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Néko und Tora 1.1

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Es lag mir sehr am Herzen, diesem Kap noch etwas hinzu zu fügen. Wie aus dem schüchternen Paar Toshi und Hitomi, doch noch ein richtiges Paar wird, dass sich vertrauen kann, ohne Geheimnisse und Scham. Hoffe es gefällt.
MfG néko Komplett anzeigen

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Der Tag, der ihr Leben veränderte

Es war wieder einer dieser Tage, an denen Sakada Enni es ihrem Vater nicht recht machen konnte. Sie hatte vor und nach der Schule im Haushalt geschuftet. Alles war sauber und ordentlich, aber er hatte sich an dem Tag, nach dem Streifendienst wieder einen angetrunken. Während sich die Gläser in der Bar leerten, stieg seine Wut und schließlich brauchte er ein Ventil.

Seit ihrer frühen Kindheit hatte das hübsche Mädchen gelernt ihn zu fürchten. Denn auch ohne Alkohol war er sehr Aggressiv:

„Du wertloses Stück Dreck! Wie sieht das hier aus! Kannst du denn nicht mal die einfachsten Sachen?!!!“, schrie er die Treppe seines Einfamilienhauses hoch als er nach hause kam.

Wie oft hatte sie das schon erlebt, doch in dieser Intensität nur einmal. Es war an dem Tag als ihre Mutter starb.

Enni hatte etwas runterfallen lassen. Sie wusste schon nicht mehr was. Ihr Vater kam auf sie zu und wollte sie schlagen, aber ihr Mutter ging dazwischen und zahlte das mit ihrem Leben. Mit einer Flasche prügelte er sie zu Tode.

Durch seine Stellung bei der Polizei konnte er es so drehen, dass es als Unfall durchging.

Seitdem verging keine Sekunde, wo sie nicht um ihr Leben fürchten musste. Die unzähligen Narben zeugten davon.

Der nicht allzu große, aber kräftige Mann begann die Treppe zu erklimmen. Enni lief zum Schrank in dem, das wusste sie, eine Pistole lag. Sie nahm sie raus.

Die unmenschlichen, kalten Augen ihres Vaters entdeckten sie in ihrem Zimmer. Gegenüber der Tür drückte sie sich an die Wand, zwischen die Fenster:

„Du brauchst mal wieder eine Lektion.“, sagte Sakada- san. Er ging einen Schritt auf sie zu:

„Komm nicht näher!“, schrie sie und erhob die Waffe. Er grinste und nahm die Situation nicht ernst:

„Leg das Ding weg! Du hast doch nicht den Mut abzudrücken.“, lachte er und setzte noch einen Fuß vor. Nichts geschah.

Enni hatte sich schon so fest an die Wand gepresst das es weh tat. Aber diese Gewissheit, die sie fühlte, dass es bis sie oder er stirbt so weitergehen würde, machte ihr in dem Moment den Weg und das Gewissen frei und sie drückte ab.

Der Knall war ohrenbetäubend. Ihr Vater, tödlich getroffen, sackte vor ihr zusammen. Seine harten Gesichtszüge zeigten Überraschung, als hätte er nie erwartet von seinem Opfer, seiner Tochter gerichtet zu werden.

Auch sie konnte nicht glauben, was sie getan hatte, denn trotz ihres Martyriums wollte sie ihren Vater nicht umbringen und doch war es in dem Augenblick eine ungeheure Erleichterung. Nie wieder würde sie von ihm geschlagen werden.

Sie sah auf die Leiche. Tränen bahnten sich über ihr Gesicht. Sie konnte nicht fassen was sie getan hatte. Stundenlang, so kam es ihr vor, stand sie da. Ihr heller Teppich inzwischen von Blut getränkt.

Die Haustür unten wurde aufgebrochen:

„Polizei!“, schrie jemand. Es war ein großer Mann. Vielleicht Mitte dreißig. Sein sehr kurzes schwarzes Haar war unter der Polizeimütze kaum auszumachen. Er durchsuchte das Erdgeschoss, während sein stämmiger Partner nach oben ging. Er sah Enni, die mit einer Waffe in der Hand noch immer gegen die Wand gedrückt stand:

„Lassen sie die Waffe fallen!“, rief Hiro und richtete seine Pistole auf sie: „Runter damit!“, wiederholte er. Enni legte sie sehr langsam vor die Leiche auf den Boden. Tamao Hiro ging zu ihr und legte ihr sehr schroff die Handschellen an. Ihre Hände waren auf dem Rücken gefesselt und er bugsierte sie die Treppe runter. Der andere Polizist, Karu, kam dazu. Sie brachten sie ins Jubanrevier. In einem Betonraum ohne Fenster saß sie nun an einem Tisch. Sie sah nach unten wobei ihre halblangen Haare seitlich das Gesicht verdeckten. Tamao war auch da und brüllte sie an:

„WARUM HAST DU IHN ERSCHOSSEN?“ Er bekam keine Antwort. Er haute mit der Faust auf den sowieso schon wackeligen Tisch:

„Rede, verdammt.“, sprang er auf. Enni fühlte sich wie in einer Glaskuppel. Nichts, aber wirklich nichts drang richtig zu ihr durch. Sie hörte und sah ihn kaum:

„Soll ich es erst aus dir rausprügeln!“, fasste er sie jetzt grob am Oberarm. Die Tür öffnete sich:

„Hiro! Kommen sie raus!“ Es war der Capt´n des Reviers: „Nehmen sie die Finger von dem Mädchen und verschwinden sie.“, meinte der bereits Ergraute böse. Hiro wollte wiedersprechen:

„Aber...“

„Kein aber, Hiro, verschwinden sie. Wütend stapfte Tamao zu seinem Schreibtisch:

Das sich der Alte immer einmischen muss. -, dachte er sich. Während dessen ging Hana ins Verhörzimmer:

„Enni, so heißt du doch?“, sprach er sie freundlich an. Sie rührte sich nicht, hob nicht mal den Blick. Er versuchte zwei Stunden lang etwas aus ihr heraus zu bekommen, doch sie schwieg. Erschöpft brach er das Verhör ab. Der Capt´n beauftragte schließlich einen Polizisten ihr einen Jugendpsychologen zu besorgen, während er sie in eine Zelle brachte:

„Hast du mir denn gar nichts zu sagen? Warum hast du ihn getötet?“, fragte er vor der Gittertür stehend, aber Enni kauerte sich nur auf die Pritsche. Stöhnend ging er in sein Büro.

Sakada lag in dem kleinem Raum und fror. Sie hatte jedes Gefühl für Raum und Zeit verloren. Es zog durch das vergitterte Fenster, das in einer Höhe von 150 Zentimeter angebracht war.

Sie nahm das schmutzige Kissen, auf das sie sich so wieso nicht legte und wollte es davor stellen, als sie etwas sah.

Eine junge blonde Frau, Mitte zwanzig, saß mit einem Gewehr auf dem Nebengebäude und zielte auf etwas. Enni konnte nicht ausmachen, was oder wer es war, denn die Mauern verdeckten die Sicht.

Die Ausländerin gab einen Schuss ab. Sakada erschrak, ging aber nicht in Deckung. Die Killerin entdeckte sie:

- So ein Mist! -, dachte sie und legte das Gewehr erneut an. Die Gefangene blieb einfach stehen und blickte ihrem unvermeidlichen Schicksal entgegen, aber der Schuss kam nicht und im nächsten Augenblick war die Blonde verschwunden.

Von der Straße her waren Polizeisirenen und Geschrei zu hören. Minuten später kam Hiro an die Zelle:

„Sakada! Hast du die Schüsse mitbekommen?!“, fragte er ziemlich barsch.

„Ja.“, flüsterte sie nur. Er schloss das Gitter auf, kam auf sie zu und legte ihr Handschellen an. Tamao nahm sie mit ins Verhörzimmer:

„Setzt dich!“ Hiro begann vor ihr auf und ab zu laufen:

„Du hast also den Schuss gehört... hast du auch was gesehen? Hast du aus dem Fenster geschaut?“, fragte er.

„Ich habe nur die Gitterstäbe gesehen, sonst nichts.“, gab sie trotzig zurück. Er wurde wütend:

„Mädel, du könntest deine Lage erheblich verbessern, wenn du kooperieren würdest.“

„Es ist doch gar nicht in ihrem Interesse, dass sich meine Lage verbessert.“, sagte Enni. Hiro lachte und grinste sie wissend an:

„Da könntest du recht haben.“

„Warum soll ich ihnen dann was sagen?“, fragte sie.

In dem Moment schlug er gewaltig auf den Tisch und Enni zuckte zusammen:

„Du sagst mir jetzt was du weißt, sonst treffe ich das nächste mal dein Gesicht!“, brüllte Tamao. Doch sie wollte nicht reden und wusste nicht einmal warum. Sie hätte die Attentäterin genau beschreiben können, aber sie tat es nicht. Hiro brachte sie erst um ein Uhr morgens in die Zelle zurück.

Begegnung

Fünf Stunden später:

„Komm hoch!“, sagte Hiro. Enni öffnete die Augen und wie so oft in ihrem Leben fühlte sie sich kaputt und leer:

„Bereite dich auf deinen neuen Lebensabschnitt im Jugendknast vor.“, grinste er wieder, legte ihr Handschellen auf dem Rücken an und führte sie zum Parkplatz, wo seine Kollegen der Jugendverwahranstalt an einem verrotteten Kleinbus warteten:

„Passt mir schön auf die Kleine auf. Sie erwartet ein Verfahren wegen Mordes an einem Polizisten.“, meinte Tamao.

„Unter den Umständen geht uns keiner verloren.“ Er verzog das Gesicht zu einem hässlichen Grinsen und ging.

Die beiden Beamten bugsierten Enni grob in den Bus, schlossen sie in dem Abteil ein, so dass nur noch ein kleines Fenster etwas Licht reintrug. Der Motor startete.

Eine scheinbare Ewigkeit fuhren sie durch die riesige Stadt. Die Lichter der Häuser und der Straßenbeleuchtung erhellten immer wieder den Wagen. Sie hielten hier und da vor Ampeln. Es war still im Wagen. Sakada sah nicht nach oben.

Die Landschaft veränderte sich jetzt. Statt Häuser und Ampeln, sahen die Polizisten jetzt auf Bäume.

Plötzlich knallte es und der Bus begann zu schlingern. Der Beamte brachte ihn mit einer filmreifen Vollbremsung zum Stehen:

„Alles in Ordnung?“, fragte er seinen Partner, doch der lag ohne Bewusstsein in seinem Sitz. Er hatte sich die Stirn angeschlagen. Der Fahrer wollte aussteigen, doch er blickte in die Mündung einer Pistole:

„Aussteigen!“, befahl die vermummte Gestalt.

„Was wollen sie?“, fragte der Beamte.

„Mach die Tür auf, sonst haben du und dein Auto ein paar Löcher mehr.“, sagte die Frauenstimme. Der Polizist stieg aus und ging nach hinten. Er sah sich immer wieder nach der maskierten Person um:

„Wir sind ein Gefangenentransport und haben nichts von Wert bei uns.“

„Mach die Tür auf!“, forderte sie. Der Mann tat was sie sagte, danach wurde für ihn die Welt dunkel.

„Komm raus.“, sagte die vermummte Person. Enni zögerte, stand dann aber auf und kam heraus. Die unbekannte Frau richtete die Pistole auf sie. Nichts passierte:

„Du wirst mit mir kommen.“, sagte die Frau, löste die Handschellen, nahm Sakada am Arm und zog sie mit sich:

Sie waren jetzt fünf Minuten querfeldein gelaufen:

„Willst du mich umbringen?“, fragte Sakada. Die maskierte hob erneut ihre Waffe, schoss aber wieder nicht:

- Was ist das? Ich kann nicht abdrücken. -, sie ließ die Waffe sinken: Ich werde dich mitnehmen. Unternimmst du einen Fluchtversuch, ist das der letzte Fehler deines Lebens. Sie zog die Maske vom Gesicht. Die weichen Züge der Killerin überraschten Enni, dazu die dunkelblonden Haare. All das ließ sie eher elegant als gefährlich erscheinen.

Sie gingen zu einer silbergrauen Toyota Limousine und fuhren wieder in Richtung Tokio:

„Wo bringst du mich hin?“, fragte Sakada.

„Sei still!“, sagte die Fahrerin und bog mit dem Auto an einem ziemlich heruntergekommenen Haus ein. Sie holte eine Fernbedienung raus und öffnete das Garagentor, das eigentlich so aussah als müsse man es manuell auf machen. Innen war es, nachdem die Tür wieder geschlossen war stockfinster:

„Wir sind da.“, sagte die Frau dunkel und drückte auf einen weiteren Knopf auf der Fernbedienung. Das Licht ging an. Es hing ein kleiner Schrank an der Wand, sonst stand, außer dem Auto nichts in der Garage. Die Blonde ging auf die Wand gegenüber der Motorhaube zu und sagte auf deutsch:

„Löwe und Tiger.“, was die Entführte natürlich nicht verstand.

Der kleine Schrank öffnete sich und eine Tastatur kam heraus. Ein Code wurde eingegeben, dann gab die Wand einen Weg frei:

„Komm!“, befahl die Frau und Enni folgte ihr die Stufen herunter. Sie konnte kaum etwas sehen. Die Treppen endeten vor einer Stahltür. Diese wurde durch ein Fingerabdrucksystem gesichert. Nachdem die Dame ihre Hand auf die entsprechende Fläche gelegt hatte, ging das Schloss auf. Sie betraten einen großen Raum. Enni hörte die Tür zu gehen und Licht erhellte einen riesigen Bunker, der wie eine Wohnung eingerichtet war. Sie sah mehrere offen stehende Türen die in Zimmer führten. Sakada erkannte eine Küche, eine Couch, einen Fernseher:

„Hör zu ... Wie heißt du eigentlich?“

„Enni.“

„Also Enni, mein Name ist Tora und um eins klarzustellen. Ich weiß nicht, warum ich dich mitgenommen habe. Entweder hattest du Glück oder Pech, dass du noch am leben bist. Niemand der mich in den letzten Jahren lebend bei der Arbeit gesehen hatte, lebte lange genug, um davon zu erzählen. Also, warum warst du im Knast?“

Sakada schwieg einem Moment, atmete dann tief durch und sagte:

„Ich habe ein Monster getötet.“

„Aha, und wer war dieses Monster?“

„Mein Vater.“, senkte sie erneut den Kopf.

„Hat er es verdient?“, fragte Tora.

„Keiner hätte es mehr verdient.“

„Mmh... Du siehst erschöpft aus, du solltest dich hinlegen. Dahinten in dem Zimmer steht ein Bett.“, zeigte die Killerin.

Nachdem die Kleine in den Federn lag, ging sie an den Computer.

Enni hatte, obwohl sie es nicht merkte, den ganzen Tag verschlafen. In den Bunker kam kein bisschen Tageslicht. Sie stand auf und öffnete die Tür. Im Hauptraum entdeckte sie Tora an einem Schreibtisch. Sie war vor dem PC eingeschlafen. Enni sah auf den Computerbildschirm Fotos von einer Person. Diagonal darüber stand:

„ELEMENIERT“

Sie trat näher heran. Mit einem mal sprang Tora auf und hielt ihr ein Messer an die Kehle:

„Du hast einen leichten Schlaf.“, sagte Sakada erstaunlich ruhig.

„Hat nicht nur einmal mein Leben gerettet.“, sie nahm das Messer runter: „Warum bist du so gelassen?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht weil ich mein ganzes Leben lang Angst gehabt habe. Jetzt gibt es keinen Grund mehr dafür.“ Tina, so der richtige Name von Tora, wandte sich wieder dem Computer zu.

„Du bist eine Killerin, nicht wahr.“, stellte Enni fest. Sie wurde aus den Augenwinkeln angesehen, als sie weitersprach: „Macht es dir Spaß?“

„Sagen wir mal so. Ich hatte kaum eine Wahl.“, sagte Tina.

„Arbeitest du für oder gegen die Polizei?“

„Nur für meine Überzeugungen.“, sagte sie und stand auf. Enni hatte die Botschaft verstanden und legte sich wieder ins Bett.

- Was mache ich jetzt mit ihr? -, fragte sich Tora: -Ich könnte schon Hilfe gebrauchen, wo mein Partner tot ist. -

Sie schaltete die Wanze und die Kamera in Hanas Büro, die sie in einer Nacht- und Nebelaktion dort angebracht hatte, an. Tina hatte es gemacht, um polizeimäßig auf dem laufenden zu sein.

Obwohl es bereits einundzwanzig Uhr war, war Capt´n Hana noch da und eine weitere Stimme war zu hören:

„Nun Hana- san, es ist mir egal. Wer aus Notwehr handelt, flieht nicht und wer immer Sakada da rausgeholt hat, ist höchstwahrscheinlich auch der Mörder von gestern früh.“, sagte die Frau.

„Wir wissen, dass es ein Attentat war. Die Kleine wurde wahrscheinlich entführt, weil sie den Killer gesehen hat.“

„Ach und warum macht er sich die Mühe sie zu befreien, anstatt sie gleich zu erschießen. Tut mir leid Capt´n, ich bin für die strengste Bestrafung, wenn wir sie lebend finden.“

„Staatsanwältin Mitamura...“, Hana verfiel ins schweigen:

- Enni kann also nicht mehr zurück ohne im Knast zu landen. Ich könnte sie auch nicht gehen lassen, dass wäre tödlich für mich. -, dachte Tora, schaltete die Kamera ab und lehnte sich zurück.

Sakada lag mit offenen Augen im Bett und es gingen ihr ähnliche Gedanken durch den Kopf:

- Wenn sie mich gehen lässt, wohin dann. Der Expartner meines Vaters wird es drehen, dass ich lebenslänglich kriege oder schlimmeres. Es ist merkwürdig, aber hier fühle ich mich das erste Mal sicher. -

Die Tür ging auf und Tora trat ein:

„Bist du aufgewacht?“, fragte diese.

„Ich habe nachgedacht und wenn du mich gehen lassen würdest, komme ich entweder ins Gefängnis oder in die Psychiatrie...“

„Enni, was willst du von mir?“

„Könnte ich nicht bei dir bleiben?“, fragte sie. Tina wendete sich ab:

„Du weißt doch gar nicht, was für ein Leben ich führe.“, meinte sie.

„Das ist mir egal, schlechter als mein letztes kann es nicht sein.“, sagte Sakada verzweifelt.

„Ich weiß nicht Enni, willst du das wirklich?“, fragte Tora.

„Ja.“

Training und Mord

„Ruhe dich aus, wir beginnen morgen.“, sagte die Killerin. Enni bettete ihr Haupt wieder aufs Kopfkissen. Sie war nervös, denn sie wusste nicht, was sie erwartete. Erst schlichen die Minuten, die Stunden der Nacht vor sich hin. Sie versuchte während der ganzen Zeit einen klaren Gedanken zu fassen, aber es gelang ihr nicht. Zu viel war in den letzten achtundvierzig Stunden geschehen.

Plötzlich war es morgen. Sakada kam es vor als hätte er gar nicht geschlafen, als Tora an die Tür klopfte:

„Enni, zieh dich an.“, sagte sie. Die Kleine kam wenig später aus dem Zimmer zum großen Tisch im Hauptraum und setzte sich an das spartanische Frühstück. Dieses bestand aus Brot, Butter und Wasser:

„Hast du es dir noch einmal überlegt?“, fragte Tina.

„Was überlegt?“

„Ob du wirklich bei mir bleiben willst.“

„Ich habe so wieso keine richtige Alternative.“, meinte Enni.

„Also gut, wenn wir mit dem Frühstück fertig sind, beginnt das Training.“ Als sie alles weggeräumt hatten, gingen die beiden in einen Trainingsraum, der sich ebenfalls in dem Bunker befand. Dieser war mit Judomatten ausgelegt, Boxsäcke hingen von der Decke. An der einen Seite hing ein Schrank mit allen möglichen Nahkampfwaffen, zusätzlich war obendrauf ein Glaskasten mit einem original japanischen Schwert. Auf der anderen Seite war ein Schießstand:

„Nimm dir ein Messer und geh auf die Matten.“, sie tat es: „Und jetzt greife mich an.“ Enni zögerte, doch dann ging sie auf Tora los. Diese konnte die Attacke leicht abwehren und im null Komma nichts lag sie entwaffnet auf dem Boden:

„Bevor ich eines vergesse. Bis ich sage, dass du soweit bist, tust du nur das was ich dir sage. Du wirst dich hundert prozentig an meine Anweisungen halten, sonst wird es für dich gefährlich. Ist das klar?!“, fragte Tina unmissverständlich. Sakada nickte und stand auf: „Also gut, wie ich das sehe, hast du noch nie Kampfsport gemacht...“

Die ersten Trainingseinheiten waren sehr anstrengend. Es gab bei Enni sehr häufig blaue Flecken und Prellungen, aber Tina sagte nur, dass sie auch lernen müsse etwas einzustecken.

Sechs Monate übten sie fast täglich. Während dieser Zeit kam es vor, dass Tora mal eine Nacht weg blieb und jeden Tag gegen ein Uhr morgens für etwa fünfundvierzig Minuten das Versteck verließ.

An diesem Morgen schaffte es Enni das erste mal, Tina im Kampf einen deftigen Schlag zu versetzen:

„Mein lieber (dt.) Herr Gesangsverein. Das Training macht sich doch langsam bemerkbar.“, rieb sie sich das Brustbein: „Na gut es wird Zeit für den nächsten Schritt.“

Sie gingen zu dem Schießstand. Tora suchte verschiedenste Pistolen heraus und erklärte Bestandteile und Funktionsweisen. Als erstes gab sie Enni eine Walther PKK05:

„Stell dich in den Stand... So dass du fest stehst... Hebe die Waffe... Versteife dich nicht. Bleibe ganz locker... ziele und wenn du bereit bist.“ Die Lehrerin wartete, dann:

„PENG“

hallte der Schuss durch den Raum. Die Mentorin dachte sie hätte verfehlt, aber in der Scheibe klaffte ziemlich Mittig ein Loch:

„Wow, schieß noch mal.“, sagte Tora und gab ihr eine andere Waffe, eine fünfundvierziger Magnum. Sie nahm die Pistole in die Hand und feuerte:

„Nein, die gefällt mir nicht.“ Sie probierte noch verschiedenste Modelle und schließlich entschied sie sich für ein heimisches Modell, einer New Nambu.

Das nächste was sie lernte, war Auto fahren, die Anatomie des menschlichen Körpers, toxische Chemie und den Umgang mit Sprengstoffen, außerdem forderte Tina weiterhin tägliches Nahkampftraining. Das ganze dauerte weitere sechs Monate.

Als Enni an diesem Tag am Frühstückstisch saß, legte ihr Tora eine Akte auf den Tisch:

„Was ist das?“, fragte Sakada.

„Es wird Zeit für deinen ersten Job, Néko*.“, sagte sie: „Mach den Hefter auf: „Also, dieser Typ da auf dem Foto ist ein mittlerer Fisch im Tokioer Drogenkartell.“ Enni sah auf einen Japaner Mitte dreißig, mit einem Allerweltsgesicht. Das einzig auffällige war ein Riss im linken Ohrläppchen:

„Sein Name ist Mayoi Kenjin. Er wohnt in der Midori no dono. Ich will, dass du ihn vorerst nur beobachtest und seinen Tagesablauf kennen lernst. Sei aber bitte diskret. Hier hast du einen Fotoapparat, Ausweis und Führerschein.“ Ebenfalls übergab sie ihr ein Handy und Néko machte sich auf den Weg.
 

Etwas abseits von Mayois Hauseingang, von wo man dennoch einen guten Einblick hatte, stellte Enni ihr Fahrzeug ab, wartete und beobachtete. Sie vertrieb sich die Zeit mit Soduku.

Am Nachmittag kam endlich etwas Bewegung in die Sache. Zwei Männer in schwarzen Anzügen betraten das Haus. Einer von ihnen viel besonders auf, durch sein schneeweißes Haar. Sie wartete und nach kurzer Zeit kamen die beiden wieder raus. Néko schoss Fotos.

Kurz darauf fuhr auch Kenjin weg. Sie folgte ihm, fast zu dicht, fand Tora, aber sie wurde nicht entdeckt.

Nach fünf Tagen erstattete Enni per Handy Bericht:

„Dieser Mayoi trifft sich tagsüber mit verschiedenen Leuten. Am Abend geht er in eine Sauna in der Nähe des Tokio Towers, immer in weiblicher Begleitung. Ach ja, so wie es vor seinem Haus aussah, hat er eine solche bei sich einbauen lassen. Es standen entsprechende Firmenfahrzeuge vor der Tür.“

„War es immer die gleiche Frau, die mit ihm in die Sauna gegangen ist?“, fragte Tina.

„Nein.“

„Bist du sicher?“

„Ja.“, antwortete sie.

„Gut, überlege dir, wie du an ihn ran kommst und schicke ihn über den Jordan. Du hast jetzt die Chance zu beweisen, ob du dazu fähig bist. Viel Glück.“, sagte Tora und legte auf.

Enni hatte Angst vor diesem Moment gehabt, seit sie bei Tina angefangen hatte. Dennoch war der Augenblick jetzt da und sie konnte ihn nicht übergehen oder weglaufen. Sie überlegte:

- Einbrechen? Könnte zu viel Aufmerksamkeit erregen. Am besten er lässt mich von selbst rein. -, sie setzte sich eine Perücke auf und fuhr vor Kenshins Haus. Dort ließ sie den Wagen ein paar mal absaufen. Sie machte die Motorhaube auf und sabotierte den Wagen, mit einem Griff ernsthaft, ging dann zum Haus und klingelte:

„Ja bitte?“, schallte es ihr aus der Sprechanlage entgegen:

„Entschuldigen sie bitte, aber mein Auto ist kaputt. Könnten sie mir vielleicht helfen oder den Abschleppdienst rufen.“, fragte die Katze naiv. Mayoi sah aus dem Fenster zu Enni:

- Wow, na da werde ich doch helfen. -, dachte er sich und ging runter.

„Wie kann ich ihnen behilflich sein?“, fragte er unten angekommen.

„Ich habe Probleme mit meinem Wagen, er ging plötzlich aus.“

„Ich werde mir das mal ansehen. Mein Name ist Mayoi Kenshin.“ Er verbeugte sich kurz vor ihr:

„Néko Kioko.“ Sie führte ihn zu ihrem Auto.

„Na dann lassen sie mal sehen.“, er schaute in den Motor wie ein Schwein ins Uhrwerk: „Tja.“, meinte er fachmännisch: „Die Einspritzanlage für das Benzin ist kaputt.“

Sie musste fast laut lachen, eigentlich hatte sie nur eine Sicherung gelöst:

„Wie komme ich denn jetzt zum Fujijama? Wissen sie ob noch ein Zug fährt?“

Kenshin wandte sich zu ihr:

„Der fährt nur morgens.“, sagte er, obwohl er keine Ahnung hatte.

„So ein Mist, gibt es ein Hotel in der Nähe?“, fragte sie.

„Aber meine Dame, ich habe genügend Gästezimmer.“

„Ich denke, ich bin ihnen schon genug zur Last gefallen.“

„Ach was, das mache ich doch gerne. Kommen sie.“, forderte er auf.

„Ich danke ihnen, Mayoi- san.“, sagte Néko.

„Nennen sie mich Kenshin.“, meinte er als er half ihre Tasche aus dem Kofferraum zu holen.

- Respekt Néko. -, dachte Tora, die sie beobachtete. Enni ging mit ihrem vermeidlichen Opfer ins Haus.

„Darf ich mich kurz frisch machen gehen?“, fragte sie.

„Natürlich, die Treppe rauf und dann links.“, erklärte er und Enni verschwand. Im Bad holte sie einen Löffel und eine beige feste Substanz in der Größe einer Münze hervor. Sie legte sie auf den Löffel und hielt ein Feuerzeug darunter. Sie machte es an und das unbehandelte Bienenwachs schmolz. Danach packte sie es weg und tauchte nun einzeln jeden Finger in die heiße Flüssigkeit.

Das Wachs legte sich in die Fingerabdruckzwischenräume, so dass es nicht möglich war auf den Abdrücken etwas zu erkennen.

Enni ging aus dem Bad, nachdem sie wieder alles aufgeräumt hatte und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer.

Sie betrat den riesigen luxuriösen Raum. Ein großer Plasma- Fernseher hing an der Wand. In den teuren Regalen waren zahlreiche DVD´s zu sehen. Eine gemütliche Designercouch und ein edler Glastisch auf dem Perserteppich vollendeten das Ambiente:

„Setzen sie sich doch.“, bot er an: „Möchten sie vielleicht etwas trinken?“

„Gerne, haben sie Wasser mit Kohlensäure?“, lächelte Néko. Als Kenshin mit Gläsern rein kam, tat sie so als würde sie gerade mit ihrem Handy einer Freundin bescheid geben, wo sie war.

Mayoi sah sie interessiert an:

„Aijana, wenn ich ihr nicht gleich bescheid gebe, ruft sie die Nationalgarde.“, erklärte sie ihm als sie aufgelegt hatte.

Er reichte ihr ein Glas mit einer klaren, sprudelnden Flüssigkeit.

Sie unterhielten sich eine Weile über dies und das. Sie tat als wäre sie durch die lange Autofahrt sehr müde:

„Es tut mir leid, Kenshin, aber ich bin so kaputt. Ich würde gerne ins Bett gehen.“

„Wenn sie verspannt sind und gut schlafen wollen, können sie gerne noch die Sauna benutzen. Ich werde heute bestimmt reingehen, vielleicht haben sie Lust?“

„Ich weiß nicht.“, blickte sie schüchtern nach unten.

„Es wirkt Wunder, glauben sie mir und ich bin ein Gentleman.“, meinte er.

„Also gut, aber nur wenn wir uns mit Handtüchern umwickeln.“, sagte sie. Darauf hin standen sie auf und gingen sich umziehen.

Enni stand in ihrem Gästezimmer und überlegte:

- Pistole? Könnte etwas laut sein. Messer... schlecht wenn er sich wehrt. Gift! -, entschied sie sich. Néko zog ihre Sachen, außer die Unterwäsche aus und legte sich ein Handtuch um. Sie nahm ein Fingerüberzug aus Latex und befestigte darauf mit Sekundenkleber ein Reiszwecke. Diese beträufelte sie mit einem hochwirksamen Kontaktgift.

Anschließend ging sie in die Sauna. Mayoi saß schon da und sie setzte sich daneben.

Fast zehn Minuten waren sie schon drin. Enni war nervös. Konnte sie das tun? Er merkte, dass sie sich nicht wohl fühlte:

„Ich kann bestimmt etwas tun, dass es ihnen besser geht.“, grinste er. Sie überkam Ekel und das war genau das was sie brauchte, um den Mut zu finden das durchzuziehen.

Sie sah ihn an und schlug ihm die Reiszwecke in die Halsschlagader:

„Ah, du Wildkatz...“, seine Sprache wich einem Röcheln und keine zwei Minuten später war er tot. Aus seinem Hals trat ein wenig Blut.

Die Katze verließ die Sauna und packte ihre Sachen. Mucksmäuschenstill und unbemerkt ging sie aus dem Haus, reparierte das Auto, stieg ein und fuhr los.

Im Bunker saß Enni auf ihrem Bett und schwieg. In gewisser Weise konnte Tora sie verstehen und ließ sie vorerst in Ruhe.

Einen Tag später wurde Mayoi Kenshin von seiner Putzfrau gefunden. Hiro Tamao war mit als erster am Tatort. Die Sauna war die ganze Zeit angewesen, weshalb die Leiche kein schöner Anblick war.

„Und Kataro- san, können sie schon etwas sagen?“, fragte der Polizist.

„Er ist tot!“, antwortete der Pathologe leicht genervt.

„Ich habe eigentlich an die Todesursache gedacht.“ Hiro konnte mit dem Humor des Rechtsmediziners nichts anfangen.

„Er hat einen kleinen Einstich am Hals. Eventuell Drogen, nach der Autopsie kann ich bestimmt mehr sagen.“, meinte Kataro und erhob sich.

Am späten Nachmittag lag Tamao der vorläufige Bericht der Spurensicherung und des Leichenbeschauers auf dem Tisch:

„In der Wohnung wurden zwar Abdrücke gefunden, aber diese waren unbrauchbar, da keine Wirbel oder Schleifen zu erkennen waren. Außerdem wurde an den Abdrücken Bienenwachs gefunden.“

Kataro hatte am Einstich das Kontaktgift entdeckt.
 

Enni war immer noch außer Stande irgendwas zu tun. Sie machte sich berechtigte Vorwürfe.

„Néko, komm mal bitte her!“, rief Tora. Die Schülerin kam zum Schreibtisch und guckte auf den Computerbildschirm:

„Siehst du diese Jugendlichen?“ Auf dem Bildschirm waren Fotos von sechs jungen Menschen in ihrem Alter. Sie waren heruntergekommen, spindeldürr und ihr Blick verriet Hoffnungslosigkeit:

„Drei von denen sind bereits tot, wegen den Machenschaften von Mayoi und Co. Die Polizei hat nicht die Macht alle aus dem Verkehr zu ziehen. Dazu haben sie viel zu Gute Kontakte und Geld...“

Plötzlich blinkte ein kleines Warnlicht auf dem PC auf. Tina schloss die Datei und klickte auf die Hana- cam.

In seinem Büro stand eine Frau von eventuell 35 Jahren. Ihre langen schwarzen Haare fielen über ihre Schultern und der Armanie- Hosenanzug verfehlte nicht seine Wirkung.

Hana öffnete die Tür und brüllte Hiros Namen quer durchs Revier. Tamao kam rein:

„Was ist, Chef?“, fragte er.

„Was sagen die Ermittlungen im Fall Mayoi?“

„Na ja, er war ein Weiberheld und hatte viele Feinde. Die Drogenfahndung war auch immer wieder hinter ihm her, konnte ihm aber nie was nachweisen.“

Hana schaute ihn böse an:

„Er wurde vergiftet, durch einen Einstich am Hals. Es wurden keine Haare und DNS gefunden. Die Fingerabdrücke sind nicht zu gebrauchen. Das einzig nennenswerte sind Spuren von Bienenwachs an diesen Abdrücken.“, berichtete Hiro weiter.

„Gibt es verdächtige?“, fragte plötzlich die Frau, er hatte sie gar nicht bemerkt:

„Inspektor Hiro, darf ich vorstellen, die neue Staatsanwältin Mitamura Nazumi.“, sagte Hana. Tamao nickte ihr nur zu. Sie ergriff wieder das Wort:

„Ich habe die Berichte der Spurensicherung und des Pathologen ebenfalls gelesen und auf diese Art und Weise arbeiten nur Profis. Ich habe die Sonderkommission Inu bereits angefordert. Ich erwarte, dass sie diese unterstützen...“

„Scheiße!“, fluchte Tora an ihrem PC: „Da kriegen wir reichlich Probleme.“

Polizeihunde

„Was ist denn los?“, fragte Néko.

„Diese Spezialeinheit, Namens Inu*, ist für das Aufklären von Auftragsmorden zuständig.“

„Die heißen *Hund? Na das passt ja.“

„Diese Typen sind gefährlich für uns.“, sagte Tina, ohne auf Ennis Kommentar zu reagieren.

„Bist du ihnen schon begegnet?“

„Wenn, säße ich hier bestimmt nicht mehr. Sie haben einen Auftragskiller in Kyoto eiskalt ausgeschaltet.

„Hast du irgendwelche Fotos oder Namen?“

„Nein, genau das hatte der Typ in Kyoto versucht, es war eins der letzten Dinge die er tat.“

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Enni.

„Eine von uns bleibt vorm Computer und überwacht Hanas Büro, vielleicht kommen wir so an Gesichter und Namen. Alle vier Stunden wechseln wir uns ab.“, meinte Tora.

Die ersten vierundzwanzig Stunden geschah gar nichts. Als Enni morgens vor dem Bildschirm saß, betraten fünf Männer das Büro vom Capt´n. Ihnen voran war Staatsanwältin Mitamura:

„Hana- san, das ist die Sonderkommission Inu. Keda Fudo, Yamada Teshi, Hiniku Motoki, Nenrei Mamoru und Neo Misaki.“, stellte sie vor.

Enni schaffte es nur von zweien Fotos zu machen:

„Tora! Komm her! Die Inus!“ Mit einem Handtuch um den Schultern kam Tina aus dem Trainingsraum. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn:

„Wie viele sind es?“

„Fünf, die Namen habe ich hier aufgeschrieben.“, Néko zeigte ihr den Zettel.

„Lass mich wieder ran.“, drängelte Tina sie weg: „Machst du mir einen Kaffee?“

„Wie wäre es mit Kuchen und Kaffee aus der Bäckerei?“, schlug Enni vor.

„Du hast recht, dein Kaffee ist grauenvoll, aber sei vorsichtig.“, sie deutete auf den Bildschirm.

Enni ging durch verschlungene Wege ans Tageslicht. Sie lief in die Bäckerei und kaufte verschiedene Leckereien, einen Kaffee und einen Kakao für sich. Als sie wieder auf der Straße stand, wurde sie plötzlich umgerannt.

Der Milchkaffee und Kakao landeten auf ihrer Bluse, das Gebäck wurde zerdrückt:

„VERDAMMT!“, brüllte sie. Der junge Mann der neben ihr aufstand stotterte:

„Entschuldigung... kann... kann ich ihnen aufhelfen.“, er reichte ihr die Hand.

„Ja, können sie.“, sie griff danach. Als sie ihn berührte spürte sie Wärme in sich aufsteigen und sie sah ihm ins Gesicht. Er war vor Verlegenheit rot geworden:

„Es tut mir leid. Ich habe sie nicht...“, er brach ab als er merkte, dass er immer noch ihre Hand hielt. Sie ließen sich los: „Ich werde ihnen das“, er zeigte auf die Sachen: „natürlich ersetzen.“

Nachdem sie alles noch einmal gekauft hatten:

„Danke.“, sagte Néko und wollte gehen.

„Ich bin Neo!“, rief er ihr hinterher. Sie drehte sich um, lächelte ihn warm an und verschwand in der Menschenmenge.
 

Wieder im Bunker:

„Wie siehst du denn aus?“, fragte Tina und deutete auf Ennis Oberteil:

„Ich habe die Augen noch nicht überall, so wie du. Mich hat so ein Typ umgerannt, der ist einfach weitergelaufen.“ Tora grinste: „Ich finde es toll, dass dich meine Blessuren so amüsieren.“, schmollte Néko. Ihre Mentorin wandte sich kurz zum Schreibtisch um und dann wieder zu ihr:

„Was anderes, wir haben jetzt vier von den Spezis auf Bild. Hier, präge sie dir gut ein und sie haben Hanas Büro übernommen.“ Enni betrachtete eins der Fotos und sah auf einen Mann ende dreißig. Er hatte einen grimmigen Blick und sein Haar begann langsam zu ergrauen:

„Dein Milchkaffee und Kuchen sind auf dem Tisch. Ich gehe mich nur kurz umziehen und dann übernehme ich wieder.“ Als sie wieder aus dem Zimmer kam, stand Tora auf, streckte sich und ging zu ihrem Kaffee. Enni setzte sich. Prompt betrat jemand den Raum, der ihr sehr bekannt vorkam:

- Er kann es nicht sein! Nein! Das glaube ich nicht! – Doch dann sah sie Kaffee- und Kakaoflecken auf seinem Hemd:

„Misaki, wie siehst du denn aus?“, fragte einer der Inus, der am Schreibtisch saß.

„Ich habe aus Versehen eine junge Dame über den Haufen gerannt.“, sagte Neo. Néko grinste:

„Hast du dir wenigstens die Telefonnummer geben lassen?“, fragte Nenrei Mamoru. Eine kleine Diskussion brach aus bis der Mann vom vierten Foto, Keda Fudo, rein kam.

Enni hatte gebannt zugehört und völlig vergessen, dass sie eigentlich ein Foto machen sollte. Ihre Hand lag bereits auf der Mouse. Doch ihre Finger konnten die Taste nicht betätigen. Sie sah auf den Bildschirm:

- Als wir uns berührten, war es als wären wir verbunden. Ich kann ihn Tora nicht ausliefern. –

Neo hatte das Büro verlassen:

„Tora, hast du eigentlich vor die Inus zu töten?“, fragte sie wenig später.

„Nur wenn sie mir in die Quere kommen. Hast du Nummer fünf gekriegt?“ Enni schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, warum sie Tina nicht sagen wollte, wer der Gesuchte war. Auf dem Bildschirm blinkte etwas:

„Tiger, da ist eine Mail gekommen, soll ich sie öffnen?“

„Was ist der Betreff?“

„Shuryõ*.“ *Jagd

„Lass mich, das ist ein Auftrag.“, sagte Tora und öffnete diese.
 

„Tora,

Ihr nächstes Ziel ist Yokijoshi Hanato? Er veranstaltet Straßenkämpfe und finanziert damit seine Drogengeschäfte. Er wird auch in Verbindung mit einigen Entführungen gebracht.

Elemenieren sie ihn.

Preis wie immer. Erste Hälfte im voraus, zweite wenn’s erledigt ist.

Shuryõka“ , las sie vor.
 

„Sagtest du Yokijoshi Hanato?“, fragte Néko.

„Ja, warum?“

„Er war ebenfalls Polizist und ein langjähriger Freund meines „Chromosomenspenders“. Er ist ein eiskaltes Schwein und erfreut sich am Leid anderer.“ Enni dachte an ihre Mutter, wie sie von ihrem Vater und Yokijoshi verprügelt wurde. Sie verspürte eine starke Wut in sich:

„Ich muss an die Sandsäcke, sonst platze ich!“, sie stürzte in den Trainingsraum und ließ sich schlagend und tretend an den Boxsäcken aus. Nach einer Weile kam Tina rein:

„Geht es dir jetzt besser?“, fragte sie.

„Nein.“, antwortete Néko ehrlich: „Es kotzt mich an, dass diese Typen immer wieder mit dem Arsch an die Wand kommen!“, schlug sie einen Sack.

„Nach unserem Besuch nicht mehr. Ich brauche allerdings ein wenig Unterstützung. Meinst du, du kannst dich trotz deiner Wut auf das wesentliche konzentrieren?“, fragte Tora ernst.

„Ja, was soll ich tun?“, drehte sich Enni zu ihr.

„Finde heraus, wo die Straßenkämpfe stattfinden.“

„Also ab in die Boxklubs, oder was.“

„Néko, dein Scharfsinn ist manchmal beeindruckend.“, verließ Tina den Raum. Sakada ging ihr nach:

„Warte, hast du eventuell so was wie einen Informanten?“, fragte sie.

„Nein, zu gefährlich. Man, in dem Fall Frau, muss schon selber laufen.“

„O.K. Kriege ich den Toyota?“ Tora warf ihr den Schlüssel zu:

„Sei vorsichtig!“, warnte ihre Mentorin noch.

Straßenkämpfe

Néko war auf dem Weg ins Hafenviertel. Sie hatte bereits vier Klubs abgeklappert und nichts herausgefunden. Inzwischen war sie schon leicht frustriert.

Sie betrat die nächste Sporthalle. Der Geruch von Schweiß und das Keuchen einiger Männer kam ihr entgegen. Männer diesmal teilweise mit Anabolika aufgepumpt trainierten. Zwei Boxer standen im Ring und hauten sich in einem Trainingskampf die Nasen platt:

„Suchst du etwas?!“, machte ein Kraftprotz in einem ärmellosen Shirt sie an. Sie sah ihm selbstbewusst ins Gesicht:

„Vielleicht, ich würde gerne etwas wetten.“, flüsterte sie ihm zu. Er gab ein raumerfüllendes Lachen von sich:

„Wenn du wetten willst, dann geh ins Wettbüro.“

„Da ist das Wetten langweilig. Es wird vorher abgesprochen wer gewinnt. Da fehlt einfach der Kick, das Echte.“

„Du willst was echtes?“, fragte er, er kam näher an sie ran: „Es gäbe da eine Möglichkeit, aber du musst schon was einsetzen, Tausend Dollar Minimum.

„Beim Kickboxen oder was, da wird doch genauso betrogen.“, wollte sie sich schon wegdrehen:

„Mädel, ich rede von Straßenkämpfen.“

„Straßenkämpfe?“

„Ja, man weiß nicht, ob sich der zu Boden gerissene nicht doch noch hoch kämpft. Es ist echt und spannend.“, machte er schmackhaft. Sie sah immer noch skeptisch aus: „Komm heute Abend wieder her.“ Enni machte eine eher gleichgültige Miene und ging.

Einige Stunden später stand sie frierend vor der Halle. Der Typ tauchte und tauchte nicht auf. Ständig schaute sie auf die Uhr:

- Wo bleibt der nur? -, fragte sie sich ungeduldig. Endlich, eine halbe Stunde später kam er:

„Wo zum Teufel warst du? Ich friere mir hier seit dreißig Minuten den Hintern ab!“, sagte sie böse.

„Sorry, aber ich musste checken, ob du zu jemanden Kontakt aufnimmst.“

„Ich hätte fast die Auskunft angerufen um zu fragen, wo du steckst. Aber dann merkte ich, dass ich deinen Namen gar nicht kenne.“, sagte Néko weiter leicht erbost.

„Ich krieg ja richtig Angst.“, lachte er: „Mein Name ist Lanito.“

„Kioko,“ sagte sie kurz: „Können wir jetzt gehen?“

„Bleib mal ganz ruhig. Komm wir müssen hier lang. Sie gingen runter zu den Piers und betraten später eine Lagerhalle, die sonst wohl für Fisch diente. An den Wänden standen leere Fischkisten. Das sonstige Mobiliar und Inventar der Halle war weggestellt worden.

Dann sah sie es. Ein runder Käfig von etwa sieben Metern war in der Mitte der Halle aufgestellt. Der Boden auf dem die Kämpfer standen, war spärlich mit Sand ausgestreut. Die beiden Männer, einer mit einem roten, der andere mit einem schwarzen Tuch, waren schon blutig geschlagen:

„Na, was meinst du?“, fragte Lanito.

„Cool... und wo kann ich jetzt wetten?“, fragte sie und sah sich nebenbei um. Entdeckte aber nicht ihren Auftrag.

„Ich bringe dich gleich zu Snake.“, er deutete mit einer Kopfbewegung zum Kampf: „Und, was sagst du wer gewinnt?“

- Der mit dem schwarzen Tuch hat mehr Kraft. Der rote ist schneller und präziser. – „Der mit dem roten Tuch.“

„Du weißt wohl nicht viel über diese Kämpfe.“, spottete er und freute sich über die vermeidlich leicht verdiente Kohle.

Doch nun versetzte der schnellere Kämpfer seinem Gegner mehrere gezielte Schläge auf das Brustbein. Dieser röchelte und sackte zusammen.

„Glück gehabt.“, meinte Lanito abspenstig und brachte sie zu „Schlange“.

Sie wettete die ganze Nacht und gewann wirklich jede einzelne. Durch Toras intensives Training hatte sie einzuschätzen gelernt, wer was kann und an diesem Abend kam es nur einmal vor, dass zwei gleichwertige Gegner auf einander trafen. Sie hatte den Zufall entscheiden lassen und hatte diesmal wirklich Glück.

Am frühen Morgen hatte sie insgesamt dreizehntausend Dollar gewonnen:

„So viel Schwein möchte ich mal haben.“, meinte Snake einen weiteren Tausender übergebend:

„Wann finden die nächsten Kämpfe statt?“, fragte Enni. Er sah sie kritisch an und zögerte mit seiner Antwort. Lanito drehte sich zu ihnen um:

„Kannst heute Nacht zu den Spezialkämpfen kommen.“ Die Schlange warf ihm einen tödlichen Blick zu, aber er schien das nicht zu merken: „Ich hol dich wieder an der Halle ab.“

„Super, danke! Ich gehe jetzt ins Hotel, bin Hundemüde. Bis dann.“, verabschiedete sie sich. Sie war aus dem Gebäude:

„Bist du bescheuert, Maoka!“, brüllte Snake: „Woher willst du wissen, dass sie kein Spitzel ist?!“

„Schwachsinn!“, meinte der nur.

„Du wirst sie kontrollieren und wenn irgendwas nicht stimmt, lässt du ihr ein Gruß aus deiner achtunddreißiger zukommen.“

„Du bist paranoid Snake. Glaubst du ich habe Lust so einer verwöhnten, kleinen Göre hinterher zu dackeln.“

„Wenn heute Abend was schief geht, bekommst du den Gruß, VERSTANDEN!!!“

Maoka verdrehte die Augen und begann schließlich, von zuhause aus, die Hotels

abzutelefonieren. Im Ritz schien er Erfolg zu haben. Er wusste nicht, dass Tora sich dazwischen geschaltet hatte:

„Darauf musst du achten Néko. In diesen Kreisen muss deine Tarnung einhundert Prozent stimmen. Wie weit bist du?“

„Heute Abend soll ich zu den Spezialkämpfen. Ich nehme an Yokijoshi ist da.“

„Nimmst du an oder weißt du?“, fragte Tora.

„Ich konnte ja schlecht fragen: Hey Leute, ist euer Boss da, ich will ihn mal eben umbringen.“, meinte Enni sarkastisch.

„So was muss man durch geschickt naives Fragen raus kriegen. Geh jetzt ins Bett. Du musst ausgeruht sein.“, sagte ihre Mentorin leicht aggressiv. Enni tat es und dort lag sie dann wach:

- Wenn ich Yokijoshi heute Nacht umbringe, ist meine Mutter endgültig gerecht und kann Frieden finden. Wenn sie den überhaupt findet, mit einer Tochter die mordet. -, Sie starrte an die Decke, die sie wegen der Dunkelheit im Bunker gar nicht sehen konnte:

- Sie hasst mich sicher. -, Tränen flossen auf ihr Kopfkissen.

Begegnung mit Inu

Gegen zehn Uhr kam Tora rein:

„Komm hoch, du musst dich vorbereiten?“ Enni stand auf, wusch sich und kam an den Tisch im Hauptraum:

„Setz dich.“, meinte Tiger: „Heute ist es soweit. Die Planung sieht folgendermaßen aus:

Erstens bleibe ich dir heute auf den Fersen. Falls er Leute um sich rum hat.“

„Yokijoshi ist nie alleine. Dazu hat er viel zu viel schiss.“, sagte Néko verbittert. Tina sah sie aus den Augenwinkeln an:

„Wut macht dich unkonzentriert. Befreie dich davon.“, forderte sie: „Zweitens hast du deine New Nambu im Knöchelhalfter. Du ziehst eine Hose mit Schlag an und sonst enge Klamotten.

„Ich weiß aber nicht in welchem Lagerhaus die Kämpfe stattfinden.“, wechselte Enni das Thema.

(dt.) „Mädel, (jpn.) du unterschätzt mich.“ Sie holte Pläne heraus: „Die Lagerhäuser an den Pieren sind nach Schema D, E und F gebaut, aber nur im Typ F gibt es die Möglichkeit von einem Abgeschlossenen Raum alles zu überblicken.

Wenn Yokijoshi wirklich so vorsichtig ist, bin ich sicher er meidet die tosende Menge. Präge dir trotzdem alle ein, nur für den Fall.“

Néko sah sich über mehrere Stunden die Grundrisse an. Es langweilte sie sehr. Um die Mittagszeit ging sie erst auf Toilette und gesellte sich dann zu Tina an den PC. Sie sah gerade Hana- TV:

„Was machen unsere Hunde?“, fragte Enni.

„Drehen sich im Kreis und schnappen nach Bienen. Lege dich noch etwas hin.“

„Gut.“

Um 20 Uhr verließ sie das Versteck, nahm sich ein Taxi und fuhr zum Boxerklub. Maoka wartete schon auf sie.

„Hey Süße, bist pünktlich, selten bei Frauen.“, sagte er.

„Hat mir meine Mutter beigebracht. Können wir jetzt gehen?“, meinte Néko barsch.

„Wir müssen zu Pier sechsundsechzig. Dort finden die richtig harten Kämpfe statt. Es geht um Leben und Tod.“

„Tod?“, meinte sie gespielt geschockt. Sie wusste aber, dass Hanato sich nur amüsierte, wenn ein anderer litt und um den Tod bettelte.

„Ja, der Boss macht keine halbe Sachen.“ Nach circa dreißig Minuten kamen sie am Pier an, Snake erwartete sie schon:

„Da seit ihr ja endlich. Der Boss wartet schon und wenn er was hasst, ist es warten.“

Sie betraten das Lagerhaus. Es war Typ F, das eine totale Übersicht hatte. Die Halle war etwa vierzig Quadratmeter groß. Überall standen Leute. Enni wurde nach oben geführt. Die Tür ging auf und da stand er, einer der Peiniger ihrer Mutter. Sie unterdrückte krampfhaft die kalte Wut, die in ihr hochzusteigen versuchte. Hanato kam grinsend auf sie zu:

„Guten Abend, Yokijoshi Hanato mein Name.“, stellte er sich vor. Sie verbeugte sich kurz:

„Néko Kioko.“, sagte sie knapp. Er sah sie an:

- Moment, die kenne ich doch, aber woher? -, fragte er sich. „Kommen sie und sehen sie zu.“, lud er sie dann ein und zeigte auf das Fenster, welches den Blick auf einen größeren Kampfring freigab, als der vom Vortag:

„Was findet da jetzt für ein Kampf statt?“, fragte sie. Sie sah die beiden Kontrahenten. Einer von ihnen schien regelrechte Panik zu haben:

„Dieser ist nur zum anheizen. Der Champ von letzter Woche kämpft gegen einen Nobody, den man sich von der Straße geholt hat.“, er lachte kurz: „Das Wetten beginnt beim nächsten Kampf.“, erklärte er und legte den Arm um sie. Ihr Hass fraß sich näher an die Oberfläche. Am liebsten hätte sie ihn gleich erschossen und das Gemetzel da unten beendet. Doch sie musste abwarten, musste es geschehen lassen, dass es anderen in Zukunft erspart blieb.

Diese unfaire Treibjagd im Ring schien ewig zu dauern. Der „Champion“ verhöhnte ihn, verspottete seine Angst. Er ließ sich ein paar mal absichtlich treffen, um ihm Hoffnung zu machen. Der Kraftprotz, der schon seit sechs Monaten ungeschlagen war, brach ihm schließlich die Wirbelsäule.

Der Unterlegene lag halb bewusstlos im Staub. Enni konnte von seinen Lippen noch ablesen:

„Bitte nicht. Ich will nicht sterben.“ Im nächsten Moment wurde ihm mit einem Schraubenschlüssel, den ein Zuschauer reingeworfen hatte, der Schädel zertrümmert. Die Menge tobte:

Mit einem Mal ging das Licht aus. Durch die hohen Fenster flackerte Blaulicht.

Sie hob ihr Bein, zog die Waffe und jagte ihm eine Kugel in den Kopf. Sie rannte aus dem Beobachtungsraum nach unten. Dort herrschte heilloses durcheinander. Eher nebenbei hörte sie die Megaphonstimme:

„Hier spricht die Polizei...“ Enni rannte zum Notausgang, schoss das Schloss auf und verließ die Halle. Sie war jetzt in einer Gasse zwischen den Lagerhäusern. Es war eng und es lag viel Müll herum, was man wegen der Dunkelheit nicht Identifizieren konnte:

Plötzlich brüllte jemand ihren Rücken an:

„Stehen bleiben und Hände hoch!“, sie rührte sich nicht: „Drehen sie sich um!“

„Wer sind sie?“, fragte Néko, die Lage abschätzend und sich nicht bewegend.

„Polizei! Sonderkommission Inu!“, sagte er kräftig. Langsam, sehr langsam drehte sie sich um. In der Gasse war es zu dunkel für Misaki ihr Gesicht zu erkennen, dafür sah sie ihn. Hinter Neo bewegte sich etwas:

„Vertrauen sie mir.“, sagte sie ruhig, hob ihre Pistole und schoss. Die Kugel ging an ihm vorbei und traf einen Mann, der mit einem Messer auf den Polizisten losgehen wollte.

Erschrocken sah Neo erst auf den Mann, dann auf die Frau:

„Wieso haben sie das getan?“, fragte Misaki.

„Es werden keine Unschuldigen getötet.“

„Wer bist du?“

„Néko.“, sagte sie und lief fort.
 

„Warum hast du ihn nicht getötet!“, fragte Tora und trat zu.

„Wieso sollte ich? Es war nicht nötig. Er hat mich nicht gesehen.“, blockte sie ab.

„Das weißt du nicht. Er ist dein, unser Feind. Sollte er sich uns nochmals in den Weg stellen, ist er Geschichte!“

Enni antwortete nicht darauf.

In Capt´n Hanas Büro wurde der Abend durchgesprochen. Neos Kollegen hatten nicht mitbekommen was in der Gasse geschehen war und er hatte es auch nicht erzählt:

„Wer immer Yokijoshi umgebracht hat, war schnell, präzise und clever genug uns zu entkommen.“, sagte Mamoru.

„Dennoch denke ich nicht, dass es Tora war. Der kommt seinen Opfern nicht so nahe.“, meinte Keda.

„Du meinst er hat Konkurrenz gekriegt?“, fragte Hiniku.

„Ich glaube nicht, dass Tora jemanden leben lässt, der ihm die Aufträge wegschnappt. Nein, ich denke er hat sich einen Partner gesucht oder wenn man den Zeugen glauben darf eine Partnerin.“, sagte Yamada.

„Also gibt es noch eine Katze zum Tiger.“, schloss Fudo daraus.

- Katze... Néko. Sie soll Toras Partnerin sein? Ich weiß nicht. -, dachte Neo.

„Misaki, bist du anwesend?“ Er schreckte hoch.

„Ist was? Du bist irgendwie abgelenkt.“
 

Zwei Monate später traf eine e-Mail auf Tinas Computer ein:
 

„Tora

Auf dem Luxusliner Sora II wird sich die nächsten zehn Tage ein Mister Tree aufhalten. Er handelt mit Waffen, Drogen und unter anderem auch mit Organen von Menschen aus der dritten Welt. Es konnte ihm bis jetzt nie was nachgewiesen werden.

Er will sich auf der Kreuzfahrt erholen. Sorgen sie dafür dass es seine letzte ist

Shuryõka“
 

Tina sah zu Enni, die neben ihr stand:

„Dann mache dich mal für eine Schiffsreise fertig. Bei der Gelegenheit könntest du auch gleich ein wenig Farbe tanken.“, meinte ihre Lehrerin.

„Ein wenig Urlaub wäre nicht schlecht. Bei der Dunkelheit hier unten kriegt man noch Depressionen.“, sagte Enni.

Drei Tage danach legte das Schiff mit Néko und Tora an Bord ab:

„Siehst du schon irgendwen?“, fragte Tina.

„Nein...“

„Da ist Tree. Er geht in die Luxuskabine.“

Néko sah jedoch nur drei in schwarz gekleidete Männer, die einen vierten fast vollständig abdeckten.

„Wie sollen wir an den rankommen, wenn er immer diese Meute um sich rum hat?“

„Pssst!“, stieß Tora sie an: „Das besprechen wir in der Kabine.“

Im dritten Untergeschoss angekommen sahen sie ein gemütliches Zweibettzimmer. Das Fenster ließ viel Licht herein, es war nicht groß, aber für ihre Bedürfnisse ausreichend:

„So kleine Néko, für dich ist erst mal Urlaub angesagt. Gehe Sonne tanken, bediene dich an dem Büffet und entspanne.“

Enni verbrachte die folgenden Tage viel an Deck. Sie genoss es an der frischen Luft zu sein. Die mit Holz beplankte Oberseite des Schiffes machte eine sehr angenehme Atmosphäre. Der riesige Pool auf dem Buck war der Ort, wo sie mit exotischen Getränken die warmen und angenehmen Nachmittage verbrachte. Sie fühlte sich wohl:

„Néko.“, sagte plötzlich eine vertraute Stimme. Sie öffnete auf ihrem Liegestuhl die Augen. Rechts von ihr stand Tina:

„Was ist?“, fragte sie. Ihre Mentorin sah sie ernst an:

„Komm wir müssen uns auf heute Abend vorbereiten.“

„Urlaub áde.“, sagte die Kleine und nahm ihre Sachen. Sie erreichten ihre Kabine und setzten sich auf die gegenüberliegenden Betten:

„Wenn wir heute zuschlagen, müssen wir den Bodyguard vor seiner Kabine überwinden.“, sagte Tiger.

„Bringen wir ihn doch zum Einschlafen. Er sitzt doch praktisch an Deck und so ist es möglich von zwei Seiten zu kommen.“ Tina guckte überrascht:

„Du hast dich umgesehen?“, wurde Enni nun gefragt. Diese wandte sich zu ihr:

„Natürlich... Ich würde von der einen Seite kommen und ihn ablenken. Du kannst dich dann unbemerkt von hinten anschleichen und ihm Chloroform unter die Nase halten. Wir spazieren rein und stellen Tree vor seinen Schöpfer.“
 

Morgens um halb drei ging es los. Enni tat als hätte sie einen über den Durst getrunken und torkelte den Gang zwischen Reling und Wand entlang:

„Hey Süßä, noch alles fit im Schritt.“, lallte sie und fiel dem Bodyguard in die Arme:

„Lady, sie sollten... mph.“ Tora hatte sich von hinten herangepirscht und drückte ihm nun ein chloroformgetränktes Tuch auf Mund und Nase. Er sackte zusammen:

„Rein mit ihm.“, Néko öffnete die Tür und beide zogen den Muskelprotz an seinen Füßen in den Raum. Enni sah sich mit Hilfe einer Taschenlampe um. Das großzügige Mobiliar war aus edlem Mahagoniholz. Gold verzierte Griffe an den Schranktüren:

„Wow, wir hätten uns so eine Sweat nehmen sollen.“, flüsterte sie.

„Sei still und konzentriere dich auf deine Aufgabe,“, zischte Tina und ging zu Trees Koje, während ihre Schülerin Schmiere stand. Diese hörte nur ein kurzes Röcheln, dann kam die Auftragskillerin wieder raus. Sie hielt ihrer jungen Partnerin den Daumen hoch und deutete ihr an zu folgen. Beide standen schon an der Tür und sahen draußen einen Raucher stehen, der aufs Wasser blickte, als sie plötzlich etwas hörten:

„Tora?!“

„Pst.“

„Tora, der Bodyguard wacht auf.“, flüsterte Enni.

„Drücke ihm noch mal das Taschentuch ins Gesicht.“, sie überreichte es ihr. Sie tat es.

Der Mann an der Reling schien ewig zu brauchen, um seine Zigarette zu rauchen und zu allem Überfluss gesellte sich noch ein zweiter dazu.

Die Situation verschärfte sich von Sekunde zu Sekunde. Gleich würde die Wachablösung für den Bodyguard kommen. Die beiden Raucher quatschten. Die sowieso schon endlosen Sekunden wurden zu Minuten. Die beiden Frauen saßen fest:

„Hier vor der Tür sitzt doch sonst immer so ein Typ.“, fragte der eine.

„Jaaa, der hat mich immer weggescheucht, wenn ich hier eine schmöken wollte. Wo steckt der heute?“ Er sah sich um.

„Wollen wir mal gucken, was oder wen der bewacht?“, grinste der andere.

Hinter der Tür:

„Néko! Versteck dich!“, zischte Tora so laut es ging.

Die zwei Raucher betraten den Raum. Der Geruch von Marlboro wehte herein. Sie durchquerten den Raum. Es war ein Wunder, dass sie nicht über den Bodyguard stolperten. Sie erreichten das Schlafzimmer, die Killerinnen nutzten die Chance, rannten aus der Kabine und verschlossen die Tür hinter sich. So hinterließen sie der Polizei zwei Verdächtige, die sie zunächst aus der Schusslinie brachten.

Sie liefen in das dritte Untergeschoss. In ihrem Zimmer angekommen:

„Puh, das war knapp.“, keuchte Enni und fiel aufs Bett. Tina kam an sie ran:

„Hast du davon was gelernt?“, fragte sie etwas barsch. Néko öffnete die Augen:

„Ja, Tür abschließen.“, meinte sie schon fast zu locker. Ihre Mentorin sah sie sehr kritisch an, sagte aber dann:

„Richtig, ich haue mich jetzt hin.“ Sie lag kaum in ihrer Koje, da war sie schon eingeschlafen.

Enni konnte auf Grund des angesammelten Adrenalins in ihrem Körper nicht einschlafen oder ruhig liegen. Sie wälzte sich hin und her.

- Verdammt! -, ging ihr durch den Kopf. Sie war müde, kriegte aber kein Auge zu. Sie stand schließlich auf, zog sich an und ging an Deck. Sie hielt sich natürlich vom Tatort fern. Sie stellte sich an die backbord Seite an die Reling und beobachtete die Lichter des Schiffes im Wasser.

Plötzlich hörte sie Stimmen vom Heck. Sie ging dem nach.

Dort standen mehrer Männer und unterhielten sich, Néko hörte nur:

„Das ist bei weitem nicht genug Inato, wenn...“

Von hinten näherte sich jemand. Sie bemerkte ihn nicht, war sie doch an dem Gespräch interessiert.

Plötzlich schwanden ihr die Sinne.
 

„Hey! Hey! Wachen sie auf!“, berührte jemand an ihrer Schulter. Es war stockdunkel als sie die Augen öffnete und der Mann hörte nicht auf an ihr zu rütteln. Sie nahm seine Hand und drehte sie ihm mit einem gekonnten Griff auf den Rücken:

„Wer sind sie und was wollen sie?“, fragte sie aggressiv.

„Mi... Misaki Neo und ich bin hier genauso gefangen wie sie.“, sagte er unter Schmerzen. Langsam ließ sie ihn los.

„Sind wir noch auf dem Schiff?“, fragte Enni, mit rasenden Kopfschmerzen, die sie erst jetzt bemerkte.

„So wie es sich anfühlt, ja.“, meinte er.

„Dann wollen wir doch mal sehen, eh, ob wir hier nicht irgendwie rauskommen.“, stand sie auf und begann die Wände abzutasten.

„Ich habe ihren Namen nicht verstanden.“, sagte er nun. Ihr wurde in dem Moment schlagartig klar, dass ein Polizist, ein Inu, eigentlich ihr Feind mit ihr zusammen in dem gleichen Dilemma saß und es war der, der ihr ein Kribbeln auf der Haut verschaffte. Sie hielt inne und sah in die Richtung in der er vermutlich stand:

„Sie kennen mich, aber ich kann ihnen nicht sagen, wer ich bin.“

„Warum nicht?“, fragte Neo, fast so unschuldig wie ein Kind.

„Vertrauen sie mir. Es ist besser so.“

„Vertrauen...“, er überlegte nur Sekunden: „Néko?!“ Sie erschrak als er sie erkannte. Er hingegen wurde nervös:

„Ich... Ich wollte... wollte mich bei ihnen bedanken.“, stotterte Neo sich zurecht: „Dafür dass sie mein... mein Leben bei dieser Razzia gerettet haben.“, war er froh das endlich los zu sein.

„Schon gut.“, meinte sie. Er ging auf sie zu und berührte ihre Hand:

„Néko, warum tötest du?“

„Ach, ich könnte dir jetzt eine lange, traurige Geschichte erzählen, aber es muss dir genügen, dass ich meine Gründe habe.“

„Aber wie kann ich dir vertrauen, wenn du Leute umbringst?“, fragte er nun.

„Es ist sicher nicht wahllos. Hast du dir die Menschen mal angesehen, die meine Opfer wurden?“

„Natürlich, jeder hatte Gerüchten zufolge Dreck am Stecken.“

„Weißt du, wir überprüfen unsere Aufträge genau und schlagen erst dann zu.“, sagte Enni, trauriger werdend.

„Wenn ihr Beweise findet, warum übergebt ihr sie nicht der Polizei?“, fragte Misaki.

„Die Betreffenden haben zu viel Macht oder Freunde, die diese besitzen. Sie würden frei kommen, aufgrund von Interessen einzelner.“

„Welche Interessen? Von wem?“, war er noch neugieriger geworden.

„Zum Beispiel Geld, Macht, Leidenschaft und die Menschen, die dahinter stehen sind die Altbekannten: Wirtschaftsbosse, Politiker und alle Großen, die noch größer werden wollen. Es gibt auch Polizisten, die mal am Kuchen mitnaschen wollen.“, sie senkte den Blick, was von ihm natürlich nicht gesehen wurde: „Weißt du ich töte wirklich nicht gerne und wenn es sich vermeiden lässt keine Unschuldigen, aber mir wurde zum Überleben keine andere Wahl gelassen.“

„In gewisser Weise verstehe ich dich.“, sagte er. Sie hob den Kopf.

„Wirklich.“, war sie überrascht. Neo berührte mit den Fingern ihre Wangen. Das selbe Gefühl wie damals vor dem Bäcker nur viel stärker ging durch ihren Körper. Ihre Lippen kamen sich immer näher. Ein Kuss folgte, erst vorsichtig, dann immer mutiger. Seine Hände streichelten über ihre Wangen und den Hals:

„Nein, lass...“, sagte sie, küsste ihn aber weiter: „Das geht... mmh... nicht gut.“ Doch sie konnten nicht voneinander lassen.

„Du hast Recht... mph... Wir sollten aufhören.“

Plötzlich hörte Néko vertraute Schritte:

„Oh Gott, mein Partner. Verzeih mir, aber es ist die einzige Chance für dich zu überleben.“, sagte sie und schlug ihn k.o. Gerade im richtigen Augenblick, denn die Tür öffnete sich. Ein Lichtstrahl ergoss sich in den Raum:

„Néko, bist du hier?“

„Tora, was ist hier eigentlich los?“

„Enni, ich muss dir noch sehr viel beibringen.“, schüttelte ihre Lehrerin den Kopf. Sie entdeckte den Mann: „Wer ist das?“

„Misaki Neo.“ Sie sah Tigers Blick: „Keine Sorge. Ich habe ihn außer Gefecht gesetzt als ich erfuhr, wer er ist.“, sagte sie etwas zu nervös. Tina schloss die Augen und atmet laut durch. Sie war schon etwas sauer, weil ihre Partnerin drauf und dran war sich in einen Keikan* zu verlieben:

„Bringen wir ihn raus.“, meinte sie dann erschöpft.

„Danke, ich danke dir.“, lächelte Enni sie an. Sie brachten ihn an den Pool und legten ihn auf einen Liegestuhl. Néko sah Tora dabei immer wieder an. Sie konnte ihren Gesichtsausdruck absolut nicht deuten und sie hatte keine Ahnung, warum Tina ihm half.

Heimliches Treffen

„Was! Du willst aus Inu austreten?!“, brüllte Yamada. Alles drehte sich zu ihnen um. Sein ehemaliger Mentor Keda Fudo fragte:

„Wieso? Du hast doch so hart gearbeitet um reinzukommen.“

„Jetzt wo wir so dicht davor sind Tora endlich zu kriegen.“, meinte Nenrei. Neo sah Mamoru an:

„Es ist eine persönliche Entscheidung. Bitte akzeptiert das.“, sagte Misaki.
 

Im Versteck von Tora summte Enni eine fröhliche Melodie:

„Sei endlich still!“, fauchte Tina und sah sie durchdringend an: „Misaki hat sich gerade in Hanas Revier versetzen lassen.“, sagte sie weiter aggressiv.

„Wieso hat er das gemacht?“, fragte Enni sich jetzt auch.

„Hast du ihm irgendwas gesagt, als ihr dort eingeschlossen wart?“, stand Tora auf.

„Nein.“ Angst kroch in ihr hoch, nicht um sich sondern um Neo. Tina ging weiter auf sie zu:

„Was habt ihr getan, bevor du ihn auf die Bretter geschickt hast? Du hast dich mit ihm unterhalten, nicht wahr.“, wurde sie auch immer lauter und Néko beschloss, ihr die ganze Wahrheit zu sagen. Sie erzählte von Neos Dank, dass sie ihm gesagt hatte, dass sie nicht wahllos vorgehen, von den Küssen und dem Gefühl der Vertrautheit:

„Ich weiß, ich habe dich enttäuscht, aber bitte töte ihn nicht.“, bettelte sie.

„Hältst du mich für so herzlos? Aber mit diesen Gefühlen bist du jederzeit angreif-, verletz- und erpressbar. Außerdem der Schmerz, den du definitiv ertragen musst, ist eine nicht erstrebenswerte Sache.“

„Was weißt du denn davon?!“, fragte Enni leicht trotzig. Tina gab ein kurzes freudloses Lachen von sich:

„Eine ganze Menge. Vor etwa einem Jahr wurde mein Koibito* vor meinen Augen erschossen. Ich wollte, konnte aber nicht mehr helfen.“

Néko glaubte nicht was sie sah, über Tinas Wangen rollten Tränen. Ihre Lehrerin drehte sich schnell von ihr weg:

„Du denkst doch aber täglich an ihn. Warum sonst würdest du jede Nacht für mindestens eine Stunde verschwinden.“, fiel es Enni nun ein. Bei Tora waren die Tränen verschwunden und ein ernster Gesichtsausdruck war zu erkennen:

„Ich habe schon Mädels umgebracht, die jünger und klüger waren als du und du wirst diesen Misaki nicht wiedersehen. Haben wir uns verstanden!?“, fragte sie extra- deutlich.
 

Néko lag in dieser Nacht wach und überlegte hin und her. Sie wusste eigentlich gar nicht worüber. Sie kriegte ihren Verstand und ihre Gefühle nicht überein und dies hielt über Tage an. Schließlich verließ sie mit der Aussage frische Luft schnappen zu gehen den Bunker. Sie besorgte sich aus einem Baumarkt schwarze Pappe und Klebeband und fuhr damit in die Sakurada- dori fünfundvierzig. Es war ein Hochhaus und in der dreiundzwanzigsten Etage wohnte Neo. Mit Hilfe eines Dietrichs betrat sie seinen Lebensraum:

- Das sieht ja aus, wie bei den Sukinos unterm Sofa. -, dachte sie, als sie die Zweiraumwohnung betrat. Es war unordentlich. Überall lag was rum. Das Sofa war unter den ganzen Sachen kaum zu erkennen. Die Küche dagegen war fast zu ordentlich, was sie angenehm überraschte. Sie begann aufzuräumen und vorzubereiten.

Um siebzehn Uhr dreißig drehte sich das Schloss und Neo betrat sein Reich:

- Warum ist das so dunkel hier? -, fragte er sich und griff nach dem Lichtschalter.

„Lass bitte das Licht aus.“, sagte sie sanft. Neos Herz machte einen Hüpfer:

„Néko? Du? Hier?“, er schloss schnell die Tür. Sein Blut pochte durch seine Adern. Er hatte das Gefühl jeden Moment vor Aufregung zu explodieren. Sie dagegen trat sicher auf ihn zu und berührte seine Lippen mit den ihren:

„Ich habe etwas zu essen gemacht.“, sagte sie, als sie sich wieder von einander gelöst hatten. Sie führte Neo in seine riesige Küche, der sonst sehr kühle große Raum war nur durch ein kleines Teelicht minimal erhellt, so dass er keine Einzelheiten von Nékos Gesicht erkennen konnte. Sie setzten sich am Tisch gegenüber und begannen zu speisen.

Er schmeckte das Essen kaum, war er doch viel zu nervös.

Néko ging es nicht anders. Noch nie hatte sie sich von jemanden so angezogen gefühlt. Sie sprachen während des gesamten Essens nicht ein Wort. Die gegenseitige Erwartung machte jedes Wort überflüssig. Sie wussten beide worauf es hinauslaufen würde:

„Was hast du jetzt vor?“, fragte er. Sie legte ihre Stäbchen bei Seite und sah in seine Richtung: „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht.“ Er stand auf, sie war sofort in Alarmbereitschaft. Trotz der Dunkelheit merkte er das:

„Vertraue mir. Ich werde dir nichts tun.“, versprach er, trat an sie heran und setzte sich.
 

Der Abend war für beide etwas ganz besonderes. Es war erst dreiundzwanzig Uhr, doch er war total erledigt.

Enni stahl sich aus dem Bett und zog sich ihre Sachen wieder an. Als Enni an der Küche vorbei ging, hielt sie inne. Sie zog eine Rose aus der Vase und hantierte an ihr mit einem Messer herum. Sie verweilte noch einem Moment in Gedanken und ging. Zurück im Bunker:

„Wo warst du?“, fragte Tora.

„Draußen, ich brauchte Zeit zum Nachdenken.“ Sie sah sie misstrauisch an:

„Mach das nächste mal das Handy an.“, meinte Tina und wandte sich um zum Gehen.
 

Neo erwachte am nächsten Morgen um fünf Uhr aus einem tiefen erholsamen Schlaf. Er fühlte sich gut, doch noch etwas verträumt vom gestrigen Abend. In dem Moment stellte er fest, dass er alleine war:

- Wo ist sie? -, fragte er sich und durchquerte seinen Flur, der immer noch in Dunkelheit gehüllt war. Er begann die dunkle Pappe von den Fenstern zu nehmen. Die Sonne, die ihm nun entgegen schien, blendete. Neo sah auf sein Bett:

- Was zum Teufel mache ich nur? Ich bin Polizist, meine Aufgabe ist es Menschen wie sie zu verhaften. Er schlenderte wie in Trance in die Küche und fand die Rose, auf deren Stil „Néko“ stand und darunter ein Herz:

„Verdammt!“, fluchte er und er dachte an seinen Bruder Ken, der, wie er glaubte, von einer Killerin ermordet wurde.

Neo zog sich an und fuhr in aller Frühe zum Dienst. Sein Cäpt´ n trat am Nachmittag auf ihn zu:

„Ah, Misaki, die Drogenfahndung will heute Abend hier im Juban eine Razzia machen. Sie und Hiro sind dabei. Vielleicht werden sie gebraucht.“, befahl Hana.

Die Männer machten sich Abends auf den Weg.

An einem Lagerhaus, in der Nähe des zu stürmenden Hauses, machten sich die Leute der Drogenfahndung fertig, auch Hiro und Misaki zogen Kugelsichere Westen an.

Der Einsatzleiter ließ ihnen Walki Talkis zukommen. Alles lief routiniert ab:

„Sie bleiben draußen, falls einer fliehen will, halten sie ihn auf.“, sagte er noch.

Tamao und Neo schlichen in gedeckter Haltung hinter das alte schäbige Haus in dem die Razzia stattfinden sollte. Sie waren nun auf dem Hinterhof, der eher einer Müllkippe glich. Sie versteckten sich am Schuppen, an dem es unangenehm nach Urin roch:

„Es geht los!“, meinte eine Stimme aus dem Walki Talki. Sie hörten die Kollegen das Haus stürmen.

Im nächsten Moment wurde die Hintertür von innen aufgerissen und drei Personen versuchten zu entkommen. Der Letzte der die Tür durchqueren wollte, wurde von einem Polizisten aus dem Haus aufgehalten. Die anderen Beiden liefen in Misakis und Hiros Richtung. Sie hielten sich noch versteckt. Erst in letzter Sekunde sprangen sie raus und rissen, jeder einen, zu Boden und legten ihnen Handschellen an. Einer der Typen, den Hiro festnahm, versuchte sich zu wehren und brüllte:

„Lasst mich los du Bullenschwein!“

Neos dagegen wirkte völlig verschüchtert, als wäre er mit der Situation geistig total überfordert. Dann mit einem Mal versuchte er sich trotz Handschellen loszureißen. Misaki brachte ihn zu Fall, damit er nicht noch mal die Beine in die gefesselten Hände nahm. Der Polizist durchsuchte ihn nach eventuellen Waffen oder Drogen, fand aber nur eine Visitenkarte:

„Gato Umino? Bist du Gato Umino?“, fragte er. Tamao sah erschrocken zu seinem Kollegen ohne dass er es merkte:

„Ich sage nichts ohne meinen An...“

„PENG“,

hallte ein Schuss durch die Nacht und traf Neos Verdächtigen tödlich. Die Kugel ging nur wenige Millimeter an Misaki selber vorbei, durchschlug das Herz des Gefangenen und blieb in der Autotür stecken.

Der ehemalige Inu hatte sich sehr schnell weggerollt und seine Pistole gezogen. Er blickte, wie fast alle Cops, die in der Nähe standen nach oben auf die Lagerhäuser, um den Uhrheber des Schusses zu finden, aber es gelang nicht.
 

In der Nacht hatte Neo noch einigen Ärger. Erst beschuldigte ihn die Drogenfahndung, er habe den Verdächtigen erschossen. Sie merkten jedoch bald, dass das Kaliber der todbringenden Waffe nicht seinem entsprach.

Dann zweifelten sie seine Professionalität an, denn wie konnte es einem Exmitglied einer Spezialeinheit gegen Killer passieren, dass ein solcher den Verdächtigen vor Neos Nase erschießt?

Er kam in dieser Nacht gar nicht nach hause, saß an seinem Schreibtisch und schrieb Berichte. Am Morgen fiel ihm plötzlich die Visitenkarte wieder ein.

„Computerfirma Gato

Inh. Gato Umino

Wasedadori 9

Tokio Shinjuku”,

las er. Er verweilte einen Augenblick. Warf sich dann eine Jacke über und fuhr zu dieser Adresse.

Sein Wagen hielt vor einem Wolkenkratzer. Das Gebäude strahlte Erfolg aus, mit seinen riesigen geputzten Fensterfronten. Misaki ging durch den Haupteingang an die Rezeption:

„Willkommen bei Computerfirma Gato. Was kann ich für sie tun?“, fragte die wasserstoffblonde Empfangsdame.

Neo zog seinen Ausweis, zeigte ihn und hielt ihr dann die Visitenkarte in einer Sicherungstüte hin:

„Von wem ist die?“, fragte der Polizist.

„Lassen sie mich mal sehen.“ Sie nahm die Karte in die Hand: „Das ist die von Gato- san.“

„Gut, dann möchte ich ihn sprechen.“

„Einen Augenblick bitte.“ Die Rezeptzionistin nahm den Hörer zur Hand. Misaki wartete:

„Sie können in die achtundvierzigste Etage fahren und folgen sie dann den Schildern zu Gato- sans Büro.“, beschrieb sie.

Er fuhr ganz nach oben und ging den luxuriösen Flur entlang. Vor dem Büro, dass dem Geschäftsführer gehörte, stand eine große Statue, die bis an die drei Meter hohe Decke reichte. Sie war aus Holz und stellte wohl einen griechischen Adonis dar. Er blieb kurz davor stehen und folgte mit den Augen den ehemaligen Lebenslinien des Baumes.

Er riss sich davon los und klopfte an:

„Herein!“, schallte es von innen. Der Keikan betrat das riesige lichtdurchflutete Büro. Zwei Seiten waren komplett aus Glas. Gato saß links mit dem Rücken an einer der beiden befestigten Wände, wo eine weitere Tür war:

„Sie wünschen?“, fragte der unangenehm dicke Mann mit stechenden Augen.

„Heute morgen wurde in einem Haus eine Razzia durchgeführt.“

„Was hat das mit mir zu tun?“, wurde Umino leicht aggressiv.

„Nun, einer der Verdächtigen hatte ihre Visitenkarte dabei.“, erklärte Misaki.

„Hat er ihnen was gesagt?“

„Nein, bis jetzt ist er sehr schweigsam.“, schüttelte Neo überheblich den Kopf und wandte sich dem riesigen Fenster zu, von dem man sogar den Starlight- Tower sehen konnte.

„Ich weiß nicht wie dieser Typ an meine Karte gekommen ist. Entschuldigen sie mich bitte, ich habe noch zu arbeiten.“, beförderte ihn Gato verbal aus dem Raum.

Er stand jetzt erneut vor der Statue, die wie Neo jetzt erkannte, Uminos Gesichtszüge hatte. Er bewunderte den Bildhauer, wie er es geschafft hatte diesen hässlichen Mann gut aussehen zu lassen.
 

„Crowfort!“, brüllte Gato, nachdem er sicher war, dass der Polizist weg war:

„Sie geruhten ihr sanftes Stimmchen zu erheben.“, lehnte sich Crowfort gegen den Rahmen der zweiten Tür. Er war ein gut aussehender Mann, Anfang bis Mitte dreißig, mit ernsten Gesichtszügen und kurzen schwarzen Haaren. Sein Blick gab Verachtung für seinen Boss preis:

„Was ist da heute morgen passiert?!“, schrie Gato.

„Lassen sie mich überlegen.“, meinte Crowfort ironisch: „Ach ja, ihr blöder Handlanger Nakumiso hat die Drogenfahndung, durch seine Unfähigkeit auf die Spur des Labors gebracht. Diese hat dann eine Razzia gemacht und ihn und das Labor inflagranti erwischt. Er versuchte zu fliehen und unser Superbulle von eben hat ihn festgenommen und ihre Karte bei ihm gefunden.“, meinte er gelangweilt.

„Wenn sie Nakumiso haben, wird der bald reden.“, machte Gato sich Sorgen.

„Für wie inkompetent halten sie mich? Ich habe ihn abgeknallt.“, wollte Crowfort gehen:

„Warte! Wie weit bist du mit Tora?“

„Wie? Was soll ich mit ihm machen? Ihn zum Essen einladen?“

„Du wirst ihn uns vom Hals schaffen!“, verlangte Umino. Sein Bodyguard sah ihn gefährlich an:

„Ich habe ihnen bereits gesagt, dass sie mir so viel gar nicht zahlen können.“, lehnte er ab.

Dann schicke ich halt ein paar aus der Group D los.“

„Ja, dann vergessen sie nicht die Urnen zu bestellen.“, lachte Crowfort.

„Und was mache ich jetzt mit dem Polizisten? Schmieren?“, fragte der Geschäftsführer sich halblaut.

„Geben sie sich keine Mühe. Misaki lässt sich nicht bestechen.“

„Dann bringe ihn um!“, schlug er mit der Faust auf den Tisch: „Herr Gott, wozu bezahle ich dich?“

Crowfort kam schnell und sehr dicht an seinen Chef heran:

„Dazu, dass ihnen niemand das kleine Hirn wegpustet, wenn ich das nicht bald tue. Sie dürfen nicht vergessen, so jemanden wie mich, hat man nie unter Kontrolle.“

„Sie... Sie haben eine Schuld zu begleichen.“, sagte Gato mit zittriger Stimme.

„Aber irgendwann ist diese Schuld abgezahlt und dann wird es mir ein großes Vergnügen sein, sie zu ihren Ahnen zu schicken.“ Er ging und ließ seinen Chef sitzen.
 

Neo war bereits am späten Nachmittag zu hause, was für ihn sehr ungewöhnlich war. Normalerweise war er erst gegen einundzwanzig/ zweiundzwanzig Uhr in seiner Wohnung, wenn er morgens um acht Uhr angefangen hatte. Er arbeitete gerne und viel. Er liebte seinen Beruf.

Er holte sich eine Limonade aus dem Kühlschrank und setzte sich in seinen Sessel im Wohnzimmer. Mit großen Schlucken trank er das chemische, aber kühle Zuckerwasser.

Er schloss die Augen und genoss die Ruhe. Ihm erschien Enni vor Augen.

Plötzlich klingelte irgendwo in seiner Wohnung ein Handy. Es war nicht seins, das hatte nämlich einen Klingelton wie eine Polizeisirene.

Er ging durch die Wohnung und suchte nach dem piepsenden Gerät. Misaki fand es im Schlafzimmer unter seinem Kissen:

- Hat sie es etwa hier vergessen? -, fragte er sich und nahm das nachtblaue Telefon mit einer silbernen Katze darauf in die Hand:

„Hallo?“, fragte er etwas nervös.

„Neo, komm bitte zur Haltestelle Juban und nimm dieses Handy mit.“ Erklang eine ihm bekannte weibliche Stimme. Er machte sich sofort auf den Weg.

Enni wartete an der U- Bahn Haltestelle auf und abgehend. Wenn Tora sie erwischen sollte, wusste sie, gab es wahrscheinlich kein Morgen mehr.

Neo war nach fünfzehn Minuten immer noch nicht da. Sie wählte erneut die Nummer des Prepaid Handys. Eine technische Stimme hallte ihr entgegen:

„Der gewünschte Gesprächspartner...“

„Oh Gott.“, ahnte sie etwas und lief los in Richtung Misakis Wohnung. Sie sah dort einen Krankenwagen stehen der sein Blaulicht nicht angeschaltet hatte. Langsam, dann immer schneller ging sie darauf zu.

Neo saß hinten drin und hielt sich eine Kompresse an den Schädel:

„Sie können mich nicht mitnehmen. Ich habe eine Verabredung.“

„Das können wir nicht machen Misaki- san. Sie waren bewusstlos und wahrscheinlich haben sie eine Gehirnerschütterung.“, sagte der Notarzt.

„Nein, ich muss gehen!“, versuchte er sich hoch zurappeln.

„Lassen sie ihn nicht weg, Doktor. Er ist stur wie ein Esel.“, sagte Néko grinsend.

„Du?“, er sah ihr in die Augen und erkannte das Mädchen, das er damals vor der Bäckerei umgerannt hatte.

„Hakase*- san.“, darf ich ihn begleiten?“ Er sah nicht gerade begeistert aus, aber da Neo sonst androhte nicht mitzukommen, durfte sie mit.

Anderthalb Stunden später in einem Krankenzimmer. Der Raum war halbdunkel, denn Enni hatte zu seiner und ihrer Sicherheit die Rollos runter gelassen. Trotzdem tigerte sie im Zimmer auf und ab:

„Was hast du?“, fragte Neo. Sie blieb seitlich am Kopfende des Bettes stehen:

„Angst.“, sagte sie leise und senkte den Blick.

„Setze dich zu mir.“, sprach er beruhigend auf sie ein. Sie rührte sich nicht: „Bitte.“ Nach einem weiteren Augenblick, nahm sie sich einen Stuhl. Misaki nahm Nékos Hände:

„Weißt du, mein Bruder hat immer gesagt: Die Angst zeigt uns, was uns etwas Wert ist, aber man soll sie nicht überbewerten.“

Enni lächelte, lehnte sich über das Bett und strich ihm mit dem Daumen über die Wange. Sie legte ihren Kopf auf der Matratze ab und schlief fast augenblicklich ein. Auch der Keikan döste mit ihrer Hand auf der Brust ein.
 

„Neo, Neo, Neo. Immer für Recht und Ordnung stehend und dann dieses Mädchen.”, hörte er eine Stimme und öffnete die Augen. Alles war verschwommen, doch den Mann, der ihm gegenüber stand, erkannte er. Es war sein Bruder, doch der war schon seit fast einem Jahr tot.

„Ken? Bist du das? Wie?“ Der reagierte gar nicht auf seine Fragen und sah ihn nur unverwandt an:

„Neo, ich muss dich warnen. Wenn Gato erfährt, dass du noch lebst und im Krankenhaus bist, wird er alles in Bewegung setzen, dir den Rest zu geben. Wenn du sie und dich retten willst, flieh.“, schlug der Verstorbene vor.

Neo erwachte aus dem Traum, erinnerte sich aber genau daran. Misaki nahm die Warnung von Ken ernst und weckte Enni.

*Doktor

Misaki Kens Grab

Sie verließen auf schnellst möglichen Weg das Krankenhaus:

„Wohin jetzt?“, fragte Neo, der sich auf Néko stützen musste.

„Ich weiß nicht. Zu dir in die Wohnung ist zu gefährlich.“ Langsam ergriff sie Panik:

„Es geht nicht anders. Ich muss meinen Partner anrufen.“, sagte sie und nahm zitternd das Handy zur Hand:

„Tora?“

„Néko, wo zum Donnerwetter steckst du?!“

„Ich... Ich bin mit Neo zusammen.“

„WAS!!!“

„Er wurde angegriffen... Ich weiß nicht wo ich ihn in Sicherheit bringen kann.“, bettelte, flehte sie fast.

„SCHEIßE!“, brüllte Tina in den Hörer: „Darüber sprechen wir noch! Wo seit ihr jetzt.“ Néko nannte ihr die Straße. Tora erklärte ihr dann den Weg zu einem Unterschlupf. Es war eine Wohnung in einer Seitenstraße. Die Häuser hier beherbergten maximal drei bis vier Familien.

Es war mitten am Tag, als sie dort ankamen, aber es war niemand zu sehen. Enni half Neo die alte Treppe des Hauses mit der Nummer sieben herauf:

„Tora sagt, das Ding ist sicher.“, meinte sie zu ihm und gab einen Code in die Tastatur ein, die in einem Briefkasten an der Hausmauer versteckt war. Die Tür sprang auf und sie gingen rein. Enni suchte und fand ein Bett für Misaki.

„Ruhe dich etwas aus.“, meinte sie, sah ihn warm an und wollte gehen:

„Néko.“, hielt er ihre Hand fest. Sie blieb stehen, drehte sich

aber nicht um:

Ich... ich kann dich nicht wiedersehen.“, sagte Enni traurig.

„Wir werden uns wiedersehen.“, meinte der hoffnungslose Optimist und zog sie wieder dichter an sich. Sie kamen sich immer näher und verloren sich in einem endlos scheinenden Kuss.

Mit einem Mal flog die Tür vom Schlafzimmer auf und die maskierte Tora stürmte rein. Diese sah die Zwei, die sich sehr erschrocken hatten, packte Enni wütend am Arm und zog sie aus dem Raum:

„Néko!“, rief Misaki.

„Hör zu Bulle. Du kannst dich hier eine Weile auskurieren. Wenn du wieder einigermaßen fit bist, geh bevor ich es mir anders überlege.“, drohte die, für Neo erstaunlich, weibliche Stimme.

„Ich werde Néko nicht verraten!“, rief er noch hinterher.
 

Im Bunker waren beide im Judoraum:

„Weißt du, was dein Blödsinn uns kosten kann!!!“, schrie Tora und schlug auf Enni ein, sie wehrte sich nicht: „Glaubst du denn, ich habe aus Jux und Dallerei so viel Arbeit in dich investiert!“ Ein weiterer Treffer folgte: „Ich hätte dich gleich erschießen sollen.“ Mit dem nächsten Hieb ging Enni zu Boden. Tina hörte auf. Sie hatte bei weitem nicht so stark zugeschlagen wie sie gekonnt hätte: „Hast du noch irgendwas zu sagen?“, fragte sie. Néko richtete sich etwas auf:

„Ich denke, es war richtig ihm zu helfen.“

Die Tigerin wollte kopfschüttelnd den Raum verlassen, als sie schon fast an der Tür war:

„Tora, du hast aber recht. Deshalb habe ich Neo gesagt, dass ich ihn nicht wiedersehen werde, damit so was nicht wieder passiert. Ich will ihn... und auch dich nicht in Gefahr bringen.“

Tina verließ den Raum ohne darauf zu antworten. Ennis Blut vermischte sich jetzt mit Tränen. Sie wusste nicht, was sie machen sollte.
 

Neo verbrachte zwei Tage in der Wohnung. Ihm ging während dessen vieles durch den Kopf. Vor allem sein Bruder. So weit Misaki wusste, hatte sich Ken, als er im Ausland war, in eine Frau verliebt.

Als er ermordet wurde, war nicht die geringste stichhaltige Spur hinterlassen worden. Aber er war der festen Überzeugung, dass sie seinen Tod veranlasst hatte. Das war der Grund, weshalb er zur Soko Inu gegangen war.

Am Sonntag Nachmittag verließ er die Wohnung und nahm sich ein Taxi:

„Zum Friedhof bitte.“, sagte er dem Fahrer.

Dort angekommen ging er die bekannten Wege entlang. Ihn überkam ein schlechtes Gewissen, er hatte die Gräber seiner Eltern und seines Bruders seit Monaten nicht besucht oder gepflegt. Ihm graute es schon vorm Unkraut zupfen. Er schlug den linken Parkgang ein und folgte dem etwa zehn Minuten. Er bog erneut ab und stand schließlich vor drei Gräbern. Aber waren es die seiner Familie? Er musste zweimal nachlesen, ob auch die richtigen Namen darauf standen. Es waren die echten Gräber. Doch was war das? Jedes von ihnen war gepflegt worden und hatte keinerlei Anzeichen einer Vernachlässigung. Außerdem lag auf Kens Ruhestätte eine weiße Orchidee:

- Wer war das? Wer kommt zu deinem Grab und bringt dir auch noch deine Lieblingsblumen? Wer kennt dich so gut? -, fragte Neo Ken in Gedanken.

„Das man sie mal tagsüber hier sieht, ist ja eine absolute Seltenheit.“, meinte der Friedhofswärter, der rechts von ihm fegte. Er stützte sich jetzt auf den Besen und sah das einzig noch lebende Mitglied der Misakifamilie an.

„Wieso?“

„Normalerweise, wenn ich morgens komme, ist die verwelkte Blume weg, das Areal ist gehakt und eine neue weiße Orchidee liegt da.

Misaki wunderte sich immer mehr, ließ den Wärter stehen und ging.
 

Es war Montag und er observierte bereits die zweite Nacht den Friedhof. Sein Kopf schmerzte immer noch. Am liebsten hätte er sich ins Bett gelegt, aber er wollte wissen, wer die Gräber seiner Familie pflegt.

Er sah jemanden auf den Friedhof zugehen. Leise stieg er aus dem Wagen und folgte der Person.

Plötzlich wurde diese von drei maskierten Männern mit Schwertern angegriffen. Sie wich geschickt aus und lief in den Teil des Parks der durch Bäume sehr unübersichtlich war. Die Killer verloren sie aus den Augen. Sie teilten sich schließlich auf, um sie schneller zu finden und zu töten. Neo hatte Schwierigkeiten dran zu bleiben.

Sie sprang auf den Ersten zu, der gerade an dem Busch stand, hinter dem sie sich verbarg. Sie schlug ihm den Kehlkopf ein und bemächtigte sich des Schwertes. Bevor der Zweite mit erhobener Klinge auf sie zu kam.

Sie wehrte die Schläge ab und drängte ihn weiter zurück. Er stand jetzt mit dem Rücken an einem Baum und versuchte verzweifelt sich zu verteidigen.

Tora zog den nächsten Schlag voll durch, schob sein Schwert praktisch beiseite, so dass ihre Schwertspitze den Hals des Maskierten fast vom Körper trennte.

Der Dritte stand nun, angelockt von den Kampfgeräuschen, auf dem Weg. Er sah sie an und ging langsam auf sie zu. Völlig überzeugt von seiner Überlegenheit. Tina bewegte sich nicht. Sie sah ihn nur an. Die Klinge hielt sie seitlich, die Spitze an der noch Blut klebte, nach unten gerichtet:

„Du bist gut, Tora. Es könnte sich zu einer Herausforderung entwickeln.“, sagte der Killer überheblich:

- Tora? -, fragte Neo sich, der ihn gehört hatte.

Sie schloss die Augen und als sie das Metall von rechts auf sich zukommen hörte, reagierte sie blitzschnell. Sie sprang der Waffe aus dem Weg und versenkte ihre eigene im Brustkorb des Killers. Der sah seine „Kollegin“ erstaunt an und fiel tot zu Boden.

Sie sah auf ihn und hörte dann etwas rascheln:

„Misaki! Komm raus!“, sagte Tina, sie hatte ihn schon in seinem Auto bemerkt. Nichts geschah: „Komm raus, ich werde dich schon nicht umlegen.“, meinte sie grinsend. Neo kam aus dem Gebüsch:

„Folge mir.“ Er ging ihr hinterher. Vor den Gräbern der Misakis hob sie die Orchidee wieder auf und blieb dann vor Kens Grab stehen:

„Warum haben sie die Gräber meiner Familie gepflegt?“

Tora antwortete nicht und legte die Blume auf den Grabstein.

„Wer sind sie wirklich?“ Keine Antwort. „Wenn sie wirklich Tora sein sollten, verstehe ich etwas nicht.“

„Und was nicht?“, sprach sie endlich.

„Aus den Inu- Akten weiß ich, dass sie jeden töten, der sie sieht oder hört und das sehr schnell. Warum lebe ich noch?“, ihm war nicht wohl diese Frage zu stellen.

„Dein Bruder hatte recht. Du hörst ja nie auf zu reden.“

„Sie kannten Ken?“

„Ja.“ Neo drängte sich ein Verdacht auf:

„Sie sind die Frau, die er im Ausland kennen gelernt hat. Er hat von seiner Tigerin gesprochen.“

„Inu hat eine gute Nase.“ Er ging wütend auf sie zu:

„Warum? Warum haben sie ihn getötet?“ Misaki blieb stehen, den plötzlich sah er eine Mündung vor sich: „Ja, töten sie mich auch.“, sagte er ziemlich gleichgültig.

Sie nahm die Pistole runter:

„Ich habe Ken nicht umgebracht und dich lasse ich aus einem einfachen Grund am Leben.“, erklärte Tina.

„Und der wäre?“

„Ich würde das Vertrauen und die Anerkennung meiner Schülerin verlieren und das kann ich mir nicht leisten.“

„Wer ist diese Schülerin?“, fragte er verwundert.

„Ist die Inu- Nase doch nicht so gut.“, sie blickte ihn an.

„Néko, du bist ihre Partnerin.“

„Ja.“

„Wieso musste Ken sterben?“, stellte er plötzlich die Frage. Sie wollte eigentlich nicht darüber reden, aber irgendwie hatte sie ein schlechtes Gewissen gegenüber dem letzten Misaki. Sie wusste viel mehr über Ken als sein eigener Bruder:

„Es geschah bei einem Auftrag.“, sagte Tora.

„Was für ein Auftrag?“ Seine Fragerei ging ihr jetzt doch langsam auf den Keks:

„Hast du es noch nicht begriffen? Ken war auch ein Killer!“

„Das glaube ich nicht?!“

„Glaube was du willst, aber es ändert nichts an der Tatsache.“ Er drehte sich von ihr weg und konnte es nicht glauben. War alles was er von seinem Bruder zu wissen glaubte falsch? Ist er so sehr von ihm manipuliert und getäuscht worden. Er wollte sie noch etwas fragen und wandte sich erneut um, doch sie war verschwunden.

Die Daito- Insel

In den nächsten drei ein halb Monaten hing Misaki an Gato wie ein Klette. Er überwachte ihn, sprach mit Angestellten und mit den Geschäftspartnern, die zu erreichen waren.

Seine Aktivitäten blieben natürlich nicht unbemerkt. Die Leute begannen über Umino zu reden und das war für die sensiblen Geschäfte, die er außerdem führte, sehr schlecht.

Er versuchte Crowfort immer wieder unter Druck zu setzen, damit er Misaki aus dem Weg räumt, aber der ließ sich nicht erpressen.

Gato bekam an diesem Tag einen unschönen Anruf:

„Hier Kyro, WAS ZUM HAGETAKA IST BEI IHNEN LOS?!!! WISSEN SIE NICHT WAS ES BEDEUTET DISKRET ZU SEIN?!!!“, brüllte der in den Hörer.

„Was soll ich bitteschön tun? Der Bulle stellt fragen und Crowford weigert sich ihn umzubringen!“, schrie Umino zurück.

„Das gehört nicht zu seinen Aufgaben. Sorgen sie gefälligst dafür, dass ihre Leute die Klappe halten, sonst...“

Er hörte, dass das Telefon auf der anderen Seite der Leitung auf die Gabel geschmissen wurde:

„Verflucht!“, meckerte Gato und legte ebenfalls auf: - Am besten ich ziehe mich für eine Weile zurück. Bis sich die Wogen etwas geglättet haben. -, überlegte er.
 

Enni stand im Trainingsraum und vermöbelte die Sandsäcke. Der Schweiß rann ihr schon übers Gesicht. Mit Fäusten und Füßen hielt sie sich das schwingende Etwas vom Leib. Dann hielt sie den Sack fest, ging von den Matten, schnappte sich ein Handtuch und verließ den Trainingsraum. Tora saß schon seit Tagen am Schreibtisch und bereitete einen Auftrag vor. Sie hatte sich See- und Landkarten von einer Insel besorgt:

„Wo geht es dieses Mal hin?“, fragte Néko von der Seite. Tina blickte sie aus den Augenwinkeln an:

„Ich habe noch nicht entschieden ob du mitkommst.“, sagte sie.

„Bist du immer noch sauer, wegen der Sache mit Neo?“

„Nur ein wenig, aber das ist nicht der Grund. Der erster Bodyguard des Opfers ist es. Dieser ist kreuzgefährlich. Er konnte bisher alle auf Gato verübten Anschläge so vereiteln, dass sein Boss nicht mal eine Schramme abbekam. Der Kerl wittert alles Verdächtige auf zehn Kilometer gegen den Wind.“

„Komm schon, ich kann auf mich aufpassen. Tora setzte die Ellenbogen auf den Tisch, wischte sich mit den Händen übers Gesicht und atmete tief durch:

„Also gut, aber du tust genau das, was ich sage. Ein winziger Fehler ist bei dem Kerl tödlich.“, sagte Tora, die von Crowfort schon gehört hatte, deutlich.

„In Ordnung.“, freute sich Néko, endlich mal wieder raus zu kommen.

„Gut, wir haben wenig Zeit. Ich weiß nämlich nicht wie lange Gato sich noch auf Daito aufhält. Ich habe uns ein Boot gechatert. Du bist seefest?“

„Beim letzten mal auf einem Schiff war ich es noch.“
 

Enni wurde um drei Uhr nachts aus dem Bett geschmissen:

„Beweg dich, wir müssen unser „Handwerkszeug“ zum Hafen und dann aufs Boot bringen.“, sagte Tina. Néko gähnte: „Komm schon!“

Sie quälte sich hoch, ging sich waschen und zog sich an.

Zusammen brauchten sie drei Stunden, um ihre Sachen vom Bunker ins Auto, zum Hafen zu fahren und dann vom Wagen in das Schiff zu packen, das den deutschen Namen „Löwe“ trug. Ein Großteil von den Kisten waren Lebensmittel und Getränke.

Um halb sieben verließen sie mit dem weiß- blauen Boot den Hafen und fuhren Richtung Süden.

Als sie hundertzwanzig Minuten später nur noch Salzwasser um sich hatten, drängte sich Enni eine Frage auf. Sie wusste allerdings nicht, ob sie, sie stellen konnte, ohne unwiederbringlich im Meer versenkt zu werden. Sie sah ihre Mentorin immer wieder an:

„Was ist?“, fragte diese schließlich genervt.

„Kann ich dich was fragen, ohne dass ich gleich im Pazifik lande?“ Tina sah aus den Augenwinkeln nach steuerbord achtern und zu Néko:

„Frag schon.“

„Wie... Wie bist du zu einer Killerin geworden?“ Die Tigerin richtete ihren Blick zurück aufs Meer:

„Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen möchte.“, sagte sie.

„Du traust mir also nicht.“, schloss ihre Schülerin traurig daraus. Tora schaltete den Motor des Schiffes aus, ging nach hinten und setzte sich ihr gegenüber:

„So ist es wirklich nicht, aber...!“

„Was aber?“, sah sie, sie unverwandt an.

„Enni...“, die Tigerin machte eine Pause, sie hatte lange nicht daran denken müssen. Es schmerzte aber immer noch sehr:

„... Es ist schon eine Weile her. Damals ging ich in die zehnte Klasse, war gerade mal siebzehn. Meine Eltern haben sich sehr für Politik interessiert. Mir war das in dem Alter ziemlich schnuppe. An einem Samstag morgen gingen sie mit meinem kleinen Bruder zu einer Wahlveranstaltung. Ich blieb zu hause... Es gab Zeiten da habe ich mir gewünscht ich wäre mitgegangen. Denn an diesem Tag wurde meine Familie ausradiert.“, sie schwieg einen Moment: „Ich bekam raus, dass Holger Schmitt, ein Politiker, den Überfall auf die Wahlkampagne seines politischen Gegners in Auftrag gegeben hatten. Danach war nur noch für Hass und Trauer platz in meinem Leben. Ich lernte Kampfsport, ging in einen Schützenverein und sann auf Rache. Nie wieder sollte dieser Kerl die Möglichkeit bekommen, jemanden wegen seiner Überzeugungen zu ermorden.

Ich trainierte und trainierte, aber das Schießen bereitete mir große Schwierigkeiten.“

Enni sah Tora ungläubig an:

„Aber du schießt doch eins A.“, fragte sie eher, als dass sie es sagte. Die Tigerin gab ein Lachen von sich und nickte:

„Schon, aber ohne die Hilfe von Ken, hätte ich das nicht geschafft. An dem Tag stand er auf der Nebenbahn und sagte, nachdem ich ein paar mal geschossen hatte:

„Sie halten die Pistole als wollen sie jemanden damit erschlagen und nicht damit schießen.“.

Ich war zu diesem Zeitpunkt dem Verzweifeln nahe, weil ich nicht mehr daran glaubte meiner Familie Gerechtigkeit bringen zu können. Also unternahm ich einen erneuten Versuch. Ich überredete Ken mir das Schießen beizubringen. Als ich ihm schließlich sagte, wozu ich das bräuchte, bot er mir an seine Partnerin zu werden. Na ja...“, sie legte den Kopf in den Nacken und lächelte.

„Wo ist er jetzt?“, fragte Néko unbedacht. Toras lächeln verschwand sofort und sie sah auf den Boden:

„Tot... Er verlor das Leben vor meinen Augen.“ Tina stand auf und hob den Kopf. Sie sah direkt gen Himmel und kurzzeitig sein Gesicht in den Wolken, dann senkte sie die Lider:

„Übrigens fängst du morgen an zu kellnern.“

„Wieso? Brauchen wir Geld?“, fragte Sakada ironisch.

„Das nicht gerade, aber mindestens einmal, wenn er auf Daito ist, geht er in ein bestimmtes Restaurant. Er mietet es komplett für sich.“

Néko stand auf, stellte sich neben sie und blickte auf die langsam in Sicht gekommene Insel. Tora wandte sich zu ihr:

„Du wirst als Bedienung da anfangen und bescheid sagen, wenn er kommt.“, sagte sie, ihre Schülerin sah sie wenig begeistert an.

„Wenn dieser Crowfort wirklich so gut ist, wie du sagst. Meinst du nicht, dass der merkt wer bzw. was ich bin?“, fragte sie.

„Wenn du dich auffällig benimmst schon. Du darfst nicht denken...“, sie verstellte die Stimme: „In ein paar Minuten lege ich dich um.“ Néko lachte: „Nein denke ans Kellnern, an das richtige Halten der Teller und so weiter. Denke nicht an den Mord.“
 

Zur selben Zeit in Tokio.

Neo saß vor seinem Computer, um nach weiteren Ungereimtheiten in Gatos Lebenslauf zu suchen. Er schob auch zum Observieren des Firmensitzes immer wieder Extraschichten ein.

Ihm fiel dabei ein Mann auf. Obwohl er erst Ende zwanzig war, hatte er schütteres Haar, seine Kleider waren abgetragen. Seine Haare waren dünn und an manchen Stellen schon recht licht. Er wirkte wie der typisch windige Kleinkriminelle, der sich für die Großen die Finger schmutzig macht und sie sich sicherlich auch schon oft genug verbrannt hat.

Dieser Mann tauchte auch am nächsten und übernächsten Abend auf. An Hand des Nummernschildes seines mindestens fünfundzwanzig Jahre alten Autos, fand Misaki Name und Adresse des Mannes heraus.

Neo fuhr am Donnerstag Vormittag in das heruntergekommenste Viertel Tokios.

Die Häuser dort waren groß, grau und an vielen Stellen fehlten Teile des Putzes.

Neo kannte die Gegend. Er war in diesem Stadtteil als Jungpolizist Streife gelaufen. Hier gab es die höchste Kriminalitätsrate, von Drogendelikten über Diebstahl bis zum Mord.

Vor einem zwölfstöckigen Haus blieb er mit seinem Fahrzeug stehen. Als er ausstieg wurde er von allen Leuten misstrauisch angesehen. Er wusste, dass die Menschen in dieser Gegend einen siebten Sinn für Polizisten hatten. Er warf noch mehrere Blicke über die Schulter und ging dann zum Haus.

Er sah die Unmengen von Klingelschildern:

- Konakamei Saito. -, las er auf einem Schild und drückte den daneben liegenden

Knopf.

„Hallo!“, schallte es aus der rostigen Gegensprechanlage:

„Hier ist Detektiv Misaki. Ich würde gerne mit ihnen reden?“

„Was wollen sie von mir?“, fragte eine bereits nervöse Stimme.

„Ich möchte sie gerne etwas fragen. Sie...“ Neo hörte durch die Sprechanlage wie Saito die Tür aufriss. Der Polizist lief so schnell wie irgend möglich auf die Rückseite des Gebäudes. Gerade noch rechtzeitig erwischte Misaki Konakamei an der Kellertreppe. Der Verdächtige hatte sie bereits halb erklommen, als er den Detektiv sah. Neo legte ihm Handschellen an. Saito sah sich furchtsam um, er geriet fast in Panik. Er versuchte sich aus dem Griff des Polizisten zu winden, doch zwecklos:

„Du wirst mir auf dem Revier ein paar Fragen beantworten.“, sagte Misaki.

„Wenn sie mich da hinbringen, können sie mich auch gleich erschießen!“, sagte Konakamei.

„Dann biete ich dir noch etwas an: Wir unterhalten uns kurz und dann tue ich nachher so als seiest du mir entwischt.“

Er nickte kurz und hektisch.

„Was wollen sie wissen?“, fragte Saito noch immer nervös.

„Was wolltest du bei Gato?“ Neo sah ihm in die überraschten Augen.

„Woher wissen sie, dass ich dort war?“

„Was wolltest du da?!“, antwortete er gar nicht auf seine Frage.

„Ich soll... sollte ihm... ihm was bringen.“, stotterte der schlaksige Mann.

„Von wem? Und was?“

„Das kann ich ihnen nicht sagen, sonst bin ich so gut wie tot.“

Misaki zog ihn an sich ran:

„Raus mit der Sprache oder du kommst doch noch mit.“, wurde er laut und begann ihn mit sich zu ziehen:

„Warten sie! Warten sie!“, schrie Saito: „Es war von Omoko.“

„Der Waffenhändler?“, der Gefesselte sah sich um und nickte kaum merklich: „Was solltest du Gato übergeben?“, fragte Neo weiter.

„Ei... Einen Brief.“, sagte Konakamei als hätte er aufgegeben aus dieser Situation zu entkommen.

„Was steht in dem Brief?

„Denken sie ich bin so blöd und lese diese Briefe?“

„Allerdings! Was steht drin?!, wurde Misaki wieder lauter.

„Omoko will Toras Tod und den seiner Partnerin.“
 

Enni hatte jetzt schon zwei Tage im Restaurant „Sakana“ gearbeitet. Sie half in der Küche und im Servicebereich.

Die Arbeit war nicht unbedingt ihr Fall. Sie hatte zwar schon öfter gekellnert, aber der Oberkellner ging ihr mächtig auf die Nerven. Er war ständig hinter ihr und kontrollierte sie.

Néko hoffte das Umino bald auftauchen würde. An diesem Abend kam der Restaurantchef auf sie zu:

„Néko- san, können sie morgen Abend?“, fragte er.

„Ja, warum?“

„Wir erwarten einen speziellen Gast, der wünscht immer eine weibliche Bedienung für sich und da meine Kellnerinnen beide krank sind, nun ja. Könnten sie?“

„Natürlich Taki- san.“, sagte sie, erleichtert, dass es endlich soweit war.
 

Nachts kam Enni zurück an Bord:

„Tora!“, rief sie leise unter Deck. Nichts regte sich oder antwortete. Das einzige was sie hörte, war das Klatschen der Wellen an das Heck.

- Wo steckt die Frau? -, machte sie sich Gedanken und ging runter. Sie sah in Tinas Kabine nach, wo diese auch tatsächlich schlafend in der Koje lag. Sakada war überrascht, nie hatte sie ihre Mentorin richtig schlafend gesehen. Sie war normalerweise immer hellwach, sobald sich auch nur etwas regte.

Die Katze schloss die Tür und verzog sich in die Buckkabine. Sie bemerkte, dass sich Tora in ihrem schmalen Bett in der Nacht hin- und herdrehte und am später mit einem:

„Ken!“, erwachte. Sie orientierte sich hastig, indem sie mehrmals den Kopf drehte. Tina schloss die Augen und legte ihre Hände an die Stirn:

„Ken.“, flüsterte sie noch mal, stand auf und ging an Deck. Sie betrachtete die Sterne, die gut am klaren Himmel zu erkennen waren. Der große Wagen, Orion und auch die Venus, die gerade aufging. Vom inneren des Schiffes waren plötzlich Geräusche zu vernehmen:

„Tora?“, rief Enni mit etwas verschlafener Stimme. Diese sah auf die Luke, wo ihre Schülerin gerade den Kopf raus steckte:

„Und hast du was neues?“, fragte Tina.

„Ja, heute Abend kommt wohl Gato. Jemand hat das komplette Restaurant gemietet und verlangt eine weibliche Bedienung.“, Néko machte eine Pause: „Wie willst du vorgehen, wenn er es ist?“

„Wenn, dann gibst du mir per Knopfdruck auf deine Uhr ein Signal. Anschließend gehst du in die Küche und setzt den Koch außer Gefecht. Du lässt mich rein, wir nehmen unsere Kanonen und schießen ihn und seinen Bodyguard übern Haufen.“

Néko sah sie etwas skeptisch an. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es so einfach werden würde, aber sie sagte nichts dazu:

„Ich lege mich jetzt wieder hin.“, meinte sie und ging zurück in ihre Koje. Kaum lag sie, schlief sie auch fast augenblicklich ein. Vor ihrem geistigen Auge liefen Bilder und Erinnerungen ab.

Sie sah ihre beste Freundin Ayjana vor sich, die sagte:

„Dein Vater bringt dich noch mal um. Bitte lasse dir helfen.“ Ihre Mutter erschien:

„Ich habe dich lieb mein Kind und ich werde dich beschützen.“

„Komm her! Du brauchst ´ne Lektion.“, hörte sie die grobe Stimme ihres Vaters, der das Bild ihrer Mutter zerriss.

„PENG“

Enni erwachte schweißgebadet. Sie wusste nicht ob es wirklich geknallt oder ob sie es nur geträumt hatte.

Sie spürte die leichten Wellen unter sich, die Auf- und Ab- Bewegung des Schiffes. Néko hörte sie gegen den Buck schlagen. Sie hob ihren Oberkörper, wobei ein Schweißtropfen über ihr Gesicht rann. Sie wischte ihn weg und stand auf.

Die Uhr zeigte vierzehn Uhr an:

- Ein verrückter Traum. -, dachte sie und wollte sich strecken. Doch bevor sie dies vollenden

konnte, stieß sie mit den Händen an die Kojendecke:

„Dreckskahn!“, schimpfte sie innerlich, obwohl sie das Boot angenehmer fand, als den Bunker. Enni zog sich an und ging an Deck, wo sich Tora gerade im Bikini sonnte:

„Na, aufgewacht?“, fragte die „Sonnenanbeterin“.

„Wie du siehst.“ Tina richtete sich auf:

„Was geht dir durch den Kopf?“, fragte die Mentorin. Néko fühlte sich ertappt:

„Nichts, ich hatte nur einen merkwürdigen Traum.“, wich sie aus.

„Lasse dich von so was nicht ablenken, dazu ist der Auftrag viel zu gefährlich.“, sah Tina sie kritisch an und machte es ihr wieder bewusst.

Um sechzehn Uhr war Sakada im Restaurant. Taki- san scheuchte seine Angestellten hin und her. Die Putzkolonne machte den Boden sauber, wischte Staub und brachte das gesamte Innenleben auf Hochglanz. Die Köche bereiteten schon Soßen und sämtliche Menüs vor.

Enni brach unterdessen Servietten und deckte einen Tisch ein:

„Nein! Nein! Nein! Bereiten sie einen großen Tisch vor. Der Gast hat bestimmt Bedürfnisse!“, rief der Restaurantbesitzer.

Sie musste die ganze Prozedur noch einmal machen, weil sich Größe und Form des Tisches geändert hatten. Sie war erst dreiviertel acht mit allem fertig.

Alle die nicht für Gatos Dinner gebraucht wurden gingen, so dass nur noch der Koch, Taki- san und Néko dort waren. Sie war äußerst erleichtert darüber.

Gegen zwanzig Uhr dreißig öffnete sich die Tür und ein unangenehm dicker Mann in einem limettengrünen Anzug betrat die Lokalität.

Der Chef ging in gebeugter Haltung auf ihn zu:

„Gato- san, es ist mir eine Ehre, sie wieder hier begrüßen zu dürfen.“, küsste er ihm fast die Füße.

Umino sah auf Enni, die hinter Taki stand:

„Gato- san, das ist Néko Kioko, ihre Bedienung heute Abend.“ Sie trat vor und verbeugte sich ebenfalls und dann sah sie ihn. Der grässliche Anzug hatte ihn die ganze Zeit verdeckt, Crowfort.

Er war ein hochgewachsener, schlanker Mann, mit harten Gesichtszügen. Er hatte einen schwarzen Anzug an, mit dem er seinen Boss glatt in den Schatten stellte. Enni richtete sich auf, sah aber keinen von ihnen an:

„Guten Abend.“, sagte sie schüchtern. Gato schien vorerst von ihr keine Notiz zu nehmen. Umino wurde an den Tisch geführt. Sein Bodyguard stellte sich seitlich hinter seinen Chef und warf kritische Blicke ins Restaurant, auch auf Néko. Seine Augen blieben fast auf ihr haften und durchleuchteten sie.

Enni mochte ihn nicht und es wurde ihr bewusst was Tora gesagt hatte:

„Konzentriere dich aufs kellnern.“ Genau das tat sie jetzt. Sie nahm ihren Spezialkugelschreiber, der, wenn die Miene rausgedrückt wurde, ein Signal an Tora gab. Sakada ging zu Gatos Tisch, der gerade seine Karte weglegte.

„Sie wünschen?“, fragte Enni.

„Ich will das Fischmenü Okinawa!“, schnauzte Gato.

„Aber... das ist für vier Personen.“, meinte sie erstaunt. Crowfort fing an zu grinsen.

Umino plusterte sich auf, als wolle er jeden Moment explodieren:

„HÄLTST DU MICH FÜR BESCHEUERT, DASS WEIß ICH!!!“, polterte er.

„Entschuldigen sie meine unbedachte Frage.“, verbeugte sie sich tief.

- Die Kleine hat entweder einen klugen Kopf oder verdammt viel Glück. -, dachte Crowfort.

Taki- san kam sofort an den Tisch:

„Die Getränke gehen aufs Haus, Gato- san.“, meinte er besänftigend.

Enni ging in die Küche und gab die Bestellung ab:

„Sagen sie, läuft das jedes Mal so, wenn der da ist?“, fragte sie den Koch.

„Letztes Mal hat er mit Essen und Geschirr geworfen und verpasste der Kellnerin eine Ohrfeige“

Sie kam an ihn ran:

„Ist nicht ihr ernst.“

„Doch, er hat...“ Mit einem gezielten Schlag setzte sie ihn außer Gefecht. Sie fing ihn ab und ließ ihn lautlos zu Boden gleiten.

Enni öffnete die Küchentür, die nach draußen führte. Ihre Partnerin wartete schon, diese fragte per Handzeichen:

„Wo sitzt er?“

„Hinten rechts, an einem breiten Tisch. Sein Bodyguard steht links von ihm.“, deutete Sakada. Plötzlich hörten sie die Eingangstür. Néko sah um die Ecke. Sie entdeckte Taki- san, ohne Regung am Boden liegen, der Tisch war verlassen:

„Tora! Gato ist raus!“, rief sie.

„Scheiße, komm mit!“, stürmte Tina vor und rannte raus in die Dunkelheit. Die Straßenlaterne flackerte nur noch mit wenigen Licht. Hinter der Gaststätte lag ein Mischwald:

„Wo sind sie?“, fragte die Schülerin. Ihr Gegenüber deutete auf die Bäume und lief los.“, Enni folgte ihr.

Ihre Mentorin durchquerte schnell und mit viel Geschick das Gestrüpp. Néko war, entgegen ihren Decknahmen, nicht so fix.

Sie entdeckten ihr Ziel:

„Stehen bleiben, Gato!“, forderte Tina. Der Fettwanst verkroch sich hinter einem Baum, der ihm nicht mal zur Hälfte verdeckte. Sein Kopf wurde vom Stamm geschützt. Doch zu beiden Seiten lugte sein enormer Bauch und Hintern hervor:

„Crowfort!“, rief er zittrig. Sein Bodyguard trat seitlich hinter ihn. Die Augen der Tigerin weiteten sich und völlig geschockt, war nur ein leises:

„Wie?“, war von ihr zu hören. Néko zog und entsicherte ihre New Nambu, aber Tora hielt sie vom Schießen ab.

Mit einem Mal brach jemand durch das Gebüsch. Néko und Crowfort richteten kurz die Waffe auf die Person, die jetzt ebenfalls fassungslos den Bodyguard anblickte:

„Ken.“, sagte Neo.

„Ken.“, dann auch Tora.

„Ken?“, schließlich Néko.

„Crowfort, erledige sie endlich, mach schon!“

„Sie verlangen, dass ich auf meinen eigenen Bruder schieße?“, fragte dieser.

Enni erhob erneut die Waffe. Die Tigerin wollte sie davon abhalten:

„Bevor er Neo erschießt, lege ich ihn um!“, sagte Néko laut.

„Crowfort, worauf wartest du?!“, schrie Gato.

Kens Blick war auf Tora gerichtet und legte den Lauf seiner Pistole an Uminos Kopf:

„Auf deine letzten Worte.“, sagte Neos Bruder und drückte ab. Durch das Aufsetzen des Laufes wurde der Knall leicht gedämpft und Tora hatte es endlich geschafft ihrer Partnerin die New Nambu abzunehmen. Sie zielte jetzt selbst auf Misaki Ken. Diesmal wollte sich Neo dazwischen drängen, doch Enni stellte sich ihm in den Weg:

„Nein!“

„Soll ich etwa zusehen, wie sie ihn erschießt?“, fragte er aufgebracht.

„Hätte sie gewollt, hätte sie ihm längst eine Kugel verpasst.“ Sie sah ihre Mentorin an und sagte ziemlich nüchtern: „Neo, lass uns gehen.“ Mit kritischen Blicken auf die Situation verließen die beiden Ken und Tina.

Sie waren bereits ein paar hundert Meter gegangen:

„Ken ist dein Bruder. Das hätte mir aber auch einer sagen können.“, meinte Néko. Neo der neben ihr ging, war kreidebleich:

„Was ist? Du bist so blass.“, fragte sie.

„Ich habe geglaubt er sei tot und jetzt taucht er so mir nichts dir nichts wieder auf. Als Bodyguard eines Verbrechers!“, wurde er wütender, ging an Enni vorbei und setzte sich auf einen Baumstamm. Néko sah wie verwirrt er war und setzte sich neben ihn. Misaki fuhr sich mit der Hand durch die Haare und hielt sie einen Moment fest:

„Ich begreife das nicht.“, meinte er.

„Lass es dir von ihm erklären, vielleicht hat alles einen guten Grund. Wenn dir seine Begründungen nicht gefallen, kannst ihn immer noch übern Jordan schicken.“, scherzte sie ein wenig. Er sah sie nicht an:

„Es tut mir leid.“, sagte sie.
 

Die Leiche von Gato lag noch immer vor Kens Füßen. Auch Tina hatte sich kein Stück bewegt und zielte weiterhin mit Nékos Waffe auf ihn:

„Soweit ich mich erinnere, mochtest du diese Pistole nicht. Dir liegt die Walther PKK besser.“, sagte er und wollte auf sie zugehen.

„Bleib stehen!“, spannte sie den Hahn: „Wieso?!“, brüllte sie ihm nun entgegen.

„Weil ich es musste. Wäre ich einfach so verschwunden, hättest du nichts unversucht gelassen mich zu finden. Dann wärst du jetzt bei deiner Familie.“, sagte er ruhig. Sie nahm die Waffe runter:

„Was immer du hier tun musstest, ich hätte es verstanden. Hättest du mir ein Wort gesagt, wäre mir vieles erspart geblieben. Unter anderem das schlechte Gewissen wegen der Geschichte mit André.“ Sie sah ihn schmerzvoll an: „Ich nehme an du weißt was passiert ist?“

„Ja.“, sagte er mit einem Augenrollen.

„Was hast du jetzt vor? Wie soll es weitergehen?“, wollte sie wissen.

„Ich weiß es nicht.“

„Hör auf mit deinen Ausflüchten und sei endlich mal ehrlich zu mir!“, sagte sie so laut, dass das Echo wiederhallte.

„Ich würde gerne wieder mit dir zusammen arbeiten. Willst du das hören?“

„Du hast dich überhaupt nicht verändert.“, sagte sie enttäuscht, drehte sich zu den Bäumen und wollte gehen:

„Warte! Du willst es wirklich von mir hören, oder?“, fragte Misaki. Sie blieb stehen und warf einen Blick über die Schulter:

„Es tut mir leid, Tora.“, sagte er. Sie wandte den Kopf zum Wald und ging. Sie war wütend, enttäuscht, dennoch froh, dass Ken lebte.

Sie kämpfte sich durchs Dickicht und sah dann ihre Partnerin mit dem Polizisten auf dem Baumstamm sitzen. Diese legte gerade ihren Arm um ihn:

„Néko!“, sagte Tina barsch. Sofort nahm Enni die Hand von seiner Schulter und stand auf. Ihre Mentorin ging an ihnen vorbei und deutete ihr an mitzukommen, als Neo hinterher wollte:

„Du nicht, Detektiv!“, fauchte die Tigerin und sie gingen weiter. Er sah ihnen nach, als hinter ihm die Büsche raschelten. Er drehte sich um und sah Ken auf sich zukommen:

„Würdest du mir jetzt bitte mal erklären, was hier eigentlich los ist?!“, fuhr er seinen Bruder an.

Ken fasste sich auf die gleiche Weise durchs Haar, wie vorher Neo. Er merkte, dass er jetzt um die Wahrheit nicht mehr herum kam, wenn er Neo nicht endgültig verlieren wollte:

„Setz dich.“, bat Ken. Sein jüngerer Bruder nahm auf dem Stamm erneut platz. Er räusperte sich und begann zu erzählen:

„Du weißt, dass unser Vater schwer krank war?“, der jüngere nickte: „Was du vielleicht nicht mehr weißt ist, dass er keine Krankenversicherung hatte. Mutter bekam von keiner Bank einen Kredit. Mit der Zeit ging es Vater immer schlechter und ich habe mich nach Möglichkeiten umgesehen, wie ich schnell an viel Geld kommen konnte.

Zuerst habe ich uns mit ein paar Straßenkämpfen über Wasser gehalten, dann kam Inato auf mich zu. Er hatte mich bei ein/ zwei Kämpfen gesehen und fragte, ob ich als Bodyguard bei ihm anfangen will. Ich tat es, aber die Schulden rissen mich immer weiter rein und als ich Inato nach mehr Geld fragte, sagte er, er wäre bereit Vaters Arztkosten zu übernehmen, wenn...“

„Wenn du anfängst als Killer zu arbeiten?“, unterbrach ihn Neo: „Und warum hast du uns glauben lassen du seist tot?“

„Als ich etwa zwei drittel der Schulden abgearbeitet hatte, wollte Inato, dass ich für einen Geschäftspartner den Bodyguard spiele.

Ich war in Tokio, aber ständig unter Beobachtung. Ich war ein enormes Risiko für dich und Tora geworden. Ihr hättet nachgefragt und wärt mir gefolgt, dass hätte keiner von euch überlebt.“

„Wie wäre es mit der Wahrheit gewesen?!“

„Was habt ihr nur immer mit der Wahrheit?“, fluchte Ken.

„Dann könnte man wenigstens feststellen, ob du mit einem spielst oder ob du nur dich liebst.“, meinte Neo.

Tora und Néko lichteten in dem Augenblick den Anker und setzten Kurs auf Tokio. Während der ganzen zweitägigen Rückfahrt sprach Tina nicht mehr als dreißig Worte. Das war für Enni sehr belastend.

Schwache Stellen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Die andere Néko

Neo war bereits im Büro, als er einen Anruf von Enni erhielt. Er sollte sie auf dem Friedhof an den bestimmten Gräbern treffen. Er ließ seine Kollegin sitzen, während er zu seiner „Informantin“ fuhr.

Er kam dort an, sah aber niemanden:

„Enni?!“, rief er halblaut. Plötzlich hielt ihm jemand die Augen zu. Er lächelte, doch plötzlich bekam er einen kräftigen Tritt in den Hintern. Er landete unsanft auf dem Boden:

„Was soll den...“, er erblickte seinen Bruder.

„Nur ein Bulle lässt sich so leicht überrumpeln. Hast du auf der Polizeischule überhaupt nichts gelernt?“, fragte Ken grinsend. Er stand auf:

„Wo ist Néko?“

„Noch nicht da.“

„Falsch! Ich bin hier.“, sagte Enni grimmig: „Lässt du uns bitte allein.“, bat sie in einem unmissverständlichen Ton.

„Ich war eh nur hier, um meinen kleinen Bruder zu erschrecken.“, sagte Ken und ging.

„Der geht mir ja so was von auf den Keks.“, fluchte Misaki.

„Nicht nur dir. Übrigens, ich habe etwas für dich.“, sie holte den Zettel mit den Informationen über Jinta heraus. Er begann zu lesen und seine Miene hellte sich auf:

„Néko, du bist super.“ Er drückte ihr einen kurzen, aber leidenschaftlichen Kuss auf ihre Lippen und verschwand.

Sie hatte tausend und einen Schmetterling im Bauch:

„Es ist so süß, man könnte glatt Karies kriegen.“, meinte Ken überheblich und klang dabei leicht angewidert.

„Du brauchst uns ja nicht zu beobachten, wenn es dir nicht gefällt. Was wolltest du hier?“, fragte sie wenig beherrscht.

„Ich wollte nur nachsehen, ob du wirklich der Polizei hilfst. Unseren Feinden!“, fauchte er.

„Sie sind nicht wirklich unsere Feinde. Sie...“ Mit einem mal griff Misaki an, doch sie blockte alle seine Schläge. Sie dachte nicht mehr nach, was sie tun muss. Sie führte die Bewegungen einfach aus. Sie kriegte ihn am Arm zu fassen und schleuderte ihn auf sein Grab.

Sie hatten die Aufmerksamkeit des ganzen Friedhofs auf sich gezogen:

„Halten sie ihn fest Miss, ich habe die Polizei gerufen.“, sagte eine dicke Frau.

„Das ist nicht nötig. Das ist mein Selbstverteidigungstrainer. Sie können die Polizei wieder abbestellen.“, sagte Néko überzeugend und half Ken hoch.
 

Als Neo ins Revier zurück kam:

„Monosuki, kommen sie. Mein Informant sagte, dass Jinta mal im Arisugawa Memorial Park Geschäfte getätigt hat...“ Sargeant Hiro riss den Kopf von seinen Akten: „... Wir werden uns da jetzt umhören.“, sagte Detektiv Misaki. Die Beiden verließen augenblicklich das Büro und Hiro nahm den Hörer zur Hand:

"Jinta- san, wir haben ein Problem.", sagte er.

"Was ist denn?"

"Der Hund hat von irgendwem erfahren, dass sie früher im Arisugawa- Park gearbeitet haben."

"Was!!! Sie Hakuchi*, sie sagten doch, sie hätten alle Hinweise darauf vernichtet."

"Habe ich auch. Ich weiß nicht wie er das raus gefunden hat. Da muss jemand aus ihren Gangs gequatscht haben.", meinte Hiro.

"Blödsinn, meine Leute sind loyal. Die würden dem Typen auch nichts sagen, wenn er sie foltert. Aber trotzdem werden sie hingehen und darauf achten, dass er nichts mehr raus kriegt.", befahl Jinta.

Als dieser, knallend, den Hörer aufgelegt hatte.

- So loyal sind sie dann wohl doch nicht. -, dachte sich Tamao und ging los.

Neo und Hotaru waren in der Zwischenzeit im Park angekommen und sahen sich um. Hier und dort waren vereinzelt ältere Menschen zu sehen die, die Gräber ihrer Angehörigen pflegten. Sie gingen die Wege entlang und entdeckte ein paar, in schwarz gekleidete, Jugendliche. Sie gingen auf sie zu:

"Hallo, sagt mal, wir hätten ein paar Fragen an euch."

"Wir möchten aber nicht antworten.", sagte einer: "Wer sind sie überhaupt?"

"Detektiv Misaki und Unter..."

"Uhhh, die Polizei. Na da haben wir aber Angst."

"Ich würde gerne was über Jinta Azuno wissen."

"Über wen?", stellten sie sich blöd.

"Na los, ihr wisst doch was?", versuchte Neo zu überzeugen.

"Wen wir nun aber keine Lust haben etwas zu erzählen. Halt dass heißt wir können ihnen ein Märchen erzählen. Kennen sie Rotkäppchen?" Die Jugendlichen lachten.

"Womit verdient der sich eure Loyalität? Waffen, Geld, Stoff oder Macht?", fragte Neo: "Falls euch noch was einfällt, ruft mich an." Er übergab ihnen eine Visitenkarte.

"Ja klar, machen wir.", meinten sie sarkastisch. Neo ging weiter, Hotaru folgte:

- Wer könnte hier noch was wissen? -, fragte er sich und blickte sich um. Er sah einen alten Penner, der es sich gerade auf einer Bank bequem machte:

"Entschuldigen sie..."

"Hee.", brummte der nur. Neo ging zu ihm:

"Verzeihen sie, ich hätte ein paar Fragen an sie.", sagte der Detektiv: "Können sie mir vielleicht was über Jinta Azuno erzählen?"

"Jinda, iss´n cleveres Schwein.", lallte der Penner: "Had dasss größe Los gezogen. Vor zzzwei Jahrn hat der hier noch Drogen an Kinner vertickt. Dann kam der große Boss un had ihn befördert. Jetzz sitzt er obn und spuckd auf uns." Er nahm einen großen Schluck aus seiner Sakeflasche und lachte.

"Können sie mir sagen, wer dieser Boss ist."

"Nee, s´interessiert mich auch nicht." Der Penner sah hinter die beiden Polizisten:

"Fragen sie den doch.", meinte er noch und zeigte auf Hiro Tamao.

"Was machst du denn hier?", fragte Neo, als er sich umdrehte.

"Hana meinte, ihr braucht vielleicht Hilfe. Ich sollte herkommen."

"Ein wenig zu spät Hiro. Misaki und ich sind hier fertig.", meinte Hotaru.

"Und, habt ihr was raus bekommen?", fragte Hiro.

"Nein.", log Neo: "Ich muss noch zu Mitamura.", sprach er weiter.

"Was willst du denn von der?", fragte Tamao.

"Eine Genehmigung für eine Observation und einen späteren Durchsuchungsbefehl."

"Aber wir haben doch gar nichts in der Hand gegen ihn.", sagte Hiro nervös.

"Nein, aber vielleicht ergibt die Beobachtung was.", meinte Neo und stieg in das Auto. Monosuki auf den Beifahrersitz:

"Sie trauen ihm nicht, stimmt´ s?", fragte sie.

"Richtig, es ist bekannt, dass er sich von jedem schmieren lässt.", erzählte Neo ihr. Sie fuhren los zum Gerichtsgebäude und eine viertel Stunde später standen beide im Büro der Staatsanwältin:

"Misaki- san, was wünschen sie?", fragte Mitamura.

"Ich hätte gerne eine Genehmigung für die Observation von Jinta Azuno."

"Haben sie etwas gegen ihn in der Hand?", fragte sie.

"Im Moment nur Verdächtigungen..."

"Dann kann..." Die Tür sprang auf:

"Frau Staatsanwältin, der Richter möchte ganz dringend mit ihnen sprechen.", sagte eine junge Frau völlig außer Atem.

"Misaki, Monosuki, würden sie bitte einen Augenblick warten.", sagte Kaoru.

Kaum war sie weg, sah sich Neo etwas in ihrem Büro um.

"Misaki- san, was machen sie denn da?", fragte Monosuki nervös: "Wenn sie das raus bekommt."

"Wollen sie mich etwa verraten Hotaru?", fragte Neo. Sie lächelte:

"Nein."

"Na also." Er sah sich die Bücher im Regal an. Zwischen den ganzen Justizbüchern, stand ein Buch, das da nicht rein zugehören schien. Ein Buch über Jäger:

- Ich würde sagen, zu ihr passt das gar nicht. -, mutmaßte er. Da betrat sie wieder den Raum:

"Misaki, ohne einen konkreten Verdacht kann ich ihnen die Genehmigung nicht geben.", sagte die Staatsanwältin.

"Aber wenn wir ihn beobachten, ergibt sich eventuell ein solcher.", meinte Neo.

"Woher haben sie die Gewissheit, dass er Dreck am Stecken hat?"

"Ich habe mit jemanden gesprochen, der ihn sehr belastet."

"Und wer ist das?"

"Nun, ein Herr aus dem Arisugawa - Park.

"Nur auf wagen Vermutungen kann ich die Genehmigung nicht erteilen, Misaki."

"Aber..."

"Kein aber, es geht nicht. Doch es kann ihnen niemand verbieten an seinem Haus vorbei zu fahren." Die Staatsanwältin warf Neo einen viel sagenden Blick zu. Er verließ ihr Büro mit einem merkwürdigen Gefühl:

- Ich traue ihr nicht über den Weg. -, dachte er misstrauisch.

"Detektiv, was haben sie vor?", fragte Monosuki.

"Nichts.", sagte er kurz.
 

Mehrer Nächte, nach dem Dienst beobachtete Neo Jintas Haus. An diesem Abend fiel ihm eine schwarze Limousine auf. Er notierte sich die Nummer.

Im Haus von Azuno:

Ein Mann mit schwarzen Anzug und schneeweißen Haar saß vor dem Schreibtisch des Hausbesitzers in einem bequemen Sessel:

"Akuma- san, willkommen.", begrüßte ihn Jinta.

"Lassen sie uns gleich zum geschäftlichen Teil kommen. Ich habe keine Zeit für Höflichkeitsfloskeln.", sagte Akuma barsch.

"Die nächste Ladung mit Halluzinogenen ist da. Das Gegengift für sie habe ich hier." Er stellte das Fläschchen mit der blau- durchsichtigen Flüssigkeit auf den Schreibtisch in Reichweite seines Kunden. Akuma betrachtete sie:

"Und ich dachte selbst der Oberguru braucht Drogen, um diesen schwachsinnigen Kult zu ertragen.", sagte Jinta verächtlich.

"Dank diesem Kult werden sie ihre Drogen sicher los. Haben sie nicht Lust heute mitzukommen? Ein Kind Satans wird geopfert. Sie werden sich sicher amüsieren.", sagte der ältere Herr.

"Danke, verzichte. Aber sie können mir eine ihrer Dienerinnen vorbei schicken."

Minuten später kam Akuma wieder aus dem Haus und setzte sich in seinen Wagen. Neo folgte ihm unauffällig. Er wollte doch zu gerne wissen, wer dieser Kerl war.

Er folgte ihm bis in den Ueno Park zu einem Haus. Über die Feuerleiter und das Lüftungssystem kam er rein. Durch einen Schacht sah er, was im Hauptraum geschah. Er hörte merkwürdige Gesänge:

- Was ist das hier? -, fragte er sich. Dann sah er ein umgedrehtes Pentagramm:

- Satanisten. - Ein Mann mit einer Ziegenmaske trat an den Tisch:

"Schwarzer Clan, heute wollen wir unserem Herrn ein Opfer darbringen.", sagte dieser. Ein kleines Mädchen von vielleicht acht Jahren wurde rein getragen.

Sie war gefesselt und wurde auf den Opfertisch gelegt. Das Kind hatte einen apathischen Blick und Neo vermutete, dass sie unter Drogen stand. Der Mann mit der Maske murmelte ein paar lateinische Worte, dann zog er einen Dolch.

Mit einem Mal ging das Licht aus. Ein heilloses durcheinander entstand. Neo blieb in seinem Versteck. Der Raum leerte sich. Als Neos Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er nur noch den Mann mit der Maske und das kleine Mädchen auf dem Tisch. Dann hörte er eine vertraute weibliche Stimme:

"Bete zu deinem Herren, Akuma." Néko hielt ihm ihre New Nambu an den Kopf:

"Néko, nein!", rief Neo und sprang aus dem Schacht: "Lebend kann er mir vielleicht nützen."

"Nein, Detektiv, er wird ihnen nicht helfen. Er hat viel zu mächtige Freunde." Misaki wollte widersprechen, doch es war zu spät. Sie hatte abgedrückt:

"Nimm das Kind und geh.", sagte Néko eiskalt und verschwand. Er hatte eine Gänsehaut bekommen, er hatte das Gefühl ein eisiger Wind würde durch das Haus wehen. Er band das Mädchen los und brachte sie ins Krankenhaus:

"Doktor, ich habe sie gefesselt im Park gefunden. Ich glaube, sie steht unter Drogen."

"Legen sie, sie auf die Trage. Schwester, ich brauche ihre Hilfe!", rief Dr. Schwarz.

"Ich bleibe hier im Warteraum.", sagte Neo, benachrichtigte Hana und setzte sich:

- So habe ich Néko nie zu vor so gesehen. Die Stimme voller Bitterkeit. Ihre Augen funkelten vor Hass. Hab ich mich so in ihr getäuscht? - Ging ihm durch den Kopf. Eine Stunde später kam der Arzt auf ihn zu:

"Wie geht es ihr?", fragte Neo.

"Nun Detektiv, wer immer das Mädchen unter Drogen gesetzt hat, wollte dass sie bei Bewusstsein ist, aber wenig oder keine Schmerzen empfindet. Derjenige war entweder vom Fach oder es war reiner Zufall. Aber wenn ich mir die vielen Narben in der Geschlechtsgegend ansehe, glaube ich ersteres. Das Kind hat so viel schlimmes durch, das kann sich keiner vorstellen.", sagte der Arzt zu ihm.

"Kann ich zu ihr?"

"Wenn sie, sie nicht stören. Sie schläft im Zimmer sechshundertsechsundsechzig."

Neo betrat das Zimmer, das Piepen des EKG´ s war unüberhörbar. Der Blutdruckmesser wurde gerade aufgeblasen. Er nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben das Bett:

"Es wird dir nichts mehr passieren.", schwor Neo leise: "Du brauchst keine Angst mehr zu haben."

Es war drei Uhr morgens als sich die Tür zum Zimmer öffnete:

"Ich hab erwartet, dass du kommst.", meinte er.

"Woher wusstest du, dass ich es bin?", fragte Néko. Er zuckte mit den Achseln:

"War so eine Ahnung."

"Wie geht es ihr?"

"Soweit ganz gut. Jedenfalls hat sie keine neuen Verletzungen. Das konntest du verhindern."

"Das klingt wie ein Vorwurf.", sagte Enni leise, ging zu der Kleinen und streichelte sie. Er stand auf:

"Ich werfe dir nichts vor, das ist deine Arbeit. Nur..."

"Nur?"

"...Ich muss mich erst an diese Néko gewöhnen." Misaki fühlte sich nicht wohl und sie spürte das. Sie ging zu ihm und umarmte ihn. Er spürte ihre Wärme, hob ihr Kinn und küsste sie:

"Ich liebe dich.", sagte Neo. Dieser Satz beruhigte sie:

"Was wirst du jetzt tun?", fragte Enni.

"Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall muss die kleine beschützt werden. Ich denke nicht, dass die sich ein "Opfer" einfach so nehmen lassen.", meinte Neo.

"Was willst du tun?"

"Ich werde sie verstecken müssen." Néko atmete durch:

„Lass das nicht so an dich rankommen.“

„Du hörst dich schon an wie mein Bruder. Du bist zu lange mit ihm zusammen in eurem Versteck.“

"Du hast Recht." Das Mädchen bewegte sich:

"Ich werde jetzt gehen.", sagte Néko, gab ihm einen Kuss und verschwand. Detektiv Misaki setzte sich zurück ans Bett. Das Mädchen schlug in diesem Moment die Augen auf. Ängstlich blickte sie sich um und auf den fremden Mann:

"Bleib ganz ruhig. Es wird dir nichts geschehen.", sagte er sanft: "Schlaf, ich passe auf, dass dich niemand stört." Doch die Kleine schloss die Augen nicht, in der Erwartung, dass etwas Schreckliches kommt. Neo blieb an ihrer Seite. Rührte sie jedoch nicht an. Dann kam Doktor Schwarz ins Zimmer:

"Sehr schön, unsere kleine Patientin ist wach.", sagte er und schaute sie an. Sie wurde noch ängstlicher:

"Doktor, können wir uns draußen reden. Ich denke zwei Männer sind zu viel."

Vor der Tür:

"Also, was haben die Untersuchungen ergeben?", fragte Neo.

"Das Kind wurde oft misshandelt. Mehrere verheilte Knochenbrüche, die nicht behandelt wurden. Schnittwunden auf dem ganzen Körper. Ich bin nicht sicher, ob überhaupt jemand an sie ran- kommt.", meinte der Arzt.

"Haben sie solche Fälle oft gesehen?"

„Nein, so etwas ist mir noch nicht unter gekommen. Was waren das bloß für Ungeheuer?“

"Kann ich hier irgendwo telefonieren?", fragte Neo: "Ungestört?"

"Natürlich, nutzen sie mein Büro.", sagte Doktor Schwarz.

Er ging in das großzügige Büro des deutschen Arztes. Es war nicht, wie im Krankenhaus üblich, in weiß gehalten, sondern war in beige gehalten. Er schnappte sich den Hörer und starrte dann ungläubig auf die Wählscheibe. Das Telefon musste aus dem letzten Jahrtausend stammen.

Mühsam wählte er die Nummer von Hana:

„Chef, hier Misaki, haben sie etwas gefunden?“, fragte er „anscheinend“ unwissend.

„Im privaten Teil des Parks haben wir im Haus Akumas Leiche, verkleidet in ein Teufelskostüm, gefunden.“, sprach dieser.

„O.K., danke Capt´n.”

“Misaki? Sie verschweigen doch was.”, meinte Hana.

„Ich? Nein.“

„Richtig lügen müssen sie noch lernen. Ich sehe sie dann morgen.“, sagte Neos Chef und legte auf.

Er musste einmal tief durchatmen, wobei im der starke Krankenhausgeruch in die Nase stieg. Dieser Duft verursachte bei ihm eine Gänsehaut der Erinnerung. Wie oft war er als kleiner Junge in Krankenhäusern gewesen. In der Woche mindestens einmal, wenn sein Vater in die Dialyse musste und seine Mutter keinen Babysitter gefunden hatte.

Er ging zurück ins Zimmer sechshundertsechsundsechzig. Die Kleine hatte die Augen geöffnet und blickte ihn ängstlich an:

„Ist schon gut kleine, ich tue dir nichts.“, sagte er ruhig, aber das Mädchen verkrallte sich in der Decke. Neo bewegte sich an die Fensterseite, nahm sich einen Stuhl und setzte sich.

Das Mädchen ließ ihn nicht aus den Augen, in der felsenfesten Annahme, gleich würde etwas schlimmes mit ihr geschehen. Wie es bisher in ihrem Leben immer geschah.

Misaki versuchte eine Unterhaltung zu starten, erzählte von sich und stellte Fragen, aber der geplante Dialog war ein Monolog. Die Kleine sah ihn nicht mal an.

Dr. Schwarz betrat etwas später den Raum. Neo sah, wie sie sich versteifte. Der Arzt legte ihr eine Blutdruckmanschette an. Ihre Augen wurden glasig und sie starrte, wie hypnotisiert an die Decke ohne sich zu bewegen.

- Das ist wohl eine Folge dessen, was dieses arme Kind jahrelang ertragen musste. Ein Schutzmechanismus, um so weniger ich mich wehre, desto weniger tut es weh. -, dachte der Deutsche.

„Achtzig zu sechzig, damit kannst du nicht gerade Bäume ausreißen.“, versuchte der Arzt sie etwas aufzuheitern. Doch bei ihr war keine Gefühlsregung festzustellen.

Misaki blieb die ganze Nacht in ihrem Zimmer. Bis sich plötzlich die Tür öffnete. Er stand auf. Eine Person im schwarzen Mantel und tief hängender Kapuze sagte mit einer rauen Stimme:

„Gib das Kind Satans zurück.“ Die Kleine erwachte davon sofort. Neo stellte sich zwischen sie:

„Wer bist du? Lord Voldemort?“

Der Umhang zog ein Messer und wollte damit auf den Detektiv losgehen, was auf Grund des guten Nahkampftrainings mit seiner Koibito misslang. Er wurde trotzdem an seinem rechtem Arm verletzt. Eine etwa acht Zentimeter lange Schnittwunde, die stark blutete zierte seinem Arm, als der Unbekannte schließlich geflohen war:

„Verdammt!“, fluchte Neo, dann drehte er sich, den Schnitt zudrückend an das Mädchen:

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er. Die Kleine hatte sich am Kopfende in eine fötale Haltung zusammengekauert.

„Es ist schon gut. Er ist weg.“, Misaki drückte auf den Klingelknopf, der am Bett befestigt war. Kurz darauf kam eine Schwester:

„Was ist passiert?!“, fragte sie aufgebracht.

„Jemand hat versucht die Kleine zu entführen...“ Die Schwester machte ihm schnell einen Druckverband:

„Gehen sie runter in die Notaufnahme. Das muss genäht werden.“

„Passen sie auf sie auf, solange bis ein Polizist kommt, der das Zimmer bewacht?“, fragte Neo.

„Wir haben einen Sicherheitsdienst. Ich sage gleich bescheid.“, lächelte sie charmant.

„Tun sie es gleich, ich warte solange.“, legte er jetzt einen schärferen Ton an.

Als sie aus dem Zimmer verschwunden war, nahm er verbotenerweise sein Handy und wählte die Nummer seines Reviers.
 

Ein Mann, so groß und breit wie ein Schrank, in weiß gekleidet, betrat den Raum etwa drei Minuten später:

„Sind sie vom Sicherheitsdienst?“, fragte Neo. Der Riese nickte nur: „Gleich kommt ein Cop und löst sie ab... Erschrecken sie, sie nicht.“, sagte er noch und machte sich auf den Weg nach unten.

Mit einem Verband und sechs Nadelstichen ging er wieder hoch. Vor der sechshundertsechs saß nun auf einem Klappstuhl ein Streifenpolizist. Neo zuckte seinen Ausweis und ging hinein. Das Mädchen schlief, leise setzte auch er sich.

Kurz darauf öffnete sich erneut die Tür. Néko sah den schlafenden Neo:

„Hast du denn gar nichts von mir gelernt?“, fragte sie und weckte ihn mit einem zarten Kuss.

„Was... Was ist?“, fragte er erschrocken. Sie grinste ihn an:

„Und das nennst ihr Observation. Zwei Polizisten und beide schlafen.“

„Ich habe eine Entschuldigung. Ich habe Schmerzmittel bekommen.“, meinte Misaki. Sie sah auf seinen Arm:

„Wie konntest du dich treffen lassen? Ich habe dir doch beigebracht, wie man Messer abwehrt.“ Er zuckte mit den Schultern:

„Wahrscheinlich war ich nicht vorsichtig genug.“ Sie schwiegen für einen Moment:

„Ich bin froh, dass dir nichts weiter passiert ist.“, sagte sie und küsste ihn. Sie sahen sich eine Zeit lang in die Augen:

„Pass auf dich auf.“, gab sie ihm noch einen Kuss und verschwand.

Neo war die folgende Woche krank geschrieben, so dass er für die Kleine ein neues sicheres Zuhause bei Pflegeeltern suchen konnte. Er fand schließlich welche in Hokaido, die bereit waren, sie aufzunehmen, trotz eines gewissen Risikos.

Bruch zwischen Tora und Raion

Im Bunker war Néko gerade dabei C4 zu testen. Es knallte kurz und sie befand es für gut:

„Tora, die Qualität ist in Ordnung!“, rief sie aus der Tür.

Keine Antwort:

„Tora?“, fragte sie nun raus kommend. Diese saß am Computer. Ken stand hinter ihr: „Was ist los:

„Der Auftrag für Jinta ist gekommen. Einziges Problem, der hat sich irgendwo bei Inato verkrochen.“, sagte ihre Mentorin. Ráion gab ein kurzes Lachen von sich:

„Ich weiß wo er versteckt ist.“, sagte er.

„Woher?“

„Ich habe, als ich bei ihm im Dienst stand nicht nur geschlafen. Inato besitzt eine alte Kaserne, die fast hermetisch abgeriegelt ist. Da versteckt er gerne seine Schützlinge.“
 

Ken arbeitete einen Plan aus, wie sie unentdeckt rein und wieder rauskommen sollten. Sie fuhren drei Tage später in einem Versorgungstransporter zu dem ehemaligen Militärgelände. Sie kamen ohne größere Probleme auf das riesige Grundstück. Sie stiegen aus und trennten sich sofort. Sie durchsuchten verschiedene Gebäude.

Enni war von Ráion in das Kleinste geschickt worden. Dort drin öffnete sie gerade eine Tür, als diese plötzlich von innen einen Tritt bekam. Néko konnte gerade noch verhindern, dass sie ihr ins Gesicht stieß.

Eine junge Frau mit rotem Minirock und blond gefärbten Haaren kam nun aus dem Zimmer:

„Wer bist du?“, fragte Enni.

„Das wirst du nicht mehr erfahren!“, rief sie aggressiv und ging auf die Katze los.
 

Im Nebengebäude knallten zwei Schwerter aufeinander:

„Misaki, hattest du Heimweh?“
 

In einem weiteren Haus wurde ein Schuss abgefeuert. Tora hatte ihren Gegner erschossen:

„Weg hier! Das ist eine Falle!“, schrie sie ins Mikro.

Néko und die Dame im Mini schenkten sich nichts. Beide wurden von Kicks getroffen, doch schließlich gelang es Enni, sie auf den Boden zu schleudern und ihr eine Waffe vors Gesicht zu halten:

„Töte mich! Oder Kurói wird es tun!“, forderte sie. Die Auftragskillerin sah ihr in die Augen, die Hoffnungslosigkeit preis gaben und dann tat sie etwas, was gegen Toras erste Regel verstieß:

„Sagen wir, wenn du es überlebst, habe ich bei dir was gut.“, meinte die Katze, steckte die New Nambu ein und verschwand. Sie versteckte sich im Auto, wo auch schon Tina wartete.

Durch das Funkgerät hörten sie immer noch Ken mit seinem Gegner kämpfen:

„Verdammt Ken, mach dem ein Ende und schwing deinen Arsch hierher.“, meinte seine Koibito forsch.

Er tötete ihn und kam unter einigen Schwierigkeiten zum Wagen. Er keuchte und sagte nur:

„Los weg hier.“ Tora drückte aufs Gas und durchfuhr die Schranke.

„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“, brüllte Tora laut: „Woher wussten die, dass wir kommen?!“ Keiner antwortete ihr.
 

Am Abend war Néko mit Misaki trainieren. Dabei legte er sie ohne Probleme auf die Matte. Er wunderte sich:

„Hey, was denn los?“, fragte er.

„Lass uns langsame Bewegungsabläufe machen, dann erzähle ich es dir.“ Sie erklärte ihm, wie der Einsatz daneben ging.

„Das hört sich an, als kenne jemand genau die Vorgehensweise meines Bruders.“ Néko schüttelte den Kopf:

„Kein AK verrät seine Vorgehensweise. Es gibt nur ... einen,“ ihre Augen weiteten sich: „der das genau mitbekommt.“ In Sekunden hatte sie ihre Schuhe an und stürmte aus dem Haus. Neo ihr barfuss hinterher:

„Warte! Wo willst du hin!“, rief er am Hauseingang. Sie sah auf ihn:

„Komm, ich nehme dich mit!“, sagte sie selbstbewusst und er stieg ins Auto.

Sie fuhr zu einer Garage, die ziemlich heruntergekommen war und öffnete sie mit einer Fernbedienung. Als das Auto drin und sie ausgestiegen waren, schloss sich die Tür:

„Was...“

„Ganz cool Neo, wir gehen einen anderen Weg. (dt.) Löwe und Tigarr.“, quälte sie sich auf deutsch raus. Es öffnete sich die Geheimtür zum Tunnel, der zum Bunker führte:

„Wo bringst du mich hin?“

„Unser Versteck.“, meinte sie nur kurz.

„Aber ich dachte...“, er verstummte als Néko ihre Hand auf das Abdrucksystem legte und eine weitere Tür sich öffnete. Sie stürmte rein und ging sofort auf Ken los:

„Wen aus der Group D hast du trainiert?!“

„Néko?!“, rief Tora verwundert.

„Ich wüsste nicht was dich das angeht?" Wurde jetzt auch Ken etwas lauter, stand auf, dann sah er Neo.

„Was macht der hier?!“, brüllte er.

„Wen hast du trainiert!“ Er wollte an ihr vorbei, doch sie stellte sich ihm in den Weg:

"Sag es uns, LOS! Wer war dein Schüler?", blieb sie hartnäckig. Ken holte aus, doch sie blockte ab und sah ihm aggressiv in die Augen:

"Du willst also kämpfen.", stellte er fest.

"Wenn du es uns sonst nicht sagst." Tora und Neo standen nur verwirrt da:

"???"

Ken und Enni stellten sich im Trainingsraum gegenüber. Sie griff an. Ráion blockte den Kick ab. Beide schenkten sich nichts, doch Néko gelang es Ken auf den Boden zu schicken. Schnell stand er wieder, dann bekam die Katze ihr Fett weg. Sie wurde von mehreren Tritten getroffen. Sie rappelte sich hoch und ihr gelang es Ken in den Polizeigriff zu nehmen:

"Rede, verdammt!", fauchte sie.

"Also schön, lass mich los.", zischte er.

Neo und Tora standen am Rand:

"???"

Sie ließ seinen Arm langsam los. Er drehte sich zu Néko um:

"Du hast ganz schön was gelernt.", sagte Ken und lächelte sie kurz an. Ihre Mimik regte sich nicht:

"Es ist Idogawa. Er war fast ein Jahr lang mein Schüler."

"Und wieso sagst du uns das erst jetzt?", fragte Tina: "Ich wäre ganz anders vorgegangen!" Ráion sah Tora an:

"Ich habe ihn unterschätzt.", sagte er.

"Und da muss dir Néko erst den Schädel einschlagen damit du mir was sagst? Ach ja, du hältst mich ja für zu schwach für diese Informationen.", sagte sie wutentbrannt und stürmte raus. Er wollte ihr hinterher:

"Ken! Lass sie.", sagte Enni.

"Was weißt du denn?"

"Soviel, dass du bei ihr jetzt gar nichts erreichst." Er verließ ebenfalls das Versteck:

"Dein Bruder ist eine ganz schön harte Nuss." Sie hielt sich die Rippen.

"Ja und ein Vollidiot ist er auch. Dass der aber auch nie sein Maul aufkriegt. Was machen wir jetzt?", fragte Neo.

"Tora muss sich erst einmal beruhigen. Vorher können wir gar nichts machen."

"Eventuell kriege ich mein Bruderherz zum Reden." Er gab Néko einen Kuss. Kannst du mich hier wieder rausbringen?“
 

Eine Stunde später spürte Neo seinen Bruder auf dem Friedhof auf. Er stand am Grab seiner Eltern und seinem eigenen:

"Hier wird man dich sicher leicht finden.", sagte Neo.

"Kann schon sein. Aber ich brauchte jetzt die Erinnerung an sie."

"Warum hast du ihnen nichts gesagt?"

"Fang du nicht auch noch an!", raunzte Ken.

"Ich kenne zwar Tora nicht so gut, aber ich weiß nicht wie oft sie diese Geheimnistuerei noch wegsteckt.", meinte sein Bruder.

"Ich weiß absolut nicht was du meinst.", stellte Ráion sich blöd.

"Erst die Sache mit deinem Tod. Jetzt das mit deinem Schüler. Du bringst sie wissentlich in Gefahr."

"Sie weiß, dass das was wir tun Risiken birgt", meinte er stur.

"Aber sie kann sich nicht auf dich verlassen.", sagte Neo.

"Lass mich doch jetzt mit so was in Ruhe."

"Du weißt nicht was du weg wirfst.", sagte der Detektiv enttäuscht und ging.

- Eichhörnchen hat sich in dem einen Jahr sehr verändert. -, sagte er sich. Dann kam eine Frau mit einer weißen Orchidee auf sein Grab zu:

"Tora, was willst du hier."

"Nichts."

"Ach und für wenn ist die Blume?"

"Für jemanden den ich vermisse.", sagte sie kühl und legte sie auf das Grab.

"Aber ich stehe doch neben dir."

"Nein, du bist nicht der Ken, den ich vermisse. Du bist ein Mistkerl."

"Ach ja und warum?"

"Du hast meine Schülerin und Freundin in Gefahr gebracht!!!", rief sie.

"Früher warst du nicht so gefühlsduselig."

"Du bist ein Idiot. Damals hättest du alle umgelegt, die mir gefährlich werden konnten und jetzt hau ab." Ken stockte der Atem:

"Du wirfst mich raus?"

"Ja, ich kann mit dir nicht arbeiten. Ich vertraue dir nicht." Sie küsste ihre Fingerspitzen und legte sie dann auf Kens Mund:

dt. "Lebe wohl, Liebe meines Lebens. Lebe wohl.", sagte sie. Er sah kurz ihre Augen, wie sie vor Tränen glitzerten. Dann verließ sie den Friedhof. Ken stand da und fasste es nicht. Sein kleiner Bruder hatte Recht gehabt.

Tora kehrte in den Tunnel zurück, als sie die Tür zum Versteck öffnete, stand auf dem Tisch ein Schokoladenkuchen:

"Was soll das hier?", fragte sie Néko.

"Immer wenn ich Liebeskummer hatte, brauchte ich was Süßes, um über den ersten Schmerz hinweg zu kommen." Tora sah sie erst böse an, doch dann setzte sie sich. Schnappte sich ein Stück und mümmelte es lustlos in sich rein:

"Das hilft überhaupt nicht.", meinte sie: "Néko."

"Ja."

"Ken wird das Versteck verlassen. Ich kann ihm nicht vertrauen. So kriegen wir hier hoffentlich etwas "Normalität" rein."

"Du bist dir ganz sicher, dass du ihn hier nicht willst?"

"Ja.", sagte sie mit zitternder Stimme.

- Tora, du hörst dich sehr überzeugend an. -, dachte Néko:

"Wenn du mich brauchst..." Tina nickte und schob sich das zweite Stück hinter.

"Schmeckt doch, was?", fragte Enni lächelnd. Auch Tora hüpfte ein kleines lächeln übers Gesicht.
 

Früh am nächsten Morgen kam Ken und holte sein Zeug. Tora war nicht da. Sie wollte ihn nicht sehen:

"Néko, ich verschwinde jetzt."

"Tust du mir einen Gefallen, Ken?"

"Was!?", fragte er aggressiv.

"Schicke Tora ab und zu eine Nachricht. Sonst macht sie sich Sorgen."

"Warum sollte ich? Sie hat mich doch rausgeworfen."

"Nun sei nicht so stur. Du kannst es auch über Neo machen.", versuchte sie zu überreden.

"Ich werde sehen wann ich Zeit habe.", meinte er.

"Danke. Auf wieder sehen, Ráion." Er ging ohne darauf zu antworten.

Überfall

Zwei Wochen später waren Tora und Néko, in ihrem Toyota, auf dem Weg nach Osaka. Sie hatten herausgefunden, dass sich Jinta dort aufhielt. Sie waren auf den Landstraßen unterwegs. Sie sprachen seit Stunden kein Wort. Tina war noch ruhiger geworden, seit Ken weg war und sie hatte wieder angefangen sein Grab jeden Abend zu besuchen. Enni fand das ausgesprochen masochistisch, sagte aber nichts.

In der Ferne tauchte plötzlich ein Hindernis auf. Beim Näherkommen sahen sie, dass es ein quergestellter LKW war. Beide Frauen wurden etwas misstrauisch.

Es gab keine Möglichkeit mehr abzubiegen. Von hinten näherte sich ein weiteres großes Fahrzeug.

Néko sah sich um:

„Tora?“

„Ich habs gesehen.“, meinte sie genervt und trat langsam auf die Bremse. Vor dem Lastwagen blieben sie stehen. Der Mann, der nun direkt vor dem Auto stand, hielt eine Pistole und zu beiden Seiten trat nun jeweils ein Typ an die Fahrer und Beifahrertür:

„Aussteigen!“, brüllte der Bewaffnete.

"Néko, die Kreditkarten.", sagte Tora.

"Damit versaue ich mir die Klamotten." Tina sah Enni an: "Schon gut." Beide stiegen aus.

"So jetzt her mit dem Geld."

"Nehmt ihr auch Kreditkarten?", fragte Néko, hielt eine hoch und ließ daraus eine Klinge hervor schnappen. Sie durchtrennte dem Kerl mit einem Schnitt die Halsschlagader. Auf der anderen Seite geschah genau das Gleiche. Sie zogen ihre Pistolen:

„Du nimmst den Fahrer dahinten. Ich kümmere mich um den da vorne.“

Néko ging schnell an die Beifahrertür des LKW´s und riss diese auf. Darin saß ein dicker ungepflegter Mann. Sie hielt ihm ihre New Nambu entgegen:

"Wer seid ihr?"

"In der Hölle wirst du es erfahren.", sagte sie kalt. Nékos Schuss deckte sich mit Toras. Fünf Minuten später, nachdem Tora den vorderen Laster aus dem Weg gefahren hatte, waren sie wieder unterwegs:

„Meinst du die wurden geschickt?“

„Möglich, glaube ich aber nicht. Dazu sind sie viel zu unüberlegt aufgetreten.“, sagte Tina und blickte starr geradeaus.

„Jedenfalls ist mein weißer Mantel versaut.“, fluchte Enni.

„Wir kaufen dir einen neuen.“

Sie fuhren weitere Stunden, um nach Osaka zu kommen. Dann holte Tora eine Karte raus.

„So weit ich in Erfahrung bringen konnte, ist Jinta in diesem Haus. Mitten in der Innenstadt, dass heißt wir müssen verdammt aufpassen, um nicht entdeckt zu werden.“

„Wie gehen wir denn nun vor?“, fragte Néko.

„Er hat einen seiner Bodyguards dabei. Frage ist jetzt, wie wir sie heimlich, still, leise und schnell erledigen können.“

Enni kam das komisch vor. Normalerweise war Tina bis zum Ende durchgeplant. Hatte immer alles dabei und wusste genau, was auf sie zukam:

„Ich habe meine Armbrust mit. Genau getroffen, ist die ziemlich leise. Wenn du dich dann um Jinta kümmerst...“, schlug Enni vor.

„Das ist gar nicht mal schlecht. Ich überlasse also dir heute mal die Führung.“, meinte sie so, als ob sie keine Lust hätte zu arbeiten.

In der Nähe des Hauses blieb der Wagen stehen. Es stand nur etwa alle fünfzig Meter eine Straßenlaterne. Auch die Häuser hatten einige Entfernung von einander. Die Straße wirkte düster. Zwischen den Anwesen standen hohe Bäume und der Nebel machte es fast gruselig. Sie gingen in geduckter Haltung auf das Haus zu, um dass weder ein Zaun war, noch Schaltete sich ein Bewegungsmelder ein. Tora wurde misstrauisch.

Als Néko zur Haustür wollte, hielt sie, sie am Arm fest:

„Warte, irgendwas ist faul.“ Beide sahen sich um, fanden aber nichts. Sie machten die Haustür auf, als Néko mitten in eine Lichtschranke lief und so dass sich das Licht anschaltete. Der lange Flur bot keinerlei Deckung, also verließen sie schnellstmöglich das Gebäude und pressten sich an die Hauswand. Sie hörten wie drinnen eine Tür geöffnet wurde. Tina sah Enni an und legte den Finger auf den Mund:

- Für wie blöd hält die mich. -, dachte Néko kurz und spannte ihre Armbrust. Die schweren, dumpfen Schritte, die sich vom Flur her näherten, ließen auf einen großen Mann schließen. Er öffnete die Haustür, blieb aber einen Moment in der Tür stehen.

Das Adrenalin pochte durch die Adern beider Frauen.

Dann trat er plötzlich aus dem Rahmen und griff sich Néko am Schlafittchen:

„Ahh.“, entfuhr ihr ein kurzer Schrei, als sie von dem riesigen Mann in die Luft gehoben wurde.

Augenblicklich trat sie ihm kräftig in die Weichteile. Er ließ sie stöhnend los und wich zurück. Bevor er noch einmal angreifen konnte, erschoss sie ihn mit der Armbrust.

„Du standest zu nah an der Tür.“, ging Tora an ihr vorbei. Ihre Schülerin rieb sich das Brustbein und folgte ihr.

Zurück im Flur setzten sie die Lichtschranke außer Betrieb und gingen zu der Wohnung, mit der offenen Tür. Sie hörten wie jemand eine Pistole durchlud:

„Kommen sie nicht näher. Ich bin bewaffnet und die Polizei ist auch schon gerufen.“, stotterte Jinta. Tina deutete Néko etwas in Zeichensprache. Diese nickte und lief leise raus.

Aus der Ferne war schon das Heulen von Sirenen zu hören:

„Jinta! Es wird Zeit, dass sie ihre Rechnung bezahlen!“, meinte Tora. Azuno war verwundert:

„Welche Rechnung?“ Tina begann zu erzählen und lenkte ihn so einige Sekunden ab.

Néko war in der Zwischenzeit von hinten an die Wohnung gegangen. Sie sah Jinta, wie er sich hinter einer runden Tischplatte verbarrikadierte.

Sie klopfte laut ans Fenster. Er stand schnell auf, drehte sich um und schoss die Scheibe ein. In dem Augenblick stieß Tora die Tür auf und tötete ihn:

„Néko? Alles klar?“

„Ja, du darfst mir nachher die Splitter aus dem Arsch ziehen.“

„Wir müssen uns beeilen.“, rief sie im weglaufen. Das Martinshorn war schon gefährlich nah. Sie waren an ihrem Auto und stiegen ein, als ein Polizeiwagen eintraf. Die Polizisten zogen ihre Waffen und zielten auf den Wagen. Tora gab Vollgas.

Die Reifen quietschten und innerhalb von fünf Sekunden waren sie auf einhundert Kilometer pro Stunde. Die Cops sprangen in ihren Streifenwagen und folgten ihnen:

„Schnall dich an!!!“, brüllte Fuchs. Der Streifenwagen kam gefährlich nah heran:

„Morgen werde ich mir wohl ein neues Auto kaufen müssen. Halt dich fest.“ Tora riss das Lenkrad nach links. Sie rammte das Auto. Es landete im Graben. Doch von hinten war weiteres Blaulicht zu erkennen:

„SCHEI?E!“, fluchte Tina: „Halt dich fest!“, meinte sie dann noch zu ihrer Schülerin. Die schmale Fahrbahn hielt eine scharfe Rechtskurve für sie bereit. Das Heck des Fluchtwagens brach cirka 50° zur Seite aus. Néko krallte sich krampfhaft an den Türgriff und das Armaturenbrett, während Tora das Gas bis auf den Boden durchtrat. Enni erkannte gar nicht mehr, was an ihrem Fenster vorbeisauste, dann hatten sie die Polizisten abgehängt:

„Wir müssen sehen, dass wir den Wagen los werden. Dann fahren wir mit dem Zug heim... So ein verfluchter Mist.“
 

Nachdem sie das Auto auf einem verlassenen Betriebsgelände in Brand gesteckt, einen dreistündigen, straffen Marsch in die nächste Ortschaft gemacht hatten und schließlich in einem Zug nach Tokio zurückgekehrt waren, war es schon später Nachmittag, als sie im Bunker ankamen. Diesmal beide völlig erledigt. Sie zogen sich in ihre Betten zurück.
 

Inzwischen hatte der Staatsanwalt von Osaka bei Mitamura angerufen:

„Mitamura- san, die Polizisten bestätigten, dass es sich um zwei Attentäter handelte. Die Opfer wurden mit zwei verschiedenen Waffen ermordet.

Sie sind uns leider entkommen, aber wir fanden nach dem Auto.“

„Geben sie die Beschreibung an alle Reviere zwischen Osaka und Tokio durch und geben sie bescheid, wenn sich etwas ergibt.“, sie legte auf:

- Hatten die Inus doch recht, Hat Tora einen Partner? -
 

Neo kam gerade durch seine Haustür:

”Du kommst spät.”, sagte Néko sanft.

”Enni, du hast mich erschreckt. Ich dachte du bist in Osaka.”

”Zu gefährlich, die Bullen klappern alles ab.”

”Und darum kommst du direkt zu einem nach hause. Gute Taktik.”

”He, was soll denn dieser Sarkasmus?”

Er trat näher an sie heran:

„Ich bin froh, dass du hergekommen bist.“, sagte Misaki und nahm ihre Hand. Sie schmiegte sich an ihn. Dann hob sie den Kopf und küsste ihn. Dieser Kuss wurde immer leidenschaftlicher und er wich zurück an die Wand.

Er legte seine Hände um sie herum. Ihre fuhren über seinen Oberkörper.
 

Néko kam erst am Nachmittag in den Bunker:

„Du kommst spät.“, murrte Fuchs.

„Neo hat heute Spätdienst, da haben wir noch zusammen gefrühstückt.“, sagte sie unschuldig. Ihre Mentorin antwortete darauf nicht. In letzter Zeit war sie häufig in dieser depressiv- aggressiven Stimmung. Enni ließ sie einfach in Ruhe. Sie konnte sich schon denken, was die Ursache dafür war. KEN!

Beim Abendessen war totenstille und der Abend versprach ruhig zu bleiben.

Néko lag schon im Bett, als sie hörte, wie Tiger den Bunker verließ. Sie stand ebenfalls auf und zog sich eine Jacke über. Sie begab sich zum Aufenthaltsraum und setzte sich an den PC.

Stunden vergingen und Tina tauchte nicht wieder auf. Ihre Schülerin wurde immer unruhiger. Sie versuchte wieder und wieder sie zu erreichen bis auf dem Computer eine e- Mail eintraf:

„Tora,

Sie sollten vorsichtig sein. Ein Syndikat beginnt auf ganz hohem Niveau ihr Unwesen zu treiben. Informationen sind nur spärlich zu kriegen, aber sie sind sehr Gefährlich.

Shuryõka

Enni schaltete nicht mal den Computer aus. Sie schnappte sich den Kawasakischlüssel und Helm und brach auf Tora zu suchen.

Sie hatte keine Ahnung wo sie, sie suchen sollte, aber sie hielt es nicht aus nichts zu tun. Das Gefühl in ihrer Magengegend wurde immer flauer. Enni durchquerte mit dem Motorrad die Stadt, den ganzen Tag lang war sie unterwegs, versuchte ihr Handy zu erreichen, doch sie fand nicht die geringste Spur.

Fast verzweifelt fiel ihr plötzlich der Friedhof ein:

„So ein Mist, hätte ich nicht früher daran denken können?!“, ärgerte sie sich. Sie fuhr zu dem Gelände und stürmte hinein. Im Dunkeln hatte sie einige Schwierigkeiten die Gräber der Misakis zu finden. Nach einer weiteren halben Stunde entdeckte sie, sie. Aber keine Tora. Sie hörte nichts, keinen Wind in den Bäumen, keine zirpenden Grillen, nicht mal eine Maus, die im Unterholz rascheln würde.

In der Ferne waren die Lichter von den Straßenlaternen erkennbar. Sie ging um die Steine, dort entdeckte sie eine zertretene weiße Orchidee. Sie beugte sich zu dieser hinunter.

Plötzlich vernahm sie etwas und im nächsten Moment rollte sie sich ab, als der Mann versuchte sie anzugreifen. Er zertrat den Stein von Neo´s Mutter:

„Scheiße!“, fluchte die bekannte männliche Stimme.

„Ráion?“

„Néko, was machst du hier?“

„Ich suche Tora. Hast du sie gesehen?!“, machte sie sich Hoffnung.

„Nein.“, meinte er kurz.

„Wir haben von Shuryõka eine Warnung erhalten. Irgendein Syndikat treibt sich hier rum.“, war Enni weiter in großer Sorge.

„Nicht irgendeins, Lucianna.“

„Was oder wer ist Lucianna?“

„Das jüngste Familienoberhaupt einer Mafiafamilie. Tora hat vor einigen Jahren ihren Vater kalt gestellt.“

„Wenn die (dt.) Tiger haben, wird sie nicht lange am Leben bleiben.“ Sie machte eine Pause und sah Ráion an:

„Ken bitte, hilf mir sie zu finden. Ich schaffe das nicht alleine.“, flehte Néko.

„Ich kann dir nicht helfen.“, er sah enttäuscht auf seinen Grabstein: „Sie würde es nicht wollen.“

„Sie wird, Tora liebt dich viel zu sehr, um sich töten zu lassen.“

„Da irrst du dich.“, meinte er nur und wandte sich zum gehen:

„Und warum glaubst du, schleppt sie jeden Abend ein verdammte weiße Orchidee hierher!?“, fluchte Enni jetzt fast.

Stille. Néko hob eins der zertretenen weißen Orchideenblätter auf und gab es Ken:

„Tora liebt dich, auch wenn sie es nicht zugibt.“

Er zögerte kurz, dann:

„Du findest Lucianna im Hotel Taiyõ.“

„Glaubst du sie halten dort auch Tina gefangen?“, fragte sie.

„Nein, das wäre zu auffällig.“

„Ich mache mich auf den Weg.“, sagte Enni und hoffte, dass Ken ihr folgen würde.
 

Die Katze stellte ihren Wagen so ab, dass sie Haupteingang und die Ausfahrt des Parkhauses genau sehen konnte, aber sie nicht sofort gesehen wurde. Es fielen ihr zwei bis drei in schwarz gekleidete, bullige Männer auf. Bei ihnen zeichnete sich unter dem Sacko jeweils ein Halfter mit Kanone ab:

- Ken könnte recht haben, aber wie finde ich jetzt Tora? -, fragte sie sich. Sie wartete über eine Stunde lang bis sich etwas tat. Da trat eine junge Frau aus der Hotelhalle. Sie trug ebenfalls einen schwarzen Anzug und eine Waffe. Sie wurde von einer Limousine abgeholt.

Néko folgte ihr, bis zu einem alten Vergnügungspark, der auf seinen Abriss wartete. Sie sah, wie die drei Personen dort hinein gingen.

Das Gelände war ziemlich groß und unübersichtlich. Enni konnte sie erst nicht finden. Bis sie eine glimmende Zigarette sah:

- Gott schütze die Raucher. -, dachte sie und machte sich leise auf den Weg dorthin.
 

In der alten Geisterbahn im Gang.

(Russ.) „Ich konnte es nicht glauben, als ich hörte, dass du in Japan bist. Wo du doch in Russland und Europa so erfolgreich warst.“, sagte Lucianna.

„Bist du gekommen, um für deinen Vater Rache zu nehmen?“, fragte Tora, die auf einem Stuhl gefesselt und blutig geschlagen worden war.

„Nein, dadurch wurde der Platz für mich frei. Mein Vater hätte mich nie an die Spitze gelassen.“

„Wenn du mir so dankbar bist. Kannst du mich ja gehen lassen.“, meinte Tina. Lucianna lachte und nickte ihrem Handlanger zu, der Tora mit der Faust ins Gesicht schlug.

„Ich würde dir ja jetzt einen Todeskuss geben, aber ich will mir nicht meinen Designeranzug versauen.“, lachte sie.

Mit einem Mal war ein Schuss zu hören und der Mann, der mit ihnen im Gang stand, fiel zu Boden.

„Wer ist da?“, fragte Lucianna, ihre Waffe im Anschlag. Die Katze antwortete nicht.

Plötzlich war noch ein Schuss zu hören, aber von den Frauen hatte keine geschossen. Néko hörte, wie jemand auf den Boden fiel.

„NEIN!“, rief sie, in der Vermutung das Tora tot sei und kam um die Ecke. Tina sah auf Lucianna, die mit einer Kugel im Kopf neben ihrem Handlanger lag.

Beglichene Schuld

14. Beglichene Schuld

Néko hatte ihre Mentorin und Freundin in den Bunker gebracht und versorgte dort ihre Verletzungen.

„Au! Das tut doch weh.“, sagte Tora, als Enni ihre Wunden, die zahlreich waren, säuberte.

„Ist gleich vorbei. Ich muss dich dann nur noch verbinden. Hoffentlich reicht das Verbandszeug.“

Tina sah sie an:

„Danke.“, meinte sie: „Danke dass du mich da rausgeholt hast, Mieze.“, sagte die Tigerin. Enni lächelte und wickelte weitere Binden um sie.

Ken betrat circa eine halbe Stunde später das Versteck:

„Wo ist sie?“, fragte er die Katze.

„Im Bett. Sie wurde ziemlich zugerichtet.“

Er sah auf die Tür:

„Ken.“

„Was ist?“, fragte er rau und sah sie weiter nicht an.

„Ich möchte dir danken.“, sagte Néko.

„Wofür?“

„Das du diese Tussi erschossen hast. Ich hätte das sicher nicht so sauber hingekriegt.“

„Garantiert nicht.“, meinte Ráion überheblich und ging in Toras Zimmer.

- Arschloch! -, dachte Enni und machte sich etwas zu essen.

Ken nahm sich einen Stuhl, setzte sich neben ihr Bett und bewachte ihren Schlaf.

Es war bereits später Nachmittag, als Sie das erste Mal erwachte. Sie drehte ihren Kopf zur Seite und erblickte Ráion:

„Was willst du hier.“, flüsterte sie wütend.

„Ich habe mir Sorgen gemacht. Möchtest du was trinken.“, bot er an.

„Nein, du kannst mir Néko rein schicken, wenn du gehst.“ Er stand auf und verließ das Zimmer.

„Néko. Tora will dich sehen.“, sagte Ken zwar rau, aber die Kleine glaubte eine Traurigkeit in seiner Stimme zu hören.

„Wie geht’s dir?“, fragte sie, nachdem sie Tinas Zimmer betreten hatte.

„Wieso ist Ráion hier?“, meinte sie leise, aber immer noch aufgebracht.

„Er schien sich Sorgen zu machen...“

„Ich will ihn hier nicht haben!“

„Tora! Er hat dir das Leben gerettet. Ob es dir nun passt oder nicht. Du hast zumindest die Pflicht, dich zu bedanken.“, meinte Enni. Ihre Lehrerin sah sie verwundert an. Die Schülerin verließ dann das Zimmer.

Tina lag wie erstarrt in ihrem Bett. Nicht in der Lage irgendetwas zu denken. Die Tür öffnete sich erneut, aber nicht Enni, sondern Ráion betrat dem Raum. Sie sah ihn wieder mit gefährlichen Augen an:

„Ich habe dir etwas zu trinken mitgebracht.“ Er stellte ihr das Wasser auf den Nachttisch. Sie beobachtete ganz genau seine Bewegungen. Nichts geschah ruckartig, alles war in einem ruhigen, fast angenehmen Fluss. Sie beobachtete ihn verwundert. Irgendetwas hatte sich verändert. Ken wandte sich um zum Gehen:

„Bleib.“, meinte sie ganz leise. Er verweilte an der Tür:

„Willst du das wirklich?“ Tora sah auf seinen Rücken:

„Néko sagte, sie hätte es nicht geschafft mich rauszuholen ohne dich?“

„Sie redet zu viel!“, raunzte er und fasste an die Klinke.

„Ráion, was empfindest du wirklich?“ Er drehte sich zu ihr:

„Du willst es wirklich hören?“

„Ja, ich möchte wenigstens einmal deine ehrlichen Gefühle mir gegenüber wissen.“

„Tina... ich bin miserabel in solchen ... Sachen. Du kennst mich doch am Besten.“, versuchte er sich rumzureden.

„Ich will es nur einmal von dir hören.“, meinte sie, schon enttäuscht, dass sie ihn darum bitten muss. Ken setzte sich auf den Stuhl und nahm ihre bandagierte Hand:

„Tora, du bedeutest mir alles. Du bist der Grund warum ich lebe und ich... liebe dich.“ Nach diesem Geständnis fühlte er sich schwach und verletzlich und das hasste er.

Tina setzte sich unter Schmerzen auf. Tränen in ihren Augen. So lange hatte sie sich danach gesehnt, diese Worte aus seinem Mund, mit seiner Stimme zu hören. Sie hob die Hand und berührte seine Haare. Er sah sie plötzlich an, bewegte sich auf sie zu und küsste sie.

Beide schmeckten und spürten einander.
 

Es war inzwischen der Samstag angebrochen. Enni war bei ihrem Koibito und sie aßen Frühstück. Sie sprach kein Wort:

„Was ist mit dir?“, fragte der Detektiv.

„Ich steig einfach nicht hinter die Beziehung von Ken und Tina. Ich sehe sie fast nur, wie sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen könnten. Ich habe das Gefühl sie vertrauen sich nicht. Dennoch sind sie sich in einigen Dingen sehr ähnlich.“ Er war aufgestanden und von hinten an sie herangetreten:

„Was hast du vor?“, fragte sie.

„Ich will dich ein wenig massieren. Du bist völlig verspannt.“, sagte er, als er seine Hände auf ihre Schultern gelegt hatte. Sie genoss diese kräftigen Berührungen von ihm:

„Weißt du, ich habe schon einiges von meinem Bruder erlebt. Aber lass mich dir eins erzählen. Ich weiß nicht genau was damals geschehen war. Er kam jedenfalls eines Tages nach Japan zurück und nistete sich bei mir ein. Er hatte sich total verändert, gut er war immer noch ein Arsch, doch er war sehr deprimiert. Sein ewiges Machogehabe war so gut wie verschwunden.“, schwelgte er in Erinnerungen: „Im Prinzip weiß ich auch nicht, was sie an ihm findet, aber wir müssen das auch nicht verstehen.“

Plötzlich klingelte Neo´s Telefon:

„Wen wollen sie sprechen...“ Er sah verwirrt aus. Legte die Hand auf die Muschel und sah Néko an:

„Da will dich jemand sprechen.“ Er gab ihr das Handy. Sie begann sich ebenfalls zu wundern:

„Woher...“ eine etwas längere Pause entstand: „O.K. ich bin dann da.“, sagte sie und legte auf.

„Wer war das?“, fragte Neo.

„Ich weiß nicht genau. Sie will mir Informationen über ein paar Feinde geben.“

„Muss ich mir Sorgen machen?“

„Ich glaube nicht.“ Sie stand auf und küsste ihn wild und leidenschaftlich:

- Sie versucht mich abzulenken... mh... Es funktioniert. -, ging ihm durch den Kopf.
 

Es war drei Uhr nachmittags als Enni auf dem größten Tokioer Boulevard stand. Es war ihr fast unheimlich, so mitten am Tag, in aller Öffentlichkeit auf einem belebten Platz zu sein. Schon zu lange hielt sie sich versteckt, stellte sie fest.

„Bist du allein gekommen?“, fragte sie jemand, der von hinten an sie ran getreten war.

„Natürlich. Was willst du?“, fragte Néko ohne sich umzudrehen.

„Du hast bei mir was gut.“, sagte sie. Enni überlegte:

- Bei welchem Feind habe ich was gut? -, Sie kam nicht drauf und drehte sich schließlich um. Vor ihr stand eine Frau, die ihr bekannt vor kam, aber woher? Dann viel es ihr wieder ein. Es war die Frau, gegen die sie auf dem Kasernengelände, als sie Jinta schnappen wollten, gekämpft hatte.

Sie wollte in ihre Tasche fassen, aber die Katze ergriff fest ihre Hand:

„Ich will dir etwas geben.“, sagte sie. Enni sah ihr prüfend in die Augen. Es waren nicht die gleichen wie damals. Der Hass war völlig daraus verschwunden. Nichts arglistiges lag darin, nur pure Verzweiflung. Sie ließ ihre Hand los, war aber weiter misstrauisch:

„Wer bist du?“, fragte Enni jetzt.

„In der Group D bin ich Satsujinsha XVII. Mehr ist nicht wichtig.“ Aus ihrer Innentasche holte sie zahlreiche Fotos heraus: „Das sind sämtliche Mitglieder der Group D. Diese Gruppe besteht aus 4 Experten und an die zwanzig „einfache“ Mörder.“

„So wie du?“ Siebzehn hatte den aggressiven Unterton bemerkt:

„Ich habe mein Leben riskiert, um dir einen Vorteil zu verschaffen.“, klang jetzt ein Vorwurf aus ihrer Stimme.

„Wieso?“, weil ich doch keine Chance zum Überleben habe. Du warst der erste Mensch, der mir Gnade zuteil werden ließ und dafür möchte ich mich...“ PENG hallte plötzlich ein Schuss durch den Boulevard. Die Kugel ging knapp an Néko vorbei und traf Satsujinsha XVII tödlich. Enni nahm die Beine in die Hand und verschwand in den Untergrund.

Etwa zwanzig Minuten später kam sie in den Bunker.

Es war niemand zu sehen, aber allen Anschein nach waren Tora und Ráion hier. Ihre Jacken hingen noch in der Geradrobe.

Sie bereitete die Fotos vor, damit sie es sobald wie möglich besprechen konnten. Es machte nicht den Eindruck als ob die Beiden schnell aus ihrem Zimmer kommen würden, also setzte sie sich vor den PC und spielte ein Spiel.

Abends um zwanzig Uhr kam Tora endlich raus. Enni sah über ihren Bildschirm und das Lächeln in Tinas Gesicht:

„Ihr habt euch also wieder versöhnt.“, stellte sie laut fest. Ihre Lehrerin wandte sich zu ihr, blieb aber nicht stehen:

„Ja, haben wir.“, meinte sie.

„Dann könnt ihr euch die Fotos der Group Death ansehen.“, sagte Néko betont beiläufig.

„Was!“, Tina rannte zum Esstisch und sah sie sich an: „Ráion!“, rief sie dann. Schlaftrunken trat er aus der Tür: „Sieh dir das an.“ Enni beobachtete Kens wenig enthusiastischen Gang zum Tisch:

„Was sind das für Typen?“, fragte er.

„Die Group „D“ höchstpersönlich.“

Er wirbelte herum, als hätte er sie nicht gesehen:

„Was? Woher hast du die?“

„Jemand war mir was schuldig.“

„Wer?!“, brüllte Ken sofort.

„Du musst nicht alles wissen.“, sagte die Katze äußerst selbstbewusst. Sie sahen sich kämpferisch an.

„Nun ist gut ihr zwei. Ken, ist doch egal, wo sie die Bilder her hat. Lass uns lieber überlegen, was wir damit anstellen.“, entschärfte Tora die Situation.

Er nahm sich das Foto von Idogawa und sah wütend drauf.

„Ich würde meinen, wir prägen uns die Gesichter ein.“, sagte sie weiter und nahm Ken das Bild aus der Hand, gab ihm einen Kuss auf die Wange:

„Den kennst du schon.“, meinte sie dann und drehte sich zum Bad.

Vertrauen? Freundschaft? Liebe?

15. Vertrauen? Freundschaft? Liebe?

Misaki war gerade dabei mehrere Entführungsfälle zu bearbeiten. In ganz Tokio waren fünf junge Frauen verschwunden. Weder Tatorte, noch Tathergang hatten irgendeine Gemeinsamkeit. Nur das die Mädchen alle sehr attraktiv waren und der oder die Entführer sehr überlegt vorgingen.

Neo fuhr an diesem Morgen zu den Eltern des wahrscheinlich sechsten Entführungsopfers. Hanata Michiro.

Neo hasste diesen Teil seines Jobs. Er klingelte an der Tür des Hauses, die fast augenblicklich aufgerissen wurde:

„Michiro!“, erklang die ängstliche Stimme einer Frau.

„Wir haben sie noch nicht gefunden.“, sagte er und zückte seine Dienstmarke: „Ich bin Detektiv Misaki Neo. Ich bin damit beauftragt sie zu finden.“

„Kommen sie rein.“, sagte Hanata- san niedergeschlagen. Im Wohnzimmer saß der Vater auf dem Sofa, in sich zusammengesunken und den Kopf in die Hände gelegt.

„Hanata- san, ich muss ihnen leider noch ein paar Fragen stellen.“, sagte er und brachte in Erfahrung wer das Mädchen war, wie sie war und wo sie sich in den letzten Monaten aufgehalten hatte.

Nur die Mutter antwortete auf seine Fragen.

„War es der Modelkidnapper?“, wendete sich doch plötzlich der Vater an ihn.

„Wir wissen es noch nicht genau, aber alles spricht dafür.“

„Ist sie noch am Leben?“, fragte die Mutter, den Tränen nah.

„Das kann ich ihnen leider nicht sagen. Wir tun jedoch alles, um sie zu finden.“, schwor Neo.

Er verabschiedete sich wenig später von ihnen und fuhr zurück ins Revier. Ihm war bei diesem ganzen Fall nicht wohl. Er fand es sehr merkwürdig, dass der Täter ihnen mindestens drei Schritte voraus war. Was entweder hieß, er ist ein verbrecherisches Genie oder er kennt die Pläne der Polizei.

Beides war schlecht, aber das erste wäre ihm fast lieber.

In Juban angekommen, betrat er das Revier und ging zu seinem Schreibtisch.

Doch dort saß jemand und suchte seine Akten durch:

„Würden sie bitte die Finger von meinen Unterlagen lassen.“, fauchte Neo.

„Na, na, Detektiv warum so aggressiv?“, drehte sich Fudo Keda zu ihm um: „Stimmt, du magst es nicht, wenn einer in deinen Sachen wühlt.“

Sein ehemaliger Schüler war überrascht:

„Was machst du hier?“, fragte er.

„Erst mal ein freundliches Hallo.“, sprach Keda.

„Natürlich, entschuldige. Hallo Fudo, was machst du hier?“

„Da im Augenblick wenig bei Inu anliegt, hat man uns beauftragt, bei der Ermittlung im Modelentführerfall zu helfen. Wie ich hörte bist du da auch dran.“

„Warum sind es eigentlich immer die ermittelnden Beamten diejenigen, die so was als letzte erfahren?“, war Misaki etwas pikiert.

„Freust du dich nicht, dass wir mal wieder zusammen arbeiten?“

„Natürlich, also herzlich willkommen beim Spiel, fassen des Bösen.“, meinte Neo.

Der Detektiv mochte seinen Kollegen gerne. Ohne ihn hätte Misaki es nicht geschafft bei Inu aufgenommen zu werden und auch so verdankte er ihm viel. Aber es gab einen gewichtigen Grund, weshalb er nicht wollte, dass ein Inu um ihn rum war.
 

Néko ließ sich jetzt schon geschlagene drei Wochen nicht bei ihrem Koibito sehen und der Detektiv kam und kam mit seinen Ermittlungen nicht richtig voran. Inus machten kaum Fortschritte und mit jedem den sie machten, entfernte sich der Modelentführer drei Schritte. Es waren zwei weitere Opfer entführt worden.

Sie saßen mit Profilern bis spät in die Nacht und versuchten ein Muster zu entschlüsseln:

„Das ist ja wie mit Tora!“, fluchte Nenrei Mamoru.

„Nein, Tora ist wenigstens noch so anständig und hinterlässt uns Opfer, aber dieser Mistkerl ist ein verdammtes Phantom. Niemand sieht wie er arbeitet, er lässt uns nichts, womit wir arbeiten können.“, meinte Neo Tora verteidigen zu müssen.

„Wenn er nicht Verbrechen begehen würde, könnte man ihn glatt bewundern.“, meinte Keda. Seine Kollegen sahen ihn teilweise böse an.

„Seine Perfektion ist schon fast zu perfekt. Ich weiß nicht, wie ich das einschätzen soll.“, sagte Motoki.

„Beginnen wir noch mal von vorn.“, meinte Yamada und zog die Akte des ersten Opfers heraus.

Sie gingen alles noch mal durch. Konnten jedoch keine weiteren Gemeinsamkeiten, außer die schon bekannten, feststellen. Nachts um drei Uhr kam Neo nach Hause. Er wusste, er hatte nichts mehr im Kühlschrank, aber er hatte keine Lust mehr gehabt einzukaufen.

Doch als er die Tür öffnete, kam ihm ein köstlicher Geruch nach Essen entgegen. Misaki konnte sich denken wer das war:

„Néko?!“, fragte er, legte seine Sachen ab und schloss die Tür. Als er in die Küche kam, stand Enni am Herd:

„Wie geht es dir?“, fragte sie.

„Ich bin hundemüde, wo warst du die ganze Zeit?“, fragte er etwas mürrisch.

„Ich war schwer beschäftigt und durch die Inus in deiner Nähe, hielt es dein Bruder für besser, wenn ich mich zurück halte.“ Sie war auf ihn zugegangen und küsste ihn leidenschaftlich: „Es tut mir leid.“, entschuldigte sie sich.

Plötzlich klopfte es heftig an seiner Tür:

„Neo! Bist du wach! Mach auf, wir haben ein weiteres Opfer!“

„Wer ist das?“, flüsterte Néko.

„Keda, geh ins Schlafzimmer.“, zischte er leise.

Nachdem sie dort verschwunden war, öffnete er die Tür.“

„Mach schnell, die Spur ist verdammt heiß!“ Der Detektiv holte seine Jacke und sie verließen die Wohnung.

Sie fuhren in das Rotlichtviertel, wo schon einige Polizisten standen:

„Was ist hier passiert?“, fragte Kommissar Fudo.

„Es wurde eine weitere Frau entführt, aber wir haben diesmal eine Beschreibung des Täters und des Wagens.“, sagte der Streifenpolizist. „Der Zeichner fertigt bereits ein Phantombild an.“

„Er hat endlich einen Fehler gemacht. Wo ist der Zeuge.“, fragte Misaki.

„Auf dem Revier.“

„Danke.“, sagte der Detektiv und kehrten nach Juban zurück.

In dem Moment klingelte ihr Handy:

„Komm sofort ins Versteck!“, brüllte ihr Ráion entgegen.

- Ich hasse ihn! -, ging ihr durch den Kopf.

Fünfzehn Minuten später im Bunker:

„Was willst du?“, fragte sie aggressiv. Tora saß am PC und mischte sich in ihre Streitigkeiten nicht ein, heute machte sie eine Ausnahme:

„Néko, ich habe darauf bestanden, dass du herkommst.“ Ihre Schülerin ging zum Schreibtisch:

„Dein Bulle könnte Probleme kriegen.“, sagte sie weiter.

„Wieso?“

„An dem Fall an dem er arbeitet, steckt ein gewisser Fudo Keda drin.“

„Der Inu?“

„Ja, wir wissen nicht in wie weit, aber der Typ hat Dreck am Stecken.“, sagte Tina.

„Ich muss Neo warnen.“, sagte Enni.

„Wieso?“, fragte Ráion.

„Ich kenne deinen Bruder inzwischen recht gut und seine Loyalität ist fast unerschütterlich. Wenn Keda ihn da mit reinziehen will, könnte das gefährlich für ihn werden.“, zischte sie durch die zusammengebissenen Zähne.

„Es ist wie du sagst und genau deshalb wird er dir nicht glauben.“, meinte Ken.

„Ich werde es ihm sagen. Er muss darauf vorbereitet werden.“, sagte Néko, drehte sich um und ging.

Enni und Misaki trafen sich am Nachmittag im Tokioer Tierpark. Vor der Anlage mit den Tigern:

„Neo, schön dich zu sehen.“, ging sie auf ihn zu und küsste ihn, allerdings mit einem ungutem Gefühl im Magen. Er merkte das:

„Hey, was ist los.“, fragte er. Sie wich seinem Blick aus und antwortete für einen Moment nicht:

„Wie gut kennst du Fudo Keda?“

„Er hat mich unter seine Vittiche genommen, als ich kurz davor stand von der Polizeiakademie zu fliegen. Naja, daraus hat sich eine Freundschaft entwickelt. Ich kann ihm bedingungslos vertrauen. Wieso fragst du?“ Néko sah auf die Tiger und schwieg. In diesem Moment fing es an zu regnen, aber keiner nahm es richtig war:

„Wieso fragst du?“, wiederholte er.

„Nun, wir...“, sie atmete durch: „Wir haben Hinweise, dass Keda in den Modelentführungen mit drinsteckt.“

Seine Miene verhärtete sich ärgerlich:

„Was soll das heißen!“ Sie wandte ihr Gesicht zu seinem:

„Ich möchte, dass du vorsichtig bist. Lasse dich nicht in irgendwas reinziehen.“

Einen Moment war Stille, doch dann:

„Hast du ein Problem damit, dass ich weiter mit den Inus befreundet bin?“, warf er ihr vor.

„Das hat überhaupt nichts damit zu tun. Ich versuche...“

„Mich von einem meiner vertrautesten Freunde zu trennen!“, brüllte er fast. Néko sah ihn an, inzwischen total durchnässt. Er jedoch drehte sich nur um und ging.

„Ich wollte dich nur warnen... nur warnen.“, sagte sie leise, aber er hörte es nicht.

Misaki war wütend auf Enni. Wie konnte sie Fudo Keda verdächtigen. In ihm kamen Erinnerungen hoch, wie Keda ihn als Jugendlicher und später auch auf der Polizeiakademie aus einigen Schlamasseln holte. Neo wusste nicht, wie viele graue Haare Fudos ihm zu verdanken waren. Nie würde er ihm misstrauen
 

Es waren bereits einige Tage vergangen und das Phantombild hatte ziemlich viele Hinweise ergeben. Sie reichten von Tanata Tomoio bis zur Außerirdischen Lebensform.

Aus allen wurden insgesamt dreihundertachtundvierzig glaubwürdige zusammengefasst und nachgegangen.

Während dessen lag Néko mit einer starken Tonsillites* im Bett. Aus diesem hatte sie sich gerade raus gequält und ging zum Kühlschrank:

„Du siehst aus wie der Tod auf Latschen.“, sagte Ken grinsend.

„Ha, ha.“, kam leise aus ihrer Richtung: „Wo ist Tora?“, flüsterte sie weiter?“

„Die besorgt dir noch ein paar Drogen (Medikamente).“, meinte er vom Tisch aufstehend.

„Woher kriegt sie die eigentlich ohne Rezept?“, fragte sie.

„Connection, meine liebe, connection.“, wendete er sich ab.

Sie nahm sich einen Eiswürfel zum Lutschen und legte sich wieder hin. Enni dachte über ihr Problem mit Neo nach. Eigentlich tat sie seit Tagen nichts anderes. Sie hoffte, dass er auf sie hören würde. Doch sie wusste, im Prinzip war Neo Ken ähnlich, alles musste er auf die harte Tour lernen.
 

Neo und Keda saßen an dem Abend zusammen in einer Kneipe:

„Hältst du es für möglich, dass wir dieses Schwein irgendwann in die Finger bekommen?“, fragte Fudo.

„Was mich so extrem an der ganzen Sache stört, ist dieser Mangel an Beweismitteln.“, sagte Misaki.

„Du weißt, bei Tora haben wir nicht mehr.“, versuchte er einen Vergleich zu finden.

„Der arbeitet seltener und im Gegensatz zu dem Entführer ist mir Tora fast sympathisch. Die Hinterbliebenen wissen zumindest, was mit den Opfern geschah.“

Keda schaute ihn aus den Augenwinkeln an:

„Ich bin übrigens heute über eine Aussage gestolpert. Es geht um das Kellergeschoss eines Wolkenkratzers in Shinjuku. Wir kriegen leider keinen Durchsuchungsbefehl, aber ich würde mich da zu gerne mal umsehen.“, meinte Keda. Neo sah ihn an:

„War das nicht immer mein Text?“, wunderte er sich.

„Der verdammte Entführer hat inzwischen fünfzehn Mädchen. Ich habe keine Lust mich immer an sinnlose Regeln halten zu müssen.“

„Wer sind sie und was haben sie mit Keda gemacht.“, fragte Misaki und bemerkte Néko im Hinterkopf.

Sein Kollege bezahlte und sie gingen zum Auto. Beide stiegen ein und Fudo fuhr in Richtung Shinjuku. Er hielt schließlich vor einem Wolkenkratzer. Misaki sah verwirrt aus dem Fenster:

„Du bist sicher, dass du hier rein willst.“, fragte er misstrauisch.

„Ja, komm. Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir haben.

„Und wo wollen wir beginnen? Das Gebäude ist riesig.“, sagte Misaki zweifelnd.

„Wir beginnen da, wo wir reinkommen. Los!“ Beide stiegen aus und gingen zur Rückseite des Hauses. Dort ging eine Treppe zum Keller hinunter. Keda deutete mit dem Finger darauf. Neo nickte. Sie schlichen hinunter. Vor der Tür holte der Kommissar zwei Taschenlampen ein Etui mit Dietrichen heraus und machte sich am Schloss zu schaffen.

„Keda, du bist dir ganz sicher?“ In dem Augenblick ging die Tür auf. Mit Handzeichen deutete Neos Kollege ihm, dass sie jetzt reingehen. Sie schlichen an der Wand entlang. Im Lichtkegel der Lampen war wenig zu sehen. Der Gang teilte sich nun auf. Misaki ging nach links, Fudo nach links. Neo hatte dabei ein sehr schlechtes Gefühl.

Er war noch etwa einhundert Meter kreuz und quer gegangen, dieser Keller glich einem Labyrinth. Er verharrte als er plötzlich ängstliche Stimmen hörte. Mit der Waffe im Anschlag ging er durch eine weitere Tür. Da entdeckte er plötzlich mehr und mehr Käfige in denen die jungen Frauen waren, die Neo schon seit Wochen suchte:

„Haben sie keine Angst. Ich bin von der Polizei.“ In dem Moment ging das Licht an. Misaki blickte sich schnell um. Durch die Tür kam Keda, seelenruhig. Seine Waffe hatte er eingesteckt:

„Was geht hier vor?“, fragte der Detektiv.

„Wir warten auf die Käufer.“, meinte er nur.

Tausend Gedanken gingen Neo durch den Kopf:

- Kann es wirklich wahr sein? Habe ich mich so in ihm getäuscht? Wieso tut er das? Ist ihm Geld wirklich wichtiger, als das Wohlergehen dieser Mädchen? -

„Ich kann nicht glauben, dass du dahinter steckst.“

„Meine Tarnung ist halt sehr gut?“, meinte Fudo.

„Aber wie...“

„Das wie war ganz leicht. Vor allem als ich zur SOKO Modelentführer kam. Ich konnte meinen Handlanger immer dahin schicken, wo die Polizei nicht war. Das heißt bis er sich hat sehen lassen.“ Er deutete mit dem Kopf auf den letzten Käfig, wo ein übel zugerichteter Mann saß. Sein Gesicht war grün und blau geschlagen, die Nase gebrochen, die Augen völlig zugeschwollen. Die Wut fraß sich in Misaki hoch:

„Und ich habe dich verteidigt, als Néko mit dieser Anschuldigung kam.“, sagte er mehr zu sich als zu seinem ehemaligen Mentor.

„Jemand hatte mich in Verdacht, wer?“

„Wieso hast du mich hergebracht?!“, fragte Neo nun ziemlich laut:

„Ich biete dir an mit einzusteigen. Wir teilen fifty/ fifty.“

„Du scheinst mich überhaupt nicht zu kennen. Genauso wenig wie ich dich, wie es aussieht. Du hast mir mal gesagt, man müsse zwischen Recht und Unrecht gut unterscheiden können. Mit welchem Recht machst du das hier!“, Misaki atmete schnell. Er hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen.

„Mit dem Recht des Geldes. Überleg doch mal. Als Bulle riskierst du jeden Tag dein Leben und kriegst einen Hungerlohn...“

„Doch das ist das, was wir uns ausgesucht haben. Wir wollten wenigstens ein wenig für Gerechtigkeit sorgen.“

Keda gähnte:

„Bist du fertig. Ich kann mir dank des Geldes alle meine Träume erfüllen...“

„Und was ist mit den Träumen dieser Mädchen?!“, fragte Neo aufgebracht.

„Sie sind die Ware. Nichts weiter, praktisch wie Hundebabys.“, versuchte Fudo zu beschwichtigen.

„Beruhigst du damit dein Gewissen?“

„Machst du nun mit? Denk an das ganze Geld.“

„Meine Seele ist nicht käuflich und ich werde dafür sorgen, dass die Mädchen nach Hause kommen.“

Keda zog seine Waffe. Die Frauen, die alle an die Gitter gekommen waren, schreckten zurück.

„Ich hatte gehofft, du bist vernünftig...“

Plötzlich begann die junge Frau, die hinter Keda im Käfig war zu schreien. Er drehte sich zu ihr. Neo ergriff die Möglichkeit und ging auf Fudo los. Er bemächtigte sich auf geschickte Weise der Waffe. Aber sein „Kollege“ gab nicht auf und versuchte Misaki mit Tritten und Fausthieben die Pistole wieder abzunehmen. Was ihm nicht gelang. Jetzt standen sie sich gegenüber:

„Du wirst mich nie erschießen.“, meinte Keda überheblich. Misaki griff an. Er drehte ihm den Arm auf den Rücken:

„Fudo Keda, sie sind verhaftet...“, er sprach ihm seine Rechte vor und legte ihm Handschellen an. Danach rief er Krankenwagen und seine Kollegen.

Eine Stunde später stand er vor dem Wolkenkratzer, neben einem Polizeiauto, als Hana auf ihn zukam:

„Misaki! In was haben sie sich diesmal reingeritten?!“, schimpfte der.

„Keda wollte, dass ich mit einsteige.“, sagte er nur traurig.

„Wieso sind sie es nicht.“, fragte der nun etwas ruhiger.

„Ich habe mich vor sieben Jahren für die Polizei und nicht fürs Verbrechen entschieden. Ironischer Weise hatte Keda mich dazu gebracht.“

„Zum Glück ist ihre Partnerin ab Montag wieder da.“, drehte sein Chef sich um.

Neo war völlig geschafft, aber bevor er nach Hause fahren und sich ins Bett legen konnte, musste er sich noch bei Enni entschuldigen. Er fuhr zum Versteck, denn inzwischen wusste er wie er reinkommt und seine Fingerabdrücke öffneten das Versteck:

„Welch seltener Glanz in unserer Hütte.“, sagte Ken, wenig begeistert ihn zu sehen.

„Ist Néko hier?“

„Ja, die hat allerdings eine Mandelentzündung.“

„Wie geht’s ihr denn?“

„Wie es einem halt mit einem dicken Hals geht. Bring ihr lieber ein Eis mit. Das wird sie gnädiger stimmen.“ Ken reichte ihm ein Wassereis aus dem Kühlschrank:

„Danke.“ Er ging zu ihrer Tür und klopfte vorsichtig an. Keine Reaktion. Neo öffnete die Tür. Es begrüßten ihn feindliche Augen, es war kaum mehr von Enni zu sehen:

„Ich habe dir ein Eis mitgebracht.“ Sie sah ihn weiter gefährlich an: „Néko...“, ihr Blick durchbohrte ihn fast: „Ich will mich bei dir entschuldigen. Du hattest recht. Keda hat die Entführungen...“, er konnte immer noch nicht glauben, was heute passiert war: „... geplant und ausgeführt.“ Er setzte sich aufs Bett und fasste sich durchs Haar: „Es tut mir leid.“, sagte er wieder:

„Gib mir das Eis.“, flüsterte sie. Neo sah sie an und reichte es ihr. Néko setzte sich auf und riss das Papier runter:

„Ist er tot?“, fragte sie.

„Nein, ich habe ihn verhaftet.“

„Wirst du sein Verhör machen?“, wollte sie nun wissen.

„Ich denke nicht, dass mir das gestattet wird. Immer hin war er mein Mentor.“

„Vielleicht hast du bessere Chancen aus ihm was rauszukriegen. Du könntest ihn dazu bringen die Sklavenhändler zu verraten. Indem du ihn daran erinnerst, warum er Polizist wurde. Mmh, mein Hals tut weh.“, flüsterte sie und lutschte am Eis.

„Seit wann liegst du mit deinen Mandeln im Bett?“

„Etwa drei Wochen. So doll hat es mich noch nie erwischt...“ In dem Moment klopfte es an der Tür:

„Herein.“, sagte Neo. Tina kam mit einem bunten Tablettenmix ans Bett:

„Du auch wieder hier? Steck dich bloß nicht an.“, meinte sie.
 

* Mandelentzündung

Hirachi

Hirachi

Neo ging am nächsten Morgen zu Hana ins Büro:

„Chef, ich möchte die Verhöre von Keda Fudo übernehmen.“, sagte er selbstbewusst.

„Das glauben sie doch nicht ernsthaft, dass ich sie an diesen Fall lasse. Mitamura hackt mich in kleine Stücke.“, sah ihn sein Capt´n von seinem Schreibtisch aus an.

„Hana- san, ich denke ich kann zu ihm durchkommen. Wir kennen uns verdammt lange und so wollte er niemals werden. Vielleicht kann ich ihn daran erinnern.“

„Nein, sein Anwalt ist Hitami, der dreht uns daraus einen Strick, von wegen Verfahrensfehler.“

„Chef…“

„Nein heißt nein und nun verschwinden sie. Monosuki kommt heute wieder und sie haben genug mit ihren anderen Fällen zu tun.“, beförderte ihn Hana verbal aus dem Büro.

Neo setzte sich an seinen Schreibtisch und begann seine Akten durchzusehen.

Er arbeitete gerade konzentriert, als ihm jemand auf die Schulter tippte:

„Hallo Neo.“

„Hotaru, wie war die Weiterbildung? Worum ging es eigentlich?“

„Profiling, war sehr interessant.“, sagte sie.

„Bereit dich wieder in die profane Polizeiarbeit zu schmeißen?“, fragte der Detektiv.

„Wenn du mir einen kurzen Überblick gibst.“

„Neo begann die offenen Fälle der letzten Monate herunter zu spulen und berichtete auch vom Modelentführerfall:

„Die lassen mich Keda nicht verhören.“, meinte er noch.

„Was hast du denn erwartet?“

Er schwieg:

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Hotaru, mit einem Unterton, den Misaki nicht überhörte.

„Ich glaube du arbeitest schon zu lange mit mir, du sollst mich doch zurückhalten.“, war er überrascht.

In dem Moment trat Hana an sie heran:

„Detektiv, Keda hat gerade die ganze Verantwortung auf sich genommen.“, sagte er.

„Das hat er nie von eigener Hand geplant und ausgeführt.“, war Neo der Überzeugung.

„Etwas Ähnliches hat die Staatsanwältin auch gesagt. Sie hat sich entschlossen, sie doch mit ihm reden zu lassen. Sein Anwalt wird zu gegen sein. Danken sie mir nicht dafür, das war Mitamuras Idee. Wenn es nach mir ginge, müssten sie ihren Riechkolben da raushalten.“, meinte der Capt´n im Gehen.

„Kommst du mit?“, fragte Neo seine Partnerin und stand auf.

„Natürlich.“, sagte sie und folgte ihm zum Verhörraum. Als er vor der Tür stand, atmete er noch mal tief durch und ging dann hinein. Der betonierte graue Raum mit einer Einwegscheibe, einem hölzernen Tisch, seinem ehemaligen Mentor und seinem Anwalt wirkte sehr befremdlich:

„Neo, ich dachte schon du kommst nicht mehr.“, sagte Fudo gespielt fröhlich.

„Ich wollte schon früher kommen, aber die Winkeladvokaten mussten sich erst produzieren.“, Misaki warf einen Blick auf Hitami, ein ergrauter Mann mit schwarzen Designeranzug, und setzte sich: „Also Hana berichtete mir eben, dass du die ganze Verantwortung auf dich genommen hast.“

„Jo.“, meinte Keda, verschränkte die Arme hinterm Kopf und lehnte sich zurück.

„Verzeih mir, dass ich dir das nicht abkaufe.“, sagte Neo ernst.

„Nicht mein Problem.“

„Lass mich dich was fragen, WIESO?“, presste der Detektiv durch die Zähne.

„Wieso ich das gemacht habe, Geld, nehme ich mal an.“

„Nein, wieso hast du mich zu diesem Job überzeugt. Ich hätte damals auf der schiefen Bahn bleiben können. Dann wäre es sicher kein Problem gewesen, mich dazu zu überreden.“

„Weißt du, genau das habe ich mich auch gerade gefragt, aber du warst für diese üble Laufbahn nicht bestimmt. Das konnte ich damals schon sehen.“, lächelte Keda.

„Und warum hast du dich gewandelt? Das ist dir doch nicht einfach mal so in den Sinn gekommen?“, fragte Misaki.

„Antworten sie nicht.“, sagte der Anwalt.

„Schon klar, Hitami ist hier, um den wahren Hintermann rauszuhalten. Bei unserem mageren Gehalt könntest du ihn sicher nicht bezahlen.“, sagte Neo. Keda grinste ihn an und sein Schüler zurück:

„Du bist gut, Misaki.“

„Keda- san, das Gespräch ist beendet.“, sagte Hitami, rot vor Wut.

„Du bist der Schwachstelle schon erstaunlich nahe. Ich hoffe ich sehe dich nochmal.“, sagte Fudo mit ehrlichen Augen. Neo wusste, was dieser Blick zu bedeuten hatte:

„Halte dich bitte von jeglichem Ärger fern.“, sagte er.

„Neo, ich werde dich mal zitieren: Der Ärger findet mich.“, sagte Keda und wurde abgeführt. Sein Anwalt ihm hinterher.

Hotaru kam in jenem Augenblick aus dem Beobachtungszimmer:

„Hitami überprüfen?“, fragte sie nur.

„Ja und ich werde Mitamura anrufen und Einzelhaft für Fudo vorschlagen.“
 

Während Neo am Telefon hing, nahm Monosuki Hitami unter die Lupe. Die Fälle in denen er offiziell als Anwalt tätig war. Seine Klienten reichten von Wirtschaftsbossen bis zu kleinen Handlangern, die auf wundersame Weise alle einen großzügigen Geber hatten.

Sie nahm sich die Akten vor. Sie hatte einige Mühe herauszufinden, wer der geheimnisvolle Geldgeber war. Erst als sie sich seine Steuererklärungen besorgt hatte, stieß sie auf einen Namen:

„Misaki, sagt dir der Name Kyro etwas?“

„Nein, nie gehört. Wer ist das?“

„Nun, er scheint die Rechnungen von einigen Klienten von Hitami gezahlt zu haben.“, erklärte Hotaru.

„Dummerweise können wir den Winkeladvokaten nicht vorladen, aber ich werde nochmal mit Keda sprechen.“, stand er auf und nahm das Telefon in die Hand:

„Hier Misaki, können sie mir Keda Fudo in den Verhörraum bringen… was… In welchem Krankenhaus liegt er?“ Misaki schmiss den Hörer auf die Gabel: „Hotaru komm!“, nahm er seine Jacke.

„Was ist passiert?“

„Fudo liegt im Krankenhaus, auf der Intensivstation.“, raunte Neo.

„Wie…“

„Wie das passiert ist? Das kommt, wenn die Staatsanwältin nicht auf eine offensichtliche Gefahr reagiert.“, meinte er noch böse.

Sie fuhren ins Tokioer Hospital, wo sie auf den Oberarzt der ITS trafen. Sie zeigten ihre Ausweise:

„Ich bin Dr. Schwarz Andre.“, stellte sich der deutsche Arzt vor.

„Wie geht es Keda?“, fragte Misaki besorgt.

„Nicht sehr gut. Er hat multiple Knochenbrüche, eine starke Gehirnerschütterung, innere Blutungen konnten gestoppt werden. Die nächsten 24 Stunden sind kritisch.“, sagte er.

„Kann ich zu ihm?“

„Er ist im Moment ohne Bewusstsein. Es hätte nicht viel Sinn.“, sagte Schwarz.

„Ich würde trotzdem gerne.“

„Wenn es denn sein muss.“
 

Neo betrat die Intensivstation. Es war sehr still dort, bis auf das leise Surren der verschiedenen Geräte. Der Bildschirm zeigte die giftgrüne Linie Fudos Herzschlages. Er trug eine Sauerstoffmaske. Durch die Schwellungen und Blutergüsse war sein Gesicht kaum zu erkennen:

„Er hat viel abbekommen.“, sagte der Arzt.

„Kann ich einen Moment bleiben?“ Neo sah, dass ihm das nicht recht war, aber er nickte.

Misaki wendete sich an Keda:

„Solltest du dich nicht aus allem heraushalten?“, er machte eine Pause: „Normalerweise hast du das gesagt. Wie konntest du dich nur zu sowas hinreißen lassen!“, warf er ihm vor.

Kedas verquollene Augenlieder bewegten sich:

„Fudo?“ Die Lider öffneten sich soweit es ging und er erkannte verschwommen Misaki. Mit dem nicht gebrochenen linken Arm, nahm er sich die Sauerstoffmaske ab:

„Nein, lass auf.“, meinte Neo. Doch Keda deutete ein Kopfschütteln an, weil die Halskrause diese Bewegung erschwerte. Misaki ging an ihn heran:

„K… K… Ky… Kyro.“, hauchte er und verlor wieder das Bewusstsein. Neo blieb noch einige Minuten, ging und fuhr dann direkt zum Revier.

Hotaru saß am Computer, äußerst konzentriert. Er setzte sich, ohne dass sie was davon bemerkte.

Irgendwann haute sie auf die Tastatur:

„Scheiße!!!“ Er sah sie verwundert an:

„Hotaru, so ein Wort von dir?“

„Klappe Misaki. Versuche du doch mal an die Steuerunterlagen einzusehen.“ Er sah dass sie sauer war. „Hat Keda was sagen können?“

„Nur einen Namen, Kyro. Ich bin schon dran den abzuchecken.“

Das Klicken ihrer Tastaturen war den ganzen Tag zu hören:

„Willst du einen Kaffee?“, fragte Hotaru.

„Ja, gerne.“ Während sie zwei Tassen füllte, gelang es Neo endlich in die Datenbank der Abteilung für organisiertes Verbrechen zu kommen.

-Da habe ich ihn ja.-, ging es ihm durch den Kopf.

Er erfuhr, dass Kyro zu den bekannten führenden Jakusas Tokios gehörte.

Monosuki trat heran und sah auf den Bildschirm:

„Ich glaube da betreten wir fremdes Revier.“

„Kann schon sein, aber ich will wissen wer für Kedas Zustand verantwortlich ist. Wenn die ein Problem damit haben, sollen sie mich anrufen.“, fauchte Misaki.

„Du bist wie eine Axt im Walde.“

„Danke für den Hinweis, aber du bist nicht die Erste die mir das sagt.“

Sie schüttelte den Kopf und begab sich auf ihren Platz.
 

Am nächsten Morgen:

Neo und Hotaru saßen an ihren Schreibtischen und arbeiteten, als drei in schwarzen Anzügen gekleidete Männer das Büro betraten. Monosuki machte ihn auf sie aufmerksam:

„Da hast du diejenigen, die was gegen ihre Ermittlungen haben.“, sagte sie.

Die Drei gingen an ihnen vorbei und ohne anzuklopfen ins Büro von Hana. Neo sah ihnen nach, wie alle drei reingingen.

Sie warteten, fünf Minuten, zehn, dann war plötzlich Bewegung im Raum und die Tür ging auf. Zwei der drei Unbekannten traten aus dem Büro, hinter ihnen kam Hana:

„Detektiv, Unterinspektor, herkommen!“

Die beiden standen auf und gingen durch die Glastür. Neben Odas Schreibtisch stand der Dritte, mit einen wütendem Gesicht. Der Capt´n war hinter seinen Schreibtisch zurückgekehrt:

„Misaki!“, fauchte der Mann: „Mein Name ist Natashi und sie Witzbold wollen an Kyro ran. Wie haben sie sich das vorgestellt. Sie spazieren eben mal zu den Jakusas und schnüffeln da rum?“

„Ein Versuch wäre es wert.“, konterte Neo: „Außerdem habe ich einen Zeugen, der ihn mit den Modelentführungen in Verbindung bringt.“

„Was? Wenn?“, fragte Natashi.

„Den Modelentführer persönlich.“, sagte Monosuki.

„Sie übergeben den Fall und alle seine Unterlagen jetzt an mich.“, legte Natashi einen Befehlston auf.

„Wie bitte?!“, meinte Neo: „Meine Partnerin und ich haben uns alles aufgerissen um diesen Fall zu lösen und jetzt kommen sie in ihrem schicken Anzug und wollen ihn uns abnehmen?!, fragte Neo laut.

Natashi blickte ihn mit einem Lächeln an:

„So sieht es aus, Misaki. Sie sind nicht ausreichend geschult für das organisierte Verbrechen. Lassen sie da lieber die Profis ran.“

„Fragt sich nur auf welcher Seite die Profis stehen.“, meinte der Detektiv düster. Natashi stieg die Wut ins Gesicht:

„Ich muss mir von einem Emporkömmling wie ihnen nicht sagen lassen, dass einer von uns korrupt ist. Wir werden die Unterlagen jetzt mitnehmen, haben sie verstanden!“, brüllte er.

„Misaki, geben sie ihm die Unterlagen.“, sagte Hana in einem strengen Ton. Neo sah ihn an, machte eine kaum merkliche Verbeugung und verließ das Büro.

„Capt´n Hana, ich hoffe sie sorgen dafür, dass das Material zu uns kommt.“

„Natashi -san, würden sie uns bitte informieren, wenn sie Fortschritte machen. Wir würden es lieber von unseren Kollegen, als aus der Zeitung erfahren.“

Monosuki kam wenig später aus dem Büro zu Neo:

„Schon mal was von Diplomatie gehört?“, fragte sie.

„Es geht hier nicht um Diplomatie, sondern um Bürokratie und Korruption.“, Neo stopfte die Akten zum Modelentführerfall in eine Kiste.

„Warum sind sie davon so überzeugt, dass es in dieser Abteilung Bestechung gibt?“

„Es gibt einfach zu viele Ungereimtheiten in den Ermittlungen. Zum Beispiel diese Feiern, wo kein Undercover- Polizist reinkommt, als kannten Kyros Handlanger die Einsatzpläne und wie…“

„Genau das fragen wir uns auch, Misaki. Doch wir haben alle genau überprüft und nichts gefunden.“, meinte Natashi.

Neo drehte den Kopf zu ihm und sah ihn an:

„Dann sollten sie die Ermittlungen uns überlassen, unsere Lecks sind nicht so groß wie Wasserfälle.“ Natashi sah ihn mit verengten Augen an:

„Ich schlage ihn einen Deal vor, wenn sie eine Eintrittskarte für die nächste Party kriegen, ohne das irgendeiner Wind davon kriegt, sind sie an der Ermittlung beteiligt.“

„O.K.“, willigte der Detektiv sofort ein und lächelte leicht.

„Stellen sie sich das bloß nicht so leicht vor. Wie gesagt, unsere sind alle gescheitert.“, wandte Natashi sich ab, gab seinen Jungs ein Zeichen und verschwand mit ihnen.

„Kannst du mich kurz vertreten? Ich muss telefonieren.“, sagte Neo und erhob sich. Er ging aufs Dach und nahm sein Handy zur Hand. Er wählte Ennis Nummer:

„Hi Neo.“, sagte sie erfreut. Er erklärte ihr die Situation und was er benötigte:

„Natürlich, ich frage deinen Bruder. Der hat die besten Kontakte in der Hinsicht. Ich melde mich, sobald ich was für dich habe.“, meinte Néko.

„Ich liebe dich.“, sagte Misaki.

Nékos Prüfung

Nékos Prüfung

„Ken, Neo braucht Karten für die nächste Party bei Kyro.“, ging sie in der Küche auf ihn zu.

„Sag ihm, dass dieser Fisch für ihn zu groß ist.“

„Neo braucht die Karten, er will den Typen, der hinter Keda stand.“ Tora kam dazu:

„Na los, Ken. Das ist doch kein Problem für dich.“, sie grinste ihn breit dann: „Oder habe ich mich doch in deinen Fähigkeiten getäuscht?“, stachelte sie ihn an.

Er verzog das Gesicht:

„Warum sollte ich das tun?“, fragte er, nicht wirklich interessiert an der Antwort.

„Weil Neo sie braucht. Du könntest deinem Bruder ruhig mal ein wenig helfen.“, sagte Enni.

„Der kann sich ganz gut um sich kümmern.“

„Nun komm schon, Ráion. Sei nicht so stur.“, meinte Tina in einem ernsten Ton. Er stand auf:

„Du schuldest mir was.“, sagte Ken beim Vorbeigehen. Als er weg war, sprach Tora sie an:

„Da bereite dich schon mal auf was vor.“

„Ich werde es überleben.“, meinte Néko.

„Es ist übrigens ein neuer Auftrag gekommen…“, sie machte eine Pause und sah Enni ernst an. Diese kannte den Blick und er gefiel ihr nicht besonders:

„Wen sollen wir aus dem Weg räumen?“

„Nicht wir, DU!“, sagte Tora deutlich.

„Wie ich? Soll ich die Aktion alleine machen?“, wurde sie nervös, denn sie kannte die Antwort.

„Genau dass, es wird Zeit, dass du Schwimmen lernst.“

„Und deshalb schmeißt du mich ins eiskalte Wasser?“, fragte sie leicht eingeschüchtert von der Aufgabe.

„Dein Ziel heißt Kyro.“

„Was?“, war sie geschockt.

„Du hast eine Deadline bis Weihnachten, das heißt circa drei Monate. Ich stehe für Fragen und Training zur Verfügung.“

„Du meinst wirklich, dass ich soweit schon bin?“, fragte die Katze. Tora lächelte:

„Natürlich, habe keine Angst. Ich bin mir sicher, dass du es schaffst.“, versicherte sie. Enni atmete durch:

„Falls du mich suchst, ich bin am Computer.“ Sie ging auf Informationssuche über ihr Ziel und es war erstaunlich, wie viel sie über das Internet herausfand:

Kyro saß in verschiedenen Vorständen von Bauunternehmen bis Spielzeugfabriken in Taiwan. Dann machte sie sich mit seinen Grundbesitztümern vertraut.

Eine Villa, von der er Teilhaber war, erregte ihre Aufmerksamkeit, vor allem durch den zweiten Besitzer. Tokimoiu Jun war ein rechts populistischer Politiker, der für seine rassistischen Überzeugungen und zum Teil menschenverachtende Meinungen bekannt war. Néko sah in das lächelnde Gesicht eines sympathisch- aussehenden Mannes Mitte vierzig, doch das täuschte nur kurz über seine verhetzenden Reden hinweg.

Sie war gerade dabei etwas aufzuschreiben, als sie plötzlich eine Kopfnuss bekam:

„Au, was soll das, Ráion?“

„Deine Aufmerksamkeit ist sauschlecht.“

„Ich bin am arbeiten, falls du es nicht gemerkt hast!“, presste sie zwischen den Zähnen hervor.

„Gerade dann.“, er sah auf den Bildschirm: „In der Richtung liegst du gar nicht so verkehrt.“, sagte Ken, drehte sich um und ging.

_Was ein Arschloch.-, ging ihr durch den Kopf und wandte sich wieder dem Computer zu. Es war viel Arbeit an die Daten des Catering- Services zu kommen. Sie brachte es erst in Erfahrung, nachdem sie das Datum der Feier wusste.

Der ältere Misaki hatte tatsächlich Eintrittskarten für seinen Bruder besorgt, zwei Tage vorher wollte sie ihm diese geben und rief ihn an:

„Misaki.“, ging er ran, Monosuki saß neben ihm: „Das ist gut, treffen wir uns an der gewohnten Stelle?“, fragte er Néko: „O.K., bis gleich.“, sagte Neo.

„Was ist Detektiv.“, fragte Hotaru.

„Ich muss los, einen Informanten treffen.“, sagte er.

„Ich begleite sie.“, war seine Partnerin sofort auf dem Sprung.

„Sie bleiben, der Informant ist extrem scheu. Er lässt sich nicht blicken, wenn sie dabei sind.“, wimmelte er sie ab und ging.

Er wartete jetzt schon gut zwanzig Minuten am Grab seiner Eltern, aber niemand war da:

„Wo bleibt sie?“, fragte er sich und sah sich um. Neo nahm plötzlich etwas im Gebüsch wahr, zudem er sich gerade umgedreht hatte. Der Ärger stieg ihm ins Gesicht:

„Habe ich nicht gesagt, dass er scheu ist?!“, fragte er das Grünzeug aus dem plötzlich Hotaru auftauchte:

„Hören sie zu Misaki, wenn sie Mist bauen, kriege ich den Ärger…“, fing sie in ihrem rechthaberischen Ton an, hörte aber auf als sie seinen Blick sah. Er ging im nächsten Moment an ihr vorbei in Richtung Auto.
 

Als er am Abend seine Wohnung betrat, spürte er sofort, dass Enni da war: Sie saß in seinem blauen Sessel:

„Bist du sauer?“, kam er an sie ran.

„Wieso sagst du mir nicht, dass sie so auf dich angesetzt ist?!“

„Ich wusste nicht, dass das so wichtig ist.“ Ihr Kopf schnellte zu ihm rum:

„Selbstverständlich ist das wichtig! Hast du vergessen wer ich bin?! WAS ich bin?!“, sprach sie wütend.

Er entfernte sich etwas von ihr und wandte sich seiner Post zu. Es war ihm sehr unangenehm:

„In manchen Dingen bist du deinem Bruder schon ähnlich.“, stellte sie plötzlich fest. Er sah auf ihren Hinterkopf:

„Ich nehme nicht an, dass das ein Kompliment ist.“, meinte er.

„Das siehst du richtig.“, sie erhob sich, fasste in ihre Gesäßtasche und holte einen Briefumschlag heraus:

„Das sind die Karten zu Kyros Party.“, hielt sie ihm den Umschlag hin.

„Du hast sie wirklich bekommen?“, fragte Misaki erstaunt und ging auf sie zu. Sie dachte er wollte nach den Karten greifen, doch er fasste ihr an die Schultern, zog sie an sich und küsste sie leidenschaftlich.

Stunden später lagen beide eng aneinander geschmiegt im Bett:

„Und, was machst du sonst so?“, fragte Neo.

„Arbeiten, ich verbringe den lieben langen Tag damit.“

„Ich habe aber in letzter Zeit nicht hinter dir aufgeräumt, oder.“

„Mein Job besteht nicht ausschließlich aus Mord und Totschlag. Du weißt, wir müssen sehr exakt vorgehen, um nicht erkannt zu werden.“, erklärte sie, seinen Geruch tief einatment.

„Jemand den ich kenne?“, fragte er.

„Keinen den du vermissen wirst, aber es ist ein wenig kompliziert.“, erklärte sie.

„Kann ich was tun?“ Sie sah zu ihm auf:

„Ken würde jetzt sagen: Dich raushalten, aber ich bitte dich nur es zu tun.“

Er verzog leicht das Gesicht, gab ihr jedoch dann einen Kuss auf die Stirn:

„Gut, willst du Frühstück?“, fragte Neo weiter.

„Ich würde vorher gerne noch einmal in die Wanne springen. Wir haben ja im Bunker nur eine Dusche.“

„Natürlich.“ Sie streichelte mit ihren Fingern über seine Brust und stand auf.
 

Das heiße Wasser füllte die Wanne und der Blütenduft des Badezusatzes die Luft. Enni liebte es zu baden und stieg, nachdem die Badewanne zu dreiviertel gefüllt war, hinein. Es war sehr entspannend für sie.

Plötzlich klingelte es. Néko war sofort in Alarmbereitschaft und setzte sich auf:

„Wer ist da?“, hörte sie Neo durch seine Haustür fragen:

„Ich bin es, Monosuki, lassen sie mich rein. Ich muss was mit dir besprechen!“, rief Hotaru.

„Das ist gerade ziemlich ungünstig.“, sagte er.

„Es geht um Fudo.“ Augenblicklich öffnete er die Tür und stand jetzt, nur in seiner langen Schlafanzughose, vor ihr.

Sie beachtete ihn gar nicht, drückte die Tür weiter auf und ging rein.

Sie vernahm die Wassergeräusche aus dem Badezimmer:

„Hast du Besuch?“

„Allerdings, könntest du es also schnell machen.“

Néko stand, eingewickelt in einem großen grünen Handtuch, dicht an die Wand gepresst.

„Fudo hat die Nacht nicht überlebt.“, sagte Hotaru wieder an ihn gewandt.

„Was.“ Sie nickte:

„Auf Grund seiner Verletzungen hat er vor etwa zwei Stunden eine Lungenembolie erlitten und…“

„Neo geh ruhig. Ich kann mir mein Frühstück alleine machen!“, schallte es plötzlich aus dem Bad. Er betrachtete kurz kritisch die Badezimmertür, ging in sein Schlafzimmer und zog sich an. Hotaru ging vorsichtig ans Bad:

„Entschuldigen sie, dass ich hier so reingeplatzt bin!“, sprach sie fast zu laut: „Ich bin übrigens Monosuki Hotaru, Neos Kollegin.“, stellte sie sich vor: „Und sie?“
 

Schweigen
 

Mit nun gesenkter Stimme sprach sie weiter:

„Sind sie mit ihm zusammen?“

„Das geht sie wohl kaum etwas an.“, sagte Enni feindselig, immer noch an der Wand stehend. In dem Moment kam Misaki:

„Tut mir leid, Kioko.“, sagte er.

„Wir sehen uns ein anderes Mal.“, sagte Néko und schon hörte sie die Haustür. Sie stieg wieder in die Wanne und haute mit der Außenseite ihrer Faust gegen die Keramik:

„Verdammt!“, fluchte sie.
 

Als Neo am Abend nach Hause kam, fand er einen Zettel seiner Koibito in der Küche:
 

„Sei bitte vorsichtig, wenn du auf diese Veranstaltung gehst.“, warnte sie ihn vor Kyros Party.
 

An dem besagten Abend schlich sich Néko in der Dienstkleidung des Ceateringservices in die Villa. Sie entdeckte Politiker, unter ihnen Tokimoiu Jun, Jakusas und ein paar Größen aus der Wirtschaft.

Kyro war nirgendwo zu entdecken. Mit jeder Minute wurde sie nervöser. Die Gäste der Veranstaltung unterhielten sich und tranken ausgiebig Sake. Die Zeit verging.

Dann trat er vor:

„Meine Herren, nun zum Höhepunkt meiner kleinen Feier. Folgen sie mir bitte in das Kellergewölbe.“, sagte Kyro.

Alles in diesem verwinkelten Bereich erinnerte an ein Gefängnis aus dem europäischen vierzehnten Jahrhundert. Es waren Teller mit kleinen Kokaintütchen aufgestellt. Dort an Ketten waren junge Frauen in spärlicher Bekleidung angebracht. Alle sechs hatten Angst in den Augen.

Enni versteckte sich hinter einer Säule und machte ihre New Nambu mit einem Schalldämpfer bereit. Sie zielte auf Kyro.

Plötzlich trat ihr jemand die Waffe aus der Hand. Sie drehte sich um und sah Monosuki vor sich:

„Polizei!“, rief sie und hielt ihr eine Waffe vor die Nase. Mit einem schnellen griff hatte Enni sie entwaffnet, sprang zurück, bemächtigte sich wieder ihrer New Nambu und lief die Treppe rauf, wie viele der Partygäste.

Sie stieß dabei Neo um, der versuchte so viele wie möglich aufzuhalten. Er erkannte sie, wendete sich aber sofort den „Gästen“ zu.

Er und seine Kollegen verhafteten fast die Hälfte der Anwesenden. Darunter Kyro und Tokimoiu.

„DIESE BLÖDE KUH!“, schrie Néko als sie weit genug entfernt vom ehemals geplanten Tatort war:

„Tja kleine Mieze, an deiner Planung musst du noch etwas arbeiten.“, meinte Ken mit einem höhnischen Grinsen auf den Lippen.

Im nächsten Moment griff sie ihn an und verpasste ihm zwei Fausthiebe ins Gesicht. Damit hatte er nicht gerechnet, dass Néko zu solch einer Wut fähig ist.

Ihren nächsten Schlag blockte er ab und trat ihr in den Magen. Sie wurde zurückgeschleudert:

„Die ersten beiden Schläge waren gut, aber du solltest dir einen leichteren Gegner suchen, wenn du wütend bist.“, drehte er sich um und ging.

Sie lag auf der Erde und hustete. Sie hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen, es kam aber nichts. Nach einigen Minuten raffte Enni sich hoch. Sie hatte keine Lust in den Bunker zu gehen. Ráions hämisches Grinsen könnte sie jetzt nicht ertragen. Sie ging zu ihrem Auto, stieg ein und fuhr einfach los.

Sie fuhr in Richtung Shizuoka. Sie ließ die Lichter der Stadt hinter sich und folgte der Autobahn.

Ihr Handy klingelte immer und immer wieder. Sie schaltete es aus.

Enni dachte an gar nichts. Sie fuhr einfach immer der Nase nach.
 

Im Bunker hielt sich Ken eine Eispackung ans linke Auge:

„Du hättest sie nicht reizen sollen.“, sagte Tora ihm.

„So eine Pleite hast du nie hingelegt.“, meinte Ken nur.

„Na ja, jeder macht mal Fehler.“, sagte sie und ließ ihn sitzen.
 

Neo war unterdessen in dem steril weißen Verhörraum und dabei die Befragung von Kyro vorzunehmen, doch der schwieg beharrlich und Hitami unterstützte dies.

Tokimoiu war dagegen sehr viel gesprächiger und nervöser, nach drei Stunden Verhör, durch Monosuki, gab er zu, die Party organisiert, die Frauen und Drogen besorgt zu haben. Hotaru sah ihn an:

„Sie behaupten also alles sei ihre Idee und ihr Plan gewesen.“

„So ist es.“, meinte er plötzlich ruhiger.

„Ich kaufe ihnen das nicht ganz ab. Kyro- san hatte auch damit zu tun.“, vermutete Monosuki.

„Das können sie nicht beweisen. Mein Klient hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Das Gespräch ist damit beendet.“, sagte sein Anwalt.

Die Unterinspektorin nahm ihren Notizblock und Schreiber vom Tisch und ging aus dem Raum.

Etwa zwei Minuten später klopfte sie bei Neo an:

„Einen Moment!“, schallte es aus dem Raum. Dann kam er raus:

„Was ist denn?“, fragte er.

„Tokimoiu hat alles zugegeben und die Verantwortung auf sich genommen.“

„Was, verdammter Mist.“

„Da haben sie Recht, Misaki, aber vielleicht sagt er gegen Jun aus, dann können wir den wenigstens wegsperren.“, sagte plötzlich Mitamura, die Staatsanwältin. Heute in einem weißen, sehr eleganten Kostüm.

„Und Kyro kommt davon?“, fragte Neo jetzt doch etwas aufbrausend.

„Wir müssen die Anklage auf sehr feste Füße stellen und dazu brauchen wir eine Zeugenaussage. Die wird er uns nur geben, wenn er heil aus der Sache rauskommt.“, ging Mitamura an ihm vorbei und in den Verhörraum.

„Scheiße!“, fluchte er und verschwand auf seinen Platz. Hotaru ging zu ihrem und begann die weibliche Verbrecherkartei durchzusehen:

„Nach was bist du auf der Suche?“, fragte der Detektiv.

„Ich habe dir doch erzählt, dass ich einer Verdächtigen eine Waffe aus der Hand getreten habe. Ich sehe einfach mal nach, ob sie nicht vielleicht in der Kartei ist.“

„Willst du nicht lieber nach Hause? Es schon nach zweiundzwanzig Uhr.“, meinte er.

„Nein, ich bin nicht müde.“, sagte sie.

„Dann viel Spaß.“, erhob er sich und verließ das Büro.

Die Schlinge um Tokimoius Kopf wurde immer enger und die Aussage von Kyro servierte ihn Mitamura auf einem Silbertablett.

Am neunundzwanzigsten November fand die Vorverhandlung statt. Auch Kyro war als Zeuge geladen. Seine schwarze Limousine hielt vor dem Gerichtsgebäude, gegenüber dem Jubanrevier. Er stieg aus, während er von dutzenden Fotojournalisten ins Haus gedrängelt wurde:

„Au, passen sie doch auf.“, rief er als er einen plötzlichen Stich in den Rücken bekam. Nur zehn Sekunden später sackte er zusammen und krampfte heftig. Die Fotographen sprangen beiseite und machten Fotos und jemand stahl sich klammheimlich vom Tatort.

Etwas später kam sie in den Bunker. Tora saß am großen runden Tisch:

„Hi.“, sagte Néko. Tina sah zu ihr auf:

„Herzlichen Glückwunsch.“, sagte sie.

„Wofür?“

„Erstens, dass du deinen Auftrag erfüllt hast und dass du Ráion ein Veilchen verpasst hast.“, grinste ihre Mentorin. Enni verdrehte die Augen und begann sich in der Küche was zu essen zu machen.

Abends um dreiundzwanzig Uhr fünfzehn kam sie in Neos Wohnung. Es sah da wiedermal aus wie auf einem Schlachtfeld:

_Das der Kerl nicht aufräumen kann.-, dachte sie und machte sich dran.

Misaki kam erst vier Stunden später Heim. Seine Laune war auf dem Tiefpunkt. Er betrat seine Wohnung, die frisch und sauber roch. Neo wusste gleich das Néko dort war.

Sie kam auf ihn zu, umarmte und küsste ihn. Er erwiderte das kaum:

„Was ist?“, fragte sie.

„Habe ich heute hinter dir aufgeräumt?“, fragte er ziemlich barsch. Sie nahm ihre Hände von seiner Taille und trat ein Stück von ihm zurück:

„Was, wenn?“, fragte sie, den Blick zu Boden gerichtet. Sie wusste plötzlich, dass er sauer war:

„So sind all unsere Chancen, den Verbrecherzirkel zu sprengen, erheblich ins Wanken gekommen.“, zischte er. Sie sah ihn an, drehte sich um, nahm ihre Jacke und verließ die Wohnung.

Freundin

Freundin

Als er am nächsten Morgen ins Büro kam, war Monosuki schon am arbeiten:

„Morgen.“, sagte er. Sie nickte jedoch nur in seine Richtung und schaute weiter in die Akte vor sich.

„Woran arbeitest du?“, fragte er. Sie sah verschwörerisch auf ihn:

„Ich habe dir doch von dieser Frau erzählt, der ich die Waffe aus der Hand geschlagen habe.“ Er sah sie fragend an:

„Bei der Kyro- Razzia.“, erklärte sie weiter.

„Ach die, ja ich erinnere mich. Was ist mit der?“

„Ich glaube ich habe ihre Identität herausgefunden.“, Hotaru reichte ihm die Akte.

Er starrte auf diese, denn oben drauf stand dick und fett:

„SAKADA“

Fallnummer: 68574

Er setzte sich und schlug den Ordner auf. Er hatte Enni nie gefragt warum sie in der Unterwelt lebte und er wollte eigentlich warten bis sie es ihm selber erzählt, doch nun war seine Neugier geweckt.

Er sah sich die Bilder ihres erschossenen Vaters an, Ennis Fahndungsfotos und er las den Bericht.

„… Es wurde auch Notwehr in Betracht gezogen, doch die professionelle Flucht, lässt auf einen geplanten Vorsatz schließen. Auch wenn die Freundin behauptet Sakada sei von ihrem Vater geschlagen worden…“

Er nahm die Zeugenaussage von Shulda Aijana zur Hand.

„Und?“, fragte Monosuki.

„Bist du sicher, dass diese Enni es war?“, fragte er skeptisch.

„Ziemlich. Ja.“, eine Pause entstand, dann: „Neo, nehmen wir doch mal an, dass Sakada Kyro schon auf dieser Party töten wollte. Dann wäre es doch mehr als wahrscheinlich, dass sie ihn jetzt endgültig auf dem Gewissen hat.“, spekulierte Hotaru in die richtige Richtung.

„Ich würde mich gerne mit ihrer Freundin unterhalten. Eventuell hat sie ja noch Kontakt zu ihr.“

„Ist aber eine sehr wage Vermutung.“

„Ist aber die einzige Person zu der sie engeren Kontakt hatte.“, sagte Neo.

Misaki suchte die Telefonnummer von Shulda heraus, rief sie an und vereinbarte ein Treffen auf dem Revier mit ihr. Er sah sich die Akte weiter an und las über den „Unfall“ ihrer Mutter. Obwohl der Pathologe zahlreiche Hämatome nicht dem Treppensturz zugeordnet werden konnten, wurde es als Unglück eingestuft. Er sah sich die zahlreichen Verletzungen auf den Fotos an:

_Jetzt weiß ich, warum Néko nie darüber spricht. -, ging ihm durch den Kopf. Er war äußerst konzentriert als er die Akte weiter las. Es war auch eine Anzeige von Enni gegen ihren Vater dabei, die ohne weitere Untersuchung abgeschmettert wurde. Es nahm ihn mit von Ennis Vergangenheit zu lesen.

Um fünfzehn Uhr dreißig kam Shulda- san. Die junge Frau kam mit ernstem Gesicht auf Misaki und Monosuki zu.

„O hayo, ich bin Shulda Aiana.“, stellte sie sich vor.

„Guten Tag, Detektiv Misaki und Monosuki. Setzen sie sich doch.“, bot er ihr einen Stuhl an. Sie setzte sich:

„Sie haben eine Spur von Enni?“, fragte sie.

„Auch, ich wollte mich einfach nochmal mit ihnen Unterhalten über diesen Mord.“ Sie sah ihn mit wütenden Augen an:

„Das war kein Mord, sondern Notwehr.“, zischte Aiana.

„Was bringt sie zu der Annahme?“, fragte Hotaru.

„Haben sie sich die Anzeige mal angesehen?“

„Sie meinen die häusliche Gewalt? War es so schlimm?“, fragte Misaki.

„Schlimm? Lassen sie sich ihre Krankenakte schicken. Es stand zwar immer „Unfall“, aber so viel Pech gibt es auf der Welt nicht. Ihr Vater hat sie täglich auf das übelste Verprügelt.“, richtete sie den Blick auf den Boden.

„Wieso ist sie nicht zur Polizei gegangen?“, fragte Neos Kollegin. Shulda- san richtete sich zu ihr:

„Ihr Vater war Polizist und als sie diese Anzeige machte, hat sie hinterher drei Monate im Krankenhaus gelegen.“, sagte sie verbittert.

„Was halten sie von dem Verdacht, dass ihre Freundin inzwischen eine Auftragskillerin geworden ist.“, fragte Hotaru überheblich. Aiana guckte sie an:

„So etwas würde Enni nie tun. Sie achtet das Leben jeder Kreatur.“, war Shulda überzeugt.

Nachdem Aiana das Büro verlassen hatte:

„Bist du dir wirklich sicher mit Sakada? Ich meine, so wie sich das anhört, ist sie eine geschundene Seele, die ihr Leben verteidigte.“, sagte Misaki.

„Geschundene Seele?!“, wiederholte Hotaru ungläubig: „Wenn ich recht habe, hat diese Frau zwei Männer getötet, ob bei der ersten Tötung nun Notwehr dabei war oder nicht.“

„Vielleicht hast du recht. Finden wir erst mal heraus wer die Feinde von Keda waren, dann kommen wir eventuell weiter.“

Sie arbeiteten bis zum späten Nachmittag, durchsuchten Akten, recherchierten im Internet und führten Telefonate.

Gegen siebzehn Uhr streckte sich Neo:

„Weißt du was Hotaru, wir machen morgen weiter. Geh nach Hause, ich werde das gleiche tun.“ Sie lächelte leicht:

„Verabredung mit Kioko?“, fragte sie.

„Nein, wir haben ein wenig knatsch miteinander.“, sagte er, stand auf und nahm seine Jacke: „Bis morgen, Kollegin.“

Sie winkte ihm zu und vertiefte sich nochmals in eine Akte.
 

Neo hatte keine Lust nach Hause zu fahren, stattdessen lief er um ein wenig frische Stadtluft einzuatmen. Er kam zu einem kleinen Stadtpark und ging hinein. Er durchquerte die Bäume, die einen Tunnel bildeten. Kinder liefen Ball spielend an ihm vorbei und lachten. Dann sah er jemanden auf einer Parkbank sitzen:

„Shulda- san?“, fragte er Ennis Freundin. Sie sah ihn mit rot- geweinten Augen an:

„Detektiv Misaki!“, war sie überrascht.

„Was machen sie hier?“, fragte Neo und setzte sich mit Abstand zu ihr.

„Ich habe nur etwas nachgedacht.“

„Über Enni?“

Sie war verwundert, wie vertraut er ihren Namen aussprach:

„Ja, wissen sie, jedesmal wenn die Polizei bei mir klingelt, reißt es die Wunden erneut auf. Ich habe mit ihr so viele Tiefen durchschritten. Wir konnten über alles reden. Sie fehlt mir unglaublich.“, sie blickte in den Himmel und die Tränen glitzerten in ihren Augen als sie das sagte.

„Haben sie morgen Abend Zeit?“, fragte der Detektiv.

„Warum?“

„Ich glaube, ich habe etwas für sie, dass es ihnen besser geht.“

„He?“, war sie verwirrt.

„Kommen sie einfach um einundzwanzig Uhr hierher.“ Als sie die Uhrzeit hörte wurde sie misstrauisch, was er sofort merkte.

„Keine Sorge, es wird ihnen nichts passieren.“, versuchte er sie zu beruhigen: „Ich rufe sie an, falls es an dem Abend nicht geht. Vertrauen sie mir.“

„Also gut.“, erhob sie sich: „Auf Wiedersehen.“, verbeugte sie sich und ging.

Auch er stand von der Bank auf und machte sich zurück auf den Weg zu seinem Auto.
 

Er brauchte einige Überredungskunst um Néko dazu zu bringen, sich mit ihm zu treffen. Am Juban- Park angekommen, stand er schon im dunklen Eingang:

„Also, was ist nun so wichtig, dass du es mir nicht am Telefon sagen konntest?“, fragte sie etwas unbeherrscht.

„Komm mit, dann wirst du schon sehen.“, ließ er sich seine gute Laune nicht nehmen. Er fasste nach ihrer Hand und zog sie hinein:

„Neo, was soll das Ganze?“, fragte sie noch einmal.

Auf der Parkbank saß jemand, der von der Parklaterne angeleuchtet wurde. Enni trat hinter Neo, um nicht entdeckt zu werden. Ihre Hand war an der Waffe.

Dann erkannte sie die Frau:

„Aiana.“, hauchte sie entsetzt: „Aiana.“, wiederholte sie mit Tränen in den Augen, nahm ihre Hand von der New Nambu und ging auf sie zu.

„Enni, bist du es wirklich?“

Diese konnte schon nicht mehr antworten, nickte nur und beide fielen sich in die Arme. Neo ließ die Beiden alleine und begab sich wieder zum Eingang.

Néko war die Erste, die ihre Stimme wiederfand:

„Wie kommst du hierher?“, fragte sie. Ihre Freundin sah sie an:

„Detektiv Misaki. Wir haben uns im Jubanrevier kennengelernt.“ Enni schüttelte leicht den Kopf:

„Aiana, glaub mir, ich freu mich sehr dich zu sehen, aber das ist sehr gefährlich. Die Zeiten haben sich…“

„Geändert, ich weiß. Ich bin dennoch froh zu wissen, dass du lebst und es dir anscheinend in Liebesdingen sehr gut geht.“, sie warf einen kurzen Blick dahin, wo vermutlich Neo stand, es war schon zu dunkel.

„Vor dir kann man sowas wohl nie geheim halten.“, grinste Néko: „Wie geht es dir?“

„Ich habe einen Studienplatz.“, meinte Shulda und sah nach unten.

„Immer noch Mathe- und Chemielehrerin?“, fragte Sakada skeptisch.

„Oh ja.“, grinste sie jetzt.

„Du bist unverbesserlich, weißt du das?“

Aiana lachte:

„Deine Versuche mir das auszureden, gehen in die Tausende. Da würde jetzt der Tausend und erste auch nichts mehr nützen, also spar die Luft.“

Beide lächelten sich an.

„Es tut so gut dich wiederzusehen.“, sprach Enni erleichtert aus und fasste ihr kurz auf die Schulter.

„Aber eine Frage hätte ich. Ich dachte du musst dich verstecken und dann organisiert ein Cop dieses Treffen? Wieso organisiert er nicht, dass du ins Gefängnis musst?“

„Ich wünschte, ich könnte dir alles erklären, aber ich bringe dich schon jetzt in große Gefahr. Ich hoffe wir haben irgendwann die Gelegenheit uns alles zu erzählen.“ Néko sah sich um: „Ich muss jetzt los. Ich hoffe wir werden uns wiedersehen, aber versprechen kann ich das nicht.“ Sie nahm ihre Freundin noch einmal in den Arm:

„Ich werde dich wiedersehen.“, sagte Aiana trotzig.

„Optimist.“, meinte Enni und ging.
 

Als Neo von Shulda zurück in seine Wohnung kam, war Enni schon da:

„Du hast keine Ahnung in welche Gefahr du sie gebracht hast.“, meinte sie sauer, aber dankbar im Blick.

Misaki schloss die Tür:

Ich habe bemerkt wie sehr ihr euch braucht. Das Bewusstsein dass du noch lebst, die Bestätigung, dass sie noch deine Freundin und weiter für dich da ist. Auch wenn du das nicht in Anspruch nimmst.“, sagte Neo. Sie kam auf ihn zu und umarmte ihn:

„Ich danke dir.“, sagte Enni und küsste ihn.

Urlaub

Urlaub

Am Morgen klingelte Nékos Handy. Sie gab Neo, der immer noch selig schlief einen Kuss. Sie stand auf und ging in die Küche:

„Hallo?“, nahm sie das Gespräch an.

„Néko, ich bin´s Tora. Nimm dir mit Neo ein paar Tage frei. Ich werde mit Ráion nach Deutschland fliegen.“, sagte sie.

„Auftrag oder Vergnügen?“, fragte ihre Schülerin. Tina grinste, was Enni natürlich nicht sah.

„Vergnügen.“, trällerte Tora.“

„Na dann, viel Spaß.“, wünschte sie und legte auf.

In Misakis Bett zurück kletternd:

„Neo, hast du noch Urlaub?“, fragte sie.

„Mhmm.“, kam ein positives Gemurmel von ihm.

„Wie wäre es, wenn du ihn dir nimmst. Ich habe auch welchen.“

Er öffnete überrascht die Augen:

„Wirklich?!“

„Ja, wie wäre es, wenn wir uns ein paar schöne Tage machen?“

„Ich werde mal meinen Capt´n anrufen, mal sehen ob er mich lässt.“, meinte er.

„Wenn nicht, gehe ich mal kurz vorbei.“, grinste sie.

„Ich versuche es erst mal bei meinem LEBENDEN Chef.“, sagte er und schüttelte leicht den Kopf.
 

Tora war unterdessen dabei ihre sieben Sachen zu packen. Sie freute sich sehr auf die Reise. Ken hatte sie auf vierzehn Tage Hansestadt Rostock in Deutschland eingeladen.

Nun stand sie vor ihrem Koffer und überlegte, ob sie eine Pistole mit einstecken sollte:

„Ken?! Brauchen wir unsere Schießeisen?“, fragte sie unschlüssig.

„Willst du einen umbringen?“, fragte er zurück.

„Eigentlich nicht, aber ich habe zuhause auch noch eine Menge Feinde.“

„Mhh, vielleicht kannst du eine kleine mitnehmen, aber ich glaube nicht, dass du sie brauchst.“, meinte Ráion. Sie packte ihre Walther in eine Luft und Röntgendichte Tüte und packte sie dann in ihren Koffer.

Als sie später im Flugzeug saßen:

„Was meinst du, wo dein Bruder hinfahren wird?“, fragte sie.

„Neo hat so einen Rückzugsort in Okinawa, vielleicht sind sie dahin.“, vermutete Ken.
 

Womit er eindeutig recht hatte. Néko und Misaki waren zu dieser Zeit auf einem Schiff nach Okinawa. Der Wind peitschte unbarmherzig die aufgewühlte See mit Stärke Sieben. Die Fähre wankte über die großen Wellen. Das dunkle Wasser machte es nicht gerade besser.

Neo stand trotz der Nässe oben an Deck. Er brauchte frische Luft, damit ihm nicht übel wurde. Sakada dagegen war völlig Seefest. Ihr machte das Geschaukel wenig aus. Sie stellte sich nun zu ihm, eingepackt in ihrer dicken Jacke:

„Wie oft warst du schon dort?“, fragte Néko.

„Einige Male. Dort an der Küste gibt es ein Kloster, mit einer sagenhaften Umgebung. Das wollte ich dir schon immer mal zeigen.“

Die stürmische Bootsfahrt dauerte noch eine Stunde. Letztendlich war auch Enni froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, denn dieser nochmals auffrischende Wind war nicht sehr vertrauenerweckend.

„Wo geht’s jetzt lang?“, fragte Enni.

„Das Kloster liegt auf dem südlichen Teil von Okinawa. Wir nehmen den Bus.“, erklärte Neo.

Auf der Rückbank des Busses schlief Néko während der dreistündigen Fahrt ein. Sie lag an ihm. Er hatte den Arm über sie gelegt.

Sie spürte seine Wärme und konnte sich völlig entspannen.

„Néko, wir sind da.“, weckte er sie. Die Augen öffnend, entdeckte sie ein altjapanisches Kloster auf einem hohen Felsen im Meer. Es war zirka dreißig Meter vom Strand entfernt. Das alte Gemäuer war umgeben von Ginkobäumen, das nur die bekannt geformten Dächer zu sehen waren. Die Sturmwolken umrahmten diese von der untergehenden Sonne angestrahlten Türme ebenfalls.

Beide stiegen mit ihrem Gepäck aus dem Bus:

„Das ist wunderschön hier.“, kam Enni aus dem Staunen nicht raus.

„Unser Bungalow steht da hinten. Komm.“, nahm er ihren Koffer und wendete sich von dem Felsen ab. Sie folgte ihm.

Mit absoluter Ortskenntnis führte Misaki sie zu der Rezeption und anschließend zu einem Holzhäuschen an einer Klippe. Er schloss die Tür auf:

„Willkommen im Urlaub.“, bat er sie feierlich hinein.

„Wie oft warst du schon hier?“, fragte Néko.

„Ach, einige Male. Wenn ich mir mal Urlaub nehme und ihn auch kriege, fahre ich hierher.“

„Und, kann man das Kloster auch besichtigen?“

„Nein, diese Mönche auf dem Felsen sind sehr eigen. Seit über dreihundert Jahren hat kaum ein außenstehender diese heiligen Hallen zu Gesicht bekommen. Sie hüten diese wie einen Schatz.“, meinte er: „Wollen wir noch ein Stück gehen?“

„Gerne.“

Die zwei verbrachten die erste Woche mit völliger Entspannung. Strandspaziergänge, schwimmen im Bungaloweigenen Pool, Wanderungen in den sattgrünen Wäldern.

„Dir gefällt es hier, nicht wahr?“, stellte er fest, als sie beim Sonnenuntergang am Meer entlang gingen.

„Ja, ich finde es unglaublich angenehm, mich nicht alle paar Sekunden umdrehen zu müssen, weil jemand hinter mir sein könnte.“, erwiderte sie.

Er blieb stehen, fasste ihre Hand und zog sie an sich. Sie küssten sich leidenschaftlich.
 

Am Morgen danach weckte Enni der Sonnenschein, der durch einen Spalt des Ostfensters des kleinen, aber gemütlichen Schlafzimmers fiel. Das Licht erleuchtete die buntgestreiften Gardinen. Die verschiedenen Farben waren überall im Raum zu erkennen.

Sie drehte sich zu Neo um, der noch immer tief und fest schlief.

Sie stand auf, ohne ihn zu wecken und machte Frühstück. Als sie gerade dabei war Rühreier zu braten, trat Misaki von hinten an sie heran und küsste ihren Hals. Sie schloss die Augen und legte sich dem entgegen:

„Mmh.“, schnurrte sie: „Hast du hunger?“

„Ja.“ Er deckte den Tisch fertig und setzte sich, während sie das Ei in eine Schüssel gab.

Sie redeten am Tisch kaum. Beide genossen das bei einander sein. Keine störenden Anrufer, kein nervender Stadtlärm, keine Sirenen, bei denen Néko in Tokio jedes Mal nervös wurde.

„Hast du nachher Lust mit mir noch mal auf Erkundungstour in den Wald zu gehen?“, fragte Neo.

„Gerne.“, lächelte sie und stand vom Tisch auf. Sie brachten Geschirr und Lebensmittel in Kühlschrank und Spülmaschine unter und gingen los.

Sie folgten einem kleinen Waldweg Richtung Osten. Die Umgebung wirkte inzwischen vertraut auf sie.

Plötzlich durchhallte ein Schuss die zwitschernden Vögel. Sie blickten sich um und sahen eine Frau an den Bäumen vorbeirennen:

„Néko! Versteck dich!“, sagte er, als er Mitamura erkannte, aber sie war schon weg als er sich umdrehte.

Er lief parallel zur Staatsanwältin:

„Mitamura! Hier lang!“, rief Neo. Sie sah ihn kurz an und folgte ihm.

Sie liefen tiefer in den Wald hinein:

„Was machen sie eigentlich hier?“, fragte Kaoru außer Atem.

„Urlaub, sofern man das welchen nennen kann. Wer ist da hinter ihnen her?“, stieß Neo hervor.

„Jemand mit einer Waffe.“ Der Detektiv hielt plötzlich an und blickte nach links:

„Hier lang!“, zischte er.

Sie liefen einem schmalen Pfad entlang, auf einen Busch zu:

„Da rein!“, sagte Misaki mit Nachdruck. Sie sprangen in die giftgrüne Blätterwand.

Die Zweige peitschten ihnen ins Gesicht. Sie gingen in Deckung und verhielten sich ruhig. Auf dem feuchten Boden liegend, sah Neo, dass die Staatsanwältin am Arm blutete:

„Sie sind verletzt.“

„Ist nur ein Streifschuss.“, meinte sie. Er lehnte sich auf die Seite und holte ein sauberes, weißes Stofftaschentuch heraus und band es um ihre Wunde:

„Danke.“, flüsterte Mitamura.

„Wer will sie tot sehen?“, fragte Neo nun ernst.

„Der Typ heißt Hikaru, aber wer ihn angeheuert hat? Keine Ahnung.“

Plötzlich hörten sie jemanden vor dem Busch:

„Kommen sie raus. BEIDE!“, polterte er: „Sie haben keine Chance, ALSO RAUS AUS DEM GRÜNZEUG!!!“

Die Staatsanwältin und der Detektiv traten aus dem Busch. Teilweise mit Blattwerk in den Haaren und im Gesicht von den Zweigen zerkratzt.

Auf Hikarus Gesicht breitete sich ein Grinsen aus:

„Heut ist ja echt mein Glückstag. Zwei für die Arbeit von einem. Das klingelt in der Kasse. Wen darf ich zuerst erschießen?“, fragte er seine Opfer.

„Wie wäre es, wenn du dich selbst erschießt?“, rief Ennis laute Stimme. Der Killer blickte sich überrascht um, hielt aber weiter Kaoru und Neo in Schach:

„Wer ist da?!“

Néko trat grinsend zwischen den Blättern hervor:

„Eine Kollegin.“, meinte sie, ihre New Nambu in der Hand haltend.

„Du willst dir also das Kopfgeld sichern. Pech gehabt, Schwester, ich war zuerst hier.“, war er sich seiner Überlegenheit bewusst.

„Bist du bereit dafür zu kämpfen?“

Er lachte laut, hielt aber die Waffe auf seine Geiseln gerichtet. Er fasste in die Tasche:

„Vorsicht?“, hob Enni ihre Waffe

„Keine Angst, Kleine. Ich will nur nicht, dass der Preis verschwindet.“ Er zog ganz langsam zwei Paar Handschellen aus der Tasche und warf sie Misaki und Mitamura zu:

„Fesselt euch an den Baum!“, verlangte er. Langsam taten sie es. Nun standen sie da, mit Handgelenken aneinander gefesselt und zwischen ihnen einen breiten Baum.

Hikaru lächelte erneut:

„Du willst wirklich mit mir kämpfen? Dann aber ohne Waffen, also lege deine nieder.“

Diesmal war es an Sakada laut zu lachen:

„Für wie doof hältst du mich? Wir legen sie gleichzeitig ab.“

Er nickte. Beide beobachteten sich sehr genau, als sie ihre Pistolen sicherten und fallen ließen.

Sofort gingen sie auf einander los.

Sie konnte seine Schläge in den ersten Momenten parieren und selbst ein paar Treffer landen. Dann schlichen sie um einander, während die gebrochene Nase des Auftragskillers blutete.

Er blieb stehen:

„Ich dachte du wärst eine Anfängerin, aber es wird wohl doch eine Herausforderung.“, grinste er und schoss auf sie zu. Néko bekam einen heftigen Faustschlag in die Magengegend, rappelte sich aber sofort wieder hoch. Sie erwischte seine Nase nochmal, er stöhnte auf vor Schmerz:

„Ich wüsste gerne, wer dich trainiert hat.“, sagte er mehr zu sich als zu ihr. Die Stimme die ihm antwortete, kam jedoch von hinten:

„Ich.“, schallte Ken rau. Hikaru spürte den Lauf seines Kollegen an seinem Hinterkopf:

„Und wer sind sie?“, war seine letzte Frage.

„Ráion.“ Der Schuss hallte durch den Wald und der Auftragskiller fiel zu Boden:

„Ihr zieht die Schwierigkeiten an wie Magnete.“, kam Tora zwischen den Bäumen hervor:

„Was macht ihr beiden denn hier.“, fragte Enni, dem Toten die Handschellenschlüssel abnehmend:

„Connections, meine Liebe.“, meinte Tina.

Néko ging zu Misaki und löste die Handschellen:

„Danke.“, meinte er und rieb sich nach einander beide Handgelenke. Dann sah er Mitamura an, die völlig entspannt auf Ráion zuging. Sie streckte ihre Hand aus und kam weiter auf ihn zu.

Er hob seine Kanone in Höhe von ihrem Gesicht. Mitamura blieb stehen, lächelte aber:

Sie wurden misstrauisch:

„Wer sind sie?“, kam Tora nun auf sie zu.

„Sie wissen wer ich bin.“ Alle sahen sie an, Ken spannte den Hahn: „Es wäre doch unpraktisch, wenn ihr Geldgeber tot ist.“, sagte Kaoru, immer noch lächelnd.

„Sie gehören zu Shuryjõka.“, wurde es Néko in dem Moment klar.

„Die Kleine ist schlau.“, sie sah Ráion an. Dann drehte sie sich um und beobachtete für einen Moment Neo und Enni:

„Ich dachte nicht, dass Misaki auch zu ihnen gehört.“, stellte sie fest.

„Das ist auch nicht so!“, antwortete Tora barsch.

„Ich muss jetzt die Polizei rufen.“, sagte Kaoru. Sofort waren die Pistolen wieder auf sie gerichtet:

„Ich muss meine Spuren hier erklären. Detektiv, sie sollten auch bleiben.“, meinte sie ruhig weiter.

„Vielleicht sollten wir drei wirklich gehen.“, sagte Tina: „Los.“ Ohne ein Abschiedswort verließen die Killer den Wald.

Am Bungalow angekommen, ging Néko sofort in das Schlafzimmer und begann wutentbrannt ihren Koffer zu packen:

„Jedes Mal, jedes verdammte Mal kommt irgendwas dazwischen. Irgendein bekloppter Auftragskiller! Irgendein bescheuerter Auftrag! Eine übereifrige Partnerin oder Staatsanwältin! Wir werden nie Ruhe haben!“, fluchte sie lauthals.

Tora und Ráion sahen sich an als sie das hörten:

„Au, au, au, dicke Luft.“, sagte Ken.

„Gehen wir zum Schiff. Ich sage ihr bescheid.“, meinte Tora.
 

Einige Stunden später kam Neo zurück zum Bungalow. Er schloss auf, sah aber niemanden im Wohnzimmer oder in der Küche:

„Hallo?“, fragte er.

Im Schlafzimmer fand er Enni, die auf dem Bett saß und ihn nicht ansah:

„Ist was passiert? Wieso antwortest du nicht?“, war Neo verwundert.

Plötzlich starte sie ihn an. Er konnte ihren Blick nicht deuten, er machte ihn nervös:

„Was ist?“, fragte Misaki nochmal.

„Neo, es geht so nicht weiter.“, sagte sie kurz.

„Wie meinst du das?“

„Wenn ich mich weiter hier oben blicken lasse, wird das böse enden. Ich kann das nicht länger ignorieren. Es wäre für uns beide besser, wenn wir das beenden.“, meinte sie.

„Wenn du Mitamura meinst, die wird nichts sagen…“

„Es geht nicht nur um die Staatsanwältin. Jedes Mal wenn wir zusammen sind, findet uns jemand und das kann ich nicht mehr tolerieren. Bitte nimm es hin.

Ich werde nachher mit Tora zurück fahren. Ich lasse dir Geld hier, damit du auch von hier wegkommst.“, sagte sie, sich erhebend.

Neo, der noch immer in der Tür stand, sah auf den Boden:

„Du hast alles wieder perfekt geplant, oder?“, stellte er enttäuscht fest, sie war schon an der Haustür und hielt einen Moment inne:

„Wann wirst du verstehen, dass das nun mal das Leben ist. Man kann nicht alles planen, vor allem nicht das Leben.“, wurde er kräftiger in der Stimme.

„Leb wohl, Neo.“, sagte sie noch und verließ das Haus.

Der letzte Inu

Der letzte Inu

Inzwischen waren zwei Wochen vergangen. Misaki saß vor seinem Bürocomputer und gab lustlos einen Bericht über eine Diebesbande, die in diesem Moment ihr Unwesen in Juban trieb, ein.

Die Ergebnisse ihrer Arbeit waren nicht wirklich aussagekräftig, noch dazu war Neo nicht in Bestform. Seine Gedanken kreisten immer und immer wieder um diesen letzten Urlaubstag. Was war passiert, dass Enni sich plötzlich Sorgen um ihr entdeckt werden machte? Wieso hatte sie ihre Beziehung zu ihm so abrupt beendet. Hat er ihr je etwas bedeutet? Die letzte Frage konnte er sich selbst beantworten: Es musste so sein, sonst würde er nicht mehr in seinem Büro sitzen, sondern sich schon die Sojabohnen von unten angucken.

Seine Partnerin saß inzwischen am Telefon:

„Sie haben sie tatsächlich gefasst… Bei einer Geldübergabe? … Ja, ich komme!“, war sie plötzlich aufgeregt und legte auf:

„Was ist los?“, fragte Neo.

„Sie haben Sakada Enni gefasst. Sie ist in eine Geldübergabe reingeplatzt oder sie hat diese mit geplant. Ich hatte sie doch damals bei Kyros Party identifiziert. Ich soll nochmal zu einer Gegenüberstellung kommen.“, sagte sie. Er nahm seine Sachen:

„Kann ich mitkommen?“, fragte Misaki.

„Wenn sie wollen.“, sagte Monosuki und ging in Richtung Ausgang, gefolgt vom Detektiv.
 

Im Polizeipräsidium in Shinjuku gingen sie direkt zu dem Raum, in der die Gegenüberstellungen stattfanden. Hotaru klopfte an und die Tür öffnete sich fast augenblicklich:

„Unterinspektor Monosuki.“, sagte der betagte Beamte: „Kommen sie herein. Sie wissen ja wie das funktioniert.“, meinte der noch.

„Danke Detektiv Sota. Mein Partner Detektiv Misaki.“, stellte sie Neo vor. Die beiden verbeugten sich kurz voreinander. Detektiv Sota war ein kräftiger Mann. Sein Schnurbart ließ ihn sehr streng und unnachgiebig erscheinen. Schließlich traten die beiden Ermittler aus dem Jubanrevier vor die Einwegscheibe.

Monosuki begann zu lächeln, während sich Neos Miene verhärtete:

„Das ist sie.“, sie drehte sich zu Sota- san herum: „Hat sie schon etwas zu dieser Entführung gesagt?“

„Nein, sie behauptet das Opfer nicht zu kennen und auch nichts von der Entführung zu wissen, aber wenn ich richtig in den Akten gelesen habe, wird sie wegen Mordes gesucht.“, erklärte der Ergraute.

„Darf ich beim Verhör dabei sein?“, fragte Hotaru.

„Wenn sie den Mund halten können.“, sagte Detektiv Sota kurz.

Neo öffnete die Tür und knallte augenblicklich in den, der gerade reinkommen wollte:

„Entschuldigen sie.“, sagte Misaki und blickte auf: „Mamoru?“

„Misaki, was machst du hier?“, fragte Nenrei.

„Meine Partnerin hat die Kleine da drin identifiziert.“, meinte der Detektiv.

„Neo, diese Kleine, wie du sie nennst, ist höchstwahrscheinlich eine Auftragskillerin.“, sagte Mamoru.

„Glaubst du wirklich? Ich habe mir vor kurzem ihre Akte angesehen und mit ihrer Freundin gesprochen. Die Frau hat mit ihrem Vater die Hölle durchgemacht. Sie wurde geschlagen.“, versuchte er Partei zu ergreifen.

„Du weißt, warum jemand Killer wird, ist uns ziemlich egal. Diese Leute müssen aufgehalten werden. Deshalb wird INU jetzt diese Verdächtige übernehmen.“, sprach Nenrei im Befehlston.

„Was, sie ist meine einzige Spur zu dem Vermissten!“, sagte Detektiv Sota ziemlich deutlich.

„Wenn sie da mit drin hängt, wird sie ihnen so wieso nichts sagen. Überlassen sie, sie mir.“

„Mamoru, wo sind Motoki und Yamada“, fragte Hotarus Partner.

„Keikan A.D.“, meinte der nur kurz: „Sie können jetzt alle gehen. Ich werde die Verdächtige alleine vernehmen.“

„Das entspricht nicht…“, wollte Sota intervenieren.

„Ich stehe höher als ihre Abteilung, also tun sie was ich sage.“, wies Nenrei ihn in die Schranken.

Detektiv Sota biss sich auf die Zunge, um nicht in wilde Verfluchungen auszubrechen:

„Sie ist die einzige Spur zu den Entführern. Der Junge könnte noch leben.“, sagte er durch seine Zähne.

„Wenn sie was weiß, benachrichtige ich sie.“, er ging in das Verhörzimmer.

Néko sah den Mann der hereinkam an:

-Scheiße! Ein Inu. -, ging ihr durch den Kopf.

Mamoru sagte nichts als er sich seelenruhig hinsetzte und Ennis Akte studierte:

„Sie sind also Sakada Enni. Wie sie sehen, haben wir eine dicke Akte über sie.“, meinte er. Néko antwortete nicht.

„Sie sollten anfangen mit mir zu reden, also was haben sie mit der Entführung zu tun?“

Sie schwieg weiter.

Über anderthalb Stunden versuchte Nenrei etwas aus ihr heraus zu bekommen, aber sie gab nichts Preis. Er hatte es mit dem strengen und dem netten Keikan probiert, hatte ihr gedroht und geschmeichelt, doch all das brachte nichts.

Dann klopfte es an der Tür, Sota kam ohne auf Antwort zu warten herein:

„Der Entführer hat sich gemeldet. Er will, dass das Geld von Sakada überbracht wird!“, sagte er aufgebracht.

„Bitte was?“, brach Enni ihr Schweigen: „Ich kenn die Leute nicht.“, war sie plötzlich nervös.

„Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich die Frau jemals aus den Augen lasse.“, meinte Mamoru.

„Reden sie mit dem Polizeichef, der hat es genehmigt. Kommen sie.“, bat er Néko.
 

Sie wurde in das Großraumbüro der Abteilung für Vermissten- fälle gebracht. Als sie dieses in Handschellen betrat, wurde es totenstill. Wütende Augen verfolgten sie. Enni begann sich unwohl in ihrer Haut zu fühlen:

„Also, sie sind der Kurier.“, sagte ein in Anzug und Krawatte gekleidete Mann in den späten vierzigern. Er durchbohrte sie mit seinem Blick fast. Néko versuchte ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, nicht auf den Hass, der ihr von allen Seiten entgegensprang.

„Unterinspektor, gehen sie aus dem Weg. Ich bin für die Geldübergabe verantwortlich, also…“, Sota wedelte ihn mit den Fingern bei Seite.

Er führte sie in einen Raum, wo viele Fotos des entführten dreizehnjährigen Noriyuki Tomo hingen. Auf einer Tafel mit einer Auflistung der Verdächtigen prangte Enni ihr Gesicht entgegen:

„Setzen sie sich.“ Sie tat es: „Also, warum wollen die sie für die Übergabe?“, fragte Sota.

„Keine Ahnung, wie gesagt, ich kenn die Leute nicht.“, sah sie ihm direkt in die Augen.

„Nun, wenn dem wirklich so ist, würden sie die Geldübergabe machen?“, fragte der Polizist.

Sie schwieg:

„Ich könnte mit der Staatsanwältin reden.“, versuchte er zu überzeugen. Sie sah auf das Bild des entführten Jungen, dann schloss sie die Augen und atmete durch:

„Wissen sie, wäre ich nicht gewesen, wäre der Junge jetzt höchstwahrscheinlich schon frei. Er soll nicht für meine Unachtsamkeit sterben.“, sagte sie.

Der Detektiv nickte bedächtig, rief dann einen Streifenpolizisten herbei, der sie zurück in die Zelle brachte.

Inzwischen besprach er mit seinen Kollegen den Einsatz, soweit es ging. Sie kannten den Ort der Übergabe noch nicht.
 

Es war inzwischen schon nach siebzehn Uhr als eine verhärmte Polizistin Ennis Gitter aufschloss:

„Kommen sie mit. Sie werden jetzt verkabelt.“, sagte sie in einem strengen Ton. Néko erhob sich und folgte ihr in einen kleinen Raum, indem eine ganze Menge Technik herumlag.

Von Richtfunkgeräten über Kameras und Abhöranlagen. Ein paar Sachen davon, hatte sie selbst schon benutzt.

Die Polizistin nahm etwas heraus:

„Ziehen sie ihr Oberteil aus.“, befahl sie fast, dann begann sie das Gerät an ihr zu befestigen.

Fertig präpariert wurde sie wieder in den Einsatzraum gebracht:

„Also Sakada- san, die Geiselnehmer verlangen, dass sie in ein Taxi steigen und dieser bringt sie dann zum Übergabeort.“, sagte Sota.

„Und wo ist diese Übergabe?“, fragte Enni.

Der Detektiv sah kurz mit einem kritischen Blick zu seinen Kollegen:

„Was?“, warf sie ein.

„Nun, wir kennen den Ort nicht.“, er sah besorgt aus, so als ob Enni gleich aussteigt. Doch sie nickte nur:

„Verstehe.“

Ihm fiel ein kleiner Stein vom Herzen:

„Das Taxi wird in einer viertel Stunde hier sein. Wir kontrollieren nochmal die Ausrüstung.“

Jetzt stand sie vor dem Polizeirevier und wartete auf das angekündigte Fahrzeug.

Sie war schon nervös. Sie könnte diese Chance dazu nutzen zu fliehen, doch dann würde das Blut eines Unschuldigen an ihren Händen kleben und sie glaubte nicht, dass sie damit leben wollte. Doch wie sah die Alternative aus?

Ein Leben lang als Polizistenmörderin im Gefängnis.

Sie stieg ein als das Taxi vor ihr gehalten hatte:

„Bringen sie mich dahin, wo ich hin soll.“, sagte sie ohne Gefühl. Der Fahrer betätigte vorsichtig das Gaspedal und das Auto setzte sich in Bewegung.

Néko sah sich genau an wo sie hinfuhren. Nach einer Stunde kamen sie an ein riesiges Waldgebiet, welches ihr sehr vertraut war.

Hier hatte Tora und später auch Ráion Überlebenstraining mit ihr gemacht. Es kam ihr merkwürdig vor.

Der Wagen hielt an, der Fahrer drehte sich zu ihr um und gab ihr ein Walki Talki:

„Der Typ der mir das gegeben hat, sagte sie wüssten die Frequenz.“ Sie sah erst ihn an, dann das Walki Talki. Enni stieg aus dem Wagen und überlegte:

-Das kann nicht sein.- Sie gab die Frequenz ein, die ihr Tora seit ihrem zusammen sein eingetrichtert hatte.

„Hallo?“, fragte Enni.

„Schön dich zu hören.“, schallte ihr Tinas Stimme entgegen: „Entledige dich deiner Wanzen und Ortungsgeräte. Melde dich dann.“

Néko war in diesem Moment klar, dass es sich nicht um eine Geldübergabe, sondern um eine Befreiungs- Aktion handelte. Sie tat trotzdem wie ihr geheißen. Zog die Weste aus und ließ auch den Geldkoffer an Ort und Stelle. Sie entfernte sich von den Geräten und funkte ihre Mentorin wieder an:

„Wo soll ich hin?“, fragte Sakada.

„Geh weiter nach Norden. Dort kommst du an die Felsen. Kletterausrüstung ist dort.“ Mit diesen Worten beendete sie das Gespräch und schaltete das Funkgerät aus.

Mit einem tauben Gefühl im Gehirn folgte sie den Anweisungen.

Sie lief die fünf Kilometer bis zu der, bei Freeclimbern sehr beliebten, aber auch sehr steilen, Kletterwand, legte sich die Ausrüstung an und begann diese zu erklimmen.

Der Schweiß rann ihr Gesicht herunter. Die Wand war noch leicht feucht, auf Grund des nächtlichen Regens. Sie rutschte mehrmals mit den Schuhen ab, doch schließlich kam sie Oben auf dem Felsenplateau an. Sie sah in den Himmel und entdeckte einen Hubschrauber, der sich nährte.

Als er über den Felsen flog, wurde eine Strickleiter herunter gelassen, an die sie sofort ran sprang, der Wind peitschte ihr erbarmungslos ins Gesicht. Sie schaukelte hin und her. Es kostete sie alle Kraft die Leiter hinaufzuklettern.

Ken half ihr schließlich in den Helikopter zu kommen:

„Danke.“, sagte sie außer Atem: „Ihr habt diese Übergabe fingiert?“

„Was glaubst du denn?“, sagte Tora, die am Steuerknüppel saß.

„Was wird aus dem Jungen?“, fragte Néko.

„Der geht uns nichts an.“, meinte Ráion kalt. Sie sah ihn streng an:

„Ohne ihn, hätte ich jetzt nicht fliehen können.“, sprach sie Tora an: „Er ist erst dreizehn und die Chancen dass er noch lebt, sind meinetwegen gesunken. Ich muss etwas für ihn tun.“, sagte sie verzweifelt.

„Enni, das ist schwieriger als du denkst. Es sind dutzende Polizisten an diesem Fall.“, sagte Tina.

„Na und“, sagte Ken plötzlich: „Wir kennen schließlich einen Keikan.“

„Nein, ich möchte Neo nicht mit reinziehen.“, sagte Enni sofort.

„Willst du den Jungen retten? Dann brauchst du seine Hilfe.“, sagte Misaki seelenruhig.

Sie richtete ihren Blick auf den Boden des Hubschraubers. Ken griff in seine Tasche und holte ihr Handy heraus. In seinen Augen nahm sie etwas Merkwürdiges wahr, achtete aber nicht weiter darauf. Enni nahm das Mobiltelefon und wählte die Nummer des Mannes, der ihr mehr als ihr Leben bedeutete:

„Misaki.“, ging er an seinem Schreibtisch im Büro ran. Sie schwieg: „Hallo?“, rief er noch einmal ins Telefon. Sie antwortete nicht:

„Meine Güte, ist denn das so schwer?“, fragte Ráion und nahm Enni das Handy aus der Hand:

„Neo, wir bräuchten deine Hilfe.“

„Was willst du?“, fragte Neo böse.

„Wir möchten dem entführten Kind helfen?“, sagte Ken.

„Hä, wer ist wir?“

„Tora, ich und Néko.“

„Ist sie denn schon eh da.“, konnte er seine Zunge vor seinen Kollegen noch zügeln.

„Ja, können wir auf dich zählen?“, fragte Ken.

„Ich komm heut Abend bei euch vorbei.“, sagte er wenig enthusiastisch und legte auf.
 

Stunden später kam Neo durch den Eingang des Bunkers. Tora begrüßte ihn mit einem nicken. Enni stand am Tisch und überprüfte ein paar Papiere:

„Hallo.“, sagte er sehr leise.

„Hallo.“, sagte sie kurz angebunden.

„Ah Neo, vielleicht könntest du uns mit der Liste der Verdächtigen weiterhelfen?“, fragte Ken: „Wer hätte am ehesten Grund das Kind zu entführen?“

Neo sah sich leicht misstrauisch um. Ráions plötzliches Interesse ein Kind zu retten, war ihm nicht geheuer.

Tora kam durch die Tür und blieb stehen:

„Ich war ebenso überrascht.“, sagte sie zu dem Polizisten:

„Wirst du uns helfen?“, fragt Néko nun.

Neo ging an den großen runden Tisch, wo die Unterlagen ihren Platz gefunden hatten. Er sah sich die Fotos an:

„Soweit ich das jetzt mitbekommen habe stehen drei Leute ganz oben auf der Liste. Da haben wir den sich betrogen gefühlten Ex- Partner des Vaters. Er wurde wohl um sein Vermögen und seine Existenz gebracht. Dann einer der Angestellten, der sauer auf ihn ist, weil der Vater mit seiner Frau ins Bett gegangen ist. Bei Sota im Hinterkopf steht auch noch der Onkel des Jungen, Nuriyuki Kotaro, doch da wurde den Polizisten untersagt zu ermitteln. Der Vater legt für ihn die Hand ins Feuer und er schaltet sein Heer Anwälte ein, wenn dem Typen einer zu nahe kommt.“, erklärte der Detektiv.

„Néko, du observierst den Mann, aber lass dich nicht erwischen.“, bestimmte Ken. Sie sah ihn an mit einem Blick der sagte:

„Für wie inkompetent hältst du mich.“ Sie nahm sich Jacke und Autoschlüssel und verließ ohne ein weiteres Wort den Bunker.

Neo sah Ken an:

„Und deshalb hast du mich hergeholt? Das hättet ihr doch auch selbst rausbekommen.“, war der Detektiv verwundert.

„Nein, nicht nur deshalb, ich muss mit dir reden.“
 

Es war bereits dunkel als Enni mit ihrem Wagen so parkte, dass sie das Haus im Blick hatte ohne sofort gesehen zu werden:

„Mist, ich habe das Essen und Trinken vergessen!“, fluchte sie.

Sie beobachtete das Haus jetzt schon mehrere Stunden und ihr Magen knurrte:

-Hoffentlich tut sich hier bald was.-, dachte sie. Dann sah sie jemanden auf sich zukommen.

Jemanden den sie sehr gut kannte.

Er kam an ihr Auto und klopfte an. Sie öffnete die Zentralverriegelung und Neo stieg ein:

„Hi.“, sagte er kurz und setzte sich auf den Beifahrersitz.

„Was möchtest du?“, wollte sie eigentlich aggressiv sagen, was jedoch gründlich misslang. Misaki lächelte:

„Ich habe dir was zu essen mitgebracht.“, sagte Neo und hielt eine Tüte und einen Becher hoch. Ihr ernstes Gesicht schmolz dahin:

„Danke.“, sagte sie leise. Sie nahm den Becher und roch kurz daran:

„Misosuppe?“

„Ich weiß doch, dass du die gerne isst.“ Er reichte ihr die Stäbchen.

Während sie aß, war es still im Wagen. Sie trank die restliche Suppe und nahm sich noch zwei Reisbällchen.

Die Minuten der Stille wurden zu Stunden. Beide warteten und beobachteten das Haus. Sie sahen sich nicht an und doch war beiden etwas unbehaglich.

Dann schwemmte es in einem ruhigen Ton aus ihm heraus:

„Warum hast du mich nun wirklich verlassen?“, fragte er.

„Neo… das ist kompliziert.“

„Was ist daran kompliziert? Entweder du magst mich oder du magst mich nicht. Eine einfache Entscheidung.“, erklärte er.

„Du machst es dir zu leicht. Wenn du wissen willst, ob ich dich liebe… Ja! Und genau deshalb ist unser Zusammensein nicht möglich.“

„Das verstehe ich nicht.“, gestand er.

„Du schwebst mit mir in der Nähe immer in Gefahr.“ Er sah sie weiter fragend an, während sie auf das Haus fixiert war.

„Entweder versucht dich jemand zu töten oder es wird entdeckt, dass du mit einer Killerin gehst. Ich glaube nicht, dass du ins Gefängnis möchtest. Du würdest deinen Job verlieren.“, sie blickte Neo an, doch der lächelte nur:

„Wann begreifst du, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe?“, fragte er.

„Tust du das?“

Er griff nach ihrer Hand:

„Oh ja, und ich weiß, dass es mir was wert ist. Ich möchte jedenfalls nicht aus deinem Leben verschwinden, nicht deshalb.“ Er machte eine Pause, dann legte er seine linke Hand auf ihre rechte Wange und drehte vorsichtig ihren Kopf in seine Richtung:

„Wenn du mir sagst, du empfindest absolut nichts für mich und das ehrlich wahr ist, gehe ich. Aber es ist nicht so, das weiß ich, du hast es ja eben selbst gesagt.“

In seinen Augen strahlte diese Erkenntnis fast, doch plötzlich ging am Hauseingang das Licht an.

„Da ist er. Bin gespannt, wo der hin will.“, sagte Néko.

Sie folgten ihm durch die erleuchtete Innenstadt Tokios in das verruchte Rotlichtviertel. Er durchfuhr es und hielt etwas abseits eines anscheinend lehrstehenden Mehrfamilienhauses. Davor mehrere Bäume und Sträucher, die das Auto tarnten.

Kotaro stieg aus dem Auto und ging die Stufen zur Haustür rauf. Nahm einen Schlüssel aus der Jackentasche und verschwand im Haus.

Nach einer Weile:

„Ich werde mal nachsehen, ob der Junge drin ist.“ Sie drehte sich um.

„Und ich soll hier rumsitzen?“, fragte Neo. Sie fuhr mit den Fingern über seine Wange und lächelte:

„Du kannst Sota Gesellschaft leisten. Er sitzt in einem Wagen in der Nähe. Ich bin sicher du findest ihn.“, sagte Néko und stieg aus.
 

Während Enni sich ins Haus vorwagte, klopfte Neo an die Beifahrerseite von Detektiv Sotas verblassten, blauen Nissan. Der erschreckte sich so, dass er den Kaffee verschüttete:

„Verdammt!“, fluchte der und riss seine Tür auf. Er erkannte Misaki und versuchte sich den Kaffee von der nassen Hose zu klopfen:

„Was zum Teufel machen sie hier?!“, fragte er unbeherrscht.

„Wie ich sehe, trauen sie Kotaro auch nicht.“, sagte Neo und setzte sich ins Auto.

Der ältere Detektiv sah ihn fragend an:

„Woher wissen sie das? Ich meine…?“

„Ich habe einen sehr guten Informanten.“

„Und der hat sie hierher geführt?“, fragte Sota.

„Ja.“

„Den müssen sie mir unbedingt vorstellen.“, meinte der Detektiv.

„Ich versuche es, aber ich kenne ihn auch nur über Telefon. Er ruft mich an sobald er was hat.“, erklärte Misaki.

„Wieso macht er das? Was hat er davon?“, fragte sich Sota.

„Glauben sie mir, das habe ich ihn auch immer wieder gefragt, solange bis er sagte, er ruft nicht mehr an, wenn ich weiter Fragen stelle. Ich solle es hinnehmen.

Also habe ich nicht mehr nachgefragt.“

„Weiß der Informant, ob der Junge im Haus ist?“

„Nein, er sagte nur, es sei eine Möglichkeit. Ich warte eigentlich nur noch auf eine Bestätigung.“

„Wir können da nur nicht einfach reinplatzen. Wir müssen uns absichern und ich stehe mit der Staatsanwältin auf Kriegsfuß.“, sagte Sota.

„Mit Mitamura? Überlassen sie sie mir.“ Der ältere Detektiv sah ihn verwundert an:

„Ich kenne bis jetzt keinen, der sich gerne mit ihr anlegt.“

„Oh nein, anlegen werde ich mich mit ihr auch nicht…“ Neos Telefon begann in diesem Moment zu klingeln:

„Misaki… Gut, ich organisiere das… Danke.“, er legte auf: „Also, der Junge ist dort. Er hat allerdings nicht feststellen können, ob er lebt. Ich gehe Mitamura anrufen.“, Neo stieg aus dem Wagen und wählte Kaorus Handynummer.

Nach vier maligem klingeln ging sie ran:

„Mitamura, hier Misaki.“

„Ja.“, fragte sie argwöhnisch.

„Also, wir haben Nuriyuki Tomo gefunden. Er befindet sich in einem Haus hinter dem Rotlichtviertel.“

„Lebt er noch?“, fragte sie.

„Wir wissen es nicht.“

„Wer ist wir?“

„Detektiv Sota und ich.“, sagte Neo.

„Sie warten da und ich schicke ihnen Verstärkung.“, meinte Kaoru.

Misaki stieg zurück ins Auto:

„O.K. Mitamura schickt uns ein paar Leute her.“

„Wow, haben sie irgendwas gegen sie in der Hand, dass die sofort bei ihnen reagiert?“, fragt Sota.

„Liegt wahrscheinlich daran, dass ihr der Bürgermeister im Nacken sitzt. Was haben…“, plötzlich hörten sie aus dem Haus eine Gewehrsalve. Beide stiegen schnell mit gezogener Waffe aus und liefen in geduckter Haltung zum Haus.

Zu beiden Seiten der Tür lehnten sie sich an die Wand:

„Polizei! Aufmachen!“, rief Sota.

Eine erneute Gewehrsalve ging durch die Haustür.

Zur selben Zeit war Néko im Nebenzimmer des Jungen und setzte eine Skimaske auf. Sie hörte wie der Onkel von Tomo die Treppe hinaufgelaufen kam und in das Zimmer von Tomo:

„Du musst hier raus.“, sagte Kotaro, während von unten weitere Gewehrsalven zu hören waren.

Der Junge war völlig verstört und bewegte sich keinen Zentimeter:

„Beeil dich!“, zerrte Nuriyuki panisch an dem Kind: „Er kommt gleich und wenn wir dann noch hier sind, wird er uns töten.

Sie hörten wie jemand die Treppe hochgestürmt kam, während von draußen Blaulicht durchs Fenster flackerte.

Der Mann vor dem sie sich beide fürchteten kam der Tür immer näher. Doch bevor er eintreten konnte, stürzte Néko aus dem Nebenzimmer und hielt dem unangenehm schauenden Mann ihre Waffe entgegen. Er war leicht erschrocken, hatte sich aber fast sofort wieder unter Kontrolle.

Schließlich grinste er:

„Glaubst du, du kommst mit einer Läppischen Handfeuerwaffe gegen mein Maschinengewehr an?“

„Schon, weil dein Magazin ist nämlich leer. Du hast es nicht gewechselt.“, stellte Néko sehr sicher fest. Er sah sie erstaunt an:

„Wer bist du?“

Unten wurde die Tür aufgestoßen:

„Die Polizei ist gleich hier. Solltest du dich umdrehen, setze ich dich außer Gefecht, also lege die Waffe weg!“, rief Enni so laut, dass Misaki sie hören konnte.

„So sicher scheinst du dir nicht zu sein, dass das Magazin leer ist.“

Die beiden Detektivs kamen, mit ihren Dienstwaffen im Anschlag, die Stufen hoch:

„Waffen auf den Boden, BEIDE!!!“, brüllte Sota.

„Das in der Maske, ist mein Informant. Von dem geht keine Gefahr aus.“, sagte Neo leise zu seinem Kollegen:

„Maschinengewehr auf den Boden!“, rief Misaki.

Nichts tat sich.

Plötzlich riss der Mann sein Maschinengewehr herum, und drückte den Abzug. Ein einziger Schuss löste sich und streifte Sotas Arm. In dem Moment schoss auch Misaki und traf den Oberkörper. Der Verletzte ging zu Boden. Sofort stürzten sich die Polizisten auf ihn, nahmen ihm die leergeschossene Waffe ab und legten ihm Handschellen an:

„Alles in Ordnung?“, fragte Misaki Sota, der seinen Arm betrachtete:

„Ja, ist nur ein Streifschuss.“ Er sah zu der maskierten weiblichen Gestalt:

„Und sie sind?“, fragte er nun.

„Das kann ich ihnen leider nicht sagen.“

„Warum hast du nicht Geschossen, als er sich umdrehte?“, fragte Misaki.

Sie lächelte, was die Männer natürlich nicht sahen:

„Erstens hättet ihr dann viel zu viel zu erklären und zweitens wusste ich das sein Magazin leer war,“ sie nickte zu Sota: „oder fast leer. Der Junge und sein Onkel sind da drin. Wenn ihr nichts dagegen habt, verschwinde ich jetzt.“, meinte sie und sprang kurzerhand aus dem geöffneten Fenster, durch das sie auch gekommen war und entkam in der Dunkelheit:

„Interessanter Informant.“, sagte der Detektiv aus dem Entführungsdezernat.

„Ich könnte ihnen Sachen erzählen.“, meinte Neo, die Augen verdrehend.
 

Morgens um sechs Uhr bekam Néko einen Anruf:

„Hallo.“, meinte sie verschlafen.

„Ich wollte danke sagen, aber dafür ist es wahrscheinlich zu früh.“, hörte sie die Stimme ihres Koibito.

„Nein, ich bin wach. Komm doch her, dann kannst du mir alles erzählen.“, meinte Enni fröhlich.

„Wie wäre es, wenn du mich mal wieder besuchst. Würde dir gerne ein schönes Frühstück machen.“, bot Misaki an.

„Ich bin in einer halben Stunde bei dir.“, sagte sie, legte auf und zog sich an. Nach neunundzwanzig Minuten und fünfundvierzig Sekunden schloss sie seine Tür auf. Der Duft von warmen Brötchen und Kaffee erfüllte die Wohnung:

„Komm rein und setz dich, bin gleich da.“, rief Neo aus dem Schlafzimmer. Sie tat es:

„Und warum wurde der Junge nun entführt?“, fragte sie, während sie sich den romantisch gedeckten Tisch mit Kerzen und einer Rose auf dem Teller ansah:

„Willst du mich verführen?“, fragte sie laut.

„Eigentlich nicht.“, flüsterte er ihr plötzlich ins Ohr. Sie zuckte zusammen:

„Wann hast du das denn gelernt? So schleicht sich sonst nur dein Bruder an.“

„Ich habe ihn ein wenig beobachtet. Wie gefällt es dir.“, er deutete mit einem Blick auf den Tisch.

„Sehr schön. Hat das einen Grund?“, fragte sie.

„Ja, vor gut einem Jahr hast du mir das erste Mal das Leben gerettet. Dafür wollte ich einfach danke sagen und das ich dich liebe.“

Enni drehte sich zu ihm und gab ihm einen verspielten Kuss:

„Du bist echt süß.“, meinte sie. Beide setzten sich gegenüber: „Und was hat sich im Nuriyuki- Fall ergeben?“, war sie jetzt doch neugierig:

„Eigentlich ganz simpel. Kotaro hatte sich hoch verschuldet und sich bei dem brutalsten Kredithai Geld geborgt.“

„Bei Yamesa?“, fragte Néko.

„Genau, sein Handlanger, den Typen mit dem Maschinengewehr, sollte das Geld jetzt wieder eintreiben. Kotaro konnte aber nicht zahlen. Deswegen die Entführung. Es wurde allerdings für das Kind sehr viel gefährlicher, als die erste Übergabe platzte. Kotaro wollte das ganze ablasen, aber dieser wahnsinnige Handlanger, von dem wir bis jetzt nicht mal wissen, wer er ist, wollte nicht eher aufhören bis er das Geld hat. Dann kamen wir ins Spiel.“, erklärte Neo.

Die beiden verbrachten einen sehr erholsamen Tag bei Misaki zuhause. Sie sprachen viel mit einander.

Show Down

Show down

Als Enni abends in den Bunker kam, herrschte da allerdings dicke Luft. Ken saß mucksmäuschenstill am Küchentisch, während Tora davor auf und abschritt:

„Was ist hier los?“, fragte sie Tina.

„Der Typ da ist los!“, fauchte sie und deutete auf Ráion: „Der hat sich doch tatsächlich zu einem Duell mit Idogawa herausfordern lassen!“, fluchte sie weiter.

„Sie glaubt, ich schaffe es nicht…“

„Das hat damit gar nichts zu tun! Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass der alleine kommt!“, brüllte sie: „Du bringst uns in Teufels Küche!“

„TORA.“, sagte Enni deutlich: „Mit dem Gebrüll änderst du an der Sache nichts. Lass uns lieber Überlegen, wie wir das Überleben.“

„Ihr bleibt hier. Das hat mit euch nichts zu tun.“, wollte Ken sie davon abbringen.

„Du hälst die Klappe.“, sagte Tora deutlich: „Néko, du passt auf ihn auf bis ich wieder da bin. Ich will nur kurz ein paar Dinge holen.“, sagte sie, drehte sich um und verschwand aus dem Bunker.

Enni beobachtete Ken, was ihn sehr störte. Nicht ein Mal ließ sie den Blick von ihm:

„Kannst du damit nicht mal aufhören!“, schnauzte er sie an.

„Nein, Tora wird ihren Grund haben, mir dich aufzuhalsen.“

Es nervte ihn gewaltig von den Frauen wie ein kleines Kind behandelt zu werden. Er ahnte nicht, dass das nicht notwendig wäre, wenn er sich nicht manchmal wie eins benehmen würde.

Er ging Richtung Tür:

„Wo willst du hin?“

„Nur auf die Toilette. Willst du etwa mitkommen?“, grinste er. Sie lächelte nur ironisch und sah ihn im Bad verschwinden.

Sie hörte die Spülung, dann den Wasserhahn. Doch mit einem Mal war es totenstill und nichts passierte:

-Was macht der da drin?-, wurde sie misstrauisch.

Dann wurde die Tür aufgerissen und kenn schoss auf sie. Enni wurde in den Oberschenkel getroffen, aber nicht von einer Kugel, sondern von einer Betäubungsspritze. Sie zog ihn sofort heraus, aber das Mittel war bereits in ihrem Kreislauf. Ihr wurde schon schummerig vor den Augen:

„Ich hoffe Tora… tritt dir… in den Arsch.“, sprach sie noch und sackte zusammen.

Er schnappte sich seinen langen schwarzen Ledermantel, nahm das Katana und verließ den Bunker.
 

„Néko! Néko!“ Tora goss ihr eine Tasse mit kaltem Wasser über das Gesicht. Enni öffnete leicht die Augen:

„Ken… hat betäubt… ist los.“ Ihr fielen die Lider wieder zu. Tina brachte sie auf die Couch, bewaffnete sich bis an die Zähne und ging ebenfalls.
 

Inzwischen war es dunkel und Ken auf dem Schrottplatz angekommen, wo er das Zusammentreffen vorgeschlagen hatte.

Dieser war von Maschendrahtzäunen mit Stacheldraht umgeben. Hinter einem riesigen, alten Kühlschrank machte er sich daran ein Loch hineinzuschneiden. Zwischen meterhoch gestapelten alten Autowracks, war ein freies Kare, das mit Baulampen ausgeleuchtet war. Der leichte Wind wirbelte etwas Staub auf.

Zwischen einem hellblauen, fast verrostetem Cabrio und einem ausgeblichenem Kombi stand Idogawa mit seinem Katana:

„Du passt gut zu den ganzen schrottreifen Autos, Ken.“, sagte er und deutete nun mit dem Schwert auf den Löwen.“

„Komm mir nicht mit deinen dämlichen Sprüchen.“, war Ráion genervt: „Wie viele von deinen Hampelmännern hast du denn mitgebracht?“

„Keinen.“

Ken entfuhr ein leichtes Lachen:

„Idogawa, richtig lügen musst du noch lernen. Ich weiß, wenn du was hasst, dann ist das ein fairer Kampf mit ausgeglichenen Chancen.“

„Und trotzdem bist du hier. So doof kannst auch nur du sein.“, grinste sein ehemaliger Schüler und holte zum ersten Schlag aus. Ráion parierte. Das metallische Geräusch nahm jetzt auch Tora wahr, die gerade vor dem Schrottplatz angekommen war.

-Verdammter Mist.-, dachte sie und stieg durch das gemachte Loch von Ken. Die kämpfenden Schwerter waren weiter zu hören. Tina sah sich um und entdeckte einen Mann mit einem Scharfschützengewehr. Sie tippte ihm auf die Schulter. Als er sich zu ihr umdrehte, versuchte er sie mit seinem Handrücken zu schlagen.

Sie blockte mit beiden Armen und trat mit dem rechten Bein kräftig in seinen Bauch. Er krümmte sich, sah Tora an und stellte sich zum Kampf auf.
 

Nagi, ein weiterer Experte der Group Death war hoch oben auf einem Autostapel und zielte mit einem Scharfschützengewehr auf Ken. Er hatte die Anweisung ihn nicht zu töten, sondern ihn nur zu verletzen, damit Idogawa leichteres Spiel hatte.

Sekunden später drückte er den Abzug. Der Schuss hallte über die Deponie und traf Misaki am rechten Oberarm. Idogawa grinste ihn breit an:

„So viel zum fairen Kampf.“, knurrte Ráion.

„Du kannst dich bis zum Schluss wehren, dann wird es lustiger für mich.“, lachte der Leiter der Group D.

„Wenn du dich solcher Mittel bedienst, bist du dir deiner Fähigkeiten wohl doch nicht so sicher.“, lächelte Misaki leicht und hob das Katana. Trotz der Verletzung hatte er kaum etwas an Kraft verloren. Die Hiebe auf Idogawas Schwert waren präzise. Nagi wurde ein Zeichen gegeben nochmal auf Ken zu schießen, aber dieser kam nicht. Ken sah wie nervös sein ehemaliger Schüler wurde und seine Mundwinkel zuckten:

„Auch ich bekomme manchmal Hilfe.“

Ráion nahm das Katana in die linke Hand und startete einen erneuten Angriff. Die Schwerter prallten hart aufeinander.

Tora trat in dem Moment an den Kampfschauplatz:

„Hattest du vor heute noch fertig zu werden?!“, fragte sie genervt.

„Halt dich raus, das geht dich nichts an!“, knurrte Ken.

In aller Ruhe nahm sich Tora einen Schokomüsliriegel aus der Einsatztasche, stellte sich an das hellblaue, verblasste Cabrio und begann ihn auszupacken, während sie dem Kampf weiter zusah.

„Ist die immer so.“, fragte Idogawa.

„Warte bis sie wütend wird.“, grinste Ráion.

„Wenn ihr lästern wollt, geht einen Kaffee trinken.“, sagte Tora und nahm das letzte Stück des Riegels in den Mund. Ken lächelte in sich rein:

-Sie ist so süß, wenn sie sauer ist. -, dachte er und versetzte seinem ehemaligen Schüler einen heftigen Tritt.

Idogawa krümmte sich, behielt aber seine Deckung oben. Ráion landete einen erneuten Treffer mit der Faust und schickte ihn auf den Boden. Er griff sich eine Ladung Staub und warf ihn Ken ins Gesicht. Er sah nichts mehr und der Anführer der Group D wollte seine Chance nutzen und stürmte auf ihn zu.

Der Löwe hörte jede einzelne seiner Bewegungen und blockte seine Angriffe ohne seine Augen zu benutzen.

Er trat erneut zu, traf aber kaum. Tina lehnte immer noch am hellblauen Cabrio und beobachtete ihren Koibito, der am Arm angeschossen war und kaum was sehen konnte. Sie stützte sich am Auto ab und wollte ihm helfen:

„Bleib wo du bist, das ist mein Kampf!“, sagte er deutlich.

„Du kannst kaum was sehen und außerdem bist du angeschossen, soviel zu deinem „fairen“ Kampf.“ kam sie weiter auf die Duellanten zu.

Idogawa sah wie sie ihre Walther PKK durchlud.

In dem Moment ging Ken mit einer Drehung in die Hocke und zog dem Anführer der Group D mit seinem Katana einen tiefen, blutigen Scheitel über den Bauch. Dieser keuchte und fiel auf seine Knie. Mit einem dumpfen Geräusch landete auch sein Schwert auf dem Boden:

„Meisterprüfung nicht bestanden.“, sagte Ken, steckte die Samuraiwaffe in die Scheide, nahm seine CZ zur Hand und drückte ab.

„Hast du zufällig Wasser mit?“, drehte Ráion sich zu Tora um. Ohne ein Wort zu sagen warf sie ihm eine Flasche zu und ging dann zu ihrem Motorrad.

Ken spülte sich etwas vom Leichnam entfernt die Augen aus, dann ging er zu seinem Toyota. Einen kleinen Augenblick später klingelte Tinas Handy:

„Was willst du?“, fragte sie.

„Fährst du noch an die Apotheke ran. Ich habe noch eine Kugel im Arm.“, sagte Ráion.

„Ich tätige noch schnell einen Anruf und wir treffen uns dann hinter dem Tokio Hospital.“, sagte Tina und legte auf.

-Wieso will sie mich da treffen?-, fragte er sich. Ken lenkte sein Auto in Richtung Innenstadt. Er nahm erst jetzt richtig den Schmerz in seinem Arm wahr. Das lenkte ihn für einen Augenblick vom offensichtlichen ab. Als er hinter die Klinik fuhr, standen da Tora und ihr guter Freund, Doktor André Schwarz.

Ráion hielt an, ließ den Motor laufen und stieg aus:

„Das kann doch nicht dein ernst sein!“, fauchte er Tora an, die sich das Grinsen sehr verkneifen musste:

„Ich kann keine Kugeln entfernen und bevor du selbst rangehst und dir noch eine Blutvergiftung holst, ist André die bessere Wahl. Mach den Motor aus und lass dich behandeln.“, sagte sie.

Ken sah einen Augenblick auf den Arzt, der von der Sache auch nicht sonderlich begeistert zu sein schien. Er machte das Auto aus und folgte den Beiden in ein Behandlungszimmer:

„Setzt dich!“, forderte Dr. Schwarz, während er die sterilen Handschuhe überstreifte. Misaki zog seine Jacke und Hemd aus und nahm auf der Pritsche Platz:

„Ich gebe dir eine örtliche Betäubung.“, erklärte er weiter.

„Wenn du glaubst, ich lasse dich mit einer Spritze in meine Nähe…“

„Dann halt ohne. Ich streite mich doch nicht mit dir!“, sagte André und legte sich sein Chirurgenbesteck zurecht: „Tina, wenn du willst, kannst du rausgehen.“

„Ich glaube das wäre nicht so klug. Ken gibst du mir erst mal deine Pistole.“, bat sie. Bei den Gesichtern, der beiden Männer biss sie sich schmerzhaft auf die Lippen, um nicht zu lachen. Sie nahm die CZ und setzte sich auf einen Stuhl, der ebenfalls im Raum stand.

André säuberte zunächst das Wundareal. Dann nahm er einen kleinen Spreizer zur Hand und öffnete so die Wunde. Ráion ließ sich kaum etwas anmerken. Obwohl ohne Betäubung gab er keinen Mucks von sich. Doch dann, als es dem Arzt zum dritten Mal misslungen war die Kugel zu greifen, zog Misaki mit der linken Hand ein Messer und hielt es Doktor Schwarz an seinen Mokoni*:

„Noch einen Fehlgriff und ich verhelfe dir zu ewiger Keuschheit!“, zischte Ken zwischen den Zähnen durch.

„Du wolltest keine Betäubung, also stell dich nicht so an.“, meinte André ernst.

„Ráion, nimm das Messer runter!“, ertönte von hinten Toras Stimme. Er schleuderte es auf den Boden, wo es mit der Klinge im dicken Krankenhauslinoleum stecken blieb. Sie schüttelte mit dem Kopf.

Doktor Scharz erwischte schließlich die Kugel, säuberte alles, vernähte es und machte einen Verband drum. Er wandte sich an Tina:

„Wenn es sich entzünden sollte, müsst ihr nochmal herkommen. Ansonsten gebe ich dir noch ein paar Antibiotika mit. Sorge dafür, dass er sie mindestens zwei Wochen nimmt.“

„Ich bin keine acht Jahre alt. Das kannst du auch mir sagen.“, meckerte Ken.

„Du benimmst dich aber so.“, sagten Tora und André gemeinsam und lachten.

Misaki war sauer, schnappte sich seine Sachen und ging raus.

„Ist der immer so?“, platzte er mit der Frage raus.

„Nein, aber er ist auf dich ziemlich eifersüchtig.“, grinste sie: „Ich danke dir, André.“ Sie gab ihm den vertrauten freundschaftlichen Kuss auf die Wange und ging.
 

*das „gute“ Stück

Dr. André Schwarz

In diesen Wochen hatten die Auftragskiller wenig zu tun. Ráion und Tora verbrachten die freie Zeit mit Training, Soduku und miteinander. Ihre Schülerin dagegen war viel beim Löwenbruder in der Wohnung.

Sie hatte zum Abend, das Essen vorbereitet, als sich der Schlüssel im Schloss drehte. Néko hörte an der Art und Weise des Drehens, dass es nicht Misaki war. Sie löschte das Licht und verbarg sich hinter der Wand. Die Tür wurde vorsichtig auf gemacht:

„Kioko?“, fragte leise eine weibliche Stimme.

„Wer sind sie?“

„Ich bin es Monosuki Hotaru. Neo hat mich geschickt.“

„Wieso?“

„Er wurde angeschossen und er hat mich gebeten es ihnen zu sagen.“ Schweigen, doch plötzlich ging das Licht wieder an und die Auftragskillerin zeigte sich. Monosuki erschrak:

„Sakada Enni.“, flüsterte sie und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Ihre Hand zuckte:

„Lass es Hotaru. Neo hat dir vertraut, dass du dieses Geheimnis für dich behalten kannst und er hat mir vertraut, dass ich dich nicht erschieße. Wollen wir dieses Vertrauen brechen?“, fragte seine Koibito.

„Sie sind eine Mörderin.“, stellte die Keikan in den Raum.

„Das ist wahr, aber ich töte keine Unschuldigen… Was ist nun passiert?“

Monosuki trat etwas von der Tür weg auf sie zu:

„Das kann ich ihnen nicht sagen, das ist Bestandteil der Ermittlungen.“

„Hätte Neo gewollt, dass du dich an die Vorschriften halst, hätte er dich nicht hergeschickt. Also sag mir, verdammt noch mal, was vorgefallen ist?!“, wurde Enni jetzt etwas lauter. Hotaru wich wieder an die Tür. Es dauerte einen Moment ehe sie zu sprechen begann:

„Wir wollten einen Verdächtigen verhaften. Als wir an dem Grundstück ankamen, wurde sofort auf uns geschossen. Neo hat zwei Kugeln im Körper. Eine in seinem rechten Oberarm und eine in der Brust. Ich habe den Täter leider nicht gesehen. Neo hat trotz seiner Verletzungen den Wagen weggefahren.“, berichtete Hotaru.

„Wie geht es ihm?“, fixierte Enni sie immer noch. Die Polizistin fühlte sich unwohl:

„Die Ärzte operieren ihn gerade. Sie sagten der Erfolg liegt bei fifty/ fifty.“ Néko ging ihre Jacke holen:

„Du fährst zum Krankenhaus und bleibst da und vor allem, lässt du niemanden, außer das Personal zu ihm.“, sagte sie und öffnete die Tür.

„Wie soll ich das anstellen?“, blickte die Polizistin fragend auf ihren Rücken.

„Lass dir was einfallen.“, meinte sie und ging.

Sakada machte sich auf den Weg ins Versteck. Tora und Ráion waren nicht da, deshalb packte sie ein was sie brauchte, hinterließ für Tina eine Nachricht und fuhr mit dem silbernen Toyota ins Hospital- Parkhaus. Sie blieb auf der untersten Etage, nahm das Handy und wählte Hotarus Piepernummer.

Monosuki tauchte, nachdem sie Néko angerufen hatte, im Parkhaus auf. Sie erwartete sie an ihrem Kofferraum, darin lag allerhand technisches Gerät:

„Eine Überwachungsanlage?“, fragte Hotaru: „Ihr Auftragskiller seid besser ausgerüstet als ich dachte.“, meinte sie. Enni überhörte das:

„Du wirst sein Zimmer damit ausstatten.“

„Wieso?“

„Weil Neos Leben verdammt viel Wert ist und sich so einige was verdienen wollen.“

„Auf seinen Kopf steht eine Belohnung?!“, fragte die Polizistin entsetzt.

„Was glaubst du denn? Auf fast jeden unbestechlichen Bullen steht eine Belohnung… Du kennst dich mit dem Zeug aus?“ Sie nickte: „Dann sieh zu, dass die Anlage installiert wird.“, befahl Néko fast.

Hotaru hatte wenig später das Krankenzimmer mit allem ausgerüstet und Enni sah ihren Koibito jetzt auf dem Bildschirm im Wagen. Durch das Mikrophon in der Kamera nahm sie auch das Piepsen des EKG- Gerätes wahr. Es war ihr unbehaglich nicht zu ihm gehen zu können. Sie war außerdem dazu gezwungen Hotaru zu vertrauen und das gefiel ihr nicht besonders.
 

Stunden später, es war bereits 02.46 Uhr, saßen beide im Wagen Hotaru schlief und Néko starrte auf den Bildschirm.

Plötzlich kam Bewegung in das Zimmer, die Tür ging auf und hinein trat Dr. Schwarz. Doch nicht wie ein Arzt der nach einem Patienten sehen will, sondern wie ein Strauchdieb, der versuchte keinen Laut von sich zu geben:

„Hotaru! Hotaru wach auf! Du musst zu Neo!“, rüttelte Enni an ihr.

„Was ist?!“

„Der Arzt benimmt sich komisch! Sie zu dass du reinkommst!“, meinte sie hastig: „Stell dein Handy auf laut!“, rief Néko noch hinterher.

Als Hotaru reinlief, sah Enni nervös auf den Bildschirm. Sie sah wie Dr. Schwarz ein Medikamentenfläschchen und eine Spritze aus der Tasche nahm. Er füllte die Spritze:

„Komm schon Monosuki! BEIL DICH!“, rief sie jetzt.

Der Doktor hatte schon den Spritzenzugang am Infusionsschlauch in der Hand als:

„Stopp!“, schrie Hotaru mit der Waffe auf ihn zielend: „Legen sie die Nadel beiseite!“, forderte sie.

„Der Patient benötigt dieses Medikament.“, André Schwarz drückte die durchsichtige Flüssigkeit in den Schlauch:

„HALT IHN AUF!“, schrie Néko.

In dem Moment als der Arzt die Stimme aus dem laut gestellten Handy hörte, drängte er sich an Hotaru vorbei und floh:

„Hol die Kanüle sofort aus seinem Arm! Ich kümmere mich um Schwarz!“, sie hoffte und vertraute auf Hotaru, dass sie ihren Koibito rettete.

Doktor André Schwarz kam in das Parkhaus gelaufen:

„Stehen bleiben!“, rief Néko. Er tat es:

„Wer bist du?“, fragte er ruhig.

„Warum wollten sie Misaki töten?“ Er begann zu lachen als er Enni entdeckte:

„Hat Tora dir nicht beigebracht, dass zu viel Gefühl tödlich ist?“, fragte er gefährlich.

„Ich will wissen wer sie sind.“, zielte sie jetzt auf ihn.

„Doktor Schwarz, ist alles in Ordnung?“, fragte verschüchtert ein Krankenschwester, die nur sah, dass er plötzlich stehengeblieben war und in die Dunkelheit schaute.

In dem Moment als die Schwester fragte, schmiss er eine Rauchpatrone auf den Boden. Néko feuerte auf ihn, streifte ihn am Oberarm, dann traf sie nur noch die parkenden Autos, unter anderem auch ihr eigenes:

-Woher kennt der Typ Tora?-, fragte sie sich, während sie in ihren zweifach durchlöcherten Toyota stieg. Sie war vorher noch sichergegangen, dass sich niemand eingeschlichen hatte und fuhr los.

„Tora! Tora!“, rief sie sofort als sie den Bunker betrat. Verschlafend und übellaunig kam sie aus ihrem Zimmer:

„Was ist denn?!“, zischte Tina.

„Kennst du einen Dr. Schwarz?“ Die Tigerin sah sie forschend an:

„Wieso?“, antwortete sie nur kurz.

„Er hat versucht Neo umzubringen!“, unterdrückte Enni ihre Wut. Toras Gesichtsausdruck änderte sich von Überrascht über traurig dann zu wütend. Ihre Fäuste ballten sich.

„Was hast du gemacht?“, fragte sie.

„Ich habe ihn im Parkhaus gestellt.“

„Hast du ihn getötet?“, fragte Tina mit einem Pokerface. Sie wollte auf keinen Fall, dass jemand mitbekommt, wie sehr es sie schockte.

„Ich bin wie er gescheitert.“, gab sie zu.

„Hätte mich auch gewundert.“, meinte Tora.

„Willst du meine Hilfe?“, schallte Ken´s Stimme aus dem Schlafzimmer.

„Nein, ich regele das allein und du passt auf den kleinen Misaki auf.“, sagte sie Néko. Diese sah wie sich ihre Freundin stillschweigend bewaffnete, dann ging Enni zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter:

„Sei vorsichtig.“, sagte sie. Tina sah sie einen Moment an und nickte, dann verschwand sie aus dem Bunker.

Enni drehte sich zu Ken, der inzwischen aus dem Schlafzimmer gekommen war:

„Wer ist er?“, fragte sie ihn.

„Nur ein alter, deutscher Bekannter von Tina. Sie vertraute ihm.“
 

Tina fuhr zu Andrés Haus. Er erwartete sie schon an der Tür, als sie auf ihn zukam:

„Ich sehe schon, deine kleine Katze hat gepetzt.“, meinte er betont locker und ließ sie eintreten. Im Wohnzimmer ließ er sich auf sein Sofa nieder: „Schon verrückt, die Situation in der wir stecken.“ Tora sah ihn nur an: „Ich kann dich wohl kaum überzeugen auf meine neue Seite zu kommen?“

„Nein.“, flüsterte sie traurig.

„Mit Geld werde ich dich auch nicht ködern können, oder?“, fragte André.

„Du weißt, dass ich meine Seele nicht verkaufe. Es ist schade, dass du es plötzlich kannst.“

Er stand langsam auf und ging zu einem Schrank und öffnete ihn. Er holte eine kleine braune Schatulle heraus und gab sie ihr. Tina erkannte sie sofort und machte sie auf.

Die diamantenen Manschettenknöpfe ihres Vaters glitzerten ihr entgegen:

„Er wäre sicher enttäuscht von mir, aber ich kann jetzt nicht mehr zurück.“, sagte ihr früherer Freund: „Wirst du mich umbringen?“, fragte er jetzt mit einem Lächeln.

„Ich muss. Es sei denn, du verlässt Japan auf der Stelle und ziehst dich völlig aus unserem Beruf zurück.“, sagte sie.

„Es tut mir leid, Tienchen, aber inzwischen habe ich einen Preis und dafür gehe ich auch über unschuldige Leichen.“, sagte Dr. Schwarz eindringlich.

„Hast du einen Wunsch, wo es passieren soll?“, fragte sie.

„Wie wäre es mit dem Wald, östlich von Tokio. Ich muss dir allerdings sagen, dass ich mich nicht einfach töten lasse. Du wirst mit mir kämpfen müssen… Das nur als letzte freundschaftliche Warnung.“, meinte er.

„Wir sehen uns in einer Stunde.“
 

Enni war inzwischen ins Hospital- Parkhaus zurückgekehrt. Hotaru hatte von Hana Polizeischutz organisiert und es war ihr gestattet in der Intensivstation bei Misaki zu bleiben. Sie saß an Neos Seite und hielt Wache.
 

Andrés schwarzer Mercedes hielt vor den dunklen Bäumen, die man in dieser mondlosen Nacht gerade noch erkennen konnte. Er schaltete die Scheinwerfer ab und blieb einige Minuten im Auto sitzen, um seine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Dann stieg er aus:

„Du hast genau dreißig Sekunden, um dir Deckung zu suchen!“, rief Tina.

„Du bist so großzügig!“, meinte er nur.

„Achtundzwanzig Sekunden!“

André rührte sich jedoch nicht, dann als nur noch sechs Sekunden übrig waren, schmiss er eine Rauchpatrone auf den Boden und war sofort nicht mehr zu sehen. Doch Tora ließ sich nicht täuschen. Von Ken hatte sie gelernt, ihren anderen Sinnen zu vertrauen, wenn das Sehen ausgeschaltet war.

Links von ihr trat jemand oder etwas auf das Unterholz. Sie feuerte einen Schuss in diese Richtung. Das Projektil drang neben Andrés Kopf in einen Baum ein. Sofort zog er sich in den tieferen Wald zurück.

Tora tat das Gleiche. Sie kannte diesen Trick, er hatte ihn bereits in St. Petersburg eingesetzt, als sie sich maßen und sich mit Farbpatronen beschossen. Sie kletterte auf einen Baum, während Schwarz im Wald herumschlich. Tina legte ihren Hinterkopf an den Stamm und schloss die Augen.

Sie wusste was sie tun musste, aber konnte sie das? Ihr ältester Freund, der der ihr half Gerechtigkeit für ihre Familie zu bekommen. Der ihr half Kens Scheintod einigermaßen zu überwinden. Jetzt hörte sie ihn und öffnete die Augen. Sein Gesicht war von ihrem Baum abgewandt. Dr. Schwarz ging seitlich. Sie steckte lautlos ihre Walther ein und wartete dass er näher kam.

Dann sprang sie. Riss ihn von den Füßen und rollte sich ab. Er stand schnell wieder und ging in Kampfstellung. Sie stellte sich ebenfalls auf:

„Du willst es also wirklich tun?“, flüsterte er nur. Sie antwortete mit Tritten und Schlägen. André blockte sie und versuchte sie auch zu erwischen. Als er gerade einen Kick machte, warf sich Tora auf den Boden und zertrümmerte mit dem rechten Fuß sein linkes Knie. Es knackte hässlich und er verlor das Gleichgewicht.

Der Arzt stöhnte vor Schmerzen, als er auf dem feuchten Boden saß. Sie stand vor ihm mit gezogener Waffe:

„Letzte Chance André. Verlasse das Land.“, bat sie ihn fast.

„Du bist schon lange besser als ich Tienchen, aber weißt du, ich bin froh dass du mich tötest.“, meinte er schmerzlich lächelnd.

„Lebe wohl mein Freund.“ Sie konnte nicht abdrücken. Schwarz versuchte an seinen Kleinkaliber ranzukommen, als Tora ihn schließlich doch erschoss. Die Kugel traf ihn mitten ins Herz. Seine letzte Geste war ein Lächeln. Er starb mit offenen Augen, die sie jetzt anstarrten.

Trauer und Leidenschaft

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Steven Steel

Steven Steel

Als Enni in den Bunker kam, saß Tora am Schreibtisch. Diese blickte auf und sah fast sofort ihre ramponierten Hände:

„Was ist passiert?“, fragte sie ernst.

„Hab die Beherrschung verloren.“, sagte Néko und blickte gedankenverloren auf ihre verletzten Knöchel.

„Kenne ich dein Opfer?“

„Die Wand in der Intensivstation.“, meinte sie erschöpft.

„Es tut mir leid um Neo.“, meinte Tina.

„Du hörst dich an als wäre er schon tot!“, fuhr sie sie an. Die Mentorin stand auf:

„So habe ich es nicht gemeint.“

„Doch!“, wollte Enni einen Streit vom Zaun brechen. Tora ließ sich nicht darauf ein:

„Versorge deine Hände.“, meinte sie nur und wandte sich von ihr ab.

„Was weißt du über Steel Steven?“, fragte Enni. Tina sah sie überrascht an:

„Woher kennst du diesen Namen?“, war ein leicht aggressiver Unterton zu hören.

„Hana hat ihn mir gegenüber erwähnt. Er ist der Meinung, er wüsste einiges über Inato.“

Toras Augen verengten sich. Es gefiel ihr gar nicht, dass sich ihre Schülerin so sehr in der Öffentlichkeit aufhielt. Sie wusste allerdings auch, dass sie sich nicht davon abhalten ließ:

„Sei bitte vorsichtig, wenn du dem nachgehst. Steven Steel ist offiziell ein Privatdetektiv. Inoffiziell auch Leibwächter und Killer. Ich bin mir nicht sicher auf wessen Seite er steht. Seine Trefferquote liegt bei 98%.“, gab sie ihr den Rat.
 

Über drei Wochen versuchte Néko etwas über Inato rauszufinden. Was sie wusste war, dass er nicht nur Politiker war, sondern seine Hände in vielen Dingen hatte. Er saß in Aufsichtsgremien, in Vorständen und war sogar Teilhaber eine Baufirma. Sie musste an persönliche Informationen kommen, aber diese waren nirgendwo zu finden.

Sie entschied sich den Rat von Hana zu befolgen und Kontakt mit Steven Steel aufzunehmen.

Einen Tag später hatte sie ein Treffen mit ihm vereinbart, doch bevor sie dahin ging, suchte sie noch das Krankenhaus auf.

Monosuki war nicht da, nur der Wachposten beschützte noch immer die Tür zur Intensivstation. Er kannte Enni schon, wusste aber nicht, wer sie wirklich ist.

„Hallo Neo.“, sagte sie und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Sein Herzrhythmus veränderte sich leicht. Natürlich nahm sie das wahr:

„Neo?“, ergriff sie seine Hand. Doch nichts geschah: „Neo.“, sagte sie leise und setzte sich auf ihren Stuhl:

„Weißt du, ich habe heute noch etwas Gefährliches zu tun. Der Typ, mit dem ich mich treffe, soll ein „Windhund“ sein. Du weißt schon, nach außen hin, hinter jedem Rock her aber doch berechnend. Ich weiß noch nicht, wie ich das von ihm kriege was ich will.“ Das EKG piepte schneller, als würde er Angst um sie haben.

„Ich werde nichts tun, was nicht nötig ist. Du sollst nur wissen, dass ich dich liebe.“, sie stand auf und küsste ihn. Sein Herzschlag beruhigte sich wieder: „Ich liebe dich.“, flüsterte sie noch einmal und löste dann ihre Hand.
 

Als sie zwei Stunden später am Pier im Tokioer Hafen zwischen Abfällen stand, sah sie sehr verändert aus. Sie hatte sich geschminkt, trug einen Minirock, Hackenschuhe und eine Perücke zierte ihren Kopf. Ihr Top ließ ihren Busen in einem sehr guten Licht erscheinen. Außerdem trug sie einen langen Mantel. Sie hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt, denn er ließ sie warten.

Sie mochte diese Überprüfungen nicht. Steel wollte wohl feststellen, ob sie zu jemanden Kontakt aufnimmt. Er hatte nicht bemerkt, dass Néko längst wusste wo er war. Er saß in einem grauen Auto, das zirka dreihundert Meter von ihr entfernt, an einer Lagerhalle stand. Nach neunundzwanzig Minuten wurde es ihr zu dumm. Sie ging offen auf den Wagen zu und klopfte selbstbewusst an die Scheibe der Fahrertür:

„Ich habe keine Zeit für diese Spielchen! Entweder wollen sie mit mir Geschäfte machen oder nicht.“, sagte sie gereizt.

Das Fenster öffnete sich:

„Bin ich so auffällig.“, grinste Steel Enni an, er ließ nicht erkennen wie überrascht er war. Er stieg aus. Der ein Meter sechsundneunzig große und gut trainierte Mann hatte rabenschwarze Haare, die hinten mit einem Gummi zusammengehalten wurden. Seine großen Augen, wie sein Name verrieten, dass er kein Asiate war. Steels kaum hörbarer Akzent ließ vermuten, dass er aus den USA stammte.

„Sie sind Mr. Steel?“ Er nickte:

„Und sie Kioko. Sie wollen mir einen Auftrag geben.“

„Nein, ich will Informationen über Inato.“, sagte sie.

„Sie wollen nichts über ihn wissen. Glauben sie mir.“, raunzte Steven.

„Ich bezahle gut.“

„SIE WOLLEN NICHTS ÜBER IHN WISSEN!“, wiederholte er und kam auf sie zu. Néko ließ sich nicht einschüchtern und blieb an Ort und Stelle:

„Ich will ALLE Informationen. Verstehen sie das!“, knurrte sie jetzt. Er stoppte:

„Das wird ihr Begräbnis.“, sagte er locker.

„Wäre nicht mein erstes.“, gab sie im flaxen Ton zurück. Steel starrte sie an, dann begann er lauthals zu lachen:

„Ich mag ihren Galgenhumor… Sie müssen wissen, diese Informationen sind heikel und ich übergebe sie nur zu einem bestimmten Preis.“, er kam wieder dichter: „Sind sie bereit diesen Preis zu zahlen?“, flüsterte er jetzt nur noch. In dem Moment schnappte unten ein Taschenmesser auf, dass Néko nun an sein bestes Stück hielt:

„Nur wenn sie bereit sind ihr Leben als Eunuch zu verbringen.“, drohte sie. Sein Grinsen wurde zu einem wissenden Lächeln:

„Sie wissen was sie wollen und lassen sich nicht einschüchtern. Da stellt sich doch die Frage, was wollen sie von Inato.“

„Das werde ich ihnen nicht sagen. Würden sie jetzt bitte zwei große Schritte zurück gehen.“, bat sie ihn ruhig. Ich unterhalte mich nicht gerne mit einem Messer in der Hand.“ Er tat es: „Danke.“

„Steigen sie ein.“, sagte er dann und sie fuhren ins Rotlichtviertel zu einem Stundenhotel:

„Was wollen wir hier.“, fragte sie vor der Tür.

„Was wohl, ich gebe ihnen was sie wissen wollen und dann entspannen wir uns etwas.“

„Wenn sie sich bei einer Kastration entspannen können, gerne.“, meinte sie und ging an die Rezeption.

Sie gingen in ein Zimmer, das mit einem riesigen herzförmigen Bett ausgestattet war. Alles war in rot und schwarz gehalten und an der Wand hingen Bilder aus dem Kamasutra.

Mr. Steel hatte einen Störsender dabei, der alle eventuellen Abhöraktionen unbrauchbar machte. Er legte ihn auf den Tisch, dann setzte er sich aufs Bett. Enni stand an der Wand:

„Was wollen sie wissen?“

Sie stellte ihm Fragen über Wohnort, Arbeitsplatz und Gewohnheiten:

„Hat er eine Frau oder Freundin?“, fragte sie weiter.

„Wenn sie so an ihn ran wollen wird das nichts. Inato ist stockschwul.“, grinste Steven jetzt. Leider wusste er nicht alles, aber sie konnte damit arbeiten. Sie nahm 7500$ aus ihrer Tasche und ging auf ihn zu:

„Ich danke ihnen sehr herzlich.“, sagte sie in einem verführerischen Ton: „Vielleicht arbeite ich wieder mal mit ihnen.“, zärtlich streichelte sie über sein markantes Gesicht und küsste ihn, leidenschaftlich, wild. Im nächsten Moment sackte er unter ihr zusammen. Enni wischte ihren Mund ab, warf das Geld achtlos aufs Bett und ging.

Als Steel eine Stunde später erwachte, hatte er rasende Kopfschmerzen:

„Dieses verfluchte Miststück!!!“
 

In den nächsten Wochen schlief Enni kaum. Wenn sie nicht am Schreibtisch saß, um einen vernünftigen Plan für Inato zustande zu bringen, war sie bei Neo. Dessen Zustand hatte sich weder verbessert noch verschlechtert. Immer noch war ein Sauerstoffgerät nötig.

Ken warf einen kurzen Blick auf die Pläne als Néko noch nicht da war.

-Eindeutig, zu viel Gefühl, aber sonst schon gut.- Er setzte sich ran. Wenige Minuten später kam sie rein:

„Was machst du?“, fragte sie ohne Vorwurf.

„Ich sehe mir die Unterlagen von Inato an.“

„Deine Diagnose zu viel Gefühl, oder.“

„Ja, wenn du willst, kann ich mich mal dran machen?“, fragte er jetzt.

„Bist du doch schon, willst du einen Kaffee?“, meinte sie.

„Ja.“ Enni machte ihm einen Espresso und stellte ihm den hin: „Danke.“, sagte er und nahm einen Schluck:

„Bäh. Dein Kaffee hat sich noch immer nicht verbessert.“

„Sorry. Ich werde jetzt nochmal ins Krankenhaus fahren.“, sagte sie und nahm ihre Autoschlüssel:

„Bestell einen schönen Gruß von mir.“ Sie schüttelte den Kopf und ging. Auf dem Weg zum Toyota klingelte ihr Handy:

„Hallo?“

„Néko, er hat alleine angefangen zu atmen.“, hörte sie Hotaru.

„Du meinst er ist wach?“, fragte sie.

„Das nicht, aber er braucht kein Beatmungsgerät mehr.“

„Ich bin gleich in der Klinik.“ Enni fuhr hart an der Grenze des Erlaubten, um möglichst schnell hinzukommen. Sie lief fast in die Intensivstation, zog sich den Besucherkittel über und ging rein.

An seinem Bett saß Hotaru:

„Da sind sie ja, die Ärztin meint es sei ein gutes Zeichen.“, sagte sie. Néko nahm sich einen Stuhl und setzte sich auf die andere Seite des Bettes:

„Neo?“, fragte sie und drückte seine Hand. Keine Reaktion: „Ich weiß du hörst mich, bitte wach auf.“, bat sie ihn.

„Dr. Hakase meinte es könnte noch etwas dauern bis er aufwacht.“ Enni nickte, dann schwiegen sie eine Weile:

„Hotaru,“, fing Néko an: „Ich möchte mich bei dir bedanken, für alles was du für Neo tust.“

„Er ist mein Partner und ich denke, ich kann noch einiges bei ihm lernen.“

„Pass auf das du nicht das Falsche von ihm lernst.“, lachte Sakada. In dem Moment regte sich Neos Kopf:

„Neo?“, fragten Néko von links und Hotaru von rechts. Er öffnete die Augen und sah in das für ihn verwirrende Bild. Seine geliebte Schwerverbrecherin gegenüber seiner gesetzestreuen Partnerin und beide lächelten ihn an:

„Irgendwas stimmt hier nicht.“, flüsterte er schwach. Die beiden Frauen grinsten sich an und dann ihn:

„Wie… Das kann doch nicht sein.“, kriegte er keinen vernünftigen Gedanken in seinen Kopf. Außerdem war sein Mund völlig ausgetrocknet:

„Kann mir jemand was zu trinken holen?“, bat er.

„Natürlich, ich gehe schon.“, sagte Monosuki und ging.

Als sie aus der Tür war:

„Ich bin so froh, dass du wieder wach bist.“, sie gab ihrem Koibito einen zarten Kuss auf den Mund. Mit seiner rechten Hand wischte er ihr eine Träne aus dem Auge:

„Ich sollte mich vielleicht nicht mehr als Zielscheibe anbieten.“, meinte er leise.

„Das ist erst ein Drittel der Geschichte.“, Enni musste sich wirklich Mühe geben nicht zu weinen. Dann kam Hotaru mit Hakase- san und etwas zutrinken herein:

„Deine Partnerin wird dir alles erzählen und halte dich bitte von jedem Ärger fern.“, lächelte sie ihm an.

„Ich liege im Bett, wie soll ich da Ärger machen?“, fragte er nun.

„Dir wird schon was einfallen.“, hauchte sie ihm noch einen Kuss auf die Lippen: „Doktor, Hotaru.“, verabschiedete Enni sich und verließ die Intensivstation.

Die Ärztin untersuchte Neo auf eventuelle Lähmungserscheinungen und fragte auch sein Erinnerungsvermögen ab. Es waren aber weder physiologische* noch neurologische* Einschränkungen festzustellen.
 

Sie kam in den Bunker:

„Ráion, dein Bruder ist aus dem Koma erwacht.“

„Gut.“, sagte er knapp, erhob aber nicht mal den Blick. Er saß konzentriert über den Inato- Unterlagen:

„Sag mal, wo ist eigentlich Tora? Ich habe sie heute noch gar nicht gesehen.“

„Auf einer Beerdigung.“, meinte Ken plötzlich mies gelaunt.

„Auf wessen?“

„Auf der ihres deutschen Arztes.“, sagte er verächtlich. Enni wunderte das:

„Hat er ihr so viel bedeutet?“

„Genug, dass sie ihm das Grab bezahlt.“

„Ich bin dann noch mal weg.“, verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg zum Friedhof.

Tora stand vor einem schwarzen einen Meter siebzig hohen Stein auf dessen Spitze ein imposanter Adler saß, der seine Flügel aufgespannt hatte. Die deutsche silberne Schrift darauf konnte sie nicht lesen:

„Tina, was heißt das?“, fragte Enni vorsichtig.

„Alle Fehler sind vergeben.“, übersetzte sie flüsternd. Sakada stellte sich neben sie:

„Was war zwischen dir und diesem Typen?“, fragte sie weiter. Tora atmete tief durch:

„Vielleicht erzähle ich es dir irgendwann. Lass mich jetzt bitte allein.“, bat sie.

„Gut, wenn du was brauchst…“, beendete sie den Satz gar nicht und ging.

Auf dem Weg zum Bunker kaufte sie noch die süßeste und chemischste Limonade, die es auf dem Planeten gab. Sie war noch eisgekühlt als sie die Dose Ken hinstellte:

„Wofür habe ich diese Nettigkeit verdient?“, fragte er leicht misstrauisch.

„Dafür, dass du dich mit Inato rumschlägst.“, meinte sie.

„Warst du bei Tora?“

„Ja, aber sie will im Moment niemanden bei sich haben.“

„Ja.“, sagte er wissend: „Hast du heute Abend schon was vor?“, fragte er weiter.

„Wieso?“

„Ich brauche die Grundrisse von zwei Gebäuden. Du wirst sie mir aus dem Bauamt besorgen.“, verlangte Ken.

„Natürlich, hat das Amt noch auf?“

„Ja, aber diese Grundrisse stehen unter Verschluss.“

„Habe ich mir gedacht, ich wollte mir einfach die Mühe eines Einbruches ersparen.“, sagte sie zu ihm, suchte sich ihr Material zusammen und verschwand:

-Die Kleine beginnt ökonomisch zu denken. Sie könnte mal richtig gefährlich werden.-, ging Ráion durch den Kopf.
 

Sie betrat das Bauamt, das sich in einem riesigen Gebäudekomplex befand. Sie sah sich den Wegweiser zu den verschiedenen Büros und Archiven an. Insgesamt befanden sich zweihundert Büros und fünfunddreißig Archive in dem Haus. Für jeden Stadtteil ein Archiv und ebenfalls für das angeschlossene Umland:

-Da ist es ja. Archiv Shinjuku, Etage vier, Raum vierhundertachtundsechzig.- Als sie davor stand: -Beschissene Fluchtmöglichkeiten, Alarmdrähte an der Tür, um aus dem Fenster zu springen ist es zu hoch. Warum bleiben diese blöden Einbrecherjobs in letzter Zeit immer an mir hängen?-

„Was machen sie hier oben?“, fragte ein Uniformierter.

„Oh! Tut mir leid. Ich wollte zum Büro von Hikami- san, aber ich habe mich total verlaufen.“

Freundlich wie er war, begleitete er sie zu diesem Büro. Zum Glück war es gerade besetzt, so dass der zuvorkommende Beamte sie auf dem Flur ließ und ging. Als er außer Sichtweite war, suchte sie sich ein gutes Versteck, um die Schließung des Gebäudes abzuwarten.

Sie fand einen offenen Materialraum, wo Büroutensilien aufbewahrt wurden, sie verkroch sich unter einem Metallregal. Es war äußerst staubig.

Um kurz nach Mitternacht verließ sie mit Fotos der Pläne und ohne Alarm auszulösen das Bauamt. Sie lief über den Rasen, als sich ihr plötzlich jemand in den Weg stellte:

„Du bist wirklich gut. Sich einschließen zu lassen und sich dann holen was man braucht. Den unkompliziertesten Weg rein und den kürzesten wieder raus.“, meinte Steven Steel.

„Sie! Was wollen sie?“, zischte Néko.

„Statt einer wundervollen Nacht, wache ich mit Kopfschmerzen auf. Es gibt kaum jemanden, der mich noch überraschen kann.“, sinnierte er.

„Auf welcher Seite stehen sie?“, wollte Enni nun wissen.

„Sagen wir so, ich habe meine eigene Seite. Die, die mir im Weg stehen und die Anderen.“

„Anscheinend sind sie sich bei mir nicht sicher.“, stellte sie fest.

„Wie kommen sie darauf?“

„Ich atme noch.“

„Schön und clever, so sind mir die Frauen am liebsten.“, lachte er.

„Was wollen sie von mir?“, fragte Sakada noch einmal.

„Nur eine charmante Kollegin kennenlernen.“

„Steel, ich bin nicht ihr Typ.“, meinte sie freundlich, distanziert. Sie wusste, dass sie sehr vorsichtig sein musste.

„Das lassen sie mal meine Entscheidung sein.“

Néko versuchte seine Absichten zu erkennen, doch sie konnte kaum reagieren, als er ihre rechte Hand auf ihren Rücken drehte und mit seinem linken Arm um ihren Hals fasste:

„Ich könnte dich mit einer kleinen Bewegung töten, aber ich will dich nur warnen und deine Mentoren.“, flüsterte er ihr ins Ohr:

„Vor wem oder was?“, fragte sie leise.

„Vor allem vor euch selbst. Selbstüberschätzung ist gefährlich.“, zischte er ihr ins Ohr und ließ sie dann los: „Möchten sie einen Tee?“, fragte er jetzt fröhlich.

„Nein.“, sagte sie.

„Zu einem Beischlaf kann ich sie wohl auch nicht überreden?“, grinste Steven jetzt.

„Wenn ich mit ihnen schlafen wollte, hätte ich es neulich Abend genutzt und danke für die Warnung.“, meinte Enni, griff in ihre Jackentaschen und holte zwei Wanzen mit GPS heraus. Sie ließ sie auf den Boden fallen und trat drauf. Sie sah den großen Mann dabei an:

„Ich habe immer gerne was in der Hand. Alte Gewohnheit.“, meinte er lässig. Sie ging zu ihrem Auto:

-Seine Gefährlichkeit reicht an die von Ken und wenn ich ihn richtig einschätze…- Sie zog ihre Jacke aus und schüttelte sie. Ein weiterer Minisender fiel auf den Asphalt.
 

*physiologisch = körperlich

* neurologisch = geistig

Wahnsinn

Wahnsinn

„Ken!“, rief sie in den Bunker und betrat ihn:

„Was?“, tönte es von der Fernsehcoach.

„Habe deine Pläne.“, sagte sie.

„Gut, in deinem Schlafzimmer ist eine Überraschung für dich.“, sagte Ráion.

„Aha.“, meinte sie etwas desinteressiert: „Ich trinke jetzt erst mal was.“ Sie wusste nicht was vor sich ging und das machte sie nervös:

„Hast du mein Bett vermint?“

„Du traust mir wohl alles zu?“, meinte er. Sie lachte sarkastisch.

„Du bist ein Killer, gibt es eine Sünde die du noch nicht begangen hast?“

„Wenn du so fragst, nein. Aber es ist nichts bösartiges, versprochen.“, grinste er. Sie ging vorsichtig in ihr Zimmer, böse Überraschungen erwartend:

„Neo!“, sie lief zum Bett auf dem er saß: „Was machst du hier? Ich denke die Ärzte wollten dich noch eine Woche da behalten?“, fragte sie.

„Ich fühlte mich einsam und wollte dich sehen.“, sagte er. Sie kam langsam auf ihn zu:

„Machst du eigentlich nie was man dir sagt?“, fragte sie und berührte seine Wange.

„Selten.“, lächelte er sie an. Beide küssten sich sanft.

In der nächsten Wochen brachte Néko ihn weiter auf die Beine. Sie förderte vor allem seine Ausdauer, machte mit ihm Muskelaufbautraining. Denn durch die lange Zeit im Krankenhausbett waren seine Muskeln abgebaut worden.

Hotaru wurde auf dem Laufenden gehalten, worauf Enni bestanden hatte. Sie wusste genau wie es war, wenn man rausgehalten wurde. Die beiden Frauen waren nicht die engsten Freunde, aber sie respektierten und zu einem gewissen Grad trauten sie einander.

Sie brachte Neo auch zu den Untersuchungen im Krankenhaus.

Der Arzt staunte, was er für Fortschritte machte und schrieb ihn bald wieder diensttauglich.

„Es war schön dich hierzuhaben.“, sagte Enni mit Bedauern in der Stimme, als Neo ihr davon erzählte. Sie senkte ihren Kopf:

„Hey, sieh mich an. Ich werde auf mich aufpassen und ich danke dir.“ Sie schaute in seine Augen: „Ich liebe dich.“, sagte er sanft und küsste sie leidenschaftlich.

Sie ließ ihn gehen und schaute ihm schmachtend nach. Dann verschloss sie die Tür und kehrte in den Bunker zurück:

„Nachdem eure Flitterwochen jetzt um sind, kannst du dich wieder auf die Arbeit konzentrieren?“, fragte Ken.

„Ich bin immer auf die Arbeit konzentriert.“, meinte sie übellaunig.

„Tora!“, rief er: „Kommt bitte her, ich will euch jetzt meinen Plan für Inato zeigen.“, sagte er und packte Pläne auf den Tisch. Die einzige Reaktion, die Néko dafür hatte:

„Das kannst du nicht ernst meinen!“

„Wieso nicht?“, fragte Ken.

„Wir sollen morgen Vormittag um zehn Uhr in diesen Wolkenkratzer spazieren, in die oberste Etage fahren und Inato umbringen? Das ist Irre.“, sagte sie.

„Und genau deshalb funktioniert es.“, meinte Ken.

„Selbstüberschätzung ist tödlich.“, erwähnte sie Steven Steels Warnung. Mit einem Mal flog ihr eine Faust entgegen, doch sie blockte ab:

„Tora, was meinst du dazu?“, fragte sie sie. Doch Tina grinste nur: „Er hat dich schon überzeugt, nicht wahr?“ Diese nickte. Néko fasste sich in die Haare und zog leicht daran:

„Das ist Wahnsinn, aber ich werde mitmachen. Wie komme ich in den Keller.“, fragte die un-Überzeugte jetzt. Ráion erklärte, wie sie vorgehen sollte, um die Kameras und Sicherheitsanlagen auszuschalten. Er hatte ihr einen Ausweis der Sicherheitsfirma besorgt, damit sie ins Gebäude kam.

Im Keller stand sie jetzt vor den Sicherungskästen des Sicherheitssystems und schaltete es aus:

„Ráion, Tora die Tür ist offen.“, flüsterte sie in ihr Mikro. Die zwei verschafften sich durch eine Hintertür Zugang und stiegen in den Lastenfahrstuhl, der vom Keller bis unter das Dach ging.

In der einundvierzigsten Etage öffneten sich die Türen und die Beiden Auftragskiller traten heraus. Das edle und Geschmackvolle Ambiente von Inatos Etage ließ auf einen teuren Innenarchitekten und Raumdesigner schließen:

„Nicht schlecht.“, sagte Ken. Es war nicht ein Mensch zu sehen, denn die Sekretärin saß einen Stock tiefer. Also gingen sie auf das Büro zu.

Sie klopften:

„Ja bitte.“, erschallte es aus dem Raum. Ken und Tina nickten sich zu und stürmten das Büro.

Es war leer.

Plötzlich kam aus der Decke ein Maschinengewehr, das sofort feuerte. Beide sprangen aus dem Weg.

Das Nächste, was Néko mitbekam, war eine gewaltige Explosion:

„Nein.“, nahm sie das Schlimmste an, pachte ihre Sachen ein und verschwand.

Die Menschen, die in dem Wolkenkratzer arbeiteten flohen in Panik. Beide oberen Etagen waren nicht mehr vorhanden. In der Dori herrschte ein Trümmerregen, der Menschen verletzte, Häuser und Autos zerstörte.

„Ist bei dir alles in Ordnung?“, fragte Ken. Sie hingen in der zwanzigsten Etage, mit Hilfe von Scheibensaugern, im mannsdicken Abfallrohr:

„Geht’s dir gut?“, fragte Ken.

„Außer das mir das halbe aus um die Ohren geflogen ist, FANTASTISCH!“, fauchte sie laut: „Ich hätte auf Néko hören sollen!“

Diese lag nachdem sie nachhause gekommen war, auf der Coach. Ihr Gefühlsleben war unter dem Schock taub.

Die Tür ging auf und sie schreckte sie hoch:

„Wie seid ihr… Ich dachte ihr seid…“

„Tot, von so einer lächerlichen Bombe!“, knallte Tina ihr Einsatzzeug auf den Tisch.

„Wie habt ihr das überlebt?“, fragte Enni.

„Müllklappen.“, sagte Ken nur. Tora ging an ihm vorbei ins Bad, duschte sich und verschwand danach fast sofort im Trainingsraum. Sie wütete an den Boxsäcken. während Ken sich einen Kaffee machte.

Im Bunker war es über Stunden still, außer dem dumpfen Geräusch der schlagenden Tora:

„Ich werde zu deinem Bruder gehen.“, meinte Enni, die diese Stimmung nicht leiden konnte. Sie nahm ihre Sachen und ging.

Als sie mit Neo über den halbdunklen Friedhof spazierten:

„Du hast Glück, dass ich heute kommen konnte. Hast sicher gehört, dass irgendwelche bekloppte Terroristen einen halben Wolkenkratzer in die Luft gejagt haben. Es ist allerdings noch nicht bekannt, wer das war.“

„Ich habe es gehört und zwar aus nächster Nähe.“, sagte sie locker.

„Wie..?“, war er verwundert.

„Ráion, Tora und ich waren drin. Wir liefen in eine Falle.“

„Habt ihr das Hochhaus gesprengt?!“, fauchte er fast.

„Hey, wir haben weder was mit der Explosion zu tun, noch war es meine Idee, da mitten am Tag rein zu spazieren. Also mecker nicht mit mir.“, verschränkte sie die Arme vor der Brust.

„Ken!“, fluchte er.

„Jap.“, presste sie ihre Lippen zusammen.

„Ich bringe diesen Kerl um!“, schimpfte er laut.

„Vielleicht erledigt Tora das vorher. Ich habe sie noch nie so wütend erlebt.“

Plötzlich bekam sie einen Tropfen ab, dann standen sie in einem starken Schauer. Binnen Sekunden waren ihre Sachen durchgeweicht. Neo nahm ihre Hand und zog sie mit zum Auto. Sie kamen bis auf die Knochen durchnässt dort an:

„Igitt, eigentlich hatte ich heute schon geduscht.“, meinte Enni und sah zu Misaki hinüber. Seinen Hinterkopf hielt er an die Lehne. Seine schwarzen halblangen Haare glänzten vom Regen:

„Lass uns nachhause fahren und uns trockene Sachen anziehen.“, meinte er, die Augen öffnend und den Motor startend. Sie lächelte, ihr gefiel es wenn er von Zuhause sprach.

Dort angekommen, zogen sie sich trockene Sachen an. Der Regen hatte nicht ein bisschen nachgelassen und trommelte an die Fenster. Die schwarzen Wolken wirkten bedrohlich.

Néko sah gedankenverloren aus dem Ostfenster. Er holte etwas aus einem Schrank und ging dann zu ihr:

„Enni, ich habe etwas für dich.“, flüsterte er ihr ins Ohr. Sie lehnte sich an ihn und schloss die Augen:

„Mmh.“, gab sie einen Zufriedenheitslaut von sich. Er legte ihr eine Kette mit einem eingefassten kleinen grünen Smaragd. Auf der Silberfassung stand:

„Ich gehöre dir“

„Bist du wahnsinnig?“, fragte Néko.

„Ich bin aus der Familie Misaki und du fragst mich, ob ich verrückt bin.“, grinste er.

„Neo, das ist wunderschön.“, war sie tief gerührt, drehte sich zu ihm um und küsste ihn.

Mit einem Mal zuckte ein greller Blitz über den Himmel, die gesamte Nacht über hielt sich dieses Gewitter über der Stadt, aber sie störten sich nicht daran.

Nékome

Nékome

Ein paar Wochen später hatte sich die Panik vor weiteren Anschlägen gelegt. Offiziell hatte sich ein Gasleck gebildet, das sich entzündet hat und alles oberhalb der neununddreißigsten Etage zum explodieren gebracht hatte. Wie Inato es geschafft hatte, mehrere Kilo Sprengstoff als Gas darzustellen, war den Auftragskillern schleierhaft. Wie beim elften September gingen auch die verschiedensten Verschwörungstheorien durch die Medien, aber schon bald hatten die Leute davon genug.

Die Schlagzeilen richteten sich jetzt wieder auf Wirtschaft, Politik und Verbrechen. Néko besorgte gerade für die Bunkerbewohner Frühstück, als auf dem PC der Auftragskiller eine e- Mail erschien:

„Es ist ein neuer Auftrag gekommen!“, rief Ken Tora zu: „Ich denke den können wir Néko überlassen.“, meinte er. Tina kam, um sich das anzusehen:

„Ich denke auch.“, sagte Tora, nachdem sie sich das Ziel angesehen hatte.

Als Enni in den Bunker zurückkam und den Frühstückstisch mit Brötchen ausgestattet hatte:

„Néko, wir haben einen Job für dich.“, sagte Ken. Sie blickte auf:

„Wen darf ich denn beehren?“, fragte Néko etwas misstrauisch.

„Nékome.“, meinte Tina kurz.

„Die Kunstdiebe?“, fragte sie.

„Genau die, das überlassen wir dir.“, meinte Ken: „Hast du Mohnbrötchen bekommen?“

Enni nahm eins und schmiss es ihm entgegen. Ohne Probleme fing er es:

„Danke.“

Néko nahm sich ein Milchhörnchen, belegte es mit einer Scheibe Wurst und sagte:

„Ich bin dann in der Bibliothek.“

„Wieso? Du kannst dir die Informationen auch aus dem Internet runterladen.“, meinte Tora.

„Das schon, aber wenn ich das hier mache, guckt mir Ken alle sieben Minuten über die Schulter und das kann ich nicht haben.“, erklärte sie, biss von ihrem Wurstbrötchen ab und ging. Tina grinste ihn an:

„Das hast du bei mir früher auch gemacht.“

„Ja, aber du bist nicht so empfindlich wie Néko. Kaffee?“, fragte er.
 

Enni kam an der Bibliothek an, als diese gerade öffnete. Sie konnte auch gleich an den Computer, der sämtliche Artikel aller Zeitungen Japans seit neunzehnhundertneunzig gespeichert hatte und täglich kamen mehr dazu.

Sie gab das Stichwort ein:

„Nékome“

Sie erfuhr, dass er oder sie seit etwa vier Jahren sein Unwesen trieb. Gewitzt und manchmal sogar dreist bekamen sie alles was sie haben wollten. Meist Gemälde, manchmal aber auch Statuen, Schmuckstücke oder Edelsteine. Sie standen im Ruf, dass sie nie einen Menschen verletzten. Sie ließen eher für den Moment von der Beute ab, als irgendwen zu gefährden, aber letztendlich holten sie sich, was sie wollten.

-Die passen eigentlich weniger in unser Schema.-, überlegte Néko. Sie machte sich Notizen über Namen und die ermittelnden Beamten. Einer schnitt in der gesamten Presse ziemlich schlecht ab. Es handelte sich um einen Polizisten, ungefähr in Neos Alter, Detektiv Uzumi Toshi. Alle seine Pläne, die Katzen zu fangen, waren gescheitert.

-Vielleicht hängt er da mit drin. Wäre nicht der erste Polizist, der mit Verbrechern zusammen arbeitet.-, ging ihr durch den Kopf. Sie packte ihren Block ein und verließ die Tokioer Bibliothek.

Enni machte sich auf dem Weg zum Raubdezernat. Es war ein großer mehrstöckiger Betonklotz. Sie parkte eine Seitenstraße weiter, um einen Blick darauf zu werfen. Sie lief um das Haus und entdeckte ein Café, das im Wintergarten eines Hauses. Es war ideal als Beobachtungsposten, denn es lag direkt gegenüber vom Eingang des Dezernates. Néko traute ihren Augen nicht, als sie am Namensschild vorbei ging. Es war der englische Name für Nékome, Cats Eye. Sie musste Schmunzeln und betrat das Café.

Hinter dem Tresen stand eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, die sie freundlich begrüßte.

„Guten Tag, kann ich einen Kakao bekommen?“, fragte Sakada.

„Natürlich.“, meinte Kisugi Hitomi.

Sie setzte sich so, dass sie die Eingänge von Café und Dezernat im Blick hatte. Fünf Minuten später kam der Kakao:

„Lassen sie ihn sich schmecken.“, wünschte die Wirtin.

„Danke sehr.“ Enni nahm die Tasse und probierte das Getränk: „Mh, sehr gut.“, lobte sie.

„Vielen Dank.“, sagte Hitomi und ging wieder zum Tresen. Aus dem Polizeirevier kam jetzt ein junger Mann, in einem türkisen Sakko direkt ins Café:

„Hitomi, ich brauche dringend einen Kaffee. Mein Chef macht Terror, weil mir Nékome letztes Mal wieder entwischt ist. Bevor er wieder anruft, brauche ich ein wenig Koffein im Körper.“, sagte er und schimpfte weiter über seinen Chef.

Enni schmunzelte und versuchte es mit Kakao trinken zu verbergen.

In das Cat´s Eye kam jetzt eine weitere Frau:

„Uzumi!“, rief sie rein.

„Was ist denn Asaja?“, fragte Toshi. Die Frau, mit strengem Haarknoten und Brille erinnerte Enni an Monosuki. Sie war vielleicht Mitte dreißig.

„Sie wollten zehn Minuten Pause machen, inzwischen sitzen sie hier eine halbe Stunde. Der Chef will sie im Büro sehen!“, verließ Unterinspektorin Asaja das Café.

„Also Hitomi, wir sehen uns heute Abend.“, stand Uzumi auf.

„Nimm den deinem Chef mit, wird ihn vielleicht etwas beruhigen.“, reichte sie ihm einen Pappbecher mit Kaffee.

„Danke.“, lächelte er und ging zurück zum Raubdezernat.

Die ganze Zeit über hatte Enni nicht aufhören können zu grinsen:

„Was ist so lustig?“, fragte Hitomi nun.

„Es ist nur, mein Koibito ist auch Keikan. Es hört sich eins zu eins, wenn er nachhause kommt.“, meinte Néko. Auch Kisugi lächelte jetzt:

„Polizisten sind schon eine Spezies für sich, aber…“

„Aber auch süß, zumindest ein paar.“, beendete Sakada den Satz: „Ich würde dann gerne bezahlen.“

„Natürlich.“ Hitomi ging an die Kasse, zog den Bon und ging zu ihr. Enni zahlte den Betrag und verließ daraufhin das Café.

Am nächsten Vormittag war Enni wieder da. Sie saß auf demselben Platz und bestellte wieder einen Kakao, nur dieses Mal stand Hitomis Schwester Nami am Tresen.

Irgendwie war die Situation gespannt, alle schienen auf was zu warten, als plötzlich ein Alarm im Polizeirevier losging:

„Was ist denn da los.“, fragte Néko Nami.

„Keine Ahnung.“, meinte diese nur. Nur Sekunden später kam die jüngste Schwester, Love, herein:

„Alles erledigt.“, sagte sie unbedacht. Nami schüttelte kaum merklich mit dem Kopf.

„Auch deine Englisch Hausaufgaben?“, versuchte sie abzulenken. Es schien, als habe sie Love aus der euphorischen Stimmung geholt:

„Nein, die noch nicht.“, maulte sie.

Néko ahnte, dass das erste nicht auf Hausaufgaben bezogen war.

Im Polizeirevier war immer noch eine Menge los. Eine Hundertschaft von Polizisten nahm Aufstellung. Hitomi kam aus der Küche:

„O hayo, Miss.“, erkannte sie Enni wieder.

„Hallo.“, sagte diese freundlich und lächelte: „Ich schwärme für ihren Kakao.“

„Sehr freundlich.“, verbeugte sie sich leicht.

„Hitomi, schnell einen Kaffee zum Mitnehmen. Ich muss ins Tokio Nationalmuseum!“, kam Toshi rein gestürmt.

„Ist was passiert?“, fragte sie.

„Wir haben bis morgen Abend Zeit zu überlegen, wie wir Nékome fangen. Sie wollen sich den schwarzen Obelisken holen und dieses Mal erwische ich sie!“, sagte er.

„Dann viel Glück.“, lächelte Hitomi, als sie ihm den Kaffee gab.

„Danke.“, sagte Uzumi und war ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war.

In Nékos Gedanken nahm gerade ein Plan Gestalt an, aber sie musste sich beeilen. Sie bezahlte ihr Getränk und fuhr zurück zum Hauptquartier.
 

Morgens um drei Uhr schallten im Nationalmuseum die Alarmglocken. Die Vitrine, in der der schwarze Obelisk gestanden hatte, war aufgebrochen und leer, nur eine Visitenkarte lag drin. Auf der stand:

Ich bin nicht Nékome.
 

Die Wachleute waren verwirrt und obwohl sich Toshi bewusst war, dass ein Verbrechen geschehen war, war er doch Schadenfroh, dass Nékome ein Schnippchen geschlagen wurde.

Er hielt sich, während Néko auch wieder da war, im Café Cat´s Eye auf:

„Die Katzen müssen fuchsteufelswild sein, dass ihnen jemand die Beute vor der Nase weggeschnappt hat.“, lachte er. Die Blicke der drei Schwestern durchbohrten ihn fast. Enni wunderte sich, dass er das nicht mitbekam:

„Katzen lassen sich ungern ins Handwerk pfuschen. Hi hi.“

„Solltest du nicht lieber los, um die „Nicht- Nékome“ zu schnappen?!“, fauchte Love los. Er sah sie an:

„Du bist noch jung, darum verzeihe ich dir, dass du ein Fan von diesem Dieb bist.“, meinte Uzumi großzügig: „Aber eventuell sollte ich wirklich rüber gehen. Also, einen schönen Tag meine Damen.“, sagte er und ging.

„Es ist so eine Gemeinheit!“

„Love! Wir haben Gäste.“, schimpfte Nami.

„Ich gehe nach oben.“, sagte sie schnippisch und verließ das Lokal durch die Tür, die ins Haus führte.

„Verzeihen sie.“, meinte Hitomi zu Néko.

„Schon gut, ich kann die Enttäuschung nachvollziehen.“, sagte Enni, um ihren schon gewonnenen Verdacht zu überprüfen. Die Halsschlagader von Kisugi begann stärker zu pulsieren:

„Was meinen sie damit?“, fragte sie. Néko entschied sich für ein riskantes Spiel:

„Ich frage mich, wie weit Nékome gehen würde, um ihren Schatz zurück zu bekommen.“ Nami und Hitomi sahen sich an:

„Na ja, ich gehe jetzt. Vielen Dank für den Kakao.“, meinte Enni, legte das Geld auf den Tisch und ging:

-Wenn sie es sind, wird mir eine von ihnen folgen.-, war sie sich sicher und ging in den, in der Nähe liegenden Park. Sie hörte niemanden hinter sich, bis sie eine einsame Wiese betrat, die von Bäumen umgeben war. Sie nahm wahr, dass jemand in ihre Richtung sprang. Sie drehte sich um, ließ sich fallen und trat Hitomi in den Bauch. Diese stöhnte kurz, stand aber gleich wieder auf:

„War ich also doch auf der richtigen Spur.“, grinste Enni sie an.

„Du hast unseren Obelisken und den wollen wir zurück.“, meinte Kisugi.

„Was liegt euch an diesen Kunstwerken? Warum stehlt ihr sie?“

„Das werde ich dir nicht sagen!“, fauchte sie und griff Néko erneut an. Sie blockte die Schläge und nahm sie in den Polizeigriff:

„Jetzt höre mir genau zu Nékome! Ich habe den Auftrag erhalten euch zu eliminieren. Ihr habt eine Chance dem zu entgehen. Sagt mir weshalb ihr stehlt und ich lasse dich und deine Schwestern in Ruhe.“, Hitomi war geschockt. Sie sah Enni an, drehte sich um und lief zurück.
 

„Wie weit bist du bist du mit Nékome?“, raunzte Ken sie an als sie Nachmittags am Schreibtisch saß.

„Braucht dich nicht zu interessieren. Du hast den Auftrag mir überlassen!“, schnauzte Enni zurück.

„Wirst du damit fertig?“

„Allerdings und jetzt lass mich in Frieden arbeiten.“, sie wendete sich wieder dem PC zu. Sie hatte Hitomi eine kleine Wanze angehängt, so wie es Steel bei ihr versucht hatte. Durch einen Knopfkopfhörer hörte sie jetzt die Gespräche der Schwestern und eines Mannes, der sie sehr gut zu kennen schien. Er wusste um ihr Geheimnis:

„Hitomi, sind sie sicher, dass diese Frau es ernst meint?“, fragte er.

„Jemand der vor uns den Obelisken holt, uns ausfindig macht und mich besiegt, ist ein Profi.“, meinte die mittlere Kisugi- Schwester.

„Meinst du sie lässt uns am Leben, wenn wir ihr unser Familiengeheimnis erzählen, dass wir nicht aus Habgier stehlen?“, fragte Love: „Und was ist mit unserem Obelisken?“

„Nagaishi- san, was sollen wir tun?“, fragte Nami.

„Ich sehe leider nur zwei Möglichkeiten und die werden ihnen beide nicht gefallen.“, er machte eine Pause:

„Entweder sie verraten ihr Geheimnis und hoffen, dass sie sie am Leben lässt oder sie packen schnellst möglich ihre Sachen und verlassen Japan sofort.“

„Nein!“, waren alle drei aufgebracht.

„Vielleicht können wir sie besiegen?“, meinte Love hoffnungsvoll.

„Nicht ohne, dass eine von uns verletzt oder gar getötet wird.“, sprach Hitomi Klartext. An der Cafétür klopfte es:

„Das ist sicher Toshi, wir waren für heute verabredet. Ich sage ihm ab.“

„Geh ruhig.“, sagte Nami, es klang eher wie ein Befehl.

„Also gut.“, meinte Kisugi Hitomi, stand auf und ging.

Toshi führte sie in den Tokio Vergnügungspark. Dieser lag mitten in der Stadt. Als sie darüber streiften, war Hitomi mit ihren Gedanken ganz woanders:

„Was ist los mit dir?“, fragte Toshi: „Langweilt der Park dich?“

„Nein.“, antwortete sie geistesabwesend.

„Dann stört dich die Gesellschaft?“, blickte er traurig nach unten und blieb stehen.

„Ach Toshi, es tut mir leid. Du kannst nichts dafür.“, sie drehte sich um und stand ihm jetzt gegenüber. Kisugi berührte seine Wange mit ihren Fingerspitzen:

„Kannst du mir verzeihen. Im Moment haben wir im Café ein Problem, deshalb bin ich so abgelenkt.“

„Kann ich dir vielleicht helfen oder was organisieren?“, fragte Uzumi. Sie lächelte:

„Organisiere mir mal eine Zuckerwatte. Ich warte hier.“

„Kommt sofort.“, sagte er und lief los.

„Er hat keine Ahnung, oder.“, fragte plötzlich jemand hinter ihr und erschreckte sie.

„Bitte, bitte lassen sie ihn da raus. Das geht nur sie und mich was an.“, bat sie Néko.

„Triff mich mit deinen Schwestern auf der Lichtung, wo wir uns das erste Mal gegenüber gestanden haben. Heute Nacht um zwei.“

„Hitomi!“, brüllte Toshi quer übern Platz. Sie drehte sich kurz zu ihm um, als sie wieder zu Enni blicken wollte, war diese Verschwunden:

„Guck mal, es gab Zuckerwatte mit Gesicht. Ist die nicht witzig. Kisugi sah auf das Clownsgesicht, das mit Lebensmittelfarbe auf die Watte gespritzt worden war:

„Ja, die ist niedlich.“, lenkte sie von ihrer Panik ab.
 

Nachts, um die vereinbarte Zeit standen die drei Schwestern auf der Lichtung. Sie standen eng aneinander und blickten sich nervös um.

Die Auftragskillerin trat aus den Bäumen:

„Wie habt ihr euch entschieden?“, fragte Néko leise.

„Nun, wir…“, Nami atmete tief durch: „Wir suchen unseren Vater. Ihm gehörten all die Kunstwerke, bevor sie ihm gestohlen wurden.“

„Wir versuchen über diesen Weg eine Spur von ihm zu finden.“, sagte Kisugi Hitomi.

„Mh.“, Enni drehte sich um und schloss kurz die Augen:

„Néko! Worauf wartest du!“, raunzte Ken und trat mit Tora aus einem Gebüsch hinter ihr. Beide trugen Skimasken.

„Wir werden sie nicht töten!“, war sie sich jetzt sicher.

„Und wieso nicht?”, fragte Tora.

„Weil kein Grund besteht. Weder töten sie, noch stehlen sie aus Habgier!“, meinte Enni. Ken hob seine CZ im selben Moment richtete sie ihre New Nambu auf ihn:

„Tora?“, fragten beide.

„Néko, ich enttäusche Shuryõka ungern.“, sagte sie.

„Dann war das mit der Überzeugung damals nur ein Spruch von dir?!“, fragte sie barsch, immer noch auf Ken zielend:

„Ráion, nimm die Waffe runter. Du auch Néko. Nékome, ihr könnt nachhause gehen.“, sagte Tina.

„Ist das dein ernst?“, fragte Misaki.

„Ja.“, meinte sie nur, drehte sich um und ging.

„Darüber reden wir zwei noch.“, meckerte Ken und verließ die Lichtung ebenfalls. Die Kisugi- Schwestern hatten sich keinen Zentimeter bewegt. Sie waren verwirrt über die eben gesehenen Ereignisse.

„Ihr könnt jetzt gehen. Ich kümmere mich darum, dass meine Auftraggeber niemand anderen auf euch ansetzen.“, erklärte Enni.

„Wie können wir dir danken?“, fragte Hitomi.

„Vielleicht könnt ihr mal was für mich klauen.“, scherzte sie: „Lebt wohl.“, sagte Sakada noch und verschwand.

Hinten im Wald wartete Ken auf sie:

„Und wie willst du Shuryõka davon abhalten, dass jemand anderes der Job gegeben wird?“, fragte er.

„Ich werde mich mit ihnen treffen.“

„Herr Gott!“, fluchte Ráion und ging. Enni sah Tora an:

„Es tut mir leid, aber ich denke es ist richtig ihnen zu helfen.“

„Schon gut. Du hast mich daran erinnert, dass wir trotz allem Menschen sind. Ach ja, viel Spaß bei Shuryõka.“, sagte Tina.
 

Es war bereits dunkel als Mitamura am Waldstück ankam. Enni wartete angelehnt an einem Baum:

„Wissen sie, wie gefährlich es ist, wenn wir uns treffen!“, fluchte Kaoru.

„Ich will ihnen nur sagen, dass wir Nékome nicht töten werden.“

„Dann werden wir jemand anderes finden.“, meinte Mitamura.

„Ich habe mich falsch ausgedrückt: Wir wollen sie nicht töten und auch nicht, dass es ein anderer Killer tut.“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Es bedeutet wohl, dass wir Nékome von unserer Liste streichen müssen.“, sagte plötzlich Hana, der hinter einem Baum hervor kam.

„Warum wollen sie diese Verbrecher schützen?“, fragte er.

„Das ist eine Sache zwischen mir und Nékome und geht keinen etwas an. Kaoru wurde wütend:

„Sie werden diesen Auftrag annehmen, sonst…“

„Sonst was!“

„Nun ich weiß, dass sie Misaki Neo recht…“

Mit einem Mal hallte ein Schuss durch die Luft. Die Kugel war direkt durch Kaorus linke Kreole, dicht an ihrem Hals vorbei gegangen:

„Ich hoffe sie verstehen mich!“, knurrte Enni und verschwand.

„Alles in Ordnung?“, fragte Hana: „Es ist nicht gut einen Auftragskiller zu reizen.“

„Sollen wir Nékome wirklich aufgeben?“, fragte Mitamura recht zittrig.

„Solange sie unter deren Schutz steht, würden wir es nicht überleben, wenn sie auf der Liste bleiben.“, meinte Hana, sich umsehend.
 

Wenige Stunden später saß Enni an der Klippe der Tokio Bay. Ihre Beine baumelten am Rand. Der Lichtkegel des Leuchtturms erhellte sie alle zwölf Sekunden. Sie hörte wie Hitomi näher kam und schloss die Augen:

„Hast du vor es ihm irgendwann zu sagen?“, fragte sie.

„Diese Frage stelle ich mir so oft.“, sagte Kisugi: „Weiß dein Keikan was du, na ja, machst?“

„Ja, wir haben uns so kennen gelernt. Das macht sicher vieles leichter. Enni stand auf, nahm den Rucksack und holte den Obelisken raus:

„Ich wünsche euch viel Glück beim Finden eures Vaters.“, sagte Néko und übergab ihr das Kunstwerk.

Hitomi sah darauf:

„Ich danke ihnen, dass sie unser Leben gerettet haben.“, verbeugte sich Nékome tief: „Wenn sie mal was benötigen…“

„Danke. Vielleicht kommt einmal der Tag, an dem eine Freundschaft mit mir nicht Lebensgefährlich ist.“, sagte Néko mit einem traurigen lächeln und ließ Kisugi am Leuchtturm stehen.

Taro

Sie fuhr direkt zu Neo, der selig ruhig in seinem Bett schlief. Sie wollte sich erst dazu legen, als sie plötzlich eine Entscheidung traf. Sie nahm Zettel, Stift, setzte sich in die Küche und schrieb einen Brief an ihn.

Am Morgen fand er den Umschlag, auf dem ein Kussmund zu sehen war. Er lächelte und machte ihn auf. Aus einem erfreuten wurde ein verwirrtes Gesicht. Er zog sich an, nahm den Brief und Autoschlüssel und machte sich auf den Weg in den Bunker. Kaum hatte er ihn betreten:

„Ken! Tora! Seit ihr da!?“

“Wer soll denn sonst hier sein!”, maulte Ráion.

„Enni ist weg!“, sagte er aufgebracht.

„Sie hat mir einen Brief geschrieben und ist weg. Sie schreibt, dass sie Abstand von ihrem Job braucht. Was ist passiert?“

„Eigentlich nichts, außer, dass sie ein anvisiertes, profitables Ziel verschont hat.“, meinte Ken noch sauer.

„Es war richtig.“, kam Tora jetzt ebenfalls aus dem Zimmer und ging auf Neo zu: „Gib mir den Brief.“ Sie sah auf die Zeilen:

„Geliebter Neo,

Ich muss für eine Weile fort. Ich kann dir leider noch nicht erklären warum, denn ich weiß es selbst nicht. Ich bin in der letzten Zeit so verwirrt. Vielleicht brauche ich einfach Abstand vom Töten, dem Leben unter der Erde…

Glaube mir, dass ich dich liebe und zurück kommen werde. Ich hoffe du und Tora könnt mir verzeihen.

Ich liebe dich. Deine Néko
 

Enni war inzwischen auf Okinawa angekommen und machte sich auf den Weg nach Süden zum verschlossenen Tempel.

Es war der, den sie schon von weitem mit Neo gesehen hatte. Sie erblickte die Dächer und Zinnen.

„Also da gibt es kein rüberkommen.“, sprach sie ein älterer Mann an: „Selbst wenn man an den Strand fährt, die Mönche weigern sich einen auf den Felsen zu lassen.“

„Mhh.“, meinte Enni: „Es muss einen Weg geben.“, sagte sie und ging zum Strand. Zu der kleinen Insel zu schwimmen war nicht das Problem, eher die steile Felswand im Winkel von fünfundachtzig grad und siebzig Metern im Freeklimbing zu erklettern. Es war schwierig, ein paar Mal wäre sie fast abgerutscht und gestürzt. Auf dem letzten Meter zerrte sie sich nach oben, denn es war kaum etwas da, woran sie sich festhalten konnte. Jetzt lag sie im weichen Gras auf dem Rücken und schnappte nach Luft.

Dann sah sie ihn, einen alten Mönch, der in Priestertracht auf sie zu kam. Sie drehte sich auf ihre Knie und verbeugte sich respektvoll:

„Mein Name ist Sakada Enni und ich bitte um Asyl.“, sagte sie

„Warum hast du das nicht unten am Strand gemacht?“, fragte er.

„Am Strand wäre es leichter gewesen mich abzuweisen. Ich bitte sie um ihre Hilfe.“

„Wobei könnten ein paar Mönche dir helfen?“, fragte er interessiert.

„Mich selbst zu finden.“, antwortete sie, sich noch immer verbeugend. ER sah sie an:

„Warum sollen wir eine hundertdreißig jährige Tradition brechen?“, fragte er mehr sich als sie.

„Ich bitte sie, es mit ihren Brüdern zu beraten.“, bat sie.

„Bleib hier sitzen und schließe die Augen. Du wirst sie erst wieder öffnen, wenn wir unsere Entscheidung getroffen haben.“, sagte der Glatzköpfige streng.

Sie tat was ihr geheißen und blieb an Ort und Stelle, als sich der Mönch mit den anderen beraten ging. Mit ihren verbliebenen Sinnen nahm sie die Umgebung war. Sie hörte zwei Seemöwen in der Ferne kreischen, spürte den Wind, der gleichmäßig über das Gras streichte, den Geruch von Ginkobäumen und des Salzwassers.

Der Mann, der sich ihr jetzt näherte, war nicht besonders schwer. Sein leichtfüßiger Gang ließ auf einen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen schließen:

„Das ist sie also!“, stellte eine alte Stimme fest. Konnte diese zu diesem jugendhaften Gang gehören?

-Unmöglich.-, dachte Enni. Sie zügelte ihre Neugier und hielt ihre Lider geschlossen. Er schleuderte ihr seinen rechten Fuß entgegen. Sie rollte sich weg, lies aber die Augen geschlossen:

„Du vermagst deine Angst zu beherrschen und deine Sinne zu benutzen. Was können wir bieten, was du nicht auch in einem anderen Tempel erreichen kannst.“

„Es ist dieser Ort. Die Abgeschiedenheit und Sicherheit die ich brauche um zur Ruhe zu kommen.“, sagte Néko. Sie konnte fast sehen wie er sie musterte, im Gras hockte und auf eine Entscheidung wartete:

„Du trägst ein Leben in dir.“, sagte der Mönch. Néko spürte wie ihr Körper zu zittern begann. Sie hatte es geahnt, verbot sich aber dieses zu glauben. Doch jede Verleugnung was jetzt zwecklos und davor hatte sie Angst:

„Du darfst bleiben. Öffne deine Augen.“, sagte der Hauptmönch Urime. Sie tat es. Vor ihr stand ein Mann von etwa 70 Jahren. Sein Kopf war kahl rasiert, wie der der anderen Mönche. Allerdings trug er einen langen grau- weißen Bart:

„Erhebe dich und lasse dir von Asana ein Quartier zuweisen.“, sagte er.

Das sogenannte Quartier war eine alte Abstellkammer, die scheinbar niemand mehr seit Jahren aufgeräumt hatte. Besen und Wischeimer standen daneben.

Néko verbeugte sich respektvoll vor dem jüngsten Mönch:

„Ich danke ihnen.“, meinte sie.

„Ich soll ihnen helfen.“, sagte er nüchtern. Sie verbeugte sich noch einmal kurz:

„Es reicht, wenn sie mir zeigen, wo ich die Sachen hinbringen kann.“, sie deutete auf die verstaubten Kisten. Er zeigte ihr, wohin sie die von ihr abgestaubten Kisten hinbringen konnte.

Sie brauchten bis etwa bis vier Uhr morgens die Kammer auszuräumen und einigermaßen bewohnbar zu machen.

Nachdem Asana die ersten paar Stunden recht schweigsam war, hatte Néko erfahren, dass seine „Hilfe“ eigentlich eine Strafe war, weil er gegen eine der Klosterregeln verstoßen hatte.

Nun lag sie auf dem Futon. Doch kaum hatte sie Augen geschlossen, klopfte es an der Tür:

„Herein.“, richtete sie sich auf. Urime trat mit einem strengen Gesicht ein:

„Dafür, dass du bleiben kannst, erwarte ich, dass du Arbeiten übernimmst. Du fängst heute in der Küche an.“

„Ja.“, sagte sie.

Enni schuftete in der Küche, im Garten, machte jeden Tag den Gebetsraum sauber, die meisten Mönche ignorierten sie. Insgesamt waren es nur drei, die überhaupt mit ihr sprachen. Das waren Asana, Urime und der, der sie am ersten Tag entdeckt hatte, Masanori. Er war der zweite Hauptmönch und entwickelte sich für sie zu einer Art Mentor. Insgeheim vermutete Enni, dass es ihm zu verdanken war, dass sie bleiben durfte.

Urime allerdings, war während der ganzen Zeit gegen sie. Sie hatte es gewagt, die altehrwürdige Tradition zu brechen und dafür belud er sie bis zum letzten Tag ihrer außergewöhnlichen Situation mit schwerster körperlicher Arbeit.

An diesem Abend halfen ihr schließlich Asana und Masanori die wichtigste Aufgabe in diesem Leben zu meistern. Wenige Tage später verließ sie das Kloster.
 

Es waren neun Monate vergangen, seit Neo seine Enni das letzte Mal gesehen hatte. Seit dem hatte es kein Lebenszeichen von ihr gegeben. Er ist in den ersten drei Monaten ständig im Bunker gewesen. Bis zu dem Tag als Ráion in rausschmiss. Den Brief, dem sie ihm geschrieben hatte, trug er in jeder Sekunde bei sich. Neo hatte ihn immer wieder gelesen und konnte daraus nur ihre eigene Verwirrung erkennen:

„Neo?“, nichts geschah: „NEO!“, sagte Hotaru nun deutlich. Sein Blick ging von seinem Schreibtisch zu ihr:

„Was ist?“, fragte Misaki.

„Du schläfst wieder mit offenen Augen.“, meinte sie: „Du denkst wieder an Kioko, nicht wahr.“, verwendete sie Ennis anderen Decknamen: „Du musst das endlich überwinden. Deine beziehungsweise unsere Arbeit leidet darunter.“, sagte sie in der kühlen Art, die Monosuki manchmal an sich hatte.

„Nicht jeder kann so rational sein wie du.“, schmollte Neo. Er wollte sich nicht besser fühlen. Er machte sich Sorgen. Auf seine Beine starrend und im Sessel zurücklehnend, schloss er die Augen.

Plötzlich ging sein Telefon:

„Misaki.“, nahm er den Anruf entgegen. Seine Partnerin spitzte die Ohren: „Was… natürlich komme ich.“, meinte Neo.

„Wer war das?“, fragte sie.

„Ich muss dringend weg. Entschuldigst du mich bei Hana?“

„Wieso?“, fragte Hotaru, verwundert über diese plötzliche Energie.

„Bitte, ich erkläre dir das später.“, meinte er, seine Jacke anziehend.

Jetzt stand er am Grab seiner Eltern und wartete. Misaki war nervös. Was war in den letzten Monaten geschehen? Würde er jetzt ihr verschwinden begreifen? War es wirklich Néko? Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als:

„Neo?“, hörte er hinter sich ihre weiche Stimme. Er drehte sich um und traute seinen Augen nicht. Vor ihm stand Enni, die völlig frei und zufrieden wirkte. Sie lächelte erst ihn, dann das kleine Wesen in ihren Armen an:

„Enni, ist…“, er konnte gar nicht weitersprechen, so überwältigt war er von seinen Gefühlen.

„Ja Neo, es ist dein, unser Sohn.“

Er war verunsichert, sauer, glücklich. Alles zur gleichen Zeit:

„Warum hast du nichts gesagt?“, fragte er flüsternd.

„Als ich ging wusste ich selbst noch nichts davon und es tut mir leid.“, entschuldigte sie sich. Er trat einen Schritt auf sie zu und nahm sie und seinen Sohn in die Arme:

„Ich bin so froh, dass du wieder da bist.“, meinte Misaki. Sie genoss diesen kurzen Augenblick der Nähe. An ihn geschmiegt begann sie zu flüstern:

„Neo, ich muss dich um etwas bitten…“, sie ging etwas zurück und sah ihm in die Augen: „Nimm du den Kleinen zu dir. Bei mir hätte er nie die Chance ein normales Leben zu führen. Sein Leben wäre bei mir immer in Gefahr.“, sie senkte den Kopf.

„Aber…, ich habe doch keine Ahnung von Babys.“, sagte der Vater verunsichert.

„Ich werde so oft es geht bei euch sein, um dich zu unterstützen.“, rollten ihr Tränen über die Wangen.

„Ich werde mich um unseren Sohn kümmern.“, wischte er ihr diese vom Gesicht, beugte sich vor und küsste Néko. Er ahnte was es für sie bedeutet haben musste dieses Baby, sein Baby zu bekommen:

„Ich werde mich um ihn kümmern.“, versprach er noch einmal: „Komm, gehen wir.“, sagte Neo und sie fuhren in zwei Wagen zu seiner Wohnung.

Zuerst dachte sie, sie hätten sich im Haus geirrt:

„Hast du renoviert?“, fragte Enni erstaunt.

„Ja, nachdem sie bei mir das Bad rausgehauen und dann neu gemacht hatten, sah alles, bis auf das Bad, aus wie nach einem Bombenanschlag. Also habe ich einen Teil meiner Ersparnisse geopfert, um es wieder auf Vordermann zu bringen.“

Der Flur, der kein Fenster hatte, wurde in einem warmen Orange gehalten. Eine schöne Bordüre war in der Höhe von einem Meter dreißig angebracht. Im Wohnzimmer war es zwar immer noch weiß, aber an der Wand über dem Sofa hingen zwei große bunte Zeichnungen auf schwarzen Hintergrund. Die neuen Möbel passten perfekt hinein.

Sie setzte sich mit dem Kind auf das Sofa:

„Es ist schön hier geworden.“, sagte Enni: „Hat dir jemand geholfen, dass auszusuchen?“

Neo hörte das gar nicht. Er genoss das Bild, das sich ihm bot. Seine Néko mit ihrem gemeinsamen Kind in den Armen und lächelte:

„Also hat dir jemand geholfen?“, fragte sie.

„Eh ja, die Mutter von Hotaru ist Raumdesignerin, dem entsprechend bin ich mit Monosuki losgezogen und habe eingekauft.“, erklärte er: „Wie ist eigentlich sein Name?“, fragte Neo jetzt.

„Ich habe an Taro gedacht.“, sagte sie.

„Wieso Taro?“

„Na ja, ohne Tora würde ich jetzt höchstwahrscheinlich meine Haftstrafe absitzen. Ich hätte dich niemals kennengelernt und ich dachte, weil es ähnlich klingt, gebe ich ihm den Namen. Ist das für dich in Ordnung?“

„Solange das kein unaussprechlicher deutscher Name ist.“, meinte er und kam zu ihr auf die Couch:

„Ich habe im Mietwagen noch ein paar Sachen für Taro. Unter anderem auch ein Buch für frische Väter.“, lächelte sie ihn nach ein paar Minuten an.

„Dann geht der frische Vater mal nach unten und holt das Zeug. Der grüne Audi, oder?“, fragte er noch einmal.

„Nimm den, der mit dem Schlüssel aufgeht.“, bestätigte sie grinsend.

Es war bereits 21.45 Uhr als das Kinderbett endlich aufgebaut und alle Babysachen verstaut waren. Taro schlief als sie ihn hineinlegte. Sie gab ihm noch einen Kuss:

„Ich habe dich lieb.“, flüsterte sie. Neo saß auf seinem Bett daneben und beobachtete sie.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte er leise.

„Lass uns ins Wohnzimmer gehen.“, meinte sie und ging vor. Als er die Tür schloss: „Ich muss erst mal Tora die ganze Sache erklären. Ich denke sie wird das verstehen.“

„Ich bin so froh, dass du wieder da bist und dich für Taro entschieden hast.“, sagte er und nahm sie in die Arme. Enni war erleichtert.

Am Nachmittag des nächsten Tages kam sie in den Bunker:

„Die verloren geglaubte kehrt zurück.“, meinte Ken sarkastisch auf der Couch sitzend:

„Hi Ráion.“, meinte sie emotionslos: „Ist Tora auch da?“

„Nein, die kommt später. Hast du vor länger zu bleiben?“, fragte er in einem verächtlichen Ton. Néko ließ das kalt:

„Eigentlich wollte ich bleiben.“, grinste sie ihn an.

Er spürte, dass sich in ihrem Verhalten etwas verändert hatte. Früher wäre sie bei dieser Art und Weise der Frage wütend geworden:

„Was ist passiert?“, fragte er.

„Erzähle ich, wenn Tina da ist.“, sagte Enni und ging in ihr Zimmer. Es war ein wenig unordentlicher als sie es verlassen hatte, also begann sie aufzuräumen.

Cirka fünfzig Minuten später lehnte sie sich jemand gegen ihren Türrahmen:

„Du bist zurück?“, fragte Tina mit einer sanften Stimme. Néko sah sie schüchtern an:

„Es tut mir leid, dass ich so überstürzt auf und davon bin, aber in der Situation in der ich war, habe ich keine andere Möglichkeit gesehen.“, entschuldigte sie sich. Ihre Mentorin setzte sich auf ihr Bett:

„Néko, ich kenne das Gefühl einfach mal Abstand zu brauchen und jeder der das nicht benötigt ist wahnsinnig.“, grinste sie.

„Ihr beide werdet mich bestimmt gleich für geisteskrank erklären.“ Tora sah sie fragend an: „Komm mit in die Küche.“

Alle drei saßen nun am Küchentisch. Ken gegenüber von Enni und Tora wie gewöhnlich zwischen ihnen:

„Also, ihr zwei habt einen Neffen.“, rückte Enni mit der Sprache raus.

„WAS!“, waren beide entsetzt: „Bist du denn total bescheuert!?“, brüllte Ráion.

„Das du das nicht verstehst, war mir klar.“, sagte Enni und schaute dann Tora an, die besorgt aussah:

„Wieso hast du es nicht wegmachen lassen?!“, fragte Misaki immer noch außer sich.

„Dieses Leben war, ist unschuldig und noch dazu ein Kind deines Bruders. Ich konnte dieses Kind einfach nicht töten.“, meinte sie und blickte weiter Tina an. War sie enttäuscht von ihr? Der Blick den sie ihrer Schülerin zuwarf war nicht zu deuten:

„Du bist unglaublich mutig und einerseits bewundere ich dich dafür. Ich würde es nicht wagen in diese, in meine Welt ein Kind zu setzen.“, sagte sie.

„Genau diese Gedanken habe ich mir auch gemacht, glaube mir, aber dann wusste ich, dass es mir Neo nicht verziehen hätte, wenn ich Taro weggemacht oder –gegeben hätte. Er ist in der Lage ihm ein normales Leben zu geben.“, erklärte Enni.

„Da hast du sicher nicht unrecht, aber was ist, wenn euer Verhältnis entdeckt wird? Das wäre der Tod für beide.“, meinte Tora.

„Neo und ich haben darüber gesprochen und sind der Meinung, dass sich dieses Risiko lohnt.“, sagte Sakada leise.

„Das vielleicht, aber sie sind ein Mittel dich bzw. uns in eine Falle zu locken!“, fluchte Ken.

„Ich weiß.“, sagte Néko und stand auf.
 

Neo ging am darauffolgenden Tag mit Taro in Hanas Büro, um, um drei Tage Urlaub zu bitten:

„Was? Ein Baby vor ihrer Tür und sie glauben sofort es sei ihres?“, sagte er entrüstet. Der Kleine lachte:

„Misaki, sie sind einer meiner besten Leute, aber oft könnte ich sie den ganzen Tag würgen.“, sprach er weiter, über das Gelächter des Kindes.

„Chef, die Mutter kann sich nicht darum kümmern und…“

„Hören sie auf zu erklären, Detektiv. Sie kriegen die drei Tage. Sollte sich aber rausstellen, dass es nicht ihr Sohn ist, haben sie die nächsten drei Weihnachten Dienst.“

Neo lächelte und nickte. Er hatte schon die Klinke in der Hand:

„Ach und noch was: BRINGEN SIE IHREN VERDAMMTEN SCHREIBKRAM AUF STAND! Ihren Tisch habe ich seit Monaten nicht gesehen.“, meinte er streng.

„Ist gut, Hana –san.“, sagte Misaki.

An seinem Schreibtisch suchte er noch schnell die Anschrift und Öffnungszeiten des Jugendamtes heraus und verließ dann das Büro.

Um elf Uhr dreißig, Neo und Taro hatten schon fast zwei Stunden im Jugendamt verbracht und wurden immer wieder von A nach B über C geschickt. Keiner schien für ihren Fall verantwortlich:

„Misaki Neo!“, rief ihn ein Herr mittleren Alters herein:

„Guten Tag.“, meinte Misaki mit einer kurzen Verbeugung.

„Sie wünschen?“, fragte der Mann und sah die Beiden an. Sie setzten sich.

„Also, gestern Nacht klingelte es bei mir und als ich öffnete, stand dieser kleine Knirps mit diesem Brief vor meiner Tür.“ Er gab ihm das Papier, dass Néko noch in der Frühe geschrieben hatte: „Ich würde gerne eine Geburtsurkunde beantragen und die Bestätigung haben, dass das mein Sohn ist.“, sagte Neo knapp.

„Hören sie, das geht nicht so einfach. Ich glaube mein Kollege…“

„Keine Kollegen mehr. Ich befinde mich seit über zwei Stunden in ihrem Gebäude, sie sind bereits der vierte Kollege und wenn das so weitergeht, habe ich keine Windeln mehr für Taro. Ich möchte einfach eine Anerkennung meiner Vaterschaft.“, meinte Neo deutlich.

„Ohne Aussage und Feststellung der Mutter geht das nicht.“, sagte der Beamte.

„Gut, hören sie zu. Ich lasse einen DNS- Test machen und wenn ich dann mit der Bestätigung wieder da bin, bekomme ich dann das Papier?“

„Das wird denke ich möglich sein, aber sie können den Kleinen jetzt nicht einfach mitnehmen.“

Neo machte die Augen zu und atmete tief durch. Dann zog er seinen Ausweis und warf ihn ihm auf den Tisch:

„Notieren sie sich bitte sämtliche Daten, machen sie einen Vermerk in ihrem Computer. Ich möchte nicht, dass es nachher heißt ich war nie hier.“, meinte er.

Der Mann sah mit großen Augen auf die Dienstmarke:

„Oh, welche Abteilung sind sie denn, wenn ich fragen darf?“

„Von Raub, über Droge bis Mord.“, sagte der Detektiv und schrieb sich in sein Notizbuch den vierten Namen.

Er verließ das Jugendamt und fuhr einkaufen. Der kleine Misaki war ein richtiger Aufmerksamkeitsmagnet. Jeder schaute in den Kinderwagen und wildfremde Leute gratulierten Neo zu diesem süßen Sohn. Neo war sowas überhaupt nicht gewohnt, er sah zu das er nachhause kam:

„Da sind ja meine beiden Männer.“, sagte Néko erfreut. Auch sie waren froh sie zu sehen: „Wie geht’s euch?“, fragte sie weiter.

„Das nächste Mal, wenn ich ne Vaterschaft beantragen gehe, nehme ich die Mutter mit.“, sagte er ein wenig genervt:

„Gerne, wenn du mich dann aus dem Kittchen holst.“, meinte Enni und nahm ihm Taro ab.

„Morgen werde ich in unser Kriminallabor gehen und einen DNS- Test machen, damit die zweifelnden Beamten ihre Bestätigung haben.“, sagte Neo.

„Du weißt, ich stehe in ihrer Datei. Das könnte Schwierigkeiten bringen.“, meinte Enni.

„Ich habe und werde behaupten dich nur an einem Abend gesehen und … zu haben. Außerdem sollen sie meine Vater- und nicht deine Mutterschaft bestätigen.“ Sie waren jetzt im Wohnzimmer:

„Néko, es wird schon alles gut gehen.“ Er küsste sie: „Hast du hunger?“, fragte Misaki leise.

„Du hast wahrscheinlich Taros dreckige Windel in der Nase, sonst würdest du riechen, dass ich schon etwas gekocht habe.“, grinste sie und ging mit dem Kleinen zum Wickeltisch. Neo folgte ihr:

„Hättest du je gedacht ein Kind zu bekommen?“, fragte er.

„Wenn ich ehrlich sein soll, nein. Aber dank dir und Tora konnte ich den Mut aufbringen, das durchzuziehen. Ich weiß, du kannst ihm eine Zukunft bieten, aber es tut mir leid, dass ich wohl das meiste in seinem Leben verpassen werde.“, senkte sie ihren Kopf.
 

Am nächsten Morgen als Neo mit seinem Sohn ins Büro kam, stand Hotaru vor seinem Schreibtisch:

„Es ist also wahr!“, zischte sie.

„Was meinst du?“, fragte der Detektiv.

„Das ganze Büro weiß schon über Misaki junior bescheid nur Hotaru, die blöde Kuh, steht wieder in der Informationswüste!“, fluchte sie. Taro begann zu weinen: „Oh, entschuldige.“, meinte Monosuki dann leise. Neo beruhigte erst seinen Sohn, dann auf dem Weg zum Kriminallabor seine Partnerin:

„Bin ich wirklich so ein Informationsgrab?“, fragte er sie.

„Ja. Was wollen wir eigentlich hier?“

„Für die Bestätigung, dass das mein Kind ist, braucht das Jugendamt einen DNS- Test.“, erklärte er.

„Wenn die, die ich denke die Mutter ist, könnte es Probleme geben.“, sagte die Unterinspektorin.

„Ich will es nur schriftlich, dass der Kurze meinen Genen entsprungen ist, nicht mehr. Du und „Kioko“ macht euch manchmal einfach zu viele Gedanken.“, sagte Neo.

„Und du dir viel zu wenige.“, meinte sie und klopfte an die Tür des Labors.

Nachdem alles korrekt abgenommen und beschriftet worden war, gingen sie wieder ins Büro:

„Hast du vor den Kleinen mit zum Einsatz zu nehmen?“, fragte Hotaru zweifelnd.

„Du hältst mich nicht nur für ein bisschen doof, hab ich recht.“, sagte er und sah sie an: „Ich habe Hana für meinen Urlaub versprechen müssen, dass ich meinen Schreibkram in Ordnung bringe.“, meinte er dann noch.
 

Taro wurde zum Liebling des Reviers. Seine Kolleginnen hatte er blitzschnell um den Finger gewickelt und sogar Hana ließ sich hinreißen ihn mal auf den Arm zu nehmen, mit dem Kommentar:

„Misaki, der muss von ihnen sein. Ist ja ein richtiger kleiner Grinspöker.“, gab er ihn zurück.

Als Neo am späten Nachmittag nachhause kam, war Enni wieder da:

„Na, habt ihr einen angenehmen Tag gehabt?“, fragte sie.

„Ja, ich habe jetzt das Ergebnis des Vaterschaftstestes. Nicht das ich jemals daran gezweifelt hätte.“, grinste Misaki.

„Du warst dir zu 99.9% sicher stimmts?“, gab sie zurück. Er zuckte mit den Schultern: „Und du, schlepp den Kleinen nicht so oft mit ins Büro. Wie soll er denn da schlafen.“, meinte Néko noch.

„Taro fühlt sich da wohl und er ist total unkompliziert. Wenn er regelmäßig zu essen bekommt und sauber gemacht wird, spielt er mit den Handschellen oder er schläft. Wie einige andere im Büro.“, meinte der Vater.

„Toll, entweder wird mein Sohn Bulle oder SM- Anhänger.“, stöhnte Néko.

„Hey, was ist an Sado Maso denn so schlecht?“, fragte er gespielt empört.

Onoda

Néko war in den nächsten Tagen kaum im Bunker. Sie verbrachte die meiste Zeit bei ihrem Sohn. An einem Abend kam Neo nachhause:

„Ich habe es jetzt offiziell. Die Geburtsurkunde ist jetzt mit Taros und meinem Namen versehen. Der vom Jugendamt meinte, dass sei die erste Urkunde, wo nur der Vater draufsteht.“

„Glaube ich.“, meinte Néko ein wenig traurig.

„Ich werde die Urkunde ins Buch der Familie heften.“, sagte er.

„Du hast ein Familienbuch?“

„Natürlich, ich habe sogar von Ken Babyfotos. Willst du sie sehen?“

„Unbedingt!“, grinste Enni.
 

Neo holte die Fotoalben der Familie hervor. So viel gelacht hatte sie seit Jahren nicht. Kens Babyfotos waren zum Brüllen. Das Genialste war, wie Ken im Alter von vielleicht zwei Jahren splitterfasernackt und bockig vor seiner Windel saß:

„Davon möchte ich einen Abzug. Das werde ich Tora als Poster ausdrucken und ihr zu Weihnachten schenken.“, lachte Néko.

„Das wird er dir nie verzeihen.“, meinte sein Bruder.

„Ich weiß, seine Rache kommt irgendwann, aber davor habe ich keine Angst.“

„Du fürchtest dich nicht vor der Rache eines Auftragskillers? Du hast Nerven aus Stahl.“, meinte er.

„Solange ich mich mit Tora verstehe, ist alles in Ordnung.“, sagte sie.

Plötzlich klingelte Neos Handy. Er sah aufs Display und verdrehte stöhnend die Augen:

„Ja Hotaru. …Was?! … Ja, natürlich.“, er legte auf.

„Was ist?“, fragte Néko.

„Hana wurde angeschossen. Er ist im Krankenhaus und wird operiert. Ich muss hin, kannst du auf Taro aufpassen?“

„Ja, ich werde Tora und Ken gleich Bescheid geben. Sei vorsichtig.“ Er gab ihr einen flüchtigen Kuss und verließ die Wohnung.

Néko nahm ihr Telefon zur Hand:

„Komm sofort her. Wir müssen…“

„Geht nicht.“, unterbrach sie Enni: „Neo ist ins Krankenhaus gefahren. Ich kann Taro nicht alleine lassen.“

„Verdammt! Das Kind behindert dich!“, brüllte Tora.

„Das vielleicht, aber ich liebe Taro!“, fauchte sie zurück und schaltete das Handy aus. Sie ging ins Zimmer ihres Sohnes und beobachtete ihn beim Schlafen. Dieses kleine, zerbrechliche Wesen, dem ihre ganze Liebe gehörte. Sie würde alles tun, um ihn zu beschützen.

Enni war eingeschlafen bis sich am Morgen etwas regte.

Taro sah sie mit großen Augen an:

„Hey mein Kleiner, warum schon so früh wach?“, fragte Néko sanft, stand auf und nahm ihn auf den Arm.

Sie kümmerte sich um eine neue Windel, zog ihn an und wiegte ihn, während die Milch warm wurde in den Armen. Auf dem Sessel sitzend fütterte sie ihren Sohn. Neo schloss wenige Minuten später seine Tür auf:

„Morgen, warum seid ihr zwei schon so früh wach?“, fragte er.

„Wie geht’s Hana?“

„Er kam grad aus dem OP als ich ging. Die Ärztin sagte, dass die nächsten Stunden kritisch seien.“ Sie stand auf und ging zu ihm:

„Du siehst erschöpft aus.“ Néko strich ihm mit Mittel- und Zeigefinger durch die Haare:

„Taro hat zu essen bekommen. Ich muss jetzt leider los.“ Sie gab ihm seinen Sohn.

„Musst du wirklich gehen?“, fragte Neo bedauernd.

„Es tut mir leid, aber es geht nicht anders.“
 

Als Enni in den Bunker kam, stand Tora schon in der Tür:

„Was sollte das vorhin?“, fragte sie.

„Das was ich gesagt habe. Ich werde Taro und Neo nicht aufgeben.“, zischte Néko.

„Hast du auch mal an deren Sicherheit gedacht?“, fragte Tina. Ihre ehemalige Schülerin sah an ihr vorbei und entdeckte die zahlreichen Kisten:

„Was ist hier los?“, fragte sie.

„Wir beziehen ein neues Versteck. Unsere Feinde wissen wahrscheinlich, dass wir irgendwo in Juban unseren Unterschlupf haben.“

„Und wann wolltet ihr mir das sagen?“, fragte Sakada.

„Da du ständig bei Neo und dem Baby bist, konnten wir es dir nicht sagen.“, meinte Tora kühl.

Enni ging in ihr Zimmer und begann zu packen:

„Ist sie sauer?“, fragte Ráion, der vom Küchentisch aus zugehört hatte.

„Natürlich ist sie das.“ Tina sah auf die geschlossene Tür: „Weißt du, ich kann sie ja verstehen, aber sie wird die beiden definitiv in tödliche Gefahr bringen und sie würde sich dafür auf ewig hassen:

„Also tust du es wieder nur, um sie zu beschützen.“

„Ich schütze auch dich. Du wirst nicht mehr zu halten sein, wenn jemand deinem Bruder und Neffen was antut.“, grinste sie wissend. Ken murrte.

Türe knallend kam Enni wieder aus dem Raum und ging in Richtung Ausgang:

„Wo willst du hin?“

„Ich muss nochmal weg.“, sagte sie kurz und verließ den Bunker.
 

Es war inzwischen weit nach Mitternacht, aber Enni musste weiter nachdenken. Sie fuhr in den Ueno Park, stellte ihr Fahrzeug ab und ging hinein. Sie genoss die frische Luft:

„Endlich habe ich dich!“, brüllte plötzlich jemand. Néko begann zu rennen, als sie schon den ersten Schuss hörte. Die Kugel zischte an ihr vorbei. Sie zog ihre Waffe und lief weiter. Als weitere Schüsse folgten, schmiss sie sich auf den Boden und rollte in einen Graben, der ihr etwas Schutz gab. Sie sah das Mündungsfeuer und zielte darauf. Den einen Schuss den sie abgab, war tödlich. Dann verließ sie auf schnellstem Wege den Park.

Als Misaki am nächsten Morgen mit Taro ins Büro kam, war Monosuki grad am gehen:

„Wo willst du hin?“, fragte er.

„Leiche im Ueno Park. Stell du dich inzwischen dem neuen Chef vor. Ich soll dich rein schicken.“, sagte sie.

„Warte noch einen Moment. Wie geht es Hana?“, fragte er ihr fast hinterherrufend.

„Unverändert.“, sie deutete mit ihrem Kopf in Richtung Büro.

Er nickte, bat eine seiner Kolleginnen kurz auf Taro aufzupassen und ging ins Büro seines neuen Chefs. Mit einer Verbeugung stellte er sich vor:

„Detektiv Misaki Neo.“ Die Frau die ihm gegenüber saß, war vielleicht Anfang bis Mitte dreißig und hatte ein sehr strenges Gesicht. Ihre Haare waren ungewöhnlich kurz, es sah für ihn so aus als wäre mit ihr nicht gut Kirschen essen.

Sie sah ihn an:

„Ah richtig, der Detektiv, der seinen kleinen Sohn mit ins Polizeirevier nimmt!“, ihr Ton wurde immer schärfer und sah ihn herausfordernd an. Neo wusste sich zurückzuhalten:

„Mein Name ist Käpt´n Onoda und mein Kommando ist nicht so nachlässig wie das von Hana- san. Ich will nicht, dass sie mit ihrem Kind noch einmal hier arbeiten. Ich weiß dass sie ihren Vaterschaftsurlaub dazu nutzen wollten, um ihre Aktenberge auf Stand zu bringen. Doch das Revier ist kein Kindergarten. Entweder sie nehmen den Urlaub richtig oder gar nicht.“, machte sie sich deutlich.

„Gut.“, sagte Neo: „Dann empfehle ich mich. Käpt´n.“, meinte er, verbeugte sich und verließ das Büro.

Hotaru stand am Schreibtisch mit Taro auf dem Arm:

„Ich denke du musst los?“, fragte Neo.

„Und?“, antwortete sie mit einem Blick auf Onodas Büro.

„Ich soll mit Taro nicht mehr herkommen. Tut mir leid dich mit dieser Schreckschraube allein zu lassen.“, meinte er.

„Du musst auf deinen Kleinen aufpassen. Das verstehe ich schon.“, sagte Monosuki.

„Entschuldige.“, sagte er nochmal: „Hältst du mich auf dem Laufenden?“

„Natürlich.“

Er nahm sich Taro und verließ das Revier.
 

Am Nachmittag erreichte ihn ein Anruf:

„Misaki.“, ging er ran.

„Neo, bist du zuhause?“, fragte Hotarus Stimme.

„Eh, ja.“, war er verwundert.

„Ich bin gleich bei dir.“, sagte sie. Ein paar Minuten später klingelte es schon.

„Was ist denn?“, fragte er.

„Du solltest dir unbedingt den Ballistikbericht meines Mordopfers ansehen.“, sie übergab ihm die Akte.

Er sah sich die Analyse der Kugel an und las den Bericht. Ihm stockte plötzlich Atem:

„Genau.“

Neo hätte fast Ennis Job vergessen:

„Weiß man wer er ist?“, fragte er.

„Nein, aber du könntest Néko mal fragen.“

„Vielleicht sagt sie mir was. Ist sonst alles in Ordnung.“

„Schon, aber dieser Onoda traue ich nicht. Ich habe ein ganz eigenartiges Gefühl bei ihr.“, sagte sie.

„Du und Gefühl bei der Arbeit.“, er lächelte, aber es blieb ihm im Halse stecken, als er Hotarus Gesicht sah.

„Besonders leiden mag ich sie auch nicht, aber vielleicht weißt du sie irgendwann zu nehmen.“

„Wenn du meinst.“, sagte Hotaru: „Ich muss jetzt los und du vergiss nicht zu fragen.“ Sie machte eine kleine Verbeugung und ging.

Er legte das Foto auf den Wohnzimmertisch und kümmerte sich um Taros Windeln.

Es war gegen 17 Uhr als Néko die Wohnungstür aufschloss. Der vertraute Duft eines Babybades erfüllte die Luft und sie hörte Taro lachen.

„Bist du das?“, fragte Misaki aus dem Bad.

„Ja.“, sagte sie und entdeckte das Bild auf dem Tisch.

„Wir kommen gleich.“ Neo hüllte seinen Sohn in ein Babyhandtuch mit Kaputze und kam mit durchnässtem Hemd zu Néko ins Wohnzimmer.

„Wer ist das?“, deutete sie aufs Foto.

„Wir hatten gehofft du könntest uns das sagen. Nimm mal Taro.“, übergab er ihn ihr und ging sich ein trockenes Hemd anziehen.

„Ich kenne den nicht.“, meinte sie.

„Er wurde im Ueno Park gefunden mit einer deiner Kugeln im Hals.“, sagte der Detektiv.

„Falls du es wissen willst, das war sozusagen Notwehr. Er hat auf mich geschossen.“, erklärte sie.

„Du hast keine Ahnung wer der Typ war.“, kam er ihr entgegen.

„Nein.“, sagte sie enttäuscht.

Minutenlang sagte keiner was. Sie machten Taro gemeinsam bettfertig. Enni blieb bei ihrem Kleinen und streichelte ihn in den Schlaf. Neo wartete im Wohnzimmer:

„Was ist gestern Nacht passiert?“, wollte er wissen.

„Ich hatte eine kleine Auseinandersetzung mit Tora. Daraufhin bin ich in den Ueno Park, um nachzudenken. Dann tauchte dieser Typ auf, sagte jetzt habe er mich endlich und eröffnete das Feuer. Ich weiß nur, dass mich irgendwer zu kennen scheint. Er weiß was ich mache und will mich erledigen.“ Néko sah Misaki schmerzvoll an.

„Nein. NEIN! Du wirst uns nicht alleine lassen!“, sagte er so laut es ging ohne Taro zu wecken.

„Ihr werdet ins Schussfeld geraten, wenn ich bei euch bleibe und das darf ich nicht zulassen. Dafür liebe ich euch beide zu sehr. Ich würde es mir nicht verzeihen würde dir oder Taro was zustoßen.“

„Und ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe und auf mich aufpassen kann.“, sagte er.

„Neo, du bist aber nicht länger nur für dich verantwortlich.“ Ihr Blick ging in Richtung des Zimmers ihres Sohnes: „Wenn dir etwas geschieht, wer soll dann auf ihn aufpassen. Bitte Neo.“, schluchzte sie fast.

„So wie es aussieht, kann ich dich nicht davon abhalten. Was ist aber wenn ich Hilfe brauche, als Vater oder Polizist?“

„Du bist in beiden Dingen so gut. Du wirst Lösungen finden.“

„Enni, willst du das wirklich. Du wirst ihn nicht aufwachsen sehen und …?“ Sie kam auf ihn zu:

„Es ist die einzig sinnvolle Entscheidung, auch wenn sie sehr schmerzhaft ist.“

Neo sah sie an:

„Werden wir dich jemals wiedersehen?“, fragte er.

„Ich wünsche es mir, glaube es aber nicht.“

„Wir sehen uns wieder.“, sagte er zuversichtlich.

„Optimist.“

Er kam auf sie zu und umarmte sie:

„Passe bitte auf dich auf.“, sagte er noch bevor sie die Haustür schloss.

In den nächsten Monaten räumten die Auftragskiller ihr Quartier. Ihr neuer Unterschlupf befand sich in einem Außenbezirk von Tokio. Es befand sich unter einem Lagerhaus und war lange nicht so gemütlich wie der Bunker.

Néko war in der Zeit total auf ihre Arbeit konzentriert und schleppte das Umzugsgut zum Teil bis zur völligen Erschöpfung aus dem Tunnel unters Lagerhaus:

„Néko! Mach Pause. Du brichst gleich zusammen.“, meinte Tora.

„Ich will nicht.“, sagte sie stur.

„Entweder legst du dich jetzt hin, oder ich schlage dich k.o.“ Enni kannte Tora gut genug, um zu wissen, dass sie es tun würde.

Néko war an diesem Tag schon am frühen Nachmittag aus dem neuen Versteck geflohen. Ken und Tora hatten tapeziert und gemalert. Der Geruch von Farbe machte ihr Kopfschmerzen.

Draußen war es stürmisch und kaum jemand, der es nicht musste, hielt sich draußen auf. Der Pazifik stand hoch im Yachthafen und der Wind peitschte in ihr Gesicht. Sie fühlte sich einsam und verlassen. Wie gern würde sie jetzt zu ihrem Sohn gehen, ihn auf den Arm nehmen und ihn vor allem schützen, was ihm oder seinem Vater gefährlich werden konnte. Im selben Augenblick wurde ihr wieder bewusst, dass allein ihre Nähe diese Gefahren verursachte. Sie stand am Kai und atmete durch.

Es war schon abends und dunkel, als sie sich mit Blumen dem Grab ihrer Mutter näherte. Sie war seit fast drei Jahren nicht mehr dort gewesen. Ihre Mutter lebte für sie in Gedanken und nicht auf diesem einen Platz auf dem Friedhof.

Auf Grund des Wetters war auch hier niemand unterwegs. Enni hatte Blumen besorgt und ging auf den kleinen Stein mit dem Namen ihrer Mutter zu:

„Hallo Oka- san.“, sagte sie ruhig und betrachtete den billigen Betonstein, den ihr Vater ausgesucht hatte, um Geld zu sparen. Irgendwas war anders an ihm. Sie ging näher heran. Dann entdeckte sie es. Es war auf der Rückseite etwas festgemacht worden, das aussah wie ein Briefumschlag in Plastikfolie.

Vorsichtig betastete ihn. Es schien sich wirklich nur um Papier zu handeln. Ganz langsam nahm sie den Brief von Stein und mit Bedacht packte sie ihn aus. Auf dem Umschlag stand:

„Keine Sorge, er ist nur von mir,

Neo.“

-Neo?-, fragte sie sich. Néko öffnete den Brief. Darin ein paar Fotos von ihm und ihrem Taro.

- Er ist schon wieder gewachsen.-, dachte sie.

Plötzlich sah sie jemanden unter der einzigen Laterne weit und breit stehen. Es war eine Frau in einem hautengen Einsatzanzug. Ihre kurzen Haare wehten im Wind. In der linken Hand hielt sie eine Pistole. Sie sah zu ihr herüber.

Enni ließ die Bilder fallen und fing an langsam rückwärts zu gehen in Richtung Gebüsch:

„Bleiben sie stehen!“, sagte sie laut. Néko drehte sich um und sprang in die Hecke. Da flog schon die erste Kugel über sie hinweg.

Die Unbekannt kam zum Grab ihrer Mutter und hob die Fotographien auf:

„Ich weiß wer du bist, Sakada Enni oder ist es dir lieber wenn ich Néko sage?“ Diese duckte sich hinter einen weiteren Grabstein. Sie sprach weiter:

„Ich bin überrascht, dass der kleine Taro von dir ist, aber keine Sorge, ich werde mich um Vater und Sohn kümmern!“

Ennis Angst war in jenem Moment wie weggeblasen. Sie wartete noch einen Moment, bis die geheimnisvolle Frau, die sie und ihre Lieben zu kennen schien, vor dem Stein war. Sie stützte sich am Stein ab und schleuderte ihr, mit aller Kraft die sie hatte, ihre Füße auf den Brustkorb. Als Taros Mutter über ihr stand, erkannte sie sie:

„Onoda.“, war sie erstaunt. Diese atmete schwer. Néko nahm die Baretta:

„Meiner Familie wirst du nichts tun.“, sagte sie voller Hass und drückte ab.

„ENNI RUNTER!“, hörte sie Toras Stimme. Im nächsten Moment sackte sie zusammen. Den Schuss, der sie getroffen hatte, hatte sie nicht mehr gehört.

Ken eliminierte den Schützen, während Tina zu Néko lief.

Die Kugel hatte sich einen Weg in ihren Kopf gebahnt. Sie lag auf dem Boden, die Augen geschlossen. Tina kniete neben ihr als Ken kam:

„Komm.“, sagte er. Sie reagierte nicht: „Komm hoch.“, zog er sie etwas rauer hoch. Dann nahm er sie in die Arme: „Es tut mir leid.“, sagte er leise. Ken sah auf Enni. Plötzlich weiteten sich seine Augen:

„Tina! Sie atmet!“

Zurück ins Leben

Neun Wochen später:

Enni erwachte in einem hochmodernen aber sterilen Krankenzimmer. Der Herzmonitor piepte in regelmäßigen Abständen. Sie starrte eine Weile an die Decke, bevor sie den Mann an ihrer Seite entdeckte. Sie kannte ihn nicht, dennoch schlief er in dem Stuhl auf dem er saß.

„Wer sind sie?“, fragte sie schwach. Der Mann öffnete die Augen und sah zu ihr. Sofort verwandelte sich sein Gesicht von schläfrig zu erleichtert:

„Néko, wie geht es dir?“, fragte er lächelnd.

„Wer sind sie?“, wiederholte sie.

„Ich bin es Neo. Erkennst du mich nicht?“, wurden seine Augen nun sorgenvoll.

„Ich kenne sie nicht.“, sie schwieg einen Moment: „Wer bin ich.“, war sie nun erschrocken. Ihr Gedächtnis war vollkommen leer:

„Ich hole dir einen Arzt.“, stand Neo auf und verließ das Zimmer. Er holte den Mediziner, der ein ehemaliger Schulfreund von seinem Bruder war. Er fand ihn im Ärztezimmer:

„Dr. Shiroi*, Sakada ist aufgewacht.“

Er stand auf:

„Ich bin gleich da.“, noch den letzten Bissen seines Sandwisches runterschluckend, kam er aus der Tür:

„Es überrascht mich wirklich, dass sie noch am Leben ist.“, meinte er zu Misaki.

„Sie hat einen sehr starken Willen, aber sie scheint sich nicht zu erinnern.“, meinte Neo beunruhigt.

„Ich werde sie jetzt erst mal untersuchen, dann kann ich ihnen mehr sagen.“, sagte der Doktor.

Während der Mediziner bei Néko war, rief Misaki Tora an:

„Tina, Enni ist wach.“, sagte er ihr.

„Gott sei Dank. Ich bereite alles vor, um sie abzuholen.“

„Warte!“, sagte Neo hastig, aber Tora hatte schon aufgelegt. Dr. Shiroi war jetzt schon fast zwanzig Minuten in Nékos Krankenzimmer.

Als er raus kam, betrat auch gerade Tina den Flur:

„Was ist mit ihr los, Hakase– san?“, fragte Misaki.

„Es sieht nach einer Amnesie aus.“

„Wird sie sich davon erholen?“

„Das kommt darauf an.“

„Worauf?“, fragte sie jetzt. Kens Mitschüler sah sie an:

„Entweder ist es ein posttraumatischer Schock oder die Kugel hat ihr Gedächtnis ausgelöscht. In dem Fall wäre es unwiederbringlich verloren.“, erklärte er.

„Wann kann ich sie mitnehmen?“, fragte die Killerin.

„Warte, kann ich einen Augenblick mit dir reden!“, forderte Neo. Mit einem Blick brachte Tora den Arzt zum gehen:

„Was ist denn?“, fragte sie ihn dann genervt.

„Das ist doch die Chance für Néko ins normale Leben zurückzukehren.“

„Du meinst in Taros und deines.“

„Ja.“

„Wie stellst du dir das vor? Kaoru wird sie vor Gericht stellen und sie wandert für Jahre in den Knast.

„Nicht unbedingt. Ich hatte vor vier Jahren mal einen Mordfall zu klären. Als wir den Täter schnappen wollten, baute er einen Autounfall. Er wachte mit einer Amnesie wieder auf und wurde trotz Anklage und handfester Beweise frei gesprochen.“

„Von dieser Chance sprichst du. Sie würde es bestimmt auch wollen…“, sie sah zum Zimmer: „Lass mich darüber nachdenken, in Ordnung.“

„O.K., ich hole jetzt Taro von der Babysitterin. Bleibst du noch?“, fragte er Kens Koibito.

„Geh, aber in einer Stunde bin ich wieder weg.“, sagte Tora und ging in Ennis Krankenzimmer.

Diese öffnete die Augen als sie rein kam:

„Wer sind sie?“, fragte Sakada.

„Mein Name ist Tina Fuchs, aber du hast mich auch mal Tora genannt.“ Fragende Augen sahen sie an: „Wie kann ich dir das alles erklären?“, fragte Tina mehr sich als sie: „Wir haben uns kennengelernt als…“, sie erzählte ihr alles seit sie sich getroffen hatten.

„Ich… Ich bin eine Mörderin? Und wer war ich vorher?“, wollte sie nun wissen.

„Ich weiß nicht viel aus deinem früheren Leben, darüber kann dir Neo sicher mehr erzählen.“, meinte ihre Mentorin.

„Und er ist Polizist?“, fragte Enni noch mal.

„Schwer zu glauben, he. Ich und Ken haben mindestens ein dutzendmal versucht, dich von ihm abzubringen, aber in dieser Hinsicht bist du äußerst dickköpfig. Wenn du überzeugt bist, dass etwas richtig ist, hält dich auch nichts davon ab.“

Es klopfte an der Tür. Neo kam mit Taro auf den Armen herein:

„Hast du ihr schon von ihm erzählt?“, fragte Misaki.

„Nein, wir waren gerade bei ihrer Dickköpfigkeit. Kann ich dich draußen kurz sprechen.“, stand Tina auf: „Néko, ich wünsche dir alles Gute.“, küsste sie sie auf die Stirn und ging raus. Neo gab Taro Enni in Arme und folgte Tora. Die zwei sahen sich mit großen Augen an.

Tina drehte sich auf dem Flur zu Misaki um:

„Also gut, du kannst versuchen sie frei zu bekommen. ABER, bevor sie 25- 50 Jahre im Gefängnis sitzt, hole ich sie raus.“

„Ich danke dir.“, sagte Neo.

„Danke dem Anwalt, der sie raushaut.“, meinte sie und ging.

Er öffnete erneut die Tür zum Krankenzimmer und sah, wie sich Taro und seine Mutter sich betrachteten:

„Wie heißt er.“, als sie gemerkt hatte, dass Neo wieder im Zimmer war.

„Sein Name ist Taro.“

„Und er…“, sie wagte nicht, diesen Verdacht auszusprechen.

„Ja, er ist unser Sohn.“, lächelte er.

„Ich verstehe das nicht.“

„Im ersten Moment tat ich das auch nicht, aber dann hast du mir erklärt, warum du ihn ausgetragen hast.“ Sie sah ihn fragend an: „Tora hat dir erzählt, wie du gelebt hast.“ Néko nickte: „Du hast mir erklärt, dass du nicht in der Lage warst, dieses UNSCHULDIGE Leben, das ein Teil von mir war, auszulöschen.“ Beide schwiegen für einen Augenblick: „Enni, ich möchte versuchen dich wieder ins normale Leben zurückzuholen. So dass du mit Taro und mir leben kannst.“

„Ich habe leider keine Vorstellung, was das bedeutet.“, meinte sie traurig und senkte den Kopf. In dem Moment streckte Taro seine Hand aus und berührte ihre Wange. Sie riss die Augen auf und starrte ihn an.

„Dein Sohn würde sich sicher freuen.“, schmunzelte Misaki: „Ich werde mit der Staatsanwältin reden, dass du nicht ins Gefängnis musst. Enni?“

Sie richtete ihren Blick auf ihn:

„Mach dir keine Sorgen, durch die Amnesie, kannst du nicht verurteilt werden. Es wird alles gut.“, war Neo optimistisch überzeugt.

„Danke.“, sagte sie schüchtern, als sie spürte wie sehr er sie liebte.

„Ich werde Mitamura anrufen, vielleicht kann ich noch heute mit ihr sprechen.“, sagte er: „Ich bin so schnell wie möglich wieder da. Wenn was ist, meine Handynummer.“, schrieb er ihr die Nummer auf.

„Ich bin bald zurück.“, nahm er jetzt auch Taro wieder auf den Arm und gab ihr ebenfalls einen Kuss auf die Stirn.

Im Gebäude der Staatsanwaltschaft stand Neo nun vor dem Büro der Staatsanwältin. Taro hatte er vorher in eine Kinderkrippe gebracht. Er klopfte:

„Einen Moment bitte!“, schallte es aus dem Raum. Er wartete. Wenig später kam Detektiv Sota aus dem Zimmer, böse in sich rein murmelnd:

„Guten Tag.“, sagte Neo. Der betagte Polizist sah ihn an:

„Tag.“, meinte er nur und ging weiter. Der jüngere sah ihm nach:

„Bitte!“, hörte er ihre Stimme von innen. Er drehte sich um und ging hinein:

„Staatsanwältin Mitamura.“, verbeugte er sich kurz und schloss die Tür:

„Misaki.“, sagte sie kurz hinter ihrem Schreibtisch.

„Staatsanwältin, man hat Sakada Enni gefunden.“

„Sie meinen die Kleine, die ihren Vater erschossen, in den Mord an Kyro verwickelt und … irgendwas war doch noch. Ach ja, diese Entführung des Jungen.“

„Genau, sie wurde vor den Türen eines Krankenhauses gefunden, mit einer Kugel im Kopf.“, erklärte er.

„Sie ist also tot.“, schloss sie sofort daraus.

„Nein, ihr geht es den Umständen entsprechend gut, aber sie hat ihr Gedächtnis verloren.“, sagte Neo. Mitamura sah ihn an:

„Sie wissen, dass das für die Staatsanwaltschaft keine Rolle spielt. Ich muss sie verhaften lassen und anklagen.“, sagte sie.

„Sie hat ihnen auf Okinawa das Leben gerettet, da wird es ihnen doch möglich sein, sie vor dem Gefängnis zu bewahren.“, zischte Neo.

„Sie ist Néko?“, war Kaoru überrascht, verbarg es aber sofort wieder: „Wenn ihnen so viel daran liegt, sollten sie ihr einen verdammt guten Anwalt besorgen. Ich muss den Haftbefehl ausstellen.“, meinte sie.

„Lassen sie sie bei mir, bis zur Verhandlung.“, forderte Neo.

„Sie haben einen Sohn und sie ist eine Killerin.“

„Mag sein, aber sie ist auch seine Mutter.“, sagte er. Das schockte Mitamura nun doch:

„Was? Da sind sie sich ganz sicher?“, sie machte eine Pause und sah auf den Tisch: „Ich werde sehen, was ich tun kann. Sie bringen mich in Teufels Küche.“, sagte sie ohne den Kopf zu heben.

„Das hat Hana auch immer gesagt. Auf Wiedersehen.“, verließ er ihr Büro.

Er fuhr aufs Jubanrevier:

„Hotaru, ich brauche deine Hilfe.“, sprach er sie an. Er erklärte ihr die Situation.

„Eh, und wie kann ich dir da helfen? Soll ich vor Gericht lügen?“, fragte sie. Neo lachte kurz:

„Als wenn ich dich dazu überreden könnte. Nein, aber du kennst dich doch so gut mit den Anwälten aus. Wer fällt dir spontan ein, den du für diesen Fall nehmen würdest.“

Sie überlegte:

„Weißt du, da gibt es eine junge Anwältin. Du kennst sie. Sie hat diesen Typen, den wir mit den Drogen erwischt haben auf Bewährung frei bekommen.“

„Du meinst den, der mich mit einer Waffe bedroht hat.“, zischte er, noch ein wenig wütend.

„Ganz genau und wenn du deinen Ärger jetzt runterschluckst, gehst du zu Furuhata Kioko. Sie ist eindeutig die Beste für den Job.“

„Danke Hotaru.“

„Kein Problem. Meiner Lieblingsschwerverbrecherin helfe ich doch gerne.“, sagte sie.

„Du bist ein Musterbeispiel an Vergebung. Gehen wir rein.“ Er hatte schon auf dem Absatz kehrt gemacht:

„Warte!“ Er sah seine Kollegin an: „Wie geht es dir?“, fragte sie.

„Besser, weil sie ohne eine Behinderung aufgewacht ist und ich endlich eine Chance bekomme, sie ins normale Leben zurückzuholen, in unser Leben.“, sprach Neo von sich und Taro.

„Du bist ein hoffnungsloser Optimist.“, sagte Monosuki.

„Das habe ich schon öfter gehört, aber anders würde ich den Job hier nicht durchstehen.“ Sie gingen ins Büro.

Neo suchte sich Ennis Akte und die Adresse von der Anwältin raus und verließ das Revier.

Er schaffte es für diesen Nachmittag einen Termin bei Furuhata zu bekommen.

Im Empfangsraum der Gemeinschaftskanzlei stand ein dunkelbrauner Tresen. Dahinter ein Frau ende vierzig mit kurzen Haaren und Brille:

„Was kann ich für sie tun?“, fragte die Anwaltsgehilfin.

„Mein Name ist Detektiv Misaki Neo. Ich habe einen Termin bei Furuhata- san.“, sagte er.

„Ah ja, haben sie bitte noch einen Moment Geduld. Sie können Platz nehmen.“, sagte sie und zeigte auf die gemütliche rote Samtcouch. Er zog seine Jacke aus, hängte sie auf und setzte sich.

Ihm gegenüber war ein überdimensionales Poster des Eifelturms in Paris. Seine Sinne versanken in dem Bild.

„Gefällt es ihnen?“, fragte plötzlich jemand. Er sah nach oben und eine Frau, etwa in seinem Alter lächelte ihn an:

„Entschuldigung?“, war er verwundert.

„Das Bild. Gefällt es ihnen?“, wiederholte sie.

„Eh… ja.“, sagte Neo verlegen und stand auf.

„Ich bin Furuhata Kioko. Kommen sie mit in mein Büro?“ In ihrem Arbeitszimmer deutete sie auf einen Stuhl: „Was kann ich für sie tun?“, fragte Kioko nun.

„Es geht um Sakada Enni.“, er zog ihre Akte hervor und gab sie ihr. Die Anwältin nahm den Ordner und begann zu lesen.

„Wenn ich das hier richtig sehe, ist sie auf der Flucht?“

„Nicht mehr, vor ein paar Tagen ist sie mit einer Kugel im Kopf in einem Krankenhaus gefunden worden. Sie leidet jedoch an Amnesie.“, erklärte der Detektiv.

„Entschuldigen sie meine Indiskretion, aber warum kümmern sie sich um den Rechtsbeistand persönlich und nicht die Staatsanwaltschaft?“

„Nun, vor anderthalb Jahren kam es zwischen ihr und mir zu einem One- night- Stand und vor vier Monaten hatte ich meinen Sohn vor der Tür stehen. Furuhata sah ihn an:

„Sie haben ein Kind mit ihr?“

„Ich war etwas angetrunken und im dunklen Licht der Bar habe ich nicht gemerkt wer sie war. Doch als ich benachrichtigt wurde und sie im Krankenzimmer sah, fiel es mir sofort auf. Wer sie war, für mich und auch für die Polizei.“

Furuhatas Gesicht ließ Neugierde erkennen:

„Ich muss sagen, der Fall interessiert mich, aber ich würde Sakada- san vorher gerne kennenlernen, bevor ich entscheide.“, bat sie.

„Gerne, wann passt es ihnen?“

„Gleich, ein Klient hat seinen Termin abgesagt.“, erklärte sie. Er nickte:

„Ich kann sie mitnehmen, wenn sie das möchten.“, bot Neo an und fuhr mit ihr zum Krankenhaus.

Als sie dort ankamen, stand ein Streifenwagen auf dem Parkplatz. Beide gingen ins Hospital. Vor Ennis Zimmer hörten sie von innen Stimmen:

„… Ich werde sie jetzt verhaften!“, hörten sie einen Mann. Neo öffnete hastig die Tür und sah Néko mit einer Handschelle ans Bettgeländer gefesselt. Seitlich standen Dr. Shiroi und ein Streifenpolizist, die ihn jetzt überrascht ansahen:

„Was ist hier los?“, fragte Misaki.

„Wer sind sie?“, fragte der Polizist rau.

„Detektiv Misaki Neo. Was tun sie hier.“

„Er will Sakada- san verhaften.“, antwortete Shiroi.

„Ich mache hier bloß meinen Job.“

„Ihren Job? Die Frau hat eine Kugel im Kopf. Ich weiß nicht wie viel Belastung sie verträgt.“, sagte der Arzt.

„Sorgen sie dafür, dass sie in ein paar Minuten fertig angezogen ist. Sonst verhafte ich sie wegen Behinderung der Justiz.“, drohte er.

„Ich bin mir sicher die Staatsanwaltschaft wünscht sich nichts mehr, als das die Anklage wegen Fehlern bei der Verhaftung fallen gelassen werden muss.“, schaltete sich die Juristin ein.

„Wer sind sie?“, fragte er jetzt die Frau.

„Furuhata Kioko, Anwältin und wenn der Arzt meint meine Mandantin ist noch nicht gesund genug, wird sie ihr Bett nicht verlassen.“, sah sie ihn vernichtend an.

Der Streifenpolizist sah auf Neo. Der zog nur die Augenbrauen hoch und deutete mit seinem Kopf auf den Ausgang:

„Kollege,“, sagte Misaki als er schon fast aus der Tür war: „Nehmen sie bitte noch ihre Handschelle mit.“

„Das ist doch wohl nicht ihr ernst!“

„Doch ist es. Wenn sie flieht können sie mich bei Mitamura verpetzen.“, raunzte er zurück.

Der Polizist verließ mit einem wütenden Gesicht das Zimmer. Neo ging zu Enni und nahm ihre Hand:

„Wie geht es dir?“, fragte er sanft.

„Ich bin O.K. .“, sagte sie. Die Anwältin sah die Vertrautheit mit der sie sich berührten und ansahen. Nékos Blick fiel in diesem Moment auf Furuhata:

„Guten Tag.“, sagte sie schüchtern und sah dann Misaki an:

„Enni, das ist Furuhata Kioko, deine hoffentlich neue Anwältin.“ Diese verbeugte sich kurz:

„Guten Tag. Die Staatsanwaltschaft und Polizei hat es ganz schön auf sie abgesehen. Doktor, Misaki- san kann ich kurz mit ihnen sprechen.“

Vor der Tür:

„Ich möchte ihnen nichts verheimlichen, auch mit der Amnesie wird es nicht leicht, sie frei zu bekommen. Ich brauche von ihnen Hakase- san, eine Bestätigung der Amnesie, möglichst noch von einem spezialisierten Psychologen.

Misaki- san, ich muss so viel wie möglich über Sakada wissen. Sie müssen mir Menschen suchen, die sie kannten.“

„Sie übernehmen das Mandat?“, fragte Neo noch einmal. Kioko nickte:

„Ja, …“ Ihr Handy begann zu klingeln: „Einen Augenblick bitte.“ Sie ging den Flur weiter herunter und nahm ab. Misaki ging zu Néko hinein. Als sie ihn sah breitete sich ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht aus:

„Es kommt alles in Ordnung. Furuhata- san wird dich verteidigen.“

„Wo ist Taro?“, fragte sie.

„Bei Tomoyo. Sie passt immer auf Taro auf, wenn ich mal unterwegs bin. Sie ist die Witwe eines alten Kollegen und wohnt bei mir im Haus.“, erklärte er ihr.

„Der Polizist eben sagte, ich hätte meinen Vater erschossen, hast du eine Ahnung warum?“, fragte sie leise.

„Aiana, eine Schulfreundin von dir sagte es muss Notwehr gewesen sein. Er hat dich oft misshandelt… Aiana! Das ist es. Ich muss noch einmal kurz weg.“, er gab ihr einen leidenschaftlichen Kuss, der ihr Herz schneller schlagen ließ: „Bis nachher.“, meinte er noch und verließ schnell die Klinik. Unterwegs zum Auto rief er Hotaru an und bat sie um die Nummer von Shulda- san. Als diese auf seinem Handy erschien, rief er sie an, sagte jedoch nicht, warum er sie sprechen wollte.

An der Haustür erwartete sie ihn:

„Detektiv Misaki.“, grüßte Aiana ihn.

„Enni braucht ihre Hilfe.“, sagte er.

„Wieso? Ist ihr was passiert?!“, fragte sie hastig.

Er erzählte ihr, was geschehen war:

„Wie kann ich ihr helfen?“, wollte Aiana wissen.

„Ich möchte sie darum bitten vor Gericht das auszusagen, was ihr Vater Enni angetan hat.“, sagte Neo.

„Natürlich.“, sie atmete durch: „Kann ich sie besuchen?“, fragte sie dann.

„Ja, ich fahre gleich wieder zurück. Sie können gerne mitkommen.“, bot Neo an.

„Ich hole kurz meine Jacke.“

Er nickte und wartete im Auto auf sie:

„Und sie erinnert sich an gar nichts?“, fragte Aiana nochmal.

„Nein, nicht mal an ihr Baby.“

Sie sah ihn entgeistert an:

„Enni hat ein Kind? Mit… mit ihnen?“ Er nickte: „Ist es ein Mädchen?“

„Nein, ein Junge. Er heißt Taro. Sie liebte und liebt ihn abgöttisch. Das ist einer der Gründe, dass ich sie aus diesem Untergrundleben holen will.“, meinte Misaki: „Sie können den Kleinen gleich kennenlernen.“ Er hielt vor seinem Hochhaus und ging rein.

Zirka zehn Minuten später kam er mit Taro wieder heraus. Aiana hatte im Auto gewartet und stieg jetzt aus:

„Es war wirklich ihr ernst.“, staunte sie über den Wagen hinweg.

„Was glauben sie, wie ich überrascht ich war. Nach einem Jahr Funkstille taucht sie wieder auf mit dem Kleinen hier. Doch ich bin so froh, dass sie es getan hat. Egal welche Risiken damit verbunden waren und sind.“, sagte Misaki während er Taro in den Babysitz schnallte: „Wollen wir?“, fragte er. Shulda nickte und stieg wieder ein.

Im Krankenhaus angekommen wurde sie immer nervöser:

„Machen sie sich keine Sorgen. Sie ist noch genauso wundervoll wie damals. Das hat sie nicht verloren.“, beruhigte er sie und klopfte an. Als er die Tür öffnete, war Enni nicht dort. Neo wurde sofort nervös:

„Ich suche eine Schwester, bleiben sie hier.“, meinte er, übergab Taro Aiana und lief los.

Als er um die Ecke bog, rannte er fast einen Krankenpfleger über den Haufen:

„Sakada Enni, wo ist sie?!“, fragte Neo ihn.

„Dr. Shiroi ist im Ärztezimmer. Er weiß genaueres.“, meinte der junge Mann freundlich. Misaki nickte ihm zu und ließ ihn dann stehen.

Er klopfte wie wild an die Tür bis ein Arzt im weißen Kittel ihm öffnete:

„Ist Dr. Shiroi hier?“, fragte der Detektiv.

„Ja, warten sie einen Moment.“ Shiroi hatte ihn schon gehört und kam:

„Misaki- san, Sakada- san wird gerade von einem Amnesie- Experten der Staatsanwaltschaft untersucht. Gegen meinen ärztlichen Rat. Dieser Professor Kenzo zog eine gerichtliche Verfügung. Ihre Anwältin habe ich benachrichtigt.“, sagte Shiroi verärgert, über die Arroganz des Gerichtspsychologen.

In dem Moment kam auch Furuhata- san schnellen Schrittes auf den Flur:

„Hat dieser Professor Aufnahmegeräte dabei?“, fragte sie, ohne auf Misakis O- hayo zu antworten.

„Ich denke schon, ich habe ihn nicht durchsucht.“

„Wo ist meine Mandantin?“ Der Arzt schickte sie in sein Büro, wo die Befragung stattfand. Ohne zu Klopfen ging Kioko hinein:

„Professor, da ich annehme, dass sie schon öfter mit derartigen Fällen zu tun hatten, müssten sie wissen, dass auf den Anwalt zu warten ist.“, sagte sie.

„Ich will nur wissen ob ihre „KLIENTIN“ wirklich an einer vollständigen Amnesie leidet. Anwälte sind da eher hinderlich.“, meinte Kenzo und sah die ganze Zeit nur auf seine Unterlagen:

„Nichts, was sie mit ihr besprechen, darf diesen Raum verlassen.“

Jetzt sah er sie an:

„Die Staatsanwaltschaft will nur wissen, ob eine cerebrale Störung vorliegt oder ob es ein Trauma ist, von dem sie sich wieder erholen könnte.“

„Mitamura muss sich aber letztendlich damit abfinden, dass keine Aussage, die meine Mandantin hier bei ihnen macht, vor Gericht verwendet werden kann.“, sie sah zu Enni: „Geht es ihnen gut, Sakada- san?“, fragte sie.

„Ja.“, antwortete Enni. Kioko setzte sich:

„Wo waren sie gerade?“, fragte die Anwältin.

„Ich habe erzählt, wo meine Erinnerungen beginnen und das war hier im Krankenhaus.“

„Kennen sie den Namen ihres Arztes?“, fragte der Professor.

„Dr. Shiroi.“, antwortete sie.

„Wie heißt ihre Anwältin?“, war seine nächste Frage.

„Ich glaube Furuhata- san, richtig. Ich habe sie erst einmal gesehen.“, klang eine Entschuldigung heraus.

„Woher hatten sie ihre Telefonnummer?“

„Ich hatte sie nicht. Neo, das heißt Detektiv Misaki hat Furuhata- san beauftragt.“, meinte Enni.

„Wissen sie welcher Tag heute ist?“, wollte Kenzo jetzt wissen.

„Nein, ich kenne noch nicht einmal das Jahr. Das war bis jetzt für mich nicht wichtig.“

„Was ist ihnen denn wichtig?“

„Zu erfahren wer ich bin. Warum mich jemand umbringen wollte. Warum ich meinen Vater erschossen habe. Dafür muss es doch Gründe geben, aber ich erinnere mich nicht.“, sagte Néko erschöpft.

„Professor, ich muss sie bitten zu unterbrechen und zu einem Zeitpunkt wiederzukommen, wenn es Dr. Shiroi für vertretbar hält.“, schritt Kioko ein. Der Psychologe sah sie zähneknirschend an, stand auf und verließ ohne das Wort das Büro.

Eine Schwester brachte Enni zurück ins Zimmer, wo Neo, Taro und Aiana warteten.

Ihr Sohn streckte sofort die Hände nach ihr aus:

„Enni, geht es dir gut?“, fragte Neo besorgt.

„Ja.“, sie sah jetzt auf die Frau, die neben Misaki stand:

„Enni, das ist Shulda Aiana. Sie war in deinem allerersten Leben deine beste Freundin.“ Sie musterten sich einen Moment:

„Hallo Enni.“, meinte Shulda mit Tränen in den Augen.

„Und du kennst die ganze Geschichte meines ersten Lebens?“, fragte Sakada.

„Wir haben uns damals alles erzählt. Bis zu diesem Tag.“

„Welchen Tag meinst du?“

„Den Tag, an dem du dein Leben schützen musstest.“ Aiana zog aus ihrem Rucksack ein Fotoalbum heraus.

Mehr als zwei Stunden erzählte sie über Ennis verloren gegangenes, leidvolles Leben:

„Dein Vater war ein Monstrum. Ich habe die Beweise zuhause und werde sie deiner Anwältin geben.“ Sie schaute sie an: „Ich bin so froh, dass du noch lebst.“ Aianas Augen leuchteten vor Aufrichtigkeit.

„Ich glaube mit euch an meiner Seite, bin ich gewappnet fürs Leben.“, lächelte sie mitgenommen.
 

Drei Wochen später wurde Enni dem Haftrichter vorgeführt:

„Richter Aiohara, Sakada Enni hat nicht nur ihren Vater ermordet und ist aus der Haft geflohen, sondern steht auch in Verdacht eine Auftragskillerin zu sein. Sie gehört bis zur Verhandlung in ein Gefängnis.“, sagte Mitamura.

Kioko stand auf:

„Aiohara- san, meine Mandantin ist vor wenigen Wochen knapp dem Tod entronnen, es hat sie ihr Gedächtnis gekostet und außerdem steckt ihr eine Kugel im Kopf. Ein Gefängnis wird nicht der richtige Ort für ihre Genesung sein.“, sagte sie.

„Und was schwebt ihnen vor? Ein Wellnesshotel?“, fragte er bissig.

„Euer Ehren, Sakada Enni kann bei mir bleiben!“, erhob sich Neo.

„SIE! Sie haben ein Kind!“, wollte Kaoru ihn abwimmeln.

„Richtig, und die Angeklagte ist dessen Mutter. Ich selbst bin im Vaterschaftsurlaub und habe die Möglichkeit auf sie acht zu geben.“, sagte er.

„Haben sie einen Beweis für ihre Behauptung?“

Neo zog aus der Tasche den Vater- und Mutterschaftstest, ging nach vorne und übergab sie dem Richter. Seine Augen weiteten sich beim Überfliegen der Ergebnisse:

„SIE!“, fuhr er Neo an: Sie kommen nachher in mein Richterzimmer! Dem Vorschlag der Verteidigung wird stattgegeben.“, schlug er mit dem Hammer auf die Unterlage.
 

„Wie kommen sie zu einem Kind mit einer ehemals flüchtigen?!“, fragte Aiohara laut.

-Bienen und Blüten.-, ging Neo durch den Kopf, riss sich jedoch zusammen:

„Eh, wir haben uns in einer Bar getroffen. Ich hatte schon ein wenig getankt. Na ja, wir haben uns verstanden und sind im Bett gelandet. Ein Jahr später stand Taro vor der Tür.“, erklärte Misaki: „Als ich sie im Krankenhaus sah, erkannte ich sie.“

„Und wie haben sie, sie dort entdeckt?“, fragte der Richter.

„Mir wurde ein Tipp gegeben.“

Aiohara sah ihn kritisch an:

„Von wem?“

„Keine Ahnung wie er wirklich heißt. Er ruft mich an, wenn er was hat. Warum weiß ich nicht.“, log Neo das Blaue vom Himmel herunter.

„Ich behalte sie im Auge Misaki und jetzt verschwinden sie.“, schmiss Richter Aiohara ihn aus dem Büro.

„Hast du Ärger bekommen?“, fragte ihn Enni.

„Nicht mehr als ich erwartet habe.“, sagte Neo und nahm sie in die Arme: „Lass uns nach Hause fahren.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Haare und sah dann Kioko an:

„Furuhata- san, ich danke ihnen.“, meinte er.

„Noch haben sie es nicht geschafft. Danke sie mir erst, wenn ich Sakada- san freibekommen habe.“, sagte die Anwältin.

Sie sah dem Pärchen hinterher und atmete tief durch:

-Das wird ein ziemlich hartes Stück.-, dachte sie noch. Nahm ihren eleganten Aktenkoffer und machte sich auf den Weg zur Kanzlei.

Als sie dort ankam:

„Furuhata- san, eine Shulda- Aiana hat zwei Schuhkartons mit Fotos von Sakada Enni vorbei gebracht und ein Notizbuch dazu. Ich habe es in ihr Büro gestellt.“, sagte die Anwaltsgehilfin.

„Danke Boyson- san. Ist sonst noch was gekommen?“

„Nein.“

Kioko nickte ihr zu und ging in ihr Zimmer. Wie von Boyson- san angekündigt, standen die Kisten auf ihrem Schreibtisch und darauf ein Brief von Aiana:

Sehr geehrte Furuhata- san,

Das sind die Dokumentationen von Ennis Verletzungen. Es sind Daten und Kommentare von mir dabei.

Shulda Aiana

Kioko nahm sich den ersten Karton vor und sah sich ein paar Fotos an:

-Die Frau hat die Hölle durch.-, dachte sie und beauftragte dann die Anwaltsgehilfin die Sachen zu ordnen und eine Präsentation für die Gerichtsverhandlung vorzubereiten.
 

Es dauerte vier einhalb Monate bis zum Prozess. Enni machte währenddessen eine Reha und zog bei Neo ein. Ihr Erinnerungsvermögen hatte sich nicht wieder erholt, aber die Liebe von Taro und Neo gaben ihr ein Gefühl der Sicherheit und Zugehörigkeit. Aiana wurde ebenfalls wieder ein Teil ihres Lebens. Sie verstanden sich wie früher.

Für ihre Anwältin wurde es der bis dahin arbeitsaufwendigste Fall. Dadurch das Enni ihr nichts erzählen konnte und sie fast drei Jahre verschwunden war, kam sich Kioko manchmal vor wie eine Detektivin und nicht wie eine Anwältin. Sie versuchte irgendwie herauszufinden wo Sakada gesteckt hatte, fand aber wenig.

Der Tag des Prozesses:

Mitamura hatte ihr weißes, sehr elegantes Kostüm mit Rock und Blaser an. An ihrem Reviere war eine Feuerrote Brosche angebracht. Sie erhob sich:

„Richter Aiohara, die Staatsanwaltschaft wird anhand von Zeugenaussagen beweisen, dass Sakada Enni eine Möderin, schlimmer noch eine Polizistenmörderin ist. Die Verteidigung wird behaupten es sei Notwehr gewesen, aber die Flucht aus dem Gefängnis bringt sie mit weiteren Morden in Verbindung.“, sprach die Staatsanwältin und setzte sich.

„Euer Ehre.“, stand Kioko auf: „Unsere Beweise lassen keinen anderen Schluss als Notwehr zu. Meine Mandantin Sakada Enni wurde fast täglich auf das Brutalste misshandelt. Anhand von Fotos, die die beste Freundin machte, lassen sich die zahlreichen Verletzungen dokumentieren. Wir werden einen Arzt als Zeuge aufrufen, der von Sergeant Sakada bedroht wurde, wenn er zum Jugendamt geht.

Letztendlich blieb ihr nichts anderes übrig als ein neuer Angriff drohte, den Tyrannen, der ihr Vater war zu erschießen. Sie musste ihr Leben schützen.

Des Weiteren leidet meine Mandantin an einer nicht heilbaren Amnesie…“

„Einspruch!“, rief Kaoru: „Ich bitte das Gericht zur Kenntnis zu nehmen, das sich ihr Gedächtnis nur zu fünfundneunzig Prozent nicht wieder erholt. Es besteht noch eine Chance von fünf Prozent.“, erklärte sie.

„Wenn es der Staatsanwältin so lieber ist, wird sich ihr Gedächtnis zu fünfundneunzig Prozent nicht wieder erholen.“, sagte Furuhata. Zwischen den Anwälten las Spannung.

„Beginnen wir mit der Beweisführung der Staatsanwaltschaft.“, sagte der Richter.

„Ich rufe den ersten Zeugen auf. Sergeant Otaka vom Revier Shinjuku. Er war Sakada Kenshins Partner.“

Ein Gerichtsdiener holte ihn herein.

Der dicke Mann mit kurzen graudurchsetzten Haaren trat ein und stolzierte fast den Gang entlang, als sei er eine erhabene Gestalt. Er setzte sich:

„Sergeant Otaka, wie würden sie Sakada- san beschreiben?“, fragte Mitamura.

„Einer der besten Polizisten, den ich je kannte. Er hat sich nie einer Verfehlung schuldig gemacht.“, meinte er großspurig.

„Was halten sie von den Vorwürfen, dass er seine Familie geschlagen haben soll?“

„Das ist völliger Quatsch. Seine Familie war ihm heilig.“, sagte er.

„Danke sehr. Ihr Zeuge.“, sagte Mitamura und nickte zu Kioko.

„Es hat also nie Verfehlungen gegeben?“, fragte Ennis Anwältin skeptisch. Der Zeuge schüttelte den Kopf.

„Und was war im April 1994. Da hat er einen Verdächtigen in ihrem bei sein mit seinem Schlagstock verprügelt.“

„Der Typ hatte höchstwahrscheinlich seine Frau ermordet!“, verteidigte Otaka seinen ehemaligen Partner.

„Er schlug also darauf los, nur wegen eines Verdachts, der sich wenige Stunden später als falsch herausstellte.“, stellte Furuhata- san fest.

„Das war nur eine kleine Ohrfeige. Ich dachte die Anzeige wäre unter Verschluss?“, wendete er sich an den Richter.

„Es würde mich auch interessieren, woher sie die Information haben.“, sagte Aiohara.

„Euer Ehren, die Akte mag verschlossen sein. Das Opfer war es nicht. Ich habe mit ihm gesprochen und es war keine Ohrfeige, sondern eine massive Körperverletzung.“

„Sie können weitermachen.“, sagte er.

„In Ordnung, das Nächste war 1996, wo er wieder einem Verdächtigen zwei Zähne ausschlug.“

„Kenshin wurde angegriffen!“, brüllte Otaka mit leichter Panik.

„Ich habe auch mit diesem gesprochen. Er sagte er sei gefesselt gewesen und konnte sich nicht bewegen. Als Sergeant Sakada nicht das bekam was er haben wollte, nämlich das Lösungsgeld, hat er zu Gewalt gegriffen.“, erklärte Kioko.

„Der Mann ist ein Erpresser und sie glauben ihm?“, lachte er die Verteidigerin fast aus.

„Als ich den Arzt befragte, der ihn untersucht hatte, ja. Wie lange wollen sie sich noch von Sakada alles versauen lassen?“

„Einspruch!“, rief Kaoru.

„Ich ziehe die Frage zurück.“, Furuhata- san atmete durch: „Also im gleichen Jahr zwei weitere Angriffe. So geht das hier weiter und ich bin mir sicher, dass wir bei weitem nicht alle Opfer gefunden haben.“

„Opfer? Das waren Täter. ABSCHAUM!“, keifte der Sergeant.

„Ein neunjähriger Junge, der eine Packung Kaugummi geklaut hat?“

„Er mag im Dienst ein paar Aussetzer gehabt haben, aber seiner Frau und Tochter gegenüber war er liebevoll.“, meinte er.

„Ich bitte das Gericht nun seine Aufmerksamkeit auf die angebrachte Leinwand zu richten. Sie finden darauf Bilder der Misshandlungen, unter denen Sakada- san zu leiden hatte.

Diese Bilder stammen von der besten Freundin der Angeklagten, Shulda Aiana. Die auch noch als Zeugin hier vorgeladen ist.“, sagte Ennis Verteidigerin.

Es leuchtete ein Bild nach dem anderen auf, darunter auch Röntgenbilder mit Brüchen.

„Seine Tochter war sehr ungeschickt.“, verschränkte er nun die Arme. Kioko nahm ein Zertifikat und ging zum Richter:

„Euer Ehren, die Bilder sind von einem Sachverständigen untersucht worden. Er sagt bei fünfundachtzig Prozent sind es Verletzungen die von Misshandlung zeugen und fünfundachtzig Prozent von über eintausend Fotos spricht für sich.“ Sie setzte sich wieder.

„Haben sie noch Fragen?“, wandte sich Aiohara zur Staatsanwältin.

„Nein.“

„Der Zeuge ist entlassen.“, sagte er und wartete, dass er Platz nahm.

„Ich rufe als Nächsten Detektiv Nenrei Mamoru auf.“

„Dieser kam durch die Tür, stolzierte den Gang entlang und setzte sich in den Zeugenstand:

„Nenrei- san, sie sind Leiter der Soko Inu?“, fragte Kaoru.

„Richtig.“, bestätigte er.

„Und wann sind sie das erste Mal auf Sakada Enni aufmerksam geworden?“

„Das war im Oktober 2001, als auf den Großindustriellen Kyro auf einer Party ein Anschlag verübt wurde. Monosuki Hotaru hatte der Angeklagten die Waffe aus der Hand geschlagen, bevor sie ihn ermorden konnte.“, berichtete er.

„Glauben sie, dass sie auch den tödlichen Anschlag verübte?“, fragte Kaoru.

„Einspruch! Spekulation.“, sagte Kioko.

„Stattgegeben.“

„Es ist vermerkt, dass sie verhaftet worden ist. Haben sie sie verhört?“, wollte die Staatsanwältin wissen.

„Ja, sie sagte aber nichts. Sie hatte mit ihrem Partner Nurijuki Kotaru versucht Lösegeld zu erpressen.“

„Ich bitte das Gericht diese Aussage zu streichen. Nurijuki kannte Sakada Enni nicht und hat nie mit ihr zusammen gearbeitet.“, sagte die Verteidigerin.

„Ob mit ihr zusammen gearbeitet oder nicht. Es ist eindeutig, dass sie Kontakt zu Auftragskillern hat!“, war Nenrei felsenfest überzeugt.

„Sie sind sich also sicher, aber wo sind die Beweise und von diesem sogenannten Tora wurde noch nie etwas gefunden. Die Frage ist nicht wer er ist, sondern ob er überhaupt existiert.“, sagte Kioko.

„Wie erklären sie sich sonst diese vielen fast perfekten Morde, wo wir höchstens mal den Auftraggeber finden. Kein anderer Auftragskiller hat es geschafft uns so lange zu entkommen. Außerdem spricht für meine Theorie, dass sie im Gefängnis des Jubanreviers saß, während Tora auf dem Dach gegenüber jemanden erschoss. Kurz danach wurde sie aus dem Gefängnis geholt. Inu ist sich sicher, dass sie seine Schülerin wurde.“, war er überzeugt.

„Das sind alles nur Vermutungen, für nicht eine haben sie Beweise.“

„Wie erklären sie sich sonst die Flucht und ihre Unauffindbarkeit über Jahre?“, fragte er die Anwältin.

„Das herauszufinden ist wie gesagt, ihr Bier. Haben sie bis auf die Aussage von Unterinspektorin Monosuki noch irgendwelche handfesten Beweise?“

„Nein, aber…“

„Detektiv, ich habe vernommen was sie der Angeklagten zutrauen. Haben sie noch etwas zu sagen, was sie beweisen können?“, fragte Aiohara.

„Leider nichts Stichhaltiges.“, knirschte Mamoru.

„Sind noch Fragen?“, fragte er jetzt die Anwälte. Beide schüttelten den Kopf. Nenrei verließ sauer seinen Platz und setzte sich neben Otaka:

„Die nächste Zeugin der Staatsanwaltschaft ist Unterinspektorin Monosuki Hotaru.“, sagte Kaoru. Enni blickte zur Tür als Hotaru hereinkam. Sie wusste, dass sie als Zeugin der gegnerischen Seite aufgerufen werden würde:

„Monosuki- san, wann sind sie Sakada Enni das erste Mal begegnet?“, fragte Mitamura.

„Das war am 13. Oktober 2001.“, sagte sie.

„Und wo?“

„Es war als der erste Anschlag auf Kyro- san verübt wurde.“, antwortete Hotaru kurz.

„Von der Angeklagten?“

„Ja.“, bei der Antwort sah sie erst Néko an, dann vor sich auf den Boden.“

„Glauben sie, sie hat ihn auch endgültig vergiftet?“, fragte Kaoru.

„Das weiß ich nicht.“, gab sie zu.

„Was sagt ihnen ihr Gefühl?“

„Einspruch! Es geht hier nicht um Gefühle, sondern um Beweise. Die Liste derjenigen die Kyro- san tot sehen wollten, ist sehr lang.“, meinte Kioko.

„Ich formuliere die Frage anders: Trauen sie es ihr zu?“

Hotaru zögerte etwas mit ihrer Antwort, doch als sie antwortete waren ihre Augen auf Enni gerichtet:

„Früher ja, aber…“

„Danke Monosuki- san.“, unterbrach sie die Staatsanwältin.

„Was aber?“, griff Kioko auf.

„So wie ich sie jetzt erlebt habe. Mit welcher Liebe sie mit ihrem Sohn und Neo umgeht, traue ich ihr so etwas nicht mehr zu.“, sagte Monosuki.

„Sie lassen sich sehr von ihren Gefühlen leiten, oder?“, fragte Mitamura.

„Sie können nachher gerne Detektiv Misaki befragen, der meint immer, ich habe keine Gefühle.“, meinte die Unterinspektorin.

„Möchten sie die Zeugin ins Kreuzverhör nehmen?“, fragte der Richter die Verteidigerin.

„Nein.“

„Haben sie noch Zeugen?“, fragte er die Staatsanwaltschaft. Kaoru schüttelte den Kopf: „Gut, kommen wir zu denen der Verteidigung.“

„Ich rufe als ersten Detektiv Misaki Neo in den Zeugenstand.“, sagte Kioko. Als er hereinkam wurde er von den Blicken von Nenrei und Otaka durchbohrt. Ihrer Meinung nach beging er Verrat am eigenen Berufsstand.

Misaki setzte sich auf den Stuhl:

„Sie sind Detektiv Misaki Neo, zur Zeit tätig im Jubanrevier?“, fragte der Richter.

„Ja, kann ich die Angeklagte noch kurz was fragen, bevor wir anfangen.“

„Irgendwelche Einwände?“, fragte Aiohara: „Also?“

„Eh Enni… Willst du meine Frau werden?“

„BIST DU VÖLLIG BESCHEUERT!!!“, brüllte Nenrei. Es entstand fast ein Tumult. Néko sah nur Neo an der sie anlächelte. Dann blickte sie zu ihrer Anwältin, die vorsichtig mit dem Kopf nickte.

Als Mamoru vor die Tür gesetzt wurde und wieder Ruhe im Gerichtssaal herrschte:

„Noch so eine Aktion Misaki und sie handeln sich ein Bußgeld ein. Sakada- san wie ist ihre Antwort? Ohne die können wir die Befragung nicht fortsetzen.“, war der Richter genervt. So etwas war ihm noch nie passiert.

„Ja.“, war Enni gerührt und vergaß total wo sie war. Tränen rollten über ihr Gesicht. Kioko gab ihr ein Taschentuch.

„Also Misaki, wie haben sie Sakada Enni kennengelernt?“, fragte Mitamura durch die Zähne gepresst. Neo erzählte die Geschichte, die er auch schon dem Richter aufgetischt hatte.

„Wissen sie etwas über ihre Verbrecherischen Aktivitäten?“, fragte sie nun.

„Ich würde gerne von meinem Zeugnisverweigerungsrecht, was meine zukünftige Ehefrau angeht, Gebrauch machen.“, meinte Neo.

„Das kann doch wohl nicht ihr ernst sein! Sie sind Polizist und haben dem Staat und diesem Gericht gegenüber eine Pflicht!“, keifte die Staatsanwältin.

„Ich bin mir meiner Pflichten durchaus bewusst.“, meinte Neo: „Sie dürfen mich aber nicht dazu zwingen etwas gegen meine Frau zu sagen.“

„Detektiv Misaki, geht ihre Kollegin mit Gefühl an die Arbeit?“, fragte Kioko, nachdem sich die Staatsanwältin in die Akten zurückgezogen hatte:

„Hotaru und Gefühle bei der Arbeit. Niemals. Sie folgt nur den Beweisen.“

„Danke Detektiv.“

„Sie sind als Zeuge entlassen. Das Gericht ordnet eine Pause von einer Stunde an.“, sagte der Richter und erhob sich. Nachdem er den Raum verlassen hatte, ging Enni zu Neo:

„Du bist wahnsinnig, hat dir das schon mal einer gesagt?“, fragte sie.

„Nur etwa dreihundert Mal, wieso ist das für dich wichtig?“

„Das ist das Wichtigste. Dann weiß ich, dass nicht nur ich nicht richtig ticke.“

Er holte einen Ring heraus:

„Den hat mein Vater meiner Oka- san zur Verlobung gegeben.“ Er streifte ihn ihr über den linken Ringfinger: „Passt wie angegossen.“, freute sich Neo und sah an ihr vorbei auf seine Kollegin, die hinter ihr stand.

„Und? Bist du derselben Ansicht wie Nenrei?“, fragte er Hotaru.

„Nicht ganz, du hörst auf dein Gefühl und was andere davon halten, sollte dir egal sein. Ich wollte euch eigentlich viel Glück wünschen.“, sagte sie.

„Danke Hotaru, es bedeutet mir wirklich viel.“, sagte Enni.

In dem Moment verzog sie vor Schmerz das Gesicht:

„Ah.“, stöhnte sie.

„Was ist?“, fragten beide Polizisten besorgt.

„Mh, nur ein wenig Kopfschmerzen.“, musste sie mit zusammen gebissenen Zähnen sagen, um nicht zu schreien. Dann fiel sie um, direkt in Monosukis Arme.
 

Als sie die Augen wieder aufschlug, hatte sie ein Déja vu Erlebnis. Der weiße, sterile Raum, das Krankenbett und Neo an ihrer Seite, der sie ansah:

„Wie geht es dir?“, fragte er.

„Ganz gut glaube ich. Wo bin ich?“

„Wieder in der Klinik von Dr. Shiroi. Ken hat darauf bestanden, dass du wieder hierher kommst.“, erklärte er.

„Ráion wollte das?“, fragte sie ohne nachzudenken.

Plötzlich war alles wieder da. Die Erinnerung an ihr ganzes Leben. Ihre Mutter, ihr Vater, Aiana, Tora, Ken, die Geburt ihres Sohnes und vor allem Neo. Die erste Begegnung vor dem Bäcker, wie sie ihm mehr als einmal das Leben rettete:

„Neo?“ Sie war von diesen Erinnerungen überwältigt, denn auch die Gesichter ihrer Opfer fielen ihr wieder ein. Sie zitterte am ganzen Leib:

„Néko, soll ich den Arzt rufen?“, fragte er, überfordert von der Situation.

„Nein, bitte bleib. Mein Kopf ist so voll und das macht mir Angst.“, flüsterte sie nur:

„Enni, was hast du?“, fragte er und stand jetzt an ihrer Seite.

„Erinnerungen, mein ganzer Kopf ist voll davon.“, sagte sie.

„Heißt das, du erinnerst dich?“, war er erstaunt. Sie sagte nichts und klammerte sich nur an seinen Arm: „Keine Sorge. Ich bin bei dir.“, beruhigte er sie.
 

Shiroi hatte sie da behalten. Als sie die Augen früh morgens öffnete, war es noch dunkel:

„Und, möchtest du wirklich ins normale Leben zurück?“, fragte Tora.

„Hättet ihr diese Chance, würdet ihr sie nicht ergreifen?“, fragte Néko.

„Ach ich weiß nicht. Könntest du dir Ken als rechtschaffenden Bürger vorstellen?“

Enni musste tatsächlich bei dieser Vorstellung grinsen.

„Die Frage ist, wenn sie dich doch verurteilen sollten…“

„Dann müssen sie das tun.“, starrte Enni auf ihre Decke.

„Du warst schon immer ein Dickkopf.“, setzte ihr Tina einen Kuss auf die Stirn.

„Sagst du bitte Ráion noch vielen Dank von mir. Ich weiß, dass er das mit dem Arzt organisiert hat.“, sagte Néko. Ihre Freundin nickte und verließ das Zimmer.
 

Die Gerichtsverhandlung wurde am nächsten Tag fortgeführt. Sie verriet aber weder ihrer Anwältin noch irgendwem sonst, dass ihre Amnesie vorbei war.

Im Grunde musste nur noch Aiana aussagen.

Es war härter als Enni gedacht hatte. Sich all diesen Bösartigkeiten ihres Vaters zu stellen. Sich an die jeweiligen Situationen, bei denen es zu diesen massiven Verletzungen, die an der Wand zu sehen waren, kam. Shulda- san selbst hatte Tränen in den Augen, als sie über die Geschehnisse sprach:

„Es ist doch ziemlich geschmacklos, die Verletzungen der „besten“ Freundin zu fotografieren.“, meinte Mitamura.

„Glauben sie es hat mir Spaß gemacht?“, fragte Aiana.

„Hat es?“

„Ich habe diese Dokumentation für genau diesen Fall angefertigt. Damit Enni einmal beweisen kann, was für ein Untier ihr Vater gewesen ist.

Sie ist einmal zur Polizei gegangen und hat eine Anzeige gemacht. Danach lag sie fast drei Monate im Krankenhaus. Die zuständigen Ärzte und Schwestern wurden unter Druck gesetzt, damit sie nichts sagten. Ich ahnte das eines Tages entweder Enni tot ist oder er. Das ist der Grund für die Fotos.“, sagte Aiana.

„Warum sind sie nicht zur Polizei gegangen?“

„Hätte ich was unternommen, hätte ich Enni wahrscheinlich nicht wiedergesehen. Ihr Vater war ebenfalls Polizist, der hätte mir oder meinen Eltern was angehängt, zumindest hat er uns damit gedroht. Desweiteren war ich zu der Zeit noch minderjährig.“, erzählte sie.

„Haben sie noch Fragen, Furuhata- san?“, wollte der Richter wissen.

„Ich denke die Fotos und Aussagen, die bereits getätigt wurden, sprechen für sich.“, meinte Kioko.

„Dann unterbreche ich die Sitzung für eine halbe Stunde. Die Anwälte können danach ihre Plädoyers halten.“, haute Aiohara den Richterhammer auf den Tisch und erhob sich.

Kioko sah Ennis sorgenvolles Gesicht:

„Machen sie sich nicht zu viele Gedanken.“, versuchte sie sie zu beruhigen: „Gehen sie raus zu ihrem Mann und Sohn und trinken sie in der Zwischenzeit einen Kaffee.“, schickte die Anwältin ihre Mandantin zu Neo.

Als der Gerichtssaal bis auf die beiden Anwälte leer war:

„Sie sind sich ziemlich sicher, dass sie gewinnen, oder?“, fragte Mitamura.

„Es wundert mich eher, dass sie sie angeklagt haben und in diesem Verfahren geht es weniger um schuldig oder unschuldig, sondern einzig und allein wie der Richter denkt.“, sagte Kioko, nahm ihre Tasche und wollte gehen:

„Ich werde Sakada Enni hinter Gitter bringen.“, rief Kaoru ihr nach.
 

„Euer Ehren, dass Sakada Enni eine üble Kindheit hatte, wird niemand bestreiten, aber es kann auch niemand sagen, ob es letztendlich nicht doch Mord an ihrem Vater war. Die weiteren Tatsachen, dass sie mit dem Mord beziehungsweise dem Mordversuch an Kyro- san in Verbindung steht, erhärtet den Mordverdacht stark. Sie sitzt jetzt auf der Anklagebank, zwar ohne ihr Gedächtnis, aber immer noch schuldfähig. Lassen sie nicht zu das eine Mörderin freikommt.“, sagte Mitamura.
 

„Euer Ehren, Sakada Ennis Leben drohte jeden Tag zu enden. Wir haben die Aussagen ihrer Freundin, der Ärzte gehört. Ihre Mutter starb, als sie meine Mandantin verteidigen wollte. Die Grausamkeit ihres Vaters lässt sich nicht in Worte fassen.

Sakada Enni hat vor wenigen Wochen einen Kopfschuss überlebt, mit dem Preis des Verlustes ihres Gedächtnisses. Wir haben gehört, dass sie eine liebevolle Mutter ist. Ein Polizist, ein Diener unseres Staates möchte sie ehelichen. Wir sollten sie nicht dafür büßen lassen, dass der Staat sie in ihren jungen Leben nicht schützen konnte.“, beendete Furuhata ihr Plädoyer.

Als der Richter mit seinen Beratern anderthalb Stunden später aus dem Richterzimmer kamen und sich auf ihre Plätze setzten, war Enni am Boden mit ihren Nerven. Es nahm ihr fast den Atem.

Aiohara- san sah sie an:

„Sakada Enni. Ihr Martyrium durch ihren Vater war wirklich grauen erregend. Niemand, nicht einmal sie können bezeugen, was am 05.03.2000 geschehen ist. Aber die Beweise sprechen eine deutliche Sprache. Ich bin der Überzeugung das es Notwehr war.“ Ein raunen ging durch den Gerichtssaal:

„Für den Mordversuch an Kyro kann ich sie auf Grund der Amnesie nicht verurteilen. Ich spreche sie hiermit von allen Anklagepunkten frei.“ Der Hammerschlag schallte durch den Raum. Für Enni war es als würde sie von tonnenschweren Ketten befreit. Neo und Aiana kamen auf sie zu und schlossen sie in die Arme:

„Du bist frei!“, riefen sie.

Vor dem Gerichtsgebäude:

„Furuhata- san, vielen Dank.“, sagte Sakada.

In dem Moment kam Mitamura die Treppe herunter. Enni drehte sich zu ihr um. Kaoru sah jedem in die Augen und ging dann an ihnen vorbei.

„Wissen sie, das war das erste Mal, dass ich bei der Staatsanwältin sowas wie Mitgefühl erlebt habe.“, meinte Kioko. Entgeisterte Blicke gingen an sie: „Nein wirklich, dadurch dass sie diese Sache mit Kyro angesprochen hat, kann Sakada- san, selbst wenn sie ihr Gedächtnis wiedererlangt, dafür nicht mehr angeklagt werden. Normalerweise hätte sie das nicht gemacht. Ich will gar nicht wissen, was da im Verborgenen liegt.“, lächelte sie.

„Danke.“, sagte Enni noch einmal.

Wahrheit

Néko lebte jetzt seit zwei Jahren wie ein freier Mensch. Selbst nach dieser Zeit war es für sie noch ein wenig ungewohnt. 16 Jahre lang hatte sie ständig in Angst gelebt. Die Zeit danach musste sie sich versteckt halten und konnte nur unter größter Vorsicht hinausgehen. Nun war sie endlich frei.

Sie kümmerte sich um ihren Mann und Sohn. Außerdem war sie im Schützen- und Kampfsportverein aktiv.

Taro konnte mittlerweile laufen und sprach seine ersten Worte. Beim Kinderkarate hatte er viel Spaß.

Enni hatte von Tora und Ráion zu kämpfen gelernt, aber die Philosophie hinter der Technik war bei ihnen ziemlich kurz gekommen.

„Derjenige der sie angreift, kann einem leidtun.“, sagte der Kursleiter im Martial Arts Kurs, nachdem er von Enni auf den Boden geschleudert worden war: „Ich wüsste zu gerne, wer ihnen das beigebracht hat.“

Enni nahm ihren Schutzhelm ab und reichte ihr die Hand:

„Ich wüsste viel lieber, wozu ich eine solche Ausbildung nötig hatte.“, sagte Enni.

„Misaki- san, ich weiß wir hatten schon darüber gesprochen, aber ich wollte sie trotzdem noch einmal bitten am Tokio- Martial Art- Turnier teilzunehmen.“

„Takase- san, ich bin dafür nicht bereit.“, wollte sie ablehnen.

„Aber ihre technischen Fähigkeiten sind überragend.“

„Diese sind aber nur die eine Seite des Sportes.“, meinte sie.

„Ich wünschte ich könnte sie überzeugen.“, sagte er. Sie schenkte ihm ein Lächeln und verbeugte sich:

„Ich danke ihnen Takase- san.“, sagte Enni.

Als sie nach einer Dusche und mit frischen Sachen auf den Flur kam, stand Tora in Jeans, T- Shirt und einem Basecap an die Wand gelehnt:

„Hast du Lust auf einen Kaffee bzw. Kakao?“, fragte diese.

„Können wir vorher noch Taro abholen?“, antwortete sie mit einer Gegenfrage.

„Na klar.“, sagte Tina, stieß sich von der Wand ab und kam ihr entgegen.
 

Im Café

„Wie geht’s euch beiden?“, fragte Néko.

„Kann nicht genug klagen.“, grinste Tina: „Und du, warum nimmst du die Herausforderung des Turnieres nicht an?“

„Falls du dich erinnerst, ich habe eine Kugel im Kopf. Das Letzte was ich brauche, sind ein paar Hirnis die mir draufhauen. Nein, kein Bedarf. Übrigens mein Trainer will Ken kennenlernen.“, lachte Enni.

„Ja. Ja.“, meinte Tina sarkastisch: „Aber der eigentliche Grund warum ich hier bin, sind Hitomi und ihre Schwestern. Sie haben Probleme.“

„Du meinst sie sind geschnappt worden? Oder richtige Probleme?“

„Ich rede von echten Problemen. Ein Syndikat, welches sich selbst „die Illuminaten“ nennt, hat ihren Vater und jetzt auch Hitomis Verlobten. Was diese Typen von den Mädels wollen, habe ich nicht mitbekommen.

Dir schien es damals wichtig zu sein, dass ihnen niemand ein Haar krümmt, vielleicht möchtest du ihnen wieder helfen.“, berichtete sie ihrer ehemaligen Schülerin.

„Neo wird stinksauer sein.“, meinte Enni stöhnend: „Wo sind sie jetzt?“

„Bei sich zuhause.“

„Kannst du Taro nachhause bringen und Neo etwas beruhigen?“, bat Néko ihre Freundin. Sie überließ Tina das Auto und fuhr mit dem Bus in Richtung Café Cat´s Eye.

Es war verschlossen und im gegenüberliegenden Raubdezernat herrschte Aufregung. Enni klopfte und klingelte. Love, die Jüngste öffnete die Tür:

„Tut mir leid, aber heute ist geschlossen.“, sagte sie.

„Ich habe euch schon mal das Leben gerettet. Vielleicht kann ich euch wieder helfen.“

„Néko!“, war sie geschockt.

„Love, wer ist da?“, fragte Nami, dann entdeckte sie sie:

„Néko, was machen sie hier?“, fragte Kisugi.

„Ich habe von eurem Problem gehört.“, betrat sie das Café und sah sich um: „Wo ist Hitomi?“

„Auf der Suche nach Toshi.“, sagte sie.

„Rufe sie an und sag ihr wir treffen uns am Lagerhaus in dem ihr eure Kunstwerke aufbewahrt.“

„Woher weißt du, was sie wollen?“

„Was könnten sie sonst von euch wollen? Habt ihr Waffen hier?“, fragte Néko.

„Nur eine Magnum.“

„Ich gehe noch mal telefonieren.“, meinte Enni und ging vor die Tür. Sie wählte Toras Nummer:

„Magst du mir helfen?“, stellte sie gleich die Frage, bevor Tina irgendwas sagen konnte.

„Wäre mal was anderes, übrigens ist Neo fuchsteufelswild.“

„Habe ich auch nicht anders erwartet. Bringst du mir meine New Nambu mit?“

Stunden später lag sie auf dem Dach eines Lagerhauses und beobachtete den riesigen Truck in der Gasse indem das gesamte Diebesgut von Katzenauge war.

Sie hörte wie sich jemand anschlich und lächelte:

„Danke, dass du mitmachst.“, sagte Néko zu Tora.

„Ich dachte, dass das Anschleichen vielleicht wieder hinhaut.“, bedauerte sie leise.

„Sorry, hast du meine Kanone mit? Bei der Magnum kriege ich Krämpfe in den Fingern.“ Ihre Freundin reichte ihr die New Nambu. Sie spürte sofort den vertrauten Stahl in der Hand:

„Ist Ken auch da?“, fragte Enni jetzt.

„Ja und Neo auch.“

„Muss ich mich jetzt wundern?“, stöhnte sie. Ihre Aufmerksamkeit ging jetzt wieder in Richtung Straße. Es kam Bewegung ins Spiel, denn vor und hinter dem LKW hielt jeweils eine schwarze Limousine.

Aus der Rechten stiegen drei Männer mit gezogenen Waffen aus. Zwischen ihnen ein älterer Mann. An der anderen Limousine vier dieser finsteren Gestalten, die den bewusstlosen Toshi grob aus dem Wagen zerrten.

Die drei Schwestern stiegen aus dem Führerhaus. Allen drei war nicht wohl dabei, dass sah man ihnen an:

„Die Illuminaten haben nicht vor irgendwas auszutauschen.“, sagte Tora.

„Ich zünde die Rauchbomben.“, sprach sie ins Funkgerät: „Nékome! Ihr schnappt euch euren Vater. Wir kümmern uns um Detektiv Uzumi.“

Dann gingen die Bomben unterm Truck hoch und alles versank in dicken weißen Rauchschwaden. Es fielen sechs Schüsse. Zwei von Ken, zwei von Neo, einer von Tora und einer von Néko.

Als der Rauch sich gelegt hatte, sahen sie die Präzisionsarbeit. Sechs Illuminati tot und Uzumi noch immer bewusstlos.“

Misaki Neo brachte ihn ins Krankenhaus, während sein Bruder den LKW in ein Versteck fuhr.

Die Schwestern hatten ihren von der Entführung geschwächten Vater nach Hause gebracht. Während er im Bad war, kam Néko herein:

„Wo ist Toshi?“, fragte Hitomi sie aufgebracht.

„Mach dir keine Sorgen, er ist im Krankenhaus.“

„Ich muss zu ihm.“, hatte sie schon ihre Jacke in der Hand:

„Warte.“, flüsterte Enni eindringlich und sah sie an:

„Wird es nicht langsam Zeit, ihm die Wahrheit zu sagen.“, sagte Néko.

„Ich kann ihm das nicht sagen.“, schüttelte sie den Kopf.

„Du hast dich immer vor ihm Versteckt, meinst du nicht er verdiene keine Ehrlichkeit von seiner eigenen Zukünftigen?“, fragte Enni.

„Hitomi, es ist wichtig, dass du ihm die ganze Wahrheit sagst. Das du zu dem stehst was und wer du bist.“, sagte plötzlich ihr Vater. Sie sah ihn an, dann ihre Schwestern, die beide nickten.

„In welchem Krankenhaus ist er?“, blieb sie die Antwort schuldig.

„Das Community Tokyo Hospital.“, sagte Néko.
 

Kisugi saß an Toshis Bett als er erwachte. Sie hielt seine Hand:

„Hi… Hitomi?“, fragte er verwirrt.

„Wie geht es dir?“, fragte sie besorgt zurück.

Er überlegte eine Weile und versuchte die vergangenen Stunden in seinem Kopf zu sortieren, aber vieles schien keinen Sinn zu ergeben.

„Ich wurde entführt, nicht wahr?“

„Ja.“

„Von wem und warum?“, war er noch immer durcheinander. Hitomi liefen Tränen übers Gesicht: „Was ist?“, fragte er sorgenvoll:

„Toshi, es ist alles meine Schuld.“, schluchzte sie. Er wunderte sich:

„Du konntest doch nun wirklich nichts dafür.“, wollte Uzumi sie beruhigen.

„Doch.“

„Wieso sagst du das?“, fragte er verwundert.

„Toshi, meine Schwestern und ich… sind die Töchter von… Michael Heinz.“, sie senkte Blick.

„Willst du mir sagen, dass ihr die Katzen seid.“, er löste seine Hand aus ihrer: „Bitte geh.“, bat Uzumi.

„Toshi, …“

„Nein, ich will deine Erklärungen nicht hören.“, meinte er: „Geh!“

Hitomi stand auf, ihre Wangen vor Tränen glitzernd:

„Ich liebe dich.“, sagte sie noch, bevor sie aus der Tür ging.

Uzumi war geschockt. So lange hatte er sich gegen Asajas Verdacht gewehrt. Hatte sie verteidigt.
 

Eine Woche war inzwischen vergangen. Néko war mit ihrem Sohn viel im Café Katzenauge und erfuhr aus erster Hand, dass Detektiv Uzumi seine Verlobte nicht sehen wollte, trotz Entlassung aus dem Krankenhaus. Zumindest hat er sie nicht verraten:

„Wenn du willst kann ich Neo mal zu ihm schicken.“, schlug Misaki Enni vor.

„Was soll das bringen.“, meinte sie erschöpft.

„Du hast vergessen was mein Job war und er war auch nicht immer einverstanden mit dem was ich getan habe. Des Öfteren auch stinksauer. Unter anderem auch, als wir Toshi da herausgeholt haben.“, sagte die ehemalige Killerin.

„Meinst du das funktioniert?“, fragte Hitomi.

„Einen Versuch ist es wert.“, sagte Néko und nahm ihr Telefon zur Hand: „Neo, ich bin es. Könntest du mit Detektiv Uzumi wegen Kisugi Hitomi reden.“, fragte sie.

„Wieso, damit er den gleichen Mist ertragen muss wie ich.“, versuchte er sauer am anderen Ende der Leitung zu klingen.

„Du bist doch froh, dass wir mal jemandem geholfen haben. Neo, ich bitte dich. Die beiden rennen sonst in ihr Unglück und dafür haben wir sie nicht gerettet.“, versuchte sie zu überzeugen:

„Gib mir die Adresse.“, sagte er sich ergebend.
 

Abends klopfte es an der Tür. Toshi sah durch den Spion und öffnete:

„Detektiv Misaki? Was machen sie hier?“

„Ich soll mit ihnen reden?“, sagte Neo.

„Worüber?“

„Über Hitomi und ihr Katzendoppelleben.“

„Sie wissen davon?“, war Toshi überrascht.

„Erst seit dem Tag als wir sie rausgeholt haben.“

„Wir? Heißt das Hitomi und ihre Schwestern waren dabei?“, war er überrascht.

„Nicht nur die, meine Frau und ein paar weitere waren auch dabei.“

„Das verstehe ich nicht.“, meinte Uzumi.

„Viele haben ein Doppelleben, was nicht immer ganz gesetzestreu ist.“, sagte Misaki.

„Aber wer davon ist mit einem Polizisten verheiratet?“, fragte er aufgebracht. Sie standen immer noch im Flur.

„Zum Beispiel meine Frau und die hatte noch einiges mehr drauf als Katzenauge.“, meinte Neo.

„Wie können sie das verzeihen?“, flüsterte Toshi.

„Indem ich mir ihre Gründe angesehen habe. Im Prinzip war es trotzdem falsch, aber ich liebe sie und gegen dieses Gefühl konnte und wollte ich nichts machen. Sie müssen auch bedenken, was für ein Schritt es für Hitomi gewesen sein musste, ihnen die Wahrheit zu sagen. Einen größeren Vertrauensbeweis gibt es nicht. Es ist ihre Entscheidung Uzumi- san. Ist ihr verletzter Stolz wichtiger als euer gegenseitiges Glück?“, fragte Neo. Der Detektiv des Raubdezernates sah auf den Boden:

„Ich weiß es nicht.“, sagte er.

„Dann frage ich anders. Liebst du sie?“

„Ja, deshalb schmerzt es.“, meinte Toshi.

„Geben sie Hitomi die Chance es zu erklären. Sie haben sicher nicht aus Habgier gestohlen, sonst würde Néko sie nicht beschützen.“, sagte Misaki.

„Wollen sie einen Kaffee?“, fragte der Besuchte.

„Gern.“, lächelte Neo.
 

Etwa um zweiundzwanzig Uhr klingelte im Café Katzenauge das Telefon:

„Kisugi.“, ging Nami ran. Zuerst war nur Stille zu hören und sie fragte nach: „Hallo?“

„Ich bins Toshi, Hitomi kann mich im Park an den Schaukeln treffen. Richtest du ihr das bitte aus?“, fragte er.

„Natürlich.“, meinte sie.

„Danke.“ Uzumi legte auf.

Die ältere Schwester richtete Hitomi die Nachricht ihres noch Verlobten aus. Sie hatte Angst vor den Dingen, die er ihr wohl an den Kopf werfen würde. Er hasste sie, dessen war sie sich sicher, auch wenn Néko etwas anderes behauptete.

Beide Schwestern und der Vater waren nötig, um sie zu überreden zu dem Treffen zu gehen.

Als sie am Spielplatz ankam, saß Toshi auf einer der beiden Schaukeln und sah auf den Boden.

„Toshi?“, fragte sie schüchtern. Er hob den Kopf:

„Ich bin froh, dass du gekommen bist.“, sagte er ruhig und stand auf. Sie rührte sich nicht. Uzumi blieb an Ort und Stelle stehen: „Hitomi, ich weiß, dass es dich Überwindung gekostet haben muss, mir, einem Polizisten die Wahrheit zu sagen. Ich war im Krankenhaus aufgebracht und wütend, über dein jahrelanges Versteckspiel.“ Hitomi senkte den Kopf und das Licht der Laternen brach sich in ihren Tränen: „Aber ich habe erkannt, welches Risiko du eingegangen bist, um mit mir zusammen zu sein.“

Sie sah ihn an und wusste noch immer nicht, wie er sich entschieden hatte. Uzumi kam jetzt auf sie zu und nahm ihre Hände:

„Trotz all dieser Diebstähle und Täuschungen… will ich dich immer noch zur Frau.“, brachte er es über sich: „Wenn ich dich schon nicht festnehmen kann, sollst du wenigstens zu mir gehören.“, flüsterte er fast.

„Meinst du das ernst?“, war sie völlig überrascht.

„Ja.“

„Toshi.“, schluchzte sie. Er nahm sie in die Arme und hielt ihren zitternden Körper fest. Er spürte ihren heftigen Atem, die Wärme, die von ihr ausging. Er setzte sich mit ihr auf eine Bank. Beide schwiegen und waren erleichtert. Langsam beruhigte sich Kisugi wieder:

„Ich danke dir.“, sie sah ihm tief in die Augen und küsste ihn leidenschaftlich. Er strich mit seinen Fingern durch ihr Haar und berührte dann ihre Wange:

„Du musst mir allerdings noch einiges erklären.“, sagte er.

„Natürlich, es soll keine Geheimnisse mehr zwischen uns geben. Aber nicht hier, können wir in deine Wohnung gehen?“, fragte sie.

„Ja.“, war er überrascht, bisher waren sie nicht oft in seinen vier Wänden gewesen. In seinem Wagen fuhren sie zu dem grauen Gebäudekomplex aus den siebzieger Jahren. Es war nirgendwo eine Menschenseele zu sehen, nur ab und an war ein Fernseher zu hören.

Sie wechselten kein Wort. Toshi holte den Schlüssel zu seiner Wohnung heraus und öffnete die Tür.

Hitomi war noch nicht oft in seiner Wohnung gewesen, obwohl sie sich schon seit der Schulzeit kannten. Sie merkte, wie sie immer nervöser wurde.

„Setz dich doch.“, bot er ihr die Couch an: „Kann ich dir was zu trinken bringen?“, fragte er noch.

„Nein.“, schüttelte Kisugi den Kopf. Uzumi setzte sich neben sie:

„Woran denkst du?“, fragte er.

„Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Es ist so viel passiert in den letzten Wochen und Tagen.“, sie blickte ihn an: „Ich kann nicht glauben, dass ich hier bei dir sitze. Ich dachte, du würdest mir nie verzeihen.“, meinte sie.

„Detektiv Misaki hat mich drauf gestoßen was im Leben wichtig ist und das es mehr gibt als verletzten Stolz.“ Er setzte sich zu ihr: „Ich liebe dich Hitomi und es gibt nichts, was mich davon abbringen könnte.“, gestand er ihr. Toshi streichelte erneut über ihr Gesicht und näherte sich weiter. Mit seinen Händen führte er zärtlich ihre Lippen an seine:

„Habe keine Angst.“, flüsterte er nur und küsste sie, seine Hände glitten um ihre Hüften und zogen sie an seinen Körper.

„Toshi!“, war sie überrascht. Diese Art von initiative kannte sie nicht. Er war immer schüchtern gewesen. Er war immer schüchtern gewesen. Ihre Arme fanden den Weg um ihn herum. Sie presste ihren Körper an seinen. Er spürte deutlich ihre Brüste. Sie sahen sich in die Augen. Hitomis glänzten vor Tränen und ihr Gesicht war leicht gerötet. Toshis Lippen suchten wieder ihre auf und sie berührten sich zunehmend fordernder. Das Gefühl, das jetzt nichts mehr zwischen ihnen stand, befreite ihren Geist, ihre Gefühle und nicht zuletzt ihre Lust. Kisugis Finger streichelten erst über seinen, noch unter dem Hemd verborgenen Oberkörper. Ihre Münder lösten sich kaum von einander. So sehr hatten sie sich beide danach gesehnt. Immer wieder war was dazwischen gekommen. Toshi Job, Hitomis Geheimidentität, der Chef, Asaja, Love oder aber die eigene Schüchternheit. In diesem Moment, in dieser Nacht waren sie frei davon. Sie öffnete den ersten Knopf seines Hemdes, dann den Zweiten und langsam immer weiter. Seine Brust hatte einen leichten schwarzen Flaum, den Hitomie schüchtern berührte. Sie schob ihm erst das Hemd von der rechten, dann von der linken Schulter. Es fiel auf den Boden. Toshi besann sich kurz und löste sich von ihr:

„Hitomi… bist du sicher, dass du das möchtest?“, wollte er sicher gehen, dass es nicht aus schlechten Gewissen geschah.

„Ich habe mich so sehr danach gesehnt.“, hauchte sie und ein Gefühl als würde sie in Flammen aufgehen, bemächtigte sich ihr. Er hatte jetzt ebenfalls begonnen sie zu streicheln und jede Stelle die er berührt hatte, schien zu brennen.

Ihre Küsse wurden wilder. Hitomi zog an ihrer Bluse, so dass die Druckknöpfe aufsprangen und ein weißer BH zum Vorschein kam. Toshi blieb die Luft weg. Er hatte sie schon im Badeanzug gesehen, aber dieses freizügige Verhalten von ihr, war etwas ganz neues. Vorsichtig fasste er durch das geöffnete Kleidungsstück, jedoch vor ihrem Busen zögerte er:

„Was ist?“, unterbrach sie fragend den Kuss. Nahm seine rechte Hand mit ihrer linken und legte diese vorsichtig auf ihre Brust. Mit leichten kreisenden Bewegungen begann er diesen zu massieren. Sie stöhnte auf, das Gefühl war unbeschreiblich. Sie beugte sich diesem entgegen:

„Toshi.“, hauchte sie, in ihrer Erregung. Er streifte ihr mit der freien Hand die Bluse ab. Kurz darauf lagen sie sich wieder in den Armen:

„Hitomi… möchtest du lieber ins Schlafzimmer gehen?“, fragte er. Das jetzt unterbrechen, nur um von einer Liegemöglichkeit auf die andere zu kommen? Nein, das konnte und wollte sie nicht:

„Nein.“, flüsterte sie leise: „Ziehe deine Jeans aus.“, meinte sie verlegen. Sie konnte nicht glauben, was sie da sagte. Ihr ganzes Leben war sie äußerst Schüchtern, fast prüde gewesen. Doch in ihrem Momentaren Zustand, sie wollte nichts sehnlicher, als das ihr körperliches Verlangen von Toshi so bald wie möglich gestillt wird.

Er tat wie ihm geheißen du war froh die Enge der Hose los zu sein. Die Boxershort hatte schon eine deutliche Beule.

Sie legte sich wieder auf das Sofa, nachdem sie sich ihres Rockes entledigt hatte. Seine Erregung explodierte fast, als er sie nur mit ihrer Unterwäsche bekleidet auf der Couch liegen sah.

Er setzte sich auf Höhe ihres Bauches daneben und betrachtete sie. Toshi legte seine Hand auf ihren Bauch und begann erneut, sie zu streicheln. Sie hob ihre Arme, fasste ihm ins Gesicht, holte ihn sanft zu sich runter. Beide begannen erneut sich ungestüm zu küssen und seine Hand fand den Weg nach unten. Er berührte sie an ihrer intimsten Stelle, die noch mit einem Slip überdeckt war. Wieder entwich ihr ein Stöhnen. Er streichelte nun fester darüber, was ihre Erregung noch steigerte:

„Ja.“, stöhnte sie. Mit ihrer linken Hand öffnete sie ihren BH. Toshi schluckte, als sie sich diesen auszog. Er nahm ihr das Kleidungsstück aus der Hand und ließ es auf den Boden fallen, während sein Gesicht sich ihrem erneut näherte. Sie küssten und berührten sich leidenschaftlich an intimen Stellen. Uzumi strich an ihrer linken Körperhälfte entlang. Er stoppte an ihrem Slip und sah ihr fragend in die Augen. Hitomi konnte nicht sprechen und nickte nur. Sie hob ihr Becken, so dass er ihr das letzte Stück Stoff auch noch ausziehen konnte. Er sah auf das Zentrum ihrer Lust und wusste plötzlich nicht mehr wohin mit seiner. Er war wie gelähmt. Alles hatte Toshi erwartet, sogar dass er ohnmächtig wird. Doch nicht, dass ihm selbst die Short zu eng, fast schmerzhaft wird.

„Toshi, ich will nur dich.“, hauchte sie ihm entgegen und fasste an den Bund der Unterhose. Gemeinsam zogen sie sie aus.

Uzumi war gut ausgestattet. Seine Männlichkeit hatte sich zu stolzen achtzehn Komma fünf Zentimetern aufgerichtet. Er legte sich vorsichtig über sie und begann sich an ihr zu reiben. Beide küssten sich. Mit ihrer Hand tastete sie sich an seinem Körper entlang, bis sie seinen „Freund“ erreichte. Hitomi drückte ihn leicht nach unten, so dass er schließlich in sie eindrang. Gleichzeitig stöhnten sie auf. Toshi versuchte sich vorsichtig in ihr zu bewegen. Sie atmeten schwer. Ihre Bewegungen glichen sich an. Ihr Rhythmus wurde eins und sie merkten, wie die ständige Berührung des Anderen begann, ihnen auf herrliche Weise den Verstand zu rauben. Ihre Körper wurden immer mehr zum Teil des anderen. Immer fester stieß Uzumi in ihren Unterleib. Sie war nah an der Extase:

„Toshi.“, stöhnte sie: „Bitte hör nicht auf. Ahh.“ Es war so weit. Hitomi bekam einen Orgasmus, wenige Sekunden vor ihm. Mit einem heiseren:

„Ja!“, ergoss er sich in sie.
 

Noch völlig verschwitzt lagen sie jetzt neben einander:

„Bereust du es?“, fragte Toshi nun.

„Nur dass wir das nicht schon früher getan haben.“, lächelte sie nun.

Yakuzas

Yakuza

„Wie ich sehe hat dein Gespräch mit Uzumi- san was gebracht.“, sagte Enni zu Neo als er nachhause kam.

„Woher weißt du das jetzt schon wieder?“, fragte er.

„Nami hat mich angerufen. Ich konnte Uzumis Umschwung, sich plötzlich mit Hitomi zu treffen fast nur darauf zurückführen.“, meinte sie.

„Na ja, in dieser Angelegenheit habe ich wohl die meiste Erfahrung.“, er sah sie an: „Was hast du?“

„Ich weiß nicht, nur so eine Art Vorahnung. Ich habe ein ganz unbehagliches Gefühl.“, sagte Néko. Er kam auf sie zu und gab ihr einen Kuss. Seine Wärme durchströmte sie:

„Das tut gut.“, meinte sie.

Plötzlich klingelte ihr Handy. Sie löste sich von Neo und nahm es:

„Hallo?“, ging sie ran.

„Néko,“, hörte sie Toras Stimme: „Wir brauchen deine Hilfe.“

„Ich kann nicht.“, sagte Enni enttäuscht.

„Warum nicht?“, fragte sie.

„Wenn es um einen Umzug oder Ähnliches gehen würde, aber du verlangst von mir, dass ich wieder alles in Gefahr bringe.“, meinte Néko.

„Ich würde dich nicht bitten, wenn es nicht absolut notwendig wäre.“

„Tora…“

Neo nickte wissend und ging zu seinem Sohn in die Küche. Taro saß im Kinderstuhl und spielte mit einem bunten großen Würfel.

Minuten später kam seine Frau dazu. Sie sah ihn nicht an:

„Du wirst wieder mitgehen, nicht wahr?“, fragte er. Ihr Blick war zu Boden gerichtete:

„Wenn ich ihr Leben retten will, muss ich.“, sagte sie. Sie hatte Tora allerdings noch keine Zusage gegeben.

Er stand auf und hatte die Augen geschlossen. Tief durchatmend sagte er:

„Dann solltest du ihr helfen.“

„Was?“

„Néko, du würdest es nicht ertragen, wenn Tora etwas zustieße und du würdest dir ein Leben lang nicht vergeben.“, wusste Neo.

„Weißt du, dass ich dich liebe?“, fragte sie.

„Ja.“

Sie ging langsam auf ihre „Männer“ zu:

„Ich liebe euch beide.“, sagte sie und gab jedem von ihnen einen Kuss.
 

Sie traf eine Stunde später bei Tora und Ráion im Versteck ein:

„O.K., ich bin dabei.“, sagte sie den Beiden, als sie ihnen am runden Tisch gegenüber stand. Tina lächelte, während Ken nur nickte:

„Gegen wen, warum und wie?“, fragte Néko.

„Sagt dir die Yakuzas was?“, fragte Ráion.

„Die japanische Mafia, ja. Ihr, dass heißt wir wollen uns wirklich mit den Yakuzas anlegen?“, fragte Enni skeptisch.

„Néko, solange die oberste Führungsriege noch lebt, werden Taro, Neo und du nicht in Sicherheit sein.“, meinte Ken. Erstaunt sah sie ihn an:

„Seit wann machst du dir offensichtlich Sorgen?“, fragte sie. Er warf ihr einen bösen Blick zu und ging sich einen Kaffee holen.

„Pass auf, es findet in den nächsten Tagen eine Versammlung der Oberhäupter der Yakuzas statt. Das geschieht auf dem Tokio- Polder.“, sagte Tina.

„Du meinst da, wo die drei Hochhäuser drauf stehen?“, fragte die Jüngste.

„Genau da. Das Treffen wird abends stattfinden, wenn sich da niemand mehr aufhält. Jeweils zwei Bosse in einem Gebäude, wohl zu ihrer Sicherheit.“, erklärte sie.

„Lass mich raten, sie sitzen natürlich ganz oben.“, stöhnte Enni. Die beiden aktiven Auftragskiller ignorierten das, während sie weitersprach: „Ihr braucht mich, um ins dritte Haus zu gehen.“

Beide nickten:

„Néko, ich weiß was ich von dir verlange, aber ohne deine Hilfe werden uns garantiert welche entkommen.“

„Wann soll das ganze stattfinden?“, fragte Enni jetzt.

„Im Laufe der nächsten Woche.“, sagte Ken.

„Wir haben dich jetzt schon geholt, damit du trainieren kannst.“

„Mein Trainingsanzug ist im Schrank?“, fragte Néko.

„Alles noch da, wo du es gelassen hast.“, sagte Tina.

Sie ging in ihr früheres Zimmer. Es kam ihr seltsam vor. Ihre Bilder hingen noch an der Wand und auf ihrem Nachtschrank stand das Foto ihrer Mutter. Das hatte sie ganz vergessen. Sie nahm es in die Hand und betrachtete es einen Moment, dann zog sie sich um.

Als sie aus der Tür kam, flog ihr augenblicklich ein Kopfschutz entgegen. Sicher fing sie ihn auf:

„Wir sollten deinen Kopf nicht mit mehr Schlägen belasten als unbedingt nötig.“, sagte Ken.

Im Dojo stand sie jetzt ihren beiden Trainingsgegnern gegenüber.

Ohne Vorwarnung ging Ráion auf sie los. Seine Bewegungen waren schneller und härter als die ihres Trainers, dennoch konnte sie ihm Paroli bieten. Dann stieg Tora mit ein. Sie hatte lange keinen dualen Kampf mehr. Mehrere Minuten hielt sie gegen, dann schickte sie ein Fußtritt in den Bauch auf die Matte:

„Au… Ich hatte vergessen wie weh das tut.“, röchelte sie.

„Du vernachlässigst es zu sehr den Oberkörper zu schützen, aber das kriegen wir schon wieder raus.“, meinte Ken, ihr die Hand zum Aufhelfen hinhaltend. Sie nahm sie und sah ihn an:

„Was ist?“, fragte er.

„Nichts.“, meinte Enni und ließ los.

„Weiter geht’s.“, sagte Tora.
 

Spät abends kam Enni zuhause an. Neo und Taro schliefen schon. Ihr tat alles weh und fühlte sich auch seelisch beschissen. Sie dachte sie hätte mit dem Morden abgeschlossen, konnte sie es überhaupt noch? Sie setzte sich ins Wohnzimmer und nahm sich eine Decke und wickelte sich drin ein. Sie dachte nach und schlief darüber ein. Als sie aufwachte fühlte sie sich völlig taub. Néko wollte dagegen ankämpfen, konnte es aber nicht. In der Küche wurde gerade Tischgedeckt und Taro rief laut nach ihr. Sie kämpfte sich unter Schmerzen hoch und ging zu ihrer Familie:

„Du siehst grauenvoll aus.“, meinte Neo.

„Charmante Begrüßung.“, sagte sie: „Hallo Taro, mein Schatz.“, gab sie ihrem Kleinen einen Kuss.

„Ist spät geworden, gestern?“, fragte ihr Mann.

„Ja, sie haben mit mir Nahkampf geübt. Ich hatte total vergessen wie weh das tut.“

„Ich habe dir einen Kakao gemacht.“, sagte er.

„Danke.“, sie setzte sich und nahm einen Schluck.

„Es belastet dich sehr, stimmt´s?“, fragte Neo.

„Mehr als ich gedacht habe. Ich fühle mich so in diese Zeit zurück versetzt und das macht mir Angst.“, war sie ganz offen zu ihm.

„Deshalb hast du nicht bei mir geschlafen.“, wusste er nun. Enni nickte.

„Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, aber dir würde es wesentlich schwerer fallen, wenn Tina etwas zustieße, also wirst du es durchziehen und unsere Stadt etwas sicherer machen.“, meinte er.

„Du verstehst das nicht!“, sagte sie ihm und warf ihm einen wütenden Blick zu und stand auf.

„Néko! Néko!“, rief ihr Neo hinterher. Sie setzte sich ins Wohnzimmer, er kam mit Taro auf dem Arm hinein:

„Es tut mir leid.“, meinte er kleinlaut: „Ich wollte es dir doch nur etwas leichter machen.“

„Aber genau das will ich nicht. Warum soll es mir leicht fallen Menschen auszulöschen?“, fauchte sie.

„Ich weiß es nicht, entschuldige.“, sagte er nochmal. Er stellte Taro auf den Boden. Der lief zu seiner Mutter. Sie schüttelte kurz den Kopf, kniete sich hin und nahm ihn in die Arme:

„Ihr zwei wisst genau, wie ihr mich wieder wohlwollend stimmen könnt, oder?“, fragte Enni.

Neo zuckte nur mit den Schultern.

„Gehen wir heute Abend was Essen?“, lud er sie ein.

„Lass uns lieber eine Pizza bestellen, ich weiß nicht wann mich Ken gehen lässt.“, meinte sie.

„Wir werden es sehen, wenn du heimkommst.“

„Optimist.“, gebrauchte sie es jetzt fast als Schimpfwort, aber in Wahrheit liebte sie das am Meisten an ihm. Er lächelte nur:

„Wir sehen uns.“, kam er auf sie zu und küsste sie. Minuten später verließ Neo mit Taro die Wohnung.

Sie machte sich ebenfalls fertig und fuhr ins AK- Versteck.

„Wie geht es?“, fragte Ken.

„Fühl mich ein wenig zerschlagen.“, sagte Néko: „Was liegt an?“

„Heute, Schusstraining.“, sagte er.

Mit ihrer New Nambu schoss sie mehreren Papiersilhouetten die Köpfe und Herzen kaputt.

„Meine Güte, dein schießen hat sich sogar verbessert.“, sagte Ráion freundlich. Enni wunderte sich über Kens Verhalten, seit sie wieder hier aufgetaucht war, war er sehr freundlich zu ihr, machte keinerlei Druck und baute sie auf.

Sie legte die Waffe auf den Tisch und ging zu Tora in die Küche.

„Was ist hier los?“, fragte sie.

„Was meinst du?“, fragte Tina zurück.

„Dieses scheißfreundliche Verhalten von Ken. Das macht mir Angst.“, sagte Néko.

„Ich habe dir gesagt, dass sie mir das nicht abkauft.“, schallte es aus dem Schießstand.

„Ich habe nur zu ihm gesagt, er solle sich ein wenig zusammen reißen. Du sollst dich nicht an das Arschloch Ken erinnern.“, meinte Tora achselzuckend.

„Ich enttäusche dich wirklich ungern, aber der Zug ist abgefahren.“, grinste sie.

„Er konnte es ja mal probieren.“, meinte ihre Freundin.

„Neo wollte mit mir noch essen gehen. Bis morgen.“, verabschiedete sie sich.
 

Néko holte Taro von der Kinderkrippe ab als plötzlich das Telefon klingelte:

„Enni, die Aktion ist heute Nacht.“, hörte sie Tina.

„Tora!“, meinte sie in einem genervten Ton.

„Tut mir Leid wegen dem Essen, aber du musst in einer Stunde hier sein, damit wir alles vorbereiten können.“, sagte sie.

„Lass mich ein paar Anrufe machen.“, sagte Enni und legte auf. Sie wählte Neos Nummer:

„Misaki.“, ging er ran.

„Ich bins.“

„Dir müssen die Ohren geklungen haben. Ich habe gleich frei.“, sagte er.

„Kannst du möglichst schnell nachhause kommen?“, fragte sie.

„Warum?“

„Es ist soweit?“, sagte sie.

„Enni!“, meinte er in demselben Ton wie sie vorhin zu Tora: „Musst du gleich los?“, fragte er dann noch.

„Sobald du da bist, du kannst mich aber noch zu Tina bringen, dann haben wir noch ein paar Minuten.“, meinte sie niedergeschlagen.

„Ich bin unterwegs.“, sagte er.
 

Sie saß in der Küche, Taro daneben in seinem Kinderstuhl und spielte als Neo in der Wohnung ankam. Sie schrieb einen Brief. Ein weiterer Umschlag lag schon auf dem Tisch:

„Was ist das?“, fragte er.

„Nur für den Fall, dass…“

„Das du nicht zurückkommst?“, er sah sie an.

„Ja.“ Die Tränen standen ihr in den Augen.

„Komm her.“, er nahm ihre Hand und zog sie zu sich. Minutenlang lagen sie sich in den Armen.

Das Runterfallen eines roten Bausteines von Taro erschreckte sie:

„Ich bringe dich noch.“, sagte Neo und gab ihr einen Kuss.
 

Mann und Sohn brachten sie zum Versteck von Ken und Tora. Sie nahm beide nochmal in die Arme:

„Ich liebe euch so sehr.“, sagte sie. Die beiden Auftragskiller kamen aus dem Versteck. Neo sah die zwei an:

„Ich hoffe euer Plan ist gut.“, sagte er zu Ken. Doch der zuckte nur mit den Schultern:

„Wir werden es nach dieser Nacht sehen, wie gut er wirklich war.“ Er lächelte Taro an als er das sagte, dieser tat es ihm gleich.

„Wir müssen jetzt.“, meinte Tora.

Néko gab ihrem Mann und Sohn noch einen Abschiedskuss und ging dann mit Tina in das Versteck.

Alle drei gingen den Plan durch, klärten Einzelheiten und packten ihr Material zusammen:

„Wir gehen durch den Tunnel unter den Polder. Er verbindet die drei Hochhäuser miteinander. Seit vorsichtig wenn ihr an den Lichtschranken vorbeikommt.“, warnte Ken noch einmal.

Um einundzwanzig Uhr dreißig waren sie an der massiven Stahltür die den Eingang des Tunnels versperrte. Es machte einige Schwierigkeiten sie so zu knacken, dass der Alarm nicht ausgelöst wurde. Die Auftragskiller gingen bis zur Mitte des Polders, wo die drei Gänge zu den Häusern anfingen:

„Viel Glück.“, sagte Tina.

„Eure Headsets funktionieren?“, fragte Ken nochmal. Die Frauen nickten:

„Bis später.“, sagte Enni und ging in ihren Tunnel. Tora und Ken gaben sich kurz einen Kuss, bevor jeder seines Weges ging.

„Bin unterm Hochhaus angekommen.“, sagte Enni.

„Ich auch.“ antwortete Tora, deren Tunnel am kürzesten war.

„Ihr kennt den Plan. Gutes Gelingen.“, sagte Ken. Sie setzten ihre Masken auf.

Alle fuhren mit den Lastenaufzügen nach oben:

-Ich hoffe Ken´s Infos stimmen, ich habe nämlich keine Lust alle sechsunddreißig Etagen zu durchsuchen.-, dachte Enni.

Die Tür öffnete sich und das grelle Licht des Flures ergoss sich in den riesigen Fahrstuhl. Laut des Planes von Ráion würde der Stromverteiler des Polders, der alle drei Hochhäuser mit Strom versorgt in fünf Minuten explodieren. Ihr Nachtsichtgerät hatte sie schon auf dem Kopf in Lauerstellung.

So lange hatte sie Zeit das Konferenzzimmer zu finden.

Vorsichtig, sich immer Deckung suchend schlich sie den Flur entlang, bis sie schließlich einige Stimmen vernahm. Mit einem Dentalspiegel sah sie um die Ecke.

Vier bullige, bewaffnete Männer standen vor einer Tür und unterhielten sich leise.

Enni sah auf ihre Uhr. Sie hatte noch fünfundzwanzig Sekunden bis die Lichter ausgingen.

Sie belud ein Blasrohr mit einem kleinen Betäubungspfeil.

Néko zielte und schoss. Im nächsten Moment wurde es dunkel:

„Was ist hier los?!“, brüllte einer der Bodyguards. Enni setzte das Nachtsichtgerät auf die Augen. Kurz darauf schickte sie den Zweiten ins Reich der Träume. Die beiden Anderen versuchten sich tastend zu orientieren. Weder sahen noch hörten sie die Gefahr. Mit zwei schnell aufeinander folgenden Schüssen erledigte die Killerin sie.

Néko ging zur Tür. Das Nachtsichtgerät hatte sie wieder abgenommen. Tora hatte ihr eingeimpft, dass der Generator des Polders, an den kein rankommen war, nach spätestens einer Minute anspringen würde.

Plötzlich donnerte eine Gewehrsalve durch die Bürotür. Néko. Die gerade dabei war kleine Sprengladungen an die Scharniere anzubringen, stand seitlich der Tür. Sie war für den Moment sicher.

Nur Sekunden später sprengte sie den Eingang zum Konferenzzimmer.

Als der Staub sich legte hatte sie in jeder Hand eine Pistole und sah Inato und einen weiteren Yakuzaboss Namens Yakomisu an. Joshi starrte verwundert zurück:

„Ich dachte sie hätten ihr Gedächtnis verloren?“

Enni antwortete nicht auf diese Frage. Sie wollte es einfach nur hinter sich bringen und schoss.

„Hochhaus eins ist sauber.“, sprach sie emotionslos in ihr Micro. Keine Antwort: „Hört ihr mich?“, fragte sie, während sie zum Lastenaufzug zurücklief. Niemand antwortete ihr. Sie rannte durch den Tunnel und versuchte immer wieder Funkkontakt aufzunehmen:

„Néko, deine Panik macht mich ganz wuschig.“, sagte Tora auf sie zukommend.

„Musst du mich so erschrecken?!“, fluchte sie leise.

„Entschuldige, ich konnte nicht reden.

„Haben wir jetzt erst mal Ruhe vor der Yakuzas?“, fragte Enni.

„Ja, deine Lieben und du habt nichts mehr zu befürchten.“, sagte Ken.

„Wir sollten verschwinden.“, meinte Tora.

Plötzlich hallte ein Schuss durch die Halle und an Tinas Weste gab es eine kleine Explosion. Erschrocken sah sie Néko an und fiel zu Boden:

„Néko, LAUF!“, rief Ken, bevor auch er von einer Kugel getroffen wurde. Enni nahm die Beine in die Hand, doch der Ausgang war verbarrikadiert.

Der Mann kam mit angelegter Waffe auf sie zu.

„Wer bist du?“, fragte sie. Er antwortete nicht, dann erkannte sie ihn: „Hiro Tamao.“, hauchte sie. Er grinste bloß.

„Neo hat dir nie getraut.“, sagte Néko.

„Und ich hätte nicht erwartet seine Frau hier zu treffen. Also war die Amnesie doch nur ein Trick.“

Sie antwortete nicht auf seine Feststellung und sah bloß in dieses hinterhältige Gesicht.

Wieder hallte ein Schuss durch den Gang. Tamao sah sie überrascht an. Eine Kugel hatte sich von hinten in seine Brust gebohrt.

„Néko… geh… hier fliegt… gleich alles in die Luft.“, hörte sie Tora keuchen.

„NEIN!“, schrie Enni.

„Bitte…“, sie hörte nur noch dieses eine Wort, dann entschied sie sich zu rennen.

Néko war mehrere hundert Meter vom Polder entfernt, als dieser mit einem enormen Knall mit seinen drei Hochhäusern in Flammen aufging. Sie blieb jedoch nicht stehen, stieg in ihr Auto und fuhr noch einmal zum Versteck.
 

Nachdem sie es gesäubert hatte und alle Hinweise auf sich beseitigt hatte, nahm sie das einzige Foto, was es von ihr und Tora gab und verließ das Versteck für immer.

Zu Hause angekommen, kam Neo auf sie zu:

„Alles in Ordnung?“, fragte er, als er ihren Gesichtsausdruck sah. Sie fiel fast in seine Arme und begann auf das Heftigste zu Schluchzen. Sie konnte sich gar nicht beruhigen:

„Tora… und Ken… sie sind…“ Sie brachte es nicht über sich es auszusprechen.

„Ich bin bei dir.“, sagte er nur und hielt sie an sich gedrückt.

Ein Foto

Ein Foto

Inzwischen waren zwei Monate vergangen. Die Gerüchteküche wer den Tokiopolder in die Luftgejagt hatte, verstummten langsam.

Neo hatte für den Abend einen Überraschungsgast angekündigt. Sie saß am Computer und arbeitete für ihren Schulabschluss, während Taro im Wohnzimmer mit seinen Bauklötzen spielte.

Plötzlich ertönte das e- Mail Programm.

-Nicht schon wieder eine Spam.-, dachte sie und öffnete den Mail- Kasten: -Kein Absender?-, wunderte sie sich und überlegte, ob es ein Virus sein könnte, der anonym verschickt wurde. Es war jedenfalls ein Anhang mit dran. Erst gestern hatte sie ein Backup gemacht, also öffnete sie die Nachricht. Es standen nur vier Worte darin:

Für Enni und Neo

Néko wunderte sich und klickte auf den Anhang. Darin eine Fotomontage, es war ein weißer Sandstrand mit Palmen und auf den weißen Dünen stand ein Löwe, vor ihm lag ein Tiger.

Sie hielt sich eine Hand vors Gesicht, um nicht los zu schreien. Nur ein Gedanke ging ihr immer und immer wieder durch den Kopf:

-Sie leben. Sie sind am Leben. Tora und Ken haben überlebt.- Tränen der Freude liefen über ihr Gesicht. Ein tiefes Gefühl der Erleichterung verdrängte das kleine bisschen Wut über die Täuschung.

Sie bereitete das Abendbrot für Neo, Taro, den Überraschungsgast und sich.

Während der Braten im Ofen schmorrte, spielte sie mit ihrem Sohn. Der hatte gerade einen riesen Spaß daran hohe Türme zu bauen und diese dann umzustoßen. Enni baute ihm gerade einen auf, als sich ein Schlüssel im Türschloss drehte. Sie sah zur Tür. Neo kam zuerst durch den Türrahmen. Ihm folgte Hana Oda auf Krücken. Néko stand auf:

„Hana- san, wie geht es ihnen?“, fragte sie mit einer kleinen Verbeugung.

„Gut, und ihnen?“

„Ich bin frei.“, lächelte sie.

„Käpt´n Hana übernimmt wieder das Kommando im Jubanrevier.“, sagte Neo.

„Sie wollen sich wirklich wieder mit meinem Mann rumschlagen?“, fragte Enni etwas skeptisch, grinste aber dabei.

„Naja, auf Ruhestand habe ich einfach keine Lust. Was riecht hier denn so lecker?“, fragte Hana.

„Eine Ente.“, sagte sie freundlich: „Sie ist gleich fertig. Neo, hilfst du Taro seine Klötze wieder einzusortieren?“ Dieser nickte. Hana Oda folgte ihr in die Küche, wo sie sich am Herd zu schaffen machte:

„Haben sie ein Lebenszeichen von ihren, ehm Freunden?“, fragte er.

„Nein.“, meinte Enni kurz.

„Wie schade, sie waren unsere Besten und sie haben kein Interesse mehr?“, fragte Hana.

„Lassen sie das bloß nicht Neo hören.“, lächelte sie. Dann wurde ihr Gesicht wieder ernst: „Und ich möchte von ihnen NIE wieder so ein Angebot. Ich bin glücklich wie es jetzt ist.“

Er hob die Hände:

„Gut, dann halt nicht.“, meinte er.

„Sie sollten jetzt vielleicht auch gesetzestreu werden.“, meinte sie zu ihm.

In dem Moment kam Taro lachend reingelaufen:

„Vorsicht Kurzer, heiß!“, rief sie. Zum Glück passierte nichts.

Schließlich saßen alle am Tisch und genossen die knusprige Ente.
 

ENDE



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Megumi-san33
2015-03-21T14:59:03+00:00 21.03.2015 15:59
Ach meine Liebe.....man merkt, dass ich in letzter Zeit(Jahren) total nachlässig geworden bin.

Nicht nur, dass ich selbst kaum Wörter niederschreibe, sondern auch noch nicht mal lese.....^^

Also somit Asche auf mein Haupt.

Ich hab ne laaaaaaaannnnnnnggggggggeeeeeeee To Do Liste. =D

Melde mich dann später wieder.

Übrigens: Von Tora gibts doch Bilder bei meinen Fanarts. Kannst da gerne eins von nehmen. Die andere Dame mag ich nicht(kannst ja nicht wissen) =P

Gaaaaaanz großßßßßes Knuddel...



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