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Ludwig - es geht weiter

von

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Lui im Wunderland

Sie waren nun schon eine ganze Weile unterwegs.

Ludwig hatte sich allein zu Frau Holle verirrt, als er sich nachts etwas Wasser aus dem Brunnen holen wollte, dabei aber den Eimer hinein fallen gelassen hatte. In ihrem Land hatte er die Blumen zertreten, den Baum nicht geschüttelt, sondern fast gefällt, als er eine Axt gefunden hatte und statt die Brote aus dem Ofen zu holen, diesen noch mit getrocknetem Gras angeheizt, sodass er in Flammen aufging.

Als er es danach zu Frau Holles Haus geschafft hatte und sie sich zu ihm durchs Fenster lehnte, um ihn leicht verärgert zu begrüßen, beleidigte er sie dermaßen, in dem er ihr vorhielt, wie alt sie doch schon sei, dass sie alles alleine machen könnte, wenn sie nicht zu faul dazu wäre und sich mal liften lassen sollte, dass sie ihn hochkant hinaus warf und sich sogar das Pech sparte, mit dem sie sonst immer die Ungezogenen überschüttete.

Aber so erging es ihm nicht immer.

Im Reich östlich seines Eigenen hatte er Schwesterchen und Brüderchen vor der Stiefmutter und deren Tochter gerettet und war deshalb von Schwesterchens Ehemann zum Ehrengast ernannt.

Will hatte immer alle Mühe ihm nachzukommen und ihm nebenbei noch Dorothea vom Leib zu halten. Er brachte sich nicht mehr all zu oft in Schwierigkeiten und es gelang ihm immer besser Lisette in Auge zu fassen und somit Lui zu retten. Allerdings war er damit noch nicht so schnell, wie es Lui war.
 

„Wie weit ist das nächste Königreich entfernt?“

„Es kann nicht mehr sehr weit sein, Prinz Lui.“, Will entfaltete mit höchster Konzentration eine Karte, um seine Orientierungslosigkeit zu überwinden, während er die Kutsche mitten im Wald anhielt. Sie waren gerade von Prinzessin Geraldine gekommen, deren Brüder sie aus ihren Depressionen befreit hatten, wegen denen sie „die Rabenbrüder“ genannt wurden.

Als Lui sich allerdings an Geraldine heran machen wollte um ihre Oberweite heraus zu bekommen, hatte man ihn aus dem Haus verjagt, in dem sie sich aufgehalten hatte.

„Was ist denn nun, Will?“, Lui saß im Inneren der Kutsche und hatte die Beine auf die Bank gelegt. Er trug einen Pelzmantel, der seine schwarzen Lederlatzhosen und die weiße Bluse verbarg, die er an hatte.

„Ähm, ich weiß nicht so recht.“

Lui lehnte sich in seinem Sitz vor und sah ihn bedrohlich an: „Was weißt du nicht so genau?“

„Ich glaube wir haben uns verlaufen.“, presste Will gezwungen und verängstigt hervor. Er wagte es nicht, sich zu seinem Herren umzudrehen, denn er wusste, dass dieser ihn sogleich erwürgen würde: „Vielleicht könnte Dorothea uns helfen?“

„Vielleicht.“, Lui stieg aus der Kutsche und warf seinen Mantel zurück hinein: „Während du sie rufst, ziehe ich mich um. Ich hab genug von den Sachen.“

Ludwig ging zum Heck der Kutsche und zog seine Koffer heraus. Es war ihm gleich, ob Will ihn danach wieder einräumen musste oder nicht, daher öffnete er ihn und warf auf der Suche nach Kleidung alles aus dem heraus.

Derweil begann Will zu schwitzen. Wie sollte er die Hexe erreichen? Sie reagierte immer nur auf Ludwig, weil sie scharf auf ihn war.

„Ähm, Prinz Ludwig? Wie kann ich sie denn erreichen?“, Will wartete auf eine Antwort: „Prinz?“

Er ging um die Kutsche herum um nach Ludwig zu sehen, fand ihn aber nicht. Der offene Koffer lag auf der Erde, sein Inhalt um ihn verstreut, aber von Ludwig war nichts mehr zu sehen.
 

„Okay, wo bin ich und wie bin ich hier her gekommen?“, leicht verärgert zog Ludwig die enge Lederhose hoch und zog seine Jacke zurecht. Um ihn herum herrschte Dunkelheit.

„Hallo?“, es gab kein Echo und er tastete sich langsam vorwärts.

Ein Licht entfachte direkt vor ihm.

„Hallo?“, wiederholte er die Frage, bekam aber immer noch keine Antwort: „Was ist hier los?“

„Hallo, mein Prinzchen.“, Dorotheas Stimme erklang an seinem rechten Ohr und presste ihr einen Schuh ins Gesicht: „Au. Das ist aber keine nette Begrüßung für deinen Schatz.“

„Pah, mit wem redest du? Und was soll das alles hier?“, er verschränkte die Arme vor der Brust und wandte sich ihr verärgert zu: „Wo hast du Will gelassen?“

„Der ist bei der Kutsche und passt auf deine Sachen auf. Wenn du willst, kann ich ihm bescheid sagen.“, sie war wütend, aber als er einen Mundwinkel hochzog, weil er sich ihre Oberweite besah, schmolz sie regelrecht dahin: „Oh, Lui, willst du nicht doch noch mal über uns nachdenken? Du bist so ein Schatz und ich bin doch gar nicht so schlecht für dich.“

„Vergiss es! Was soll ich hier?“

„Ich hab dich hier her geholt, um dir was zu zeigen, was dir die Sprache verschlagen wird.“, sie grinste breit.

„Was soll das sein?“, er war immer noch desinteressiert.

„Willst du nicht wissen, was ich über eine gemeinsame Freundin herausgefunden habe?“

„Warum sollte mich das interessieren?“, er überspielte seine kleine Neugier und wandte sich von ihr ab. Wenn sie glaubte, ihn so schnell begeistern zu können, kannte sie ihn immer noch schlecht, wenngleich er zugeben musste, dass ihn interessierte, wer diese Freundin war und wie es um ihre Oberweite stand.

„Du wirst staunen. Geh durch die Tür da und wenn du wieder zurück möchtest, sag zwei mal meinen Namen, mein Schatz.“, sie verschwand im Nichts und ließ ihn mit dem Licht zurück.
 

Er hatte drei Möglichkeiten. Entweder er rief sie sofort zurück und würgte sie solange, bis sie ihn wieder mitnahm, oder er blieb dort stehen, bis er verhungerte oder er tat, was sie wollte.

Nachdem er sie gewürgt hatte und sie einfach wieder verschwunden war, trat er durch die Tür. Es war eine massive hellbraune Eichentür, die einen metallenen Knauf, aber kein Schlüsselloch besaß.

Als er eintrat, musst er zunächst mit seinem rechten Arm seine Augen vor dem plötzlich grellen Licht abschirmen, während Dorotheas kleine Flamme in seinem Rücken erlosch.

Als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, erblickte er einen weiten Flur, an den ganz viele Türen grenzten. Die Wände waren weiß gestrichen und der Flur verlief ohne die kleinste Ecke geradeaus. Er war sehr lang, sodass Lui die Tür an seinem Ende kaum sehen konnte.

Wo hatte Dorothea ihn nur hingebracht?

Er wandte sich der ersten Tür zu seiner Linken zu. Sie war dunkelblau und hatte schwarze Verzierungen auf ihrem Holz. Er wusste nicht recht, was er tun sollte, also klopfte er an.

„Was ist denn?“, erklang eine verärgerte Stimme, die er nur zu gut kannte. Aber das konnte nicht sein. Was sollte sie an einem Ort wie diesem tun?

Langsam öffnete er die Tür und erblickte einen mit Sportgeräten vollgestopften Raum. Es dauerte einen Moment, bis er ihr kurzes blondes Haar erblickte, dass verwuschelt und verschwitzt auf ihrer Stirn klebte. Sie trug ein kurzärmeliges Hemd, dass sie sich unter der Brust hochgebunden hatte und eine sehr kurze Hot Pan. In beiden Händen hielt sie Hanteln, die sie mit Leichtigkeit stemmte, während ihr ein blaues Handtuch locker von den Schultern hing.

Als sie ihn sah, runzelte sie dir Stirn: „Wer bist du?“

Das überraschte ihn dann doch. Lisette erkannte ihn nicht? Hatte sie etwa ihr Gedächtnis verloren? Er machte einen unsicheren Schritt auf sie zu, blieb stehen, besann sich und schritt selbstbewusst aus: „Erkennst du mich nicht?“

„Sollte ich das denn?“

„Eigentlich schon, schließlich wolltest du mich bei unserer letzten Begegnung töten.“

„Oh, dann sprichst du nicht von mir.“

Lui runzelte die Stirn: „Doch, von wem sonst?“

Sie erhob sich und seufzte. Offenbar hatte sie genau damit gerechnet: „Ich weiß ja nicht, wo du her kommst, aber mich hast du noch nicht getroffen.“

Jetzt verstand er gar nichts mehr: „Hast du dein Gedächtnis verloren?“

Sie kam auf ihn zu: „Nein. Wie heißt du?“

„Ludwig.“

Sie reichte ihm ihre Hand zum Gruß, nachdem sie ihre Hanteln zur Seite gelegt hatte: „Ich bin die Sportliche.“

„Bitte was?“

„Das ist mein Name. So heißen wir hier.“, sie zog die Hand zurück, als er sie nicht ergreifen wollte: „Du bist der Anderen begegnet, nicht mir.“

„Zwillinge?“

„Ich weiß es nicht, aber selbst wenn, sind wir nicht nur zwei.“

Er schob sich mit der rechten Hand widerspenstige Strähnen hinters Ohr: „Du bist also nicht Lisette?“

Sie runzelte die Stirn: „So nennt sie sich jetzt also, ja?“

Lui schwieg, was sollte er auch sagen?

„Hast du die anderen schon gesehen? Soll ich dich rumführen?“, sie war so lebensfroh und ausgeglichen, das kannte er von Lisette nicht.

„Gibt es denn noch mehr?“

„Ja. Oh mein Gott, ich bin die Erste, die du besuchst.“, sie lachte: „Dann haben wir aber noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns.“

Sie griff nach dem Knoten ihrer Bluse und löste ihn, bevor sie die Knöpfe schloss: „Komm mit, ich stelle dich vor. Eigentlich dürftest du zwar gar nicht hier sein, aber das ist mir egal. Sie werden sich bestimmt freuen. Nun ja, bis auf eine.“

„Könntest du mir vielleicht sagen, was hier los ist?“

„Oh, ich kann dir nur sagen, was ich weiß.“, sie runzelte die Stirn: „Das ist aber nicht sehr viel. Ich weiß nur, was die letzten Jahre hier los war. Ich weiß nicht, was war, als ich erst drei war, oder so.“

Sie schloss die Tür hinter ihm und öffnete die gegenüber: „Also, ich weiß, dass ich irgendwann einfach so auf dem Boden in meinem Zimmer aufgewacht bin. Einige Jahre später habe ich dann angefangen mich für die Sportgeräte zu interessieren, die in meinem Zimmer stehen, aber das hast du ja gesehen.“, sie lachte: „Jetzt sind wir bei der Verspielten.“

Ludwig trat vollends in den Raum, aus dem laute Musik an seine Ohren drang. Der Raum war voller CD-Ständer und vor einem Spiegel tanzte eine exakte Kopie von Lisette, als gäbe es nichts besseres auf der Welt. Sie war ganz ausgelassen und drehte sich um sich selbst, während ihr der blaue Rock um die Knie spielte. Sie trug auch die Bluse.

Als er sich zu der Sportlichen umwandte, sah sie gerade beleidigt an sich herunter: „Warum muss sie nur immer diese unnötigen Röcke tragen. Meine Hot Pan war besser.“

Ludwig traute seinen Augen nicht, als er den gleichen Rock an ihr erblickte: „Was ist mit deiner Hose passiert?“

„Och das ist normal. Sobald wir einen Raum von einer Anderen von uns betreten, passen sich unsere Kleider und Frisuren an.“, sie warf einen letzten Blick auf die Verspielte: „Lass uns wieder gehen.“

Sie wandte sich zum Gehen, als die Verspielte lachend Ludwigs Hand ergriff und mit ihm tanzte: „Wer bist du?“

„Ludwig.“, das kam ihm wage bekannt vor. Würde das jetzt immer so gehen?

„Wo kommst du her? Wir sind eigentlich immer unter uns.“

„Von draußen?“

„Oh, wow.“, sie klang, als wüsste sie damit nichts anzufangen: „Weißt du, du dürftest eigentlich gar nicht hier sein. Wir dürfen nämlich keine Besuch haben. Eigentlich dürfen wir noch nicht mal in die Zimmer der anderen, aber daran halten wir uns kaum.“

„Aha.“, er hob den Arm, damit sie sich drehen konnte: „Tanzt du immer so viel?“

„Es gibt nichts schöneres.“, sie lachte ausgelassen über seine Frage und gab ihn wieder frei.

Lui wandte sich sofort der Sportlichen zu, die ungeduldig in der Tür wartete.
 

Die Zeit verging wie im Flug. Sie hatten bestimmt schon 20 Türen hinter sich gelassen und hinter jeder hatte eine andere Lisette gewartet. Ludwig konnte sich keinen Reim daraus machen.

„Das ist die Kluge.“, die Sportliche stieß die Tür ohne ein Klopfen auf, wofür sie sogleich eine Rüge bekam.

Ludwig folgte ihr hinein. Der Raum war voller Bücherregale und inmitten dessen stand ein einsamer Tisch mit einem Sessel, in dem eine Lisette in einem alten braunen Morgenrock saß. Auf dem Tisch lag eine Brille, die sie noch nie benutzt zu haben schien und direkt vor ihr ein sehr großes, dickes, aufgeschlagenes Buch: „Warum stört ihr mich?“

„Nur so. Hast du die Faule schon gesehen?“

„Nein, aber wenn du sie siehst, sag ihr, sie soll endlich zu mir rüber kommen, damit sie mal etwas fleißiger wird.“

„Mach ich.“, die Sportliche wandte sich an Ludwig, wie schon so oft: „Komm, wir lassen sie besser in Ruhe.“

Die Faule stellte sich als eine Lisette heraus, die ewig im Schlafanzug im Bett lag, um das sich alles stapelte, was sie irgendwann mal benutzt hatte. Sie gesellte sich nur unfreiwillig zu der Klugen.

Das Zimmer der Schönen bestand aus einem Badezimmer mit einem großen begehbaren Kleiderschrank und einem Schminktisch. Als sie den Raum betraten Bürstete sie sich gerade die Haare und beklagte sich, dass sie so kurz waren.

Die Sportliche erklärte ihm, dass sie jeden Tag zu jeder Essenszeit badete oder duschte und sich dann neu herrichtete, womit sie offenbar nicht sehr viel anfangen konnte.

Von der Strengen wurden sie sofort hinausgeworfen, weil sie gegen keine Regeln verstoßen wollte, während sie bei der Widerspenstigen eindringlich zum Bleiben aufgefordert wurden, worauf zwischen den Beiden ein wilder Streit über das Einhalten von Regeln entfachte.

Die Komische lachte ununterbrochen und ignorierte die Ärgerliche, die sich ständig darüber beklagte.
 

Danach ließen sie eine Tür aus.

„Warum nicht auch dort rein?“

„Zu deinem eigenen Schutz. Sie springt alles an, was nicht bei drei auf dem Baum ist.“, die Sportliche grinste breit: „Es sei denn, du stehst auf sie.“

„Wo ist die nächste Tür?“

Die Sportliche lachte.
 

Als nächstes besuchten sie die Waffenkundige. In ihrem Zimmer war alles vollgestopft mit Waffen. Sie saß in Tarnkleidung auf einem Stuhl an einem Tisch, auf dem sich die Pistolen und Messer stapelten und putzte eine Armbrust.

Jetzt wurde Lui neugierig: „Kennst du Lisette?“

„Wer soll das sein?“, sie wandte sich direkt an die Sportliche.

„Die Ausreißerin, du weißt schon.“, sie tat es mit einer Handbewegung ab.

Lui hatte sich nur schwer daran gewöhnt dabei zuzusehen, wie Lisette offenbar mit sich selbst sprach: „Kennst du sie?“

„Klar, ich hab ihr geholfen mit Waffen umzugehen. Aber sie wird nie so gut sein, wie ich es bin. Sie will einfach niemanden verletzten.“

Ludwig lachte. Das konnte nicht wahr sein.

„Du denkst, sie wäre schlimm? Sie ist sehr böse, aber sie ist nicht mordsüchtig.“, mit diesen Worten schoss die Waffenkundige einen Pfeil auf ihn ab, der hinter ihm in der Wand stecken blieb, nachdem er ihm einige Haarsträhnen abgeschossen hatte: „Sie tötet nicht gern.“

„Sie hat es schon einige Male bei mir versucht.“

Die Waffenkundige lief an ihm vorbei und zog den Pfeil aus der Wand, wodurch sich das Loch in der Wand augenblicklich von selbst schloss: „Wenn sie dich wirklich töten gewollt hätte, dann wärst du jetzt nicht hier. Aber dafür benötigt sie auch das Geschick und das habe nur ich.“

Sie ließ ihn stehen und die Sportliche zog ihn aus dem Raum: „Sie ist nicht sonderlich gut auf Kritik zu sprechen.“

„Ich hab sie nicht kritisiert.“

Sie lief zur nächsten Tür und öffnete sie leise: „Glaub mir, das hast du.“

Ludwig folgte ihr hinein: „Wo sind wir jetzt?“

„Bei der Kindlichen.“

„Wo ist sie?“, Ludwig sah sich in dem Kinderzimmer um, als plötzlich eine junge Lisette vor ihm auftauchte. Sie sah aus, wie die, die er einmal gekannt hatte. Als er sich zu der Sportlichen umdrehte, war sie auch wieder ein Kind, aber ihr Geist war noch der einer Erwachsenen, das sah er an ihren Augen.

Bei der Mütterlichen wurden sie fast zum Tee genötigt und entkamen ihr nur knapp, weil die Kindliche plötzlich auftauchte.

„Jetzt müssen wir leise sein.“

„Warum?“, Ludwig überraschte eigentlich nichts mehr. Was konnte nach diesem ganzen durcheinander schon noch kommen?

„Weil wir jetzt das Zimmer der Traurigen betreten. Sie ist so traurig, dass sie allem und jedem die Schuld an ihrer Trauer zuschiebt. Ich weiß nicht mal, um was sie trauert und das Schlimme ist, sie weiß es selbst nicht.“

Der Raum war nicht besonders groß und hatte keine Fenster, war aber trotzdem von kleinen Sonnenstrahlen erfüllt. Der Boden bestand aus einer kurzgeschnittenen Wiese, in deren Mitte ein Grabstein ohne Innschrift stand. Davor kniete eine ganz in Trauer gekleidete Lisette mit tiefen Tränensäcken.

Als er den Raum betrat wandte sie sich zu ihm um. In ihren Augen glänzten Schmerz und Verzweiflung: „Du bist Schuld. Hättest du nicht das Schild umgedreht, den Wolf auf mich losgelassen und mir Lügen erzählt, wäre das hier nicht passiert!“

Lui gefror das Blut in den Adern. Konnte sie das wissen? Aber woher denn? Nicht mal Will wusste bescheid, keiner wusste es, außer ihm!

Die Sportliche packte ihn am Arm und zog ihn wieder aus dem Raum: „Das wirft sie jedem vor. Ich weiß nicht mal, wann sie hier aufgetaucht ist. Ich glaube, es war, nachdem die Ausreißerin mal wieder hier auftauchte. Damals waren wir noch ziemlich jung. Ich glaube, wir waren etwa zwölf oder so.“

Sie blieb abrupt vor der nächsten Tür stehen.

„Was ist dahinter?“, er trat neben sie und folgte ihrem Blick auf den Knauf.

„Da können wir nicht rein.“

„Warum nicht?“

„Weil man ohne den Bewohner eines Zimmers das Zimmer nicht betreten kann. Die Tür ist verschlossen, für jeden von uns.“

„Also wohnte hier die Ausreißerin?“

„Ja.“

Er ging näher auf die Tür zu: „Weißt du noch, wie das Zimmer aussah?“

Die Sportliche wandte sich der Tür zu ihrer Linken zu, es war die Tür am Ende des Flures: „Nein, es ist schon zu lange her. Ich weiß nur, dass ihr Zimmer so weit hinten ist, damit sie nicht ausreißt, aber das hat ja nichts gebracht.“

Lui kam auf sie zu: „Was ist hinter dieser Tür?“, er deutete auf die letzte Tür, die sie ansah.

„Ich weiß es nicht. Die Bewohnerin hat noch niemand gesehen und sie ist auch nur eine Stimme für uns. Ich frage sie, ob du sie besuchen darfst.“

„Wie heißt sie?“, fragte er sie weiter aus, während sie die Hand hob, um zu klopfen: „Sie hat keinen Namen.“

Was sollte das nun wieder?
 

„Tut mir leid, dass sie dich nicht sehen will, aber das ist normal. Vielleicht hast du ja Glück und sie spricht durch die Tür mit dir, das macht sie manchmal mit uns.“, die Sportliche wandte sich ab und ließ ihn alleine stehen.

Als er ihr nachsah, wie sie den Flur wieder entlang lief, beobachtete er, wie die Türen zu den Zimmern aufgingen und ihn die Lisettes neugierig beobachteten. Nur die Traurige kam nicht heraus und das Zimmer der Ausreißerin, wie sie die Lisette nannten, die er kannte, blieb auch verschlossen.

Er klopfte an die Tür.

Nichts geschah.

Er klopfte erneut, während die Frauen hinter ihm zu tuscheln begannen.

„Geschieht ihm recht. Er sollte gar nicht da sein.“, erklang die Stimme der Strengen, die wohl zum zweiten Mal gegen die Regeln verstieß, seit er sie nun kannte.

„Sollte ich ihm nicht helfen? Er sieht so verloren aus.“, erklang die Stimme der Mütterlichen.

„Wenn er zu aufdringlich wird, erschieß ich ihn einfach.“, ließ die Waffenkundige verlauten.

Ludwig wandte sich wieder von der Tür ab. Es geschah nichts. Als er sich zu den restlichen Türen umdrehte, schlossen sie sich augenblicklich.

Welche Tür hatte die Sportliche zuvor ausgelassen? Er folgte dem Flur und blieb schließlich vor einer weinroten Türe stehen. Als er leise anklopfte, hörte er, wie die Kindliche neben ihm die Luft einsog: „Du willst wirklich zu der da?“

„Kennst du denn ihren Namen nicht?“, er wandte sich ihr zu.

„Nein, den sagt mir keiner. Sie sagen alle, dafür wäre ich noch zu klein.“, sie wandte sich um und lief hüpfend davon.

Ludwig seufzte.

„Sie ist die Spitze, um es freundlich auszudrücken. Wir nennen sie manchmal auch die Männerheldin oder auch die Schlampe.“, die Kluge schloss die Tür hinter sich und ließ ihn stehen.

Wieder klopfte er. Das konnte er sich gar nicht vorstellen. Lisette und eine Männerheldin? Niemals!

Die Tür öffnete sich von allein und er trat ein: „Hallo?“

Der Raum war in gedämpftes Licht getaucht und mittendrin stand ein riesiges Himmelbett.

„Hallo.“, erklang ihre leicht rauchige Stimme, als sie auf ihn zu kam. Sie trug einen offenen Bademantel, der nur sperrlich ihre rote Unterwäsche verdeckte: „Wer bist du denn, hm?“, sie ließ ihren rechten Zeigefinger auf seiner Brust kreisen und sah ihn frech unter ihren Augenbrauen hervor an.

„Ludwig.“, ihm stockte der Atem. Was war das hier? Das konnte doch nicht wahr sein! Träumte er? Aber wenn er träumte, warum hatte er dann einen solchen Traum von Lisette? Ausgerechnet von ihr? Das konnte nicht sein!

„Hm... schöner Name.“, sie legte ihren Kopf leicht in den Nacken, damit sie ihn besser sehen konnte.

Automatisch neigte er ihr den Kopf zu. Sie strich ihm sanft eine Haarsträhne hinter das Ohr und zog sich ein kleines Bisschen zurück. Zu seiner eigenen Überraschung folgte er ihr automatisch.

Sie lächelte über seine Reaktion und ließ ihren warmen Atem über seinen Mund wehen.

Er kam ihm immer näher, jeder Gedanke an etwas anderes schien vergessen.

„Stör ich?“

Sie sprangen regelrecht auseinander.

„Was machst du denn hier?“, die Männerheldin schien nicht sehr begeistert.

„Ich rette ihn vor dir. Sie will dich sprechen. Ich weiß nicht, wie du das geschafft hast, aber sie wartet an ihrer Tür auf dich.“, die Strenge wandte sich wieder ab: „Du darfst den Raum nicht betreten. Beeil dich, bevor sie es sich anders überlegt. Ich hatte sie immer für klüger gehalten.“

Mit diesen Worten verschwand sie aus der Tür und Ludwig folgte ihr so hastig, dass er über seine eigenen Füße stolperte, aus Angst, wieder alles zu vergessen und etwas zu tun, was er zutiefst bereuen würde. Die Männerheldin hinderte ihn nicht, seufzte aber frustriert: „Schade.“

Ihre Tür schloss sich wieder.

Ludwig brauchte nicht lange, um den restlichen Flur zu durchqueren und wieder vor der verschlossenen Tür zu stehen. Als sich nichts tat, klopfte er erneut an.

„Hallo.“, erklang ihre Stimme.

„Wie soll ich dich nennen?“, er verlor keine Zeit mehr, er wollte so schnell wie möglich von hier weg.

„Ich habe keinen Namen.“

„Was machst du denn den ganzen Tag und warum fragst du nicht, wer ich bin?“

„Ich frage nicht, weil ich es schon weiß und damit lässt sich auch meine Tätigkeit erklären. Ich weiß, was war und was ist.“

„Du bist also so eine Art Gedächtnis?“

Ihre Stimme lachte: „So könnte man das nennen.“

Ludwig runzelte die Stirn: „Von wem denn?“

„Von allen, die du in diesem Gebäude gesehen hast und von der Lisette, die du kennst.“

„Welche Funktion hatte die denn vorher?“, er wusste nicht, was er zuerst fragen sollte. Es gab so vieles, was ihn jetzt interessierte.

„Sie war die Liebende. Aber Liebe lässt sich schnell in Hass verkehren.“

„Erzählst du mir was über sie?“, er rutschte an der Tür herunter und legte seine Handgelenke auf die Knie.

„Sie war die Liebende und war daher immer am gefährdetsten, das Haus zu verlassen. Deshalb bekam sie das Zimmer direkt vor meiner Tür. Eines Tages zog sie aber dann doch aus, um die wahre Liebe zu finden. Was dann geschah, wissen wir beide.“

„Was genau ist mit ihr geschehen?“

„Du hast sie hereingelegt und durch ihren Schmerz wurde sie anfällig für Hass. Ihre reine Seele verschwärzte sich und so viel sie die beiden Menschen an, die sie so liebevoll als ihre Eltern aufgenommen hatten. Danach kam sie völlig verstört wieder zurück. Sie nahm unterricht bei allen, die sie ihm Kämpfen ausbilden und mit Wissen ausstatten konnten, bevor sie wieder verschwand.“

„Dann ist das alles meine Schuld?“, er hatte es geahnt.

„Nicht nur, aber ja.“, sie schwieg einen Moment: „Sie ist aber noch nicht ganz verloren. Sie lebt noch und du hast schon angefangen, den Hass zu erwärmen.“

„Warum dürft ihr euch nicht sehen?“

„Wer?“

„Ihr alle hier.“, er rieb sich den verspannten Nacken und wünschte sich fast augenblicklich zu der Masseurin.

„Weil wir uns gegenseitig beeinflussen. Du hast es gesehen. Die Sportliche hat sich immer den anderen angepasst, wenn sie ein Zimmer betrat.“

„Warum war das dann eben auf dem Flur nicht so?“

„Weil sie noch in ihren Türen standen. Wie bist du hierher gekommen?“

„Durch die Tür. Gilt dieses Verändern auch für die Lisette, die ich kenne?“

„Sie verändert sich kaum merklich. Ihre Wunden heilen schneller, sie ist schneller wieder sauber und bleibt in Form. Aber was sie tut, hat auch Einfluss auf uns. Ich erhalte ihre Erinnerungen und die anderen, die einen Körper besitzen, erleiden den gleichen Schmerz wie sie.“

„Hm. Also sterbt ihr alle, wenn sie stirbt und umgekehrt?“

„Es reicht schon aus, wenn einer von uns stirbt.“

Ludwig schob sich die Haare aus dem Gesicht: „Wo bin ich hier? Was ist das alles?“

„Es ist unser Heim. Ich weiß nicht, wo du sonst bist. Ich weiß nicht, wie lange wir hier sind, wie wir hierher gekommen sind und was wir hier machen. Ich kenne nur die Regeln, die wir befolgen sollen und habe die Erinnerungen der Anderen.“

Ludwig seufzte: „Was soll ich jetzt tun?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wo ist Lisette?“

„Du meinst abgesehen von hier? Im Wald.“

Ludwig wurde hellhörig. Im Wald? Etwa in dem Wald, in dem sie gerade waren? Nun ja, zumindest Will?

„Was würde passieren, wenn ihr alle zusammen kommen würdet?“

„Ich weiß es nicht. Du solltest jetzt gehen. Und komm nicht mehr zurück.“

Ihre Stimme schwieg und die Türen im Flur wurden fester zugezogen. Alle hatten also gelauscht.
 

Lui erhob sich und trat durch den Ausgang: „Dorothea. Dorothea.“

Mit einem leisen Puff, erschien sie direkt vor ihm: „Du könntest ruhig etwas begeisterter klingen.“, sie lachte und mit einem weiteren Puff standen sie wieder vor Will.

„Warum hast du mir das gezeigt?“

„Wo wart ihr?“, Will erhob sich augenblicklich von dem Koffer auf dem er gesessen hatte.

„Tja, ich dachte, du könntest es vielleicht noch brauchen.“

„Wo wart ihr?“, wiederholte Will seine Frage. Die Antwort schockierte ihn regelrecht.

„Es gab mal eine Prinzessin...“, begann Dorothea, wurde aber unterbrochen, als Ludwig Will nach dem Weg fragte. Er hatte ihn immer noch nicht gefunden.

„Es gab da mal eine Prinzessin, die entführt worden war. Man hat sie nicht mehr wieder gesehen, aber es heißt, ihre Persönlichkeit soll gespalten worden sein.“, vollendete sie ihren Satz etwas lauter, bis sie das Gehör der Männer erhalten hatte.

Will blieb der Mund offen stehen.

Ludwig starrte sie an: „Ich bitte dich, Lisette ist doch keine Prinzessin.“
 

„Wie erklärst du es dir dann?“, Dorothea saß auf dem Kutschendach, die Beine über der hinteren Kante gekreuzt.

„Was soll mit Lisette sein?“, Will stand zwischen den Beiden und starrte sie abwechselnd an.

„Ich weiß ja nicht, wie du das gemacht hast oder wie du die gefunden hast, aber ich bin sicher, sie sind nur Zwillinge oder arme dumme kleine Frauen, die du verhext hast, damit du mich reinlegen kannst.“, Lui ließ sich auf einem Koffer nieder und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Das ist nicht dein Ernst!“, Dorothea lehnte sich verärgert vor und stützte sich mit den Händen zu beiden Seiten ihrer Hüfte auf der Kutsche ab, weshalb sie die Beine nicht länger überschlagen konnte: „Und wie erklärst du dir, dass Lisette sich jedes Mal verändert hat, wenn sie in einen anderen Raum kam? Wie erklärst du dir, dass Lisettes Wunden so schnell verheilt sind, nachdem sie aus Hänsels und Gretels Koffer entkommen ist?“

„Will hat sie gepflegt.“

Will rieb sich die Stirn: „Sie ist wirklich sehr schnell wieder gesund geworden.“

„Jetzt fang du nicht auch noch damit an.“

„Du willst es einfach nur nicht wahr haben.“, Dorothea verschränkte die Arme wieder vor der Brust.

Will wurde leichenblass: „Das würde wenigstens erklären, weshalb sie dir gegenüber kein Blatt vor den Mund genommen und sich immer ganz offen mit dir gestritten hat. Sonst hat sich das keiner getraut, schließlich bist du der Sohn des Königs.“

Ludwig schwieg. Was sollte er auch noch sagen? Irgendwie hatten sie schon recht. Es deutete alles darauf hin, dass sie nicht ganz sie selbst und komplett war. Aber die Lisette, die er kannte, hatte auch alle Eigenschaften, die er bei ihnen gesehen hatte. Sie war nicht auf eine einzige Fixiert. Aber er hatte auch keine Küche gesehen und kein Badezimmer, abgesehen von dem der Schönen.

Andererseits durfte sie nicht diese Prinzessin sein, denn dann wäre alles anders. Sie wären nicht mehr die gleichen. Sie würden sich nicht mehr auf die gleiche Weise gegenüber stehen.

Auch wenn er es nicht gerne zugab, hatte ihn die Tatsache, dass sie nicht seinem Stand entsprach, an allem positiven ihr gegenüber gehindert. Lui wollte sich nicht mal ausmalen, was sich allein dadurch, dass sie seinem Stand entsprechen könnte, alles ändern würde. Es würde nichts mehr zwischen ihr und ihm stehen. Das durfte nicht war sein!
 

Sie fuhren weiter, nachdem Dorothea sich dazu herabgelassen hatte, ihnen den Weg zu zeigen und erreichten schon bald das nächste Königreich.

Der blaue Zwerg

Die Stadt war erfüllt von Musik und köstlichen Düften. Von den Dachgiebeln hingen Girlanden, die zu den Nächsten reichten. Lahmpingongs hingen von Laternen und Dächern und überall standen Blumenkästen mit in den schönsten Farben blühenden Pflanzen.

„Was ist denn hier los?“, Lui spähte durch das kleine Fenster hinaus, das zum Kutschbock wies.

„Ich weiß es nicht, aber wir sollten vorsichtig sein. Es sieht nach einem Fest aus, da könnte sich Lisette gut in der Menge verstecken.“, Will’s Hände zitterten und auf seiner Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen.

„Nun bleib erst mal ruhig.“, Dorothea, die neben ihm auf dem Bock saß, legte ihm eine Hand auf den Arm und wandte sich danach an Ludwig: „Lui, mein Schatz, ich werde mich mal umhören, damit du auch weißt, was hier los ist.“, ihre Stimme überschlug sich fast.

Lui verdrehte die Augen und lehnte sich in seinem Sitz zurück.
 

Sie stellten die Kutsche in der Nähe ab und Will beschaffte ihnen zwei Hotelzimmer. Als er wieder zum Prinzen zurückkehrte, traf auch die Hexe wieder ein. In zwei Tagen am Abend sollte ein Fest zu Ehren der Königin stattfinden, die am Morgen ihr erstes Kind zur Welt gebracht hatte. Hierbei handelte es sich um eine Tochter.

„Die ganze Stadt ist mit den Vorbereitungen hierfür beschäftigt.“, schloss sie ihren Bericht: „Aber ich weiß nicht, irgendetwas stimmt nicht. Es ist wie in deinem Reich, mein Schatz, als ich die Kristalle gefunden habe. Hier ist eine Macht am Werk, die ich nicht einordnen kann.“

„Das passiert ja ziemlich oft in letzter Zeit. Vor einigen Tagen die Sache mit diesem komischen Flur und nun das hier.“, warf Ludwig ihr vor: „Lässt du etwa nach?“

Sie sah ihn beleidigt an: „Nein, manchmal kann man eben nicht einfach erkennen, was los ist.“ Als ihre Katze mit den Fledermausflügeln wieder erschien, verschwand sie wütend.

„Das war nicht sehr Taktvoll, Prinz.“, warf Will wagemutig ein.

„Was weißt du schon davon.“, fuhr in Lui an: „Sorg lieber dafür, dass wir in das Schloss kommen. Vielleicht hat die Königin ja noch eine Schwester.“
 

„Ihr seid also zu Besuch in meinem Land um eine Gemahlin zu finden?“, fragte der König verwundert nach.

„Ja.“, Ludwig küsste die Hand der bezaubernden Königin und zog sich mit einem tiefgründigen Blick in ihre Augen wieder von ihr zurück. Sie errötete peinlich berührt und schenkte daraufhin ihrem Mann ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Ich weiß nicht, wie wir Euch dabei helfen könnten.“, fuhr dieser unbeirrt fort und rieb sich nachdenklich das Kinn: „Zunächst bestehe ich natürlich darauf, dass Ihr in meinem Schloss nächtigt. Ich werde mit Eurer Zustimmung den sofortigen Umzug veranlassen, wenn Ihr gestattet.“

„Ich habe nichts dagegen einzuwenden.“, Lui lächelte freundlich und wandte sich wieder der Königin zu. Welche Körbchengröße sie wohl hatte?

„Mein treuer Diener Willhelm wird gerne dabei behilflich sein.“, fügte er noch an den König hinzu und wies mit der rechten Hand auf Will, der neben ihm stand: „Er wird die Arbeit mit fleißiger Hand erleichtern und dafür Sorge tragen, dass nichts und niemand vergessen wird.“

„Wie Ihr wünscht.“, willigte der König ein und wandte sich flüsternd an seine Gemahlin. Danach verabschiedete er sich von Ludwig und verschwand in das Zimmer neben an.

Sobald er aus dem Zimmer verschwunden war, sprang die Königin auf und lief auf Ludwig zu.

Er war völlig verblüfft. Eine solche Reaktion hatte er noch nie ausgelöst.

Sie ergriff mit beiden Händen die seinen und sah ihn flehend an: „Ich bitte Euch, helft mir.“

„Wenn Ihr mir sagt weshalb und wie, werde ich keine Zeit scheuen.“

„Meine Tochter, meine Arme kleine Tochter. Ich gab einem Männlein mein Wort, sie ihm zu geben, wenn ich seinen Namen nicht errate. Bitte helft mir, ihn heraus zu finden.“

Lui runzelte die Stirn. Was sollte das denn?

„Ich werde Euch alles erklären, wenn Ihr mir nur helft.“, flehte sie weiter, als sie sein Zögern bemerkte: „Ich werde Euch alles erzählen und nichts auslassen, aber bitte rettet meine kleine Tochter. Sie kann doch nichts dafür.“

Sie brach in Tränen aus und Ludwig entzog ihr seine Hände, um sich in einen Sessel am Rande des Saales sinken zu lassen. Sie sank zu Boden wie ein Häuflein Elend.
 

Als sie sich wieder gefangen hatte, erklärte sie ihm, dass sie als Sängerin in einer Spielunke gearbeitet hatte, als sie auf den Prinzen gestoßen war. Sie hatten sich sofort ineinander verliebt und keinen Moment gezögert dieser Liebe ihren Ausdruck zu verleihen.

Doch als der Vater des Prinzen davon erfuhr, wollte er den Prinzen zu einer Zweckhochzeit zwingen, die dem Land wieder zum Wohlstand verhelfen sollte. Um den König Senior davon zu überzeugen, dass sie diesen Anforderungen entsprach, hatten sie sich dazu entschlossen zu behaupten, sie könne Stroh zu Gold spinnen.

Dabei hatten sie jedoch nicht mit dem Entschluss des Königs gerechnet, der einen Beweis von ihr verlangte. So wurde sie in eine kleine Kammer mit etwas Stroh gesperrt, in der sie es bis zum nächsten Morgen beweisen sollte.

„Ich war so verzweifelt.“, jammerte sie ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit vor: „Ich wusste nicht weiter und weinte bitterlich. Doch dann tauchte plötzlich dieser kleine blauer Kerl auf. Er hatte seine blaue Haut ungeschickt mit grün und braun geschminkt um die Farbe zu überdecken, aber ich konnte trotzdem erkennen, dass er blau war.“

Lui zog die Augenbrauen hoch und hörte ihr weiter zu.

„Ich musste anzügliche Bemerkungen über mich ergehen lassen, bevor er meine Kette als Bezahlung akzeptierte und das Stroh zu Gold spann.“

Ludwig konnte ihr das nicht wirklich glauben, schwieg aber, als sie fort fuhr: „Doch mein Schwiegervater hatte damit nicht genug. Das Gold reichte bei weitem nicht dazu aus, den Reichtum zu ersetzen, den mein Gemahl durch eine reiche Heirat bekommen hätte, also musste ich eine weitere Nacht in einem größeren Keller verbringen. Erst danach sollten wir heiraten.

Der Kerl tauchte wieder auf und nach dem er seine anzüglichen Bemerkungen hinter sich gebracht hatte, nahm er meinen Ring und spann das Stroh zu Gold und Edelsteinen.“

Danach hatten sie immer noch nicht geheiratet, denn ein Sturm hatte in der selben Nacht die nördlichen Felder zerstört und das Königreich in eine Not gestürzt. So hatte der König Senior seine Schwiegertochter erneut darum gebeten, Stroh zu Gold zu spinnen. Die Kammer war sehr viel größer gewesen, als alles, was sie zuvor vor sich gehabt hatte. Der König wollte schließlich sein Volk ernähren können.

„Der Kerl war wieder aufgetaucht und nachdem er seine üblichen Bemerkungen losgeworden war, musste ich ihm mein erstes Kind versprechen, weil ich nichts mehr zu geben hatte. Er machte sich an die Arbeit und ich wurde bewusstlos, weil er so nach Alkohol stank.“, schloss sie ihre Geschichte.

„Also müsst Ihr Eure Tochter diesem Fremden anvertrauen.“

„Er war nun schon zwei Mal da und stellte mir die Aufgabe seinen Namen zu erraten. Friedrich hat alles versucht ihn zu finden, aber er ist wie vom Erdboden verschluckt. Keiner hat ihn gefunden und ich muss ihm übermorgen seinen Namen nennen, sonst verlieren wir unsere Tochter.“

Lui verdaute fürs Erste diese Neuigkeit: „Was bekomme ich dafür?“

„Ich nenne Euch das nächste Königreich und sage Euch, wie Ihr an die Tochter des Königs heran kommen könnt und an die der anderen Königreiche, wenn Ihr mir nur helfen wollt.“

„Ich muss zunächst einmal auf Will warten. Ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr mir mein Zimmer zeigen würdet.“, sie erhoben sich wieder: „Ach ja, ich hätte da noch eine Frage. Was ist Eure Körbchengröße?“

Die Königin starrte ihn verblüfft an.
 

„Also, du willst jetzt diesen Zwerg suchen?“, wiederholte Dorothea ungläubig und ließ sich in einen Stuhl fallen.

Lui würdigte sie keiner Antwort sondern wandte sich an Will, der einem Tablett in der Tür erstarrt war: „Kommst du jetzt? Der Tee wird kalt.“

Will zuckte zusammen und hatte es so eilig den Tee zu servieren, dass er über eine Teppichfalte stolperte und der Länge nach auf dem Boden aufschlug. Der Tee ergoss sich über den ganzen Boden und das Service ging zu Bruch.

„Stell dich doch nicht immer so ungeschickt an.“, erteilte ihm Lui eine Rüge: „Wenn du den Kerl heute Nacht mit mir suchen wirst, darfst du nicht auffallen.“

Will wurde kreidebleich, während Dorothea das Chaos mit einem Seufzen wieder in seinen ursprünglichen zustand versetzte: „Und du bist dir wirklich ganz sicher? Weißt du, ich kann dir dieses Mal nicht wieder so helfen, wie gegen Julius. Du weißt nicht, was es mit diesem Kerl auf sich hat.“

„Ich habe dich nicht darum gebeten, es wieder zu tun.“, giftete Lui und erhob sich. Er durchmaß den Raum mit wenigen Schritten und öffnete seinen Kleiderschrank. Er hatte genug von dem Anzug. Jetzt war ihm mehr nach einer zerfetzten Jeans und einem verblichenen weißen T-Shirt.
 

Erschöpft sank sie zu Boden. Sie war gerade noch entkommen. Sie konnte von Glück reden. Das gefiel ihr gar nicht. Sie hatte plötzlich Seife in den Augen gehabt und wäre fast abgestürzt. Diese blöde Kuh, warum konnte sie auch nicht aufpassen.

Wütend zog sie sich an dem Ast hoch, der sie vor einem völligen Absturz bewahrt hatte, damit sie sich unter einen Felsvorsprung retten konnte, bevor sie entdeckt wurde. Sie hinterließ kein Blut trotz der vielen kleinen Wunden, die sie kassiert hatte. Dafür musste sie wohl Gott danken.

Als sie keine Stimmen und Schritte mehr über sich vernehmen konnte, lugte sie vorsichtig unter dem Fels hervor. Sie waren weg, also konnte sie sich an den Aufstieg wagen.

Müde und erschöpft zog sie sich an der steilen Wand hinauf, bis sie die kleine Lichtung erreichte, von der sie zuvor gefallen war. Die Luft war rein.

Sie hievte sich über den Abhang und blieb am Boden liegen um zu verschnaufen. Was hatte sie sich nur mit diesem Bauern eingebrockt? Sie musste in Zukunft vorsichtiger sein, wenn sie Nahrung stehlen wollte. Das Gewehr hatte ihr zwar etwas Geld eingebracht, aber noch bei weitem nicht genug, dass es bis zu den letzten Wochen gereicht hätte.

Sie schaffte sich unter einen nahegelegenen Baum und blieb dort liegen. Vielleicht würden ihre Wunden ja wieder schnell verheilen.
 

„Bist du sicher, dass wir ihn hier finden können?“, Will schlug sich ungeschickt durch das Unterholz des Waldes, während er manchmal vergaß den Ästen auszuweichen, die Lui zur Seite gehalten hatte, damit er selbst vorbei konnte und die er sobald er vorbei war, wieder zurück schnarren ließ.

„Nerv mich nicht, Will. Sei lieber ruhig, schließlich könnte er dich hören.“

Will seufzte. Sie waren nun schon seit drei Stunden in diesem Wald unterwegs, während Wachen das ganze Land absuchten.

„Hast du das gehört?“, Lui blieb so abrupt stehen, dass Will fast in ihn hinein lief.

„Nein.“

„Lass uns weiter gehen.“, schloss Lui nach einem Augenblick. Sie wanderten weiter, nun durch lichteres Gelände, bis Lui plötzlich wieder stehen blieb: „Siehst du das Licht dort vorne?“

Will spähte an ihm vorbei: „Das da vorn?“

„Ja.“, Lui wanderte ungebremst darauf zu und bog kurz davor ins Gebüsch ab, damit man ihn nicht sah. Will folgte ihm stolpernd und hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten.

Das Licht stammte von einem Lagerfeuer, dass auf einer kleinen Lichtung entzündet worden war. Die Lichtung grenzte an eine Felswand, die das Licht widerspiegelte.

„Wo ist er?“, flüsterte Will dem Prinzen zu.

„Ssht.“, würgte dieser ihn ab.

„Aber wo kann er denn sein?“

„Wenn du so laut bist, wird er niemals herauskommen, egal auf wen ihr wartet.“, erklang eine gelangweilte geschwächte Stimme hinter ihnen.

Erschrocken fuhren sie zu dieser herum und erblickten Lisette. Will sprang sogleich auf sie zu, um sich ihre Wunden zu betrachten, während Ludwig sie nur anstarrte. Welche war das nun?

Sie deutete seinen Blick falsch, als sie zu ihm aufsah: „Du brauchst gar nicht so zu gucken. Ich freu mich auch.“, ihre Stimme triefte nur so vor Sarkasmus.

„Du kannst nur Lisette sein.“, rutschte Lui ungehalten heraus.

Lisette wandte sich an Will, den sie während des ganzen Gesprächs ungehalten abwehrte: „Was ist mit? Hat er sein Gedächtnis verloren?“

„Nein, das hat er nicht. Lass mich deine Wunden sehen.“

„Schade, dann hätte ich ihn leichter töten können.“, sie ignorierte Will absichtlich und wandte sich wieder an Ludwig: „Was macht ihr hier?“

„Wie ist das passiert?“, entgegnete Lui und dachte an die anderen Lisettes zurück, die sich schon durch kleine Änderungen der Kleidung sofort den Anderen angepasst hatten. Waren sie nun auch verletzt?

„Das geht dich nichts an.“, sie zog hämisch einen Mundwinkel hoch: „Euer kleiner Freund ist da.“

Lui fuhr herum und blickte durch die Büsche hindurch. Hinter dem großen Feuer war ein kleiner blauer Kerl hervorgetreten, der sich die Kleider vom Leib zog und um das Feuer tanzte.

Er sang: „Heute tanz’ ich, morgen töt’ ich und übermorgen hol’ ich der Königin ihr Kind. Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß’!“

Lui konnte nicht an sich halten. Er stapfte aus dem Gebüsch und stand vor ihm auf der Lichtung.

„Rumpelstilzchen?“, platze es aus ihm heraus: „Wie blöd ist denn der Name? Überhaupt nicht bedrohlich, so machst du doch gar keinen Eindruck.“

„Ich wette, er hat noch niemanden getötet.“, stakste Lisette hinter dem Prinzen aus dem Gebüsch, gefolgt von Will, der besorgt um sie herum lief und sie bat, wieder zurück zu gehen.

„Was soll das? Was macht ihr hier?“, schrie der kleine blaue Zwerg und bedeckte beschämt seine Kronjuwelen mit den Händen.

„Und dann noch diese Farbe.“, fuhr Lui fort.

„Ich glaube, ich habe schon von ihm gehört.“, stimmte Lisette ein. Bei ihren Worten gewann der Zwerg wieder an Selbstbewusstsein, bis sie fortfuhr: „Er ist der Knilch, der schon oft versucht hat, Kinder zu entführen und es letztlich doch nie geschafft hat. Er wird in der Unterwelt ausgelacht.“

Der Zwerg wurde rot und krächzte: „Was wollt ihr?“

„Hm.“, überlegte Lui: „Wie wäre es, wenn du mit deiner Gabe Geld machst, statt Kinder von Familien zu erpressen? Du könntest auch von der Klippe da oben springen, was mir persönlich besser gefallen würde.“

„Ja, ich glaube, das würde mir auch besser gefallen.“, stimmte Lisette zu und legte den Kopf schräg: „Aber das bringt ihn nicht um. Ich spreche aus Erfahrung.“

Der Zwerg suchte verzweifelt seine Sachen zusammen und krächzte verzweifelt beim Anziehen, dass er keine Chance hätte, denn wer würde schon die Dienste eines blauen Zwergs in Anspruch nehmen.

„Und warum hat das mit dem Erpressen nicht geklappt?“, hakte Lisette nach.

„Weil die immer meinen Namen rausbekommen haben.“, Rumpelstilzchen war niedergeschlagen und sank auf den Boden zurück: „Außerdem musste ich versprechen, dass ich diese Gabe nur für Böses verwende.“

„Bist du deshalb auch so blau?“, Lui lief um ihn herum und betrachtete sich die Farbe.

„Ja.“, antwortete der Zwerg gereizt.

„Nun gut, um deinen Ruf zu wahren, gehst du morgen zur Königin und machst, was du immer machst. Aber hole dir nicht das Kind!“, kommandierte ihn Lui: „Was du danach machst, ist mir egal, aber ich muss meine Belohnung bekommen.“

Er wandte sich ab und verließ den Zwerg. Als Will ihm nicht folgte wandte er sich erneut um: „Was ist?“

Will deutete auf Lisette: „Wir können sie doch nicht einfach hier lassen.“

„Warum nicht?“, vielen die anderen Beiden ein.

„Weil sie verletzt ist.“, Will ignorierte Lisette und wandte sich weiterhin an Lui.

Der zeigte anklagend mit dem Finger auf sie: „Du hast doch selbst gehört. Sie will gar nicht mit.“

Will zerrte weiter an ihrem Arm und sah Lui flehend an, während Lisette stöhnte und die Augen verdrehte. Was sollte das nur?

„Du könntest heraus finden, was es mit ihr auf sich hat, wenn du sie mitnimmst.“, erklang Dorotheas Stimme in Luis Unterbewusstsein.
 

„Ich versteh wirklich nicht, was das hier soll.“, Lisette klang nicht sonderlich begeistert. Sie saß verpackt und verschnürt auf einem Stuhl fest, während Will nach ihren Wunden sah.

„Wie ist das möglich?“, wiederholte er die gleiche Phrase zum dritten Mal: „Du hattest doch so viele Wunden.“

„Du hast ja lange genug gebraucht mich hier her zu schaffen.“

„So lange war es gar nicht.“

„Ach nein?“, erklangen Lui und Lisette im Chor und starrten sich an. Das war nicht sonderlich gut. Sie schwiegen sich an und sahen dann in verschiedene Richtungen.

„Ich bin nur noch hier, damit ich ihn gleich umlegen kann, das ist dir ja wohl hoffentlich klar, Willhelm!“, stellte sie besonders unfreundlich fest.

Lui schnaufte verächtlich und wandte sich ab.

„Was nun?“, flüsterte ihm Dorothea zu: „Wie willst du es nun rausbekommen?“

Lui sah ihr ins Gesicht und wandte sich dann wieder von ihr ab.

In diesem Moment betrat ein Diener der Königin den Raum und bat Lui die Königin in Empfang zu nehmen.

„Was denn? Du bist schon so weit gesunken, dass du dich jetzt an verheirateten Frauen vergreifst die obendrein noch Kinder haben?“, verhöhnte ihn Lisette.

„Du verstehst wirklich gar nichts.“, antwortete er ihr.
 

„Ich hoffe, ich störe Euch nicht, Prinz Ludwig.“, begrüßte ihn die Königin, nachdem die Diener die Tür in ihrem Rücken geschlossen hatten.

„Setzt Euch ruhig.“, Lui saß in einem hohen Lehnstuhl in einer Ecke. Der Anzug, den er trug konnte man kaum als solchen bezeichnen, denn er gab sehr tiefe einblicke frei.

„Habt Ihr etwas herausgefunden?“, sie ließ sich auf einen Stuhl sinken und sah ihn hoffnungsvoll an.

„Was soll das denn?“, erklang Lisettes Stimme verächtlich: „Sag bloß du hast angefangen zu arbeiten.“

Die Königin blickte überrascht zu ihr hinüber und runzelte die Stirn: „Wer ist das?“

„Niemand.“, wandte Will schnell ein und stellte sich vor Lisette: „Es ist nur eine Freundin, eure Hoheit.“, er verneigte sich vor ihr.

„Ich habe in der Tat etwas herausgefunden.“, fuhr Lui unbeirrt fort, was die Aufmerksamkeit der Königin wieder auf ihn lenkte: „Sein Name ist Rumpelstilzchen.“

Die Königin faltete dankbar die Hände und brach in Tränen aus: „Ich danke Euch so sehr. Vielen, vielen Dank Prinz Ludwig.“

„Denkt an euer Versprechen.“

„Natürlich.“

„Hätte ich mir ja denken können, dass du nichts um sonst machst.“, erklang Lisettes verächtliche Stimme erneut hinter Wills Rücken. Dieser fuhr erschrocken zu ihr herum und gab somit wieder den Blick der Königin frei.

„Wer ist das? Sie kommt mir bekannt vor.“, durch den Schreck, den Lisettes Worte bei der feinfühligen Königin ausgelöst hatten, hatte diese sich wieder gefasst: „Sie erinnert mich an irgendwen.“

„Das ist...“, Will wusste nicht weiter: „Das ist, ähm...also, das ist...“

„Hör auf zu stammeln, Will.“, schalt ihn Lui, der Lunte gerochen hatte: „Das ist Lisette, Mylady.“

„Wie alt seid Ihr, Lisette?“, wandte sie sich an Rotkäppchen.

„Warum interessiert Euch das?“, entgegnete diese nur schnippisch.

„Könnt Ihr mit Waffen umgehen?“, überging die Königin die Frage.

„Warum sollte ich Euch antworten?“, Lisettes Stimme war weicher geworden, aber ihre Worte waren noch genauso verletzend.

Lui hatte den Wandel in ihrer Stimme bemerkt und wandte sich Dorothea zu, die ihn wissend anblickte. Sie zog eine Augenbraue hoch und nickte vielsagend.

„Eure Hoheit, an wen erinnert sie Euch denn?“, wandte Lui ein und ließ Lisette nicht aus den Augen.

Als sie seinem Blick begegnete, wandelte sich ihr Wesen: „Was soll das hier? Bin ich eine Art Versuchskaninchen für verlorene Erinnerungen?“, sie erhob sich und griff nach ihrem Mantel.

„Wie ist es möglich, dass deine Wunden schon wieder verheilt sind?“, fragte Will sie verwundert.

„Unsinn. Ich bin nur nicht so empfindlich wie du, Will.“, schimpfte sie ihn aus.

Die Königin ließ sie nicht aus den Augen: „Du erinnerst mich an irgendwen.“

„Das habt Ihr bereits gesagt.“, entgegnete Lisette unhöflich ohne sie anzusehen und machte sich auf den Weg zum nächsten Fenster.

„Sie erinnert Euch bestimmt nur an Rotkäppchen.“, warf Dorothea ein und machte es sich wieder auf der Couch bequem.

„Wer soll das sein?“, fragte die Königin unwirsch.

„Das ist nicht so wichtig.“, wandte Lui ein, bevor er sich wieder mit Lisette beschäftigte: „Setz dich wieder hin, ich muss noch mit dir reden.“

„Warum sollte ich das tun?“, sie drehte sich verachtend zu ihm um.

„Weil etwas Geld für dich rausspringen könnte.“, entgegnete Lui genauso unfreundlich, dann wandte er sich wieder der Königin zu: „Was ist nun mit Eurem Versprechen?“

„Ich muss doch erst einmal wissen, ob es stimmt, das werdet Ihr doch sicher verstehen?“

„Natürlich, warum auch nicht.“, Lui grinste breit: „Deshalb kommt er auch schon morgen Abend.“

Die Königin starrte ihn an: „Ihr habt mit ihm gesprochen?“

Ludwigs Lächeln wurde noch breiter.
 

„Was willst du von mir?“, Lisette saß mit beleidigt verschränkten Armen in einem Lehnstuhl in der Ecke, als die Königin die Tür hinter sich schloss: „Und du solltest in deinem eigenen Interesse hoffen, dass es wichtig ist.“

„Warum? Bringst du mich um, wenn es nicht so ist?“, er kam auf sie zu und sah sie verachtend an.

„Was willst du?“, wiederholte sie wütend die Frage und ihre Augenbrauen sanken um einiges tiefer.

Er ließ sich gemächlich in einem Stuhl ihr gegenüber nieder und schlug langsam die Beine übereinander. Dabei betrachtete er sie eingehend: „Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem du deine Eltern getötet hast?“

Lisette zog eine Augenbraue hoch: „Worum geht’s, Lui? Komm auf den Punkt.“

„Ich will von dir wissen, was genau passiert ist.“, schloss er: „Das ist alles.“

„Und warum interessiert dich das plötzlich so sehr?“, sie sah ihn ungläubig an: „Du führst irgendwas im Schilde, das steht fest.“

„Antworte einfach.“, er wurde ungeduldig.

Sie grinste breit: „Nur gegen die richtige Bezahlung.“

„Woher soll ich wissen, dass du nicht lügst?“

„Das ist dein Risiko. Geht mich nichts an.“, sie zog beide Augenbrauen hoch und lächelte fast.

„Was willst du?“, fragte er schließlich, nachdem er seinen Zorn hinuntergeschluckt hatte.

„Mein Preis besteht aus zwei Dingen.“, sie legte eine Pause ein, um ihm die Gelegenheit für einen Einwand zu geben. Er reagierte nicht, also fuhr sie fort: „Erstens möchte ich wissen, wozu du es wissen willst und das wirst du mir sagen müssen, bevor ich dir etwas erzähle.“

Er biss sich auf die Lippe und sein Blick verfinsterte sich, aber er beschwerte sich nicht.

„Und zweitens könnte ich etwas Kleingeld gebrauchen.“

„Und wieder sage ich: woher soll ich wissen, dass du mir die Wahrheit sagst?“

„Das kannst du nicht wissen.“

„Warum sollte ich für etwas bezahlen, für das ich keine Garantie habe?“

„Nun gut. Ich sage dir die Wahrheit, wenn du sie mir sagst.“, sie beugte sich etwas vor und stützte ihre Unterarme auf den Armlehnen ab.

„Warum sollte ich dir überhaupt etwas erzählen?“, Lui ließ sie nicht aus den Augen.

„Weil das die Vorraussetzung dafür ist, dass ich überhaupt etwas sage.“, sie lehnte sich wieder zurück.

„Du brauchst doch das Geld. Ich hab das nicht nötig.“, er bemerkte jede ihrer Bewegungen.

„So dringend brauch ich das auch nicht. Wäre nicht das erste Mal, dass ich ohne auskommen muss. Aber du willst die Infos von mir.“, grien umspielte ihre Züge.

Sie war eine gute Verhändlerin und sie hatte ihn am Harken, das wusste sie. Lui lächelte.

„Ich möchte es wissen, weil es mich interessiert.“

„Wenn du denkst, dass du dich so leicht aus der Affäre ziehen kannst, hast du dich geschnitten.“, sie erhob sich und wandte sich zum gehen.

„Na gut, ich sag’s dir ja.“, er knirschte fast mit den Zähnen. Sie wandte sich mit dem Blick eines Siegers zu ihm um.

„Es ist wegen Will.“

„Was soll mit ihm sein?“, sie glaubte ihm nicht. Er musste sich bemühen, sonst klappte es nicht: „Er denkt oft an damals zurück und nervt mich zu Tode.“

„Offenbar ja leider nicht.“

„Sehr lustig. Ich möchte ihm einfach nur was an den Kopf werfen können.“

„Da wirst du bei mir nichts finden.“, sie wandte sich wieder ab, ging auf die Tür zu, hörte etwas und ging zum nächsten Fenster. Dann drehte sie sich wieder zu ihm um, bevor sie verschwand: „Ich mach dir einen Vorschlag. Wenn du die Wahrheit sagen möchtest, dann kommen wir noch mal auf den Deal zu sprechen. Bis dahin hab ich dich vielleicht noch nicht getötet.“

Lui bleib allein zurück. Verdammte Kuh!
 

Der nächste Abend kam wie im Flug und Ludwig und Will fanden sich mit Dorothea und dem königlichen Ehepaar im Thronsaal ein, um den blauen Zwerg in Empfang zu nehmen.

Das Ehepaar wirkte sehr angespannt und Will war etwas nervös. Es war nicht ungefährlich, in dieser Situation, schließlich konnte der Zwerg sich ja um entscheiden oder er benannte sich um und dann standen sie dem Henker gegenüber.

Ludwig schien das nicht im geringsten zu interessieren. Er saß in seiner Ecke auf einem Stuhl, die Beine überschlagen und betrachtete seine Fingernägel. Dorothea saß neben ihm, ihre Katze auf dem Schoß und wickelte gelangweilt ihre Haare um den rechten Zeigefinger.

Will dagegen saß nervös auf seinem Stuhl und spielte mit seinen Fingern, bis einer von ihnen Knackte und er aufhörte.

Es klopfte an der Tür zum Saal und als niemand reagierte, trat der Zwerg herein: „Nun Majestät, habt ihr meinen Namen herausgefunden?“

Der König legte seiner Gattin beruhigend eine Hand auf den linken Arm und sah sie aufmunternd an. Dadurch gestärkt antwortete sie ihm: „Dein Name ist Rumpelstilzchen.“

Er sah sie verblüfft an. Seine Augen wurden weit und gerade, als er mit dem Fuß ausholen wollte, um in die Erde zu stampfen, erstarrte er inmitten der Bewegung.

Grund hierfür war das kleine Räuspern, mit dem Lui auf sich aufmerksam machte. Als Rumpelstilzchen ihn sah, wurde das Blau seiner Haut um einige Nuancen heller und er setzte den Fuß wieder auf dem Boden ab.

„Haben wir nicht etwas vergessen?“, Lui stand auf und kam auf ihn zu.

„Was wollt ihr denn vergessen haben?“, Rumpelstilzchen befürchtete augenblicklich eine Falle und sah sich argwöhnisch nach der Königin um, die noch weniger verstand, als er.

„Wenn du jetzt auf den Boden trittst, dann wirst du dich so sehr verletzten, du kleiner Idiot, dass du mir nicht mehr von Nutzen sein kannst.“, gab Lui von sich: „Wie sollen wir denn dann an Geld kommen?“

„Ach ja, meine Gabe.“, viel es Rumpelstilzchen wieder ein: „Aber das hast du doch schon genug, du zotteliger Affe.“

Lui schenkte ihm einen destruktiven Blick: „Eure Hoheiten, Ihr könntet ihn doch einstellen. Zunächst als Babysitter, wenn Euch das kleine Balk auf die Nerven geht und später als Rettungsanker, wenn das Geld mal wieder knapp wird.“

Der König senkte seinen Blick. Er fühlte sich ertappt: „Woher wusstet Ihr, Prinz, dass es schlecht um unsere Finanzen steht?“

„Ihr wart nie zugegen, wenn ich mich mit Eurer Gattin unterhielt und dank Will weiß ich, dass es in dieser Stadt schlecht um die Brotpreise steht.“

Die Königin sah ihren Gemahl von der Seite an: „Schon wieder?“

Der König nickte beflissen.

„Ich stelle dich ein, wenn du möchtest. Aber keine Erpressungen mehr und es wird auch niemand mehr von dir entführt!“

Rumpelstilzchen sah zunächst zu Lui und dann zu der Königin, bevor er nickte.
 

„Was ist nun mit Eurem Versprechen, Königin?“, Lui lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück und betrachtete sich erneut seine Fingernägel.

„Ihr habt nicht nur meine Tochter, sondern mein ganzes Reich gerettet.“, leitete sie ihre Antwort ein: „So werde ich Euch nicht nur sagen, wo ihr die nächste ledige Prinzessin finden könnt, sondern auch noch, woher ich die junge Dame von gestern Abend kenne.“

„Als Dame würde ich sie wohl kaum bezeichnen.“

Die Königin schenkte ihm einen überraschten Blick und überging seinen Einwand: „Die junge Dame kenne ich von einem Gemälde, dass ich vor langer Zeit im Arbeitszimmer meines Schwiegervaters gesehen habe. Es zeigte seine beste Freundin mit ihrer Familie. Dabei war auch eine Tochter. Sie war etwa sechs Monate alt, als das Gemälde gemalt wurde, zumindest wirkte es so. Sie befanden sich in ihrem Königreich. Eure Freundin sah der Königin sehr ähnlich.“

Lui sah sie ernst an: „Wo ist denn dieses Königreich?“

„Es liegt westlich von hier an der Meeresgrenze. Aber es ist verkommen. Die Tochter wurde, soweit ich davon weiß, entführt, als sie gerade mal fünf Jahre alt war.“

„Wie komme ich dorthin?“, Lui lehnte sich vor, sodass er sich mit den Unterarmen auf seine Knie stützen konnte. Seine Augen lagen im Schatten seiner Haare, weshalb die Königin nicht erkennen konnte, was er dachte.

„Es ist ein langer Weg dorthin. Er wird Euch durch mindestens drei andere Königreiche führen, von denen ich weiß, dass sie noch dazwischen liegen.“, sie schenkte ihm einen besorgten Blick: „Es ist wirklich entsetzlich weit und ich kann Euch nicht garantieren, dass Ihr dort noch jemanden finden werdet, der lebt.“

„Das ist schon okay.“, Lui lehnte sich wieder zurück: „Lasst das ganz meine Sorge sein. Was ist nun mit der anderen Sache?“

„Die Königreiche liegen auf dem Weg.“

Alfred und Gregor

„Was hast du nun vor, Lui?“, Dorothea saß neben ihm in der Kutsche, in die sie sich hinein geschmuggelt hatte, nachdem er ihr abgewöhnt hatte, ihn „Schatz“ zu nennen.

„Ich werde mich durch die nächsten Königreiche schlagen, mal sehen. Vielleicht kann ich dort ja die richtige finden.“

„Aber hast du die richtige nicht schon verloren?“, Dorothea wirkte betrübt, als sie ihm diese Frage stellte: „Hast du sie nicht in Frederike verloren?“

„Die?“, er wurde merkwürdig ernst: „Nein. Wir haben uns viel zu wenig gekannt.“

„Aber wenn du deine Braut besser kennen willst, bevor du weißt, dass sie die „Richtige“ ist, dann wirst du nie eine finden.“, schlussfolgerte sie.

Lui grinste breit: „Nun, dann wird es wohl so sein.“

Die Hexe sah ihn verständnislos an: „Aber ich dachte immer, Frederike wäre...“

Lui wartete einen Moment, aber sie hatte den Satz abgebrochen: „Sie war schon sehr nahe dran und wäre sie nicht... Wären die Dinge anders gekommen, wäre sie die Richtige geworden.“

Dorothea schwieg.
 

„Wir erreichen die nächste Stadt, Prinz.“, ließ Will vom Kutschbock verlauten: „Es hat ja nun auch schon lange genug gedauert.“

Lui seufzte und sah wieder aus dem Fenster. Dorothea war mit ihrem dämlichen Besen unterwegs und die Reise ödete ihn an. Er hatte seit vier Wochen nichts anders als kleine Dörfer und Gaststädten gesehen. Wenn es ganz schlimm gekommen war, hatten sie sogar im Wald übernachten müssen. Dort hatte Will heimlich gefischt, denn sie hatten nicht gewusst, ob sie in den Wäldern und Flüssen der Herrscher jagen durften. Er hatte großen Hunger und wollte sich endlich mal wieder die Beine vertreten.

„Dann beeil dich und suche uns ein Hotel. Ich kann diese grässliche Kutsche nicht mehr sehen.“

„Wie du wünschst.“, Will drängte die Pferde zu größerer Eile und Lui wurde in der Kutsche herum geworfen, bis die Pferde ganz plötzlich anhielten.

„Was ist passiert?“, Lui rappelte sich wütend vom Boden der Kutsche hoch, auf den er gefallen war, als die Kutsche bremste.

Will sprang vom Kutschbock und lief vor die Pferde. Lui, der aus der Kutsche gesprungen war, setzte ihm nach und erblickte einen großen Bären, der mitten auf der Straße stand und schrie.

Will blieb wie angewurzelt stehen, als er nach ihm ausholte und taumelte zurück. Lui kam neben ihm zum stehen: „Was ist denn hier los? Bist du wahnsinnig auf einen Bären zuzulaufen?“

„Es geht nicht um den Bären, Prinz. Es geht um den Vogel. Er wurde mir vor der Nase aus der Luft geschossen.“, Will starrte auf eine Taube hinab, die vor seinen Füßen auf der Straße lag.

„Na und?“

„Der Bär tauchte unmittelbar danach auf und ich konnte nicht weiter. Außerdem wollte ich ihn nicht so da liegen lassen.“

Lui verdrehte die Augen: „Was machen wir jetzt?“

„Ich weiß nicht.“

Das Gebüsch raschelte und plötzlich stand Lisette vor ihnen: „Wo ist er?“

„Wer?“, fragte Lui sie ungehalten.

„Der Vogel.“

„Was ist denn mit dem armen Vogel?“, Will kniete sich vor den Vogel und hielt schützend die Hände über ihn, während der Bär auf Lisette losging.

Sie wich ihm aus und stolperte zur Seite: „Das verdammte Vieh hat mir mein Essen geklaut.“

„Und was erwartest du jetzt von uns?“, Lui verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihr unbeeindruckt dabei zu, wie sie dem Bären immer wieder auswich.

„Er hat mich beklaut, also bekomm ich jetzt ihn!“, sie rollte sich unter dem Bären hindurch, die sie mit seiner rechten Pranke aus dem Stand angriff und kam direkt vor Lui wieder zum Stehen. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast.

„Was ist mit dem Deal? Willst du jetzt mit der Wahrheit rausrücken oder lassen wir ihn platzen?“, nur Lui konnte sie verstehen, was sie ganz genau wusste.

Er sah ihr in die Augen. Das letzte Mal, als sie ihm so nahe war, hätte er sie fast geküsst. Nein, das stimmte nicht ganz. Es war nicht Lisette gewesen, sondern eine Frau, die aussah, wie sie.

Sie duckte sich zur Seite und Lui hatte alle Mühe auszuweichen, als der Bär sie wieder angreifen wollte.

Er rollte sich zur Seite, stolperte und landete im Gebüsch. Als er zur Seite sah, lag Lisette ebenfalls dort und behielt den Bären im Auge: „Ich hab dir die Wahrheit gesagt.“

Sie sprangen beide zur Seite und der Bär landete in dem Strauch, in dem sie nur kurz zuvor gewesen waren.

Lisette machte einen wütenden Schritt auf ihn zu: „Hast du nicht!“

Lui grinste: „Wenn du mir nicht glauben möchtest, kann ich dir auch nicht weiter helfen.“

Sie wollte gerade auf ihn losgehen, als der Bär sich wieder bemerkbar machte und sie zur Seite zwang.
 

Will hob den Vogel auf und besah sich die Wunde. Die Kugel hatte den Flügel nur gestreift. Als er wieder aufsah, traute er seinen Augen nicht.
 

„Was machen wir mit diesem verrückten Bären?“, Lui rollte sich zu Lisette hinüber, die sich wieder auf die Beine raffte. Der Bäre hatte sie hart erwischt, aber sie hatte noch nicht alle Möglichkeiten ausgespielt: „Ich hätte da eine kugelsichere Lösung.“

Als Lui sich die Pistole ansah, die sie aus ihrem Stiefel zog, raschelte das Gebüsch erneut: „Nein, nicht schießen!“

Er sah auf und erblickte einen alten Mann, der sich schwer atmend auf den Knien abstützte.

Lisette lies die Pistole sinken, als sie bemerkte, dass der Bär zu ihm lief und sich stützend zur Seite stellte.

„Was zum Henker geht hier vor?“

„Wer bist du?“, Lui stand auf und kehrte Lisette den Rücken, die sich selbst aufrappeln musste.

„Ein armer alter Mann, der sich fast zu Tode geschuftet hat und Euch um nichts bittet, außer meine armen Freunde in Frieden zu lassen.“

Will stolperte hinter dem Mann ins Unterholz, in das sie bei ihrer Flucht vor dem Bären geraten waren: „Ich hab den Vogel verarztet.“

Der Alte drehte sich dankbar zu ihm um und nahm ihm den Vogel ab: „Ihr wisst nicht, was ihr Gutes getan habt.“

„Was ist hier los?“, wiederholte Lui Lisettes frage von zuvor.

Der Alte kletterte auf den Rücken des Bären und ritt auf ihm zur Kutsche zurück, wo er sich dann auf die kleine Treppe setzte, die zum Einstieg in die Kutsche diente: „Das hier sind meine Enkel. Sie wurden verwunschen, als sie in einer alten Miene nach mir suchten. Das war das Werk der Königin, weil sie eine Vermählung mit ihren Stieftöchtern scheute.“

„Aber das ist doch sowieso nicht möglich. Eine Prinzessin muss einen Prinzen ehelichen.“, runzelte Lui die Stirn.

„Nein, in diesem Land nicht. Hier wurde schon sehr früh festgelegt, dass dem nicht so ist.“, fuhr der Alte fort: „Sie schafften es, mich aus der Miene zu holen, wurden dann aber zu einer Taube und einem Bären.“

„Sind die Prinzessinnen noch ledig?“, Lui kratzte sich am Kinn: „Und welchen Brustumfang haben sie?“

Der Alte sah ihn entgeistert an.
 

„Du kannst auch immer nur an Brüste denken.“, Lisette erhob sich wieder und zog ihre Pistole: „Sieh es nicht als Feindseligkeit gegen dich, Lui, aber wenn ich dich töte, tue ich allen Frauen auf der Welt einen Gefallen.“, sie entsicherte sie und zielte auf ihn: „Das heißt, nimm es doch persönlich, denn ich kann dich nicht ausstehen!“

Will schritt dazwischen und drückte ihren Arm hinunter: „Was ist dann passiert?“

Lisette kämpfte mit ihm um die Pistole, die er wieder gesichert hatte und Lui übergab. Dieser ließ sich durch ihren Jähzorn nicht beeindrucken und enthielt ihr die Pistole vor, während er den Alten nicht aus den Augen ließ.

Dieser starrte sie mit unverhohlener Überraschung an. Was waren das für Leute? Waren sie immer so merkwürdig?

„Seit meine Enkel zu Tieren geworden sind, hetzt die Königin Jäger in den Wald um sie erlegen zu lassen.“

„Wer schießt schon auf Tauben.“, Lisette verdrehte die Augen.

„Du.“, antwortete ihr Lui und wandte sich wieder an den Alten, der immer weniger von dem Verstand, was zwischen ihnen vorging: „Was nun?“

„Wenn ich Schneeweißchen und Rosenrot erreichen könnte, dann könnten sie gerettet werden, aber das ist mir nicht möglich.“, der Alte sah betroffen zu Boden.

„Warum sollte die Königin eine solche Verbindung nicht wollen, wenn es doch gestattet ist?“, Will runzelte die Stirn und hielt Lisette in Schach.

„Weil sie durch eine Heirat der beiden das Reich verlieren würde. Seit der König vor einem Jahr starb, herrscht sie alleine über das Land.“, er kraulte dem Bären den Kopf und streichelte der Taube übers Gefieder.

Lisette gab auf und lief zu ihrem Gewehr hinüber. Sie trat mit dem rechten Fuß darunter und kickte es nach oben, sodass sie es mit der Hand ergreifen konnte. Als sie damit auf Lui zielen wollte, knurrte der Bär ungehalten und sie ließ es wieder sinken: „Das heißt nicht, dass du aus dem Schneider bist.“

Lui schenkte ihr einen ungläubigen Blick und wandte sich von ihr ab: „Da hast du aber Glück gehabt, dass ich gerade in so guter Stimmung bin, Alter. Ich kann in den Palast, ich bin ein Prinz.“

Er trat an dem Alten vorbei in die Kutsche und forderte ihn dazu auf, ihm zu folgen.
 

„Ich verstehe nicht, was ich hier soll.“, Lisette verschränkte die Arme und lehnte sich auf dem Kutschbock zurück.

„Ich schätze, er hat noch etwas mit dir zu bereden. Vielleicht ein neuer Auftrag.“, Will scheuchte die Pferde voran und behielt dabei den Bären im Auge, der dicht neben der Kutsche herlief.

„Wie lange wird der da noch da bleiben?“, Lisette deutete mit einem Kopfrucken auf ihn.

„Ich schätze, er wird uns bis zum Schloss begleiten, zusammen mit der Taube.“, Will hielt die Kutsche vor der Treppe zum Schloss und Lui stieg aus der Kutsche, die Taube auf dem Arm.

„Hey, was hast du vor?“, Lisette sprang vom Kutschbock und stellte sich ihm in den Weg: „Wenn du mit denen da rein gehst, bist du so gut wie tot.“

„Schön das dich das stören würde.“

Sie trat einen Schritt auf ihn zu: „Das Einzige was mich daran stören würde, wäre, dass ich nicht die Kugel abfeuern könnte, die dir den Gar ausmacht.“

„Auch das ist tröstlich.“, er lief an ihr vorbei und ließ sie stehen: „Kommst du jetzt?“

„Warum sollte ich mitkommen?“

„Du kannst dir Geld verdienen, das habe ich dir schon gesagt.“

Lisette verdrehte die Augen.

„Und du bekommst die Pistole wieder.“

Sie brauchte keine drei Sekunden um zu ihm aufzuholen: „Was soll ich machen?“

„Halt einfach die Klappe und komm mit.“, er sah an ihr herunter: „Mach den Mantel zu. Ich kann deinen Aufzug vielleicht als normal in meinem Land erklären, aber die Waffen fallen auf jeden Fall auf.“

Sie verdrehte die Augen abermals und schloss den Mantel.

„Und zapple nicht so rum.“

„Ich zapple nicht!“, knirschte sie durch die Zähne und folgte ihm immer tiefer in den Palast.
 

„Der Bär kann hier nicht hinein.“, ein Bediensteter des Palastes verstellte ihnen den Weg in den Thronsaal.

„Dann sollte er vielleicht mit mir kommen. Wo kann ich mich frisch machen?“, Lisette sah ihn sehr ernst an und für einen Augenblick dachte Lui an die Geschichte der Prinzessin zurück, die ihm die Königen erzählt hatte. Den Gedanken daran verwarf er sofort wieder, als ihre Stimme erneut erklang: „Die Taube nehme ich auch mit.“

Er sah sie verwundert an. Was hatte sie vor?

„Nun gut, folgt mir bitte.“, der Diener öffnete die Türen zum Thronsaal und Lui trat ein, während Lisette mit den Tieren verschwand.

„Womit kann ich Euch helfen, mein Prinz?“, empfing ihn die Königin, die prachtvoll auf ihrem Thron saß, die hohe Krone auf dem Kopf.
 

„Nun halt schon still.“, Lisette gelang es nur mit aller größter Mühe die Taube im Arm zu behalten, die begann wild in ihren Armen zu zappeln: „Du kannst doch sowieso nicht fliegen.“

Der Bär setzte sich vor die Tür und schnüffelte aufgeregt.

„Sag bloß, du kannst sie hier riechen.“, Lisette öffnete ihm die Tür: „Mach aber langsam, ich muss ja schließlich hinterher kommen können.“
 

„So ist das also. Ihr sucht eine Frau.“, die Stimme der Königin klang nachdenklich und wenig begeistert: „Wollt ihr euch vielleicht ausruhen?“

„Nur zu gerne. Aber ich muss noch auf meine Schwester warten. Sie musste vor der Tür warten.“

Die Königin zog die Augenbrauen hoch und rief einen Diener herbei, der Lui in ein Zimmer bringen sollte.

„Arbeitest du schon lange für dieses Haus?“, fragte Lui ihn.

Der Diener schüttelte mit dem Kopf und bog in den nächsten Flur ein.

„Bist du immer so gesprächig?“

Der Diener drehte sich zu ihm um und zog die Kappe hoch, die er auf seinem Kopf trug: „Für gewöhnlich nicht, aber wir wollten doch nicht, dass der alten Hexe da drinnen auffällt, dass nicht ihr Diener unter dem Anzug steckt, oder Lui?“

Lui seufzte: „Ich hätte es mir denken können. Wo hast du die Sachen her und wo sind die Tiere?“

„Die sind sicher, was man von dir nicht unbedingt behaupten kann.“

„Ach und warum bin ich nicht sicher?“, äffte er Lisette nach und trat einen Schritt auf sie zu, sodass sie den Kopf leicht in den Nacken legen musste, damit sie ihm in die Augen sehen konnte.

„Weil die alte Schnepfe da drinnen sich jetzt schon wieder ausmalt, wie sie dich um die Ecke bringen kann.“

„Warum bist du dir da so sicher?“, er sah auf sie herab ihn ihrem Pagenkostüm: „Und wo hast du die Sachen her?“

„Sagen wir, ich rieche so was auf fünf Kilometer Entfernung.“, sie wandte sich ab: „Wo ich die Sachen her hab, zeig ich dir jetzt, wenn du genug von dem Kaffeekränzchen hier hast.“

Lui schnaufte. Was hatte er auch erwartet. Gar nichts, weil es nichts zu erwarten gab!
 

Sie betraten einen Raum mit vielen, großen Fenstern, die den Raum in natürliches Tageslicht tauchten, als wären Wände und Dach gar nicht da. In einer Ecke war eine kleine Sitzecke mit drei weißen Sofas und einem Teppich. Auf diesen Sofas saßen zwei junge Frauen. Die eine hatte blondes Haar und ganz helle Haut, die andere Rotes und leicht gebräunte Haut.

Die Taube saß auf dem Arm der Blonden, während die Rothaarige dem Bären den Kopf kraulte.

„Lass mich raten. Schneeweißchen und Rosenrot?“

„Genau.“, Lisette ließ ihn in der Tür stehen und ging mit großen Schritten auf sie zu: „Mach die Tür hinter dir zu, sonst werden wir noch von dem Stiefmuttermonster erwischt.“

Sie ließ sich auf eine Couch fallen und zog sich die Mütze vom Kopf. Lui blieb vor den Prinzessinnen stehen und begrüßte sie überschwänglich. Dabei nutzte er jede Gelegenheit ihre Oberweiten zu bewerten, jedoch behielt er im Hinterkopf, dass sie bereits vergeben waren. Außerdem waren ihm A-Körbchen sowieso zu klein.

Er ließ sich neben Lisette nieder, die ihm nur widerwillig Platz machte, aber keine andere Wahl hatte, da kein anderes Sofa mehr frei war: „Was nun?“

„Das fragen wir Euch. Wie können wir den Zauber rückgängig machen?“, Schneeweißchen sah ihn flehend an.
 

„Habt Ihr euch denn nicht erschrocken, als Ihr den Bären saht? Die Taube ist ja nicht so ungewöhnlich, aber der Bär?“, Lui saß Rosenrot gegenüber und sah zu, wie die Rothaarige den Bären am Kopf kraulte. Schneeweißchen war mit Lisette und der Taube in das Nebenzimmer verschwunden, um ein Bettlaken zu holen, mit dem sie den Bären zudecken wollten. Wenn die Königin ihn zu Gesicht bekam, flogen sie auf.

„Ich habe ihm in die Augen gesehen und wusste es.“, sie drückte ihm einen Kuss zwischen die Ohren auf den Kopf: „Ihr sucht eine Prinzessin habe ich gehört.“

„Ja, so ist es.“

„Jemand bestimmten?“

„Nein. Zumindest nicht, dass ich es wüsste.“

„Es ist schön, wenn man den Menschen gefunden hat, den man liebt. Lasst Euch Zeit bei Eurer Suche, Ihr werdet sie schon finden.“

Lui sah ihr in die Augen: „Ich habe noch nicht alle Möglichkeiten ausgespielt.“

„Was meint Ihr?“, sie sah ihn verwirrt an.

„Ich muss eine Freundin rufen, vielleicht ist der Tod Eurer Mutter nicht die einzige Lösung.“, Lui erhob sich und verließ den Raum mit den Worten: „Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr aufpassen würdet, dass Lisette keine Dummheiten anstellt. Es liegt in Eurem eigenen Interesse, wenn Euch etwas an Eurer Schwester liegt.“

Rosenrot sprang sofort auf und lief zu dem Zimmer hinüber. Als sie die Tür öffnete erblickte sie ihre Schwester, die belustigt auf einem Stuhl saß, während sie zusah, wie Lisette sich über ihren Aufzug ärgerte.

„Muss ich das wirklich tragen?“, sie sah an dem Kleid hinab, dass sie angezogen hatte. Ihre Begeisterung hielt sich bei weitem in Grenzen.

„Ich laufe niemals in Hosen herum und solche Sachen, wie Ihr sie tragt, besitzt auch keine von uns.“, entschuldigte sich Schneeweißchen: „Aber Ihr habt die gleiche Haarfarbe wie ich, vielleicht kann es zumindest mir gelingen zu entkommen und Hilfe zu holen.“

„Für mich musst du keine Hilfe holen, Schwester. Du solltest lieber sehen, wie es dem Alten geht. Er ist nun schon so lange allein im Wald.“, Rosenrot ließ sich neben ihrer Schwester auf einem Stuhl nieder. Der Bär tapste zu ihrer Seite und ließ sich dort nieder um einzuschlafen.

„Wo ist der durchgeknallte Prinz?“, Lisette war sehr wütend.
 

„Dorothea, wo steckst du?“, Lui stand auf dem Balkon und sah wütend in den Abendhimmel hinauf: „Ich weiß genau, dass du mich hörst, also komm her!“

Es geschah nichts. Lui brauste auf. Das konnte doch nicht wahr sein! Wo war diese verdammte Hexe, die ihm sonst immer auf den Geist ging?

„Dorothea! Dorothea!“

„Was ist denn los, mein Schatz?“, sie stand urplötzlich hinter ihm und himmelte ihn an. Lui hatte alle Mühe, nicht auf sie loszugehen.

„Du kommst jetzt mit mir.“, er trat durch die Balkontür zurück in den großen Raum, in dem er zuvor mit Rosenrot gesessen hatte, die Hexe auf den Versen.

„Was ist denn los? Wo ist Will?“

„Der ist bei unserer Kutsche.“, Lui drehte sich zu ihr um und ließ sich auf einem Sofa nieder: „Du musst deine Haare rot färben und dich als Prinzessin Rosenrot ausgeben.“

„Bitte was?“, sie sank in die Polster eines Sofas ihm gegenüber: „Spinnst du? Was geht hier vor?“

„Wir müssen irgendwie dafür sorgen, dass sie den Bären und den dämlichen Vogel wieder zurückverwandelt.“

„Warum sollte sie das tun? Welchen Bären und welche dämliche Taube?“

Lui seufzte.
 

„Eure Hoheit, ich würde Euch gerne zwei meiner Freunde vorstellen.“, Lui erhob sich aus seiner Verbeugung und blieb dem königlichen Thron gegenüber im Saal stehen.

„Aber gerne doch.“, sie wirkte weniger begeistert, befürchtete sie doch, noch weiter Anwärter auf ihre Töchter zu haben: „Ich werde sie gerne empfangen, sagt mir nur wann.“

„Sie sind schon da und warten nur noch auf Euer Einverständnis.“, Lui wandte sich um und sah zu, wie sich das Tor öffnete und der Bär mit der Taube herein kam.

Die Königin wirkte entsetzt. Das konnte doch nicht wahr sein!

„Das sind Eure Freunde?“, krächzte sie fast und rang ihre Hände.

„Ja, sehr gute sogar.“

„Schön, dann werde ich sie gerne in Empfang nehmen.“, sie erhob sich und faltete die Hände vor ihrem Bauch zusammen: „Sie sollen auch meine Töchter kennen lernen.“

Ein Diener holte die Töchter herein. Schneeweißchen trug den Kopf merkwürdig gesenkt und hatte tiefe Schatten unter den Augen, aber das viel der Königin nicht auf.

Die Tiere kamen näher und blieben vor ihr stehen. Der Bär knurrte aufgebracht und die Taube spannte drohend ihre Flügel.

„Ihr kennt sie doch sicher, oder etwa nicht?“, fuhr Lui fort und näherte sich rückwärts dem Tor um sie alleine zu lassen.

„Ich denke schon, dass ich sie kenne. Sie kommen mir bekannt vor.“, die Königin sah dem Bären in die Augen und runzelte die Stirn.

Das war nicht die Reaktion, mit der Lui gerechnet hatte. Er hatte erwartet, dass sie alles abstreiten würde, aber dem war nicht so. Wieso nicht?

Er besah sich Rosenrot und Schneeweißchen genauer, die auch die Stirn in Falten gelegt hatten. Etwas stimmte nicht und das wussten sie alle.

Lui wandte sich um und erblickte Will, der mit einem Bären und einer Taube an der Kutsche wartete. Er versuchte die Tiere loszuwerden und sie zugleich vor den Schlosswachen zu schützen.

Rosenrot, alias Dorothea kam zu ihm herausgerannt und blieb neben ihm stehen: „Was ist hier los, Lui? Irgendetwas stimmt mit diesen Tieren nicht. Du hättest sie mir zeigen sollen.“

Lui wandte sich wieder um und erblickte Lisette, die die Tiere gebannt anstarrte. Die Königin war wie erstarrt und die königlichen Geschwister liefen die Treppe zu ihm hinab, die in die Eingangshalle führte.

Sie waren sehr aufgeregt und kamen knapp neben ihm zum stehen: „Was ist nun? Hat sie ihre Meinung geändert?“

Schneeweißchen sah an ihm vorbei in die Halle: „Was geht dort vor? Warum sind sie alle wie erstarrt?“

„Sieh doch.“, Rosenrot deutete durch das zweite Tor hinaus zu Will: „Warum sind unsere Liebsten denn dort unten?“

Lui fuhr erschrocken zu ihnen herum: „Was?“

„Na, Alfred und Gregor sind doch dort unten bei der Kutsche. Sollten sie nicht in dem Thronsaal sein?“

„Jetzt weißt du, was ich meinte.“, Dorothea rannte in die Halle zurück: „Diese Tiere sind nicht normal!“

„Warte!“, Lui lief ihr nach: „Was sind sie?“

„Du solltest sie gleich töten!“

„Aber was sind sie denn?“

„Geister, nehme ich mal an. Oder Dämonen.“

„Wie kann ich sie töten?“

„Ich weiß es nicht, aber du solltest dich beeilen, denn sie hypnotisieren die Königin und versteinern Lisette langsam.“

Lui sah sich hilfesuchend um und packte Dorothea schließlich am Arm: „Dort oben, schieß die Kette durch!“

Sie hob die Hand und ein Lichtblitz durchschnitt die Kette, die den Kronleuchter über dem Thron hielt. Die Tiere sahen erschrocken zu auf, als sie das Krachen hörten und Lisette, die schneller begriff, sprang auf die Königin los und rutschte über den Boden unter dem Kronleuchter hinweg.

Mit einem lauten Krachen landete der Leuchter auf den Tieren, die zu Staub zerfielen, der in der Luft das Gesicht des Alten aus dem Wald bildete, bevor er vom Winde verweht wurde.

„Was?“, schnappte die Königin: „Was ist hier los?“

„Halt die Klappe.“, Lisette erhob sich und riss sich das falsche Haar vom Kopf: „Du bist echt selten dämlich. Erkennst nicht mal deine eigene Tochter!“

„Lisette!“, schalt sie Lui, der auf sie zukam und der Königin aufhalf, die Rotkäppchen entgeistert anstarrte.

„Mutter, oh Mutter!“, die Geschwister kamen auf sie zugerannt, Alfred, der so braunes Haar hatte, wie der Bär zuvor und Gregor, dessen schwarzes Haar den Federn der Taube glichen hinterdrein.

Die Königin sah sie lächelnd an und nahm sie in die Arme.

„Kann mir mal jemand erklären, was hier los ist?“

„Natürlich Eure Majestät.“ Lui lies sich auf dem Thron nieder: „Wir begegnete im Wald einem Bären und einer verletzten Taube, die mit einem Alten vor Jägern flüchteten. Uns wurde erzählt, dass die Tiere von Euch verflucht wurden um einer Heirat mit Euren Töchtern vorzubeugen.“

Die Königin öffnete den Mund um etwas einzuwerfen, aber ihr entkam kein Ton.

„Wir kamen also hier her, um den Zauber rückgängig und den Rest kennt ihr.“

„Der Geist stammte aus der alten Miene.“, erklärte Alfred.

„Er hat unseren Vater getötet und seinen Platz eingenommen. Um uns zum Schweigen zu bringen, musste er uns in Tiere verwandeln. Aber er konnte so nicht an den Thron heran kommen, also brauchte er unsere Gestalten, von denen Rosenrot und Schneeweißchen wussten.“, fuhr Gregor fort und ergriff liebevoll die Hand Schneeweißchens.

„Womit kann ich Euch etwas Gutes tun?“, die Königin wandte sich dankbar an Lui.

„Ich bräuchte Proviant und einen Schlafplatz für mich und meinen Diener dort draußen.“

„Wie Ihr wünscht. Was ist mit den Damen?“

„Dorothea benötigt keine Hilfe und da Lisette keine Dame ist, steht ihr auch nichts dergleichen zu.“, warf Lui ein, bevor irgendjemand etwas sagen konnte.

„Mir reicht ein Gewehr und Eure Immunität!“, Lisette ging auf Lui los, trat auf den Unterrock ihres Kleides und viel ihm vor die Füße.

„Das wäre aber nicht nötig gewesen, Lisette.“, Lui verschränkte die Arme vor der Brust und sah verächtlich auf sie hinab. Was er aber als nächstes sah, überraschte ihn doch etwas.

Lisette erhob sich. Aber es war nicht ein normales wütendes aufstehen, wie er es von ihr bisher immer gesehen hatte, sondern ein graziöses Erheben. Sie trug ein wahrlich langes Kleid mit einem breiten Reifrock, der es nicht leicht machte, sich zu erheben. Aber Lisette, die keine Übung darin haben konnte, bewältigte die Aufgabe mit Leichtigkeit und Anmut.

Danach wandte sie sich genauso wütend zu der Königin um, wie er es von ihr kannte: „Wo ist das Gewähr?!“
 

„Ihr wollt uns also wirklich schon verlassen, Prinz?“, die Schwestern hatten sich zu beiden Seiten eingehakt und himmelten ihn von der Seite her an.

„Ich denke, es wäre klüger, nach der nächtlichen Feier der letzten Nacht.“, Lui warf einen Blick über die Schulter und erblickte die vor Wut kochenden Blicke Alfreds und Gregors, die offenbar der Meinung waren, es sei höchste Zeit für seine Abreise.

„Womit können wir Euch einen letzten Gefallen erweisen?“

„Was wisst Ihr über das Königreich an der Westküste?“

„Nicht sehr viel.“, Rosenrot blieb mit gerunzelter Stirn stehen. Sie wirkte enttäuscht.

„Dort lebte eine Königsfamilie, deren Tochter schon im Alter von vier Jahren verschwand. Keiner fand sie wieder und die Familie litt so sehr unter ihrem Verlust, dass sie ihr Reich verkommen ließen und es nun verlassen ist.“, Schneeweißchen sah betroffen zu Boden und zog einen Schmollmund: „Seit dem konnte es keiner mehr betreten.“

Lui wandte sich zu den Beiden um: „Und jetzt nur noch eine Frage.“

Alfred und Gregor kamen näher und blieben schließlich fast hinter den Prinzessinnen stehen. Lui lehnte sich zu diesen vor: „Welche Körbchengröße habt ihr?“

Die beiden Jungen kamen vor Wut schnaubend auf ihn zu und er suchte das Weite. Wieder ein Königreich, dass er nicht mehr würde betreten können.

Sechs Schwäne

Es war einmal ein König, der hatte eine Tochter und sechs Söhne, die er in einem Haus weit fort von seinem Schloss im Wald vor seiner neuen Frau versteckte. Er selbst konnte dieses Haus nur mit einem weißen Wollknäuel, das er von einer guten Zauberin bekommen hatte, finden, in dem er es entrollte und die Schnur ihn zu dem Häuschen führte. Das Knäuel versteckte er in seinen Gemächern vor der neuen Königin, die er hatte heiraten müssen, weil er sich in einem Wald verlaufen hatte und nur wieder nach Hause konnte, wenn er die Tochter der dort ansässigen Hexe heiratete.

Die Königin erfuhr von seinen Kindern und als sie das Knäuel gefunden hatte, strickte sie weiße Hemdchen und besuchte sie. Die Jungen rannten sogleich auf sie zu in dem Glauben den Vater zu sehen und sie warf jedem ein Hemdchen über. Nur die Tochter bemerkte sie nicht und ging wieder davon.
 

„Will, wie lange brauchen wir denn noch?“

„Es kann nicht mehr lange dauern. Ich kann schon die Lichter der nächsten Stadt sehen.“

„Tu doch nicht so, wir haben uns schon wieder verlaufen!“

„Es tut mir so leid, mein Prinz.“, Will hielt die Kutsche an und sprang vom Bock: „Ich kenne mich in diesen Gebieten nicht mehr aus, es ist zu weit von deinem Reich entfernt, Lui.“

Ludwig schlüpfte in den roten Königsmantel und entstieg der Kutsche, wobei er Will zur Seite stieß: „Ach red’ nicht so dumm daher! Tu lieber endlich was!“

Will rappelte sich wieder auf und schloss die Kutschentür: „Wo ist eigentlich Dorothea?“

„Ich weiß nicht, ist doch auch egal.“, Lui setzte sich auf einen Stein und schlug die Beine übereinander: „Wälder sind nicht so ganz deine Stärke oder Will?“

Will sah betreten zu Boden: „Ich finde schon noch hier heraus. Ich verspreche es.“

„Na dann lass dich nicht aufhalten.“

„Sei bitte vorsichtig wegen Lisette.“

„Will, hör doch mit der auf. Die kann nicht mal einen Spatz schießen, wenn er bewusstlos in seinem Nest liegt.“

„Wie ist sie eigentlich verschwunden, als wir sie zuletzt sahen?“, Will reichte Lui eine Flasche Wasser, die er aus der Kutsche genommen hatte.

„Sie hat sich das Kleid vom Leib gerissen und ist mit ihrem neuen Gewehr abgerauscht.“, Lui besah sich seine Fingernägel: „Nun such schon einen Weg.“

Er nahm Will die Flasche ab: „Den Richtigen, wenn es zur Abwechslung mal geht!“

Will lief hinüber zur Kutsche und erblickte eine alte Frau, die durch den Wald lief. Er sah zu, wie sie auf die Kutsche zukam und schließlich davor zum Stehen kam. Sie war außer Atem.

Will eilte zu ihr hinüber und führte sie helfend zu Luis Stein. Lui war aufgestanden und hatte begonnen, sich in aller Ruhe umzusehen, während sie sich setzte.

„Will, was machst du denn nun schon wieder?“

„Oh, mein Herr, bitte lasst mich nicht allein zurück.“

Lui starrte die Alte überrascht an: „Was ist das?“

Sie riss ihre Augen auf und erhob sich: „Ich bin die Mutter König Rogers!“

„Soll mich das nun beeindrucken, Will?“, Lui sah ihn fragend an: „Wer ist dieser Kerl überhaupt?“

Die Alte starrte ihn mit geöffnetem Mund an: „Du kennst meinen Sohn nicht?“

„Vielleicht sollte ich Euch dies erklären.“, Will ging dazwischen, vermutete er doch bereits einen Streit: „Wir stammen nicht von hier, Majestät.“

„Ach so ist das.“, sie ließ sich wieder auf dem Stein nieder: „Von woher kommt ihr und was tut ihr hier?“

Will begann mit seiner Erklärung.
 

„Was wollt Ihr nun hier?“, keifte die Alte weiter und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie wirkte leicht nervös und sah sich gelegentlich im Gebüsch um. Etwas stimmte nicht mit ihr, dass stand fest.

„Wir suchen die nächste Prinzessin.“

„Hier werdet Ihr keine finden, es sei denn Ihr wollt unbedingt mit meiner Schwiegertochter durchbrennen.“

Lui wandte sich ihr überrascht zu: „Mit Eurer Schwiegertochter? Wollt Ihr sie denn loswerden?“

Will schlug sich eine Hand vor den Mund. Wie konnte Lui nur?

Die Alte besah sich die Beiden genauer: „Wenn ich mir euch beiden genauer ansehe, glaube ich nicht mehr, dass ich euch diese Person zumuten möchte.“

„Was ist denn so schlimm an ihr?“

„Sie ist keine Prinzessin.“, keifte sie plötzlich: „Sie ist meinen Sohn nicht wert! Sie hat ihn nicht verdient!“

Lui und Will sahen sich kurz an, dann wandte sich der Prinz wieder an sie: „Wie alt ist sie denn?“

„Prinz.“, rief Will erschrocken aus und starrte ihn an.

Lui zuckte mit den Schultern: „Was denn?“

„Sie ist noch nicht alt und sieht auch sehr gut aus. Aber sie hat meinen Roger nicht verdient!“, warf die Alte hastig ein, die eine Diskussion befürchtete und dafür keine Zeit hatte.

„Na dann, stellt mich bitte vor.“, Lui wandte sich der Kutsche zu und Will sprang herbei um die Tür aufzuhalten.
 

„Ich müsste mal mit Euch sprechen, Prinz.“, Roger wandte sich im Geheimen an ihn, als sie die Schlossgärten durchschritten.

„Was ist denn los? Seid Ihr mit Eurer Gattin nicht zufrieden?“, scherzte Lui.

„Nein, das ist es nicht.“, begann der König: „Ich habe sie in einem Wald gefunden. Sie saß auf einem Baum und strickte Hemdchen. Sie strickt sie noch immer und sagt kein Wort. Nun ist es aber so, dass sie mir drei Kinder gebar und sie alle verschwanden. Meine Mutter wirft ihr zu Last, dass sie sie gefressen habe. Sie hatte sogar Blut am Mund, jedes Mal.“

Lui runzelte die Stirn. Was sollte ging hier vor?

„Meine Mutter hasst sie und so bin ich nun gezwungen, sie vor ein Gericht zu schicken. Aber ich möchte doch meine Frau nicht verlieren und meine Mutter nicht vertreiben. Was soll ich nun tun?“, wandte er sich an den Prinzen und sah ihn hilfesuchend an.

Sie waren stehen geblieben und Lui gönnte sich einen Moment des Schweigens.

„Ist Eure Mutter des öfteren im Wald?“

„Ja, in letzter Zeit jeden Tag.“

„Ist sie dort immer alleine?“

„Ja, keiner weiß, was sie dort tut oder wo sie hingeht.“

„Ist Eure Mutter senil?“, Lui beobachtete den König genau und wagte nicht einen Moment von ihm abzusehen.

„Nein.“, antwortete dieser nach kurzem Nachdenken: „Nein, senil ist sie nicht.“

„Was ist mit Eurer Frau. Habt Ihr sie jemals sprechen hören?“

„Nein.“

„Was wisst Ihr noch über sie?“

Der König überlegte: „Sie strickt die Hemdchen und war in einem Wald, als meine Männer sie während der Jagd fanden.“

Lui zog die Augenbrauen hoch. Der wusste ja gar nichts!
 

Lui beobachtete die Königin in den nächsten Tagen und schickte Will Rogers Mutter hinterher in den Wald um zu erfahren, was sie dort trieb. Aber Will erfuhr es nicht. Sie war zu schnell im Gebüsch verschwunden. Und so vergingen die Tage, bis die Königin das letzte Hemdchen schließlich fast fertig gestrickt hatte.

Sie musste vor Gericht und wurde dort, wegen der schweren Anschuldigungen der Königin zum Tode verurteilt. Aber sie sagte kein Wort, bis die Wolle für das letzte Hemdchen aufgebraucht war.
 

„Ludwig, sagt mir doch, was soll ich jetzt nur tun?“, Roger war ganz verzweifelt: „Ich kann doch nicht meine Frau töten lassen!“

„Wartet ab.“, Lui lehnte sich in einem Stuhl auf der Tribüne zurück: „Es wird gewiss etwas geschehen und fürchtet Euch nicht, ich habe schon Maßnahmen zu ihrer Rettung getroffen, sollte nichts geschehen.“

Will kam zu ihm hin und kniete sich zu seiner Linken: „Ich habe sie im Wald gefunden. Sie ist in einem kleinen Haus verschwunden und hat dort ihre Zeit zugebracht.“

Lui lauschte seinem Bericht und beobachtete, wie die Königin zum Schafott geführt wurde.

„So tut doch endlich etwas!“, flehte der König.

Die Lunten sollten angezündet werden und die Alte erschien auf der Tribüne, um sich das Ganze anzusehen.

Mit einem Krächzen erschienen sechs Schwäne am Himmel, die aus dem Nichts auftauchten und schwebten über der Königin auf dem Scheiterhaufen.. Sie warf die Hemdchen in die Luft, die sie mitgenommen hatte und sie schlüpften hinein und wurden zu sechs Männern. Nur einer von ihnen hatte noch einen Flügel behalten, weil die Wolle für das Hemdchen nicht gereicht hatte.

Lui lehnte sich in seinem Stuhl vor und stützte ihre Ellbogen auf den Knien ab.

Die Königin schrie vor Angst: „Mein Liebster, mein Gemahl. Ich habe die Kinder nicht gefressen! Deine Mutter hat sie fort geschafft!“

Roger sprang auf und ließ sie vom Scheiterhaufen holen. Erschrocken wandte er sich an seine Mutter, die in seinem Rücken stand: „Wie konntest du nur!“

„Aber ich habe sie doch nur vor ihr schützen wollen.“

„Du hast sie fast verbrennen lassen!“

„Ich habe sie gesehen, wie sie einen Burschen biss!“, verteidigte sich die Alte.

„Verbrennung!“, schrie das Volk und Roger zog vor Schmerz die Augenbrauen zusammen: „Ich habe kein Wahl, Mutter.“

Eine Träne rann ihre Wange hinunter: „Nehmt mich mit. Sie sollen ihre Verbrennung bekommen.“

„Wo sind die Kinder?“

„Ich weiß es.“, schaltete sich Will ein und trat hinter Lui hervor, der immer noch in seinem Stuhl saß. Er beobachtete die ganze Szene und rührte sich nicht vom Fleck.

Die Alte wandte sich ihm zu: „Bitte, achtet darauf, dass sie die Kinder nicht bekommt. Ihr wusstet es von Anfang an, das habe ich Euch angesehen. Beschützt meine Enkel, ich flehe Euch an.“

Mit diesen Worten verschwand sie in der Menge, von zwei Soldaten geleitet, wurde auf den Scheiterhaufen gestellt und unter den Augen aller lebendig verbrannt.

Roger weinte bitterlich und sank seiner Frau in die Arme, die von ihren Brüdern ward.

„Was nun?“, Will wandte sich hilfesuchend an den Prinzen.

„Hol die Kinder noch nicht und sage auch nicht, wo sie sich befinden. Ich möchte zu nächst wissen, was wirklich wahr ist.“, Lui erhob sich und sah auf das Feuer hinunter: „Vielleicht ist sie umsonst gestorben.“
 

Die Tage vergingen und am Hofe verschwanden die Burschen von Tag zu Tag. Roger bedrängte Will und Lui seine Kinder herzuholen, stieß aber auf Kranit, denn Lui glaubte den Grund für das Verschwinden der Kinder zu kennen.

„Was nun?“, Will servierte dem Prinzen ein Glas Wein.

„Wir gehen heute Nacht hinaus und behalten die Familie der Königin im Auge. So falsch kann die Alte nicht gelegen haben.“, er nahm einen tiefen Schluck.

„Was erwartest du?“

„Ich weiß es nicht. Wenn ich das wüsste, würde ich wohl kaum wollen, dass du diesen Brüdern folgst.“, Lui stellte das Glas ab: „Wäre pure Zeitverschwendung.“

Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, als plötzlich mit einem Krachen die Scheibe zu seiner Linken zersprang und den ganzen Raum mit Fensterglassplittern übersäte, bevor sein Weinglas zersprang. Die Glassplitter blieben in seinen Händen stecken und verursachten tiefe Wunden, während er in der Tischplatte eine kleine Kugel erkennen konnte.

Will sprang erschrocken zu ihm, um sich seine Hände anzusehen und griff sich ein Handtuch, um die Splitter aus den Wunden zu entfernen: „Oh nein, was machen wir nur? Was ist passiert?“

„Beruhig dich!“, Lui hielt ihm die Hände hin, deren Wunden brannten, als hätte er sie ins Feuer gehalten: „Lisette hat uns wohl eingeholt.“

„Sie wird kaum begeistert davon sein, dass wir sie einfach alleine zurückgelassen haben.“, schloss Will und besänftigte die Wachen, die zur Hilfe herbei geeilt waren, bevor er von einem Diener Verbandszeug entgegen nahm: „Sie war bestimmt wütend.“

„Na und? Dann soll sie eben wütend sein. Ich bin nicht ihr Babysitter und ich habe sie auch nie darum gebeten, dass sie zu meinem persönlichen Schatten wird.“, Lui zuckte zusammen, als Will die Wunden desinfizierte: „Sie ist sowieso merkwürdig.“

„Seit dieser Sache mit diesem komischen Flur, von der du mir erzählt hast?“

„Ja. Irgendwas stimmt nicht mit ihr, das steht fest.“

„Willst du wissen was genau es ist?“, die beiden fuhren zu dem kaputten Fenster herum und erblickten eine Frau. Sie sah Lisette ähnlich, war aber nicht sie. Zumindest sah sie nicht so aus. Ihre Stimme dagegen klang ganz nach ihr und sie kochte regelrecht vor Wut.

„Wer seid Ihr?“, Lui wandte sich stirnrunzelnd an sie und behielt sie genau im Auge.

Ihre Haare waren länger, als Lisettes; sie reichten bis zu ihren Schulterblättern und wirkten heller als Lisettes. Der Schnitt war leicht verändert, sodass ein Pony ins Gesicht viel, wenn es denn Lisette war. Mehr konnte er nicht von ihr sehen, da sie nur bis zu den Schultern durch die Scheibe blickte.

„Oh, es wird leichter, als ich dachte. Hast du schon wieder dein Gedächtnis verloren?“, sie sah ihn wütend an.

„Lisette?“, Will stand auf und machte einen unsicheren Schritt auf sie zu.

Sie runzelte die Stirn. Hatte sie etwa noch nicht gemerkt, dass sie sich so verändert hatte?

„Okay, ich weiß nicht, was hier vor geht, aber es scheint nichts Gutes zu sein. Was macht ihr hier?“, sie legte ihre Arme auf das Fensterbrett und stütze den Kopf auf ihre Handgelenke.

Lui erhob sich: „Kommt zuerst herein.“

„Ich denke gar nicht daran.“

„Warum nicht? Habt ihr etwa angst vor uns?“

„Vor dir?“, sie schenkte ihm einen Blick, der ihn als zu nichtig abtat: „Gewiss nicht!“

„Lisette?“, wiederholte Will seine Frage und sah sie entgeistert an. Sie warf ihm einen kurzen nichtssagenden Blick zu und wandte sich wieder an Lui: „Was ist nun?“

„Ich kann nicht offen zu Euch sprechen, wenn Ihr nicht herein kommt.“

„Du meinst, du kannst nicht offen zu mir sprechen, wenn du dir nicht sicher bist, dass ich wirklich diese Lisette bin.“

„Das trifft auch zu. Kommt Ihr nun herein?“

„Ich fürchte, Ihr werdet Euch mit dem begnügen müssen, was Ihr bisher bekommen habt.“, sie sah wieder zu Will: „Ihr solltet vorsichtig sein. Die Familie, mit der Ihr Euch angelegt habt, ist nicht zu unterschätzen.“

„Zu freundlich von Euch, dass Ihr uns warnt.“, Lui neigte den Kopf um sich zu bedanken. Wenn sie wirklich Lisette war, wie lange würde sie wohl dieses Spiel noch fortsetzen?

„Das hat mit Freundlichkeit nichts zu tun. Ich kenne nur jemanden, der sich nur all zu sehr darüber freuen würde, wenn er Euch persönlich in die Finger bekäme.“, sie ergriff den Fensterrahmen und verschwand wieder in der Dunkelheit.

Will wandte sich kreidebleich an den Prinzen: „Was ging denn hier gerade vor?“

„Kein Ahnung.“, Lui riss seinen Blick von dem Fenster: „Hol deine Sachen, wir machen uns auf den Weg.“
 

„Ab wo verlierst du sie immer?“, Lui schritt selbstbewusst durchs Unterholz.

„Ungefähr ab hier.“, keuchte Will und stolperte hinter dem Prinzen her: „Aber erst dort vorne tauchen sie dann immer wieder auf.“

Lui folgte Will’s Wegweisung und erblickte einen hohen Felsen. Er lief darauf zu und erblickte bei näherem Hinsehen eine Höhle, die sich dermaßen gut an ihr Inneres angepasst hatte, dass man sie von weitem nicht erkennen konnte.

„Was nun?“, Will lehnte sich an einen Baum und atmete tief durch.

„Wir gehen wohl darein.“, Lui stakste weiter durch einen Bach und bedeutete Will ihm zu folgen.

„Was wird uns wohl dort drinnen erwarten?“

„Wenn ich es wüsste, würde ich nicht hinein gehen.“

„Wie du meinst.“

„Und ob ich das tue! Beweg dich endlich, Will.“, Lui hatte das Loch fast erreicht, als plötzlich Lisette vor ihm auftauchte. Aus dieser Nähe war es unverkennbar. Es war Lisette und sie hatte sich ganz schön verändert. Nur die Kleidung und die Augenfarbe hatten sich nicht verändert.

„Was hab ich euch vorhin erst gesagt?“, erzürnte sie sich und baute sich vor dem Höhleneingang auf: „Wenn jemand ein Recht darauf hat, dich zu töten, dann bin das ja wohl ich!“

„Ach, und warum?“, Lui keifte zurück und versuchte gleichzeitig einen Blick auf das Höhleninnere zu erhaschen.

„Weil ich dich töten möchte!“

Er musterte sie eindringlich und schob sie dann zur Seite, damit er die Höhle betreten konnte: „Was ist da drin?“

„Du solltest dort wirklich nicht rein gehen.“, sie hielt Will bereits zurück und zog die Augenbrauen schmerzhaft zusammen. Etwas stimmte nicht mit ihr. Sie wirkte verletzt.

Lui blieb unwillkürlich stehen und starrte sie an. So kannte er sie nicht. Warum stellte er das in letzter Zeit nur immer wieder fest?

„Was ist denn dort drin?“, Will sah sie verwundert an und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Diese kleine Geste bewegte einen solchen Wandel, dass Lui zunächst wie vor den Kopf gestoßen dastand.

„Lass das.“, fauchte sie ihn an und zog ihre Schulter weg: „Wenn du es nicht lassen kannst, dann geh eben hinein. Aber behaupte im Jenseits nicht, dass ich dich nicht gewarnt hätte.“

Sie wollte sich umdrehen und gehen, doch Lui griff sie am Umhang und hielt sie zurück: „Du kommst mit, so einfach machen wir das.“

Lisette wandte sich mit großen Augen zu ihm um: „WAS?“

„Red nicht, komm mit.“, er zog sie hinter sich her, während sie sich sträubte und betrat die Höhle: „Will, warte draußen. Vielleicht müssen wir schnell flüchten. Aber nimm dich in Acht und lass dich nicht erwischen!“

„Warum zum Henker muss ich mit!“, erzürnte sich Lisette weiter, bis sie endlich eine etwas weitere Öffnung erreichten und sie in Schweigen verfiel.

„Was ist los?“

„Scht!“, zischte sie und blickte zögernd durch einen kleinen Felsspalt. Sie weigerte sich durch die Öffnung zu gehen und ließ nicht zu, dass Lui ging: „Sieh dort hindurch.“

Lui folgte der Aufforderung und erblickte die sechs Brüder der Königin mit ihrer Schwester. Sie hatten die Höhle mit Kerzen erleuchtet und in einer Ecke Knochen gestapelt.

Die Geschwister selbst befanden sich in der Mitte der Höhle und verschlangen rohes Fleisch. Das Blut rann an ihren Kinnen herunter und als Lui genauer hinsah, konnte er einen kleinen toten Jungen am Boden der Höhle erkennen.

„Es war also war.“, flüsterte Lui und konnte von diesem grotesken Anblick die Augen nicht abwenden.

Lisette packte ihn ungehalten am Arm und zerrte ihn zum Ausgang zurück: „Ich könnte dich hier lassen und warten, dass sie dich verschlingen, aber das würde mir den Spaß daran nehmen, zu sehen, wie du vor die Hunde gehst. Also beweg dich endlich hier raus!“
 

„Was nun?“, Will sah Lui ratlos an, während er Lisette von ihrer Pistole fernhielt.

„Wir werden auf keinen Fall erzählen, wo die Kinder sind. Wenn ich so nachdenke, sollten wir sie vielleicht doch besser hier fortschaffen. Wir müssen uns etwas überlegen.“

„Was auch immer ihr vorhabt, ich werde euch nicht dabei helfen!“, Lisette befreite ihren Arm aus Wills Klammergriff und begab sich zum nächsten Fenster.

„Was wäre denn dein Vorschlag?“, Lui wandte sich wütend zu ihr.

„Lass den König sie in flagranti erwischen.“, sie sprang hinaus.
 

„Was soll ich hier?“, König Roger war wenig begeistert, als er sich hinter Lui und Will mit seinen Soldaten im Gefolge durch das Unterholz des Waldes schlug. Sie hatten sie unter dem Vorwand einer Räuberbande begegnet zu sein persönlich in den Wald geschleift, als die Königin bereits fort war.

„Scht! Sie hören Euch sonst.“, flüsterte Lui und hielt ihm einen Zweig aus dem Gesicht, während er über einen runtergefallenen Ast stieg. Wenn er Will nicht hinter sich hatte, machte es ihm einfach keinen Spaß die Äste zurückschlagen zu lassen.

Sie erreichten die Höhle und betraten sie mit Roger; für die Soldaten war dort kein Platz und sie wären auch zu laut gewesen.

„Macht Euch auf etwas gefasst, mit dem Ihr niemals gerechnet hättet.“, Lui trat an das Loch heran, durch das er eine Woche zuvor mit Lisette geblickt hatte und erkannte das gleiche Schauspiel wie zuvor mit einem anderen Opfer.

Als Roger es erblickte und seine Frau unter den Tätern erkannte, schreckte er zurück und konnte seine Augen nicht von dem Schauspiel lassen. Wie konnte das nur sein?

Durch seinen überraschten Aufschrei schreckte er seine Gattin und ihre Brüder auf, die sogleich auf sie aufmerksam wurden und zu ihnen hinaus kommen wollten.

Gleichzeitig waren auch die Soldaten des Königs allarmiert worden, die durch den Höhleneingang hereinkamen und die Gewehre auf Lui und Will richteten. Warum hätten sie auch auf die königliche Familie zielen sollen.

„Luuiii....!“, Will zitterte und starrte in die Gewehrläufe.

„Zielt nicht auf sie! Nehmt meine Gattin und ihre Brüder fest.“, herrschte Roger sie an, doch die Soldaten waren geschockt und reagierten nicht: „Das ist ein Befehl!“

Wie erschrocken zielten sie auf die Königin, deren jüngster Bruder sich inzwischen auf den König gestürzt hatte und diesen am Boden hielt.

„Nicht schießen!“, herrschte sie die Soldaten an: „Wenn ihr euch rührt, wird er sterben!“

Die Wachen nahmen die Gewehre langsam runter.

„Gut.“, erklang erneut die Stimme der Königin, während die restlichen Brüder sich aufteilten und sich Will annahmen oder einigen Soldaten, die am ihnen am nächsten standen.

Lui sah sich unter Druck gesetzt um. Etwas musste es doch geben. War erst mal der König frei, waren sie gerettet!

Er konnte nichts finden und stürzte sich kurzerhand auf den jüngsten Bruder der Königin, der prompt von Rogers Rücken fiel. Lui rangelte sich mit ihm auf dem Boden und wich angestrengt seinen Biss- und so weit möglich auch seinen Kratzversuchen aus.

„Nehmt sie fest!“, schrie Roger durch das Getöse und lief hinüber zu seinen Wachen, damit die anderen Brüder der Königin sich nicht wieder auf ihn stürzen konnten. Die Wachen zielten auf die Familie und Will, der durch die erhobenen Hände wieder frei war, hechtete zu Lui und half ihm gegen den jüngsten Bruder, der selbst jetzt noch nicht aufhören wollte, über den Prinzen herzufallen.
 

„Was habt Ihr nun vor?“, Lui rieb sich den rechten Ellenbogen, den er sich in der Höhle aufgeschürft hatte.

„Ich weiß es nicht. Das Volk wird entscheiden, was mit ihnen passieren wird und ich werde das Grab meiner Mutter besuchen.“, Roger fuhr sich mit der rechten Hand über sein Gesicht. Er hatte es noch nicht verarbeitet, was man wirklich nicht von ihm erwarten konnte. Es war erstaunlich, dass er überhaupt so schnell reagiert hatte.

„Ich habe meiner Mutter Unrecht getan. Sie wollte meine Kinder wirklich vor den Menschenfressern schützen. Jetzt habe ich alle verloren.“

„Nicht alle.“, Lui drehte ihm die linke Schulter zu: „Will!“

„Ja?“, Angesprochener hinkte zur Tür herein und blieb in der Türe stehen. Er hatte sich den linken Arm gebrochen und sein rechtes Knie aufgeschlagen, aber den Menschenfresser hatte er den Soldaten vorwerfen können.

„Hol sie.“

„Wie du wünschst, Prinz Lui.“

„Was hat das zu bedeuten?“, Roger sah müde zu ihm hin, während er seinen Kopf in seiner rechten Hand abstützte und sich in seinem Thron vorlehnte.

Lui verschränkte so gut wie möglich seine Arme und lehnte sich an eine Säule des Thronsaales. Will öffnete eine Seitentür und hielt sie drei Frauen offen, die drei verschiedene Kinder in verschiedenen Altern hereinbrachten.

„Sie leben noch, Eure Kinder.“, Lui beobachtete den König, während Will die Kinder zum Thron führte.

Roger starrte sie entgeistert an: „Aber wie, wie ist das möglich?“

„Eure Mutter hat sie im Wald versteckt, zusammen mit diesen Ammen.“

Roger sprang von seinem Thron auf und lief auf die Kinder zu.
 

„Prinz Lui, wie kann ich Euch dafür danken, dass Ihr meine Kinder und mein Reich gerettet habt?“

„Ihr könnt mir etwas über ein Reich erzählen, dass nicht mehr all zu weit von hier entfernt sein dürfte. Es befindet sich an der Westküste.“

„Oh. Das Reich, das keiner mehr betreten kann.“, Roger schluckte schwer: „Es ist nicht so einfach. Das Königspaar, das dort lebte, war ein sehr friedliches Paar, was sich auf das gesamte Reich übertrug. Sie herrschten mit Gerechtigkeit und Liebe und verstanden sich darauf, ihre Fürsten unter Kontrolle zu halten. Sie waren im ganzen Land beliebt und wünschten sich schon bald ein eigenes Kind.“

Lui ließ ihn nicht aus den Augen und erkannte bald, wie ergriffen er von dieser Geschichte zu sein schien, vermutlich, da er selbst nur so knapp einer Katastrophe entgangen war. Nun ja, einer etwas weniger schweren Katastrophe.

„Sie bekamen eine Tochter. Mit bereits drei Jahren war sie wunderhübsch. Ich hätte sie heiraten sollen, aber sie verschwand von jetzt auf gleich aus heiterem Himmel. Sie wurde nie mehr gesehen. Ihre Eltern verfielen in tiefen Kummer und das Reich verkam. Die Menschen verließen nach und nach und wanderten in die angrenzenden Gebiete aus und die Fürsten ertranken auf erstaunliche Weise. Sie stürzten ins Meer oder in Brunnen. Einer war sogar in der Wanne eingeschlafen und hinein gerutscht, als ihm eine Gardinenstange auf den Kopf gefallen war.“

„Was ist aus dem Reich geworden?“

„Es lässt sich nicht mehr betreten. Keiner konnte bisher die Grenze überschreiten, nicht mehr, seit die Eltern verstarben.“
 

Es war einmal eine König, der hatte sich im Wald verlaufen. Er hatte sieben Kinder, sechs Söhne und eine Tochter, die er vor seiner neuen Frau im Wald versteckte. Diese Frau war die Tochter einer Fee, die ihn durch eine Heirat mit ihm zum Guten bekehren wollte. Doch der König versteckte seine Kinder im Wald, weshalb sie nicht unter den Einfluss der netten Fee gerieten. Sie mordeten Kinder, die ihr Vater lebendig vorbei brachte und verschlangen sie roh. Die Fee hatte keine andere Wahl mehr, als sie in Schwäne zu verwandeln, doch als sie endlich in der Lage war, da sie die Hemdchen fertig hatte, entwischte ihr die Tochter. Diese war in den Wald geflohen, wo sie einem jungen König begegnete und sich in sie verliebte...

Drosselbart

Es war einmal ein König, der hatte eine sehr stolze und eingebildete Tochter, die er zu vermählen suchte. Doch die Prinzessin war sehr von ihrem Stolz und ihrer Eitelkeit zerfressen und wies nicht nur Anwärter ihrer Hand ab, sondern verspottete sie auch noch aufs Äußerste. Der König hatte bald genug von ihrem ungeziemten Verhalten und verkündete, sie werde den ersten Bettler ehelichen, der durch die Mauern seines Schlosses kämen
 

Sie fuhren weiter und erreichten schon bald eine Stadt in der große Aufruhr herrschte. Wie sie von dem aufgebrachten Volk erfuhren, hatte der König soeben seine eitle Tochter an einen einfachen Spielmann vergeben, der nun mit ihr das Schloss verließ.

Will und Lui machten sich auf zum Schloss und trafen dort auf den König. Er saß auf seinem Thron, den Kopf auf die rechte Hand gestützt. Er wirkte geschafft und niedergeschlagen. Als er sie erblickte, verdrängte er die Müdigkeit und begrüßte sie mit aufrichtiger Freude.

„Ich habe gehört, Ihr hättet eine Tochter im heiratsfähigen Alter.“, begann Lui und beobachtete die Reaktion des Königs. Wie erwartet wurden seine Züge ernst und Bedauern trat in seine Augen.

„Ich habe sie soeben an einen Spielmann vergeben. Ich bedaure, dass Ihr um sonst gekommen seit, Prinz.“

„An einen Spielmann?“

„Ihr müsst wissen, meine Tochter ist sehr eitel und hat ihre Freier aufs Tiefste gedemütigt. Einige hätten uns sogar fast den Krieg erklärt. Ich hatte genug davon und verkündete noch im Beisein der Prinzen, dass ich sie an den ersten Spielmann geben würde, der hier vor mich treten würde.“

„Wer war dieser Spielmann?“

„Meine Tochter weiß es nicht und auch keiner aus dem gemeinen Volk, aber es war König Drosselbart. Ihn hatte sie am meisten verschmäht, doch er wollte sie trotzdem noch zur Frau. Als die Audienz vorbei war, kam er zu mir in einem privaten Gespräch und erbat die Erlaubnis seinen Plan durchzuführen. Ich weiß nicht genau, wo sie sind oder was jetzt mit ihr geschieht, aber er hat mir versichert, mich auf dem Laufenden zu halten.“
 

Lui reiste mit Will ab und erreichte bald das nächste Reich. In der Stadt des Königs war gerade der Markt auf dem Platz und sie schlenderten hindurch. Lui machte sich insbesondere über die Pelzstände her, während Will ihm immer alles hinterher tragen musste.

„Seht euch die mal an.“, schwatzten die Marktleute untereinander: „Die ist doch verrückt, sich so in den Eingang zu stellen.“

„Ich habe sie schon gewarnt, dass ihre Waren dort zu Bruch gehen würden, aber sie wollte nicht auf mich hören.“

„Sie ist auch ganz schön eitel, findet ihr nicht?“

„So was arrogantes habe ich noch nie gesehen!“

Eine Zofe, die Lebensmittel beschaffte, gesellte sich zu ihnen: „Ich schon, aber nur in dem Schloss in dem ich zuletzt gedient habe. Die Prinzessin war so arrogant, dass sie an einen Spielmann gegeben wurde.“

Die Marktleute und die Zofe brachen in Gelächter aus.

Lui sah zu der Marktfrau mit ihren Töpfen hinüber, die in der Zufahrt zum Markplatz stand und den Weg versperrte. Ihre Haut war ganz blass, selbst unter dem Schmutz, den sie sich offenbar mit Mühe abgewaschen hatte und als er genauer hinsah, erkannte er, dass ihre Hände keine Schwielen hatten.

„Will, ich glaube, wir haben soeben unsere Prinzessin gefunden.“

„Was?“

„Dort, die Töpferin. Sie ist die Prinzessin, die an den Spielmann gegeben wurde.“, Lui behielt sie genau im Auge und erblickte in einiger Entfernung hinter ihr einen Mann, der in Lumpen gekleidet war und sie im Auge behielt.

Lui lief zum Stand hinüber und sah sich die Töpfe an: „Sie sind nicht so schön wie du.“

Die Töpferin lächelte ihn an, doch dem Lächeln fehlte jede Wärme und es erreichte auch nicht ihre Augen: „Wie kann ich Euch helfen?“

Lui lehnte sich zu ihr hinüber und bemerkte, wie der Mann hinter ihr, der sich im Eingangstor versteckte, wütend herüber sah. Jetzt bestand also kein Zweifel mehr. Der Mann war Drosselbart.

„Ich glaube, du kannst mir gar nicht helfen.“, er beäugte sie abschätzend und bewertete sie als zu niederen Standes, bevor er an ihr vorbei den Marktplatz verließ. Will drehte sich entschuldigend zu ihr um und beobachtete, wie sie ihm einen wütenden Blick nachschickte und niedergeschlagen an sich herunter sah. Sie war sehr unzufrieden mit ihrer Situation, das stand fest.

„Lui, was hast du nun vor?“, Will hielt mit Mühe mit ihm Schritt und versuchte zu verstehen, was hier vorging, aber der Prinz antwortete nicht. Er lief stur geradeaus und blieb erst stehen, als er um eine Ecke gebogen und Drosselbart eingeholt hatte.

Dieser lehnte an einer Mauer und sah wütend zu Boden.

„König, was macht Ihr hier?“, Lui blieb vor ihm stehen und blickte ihn an. Als Will das Wort König vernahm, senkte er augenblicklich den Blick.

Drosselbart starrte Lui überrascht an: „Woher wisst Ihr das?“

„Es ist kaum zu verkennen. Ich habe von dem Vater Eurer Gemahlin die Geschichte Eurer Heirat gehört und es war einfach Euch zu erkennen, nachdem ich sie erkannt hatte. Sie taugt nicht zur Händlerin.“

„Da habt Ihr wohl recht. Wie lautet Euer Name?“

„Prinz Ludwig.“

„Ihr Vater berichtete mir, dass Ihr dort gewesen wart. Ich hatte nicht damit gerechnet, Euch hier anzutreffen.“

„Es lag auf unserem Weg. Was habt Ihr nun vor?“

„Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Ich habe ihr bereits vorgeworfen, dass sie keine Arbeiten verrichten könne und sie deshalb hierher geschickt, aber es hat sich nichts geändert. Ich bemerke keine Veränderung. Es ist alles gleich geblieben. Ich bin allmählich mit meinem Latein am Ende.“, Drosselbart sah zu ihr hinüber: „Seht sie Euch an, Prinz. Sie steht stolz da und bringt jeden Abend fast über die Hälfte der Töpfe wieder zurück. Aber das Geld dafür hat sie trotzdem dabei.“

„Ihr solltet aufpassen, dass sie nicht auf Abwege gerät.“, Lui verschränkte die Arme vor der Brust und folgte seinem Blick.

„Ähm, Prinz?“, meldete sich Will kleinlaut und sah über Luis Schulter hinweg.

„Nicht jetzt, Will, ich denke nach!“

„A-aber Prinz.“, Will riss vor Angst die Augen auf.

„Was ist jetzt los?“, Lui richtete verärgert seinen Blick auf ihn: „Jetzt rede schon.“

Aber Will blieb keine Zeit mehr zu reden. Er ließ die Pelze zu Boden fallen und warf sich auf Lui, der mit ihm zusammen umfiel. Fast augenblicklich danach regnete Putz der Mauer hinter ihnen auf sie herab und Drosselbart, der mindestens genauso erschrocken war wie Lui, warf sich zu ihrer Seite auf die Erde.

„Was war das denn?“, rief er erschrocken aus und starrte auf das kleine Loch in der Mauer, in dem eine Patronenhülse steckte: „Wer schießt auf uns?“

„Lisette.“, beantwortete Lui genervt seine Frage: „Sie jagt mir schon eine Ewigkeit hinterher, wundert Euch nicht. Euch wird sie nichts tun.“

Die Männer standen wieder auf, als sie sich vergewissert hatten, dass sie nicht mehr in der Schusslinie standen und Will zog die Hülse aus der Mauer: „Ohne Zweifel Lisette.“

„Wer ist diese Lisette?“

„Kennt ihr eine Auftragskillerin namens Rotkäppchen?“, Lui klang gelangweilt.

„Oh, die kenne ich.“, Drosselbart sah ihn mitleidig an: „Ihr scheint es nicht leicht zu haben. Ich kann Euch einen Platz in meinem Schloss anbieten. Dort könnt Ihr Euch von eurer Reise erholen und vor ihr verbergen, wenn Ihr es wünscht.“

„Das ist sehr freundlich von Euch.“, Lui behielt die Gattin Drosselbarts im Auge: „Sie steht mit ihren Waren direkt im Eingang.“

„Ja, das ist ihr neuer Platz. Der Alte hat ihr nicht gereicht.“

„Verkleidet Euch als Husar und reitet ihn ihre Waren hinein.“

„Wie kommt Ihr jetzt darauf?“, Drosselbart sah ihn verwundert an.

„Ich habe einen guten Freund, der mir täglich vor Augen führt, dass das gemeine Volk stolz auf seine Waren und Arbeit ist.“

Drosselbart rief eine Wache herbei, die Lui und Will ins Schloss geleiten sollte und verkleidete sich als Husar. Lui und Will erstiegen gerade die Schlosstreppe, als sie vom Marktplatz aus Geschrei und das laute Wiehern eines Pferdes.

„Er hat ihr tatsächlich die Waren zerstört.“, Will wirkte betrübt: „Sie tut mir schon jetzt leid.“

„Das muss sie nicht. Sie ist stolz und hochmütig, sie hat es verdient.“ Lui erstieg weiter die Treppenstufen: „Ich mache mir vielmehr Sorgen um Lisette.“

„Du sorgst dich um Lisette?“, wiederholte Will ungläubig und starrte ihn an: „Warum das denn?“

„Sie geht mir entsetzlich auf die Nerven und es passt mir gar nicht, dass sie ausgerechnet jetzt hier sein muss.“

„Aber warum das?“

„Weil sie mir hier nur dazwischen funken wird und ich keine Lust habe, mich vor ihr zu verstecken!“

„Verstecken wird bestimmt nicht funktionieren. Du kennst sie ja. Sie kommt immer überall rein.“, Will schloss die Tür zu Luis Zimmer hinter ihnen.

„Das tröstet auch nicht unbedingt.“, Lui ließ sich in das Bett fallen und hielt sich mit dem rechten Arm die Augen zu.

Will legte die Pelze auf einem Stuhl ab.
 

„Sie war am Boden zerstört.“, Drosselbart wirkte niedergeschlagen und schwenkte lustlos den Wein in seinem Glas.

„Was habt Ihr nun vor?“, Lui trank von seinem Wein. Er hatte Tage in diesem Schloss zugebracht und König Drosselbart, der sogleich zu ihm gekommen war, als er von der Hütte, in der er mit seiner Gemahlin lebte, zurückgekehrt war, hatte seit sie ihm ihre Geschichte erzählt hatte, kein anderes Gesprächsthema mehr, als ihren Schmerz. Zu seinen weiteren Plänen jedoch hatte er sich nicht weiter geäußert.

„Ich weiß es nicht. Ich habe darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich sie besser sich selbst überlasse. Ich habe ihr eine Arbeit als Küchenmagd in diesem Schloss verschafft, damit sie nicht hungern muss und ein Zimmer hier in der Stadt. Ich habe ihr Leben zerstört und ich werde für immer alleine zurück bleiben.“

„Das könnt Ihr nicht und das wisst Ihr auch. Das Volk wird schon bald nach einem Nachkommen verlangen und da ihr schon verheiratet seid, könnt Ihr auch keine andere mehr ehelichen.“, Lui kratzte sich nachdenklich am Kinn: „Ihr müsst sie hierher bringen und akzeptieren, wie sie ist.“

Drosselbart sah ihn unschlüssig und niedergeschlagen an: „Das wäre nicht das Problem. Ich allein könnte mit ihrer Unverschämtheit und ihrem Stolz leben, aber das Volk und die Bediensteten werden unter ihr leiden.“

„Damit werden sie dann leben müssen. Ihr habt Eure Pflicht erfüllt und getan, was in Eurer Macht stand.“, Lui sah aus dem Fenster und stand auf, als er etwas aufblitzen sah. Er trat an das Fenster heran und öffnete es.

„Was ist los?“

„Vielleicht solltet Ihr lieber gehen, es wäre sicherer.“, riet ihm Lui und ließ den Turm gegenüber nicht aus den Augen.

„Ist sie hier?“, es war nicht nötig zu erklären, wen Drosselbart meinte: „Sie kann Euch hier unmöglich erreichen, Prinz.“

„Lisette hat die unangenehme Angewohnheit überall hinein zu kommen und mich immer wieder ins Visier zu bekommen.“, Lui bemerkte wieder dieses Aufblitzen.

„Nun gut, ich verlasse Euch fürs Erste. Ich muss mir sowieso erst einmal darüber klar werden, was ich nun tun werde.“

Drosselbart verließ den Raum und Lui duckte sich unter das Fenster. Litt er nun schon unter Verfolgungswahn? Nein, nicht wegen Lisette!

Es dauerte nicht lange, da saß Lisette schon auf der Fensterbank, ihr Gewehr angelegt. Sie wirkte ernster als sonst, soweit Lui das von seinem Versteck direkt unter ihr erkennen konnte. In ihre Augen lag aber etwas, dass nicht ganz zu diesem Ernst zu passen schien. Er konnte nicht genau sagen, was es war, aber er vermutete fast, dass es Sanftmut war. So etwas kannte er an Lisette nicht.

Sie sicherte ihr Gewehr, als sie sich sicher war, dass sie alleine im Zimmer war und seufzte. Der Ernst viel von ihren Schultern ab, als sie die Waffe an der Wand abstellte und ihre Haare, die immer noch so lang waren, wie bei ihrer letzten Begegnung, wieder zu einem festen Knoten im Genick zusammenband.

Lui rutschte lautlos näher an die Wand heran, als sie scheinbar in den Raum treten wollte. Ihr Fuß erschien vor seinem Gesicht und erreichte noch nicht ganz den Boden, als er den Knöchel ergriff und sie, die vor Schreck zusammenzuckte, so stark zu Boden zog, dass sie mit dem Rücken hart darauf aufschlug. Lui sprang über sie und hielt ihre Hände zu beiden Seiten ihres Kopfes.

Sie war wieder genauso aufgebracht und widerspenstig wie vorher und versuchte sich mit allen Mitteln aus seinem Griff zu befreien.

„Lass mich los!“

„Ich denke ja gar nicht daran. Kannst du mir mal sagen, was du hier willst?“

„Was?“, stellte sie durchtrieben die Gegenfrage: „Bist du etwa auf den Kopf gefallen und hast vergessen, was ich vorhabe?“

„Das nicht, aber du warst dir eben sicher, dass ich nicht da bin. Weshalb solltest du als hier herein kommen wollen, wenn du weißt, dass du alleine bist?“

Sie bäumte sich erneut auf: „Vielleicht wollte ich dich ja auch einfach beklauen.“

Will stürmte zur Tür herein, gefolgt von Drosselbart und erstarrte: „Lisette!“

„Das ist Lisette?“

„Ja.“, antwortete Will.

„Wie ist sie hier herein gekommen?“, Drosselbart starrte sie ungläubig an.

Lisette legte den Kopf in den Nacken, sodass sie ihn sehen konnte: „Eure Sicherheitsvorkehrungen sind ein Witz. Jedes Kind könnte ungehindert hier herein.“

Drosselbart starrte sie immer noch ungläubig an, jedoch glänzte nun ein Hauch von Entsetzen in seinem Blick.

„Du kannst uns helfen.“, Lui behielt sie im Auge.

„Und weshalb sollte ich das tun?“, Lisette dachte nicht im Traum daran.

„Lisette, bitte.“, Will machte einen Schritt auf sie zu.

Lui sah zu den beiden Männern auf: „Würdet ihr uns bitte allein lassen?“

Drosselbart sah ihn überrascht an.

„Und nehmt das Gewehr mit, wir wollen ja kein Risiko eingehen.“

Will lief zum Fenster hinüber und holte das Gewehr, während Lui und Lisette sich weiter böse anfunkelten.

„Und ich dachte, meine Gattin wäre schlecht erzogen.“, äußerte Drosselbart seine Verwunderung, als er mit Will das Zimmer verlassen hatte.

„Ja, Lisette ist schlimm, aber auch Dorothea ist nicht ohne. Lisette ist aber schlimmer.“

„Dorothea?“

„Lange Geschichte.“
 

„Geh runter von mir!“

„Warum wolltest du hier rein?“

„Bist du wirklich so dumm?“

„Red schon!“

„Das ist doch gar nicht so schwer! Ich wollte hier rein, damit ich dich töten kann!“

„Aber ich war nicht da!“

„Ich wollte eben auf dich warten!“

Lui zog die Augenbrauen hoch: „Du hättest doch bessere Chancen gehabt, wenn du mir draußen irgendwo begegnet wärst.“

„Klar, damit ich wieder die ganze Aufregung habe, damit ich dich überhaupt erreichen kann? Nein, danke!“

Lui erhob sich langsam von ihr und ermöglichte es ihr, sich aufzurichten und schließlich in einem Sessel nieder zu lassen. Wie Lisette eben so war, nahm sie sofort einen Schluck Rotwein, den Drosselbart zuvor nicht angerührt hatte.

„Schmeckt er dir denn wenigstens?“

„Es geht. Hab schon besseren getrunken.“

„Du hast doch gar keine Ahnung von Wein.“

Lisette sah ihn über den Rand des Glases hinweg an: „Mehr als du denkst.“

Etwas Wissendes lag in ihrem Blick, das er zuvor nie an ihr bemerkt hatte.

„Du hast dich ja ganz schön verändert.“, Lui setzte sich ihr gegenüber in den Sessel und nahm sein Glas.

„Nicht mehr als sonst.“

„Deine Haare sind ganz schön schnell gewachsen, findest du nicht?“

„Schnell?“, sie machte eine wegwerfende Bewegung: „Nicht schneller als sonst. Du hast es mir ja schwer genug gemacht, dich überhaupt noch mal zu finden.“

„Hast du wieder getötet?“

Sie stützte den Kopf auf der linken Hand ab, deren Ellenbogen sie auf den Tisch stützte, der neben ihr stand: „Warum willst du das wissen?“

„Und wieder sind wir an dem Punkt.“, stellte Lui resignierend fest, der sich noch an ihre letzte Unterhaltung über den Tod ihrer Eltern erinnerte.“

Lisette grinste. Nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: „Was ist mit dem Deal?“

Lui zog die Augenbrauen hoch und sie erinnerte ihn genervt: „Du wolltest mir sagen, warum du wissen willst, was ich noch von dem Tag weiß, an dem ich meine Eltern getötet habe und wolltest mich für die Antwort bezahlen und ich sollte dir im Gegenzug für deine Ehrlichkeit, ehrlich antworten. Ist der Deal geplatzt?“

„Der Deal besteht nicht mehr, du hast mir nicht geantwortet.“

„Du hast gelogen. Es hieß Wahrheit gegen Wahrheit.“, sie trank gelassen an dem Wein und schenkte sich nach, als das Glas leer war.

„Woher willst du wissen, das ich gelogen hab?“

„Ich lebe in der „Unterwelt“, schon vergessen? Da merkt man mit der Zeit, wann man angelogen wird und nach ein oder zwei Wochen erkennt man es schon, wenn sogar ein Fremder nur das erste Wort sagt.“

Lui sah ihr genau in die Augen, bis er einen längeren Schluck Wein trank. Sie hatte die Wahrheit gesagt, auch wenn er es vielleicht nicht so gut bemerkte, wie sie es bei ihm tat.

„Du bist nicht sonderlich flüssig bei Kasse, stimmt’s?“

„Warum fragst du?“

Lui verdrehte die Augen: „Drosselbart bräuchte deine Hilfe und ich bin mir fast sicher, er wird dich gut dafür entlohnen.“

„Bist du zu den Arbeitsvermittlern übergegangen?“

„Nein, aber ich habe noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen und wenn du ihm hilfst, tötet er dich vielleicht nicht.“

„Ach ist das so?“

„Sieh es ein, du steckst bis zum Hals in Problemen.“

„Das ist nichts Neues.“, es war ihr gleich.

„Kommt es dir nicht für gewöhnlich auf den Preis an?“, Lui runzelte die Stirn.

„Ich glaube kaum, dass er viel zahlen wird.“

„Warum das?“

Lisette lächelte ein kaltes Lächeln: „Weil er zwar sein Frauchen zähmen, aber einen Killer wie mich nicht unterstützen möchte.“

„Du weißt das?“

„Ich habe ihn mit ihr im Wald gesehen. Sie hatten sich in eine Hütte verkrochen und sie hat so laut gezetert, dass ich sie mit verbunden Augen hätte erschießen können. Er hat sie Körbe flechten und kochen lassen, aber sie hat nichts hinbekommen. Dass er sie nun als Magd in die Küche geschleust hat, wird er noch bereuen, glaub mir.“

„Hat sie sich denn geändert?“

Lisette verdrehte die Augen: „Das zählt unter den gegebenen Umständen zu den geldversprechenden Informationen.“

Lui lachte leise: „Wenn ich dich jedes Mal bezahlen würde, wenn du mir so was sagst, wäre ich jetzt ärmer als eine Kirchenmaus.“

„Tja, dann hätte ich ja wenigstens etwas Genugtuung.“

„Lass dich darauf ein und dann unterhalten wir uns wieder über den Deal.“

„Ich versteh nicht wirklich, warum, es dir so wichtig ist.“, sie legte den Kopf schief und runzelte die Stirn.

„Das wirst du ja dann erfahren, wenn wir uns endlich geeinigt haben.“

Lisette nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas und schenke sich nach: „Was soll ich tun?“

„Du wirst mit ein Bisschen Wein ja schon fast eine angenehme Gesellschaft und außerdem noch richtig redselig.“, Lui grinste sie diebisch an, als sie den Wein in ihrem Glas runter kippte und sich wütend auf die Sessellehnen stützte.
 

„Und Ihr seid Euch sicher, das es funktionieren wird?“, Drosselbart war eher skeptisch: „Warum seid Ihr Euch so sicher, dass sie mich nicht töten wird?“

Lisette spielte mit einem Messer herum, dass sie von der Tafel aufgestöbert hatte. Es war nicht sonderlich spitz, aber dennoch sehr scharf.

Lui folgte Drosselbarts Blick: „Sie wird Euch nichts tun. Wenn sie einen Auftrag hat, dann hält sie sich für gewöhnlich auch daran.“

Als sie das Wort „Auftrag“ vernahm, blickte sie interessiert zu ihnen hinüber und legte das Messer zurück auf den Tisch, während sie auf sie zu kam.

„Lisette, versichere unserem König hier doch bitte, dass du ihn nicht töten wirst.“

„Warum sollte ich ihr das glauben?“, Drosselbart ließ sie nicht aus den Augen.

Lisette verschränkte die Arme vor der Brust und beäugte ihn belustigt: „Ihr wollt ein König sein?“, spottete sie: „Ich werde Euch nichts tun, es sei denn, ich bekäme den Auftrag dazu.“

„Wer gab Euch den Auftrag Lui zu töten?“, Drosselbart glaubte ihr nicht ganz und vermutete irgendeinen Haken.

„Den Auftrag bekam ich zunächst von seinem Fast- Stiefbruder, aber später erteilte ich ihn mir selbst.“, sie nahm ein anderes Messer von der Tafel und fingerte wieder daran herum, während sie fast gleichgültig antwortete.

Drosselbart war weniger ruhig. Er fürchtete um sein Leben und somit auch um das seiner Frau: „Selbst erteilt? Wer sagt mir denn, dass sie sich nicht plötzlich den Auftrag selbst erteilt, mich zu töten?“

Lui sah dem König, der sich bei den letzten Worten an ihn gewandt und mit dem Finger auf Lisette gezeigt hatte, in die Augen: „Das wird sie nicht tun. Denn dann bekäme sie keine Bezahlung und Lisette tötet nicht ohne Bezahlung.“

Lisette, die nicht richtig zugehört hatte, wiederholte die letzten beiden Worte ungläubig und sah Lui tobend an.

„Ganz ruhig, du wirst bezahlt.“, beschwichtigte er sie mit erhobenen Händen.

„Was ist denn Eure Bezahlung dafür, Lui zu töten?“, Drosselbart starrte sie ungläubig an.

„Er stand mir schon sehr oft im Weg, sagen wir es mal so.“, sie sah Lui, der sie interessiert beobachtete, bei diesen Worten direkt in die Augen und wandte sich danach wieder ihrem Messer zu.

„Was ist, wenn ich ihr plötzlich im Weg stehe?“, Drosselbart schien sein Leben nicht gerne die Hände eines Killers zu legen.

„Das wird nicht geschehen, nicht wenn ihr die Bezahlung versichert.“, beschwichtigte Lui ihn erneut und wandte sich ab: „Ihr solltet Euch nun umziehen, Hoheit. Es wird langsam Zeit.“

Lisette folgte Lui hinaus und schloss die Tür hinter sich. Das Messer hatte sie noch immer in der Hand.

Lui deutete darauf: „Das wirst du doch nicht etwa mitgehen lassen?“

„Warum nicht? Es ist echtes Silber!“

Lui nahm ihr das Messer ab: „Du wirst noch bezahlt werden. Lass das Inventar dieses Schlosses an seinem Platz.“

„Schade.“, sie zog einen Schmollmund und lehnte sich an die Wand: „Wie lange braucht er denn noch?“

Lui tat es ihr an der gegenüberliegenden Wand gleich: „Ich weiß es nicht.“

„Er ist nicht gerade der Mutigste, was?“

Lui lächelte sie an: „Es können ja nicht alle so sein, wie ich.“

Lisettes Züge entglitten, fassten sich aber bald wieder in Verärgerung: „So war das nicht gemeint und das weißt du ganz genau!“

Lui lächelte noch breiter und sah wieder auf die Tür, durch die sie soeben den Raum verlassen hatten.

„Was genau soll ich eigentlich jetzt tun. Du sagtest vorhin nur, dass wir zu dem Feigling da drinnen müssten, um es mit ihm zu besprechen.“

Lui schenkte ihr einen Blick, der ihr schnell verriet, dass sie es noch nicht erfahren würde.

„Zurück zu unserem Deal.“, führte er das Gespräch weiter: „Wirst du mir jetzt endlich sagen, was du noch weißt?“

„Du kennst die Antwort.“

Lui öffnete gerade den Mund, um etwas zu erwidern, als sich die Tür öffnete und Bettler Drosselbart zu ihnen trat: „Ich bin mir wahrlich nicht sicher, ob das funktionieren wird.“

„Es könnte etwas länger dauern, da sie ja doch leicht dümmlich ist, Eure Gattin. Aber es wird klappten.“, heiterte Lisette ihn auf: „Es sei denn Ihr seid ihr egal.“

Drosselbart sah gequält zu Lui hinüber, der sie zum Ausgang der Dienstboten geleitete und lächelte.

„Was hast du jetzt vor, Prinz?“, Will trat an ihn heran, die beiden verschwunden waren.

„Ich weiß es noch nicht.“, Lui wandte sich an ein Fenster und sah hinaus: „Hast du Dorothea noch mal gesehen?“

„Nein, nicht wirklich.“, Will trat neben ihn: „Was hatte sie denn vor?“

„Sie wollte etwas für mich erledigen.“

„Willst du mich nicht einweihen?“, Will blickte ihn besorgt an.

„Sie sollte sich in diesem Reich an der Küste umschauen und mir berichten, was dort vor sich geht. Ich bin nicht erpicht darauf, in einem Reich umzukommen, dass seit langer Zeit keiner mehr betreten konnte, nur weil ich mich nicht richtig um Informationen bemüht habe.“

„Und wenn dir trotzdem was passiert?“, Will wirkte besorgt, auch wenn er es zu unterdrücken suchte.

„Dann sorg ich dafür, dass es Dorothea auch passiert und verfolge sie so lange ich tot bin!“

Will lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er blickte erneut aus dem Fenster und dachte an Lisette. Sie hatte sich dazu bereit erklärt, dem König zu helfen und in letzter Zeit half sie auch Lui sehr oft. Das war ungewöhnlich, vor allem für sie. Etwas hatte sich zwischen den beiden verändert, aber er wusste es nicht genau zu benennen. Es missfiel ihm nicht im Geringsten, denn eine gewisse Spannung hatte schon immer zwischen ihnen bestanden und es konnte nur gut sein, wenn sie sich endlich zusammen rauften. Nur fragte er sich gerade nicht zum ersten Mal, ob es wirklich nur aufkeimende Freundschaft war oder Lisettes neuer Plan Lui zu töten.

„Ich frag ja nicht gerne und es entspricht auch nicht meinem Charakter, aber was ist los Will?“, Lui schritt hinüber zu einem Sessel und ließ sich darin nieder.

„Ich mach mir Sorgen um Dorothea. Sollten wir nicht mal nach ihr sehen?“

„Ach, du willst also schon voraus fahren und nach ihr suchen?“, Lui war offensichtlich skeptisch, dass dies wirklich stimmen könnte.

„Nein, aber ich dachte, wir könnten mal nach ihr rufen?“, Will war verunsichert.

Lui verdrehte die Augen und lehnte sich seufzend im Sessel zurück.
 

„Was ist los? Soll ich jemanden verhexen?“, Dorothea stand vor ihnen auf dem Fensterbrett. In ihrem Haar hing Unkraut und ihr Kleid war mit Schlamm bespritzt.

„Wo kommst du denn her?“, Lui rümpfte die Nase.

„Lui,“, sagte sie sanft und kam auf ihn zu: „Ich habe wirklich alles versucht um dort hinein zu kommen, aber es nichts funktioniert.“

„Oh.“, Lui kaute auf seiner Unterlippe herum: „Was hast du noch nicht versucht?“

„Ich habe schon alles versucht, das sagte ich doch schon.“

„Sag mal, hast du noch mal etwas von den Lisettes gehört, die du mir gezeigt hast?“

Dorothea war wenig begeistert: „Ich wünschte langsam, ich hätte sie dir gar nicht erst gezeigt!“

„Hast du nun oder nicht?“

„Ja.“, sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah beleidigt zur Seite: „Aber nichts besonderes.“

„Was war es?“

„Sie haben sich beschwert, dass sich bei ihnen irgendwie alles verändern würde. Was weiß ich. Was genaues haben sie mir nicht gesagt. Vor allem diese Tussi hinter der Tür, die noch keiner zu Gesicht bekommen hat, ist mir auf den Zeiger gegangen, kann ich dir sagen.“

Lui stand auf und kam auf sie zu: „Was wollte sie?“

„Was weiß ich. Ich weiß es nicht. Sie hat davon gefaselt, dass sie dich oft sehen würde, was weiß ich. Lisette war anscheinend für einen Moment bei ihnen und hat ihr Zimmer verwüstet, ich weiß es auch nicht so genau. Jedenfalls konnte zu dem Zeitpunkt keiner von ihnen mehr sein Zimmer verlassen, bis sie weg war.“, Dorothea nahm sich eines von den Gläsern, die auf dem Tisch standen und schenkte sich ein. Sie trank das Glas in einem Zug leer und setzte sich schlecht gelaunt auf einen Stuhl, der an einem Schreibtisch stand.

„Was hast du jetzt vor? Was machen wir hier überhaupt?“, Dorothea schmollte, aber Lui beachtete sie nicht weiter.

Es war ein Rätsel und er spürte, dass er nah dran war, es zu lösen. Aber wie sollte er das anstellen? Die Lisettes hatten gesagt, dass sie die Zimmer der anderen nicht betreten durften, es aber trotzdem taten. Jedes Mal, wenn sie ein solches Zimmer betraten, passten sie sich der Lisette an, die das Zimmer bewohnte. Nur ein Zimmer konnte man nicht betreten, außer das Zimmer der Lisette, die er kannte und das war das Zimmer der Lisette, die alle miteinander verband. Sie wusste alles, was die anderen wussten und erlebte auch alles, was sie wussten. Er hatte bestimmt mehr als dreißig verschiedene Lisettes, einschließlich der, die er bereits kannte, kennen gelernt.

Wenn es wirklich so war, wie er es vermutete, dann war Lisette die Prinzessin, die schon als Kind verschwand. Nur wie war sie in sein Reich gekommen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Eltern, die sie umgebracht hatte, sie entführt und dorthin gebracht hatten. Sie hatten sie wirklich gemocht und er hatte dafür gesorgt, dass sie umbrachte. Selbst das wusste die Lisette, die er nie zu Gesicht bekommen hatte und das war merkwürdig.

Es war wichtig, dass er von Lisette erfuhr, was sie von dem Todestag ihrer Eltern, wenn sie das denn überhaupt waren, wusste. Nur so konnte er erfahren, ob sie in Verbindung mit den anderen stand oder ob da was anderes am Werk war.

„Was nun?“, wiederholte Dorothea die Frage. Will schenkte ihr Wein nach und ließ sich auf einen Stuhl in ihrer Nähe fallen. Er blickte noch ratloser drein, als die Hexe es tat. Das war aber auch nicht schwer zu verstehen, schließlich hatte er die anderen Lisettes nie gesehen.

„Wir warten, dass Drosselbart zurückkommt.“, er ließ sich wieder in dem Sessel nieder und schlug die Beine übereinander.
 

Drosselbart stürzte verschreckt zur Tür herein. Lisette kam ihm lachend hinterher.

„Was ist passiert?“, Will sprang auf und kam dem verstörten König zur Hilfe.

Lui erhob sich und ging auf Lisette zu: „Was hast du mit ihm gemacht?“

„Gar nichts.“, antwortete sie gleichgültig: „Ich musste nur eine Abkürzung über die Dächer einschlagen, weil irgendein Neunmalkluger meinen Steckbrief in der Stadt aufgehängt hat, das ist alles.“

„Hat es denn geklappt?“, Will reichte dem König ein Glas Wasser.

„Hat was geklappt?“, Dorothea sah einen nach dem Anderen verwirrt an.

Drosselbart musterte sie kurz, dann wandte er sich an Lui: „Zuerst vertraut Ihr mich einer Verrückten an und dann schafft Ihr mir Dirnen in mein Schloss?“

Dorothea entzündete vor Wut mit bloßen Gedanken den Kamin, vor dem der König saß und dermaßen zusammen zuckte, dass er sich das Wasser überschüttete und Will ihm nachschenken musste.

Lui lachte leise in sich hinein, dann wandte er sich wieder an Lisette, die Dorothea im Auge behielt, da ihr der boshafte Blick der Hexe, der auf ihr ruhte, nicht entgangen war.

„Was ist passiert?“

Lisette wandte sich ihm verächtlich zu: „Wir waren an der Hütte, aber die Kleine war nicht mehr da. Genauso wenig wie die Ziege, die noch da war, wie mir der da“, sie deutete auf den König: „Gesagt hat.“

„Was ist dann geschehen?“

„Sie hat mich über die Dächer gezerrt nach dem man auf uns geschossen hat!“, antwortete Drosselbart immer noch entsetzt.

„Ganz so einfach war es dann doch nicht.“, warf Lisette ein, die schon jetzt fürchtete, nicht mehr bezahlt zu werden: „Ich habe nach ihr gesucht und Fußspuren entdeckt, die zum Stadttor führten. Aber als ich dorthin kam, wurde auf mich geschossen, von seinen Wachen!“

Sie war sehr wütend, als sie mit dem Finger auf Drosselbart deutete.

„Habt ihr sie weiter gesucht?“, Lui wandte sich wieder an Drosselbart.

„Nein, wir sind über die Dächer weg.“, er betrachtete sich ein Schussloch in seinem Mantel und erhielt langsam wieder die Fassung zurück.

Lui wandte sich an die Hexe: „Dorothea, du musst für uns eine Prinzessin suchen.“

„Dazu brauche ich etwas von ihr.“

„Ich habe aber nichts da.“, Drosselbart wirkte verzweifelt.

„Was hattet ihr denn Überhaupt vor?“, sie beachtete ihn nicht weiter und sah zu Lisette hinüber, die in ihren Taschen kramte.

Sie beachtete die Hexe mit Absicht nicht und kramte weiter.

„Sie wollten testen, ob sie sich um den Bettler fürchten würde, wenn er bedroht würde.“, antwortete Will an ihrer statt.

„Woher soll ich denn jetzt etwas von ihr nehmen?“, Drosselbart nahm einen tiefen Schluck an seinem Glas und stützte den Kopf auf der rechten Hand ab, nachdem er das Glas wieder abgestellt hatte.

Dorothea zeigte mit dem Finger auf Lisette: „Sie hat was von ihr.“

„Was?“, Lui drehte sich überrascht zu Lisette um. Warum wunderte ihn das überhaupt?

„Ich?“, Lisette zeigte überrascht mit dem Finger auf sich und vermittelte Skepsis.

„Du hast was mitgehen lassen.“, fuhr Dorothea fort: „Rück es raus!“

Lui ging auf Lisette zu und hielt die Hand auf: „Na los, gib schon her.“

„Das ist meine Bezahlung!“

„Die bekommst du noch.“

„Von dem da bestimmt nicht!“, sie deutete mit einem Kopfrucken auf den König.

„Nun gib schon her.“, Lui sah sie wütend an: „Was hast du davon, wenn wir sie nicht mehr finden?“

Lisette überlegte gespielt: „Vielleicht einfach ein bisschen Unterhaltung?“

Lui hielt ihr weiterhin fordernd die offene Hand hin und bedeutete ihr mit einem Blick, dass er ihr das nicht abkaufte.

„Ich kann es sehen.“, spöttelte Dorothea: „Dann kann ich es mir auch holen.“

Lisette griff bei diesen Worten wütend in ihren Umhang und zog eine Krone hervor: „Kannst du röntgen oder was? Ich glaub’s nicht, diese verdammt Kuh!“

Lui nahm ihr die Krone ab und gab sie Dorothea.

Dorothea nahm sie ihm ab und konzentrierte sich darauf: „Sie ist hier im Schloss. In der Küche um genau zu sein.“, sie warf die Krone dem König vor die Füße: „Viel Spaß.“

„Lasst auftragen und holt sie in den Speisesaal. Sie wird verschämt sein, aber sie wird kommen.“, erklärte er dem König, dann wandte er sich wieder an Lisette: „Und wir müssen jetzt wirklich mal reden!“

Lisette verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn schlecht gelaunt an.
 

„Setz dich.“, er ließ sich in einen Sessel fallen. Sie hatten die anderen im Nebenzimmer zurückgelassen, um endlich ins Reine zu kommen. Lisette nahm ihm gegenüber Platz. Ihre Laune hatte sich um keinen Deut gebessert.

„Was willst du?“

„Wir wollten uns doch noch mal über den Deal unterhalten.“

„Ist das wirklich nötig?“

„Bist du nicht mehr interessiert?“, Lui war überrascht.

„Nein, nicht wirklich.“

„Weshalb nicht?“

„Ich kann mir was Besseres vorstellen, als irgendwas für dich zu tun und dann keine Bezahlung zu bekommen.“

„Du willst doch einen Teil vorne weg. Dann gehst du doch das Risiko nicht ein.“, versuchte er sie umzustimmen.

„Du lügst mich doch sowieso wieder an. So wie immer.“

Lui grinste. Sie kannte ihn doch zu gut. Aber er konnte ihr unmöglich sagen, weshalb er es wissen wollte. Er konnte ihr ja schlecht sagen, dass er die anderen Lisettes getroffen hatte und daraufhin auf eine Verbindung zwischen ihr und der verschwunden Prinzessin aus dem unzugänglichen Königreich tippte.

„Was willst du?“

„Ich will wissen, warum es dir so wichtig ist und ich will mein Geld!“, betonte sie ihre Wünsche erneut.“

„Ich kann dir das nicht sagen.“

„Dann will ich es erst recht wissen!“, bestand sie weiterhin auf ihren Vorderrungen. Sie konnte so entsetzlich unnachgiebig sein. So wie immer.

Lui seufzte.

„Wenn du nicht reden willst, dann sag es gleich, denn ich habe noch anderes zu tun, als hier meine Zeit mit dir zu vertrödeln.“

„Du brauchst das Geld. Das ist deutlich geworden, als du die Krone nicht hergeben wolltest. Außerdem, was solltest du schon noch zu tun haben?“

Sie knirschte mit den Zähnen: „Dich töten zum Beispiel.“

„Okay, na schön. Aber das bringt dir auch kein Geld ein.“

„So nötig habe ich es dann auch wieder nicht.“

„Ach nein?“, er blickte sie ungläubig an. Es war offensichtlich, dass sie ärmer war, als eine Kirchenmaus.

„Nein. Ich hatte schon schlimmere Phasen und ich habe mich bisher immer irgendwie über Wasser gehalten, also bin ich nicht auf dich angewiesen.“

„In gewisser Weise schon.“, jetzt musste er gemein werden.

Lisette blickte ihn fragend an: „Wie kommst du darauf?“

„Die Palastwachen suchen dich. Der einzige Ort, an dem dir nichts geschieht, ist der Palast. Es sei denn, ich lege ein gutes Wort für dich bei Drosselbart ein.“

„Das glaubst auch nur du.“, keifte sie von jetzt auf gleich: „Ich komme überall raus und Drosselbart schuldet mir noch was.“

„Tut er nicht, denn du hast ihm nicht geholfen, wie es vereinbart war.“

„Ich konnte es ja auch nicht, schließlich war seine dumme kleine Schnepfe nicht mehr in da!“

„Das wird ihn weniger interessieren, Lisette. Er wird dir eher noch mehr Wachen auf den Hals jagen, weil du ihn über die Dächer gezwungen hast um seinen eigenen Wachen auszuweichen und da er diesen Weg nun auch kennt, wirst du ihm nicht so einfach entwischen.“

Lisette war wenig begeistert und lehnte sich tiefschmollend in ihrem Sessel zurück. Dieser verdammte Kerl!

„Du hast eigentlich nur einen Ausweg.“, fuhr Lui fort: „Du sagst mir, was ich wissen will und machst dich dann aus dem Staub.“

„Was ist wenn ich mich weigere?“

„Dann wirst du von den Wachen verhaftet und schließlich hingerichtet.“

„Nein.“, entgegnete sie in einem überlegenen Ton: „Das wird nicht geschehen. Du kannst das nicht zulassen, da ich dir sonst niemals sagen kann, was ich weiß. Du willst in erster Linie was von mir und nicht umgekehrt, vergiss das nicht, Lui.“

Wieder waren sie an einem solchen Punkt. Jetzt musste er bluffen: „So wichtig ist es dann auch wieder nicht.“

„Du lügst.“, stellte sie in einem schlichten Tonfall fest.

„Ich könnte Dorothea herausfinden lassen, was du noch weißt.“

„Das kann sie nicht.“, entgegnete sie ihm: „Sie ist nicht mächtig genug dafür und außerdem würde sie das wohl kaum wollen.“

Im letzten Punkt hatte sie sich gewaltig geirrt. Dorothea würde alles für ihn tun und das wusste Lui.

Es hatte keinen Zweck, er musste in die Offensive gehen: „Du erinnerst dich also an einen Wolf, der mit dir gesprochen hat?“

Lisette starrte ihn entgeistert an: „Was wird das jetzt?“

„Also ja. Was weißt du noch?“

„Woher weißt du von dem Wolf?“

„Uns ist einer ausgebüxt an diesem Tag und ich habe ein wenig nachgeforscht und habe das herausgefunden.“

„Warum solltest du nachforschen?“, sie sah ihn skeptisch an.

„Vielleicht aus einfachem Interesse?“

„Das kauf ich dir nicht ab.“, sie lehnte sich vor: „Du willst von mir wissen, was ich noch weiß, dabei scheint es viel interessanter zu sein, was du so alles weißt.“

Lui erhob sich und grinste: „Mein Wissen gegen deins.“

„Nein.“

Lui zuckte bei diesem einfachen Wort ein wenig, hatte er doch gar nicht mit einer solchen Reaktion gerechnet. Er hatte sich einfach schon zu sicher gefühlt.

„Warum nicht?“, er wandte sich ihr wieder zu.

„Weil ich nicht im Geringsten daran denke.“, sie erhob sich und lief zum Fenster.

„Willst du nicht oder kannst du nicht darüber reden? Vielleicht geht es dir ja doch näher, als du zugeben willst.“

Lisette drehte sich zu ihm um: „Du hältst dich für verdammt schlau.“, sie kam auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen. In ihren Augen glänzte Hass, als sie so dicht vor ihm zum Stehen kam, dass er auf sie herab sehen musste, damit er sie überhaupt noch sah. Sie neigte ihren Kopf zur Seite und flüsterte: „Aber so schlau bist du gar nicht.“

Lui blieb stehen wie zur Salzsäule erstarrt und starrte sie an. Sie machte einen Schritt zurück, wandte sich ab und steuerte auf das Fenster zu.

„Willst du deine Bezahlung nicht mehr?“

„Vergiss es.“, sie trat auf den Fensterrahmen: „Der Deal ist geplatzt.“

Sie sah nach unten und erspähte das nächste Dach. Sie ließ sich in die Hocke nieder und behielt es im Auge. Gerade als sie abspringen wollte, rief sie Lui zurück: „Was ist mit deinem Gewehr?“

Sie fiel fast aus dem Fenster vor Schreck. Wie hatte sie das vergessen können? Sie fuhr wütend zu ihm herum und sah ihn widerspenstig an.

„Das bekommst du erst, wenn du mir alles erzählt hast.“, begrüßte Lui sie zurück im Zimmer, als sie von der Fensterbank sprang: „Hast du dir schon überlegt, was du sagen möchtest?“

Sie griff in ihren Stiefel und zog die Pistole hervor: „Kugeln sprechen mehr als tausend Worte.“

Sie zielte auf ihn und wollte gerade abdrücken, als Will ins Zimmer gestürmt kam und ihr die Pistole aus der Hand schlug.

„Bist du wahnsinnig geworden?!“, herrschte sie ihn an.

„Ich denke eher du!“, antwortete er ihr, während Dorothea hinter ihm ins Zimmer trat. Sie hatte alles mitbekommen und Will hinein gescheucht, als sie die Waffe bemerkt hatte.

„Setz dich doch, Lisette.“, Lui ließ sich betont freundlich in einem der Sessel nieder: „Jetzt da die Fronten geklärt sind, könnt ihr uns wieder alleine lassen, denke ich.“
 

„Du hast also mit diesem Wolf gesprochen und bist sie töten gegangen?“, wiederholte er trocken, was sie ihm erzählte. Etwas schien noch zu fehlen und er wusste genau was. Sie hatte ihn angeschrieen und angefallen in dem Versuch, ihn mit bloßen Händen zu erwürgen. Sie hatte eine Vase aus dem Fenster geworfen und einen Schrank in einem Wutanfall nahezu zertrümmert.

Lisette reagierte nicht auf seine Feststellung. Sie hatte gesagt, was er hatte wissen wollen und sehnte sich nun danach endlich verschwinden zu können. Sie hatte wahrlich genug davon. Er ging ihr nicht nur auf die Nerven sondern regte sie auch noch entsetzlich auf. Sie hasste ihn mehr, als sie es für möglich gehalten hätte.

„Sonst hast du nichts wahrgenommen?“

Sie runzelte die Stirn, was ihn etwas zurückschrecken ließ. Hatte er sie jetzt auf eine Idee gebracht oder erinnerte sie sich? Doch ihre Stirn glättete sich nach einem Moment wieder und sie antwortete fast gleichgültig: „Ich sagte es doch schon. Was willst du eigentlich noch von mir hören?“

„Was denkst du denn?“

„Ich denke, du hast etwas bestimmtes im Sinn, auf das du nun hinaus möchtest, sagst es aber nicht, weil du nicht willst, dass ich es erfahre, wenn ich es vielleicht doch noch nicht weiß.“

Lui starrte sie an: „Das sind ja ganz schön komplexe Gedankengänge. Wie kommst du darauf?“

Sie erhob sich und lief zum Fenster hinüber. Sie öffnete es, trat mit einem Fuß auf die Fensterbank und blieb im Fenster stehen. Lisette wandte sich noch einmal kurz zu ihm um: „Das wirst du wohl nie erfahren.“

„Wo willst du hin? Du kannst noch nicht gehen, du hast deine Waffen noch nicht zurück und du hast deine Bezahlung nicht.“, er erhob sich und machte einen Schritt auf sie zu.

Lisette drehte sich wieder dem geöffneten Fenster zu: „Das ist mir egal. Ich komme auch ohne klar.“

„Willst du es denn wirklich unter so vielen Umständen geheim halten?“

„Darum geht es nicht. Es nützt nichts, wenn du alles weißt, was ich von diesem Tag noch weiß. Ich weiß, was ich gesehen und herausgefunden habe und ich habe auch schon Beweise dafür gefunden. Ich verstehe nur nicht ganz, weshalb es soweit kommen musste.“

„Lisette-“, sie war fort noch ehe er das Fenster erreichen konnte. So kannte er sie gar nicht.

„Was ist los?“, Will trat in den Raum, ein Tablett in den Händen: „Wo ist Lisette hin?“

Lui ließ sich seufzend in einen Sessel sinken. Er hatte sie zwar dazu gebracht von dem Tag zu erzählen, aber er hatte nichts erfahren, was ihm wirklich von Nutzen sein konnte. Es war alles umsonst gewesen.

„Lui?“, Will trat an ihn heran und stellte das Tablett auf dem Tisch ab: „Ist alles in Ordnung?“

Der Prinz seufzte tief und sah zu seinem Diener, der vor ihm kniete.

Dorothea betrat den Raum: „Ich kann es nicht glauben, dass ich von einer Hexe zu einem gewöhnlichen Laufburschen gemacht wurde!“

Will sah zu ihr auf: „Was ist denn los?“

„Der König möchte ein Festessen geben um deinen Plan durchzuführen.“

„Welchen Plan?“

Die Hexe und der Diener starrten ihn an.

„Du hast ihm gesagt, er solle auftragen und sie holen lassen. Sie würde verschämt sein und er könnte sie zur Frau nehmen, wie es sich gehöre, oder so was.“, wiederholte Will.

Lui seufzte erneut. Er hatte gar keine Lust auf ein solches Essen.
 

„Was soll ich nur tun?“

„Drosselbart, Ihr wart doch schon vor meiner Ankunft so kreativ, da könnt Ihr es auch ohne meine weitere Hilfe schaffen.“, Lui hatte keine Lust mehr auf diese ewigen Spiele. Ihm spukte etwas anderes im Sinn.

„Mag sein, aber ich hatte nie alles zuende gedacht.“

„Das ist doch gar nicht so schwer. Ich habe es Euch doch schon erklärt.“

Drosselbart schwieg und setzte sich an sein Ende der Tafel. Er wollte sie einfach bei sich haben und nicht ewig darauf warten müssen, dass sie endlich heraus trat und ihm das Essen brachte. Er erhob sich und lief in die Küche.

„Was hat er denn nun vor?“, Will flüsterte Lui ins Ohr, der ihm gar nicht zuhörte.

Dorothea bediente sich gerade ausgiebig an der Tafel und trank eifrig vom Wein.

„Ich bitte Euch, ich kann nicht mit hinein.“, hörten sie es plötzlich von der Tür aus, durch die der König zuvor verschwunden war.

„Bitte, ich gehöre dort nicht hinein.“, sie wurde weiter gezogen und stand schließlich vor ihnen. Sie fühlte sich wahrlich fehl am Platz, das sah man ihr auf den ersten Blick hin an. Sie war ganz schüchtern und versuchte sich hinter Drosselbart vor ihnen zu verbergen.

„Komm nur hervor, meine Gattin und begrüße endlich unsere Gäste.“

Sie sah ihn erschrocken an: „Gattin?“

Er wandte sich zu ihr um und erklärte ihr alles. Sie konnte ihren Ohren nicht trauen und ließ sich von ihm umarmen. Doch trotzdem wollte sie nicht hinter ihm hervor treten.

„Was hast du denn?“, Drosselbart sah sie besorgt an.

Sie flüsterte mehr, als das sie sprach: „Ich wurde vor ihm gewarnt.“ Sie deutete kaum merklich auf Lui, der in dem Stuhl ihr gegenüber saß.

„Von wem?“, Lui war nicht wirklich interessiert, aber vielleicht hatte sich ja sein Ruf schon bis hierher verbreitet.

„Eine Blondine in roten Gewändern. Sie hätte mich fast umgerannt, als sie das Schloss eilig verließ und Richtung Wald verschwand.“, erklärte sie und klammerte sich noch mehr an Drosselbart.

Dieser beruhigte sie und geleitete sie an den Tisch.
 

„Hast du alles?“

„Will, wenn du mich das jetzt noch einmal fragst, dreh ich durch!“, Dorothea schnippte bedrohlich mit dem Finger in seine Richtung.

Will legte die letzten Hosen zusammen und klappte den Koffer zu. Lui hatte sich in seinem Zimmer verschanzt und keinen mehr zu sich gelassen. Etwas stimmte nicht.

„Lui?“, er klopfte an die Tür des Zimmers.

„Was ist?“, drang die Antwort durch die Tür gedämpft an seine Ohren.

„Wir sind soweit?“

„Dann nichts wie weg hier.“, die Tür öffnete sich und Lui trat zu ihnen heraus. Er hatte sich nicht rasiert und seine Haare waren zu einem wuscheligen Zopf hinter dem Kopf zusammengefasst.

„Was ist denn mit dir los?“, Dorothea starrte ihn an: „Irgendwas stimmt doch nicht.“

Lui beachtete sie nicht und stürmte einfach an ihr vorbei, Will hinterher.

„Na toll.“, Dorothea schnippte beleidigt mit den Fingern und verschwand.

Susi

„Lui, sie dir das mal an!“, Dorothea spähte aus dem Kutschenfenster.

„Was ist denn los?“, Lui folgte der Aufforderung nur widerwillig, aber da Will die Kutsche hatte anhalten müssen, wollte er nun doch zu mindest wissen, weshalb.

Was er allerdings sah, überraschte ihn mehr, als er glauben konnte. Sie hatten ein Dorf erreicht, dessen Häuser mit Brei über quirlten.

„Was ist denn hier los?“, Will starrte entgeistert auf den Brei.

„Tja, ich würde mal sagen, da hat jemand ein magisches Töpfchen bekommen.“, Dorothea war ganz entzückt.

„Und nun?“

„Wir lassen den Brei fortschaffen.“

„Lui, nichts für ungut, aber du wirst hier wohl kaum jemanden finden, der dazu noch in der Lage ist.“, Dorothea sah ihn über ihre rechte Schulter hinweg an: „Hier sind alle tot.“

„Will, schlag den Weg um das Dorf herum ein.“, Lui lehnte sich in die Kutsche zurück und verschränkte die Arme.

„Was hast du nun über Lisette herausbekommen?

„Nicht viel.“

„Willst du es mir nicht sagen? Ich habe dich schließlich erst darauf aufmerksam gemacht.“

Lui ignorierte sie weiter, während Will die Kutsche um das Geisterdorf herummanövrierte.

Dorothea war beleidigt und sah aus dem Fenster ohne sich Lui ein weiteres Mal zuzuwenden.
 

„Wie weit ist es noch?“

„So lange kann es nicht mehr dauern.“, Will sah sich verwirrt vom Kutschbock aus um, erkannte aber nichts, das auf ein weiteres Dorf oder eine Stadt schließen ließ.

„Er hat sich verfahren.“, Dorothea warf nicht einmal einen Blick aus dem Fenster, sondern sah Lui wütend an, der sich seit ihrer letzten Frage nicht mehr geäußert hatte: „Das ist der Zauber, der dafür sorgt, dass keiner mehr das Reich betreten kann.“

Lui lehnte sich wieder in seinem Sitz zurück und betrachtete den Kutschboden. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er sich endlich bemerkbar machte und Will und Dorothea, die die ganze Zeit gewartet hatten, starrten ihn ob seiner Worte entgeistert an: „Wir machen hier halt und schlafen in dem Zelt, dass uns Drosselbart mitgegeben hat.“

„Du hast vor in einem Zelt zu schlafen?“, Dorothea glaubte ihren Ohren nicht: „Bist du noch bei Trost?“

„Bist du dir sicher?“, Will sprang vom Kutschbock herunter und lief zur Tür, um sie ihm aufzuhalten: „Hier draußen sind wir völlig ungeschützt. Wenn Lisette wieder auf dich schießen sollte, haben wir ein Problem und sie ist bei weitem nicht das Einzige, das wir haben werden.“

Lui ignorierte ihn und sah sich auf dem Gelände um. Es gab nicht viele Bäume und die Wiese, an der sie hielten, war eben. Flaches Gelände, auf dem sie schnell entdeckt würden.

Er wandte sich zu den Beiden um: „Lisette soll uns finden. Sie ist mir durch die Lappen gegangen und ich bin noch nicht fertig mit ihr.“

„Was ist mit anderen Kreaturen oder was weiß ich, was in diesem Gebiet noch lauert?“, Dorothea trat an ihn heran und schnippte mit ihrer Stiefelspitze einen Stein zur Seite, der ihr im Weg lag.

„Vor denen müssen wir eben aufpassen. Aber Lisette brauch ich noch.“, Lui wandte sich Will zu, der die Unterhaltung von der Kutsche aus gespannt verfolgt hatte: „Pack aus und mach alles für die Nacht fertig. Ich werde mich etwas umsehen.“

Will und Dorothea warfen sich unverständliche Blicke zu und Will machte sich an das Herrichten des Nachtlagers.
 

„Lui ist immer noch nicht wieder zurück.“, Dorothea sah sich verängstigt im Gebüsch um: „Sollten wir ihn nicht suchen?“

„Er wird sicherlich gleich zurück sein.“, Will rieb sich mit der rechten Hand die Stirn: „Es ist ja noch nicht so spät.“

„Aber wir haben das Lager doch schon aufgebaut und er ist immer noch nicht da.“, sie sah auf den Topf, der über der kleinen Feuerstelle hing: „Sogar das Essen ist fertig.“

Will ließ sich auf einem kleinen Baumstumpf nieder. Er hatte alles gemacht, während sie ihren dämlichen Kater gestreichelt und ihn rumkommandiert hatte. Von Lui ließ er sich das ja noch gefallen, aber von Dorothea? Er verzog das Gesicht: „Er wird bestimmt gleich kommen. Wenn nicht, gehe ich ihn suchen.“

Sie wandte sich verschreckt zu ihm um: „Und mich hier alleine lassen? Vergiss es, ich komme mit!“

Soviel also dazu. Er stützte enttäuscht seinen Kopf auf die Hände.
 

„Wie lange willst du eigentlich noch im Kreis laufen?“

Lui blieb stehen und wandte sich um. Niemand war zu sehen. Hatte er sich das etwa eingebildet?

„Oh, antworten können wir offenbar auch nicht mehr. Hast du schon solche Angst, dass du keinen Ton mehr herausbekommst?“

„Zeig dich!“

„Ich denke gar nicht daran!“

Lui wandte sich wieder um. Diesmal war die Stimme aus einer anderen Richtung gekommen. Wie war das möglich? Er hatte nichts gehört. Keinen einzigen Schritt und auch keinen einzigen brechenden Zweig.

„Wer bist du?“

„Was denn, du erkennst mich nicht?“, die Stimme klang höhnisch. Etwas daran kam ihm tatsächlich vertraut vor, doch er wusste nicht, was es war. Sie klang nicht wie eine gewöhnliche Stimme. Es war vielmehr so, als wäre es eine Stimme, die mehrmals gleichzeitig klang.

„Zeig dich, dann erkenne ich dich auch.“

„Nein, das wäre zu einfach.“, die Stimmen klangen belustigt: „Was machst du hier?“

„Im Moment streite ich mich mit einer dämlichen Frauenstimme, die mir auf die Nerven geht.“

„Das meinte ich nicht und das weißt du auch!“

„Kein Grund gleich so aus der Haut zu fahren.“, er sah sich genau um, konnte aber nichts erkennen. Außerdem wechselten die Stimmen ständig ihren Standpunkt.

„Was ist nun mit meiner Frage?“

„Warum klingt deine Stimme so oft wieder?“

„Noch nie was von Echo gehört?“

„Das meine ich nicht. Ein Echo hört man nach und nach verhallen, aber deine Stimme hallt gleichzeitig mehrfach zu mir herüber.“

„Was?“

„Hörst du es nicht?“, er machte einen Schritt auf einen der Bäume um sich herum zu, da er glaubte etwas Dunkles von einem der Äste aufragen zu sehen.

„Nein. Du solltest vielleicht mal einen Arzt aufsuchen.“

Lui runzelte die Stirn und schritt weiter auf die Gestalt zu, von der er glaubte, dass sie mit ihm sprach: „Wo sind wir hier?“

Die Stimme antwortete nicht gleich, sondern wartete, bis er noch einige Schritte auf sie zu gemacht hatte: „Im Wald.“

„In welchem Wald?“, er machte noch drei Schritte. Die Stimme antwortete nicht. Er konnte sehen, wie sich die Gestalt umsah. Sie schien selbst nicht so recht zu wissen, wo genau sie war.

„Du weißt es selbst nicht, stimmts?“, er schritt weiter auf sie zu: „Da stehst du und verhöhnst mich, weil ich den Weg zurück nicht mehr finde und kommst selbst nicht weiter.“

Der Kopf der Gestalt fuhr ruckartig zu ihm herum und dann verschwand sie.

Lui blieb wie angewurzelt stehen und sah sich nach ihr um.

„Im Gegensatz zu dir finde ich den Weg zurück immer!“, erklang sie nun wütend hinter ihm.

„Natürlich, wo du nicht mal bemerkt hast, dass deine Stimme so merkwürdig verzerrt ist. Du bist wohl nicht gerade sehr schlau, was?“

Er wandte sich wieder dem Baum zu, auf dem er sie zuletzt gesehen hatte und versuchte zu erkennen, wo sie nun war. Sehr weit konnte sie nicht gekommen sein.

Plötzlich bekam er einen heftigen Stoß in den Rücken und viel vorne über. Das Wasser spritzte um ihn her, als er hinein viel. Er hatte den See vor seinen Füßen gar nicht bemerkt. Es war schon so dunkel geworden, dass er ihn für eine normale Wiese gehalten hatte.

„Jedenfalls bin ich nicht so blind wie du.“

Lui raffte sich aus dem Wasser auf und sah zu der Gestalt hinauf. Er erschrak, als er sah, wer da vor ihm stand. Es war eine Frau in einem roten Gewand, auf das ihre blonden Haare wallten. Sie sah Lisette sehr ähnlich, aber gleichzeitig auch wieder nicht. Ihre Augen hatten eine merkwürdige silberne Farbe und ihre Haare glänzten trotz der Dunkelheit in einem matten Goldton. Ihre Haut war ganz blass und ihre Augen schauten verächtlich auf ihn herab. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass sie eine rote Hose unter dem roten Mantel trug, über die schwarze Stiefel fast bis zu ihren Knien reichten. Hinter ihren Haaren konnte er Lisettes Gewehr erkennen und in der Hand hielt sie ihre Axt.

„Lisette?“

„Das hat ja lange genug gedauert.“

Lui stand langsam auf und starrte sie ungläubig an. Für einen Moment hatte er sie doch tatsächlich anders gesehen, als sie wirklich aussah: „Was ist mit dir passiert?“

Sie zog eine Augenbraue hoch: „Was soll passiert sein?“

Er schüttelte den Kopf und erblickte sie wieder so, wie sie wirklich aussah. Mit ihrem schulterlangen blonden Haar, ihrem roten Mantel, den roten Hosen, den schwarzen Stiefeln, den braunen Augen und dem dreckigen Gesicht, dass blaue Flecken und Schwielen aufwies.

„Wie finden wir zu Will und Dorothea?“

„Wie kommst du auf die Idee, dass ich mitkommen würde?“

„Wir müssen reden, ganz dringend sogar.“

„Da bin ich anderer Meinung.“, sie wandte sich zum gehen: „Eigentlich hatte ich vor, dich einfach zu erschießen, aber es ist viel lustiger, wenn du den Weg zurück nicht mehr findest.“

Er ging ihr mit eiligen Schritten nach und hielt sie am Arm zurück, den sie sich mit einer solchen Wut und Kraft zurück zog, dass sie fast zurück stolperte.

„Du hast mir immer noch nicht alles erzählt.“

Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht: „Du weißt, was du wissen musst.“

„Wenn ich das wüsste, dann müsste ich dich nicht ständig danach fragen.“

Sie schwieg ihn weiter an, wandte sich schließlich wieder um und wollte weiter gehen, als er sie wieder zum Stehen brachte: „Wie hast du deine Sachen zurückbekommen?“

Sie grinste ihn gemein an: „Die hatte ich schon zurück bevor du zu diesem dämlichen Essen gegangen bist.“

Das hatte er nun nicht erwartet, aber er konnte sich denken, wie sie sie geklaut hatte.

„Warum willst du nicht darüber sprechen? Ist es dir so peinlich?“

„Es müsste mir wohl kaum peinlich sein.“, sie sah sich kurz im Gebüsch hinter ihm um, antwortete ihm aber sachlich. Das machte ihn dann doch nervös.

„Was ist los mit dir?“

„Nichts.“

„Ich hab das Gefühl, du bist nicht ganz bei dir selbst.“

„Unsinn.“

Er machte einen Schritt auf sie zu: „Sag schon.“

Sie sah von einem Punkt hinter seiner rechten Schulter in seine Augen: „Es ist nichts.“

Lisette wandte sich wieder um und überquerte mit großen Schritten ein Stück der Wiese, wobei sie die Bäume umging.

„Macht dich der Wald nervös?“

Sie blieb wie angewurzelt stehen: „Warum sollte er das?“

„Vielleicht weil du nicht wirklich bist, wer du sein möchtest.“

Sie wandte sich mit weit geöffneten Augen zu ihm um und starrte ihn an.

„Ich hatte also recht.“

Ihr Blick wurde fragend.

„Lisette hätte mich schon längst erschossen oder es zumindest versucht.“

„Hätte ich das?“

Er machte noch einen Schritt auf sie zu: „Welche bist du?“

„Was meinst du?“

„Welche Lisette bist du?“

„Ich wusste nicht, dass du mehrere kennst.“, sie hatte fast Lisettes Tonlage erreicht, aber etwas klang dennoch verzerrt.

„Du weißt das ganz genau.“

„Was meinst du damit?“

Sie klang irgendwie gefühllos. Ihr blick war glasig, was er zuvor noch für einen Silberschein gehalten hatte.

„Du bist das Gedächtnis, stimmts?“, er konnte nicht anders, er musste sie anstarren.

Sie riss die Augen auf und er wusste bescheid.

„Wie hast du das gemacht und wo ist Lisette?“

„Da wo sie hingehört. Woher wusstest du es?“

„Du zeigst keine Gefühlsregung und du hast dich nicht verändert. Du siehst aus, wie die Lisette, die ich kenne. Bei jeder anderen hätte sich was verändert.“

„Nein, denn das hier ist nun ihr „Zimmer““, das letzte Wort betonte sie extra.

„Doch. Die Schöne hätte sich zum Beispiel das Gesicht gewaschen und die Kindliche wäre noch ein Kind.“

Das Gedächtnis lächelte ihn an: „Tja, dann ist es jetzt Zeit für mich zu gehen.“

„Wo ist Lisette?“

„Wo sie hingehört.“

„Und wo ist das?“

„In ihrem Zimmer.“

„Warum?“, er stellte sich ihr in den Weg.

„Weil es so sein muss. Sie ist hierher zurückgekehrt und muss nun wieder in ihrem Zimmer bleiben.“

Lui wollte nach ihr greifen, doch sie verschwand im Nichts.“
 

„Wo bleibt er denn?“, Dorothea lief unentschlossen vor dem Feuer auf und ab: „Wir sollten ihn nun wirklich suchen gehen.“

„Du hast recht. Es wird Zeit.“, Will erhob sich: „Es ist immerhin schon dunkel.“

„Das könnt ihr euch sparen.“, Lui stolperte aus den Hecken hervor und ließ sich auf den Baumstumpf fallen, auf dem Will kurz zuvor noch gesessen hatte: „Wir brechen morgen früh bei Sonnenaufgang auf.“

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, Dorothea kniete sich vor ihn: „Du siehst fast aus, als hättest du einen Geist gesehen.“

„Es ist alles okay.“, er erhob sich wieder und ging zu der Kutsche hinüber, in der er schlafen wollte.

„Willst du nichts essen?“, Will hatte bereits einen Teller mit Suppe gefüllt.

Lui antwortete nicht, sondern schloss die Kutschentür hinter sich.

„Was hat er denn?“

„Ich hab keine Ahnung.“, Will sah auf den Teller in seiner Hand hinab: „Hast du Hunger?“

„Kein Bisschen.“, Dorothea ging zur Kutsche hinüber: „Ich sehe mal nach ihm.“

Will sah ihr nach, während sie zur Kutsche ging und einstieg.
 

„Ich hab schon auf dich gewartet.“, Lui saß in einer dunklen Ecke, die Arme vor der Brust verschränkt und die Beine überschlagen.

„Was ist hier los?“

„Das ist nicht so wichtig. Wichtiger ist, dass du mich wieder zu dieser komischen Tür bringst.“

„Was, jetzt?“, Dorothea sah ihn ungläubig an: „Es ist mitten in der Nacht.“

„Morgen geht es vielleicht nicht mehr.“

„Warum sollte es morgen nicht mehr gehen?“

„Du konntest das Reich nicht betreten, das hast du selbst gesagt. Da wir morgen versuchen werden hinein zu kommen, kann es sein, dass du mich nicht mehr hinbringen kannst.“

„Du meinst, weil ich diese komische Barriere noch mal durchbrechen müsste und das gleich zweimal, damit ich dich auch wieder zurückbringen kann.“

„Genau.“

„Warum können wir dann nicht morgen früh zu dieser Tür, noch bevor wir in das Reich eindringen?“, Dorothea hatte nicht die geringste Lust etwas zu unternehmen.

„Ich möchte keine Zeit verlieren, also bring mich hin!“

Die Hexe verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust.

Lui behielt sie im Auge, bis ihm plötzlich schlecht wurde. Als er sich umsah, saß er wieder in dem dunklen Tunnel und an der Stelle, an der zuvor Dorothea gesessen hatte, erblickte er die Tür.

„Du weißt ja schon, wie es abläuft.“, erklang die Stimme der Hexe aus dem Nichts.

Lui antwortete ihr nicht, sondern stand auf und ging auf die Tür zu. Sie war verschlossen. Er klopfte an.

Nichts.

Er klopfte erneut.

Die Tür öffnete sich, langsam, knarrend.

Lui trat vorsichtig ein und sah sich um. Die Türen, die beim letzten Mal noch offen gestanden hatten, waren nun mit Rosenränken überwuchert und geschlossen. Die Farbe war von den Wänden abgeblättert und Schimmelpilze ragten an ihnen hoch.

„Hallo?“, seine Stimme hallte den Flur entlang, bekam aber keine Antwort. Er machte einen weiteren Schritt hinein. Die Tür fiel knarrend hinter ihm ins Schloss.

„Hallo?“, wieder keine Antwort.

Ein Licht flackerte am anderen Ende des Flures auf. Es blieb nur sehr klein zu erkennen, denn der Flur war sehr lang, wie Lui sich erinnerte. Er ging darauf zu, doch es dauerte sehr lange, bis er es endlich erreicht hatte.

Er blieb vor der letzten Tür des Flures stehen. Das Licht war verschwunden. Er klopfte leicht an der Tür und wartete einen Augenblick.

Nichts.

Er klopfte erneut: „Hallo?“

„Was machst du hier?“

„Ich suche nach Lisette.“

„Sie ist in ihrem Zimmer.“

„Da kann ich nicht rein. Was ist hier eigentlich los?“

„Es ist nichts. Alles ist so, wie es sein sollte.“

„Das kann doch nicht dein Ernst sein. Wo sind alle?“, Lui deutete auf den Flur hinter sich.

„In ihren Zimmern, so wie es sein sollte.“

„Wie meinst du das?“

„Lisette, wie du sie nennst, ist wieder zurück, also sind wir wieder an unsere Regeln gebunden.“

„Du meinst, ihr seht euch nicht mehr und beschäftigt euch in euren Zimmern?“

„Genau.“

Lui ließ sich gegen die Tür des Gedächtnisses sinken: „Was ist, wenn ich an ihre Türen klopfe?“

„Versuch es doch.“

Er raffte sich auf und ging zu Lisettes Tür hinüber, die so dicht von Rosen überwuchert war, dass er das Holz kaum erkennen konnte. Er versuchte dazwischen hindurch zu greifen, damit er klopfen konnte, aber die Dornen stachen ihm bedrohlich ins Fleisch.

„Lisette?“, schrie er fast, während er versuchte die Dornen zu ignorieren und dennoch zu klopfen, wodurch er sich seine Hand verletzte.

„Verschwinde!“

„Was ist hier los?“

„Nichts, verschwinde einfach!“, sie schrie ihn dermaßen an, dass er sogar durch die Tür zurückschreckte.

„Hab ich was damit zu tun?“

„Nimm dich gefälligst nicht so wichtig!“

„Unsinn. Ich versuche dir zu helfen.“, schrie er fast genauso deutlich zurück.

„Das hast du die letzten acht Jahre auch nicht getan, also hör auf damit!“

„So ein Blödsinn! Ich kann selbst entscheiden, ob ich dir helfen will, oder nicht!“, schrie er erneut zurück: „Also mach endlich diese dämliche Tür auf!“

„Wenn ich das könnte, wäre ich kaum noch hier, du Trottel!“

„Verdammt noch mal, könntet ihr da draußen vielleicht mal etwas leiser sein?“, drang eine weitere Stimme zu ihnen heran, die wie Lisette klang: „Ich versuche hier zu lernen!“

„Lisette, was kann ich tun?“, Lui lehnte sich an die Wand neben der Tür und versuchte einen freundlicheren Ton anzuschlagen.

„Verschwinde, das wäre dann schon alles!“, sie war zwar leiser geworden, aber immer noch aufgebracht.

„Warum bist du so wütend auf mich?“

„Fängst du jetzt schon an zu jammern?“, fragte sie höhnisch: „Du kennst die Antwort doch schon längst.“

„Nein, nicht wirklich.“

„Du hast mich oft genug gefragt. Du weißt, was ich nicht gesagt habe, weil du es schon weißt. Du kannst also reinen Gewissens gehen, denn ich verlange keine Entschädigung von dir. Also verschwinde endlich!“

Die letzten Beiden Worte schrie sie wieder hinaus. Die Rosen an ihrer Tür färbten sich schwarz und die Blätter verdorrten.

Lui machte einen Schritt zurück: „Vielleicht hat es gar nichts damit zu tun.“

„Womit denn sonst?“

„Was weißt du von dir?“

„Ich weiß, dass ich eine Familie hatte und glücklich war, bis du aufgekreuzt bist und mir alles kaputt gemacht hast und ich zu dem geworden bin, dass ich nun bin. Und als wäre das nicht genug, sitze ich jetzt auch noch hier fest!“

„Warst du jemals in dem Land, in dem ich dich letzte Nacht gesehen habe?“

Lisette schnaubte verächtlich: „Als ich dieses dämliche Fleckchen Erde betreten habe, bin ich hier gelandet, also nein!“

Lui sah zur Decke. Was konnte er tun?

„Dorothea!“

„Nach deiner kleinen Hexe zu schreien, bringt dir auch nichts.“, schnaubte Lisette hinter der Tür: „Die kann auch nix machen.“

„Du dämlicher Dickkopf, ich versuche doch bloß selbst hier raus zu kommen.“

„Ach so, jetzt denkst du wieder nur an dich, verstehe. Darin bist du ja auch der Beste!“, schrie sie ihm entgegen.

„Was soll das nun wieder heißen?“, Lui klang inzwischen schon genauso aufgebracht wie sie.

„Das soll heißen, dass du wieder genauso reagierst, wie damals, als du das Straßenschild im Wald herum gedreht hast, sodass ich in den Waldteil gelaufen bin, in dem die von Hänsel und Gretel niedergebrannte Hütte stand, wo du mir dann einen Wolf auf den Hals geschickt hast und mir, hinter einem Baum versteckt, weiß gemacht hast, dass mich meine Eltern loswerden wollten. Das hast du ja wirklich ganz toll hinbekommen, ich gratuliere!“, Lui konnte ihren Schmerz heraushören, den sie unter ihrer Wut zu verstecken suchte. Sie hätte es nicht noch mal sagen müssen, damit er es verstand. Ihre Andeutungen zuvor waren überdeutlich gewesen.

„Das du ihnen hinter unserem Haus auch noch Gold versteckt hattest, dass sie zwangsläufig finden mussten, war ja wirklich durch und durch durchdacht. Ich musste dir glauben, nachdem ich sie an ihrem Tisch sitzen sah, mit dem ganzen Gold, das darauf ausgebreitet war!“

Lui stockte und starrte irritiert auf die von Rosenranken verdeckte Tür. Einige verdorrte Rosenblätter waren bereits abgefallen und der ganze Rosenstock hatte sich schwarz verfärbt.

Lui besann sich: „Ich habe ihnen nie Gold hinters Haus gestellt.“

„Ach, und wo bitte schön kam es dann her?“, Lisette klang wieder ganz wie früher. Sie war entsetzlich wütend und schrie ihn dermaßen an, dass Lui glaubte, ihre Stimme müsse gleich versagen.

„Ruhe!“, erklang es von einer der anderen Türen. Lui achtete gar nicht erst darauf, von wem es kam, sondern wandte sich wieder dem Gedächtnis zu: „Was hat das zu bedeuten?“

Niemand antwortete.

Lui schrak zusammen, als ganz plötzlich eine Stimme durch das inzwischen entstandene Stimmengewirr im Flur erklang: „Lui, kommst du jetzt bald mal, oder soll ich hier draußen Wurzeln schlagen?“

Lui wandte sich dem Flur und machte sich auf den Weg zum Eingang zurück, als sich Lisette hinter ihrer Tür ein letztes Mal bemerkbar machte: „Beeil dich, Lui, deine Hexe ruft.“
 

„Und? Hat es dir was gebracht?“

„Ja.“

Dorothea wartete noch einen Moment, doch Lui fuhr nicht fort: „Werde ich auch noch irgendwann erfahren, was genau?“

Lui achtete nicht mehr auf sie und stieg aus der Kutsche, in die sie ihn zurück gebracht hatte. Will hatte es sich auf einer Decke vor dem Feuer auf dem Boden gemütlich gemacht und versuchte sich auszuruhen, während er das Feuer im Auge behielt.

„Will, aufstehen!“, Lui schritt an ihm vorbei und packte den Deckel einer Truhe, die neben dem Kutschbock auf der Erde stand: „Nun mach schon!“

Will regte sich langsam. Als er sich erhob, knackte jeder Knochen, wenn er sich bewegte. Lui durchwühlte die Truhe und ergriff einen alten Spiegel. Das Spiegelglas war schon vergilbt und die Einfassung, die sicherlich einst in einem wunderschönen Gold erstrahlt war, wies nun nur noch ein blasses beige auf, das hie und dort von braunen Striemen durchzogen war.

„Was’n los?“, gähnte Will, als er zu seinem Prinzen schritt. Als er den Spiegel erblickte, sah er ihn irritiert an: „Lui, was hast du vor?“

„Ich frage jemanden um Hilfe.“, sagte er schlicht und fuhr mit dem Zeigefinger seiner linken Hand, in den er sich zuvor geschnitten hatte, über das Glas das Spiegels. Dieser leuchtete daraufhin weiß auf. Die Einfassung erglomm aufs Neue in einem kräftigen Goldton und die braunen Striemen schimmerten in einem satten rot auf, während das Spiegelglas, von dem das Leuchten ausging, sofort wieder glänzte und jeden Hauch von seinem vergilbten Äußeren vertrieb.

Ein Gesicht erschien im Spiegel. Es hatte tiefe Furchen und Falten und verriet das hohe Alter seines Gegenüber. Graue Strähnen fielen in das braune Gesicht, aus dem Lui graue Augen entgegen strahlten. Sie wirkten bedrohlich. Das graue Haar war unter einem braunen Kopftuch verborgen und die spitze gebrochene Nase verlieh dem wütenden Strich, zu dem sich der schmale große Mund verformt hatte, noch einen bedrohlicheren Ausdruck.

„Ich hoffe, du hast einen guten Grund, mich jetzt nach all der Zeit ungewarnt zu stören.“, zischte die Alte aus dem Spiegel heraus.

„Beherrsch dich, Susi. Du hast auch schon mal besser ausgesehen, weißt du das? Sag mal, bist du gealtert?“

„Halt die Klappe, Lui!“

„Also ja. Schade. Deine Brüste waren so schön, jetzt ähneln sie bestimmt nur noch zwei alten durchgekauten Rosinen.“

„Lui, was willst du?“, drang die Stimme der Alten nun von jedem Winkel um sie her auf ihn ein, während der Spiegel in seiner Hand einen tiefen großen Riss bekam.

„Sag mal, du weißt nicht zufällig, was mit diesem Reich hier los ist?“

„Ich weiß ja nicht mal, wo wir stecken.“

Lui verdrehte die Augen und warf Will den Spiegel zu, der ihn auffing, während seine Insassin wie am Spieß schrie: „Das erklärt dir Will.“

„Lui, wenn du das noch mal machst, dann- “, schrie ihm die Alte entgegen, doch Lui tat es mit einer Handbewegung ab und begab sich zur Kutsche zurück.

„Sag Will, was du weißt und dann werden wir sehen.“
 

Wenige Minuten später klopfte Will an die Kutschentür, in der Lui und Dorothea sich schweigend gegenüber saßen. Sie hatten sich gestritten. Dorothea war der Meinung, dass er das alles viel zu wichtige nahm und dass er wütend darauf reagiert hatte, statt sie mit Sarkasmus zu strafen, hatte dies noch untermauert, was ihn noch wütender gemacht hatte.

„Was ist?“, Lui starrte die Hexe immer noch wütend an, als er seinen Dienstboten durch die Tür hinweg anbluffte.

„Ähm.“, Will war leicht verunsichert, hatte er doch die Gefahr in seiner Stimme erkannt: „Susi will nicht mit mir reden, sagt sie.“

Lui seufzte und verließ die Kutsche, bevor er Will den Spiegel aus der Hand riss und ihn sich vor das Gesicht hielt: „Was weißt du?“

Susi musterte ihn aus dem Spiegel heraus: „Ich weiß genau, wo ihr seid. Du solltest machen, dass du dort wegkommst.“

„Warum?“

„Weil es dir nicht gut tun wird. Ich habe dieses Gebiet in meiner besten Zeit verflucht. Der König hatte mich einfach übergangen. Ich hatte ein Recht auf das Kind, er hatte es mir schließlich versprochen!“

„Wofür hatte er das getan?“

„Ich hatte diesem verdammten Land jeden Krieg erspart und es mit Reichtum beschert und er verweigerte mir den Preis. Da nahm ich ihn mir.“

„Was hast du mit dem Kind gemacht?“, Lui’s Hand zitterte leicht vor Wut.

„Es hat ständig nur geplärrt und war zu nichts nütze. Das Land der Eltern war mit ihnen bereits in diesen Zustand verfallen, was nicht ungewöhnlich war, denn meine Flüche waren unschlagbar, bis mir das Missgeschick passierte und ich ausgerechnet in diesem dämlichen Spiegel landete.“

„Lenk nicht ab, was hast du gemacht?“

Susi grinste höhnisch: „Ich habe dafür gesorgt, dass sie weiter dafür leidet, was ihre Eltern mir angetan haben. Ich habe ihr Wesen auf gespalten, als sich ihr Wille einfach nicht brechen ließ und sie in einen Flur gesperrt.“

„Den hab ich gesehen.“

Susis grinsen wurde noch breiter, sodass es schon einige ihrer schwarz verfaulten Zähne offenbarte: „Der hartnäckigste Teil hatte sich aber eigenständig gemacht. Ich steckte ihn in eine Familie und wartete ab. Ich beobachtete, wie sie regelrecht besitzergreifend auf deinen kleinen Freund hier reagierte-“, sie warf einen kurzen Blick über Luis Schulter auf Will: „und wie du ihr einen Streich spieltest. Das habe ich ausgenutzt, denn mir wurde klar, wenn ich sie vernichten wollte, dann könnte ich es nur in diesem Augenblick tun.“

„Du hast das Gold hinter dem Haus ihrer Ersatzeltern versteckt.“, folgerte Lui und versuchte, dass Zittern seiner rechten Hand mit der Linken zu verhindern.

„Ja. Und als sie verwirrt und verwundbar über die Schwelle trat und ihre Eltern mit dem Gold erblickte, sorgte ich dafür, dass sie gar nicht mehr hörte, was diese überhaupt von sich gaben und belegte sie mit einem Fluch.“

„Deshalb wurde Lisette zur Mörderin.“

„Eigentlich hat sie nur ganze zwei Menschen getötet, denn für den Rest hatte sie nicht genug schneid. Mein Fluch war nicht ganz vollendet, denn ich hatte es nicht geschafft, das Land zu verlassen, was leider dafür nötig gewesen wäre.“

„Warum nicht?“, Lui klang desinteressiert. Er hatte gehört, was ihn wirklich interessierte und wartete nur noch darauf, dass sie endlich mit der Lösung rausrücken würde.

„Weil du kleiner Dreckskerl mich aus dem Wasser gezogen hast, bevor ich ertrunken bin und mich dann in diesen Spiegel gezwungen hast, schließlich hattest du ja einen Wunsch frei. Das er jedoch darin ausarten würde, dass du mich zu deinem persönlichen Spiegelorakel machen würdest, konnte ich ja nicht wissen.“

Lui erinnerte sich. Er hatte ihr noch zwei weitere Wünsche abverlangt. Zunächst hatte sie in diesen Spiegel einziehen müssen und dann hatte er sich gewünscht, dass sie ihm für immer antworten auf seine Fragen erteilen würde, nachdem sie sich geweigert hatte, ihm noch mehr Zauberei zu überlassen.

„Wie kann ich das rückgängig machen?“

Susi lachte höhnisch und begann zu gackern: „Das geht nicht.“

„Sag schon!“

„Es ist unmöglich, selbst wenn ich es dir sage.“

Lui schüttelte bedrohlich mit dem Spiegel und Susi schrie wie am Spieß aus Angst, er könnte sie zerbrechen.

„Na gut!“, schrie sie ihn an: „Ich sag’s dir!“

Lui hielt sich den Spiegel wieder vor das Gesicht und wartete.

„Du musst dafür sorgen, dass sie sich daran erinnert und zwar ganz ohne ihr Gedächtnis. Das wird aber schwer, denn du musst jede von deinen Lisettes dazu bringen und zwar einzeln.“

„Mit anderen Worten, ich werde ewig damit beschäftigt sein und wenn ich Pech habe, sind wir längst tot, bevor sie sich erinnert.“

„Genau!“, Susi grinste diebisch.
 

Der Prinz übergab den Spiegel an Will, der ihn sicher verwahren sollte und zog Dorothea zu Rate.

„Ich weiß nicht, wie du das anstellen willst.“

„Ich muss es versuchen.“

„Spätestens, wenn du zu der Lisette kommst, die wir kennen, wird sie dich umbringen, wenn du überhaupt noch so weit kommst. Sie ist noch mal extra verflucht, schon vergessen?“

„Sie konnte mich nie töten, obwohl sie es sich noch so sehr gewünscht hat.“

„Aber sie hat es dennoch versucht. Das sie gescheitert ist, lag nicht immer an nur an ihr selbst.“

„Gibt es keinen anderen Weg?“

„Susi. Jede Hexe kann ihren Fluch aufheben. Aber sie klang schon sehr von den Eltern und Lisettes Starrsinn gekränkt und dann hast du sie auch noch in diesen Spiegel gesperrt. Sie wird es nicht einfach so tun.“

„Dann werden wir sehen, was ich machen kann.“, Lui erhob sich und kehrte zu Will zurück. Diesem nahm er den Spiegel aus der Hand, an dessen Rand er sachte anklopfte.

„Was ist?“, Susi klang honigsüß.

„Kannst du das nicht rückgängig machen?“

„Was?“, der Argwohn stand ihr ins Gesicht geschrieben.

„Die Flüche, die du über Lisette verhängt hast.“

Susi riss die Augen auf und brach in Hohngelächter aus: „Ich denke gar nicht daran!“

„Machen wir einen Deal?“

„Wie soll dieser Deal aussehen?“, sie hatte offenbar dazu gelernt.

„Ich lasse dich frei, wenn du mir drei weitere Wünsche gewährst.“

„Zwei und ich darf ihnen einen Harken verpassen, wenn ich es will.“

„Zwei und es gibt keinen Harken.“, Lui starrte sie durch den Spiegel hindurch zu Boden.

Susi wog ihre Chancen ab, ohne diesen Deal wieder frei zu kommen. Es gab keine.

„Na schön. Du hast zwei Wünsche, wenn du mich gehen lässt.“

Lui legte den Spiegel auf den Rost, den Will über das Feuer gehängt hatte, dann machte er einen Schritt zurück, nachdem er auf die Spiegelfläche einen Tropfen Blut vergossen hatte.

Susi nahm direkt vor ihm Gestalt an. Zunächst erinnerte sie nur an die Schemen eines Geistes, bis sie sich wieder in einen normalen Menschen verwandelte.

„Du wirkst jünger als vorher.“, stellte Lui trocken fest.

Dorothea zog Will rückwärts in die Kutsche hinein und schloss die Tür, bevor sie sich auf den Boden kauerte.

Will setzte sich zu ihr und blickte sie fragend an.

„Nun mach schon. Was willst du. Du hast zwei Wünsche.“, Susi beachtete ihn kaum und sah sich in der Umgebung um.

„Zunächst befreist du das Land und Lisette mit allen ihren Charakterzügen von deinen Flüchen und setzt sie wieder zu einer einzigen Lisette zusammen, die sich an alles erinnert.“

„Deiner Lisette kann ich helfen, aber für das Land ist es zu spät. Es hat zulange den Auswirkungen meiner Magie unterstanden, sowohl der positiven, als auch der negativen.“, warf sie ein, bevor sie mit ihrer rechten Hand wedelte und sich ihm wieder zu wandte: „Gesagt, getan. Was noch?“

Lui behielt sie im Auge: „Zuerst will ich den Beweis sehen. DOROTHEA!“

Susi bedachte ihn mit einem abwertenden Blick, ehe sie sich der Kutsche zuwandte, aus der Dorothea heraus trat, zitternd wie Espenlaub und ihm einen Blick gewährte, der es ihm versicherte. Lisette war die Einzige, die in dem Flur stand. Die Türen waren verschwunden. Das war das Letzte, was er von ihr zu Gesicht bekam, ehe sie aus dem Flur verschwand.

„Ich wünsche mir von dir, dass du für immer und ewig deiner Magie absagst. Und damit meine ich jeden Funken Magie, sodass du als normaler Mensch weiter leben musst!“

Susis Augen weiteten sich und dampf drang aus ihren Ohren: „NEIN!“

„Du hast versprochen, mir zwei Wünsche zu erfüllen. Den ersten hast du eingeschränkt, aber auf den Zweiten muss ich nun wirklich bestehen!“

Susi zitterte am ganzen Leib, als Luis Wunsch schließlich verfüllte und sie im Nichts verschwand.

„Was ist mit ihr geschehen?“, Will stolperte verängstigt aus der Kutsche heraus.

„Sie hat sich aufgelöst.“, atmete Dorothea beruhigt durch: „Sie bestand nur noch aus Magie, denn sie war der Grund für ihr Überleben. Jetzt ist sie tot.“

Lui achtete nicht auf sie, sondern sah sich um. Er konnte Lisette nicht entdecken. Sie war ihm ein Dankeschön schuldig und wenn er es schaffen konnte, würde er sogar noch mehr zu seinen Gunsten herausschlagen, aber dafür musste er sie zunächst finden.

„Sie ist nicht da.“, schloss Will, der seinen Blicken gefolgt war.

„Sie wird auch nicht hier her kommen.“, Dorothea stieg wieder in die Kutsche, die sich nun von selbst packte: „Du musst in dein Reich zurück. Wenn du Glück hast, wenn man das denn so nennen kann, wird sie in wenigen Monaten dort auftauchen.“

Lui starrte vor sich hin, als er in die Kutsche stieg. Vielleicht hatte er ja doch noch eine Chance auf seine Belohnung.
 

>>>>>> So das letzte Kap bring ich euch noch, falls ihr es überhaupt lesen wollt und dann ist es komplett. Viel Spaß XD

LG pinsel489

Das Erbsenproblem

„Was willst du hier?“

„Beruhig dich Vater. Ich mach nur eine Pause.“

„Das wagst du? Ich habe dir gesagt, dass du nicht eher zurückkommen kannst, bis du eine Braut gefunden hast! Also verschwinde!“

Lui wandte sich desinteressiert um und blickte seinem Vater in die Augen: „Wenn du mich jetzt nicht in Frieden lässt, werde ich wohl noch mal mit Mutter sprechen müssen.“

„Du wagst es, mich zu erpressen?“, der König klang zwar noch bedrohlich, war aber schon längst in sich zusammengesunken.

Lui schritt auf ihn zu, den verächtlichen Blick seines Vaters auf seine Kleidung missachtend, und blieb direkt vor ihm stehen: „Wenn ich mich dir so ansehe, brauche ich sie gar nicht zu rufen, ich werde auch alleine mit dir fertig, so wie immer. Deine letzte Freundin hat dich ganz schön ausgelaugt, was?“

Der König blieb wutschnaubend zurück, während Lui sich mit Will zu seinen Gemächern aufmachte.
 

„Das der Alte wieder Ärger macht, hätte ich mir denken können. Wo ist Dorothea?“, Lui ließ sich in einen Sessel fallen und knallte seine Füße auf den Beistelltisch, dessen Glasplatte bedrohlich schepperte.

„Ich weiß nicht, wo sie ist. Soll ich sie suchen?“, Will verstand nicht ganz, was in diesem Wald Tage zuvor geschehen war. Er wusste nur, dass Lui es sehr eilig gehabt hatte. So eilig, dass sie die Nächte durchgefahren waren und nur in jedem dritten Dorf gerastet hatten. Will war bis aufs Äußerste erschöpft.

„Nein, leg dich schlafen. Du siehst grässlich aus.“, Lui starrte aus dem Fenster und beachtete ihn nicht weiter.

Als die Tür hinter Will ins Schloss fiel, erhob er sich aus seinem Sessel und öffnete das Fenster so weit wie möglich.

„Dorothea, wo steckst du?“

„Hast du mich vermisst?“, hauchte ihm die Hexe von hinten ins rechte Ohr. Lui zuckte kaum merklich zusammen, bevor er ihr einen alles sagenden Blick zuwarf.

„Du könntest mir ruhig mal in die Augen schauen, wenn du mit mir redest. Oder willst du mal mehr machen, als nur gucken?“, sie hob sachte sein Kinn an und zwang ihn damit in ihre Augen zu sehen.

„Warum genau mussten wir hier her zurück?“

„Du wolltest Lisette doch unbedingt sehen, schon vergessen?“

Lui seufzte und sank zurück in den Sessel: „Mein Vater wird mir wieder im Genick sitzen solange ich hier bin. Wenn ich Glück habe, fängt er erst in zwei Tagen an, mich zu nerven, statt es gleich morgen wieder zu tun. Ich will kurz sehen, ob alles okay ist und dann so schnell wie möglich wieder verschwinden.“

„Warum willst du eigentlich wieder weg. Du könntest mich doch einfach heiraten und dann wären all deine Probleme gelöst.“, sie saß auf seinem Schoß und malte mit ihrem linken Zeigefinger Herzen auf seine von einem Hemd bedeckte Brust.

Lui stand abrupt auf und ließ sie auf den Boden fallen: „Ich will meinen Spaß. Der ist zu Ende, wenn ich heirate.“

Dorothea rieb sich ihr Gesäß und verzog das Gesicht zu einer Grimasse: „Dann versteh ich nicht, warum du unbedingt das Ergebnis deines letzten Abendteuers sehen willst. Du könntest sie einfach bleiben lassen, wo der Pfeffer wächst und dann wäre alles wieder in Ordnung, denn dann könntest du weiter durch die Lande ziehen und deinem Vater vorspielen, dass du ernsthaft nach einer Braut suchst.“

Lui wandte sich vom Fenster ab und sah auf sie herab: „Oh, ich habe ernsthaft nach einer gesucht, denn ich möchte wieder hier her zurück. Aber nach dem mein geliebtes Dornröschen gestorben ist, hat sich dieser Drang zu etwas Uninteressantem entwickelt, das ist alles.“

„Und warum um alles in der Welt, willst du sie sehen?“, Dorothea war aufgestanden und hatte sich wütend die Hände in die Seiten gestemmt. Nun sah sie wahrlich aus, wie eine alte Hexe, die sich in einem jungen Körper versteckte, aber ihre alten Angewohnheiten nicht mehr ablegen konnte.

„Aus Neugier. Ich will wissen, ob sie immer noch so starrsinnig ist, wie sie es vorher war.“

Dorothea ließ die Hände sinken: „Du willst sie weiter aufziehen.“

„Ich will meinen Spaß.“
 

Will stand schon früh auf. Er lief die Treppen aus dem Dienstbotentrakt hinauf, öffnete leise die Dienstbotentür zu Luis Zimmer, suchte im Dunkeln nach dessen Pantoffeln und dem Morgenrock und begab sich zu dem Bett des Prinzen, um ihm beim Aufstehen zu helfen, wenn dieser aufwachte, als er feststellen musste, dass Lui bereits wach in seinem Bett lag.

„Ähm, Prinz?“

„Was ist?“

„Dein Vater hat angeordnet, dass er dich zum Frühstück sehen möchte.“, Will zog im die Pantoffeln über und hielt ihm den Morgenrock hin, damit er in die Ärmel schlüpfen konnte.

„Na toll und ich hatte noch gedacht, dass ich wenigstens bis heute Abend Glück haben würde.“, Lui seufzte und erhob sich aus seinem Bett: „Wann?“

„In etwa einer Stunde.“

„Hast du was von Lisette gehört?“

Will runzelte die Stirn: „Nein, warum fragst du?“

„Ist nicht so wichtig. Ich will nur wissen, ob sie mir immer noch im Genick sitzt, das ist alles.“, Lui öffnete die Tür zu seinem Ankleidezimmer und betrat es wortlos. Will folgte ihm auf dem Fuß und entzündete Licht.

„Was genau geht hier vor? Du bist schon so lange verändert. Seid du diese Susi befreit hast, bist du so still.“, Will band ihm eine Krawatte um den Hals und half ihm in ein Jackett.

Lui seufzte nur und zuckte mit den Schultern, ehe er sich in Richtung Speisesaal begab.
 

„Ich könnte ihn umbringen!“, der Prinz knallte sein Jackett auf einen Sessel und ließ sich wütend in einen anderen fallen.

Dorothea und Will, die auf ihn gewartet hatten, wandten sich vom Fenster ab. Die Hexe ließ sich vorsichtig zu seinen Füßen nieder und will schaffte so schnell wie möglich ein Tablett mit Kuchen und Tee herbei.

Lui ignorierte ihn, während Dorothea mit beiden Händen zugriff: „Was ist denn los, Lui-Schatz?“

„Er hat noch gestern Abend ein Schreiben heraus gegeben, in dem er Mädchen aus dem ganzen Land, die etwas wohlhabender sind, zu einer Pyjamaparty eingeladen hat. Er hat den verrückten Plan ausgeheckt mich noch in dieser Woche zu verheiraten.“

„Was?“, die Hexe sprang auf und starrte ihn entsetzt an: „Soll ich ihn verfluchen?“

„Nein, das ruft nur meine Mutter auf den Plan.“, Lui kratzte sich am Kinn: „Ich muss mir was ausdenken, damit ich keine davon nehmen muss. Will, ich möchte, dass du in den Keller gehst und die Vitrinen abstaubst und aufbereitest. Die, die den Anblick noch überstehen, führen wir in die Folterkammer. Häng überall Bilder von mir auf und lass es so aussehen, als wäre es eine Art Arbeitszimmer von mir. Es muss so aussehen, als wäre ich fast pausenlos dort.“

„Und was, wenn sie sich davon auch nicht abschrecken lassen?“, Will starrte ihn zweifelnd an. Er war sich nicht unbedingt sicher, ob all das helfen konnte. Geld und Reichtum konnten so einiges bewirken, wenn es in Aussicht gestellt wurde. Vielleicht würden sich einige der Mädchen nicht abschrecken lassen.

„Dann werden wir sehen.“, Lui kratzte sich am Kinn und beachtete ihn nicht weiter.
 

„Wo sind sie denn, Vater?“, Lui schlenderte desinteressiert durch den Empfangssaal und beobachtete ihn wie ein Geier seine Beute.

„Hörst du dass?“, der König legte eine Hand an sein Ohr, als würde er horchen und ruckte einmal mit dem Kopf in Richtung Tür.

Lui wandte sich ihr zu und prompt erklang hysterisches Geschrei, dass vom starken und lauten Rütteln der Tür gedämpft wurde. Es war ein Höllenlärm.

„Du willst die doch nicht alle reinlaufen lassen, oder?“

„Warum nicht?“

„Weil sie dann nicht nur mich überrennen werden.“, Lui ließ sich neben seinem Vater auf seinem kleineren Thron nieder und schlug seine Beine übereinander. Er wirkte zwar ruhig, aber in seinem Innern herrschte große Aufruhr.

Vielleicht waren ja einige hübsche Mädchen mit großer Oberweite dabei. Dann wäre wenigstens etwas Gutes an diesem Unsinn.

Der König gab einem Bediensteten einen Wink, der daraufhin die Türen öffnete. Dieser hatte kaum noch Zeit zur Seite zu springen, damit er nicht überrannt wurde. Die Mädchen stürmten in den großen Saal und füllten ihn in wenigen Minuten aus. Die Waghalsigsten rannten auf das Podium, auf dem sich Lui und sein Vater befanden und grabschten nach ihm.

Der König saß daneben und lachte ihn aus.

Lui erhob sich unter der Anstrengung die Mädchen zur Seite zu drücken und von seinem Schoß zu schieben und schrie: „RUHE!“

Augenblicklich schwiegen die Mädchen in der Hoffnung, er würde sogleich eine von ihnen erwählen.

„Alle, die eine kleinere Körbchengröße als F haben, können sofort wieder gehen.“

Die Mädchen sahen sich verblüfft an. Hatten sie richtig gehört? Während sich die Dickköpfigsten noch wunderten, verließ etwa ein Viertel der Mädchen die Halle. Sie ließen alle die Köpfe hängen und suchten in dem Wissen Trost, dass sie ehrlich waren.

„Stellt euch alle in einer Reihe auf.“, Lui schritt das Podium herb und lief die Reihe entlang. Er besah sich jede Oberweite und schickte diejenigen hinaus, die nicht seiner Aufforderung gefolgt waren. Schließlich waren nur noch zehn übrig.

Er führte sie durchs Schloss und betrat schließlich die Kerkerräume. Die Mädchen schnatterten ununterbrochen und ließen sich nicht davon beeindrucken, dass ihre Stimmen doppelt so laut von den Wänden widerhallten.

Lui schwirrte der Kopf, als er sich auf seinen Stuhl in Mitten seiner Sammlung sinken ließ. Die Mädchen betrachteten interessiert die Vitrinen.

„Ja, das waren die letzten, die es auf mich abgesehen hatten. Als sie mich genervt haben, hab ich sie Ausgestopft in die Vitrinen gepackt.“, er besah sich seine Fingernägel und sah dunkel zu ihnen auf: „Jede, die mich nervt, wird ihr Schicksaal teilen, fürchte ich.“

Mit Genugtuung beobachtete er, wie auf etwa fünf Gesichtern purer Schrecken auftrat. Doch es reichte ihm nicht, also setzte er noch einen drauf: „Die kleine in dem schwarzen Kleid da ganz am Ende ist die Prinzessin, die mein Vater vor unserer lieben Freundin geheiratet hatte. Sie war scharf auf mich und ich hatte sie durchschaut. Sie ging mir auf die Nerven, was soll ich sagen. Ich bin leicht reizbar.“

Als sie den Kerker verließen, befanden sich nur noch drei in seinem Gefolge, worüber sich nicht zuletzt sein Kopf freute, denn das Geschnatter hatte endlich abgenommen.

„So nun seht ihr, was euch erwarten wird, wenn es denn soweit gekommen ist und ihr mir auf die Nerven gegangen seid.“, er öffnete die Tür zur Folterkammer und schritt zu einem Sessel, der in einer Ecke stand, in dem er sich niederließ. Ein Henker stand in der nächsten Ecke und hielt bereits Fesseln in den Händen.

Die Mädchen betraten die Kammer und besahen sich die Folterinstrumente, während ihnen Lui erklärte, dass er sie bei lebendigem Leib aufschneiden und ihnen ihre Organe entnehmen würde, damit er sie ausstopfen und in den Vitrinen konservieren konnte.

Schließlich verließ er mit einer einzigen den Raum. Sie war offenbar taubstumm und hatte die kleine Führung eben dies gehalten.
 

„Was mach ich denn jetzt?“, Lui sank frustriert auf die Couch: „Ich habe versucht ihr mit Bildern alles begreiflich zu machen und habe ihr alles aufgeschrieben, aber auf die Bilder hat sie nicht reagiert und bevor ich ihr meine Notizen zu lesen geben konnte, platzte mein dümmlicher Vater herein und ließ sie zu ihren Gemächern führen. Wenn ich alleine zu ihr gehe und dabei gesehen werde, muss ich sie heiraten, egal ob ich will oder nicht.“, er raufte sich die Haare.

„Dann müssen wir zu einer List greifen.“, Dorothea setzte sich zu ihm auf die Armlehne der Couch.

„Und was bitte?“, er sah sie wütend an: „Ich hab alles getan, was mir eingefallen ist.“

Er stöhnte und ließ sich in die Sitzpolster der Couch sinken. Als sein Rücken eines der Kissen berührte, schrak er auf und rieb sich den schmerzenden Rücken: „Was war das?“

Will nahm zwei der Sitzpolster zur Seite und fand einen kleinen Stein, der aus einem Mantel gefallen sein musste in der Couch: „Das war es.“

„Das ist es!“, schrie Dorothea auf und nahm ihm den Stein aus der Hand.
 

„Na? Wie hast du heute Nacht geschlafen?“, Lui wartete auf ihre Antwort, während der Dolmascher seine Frage in Zeichensprache übersetzte. Wenn es nicht geklappt hatte, erwartete ihn wohl eine Ehe mit zwei neuen Partnern, denn ohne den Dolmascher war er wohl verloren.

„Sie sagt, sie habe exzellent geschlafen. So gut, wie schon lange nicht mehr.“

Lui grinste breit und wandte ihnen den Rücken zu. Im Gehen winkte er ihr noch ein letztes Mal: „Sie kann nach Hause gehen. Hier ist sie falsch.“

Als er die Tür hinter sich schloss, hörte er ihr schluchzen.
 

Die Wochen vergingen, doch von Lisette war keine Spur zu sehen. Seinem Vater platzte täglich der Kragen, wies er mit seiner List doch jede neue potentielle Braut zurück. Lui hätte sich wohl einen Spaß daraus gemacht, hätte er nicht solange auf die Kopfgeldjägerin warten müssen. Lästig war auch, dass sein Vater ihm inzwischen jede Frau anschleppte, die durch das Tor die Stadt betrat. Es war einfach ermüdend.

Dorothea suchte gemeinsam mit Will jedes Fleckchen Erde nach Rotkäppchen ab, konnte sie jedoch nicht finden.
 

Es stürmte und regnete in Strömen. Die Tore zur Stadt waren längst geschlossen worden und oben auf der Mauer stand nur noch eine einzige Wache, die vergeblich versuchte, seine Lampe vorm Erlöschen zu schützen.

Jemand klopfte verzweifelt an die Tür, die in das Tor eingelassen war und der Wächter überprüfte den Gast, ehe er ihn einließ.

Es waren zwei Gestalten, die kurz darauf dem König vorgestellt wurden.

„Mitten in der Nacht.“, murrte dieser, als er sich in seinem Thron niederließ und dem müden Lui Gesellschaft leistete.

„Du hast es selbst so gewollt. Du warst es, der dem Wächter den Auftrag gab, jeden weiblichen Gast augenblicklich hierher zu bringen.“

„Das hätte ich nicht tun müssen, hättest du dich endlich für eine Braut entschieden.“, keifte sein Vater ihn an und rieb sich die Schläfen.

Ein Page erschien in der Tür und klopfte sachte auf den Boden. Der dumpfe Aufprall erschallte im ganzen Saal.

„Ich glaube, wenn das so weiter geht, brauche ich heute Nacht noch eine ganze Flasche stärksten Portwein.“, der König lehnte sich im Thron zurück und gab sich alle Mühe ausgeschlafen zu wirken, während der Besuch unvorgestellt den Saal betrat.

Es war eine Magd, die offenbar ihre Herrin begleitete, die noch immer unter dem Kopftuch verborgen war, mit dem sie sich auf dem Pferd vorm Regen geschützt hatte.

Sie kniete sich nieder, während die Dame einen Knicks machte und darin verharrte, bis der König ihnen die Erlaubnis gab, sich wieder zu erheben.

„Was führt Euch zu so später Stunde in mein Reich?“, er lehnte sich in seinem Stuhl vor, in der Hoffnung einen Blick unter das Kopftuch zu erhaschen, wurde aber enttäuscht, während Lui sie nicht im Geringsten beachtete.

Die Magd antwortete an Stelle der Dame: „Wir waren auf der Durchreise, eure Hoheit, als uns der Regen überraschte und wir von unserem Weg abkommen mussten. Schließlich überraschte uns auch noch die Dunkelheit.“

„Wart ihr ganz alleine unterwegs und das auch noch bei Nacht?“

„Mit Verlaub, was war noch nicht nacht, als der Regen einsetzte und uns zu einer Unterbrechung zwang. Hätte es nicht geregnet, hätten wir es heute noch bei Tag geschafft.“

„Was war euer Ziel, wenn ich fragen darf?“, der König wandte sich gar nicht mehr an die Dame. Er begnügte sich mit der Hübschen Magd.

Diese schwieg und sah betreten zu Boden.

Lui machte dem Ganzen ein Ende und wandte sich an seinen Vater: „Du gibst bestimmt nicht nach, also lasse ich ihnen die Betten zurecht machen und dann können sie zu Bett gehen, wo sie hingehören. Siehst du nicht, dass sie nicht weiter sprechen darf?“

„Ich habe nur noch eine Frage.“, der König wandte sich ihnen zu: „Wer seid Ihr?“

„Eine Dame und eine Magd, die zurück in ihr zu Hause möchten.“, die Magd machte erneut einen Knicks, während Lui sich erhob und der Dame seinen rechten Arm darbot, den sie außer Acht ließ.

Er führte sie zu ihren Gemächern und half der Dame die Leiter hinauf. Sie hatte noch immer die Kopfbedeckung auf. Als sie weit über ihn hingeklettert war, sah er noch ein letztes Mal hinauf, in der Hoffnung etwas von ihrer Wäsche zu sehen, doch stattdessen erblickte er Hosen.

„Lisette??“, schrie er ihr ungläubig entgegen und starrte zu ihr hinauf.

Die Dame blieb wie erstarrt auf einer Sprosse stehen und sah zu ihm hinunter. Ihre Stirn war gerunzelt und als sie ihm in die Augen sah, zeigte sich langsam Erkenntnis auf ihrem Gesicht.

Sie drehte sich etwas mehr zu ihm um, wagte es aber nicht, sich ganz zu ihm zu wenden, aus Angst die Leiter hinunter zu fallen: „Ich kenne Euch, oder?“

Lui starrte zu ihr hinauf: „Kannst du dich denn an gar nichts erinnern?“

„An was-“, sie stockte: „Lui?“

„Ja.“, sie konnte sich offenbar doch etwas besser erinnern: „Wo warst du?“

„In einem Zimmer. In einem verdammt vollen Zimmer. Alle haben durcheinander geredet und alle sahen aus wie ich.“, sie schwieg wieder.

„An was erinnerst du dich noch?“

Sie rieb sich die Stirn: „Bis eben dachte ich, dass es nicht stimmen könnte, aber es stimmt, oder?“

Lui stieg einige Sprossen zu ihr hinauf, damit er sie besser sehen und verstehen konnte: „Kommt drauf an, was du meinst.“

„Ich hab versucht dich zu töten.“, stellte sie munter fest: „Und ich bin dir gefolgt, oder?“

„Ein Teil von dir, ja.“

„Schade, dass es nicht geklappt hat.“, stellte sie nüchtern fest und wandte sich wieder um, um die letzten Sprossen zu erklimmen.

„Jetzt kenn ich dich wieder.“, Lui verdrehte die Augen und stieg wieder hinunter: „Was hast du jetzt vor?“

„Die dümmliche Hexe, die mir mein Leben zerstört hat, mal ganz abgesehen von dir, hat mir einen Ersatz für mein Königreich verschafft. Meine Bauerneltern leben offenbar wieder und regieren es. Ich hätte mir nichts anderes wünschen können.“

„Sie werden dich verheiraten wollen, so sind Eltern. Bist du sicher, dass du dich freust?“

Sie warf ihm ein Kissen hinunter, dass ihn hart am Kopf traf.
 

Ein gutes hatte es ja, dass es Lisette war, die nun auf all diesen Matratzen schlafen würde: Sie konnte unmöglich seinen Plan durchkreuzen, nicht wenn es um so etwas ging.
 

„Wie habt Ihr geschlafen, meine Dame?“, der König saß am Kopfende des Frühstücktisches, während sich Lisette und Lui unter dem Tisch einen erbitterten Kampf lieferten; sie traten sich aufs Härteste.

Lisette schreckte auf: „Schlechter als meine Magd. Irgendetwas hat mir schrecklich in den Rücken gestochen und ich konnte einfach nicht herausfinden, was es war. Aber ich bin Euch dennoch für Eure Gastfreundschaft dankbar und entschuldige mich für meine Wortkargheit am vergangenen Abend. Ich war wirklich sehr erschöpft.“

Lui starrte sie mit offenem Mund über den Tisch hinweg an. Wie konnte das sein? Lisette begegnete seinem Blick, als sie sich vom strahlenden Gesicht des Königs abwandte und runzelte die Stirn.

Sie trat ihm heftig ans Bein, als er seinem Vater nicht antwortete. Lui schreckte auf und starrte diesen an: „Was?“

„Wir gehen nun alle zusammen in dieses Zimmer und werden nachsehen, was meinem reizenden Gast eine so beschwerliche Nacht beschert hat.“

Lui schloss für einen kurzen Moment die Augen, ehe er sich seinem Vater anschloss, der Lisette in ihr Gemach geleitete.
 

Der Raum war von Dienern erfüllt, die sich daran machten, eine Matratze nach der Anderen vom Stapel zu entfernen.

„Ihr müsst wissen, dass ich meinem Sohn gedroht habe, ihn mit einer reichen Frau zu vermählen, wenn er sich nicht bald selbst für eine entscheidet. Er hat es nicht getan, also drohte ich ihm mit jeder gut betuchten Dame, die unser Schloss betritt. Er räumte jedoch ein, dass sie zunächst einen Test bestehen müssten.“, erklärte der König Lisette.

„Wie sollte dieser Test aussehen?“, sie warf Lui einen argwöhnischen Blick zu. Offenbar war auch sie nicht gerade von den Aussichten begeistert, die sie gerade erkannt hatte.

Die letzte Matratze wurde zur Seite geräumt und ein Diener brachte dem König eine Erbse, die er unter der letzten gefunden hatte.

Der König hielt sie Lisette vor die Augen: „Die Dame, die auf all diesen Matratzen schläft und dennoch diese Erbse spürt, wird ihn ehelichen.“

Sie starrte auf die kleine grüne Erbse, die Luis Vater zwischen Zeigefinger und Daumen hielt: „Habt Ihr nicht etwas vergessen?“

„Was?“, Lui klang verzweifelt, aber sein Vater, der diese simple Frage zeitgleich gestellt hatte, ungläubig.

„Mich überhaupt zu fragen, ob ich ihn will, zum Beispiel.“

„Ihr würdet ihn nicht nehmen?“, der König sah sie verzweifelt an. Daran hatte er offenbar nicht gedacht: „Warum nicht?“

Lui sah sie selbst sicher an. Irgendetwas regte sich in ihm und es fühlte sich nicht gut an.

„Nun, ich kenne ihn doch kaum.“, log sie ins Blaue hinein: „Und ich kann doch nicht einen völlig Fremden heiraten.“

„Das lässt sich ändern, nach der Hochzeit habt ihr alle Zeit der Welt.“, schloss der König.

„Aber wenn ich dann feststellen sollte, dass ich ihn nicht mag, wird es zu spät sein.“

Der König sah betreten zu Boden: „Ich werde Kontakt zu Euren Eltern aufnehmen.“

Lisettes Gesicht vereiste. Offenbar kannte sie deren Reaktion bereits und sie schien ihr nicht im Geringsten zu gefallen.
 

„Na das hast du ja toll hinbekommen!“, schnauzte sie Lui an, als sie in einem seiner Vorzimmer auf und ab schritt: „Warum hast du mich nicht gewarnt?“

„Ich bin nicht davon ausgegangen, dass du sie spüren würdest.“, verteidigte er sich und stand auf.

Sie blieb dicht vor ihm stehen: „Ach so ist das, verstehe. Du hast gedacht, dass ich alter Bauerntrampel, der von all dem keine Ahnung hat, niemals eine dumme Erbse unter einem Matratzenhügel spüren könnte. Schön das du mir so viel zutraust!“

Auch er machte einen Schritt auf sie zu: „Du hättest ja auch auf dem Boden schlafen können.“

„Ach so, du meinst, wohl, da wo ich hingehöre?“, beim letzten Wort erreichte ihre Stimme eine höhere Oktave: „Jetzt will ich dir mal was sagen! Ich hab wenigstens nicht dafür gesorgt, dass ein achtjähriges Mädchen fast umkommt vor Angst, nur weil es im Wald seine Oma besuchen will und zu Hause auch noch alles so vorfindet, wie du es mir versucht hattest, weiß zu machen.“

Sie wandte sich wutschnaubend von ihm ab.

„Seid wann weißt du das?“

„Seid du dich vor Will geschmissen hast, um ihn zu retten, bevor ich ihn zerhacken konnte.“

Lui legte ihr seine Hände auf die Schultern: „Es wird wohl wenig bringen, wenn ich dir sage, dass es mir leid tut.“

Sie schüttelte ihn ab: „Was machen wir jetzt?“

„Ich hab keine Ahnung.“, er stopfte die Hände in seine Hosenseckel, als er bemerkte, dass er nicht wusste, wo er sie hinschaffen sollte und sah zu Boden: „Wenn du deinen Eltern sagst, dass du mich nicht willst, werden sie dich kaum dazu zwingen, oder?“

Sie verdrehte die Augen: „Da kennst du sie aber schlecht. Außerdem hast du wohl deinen Vater vergessen, was? Der wird doch nichts mehr dem Zufall überlassen.“

„Stimmt.“

„Tja, und jetzt?“, sie verschränkte die Arme vor der Brust und ließ sich in einen Sessel fallen.

„Am besten hört ihr endlich auf mit dem blöden Katz-und-Maus-Spiel und gesteht euch endlich ein, was ihr euch schon seit deinem Mord an deinen Eltern verschweigt.“, platzte Dorothea heraus. Sie sah erstaunlich wütend aus.

Lisette starrte sie an und sah dann zu Lui zurück, der genauso überrascht aussah, wie sie selbst.

„Was denn eingestehen?“, sie ließ Lui nicht aus den Augen.

Dorothea war verschwunden und ließ sie alleine zurück.

Er zuckte mit den Schultern und schwieg. Er konnte es auch nicht wirklich verstehen.
 

„Na? Wie geht es meiner zukünftigen Schwiegertochter?“, der König nahm sie freudestrahlend in den Arm und führte sie zu einem Platz an der Tafel, die mit allem möglichen Essbaren bedeckt war.

„Nicht so gut, fürchte ich.“, Lisette ließ sich in einen Stuhl sinken.

„Warum nicht?“, er tat es ihr gleich und behielt sie im Auge.

„Weil ich nicht ohne meine Eltern heiraten möchte. Das kann ich meiner Mutter unmöglich antun!“, sie seufzte tief und sah betreten auf die Tischplatte.

„Da bin ich.“, Lui plumpste in einen Stuhl ihr gegenüber und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war ein offenes Geheimnis, dass er gegen seine Heirat war, nur glaubte sein Vater, dass Lisette noch nichts davon wusste und sich selbst genau wie er die Heirat wünschte.

„Lui, wir verschieben die Hochzeit.“, der König betrachtete ihn zornig und machte somit klar, dass keine Widerrede zugelassen war: „Wir warten noch auf die Ankunft deiner Schwiegereltern. Du wirst gleich nach dem Essen verständigen.“

„Ja, Vater. Ich schicke gleich nach dem Essen einen Boten.“, er grinste bestialisch und ergriff sein mit Wein gefülltes Glas.

„Nein, warte.“, der König runzelte die Stirn, offenbar mit der plötzlichen Erkenntnis, dass es vielleicht nicht gut war, wenn er seinen unwilligen Sohn eine solche Aufgabe übernehmen ließ. Lui ließ sich viel zu gern darauf ein: „Ich werde es gleich selbst tun. Bitte entschuldigt mich.“

„Was hast du ihm gesagt?“, Lui lehnte sich über den Tisch zu Lisette vor, nachdem sein Vater den Saal verlassen hatte.

Lisette tat es ihm gleich und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Weinglas: „Ich hab ihm weiß gemacht, dass ich unglücklich wäre und nicht vor der Ankunft meiner Eltern heiraten könne.“

„Aha. Na toll.“, Lui lehnte sich wieder zurück: „Jetzt werden wir ihn in drei bis vier Wochen wieder am Hals haben und deine Eltern noch obendrein. Das hast du wirklich ganz toll hinbekommen.“

„Lass mich mal machen, ich werd die schon alle los, ganz sicher.“, sie nahm sich etwas Salat und begann mit dem Essen, während sie Lui über den Tisch hinweg siegessicher anlächelte.
 

Die Wochen vergingen und schließlich standen Lisettes Eltern vor den Toren des Schlosses, umringt von ihrem ganzen Gefolge und der Verwandtschaft.

„Mein Schatz, bist du auch wirklich glücklich?“

„Ja Mutter, wie kommst du darauf, dass ich es nicht bin?“, Lisette gab sich alle Mühe auch so zu klingen, doch die nächsten Worte ihrer Mutter kennzeichneten ihren kläglichen Versuch.

„Du siehst nicht so aus.“, sie wühlte in einer Kiste und ergriff einen weißen Stoff, nach dem sie offenbar gesucht hatte: „Red schon, was ist los? Stimmt irgendetwas nicht mit Lui?“

Lisette ließ sich auf der Bettkante des Bettes ihrer Eltern nieder: „Ich habe nicht das Gefühl, dass Lui mich wirklich liebt.“

Ihre Mutter fuhr hoch und starrte sie an: „Wie das?“

„Ich weiß nicht. Es ist, als würde er einen Kompromiss schließen um es seinem Vater recht zu machen.“

Lisettes Mutter schritt zu ihr hinüber und setzte sich neben sie. Einen Arm um die Schultern ihrer Tochter geschlungen und diese an sich drückend, versuchte sie diese zu trösten.

Lisette spielte ihre Rolle gut. Sie brach in stillen Tränen aus: „Wie soll ich jemanden heiraten, der mich nicht liebt? Daran werde ich doch nur zerbrechen, Mutter.“

„Mein Schatz, das hättest du auch nicht verdient.“, sie versuchte Lisette in die Augen zu sehen, musste dazu aber zunächst deren Haare aus der Stirn streichen: „Bist du dir denn ganz sicher, dass es so ist?“

„Ja.“

„Warum?“

„Es fühlt sich so an.“

„Liebst du ihn denn?“

Lisette zögerte. Erschrocken sah sie zu ihrer Mutter auf, ehe sie antwortete: „Ich weiß nicht. Ich kenne ihn kaum.“
 

„Was hast du jetzt wieder gemacht?“, Lui sah sie wütend über den Tisch hinweg an, als er nach der Weinflasche griff. Lisettes Eltern waren nun schon etwa drei Tage im Schloss und sie mochten ihn offenbar von Tag zu Tag weniger.

„Wenigstens mache ich etwas, im Gegensatz zu dir.“, sie nahm ihm die Flasche ab und schenkte sich den letzten Rest ein, den er gerade hatte trinken wollen.

„Nun red schon.“, er ergriff ihr Glas und trank es aus.

Lisette schenkte ihm einen wütenden Blick, ehe sie Will, der mit ihnen am Tisch saß, bat, noch eine Flasche bringen zu lassen: „Es ist ganz einfach. Meine Eltern merken, dass ich nicht glücklich werden würde, wenn ich dich heiraten würde, weil du mich nicht liebst und ich so nicht leben kann, was auch daran liegt, dass ich dich nicht wirklich kenne und dann willigen sie der Trauung nicht zu.“

„Du denkst, das klappt?“, Lui klang leicht ungläubig, als er sich wieder in seinem Stuhl zurücklehnte.

Dorothea schnaubte vom anderen Ende des Tisches aus. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah unbeeindruckt zur Seite.

„Was?“, fragten die anderen beiden im Chor.

Die Hexe sah auf: „Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass das funktioniert, oder?“

„Doch!“

„Na, wenn ihr meint.“, sie sah wieder zur Seite und beachtete sie nicht mehr weiter. Sie hatte die vergangene Zeit immer wieder versucht, ihnen bewusst zu machen, was ihr eigentliches Problem war, allerdings ohne Erfolg. Es war nicht leicht für sie gewesen, denn dieser Versuch hatte sie auch zu der Erkenntnis gezwungen, einzusehen, dass da niemals etwas zwischen ihr und Lui sein würde.
 

„Mein Schatz, deine Mutter und ich werden dich nur höchst ungern an den lieben Lui abgeben, aber wir wünschen euch dennoch alles Glück dieser Welt und nun schenken wir euch einen Tost. Meine Damen, meine Herren, wenn Sie bitte ihre Gläser erheben.“

Lui raunte ihr ins Ohr: „Wie war das noch gleich? Sie willigen dem niemals zu, wenn sie wissen, wie schlecht es dir dabei ginge?“

Lisette zog ihre Hand unter seiner heraus und umklammerte die Lehne ihres Stuhles noch wütender, bis sie sah, wie ihre Mutter ihren Vater von der Seite anstieß.

„Oh, ich habe natürlich fast vergessen zu sagen, dass ich mich wahrlich freue einen solchen Schwiegersohn zu bekommen. Schenkt uns doch einen kleinen Kuss als Zeichen eurer Liebe, meine zwei Turteltauben.“, er ließ sich wieder in seinen Stuhl sinken und nahm einen dankbaren Kuss seiner Gattin entgegen.

Lui und Lisette starrten sich an. Das konnte nicht ihr Ernst sein!

„Na das hat ja super funktioniert!“, raunte ihr Lui zu.

Lisette wandte sich hilfesuchend an ihre Mutter, doch diese versuchte sie nur mit starkem Nicken zur Tat zu bewegen.

„Wie sollte ich das wissen?“, raunte sie zurück.

Sie sahen sich kurz in die Augen, schlossen sie schnell und gaben sich einen so kurzen Kuss, dass sie fertig waren, als hätten sie geblinzelt.

„Das war doch kein Kuss, mein Lieber.“, dröhnte der König und sah noch tiefer in sein Glas, als er es ohnehin schon getan hatte. Offenbar fiel es auch ihm entsetzlich schwer, sich damit abzufinden, dass sein Sohn nun bald heiraten würde, so wie er es immer verlangt hatte.

Lui und Lisette starrten sich an. Einer stillen Übereinkunft folgend, näherten sie sich langsam, schlossen ihre Augen und warteten, dass sich ihre Lippen berührten.

Nach einer längeren Minute, als sie es eigentlich beabsichtigt hatten, ließen sie voneinander ab und starrten sich mit offenen Mündern an.
 

„Was war das denn?“, stieß Lisette hervor.

„Ein Kuss, den du uns eingebrockt hast.“

„Ich habe gar nichts eingebrockt!“

Lui wandte sich zu ihr um: „Na dann ist es doch auch egal.“

Sie trat einen Schritt auf ihn zu: „Warum hast du das gemacht?“

„Was?“

„Mir geholfen, obwohl du mich auch in dem Zustand hättest lassen können, in dem ich steckte.“

„Schuldgefühle?“

„Das kauf ich dir nicht ab, so was kennst du nicht.“

Lui schwieg und starrte sie einfach nur an. Er strich ihr langsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah sie an, als wollte er sich jede Kleinigkeit merken.

„Lui?“, er kam ihr näher und mit Überraschung merkte sie, dass ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern war.

Sie riss ihre Augen auf und starrte ihn ungläubig an, während er sie einfach so küsste, bis ihr die Knie weich wurden und sie die Augen schloss.

„Vielleicht ist die Idee ja doch nicht so schlecht.“, Lui streichelte mit seinem rechten Daumen in ihrem Rücken sachte eben darüber.

„Ich bin mir noch nicht sicher.“, Lisette schlang ihre Arme um sich und wartete, dass er sie küsste: „Wenn du denkst, du kannst mich in eine deiner Vitrinen stopfen, wie deine restliche Sammlung, hast du dich geschnitten. Wenn du das versuchst, mach ich dir die Hölle heiß.“

„Warum nur hab ich das Gefühl, dass dich sogar meine Mutter lieben wird.“

„Sogar?“

„Nun ja, wenn es alle anderen schon tun, bleibt ja nur noch sie.“

Lisette lächelte ihn an und erwiderte seinen Kuss.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  jabberwocky_
2009-08-18T17:44:52+00:00 18.08.2009 19:44
Juhu das 7. Kapitel^^
War ja einfach nur geil und besonders das ende war irgendwie ein bischen unerwartet.
Also ganz klar geile ff
Von:  jabberwocky_
2009-08-10T17:28:46+00:00 10.08.2009 19:28
Ich hab mir jetzt alle Kapitel durch gelesen und fand es einfach nur geil und spannend.^^
Ich muss auch sagen das die Idee der ganzen Geschichte schon ziemlich gut ist. Also ich will auf jeden fall noch das letzte Kapitel lesen besonders jetzt wo das Finale so greifbar nahe ist.
Ich hoffe das du das letzte Kapitel also auch noch hochladest (und BITTE BITTE BEIL DICH^_^)


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