und lag weiter mit blutigem Mund auf dem Bett.

Emily sackte in sich zusammen und weinte an sein Bein angelehnt.
 

„Wieso? Chris… Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr… Trink doch!“
 

Und dann spürte sie, wie Chris sich bewegte. Sie sah mit großen Augen auf und er wischte sich gerade den Mund ab. Seine Augen glühten schwach-rot.

„Emily?“, krächzte er und suchte mit seinen Augen den Raum ab, ohne sich aufzusetzen.
 

Emily schluckte den erneuten Tränenwall herunter und stand auf.

„Chris!“ Sie sah ihn zitternd an und er streckte seine Hände nach ihr aus.

Sie setzte sich sofort neben ihn und gab ihm ihren Arm, an dem er schnell und tief sog. Sie spürte, wie ihr schwindelig wurde, doch sie wollte nicht schon wieder ohnmächtig werden, sondern Chris so schnell es ging in die Arme schließen und für immer bei sich behalten.
 

„Entschuldige“, flüsterte Chris, als er endlich von Emily abließ. Sie war bei Bewusstsein, doch nur so gerade noch.

Er nahm sie erschöpft in die Arme und lehnte sich mit ihr an die Wand.

Eine Weile lagen sie sich still und friedlich in den Armen und genossen die gegenseitigen Berührungen.

Christopher strahlte wieder seine gewohnte Wärme aus, obwohl er noch fremdartig nach der anderen Frau roch.

Emily richtete sich langsam auf und sah ihm müde in die Augen.
 

„Ich dachte schon, sie hätte dich ganz ausgesaugt, dass du…“ Sie wollte den Satz nicht beenden und sah zur Seite.

„Dank dir nicht. Wie bin ich eigentlich hierhin gekommen?“

Er sah sich um und dann wieder auf Emily.

„Ihr kamt hierher. Also, die Frau hat dich hierher gebracht.“
 

„Was? Hat sie dir was getan?“ Christopher hielt sich im Zaum, aber er hatte wirklich Angst um Emily und sah ihr in die Augen.

Sie lächelte beschwichtigend.

„Nein, keine Sorge. Aber…“ Emily zögerte.

„Sie hat sich an mir verbrannt und meinte dann, dass ich … reinblütig sei. Sag, stimmt das?“ Emily schaute ihn mit großen Augen an. Doch er war sichtlich geschockt und wusste nicht, was er sagen sollte.

Nach schier endlosen Minuten bewegte er seine Lippen.

„Das würde so einiges erklären. Aber ganz ehrlich: ich weiß es nicht.“

Seine Gesichtszüge hatten sich wieder etwas beruhigt und er sah sie jetzt nur noch besorgt an.

Emily ließ sich wieder gegen seine Brust sinken.
 

„Würde das etwas zwischen uns ändern?“, fragte sie nach langem Zögern und mit zitternder Stimme.

Sie hoffte natürlich, dass Christopher sie nicht enttäuschen würde.

„Ich vermute leider ja.“

Emily löste sich sofort von ihm und sah ihn panisch an.

„Wieso?“

„Wenn du tatsächlich ein reinblütiger Vampir sein solltest, haben deine Eltern sicher schon einen Verlobten für dich. Du-“

„Ich will aber keinen anderen außer dir!“

„-Du musst die Blutlinie bewahren. Die Reinheit muss erhalten bleiben. Da haben wir keine Chance gegen.“

„Warum?“

„Emily, es ist einfach so. Ich weiß nicht besonders viel über uns Vamp-“

„Aber DAS weißt du natürlich?“

„Hör zu! Sowas muss man wissen, egal, welcher Kategorie man als Vampir angehört. Ich habe nie dran gedacht, aber jetzt macht es einen Sinn.“

„Ach so, und welchen Sinn?“ Sie war aufgestanden und konnte seine negative Aura nicht länger ertragen.

„Na, deine ‚Sportlichkeit‘, dein Gourmet-Blut, deine Fähigkeit, Feinde zu verbrennen und dich somit zu schützen, einfach alles!“

„Ach so, das macht mich schon zum Reinblut, ja? Und deswegen können wir nicht zusammen bleiben?“, fragte sie aufgebracht und lief im Zimmer umher.
 

„Wenn jede Liebe so leicht zu erschüttern wäre, ich dachte bei uns…“ Doch nun brachen Tränen aus ihr heraus.

„Ich dachte, wir wären was besonders … Anna und Tom sind so unschuldig verliebt und können ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Warum nicht wir? Bis auf die Tatsache, dass Vampire Blutsauger sind, sind sie doch menschlich! Es würde niemandem auffallen…“ Sie stand am Fenster und ihr tropften die Tränen vom Kinn aufs Dekolleté. Ihr Blick galt nicht Christopher, sondern dem Schnee, der nun friedlich dalag. Der Schneesturm hatte aufgehört, jetzt, wo die Vampirfrau verschwunden war.

„Liebe kann alle Hindernisse überwinden, heißt es, oder?“

Jetzt galt ihr Blick Christopher, der sie die ganze Zeit voll Schmerz angesehen hatte und nun aufstand.

Er wollte sie umarmen, doch sie zog sich zurück.

„Emily…“

Sie umarmte sich selbst und sah ihn nicht an.

„Sag es. Sag, dass das nicht das Ende sein wird. Sag, dass du mich nicht wegen einer solchen Lappalie verlassen wirst!“ Sie kniff die Augen zusammen.

Christopher ließ die Arme fallen und sein Gesicht sah entnervt aus.
 

„Emily … wenn wir uns nicht aus freien Stücken trennen, werden SIE es tun. Und das wird für mich … w-wir werden keine Chance haben, wenn du tatsächlich reinblütig sein solltest. Glaube mir einfach.“ Er klang flehend und Emily sah ihn wieder an.

„Aber ich will nicht! Wir werden kämpfen! Bis aufs Blut! Chris … ich liebe dich. So sehr…“ Jetzt zog Chris sie in seine Arme und hielt sie fest. Sie umklammerte ihn ebenfalls und weinte in sein Oberteil.

„Ich dich doch auch, Emily!“, antwortete er und sog den Duft ihrer Haare ein.

„Lass uns erst mal abwarten, bis wir die Wahrheit kennen. Dann können wir uns einen Schlachtplan zurechtlegen, ok?“

Er strich ihr durchs Haar und sie nickte schluchzend.
 

Der nächste Tag verlief weitgehend gut.

Der größte Teil der Schneemassen war über Nacht wie verschwunden, nicht geschmolzen, aber als hätte jemand alles weggeschippt. Die Räumfahrzeuge taten ihr übriges und man konnte sich wieder frei bewegen und raus gehen.

Die drei vermissten Schüler wurden bei einem Bäcker aufgefunden, bei dem sie in der ersten Etage hatten übernachten können und alle waren heilfroh, dass niemandem etwas passiert war.

Tom und Anna waren frisch verliebt und hingen nur aufeinander und Emily und Chris verdrängten beide die vielleicht bittere Wahrheit über Emilys Blutlinie und gaben sich ebenfalls fröhlich.

So neigte sich auch die Kursfahrt dem Ende entgegen und am Abend herrschte rege Aufbruchstimmung.

Koffer wurden hervor gezerrt, Klamotten flogen herum und die Leute rannten von einem ins andere Zimmer.
 

„Wie kann man in vier Tagen nur so viel Chaos schaffen?“, fragte Christopher mit hochgezogenen Augenbrauen, als er auf seinem Bett saß und Tom beim Aufräumen zusah.

Der sah achselzuckend auf.

„Gute Frage. Aber wenn ein Mädchen mit im Zimmer war, kann sowas mal passieren.“

„Huh? Dass deine Klamotten rumliegen- aaah.“ Christopher grinste.

„Anna?“, fragte er schmunzelnd und war aufmerksamer.

Tom nickte nach kurzem Zögern.

„Jaah. Die waren doch gestern vor dem Schneesturm shoppen und haben auch Unterwäsche eingekauft…“

Er wurde rot und drehte sich mit dem Rücken zu Christopher, um vorsätzlich ein T-shirt zu falten.

„Und sag bloß, ihr habt es getan?“

Tom erstarrte kurz, aber überspielte das mit einem Grinsen über seine Schulter.

Christopher nickte anerkennend.

„Es war toll! Bis ich…“ Er drehte sich um und ließ sich aufs Bett fallen. Sein Grinsen war verschwunden und er sah Christopher seufzend an.

„Bis was?“, hakte Christopher nach.

„Bis ich nicht mehr konnte. Wir waren gerade so…heiß und dann konnte ich nicht mehr. Einfach so. Es war schrecklich.“ Er faltete die Hände über der Stirn und sah Richtung Boden.

Christopher nickte mitleidig.

„Du liebst sie einfach zu sehr. Nichts verwerfliches, aber … setz dich nicht unter Druck, dass euer erstes Mal perfekt sein soll. Das klappt sonst nie.“

Tom grunzte abfällig.

„Super. Soll ich sie enttäuschen?“

„Das hast du doch schon.“

Tom sah ihn nachdenklich an.

„Ich versuch‘s. Was ist denn mit Emily und dir? Habt ihr schon-“

„Nein. Wir warten auf den perfekten Moment.“

Tom nickte.

„Nicht, dass es dann auch so ’ne Pleite wird … das war‘s dann mit dem perfekten Moment.“

Er lachte missbilligend auf und erstarb wieder.

Christopher sah ihn schmunzelnd an.

„Ich hoffe nicht, nein.“
 

Wenige Stunden später saßen sie in England im Zug, der vom Flughafen abfuhr und alle nach London zurückbrachte.

Emily konnte vor lauter Aufregung kein Auge zumachen und saß wie auf heißen Kohlen je näher sie Kings Cross kamen. Bald schon konnte sie ihre Eltern über die vielleicht bittere Wahrheit befragen.

Christopher hielt die ganze Fahrt über ihre Hand fest in seiner und hatte die Augen geschlossen, als würde er schlafen. Er wollte sie beruhigen, doch wenn er selbst sich nicht sicher war, ob sie auch später noch zusammenbleiben konnten, half das Emily wenig.

Wenn ihre Eltern genau deswegen immer so ausgetickt waren, war das wahrscheinlich das Ende. Oder sie würden Christopher töten, wenn sie sich wiedersetzte. Das wäre dann allein ihre Schuld gewesen.

Aber von ihm getrennt zu werden? Für immer…? Lieber würde sie sterben!

Aber ihn am Leben zu wissen, ihn in der Schule sehen zu können und mit ihm später, wenn er bei allen in Vergessenheit geraten wäre, zu fliehen … auch keine schlechte Idee. Es wäre zumindest ertragbar.
 

Sie musste ein sehr angestrengtes Gesicht gemacht haben, als Anna sie antippte.

Emily sah erschrocken auf.

„Was?“

„Ärgert dich was?“, fragte Anna mit einem Schmunzeln über ihre Tagträumerei.

Emily grinste unbehaglich.

„Nein, ich hab nur keine Lust auf Zuhause…“

Sie seufzte und sah aus dem Fenster, wo entfernt der Big Ben und das London Eye zu sehen waren. Es dauerte also nicht mehr lange…

„Warum? Stress mit deinen Eltern?“

„KANN man so sagen“, presste sie heraus und sah wieder ernst drein.

„Das ist Mist. Ansonsten komm zu mir, ich hab immer einen Schlafplatz für dich. Kannst auch bei mir wohnen! Ich hab niemanden, der mich nerven könnte.“ Anna zwinkerte ihr zu und wurde prompt von Emily umarmt. Daran hatte Emily nicht gedacht gehabt.

Annas Eltern hatten sich vor einem halben Jahr getrennt und ihr eine eigene kleine Wohnung geschenkt, damit es keinen Streit gab, zu wem sie ziehen sollte. Auch überwiesen sie ihr monatlich genug Geld zum Leben, sodass Anna sich voll und ganz auf die Schule konzentrieren konnte und nicht arbeiten gehen musste.

„Danke!“

„Immer gern.“

„Und wenn Tom bei dir ist?“

Tom spitzte die Ohren, als Emily seinen Namen erwähnte.
 

„Dann machen wir ‘nen flotten Vierer, wenn du Chris auch noch mitbringst.“

Er grinste die beiden Mädchen und Christopher an.

„Jaah, klar“, meinte Christopher und wurde ein wenig rot.

„Aber einen Pyjamaabend kann man doch machen, oder? Vier Leute sind eh das Maximum an Platz in meiner Wohnung.“ Anna sah zur Decke und dachte nach.

„Ja. Vier Leute.“ Sie grinste in die Runde.

Emily ließ Anna immer noch nicht los.

„Danke, wirklich!“ Sie blinzelte Tränen weg.

„Gern doch.“ Anna umarmte sie ebenfalls fest.
 

Der Zug fuhr mit quietschenden Rädern im Bahnhof ein und kam schließlich zum Stehen.

Emily suchte aus dem Abteil heraus ihre Eltern und sah sie schließlich ziemlich am Ende des Bahnsteigs nahe der Halle mit wachen Augen stehen.

Christopher stieg als erstes aus und Emily sah, das er in die Richtung ihrer Eltern nickte. Als sie aus dem Zug gestiegen kam, waren Eva und Albert auf dem Weg zu ihnen und sahen Emily freudig an.

„Hallo mein Schatz“, begrüßte ihre Mutter sie freudig und umarmte sie, doch Emily machte keine Anstalten, sie ebenfalls zu umarmen. Sie hielt lediglich ihre Jacke in ihrem Arm und ließ die Begrüßung über sich ergehen. Das hatte Albert bemerkt und hob die Hand.

„Hi Schatz.“

„Hi Dad“, antwortete Emily mit müdem Lächeln.

Eva verzog das Gesicht und zog Emily am Arm neben sich her aus dem Bahnhof heraus.

„Und, wie war es-“

„Wir müssen reden!“

Sie hatte sich aus Evas Arm befreit und sah nun ihren Vater und sie an, während Christopher sich neben sie gestellt hatte und ihren Rücken berührte.
 

Ihre Eltern sahen Emilys ernsten Gesichtsausdruck und waren sofort alarmiert.

„Was ist passiert?“, knirschte Albert und sah zu Christopher, der keine Miene verzog.

Der klopfte Emily leicht auf den Rücken und sie sah zu ihm hoch.

„Ich kenne ein Café, wo man ungestört reden kann.“
 

Albert und Eva nickten und zusammen gingen sie zum Auto und Christopher führte sie auf schnellstem Weg zu einem kleinen Café in einer Seitenstraße kurz vor dem London Eye.

Sie betraten den modernen, kleinen Laden und Christopher führte sie zu einem größeren Tisch mit Sitzbank, der ziemlich abseits vom Verkaufstresen und den übrigen, wenigen Tischen, die halb besetzt waren, gelegen war.

Als sie saßen, war sofort ein Kellner zur Stelle und alle bestellten sich Getränke.
 

„Nun?“, stocherte Eva nach und seufzte laut auf. Ihr graute es vor dem, was auch immer die beiden ihnen zu sagen hatten.

Doch bevor Emily anfangen konnte, bekamen alle ihre Getränke und sie wartete, bis der Kellner außer Hörweite war.

Sie tippte nervös an ihrem Wasserglas und dachte nach, wie sie anfangen könnte…
 

„Sagt mal … wie habt ihr mich immer davon abhalten können, ein richtiger Vampir zu sein?“, begann sie schließlich und sah ihre Eltern missmutig an.

„Was? Oh, ähm … Wir haben von MYKO von Anfang an eine Impfung für dich bekommen gehabt, die du alle 5 Jahre erneuert bekommen hast. Die nächste Impfung wäre dieses Jahr dran…“

„Vergesst es!“, sagte sie laut und ihre Finger krallten sich in ihre Beine.

„Wir denken, du solltest langsam erwachen, Schatz, also bekommst du auch keine Impfung mehr.“

Albert hatte beruhigend auf sie eingeredet und Emily sah verwundert auf. Sie würde ihre Kräfte nicht mehr unterdrückt bekommen? Sie würde endlich zum Vampir werden?

„Wieso auf einmal?“, fragte sie verdutzt und sah abwechselnd Christopher und ihre Eltern an.
 

„Naja, langsam sollte dein Wachstum erst mal gehemmt werden. Ab jetzt wirst du wichtige Aufgaben bekommen, die nicht leicht zu meistern sein werden. Und dafür brauchst du deine besonderen Kräfte.“

„Wo wir bei meiner eigentlichen Frage wären.“, ergänzte sie und holte tief Luft. Christopher ergriff unter dem Tisch ihre Hand und wand sie in seine. Er spürte deutlich, dass sie vor Aufregung eiskalt war und zitterte.

„Die wäre?“, fragte ihre Mutter mit freundlicher Stimme und lächelte.
 

„Bin ich … reinblütig?“, sagte sie mit bebender Stimme und traute sich nicht, aufzusehen. Sie ließ ihren Kopf gesenkt und kniff die Augen zusammen, jede Sekunde darauf gefasst, eine Antwort zu hören.

Doch ihre Eltern sahen sich nur schuldbewusst an und dann erst auf Christopher, der sie erwartungsvoll anstarrte.

„Schatz, du bist trotzallem ein normales Mädchen, wie jetzt auch, wie früher. Es-“

„Bin ich es? Oder nicht?“, wiederholte sie mit Nachdruck und sah nun ungeduldig auf.
 

Ihre Mutter nickte.
 

Emily riss es vor Wut in die Höhe.

„Toll, dass ich es jetzt erfahre! Und, was ändert sich alles, huh? Sagt mir jedes Detail!“, schrie sie beinahe.

Sie wollte nicht so in Rage geraten, aber die Vorstellung, eine derartige Antwort zu erhalten im Gegensatz zur realen Situation war doch ein großer Unterschied. Es war endgültig und eine bittere Wahrheit.

Christopher zerrte sie wieder nach unten auf ihren Sitzplatz und zog sie an seine Brust.

Sie krallte sich an ihn und ließ ihr Gesicht halb verdeckt an ihm ruhen.

Ihr Atem ging unregelmäßig und sie zitterte gut sichtbar am ganzen Körper.
 

„Emily, es wird sich … einiges ändern, aber nicht alles.“

„S-sagt mir nur eins: was ist mit Christopher und mir?“, fragte sie mit bebender Stimme und ihr linkes Auge, was noch zu sehen war, blinzelte schnell hin und her.

Eva sah ihren Mann seufzend an, wandte sich dann wieder Emily zu und antwortete: „Du hast bereits einen Verlobten, tut uns leid. Es ist unumgänglich. Ihr werdet keine Zukunft haben, allein schon, weil Christopher kein reinblütiger Vampir ist.“

„Es tut uns leid, Emily.“
 

Emily war erstarrt.

Das Unmögliche war eingetroffen. Das Unfassbare. Das Endgültige?

Sie befreite sich von Christopher, der ebenfalls erstarrt war, aber das Ganze, so schien es, besser hinnehmen konnte als sie.

Emily konnte keine Worte finden für das, was sie fühlte.

Enttäuschung, Trauer, Wut … all das beschrieb ihr Innerstes nicht mal annähernd.

Sie durfte nicht mit dem Mann zusammen sein, den sie liebte. Den sie mehr liebte als jemals irgendjemanden. Den sie mehr schätzte und dem sie mehr vertraute als sich selbst.

Er war ihr Leben und nun musste sie ihn verlassen für jemand fremden?
 

Benommen stand sie ohne ein weiteres Wort auf und ging aus dem Laden, den Blick ins Nichts gerichtet. Nicht einmal Christopher konnte sie zurückrufen oder zurückblicken lassen, als er ihren Namen rief.

Der kalte Novemberwind blies ihr scharf ins Gesicht und Tränen strömten lautlos ihre Wangen hinunter, doch sie spürte ohnehin nichts mehr.

Ihre Zukunft war verplant und sie konnte nichts daran ändern!? Würde man Chris umbringen, wenn sie sich widersetzte? Lag es allein in ihrer Hand? Würde sie es riskieren wollen, den einzigen Mann, der sie jemals glücklich machen würde, umbringen zu lassen, bloß, damit sie mit ihm zusammen sein konnte?
 

Emily kam an der Brüstung zur Themse an und sah ins schwarze Wasser hinab.

Es kam ihr vor, als würde es sie begrüßen wollen, doch sie kam nicht voran. Sie wollte rüberklettern, doch sie kam nicht von der Stelle.

Dann spürte Emily einen heißen Abdruck auf ihrer Wange und sah langsam neben sich. Ein verschwommenes Gesicht wurde immer klarer und Christopher formte sich aus dem Nebel, der sie traurig ansah.

„Chris“, flüsterte sie heiser und er umarmte sie und riss sie von der Brüstung weg.

„Oh Emily, was tust du? Bleib bei mir!“, hauchte er mit schmerzverzerrter Stimme an ihr Ohr.

Emily sank in seinen Armen zusammen und schluchzte auf.

„Aber du wirst getötet! Sie werden dich umbringen! Ich kann das nicht zulassen … “

„Nein, Emily, nicht. Keiner wird mich töten. Alles wird gut, ja? Hey…“ Er sah sie an, doch sie war zu schwach ihren Kopf ebenfalls zu heben und so fasste er sie mit der linken Hand am Kinn und drückte sie nach oben. Ihre Augen waren gerötet und Tränen liefen über ihre eiskalten Wangen.

„Hörst du? Ich bleibe am Leben und immer bei dir, klar? Was könnte mich schon von dir trennen?“

Er rüttelte sie leicht, da sie keine Reaktion von sich gab.

„Emily! Hast du verstanden?“, ermahnte er sie und sah ihr scharf in die Augen.

Sie hickste und nickte leicht.

„J-ja…“, flüsterte sie.

Christopher umarmte sie wieder fest und küsste ihr Haar.

„Ich werde dich nie allein lassen, egal, wer hinter mir her sein sollte. Du bist mein Grund zum Leben!“, sagte er mit voller Ernsthaftigkeit und hob sie vom Boden ab. Emily hielt ihn nun ebenfalls fest in ihren Armen und weinte nun nicht mehr wie in Trance, sondern ausgiebig und laut an seiner Schulter.
 

Dass jemand jemals solche Gefühle für sie haben würde, hätte sie früher nie geglaubt. Von solch einer unendlichen Liebe wagen die wenigsten zu träumen und leben dementsprechend gehemmt oder über die Maße. Doch sie schien sie wahrhaftig zu erleben und war mehr als glücklich.
 

„Chris … ich liebe dich!“, sagte sie schließlich mit zitternder Stimme, als er sie wieder vorsichtig am Boden absetzte und vorsichtshalber noch festhielt.

Er lächelte sie sanft an.

„Ich liebe dich auch.“

Dann küsste er sie ausgiebig und lange und sie schmiegte sich an ihn. Sie hatte wieder einigermaßen Kraft in ihren Gliedmaßen und zog ihn näher zu sich heran.

Beide genossen die Nähe und das warme Innere des anderen, dass sie Emilys Eltern nicht kommen hörten.

Erst, als Albert sich räusperte, stoben sie auseinander.
 

„W-wir … ich komm heute nicht mehr nach Hause. Anna macht eine Pyjamaparty und ich wollte dahin“, sagte Emily schnell, um vom Thema abzulenken, bevor ihre Eltern etwas anderes sagen konnten.

Sie sah unschuldig auf und lächelte leicht. Damit hatte sie ihre Eltern immer rumgekriegt und so auch heute.

„Ist gut. Aber ruf an, wenn was sein sollte. Was ist mit Schlafsachen?“, antwortete ihre Mutter sanft.

„Ach, ich bekomm doch immer was von Anna, das ist schon ok.“

„Aber komm morgen nicht so spät nach Hause. Wir wollen dich auch nochmal sehen, bist ja schließlich unsere Tochter“, fügte ihr Vater hinzu und sah sie streng an. Emily nickte vehement.

Sie nickten schließlich und gingen mit Emilys Koffer zurück zum Auto. Als sie in der nächsten Gasse verschwunden waren, atmete Emily auf und sah Christopher glücklich an.

Der jedoch runzelte die Stirn und sah noch immer in die Richtung, wo Eva und Albert verschwunden waren.
 

„Was ist los?“, fragte sie überrascht und sah ebenfalls in seine Blickrichtung.

„Ich frage mich, was das soll.“

„Wie?“

„Naja, schau mal … einerseits sind sie so gegen mich und unsere Beziehung, aber dann lassen sie uns auch wieder allein und scheinen zu glauben, wir würden uns den ganzen Tag über nicht sehen. Das kann ja wohl nicht sein.“

„Du denkst also, sie … bespitzeln uns? Und tun nur so, als ob sie mir vertrauen würden?“, fasste Emily seine Gedanken zusammen und sie erschienen ihr relativ logisch.

Es war wirklich seltsam gewesen. Die Abende, an denen sie die beiden (beinahe) erwischt hatten, waren sie vollkommen ausgetickt und heute ließen sie sogar eine gemeinsame Übernachtung zu, die mehr als offensichtlich war, auch wenn Emily extra nur für sich selbst gesprochen hatte.
 

Sie seufzte.

„Was sollen wir dagegen machen? Besser so als gar nicht, oder?“ Emily hatte sich zum Gehen umgewandt.

Christopher fuhr unruhig herum.

„Ja, wahrscheinlich schon.“

Emily lächelte über die Schulter zurück.

„Ich ruf am besten mal Anna an.“

Schon zückte sie ihr Handy und drückte zweimal die Tasten, als sie Anna schon dran hatte.

„Hey, Anna. Gut angekommen? … Jaah, klar, hehe. Du, ich wollte fragen wegen … genau. … JA? Du bist ein Schatz, echt! … Danke. Wann? … Ok, bis später! Ich dich auch, bye.“
 

„Und?“, hakte Christopher nach, obwohl nach Emilys Reaktionen klarstand, dass sie heute Abend kommen konnten.

„Geht klar, wir können ab 5 Uhr zu ihr.“ Emily grinste. Sie war froh, dass die Aussicht auf heitere Stunden ausgelassen sein bevor standen mit den Menschen, die sie im Moment am liebsten um sich hatte.

Sie ging wieder auf Christopher zu und schmiegte sich an ihn.

„Na, Kätzchen?“, grinste er scherzhaft und tätschelte ihren Kopf.

Sie schnurrte auf seine Reaktion hin wie eine Katze und musste lachen.

Dass Freud und Leid so nah beieinander lagen, hatten wohl beide nicht gewusst. Sie umarmten sich wieder und Christopher flüsterte beinahe in ihr Ohr.

„Und was machen wir jetzt?“

Emily wurde rot, aber sie wusste selbst nicht, warum.

Sie ließ etwas von ihm ab und sah ihm in die Augen.

„Hast du ‘ne Idee?“, fragte sie unschuldig.

Er sah nachdenklich in die Luft und legte seine Stirn gegen ihre.
 

„Wir könnten zu mir. Robin dürfte in Schottland sein. Der wollte sich mit anderen Vampiren dort treffen.“

Er grinste schelmisch und Emily wurde misstrauisch.

„Gern. Und dann?“, hakte sie nach.

„Och … lass uns schauen, wenn wir da sind, ja?“, antwortete er geheimnisvoll. Sie nickte schließlich und malte sich auf dem Weg zu seinem Haus 1000 Dinge aus, die sie dort erwarten konnten. Aber wenn er schon vorschlug, dass sie zu ihm gingen und sie waren dort allein, konnte es ja nur eins bedeuten und sie war mehr als nervös, aber der perfekte Moment war es in jedem Fall.

Nur der Gedanke, dass ihre Eltern sie beschatten würden, kratzte etwas an der heilen Welt, die sie gerade erfuhren. Könnten sie sich dann voll und ganz ihrer Liebe hingeben, wenn die Gefahr bestand, dass jeden Moment jemand alles zerstören könnte?

Doch sie hoffte inständig, dass ihre Eltern ihr ganz vertrauten und alles nur Hirngespinste waren.
 

Ehe sie sich versah, war sie mit Christopher an seinem Haus angelangt. Er öffnete ihr galant das schmiedeeiserne Tor und öffnete ihr ebenfalls ganz gentlemen-like die Haustür.

Doch Emily entfuhr ein kleiner Überraschungslaut, als Robin ihr gegenüberstand.

Er sah sie ebenfalls perplex an und als Christopher hinter Emily auftauchte, nickte er.

„Aha, wer kommt denn da?“, feixte er und machte den beiden Platz.

„Solltest du nicht schon längst in Schottland sein?“, grummelte Christopher im Vorbeigehen und schob Emily voran ins Haus hinein.

Robin schloss die Tür hinter den beiden, um nicht zu viel Sonnenlicht herein zu lassen.

„Ich wollte gerade los, aber … ihr scheint was Wichtiges vorzuhaben, hm?“
 

Christophers Gesicht verfinsterte sich und er bleckte wohl die Zähne, da Robin direkt darauf ansprang und in Angriffsposition überging.

Emily lief sofort zwischen die beiden und drückte sie auseinander.

„Was soll das? Aufhören!“, befahl sie und sah beide abwechselnd an.

„Als ob mich ein Mensch aufhalten könnte“, lachte Robin abwertend und zog ihr Handgelenk an seinen Mund.

Emily zuckte zusammen und Chris schritt sofort ein.

„Robin, ich warne dich!“, sagte er erzürnt. „Sie ist kein Mensch!“

„Chris!“, erschrak Emily und sah ihn unverständlich an. Sie schüttelte leicht den Kopf und gebot ihm Einhalt.

Es musste ja nicht jeder gleich wissen, wer sie wirklich war, wenn sie noch nicht mal Reißzähne und kein Verlangen nach Blut hatte.
 

Robin horchte auf und ließ von ihrem Handgelenk ab.

„Was bist du denn dann? Eine Hexe“, beantwortete er seine Frage selbst und machte sich bereit zum Beißen. Seine spitzen Zähne ragten aus seinem Mund heraus und er sah Christopher kampflustig an. Emily hatte noch immer die Hand auf Christophers Brust als Abwehr liegen.

„Emily, sag es ihm. Los.“ Christopher wurde ungehalten und schien jeden Moment bereit, auf seinen Bruder loszugehen.

Emily sah respektvoll auf Robins Zähne und war darauf gefasst, sie jeden Moment in ihrer Haut zu spüren.

Sollte er es doch wagen…

Doch im letzten Moment bekam sie Angst und Robin wich mit einem Ruck vor ihr zurück.

„Hexe“, nuschelte er und rieb sich seine Hand, die rot vor Hitze war.
 

„Ich bin keine Hexe!“ Langsam verlor sie selbst die Geduld mit ihm.

„Ich…“, begann sie, doch wusste nicht recht, was sie sagen sollte.

„Robin, sie ist ein reinblütiger Vampir“, kam Christopher ihr zuvor und nahm Emilys Hand.

Robin richtete sich auf und sah misstrauisch auf Emily herab.

„Das … ist ein Scherz, oder? Ihr wollt mich verarschen“, lachte er dunkel und schüttelte den Kopf, während er sich seine Jacke von der Garderobe nahm.

„Guter Witz“, brüllte er auf und blieb an der Türschwelle stehen.

„Es ist kein Witz“, sagte Emily und sah ihn ernst an.
 

Er blickte über die Schulter zurück und drehte sich schließlich ganz um.

„Du meinst es ernst, Kleine? Aber du hast doch nicht mal die Zähne dafür. Und Blut trinkst du auch nicht, oder?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Na siehst du. Wo habt ihr bloß den Schwachsinn her? Reinblütige Vampire sind heutzutage sowas von selten. Und dann halten sie sich nur mit ihresgleichen auf und verachten jegliches ‚Untervolk‘. Und du sollst eine von denen sein?“

Sie nickte.

Robin lachte abermals und verschwand nach draußen.
 

Emily holte tief Luft. Warum glaubte er ihr nicht?

„Er wird sich noch wundern“, sagte Christopher mürrisch und zog sie sanft in Richtung Wohnzimmer. Als sie gerade auf dem Weg dorthin waren, hörten sie ein leises Klacken.

Beide wandten sich wieder zur Haustür um und entdeckten Robin, der mit finsterer Miene die Tür schloss und auf sie zukam.

„Los, erzählt mir mehr“, sagte er mit rötlichen Wangen.

Emily atmete erleichtert auf und sie setzten sich auf die beiden Sofas im Wohnzimmer. Christopher zog vorsorglich die Vorhänge zu, falls jemand zu neugierig werden würde.

Robin platzierte sich neben Emily, die näher an Christopher saß und sah beide misstrauisch an.

„Aber fasst euch kurz, ich hab nicht alle Zeit der Welt. Die anderen warten.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust.

Emily sah erst Christopher an, dann wieder Robin.

„Ich … habe es eben selbst erst von meinen Eltern erfahren“, begann sie und wurde direkt unterbrochen.

„Deine Eltern sind auch Reinblüter?“

Emily starrte auf seine Arme und sah Robin dann wieder an.

„Ich weiß es nicht … das haben sie nicht gesagt.“

„Ich kann es auch nicht klar sagen, in ihrer Gegenwart fühle ich mich immer nur leicht unterdrückt und unerwünscht, aber sie besitzen beide keine Aura wie es üblich ist“, sagte Christopher mit Nachdruck.

„Den reinblütigen Vampir auf der Kursfahrt hab ich schon in weiter Ferne aufgespürt gehabt“, fügte er hinzu.

Robin sah seinen Bruder überrascht an.

„Du hast ein Reinblut getroffen? In Deutschland?“

Christopher nickte.

„Es war eine Frau.“

„Hm …“ Er nickte und sah wieder zu Emily. „Und du sollst auch reinblütig sein? Woran erkennt man das denn?“

Emily stutzte.

„Chris meint, mein Blut wäre wohl ganz anders, oder?“ Sie drehte ihren Kopf zu ihm und sah ihn fragend an.

Der sah sie ein wenig geschockt an.

„Nun ja, für mich schon. Aber…“

Doch Robin hatte Emily schon rücklings auf Christopher fallen lassen und beugte sich über sie.

„Ich würde es zu gerne testen…“, flüsterte er mit dunkler Stimme.

„Robin! Wag es dich ja nicht. Du hast sie doch schon mal ausgesaugt!“, motzte Christopher rum und ballte seine Fäuste.

Robin sah von Emily auf.

„Erzähl keinen Mist. Ich hatte keine Gelegenheit dazu. Ich durfte lediglich die Zähne in ihr versenken, mehr war da nicht, glaub mir. Sonst würde ich dich bestimmt verstehen, weshalb du so heiß auf sie bist.“

Christopher wusste darauf nichts zu antworten.

Robin beugte sich erneut herunter und sah Emily in die Augen.

„Darf ich?“, fragte er und Emily blinzelte verwirrt.

Er fragte sie, ob er ihr Blut saugen durfte? Seit wann das? Aber … was sprach dagegen? Wenn es nur ein bisschen war…

Sie nickte leicht, doch Christopher hielt Robins Kopf fest, bevor der zubeißen konnte.

„Ist das dein ernst, Emily? Bist du sicher?“ Er sah sie missmutig an, doch sie nickte und lächelte.

„Schon ok. Halte ihn auf, wenn er zu viel trinkt.“

Robin knurrte unter Christophers Hand.

„Lass mich los!“ Er zuckte zurück und schnappte nach Christophers Hand, doch der hatte sie schon weggezogen.

„Na dann los. Aber ich warne dich, Bruderherz…“

Robin schnellte herunter und Emily keuchte auf, als er seine Zähne in ihren Hals bohrte.

Sie verkrampfte. Er trank viel fordernder als Christopher und hielt sie fest zwischen seinen großen Händen.

Christopher sah dem Spektakel missgelaunt zu und streichelte Emily über die Wange. Sie schien so hilflos in seinen Armen. Er beugte sich zu ihr hinunter.

„Alles ok?“

„Ja“, flüsterte sie und schloss die Augen, um Christopher zu küssen.

Unbewusst drückte sie Robin tiefer zu sich heran und begann Christopher hektischer zu küssen und mit der freien Hand in seinen Haaren zu wuseln. Ihr Verstand schien sich zu verabschieden, als sie merkte, wie sehr sie erregt war und langsam kraftloser wurde.

Das heiße Blut, was ihren Hals entlang floss und der heiße Atem der beiden Jungs kamen ihr vor wie eine Orgie und sie genoss es auf unerklärliche Art und Weise.

Christopher genoss diese zügellose Art von Emily ebenso, doch als er merkte, dass sie schwächer wurde, sah er auf und löste sich von ihren Lippen.

„So, das reicht, du Nimmersatt!“

Mit einem wuchtigen Schlag gegen die Schulter fiel Robin rückwärts auf die andere Sofalehne und schnappte nach Luft. Christopher setzte Emily, die die Augen geschlossen hielt und keuchend atmete, aufrecht und hielt sie von hinten in den Armen.

Robin lachte leise auf und setzte sich wieder aufrecht hin. Er leckte die letzten Tropfen Blut genüsslich von seinen Lippen und seine Augen leuchteten Dunkelrot.

„Ok, jetzt hab ich‘s verstanden. Du bist wirklich ganz besonders lecker. Und ich fühle mich seltsam stark und satt…“ Er grinste sie an, doch Emily war immer noch wie in Trance.

„Toll, dann kannst du ja jetzt gehen“, knurrte Christopher und lehnte sich weiter nach vorne, um sie zu schützen.

„Keine Panik, ich bin schon weg. Was ein Festschmaus…“, summte er und verschwand schließlich nach draußen.
 

Christopher seufzte und schüttelte den Kopf. Was für ein Idiot…

Emily löste sich langsam von ihm und verharrte schließlich wieder.

„Bist du wirklich ok? Ich bringe dich ins Bett, ja?“, fragte Christopher besorgt nach und berührte sie am Arm.

„Nicht ohne dich“, murmelte sie leise, doch Christopher hatte es gehört, als hätte sie es geschrien.

Er lächelte.

„Ich komme doch mit, klar. Ich bewache dich.“

Doch sie drehte sich hektisch um, warf sich diesmal mit Absicht auf ihn und küsste ihn erneut voller Gier.

Er sah sie überrascht an, doch war alles andere als abgeneigt, ihren Kuss zu erwidern.

Emily keuchte auf, als sie sich kurz von ihm löste.

„Chris…“

Ihr Blick war verschleiert und Christopher musste nicht einmal erraten, was sie wollte. Es stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Der heiße Atem, der fordernde Kuss, ihr Körper … alles beschrieb nur ein Wort.

Der Andere

Er nickte und nahm sie auf seine Arme. Emily klammerte sich an ihn und küsste ihn den Hals entlang, während er sie die Stufen zu seinem Zimmer hochtrug.

Doch als sie anfing, an seinem Ohrläppchen zu knabbern, hielt er inne und seufzte auf.

Sie öffnete die Augen.

„Was ist?“

„Das ist meine Schwachstelle…“, sagte er mit zitternder Stimme und lachte leise.

Emily grinste verzückt und setzte nun auch ihre Zunge ein und sog an seinem Ohrläppchen und umkreiste es.

Christopher schwächelte und musste sich am Geländer abstützen, bevor er am Boden kniete.

„Emily…“

„Das man dich so rumkriegen kann…“, säuselte Emily in sein Ohr und nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände. „Rate mal, wie man mich rumkriegen kann…“
 

Er grinste sie an.

„Da weiß ich glaub ich was…“, flüsterte er an ihr Ohr und ließ sie auf den Boden sinken, während er an ihrem Hals hinabglitt und ihren Duft einzog.

Sie krallte sich an ihm fest und als sie den Boden unter sich spürte, versuchte sie seine Schultern zu fassen, doch erwischte nur noch den Kopf der in Bauchhöhe angelangt war.

Sein heißer Atem drang durch ihren Pulli und sie wurde beinahe verrückt, weil er nichts mehr tat. Er war in der gebückten Haltung über ihr fast erstarrt.

Als sie sich mit den Ellbogen am Boden aufstützte, um Chris anzusehen, sah sie in sein dunkles Gesicht und seine leuchtend-roten Augen. Er kam ihrem Gesicht wieder näher und schloss die Augen.

„Wenn du es wagen kannst, mit einem Vampir zu schlafen…“, sagte er neckisch und öffnete dann wieder seine rot-leuchtenden Augen, die sie in ihren Bann zogen.

„Mit niemand anderem außer dir“, bestätigte sie ihn und küsste seine Nasenspitze.

„Emily…“, seufzte Christopher und beugte sich über sie, um sie ebenfalls ausgiebig zu küssen. Ihre Zungen verknoteten sich beinahe und beiden war die Lust aufeinander deutlich anzusehen.
 

Christopher riss sich aber soweit zusammen, dass er Emily in sein Zimmer trug und sie auf sein Bett legte.

Die Vorhänge waren zugezogen und nur ein kleiner Spalt Licht trat von außen ein.

Emily sah so gut wie nichts, doch hörte ihrer beider Atem wie das Ticken einer Uhr.

Christophers Hände schienen überall zu sein und er sah wohl genau, wo was war, so bestimmt setzte er seine Techniken ein.

Sie fühlte sich fast nutzlos und egoistisch, weil sie nie dazu kam, ihm ebenfalls das zu geben, was er brauchen würde, um dem Abgrund so nahe zu kommen wie sie es im Moment war. Doch konnte sie überhaupt mit ihm mithalten, wenn sie es versuchen würde? Sie fühlte sich unglaublich, obwohl er so sanft zu ihr war und ihr Atem ging nur noch stoßweise.

Versuchsweise tastete sie sich an ihm entlang und er zog sie plötzlich auf sich. Das war ihre Chance.

Ihr war das alles kein bisschen peinlich, obwohl sie immer gedacht hatte, dass gerade beim ersten Mal noch Scham vorherrschte. Doch sie probierte alles aus, was sie in den letzten 18 Jahren an Erfahrungen gesammelt hatte und Christophers Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten.

Nach kurzem jedoch gewann er wieder die Oberhand und beugte sich nahe an ihr Gesicht heran.

„Ich sollte dran sein, Emily“, hauchte er mit tiefer Stimme. Dann küsste er sie stürmisch.

„Aber…“, entgegnete Emily zwischendurch, doch ihre Lippen wurden immer wieder von seinen versiegelt, bis er sie schließlich wieder atmen ließ.

„Du weißt, was du mir immer gibst. Jetzt bin ich an der Reihe, es dir zurückzugeben. Also genieße es“, flüsterte Christopher mit heißem Atem an ihr Ohr.

Emily nickte keuchend und wand sich unter ihm. Ihr unregelmäßiger Atem heizte Christopher nur umso mehr an und er vergaß beinahe, dass sie noch ein Mensch war und mit der Stärke der Vampire nicht mithalten konnte, die in jedem Bereich Vorzüge bot.

Als Emily endlich ruhiger wurde und ihr Atem flacher ging, legte er sich neben sie und küsste ihre Schulter.
 

Sie hatte ihre Augen geschlossen, reagierte jedoch auf seine Berührung mit einem Lächeln und sah ihn schließlich von der Seite an.

Christopher sah sie sanft an und sie verlor sich beinahe in seinen Augen, als sie seine Stimme vernahm.

„Alles ok?“

Sie nickte. „Mehr als das…“, bestärkte sie mit leiser Stimme.

„Sag mir Bescheid, wenn du … willst“, fügte er hinzu und seine Augen flimmerten hin und her, um jedes Detail in ihrem Gesicht festzuhalten.

„Ich … denke, wenn du Blut brauchst, könnten wir … oder?“

Er stützte sich auf seinem Ellbogen ab und sah auf sie hinunter.

„Das ist eine gute Idee. Macht das Ganze nochmal aufregender …“

Er sah grinsend ins Nichts. Emily schmunzelte und seufzte. Sowas wie heute Nacht hatte sie noch nicht erlebt.

Generell war ihr erstes Mal vor etwa 2 Jahren nicht sonderlich toll gewesen. Doch sie verdrängte die Gedanken daran schnell wieder und kuschelte sich an Christopher.

„Ist dir kalt?“, fragte er sofort und zog die Decke vom Boden über sie und legte sich wieder hin.

Sie schüttelte leicht den Kopf und sog seinen Duft ein so nah an seiner Brust. Sie brummte wohlig und war im nächsten Moment schon in den Schlaf gefallen.

Er legte einen Arm um sie und ruhte sich aus. Ihr regelmäßiger, ruhiger Atem ließ ihn ebenfalls in seine Art von Schlaf sinken. Ein traumloser Wachzustand, der ihn etwas Kraft tanken, aber dennoch für Feinde stets kampfbereit sein ließ.
 

Später am Abend kamen sie zu Anna, die auch Tom eingeladen hatte und die beiden freudig empfing.

Sie bestellten sich Pizza – Chris eine Jumbo-Größe – und sahen sich sämtliche DVDs an.

Christopher musste schmunzeln, als sie sich einen Fantasyfilm mit Vampiren ansahen und war doch ein wenig an Emily und sich erinnert, aber genaue Parallelen sah er nicht.

Eine Stelle kannte er, obwohl er den Film nicht gesehen hatte, und beugte sich zu Emily nach vorn, die zwischen seinen Beinen saß und mitgerissen war von der Szene, die gerade lief.

„Ist das die Stelle, von der du im Zug geredet hattest?“, flüsterte er in ihr Ohr und sah weiterhin zum Fernseher.

Die Hauptdarstellerin sah geschockt in die Kamera und Emily erschrak bei seiner Stimme.

„Ja“, sagte sie kurz und bündig und sah weiterhin nach vorn.

Christopher lehnte sich wieder zurück an die Wand.

Das Mädchen im Film war in einem Wald und sah ihrem Angebeteten nach, der der Vampir war und sie dort zurückließ. Dachte Emily wirklich, dass er ihr so etwas antun konnte? Nur, damit sie in Sicherheit war?

Wahrscheinlich hätte er dasselbe getan, wäre sie kein Vampir und durch seine bloße Anwesenheit in Gefahr gewesen. Aber in diese Lage würden sie nicht kommen. Da unterschied sich die Fiktion von der Realität, zum Glück.

Er seufzte zufrieden auf und beobachtete weiterhin die Mattscheibe, wo sich der Film langsam seinem Höhepunkt neigte und nach mindestens einer Stunde endlich zu Ende war.
 

„Ich könnte den immer wieder schauen!“, seufzte Emily verträumt und reckte sich aus ihrer steifen Haltung.

Tom sprang auf und gähnte.

„Endlich!“, motzte er und erntete böse Blicke von Anna und Emily.

„Der ist toll, klar?“, stellte Anna unweigerlich fest und streckte sich ebenfalls. Tom rollte die Augen.

„Jaja, total realistisch.“

„Also ich fand es sehr realistisch. Stell dir mal vor, wenn Vampire so unter uns leben würden? Ganz unbemerkt und friedlich!“, protestierte Anna und Emily prustete ihren Schluck Cola wieder ins Glas zurück.

Alle Blicke galten ihr; Christopher schüttelte gespielt entsetzt den kopf.

„Du findest es auch unsinnig?“, blaffte sie nun Emily an, die sich ihren Mund mit dem Handrücken abwischte und erschrocken aufsah.

„N-nein, ich … glaub es wäre echt cool! Habs mir nur gerade vorgestellt, sorry“, kicherte sie und stellte das Glas um Luft ringend wieder auf dem Schreibtisch ab.
 

Anna richtete sich entrüstet auf.

„Ihr habt alle keinen Sinn für Romantik! Und Leidenschaft“, fügte sie verträumt hinzu und tänzelte auf ihrem Bett umher.

Christopher sah sie missmutig an.

„Du hast ja mal ganz andere Vorstellungen als der Rest der Welt, was?“ Er schmunzelte und erntete einen fixierenden Blick. Dann sprang sie leichtfüßig vom Bett und landete vor ihm auf dem Boden.

Sie sah ihm tief in die Augen.

„W-was?“, fragte Christopher perplex und wich vor ihr zurück, was sich als schwierig erwies, da er direkt an der Wand saß und es keinen Fluchtweg gab.
 

„Du…“, begann sie flüsternd. „… Wärst ein guter Vampir. Deine blasse Haut…“ Sie tippte auf seine Wangen und Emily bekam hinter ihr große Augen.

Sie würde sein Geheimnis doch nicht etwa rausfinden!?

Dann schob sie Christophers Oberlippe nach oben, doch er hielt still und beobachtete sie misstrauisch.

Er wusste, dass sie nichts rausfinden würde, ganz gleich, was sie an ihm nachsah.

„Deine Eckzähne sind ein wenig spitzer als bei mir oder Tom …“

„Meine sind auch spitzer!“, ertönte es hinter Anna und Emily zeigte ihre Zähne, die relativ normal aussahen, doch auch ihre Eckzähne waren um Haaresbreite spitzer als Annas.

Die betrachtete ihre nur kurz.

„Aber nur unwesentlich. Und du siehst nicht aus wie ein Vampir!“ Sie drehte sich wieder zu Christopher um und sah ihn neckisch an.

„Na los, gib ’s zu, Mr Stone!“, grinste sie.
 

Christopher verdrehte die Augen.

„Anna … was soll der Mist? Komm, leb deine Fantasien an wem anders aus.“ Er wollte sie von sich schieben, doch sie hielt ihm plötzlich ihren Nacken hin. Die Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden und so hätte er freie Bahn gehabt…

„Du bist pervers“, stellte er nur fest und stand dann auf.

„Hey!“, maulte sie und sah ihm nach, doch dann stand sie auf und machte einen Schmollmund.

Tom lachte auf und kam auf sie zu.

„Ich geb ‘s ja zu, ich bin ein Vampir“, sagte er und lächelte Anna schelmisch an. Die fiel theatralisch in seine Arme und beugte sich so zurück, dass er seinen Kopf in ihren Hals beugen konnte und man hörte ein schmatzendes Geräusch.

Christopher und Emily sahen sich grinsend an und ließen die beiden allein. Er hatte in Richtung Balkon genickt und Emily folgte ihm nach draußen.

Sie schlossen die Balkontüre und sahen, wie die beiden langsam auf den Boden zugingen und hinter dem Bett verschwanden.

„Oh je…“, machte Emily und lachte.

„Jep“, stimmte Christopher zu.
 

Es war eine kalte Nacht und nur der Verkehr in weiter Ferne ließ sie nicht totenstill sein. Christopher lehnte sich an die Brüstung und sah hinunter in die Dunkelheit.

Er sagte keinen Ton und Emily war seltsam zumute. Sie lehnte sich an ihn.

„Ist was?“, fragte sie besorgt und streichelte über seinen Arm.

Er schnaubte grinsend aus und umarmte sie.

„Nein. Außer, dass ich dich liebe, ist nichts.“ Er lächelte sie sanft an und sie lächelte nun auch beruhigt und schmiegte sich an seine Halsmulde.

„Wie schmalzig…“, kicherte sie und gab ihm einen Kuss auf den Hals.

„Muss auch mal sein. Wer weiß, wie lange es noch so friedlich sein wird.“ Er räusperte sich.

Emily holte Luft, um etwas zu sagen, doch sie wusste nicht recht, wie sie beginnen sollte und stockte.

„Es“, kam Christopher ihr zuvor, „es ist wegen diesem Krieg zwischen den Ständen. Dieser Vampir im Schnee hatte davon gesprochen...“

„Krieg?“, fragte sie und große Unruhe schwang in ihrer Stimme mit.

Christopher nickte.

„Ich weiß leider selbst nicht wirklich etwas darüber“ – er seufzte – „aber ich werde wohl mit dem Senat reden müssen. Es scheint um alle Schichten von Vampiren zu gehen.“

Emily zog die Augenbrauen hoch. „Schichten?“

„Ja. Die Oberschicht sind die Reinblüter – wie du eine bist. Euer Blut ist rein und unverdorben. Meins dagegen ist menschlicher Natur. Ich wurde von einem abtrünnigen Reinblüter erschaffen, die die Mittelschicht darstellen.“

„Abtrünnig? Wie geht das?“, fragte sie unverhohlen.

„Sie… sahen keinen Sinn darin, weiter bei ihresgleichen zu bleiben. Sie erschufen sich Vampire, also bissen Menschen und ließen ihnen wenigstens ein bisschen Rest Blut im Körper, um sie dann in unseresgleichen verwandeln zu können.“

„Aber…“ Emily sah zweifelnd vom Balkon in die Baumkronen, die sich leicht bewegten. “Warum? Warum haben sie unschuldige Menschen geopfert? Warum blieben sie nicht bei ihrer Schicht?“

Christopher seufzte.

„Naja, ich kann mir vorstellen, dass … einige sich vielleicht in Menschen verliebt haben und sie deswegen weggegangen sind.“ Er sah sie durchdringend an und streichelte ihre Hand, die auf der Balkonbrüstung ruhte.

Emily sah ihn verzweifelt an.

„Dann … werde ich auch abtrünnig werden, Chris“, sagte sie bestimmt und schlang sich um seinen Arm.

Er sah weg von ihr und seine Stimme wurde leiser. „Sag das nicht. Was würdest du deinen Eltern damit antun… und ich glaube… das gerade diese abtrünnigen Reinblüter den Krieg angezettelt haben. Ich bin mir sogar recht sicher.“

Emily schluckte und drückte ihre Wange gegen seine Schulter.

„Ist mir egal.“

Christopher merkte, wie sie anfing zu zittern und befreite seinen Arm aus ihrem Griff, was gar nicht so einfach war. Doch er seufzte genervt und sie schreckte auf und ließ ihn los.

Er drehte sich zu ihr um und sah sie mit einem gequälten Gesicht an.

„Emily … ich weiß nicht, was die Zukunft bringen wird, aber da wir leider total verschieden sind, sicher nichts allzu gutes, auch wenn es das ist, was ich mir mehr als alles andere wünsche, glaub mir.“ Er sah weiter herab und ließ sein Kopf in dieser traurigen Verschränkung.

Emily grinste schief und schüttelte langsam den Kopf.

„Das hätte ich nicht gedacht…“, flüsterte sie enttäuscht. Christopher sah augenblicklich auf. War sie… wütend?

Ihre Augen waren wässrig und ihr Gesicht war hasserfüllt und verzweifelt zugleich.

„Ich versteh schon, Chris…“

Er schnalzte mit der Zunge. „Emily, was willst du eigentlich? Willst du uns beide tot sehen? Weißt du eigentlich, wozu-“

„DAS hätte ich nicht gedacht“, wiederholte sie, doch diesmal rollten ihr die Tränen über die Wangen und die Verzweiflung gewann überhand. Ihr Blick galt nicht Christopher, sie fixierte eine Bodenfliese, um nicht völlig die Beherrschung zu verlieren. So sehr liebte er sie also, dass er nicht einmal um sie kämpfen wollte.

Christopher öffnete den Mund, um etwas zu sagen und streckte den Arm nach ihr aus, doch sie zuckte zurück und sah ihn wieder an.

„Chris… warum bist du so ein Feigling!?“

„Emily!“, platzte er direkt heraus; er hatte geahnt, dass so etwas kam. „Du weißt nicht, was du da sagst! Du weißt nicht, wozu diese Reinblüter in der Lage sind. Es gibt schlimmeres als den Tod, glaub mir! Und das will ich dir nicht antun!!“

„Mir doch egal!“, rief sie heiser und Schluchzer entglitten ihr. „Ich will mit dir zusammen sein, ich will dich… und wenn ich sterben muss…“

„Oh nein, sicher nicht. Dich wird niemand töten.“

„Dann willst du nur deine eigene Haut retten!? Super!“

Christopher schüttelte den Kopf und drehte sich zum Gehen um. Vor der Balkontür hielt er kurz inne.

„Glaub mir, nichts ist mir weniger wert als mein Leben. Aber dir deins zu stehlen…“ Er sah sie traurig an und ging dann in die Wohnung hinein.

Emily stand starr da und sah ihm hinterher. Wie meinte er das jetzt!? Das war doch ein Widerspruch…
 

Doch weiter konnte sie nicht überlegen. Sie war zu verwirrt, ihr Kopf schwirrte und Wut, Verzweiflung, Liebe und Unverständnis prallten aufeinander.

Dann fiel die Tür ins Schloss und von drinnen war Gemurmel zu hören, was lauter wurde.

„War das Chris?“

„Emily?“, rief Anna und kam eilig nach draußen, wo sie ihre Freundin vorfand.

„Emi… was ist passiert?“ Sie sah Emily eindeutig an, dass etwas passiert sein musste und schloss ihre Freundin sanft in die Arme.

„Schon ok… nur eine Meinungsverschiedenheit, glaub mir“, log Emily und versuchte zu lächeln, was ihr mehr oder weniger gelang. Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und als Anna ein Stück von ihr rückte, nahm sie Emilys Gesicht in die Hände.

„Lauf ihm nach. Geht nicht im Streit auseinander. Du weißt nie, ob du ihn nochmal wiedersiehst.“ Anna lächelte sie aufmunternd an und Emily standen wieder Tränen in den Augen. Doch sie schluckte sie herunter und nickte.

Sie eilte an dem verdutzten Tom vorbei, der sich gerade sein Hemd zuknöpfte.
 

Ohne Schuhe und ohne Jacke lief sie hinaus in die kalte Dunkelheit der Straße. Doch Christopher war bereits verschwunden. Niemand war zu sehen oder zu hören.

Sie schlang ihre Arme um sich und überlegte kurz. Sollte sie zu ihm nach Hause rennen? Aber nicht ohne Mantel und Schuhe… aber was würde es bringen? Sie würden sich doch eh nur streiten, oder? Aber Anna hatte schon recht. Besonders, wo es bei den beiden wirklich um Leben und Tod zu gehen schien.

Doch war er wirklich nach Hause gegangen? Und wollte er mit Emily sprechen, wo er doch das Gespräch eben abgebrochen hatte?

Aber sie wollte nicht mit ihm streiten. Nicht auf diese Weise und nicht über dieses Thema.

Dann hörte sie Schritte, die um die Straßenecke bogen. Sie drehte sich blitzschnell um und sah eine männliche Gestalt auf sich zukommen.

Chris!? Nein, er war… größer, kräftiger…

Als der Mann näher kam, erkannte Emily, dass er etwa in ihrem Alter war und ohne sie anzusehen um sie herumging. Er hatte kurzes, dunkelblondes Haar und trug einen schwarzen Mantel, der bis unter sein Kinn zugeknöpft war. Sein Gesicht war von atemberaubender Schönheit. Vollkommen, dachte Emily erstaunt.

Etwas stimmte nicht mit ihm. Er wirkte angespannt, aber ging seltsam langsam, fast gelangweilt.

Emily starrte ihm nach und bemerkte, wie er stehen blieb, den Kopf anhob und sich ein Stück zu ihr umdrehte.

Für einen Augenblick sahen sie sich in die Augen und dann sprach er.

„Besser, Sie gehen wieder rein in dem Aufzug, Lady.“
 

Emily blinzelte verwirrt. Seine dunkle, melodische Stimme harmonierte mit seinem Aussehen und sie war wie gefesselt von seinem Anblick.

Ihr Blick ruhte weiterhin fasziniert auf ihm und er kniff die Augen zusammen, als er sich auch mit dem Rest des Körpers zu ihr umdrehte und langsam zu ihr zurückkam.

Emily war kein bisschen aufgeregt, obwohl ihr Herz schneller zu klopfen begann. Er war ihr keineswegs unheimlich. Sein Aussehen war perfekt, so jemanden hatte sie noch nie gesehen. Er war bestimmt Model oder Filmstar. Und er kam geradewegs auf sie zu. Zu nahe. Eine Schrittweite blieb er vor ihr stehen.
 

„Geht’s dir gut?“, fragte seine samtene Stimme und Emily musste nach Luft schnappen. Das war eindeutig ein Traum von Mann. Seine goldbraunen Augen strahlten förmlich in der Dunkelheit und seine roten, weichen Lippen pressten sich aufeinander, während seine Augenbrauen sich missmutig über seine Augen legten.

Emily wusste vor lauter Glück nicht, was sie sagen sollte. Sie kam sich auf einmal so nichtig vor neben ihm und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, was ihr schließlich gelang.

„Ja“, sagte sie knapp und blinzelte.

Dann lächelte er und seine Augen blitzten.

Plötzlich war Emily mehr als bewusst, wer da vor ihr stand. Und sie sollte sich möglichst schnell aus dem Staub machen, doch ihr Gehirn schaltete sich wieder ab und ihr Herz pochte lauter denn je.

Er war ein Vampir.

Eindeutig.

Und Emily bot sich ihm nur zu gerne als Opfer an, wie er wohl dachte. Und sie war noch nicht abgeneigt, von solch einem überirdisch gut aussehenden Mann berührt zu werden. Alle Gedanken an Christopher schienen wie weggeblasen…

„Dann ist es ja gut“, sagte er knapp, lächelte weiter und sah dann hinter Emily. „Wohnst du hier? Hast du dich ausgeschlossen?“

Sie atmete tief ein und schüttelte sich innerlich. Weg mit den Gedanken, die sie nicht denken durfte!

„Nein, ich besuche jemanden und mein Freund ist…“ Sie schluckte. Chris. Wie konnte sie ihn nur so mit ihren Gedanken an einen fremden Vampir hintergehen., Sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen.

„Schade“, hörte sie die melodische Stimme lächelnd sagen und blickte ihn verwirrt an.

„Dass du schon vergeben bist, meine ich.“
 

‚Wow, der nimmt kein Blatt vor den Mund. Irgendwie aufregend…‘
 

Seine Hand näherte sich Emilys Wange und sie ließ ihn gewähren. Sein Blick fesselte sie. Nahm sie gefangen. War ihr seltsam vertraut.

Erst, als sie seine weichen Lippen auf ihren spürte, hörte sie eine leise Stimme in ihrem Kopf… sie kannte die Stimme. Aber… wie war nochmal sein Name?

Eine warme Zunge stieß gegen ihre Lippen und schob sich dann in ihren Mund vor. Die Stimme in Emilys Kopf wurde leiser, doch als sie mit ihrer Zunge gegen die Fangzähne des Vampirs stieß, schrie die Stimme in ihrem Kopf. Es war eindeutig Chris und sie hatte sein Bild vor Augen, als stände er vor ihr.

Keuchend befreite sie sich aus den Armen des Vampirs und atmete schnappend.

Er sah sie ungläubig an.

„Sorry“, flüsterte sie und verschwand im Treppenhaus zu Annas Wohnung.
 

‚Wieso ‚Sorry‘ ?‘, fragte sich Emily kopfschüttelnd auf dem Weg nach oben. Der Vampir hatte sie verführt. Oder?

Und die Entschuldigung galt jetzt eher Chris. Sie hatte ihn betrogen. Sie hatte jemand anderen geküsst, und das fast leidenschaftlich. Sie hatte es zugelassen, dass ein anderer sie anfasste.

Unbewusst liefen ihr Tränen über die Wangen und sie blieb auf dem Treppenabsatz stehen, lehnte sich an die Wand.

Was nun? Erst einmal beruhigen, damit Anna und Tom nicht zu fürsorglich wurden und sie wieder weinen musste. Dann musste sie unbedingt zu ihm. Hoffentlich war der Typ schon weitergegangen und wartete nicht unten auf sie …

Sie straffte die Schultern und klopfte an die Wohnungstür, woraufhin Anna sie stürmisch begrüßte. Emily erklärte ihr, dass sie nur ihre Sachen holen wollte und dann zu Chris ging. Anna und Tom waren nicht ganz einverstanden, sie alleine ziehen zu lassen und bestanden darauf, sie zu begleiten.

„Viel zu gefährlich, dass du um diese Uhrzeit allein rausgehst. Wir bringen dich hin.“

Emily sträubte sich ein wenig, die beiden mit zu den Vampirbrüdern mitzunehmen, doch sie hoffte das beste.
 

Die Nacht war ruhig, der Schöne Vampir nirgends zu sehen und die Drei schlenderten mit Emily voran die Straßen entlang. Anna wohnte knapp 5 Kilometer von Christophers Haus entfernt.

Als sie nach schier endlosen Minuten dort ankamen, war nirgends Licht im Haus zu sehen.

„Sicher, dass er noch wach ist?“, kam es nun leise von Anna, die mit Tom Hand in Hand hinter Emily stand und misstrauisch das von der Nacht schwarzgefärbte Haus beäugte.

„Sicher“, murmelte Emily nur und drückte mit aller Kraft gegen das Eisentor. Es schwang jedoch so leicht auf, dass sie fast vornüber gepurzelt wäre. Hatte das Tor endlich mal jemand geölt, dass es sich leichter aufschieben ließ? Egal…

Sie führte die beiden voran den überwucherten Vorgarten hindurch zum Haus. Emily wartete, bis die beiden bei ihr an der Haustür waren, bevor sie kräftig klopfte.

Von drinnen waren dumpfe Klänge zu hören, als würde jemand Türen zuschlagen und auf der Treppe poltern.

Anna und Tom wichen ein Stück zurück, doch Emily klopfte nochmals, eindringlicher.

Dann wurde die Tür schlagartig aufgerissen und ein schwach rot leuchtendes Augenpaar erschien, was sofort erlosch und dann war Robin zu erkennen, als er einen Schritt nach draußen trat.



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Kommentare zu dieser Fanfic (16)
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Von:  hykaru_chan
2015-08-30T11:41:12+00:00 30.08.2015 13:41
Deine Geschichte ist so toll ich bin verliebt Bitte mach weiter um meiner willen und vielen anderen denen es genauso geht wie mir es wäre einfach zu schade jetzt an dieser Stelle aufzuhören also bitte ich dich mach weiter ❤
Von:  Pataya
2009-07-27T14:49:03+00:00 27.07.2009 16:49
ohman, du hast ja immernoch nicht weitergeschrieben...-.-...

schade eiegntlich...
Von:  MissPaperJoker
2009-03-27T18:09:57+00:00 27.03.2009 19:09
so ich hab jetzt in 2 tagen den bisherigen FF durchgelesen und es ist eine tolle vampier geschichte! :D ich muss immer schmunzeln wenn du twilight mit einbringstXD
trotzdem ist die story jah total anders, abgesehen von der liebe zwischen vampier und mensch (was ja nun eigentlich auch nicht mehr ganz stimmt) aber das gibt es ja schon so oft, dass man das mit twilight nicht vergleichen kann
auf jeden fall mag ich die vampiere hier in deiner geschichte fast noch mehr als die in bis(s), denn sie sind noooch realistischer!
wie die story ihren verlauf nimmt, finde ich auch mehr als spannend! auch die idee mit dem krieg zwischen den ständen ist toll
ich will jetzt unbedingt wissen, ob der schöne vampier hier noch eine rolle spielt später und was nun wird!!! T___T
schreib schnell weiter! *---*
*FF auf favoliste pack*

:::apple:::

achja... der Robin erinnert mich an einen freund von mirXD dunkle augen, rote kontaktlinsen und der charakter ist genauso wie chis´bruder :D ein punkt mehr, warum ich dieses FF so mag und weiter verfolgen werdeXD
Von:  Pataya
2009-03-22T13:13:29+00:00 22.03.2009 14:13
so, dann will ich endlich auch ma mein kommi dazu abgeben^^...les die ff ja schon ne weile und hab mich noch nicht dazu durchgrungen n paar kommis zu schreiben...tut mir leid...:P

naja, wollt dir nur sagen, dass dir echt einfach krass is und ich sie jedem nur weiter empfehlen kann, der auf vampire-love-stoies steht^^...
ach, ja, ich würd mich seeeeehr freune, wenn de mir denn ne ens schreiben könntest, wenns weiter geht

liebe grüße, ein treuer leser^^...
Von: abgemeldet
2009-01-09T20:42:56+00:00 09.01.2009 21:42
Awww endlich der KUSS!!! Oh aber du hast mich gekriegt ich dachte Emily wär echt ne hexe kein vamp.
Und LOOL Sie liest Twilight xDDDD Is ne tolle Idee das Buch einzubauen, wenn auch naheliegend~
Von: abgemeldet
2008-12-29T19:53:32+00:00 29.12.2008 20:53
uwaa tolle ff! Ich wusste das das mit den eltern nur dieser vampirtreff sein konnte xD Mah jetzt will ich aber wissen WAS Emily ist ^^
Von: abgemeldet
2008-12-29T15:28:23+00:00 29.12.2008 16:28
tolles kap... vorallem freu ich mich auf emis fähigkeiten...
Von: abgemeldet
2008-12-27T08:25:32+00:00 27.12.2008 09:25
das kapitel war ja absolute klasse....*hin und her hops*... kann garnicht aufs nächste warten...

Von: abgemeldet
2008-12-15T11:54:07+00:00 15.12.2008 12:54
mit dem twilight vergleich wirst du wohl leben müssen *zwinker*.... wohl genau wie jede andere vampire-love story momentan....

aber etz mal ernst.... die story-idee ist einfach klasse... schade das es mehr als plot geschrieben ist.... ich lieb zwar deine dojinshis (wie schauts denn eigentlich momentan mit draco und hermine aus? *smile*) aber ich würd mir ne richtige ausarbeitung wünschen... nicht falsch verstehn, ja?... ich find die story hätte es einfach verdient...
freu mich schon auf die fortsezung.... lg
Von: abgemeldet
2008-12-14T21:51:59+00:00 14.12.2008 22:51
ich hab irgentwie auch das gefühl^^
aba jetzt was zu story...ich finde sie ist wunder wunder wunder schööön ^^
ich hoffe du beendest sie und brichst sie nicht ab^^


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