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Der Wächter des Drachen

Fortsetzung von "Drachenherz" und "Die Söhne des Drachen"
von

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Der Sturkopf

Akra Ziu, seit nunmehr zwanzig Jahren stolzes Kabinettsmitglied Seiner Lordschaft Zukos II, begab sich auf gefährlich dünnes Eis. Verführt von der offensichtlich strahlenden Laune seines Herrschers, wagte er es doch tatsächlich, das delikate Thema `Vermählungen im Allgemeinen und fürstliche Hochzeiten im Besonderen´ anzuschneiden. Einer musste es schliesslich tun, nicht wahr? Und einem Mann mit seiner Erfahrung war wenigstens bewusst, wie viel Fingerspitzengefühl dies erfordern würde. Also: Ran an den Speck!
 

„Euren Söhnen scheint die Ehe außerordentlich gut zu bekommen, Durchlaucht. Nie habe ich die beiden Hoheiten so glücklich und ausgeglichen erlebt.“, merkte er in einem günstigen Moment unverbindlich an.

Der Feuerlord liess seine Feder sinken, blickte auf und lehnte sich zurück.

„Du meinst also, diese ehemaligen Ekelpakete, die ich Nachwuchs nenne, wären endlich erträglich?“, fragte er gedehnt.

„WAS? Nein! Also, ich ...“ Akra rief sich Zukos Hang zu Spöttelei in Erinnerung und beruhigte sich ein wenig. „Wirklich, sehr witzig, oh Erhabener. Wie Ihr wohl wisst, liebe ich Eure Kinder wie mein eigen Fleisch und Blut.“

„Ich weiss. Das mag dann auch der Grund sein, aus dem Du Lee dereinst übers Knie legen wolltest.“, erwiderte Zuko und widmete sich wieder den Gesetzesentwürfen.

„Aber ... damals wusste ich nicht, wessen Sohn er war!“

„Du hast Recht. Wir hätten ihm wirklich ein Schild mit der Aufschrift `Vorsicht Prinz!´ um den Hals hängen sollen.“
 

Akra war sich seiner Mission plötzlich gar nicht mehr so sicher. Seine Lordschaft war heute - wie junge Leute es ausdrücken würden - ausgesprochen krass drauf.

Er nahm trotzdem einen erneuten Anlauf.

„Wie dem auch sei ... Es bekommt Ihnen, verheiratet zu sein.“

„Mhm. Wem nicht?“

„Ja, schon. Aber den beiden ganz besonders!“

„Durchaus. Könntest Du bitte auf den Punkt kommen?“

„Wie?“

„Akra.“ Die Feder wurde auf den Tisch geknallt. „Verkauf mich nicht für dumm! Was liegt Dir auf dem Herzen?“

Bei diesem Tonfall hätte der Minister am liebsten ein spontanes Urlaubsgesuch eingereicht.

„Äh ... Ich ... also das Kabinett ... wir machen uns Sorgen, Herr.“

„Um WAS, Akra? Lilafarbene Hamster?“

„Um ... Prinzessin Aya.“

So. Jetzt war es raus. Wahrlich ein Meisterstück diplomatischen Geschicks!
 

Die Augen des Herrschers wurden schmal.

„So, so. Es wird sich also um meine Tochter gesorgt. Dürfte ich den Grund erfahren?“

„Nun, sie ist ... also, äh. Wir hielten es für angebracht, wenn das Kind es in Betracht zöge ... Sie ist dreiundzwanzig! Bald wird sie über das heiratsfähige Alter fast hinaus sein!“, stiess Akra kopflos hervor.

In jeder anderen Situation hätte Zuko die Situationskomik und den Widersinn dieser Aussage durchaus zu würdigen gewusst. Doch über dieses Thema war schon des öfteren `debattiert´ worden.

„Wie bitte?“ Die Stimme des Gebieters der Flammen knisterte unheilverkündigend.

„Ich meine, natürlich ist sie nicht WIRKLICH darüber hinaus, doch es wäre mehr als angebracht, eine baldige Vermählung ins Auge zu fa ... ssen“

„Du schweigst jetzt besser!“

„Aber, den Kronprinzen habt Ihr doch auch zur Verlobung gezwungen!“

„Ich glaube Du übersiehst die Tatsache, dass es sich um das Mädchen handelte, das er über alles liebt.“

„Aber vielleicht gibt es ja auch jemanden, den die Prinzessin ... schätzt?“

„Meine Tochter ist derzeit nicht verliebt! Und ich werde sie gewiss in keine Ehe zwingen. Ende der Diskussion!“

„Aber ...“

„Akra!“

„Ja, Mylord.“, seufzte der Minister ergeben.

Gegen einen Sturkopf kam man ja vielleicht noch an, aber gegen einen gekrönten Sturkopf? Lieber nicht.
 

Ein, höchsten zweimal pro Jahr kam es jedoch vor, dass dem Flammengekrönten ein Fehler unterlief. Dies war eine jener seltenen Gelegenheiten.

`Meine Tochter ist derzeit nicht verliebt!´

Die Wahrheit befand sich quasi am dieser Aussage entgegengesetzten Ende des Universums. Denn dem Universum sind Sturköpfe, gekrönt oder nicht, Gott sei Dank ziemlich schnuppe.

Der Eroberer

Masaru. In der Sprache der Alten bedeutet es `Glanz´.
 

Masaru Shouta, frischgebackener Herzog der südlichen Glutmarschen, war mit einer einzigen Absicht in den Palast gekommen. Zu erobern.

Als Spross des hohen Hauses Yun sah er dies gewissermaßen als seine Pflicht an. Seine Familie hatte bedeutende Männer hervorgebracht. Richtige Draufgänger mit Mumm in den Knochen, die keinen Kampf scheuten. Echte Teufelskerle, denen die Welt und die Ladys zu Füßen lagen.

Ein Shouta fragte nicht, er forderte! Sein Triumph stand eigentlich schon fest.

So war es immer.

Ziel von Masarus aktuellen Plänen war Aya Ria Tatzu.

Die Prinzessin war eine überaus lohnenswerte Beute und zweifellos auch eine heikle, aber dieser Umstand bereitete ihm gewiss keine schlaflosen Nächte.

Er würde kommen, gesehen werden und siegen.

So war es immer.

Frauen beteten ihn schlichtweg an. Und er würde auch diese soweit bringen.

Vor einem halben Jahr, auf einem Fest der Senoris, hatte er sie zum ersten Mal gesehen. Ein anmutiges Neigen des Kopfes, ein kurzes Lächeln und ein flüchtiger Blick unter gesenkten Wimpern. Mehr hatte sie ihm nicht geschenkt.

Aber Masaru hatte die schwelende Glut dieses Blicks selbstverständlich wahrgenommen. Auf die altbewährte „Rühr-mich-nicht-an-Taktik“ fiel er schon seit seinem Stimmbruch nicht mehr herein.

All diese Gerüchte, sie wäre eher eine Eis- denn eine Feuerprinzessin?

Purer Nonsens, von betörten, hilflos stammelnden Verehrern in die Welt gesetzt, die nicht genug Feuer hatten, die Maid aufzutauen.

Das Mädchen war wählerisch. Na und? Als Tochter des Feuerlords verdiente sie schliesslich den Besten.

Ja, er sah es quasi schon vor sich. Er und die Tochter Zukos II.

Das schönste Paar der Feuernation. Das arme Ding konnte zwar nicht Feuerbändigen, doch sie besass andere Qualitäten, die diesen Mangel mehr als wett machten.

Masaru Shouta würde diese angeblich uneinnehmbare Zitadelle im Sturm erobern. Ein Monat längstens und sie wäre sein.

Wurde bereits erwähnt, dass dem immer so war?
 

Momentan lief der überaus stattliche, junge Herzog im Vorraum der fürstlichen Gemächer auf und ab. Er hatte es für angebracht gehalten, zunächst Seine Lordschaft um eine Audienz zu bitten.

Hätte er sein Revier erst abgesteckt, wäre der Rest reine Formsache.

„Euer Gnaden?“

Masaru wandte sich um.

„Ja?“

„Lord Zuko wird Euch nun empfangen.“

Ohne den Türsteher eines weiteren Blickes zu würdigen, schritt Masaru an dem Mann vorbei und betrat die Höhle des Drachen.

Er wurde bereits erwartet.

Der Gebieter der Flammen stand neben einem riesigen, überladenen Schreibtisch und blickte seinem Gast entgegen.

„Hoheit!“ Masaru vollführte einen schwungvollen Kratzfuß.

„Herzog von Yun. Was verschafft Uns die Ehre?“

„Nun, Sire, ich will gleich auf den Punkt kommen.“

Die Braue des Regenten begann sich langsam zu wölben, doch das war nichts, wovon Masaru sich abhalten ließ. Oder gar etwas, das er bemerkt hätte.
 

„Mylord, Ihr seid bekannt als ein Mann offener Worte.“, fuhr der junge, forsche Würdenträger unbeirrt fort.

„Meistens.“

„Nun, mein Anliegen ist eher privater Natur. Es betrifft Eure Tochter.“

„Ah!“ Zuko nickte. „Welche? Ich habe zwei, müsst Ihr wissen.“

„Prinzessin Aya, Hoheit.“

„Gut. Ich höre.“

„Ich denke, Ihr solltet wissen, dass ich gedenke, um sie zu werben.“

„So?“, murmelte Seine Lordschaft nachdenklich. „Na dann viel Glück, würde ich sagen.“

Masaru fand diese Bemerkung etwas unangemessen, enthielt sich jedoch eines Kommentars.

„Nun ... danke, Durchlaucht. Und seid versichert, dass ich Eure Tochter mit dem größten Respekt behandeln werde.“

„Oh, das bin ich.“

„Dann werde ich mich nun verabschieden, Mylord.“

„Tut das. Wir sehen Euch bei Eurem Empfang heute Nachmittag. Leutnant Quan, begleite den Herzog bitte zu seinen Gemächern. Die zweiten im Ostflügel.“
 

„Viel GLÜCK?“, fragte Tian Fu entsetzt, nachdem sich die Tür wieder geschlossen hatte. „Bist Du ... äh, seid Ihr sicher?“

„Tian. Wie Du eben gehört hast, bin ich bekannt als ein Mann offener Worte. Meistens. Aber eben nicht immer.“

„Ja. Aber dieser ... Pfau?“ Der Konsul gestikulierte hilflos.

„Wird sich die Zähne an unserem Flämmchen ausbeißen. Und das, mein Freund, bereitet mir ein unbändiges Vergnügen.“

„Aber war es wirklich nötig, ihm die Räume neben Ayas Gemächern zu geben?“

„Hab ich das? Wie unerwartet kooperativ von mir.“

„Man könnte wirklich meinen, dieser überhebliche Kerl fände Euren Beifall.“

„Hast Du etwa etwas gegen diesen hübschen Prachtburschen? Die Hofdamen werden Deine Meinung mit Sicherheit nicht teilen.“

„Prachtbursche? Umso schlimmer! Ein Furunkel an meinem Allerwertesten wäre mir lieber.“, maulte der Konsul, seines Zeichens Vater von drei Töchtern. Die Mädels waren im Großen und Ganzen zwar recht vernünftig, aber leider in einem Alter, indem die Gehirnströme meist von den hormonellen Strömen überlagert wurden.
 


 

Dreieinhalb Stunden später
 

Nach einem überaus angenehmen Intermezzo lag Jin im Bett und beobachtete interessiert die Wirkung ihrer vorwitzigen Fingerspitzen auf ihren Angetrauten.

„Kobold ... Wir müssen gleich auf dieses Fest!“

„Tatsächlich?“

Sie näherte sich seinem Bauchnabel.

„Ja, tatsächlich.“

„Aber ...“

„Erheb Dich, Weib!“

„Wenn´s sein muss.“, murrte sie, blieb aber liegen, um ihren Gatten genüsslich bei seiner Bett-Flucht zu beobachten.

„Weisst Du,“ murmelte sie nachdenklich. „Vielleicht sind die Pflichten und Regeln unseres goldenen Käfigs am Ende sogar unsere Rettung.“

„Inwiefern?“, fragte Zuko, leider damit beschäftigt, sich die Taillenbänder seiner Hose um die Hüften zu schlingen.

„Na ja ... andernfalls hätten wir in den vielen Jahren wohl eher selten das Schlafzimmer verlassen.“

„Ah, Du meinst DU hättest ein ernstzunehmendes Rückenleiden, und ich einen irreparablen Hüftschaden?“

„ZUKO!“

Sie schleuderte ein Kissen nach ihm.

„Dass ausgerechnet ich so einen unanständigen Kerl abkriegen musste!“

Er lachte ihr nur frech ins Gesicht.

„Unanständig? Also ICH bin fast fertig angekleidet.“

„Ja. Mein Pech!“

„Jin ...“

„Hm?“

„Es gibt wirklich Zeiten, zu denen ich mich beherrschen muss, Dich nicht mit Haut und Haaren zu verschlingen!“

„Na ... da wünsch ich doch guten Appetit!“

Sie kamen natürlich zu spät. Wieder einmal.
 

So war der kleine Empfang für den frischgebackenen Herzog bereits in vollem, erfolgreichen Gange, als die Gastgeber es für angebracht hielten, die Veranstaltung mit ihrer Anwesenheit zu beehren.

Demjenigen, der die beiden gut kannte, entging weder die leichte Röte auf Lady Jins Wangen, noch der selbstzufriedene Gesichtsausdruck Seiner Lordschaft.

Prinzessin Aya, die pflichtschuldigst die Gastgeberrolle übernommen hatte, beendete gewandt ihr angeregtes Gespräch mit dem umschwärmten Ehrengast und näherte sich ihren Eltern.
 

„Da seid ihr ja!“, lächelte sie.

„Ja, Spatz. Entschuldige! Was täten wir nur ohne Dich!“, wisperte ihre Mutter hastig.

Die Schmeichelei zeigte nicht die gewünschte Wirkung.

„Ich hab keine Ahnung!“, spottete Aya nachsichtig. „Ihr solltet euch wirklich schämen ... so als Herrscherpaar.“

Zuko hatte den Anstand, sich spontan für die Leuchter an der Decke zu interessieren. Ganz so, als ginge in das alles überhaupt nichts an.

Jin war wie immer weniger erhaben.

„Mach ich.“, versprach sie. „Sobald ich das selige Lächeln los bin.“

„Mama!“

„Jin!“

„Ich erwarte ja auch nicht, dass Du das verstehst. Aber irgendwann verliebst du dich und dann ... sehen wir weiter.“

„Das wird nicht geschehen.“, sagte Aya leise.

„Bitte?“

„Ich verliebe mich nicht.“ Die Prinzessin klang fast so, als meine sie, was sie sagte.

„Aya ...“

„Irgendeiner in der Familie muss ja den Anstand wahren, oder etwa nicht?“

Jin sah das neckende Lächeln ihrer Tochter sehr wohl. Doch zuvor waren für einen winzigen Augenblick Traurigkeit und Schmerz in ihren Augen aufgeblitzt.

„So, nun muss ich mich aber sputen!“, verkündete Aya, wieder vollkommen gelassen. „Meine Gum Jo-Stunde wartet!“ Nach einem Wangenkuss für beide Eltern, verliess sie den Raum.

„Zuko!“, flüsterte Jin. „Hast Du das gesehen?“

Sein Kiefermuskel zuckte.

„Ja“, sagte er betroffen.

„Sie ist ... unglücklich?“

„Ja.“

„Unser Flämmchen?“

„Wir werden das ändern, mein Herz!“, versprach er, bevor er sich seinen Gästen widmen musste.
 

Aya eilte die Gänge entlang und rang um Fassung. Wie hatte sie nur so etwas Dummes, Verräterisches sagen können?

Ihre Verteidigung, für den Bruchteil einer Sekunde zu schwach für die liebevolle Aufmerksamkeit ihrer Eltern, liess sich nur mit Mühe wieder aufrichten.

Sie blieb stehen. Mit ihr auch Seri, ihre Hofdame, und Hauptmann Nezu, Leibwächter und beständiger Schatten Prinzessin Ayas.

„Seri?“

„Ja, Hoheit?“

„Übermittle Meister Leng bitte meine Entschuldigung, aber ich muss den Unterricht für heute leider absagen.“

„Absagen?“, fragte die junge Frau erstaunt. Jeder wusste, wie sehr Aya ihre Gum-Jo-Stunden liebte.

„Ja. Ich habe ein wenig Kopfschmerzen.“

„Oh! Ich schicke sofort Dr. Yuri zu Euch!“

„Das wird nicht nötig sein. Ein bisschen Ruhe wird mir schon helfen.“

„Wie Ihr meint, Hoheit!“ Seri verbeugte sich und ging davon, um ihren Auftrag auszuführen.
 

Hinter Aya runzelte der Hauptmann unmerklich die Stirn.

Kopfschmerzen? Die Prinzessin litt so gut wie nie unter Kopfschmerzen. Jedenfalls gab sie es niemals zu. Er würde die Sache beobachten. Sollte sie morgen noch immer Symptome aufweisen, würde er entsprechende Schritte einleiten.

Stumm geleitete er seinen Schützling zu dessen Gemächern.

Dem täglichen Prozedere folgend wartete Aya in dem kleinen Vorzimmer, welches in ihre privaten Gemächer führte, bis ihr Kage diese inspiziert hatte. Wie erwartet war auch heute kein Eindringling in den Palast gelangt und der Offizier beendete seinen Rundgang.

„Benötigt Ihr noch etwas, Prinzessin?“

„Nein, Hauptmann, Ihr seid für heute entlassen. Danke.“

Er verbeugte sich respektvoll.

„Gute Nacht, Hoheit.“

„Gute Nacht.“

Wie immer zog sich der Leibwächter erst zurück, nachdem sich die Tür fest hinter Prinzessin Aya geschlossen hatte. In ihren Räumen war sie so sicher, wie nirgend sonst. Vor der großen Doppeltür standen Tag und Nacht zwei Wachposten und im Innenhof liefen die Palastwachen rund um die Uhr Patroullie.

Aber Hauptmann Nezu war generell kein Mann, der sich in Sicherheit wiegen liess. Von nichts und niemandem! Seine Wachsamkeit und sein Instinkt für Gefahren waren legendär. Ebenso, wie seine abschreckende Wirkung auf potentielle Angreifer. Ein einziger Blick auf diesen grimmigen Recken genügte, um den Feind wissen zu lassen: jede Bewegung in Richtung der Prinzessin wäre die falsche und jede falsche unweigerlich die Letzte.
 

Endlich allein in ihren Gemächern, ging Aya - früher als gewohnt - ihrer abendlichen Routine nach. Ihre Zofe huschte herein, half ihr beim Ablegen der prächtigen Roben, zog die verschiedenen Kämme und Klammern aus dem Haar und bürstete es aus.

„Möchtet Ihr noch Tee, Hoheit?“

„Ginseng wäre nett. Danke, Lyra!“

Schnell wurde das Erwünschte gebracht. Dann zog Lyra sich zurück.

Langsam, in bedächtigen Schlucken trank die Prinzessin ihren Tee und inhalierte sein beruhigendes Aroma. Sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, wie der Dampf in anmutigen Bögen in die Luft stieg, versuchte in Gedanken alle wichtigen Termine für den nächsten Tag durchzugehen. Sie versuchte so ziemlich alles, um sich abzulenken. Vergebens.

Schon nach kurzer Zeit wanderten ihre Augen zu einer Tür, die in die nördliche Wand ihres Schlafzimmer eingelassen war. Der Durchgang war klein und unauffällig. Das dunkle Mahagoni wies nur wenige Verzierungen auf.

Aya hasste diese Tür! Und sie liebte sie. Trennte sie sie doch von dem, was sie auf dieser Welt am meisten begehrte.

Die Prinzessin

Aya. In der Sprache der Alten bedeutet es `Gewobene Seide´.
 

Wie jeden Abend erlag Aya auch heute der Anziehungskraft dieser Tür. Vermaledeite Tür! So klein. So unscheinbar. So unbedeutend.

Doch wenn die Prinzessin sich auf ihre Gemächer zurückzog machte ihre Welt eine Kehrtwende und drehte sich nur noch um diese unpassierbare Barriere. Leise näherte sie sich ihr, fuhr mit den Fingern über die vertrauten Konturen der Schnitzereien, presste die Handfläche auf die schimmernde, kühle Glätte des Holzes, während sie dastand und sich wünschte, sich aufzulösen. Molekül für Molekül. Um durch diese Tür zu sickern.

Um bei ihm zu sein.

Einem Mann, der keine Ahnung von ihren Gefühlen hatte. Einem Mann, der ihr nur Respekt und Hochachtung entgegenbrachte und ihr so Tag für Tag ein Stück ihrer Seele entriss. Einmal, nur ein einziges Mal, wollte sie durch diese Tür gehen. Seinen Schlaf belauern. Seinen Anblick in sich aufnehmen, ohne dass scharfe Augen sie beobachteten. Doch sie würde es nicht tun. Niemals.

Niemals ...
 


 

Feuerpalast, viele Jahre zuvor
 

Niemals zuvor hatte Aya solche Angst gehabt.

Vorsichtig, auf bloßen Füssen, tapste sie durch die stockdunklen Flure. Sie hätte dem Bärhörnchen unter ihrem Arm mit Sicherheit die Luft abgeschnürt, doch das Tier war aus Plüsch und somit auf die Sauerstoffzufuhr zum guten Glück nicht angewiesen.

Wenn doch nur Lu Ten da wäre. Oder Lee. Die könnten vielleicht ein bisschen Feuer machen und die Dunkelheit vertreiben.

Aber es war niemand da. Keine Brüder, keine Dienerschaft, keine Eltern. Nur düstere Schatten und noch dunklere Umrisse. Die wispernden, heimlichen Geräusche waren auch ganz schrecklich.

Das Kind unterdrückte sein klägliches Jammern nur aus einem Grund: Ihre Brüder hatten gesagt, es sei albern, vor der Dunkelheit Angst zu haben. Und albern ... das wollte Aya nicht sein!

Als eine große Tür sich knarrend öffnete, entfuhr ihr trotzdem ein Wimmern und sie drückte das Gesicht fest in ihr Kuscheltier, so dass nur noch ihre angsterfüllten, großen Augen zu sehen waren. Entsetzt starrte sie auf eine riesige, schwarze Silhouette, die im flackernden Gegenlicht drohend über ihr aufragte.
 

„Mäuschen?“, fragte der Riese erstaunt.

„Papa!“

Aya stürzte auf ihre Rettung zu und liebevolle Arme hoben sie hoch.

„Was machst Du denn um diese Zeit hier? Ganz allein und auch noch ohne Schuhe?“

„Nis simpfn!“

„Ich schimpf ja gar nicht. Bist Du aufgewacht?“

Der kleine Kopf an der wunderbar trostspendenden Schulter wurde geschüttelt.

„Hab nis deslafen.“

„Gar nicht?“

Kopfschütteln.

„Gab´s Monsteralarm?“

Kopfschütteln.

„Hunger?“

Erneutes Kopfschütteln.

„Was dann, Flämmchen?“

Schulterzucken.
 

Gut. Dies hier schien länger zu dauern. Schon die Tatsache, dass Aya sich raffiniert an ihrer Mutter und den Wachen vorbei gemogelt hatte, sprach Bände. Anscheinend hatte `jemand´ ihr die Geheimgänge gezeigt. Oh ja, morgen würde geschimpft werden, aber die Adressaten der Predigt würden die älteren Brüder der kleinen Prinzessin sein.

Der Feuerlord trug seine Tochter ins Arbeitszimmer, setzte sich mit ihr in einen großen, bequemen Sessel und wickelte eine flauschige Decke um sie.

„Soll ich dir was vorlesen?“

Es wurde stumm verneint.

„Singen?“

Schon wieder Kopfschütteln.

„Ins Bett bringen?“

„Nein!“, jammerte Aya. „Nua tusln!“

„So, so ... nur kuscheln?“

Also wurde gekuschelt, denn Geduld war, wie Zuko im Lauf der Jahre gelernt hatte, eine Tugend. Und kuscheln sowieso!

Nach einiger Zeit wurde er Ziel des kindlichen Fokus. Die goldenen Augen hingen mit dieser konzentrierten Ruhe an seinem Gesicht, wie sie nur Kinder, Greise und Katzen zustande bringen.

Stumm hielt er sie weiter im Arm, bis kleine Finger begannen, die Konturen seiner großflächigen Narbe zu umranden.
 

Zuko seufzte lautlos. War es schon wieder soweit?

So vertraut ihnen die rote, ledrige Haut um sein Auge auch war, irgendwann kam anscheinend für jeden seiner Sprösslinge der Tag, an dem sie die Narbe als Abnormalität erkannten, und Fragen stellten. Nur war Aya sehr viel früher dran, als ihre beiden Brüder es gewesen waren.

„Papa?“

„Was denn?“

„Is weiss, warum is nis slafn tann.“

„So? Warum denn?“

„Is hab eine Desiste dehört.“

„Eine Geschichte? Eine gruslige?“

„Nein.“

Mittlerweile streichelte Ayas Zeigefinger vorsichtig die versehrte Haut.

„Eine Räubergeschichte?“

„Nein. Eine von Dein Papa.“

Na also. Das leidige Thema war endlich auf dem Tisch.

Zuko bemühte sich locker zu bleiben, damit sich seine Anspannung nicht auf die Kleine übertrug.

„Tatsächlich?“, fragte er.

„Ja.“ Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: „War Opa böse?“
 

Agni! Daran würde er sich nie gewöhnen. Wie sollte er das alles einer gerade mal vierjährigen begreiflich machen?

„Nein. Nein, er war nicht böse.“

„Aba ... er hat das da demast.“

Es war eindeutig, was sie mit `das da´ meinte.

„Ja.“

Der klägliche Laut, den Aya von sich gab, besagte eindeutig, dass ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt worden waren.

„Tut weh?“, piepste sie heiser.

„Nein.“

„Hat aba?“

Nach allen bisherigen Erfahrungen ihres Vaters war leugnen zwecklos.

„Ja. Hat es. Aber jetzt nicht mehr. Das alles ist lange, lange her, Maus.“

„Hat er Dis nis liep dehabt?“

Ihre kleine Unterlippe zitterte derart erbärmlich, dass Zuko sie noch fester an sich zog. Doch er wusste, mit Lügen würde er nichts besser machen.

„Nein.“, gab er leise zu.

Als sich dicke Tränen auf den runden Wangen seiner Tochter sammelten, suchte er nach einer Erklärung.

„Weisst Du, ich glaube er war krank. Er konnte niemanden wirklich lieb haben.“

DAS beruhigte Aya wenig.

„Aba ... er muss Dis doch liep dehabt haben!“, hickste sie und vergrub das inzwischen nasse Gesicht in seiner Halsbeuge. „Papas tun das!“

Jetzt heule sie richtig drauflos.

„Is hab Dis liep!“, schluchzte sie.

„Flämmchen!“ Ganz fest drückte er sie an sich, wiegte sie und streichelte über ihren Kopf. „Das weiss ich doch. Und ich hab Dich lieb! Ganz schrecklich! Und daran wird sich niemals etwas ändern!“

„Mama hat Dis auch liep! Auch danz srettlis!“
 

Aha.

Momentan schien es Aya gar nicht so wichtig zu sein, festzustellen, ob sie geliebt wurde, sondern vor allem, dass ER in den Genuss dieser Zuwendung kam. Seine beiden Söhne hatte damals vor allem die Angst geplagt, sie könnten eines Tages etwas anstellen, dass ihn plötzlich ebenso lieblos werden ließe, wie Ozai.

„Ja, das stimmt. Sie hat mich ganz schrecklich lieb.“

„Und soda Lu Ten und Lee!“

„Ja, sogar die zwei haben mich lieb.“

„Und Ontl Iroh und Oma! Die Tswilline auch. Vielleist. Aba die sind noch so tlein.“

Gerührt lauschte Zuko der nun folgenden, gewissenhaften Aufzählung seiner Tochter. Allem Anschein nach gab es wahre Heerscharen von Menschen, deren einziger Zweck es war, ihn, Zuko Tatzu, so lieb wie irgend möglich zu haben. Gute fünf Minuten später zog der Zwerg gar das Küchenpersonal als Referenz hinzu und war immer noch nicht am Ende.

„... und Fon! Den hab is danz vadessen.“

„Ja.“, stimmte der Feuerlord zu. „Fon hat mich auch lieb. Und weisst Du, wer noch?“

„Nein.“

„Agni. Er muss mich sehr, sehr lieb haben, denn er hat mir meine Aya geschenkt.“

Aus den großen, glänzenden Augen, die ihn fixiert hatten, verschwand langsam der Kummer, denn der oberste aller Feuergötter war natürlich eine kaum zu überbietende Autorität, wenn´s ums Liebhaben ging.

„Ja!“, flüsterte Aya. „Agni hat Dis auch liep!“

Endlich zufrieden drückte sie ihre weiche Wange an die ihres Vaters und schmuste noch ein bisschen. Ein Gefallen, der postwendend erwidert wurde.
 

Plötzlich flog die Tür auf und machte der Idylle ein Ende.

„Zuko?! Aya ist weg!“ Lady Jin stand im Türrahmen und rang die Hände. „Ich wollte grade nach ihr sehen. Wie kann sie nur ...?“

„Mama!“

„Aya!“, stiess Jin aus und lief zum Sessel. „Warum bist Du denn ausgebüxt? Ich hab mir Sorgen gemacht!“

„Du wast besäftidt.“

„Beschäftigt? Ich hab doch nur gelesen.“

„Is wollte tsu Papa.“, versuchte Aya es mit einem gekonnten Taktik-Wechsel.

„Dann hättest Du fragen können!“

„Du sagst aba imma nua, er abeitet.“

Jin öffnete den Mund und schloss ihn in Ermangelung eines guten Arguments wieder. Ihr hinterhältiger Gatte nutze diese Gelegenheit natürlich, um spöttisch seine Braue zu heben.

„Ja, Jin. Das ist genau das, was Du immer sagst.“

„Zuko! Erlaub ihr doch gleich, nachts durch die Gegend zu spazieren!“

„Aber nie und nimmer. Du weisst, dass Du das nicht darfst. Nicht wahr, Maus?“

„Ja.“

„Hat Dir auch gar keinen Spass gemacht, hm?“

„Nein! Wa danz duntel!“

„Siehst Du, Jin. Sie macht´s nicht wieder. Sie wollte nur etwas Dringendes klären.“

„Etwas Dringendes?“

„Ja. Sie hat die Geschichte über die Feuerblume gehört.“

Die Feuerblume ... Jins Blick glitt zu Zukos Brandnarbe, die im Volksmund diesen Namen trug.

„Jetzt schon?“, fragte sie erschrocken.

„Ja. Jungs haben eben einen morbiden Hang zu Gruselgeschichten.“

„Hm. DEINE Jungs schon.“, murrte Mylady.
 

Besorgte Augen starrten Jin an.

„Trieg is jetzt Simpfe?“

„Nein, Mäuschen. Du hast Deinen Papa ganz dringend gebraucht. Das weiss ich jetzt. Aber das nächste Mal,“ Sie hob den Finger. „Sagst Du Bescheid. Dann bring ich Dich zu ihm. Ja?“

„Ja!“

„Versprochen?“

„Vasprochn!“

„Dann ist gut!“ Die Feuerlady drückte einen liebevollen Kuss auf Ayas Wange.

„Daf is bei eus slafn?“

„Hm.“ Jin legte den Kopf schief und klopfte mit dem Finger gegen die Nase, als müsse sie angestrengt nachdenken. „So ganz ohne Eintrittskarte?“

Die Prinzessin kicherte.

„Die dibt´s ja dar nis!“

„Ach nein?“

„Nein.“

„Oh doch! Man muss sie nur suchen.“

„Wirtlis?“

„Ja, Wirklich. Lass mal sehen ...“ Jin schnappte sich ihr Töchterchen. „Da vielleicht?“ Sie untersuchte eine Fußsohle. „Nein. Da?“ sie spähte in ein Ohr. „Hm. Auch nicht ... AH, hier! Ich hab sie gefunden!“ Erbarmungslos wurde Ayas kitzliger Hals mit schmatzenden Küssen bedacht.

„Neeeeeeiiiiin!“ Zwischen Kreischen und Lachen versuchte das Kind, bei seinem Vater Zuflucht zu finden. „MAMAAAA! Das tizelt!“

„Fein. Ich hör auf.“, versprach Mylady. „Aber nur ...“ Drohend hob sie den Finger und Aya zog sofort die Schultern hoch, um ihren Hals zu schützen. „...wenn ich einen Kuss bekomme. Einen ganz dicken!“

„Hmmmmmmoah!“

„Ja.“, strahlte Jin. „So einen dicken Schmatzer kriegt nur meine Aya-Maus hin. Und jetzt einen für Papa!“

„Hmmmmmmmoah!“
 

Über den dunklen Schopf seiner Tochter hinweg, musterte Zuko sein Eheweib. Sie hatte es durch ihre bewusste Unbekümmertheit tatsächlich geschafft, die Vorstellung von Narben, Schmerzen und nicht ganz so netten Papas komplett aus den kindlichen Gedanken zu tilgen.

„Danke, Kobold!“, raunte er.

„Gern geschehen, Drache!“ Mit diesen Worten drückte sie einen zärtlichen Kuss auf sein vernarbtes Augenlid.

„Ich glaube, dieses Kind kommt eindeutig nach Dir.“

„Wieso?“, fragte Jin. „Ist sie neuerdings frech?“

„Nein! Aber abgesehen von Dir hat sie das weichste Herz, das ich kenne.“

„Trig is Sotolade?“

„Nein. Dazu ist es viel zu spät.“, sagte Mama resolut.

„Also gut.“, meinte Zuko trocken. „Vielleicht bist Du doch hartherzig.“

„Man muss eben mit den Wölfen heulen, oh Tyrannischer.“

Der Dieb

Takeru. In der Sprache der Alten bedeutet es `Krieger´.
 

Ba Sing Se, viele Jahre zuvor
 

Takeru war der Junge mit dem Loch im Bauch.

Meistens vor Hunger. Ab und zu vor Angst.

Aber DA war es immer.

Manchmal war es kleiner, manchmal schien es ihn komplett auszuhöhlen. Dann frass es sich von seinem Bauch in jeden Wickel seines Körpers, bis er auch dort Löcher hatte. In der Kehle, in den Eingeweiden, in seinem Kopf und in seinem Herzen.

Das waren die schlimmen Tage, denn sie machten einen bösen Jungen aus ihm.

So böse, dass er eines Tages dafür in der Hölle schmoren würde.

Und die Hölle ... das war ganz bestimmt ein riesiges, dunkles Loch, das nichts mehr von ihm übrig lassen würde. Dort wollte er nicht hin. Doch wenn alle Recht hatten, würde es so kommen.
 

Es war ein unerträglich heisser Tag in Ba Sing Se. Die Hitze war überaus demokratisch, denn sie wütete überall gleich schlimm.

Sie sorgte dafür, dass die Schulkinder früher nach Hause durften, um sich nachmittags am Ufer des Flusses etwas abzukühlen. Sie liess die Polizeibeamten des Königs langsam und müde durch die Strassen schlurfen. Sie liess eine kleine, wehmütige Weberin namens Jin We an ihrem Webstuhl erschöpft Schweissperlen von der Stirn wischen. Und sie liess den Erdkönig seinen Fächer fast überstrapazieren.

Der Einzige, den die Hitze gänzlich unbeeindruckt liess, war der heute angekommene Staatsgast Seiner Majestät.

Zuko II, kurz nach Kriegsende zum neuen Feuerlord gekrönt, war mit einem dringenden Bittgesuch in die Stadt der drei Ringe gekommen. Und Hitze ..? Ph! Hitze war ihm schnurzpiepegal. Zehn Grad mehr hätten ihm nur ein müdes Lächeln entlockt, WENN er zu den Menschen gehört hätte, die wegen so etwas albernem wie Temperaturen lächelten.

Doch seine Geschichte, die in dieser Stadt eine unverhoffte Wende nehmen sollte, wurde bereits erzählt und so wollen wir uns einer anderen zuwenden, die sich am heutigen Tag eng mit der seinen verknüpfen würde.
 

Die wirklich bemerkenswerte Hitze dieses Tages verschonte auch die ärmeren Viertel Ba Sing Ses nicht. Und das ärmste aller Viertel - den Frieden - schon gleich gar nicht. Sie liess die Leute fast aus ihren fadenscheinigen Latschen kippen und die Gosse stank derart erbärmlich, dass selbst der Abgebrühteste einen Würgereiz nicht unterdrücken konnte.

Es war also ein ganz normaler Tag für den Jungen mit dem Loch im Bauch.
 

„Takeru?“

„Ja, Oma?“

„Ist ... noch Suppe da?“

„Ja, Mimschi. Ein bisschen.“

„Gut.“, flüsterte die bettlägerige, alte Frau. „Sei ein guter Junge, und bring mir was davon.“

Takeru sprang sofort auf. Schliesslich sollte seine Oma nicht merken, dass er kein guter Junge war. Das würde sie noch kränker machen.

Er zerrte einen schweren Schemel vor die alte Kochstelle und kletterte hinauf, um an den rostigen Topf zu kommen. Als er den Deckel hob, stieg ihm der Geruch der dünnen Brühe in die Nase und liess seinen Magen laut rebellieren. Ob er vielleicht einen kleinen Löffel essen dürfte? Nur einen kleinen ...?

Im hinteren Bereich des Verschlages, durch einen Vorhang abgetrennt, bekam seine Großmutter einen Hustenanfall. Takeru konnte nicht besonders gut zählen, aber er war sicher, dass es heute schon sehr viele gewesen waren. Er biss sich auf die Lippen, geplagt vom schlechten Gewissen, und schöpfte vorsichtig lauwarme Brühe in eine Schüssel. Seine Oma brauchte die Suppe; nicht er!

Vorsichtig kletterte Takeru vom Schemel, klaubte auf Zehenspitzen balancierend, einen Löffel vom Tisch und trug beides zu der verschlissenen Strohmatte. Er half seiner Großmutter sich aufzusetzen und stopfte ihr unbeholfen ein Kissen hinter den Rücken.

„Danke, Taku.“

Da die alte Frau viel zu zittrig war, tauchte ihr Enkel den Löffel in die Brühe, und begann sie zu füttern.

„Ist ein Brief von Deiner Mama gekommen?“

„Nein.“

„Oh.“, flüsterte die zerbrechliche Stimme. „Wieder kein Geld? Das ist schlimm. Hat Meister Weng gestern wenigstens Hilfe gebraucht?“

„Ja.“, log der Junge und starrte in die Schüssel. Ein Tag mehr in der Hölle.

„Hat er Dir ein bisschen Geld gegeben?“

„Ja.“ NOCH ein Tag.

„Das ist gut. Du bist ein guter Junge.“

„Ja, Oma.“ DAS war jetzt bestimmt eine ganze Woche Hölle.

„Man muss immer anständig bleiben, Taku. Egal was kommt. Das weisst Du, nicht wahr? Versprich mir, dass Du das nicht vergisst!“

„Ja, Mimschi.“ Der Kosename kam ihm nur schwer über die Lippen, denn die Tatsache, dass er sie anlog, machte das Loch in seiner Kehle riesengroß.

„Das ist gut!“ Als sie wieder hustete, holte er schnell ein Glas Wasser.

„Taku ...“, wisperte seine Oma schwach und strich, obwohl es ihr größte Mühe bereitete, zärtlich über seinen zerzausten, dunkelblonden Schopf. „Bist ein lieber, kleiner Kerl! Ich muss jetzt schlafen.“

„Ja, ist gut.“

Als ihm die Tränen über die Wangen liefen, schlief Mimschi Gott sei dank schon tief und fest. So bekam sie auch nicht mit, wie ihr dürrer, viel zu kleiner Enkel sich nach Einbruch der Dunkelheit nach draussen stahl. Bald würden seine Lügen nichts mehr ausmachen. Bald hätte er so viele Jahre in der Hölle angesammelt, wie hundert Menschenleben dauern.

Denn Stehlen - da war Takeru sich sicher - war noch schlimmer als lügen. Seine Oma hatte es ihm oft genug gesagt.
 

Es war das... das ziemlich ofte Mal, dass Takeru stehlen ging (Die Finger beider Hände reichten schon nicht mehr, um zu zeigen, wie oft). Turomo hatte ihm gezeigt wie es ging. Eigentlich war es ganz leicht, besonders in der Gasse der Freuden. Die Leute rochen zwar merkwürdig - die Männer stanken wie liegen gebliebenes Obst - aber je mehr sie stanken, umso leichter waren sie zu beklauen. Beim ersten Versuch hatte Takeru vor lauter Angst so gezittert, dass sein Opfer ihn sofort bemerkt hatte. Doch der Mann hatte ihn nur verständnislos angestarrt, ein bisschen gewankt und ein raues „HEY!“ gegrölt.

So schnell er konnte war der Junge damals weggerannt. Weg von dem blutunterlaufenen, hilflos wütenden Blick.
 

Jetzt kauerte Takeru in den dunklen Schatten am Rand der Gasse, so wie Turomo es ihm beigebracht hatte, und beobachtete die Passanten. Am wichtigsten war es, den richtigen auszusuchen!

Der Dicke da? ... Nein. Zu gefährlich. Er befummelte immer wieder nervös seine Taschen.

Der mit dem breiten Grinsen? ... Nein. Der hatte bestimmt schon alles ausgegeben.

DA! Das war er! Der war gut. Ruhig und sorglos schlenderte er durch die Strasse, blickte ab und zu verwundert nach links und rechts. Also kein Misstrauen und VIEL Ablenkung! Ausserdem war er sehr groß und bekam Dinge, die nahe am Boden waren gar nicht mit.

Geschickt schlängelte sich das Kind an einigen Fässern vorbei, um hinter den Mann zu gelangen. Das potentielle Opfer ging geradewegs auf eine menschenleere Gasse zu.

Takerus Herz klopfte laut.

So war das nunmal, wenn er klauen ging. Doch es gibt einen Zeitpunkt, wo Herzklopfen, so laut es auch sein mag, nicht mehr so quälend ist, wie der Hunger.

Der Große mit dem Pferdeschwanz bog endlich in die enge Seitengase ein.

Jetzt oder nie!

Der Große bedeutete allerdings das Ende des kleinen Taschendiebes aus Ba Sing Se.
 

Diesmal wurde der kleine, dürre Takeru erwischt.

Die Beute die er sich ausgesucht hatte war nämlich alles andere als unaufmerksam. Der Große war ein wachsamer, misstrauischer und ziemlich zäher Bastard, der es auf den Tod nicht ausstehen konnte, beklaut zu werden.

Noch weniger konnte er es ausstehen, wenn ein abgemagerter, unterentwickelter, fast Fünfjähriger das versuchte. Also wurde dem Kleinen das Handwerk gelegt!

Zuko II, erhabener Herrscher der Feuernation, Nachfahre eines der letzten Feuer-Halbdrachen, fand es für einen solchen Knirps eben weitaus angemessener, in eine gute Schule gesteckt und ordentlich aufgepäppelt zu werden.

Also veranlasste er die nötigen Schritte, besorgte kiloweise Pfirsiche, Hustensaft und all die anderen Dinge, die diese Menschen so dringend brauchten.

Einen Monat später zog Takerus Familie in den Feuerpalast, wo seine Mutter endlich gute Arbeit fand, seine Oma aufhörte zu Husten und er selbst sich ums Wachsen kümmern konnte. Und er wuchs. Schnell, unaufhörlich und enorm. Und er lernte. Schnell, unaufhörlich und enorm.
 

Und er schwor sich, seine Schuld eines Tages abzutragen.

Der Blutwolf

Kage. In der Sprache der Alten bedeutet es `Schatten´.
 


 

Hautmann Nezu erwachte schlagartig aus seinem leichten Schlaf.

Für den Bruchteil einer Sekunde starrte er verständnislos auf einen kostbaren Betthimmel, fühlte einen warmen Körper neben sich.

Ah. Natürlich! Zwei Tage pro Monat hatte er frei. Gestern war einer davon gewesen.

Er rollte auf die Seite und setzte sich auf, als eine fordernde Hand versuchte, ihn aufzuhalten.

„Wohin denn so eilig, Hauptmann?“, schnurrte eine laszive Frauenstimme in sein Ohr, während schlanke, lockende Finger sein kurzes, dunkelblondes Haar zausten.

„Die Rekruten warten.“, antwortete Takeru knapp und erhob sich.

„Aber doch erst in einer Stunde. Komm zurück ins Bett!“

„Ich muss meine Kräfte einteilen.“
 

Kaori Ren, Witwe eines wohlhabenden Grafen, starrte ihren Liebhaber ungläubig an.

„Soll das ein Witz sein?“, fragte sie kühl. „Wir wissen beide, dass das nicht nötig ist.“

Er streifte weiter seine Kleidung über.

„Agni! Ich frage mich wirklich, warum ich mir keinen anderen nehme“, fauchte die Gräfin aufgebracht. „Es gibt beileibe galantere und besser aussehende Männer als Dich!“

„Zweifellos“, stimmte Takeru gelassen zu. Inzwischen war er fix und fertig angezogen. „Lasst mich wissen, wenn Ihr an unserem Arrangement etwas zu ändern gedenkt, Gräfin“, meinte er knapp. „Ich wüsche einen angenehmen Tag.“

Als sich die Tür hinter ihm schloss, pfefferte Kaori eine Vase dagegen.

Sie schäumte. Dieser kaltschnäuzige Bastard! Was glaubte er denn, wer er war? Sie hatte das nicht nötig! Schon ganz andere Männer hatten vor Kaori Ren kapituliert. Und jetzt? Dieser Eisblock hielt sie hin.

SIE bestimmte die Spielregeln. SIE war es, die die andern manipulierte.

Dumm nur, dass der Hauptmann darauf nicht einging. Und genau das war der Grund, warum sie ihn haben wollte. Seine unübertroffenen Qualitäten als Liebhaber spielten gewiss eine ebenfalls nicht ganz unwesentliche Rolle.

Sie wollte ihn! Für sich. Ohne ihn mit seinen verdammten Pflichten und Waffen teilen zu müssen. Aber je mehr sie forderte, umso gleichgültiger wurde er.
 

Kaori trat mit dem Fuss gegen einen Schemel.

Besser aussehend. In der Tat ...

Natürlich gab es hübschere Kerle. Elegantere, charmantere. Aber attraktiver?

Wohl kaum. Selbst unter den mehr als beeindruckenden Kage stach dieser schon aufgrund seiner schieren Größe und seines goldbraunen Schopfes hervor. Nur ein Tatzu höchstpersönlich würde es schaffen, ebenso imposant zu wirken, wie Takeru Nezu.

Jeder sagte diesem Mann, dessen glänzende Karriere jetzt schon ihresgleichen suchte, eine noch glänzendere Zukunft voraus.

Und Kaori Ren wollte ihn haben. Sie wollte nicht nur ein- bis zweimal pro Woche als willige Gespielin herhalten. Sie wollte ihn ganz und gar!

Sie sollte die verfluchte Diskretion, auf die er so gesteigerten Wert legte, endlich ad acta legen, und eine neue Variable ins Spiel bringen. Vielleicht würde das den kaltschnäuzigen Hund ja in Zugzwang bringen. Denn sollte dem Feuerlord der Lebenswandel seines ach so geschätzten Blutwolfs nicht zusagen, würde ein leiser Wink seines Herren genügen, um dem widerspenstigen Biest die Leine anzulegen.
 


 

04:59 im Hauptsaal der fürstlichen Trainingshallen.
 

Nun, genau genommen galt diese Uhrzeit natürlich für die gesamte Feuernation, aber an diesem speziellen Morgen wollen wir uns besagter Raum-Zeit-Konstellation zuwenden.

Genau in der Mitte des Saals stand ein kleiner, etwas vage zusammengestellter Trupp aus dreizehn Männern parat.

Allesamt junge, zuversichtliche Soldaten, die bereits in die Ränge der Kanjio - also der fürstlichen Leibgarde - aufgestiegen waren. Doch hier und heute waren sie nichts weiter, als Rekruten. Frischfleisch. Es war egal, wer welchen Rang erreicht, oder mit wievielen Orden der ein oder andere schon dekoriert worden war.

Hier und heute würden sie neu anfangen müssen.

Die verständliche Nervosität der Gruppe wurde durch die Tatsache verstärkt, dass keiner von ihnen auch nur den blassesten Schimmer einer Ahnung hatte, wer ihr Ausbilder sein würde.

Gerüchte gingen um, es gäbe Jahrgänge, in denen sich der ehrenwerte Kommandant Kuroto, Ehemann Großherzogin Ursas, höchstpersönlich der neuen Rekruten annahm.

Da es allerdings unter der Würde eines Kanjio war, Spekulationen auszutauschen, standen die jungen Männer stumm in Reih und Glied. Diese scheinbare Gelassenheit wurde jedoch auf eine harte Probe gestellt, als sich mit dem fünften Glockenschlag die Tür öffnete und sie sahen, WER nun die Trainingshalle betrat.

„Das glaub ich jetzt nicht!“, hauchte San Obku, eindeutig der Jüngste der Truppe.

„Wir sind tot!“, bestätigte sein Nebenmann tonlos. „Sowas von tot!“

„ER?“ San schluckte. „ Aber ... ich hätte nie gedacht, dass er sich mit Neulingen abgibt.“

„Toter als tot!“
 

Die goldenen Schulter-Epauletten des hochrangigen Offiziers blitzen bedrohlich im Licht der ersten Sonnenstrahlen, als er vor die kleine Truppe trat, die für das nächste Jahr von seiner Gnade abhinge.

„Guten Morgen“, begann er ruhig.

„Guten Morgen, Hauptmann!“, brüllten die Soldaten sofort.

„Was für eine freundliche Begrüßung“, stellte Hauptmann Nezu fest. „Bis in einer Woche wird Sie diese Höflichkeit eine Menge Überwindung kosten. Vermutlich wird mich jeder von Ihnen bis dahin in die neunte Hölle wünschen.“

Helle Augen fixierten jedes Mitglied der kleinen Truppe.

Man kannte diese Augen. Man fürchtete sie. Man mied sie.

Seltsam waren sie. Silbrig schimmernd, fast farblos, hätten in ihren Tiefen nicht Splitter hellen, durchscheinenden Aquamarins gefunkelt.

Unheil verkündende Augen. Kalt, hart und ungerührt wie das Eis ewiger Gletscher.

Zukos Blutwolf verschränkte die Arme hinter dem Rücken und begann langsam vor der Gruppe auf und ab zu gehen.

„Bis zu diesem Zeitpunkt werde ich jeden einzelnen von Ihnen vermutlich mindestens einmal vor Schmerz zum Brüllen gebracht haben.“

Die jungen Männer versuchten unbeeindruckt zu wirken.

„Das tue ich nicht gern“, fuhr die dunkle Stimme fort. „Aber es ist leider notwendig, um Ihnen zu zeigen, wie unüberlegt es war, diesen Weg einzuschlagen.“
 

Der jetzt doch etwas eingeschüchterte Haufen blinzelte im Kollektiv.

Unüberlegt? Sie alle hatten sehr hart daran gearbeitet, überhaupt SO weit zu kommen!

„Ein Kage werden zu wollen, ist ein törichtes Ziel.“ Da er am Ende der Reihe angekommen war, machte der Hauptmann eine punktgenaue Kehrtwende und begann seinen Marsch erneut.

„Ein EXTREM törichtes Ziel! Vor Ihnen liegen die härtesten Jahre Ihres Lebens. Sollten Sie die Ausbildung erfolgreich absolvieren, besteht Ihre gesamte Zukunft aus Disziplin, Training und Schmerzen. Wenn Sie Glück haben, in dieser Reihenfolge. Wenn nicht ...“ Wie ein Damoklesschwert schwebte die Kunstpause über den Köpfen der Rekruten. „... werden Sie nicht lange überleben.“

Ende der Reihe; Kehrtwende.

„Um Gerüchten vorzubeugen: Ich bin nicht hier, um irgendjemanden zu schikanieren. Doch ich muss wissen, wer zu den nötigen Opfern in der Lage ist, und wer nicht. Für diejenigen, die sich als ungeeignet herausstellen werden, sei gesagt: Sie alle sind bereits erstklassige Mitglieder der Leibgarde. Seien Sie stolz darauf! Es ist keine Schande, das Ziel ein Kage zu werden, nicht zu erreichen. Nicht jedem ist es gegeben, ein Schatten zu sein.“
 

Die durchdringenden Augen fixierten San, der sich mit einem Mal lächerlich jung und lächerlich Fehl am Platze vorkam.

„Ab hier“, sagte der Hauptmann gedehnt. „Gibt es kein Versagen, sondern nur noch den ehrenhaften Versuch, zu einem persönlichen Leibwächter eines Mitglieds des Fürstenhauses zu werden.“

Er nahm seine Wanderung wieder auf.

„Ihre Vorgesetzten halten Sie für würdig, diesen Versuch zu wagen, und sie haben ihre Gründe. Selbst wenn Sie ausscheiden, bleiben Sie weiterhin hervorragende Gardisten. Versuchen Sie sich in den kommenden Tagen daran zu erinnern. Und versuchen Sie auch, die Schmerzen nicht allzu persönlich zu nehmen. Wie gesagt: Ich füge Sie Ihnen nur ungern zu.“

Genau in der Mitte der Reihe blieb der Hauptmann abrupt stehen.

„Beginnen wir mit dem Parcours.“
 

Unter den Rekruten entstand eine kaum wahrnehmbare Unruhe.

Der Parcours. Die Hölle auf Erden. Jeder hatte schon davon gehört.

Hauptmann Nezu schritt in den hinteren Bereich des Raumes und versetzte beiläufig einige herumhängende Sandsäcke in Schwingung.

„Leutnant Obku?“

„Anwesend!“, schrie der blass gewordene San stocksteif.

„Laufen Sie los!“

An Sandsack Nummer vier scheiterte San kläglich.

Aus dem Gleichgewicht gebracht, versuchte er vergeblich, sich auf der dreieinhalb Zentimeter breiten Holzplanke zu halten. Er ruderte mit den Armen, verfing sich im Seil von Sack Nummer drei (der hiess nicht umsonst fieser Feng), versuchte verzweifelt Halt zu finden, doch leider befanden sich unter seinen Füssen nur zwei Meter Leere. Da er noch kein Mittel gegen die Schwerkraft erlernt hatte, landete er hart auf dem unbeteiligt glänzenden Marmorboden. Die stechenden Schmerzen in seiner Schulter ignorierend, rappelte San sich auf und blickte beschämt zu seinen Kameraden.

Nur Hamira, Sohn des hochdekorierten General Tekishe, zeigte ein hämisches Grinsen.
 

„Gut gemacht!“, liess Hauptmann Nezu sich vernehmen. „Sie haben schnelle Reaktionen. Die Idee, sich am Seil zu halten war akzeptabel, aber unsauber ausgeführt. Überlegen Sie nicht; Handeln Sie! Nochmal!“

Nochmal? Warum musste keiner der anderen gehen?

San schaltete die Stimme der Gerechtigkeit auf stumm und spurtete erneut los.

Diesmal schaffte er es zwei Meter weiter.

„Ganz hervorragend.“

Ein leises, abwertendes Schnauben war aus den Reihen der Soldaten zu hören.

Langsam drehte Hauptmann Nezu sich um.

„Leutnant Tekishe“, stellte er leise fest.

„Ja, SIR?“

Der Sprecher war der Sohn des Generals. Groß, hübsch, schneidig.

Keinem anderen stand die Gardeuniform so gut wie Hamira. Das wussten alle. Vor allem er selbst.

„Arroganz ist eine gefährliche Sache.“ Die Warnung in dieser beherrschten Stimme war überaus subtil. „Lassen Sie uns sehen, wie lange sich das Grinsen auf Ihrem Gesicht noch hält. LOS!“

Hamira schoss davon, um sich dieser lächerlichen Herausforderung zu stellen. Man musste nur den richtigen Moment abpassen. Er hatte es schon dutzende Male heimlich geübt. Ein kleiner Vorteil, den seine Beziehungen ihm verschafft hatten. Die pendelnden Sandsäcke waren erstaunlich berechenbar.

Die pendelnden Sandsäcke waren... scheisse!

Jemand hatte sie neu justiert und nun waren die verdammten Seile ungleich lang.

Der Hauptmann bückte sich, die Arme noch immer hinter dem Rücken verschränkt, zu Leutnant Tekishe hinunter.

„Nun“, sagte er leise. „Den ersten hätten wir immerhin geschafft.“

Hamira war sich nicht sicher, was der verdammte Emporkömmling meinte. Sandsäcke, oder Rekruten?
 

Zwei Stunden später war San Obku tatsächlich der Held des Tages. Keiner hatte es weiter geschafft, als er.

„Genug für heute!“, bellte Nezu. „Wegtreten!“

„Bitte um Verzeihung, Sir“, wagte sich einer der Rekruten vor.

„Ja?“

„Erlaubt Ihr eine Frage?“

„Bitte.“

„Es heisst ... Ihr hättet den Parcours damals auf Anhieb gemeistert.“

Auch der Rest des Trupps warf nun neugierige, ehrfürchtige Blicke auf Zukos Blutwolf.

Sie alle hatten die Geschichten über ihn gehört. Eine davon hatte sich für immer in sein Gesicht gemeisselt.Der Hauptmann, von der Natur ohnehin mit harten, unversöhnlichen Zügen bedacht, trug Narben, die beredter waren als tausend Worte.

Genau genommen waren es drei. Drei deutlich sichtbare, parallele Furchen zogen sich von der Stirn bis zum Unterkiefer über seine gesamte linke Gesichtshälfte. Nur das Auge und die Haut direkt unterhalb des Wangenknochens waren unversehrt.

Dieser Mann war jederzeit bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzten. Man munkelte gar, es wäre ihm keinen Pfifferling wert, sobald es um den Schutz der königlichen Familie ging. Er galt als der beste Kage seit elf Generationen. Es gab in der ganzen Feuernation wohl nur einen Menschen, der vielleicht in der Lage wäre, ihn außer Gefecht zu setzten, und das war Seine Lordschaft höchstpersönlich.

Ja, ein Angreifer musste das Stadium lebensmüden Wahnsinns schon weit hinter sich gelassen haben, bevor er mit dem Gedanken spielte, sich mit Zukos Blutwolf anzulegen.

Er war eine lebende Legende. Der loyalste Krieger des Feuerlords. Dabei war er nicht einmal in der Feuernation geboren worden. Für die Hälfte der Anwesenden war er der Grund gewesen, überhaupt Kage werden zu wollen.

Takeru Nezu, der Wächter des Drachen. Persönliche Leibwache Prinzessin Aya Ria Tatzus. Großmeister aller neun Gruben und Hüter der Kammer der Waffen. Der einzige Mensch, der den flammenden Phönixorden zweimal erhalten hatte.

Unbestechlich, unerschütterlich, unüberwindlich.
 

„Ja“, beantwortete Hauptmann Nezu die Frage

„Aber ... wie? Wie kann man das überhaupt schaffen?“

„Wissen Sie, wie man den Parcours noch nennt?“

„Die Hölle?“

„Korrekt. Und genau die, Leutnant, kannte ich bereits. Es ist einfach, Alles zu riskieren, wenn man nichts zu verlieren hat. Aber Vorsicht! Ein Kage darf niemals so denken, denn von seinem Leben hängt das Leben seines Schützlings ab. Den Schutzschild zu spielen ist nur der allerletzte Ausweg.“

Die dreizehn jungen Rekruten starrten auf die Drillings-Narbe; das Überbleibsel einer solchen `Schutzschild-Aktion´. Die heroische Tat von damals hatte den ohnehin schon sagenhaften Ruf des jungen Hauptmanns weiter ausgebaut. Er hatte sich, immer noch Feinde abwehrend, zwischen Prinzessin Aya und die klingenbewehrte Faustwaffe eines dieser Wahnsinnigen geworfen.

Denn das war der Moment gewesen, in dem der junge Offizier alles zu verlieren drohte. Doch davon wussten auf dieser Erde nur drei Menschen.

Da keine Fragen mehr zu klären waren beendete Takeru das heutige Training.

„Wegtreten, waschen, saubere Uniform anziehen und ab auf Ihre Posten!“
 

Kaum hatte der Hauptmann die ersten drei Punkte dieser Tagesordnung selbst abgehakt, eilte er durch Gänge des Palastes, erstattete dem Kommandanten einen knappen Bericht und wandte sich dann seiner Hauptaufgabe zu.

Er hatte eben Posten vor den Gemächern Ihrer Hoheit bezogen, als sich auch schon die Türen öffneten.

Wie üblich bedachte Aya ihn mit einem freundlichen "Guten Morgen, Hauptmann."

"Guten Morgen, Hoheit."

Wie üblich überflog sie ein letztes Mal ihre Termine, bevor sie die Liste ihrer jungen Hofdame reichte.

"Danke Seri."

Wie üblich ordnete sie sorgfältig die unzähligen Röcke und schüttelte die weiten Ärmel zurecht, bevor sie sich auf den Weg machte.

Wie üblich hatte sie ihn nicht angesehen.

Und wie üblich hätte es keinen Unterschied machen dürfen.

Aber das tat es. Wie üblich.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie unbefangener gewesen war; in der ihr freundlicher Morgengruß von einem warmen Strahlen begleitet worden war.

Doch das hatte sich mit einem einzigen Streich einer Klauenbewehrten Hand geändert. Am Tag ihres sechzehnten Geburtstages.

Seither sah sie ihn nicht mehr an.

Und obwohl es nicht so sein durfte, vermisste er es.
 

Mit dieser Sicht der Dinge lag der Hauptmann allerdings falsch.

Es stimmte. Aya sah ihn nicht mehr an.

Nicht, solange wachsame Beobachter es hätten bemerken können. Nicht, solange ihre eigenen Blicke zu Verrätern würden.

Sie tat es heimlich. Mit sehnsüchtig brennenden, besitzergreifenden Augen.

Neun Leben hat die Katz

Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.

Demokrit
 


 

Feuerpalast, achtzehn Jahre zuvor
 

Im ganzen, riesigen Feuerpalast gab es kaum einen Menschen, der den Feuerlord tiefer verehrte als Takeru Nezu es tat. Aus dem kleinen, dürren Dieb war ein schlaksiger Junge mit viel zu langen Armen und Beinen geworden.

An diesem Nachmittag half er, wie fast jeden Tag nach der Schule, Meister Seku im Stall. Er mistete aus, wendete Stroh, schleppte eimerweise frisches Wasser. Als Lohn für die Mühe durfte er schliesslich seine heissgeliebten Hirsch-Zebras striegeln. Meister Seku hatte ihm anvertraut, dass Seine Lordschaft sich erst kürzlich sehr lobend über deren glänzendes Fell geäussert hatte.

„Tadellos gepflegt, hat er gesagt, Junge! Hast ein gutes Händchen für die Tiere. Vielleicht frag ich mal, ob wir Dich nächstes Jahr als Lehrling unterkriegen, hm?“

Vor lauter Stolz war Takeru ein paar Zentimeter größer geworden.

Für heute war seine Arbeit hier getan. Schnell säuberte er die Bürsten und Kämme, räumte sie weg und vergewisserte sich, dass alle Gatter sicher verschlossen waren.
 

Die Nezus bewohnten eine kleine Wohnung im untersten Stockwerk der Außenmauer des Palastes. Statt den kürzesten Weg dorthin einzuschlagen, nahm der Junge einen Umweg durch die Gärten.

So oft er konnte, drückte er sich hier herum. Natürlich spazierte er nicht offen umher, auch wenn er die Erlaubnis dazu besass. Aber er wollte nicht stören.

Alles was er wollte, war ab und an einen Blick auf die Familie des Feuerlords zu erhaschen. Den Grund kannte er selbst nicht. Er wusste nur, dass es ihn immer wieder hierherzog, um die lachenden Kinder und die liebevolle Lady zu belauschen. Er fühlte sich dann innen ganz warm.
 

Im Schatten des großen Kirschbaums spielte heute nur Prinzessin Aya. Mutterseelenallein. Wie seltsam. Sie war erst fünf und blieb sonst nie unbeaufsichtigt. Von dem Kindermädchen fehlte jede Spur und Mylady war Mittwochs den ganzen Tag in der Weberei.

Aya bürstete ihren ingwerfarbenen Kater und sang ein Lied.

Takeru kroch hinter der Hecke noch ein wenig näher heran, denn es war ein sehr schönes Lied, und die zarte Kinderstimme war erstaunlich klar.

„So, Ratte. Jetzt bist Du der glänzeligste Kater überhaupt!“

Sie streichelte über kupferfarbenes Fell. So kleine Hände ...

„Nein! Nicht mit der Biene spielen!“, mahnte das Mädchen streng.

Ihre Augen weiteten sich besorgt.

Takeru hielt die Luft an. So goldene Augen ...

„RATTE! NEIN!“
 

Der Junge hinter der Hecke sprang auf die Beine, während der Kater, fasziniert von dem vielstimmigen Summen, nach dem Nest schlug und wütendes, giftiges Unheil entfesselte. Empört fauchend schoss er davon, worauf sich die erzürnten Insekten ein neues Opfer suchten.

Der erste Stich traf einen weißen Arm.

„AU!“

Takeru stürzte aus seinem Versteck, riss die Decke auf der Aya gespielt hatte unter ihr hervor und wedelte die Angreifer fort. Leidvolle Erfahrung aus dem Stall sagte ihm, dass sie dadurch leider noch aggressiver werden würden.

Schnell drückte er das erschrockene Kind auf den Boden, bedeckte es mit dem Spielteppich und warf sich selbst über das zappelnde Bündel.

So kam es, dass der zweite Stich statt eines weißen Armes einen braunen traf. Ebenso wie der dritte, vierte und fünfte. Die Stiche einundzwanzig bis neunundvierzig zielten auf seinen Rücken. Fünfzig bis achtundsechzig die Beine.

Unter ihm schrie die Prinzessin gellend nach ihren Eltern.
 

Aya hatte Panik! Erst hatte ein fieser Bienenfalter sie gestochen, dann hatte ein schmutziger, nach Mist riechender Junge sie angegriffen, auf den Boden geworfen und in ihre Decke gewickelt. Als sie sich strampelnd gewehrt hatte, warf er sich auch noch auf sie.

Sie bekam nicht genug Luft!

„PAPAAAAA!“

Sie brauchte die Luft aber. Ziemlich dringend sogar!

„MA... ma ... !“

Endlich hörte der Junge auf sie festzuhalten und nach unten zu drücken. Er lag jetzt ganz still. Aya stemmte sich mit aller Kraft gegen sein Gewicht. Vergeblich.

„Papa?“, keuchte sie. Da waren komische Lichter vor ihren Augen. „Hilf mir ... Papa!“
 

„AYA!!!“

Kurz bevor Aya das Bewusstsein verlor, wurde der Körper Takeru Nezus, dem dreizehnjährigen Sohn einer Weberin Ihrer Ladyschaft, hochgehoben und der schützende Teppich fortgerissen.

„AYA!?“

„PAPA!“ Das Mädchen klammerte sich schluchzend an den Hals ihres Vaters. „Der Junge ...“

„EINEN ARZT!!!“, brüllte der Feuerlord, dass es seiner Tochter in den Ohren klingelte.

„Setz Dich da hin, Flämmchen!“

Die Prinzessin wurde energisch auf ihrem Hosenboden geparkt. Ihr Vater beugte sich über den Strolch, der sie so erschreckt hatte.

„Er war gemein zu mir!“, flüsterte sie.

„Takeru?“ Eine kräftige Ohrfeige traf hart die braunen Wangen. „Wach auf!“

„Nicht hauen!“, schrie Aya entsetzt.

Der Junge hatte sie schliesslich nur ein bisschen erschrecken wollen, oder?

„TAKERU?“

Klatsch, klatsch.

„Nicht hauen, Papa!“ heulte das Kind und hängte sich an Zukos Arm

„Maus, ich KANN jetzt nicht!“ Das klang sehr ungeduldig.

„Du tust dem Jungen weh!“

„Nein, tu ich nicht! WO BLEIBT DER VERDAMMTE ARZT??“

Aya hielt sich die Ohren zu. Wenn ihr Papa so brüllte, wackelte fast der Baum.
 

Die Mediziner zählten insgesamt siebenundneunzig Stiche. Zumindest war das die Anzahl der gefundenen Stachel. Da es keine Stelle am Körper des Jungen gab, die nicht geschwollen war, waren sie der einzige Hinweis auf die mutmaßliche Menge Gift. Es war eine Dosis, die schon für einen Erwachsenen äußerst gefährlich gewesen wäre. Bei einem Dreizehnjährigen wagten die Ärzte keine Prognose.

Seine Lordschaft bestand jedoch nachdrücklich und lautstark darauf, alles menschenmögliche zu versuchen.

Am Ende stellte sich heraus: Takeru Nezu war zäh!

Er machte dem Namen, den seine Eltern ihm gegeben hatten alle Ehre. Er kämpfte und überlebte.

Takeru. Der Krieger.
 

Von diesem Tag an fehlte es ihm an nichts mehr. Es wurde ein kleines Vermögen auf seinen Namen überschrieben, dass selbst bis ans Ende eines sehr, sehr langen Lebens einen wohlhabenden Mann aus ihm machen würde. Zudem kam er in den Genuss der besten Ausbildung, die die Feuernation zu bieten hatte. An der elitären Militärakademie des Feuerpalastes studierte Takeru neben den akademischen Fächern wie Sprachen, Geschichte, Geistes- und Naturwissenschaften auch alle bekannten Kampftechniken, wurde in Diplomatie und militärischer Taktik unterwiesen. Philosophie und Meditationstechniken, beides freiwillige Fächer, wurden ebenso in sein Programm übernommen wie das tägliche Gleichgewichtstraining.

Einem erfolgreichen Absolventen der Feuerakademie standen alle Wege offen. Doch es gab nur einen, der den kleinen Dieb aus Ba Sing Se reizte.
 


 

Ein Jahr später
 

Hier, im marmornen Inneren des Palastes, wo jeder Schritt zehnfach widerhallte, war Takeru noch nie gewesen. Beklommen folgte er dem Gardisten die gewundenen Gänge entlang. Seit heute Morgen grübelte er darüber nach, weshalb Seine Durchlaucht ihn zu sehen wünschte.

Er konnte sich nicht daran erinnern, etwas angestellt zu haben. Doch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, wie er sehr wohl wusste. Als sich die große Doppeltür öffnete, schluckte er trocken. Stumm bedeutete der Wächter ihm einzutreten.

Also fasste Takeru all seinen Mut zusammen, ballte entschlossen die Fäuste und betrat das kühle Arbeitszimmer des Feuerlords. Als er auch nur einen Blick auf die Stiefelspitzen seines Herrschers erhaschte, verneigte er sich tief und sank auf die Knie.

„Takeru. Wie geht es Dir?“

„Mir, Herr?“

„Ja.“

Es wäre bestimmt vergebene Liebesmüh, darüber zu grübeln, weshalb es Zuko den Erneuerer interessieren sollte, wie es Kadett Nezu ging.

„Gut, Euer Lordschaft!“

„Das freut mich. Du darfst Dich erheben.“

Takeru beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen, hielt jedoch den Blick gesenkt.

„Deine Lehrer haben mir den halbjährlichen Bericht geschickt. Du scheinst überall die allerbesten Fortschritte zu machen. Aber ... offen gesagt habe ich dennoch ein kleines Problem.“

„Ein Problem?“ Jetzt hob der Junge doch die Augen. Flehend, betroffen. „Ich ... ich kann mich noch mehr anstrengen!“

„Nun, das glaube ich kaum.“, sagte Zuko milde erstaunt.

Der blutjunge Kadett vergass völlig, dass man seinem Fürsten nicht widersprach.

„Doch! Wirklich! Ich verspreche es!“, stiess er aus.

„Du bist bereits in allen Bereichen Klassenbester.“

„Aber ...“

„Das ist der Grund für diese beiden Briefe hier.“

Zuko hielt zwei überaus wichtig aussehende Dokumente in die Höhe.

„In diesem steht, dass Professor Dima Dich gerne als einen seiner Studenten hätte. Er lobt besonders Deine schnelle Auffassungsgabe und Dein Kombinationsvermögen.“ Er legte das Schreiben auf den Tisch. „Und in diesem hier drängt mich Dein Kampfmeister, Dich zum Kanjio ausbilden zu lassen. Aus ungefähr denselben Gründen. Die Entscheidung, Takeru, ist keine leichte. Sie bestimmt über Deinen zukünftigen Lebensweg. Ich habe daher beschlossen, sie Dir zu überlassen. Du hast eine Woche Zeit, Dir zu überlegen, was Du tun möchtest.“
 

Ein Kanjio? Er hatte tatsächlich die Wahl, ein Mitglied der königlichen Garde zu werden?

„Überlegen? Ich ... das muss ich nicht, Mylord.“

„Nein?“

„Als Kanjio wäre es mir möglich, Eure Familie zu schützen?“

Ein Lächeln der Vorahnung huschte über Zukos Gesicht. `Möglich´ ... diese Formulierung sagte ihm alles, was er wissen musste.

„Ja. Aber bist Du Dir bewusst, dass es kaum eine härtere Ausbildung gibt, als die zur Palastwache?“

Nun, EINE Ausbildung gab es, die noch härter war, und genau diese war das Ziel, welches Takeru Nezu anstrebte. Doch zuerst musste er ein Kanjio werden.

„Ja.“, sagte er daher.

„Takeru,“, setzte Seine Lordschaft an. „Ich weiss, Du bist der Meinung mir etwas zu schulden, doch ich kann Dir versichern, dass Du meine vergleichsweise geringe Tat mehr als wettgemacht hast, indem Du meine Tochter gerettet hast. Du hast Dein Leben riskiert. Keiner erwartet von Dir, mehr zu tun.“

„Aber ... ich will es.“

„Bist Du sicher?“

„Ja, Herr.“

Zuko forschte in den eisgrauen Augen des Jungen nach der Wahrheit.

„Gut. Dann soll es so sein. Solltest Du es Dir anders überlegen, zögere nicht es zu sagen.“
 

Takeru nickte, jedoch nur der Form halber. Es sich anders überlegen? In diesem Leben bestimmt nicht! Gerade war er einen weiteren Schritt in Richtung seines größten Traumes gegangen. Vielleicht konnte er ja doch eines Tages einen kleinen Teil seiner Schuld abbauen, sich von ein paar Monaten Hölle loskaufen.

Er würde ein Kanjio werden. Ein Bollwerk gegen die Feinde Seiner Lordschaft. Und danach wäre es ihm möglich, das letzte seiner Ziele in Angriff zu nehmen.

Vielleicht würde er als würdig empfunden, Kage zu werden.

Vielleicht ... wenn er sich nur genug anstrengte!
 


 

Feuerpalast, Gegenwart
 

„Wenn Ihr Euch ein bisschen anstrengt, dann schafft Ihr es vielleicht noch, mich ins Schwitzen zu bringen.“, spottete Lee trotz seiner Atemlosigkeit. „Ihr schlagt mittlerweile zu wie ein Mädchen!“

„Achtet lieber auf Eure Deckung, Hoheit!“

„Ha! Die ist tadellos, meine Deck ...“

Mit einem einzigen zischenden, zielgerichteten Schwung eines hölzernen Kampfstabes wurde der hoheitlichen Großspurigkeit ein Ende bereitet.

„Ist sie nicht.“, sagte Hauptmann Nezu gelassen und streckte eine Hand aus, um dem Prinzen aufzuhelfen. Die Hilfe wurde dankbar angenommen und ... schamlos ausgenutzt. Der am Boden liegende stemmte die Füsse gegen die Brust des Hauptmanns und zog.

Dummer Plan. Aber EINMAL hätte es doch klappen können, oder?
 

„Verdammt!“

„Habt Ihr genug gespielt?“

„Gespielt? Mindestens ein Dutzend blaue Flecken werd ich kriegen.“

„Ich zählte drei bis vier.“

„Pah! Ich wette, Lu Ten kassiert keine Blessuren.“

„Kaum.“, stimmte Takeru zu. „Er nimmt die Sache ernster.“

„Ja, ja. Lu nimmt alles ernst. Aber tut meinem Stolz einen Gefallen und erzählt mir nicht, er hätte mittlerweile einen Weg gefunden, Euch zu knacken.“

„Nein.“

„Gut! Ich dachte schon, ich lasse nach.“

„Nicht wirklich. Lediglich Eure Deckung ...“

„Ja. Die Deckung. Ich weiss. Dabei war ich in letzter Zeit so oft mit Decken beschäftigt, dass ich mit dem Zählen schon nicht mehr hinterher komm.“

Als der Hauptmann nur seine übliche, steinerne Mine zeigte, verdrehte Lee die Augen.

„Oh, bloss nicht lachen, Master Gargoyle, was?“

„Wann soll ich das nächste Training anberaumen, Hoheit? Morgen?“

„Wollt Ihr mich jetzt jeden Tag verdreschen? So geht man nicht mit einem werdenden Vater um.“

„Meine Gratulation noch hierzu, an Euch und Eure Gattin.“

„Danke! Ich werd´s ausrichten.“ Unwillkürlich glitt ein strahlendes Lächeln über Lees Gesicht. „Wartet erst mal ab, bis der Wonneproppen da ist. Das gibt ein Baby ...!“

„Da bin ich fast sicher.“
 

Während Lee seine eher kleinen Schrammen sachgemäss verarzten und bemitleiden liess (Niha hatte ihm nur kopfschüttelnd einen nassen Lappen in die Hand gedrückt und gemeint, sie könnten gerne tauschen, wenn er dafür den letzten Monat der Schwangerschaft für sie übernähme), sah man Lord Zuko zu ungewohnter Zeit an ungewohntem Ort.

Jin erspähte ihn gerade noch rechtzeitig, um hastig ein großes Tuch über ihren Schreibtisch zu werfen.

„Was ... tust Du denn hier, oh Vielbeschäftigter?“

„Will ich wissen, was unter diesem Schal ist?“

„Nein!“

„Gut. Ich habe nachgedacht.“

„Wirklich?“

„Jin!“

„Entschuldige. Über Aya?“

„Ja.“

„Ich auch.“

„Zu welchem Schluss bist Du gekommen?“

„Zu einem sehr weiblichen, fürchte ich.“

„Der wäre?“

„Sie ist verliebt. Sich derart vehement gegen die Liebe auszusprechen, deutet meistens darauf hin, dass genau das im Spiel ist.“

„Wirklich eine sehr weibliche Sichtweise.“

„So? Zu welchem Schluss bist Du gekommen?“

„Liebe.“

„Bitte?“

„Sie ist dasjenige unsrer Kinder mit dem fürsorglichsten Wesen. Ich hatte immer angenommen, sie wartet nur auf den Richtigen. Aber anzudeuten, das es den Richtigen nicht gibt, sieht ihr so gar nicht ähnlich. Es sei denn, es gibt ihn durchaus und sie sieht keine mögliche Zukunft mit ihm.“

„Hm. DIESE Sichtweise ist natürlich viel männlicher! Hältst Du es für möglich, dass es sich um einen verheirateten Mann handelt?“

„Niemals!“

„Aber ...“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Jin, sie ist Deine Tochter! Die Ehe ist ihr heilig. Der Mann einer anderen würde sie niemals interessieren. Ich denke, ihr Herz gehört entweder jemandem, von dem sie denkt, dass er ihre Gefühle nicht erwidert, oder sie glaubt, derjenige sei für uns nicht akzeptabel.“

„Oh, ich weiss!“ Sofort ging Jins Phantasie mit ihr durch. „Ein Strassenräuber vielleicht?“

„Jin!“

„Was denn? Da soll es richtige Ehrenmänner geben.“, klärte sie ihn eifrig auf.

„Natürlich! Sie sind die Crème de la Crème. Wahre Helden.“, stimmte Zuko trocken zu. „Nur wurde Aya niemals überfallen.“

„Stimmt leider.“, gab Mylady zu. „Aber bestimmt HÄTTE sie sich dann verliebt. Hals über Kopf! In einen dieser verwegenen, strammen Kerle! Einer mit Maske und Akzent.“

„Kobold!“

Sie musste kichern.

„Ich liebe es, wenn Du mich ansiehst, als wüsstest Du nicht, an wessen Verstand Du zu zweifeln hast.“

„Im Ernstfall natürlich an meinem, mein Herz.“

„Du bist eben der beste Ehemann, den man sich wünschen kann.“

„Wie schön, dass Du das erkennst.“

Dafür bekam er einen zarten Kuss.
 

„Weisst Du noch?“, murmelte Jin, während sie sich an ihn lehnte. „Kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag hatten wir schon mal angenommen, sie sei verliebt. Du warst ganz aus dem Häuschen, weil wir dachten es wäre ...“

„Takeru!“, stiess Zuko hervor. „Aber natürlich! Du bist brillant!“

„Brilliant? Wieso? Das Ganze hatte sich doch als Irrtum herausgestellt.“

„Das DACHTEN wir.“

„Wie, das dachten wir? Nach seiner Verwundung war Aya doch vollkommen anders zu ihm. Sie hat ihn danach kaum mehr beachtet.“

„Ja, mein Herz. Aber mal ehrlich: Dieses Kind von uns ist weder oberflächlich noch wankelmütig. Narben, ob vorhanden oder nicht, interessieren sie nicht im Geringsten. Warum zum Teufel hätten sich ihre Gefühle also ändern sollen?“

„Weil ...“

„Sie sich ...“

„Gar nicht geändert haben.“

Zuko nickte.

„Das würde ja heissen, Aya war all die Jahre in Hauptmann Nezu verliebt.“, hauchte Jin. „Wir sind Rabeneltern!“

„Nein, Kobold, Raben sind in Wahrheit ganz exzellente Eltern.“

„Mein Mäuschen ist seit sieben Jahren unglücklich verliebt.“, jammerte die Feuerlady, völlig unbeeindruckt von der fundierten, zoologischen Bildung ihres Gatten.

„Bleibt noch die Frage, warum sie das die ganze Zeit über so geheim gehalten hat“, murmelte Zuko nachdenklich.
 

Die Frage war recht simpel. Die Lösung weniger.

Seit sie die Wahrheit über ihr Gefühlschaos erkannt hatte, lebte Aya der Welt eine Lüge vor.

Es gab Tage, an denen sie sich gar nicht so unglücklich fühlte. Tage, an denen die Liebe und das Lachen ihrer Familie sie den Kummer fast vergessen liess. Doch unausweichlich folgte auch diesen Tagen eine Nacht.

Unvermeidliche, verhasste Nacht. Wenn niemand mehr da war. Wenn sie allein in ihren Gemächern war.

Wo sich die Mauern nicht mehr aufrecht erhalten liessen. Wo aus den dunklen Schatten und Ritzen Einsamkeit auf die junge Frau zu kroch.

Einsamkeit, Verzweiflung und Sehnsucht. Die Gefährten ihrer Träume.
 

Dass es Aya gelungen war, an den wachsamen, liebevollen Augen ihrer Eltern vorbei ihr Herz auf ewige Zeit hinaus zu verlieren, sprach Bände über ihre phänomenale Selbstbeherrschung und Wohlerzogenheit.

Egal, ob ein vierstündiger Empfang sie unsäglich langweilte, eine Unterrichtsstunde in zeremoniellem Fächertanz sie anödete, Kopfschmerzen sie quälten oder sie vor Kummer weder aus noch ein wusste, stets zeigte sie eine anmutige Fassade ausgeglichener Gelassenheit und Würde.

Der Grund für dieses Verhalten lag weit zurück.
 


 

Feuerpalast, sieben Jahre zuvor
 

Zu ihrem sechzehnten Geburtstag wurde die Prinzessin von einer wohlmeinenden Seele mit etwas konfrontiert, das das Leben der jungen Dame nachhaltig beeinflussen sollte. An diesem Abend, an dem ihre Geburtstagsfeier in eine Katastrophe gemündet hatte, brachte Lady Jin, begleitet von Mia Ling, einer älteren Hofdame, das aufgewühlte Mädchen auf seine Gemächer.

Vor einer halben Stunde war Aya nur knapp dem Angriff einiger radikaler Eiferer entkommen. Seit Jahren versuchten sie alles, um den Feuerlord und seine Friedenspolitik zu vernichten. Und es war allgemein bekannt, dass Zuko II nur eine Schwachstelle hatte. Seine Familie.
 

„So, Schatz. Zieh schnell die Sachen aus!“

Etliche Schichten blutbesudelter Seide wurde so rasch als möglich entfernt.

„Mia? Bitte einen warmen Waschlappen!“

Umsichtig wusch Jin das halb getrocknete Blut von der milchweißen Haut ihrer Tochter, bis sie wieder makellos und unbefleckt war. Dann wurde die hochgewachsene Gestalt schnell in einen warmen, trockenen Kimono gehüllt.

„Setz Dich hin!“

Noch immer am ganzen Leibe zitternd, gehorchte das Mädchen.

„Mia? Wasser.“

Sofort wurde Mylady ein Glas kühles, frisches Wasser gereicht.

„Trink das.“ 

Aya trank, während ihre Mutter ihr zärtlich das Haar aus dem Gesicht strich.

„Geht´s besser?“

Die Prinzessin nickte mechanisch.

„Mäuschen!“ Jin, mittlerweile auf der Armlehne des Sessels sitzend, drückte den Kopf ihrer Tochter fest an ihre Schulter. „Jetzt ist alles gut. Du bist in Sicherheit!“
 

Alles gut. War wirklich alles gut? Aya erwachte aus ihrem tranceartigen Zustand.

Da war soviel Blut gewesen. Bäche davon. Seen. Bis an ihre Haut war es gedrungen, das Blut. SEIN Blut. Es KONNTE nicht alles gut sein!

„Wie ... wie geht es ihm?“, flüsterte sie.

„Takeru?“, fragte Jin. „Ich weiss nicht. Ich war so in Sorge um Dich, dass ich nicht ...“

„Bitte sieh nach, ob es ihm gut geht!“

„Ich denke, Du solltest erst mal versuchen zu schlafen. Dr. Yiu wird Dir ein leichtes Beruhigungsmittel mischen.“

„Bitte, Mama!“ Aya krallte die Finger in den kostbaren Ärmel ihrer Mutter.

„Ja. Ist gut. Mia ...?“

„Nein! Du sollst selbst gehen. Wer weiss, ob Lady Ling die Auskunft überhaupt erhält.“

Die goldenen Augen des Mädchens schwammen in Tränen.

„Ist gut, Schatz. Ich geh. Aber Du musst Dich beruhigen.“

„Ja ...“

Jin küsste noch einmal die Schläfe ihres Kindes, drückte ihre Wange dagegen und stand dann auf, um den Wunsch der Prinzessin nachzukommen.
 

Nachdem die Feuerlady den Raum verlassen hatte, kauerte ihre Tochter wie ein Häufchen Elend am Rand des grossen Sessels.

„Möchtet Ihr noch ein Glas Wasser, Hoheit?“

„Nein.“, flüsterte Aya. „Nein, ich brauche nichts.“

Nichts, ausser der Gewissheit, dass es ihm gut ging ...

„Prinzessin ...“

„Ja?“

„Haltet Ihr Euer Betragen wirklich für ... angebracht?“

Erstaunen holte Aya aus ihrer Lethargie.

„Mein Betragen?“

„Nun ... ja. Es liegt mir fern, Euch zu kritisieren ...“

„Ich habe das Gefühl, das tut Ihr bereits.“

„Verzeiht. Ich hätte nichts sagen sollen.“

„Was hättet Ihr nicht sagen sollen, Lady Ling?“

„Nichts!“

Aya straffte sich.

„Ich will es wissen. Inwiefern verhalte ich mich unangebracht?“

„Nun ... Eure Gefühle für den Hauptmann.“

„WAS?“ die Prinzessin wurde noch blasser, als sie es ohnehin schon war. „Gefühle? Ich weiss nicht, wovon Ihr sprecht.“

„Es braucht Euch nicht unangenehm zu sein, Hoheit. Takeru Nezu ist ein überaus gut aussehender, schneidiger Offizier, der die Herzen aller jungen Damen höher schlagen lässt. Eure Reaktion ist nur natürlich.“

„Wie ... wie könnt Ihr ...? Ich bin nicht `alle junge Damen´! Und ich zeige auch keine Reaktionen!“

Mia Ling wurde bewusst, einen großen Fehler begangen zu haben. Offensichtlich hatte sie die Tochter des Fürstenpaares völlig überrumpelt. Das arme Kind war sich seiner Gefühle gar nicht bewusst gewesen, hatte im Dunkeln getappt. Oh, diese ahnungslose Jugend!
 

„Beruhigt euch doch, Prinzessin! Ich wollte nicht ...“

Inzwischen war Aya aufgesprungen und stand an einem der großen Fenster.

„Ist es so offensichtlich?“, hauchte sie, während sie in die Nacht starrte.

„Wie bitte?“

„Ist es offensichtlich? Habe ich mich lächerlich gemacht?“

„Lächerlich? Aber nein, Ihr ...“

„Aber Ihr habt es bemerkt!“, stiess die junge Frau hervor. „Agni ... Ich habe mich lächerlich gemacht!“

„Nein! Nein, Kindchen, habt Ihr nicht. Ich kenne Euch eben zu gut.“

„Haben meine Eltern etwas bemerkt?“

„Nun ... vielleicht. Ich weiss nicht. Ich glaube, es ist ihnen bewusst, dass Ihr sehr an Eurem Kage hängt.“

„Oh je! Oh je ... was mach ich denn jetzt?“

„Was Ihr macht? Gar nichts, Hoheit. Ihr lasst Euch einfach nichts anmerken. Zeigt eine Fassade gelassener Heiterkeit, und niemand wird merken, dass Ihr Gefühle für einen unpassenden Mann entwickelt habt.“

„Unpassend?“ Aya drehte sich um. „Weshalb sollte Hauptmann Nezu unpassend sein?“, fragte sie trotzig.

„Aber Prinzessin, er ist nur ein Mitglied der Leibgarde."

„Er ist mehr als das. Er ist ein Kage! Und ... außerdem tapfer, aufrichtig, ehrenhaft und ... und ... edel. Daran ist nichts auszusetzen!“

„Ihr seit eine königliche Prinzessin!“

„Und? Meine Mutter ist eine Weberin. Meine Eltern halten nichts von Standesdünkel. Ich bin sicher, wenn ich...“
 

„Und der Hauptmann selbst?“, warf Mia leise ein.

„Was?“

„Denkt Ihr auch an ihn? Wollt Ihr ihn derart kompromittieren? Wie soll er damit umgehen, solltet Ihr ihm Avancen machen? Es stünde ihm wohl schlecht zu Gesicht, darauf einzugehen. Ebenso wenig könnte er Euch durch eine Zurückweisung vor den Kopf stossen. Er würde sich in einer unmöglichen Zwickmühle wieder finden. Wollt Ihr sein Ehrgefühl wirklich auf diese Probe stellen?“

„Zwickmühle? Aber ... mein Wohl liegt ihm am Herzen. Das weiss ich!“

„Kindchen“, sagte Mia sanft. „Ihr seit sein Schützling. Und außerdem die Tochter seines Herrschers. Natürlich liegt ihm Euer Wohl am Herzen. Es ist seine Pflicht als Untertan und als Euer Leibwächter. Wenn Ihr die Situation falsch interpretiert, macht Ihr seine Lage unmöglich.“
 

Falsch interpretiert? Interpretierte sie alles nur falsch? Seine Sorge um sie? Seine Zuvorkommenheit?

„Seine Loyalität Eurem Vater gegenüber zwänge ihn womöglich sogar, seinen Dienst zu quittieren“, mahnte die Hofdame leise.

Den Dienst quittieren? Nein, alles, nur das nicht!

„Ich werde mir nichts mehr anmerken lassen“, flüsterte Aya.

„Gut!“ Die ältere Dame tätschelte begütigend ihre Hand „Der Hauptmann ist zweifelsohne ein tadelloser Mann. Doch ich bin sicher, sein Anstand und sein Pflichtgefühl verböten ihm jegliche überschwängliche Empfindung Euch gegenüber. Als Leibwächter hat er emotionalen Abstand zu wahren.“
 

Agni! Sie hatte alles falsch verstanden, sie ...

Welches `alles´ überhaupt? Der Hauptmann war einfach nur zuvorkommend, aufmerksam und verständnisvoll gewesen. Nicht mehr, und nicht weniger. Er sah in ihr vermutlich nur ein dummes, schutzbedürftiges Kind.

Hatte er ihre Gefühle bemerkt? War es ihm womöglich schon peinlich gewesen?

Das Wissen, dass sein Anblick ihr Herz seit einiger Zeit so zum rasen brachte? Dass seine Stimme genügte, sie in luftige Höhen zu befördern?

Wie töricht diese Empfindungen gewesen waren, wurde ihr erst jetzt bewusst. Ebenso die Tiefe ihrer Neigung ...

`Bitte! Bitte, lass nicht zu, dass er es gemerkt hat! Bitte ...!´

Der Anblick der aufgewühlten Prinzessin, die verzweifelt die Hände rang, liess Mia noch einen letzten Trost anbringen.

„Glaubt mir, Hoheit, in Eurem Alter ist eine neue Liebe schnell gefunden. Mit der Zeit wird diese Schwärmerei vergehen. Ihr werdet Euch rückblickend über Euch selbst wundern, und die Sache belächeln.“
 

Doch drei Dinge wusste Prinzessin Aya von diesem schicksalhaften Abend an mit absoluter Gewissheit:

Erstens: Sie liebte Takeru Nezu.

Zweitens: Sie würde niemals damit aufhören.

Und drittens: Er durfte es unter keinen Umständen erfahren!
 

So fest sie konnte schloss sie ihre Liebe in einen Kokon ein. Verborgen vor der Welt. Sie liess nicht zu, dass etwas davon nach aussen drang. Weder in Gegenwart des Mannes, dem sie galt, noch in Gegenwart ihrer Eltern, die sich ohnehin nur wieder Sorgen gemacht hätten.

Doch Kokons haben nicht nur die Eigenschaft, Dinge zu schützen, sie lassen sie auch wachsen.

Und so wuchs ihre Liebe. Von Tag zu Tag. Von Jahr zu Jahr.

Eingehüllt in ihr schützendes, enges Zuhause begann sie zu schmerzen und zu pochen.

Aya lernte, überschwängliche Emotionen hinter einer Maske aus graziösem Gleichmut und unantastbarer Würde zu verbergen.

Die goldene Prinzessin. Unerschütterlich, ungerührt, unerreichbar.

Mit einem Herzen, das kein Mann zu erobern vermochte.

Sie war freundlich. Doch sie war es zu jedermann. Sie war geduldig, doch sie war es zu jedermann. Sie war einfühlsam. Doch sie war es gegenüber jedermann.

Und sie war traurig. Doch das ... wusste keine Menschenseele. Nicht einmal ihre über alles geliebte Familie.

Die Menschen begannen, über ihr Herz aus Gold zu sprechen: Großzügig, warm, verständnisvoll und doch so kalt und stolz der Liebe trotzend.

Das Herz aus Gold

Das wirklich Ironische an Ayas unglücklicher Situation war, dass sie sich anfangs vehement dagegen gewehrt hatte, Hauptmann Nezu überhaupt als neuen Kage zu akzeptieren.

Sie hatte ihn nicht gemocht, diesen furchteinflössenden Fremden mit den kalten Augen. Sie hatten ihn nicht haben wollen, damals ...
 


 

Damals
 

Lyra legte letzte Hand an die kunstfertige Frisur. Endlich war jedes Härchen an seinem Platz. Sie trat zurück, durchaus stolz auf ihr Werk.

„So. Das wär´s, Prinzessin.“

Aya warf einen bangen Blick in den Spiegel, seufzte tief und nickte. Sie sah so anders aus. So ... erwachsen.

Es klopfte leise und Jin betrat den Raum.

„Fertig, Schatz?“

„Ja ...“

„Hier sind Deine Handschu ... Meine Güte!“, hauchte Mylady. „Ach Du meine Güte.“

„Ist die Frisur nicht richtig?“, fragte Aya.

Sie hatte doch gleich gewusst, dass dieser komplizierte, kunstvolle Knoten mit all diesen Blütenfäden übertrieben war!

„Mäuschen! Du siehst so hübsch aus. Absolut wundervoll! Manchmal frage ich mich, ob da wirklich meine Gene mit im Spiel sein können.“

„Natürlich sind sie das!“ Die Prinzessin runzelte die Stirn.

„Ja. Nur zu sehen ist Gott sei Dank nichts davon. Sei froh, dass Du das gute Aussehen der Tatzus abbekommen hast.“

Ayas Stirnrunzeln vertiefte sich noch ein wenig mehr.

„Mir gefällt es nicht.“, stiess sie aus.

„Was?“

„Muss das denn sein?“

„Schatz. Es geht nicht anders. Ryo kann nicht ewig Dein Kage bleiben.“

„Ich will aber keinen anderen!“

„Aya ...“

„Er ist nicht zu alt! Und er kann sehr gut auf mich aufpassen!“
 

„Sprichst Du von Hauptmann Rafu?“

Beim Klang der tiefen, rauen Stimme zuckte Aya schuldbewusst zusammen.

Ihr goldener Blick suchten im Spiegel den ihres Vaters.

„Ja.“, gab sie kleinlaut zu.

„Hatten wir das nicht schon durchgekaut?“, wollte er wissen.

„ ... ja.“

„Also?“

„Ich ...“

„Ryo Rafu hat uns lange und treu zur Seite gestanden. Er hat sich seinen Ruhestand mehr als verdient.“

„Aber ich hab Angst ohne ihn!“

„Aya! Leutnant Nezu wird der Aufgabe mehr als gewachsen sein.“

„Ich kenne ihn aber gar nicht!“

„Schluss jetzt!“, sagte ihr Vater streng. „Ich will kein Wort mehr hören. Du machst Ryo nur traurig, wenn Du so ein Gesicht ziehst.“

Die Prinzessin presste die Lippen zusammen. Ihre Augen wurden nach dieser Schelte verdächtig feucht.
 

„Zuko ...“

Die warnend gezückte Augenbraue ihres Gatten liess Jin ihren Einspruch vorerst auf Eis legen. Er hatte ja Recht. Hauptmann Rafu war sechzig Jahre alt. Es war das Alter, indem alle Leibwächter aus dem aktiven Dienst schieden. Diejenigen, die es wollten, arbeiteten danach als Ausbilder, Waffenmeister oder wechselten an einen ruhigen Schreibtisch-Posten. Es stand ihnen aber auch frei, sich ganz aus dem Militärdienst zu verabschieden. So oder so wurde jedem von ihnen ein komfortables, kleines Häuschen und eine mehr als ausreichende Rente überschrieben.

„Kind, komm her.“, sagte Zuko ruhig.

Als Aya vor ihm stand, schloss er sie tröstend in die Arme.

„Ich würde Deine Sicherheit nie in die Hände eines Mannes legen, dem ich nicht voll und ganz vertraue.“

„Ja.“

„Ich weiss wie sehr Du an Hauptmann Rafu hängst. Und das ist auch gut so. Ein Kage ist jederzeit bereit, sein Leben für uns aufs Spiel zu setzten. Dafür gebühren ihm unser Respekt und unsere Liebe. UND ein sorgloser Lebensabend. Lass Deinen Ryo gehen und seine geliebten Orchideen züchten. Komm mit mir in den Thronsaal, lächle, wünsche ihm Glück und mach ihn stolz. Du kannst ihn doch jederzeit besuchen, wenn Du ihn brauchst.“

„Ja. Gut.“, flüsterte Aya.

Ihr Vater strich liebevoll über ihre Wange.

„Nicht traurig sein, Flämmchen. Hast Du die Handschuhe?“

Sie straffte sich, nickte und nahm die kostbar bestickten Seidenhandschuhe von ihrer Mutter entgegen.

„Ich bin soweit.“
 

Sie war überhaupt nicht soweit!

Warum nahm man ihr ihren Ryo weg? Er war nicht zu alt! Er war auch nicht zu langsam! Er beschütze sie nun schon seit acht Jahren. Seit sie sechs geworden war. Er war ihr Kage! Ihr großer, beruhigender Schatten, der ihr aufmunternd zuzwinkerte, wenn sie bei der tausendsten Aufzählung ihrer Ahnenreihe einzunicken drohte; der sie schimpfte, wenn sie ohne Schuhe durch die Gegend spazierte, und der ihr genau sagen konnte, zu welchem Vogel welches Gezwitscher gehörte.

Der neue Wächter, den ihr Vater für sie bestimmt hatte, war ... anders.

Sie hatte schon den ein oder anderen Blick auf ihn geworfen, wenn er in der großen Halle trainiert hatte.

Ihre Hofdamen - falls man diese albernen Gänse so nennen konnte - hatten die Tonleiter rauf und runter gekichert und geseufzt, als sie den imposanten Offizier von der Galerie aus beobachtet hatten.
 

Aya fand ihn einfach nur zu jung. Zweiundzwanzig. Das musste man sich mal vorstellen. Mit zweiundzwanzig war noch niemand Kage geworden. Noch NIEMAND!

Er war zu jung, zu groß, zu muskulös und zu arrogant.

Ganz bestimmt war er arrogant.

Das waren die jungen Soldaten doch alle. Zumindest die gut aussehenden. Stolzierten herum wie Pfauhähne, mit ihrem Imponiergehabe. So einen wollte Aya nicht.

Sie wollte ihren ruhigen, besonnenen Ryo, mit dem polternden Lachen und den dazugehörenden Fältchen! Der ach so schneidige Leutnant Nezu, mit dem goldbraunen Haar, hatte bestimmt keine einzige Furche um die Augen.

Die Augen. Die angeblich ebenso unglaublich sein sollten, wie der ganze Rest von ihm, wenn man Seri Glauben schenkte. Zehn Minuten lang hatte sie sich hinter vorgehaltener Hand über die Sehorgane Takeru Nezus ausgelassen. Na und? Dann hatte er eben so helle, seltsame Augen wie einer dieser arktischen Wolfshunde. Aber darum von Silbernebel und durchscheinendem Gletschereis zu schwärmen, oder etwas über Mondsteine zu faseln ... Wie albern!

Albern, albern, albern!

Und doch bestand ihr Vater darauf, dass dieser Mensch, den sie überhaupt nicht kannte, von nun an auf sie Acht gab. Aya hasste es!

Sie mochte es generell nicht besonders, mit Fremden zu sprechen. Sie kam sich dabei immer dumm vor. Zu linkisch, zu groß, zu schlaksig. Als Prinzessin musste sie jedoch mit allen möglichen Besuchern reden.

In diesen Fällen war es ungemein beruhigend, wenn Hauptmann Rafu hinter ihr stand und ihr später versicherte, sie habe sich überhaupt nicht blamiert und auch gar nichts unpassendes gesagt. Warum nahm Papa ihr jetzt dieses vertraute Gesicht?

Sie war kindisch. Und sie wusste es. So war nun mal der Lauf der Dinge. Also ging sie stumm hinter ihren Eltern her.
 

Es kam nicht oft vor, dass der Thronsaal derart voll war, wie an diesem Tag. In der Kultur der Feuernation genossen die Kage einen enorm hohen Stellenwert. Schliesslich war Tatzu, der erste aller Feuerlords, das Oberhaupt der damals bedeutendsten Familie der Wächter-Kaste gewesen. Er selbst war dereinst persönlicher Leibwächter König Kervans, des letzten Hochkönigs der Feuerdrachen, gewesen. Und so wurden zur Verabschiedung und Neueinsetzung der Wächter noch immer die alten Zeremonien durchgeführt.

Zu diesem Zweck hatten sich zwei lange, kerzengerade Reihen von Gardisten in dem riesigen Saal aufgestellt und bildeten eine Gasse.

Vor dem Drachenthron standen die Mitglieder der fürstlichen Familie und Kommandant Kuroto, Befehlshaber der Palast- und Leibwachen.
 

Auf ein unsichtbares Zeichen hin betrat Hauptmann Ryo Rafu in makelloser Paradeuniform den Saal und schritt langsam durch das Spalier aus Soldaten.

Als er schliesslich vor seinem Lord stand, kniete er nieder. Es war das einzige Mal, dass ein Kage beide Knie zu beugen hatte.

„Hauptmann Rafu.“

„Mein Lord.“

„Ihr habt Schwert und Leben in unseren Dienst gestellt, und uns lange und treu gedient. Unser Dank sei Euch gewiss. Euer Name wird in den Hallen der Wächter in Stein gemeisselt und mit Ehrfurcht genannt werden. Eurem Wunsch entsprechend, wird Euch ein Anwesen nahe des Palastes überschrieben. Ich entbinde Euch heute Eures Versprechens und Eurer Pflichten. Prinzessin Aya obliegt von nun an nicht mehr Eurem Schutz.“

Ryo griff an seinen Gürtel, nahm ein Paar Seidenhandschuhe in beide Hände und bot sie dem Feuerlord dar.

„Schwert für Ehre.“, sagte der Soldat.

Zuko nahm die Handschuhe entgegen.

„Ehre für Treue.“, erwiderte er. „Erhebt Euch.“

Dann stand Ryo Rafu, eben noch Kage Ihrer königlichen Hoheit Prinzessin Aya, auf.
 

Es begann der inoffizielle Teil. Der Abschied.

Ryo trat vor seinen ehemaligen Schützling.

„Na, na. Seh ich da etwa ein langes Gesicht, Fräulein?“

Aya schluckte und versuchte es mit einem wenig überzeugenden „Nein.“

Ohne viel Federlesen wurde sie in eine bärenhafte Umarmung gezogen.

„Mädchen!“, murmelte er rau. „Willst Deinen alten Ryo doch nicht traurig machen?!“

„Bestimmt nicht.“, flüsterte die Prinzessin. „Ich wünsche Dir alles Glück dieser Welt.“

„Und ich Euch, Goldkind. Ihr werdet es haben, das weiss ich.“

„Ich ... werd Dich schrecklich vermissen, Ryo!“ Jetzt musste sie doch weinen ...

„Wohn doch gleich ums Eck.“, brummte der altgediente Haudegen. „Und ich werd auch immer Orangenkuchen bereit halten.“

Aya entfuhr ein wackliges Lachen.

„Ja.“ Verstohlen wischte sie die Tränen weg. „Aber ich weiss nicht, was ich ohne Dich machen soll.“

„Ah ... papperlapapp. Das Gleiche wie immer. Euer neuer Kage, der junge Nezu, wird noch besser auf Euch aufpassen als ich. Hab noch nie einen solchen Kämpfer gesehen. Außer Eurem Vater, natürlich. Du bist in den besten Händen, mein Goldkind.“, fügte er flüsternd hinzu und drückte, natürlich ganz inoffiziell, einen Kuss auf ihre Stirn.

„So, Mylord.“, seufzte der alte Offizier. „Ich bin soweit.“

„Ja, Ryo. Hab Dank für alles.“

„War mir eine Ehre!“

Damit verneigte sich Hauptmann Rafu und ging erneut durch die Gasse der Uniformierten. Entlang seines Weges zogen die Soldaten ihre Schwerter und kreuzten sie über seinem Kopf.
 

„Leutnant Nezu?“, rief Zuko.

„Ja, HERR?“

„Vortreten!“

Am Ende der kerzengeraden Reihen trat ein sehr großer, junger Mann hervor und schritt zielstrebig durch das Spalier. Die Gardisten, an denen er vorübergegangen war, schwangen ihre immer noch gekreuzten Säbel in weitem Bogen wieder nach unten, um sie schliesslich zischend in die Scheiden fahren zu lassen.

Vor der fürstlichen Familie sank der junge Leutnant auf beide Knie.

„Takeru Nezu, Du wurdest in den letzten Jahren auf Herz und Nieren geprüft und für würdig befunden, in die Ränge der Kage aufzusteigen. Ist es Dein Wunsch, ein Schatten zu werden?“

„Ja, mein Lord.“

„Willst Du Dein Schwert in den Dienst meiner Familie stellen, und sie mit Deinem Leben verteidigen?“

„Ja, mein Lord.“

„Ich binde Dich an Dein Versprechen.“

„Durch Ehre werde ich daran gebunden sein.“

Kommandant Kuroto heftete dem jungen Mann die Abzeichen seines neuen Ranges an die Schulterklappen.

Als dies getan war, trat Aya vor, um vor dem frisch dekorierten Hauptmann niederzuknien.
 

„Takeru Nezu, seid Ihr gewillt, dieses meiner Kinder zu schützen?“

„Bis zu meinem letzten Atemzug, Mylord.“

„Aya.“ Auffordernd nickte Zuko seiner Tochter zu.

Die Prinzessin griff nach den Seidenhandschuhen an ihrer Schärpe und bot sie dem Hauptmann mit beiden Händen und gesenktem Kopf dar.

„Ehre für Schwert.“, sagte sie leise.

„Treue für Ehre.“, erwiderte die tiefe Stimme ihres neuen Beschützers, als er - ebenfalls mit gesenktem Haupt - die kostbar bestickten Kleinode entgegen nahm. Mit einem Handgriff heftete er sich das seidene Symbol seiner neuen Verantwortung an den Waffengurt.

„Hauptmann Nezu, die Sicherheit von Prinzessin Aya Ria Tatzu liegt von nun an in Euren Händen. Erhebt Euch!“

Aya erhob sich ebenfalls. Sie sah auf und starrte direkt in die Augen ihres neuen Kage.

Augen die sie kannte. Augen, von denen sie ab und an träumte. Unheimliche Augen von durchscheinendem, silbrigem Grau mit Splittern eisig schimmernden Aquamarins. Es waren die wilden Augen des schmutzigen Jungen, der sie auf den Boden geschleudert und fast erstickt hatte.
 


 

Vier Tage später
 

Die Art, wie sich die Tür zu Mylords Arbeitszimmer öffnete, hatte etwas sehr unverbindliches an sich. Ein dunkelbrauner Zopf baumelte ins Zimmer, gefolgt von einem fragenden Augenpaar. Ganz offensichtlich also eine Person, die bereit war, jederzeit den Rückzug anzutreten, sollte sie stören.

„Zuko?“

„Hm?“

„Bist Du sehr beschäftigt?“

„Kommt darauf an.“, brummte er und setzte seine krakelige Unterschrift unter ein Dokument.

„Auf was denn?“

„Auf den Grund Deines Kommens.“

„So?“

„Schimpfen - Ich hab leider GAR keine Zeit. Verhätscheln - ich bin ganz Dein.“

„So, so. Verhätscheln soll ich Dich.“

„Goldene Ehefrauen-Regel Nummer sieben.“

Jin, ergebenste aller Ehefrauen, eilte zu seinem Sessel, umfasste sein Gesicht und bedachte ihn mit einem langen, innigen Kuss. Zuko packte die Gelegenheit bei den Hüften und zog sie auf seinen Schoss.

„So. Das war verhätscheln. Darf ich nun eine Bemerkung loswerden?“

„Ich hab´s befürchtet.“, seufzte er. „Du kommst NIE nur zum Verhätscheln!“

Mylady schnaubte empört und das völlig zurecht. Schliesslich war es ihre Berufung, diesen Mann zu verhätscheln.

„Zuko! Ich mein´s ernst.“

„Ich auch.“

„Könntest Du mir bitte Deine Aufmerksamkeit schenken? Nein, NICHT meinem Ausschnitt!“ Sie schob seine Hand beiseite.

Zuko schnalzte bedauernd mit der Zunge. „Also schön, Kobold. Was ist?“

„Es ist wegen Aya.“

„Hm.“

„Was, Hm?“

„Geht es um Takeru?“

„Ja.“

„Die Antwort ist nein!“

„Du weisst doch gar nicht ...“

„Doch. Du wolltest mich bitten, ihr einen anderen Kage zuzuweisen, weil sie sich unwohl fühlt.“

„So in etwa.“

„Nein.“

„Aber er macht ihr Angst.“

„Alle Fremden machen Aya Angst.“

„Das stimmt doch gar nicht. Sie ist bei weitem nicht mehr so schüchtern wie früher.“

„Schüchtern genug.“

„Ach ... und das passt Dir nicht?“

„Nein, es passt mir nicht.“

„So.“, sagte Jin leise und verschränkte die Arme. „Da hat eins unsrer Kinder zur Abwechslung mal nicht Deinen Feuerfresser-Mumm abbekommen und schon passt Dir das nicht.“

„Das ist doch gar nicht der Punkt!“, erwiderte er. „Es passt mir nicht, weil sie darunter leidet. Wenn sie lernt, ihre Schüchternheit zu überwinden, wird sie viel unbeschwerter sein. Außerdem: wenn sie ihn erst einmal kennt, wird sie ihn auch mögen. Du wirst sehen, in ein paar Wochen will sie ihn gar nicht mehr hergeben.“

„Gut. Seh ich ein. Aber momentan kennt sie ihn noch nicht. Und sie träumt schlecht.“

„Bitte?“

„Ja. Und das halte ich nicht mehr für blosse Schüchternheit. Irgendwas ist da ...“

„Jin, ich vertraue dem Jungen voll und ganz!“

„Ich doch auch! Aber ...“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Schön, ich rede mit ihr.“

„Das ist mein Drache! Dann können wir ja jetzt das mit dem Verhätscheln wieder aufgreifen.“, strahlte Jin. Das Beschmusen ihres Ehegatten gehörte nunmal eindeutig zu ihren Lieblingsbeschäftigungen!
 

Es klopfte an der Tür zu Ayas Gemächern. Sie verkrampfte.

Bestimmt war es wieder eine der Hofdamen ihrer Mutter, um sie zu bitten irgendeinem unbedeutenden Ereignis beizuwohnen nur damit sie `unter Leute´ kam. Dass Mama sich auch immer Sorgen machen musste ...

Schön, dann sass sie eben zu oft in ihrem Zimmer.

Es war ein wundervolles Zimmer. Sehr gemütlich. Es schrie geradezu danach, dass man sich darin aufhielt. Die Prinzessin sah überhaupt nicht ein, warum es nicht gut für sie sein sollte, eben das zu tun. Ihren Pflichten kam sie schliesslich nach. Gesangs- und Gum-Jo-Stunden, Tanzunterricht, Geographie, Geschichte und Mathematik. Heute alles schon erledigt. Also hatte sie es sich verdient hier zu sitzen und aus dem Fenster zu sehen. Einfach nur so. Nur weil draussen die Sonne schien, MUSSTE man ja nicht herumspazieren.

Trotz ihrer mangelnden Motivation rief Aya ein „Herein?“ über die Schulter.
 

Als ihr Vater den Raum betrat, wurden ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Wenn er sich zu dieser Tageszeit blicken liess, war für gewöhnlich etwas im Busch und sie konnte sich lebhaft vorstellen, was das war.

„Nun, Spatz, kannst Du etwas Zeit für Deinen Vater erübrigen?“

„Ja.“ Sie blickte auf ihre Hände. „Natürlich.“

„Das ist schön.“, murmelte er und setzte sich neben sie auf die breite Fensterbank. „Was machst Du gerade?“

„Nichts.“ Sie zuckte mit den Schultern.

„Nichts? Kein Spaziergang? Kein kleiner Ausritt?“

„Nein.“

„Hm. Verstehe. Hast wohl heute keine Lust dazu.“

„Nein.“

„Und die letzten Tage? Auch nicht?“

Sie zuckte wieder mit den Schultern.

Zuko seufzte.

„Aya ...“

Seine Tochter drehte den Kopf weg und presste die Lippen aufeinander. Jetzt kam dann wohl die wohlverdiente Rüge.

„Was ist los, Flämmchen?“

„Gar nichts.“, flüsterte sie.

„Sollst Du lügen?“

„Nein.“, krächzte sie.

„Dann sag mir jetzt was los ist.“

„Nichts. Ich ... muss mich nur umgewöhnen.“

„Umgewöhnen?“

„Ja.“

„Wegen Deines neuen Kage?“

„Ja.“

Er nickte. „Früher hast Du mir mehr vertraut.“, stellte er dann leise fest.

„Was? Aber ...“

„Wenn Du Hauptmann Nezu nicht zutraust, Dich zu schützen, dann bedeutet es, dass Du mein Urteil über ihn in Zweifel ziehst.“

Aya schluckte. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass ihr neuer Leibwächter ihr Angst machte?

„Was stört Dich an ihm?“, wollte ihr Vater wissen.

Sie biss sich auf die Lippen. Er würde sie bestimmt für furchtbar kindisch halten.

„Er hat Augen wie Eis.“, gab sie schliesslich zu.

„Keiner kann etwas für seine Augenfarbe.“, sagte Zuko der Goldäugige sachlich.

„Ich weiss.“
 

Irgendwie hatte der Feuerlord das Gefühl, dass hier noch GAR nichts geklärt war.

„Was ist es wirklich?“, fragte er.

„Ich glaube ... nein. Ich habe geträumt, er hätte mich angegriffen.“

„Was?“

„Als Kind. Da sind so konfuse Erinnerungen ... oder Träume. Ich weiss nicht.“

„Du glaubst ...“, Zuko hielt inne. „Hat er Dich unter eine Decke gesteckt?“

„Ja.“

„Auf den Boden gedrückt?“

„Ja. Woher ...“

„Er hat Dich damals nicht angegriffen, sondern gerettet.“

„Was?“, hauchte Aya.

„Der schwachsinnige Kater Deiner Mutter hatte einen Schwarm Bienenfalter aufgeschreckt. Takeru war grade mal dreizehn. Aber er hat Dich in Deine Decke gewickelt, sich über Dich geworfen und dafür gesorgt, dass er die Stiche abbekommt. Es waren siebenundneunzig Stück.“

Die Prinzessin blinzelte. Und erinnerte sich.

An Dunkelheit, Angst, ein erdrückendes Gewicht auf ihrer Brust. Doch da war noch mehr gewesen ... oder?

Ihr Vater nahm ihre verkrampften Hände in seinen warmen Griff.

„Du warst noch so klein.", sagte er rau. "Du hättest diese Stiche niemals überlebt."

Sie nickte. Und erinnerte sich.

Wie ihre Mutter sie im Arm hielt und weinte. Wie ihr Papa die Ärzte anbrüllte. Wie er besorgt und müde an einem Bett sass, in dem ein fremder Junge lag. An eine dunkelblonde Frau mit verweinten Augen. Und an ein Bild.

Sie hatte es gemalt. Einen ganzen Nachmittag lang. Für den Jungen, von dem Mama erzählt hatte, er hätte sie gerettet.

Sie erinnerte sich an ein völlig verschwollenes Gesicht. Sie hatte so große Angst davor gehabt!

Doch sie hatte dem Jungen das Bild gegeben. Und Kuchen. Trotz ihrer Angst.

„Ich ... das hatte ich vergessen." flüsterte Aya erstickt.

„Aya, dieser Junge hat fast sein halbes Leben hart daran gearbeitet, Kage zu werden. DEIN Kage. Niemand wird Dich besser schützen, als er. Dessen bin ich mir sicher.“
 

Aya warf die Arme um ihren Vater und vergrub den Kopf an seiner Schulter.

„Tut mir leid, dass ich so albern war.“

„Du warst nicht albern. Mir tut es leid, dass ich Deine Angst nicht bemerkt habe.“

„Irgendwie bin es immer ich, die Angst hat.“, flüsterte sie. „Ich hätte gerne mehr Mut.“

„Du hast Mut, Flämmchen.“ Er küsste ihre Schläfe. „Du brauchst nur einen Grund dazu. Wie Deine Mutter. Wenn sie einen Grund hat, stellt sie sich einer Armee in den Weg.“

„Oder Dir.“

„Oder mir.“, bestätigte er lächelnd. „Ich bin stolz auf Dich, Aya.“ Liebevoll strich er ihr übers Haar.

„Ich bin auf jedes meiner Kinder stolz. Aber Du? Du hast die kostbare Gabe in den Menschen das Beste zum Vorschein zu bringen. Einfach, indem Du sie ansiehst. Ich weiss nicht, ob Du es verstehst, doch Du machst die Welt heller. Und ganz besonders hell, machst Du sie für Deinen Papa. Du bist mein Flämmchen. Und Du hast genauso nah am Wasser gebaut, wie Deine Mutter.“, fügte er wehmütig lächelnd hinzu.

„Ich b ... bin eine Heulsuse!“

„Ja, mein Spatz!“ Die feste Umarmung nahm seinem leisen Lachen den Stachel. „Ja, das bist Du.“
 

Als die Tür sich wieder öffnete, stand Hauptmann Nezu noch strammer, als er es ohnehin schon tat.

„Hauptmann.“, sagte der Feuerlord.

„Mylord?“

„Habt Ihr Euch inzwischen eingelebt?“

„Ja, Hoheit.“

„Gut. Ich glaube meine Tochter auch. Na ja ... ab jetzt.“

Zuko warf einen beiläufigen Blick auf das starre Profil.

„Nur keine Regung zeigen, hm?“, fragte er leutselig.

„Nein, Herr.“

„Also, ich muss schon sagen, Ryo war um einiges lustiger.“

Die Kiefermuskeln des bis auf die Zähne bewaffneten Offiziers zuckten kurz.

„Obwohl ich seinen Witz über die drei Erdmännchen nie verstanden habe.“

„Dafür wurde ich nicht ausgebildet, Sire.“

„Nein. Aber dafür, ein Kage zu sein.“ Noch während Der Hauptmann über diese Bemerkung nachdachte, legte sich kurz eine Hand auf seine Schulter. „Du wirst das schon machen, mein Junge.“
 

Von diesem Tag an schien Prinzessin Aya Vertrauen gefasst zu haben. Statt sich in ihren Zimmern zu verkriechen, bewegte sie sich nun wieder ganz selbstverständlich durch den Palast.

Und dort, wo sie auftauchte, brachte sie die Leute zum lächeln. Manchmal vor Staunen, manchmal vor Freude, manchmal vor Rührung. Seltsam war nur, dass sie nie zu merken schien, wie die Menschen sich änderten, sobald sie sie mit diesen großen, erwartungsvollen Augen ansah.

So wie Takeru damals irgendwo in seinem Inneren den Mut gefunden hatte.

Den Mut, sie um jeden Preis zu schützen. Den Mut, der ihn seitdem nicht mehr verlassen hatte.
 

Wenn sie aus der Tür trat, und ihn mit einem freundlichen „Guten Morgen!“ anstrahlte, wusste er, wozu die Anstrengungen und Schmerzen der letzten Jahre gut gewesen waren.

Begleitete er sie zu ihren Gum Jo- oder Gesangsstunden konnte er Klängen lauschen, die sich wie Balsam auf seine unruhige Seele legten. Übte sie ihren Fächertanz, gestattete er seinen Sinnen für einen kurzen Augenblick, wonnetrunken ihrer Anmut hinterher zu taumeln.

Und leise Hoffnung keimte in ihm. Die Hoffnung, dass er ihren Feenzauber für immer in sich tragen könnte. Die Hoffnung, dass nicht einmal die Hölle diese kostbaren Erinnerungen würde auslöschen können. Vielleicht, nur vielleicht, würde ihn dies retten. Vielleicht würde ein Teil seiner Seele dadurch unversehrt die Zeit überdauern. Bis alles gebüßt wäre.
 

Feuerpalast, Gegenwart
 

Mit unnachahmlicher Virtuosität beendete Aya den „Tanz der Kraniche“.

Die Saiten schwangen noch einen Augenblick nach, bevor die Prinzessin die Finger auf den Hals der Gum Jo legte und den Akkord sterben liess.

Die folgende Stille war fast greifbar.

Meister Leng seufzte verzückt.

„Wundervoll, Hoheit! Ganz wundervoll! Das wird mit Sicherheit der Höhepunkt des morgigen Festes.“

„Nun, ich hoffe nicht.“, sagte Aya lächelnd. „Der Höhepunkt sollte Kirams Sonnwendtanz werden. Schliesslich ist es sein Initiationsritus.“

„Gewiss, gewiss. Aber Ihr werdet ihm eine große Freude bereiten.“

„Vielleicht. Aber da er Dur nicht von Moll und phrygisch nicht von diatonisch unterscheiden kann, bezweifle ich das ein wenig.“

„Ah. Aber man muss kein Studiosus der Musik sein, um sie zu geniessen.“

„Das ist wahr.“, räumte Aya ein.

Doch sie wusste, dass Kiram Spanferkel und Wachteltauben wohl sehr viel eher zu schätzen wissen würde, als ihr Geigenspiel. Er selbst wäre der erste, der sich als hoffnungslos unmusikalisch bezeichnete.
 

Hinter der kleinen Kommode, in der Noten aufbewahrt wurden, drang leises Rascheln hervor. Zum wiederholten Mal.

Da Hauptmann Nezu jedoch regungslos neben der Tür verharrte, machte Aya sich keine Sorgen. Sie glaubte sogar, den Verursacher der verhaltenen Geräusche zu kennen. Ihr Kage tat das jedenfalls ganz bestimmt, sonst wäre er schon vor einer Viertelstunde in Aktion getreten.

„Gut. Ich muss nur noch meinen Bogen mit Harz einreiben, dann bin für morgen gerüstet.“, sagte Aya.

Je eher Meister Leng ging, desto eher konnte sie dem Rascheln auf die Spur kommen.

„Sehr wohl, Prinzessin. Es war wie immer eine Freude.“

„Ich danke Euch, Meister Leng.“

Der alte Mann - mit einem strahlenden Lächeln bedacht - verneigte sich und schwebte von dannen.
 

Da Aya ahnte wie scheu ihre Beute war, griff sie scheinbar beiläufig in eine kostbar lackierte Schale, holte einen kleinen, bernsteinfarbenen Klumpen heraus und begann damit sachte über die Haare des Geigenbogens zu streichen.

Am Rand der Kommode tauchte unter dichten Haarsträhnen ein neugierig blinzelndes Augenpaar auf. Ein Augenpaar, das die Prinzessin seit Tagen verfolgte.
 

„Hallo.“

Erschrocken wurde nach Luft geschnappt und die Augen verschwanden postwendend wieder in ihrem Versteck.

„Warum kommst Du nicht heraus und hilfst mir ein bisschen?“

„Ich sollte nicht hier sein!“, piepste die Kommode kläglich.

„Nein? Wo solltest Du denn dann sein?“, fragte Aya sanft.

„Nicht hier!“

„Warum denn nicht?“

„Weil Niha gesagt hat, ich soll nicht stören.“

„Das tust Du doch nicht.“

„Doch. Bestimmt!“

„Aber nein. Außerdem hat man mir viel zu viele Kekse gebracht. Sie werden alt, wenn sie nicht gegessen werden.“

„Magst Du sie nicht?“

„Doch. Es sind nur leider zu viele. Und Du magst doch Orangenkekse, nicht wahr?“
 

Zerfa biss sich auf die Lippen. Die Prinzessin wusste, was sie mochte? Woher denn?

Sie schielte vorsichtig hinter ihrer Kommode hervor.

Aya sass noch immer auf dem großen Seidenkissen und blickte sie mit leicht schief gelegtem Kopf fragend an.

„Ja. Ich ... mag Orangenkekse.“, gab die Kleine zögernd zu.

„Gut!“

Wenn die Prinzessin so lächelte, war sie noch viel ... noch viel ... noch mehr eine Prinzessin und man wollte irgendwie näher heran.

Zerfa krabbelte ein wenig aus der Deckung.

Ein kleiner Teller wurde ihr entgegengehalten.

„Danke.“, flüsterte sie.

„Bitte sehr. Ich hab Dich noch gar nicht gesprochen, seit ihr aus Agnam Ba zurück seid.“

Zerfa sah kurz auf und zuckte mit den Schultern.

„Nicht schlimm.“, murmelte sie unsicher.

„So? Ich finde das traurig.“

„Ja?“

„Ja. Hauptmann, würdet Ihr Lyra bitten, etwas Kakao bringen zu lassen?“

„Natürlich, Hoheit.“

„Danke sehr!“

Die Tür wurde geöffnet und man tauschte murmelnd Anweisungen.
 

Zerfa bearbeitete wieder ihre Unterlippe.

„Du ... spielst sehr schön.“, sagte sie schliesslich.

„Du meinst die Gum Jo?“

„Ja.“, antwortete das Mädchen. „Singen kannst Du auch schön, sagt Lee.“

„So? Sagt er das?“ Ein Lächeln glitt über Ayas Gesicht. „Er selbst kann auch sehr gut singen.“

„Ja. Aber nicht so schön wie Du, sagt er.“

Es war eindeutig, dass alles was Lee sagte naturgemäss den Tatsachen entsprach. Selbst die Buchstaben des Gesetztes würden mehr Zweifel aufkommen lassen, als etwas, das Lee sagte.

Aya konnte nur hoffen, ihr Bruder wusste, wie sehr diese Kinder ihn liebten.

„Magst Du Musik?“, fragte sie und reichte Zerfa einen weiteren Keks.

„Ja. Manchmal singen wir Zuhause. Das ist schön.“

„In Agnam Ba?“

„Ja.“

„Ist das hier nicht Dein Zuhause?“

„Das hier ist der Palast!“

„Ja. Aber er ist auch ein Zuhause.“

„Von Dir?“

„Von vielen Leuten. Von allen, die hier arbeiten. Von meinen Eltern. Meinen Geschwistern. Und natürlich von Lee.“

„Mhm.“ Wieder zuckte Zerfa mit den Schultern.

„Ich glaube, er hätte gerne, dass Du Dich hier auch zuhause fühlst.“

„Aber ich hab doch eins.“

„Man kann mehr als ein Zuhause haben. Ihr zum Beispiel habt jetzt zwei.“

„Aber ... wir sind nur zu Besuch hier.“

„Wirklich? Das wäre sehr schade. Wer sagt, ihr seid nur Besuch?“

„Niemand. Aber ... man muss überall aufpassen, dass man nichts kaputt macht. Man kann nicht Brennball spielen. Und Rübe ist auch nicht da.“

„Rübe? Danke sehr Lyra.“, sagte Aya, als ein Tablett mit einer bauchigen, dampfenden Kanne vor ihr abgestellt wurde.

„Das ist mein kleiner Stier.“

„Ich verstehe. Du vermisst ihn, hm?“

„Bisschen. Aber Herr Shu passt ja auf ihn auf.“

„Kakao?“

„Mhm.“

„Weisst Du, man kann hier sehr gut Brennball spielen.“

„Ja?“

„Aber ja. Wir haben große Gärten. Die sind fast alle zum spielen da.“

„Wir sollen nicht so weit weg.“

„Dann suchen wir einen Garten, der ganz nah bei euren Zimmern ist, ja?“ Aya stellte eine grosse Tasse vor Zerfa ab.

„Ja. Gut.“ Zerfa schnappte sich ihren Kakao und umklammerte die Tasse mit beiden Händen.

Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie überhaupt hier sein durfte.

Natürlich war das da Lees Schwester, aber sie war auch eine Prinzessin!

Und was für eine! Genauso wie es in den Märchen stand.

Als Zerfa Aya das erste Mal gesehen hatte, war ihr der Mund offen stehen geblieben. Sogar Jem, der Mädchen meistens nicht leiden konnte, waren fast die Augen aus dem Kopf gefallen.

Lee hingegen war einfach auf seine Schwester zugestürmt, hatte sie vom Boden gehoben und fast zerquetscht, so fest hatte er sie gedrückt.

Doch Aya hatte nicht gejammert, sondern ihn lachend umarmt.

Sie lachte sogar wie eine Prinzessin! Es klang wie die kleinen Glöckchen, die zum Lichterfest an den Kutschen festgemacht wurden.

Ja, Zerfa war sich fast sicher, dass sie nicht hier sein sollte. Aber sie WOLLTE es.

Das ganze Musikzimmer war wie ein Zauberland. Die in der Luft flirrenden Staubkörnchen sahen aus wie Goldpuder. Es gab Kekse und Kakao. Wenn man etwas berührte, gab es Töne von sich, aus denen Musik werden konnte, wenn man nur wusste, wie es ging. Doch Zerfa wusste nicht, wie es ging.

Die Prinzessin wusste es. Sie war die Herrscherin dieses Zauberreiches.

Eines Zauberreiches mit herrlichen Farben und Klängen, Kirschzweigen, Silberglöckchen und Keksen.

Sogar einen Riesen gab es, der alles bewachte!
 

Aya beobachtete das Kind aufmerksam. Jedes Instrument wurde taxiert und abgeschätzt. Sie wusste, die Kleine überlegte was für Töne die verschiedenen Dinge wohl von sich gaben.

„Möchtest Du lernen, wie man Musik macht?“, wollte sie leise wissen.

„Ich?“, fragte Zerfa ertappt. „Weiss nicht. Ich kann´s ja doch nicht.“

„Aber natürlich kannst Du es. Komm.“

Aya streckte auffordern ihre Hand aus. Da dies ihr Zauberreich war, wäre es unhöflich gewesen, die Hand zu ignorieren. Also liess Zerfa sich auf das Kissen ziehen.

„Siehst Du, eine Gum Jo ist fast wie Lebewesen. Da ist der Fuss. Der Bauch. Der Hals. Das da nennt man Wirbel.“

„Gibt´s auch einen Kopf?“

„Nein.“, lächelte Aya. „Aber eine Schnecke.“ Sie zeigte auf das spiralförmig gewundene, obere Ende der Kniegeige.

„Weisst Du, ich glaube irgendwo muss hier noch meine erste Gum Jo liegen. Sie müsste genau die richtige Größe für Dich haben.“

„Für ... mich?“

Hilflos sah Zerfa zu, wie die Prinzessin aufstand und eine kleinere Version ihres eigenen Instruments hervorzauberte, sich wieder setzte und an den Saiten zupfte.
 

„Hmm. Verstimmt.“, sagte sie. „Wie Lee, wenn er nichts zu Essen bekommt.“

Zerfa musste kichern.

„Dann muss man hier drehen. Und hier. Nein, das war zu viel ... So, jetzt müsste sie stimmen.“

Plötzlich fand sich das Mädchen eine Geige im Arm haltend wieder.

„Zupf mal hier.“

Sie tat es.

„Ein bisschen kräftiger. Bis der Finger fast weh tut. Gut! Jetzt die anderen beiden.“

Sie tat es.

„Hörst Du die drei verschiedenen Töne? So muss es klingen.“

Aya zupfte und summte den Dreiklang mit. Zerfa nickte. Klar. So musste es klingen.

„Ist einer der Töne zu hoch, dreht man den Wirbel der Saite in diese Richtung. Ist er zu tief, in die andere.“ Sie demonstrierte es. „Wenn Du jetzt die Saiten zupfst, stimmen die Töne nicht mehr.“

Zerfa zupfte. Und es stimmte nicht mehr.

„Gut. Dann versuch mal hier zu drehen ... gut. Zupf noch mal. Stimmt es?“

„Nein.“

„Sehr gut. Dann dreh noch ein Stückchen.“

Zerfa drehte und zupfte.

„Stimmt auch nicht.“, sagte sie kläglich. Sie hatte ja gewusst, das sie es nicht konnte.

„Ja. Sehr gut! Das wichtigste ist es, zu HÖREN, dass es nicht stimmt. Wie lang man drehen und suchen muss, ist egal. Dreh in ganz kleinen Schritten. Ja ... so ist gut.“

Zerfa zupfte alle drei Saiten und summte mit.

„Stimmt glaub ich.“, sagte sie unsicher.

Natürlich war die Gum Jo in den Ohren eines geschulten Musikers noch weit davon entfernt, exakt zu stimmen. Aber für den ersten Versuch war das Ergebnis ganz erstaunlich.

„Das machst Du ganz hervorragend.“, lobte Aya ihre kleine Schülerin.

„Wirklich?“

„Ja. Und jetzt, zeige ich Dir eine kleine Melodie, die Du mit den drei Tönen spielen kannst.
 

Eine halbe Stunde später glühten Zerfas Ohren vor Eifer. Sie konnte tatsächlich ein Lied zupfen!

„Sehr schön! Was meinst Du, wie Deine Geschwister staunen werden?“

„Aber es klingt nicht wie das, was Du mit dem Stab machst.“

„Nein. Noch nicht.“ Aya musste lächeln. Sie konnte diese Ungeduld gut nachvollziehen. „Aber nun weisst Du, wie man die Gum Jo hält. Der Bogen,“ sie nahm den bespannten Stab. „Kommt in die andere Hand. Das Wichtigste ist, ihn richtig zu halten. Versuch es so. Ja. Diesen Finger noch hier hin. Und nicht verkrampfen.“

Sacht führte sie den Arm des Mädchens.

„Der Schwung kommt aus dem Ellbogen. Stell Dir vor, Du bist eine Marionette und durch den Ellbogen geht eine Schnur, an der Dein Unterarm frei schwingt. Ja, so ist´s gut.“
 

Es klopfte. Ohne eine Antwort abzuwarten spazierte Zukos Zweitgeborener herein.

„Lee!“

„Knöpfchen! Ich hab gehört, dass Du hier bist.“

„Ja.“ Das Leuchten auf Zerfas Gesicht fiel ihrem schlechten Gewissen zum Opfer. „Entschuldige!“

„Entschuldigen? Es gibt doch nichts zu entschuldigen.“

„Aber ... ich hab nicht Bescheid gesagt, wo ich bin.“ Das mit dem Verstecken erwähnte sie vorsichtshalber gar nicht.

„Oh, hier gehst Du nicht verloren. Es gibt immer Leute, die wissen, wo Du bist.“

„Ja?“

„Ja.“

„Das ist gut. Ich komm gleich.“ Das klang wenig begeistert.

„Wieso? Du kannst auch noch bleiben.“, sagte Lee.

„Ich ... ich weiss nicht.“, murmelte Zerfa mit einem Seitenblick auf Aya. Prinzessinnen hatten bestimmt besseres zu tun, als ihr das Gum Jo-Spielen beizubringen.
 

„Sind das Kekse?“ Derart abrupte Themenwechsel konnten bei Lee nur durch etwas Essbares verursacht werden.

„Orange.“, seufzte seine Schwester, die ihr Gebäck schon den Weg allen Fleisches gehen sah. Zumindest den Weg, den Fleisch normalerweise ging, wenn Lee seiner ansichtig wurde.

„Sehr lecker!“

„Du störst den Unterricht, Lee.“

„Tu ich das?“

„Ja. Tust Du.“

„Tut mir leid. Vielleicht solltet ihr ein Schild an die Tür hängen.“

„Oder vielleicht gibst Du uns noch zehn Minuten? Dann kann ich Zerfa was zu Üben geben.“

„Üben ... klingt nach Arbeit.“

„Lee?“

„Hm?“

„Warte bitte draussen!“

„Ja doch!“
 

Nachdem Lee das Musikzimmer verlassen hatte, wendete Aya sich wieder ihrer Aufgabe zu.

„Hier, sieh mal. Dieses Stück Holz hat die Form des Bogens. Da kannst Du immer wieder die Fingerstellung und die Haltung Deines Handgelenks üben. Dann können wir das nächste Mal vielleicht schon versuchen, die Gum Jo zu streichen.“

„Das nächste Mal?“, fragte Zerfa mit großen Augen.

„Ja. Falls Du magst.“

„Ja! Ja, mag ich!“

„Das freut mich sehr. Übermorgen um zwei?“

„Ja.“

„Gut. Dann lauf zu Lee. Er sah aus, als hätte er etwas sehr Spannendes vor.“

„Ja!“

An der Tür zögerte Zerfa, machte kehrt, rannte zurück und umarmte die Prinzessin linkisch.

„Danke!“, stiess sie aus.

Aya erwiderte die Umarmung fest. „Gern geschehen.“, flüsterte sie an den lockigen Scheitel des Mädchens und sah zu, wie es aus dem Zimmer rannte.
 

Es war schön, die neue Familie ihres Bruders im Palast zu haben. Das Getrampel der kleinen Füsse, das helle Lachen, die staunenden, neugierigen Augen.

In Ayas Innerem ballte sich die Sehnsucht zu einem festen Knoten.

Sie würde niemals Kinder haben. Keine eigenen.

Was ihr blieb waren die Kinder der Dienerschaft, mit denen sie sich von Zeit zu Zeit verbündete, damit sie aus der Küche einen Kuchen stibitzten konnten, der eigens dafür gebacken worden war (das zu verraten hätte allerdings den Spass verdorben).

Auch mit kleineren Schrammen rannte man nur all zu gerne zur Prinzessin, denn sie versorgte einen mit dicken Pflastern, großen Taschentüchern und einem Stück Pfefferminz oder Schokolade. Und jeden Freitag las sie der ganzen Rasselbande etwas vor.

Schon bald wäre da natürlich auch der Nachwuchs ihrer Brüder.

Aya konnte es kaum erwarten, Tante zu werden, auch wenn es einen kleinen Teil von ihr sehr wehmütig machen würde.

Was tat sie hier eigentlich? Sass herum und starrte Löcher in die Luft, während es für morgen noch so viel zu tun gab.

Sie straffte sich, stand auf, stellte die Gum Jo auf ihren Platz und machte sich auf den Weg, um mit dem Gärtner die endgültige Auswahl der Blumendekoration für das morgige Fest zu besprechen.
 

Schneller als sonst eilte Aya durch den Palast. Die ungeplante Musikstunde hatten sie im Zeitplan etwas zurückgeworfen.

Vielleicht war dieser Umstand Schuld daran, dass sie beinahe mit Masaru Shouta zusammenstieß. Das, oder die Tatsache, dass der Herzog schon seit einer halben Stunde hier herumlungerte.

Ein unschicklicher, potentiell schmerzhafter Körperkontakt wurde nur durch den blitzartig ausgestreckten Arm Takeru Nezus verhindert.

Masaru starrte indigniert auf die Pranke auf seinem Brustkorb.

Was fiel diesem Menschen eigentlich ein? Dieser impertinente Wachhund!

Gezwungenermassen trat Masaru einen kleinen Schritt zurück.

Der Plan hatte eigentlich vorgesehen, eine strauchelnde Prinzessin an seiner starken, muskulösen Brust zu stabilisieren. Manneskraft war schliesslich ein unschlagbares Argument im Kampf der Geschlechter und man konnte nie genug Wasserkastanien im Feuer haben. Doch dieser verdammte Söldner, den das Mädchen im Dauer-Schlepptau hatte, schien sich seiner Grenzen nicht bewusst zu sein.
 

„Ich bitte vielmals um Verzeihung, Hoheit. Ich habe Euch nicht kommen sehen.“ Trotz seines Unmuts, liess Masaru seine Stimme schnurren wie einen zufriedenen Kater. Frauen mochten das.

Diese tat jedoch unbeeindruckt. Noch!

Allerdings war der Herzog ja auch abgelenkt und konnte sich nicht voll auf seine Verführungskünste konzentrieren.

Täuschte er sich, oder fixierte ihn dieser überdimensionierte Aufpasser nun auch noch auf nahezu unverschämte Art und Weise? Dieser Emporkömmling täte besser daran, sein Misstrauen für verkommene Schurken aufzusparen, statt es an hoch geachtete Pfeiler der Gesellschaft zu verschwenden.

„Kein Grund zur Sorge. Es ist ja nichts geschehen.“, lenkte Aya ein.

„Oh, aber ich habe Euch erschreckt. Das werde ich mir niemals vergeben.“, widersprach Masaru, legte eine Hand aufs Herz und deutete eine Verbeugung an.

„Nun, dann vergebe eben ich Euch.“

„Wie ich sehe, lobt man Euer gütiges Wesen zurecht, Prinzessin.“

„Tut man das?“

„Aber ja. Ein Herz aus Gold sei das Eure, heißt es.“

Der Herzog liess sein hinreissendstes Lächeln aufblitzen.

„Und Eures sei recht groß, heißt es.“

Ah! Sie hatte von seinen Frauengeschichten gehört. Gut! Das bedeutete, sie hatte sich über ihn erkundigt.

„Es wartet nur darauf, eingefangen zu werden, Hoheit.“

„Da habt Ihr Glück. Wir haben bei Hof die ein oder andere versierte Fallenstellerin.“

Statt zuzulassen, dass er ihre Hand zu fassen bekam, um sie an die Lippen zu ziehen, neigte Aya den Kopf, lächelte freundlich und murmelte:

„Wenn Ihr mich nun entschuldigt ...“

„Natürlich, Hoheit.“

Mit gerunzelter Stirn starrte Masaru seiner Beute hinterher.

Vielleicht hatte er die Taktik, das Fräulein während der letzten beiden Tage weitgehend zu ignorieren, zu weit getrieben. Frauen konnten ja so schnell beleidigt sein, wenn man sie nicht beachtete. Höchste Zeit den Fehler wieder auszubügeln.
 

Jin hielt sich die Hand vor die Augen, um ihrem jüngsten Sohn nicht dabei zusehen zu müssen, wie er zwischenzeitlich nur meterweise Luft unter sich hatte.

„Ich kann das nicht ausstehen!“, stiess sie aus.

Zuko griff nach ihrer Hand und drückte einen Kuss darauf.

„Hab Vertraue in ihn, mein Herz. Er wird seine Sache hervorragend machen.“

„Ja. Ich kann es aber trotzdem nicht leiden. Bei Dir schau ich auch nicht gern zu.“

„Ach?“

Ein Seitenblick verriet ihr, dass seine Braue zu einem überheblichen Höhenflug angesetzt hatte.

„Da hab ich aber gegenteiliges gehört.“, murmelte er verhalten.

„Na schön. Dir seh´ ich gern dabei zu. Bis auf diesen Salto imperiale am Ende. Ich HASSE das!“

„Jin ...“

„Ich verstehe einfach nicht, weshalb ihr unbedingt sieben Meter über dem Boden herumschwirren müsst.“

„Weil es so gehört!“

„Aber ... Oh nein!“ Sie kniff hastig die Augen zusammen, als Kiram erneut in die Luft katapultiert wurde. „Ist er wieder unten?“, hauchte sie bang.

„Natürlich ist er das. Sagenhafte Landung!“ Das klang ungemein selbstgefällig.

„Zuko ... Du platzt gleich vor Stolz!“

„Ja? Muss an diesen unglaublichen Kindern liegen, die Du mir geschenkt hast.“

„Wirklich? Schmeichler!“

„Ja, wirklich. Aber, Kobold ...“

„Was denn?“

„Morgen ist Kirams Ehrentag. Versprich mir, dass Du ihm bei seinem Tanz zusehen wirst. Mit OFENEN Augen.“

„Natürlich tue ich das. Bei Lu Ten und Lee ertrage ich es schliesslich auch heldenmütig.“ Plötzlich zerrte sie seinen Ärmel außer Form. „Sieh nur, da ist Aya!“
 

Aya versuchte auf die Fragen und Anregungen des Gärtners einzugehen, während sie durch den Festsaal gingen. Was hatte er noch gesagt, in welcher Farbe die Lilien wären? Rot oder Orange?

Sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern; war unkonzentriert und abwesend.

Zum einen waren die Proben für den Sonnwendtanz in vollem Gange und zum anderen scharwenzelte plötzlich überall Masaru Shouta herum und brachte sie mit lächerlichen Fragen und noch lächerlicheren Kommentaren aus dem Konzept.

Aber vor allem liess sich die Schwermut, die sie seit der Geigenstunde erfasst hatte, heute einfach nicht wieder abschütteln. Wie viel Freude dieses Kind ihr bereitet hatte! Und wie selten sie diese Freude würde erleben dürfen ...

Wäre sie sich der beiden Zuschauern bewusst gewesen, hätte sie freilich alles getan, um ihre Melancholie zu verbergen.
 

Jin und Zuko staunten über sich selbst. Seit fast drei Tagen beobachteten sie ihre Tochter nun schon mit Argusaugen. Und es hatte sich heraus gestellt, dass seit sie die Situation erfolgreich analysiert hatten, die Sache klar auf der Hand lag.

Das Kind war verliebt. Total, zur Gänze, vollkommen verliebt.

Sie gab sich unbeschwert, freundlich und gelassen - wie auch jetzt.

Das Interessante war: sobald ihr wehrhafter Schatten in Erscheinung trat, war sie all das noch mehr.

Aya hatte ganz offensichtlich höllische Angst, jemand könnte ihre Gefühle für den Hauptmann erahnen. Besonders, wenn es sich bei diesem jemand um jenen ehrenwerten Herren selbst handelte.

Ihre Augen mieden ihn wie etwas Verbotenes. Und wie etwas Verbotenes, zog er ihre Blicke magnetisch an, sobald sie sich unbeobachtet fühlte.

Der Kage selbst war die weitaus schwerer zu knackende Nuss des observierten Pärchens. Er war wie immer. Egal wie scharf „man“ versuchte, hinter die Fassade zu blicken, es prallte an seiner geschult grimmigen Mine ab.
 

„Ich weiss nicht, Zuko. “, flüsterte Jin jetzt. „Bist Du Dir sicher, dass er ihre Gefühle erwidert?“

„Ziemlich. WARUM flüsterst Du, mein Herz?“

„Weil man das so macht!“

„Sie sind außer Hörweite.“

„Man macht es trotzdem so! Du hast eben keine Ahnung von Heimlichtuerei!“

„Natürlich nicht.“, seufzte der Mann, der dereinst als Blue Spirit in drei Nationen steckbrieflich gesucht worden war. Ganz zu Schweigen davon, dass er seiner ehemaligen Angebeteten jahrelang als Teekellner durch den Kopf gespukt war.

„Er hat nicht mal geblinzelt, als sich dieser schmierige Herzog von Dingsda an sie rangeschmissen hat.“, sagte die ehemalige und momentane Angebetete Seiner Lordschaft.

„Ersten schmeissen sich Herzöge nicht ran. An niemanden. Zweitens ist es die Aufgabe des Jungen, die Umgebung zu beobachten und nicht, mit wem Aya sich unterhält.“

„Auf mich macht er jedenfalls keinen verliebten Eindruck.“

„Du hast Recht. Er zwitschert weder mit den Vögeln um die Wette, noch wirft er mit Blütenblättern um sich.“

Mylord bekam einen Ellbogen in die Rippen. Aber nur ganz leicht.

„Na, na. Wer wird denn gleich handgreiflich werden?“

„Du nimmst das Alles nicht ernst.“

„Na schön. Wenn Dich das glücklicher macht, werde ich morgen jemanden auf die Sache ansetzen.“

„Jemanden ansetzten? Wen denn?“

„Na wen schon? Meinen Blutwolf natürlich.“

„Aber ...“

„Genau.“

„Zuko! Das ist das hinterhältigste, das ich je gehört habe.“, hauchte Jin bewundernd.

„Ja. Nicht wahr?“

Himmel und Hölle

Es war noch stockdunkel, als Kaori Ren schon aufgebracht in ihrem Schlafzimmer auf und ab rannte.

Zur Hölle sollte er fahren! Dieses verdammte Ekel!

Jetzt blieb er nicht einmal mehr ein paar Stunden. Was war sie eigentlich für ihn? Eine Deckstute? Sie schnaubte.

Vermutlich war es ebendiese Frage gewesen, die sein noch kälteres Verhalten bewirkt hatte. Doch als er mitten in der Nacht seine Sachen zusammengesucht hatte, hatte sie Rot gesehen.

„Ist das alles, was Du von mir willst?“, hatte sie gefaucht, und dabei auf sich und das Bett gedeutet.

Hätte sie nur nicht gefragt!

Mit einem „Ja.“ hatte sie ja fast gerechnet, aber dieses gleichgültige Schulterzucken ...

„Ich hatte nie mehr in Aussicht gestellt.“

Ach ja? Bastard!

Aber das würde er bereuen. Sie hatte keine Lust mehr ihr „Arrangement“, wie er es nannte, länger geheim zu halten. Das heutige Fest würde viel Platz für Klatsch, Tratsch und Indiskretion lassen. Und Kaori Ren würde diesen Platz zu nutzen wissen! Skrupel konnte sie sich nicht länger leisten.

Seit dem Tod ihres Gatten war ihr Stern im Begriff zu sinken. Sie brauchte ein neues Trittbrett! Und wer wäre dazu besser geeignet, als Zukos ordenbehangener Musterknabe? Als Ehefrau von Takeru Nezu würde sie zwar ihren Titel einbüssen, aber an Ansehen gewinnen!

Man munkelte ohnehin, dass Zuko seinem Günstling früher oder später einen Adelstitel samt Baronie vermachen würde.

Kaori eilte zu ihrem Kleiderschrank und riss die Türen auf. Sie hatte keine Zeit zu verplempern. Ihr „Gerücht“ musste bis zum Abend unter die richtigen Leute gebracht werden. Natürlich vorsichtig, damit ihr kein Vorsatz nachgewiesen werden konnte.
 


 

Büro Seiner Lordschaft, zwei Stunden später
 

„WIE bitte?“

Ungläubig starrte Takeru seinen Herrscher an. Na ja, fast. Jeder anderer hätte jedenfalls gestarrt.

„Bericht erstatten. Mündlich. Ganz einfach.“, wiederholte Zuko geduldig.

„Verzeiht, Mylord. Ich soll die Prinzessin observieren?“

„Observieren klingt so negativ.“, mischte Lady Jin sich ein. „Ihr sollt ja nur ein Auge auf sie haben.“

„Jin, das hat er immer.“

„Dann erklär´s eben so, dass man es auch versteht.“

„Nun gut. Hauptmann, wir entdeckten Anzeichen, dass Aya großen Kummer hat. Und wir wissen nicht warum.“

„Na ja. Eigentlich schon. Wir denken, sie ist unglücklich verliebt.“

„Jin!“

„Oh nein. Hab ich das schreckliche Wort gesagt? Verliebt?“

„Wir wissen das doch noch nicht mit Bestimmtheit.“

„Ich schon!“

„Natürlich.“, murmelte Zuko und verdrehte die Augen.

Er wandte sich dem Hauptmann zu und registrierte befriedigt eine steile Falte auf dessen Stirn. Sein Blutwolf schien ein ernsthaftes Problem zu haben. Vielleicht die eben erhaltene Information?

„Ihr sollt nur ein wachsames Auge auf ihr Verhalten haben.“, fuhr Zuko fort. „Mit wem sie redet, wem sie aus dem Weg geht, wie sie sich verhält, wie oft sie den Mond anseufzt.“

„Mit Verlaub, Hoheit. Ich weiss nicht, ob dies angebracht wäre", antwortete Hauptmann Nezu derart ausdruckslos, dass nur einem überdurchschnittlich entwickeltem Gehör die Unwilligkeit in seiner Stimme auffiele.

Die eigensinnige Furche auf seiner Stirn sprach jedoch Bände.

„Ach", murmelte Zuko. „Inwiefern?“

„Ich habe ein ungutes Gefühl dabei, Eure Tochter zu bespitzeln.“

„Bespitzeln?“ Mylord schnalzte mit der Zunge. „Also bitte! Wer benutzt denn heutzutage noch dieses Wort?“
 

Der Offizier liess den gutmütigen Spott an sich abprallen und sah seinem Fürsten ruhig ins Gesicht. Dieser seufzte tief.

„Du und Dein verdammtes Ehrgefühl, Takeru. Könntet ihr zwei nicht mal ausnahmsweise getrennte Wege gehen?“

„Ich fürchte nein, Herr.“

„Schön. Und wenn wir Euch nun bäten, uns - gesetzten Falls Ihr würdet zufällig bemerken, in welche Richtung die Neigungen unsrer Tochter driften - einen dezenten Hinweis zu geben? Wäre das ... akzeptabel für Euer Feingefühl?“

„Falls ich ihr damit helfen kann.“

„Falls?“ Zukos Augenbraue hob sich in mildem Erstaunen. „Denkt Ihr, wir könnten die Informationen fälschlich verwenden?“

„Das wollte ich damit nicht sagen.“

„Mhm. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wissen will, was Ihr damit sagen wollt. Wenn Ihr wisst, was ich damit sagen will.“

„Ja.“

Seiner Lordschaft entfuhr ein unfreiwilliges Lachen.

„Also wirklich, Junge, Ihr seit unfassbar. Ihr bringt es sogar dann fertig loyal zu sei, wenn Ihr Euch weigert einer Bitte zu entsprechen. Ein bisschen zu viel Diplomatie auf dieser teuren Offiziersschule, hm?“

„Sire, ich bitte Euch, einen anderen mit dieser Aufgabe zu betrauen. Ich bin Prinzessin Aya zu sehr verpflichtet, um hinter ihrem Rücken zu agieren.“

„Ja. Scheint fast so.“, murmelte Zuko nachdenklich. „Und ich werde den leisen Vorwurf in Eurer Stimme wohlmeinend überhören.“

Der Hauptmann blickte stur geradeaus. Doch der Feuerlord liess sich durch diese mangelnde Kooperationsbereitschaft nicht beirren. Er vertraute auf die Abgründe der menschlichen Natur. Die Frage war geweckt worden und würde nun anfangen in Takeru Nezus Seele zu brennen.

Und Zuko war sich sicher: Sein Blutwolf würde nicht eher ruhen, bis er herausfand, wem Ayas Herz gehörte. Und dann ... würde dieser Blutwolf Bauklötze staunen.

Ein unmerkliches Lächeln umspielte die Mundwinkel des Erhabenen, als er ein „Ihr dürft wegtreten.“ in den Raum entliess.
 

„Glaubst Du, er hat den Köder geschluckt?“, fragte Jin sobald sie alleine waren.

„Mitsamt den Gräten.“

„Aber er sah mir nicht so aus, als ginge ihn das Ganze etwa an. Du denkst wirklich, er liebt sie?“

„Ja. Eigentlich hätte mir das schon früher klar sein müssen. Erinnerst Du Dich, als er angefangen hatte, in den Ställen zu helfen, wie er sich danach immer in der Nähe herumgetrieben hat?“

„Ja.“, sagte Jin leise. „Sobald man ihn ansprach war er verschwunden.“

„Wie ein Wiesel.“, bestätigte Zuko. „Dieser Junge hätte alles für uns getan. Er HAT alles für uns getan. Und ich glaube, er wusste auch ziemlich genau was er tat, als er sich über Aya warf.“

„Sein Leben riskiert?“

„Ja. Ohne mit der Wimper zu zucken. Als er später vor die Wahl gestellt wurde, zu studieren, oder Kage zu werden, war es genauso. Er hat nicht eine Sekunde lang überlegt. Er wollte schützen, was ihm lieb und teuer ist. Mich. Uns. Aya.“

„Aber heute wirkte er so ... unbeteiligt.“

„Tja. Verdammter, kaltschnäuziger Hund!“

„Zuko!“

„Kobold, Du weisst doch, dass ich diesen Kerl liebe wie mein eigen Fleisch und Blut.“

„Ach, deshalb ziehst Du so über ihn her.“

„Genau.“

„Fein. Aber warum hält er mit seinen Gefühlen, von denen DU so überzeugt bist, so hintern Berg?“

„Erstens, wie bereits erwähnt: Eiskalter Bastard.“

„Also ...“

„Was denn? Ist ihm antrainiert worden. Zweitens: Pflichtgefühl. Ist ihm in die Wiege gelegt worden. Drittens und vermutlich am wichtigsten: Er hält sich für unwürdig.“

„Unwürdig?“

„Ja, mein Herz. Takeru ist unbegreiflicherweise noch immer der Meinung, mir etwas zu schulden. Und genauso ist er immer noch der Meinung, nichts weiter zu sein, als ein kleiner Dieb, der nur das Glück hatte nicht verpfiffen zu werden.“

„Das kann doch nicht sein! Wie oft hat er Aya schon das Leben gerettet? Und nicht nur ihr ...“

„In seinen Augen wiegt es ein paar freundliche Worte und ein Hand voll Pfirsiche scheinbar nicht auf.“

„Aber ... Der arme Junge!“

„Ja.“, stimmte Zuko leise zu. „Der arme Junge.“

„Und wenn er sie liebt ...“

„Man kann kaum sagen, wer einem mehr leid tut, nicht wahr?“

„Nein. Über sieben Jahre Liebeskummer ... das ist ja sogar mehr als die sechs, die ich hatte.“

„Fünfeinhalb!“, korrigierte Seine Lordschaft automatisch. „Und ob Du´s glaubst, oder nicht: Ich habe durchaus auch gelitten.“

„Ja. Mit drei Konkubinen an der Backe war Dein Leidensweg wahrhaft steinig.“

„Dass Du mir das immer noch aufs Pfefferbrot streust.“ Er seufzte.

„Tja, Erdvolkschädel sind eben so, mein Gebieter.“
 

Hauptmann Nezu ging indes durch die prächtigen Gänge des Palastes und verfluchte sich. Nicht, dass es noch nötig gewesen wäre. Der ewigen Verdammnis würde er ohnehin anheim fallen.

Seine Mine war versteinert wie immer, doch die Gedanken hinter den harten Zügen drehten sich, wie so oft, im Kreis.

Sie war also verliebt.

Es machte keinen Unterschied. Durfte ihn nicht machen!

Und doch ...

Sein Herz scherte sich einen Dreck darum, was sein durfte und was nicht.

Sie war verliebt.

Verliebt und unglücklich. Dann galten ihre Gefühle womöglich einem blinden Narren, der diese Gefühle nicht erwiderte.

Sie nicht zu lieben war als hätte die Wärme der Sonne keine Bedeutung.

Sie war verliebt.

Eifersucht, auf die er kein Recht hatte, zerfrass ein Herz, das ihm schon seit langer Zeit nicht mehr gehörte.
 

Takeru mahnte sich zur Beherrschung.

Alles was ihm zustand, war zu hoffen, dass die Prinzessin einen Mann erwählt hatte, der dessen auch würdig war; einen Mann, der diese unfassbare Huld der Götter auch verdient hatte.

Alles was ihm zustand, war auf ihr Glück zu hoffen.

„Hauptmann Nezu?“ Ein junger Soldat hastete den Flur entlang. „Ich habe eine Nachricht für Euch.“

Takeru runzelte die Stirn und musterte den Gardisten.

„Von wem?“

„Äh ... Von Eurer Mutter.“

„Sehe ich so aus, als sei ich außer Dienst, Leutnant?“

„N ... nein.“

„Sie werden lernen müssen, dass Privates zu warten hat. Lernen Sie es schnell. Und legen Sie den Brief zu meiner Korrespondenz.“

„Jawohl, Sir! Verzeihung, Sir.“
 

Innerlich seufzend nahm Takeru seinen Weg in Richtung der Trainingshallen wieder auf. Dort zog er sich rasch um und begab sich dann zu einem abgelegenen, relativ kleinen Raum. Er wurde bereits erwartet.

„Bitte entschuldigt die Verzögerung, Hoheit!“

Wie er trug auch Aya einen leichten, weissen Kampfanzug.

„Natürlich. Es war nicht Eure Schuld, dass Ihr zu meinem Vater gerufen wurdet.“

Der Hauptmann nickte knapp.

„Da Ihr den Luft-Kick hervorragend gemeistert habt, schlage ich vor, wir versuchen uns heute an der Dachsrolle.“

„Gut.“

„Begebt Euch bitte in die Grundposition.“
 

Zehn Minuten später waren Ayas Wangen gerötet. Ihr Puls raste und ihr Atem kam in gehetzten Stößen. Wie immer betete sie, der Hauptmann möge diese Symptome der Anstrengung zuschreiben.

In Wahrheit war er selbst der Auslöser.

Dies war die einzige Gelegenheit, zu der sie ihn wahrnehmen durfte.

Sie konnte ihn ansehen; konnte sogar ab und an eine kurze Berührung erhoffen, wenn er einen Bewegungsablauf genauer demonstrierte.

Sie hätte es zwar niemals zugegeben, aber es kam vor, dass sie um eine zweite Erläuterung bat, nur um ihre Sinne im Klang der tiefen Stimme zu baden, ohne den Inhalt seiner Worte zu erfassen; dass sie eine Bewegung falsch ausführte, um seinen Atem warm und prickelnd am Haaransatz ihres Nackens zu spüren, wenn er - dicht hinter ihr stehend - ihren Arm führte.

Sie sog so viel von seiner Gegenwart in sich auf, wie sie vermochte.

Diese eine Stunde war ihr Himmel.
 

Der Hauptmann seinerseits war damit beschäftigt sich abzuschotten.

Eisern versuchte er, die geschmeidige Gestalt zu ignorieren, ihren lockenden Duft, ihre sanfte Stimme.

Er wappnete sich gegen den Schock zufälliger Berührungen; leugnete die Schauer, die ihn überliefen, wenn ihre Fingerspitzen flüchtig seinen Arm streiften.

Er verleugnete ihre gesamte, liebreizende Gegenwart so gut er es vermochte.

Diese eine Stunde war seine Hölle.
 


 

Laboratorien des Feuerpalastes, am Nachmittag des selben Tags
 

Wie immer, wenn ihr Gemahl eben einmal beschlossen hatte in ihrem Labor vorbeizusehen, wurde Pineria Tatzus Konzentration auf eine harte Probe gestellt. Sie unternahm den heldenhaften Versuch, ihn zu ignorieren, stellte das Mikroskop nach und drückte das Auge fester ans Okular.

Es klapperte. Wo steckte er seine Nase denn JETZT wieder hinein? Na ja, egal! Außer ...

„Stell das hin!“, rief sie erschrocken.

„Freut mich auch, Dich zu sehen.“, murmelte Lu Ten lakonisch, behielt das große Becherglas jedoch in der Hand.

„Um Gottes Willen stell das hin!“

„Was ist da drin?“, fragte er und beäugte das Gefäss misstrauisch. „Hatten wir nicht kürzlich eine Unterhaltung über gefährliche Chemikalien?

„Wirklich? Ich ... äh, hatte nicht so genau hingehört.“

„Pipps!“

„Gute Güte, es IST nichts gefährliches!“ Sie nahm ihm das Becherglas aus der Hand. Zur Abwechslung war nun er es, der streng angefunkelt wurde. „Nur etwas, das man nicht bewegen sollte. Und Du hast eben das Ergebnis verfälscht! Jetzt sind die letzten dreissig Stunden für die Katz.“

Sein Argwohn machte augenblicklich der Reue platz.

„Ähm ...“

„Gibt es auch einen Grund für Dein Kommen, oder wolltest Du nur meine Forschungen boykottieren?“

„Es tut mir leid, Fratz.“

DIESEM Blick hatte Pippa noch nie widerstehen können.

„Fein.“, seufzte sie. „Die Ausflockung von Eiweisen ist ja nichts, das man nicht schon entdeckt hätte.“

„Könnte ein Kuss Dich beschwichtigen?“

„Vernünftige Menschen müssen nicht beschwichtigt werden.“

„Schade.“

„Nun ... küssen darfst Du mich natürlich trotzdem.“, stellte sie klar, während sie an seinem Kragen zupfte.

Lu Ten, schon immer ein Mann der Tat, kam der Aufforderung ohne zu zögern nach.
 

Als es klopfte, musste das eheliche Intermezzo leider unterbrochen werden.

„Ja bitte?“, rief Pippa, mit leicht schwankender Stimme.

„Ach Herrje, störe ich etwa?“, fragte Aya, als sie den Raum betrat.

„Schwesterherz!", rief Lu Ten. „Was führt Dich her? Möchtest Du im feinen Schwefelduft schwelgen?“

Pippa trat ihm auf den Fuss.

„Es riecht hier nicht nach Schwefel.“

„Ausnahmsweise.“, murmelte er.

„Um ehrlich zu sein, Lu, habe ich schlimmeres vor.“, lachte Aya. „Deine Frau bräuchte ich.“

„Die da?“

„Mhm. Es sei denn, Du hast noch andere.“

„Also, ich weiss nur von dieser.“

„Fein. Dann genügt sie mir.“

Pippa hatte die Arme verschränkt und klopfte mit dem rechten Fuss auf den Boden.

„Ich muss doch sehr bitten!“

„Na, na. Du wolltest doch vernünftig sein.“, sagte Lu Ten mit unbeweglicher Mine.

„ICH bin vernünftig!“

„Siehst Du, deswegen denke ich ja auch, dass Du mir als Ehefrau durchaus reichen wirst.“

„Du!“ Eine kleine Faust tauchte vor der Nase des Prinzen auf. Er konnte sein schurkisches Grinsen nicht länger verbergen.

„Soll ich Soldaten zu Deiner Unterstützung holen, Pippa, oder reichen Deine Eltern?“

„Meine Eltern?“

Aya lächelte und nickte.


„Sind sie hier?“

„Ja.“

„Gute Güte! Warum hast Du das nicht gleich gesagt?“ Mit diesen Worten liess Pineria alles stehen und liegen (inclusive diverser Ehemänner) und hastete aus dem Raum.

„Ja, Aya.“, spottete der stehen gelassene Gatte mit verschränkten Armen und schüttelte den Kopf. „Warum hast Du das nicht gleich gesagt.“

Seine Schwester blickte gen Himmel und zuckte mit den Schultern.
 

„Was machen die Vorbereitungen für Kirams Gishki?“, fragte Lu Ten.

„Oh, fast abgeschlossen. Wir müssen nur noch seine Armreifen holen, die Schärpe besticken und Zirah davon abhalten eine Protest-Demonstration zu veranstalten.“

„Oh je. Ist sie immer noch sauer, dass sie nicht mitmachen darf?“

„Ja.“

„Na ja. Nutzt ja nichts. Ist eben nur für Jungs.“

„Ja. SEHR hilfreich. Am besten versuchst Du sie mit eben diesen Worten zu beruhigen.“

„Hm ... ich denke, dass überlasse ich Dir.“

„Lu Ten?“

„Ja?“

„Ich hoffe, Du wirst von heute Abend einen höllischen Muskelkater kriegen.“

Der Kronprinz schnaubte. Er und Lee hatten die Ehre einen der Balken zu tragen, auf denen Kiram seine Akrobatik vorführen würde.

„Bei dem Gewicht unseres kleinen Bruders, werden es zwei. Ich glaube, seine Knochen sind Blei-legiert.“

„Tja. Das tragen dieser Bürde ist eben ... wie sagtest Du doch? Nur für Jungs!“
 

In Lady Jins Arbeitszimmer hatten sich die Frauen der Familie eingefunden.

Dies war eben der Teil, der nur für Mädchen war. Doch nicht alle `Mädchen´ waren auch damit einverstanden.

„Oh nein! Zwingt mich nicht dazu! Ich werde es ruinieren!“

„Unsinn, Niha.“ Jin drückte ihrer Schwiegertochter Nadel und Faden in die Hand.

„Aber ich kann das nicht. Die meisten Socken hat immer Maja gestopft.“

„DAS stimmt allerdings!“, warf Maja ein.

„Es muss doch nur jede von uns einen einzigen Stich machen! Man wird es gar nicht sehen.“

„Na ja, aber ich bin doch nur angeheiratet.“


„Niha!“ WENN Jin streng dreinschaute, erzielte es durchaus Wirkung. „Es heisst `die weiblichen Mitglieder der Familie´. Dazu gehört ihr auch, also nimm jetzt diese Nadel und mach einen Stich.“

„Ja gut. Soll ich das Baby AUCH noch rausholen. Könnte ja sein, es ist ein Mädchen.“

„Dann lass es lieber drin!“, murmelte Zirah, das jüngste Kind des Herrscherpaares. „Als Mädchen darf man hier nämlich GAR nichts!“

„Schätzchen,“, seufzte Mylady. „Meine Nerven liegen an diesem Tag ohnehin schon blank. Könntest Du bitte aufhören, sie noch mehr zu strapazieren?“

„Ja. Toll. Damit alle Deinen SOHN bewundern können?“

„Du ...“ Jin stockte und presste die Lippen aufeinander.

Dass das Kind ausgerechnet heute so schwierig sein musste.

„Wenn Du Deinem Bruder kein Glück wünschen willst, dann VERLASS bitte den Raum!“, fauchte sie ungehalten.

Aber sie hatte schliesslich erwähnt nervös zu sein, nicht wahr?
 

Als Zirah die Tür hinter sich ins Schloss warf, sahen Ursa, Niha, Pippa, Maja und Zerfa ziemlich ratlos drein.

Aya legte ihre Nadel zur Seite, stand auf und drückte ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange.

„Ich rede mit ihr.“, murmelte sie.

„Ja.“ Jin blinzelte ihre Tränen weg. Was war nur los? Seit einer Woche hatte sie das Gefühl, als Mutter völlig zu versagen.

„Sag ihr, dass ich´s nicht so gemeint hab.“

„Das weiss sie, Mama. Aber ich erinnere sie daran.“
 

Zirah sass unter dem großen, alten Kirschbaum in den inneren Gärten.

Das tat sie meistens, wenn sie Kummer hatte, oder wütend war.

Momentan traf beides zu.

„Zirah?“

Eilig wischte Zirah ein paar Tränen weg.

„Ach Floh.“ Aya setzte sich neben ihre Schwester und zog sie an sich.

„Ich WÜNSCH ihm doch Glück!“, schniefte Zirah. „Mindestens so viel, wie jeder andere! Ich meine ... er ist mein Zwillingsbruder!“

„Natürlich tust Du das! Und Mama weiss das auch.“

„Warum hat sie dann ...?“

„Sie ist heute nicht sie selbst. Sie hat immer furchtbare Angst, wenn einer ihrer Söhne auf diesen Holzplanken herumhopst.“

„Ja!“, die Jüngere lachte freudlos. „Ihre SÖHNE.“

„Du kannst es ihr nicht verübeln, wenn sie froh ist, dass ihr das wenigstens bei ihren Töchtern erspart bleibt.“

„Ich könnte an diesem Tanz auch teilnehmen!“

„Ich weiss. Aber das ist nicht der Punkt.“

„Warum nicht?“

„Weil es eben Dinge gibt, die Zeit brauchen, um geändert zu werden. Traditionen jedenfalls ganz bestimmt.“

„Ha! Tradition! Während des Kriegs wurde dieser Brauch überhaupt nicht praktiziert.“

„Um so schlimmer. Der Sonnwendtanz ist eine Ehrerbietung an den Quell unsrer Energie und eine Erinnerung an unsere Wurzeln. Daran, dass das Feuer ein Lebensspender ist."

„Und ich soll das alles nicht feiern, nur weil ich ein Mädchen bin?“

„Doch. Natürlich sollst Du es feiern! Aber wir haben andere Möglichkeiten.“

„Ja. Mit Fächern durch die Gegend wedeln!“

„Ach Zirah.“ Die Meisterin im Fächer durch die Gegend wedeln drückte ihre Schwester tröstend an sich. „Manchmal ist es schwer, nur ein Mädchen zu sein. Manchmal leichter. Ich für meinen Teil bin froh darum. Was hat die Feuernation denn so kriegerisch gemacht? Dieses männlich dominante Imponier-Gehabe. Frauen hätten es vielleicht anders gemacht.“

„Ja. Vielleicht.“

„Bei aller Emanzipation ... Männer und Frauen bleiben nunmal unterschiedlich. Und das halte ich auch für gut. Sonst wären die Wege, die die Menschen gehen immer die selben.“

„Yin und Yang.“, flüsterte Zirah, und sah auf ihre Hände.

„Ja. Yin und Yang. Dank eines sehr fortschrittlichen Vaters dürfen wir beides leben, doch selbst das hat Grenzen.“

„Papa? Fortschrittlich?“

„Findest Du nicht? “

„Er ist der größte Traditionalist, den ich kenne.“

„Aber nur, weil in unseren alten Traditionen die Ehrfurcht vor dem verankert ist, was uns zu dem macht, was wir sind, Zirah. In der Zeit, als diese Bräuche missachtet wurden, wuchs die Arroganz der Feuernation, bis wir uns über andere erhoben. Vater hat erkannt, dass, indem wir die alten Werte wieder schätzen, wir dem Feuer wieder seinen ursprünglichen Platz im Gefüge der Elemente einräumen können. Nicht Zerstörung, sondern Lebenskraft. Für ihn waren die alten Traditionen der Weg in den Frieden.“

„Ja.“, gab Zirah leise zu. „Du hast ja recht. Aber ich würde die alten Bräuche auch gern ehren.“

„Aber das kannst Du doch.“

„Vom Zuschauerraum?“

„In diesem Fall ja, fürchte ich.“

„Na toll.“

„Das Leben wird immer Dinge bereithalten, die wir uns ersehnen. Aber nicht alle sind für uns bestimmt.“

Etwas an diesem Tonfall veranlasste Zirah, nach der Hand ihrer Schwester zu greifen.

„Du meinst das Feuerbändigen, nicht wahr.“, fragte sie ungewohnt sanft.

Aya drehte den Kopf zur Seite und nickte. Wie sehr sie es doch hasste, ihre Familie zu belügen ...

Das Feuerbändigen. Dieser Wunsch war so unbedeutend, so läppisch im Vergleich zu ihren anderen Sehnsüchten.

„Ach Aya ... dafür kannst Du so viele andere Dinge. Und Du ... Du ... na ja. Ich werde jedenfalls nie so schön oder anmutig sein, wie Du.“

„Diese Dinge sind doch nur äußerlich.“, flüsterte Aya.

„Nein. Nicht bei Dir.“, antwortete Zirah schlicht. „Und ich werd jetzt aufhören, so eine Ziege zu sein und meinen Stich in diese Schärpe machen.“

„Danke, Floh. Und sei Mama nicht mehr böse. Du weisst, sie hat´s nicht so gemeint.“

„Ja. Bin ich ja gar nicht.“

„Das ist gut.“ Aya stand auf und half Zirah auf die Beine. „Und mach Deinen Stich ja gerade, sonst müssen wir alles wieder auftrennen.“

„Du ...“
 


 

Elf Stunden später
 

Maja Koro stand im großen Festsaal, inmitten des bunten Gedränges und wusste gar nicht, wohin sie ihr Augenmerk richten sollte. Die Pracht und die strenge Etikette, die hier herrschten, verblüfften sie noch immer!

Vor einem Jahr, auf der Hochzeit ihrer Schwester mit Prinz Lee (der offiziellen ... die eigentliche war ein wenig übereilt gewesen) war sie noch komplett überfordert gewesen.

Im Frühjahr war die Familie wieder auf die Farm gezogen, um alles wachsen zu sehen, wie Lee es nannte. Mittlerweile liebte er es, in der fruchtbaren Erde zu wühlen. Kaum zu glauben, was für einen herzlich unbegabten Hilfsarbeiter er anfangs abgegeben hatte. Noch heute musste Maja kichern, wenn sie sich an seine ersten Melkversuche erinnerte.

Vor acht Tagen waren sie an den Palast zurückgekehrt, denn heute war Sonnwend-Tag und Prinz Kirams Gishki, sein Initiationsritus.

Außerdem hatte Lee, trotz aller Befriedigung, die ihm die Arbeit auf dem Bauernhof verschaffte, inzwischen ziemliches Heimweh gehabt. Er selbst würde es natürlich niemals zugeben, aber nach spätestens zwei Monaten zog es ihn immer hierher zurück.

Er war eben ein Familienmensch, egal um welche seiner Familien es sich handelte.
 

Da stand Maja also, inmitten schillernd gekleideter Damen und vornehmer Herren und nippte an einem Glaskelch. Der Sonnwendtanz , wenn man diese selbstmörderische Angeber-Akrobatik so nennen wollte, war vollzogen und nun dümpelten entspannte, belanglose Gespräche durch den Sonnensaal.

Der neueste Klatsch wollte schliesslich verbreitet werden.

Im Augenblick stachen Maja (vielleicht inspiriert durch die spärlich bekleideten, jungen Krieger, die am Tanz teilgenommen hatten) zum ersten Mal die vielen Wachen ins Auge. Sie standen in jeder Ecke des Saales und flankierten die acht großen Türen. Allesamt gutgebaute Burschen. Aber man wurde ja auch nicht mir nichts dir nichts Palastwache. Logisch.

Es war also nur natürlich, dass die junge Dame nun begann, verstohlen die Auswahl zu beäugen.

„Ja sag mal. Entdecke ich da eine Schwäche für Uniformen?“, spottete Kiku Fu.

Sie war die Tochter des Konsuls, ungefähr gleich alt wie Maja und ungefähr ebenso keck.

„Äh ... eigentlich nicht. Bisher zumindest.“

„Hier wirst Du sie bestimmt entwickeln.“

„Warum tragen eigentlich ein paar der Soldaten keinen Helm?“

„Ah, das sind die Kage. So haben sie die Umgebung besser im Blickfeld.“

„Kage?“

„Ein veraltetes Wort für Schatten. Sie sind die persönlichen Leibwachen. Die MIT den Helmen sind die Kanjio. Normale Mitglieder der Palastwache. Aber selbst das sind schon ziemlich tolle Jungs. Die Eliteeinheit des Militärs, sozusagen.“

„Kanjio?“

„Es bedeutet `Bollwerk´“

„Verstehe. Also ... nach Elite sehen sie auch aus.“, murmelte Maja, als ein besonders eindrucksvolles Exemplar an ihr vorüber schritt. Allerdings eins ohne Helm, mit Sandfarbenem, kurzem Schopf. Zwar sah sie nur die Kehrseite, aber die war ihrer Meinung nach mehr als sehenswert.
 

„Oha! DAS ist Hauptmann Nezu!“, wisperte Kiku prompt. Sie klang, als erwarte sie eine Reaktion.

„Nezu?“

„Ja! Sagt Dir der Name nichts?“

„Nezu, Nezu ... War das nicht irgendsoein Held?"

„Takeru Nezu! Zukos Blutwolf! Der beste Kage seit elf Generationen!“

„Ach ja... Natürlich! Ich dachte immer, der wäre viel älter.“, flüsterte Maja, die es eindeutig noch nicht gewohnt war, lebenden Legenden über den Weg zu laufen.

„Bist Du ihm bisher noch nicht begegnet?“

Fräulein Koro schüttelte den Kopf, während ihre Augen weiterhin an dem uniformierten Mannsbild klebten. „Nicht, dass ich wüsste. DER wäre mir bestimmt aufgefallen.“

„Dann hast Du Aya aber noch nicht allzu oft getroffen, wenn Du ihn jetzt zum ersten Mal siehst.“

Maja zuckte mit den Schultern. Sie musste ja niemandem auf die Nase binden, wie unwohl sie sich in Gegenwart der Prinzessin fühlte.

Bisher war sie ihr eher aus dem Weg gegangen. Nicht, dass sie die Schwester ihres Schwagers nicht gemocht hätte. Es war quasi unmöglich, Aya nicht zu mögen. Doch Maja war es nunmal gewohnt, das hübscheste Mädchen der gesamten Umgebung zu sein. Und in Gegenwart von Lees Schwester kam sie sich vor, wie ein tollpatschiger Bauerntrampel.
 

„Warum nennt man ihn eigentlich Blutwolf?", wollte Maja jetzt wissen.

„Wenn Du seine seltsamen Augen siehst, weißt Du, warum.“, antwortete Kiku bereitwillig. „Eiskalt. Wie die eines Winterwolfs.“ Sie schauderte, halb verzückt „Es gibt niemanden, der effektiver wäre. Oder loyaler. Er reagiert auf Onkel Zukos leisetten Wink. Und natürlich passt der Name auch deshalb, weil Nezu gefährlicher ist als jede Bestie, wenn man sich einem Mitglied des Fürstenhauses in böser Absicht nähert."

„Ja. Das glaube ich sofort“, murmelte Maja, immer noch dem dunkelblonden Offizier hinterher gaffend.

Als er sich so drehte, dass sie ihn im Profil sehen konnte, seufzte sie entrückt. „Heilige Asche... Ich hab jedenfalls noch nie jemanden gesehen, der eine Uniform so vorbildlich ausfüllt, wie dieser Kerl!“

„Maja!“, kicherte Kiku. „Na ja ... meine Mutter hat schon oft erzählt, wie sich die Damen um Takeru Nezu früher förmlich gerissen haben. Aber dann ist das mit seinem Gesicht passiert. Wirklich eine Schande ...“

„Was denn? Was ist mit seinem Gesicht?“, wollte Maja neugierig wissen.

„Herrje, ihr habt da aber wirklich hinter dem Mond gelebt. Das Attentat.“ Kiku verlieh ihrer Stimme eine dramatische Tiefe. „An Ayas sechzehntem Geburtstag hatten vier bewaffnete Männer es geschafft, sich hier einzuschleichen. Sie griffen gleichzeitig an, und Hauptmann Nezu hat sich im letzten Moment vor die Prinzessin geworfen. Dabei ... ratsch!“ Sie tat so, als harke sie sich mit den Fingern vom Haaransatz bis zum Unterkiefer. „Die Drillingsnarbe. Hast Du von DER auch noch nichts gehört?“

„Ich ... glaube nicht. Ist sie schlimm?“

„Na ja. Es verschönert einen Mann nicht gerade, wenn seine linke Gesichtshälfte von drei Klingen aufgeschlitzt wird.“

„Hm. Also ich finde die ein oder andere Schramme gar nicht so schlimm.“

„Ja, schon. Nur mir persönlich ist der Blutwolf sowieso ein bisschen zu grimmig. Aber es gibt genügend Frauen, die ihn noch immer äußerst attraktiv finden. Gräfin Ren zum Beispiel. Ich hab erst heute gehört, wie sie geschworen hat, seine Qualitäten in gewissen Bereichen würden den optischen Makel mehr als wettmachen.“

„Du meinst ... sie und er ...?“

„Aber ja! Kaoris Mann starb vor neun Monaten. Und erst vorhin habe ich gehört, sie geniesse nun schon seit längerem und in regelmässigen Abständen die ... Gesellschaft Hauptmann Nezus.“ Plötzlich schnappte Kiku nach Luft und straffte sich. „Prinzessin!“
 

Maja bekam bei diesem Tonfall automatisch ein schlechtes Gewissen. Als sie sich umdrehten, stand Aya vor ihnen.

Groß, elegant, schön wie immer. Und so blass, dass ihr Porzellanteint fast durchscheinend wirkte.

Kiku, die mit Aya zusammen aufgewachsen, versuchte hastig die Situation zu retten, denn wenn die Prinzessin eines nicht ausstehen konnte, dann war es diese Art sensationslüsterner Klatsch, der eben ausgetauscht worden war.

„Aya, wir haben nur ...“

„Kiku, Deine Mutter möchte Dich sprechen.“, sagte Ihre Hoheit leise.

„Dann ... sollte ich wohl zu ihr gehen.“

„Ja. Das solltest Du.“

So sah sich Maja plötzlich alleine mit ihrer Schwippschwägerin.

„Ähm. Ein wirklich schönes Fest, Hoheit.“, brachte sie heraus.

„Aya.“, murmelte die Prinzessin automatisch. „Nenn mich bitte nur Aya. Ich ... wenn Du mich entschuldigen würdest ...“

Fast überstürzt eilte sie davon und liess eine verunsicherte Maja inmitten des Sonnensaals einfach stehen.
 

In der Tat war Ayas Tempo alles andere als gemessen. Sie rannte beinahe.

Nur nicht ansprechen lassen! Nur nicht Halt machen.

Sie musste weg hier! Raus!

Sie strebte zu einer der etwas kleineren Türen. Hinter ihr befand sich für diejenigen, die dem Trubel des großen Sonnensaals entkommen wollten, eine weitläufige Orangerie, die gleichzeitig auch als Bibliothek genutzt wurde.

Agni sei Dank war der Raum leer. Hastig schloss Aya die Tür und liess sich schwer atmend dagegen sinken. Durch die raumhohen Fenster schien der Mond, warf die eleganten Sprossen der Fenster als dunkle Pfade auf den Boden. Doch die Prinzessin nahm sein Leuchten nur als verschwommene, silbrige Schwaden wahr.

Sie schloss die Augen und die dummen Tränen quollen über.

Natürlich ging sie sein Privatleben nichts an. Natürlich lebte er nicht im Zölibat! Natürlich hätte sie es wissen müssen!

Aber ... SIE? Kaori Ren? Diese Frau war ... nicht anständig. Sie war oberflächlich, überheblich, selbstverliebt, eitel und dumm. Kaori Ren kümmerte sich ausschliesslich um Kaori Ren.

Diese Frau würde nie in der Lage sein, zu sehen, wer Takeru Nezu wirklich war.

Aber eigentlich war es gleichgültig, wegen was für einer Person Aya weinte.

Jetzt da sie ein konkretes Gesicht vor Augen hatte, war die Eifersucht da. So oder so. Quälend, brennend und unausweichlich. Sie presste ihr die Brust zusammen, nahm ihr die Luft zum Atmen.

Warum konnte sie diese unangebrachten Gefühle nicht einfach abschütteln? Warum hatte sie in all diesen Jahren nicht gelernt, dagegen anzukämpfen? Warum? Warum war ihr wehes Herz nur so stur und unbelehrbar?
 

„Hoheit?“

Aya ballte die Fäuste, als die tiefe Stimme gedämpft durch die Tür drang. Die Stimme, ihres beständigen, sie quälenden Schattens.

Sie wollte nicht antworten.

„Hoheit?“

Das Pochen an der Tür wurde nachdrücklicher. Weiteres Schweigen hätte das Öffnen dieser Tür zur Folge.

„Ja?“ Obwohl die Tränen mittlerweile silbrige Bögen auf ihren Wangen hinterliessen, klang ihre Stimme ruhig.

„Was ist mit Euch?“

„Mir war nur etwas warm, Hauptmann. Das ist alles.“

„Prinzessin, so kann ich nicht für Eure Sicherheit bürgen.“

Ihre Sicherheit. Es war das einzige, was diesen Mann interessierte.

„Nur noch einen Moment.“

Erst musste sie die verräterischen Spuren ihres Schmerzes beseitigen.

„So leid es mir tut, Hoheit, doch ich muss darauf bestehen, dass Ihr die Tür öffnet.“

Mit fliegenden Händen wischte Aya die Tränen fort, zwang einen tiefen Atemzug in ihre verkrampfte Brust, straffte sich und griff nach der Klinke.
 

„Nun, nun, Hauptmann. Kein Grund gleich Eure Truppen zu mobilisieren. Ich brauchte nur ein wenig frischere Luft.“, murmelte sie spöttisch und wich geschickt dem forschenden Blick aus, indem sie ihren Ärmel zurechtzupfte.

Weinen würde sie später.

„Möchtet Ihr in die Gärten gehen?“, fragte ihr Kage pflichtbewusst.

„Nein, es geht schon wieder.“

„Wie Ihr wünscht, Prinzessin.“

Gar nichts war, wie sie es wünschte, aber das ging niemanden etwas an uns so setzte sie eine neutrale Mine auf und flanierte wieder durch die Gäste, während die wachsamen Augen ihres Leibwächters sie für keine Sekunde verliessen.
 

Hauptmann Nezu sträubte sich, aus dem eben Gesehenen die naheliegenden Schlüsse zu ziehen.

Das konnte nicht sein! Noch gestern hätte er Stein und Bein geschworen, dass das was er eben beobachtet hatte, ein Ding der Unmöglichkeit sei.

Sie und dieser Lackaffe Shouta?

Normalerweise war Prinzessin Aya klug genug, um so oberflächliche, eitle Menschen als die Blender zu erkennen, die sie waren.

Doch nun schien es plötzlich nur noch eine Erklärung für ihr Verhalten zu geben. Masaru Shouta.

War sie nicht schon gestern in Gegenwart des Herzogs seltsam zerstreut gewesen? Nervös?

Und heute sie während des ganzen Festes heiter und gelassen gewesen, bis Masaru vor ein paar Minuten eine der Hofdamen zum dritten Mal zum Tanz aufgefordert hatte. Zweifellos, weil er sich einbildete, damit Ayas Eifersucht schüren zu können.

Das unbegreifliche war nur, dass diese überhebliche Taktik zu fruchten schien.

Die Prinzessin war gerade im Begriff gewesen Kiku Fon anzusprechen, als sie plötzlich zur Salzsäule erstarrt war, die Hände so fest um ihren Fächer gekrampft, dass die Knöchel weiss hervortraten.

Takerus Herz hatte es ihnen gleich getan, als er sah warum.

Es war der Herzog, der in diesem Moment in Ayas Blickfeld tanzte, eine albern kichernde Mishi Pan im Arm.
 

Nicht er!

Das war alles, was Takeru zu denken im Stande gewesen war.

Bitte nicht er!

Dieser Geck? So dumm, eitel und arrogant. Der Kerl war es noch nicht einmal wert, die selbe Luft zu atmen, geschweige denn im gleichen Raum mit ihr zu sein!

Doch die Art, wie Aya eben in die Orangerie geflohen war; die Feuchtigkeit auf ihren ebenholzfarbenen Wimpern.

Einem Unbeteiligten wäre die steife Kopfhaltung und die unangemessen hastigen Schritte nicht auffallen.

Aber Takeru Nezu war kein Unbeteiligter. Schon viel zu lange nicht mehr.

Die Dämonen seiner kleinen, exquisiten Hölle feierten ihre jüngste Schwester, die Eifersucht, mit Begeisterung und trieben ihm ihre giftigen Klauen noch tiefer in die Seele.

Vielleicht war es an der Zeit, zu gehen. Vielleicht sollte er diesen Himmel fliehen, der seine Hölle geworden war. Vielleicht sollte er endlich ablassen von seiner kleinen, goldäugigen Fee.

Sie war der bei weitem unbarmherzigste seiner Folterknechte.

Trau, schau, wem!

Kyobo. In der Sprache der Alten bedeutet es `Blutrausch´
 

Feuerpalast, große Trainingshalle, neuneinhalb Jahre zuvor.
 

Das allgemeine Nahkampf-Training war vor wenigen Minuten beendet worden und bis auf zwei Männer hatte der Saal sich bereits geleert.

Einer der beiden war der junge Leutnant Nezu. Niemand, der ihn kannte, hätte etwas anderes erwartet. Er betrat die Trainingshallen als Erster, und verliess sie als Letzter. Seine Kameraden versuchten schon lange nicht mehr, daran irgendetwas zu ändern. So war er eben.

Seit einiger Zeit traf man Takeru Nezu jedoch öfter in Gesellschaft.

Auch in diesem Augenblick redete Hauptmann Rafu auf ihn ein.
 

„Wenn sie Kummer hat, zwirbelt sie an ihren Haaren herum.“

„Verstehe.“

„Oder sie hockt am Brunnen ihrer Mutter.“

Takeru nickte, während er die Kampf-Bandagen von seinen Knöcheln wickelte.

„Du musst auch aufpassen, dass sie nicht Abends noch mit blossen Füssen durch die Gegend läuft.“

„Ist gut.“

„Und wenn sie viel Unterricht hat ...“

„Soll ich darauf achten, dass sie genug isst. Ich weiss, Ryo.“

„Hm.“, brummte Hauptmann Rafu. „Hab das alles wohl schon mal erzählt.“

„Ja.“

„Na ja ... ist nicht leicht, die Verantwortung abzugeben. Ich hab acht Jahre auf sie aufgepasst.“

„Ryo, ich werde sie hüten wie meinen Augapfel.“

„Weiss ich ja, Junge. Aber ... sie ist so ein liebes, kleines Ding. Man kann einfach nicht anders, als sie gern zu haben.“ Ryo schielte nach rechts und erwischte den jungen Offizier dabei, wie er kurz die Lippen aufeinander presste. Aha! Also doch! „Schätze mal, da erzähl ich Dir nichts neues, was?“, fragte er leise

Takeru versuchte keine Regung zu zeigen. Nicht so einfach, mit einem Paar rot anlaufender Ohren.

„Hab´s befürchtet.“, murmelte Ryo.

„Ich ...“ Schnell suchte Leutnant Nezu nach einer Ausflucht. Doch keine der Lügen wollte sich heute greifen lassen. „Es wird meine Pflicht nicht im Mindesten beeinträchtigen.“, versicherte er ruhig.

„Weiss ich.“, brummte der alte Kage. „Sie wollen einem immer einbläuen, der emotionale Abstand zum Schützling sei wichtig, um einen kühlen Kopf zu bewahren. Humbug! Ein kühler Kopf ist ja schön und gut und das Du so einen hast ist eh klar. Aber am besten schützt man das, was man liebt, sag ich immer. Drum würd ich sie auch keinem lieber anvertrauen, als Dir.“

„Ryo ...“

„Mach Dir keine Sorgen, Junge. Ich verrat´s keinem. Wirst es ohnehin nicht leicht haben, wenn Dein Herz was anderes tut, als nur Blut durch Deine Adern zu pumpen.“

Takerus Herz tat schon lange mehr als das.

Im Lauf der Zeit musste er lernen, dass Liebe nicht gleich Liebe war. In dieses unschuldige, selbstlose Gefühl der Wärme, diesen Drang sie zu beschützen, mischte sich nach und nach die Begierde. Die Lust. Das nicht zu unterdrückende Verlangen nach ihrer Nähe.

Wieder frass der Hunger ein Loch in Takerus Eingeweide. Ein Hunger, der ihn zu seinen Ursprüngen zurückkehren liess. Einem kleinen, gierigen Dieb aus der stinkenden Gosse Ba Sing Ses, der verzweifelt begehrte, was nicht sein war.
 

Irgendwann waren die einzigen Schranken dieser Liebe seine Disziplin und seine Pflicht. Sie wuchsen mit ihr, bis sie einen undurchdringlichen Wall bildeten. Leider schützte er nur gegen Entdeckung; nicht gegen jenes ungebetene Gefühl selbst.

Wie hätte er sich dessen auch erwehren sollen?

Zu sehen, wie sie sich freudestrahlend mit den Kindern der Dienerschaft verbündete. Wie sie leise den Pinsel ihres alten Kaligraphie-Lehrers aufhob, um ihn nicht zu wecken, dann leise zu Hüsteln, um ihm die Möglichkeit zu geben unbemerkt aufzuwachen.

Wie sie nach einer eigentlich bereits verheilten Verwundung an seinem Bein ihren Tagesablauf so gestaltet hatte, dass er kaum stehen musste.

Es war zuviel für seine Abwehrkräfte.

Sie dachte selbst an so belanglose Dinge wie Kaffee. Seit sie erfahren hatte, dass er ihn gerne trank, befand sich auf jeder Reise wie durch Zauberhand ein ausreichender Vorrat davon im Gepäck.

Diese Liste liesse sich endlos fortsetzten.

Aya sah in ihrer Stellung vor allem die Verantwortung für die Menschen. Sie kümmerte sich um alles und jeden und sie mochte alles und jeden. Ob derjenige nur die Leintücher bleichte, oder scheinbar den Lauf der Welt beeinflusste, war ihr egal.

Am Ende waren es all diese liebenswürdigen Kleinigkeiten, die das Schicksal des jungen Hauptmanns besiegelten.

Wie, um Himmels Willen hätte er sie dafür nicht lieben können? Er hatte nicht die geringste Ahnung! Und er hatte es schon lange aufgegeben, gegen ihren Zauber anzukämpfen.
 


 

Gegenwart
 

Am nächsten Morgen stand Masaru früher auf als gewöhnlich.

Er war beschwingt und zuversichtlich. Gestern war er seinem Ziel ein ganzes Stück näher gekommen. Außerdem war Fräulein Mishi Pan hinter diesem Fliederbusch noch sehr entgegenkommend gewesen! Eigentlich schade, dass er diese Liebelei nicht weiterführen konnte.

Er klingelte ungeduldig nach seinem Kammerdiener.

Das kupferfarbene Ensemble wäre heute wohl angebracht. Es brachte seine Augen am besten zur Geltung. Und schliesslich sollte diese Investition sich auch lohnen!
 

Aya war müde. Unendlich müde.

Kein Wunder, nach einer fast schlaflosen Nacht. Die quälenden Bilder in ihrem Kopf hatten sie nicht zur Ruhe kommen lassen.

Momentan sass sie auf einer schattigen Veranda und versuchte vergeblich, einem banalen Gespräch über die neueste Sommermode zu folgen.

Da die Sonnwendfeier noch zwei Tage andauerte, war so ziemlich alles versammelt, was Rang und Namen hatte. Übermorgen sässen die meisten der Anwesenden wieder auf irgendeinem abgelegenen Landgut fest und so nutzte man die Gelegenheit sein Wissen über die große, mondäne Welt auszutauschen.

In dieser als ungefährlich eingestuften Umgebung konnte Aya wenigstens Abstand zwischen sich und ihrem Leibwächter halten. Dieser stand stumm und reglos neben einer Tür, gute zwanzig Meter entfernt. In ihren Gedanken spukte er trotz allem umher und leider nicht nur er, sondern auch seine perfide Liebschaft. Diese ...

„Ich schwöre, er sagte Violett wird das neue Orange! Ein MUSS in der kommenden Saison.“

„Violett?“, quietschte Baroness Quon entsetzt. „Dann muss ich meine ganze Garderobe umstellen. Außerdem sehe ich in Lila käsig aus.“

Da man eine Reaktion zu erwarten schien, nickte Aya schwach.

„Nun, solche Sorgen müsst IHR Euch natürlich nicht machen, Hoheit. Ihr seht in jeder Farbe bezaubernd aus. Obwohl Ihr heute doch etwas blass wirkt.“

„Na, BLASS ist ja Gott sei Dank auch wieder der allerletzte Schrei!“

„Wer hat geschrieen?“, murmelte Aya geistesabwesend.

Die Damen stockten kurz und brachen dann in perlendes Gelächter aus.

„Ah, Die Tatzus haben alle so einen drolligen Humor.“, zwitscherte eine ältere Lady. „Ich werde nie vergessen, was General Iroh zu dem Kommandanten in Leng Leng sagte, als sie diese Schweineherde umzingelt hatten.“
 

In diesem Augenblick hielt ein Tatzu mit besonders drolligem Humor es für angebracht, ebendiesen wieder einmal unter Beweis zu stellen.

Seit einigen Minuten beobachtete Lee seinen kleinen Schwager, wie er fasziniert die Gegend rechts neben dem Eingang anhimmelte. Es war ziemlich genau der Bereich, den Takeru Nezu mit seiner furchteinflössenden Statur füllte.

„Na, Jem. Kuckst Du Dir das Katana des Hauptmanns an?“

„Mhm.“, machte Jem und schob noch ein Stück Kuchen nach. Dabei liess er sein Observierungsopfer keine Sekunde aus den Augen.

„Er hat es von meinem Vater bekommen, als er ... äh ... keine Ahnung, wen er wieder gerettet hatte.“

„Lehee?“

„Hm?“

„Meinst Du, ich könnte vielleicht ein Kage werden?“

„Du willst einer der Schatten werden?“, fragte Lee. „Wirklich? Das ist aber ein mächtig großes Ziel.“ Er wuschelte durch den wilden Schopf des Jungen.

„Ja! Die sind doch toll!“

„Das sind sie wohl.“

„Denkst Du, ich kann das nicht?“

„Ich? Ich denke, Du kannst alles werden, was Du willst!“

„Echt? Und denkst Du, ich kann so gut werden, wie Hauptmann Nezu?“, wollte Jem aufgeregt wissen und beäugte sein Idol.
 

Lees Sinn für Abstruses meldete sich zu Wort und er beschloss umgehend, dass jemand es mal wieder nötig hatte, ordentlich gefoppt zu werden. Schliesslich gehörte der Kerl - noch mehr als alle anderen Leibwächter - fast zur Familie. So nahm er Jem an der Hand und zog ihn mit, um das Diskussionsthema aus nächster Nähe zu betrachten.

„So toll wie Nezu, also, hm?“, fragte er. „Oha! DAS wird schwer. Er ist nämlich zufällig der beste Kage, den wir derzeit auf Lager haben.“

Jem blickte zu dem reglosen Soldaten auf.

„Ich weiss!“, flüsterte er in Orkan-Lautstärke.

„Hast Du ihn überhaupt schon mal aus der Nähe gesehen?“

„Nein.“ Die goldenen Kordeln am Waffengürtel des Hauptmanns wurden staunend bewundert.

„Na dann ...“ Lee hob das Kind kurzerhand auf Augenhöhe.

Sofort unterzog der Junge die drei blassen, tief eingekerbten Linien in der linken Gesichtshälfte des Hauptmanns einer genauen Musterung. Von der Drillingsnarbe hatte schliesslich jeder schon gehört. Zumindest die Jungs. Mädchen interessierten sich für sowas Wichtiges ja nicht.

„Agni!“, hauchte er.

„Na?“, grinste Lee. „Ist das was?“

„Cooooool!“

„Aber Hallo! Hauptmann Nezu ist der ALLER Coolste! Der Schurke mit der Klingenklaue hatte schon ausgeholt, als Takeru sich mit letzter Kraft vor Aya geworfen hat.“

Mit offenem Mund bestaunte Jem Zukos Blutwolf.

„Oh Mann, ist das mutig!“

„Hab ich ja gesagt. Wenn Du so werden willst wie er, musst Du Dich mächtig anstrengen. Auch in der Schule.“

„In der Schule? Neeee!“

„Doch! Takeru hier war ein totaler Streber. Nicht wahr, Hauptmann?“

Der Streber blickte stur geradeaus und murmelte nur „Was auch immer Ihr sagt, Hoheit.“

„Genau!“ Lee platzierte einen kräftigen Schlag auf den breiten Schultern, der die blitzenden Orden zum scheppern brachte. „Nichts für ungut, Killer-Queen.“ Damit setzte er Jem ab und wollte zurück zum Tisch, um einen zweiten Blick auf die Kuchenauswahl zu werfen. Eine tiefe, emotionslose Stimme hielt ihn auf.

„Hoheit?“

„Ja?“

„Vergesst unser Training morgen bitte nicht.“

Lee verdrehte die Augen und stöhnte.

„Hab ich dir auch schon erzählt, wie verflucht schnell man in der Klemme steckt, wenn man sich mit einem Kage anlegt?“, fragte er Jem.

„Niha sagt, ich soll nicht verflucht sagen.“

„Äh, klar. Da hat sie verdammt Recht!“

„LEE?“

Als Prinz Lee sich umdrehte stand dort sein geliebtes Weib mit ihrem geliebten, kugelrunden Bauch.

„Ja, Süsse?“

„Verziehst Du schon wieder meinen Bruder?“

„Das würde ich nie tun, Licht meines Lebens!“ Er bedachte sie mit einem breiten Grinsen. „Dazu hab ich schliesslich bald das Baby.“

Niha blickte hilfesuchend gen Himmel. Dieser Mann und sein Baby ... die beiden hatten jetzt schon einen Packt geschlossen, der die werdende Mama nichts Gutes ahnen liess.
 

Gegen Abend konnte Aya sich nicht länger beim Teekränzchen verkriechen, denn die Sonnwendfeier ging in die zweite Runde. Also begab sie sich wohl oder übel in den großen Festsaal.

Es waren noch keine fünf Minuten vergangen, als auch schon Masaru Shouta zielgenau auf sie zusteuerte. Sie stöhnte. Musste sie der Eitelkeit dieses Menschen wirklich Tribut zollen? Sie wünschte sich inbrünstig, er würde seine kostbare Aufmerksamkeit einer der vielen Damen schenken, die so offensichtlich danach lechzten.

„Prinzessin!“

Aya zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. „Euer Gnaden.“

„Masaru.“, murmelte der Herzog und zog ihre Hand an seine Lippen. „Für Euch nur Masaru.“

„Nun, ich denke nicht, dass ...“

„Bitte! Ich bestehe darauf, Hoheit.“

Jetzt bestand man also schon darauf. Hauptmann Nezu biss die Zähne zusammen.

„Wir werden sehen.“, murmelte Aya unverbindlich.

„Würdet Ihr mich vielleicht auf einen kleinen Spaziergang durch die Gärten begleiten? Sie sollen ganz bezaubernd sein. Vor allem ...“, Masaru lies seine Stimme weich werden. „... bei Mondlicht.“

„Das sind sie.“, stimmte Ihre Hoheit zu. „Und zwar zu so ziemlich jeder Tageszeit.“

„Oh.“ Theatralisch fasste Masaru sich ans Herz. „Wollt Ihr mir diese bescheidene Bitte wirklich abschlagen?“

Wollte sie? Ja! Aber vielleicht war es an der Zeit, seinen Eifer zu bremsen, bevor er sich noch in etwas verrannte. Aya hatte die Erfahrung gemacht, das sich ungebetene Verehrer am besten so früh wie möglich loswerden liessen.

„Nun gut.“, lenkte sie daher ein. „Ein Spaziergang also.“

Sie nahm den dargebotenen Arm, im Geiste bereits eine höfliche Abfuhr zurechtlegend.

Dann passierte etwas recht Unerwartetes.
 

„Prinzessin?“

Sofort drehte Aya sich um. Wenn der Hauptmann ungefragt das Wort ergriff, musste er einen triftigen Grund haben.

„Ja?“

„Euer Taschentuch.“

Aya starrte auf das hauchzarte Gebilde aus Seide. In der kampferprobten, ledergepanzerten Hand wirkte es seltsam Fehl am Platz. Ihre Augen glitten ungläubig höher und wie immer nahm sie den direkten Blickkontakt als eine Art Schock wahr.

Warum tat er das? Warum jetzt?

Da es ihrem Kage niemals in den Sinn käme, sie in der Öffentlichkeit zu kritisieren, hatten sie vor Jahren dieses Zeichen vereinbart. Sollte sie im Begriff sein, etwas zu tun, das er für bedenklich oder gar gefährlich hielt, würde er ihr ein „verlorenes“ Taschentuch reichen. Bis jetzt hatte er noch niemals auf diesen versteckten Fingerzeig zurückgegriffen.

Als Zeichen ihres Einverständnisses bräuchte sie das Taschentuch nur zu nehmen. Doch tief in ihrem Inneren regte sich Trotz. Wie kam er dazu, sie zu tadeln?

„Das ist nicht meines.“, sagte sie leise.

Die silbergrauen Augen verengten sich kaum merklich.

„Dann bitte ich ... um Verzeihung.“ Des Hauptmanns Stimme war so distanziert wie seine Miene.

Bevor Masaru der Prinzessin wieder seinen Arm reichte, streifte er Zukos lästigen Anstands-Wauwau mit einem, wie er meinte warnenden Blick.

Nach der Hochzeit würde er diesem Kerl erst mal ein paar Manieren beibringen müssen.
 

Das sinnlose Gewäsch des Herzogs strömte an Aya vorbei, wie süsslich stickige Luft aus einem öffentlichen Badehaus. Einzig die vertrauten Schritte hinter ihr, nahm sie wahr. In schmerzhafter Klarheit.

Sie konnte seine Missbilligung fast körperlich spüren.

Wie KONNTE er es wagen, ihr mangelnde Urteilskraft, oder fehlenden Anstand zu unterstellen? Sie hatte hier alles unter Kontrolle. Und außerdem war es nicht SIE, deren Benehmen zu wünschen übrig liess!

Am liebsten wäre sie davongelaufen. Unweigerlich beschleunigten sich ihre Schritte.

Masaru hatte Mühe, ein befriedigtes Grinsen zu unterdrücken.

Sieh an, sieh an. Da suchte jemand die traute Zweisamkeit und hatte es verdammt eilig damit. Die raffinierte, kleine Sirene steuerte schnurstracks auf einen Teich mit einer kleinen Laube zu. Ja, seit gestern lief alles ganz wunderbar!
 

Die Wände des eleganten Pavillons bestanden zwar zum Großteil nur aus Glas, doch zusammen mit der samtblauen Dunkelheit und dem zarten Zirpen der Grillen bot er genug Schutz für einige vertrauliche Worte.

Ohne zu zögern ging Aya die wenigen schmalen Stufen empor und setzte sich auf eine kleine Bank. Ihr Begleiter tat es ihr gleich.

Der Hauptmann bezog mit dem Rücken zu ihnen auf der untersten Stufe Stellung.

„Was für ein entzückender Platz!“, murmelte Masaru und griff sich ihre Hände.

„Ja. Euer Gnaden. Ich ...“

„Masaru!“

„Ich wollte mit Euch sprechen. Ich habe den Eindruck, Ihr erhofft Euch ...“

„Sprechen? Ich denke doch, zwischen uns ist mittlerweile eine andere Art der Kommunikation angebracht.“

Fassungslos registrierte Aya einen besitzergreifenden Arm um ihre Schultern.

„Das denke ich nicht!“, stiess sie aus.

„Gut! Denken schwebt mir im Moment auch nicht vor.“

„Hört auf!“ Ayas Flüstern war kaum wahrnehmbar, denn sie wollte den Hund nicht eher von der Leine lassen, als unbedingt notwendig.

Der Herzog würde schliesslich nicht wagen, sie gegen ihren Willen ...

„Aya!“ Das vertrauliche Wispern war plötzlich so nah, dass sie seinen parfümieren Atmen riechen konnte.

„Lasst mich bitte los!“, verlangte sie so ruhig sie vermochte.

„Du magst es, Dich zu sträuben, wie, Du kleine Wildkatze?“

„Herzog!“

„Gleich wirst Du nicht mehr so spröde sein.“

Er kam noch näher. So nahe, dass Aya den Kopf schmerzhaft tief in den Nacken legen musste, um ihm auszuweichen.

„Lasst mich auf der Stelle los!“, flüsterte sie erbost.

„Komm her, Du ...“

Seine Lippen waren nur noch Zentimeter von den ihren entfernt.

Aya beschloss, alle Diplomatie in den Wind zu schlagen und begann mit der Gegenwehr. Sie stemmte sich gegen seine Schultern. Leider war der Herzog kräftiger, als erwartet. Doch sie musste versuchen, ihn aufzuhalten. Und zwar ohne großes Aufsehen.

Die Shoutas waren eine mächtige Familie, deren Unterstützung für ihren Vater sehr wichtig war. Eine alte Familie. Eine ehrwürdige Familie.

Die Shoutas waren... ganz offensichtlich ein Haufen aufgeblasener Schwachköpfe!

Als Masaru sie auch noch bei den Hüften packte, um sie an sich zu pressen, konnte sie ein entsetztes Keuchen nicht mehr unterdrücken.

„Nein!“

„Du willst es doch!“

„NEIN!“

Er umklammerte sie noch fester.

Schon glaubte sie die schwulstigen, feuchten Lippen auf den ihren, als sie plötzlich einen Ruck spürte und wieder frei war.
 

Gut einen halben Meter neben Aya prallte der Herzog derart hart gegen die Wand, dass das Glas bedenklich knirschte.

„WAS?“

„Ihr WAGT es?“, zischte es in Masarus Ohr.

Er wollte eben aufbegehren, als eine einzelne Pranke seine Gurgel packte und ihn einige Zentimeter vom Boden hob. Panisch blickte er auf; in einen tosenden, todbringenden Eissturm. Zum ersten Mal in seinem irdischen, selbstverliebten Dasein verspürte der junge Herzog die elementarste aller Ängste. Die nackte Angst um sein Leben.

„Hauptmann!“ Die Stimme der Prinzessin nahmen beide Männer nur verschwommen wahr.

Masaru umklammerte die erbarmungslosen Finger im verzweifelten Versuch, sie zu lockern. Ihr Griff wurde umso gnadenloser. Zukos Blutwolf bleckte die Zähne und aus der Kehle des Untiers kam tiefes, unheilverkündendes Grollen. Es gab nur wenige, die dieses Geräusch vernommen und überlebt hatten. Masaru sah dunkle Flecken.

„Hauptmann Nezu!“

Erst als sich sanfte Finger um Takerus Handgelenk legten, lichtete sich der rote Nebel vor seinen Augen. Die Welt rückte wieder in sein Gesichtsfeld. Ein Teil davon. Die Bestie in seinem Inneren liess sich nur widerwillig zügeln.

Wie hypnotisiert starrte Aya ihn an. Noch nie hatte sie eine solche Wildheit gesehen. Es war als blicke man dem Tod ins Auge. Und möge Agni ihr beistehen, doch sie ... fand ihn schön.

„Takeru...“, wisperte sie.
 

Langsam löste sich die Umklammerung um Masarus Hals. Er sank hustend und keuchend gegen die Wand.

„Was ... fällt ... Dir ein?“, krächzte er abgehackt, während er sich hastig wieder aufrappelte. „Du hast wohl ... Deine Stellung vergessen ... Du dreckiger ...“

„Herzog!“

Masaru ignorierte Ayas Einwurf und stierte weiter in die widernatürlichen Augen dieses Bastards.

„Wenn Du ... kein gewöhnlicher Schlammwühler wärest, ... würde ich Dich zum Agni-Kai fordern. Du ... Stück Dreck!“, spie er verächtlich.

Aya straffte sich ruckartig. „Ihr tätet besser daran, meinen Kage nicht zu beleidigen! Der Hauptmann hat lediglich seine Pflicht erfüllt.“, sagte sie schneidend.

„Pflicht? Dieser impertinente Hund hätte mich fast umgebracht! Ich bin gespannt, was Euer Vater dazu zu sagen hat.“

„Das wollt ihr lieber nicht wissen, denn er wird mit Sicherheit fragen, wie es zu diesem Zwischenfall kommen konnte.“

„Zwischenfall? Ihr habt die Spröde gespielt, das ist alles!“

„Ihr dürft jetzt gehen!“, befahl Aya kalt.

Der Herzog sah sie wutschnaubend an. Aber seine Wut interessierte sie nicht. Es war die Wut in diesem anderen Blick gewesen ...

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stolzierte Seine Gnaden aus dem Pavillon. Bitte! Wenn sie nicht wollte! Es gab genug andere Frauenzimmer mit Aus- UND Ansehen! Die würden die Aufmerksamkeiten eines Masaru Shouta im Gegensatz zu dieser verwöhnten Göre auch zu schätzen wissen.

Doch die offene Rechnung mit diesem nichtswürdigen Flegel würde er nicht so schnell vergessen!
 

„Ist alles in Ordnung, Hoheit?“, durchbrach die dunkle Stimme des Hauptmanns die Stille.

„Ja.“

Er nickte schroff und machte Anstalten, wieder seinen Posten auf den Stufen zu beziehen.

„Hauptmann ...“

„Ja?“

„Ihr ... Danke.“

„Danke?“, fragte er ohne sich umzudrehen. „Seid Ihr sicher?“ Jetzt wandte er sich doch um. „Vielleicht war meine Einmischung unerwünscht.“

„Unerwünscht?“ Aya musterte ihn betroffen. Dann begriff sie und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. „Ich hatte Eure Warnung in den Wind geschlagen. Das war ein Fehler. Aber jetzt geht Ihr zu weit!“, flüsterte sie.

„Verzeiht, Hoheit.“ Für einen kurzen Augenblick bohrte sich das schimmernde Eis seiner Augen in ihre. „Allem Anschein nach, habe ich wirklich meine Stellung vergessen.“, sagte er und verneigte sich tief.

„Ich ... wollte nicht ...“

„Entschuldigt mich, ich sollte wieder auf meinen Posten.“ Er drehte auf dem Absatz um und verliess die Laube.

Aya ballte die Fäuste und rang um Fassung.

Sein Blick. Noch nie war er so zornig gewesen. Abschätzig. Fast verächtlich.
 

Die Prinzessin hatte durchaus recht, mit der Deutung dieses Blicks. Doch der Zorn und die Verachtung darin galten nicht ihr.

Ja, Takeru war zornig. Zornig auf das Wüten in seiner Seele. Zornig auf sich, weil er es nicht ausmerzen konnte. Zornig, weil seine Konfrontation mit diesem Widerling nur sehr wenig mit seinen Pflichten zu tun gehabt hatte.

Statt den Herzog ruhig aber bestimmt in seine Schranken zu weisen, war er wie ein Besessener auf ihn losgegangen.

All die Jahre der Disziplin, der Beherrschung, alles dahin.

Ja, er war zornig. So zornig, dass er am liebsten etwas zermalmt hätte.

Idiot! Verdammter, gefühlsduseliger Idiot! Er hatte sich von seinen Emotionen leiten lassen. Von einer tobenden Eifersucht. Als er gesehen hatte, wie der großspurige Mistkerl mit ihr umgesprungen war, waren ihm die Sicherungen durchgebrannt. Wortwörtlich.

Es war vergleichbar gewesen, mit dem Kyobo. Der Kampfrausch, in den es einen Kage nur versetzte, wenn sein Schützling in höchster Gefahr schwebte. Normalerweise vermieden die Leibwächter diesen Zustand, denn er machte sie unberechenbar für ihre Umgebung. Sie handelten nur noch instinktiv, durch nichts mehr aufzuhalten, als den Tod. Den eigenen, oder den des Feindes? Im roten Nebel des Berserker-Rausches war es ihnen egal.

Bisher war Hauptmann Nezu erst einmal ins Kyobo verfallen.

Es hatte nicht nur vier Gegner das Leben gekostet, sondern auch beinahe ihn selbst. Die Folgen dieser unkontrollierbaren Wut durfte er jeden Morgen im Spiegel betrachten.

Wäre Masaru auch nur einen Schritt weiter gegangen ...

Takeru ballte die Fäuste, bis das Leder seiner Handschuhe protestierend ächzte.

In diesem Moment trat Aya aus dem Pavillon. Sie ging mit abgewandtem Kopf an ihm vorbei. Noch etwas, dass Takerus Zorn wachsen liess. Er hatte sie beleidigt. Das war unverzeihlich!

„Prinzessin ...“

„Es ist kühl geworden.“, sagte sie tonlos. „Ich werde wohl besser hineingehen.“
 

Irgendwie schaffte Aya es, die Fassade aufrecht zu erhalten.

Sie plauderte mit den Gästen, lachte über die Anekdoten eines gemütlichen, alten Ministers. Den Bereich um den Herzog mied sie ebenso sorgfältig wie weitläufig.

Tief drin war sie wund vor ungeweinten Tränen.

Auch wenn ihre Gefühle niemals erwidert worden waren, so hatte sie sich bis jetzt doch sicher sein können, dass der Hauptmann sie schätzte, achtete und respektierte. Heute schien sie selbst das verspielt zu haben.

Durch Trotz?

Durch Hochmut?

Oder hatte sie vielleicht versucht eine wie auch immer geartete Reaktion zu bekommen? Nun, das war ihr gelungen.

Die eisblaue Verachtung würde sie so schnell nicht vergessen.
 


 

Am nächsten Morgen
 

Es klopfte ungewohnt früh an die Tür zu Ayas Gemächern.

Lyra hielt inne.

„Um diese Zeit?“, murmelte sie. „Wer mag das sein?“

Als ihr Blick im Spiegel den der Prinzessin traf, zuckte diese mit den Schultern.

„Ich erwarte keinen Besuch.“, murmelte Aya mit bangem Gefühl.

Bestimmt hatte ihr Vater inzwischen Wind von den gestrigen Ereignissen bekommen. Und ganz bestimmt hatte dieses Klopfen damit zu tun.

„Ich geh mal nachsehen.“ Mit diesen Worten legte die Zofe Kamm und Bürste beiseite und wuselte davon. Aus dem Foyer drangen leise Stimmen, dann Kichern. Kichern? Ihre Vater brachte keine Zofen zum Kichern! Lee vielleicht?

Lyra tauchte wieder auf.

„Es ist General Iroh, Hoheit. Er lässt fragen, ob Ihr Zeit für ihn habt.“

„Natürlich.“ antwortete Aya.

„Dann hol ich Tee.“

„Danke sehr, Lyra.“

Die Dienerin ging zur Tür, liess den General eintreten und machte sich auf die Suche nach dem Chefkoch. Iroh Tatzu liess sich schliesslich nicht irgendwas vorsetzten!
 

„Onkel Iroh!“

„Ah! Guten Morgen mein Goldmädel.“, strahlte Iroh und erwiderte die Umarmung seiner Großnichte. „Hast Du gut geschlafen?“

„Es ging so.“ Aya versuchte erst gar nicht, so zu tun als wisse sie nicht, worauf die Frage abzielte.

„Mhm.“, brummte Iroh. „Das dachte ich mir. Du hattest wohl gestern noch ein Schwätzchen mit unserem jungen Herzog, was?“

„So in etwa.“, gab Aya zu und blickte auf ihre Hände. „Setzt Euch doch bitte.“


„Danke.“ Iroh richtete sich auf einem kleinen Sofa wohnlich ein. „Dein Vater hat sich schon einen groben Überblick verschafft und feilt noch an seiner Reaktion. Du kennst ihn ja. Will über alles Bescheid wissen, dieser Mensch. Wirklich kaum zu glauben. Jedenfalls scheint er noch zwischen rechtschaffener Empörung, weissglühendem Zorn und einem simplen, aber wirkungsvollen Tobsuchtsanfall zu schwanken.“

„Oh je.“, seufzte die Prinzessin und setzte sich ebenfalls. „Wenn ich gewusst hätte ... Ich wollte den Herzog nicht vor den Kopf stossen.“

„Spätzchen ... Das Ego dieses hochtrabenden Jungspunds ist so groß, vor irgendetwas MUSS man da ja stossen!“

„Aber Papa ist zurecht böse. Ein Bündnis mit den Shoutas wäre sehr wichtig für ihn gewesen.“

„Böse? Aber doch nicht auf Dich! Es ist dieser Geck, auf den er zornig ist. Dein Vater mag ja diplomatischer geworden sein, aber deswegen hat er es noch lange nicht nötig, Respektlosigkeit zu dulden. Und Du auch nicht. Doch bevor unserem allzeit bereiten Hitzkopf die Hirsch-Zebras durchgehen, hielt ich es für angebracht, mich mal nach den tatsächlichen Ereignissen zu erkundigen.“

„Es ... da gibt es nicht viel zu erzählen.“

„Ich höre mir auch kurze Geschichten an.“, meinte Iroh sanft.

„Der Herzog hatte sich anscheinend Hoffnungen gemacht, die ich nicht ... erfüllen konnte.“

„Oder wolltest.“

„Ja.“

„Schön. Nähern wir uns dem heissen Brei, statt ihn einzukreisen. Ihr ward spazieren. Im Dunkeln.“

„Ja.“

„Allein.“

„Ja.“, gab Aya leise zu. „Das alles war mein Fehler!“

„Langsam, Kind, langsam! Ein Spaziergang ist noch lange kein Fehler.“

„Dieser schon.“

„So? Dann sag Deinem alten Onkel mal was passiert ist. Und sag nicht `nichts´, denn dazu war der Schönling zu zerrauft.“

„Ich glaube, er wollte sich mir erklären.“

„Ein Heiratsantrag? Dann leidet der arme Junge ja wirklich an eklatanter Selbstüberschätzung.“

„Onkel ...“

„Schon gut.“ Iroh streichelte die Hand seiner Großnichte. „Erzähl weiter. Warum glaubst Du nur, er wollte einen Antrag machen? Tat er es nicht?“

„Er ... er kam nicht wirklich dazu.“

„Aha. Kam was-auch-immer-ihn so-zugerichtet-hat dazwischen?“

„Ja.“

„Und hatte was-auch-immer-ihn so-zugerichtet-hat auch einen Grund?“

„Ja.“

„Zudringlich ist er also geworden.“

„Er dachte eben, ich würde seine Gefühle erwidern.“

„Hattest Du das gesagt?“

„Nein?“

„Sondern?“

„Ich ... als er mich küssen wollte, bat ich ihn, es nicht zu tun.“

„Ha! Na also!“

„Er dachte, ich wolle mich nur zieren.“

„Er dachte, er dachte! Er denkt offenbar ein bisschen zu viel, unser fehlgeleiteter Herzog! Oder zu wenig. Ich hoffe, was-auch-immer-ihn so-zugerichtet-hat, hat ihn eines besseren belehrt.“

Aya zuckte mit den Schultern.

„Ich weiss nicht, ob Masaru Shouta sich überhaupt eines Besseren belehren lässt.“

„Wahrscheinlich nicht.“, seufzte Iroh. „Die Geschichte ist also folgende. Souta hat Dich gegen Deinen Willen geküsst und wurde von was-auch-immer-ihn-so-zugerichtet-hat so ....äh, zugerichtet.“

„Er hat mich nicht geküsst. Dazu kam es nicht.“

„So?“ Iroh hob erstaunt die Brauen.

Hatte da etwa jemand überreagiert? Jemand, dem das gar nicht ähnlich sah? Jemand, der Jungs wie diesen Masaru normalerweise nur schräg anzukucken brauchte, um sie zur Raison zu bringen? Außerdem steckten Jin und Zuko in letzter Zeit verdächtig oft die Köpfe zusammen, wenn Aya auftauchte.

Der General warf seine Lebenserfahrung und seine Kombinationsgabe in einen Topf, schüttelte sie kräftig durch und betrachtete das Ergebnis. Da brat ihm doch einer einen Kranich! Jetzt wurde er schon außen vorgelassen, wenn so etwas wichtiges im Busch war wie die große Liebe?

„Und ... da ist noch etwas.“, hörte er Aya leise sagen.

„Ja?“

„Der Hauptmann ... er hatte mir zu verstehen gegeben, dass er mit diesem einsamen Spaziergang nicht einverstanden sei.“

„Hat er?“, murmelte Iroh. Wenn er Eins und Eins richtig zusammengezählt hatte, passte das ebenso perfekt ins Bild, wie der ganze Rest.

„Ja. Ich hatte eine Warnung erhalten und sie dennoch in den Wind geschlagen.“, gestand sie betrübt. „Ihr seht also, ein Großteil der Schuld an diesen Ereignissen liegt wirklich bei mir.“

„Nicht doch!“ Tröstend zog der General seine Großnichte an sich. „Du hörst sofort auf, die Schuld an der Unverschämtheit des Herzogs auf Dich zu nehmen. ER war es, der sich daneben benommen hat.“

„Aber ... der Hauptmann ...“

„Ist so ziemlich der misstrauischste Kerl, den ich kenne. Natürlich hat er Dich gewarnt. Das tut er auch, wenn Du nur mal an einer Rose schnuppern möchtest.“

„Er war so wütend.“, flüsterte Aya.

„Nezu?“

Sie nickte zögernd.

„Das will ich auch meinen, so wie sich dieser Geck Dir aufgedrängt hat.“

„Er war wütend auf mich.“

„Auf Dich? Bist Du sicher?“

„Ja.“

„Nun, vielleicht war er es im allerersten Moment. Aber er weiss so gut wie ich, dass Du den Herzog zu nichts ermutigt hast.“

„Nun,“, zwang Aya sich zu sagen. „Es ist ja auch nicht so wichtig.“

So, so. Nicht so wichtig. Dann war die Erde jetzt wohl auch ein Kubus?

„Wie Du meinst.“, stimmte Iroh trotzdem zu. „Allerdings denke ich, Deinem Vater gegenüber sollten wir die Sache etwas verharmlosen. Sonst gibt es herzoglichen Tartar.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich. Am besten Du tust so, als wäret ihr tatschlich nur spazieren gegangen.“

Ausserdem würde es dem Jungen gut tun, zur Abwechslung ein bisschen im Dunkeln zu tappen. Seinen alten Onkel in so etwas wichtiges wie eine verliebte Tochter nicht einzuweihen ... das war ja nochmal schöner!

„Und jetzt hör auf, Dir Sorgen zu machen, Spätzchen.“ Er drückte einen festen Kuss auf ihre Schläfe.

„Ich versuch´s. Danke, Onkel!“
 


 

„Hören Sie mir überhaupt zu?“ Hauptmann Nezus dunkle Stimme strahlte frostige Freundlichkeit aus.

Das verhiess prinzipiell nichts Gutes.

„Ja, SIR!“

„Warum tragen Sie dann keine Schutzkleidung?“

„W ... weil ich dachte, ich wäre so beweglicher ... Sir!“

„Sie DACHTEN? Wie spektakulär. Sie tragen diese Leder-Schützer, bis ICH Ihnen etwas anderes sage. Verstanden?“

„Verstanden!“

„Zurück in die Reihe!“

Der junge Rekrut schluckte und reihte sich wieder unter seine Kameraden.

„Schön. Alle, außer Leutnant Taka, der es ja vorgezogen hat zu denken, nehmen sich einen Kampfstab. Bilden Sie Dreierteams.“

Dreierteams. Die Männer stöhnten. Dreierteams bedeuteten doppelt so viele blaue Flecken. Eine Stunde später waren sie verschwitzt und frustriert. Wer hätte gedacht (also ... sofern man sich das überhaupt noch traute, das mit dem Denken), dass der sonst so wohltemperierte Gargoyle eine solche Saulaune haben konnte? Normalerweise pendelte sein Temperament zwischen zwanzig und vierzig Grad. Minus!

„GENUG! Wenn ich eine Krabbelgruppe hätte betreuen wollen, wäre ich Kindergärtnerin geworden! Ziehen Sie sich um und räumen sie mein Blickfeld!“

Die Rekruten suchten eilig ihre Sachen zusammen und trollten sich.
 

„Himmel, was ist Dir denn über die Leber getänzelt?“

„Han. Was gibt es?“, fragte Takeru, ohne sich umzudrehen.

Hauptmann Osaru zuckte mit den Schultern.

„Oh, nichts. Man hat mich nur wieder mal zum Laufburschen degradiert. Frage mich, wozu die vielen Jahre der Plackerei gut waren. Ich soll Dir Ausrichten, dass man Deiner Dienste heute erst eine Stunde später bedarf. General Iroh ist momentan bei der Prinzessin und er hatte die grandiose Idee, wir könnten den Rekruten solange eine Demonstration unseres Könnens geben. Aber eigentlich glaube ich, er meinte eher DEIN Können.“

„Sie sind bereits weggetreten.“

„Das sehe ich. Waren wohl nicht brav, die Jungs.“

„Brav?“

„Du weisst schon. Unartig. Keine Geschenke zum Lichterfest, und so.“

„Urkomisch, Han.“

„Ja. So bin ich. Was ist, möchtest Du mich trotzdem vermöbeln? Zum Frustabbau?“

„Kein Bedarf.“

„Das sehen Deine Rekruten heute bestimmt anders.“

„Sie sehen, was ich ihnen sage.“

„Äh ... Natürlich. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder seine eigenen Augen benutzt.“

„Han ...“

„Schon gut! Kein Grund mich anzuknurren. Ich Freund. Erinnerst Du Dich?“

„Mit Mühe.“

„Also, bevor diese Teil-Amnesie fortschreitet: Hauptmann Rafu a.D. wollte Dich auch noch sprechen.“

„Ryo?“

„Ja. Er besucht Ihre Hoheit ebenfalls. Ziemlich gefragt heute, das Mädel. Er lässt jedenfalls fragen, ob Du fünf Minuten für ihn erübrigen kannst. Es geht vermutlich um Dein gestriges Benehmen.“

„Welches Benehmen?“, fragte Takeru in einem Tonfall, der nahe legte, die Antwort sehr wohl abzuwägen.

Han Osaru wägte nicht.

„Tja, DAS weiss lustigerweise niemand! Fest steht nur, dass Aya mit dem Herzog und Dir im Schlepptau den Sonnensaal verliess. und als er allein zurückkam, sah er weder besonders frisch, noch besonders glücklich aus. Dein, äh... Benehmen muss also irgendwo dazwischen stattgefunden haben. Alles reine Spekulation natürlich.“

„Dann LASS es!“

„Das Spekulieren, oder besser gleich das Atmen?“

„Am besten beides.“, knurrte Takeru.

„Schön. Also dann kein kameradschaftliches Händchenhalten heute.“

„Nein. Bedaure.“

„Morgen?“

„Hast Du nichts zu tun?“

„Doch. Bei diesem Ton fallen mir spontan ein Dutzend Dinge ein, die ich dringend erledigen sollte. Aber vielleicht schlägst Du die Bedeutung des Wortes `Freund´ mal wieder nach. Das sind die Leute, mit denen man reden kann. Ups. Reden. Schon wieder ein Fremdwort. Entschuldige!“

Han tätschelte kurz Takerus Arm und räumte dann klugerweise das Feld. Somit hätte Hauptmann Osaru, Kage Seiner königlichen Hoheit Prinz Kiram, wieder einmal bewiesen, was für ein todesmutiger Mann er war.

So ein Orden ist eben nicht nur Dekoration.
 

Der Mann, dem noch einiges mehr an Dekoration von der Brust baumelte, seufzte. Han hatte Recht. Er war schlechter Laune und die Rekruten hatten es ausbaden müssen. Üblicherweise versuchte er, so etwas zu verhindern. Üblicherweise GAB es bei ihm keine Launen. Üblicherweise hatte er am Abend zuvor auch nicht die Prinzessin beleidigt.

Sein einziger Trost in dieser Sache war die Erkenntnis, dass der Herzog ihr scheinbar herzlich gleichgültig war. Doch wer war es dann? Wem gehörte ihr Herz?

Oder täuschten sich Lord und Lady gar in diesem Punkt?

Jedenfalls hatte er einiges wiedergutzumachen. Hoffentlich würde Aya sich seine Entschuldigung heute anhören!
 

Vor die Gemächer Ihrer Hoheit hatten die Götter, beziehungsweise deren Bauherren, das Vorzimmer gesetzt. In diesem Vorzimmer befand sich der ehrenwerte Ryo Rafu, Hauptmann a.D. der fürstlichen Leibgarde.

Als er seines Opfers ansichtig wurde verlor er keine Zeit.

„Ah, Junge, da bist Du ja.“

„Ryo. Freut mich, Dich zu sehen.“

„Hm.“, brummte Ryo. „Mal sehen, für wie lange. Dachte, ich seh mal nach dem Rechten. Hab da so einiges gehört, was ich nicht ganz glauben konnte.“


„Ach? Und seit wann schenkst Du billigem Tratsch Beachtung?“, fragte Takeru stirnrunzelnd.

„Seit er mein Goldkind betrifft. Jedenfalls heisst es, der Herzog hätte nach eurem ... Spaziergang gestern Abend nicht mehr ganz so schnieke ausgesehen wie sonst.“

„Ich kümmere mich nicht um Mode.“

„Oha. Schaltest auf stur, was? Es heisst auch, er hätte recht ungehalten gewirkt. Manche gehen sogar soweit zu behaupten, er sei stinksauer gewesen.“

Hauptmann Nezus Kieferpartie verhärtete sich, aber Ryo kam auch ohne dessen Assistenz bestens zurecht.

„Also ich seh das so: Unser übereifriger Herzog wollte was von unserem Prinzesschen. Sie wollte nicht. Selbstredend! Da muss schon ein anderer kommen!“

„Ryo, ich sehe keinen Grund ...“

„Langsam, Junge. Langsam. Also, ich vermute mal, er hat sie geküsst.“

Wieder war es nur die zu Stein erstarrte Mine seines Gegenübers, die Ryo bestätigte, dass er auf der richtigen Fährte war.

„Verstehe.“, sagte er leise. „Bist Du jetzt schon so weit ins Kyobo zu fallen, wenn jemand sie küsst? Junge ...“

„Er hat sie nicht ... Er versuchte es gegen ihren Willen.“

„Im Blutrausch verlierst Du die Kontrolle.“

„Ich weiss! Besser als jeder andere. Und ich war nicht im Kyobo, sonst wäre er jetzt tot.“

„Aber Du warst kurz davor, nicht wahr?“

Schweigen.

„Pass auf, Junge. Wenn Du so weitermachst, entgleitet Dir die Situation.“

„Ich bin kein Narr, Ryo!“

„Ach nein? Und wie nennst Du einen Mann, der sehenden Auges immer tiefer in sein Unglück geht? Sag es mir, Takeru! Du BIST ein Narr, und Du weisst es auch. Vielleicht ... solltest Du gehen.“, fügte er tonlos hinzu.
 

Da waren sie. Die selben Worte, die ihm vorgestern Abend selbst durch den Kopf gegangen waren.

`Vielleicht solltest Du gehen!´ Takeru schloss kurz die Augen.

„Das kann ich nicht.“

Es war auch die selbe Antwort. Die Antwort, die es immer sein würde.

„Du kannst nicht? Du machst Dich doch nur noch elender, wenn Du weiter hier bleibst.“

„Und?“, brauste Hauptmann Nezu auf. Zum ersten Mal zeigte er Regung. „Was schert mich das? Ich habe einen Eid geschworen, Ryo. Den Eid sie zu schützen, so gut ich vermag. Bis zu meinem letzten Atemzug.“

„Aber ...“

„Bring mir jemanden, der dazu ebenso im Stande ist wie ich, und ich bin weg!“ Herausfordernd starrte er dem ehemaligen Kage in die Augen.

„Unmöglich.“, gab dieser resigniert zu. „Wo soll ich den hernehmen? Außerdem schützt am besten, was man ...“

„Sag es nicht!“

„Liebe, Takeru! Macht es denn einen Unterschied, es auszusprechen?“

„Ja, Ryo. Ja, das macht es.“

„Das glaubst auch nur Du, Junge!“

„Ich muss meinen Dienst antreten. Das Thema ist hiermit beendet!“

Der alte Soldat sah zu, wie sein Nachfolger sich neben die große Doppeltür stellte und Haltung annahm.

„Sicher.“, murrte er. „Wenn die Hölle zufriert.“
 

Ungefähr eine Viertelstunde später öffneten sich die Türen und Iroh Tatzu trat heraus. Als er Ryos Ansichtig wurde, strahlte er übers ganze Gesicht.

„Ryo, mein Guter! Was machen die Orchideen?“

„Wachsen mir fast über den Kopf Hoheit.“

„Das ist schön! Das Kind wird sich sehr freuen, Dich zu sehen.“

„Kann´s nur hoffen. Hatte mich nicht angekündigt.“

„Ein Kage, mein Freund, braucht sich nicht anzukündigen.“

„Auch nicht die ehemaligen?“

„Die schon gleich gar nicht.“, lächelte Iroh mit kurzem Seitenblick auf den regungslosen Hauptmann Nezu. „Alter vor Schönheit, nicht wahr? Komm doch nachher auf eine Tasse Tee zu mir, dann plaudern wir über die guten alten Zeiten.“

„Mach ich gerne, Hoheit.“

„Gut, gut!“
 

Kurz nachdem Iroh das Vorzimmer verlassen hatte, schwang die Tür erneut auf. Diesmal, um die Prinzessin hindurch zu lassen.

„Guten Mor ... RYO!“

„Prinzesschen!“ Lachend breitete Ryo die Arme aus. Aya stürzte sich ohne Umschweife hinein und umarmte ihn fest.

„Ah, Ihr seid zu gütig zu einem alten Mann.“

„Wie schön Dich zu sehen!“

„Mich? Ach was. Ihr seid es, die die Freude meiner müden Augen ist.“

„Du bist weder alt, noch müde, Ryo!“

„Na, na. Ich dachte, Euer Vater mag nicht, wenn ihr schwindelt.“

Aya lächelte und fasste nach den rauen Händen.

„Ich freu mich so, dass Du da bist.“, sagte sie wahrheitsgemäss.

Wie gut es tat, ihn zu sehen, wo sie seit gestern Abend fast nur neugierige, spekulative Seitenblicke geerntet hatte.

„Dachte, ich schau mal wieder vorbei. Falls ich ungelegen komm ...“

„Unsinn! Seri, sagst Du bitte meiner Mutter Bescheid, ich würde später kommen?“

„Natürlich, Hoheit.“

„Lass uns ins Vogelhaus gehen. Das mochtest Du immer so.“

„Dass Ihr das noch wisst ...“

„Dafür reicht es noch.“, meinte sie und hakte sich bei ihm unter.
 

Hauptmann Nezu schloss sich der kleinen Prozession in angemessenem Abstand an.

Wie unbefangen sie mit Ryo war. Es erstaunte ihn immer wieder.

Es traf ihn immer wieder.

In Gegenwart ihres früheren Leibwächters war sie viel entspannter.

Vertraue sie dem alten Haudegen so viel mehr, als ihm?

Er erinnerte sich an die ersten beiden Jahre seines Dienstes. Nein, so war sie auch zu ihm gewesen. Nur ein wenig schüchterner. Sie hatte wissen wollen, welches Musikstück er am liebsten mochte, welches Essen ...

Ob sie heute noch so wäre, wäre sein Anblick ein anderer?

Er schob diesen Gedanken rasch beiseite. Es war ebenso sinnlos, wie sich über verschüttete Milch zu grämen.

Zum Glück war Takeru Nezu nie ein eitler Mann gewesen. Dass er einst als auffallend gutaussehend gegolten hatte, war ihm heute ebenso gleichgültig, wie damals. Nur wenn es die Augen der Prinzessin waren, die sein Gesicht mieden, spürte er Bedauern und Scham über den Anblick, den es bot. Aber das war nur ein schwaches Echo der Gefühle, die er ohnehin durchlebte, wenn es um diese Frau ging.
 

Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, verabschiedete sich Ryo und Takeru atmete tief durch. Höchste Zeit für die ausstehende Entschuldigung.

„Hoheit?“

Sie versteifte sich. Warum? Warum hatte er diese Wirkung auf sie?

„Ja?“, fragte sie, ohne ihn anzusehen.

„Ich muss mich für gestern entschuldigen.“

„Wofür? Dafür, dass Ihr Recht behalten hattet?“

„Für mein Verhalten. Meine Worte. Sie waren unbedacht. Sie haben wohl den Eindruck erweckt, ich laste Euch die Schuld an den gestrigen Ereignissen an. Doch das ist nicht der Fall.“

„Nein?“, fragte sie leise. „Ihr hattet mich doch gewarnt. Und ich war nur zu dumm ...“

„Nein, Hoheit. Ihr fühltet Euch in Sicherheit. Und das ist gut so. Wenn dem nicht so wäre, würde ich meine Pflicht nicht erfüllen. Es ist meine Aufgabe misstrauisch zu sein. Nicht die Eure. Eure Natur ist es, in den Menschen das beste zu sehen. Und damit solltet Ihr niemals aufhören.“ Er sah sie eindringlich an. „Was geschehen ist, ist einzig und allein die Schuld des Herzogs. Es tut mir sehr leid, wenn ich etwas anderes vermittelt habe. Dazu gab es keinerlei Grund. Mein Zorn richtete sich gegen Seine Gnaden. Niemals gegen Euch.“

Aya blickte auf ihre Hände hinab. Vor nicht ganz zwei Stunden hatte ihr Onkel das Gleiche gesagt, doch es von dieser Seite zu hören war unerwartet und schmerzlich. Schmerzlich, weil sie nicht zulassen wollte, ihn noch mehr lieben müssen!

Für einen kurzen Moment gestattete sie sich, ihm in die Augen zu blicken.

Dort fand sie, was dort immer zu finden gewesen war. Respekt, Hochachtung und noch etwas anderes. Ein weicherer Schimmer, der vielleicht die Bitte um Verzeihung war.

„Bitte vergebt, wenn ich Euch gekränkt habe.“, bat er schlicht und neigte den Kopf.

Sie nickte. „Ich danke Euch, Hauptmann.“
 

Doch damit waren Wellen, die der vergangene Abend schlug noch längst nicht geglättet. Dies durfte Hauptmann Nezu feststellen, als er gegen Mittag zu Seiner Lordschaft beordert wurde.

„Ihr wolltet mich sprechen Herr?“, fragte er nach der obligatorischen Verbeugung.

„Hauptmann. Da Ihr wenig Zeit habt, will ich gleich auf den Punkt kommen. Was ist gestern Abend vorgefallen? Und tut nicht so, als wüsstet Ihr nicht, wovon ich spreche, so wie Aya es eben versucht hat.“

„Verzeiht Hoheit, doch wenn Eure Tochter keine Veranlassung sah ...“

„Das war keine Bitte! Aya verliess mit dem Herzog den Sonnensaal. Was geschah dann?“

„Sie gingen zum Pavillon am Seerosenteich.“, antwortete Takeru so sachlich wie möglich.

„Ach. Wirklich? Und DANN?“ Die Stimme Seiner Lordschaft klang schneidend.

„Mylord, ich habe nicht die Befugnis ...“

„Ich erteile sie Euch! Was ist in diesem Pavillon vorgefallen?“

Hauptmann Nezu presste die Lippen aufeinander, stand stramm wie ein Besenstiel und blickte Stur geradeaus.

„Junge, verkauf mich nicht für blöd! Ist der Kerl zudringlich geworden?“

Ein kaum merkliches Nicken.

„Sieh an.“, murmelte Zuko. „Reizend! Ich nehme doch an, Ihr habt das unterbunden?“

„Ja.“

„Wie?“

„Ich ... wurde unangemessen deutlich.“

„Kann man in dieser Sache denn zu deutlich werden?“

„Ich fürchte ja. Ich ging ihm an die Gurgel.“

„Hört sich vielversprechend an. Aber da er noch aufrecht gehen konnte, scheinen wir beide unter „unangemessen“ etwas anderes zu verstehen.“

„Der Herzog war jedenfalls sehr aufgebracht. Ich war dem Bündnis zwischen Euch und ihm sicher nicht dienlich.“

„Bündnis? Ich glaube kaum! Ich schliesse grundsätzlich keine Bündnisse mit Männern, die den Unterschied zwischen Ja und Nein nicht kennen. Macht Euch also keine Sorgen. Doch nun sagt mir ... was macht diese andere Sache? Habt ihr bereits eine Ahnung, was Ayas Neigungen angeht?“

„Ich dachte es. Aber meine Vermutung hat sich als falsch herausgestellt.“

„Wirklich? Wie lautete sie?“

Das Hauptmann zeigte sein arteigenes Verhalten und schwieg.

„Hauptmann ... Ich habe heute nicht gerade einen meiner geduldigsten Tage, also raus mit der Sprache!“, knurrte Zuko.

„Der Herzog.“

„WIE bitte?“

„Ich glaubte ...“

„Das hab ich schon mitbekommen. Schleierhaft ist mir nur, wie Ihr auf diese schwachsinnige Idee kommt. Shouta? Ich dachte eigentlich, Ihr kennt meine Tochter besser.“, seufzte Seine Lordschaft. „Nun gut. Ihr könnt wegtreten!“

Als er wieder allein war gestattete sich der Erhabene einen dezent vorwurfsvollen Blick gen Himmel.

„Danke! Das haben wir ja ganz toll hinbekommen.“, brummte er lakonisch.

Mit diesen Worten schloss er eine nicht enden wollende Kette mehr oder weniger erfolgreicher Gespräche.

Verbrannte Erde

Feuerpalast, vor siebzehn Jahren
 

Aya hielt die Augen fest auf die Flamme in der tönernen Schale gerichtet. Sie war gar nicht groß. Brannte ruhig und gleichmässig.

Sie blickte auf ihre Hände. Und wieder auf das Feuer. Die Flamme schien die genau richtige Größe zu haben.

Die kleine Prinzessin holte tief Luft, schloss die Augen, streckte die Hände aus und ... schrie.
 

„Es tut mir schrecklich leid, Mylord! So etwas hat sie noch nie getan!“

„Ich weiss.“, schnappte Zuko ohne sein Tempo zu verringern. Er spurtete durch die Gänge des Palastes, dass die verwunderten Wachen grade noch den Zipfel seines Odoro ums Eck flattern sahen.

„Ich hatte sie nur für drei Sekunden aus den Augen gelassen.“

„Ich WEISS!“

„Ich ... bin untröstlich.“ Das verzweifelte Kindermädchens gab den vergeblichen Versuch, Schritthalten zu wollen keuchend auf und stütze sich an der Wand ab.

Gut!

Zuko hatte ohnehin Wichtigeres zu tun, als eine Amme zu beruhigen. Oder auf sie zu warten.
 

Die Ärzte packten eben ihre Utensilien wieder fort, als der Feuerlord ins Zimmer stürzte.

Lady Jin, die auf der Bettkante ihrer Tochter saß, blickte erleichtert auf. Es war auf unverkennbar, dass sie nur mit Mühe die Fassung bewahrte.

„Aya?“ Zuko eilte auf das Bett zu.

„Ihr ist nichts passiert.“, versicherte Jin schnell. „Nichts schlimmes.“, fügte sie hinzu und drückte einen tröstenden Kuss auf die tränennasse Wange ihrer Tochter.

„Papa ...“ Verzagte Augen starrten Zuko an.

Dieser Blick zeigte eindeutig, dass Aya mit einer Rüge rechnete.

„Flämmchen!“, stiess Zuko aus und setzte sich zu ihr. „Was machst Du denn?“

„Ich ... ich hab nur die Flamme nehmen wollen!“

„Nehmen? Du hast ins Feuer gefasst!“

„Aber ich wollte doch nicht ...“ Trotz der noch anwesenden Ärzte, begann die Prinzessin erneut zu weinen. Das tat sie vor Fremden sonst nie!

„Pst. Ist ja gut!“, murmelte Zuko und zog sie an sich, vorsichtig darauf bedacht, ihre verbundenen Hände nicht zu berühren. „Bald tut es nicht mehr weh!“, flüsterte er an ihre Schläfe. Mit einem kurzen Blick bedeutete er den Umstehenden, sich zu entfernen.

„Ich wollte ... nichts schlimmes machen!“, schluchzte Aya.

„Das weiss ich, Maus. Das weiss ich doch! Aber wir haben Dir doch gesagt, dass das Feuer nichts für Dich ist!“

„Warum können alle anderen Feuer machen, und ich nicht?“

„Aya ...“ Er küsste ihren Scheitel. „Man kann sich nicht aussuchen, ob man ein Bändiger ist, oder nicht.“

„Aber alle anderen können es!“

„Du kannst dafür andere Sachen.“

„Nein.“ Sie klang untröstlich. „Ich kann .. nichts!“

„Mäuschen!“ Jetzt streichelte Jin liebevoll über den Kopf des Kindes. „Das stimmt doch nicht! Du kannst so viel! Das dumme Feuer ist überhaupt nicht wichtig!“

„Doch!“, flüsterte Aya. „Es ist überall.“

„Aya ...“, seufzte Zuko. „Hier rennen so viele Feuerbändiger durch die Gegend und veranstalten unnütze, gefährliche Dinge. Wenn ich wenigstens bei einem meiner Kinder nicht ständig Angst haben muss, es stellt etwas brenzliges an, ist mir das ganz Recht.“

„Aber ....“

„Kein Aber!“, widersprach er. „Ich hab Dich genauso lieb, wie die anderen. Egal, ob Du Feuerbändigen kannst, oder nicht.“

Seine Tochter zuckte kläglich mit den Schultern und löste damit tiefe väterliche Bestürzung aus. Jetzt wollte Zuko es genau wissen!

„Denkst Du, Mama hat Dich weniger lieb, nur weil Du es nicht kannst?“, fragte er leise.

„Nein.“

„Aber von mir denkst Du es?“

Wieder dieses Schulterzucken.

Aya konnte ja nicht wissen, wie sehr es ihrem geliebten Papa ins Herz schnitt. Er wechselte einen betroffenen Blick mit seiner Frau.

Jin stand leise auf, drückte Aya einen Kuss auf die Schläfe, strich Zuko über die Wange und ging. Es schien an der Zeit, die beiden allein zu lassen.
 

Ein wenig hilflos hielt Zuko sein Kind im Arm. Wie sollte er ihr nur begreiflich machen, dass ihr Unvermögen für ihn bedeutungslos war? Er hatte schon so oft versucht, ihre Ängste zu zerstreuen, hatte ihr tausende Male klarmachen wollen, dass die Liebe eines Vaters weder Grenzen noch Bedingungen kannte.

In seiner Ratlosigkeit begann er leise, den Text eines alten Liedes zu zitieren. Seit Jahrhunderten wurde es den Kindern der Feuernation vor dem Zubettgehen vorgesungen.
 

„So lieb wie die Sonne, so lieb wie den Mond.

So lieb wie den Einen, der im Himmel thront,

So lieb wie die Sterne, so lieb wie das Licht;

Viel lieber als alles habe ich Dich.
 

Auf der ganzen Welt fand ich noch nicht,

ein einz´ges Ding, das ich mehr lieb als Dich.
 

Selbst Erde und Wind und Wasser und Feuer,

sind mir alle zusammen nur halb so teuer,

Wie ein Lachen von Dir, aus voller Brust.

So lieb hab ich Dich. Hast du das gewusst?“
 

Die kleine Prinzessin, eng an ihren Vater geschmiegt, hatte den letzten Vers leise mitgeflüstert.

„Hast Du es gewusst, Aya?“

Sie nickte zögernd.

„Und versprichst Du mir, dass Du es niemals mehr vergisst?“

„Ja.“

Ganz fest drückte er sie an sich.

„Das ist gut, mein Flämmchen.“, murmelte er rau. „Das ist gut.“
 

Am Nachmittag fand Iroh Tatzu seinen Neffen am Fenster stehend vor, wie er sich den seltenen Luxus gönnte, seinem Nachwuchs beim Spielen zuzusehen.

„Zuko. DA seid Ihr. Ich wollte Eure Meinung zu ...“ er stockte. „Ihr wirkt ja so nachdenklich.“

„Sie wissen gar nicht, wie sehr sie geliebt werden, oder?“, fragte Seine Lordschaft.

Iroh folgte dem Blick des Herrschers und begriff.

„Nein.“, seufzte er. „Das tun sie wohl nicht. Ich denke, es würde ihre kleinen Herzen überfordern.“ Er betrachtete kurz das eigenwillige, schroffe Profil zu seiner Rechten. „Aber wenn wir hartnäckig genug sind, bekommen die Aufgeweckten unter ihnen irgendwann eine Vorstellung davon.“

Zuko sah seinem Onkel in die Augen. Hatte dort jemals etwas anderes gestanden als Respekt, Güte und Liebe?

„Eine vage.“, gab er zu und umarmte den alten Mann fest.
 


 

Feuerpalast, vor vierzehn Jahren
 

Oberfeldwebel Nezu schritt unruhig vor dem Büro Kommandant Kurotos auf und ab. Das sonst so ruhige Gesicht des jungen Mannes wirkte angespannt und besorgt. Er ging zum Fenster, starrte eine Weile hinaus, nahm dann seine rastlose Wanderung wieder auf. Für den jüngsten Musterknaben in Zukos Armee ein durchaus ungewohntes Verhalten.

Die Tür öffnete sich.

„Oberfeldwebel?“, fragte Adjudant Sheng.

„Ja?“

„Sie dürfen jetzt einzutreten.“

„Danke.“

Ohne Umschweife betrat Takeru die Räume des stellvertretenden Oberbefehlshabers der Streitmächte Zukos II.

Wie immer sah der Kommandant keinen Sinn darin, Zeit zu verplempern.

„Nezu. Was kann ich für Sie tun?“

„Kommandant ... es handelt sich um eine sehr dringende Angelegenheit.“, brachte Takeru heraus.

„Davon gehe ich aus.“, erwiderte Ru Kuroto mit hochgezogenen Brauen.

Er wusste so gut wie jeder andere, dass Takeru Nezu trotz seiner erst siebzehn Lenze keinen Hang zu Übertreibungen, Nörgeleien oder auch nur zu Kommunikation im Allgemeinen hatte. Auch heute war der Junge nicht besonders geschwätzig. Leider hatte der Kommandant noch nicht gelernt, von zusammengepressten Lippen abzulesen.

„Nun?“, fragte er also.

„Ich fürchte, ich entspreche nicht den nötigen Anforderungen, um weiterhin im Dienste Seiner Lordschaft zu stehen.“, stiess der Jüngere hervor.

Ru, der eben die willkommene Gelegenheit zu einem Schluck Tee hatte nutzen wollen, verschluckte sich.

Nicht den Anforderungen entsprechen? Sprach der Junge von sich?

„Was?“, krächzte der Kommandant, sich das Kinn mit einer Serviette betupfend.

„Ich sagte ...“

„Ja doch. Ich habe Sie gehört. Aber warum?“

„Weil ich kein geeigneter Kandidat bin.“

„Aha! Und erneut: warum?“

Wieder presste Takeru die Lippen aufeinander.

„Ich habe gebändigt.“, gestand er, die Augen fest auf den Boden gerichtet.

„Ah.“

„Ja.“

„Und?“

„Kein Feuer.“

„Ist anzunehmen.“

„Erde!“

„Das ist bei Ihrer Herkunft wohl das Naheliegendste.“

„Ich wusste es nicht. Also ... dass ich es kann. Das müsst Ihr mir glauben. Sonst hätte ich nie ...“

„Gut. Erstens: Gratulation zur neuen Begabung. Zweitens: Was ist so schlimm daran?“

„Was daran schlimm ist?“, fragte der junge Unteroffizier konsterniert.

„Äh. Ja.“

„Paragraph 314 der Dienstverordung des Reiches. `Jegliches Bändigen innerhalb der fürstlichen Streitkräfte ist auf das Element des Feuers und/oder der Elektrizität zu beschränken. Zuwiderhandlungen ...´“

„Paragraph wie viel?“

„314“

„Sind Sie sicher?“

„Ja.“

„Ach Du heilige ... Kennen Sie die gesamte Dienstverordnung auswendig?“

„Die exakten Details musste ich nachlesen.“

„Wie beruhigend.“

„Ich werde meine Rangabzeichen abgeben und ...“

„Ho! Langsamlangsam! Mal nicht so schnell. Ich bin mir sicher, es gibt einen Gegenparagraphen, oder etwas ähnliches.“

„Ich habe nichts derartiges gefunden.“

„Hm. Dann gäbe es immer noch das Gesetz der Gleichbehandlung Aller. Egal welchem Geschlecht, welcher Nation oder welcher Religion sie angehören.“

„Aber ...“

„Glauben Sie mir, Oberfeldwebel, dieses Gesetz wiegt schwerer als ein verstaubter Paragraph. Darum wurde es erlassen. Seine Lordschaft war sich bewusst, dass es Jahrzehnte dauern würde, alle sinnlosen, unmenschlichen Paragraphen oder Gesetzte aufzuheben. Darum hat er einige grundlegende, übergeordnete Gesetzte erlassen. Um einen solchen Unsinn zu verhindern.“

„Seid Ihr sicher, Kommandant?“

„Oh ja. Ich BIN sicher. Er wird den Teufel tun und den zur Zeit vielversprechendsten Offiziersanwärter aus einem so dummen Grund aus dem Dienst scheiden lassen. Außerdem,“, fügte er hinzu und rieb sich das Kinn. „könnten wir das zu unserem Vorteil nutzen. Wer weiss noch von Ihrer ... Gabe?“

„Han Osaru.“

„Ah. Gut. Der Junge ist in Ordnung. Bitten Sie ihn, die Sache für sich zu behalten. Ich habe gerne ein paar Überraschungen in der Hinterhand. Und ein Erdbändiger als Leibwächter in der persönlichen Leibgarde des Feuerlords ist durchaus als solche einzustufen.“

„Ihr möchtet es geheim halten?“

„Oh ja. Will ich. Na ja, ein paar Leute muss ich schon einweihen. Seine Lordschaft. General Iroh. Und ein paar weitere unbedeutende Persönlichkeiten.“
 

So kam es, dass ein junger Unteroffizier namens Takeru Nezu zwei Wochen später in weite Ferne geschickt wurde.

Sein Besuch bei der ehrenwerten Toph Bei Fong war offiziell inoffizieller Natur. Natürlich.

Zukos Freundin war hin und weg von ihrer neuen Aufgabe und bearbeitete ihren „Rohdiamanten“ mit Begeisterung. Außerdem fand sie es wundervoll, wieder mal ein Mannsbild unter der Fuchtel zu haben, dass 23,68 Stunden am Tag die Klappe hielt.

Von ihrem werten Gatten konnte sie dergleichen nämlich leider nicht behaupten.
 


 

Gegenwart
 

Nach dem morgendlichen Gespräch mit Lord Zuko war Takeru zutiefst erleichtert.

Er hatte zwar mit keiner drakonischen Strafe gerechnet, dass die ruppige Behandlung des Herzogs durch die Hand eines Soldaten jedoch auf Beifall stiess, erstaunte ihn dann doch. Seine Lordschaft hatte sich offenbar wieder einmal dazu entschieden, unberechenbar zu sein.
 

Gegen Mittag schien es ganz so, als sei im Palast alles wieder im Lot.

Es war der letzte Tag der Sonnwendfeier und alle erwarteten das abschliessende Fest mit großer Vorfreude.

Ach, wem wollen wir etwas vormachen?

Eigentlich warteten alle nur auf den großen Knall!

Wie würde Seine Lordschaft auf den „Vorfall“ reagieren? Was war der „Vorfall“ überhaupt gewesen und vor allem: WAS würde es zu Essen geben?
 

Der Mann, der die Antwort auf alle drei Fragen kannte, umkreiste in ebendiesem Augenblick Hauptmann Nezu.

Dieser stand ruhig da, drehte sich nur gelegentlich, um seinen Widersacher im Blickfeld zu behalten. In der Hand hielt er locker einen langen Kampfstab, dessen Ende auf dem Boden schleifte.

„Was ist? Braucht Ihr erst eine Einladung?“, fragte Zuko provokant.

„Bereit, wenn Ihr es seid, Hoheit.“

„Das werden wir sehen. Momentan wirkt Ihr auf mich eher wie die umnebelte Besitzerin einer Opiumhöhle.“

„Und Euch scheint der Sinn eher nach einem Tänzchen zu stehen.“

„So?“ Der Feuerlord hob spöttisch die Braue. „Dann wird diese Primaballerina Euch ...“

Mitten im Satz schoss Zuko nach vorn, täuschte rechts an, wirbelte um die eigene Achse und liess seinen Stab mit zischender Wucht in die linke Flanke des Hauptmanns krachen.

Es krachte wirklich. Holz prallte auf Holz. Die Deckung dieses verdammten Kerls war wie üblich unüberwindbar. Eben noch ganz entspannt, stand da mit einem Mal ein massives, menschliches Bollwerk.

„Zu langsam.“, murmelte Takeru, da er wusste wie sehr seine Seine Lordschaft dieses Geplänkel genoss.

„Ach ja?“

Ohne Vorwarnung nutzte Zuko die Nähe zu seinem Gegner und fegte mit einem seitlichen Tritt die Beine des Kage vom Boden. Natürlich war das gegen die Regeln. Aber wen interessierten die schon?

Er hatte seine gezinkte Rechnung allerdings ohne den flinken Wirt gemacht.

Hauptmann Nezu hatte schnöden Bodenkontakt offenbar nicht nötig.

Er nutzte den unfreiwilligen Schwung seiner Beine zu einem Rückwärtssalto, landete einen Meter entfernt geschmeidig in der Hocke und holte noch in der Luft zum Schlag aus. In letzter Millisekunde konnte Zuko verhindern, von den Beinen gerissen zu werden.

„Na, na, na. Was sind denn das für Mätzchen? Mein getreuer Musterknabe verstösst gegen die Regeln?“

„Da ich neben Rinnsteinratten aufwuchs, müsst Ihr Euch schon etwas mehr anstrengen, Mylord.“

„Ich befürchte fast, es wäre vergebliche Liebesmüh.“, schnaubte Zuko und gab dem Jüngeren ein Zeichen, das Training zu beenden. „Ihr könntet wenigstens so tun, als läge es im Bereich des Möglichen, Euch zu besiegen. Vor nicht ganz drei Monaten hattet Ihr diesen Anstand noch.“

„Nun, was den Schwertkampf angeht kann ich Euch nach wie vor nicht das Wasser reichen.“

„Ha!“ Zuko stellte seinen Kampfstab zurück in den Waffenständer. „Nicht nach dem, was Meister Giang mir sagte. Er war recht besorgt weil Ihr wie ein Besessener trainiert habt. Ich sagte ihm, er soll sich lieber gleich daran gewöhnen.“

„Ich kann mir keine Schwachstellen leisten, Mylord.“

„Hm. So kann man das auch sehen. Doch wir wissen beiden, dass Ihr im Ernstfall keine habt.“

„Jeder hat Schwachstellen.“

„Sicher. Und Eure sind gefährlich. Glaubt nicht, ich hätte nicht bemerkt, dass Ihr mit Absicht so getan habt, als wäre Eure Deckung auf der Linken etwas schwächer. Ihr WOLLTET, dass ich von dort angreife.“

„Tat ich das?“

„Wirklich rührend, wie Ihr versucht den Harmlosen zu spielen. Aber ich weiss, dass Ihr siebenundzwanzig Arten kennt, einen Menschen geräusch- und spurlos auszuschalten. Und das mit nur einem Finger. Macht, wenn man alle zusammenzählt zweihundertsiebzig Arten. Von Euren anderen Extremitäten will ich gar nicht erst anfangen.“

„Das nächste Mal lasse ich Euch gewinnen.“

„Na bitte. Geht doch. Und jetzt entschuldigt mich. Ich habe einen Herzog an die Luft zu setzten.“
 

Die Luft, die Masaru Shouta atmete, war in der Tat recht dünn.

Dummerweise wusste er das noch nicht. Ignoranz ist eine schöne Sache, solange niemand es wagt, den Schleier der Unwissenheit zu lüften. In der Familie der Shoutas war es traditionsgemäss eher eine massive Wand, denn ein Schleier.

Im Augenblick stolzierte der Herzog in Zukos sonnendurchflutetem Arbeitszimmer auf und ab und wartete. Er brannte darauf, zu erfahren, wie Seine Lordschaft mit diesem Flegel von Leibwächter zu verfahren gedachte. Er jedenfalls würde ihm nahelegen, an dem Kerl ein Exempel zu statuieren.

Die Tür öffnete sich energisch und schloss sich ebenso wieder.

„Hoheit!“

„Herzog!“ Plötzlich umwehte Masaru ein leichter Frosthauch.

„Ihr wolltet mich sprechen, Mylord?“

„Ja. Bevor Ihr geht, wollte ich die Gelegenheit nutzen, Euch eine gute Heimreise zu wünschen.“

„Bevor ich ... gehe?“

„Eine weitere Verzögerung ist nicht erwünscht.“

„Hat denn jemand nach mir geschickt?“, wollte Masaru verwirrt wissen. „Meine Mutter vielleicht?“

„Nicht, dass ich wüsste. Es ist nur so, dass Ihr außerhalb des Palastes besser aufgehoben seid.“


„Ich verstehe nicht ...“

„Ihr ...“, artikulierte Zuko überdeutlich, „... werdet uns verlassen. Um die Gerüchteküche nicht überkochen zu lassen, dürft Ihr dem heutigen Fest noch beiwohnen. Morgen werdet Ihr dann die Güte haben, in aller Frühe abzureisen.“

„Durchlaucht, ich habe den Eindruck, Ihr habt vielleicht ein falsches Bild von dem, was gestern vorfiel.“

„Ich fand es eigentlich recht eindeutig.“

„Ach so? Dann kann ich mir denken, was dieser Wachhund Euch erzählt hat ...“

„Tatsächlich? Der Hauptmann ist selten sehr mitteilsam. Aber ich kann eins und eins zusammen zählen. Und das Ergebnis,“, fügte Mylord sehr leise hinzu, „hat mir ganz und gar nicht gefallen. Ihr werdet Euch von meiner Tochter fern halten. Sowie auch vom Rest meiner Familie, sowie auch vom Palast. Auf Euren Ländereien könnt Ihr tun uns lassen, was Ihr für richtig haltet. Außerhalb haltet Ihr Euch an die Regeln, oder ich sehe mich gezwungen Eurer Familie sämtliche Privilegien und Euch die Herzog-Würde zu entziehen.“

„Aber dieser Kerl hat ...“

„Mein vollstes Vertrauen! Wenn Hauptmann Nezu es für nötig hielt , einzuschreiten, dann WAR es das auch. Als ich Euch bei Eurer Ankunft sagte, ich sei mir sicher, Ihr würdet Aya mit Respekt behandeln, dann weil ich weiss, dass der Hauptmann etwas anderes niemals dulden würde.“

„Ihr stellt sein Wort über das meine?“ Stocksteif und blass stand Masaru im Raum.

„Durchaus.“

„Dann gibt es nichts weiter zu sagen, Mylord.“

„Wie wahr.“
 

Ein paar Stunden bei Hofe blieben Masaru Shouta also noch. Er wusste sie zu nutzen. Denn in der Tat gab es etwas, wovon der Herzog von Yun etwas verstand. Und das war sein Stolz.

Nun, da dieser Stolz eine fatale Niederlage erlitten hatte, erwachten die Rachegelüste seines blauen Blutes. Und mit ihnen ein ungeahnter Einfallsreichtum.

Die Shoutas hatten Freunde bei Hofe. Diese Freunde galt es zu finden.

Die Shoutas hatten Bündnisse geschlossen. Diese Bündnisse galt es einzufordern.
 

„WAS?“, keuchte Baron Jeh Wang drei Stunden später entsetzt. „Aber ... aber ... das ist HOCHVERRAT!“

„SCHT!“, zischte Masaru. „Seid doch leise! Und nein, es ist KEIN Hochverrat. Unser Ziel ist nicht die Prinzessin, sondern ihr anmaßender Wächter.“

„Nezu? A ... aber er ist ... na ja. GUT! Verdammt gut! Und eine Art Volksheld ist er auch.“

„Oh. Bitte um Verzeihung.“, schnurrte der Herzog trügerisch sanft. „Wenn Euch Eure Amme zuckersüsse Gute-Nacht-Geschichten über ihn vorgelesen hat, ist das natürlich etwas anderes. Wie kann ICH da erwarten, dass Ihr meiner Familie gegenüber Loyalität beweist?“

„Ich ... das meinte ich nicht!“, stammelte Jeh.

„Nein? Dann sagt mir, was Ihr meint.“

„Wenn er Euch wirklich beleidigt hat ...“

„Zweifelt Ihr etwa daran?“

„Nein, Euer Gnaden! Natürlich nicht. Ihr seid mein Lehnsherr. Ich werde tun was Ihr verlangt. Nur ... bis jetzt hat niemand es geschafft den Hauptmann auszuschalten.“

„Weil noch niemand ihn selbst im Visier hatte. Mal sehen, wie gut Zukos überschätzter, dreckiger Schlammwühler noch ist, wenn er sich ausnahmsweise selbst schützen muss. Außerdem bin ich nicht dumm! Wir brauchen ein Ablenkungsmanöver. Genau dafür brauche ich Euch. Ihr habt freien Zugang zu den Stallungen, nicht wahr?“

„Äh ... ja.“

„Gut, gut. Darüber hinaus vertraut man Euch.“

„Äh!“ Jeh Wang war sich fast sicher, dass dieser Status sehr bald der Vergangenheit angehören würde.

Andrerseits hatte Masaru ihm versichert, er bräuchte nichts illegales zu tun. Nur ein kleiner Gefallen. Vielleicht würde er ja glimpflich davon kommen. Würde er dem Herzog die verlangte Hilfe verweigern, wäre jedenfalls seine ganze Familie dran, soviel stand fest. Der Baron versuchte verzweifelt, zwischen beiden Übeln das kleinere zu wählen.

„Ihr werdet morgen kurz vor zwei Uhr in den Stall gehen, wo das Hirschzebra unsrer kleinen Eisprinzessin schon bereitstehen wird.“, unterbrach Masaru diesen Gedankengang.

„Wird es?“

„Aber ja. Sie reitet immer um diese Zeit aus. Ihr werdet dem Vieh das hier unter den Sattel schieben.“

Ein kleines, flaches Säckchen wurde Jeh in die Hand gedrückt.

„Was ist das?“, fragte er ängstlich.

„Nichts Gefährliches. Bei einer Temperatur zwischen achtunddreissig und neununddreissig Grad löst sich die Hülle komplett auf und lässt eine harmlose, aber höllisch juckende Substanz frei. Sprich, Ayas Gaul fängt irgendwann an zu bocken. Den Rest übernehmen andere. Ich muss diese exklusive, kleine Truppe nur noch zusammenstellen. Ihr seht also, Eure Weste bleibt bei der ganzen Sache fast so rein, wie das Laken einer Jungfrau.“

„Und was werdet Ihr tun?“

„Ich? Ich werde dafür sorgen, dass eine Legende zur ewigen Ruhe gebettet wird. Während der Hauptmann wieder einmal damit beschäftigt sein wird, Zukos kostbare Tochter zu retten, wird er selbst zur Zielscheibe werden. Meine Alchimisten verfügen über einige äußerst wirkungsvolle Nervengifte. Nezu wird wehrlos. Er wird erledigt. Er wird entehrt. Denn niemand wird das Gift nachweisen können. Und niemand wird diesem Emporkömmling auch nur eine Träne nachweinen, wenn fünf lausig bewaffnete Banditen es geschafft haben, ihn kalt zu machen. Für einen Heldenepos wird der Name Takeru Nezu dann jedenfalls nicht mehr taugen.“

Das böse Lächeln um die Mundwinkel des Herzogs liess Jeh schaudern.

Er wünschte inbrünstig, seine Familie wäre nicht von der Gnade der Shoutas abhängig. Masaru schien die Realität jedenfalls weit hinter sich gelassen zu haben.

Umso gefährlicher war er.
 

Während Masaru in aller Heimlichkeit und Eile seine tödlichen Ränke schmiedete, plagten das Ziel seiner Rache ganz andere Probleme.

Die brennendste Frage Hauptmann Nezus war nach wie vor ungeklärt.

Was zum Teufel lag seinem Schützling auf der Seele?

Hatten sich Lord und Lady gar getäuscht, oder war ihre Tochter wirklich verliebt?

Falls ja, konnte er diesen aufgeblasenen Gecken Shouta wenigstens von der Liste der möglichen Kandidaten streichen.

Aber wer könnte es sonst sein?

Sprach sie mit den stattlichen Söhnen des Konsuls, mit denen sie aufgewachsen war, wirkte Aya absolut entspannt. Plauderte sie mit ihrem attraktiven Astronomie-Lehrer zeigte sie sich völlig normal.

So scharf Takeru sie auch beobachtete, nichts in ihrem Verhalten liess Rückschlüsse auf den mutmasslichen Inhaber ihres Herzens zu.

Die neuerdings so unvermittelt auftretende Melancholie überfiel sie nur, wenn sie sich allein wähnte. Ihre Mine wurde wehmütig, ihr Blick schweifte ab.

Seine Hoffnung, der letzte Tag der Sonnwendfeiern und das abschliessende Fest am Abend könnten vielleicht Antworten bringen, zerschlug sich ebenfalls. Denn auch in Gegenwart ihrer unzähligen Verehrer blieb die Prinzessin unverbindlich, höflich und charmant wie immer.
 

So verliess Aya das Fest schliesslich, ohne dass man irgendwelche Fortschritte der Mission „Herzblatt“ zu verzeichnen hatte.

Auf dem Weg zu ihren Gemächern, schritt Hauptmann Nezu, stumm wie immer, hinter ihr.

Um die Ecke vor ihnen bogen einige schnatternde Hofdamen, die sich offensichtlich etwas frisch gemacht hatten. Als sie der Prinzessin ansichtig wurden, knicksten sie eilig und gingen mit sittsam gesenktem Blick weiter.

Die einzige, die sich nicht an dieses ungeschriebene Gesetz hielt, war Kaori Ren. Unter schweren Lidern warf sie ihrem Liebhaber einen langen, schwülen Blick zu.

Aya beschleunigte ihre Schritte und biss die Zähne aufeinander bis sie schmerzten.

Während Hauptmann Nezu wie üblich ihre Gemächer inspizierte, stand sie ungeduldig im Vorzimmer und knetete ihren Seidenfächer zwischen den Fingern.

Ihre Unruhe wurde bemerkt.

„Ist etwas, Hoheit?“

„Nein!“, stiess sie aus. Angesichts seiner verdammten, immerwährenden Pflichtschuldigkeit hätte sie am liebsten geschrien. „Ihr dürft Euch zurückziehen.“

„Wie Ihr wünscht.“ Er verneigte sich.

Wie sie wünschte? Wie SIE wünschte? Etwas in ihr platzte.

„Auf ein Wort noch!“

„Ja, Prinzessin?“

„Es wäre mir lieb, wenn Eure ... Gespielin sich an die Etikette hielte. Ich finde es ein wenig geschmacklos, wenn sie Euch so begafft.“
 

Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, spürte Aya wie ihr Gesicht vor Verlegenheit taub wurde.

Was hatte sie sich nur gedacht? Es stand ihr nicht im mindesten zu, sich über das Privatleben des Hauptmanns zu äußern.

Sie wusste es.

Er wusste es.

Ruhig stand er da und bohrte das Eis seiner Augen in ihren Blick.

„Wie ... Ihr wünscht.“ Diesmal klang es weder unverbindlich, noch unterwürfig.

Es war der Augenblick, indem Aya sich hätte entschuldigen müssen, doch wie ein gescholtenes Kind fand sie keine Worte. Wie hätte sie denn auch zurücknehmen können, was sie gesagt hatte?

Als die Tür ins Schloss fiel, zerbrach ihr Fächer. Die gesplitterten Elfenbeinstäbe bohrten sich in ihre Haut. Verständnislos starrte sie auf die Blutstropfen.

Agni! Was hatte sie getan?
 

In der kleinen, kargen Kammer, die an das Schlafgemach der Prinzessin grenzte, legte Hauptmann Nezu seinen Waffengürtel ab. Seine letzten Zweifel waren verfolgen.

`Es ist also doch wahr.´, dachte er. `Sie ist verliebt. Und sie ist unglücklich.´

Anders war ihr seltsames Verhalten nicht zu erklären. Normalerweise würde sie sich lieber die Zunge abbeissen, als schnippisch zu werden. Die ätzende Missachtung hatte nur schwer in ihre warme Stimme gepasst.

Aber ... WER?

Wem, um alles in der Welt, galten ihre Gefühle? Wer konnte dieses Glück einfach so von sich weisen? Wer konnte so blind sein, Aya Tatzu nicht zu lieben?

Takeru zwang sich, die Fäuste zu lockern.

Das Grübeln hatte keinen Zweck. Es hatte ihn noch nie weiter gebracht. Er beschloss, sich dem Einzigen zuzuwenden, das ihn in seinem Leben bisher vorangebracht hatte und tauschte seine Uniform gegen schlichte, weisse Trainingskleidung.

Das Schliessen seiner Tür wurde bemerkt. Und es verursachte unendliches Herzeleid.
 

Seit Ewigkeiten lag Aya da und starrte blicklos an den bestickten Baldachin ihres Himmelbetts.

War er jetzt bei ihr?

Sprach er mit ihr über die alberne, vollkommen unangebrachte Bemerkung seiner `Schutzbefohlenen´?

Lachten die beiden über sie?

Nein ... Hauptmann Nezu würde sich niemals dazu hinreissen lassen, auch nur ein einziges, schmähendes Wort über ein Familienmitglied seines Herrschers zu verlieren.

Aber er war bei ihr. Liess sich berühren. Von dieser ...

Tat sie mit ihren Händen jetzt das, was sie ihm zuvor mit den Augen versprochen hatte? War es so?

Tränen rannen in das Haar an Ayas Schläfen. Immer mehr, bis sie sich schliesslich auf die Seite rollte und zusammenkrümmte.

Sie konnte die Bilder, die ihre brennende Eifersucht malte, nicht mehr aufhalten. Die Arme um sich geschlungen, gestattete sie zum ersten Mal seit langer Zeit, dass schmerzhafte Schluchzer sie schüttelten.

Es war egal. Er würde es ohnehin nicht hören. Nicht, solange er bei dieser Frau war.
 

Erst in den frühen Morgenstunden erstarb das leise, verzweifelte Weinen.

Es hatte an Takerus Nerven gezerrt, bis er meinte, die trostlosen Laute müssten aus ihm selbst kommen. Er schloss die Augen, obwohl er wusste, dass der Schlaf nicht kommen würde.

Ihr Kummer hatte ihm alles gesagt, was er wissen musste. Morgen würde er zu Seiner Lordschaft gehen, und dessen Verdacht bestätigen.

Vielleicht würde Zuko einen Weg finden, das Unglück seiner Tochter zu beenden. Vielleicht hätte er Mittel und Wege den Mann den sie liebte ausfindig zu machen.

Doch um wen auch immer es sich handelte ... er war ihrer nicht würdig.

Niemand war das.
 

Am nächsten Tag klopfte es kurz vor Mittag an die Tür zu Gräfin Rens Gemächern. Dieses schroffe Pochen konnte nur von einem Menschen stammen. Kaori straffte sich und bereitete sich auf die bevorstehende Auseinandersetzung vor. Scheinbar trug ihre kleine List erste Früchte. Jetzt galt es klug zu agieren und Ruhe zu bewahren.

Sie drapierte sich möglichst dekorativ auf ihrem Diwan.

„Herein?“, rief sie scheinbar entspannt.

Wie erwartet trat Hauptmann Nezu ein.

Einmal mehr fragte Kaori sich, warum sie die Augen nicht von diesem Kerl lassen konnte. An ihrer Vorliebe für Uniformen allein konnte es nicht liegen. Er war schliesslich nicht der erste Offizier, der die Ehre hatte ihre ... Aufmerksamkeit erregt zu haben. Leider erregte er wie immer sehr viel mehr als nur das. Verdammt!

Um sich nichts anmerken zu lassen, schwang Kaori graziös die Beine vom kostbar verzierten Sofa und setzte sich auf.

„Ah! Hauptmann.“, schnurrte sie. „Was führt Euch zu dieser ungewohnten Stunde zu mir? Ich hoffe doch, es ist die Sehns ...“

„Lass diesen Unsinn!“

„Bitte?“ Die Gräfin versteifte sich.

„Du weisst, weshalb ich hier bin.“

„Tatsächlich? Dann bin ich wohl unwissender, als Du denkst.“

„Schön.“ Die gletscherkalten Augen des Kage verengten sich. „Spiel Dein Spiel ruhig weiter. Aber beleidige bitte nicht meine Intelligenz, indem Du annimmst, ich ginge darauf ein.“

„Worauf, zum Teufel, willst Du hinaus?“

„Euer Schachzug, Gräfin, war ebenso erfolglos wie hinterhältig. Somit könnt Ihr auch Euer ungebührliches Verhalten wieder ablegen.“

„Mein Schachzug? Ich weiss nicht, was Du...?“

„Deine kleine Indiskretion. Du hättest wissen müssen, dass seine Lordschaft sich herzlich wenig um meinen Lebenswandel schert, sofern er meine Pflichten nicht beeinflusst. Wenn Dir die bisherige Art unsrer Beziehung nicht mehr zusagt, werden wir sie wohl beenden müssen.“

„Oh, DAS.“ Kaori zwang sich zu einem amüsierten Lachen. „Ich glaube, da liegt ein Missverständnis vor. Und ich muss mich bei Dir entschuldigen. Ich ... dummerweise hatte ich Ming von uns erzählt. Ich dachte, ich könnte ihr vertrauen, aber vor drei Tagen hat sie sich wohl verplappert.“

Zerknirscht trat sie vor ihn und strich über den Kragen seiner Uniformjacke.

„Es tut mir leid.“, flüsterte sie und schob die Unterlippe vor. „Bist Du mir jetzt sehr böse?“

„Böse? Nein.“ Er pflückte ihre Hand von seiner Schulter. „Deine Intrige hat mich nicht einmal überrascht. Doch wenn Du unser Arrangement beibehalten möchtest, ändere Dein Verhalten!“

„Mein Verhalten?“

„Gestern Abend hast Du Ihrer Hoheit den ihr zustehenden Respekt verwehrt.“

„Was? Weil ich nicht zu Boden sah?“ Kaori schnaubte abfällig. „Es gibt kein Gesetzt, das etwas derartiges verlangt.“

„Der Anstand verlangt es!“

Bei seinem Tonfall reckte Kaori unweigerlich ihr Kinn.

„Schön.“, sagte sie. „Das nächste Mal, wenn ich unserer ach so kostbaren Prinzessin über den Weg laufe, werde ich mich mustergültig benehmen. Agni behüte, dass ich ihr prüdes, kleines Weltbild auf den Kopf stelle.“

„Genug!“, knirschte der Hauptmann. „Entweder Du änderst Dein Benehmen, oder den Status unserer Beziehung. Mir ist es gleichgültig. Und nun entschuldigt mich bitte, Gräfin.“

Ein kurzes Neigen des Kopfes und weg war er.

Wütend starrte Kaori auf die geschlossene Tür. Ihr Plan war nach hinten los gegangen. Komplett. Und als sei das nicht genug, war sie auch noch durchschaut worden.

Was sie wirklich erschütterte, war die Tatsache, dass ihn das alles völlig kalt zu lassen schien.

Er hatte es nicht einmal für nötig gehalten, sie deswegen abzuservieren.
 

In Wahrheit war Takeru sogar froh, um diesen erneuten Beweis ihres manipulativen Wesens. Ihre Abgebrühtheit war schliesslich einer der Gründe, weshalb er auf ihre Avancen überhaupt eingegangen war.

Bei ihr plagten ihn wenigstens keine Gewissensbisse wegen der eigenen Gefühlskälte. Sie war ein berechnendes, selbstbezogenes Biest, dem es nur darum ging, der eigenen Eitelkeit zu schmeicheln. Kurz gesagt, eine Frau, die sich innerhalb weniger Sekunden abschütteln und vergessen liess. Genau das, was Takeru Nezu brauchte, wenn ihn ab und an gewisse Bedürfnisse plagten.
 


 

Are scharrte ungeduldig mit den Hufen. Gleich müsste es soweit sein.

Der innere Chronometer der Hirschzebra-Stute war so zuverlässig wie jede Sanduhr. Kein Wunder; konnte man nach ihrem Besitzer fast die einzelnen Sandkörnchen zählen. Als jener Zweibeiner endlich den Hof der Stallungen betrat, schnaubte sie zufrieden.

Wie immer überprüfte er zuerst sorgfältig die Sattelgurte von Mae, einer jüngeren Stute. Und wie immer fand Are dieses Verhalten inakzeptabel.

Kess stupste sie gegen die Schulter ihres Besitzers.

„Ruhig, Mädchen!“, murmelte Takeru und fuhr mit der Hand begütigend über die weiche Schnauze. „Sie scheint heute ungewöhnlich nervös.“, sagte er in Richtung des Stallmeisters, als das Tier den Kopf warf.

„Liegt bestimmt an ihrer neuen Box. Ich werd sie wieder umquartieren.“

„Hm. Vielleicht braucht sie auch nur Bewegung. Sie hatte seit drei Tagen keinen ordentlichen Auslauf.“

„Oh, auf der Koppel hat sie sich aber mächtig ausgetobt.“

Als Are trotz des Austobens unruhig ihr Zaumzeug bearbeitete, runzelte ihr Herr die Stirn.

„Ich sag Euch, es ist die neue Box.“, sagte der Stallmeister. „Passt ihr gar nicht, so weit weg von ihrer kleinen Freundin hier zu stehen.“ Er deutete auf Mae, die Stute der Prinzessin „Ich werd sie wieder nebeneinander unterbringen.“

„Gut.“
 

Als die Prinzessin den Hof betrat, wurde das Thema „Hirschzebras und ihre Allüren“ kurzerhand beendet.

Nachdem er Ihrer Hoheit in den Sattel geholfen hatte, stieg Hauptmann Nezu ebenfalls auf.

Sein Reittier tänzelte zur Seite und er straffte energisch die Zügel.

Heute Abend würde er sich ausgiebig Zeit nehmen, um die Stute etwas zu fordern. Durch die Festivitäten der letzten Tage hatte sie eindeutig zu wenig Bewegung bekommen. Und wenn es etwas gab, dass die ansonsten so ausgeglichene Are aus der Ruhe brachte, dann war es Untätigkeit.

Die Stute war ein Geschenk Zukos II an seinen hoch geschätzten Offizier gewesen. Es gab nur zwei Tiere in den Stallungen, die schneller waren. Beides Hengste. Doch Are war ausdauernder, zäher, treuer. Mit einem ruhigen Gemüt, das auf den leisesten Wink ihres Herrn reagierte.

Und hier lag auch eines der Probleme des ehrenwerten Stallmeisters, denn so sanft die Stute im Umgang war, so bockig wurde sie, wenn jemand anderer als Hauptmann Nezu in ihren Sattel steigen wollte. So blieb oft nur die Koppel und die Nähe zu ihrer kleineren Freundin Mae, um ihren Bewegungsdrang in Zaum zu halten.

Heute war sie jedoch so nervös, dass selbst Takeru Mühe hatte, sie zu zügeln. Zudem färbte ihre Rastlosigkeit auf Ayas Stute ab.
 

„Hoheit, vielleicht sollten wir den Ausritt verschieben.“

Verschieben? Aya biss sich auf die Lippen.

Der Missgriff von gestern Abend brannte noch immer beschämend klar in ihren Erinnerungen.

Sie hatte gehofft, dieser Ausritt würde ihr die Gelegenheit für eine kurze Entschuldigung bieten. Wenn sie es schaffte, das Ganze möglichst unbefangen vorzubringen, bauschte sich die Sache vielleicht nicht allzu sehr auf.

Mit etwas Glück würde der Hauptmann ihrer überzogenen Reaktion dann keine Bedeutung mehr beimessen.

„Oder wir sollten schleunigst losreiten, bevor die beiden noch unruhiger werden.“, sagte sie daher und schaffte es sogar, einen leicht amüsierten Tonfall anzuschlagen.

„Wie Ihr wünscht.“, erwiderte ihr Kage und neigte den Kopf.

Ein ungutes Gefühl setzte sich hartnäckig kribbelnd in seinem Nacken fest.

Wenig später würde Takeru sich wünschen, seinen Instinkten mehr vertraut zu haben.

Wenig später würde auch Aya sich wünschen, seinen Instinkten mehr vertraut zu haben. Mehr als alles andere.
 

Sie hatten die Stallungen bereits weit hinter sich gelassen und näherten sich einigen niedrigen Hecken, an denen sie üblicherweise das Tempo anzogen. Eine Unterhaltung wäre dann nicht mehr so ohne weiteres möglich. Aya gab sich einen Ruck.

„Ach, wegen dieser Sache von gestern ...“, sagte sie leichthin über die Schulter. „Ich wollte mich gewiss nicht in Eure privaten Dinge einmischen. Ich war einfach müde und ...“

„Eine Entschuldigung ist nicht nötig Hoheit. Das Benehmen der Gräfin war unangebracht.“

„Nun, so schlimm war es auch wieder nicht.“

Als hätte sie die infame Lüge ihrer Herrin gespürt, schlug Mae plötzlich aus. Ein wenig erschrocken zog Aya die Zügel straffer.

„Die beiden sind heute wirklich seltsam.“, meinte sie. „Vielleicht sollten wir ihnen ihren Willen lassen, und ... HO!“

Ihre Stute begann nun ernsthaft zu bocken.

„Wir kehren zurück!“, beschloss Hauptmann Nezu und griff nach Maes Zaumzeug.

Bevor er es allerdings zu fassen bekam, scheute das Tier, bäumte sich auf und vollzog mehrere wilde Sprünge.

Ayas längst vergessene Angst vor dem Reiten drohte wieder an die Oberfläche zu kommen. Sie zwang sich zur Ruhe, doch ihre Hände krampften sich verzweifelt um die Zügel.

„Aus dem Sattel!“

WAS? War er verrückt?

„Aus dem Sattel, bevor sie durchgeht!“

Halbherzig versuchte Aya den Fuß aus dem Steigbügel zu ziehen, doch ihr Absatz hatte sich in den Falten ihres Mantels verfangen. Takeru verlor keine Zeit, schlug seinem Tier kurz die Hacken in die Flanke. Während Are losstürmte, beugte er sich aus dem Sattel und bekam schliesslich die Zügel von Ayas Stute zu fassen. Sein fester Griff zwang das Hirschzebra zwar zum Stillstand, doch es hörte nicht auf zu bocken. Also sprang er aus dem Sattel, hielt Maes Halfter dicht am Maul und versuchte sie zu beruhigen.

„Ho, Mae. Ruhig!“

Für einen kurzen Moment sah es so aus, als hätte er damit Erfolg. Schnell nutze er diesen Augenblick, um Ayas Stiefel aus dem Steigbügel zu ziehen.
 

Der Hauptmann hörte das feine Surren hinter sich sehr wohl, doch mit zwei vollauf beschäftigten Händen war es für eine Reaktion zu spät.

Er spürte einen kleinen Stich im Nacken. Das war kein gutes Zeichen!

„Prinzessin, Ihr müsst absteigen.“, sagte er ruhig und streckte ihr die Hand entgegen.

Dankbar nahm Aya die Hilfe an und rutschte wenig elegant vom Sattel ihrer wild gewordenen Stute. Als er sie auffing brachte diese unvermutete Nähe ihren Puls zum rasen. Wie stets.

„Danke! Ich weiss wirklich nicht, was in sie gefahren ist.“, murmelte sie etwas atemlos.

Das Brennen in Takerus Nacken machte schnell einer seltsamen, prickelnden Taubheit Platz. Es sah ganz so aus, als habe er nicht mehr viel Zeit.

„Hoheit, Ihr müsst mir jetzt gut zuhören.“

Aya kannte diesen Tonfall. Sie sah auf und ihr wurde kalt.

„Was?“, flüsterte sie.

„Ihr werdet Are nehmen und so schnell wie möglich zum Palast zurückkehren.“

„Und was ist mit Euch?“

„Nichts!“

„Nein! Sie kann uns beide tragen. Mich allein wird sie nicht mal in den Sattel lassen.“

„Wenn ich Euch hochhebe, wird sie!“

„Aber ... warum?“

Sie versuchte, die Antwort in seinen Augen zu finden. Sie waren seltsam. Die Pupillen unnatürlich geweitet.

„Was ist?, wisperte sie. „Was ist mit Euch?“

„Tut was ich sage!“, zischte er knapp.
 

Takeru wusste nicht, was ihn erwischt hatte. Er wusste nicht, wie viel Zeit oder Kraft ihm noch blieb. Er wusste nur, dass sich vom Südwesten her vier bis fünf Mann näherten und dass er die Prinzessin sofort von hier fortschaffen musste.

Nur sie schien es nicht zu wissen. Statt seinen Anweisungen Folge zu leisten, schüttelte sie den Kopf und blickte ihn besorgt an.

Er umfasste kurzerhand ihr Handgelenk, zog sie zu seiner Stute und hob sie in den Sattel. Are tänzelte unwillig.

„Ist ja gut, Mädchen. Ist gut.“ Das Hirschzebra beruhigte sich tatsächlich und duldete die ungewohnte Last.

Aus den Augenwinkeln konnte Takeru die näher kommende Bande sehen. Sie hatten ihre Schwerter bereits gezogen. Leider war er nicht der einzige, der die Halunken bemerkt hatte.

Aya keuchte erschrocken auf. Aber bevor sie sich über die Situation klar werden konnte, traf ein energischer Schlag Ares Hinterbacke.

„Lauf!“, befahl Hauptmann Nezu seiner vierbeinigen Gefährtin. Die Stute schien zu spüren, was er von ihr wollte und galoppierte los.

Der Tag hätte vermutlich ein anderes Ende genommen, wäre ihre Reiterin ebenso gehorsam gewesen.
 

Nach einigem Ziehen und Zerren schaffte Aya es tatsächlich, Are zu kontrollieren. Sie war um so vieles größer als Mae. Um so vieles stärker. Doch nachdem sie ihre neue Reiterin akzeptiert hatte war sie erstaunlich leicht zu lenken.

Auf einer kleinen Anhöhe kam das Tier schliesslich zum Stillstand und Aya blickte sich um. Die fünf Männer hatten den Hauptmann beinahe erreicht.

Angesichts seines Könnens eigentlich kein Grund zur Sorge, aber warum hatte in seinen Augen dann genau das gestanden?

Und warum waren seine Bewegungen so kraftlos?

Irgendetwas stimmte nicht! Aya überlegte fieberhaft.

Warum hatte er nicht mit ihr in den Sattel steigen wollen? Are wäre kräftig genug, um sie beide zu tragen. Diese Bande war zu Fuß und hätte die Stute trotz der doppelten Last niemals eingeholt.

Und warum stand er einfach nur da, während diese Schurken ihn langsam einkreisten?

„Hör auf Fragen zu stellen!“, flüsterte sie verzweifelt. „Tu etwas!“
 

Die Schwäche ergriff mehr und mehr Besitz von Takeru.

Sie breitete sich in seine Extremitäten aus, summte in seinem Kopf, umnebelte seine Sicht. Da waren diese bewaffneten Halunken. Fünf. Sie kamen näher. Vielleicht könnte er es schaffen, ein paar zu beseitigen, wenn er seine verbleibenden Kräfte zum richtigen Zeitpunkt bündelte. Doch er bezweifelte, dass er alle erwischen würde.

Neben dem hohen Sirren in seinen Ohren nahm er ein dumpfes, rhythmisches Geräusch wahr. Hufschläge?

„Los! Schnappt ihn euch!“

Der Hauptmann ignorierte den Rufer, der ohnehin nur das Offensichtliche zur Sprache gebracht hatte, und drehte sich in Richtung des näher kommenden Geräuschs. Jetzt packte ihn das nackte Grauen.

„Nein!“

„Steigt auf!“, drängte Aya. Sie war blass, hatte ganz offensichtlich schreckliche Angst. Und doch war sie hier.

„Geht!“

„Hauptmann ...“

„GEHT!“

„Los, MACHT endlich hin und schnappt euch den Typen!“, brüllte der Anführer des kleinen Trupps.

Takeru spürte, wie seine Beine nachzugeben drohten. Er schwankte.
 

„Hauptmann!“

„Hoheit ... Das ist ein Befehl!“

„Nein!“

„Verschwindet!“

„Nicht ohne Euch!“

Letztendlich unterlag Takeru der Schwerkraft. Er sank auf die Knie. Die Erde. Er war jetzt näher an der Erde. Vielleicht ...

Er ballte die Fäuste und rammte sie mit aller Macht in den fruchtbaren Boden. Doch statt einen schützenden Wall zu bilden, antwortete das Element seiner Ahnen nur mit einem leichten Zittern, dann verlor sich die Kraft. Das Gift lähmte offenbar nicht nur Muskeln und Nerven, sondern blockierte auch seine Energien.

„Takeru!“

Ihr erschrockenes Flüstern war dicht an seinem Ohr. So nah! Viel zu nah!

Sie war nicht länger in Sicherheit. Somit war ihm nicht gestattet aufzugeben.

So einfach war das.
 

Takeru biss die Zähne zusammen. Ihm blieb nur ein Ausweg. Vielleicht würde es reichen.

Er zwang sich auf die Beine, spannte jeden einzelnen Muskel seines Körpers an und pumpte mit schweren, schnellen Atemzügen Luft in seine protestierenden Lungen.

Sein Herz schlug rasend schnell, das Toxin breitete sich nun wesentlich rascher in seinem Kreislauf aus. Aber das hatte er schliesslich vorher gewusst. Der Berserker-Rausch war jedoch seine einzige Möglichkeit genug Kraft für einen letzten Kampf zu mobilisieren.

Mit geschlossenen Augen stand Zukos Blutwolf da und wartete auf das Einsetzen des Kyobos.

Als er schliesslich den Blick hob, war das kristallblaue, zu Eis erstarrte Brennen darin die letzte Warnung, die seine Feinde bekamen.
 

„Verdammt, wieso steht er denn wieder?“, schrie der kleinste der Banditen.

Bisher schien er eigentlich der Mutigste gewesen zu sein, denn er stand am nächsten.

„Egal! Mach ihn kalt!“

„Aber wie ...“ Entgeistert starrte der Kurze auf den glänzenden Griff eines Wurfdolchs, der mitten aus seiner Brust ragte. „...so?“, krächzte er, bevor er umkippte.

„Scheisse!“, schrie der Schurke rechts von ihm und stolperte hastig rückwärts, als die unheimlich glitzernden Augen nun ihn ins Visier nahmen. „Verpasst ihm noch ne Ladung!“, kreischte er hysterisch. „Lo ...“

Diesem beeindruckend unmoralischem Lebenslauf wurde ebenfalls ein jähes Ende gesetzt.

Sobald Ellbogen ein gewisses Tempo erreichen, vertragen sie sich nun mal nicht mehr so gut mit Kehlköpfen, die versuchen ihren Weg zu blockieren.
 

Verzweifelt blickte Aya sich um. Irgendwo musste doch eine Waffe liegen. Ein Stab. Ein Schwert. Irgendetwas. Wenn sie wollte, könnte sie damit umgehen! Sie musste es nur genug wollen.

Ihr Blick fiel auf den Anführer der Bande. Er setzte ein seltsames Rohr an die Lippen, holte tief Luft und blies hinein. Der kleine Pfeil flog so schnell, dass man ihn überhaupt nicht sah. Doch er traf sein Ziel.

„NEIN!“

Hauptmann Nezu griff nur achtlos an seinen Hals, zog sich das Ding aus der Haut und ging weiter auf seinen nächsten Feind zu.

Er kam nur zwei Schritte weit. Sein rasendes Blut hatte das Gift zu rasch verteilt.

Es lähmte ihn. Seine Beine versagten endgültig ihren Dienst. Er fiel erneut auf die Knie.

Mochten die Götter ihm beistehen. Er hatte seinen Schwur gebrochen, hatte nicht vermocht, sie zu schützen.

„Nein!“ War das ihre Stimme?

Hastige Schritte, dann kniete jemand neben ihm, stütze ihn.

„Takeru?“
 

„So, jetzt murkst ihn endlich ab!“

„Und wenn er nochma aufsteht?“

„Quatsch! Der is erledigt. Wir müssen nur noch ein Schwert in seinen Bauch rammen, und dann war´s das.“

„Na schön. Aber dann krieg ich die Frau!“

„Spinnst Du? Die ist tabu!“

„Aber ... sie ist verdammt hübsch!“

„Schnauze! Lass die Griffel von dem Weibsstück! Wenn wir ihr was tun, sind wir erledigt, hat der Boss gesagt.“

„Aber ...“

„SCHNAUZE HAB ICH GESAGT! Erledigt endlich diese Bulldogge. ER ist das Ziel!“
 

Sie wollten nicht sie?

Durch das Brennen in seinen Eingeweiden und den rauschenden Pulsschlag in seinen Ohren war das die einzige Nachricht, die zu Takeru noch durchdrang.

Sie wollten nicht sie!

Erleichtert brach er vollends zusammen.

„Nein.“, flüsterte Aya.

Flehend sah sie auf. Doch auf den Gesichtern der drei umstehenden Männer fand sie nur Abgestumpftheit und Gier.

„Bitte ...“

„Herrgott, muss ich´s selbst machen?“, fauchte der Anführer der Bande.

Er kam näher, hob seinen Säbel.

„NEIN!“
 

Wie aus dem Nichts loderte eine Feuersäule auf. Sie umtoste die Prinzessin und den Hauptmann wie ein flammender Wirbelsturm.

Aya hörte Schreie, sah das wabernde Inferno.

Doch sie spürte einzig die Reste ihres brennenden Zorns.

So brennend, dass er sie von Kopf bis Fuß durchglühte.

So brennend, dass er rau aus ihrer Kehle brach.

So brennend, dass die Welt rotglühend zerbrach.

Etwas kühles, seidiges war unter ihren Fingerspitzen.

Aya blinzelte den Tränenschleier fort und zwang ihren Blick nach unten. Langsam, als zögere sie dadurch die Wahrheit hinaus.

Hatte sie ihn auf den Rücken gedreht? Seinen Kopf in ihren Schoss gebettet? Die Finger in sein Haar gekrallt?

Warum regte er sich nicht?

„Hauptmann?“ Ihre blutleeren Lippen hatten Mühe das Wort zu formen.

Er öffnete die Augen und sah sie an.

Mit letzter Kraft hob er langsam eine Hand um über eine ihrer Haarsträhnen zu streichen.

„Aya ...“

Er hatte so ein schreckliches Leuchten in den Augen.

Dieses überirdische Strahlen, das nichts Gutes verhiess. Man sagte, Sterbende hätten diesen Ausdruck ...

„Takeru!“

Mit einem Schlag war ihr kostbares, jahrelang gehütetes Geheimnis nichtig geworden. Es gab nur noch eines, das Aya zu tun blieb.

„Ich liebe Euch!“, wisperte sie tränenerstickt und strich sanft das kurze Haar aus seinem Gesicht.

Doch der Hauptmann hatte das Bewusstsein bereits verloren.

Sherlock Han

So ... nur noch ein kleiner Schnitt. Nicht zu tief. Vorsichtig ....

„LORD ZUKO! LORD ZUKO!“

Daneben! Die kleine Schere, mit der eben einem empfindlichen Bonsai zu Leibe gerückt worden war, wurde frustriert fallen gelassen.

„Was?“ Da das Bäumchen ein äußerst altes und kostbares Exemplar darstellte und zudem ein Geschenk Lady Jins gewesen war, klang die Frage recht ungehalten.

„Der Ausguck ... sie haben gesehen ... die Prinzessin angegriffen.“

„Wo?“, schnappte Zuko sofort.

„Im ... äh ...“

„WO?“, brüllte der Feuerlord.

„Park! Im Park!“, keuchte der Soldat.

Seine Lordschaft war bereits los gespurtet. An jedem Eck, um das er stürmte, gesellten sich mehr Wachen zu ihm. Auf dem Hof standen hastig gesattelte Reittiere bereit.

Zuko brauchte nicht nach der Richtung zu fragen, in die er reiten musste, denn in diesem Moment wuchs im Osten eine Säule aus Flammen in den Himmel.
 

Aya wusste nicht, wie lange sie schon auf der Erde sass, seinen Kopf an ihre Brust gedrückt. Sie wusste nicht, wie viele Tränen ihr schon über die Wangen und in sein Haar geronnen waren. Sie wusste nicht, dass die Erde sich noch immer um die Sonne drehte.

Ihre Welt stand still. Erstarrt im Schmerz.

Selbst der brennende Ring um sie war zu Asche erstarrt.

Sie nahm auch nicht wahr, wie Are unruhige Kreise um sie zog und mit der weichen Schnauze immer wieder ihren Herrn anstupste.

Und sie nahm die Reiter nicht wahr, die in wildem Galopp heranstürmten.

Der Mann an der Spitze sprang ab, bevor sein Tier zum Stillstand gekommen war.

„AYA?“

Ihr Gesicht wurde umfasst und angehoben.

„Ist Dir was passiert?“

Sie schüttelte langsam den Kopf.

Nachdem seine schlimmste Sorge beschwichtigt war, widmete Zuko sich sofort der nächsten. Er drückte zwei Finger seitlich an den Hals des Hauptmanns.

„Komm schon.“, knurrte er unwirsch. „Komm schon!“

DA! War das ein Puls gewesen?

„Aya, Du musst ihn loslassen.“

Die Hände der Prinzessin blieben in den burgunderroten Stoff gekrallt. Ihre Augen wirkten glasig.

„Aya?“

Sie blinzelte, von ihren Wimpern fielen schimmernde Tropfen.

„Aya! Wir müssen ihm helfen!“

Es schien nicht zu ihr durchzudringen. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, öffnete Zuko den Griff seiner Tochter und entzog ihr den reglosen Körper.

„Nein!“, wimmerte sie.

„Bringt ihn zum Palast. Schnell!“, befahl der Feuerlord seinen Soldaten.

Ayas Hände, die ihren Besitz zurückforderten, fing er ein und barg sie in seinem warmen Griff.

„Flämmchen, es ist gut.“, murmelte er eindringlich. „Noch lebt er.“

„Was?“, flüsterte sie. „Aber sein Herz ... es hat nicht mehr...“, ihre Stimme brach.

„Doch. Ganz schwach. Aber es schlägt noch. Dr. Giu?“

„Er atmet. Auch wenn es kaum wahrnehmbar ist.“, antwortete der Mediziner besorgt. „Nur ... ich kann keine Verletzungen erkennen. Ehrlich gesagt ...“ Sein Kopfschütteln lies wenig Raum für Hoffnung.

„Der Pfeil.“, stiess Aya aus. „Da drüben. Gift. Sie haben Gift benutzt.“

Han Osaru rannte in die angedeutete Richtung.

„Da ist nichts!“, rief er. „Kein ... HIER! Sie hat Recht, Mylord.“ Er hob einen Gegenstand von der Größe eines Zahnstochers in die Luft.

„Bringen sie das Ding sofort in die Laboratorien des Palasts!“, rief Dr Yuri, während er darüber wachte, wie der leblose Körper Hauptmann Nezus auf eine Bare gelegt und festgegurtet wurde.
 

In all dieser Hektik brachte Zuko seine Tochter schliesslich dazu, ihm in die Augen zu blicken. Noch immer zitterte sie am ganzen Leib.

„Du weisst, dass er stark ist.“ Liebevoll strich er eine ihrer losen Haarsträhnen zurück. Seine Hand liess er beschwichtigend auf ihrer Wange liegen. „Er ist stark, zäh und ein verdammter Dickschädel. Und er weiss, dass ich ihm niemals verzeihen würde, wenn er das hier vermasselt.“, sagte er rau.

Ein paar Sekunden starrte Aya ihren Papa an.

Dann weinte sie nur noch.

Sie weinte, als ihr er sie tröstend in die Arme zog und an sich drückte.

Sie weinte, als er langsam mit ihr nach Hause ritt.

Sie weinte, als ihre Mutter vollkommen aufgelöst auf sie zustürzte.

Sie weinte, als sie mit erleichterten Küssen nahezu überschüttet wurde.

Und sie weinte, als sie mit kühlen Laken zugedeckt wurde.

„Es wird alles gut, Spätzchen.“, flüsterte Jin. „Der Arzt hat Dir etwas gegeben, damit Du schlafen kannst.“

Noch lange sass sie am Bett ihres Kindes. Streichelte die kalten Hände und die heissen Wangen.

Irgendwann begab sie sich einige Räume weiter, sah ihren Ehemann haareraufend mit den Ärzten debattieren. Sein Gesichtsausdruck verhiess nichts Gutes. Momentan war er allerdings nicht in Stimmung für Zuspruch.

So ging sie wieder. Die ganze Nacht lief sie zwischen beiden Zimmern hin und her und versuchte ihre quälende Angst loszuwerden.
 


 

Wälder von Oshakiwa, eine der weniger wirtlichen Gegenden der Feuernation
 

Entgegen seiner üblichen Sorglosigkeit zuckte Masaru Shouta nervös zusammen, als unflätig gegen die leicht marode Tür seiner momentanen Bleibe gehämmert wurde. Endlich! Das hatte ja lange genug gedauert.

Als er öffnete, stutzte er.

„Was soll das?“, knurrte er ungehalten. „Was haben Deine Kumpane hier zu suchen? Du solltest alleine kommen. Das war der Deal!“

„Deal? Der Deal?“, spie Triefauge Joe, Anführer des illustren Haufens. „Den kannst Du Dir sonst wo hinschieben, Deinen Deal!“

„SCHT! Sei doch leise, verdammt!“

Mit einer knappen Geste bedeutete Masaru den drei Männern, einzutreten. Nach einem misstrauischen Blick in die finsteren Gänge der miefenden Absteige schloss er schnell die Tür.

„Also, was soll das?“, fauchte er Joe an. „Mir wurde gesagt, ihr seid Profis.“

„Und UNS wurde gesagt, das Mädel wär kein Problem. Nur der Typ is gefährlich wurde uns gesagt. Und mit Deinem tollen Wundermittel auch nich mehr, wurde uns gesagt.“

„Ja und?“

„Verdammte Scheisse war das Ganze! Ich musste dem Riesenklotz ne zweite Ladung von dem Zeugs verpassen, sonst hätte er uns allesamt kalt gemacht. Von wegen Kinderspiel! King und Tzu hat´s den Kopf gekostet. Und die hingen ziemlich dran. Und von wegen, das Weib ist kein Problem. Warum haste nich gesagt, dass das kleine Biest ne verdammte Feuerbändigerin ist?“

„Was?“, knurrte der Herzog. „Was läuft hier? Wollt ihr mich für dumm verkaufen? Sie ist keine Feuerbändigerin!“

„Stimmt! Feuerteufel trifft´s eher! Wir mussten abhauen, sonst hätte sie uns geröstet.“

„Was soll das heissen, ihr musstet abhauen? Habt ihr den Mann erledigt, oder nicht?“

„Ich denke schon.“

„Du denkst? DU DENKST??“

„Na, schliesslich ham wir ihn vergiftet.“

„Ihr solltet ihn aufschlitzen! Es sollte so aussehen, als hättet ihr ihn mal eben so abserviert! Habt ihr wenigstens die Spuren beseitigt, wie es vereinbart war?“

„Äh ...“

„HABT IHR?“

„Nu hab Dich mal nich so. Die Pfeile findet kein Mensch, so klein wie die sin ...“

„Halt Dein Maul!“, zischte Masaru. „Halt Dein verdammtes Maul! Ihr seid die größten Stümper, die mir je untergekommen sind! Und jetzt versucht ihr euch aus der Patsche zu ziehen, indem ihr mich belügt? Es ist allgemein bekannt, dass Aya das einzige von Zukos Kindern ist, das nicht bändigen kann.“

„Zuko?“, keuchte der Bandenführer entsetzt. „Welcher Zuko?“

„Na, welchen Zuko werde ich wohl meinen.“, höhnte der Herzog von Yun. „Zuko, den arroganten Bastard von Feuerlord, werde ich wohl meinen.“

„Die ... das Weib war Zukos Tochter?“, schrie Joe. Er war leichenblass geworden.

„Ja und?“

„DAS HAST DU NICH GESAGT! Du verblödeter Zuckerlutscher! Denkst Du, wir legen uns einfach so mit dem Feuerlord an?“

„Das ist dann wohl euer Pech, wenn ihr vor lauter Geldgier euer Hirn abschaltet.“

„Wir wolln das Doppelte!“

„Was?“

„Das Doppelte! Hörst Du schlecht?“

„Nimm sofort die Pfoten von mir!“ Masaru starrte auf bedauernswert schmutzige Finger, die seinen sorgsam gestärkten Kragen zerknitterten.

Seinem Befehl wurde Folge geleistet.

„Gut! Und jetzt zum Finanziellen. Ihr ...“ Der Herzog gestattete sich einen angewiderten Blick in die Runde. „könnt froh sein, wenn ich euch auch nur ein roten Heller gebe. Der Auftrag wurde nicht wie vereinbart ausgeführt!“

„Ja, wie hätten wir ihm denn den Rest geben sollen, wenn die Kleine ...“

„Das ist mir doch egal! Ihr solltet ihm ein Schwert in seine stinkenden Eingeweide rammen und das habt ihr nicht!“

„Ach? So läuft das? Aber weißte, was wir gut können? Singen. Vor allem, wenn wir beschissen worden sin.“

„Wirklich? Dann will ich mal eure Stimmchen aufwärmen!“

Dem böses Glühen in Masarus Augen folgte ein noch böseres an seinen Fingerspitzen.
 

Der Herzog von Yun war beileibe nicht der einzige, die sich diese Nacht um die Ohren schlug. Fast der gesamte Feuerpalast war auf den Beinen.

Unter anderem auch Prinz Lu Ten Aang Tatzu.

Vor Seiner Hoheit stand, unter Schlamm und Regennässe kaum zu erkennen, Han Osaru.

„Könnt Ihr mir schon Ergebnisse vorlegen?“

Hauptmann Osaru schüttelte bedauernd den Kopf.

„Nicht wirklich, Herr.“

„Verdammt!“, stieß Lu Ten aus. „Wenn wir nicht bald einen Anhaltspunkt bekommen ...“

„Einen Verdacht hätte ich zu bieten.“, sagte Han leise.

„Ihr meint Shouta.“

„Ja.“

„Mhm. Ich verwette den Thron, dass Ihr Recht habt. Aber wir können einen Herzog nicht einfach so beschuldigen.“

„Nun ...“

„Ja?“

„Ich habe sämtliche Grenzen und Eingänge zum Park und in den Palast überprüft. Am Tag des Überfalls waren alle Posten bestens besetzt. Alles erfahrene, vertrauenswürdige Männer. Niemand hätte unbemerkt hinein oder hinaus gekonnt.“

„Also müssen die Halunken schon vorher auf dem Gelände gewesen sein.“

„Ja. Und gestern wurden nur Passierscheine an Leute verteilt, die schon seit Jahr und Tag im Palast verkehren. Mit einer Ausnahme.“

„Die wäre?“

„Seine Gnaden, der Herzog, liess fünf seiner persönlichen Diener kommen. Angeblich, um der Unmengen an Gepäck Herr zu werden. Seltsam nur, dass das fünf mehr sind, als bei seiner Ankunft vonnöten waren.“

„Fünf Diener. Fünf Angreifer. Wir haben ihn!“, murmelte Lu Ten. „Ich wette, er wollte in der Nähe seines inszenierten, kleinen Spektakels bleiben. Versucht herauszufinden, wo er jetzt ist.“

„Das habe ich bereits, Hoheit. Ein Außenposten hat beobachtet, wie Shouta eine Meile von hier plötzlich nach Nordwesten abschwenkte.“

„Die Glutmarschen liegen im Süden. Nach Hause wollte er also nicht.“

„Nordwestlich liegt die alte Schmuggler-Route. Mit einigen sehr alten, sehr dubiosen Gasthäusern. Die perfekten Brutstätten und Unterschlupfe für zwielichtige Gestalten jedweder Art. Ich dachte, ich sehe mich dort mal um.“

„Hervorragend. Tut das. Viel Glück!“

„Danke!.“

Han verbeugte sich und eilte zur Tür. Dort zögerte er kurz.

„Hoheit, wie ...“

„Sein Zustand ist unverändert, Han.“, beantwortete Lu Ten die in der Luft hängende Frage leise. „Leider.“

Hauptmann Osaru nickte knapp und verliess den Raum.

Wenige Minuten später jagte er bereits Richtung Nordwesten. Ihn scherten weder das heftige Gewitter, noch die Zweige herabhängender Äste, die ihm ins Gesicht peitschten.
 

Yuna Nezu stand vor der großen Tür, die in eines der vielen Gästezimmer führte und atmete ein letztes Mal tief durch. Wenn ihr Sohn verwundet worden war, wurde er immer hier untergebracht. Seine Wohnung befand sich zwar ebenfalls im Palast, doch dieser Raum hier lag viel zentraler, so dass die Ärzte jederzeit abrufbereit waren. Außerdem hatte Yuna den Verdacht, dass Seine Lordschaft für den Fall der Fälle ebenfalls in der Nähe sein wollte.

Vor drei Stunden hatte ein Kurier Takerus Mutter die Nachricht überbracht. Die Nachricht, die sie Tag um Tag fürchtete, und die sie jedes mal so unverhofft traf.

Manchmal haderte sie mit ihrer Entscheidung, nach Numatzi gezogen zu sein. Doch hier im Palast hatte sie die Gefahr mit der ihr Sohn lebte zu oft und zu direkt vor Augen gehabt. So hatte sie vor sechs Jahren Lady Jins Angebot angenommen und die Aufsicht über die Seidenraupenzucht in Numatzi übernommen.

Aber letztendlich machte es keinen Unterschied, wo sie wohnte. Letztendlich trafen die schlimmen Nachrichten dann ein, wenn sie wollten.

Wie oft hatte sie das schon durchmachen müssen? Wie oft hatte sie sich gefragt, ob es das letzte Mal wäre. Wie oft noch, bis sie sich daran gewöhnen würde? Wenigstens die letzte Frage konnte sie beantwortet. Niemals. Sie würde sich niemals daran gewöhnen.

Sie atmete ein letztes Mal tief durch und drückte die Klinke.

Das Zimmer war durch das Feuer im Kamin nur schwach erleuchtet. Gegen das Fenster konnte Yuna eine große, beeindruckende Silhouette erkennen.

Das war keine Überraschung. Er war immer da, wenn ihr Sohn verwundet worden war. Lord Zuko wandte sich um.

„Yuna?“

„Mylord.“ Yuna verneigte sich. „Ich kam so schnell ich konnte.“

„Yuna, es tut mir so leid! Im Park hätte kein Mensch sein dürfen. Er wird streng bewacht. Wir sind noch dabei herauszufinden, wie es dazu kommen konnte.“

„Das weiss man doch nie.“, sagte Takerus Mutter leise. „Andernfalls würden die Kage nicht gebraucht.“

Sie ging zu dem Bett, in dem ihr Sohn lag. Er war so blass. Wirkte so anders. Aber auch das war nichts neues. Sie sank auf die Bettkante und fasste eine seiner schwieligen Hände.

Wie oft noch?

„Er hat gar kein Fieber.“, stellte sie fest.

„Nein. Die Ärzte wünschten, er hätte es.“

Sie nickte. „So schlimm?“, fragte sie tonlos.

„Ja.“ Zukos Stimme klang müde. „Diesmal sind es keine Wunden, die wir behandeln können. Es ... er wurde vergiftet.“

Yuna schloss die Augen. Der Tod kam also nicht abrupt, sondern schlich feige im Zimmer umher.

Sie hörte, wie Zuko tief Luft holte.

„Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass er diese Laufbahn einschlägt.“, stiess er hervor. „Ich hätte dafür sorgen müssen, dass er ...“

„Mylord.“, unterbrach Yuna ihren Fürsten. „Ihr wisst, dass er es wollte. Es war sein größter Wunsch. Immer. Als er Kage wurde ... nie habe ich ihn so stolz und glücklich gesehen, wie an diesem Tag. Es war alles, was er je zu erreichen gehofft hat. Wenn er wüsste, dass Ihr Euch Vorwürfe macht ...“

„Sollte ich nicht?“, fragte Zuko fast unwirsch. „Er wurde Kage, weil er dachte, mir etwas zu schulden. Er. Mir!“

„Wer weiss schon, was passiert wäre, wenn ihr ihn damals in Ba Sing Se nicht aufgegriffen hättet. Wahrscheinlich hätte man meinen kleinen Jungen früher oder später tot aus irgendeinem Rinnstein gezogen.“

In Yunas Augen schimmerten Tränen. Noch immer erinnerte sie sich nur mit Widerwillen an diese Zeit. An die Zeit, in der ihr Kind schutzlos dieser fürchterlichen, korrupten Stadt ausgeliefert gewesen war. Sie hatte den Kleinen bei Nana gelassen, in der Annahme, dass ihm dort nichts geschehen würde. Doch ihre Mutter war krank geworden. So krank, dass sie sich nicht hatte um Takeru kümmern können. Im Gegenteil.

Yuna hatte von all dem nichts gewusst. Dabei hätte sie es spüren doch müssen ...
 

„Meine Aya wäre jedenfalls nicht mehr am Leben.“, gab Zuko leise zu. „Und das macht es mir unmöglich, die damalige Entscheidung zu bereuen. Aber jedes mal, wenn ich ihn so sehe ... Welches Recht habe ich denn, sein Leben wieder und wieder zu gefährden?“

„Das tut Ihr nicht.“, stellte Yuna ruhig fest. „Er tut es selbst. Es ist seine Aufgabe. Vielleicht auch seine Bestimmung. Sein Vater ...“ Es tat weh an Takeo zu denken. Wie konnte es nach all diesen Jahren immer noch so weh tun? „Sein Vater sagte mir immer, die Erde sei das Element des Schutzes. Was wäre also passender für einen Erdbändiger, als ein Wächter zu sein.“

„Nichts. Für ihn wäre nichts passender. Doch das macht es nicht weniger schwer ihn so zu sehen.“
 

In den frühen Morgenstunden erreichte Hauptmann Osaru endlich den ersten Gasthof und zügelte sein erschöpftes Hirschzebra.

Die Absteige wirkte zwar reichlich heruntergekommen, aber wenn Han richtig vermutete, war Masaru Shouta hochmütig und auch dumm genug, sich derart in Sicherheit zu wähnen, um mit dem erstbesten Unterschlupf vorlieb zu nehmen, der ihm untergekommen war.

Nachdem er seinen Hengst abseits der Straße sicher angebunden hatte, schritt er zielstrebig auf die Vordertür des Gebäudes zu.

Im Inneren roch der Schuppen wie ein zur Schnapsbrennerei umfunktionierter Kartoffelkeller, was wohl auch ziemlich genau den Tatsachen entsprach.

Ein Mann mit mehr Flecken als Stoff an der Schürze sah misstrauisch auf.

„Aus dem Bett gefallen?“, fragte er den tropfnassen Reisenden mit den Dimensionen eines gutgebauten Kleiderschranks brüsk.

„Guten Morgen!“, antwortete Hauptmann Osaru ruhig, während er sich die klammen Lederhandschuhe von den Händen schälte. „Ich hätte gerne eine Auskunft.“

„Sehe ich aus wie eine Wahrsagerin?“

Hans Laune wurde mit einem Schlag noch schlechter. Der arme Wirt versuchte nicht einmal nachvollziehen, wie die Visage dieses Kerls so schnell vor seiner eigenen auftauchen konnte.

„Sehe ICH aus, wie jemand, der nicht meint, was er sagt?“, knurrte Han.

„Ich ... äh! Was willst Du wissen?“

„Hast Du neue Gäste? Sagen wir ... seit gestern?“

„Wer will das wissen?“ Der Hausherr fand er hätte durchaus das Recht, es noch einmal mit Aufmüpfigkeit zu versuchen.

„Ich!“, zischte sein schlammbesudelter Albtraum kalt.

„A ... also gut. So ne schnieke Type ist gestern hier angekommen. Hat alle Zimmer gemietet, um ungestört zu sein.“

„Na, dann wollen wir ihn doch gleich mal enttäuschen.“
 

Die sorgsam manikürten Fingernägel des Herzogs hatten ihre besten Zeiten offenbar hinter sich. Diese Nacht hatte ihnen übel mitgespielt.

Seit Masaru erfahren hatte, wie diese Stümper seinen Plan in den Sand gesetzt hatten, war er ein nervliches Wrack. Die ganzen Spuren, die sie hinterlassen hatten ... Na ja, wenigstens war ihr Ableben eine saubere Sache gewesen. Nur noch ein akkurat zusammengekehrter Asche-Haufen im Kamin erinnerte an Triefauge Joe und seine Jungs.

Sobald die Sonne aufging, wäre er hier verschwunden. Wolkenbruch hin oder her. Wenn er Burg Yun erst einmal erreicht hatte, konnte ihm keiner was. Auch nicht Zuko der verdammte Erneuerer.

Erneuerer. Pah!

Der Mann war ein Verräter. Er hatte die Feuernation, ihre glorreiche Geschichte und ihre glorreichen Traditionen verraten. Egal, wie viele alte Tänze und Riten er wieder zum Leben erweckte.

Die eigentliche Macht des Feuers hatte der Gebieter der Flammen stets verkannt. Das zeigte sich schon an dem Schmusekurs, den er gegenüber den anderen Nationen einschlug.

Und seine Brut? Die war ebenso verweichlicht und degeneriert.

Ihn zurückzuweisen. IHN!

Dem zickigen Eisprinzesschen selbst konnte man es noch nicht mal vorwerfen. Ihre Mutter war schliesslich nur eine gewöhnliche Schlammwühlerin. Nun, wenigstens hatte er der kleinen Schlampe eine Lektion erteilt.

Wenn er nur schon zu Hause wäre. Unwillkürlich fuhr Masaru mit der Hand zum Mund und begann wieder mit dem Nägelkauen.

Es blitzte. Verdammtes Gewitter! Ohne dieses Unwetter wäre er schon längst weg!

Es donnerte. In absoluter Synchronität zu diesem Ereignis krachte auch die Tür seines Zimmers gegen die Wand.
 


 

Feuerpalast, etwa zur gleichen Zeit
 

Aya schreckte aus einem fürchterlichen Traum hoch.

„NEIN!“

Sofort wurden trostspendende Arme um sie geschlungen.

„Scht. Alles gut, Mäuschen.“, wisperte Jin. „Alles gut!“

Verwirrt, blickte Aya sich um. Was sollte das alles?

Ihre Geschwister umlagerten ihr Bett, Tante Ria und Tante Sela saßen auf dem Sofa, Großfürstin Ursa in einem Sessel. General Iroh stand am Kamin. Und allesamt blickten ziemlich besorgt drein.

„Dir ist nichts passiert.“, murmelte Jin und streichelte über das Haar ihrer Tochter. „Alles gut.“

„Warum sind alle hier?“, wollte Aya wissen.

Ihr Mund war staubtrocken. Wie lange hatte sie denn ..?

Mit der Erinnerung fuhr ihr erneut ein eiskalter, lähmender Schreck in die Glieder.

„Wie ... wie geht es ihm?“, flüsterte sie.

„Willst Du nicht erst einmal ...“

„Wie geht es ihm?“, insistierte die Prinzessin und umklammerte den Ärmel ihrer Mutter.

„Nicht gut.“, gab Lady Jin leise zu. „Aber er lebt.“

„Nicht gut? Was heisst nicht gut?“

„Die Ärzte wissen noch nicht, womit er vergiftet wurde.“

Aya wandte den Kopf ab und nickte.

Sie wirkte derart verloren, dass ihre jüngere Schwester im gut gemeinten Versuch sie aufzuheitern, das erste sagte, was ihr einfiel.

„Du hast gebändigt!“, stiess Zirah aus und fasste nach Ayas Hand.

„Zirah, ich glaube nicht, dass Aya das im Moment wichtig ist.“, mahnte Lu Ten leise.

„Aber ihre Feuersäule war unglaublich mächtig!“

„Ja. Und jetzt ist sie unglaublich erschöpft. Vielleicht sollten wir sie lieber mit Mutter alleine lassen.“

Lee, der sonst nichts lieber tat, als seinem großen, unfehlbaren Bruder zu widersprechen, nickte zustimmend. Er liess es jedoch nicht nehmen, sich zu Aya zu beugen und ihr einen Kuss auf den Scheitel zu drücken.

„Kopf hoch, Dreikäsehoch.“, flüsterte er.

Danach schaffte er es in seiner unnachahmlichen Art, das Zimmer zu räumen, ohne auch nur einem der Anwesenden das Gefühl zu geben, fehl am Platze zu sein.

Lu Ten war der Letzte, der ging. Bevor er das Zimmer verliess, tauschte er einen mitfühlenden Blick mit seiner Schwester.

„Pippa und die Ärzte suchen fieberhaft nach einem Gegengift. Sie werden es finden!“ Damit schloss er die Tür.

Allein mit ihrer Tochter, konnte Jin deren Unruhe nicht länger mit ansehen.

„Yuna ist gerade bei ihrem Sohn. Warum gehst Du nicht zu ihr, und versuchst ihr ein bisschen beizustehen?“, schlug sie vor.

„Ich ... weiss nicht, ob sie mich jetzt gerade sehen möchte. Jedes mal wenn ihm etwas zustösst, ist es meine Schuld.“ Ayas Stimme wankte bedenklich.

„Ach, Spätzchen. Denkst Du wirklich, jemand gibt Dir die Schuld?“

Aya zuckte mit den Schultern.

Sie TRUG die Schuld dafür. Zumindest in diesem Fall. Und vielleicht war es an der Zeit, dies jemandem zu sagen.
 

Kaum eine halbe Stunde später fand sie sich neben Hauptmann Nezus Mutter inmitten eines kläglichen Geständnisses wieder.

„Dabei ... dabei wollte er den Ausritt verschieben. Er hat gespürt, dass etwas nicht stimmt. Aber ich ...“ Ein kurzes, unfreiwilliges Schluchzen entfuhr Aya. „Ich hab nicht auf ihn gehört!“

Schon wieder. Hatte sie nicht erst ein paar Tage zuvor eine Lektion erhalten, was geschehen konnte, wenn sie den Warnungen des Hauptmanns kein Gehör schenkte? Und doch ... Und doch hatte sie seinen Rat erneut in den Wind geschlagen. Und doch war nicht sie diejenige, die den Preis dafür zu zahlen hatte. Er war es. Wieder einmal.

Wenn er starb wäre es ihre Schuld. Ihre Schuld und ihr Schmerz.

Eine tröstende Hand legte sich auf Ayas Wange.

„Nicht.“, sagte Yuna. „Tut das nicht. Macht Euch keine Vorwürfe. Das wäre das letzte, was er will.“

Das verhaltene Weinen der Prinzessin war zuviel für Takerus Mutter. Sie zog Aya an sich. So saßen die beiden Frauen, denen Hauptmann Nezu das Liebste auf der Welt war, an seinem Krankenlager und spendeten sich Trost.
 

So sehr sie sich für den Rest des Tages auch bemühte nach außen hin Ruhe zu bewahren, immer wieder zog es Aya zu der Unterkunft ihres Kage.

Am Abend fand sie dort Hauptmann Osaru vor.

„Hoheit!“ Han erhob sich von seinem Stuhl und verneigte sich.

„Hauptmann Osaru. Ich wollte nicht stören.“

„Das tut Ihr nicht! Obwohl ... jetzt, da er nicht bei Bewusst sein ist, führen unsere Gespräche wenigstens zu einem Ergebnis.“ Er versuchte zu scherzen, doch die Besorgnis wich nicht von seinem Gesicht.

„Also immer noch nicht besser?“

„Nein.“

Aya wandte den Blick ab. „Das ist schlecht.“, flüsterte sie.

Ihr Tonfall liess Han überrascht aufblicken. Forschend sah er sie an.

Ihre Augen ruhten auf den blassen, ungerührten Zügen seines Freundes. Und der Ausdruck darin ...

„Ich möchte mich bedanken, Hoheit.“, sagte er leise.

„Wofür?“

„Für die wundersame Errettung dieses Steinschädels. Am besten auch gleich in seinem Namen, da er es wohl nicht tun wird. Ich nehme eher an, er wird Euch abkanzeln. Natürlich mit allem gebührenden Respekt und der ihm eigenen Kaltblütigkeit.

Aya lächelte traurig. „Im Augenblick hätte ich nichts, gegen eine Gardinenpredigt“, gab sie zu.

„Nein. Ich auch nicht. Aber mit etwas Glück wird er bald wieder zur Hochform auflaufen.“ Er wurde ernst „Seid Euch gewiss, weder die Kanijo, noch die Kage werden vergessen was Ihr getan habt. Es ... wäre nicht das selbe, ohne ihn.

„Nein. Das wäre es nicht.“

„Er wird es schaffen.“, versicherte Han. „Alles andere wäre schliesslich die ultimative Befehlsverweigerung.“
 


 

Etliche Stunden des Bangens und Hoffens später
 

Pippa war totmüde. In den letzten beiden Tagen hatte sie nicht mehr als vier bis fünf Stunden Schlaf bekommen. Vielleicht wäre es besser, wenn sie sich ein bisschen hinlegte, sonst verhunzte sie noch die wenigen, verbleibenden Proben des Gifts. Dr. Giu untersuchte auf fettlösliche Substanzen, sie selbst auf wasserlösliche. Bislang hatte keiner ihrer Tests ein Ergebnis gezeigt.

Frustriert griff sie nach einigen Fläschchen, um sie beiseite zu stellen. Zu spät bemerkte sie, dass an einem davon noch einige Tropfen der darin befindlichen Flüssigkeit hingen. Sie fielen in ihre säuberlich präparierte Probe. Mist!

„Ich brauche dringend Schlaf.“, murmelte sie halblaut vor sich hin.

„`Türlich.“, brummte Dr. Giu geistesabwesend und schüttelte sein Reagenzglas.

„Ich räume das hier morgen ... Gute Güte!“

„Was?“

„Es hat sich verfärbt!“

„Was denn?“

„Meine letzte Probe. Vorher gab es keine Reaktion, bis ... mir ein paar Tropfen hiervon hineinfielen.“

Sie hob die kleine Flasche hoch, um die Aufschrift zu lesen.

„Ethanol.“

„Was war in der Probe?“, wollte der Arzt sofort wissen.

„Na ja ... Destilliertes Wasser, eine winzige Menge des Gifts und ... äh ...“ Sie schielte auf das Schildchen an der Petrischale. „Jod.“

„Jod? Wolltet Ihr die Probe auf Stärke untersuchen?“

„Ja. Aber scheinbar hat sie sich erst durch den Alkohol gelöst.“

Die beiden starrten sich an.

„Chlorophyll!“, riefen sie gleichzeitig.

„Dann ist das Gift pflanzlich und zumindest teilweise aus Blättern.“

Mit einem Mal waren Pinerias Lebensgeister wieder erwacht.

„Ich untersuche auf die Gängigsten Pflanzengifte!“, stiess Dr. Giu hervor.

„Gut! Ich knöpfe mir die Enzyklopädia Botanika vor.“

„Müsste da drüben stehen.“
 

Pippa hinkte hastig zum überfüllten Bücherregal. Lu Ten hatte ihr damals auf Tutuk nicht zuviel versprochen. Verglichen mit der Anzahl der hiesigen Bücher und Schriften wirkten die Bibliotheken ihrer Eltern wie ein Schuhkarton voll Kleingedrucktem. Dank der hier herrschenden Ordnung war die Enzyklopädie schnell gefunden. Doch ein anderes, sehr viel schmaleres Buch erregte Pippas Aufmerksamkeit. Das Leder des Einbandes war alt, brüchig und verschlissen.

„Tödliches Grün.“, las sie. „Hm.“ Sie schlug die erste Seite auf.

„Eine Auflistung aller uns bekannter Gifte und Gegengifte und wie sie zu erkennen sind. Verfasst von Dr. Puah, Oberhofarzt 231 ZT.“

Eine Liste mit Giften liesse sich auf jeden Fall schneller durcharbeiten, als ein komplettes Pflanzenlexikon. Außerdem war das Buch sehr alt. Und wie sagte ihr Vater nicht immer? Altes Wissen ist fundiertes Wissen.
 

Für die nächste Stunde vergrub Pippa ihre Nase also in einem nach Staub und altem Pergament riechenden Büchlein.

„War die Atmung gelähmt?“, fragte sie schliesslich in das konzentrierte Schweigen.

„Nein. Nur ... unterdrückt, irgendwie.“

„Unterdrückt. Hm. Und der Herzschlag?“

„Auch. Alle Vitalzeichen sind sehr viel schwächer als üblich. Es grenzt an ein Wunder, dass er noch lebt.“

„Haben wir Bleiglanz hier?“

„Aber ja. Warum?“

„Ich habe hier vielleicht etwas. Drachenkraut. Früher war es anscheinend sehr bekannt. Es wurde hauptsächlich gegen Bändiger eingesetzt, da es den energetischen Fluss drosselt. Der heisse Aufguss frischer Blätter wurde als Heilmittel verwendet, da er negative Einflüsse aller Elemente neutralisiert. Senkt zum Beispiel Fieber oder hilft bei Untertemperatur. Getrocknet und pulverisiert unterdrückt es schon in winzigen Mengen sämtliche Bändigerkräfte. Allerdings ist es hochgefährlich. Bei Überdosierung blockiert es Lebensenergie, Kampfgeist und Willen des Opfers.“

„Klingt vielversprechend. Der Nachweis erfolgt durch Bleiglanz?“

„Ja!“
 

Zehn Minuten später kreischten zwei übermüdete Wissenschaftler entzückt auf. Eigentlich war dieses Verhalten für die zukünftige Feuerlady recht unziemlich, aber im Augenblick war das Pippa vollkommen egal.

„Wir haben es!“ Sie strahlte.

„IHR habt es! Das war unglaublich! Steht da auch was über das Gegengift?“

„Moment ... da steht ... Oh nein!“

„Was?“

„Es gibt keins.“, hauchte sie.

„Verdammt!“ Dr. Giu liess sich in seinen Stuhl fallen. „Oh verdammt!“
 


 

Feuerpalast, in den privaten Gemächern des Fürstenpaares
 

„Kein Gegengift?“ Seine Lordschaft schüttelte vehement den Kopf. „Nein! Das kann ich nicht akzeptieren.“

„Drache, ich glaube im Augenblick geht es nicht darum, was Du akzeptieren kannst und was nicht.“, warf Jin vorsichtig ein.

„Sollen wir ihm etwa gleich der ewigen Flamme übergeben?“

„Nein. Das sage ich ja nicht, aber ...“

„Es tut mir so leid!“, sagte Pineria Tatzu leise. „Wir wissen nur, dass das Gift alle Energien absorbiert. Auch die heilenden. Man kann nur versuchen, den Patienten so lange am Leben zu erhalten, bis er aus eigener Kraft einen Weg findet. Doch das ... kommt äußerst selten vor, denn das Drachenkraut lähmt vor allem den Kampfgeist und den Lebenswillen des Opfers.“

„Es lähmt seinen Lebenswillen?“, rief Zuko „Warum stirbt er dann langsam vor sich hin? Ich kenne niemanden, der einen größeren Willen hätte als dieser Junge.“

Pippa zuckte hilflos und resigniert mit den Schultern. Als Jin diese Geste sah, warf sie ihrem Gatten einen tadelnden Blick zu.

„Ist schon gut, Pippa.“, sagte sie, umarmte ihre Schwiegertochter und drückte einen Kuss auf ihre Wange. „Du kannst ja nichts dafür, wenn es kein Gegenmittel gibt. Dir haben wir es zu verdanken, dass wir überhaupt wissen womit wir es zu tun haben. Geh schlafen, Schatz, sonst fällst Du uns noch um.“ Sanft schob Jin das übermüdete Mädchen aus dem Zimmer.

„Also wirklich Zuko. Du hättest Dich zumindest bedanken können!“

„Ja. Tut mir leid! Aber ich weiss einfach nicht, was wir noch tun sollen!“ Zuko fasste sich müde an die Nasenwurzel. „Wenn es hier um seinen Kampfgeist geht ... ich hab schon alles mögliche versucht. Ich hab ihn angeschrien, abgekanzelt und Befehle erteilt, aber nichts dringt zu ihm durch.“

„Wenn er etwas zu schützen hätte, vielleicht schon.“, warf General Iroh ein.

Zuko wendete sich ihm zu.

„Daran habe ich schon appelliert. Ich habe sogar behauptet, der Palast stünde in Flammen.“

„Hm. Das mag vielleicht daran liegen, dass er nicht auf Dich geeicht ist.“

Einen Moment lang starrte Zuko seinen Onkel an.

„Onkel! Das ist ...“

„Ich weiss.“, meinte General Iroh und lächelte bescheiden. „Und nicht nur, dass er auf das Mädel gedrillt wurde, nein, rein zufällig liebt er sie auch noch. Ich denke, das erhöht die Chancen, dass sie zu ihm durchdringt ungemein.“

Mit hochgezogenen Brauen blickte er seinen Neffen und dessen Frau an.

„Was? Was seht ihr mich so an? Habt ihr beiden wirklich geglaubt, ich wäre schon zu verkalkt, um dahinter zu kommen? Ihr seid nicht die einzigen mit Augen im Kopf.“

„Onkel ...“

„Entschuldigen darfst Du Dich später, mein Junge. Jetzt haben wir wichtigeres zu tun.“
 

„Ich soll was tun?“ Verständnislos sah Aya ihre Eltern an.

Da es mitten in der Nacht war, saß sie in einen Morgenmantel gewickelt auf deren Sofa. Ihre sonst so klaren Augen waren vom Schlafmangel gerötet. Zumindest war das die Ausrede, die sie vorgeschoben hatte.

„Zu ihm gehen.“, sagte Jin. „Mit ihm reden.“

„Aber ... das haben wir doch alles schon versucht.“

„Du allein noch nicht.“, meinte Zuko ruhig. „Onkel Iroh hatte die Idee, der Hauptmann würde auf Dich wahrscheinlich am besten reagieren. Er ist Dein Kage. Somit sind seine Antennen auf Dich abgestimmt. Wenn Du ungestört auf ihn einwirken könntest ...“

„Schrei um Hilfe. Oder, oder ...“

„Ich glaube, sie hat es verstanden, mein Herz.“

„Denkt ihr wirklich ...?“

Aya stockte und blickte auf ihre Hände hinab. Der Hoffnungsschimmer war so quälend. So verlockend!

„Ich werde es tun.“, sagte sie fest. „Wenn ihr denkt, es könnte funktionieren, würde ich sogar mit Messern jonglieren.“
 


 

Feuerpalast, der etwas ungemütlichere Teil davon.
 

Die Kerker des Feuerpalastes waren seit den Tagen Ozais zum größten Teil verwaist. Nun herrschte in einer der kleineren Zellen jedoch reger Verkehr.

Masaru Shouta saß auf einem Stuhl. Um ihn zog Hauptmann Osaru seine Kreise. Kreise, die immer enger wurden.

„Ihr solltet nicht weiter versuchen, uns für dumm zu verkaufen, Shouta. Wir wissen bereits, dass Ihr Drachenkraut verwendet habt. Und wir wissen, dass Euer Herzogtum eines der wenigen Gebiete ist, wo es wächst. Wir wissen, wie groß Euer Hass auf Hauptmann Nezu ist. Und wir wissen, dass Ihr Euch entgegen des Befehls des Feuerlords nicht auf Euren Besitzt zurückgezogen habt. Ihr seht, wir wissen vieles, Herzog!“ Das letzte Wort klang überaus verächtlich. „Um genau zu sein, wissen wir alles. Doch leider gibt es zwei Gründe, aus denen Euer Kopf nicht rollen wird. Zum einen hat Seine Lordschaft die Todesstrafe abgeschafft. Und glaubt mir, niemand bereut das momentan mehr, als er selbst. Und zum andern habt Ihr die einzigen Zeugen verschwinden lassen. Dankt den Göttern auf Knien, dass wir keine festen Beweise gegen Euch in der Hand haben. Und wenn Ihr schon dabei seid, bittet Ihr sie am besten gleich um die Genesung des Hauptmanns, denn sein Verlust würde Seine Lordschaft überaus ... unberechenbar machen.“

„Ihr könnt mich nicht hierbehalten!“ Die Arroganz in der Stimme des Herzogs wirkte weit weniger überzeugend als sonst.

„Natürlich können wir. Dies ist eine laufende Ermittlung.“, sagte Han ruhig.

„Ich bin ein Herzog! Der Stammbaum meiner Familie ...“

„Nutzt Euch in diesem Fall herzlich wenig. Ich rate Euch eines: sollte es doch ein Gegengift für Eure Mixtur geben, dann spuckt es aus. Ansonsten sind Eure Zukunftsaussichten eher beschränkt.“

"Gegengift?" Das Lachen, dass nun aus Masaru brach, wirkte hysterisch, fast irr. "Es gibt kein Gegengift, Du Trottel! Zukos verdammter Wachhund wird die Nacht nicht überstehen."

Weissglühender, blinder Zorn übermannte Han. Er packte den Gefangenen am Schopf und riss dessen Kopf nach hinten.

"In diesem Fall.", flüsterte er in das Ohr des jungen Herzogs. "Mach schon mal Dein Testament."
 

Derweil saß Aya am Bett Hauptmann Nezus.

Mittlerweile bereute sie es, die Hoffnung überhaupt zugelassen zu haben. Sie war verzweifelt.

Sie hatte alles versucht. Sie hatte gefleht, geweint und gebetet.

Doch er lag nur stumm da und starb mit jeder Stunde ein bisschen mehr.

Sie wollte sich der Wahrheit nicht stellen. Sie wollte nicht!

Aber ... wenn sie sich verabschieden wollte, müsste sie es jetzt tun.

Eine Träne fiel auf sein Gesicht, als sie sich über ihn beugte.
 

Irgendwo, so irgendwie.
 

Takerus Seele war auf Wanderschaft.

Irgendwohin. Irgendwo musste es doch besser sein.

Da war dieses Licht! Trotz der hellen, blendenden Reinheit war es warm, ruhig und freundlich. Es war das Licht, aus dem jedes Wesen kam und das jedes Wesen in sich trug. Die Quelle und das Ziel.

Vielleicht bedeutete der Tod ja endlich Frieden?

Vielleicht hatte er sich zu guter Letzt von der Hölle losgekauft?

Es war erstaunlich leicht, auf das überirdische Leuchten zu zu driften.

Warum hatte er nur so lange gekämpft? Wo er doch sein ganzes Leben nichts anderes getan hatte, als Dinge zu begehren, die er nicht haben konnte? Niemals haben konnte.

Er musste nur loslassen. Es wäre das Ende seiner Wünsche und Sehnsüchte. Das Ende seiner schmerzhaften Begierde.

Das verzweifelte Wispern seines verleugneten, verkrusteten Herzens … er würde es nicht mehr hören müssen.

Im Licht durfte er sie vergessen. Im Licht war Frieden. Nichts sonst.

Takeru, der Krieger, streckte die Waffen, gab den Kampf auf, um den letzten Gang in Würde zu tun. Schon jetzt überkam ihn eine ungeahnte Ruhe.

So nah. Das Strahlen war so nah.

„Ich liebe Euch, Takeru Nezu.“

Das zitternde Flüstern war kaum zu hören.

„Ich liebe Euch. Und das werde ich bis ans Ende meiner Tage tun.“

Ja, es war kaum zu hören. Aber sein Herz verstand. Nur allzu gut. Und es begann aufs Neue zu klopfen. Zu begehren.

Er spürte Lippen. Kühl, sanft. Auf seiner Stirn, seinen Lidern. Drei Fingerspitzen strichen unendlich sacht über die Narben auf seiner Wange.

War es das?

War der Tod nötig, um all seine närrischen Wünsche erfüllt zu sehen?

War der Abschied wirklich so bitter? So süss?

Hätte er dies nur früher gewusst! Er wäre schon früher gegangen, hätte sich unendlich viele Kämpfe erspart. Kämpfe …

Er hatte etwas zu schützen gehabt. Er hatte eine Bestimmung gehabt. Etwas wichtiges … Nein. Er hatte es vergessen. Erneut lockte ihn die vollkommene Ruhe.

„Ich liebe Dich …“ Diesmal klang es tränenerstickt.

Dann entriss man ihm den Frieden.

Ein weicher, liebevoller Mund drückte sich auf seinen.

Also gut … DAS würde er noch nehmen, bevor er ging.

Blind griff Takeru ins Dunkel und hielt diese letzte Gabe fest.

Nur ein Bisschen. Er wollte ja nur ein Bisschen! Dann würde er gehen.

Doch es war zu spät. Der Duft ihres Haars hatte seine lebensmüden Sinne überflutet und die Welt zurückgebracht.
 

Aya keuchte erschrocken auf, als plötzlich eine Hand ihren Nacken umklammerte und ihren Kopf nach unten drückte.

Ertappt!? Er hatte sie ertappt.

Für ein schlechtes Gewissen blieb ihr keine Zeit. Fieberheisse Lippen pressten sich besitzergreifend auf ihre.

Agni! Ihre Glieder begannen derart zu zittern, dass sie hilflos gegen ihn sank.

Der Gedanke an seinen Tod trat in den Hintergrund; schmolz unter der Hitze des fordernden Mundes zu Nichts.

Alles, was sie tun konnte - was sie tun wollte - war diesen Kuss zu erwidern. Tief in ihr schlummerte das Wissen, hier und jetzt die vielleicht einzige Gelegenheit dazu zu haben.
 

Takerus Verstand weigerte sich, die Tatsache anzuerkennen, nur einer Illusion aufzusitzen.

Es war egal. Man starb schliesslich nur einmal.

Die Leidenschaft, die er in all den Jahren so eisern geleugnet und im Zaum gehalten hatte, forderte ihr Recht.

Für diesen Augenblick war Aya sein. Eingebildet, oder nicht.

Endlich füllte sich dieses bodenlose Loch in seinem Inneren; diese aussichtslose Begierde, die ihn niemals losgelassen hatte. An ihre Stelle traten Wärme und Leben.

Er hörte ihre zarten Seufzer, hingebungsvolle, kleine Laute, die ihn seiner Vernunft beraubten. Bei Gott, bisher waren seine Träume niemals so echt gewesen. So real. Greifbar.

Also tat er genau das. Griff sie, presste sie an sich, in der Hoffnung, dies könnte genügen.

Doch das tat es nicht.

Er vertiefte den Kuss. Und da es im Angesicht des ewigen Lichts um Alles oder Nichts ging, packte er seine Illusion und beugte sich über sie.
 

Als sie sich so plötzlich auf dem Rücken liegend wieder fand, riss Aya die Augen auf. Dann jedoch schlossen sich ihre Lider langsam und flatternd wieder.

Das also war Leidenschaft. Diese kribbelnde, konfuse Explosion an Empfindungen, überall in ihrem Körper. Dieses nicht zu unterdrückende Verlangen. Diese Gier nach mehr. Nach ihm.

Dieses Wissen, ihm niemals nahe genug sein zu können; und der Drang, es dennoch zu versuchen.

Das war Leidenschaft. Unverhofft. Unvertraut.

Und doch war da noch so viel mehr. Eine wohlbekannte Sehnsucht, die sich damit begnügt hätte, ihn einfach nur zu halten. Ihn auf ewig zu halten. Es war der Teil von ihr, der alles dafür gegeben hätte, dass er am Leben bliebe. Egal wie. Egal wo. Egal mit wem.

Es war der andere Teil. Weder unverhofft, noch unvertraut.

Das war die Liebe.

Eine wohlerzogene Prinzessin mochte ja in der Lage zu sein, einem dieser Gefühle die Stirn zu bieten, aber beide gemeinsam ...

Gemeinsam rissen sie die Mauern ein.

Sie konnte nur noch annehmen, was ihr geschenkt wurde, packen, was sie zu fassen bekam. Also zog sie ihn noch enger an sich, umklammerte seinen Kopf, ergab sich dieser wonnetrunkenen, irrsinnigen Begierde. Sie überliess ihm ihre willigen, betörten, überwältigten Lippen während er sie küsste. Küsste. Und küsste.
 

Irgendwann, aus purem Luftmangel, riss Aya sich los. Sie sah keuchend zu ihm auf. Ihre Finger hatten sein goldbraunes Haar zerzaust. Eisgraue, unnatürlich glänzende Augen starrten direkt in ihre. Starrten sie an und sahen sie doch nicht.

In ihren eigenen sammelten sich Tränen.

Wem hatte dieser Kuss gegolten? Wem galt die unvermutete Leidenschaft dieses sonst so beherrschten Mannes?

Der Gräfin?

Dass sie selbst in dieser Situation ihre Eifersucht nicht beherrschen konnte ...

Sie schloss die Augen.

„Takeru.“, flüsterte sie verzweifelt. „Mein Takeru.“

Dann, plötzlich, lag eine raue Hand besänftigend an ihrer Wange.

„Aya!“

Ein einziges, leises Wort, bevor die Kräfte ihn verliessen und er wieder auf das Bett fiel.
 

Fassungslos schlug Aya die Hände vor den Mund.

Er hatte sie erkannt. Sie hatte es an seinem Blick gesehen. Für einen Moment waren seine Sinne klar gewesen.

Trotz ihrer zitternden Knie raffte sie sich auf, ordnete mit fliegenden Händen ihre Erscheinung und rannte zur Tür.

„Holt Dr. Yuri!“

Der wachhabende Gardist blinzelte verwirrt, als die Tür, hinter der Hauptmann Nezu die letzten Stunden seines Lebens verbrachte, aufgerissen wurde.

„Königliche Hoheit?“

„HOL DEN DOKTOR! Sofort!“

„Ist ... ist er tot?“, fragte der Wächter betroffen.

„Nein! Er lebt. Und wenn Du jetzt nicht sofort ...“

Der Kanjio flitze los.
 

Der erste, der eintraf, war nicht Dr. Yuri, sondern Seine Lordschaft. Nur mit einer leichten Hose bekleidet stürmte er in den Raum.

„Hat sich sein Zustand verschlechtert?“, stiess er aus.

„Nein. Ich ... ich weiss nicht. Eben hat er mich erkannt.“

„Er war bei Bewusstsein?“

„Irgendwie ...“

Zuko eilte zum Bett.

„Hauptmann Nezu?“ Er schüttelte den reglosen Körper. „Takeru?“ Eine harte Ohrfeige traf die hagere, vernarbte Wange. „Wach auf, Junge!“

Etwas das Protest hätte sein können huschte über das Gesicht des Offiziers.

Zuko holte erneut aus. Doch dann holten Vater und Tochter kollektiv Luft.

„Hat er gerade `verdammter Trottel´ gesagt?“

„Ja.“, flüsterte Aya.

„Agni sei Dank!“, raunte Zuko. „Agni sei Dank! DOKTOR YURI?“
 


 

Wenig später
 

Licht.

Zu grell.

Zu direkt.

" ´ie vi ´e Fing´ ha´te i´  ´och?

War das eine Fangfrage?

"Vier." Warum hörte er sich nicht?

"Wie ´iel?"

Oh, Himmel! Konnte der Kerl nicht selbst zählen?

"Vier!", krächzte Takeru. "Einer weniger als fünf."

Seine eigene Stimme wies ebenfalls einen Wackelkontakt aus. Interessant.

Dann lag es wahrscheinlich an seinen Ohren. Würde das Rauschen erklären.

Jedenfalls wollte er schlafen. Keine Mathematik-Stunden geben.

Es wurde wieder dunkel. Dunkel und still.
 

Als Takeru erneut erwachte, drangen Frauenstimmen an sein Ohr. Da sie nur flüsterten, konnte er sie nicht einordnen.

Er dachte kurz nach. Zwei Frauenstimmen. Das konnte nur bedeuten, dass er ausgeschaltet gewesen war.

Die zentrale Frage also: Wo war er?

Um das zu klären musste er wohl oder übel das Risiko eingehen, die Augen zu öffnen. Sollte diese Umgebung feindlich sein, musste er sich dem früher oder später ohnehin stellen.

Das Bild war verschwommen. Die Farben wirkten vertraut.

Dunkles Rot. Tiefes Schwarz. Sattes Braun. Warmes Gold.

Der Hauptmann versuchte, seinen Blick zu fokussieren.

Phönixe und filigrane Farne? Späte Lao-Dynastie!

Er kannte dieses Muster. Er sah es nur, wenn er ernsthaft verletzt worden war.

Kurz horchte er in sich hinein. Schmerzen schien er nicht zu haben. Das war so ziemlich das schlechteste aller möglichen Zeichen.

Er versuchte trotzdem, sich aufzusetzen.

Jetzt stellte sich heraus, dass seine schöne Theorie über die fehlenden Schmerzen kühn, voreilig und überaus optimistisch gewesen war.

Sie überfluteten seinen gesamten Körper!

Takeru fühlte sich, als ziehe man ihm mit einem Ruck die komplette Haut ab. Feuer ergoss sich in sein Inneres.

Leise ächzend liess er seinen Kopf wieder auf das Kissen fallen.
 

"Takeru?"

"Mutter?"

Wenn sie hier war, handelte es sich jedenfalls nicht nur um die Folgen einer durchzechten Nacht. Ohnehin sehr unwahrscheinlich, da er niemals trank.

"Takeru!"

Sie wirkte älter. Oder war es nur Müdigkeit und Sorge, die ihr Gesicht zeichneten?

Als sie ihre Wange gegen seine schmiegte, seinen Kopf umfasste und zu weinen begann, überfluteten den Hauptmann eine Welle von Kindheitserinnerungen.

Geborgenheit. Ihre Anwesenheit hatte stets Geborgenheit bedeutet. Dieses warme, seltene Gefühl, dass er so unendlich herbeigesehnt hatte, wenn sie wieder einmal hatte fortgehen müssen.

"Mutter?" Seine Stimme hörte sich noch matter an, als er sich fühlte.
 

Nach einiger Zeit schaffte Yuna es, sich am Riemen zu reissen. Sie drückte drei Küsse auf seine vernarbte Wange und setzte sich wieder auf.

"Was ist passiert?", raunte ihr Sohn.

"Möchtet Ihr vielleicht zuerst einen Schluck Wasser, Hauptmann?"

Ach, richtig! Es waren ja zwei Stimmen gewesen.

"Lady Jin?"

Mylady strahlte ihn erleichtert an, reichte seiner Mutter ein Wasserglas und meinte "Dann gehe ich mal unser aller Gebieter wecken. Er würde mir nie verzeihen, wenn ich ihm diese Nachricht nicht sofort überbringe.“

Sprach´s, bückte sich und drückte dem überrumpelten Hauptmann einen dicken Schmatzer auf.

„Yuna, sag Deinem Sohn bitte, er soll sich nicht so anstellen. Das war schliesslich nicht der erste Kuss, den ich ihm verpasse. Auch wenn er sich nur ungern an die Zeit erinnert, in der er unter meinem Arbeitstisch herumgekrochen ist. Sogar die Nase hab ich ihm geputzt.“

Yuna lächelte. „Ich werd´s versuchen. Aber er hört schon lange nicht mehr auf mich.“, sagte sie, konnte sich jedoch nicht verkneifen, dem eben als so störrisch diffamierten Sohn das Haar aus der Stirn zu streichen.

„Das ist das schöne an bettlägrigen Patienten.“, sinnierte Jin. „Sie sind uns hilflos ausgeliefert.“
 

Die Nachricht über die Genesung des Hauptmanns verbreitete sich wie ein Lauffeuer.

Und das nicht nur im Palast. Vier Stunden nach seinem Erwachen wusste selbst das abgelegenste Dorf darüber Bescheid, dass Zukos Blutwolf außer Lebensgefahr war.

Unzählige Mütter waren zutiefst erleichtert, ihren Knirpsen nun doch nicht erklären zu müssen, warum ihr großes Vorbild den Heldentod gestorben war.

Das Bruttosozialprodukt der Feuernation erlitt an diesem Tag zwar beachtliche Einbußen, aber man muss die Feste feiern wie sie fallen. Und in diesem Fall beschlossen die Bürger, dass sie quasi hagelten; die Feste.
 


 

Der selbe, erfreuliche Tag, Gegen Mittag
 

„Wir alle dachten, das wär´s für Dich gewesen", murmelte Han. Dann straffte er sich und schlug einen leichtfertigeren Tonfall an. "Sag mal, hast Du eigentlich eine Ahnung, was Dein Zustand im Land ausgelöst hat? Man könnte glatt meinen, Du hättest mit Absicht den Todeskandidaten gespielt. Ich weiss nicht, wie viele Kerzen und Feuer die Menschen für Dich entzündet haben. Aber es waren verdammt viele! Die Wächter sind nur noch auf Zehenspitzen durch den Palast geschlichen. Seine Lordschaft war außer sich. Mylady hat sogar geweint. Und Aya ...“ er schüttelte den Kopf.

„Was?“ Die Frage kam wie aus der Pistole geschossen.

„Ich hab das Mädel noch nie so gesehen. Sie war vollkommen aufgelöst.“

„Das ist kein Wunder.“ Takeru versuchte neutral zu klingen. „Wir wurden angegriffen. Außerdem hatte sie noch nie zuvor gebändigt.“

„Na klar.“, murmelte Han ironisch. „Hat sie noch nie. Sie hat aber auch noch nie ihren Kage gerettet.“ Damit traf er einen empfindlichen Nerv. Er merkte es an der Art, wie sein Freund scharf die Luft einsog.

Für Hauptmann Osaru war diese Reaktion mehr als nachvollziehbar.

Ein Kage widmete sein Leben dem Schutz eines Anderen. Wenn dieser Andere den Spiess plötzlich umdrehte stellte das Wert und Sinn des Daseins als Leibwächter in Frage. Das Leben des Schützling sollte schliesslich bewahrt werden, nicht gefährdet.

Han kannte Takeru gut genug, um zu wissen, wie er auf die Nachricht, welches Risiko Aya eingegangen war, reagiert haben musste.

Stinksauer war der zahmste Begriff, der ihm dabei in den Sinn kam.
 

„Weisst Du, mein Freund, vielleicht solltest Du mal damit aufhören, Deine Gefühle zu verleugnen.“

„Bitte?“

„Selbst so ein Erdferkel wie Dich muss es doch krank machen, sich immer hinter diesen meterdicken Mauern zu verschanzen.“

Hauptmann Nezu fragte sich kurz, warum sich jedermann berufen fühlte einem gut gemeinte, ungebetene Ratschläge zu geben, wenn man flach auf dem Rücken lag, enthielt sich aber eines Kommentars.

„Ich meine, ist Dir schon mal in den Sinn gekommen, sie wissen zu lassen, wie es um Dich steht?“

„Was?“ Trotz des Brennens in seinem Brustkorb stiess Takeru ein freudloses Lachen aus. „Hast Du getrunken?“

„Keinen Tropfen! Ich mein nur ... Na ja. Ich weiss nicht, ob Du es damals bemerkt hattest, aber früher hat sie Dich immer ziemlich komisch angesehen.“

Ja. Dieser Blick.

Dieser ertappte, leuchtende Blick. Takeru hatte sich damals immer gewundert, wie in einem einzigen Blick so grenzenloses Vertrauen und so viel Unsicherheit auf einmal liegen konnte.

„Das war einmal.“

„Taku ...“

„Hör auf, Han! Du weisst verdammt gut, was ich war!“

„Nein, mein Freund. Ich weiss, was Du BIST.“

„Und wenn schon. Das ändert nichts an der Vergangenheit. Nichts daran, dass sie eine Prinzessin ist. Nichts daran, dass ich ein Dieb war. Und auch nichts ... daran.“ Er deutete auf seine zerfurchte Gesichtshälfte. „Sie kann mich nicht einmal mehr ansehen.“, sagte er tonlos. „Was soll das alles also?“

„Verdammt, Takeru, für jemanden, der so viel Orden abgestaubt hat, bist Du ein verdammter Feigling.“

„Ich bin nur kein Träumer!“

Hauptmann Osaru blickte seinem Freund nur ruhig in die Augen. Takeru sah fort. Dann sprach er leise den Satz aus, den er sich Tag für Tag ins Gedächtnis rief.

„Sie ist nicht für mich.“

„Ach? Bist Du da sicher?“

„Ja! Ja ich BIN sicher!“

„Hm. Mal sehen. Ihre gesamte Familie schätzt Dich über die Maßen. Ihr Vater lässt nichts, aber auch GAR nichts über Dich kommen und sie ...? Rettet mal eben so Dein nutzloses Leben.“

„Ich habe nie geleugnet, dass sie sich mir verpflichtet fühlt.“

„Jaja. Pflichtgefühl und Dankbarkeit. Blabla. Ich werd jetzt gehen, dann kannst Du Dir das weiterhin schön in Deinen harten Schädel hämmern. Aber keine Angst, ich komme nachher wieder. Muss nur eben Deine Rekruten um den Block scheuchen. Die kommen sich ohne Dich bestimmt schon vor, wie im Paradies."

Nun, es gab durchaus Worte, die in Hauptmann Nezus Schädel hämmerten.

`Sie ist nicht für mich!´

Das war sie nie gewesen und würde es auch nie sein. Nicht für ihn.

Und doch waren da diese Träume. Träume in denen sie seine Küsse leidenschaftlich erwiderte. Träume, in denen sie seinen Namen flüsterte, in denen zarten Finger seine Wange kosten.

Träume, die ihn seit seiner Bewusstlosigkeit nicht mehr losliessen.

Ähnliche Träume hatte er schon des öfteren gehabt. Aber nie so realistisch. Diesmal hatte er ihren Geschmack erahnen können. Den Duft ihres Haares. Die Weichheit Ihrer Haut. Zweifellos ein Verdienst des Giftes.
 

An diesem Tag wollte der Besucherstrom gar nicht mehr abreißen. Anscheinend hatten die Leute nichts besseres zu tun, als mal eben vorbeizuschauen, um zu sehen, wie es Hauptmann Nezu ging. Nicht nur die gesamte Familie des Feuerlords beehrte ihn, sondern auch die Konsul Tian Fus. Kommandant Kuroto machte seine Aufwartung ebenso, wie Ryo Rafu.

Han Osaru war ein Kapitel für sich. Er belagerte die Bettkante seines Freundes derart ausdauernd, dass vermutlich sein gesamter Jahresurlaub daran glaube musste. Sein holpriger Sarkasmus schaffte es immerhin, die Sorgenfalten auf Yunas Stirn nach und nach zu glätten.

Nur eine Person liess sich nicht blicken. Und das war ausgerechnet die, von deren Unversehrtheit Takeru sich am dringendsten hätte überzeugen wollen. Erst dann wäre diese Sache für den Hauptmann endgültig ausgestanden.

Doch die Prinzessin kam nicht.
 

Was Aya aufhielt? Nichts. Nichts und Alles!

Sie war zu konfus. Schlicht und einfach. Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie tun sollte.

Stunde um Stunde zog sie unruhige Kreise in ihrem Zimmer. Und ihre Gedanken taten es ihr gleich.

Er lebte. Lebte! Die Götter hatten ein Einsehen gehabt, und ihn ihr nicht genommen.

Aber ... der Kuss?

Sie konnte diesen dummen, unseligen, unvergesslich berauschenden Kuss nicht rückgängig machen.

Würde er sich erinnern? Was würde er tun?

Agni! Sie hätte ihn nicht küssen dürfen.

Unwillkürlich tasteten ihre Finger nach ihren Lippen. Sein Mund ...

Mit weichen Knien sank sie auf einen Sessel.

Nein. was auch immer noch kommen sollte; um nichts in der Welt würde sie diesen kurzen Augenblick missen wollen. Um nichts!

Sie konnte nicht bereuen, was ihr für einige Momente solche Glückseligkeit verschafft hatte.

Wenn er sich erinnerte, könnte sie es nicht ändern, und wenn er ginge, könnte sie ihn nicht aufhalten.

Aber sie hätte ihn geküsst. Wenigstens dieses eine Mal.

Und doch ... Wenn er sich erinnerte ...

Ihre rastlose Wanderung begann aufs Neue.

Sie wusste, sie hätte diesen Krankenbesuch hinter sich bringen sollen, doch sie konnte nicht. Nicht heute. Noch nicht.

Wenn das ein seltsames Licht auf ihr Verhalten warf, konnte sie daran eben auch nichts ändern.
 


 

Am nächsten Tag
 

„Tut das weh?“

„Ich spüre es.“

„Und das?“

„Auch.“

„Aber Schmerzen sind es keine?“

„Keine nennenswerten.“

Dr. Yuri seufzte. „Hauptmann, wenn ich Euren Zustand beurteilen soll, brauche ich eine ehrliche Antwort. Dass ich Euch mit blankem Hintern auf einen Haufen glühender Kohlen setzen könnte, ohne einen Mucks von Euch zu hören, weiss ich selbst. Also zum letzten Mal: Habt Ihr irgendwo noch Schmerzen?“

„Eine leichte Enge in der Brust.“

„Das Atmen fällt Euch schwer?“

„Schwerer als sonst.“

„Hm. Infolge der verminderten Atmung könntet Ihr eine Entzündung der Bronchien davongetragen haben. Mal sehen. Frei machen!“

Gehorsam streifte Takeru sein Hemd ab. Wenn er nicht bald wieder voll einsatzfähig war, nutzte er schliesslich niemandem. Der Doktor zückte ein gebogenes Kupferrohr, dessen trichterförmiges Ende er auf die Brust des Hauptmanns drückte, um am anderen zu lauschen. Als es klopfte, rief er ein zerstreutes „Herein!“ in den Raum. Wer tagein tagaus dem Anblick diverser entblößter Körperteile ausgesetzt ist, degradiert Privatsphäre eben irgendwann zur Nebensache.
 

Ayas erste Reaktion bei Betreten des Zimmers war Erleichterung.

Zum einen konnte der Patient bereits aufrecht sitzen und wirkte recht erholt. Zum anderen war er nicht allein.

Ihre zweite Reaktion war ... ein staubtrockener Mund. Denn wie gesagt:

Zum einen saß der Patient bereits aufrecht und zum anderen gab ihr das eine äußerst exclusive, äußerst aufschlussreiche Sicht auf dessen äußerst entblößten Oberkörper.

Bei allen Göttern!

Sie schuckte. Ihrem Mund half das allerdings herzlich wenig, denn der erinnerte sich ...

Hastig riss sie ihren Blick los, dieser landete prompt in aquamarinem Eis, prallte erschrocken ab und heftete sich schliesslich hilfesuchend auf das unverfängliche Gesicht Doktor Yuris.

Verzweifelt durchforstete sie ihren Kopf nach etwas passendem.

„Verzeihung!“, stiess sie aus. „Ich wollte nicht stören.“ Soviel zum Thema Ruhe bewahren.

„Ah, Prinzessin! Ihr stört nicht. Ich höre den Hauptmann nur noch ab. Tief Luft holen, bitte!“

Man holte. Und richtete Dinge mit Ayas Herzschlag an, die so nicht geplant waren.

Dieser Mann bräuchte eindeutig einen Waffenschein für jeden einzelnen seiner wundervoll ausdefinierten, festen ...

„Wie geht es dem Patienten?“, fragte sie kopflos.

Wenn sie nur mit Dr. Yuri sprach, könnte sie das hier vielleicht doch noch zu einem würdevollen Ende bringen, statt wie ein stammelnder, betörter, hilflos gaffender Backfisch dazustehen.
 

Aya sorgte sich umsonst. Der Hauptmann war viel zu sehr damit beschäftigt, seine eigenen Reaktionen unter Kontrolle zu halten. Seit er ihre Stimme die vermeintlich süßesten Dinge hatte sagen hören, schien es, als seien die bisher meterdicken Mauern um ihn nurmehr papierdünn.

„Wunderbar. Bis auf eine leichte Reizung der Bronchien, ist alles Bestens!“, sagte Dr. Yuri und räumte seine Instrumente wieder in die Tasche. „Gut genug jedenfalls, dass ich diesen Starrkopf wohl festschnallen müsste, um die nötige Bettruhe durchzusetzen.“, fuhr er fort und taxierte Takeru streng über den Rand seiner Brille. „Eigentlich würde ich sagen, noch eine Woche, aber in diesem Fall bestehe ich zumindest noch auf morgen, und dann sehen wir weiter.“

„Es geht mir gut!“

„Morgen liegt Ihr gefälligst flach, oder ich jage Euch höchstpersönlich eine dritte Ladung Drachenkraut in die Venen.“

„Hm.“

„Hm? Ich könnte auch zu Seiner Lordschaft gehen und ihm mitteilen, Ihr wäret für den nächsten Monat dienstuntauglich. Hinlegen!“

Das saß.

Nachdem der Grund für ihre Unruhe wieder unter weissen Laken verschwunden war, fiel Aya endlich die Schale in ihren Händen wieder ein.

„Nun. Wie schön, dass Ihr Euch wieder besser fühlt.“, sagte sie etwas zu hastig. „Ich habe ein paar Pfirsiche mitgebracht. Der Gärtner hat versichert, es seien die schönsten der gesamten Ernte.“ Das vielgelobte Obst wurde umständlich auf den Nachttisch gestellt. „Ich ... Jetzt weiss ich ja, dass Ihr auf dem Weg der Besserung seid.“, schloss sie lahm. „Also dann.“

Sie lächelte, nickte dem Doktor freundlich zu, streifte den Hauptmann mit einem kurzen Blick und war auch schon wieder entschwunden.
 

Vor der Tür atmete sie tief durch.

Was hatte sie sich nur gedacht? Diese konfuse Aktion hatte nicht das geringste eingebracht. Sie war so schlau wie zuvor.

In Wahrheit hatte sie natürlich genauestens gewusst, wie es ihm ging.

Jedes Hüsteln, jedes schmerzhafte Zusammenzucken, jeder ungnädige Blick, mit dem die verordnete Schonkost stoisch quittiert wurde. Alles war bis ins kleinste Detail an die Prinzessin herangetragen worden. Selbst den Zeitpunkt ihres Besuches hatte sie sorgfältig abgepasst, um nicht mit ihm allein sein zu müssen.

Aya hatte eine fast panische Angst vor diesem Aufeinandertreffen gehabt und durch die Anwesenheit einer dritten Person wurde diese doch erheblich minimiert. Aber da ihre erste Begegnung seit dem kuss-involvierten Vorfall aufgrund ihrer eigenen Feigheit eigentlich keine gewesen war, wusste sie leider noch immer nicht, ob der Hauptmann sich erinnerte.

Gewirkt hatte es jedenfalls nicht so. Wie ... schön.
 

Takeru nahm nur mit halben Ohr wahr, wie Dr. Yuri das Zimmer verliess.

Sie wußte, wie sehr er Pfirsiche mochte? Sie ...

Natürlich wusste sie es! Es gab keinerlei Grund, sich deswegen wieder so aufzuführen wie der vernarrte, weltfremde Junge, dem sie in der Weberei ihrer Mutter einen Keks in die Hand gedrückt hatte.

Sie wusste solche Dinge eben. Mit Sicherheit kannte die auch die Lieblingsfarbe des Oberhofkochs.

Und doch ... Sie hatte ihm Pfirsiche gebracht.

Verdammt!

Takeru schloss die Augen.

Ach, zum Teufel damit. Noch eine Runde hitziger Träume mehr oder weniger tat ohnehin nichts mehr zur Sache.

Ruckzuck

Oder: Das hat gerade noch gefehlt!
 


 

Feuerpalast, der Tag vor Ayas 16. Geburtstag
 

„Kein Tanzpartner?“, quiekte Baroness Fuminaga.

Diesem Ausbruch folgte leises Getuschel.

„Das Bein? Hätte er sich nicht gefälligst die Nase brechen können? Was ist mit Saji Fu?“

„Er ist nicht da. Wenn er gewusst hätte, dass sein Bruder sich ausgerechnet heute vom Reitstrauss wirft, dann ...“

„Ich hab jetzt keine Zeit für Witze!“, zischte die Baroness, die die Grenzen ihrer Belastbarkeit offensichtlich schon in Sichtweite wähnte. „Wir müssen morgen Abend zu hundert Prozent Ball-sicher sein und uns fehlt noch Übung bei diesem, diesem ... wie heisst dieser moderne Ringelpietz aus dem Erdkönigreich?“

„Walzer?“, half Mia Ling, erste Hofdame Lady Jins und Anstandsdame Prinzessin Ayas, aus.

„Ja. Hat mir gerade noch gefehlt! Bis jetzt war es wenigstens nur ein neumodischer Kram für die frechen, jungen Dinger. Aber seit Mylord und Mylady ihn letzten Freitag getanzt und Gefallen daran gefunden haben, muss er natürlich in die Liste offizieller Hof-Tänze aufgenommen werden. Und an WEM bleibt die Sache hängen?“

„Ja, Euer Los ist wahrhaft zu beklagen.“, meinte Gräfin Ling nachsichtig. „Doch vielleicht möchtet Ihr Euch in Gegenwart der Prinzessin etwas zügeln?“
 

„Oh, schon gut.“ Die auf einer Bank sitzende Aya strich gelassen ihre Röcke glatt. „Ich mag den Walzer ja selbst nicht besonders.“, gestand sie leise.

Die ersten Versuche hatten ihr in der Tat nicht besonders zugesagt. Zwar war sie mit Kaito und Saji Fu, ihren Übungspartnern, aufgewachsen, aber dieser doch recht enge Körperkontakt war eindeutig nicht ihr Ding.

„Ach, das liegt bestimmt nur an der mangelnden Übung.“, beruhigte Mia Ling sie.

„Wie auch immer, wir hatten nicht genug Zeit für den Walter! Und jetzt fehlt uns auch noch ein Tanzpartner! Man kann dieses ... Ding nicht üben, ohne Partner!“

„Es heisst Walzer, Baroness.“, sagte Mia geduldig. „Und ich denke, ich habe eine Idee. Hauptmann?“

„Gräfin?“

„Wenn mich nicht alles täuscht, beinhaltet die Ausbildung eines Offiziers auch das Tanzen?“

„... Bitte?“ Hauptmann Nezu schwante nichts Gutes. So blieb sein Blick auf einer unverfänglichen Stelle der Wand haften.

Mia Ling, Gräfin von und zu was auch immer, schüchterte er damit jedoch nicht ein.

„Oh, mir ist durchaus bewusst, dass Ihr, im Gegensatz zu den meisten anderen Offizieren, den Ballsaal an Euren freien Tagen meidet wie die Pest, aber gelernt habt Ihr das Tanzen doch, oder?“

„Ich bin ... äußerst ungeübt.“

„Papperlapapp. Ist doch fast das gleiche wie kämpfen. Ich bin mir sicher, selbst mit Eurem sogenannten Mangel an Übung könnt Ihr mehr als mithalten.“

„Ich denke nicht, dass ...“

„Und wie steht´s mit dem Walter?“, fragte Baroness Fuminaga, die Idee ihrer Freundin mit Begeisterung aufnehmend.

„Walzer!“

„Oh Himmel. Es ist doch nur ein Buchstabe!“

„Ist es nicht. Es heisst ja auch nicht Tuko der Zweite. Also ... wie steht´s mit dem Walzer?“

„Ich kenne die Schrittfolge.“

„Vielleicht ist der Walzer ja gar nicht so wichtig!“, warf Aya hastig ein.

Allein die Vorstellung, Takeru Nezu könnte ihr so nahe kommen ...

„Seit Eure Mutter ihn als `ganz reizend, fürchterlich aufregend´ und `oh, das machen wir jetzt öfter´ bezeichnet hat, ist er das.“

„Schön. Hauptsache, der Hauptmann beherrscht den Walzzzer. Also alles kein Problem mehr. Bitte sehr.“ Auffordernd deutete die Baroness auf die Tanzfläche.

Das Opfer ihres Anschlages blieb wie angewurzelt stehen. „Ich sagte, ich kenne die Schrittfolge. Mehr nicht.“

„Hierhin stellen! Kann ja wohl kaum schwerer sein, als einem vier-Zentner Wasserbullen die Hörner vom Kopf zu treten, oder?“
 

Nein. Es war nicht schwerer.

Nicht, wenn man sämtliche Techniken und Bewegungsabläufe aller bekannten defensiven und offensiven Kampfarten beherrschte.

Nicht, wenn man gewohnt war, sich blitzschnell und mit tödlicher Präzision zu bewegen.

Nicht, wenn man davon absah, dass es Aya Ria Tatzu war, die man urplötzlich im Arm hielt.

Takeru verspürte den fast übermächtigen Wunsch, sich zu räuspern.
 

„Enger!“, befahl Mia Ling.

„Was? Seid Ihr sicher?“ Die Baroness klang eher skeptisch.

„Natürlich bin ich das. WER ist denn hier die Anstandsdame?“

„Und WER die Tanzlehrerin?“

„Dann müsstet Ihr auch beobachtet haben, dass die Tänzer üblicherweise enger beieinander stehen. Wie soll er sie denn sonst führen?“

Der Disput brandete an Aya vorbei. Mit hochroten Wangen und gesenktem Kopf stand sie da.

Na bitte. Der Walzer war einfach nichts für sie. Sie hatten noch nicht einmal angefangen, und sie war schon ein zappliges Nervenbündel. Vielleicht lag es an ihrem Alter. Erst vorgestern hatte Onkel Tian sie angesehen, geseufzt, den Kopf geschüttelt und gemeint, sie sei eben in einer schwierigen Phase.

Bestimmt war das auch der Grund für das seltsame Herzrasen, welches sie neuerdings immer wieder überfiel. Zu den unmöglichsten Anlässen!

Ganz schlimm war es am Donnerstag gewesen, als ihr Zeichenlehrer sie aufgefordert hatte, ihre Fähigkeiten im Portrait-Zeichnen zu verbessern. Wie so oft hatte ihr Kage dafür herhalten müssen. Meister Pan fand dessen ausgeprägte, klare Knochenstruktur dafür eben bestens geeignet.

Aya hingegen fand es einfach nur erschreckend, wie ihr Pulsschlag verrückt spielte, wenn sie vom Zeichenpapier aufsah und direkt in die hellen Augen blickte. Wobei ... jetzt, in ebendiesem Augenblick spielte er genauso verrückt. Dabei starrte sie nur auf eine endlose Reihe von Rangabzeichen und Orden.

Vielleicht sollte sie Doktor Yuri aufsuchen.

„Nein, nein. Nicht so. Bei der Größe des Hauptmanns müsst Ihr den Kopf etwas anheben, Hoheit.“

Also hob Aya den Kopf, wirkte danach jedoch ebenso verkrampft wie zuvor.

„Sollte ich Euch gleich auf die Zehen treten, bitte ich vielmals um Vergebung.“ Neben der üblichen Gelassenheit schwang leichtes Amüsement in der tiefen Stimme mit.

Oh ja, und WIE sie zum Arzt gehen sollte!

Etwas stimmte nicht mit ihr! Man spürte die Stimme eines anderen Menschen doch nicht an ... an ... an Stellen, die lieber keine Erwähnung finden sollten. Egal, wie sonor diese Stimme auch sein mochte.
 

„Also dann. Mia, Ihr könnt anfangen zu spielen.“

Gräfin Ling stürzte sich mit Begeisterung auf die Tasten ihres Klavizimbels.

„Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. Ihr müsst mehr führen, Hauptmann. Vergesst einfach, dass ihr die Prinzessin vor Euch habt. Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei. Ja, gut! Das ist gut! Ich WUSSTE ja, dass Ihr tanzen könnt. Die Schritte dürften noch etwas schwungvoller und größer ausfallen. Eins, zwei, drei. Eins, zwei ... Ganz wundervoll! Wirklich tadellose Haltung! Oh, es sieht so elegant aus! Sehr schön! Eigentlich ist der Walter gar nicht so schlecht, wie ich dachte.“

Eigentlich war der Walzer der Himmel auf Erden!

Eigentlich wollte Aya nie wieder etwas anderes tun, als so über den Boden zu schweben.

Eigentlich war das selbstverständlichste der Welt, ihn dabei anzusehen.

Mia Ling hatte Melodie und Takt mittlerweile so gut in den Fingern, dass sie es wagte, den Blick von den Tasten zu nehmen. Als er auf die Tanzenden fiel, stolperte sie über eine Note.

Bei allen ... Das hatte grade noch gefehlt!

Dann stellte sich heraus, dass sie nicht die einzige war, der die Situation zu denken gab.

„Na sowas. Die beiden geben ja ein ganz hinreißendes Paar ab“, flüsterte Baroness Fuminaga verwundert.

Ja. Das hatte grade noch gefehlt!

„Mit ihm tanzt sie viel leichtfüssiger und sicherer, als mit den Söhnen des Konsuls.“

„Er ist Offizier. Ich schätze, das Herumbugsieren von Leuten gehört zu seinem Beruf“, erwiderte Mia stirnrunzelnd.

Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit.

Das hatte man nun davon, wenn man so stattlichen Mannsbildern eine Uniform überzog. Sie dann noch zum offiziellen Aufpasser einer jungen Dame zu machen, schien sich in eben diesem Moment als fataler Fehler zu entpuppen.

Das Herz Gräfin Lings zog sich voller Mitgefühl zusammen. Das arme Kind! Was für ein Schlamassel! Und wessen Schuld war es? Ihre! Ihre ganz allein. Sie war schliesslich Ayas Anstandsdame. Lady Jin hatte vollstes Vertrauen in sie gesetzt, und was tat sie? Bemerkte nicht einmal, dass das Mädchen im Begriff war, sich zu verlieben. Sie musste schleunigst versuchen, die Sache einzudämmen.

Falls es sich nicht von selbst erledigte. In diesem Alter verguckten sich die jungen Dinger doch allenthalben aufs Neue. Vielleicht würde die Sache auf dem Ball morgen ja schon ganz andres aussehen. Immerhin wurde Ayas sechzehnter Geburtstag und somit ihr Debüt gefeiert. Da die Prinzessin von nun an als heiratsfähig galt, war damit zu rechnen, dass die begehrtesten und angesehensten, jungen Männer der Gesellschaft anwesend sein würden. Einer würde es bestimmt schaffen, ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

Mia betrachtete Aya wehmütig. Nein. Wem machte sie hier etwas vor? So wie das Mädchen seinen Kage ansah, dürfte es sich um eine eher langfristige Angelegenheit handeln.

„Oh, ganz ZAUBERHAFT!“, rief die Baroness zu allem Überfluss und klatschte entzückt in die Hände. „Ich wünschte, wir könnten das morgen so machen. Ihr tanzt wirklich ganz wundervoll zusammen!“

Oh ja. DAS hatte gerade noch gefehlt!
 


 

Feuerpalast, Gegenwart
 

Am späten Abend befanden sich zwei Menschen auf der großen Südterrasse des Feuerpalastes. Beide trugen leichte Trainingskleidung und exerzierten nun schon seit eineinhalb Stunden.

„Verdammt! Ich KANN es nicht.“ Aya ballte ihre Hand zur Faust. Sie klang frustriert und müde.

„Flämmchen!“ Zuko löste die verkrampften Finger und drückte einen kurzen Schmatzer in die Handfläche. „Ist doch nicht schlimm.“

„Ich dachte, ich könnte es jetzt vielleicht.“, flüsterte sie.

„Hm ... Um ehrlich zu sein finde ich es ganz gut so.“

„Was? Aber ...“

„Es beruhigt mich ungemein, zu wissen, dass Du Dich im Notfall verteidigen kannst. Aber das Feuer bewusst einzusetzen sähe Dir irgendwie nicht ähnlich.“

„Wirklich?“, seufzte Aya. „Weil ich zu weich bin?“

„Es ist und bleibt eine Waffe, Kind. Es ist ein leichtes, anderen damit Schaden zuzufügen. Und wir wissen beide, dass Du das niemals wollen würdest.“

„Nein. Aber es wäre nett gewesen, wenigstens die ein oder andre Kerze zu entzünden.“

„Ach, Schätzchen!“ Tröstend zog der Feuerlord seine Tochter an sich. „Meiner Erfahrung nach werden Kerzen extrem überbewertet.“

Aya schluckte die lauernden Tränen kurzerhand hinunter, schnüffelte leise und nickte dann.

„Machst Du Deinem alten Vater eine Freude und hilfst ihm, einen Orangenkuchen zu vertilgen?“

„Mit Glasur?“

„Mit richtig viel Glasur!“

„Na gut.“

Für so viel Entgegenkommen bekam die Prinzessin einen Kuss auf die Schläfe.

„Dann los, bevor Lee ihn wittert.“
 

Die Sorge Seiner Lordschaft war unberechtigt. Sein Sohn hatte ausnahmsweise besseres zu tun, als anderen Leuten ihr Gebäck wegzufuttern.

„Chi, chi. Huuu. Chi, chi. Huuu. Chi, chi ...“


„LEE! Ich WEISS, wie man atmet!“

„Immer schön im Takt bleiben, Süße. Chi, chi. Huuu.“

„Lee, ich schwöre, wenn Du mit der Hechelei nicht augenblicklich aufhörst, bekomme ich eine Sturzgeburt. Jetzt gleich!“

„Bitte. Wenn DU die Geburts-Vorbereitungen nicht ernst nehmen willst ... ICH tu´s jedenfalls.“ Demonstrativ verschränkte Lee die Arme vor der Brust.

Da er von beidem mehr als genug hatte, wirkte es recht einnehmend.

Doch heute konnte Niha dieser Tatsache nichts abgewinnen. Ausnahmsweise.

„Nicht ernst nehmen? WER stopft denn so widerwärtige Dinge wie Sahnegurken mit Apfelkompott in sich hinein? WER hat denn die Rückenschmerzen? WER ...?

„Ist ja gut, mein Kirschkern. Aber die Amme hat gesagt, Du sollst das richtige Atmen üben.“

„Üben? Ich betreibe es nun schon einige Jahre sehr erfolgreich, das Atmen. Rein mit der frischen Luft, raus mit der alten. Rein. Raus. Rein Raus. Fast so leicht wie ...“

„Niha.“, knirschte Lee. „Momentan über diese Sache zu reden, grenzt an Folter. Wenn Du nicht willst, dass ich mit dem Kopfkissen durchbrenne, erwähnst Du das Rein-Raus-Ding lieber nicht weiter.“

„Agni! Wir sind doch erst seit vier Tagen abstinent.“

„Vier Tage, fünf Stunden und achtundzwanzig Minuten.“

„Du ziehst mich auf!“

„Vielleicht ein bisschen.“

„Du solltest mir lieber ein paar sauerscharfe Kapern besorgen.“

„Gleich. Erst machen wir noch die Übung zu Ende. Chi, chi ...“

„LEE!“

„Huuu.“

„Eins sag ich Dir, das ist das LETZTE Baby, das Du von mir bekommen wirst.“

„Ah, das sagst Du jetzt. Bis in einem Monat bettelst Du mich wieder an, welche zu machen.“

„Lee?“

„Ja, Süße?“

„Manchmal würde ich Dir gerne den Nachttopf über den Schädel ziehen.“

„Voll oder leer?“

„Rate mal, wie es mehr Spass machen würde.“

„Also, ICH geh jetzt Kapern holen. Derenthalben darfst Du Dir überlegen, was für ein Glück Du doch mit mir hast und ob Du nicht wieder netter zu mir sein willst.“

„Ich will ja.“, gab Niha zu. „Aber Du machst es mir nicht gerade leicht.“
 

Während er die Küche zu so später Stunde nach dem etwas extravaganten Essens-Wunsch seiner Angetrauten durchstöberte, summte Prinz Lee in dem Bewusstsein, als wahrhaft mustergültiger Gatte zu handeln, zufrieden vor sich hin.

„Sag mal, musst Du so einen Lärm veranstalten? Du weckst noch das Küchenpersonal.“

„Kiram?“

„Der nämliche.“

„Was machst Du hier?“

„Äh ... essen?“

„Im Dunkeln?“

„Du suchst ja auch im Dunkeln.“ Schulterzuckend entzündete Kiram einige Lampen.

Nachdem endlich Licht in die Sache gebracht worden war, beäugte Lee seinen Bruder. Er lehnte mit der Hüfte an einer der steinernen Arbeitsplatten, die Fussknöchel entspannt überkreuzt. In der Linken hielt er eine große Schüssel, in der Rechten einen fast ebenso großen Löffel.

„Ist das der Schokoladenpudding?“

„Ja.“, antwortete Kiram genüsslich und leckte den Löffel ab.

„Der GANZE?“

„Nein. Der Rest davon.“

„Aber der ganze Rest?“

„Denke schon.“

„Du Vielfraß!“, rief Lee entrüstet. „Den wollte ich mir nachher holen!“

„Tja. Zu spät, alter Mann.“

„Alter ... da soll mich doch der ...“

Kiram grinste nur und schob noch eine Ladung Pudding nach.

„Hmm.“, schwärmte er. „Lisa hat einen Schuss gadatischen Cognac reingegeben. Extra für mich.“

„Für Dich? Dass ich nicht lache. Jeder weiss, dass Lu Ten auf das Zeug steht.“

„Ich steh auf was?“, kam es ruhig von der Küchentür.

„Gadatischen Cognac.“

„Ja, wenn er lange genug reifen konnte.“ Lu Ten schlenderte zu den Eisschränken, um die Auswahl in Augenschein zu nehmen.

„Gibt das hier ne Familienversammlung?“ Lee blinzelte in die Runde.

„Du warst wohl zu lange weg.“, sagte Kiram Pudding-gepanscht. „Man läuft hier den seltsamsten Gestalten über den Weg. Manchmal kommt Paps auch noch.“

„Auch noch?“, schnaubte Lu Ten. „In den meisten Fällen ist er vor uns da, um die besten Stücke zu ergattern.“

„Das ist Verleumdung!“

„Wenn man vom Feuerteufel spricht ...“

„Ist der Pudding noch da?“, fragte Seine Lordschaft mit gewölbter Braue, jedoch wenig Hoffnung.

„Ähm ...“, machte sein Jüngster.

„Das dachte ich mir.“

„Ein, zwei Löffel sind noch da.“

„Unsinn. Dem Sieger gehört die Beute.“
 

Lee betrachtete seine männliche Verwandtschaft, wie sie da vor den Küchenschränken herumlungerte und verspürte eine leichte Wehmut.

„Das fehlt mir in Agnam Ba.“, seufzte er leise.

„Mitternachtssnacks?“

„Nein. Gemeinsame Mitternachtssnacks. Ob wir Onkel auch noch wecken sollen?“

„Ich bin sicher, er kommt gleich.“, sagte Zuko und schob seinem Zweitältesten eine Pastete zu. „Heute ist einer dieser Tage.“

„Welcher Tage?“, wollte Kiram wissen.

„Tatzu Tage. Euer Großonkel nennt sie so. Tage, an denen es uns zusammentreibt. Weil etwas bevorsteht, oder weil etwas überstanden ist.“

„Du meinst Hauptmann Nezu?“

„Ja. Agni sei Dank ist der Junge übern Berg!“

„Amen!“

Alle vier drehten sich zur Tür.

„Onkel! Da seid Ihr ja.“

„Hast Du mich etwa erwartet, mein Junge?“

„Natürlich. Ich habe die marinierten Rippchen schon vor drei Stunden für Euch in Sicherheit gebracht.“, antwortete Zuko und kramte eine Schüssel aus dem hintersten Eck der Eisschränke.

„Ah! Das rührt mein altes Herz zutiefst!“ Iroh strahlte, schlurfte zu einem Stuhl und liess sich nieder. „Es geht doch nichts über Tatzu-Tage.“

„Oh Himmel! Da fällt mir ein, ich hab Niha ganz vergessen. Sie wollte doch Kapern.“

„Vergiss es mein Sohn. Sie hat auf kandierten Ingwer umgeschwenkt.“

„Sie hat was?“

„Umgeschwenkt. Auf Ingwer. Sie sitzt bei Deiner Mutter und schaut sich Baby-Portraits von Dir an.“

„Dann tut sie wenigsten was sinnvolles.“, grinste Lee. „Und jetzt wo unsere Killer-Queen außer Gefahr ist, kann ich mein Augenmerk wieder voll und ganz auf mein unberechenbares Weib richten. Sonst verpasse ich am Ende noch die Geburt meines Kindes. Es wird immerhin das Erstgeborene seiner Generation, wenn ich so sagen darf.“

„Ja doch, Lee!“, rief Kiram und verdrehte die Augen. „Wir WISSEN es!“

„Ach? Wirklich?“ Lee war die Unschuld in Person.

„Sicher, kleiner Bruder.“, warf Lu Ten beiläufig ein und hob eine Braue. „Du reibst es uns oft genug unter die Nase. Und wenn man Dich so hört, könnte man meinen, Du hättest das Rad neu erfunden. Zur Not würdest Du es wahrscheinlich auch ohne Nihas Hilfe auf die Welt bringen. Das Kleine wird bestimmt der nächste Avatar.“

„Mhm.“, stimmte Kiram zu. „Dazu müssten wir nur noch eben Onkel Aang aus dem Weg räumen.“

„Ihr seid ja nur neidisch, weil ihr enterbt werdet. Jetzt, wo ICH den ersten Enkel liefere.“

„Aha. Du! Na dann viel Spass bei den Presswehen.“, murmelte Lu Ten trocken.

„Erinnere mich nicht daran!“, stöhnte Lee. „Aber meine Niha packt das schon!“

„DEIN grandioses Baby ans Tageslicht zu befördern?“, staunte Kiram.

Iroh, der sich bis jetzt stillschweigend amüsiert hatte, schnappte sich ein weiteres Rippchen.

„Na ja, ihr kennt ja das Motto eures Vaters.“, sagte er mit erhobenem Zeigefinger.

„Ehelicher Vollzug zu jeder sich bietenden Gelegenheit?“

„Kiram!“

„Nein, Kiram. Das andere. `Arbeite nur mit den Besten!´“

„Ich spiele mit dem Gedanken, euch alle einkerkern zu lassen. Dann kann ich die Küche demnächst wenigstens allein plündern!“, grollte der Gebieter der Flammen.
 

„Apropos Kerker.“ Iroh wurde ernst. „Wie gedenkt Ihr mit dem Herzog zu verfahren?“

Zuko liess den Bissen, den er eben zum Mund hatte führen wollen, wieder sinken.

„Erinnert mich nicht daran! Schon beim bloßen Gedanken an ihn bekomme ich das unwiderstehliche Bedürfnis, etwa abzufackeln.“

„Überstürzt zu handeln wäre ein Fehler.“, mahnte der General sanft.

„Ich weiss. Aber es ist sehr lange her, dass ich einen solchen Zorn verspürt habe.“

„Umso mehr müsst Ihr einen kühlen Kopf bewahren.“

„Wenn wir doch nur einen Zeugen hätten.“, murmelte Lu Ten und setzte sich auf die Kante des großen Küchentischs. „Ohne richtige Handhabe wird es schwierig.“

„Ob mit oder ohne Handhabe, ich werde Masaru Shouta seines Titels entheben. Dazu geben mir die Indizien das Recht. Aber mehr ...“

„Was? Nur den Titel?“, begehrte Lee auf. Sein Gerechtigkeitssinn lief gegen diesen Plan Sturm.

„Somit beraube ich ihn immerhin seiner Machtposition. Um ihn zu inhaftieren brauchen wir Beweise.“

„Was für Beweise willst Du denn noch? Wir wissen alle, was er getan hat.“

„Wir dürfen das Gesetz nicht umgehen, Lee. Und ich schon gleich gar nicht.“

„Was für ein beschissener Job! Gott sei Dank muss ich nicht Feuerlord werden!“

„Ja.“, stimmte Zuko seufzend zu. „Manchmal ist es wirklich ein beschissener Job.“
 

Am nächsten Tag wurde der Job Seiner Lordschaft allerdings mit einem Schlag etwas leichter.

„Was?“ Zuko starrte seinen Besucher ungläubig an.

„Ich ... äh ... ich kann Euch A ... Auskunft geben. Über Herzog von Yun.“ Jeh Wang tupfte sich den Schweiss von der Stirn. „S ... seine Pläne. Ich ... ich wusste davon! N ... nicht alles! Bei Agni, nicht alles! Aber ich wusste, d ... dass er etwas vorhat.“

„So.“, zischte der Drache gefährlich leise. „Wusstet Ihr?“

„B ... bitte lasst es mich erklären, M ... Mylord!“

„Sprecht!“

Stammelnd gab der Baron die ganze Geschichte zum besten. Dabei konnte er den Blick nicht von der grimmigen Mine Lord Zukos wenden.

„Ich ... w ... wenn Shouta nicht meine Familie in der Hand gehabt hätte, ich schwöre, Mylord ...“

„Er bedrohte Eure Familie?“

„Indirekt. Es ... es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er uns schikaniert. Er ist ... war unser Lehnsherr. Wenn wir nicht taten, was er wollte ... ich habe Schwestern, die ... sein Blick war immer ...“

„Ich verstehe.“, sagte Zuko.

„Es tut mir schrecklich leid!“, stiess Jeh aus. „Ich ... ich hätte zu Euch kommen müssen.“

„Ja. Das hättet Ihr.“
 

Da war er, der Urteilsspruch. Jeh Wang schloss die Augen und liess den Kopf hängen.

„Mylord ... Ich ...eine Bitte hätte ich noch.“, flüsterte er.

„Eine Bitte?“

„Meine Frau. Meine Kinder. Und meine Schwestern ... sie haben mit der Sache nichts zu tun. Ich bitte Euch ...“

Zuko zückte seine Braue.

„Was denkt Ihr, was ich mit ihnen vorhabe? Einkerkern?“

„Ich weiss es nicht.“ Die Worte waren kaum zu hören.

„Was denkt Ihr, was ich mit EUCH vorhabe?“

„Kerker. Oder Schlimmeres.“

„Hm. Wenn Ihr es als schlimmer empfindet, Euch mit den bürokratischen Hürden eines länderübergreifenden Bauprojektes herumzuschlagen, dann ja.“

„W ... was?“

„Ich werde Euch nach Isobe schicken, um den Bau des Damms zu überwachen. Die dort ansässigen Sandleute sind recht ... eigenwillig. Ich musste deswegen schon vier meiner Beamte in den verlängerten Urlaub schicken. Also packt am besten kistenweise Baldrian ein. Und warme Unterwäsche. Die Nächte sollen nahezu ekelhaft kalt sein.“

Eine gefühlte Minute wurde Zuko mit offenem Mund angestarrt.

„Ihr ... Ihr sperrt mich nicht ein?“

„Sollte ich das, wenn Ihr Euch anderswo rehabilitieren könnt?“

„Danke! Tausend Dank, Durchlaucht!“

„Ich habe Euch ebenfalls zu danken, Lord Wang. Schliesslich habe ich nun endlich eine Handhabe gegen Masaru Shouta. Außerdem liegt ein Teil der Schuld auch bei mir. Ich hätte ihn besser im Auge behalten sollen. Aber dieses Beispiel wird mir eine Warnung sein. Ich habe meine Herzöge wohl zu lange schalten und walten lassen, wie ihnen beliebt. Eine solche Willkür, wie Eure Familie sie erduldet hat, darf nicht wieder vorkommen. Und Ihr ... dürft packen gehen.“
 

Der Abend, so stellte sich später heraus, würde für die gesamte Familie Tatzu sogar noch erfreulicher werden.

Nun ja ... nicht NUR erfreulich. Einem Mitglied der Familie standen recht schwere Stunden ins Haus.

Da dies jedoch noch niemand ahnen konnte, gingen sie alle nach dem gemeinsamen Abendessen wieder ihrem Tagwerk nach. Oder dem, was sie dafür hielten.

Zuko versuchte Ordnung in das inzwischen unübersichtliche Chaos auf seinem Schreibtisch zu bringen. Aufgrund der Aufregung der letzen Tage hatte sich dort stapelweise unerledigte Arbeit angehäuft.

Jin überarbeitete ein letztes Mal die vier neuen Webmuster, bevor sie sie demnächst ihrem Gatten vorlegen wollte. Die Überraschung sollte schliesslich perfekt werden.

Kronprinz Lu Ten nutzte den sternenklaren Abendhimmel dazu, seiner Gemahlin die genaue Navigation mittels eines Sechstanten zu erläutern.

Kiram und Zirah beschlossen, einen Blick auf den vielversprechenden Neuzugang in Tiram Agnis Gastronomiegewerbe zu werfen.
 

Prinzessin Aya ihrerseits sass vor einer großen Staffelei, einen Pinsel in der Hand und starrte auf die kleine Tür, hinter der die Kammer lag, in der normalerweise Hauptmann Nezu nächtigte, und fragte sich bang wann sie sich endlich nicht mehr so verloren vorkommen würde.

Nicht, dass sie etwas gegen Hauptmann Takashe einzuwenden hätte, aber ... er war eben nur ihr Zweitkage. Auch wenn sie dieses Wort schrecklich fand. Auch wenn sie diesen Gedanken schrecklich fand.

Doch er war nunmal nicht Takeru Nezu.

Er stand nicht wie er, ging nicht wie er, atmete nicht wie er. Er hatte auch nicht die fast unheimliche Gabe, sie mit Hilfe winziger, stummer Gesten sicher durch eine Menschenmenge zu lotsen.

Ein Tropfen Farbe fiel von ihrem Pinsel und wurde von der Seide ihres Kimonos gierig aufgesogen. Der Fleck blieb allerdings unbemerkt.
 

General Iroh genoss gemeinsam mit Fon eine große Kanne Tee und einige Partien Pai Cho. Als sie eben die Erinnerungen an ihre vielen Reisen hervorkramten, gesellten sich Zuko und Jin zu ihnen, woraufhin die beiden älteren Herren natürlich umschwenkten und es für angebrachter hielten, ihr Herrscherpaar ein wenig aufzuziehen.

Lee, so könnte man fast sagen, war überraschenderweise derjenige, der seinen Abend am sinnvollsten verbrachte. Er tollte mit Jem und Zerfa durch die Gärten, bis sie endlich müde genug waren, eingesammelt und ins Bett gesteckt zu werden, bevor er sich schliesslich voll und ganz seiner Frau widmete.

„So, ich hab die Rabauken ins Bett verfrachtet.“

„Haben sie Dich arg geplagt?“, wollte Niha wissen.

Sie hatte ein schlechtes Gewissen, ihm heute die Aufsicht über ihre Geschwister ganz allein überlassen zu haben. Aber der Tag war furchtbar heiss gewesen, und ihr Rücken schmerzte unter der Last des ungeborenen Kindes.

„Unsinn.“, beruhigte Lee sie. „Du weisst, wie gern ich das mache.“ Er drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Was viel wichtiger ist: wie fühlst Du Dich?“

„Dick!“

„So, so.“ Er grinste und gab ihr einen weiteren Kuss auf die Nasenspitze. „Nur dick?“

„Mir ist zu heiss!“

„Muss wohl meine Nähe sein.“

„Und mein Rücken bringt mich um.“

„Hm, vielleicht ist es doch nicht meine Nähe.“

Bevor sie weitere Reklamationen an den Ehemann bringen konnte, fand sich Niha auf dem Sofa sitzend wieder, eine laue Abendbrise und eine zärtliche Rückenmassage geniessend.

„Besser?“, murmelte Lee.

„Nein.“

Seine Gnaden runzelte die Stirn. Jammern passte so gar nicht zu seinem sonst so resoluten Weibe.

„Wirklich? Soll ich einen Arzt holen?“

„Nein! Bleib bei mir. Ich muss nur mal ein bisschen zimperlich sein, dann geht es wieder.“

„Du bist nicht zimperlich, Süsse.“, brummte er und umarmte sie.

Mit dem Rücken an ihn gelehnt, schniefte sie kaum merklich „Vielleicht schon ... so ein bisschen.“

„Ich denke wirklich, ich sollte den Doktor rufen lassen.“

„Nein. Ich bin heute nur wehleidig, das ist alles.“

Zwei Stunden später kam Nihas Wehleidigkeit in Abständen von dreissig Minuten.
 

Zu dieser recht fortgeschrittenen Uhrzeit saßen Lord und Lady Turteltaub auf der West-Terrasse ihres Schlafgemachs und genossen die Kühle der Nachtluft.

„MYLORD? ... LORD ZUKO?!“

Jin nahm den Kopf von Zukos Schulter und blickte ihn fragend an.

„Es ist wohl vergebens, zu hoffen, dass dieser Wächter nur die dumme Angewohnheit angenommen hat, zu jeder sich bietenden Gelegenheit meinen Namen durch die Gegend zu brüllen.“

„Letztes Mal war es wegen Aya.“, wisperte Jin bang.

„Dann ist er uns jetzt eine gute Nachricht schuldig.“ Zuko erhob sich und ging zur Tür.

„LORD ZUK ... oh.“

„Ja doch! Was gibt es?“

„V ... Verzeiht, Herr, wenn ich einfach so ... Aber ...“

„Ja?“

„D ... der Prinz ...“

„Wieder ein Überfall?“, fragte Seine Lordschaft lakonisch.

„Nein! Um Gottes Willen, nein!“

„Wenn Du mich nicht frühzeitig ins Grab bringen willst, lerne Dich klar auszudrücken!“

„Ich ... tut mir leid! Ich wollte doch nie ...“

„Was ist?“, knirschte Zuko leicht enerviert.

„Baby. Das Baby kommt.“

„WAS? Das ... JIN!?“

„Was ist?“ Die Frage wurde keine zwei Meter entfernt gestellt.

„Baby! Das Baby kommt.“

„Das sagte er doch schon.“

„Ja, aber ...“

„Männer!“ Jin seufzte nur und schüttelte den Kopf. „Vielleicht schafft ihr es ja in ein paar Jahrhunderten, bei dem Thema nicht mehr in Panik auszubrechen.“
 

Die pure Panik hatte Lee gepackt.

Keine Spur mehr von „Meine Niha packt das schon!“.

Leichenblass tigerte er im Zimmer umher.

„Die Weiber haben mich glatt rausgeworfen!“, murmelte er zum wiederholten Mal fassungslos.

„Falls es Dich beruhigt, ich durfte bei euren Geburten auch nicht dabei sein.“

„Würde mich doch sehr wundern, wenn ihn das beruhigt.“, warf Kiram ein. „Sieh Dir nur an, was aus ihm geworden ist!“

„Kiram! Wenn Du Deinen Humor nicht anderweitig auslebst, setzte ich Dich vor die Tür.“, knurrte Zuko leise.

„Oh, Verzeihung. Ich werde Geburten von nun an ernster nehmen.“, seufzte der jüngste der Prinzen, warf sich in einen Stuhl und liess die Beine über die Armlehne baumeln.

„Kannst Du nicht anständig sitzen?“, fauchte Lee, froh, endlich ein Ventil für seine angestaute Nervosität gefunden zu haben.

„Agni! Zieht mir doch gleich eins über den Schädel, dann könnt ihr mich dort drüben neben das Bücherregal lehnen und habt eure Ruhe!“

Es war Lu Ten, der Kiram beschwichtigend eine Hand auf die Schulter legte.
 

Eine Stunde später hatten die Götter ein Einsehen mit Lee und erlösten ihn von seiner Ungewissheit. Er war Vater einer kerngesunden, kräftigen Tochter geworden. Als erster Tatzu dieser Generation musste die Kleine aber auch strapazierfähig sein, denn es gab kaum genug Baby für all die Arme, die es halten wollten.

Als die Türen, hinter denen Niha ihr Kind in auf die Welt gebracht hatte, sich endlich öffneten, rannte Lee an allem, womit er nicht verheiratet war, erst mal vorbei.

„Niha?“

„Lee!“ Sie lächelte. Allerdings so matt, dass er sich genötigt sah, rasch ihre Hand zu greifen.

„Geht´s Dir gut, Süße?“

„Kannst Du mich das in ein paar Stunden nochmal fragen?“

„Sicher, mein Bienchen.“

„Hast Du sie schon gesehen?“

„Sie?“, fragte Lee, der sich bisher nicht die Zeit genommen hatte, nach der Ausstattung des Babys zu fragen.

„Du weißt noch gar nicht, dass wir ein Mädchen bekommen haben?“

„Äh ... mir war wichtiger, wie es Dir ...“

Ein Bündel wurde Lee vor die Nase gehalten.

„Moment! Ich konnte mich noch gar nicht ...“

„Unsinn! Sag hallo zu Deiner kleinen Tochter, Lee, oder ich geb sie Deinem Vater. Er drückt sich eh schon vor der Tür herum. Und wenn er sie erst mal hat, dann kannst Du sie für die nächste Woche abschreiben.“

Der Blick, den Lee seiner Mutter zuwarf, zeugte von Unsicherheit.

Wie immer hatte Jin ein Einsehen. Sie bog seine Arme zurecht und legte das Baby vorsichtig hinein.

„So. Siehst Du? Ganz einfach.
 

Niha beobachtete ihren Gatten sehr genau. Lee schien die Sache immer noch etwas suspekt zu sein.

„Lee?“

„Hm?“

„Wäre Dir ... ein Junge lieber gewesen?“

„Was? Unsinn!“

„Und ist sie so, wie Du sie Dir vorgestellt hast?“

„Nein.“, murmelte er, beugte sich vor und küsste ihre feuchte Schläfe. „Sie ist viel mehr als das.“

„Lee?“

„Hm?“

„Bleibst Du bei mir sitzen?“

„Keine neun Strausse könnten mich von hier wegbringen!“

„Lee?“

„Was, meine Süsse?“

„Ich ... ich hab Dich wahnsinnig lieb!“

Keine dreissig Sekunden später war Niha eingeschlafen.
 

„Ähm ... was mach ich denn jetzt?“, fragte Lee an seine Mutter gewandt.

„Bleib ganz locker.“

„Und wenn sie schreit?“

„Sie schreit schon nicht. Sie wurde eben erst gestillt.“

„Und wenn sie trotzdem schreit?“

„Dann gibst Du sie ihrer Mutter.“

„Und wenn die schläft? So wie jetzt zum Beispiel?“

„Also schön. In diesem Fall steht da draußen ein Experte.“

„Sowas haben wir?“

„Nein. Sowas habe ich. Dein Vater ist die beste Baby-beruhigungs-Einheit, die es gibt.“

„Tatsächlich?“

„Tatsächlich. Aber frag mich nicht, wie er das macht. Er behauptet, es hätte mit der Atmung zu tun.“

„So wie Chi, chi. Huuu?“

Jin musste lachen.

„Na, so in etwa. Ich lass ihn jetzt rein, ja?“

„Aber sicher! Schadet nie, Profis in der Nähe zu haben.“

„Ach und Lee?“

„Ja?“

„Herzlichen Glückwunsch, Käferchen!“

„Danke, Mama!“
 

Vor der Tür durfte Mylady sich um ihren nächsten Problemfall kümmern.

„Darf ich sie jetzt ENDLICH sehen?“, knirschte Zuko.

„Aber ja, Drache.“

„Warum hat das denn so lange gedauert?“

„Weil Du, mein Schatz, so ungeduldig bist.“

„Ich bin nicht ... man wird ja nicht jeden Tag Großvater.“

„Mhm. Wenn ich´s mir recht überlege ... Für einen Opa bist Du eigentlich viel zu knackig!“

„Jin!“

Zukos Kobold kicherte nur und wuselte von dannen. Jemand musste sich schliesslich auch um die profaneren Dinge kümmern, die mit so einer Geburt einher gingen.
 

Als sich eine warme Hand auf seine Schulter legte, sah Lee auf.

„Vater?“

„Sieh sich das mal einer an.“, murmelte Zuko mit Blick auf das zerknautschte Gesichtchen seiner Enkelin. „Was für ein wundervolles Mädchen Du doch zustande bekommen hast.“

„Sie ... ist so still.“

„Ja. Scheint nicht nach Dir zu kommen. Du warst ein Schreihals.“

„Ja.“, murmelte Lee verklärt. „... Was? Stimmt doch gar nicht!“

Zuko lächelte nur. „Wie hat Niha es überstanden?“, fragte er.

„Gut! Sie ist zwar total erledigt, aber sonst alles bestens.“

„Sehr schön!“

Stille kehrte ein.

Das Feuer im Kamin knackte leise vor sich hin, die große Wanduhr tickte träge und Lee wiegte seine schlafende Tochter.

„Sag mal, muss ich hier erst Wurzeln schlagen bis Du mir meine Enkelin gibst? Ich KÖNNTE sie auch konfiszieren lassen.“
 


 

Nächster Tag, acht Uhr morgens
 

Han Osaru war auf dem Weg zur den Räumlichkeiten Hauptmann Nezus. Jedem Kage im aktiven Dienst stand hier, im zweiten inneren Ring des Palastes, eine Wohnung zur Verfügung. Aber die wenigsten wurden derart spärlich bewohnt, wie die von Takeru Nezu. Eigentlich weilte er hier nur an seinen zwei freien Tagen im Monat, wenn er sich von Verletzungen erholte, oder wenn ihm Urlaub aufgebrummt worden war.

Die Einrichtung seiner Bleibe war schlicht, jedoch komfortabel und von bester Qualität.

Wenn der Hauptmann einen Stuhl kaufte, wollte er sich die nächsten dreissig Jahre nicht schon wieder um einen neuen kümmern müssen. Und Tische? Tische hatten gefälligst mehrere Generationen zu überdauern!

Manchmal, ganz manchmal, verspürte Han das Bedürfnis in dieser geordneten, blitzblanken Umgebung Chaos zu stiften. Man könnte Kerben in die Schränke ritzen. Oder ein Rudel Katzen über die makellosen Sessel jagen. Der Kreativität wären keine Grenzen gesetzt. Na ja ... zumindest nicht, wenn man lebensmüde war.

Han erinnerte sich noch heute mit Schaudern an den Blick, den er kassiert hatte, als eines seiner Gläser einen Wasserfleck auf einer lackierten Tischplatte hinterlassen hatte. Einen WASSERFLECK! Das musste man sich mal vorstellen.

„Wenn Du Dich nicht wieder einkriegst, Taku, erzähl ich überall herum, dass Zukos böser Wauzi in seinem früheren Leben eine Super-Putze war.“, hatte er seinem Freund damals angedroht.

„Man kann von einem erwachsenen Menschen erwarten, einen Untersetzer zu benutzen.“

„Oder mit einem Wasserfleck zu leben.“

„Han ...“

„Hör mit dem Zähneknirschen auf. Davon bekommt man Kopfschmerzen.“

„Du kannst nächste Woche auch gerne den Kasernenhof fegen!“

„Sagt wer?“

„Da ich dienstälter bin, kann ich Dir Aufgaben zuteilen.“

„Da Du dienstälter bist, kannst Du mich mal gepflegt am ...“
 

Selbst jetzt, Jahre später, musste Han grinsen, als er sich an Takerus Reaktion erinnerte. Die paar Stunden Besen-Dienst war es durchaus wert gewesen.

Heute war er jedoch in einer wichtigeren Mission unterwegs. Seine Versuche, den Freund auf die Palme zu bringen, mussten warten bis dieser wieder voll auf der Höhe war. Ehrensache. Obwohl ... mit den Jahren war es verdammt schwer geworden, ein Loch in die Gelassenheit dieses Erdferkels zu sprengen.

Han hatte sich seinem Ziel bis auf wenige Schritte genähert, als sich die Tür öffnete und Hauptmann Nezu den Korridor betrat.

Er trug weiße Trainingskleidung, als sei es das Natürlichste auf dieser Welt.

„Sag mal, was wird denn das, wenn´s fertig wird?“

„Han.“

„Willst Du etwa trainieren gehen?“

„Deine Beobachtungsgabe ist wirklich ganz erstaunlich.“

„Nicht so erstaunlich, wie Deine Blödheit. Was soll das? Du bist noch nicht soweit.“

„Das weiss ich erst, wenn ich es versucht habe.“

„Herrgott, Takeru! Muss ich Dich erst bewusstlos schlagen?“, rief Han aufgebracht, während er seinem unbeirrbaren Freund hinterherlief.

„Wenn Du das schaffst, gehöre ich tatsächlich für mehrere Wochen ins Bett.“

„Ja. SEHR lustig. Wirklich der Brüller. Bist nicht Du derjenige, der seine Rekruten immer davor warnt, sich selbst zu überschätzen.“

„Han, ich versuche mich einzuschätzen. Das ist ein Unterschied.“

„Ach, und wie?“

„Könntest Du bitte damit aufhören? Ich lass es langsam angehen. Ein bisschen Gleichgewichtstraining und dann den Parcours.“

„Das ist alles?“

„Ja.“

„Na dann ... Sag doch gleich, dass Du nur einen Spaziergang machst.“

„Han!“

„Hübscher Name, nicht wahr? Du kannst Dich meinetwegen auf den Kopf stellen, Taku, aber ich komm mit. Irgendwer muss Dich ja beaufsichtigen, bei diesem Geisteszustand.“

„Der ist nicht anders als sonst.“

„Eben.“

„Warum wusste ich, dass Du das sagst?“

„Bist eben unglaublich scharfsinnig. Total bescheuert, aber scharfsinnig.“
 

In Wahrheit musste Hauptmann Nezu seinem Freund Recht geben. Eigentlich hätte er noch Erholung gebraucht, aber dieses Herumlungern machte ihn wahnsinnig! Wann immer er die Augen schloss, wartete dort schon ihr Gesicht, wann immer es still wurde, lauerten leise Worte in seinem Kopf.

So konnte es nicht weitergehen. Er musste wieder in seinen Alltag zurück und zwar schleunigst. Über den eigenen Schützling herzufallen machte sich in der Vita eines Leibwächters schliesslich außerordentlich schlecht.

Am Ende dieses Nachmittags stellte sich natürlich heraus, dass Hauptmann Nezu nicht an Selbstüberschätzung litt. Zwar hatte er seine alte Form noch nicht wiedererlangt, doch selbst diese genügte, dass die anderen Kage ihn auf den Mond wünschten.

Er hatte sein kleines Training mal eben damit begonnen, den Parcours zu meistern. Und zwar in der Form, die allen Kage-Anwärtern als Teil der Abschlussprüfung aufgebrummt wurde. Mit nur einem Arm und einem Bein zur freien Verfügung.

Han murrte ein bisschen herum, gestand seinem Freund dann jedoch eine gewisse Selbstbestimmung zu. Mit anderen Worten, nach einer Stunde warf er das Handtuch und liess den Sturkopf machen, was er wollte. Hatte ja eh alles keinen Zweck.

Doch wäre Hauptmann Osaru nicht im Grunde seines Herzens ein Mensch mit natürlich ausgeprägtem Taktgefühl gewesen, so hätte Takeru sich Dinge anhören müssen, die selbst der Besendienst dreier Dekaden nicht hätte hinwegfegen können.
 


 

Wieder ein Tag später
 

Nur noch diese Fluse entfernen. Ein kurzes Zurechtrücken des Waffengurts. Ein letzter, prüfender Blick in den Spiegel.

Alles saß, wie es sitzen sollte. Gut.

Hauptmann Nezu nahm ein Paar Seidenhandschuhe und heftete sie sich sorgfältig an den Gürtel. Somit trug er nun wieder offiziell das für jedermann sichtbare Zeichen seiner Verantwortung. Endlich.

Er griff nach den eigenen, weitaus robusteren Handschützern, streifte sie über und ging zur Tür.

Als er durch die Gänge des Palastes schritt, schienen sie sich irgendwie zu verändern.

Vielleicht war es nur die Erleichterung der Wächter und Bediensteten, an denen er vorüberging; die Erleichterung darüber, dass er wieder wohlauf war. Vielleicht aber auch etwas weniger Greifbares. Vielleicht gehörte er einfach hier her.
 

Nur noch die Haarkämme feststecken. Ein kurzes Zurechtschütteln der Röcke. Ein letzter, prüfender Blick in den Spiegel.

Alles saß wie es sitzen sollte. Gut.

Prinzessin Aya griff nach Fächer und Handschuhen, straffte sich und ging zur Tür.

„Guten M ...“

Er war wieder da! So als hätte es nie Tage gegeben, an denen er nicht links der Tür gewartet hatte.

Aya holte tief Luft.

„Hauptmann Nezu ... wie schön, Euch wohlauf zu sehen.“

„Prinzessin.“ Er neigte das Haupt.

„Geht es Euch ... gut genug, den Dienst schon wieder anzutreten?“

„Natürlich Hoheit. Die Ärzte gaben Entwarnung.“

„In diesem Falle, willkommen zurück!“

„Danke sehr.“

Damit war der Hauptmann aber noch nicht fertig.

„Hoheit?"

Aya wusste nur zu gut, was nun kommen würde.

„Ja?"

„Tut so etwas nie wieder!"

„Da Ihr Euch hoffentlich nicht noch einmal vergiften lasst, stufe ich die Wahrscheinlichkeit als sehr gering ein.", versuchte sie ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Leider würde sich Takeru Nezu nicht mal durch eine Jahrhundert-Flaute aufhalten lassen.

„Auch dann nicht!"

„Bitte?"

„Ihr werdet es auch dann nicht tun!"

Eines wusste sie genau: bei der falschen Antwort würde er um seine Versetzung bitten.

„Wie Ihr meint.", sagte sie daher.

„Versprecht es mir!"

„Gut, ich verspreche es."

Somit komplettierte Aya ihre Notlüge. Und das ohne die geringsten Gewissensbisse.

Sie waren nur wenige Schritte gegangen, als er erneut das Wort ergriff.

„Prinzessin?"

„Ja?"

„Danke!"

Er bedankte sich für die eigenmächtige Rettungsaktion? Sie hatte ja mit vielem gerechnet, aber damit nicht.

„Gern geschehn!", erwiderte sie leise.
 

Der Rest des Tages verlief ebenfalls wieder normal, um nicht zu sagen überaus angenehm.

Der Neuzugang der Familie wurde von Besuchern belauert, während der zum Platzen stolze Herr Papa darauf achtete, dass jeder sein Baby auch sachgemäss handhabte.

„Ist sie nicht der hübscheste Wonneproppen, den ihr je gesehen habt?“, fragte er zum vielleicht hundertsten Mal.

„Nicht ganz.“, sagte Lu Ten. „DU hast in Deinen Kleidchen noch entzückender ausgesehen.“

„Ph! Ihr könnt gerne versuchen, mich zu ärgern, aber es wird euch nicht gelingen. Nicht heute! Vermutlich für einen ganzen Monat nicht.“, entgegnete Lee entspannt.

„Jaja. Warten wir´s ab. Irgendwann melden sich die Hormone zurück.“, gab Kiram zu bedenken.

„Hör bloß auf! Das erinnert mich an die Anekdote, die Onkel Iroh immer über unsere Erzeuger zum besten gibt.“

„Anekdote?“, fragte Niha. Sie war eben erst dazugekommen, da sie das sichere Gefühl hatte, ihr Mann und seine Brüder heckten Unsinn aus.

„Na ja. Äh ... Vater wurde wohl etwas ... unausgeglichen nach der Geburt. Also, Lu Tens Geburt. Weil er wohl ... falsche Zeitangaben bekommen hatte.“, klärte ihr Gatte sie vorsichtig auf.

„Ich versteh nicht ...“

„Sagen wir mal so. Er hatte sich auf eine ziemlich lange Wartezeit eingeschossen. Du lässt mich doch gleich wissen, wann Du wieder ...“

„Wieder was?“

„Ähm. Wann ... wir wieder Babys machen können.“

„Babys machen?“, quietschte Niha peinlich berührt. Immerhin waren sie nicht allein.

„Aber ja. Babys machen ist toll!“

„Falls ich Dich daran erinnern dürfte, ich habe erst vorgestern eins auf die Welt gebracht.“, zischte sie mit hochrotem Kopf.

„Ja. Und wie vorbildlich Du das geschafft hast!“, strahlte ihr Ehemann.

„Du klingst so, als sei das eine Kleinigkeit.“

„Gemacht sind sie jedenfalls ruckzuck.“
 

Die folgende Stille hätte Lee eigentlich vorwarnen sollen.

„Ruck ... zuck?“ Niha blinzelte.

„Ruckzuck?“ Auch Kirams Stimme bebte vor unterdrücktem Lachen. „Echt? Und DICH hatte ich als Vorbild, wenn´s ums andere Geschlecht geht?“

„SO hab ich es ja nicht gemeint! Nicht zackzack-ruckzuck, sondern, sondern ... kinderleicht-ruckzuck.“, stellte Lee schnell richtig.

„Ah.“, machte Lu Ten und nickte Kiram wissend zu. „Er meint rucken und zucken.“

„Glasklar! Scheint mir trotzdem keine besonders ausgefeilte Technik zu sein.“

„Eigentlich muss man nur klarstellen, wer ruckt und wer zuckt.“, sagte der Kronprinz, pragmatisch wie immer.

„Ihr seid doch ein Haufen verblödeter Idio ...!“

Es war ein recht seltener aber durchaus sehenswerter Anblick, wenn Kiram und vor allem Lu Ten vor Lachen derart brüllten.

„Geschieht Dir recht.“, murmelte Niha, als sie die eingeschnappte Mine ihres Gatten sah.

„Hm.“, brummte er mit verschränkten Armen. „Aber mal im Ernst ... Du LÄSST es mich doch wissen, oder?“

„Natürlich.“, flüsterte sie in sein Ohr. „Schliesslich liebe ich Dein Ruckzuck.“
 


 


 

Am Ende des Kapitels möchte ich euch noch ein Musikstück ans Herz legen. Es hat mich zum Einschub mit der Tanzstunde inspiriert.

Es ist zwar „nur“ ein Cover, aber ein geniales! Gefällt mir persönlich besser als das Original.

`The Book of Love´ von Peter Gabriel.

Hier ein Link (ich hoffe, ich darf hier verlinken?) zum Lied, samt Text. Hab selten einen schöneren Songtext gehört. Und er passt so toll auf die beiden hier, das ist schon fast unheimlich. ^^
 

http://www.youtube.com/watch?v=6nZGv8VTBVE
 

Das Original ist von Magnetic Fields.

Schlimmer kommt´s immer!

Hsui Ursa Tatzu schlummerte tief und fest.

Der Ort an dem sie das tat, war an Exklusivität kaum zu überbieten, denn es waren Arme, die Hong La, der große Dichter, schon als alabasterne Himmelsbögen bezeichnet hatte.

Für Hsui waren es, wenn überhaupt, einfach nur Arme. Sie waren bequem, warm und kuschelig und somit ließ es sich darin wunderbar schlafen. Dass es die Arme ihrer ältesten Tante waren ... wen kümmerte das, solange man satt, geborgen und frisch gewickelt war?

Ja, Aya maß der vorliegenden Situation eindeutig mehr Bedeutung bei, als ihre winzige Nichte es tat. Das zahnlose Gähnen, das nicht gerade von rasendem Interesse zeugte, entlockte ihr ein zärtliches Lächeln. Sie summte eine leise Schlafmelodie, wiegte das Baby hin und her und strich sacht über den spärlichen Flaum auf dem erschreckend kahlen Köpfchen.

Als die Tür sich öffnete, drehte sie sich um.

„Oh, Hallo!“ Ein warmes Strahlen begleitete ihre Worte.

„Hallo.“ Die Erwiderung des Grußes war eher unsicher denn strahlend.

„Was ist denn?“

„Nichts“, sagte Zerfa stockend. „Ich ... wollte nur meine Puppe holen.“

„Ist sie das hier?“ Mit der freien Hand hob Aya eine alte, zerliebte Stoffpuppe empor.

„Ja.“ Das Mädchen kam näher, nahm die Puppe und drückte sie an sich. „Danke sehr.“

„Aber bitte.“

„Wiedersehn.“
 

Doch so einfach kam Zerfa nicht davon. Sie hatte die Tür schon fast erreicht, als eine leise Frage sie aufhielt.

„Warum gehst Du denn schon wieder?“

Das Mädchen blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um.

Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern legte Aya Hsui in die Wiege.

Im Augenblick gab es jemanden, der Zuwendung ganz offensichtlich nötiger hatte. Sie lief um Zerfa herum und ging in die Hocke.

„Was ist denn?“, fragte sie.

Sie erntete nur das typische, einseitige Schulterzucken.

„Zerfa?“ Sie strich dem Kind eine lose Haarsträhne hinters Ohr. „Sag mir, was Du hast.“

„Nichts. Ich ... hab nur meine Shushu gesucht. Ich wollte Dich nicht stören. Das Baby auch nicht.“

„Ich glaube aber schon, dass Dich etwas bedrückt.“

„Nein. Aber ich ...“

„Was?“

„MUSS man ein Baby lieb haben?“

Eine simple Frage, doch sie gewährte tiefen Einblick in einen durcheinander geratenen Kinderkosmos.

„Man muss nicht. Meistens tut man es einfach. Aber manchmal braucht es eine Weile.“

„Niha und Lee haben es sofort lieb gehabt.“

„Das sollten sie auch, sie sind Hsuis Eltern und müssen sich um sie kümmern.“

„Ja“, flüsterte Zerfa.

„Sie haben jetzt nicht mehr so viel Zeit, hm?“

„Nein.“

„Ja, das ist leider so. Als Zirah und Kiram auf die Welt kamen, war ich anfangs ziemlich böse auf sie.“

„Du? Du bist nie böse!“

„Oh doch! Damals war ich furchtbar eklig. Wegen ihnen hatte meine Mutter kaum noch Zeit für mich. Dabei wollte ich ihr doch so viele wichtige Dinge zeigen.“

Zerfa biss sich auf die Lippe und nickte.

„Aber Mama hat gemerkt, wie traurig ich war und dann ... hat sie mir etwas erzählt“, fuhr Aya fort. „Etwas über die Herzen der Menschen.“

„Ja? Was denn?“

„Sie sagte, dass das Herz eines Menschen im Grunde grenzenlos ist. Es kann sich bis zur Unendlichkeit ausdehnen, dann gibt es keinen Anfang und kein Ende mehr. Wenn man jemanden richtig lieb hat, dann tut man das für immer. Dessen Platz im Herzen wird niemals kleiner. Auch nicht wenn andere dazu kommen. Das Herz wird einfach größer. Es ... baut an.“

„Das ... das versteh ich nicht“, schniefte Zerfa.

„Dann lass es mich anders versuchen. Du hast Lee doch lieb?“

„Ja! Er ist wie mein Papa und mein Bruder.“

„Sogar so lieb wie zwei hast Du ihn?“

„Ja.“

„Und als er zu euch kam, hast Du da Niha oder Maja oder Jem plötzlich weniger lieb gehabt?“

„Nein!“

„Siehst Du. Weil Dein Herz,“ Aya legte ihre Hand auf die Stelle unter der Zerfas Herz schlug. „größer wurde. Es hat einfach angebaut ... für Lee. Und genauso ist es mit dem Baby. Niha und Lee haben Hsui sehr lieb, aber Dich ... Dich haben sie genauso lieb wie vorher. Doch wenn Babys noch so klein sind brauchen sie ständig irgendetwas. Und oft haben ihre Eltern dann weniger Zeit für andere. Dann muss man geduldig mit ihnen sein.“

„Mit den Babys?“

Aya musste lachen.

„Ja, das auch. Aber vor allem mit ihren Eltern.“

Zerfa nickte wieder.

„Also denk daran, auch wenn sie ein bisschen komisch oder ungeduldig werden, wie schrecklich lieb Niha und Lee Dich haben. Vielleicht kannst Du ihnen ja mit Hsui sogar ein wenig helfen. Und wenn gar niemand Zeit für Dich zu haben scheint, dann suchst Du einfach nach jemandem. Ich verspreche Dir, hier wirst Du immer Menschen finden, die für Dich da sind. Ich zum Beispiel. Ich hab fast immer Zeit. Und ich werd Dir immer zuhören. Außerdem sind da noch meine Eltern. Zu denen kannst Du auch gehen, wenn Dich etwas bedrückt.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“

„Und Du ... Du hast auch ganz bestimmt Zeit?“

„Für Dich? Oh, ja!“

Zerfa wischte sich verstohlen über die Wange.

„Vielleicht ... hab ich Hsui ja auch ein bisschen lieb“, sagte sie schließlich leise.
 

Aya konnte nicht mehr anders und zog das Kind fest an sich.

„Ja, ich glaube das hast Du. Ich bin mir sicher, bald wirst Du sie noch lieber haben. Und weißt Du, irgendwann haben Niha und Lee wieder genauso viel Zeit für Dich, wie vorher.“

Eine ganze Weile genoss Zerfa einfach nur die Umarmung. Auf einmal hätten all ihre Sorgen in eine Streichholzschachtel gepasst.

„Danke, Aya.“

Lächelnd nahm Aya Zarfas Hände in die ihren.

„Und? Was meinst Du, kommst Du morgen zur Gum Jo Stunde? Oder magst Du lieber bei unserer kleinen Nichte bleiben?

„Nein! Lieber Gum Jo spielen!“

„Das ist schön.“

„Aya?“.

„Ja? Was denn?“

„Ich ... ich mag Dich“, flüsterte Zerfa mit gesenktem Kopf und zwirbelte an der Kordel ihres Gürtels. „Ziemlich sehr.“

Sanft umfasste die Prinzessin dieses viel zu oft viel zu ernste Kindergesicht.

„Und ich hab Dich lieb, Zerfa Koro. Sogar ziemlich, ziemlich sehr.“

„So lieb wie das Baby?“

„Mindestens genauso lieb wie das Baby.“

Aya drückte dem Mädchen einen Kuss auf die Stirn, stand auf und streckte auffordernd eine Hand aus.

„So. Und jetzt lass uns Niha Bescheid geben, dass sie sich wieder um Hsui kümmern muss, denn wir zwei gehen jetzt Jem suchen und dann ab in die Küche. Ich hab gehört, dass es dort heute Eiscreme gibt.“

„Ist das das Kalte, Süsse?“

„Ja.“

„JA!“

„Welche Sorte magst Du am liebsten?“

„Es gibt SORTEN?“

Aya lachte „Aber ja. Ich mag am liebsten Schokolade-Orange. Es gibt aber auch Sahne, Litschibeere, Kirsch-Zitrone, Ticktock-Nuss und ich glaube Zimt. Den Rest hab ich vergessen.“

„Noch mehr?“, hauchte Zerfa.

„Ja. Und ihr dürft sie alle probieren.“
 

Aya war ob dieser Ablenkung mindestens so dankbar wie die beiden Kinder.

Eigentlich stünde ihre wöchentliche Trainingsstunde mit Hauptmann Nezu an.

Aber wenn sie sich an die von letzter Woche erinnerte ...

Seit sie ihn geküsst hatte - oder er sie - war sie kaum in der Lage an etwas anderes zu denken. Ihm wieder so nahe gewesen zu sein, war einer nicht enden wollenden Zerreißprobe gleichgekommen. Die ganze Zeit über hatte sie gegen den unwiderstehlichen Drang ankämpfen müssen, ihn zu berühren. Sie war nicht in der Lage gewesen, auch nur einen einzigen Bewegungsablauf korrekt auszuführen.

Nein, sie konnte wirklich darauf verzichten mit wild hämmerndem Herzen auf diesen strengen, unnahbaren Mund zu starren, der - wie sie nun leider aus eigener Erfahrung wusste - zu so viel mehr in der Lage war, als nur streng und unnahbar zu sein.

Sehnsucht und Unruhe wurden mit jedem Tag größer.

So groß, dass sie nicht wusste, wie lange sie ihre Distanz noch wahren konnte.

So groß, dass sie schon mit dem Gedanken gespielt hatte, ob es nicht besser wäre, ihn fort zu schicken.

So groß, dass sie sich manchmal vorkam wie eine Verrückte, wenn sie Nachts auf ihrem Bett kauerte, das Kissen an die Brust gedrückt, und mit brennenden Augen den Mond anstarrte.

In der Tat schienen ihre Nächte immer endloser und die Tage gestalteten sich dementsprechend katastrophal.

Schlaflosigkeit in der Nacht, Müdigkeit am Tag. Es zehrte an Ayas Nerven.

Nach nunmehr einer Woche dieser Tortour, fühlte sie sich ausgelaugt und krank.

Seit gestern hatten sich überaus hartnäckige Kopfschmerzen festgesetzt, die sich durch nichts mildern lassen wollten. Aya schrieb dieses Symptom, sowie auch die für sie vollkommen untypische Unruhe, der Übernächtigung zu.

Eine einfache Erklärung. Nur leider die Falsche.
 

Während Ihre Hoheit am Nachmittag im großen Theatersaal einer Aufführung von `Drei weiße Hyazinthen´ beiwohnte, beschloss Hauptmann Nezu den längst fälligen Schlussstrich unter eine reichlich schäbige Sache zu ziehen. Dieser Schritt stand ohnehin schon fest, wozu die Sache also noch länger hinauszögern?

Er blickte auf eine der vielen Sonnenuhren. Noch eine knappe Stunde bis zum Ende der Oper. Genug Zeit, eine kleine, unbedeutende Affäre zu beenden.

Er fand Kaori Ren am großen, westlichen Pavillon, wo sie und ihre Freundinnen sich um diese Zeit meistens aufhielten. Im Schatten verborgen bedeutete er ihr durch ein unmerkliches Kopfnicken, ihm zu folgen.

Sie löste sich aus der Gruppe und warf eine Bemerkung über die Schulter. Das spekulative, zweideutige Gekicher der Damen wehte bis zu Takeru herüber.

Er hatte es satt.

Die Indiskretionen. Das Getuschel.

Es war einfach nicht seine Art. SIE war nicht seine Art.

Nur weil ihr langes ebenholzfarbenes Haar fast den selben Glanz hatte wie ...

„Hauptmann“, murmelte es neben ihm. „Was für ein unerwartete Überraschung.“

Seine Kiefermuskulatur verhärtete sich.

„Ich muss Euch sprechen, Gräfin.“

„Das merke ich“, schnurrte sie. „Hier hinein.“ Sie zog ihn in ein leerstehendes Zimmer.

Kaum war die Tür geschlossen, nestelte sie fieberhaft an seiner Jacke herum.
 

„Kaori ...“

„Zieh das aus!“

Er hielt ihre Hände fest.

„Ich sagte, ich muss Euch sprechen!.“

„Reden können wir doch hinterher“, schmollte sie.

„Nein. Ich muss Euch leider ...“

„Kaori?“ Es kratze an der Tür. „Da kommt jemand!“, erklang eine leise, besorgte Frauenstimme.

„Verdammt!“, zischte die Gräfin. „Dann müssen wir das hier wohl ein andermal fortsetzen.“

Mit diesen Worten öffnete sie eine Seitentür und verschwand.

Der Hauptmann kam sich schäbiger vor denn je.

Warum schaffte er es nicht, ohne diese unbedeutenden, kurzen Liebschaften auszukommen?

Warum ließ ihn dieses verdammte Verlangen nicht in Ruhe?

Warum beherrschten noch immer Hunger und Gier sein Leben?

Da war es wieder, das Grübeln. Es wäre wirklich klüger, sich seinen Pflichten zuzuwenden.
 

Die Sänger waren heute unerträglich. Der Kopfschmerz, der Aya schon den ganzen Tag geplagt hatte, wurde immer bohrender. Das Licht war zu grell, die Musik zu laut, und vor lauter Schlafmangel sah sie fast doppelt.

Jede Sinneswahrnehmung war verzerrt, störend und ... zu viel.

Außerdem hatte sie schrecklichen Durst.

Wie lange konnte so eine Sterbeszene denn NOCH dauern?

Um die Schmerzen etwas zu lindern, massierte Aya ihre Schläfen.

Plötzlich stieg ihr ein starker, süßlicher Duft in die Nase und sie sah sich irritiert um.

Als sie begriff, drehte sie den Kopf ruckartig wieder nach vorn. Blicklos starrte sie auf die Bühne.
 

Er wagte es?

WAGTE es, sich ihr zu nähern, während der ekelhafte Gestank seiner Metze noch an ihm haftete?

Entsetzt über sich selbst, presste sie die Hände wieder an die Schläfen.

Sie würde noch verrückt werden. Wie konnte sie nur? Wie konnte sie?

`Du hast kein Recht auf ihn!´ wisperte es in ihrem Kopf. `Kein Recht!´

Und doch ... Und doch!

Er gehörte ihr! IHR!

Er war ihr doch geschenkt worden. Hatte ihr Vater ihn ihr nicht geschenkt?

Diesen Mann, der geschworen hatte, sie zu beschützen. Der geschworen hatte Sie vor jeglichem Schmerz zu bewahren. Und doch war nun er es, der sie hundertfach weinen ließ.

„Prinzessin?“, flüsterte Seri neben ihr besorgt.

„Ich ... mir ist nicht gut“, brachte Aya hervor.

Sie wollte nur noch allein sein.

Allein.

Und schreien. Sich mit den Fingernägeln aus der eigenen, brennenden Haut kratzen, an den Haaren reißen, bis sie nicht mehr Aya wäre.

Sie wollte endlich die Wahnsinnige sein, die es schaffen würde, sich das Herz aus dem Leib zu reißen, um zu beobachten, wie es alles Leben ausblutete, statt es nach und nach in ihrer Brust verkümmern zu lassen.
 

Und sie wollte ihm wehtun. Oh Gott ... wie sehr sie ihm wehtun wollte!

Ungeachtet der vielen Zuschauer stand Aya auf und wankte eher als dass sie ging, zur Tür ihrer Loge.

„Hoheit?“

Sie wollte seine Stimme nicht mehr hören!

„Prinzessin? Was ist mit Euch?“

„Nichts!“

Sie hastete weiter, eine Hand an der Wand.

„Prinzessin!?“

Ein fester Griff machte ihrer kopflosen Flucht ein Ende.

„Um Himmels Willen!“ Der Hauptmann klang bestürzt. „Ihr glüht!“

Und Du stinkst nach Jasmin!

„Lasst mich los!“, verlangte sie.

„Dai, einen Arzt in die Gemächer der Prinzessin“, herrschte Takeru einen jungen Wachposten an und hob seinen Schützling auf die Arme. „Und geben Sie seiner Lordschaft Bescheid! JETZT!“

„Lasst mich runter!“

„Ihr habt Fieber.“

„Das ist ein Befehl!“, keuchte Aya. „Ihr fasst mich nicht an, solange Ihr nach dieser ... dieser Frau riecht!“
 

Ihre Stimme war zu leise, um von jemand anderem gehört zu werden. Takeru allerdings veranlasste sie, seine Schritte zu beschleunigen. Irgendetwas stimmte nicht.

„Ich will nicht!“, wimmerte die Prinzessin, während ihre Hände sich verzweifelt in seine Uniformjacke verkrallten. War doch ihr einziger Halt ausgerechnet der Mann, der ihre Welt tagtäglich aus den Angeln hob.

„Ich will das nicht!“

„Es wird alles gut!“, versicherte ihr unbeirrbarer Schatten. „Der Arzt wird Euch helfen.“

„Er kann mir nicht helfen.“ Ihre Stimme war brüchig.

Da war die Tür zu ihren Zimmern. Endlich!

Rasch trug Hauptmann Nezu seine Last zum Bett. Er riss Kissen und Decken herunter und bettete Aya auf das kühle Laken.

Als er sich aufrichten wollte, umklammerten weiße Finger krampfhaft sein Revers.

„Takeru.“

Ihr Atem kam viel zu schnell, viel zu flach. Ihre Augen brannten viel zu hell.

„Prinzessin ...“

„Mein Takeru ...“
 

Reg- und fassungslos stand Hauptmann Nezu vor dem Bett und starrte auf seinen inzwischen bewusstlosen Schützling hinunter.

`Takeru.´

Das konnte nicht sein!

`Mein Takeru ...´

Er hatte diese Worte schon einmal gehört. Im Delirium.

Als seine Wünsche zu Bildern und seine Träume leibhaftig geworden waren.

`Mein Takeru ...´

Nein! Seine Sorge um sie, ließ ihn Dinge hören, die nicht sein konnten.

Aber er hatte ihre leise, warme Stimme schon einmal seinen Namen flüstern hören.

`Takeru.´
 

„Takeru?“

Er wirbelte herum und sah den Neuankömmling für den Bruchteil einer Sekunde begriffsstutzig an.

„Was ist los?“, fragte Zuko, barsch vor Sorge.

„Sie hat das Bewusstsein verloren.“

„Was?“ Der Feuerlord eilte ans Bett, setzte sich auf den Rand und befühlte die Stirn seiner Tochter. „Agni! Sie glüht!“

„Ich bin untröstlich, Herr. Heute Morgen schien sie vollkommen gesund.“

„Wo zum Teufel bleibt der Arzt?“

„Er wurde bereits gerufen.“

„Zuko? Was ist los?“

„Jin! Sie ist ohnmächtig.“

„Was? Aber sie ist noch nie ...“
 

Takeru trat zurück. In den Hintergrund, wo er hingehörte. In die Schatten, die seine Brüder waren.

Und Angst fraß ein Loch in seinen Bauch.
 

Die Ärzte kamen, das Fieber blieb.

Bei Prinzessin Aya wurde eine Hirnhautentzündung diagnostiziert.

Sie phantasierte. Wirre Dinge, grausame Dinge, blutige Dinge.

Von Feuer, Schwertern, Bienenfaltern, Fächern, Klingenklauen und Gift.

Betroffen lauschten ihre Eltern dem zusammenhangslosen Gestammel.

War sie nicht immer von all diesen Dingen ferngehalten worden? Immer beschützt worden? Doch nun, im Fieberwahn schien es, als habe sie jeden dieser Angriffe selbst erlitten.
 


 

Nächster Tag
 

Takeru stand im Arbeitszimmer seiner Wohnung und starrte aus dem Fenster. Wohnung ... welch Hohn. Diese Räume gehörten kaum zu seinem Leben.

Sein eigentliches Zuhause war eine kleine Kammer neben dem prächtigen Schlafgemach der Tochter des Feuerlords. Doch dort wurde er momentan nicht gebraucht. Also stand er hier. Nutzlos. Verloren.

Als es klopfte, warf er ein barsches „Herein“ über die Schulter.

„So allein, Hauptmann?“

„Kaori?“

„Ich sollte wohl dankbar sein, dass der vielbeschäftigtste Kage des Palastes mich noch erkennt“, spottete die Gräfin. „Wie ich höre, werden Eure Dienste im Augenblick nicht benötigt.“ Hüftschwingend kam sie näher. „Da dachte ich, ich könnte sie vielleicht für mich in Anspruch nehmen. Diese ... Dienste.“

Ihre Finger wanderten langsam über seine Brust, zu den Knöpfen seiner Jacke.

„Zieh doch dieses lästige Ding aus!“, hauchte sie.

Ihre Hände wurden unsanft gepackt.

„Kaori, bitte! Ich habe im Moment andere Sorgen.“

„Die Prinzessin?“ Die Hofdame schmollte gekonnt. „Warum? Du kannst doch nichts tun. Die Ärzte kümmern sich um sie.“

„Ich bin nicht in Stimmung“, erwiderte er knapp und trat einen Schritt zurück.

„Aber das kann ich doch ändern!“, flüsterte sie, kam wieder näher und begann seinen obersten Knopf zu öffnen.
 

`Mein Takeru.´
 

„Nein!“

„Was?“ Die Augen der Gräfin verschmälerten sich, dann riss sie sich zusammen.

Takeru Nezu mochte ein kalter, kompromissloser Bastard sein, aber seine Qualitäten im Bett waren einzigartig genug, um jeden Anflug von Launenhaftigkeit ihrerseits im Kein zu ersticken. Kurz gesagt, Kaori merkte sehr wohl, dass sie nun vorsichtig handeln musste, um ihren Liebhaber nicht zu verprellen.

„Schon gut“, lenkte sie daher ein. „Ich dachte, es muntert Dich vielleicht etwas auf. Aber wenn der Herr nicht in Stimmung ist ...“

Als sie zurücktrat, stieg ihm ihr viel zu starkes Parfum in die Nase.
 

`... solange Ihr nach dieser Frau riecht!´
 

„Ich halte die Zeit für gekommen, unser Arrangement zu beenden.“ Die Stimme des Hauptmanns klang unbeteiligt. „Ich wollte es Dir schon gestern sagen.“

„Was?“

„Es war ein Fehler.“ Und zwar einer, der erstaunlich leicht zu korrigieren war.

„Fehler?“, zischte Gräfin Ren. „Ein Fehler?“ Sie starrte ihn an. „Du WAGST es mich fallen zu lassen? MICH?“

„Ob ich es wage?“, wiederholte er gefährlich leise. Das Aquamarin in den silbergrauen Augen erstarrte zu Gletschereis. „Oh ja! Und zwar ohne jedes Bedauern.“

„Was ... was glaubst Du, was Du bist?“, fauchte Kaori. „Du blöder Bauerntrampel!“

Takeru straffte sich. Er wusste was nun kam. Bevor er sich als junger Offizier einen Namen gemacht hatte, hatte nichts die Menschen davon abgehalten, ihm ihre Meinung ins Gesicht zu schleudern. Er kannte diese Tiraden zur Genüge. Und immer, wenn er sie hörte, fragte er sich, was die Leute tun würden, wenn sie die volle Wahrheit über ihn erführen.

„Du kleiner, schlammwühlender Emporkömmling!“, spie seine abgelegte Maitresse. „Wenn Du kein Günstling des Lords wärest, würde Dich keine hier auch nur mit der Zange anfassen!“

„In der Tat“, erwiderte Zukos Blutwolf kalt. „Und ich denke, Ihr solltet es auch nicht mehr tun. Lebt wohl, Gräfin.“

Dann wandte er sich wieder dem Fenster und seinen Sorgen zu.
 


 

Ein weiterer Tag später
 

Selbst zwei Tage nach der unheilvollen Diagnose der Ärzte versuchte Takeru noch immer, das Unfassbare zu begreifen.

Der Schluss, zu dem er kam, war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Allerdings war es der einzig Verbleibende.

Seine Hirngespinste? In Wirklichkeit waren es Erinnerungen.

Ayas untypische Reaktionen auf ihn? Aus EINEM Blickwinkel ergaben sie Sinn.

Sie ... liebte ihn.

Ihn!

Aber Warum?

Warum er?

Er war Soldat, verdammt noch mal! Nicht mehr, nicht weniger.

Seine hervorstechendste Eigenschaft war die Fähigkeit einen ganzen Tag reglos auf ein und derselben Stelle zu stehen. Das, und die Tatsache stets und überall die Schwachstellen selbst harmlosester Zeitgenossen im Auge zu behalten.

Sogar sein bester Freund behauptete, eine Unterhaltung mit ihm sei wie der Versuch, einen Hindernisparcours auf einem Stachelschwein zu absolvieren.

Er war nicht liebenswert. Oder charmant. Oder auch nur hinreichend geistreich.

All das, was sie im Übermaß besaß ... Für ihn waren es kyotische Dörfer.

Warum also liebte sie ihn?

Oder glaubte es zu tun?

Diese selbstquälerischen, sich fortwährend im Kreis drehenden Gedanken machten jedoch nur einen Teil seiner Grübeleien aus.

Seine elementarste Sorge war und blieb der nach wie vor sehr kritische Zustand Prinzessin Ayas.
 

Seit zwei Tagen war alles ganz furchtbar.

Mutterseelenallein stand Zerfa in der Tür zum verwaisten Musikzimmer.

Sie wusste, dass Aya krank war. Schlimm krank. Sogar Lee lief mit traurigem Gesicht herum. Das tat er sonst nie.

Alle waren still und bedrückt.

Doch keiner wollte Zerfa sagen, wie es wirklich stand. Sie hatten entweder keine Zeit, oder machten sich zu viele Sorgen. Erwachsene dachten immer, sie müssten solche `Dinge´ geheim halten.

Man bekam sie aber trotzdem mit, die schlimmen Dinge, hatte trotzdem Angst.

Nicht darüber zu sprechen, machte nichts besser. Gar nichts.

Dabei hatte Aya gesagt, hier im Palast gäbe es immer jemanden, mit dem sie reden könnte ...

Vielleicht sollte sie es bei Lees Eltern versuchen.
 

Als Zerfa in der Tür zu Ayas Schlafzimmer stand, musste sie einsehen, dass es keine gute Idee gewesen war, hierher gekommen zu sein.

Lady Jin saß auf Ayas Bettkante. Sie sah aus, als hätte sie geweint. Der Feuerlord lief im Zimmer auf und ab, raufte sich die Haare und führte mit einem kleineren Mann etwas, das Niha und Lee eine Diskussion nannten.

„Herrgottnochmal! Irgendetwas muss man doch tun können!“

„Es tut mir unendlich leid, Mylord ...“

„LEID? Das hilft ihr nicht! Warum tut ihr nichts?“

„Wir haben schon alles versucht...“

„Dann war es zu wenig!“

„Hoheit, bitte. Ich weiß, wie verzweifelt Ihr seid, aber ...“

„ACH WIRKLICH?“

„Zuko ...“ Jins Flüstern ließ Zukos haltlosen Wutausbruch jäh verpuffen.

Er ging zu ihr, setzte sich neben sie und zog sie an sich.

„Es tut mir leid, mein Herz.“

Doktor Yuri räusperte sich umständlich. Er war an das quecksilbrige Temperament seines Arbeitgebers zwar gewöhnt und eigentlich konnte Mylord mit schlechten Nachrichten umgehen, aber wenn es um seine Kinder ging ...

„Durchlaucht, ich ... Wir taten wirklich unser Möglichstes. Selbst das Drachenkraut, welches Prinz Lu Ten beschafft hat, konnte das Fieber nicht senken. Und ... wenn es weiter steigt, solltet Ihr ... Dann können wir sie vielleicht nicht mehr retten“, schloss er leise.
 

Zerfa biss sich auf die Lippen und verschwand wieder hinter der Tür.

Nicht mehr retten? Das klang nicht gut. Überhaupt nicht gut.

Es klang eher als ...

Nein! Nein, nein! So ging das nicht. Prinzessinnen wurden gerettet. Immer!

Und hier im Palast gab es sogar jemanden, dessen Aufgabe genau das war!
 

Hauptmann Nezu unterbrach seinen Vortrag zum Thema Sicherheit beim Training. Die Aufmerksamkeit seiner Rekruten war offensichtlich abgelenkt. Sie lag bei was auch immer sich gerade hinter seinem Rücken befand. Dinge die dies vermochten, hatten das Potential interessant bis gefährlich zu sein.

Vielleicht war in einer der anderen Trainingsgruppen etwas aus dem Ruder gelaufen?

Als er sich umdrehte war da ... nichts. Takeru runzelte die Stirn.

„Herr Nezu?“

Sein Blick wanderte tiefer, das Stirnrunzeln auch.

„Zerfa?“

„Ähm ...“

„Bis Du allein durch die Trainingshalle spaziert?“

„Es war kein Spaziergang“, klärte das Kind ihn ernsthaft auf.

„Weißt Du, wie gefährlich es hier für Dich ist?“

Die jungen Männer hinter Hauptmann Nezu hielten die Luft an. DIESEN Tonfall kannten sie. Mehr als nur gut!

„Nein“, flüsterte Zerfa bang. Sie wusste ja nicht, dass sie - im Gegensatz zu den Rekruten - über eine unschlagbare Geheimwaffe verfügte. Große flehende Kinderaugen.

Takeru strich die Segel.

„Leutnant Kanawa?“

„Ja, Sir?“

„Sie übernehmen. Für die letzte halbe Stunde sollen die Männer ihr Gleichgewicht trainieren.“

„Jawohl, Herr!“

Alle Anwesenden, egal ob sie Rang und Namen hatten oder nicht, stierten dem seltsamen Gespann hinterher. Es sah doch tatsächlich so aus, als würde der grantige Granitbeißer von einem kleinen Mädchen durch die Gegend geschleift.
 

Nachdem die Gefahren trainierender Soldaten und herumliegender Waffen gebannt waren, wandte Takeru sich an seinen Gast.

„Da ich nicht annehme, dass Du Dich verlaufen hast, wolltest Du wohl zu mir.“

„Nein ... Ja. Ich wollte nur ... Wegen Aya.“

Daher wehte also der Wind.

„Keiner kann ihr helfen“, fuhr Zerfa stockend fort. „Aber bestimmt kannst Du es!“

„Ich?“

„Ja!“

„Ich bin kein Arzt.“

„Aber Du ... Du rettest sie doch immer. Das sagen alle!“

„Diesmal kann ich nichts für sie tun“, erwiderte er tonlos.

„Aber Du bist ... ihr Riese! Du musst was tun!“

„Zerfa ...“

„Bitte!“

Oh Himmel! Wie in aller Welt brachte man Kindertränen zum versiegen?

„Ich kann nicht ...“

„Aber sie stirbt sonst!“

Und wie in aller Welt brachte man sich selbst dazu, sich gegen das Unabwendbare zu wappnen?

„Zerfa.“ Takeru ging in die Hocke. „Diesmal kann ich der Prinzessin nicht helfen. Diesmal kann ich nicht für sie kämpfen. Sie muss es selbst tun.“

„Aber ...“

„Es tut mir sehr leid!“

„Dann ... vielleicht müssen wir ihr das sagen!“

„Was?“

„Dass sie selbst kämpfen muss. Wir müssen es ihr sagen! Vielleicht hört sie uns.“

Und vielleicht war ein Riese ein Riese und eine Prinzessin eine Prinzessin. Und die wurden nun mal gerettet. Ob jetzt von Riesen oder vor Riesen.

Aber große Leute vergaßen solche Dinge. Je größer sie wurden, umso mehr vergaßen sie. Darum hatte Herr Nezu von all dem natürlich auch ÜBERHAUPT keine Ahnung!

Also musste Zerfa wohl selbst dafür sorgen, dass die Sache so lief, wie sie ihrer Ansicht nach, und bestimmt auch nach Ansicht aller siebenundzwanzig Gottheiten, laufen sollte.

„Kommst Du bitte mit?“, flüsterte sie und griff nach seiner Hand. „Bitte!“

Die Hoffnung in ihrem Gesicht war zuviel für den Hauptmann.

Sollte doch ein anderer dieses Kind desillusionieren. Er konnte es nicht.

Ebenso wenig, wie er es bei sich selbst geschafft hatte.
 

Jin war so müde, dass sie das Klopfen beinahe überhört hätte.

„Ja?“, rief sie leise. Dann blinzelte sie erstaunt. War sie wirklich schon SO erschöpft?

„Zerfa? Hauptmann Nezu?“

„Können wir zu Aya?“

„Was? Natürlich. Aber ...“

„Verzeiht, Mylady. Wir wollten nicht stören. Das Kind ...“

„Wir müssen ihr etwas sagen!“, fiel Zerfa ihm ins Wort. „Was Wichtiges!“

Jin blickte das ungleiche Paar an.

Sie wusste, wie sehr die Kleine an Aya hing.

Und Takeru?

Vor lauter Sorge um ihre Tochter hatten sie und Zuko keinen Gedanken an ihn verschwendet. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, wie er sich fühlte.

„Ich bin sowieso viel zu müde“, sagte sie daher leise. „Wenn ihr ein bisschen bei ihr bleibt, kann ich mich ein wenig hinlegen.“

„Ja. Ist gut.“

„Komm her, Spätzchen!“

Zerfa rannte zum Bett und ließ sich umarmen.

„Du hast sie sehr lieb, nicht wahr?“ Myladys sonst so weiche Stimme klang gepresst.

„Ja.“

„Dann sag es ihr.“

„Das mach ich. Und Herr Nezu rettet sie!“

„Wirklich?“, flüsterte Jin in die weichen Locken. „Das ist gut!“

Verzweifelt klammerte sie sich an die Zuversicht dieses Kindes.

Ihre eigene neigte sich langsam dem Ende zu.
 

Eine Stunde später verfluchte Takeru sich.

Die Aussagen der Ärzte waren doch unmissverständlich gewesen.

Warum also hatte er sich von der Hoffnung der Kleinen anstecken lassen?

Warum setzte ihm die Enttäuschung in ihren Augen, als sie die Fruchtlosigkeit ihres Tuns erkennen musste, so zu?

Sie hatte so fest daran geglaubt.

Und er hatte ebenso fest daran glauben wollen. Wider besseren Wissens.

Am Ende stand er nur in diesem Zimmer, in dem er nichts zu suchen hatte, und fühlte sich machtloser denn je.

Sie so zu sehen ...

Um nicht durchzudrehen tat er, was er immer tat, wenn er kurz davor stand die Beherrschung zu verlieren. Er ging zu den Stallungen, sattelte Are und jagte mit ihr Richtung Norden.

Auf der Lichtung eines Kiefernwaldes am Fuße der Kumoi-Berge stieg er schließlich ab.
 

Takeru kannte dieses Fleckchen Erde und die Erde kannte ihn. Hierher kam er um seine Bändiger-Fähigkeiten zu trainieren, oder wenn ihn etwas aus der Bahn zu werfen drohte.

Der fruchtbare, reiche Boden tat ihm gut, absorbierte seine Rastlosigkeit.

Nur nicht heute. Heute barg das Element keinen Trost für ihn.

Er kniete am Ufer eines kleinen Bachs, die Finger tief ins Erdreich vergraben und spürte nichts außer der eigenen Hilflosigkeit. Auch als er die Fäuste ballte um sein Recht einzufordern und mit aller Kraft immer wieder in den Grund rammte, änderte sich nichts. Im Gegenteil. Die Erde verhärtete sich gegen ihn.

Am Ende bescherte es ihm nur blutige Knöchel. Erschöpfung, die er sonst nicht kannte, überkam ihn.

Aber tief unter der erstarrten Kruste konnte er das Leben spüren.

„Lass sie nicht sterben!“, flüsterte er in die hereinbrechende Nacht. „Bitte lass sie nicht sterben!“

Fast hätte er es nicht wahrgenommen. Doch nach und nach wurde die Erde warm, nachgiebig, pulsierte unter seinen geschundenen Händen.

Wäre es möglich ...?

Warum nicht? Sie war ein Kind der Erde, ebenso wie sie ein Kind des Feuers war.

Ein scharfer Pfiff brachte Are an seine Seite. Trotz des einsetzenden Regens trieb ihr Herr sie wie von Dämonen gejagt zurück zum Palast.
 

Jin schrak auf, Zuko wirbelte herum, als die Tür zu den Gemächern ihrer Tochter jäh aufgestoßen wurde. Der eklatante Mangel an Manieren wurde übergangen, als sie sahen, wer in der Tür stand.

„Takeru?“ Die Stimme Seiner Lordschaft war rau und müde.

„Ist das Fieber gefallen?“

„Nein.“

„Ich ... möchte etwas versuchen“, stieß Hauptmann Nezu aus. Was hatte er schon zu verlieren?

„Versuchen?“

„Es mag abwegig klingen, aber ... unsere Vorfahren glaubten, die Kräfte heilender Pflanzen und Kräuter seien nur ein schwacher Abglanz der Kräfte, die der Erde selbst innewohnen. Vielleicht ...“

Zuko begriff sofort.

„Macht schnell!“, befahl er.

Jin zog bereits die Decke von Aya fort.

„Der Garten bei unsrer Terrasse ist der nächste.“, sagte sie.

Ihre Stimme zitterte. Noch vertraute sie diesem Hoffnungsschimmer nicht.

„Welcher ist der Älteste?“

„Orangenhain“, schnappte Zuko. „Los!“

Die Wachen glaubten ihren Augen kaum, als Hauptmann Nezu mitten in der Nacht im Laufschritt eine nur dürftig bekleidete Prinzessin durch den Palast trug, während Ihre Durchlauchten ihm hinterherhasteten.
 

Aya lag bereits mehrere Minuten auf der blanken, feuchten Erde, als Zuko sich endlich einen Ruck gab und ihre Stirn befühlte.

Jin ließ ihn dabei keine Sekunde aus den Augen. Seine Hände funktionierten besser als jedes Thermometer, soviel wusste sie aus eigener Erfahrung.

Nur sein Mundwerk schien mal wieder den Dienst zu versagen.

„Was ist?“, drängte sie schließlich bang.

„Es ... fällt.“, sagte Zuko fassungslos. „Sehr langsam, aber es fällt.“

Jin schlug die Hände vor den Mund. Als sie zu schluchzen begann, zog ihr Gatte sie an sich.

„Den Göttern sein Dank!“, flüsterte er in ihr Haar. „Den Göttern sei Dank!“

Als dem Herrscherpaar letztlich einfiel, dass es noch jemanden gab dem sie Dank schuldeten, war dieser Jemand schon längst verschwunden, stand auf einer kleinen Waldlichtung und ließ sich den Regen über das Gesicht laufen.

Iroh nie das Schicksal

Die Gerichtsverhandlung gegen Masaru Shouta, Herzog von Yun, verlief wie Zuko es erwartet hatte. Die Zeugenaussage Baron Wangs belastete den Herzog zwar schwer, wurde jedoch nicht als eindeutiger Beweis gewertet.

So stand Aussage gegen Aussage. Aber wenigstens untermauerte es die wenigen Indizien, die sie hatten.

Es war einer jener Augenblicke, in denen Mylord ernsthaft versucht war, das Gesetzt selbst in die Hand zu nehmen.

Als Feuerlord stand ihm dies zu. Er war jedoch nicht bereit, auf das Niveau seines Vaters abzugleiten. Und hatte er selbst nicht immer propagiert, jedermann stünde eine faire Gerichtsverhandlung zu?

Nach nur zwei Stunden Beratungszeit erschien der hohe Rat des Gerichts wieder im großen Saal.

„Masaru Shouta!“, rief der Vorsitzende. „Im Angesicht der Flamme der Gerechtigkeit, erhebe Dich!“.

Widerwillig kam der junge Herzog der Aufforderung nach.

„Gebieter des Feuers! Im Angesicht der Flamme der Gerechtigkeit, erhebe Dich!“

Zuko erhob sich.

„Alles versammeltes Volk! Im Angesicht der Flamme der Gerechtigkeit, erhebet euch!“

Das Scharren und Schrammen unzähliger Stuhlbeine war zu hören.

„Höret den Beschluss!“ Umständliches Räuspern, dann das Rascheln von Dokumenten. „Wir, der hohe Rat des Gerichtes der ewigen Flamme Kairokus, sind übereingekommen, dass die vorliegenden Indizien ausreichen, von der Schuld Masaro Shoutas auszugehen. Da jedoch keine eindeutigen Beweise vorliegen, werden dem Beschuldigtem lediglich Titel und Ländereien entzogen. Der Stammsitz, auf den die gesamte Familie Shouta ein Anrecht hat, verbleibt in deren Besitz. Namentlich handelt es sich um Burg Yun und das umliegende Dorf. Der Beschuldigte darf ausschliesslich dorthin zurückkehren. Wird er außerhalb der Mauern Yuns gesichtet, ist er dingfest zu machen und der Gerichtsbarkeit vorzuführen. Sollte er sich einem solchen Zugriff entziehen, gilt er als vogelfrei und sein Leben ist verwirkt. Dieses Urteil fällten wir nach bestem Wissen und Gewissen. So einer noch etwas hinzuzufügen hat, trete er vor.“

Die vorgeschriebene Wartezeit wurde durch die neun Schläge eines mächtigen, bronzenen Gongs abgezählt.

„Somit hat dieses Urteil Bestand. Möge unser Bemühen der Gerechtigkeit dienen!“, rief der oberste Richter.

„Möge unser Bemühen der Gerechtigkeit dienen!“, wiederholten die anderen sechs Ratsmitglieder.
 

Die Vollzugsbeamten wollten Masaru eben aus dem Raum führen, als Zuko ihnen den Weg vertrat.

„Ich möchte einige letzte Worte mit Shouta wechseln“, bat er.

Die Wachen verneigten sich und nahmen Abstand.

Zuko sah dem ehemaligen Herzog von Yun in die Augen. Sie waren kalt und überheblich. Wie sie es immer gewesen waren.

„Hätte ich über Euch zu Gericht gesessen, wäret Ihr weniger glimpflich davongekommen.“

„Vielleicht sind Euer Durchlaucht eben doch nicht so gerecht, wie Ihr alle Welt glauben machen wollt“, höhnte Masaru. „Was für ein Heuchler Ihr doch seid. Und so schwach! Euer Vater hätte keine Sekunde gezögert, einen Feind einfach zu zerschmettern. Aber Ihr? Alles, was Ihr könnt, ist Euch hinter Euren Richtern zu verstecken. Das ist erbärmlich!“

„Große Worte für einen Mann, der sein Leben meiner Erbärmlichkeit zu verdanken hat.“

„Leben? Unter lebenslangem Hausarrest? Ihr ...“

„Oh, DAS kann ich gerne ändern.“ Trotz des eigenen Widerwillens brachte Zuko sein Gesicht ganz nahe an das des Jüngeren heran. „Setzt nur einen Fuss aus Eurer Burg und Ihr werdet sehen, wie ich mit meinen Feinden zu verfahren pflege. Habe ich mich klar ausgedrückt?“, setzte er sanft hinzu.

Masaru starrte in kaltglühende Drachenaugen und schluckte.

„Ob ich mich klar ausgedrückt habe?“, zischte Zuko mit geblähten Nüstern.

„Ja!“, würgte sein Gegenüber hervor.

„Wie schön! Wachen? Schafft ihn aus meinen Augen!“
 


 

Eine Woche nach den wohlbekannten Ereignissen auf einer kleinen Waldlichtung
 

Die Genesung Prinzessin Ayas machte rasante Fortschritte.

Die Ärzte konnten es kaum fassen. Eigentlich konnte niemand es wirklich fassen.

Niemand, außer einem kleinen Mädchen. Ein Mädchen mit einem schokoladenbraunen und einem taubengrauen Auge.

Zerfa war mächtig stolz auf Herrn Nezu. Und auf sich.

Mit diesem wohlverdienten Selbstvertrauen marschierte sie los.
 

Hauptmann Osaru verhielt mitten im Schritt. Hatte er gerade richtig gesehen?

Was, bei allen Feuern der Welt, tat dieses Kind hier? In diesem Bereich des Palastes befanden sich nur die Wohnungen der Offiziere der fürstlichen Leibgarde. Kinder gehörten hier ebenso wenig zum Ambiente wie rosa Kaninchen.

Han beschloss umgehend, dem rosa Kaninchen zu folgen.

„Hallo.“

„Äh ... Hallo?“

„Zerfa, nicht wahr?“

Die Kleine sah auf und nickte. „Mhm.“

„Kann ich Dir helfen? Hast Du Dich verlaufen?“

„Nein. Ich suche jemanden.“

„So?“ Han hob erstaunt die Brauen. „Wen suchst Du denn?“

„Herrn Nezu.“

„Herrn Nezu?“

„Ja.“

„Den Großen, Grummeligen?“

Dieser Soldat schien etwas langsam im Kopf, aber Zerfa griff ihm gerne etwas unter die Arme.

„Ayas Riese“, half sie aus.

„Ach. Ayas Riese. So, so.“

Nachdenklich blickte Han auf das Kind hinunter.

„Verstehe“, sagte er „Wenn dem so ist,“ Er deutete eine Verbeugung an „bitte ich, mir zu folgen. Ich bringe Dich zu ihm.“

„Das ist sehr nett. Danke.“

Nett? Die Kleine kannte Takeru offensichtlich nicht besonders gut.
 

Han klopfte sein typisches vierfach-Staccato an die Tür zur Wohnung seines Freundes und wartete.

„Wissen Sie auch wirklich, dass Herr Nezu da drin ist?“

„Natürlich! Du stehst vor dem notariell beglaubigten Freund Deines Riesen.“

„Wirklich? Aber ... Sie sind komisch“, sagte Zerfa misstrauisch.

„Ja. Das hör ich öfter.“ Er zwinkerte ihr zu.

Die Tür schwang auf.

„Han?“

„Ergebenster Diener!“ Han vollzog einen Kratzfuß. „Ich bringe Besuch.“

„Das sehe ich. Guten Tag, Zerfa.“

„Äh ... Hallo Herr Nezu.“
 

Han beobachtete mit steigendem Amüsement, wie Gesichtsfarbe und Nervosität des Mädchens zunahmen.

„Ich ... wollte mich bedanken. Weil wegen Aya. Du hast sie ja nämlich doch noch gerettet.“

„Ja. Und ab morgen wird er auch über´s Wasser spazieren, was man so hört“, murmelte Hauptmann Osaru.

„Han! Nichts zu tun?“

„Nicht im Geringsten.“

„Also ... ich. Ähm ... ich hab was für Dich.“

„Für ... mich?“

Seltenes Schauspiel, so ein bass erstaunter `Herr Nezu´. Gewisse Leute hätten Hab und Gut inklusive Seele für ein fotographisches Gedächtnis geopfert.

„Ja.“ Fräulein Koro knetete ein ungeschickt eingewickeltes Päckchen zwischen den Fingern.

„Das ist nicht nötig. Ich habe nur meine Pfl ...“

Han hielt es für besser einzuschreiten, bevor möglicherweise irreparable Schäden an einem zarten Mädchen-Herzen zu beklagen wären.

„Was ist es denn?“, fragte er daher.

„Nur ... ein Schal“, flüsterte Zerfa. Mit einem Mal schien ihre Idee irgendwie falsch zu sein.

„Wirklich? Ein Schal? Oh Mann! Erst Vorgestern hat Takeru mir erzählt, wie sehr er sich einen neuen Schal wünscht, nicht wahr? ... Taku?“

Hinter Zerfas Rücken bedeutete Han seinem Freund energisch, in die Hocke zu gehen.

„Äh. Ja! Natürlich. Sehr nützlich, so ein ... Schal.“, murmelte dieser, als er unbeholfen das Päckchen entgegen nahm.

Han verdrehte die Augen. Seine Lippen formten überdeutlich ein stummes `Auspacken!´.

Man verstand und entfernte das bunte Papier. Zum Vorschein kam ein etwas grobmaschiger, aber durchaus zweckdienlicher Schal.

Noch immer wusste Takeru nicht, was er sagen sollte.

Han hingegen nahm einen tiefen, verzückten Atemzug.

„Meine Güte! Auch noch seine Lieblingsfarbe!“, rief er. „Woher hast Du das nur gewusst?“
 

Zerfas Blick hing bang an den Gesichtszügen Herrn Nezus.

„Ich hab ihn selbst gemacht. Leider ist er nicht so schön geworden wie die, die Niha macht.“

„Wirklich?“ Takeru blickte in die besorgten Augen. Plötzlich wusste er ganz genau was er zu sagen hatte. „Ich finde ihn sehr gelungen.“

„Ja? Und ... magst Du die Farbe?“

„Ja. Ich mag sie. Sehr. Das ist ein besonders schönes Geschenk.“

„Ja? Wirklich? Ähm ... das ...“

„Ich danke Dir sehr, Zerfa!“

Ein glückliches Strahlen erleuchtete Zerfas Gesicht. Ohne Vorwarnung stellte sie sich auf die Zehenspitzen, drückte flugs einen Kuss auf die vernarbte Wange des Riesen wirbelte herum und rannte um die nächste Ecke.

„Wiedersehn!“, rief sie, fast schon außer Hörweite.
 

Takeru sah Han an.

Han sah Takeru an. Dann brach raues, unbändiges Gelächter aus ihm.

„Agni, Taku!“, keuchte er. „Du solltest Dein Gesicht sehen! Mein bestes Schwert für einen Portrait-Zeichner!“

„Han ...“ Obwohl sein Freund sich wieder zu voller, bemerkenswerter Größe aufrichtete, beeindruckte dessen bedrohliches Knurren Hauptmann Osaru nicht im Mindesten.

„Es ist wirklich unglaublich. Nach einunddreissig Jahren auf diesem Erdenrund hast Du immer noch nicht gelernt mit Frauen umzugehen.“

„Wozu sollte ich?“, fragte Takeru.

„Ist diese Frage rethorisch, oder einfach nur dämlich?“

„Zieh Strohhalme.“

„Ich entscheide mich für dämlich.“

„Und wer hat den neuen Schal bekommen?“

„Also ... äh ...“

„Ganz genau.“
 

Ja, die Dinge liefen wieder ihren normalen Gang. Leider.

Alte Gewohnheiten liessen sich eben nur allzu leicht wieder aufgreifen. In diesem Fall führten sie leider dazu, dass Dinge, über die eigentlich hätte gesprochen werden müssen, ungesagt blieben.

Nach gut einer Woche hatte Zuko die Schnauze gestrichen voll und er liess den stellvertretenden Kommandanten seiner Leibgarde zu sich rufen. Mylady hatte die Ehre, dem Ereignis beizuwohnen.

„Hauptmann Nezu.“

„Mein Lord?“

„Haben wir Euch eigentlich schon gedankt?“

„Gedankt, Herr?“

„Ja, Hauptmann. Dankbarkeit. Ist ein Gefühl, das zum Beispiel derjenige zu entwickeln pflegt, dessen Kind gerettet wurde.“

„Ihr wisst, dass ich nur meine Pflicht ...“

„Erzählt er diesen Unsinn nicht jedes Mal, Zuko?“, fragte Jin nachdenklich.

„Ja. Sehr ermüdend.“

„Ich glaube fast, das mit dem bedanken können wir uns sparen.“

„Du hast Recht. Ich komm lieber gleich zur Sache. Hauptmann, angesichts der jüngsten Ereignisse sind wir wegen Aya noch um einiges besorgter, als wir es ohnehin schon waren. Ihre Krankheit schien uns, na ja, wie soll ich sagen ...“

„Wir denken, dass vielleicht der ganze Kummer Schuld daran war.“, vollendete Jin den Satz.
 

Takeru presste die Kiefer aufeinander. Diese Schlussfolgerung war die letzte, die er hören wollte. Die letzte, die er sich selbst eingestehen wollte. Denn so wie der Kummer möglicherweise die Ursache ihrer Krankheit gewesen war, so war er selbst vermutlich Ursache dieses Kummers.

Ein Gedanke, der ihm noch vor wenigen Wochen völlig abwegig erschienen war.

Jetzt war er nur noch unerträglich.

So unfassbar berauschend die unerwartete Entdeckung ihrer Gefühle auch gewesen war, so wenig änderten sie an der Grundkonstellation.

Dieses wertvollste aller Geschenke zurückweisen zu müssen kostete ihn mehr als irgendetwas sonst auf dieser Welt.

Doch wie hätte er anders handeln sollen?

Wie hätte er die Ehre des Mannes, dem er alles verdankte, derart in den Dreck ziehen können? Wie hätte er SIE derart in den Dreck ziehen können?

Außerdem wusste sie nicht das Geringste von seiner Vergangenheit.

Der Hauptmann war ein Mann, der sich der Konsequenzen seines Handelns stets bewusst gewesen war. Nun hatte ihn seine Vergangenheit nicht nur eingeholt; sie verhöhnte ihn.
 

„Nun, um ehrlich zu sein hoffen wir, Ihr könnt uns heute vielleicht etwas mehr berichten, als die letzten Male. Habt Ihr mittlerweile eine Ahnung, wem die Gefühle unserer Tochter gelten?“

„Nein.“

„Nein? Einfach nur nein?“ Die Drachenaugen verengten sich „Kein: Ich bin nicht ganz sicher?“

„Nein.“

„Aha.“

Der Blick Seiner Lordschaft war seltsam, also wich man ihm aus.

„Ihr habt also wirklich keinen blassen Schimmer?“, hakte Zuko etwas unterkühlt nach.

„Nein, Sire.“

„Gut. Ihr dürft wegtreten.“
 

Nachdem der Hauptmann aus dem Raum war, drehte Zuko sich um.

„Ist das zu fassen?“, presste er durch die Zähne. „Lügt mir frech ins Gesicht.“

„Woher willst Du das wissen?“, fragte Jin.

„Weil ich ihn kenne. Es mag zwar noch nie vorgekommen sein, aber ich sehe trotzdem, wenn er mir eine Lüge auftischt. Seine verdammte Steinvisage nützt ihm da auch nichts.“

„Ich denke auch, der Bengel hat geschwindelt.“

„Onkel?“
 

Das Herrscherpaar sah verdutzt zu einer kleinen Tür. Sie war mit der gleichen dunkelroten, von goldenen Ornamenten durchzogenen Seide bespannt, wie die Wände des Arbeitszimmers.

In dieser Tür stand stand General Iroh, ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht.

„Ja, mein Junge. Übrigens könntet Ihr diese Geheimgänge wirklich mal beheizen lassen. Diese Kälte ist Gift für meine alten Knochen.“

„Wenn Ihr Euer Kommen angekündigt hättet ...“

„Hätte es weniger Spass gemacht.“

„Ihr beiden glaubt also wirklich, Takeru weiß nun Bescheid?“, wollte Jin wissen.

„Nur, wenn wir über die selbe Sache sprechen.“ Umständlich klopfte Iroh sich Staub und Spinnweben von den Schultern.

„Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich damals nicht einfach davongelaufen bin“, murmelte seine Schwiegernichte.

„Könnten wir ausnahmsweise beim Thema bleiben?“, knirschte Zuko. „Der Bursche weiß meiner Meinung nach verdammt gut, wie es um Aya steht, tut aber nichts. Ich habe ehrlich gesagt keine Lust zu warten, bis wieder einer von beiden ins Koma fällt.“

„Was willst Du tun?“, fragte sein Eheweib.

„Das Naheliegendste. Wenn der werte Herr eines kann, dann ist es, Befehle zu befolgen.“

„Wie ...Ihr wollt ihm befehlen sie zu heiraten?“ Genaral Iroh runzelte die Stirn.

„Ich werde einfach eine Verlobung bekannt geben. Das galt durchaus schon als gängige Praxis.“

„Ich erinnere mich. Aber erst Lu Ten, jetzt Aya ... Mir war nicht bewusst, dass Ihr als Zuko der Kuppler in die Geschichte eingehen wollt.“

„Ein Titel, um den ich mich nicht gerade reiße. Aber anders bekommen es die beiden ja scheinbar nicht auf die Reihe.“

„Oh, na ja. Vielleicht muss man ein bisschen nachhelfen“, brummte Iroh. „Bei Dir hat´s damals wahre Wunder bewirkt.“

„Bei ...?“ Statt auf diese Provokation einzugehen, zählte Zuko lautlos bis 9. „Also schön! Wenn Ihr eine bessere Idee habt.“

„Noch nicht. Aber ich arbeite daran.“

„Gut. Es wäre mir lieb, wenn Ihr das schnell macht.“

„Also wirklich. Einen alten Mann so zu hetzen...“, murrte Iroh.
 

So kam es also, dass, bei einer gemütlichen Tasse Tee, Han Osaru die gut gehüteten Geheimnisse seines Freundes ausplauderte. Sein schlechtes Gewissen tendierte dabei gegen Null.

Aber was tut man nicht alles, für einen höheren Zweck?

Der Plan, der ausgearbeitet wurde, hatte die Vorhersehbarkeit menschlicher Schwächen zur Grundlage. Das, und eine alte Kinderzeichnung.
 


 

Zur gleichen Zeit, in der Weberei des Palastes
 

„Ich glaube, wir haben endlich die richtige Farbmischung für die Wasser-Tücher hinbekommen. Hier, sieh´s Dir mal an.“ Stolz präsentierte Mylady ein Gebilde aus feinster Seide.

Die hellen, fast farblosen, blaugrünen Schlieren hatten beinahe die Farbe der eisblauen Splitter in seinen ...

„Schätzchen?“

„Was?“, fragte Aya aufgeschreckt.

„Findest Du die Farben gut so?“

„J ...ja. Sie sind sehr schön geworden.“

„Und die Struktur der Seide? Ist sie so, wie Du es Dir vorgestellt hattest?“

Aya liess den zarten Stoff durch ihre Finger rinnen. Das Gewebe war kühl, anschmiegsam und so makellos, dass es schimmerte wie Wellen mondbeschienenen Wassers.

„Sie ist ganz wundervoll. Sie sieht nicht nur aus wie Wasser, sie fühlt sich auch so an.“

Sela und Jin strahlten sich an. Die `Wasser-Tücher´ waren die Letzten des Projektes Avatar gewesen.
 

„Oh, diese Element-Tücher werden der Renner, das sage ich euch!“ Sela, Geschäftspartnerin und beste Freundin Ihrer Ladyschaft hörte mal wieder die Kasse klingeln.

„Sela, Du wirst noch zum Profitgeier“ Jin schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf.

„Na, wozu hat Dein Mann mich denn zur gleichberechtigten Geschäftsführerin ernannt? Er weiss sehr gut, dass Du nur den ganzen Tag am Webstuhl verbummelst.“

„Verbummelst? Nur weil DU keine gerade Webkante hinbekommst, wenn ...“

„Tja, ich LASSE eben arbeiten“, grinste Sela. „Das kann ich besser.“

„Und im Zweifelsfall lasse ICH auspeitschen.“

„Seit wann kannst Du das Blut anderer Leute sehen, ohne einen Schwächeanfall zu kriegen?“

„Seit ... seit ich geübt hab“, sagte Jin und verschränkte die Arme.
 

„Wie lange wollt ihr beiden die Sache noch hinauszögern“, seufzte Aya. Sie wurde ungnädig taxiert. „Ich mein ja nur. Wenn ihr noch weiter herumalbert, könnte ich ein oder zwei Meditationsstunden einschieben.“

„Wir albern aber doch nicht herum!“

„Nie im Leben!“, bestärkte Sela ihre Freundin.

„Nicht? Dann wollt ihr euch wohl nur Papas Urteil nicht stellen?“ Die Prinzessin liess die unschuldige Frage im Raum schweben.

„Also ... wie kommt sie denn darauf? Das hat sie doch von Dir!“

„Von MIR? Zuko verzieht die Gören. Nicht ich!“

„Ach hör doch auf. Ich hab Dir damals gleich gesagt dieses viermal am Tag wickeln verhätschelt sie zu sehr.“

Aya schloss die Augen, betete um Geduld, setzte sich auf einen Stuhl und faltete gesittet die Hände im Schoss. Zwei Minuten später hatte die Diskussion zwischen Sela Fu und Jin Tatzu ein Ende gefunden.

„Seid ihr fertig?“, erkundigte Aya sich freundlich.

„Ja, Mäuschen. Entschuldige. Aber wir sind immer so nervös, wenn wir Deinem Vater ein neues Produkt vorstellen.“

„Es sind eben unsere Babys“, stellte Sela klar.

„Und ich bin sicher, sie werden vier mal am Tag gewickelt“, murmelte Aya.

„Genau!“, strahlte Jin. „Wart´s nur ab. Nachher bist Du genauso nervös wie wir. Schliesslich sind es diesmal Deine Babys! Und wenn Dein Vater diesen Blick aufsetzt ...“

„Huh, ja! Weisst Du noch, wie er damals die Phönix-Flaggen angesehen hat? Ich dachte, jetzt schliesst er die Weberei und lässt uns Topflappen klöppeln.“

„Er fand den Phönix wundervoll!“, verteidigte Jin ihre Kreation.

„Ja hab ich damals gewusst, dass er alles und jeden so anstarrt? Minutenlang hat er kein Wort gesagt.“

„Du hast eben keine Ahnung von Feuerfuzzis!“

„Darum hab ich auch einen geheiratet.“

„Tian ist kein Feuerfuzzi. Er ist ...“

„Ja? WAS ist mein Mann?“

„Äh ... ein überaus wohltemperierter, unverzichtbarer Pfeiler unserer Nation?“, improvisierte Jin hastig.

„Ihr könnt einfach nicht damit aufhören, oder? Wenn´s Recht ist, werd ich jetzt Vater holen.“

„Huh, dieser Blick“, flüsterte Sela, nachdem die Prinzessin aus dem Raum geschwebt war.

„Ja. Hat sie auch von ihrem Papa.“
 

Stumm betrachtete Zuko die vier großen Tücher.

Jedes davon war so einzigartig, dass die Idee dahinter sofort ersichtlich wurde.

Das erste war nur an einem Zipfel aufgehängt worden. Es war in sämtlichen Nuancen von Grau und Silber gehalten und so unglaublich zart und durchscheinend, dass es dem leisesten Lufthauch folgte, ja fast zu schweben schien. Wenn es sich bauschte, sah es aus, als türmten sich Gewitterwolken auf.

Darunter hatten die Frauen ein in kühlen Blau- und Grüntönen schillerndes Gespinst drapiert, dessen schimmernde Glätte spielerisch um jede Kontur floss.

Das dritte Tuch war schwerer; robuster gewebt als die anderen, mit kleinen Knötchen und Unebenheiten. Diese Rohseide, in warmen, strotzenden Farben von Ocker, über Rostrot zu Braun wies den subtilen Glanz fruchtbarer Erde auf.

Das letzte dieser wundersamen Gebilde war in dramatisch gleißenden, changierenden Rot-, Orange- und Gelbtönen gehalten. Durchzogen war das Gewirk von hauchdünnen Goldfäden die jeden noch so winzigen Lichtfunken einfingen, um damit zu spielen. Als Zuko den Stoff berührte, knisterte er leise.

Er liess jedes der Tücher langsam, fast andächtig durch seine rechte Hand gleiten. Schon allein die unterschiedlichen Texturen die seine Finger umschmeichelten verrieten das jeweilige Element, das die Seide verkörperte.
 

„Ich ... weiß nicht, was ich sagen soll“, murmelte er schliesslich.

„Wie, Du weißt es nicht?“

„Das hier ist wahrscheinlich das wundervollste, was ihr je gemacht habt.“

„Oh.“, machte Jin nur.

„Hast Du das gehört?“, quietschte Sela. „Habt ihr das alle gehört?“

Die versammelten Weberinnen und Färberinnen machten große Augen und nickten verzückt.

Zuko wandte sich den Frauen zu.

„Diesmal habt ihr euch wirklich selbst übertroffen“, sagte er. „Jedes einzelne dieser Tücher ist ein Kunstwerk.“

„Wie macht er das nur?“, sinnierte Sela halblaut. „Wir reden uns den Mund fusslig und er sagt nur zwei Sätze und die Frauen sind ganz aus dem Häuschen.“

„Teekellner können sowas“, sagte das ehemalige Fräulein We verträumt. Dann zupfte sie ihren Gatten am Ärmel. „Willst Du gar nicht wissen, wer sie entworfen hat, mein Gebieter?“

„Nicht Du?“

„Nein. Ich hab nur äußerst akkurate Anweisungen ausgeführt.“, gab sie zu.

„Dann kann es nur jemand sein, der Dein Einfühlungsvermögen und Dein Gespür für das Wesen der Dinge geerbt hat“, entschied er mit Blick auf seine ältere Tochter.

„Ich wusste ja, dass Du es errätst. “
 

„Aya?“

„Ja?“

Zuko streckte auffordernd die Hand aus. Aya folgte der Aufforderung, trat vor ihn und ergriff sie.

„Flämmchen“, sagte er rau und sah sie lange an. „Hast Du eine Ahnung, wie stolz wir auf Dich sind?“

„Es ... es sind doch nur Schals.“

„Nein“, widersprach ihr Vater. „Es sind Zeichen. Zeichen dafür, dass die Feuernation jedes Element als das ehrt, was es ist. Als unabkömmlichen Teil des Ganzen. Sie werden die Botschaft verstehen. Und sie werden sie lieben, Deine Tücher.“

„Es sieht jedenfalls ganz danach aus, als hätten wir eine neue Mitarbeiterin.“ Jin versuchte gefasst zu klingen. Wie immer blieb es beim Versuch.

„Wie wäre es mit Avatar-Kollektion?“, fragte Sela mit einer ausholenden Geste, in Gedanken schon bei der Vermarktung. „Oder Southern Lights? Elemental Silks? Gezeiten der Seide?“

„Manchmal finde ich, sie klingt wie Sokka“, flüsterte Zuko seiner Gattin ins Ohr.

„Ja. Dabei klingt `Visionen aus dem Hinterteil einer Raupe´ viel besser. Oder kurz `Popoesk´.“

„Natürlich. VIEL besser!“, stimmte Zuko zu. Allerdings sah er dabei aus, als hätte er Zahnschmerzen.

Also wollte Jin mal nicht so sein.

„Nein, ich hab´s!“, rief sie. „`Zukos tantrische Liebestücher´!“

„KOBOLD!“
 


 

Irohs Plan stand fest. In groben Zügen bestand er darin, die beiden Liebenden mit den Gefühlen des jeweils anderen zu konfrontieren.

Da nicht zu erwarten war, dass sich einer der beiden zu spontanen, feurigen Lippenbekenntnissen hinreißen ließe, musste man subtiler vorgehen. Es musste ihnen vor Augen geführt werden. Quasi.

Einziges Anschauungsmaterial, im wortwörtlichen Sinn, war ein altes Aquarell, welches Aya vor einer scheinbaren Ewigkeit gemalt hatte. Für einen nach Stall riechenden Jungen, der ihr das Leben gerettet hatte. Im Gespräch mit Hauptmann Osaru hatte sich dieses Bild als eines der kostbarsten Besitztümer seines Freundes herauskristallisiert. Wenn dies einer gewissen jungen Dame bewusst würde, stand zu hoffen, dass ... na ja, dass ihr noch viel mehr bewusst werden würde.

Nezu wusste über den Gemütszustand des Objektes seiner Begierde vermutlich ja Bescheid, somit würde es hoffentlich ausreichen, nun auch Aya die Augen zu öffnen.

Immerhin hatte das Kind eine Ahnenreihe im Rücken, die - selbst wenn 31,7% davon Idioten gewesen waren - so doch ausschliesslich unglaublich mutige Individuen hervorgebracht hatte.

Also ging Iroh einfach davon aus, dass das Mädel die Sache schon schaukeln würde, wenn sie erst wusste, wie es um ihren Kage stand.

Nun mussten die beiden nur noch dem Plan entsprechen platziert werden. Da einige von Irohs Statisten Bücher waren, war der geeignetste Platz hierzu die Bibliothek. Und zwar die Bibliothek, die sich an Ayas Gemächer anschloss. Schliesslich KÖNNTE es sein, dass gleich traute Zweisamkeit vonnöten wäre.

Als alles zu seiner Zufriedenheit arrangiert war, liess er Großnichte samt Aufpasser zu sich bitten.
 

„Ihr wolltet mich sprechen Onkel?“

„Ah, da bist Du ja, mein Goldmädel. Es scheint, als hätte die Dienerschaft in letzter Zeit einige Bücher durcheinander gebracht. Diese ganzen Krankenlager ... und an jedem lagen stapelweise Bücher herum. Ich hab sie alle dabei, dann können wir Deine gleich aussortieren.“ Er strahlte, wie immer, wenn er sich mit dem geschriebenen Wort beschäftigen durfte. „Du musst mir nur sagen, welches davon Deine sind.“

„Mal sehen. Das hier.“ Aya legte ein kleines Gedichtband beiseite. „Das. Oh und hier sind ja die `Märchen aus dem Wasserschloss´, die Ihr mir geschenkt habt. Ich hatte sie schon überall gesucht.“

„Ah, die hast Du geliebt.“

„Ich liebe sie noch immer!“, stellte Aya richtig und strich zärtlich über die vergoldeten Schnittkanten des Buches.
 

Scheinbar beiläufig nahm Iroh einen etwas dickeren Band zur Hand.

Jetzt kam es auf das Timing an.

Er schlug die Seiten auf und liess ein altes, schon recht sprödes Blatt Papier zu Boden flattern.

„Na nu.“, murmelte er. „Wem gehört das denn?“

Er wartete, bis Aya sich nach dem Blatt bückte. Genau in dem Moment, in dem sie es in der Hand hielt, las Iroh den Namen im Einband des Buches. Selbstverständlich laut. Sonst hätte es ja nichts gebracht.

„T. Nezu. Hauptmann, das scheint Euch zu gehören.“

„Wirklich?“, fragte der Kage von der Tür. „Ich liess meines Wissens nach keine Bücher liegen.“

Iroh zuckte mit den Schultern und schielte zu seiner Nichte. Sie betrachtete inzwischen das Bild und schien gelinde gesagt recht ... überrascht.

GUT! Jetzt der Hustenanfall.

Auf dieses Zeichen hin klopfte es kurz und Han Osaru steckte den Kopf zur Tür herein.

„Verzeiht, General Iroh. Kommandant Kuroto fragt, ob Ihr kurz Zeit hättet. Es wäre ... ziemlich dringend.“

„Natürlich, natürlich!“ Galant und unauffällig schlenderte Iroh aus dem Szenario.
 

Aya starrte auf das vergilbte, unbeholfene Aquarell.

Mit viel Fantasie erkannte man einen überdimensionalen, orangefarbenen Kater, ein kleines Mädchen, einen schlaksigen Jungen mit goldbraunem Haar und ein paar viel zu groß geratene Bienenfalter.

Das Bild zitterte in ihrer Hand.

„Gehört ...“ Sie schluckte. „Gehört das Euch?“

Der Hauptmann trat näher. Schon nach zwei Schritten erkannte er die Katastrophe.

Das konnte nicht sein! Wie zum Teufel kam dieses Bild hierher? Wie zum Teufel sollte er es erklären? Wie, zum Teufel ...

„Das habe ich gemacht.“, flüsterte sie.

„Wirklich?“ Selbst in den eigenen Ohren klang Takerus Stimme gepresst. „Ich kann mich nicht erinnern.“

Noch immer verschlangen ihre Augen das Aquarell. Dieses verdammte Stück Papier, das seine Seele von einem Moment zum anderen blossgelegt hatte.

„Aber ... mein Name steht hier. Dieses Bild ... Das habe ich gemalt. Nach dem Vorfall mit den Bienenfaltern. Für... für Euch. Warum ... warum habt Ihr es noch?“

Takeru verfluchte sich.

Idiot! Gottverdammter, törichter, hoffnungsloser Träumer, der er war.

Wieso hatte er diesen Wisch nicht schon vor langer Zeit vernichtet?

Sie hob den Blick. Ausgerechnet jetzt. Ausgerechnet in dem Augenblick, in dem seine Verteidigung Null und Nichtig war. Sie durfte es nicht wissen ...

„Ihr ... liebt mich.“, hauchte sie.

Es klang so erstaunt. So glücklich.

Als betrachte sie ein Wunder.

Der schreckliche Glanz ihrer Augen drohte, ihn in ihren Feen-Bann zu ziehen.

„Nein!“

Gemessen an dieser Lüge, verblassten all die anderen Lügen seines Lebens zur Bedeutungslosigkeit. Er würde der Hölle nicht entkommen. Jetzt nicht mehr.

„Doch! Doch Ihr liebt mich! Als Ihr bewusstlos wart ... Ihr ... Ihr habt mich geküsst.“, stammelte Aya. Ihre Augen flehten um die Wahrheit.

„Es war nur ein Reflex. Ich wusste nicht, wer ...“ Seine Worte waren spröde und widerspenstig. Er war beinahe froh, als sie ihn unterbrach.

„Nein! Ihr habt meinen Namen genannt!“

„Wirklich?“ Endlich bekam er die steinerne Kälte wieder zu fassen. Mit dieser allzu vertrauten Waffe bekam er wieder die Oberhand über seine Gefühle. „Was wollt Ihr von mir hören, Hoheit? Dass Ihr schön seid? Begehrenswert? Das seid Ihr. Über die Maßen. Nicht einmal ich bin in der Lage, das zu übersehen. Es war das Gift. Nichts weiter.“

„Ihr lügt!“, stieß Aya hervor. Sie war blass geworden. Unendlich blass. „Bitte! Dieses Bild ... warum solltet Ihr ..?“

„Warum nicht? Es war der Beginn meiner Karriere. Meine Orden behalte ich schliesslich auch.“

Sekundenlang starrte Aya auf das Bild. Dann wieder auf ihn.

„Nein!“, flehte sie. „Ihr ... Bitte! Sagt mir die Wahrheit! Bitte!“

Er musste sich dagegen verschließen.

Musste es!

„Ich kann Euch nicht sagen, was nicht ist, Hoheit.“ Wie konnte seine Stimme so unbeteiligt klingen?
 

Das Blut rauschte in Ayas Ohren. Sie begriff die Worte kaum.

Doch seine Augen, seine wundervollen Augen, waren kalt und hart. Wie das Eis, dem sie so sehr ähnelten.

Nein.

Nein!

Sie hatte sich getäuscht.

Die Scham; diese brennende Scham liess ihr Innerstes taub werden.

Wie war es möglich beides zu spüren? Feuer und Eis?

Was hatte sie getan?

Was in aller Welt hatte sie getan?

Worte liessen sich nicht länger in Form zwingen und so drehte sie sich um und hastete aus den Raum.

Alles, was sie besessen hatte. Liebe, Würde, Stolz ... Alles am Boden.
 

Nachdem sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, sackte sie zusammen.

Auf den Knien, die Hände vor den Mund gepresst, war das einzige, was Aya tun konnte, die verzweifelten Laute zu ersticken. Laute, die wie gequälte, gefangene Tiere in ihrer schmerzenden Brust wüteten. Sie erstickte sie, obgleich es ihr die Luft zum atmen nahm.

Er wusste schon zu viel. So vieles. Sie wollte es zurücknehmen, wollte es wieder haben; ihr Geheimnis. Ihr Herz.

Ihn nun auch noch von ihrem Schmerz wissen zu lassen, wäre unerträglich. Undenkbar.

Im Bemühen still zu sein, schlang sie die Arme um sich, wiegte hin und her, doch da war kein Trost. Die erbärmlichen Kreaturen hörten nicht auf zu wüten, brachen ihr die Kehle auf. Wie Eiter aus einer Wunde, quoll raues Schluchzen aus ihr.

Aya presste eine Faust auf die Lippen bis sie schmerzten, während sie die andere in ihren verkrampften Unterleib krallte.

Nicht atmen. Nur nicht atmen.

Mit dem Atem kam Schreckliches an die Oberfläche.

Ihr Magen war ein See ätzender Säure, ihre Seele eine vereiste Ödnis. Nur ihr Herz - unbelehrbares, stolzes Herz - brannte noch immer lichterloh.
 

Nach Ewigkeiten des Elends - Stunden wie es schien - kam die Erkenntnis. Die Erkenntnis versagt zu haben.

Das einzige, das sie jemals zu schützen gehabt hatte ... sie hatte es preisgegeben. Den unbarmherzigen Augen eines unbarmherzigen Mannes.

Sie war so dumm. So nichtsnutzig. So unendlich verletzt.

Unter sich fühlte sie Marmor. Kalt, hart, reglos. Warum konnte sie nicht so sein wie dieser Stein? Wie ... er?

Aber vielleicht war er all das ja gar nicht.

Vielleicht war es ihm nur nicht möglich, SIE zu lieben?

Wer war sie denn schon? War sie in ihrem Leben schon so sehr hofiert worden, um nun der Meinung zu erliegen, jeder müsse sie für liebenswert halten?

War so viel Hochmut in ihr?

`Ihr liebt mich!´

`Nein!´ Wie harsch er das Wort ausgestoßen hatte.

`Doch! Ihr liebt mich!´

So dumm! So hochmütig! So eitel!

Aya wischte achtlos die Tränen fort, stand mühsam auf und ging zum Spiegel, der über ihrem Frisiertisch hing.

Sie starrte in glasige Augen, die sie kaum kannte.

Dumm. Hochmütig. Eitel.

Die leeren Augen einer hohlen Puppe starrten aus dem Spiegel zurück.

„Dummes Ding!“, wisperte sie. „Kein Wunder kann er Dich nicht lieben. Kein Wunder!“

So leer die Puppen-Augen auch waren, quollen doch noch immer Tränen aus ihnen.

„Du dummes Ding!“
 

Jin sah stirnrunzelnd auf die Uhr. Aya hätte schon vor einer halben Stunde auftauchen sollen, um sich die Muster ein letztes Mal anzusehen. Es sah dem Kind nicht ähnlich, unentschuldigt fernzubleiben.

„Sela? Ich schau mal nach, wo Aya bleibt.“

„Ist gut. Wir können die Tücher ja auch noch morgen absegnen.“

„Ja.“, murmelte Jin. „Ja, das machen wir.“
 

Die tief stehende Sonne tauchte Ayas Zimmer in eine unwirkliche Atmosphäre.

Es wirkte leblos, gläsern, der Welt entrückt. Als hätte sich hier seit Jahren nichts mehr bewegt, außer den Staubkörnchen, die im sterbenden Licht tanzten.

Aya beobachtete sie.

Wie es wohl war, so leicht zu sein? Nicht wirklich auf die Erde zu gehören?

Das musste schön sein.
 

„Aya?“

Jin blickte sich um. Wo war das Kind denn?

Als eine leichte Brise die Bettvorhänge bewegte, bekam sie ihre Antwort.

Ihre Tochter lag auf dem Bett, mit dem Gesicht zur Wand.

„Aya, was ist denn?“

Es kam keine Reaktion. Jin rannte zum Bett. Aya schlief nicht. Sie lag einfach da und starrte auf die Wand.

Als Myladys fürsorgliche Finger die Wange ihres Kindes berührten, erschrak sie.

„Mäuschen!“, flüsterte sie. „Du hast ja wieder Fieber! Warum hast Du denn nichts gesagt? LYRA?“

„Mir fehlt nichts.“

„LYRA???“

„Ich hab kein Fieber!“

„Ja, Mylady?“ Lyra hatte das Zimmer betreten. Besorgt sah sie zwischen Mutter und Tochter hin und her.

„Hol bitte Dr. Yuri.“

„Nein!“, stiess Aya aus. Langsam setzte sie sich auf. „Ich bin nur erschöpft, das ist alles.“

Sie konnte niemandem in die Augen sehen.

„Unsinn!“, fauchte Jin. Wenn sie besorgt war, wurde sie oft unwirsch. „Du hast doch was.“

„Ja.“, murmelte Aya. „Ich ... es ist nur ... meine Monatszeit.“

„Aber ... Du hast doch geweint.“

„Ja. Ich sagte doch, dass ich erschöpft bin. Ich konnte diese Nacht nicht schlafen und daher bin ich schlechter Stimmung.“

Die Feuerlady gab der wartenden Zofe ein stummes Zeichen der Entwarnung, worauf das Mädchen sich zurückzog. Bei Jin selbst schrillten allerdings die Alarmglocken.

Schlechter Stimmung? Mit diesen glasigen, stumpfen Augen? Dieser spröden Stimme?

Nein! Jin kannte ihre Tochter und sie WUSSTE, dass etwas geschehen war.
 


 

Keine zehn Minuten später
 

„Zuko?“

Erstaunt drehte der Angesprochene sich um. Mit ihm noch ungefähr ein Dutzend anderer Männer. Zuko runzelte die Stirn. Jin platzte nie in Besprechungen, außer es war etwas mit den Kindern.

„Tian?“

„Herr?“

„Es scheint, wir müssen diese Angelegenheit verschieben. Entschuldige mich bitte bei den Herrschaften.“

„Natürlich.“

Ohne sich weiter um die Anwesenden zu scheren, ging Seine Lordschaft zu seinem Eheweib.

„Was ist los?“, fragte er sofort.

„Aya!“

„Was ist mit ihr?“

„Sie ... ich weiss auch nicht. Sie behauptet, es sei nichts, aber ...“

„Nun, wenn sie das sagt.“

„Du hättest sie sehen sollen! So hab ich sie noch nie erlebt!“

„Hm.“, brummte er. „Und ich habe noch nie erlebt, dass Hauptmann Nezu ohne Angabe von Gründen einfach aus dem Palast stürmt.“

„Da stimmt was nicht!“

„Sieht fast so aus. Außerdem hat der Junge für nachher um eine Audienz gebeten.“

„Oh mein Gott, da stimmt was nicht!“, jammerte Jin erneut.

„Scheint, als sei Onkels Plan nicht ganz aufgegangen. Hätte mich bei diesem speziellen, Schwiegersohn in spe auch gewundert. TIAAAAN?“

Zukos rechte Hand eilte herbei.

„Ja, mein Lord?“

„Erstens: Hauptmann Nezu hat heute Abend ganz normal Dienst zu schieben. Da ich den Verdacht hege, dass er das vielleicht etwas anders sehen könnte, soll Hauptmann Osaru ein Auge auf ihn haben.“

„Äh ...“

„Zweitens: Die Köche sollen die kleinere Version einer Verlobungstorte backen, oder vielleicht eine Eisbombe? Ich habe keinen Schimmer, was das richtige Vor-Verlobungs-Dessert darstellt. Nimm einfach was Dir am besten schmeckt. Wenn´s sein muss auch kandierte Rosen.“

„Wie ... für heute?“

„Für heute! Wie viele Staatsgäste beherbergen wir derzeit?“

„Ich glaube sechs oder sieben, Mylord.“

„Gut. Das reicht wohl für eine offizielle Ankündigung. Drittens möchte ich, dass Du eine Schriftliche Bekanntgabe der demnächst anstehenden Verlobung Prinzessin Ayas in alle großen Tageszeitungen bringst. Es muss morgen erscheinen. Stoppt meinetwegen die Druckerpressen, oder was weiß ich. Viertens ...“

„Äh ...Verlobung? Mit ... Nezu, Takeru?“

„Bevorstehende Verlobung. Und ja; mit Nezu, Takeru. Das Licht Deiner Weisheit leuchtet wahrlich hell, Tian. Viertens: schick Aang und den anderen Kuriere. Schreib ihnen, die Einladungen zur Verlobung würden folgen, aber es wäre nett, wenn Sie schon über diese Sache Bescheid wüssten, falls jemand fragt.“

„Mhm ... Hä?“

„Sie sollen so tun, als wüssten sie schon länger, dass etwas ... Romantisches im Busch ist. Sie werden es lieben. Damit können sie mich für den Rest meines Lebens aufziehen. Wenn jemand fragt, sollen sie einfach behaupten, die Sache wäre bis jetzt noch nichts Offizielles gewesen, und so weiter und so weiter.“

„Ah ... ja. Soll ich auch schon ein paar Entwürfe für die Einladungskarten erstellen lassen?“

„Gute Idee! Das wäre dann fünftens. Bitte beeile Dich.“

„Natürlich, Herr.“ Tian raffte seine Robe und flitze los.
 

„Jin? Du musst dafür sorgen, dass Aya heute Abend erscheint.

„Ich glaube nicht, dass sie dazu in der Verfassung ist.“

„Lass Dir was einfallen. Sie muss auftauchen. Wenigstens für ein paar Minuten. Danach kann sie sich meinetwegen zurückziehen, mit der Behauptung, sie sei noch nicht ganz auf der Höhe. Sag ihr, ein Ehren-Gast hätte explizit darum gebeten, sie kurz kennen lernen zu dürfen. Oder noch besser: Sag ihr, es wäre MIR sehr wichtig, dann wird sie kommen.“

„Zuko .. weißt Du auch, was Du tust?“

„Im Gegensatz zu gewissen experimentierfreudigen Zeitgenossen, ja.“

„Gut! Dann ist das also Plan B?“

„Nein, mein Herz. Es ist Plan A. Nur unter Zeitdruck. Ich habe diesem Treiben viel zu lange zugesehen.“

„Du bekommst das wieder hin?“

„Natürlich.“, versicherte er ruhig und drückte einen Kuss in ihre Handfläche. „Ich muss mir nur noch eine kleine Rede aus den Fingern saugen.“

Jin lehnte sich gegen ihn.

„Sie wird bestimmt wundervoll.“, flüsterte sie etwas kläglich.

„Sie wird bestimmt kurz.“, brummte er. „Eine Audienz muss ich schliesslich auch noch geben. Keine Angst, Kobold. Wir biegen das wieder hin.“
 

Als Zuko eine halbe Stunde später diese Audienz gewährte, musste er sich Jins Meinung anschliessen. Da stimmte etwas nicht. Ganz und gar nicht.

In die Augen des Jungen zu sehen war, als stünde man auf einer Eisscholle, mitten im Ozean. Einer Eisscholle, die bedrohlich knackte, knirschte und immer mehr Risse bekam.

„Hauptmann, Ihr wolltet mich sprechen? Ich hoffe, Ihr seid endlich in der Lage, mir bezüglich unserer Aya-Situation Bericht zu erstatten?“, fragte er, um dem Offizier ein bisschen Wind aus den Segeln zu nehmen. Sonst würde das hier schneller eskalieren, als ihm lieb war.

„Das ist nicht der Grund meines Kommens.“

„Nein? Ehrlich gesagt glaube ich das nicht so ganz.“

„Herr?“

„Ich glaube, Ihr wisst inzwischen, wem Ayas Herz gehört.“

Die Kiefermuskeln des Hauptmanns zuckten unruhig.

„Durchlaucht, ich denke nicht, dass das noch etwas zur Sache tut.“

„Das zu beurteilen ist meine Aufgabe, meint Ihr nicht? Ich werde Euch jetzt eine Frage stellen. Nur einmal. Und ich erwarte eine ehrliche Antwort. Wisst Ihr, wen meine Tochter liebt?“

Takeru holte tief Luft. Mit der Wahrheit hinterm Berg zu halten war die eine Sache. Aber lügen?

„Nun?“, drängte Zuko. Langsam wurde ihm die Sache zu bunt. Irgendjemand musste diesen Kerl ja mal zwingen, der Wahrheit ins Auge zu blicken.

„Ja.“

„Ich höre.“

„Die Wahl Eurer Tochter ist ... inakzeptabel.“

„Sagt WER?“, knurrte der erhabene Diener Agnis.

„Ich.“

„Und mit welcher Befugnis urteilt Ihr über die Wahl meines Kindes, Hauptmann?“ Fürstliche Arroganz durchströmte jede einzelne Silbe dieser Frage.

„Ich urteile nicht.“

„Dann heraus mit der Sprache!“

„Ich ...“ Takeru zögerte. Er konnte ihr Geheimnis nicht preisgeben. Nicht, nachdem er sie so verzweifelt gesehen hatte. „Ich bitte um meine Versetzung.“, presste er stattdessen durch die Zähne.

„Verweigert! Ich will eine Antwort.“

„Dann quittiere ich hiermit den Dienst.“

„VERWEIGERT!“

„Mit welcher Begründung?“, wollte der Hauptmann wissen.

„Mit welcher Begründung? Mit WELCHER Begründung? Fragt Ihr das ernsthaft? Ihr habt Eide geschworen, Junge! Eide, die Euch daran binden, meine Tochter zu schützen!“

„Die Situation hat sich geändert.“

„Geändert?“ Die Stimme Seiner Lordschaft ätzte sich in die Gehörgänge seines treuesten Offiziers. „Das ist aber schade! Passt Euch die Dekoration des Palastes nicht mehr?“

Takerus Kiefer verhärtete sich.

„Mylord, wenn Ihr mich anhört, werdet Ihr meine Gründe verstehen.“, sagte er kühl.

Zuko zwang sich zur Ruhe. Was dieser eiskalte Brocken da konnte, konnte er schon lange.

„Ich höre!“
 

Für einen kurzen Moment schloss Takeru die Augen.

Niemals hatte ihn etwas mehr Überwindung gekostet als das hier. Doch es gab nur diesen Ausweg. Also ging er ihn.

„Ich ... bin nicht mehr in der Lage, Ihrer Hoheit gegenüber die nötige Distanz zu waren“, gab er zu.

Jetzt war es raus. Seltsam, wie bloße Worte ein ganzes Leben auf immer verändern konnten.

„Was wollt Ihr damit andeuten?“, fragte Zuko mit schmal gewordenen Augen. „Dass Ihr meine Tochter liebt?“

Hauptmann Nezu, die Steinvisage, der Granitbeisser, Meister Gargoyle höchstpersönlich, presste die Lippen aufeinander und blickte zu Boden. Interessant. Man konnte also doch Regung zeigen!

„Nun?“, knurrte es ungeduldig.

„Ja.“

„Ah! So ist das also.“

Takeru konnte leider nicht sehen, wie Zukos Mine sich entspannte und einem zufriedenen Gesichtsausdruck Platz machte. Selbst wenn er es gesehen hätte, die Möglichkeit dessen, was es bedeutete, existierte nicht in der Welt eines ehemaligen, kleinen Diebes.

„Weiss Aya es?“

„Nein! Ich hätte mir niemals erlaubt ...“

„Natürlich nicht.“, murmelte Zuko lakonisch. „Seid Ihr derjenige, den sie liebt?“

Die einzige Antwort, die er bekam, war Schweigen.

„Hauptmann?“

„Dazu werde ich nichts sagen.“

„Gut. Das ist auch nicht nötig.“ Zuko verschränkte die Arme hinter dem Rücken und begann, auf und ab zu gehen. „Ich habe meine Antwort. Sie liebt Euch. Ihr liebt sie, doch davon weiss sie nichts.“ Er hielt inne und sah seinem Blutwolf in die Augen. „Ich stimme Euch zu. Dieser Zustand ist untragbar. Ich werde die entsprechenden Schritte einleiten. Ihr dürft gehen.“
 

Takeru verneigte sich vor seinem Herrscher - vielleicht zum letzten Mal - und verliess dessen Arbeitsräume. Vielleicht auch zum letzten Mal.

Das leise Klicken der ins Schloss fallenden Tür hatte etwas sehr Endgültiges an sich.

Jetzt galt es nur noch die Stunden zu zählen und auf den Befehl des Feuerlords zu warten. Mit viel Glück sprach man ihm das Kommando eines kleinen Außenpostens zu, mit weniger Glück würde man ihn unehrenhaft entlassen.

Doch das scherte ihn herzlich wenig. Vorbei war vorbei.

Seine persönliche Habe wäre schnell gepackt. Was er hier zurücklassen würde, DAS war es, an dem er für den Rest seines Lebens zu tragen hatte.

Der Schmerz in ihren Augen.

Der Schmerz in seinem Herzen.

Doch den würde er mit sich nehmen.

Verliebt, verlobt, ver ... rumgezickt

Es klopfte. Viermal. Han.

„Ja?“, rief Takeru barsch.

„DA steckst Du. Der Kommandant will ... Sag mal, was machst Du da?“

„Packen.“

„Packen. Aha. Steht ein Putsch bevor? Wird der Palast evakuiert?“

„Nein.“

„Warum packst Du dann?“

„Weil ich gehen werde.“

„Gehen. Wohin? Und wann?“

„Weiß ich nicht.“

„Du weißt was nicht?“

„Wohin und wann.“

„Aha. Aber Du packst schon mal.“

„Ja.“

„Taku, was ist los?“

„Ich tue nur, was ich schon längst hätte tun sollen.“

„Machst Du endlich die Gehirntransplantation?“

„Mir steht der Sinn im Augenblick nicht nach Witzen.“

„Oder reden.“

Takeru hörte auf, seinen Seesack voll zu stopfen. Er fasste sich an die Stirn.

„Versprich mir, dass Du ein Auge auf sie haben wirst“, bat er.

„Was? Auf wen? Aya?“

„Ja.“

„Wüsste nicht, warum. Das Mädchen HAT bereits einen Kage.“

„Han, bitte.“

„Verdammt! Sagst Du mir jetzt endlich was los ist?“

„Lord Zuko weiss, wie es um mich steht.“

„Was?“

„Ich musste es ihm sagen. Er hätte mich sonst nicht gehen lassen.“

„Ah. So. Und warum ist GEHEN plötzlich eine Option?“

„Weil ich sie unglücklich mache.“, sagte Takeru tonlos.
 

Han nahm seinen Freund ins Visier.

Soviel hatte der Plan des Generals also bewirkt. Der Rest schien - nach allem, was er Konsul Fus wirren Anweisungen entnommen hatte - gründlich daneben gegangen zu sein.

„Ach.“

„Ja. Ach.“

„Sie liebt Dich also doch“, murmelte Han. „Ich hab´s ja immer geahnt.“

Nun, seit der geheimen Sitzung mit General Iroh war `geahnt´ vielleicht etwas untertrieben.

„Glückwunsch“, knirschte Takeru.

„Ich versteh nur nicht, warum Du deswegen Hals über Kopf abhauen musst.“

„Du warst auch nie, was ich war.“

„Was soll das denn jetzt heißen?“

„Soll heißen, Han, Du kommst aus einer gottverdammt respektablen Familie. Du hast eine gottverdammt respektable Kindheit gehabt. Soll heissen, DU bist ein gottverdammt respektables Mitglied des Hofstaats mit einem gottverdammt respektablen Grafen als Erzeuger. DAS soll es heißen, Han!“

„Bist Du fertig mit dem Selbstmitleid?“, erkundigte Han sich kühl.

„Geh! Ich muss packen.“

„Sicher. Du musst ja immer tun, was Du tun musst, nicht wahr? Mögen die Götter verhüten, dass etwas oder jemand Dir dazwischen kommt. Takeru Nezu tut ja nie etwas anderes als seine Pflicht. Hat man Dir auf der Militärakademie damals eigentlich befohlen, Dich auf einen Freund einzulassen, wegen des kameradschaftlichen Geistes und all dem Kram, oder wie kam ich sonst zu dieser Ehre?“

„Du redest Unsinn.“

„So? Dir scheint an unsrer Freundschaft jedenfalls nicht viel gelegen zu sein. Kein `Tut mir leid Han!´. Kein `Ich werd Dir schreiben Han!´. Keine Erklärung, Nichts! Du haust mir meine Herkunft um die Ohren und kratzt die Kurve.“

„Ja. Diebe machen das so“, presste Takeru durch die Zähne.

„Weißt Du was? Ich muss gleich kotzen! Schöne, kleine, mundgerechte Brocken, wie man das in meinen Kreisen so macht. Morgen werd ich Dir mit meinem goldenen Sabberlätzchen gerne hinterher winken. Aber heute ... Heute schiebst Du gefälligst noch Dienst nach Vorschrift. Von uns weiß nämlich noch keiner, das Zukos Wauzi ein böses Hundi war. Und keiner hat Instruktionen bekommen Deinen Platz einzunehmen. Also tu Deine verdammte Pflicht. Ist ja eh das einzige, was Dich schert. Unser Prinzesschen wird bestimmt drüber hinwegkommen, dass sie sich in einen selbstmitleidigen Hagestolz verschossen hat. Und was mich betrifft, kann ich nur sagen: lieber gar keinen Freund, als einen Eigenbrötler wie Dich. Guten Tag, HERR Nezu!“
 

Han lauschte noch keine vier Sekunden an der Tür, als auch schon etwas Schweres gegen die Wand krachte.

Sieh an. Meister Gargoyle demolierte seine Wohnung. Dann wären Wasserflecken in Zukunft wohl auch kein Thema mehr.

Er holte erst mal tief Luft.

Die Hälfte dessen, was er eben gesagt hatte, hatte er von sich gegeben, um endlich eine Reaktion zu provozieren. Die andere Hälfte war verdammt ernst gemeint gewesen. Zum Teil. Jedenfalls hatte es verteufelt gut getan, der verklemmten Felsschleuder diese Dinge an den Kopf zu werfen.

Etwas bedauerlich war die Tatsache, dass sein bester Freund nun vermutlich drei bis vier Tage sauer auf ihn wäre. So lange würde eine Aussprache wohl warten müssen. Denn vor Ablauf dieser Frist hätten die beiden Turteltäubchen ihre Angelegenheiten bestimmt noch nicht aussortiert.

Nichtsdestotrotz freute Han sich schon mächtig auf den Anblick eines zerknirschten Blutwauzis.

Vorerst hatte er für Tagträume jedoch keine Zeit. Er musste Takeru im Auge behalten. Sein Auftrag lautete schließlich, dafür zu sorgen, dass Hauptmann Nezu heute Abend seine Pflichten als Kage erfüllte. Und damit war leider kein Besendienst gemeint.

Oh, diese verlockenden Tagträume ...
 

Die Gäste des exklusiven, abendlichen Ereignisses waren ein mehr oder weniger erlesener Haufen.

Pensionierte Haudegen schoben füllige Minister-Gattinnen übers Parkett, Botschafter tauschten Fischrezepte und andere Pikanterien aus, adrette Geheimräte hielten junge Fräuleins bei Laune und umgekehrt.

Es war beinahe wie jedes andere Fest bei Hofe. Allerdings fehlte heute etwas, das den hiesigen Veranstaltungen nach Ansicht Vieler stets einen besonderen Glanz verlieh. Ihre königliche Hoheit, Prinzessin Aya Ria Tatzu.
 

„Wirklich schade, Durchlaucht. Ich hatte mich so darauf gefreut, Eure Tochter kennen zu lernen.“ Lu Long, jüngst ernannter Botschafter des Erdkönigreichs nippte an seinem Glas.

„Oh, das werdet ihr. Sie ist zwar noch nicht ganz auf der Höhe, aber ich bat sie dennoch, für einige Minuten zu erscheinen“, erwiderte Zuko.

„Richtig, ihre Krankheit. König Nuro und Königin Esra waren sehr bestürzt über diese Nachricht. Vor allem Ihre Hoheit. Sie schätzt Prinzessin Aya über die Maßen. Noch heute schwärmt sie von dem kleinen Konzert, welches Eure Tochter anlässlich ihres Geburtstages gab. Hat sie wirklich so eine bemerkenswerte Stimme?“

„Ganz im Vertrauen, das hat sie. Und es handelt sich um kein Erbteil mütterlicherseits.“ Kaum hatte er die Schmähung ausgesprochen ergriff Mylord die Hand seines Eheweibes und drückte einen kleinen, um Vergebung heischenden Kuss darauf.

„Das stimmt leider“, gab Jin zu. „Von mir hat sie nur ihr umgängliches Wesen.“

„Touché!“, seufzte Zuko.

„Nun, mein Gebieter, wenn Ihr Eure Ankündigung jetzt machen möchtet, lasse ich nach Aya schicken.“

„Ja, jetzt wäre ein ganz hervorragender Zeitpunkt.“
 


 

Wenig später, vor Ayas Gemächern
 

Hauptmann Nezu rang mit sich.

Noch immer hatte er keine Order erhalten, seine Habe zu packen und den Palast zu verlassen. Wahrscheinlich wollte Lord Zuko ihm bis morgen Zeit lassen. Oder er war einfach noch nicht dazu gekommen, die entsprechenden Befehle weiterzuleiten.

Alles in Takeru drängte ihn, sich von seinem Schützling zu verabschieden. Der Gedanke, Aya einfach hinter sich zu lassen, kam ihm wie Verrat vor. Doch eigentlich machte es keinen Unterschied, ob mit Abschied, oder ohne.

Er würde sie im Stich lassen. Dabei hatte er Eide geschworen, dies niemals zu tun.

Zum ersten Mal seit langer Zeit war er vollkommen ratlos. Selbst dann noch, als die Prinzessin in Prunkgewändern vor die Tür trat, um sich auf den Weg in den Sonnensaal zu machen.

Es würde das letzte Mal sein, dass er sie dorthin begleitete. Das letzte Mal, dass er seine Schritte den ihren anpasste.
 

„Hoheit?“

Sie versteifte sich, blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um.

„Ja?“, fragte sie kühl.

„Ich... habe Euren Vater um meine Versetzung gebeten.“

Aya schloss die Augen. Diese Entscheidung war ihr also abgenommen worden. Dass es trotzdem so weh tun konnte...

„Warum sagt ihr mir das?“, stieß sie aus.

„Ich dachte, Ihr solltet es wissen.“

„Ja.“ Die Enge in Ayas Kehle war unerbittlich. „Danke.“

Ein Teil Takerus - vermutlich der kleine, hungrige Junge - wollte, dass sie Regung zeigte; dass sie sich ihm zuwandte, ihn noch einmal in ihre Augen blicken ließ. Doch es wurde ihm verwehrt. Der Hunger würde nicht gestillt werden.

Er musste erkennen, dass diese Sehnsucht für immer ein Teil seines Lebens bleiben würde.

Ganz egal, wohin er floh.

Und er hatte es ihr nie gesagt ...

Um der Versuchung nicht doch noch zu erliegen, griff er auf das letzte, ihm verbleibende Mittel zurück und kasteite sich selbst.

`Dieb! Sie ist nicht für Dich!´

Sein Credo. Seit hunderten von Jahren, wie es schien.

Sie war nicht für ihn.

Doch angesichts dessen, was er heute in ihren Augen gesehen hatte, begann diese Gewissheit zu schwinden.
 

Das Fest rauschte an Aya vorüber. Mit starrem Lächeln und brennenden Augen, die nichts sahen, stand sie bei ihrer Mutter.

Er geht fort.

An nichts anderes konnte sie denken.

Er wird fortgehen.

„Aya, Schatz. Hast Du überhaupt schon etwas gegessen?“

„Ja, Mama.“

Er geht fort. Kommt nicht wieder.

„Versuch die Lachstörtchen. Sie sind ganz köstlich.“

Aya nickte.

„Du bist ganz blass. Geht´s Dir immer noch nicht besser?“

„Mir geht es gut.“

„Wirklich?“ Ein kühler Handrücken legte sich auf Ayas Stirn. „Fieber hast du jedenfalls keins mehr.“
 

Vor ihnen kam Bewegung in die Leute.

„Oh. Ich glaube, Dein Vater macht jetzt seine Ankündigung.“

In der Tat trat Zuko einen Schritt nach vorn und sah sich um. Mehr brauchte es nicht, um Ruhe zu schaffen.

„Verehrte Gäste. Ich möchte den heutigen Abend nutzen, um etwas überaus Wichtiges bekannt zu geben.“

Ein erstauntes Raunen ging durch die Menge.

„Hauptmann Nezu?“

Aya konnte spüren, wie ihr Kage Haltung annahm. Ihre Kehle wurde rau.

„Tretet vor!“

Wir befohlen trat Takeru vor seinen Herrscher. Jetzt war es also soweit.

Dass er in aller Öffentlichkeit aus dem Dienst entlassen würde, hätte er dann doch nicht gedacht. Seine Lordschaft musste wirklich sehr verärgert sein, um das zu tun.

„Ihnen allen dürfte Takeru Nezu, Hauptmann und stellvertretender Kommandant der fürstlichen Leibgarde, kein Unbekannter sein. Ich glaube, es gibt kaum ein Kind in der Feuernation, das seinen Namen nicht kennt. Er hat jeden meiner Sprösslinge schon vor Situationen bewahrt, die sie ohne ihn wohl nicht unbeschadet überstanden hätten. Wie oft er meiner Tochter Aya das Leben gerettet hat ... Der einzige, der eventuell eine Antwort auf diese Frage kennt, dürfte der ehrenwerte Tian Fu sein, denn er ist für unsere Statistiken zuständig.“

Zuko wartete, bis das allgemeine Gelächter abgeklungen war.

„Bisher plagte mich immer das Wissen, dass nichts was ich tue oder tun könnte, ausreichen würde, um solch beispiellosen Mut und Loyalität aufzuwiegen. Bis heute. Ich denke, heute ist der Tag gekommen, an dem wir einen Teil dieser Schuld abtragen können. Der Tag, an dem meine Familie Takeru Nezu ein Kleinod von unschätzbarem Wert anvertraut.“

Zuko nickte Jin zu, woraufhin sie Aya sanft aber bestimmt die wenigen Schritte zu ihm führte.

Der Feuerlord nahm die Hand seiner Tochter, barg sie in seinem warmen Griff und fuhr fort.

„Es ist mir Ehre und Privileg zugleich, Hand und Herz Prinzessin Ayas in die Hände des Mannes zu legen, der sein ganzes Leben und seine Ehre ihrem Schutz verschrieben hat und der mehr als jeder andere unseren tiefsten Respekt und unser Vertrauen genießt.“
 

Als Aya diese Worte endlich begriff, erstarrte sie. Sofort wurden ihre Finger fester umfasst und beruhigend gedrückt.

„Nein!“

Ihr Protest war so leise, dass nur ihr Vater ihn hören konnte. Vielleicht auch noch Hauptmann Nezu, doch das war ihr momentan herzlich egal!

„Ich kann mir wirklich niemanden vorstellen, dem ich unser Kind lieber anvertrauen würde! Denn in meinem Leben kann ich die Begegnung mit Menschen mit einem ähnlich ausgeprägtem Ehrgefühl, wie dieser junge Mann es besitzt, an einer Hand abzählen.“

Zuko wandte sich nach links.

Der eisblaue Blick, der ihn hier erwartete, erinnerte eher an das konsternierte, ungläubige Starren eines Kaninchens das rasende Kutschen bislang als Ammenmärchen abgetan hatte. Bis es schließlich eines besseren belehrt wird.

„Hauptmann“, sagte Mylord mit nachsichtigem Nicken, während er die Finger seiner Tochter immer noch davon abhielt, aus seinem Griff zu schlüpfen.

„Papa ...!“ Ayas Stimme zitterte so erbärmlich, dass man fast ein schlechtes Gewissen hätte bekommen können.
 

Takeru versuchte, die derzeitigen Ereignisse mit der Realität in Einklang zu bringen.

Aufwachen wäre nett.

JETZT wäre ein ganz hervorragender Zeitpunkt dafür!

„Nun, Hauptmann Nezu“, drang Zukos Stimme an sein Ohr. „Wenn ich um Eure Hand bitten dürfte:“

Die Gäste lachten amüsiert und versuchten, auf Zehenspitzen balancierend, so viel wie möglich von dem Spektakel mitzubekommen.

Takeru Nezu hingegen stellte die Existenz der Götter in Frage.

Da Seine Lordschaft jedoch eine Bitte geäußert hatte, reagierte der geschulte Soldat, der irgendwo im nezu´schen Chaos feststeckte, automatisch und ... gehorchte.

„Vater, bitte!“

Bevor Ayas Einwände eine Lautstärke erreichten, die von den Umstehenden wahrgenommen würde, beugte Zuko sich zu ihr und drückte einen Kuss auf ihre Stirn.

„Vertrau mir, Flämmchen!“
 

Als er trotz dieser Zusicherung ihre bebende Hand in eine gewisse, ledergepanzerte Pranke legte, wurde der Prinzessin heiß und kalt.

Das alles konnte einfach nicht wahr sein!

Warum tat ihr Vater das?

Und ... warum unternahm ER nichts?

Ihr anklagender, gefangener Blick fiel auf den Mann, der ihre Hand nun gezwungenermaßen festhielt.

Er MUSSTE doch etwas tun!

Selbst seine Loyalität musste doch Grenzen kennen!

Aber die silbergrauen Augen erwiderten nur ruhig ihren Blick.

Ruhig? Nein! Kalt waren sie. Ganz bestimmt waren sie kalt! Sie mussten einfach kalt sein. Zu etwas anderem war ihr Besitzer ja gar nicht imstande.
 

„Lassen Sie uns nun alle auf die baldige Verlobung meiner Tochter mit Hauptmann Nezu anstoßen!“, rief Zuko in die Runde, um endlich einen Punkt unter die Sache zu setzten.

„Nein!“, flüsterte Aya ein letztes Mal.

Vergeblich versuchte sie, ihre Hand dem sanften aber unnachgiebigen Griff ihres bisherigen Beschützers zu entziehen. Durch dem Applaus und den zustimmenden Rufen der Menge war die Stimme ihres Vaters zu hören.

„Ich bin mir ziemlich sicher, Ihr habt irgendwo gelesen welche Art von Kuss dieser Situation angemessen wäre, mein Junge“, zischte er durch strahlend weiße Zähne. „Zeit, dieses Wissen in die Praxis umzusetzen!“
 

Aya saß in der Falle.

Hilflos musste sie mit ansehen, wie das verschwommene, flackernde Glitzern der zahllosen Orden näher kam. Musste mit brennender Kehle zulassen, wie ihr Kinn sacht umfasst und angehoben wurde. Musste mit ansehen, wie er langsam den Kopf neigte.

Nein! Sie würde nicht weiter zusehen!

Ihre Lider schlossen sich.

Warme, feste Lippen pressten sich auf ihre.

Er küsste sie. Auf Befehl ihres Vaters! Vor den Augen Aller!

Nun gab es zu allem Überfluss noch zwei weitere Dinge, denen Aya hilflos ausgeliefert war.

Ein rasender Pulsschlag und das laute Rauschen in ihren Ohren.

Als Jubel aufbrandete, starrte sie in Augen, die aus irgendeinem Grund eisblaue Funken schlugen.

Und ihr Mund - dummer, unwissender Mund - prickelte und summte trotz der Kürze der Liebkosung wie ein aufgeschreckter Bienenschwarm. Dummer Mund, der nicht wusste, dass er unfreiwillig geküsst worden war.

Dummes Herz, das so heftig schlug, obwohl es nicht geliebt wurde.

Dumme, dumme Aya, die hoffte und liebte, obwohl sie es doch besser wusste. Sie wankte leicht, versuchte Halt zu finden.

Die anwesenden Gäste werteten ihre Hand auf der Brust des Hauptmanns prompt als Geste der Zärtlichkeit und raunten leise oder seufzten verzückt auf. Je nach Geschlecht oder Veranlagung.

Ahs und Ohs wurden laut und wieder wurde begeistert geklatscht.
 

Als ihre Mutter sich näherte, keimte kurz Hoffnung in Aya auf. Doch Mylady kooperierte ganz offensichtlich mit dem Feind, strahlte über das ganze Gesicht, zog kurzerhand einen überrumpelten Hauptmann an sich und drückte ihn auf Teufel komm raus.

Dann wandte sie sich ihrer Tochter zu und umarmte auch sie fest.

„Mäuschen!“, flüsterte sie. „Ich bin so froh für Dich! Jetzt wird alles gut!“

„Ich möchte jetzt bitte gehen“, brachte Aya heraus.

„Natürlich“, stimmte Jin zu und strich ihr zärtlich einige Haarsträhnen aus der Stirn. „Wir haben den Leuten schon gesagt, dass Du Dich nicht so besonders fühlst. Zuko?“

„Ja, mein Herz?“

„Ich begleite Aya auf ihr Zimmer. Ihr Kopf plagt sie noch ein bisschen. Entschuldigst Du sie bei den Gästen?“

„Natürlich.“
 

Ja. Ihr Kopf. Er plagte sie in der Tat, ihr Kopf! Sich überschlagende, vor Protest schreiende Gedanken; brennender, blinder, trotziger Widerstand. DAS war ihr Kopf.

Aya sprach kein Wort, während ihre Mutter sie durch die Flure führte. Sie sprach kein Wort, als man ihr half, sich umzuziehen und sie sprach kein Wort, als man ihr ein Glas warmer Milch in die Hand drückte.

„Hier, Schätzchen. Trink das!“

Dank Dr. Gius speziellem äh ... Aroma fiel Ihre Hoheit in einen tiefen und traumlosen Schlaf.
 

Takeru stand im Sonnensaal, inmitten einer Menschentraube, und war noch immer versucht zu glauben es handle sich bei der vorliegenden Situation um einen etwas sehr weit her geholten Traum. Allerdings hatte er schon dermaßen viele wohlmeinende Schläge auf die Schulter bekommen, dass sie ihn wohl längst aus dem Schlaf gerissen hätten. Er nickte hier und da, rang sich sogar ab und an einige Worte ab und versuchte krampfhaft, ein wenig lockerer zu wirken, als die marmornen Säulen, die die hohe Decke trugen.

Irgendwann schleuste Lady Jin ihn aus der Menge, verteilte großzügig ihr wärmstes Lächeln und meinte nur, sie könne nicht zulassen, dass ihr zukünftiger Schwiegersohn jetzt schon derart überstrapaziert würde.

So fand der Hauptmann sich schließlich allein mit ihr in einem ruhigen, abgeschiedenen Raum wieder.
 

„Puh!“ Jin pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Was für eine besitzergreifende Meute. Nicht mal der Schokoladenpudding konnte sie ablenken.“

Als sie keine Reaktion bekam wurde sie ernst, und blickte Takeru forschend an.

„Habt Ihr etwas einzuwenden, gegen die Art, wie die Dinge sich entwickeln?“, fragte sie vorsichtig, mit schief gelegtem Kopf.

„Nein. Ich ... ich weiss es nicht.“

„Wollt Ihr Euch nicht setzten?“

Er begann, unruhig im Zimmer umherzugehen.

„Oder herumrennen?“, murmelte Mylady.

„Hoheit ... Ich begreife nicht, wie Seine Lordschaft ...“

„WAS genau begreift Ihr nicht?“

„Wie er ... wie er jemanden wie mich überhaupt in Betracht ziehen kann, als ... als Ehemann für ... Eure Tochter.

„Wie könnte er nicht?“, fragte Jin schlicht. „Liebt Ihr sie denn nicht?“

Mehrere Augenblicke vergingen. Sie dachte schon, sie würde ihre Antwort nicht bekommen.

„Doch“, brachte er endlich heraus

„Und liebt sie nicht auch Euch?“

„Sie ... scheint es zu tun.“

„Oh, sie scheint nicht nur, sie tut. Und wie!“

„Ja.“ Er verschränkte die Arme. „Ich habe wirklich keine Ahnung, was in sie gefahren ist!“

Das klang derart anklagend, dass Jin lachen musste.

„Was in sie gefahren ist?“, fragte sie. „Ihr klingt als sei das ein Verbrechen.“

„Es hätte nie passieren dürfen!“

„Nun, zum Glück war da jemand anderer Meinung.“

Er starrte weiter mit verschränkten Armen in den kalten Kamin.
 

„Ihr habt keine Ahnung, wie sehr man Euch schätzt. Wie sehr ER Euch schätzt. Nicht wahr Hauptmann?“ Jin seufzte. „Damals ... nach der Sache mit den Bienen. Das waren viel zu viele Stiche, für einen viel zu mageren Jungen. Zwei Nächte lang hat er an Deinem Bett gesessen, Takeru. Als die Ärzte Dich aufgeben wollten, hat er den halben Palast zusammen gebrüllt.“

„Hoheit ...“

„Wenn Ihr denkt, sein Respekt oder seine Dankbarkeit Euch gegenüber hätte Grenzen, dann kennt Ihr ihn schlecht. Ohne Euch, wäre das Glück unsrer Familie bereits vor langer Zeit zerbrochen. Und eigentlich habt Ihr doch schon immer dazu gehört. Warum sträubt Ihr Euch nun so dagegen?“

„Ihr wisst warum“, presste er durch die Zähne. „Ich war ... ein Dieb.“

„Ein Kind, Takeru. Ein hungriges, einsames Kind.“
 

„Ich bezweifle, dass Du damit Erfolg hast, Kobold“, erklang es von der Tür. „Diese Worte hat unser Hauptmann schon so oft gehört. Nur verstehen wollte er sie noch nie.“

Der Offizier hatte hastig Haltung angenommen und blickte nun starr geradeaus.

Zuko verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und kam näher.

„Ich werde mal die Taktik wechseln“, murmelte er. „Dabei vertraue ich ganz auf Eure Verschwiegenheit, Hauptmann. Sagt Euch der Name Blue Spirit etwas?“

Mylady schnappte nach Luft und warf ihrem Mann einen überraschten Blick zu.

Hauptmann Nezu, seines Zeichens jüngster und bester Militärakademie-Absolvent seines Jahrgangs, antwortete ohne zu zögern.

„Der Rebell? Er war der Aufständische, der den Avatar aus der Gewalt General Zhaos befreite.“

„Genau der. Zudem war er fahnenflüchtiger Offizier, steckbrieflich gesuchter Staatsfeind und Kronprinz der Feuernation.“

Zuko gönnte sich eine kleine Pause, um in aller Ruhe den ungläubigen Blick seines sonst so ungerührten Granitbeißers zu genießen. Zeit, das Ass aus dem Ärmel zu ziehen.

„Und ... er war ein Dieb“, sagte er. „Ich bezweifle ernsthaft, dass IHR jemals so viel habt mitgehen lassen, wie ich, Hauptmann.“

„Aber Ihr wart ...“

„Was? Zu jung? Nein, war ich nicht. Nicht einmal diese Entschuldigung habe ich.“ Plötzlich wurde der Feuerlord noch ernster. „Ich wusste sehr genau, was ich tat. Und diese im Nachhinein so heroische Befreiungsaktion des Avatars? Reiner Selbstzweck. Ich wollte nicht, dass ein anderer meinem Vater MEINE Beute präsentierte. In einem Alter, indem Ihr Eure erste Heldentat schon lange vollbracht hattet, war ich nur ein wütendes, verbohrtes, selbstsüchtiges Ekelpaket.“

Zuko legte eine Hand auf die Schulter seines ergebensten Soldaten.

„Der kleine Langfinger aus Ba Sing Se wollte nur etwas zu Essen für sich und seine Großmutter“, sagte er leise. „Mehr nicht. Das hatte ich von Anfang an an Dir bewundert, Takeru. Selbst als Dieb warst Du anständig.“

Takeru blickte seinem Herrn stumm in die Augen. Er wusste nicht, was er erwidern sollte. Zum ersten Mal in seinem Leben akzeptierte er den Gedanken, dass der Mann, dem er alles verdankte, ihn zutiefst achtete.

„Mein unüberwindlicher, legendärer Blutwolf. Ich habe Dir vielleicht einen etwas besseren Start ins Leben verschafft. Alles andere hast Du allein Dir selbst zu verdanken. Dir, Deinem Mut und Deinem Willen. Und um noch etwas klar zu stellen: Es gibt nur eine Sache, die ich Dir niemals verzeihen könnte: Wenn Du meine Tochter unglücklich machst. Also tu es nicht.“
 

Mit diesen Worten überließ Zuko den jüngeren Mann seiner Verwirrung und entschwand.

Jin hatte wie immer mehr Mitleid.

„Nun?“, fragte sie sanft.

„Mylady, ich weiss nicht, was ich sagen soll.“

„Ja, diese Wirkung hat er oft auf Leute. Aber man gewöhnt sich daran.“

Sie stellte sich auf Zehenspitzen, drückte ihm einen raschen Kuss auf die Wange und wuselte dann eilends ihrem Gatten hinterher.

„Mylord ...“, schnaufte sie sobald sie ihn eingeholt hatte. „Du hast ganz vergessen zu erwähnen, dass Du ein furchtbar süßes Ekelpaket warst!“ Sie hakte sich bei ihm unter.

„Jin! Wie oft muss ich Dir noch nahelegen, dass Attribute mit „S“ strikt verboten sind?“

„Hm. Weiss nicht. Noch oft? Du bist viel zu sssssexy, wenn Du es tust! Und äußerst sssssumwerfend!“
 

Als Aya am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war ihr erster Gedanke, dass dies alles überhaupt nicht wahr sein konnte.

Hatte ihr Vater sie wirklich einem Mann versprochen, der nichts weniger wollte, als das?

Er würde ihr so etwas niemals antun! Und ihre Mutter würde niemals ...

„Hoheit? Seid Ihr wach?“

„Lyra? Seri?“

Auf ihrem Bett sitzend wurde Aya stürmisch umarmt.

„Oh, Agni!“, rief Seri aufgeregt. „Das ist ja so wundervoll So absolut wundervoll! Und Ihr habt nie etwas gesagt ... Warum habt Ihr nie etwas gesagt?“

„Prinzessin!“ Lyra schnäuzte sich vernehmlich. „So was Romantisches! Der Hauptmann ist so ein feiner Mann!“

„Und wenn wir mal ehrlich sind ... Er sieht so GUT aus!“, quietschte Seri. „Das fand ich immer; egal, was die anderen sagen!“

„Ja“, nickte Lyra. „So ein stattlicher, schöner Mann! Und mehr Schneid als eine ganze Armee, sagt mein Papa immer.“

Heiliger Himmel. Dieses Missverständnis war also nicht aufgeklärt worden.

Warum tat ER nichts? Im Zurückweisen war er doch geübt.

Aber scheinbar war es etwas vollkommen anderes, seinem Lord einen Korb zu geben, als nur dessen Tochter.

Aya ließ sich ankleiden, nickte und lächelte mechanisch, derweil ihr Zorn zu brodeln begann.

Zorn war gut! Er sickerte immer tiefer. So tief, bis er selbst ihre brennende Scham hinweg schmolz.
 

Beide Gefühle hatten ihren Siedepunkt erreicht, als Lyra erneut klopfte.

Aya nahm den Blick von ihrem unangetasteten Frühstück.

„Ja?“

„Prinzessin, Euer Hauptmann ...“

„Er ist nicht MEIN Hauptmann! Und ... es steht noch überhaupt nichts fest!“

Lyra war verdattert. In der Zeitung hatte das ganz anders geklungen.

„Ja, aber ... äh ...“

„Nun, WAS will Hauptmann Nezu?“ Titel und Nachnamen überdeutlich zu betonen, brachte eine gewisse, wenn auch kindische Befriedigung mit sich.

„Er bittet Euch um ... um die Ehre, Euch auf einem Spaziergang begleiten zu dürfen.“

„Natürlich“, presste die Prinzessin durch die Zähne. „Immer schön dem Protokoll folgen.“

„Bitte?“

„Nichts, Lyra. Schon gut.“

„Habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Nein! Nein, Du hast nichts Falsches gesagt.“, seufzte Aya, erbost über sich selbst, dass sie ihre schlechte Laune an dem Mädchen ausließ. „Tut mir leid. Ich habe nicht besonders geschlafen.“
 

Das Protokoll, welches eben für solchen Unmut gesorgt hatte, lautete wie folgt: Wurde eine Tochter des Fürstenhauses gefreit, galt es, ein gewisses Prozedere einzuhalten. Der potentielle Bräutigam hatte, sofern er die Zustimmung des Feuerlords und/oder eines autorisierten Stellvertreters eingeholt hatte, nun das Recht, offiziell um die Prinzessin seiner Wahl zu werben.

Hierfür vorgesehen waren, nebst dieser Erlaubnis, eine Feuerlilie, ein güldenes Band und ein lauschiges Plätzchen. Seit mehreren hundert Jahren - den Tagen Kanaru des Bausüchtigen, um genau zu sein - vorzugsweise das kleine Labyrinth im Rundgang der inneren Gärten.

Die beiden erstgenannten Komponenten trug der Hauptmann selbstverständlich im Handgepäck, letztere steuerte er zielstrebig an.

Alles ganz offiziell. Natürlich!
 

„Warum haben die beiden denn so einen Stechschritt drauf?“, wunderte sich Jin. Zusammen mit den restlichen Damen der Familie belagerte sie einen der Balkone des Palastes.

„Ich weiss nicht, Knubbelchen“ antwortete ihre Tante Ria. „Aber die Körperhaltung Deiner Tochter verheißt nichts Gutes.“

„Manchmal ist sie genauso stur wie ihr Vater.“

„Das hab ich gehört!“

„Zuko! Was tust Du denn hier?“

„Ist diese Frage ernst gemeint? Auf den anderen Balkonen war kein Platz mehr. Also müssen wir wohl oder übel euer Damenkränzchen sprengen.“

„Ja, demnächst wird der Palast noch Schlagseite bekommen“, brummte Iroh, der mit seinem Neffen hereingekommen war.

Hinter den beiden schlängelte sich eine dritte Person durch die Balkontür.

„Sind sie schon am küssen?“, schnaufte Fon ganz außer Atem.
 

Man war vom Küssen in etwa so weit entfernt, wie vom Erdmittelpunkt. `Man´ erwägte ernsthaft, den Hauptmann an Ort und Stelle einfach stehen zu lassen. Doch leider war `man´ zu gut erzogen.

Hauptmann Nezu, weiterhin schön brav dem Protokoll folgend, war eben im Begriff noch offizieller zu werden und ein Knie zu beugen, als er eiskalt angezischt wurde.

„Das WAGT Ihr nicht!“

Aya war so aufgebracht, dass sie ihm am liebsten ein bis zwei Ohrfeigen verpasst hätte. Irgendetwas, das richtig schön weh tat.

„Prinzessin ...“

„Ich werde jetzt zurück in meine Gemächer gehen. Ihr werdet mir folgen, und nicht das Geringste tun, was unser Publikum auf falsche Gedanken brächte.“

„Wenn Ihr mich anhören wollt...“

Die Prinzessin wollte nicht, drehte stattdessen auf dem Absatz um und schritt umhüllt von wahrhaft hoheitlicher Grazie gen Palast.

Ihrem wehrhaften Schatten blieb nichts anderes übrig, als zu folgen.
 

„Aber ... aber ... was tut sie denn jetzt?“, rief Jin, die Balkonbrüstung umklammernd.

„Nur die Ruhe, mein Herz. Sie sträubt sich nur ein wenig.“

„Kann man dem Mädel nicht verdenken.“, brummte Iroh. „So wie Dein Lieblings-Säbelschwinger sich angestellt hat. Mein ganzer schöner Plan war für die Katz!“

„Ist ja nix Neues“, schnaubte Fon. Der General funkelte ihn an.

„Was machen wir, wenn sie ihm einen Korb gibt?“, fragte Jin händeringend.

„Kobold. Sie wurde gestern völlig überrumpelt. Wahrscheinlich will sie es ihm und uns jetzt ein bisschen heimzahlen.“

„So kann auch nur ein Mann denken!“

„ICH denke, unser Hauptmann hat da unten sein Programm abgespult, ohne sie mit solchen Nichtigkeiten wie beispielsweise seinen Gefühlen zu behelligen.“, betonte Iroh süffisant. „Soviel zum Verkuppeln.“

„So?“, Zuko wölbte seine Braue. „Eure Konfrontationstherapie trug jedenfalls gewiss keine güldenen Früchte, Onkel. Jetzt ist die Sache wenigstens geklärt. Die beiden brauchen nur etwas Zeit.“
 

Als besagtes Pärchen den Feuerpalast wieder betrat, war selbst dem ausdauerndsten Schaulustigen eines klar geworden: Es gab nicht das Geringste zu sehen!

Aya floh mehr als das sie ging in Richtung ihrer Zimmer. Mit beiden Händen ihren Fächer umklammernd, hastete sie geradeaus.

„Prinzessin ...“

Immer schön weitergehen. Es war gar nicht mehr weit!

„Aya, bitte!“

Fast wäre sie gestolpert. Was für ein gemeiner Trick, sie ausgerechnet jetzt beim Namen zu nennen. Sie biss die Zähne zusammen, ignorierte ihn weiter und erreichte auch beinahe die rettenden Gemächer. Beinahe!

„Hoheit, ich erbitte eine Audienz.“

„Leider keine Zeit!“, stieß sie aus. „Ein Termin mit Baroness ... Einer Baroness eben.“

„Diese Baroness wird eine Ausnahme machen müssen.“, sagte er knapp. „Ich ersuche Euch um ein Omemoji.“

Aya schloss die Augen.

Ein Omemoji. Ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen. Ein Wunsch, der keinem Kage abgeschlagen werden durfte.

„Schön!“, fauchte sie und riss die nächstbeste Tür auf. Es war das kleine Musikzimmer.
 

Sobald sie vor ungebetenen Lauschern sicher waren, räusperte der Hauptmann sich umständlich.

Doch es war Aya, die als erste das Wort ergriff.

„Ich werde meinen Vater bitten, diese lächerliche Bekanntmachung zurückzuziehen.“ teilte sie der großen Harfe beherrscht mit.

„Das entspricht nicht meinen Wünschen, Hoheit!“

„Genug! Ihr habt Eure Gefühle bereits zum Ausdruck gebracht. Denkt Ihr wirklich, ich würde Eure Werbung akzeptieren, wenn Ihr damit lediglich die Erwartungen meines Vaters zu erfüllen sucht?“

„Euer Vater hat hiermit nichts zu tun!“

Aya lachte. Hart. Klanglos.

„Nein? Wie kommt es dann, dass sein loyalster Kämpe so rasch seine Meinung ändert?“

Sie griff nach der Klinke, doch ihr Kage hatte heute einen bedauerlich eigenen Kopf. Er stemmte einen Arm gegen die Tür.

„Ich habe nichts geändert, Prinzessin! Gar nichts! Als Ihr nach meinen Gefühlen fragtet ... Ich habe gelogen. Und Ihr wisst es. Ihr wisst, was ich empfinde, Aya.“

„Nein! Ich weiss nichts! Wenn es um Euch geht schon gar nicht! Ich hielt Euch für aufrichtig und ehrenhaft. Doch nun lügt Ihr, nur um meinem Vater einen Gefallen zu tun?“

„Ich habe nur ein einziges Mal gelogen. Es war meine Pflicht.“

„Und jetzt, Hauptmann? Ist es jetzt Eure Pflicht mir gegenüber romantische Wallungen vorzutäuschen? Oder geht Ihr gar soweit, sie zu entwickeln?“, stieß Aya bitter aus. „Welch bewundernswerte Dienstbeflissenheit. Aber das war ja schon immer Eure hervorstechendste Eigenschaft, nicht wahr? Ich fürchte, ich muss Euer Angebot ablehnen.“
 

Sein Kiefer war während dieser Tirade noch kantiger geworden, als üblich.

„Trotz steht Euch nicht, Prinzessin.“

Mit geballten Fäusten wirbelte sie herum und sah ihn schließlich doch an. Mit Augen die vor Eigensinn nur so brannten.

„Und Euch steht die Heuchelei nicht! Wenn Ihr mich liebtet, hättet Ihr gestern nicht geschwiegen!“

„Ihr wisst, dass ich nicht anders handeln konnte.“

„Ach JA?“, schrie die Tochter Zukos des Hitzköpfigen. „Ihr habt mich betteln lassen, Hauptmann! Ich ... ich habe Euch angefleht!“

Jetzt liefen die verflixten Tränen doch über.

„Ich habe Euch angefleht“, flüsterte sie erstickt. „Und Euch liess es kalt. Also nehmt Euer kaltes Herz und werft es zurück in die kalte, tiefe Grube, in der es haust. Ich werde meinem Vater sagen, dass er sich diesmal leider geirrt hat.“

Sie wandte sich wieder zur Tür, doch erneut wurde ihr der Durchgang verwehrt.

„Kalt?“, knirschte Takeru. „Kalt? Wenn es mich zerreisst, Euch auch nur anzusehen? Ihr seid mein Ein und Alles, Aya. Mein Augapfel. Mein Leben gehört Euch, seit dem Tag an dem ich das Eure schützte.“

„Eine Bürde, von der ich Euch hiermit entbinde!“
 

Verzweifelt versuchte Aya, eine der anderen Türen zu erreichen. Doch er war wieder schneller. So war sie gefangen zwischen der Tür, seinem Arm und ihm selbst.

Agni! Sie würde die Fassung nicht mehr lange wahren können.

Den Hauptmann schien dies nicht zu kümmern. Er sprach weiter über Dinge, die früher niemals über seine Lippen gekommen wären.

„Wisst Ihr noch, wie Ihr Euch dafür bedankt habt?“, raunte er mit gesenktem Kopf, dicht an ihrem Ohr. „Ihr seid an mein Krankenbett getreten, trotz Eurer Angst vor meinem zerstochenen Gesicht, und habt mir dieses Bild überreicht, auf dem Ihr sogar Euren vertrottelten, lebensmüden Kater verewigt hattet. Das Bild und die Hälfte Eures Nachtischs.“

Er lachte auf. Der Laut klang fremd, bitter und porös.

„Und ich? Ich musste erkennen, dass ich noch immer der schäbige Taugenichts aus Ba Sing Se war. Ich verkaufte meine Seele für einen angeknabberten Orangenkuchen und das Lachen einer kleinen Fee. Doch das war nicht genug, nicht wahr? Danach folgte Jahr um Jahr und Stück für Stück mein Herz. Bis mir auch das nicht mehr gehörte. Das bin ich. Ein Mann, dessen wertvollster Besitz vier Uniformen, ein paar Orden und ein altes Bild ist. Alles andere ... ist Euer. Aber wie hätte ich Euch diese Gefühle offenbaren können, Prinzessin? Was auch immer Ihr für mich empfindet; Ich bin dessen nicht würdig. Werde es niemals sein. Wenn Ihr mir nicht glaubt, dann fragt Euren Vater nach den Umständen, unter denen er mich kennen lernte. Danach mag Euer Sinn sich ändern. Denn ich war nichts weiter, als ein armseliger, kleiner Galgenstrick, den die Gnade Eures Vaters vor großem Schaden bewahrte. Sprecht mit ihm! Und dann - wenn Ihr könnt - ändert Eure Gefühle. Bringt Euer Herz zur Vernunft! Wenn nicht, kann ich nur für den Rest meines Lebens versuchen, Euch nicht zu enttäuschen.“

Aya starrte tränenblind auf die Tür.

„Nun entschuldigt mich bitte, Hoheit. Der Kommandant wartet.“
 

Lady Jin verstand zunächst nicht ganz, warum sie ihre Tochter weinend vorfand. Als ihr versichert wurde, diese Tränen entsprängen nicht dem Unglück sondern einem sehr albernen Grund, konnte sie das mit bewundernswerter Bravour nachvollziehen.

„Er liebt mich!“, flüsterte Aya.

Mittlerweile waren ihre Tränen getrocknet. Sie saß in einem großen Sessel und wirkte recht verloren.

„Natürlich tut er das, Schatz.“

„Du ... hast es gewusst?“

„Ja. Na ja, zuerst nicht, aber es gibt einige Leute, die behaupten, die Gefühle des Hauptmanns lägen auf der Hand“, sagte Jin sanft.

„Auf der Hand? Die Gefühle Takeru Nezus? Sprechen wir über den selben Mann?“

„Du vergisst, dass wir ihn schon sehr lange kennen. Er hatte, seit er dich damals gerettet hat, nur ein Ziel: Kage zu werden. DEIN Kage. Er hat Dich schon immer beschützt, geliebt und geschätzt. Es war nur natürlich, dass sich diese Art der Liebe im Laufe der Jahre gewandelt hat.“

„So!? Bei IHM wusstet ihr Bescheid, und bei mir? Die Einzige, die etwas bemerkt hat, war Mia Ling.“

„Bitte? Du denkst Deine Anstandsdame würde Dich besser kennen, als Deine Eltern? Natürlich wussten wir, was Du empfindest. Dein Vater war ganz aus dem Häschen deswegen. Du weisst ja, wie sehr er den Hauptmann schätzt. Aber dann wurde Takeru verwundet und diese tiefen Narben... Deine Neigung schien recht schnell zu verfliegen.“ Mylady zuckte mit den Schultern.

„Bitte?“, hauchte Aya.

„Nun, sie WAREN anfangs ja auch sehr auffällig.“

„Du ... Ihr habt geglaubt, meine Gefühle hätten sich geändert? Wegen ... ein ... ein paar NARBEN?“

Jin war irritiert. Anscheinend hatte sie etwas Falsches gesagt. Etwas sehr Falsches.

„Das dachte jeder.“

„WAS?“ Die Prinzessin sprang auf. „Das kann nicht Dein Ernst sein!“

„Aber Mäuschen, das ist doch nicht schlimm ...“

„Sag nicht Mäuschen! Und sag nicht, es sei nicht schlimm! Mich für so oberflächlich zu halten ...“

„Schatz ...“


„Da hat mich dann wohl eine Hofdame besser gekannt, als meine Eltern!“

„Aber Aya ... Dein Verhalten hatte sich mit einem Mal so verändert. Du schienst ihm gegenüber plötzlich so gleichgültig. Was sollten wir denn glauben?“

„Gar nichts solltet ihr glauben!“, gab Aya unwillig zu. „Niemand sollte irgendetwas glauben!“

„Warum hast Du nur nie etwas gesagt?“ Jin drückte ihre Tochter behutsam wieder in den Sessel, ließ sich auf der Armlehne nieder und zog Aya an sich. „Du hättest doch zu uns kommen können.“

„Ich ... ich dachte ja nicht ...“ Die Prinzessin blickte auf ihre verschlungenen Finger hinab „Schließlich lassen sich Gefühle nicht erzwingen. Und ich dachte, er empfindet nur Hochachtung oder ... Respekt.“

„Das tut er ja auch. Manchmal sogar mehr als gut für ihn ist. Dabei sollte man meinen, jemand der sich so mühsam hochgearbeitet hat ... Spätzchen?“ Jin straffte sich. „Was weißt Du eigentlich über die Kindheit des Hauptmanns?“

„Über seine Kindheit?“, murmelte Aya verwirrt. „Was hat seine Kindheit damit zu tun? Hat er deswegen verlangt, ich solle mit Papa sprechen? Er machte so eine seltsame Andeutung. Über seine Vergangenheit. Als gäbe es etwas, das ich vielleicht nicht akzeptieren könnte, wenn ich es erführe.“

„So etwas in der Art hatte ich vermutet.“, seufzte Jin.

„Du weißt, wovon er sprach?“

„Ja. Vielleicht sollten wir zu Deinem Vater gehen.“

„Aber was in aller Welt kann so schlimm sein, dass er denkt, es würde etwas an meinen Gefühlen für ihn ändern?“

„Ersten: Nichts! Zweitens: Ich glaube Dein Takeru muss sich erst an den Gedanken gewöhnen, dass Du ihn liebst. Und daran, wie sehr Du das tust. Vermutlich braucht er ein paar Jahre, das zu begreifen. Jetzt lass uns zu Deinem Vater gehen. Er hat eine Geschichte, die Du Dir anhören solltest.“
 

Nach Zukos ungeschöntem, ausführlichem Bericht wischte seine Tochter sich verstohlen über die Wangen.

Endlich kannte sie den Grund. Den Grund, aus dem sie so kaltblütig belogen worden war, als sie versucht hatte, die Fassade einzureißen.

„Darum hat er seine Gefühle verleugnet“, flüsterte sie.

„Nun, Flämmchen, an seinen Dickschädel solltest Du Dich lieber schon vorab gewöhnen. Ein Hirn wie Kyoshi-Marmor. Was dort eingemeißelt ist, bleibt auch dort. Das hat natürlich ein paar Vor- aber auch etliche Nachteile“, sagte Zuko mitfühlend.

„Glaub mir, Mäuschen, Dein Vater weiß, wovon er spricht.“

„Jin!“

„Aber ... er kann nicht ernsthaft glauben, dass das was er damals getan hat irgendetwas ändert. Er war doch noch ein Kind!“ Aya klang fassungslos.

„Ja. Ein Kind. Aber ein diebisches. Und für ihn zählt nur das.“
 

So kam es, dass Aya den Nachmittag damit verbrachte in ihren Gemächern auf und ab zu marschieren.

Ihr ging unendlich vieles durch den Kopf.

Die Geschichte eines auf sich allein gestellten Kindes war nur eines davon. So herzzerreißend diese Enthüllung auch gewesen war; der Mann, der aus diesem Kind geworden war, rang ihr umso mehr Bewunderung ab.

Die Tatsache, dass ihre Eltern tatsächlich gedacht hatten, ihre Liebe hinge von der Unversehrtheit eines hübschen Gesichts ab, fand sie bei weitem bedenklicher.

Agni! Narben machten ihr nicht das Geringste aus! Warum sollten sie auch? Ihr eigener Vater trug eine der bekanntesten Narben dieser Welt. Darüber hinaus war sie war von Kindesbeinen an tagaus tagein mit vernarbten, verschrammten Veteranen, Wächtern und Kriegern konfrontiert gewesen.

Wie hatten sie das nur denken können? Und die Ausrede ihrer Mutter ...

`Das dachte jeder.´

Mitten im Schritt erstarrte die Prinzessin.

Jeder?? ER auch?

Hatte er die Distanz, die sie damals so mühsam erschaffen hatte, als Zeichen der Abscheu interpretiert?

Erneut sank sie ratlos auf einen Sessel.

Oh ja, da war unendlich vieles in ihrem Kopf.

Und noch so viel mehr in ihrem Herzen.

Nur schien sie, wieder einmal, nichts davon ins Freie lassen zu können. Denn er ... kam einfach nicht.
 


 

Ein Stockwerk tiefer
 

„Ich bin ja wirklich geschmeichelt, wie viel Du mir zutraust, aber zwei komplette Schichten zur gleichen Zeit? Da müsstest Du mich schon zweiteilen“, merkte Hauptmann Osaru fachmännisch an, als er über die Schulter seines Freundes linste.

Takeru starrte auf die Liste vor sich und warf die Schreibfeder beiseite.

„Verdammt!“ Müde rieb er sich die Augen. „Was machst Du hier?“, fragte er über die Schulter. „Solltest Du nicht noch sauer auf mich sein?“

„Nein. Hatte keine Lust mehr. Ist eher Dein Metier. Und bevor Du den Dienstplan noch weiter durcheinander bringst, würde ich sagen, Du machst für heute Schluss. Solltest DU Dich nicht ohnehin Deiner Verlobten widmen?“

„Sie ist nicht meine ... Sie hat noch nicht ... Es gibt noch offene Fragen.“

„Sicher. Wenn dem so ist, siehst Du dann nicht ein kleines bisschen Handlungsbedarf?“

„Eher den Wunsch, die Beine in die Hand zu nehmen.“

„Ah! Da spricht unser tapferer Hauptmann Nezu, Zukos unbezwingbare Ein-Mann-Bastion.“ Han schlug seinem Waffenbruder auf die Schulter, das es - trotz dessen wie immer tadellosen Uniform - kräftig staubte. „Mein armer, umnachteter Freund! Schätze, in Liebesdingen nutzt Dir die Unvergleichlichkeit Deiner Kampfeskunst herzlich wenig.“

Nach diesen weisen Worten wurde Han Zeuge eines überaus seltenen Schauspiels. Nämlich Takeru Nezu, wie er sein Haupt zwischen den Händen vergrub und verzweifelte Litaneien vor sich hinmurmelte, die schliesslich in wüsten Selbstverwünschungen gipfelten.

„Na, na. Wird schon nicht so schlimm werden!“

„Han! Sie wusste bisher nicht das Geringste über meine Vergangenheit.“

„Ich würde sagen, über die letzten acht bis neun Jahre hat sie eine recht klare Vorstellung dessen, was Du so getrieben hast. Jetzt beweg endlich Deinen Hintern zu ihr!“

„Wo wir grade von Hintern sprechen ...“ Der plötzlich knurrige Tonfall ließ Han nichts Gutes erahnen. „Du weißt nicht zufällig, wie dieses alte Bild General Iroh in die Hände geriet?“

„ICH? Du weißt, ich bin ein Kunstbanause. Hab KEINE Ahnung von irgendwelchen Bildern!“

„Sicher. Wir sprechen uns noch.“

„Ich bebe! Krieg ich Deinen restlichen Kaffee?“

„Solange Du ihn nicht mit Zucker verunreinigst.“

„Wo liegt denn dann der Spass darin?“
 

Die Geräusche aus dem Nebenzimmer waren kaum zu hören.

Hätte Aya nicht angespannt gelauscht, wären sie ihr vermutlich entgangen.

So. Zu dieser späten Stunde wähnte man sich wohl in Sicherheit.

Zum Glück wusste Aya, wie sie die Schildkröte aus ihrem Panzer locken konnte. Sie wusste, wie sehr der Hauptmann es hasste, wenn sie einfach so auf die Terrasse ging.

Also würde sie auf die Terrasse gehen. Einfach so!
 

Takeru hatte seinen Waffengurt abgelegt, und war eben dabei seine Jacke genauestens über der Stuhllehne auszutarieren, als eine kaum wahrnehmbare Bewegung am Fenster ihn innehalten liess.

Was zum ...?

Er seufzte. Seine kleine Fee hatte offensichtlich das Prinzip taktischen Handelns für sich entdeckt.
 

Als Aya die leisen Schritte vernahm, musste sie ein Lächeln unterdrücken. Es schien, als hätte sie ausnahmsweise ins Schwarze getroffen. Sie drehte sich um.

Irgendetwas an ihm war anders. An der fehlenden Uniformjacke allein konnte es nicht liegen. Sie hatte ihren Kage schon in Hemdsärmeln und weit weniger gesehen (da dieser Gedanke jedoch das Blut in ihre Wangen trieb, versuchte sie ihn so rasch als möglich zu verdrängen).

Es war sein Blick. Direkter als sonst; trotzdem fragend und unsicher.

Die Stunde der Wahrheit war also gekommen.

„Hauptmann“, begrüßte sie ihn leise.

Er nahm den Blick von ihrem Gesicht - wie so oft - und sah zur Seite.

„Prinzessin. Ihr solltet nicht so spät ...“

Aya ließ nicht zu, dass er sich auf vertrautes Terrain rettete. Diesmal nicht.

„Ich weiß!“, fiel sie ihm daher ins Wort. „Und bevor Ihr fragt: Nein, mir ist nicht kalt!“

Takeru presste die Lippen zusammen.

Warum kam er sich nur so verdammt hilflos und so verdammt deplatziert vor?

Kontrolle! Er hatte keine Kontrolle!

Er erinnerte sich an die Mahnungen seines ersten Sifu.

`Regel Nummer zwei: Passivität bedeutet Kontrollverlust!´

Einfache Regel. Einfache Schlussfolgerung.

Zeit, sich den Dämonen zu stellen.

„Habt Ihr mit Eurem Vater gesprochen, Hoheit?“

„Ja.“

„Dann,“ Er holte tief Luft. „Dann Wisst Ihr, was ich war.“

„Kann ein Außenstehender das überhaupt wissen?“, fragte sie sanft. „Wie viele Leute habt ihr bestohlen?“

Takeru trafen diese Worte wie ein Schlag. Ihr Urteil war also gefällt.

Er straffte sich.

„Einige“, gestand er rau.

„Aber Ihr wart noch nicht einmal fünf, als Ihr auf meinen Vater traft.“

„Ja.“

Wie verzweifelt er gewesen sein musste. Auf sich allein gestellt. Voller Angst.

„Agni!“, wisperte sie.
 

`Das war es also´, dachte der Junge mit dem Loch im Bauch.

Einen Soldaten hatte sie vielleicht noch lieben können. Aber einen Dieb ...?

Jetzt bezahlte er also für alles in seinem Leben begangene Unrecht.

Jetzt erkannte sie endlich, dass er nicht gut genug war.

Im Mondlicht sah er etwas in ihren Augen schimmern. Tat es ihr weh, ihm die Wahrheit offenbaren zu müssen?

„Ihr braucht nichts zu sagen, Hoheit“, begann er ruhig. „Ich wusste immer, was ich bin. Ihr habt etwas besseres verdient. Ihr werdet einen Mann finden, der Eurer würdig ist.“

„Was? Was sagt Ihr da?“ Irritiert blickte Aya auf.

„Prinzessin ...“

„Würdiger? Inwiefern wäre ich würdiger als Ihr? Sagt es mir!“ Ihre hellen Augen loteten die seinen aus.

Er sah fort um all das Unausgesprochene zu schützen.

Doch Aya drang weiter auf ihn ein.

„Welches Verdienst könnte ich für mich beanspruchen? Dass ich in eine privilegierte Familie geboren wurde? Dass ich behüteter aufwuchs als jeder andere Mensch? Dass ich die Dinge die ich tue von Kindesbeinen an lernen konnte? Ich bin nichts weiter, als das verhätschelte Kind wundervoller Eltern. Nicht einmal um mein Auskommen muss ich mich kümmern. Ich ... ich tauge weder zum Kämpfen, noch wirklich zum Bändigen. Und das als Tochter des Feuerlords!“

Sie trat so dicht vor ihn, dass er sie schließlich ansehen musste. Und diesmal hielt sie seinen Blick fest.

Langsam hob sie die Rechte und legte sie ganz sacht an seine Wange.

„Selbst meine Narben ...“ Drei feingliedrige Finger fuhren unendlich zärtlich die parallelen Linien auf seinem Gesicht nach. „muss ein Anderer tragen.“

Ihre Augen glänzten vor Tränen.

„All die Schmerzen, die Du erlitten hast ... Alle meinetwegen. Du hast Recht: Ich habe das nicht verdient. Aber es wurde mir trotzdem geschenkt. Also sagt nie wieder, Ihr wäret unwürdig, Hauptmann. Nie wieder!“

„Aya ...“
 

Ihr Blick heftete sich auf seinen Mund, tauchte in seine Augen und fiel erneut auf seinem Mund.

Das Sehnen darin gab Takeru den Rest. Er hob langsam den Arm.

Unmerklich, wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, strichen raue Fingerkuppen über ihren Hals, als er sacht ihr Haar beiseite schob, um den zarten Nacken zu umfassen.

Ihr Nacken.

Dieses duftende, lockende Fragment seidiger Haut, das er Stunde um Stunde hatte betrachten dürfen. Nichts an ihr war ihm so vertraut, wie der milchweiße, anmutige Bogen ihres Nackens. Nichts hatte er schmerzlicher begehrt als diese eine, federleichte Berührung!

Und wie selbst das leiseste Gaukeln eines Mondfalters Kaskaden schimmernden Lichts regnen lässt, so durchrieselten Aya Wellen flirrender, flimmernder Wonneschauer.

Als sein Daumen schließlich die empfindliche Stelle unterhalb ihres Ohrs liebkoste, dort wo ihr Herzschlag nur noch ein einziges, unstetes Flattern war, folgte Aya der stummen, bezwingenden Aufforderung.

Sie kam näher. So nah, dass seine Wärme sie vollkommen durchdrang.

Ihre Brust hob und senkte sich in heftigen, hastigen Atemzügen. Immer noch schien sie unfähig, den Blick von seinem Mund zu nehmen. Doch dann sah sie auf, in seine Augen und vergaß zu atmen.

So war es also, von der schimmernden Geborgenheit ewigen Eises umschlossen zu werden.

HIER würde sie also für immer bleiben.

Takeru senkte den Kopf, bis sie Stirn an Stirn standen. Bis die Welt nicht mehr zwischen ihnen war.

„Aya.“
 

Aya schloss die Augen. Wollte er nicht endlich ...

Musste er immer wieder ihren Namen sagen? Konnte er sie nicht ENDLICH küssen?

Ihre Vitalzeichen hatten ohnehin bereits Frequenzen erreicht, die sie ihnen niemals zugetraut hätte.

Wenn das so weiterging würde sie den eigentlichen Kuss nicht mehr erleben!

Ihre Lippen waren vor lauter Sehnsucht schon ganz taub, schienen sich auflösen zu wollen. Wie bei einem Kind, das zu lange im Schnee gespielt hat und dessen klamme Finger in der Wärme nun zu kribbeln und zu schmerzen begannen.

Und doch gab es nichts Schöneres, als das.

Wie konnte ihr so die Luft wegbleiben?

Wie konnte ihr Puls nur so unstet und ziellos durch ihre Adern jagen?

Wie konnten alles in ihr vor Verlangen derart pulsieren, obwohl sie bisher nur seinen warmen, prickelnden Atmen auf dem Gesicht spürte?

Wie konnte er all das in ihr auslösen, obwohl er doch noch gar nichts tat?

Nichts. Außer, sie komplett wahnsinnig zu machen!

„Takeru!“, wisperte sie.

Endlich seinen Namen zu sagen, als wäre es das Selbstverständlichste auf dieser Welt. Endlich darbieten zu können, was all die Jahre in ihrer Seele widergehallt hatte; was ihr Herz erfüllt hatte bis es schmerzte...
 

Aya merkte nicht, wie ihre Finger sich in den Kragen seines Hemdes krallten. Sie wollte nur, dass er noch näher kam. Wollte es mit aller Macht.

Und das tat er.

Er war wie ein langsamer Erdrutsch. Bedächtig und unaufhaltsam. Mit einem Leuchten in den Augen wie sie es darin noch nie gesehen hatte.

Nur noch Millimeter von ihren Lippen entfernt, flüsterte er ein letztes Mal ihren Namen.

„Aya!“

Mit halbgeöffnetem Mund strich er über ihre Lippen. Lippen, die nach ihm lechzten.

Und er wusste es! Sie wusste, dass er es wusste!

Warum neckte er sie so? Warum ...

Als seine Zungenspitze federleicht ihren Mundwinkel koste, konnte Aya ihr leises, flehendes Wimmern nicht länger unterdrücken.

Mehr brauchte es nicht. Sein heißer Mund verschmolz endlich mit ihrem.

Ohne weiteres Zögern nahm er, was er all die Jahre so schmerzlich begehrt hatte. Seine Arme umschlangen, was er all die Jahre fast ehrfürchtig bestaunt hatte. Was er in all diesen Jahren verehrt, bewahrt und behütet hatte ...

Nun war es sein.

Er presste sie an sich, alles von ihr, während er in der leidenschaftlichen Erwiderung ihres Mundes schwelgte. Ihrer Hitze. Ihrem Geschmack.
 


 

Ein Balkon
 

„Oh mein Gott!“

„Jin ...“

„Oh mein Gott!“, Mylady hatte die Hände zusammengeschlagen und verzückt vor der Brust gefaltet. „Die beiden sind so ... so ...“

„Das S-Wort?“

„JA!“, schniefte sie.

„Süß?“, half Irohs Stimme, vom Balkon nebenan aus.

„Sag ich ja!“ Jin putze sich die Nase.

„Wenn Du so einen Lärm machst, bemerken sie uns noch, mein Herz.“

„Nezu weiß ohnehin, dass wir da sind. Dieser verdammte sechste Sinn muss angeboren sein.“, spekulierte der General.

„Sieht ganz so aus, als kriegt das Mädel da unten weiche Knie.“ Mit diesen überaus fachkundigen Worten lenkte Fon die Aufmerksamkeit wieder auf die wichtigen Dinge.

„Ja. Der Junge scheint tatsächlich was vom Küssen zu verstehen.“, meinte Iroh vergnügt. „Wer hätte das gedacht?“

„Wieso? Sieht doch wie ein anständiger Küsser aus.“, konterte sein Freund.

„Will ich wissen, wie ein anständiger Küsser auszusehen hat?“, murmelte Zuko.

„Wie Du!“, stellte Jin fest, ohne Platz für irgendwelche Zweifel zu lassen.

„So?“

„Jetzt fangen die da drüben auch noch an.“, brummte es vom benachbarten Balkon.

„Tja, Fon, mein Freund, ich kann mich gar nicht entscheiden, welches Spektakel ich jetzt mitverfolgen soll. Aber irgendwann musst Du mir verraten, woran DU einen guten Küsser erkennen willst. Nimmst Du Stichproben?“
 


 

Terrasse
 

Ayas Lippen pochten, brannten, kribbelten, schmerzten und sangen und taten tausend andere Dinge, die ihre Besitzerin nie für möglich gehalten hätte. Doch es war ihr egal, solange er sie nur küsste.

So lange sie nur seinen Geschmack haben durfte.

Seinen Geruch. Seine Nähe. Ihn.

Mit allem was sie hatte, zog es sie zu ihm.

Ob es schamlos war, sich so an ihn zu drängen?

Ob es unschicklich war, das Wühlen; das süße Ziehen tief in ihrem Leib?

Ob es sie kümmerte?

Als sie schon glaubte, nie wieder klar denken zu können, wurde sie plötzlich losgelassen.

Keuchend öffnete sie die Augen. Sein Blick war ein Strudel aus Silber und Eis. Brennendem Eis.

„Ihr solltet hineingehen.“, stieß er rau aus. „Es ... ist kalt.“

War das ein Scherz?

„K ... kalt?“

„Ja. Ihr ... tragt keine Schuhe!“

Ja, ganz offensichtlich war es ein Scherz.

So ruhig wie er da vor ihr stand und von Schuhen faselte, nachdem er mit seinen Küssen selbst ihre Zehen zum Kribbeln gebracht hatte.

„Wenn ich Schuhe anhätte, würdest Du ... mich weiter küssen?“, stammelte sie, verständlicherweise etwas durcheinander.

Vielleicht sollte sie von nun an immer ein Paar in petto halten.

„Ja. NEIN! Ich ... Ihr solltet jetzt wirklich hinein gehen!“

„Mir ist nicht kalt.“

„Trotzdem.“

War `trotzdem´ ein logisches Argument?

„Aber ...“

„Vielleicht habt Ihr unsere Zuschauer nicht bedacht.“, murmelte er sichtlich unbehaglich.

Sie folgte seinem Blick zu dem Balkon ihrer ...

„Oh!“, hauchte sie. „Ach Du meine ...“

„Gute Nacht, Prinzessin.“

Mit diesen Worten neigte der Hauptmann höflich das Haupt und forderte sie mit einer stummen Geste auf, vorauszugehen.

Aya wünschte nur, ihre Knie wären nicht immer noch so weich gewesen. Das hätte die Sache erheblich vereinfacht.
 

Zehn Minuten später stand Aya vor der kleinen Tür, die zu seiner Kammer führte. Genau dort, wo sie schon so unzählige Male an so unzähligen Abenden gestanden hatte.

Sie presste ein Ohr gegen das Mahagoni.

Nichts.

Aber sie spürte etwas. Subtil. Nicht greifbar.

„Hauptmann?“, flüsterte sie probehalber.

„Ja?“

Die gedämpfte Stimme klang, als stünde der Sprecher fast ebenso nah an der Tür, wie sie selbst. Aya schloss die Augen und lächelte.

„Ihr ... wenn Ihr wollt habt Ihr die Erlaubnis, mich morgen ... auf einen Spaziergang zu begleiten.“

Nichts.

Dann war mit einem Mal die Tür fort.

Schneller als sie blinzeln konnte fand Aya sich in einem hinreißenden, leidenschaftlichen Kuss wieder. Leidenschaftlicher noch als die von vorhin. Dieser Kuss war ebenso hart und besitzergreifend, wie es diese anderen Küsse gewesen waren, die sie vor einer kleinen Ewigkeit an seinem Krankenbett erhalten hatte.

Und doch war es ein himmelweiter Unterschied, denn diesmal wusste er haargenau was er tat. Dieser kleine aber feine Unterschied verwandelte Ayas Inneres schon wieder in prickelndes Mus.

Um Halt zu finden schlang sie die Arme um ihn. Um mehr zu bekommen, erwiderte sie hemmungslos das sinnliche Reiben der rauen Zunge. Um nicht verrückt zu werden, stöhnte sie ihre Kapitulation in seinen Mund. Seinen wundervollen, heißen Mund.

Irgendwann, viel zu schnell, löste er seine Lippen von ihren.

„Ihr ... solltet schlafen gehen!“, keuchte er, die Hände noch immer in ihrem duftenden, weichen Haar vergraben.

„Aber ...“

„Gute Nacht, Prinzessin!“

Fast ebenso schnell, wie sie vorher geöffnet worden war, wurde die Verbindungstür wieder geschlossen.

Aya blinzelte verwirrt.

„Aber ...“

„Schlaft!“

„Aber ich WILL nicht schlafen.“, sagte Aya leise, die Lippen ganz nah am Holz der Tür. „Ich ... ich will nicht aufwachen und alles war nur ein Traum.“ Ihre Finger fuhren ziellos über die vertrauten Mahagoni-Schnitzereien.

„Takeru?“
 

Die Tür öffnete sich, nur einen Spalt. Eine Hand erschien und hielt ihr etwas entgegen. Es war ein alter Seidenhandschuh.

„Bitte sehr!“

Seine Stimme klang fast schroff und die Tür fiel wieder ins Schloss.

Aya betrachtete ihr Pfand. Sie kannte diesen Handschuh. Er war Teil jenes Paars, welches dem jungen Hauptmann Nezu damals zu seiner Einsetzung als Kage überreicht worden war. Da Seide jedoch die Tendenz hat, mit der Zeit brüchig zu werden, waren sie im Laufe der Jahre schon mehrmals ersetzt worden.

Doch dies hier war ganz ohne Zweifel der rechte Handschuh des ersten Paares.

„Ihr ... habt die Handschuhe aufbewahrt?“ Sie schluckte.

„Geht zu Bett, Hoheit!“

„Wirst Du mich eigentlich jemals duzen?“

Auf der anderen Seite der Tür wurde man von diesem unerwarteten Themenwechsel überrumpelt.

„Was?“

„Wirst Du mich duzen? Irgendwann?“

Takeru harkte mit den Fingern durch sein Haar. Was wollte diese Frau denn noch alles?

„Ich ... ja. Vermutlich.“

„Wann?“

Himmel!

„Morgen. Vielleicht.“

„Vielleicht?“

„Wollt Ihr nicht endlich ...“

„Warum vielleicht?“

„Weil es mir offensichtlich leichter fällt, Euch zu küssen, als eine vertrauliche Anrede zu verwenden. Seid Ihr nun zufrieden?“

„Du klingst ... ungehalten.“

Takeru legte resigniert die Stirn an die Tür.

„Nein! Bin ich nicht“ raunte er. „Aya ... bitte! Geht schlafen!“

Eine Zeit lang war es still.

„Gute Nacht“, sagte sie dann leise.

„Gute Nacht, Prinzessin.“
 

Etwas unentschlossen, auf bloßen Füßen, tapste Aya rückwärts zu ihrem Bett und schlüpfte unter die Decke.

Den seidenweichen Liebesbeweis des Hauptmanns, IHRES Hauptmanns, legte sie auf ihr Kopfkissen, wo sie ihn nicht aus den Augen ließ. Dann wiederum, konnte sie nicht davon ablassen, drückte ihn fest an sich.

So ging es hin und her, bis sie schließlich doch einschlief.

Die Hand unter ihrer Wange hielt fest ein goldbesticktes Artefakt umschlossen.

Mein Gott Walter!

>> So, diesmal hat es wirklich etwas gedauert. Leider hatte mein Laptop mich im Stich gelassen und mit ihm auch fast ein Drittel des Kapitels. Aber dann konnten wir die Daten doch noch retten! ^^

Danke für Eure Geduld!

Ach ja, gebt meinen Beta-Feen bitte keine Schuld an den Fehlern, die ihr finden werdet. Ich war zu ungeduldig und hab hochgeladen ohne auf die Korrektur zu warten.
 

Ach so, und schaut mal in der Charaktergalerie nach.

Estel_69 hat ein tolles Gruppenbild gemacht. Die ganze Sippschaft! ^^«
 


 

Am nächsten Morgen erwachte Prinzessin Aya von den ersten, zarten Sonnenstrahlen, die sich in den Goldfäden eines ziemlich alten Handschuhs verfangen hatten. Selbst das Wissen, etwas höchst Albernes zu tun, hielt die junge Dame nicht davon ab dieses kostbare Accessoire inniglich an sich zu drücken. Nachdem dieser elementar wichtige Punkt der Tagesordnung abgehakt war, sprang sie aus dem Bett und rief nach ihrer Zofe.

„Lyra?“

Ohne auf das Mädchen zu warten, lief Aya zu ihrer Kleiderkammer und öffnete schwungvoll die Doppeltür. Mal sehen ...

„Lyra?“

Die Gerufene erschien, während sie noch gähnend den Gürtel ihres Kimonos schloss.

„Ja, Prinzessin?“ Ihre Stimme klang verschlafen.

„Oh.“ Aya drehte sich um und biss sich schuldbewusst auf die Unterlippe. „Wie ... wie spät ist es denn?“

„Ich glaube viertel vor fünf, Hoheit.“

„Oh nein! Tut mir leid! Ich hatte gar nicht auf die Uhr gesehen.“

„Schon gut. Ist ja nicht schlimm.“

„Doch! Ich hab Dich geweckt. Aber ich bin so ...“

Lyra hatte zwar eine halbe Stunde ihres wohlverdienten Schlafs eingebüßt, aber nun entfuhr ihr ein Kichern.

„Ich weiß, was wir machen!“, sagte sie. „Ich lasse eine große Kanne Tee bringen und dann durchstöbern wir Eure Garderobe.“

Aya nickte kläglich, zuckte mit den Schultern und zog das Mädchen in eine spontane Umarmung. 

„Morgen lass ich Dich dafür länger schlafen.“

„Unsinn, Prinzessin. Hauptsache, Ihr strahlt wieder!“
 

Zehn Minuten später, durch Tee und Hörnchen ausreichend gestärkt, wurde Samt, Chiffon und Seide in allen denkbaren Formen und Farben begutachtet und ... für unzureichend befunden.

„Nein. In diesem sehe ich immer so blass aus.“

„Hm. Also kein Grün“, murmelte Lyra. „Etwas Violettes vielleicht?“

„Ich weiss nicht.“

„Warum? In Violett seht Ihr aus wie ein Porzellan-Püppchen.“

Wollte man heute wirklich aussehen wie ein Porzellan-Püppchen?

„Ich weiss nicht.“

„Orange?“

„Ich weiss nicht.“

„Prinzessin, irgendetwas solltest Ihr aber schon anziehen.“

„Ja.“ Aya sank auf einen Sessel. „Ich ... Er wird heute ... Wir werden ...“

„Ich weiss, ja! Ich habe Fräulein Seri extra gebeten, mir einen Platz auf dem Balkon freizuhalten. Ich bin ja schon so aufgeregt!“

„Ach Du meine Güte!“, hauchte Aya. „Ich glaube, mir wird komisch.“

 „Nein, nein! Das sind nur die Nerven, sagt meine Mama immer. Wir müssen nur dafür sorgen, dass dem Hauptmann schön die Augen aus dem Kopf fallen, wenn er Euch heute sieht! Na ja, angesehen hat er Euch ja IMMER, aber jeder dachte, dass er das tun muss. So als Kage. Und jetzt ... das ist alles so aufregend! Oh, ich weiss welches Kleid!“ Sie verschwand wieselflink zwischen unzähligen Kleiderstangen.

„Nichts zu Protziges“, rief Aya ihr matt hinterher.

Wenn sie weiterhin so entscheidungsfreudig blieb, könnte sie sich gleich ein Bettlaken umhängen.

„Aber nein! Es ist ganz schlicht. Aber ich weiss noch, wie alle ganz entzückt waren, als wir es auf der Gartenparty der Wus trugen“, referierte Lyra voll zöflicher Solidarität. „Das Kammermädchen der Comtesse war ganz grün vor Neid, weil ihre Herrin selbst aufgetakelt wie eine Fregatte nur halb so hübsch war, wie Ihr. Und den ganzen Tag hab ich Komplimente wegen Eurer Frisur bekommen“, schwatze sie weiter. Zofen haben eben ihre ganz eigene Berufs-Ehre. „Ihr wart mit Abstand die hübscheste Dame auf dem Fest! Nicht, dass Ihr das nicht immer ... Ah, da ist es ja!“

Das leise Rascheln kostbarer Seide war zu hören.

„Da werden dem Hauptmann ganz bestimmt die Gäule durchgehn!“

Strahlend hielt Lyra ihre Beute in die Höhe.

Der Schnitt des traditionellen Kimonos war elegant und klar. Aya erinnerte sich, dass die elfenbeinfarbene Seide einen ganz wundervollen Fall hatte, der jeder Bewegung schmeichelte. Der einzige Schmuck, neben dem exquisiten Schimmer des Stoffs, waren der breite Gürtel, die Kragenkante und die aufgeschlagenen Säume der Ärmel. Hier waren winzige Phönixe in allen denkbaren, strahlenden Violett- und Rottönen auf einen gloriosen, orange-flammenden Hintergrund gestickt. Bei der leisesten Bewegung, sah es aus, als flatterten hunderte dieser wundervollen Geschöpfe auf einmal auf.

„Lyra!“, hauchte Aya. „Das ist es! Warum habe ich daran nur nicht mehr gedacht?“

„Weil Ihr Euch nie Gedanken um Kleidung macht, Hoheit. Na ja ... außer heute. Darum bin ich so gern Eure Zofe. Ihr seid fast wie ein kleines Anzieh-Püppchen. Also ... Äh ...“

Lyra hielt zögernd inne. In ihrer Euphorie war sie eindeutig zu weit gegangen.

Doch die Prinzessin lachte nur.

„Ja. Und Du machst das ganz wunderbar. Ich fühle mich immer bestens ausstaffiert. Es ist nie zu übertrieben und nie zu wenig.“

„Wirklich?“ Lyra blinzelte gerührt. Dann erinnerte sie sich an den straff gesteckten Zeitplan. „So! Nun aber husch, husch! Wir müssen noch baden und dann ist Euer Haar dran. Ich hoffe, wir bekommen es noch trocken.“
 

Sie bekamen es trocken. Trocken, glänzend wie Onyx und fabelhaft in Form gebracht.

„Fertig, Prinzessin. Gefällt es Euch?“

Aya nickte. „Sehr schön! Nur ...“ Sie drehte ihr Gesicht vor dem Spiegel hin und her. „Bin ich immer so bleich?“

„Bleich?“ Lyra schnalzte mit der Zunge. „Ich bin sehr stolz auf Euren Porzellan-Teint.“

„Vielleicht sollten wir etwas Wangenrot ...?“

„WAS?“, rief das Kammermädchen. „Ich fang aber doch nicht an, Euch anzumalen!“

„Aber ...“

„Hoheit, dem Hauptmann würde es bestimmt nicht gefallen, wenn Ihr plötzlich so ausseht, als seid Ihr in einen Tuschekasten gefallen.“

„Nur ein bisschen.“

„Nein!“, sagte Lyra rigoros.

„Na gut“, seufzte Ihre Hoheit und gab nach.

Lyra HATTE sie ja wundervoll zurechtgemacht. Allerdings hegte Aya die Befürchtung, dass es heute noch Augenblicke geben würde, in denen selbst jungfräulicher Kalk gegen ihre Gesichtsfarbe so wirken würde, als hätte er eine vierwöchige Sommerfrische hinter sich. Das Kribbeln in ihrer Magengegend nahm um mindestens zwei Stufen zu. Als es klopfte, schoss es von dort aus bis in die hintersten Winkel ihres Körpers.

Lyra schlug Hände vor den Mund, machte ein paar kleine Hüpfer und rannte zur Tür.

„Moment!“ Aya sprang auf. „Ich ... Agni! Ich bin noch überhaupt nicht so weit!“ Sie beugte sich zum Spiegel, kniff sich mehrmals in die Wangen und grub kräftig die Zähne in die Unterlippe.

„Was tut Ihr denn?“, wisperte Lyra.

„Ich versuche, etwas Farbe ins Gesicht zu bekommen.“

„Indem Ihr Euch ZWICKT?“

„Die ... die Hofdamen machen das auch so. Glaube ich.“

„Lasst das sein!“, flüsterte Lyra. „Ihr werdet ganz fleckig.“

„FLECKIG?“, quietschte Aya und drehte sich panisch zum Spiegel.

Es klopfte erneut. Ein wenig energischer, als zuvor.

„Äh ... GLEICH!“

„Haben wir Puder hier?“

„Puder? Was für Puder?“

„Wegen der Flecken!“, drängte Aya.

„Nein. Wir haben kein Puder. Wir brauchen nie Puder. Und Ihr seht auch so ganz wundervoll aus! Ihr braucht kein Puder.“

„Aber Du hast gesagt, ich bin fleckig!“

„Ich sagte, Ihr WERDET fleckig, wenn Ihr nicht aufhört.“

„Oh Agni!“ Mit weichen Knien sank Aya auf ihren Stuhl.

„Prinzessin!“ Lyra eilte zu ihrer Herrin und umfasste deren eiskalten Hände. „Warum macht Ihr Euch denn Sorgen? Dem Hauptmann würdet Ihr selbst dann gefallen, wenn wir Euch in einen Reis-Sack gesteckt hätten. Da bin ich ganz, ganz sicher!“
 

„Ist alles in Ordnung?“, erklang eine sehr bekannte, sehr tiefe Stimme durch die Haupttür.

„Oh Agni!“

„ABER SICHER!“, rief Lyra laut und tätschelte Ayas Hand. „ALLES BESTENS!“

„So nervös war ich nicht einmal vor meinem Ersten Auftritt.“

„Na ja. Das Tanzen und Musizieren kann man ja auch alles üben. Habt Ihr gestern Abend mit Hauptmann Nezu denn kein bisschen ... geübt?“

„Ich ... Doch.“

„Ooooh!“, quietschte die Zofe. „Hab ich´s doch gewusst. Ist er wirklich so stark wie er aussieht?“

Aya blickte auf und nickte schwach.

„OOOooooooOOh!“

„Ist wirklich alles in Ordnung?“

„JA! BIN SCHON AUF DEM WEG! So, Prinzessin, jetzt muss ich die Tür aber öffnen.“

„Ja. Gut. Ich ... bin soweit.“
 

Im Vorzimmer wurde leise Gesprochen. Das Anliegen, das vorgetragen wurde war schließlich äußerst delikat. Lyra kam zurück, erfüllt von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe.

„Hoheit“, begann sie würdevoll. „Hauptmann Nezu bittet um die Ehre, Euch auf einen Spaziergang begleiten zu dürfen.“

„Wirklich?“, fragte man scheinbar gefasst. „Dann richte dem Hauptmann bitte aus, dass ich dieser Bitte sehr gerne entspreche.“
 

Wie sich beim Öffnen der Tür herausstellte, war Aya nicht die einzige, die sich sorgfältig herausgeputzt hatte.

Der Hauptmann, überaus fesch in perfekt sitzender Galauniform, war vom Scheitel bis zur Sohle ein Muster an militärischer Eleganz und Akkuresse.

Der Blick der Prinzessin legte die Vermutung nahe, dass die Mühe sich gelohnt hatte. Nicht, dass Takeru dies bemerkt hätte. Er war viel zu sehr damit beschäftigt die Wunder der ... Natur zu ... äh ... bewundern.

Er räusperte sich. 

Sie knetete ihren Fächer.

„Guten Morgen.“

„Guten Morgen, Hauptmann.“

„Ich dachte, bei diesem Wetter wäre Euch vielleicht ein kleiner Spaziergang genehm.“

In der Tat! Selbst wenn es dem Himmel gefallen hätte Heerscharen von Kröten gen Erde zu senden, wäre Ihrer Hoheit ein kleiner Spaziergang genehm gewesen.

„Was für eine zauberhafte Idee.“

Mit einer leichten Verbeugung bot der Hauptmann seinen Arm. Aya hakte sich anmutig unter und liess ihre Fingerspitzen leicht auf den Aufschlägen seiner Jacke ruhen. Eigentlich war es ein Ding der Unmöglichkeit, diese federleichte Berührung durch die vielen Stoffschichten zu spüren. Aber eben nur eigentlich. Der Tag wurde mit einem Mal schwüler.

Doch das war nur die erste der Hürden, die Takeru Nezu heute noch zu meistern hätte.
 

Neben ihr zu gehen, anstatt drei Schritte hinter ihr, war eine überaus ungewohnte Erfahrung. Der Hauptmann kämpfte unentwegt gegen den Drang, langsamer zu werden, um sich zurückfallen zu lassen. Zudem hatte er das ständige Bedürfnis, sich umzusehen.

Auch Konversation war etwas, das in ihrer bisherigen Beziehung eine mehr als untergeordnete Rolle gespielt hatte. Himmel! 

Worüber unterhielt man sich denn so? Im Allgemeinen?

Ein kurzer, verstohlener Blick nach rechts half auch nicht weiter, denn die Prinzessin schritt nur zufrieden schweigend neben ihm einher.

Was also? Wetter? Weltpolitik? Die Situation der Sandleute? Das bevorstehende Erntefest?

Mit Han hätte er die Nachteile diskutiert, in einer von Dornenhecken umschlossenen Sackgasse umher zu schlendern. Oder wie überdurchschnittlich der diesjährige Jahrgang an Rekruten abschliessen würde. Oder ...

„Mögt Ihr eigentlich Kunst, Hauptmann?“

KUNST?

„Bildende ... Kunst?“

„Ja. Zum Beispiel. Was seht Ihr Euch gerne an?“

Dich!

„Nun,“ Räuspern „Ich halte Zu-Lins Werke für sehr ausdrucksstark.“

„Ja. Das sind sie. Und so kraftvoll, nicht wahr? Seine Formen sind so ursprünglich.“

„Das ... sind sie.“

Cretin!

Aya lächelte und Takerus IQ erreichte ein wahres Rekord-Tief.

„Wie steht es mit Musik?“

„Äh ... Pans Lieder des Windes höre ich besonders gerne.“ 

„Ja. Ich weiß.“

Sie wusste. Natürlich wusste sie! Siebenundzwanzig erhabene Gottheiten, inklusive himmlischer Helfershelfer klatschten dem Hauptmann mit den flachen Händen vor die Stirn. DESWEGEN spielte sie dieses Stück jedes Jahr an seinem gottverdammten Geburtstag in ihren Gum Jo-Stunden. 

Er war ja so ein ... Trottel! Idiot! Idiot, Idiot!

Siebenundzwanzig Überwesen lachten sich ins Fäustchen, ins Allmächtige.

„Und sonst? Was für Stücke mögt Ihr noch?“

„Alles aus der Zue Epoche. Hyazinth & Pollux beispielsweise. Besonders wenn Ihr sie spielt. Oder singt. Ihr habt ...“

Na sicher! Ihr etwas zu sagen, dass sie schon hundert Mal gehört hatte, war eine hervorragende Idee! Fast ebenso einfallslos wie vorhersehbar.

„Ja? Was habe ich?“

„Nichts. Ihr ... habt das schon dutzende Male gehört.“

„Was habe ich schon dutzende Male gehört, Hauptmann?“

„Wie ... bemerkenswert Eure Stimme ist.“

„Ja. Aber bisher ich wusste nicht, ob sie Euch gefällt.“

„Doch“, gab er schließlich rau zu. „Sehr.“

Durften Augen so groß sein? So golden? So tief? Takeru spürte eine Ader an seinem Hals pochen.
 

Aya errötete und sah fort. Sie hatte schon wieder dieses Kribbeln auf den Lippen. Doch leider platzen Fenster und Balkone des Palastes fast aus den Nähten und somit bliebe es wohl kaum unbemerkt, wenn sie den Hauptmann kurzerhand in die Büsche zerrte. Sie blickte nach vorn. Oh, Agni, wie weit war es denn noch, bis zu dieser Steinskulptur? 

Sie wollte ihn küssen! JETZT! Auf der Stelle!

Sie biss sich auf die Lippe und Hauptmann Nezu sog scharf die Luft ein.

„Womit beschäftigt Ihr Euch in Eurer Freizeit am liebsten?“, rang sie sich ab, um die Zeit bis zum steinernen Sichtschutz zu überbrücken.

„Freizeit?“ Der Tonfall legte seine mangelnde Vertrautheit mit diesem Konzept dar.

„Ja. Das sind die wenigen Augenblicke, in denen Ihr weder die Verantwortung für mich, noch für irgendwelche Rekruten tragen müsst.“

Da! Es waren nur noch ein paar Schritte, bis zur Statue des Zentaurs. 

„Meistens bewege ich Are.“

„Ja. Ihr reitet viel nicht wahr?“

„Nun, sie muss schliesslich schnell und wendig bleiben.“
 

Erneut traf ein tiefer Blick aus goldglänzenden Augen den Hauptmann wie der Blitz aus heiterem Himmel.

Was ..?

Hatte er schon wieder etwas falsches gesagt? Warum sah sie ihn unentwegt so an? 

Dann war der Moment vorbei. Aya senkte die Lider und seufzte. 

Es klang beinahe frustriert.

So ging es fort. Die Unterhaltung plätscherte dahin, während man sich langsam aber sicher der großen Sonnenuhr näherte. Von Zeit zu Zeit sah die Prinzessin erwartungsvoll zu ihm auf, nur um dann - keine sechs Schritte weiter - unruhig den verlorenen Gesprächsfaden wieder aufzunehmen.
 

Aya gab es auf. Scheinbar gehörte es zu den unumstößlichen Grundsätzen des Hauptmanns, auf gestohlene Küsse zu verzichten, ehe gewisse offizielle Angelegenheiten nicht geklärt wären. Nun ja ... bis zur Sonnenuhr war es ja nicht mehr weit. Bei diesem jähen Gedanken wurde ihr heiß, kalt und wieder einmal kribbelig.

Sie wusste genau, was in den nächsten paar Minuten geschehen würde. Ihrer Aufregung tat dies jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil. Ihre Herz stampfte unter diesem Gemisch aus Vorfreude, Verwirrung und purem Verliebtsein wie eine durchgehenden Herde Wasserbüffel.
 


 

Und wieder ein Balkon
 

„Hm. Sieht so aus, als wisse unser universal belesener Besserwisser doch nicht alles über den Palast.“ Lee Tatzu lehnte entspannt an der Brüstung des Balkons der privaten Gemächer seiner Eltern und spähte in die Gartenanlage hinab.

„Was meinst Du?“, wollte Kiram wissen.

„Eigentlich dachte ich, unsere Killer-Queen wüsste, dass diese Skulpturen den Blick auf den Irrgarten versperren. Man munkelt sogar, sie wurden extra so platziert. Wäre ja auch etwas gemein, wenn angehende Brautpaare nicht wenigstens alle zwanzig Meter mal ein bisschen schnäbeln dürften.“

„Lee?“ Es wurde an seinem Hosenbein gezupft. „Hebst Du mich hoch, bitte?“

„Na klar, Knöpfchen.“ Er bückte sich und nahm Zerfa auf den Arm.

„Hey, und ich?“, rief Jem.

„Wie, und Du? Du willst das sehen?“, grinste Lee. „Irgendwann knutschen sie bestimmt rum.“

„Ja. Na ja.“ Der Junge zuckte mit den Schultern. „Schon klar. Aber da kann man nix machen. Gucken will ich trotzdem.“ Schließlich handelte es sich bei einem der Observationsobjekte um sein großes Vorbild.

„Fein.“

Doch bevor Lee reagieren konnte, wurde Jem schon hochgehoben. Er staunte nicht schlecht, als er auf den Schultern des Kronprinzen landete.

„Oh Mann!“, hauchte er. „Lee, das ist Dein Bruder!“

„Wurde nie bewiesen“, warf Kiram beiläufig ein. „AU!“ Der Prinz zog den Kopf ein, als seine Mutter ihm einen Klaps verpasste.

„Möchtest Du diese Aussage vielleicht zurücknehmen?“, zischte sie empört.

„Äh ... möchten vielleicht nicht, aber ... AU!“

„Liegt es im Bereich des Möglichen, dass ihr alle einfach nur still seid?“, knirschte Zuko. „Es gibt durchaus Menschen, die Interesse am Geschehen haben.“
 

Zum Glück ahnte Aya nichts von der drohenden Familien-Krise. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, einigermaßen gerade, koordinierte Schritte zu machen.

Jetzt, nach all der Zeit, all den sehnsuchtskranken Nächten, all den heimlichen Tränen, stand sie letztendlich mit ihm an der alten Sonnenuhr, dem Mittelpunkt der Lustgärten und wusste nicht, wohin sie den Blick wenden sollte.

„Prinzessin?“

„Ja?“

Ihre Augen zuckten kurz zu grimmigen Gesichtszügen und sofort wieder zurück.

Der Hauptmann sah aus, als stünde die Schlacht seines Lebens bevor.

So war es auch kein Wunder, dass er sich zunächst ausgiebig räusperte.

„Prinzessin, ich ...“ 

Er fasste nach ihren Händen und machte eben Anstalten, ein Knie zu beugen, als sie ihn aufhielt. 

„Nein. Wartet!“

Takeru erstarrte.

„Was?“

„Kein Kniefall, bitte.“

„Wie bitte?“

„Ich möchte nicht, dass Ihr hinkniet.“

„Aber ... ich dachte, Ihr wäret einverstanden ...“

Aya blinzelte. Einverstanden? Er dachte, sie wäre EINVERSTANDEN?

Sein Blick zeigte eine Mischung aus Ratlosigkeit und Missfallen. Extremem Missfallen.

„Das bin ich ja“, sagte Aya schnell. „Ich möchte nur nicht, dass Ihr vor mir auf die Knie fallt.“

„Bitte?“

„Ich möchte, dass Ihr mir dabei in die Augen schaut.“

„Das verstößt gegen das Protokoll!“, stiess Takeru aus.

„Ich weiss.“

„Ganz und gar gegen das Protokoll!“

„Es ist doch nur ein Kniefall.“

„Eben!“, knirschte er und wollte sich eine Etage tiefer einrichten.

Er wurde wieder aufgehalten. Im Bedarfsfall konnten eben auch Prinzessinnen stur sein.

„Takeru!“

„Was?“, fragte er und rang um Geduld. „Die Leute ...“

„Sind mir egal. Ebenso wie das Protokoll, irgendwelche Traditionen oder alberne Dienstvorschriften“, erwiderte Aya, die stets Folgsame, ruhig. „Aber Ihr werdet nicht vor mir knien wie ein Bittsteller. Ich möchte, dass Ihr mir in die Augen seht, wenn ... Ihr die Frage stellt. Solltet Ihr dazu unbedingt in den Staub kauern müssen, bitte sehr! Aber dann werde ich das auch tun!“

„Aya ...“

Sie blickte auf und beraubte ihn somit jeglicher logischer Argumente.

„Wolltet ... Ihr mich nicht etwas fragen, Hauptmann?“

Er nickte. Ein wenig schroff zwar, aber immerhin.

Er blickte auf ihrer beider Hände hinab.

„Prinzessin“, begann er erneut. „Wollt Ihr ... mir die unendliche Ehre erweisen, meine Frau zu werden?“

„Ja!", sagte sie leise. "Ja, das will ich. Und die Ehre, Hauptmann, ist ganz meinerseits. Ebenso wie die Freude.“
 

Zunächst geschah gar nichts. Sie starrten sich nur in die Augen.

Dann kam Bewegung in die Sache. Der unvermittelte, fast brüske Kuss entsprach, wenn auch nicht dem exakten Protokoll, so doch den hochgesteckten Erwartungen des zahlreichen Publikums. Die Erwartungen der Prinzessin wurden gar noch übertroffen. Allerdings währte der leidenschaftliche Liebesbeweis für ihren Geschmack viel zu kurz.

Für den des Publikums auch. Aber der Hauptmann war eben Soldat und nicht für die Bühne geboren.

Schwer atmend kramte er eine Feuerlilie hervor, die - wie konnte es anders sein - trotz enger Westentasche und einer noch engeren Umarmung noch immer makellos und frisch war.

„Würdet Ihr diesen Beweis meiner Wertschätzung annehmen?“

Aya nahm die zarte Blüte, hielt sie sich unter die Nase und lächelte.

„Und ...“ Wie durch Zauberhand erschien ein goldenes Satinband in seiner Hand. „Dies. Als Symbol für den Bund den wir schliessen. Werden! Den wir schliessen werden!“

Die Prinzessin hob ihre Rechte, schmiegte sie an seine Wange, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm die eindeutigste und zärtlichste Antwort, die man nur bekommen konnte.

Der Palast schien sich nach außen zu wölben und wieder zusammenzuziehen, so viele Menschen seufzten zeitgleich verzückt auf.
 

Unten im Irrgarten beendete Aya widerstrebend den Kuss. In der Annahme, dass in Kürze weitere folgen würden, hakte sie sich bei ihrem - nun offiziell Verlobten - unter, um noch ein wenig zu flanieren.

Allerdings wurde die nächste Steinstaue passiert, ohne dass etwas passierte. Passiert schon mal.

Bei Skulptur Nummer zwei wurde Aya unruhig. Lag es vielleicht im Bereich des Möglichen, dass der Hauptmann hier eine Art Bildungslücke aufwies? Wie dem auch sei, seine legendären Instinkte ließen ihn Agni sei Dank nicht im Stich.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte er stirnrunzelnd.

„Ehrlich gesagt ...“

„Ja?“

„Wisst Ihr eigentlich, wer diese Stauen errichten ließ?“

„Wenn ich mich recht erinnere war es Lord Kanaru“, erwiderte Takeru, etwas irritiert.

„Und wisst Ihr auch ... warum?“

Nun ja, teilweise waren die Skulpturen zwar etwas groß geraten, aber ihr Zweck schien ihm eigentlich recht offensichtlich.

„Dekoration?“

„Ja“, meinte Aya und lächelte kaum merklich. „Das auch. Außerdem wollte er einen Sichtschutz errichten. Wegen des ... Labyrinths. Damit man vom Palast aus nicht den gesamten Irrgarten einsehen kann.“

„Sichtschutz?“, echote der Hauptmann dumpf.

Dank seiner legendär schnellen Auffassungsgabe wurden ihm sofort sämtliche Möglichkeiten dieser baulichen Maßnahme klar. Er drehte sich in die Richtung, aus der sie kamen.

„Liegt dort hinten nicht Euer Taschentuch?“, fragte er scheinbar unverfänglich.

„Mein ... Tatsächlich? Ja, ich glaube, Ihr habt Recht. So ein Jammer. Dabei ist es mein Lieblingstuch.“

„Dann sollten wir wohl zurück gehen und es holen.“

„Was für eine gute Idee.“
 

„Hm. Ich glaube, der Hauptmann wurde eben auf die architektonische Besonderheit unseres Irrgartens aufmerksam gemacht.“

„Ja, Onkel. Und wie immer setzt er das Gelernte ohne zu zögern um.“

„Wie wahr“, kicherte Iroh. „Auf einmal ist er gar nicht mehr so brav. Aber anscheinend hat jemand vergessen, Aya zu sagen, dass es EINEN Punkt im Palast gibt, von dem aus man jede Ecke des Labyrinths einsehen kann.“

„Nun ja, man sollte nie alle Staatsgeheimnisse ausplaudern.“ Zuko hob seine Braue und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.

„Ja. Und es ist doch schön, bestätigt zu sehen, dass der Hauptmann auch auf anderen Gebieten eine wahre Koryphäe ist. Läuft das Kind etwa Schlangenlinie?“

„Onkel!“

„Na ja. Ein bisschen taumelig sieht sie schon aus“, räumte Jin ein. Um besser sehen zu können, hatte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt und spähte neugierig über die Brüstung der Dachterrasse.“

„Da! Jetzt hat sie sich wieder gefangen“, murmelte Seine Lordschaft.

„Mhm. Schätzungsweise bis zur nächsten Statue.“

„Kiram!“

„Was denn? Ich kann doch nichts dafür, wenn unser Meister Gargoyle so ran geht. Wie viele Skulpturen sind das da unten denn noch?“

„Zirka fünfundsiebzig Prozent mehr als eigentlich gedacht, jetzt wo die beiden fast den ganzen Weg zurück und dann wieder her laufen“, spekulierte Lu Ten. 

„Es wäre mir wirklich lieber, wenn ich die Ehre meiner Schwester nicht gegen einen Kleiderschrank verteidigen müsste, der in weniger als einer Minute garniertes Schaschlik aus mir macht“, murrte Kiram.

„Ha!“, machte Lee. „Wusst ich´s doch! ICH halte mindestens zwei Minuten durch.“

„Hört, hört!“, warf Lu Ten milde ein. „Zwei Minuten. Welch legendäre Ausdauer.“

„Also ... Hier kann man doch nichts sagen, ohne ... Papa! Tu was!“

„Was denn? Zwei Minuten sind nun mal nicht lange.“

Niha kicherte nur leise und summte ihrem Baby etwas vor.
 

Am Ende des kleinen Spaziergangs wurden die Brautleute nach alter Sitte vom Fürstenpaar höchstpersönlich in Empfang genommen. 

Doch neben Mylord und Mylady stand noch eine dritte Person. Yuna Nezu war gerade noch rechtzeitig angekommen, um diesem historischen Ereignis beizuwohnen. Ein erfreutes Lächeln glitt über die Züge des Hauptmanns, als er sie entdeckte.

„Mutter?“

Yuna war viel zu aufgewühlt, um irgendetwas sagen zu können. So zog sie ihren Sohn in eine feste Umarmung.

Der Prinzessin erging es nicht viel anders.

„Jin, Du strangulierst das Kind noch.“

„Sei still, Zuko! Du hast eben keine Ahnung von Mutterliebe!“, erwiderte Jin tränenerstickt.

„Und Du ignorierst die Etikette, Kobold. Unsere Tochter hat uns etwas zu sagen.“

„Ja.“ Mylady schniefte ein wenig. „Richtig.“
 

Drei erwartungsvolle Augenpaare richteten sich auf Prinzessin Aya, die plötzlich einen unerklärlichen Kloss im Hals spürte.

„Vater, Mutter. Und natürlich auch Frau Nezu ... Ich ... ich freue mich, euch mitteilen zu können, dass ich ... dass wir ... also, dass Hauptmann Nezu und ich ein Verlöbnis eingegangen sind.“ Ihr Blick traf den ihres Vaters.

Seine Lordschaft nickte, lächelte leise, und streckte die Arme aus.

„Meinen Glückwunsch, Flämmchen“, murmelte er an ihren Scheitel.

„Danke, Papa! Danke, dass Du das gemacht hast!“

„Ich? Hab ich was gemacht?“ Er wurde so fest umklammert, dass weniger starke Halsmuskeln längst Bedenken angemeldet hätten.

„Ohne Dich wäre er fortgegangen“, wisperte Aya.

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass manche Dinge geschehen müssen. Egal, was passiert. Und dies hier scheint mir eines dieser Dinge zu sein. FALLS Deine Mutter Deinen Verlobten nicht ertränkt. Kobold“, fuhr er wieder lauter fort. „Du durchweichst da eine sehr teure Uniform. Eine Uniform, die ICH bezahlt habe, wenn mir diese Bemerkung erlaubt ist.“

„Du bist so ein Geizkragen, Zuko!“

„Ja. Aber es handelt sich immerhin um Steuergelder. Und der Kage den Du gerade leichtfertig erstickst ist so ziemlich das exklusivste Exemplar, das wir vorzuweisen haben. So was bekommt man heutzutage gar nicht mehr.“
 


 

Am Abend dieses Tages
 

Um den erfreulichen Anlass zu krönen hatte man zu einem Ball geladen. Recht kurzfristig zwar, aber die meisten Gäste hätten Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um beiwohnen zu können.

So summte der Sonnensaal schon vor dem offiziellen Beginn der Veranstaltung vor angeregten, heiteren Gesprächen. Fächer in allen Formen und Farben flatterten anmutig durch die Luft und man versicherte sich hinter vorgehaltener Hand, man hätte Zukos älteste Tochter noch nie strahlender erlebt. 

Der Gast, der von allen mit großer Spannung erwartet wurde, war der ehrenwerte Takeru Nezu. Bis jetzt glänzte er durch Abwesenheit. Doch man war zuversichtlich, dass er zur Eröffnung des Balls erscheinen würde und zwar beim sechsten Glockenschlag der großen Uhr.

Schliesslich war der Mann für seine Pünktlichkeit berühmt. 
 

„Taku, wenn Du nicht still hältst ramm ich Dir die Nadel dieses Ordens in die Brust!“

„Für Blutflecken habe ich keine Zeit.“

„Eben! Also hör auf mir auf die Finger zu schielen. Ich WEISS wie so ein verdammter Orden zu baumeln hat. Denn ob Du´s glaubst oder nicht, ich hab selbst vier.“

„Der zweite Phönix hängt nicht gerade“, knirschte Hauptmann Nezu mit Blick in den Spiegel.

„Ich hol bestimmt keine Wasserwaage. Vielleicht stehst Du ja schief.“

„Han!“

„Herrgottnochmal! Ich kann so nicht arbeiten! Kein Wunder brauchen Deine Adjutanten schon nach drei Monaten ihren Jahresurlaub.“

„Gib mir das Ding!“

„Bitte sehr!“

„So! Hier! Wo ist das Problem?“ Nachdem er den Orden mit nur einem Handgriff akkurat platziert hatte, funkelte Takeru seinen Freund an.

„Das Problem? Kann ich Dir schlecht nicht ins Gesicht sagen, da es leider zwei Meter groß ist und direkt vor mir steht!“, säuselte Han.

„Ich hab von Anfang an gesagt, ich BRAUCHE keine Hilfe beim Ankleiden!“

„Es ist aber Tradition, dass der voraussichtliche Trauzeuge dem vertrottelten Bräutigam zur Hand geht. Und jetzt sag mir nicht, dass Du auch nur EINEN Menschen außer mir kennst, der die dazu notwendige Courage aufbringt.“

„Hör auf, an meinem Waffengürtel herum zu zerren! Er sitzt perfekt!“

„Gnä, gnä, gnä!“

„Han ...“

„Wenn Du nicht die Klappe hältst, verpass ich Dir ein Schönheitspflaster.“

„Es sind nur noch fünf Minuten!“ Hauptmann Nezu klang selten genervt. Jetzt allerdings schon.

„Reicht für ein Schönheitspflaster allemal. Ich wüsste da auch eine sehr diskrete Stelle.“

„Gib mir endlich die Handschuhe.“

„Handschuhe? Ich dachte, die hast Du.“

„HAN!“

„Witz! Es war ein Witz! Herrgott, Taku, wenn Du so rumbrüllst könnte man glatt sein Kind verlieren. Eine Schwangerschaft vorausgesetzt.“
 

Exakt fünf Minuten später war Hauptmann Nezu die Ruhe in Person. Äußerlich.

Er stand vor der mächtigen Doppelflügeltür, dem Haupteingang zum Sonnensaal, und wartete darauf angekündigt zu werden. 

Das war etwas, das er ganz und gar nicht gewohnt war. Und es war etwas, das er ganz und gar nicht leiden konnte! Das Wort Kage bedeutete nicht umsonst Schatten. Am liebsten hätte er sich durch eine der unzähligen Terrassentüren in den Ballsaal gemogelt.

Doch so, wie die Dinge lagen, bleib ihm nichts anderes übrig, als die Litanei des Zeremonienmeisters über sich ergehen zu lassen. Als dieser endlich mit der Aufzählung der Titel fertig war, atmete Takeru ein letztes Mal tief durch und betrat den Sonnensaal.

Er musste feststellen, dass er die unzähligen, neugierigen Augenpaare, die nun auf ihm ruhten - oh Wunder - auch nicht besonders leiden konnte! Allerdings gab es ETWAS, das er sehr wohl leiden konnte. Und das befand sich in diesem verdammt großen, verdammt überfüllten Ballsaal und wartete auf ihn.

Also Augen zu und durch!
 

Als Takeru durch die Menschenmenge schritt, teilte sie sich derart synchron, dass man meinen könnte, die Gäste hätten eine komplizierte Choreographie einstudiert.

Am Ende der freigewordenen, schmalen Gasse stand eine junge Dame und lächelte dem Hauptmann erwartungsfroh entgegen.

Seine formvollendete Verbeugung wurde mit einem ebensolchen Neigen des Kopfes quittiert.

Mylord gab den Musikern ein Zeichen, weiter zu spielen.
 

Als das kleine, illustre Orchester einen Dreiviertel-Takt anstimmte, löste dies sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Vor allem bei einer Gruppe älterer Hofdamen.

„Oh. Ist das ein Walzer?“, zwitscherte Baroness Fuminaga, ihres Zeichens ehemalige Tanzlehrerin des gesamten fürstlichen Nachwuchses.

„Ja“, bestätigte Mia Ling, ihres Zeichens Anstandsdame Prinzessin Ayas. „In der Tat ein Walzer.“

„Der kommt wohl nicht mehr aus der Mode.“

„Nein. Wohl nicht mehr. Genauso wie Hosen für Frauen. Aber der Walzer ist das bei Weitem kleinere Übel, wenn Ihr mich fragt!“

Die umstehenden Kolleginnen sahen die Situation etwas weniger entspannt.

„Ach Du MEINE Güte! Er wird doch nicht ...? Sie TANZT den Walzer doch gar nicht!“, flüsterte die Gattin des Ministers für Verkehrswesen, aufgeschreckt.

Und sie war beileibe nicht die Einzige, die das Szenario mit Bangen verfolgte. Wer mit den Gewohnheiten der ältesten Tochter des Feuerlords auch nur im Entferntesten vertraut war, hielt erschrocken die Luft an.

Nein, wie KONNTE er nur? Von allen Menschen hätte Hauptmann Nezu es wahrlich am besten wissen müssen. Sonst kannte er doch auch jede Marotte seines Schützlings. Warum forderte ausgerechnet ER die Prinzessin zu einem Walzer auf? Sie tanzte diesen Tanz nicht. Sie hatte nur ein einziges Mal Walzer getanzt. Auf dem Fest zu ihrem sechzehnten Geburtstag, auf dem all diese schrecklichen Dinge geschehen waren.

Seither war jede Aufforderung, egal ob von einem gekrönten Haupt oder nicht, sanft aber bestimmt abgelehnt worden. Jede! Nicht einmal König Nuro aus dem Erdkönigreich hatte sie dazu überreden können.

„Oh mein Gott. Gleich kriegt der arme Junge einen Korb“, jammerte eine Herzogin hinter vorgehaltener Hand, während der Hauptmann sein unerhörtes Anliegen mittels einer artigen Verbeugung vorbrachte.

„So? Warten wir´s ab“, äußerte Mia Ling gelassen.

„Ja“, kicherte Baroness Fuminaga. „Gleich werden ein paar Leute ihr rotes Wunder erleben.“
 

In der Tat. Statt einer sanften Abfuhr bekam der Hauptmann ein schelmisches Lächeln geschenkt, dem ein kleiner Knicks folgte. Dann legte Prinzessin Aya ihre zarten Finger in seine kräftige Hand und liess sich auf die Tanzfläche führen.

„Sieh an! Ich wusste bis heute nicht, dass Ihr ein Anhänger des Walters seid, Hauptmann.“

Agni. Es stellte ihre Welt auf den Kopf, wenn dieses kaum merkliche Lächeln über sein Gesicht glitt. Allerdings machte das nicht das Geringste. Denn so ... war sie mindestens genauso schön.
 

„Hach, ist es nicht einfach herrlich? Ich LIEBE den Walzer!“, rief die Baroness enthusiastisch.

„So? Das ist ja was ganz Neues“, murmelte Gräfin Ling.

„Ist es nicht! Nicht, wenn diese Beiden ihn tanzen. Das hab ich damals schon gesagt! So ein reizendes Paar!“

„Ja“, gab Mia nun leise zu. „Das habt Ihr. Und ICH hab dem Mädchen eingeredet, sie soll ...“

„Sie soll was?“

„Ich riet ihr, ihn sich aus dem Kopf zu schlagen.“

„Wen? Den Hauptmann?“

„Ja.“

„Das war ja wohl ziemlich dumm. Er ist ein recht schwerer Brocken. Sowas schlägt man sich nicht einfach so aus dem Kopf.“

„Ja. JETZT weiss ich das auch. Ich hoffe, sie wird mir verzeihen.“

„Natürlich wird sie das. War noch nie nachtragend, das Kind.“

Mia nickte. Doch im Innersten spürte sie Wehmut und ein schlechtes Gewissen. 

„Nein, also ... dieser Mensch besitzt wirklich eine ungeahnte Eleganz!“
 

Später am Abend, beschloss die Gräfin, ihr schlechtes Gewissen zu erleichtern. Zögernd näherte sie sich der Prinzessin.

„Hoheit?“

„Gräfin Ling!“ Ein erfreutes Lächeln begleitete die Worte.

„Ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch zu Eurer Verlobung zu gratulieren. Ich wünsche Euch und dem Hauptmann alles erdenkliche Glück!“

„Vielen Dank!“

„Ihr ... Ob ich wohl einen Moment mit Euch sprechen könnte?“

„Natürlich“, sagte Aya und steuerte eine ungestörte Ecke an.

„Was liegt Euch auf dem Herzen?“, wollte sie wissen.

„Mein Verhalten!“

„Euer Verhalten? Was ist damit?“

„Ich meine mein früheres Verhalten, Prinzessin.“ Mia sah zu Boden. „Ich ... wollte nie, dass Ihr unglücklich werdet!“

„Aber das weiss ich doch!“ Aya nahm die Hände der älteren Dame in ihre. „Und ich bin auch gar nicht unglücklich!“

„Aber Ihr WART es.“

„Vielleicht. Ein wenig. Doch es war nicht Eure Schuld.“

„Ihr seid zu gütig Hoheit. Aber weiss noch zu gut, was ich zu Euch sagte. Wenn ich Euch nicht dazu geraten hätte, Eure Gefühle für den Hauptmann zu verleugnen ...“

„Hätte sich vermutlich nichts geändert.“

Verwirrt sah die Gräfin Aya in die Augen.

„Was meint Ihr?“

„Nun, ich bezweifle, dass ich den Mut aufgebracht hätte, mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Und mit Hauptmann Nezu wahrscheinlich am allerwenigsten. Und WENN ich es getan hätte ... er wäre schneller verschwunden, als mir lieb gewesen wäre. In diesem Punkt hattet Ihr Recht!“

„Es ist nett von Euch, mich trösten zu wollen. Doch Ihr könnt nicht wissen, wie er reagiert hätte.“

„Oh doch. Das weiss ich. Denn ich habe es getan. Vor einigen Tagen habe ich ihn mit ... mit meinen Gefühlen konfrontiert.“ Kurz schimmerte Traurigkeit in Ayas Augen. “Und ich kann Euch versichern, ohne das Einschreiten meines Vaters wäre Hauptmann Nezu jetzt nicht mehr hier.“

„Was? Aber ...“

„Er hat genauso reagiert, wie Ihr es damals vorhergesagt hattet. Er wollte den Dienst quittieren. Ihr seht also, wenn Ihr an etwas Schuld seid, dann am guten Ausgang dieser Geschichte. Damals hätte mein Vater vielleicht nicht gewusst, was dahinter steckt, und den Hauptmann ziehen lassen.“

„Dann ... seid Ihr mir nicht böse?“

„Nein, Lady Ling. Ihr habt mich vielleicht vor großem Kummer bewahrt. Wenn ich etwas bin, dann dankbar.“

„Prinzessin!“ Gerührt drückte die Gräfin Aya an sich. „Ich danke Euch! Ich wollte nur, dass Ihr wisst, wie leid mir mein damaliges Verhalten tut. Ich sah nur den Standesunterschied. Aber am Charakter des Hauptmanns gab es nie auch nur den geringsten Zweifel. Ihr hingegen habt Euer Herz die Wahl treffen lassen. Und das ...hätte keine bessere sein können.“

„Mia!“ Aya fasste nach den Händen ihrer altgedienten Freundin. „Ihr wisst gar nicht, wie viel es mir bedeutet, das aus Eurem Mund zu hören!“
 


 

Zur gleichen Zeit, in der nördlichsten Provinz der Feuernation
 

Weit, sehr weitab der Verlustigungen einer inoffiziellen Verlobungsfeier befand man sich in der Endphase eines viertelstündigen Tobsuchtsanfalls. Die Scherben auf dem glänzenden Marmorboden waren die stummen, unbeteiligten Zeugen der vergangenen zehn Minuten.

„Diese schwarzhaarige Hexe!“, kreischte Kaori, Gräfin von Ren, aufgebracht. „Widerliche Drachenbrut mit ihrem Gesäusel und ihrer falschen Unschuld.“

„Kaori ...“

„Wahrscheinlich geifert er ihr schon all die Jahre hinterher, wie einer rolligen Katze.“

Der überforderte Gefährte der Gräfin versuchte heroisch, ihre Tirade zu überhören. Hochverrat ist schliesslich kein Pappenstiel.

„Aber ich werde ihnen die Tour gewaltig verpfeffern! Die verblödete, kalbsäugige Kuh wird schon sehen, was sie davon hat, sich mit einem Schlammwühler einzulassen.“

„Kaori. So solltest Du nicht sprechen!“
 

Kaori wirbelte herum und fixierte ungnädig ihren neuen Liebhaber.

Igeru Miseru war zwar nur ein Emporkömmling, doch er war reich. Sehr reich. Dieser Reichtum in Verbindung mit einer bedauernswerten Dummheit und Lenkbarkeit, machte ihn für sie nahezu unersetzlich.

„Willst Du mir etwa in den Rücken fallen?“, zischte sie.

„N .. nein. Nicht doch! A ... aber Du sprichst von der Tochter des Feuerlords!“

„Feuerlord? Was weißt Du schon vom Feuerlord?“, keifte seine launenhafte Eroberung jetzt. „DU bist doch aus diesem Provinzkaff hier nie herausgekommen!“

„Also ... das war jetzt nicht nett!“

„Weißt Du, was nicht nett ist? Diese intrigante, kleine Schlampe, die Zuko in die Welt gesetzt hat. Ich wette, sie hat ihre honigsüßen Netzte schon vor Jahren nach Takeru Nezu ausgeworfen. Und ICH? Ich werde ihretwegen einfach so abserviert!“

„Abserviert? Was meinst Du? Ich ... ich dachte, seit dem schmerzhaften Verlust Deines Mannes hättest Du keinen ... niemanden mehr ...“

Kaoris Augen verengten sich kurz. Verdammt! Jetzt musste sie auch noch diesen Trottel besänftigen.

„Liebling!“, murmelte sie reuig. „Natürlich nicht! Verzeih mir! Aber ... dieses Mädchen ...“ Wie durch Zauberhand hingen plötzlich dicke, perlenförmige Tränen an ihren kunstvoll gebogenen Wimpern. „Nachdem mein armer Reki von uns gegangen war, hat sie mir das Leben zur Hölle gemacht! Sie ...“

Igeru sah sich genötigt, seine brandneue, schluchzende Maitresse ein wenig hilflos in die Arme zu schliessen.

„Na, na. Ist ja gut!“

„Nein! Nein ist es nicht! Es wird erst wieder gut sein, wenn die Ehre dieses Schlammwühlers genau DA landet, wo er selbst herkommt. Im Dreck!“

„Ich dachte, es ist die Prinzessin, die Du nicht magst.“

„Beide! Sie sollen beide bezahlen!“

„Aber ...“

„Wirst Du das für mich tun? Ja oder Nein?“

„Ich? Aber wie soll ich das denn anstellen, meine Lotusblüte?“

„Wie?“ Kaori lachte hart. „Nichts leichter als das. Ich kenne da einen Schnüffler ... Ein etwas unangenehmes Individuum, aber er findet auf jeder noch so weissen Weste einen Fleck. Sollte unser sauberer Herr Hauptmann in seiner Vergangenheit auch nur einmal gehustet haben, ohne die Hand vor den Mund zu nehmen, dann wird Bo Lung es herausfinden! Doch leider ... sind seine Dienste nicht ganz billig. Und ich ...“

Schneeweiße Zähne gruben sich in die verlockende Fülle einer blutroten, schmollenden Unterlippe und lenkten Igeru von seinem Versuch logischen Denkens ab.

„Meinst Du, Du könntest ..?“

„Also ... ich könnte doch ...“

„Ja? Liebling?“, hauchte Kaori kaum hörbar.

„Ich lass diesen Mann, diesen Bo, sofort herholen!“

„Igeru! Du bist der Beste!“

„Ja. Äh. Sollten ... wollen wir nicht nach oben gehen?“ Hoffnungsvoll ergriff Igeru die Hände seiner Angebeteten.

„Oh! EIGENTLICH schrecklich gern!“ Kaori schnalzte bedauernd mit der Zunge. „Nur habe ich leider noch eine Besprechung mit dem Gärtner. Der dumme Kerl weiss einfach nicht, wo ich die Rosenbüsche haben will!“

Dafür wusste er, wohin Kaori Ren gewisse andere Dinge haben wollte.

Er war zwar kein besonders versierter Liebhaber, aber ausdauernd und willig genug, um Kaori für gewisse Unzulänglichkeiten ihres neuen, reichen Galans zu entschädigen. Und bevor sie eine Runde mit DIESEM Trottel hinlegte, wollte sie wenigstens noch ein bisschen Spass haben.

„Ich brauche nur ein, zwei Stunden, mein Wackelbär, dann bin ich ganz ... Dein.“

„Beeil Dich!“

DARAUF konnte er Gift nehmen!

Obwohl ... NOCH war er zu nützlich. Nach ihrem Rachefeldzug wäre sie ihm jedoch gerne behilflich.

Vorausgesetzt sie stand bis dahin im Testament.

Von Risiken und Nebenwirkungen

Es war ein herrliches Gefühl, so glücklich aufzuwachen; die Welt umarmen zu wollen. Die Farben waren strahlender, die Vögel zwitscherten heitere Sonaten. Einfach alles war schöner als jemals zuvor.

Vielleicht sollte man den Tee etwas genauer unter die Lupe nehmen? Schliesslich wäre es nicht das erste Mal, dass Lady Jin sich veranlasst sah, ihrer Tochter eine ... Mixtur unterzujubeln.

„Was?“ Jin, die auf der Bettkante von Ayas Bett sass, lachte laut auf. „Das meinst Du doch nicht im Ernst.“

„Aber ... es ist alles so komisch. Vielleicht sind es die Nachwirkungen von diesem Schlaftrunk, den Du mir vor einer Woche verabreicht hast.“

„Nein. Es sind wohl eher die Nebenwirkungen des Hauptmanns.“

„Bitte? Aber .. also ... ich ... wir haben gar nichts ..!“ Ayas Wangen färbten sich blutrot.

„Natürlich nicht. Schliesslich sprechen wir über den Lieblingswauzi Deines Vaters. Aber brav oder nicht, der Mann verdreht Dir den Kopf. Das kannst Du nicht leugnen.“

„Also ...“

„Ich weiss“, sagte Jin weise und faltete die Hände im Schoss.

„Dann ist das ... normal?“

„Normal? Wahrscheinlich nicht. Wundervoll? Auf jeden Fall! Dein Vater hat dieses Talent auch.“ Mylady seufzte verzückt. „Manchmal muss ich drei Mal am Tag nach unten kucken, ob der Erdboden noch dort ist, wo er hingehört.“ Sie streckte die Beine aus und wackelte mit den Zehen.

„Mama ...“

„Was denn? Sobald es um die eigenen Eltern geht, ist das Thema Liebe wohl tabu, hm?“

„Nein. Das nicht.“

„Ja, ja. Der einzige, der akzeptiert, dass wir AUCH ein Liebesleben haben, dürfte Lee sein. Na ja ... er war schon immer mein Lieblingskind! Ihr anderen könntet so langsam mal ausziehen!“

„Mama!“, lachte Aya. „Du HAST kein Lieblingskind.“

„Sagt wer?“

„Du.“

„Ach das!“, winkte Jin ab. „Das hab ich nur gesagt, damit ihr andern nicht alle heult.“

Die ungeliebte Tochter verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Sie wurde prompt in eine feste Umarmung gezogen.

„Bist Du glücklich?“, flüsterte Jin.

„Unsagbar glücklich.“

„Das ist schön, Mäuschen!“ Ein dicker Schmatzer wurde auf Ayas Schläfe gedrückt.
 

Als Aya vor die Tür trat, war ihre Welt noch immer wunderschön. Die Farben, die Klänge, einfach alles!

„Guten Morgen, Haupt ... Mann ... Takashe?“

„Guten Morgen, Prinzessin.“

„Wo ... wo ist Hauptmann Nezu?“

„Ach so, ja. Das hatte ich ja ganz vergessen“, liess Lady Jin sich etwas zögerlich vernehmen. „Wir hielten es für besser, wenn Hauptmann Nezu seinen Posten als Dein Kage bis zur Hochzeit auf Eis legt.“

„Auf Eis?“ Aya versuchte vergeblich, nicht allzu entsetzt zu klingen.

„Na ja. Es wäre vielleicht nicht besonders schicklich, wenn ihr Tag für Tag ganz mutterseelenallein miteinander seid.“

„Ach.“

„Er hat ja auch Unmengen an Papierkram aufzuarbeiten, wie man so hört.“

„Ach ... hört man das?“

„Hmmja. Und so kann er sich auch ganz seinen Rekruten widmen. Soll ein ganz hervorragender Jahrgang sein.“

„Hört man das auch?“

„Ja!“

„So.“

Als Jin die Enttäuschung in der Stimme ihrer Tochter hörte, strich sie ihr über die Wange.

„Er wird den ganzen Vormittag in den Trainingshallen sein“, flüsterte sie ihr ins Ohr. „Nur damit Du es weisst.“
 

Selbst die jüngeren Damen bei Hofe pflegten ihre großen und kleinen Rituale schon mit charmanter Routine.

Der Austausch des gestrigen Klatschs gehörte ebenso dazu, wie eine idyllische Teestunde und der kleine Spaziergang durch den Palast. Unersetzlicher Bestandteil dieses Ausflugs war, wie jeder wusste, die mittlere Galerie der großen Trainingshallen. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund kamen die jungen Frauen fast täglich hierher. In gewissen Kreisen munkelte man gar, die durchtrainierten, jungen Soldaten Seiner Lordschaft könnten der Grund hierfür sein. Alles reine Spekulation, natürlich.

Heute hatte sich - zum ersten Mal seit etlichen Jahren - auch Prinzessin Aya der kleinen Prozession angeschlossen.
 

Das erste Missgeschickt passierte Leutnant Obku. Der Kampfstab seines Trainingspartners traf ihn hart in die Rippen. Sargent Leng machte beinahe Bekanntschaft mit der Speerspitze eines Kollegen und Hamira Tekishe liess sich gar von einer hölzernen Attrappe austricksen. Da all diese Ereignisse recht zeitnah stattfanden, brauchte es kein Kriminalisten-Hirn, um daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen. Vor allem nicht, da alle drei jungen Männer mit verliebten Kuhaugen in Richtung der mittleren Galerie stierten.

Ja, Hauptmann Nezu hasste die täglichen Stippvisiten der Hofdamen!

Und die ungewohnt heftige Reaktion seiner Rekruten legte die Vermutung nahe, dass sich heute ausnahmsweise auch Prinzessin Aya unter den Zuschauerinnen befand, denn im Palast befand sich exakt EIN Mädchen mit dem Potential selbst gestandene Soldaten innerhalb weniger Augenblicke in verliebt sabbernde Idioten zu verwandeln. Deren Ausbilder inklusive.

Oh ja, er hasste es wirklich!

„Wenn es den Herrschaften genehm wäre, die Augen GERADEAUS ZU RICHTEN?“

Angesichts dieses Gebrülls zuckte der Schmacht-Trupp schuldbewusst zusammen.

„Auf den Boden und vierzig!“, knurrte der Blutwolf mitleidlos.

Sofort liessen die Kage-Anwärter alles fallen, was sie in Händen hielten, warfen sich auf den Boden und machten eifrig Liegestütze.

Der Vorteil dieser Übung bestand eindeutig darin, dass der Hauptmann selbst nun ungestört den Blick schweifen lassen konnte. Prompt blieb er an einem schimmernden Paar Augen hängen.

Ja, er hasste es! Hasste den überhöhten Puls. Den trockenen Mund. Die Begierde, die durch seine Eingeweide schoss.

Mit diesen Symptomen seit Jahren vertraut, neigte er jedoch lediglich respektvoll das Haupt.
 

Der Gruß wurde huldvoll erwidert.

Erst als Seri hinter ihr zu kichern begann, riss Aya widerstrebend ihre Augen los und nahm den Weg wieder auf.

Ein bis zwei Rekruten waren so unvorsichtig, den Hauptmann für abgelenkt genug zu halten, um einen letzten Blick zu wagen.

„Habe ich IRGENDETWAS von aufhören gesagt?“

„Nein, SIR!“

„Obku, Leng, Tekishe! Sie werden freundlicherweise eine Woche lang für Ordnung auf dem Kasernenhof sorgen.“

„Eine Wo ...?“

„Zwei!“

„Jawohl, SIR!“

Hinterher kursierte das Gerücht, der Granitbeißer hätte die Saulaune des Jahrhunderts, seit er seinen Schützling nicht mehr höchstpersönlich beschatten durfte.

Aber ... na ja. Prinzessin Aya war auch ein kleines bisschen zickiger als sonst.
 

Drei Tage später war Aya wirklich kurz davor, zickig zu werden.

Nicht nur, dass ihr Verlobter sich nun aus beruflichen Gründen rar machte, nein, er schien diesen Zustand auch privat vorzuziehen.

Kurz und gut, der Hauptmann zeigte seit seiner partiellen Beurlaubung bedauerlich wenig Nebenwirkungen.

Das heisst ... seine üblichen Nebenwirkungen auf die Prinzessin blieben selbstverständlich die gleichen. Nur schien er es darauf in keinster Weise anzulegen. Er war zurückhaltender als ein Mönch mit fünffachem Keuschheits-Gelübte.

Anfangs sah Aya wenig Anlass zur Sorge. Vielleicht kam er sich nur beobachtet vor? Vielleicht würde traute Zweisamkeit das Problem beheben?

Ein Versuch war es wert.

Nach zwei weiteren Tagen wurde der Versuch abgebrochen.

Der Hauptmann schien sich schlichtweg zu weigern, lauschige, abgelegene Plätze anzusteuern. Um genau zu sein, mied er sie wie die Pest.

Vielleicht - ganz vielleicht - hatte er andere Erwartungen an diese neue Situation gehabt?

Vielleicht - noch viel vielleichter - hatte er andere Erwartungen an ... SIE gehabt?

Er war immerhin um einiges erfahrener als sie. So ziemlich JEDER war um einiges erfahrener als sie.

Waren ihre Umarmungen zu linkisch gewesen? Ihre Küsse zu eifrig?

Unter Umständen hatte sie den Dreh noch nicht richtig raus. Aber ohne Übung würde sich daran bestimmt nichts ändern.

Und nun hatte der Herr beschlossen, jegliche Aktivitäten amouröser Art einzustellen. (Aya weigerte sich schlichtweg, die gelegentlichen Wangenküsse, denen es fast gänzlich an Leidenschaft mangelte, unter diese Kategorie fallen zu lassen.)
 

Eine in Liebesdingen etwas erfahrenere Maid hätte möglicherweise geahnt, dass besagte Leidenschaft nur mit Hilfe eiserner Disziplin in Zaum gehalten wurde. So aber musste die Prinzessin davon ausgehen, dass Liebe und Leidenschaft nicht unbedingt Hand in Hand gingen. Leider lag der Fall bei IHR eindeutig anders.

Zum ersten Mal in ihrem Leben brach sich das Feuer, uraltes Erbgut ihrer Ahnen, mit voller Macht Bahn. Nachts - genährt von den wenigen Kostproben, die ihr zurückhaltender Bräutigam ihr gewährt hatte - wurde Aya von den wildesten Träumen und verlockendsten Phantasien geplagt.

So war es kein Wunder, dass der Verstand der jungen Dame nach einer knappen Woche, in der es nur wohlkalkulierte, flüchtige Berührungen gegeben hatte, ernsthafte Zweifel an den fleischlichen Gelüsten des Hauptmanns anmeldete. Dabei hatten die Gerüchte um ihn und diverse Damen eindeutig etwas anderes besagt.

Aya hatte zwar keinerlei Zweifel, wem das Herz Takeru Nezus gehörte, wohl aber daran, wer seine schlummernde Begierde zu wecken vermochte.

Eifersucht, ein Thema das man eigentlich schon abgehandelt wähnte, trat erneut zu Tage.
 

Irritiert beobachtete Jin ihre Nägel kauende Tochter. Hatte das Kind diese Angewohnheit nicht mit zwölf abgelegt?

„Schätzchen, ist etwas?“

„Wie bitte?“

„Hast Du was?“

„Ich ... äh ... nein.“

„Du wirkst heute aber recht nervös.“

„Ja. Ich weiss auch nicht.“

„Wir können die Farben auch morgen noch begutachten.“

„Nein, schon gut. Ich finde sie sehr schön. Bis auf das Blau. Es ist noch zu kräftig.“

„Ja. Finde ich auch. Wir mischen noch etwas Grau bei, dann sehen wir´s uns noch mal an.“

EIn abgrundtiefer Seufzer war die einzige Antwort, die sie bekam.

Sofort legte Mylady ihre Seidentücher beiseite.

„So, Mäuschen“, meinte sie und nahm Ayas Hand. „Und jetzt will ich wissen, was los ist.“

„Nichts.“

Jin schloss die Augen und betete um Geduld. Manchmal könnte sie Zuko für sein Erbgut erwürgen.

„Und das hier?“ Sie hob Ayas angeknabberte Fingernägel auf Augenhöhe.

„Oh. Ich ... mach´s nicht wieder.“

„Aya. Du bist Erwachsen. Wenn es Dir Spass macht, Deine Maniküre auf diese radikale Art zu erledigen ist das Deine Sache. Aber es macht Dir leider keinen Spass. Seit Tagen bist Du das personifizierte Glück und jetzt ... WAS ist los?“

„Ich hab nur ... Ich muss ... Also ...“

„Ja?“

„Hast Du vor Papa andere Männer geküsst?“

„Äh ... was?“

„Vergiss die Frage!“

„Setz Dich da hin.“

In vollkommener Missachtung der ihr eigenen Grazie liess Aya sich auf eine Bank plumpsen.

„So. Und jetzt von vorn. Nein, ich habe nie fremdgeknutscht. Und warum willst Du das wissen?“

„Na ja ... ihr habt ... Ihr seid ... Papa ist immer noch verrückt nach Dir!“

„So?“ Jin blinzelte geschmeichelt. „Na ja, das hoffe ich.“

„Das kann jeder sehen.“

„Äh ...“

„War das von Anfang an so?“

„Was? Dass er verrückt nach mir war?“

„Ja.“

„Äh ... schon. Na ja, nachdem er wieder aufgetaucht war. Aber zu meiner Schande muss ich gestehen, dass er trotzdem der Vernünftigere war. Wenn es nach mir gegangen wäre ...“ Mylady hielt inne. In ihrem Alter noch rot zu werden war irgendwie unprofessionell. So als Mutter.

Doch ihre Sorge war unbegründet, denn Aya starrte ohnehin nur auf ihre Hände hinab und biss sich auf die Unterlippe.

„Schätzchen ... Hast Du Angst davor?“

„Angst? Wovor?“

„Vor der Ehe. Dem ... na ja ... dem ... dieser Sache eben.“

Die Prinzessin blickte auf.

„Was? Nein!“

„Oh. Gut. Das musst Du auch nicht. Es ist etwas ganz Natürliches. Und sehr ... erbauend. Der körperliche Ausdruck ihrer Gefühle stärkt das emotionale Band zwischen Mann und Frau ganz enorm.“

Im Geiste konnte Jin förmlich sehen, wie ihr Drache in mildem Unglauben spöttisch seine Augenbraue zückte.

`Zitieren wir etwa aus dem Sutra-Kama, Kobold?´

Rasch schob sie die rauchige Stimme aus ihren Gedanken.

Es ging jetzt um Wichtigeres! Um VIEL Wichtigeres, denn plötzlich hingen Tränen an Ayas Wimpern.

Jin zog ihre Tochter an sich. „Sag mir, was los ist!“

„Er ... er tut nichts!“

„Er? Takeru?“

„Ja!“ Aya unterdrückte ein Schluchzen. „Er ist kein bisschen verrückt nach mir. Wenn wir alleine sind ... Ich könnte genauso gut seine Cousine sein. Ich dachte immer, wenn man sich so liebt ... Aber vielleicht trifft das ja nicht auf alle Menschen zu. Nur auf mich schon. Ich bin leider ziemlich verrückt nach ihm. Aber er nicht nach mir! Und Ich ...“

„Spätzchen!“ Jin strich beruhigend über die schwarzen Locken ihres Mädchens. „Ach, Spätzchen! Er IST verrückt nach Dir! Jeder der Augen im Kopf hat wird Dir das bestätigen.“

„Und warum küsst er mich dann nicht mehr?“

SO war das also.

„Gar nicht mehr?“, hakte Jin vorsichtig nach.

„Auf die Wange!“

Dass man dem Wort Wange eine derart abwertende Betonung geben konnte ...

„Dann ist er vermutlich noch verrückter nach Dir, als ... als angenommen.“

„Weil er mich auf die WANGE küsst?“, fragte die Prinzessin ungläubig. „Ich ... ich kann´s nur nicht!“

„Du kannst was nicht?“

„Das Küssen!“

„Was?“ Jin lachte auf. „Also, nach allem, was wir von diversen Balkonen aus sehen durften ...“

„Nein“, flüsterte Aya jetzt leise. „Ich hab einfach keine Übung darin.“

„Hast Du Dich dabei denn unbehaglich gefühlt?“

„Nein. Es ... war ganz wundervoll.“

„Dann hast Du Dich auch nicht dumm angestellt. Man merkt einfach, ob es richtig ist oder nicht.“

„Aber ihm scheint es nicht gefallen zu haben.“

„Unsinn. Das hättest Du gemerkt.“

„Ach ja? Und wie denn? Ich hatte nie ... Und ... und ER? Ganz offensichtlich mangelt es unserem ehrenhaften Hauptmann in dieser Hinsicht nicht an Routine! Und ebenso offensichtlich entspreche ich nicht seinen üblichen Standards! Er mag anscheinend eher so liederliche Frauenzimmer wie diese ... diese Kaori!“

„Aya. Das mit der Gräfin ist doch längst vorbei. Du hast keinerlei Grund eifersüchtig zu sein.“

„Sie WÜRDE er küssen!“

„Ich weiss nicht, ob er sie küssen würde. Aber ich glaube, ich weiss, warum er es bei Dir nicht tut.“

„Und warum?“ Aya beobachtete wie eine Träne auf ihren Fingern in hunderte, winziger Tröpfchen zersprang.

„Weil das mit den Männern und dem Verlangen so eine Sache ist, verstehst Du?“

Die Prinzessin zuckte mit den Schultern.

„Bei Männern ist es so: sie ... also sie können sich nur bis zu einem bestimmten Punkt beherrschen.“

„Takeru Nezu ist der beherrschteste Mensch, den ich kenne.“

„Ja. Zweifellos. Aber ich meine ja auch in körperlicher Hinsicht.“

„In körperlicher Hinsicht? Seine Körperbeherrschung ist mindestens so groß wie ...“

„Ja! Aber das meine ich nicht. Ich meine den ... die körperliche Liebe. Himmel, vielleicht solltest Du dieses Gespräch mit Deinem Vater führen.“

„NEIN!“

„Scht. Schon gut. Aber er redet erstaunlich gerne darüber. Manchmal kann er ...“

„Mama!“

„Entschuldige. Also, ich versuche es jetzt ganz offen anzusprechen. Wenn ein Mann eine Frau begehrt, dann empfindet er ... Begierde. Herrje ich bin nicht gut darin. Du, als Frau, hast derartige Gefühle natürlich auch. Aber Deine körperlichen Reaktionen lassen sich besser kontrollieren. Bei Männern ist das ... ihr Körper reagiert entsprechend der Unterschiede, wenn Du verstehst, was ich meine.“

„N ... nicht wirklich.“

Jin seufzte. Wo war Zuko, wenn man ihn brauchte?

„Die kleinen Unterschiede zwischen Mann und Frau sind Dir doch bewusst, oder?“, fragte sie etwas verzweifelt.

„Natürlich sind sie das.“ Ayas Wangen wurden heiss.

„Na, das ist ja schon mal was.“

„Mutter. Ich bin mit Brüdern aufgewachsen. Und Lee hat ziemlich oft irgendwelche Bücher angeschleppt.“

„Ach. Hat er?“

„Ja.“

„Nun ja. Zu wissen, was wo hingehört ist längst nicht alles. Bei Männern ist es jedenfalls so, dass sie sich, wenn sie einen gewissen Punkt erreicht haben, nicht mehr zurückhalten können. Und je mehr sie eine Frau ... lieben, umso früher kommt dieser Punkt. Dein Vater hat, bevor wir verheiratet waren, auch immer ziemlich früh die Notbremse gezogen. Er sagte dann ständig so Dinge wie `Bis hierher und nicht weiter!´ `Nein, Jin. Lass das Jin!´ und ich wäre noch sein Untergang und all das. Verstehst Du? Der Hauptmann würde sich vermutlich lieber ... lieber - also Du weisst ja, was man mit Wallachen macht - als Dich zu entehren. Er hat bestimmt nur Angst, zu weit zu gehen.“

Aya sah ihre Mutter an und blinzelte.

„Er hat Angst, zu weit zu gehen? Nur beim Küssen?“

„Aber ja. Ich kann gar nicht sagen, wie oft ein Kuss schon gereicht hat, um Deinen Vater so richtig in Fahrt zu...“

„Mutter!“

„Was denn? Ich HAB nunmal nur ihn als Referenz.“

„Aber er HAT Dich geküsst. Auch vor der Heirat!“

„Ja. Aber ER war auch der Feuerlord und nicht dessen Offizier, der sich mit einer königlichen Prinzessin eingelassen hat.“

„Eingelassen?“, fragte Aya indigniert.

„Du BIST heute aber auch schwierig.“

„Entschuldige.“

„Worauf ich hinaus will ist die Tatsache, dass Du nunmal nicht einfach befummelt werden darfst. Zumindest offiziell. Und bevor es dazu kommt, lässt er es wohl lieber ganz bleiben.“

„Aber er rührt mich überhaupt nicht an. Ich habe sogar das Gefühl, er will nicht einmal mit mir alleine sein.“

„Ach, Mäuschen.“ Jin strich eine Haarsträhne hinter Ayas Ohr. „Seine Demut und Ergebenheit unserer Familie gegenüber sind Dinge, die sich nicht über Nacht ablegen lassen. Er liebt Dich schon so lange! Aber aus der Distanz. Vielleicht musst Du ihm diese Ehrfurcht erst austreiben?“

„Austreiben? Wie soll ich das denn machen?“

„Na ja. Er will nicht mit Dir allein sein? Dann sorg dafür, dass ihr es trotzdem seid. Er will Dich nicht küssen? Dann überrumple ihn irgendwie. Aber es wäre trotzdem schön wenn ihr die Grenzen nicht überschreitet. Außer vielleicht ein bisschen.“

„Ich glaube nicht, dass Hauptmann Nezu irgendetwas überschreitet.“

„Wirklich? Ich betrachte ihn eher als einen Mann, der die Grenzen des Menschenmöglichen schon sehr oft überschritten hat.“

„Ja. Was seinen Beruf angeht schon.“

„So? Und seine Gefühle für Dich? Ich glaube nicht, dass er sie zulassen wollte. Es war eine selbstgesetzte Grenze. Und er hat sie trotzdem überschritten. Ich weiss, Du hast momentan Zweifel. Aber eines ist so sicher, wie das Feuer im Tempel: er liebt Dich! Und zwar mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Und er IST verrückt nach Dir. So sehr, dass er sich selbst nicht über den Weg traut.“

„Denkst Du wirklich, dass ist der Grund für seine Zurückhaltung?“

„Ja. Das denke ich. Ein Spielsüchtiger sollte sich schliesslich auch von Pai Cho fern halten. Glaub ich. Oder? Vielleicht wird es Zeit für einen Plan.“
 


 

Circa eine Stunde, nachdem ein gewisser Plan Formen angenommen hat
 

„DU begleitest uns auf den Ausritt?“, zischte Takeru in einem unbeobachteten Moment seinen Freund an. „Der Dienstplan sah anders aus!“

„Kommandant Kuroto hat es aber so angeordnet. Er scheint tatsächlich noch immer zu glauben, ER hätte in diesem Haufen das Sagen. Und ich wollte seine Illusionen nicht zerstören.“

„Han ...“

„Gibt es ein Problem?“, fragte eine unschuldige Frauenstimme von der Tür.

„Nein. Kein Problem, Hoheit“, erwiderte Hauptmann Nezu knapp.

Hoheit! Natürlich. Immer und immer nur Hoheit. Statt gegen einen Heuballen zu treten oder sich in lautem Geschrei zu üben blieb Ihre HOHEIT gelassen und lächelte.

„Schön. Können wir dann?“

„Von MIR aus schon lange!“, murmelte Han.
 

Kaum eine Viertelstunde später, sie hatten eben den Rand eines kleinen Kiefern-Wäldchens erreicht, bestätigte sich Takerus Verdacht.

„Ach Du Schreck!“, intonierte Han laut. „Ich glaube Xerxes hat sich einen Stein in den Huf getreten.“

Takeru blickte stirnrunzelnd über die Schulter. Wie erwartet torkelte Hans Hengst wie eine betrunkene Primaballerina.

„Sicher!“, knirschte er sarkastisch. „Den Trick hast Du ihm letztes Jahr beigebracht.“

„Trick? ICH?“ Han fasste sich entrüstet an die Brust. „Dass Du mir so etwas zutraust ...“

„Alles, Han. Alles! Also weiter jetzt.“

„Weiter? Solange Du keinen Hufschmied aus dem Hemdsärmel zauberst, glaube ich das kaum.“

„Han.“

„Ich fürchte, ihr müsst ohne mich weiter. Aber kein Grund zur Sorge. Ihr seid schliesslich in den besten Händen, Prinzessin.“

„Wir können genauso gut umkehren“, meinte Takeru. „Ich habe ohnehin das Gefühl, dass es bald regnen wird.“

„Wirklich? Ich sehe keine einzige Wolke. Ich glaube, dass sich das Risiko in Grenzen hält“, erwiderte Takerus sicherer Untergang leichthin.

Aber SIE war es ja auch nicht, deren Kopf Mylord auf der höchsten Zinne des Palastes aufspießen lassen würde, sollten die Grenzen des Anstandes frühzeitig überschritten werden.
 

Aya hatte keine Ahnung von seinen Sorgen, oder, falls doch, scherte sie sich nicht darum. Sie schenkte Han ein freundliches Abschieds-Lächeln und ritt weiter. Takeru bleib nichts anderes übrig, als es ihr gleichzutun.

Seine Mine drückte jedoch alles andere als Zustimmung aus.

Als sie begann, leise vor sich hin zu summen, begann ER, unruhig um Sattel hin und her zu rutschen. Am einfachsten wäre es, er liesse sich bis zur Hochzeit unter Vollnarkose setzen. Verdammte Lust!

„Ist der Tag nicht herrlich?“

„Durchaus.“

„Die Luft ist so klar.“

„Noch.“

„Oh, ich liebe diesen Wasserfall! Ich würde gerne absteigen.“

Auch DAS noch!

„Wie Ihr beliebt.“

Takeru zügelte Are, schwang sich auf den Boden, stellte sich neben Ayas kleine Stute, um ihr beim Absitzen zu helfen. Wie immer wartete er, bis sie Beine und Röcke geordnet hatte, legte die Hände an ihre Hüften und hob sie aus dem Sattel. Und wie immer stütze Aya sich dabei an seinen Schultern ab. Was allerdings NICHT der üblichen Vorgehensweise entsprach, war die Tatsache, dass diese Arme sich nun lockend um seinen Hals schlangen, wodurch sich ihre geschmeidige Gestalt fest an seinen Körper schmiegte, als sie langsam daran hinab glitt.

Herrgott! Wie viele Tage denn noch?

Wie ein hypnotisiertes Kaninchen starrte der Hauptmann in sehnsüchtig leuchtendes Gold. Ihre Lippen kamen immer näher, ihr Atem streifte schon seidenweich sein Gesicht. Er würde sie in die Büsche zerren, ihr alles vom Leib reissen, was ihn trennte von dem, was sein war! Er würde ...

Er würde das nicht zulassen!

Im letzten Augenblick schaffte er es, sein Gesicht zur Seite zu drehen.

„Dieser Baumstamm sieht nach einer guten Sitzgelegenheit aus.“

Erstaunlicherweise klang seine Stimme so fest wie ... gewisse andere Körperteile es waren.
 

Für Aya waren diese Worte wie eine schallende Ohrfeige.

Na bitte. Sie hatte es ja gewusst. Bei Hauptmann Nezu gingen Liebe und Begehren getrennte Wege. Ungefähr so, wie bei ihr Herz und Verstand.

Da stand sie nun, auf dem Boden abgestellt, wie ein Sack Reis, die Arme schmerzhaft leer und das Gesicht rot vor Scham.

Sie wollte nach Hause, auf ihr Zimmer und in ihre Kissen heulen! Vielleicht noch ein bisschen auf diesen über und über mit Orden behangenen Felsbrocken einschlagen. Aber zunächst ...

„Ich möchte zurück!“, presste sie durch die Enge in ihrer Kehle.

„Wir sind doch eben erst ...“

„Ich will zurück! Ihr hattet Recht. Es wird gleich regnen.“

In der Tat konnte man durch die Bäume hindurch sehen, wie sich am Horizont bereits eine dunkle Gewitterfront auftürmte.

„Wie Ihr wünscht.“

Beim Aufsitzen beschränkte man den Körperkontakt auf ein Minimum.

„Vielleicht ist es wirklich besser, wir beeilen uns“, murmelte Takeru, als in der Ferne das erste Donnergrollen zu hören war.

Aya nickte mit abgewandtem Kopf.
 

Eile hin oder her, sonderlich weit kamen sie nicht, denn der Wind hatte die verhängnisvollen Wolken schneller heran gepeitscht, als gedacht und der Himmel öffnete seine Schleusen.

Innerhalb weniger Sekunden war Aya durchnässt bis auf die Knochen.

Takeru brachte sein Hirschzebra nahe an ihres und ergriff vorsichtshalber Maes Zügel.

„Der Wind wird stärker. Wir müssen einen Unterschlupf finden!“, rief er durch das Prasseln des Regens. „Ungefähr fünf Minuten von hier ist ein alter Heuschober.“
 

Der Heuschober war, Agni sei Dank, trotz seines Alters noch immer gut in Schuss und bot somit ein wasserdichtes Dach, trockenes, duftendes Heu und sogar ein paar alte, zerschlissene Decken. Nachdem Takeru eine der Decken ausgeschüttelt und sie Aya gereicht hatte, band er die Reittiere an und rieb sie, so gut es eben ging, mit Stroh etwas trocken.

„Sobald es nicht mehr so stürmt, kehren wir zum Palast zurück“, sagte er dann.

Aya, durch Nässe, Kälte und Zurückweisung mittlerweile an den Rand ihrer Beherrschung gebracht, reagierte entsprechen.

„Natürlich!“, fauchte sie. „Ich könnte ja zutraulich werden.“

„Bitte?“

„Nichts. Keine Angst. Ich werde Euch nicht mehr bedrängen.“

„Ich verstehe nicht, was Ihr meint.“

„So?“ Jetzt sah man - mütterliche Ratschläge hin oder her - Rot. Purpurrot. „Nun, es ist zweifelsohne so, dass ich im Küssen weit weniger Erfahrung habe, als gewisse Damen, die Ihr zu frequentieren pflegtet!“ Sie versuchte erst gar nicht, die Verletztheit in ihrer Stimme zu unterdrücken.

„WIE bitte?“

Nun, eines hatte sie immerhin erreicht; die ungeteilte Aufmerksamkeit ihres Verlobten zu erregen.

„Ihr habt mich sehr wohl verstanden. Leider kann ich nicht aus dem unermesslichen Erfahrungsschatz Eurer ehemaligen Maitresse schöpfen.“

„Ich glaube nicht, dass Ihr diese Diskussion fortsetzten möchtet!“

„Ach ja? Dann irrt Ihr Euch möglicherweise.“

„Aya ... Die Gräfin hat nichts, aber auch gar nichts mit uns zu tun.“

„Wirklich? Und warum ist es dann so eine Zumutung, mich zu küssen? Das wird sich bestimmt nicht ändern, wenn ... Ihr es nie tut.“ Ayas Empörung wich und machte der Beklommenheit Platz. „Sie kann es bestimmt besser, nicht wahr?“, flüsterte sie.

„Besser?“ Takeru runzelte die Stirn. „Ich kann mich nicht erinnern, die Gräfin besonders oft geküsst zu haben.“ Damit hielt er das Thema eigentlich für beendet.

Seine Verlobte nicht.

„Ich weiss sehr gut, in welchem Verhältnis Ihr zu Kaori Ren standet!“

„Das ist mir durchaus bewusst. Doch lasst mich Euch versichern, dass... Küsse in besagtem Verhältnis eine mehr als untergeordnete Rolle spielten.“

Ungläubig starrte sie ihn an. Vielleicht hatte ihre Mutter sich geirrt. Vielleicht war der Hauptmann einfach ein Mann, der Küssen generell nichts abgewinnen konnte?

Das wäre allerdings ... jammerschade. Denn sie selbst hatte eine mehr als ernstzunehmende Vorliebe dafür entwickelt.

„Oh“, machte sie leise. „Ich ... verstehe.“

„Gut.“

„Fein.“
 

Es war schwer, Haltung zu bewahren, wenn man auf einem Heuballen sitzend in den Regen starrte und krampfhaft die Tränen zurückhielt.

„Was meintet Ihr mit `Zumutung´?“

„Ist nicht so wichtig“, flüsterte Aya.

„Das könnt Ihr nicht ernst gemeint haben.“

„Ich möchte nicht weiter darüber sprechen!“

„Die Gelegenheit, die Diskussion zu beenden, hattet Ihr, wenn ich mich Recht entsinne, eben ausgeschlagen.“

Konnte man einen Menschen wirklich so sehr lieben, und ihn trotzdem samt seiner verdammten Beobachtungsgabe und einem funktionstüchtigen Gedächtnis auf den kalten, kalten Mond wünschen?

„Es gibt nichts zu diskutieren. Es ist Eure Sache, ob, wann und wie Ihr mich küsst.“

„Tatsächlich?“, knirschte es hinter ihr. „Ich wünschte, dem wäre so.“

„Wieso? Ihr braucht nicht ...“

„Ihr glaubt also, ich würde es absichtlich vermeiden, Euch zu küssen?“ Er harkte sich mit den Fingern durch die kurzen Haare. „Ihr habt Recht.“

„Aber ich ... Mit der Zeit kann ich es bestimmt besser!“, stiess Aya trotzt des Kloßes in ihrem Hals aus.

„Besser? Ihr habt überhaupt keine Ahnung, was Ihr ... Wenn Ihr diese Sache noch weiter perfektioniert ... Himmel, Aya! Manchmal habe ich das Gefühl, Dein einziger Daseinszweck ist es, mich um den Verstand zu bringen.“

„Dich?“ Sie sprang auf. „Um den Verstand? Ebenso gut könnte ich versuchen, das Pu-Jang-Gebirge um einen Kilometer zu versetzen!“, schrie sie. Vor lauter Rage bemerkte sie nicht einmal, dass er sie eben zum ersten mal geduzt hatte.
 

Ungläubig starrte er sie an. Warf sie ihm etwa Gleichgültigkeit vor? Sie? Ihm? Das Mädchen, um das sich seit Jahren sein gesamtes Leben, beruflich wie privat, drehte?

Das war zuviel! Selbst für einen stoischen Gesellen, wie den Hauptmann.

Er packte seinen Plagegeist und zog ihn an sich. So fest und unvermittelt, dass die Luft aus Ayas Lungen keuchend entwich.

„Der Pu-Jang?“, knirschte er, den Mund nur Zenimeter von ihrem entfernt. „Auf eine blosse Bitte von Dir würde er sich vermutlich ins hinterste Hinterland des Erdkönigreichs verkrümeln. Ein Lächeln, und er richtet es sich auf dem Meeresgrund wohnlich ein.“

Dann bekam sie endlich ihren Kuss. Wobei Kuss ein eher unzureichendes Wort dafür war. Er brandmarkte ihre Lippen als seinen Besitz, forderte die völlige Kapitulation.

Und er bekam sie.

Aya begegnete der Invasion mit offenen Armen, schlang sie um ihren Bezwinger und ergab sich.

Takeru stand der Sinn nicht mehr nach Ehrerbietung und Korrektheit. Ihm stand der Sinn einzig und allein nach ihr. Blindlings griff er in ihr seidiges Haar, umfasste ihren Kopf, und drängte sie gegen die hölzerne Wand des Heuschobers, um sie noch heftiger zu küssen. Als sich seine muskulöse Schwere gegen ihren Leib presste, krallte Aya stöhnend die Hände in den goldbraunen Schopf.

Das war es, wovon sie in ihren Träumen Nachts aufschreckte. Dieses brennende, ziehende Sehnen, das sie nicht mehr zur Ruhe kommen lies.

Schamlos wölbte sie sich gegen ihn. Er umfasste ihre Hüften und konfrontierte sie mit den Konsequenzen ihres Tuns. Die fordernde Härte war neu, wundervoll und liess ihre Knie den Dienst verweigern.

„Takeru?“

So atemlos, dass er sie kaum verstand. So atemlos, dass er sich nicht mehr zurückhalten konnte.

Ein glühender Mund glitt zu ihrem Hals, vertrieb die Kälte, die der Regenguss hinterlassen hatte. Seine Hände, früher ein Muster an Zurückhaltung, taten endlich, wonach ihn seit Ewigkeiten gelüstete, fuhren über Taille und Flanken noch höher, bis er schliesslich ihre Brüste umfasste.

Heißkalte Blitze durchfuhren Aya.

„Takeru!“

„Aya!“ Das heisere Flüstern, direkt unterhalb ihres Ohrs liess Sternenfunken regnen.

„Bitte!", stammelte sie hilflos.

Ihr Wunsch war ihm Befehl. War es immer gewesen.

Angesichts des betörenden Flehens hob er sie auf die Arme, trug sie in den hinteren Bereich des Verschlags und bettete sie auf das weiche Heu.

Als er in ihr Feen-Antlitz blickte, überkam für einen Sekundenbruchteil das Bewusstsein, zu weit zu gehen.

Doch dann streckte sie die Arme aus und zog ihn wieder zu sich.

Der samtweiche, willige Mund berauschte ihn mit exquisiter Süße, liess ihn erneut alles vergessen. Alles, außer der Tatsache, dass dieses Wesen zu ihm gehörte, dass er sie haben musste. Langsam liess er sich auf sie sinken.

Aya schwebte, glaubte zu vergehen. Dass das blosse Gewicht eines Mannes einen solchen Rauschzustand auslösen konnte ...

So fest sie konnte klammerte sie sich an ihn, drängte ihren Leib gegen ihn. Wenn er doch endlich ...
 

Vermutlich hätte Zukos diszipliniertester Soldat vor dieser Leidenschaft kapituliert, wenn, ja wenn nicht ein Blitz just diesen Moment dazu auserkoren hätte, in der Nähe einzuschlagen.

Mit einem Krachen brachte er die Realität zurück in die Geisteswelt des Hauptmanns.

Was im Namen aller höllischen Dämonen tat er hier? Liess hirnlos seine Lust Amok laufen? Er war drauf und dran sie hier und jetzt zu nehmen. Im Heu! Ohne auch nur einen Gedanken an ihre Sicherheit zu verschwenden!
 

Verdammt! Er hatte ja gewusst, dass dieser „Ausflug“ so enden würde.

Han würde in der nächstbesten Jauchegrube landen, soviel stand fest!

Aya, noch immer im Reich der Sinne verloren, merkte erst, dass etwas nicht stimmte, als ihr Angebeteter sich von ihr losmachte. Und selbst das bekam sie nur mit, weil sich die Kühle der Luft sofort wieder in ihrer klammen Kleidung festsetzte.

„Was ist?“, keuchte sie irritiert, als er begann, auf und ab zu gehen.
 

„Was IST?“ Er fuhr sich durchs Haar, obwohl jemand das nur allzu gerne für ihn erledigt hätte. „Oh, nichts weiter!“

Aya war sich FAST sicher, dass sein beissender Sarkasmus dem höfischen Protokoll widersprach.

„Ich bin nur drauf und dran eine königliche Prinzessin zu entehren.“

„Ich ... ich fühle mich aber eher ge- als entehrt“, stammelte Aya, verständlicherweise noch immer etwas verwirrt durch das abrupte Ende ihrer Glückseligkeit. Und natürlich auch durch die Glückseligkeit selbst.

„Setz Dich dort drüben hin!“

„Takeru ...“

„Siehst Du, was passiert, wenn ich meine sogenannte Kaltblütigkeit in den Wind schlage? Glaubst Du jetzt, dass ich Dich begehre? Über alle Maßen?“

„Takeru ...“

„Setz Dich einfach auf diesen Strohballen! Nein! Der andere, dort im Eck!“

Er klang derart bestimmt, dass Aya tatsächlich zum entferntesten Strohballen schlingerte, sich setzte und vorwurfsvoll zu ihm herüber sah.

„Mir ist kalt“, gab sie ihm nach einer Weile würdevoll zu verstehen.

Ihr wurde eine Jacke zugeworfen, die jedoch selbst fünf Minuten später keine wärmende Wirkung zeigen wollte.

„Mir ist leider immer noch kalt.“

„Aya, legst Du wirklich Wert drauf, dass ich die Zeit bis zu unsrer Vermählung im Kerker verbringe?“, knirschte es aus dem gegenüberliegenden Eck.

„Aber ... wenn mir doch kalt ist?“, fragte sie leise.

Takeru seufzte.

Ja, sie war nass geworden und ja, es war wirklich kühl. Mit drei langen Schritten strebte er in Richtung der zitternden Aya, hob sie auf die Arme, setzte sich und wickelte sie enger in seine Uniformjacke.

„Besser?“, knurrte er etwas unwirsch.

„Ja.“

So gehalten zu werden, den Kopf an seine Brust gelegt, dass sie seinen steten, gleichmässigen Herzschlag hören konnte, vertrieb die Kälte auf wundersame Weise.

„Und die Zweifel, die Du bezüglich meiner Gefühle hattest?“

„Auch besser.“

„Nur besser?“

„Nein“ Sie kuschelte sich enger an ihn. „Weg.“

„Das ist gut“, murmelte er in ihr Haar. „Noch mehr dieser unverfänglichen Zufälle halte ich nämlich nicht aus. Von jetzt an keine Spaziergänge oder Ausritte in trauter Zweisamkeit mehr.“

„Gar nicht mehr?“

„Nein. Und Küsse nur noch, wenn im Nebenzimmer jemand ist. Jemand, der NICHT Han Osaru ist!“, fügte er in Gedanken an seinen Freund hinzu.

Aya nickte widerstrebend. Prompt stieg ihr seine Wärme zu Kopf.

„Du riechst gut!“, wisperte sie.

„Bemerkungen über meinen Geruch sind ebenfalls zu unterlassen“, ächzte ihr überstrapazierter Verlobter.

„Darf ich dann erwähnen, wie wundervoll es sich anfühlt, so gehalten zu werden?“

„Nicht, wenn Du es vermeiden kannst.“

„Und wenn nicht?“

„Aya, bitte!“

„Warum denn nicht?“

„Weil. Es. Mich. Wahnsinnig. Macht.“

„Nur wenn ich sage, dass ... dass Du gut riechst?“

„Zum Beispiel.“

Ihre Nasenspitze rieb sich verdächtig zärtlich an seiner Halsmulde.

„Dann sollte ich Deinen Geschmack wohl auch nicht erwähnen.“

„Nein!“

„Na gut.“

Takeru betete lautlos um mehr Willenskraft.

Sollte er bis zur Hochzeit tatsächlich die Finger von ihr lassen können, hätte er sich eigentlich seinen dritten Phönix-Orden verdient. Inclusive Feuerkranz und dem ganzen Brimborium!

Allerdings rückte diese Auszeichnung in weite Ferne, als ein sehnsuchtsvoller Seufzer seine mehr als kooperationsbereiten Lippen streifte.

Die Niedertracht dieses Überraschungsangriffs zwang ihn in die Knie und wider besseren Wissens neigte er den Kopf. Schon wieder!

Ihr Mund war ein Geschenk des Himmels, ihr zuerst sanfter, dann hetzender Atem reinstes Ambrosia. Ehe er es sich versah, war seine ganz persönliche, kleine Folter wieder in schönstem Gange.
 

Sie wären vermutlich erneut im Heu gelandet, hätte sich nicht ein barmherziger Engel namens Han Osaru genähert, lauthals ein anzügliches Liedchen schmetternd.

„Komm, mein Liiiiebchen, komm zuhuuu miiiiiir, untern Kirschenbaaaaaaaaaaaauuume.

Komm, mein Liiiiebchen, komm zuhuuu miiiiiir, zeig mir Deine Pfl ...“

HAN!“

„Oh! DA seid ihr! Bitte vielmals um Verzeihung. Hab im Regen die Spur verloren. Benötigen die Herrschaften vielleicht ein paar wasserdichte Mäntel?“

Von seinem Kollegen erntete Hauptmann Osaru natürlich nur ein unwilliges Funkeln. Die Prinzessin war wie immer liebenswürdiger.

„Was für eine bemerkenswerte Stimme Ihr habt, Hauptmann.“

„Wirklich?“, strahlte Han. „Vielen Dank, Hoheit!“

„Und noch bemerkenswertere Nerven!“, knurrte Meister Gargoyle, während er Aya in einen viel zu großen Mantel half.

„Jahrelanges Training. Beides. Für die Stimme das Anbrüllen von Rekruten, für die Nerven die Auseinandersetzungen mit einem gewissen Freund, der nicht genannt werden möchte. Vielleicht,“, setzte er flüsternd hinzu. „Würde dieser Freund noch die Strohhalme aus dem Haar Ihrer Hoheit entfernen?“
 

Wieder im Palast angekommen, wurde zuerst dafür gesorgt, dass jemand sich um die triefend nasse Prinzessin kümmerte.

Dieser Sorge entledigt, machte Hauptmann Nezu sich sofort daran, die nicht minder durchgefrorenen Hischzebras zu versorgen. Dabei wechselte er, ganz nebenbei, ein ernstes Wort mit seinem Freund.

Die Standpauke stiess, wie war es auch anders zu erwarten, jedoch auf taube Ohren.

„Agni, Taku, Du solltest wirklich dankbarer sein. Wenn Du mitbekommen hättest, wie sie Dich angesehen hat ... Richtig herzzerreissend, dieser Blick. Das Mädel hatte etwas Bestätigung bitter nötig. Kein Wunder, wo sie mit einem Eisklotz verlobt ist.“

„Eisklotz?“

„Ähm ... Nein! Du bist so heissblütig wie ein Feuersalamander. Berüchtigt für Dein explosives, unberechenbares Temperament. Muss Dich glatt verwechselt haben.“

„Wenn ich nicht so gute Laune hätte ...“

„Ach. Die ist gut? SAG das doch! Was so eine einsame Stunde im Regen doch alles ändern kann ...“
 

Prinzessin Aya fand, mit dem Wissen, dass ihre körperlichen Begehrlichkeiten durchaus auf Gegenseitigkeit beruhten, spielend zu einem glücklichen, ausgeglichenen Selbst zurück. In Punkto Küsse und dergleichen blieb ihr Kage zwar weiterhin stur wie ein Elch-Muli, aber das sah sie nun wesentlich gelassener.

So vergingen die sechs verbleibenden Tage bis zur Verlobungsfeier langsam aber sicher, ohne dass weitere Zwischenfälle das junge Glück trübten.

Bis ... am Abend zuvor.
 


 

Feuerpalast, am späten Abend vor der Verlobungsfeier
 

Takeru hatte eben den zweiten inneren Ring mit den Wohnungen der Kage erreicht, als sich ihm vollkommen unvermittelt die Nackenhaare sträubten.

Wie angewurzelt blieb er stehen und lauschte. Kein Ton, kein noch so leises Geräusch ließ auf etwas Ungewöhnliches schließen. Auch das flackernde Zwielicht der unzähligen Fackeln enthüllte nur das übliche Bild. Was zum Teufel ...?

Da! Ein Geruch! Jasmin.

Überall sonst im Palast hätte er dem Geruch vermutlich keinerlei Beachtung geschenkt. Aber hier? Hier war der süssliche Duft so verräterisch wie eine Blutspur.

Der Kiefer des Hauptmanns verhärtete sich.

Das wagte sie nicht! Oder?

Er verließ den Hauptgang in Richtung der Dachterrassen.
 

Der ungeladene Gast, der sich in Takeru Nezus Wohnung breitgemacht hatte, hätte es wahrlich besser wissen müssen. Fragliche Person ging in den schlicht eingerichteten Räumen nervös auf und ab. Einerseits konnte sie die bevorstehende Begegnung kaum erwarten, andrerseits ...

„Was tust Du hier?“, blaffte es kalt.

Kaori schnellte herum und starrte auf die schattenhafte Silhouette vor der verglasten Balkontür.

„Agni! Hast Du mich erschreckt!“, keuchte sie erschrocken.

„Antworte!“, knurrte Takeru ungnädig. „Was willst Du?“

Beschämenderweise immer noch ihn. Doch das würde Kaori, Gräfin von und zu Ren, niemals zugeben.

„Wie unhöflich“, schnurrte sie daher und ließ, im Versuch unbeeindruckt zu tun, ihren Finger verspielt an einer Tischkante entlang gleiten. „Geht man so mit ehemaligen Freunden um?“

„Wir waren einiges, aber Freunde niemals!“

„Schön. Wie es Dir beliebt.“

„Zum letzten Mal, Gräfin. Was WOLLT Ihr?“

„Oh, ich habe von Deiner überraschenden Verlobung mit unserem keuschen Prinzesschen gehört. Da musste ich einfach kommen.“

Hauptmann Nezus Augen verengten sich zu eisigen Schlitzen.

„Ahnt Aya die Reine eigentlich, dass sie im Begriff ist einen ... Dieb zu ehelichen?“

Takerus Mine blieb hart.

„Ja“, sagte er ruhig. „So sehr Dich das auch enttäuschen mag. Du kannst ihr nichts eröffnen, was sie nicht bereits weiss.“

„Wie schade!“, gurrte Kaori. „Ich kläre die Leute doch so gerne auf! Na ja.“ Sie schnalzte mit der Zunge. „Mir bleibt ja immer noch der Hofstaat.“

„Das wagst Du nicht!“

„Ach nein? Dann bin ich wohl mutiger, als Du dachtest. Sollte diese Verlobungsfeier stattfinden, wird alle Welt erfahren, dass Zukos feines Töchterlein sich mit einem ehemaligen Kleinkriminellen eingelassen hat. Das arme Ding! So verblendet.“

„Glaubst Du ernsthaft, damit durchzukommen?“

„Ich glaube, Du würdest eher sterben, als die Prinzessin all dem Hohn und Spott auszusetzen. Ich glaube, Du würdest eher auf Dein honigsüsses Püppchen verzichten, als es so zu beschmutzen. Nicht wahr... Hauptmann?“

Sein Blick versetzte Kaori beinahe in Panik. Doch sie war darauf vorbereitet.

„Jetzt würdest Du mich am liebsten erwürgen. Nicht wahr?“ Sie lachte. Es klang schrill. „Zu spät“, flüsterte sie. „Ich habe meine Fäden bereits gesponnen. Wenn Du die Verlobung nicht auflöst, werden morgen hunderte von Gästen eine zutiefst schockierende Neuigkeit erfahren. Diskretes Getuschel kann ja SO laut werden.“

Trotz der eisblauen Mordlust in seinem Blick trat sie näher an ihn heran und stellte sich auf die Zehenspitzen.

„Sollten Dir die einsamen Nächte als Junggeselle irgendwann zu einsam werden, wirst Du wissen, wo Du mich findest“, hauchte sie in sein Ohr. „Du magst ja zur Ehe nicht taugen, aber in meinem Bett lege ich auf Ehrbarkeit keinen gesteigerten Wert, wie wir beide sehr wohl wissen.“

„Scher Dich raus!“
 

Am nächsten Morgen hatte der Hauptmann eine Nacht hinter sich, die unter den fürchterlichsten Nächten seines Lebens - und davon hatte dieses Leben einige hinter sich gebracht - einen absoluten Spitzenplatz einnahm.

Er hatte mit sich gerungen, sich verflucht und dann weiter mit sich gerungen.

Dabei war ihm eines klar geworden: Sein persönliches Wohlbefinden war die eine Sache, aber um keinen Preis der Welt war er gewillt Ayas Glück zu opfern. Und ganz nebenbei hatte er zu akzeptieren gelernt, dass ER für ebendieses Glück unabdingbar war.

Kurz und gut, er würde auf Kaoris Erpressungsversuch nicht eingehen. Und noch kürzer und besser: er brauchte Hilfe.

Er war es zwar ganz und gar nicht gewohnt, um Hilfe zu bitten, aber man hatte auch schon Reiher würgen sehen.

So war der erste Besucher, den Seine Lordschaft in aller Herrgottsfrühe empfing, sein zukünftiger Schwiegersohn.

„Takeru?“

„Mylord.“

Zuko verdrehte die Augen. Allem Anschein nach würde der Bräutigam seiner Tochter noch länger für ein „Du“ brauchen, als dereinst Tian Fu.

„Was kann ich für Euch tun, Hauptmann?“ Er gestattete sich, dem letzten Wort eine ironische Note beizumengen.

Als er seinen Blutwolf jedoch dabei ertappte, wie er erst einmal tief durchatmete, verging ihm das Scherzen.

Er lauschte dem sachlichen, ruhigen Bericht des Hauptmanns.

Die folgende Stille belastete jedem Quadratzentimeter des Raumes.

„Sieh an“, murmelte Zuko schliesslich. „Die kleine Kaori Ren fährt also ihre Krallen aus.“

„Es wäre überaus unangebracht, wenn ich derjenige wäre, der dieses Verlöbnis löst. Allerdings könntet Ihr es tun, wenn Ihr es wünscht.“

„Wenn ICH es wünsche?“ Zukos Braue erhob sich über ihr übliches Niveau.„Was wünscht IHR denn?“

„Das wisst Ihr.“

„Hm. Wahrscheinlich. Aber hören will ich es trotzdem. Möchtet Ihr, dass die Verlobung gelöst wird?“

„Nein. Es würde Aya unglücklich machen. Und ... mich.“

„Ah!“, machte Zuko leise und zufrieden. „Hast es also endlich eingesehen. Gut! Dann wollen wir mal einen Schlachtplan entwerfen. TIAAAAAAAAN?“

Schlitternd schoss Konsul Fu aus der kleinen Tür, die sein Büro vom Arbeitszimmer Seiner Lordschaft trennte.

„Ja, oh Ohrenbetäubender?“

„Hol meine Frau, meinen Onkel, meine ... ach was! Trommle einfach die ganze Familie zusammen. Außer Aya. Ich denke, sie sollte die Nachricht aus anderem Munde erfahren. Ruf die fünf vertrauenswürdigsten Kabinettsmitglieder. Und Fon! Er soll die Dienerschaft einweihen.“

„Einweihen, Mylord?“

„Erklärung folgt. Nun eile, so schnell Deine Pantoffeln Dich tragen, mein Freund.“
 

Innerhalb kürzester Zeit hatte der Drache seine Truppen mobil gemacht.

„So. Hat jeder verstanden, was er zu tun hat?“, fragte er die rund vierzigköpfige Schar.

Einmütiges Nicken.

„Bestens. Dann zurück an die Arbeit. Jin, auf ein Wort.“

Mylady wartete mit artig gefalteten Händen, bis alle anderen das Büro verlassen hatten.

„Nun, mein Schuppentier, was liegt Dir auf dem Herzen?“

„Ist Dir bewusst, dass Dir und den Hofdamen die wichtigste Aufgabe zukommt?“

„Aber ja! Du kannst Dich auf uns verlassen. Operation Gerüchteküche wird vollkommen reibungslos verlaufen.“

„Das ist mein Kobold!“
 

Während Mylords engste Vertraute das Gegenkomplott vorbereiteten, wurde Prinzessin Aya in die neuesten Entwicklungen eingeweiht.

„Sie will uns also bloßstellen?“, fragte sie, ein wenig blass um die Nase, seit der Name Kaori Ren gefallen war.

„Ja. Es tut mir sehr leid. Dass sie so weit gehen würde ...“

„Ist recht verständlich.“

„BITTE?“

„Immerhin musste sie Dich aufgeben.“

„Das ist lächerlich!“, schnaubte Takeru. Angesichts seines Tonfalls blinzelte Aya überrascht. „Sie hat mir nichts bedeutet, und ich ihr nicht.“

„Offenbar sah sie das ein wenig anders.“

„Aya, es ist nur ihr verletzter Stolz. Nichts weiter.“

„Woher nimmst Du die Gewissheit, dass sie Dich nicht geliebt hat?“
 

Diese Unterredung verlief nicht so, wie sie sollte, fand Hauptmann Nezu. Seine Verlobte hätte alles Recht der Welt, ihm bittere Vorhaltungen zu machen. Und was tat sie? Erforschte die Gefühlswelt seiner ehemaligen Maitresse. Eine Gefühlswelt, die quasi nonexistent war!

„Es gibt nur einen Menschen, den die Gräfin liebt. Sich selbst.“

„Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“

„Soll ich sie zum Tee einladen, damit wir darüber SPRECHEN können?“, knirschte Takeru.

Schon wieder dieser Tonfall. Aya schwankte zwischen Unglauben, Gekränktheit, Erleichterung und Amüsement. Letztendlich trug die Erleichterung den Sieg davon. Endlich begann er sie wie einen normalen Menschen zu behandeln. Unbewusst zwar, aber es war ein Anfang.

„Warum hältst Du Dich für so wenig liebenswert?“, fragte sie leise.

Der Blick, den er ihr jetzt zuwarf, war zutiefst irritiert.

„Prinzessin, habt Ihr verstanden, worum es geht?“

„Ich denke schon. Deine ehemalige Geliebte versucht Deine Vergangenheit als Druckmittel gegen Dich einzusetzen. Was ziemlich albern ist, da mir diese Vergangenheit nicht das Geringste ausmacht.“

„Und was ist mit den Anderen?“, fragte Takeru.

„Diejenigen, die dumm genug sein werden, dem Tratsch Bedeutung beizumessen, sind mir ehrlich gesagt egal.“

„Egal?“

„Ja. Egal. Außerdem glaube ich, dass es weniger sein werden, als Du befürchtest.“

„Was? Das kann nicht Dein Ernst sein. Du weisst, wie gerne die Leute sich das Maul zerreissen.“

„Ja. Das weiss ich. Aber ich weiss auch, was die meisten Leute von Dir halten. Viel. Sehr viel. Ich glaube, sogar sehr viel mehr, als Du selbst von Dir hältst. Was mich wieder zu der Frage bringt, warum Du Dich selbst für nicht liebenswert hältst.“

„Es ist nicht meine Aufgabe, liebenswert zu sein!“

„Momentan jedenfalls nicht“, murmelte die Prinzessin.

„Könnten wir dieses Gespräch BITTE wieder in geregelte Bahnen lenken?“

„Oh, tut mir leid. Mir wurde kein Konversationsplan vorgelegt.“

„Aya!“

„Was?“

„Kannst Du nicht ein einziges Mal so reagieren, wie man es erwarten würde?“

„Nämlich?“

„Mir Vorwürfe machen?“

„Warum?“

„Es ist immerhin meine Ex-... Bekanntschaft, der wir diesen Ärger zu verdanken haben.“

„Es ist nicht Deine Schuld, dass sie sich in Dich verliebt hat.“

„Sie HAT sich nicht ... Diese Diskussion ist vollkommen fruchtlos, oder?“

„Scheint so. Du willst es ja nicht einsehen.“

„Ich? Ich bin vollkommen sachlich.“

„Ja, das bist Du immer. Außer es geht um Deine angeblich so skandalöse Kindheit. Wenn Du dieses Kind als Außenstehender betrachten könntest, würdest Du sehen, dass es nichts Schreckliches, oder Unverzeihliches getan hat. Es hat Überlebt. Mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Du nennst es Schande. Andere nennen es den Mut das zu tun, was getan werden muss. Und noch etwas, das Du wahrscheinlich nicht gerne hörst, aber diese Kind ist ein Teil von Dir. Das wird es immer bleiben. Und ich bin froh darüber! Und es ist mir egal, ob ich mit dieser Meinung allein dastehe. Nichts wird mich davon abhalten, Deine Frau zu werden. Nichts! Weder Kaori Ren, noch irgendwelches Getratsche, noch Deine Selbstzweifel.“ Sie trat dicht vor ihn und legte die Hand mit dieser für sie so typischen, zarten Geste an seine Wange, als sei er eine unschätzbare Kostbarkeit. „Ich liebe Dich, Takeru Nezu! Ich liebe, was Du warst, was Du bist und ich werde lieben, was Du sein wirst, wenn wir einmal alt und grau sein werden. Ich liebe Dich mehr, als Du selbst es jemals tun wirst. Also musst Du mir vertrauen, wenn ich Dir sage, dass dieser ganze Skandal im Sande verlaufen wird. Denn es gibt noch weit mehr Menschen, die sehen, wer und was Du bist. Können wir diese Diskussion jetzt beenden?“

„Ich... Ja“, raunte Hauptmann Nezu entwaffnet.

Was hätte er auch groß erwidern sollen?

Diese Frau reagierte eben nie so, wie sie sollte. Außer auf Küsse.

Royal Wett-ing

Also gut, dies wäre also Kapitel 17. Endlich!

Ich weiss, ich hab euch diesmal viel zu lange warten lassen, aber das letzte Jahr war doch anstrengender als gedacht, und der Anfang DIESES Jahres war auch nicht viel ruhiger. ^^

Ich musste einfach die Batterien wieder ein bissl aufladen. Und etwas halbherziges wollte ich weder Aya noch Takeru antun.

Jetzt hat mich das Schreibfieber aber wieder gepackt, und so: Tadaaaa!

Danke an alle, die trotz der langen Wartezeit dabei geblieben sind bzw. bleiben!
 

Viel Spass!
 


 

Kapitel 17: Royal Wett-ing
 

oder: Herr Nezu verspätet sich
 


 

Anlässlich der Verlobung
 

Ihrer königlichen Hoheit, Prinzessin Aya Ria Tatzu
 

&
 

Takeru Nezu, Lt. Hauptmann, stellv. Kommandant der kgl. Leibwache
 

Am 21. Joru im Jahr des Drachen 1825

Lädt Seine Durchlaucht, Lord Zuko II, zum festlichen Bankett mit anschließendem Ball.
 

Diesem formellen, in goldenen Lettern geprägten Aufruf waren die zahllosen Gäste, die sich im großen Sonnensaal tummelten, nur allzu gerne gefolgt.

„Ist das nicht wundervoll?“ Entzückt faltete Sine Fuminaga die Hände vor der Brust. „Ich freue mich so für das Kind. Die ganzen Jahre über hat niemand etwas geahnt. All die jungen Herren, die ihr Glück versucht haben, während sie ihr Herz doch schon längst verloren hatte!“

„Seht Euch nur an, wie glücklich sie ist. Die beiden sind aber auch ein stattliches Paar!“, entgegnete Mia Ling zufrieden.

„Das sind sie! Und er ist ein so ehrenhafter Mann.“

Die beiden, uns wohl bekannten, älteren Damen, die sich im Glück des jungen Paares sonnten, standen in einer lauschigen Ecke neben großen Farnen, die in prächtigen Kübeln zum Glanz des illustren Festes beitrugen. Sie nippten eben an ihren Likören, als eine der jüngeren Ladys der Gesellschaft meinte, sich an der Diskussion beteiligen zu müssen.

„Nur schade, dass seine Vergangenheit alles andere als unbescholten war, oder? Ich konnte es kaum glauben!“, flüsterte Kanae Yoto, eine enge Vertraute Kaori Rens, unüberhörbar.

„Was, kaum glauben?“

„Na, das über seine Herkunft!“

„Was IST mit seiner Herkunft?“, fragte Lady Ling spitz.

„Nun ja, ich habe aus sicherer Quelle, dass er ..." Die junge Frau beugte sich verschwörerisch nach vorn. "Er soll buchstäblich aus der Gosse kommen", zischte sie.

"Also..."

"Ja! Ich war auch ganz schockiert. Die arme Prinzessin! Ihr sauberer Herr Verlobter ist nichts weiter als ein kleiner Taschendieb!“

„Ach, DAS meint Ihr!“ Ayas frühere Anstandsdame lachte perlend auf „Stimmt! Diese Anekdote hatte ich fast vergessen.“

„Welche Anekdote?“, fragte Baroness Fuminaga. Sie war etwas schwerhöriger als ihre Freundin. Zumindest, wenn dies erforderlich war.

„Na, die Sache über den Hauptmann, meine Liebe“, klärte Gräfin Ling sie geduldig auf. „Dass er lange Finger gemacht hat.“

„Ach. DIE olle Kamelle!“

„Olle Kamelle?“, zwitscherte Kana irritiert. Hatte Kaori nicht versichert, diese Klatschgeschichte sei brandneu und würde für einen Riesen-Skandal sorgen?

„Ja. Aber Ihr habt Recht: amüsant ist sie immer noch.“

„Amüsant?“, echote die jüngere Hofdame entsetzt.

„Meine Güte. Als Seine Lordschaft die Geschichte das erste Mal zum Besten gab, habe ich beinahe Tränen gelacht. Es war aber auch zu drollig, wie er Hauptmann Nezu als funkenfrechen, vorwitzigen Dreikäsehoch beschrieben hat.“

„Und was hat er den armen Jungen immer damit aufgezogen ...“, sinnierte Baroness Fuminaga. „Vor allem, nachdem der seinen ersten Orden abgesahnt hatte.“

So mussten die Verbündeten Kaori Rens eine nach der anderen miterleben, wie ihre brisante Neuigkeit allerorten nur nostalgische Erinnerungen und Amüsement hervorrief.
 

Das aufgewärmte `Gerücht´ war immerhin interessant genug, letztendlich auch die erhabenen Ohren des Herrschers der Flammen zu erreichen. Mylord lachte schallend auf und warf seinem Blutwolf einen halb mitleidigen Blick zu.

„Ach je“, murmelte er amüsiert. „Wer hat DAS denn aus den Tiefen der Versenkung gehoben?“

Prinz Lee, der direkt neben den Beiden stand, grinste breit und sah sich natürlich prompt veranlasst, eine prächtig ausgeschmückte Version der damaligen Ereignisse zu Gehör zu bringen, in der er seinem Vater frech die Rolle eines grantigen Kinderschrecks andichtete.

Hauptmann Nezu ertrug die gutmütigen Sticheleien mit stoischer Miene. Lediglich seine linke Braue zeugte von seinem Unbehagen, so plötzlich im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen.

Die Einzige, die Mitleid zeigte, war Prinzessin Aya. Sie hakte sich bei ihrem Verlobten unter, strich mit der freien Hand über seinen Ärmel und lächelte kläglich zu ihm auf.

„Ich fürchte, jetzt wo Ihr zur Familie gehört, wird Lee Euch schamlos damit aufziehen“, murmelte sie entschuldigend.

„Machst Du Witze, Schwesterherz?“, schnaubte ihr Bruder. „Ich musste viel zu viele blaue Flecken einstecken, um jetzt Gnade walten zu lassen. Und bei unsrer Killer-Queen muss man jedweden Schwachpunkt sofort ausnutzen.“

„Wie habt Ihr mich genannt?“

„Oha! Sind das dort gefüllte Klöße? Ich muss mal eben ...“

„Feigling!“, schnaubte Kiram in sein Glas.

„Aber, aber“, schaltete sich nun Lu Ten ein. „Du sprichst über den Bezwinger gestandener Ochs-Esel und ganzer Heerscharen von Schweinen.“

„Wenn ihr Jungs nicht gleich brav seid ...“ Lady Jins rechter Fuß klopfte warnend auf den Boden.

„Ja, Mutter!“

„Entschuldige!“

„Ich liebe es, wenn Du sie erziehst, mein Herz.“

„Ja. Aber da sie alle Deinen Dickschädel geerbt haben, Mylord, erreiche ich damit leider rein gar nichts!“

Somit schlug Kaori Rens sorgsam ausgeklügelte Intrige gründlich fehl und Operation Rufschädigung verlief sang und klanglos im Sande.

Einfach so.

Denn am Besten bekämpft man seine Gegner, indem man ihre Angriffe ins Leere laufen lässt. Eine Lektion, die Seine Lordschaft in frühen Jahren von einem sehr weisen Mann erhalten hatte.
 

Nachdem das Thema ausreichend erschöpft war und selbst Lee Tatzus spitze Zunge nichts mehr dazu beitragen wollte, widmete man sich wieder dem Feiern. Man aß, trank, lachte und schwatze, bis sich die Festivität dem heimlichen Höhepunkt näherte. Dem Walter ... äh, Walzer. Traditionellerweise tanzte das Brautpaar zwar den Phönixtanz, die Prinzessin hatte jedoch ausdrücklich einen Walzer gewünscht, und so machte man eine Ausnahme.

Im Vorfeld hatte es Leute gegeben, die dazu ihre ganz eigenen Theorien vertaten. UND sie leider auch an den Mann bringen mussten.

„Kluges Mädchen“, hatte Hauptmann Osaru vor rund sieben Stunden gemeint. „Sie weiß eben, dass man von einem Erdferkel nicht erwarten kann, wie ein Feuervogel durch die Luft zu hopsen. Bei Dir würde glatt der Marmorboden Risse bekommen.“
 

Von diesen schnöden Verleumdungen indes nichts ahnend, schwebte Aya in dem einzigen Paar Arme, das sie dessen für würdig erachtete, über die Tanzfläche.

„Ich liebes es, Walzer zu tanzen!“, seufzte sie.

„Wirklich?“ Takeru blickte ihr forschend in die Augen. „Aber seit Eurem Debüt hattet Ihr ihn nie wieder getanzt. Bis auf ... den Ball vor zwei Wochen.“

„Ja. Bis auf den Ball vor zwei Wochen.“ Ein leises Lächeln umspielte Ayas Mundwinkel.

„Warum?“, fragte der Hauptmann, wie immer kein Freund großer Umschweife.

Wobei ... man KÖNNTE auch behaupten, dass sein Begriffsvermögen in dieser Situation etwas zu wünschen übrig ließ.

„Ich hatte meine Gründe.“

„Der Angriff?“

„Angriff?“, wiederholte die Prinzessin verständnislos.

„Er fand während Eures ersten Walzers statt. Ich nahm immer an, dass Ihr die Erinnerung daran nicht heraufbeschwören wolltet. Genau genommen dachten das Alle.“

„Ja. Das war ein schrecklicher Moment! Aber er war nicht der Grund dafür, keinen Walzer mehr zu tanzen.“

„Sondern?“

„Ich ... wollte eine Erinnerung bewahren.“

„An diesen Abend?“ Leichtes Stirnrunzeln zeigte mehr als deutlich, dass ER auf seine Erinnerungen an besagten Abend gerne verzichtet hätte.

„Nein. Eher an den Nachmittag zuvor. An ... an einen sehr inoffiziellen Walzer. Denn während des ersten Offiziellen musste ich leider feststellen, dass es bei diesem Tanz mehr als bei allen anderen auf den Tanzpartner ankommt.“ Ein leuchtender Blick räumte alle eventuell bestehenden Zweifel, von wem sie da wohl sprechen mochte, aus. „Einen anderen wollte ich nicht“, fügte sie leise hinzu. „Nicht mehr.“

In der Miene ihres Verlobten lag eine gewisse Skepsis.

„Nun ... Die Monate nach dem Angriff hättet habt Ihr ihn sicher nicht mehr gewollt.“

Die Reserviertheit in seiner Stimme veranlasste Aya, ihn eindringlich anzusehen.

„Warum sagt Ihr das?“, fragte sie.

„Nur so.“

Eine derart ausweichende Antwort war eher untypisch für ihn.

„Nein. Nicht nur so! Ich will es wissen!“

„Ich war ein schrecklicher Anblick“, murmelte er. „Ihr wart beileibe nicht die Einzige, die mein Gesicht mied.“

„WAS?“ Aya kam aus dem Takt und stolperte über die eigenen Füße, wurde allerdings sofort wieder stabilisiert. „Das kann nicht Dein Ernst sein!“, hauchte sie betroffen.

Da der Hauptmann den Schlussakkord schon in rettender Nähe wähnte, schwieg er, vollführte mit Bravour die beiden letzten Takte und verneigte sich formvollendet.

Aya musste sich beherrschen, ihm nicht kräftig auf die Zehen zu treten, knickste und ließ sich von der Tanzfläche führen.
 

Die unbeantwortete Frage brannte der Prinzessin förmlich unter den Fingernägeln. Scheinbar gelassen stand sie neben ihren Eltern, plauderte über dies und das und zerknautschte nebenbei ihren Fächer.

„Ist es heute nicht ein wenig zu heiß hier drin?“, wollte sie nach ein paar Minuten wissen.

„Heiß?“, fragte Lady Jin. „Wirklich? Ich finde nicht.“

Zum Glück war Mylord weniger begriffsstutzig.

„Mhm“, brummte er. „Etwas. Hauptmann Nezu?“

„Mylord?“

„Ob Ihr wohl die Güte hättet, meine Tochter für eine Weile an die frische Luft zu begleiten?“

„Natürlich!“

Takeru schlug die Hacken zusammen, verbeugte sich und bot Prinzessin Aya einen Arm.

Als das Paar sich entfernte, sah Jin sich veranlasst, eine Bemerkung fallen zu lassen.

„Eigentlich kein Wunder, dass Deine Tochter sich in einen Soldaten verguckt hat. Dieses militärische Gebaren kann das Blut ganz schön in Wallung bringen. Und dann noch diese Uniform ... hach!“

„WIE bitte?“, schnaubte der Drache empört.

Sein Kobold kicherte nur leise.
 

Nach einigen Metern auf den gepflegten Marmor-Kies-Wegen verebbte das lärmende Treiben des Ballsaals nach und nach und machte der Zikaden-sirrenden Geborgenheit einer samtblauen Sommernacht Platz.

An einem kleinen Teich machte Aya Halt. Sie setzte sich auf die gemauerte Einfassung, tauchte vorsichtig mit den Fingerspitzen in die spiegelglatte Oberfläche des Wassers und ließ Schauer silberüberhauchter Wellen entstehen.

„Ich hatte damals gute Gründe, Dich nicht mehr anzusehen“, sagte sie ebenso sanft wie direkt.

Die drei vermeintlichen Gründe im Gesicht des Hauptmanns zuckten kurz.

„Das ist nicht mehr wichtig“, murmelte er. „Feuer von gestern.“

„Nein, ist es nicht.“ Sie betrachtete den zitternden Widerschein des Mondes auf dem Wasser. „Nicht für mich.“

„Aya ...“ Offensichtlich war ihm das Thema nicht sonderlich genehm.

Die Prinzessin raffte ihre Röcke, stand auf und stellte sich direkt vor ihn.

„Du hast keine Ahnung, wie sehr ich mir gewünscht habe, es zu tun, oder?“, fragte sie eindringlich. „Ich hätte alles darum gegeben, Dich ansehen zu dürfen. Alles!“

Er blickte zu Boden.

„Die hier.“ Drei Finger ihrer Rechten glitten über die blassen, aufgeworfenen Linien auf seiner Wange. „Sind wie die hier.“ Nun strich sie über die schimmernden Orden auf seiner Brust. „Es sind Zeichen Deiner Tapferkeit. Mit dem einzigen Unterschied, dass Du Deine Narben im Gesicht trägst, wo man sie jederzeit sehen kann. Sie waren niemals schrecklich“, sagte sie leise. „Oder hässlich. Stundenlang hätte ich Dich ansehen können. Aber dann hätten alle gewusst, wie es um mich steht. DU hättest es gewusst. Und es gab nichts, dass ich mehr gefürchtet hätte.“

Zuerst dachte Aya, er würde nichts erwidern. Als er dann doch sprach, war seine Stimme rau.

„Damals schon?“

„Ja.“ Sie schmiegte ihre Hand an seine Wange. „Damals schon. Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass Du gedacht hast, ich würde plötzlich Abscheu empfinden, wo ausgerechnet Deine Verwundung es war, die mich in mein Herz hat blicken lassen.“

„Aya ...“

„Takeru“, wisperte sie. „Mein tapferer, kluger, wundervoller Takeru!“

Sie lag seiner Meinung nach zwar nicht ganz richtig, aber wer war Takeru Nezu schon, einer Prinzessin widersprechen zu wollen?

Sie zu küssen war die bei Weitem sinnvollere Alternative.
 

Zwei Minuten später war Aya schwindlig und konfus.

„Jetzt findest Du bestimmt ... wir sollten ... aufhören“, flüsterte sie atemlos an seine Lippen.

„Ja!“ Er zog sie enger an sich.

Sein Mund glitt zu ihrem zarten Hals. Der warme, blumige Duft nach Pfirsich-Öl berauschte ihn derart, das Aya sich alsbald gegen die lebensgroße Statue einer Wassernymphe gepresst wieder fand, während leidenschaftliche Lippen die ihren bedrängten. Ein Drängen, dem sie nur allzu gerne nachgab.

Die weichen, leisen Laute, die sie von sich gab, waren nur eine weitere Verlockung, dazu gedacht arme Tölpel wie ihn zu betören.

Als selbst die letzten, standhaften Überreste seines sonst so unbestechlichen Verstandes drohten, den Dienst zu quittieren, löste der Hauptmann sich widerwillig von seinem Plagegeist.

Schwer atmend legte er seine Stirn an ihre.

„Himmel, Aya ... Wie lange noch?“

„Dreiunddreissig Tage!“

„Wissen Deine Eltern, was für eine Verführerin sie großgezogen haben?“

„Ich glaube nicht“, keuchte sie und verteilte lockende Küsse entlang einer Kinnpartie, die sie schon vor etlichen Jahren als anbetungswürdig eingestuft hatte. „Aber ... sie wären vermutlich sehr stolz auf mich.“

„Ja. Vermutlich.“

Am liebsten hätte Aya den Lauf der Welt aufgehalten um dieses seltene Lächeln zu bewahren.
 


 

Tag eins
 

Am nächsten Morgen stand Kaori Ren in aller Herrgottsfrühe auf, um den Ort ihrer Schmach so schnell als möglich zu verlassen. Leider war in aller Herrgottsfrühe nicht früh genug, um einem bestimmten Frühaufsteher aus dem Weg zu gehen. Das musste Kaori feststellen, als sie um die Ecke der Stallungen hastete.

Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen.

„Sieh an. Gräfin Ren.“

Obwohl Seine Lordschaft bequeme, leichte Kleidung trug, statt des formellen Odoro, ging etwas Unheilvolles von ihm aus. Sie hatte ihn noch nie mit ungebundenen Haaren gesehen. Die offene Mähne hätte eigentlich zwangloser wirken sollen, doch die dunklen Strähnen, die der Wind über die schmalen Drachenaugen geweht hatte, ließen Schauer der Vorahnung über den Rücken der Gräfin laufen.

„M ... Mylord!“

„Euer Besuch währte recht kurz.“

„Ja. Ich muss ... Dringende Geschäfte!“

„Wie praktisch. Ich muss schon sagen; Ohne Euch war es besonders ... ruhig im Palast. Und zufällig mag ich ruhig. Ich möchte Euch daher bitten, Euch anderweitig niederzulassen. Irgendein äußerer Zipfel der Feuernation vielleicht?“

„Ich hatte ohnehin nicht vor, den Palast wieder zu betreten!“, stieß Kaori verbittert aus und starrte zu Boden.

„Gut! Dann wäre das ja geklärt. Ach und noch etwas: Meine Familie ist für Euch und Eure Ränke tabu. In diese Kategorie fällt auch der Mann, dessen Ehre Ihr gestern Abend durch den Dreck ziehen wolltet. Ich hoffe, wir haben uns verstanden?“

„Ja, Mylord!“

„Wundervoll. Beschauliches Leben noch.“

Wenig später saß Kaori Ren in einer schlecht gefederten Kutsche, starrte mit stumpfen Augen aus dem Fenster und musste zulassen, wie sich Stunde um Stunde und Meile um Meile zwischen sie und das Leben drängte, das ihr dereinst so viel bedeutet hatte.
 


 

Tag zwei
 

Am zweiten Tag legte man Farbe und Schrift der Einladungskarten für die Hochzeit fest, entsandte acht Gärtner, die im ganzen Land nach Lieferanten für den Blumenschmuck suchen sollten, und entwarf erste Menüvorschläge, nur um sie gleich darauf wieder zu verwerfen.

Zudem tummelte sich den ganzen Tag eine ganze Armada von Hofschneidern und Putzmachern in den Gemächern Prinzessin Ayas, um Schnitt, Stil und Farbe des Brautgewandes zu erörtern.
 


 

Tag drei
 

Tag drei begann Seine Lordschaft damit, höchstpersönlich seine Unterschrift unter die wichtigsten Einladungen zu kritzeln, was leider den ganzen Vormittag in Anspruch nahm.

Mittags stand erfreulicherweise ein kleines Familienessen an.
 

Hauptmann Nezu fuhr sich mit zwei Fingern unter den Kragen. Ein vergeblicher Versuch, das Ding zu weiten.

Seit wann war die verdammte Uniform zu eng?

„Hauptmann Nezu?“

„Ja?“

„Die Herrschaften lassen bitten.“

Das Lächeln des betagten Dieners sollte vermutlich aufmunternd wirken.

Mit einer tiefen Verbeugung öffnete er die Tür. Ihr Quietschen erinnerte an kalte, unaussprechliche Orte, an denen die bleichen Knochen ungeliebter Feinde bis zu ihrer Pulverisierung zwischengelagert wurden.

Als Takeru die Schwelle überschritt, blickten ihm sechzehn Augenpaare entgegen.

Somit eine recht beachtliche Anzahl an Gegnern. Zumal die Anwesenden größtenteils königlichen Geblüts waren.

Aber er hatte es durchaus schon mit mehr zu tun gehabt.

Neben Feuerlord und -Lady befand sich ihr gesamter Nachwuchs, inklusive diverser Ehefrauen und deren Geschwister, General Iroh, Großfürstin Ursa, Kommandant Koroto und Ria We im Raum - einem der `kleineren´ Speisesäle für dreißig bis vierzig Personen.

Was man eben unter einem intimen, kleinen Kreis so verstand.
 

„Ah, Takeru! Pünktlich wie immer.“

„Herr.“ Takeru neigte das Haupt.

Lady Jin flüsterte ihrem Gatten leise ins Ohr.

„Ja, mein Herz. Aber ich denke, er weiß, dass er eintreten darf. Es macht schließlich wenig Sinn, jemanden zum Essen zu laden, und ihn dann des Zimmers zu verweisen.“

„Zuko!“

„Was denn?“

„Du bist unmöglich!“, zischte Mylady. Dann wandte sie sich an ihren Gast. „Wollt Ihr Euch nicht einen Aperitif nehmen, Hauptmann?“

Um DIESE Zeit?

„Danke, nein.“

Zum Glück trat Prinzessin Aya einige Schritte vor und erlöste den Hauptmann aus seinem Dilemma, indem sie ihn bei den Händen fasste, sich auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen Kuss auf die Wange gab.

„Na, ich schätze, DAS regt seinen Appetit gewaltig an.“

„Lee!“

„Verzeihung, benehme ich mich ungehörig?“

„Du benimmst Dich überhaupt nicht! Weder un- noch ge-hörig“, merkte Mylord nüchtern an. „Aber da das nichts Neues ist, können wir uns auch setzen.“

Er stellte sich an die Stirnseite des großen Tischs und deutete auf den Platz zu seiner Linken. Eine stumme Aufforderung an den zukünftigen Schwiegersohn.

Dieser atmete ein letztes Mal tief durch und stellte sich der Herausforderung.

Selbstverständlich hielt er sich dabei eisern an das Protokoll. Setzte sich erst, nachdem sämtliche Familienmitglieder Platz genommen hatten, griff als Letzter zu Serviette und Besteck.

Na bitte. Alles lief bestens!

Bis auf die Tatsache, dass man an seinem Rückgrat die gesamte isobische Mauer hätte ausrichten können.
 

Kiram, schon immer etwas mehr an den Gemütszuständen seiner Mitmenschen interessiert als seine Brüder, versuchte das Eis zu brechen. Da er eben seine einjährige Grundausbildung beim Militär hinter sich gebracht hatte, versuchte er es mit einer kleinen Anekdote. Dabei griff er natürlich auf seine ganz persönlichen Erfahrungen mit Hauptmann Nezu zurück.

„... das hättet ihr miterleben sollen! Eben steht er noch da wie eine Steinstatue. Total ungerührt. Und bevor wir auch nur blinzeln können, reißt er Doro den Speer aus der Hand und herrscht ihn an. `AN WELCHEM ENDE DER NAHRUNGSKETTE WOLLEN SIE EIGENTLICH STEHEN?´. Der arme Doro starrte ihn an wie ein verschrecktes Bärhörnchen. Und na ja ... irgendjemand musste die Frage ja beantworten. Also tat ich´s.“

„Was hast Du gesagt?“, wollte Zirah wissen

„Ich sagte: `Natürlich dort, wo´s die leckersten Fleischbällchen gibt!´“

Lee lachte schallend, schlug seinem Bruder anerkennend auf die Schulter, während Zirah nur die Augen verdrehte.

„Und sowas ist mein Bruder ...“

„Ja. Aber der Blick, den ich kassiert hab ... Wenn ich nicht zufällig Prinz gewesen wäre, müsste ich den verdammten Kasernenhof heute noch fegen.“

„Ach ja“ Lee seufzte nostalgisch. „Der Kasernenhof. Da werden alte Erinnerungen wach. Ich muss schon sagen, es ist ein komisches Gefühl, mit Meister Gargoyle an einem Tisch zu sitzen. Wenn ich ihm sonst so nahe komme, dann, um meine wöchentliche Tracht Prügel zu kassieren.“

Takeru ließ seine Stäbchen sinken.

„Ja“, stimmte nun sogar Lu Ten zu. „Es gibt keinen erbarmungsloseren Trainingspartner."

Der Hauptmann fand keine Erwiderung. Er war es gewohnt, die Spötteleien der Prinzen mit professioneller Ignoranz zu strafen; nicht jedoch, darauf zu reagieren.

Als sei das alles noch nicht genug, mischte sich Kiram erneut ein.

„Verglichen mit ihm ist selbst Papa die reinste Säuglingsschwester“, meinte er, während er hingebungsvoll an einem Schweinerippchen nagte.

„So?“ Die leise Stimme des Herrschers wehte durch den Raum. „Allem Anschein nach war ich in letzter Zeit zu nachsichtig mit euch. Der Einzige, der hier nicht herumjammert ist mein zukünftiger Schwiegersohn. Heute Nachmittag möchte ich euch alle in der Übungshalle sehen. Wir werden ein kleines Säuglingsschwestern-Programm durchexerzieren.“

Er erntete allgemeines Stöhnen und Augenrollen.

„Vielen Dank auch, Kiram“, maulte Lee.

„DU hast doch angefangen!“

„Ich war aber nicht so dämlich, gewisse Leute als AMME zu bezeichnen.“

Als seine Mutter auflachte bemerkte Prinz Lee seinen Fehler. Allerdings zu spät.

„Nun, Sohn, genau genommen fiel dieser Ausdruck erst jetzt“, sagte Zuko freundlich.

„Oh Mist!“

Niha tätschelte die Hand ihres Ehemannes.

„Ich werd ein paar Eisbeutel bereithalten!“, versprach sie.
 


 

Tag Sieben
 

Am siebten Tag kam es trotz minuziöser Planung zu einer mittelschweren Krise. Die Seide, die man für die Gewänder der Prinzessin auserwählt hatte, war nicht in ausreichender Menge vorhanden!

Meister Di Or konnte nur mit Mühe wieder beruhigt werden.
 


 

Tag zehn, im kleinen Musikzimmer des Palastes
 

Zerfa schlug ihren Bogen in Seide ein und bettete ihn vorsichtig in ein mit Samt ausgeschlagenes Ebenholzkästchen. Danach nahm sie ihre kleine Gum Jo und stellte sie auf einen Ständer. Ganz so, wie sie es bei Aya abgeschaut hatte. Somit war der Unterricht eigentlich beendet.

Das Mädchen biss sich auf die Lippe.

„Aya?“

„Ja, Zerfa?“

„Stimmt es, dass Du ... dass Du Herrn Nezu heiraten wirst?“

„Ja. Das stimmt.“

„Weil er Dich so oft gerettet hat?“

„Nein, das ist nicht der Grund. Zumindest nicht der einzige!“

„Warum dann?“

„Wahrscheinlich, weil er ein sehr tapferer, selbstloser Mann ist. Und sehr klug.“

„Mhm. Ich mag ihn auch.“

„Ja?“

„Klar. Weil ... er beschützt Dich immer.“

„Ja. Das tut er. Und wenn jemals DU in Gefahr wärest, würde er auch Dich beschützen.“

„Wirklich?“, fragte Zerfa mit großen Augen.

„Aber natürlich. Das ist einer der Gründe, warum ich ihn heirate. Er würde niemals zulassen, dass einem Schwächeren etwas geschieht, solange er es verhindern kann.“

„Du ... du magst ihn wirklich sehr, nicht wahr?“

„Ja“, sagte Aya schlicht.

„Obwohl er so furchtbar groß ist?“

Aya lachte. „Soll ich Dir was verraten?“

„Mhm.“

„Ich mag es sogar, dass er so furchtbar groß ist!“

„Echt?“

„Ja. Echt.“

„Dann macht es mir auch nichts!“, beschloss die Kleine großzügig. „Wird Herr Nezu denn jetzt ein Prinz?“

„Nein. Aber ich werde Frau Nezu.“

Frau Nezu. Am liebsten hätte Aya diese Worte stundenlang wiederholt.

„Keine Prinzessin mehr?“, hauchte Zerfa.

„Nein.“

„Aber ... Du bist doch eine!“

„Es ändert sich nur mein Name, Zerfa. Und das ... wird mich sehr glücklich machen!“

„Du willst Frau Nezu werden?“

„Mehr als alles andere.“

„Hat ... hat er Dich denn schon ...“

„Was?“

„Du weißt schon ...“ Das Mädchen wurde rot.

„Ob er mich geküsst hat?“

Zerfa nickte verschämt.

„Ja.“

„Und ... und ... macht es dich froh? Niha sagt, es macht einen sehr froh. Aber Maja sagt, es gibt zu viele ... äh, Bindgänger?“

„Blindgänger?“

„Ja. Das.“

„Nun. Das weiß ich nicht. Ich hab noch nie einen anderen geküsst. Aber, den Hauptmann zu küssen macht mich glücklich. Sehr, sehr glücklich!“

Und ein Bindgänger war er bestimmt nicht. Oh nein!

Zerfa sah in die strahlenden Augen der Prinzessin und konnte es sehen. Es war genau das, was in Prinzessinnenaugen zu stehen hatte.

„Du hast ihn wirklich schrecklich lieb, oder?“

„Schrecklicher als alles andere.“

„Dann ist es auch nicht schlimm, wenn Du keine Prinzessin mehr sein wirst“, meinte das Kind weise.

„Du bist ein sehr kluges Mädchen, Zerfa. Und weißt Du, da ist noch jemand, den ich ganz schrecklich lieb hab.“

„Was?“ Fräulein Koro runzelte die Stirn.

Also ... gleich zwei Leute lieb zu haben war irgendwie ...

„Ja.“ Ein Zeigefinger platzierte sich auf Zerfas Brust. „Dich!“
 


 

Tag 14
 

Obwohl er seiner Dienste als Kage vorübergehend enthoben war, hatte Hauptmann Nezu nach wie vor beide Hände voll zu tun. Oder eher anderthalb.

Nach dem eigenen, täglichen, nun sehr ausgedehnten Training (irgendwie MUSSTE man sich ja abreagieren!) nahm er sich für seine Rekruten nun ebenso viel Zeit. Die Dienstpläne wurden bis ins Kleinste ausgefeilt und selbst jedem noch so unwichtigen Schreibkram wurde zu Leibe gerückt.

Trotzdem fühlte Takeru sich nicht ausgelastet. Und - was bei Weitem schlimmer war - irgendwie unnütz.

Nach einem Tag, den er aus seiner Sicht also weit mehr als weniger verplempert hatte, machte er sich auf den Weg in sein Quartier.

Dort angekommen musste er leider feststellen, dass Hauptmann Osaru frech in seinem Lieblingssessel herum lümmelte.

„Han. Welch uneingeladene Überraschung.“

„Hab Dich nicht so. Ich hab extra einen Untersetzer für mein Glas geholt.“

„Ja. Nur für Deine Stiefel leider nicht“, murmelte der Besitzer des Mobiliars lakonisch und wischte Hans Füße vom Tisch.

„Ich hab Wichtigeres zu tun!“

„Nämlich?“

„Ich bilde mich.“

Takeru warf einen kurzen, abschätzigen Blick auf Hans Lektüre.

„Wie ich sehe beschränkst Du Dich nicht mehr nur auf Bilder. Du hast Dich zu den Buchstaben vorgearbeitet. Respekt!“

„Ha! Haha! Bist ja heute ein richtiger Clown, was? Wundert mich aber gar nicht. Kikio Kimi, die rasante Reporterin des flammenden Blatts schreibt schließlich auch, dass es hinter Deiner frostigen Fassade Überraschendes zu entdecken gäbe.“

„WIE bitte?“

„Ja. Und das ist nur die Überschrift. Hier!“ Laut raschelnd schüttelte Han sein Klatschblatt zurecht. „`Frostiger Frosch oder verwegener Verführer?´ - Also, diese subtilen Alliterationen. Vom Feinsten! Aber warte, ich les‘ weiter - `Auf den ersten Blick ist Takeru Nezu ganz der nüchterne, harte Kämpfer, den wir uns alle immer vorgestellt haben´“, begann er mit dramatischem Unterton in der Stimme. „`Über die Maßen imposant, durchaus attraktiv´ - na ja. Sie kennt ja mich noch nicht - `aber auch ziemlich einschüchternd. Doch dann, auf den zweiten´ - pass auf, jetzt kommt‘s! - `auf den zweiten Blick besticht er durch ein hinreißendes Paar Augen, funkelnd wie helle Mondsteine.´ - Hmm. Sie meint wohl die Eiszapfen, mit denen Du durch die Gegend stierst.“

„MUSS ich mir diese Peinlichkeit anhören?“, seufzte Takeru wenig hoffnungsvoll, während er begann, seine Uniform aufzuknöpfen.

„Aber selbstverständlich! Ich muss sie ja auch lesen!“

„Ach. Du wurdest also gezwungen jedes einzelne dieser Käseblätter zu erstehen?“

„Also bitte! Zumindest die `Frau im Feuer´ ist KEIN Käseblatt, sondern eine wichtige Lektüre, wenn man dazugehören will. Sagt meine Mutter immer.“

„Aha. Und zu was genau willst Du gehören?“

„Ts, ts! Zu ALLEM natürlich! Schon die Albernheit dieser Frage zeugt von Deiner Ignoranz.“

„Gut!“

„Fein! Dann lass mich weiterlesen! Wo war ich? Ach ja, bei Deinen hinreißend funkelnden Edelstein-Guckerlies. Ich muss schon sagen: allem Anschein nach warst Du zu dieser Reporterin WESENTLICH netter, als zu mir immer!“

„Ich habe diese Frau nie getroffen.“

„Sie Dich anscheinend schon. Alsooooooo ... hinreißendes Paar Augen, blablabla Mondsteine - `Als dann auch noch ein kurzes, ungemein betörendes Lächeln aufblitzt, verstehen wir mit einem Mal, wie dieser bislang immer als unterkühlt beschriebene Mann unsere Prinzessin so verzaubern konnte. Ein Held; nicht nur für‘s Volk!´ - Hach!“, Han fasste sich an die Brust. „Dieser letzte Satz. Reine Poesie! Dass ich das noch erlebe: Du als der männliche Part des neuen Traumpaares ...“

„Willst Du mich vielleicht dazu bringen, die Hochzeit abzusagen und das Weite zu suchen?“

„Oh! Brennst Du jetzt DOCH mit mir durch?“

„Han!“

„Huch! Wie‘s funkelt, dieses HIN-reißende Paar Augen ...“

Der Rest des Satzes fiel der blitzschnellen Bewegung zum Opfer, mit der Han einem dicken, überaus wertvollen Folianten ausweichen musste. Gar nicht so einfach, wenn man sich vor Lachen kaum halten kann.

„Vielleicht“, keuchte er. „Vielleicht hat unsere rasante Reporterin dieses Interview ja mit Leutnant Ziang geführt. Er steht auf Dich.“

„Han?“

„Hm?“

„Du wirst auf keinen Fall unser Blumen-Mädchen!“

„Herrje! Heute zerschlägt sich aber auch eine Hoffnung nach der anderen.“

„Han ...“

„Halt! Nicht die ganze Wohnung demolieren! Schließlich zieht hier bald eine Prinzessin ein.“

Takeru starrte Han an.

Han wurde schlagartig ernst und starrte zurück.

„Verdammt!“, murmelte Takeru. „Oh, verdammt!“

„Das kannst Du aber laut sagen.“
 


 

Tag 15
 

„Was meint Ihr damit, Ihr wollt sie KAUFEN?“, fragte Konsul Fu, leicht aus dem Konzept gebracht. Heute war wieder einer dieser Tage ...

„Das was ich sagte“, erwiderte Hauptmann Nezu geduldig. „Die Wohnung des Kommandanten steht, soweit ich weiss, leer, seit Koroto die Gemächer der Großfürstin bezogen hat.“

„Natürlich steht sie leer. Aus diesem Grund hatten wir Euch schon mehrmals angeboten, sie zu beziehen.“

„Ich bin aber nicht der Kommandant.“

„Aber Stellvertretender!“ Tian raufte sich die Haarpracht. „Verstehe ich das richtig? Früher wolltet Ihr die Gemächer des Kommandanten NICHT, weil Ihr nicht der Kommandant seid, aber jetzt WOLLT Ihr sie, obwohl Ihr immer noch nicht Kommandant seid?“

„Korrekt. Aus diesem Grund möchte ich die Wohnung kaufen. Dann hängt es nicht von meinem Rang ab, ob ich sie beziehen kann, oder nicht.“

„Ich ... wart Ihr schon immer so kompliziert?“

„Nicht dass ich wüsste.“

„Gut! Davon abgesehen, dass ich nicht einmal weiß, ob das Domizil des Kommandanten veräußert werden darf, kann ich Euch jedenfalls versichern, dass es auch vollkommen unnötig ist.“

„Konsul Fu, Ihr werdet sicher verstehen, dass ich meine zukünftige Ehefrau unmöglich in meinem alten Quartier unterbringen kann. Es ist zu klein!“

„Wenn Ihr mich fragt, würde Aya mit Euch auch in eine Streichholzschachtel ziehen“, murmelte Tian.

„Was sie aber nicht muss.“

„Nein. Agni sei Dank nicht, denn als stellvertretender Kommandant stehen Euch die Räume zu, wenn der derzeitige Kommandant sie nicht in Anspruch nimmt. Das haben wir, wenn ich mich recht erinnere, schon vor vier Jahren erörtert. Nur habt Ihr damals darauf bestanden, in Eurem jetzigen Quartier zu bleiben.“

„Da es vollkommen ausreichte.“

„Fein. Jetzt tut es das nicht mehr, also bekommt Ihr die Wohnung. Dann ist doch alles in bester Ordnung.“ Mit Schrecken bemerkte Tian die verräterische Tendenz seiner Stimme, unangenehm hoch zu werden.

„Und wenn ein anderer Kommandant eingesetzt wird?“

„Natürlich!“ Zukos rechte Hand warf die Hände in die Luft. „Was glaubt Ihr, wer das dann wohl wäre?“

Takeru versteifte sich.

„Ich will nicht protegiert werden!“

„Protegiert? Wovon redet Ihr, Mann? Ihr wäret so oder so Kommandant geworden.“

„Vielleicht.“

„Nein. Nicht nur vielleicht“, knirschte der Konsul enerviert. „Ich weiß, als Kage untersteht Ihr nur dem Feuerlord und der fürstlichen Familie direkt. Aber wenn ich Euch nun bitten dürfte, anderswo bockig zu sein?“

„Nicht, bevor Ihr mir versprochen habt, die Sache zu prüfen. Ich würde die Räumlichkeiten gerne erwerben!“

„Ich sagte doch, Ihr könnt da wohnen. Warum ist KAUFEN so verdammt wichtig?“

„Vielleicht“, erklang Lord Zukos Stimme aus Richtung der Tür. „Weil er nie in einem Heim gewohnt hat, das er sein Eigen nennen durfte. Als jemand, dessen Kindheit nicht von der Furcht überschatten wurde, plötzlich auf der Straße zu landen, wirst Du das wohl kaum verstehen, Tian. Aber da der Hauptmann kurz davor steht, eine Familie zu gründen, kommt mir sein Wunsch ziemlich verständlich vor. Außerdem,“, setzte er lächelnd hinzu. „Bei der Größe und Ausstattung dieser Gemächer, bessert das unsere Staatskasse ganz erheblich auf. Ich bin dafür!“

„Na toll!“, seufzte Tian. „Er ist dafür! Und WER hat die ganze Arbeit?“

„Tian, mein Freund, ich glaube nach dieser Hochzeit schicken wir Dich erst mal in einen langen Urlaub.“

„Alles, nur das nicht!“, stöhnte der Konsul. „Der Letzte hat mir einen Sonnenbrand, vier neue Bodenvasen und einen unsäglich hässlichen Wandteppich beschert.“
 


 

Tag einundzwanzig
 

An diesem Tag erwarb ein unbekannter Käufer die offiziellen Gemächer des Kommandanten der fürstlichen Leibgarde.
 


 

Tag achtundzwanzig
 

Am Tag achtundzwanzig begannen Heerscharen von fleißigen Helfern, den Palast auf Hochglanz zu polieren.
 


 

Tag einunddreißig
 

Am einunddreißigsten Tag war ganz Tiram Agni auf den Beinen, ob Jung, ob Alt, um die Stadt mit Fahnen, Wimpel und Girlanden zu schmücken.
 


 

Tag zweiunddreißig, Eintreffen wichtiger Staatsgäste
 

An diesem Tag war die Flugplattform des Palastes Schauplatz eines freudigen Wiedersehens. Hoher Besuch stand ins Haus.

Zwar traf man sich ohnehin vier Mal pro Jahr, aber eine Hochzeit war allemal Anlass zu erhöhter Freude.

„Wo ist der Glutschädel?“

„Toph!“

Bevor Zuko seine alte Freundin umarmen konnte, funkte ihr Nachwuchs dazwischen.

„Onkel Zukoooooo!“

„Himmel! Bist Du gewachsen?“ Ächzend hob Zuko Tophs Tochter vom Boden.

Trotz des Spottes wurde er stürmisch umhalst.

„Seit der Taufe von Hsui? Eher nicht!“

Man umarmte sich, klopfte sich auf den Rücken und versuchte Mylord aus der Reserve zu locken. Ehrensache!
 

„Aya? Wo ist das Kind denn?“

„Hier, Onkel Aang.“

Lächelnd drehte der Avatar sich um.

„Nun sieh Dich doch nur mal an!“, sagte er leise. „Scheinst vor lauter Glück heller, als eine Laterne zum Lichterfest.“

Dafür wurde er fest und lange umarmt.

„Hallo?“ Die ehrenwerte Toph Bei Fong klopfte, die Hände in die Hüften gestemmt, mit dem Fuß auf den Boden. „Wenn andere die Braut auch mal begrüßen dürften?“

Aang drückte Aya einen Kuss auf die Stirn und räumte grinsend das Feld.

„Komm her, meine Süße, und lass Dich quetschen!“ Ja, jetzt war eindeutig Toph an der Reihe. „Ich muss Dir doch zu Deinem hervorragenden Geschmack gratulieren!“

„Mama! Du weisst doch gar nicht, wie der Mann aussieht.“ Mei-Ling, Tophs Jüngste, verdrehte die Augen.

„Gut?“, schnaubte Toph.

„Ich finde, ja. Aber DU weisst das ja nicht.“

„So? Erstens: er ist Erdbändiger. RIESEN Pluspunkt. Da KANN er gar nicht schlecht ausseh‘n. Zweitens: ist er lange genug bei uns gewesen, dass ich die Reaktionen sämtlicher Weiber auf ihn mehr als deutlich spüren konnte. Der Kerl hat ein mittelschweres Erdbeben ausgelöst, wenn er sich gewaschen hat. Und die letzten paar Male, die ich ihn gesehen ... Pardon, ERLEBT habe, war‘s nicht viel anders. Zumindest bei Aya. Wird sie etwa rot?“, fragte Zukos engste Freundin unschuldig.

„Ja“, bestätigte ihre Tochter ohne die geringsten Gewissensbisse.

„Wusst ich‘s doch!“ Toph grinste von einem Ohr zum anderen. „Bei ihr hat jedenfalls immer alles komplett verrückt gespielt, wenn Takeru in der Nähe war.“

„Sie wird noch roter“, assistierte Mei-Ling bereitwillig.

„So. Du hast es also gewusst, und nichts gesagt?“, wollte Zuko mit verschränkten Armen wissen.

„Und Dir den Spaß verderben? Nie und nimmer! Wo ist der Eisenbieger überhaupt?“

„Schiebt Dienst.“

„Und begrüßt nicht mal seine alte Lehrmeisterin? Na, das hab ich gern.“
 

Weiter hinten ergriff Naren, Aangs und Kataras ältester Sohn, eine seiner Meinung nach unschlagbare Gelegenheit.

„Na, so was!“ Jovial schlug er Prinz Kiram auf die Schulter. „Sieh mal an, wer da endlich erwachsen geworden ist.“

„Ja. Und sieh an, wer nicht!“, erwiderte Kiram zuckersüß, was ihm einen Ellbogen in die Rippen einbrachte.

Katara ihrerseits, hatte Jin heimlich beiseite gezogen, um über diverse Hochzeits-Überraschungen zu beratschlagen.

Über das allgemeine Geschnatter und Gelächter hörte man Aangs Stimme.

„Wo ist das Baby?“

Avatar Aang war verrückt nach Babys. Je heftiger sie ihn besabberten, desto besser. Und er war obendrein auch noch jederzeit bereit, seine Sonderstellung schamlos auszunutzen, um auf jedes sich in seiner Nähe befindliches Kleinkind sofort Anspruch zu erheben.

„Agni, halt sie bloß gut fest!“, murmelte Lee seiner Frau zu, die Hsui auf dem Arm hielt.

„Zu spät“, flüsterte Niha, als der Luftbändiger mit breitem Lächeln und ausgebreiteten Armen auf sie zukam.
 


 

Tag dreiunddreißig. Endlich!
 

Im Quartier Takeru Nezus herrschte seit dem Morgengrauen konzentrierte, stille Betriebsamkeit.

Der einzige Mensch, der aller Wahrscheinlichkeit nach noch früher auf den Beinen gewesen sein dürfte als Takeru und Han, war der junge Adjutant Hauptmann Nezus. Seine erste Amtshandlung hatte darin bestanden, ordentlichen Kaffee und Tee zu brauen. Danach hatte er sorgfältig die eigens für heute angefertigte Paradeuniform bereitgelegt.

Im Augenblick war er dabei, die Koffer des Hauptmanns zu packen, wobei das Gepäck zu seinem Leidwesen zum größten Teil aus Bergen von Büchern bestand.

Dieses gewichtige Problem interessierte die beiden anwesenden Kage allerdings kein bisschen und so plagte sich Leutnant Cheng allein weiter.

Han, heute ungewohnt ernst, rückte die Schulternähte seines Freundes zurecht, drehte ihn energisch um, strich sorgsam jedes noch so kleine Fältchen am Rücken aus und entfernte gewissenhaft eine letzte Fluse, die es gewagt hatte, sich auf diesem Gesamtkunstwerk einer Uniform niederzulassen.

In der Tat hatte der Schneider sich diesmal selbst übertroffen.

Anders als die etwas schlichtere, burgunderfarbene Galauniform war die Paradeuniform eines Kage in Blutrot gehalten und an Manschetten und Kragen mit kostbaren, goldenen Stickereien versehen. Der Waffenrock war kürzer als üblich, endete zwei handbreit über den Knien. Geschlossen wurde er mittels sieben Reihen goldener Tressen, die sich quer über den Brustkorb spannten und auf beiden Seiten mit Knebelknöpfen aus Drachenhorn befestigt wurden.

Die enganliegenden, elfenbeinfarbenen Hosen modellierten jeden Muskel eines überaus beeindruckendes Beinpaares, dessen Unterschenkel in kniehohen, auf Hochglanz polierten, schwarzen Stiefeln steckten.

Vervollständigt wurde die Paradeuniform durch eine hüftlange, prunkvolle Überjacke die jedoch nur lässig über die linke Schulter drapiert wurde, so dass die rechte Hälfte auf den breiten Rücken ihres Trägers fiel.

Diesen für hiesige Verhältnisse doch recht extravaganten Stil hatte man Lord Hanaka III zu verdanken; einem modischen Visionär, der seinerzeit großen Gefallen an den damals allseits beliebten Husaren-Uniformen des Erdkönigreichs gefunden hatte.
 

Dieses wahre Prachtstück seiner Art kleidete nun also Hauptmann Nezu.

Ein letztes Mal drehte Han seinen Freund langsam um die eigene Achse und begutachtete jeden Quadratzentimeter. Ein knappes Nicken, dann trat er zur Seite.

Ein kurzer Blick in den Spiegel sagte Takeru, was er ohnehin schon wusste. Die Uniform saß wie angegossen, Waffengurt und Schärpe sahen aus wie aus dem Lehrbuch und die Orden hätte selbst er nicht akkurater platzieren können. In Krisenzeiten war auf Han eben zu einhundert Prozent verlass.

Takeru nickte seinem Waffenbruder zu und bekam als letztes Accessoire ein Paar bestickter, schwarzer Lederhandschuhe ausgehändigt.

„Gut. Dann lass und mal die Stadt verlassen, Herr Nezu.“

„Ja. Han?“

„Hm?“

„Danke!“

„Ist mir eine Ehre“, sagte Han ernst.
 

Die Beiden gingen aus den Palast und in Richtung der Ställe, wo Are und Xerxes bereits warteten. Die Tiere trugen wertvolle Prunksättel, Silberglöckchen am Zaumzeug und bunte Bänder in Schweif und Mähne. Ihre Herren saßen auf und ritten schnurstracks durch einen Nebeneingang. Von hier waren es nur vierzig Meter bis zum Westtor der Stadtmauer. Es war das kleinste und schmuckloseste Tor der Befestigung, dessen Existenz nur wenigen bekannt war.

Nachdem sie Tiram Agni nun offiziell hinter sich gelassen hatten, Schwenkten sie nach Süden ab, um die Stadtmauer zu umrunden. Ziel war das große Osttor.
 

Es mag etwas seltsam anmuten, dass Takeru den Palast und die Stadt ausgerechnet am Morgen seines Hochzeitstags so sang und klanglos verließ, doch er hatte - wie meistens - gute Gründe hierfür.

Es war, wie konnte es auch anders sein, eine alte Tradition.

In der Familie des Feuerlords wurden Bräute als Geschenk betrachtet, da sie als zusätzliche Töchter aufgenommen wurden. Stolperte jedoch ein junger Mann auf Freiersfüßen über ein Mädchen der königlichen Sippe, lag der Fall eindeutig anders.

Jungs hatten sich weit mehr ins Zeug zu legen. Selbstredend!

So hatte vor rund 800 Jahren Lord Ume einem verfeindeten Kriegsfürsten die Hand seiner Tochter als Unterpfand eines dauerhaften Friedens nur unter einer Bedingung versprochen: nämlich, dass jener Herr einen Spießrutenlauf durch ganz Tiram Agni absolvierte. Ließen die aufgebrachten Bürger ihn am Leben, wäre die Prinzessin sein.

Wenn nicht dann ... nicht.

Dieser Brauch war beibehalten worden und so hatten die Bewohner der Stadt stets die Gelegenheit, ihre Meinung zur anstehenden Vermählung kund zu tun.
 

Die Meinung zu DIESER royalen Hochzeit stand zwar bereits seit langem fest, musste aber noch an den Bräutigam gebracht werden.

Der saß momentan neben Hauptmann Osaru auf seinem Hirschzebra und starrte auf das stolze Wahrzeichen der Stadt. Dahinter herrschte gespenstische Stille.

Hans Hengst warf den Kopf und brachte die Festtagsglöckchen zum klingeln.

Dann begannen die riesigen, massiven Flügeltüren des Tors sich langsam zu öffnen.

„Agni!“, hauchte Han, als er der Menschenmenge ansichtig wurde. Hier war nicht nur ganz Tiram Agni auf den Beinen, nein, halb Ba Sing Se schien sich kurzerhand dazu gesellt zu haben. Und angesichts der ein oder anderen blauen Kluft, waren wohl auch etliche Mitglieder der Wasserstämme angereist.

Als der Lärm losbrach, war er dermaßen ohrenbetäubend, dass selbst die sonst so gelassene Are zur Seite tänzelte.

„Ho! Ruhig, Mädchen!“

„Also dann ... nach Dir!“ Han machte eine auffordernde Handbewegung.
 

Der aufbrandende Jubel war bis in den Palast zu hören und wehte natürlich auch durch die offenen Türen und Fenster der Räumlichkeiten in denen die Braut für den heutigen Tag vorbereitet wurde.

Geschickt wand Aya sich aus den unzähligen, helfenden Händen und lief, nur in ihr Unterkleid gehüllt, auf den östlichen Balkon.

Zu Füssen des Palastes lag die bunt geschmückte Stadt.

Selbst aus dieser Entfernung konnte man die ungeheuerlichen Menschenmassen in den Straßen erkennen. Der dichteste Pulk hatte sich am Osttor gebildet, wo die Leute bunte Fähnchen schwenkten und gefärbten Reis in die Luft warfen. Von hier oben sah es aus, wie ein filigranes, fröhliches Feuerwerk.

„Sie kommen!“

„Aber natürlich, Spätzchen.“

„Die Leute sind ja total aus dem Häuschen!“, staunte Niha.

„Schreien sie etwa seinen Namen?“ Fassungslos blickte Yuna Nezu auf die Szene unter sich.

„Ja. Ich würde sagen, wir können das Wohlwollen der Bürger als gegeben voraussetzen.“ Mylady strahlte mal wieder.

„Wen auch immer ich abbekommen werde ...“ murmelte Zirah lakonisch. „Ich bezweifle, dass er ebenso bejubelt wird.“

„Aber mögen werden sie ihn auch!“, tröstete Jin resolut. „Zumindest wenn Dein Vater es anordnet. So, jetzt aber Marsch! Wir sind noch nicht fertig!“

Sie schnappte Aya, die mit verklärten Augen auf die Stadt geblickt hatte, am Arm und zog sie ins Zimmer zurück.
 

Hier warteten drei Zofen mit dem Hochzeitsgewand.

Es war für hiesige Verhältnisse recht schlicht und nicht ganz so bunt, wie es die Mädchen hierzulande vorzogen, denn Aya hatte darauf bestanden, die Farben ausschließlich an die Uniform ihres Verlobten anzupassen.

Schimmernde, elfenbeinfarbene Seide bildete die Basis des kostbaren Kimonos. Unterhalb der Brust und zu den Ellbogen hin waren hier und da winzige goldfarbene Ornamente eingestickt worden, die nach und nach immer dichter und üppiger wurden. Langsam ging der warme Goldton in golddurchwirktes Rot über, um unten und an den weiten Glockenärmeln in furiosem, sattem Blutrot zu enden. An den Säumen bildeten abertausende hauchdünner Goldfäden eine kostbare, überaus kunstvolle Bordüre.
 

„So!“, meinte Jin nach erstaunlich kurzer Zeit. „Fertig.“

Die weiblichen Familienmitglieder traten allesamt einen Schritt zurück, um die Braut in Augenschein zu nehmen.

„Gute Güte, Aya!“, hauchte Pippa. „Du siehst wunderschön aus!“

Tante Ria schnäuzte sich vernehmlich, während Ursa Tatzu ihre Enkelin nur anstrahlte.

„So. Nun müssen wir uns nur noch um das Blumenkind kümmern“, sagte sie dann.

„Baumkind“, korrigierte Yuna automatisch.

„Wie auch immer“, lenkte Zukos Mutter ein. „Wo ist Zerfa?“

„Hier“, piepste es etwas verhalten.

„Na, dann komm mal her.“

Ursa hielt eine Miniatur-Ausgabe von Ayas Kimono in die Höhe, der jedoch statt des satten Rots einen wundervollen Grünton aufwies.
 

Verwundert ritt Hauptmann Nezu im Schritttempo durch die Stadt, die seit nunmehr sechsundzwanzig Jahren seine Heimat war. Der Lärm war ohrenbetäubend und teilweise konnten er und Han vor lauter schillernd buntem Reis-Regen kaum die Straße erkennen.

„Agnis Segen!“

Eine ältere Frau drückte Takeru ein Seidenband in die Hand.

Mittlerweile flatterten unzählige dieser Bändchen, die mit Glückwünschen und Gebeten bedruckt waren, an Geschirr und Sattel seiner Stute.

„Agnis Segen!“ Ein weiteres Band landete über einem Zügel.

„Möge die Erdenmutter mit Euch sein!“

Takeru nickte nach Links und Rechts, berührte ausgestreckte Hände und versuchte sich seine Verwirrung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

Han ritt mit breitem Lächeln hinter ihm, hielt aber vorsichtshalber ein wachsames Auge auf die Menge.

Insgesamt kam die kleine Prozession weit langsamer voran als geplant.

„Wir kommen zu spät, Han!“, rief Takeru über die Schulter.

„Sag an!? Und sauber machen muss ich Dich nachher auch erst wieder.“

„Ich komme niemals zu spät!“

„Ja. Irgendwann passiert eben alles im Leben zum ersten Mal. Ich bin sicher, sie wartet auf Dich.“
 

Da der Zeitplan derart durcheinander geraten war, kam Prinzessin Aya, fix und fertig angekleidet, in den Genus, sich das Spektakel von ihrem Platz, hoch über den Dächern Tiram Agnis, aus anzusehen.

Es war unglaublich, wie vollgestopft die Stadt war. Die fröhlichen Rufe der Leute mischten sich mit den Glocken und Gongs der Tempel.

Trotz der Überfüllung, war immer zu erkennen, wo Bräutigam und Trauzeuge sich aufhielten, denn um sie herum wogte ein buntes Kaleidoskop aus Fähnchen, Seidenbändern und Reisfontänen. Es sah aus, als winde sich eine träge, farbenprächtige Schlange langsam auf den Palast zu.

„Nun, Flämmchen, sieht ganz so aus, als würde dein Zukünftiger sich verspäten.“ Der Feuerlord trat neben seine Tochter. „Aber was für ein Anblick!“

„Ja. Scheinbar verursachen die Hochzeiten unserer Mädchen einen noch größeren Aufruhr, als die der Jungs.“

„Zumindest diese“, stimmte Mylord seinem Weibe zu. „Aber lass das ja nicht Lee hören!“

„Himmel. Nein!“

Nach einem leisen Klopfen öffnete sich die Tür, um General Iroh einzulassen.

Er gab seinem Neffen ein kurzes Zeichen.

„Gut“ Zuko fasste Aya bei den Händen. „Ich denke, es wird Zeit. Bist Du bereit?“

„Mehr als bereit.“

„Mäuschen!“ Lady Jin unterdrückte ein Schniefen.

„Kobold, sie bleibt uns doch erhalten. Das ist einer der unschlagbaren Vorteile dieses speziellen Schwiegersohns.“

„Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, ihr hättet das alles geplant“, meinte Aya mit schief gelegtem Kopf.

„Also, wenn‘s nach mir gegangen wäre, hätten wir schon vor sieben Jahren Nägel mit Köpfen gemacht“, murmelte Zuko.

„Ja, Du hattest schon immer einen Narren an dem Jungen gefressen“, brummte Iroh, bevor er seine Großnichte umarmte und ihr einen Kuss auf die Stirn drückte.
 

Wenig später betrat der General zusammen mit Zuko einen offenen Vorraum, dessen geschwungenes Dach von schlanken Säulen getragen wurde. Die Südseite dieses Raums mündete in den Platz der ewigen Flamme. In dieser kleinen, aber prunkvollen Loggia hatten sich alle männlichen Mitglieder des Tatzu-Clans eingefunden.

Die Damen - inklusive der Mutter Hauptmann Nezus - warteten auf der gegenüberliegenden Seite in einer exakt spiegelsymmetrischen Version dieses Raumes.

„Ein kurzer Schmatzer. Mehr wird sie nicht bekommen“, meinte Lee in eben diesem Augenblick.

„Eine Sekunde, längstens“, stimmte Lu Ten mit einem Nicken zu.

„Mumpitz!“, schnaubte Kiram. „Ich sage, es wird ein ordentlicher Kuss.“

Zukos Braue zuckte nach oben.

„Habe ich eben richtig gehört?“, erkundigte er sich gedehnt, „Ihr schließt Wetten über den Kuss ab?“

„Äh ...“

„Wessen Idee war das? Lee?“

„Um ehrlich zu sein ...“ Lee rieb sich die Nase. „Es war Onkel Iroh.“

„Also, einen alten Mann so ans Messer zu liefern!“, empörte sich der General.

„Was soll ich denn machen?“ Lee legte seinem Großonkel begütigend eine Hand auf die Schulter. „Er merkt es jedes mal, wenn ich mit der Wahrheit zu kreativ umgehe.“

„Schluss jetzt!“ Zuko verschränkte die Arme. „“Wer hat was gewettet?“

„Jeder von uns hat 5000 Jy gesetzt“, gestand der Kronprinz gelassen. „Lee, Zirah, Onkel und ich erwarten den obligatorischen, kurzen Schmatzer. Nur Kiram rechnet mit mehr.“

„Lachhaft!“, brummte Lee. „Wir sprechen immerhin über den Granitbeißer. Er hält es schon für anstößig, andere Leute in der Öffentlichkeit zu grüßen. Außer er darf ordnungsgemäß salutieren.“

Die Augen des Herrschers wurden schmal.

Der Drachenblick verhieß selten etwas Gutes ...

„Was Kiram sagt!“, entschied er dann.

„Äh ... was?“

„Es wird ein langer, inniger Kuss werden.“

Lee blinzelte ungläubig „Du weisst schon, über wen wir sprechen?“, fragte er.

„Sicher. Und ich stimme eurem Bruder zu. Der Hauptmann wird eurer Schwester einen anständigen Kuss verpassen.“

„Wirklich? Meister Gargoyle?“

„Macht alles was er anpackt ordentlich!“

„Seltsam. Dieses Argument hatte Pippa auch angeführt“, murmelte Lu Ten nachdenklich.

„Äh. Kann ich mich noch umentscheiden?“, erkundigte sich Lee spontan.

„Nein!“, kam es aus vier Mündern gleichzeitig.
 


 

Vor den Toren des großen Platzes
 

„HerrgottnochmalHAN!“

„Ich kann auch nichts dafür, dass die Leute Dich mit Reis torpediert haben. Und wenn Du Dich ausnahmsweise BÜCKEN könntest, dann käme ich auch an das Zeug in Deinen Haaren!“, zischte Hauptmann Osaru.

Takeru hatte eine bessere Idee. Er beugte sich vornüber, durchwuschelte mit beiden Händen energisch das, was Han eine Frisur nannte (es waren nur Haare, um Himmels Willen!) und schüttelte sich zum Abschluss wie ein nasser Hund.

„Was ... TAKU! Du bringst alles durchein ... Wie hast Du das gemacht?“

„Was gemacht?“

„Na ... DAS! Du siehst ...“ Hans ungläubiger Blick wanderte an seinem Freund auf und ab. „tipptopp aus.“

„Es wird reichen.“

„Sicher. Sagte Herr `Ich-häng-meine-Orden-mit-der-Wasserwaage-auf´.“

„Ich bin unter leichtem Zeitdruck!“, quetschte Zukos Blutwolf durch die strahlend weißen, um nicht zu sagen gefährlich blitzenden Beißerchen.

Seinen Begleiter beeindruckte das wenig. Dem brannten hunderte spitzzüngiger Bemerkungen auf derselbigen, aber er hielt sich eisern zurück, da heute der bislang wichtigste Tag im Leben seines Freundes war.

So schluckte Han seinen Sarkasmus heldenhaft hinunter und drehte sich in Richtung des großen Tores, welches den Eingang zum Platz der ewigen Flamme versperrte. Er nickte den beiden Wächtern zu.
 

„Tooooor öffneeeen!“, rief der wachhabende Offizier.

Langsam, unter lautem Knarzen und Ächzen bewegten sich die großen Flügeltüren. Der heilige Platz, auf dem alle Krönungen, Hochzeiten Taufen und Bestattungen des Palastes zelebriert wurden, war ebenso mit Menschen vollgestopft, wie die Straßen der Stadt es gewesen waren. Nur herrschte hier eine feierliche, erwartungsvolle Stille.

„Mein Auftritt“, murmelte Han, straffte sich und durchschritt die Pforte.

Aufrecht, ohne nach Rechts oder Links zu blicken, marschierte er den schnurgeraden, breiten Weg entlang. Nach 300 Metern erreichte er die sieben Stufen, die zur marmornen Plattform führten, auf der in einer großen, flachen Schale ein ruhiges Feuer brannte.

Gelöscht wurde dieses Feuer nur wenn die sterblichen Überreste eines kürzlich verstorbenen Feuerlords dieser Flamme übergeben worden waren. Erst wenn ein neuer Herrscher gekrönt wurde, entzündete man sie erneut. Augenzeugen der letzten Krönung berichteten noch immer, wie sich die Schale bei der Amtseinsetzung Zukos II von selbst entflammt hatte.

Am Fuß der mächtigen Treppe beugte Han ein Knie und neigte das Haupt vor der Herrscher-Familie.

„Mein Lord, ich komme, um das Anliegen meines Freundes vorzutragen.“

„Sprich!“

„Takeru Nezu bittet um die Vermählung mit Eurer Tochter, Prinzessin Aya Ria Tatzu.“

„Kannst Du für ihn Bürgen?“

„Mit meinem Leben, Herr!“

„Er soll vortreten.“
 

Das Stichwort. Takeru atmete ein letztes Mal tief durch, und schritt dann den gleichen Weg entlang, wie eben noch Han. Am Fuße der Treppe, genau in der Mitte der untersten Stufe, wo eine schmale, goldene Ader die Stufen hinauf führte, ließ er sich neben seinem Freund auf ein Knie sinken.

„Du begehrst meine Tochter zur Frau?“

„Ja, mein Lord.“

„Wirst Du sie in Ehren halten?“

„Ja, mein Lord.“

„Sie vor Schaden bewahren?“

„Ja, mein Lord“

„Aya?“

„Ja, Vater?“

„Du hast diesen Mann gehört. Akzeptierst Du seine Werbung?“

„Ja, Vater.“

„Dann soll es so sein!“

Zuko machte einige Schritte zurück um seinen Platz für den Hohepriester zu räumen.

Das heißt - eigentlich waren es zwei. Der oberste Feuerweise und ein Schamane der Erdbändiger.

Der Feuerweise begann die Zeremonie.

Er machte eine auffordernde Handbewegung in Richtung Hauptmann Nezus. Dieser stand auf, und ging die große Freitreppe hinauf, exakt der goldenen Linie in ihrer Mitte folgend.

Als er die oberste Stufe erreicht hatte, fielen seine Augen unwillkürlich auf Aya. Es raubte ihm den Atem. Wieder einmal.

Widerstrebend nahm er den Blick von seiner Braut.
 

„Meine Güte“, murmelte Lee seinen Brüdern aus dem Mundwickel zu. „Habt ihr diesen Blick gesehen?“

„Wir sollten den guten Hauptmann bis zum Abend wohl unter Beobachtung stellen“, kam die leise Erwiderung Lu Tens.

„Und vorsichtshalber alle Besenkammern abschließen“, flüsterte Kiram. „Denkt an unsere Wette! Bei dem Blick eben stehen meine Chancen ganz hervorragend. Verabschiedet euch schon mal vom Wettgewinn!“

„In Deinen Träumen!“, quetschte Lee durch sein strahlendstes Lächeln.
 

Währenddessen hatte sich der Hauptmann am Rand der obersten Stufe niedergekniet, das Gesicht der Menschenmenge auf dem großen Platz zugewandt.

Der Feuerweise begann nun ihn zu umkreisen, wobei er Weihrauch zwischen den Händen zerrieb und erhitzte, als symbolische Reinigung von allen Fehlern der Vergangenheit.

Nun war die Reihe an Prinzessin Aya. Sie reichte dem Geistlichen ihre Rechte und ließ sich fünfmal um ihren zukünftigen Ehemann führen, bevor sie sich vor ihn hinkniete, das Gesicht ebenfalls den Zuschauern zugewandt.

Auf dem Platz herrschte eine erwartungsvolle, fast unheimliche Stille.

Takeru breitete die Arme aus und sprach die seit Jahrtausenden überlieferten Worte.

„Seht das Weib, das ich erwähle!“

„AGNI!“, rief die Menge.

„Mein Feuer sei das Deine!“

„Meine Flamme für Dich!“, antwortete Aya mit klarer Stimme.

„AGNI!“

Der Bräutigam führte seine Arme nach vorn, so dass die Braut ihre Hände mit zum Himmel gerichteten Handflächen in seine legen konnte.

„Meine Liebe für Dich!“

Trotz seines zeremoniellen Tonfalls, durchliefen Aya kleine Schauer, als sie die Vibrationen der tiefen Stimme an ihrem Rücken spürte.

„Mein Herz sei das Deine!“, rezitierte sie.

Takeru hob die Arme über ihre Köpfe, Ayas Hände noch immer in seinen, bis ihre Handflächen einen flachen Kelch bildeten, in dem der Hohepriester eine helle Flamme entstehen ließ.

Ein letztes, begeistertes „AGNI!“ brach aus der Menge hervor.

„So sei es!“, rief der Feuerweise und bedeutete den Brautleuten, sich zu erheben.

Jubel brandete auf, denn eigentlich fehlte jetzt nur noch der Kuss, um den geschlossenen Bund zu besiegeln.

Bei einer normalen Hochzeit.

Doch diese war ein bisschen ungewöhnlicher.

Tomo, Hohepriester und Feuerweiser der Feuernation, trat in den Hintergrund, um seinem ehrenwerten Kollegen aus dem Erdkönigreich Platz zu machen.
 

Der Schamane wartete, bis der Lärm sich gelegt hatte, trat zwischen Takeru und Aya, nahm sie bei den Händen und begann die Zeremonie der Erde.

„Esbah, Erdenmutter, sieh diese Deine Kinder mit wohlwollenden Augen an. Ihre Liebe soll sein stark wie der Fels, tief wie das Erdreich, und fruchtbar wie der Kondo-Baum! Aya, Tochter von Jin, willst Du eins werden mit diesem Mann?“

„Ja, das will ich.“

„Takeru, Sohn von Takeo, willst Du verwachsen, mit dieser Frau?“

„Ja, das will ich.“

„Dann kniet nieder.“

Erneut kniete sich das Brautpaar auf den Boden, diesmal jedoch einander zugewandt.

Der Schamane klatschte in die Hände, um dem Baumkind ein Zeichen zu geben.

Mit ernstem Gesicht trat Zerfa aus dem Schatten und ging langsam auf den Schamanen zu. Zwischen den Händen hielt sie vorsichtig einen Batzen Erde, der die Wurzeln eines winzigen Schösslings barg. Schließlich überreichte sie ihre kostbare Fracht und begab sich, strahlend vor Stolz, zu Yuna Nezu zurück.

„Reicht euch die linke Hand“, forderte der Schamane das vor ihm kniende Paar auf. Nachdem sie dies getan hatten, nahm der heilige Mann den Erdklumpen, bettete ihn zwischen ihrer beider Hände, hielt seine eigenen darüber und begann, eine Beschwörungsformel zu murmeln.

Erstauntes Raunen ging durch die Menge, als sich zwischen den Handflächen von Braut und Bräutigam nun kleine, zartgrüne Blätter und Keime hervor schlängelten. Die filigranen Adern begannen langsam und anmutig, sich um die ineinander verschlungenen Hände zu ranken.

„Esba, Erdenmutter, lass diese Deine Kinder zusammenwachsen, bis nichts mehr sie trennen kann. Lass sie Leben hervorbringen, wie Du es tust. Lass sie im Gleichgewicht aller Dinge ihren Platz finden.“ Er hielt inne, bis Aya und Takeru aufgestanden waren. Dann sprach er den Satz, auf den die Zuschauer aus dem Erdkönigreich gespannt warteten:

„Ihr seid nun eins!“
 

Die Bürger der Feuernation schielten etwas ratlos zu ihren Gästen aus dem Erdkönigreich. Jubelte man jetzt, oder wie oder was?

Nein. JETZT kam zuerst der Kuss.

Und ... es war ein ordentlicher, schön langer, durchaus leidenschaftlicher Kuss, den Hauptmann Nezu seiner Frau gab!

Die Menschen auf dem Platz der ewigen Flamme hielten zuerst die Luft an, und brachen dann in Hochrufe aus. Nun zeigte sich, dass auch hier Fähnchen, Bänder und Reis mitgebracht worden waren. Der Platz verwandelte sich in ein Meer aus wogenden Farben.

Seine Lordschaft betrachtete das Ganze mit einem zutiefst zufriedenen Gesichtsausdruck.

„Mist“, zischte Lee. „Hat irgendjemand ihm die Erlaubnis gegeben, mit der Zunge nach Ayas Mandeln zu suchen?“

„Sei ein guter Verlierer, mein Sohn.“

„Hast Du ihm befohlen so ranzugehen?“

„Nein. Wie kommst Du darauf? Der Hauptmann weiß eben, was angemessen ist, und was nicht.“

„Es ist angemessen, meiner kleinen Schwester fast die Rippen zu brechen?“

„Durchaus.“
 

Weiter vorn beendete man einen mehr als angemessenen Hochzeitskuss.

Nachdem die Umarmung sich gelöste hatte, stand Aya an ihren frischgebackenen Ehemann geschmiegt da und winkte in die Menge. Dieses Meer glücklicher Gesichter, ließ sie selbst strahlen.

Aus einem Impuls heraus, wandte sie sich Takeru zu, legte die rechte Hand an seine Wange, und zog sanft sein Gesicht zu sich.

Dieser zweite, außerplanmäßige Kuss wurde natürlich entsprechend laut quittiert.
 

„Sag mal, Lu, spinn ich, oder jubeln die lauter als bei uns?“, rief Lee über den Lärm hinweg.

„Ja. Tun sie.“

„Es reicht wohl nicht, dass es bei dieser Hochzeit ein ganzes Tee-Service mit Bildern des Brautpaars gibt, statt wie bei uns nur ein paar schnöde Reis-Schalen. Nein, man muss sich vor Begeisterung auch noch die Lunge aus dem Leib brüllen.“

„Sieh´s doch einfach so: Bei Deiner Vermählung war die Hälfte der Gäste - vorwiegend die Weibliche würde ich meinen - damit beschäftigt, still und leise vor sich hin zu weinen“, riet Lu Ten.

„Die Sichtweise gefällt mir!“
 

Mylady blinzelte ihren verräterischen Tränenschleier fort und sah über die Köpfe ihrer Kinder und Anverwandten hinweg zu Yuna.

Wehmütig, verloren, fast traurig betrachtete Takerus Mutter die Szene. Plötzlich wusste Jin, warum ihre treue Yuna heute den ganzen Tag schon so still gewesen war. Sie dachte an den Mann, der all dies nicht miterleben konnte. An einen Mann, der niemals seinen Sohn hatte aufwachsen sehen. Sie dachte an den Mann, den sie mehr als alles andere auf der Welt geliebt hatte und den sie doch nur so kurz hatte haben dürfen.

Jins Herz zog sich zusammen. Sie löste verstohlen ihre Finger aus Zukos Griff und huschte hinter ihrer Familie vorbei zu Yuna, stellte sich neben sie und nahm deren Hand in ihre. Mehr brauchte es nicht. Und obwohl Yunas Tränen nun endlich überflossen, lächelte sie zum ersten Mal an diesem Tag wirklich glücklich.

Manchmal sind Mütter eben wunderliche Wesen, die nur eine Mutter auch verstehen kann.
 

Nachdem der letzte Gratulant das frischgebackene Ehepaar passiert hatte, konnten Aya und Takeru sich ihrem Fest, das bereits seit Stunden im Gange war, endlich anschließen.

Wie viel sie von dem Spektakel allerdings mitbekamen, sei dahingestellt.

Während Takeru eher mit einer wachsenden ... Ungeduld zu kämpfen hatte, saß Aya gewissermaßen auf glühenden Kohlen der Ungewissheit.

Man hatte ihr zwar versichert, es gäbe keinerlei Grund zur Angst, aber die Informationsfetzen, die sie zum Thema Ehevollzug erhalten hatte waren wirr und teilweise widersprüchlich.

Jedenfalls spielte die Zeit total verrückt. Mal schienen sich die Körnchen der Sanduhr überhaupt nicht zu bewegen und mal flutschte ein ganzes Stundenglas davon in einem Rutsch durch.
 

Irgendwann - die Männer der Leibwache hatten eben einen Schaukampf aufgeführt, der nur zu ganz besonderen Anlässen gezeigt wurde - tippte Jin ihrer Tochter auf die Schulter.

Aya wurde heiß, kalt und wieder heiß. Schulter-Tippen bedeutete für die Braut, dass der Moment der Wahrheit unaufhaltsam näher rückte. Plötzlich wünschte sie sich inständig, der Hauptmann hätte sich ab und an weniger vorbildlich benommen, dann hätte sie die `Sache´ vielleicht schon einmal hinter sich gebracht.

„Schatz, wir müssen gehn“, flüsterte Lady Jin.

„Ja. Gut. Ich dachte nur ... die Tänzer vielleicht noch?“

„Nach den Tänzern kommen Feuerspucker, noch mal Tänzer und dann vermutlich Elefanten. Wenn Du die alle auch noch sehen möchtest, sitzt Du morgen früh noch hier.“

Aya schluckte, nickte und erhob sich so unauffällig wie möglich von ihrem Platz.

Takeru versuchte das Geschehen zu ignorieren, so gut es ging. Jetzt sofort hinter ihr her zu rennen würde kein gutes Licht auf seine Selbstbeherrschung werfen. Aber - Himmel noch mal - war es zu warm hier drin?
 

Zur Erklärung der anstehenden Nacht sollte die neue Wohnsituation der Nezus kurz näher beleuchtet werden.

Da der Hauptmann die Wohnung des Kommandanten samt Einrichtung erworben hatte (die im übrigen sehr geschmackvoll war, da es sich um repräsentative Räumlichkeiten handelte), würde sein Weib heute Nacht mit einer kleinen Überraschung konfrontiert werden. Denn das Schlafgemach des Kommandanten wies eine durchaus nennenswerte Besonderheit auf.

Vor fünf Generationen hatte der Amtsinhaber, nach einigen perfiden Anschlägen auf sein Leben, eine gewisse Paranoia entwickelt, die ihn dazu veranlasst hatte des Nächtens rund um sein Bett vier Dutzend Kerzen brennen zu lassen UND den Betthimmel durch einen riesigen Spiegel zu ersetzen.

Seine Nachfolger waren - einer nach dem anderen - wenn auch weniger paranoid, so doch von den amourösen Möglichkeiten der gläsernen Vorrichtung überzeugt worden. Nicht zuletzt aufgrund der Meinung ihrer Ehefrauen Schrägstrich Geliebten Schrägstrich Fehlgriffe.
 

Aya fiel der Spiegel nicht auf. Weder der Spiegel, noch sonst irgendein Bestandteil des Mobiliars.

Nachdem sie umgekleidet und für die Nacht zurechtgemacht worden war, beschloss sie, die Dachterrasse näher zu erkunden. Vielleicht würde die Abendluft ihre erhitzen Wangen ein wenig abkühlen.

So fand Hauptmann Nezu schliesslich seine Braut vor.

In ein zartes Nachthemd nebst Morgenmantel gehüllt stand sie an der Brüstung und sah den Mond an.

Er stand im Rahmen der breiten Tür und betrachtete wie sie den Mond betrachtete.

Wie oft hatte er dies schon getan? Wie oft sich gefragt, was ihr durch den Kopf ging, wenn sie, vollkommen in sich selbst versunken, in die Nacht starrte. Wie viel er damals darum gegeben hätte, sie für immer so ansehen zu dürfen.

„Woran denkst Du?“

Obwohl die Frage leise gestellt worden war, zuckte Aya zusammen.

„Ich wollte Dich nicht erschrecken.“

„Ich weiß.“ Sie lächelte ihn an. Nicht ganz so sorglos, wie ihm schien.

„Du hast den Mond oft stundenlang angesehen.“ Mit diesen Worten trat er näher, vorsichtig darauf bedacht, sie nicht zu bedrängen. „Ich habe mich immer gefragt warum. Obwohl ich es vom Standpunkt eines Leibwächters natürlich nie gutheißen konnte, wenn Du Dich schutzlos auf den Balkon begeben hast“, murmelte er leichthin.

„Ich war nie schutzlos!“ Aya nahm eine seiner sehnigen Hände und drückte einen kleinen Kuss darauf.

Wie selten sie ihn doch ohne Handschuhe gesehen hatte ... Ihre Finger strichen gedankenverloren über die raue Handfläche.

„Mama hat mir einmal erzählt, man könne dem Mond alles anvertrauen. Er nimmt alles was einen plagt in sich auf, bis er voll und rund ist. Und dann schmelzen diese Sorgen einfach weg. Und bei Neumond sind sie fort.“

„Funktioniert es?“

„Nein.“ Ihr Lächeln war seltsam. „Aber er tröstet einen trotzdem.“

„Hattest Du denn so viele Sorgen?“

„Nur eine. Ich wollte immer, dass ... er mir ... dass er meine Liebe fortnimmt.“

„Aya ...“ Er legte seine Hand an ihre Wange.

„Jetzt bin ich so froh, dass er es nie getan hat!“
 

Er sah ihr in die Augen, trat noch einen Schritt näher und im nächsten Moment hatten sie die Arme umeinander geschlungen und küssten sich, schwelgten in der Nähe des anderen.

Viel zu schnell beendete Takeru den Kuss. Sacht drückte er ihren Kopf an seine Schulter.

„Und was für Sorgen plagen Dich heute?“, fragte er leise gegen ihre Schläfe.

„Nichts!“ Aya lachte wackelig und blickte zu ihm auf. „Nur ein bisschen alberne, altmodische Nervosität. Aber ich schätze, der Mond kann da nicht helfen.“ Ihre Finger fuhren zärtlich die Linie seines Unterkiefers nach.

„Wenn ... Du lieber noch warten möchtest ...“

WARTEN? Worauf? Dass sie NOCH nervöser wurde?

„Du sollst wissen, dass Du alle Zeit der Welt hast“, schloss er ruhig.

Vor die Wahl gestellt war sich Aya ihrer Sache plötzlich sicher.

„Die hatte ich doch schon“, flüsterte sie. „Und wenn Du wirklich vorhast, mich noch länger warten zu lassen, muss ich Dich wohl wegen seelischer Grausamkeit vor die obersten Richter zerren.“

Sie legte ihre Rechte auf seine Brust und strich sacht über die überlappenden Kragenkanten seines schweren Kimonos, die Fingerspitzen prickelnd vor Neugierde.

Seine Brust würde sich anders anfühlen, das wusste sie durch diese eine atemberaubende Gelegenheit, bei der sie einen, wenn auch nur schmerzhaft kurzen, Blick darauf erhascht hatte. Anders als bei Feuerbändigern, deren Brustbehaarung früher oder später dem Training zum Opfer fiel, war der Torso des Hauptmanns mit einem Vlies dunkelgoldener Härchen bewachsen.

Für Aya eine unwiderstehliche Verlockung. Wie alles an diesem Mann.

„Wenn Du eine einigermaßen akzeptable Reihenfolge einhalten willst“, hauchte sie an seine immer noch bedauerlich zurückhaltenden Lippen. „würde ich jetzt mit dem Küssen beginnen. Da ich mich ansonsten gezwungen sehe...“ Ihre Hand hatte endlich den Weg unter die Seide gefunden. „Dir diesen Morgenmantel vom Leib zu reißen.“

Die zitternde, federleichte Berührung sendete elektrische Ladungen in beide Richtungen. Der winzige Funke reichte aus, um Takerus Beherrschung zunichte zu machen.

Für einen winzigen, atemlosen Moment starrten sie sich wieder in die Augen, bevor Aya wortwörtlich der Boden unter den Füssen weggerissen wurde. Mit einer einzigen, kraftvollen Bewegung raffte Takeru sie in die Arme.

Ihren geöffneten Lippen wurde gerade noch gestattet, ein halb erschrockenes Keuchen in die laue Abendluft zu entlassen, als deren Selbstbestimmtheit auch schon ein diktatorisches Ende bereitet wurde.

Himmel!

Den ein oder anderen leidenschaftlichen Kuss hatte sie ihm ja schon abgetrotzt. Aber dies?

SO hatte er sie noch nie geküsst. Drängend. Verlangend. Fordernd. Er deklarierte sie als seinen Besitz. Mit einem einzigen, glühenden Kuss.

Dabei presste er sie an sich, als würde er ihren Körper zwingen wollen, mit dem seinen zu verschmelzen.

Sie klammerte sich an ihn, den linken Arm um seinen Nacken geschlungen.

Ihre rechte Hand hatte sich - in Ayas Eifer, ihm noch näher zu kommen - vollends unter den Halsausschnitt seines Gewandes verirrt, und fuhr nun höher, wobei ihr Arm den überschüssigen Stoff einfach beiseite schob. Stöhnend grub sie die Finger in die Muskulatur über seinem Schulterblatt.

So fest. So glatt.

Es war fast zu viel. Sein Geruch. Sein Geschmack. Seine Nähe. Jeder ihrer Sinne war bis zum Bersten angefüllt. Von ihm! Nur von ihm.

Winzige Sterne tanzten vor Ayas geschlossenen Augen.

Dann war ihr Mund plötzlich wieder frei. Japsend rang sie nach Atem.

„Takeru.“

Hatte sie seine Augen jemals für kalt gehalten? Das Eis darin war verdampft. An seine Stelle war kochendes, brodelndes Quecksilber getreten.

Statt zu antworten, hob er sie vollends auf die Arme und trug sie ins Schlafzimmer. Zärtliche, neugierige Lippen an seinem Hals bewirkten, dass er sich damit verteufelt beeilte.
 

Als er sein Ziel erreicht hatte, zwang Takeru sich zur Ruhe.

Sie mochte ja leidenschaftlich reagieren, überaus leidenschaftlich, aber trotz ihres Eifers war sie komplett unerfahren. UND eine hochwohlgeborene Prinzessin. Trotz seiner verdammten, aus dem Ruder laufenden Lust! Trotz seiner Gier, sie einfach auf dieses Bett zu legen und zu nehmen, was sein war.

„Takeru?“

Die kirschroten Lippen waren zum Bersten prall, angeschwollen von seinen Küssen. Ihre Wangen glühend. Und ihre Augen ...

Es waren immer ihre Augen gewesen.

Immer!

Sein Herz, seine Seele; mit ihren leuchtenden Augen hatte sie ihm all das genommen.

Ja, sie war schön. Über die Maßen schön.

Unzählige Männer hatten dies schon in glühenden Reden beschworen, Scharen an Dichtern schon bekundet.

Doch für Takeru Nezu war sie weit mehr als das. Für ihn war schön, was sie war! Wäre sie klein und mollig gewesen, oder groß und dürr. Sei´s drum! Mochten die Menschen allgemein gültige, ausgewogene Proportionen und Symmetrie zu Rate ziehen, um etwas oder jemanden für schön zu erachten; für ihn definierte allein SIE, was Schönheit war.

Mit ihren Augen, in denen ihre Seele lag.

Sacht legte er die Hände um ihr Gesicht. Die zarte Geste stand im völligen Widerspruch zu seinem vorherigen Ungestüm.

„Was ist?“, wisperte sie.

„Aya!“ Die heißere Stimme durchrieselte Aya vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen.

Dann neigte er wieder den Kopf, um sie zu küssen. Er begann zärtlich, fast neckend. Doch die schwelende Glut war schnell wieder entfacht.

Die Begierde war zu lange unterdrückt worden. Zu lange verleugnet.

Während Takeru die willigen Lippen seines Weibes verschlang, drängte er sie langsam aber sicher auf die Matratze des riesigen Bettes zurück.

Als er sich aufrichtete, sah Aya ihn an. Durch die Leidenschaft ihrer Umarmungen hatte sich ihrer beider Kleidung gelockert. Sein Kimono war verrutscht. Auf ziemlich ... bewundernswerte Art und Weise verrutscht.

Sie schluckte trocken.

Zögernd streckte sie die Hand aus. Gleich würde sie wissen, ob die goldbraunen Löckchen sich so weich anfühlten, wie sie aussahen. Sie waren fein, drahtig und kribbelten unter ihren Fingerspitzen. Sie wurde kühner, fuhr mit gespreizten Händen hindurch und konnte das Kitzeln nun an der empfindlichen Haut zwischen ihren Fingern spüren. Von dort aus übermittelte es seine Signale an sämtliche Nervenbahnen ihres Körpers.

Takerus Atem wurde eine Spur schneller. Gut! Das war nur gerecht.

Langsam wanderte Ayas Blick über seinen fast vollständig entkleideten Oberkörper.

Agni! Was für ein Wunderwerk der Schöpfer er doch war. Die mühsam gezügelte Kraft umgab ihn wie eine zweite Haut.

Seine Haut! Ihre Hand glitt zu seiner Schulter. So viel samtige, feste Haut. Ihre Finger verfingen sich an einer gezackten Geschwulst auf seinem Oberarm.

„Nicht!“, bat er leise.

Aya, indes, war viel zu sehr mit ihren neuen, aufregenden Entdeckungen beschäftigt.

Die Narbe auf seinem Arm lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf seine Brust, wo ein tiefer Schwertstreich ebenfalls Spuren hinterlassen hatte.

Sie starrte auf den hellen Streifen. Nur mit knapper Not hatte er damals überlebt.

Als sie die Narbe mit dem Zeigefinger verfolgte, konnte den leisen, mitleidigen Laut, der über ihre Lippen kam, nicht unterdrücken.

Für den Hauptmann war das allerdings zu viel.

Er nahm ihre Hand und zog sie fort.

„Das Licht ...“

„Mhm“, machte Aya verträumt.

Sie gab der Verlockung nach, hob den Kopf und drückte ihre Lippen auf das alte Wundmal.

Takeru ächzte unterdrückt.

„Was ist mit dem Licht?“, wisperte sie und sah ihn an.

Auf wundersame Weise konnte er in ihren Augen keine Spur von Ablehnung erkennen.

„Nichts!“

Als ihre Hände die zärtliche Wanderschaft wieder aufnahmen, konnten sich alle Kerzen dieser Welt seinetwegen zum Teufel scheren!
 

Ayas Welt quoll von dieser neuen, unbekannten Euphorie fast über. Selbst für simple Worte schien kein Platz mehr zu sein und so entließ sie sie nach draußen.

„Du bist so schön!“, stieß sie kopflos aus.

WAS?

„Was?“, keuchte er ungläubig.

„Unglaublich schön!“

Der Gedanke war absurd, aber ihr Blick ...

Hätte er diesen Blick in den vergangenen sieben Jahren auch nur ein einziges Mal bemerkt, hätte Hauptmann Nezu Disziplin, Pflichtgefühl und Loyalität samt Blitzkarriere und Ehre in die Tonne gepfeffert, die Prinzessin in eine abgeschiedene, vorzugsweise dunkle Ecke des Palastes geschleppt um sich genauestens zu vergewissern, was hinter diesem Blick steckte.

Da er sich jetzt nicht mehr zurückhalten musste, bekam Aya die entsprechende Reaktion. Binnen einer Sekunde entledigte ihr Gatte sich seines lästigen Morgenrocks, umfasste ihren Kopf und küsste sie jäh und ungezügelt. Langsam sank er auf sie.
 

Mit geschlossenen Augen, die Arme blindlings um ihn geschlungen, bog Aya sich seiner Schwere entgegen. Sie spürte eine kurze Bewegung in ihren Haaren, dann ergoss sich die glänzende Flut auf die Kissen.

Irgendwann, nach einer schwindelerregenden Ewigkeit, gab sein Mund ihre nach Luft ringenden Lippen frei, glitt in Richtung Ohr und von dort weiter zur hochempfindlichen Haut ihres Halses. Ein neckender, unendlich sanfter Biss ließ Aya keuchend die Augen aufreißen.

Zunächst pendelte nur ein verschwommenes Bild vor ihren Augen, doch dann verfingen sie sich in einer Reflexion. Ihre Lider zuckten.

Ein ... Spiegel?

Sie blinzelte den wonnetrunkenen Schleier von ihrem Blick.

Über dem Bett hing ein riesiger, kostbar gerahmter Spiegel und warf die in sanftes, goldenes Kerzenlicht getauchte Szene als schimmernde Verlockung zurück ins Zimmer.

Takeru richtete sich ein wenig auf, Aya weiterhin an sich gepresst, um ihr den hauzarten Kimono von den Schultern zu streifen.

Fasziniert hingen ihre Augen an dem Bild. Sein linker Arm war um ihren Oberkörper geschlungen, wodurch er sie leicht vom Bett hob. Ihr Kopf jedoch war in den Nacken gefallen und schmiegte sich in die Kissen.

Sie konnte es sehen. Seine Kraft, ihre Schwäche. Sein Geheiß, ihre Hingabe.

Er ließ von ihrem Hals ab, glitt tiefer. Zur Schulter. Tiefer. Zum Schlüsselbein. Tiefer ...

Sein Rücken war ein muskulöses, bronzenes Spiegelbild seiner Kraft. Einer Kraft, die in geschmeidigen Wellen und Zuckungen unentwegt unter seiner Haut tanzte.

Aya konnte nur zitternd daliegen. Es spüren. Zusehen und es spüren. Die Erwartung ließ sie unvermittelt aufstöhnen.

Viel zu langsam wanderte sein Mund über ihre Haut. Und doch wollte sie nicht, dass er eine bereits eroberte Stelle wieder räumte. Es schien, als erführe sie jetzt erst, wie empfindsam sie wirklich war.

Als sie die brennenden Lippen endlich auf der vollen Wölbung ihrer Brust spürte, wurde es zu viel. Sie schloss die Augen und die Empfindungen ihrer verbleibenden Sinne stürmten auf sie ein.

Sein heftiger, leise rasselnder Atem, der delikate Schauer durch sie hindurch jagte. Seine rauen, warmen Hände, die ihre Haut zum Leben erweckten. Und sein Mund. Sein plötzlich so zielgerichteter, plündernder Mund.
 

Ihr ganzer Körper pulsierte vor Erwartung, wurde weich und tief. Und doch ... als sein Mund schließlich das tat, worauf sie wartete, wonach sie sich sehnte, war es ein Schock.

Wie hätte sie es auch wissen sollen?

Die erste Berührung an ihrer Brustspitze war flüchtig, unendlich sanft. Die trockene, ein wenig spröde Haut seiner Lippen streifte über sie hinweg. Eine kaum wahrnehmbare Reizung, doch legte sie Myriaden von Nerven blank, um sie erbarmungslos der Hitze auszuliefern. Dann wieder badete sein Atem sie in weicher, schmeichelnder Wärme, überzog sie mit lüsternem Entzücken.

Aya entfuhr ein kehliges Ächzen. Sie blinzelte.

Ein kurz aufblitzendes Bild brannte sich in ihr Gedächtnis. Takeru, ihr Takeru, wie er sich über sie beugte, sie mit Mund und Händen umwarb und eroberte.

Dann spürte sie heißkalte, reibende Nässe seiner Zunge und das Bild war vergessen.

„Agni!“

Hilflos grub Aya ihre Finger in die Laken.

Ihre Brustspitze, diese mit glühender Andacht umworbene Knospe, zog sich zusammen, bis sie vor Wonne schmerzte und klopfte. Doch ihm schien es nicht zu genügen. Er schloss die Lippen um die rosige Perle und saugte.

Das beharrliche Pochen ergoss sich jäh in Ayas Bauch. Ihr jammernder Aufschrei klang überrascht, fast ein wenig unschlüssig.

Sie wölbte sich seinem Mund entgegen, umfasste mit beiden Händen seinen Kopf und krallte die Finger in sein Haar.

Takeru sog stärker. Mit der freien Hand umfasste er die vernachlässigte Brust, umkreiste und koste die Spitze mit rauen Fingerkuppen, bis sie ebenso hart war, wie die köstliche Knospe, an der sich sein Mund gütlich tat.
 

Aya wimmerte seinen Namen.

Sie hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Ihr Körper war ein einziger, fiebriger, zum zerreißen angespannter Nerv. Es brannte. Innen wie außen. Das Pochen, die Unruhe, der Druck, alles sickerte immer tiefer in sie hinein, bis sie meinte, es nicht mehr aushalten zu können. Nichts schien Erleichterung zu versprechen. Was auch immer er tat, es verstärkte nur ihren inneren Tumult.

In ihrer Hilflosigkeit wand sie sich unter ihm, bockte gegen sein Gewicht. Als ihr Schambein gegen seine Hüften stieß, keuchte sie auf. Ein Blitz fuhr durch ihren Leib und vertrieb für den Bruchteil einer Sekunde das schmerzhafte Ziehen.

Das war es also. Dort brauchte sie ihn.

In fieberhafter Ungeduld drängte sie ihr Becken gegen das seine, umschlang von ihm, was sie zu fassen bekam.

Zwischen hechelnden Atemzügen verschaffte sie ihrer Forderung Gehör.

„Takeru! Ich will ...!“

Er hob den Kopf, umfasste ihren Nacken, als wolle er sie küssen. Stattdessen bohrte er seinen Blick in ihren. Bezwingendes Silber starrte in brennendes Gold.

„Was, Prinzessin?“ Durch die Erregung klang seine Stimme dunkel und barsch.

„Ich will ... nicht warten!“

„Noch nicht!“

„Bitte!“

Sie presste sich an ihn, suchte etwas.

„Bitte, Takeru!“

„Wir haben Zeit, Liebling“, raunte er dicht hinter ihrem Ohr.

Das unkontrollierbare Zucken, das Aya daraufhin durchlief, machte mehr als deutlich, dass sie eben DIES nicht hatte. Und er wusste es! Wusste es und quälte sie trotzallem weiter.

Seine Hand an ihrer Hüfte, gab sich den Anschein, sie beschwichtigend zu liebkosen. In Wahrheit verwandelte er sie damit in eine bezauberte, kopflose, von Gier getriebene Irre.

Auf der Suche nach irgendetwas, das die Leere in ihrem Inneren vertrieb, bog sie ihm ihren Körper entgegen, rieb ihre Weichheit gegen seine Härte.
 

Die Lust, die Takeru schon seit Stunden marterte, setzte sich in seinem beharrlich pochenden Glied noch weiter fest.

Schon den ganzen Abend über war er fast schmerzhaft hart gewesen.

„Takeru, bitte!“

Zum Teufel mit seiner Angst, die Sache zu überstürzen. Zum Teufel.

Er küsste sie wild, schwelgte in den leisen, flehenden Lauten.

Es wurde Zeit, seine Braut zu seiner Frau zu machen.

Mit beiden Händen packte er ihr ziellos drängendes Becken, presste es gegen das seine, um sie spüren zu lassen, was sie heraufbeschworen hatte.

Doch statt erschrocken zurückzuzucken, warf seine Fee den Kopf in den Nacken und keuchte verzückt.

Seine Rechte rutschte von ihrer Hüfte, strich aufreizend die samtweiche Haut ihres Beins entlang und liebkoste die zarte Kniekehle, bis Aya stöhnte und unverständlichen, zärtlichen Unsinn wisperte.

Die Hand schlüpfte zwischen alabasterfarbene Schenkel, statt weiterhin ein Ziel zu verfolgen, das er gar nicht hatte.

Er glitt höher. All die seidenweiche, samtige Haut hinauf.

„Du musst Dich öffnen!“

Die leise Forderung war so bestimmt, so betörend, dass Aya die vor Lust angespannten Muskeln ihrer Beine lockerte. Prompt verstärkte sich das hilflose, ziehende Gefühl in ihrem Unterleib. Das Pochen wurde wieder stärker.

Und seine Hand ...

Um Himmels Willen! Machte das die Sache schlimmer, oder besser?

Aya wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie kurz davor war, ihre Unruhe hinaus zu schreien. Er musste etwas tun! Er ...

Er tat etwas. Etwas, das sie laut japsen ließ.

Seine Handfläche hatte sich auf ihren Venushügel gelegt. Der leichte Druck verstärkte ihre Erregung und versprach doch auf wundersame Weise Linderung. Plötzlich spürte sie raue Fingerspitzen an einer anderen, tieferen Stelle.

Wie von selbst zuckte ihr Körper ihm entgegen. Angespannt, zitternd, so wundervoll sündhaft, dass sie ihr Gesicht an seinen Hals presste, um ihr Wimmern zu unterdrücken.

Nun wusste der Hauptmann, dass sein Weib bereit war.

Langsam drängte er einen Schenkel zwischen ihre langen, schlanken Beine; dann den zweiten; hob ein Knie, um sie zu öffnen.

Ayas Hände strichen rastlos über seine Flanken und seinen Rücken.

Er spürte ihre Unsicherheit, ihre Unruhe. Aber auch ihr Sehnen.

Die eigene Begierde war nun nicht mehr zu zügeln.

Er stemmte sich auf die Arme, und hob seine Hüften an ihre.

„Es ... wird wehtun“, knirschte er.

„Egal!“, wisperte Aya atemlos. „Ich... will es. Dich.“

Und sie bekam ihn. Mit einem schnellen, harten, tiefen Ruck.

Der Schock über die Wucht seines plötzlichen Eindringens entrang ihr einen leisen Schrei.

„OH!“

Takeru biss die Zähne zusammen. Er hasste sich zwar für die kommende Frage, aber sie nicht zu stellen, wäre noch unvorstellbarer.

„Soll ... ich aufhören?“

„Nein.“ Sie klang unschlüssig. „Es ist nur ...“ Sie keuchte leise, als sich unbekannte Muskeln in ihrem Inneren bemerkbar machten. „Ziemlich ... viel! Aber ...“ Als sie versuchte, ihr Becken in eine bequemere Lage zu bringen, stöhnte sie auf. „Agni!“

Kleine, lustvolle Beben, deren Epizentrum in ihrem Schoss zu liegen schien, durchliefen Ayas gesamten Körper.

Genau hier brauchte sie ihn! Die Leere war endlich ausgefüllt. Mehr als ausgefüllt.

„Takeru!“

„Zu viel?“, ächzte er mühsam.

„Nein!“

Worte hatte der Hauptmann noch nie für seine Domäne gehalten, also hielt er es mit der Körpersprache. Vorsichtig drang er tiefer in die enge Hitze.

„Takeru!“ Wie wild umklammerte sie ihn.

Das süße, warme Pulsieren, das ihn tiefer und tiefer lockte, sagte ihm, dass sie bereit war. Langsam zog er sich zurück.

Diese Reibung! Aya grub die Finger in die Muskulatur seines Rückens. Er konnte doch nicht ...

Gerade als sie fürchtete, er würde ihren Schoss wieder verlassen, stieß er erneut in sie.

„Ah!“

Ungeschickt drängten sich ihre Hüften gegen seine. Er packte sie, drückte sie, dirigierte sie.

Der Rhythmus seiner Bewegungen steigerte sich langsam, im Gegensatz zur fieberhaften Erregung seiner Frau, die schnell ungeahnte Höhen erreichte.

„Oh Gott, Takeru!“

Ihre offenkundige Lust brachte ihn um den Verstand. Nur noch auf einen Arm gestemmt, ließ er sich auf sie sinken, vergrub das Gesicht im seidigen Haar neben ihrem Hals und trieb sich in sie. Wieder und wieder.

Sein unerwartetes Ungestüm ließ Aya überrascht die Augen öffnen.

Prompt wurde ihr Blick an die Zimmerdecke gefesselt.

Agni! Sie sollte nicht hinsehen!

Aber es war zu überwältigend. Zu verrucht, wie sein Körper sich rhythmisch und immer schneller bewegte, wie sein breiter, herrlicher Rücken sich wölbte und entspannte, wie der leichte Schweißfilm seine wundervolle Haut zum glänzen brachte. Die feste Wölbung seiner Hinterbacken, die sich verhärtete, wenn die kraftvollen Hüften zustießen ...

Sie sollte nicht hinsehen, aber er war schlichtweg zu schön, es nicht zu tun.

Die eigenen Hände zu sehen, wie sie sich in die zuckenden, pumpenden Muskeln verkrallt hatten ... auch das war erregend. Unendlich erregend.

Es war, als betrachte sie ein fremdes, willenloses, ausschweifendes Wesen, dass sich von einer wilden Sagengestalt lieben liess. Sie sah einen geöffneten, lustverzerrten Mund und begriff, dass die erstickten, kehligen Laute aus ihrer eigenen Kehle kamen.

Sein Hämmern, hart, tief in ihr, an immer der gleichen, pulsierenden Stelle, machte sie wahnsinnig.

Ihre Augenlider schlossen sich flatternd. Den Kopf weit in den Nacken geworfen drängte sie sich ihm entgegen. Ihm. Seiner Kraft. Seiner Macht. Seinem Sieg.

Und obwohl die Begierde das einzige war, was ihr blieb, und ihr Instinkt das einzige, was sie vorantrieb, waren Seele und Herz zum bersten angefüllt von etwas Anderem.

„Ich liebe Dich!“

Sie umfasste blindlings seinen Kopf und stammelte ihr atemloses Credo in sein Haar.

„Ich liebe Dich!“

Mit einem Mal verharrte er regungslos über ihr.

„Sieh mich an, Prinzessin!“, forderte er rau. „Lass mich Deine Lust sehen!“

Vollkommen außer sich, tat sie, was er verlangte.

Sie starrten sich an. Gold in Silber.

Er mochte die Worte nicht finden, aber sie tat es. In seinen Augen.

Ihren Blick immer noch gefangen haltend, nahm er seine Stöße wieder auf. So tief, so kraftvoll, dass Aya jeden Zusammenprall an ihrem Schambein spürte. Sie wimmerte, stöhnte, stieß kleine, unverständliche Schreie aus, zerschrammte mit ihren Fingernägeln rücksichtslos seinen Rücken.

Als die Leidenschaft wieder zu groß wurde, schloss Aya schließlich doch die Augen und überließ sich den endlosen Wellen lüsterner Schauer.

Ihr Innerstes ballte sich zu einem gleissenden, glühenden, schmerzhaft festen Knoten zusammen, bis es schliesslich in abertausende, glitzernder Sterne zerbarst, die in einer nicht enden wollenden Explosion auseinander stoben.

Ihr Schicksal besiegelte das seine. Die Kontraktionen ihres Höhepunktes schleuderten Takeru unvermittelt in den eigenen.

„Aya!“

Drei letzte, mächtige Stöße und Hauptmann Nezu ergoss sich, von Spasmen geschüttelt, in sein Eheweib.
 

Aya lag still. Hörte seinen keuchenden, hetzenden Atem neben sich, spürte Feuchtigkeit auf ihrem Gesicht. Dunkel erinnerte sie sich, seinen Namen geschluchzt zu haben.

Im Spiegel über sich sah sie ein eng umschlungenes Paar. Der Rücken des Mannes hob und senkte sich unter heftigem Atemzügen. Eine zärtliche Hand liebkoste ihn selbstvergessen, während die Finger der anderen sich in seinem kurzen, goldbraunen Schopf verfangen hatten.

Bohrende Zärtlichkeit ließ Ayas Augen erneut feucht werden.

Sie hatte nicht gewusst, dass es so sein würde. Dass nichts mehr so sein würde, wie es gewesen war. Dass es die Welt neu formte.

Die Vorstellung, wie er dies mit anderen Frauen ...
 

Sie versuchte den Gedanken abzuschütteln und bewegte sich unruhig.

Sofort nahm Takeru sein Gewicht von ihr.

„Verzeih!“, murmelte er, legte eine Hand an ihre Wange und küsste sie sanft. „Ich bin zu schwer.“

Aya wandte den Kopf ab.

Sie kam sich so töricht vor, wusste nicht, was sie erwidern sollte. Wie auch? Wie sollte sie ihren unangebrachten, dummen Anfall von Eifersucht auch erklären? Nach allem, was sie eben geteilt hatten?

„Aya?“

Sie schüttelte nur stumm den Kopf.

„Habe ich Dir weh getan?“ Die dunkle Stimme klang besorgt.

„Nein!“ Das letzte, was sie wollte, war seine Zweifel zu wecken.

„Was ist es dann?“

„Wahrscheinlich nur die Erschöpfung“, wisperte sie ausweichend.

Erschöpfung?

Hauptmann Nezu kannte so ziemlich alle Arten der Erschöpfung. Er hatte jede Einzelne davon durchlebt. Vorwärts, rückwärts, gleichzeitig. Und keine davon sorgte dafür, dass man sich urplötzlich von einem Schmusekätzchen in ein nach Ausflüchten suchendes Schalentier verwandelte.

„Tatsächlich?“, fragte er, merklich unterkühlt.

Er wälzte sich aus dem Bett und streifte seinen Morgenmantel über.

„Wo gehst Du hin?“ Kaum hatte sie die erschrockene Frage gestellt, biss Aya sich schuldbewusst auf die Lippen.

Na bitte! Durch ihre hirnlose Eifersüchtelei hatte sie ihn vor den Kopf gestoßen.

Hastig raffte sie ein Laken vor ihre Brust und setzte sich auf.

„Takeru?“

„Nirgends. Ich gehe nirgendwo hin, Prinzessin. Ich habe nur das Gefühl, dass Du mich plötzlich nicht mehr im Bett haben willst.“

„Was?“

„Schon gut“, murmelte er, wieder deutlich zugänglicher. „An diese Art der Intimität muss man sich wohl erst gewöhnen.“ Hatte er selbst solche, dem Beischlaf folgende Intimitäten bislang nicht auch gemieden wie die Pest? „Ich bin auf der Terrasse, falls Du etwas brauchst.“
 

Aya schloss resigniert die Augen. Na, das war ja wirklich eine Meisterleistung gewesen!

Nach dem unglaublichsten, berauschendsten Erlebnis ihres Lebens hatte sie ihre Hochzeitsnacht tatsächlich damit gekrönt, ihren Ehemann zu verprellen.

Sie krabbelte aus dem Bett, wickelte sich fest in ihren Kimono und schlüpfte in bereitstehende Pantöffelchen.

Es wunderte sie kein bisschen, dass sie ihren Gatten so vorfand, wie er - eine gute Stunde zuvor - sie. Nur dass er, statt den Mond anzusehen, in die Dunkelheit starrte.

„Takeru?“

Er drehte sich um. Seine Miene war fragend. Weder verärgert, noch verletzt. Doch Aya wusste es besser. Sie blickte auf ihre Hände hinab.

„Du hast gesagt, falls ich etwas brauche, wärst Du hier.“

„Ja.“

„Gut. Denn ich brauche etwas.“

„Ja?“

„Dich!“

„Aya.“ Er seufzte. „Nur weil ich eben barsch war, heißt das nicht, Du hättest irgendetwas wiedergutzumachen. Eigentlich sollte ich derjenige sein, der sich entschuldigt. Du hast jedes Recht der Welt, Dich erst an die neue Situation zu gewöhnen.“

„Aber das muss ich nicht. Mir gefällt die neue Situation! Ich liebe sie!“

Skeptisch hob er die linke Braue.

„Der Grund für meinen Rückzug war ein anderer.“

„Nämlich?“

„Dass ich furchtbar dumm bin!“, gestand sie leise.

Takeru schüttelte den Kopf.

„Ungewohnte Intimität zu scheuen ist nicht dumm, sondern natürlich.“

„Aber ich scheue sie ja gar nicht! Ich ...“

„Ja?“

„Ich ... Plötzlich musste ich an ... an Deine anderen Frauen denken.“ Ihre Stimme klang gepresst.

„Meine... Frauen?“ Er wirkte perplex.

„Ja. Ich meine ...“ Sie wusste nicht weiter und blickte hilflos auf ihre Hände hinab.

„Ich denke, ich weiß, was Du meinst“, grollte er. „Erstens: die Zahl MEINER Frauen belief sich auf vier, was in diesem Land weit unter Durchschnitt sein dürfte. Zweitens: hatte ich mit keiner von ihnen etwas, das auch nur annähernd an uns heranreicht.“

„Wirklich?“, flüsterte sie. „Aber jeder sagt immer, wie wundervoll die körperliche Liebe ist. Und seit heute weiß ich, wie wundervoll sie tatsächlich ist.“

„Dann sind wir ja schon zu zweit. Ich weiß auch seit heute, WIE wundervoll sie ist.“

„Das meine ich nicht.“

„Aber ich. Aya, was wir gerade hatten mit bloßem Sex gleichzusetzen ist, als würde man einen Diamanten mit einem Kieselstein vergleichen.“

„Kieselsteine sind auch schön“, sagte Aya matt.

„Ja. Aber bei weitem nicht so kostbar und selten wie ein Diamant.“

„Dann ist das, was wir eben hatten selten?“ Ihr Versuch zu scherzen fiel zugegebenermaßen ein bisschen kläglich aus.

„Nicht zwischen uns, Prinzessin.“ Federleicht strichen seine Finger über ihre Wange.

Sie trat noch einen Schritt näher, bis ihre Leiber sich berührten und stellte sich auf die Zehenspitzen.

„Ich bin aber keine Prinzessin mehr“, hauchte sie, nur Millimeter von seinen Lippen entfernt.

„Für mich wirst Du nie etwas anderes sein.“

Er zog sie eng an sich und küsste sie. Ausgiebig. Sehr ausgiebig. So ausgiebig, dass Aya die Arme um ihn schlingen musste, um Halt zu finden.

„Vielleicht finden wir ja noch einen Diamanten, mein Hauptmann“, keuchte sie, als er sie auf die Arme hob.

„Vielleicht?“ Wieder lüftete sich eine seiner strengen Brauen. „Du setzt wahrlich wenig Vertrauen in mich.“

„Oh nein. Ich setze alles Vertrauen dieser Welt in Dich“ Ihr Tonfall klang neckend.

Doch sie beide wussten, dass jede Silbe ernst gemeint war.

Spieglein, Spieglein an der Deck'

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Spieglein, Spieglein an der Deck` Entschärfte Version

Hallo ihr Lieben
 

So, damit jeder weiterlesen kann, hier eine entschärfte Version des 18. Kapitels.

Es fehlt allerdings nur ganz, ganz wenig. Vielleicht zwei oder drei kleine Nebensätze, euch entgeht also nichts.

Fragt mich nicht, warum die andere Version als "adult" eingestuft wurde.

Da steht eigentlich nichts, das nicht auch schon mal in anderen Kapiteln vorgekommen wäre. ^^
 

Jedenfalls wünsche ich viel Spass!
 


 

Nach dem zweiten, überaus innigen und zärtlichen Vollzug ihrer blutjungen Ehe lag Aya nun, anders als vorher, zufrieden an ihren Gatten geschmiegt da und lauschte seinem langsamer werdenden Herzschlag.

Takeru wollte eben die Augen schließen, als eine Erkenntnis sich Bahn brach.

Über seinem neuen Bett hing ein Spiegel. Ein verdammt großer Spiegel!

Natürlich hatte er es gewusst. Rein theoretisch gesehen.

Kein Kage dieser Welt hätte in einem Raum genächtigt, den er nicht auf Sicherheitslücken oder taktische Mängel hin überprüft hatte.

Aber der Soldat in ihm hatte in dem Spiegel eben genau dies gesehen: ein zusätzliches Kontrollorgan über den Raum.

Nun allerdings ...

„Was ist?“ Ein zarter Finger erkundete sein schroffes Profil.

„Unser Betthimmel ist recht ... extravagant.“

„Der Spiegel? Magst Du ihn nicht?“

„Etwas irritierend.“

Irritierend? Oh ja! Jedoch auf eine ziemlich anregende Art!

Trotz der Röte, die ihr in die Wangen kroch, setzte Aya sich halb auf.

„Wirklich?“, murmelte sie. „Und was ist damit?“ Auf einen Ellbogen gestützt, legte sie eine Hand auf seinen mächtigen Brustkorb. Zärtlich begann sie, die festen Muskeln zu ertasten.

„Oder damit?“

Sie hauchte winzige, knabbernde Küsse gegen sein Schlüsselbein.

Die Schauer, die Takeru durchliefen, hinterließen eine lustvolle Gänsehaut.

Fasziniert bemerkte Aya, dass seine Brustwarzen auf zärtliche Berührungen offensichtlich ähnlich empfindlich reagierten, wie ihre eigenen.

„Und wie ... ist das?“

Im Spiegel beobachtete Takeru wie die unantastbare, tugendhafte Tochter Zukos II, von zahllosen verschmähten Verehrern als Eisprinzessin bezeichnet, sich in eine verruchte, gewissenlose Verführerin verwandelte, um ihn langsam aber sicher in den Wahnsinn zu treiben.

Der Kontrast ihrer Pfirsichzarten, milchweißen Haut gegen seine kampferprobte Rauheit, die tintenschwarzen, seidigen Flechten, die sich um seinen Oberkörper rankten ...

„Aya ...“ Sein fester Vorsatz, sie für diese Nacht nicht mehr anzurühren, kam ins Wanken.

„Also ich für meinen Teil ... finde den Spiegel wundervoll!“ Mit wissbegierigen Fingerspitzen strich sie provozierend über die harten, wie gemeißelten Flächen seines Bauchs. „Ziemlich inspirierend!“ Die Worte brannten sich nur wenige Zentimeter von seinem Nabel entfernt in seine Haut.

„Wir sollten nicht ...“

„Nein?“ Die vorwitzigen Hände seiner Frau stellten tiefgreifende Erkundungen an und ließen den Hauptmann stöhnend den Kopf in den Nacken legen.

„Ich glaube, da gibt es Teile von Dir, die durchaus anderer Meinung sind“, flüsterte Aya, inzwischen vollkommen atemlos.

Leider war ihr Ehemann ein Mensch, dem scheinbar unerschöpfliche Reserven an Willenskraft zur Verfügung standen.

„Nein, Prinzessin!“, knirschte er mühsam.

„Aber ...“

„Nein! Andernfalls wirst Du mich morgen zurecht verfluchen.“

„Warum sollte ich das tun?“ Sie blinzelte verwirrt.

„Weil Du wund sein wirst.“

Erneut wurde Aya blutrot.

Ein nahezu unhaltbarer Zustand für eine Frau, die im Begriff war, ihren Mann zu verführen.

„Ich bin nicht ...“

„Du wirst es sein.“

Schmollend schob Aya ihre Unterlippe vor. Vielleicht hatte er ja Recht. Doch ihr Körper sah das momentan anders, lechzte bereits mit jeder Faser nach ihm.

Um ihm das klar zu machen, strich sie genüsslich über das verschlungene Muskelgeflecht an seinen Flanken.

„Aya, ich soll Dich vor Schaden bewahren!“, ächzte er. „Keinen verursachen.“

„Du sollst mich vor allem lieben“, wisperte sie.

Ihre Stimme, ihr anschmiegsamer Leib, ihre weichen, liebevollen Lippen ...

Die eisernen Reserven des Hauptmanns streckten die Waffen.

Das auf der Lauer liegende Biest gewann die Oberhand.

Aya entwich ein beglücktes Keuchen, als sie sich urplötzlich auf dem Rücken wieder fand.

„Du willst geliebt werden?“, knurrte der Wolf mit glühenden Augen. „Dann werde ich Dich lieben!“

Der erste, besitzergreifende Stoß durchfuhr Aya wie ein Blitz.


„Takeru!“ Krampfartig schlang sie Arme und Beine um ihn.

„Ist es das, Prinzessin?“, presste er durch zusammengebissene Zähne. „Ist es das, was Du willst?“

„Ja! Agni, ja!“

Aya bäumte sich ihm entgegen.

Das fordernde harte Drängen seiner Lenden ließ sie den Kopf verlieren.

Sie verschwendete keinen Gedanken mehr an Finesse oder Verführung. Selbst für den Spiegel gab es keinen Platz mehr in ihrer Welt.

Sie wollte nur noch in Besitz genommen werden.

Und das tat er. So tief, so allumfassend, dass Aya ihren Kopf in die Kissen wühlte.

„Takeru!“

Ihre Erlösung kam schnell, süß und brennend.

Erbarmungslos liebte der Hauptmann den zuckenden, sich windenden Körper seiner Frau weiter.

„Noch einmal!“, forderte er ächzend.

Aya wimmerte.

Ihre Hände krallten sich hilflos in die Laken, als der zweite Ansturm sie mitriss.

Diesmal erfasste die Lust auch ihn. Mit einem gebrochenen, rauen Laut warf Takeru den Kopf in den Nacken und gab die Kontrolle auf.

Als er sich schließlich auf den Rücken fallen ließ, fiel sein Blick erneut an die Decke.

„Du hattest Recht“, schnaufte er. „Ziemlich inspirierend.“

„Mhm“, seufzte Aya und kuschelte sich erschöpft an ihn. „Ich hoffe nur, wir werden genug Schlaf bekommen.“
 

Ihre Sorge war unbegründet.

Kurz darauf schlummerte Aya Ria Nezu tief und fest.

In ihrem neuen Bett, neben ihrem neuen Gatten, mit neuen Erfahrungen UND einem sehr alten Spiegel an der Decke.

Für Takeru war an Schlaf im Augenblick jedoch nicht zu denken.

Er war zu sehr damit beschäftigt, sein Eheweib zu betrachten.

Wie in aller Welt hatte er es nur geschafft, bis hierher gelangt zu sein? Ihre Wärme zu spüren? Ihren Schlaf bewachen zu dürfen?

Eine ihrer seidigen Haarsträhnen, die drohte ihr auf die Nase zu rutschen, strich er vorsichtig beiseite. Diese Zärtlichkeit kostete ihn eine Menge, denn eigentlich war ihm danach, sie so fest er konnte an sich zu pressen.

Doch der Hauptmann war nicht zuletzt für seine Disziplin bekannt, und so betrachtete er das neben ihm liegende Wunder in stummer Andacht.

Erst Stunden später fiel auch er endlich in tiefen Schlaf.
 

Eine ähnliche Szene, um nicht zu sagen die spiegelverkehrte, spielte sich in den frühen Morgenstunden ab.

Nun war es allerdings Aya, die in der Betrachtung ihres Liebsten versunken war. Sie war früh aufgewacht, viel zu euphorisch, um weiterhin zu schlafen.

Nun saß sie auf dem Bett, die Arme um die Knie geschlungen und beobachtete Takeru beim Schlafen, dachte an die unzähligen Male, die sie, in ihrem einsamen Zimmer vor einer stummen Tür stehen, genau dies herbeigesehnt hatte.

Wie oft hatte sie versucht, sich ihren Wächter schlafend vorzustellen?

Nun stellte sie fest, dass sein Gesicht im Schlaf weder jünger noch weicher schien. Nur ruhiger.

Und selbst diese Ruhe hatte etwa wachsames an sich.

Als lausche er wie ein schlafender Wolf mit halben Ohr auf die Welt um sich herum.

Er war eben Hauptmann Nezu. Selbst wenn er schlief.

Als sie vor lauter überschäumender Zärtlichkeit kurz davor stand, ihn zu wecken, stand sie auf und ging auf bloßen Sohlen auf die Terrasse.
 

Noch im Schlaf runzelte Takeru die Stirn.

Er schlug die Augen auf und blickte zur Seite.

„Aya?“

Blitzschnell war er aus dem Bett und auf den Beinen.

„AYA?“

Sie war nicht hier. Das konnte er fühlen.

„Wo zum Teufel ..?“

Der Wind bauschte die hauchzarten Vorhänge neben der Terrassentür.

Sie wurden achtlos zur Seite gewischt, als Zukos Blutwolf die Witterung seiner Beute aufnahm.

Eine Ebene tiefer, sie fiel über drei flache Stufen hin ab, fand er sie leise vor sich hin summend im großen Außenbassins.

Wie alle Schwimmbecken des Palastes wurde auch dieses von einer natürlichen Quelle gespeist. Aus dem Maul eines steinernen Drachenkopfs ergoss sich unaufhörlich frisches, plätscherndes Wasser in das Becken, um auf den anderen Seite wieder abzufließen.

In dieser kühl glitzernden Morgenidylle fand Hauptmann Nezu seine frisch angetraute Gattin, wie sie sich in aller Seelenruhe mit zart duftendendem Teerosen-Schaum einseifte.

Sofort sah er sich mit der Frage konfrontiert, ob so betörende Sirenen überhaupt gescholten werden durften.

Er entschied sich dafür.

„Was glaubst Du, was Du da tust?“

Aya, die bereits beim ersten Wort erschrocken herumgewirbelt war, versuchte ihr spontanes, verliebtes Strahlen gegen einen etwas abgeklärteren und, wie sie hoffte auch verführerischeren Blick einzutauschen.

„Vielleicht warte ich ja“, murmelte sie und ließ sich im Wasser schweben.

Der stetig fließende Sog nahm träge wirbelnd den milchigen Seifennebel, der sie umhüllte, mit sich.

Takeru schluckte. Trotzdem lüftete er skeptisch eine Braue.

„Auf Angreifer?“, fragte er kühl.

„Aber nein.“

Elegant tauchte sie unter. Ein langer Schwimmzug und sie war am Rand des Beckens. Mit ihrem nassglänzenden Haar und den betauten Wimpern wirkte sie wie eine Wassernymphe.

„Auf Dich!“

Eine Wassernymphe auf Beutefang also.

„Komm ins Wasser!“, becircte sie ihn mit ausgestreckter Hand.

„Du solltest wirklich nicht allein hier draußen sein.“

„Oh, aber da bin ich doch ganz Deiner Meinung.“

Ihre Augen lockten ihn in unbekannte Tiefen.

„Aya ...“

Sie spritzte ihn an.

„Ist mein Wolf etwa wasserscheu?“, neckte Aya und stieß sich ein wenig vom Rand ab.

Wieder schwebte sie im Wasser. In all ihrer Vollkommenheit und Grazie.

Genug war genug!

Sie wollte eine Reaktion? Sie sollte eine bekommen.
 

Ayas Haut prickelte erwartungsvoll.

Kein Wunder; trafen hier doch die Kühle des Wassers auf ihr heiß drängendes Blut.

Allein sein Anblick hatte genügt, sie schon wieder in diesen haltlosen Zustand zu versetzen.

Aber hier herum zu laufen mit nichts mehr als einem Laken um die Hüften ...

Wer konnte einem Mädchen da verübeln, wenn es auf dumme Gedanken kam?

„Prinzessin, ich meine es ernst.“
 

Ayas Verspieltheit schwand beinahe so schnell, wie sie gekommen war. Schuldbewusst biss sie sich auf die Lippen.

Sie schwamm auf die Seite des Becken, an der flache Stufen aus dem Wasser führten, stieg hinaus und wickelte sich fest in ein bereitliegendes Handtuch.

„Aya ...“

„Schon gut. Ich werd nicht wieder alleine nach draußen gehen“, murmelte sie leise. „Es tut mir leid.“

Schließlich wusste sie sehr genau, wer es zu büßen hätte, sollte sie zu unvorsichtig sein. Das hatte die Vergangenheit sie mehr als deutlich gelehrt.

Mittlerweile kam Takeru sich vor wie ein Tyrann.

„Liebling, so war es nicht gemeint. Ich will Dich doch nicht einsperren.“ Er legte eine Hand an ihre Wange.

„Ich weiß.“ Sie lehnte sich an ihn. „Ich war heute morgen nur so glücklich, dass ich nicht daran gedacht habe, Dir Bescheid zu geben.“

„Und jetzt bist Du es nicht mehr?“

„Was? Glücklich?“

Er nickte.

„Doch!“

„Dann bekomme ich also noch meinen Kuss?“

„Ja.“ Sie betrachtete ihre Zehen.

„Jetzt?“, raunte er.

Aya stellte fest, dass sich das vorige Prickeln erstaunlich schnell wieder ausbreitete.

„Hmm, ich weiß nicht“, flüsterte sie.

„Du weißt es nicht?“

„Nein.“ Ihre Fingerspitzen spazierten ziellos am Rand seines Lakens entlang.

„Gott!“ Jäh umfasste er ihr Gesicht. „Was für eine kleine, freche Hexe Du doch bist!“

Er küsste sie gierig. Handtuch nebst Laken fielen zu Boden.

Eben noch spürte Aya seine feste Umarmung und im nächsten ließ Takeru sich mitsamt seiner Last in das Becken kippen.
 

„Also ist Dir doch nach einem Bad“, keuchte Aya an seinen Mund.

„Seit ich Dich hier aufgespürt habe.“

„Ach ja?“ Sie küsste ihn innig. „Dann wollen wir uns mal an die Arbeit machen und Dich waschen, mein Wolf!“

Sie machte sich los und schwamm zu einer Stelle, an der das Wasser nur Hüfthoch war. In einer flachen Schale lag hier eine Auswahl an kostbaren, cremigen Seifen bereit.

„Hmm ...“ Sie griff nach einem zartrosa Seifenstück. „Teerose?“

„Nur, wenn Du meine Autorität unter den Soldaten untergraben möchtest.“

„Also einen autoritären Duft?“ Sie legte den Kopf schief. „Mal sehen ... Jasmin?“

„Nein!“

„Flieder?“

Sein Gesichtsausdruck sprach Bände.

„Veilchen?“

„Aya ...“

Sie kicherte und nahm ein kakao-braunes Seifenstück aus der Schale.

„Na dann eben ... Tabak-Sandelholz.“

Seine Miene wurde seltsam.

„Du weißt welche Seife ich benutze?“

„Ich ...“ Ihre Wangen röteten sich leicht. „Vielleicht habe ich die bei der ein oder anderen Gelegenheit ein wenig geschnuppert.“

„Welche Gelegenheit?“, fragte der Hauptmann, der sich partout nicht daran erinnert konnte, von seinem Schützling beschnüffelt worden zu sein.

„Hmm ... das wöchentliche Training.“

Um die Diskussion zu beenden, begann Aya energisch die Seife zwischen ihren Händen zu reiben.

„Ich dachte immer, Du konzentrierst Dich auf die Bewegungsabläufe.“

„Das tat ich.“ Ihre Hände legten sich auf seinen Brustkorb. „Auf Deine!“, gab sie leise zu, während sie sorgfältig Seifenschaum auf seiner Haut verteilte.

Dem intensiven, forschenden Blick ihres Mannes wich sie lieber aus und widmete sich stattdessen hingebungsvoll der Reinigung seines Torsos.

„Rücken!“, murmelte sie, nach einer Weile.

Gehorsam drehte Takeru sich um und genoss die liebevollen Hände nun auf seinem Rücken.

Endlich konnte Aya ungestört den Kontrast zwischen cremig weißem Schaum und bronzeüberzogener Kraft bewundern.

Als sich das Waschen nicht weiter hinauszögern ließ, ohne Verdacht zu erwecken, griff sie nach einem der Krüge am Beckenrand und spülte seinen Körper ab, bis das klare Wasser schimmernde Tropfen auf seiner Haut bildete.

Sie starrte es an.

Dürstete danach.

Nach dem Wasser. Nach ihm.

Sie zögerte kurz. Dann saugte sich ihr Mund am Quell ihres Begehrens fest.

Takeru erstarrte.

Ayas Zunge leckte gierig das Nass auf.

Die kühle Reinheit des Wassers in Verbindung mit der warmen, festen Erdigkeit seiner Haut, ließ sie vor Wonne leise stöhnen.

Durch die Wirkung dieses berauschenden Nektars beflügelt, kam sie um ihren Ehemann herum.

Ihre Augen, dunkel vor Begierde, tauchten in seine.

Takeru schien unfähig, sich zu bewegen. Fasziniert von ihrem Tun konnte er nur dastehen und beobachten wie ihre blutroten, verlockenden Lippen langsam näher kamen. Quälend langsam.

Ziel ihrer liebevollen Attacke war die Furche zwischen seinen Brustmuskeln. Als sie nun auch dort die Wassertropfen von seiner Haut leckte, griff er blindlings in ihr Haar und umfasste ihren Kopf.

Aya glitt tiefer.

Ihre eifrige, leicht raue Zunge schwelgte in seinem Geschmack, ergötzte sich an der Elastizität seines harten, vor Erregung zuckenden Bauches.

„Aya!“ Takeru ließ den Kopf in den Nacken fallen, der Griff seiner Finger in den schwarzen, nassglänzenden Flechten wurde fester.

„Ich liebe, wie Du schmeckst!“, stieß Aya aus. Ihre Hand glitt tiefer, tauchte unter die Wasseroberfläche. „Und Dich anfühlst!“, flüsterte sie atemlos. „Aber am meisten liebe ich es ... Dich in mir zu spüren!“

Ihre brennenden Augen starrten in das siedende Eis der seinen.

Kurz, ganz kurz, fragte sich Hauptmann Nezu, ob sich seine Disziplin von gestern auf heute in Luft aufgelöst hatte. Oder ob er sie in Zukunft generell abschreiben konnte.

Der Plan hatte nicht vorgesehen, sie in der ersten Nacht öfter als ein, zwei mal zu lieben. Aber Pläne konnten sich bekanntlich ändern.

„Takeru ...“

Die Sehnsucht in ihrer Stimme gab ihm den Rest.
 

Aya keuchte, als er sie plötzlich nach oben zog, an sich riss und küsste. Hart, erbarmungslos.

Als sie seufzend die Arme um seinen Nacken schlingen wollte, wurden ihre Handgelenke gepackt. Der Griff war sanft, jedoch unnachgiebig.

„Was ...?“

„Du willst also die Verführerin mimen?“, grollte Takeru leise gegen Ayas Lippen und schmiegte eine raue Hand gegen ihre Wange. „Dieses Spielchen können zwei spielen.“

In einer langsamen, provozierenden Bewegung glitt die schwielige, warme Handfläche über Kehle und Brust zu ihrer Hüfte, um sie zu umfassen und noch enger gegen ihn zu pressen.

„Kannst Du fühlen, was Du angerichtet hast?“

Agni! Er war so groß. So hart.

Sie wollte ihn so sehr!

„Takeru ...“

Fast brüsk umfasste er ihre Schultern, drehte sie um und drückte sie von Kopf bis Fuß an sich.

Sie konnte ihn spüren. Die muskelbepackte Brust an ihren Schulterblättern, sein fester, geschmeidiger Leib an ihrem Rücken. Und seine Härte, die fordernd gegen die Rundung ihres Gesäß drängte.

„Agni ... Takeru!“

„Wusstest Du nicht, dass Verführerinnen mit so etwas ...“ Große, warme Hände schmiegten sich besitzergreifend um ihre vollen Brüste. „... rechnen müssen?“

„Nein ... ja! Bitte!“

Seine Rechte glitt hinab zu ihrem empfindlichen Bauch.

Er spreizte aufreizend die Finger, und presste Aya gegen sich. Abgelenkt von dem heftigen Pulsieren, das er damit in ihrem Unterleib auslöste, merkte sie erst, was er vorhatte, als er mit einem einzigen, zielgerichteten Schub in sie drang.

„Takeru!“ Keuchend warf sie den Kopf in den Nacken.

„Ja?“

Sein Kinn streifte seitlich über ihren Hals. Die kurzen, prickelnden Stoppel brachten ihre Haut zum Brennen.

„Ich ...“

„Wusstest Du nicht, dass Feen so etwas passieren kann, wenn sie zu übermütig werden?“, raunte er dicht an ihr Ohr.

„Nein!“ Sie griff hinter sich, vergrub die Finger in seinem Haar.

„Tatsächlich?“ Langsam glitt er aus ihr. „Wie leichtsinnig!“ Ächzend stieß er wieder zu.

Aya schrie leise auf.

Es war so anders, ihn so zu fühlen.

Die schwielige, unnachgiebige Hand, die immer noch köstlichen Druck auf ihren Bauch ausübte, verstärkte das Gefühl zum bersten angefüllter Enge in ihrem Unterleib, ließ sie ihn noch deutlicher spüren.

Langsam aber zielstrebig begann Takeru, sich zu bewegen.

Aya bog ihren Rücken durch, drängte ihre Hüften gegen seine Lenden, die Finger hilflos in sein Haar gekrampft.

Als seine Stöße heftiger wurden, griff sie mit einer Hand blindlings nach dem Beckenrand um Halt zu finden, sich ihm entgegen zu stemmen.

Es fühlte sich tatsächlich anders an. Hilfloser. Ausgelieferter. Wundervoller.

Als er das leise, aufbegehrende Jammern hörte, strichen Takerus Hände beschwichtigend über ihre Seiten.

„Hast Du genug?“, presste er durch zusammengebissene Zähne. Sein heißer, rasselnder Atem in ihrem Ohr brachte Aya zusätzlich um den Verstand.

„Nein!“ Es klang beinahe wie ein Schluchzen.

„Das ist gut, meine kleine Hexe.“ Bei jedem Wort kribbelte sein Bartschatten an ihrem Hals. „Denn ich bin noch nicht fertig mit Dir!“

Seine Linke glitt auf ihren Rücken, drückte ihren Oberkörper langsam nach vorn.

Aya, inzwischen vollkommen kopflos, gehorchte dem stummen Befehl. Vornübergebeugt klammerte sie sich mit bebenden Händen an den Rand des Bassins.

„So ist es gut!“, ächzte ihr Gatte und packte ihre Hüften.

Als er sich nun bewegte, war jegliche Zurückhaltung von ihm abgefallen.

Er nahm, was sein war. Nahm es tief, schnell und hart.

Über dem Rauschen seines Blutes konnte er die flehenden, lustgetränkten Laute hören, die Aya von sich gab.

Schon immer hatte er ihre Stimme bewundert.

Schon immer ihr Lachen geliebt.

Und schon immer, wenn sie gesungen hatte, hatten lustvolle Schauer ihn durchrieselt.

Doch nun spann ihre warme Stimme ein Lied von Verführung und Unterwerfung um ihn. Ein Lied, das ihm galt. Ihm allein.

Weiches Stöhnen mischte sich mit atemlosen Ächzen und leisen, unverständlichen Lockrufen.

Letztendlich wurde die Erregung zuviel.

Aya bäumte sich auf. Ihre suchenden Hände fanden wieder Halt in seinem Haar. Als die brennende Extase jeden einzelnen Nerv ihres Körpers überschwemmte und durchschüttelte, schmiegte sie ihren Kopf fest in seine Halsbeuge.

„Takeru ... Mein Takeru!“ Das stammelnde Keuchen war kaum verständlich.

Doch er verstand sie. Verstand nur zu gut.

Das dunkelblonde Haupt in den Nacken geworfen, stieß er ein letztes Mal in ihre Weichheit und überließ sich dem eigenen, fieberhaften Rausch.

„Aya!“
 

Eine scheinbare Ewigkeit standen sie so im hüfthohen Wasser, belauschten gegenseitig den langsamer werdenden Atem und Herzschlag des anderen.

Aya fühlte zärtliche Lippen auf ihrer Wange.

Träge drehte sie sich in seinen Armen um und küsste ihn, bis er seine Stirn an ihre legte.

„Disziplin ein weiteres Mal untergraben“, murmelte er.

Sie drückte einen Kuss in seinen Mundwinkel.

„Schlimm?“, fragte sie leise.

„Wenn jemand gekommen wäre ...“

„Wer denn?“ Sie fuhr über seinen Schopf. „Diese Terrasse ist nur durch unsere Gemächer zugänglich.“

„Darum schert sich ein Eindringling herzlich wenig!“ Takeru machte sich los.

„Ein Eindringling?“, seufzte Aya. „Wirklich? Ist das das einzige, woran Du denkst?“

„Das einzige, woran ich denken sollte, Prinzessin. Ich bin Kage! DEIN Kage falls Du das vergessen haben solltest.“

„Wie könnte ich, da dies schon die zweite Gardinenpredigt ist, die Du mir heute morgen hältst?“

„Aya, vor zehn Minuten hätte hier eine Armee einfallen können, und ich hätte es nicht gemerkt!“ Er klang aufgebracht.

„Und was bedeutet das?“, wollte Aya wissen. „Dass Du mich in Zukunft nicht mehr lieben wirst?“

„Natürlich!“ Sarkasmus machte seine Stimme hart. „Wie diese Nacht und der darauf folgende Morgen eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben, bin ich ja auch ganz hervorragend darin, die Finger von Dir zu lassen!“

„Oh? Ich wusste nicht, dass Du das möchtest!“, stieß Aya aus.

An der Haltung ihres abgewandten Rückens erkannte Takeru, wie seine Worte sie verletzt hatten.

„Aya ...“

„Ich werde in Zukunft weniger schamlos sein!“

„Aya!“ Er hielt ihren Arm fest.

„Was?“

Ihre Augen starrten trotzig in seine. Sie glänzten verdächtig.

„Du bist nicht schamlos!“, sagte er rau.

„Doch! Doch das bin ich!“ Sie schlang die Arme um sich. „Ich ... ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich bin verwirrt und unvernünftig! Ich tue Sachen, die ...“ Blut stieg in ihre Wangen. „Solche Dinge sollte ich nicht tun. Aber, wenn Du da bist ... ich kann einfach nicht anders. Ich benehme mich wie ein ... wie ein liederliches Frauenzimmer!“

„Bitte?“ Er lachte ungläubig und umfasste ihr Gesicht. „Du bist nicht liederlich, Prinzessin. Weder liederlich, noch schamlos. Dass Du so auf mich reagierst ist ein wundervolles Geschenk für mich! Ich bin derjenige, der die Grenzen überschreitet! Ich bin der Idiot, der meint, Dich gleich vier Mal hintereinander lieben zu müssen. Ich habe mich aufgeführt ... Wie ich mit Dir umgesprungen bin, war nicht gerade zartfühlend. Und wenn eine aus dem Ruder laufende Lust mich an meinen Pflichten hindert, ist das unentschuldbar, aber mein Problem. Meines, Aya. Nicht Deines!“

„Wenn Du mich deswegen weniger oft liebst, ist es durchaus mein Problem“, meinte sie leise.

„Weniger oft?“ Er zog sie an sich. „Ja, wir haben ja gesehen, wie gut ich in der Lage bin, Dir zu widerstehen.“

„Früher warst Du es!“ Sie legte den Kopf an seine Schulter.

„Ja? Aber das war, bevor Ihr ein liederliches Frauenzimmer wurdet, Eisprinzessin“, flüsterte er in ihr Ohr.

„OH! DU ...“

Die Arme fest um sie geschlungen tauchte Takeru unter.

Das letzte was Aya zu hören bekam, bevor Wasser in ihre Ohren drang, war sein leises, tiefes Lachen.
 

Eine halbe Stunde später machten sich zwei wohlduftende Brautleute auf den Weg in das Speisezimmer, das Familie und Freunden während großer Festivitäten als Frühstücksraum diente.

Außerhalb ihrer privaten Gemächer verfielen Herr und Frau Nezu umgehend in alte Gewohnheiten. Oder sagen wir, ihr Verhalten spiegelte in erstaunlichem Maße ihr früheres Verhältnis zueinander wider.

In der `Öffentlichkeit´ schien eine gewisse Distanz durchaus angemessen.

Aya durchlief ein bittersüß nostalgisches Gefühl.

Ihn nicht mehr berühren zu dürfen weckte sofort die altbekannte Sehnsucht.

Und irgendwie war das unbestreitbar wundervoll.
 

Da es noch immer recht früh war, befand sich eine überschaubare Zahl von Personen im Frühstückszimmer.

Unter ihnen Mylord und Mylady. Sie standen am reichhaltigen Büffet, um sich die Auswahl zu betrachten.

„Ach je.“, flüsterte Jin, als sie sah wie ihr Schwiegersohn ihrer Tochter den Stuhl zurechtrückte. „Wie die beiden sich belauern und es dann zu überspielen versuchen, damit niemand etwas merkt. Sieh Dir das nur an!“ Sie zupfte an Zukos Ärmel.

„Tu ich. Da sonst zu befürchten wäre, dass sie gleich hier übereinander herfallen.“

„Mhm.“ Jin legte den Kopf an seine Schulter. „So waren wir auch mal.“

„Mama, stell Dich den Tatsachen.“ Mit einem beladenen Teller in der Hand trat Prinzessin Zirah neben ihre Mutter und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „So seid ihr IMMER noch!“

„Sind wir?“ Jin blinzelte.

„Sind wir!“, brummte Zuko. „Zumindest der feurige Teil von uns. Ich dachte eigentlich, Du wüsstest das.“

„Schon. Aber Du traust Dich mittlerweile wenigstens, mich ab und zu auch außerhalb des Schlafzimmers zu küssen.“

„Kobold ...“

„Oh, oh. Ich führ mir dann mal mein Frühstück zu Gemüte“, murmelte Zirah.

„Guten Appetit, Floh!“

„Danke, Papa.“
 

Vier Tage später hatte Hauptmann Nezus seine Befürchtungen bezüglich Disziplin und Pflichterfüllung noch immer nicht ad acta gelegt.

Er verspürte das dringende, wenn auch ungewohnte Bedürfnis sie mit jemandem zu teilen. Mit jemandem, der die Sache auch ernst nahm!

Dieser Mensch war selbstredend Hauptmann Osaru.

„Hm. Verstehe ich das richtig? Seit ihr beiden - entschuldige die Respektlosigkeit Ihrer Hoheit gegenüber - ein Bett miteinander teilt, befürchtest Du also, sie weniger gut beschützen zu können?“

„Ja.“

„Sag bloß, Du hast Dich nicht vollkommen unter Kontrolle, wenn Du ... also, wenn ...“

„Han! Das ist nicht komisch!“

„Irgendwie schon. Hattest Du diese Ängste früher auch? Ich meine ... vom ehemaligen Schlafzimmer der Gräfin bis zu denen der Prinzessin war es ein ganz schönes Stück. Wenn Du also damals die Gräfin beehrt hast, konntest Du ebenfalls schlecht für Ayas Schutz sorgen.“

„Erstens: vor Ayas Gemächern standen immer Wachposten. Zweitens: ja! Ich hatte diese Befürchtungen auch damals. Drittens: Bei Kaori war ich durchschnittlich sechsmal pro Monat. Ich bezweifle, dass ich meinen ehelichen Pflichten ebenso spärlich nachkommen werde.“

„Schon gut!“, seufzte Han. „Ich finde es nur zum Brüllen, wenn ausgerechnet Du befürchtest Deine Wachsamkeit zu verlieren. Eine Ameisenspinne, die sich in unlauterer Absicht einem königlichen Picknickkorb nähert, witterst Du doch schon noch bevor sie die Landesgrenze überkrabbelt. Du bittest sogar Flöhe, gefälligst leiser zu husten, weil Du sonst Kopfschmerzen von dem ganzen Lärm bekommst. Taku,“ Han versetzte der Schulter seines Freundes einen aufmunternden Schlag. „Bevor DU Deinen Instinkt verlierst, werd ich Primaballerina! Und Du weißt, wie ungern ich Tutus trage. Sie bringen einfach meine Schultern nicht richtig zur Geltung.“

"Han?"

"Ja?"

"Danke!"

"Jederzeit!"
 


 

Fünf Tage später, ein weiteres Frühstück
 

An diesem Morgen sass man, wie fast jeden Sonntag, gemeinsam zu Tisch. Diesmal waren die Tatzus beinahe komplett. Nur Mylord und sein Thronfolger waren abberufen worden, da es unerwartete Schwierigkeiten mit dem Geleitschutz eines hohen Würdenträgers gab.

Die Stimmung war trotzdem äußerst entspannt und fröhlich.

Lee und Kiram stritten brüderlich, aber lauthals darüber, wer von ihnen während der Hochzeitsfeierlichkeiten die meisten Becher geleert hatte.

Von diesem zweifellos weltbewegenden Thema abgelenkt, merkte niemand, wie Pineria Tatzu plötzlich überhastet aufstand und aus dem Zimmer rannte. Niemand außer Lady Jin und Hauptmann Nezu.

Als dieser durch leichtes Schulterzucken seine Unwissenheit kundtat, zögerte Jin keine Sekunde, stand auf und eilte zu der Tür, durch die Pippa verschwunden war.

Die beiden Wachen, die besagte Tür von außen flankierten, salutierten zackig.

„Guten Morgen!“, strahlte Jin. „Schwiegertochter?“

„Dort entlang, Mylady.“ Der Wächter, Yeng, soweit Mylady sich erinnerte, deutete nach rechts.

„Danke!“

An der nächsten Ecke verfuhr Jin ebenso.

„Morgen! Schwiegertochter?“

„Sie nahm diesen Weg, Hoheit.“

„Besten Dank!“

Auf diese Art und Weise wurde Jin um vier Ecken gelotst.

Die Gefilde in die sie dabei gelangte führten vom Inneren des Palastes in den etwas öffentlicheren Außenbereich.

Im Gang zu den Magnolien-Gärten hielt ein diskretes Hüsteln sie auf.

„Ja?“

„Ähm ... Hier drin, Hoheit.“

„Oh, danke! San, nicht wahr?“

„Ja, Mylady“, murmelte der junge Wächter mit vor Stolz und Überraschung geröteten Wangen.

„Wollen Sie nicht Kage werden?“

„J ... ja. Ich bin einer der diesjährigen Rekruten.“

„Hauptmann Nezu hat Sie schon einmal erwähnt.“

„Wirklich?“

„Er ist sich ziemlich sicher, dass Sie es schaffen werden.“

„W ... wirklich?“, stotterte San Obku. „Das ... Danke sehr!“

Jin schenkte dem jungen Mann ein aufmunterndes Lächeln und betrat dann - wie sie es fast schon erwartet hatte - einen der großzügig im ganzen Palast verteilten `Erfrischungsräume´.

An den steinernen, hüfthohen Becken mit dem ruhig plätschernden Wasser war jedoch niemand.

Um die Ecke, abgeschirmt durch üppige Farne befanden sich abschließbare, diskret versteckte Nischen für gewisse Bedürfnisse.

Jin konnte leises, angestrengtes Keuchen hören.

„Pippa?“, rief sie leise.

„Ja?“, kam es kläglich zurück.

„Geht es Dir gut, Schätzchen?“

„Ich weiß nicht.“

„Kann ich kommen?“


„Ja. Aber ich musste mich ... übergeben.“

Jin marschierte um die Ecke.

Pineria sass leichenblass auf einem Hocker, im Schoß eine der großen Porzellanschüsseln, die normalerweise zum Waschen des Gesichts benutzt wurden. Diese Schüssel hier war allerdings zweckentfremdet worden.

Schnell nahm Jin ihrer Schwiegertochter das Ding ab und entleerte den Inhalt kurzerhand in einen der Aborte.

„Danke!“, seufzte Pippa über das Rauschen des Wassers hinweg. „Ich scheine mir eine Magenverstimmung geholt zu haben.“

„Hm. Gestern Abend ging es Dir doch noch hervorragend.“

Mittlerweile hatte Jin ein Handtuch mit kaltem Wasser benetzt und drückte es Pippa sanft auf die Stirn.

„Ja. Es ist immer nur morgens.“

„Immer? Seit wann?“

„Seit drei, nein vier Tagen. Bestimmt hab ich etwas falsches gegessen.“

„Ich will Dir ja nicht zu nahe treten, Pippa-Schatz, aber wann hattest Du Deine letzte Monats-Blutung?“

„Meine ... was? Ich ... äh ...“

Pineria rechnete.

Und rechnete.

„Gute Güte! Vor ... drei Monaten, oder so“, hauchte sie schwach. „Wie kann man nur so sein?“, stöhnte sie dann und vergrub den Kopf in den Händen. „Ich bin eine fürchterliche Ehefrau!“

„Ach Unsinn!“ Jin lachte leise. „Du bist eben beschäftigt. Manchmal vielleicht ein wenig zerstreut, was wir alle aber ganz reizend finden. Und vor allem Lu Ten! Außerdem musste man mich beim meinem ersten Baby auch erst mit der Nase drauf stoßen. Also mach Dir keine Sorgen. Doch bevor wir irgendjemanden damit kirre machen, sollten wir erst zu Doktor Yuri. Einverstanden?“

„Einverstanden!“, flüsterte Pippa.
 

Eine halbe Stunde später starrte Pineria Tatzu gebannt auf ein Reagenzglas.

„Und der Grad der Verfärbung lässt sogar Rückschlüsse auf den Hormonpegel zu, so dass wir heutzutage ziemlich genau sagen können, wie lange eine Schwangerschaft schon besteht“, referierte Dr. Yuri eifrig.

Pippa, die zur Abwechslung mal keinen Kopf für die Wunder der Wissenschaft hatte, nickte nur und starrte weiterhin hypnotisiert auf das Reagenzglas mit ihrer Blutprobe.

Mit ihrer ROTEN Blutprobe.

Sie knetete ihre Finger.

Jin griff beruhigend nach ihren Händen.

„Wunderbar!“, murmelte Mylady. „Aber es dauert doch, bis die Verfärbung auftritt, nicht wahr?“

„Faszinierendes Verfahren, was?“, strahlte Yuri, ganz in seinem Element.

„Ja“, antwortete Jin geduldig. „Aber es dauert.“

„Oh ja, aber gewiss.“ Der Arzt hantierte mit ein paar Farb-Skalen herum.

„Dr. Yuri!“

„Äh ... ja?“

„Wie lange?“ Jin artikulierte jedes Wort überdeutlich.

„Oh natürlich! Wie nachlässig von mir! Ihr wollt selbstverständlich wissen ...“


„Doktor!“

„Fünf Minuten.“

„Gut! Fünf Minuten. Das ... ist ja nicht so lange.“ Jin streichelte über Pippas verkrampfte Hände. „Außerdem hat er das Zeug bestimmt schon vor drei Minuten reingeworfen“, murmelte sie geistesabwesend. „Und ... äh, wie geht es Ihrer Frau?“

„Hervorragend, danke sehr“, antwortete der Mediziner. „Sie hat sich sehr über den Schal gefreut.“

„Das ist schön!“

„Und unser kleiner Bo fängt schon langsam an zu sprechen.“

„Schön. Schön. In dem Alter sind sie so niedlich, nicht wahr?“

Lady Jin lächelte strahlend, fixierte dabei das Reagenzglas wie ein Terrier.

„Wird es ...“ Pippa richtete sich kerzengerade auf.

„Violett!“, rief Jin.

Zu sagen, sie würde kreischen, wäre wenig schmeichelhaft.

„Es wird violett!“

Die beiden Frauen fielen sich um den Hals und ... na ja, kreischten. Schmeichelhaft oder nicht.
 

An der Tür zum Untersuchungszimmer klopfte es.

Jeder im Palast kannte dieses Klopfen. Und niemand, aber auch niemand, wagte es zu ignorieren.

„Äh ... Ja, bitte?“

Seine Lordschaft erschien im Türrahmen.

„Und?“, fragte er nur.

Jin drückte Pippa ein letztes Mal, stand auf und lief zu ihrem Gatten.

Er blickte sie fragend an. Sie nickte.

Ein breites Lächeln dämmerte auf Zukos Gesicht.

„Weiß Lu Ten es schon?“

„Nein. Wir haben das Ergebnis eben erst bekommen.“

„Ich nehme an, er kreuzt so oder so bald auf. Unter den Palastwachen verbreiten sich solche Dinge rasend schnell.“

Inzwischen war Zuko neben Pippa getreten.

Nun beugte er sich vor und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. Fräulein Schwiegertochter zerknüllte derweil seinen kunstvoll bestickten Ärmel.

Ein lächerlich geringer Preis, für einen neuen Enkel.

Plötzlich erschien Lu Ten in der Tür.

„Pippa?“

Dieser Tonfall veranlasste seinen Vater erst einmal, die Situation zu entschärfen.

„Ihr ist nichts passiert!“, stellte Zuko klar, da er Pineria inzwischen recht gut kannte.

Das Kind würde mindestens drei Minuten brauchen, das Thema einzukreisen. Und so lange wollte Mylord seinen besorgten Sohn nicht im Ungewissen lassen.

Mit einem einzigen Blick beorderte er Dr. Yuri aus dem Raum. Jin schnappte er kurzerhand an der Hand , zog sie nach draußen und schloss die Tür.

„Zuko ... was?“

„Scht! Ich zähle.“

„Du ... was?“

„Zählen, mein Herz.“

„Was zählst Du denn?“, wollte Mylady wissen.

„Sekunden.“

„Ah. Unsere Uhren sind Dir also nicht mehr genau genug?“

„Kobold ...“

„Ja, aber ...“

Zuko legte einen Finger an die Lippen und presste sein Ohr gegen die Tür.

Jin tat es ihm gleich.

„Sechs, fünf, vier ...“

„Zuko?“

„Drei, zwei, eins!“

FRATZ!

Lu Tens freudiger Aufschrei war dermaßen laut, dass seine Eltern hastig die Lauschorgane von der Tür nahmen.

Mylord blickte sein Weib triumphierend an.

„Auf die Sekunde!“, murmelte er, während seine Augenbraue zum arroganten Höhenflug ansetzte.

„Drache, manchmal machst Du mir Angst.“

„Das liegt nicht in meiner Absicht.“

„Ich weiß. Darum vergebe ich Dir ja auch immer.“
 

Als man Dr. Yuri endlich wieder seiner Arbeit nachgehen ließ, stellte er fest, die Frau des Kronprinzen war in der elften oder zwölften Woche.

Die werdenden Eltern, insbesondere der Vater, sahen sich mancherlei Spott ausgesetzt.

Lee lachte beinahe Tränen.

„Oh Mann! Das hab ich bei Niha aber früher bemerkt! Und ich dachte immer, Du führst Buch über Euer Intimleben.“

„Nein“, erwiderte Lu Ten trocken. „Im Gegensatz zu Dir komm ich mit einer Fünfer-Karte pro Monat nicht hin.“

„Hört, hört!“, rief Kiram grinsend. „Strichlisten her!“

Danach suchte er lieber das Weite.
 


 

Vier Wochen später
 

An einer Seitentür zum neuen Büro des stellvertretenden Kommandanten wurde leise geklopft. Da es die Tür war, die die Privatgemächern von den Diensträumen trennte, gab es nur eine mögliche Antwort.

„Herein!“, rief Hauptmann Nezu.

Sein Eheweib streckte den Kopf herein.

„Bist Du beschäftigt?“, fragte Aya.

„Nichts, was nicht warten kann.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“

„Ich ... also bei mir ist es auch nichts, das nicht warten könnte. Eigentlich.“

„So?“ Er hob die Braue. „Und was genau könnte noch warten? Eigentlich?“

„Hmm ... Du bist bestimmt wieder nicht dazu gekommen, zu Abend zu essen, oder?“

„Ich hatte Nudeln.“

„Ach.“

„Aya?“

„Hm?“

„Geht es hier wirklich um meine Ernährungsgewohnheiten?“

„Hmnein.“, gab sie zu.

Er konnte sehen, wie sie, halb hinter der Tür verborgen, von einem Fuß auf den anderen trat.

„Trägst Du Schuhe?“, fragte er beiläufig.

„Hmmmnein.“

Takeru seufzte.

„Wenn ich überall dicke Teppiche auslegen lassen muss, wird das sehr teuer werden“, murmelte er.

„Nicht schimpfen!“

„Es handelt sich lediglich um konstruktive Kritik.“

„Gut. Danke.“

„Aya ... Willst Du nicht endlich hereinkommen?“

Aya trat vollends ein, schloss die Tür und trat vor seinen Schreibtisch. Ihre bloßen Zehen rollte sie ein, als Schutz vor der Kälte des Marmorbodens.

Takeru schnalzte mit der Zunge und hielt ihr auffordernd eine Hand entgegen.

Schnell huschte Aya um den Schreibtisch und ließ sich auf seinen Schoß ziehen.

„Das ist besser!“, meinte sie, als sie die Beine anzog und sich an ihn kuschelte.

„Allerdings!“, brummte er. „Himmel, Deine Füße sind eiskalt. Man sollte meinen, Du hättest genug Schuhwerk für jede einzelne Minute des Tages.“

Trotz der Schelte war Herr Nezu so aufmerksam, die zierlichen Zehen seiner Frau in einer warmen Hand zu bergen.

Er bekam einen Kuss auf den Mundwinkel.

„So, und was ist es nun, das zwar warten kann, Dich aber trotz allem hergeführt hat?“

„Nur das.“ Aya schmiegte ihren Kopf enger in seine Halsbeuge.

„Und Du fandest, das kann warten?“

„Na ja ... im äußersten Notfall.“

Er umfasste ihr Kinn.

„Das ist Ansichtssache.“ Er küsste sie. Lang und tief. „Freche Fee!“ Er küsste sie wieder. Noch länger und tiefer.

Aya schlang die Arme um seinen Hals und schmolz gegen ihn.

Dann rückte sie mit dem wahren Grund für ihr Kommen heraus.

„Ich hab Dich heute kaum gesehen.“

„Ich weiß. Aber das Erdkönigreich stellt wieder einmal neue Forderungen an unsere Sicherheitsmaßnahmen wegen des anstehenden Besuchs von König Nuro. Die Arbeit nimmt kein Ende.“

„Ich weiß ja“, flüsterte Aya, die Stirn an seine gelegt. „Ich wollte mir auch nur ein paar Küsse stehlen.“ Ihr Zeigefinger fuhr seinen Unterkiefer nach.

„Das hast Du schon.“

„Mhm.

„Du willst noch mehr.“

„Einen klitzekleinen vielleicht?“

Sie bekam einen. Einen Großen. Einen ziemlich Großen.

„Hmm. Kaffee!“ Sie seufzte genüsslich.

„Ja. Entschuldige.“

„Entschuldigen? Was denn?“ Sie richtete sich halb auf. „Ich mag dem Gebräu selbst nicht viel abgewinnen können, aber meinen Kage liebe ich mit einem kräftigen Schuss Kaffee.“

„So? Ich dachte, er sei Dir zu bitter.“

„Für sich genommen schon. Aber zu Dir passt der erdige Geschmack. Viel besser als Tee.“

„Ah, ich glaube, jetzt muss ich Dich lieben!“, raunte er.

„Nein! Du wirst so oder so zu Ende arbeiten. Und ich will an keiner Verzögerung schuld sein. Sonst kommst Du nie zum Schlafen.“

„Du denkst wirklich, ich könnte mich jetzt weiterhin konzentrieren?“

„Hmm ... ja?“

„Hm. Nein!“
 

Exakt einundvierzig Minuten später saß Hauptmann Nezu wieder voll konzentriert an seinem Schreibtisch, während seine Frau den Göttern für die Kooperationsbereitschaft ihres Mannes dankte.

In einigen Tagen würde sie allerdings einsehen müssen, dass es auf dieser Welt kaum ein stureres Mannsbild geben konnte.

Noch bevor der Monat um war, würde ihr liebender Gatte sich mit beinahe allen Menschen seiner Umgebung angelegt haben.
 

Um den Auslöser dieser kleinen Krise letztendlich kennen zu lernen, lenken wir unser Augenmerk in die nördlichste Provinz des Erdkönigreichs.

Genau hier befand sich der Herrensitz des Erzherzogs von Iweh, Vierter in der Thronfolge des Hochthrons des Erdkönigreichs, Oberhaupt eines der ältesten Adelsgeschlechter des Landes. Eines aussterbendes Adelsgeschlechts wohlgemerkt, da er keine Nachkommen hinterlassen würde.

Der Erzherzog lebte ein einsames, zurückgezogenes Leben.

Seine Ablehnung gegenüber gesellschaftlichen Anlässen hatte dazu geführt, dass Yoshio, der Sohn seiner jüngeren Schwester und einziger noch lebender, männlicher Verwandter Seiner königlichen Hoheit, die repräsentativen Pflichten seines Onkels übernommen hatte.

Dieser junge Mann war zum Glück wesentlich geselliger als der Erzherzog.
 

So also kam Yoshio Saburo, Graf von Nobu, Neffe eines der mächtigsten Männer des Erdkönigreichs, im Gefolge des Erdkönigs an den Palast des Feuerlords.

Er würde Auslöser unaufhaltsamer Ereignisse werden und das Leben einiger Menschen hier auf immer verändern.

Der Erzengel

Die Anreise des Erdkönigs war - von ein paar Blasen an den Füßen seiner Sänftenträger einmal abgesehen - Agni sei Dank ohne Zwischenfälle von statten gegangen. Ebenso planmäßig und reibungslos verlief dementsprechend auch der abendliche Empfang für ihn und sein Gefolge. Die Musik war inspirierend, das Essen hervorragend und die Gespräche angeregt. Besonders das Gespräch zweier junger Männer.

„Nun, Hoheit, ich hoffe Eure Schwester Aya noch kennen lernen zu dürfen. Ich habe schon viel über sie gehört. Sie soll sehr ...“ Yoshio Saburo, Graf von Nobu, machte eine etwas hilflose Geste.

„Ja.“ Lee musste grinsen. „Ist sie. Ziemlich sehr sogar.“

„Außerdem hat sie erst kürzlich einen Namensvetter meines Onkels geheiratet“, rettete der junge Adlige sich auf sicheres Terrain.

„Euer Onkel heißt Takeru?“, fragte Lee.

„Oh, nein, nein. Ich meine den Familiennamen. Der Familienname der Erzherzöge von Iweh und ihrer Sippe lautet ebenfalls Nezu. Zugegebenermaßen ist es im Erdkönigreich ein weit verbreiteter Name. Nezus gibt es praktisch in allen Formen und Farben und in jeder Volksschicht.“

„Verstehe. Es verhält sich also wie mit Chang oder Wu.“

„Nicht ganz so schlimm, aber ähnlich“, erwiderte der Graf. „Ursprünglich bedeutete der Name glaube ich Mauerwerk, oder Festung. Daher nehme ich stark an, dass der Stammvater aller Nezus schlichtweg ein einfacher Maurer war. Eine Theorie, die unter der Familie meiner Mutter jedoch nur wenig Anklang fände.“

„Das kann ich mir vorstellen!“, feixte Lee.

„In der Feuernation ist der Name eher unüblich, daher nehme ich an, der Hauptmann ist ein Landsmann von mir?“

„Das ist er in der Tat. König Nuro hält meinem Vater regelmäßig vor, ihm den besten Kämpfer des Erdkönigreichs vorzuenthalten. Er hat sogar schon versucht, uns Hauptmann Nezu abzukaufen.“

„Bitte?“, lachte Yoshio.

„Wirklich wahr! Alle zwei Jahre veranstalten sie hier einen freundschaftlichen Wettkampf. Mein Vater und Euer König lassen ihre besten Soldaten und Kämpfer gegeneinander antreten. Und jedes Jahr geht es gleich aus, egal WEN Nuro anschleppt, am Ende steht nur noch Hauptmann Nezu. Und meistens noch Han Osaru. Bin gespannt, wer dieses Jahr die Ehre hat, von meinem Schwager auf den zweiten Platz verwiesen zu werden. Vorletztes Jahr bot Nuro meinem Vater nach dem Turnier das gesamte Herzogtum Ying und eine nahezu schwindelerregende Summe an, um Takeru auszulösen. Als mein alter Herr sich weigerte, hat Nuro ihn richtiggehend angebrüllt. Der Hauptmann sei ein stolzer Sohn der Erdnation; dort gehöre er gefälligst hin und nicht zu einem Haufen hinterlistiger, feuerspuckender Wegelagerer!“

„Er ... hat ihn angebrüllt?“

„Ja.“

„Euren Vater?“

„Ja!“

„Und er hat ihn Wegelagerer genannt?“

„Genau genommen uns Alle.“

„Alle Achtung!“

„Nicht wahr?“

„Was tat Euer Vater?“

„Er lachte nur, legte Nuro die Hand auf die Schulter und meinte, sie könnten sich den Ruhm des Sieges ja teilen. Die Erdnation könnte sich rühmen, den besten Kämpfer zwar hervorgebracht zu haben, aber entdeckt hätte ER ihn. Ich wette, dieses Jahr fängt das Ganze von vorn an.“

„Seine Majestät kann bei Bedarf sehr hartnäckig sein.“

„Und mein Vater ziemlich bockig.“

Die beiden Männer lachten.

Dann fiel Lee eine Bewegung in der Menge auf

„Ah! Dort drüben steckt Aya ja. Samt legendärem Eheanhängsel. Dann werde ich Euch der entfernten `wenn-überhaupt-Verwandtschaft´ mal vorstellen. Bitte mir zu folgen.“
 

Als Yoshio Prinz Lees Schwester erblickte, stockte ihm für einen kurzen Moment der Atem. Diese Frau war tatsächlich so schön wie man behauptete.

Graziös, mit einem hellen, ansteckenden Lachen schien sie fast zu leuchten.

Sie nickte zu etwas, das Außenminister Wu gesagt hatte.

„Meine Güte!“, murmelte Yoshio.

„Tja, ist eben bestes Erbgut, wenn ich mal so sagen darf.“

Plötzlich drehte Aya Nezu sich um und wandte sich an einen Mann, der dicht bei ihr, jedoch ein wenig im Hintergrund stand. Um sie inmitten des Lärms besser zu verstehen, beugte der Hüne sich nach vorn.

Yoshio Saburo erstarrte zur Salzsäule.

„Was ist?“, wollte Lee wissen.

Doch der Graf stand nur wie angewurzelt da und starrte Hauptmann Nezu an.

„Der Erzengel?“, flüsterte Yoshio.

„Erzengel?“ Lee legte den Kopf schief. „Hm. Den Vergleich hatten wir bisher noch nicht. Aber auch sehr hübsch. Wir hier nennen ihn zärtlich den Blutwolf. Oder - vorzugsweise wenn er eine Meile weit weg ist - Master Gargoyle.“

„Äh ... was?“ Yoshio blickte seinen Begleiter an, als bemerke er ihn erst jetzt.

Lee war langsam etwas irritiert.

Zugegeben, sein Schwager war imposant und konnte einem wenn er wollte auch ordentlich Angst einjagen, aber diese Reaktion ...

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er misstrauisch.

„Ja! Ja, natürlich.“ Graf von Nobu straffte sich. „Ihr ... könntet Ihr mich jetzt vorstellen?“

Lee nickte.

Schließlich wäre es, sollte der Kerl einen Knall haben, ohnehin das Sicherste, ihn in Takerus Nähe zu verfrachten. Die Killerqueen würde sofort spüren, wenn Gefahr drohte.

Yoshio hatte sich als er Herrn und Frau Nezu vorgestellt wurde allerdings wieder voll im Griff. Seltsam war nur, dass er sich immer noch mehr für Takeru Nezu zu interessieren schien, als für dessen bezaubernde Gemahlin. Und das, wo ihm bei Ayas Anblick vorher noch fast die Augen aus dem Kopf gefallen wären.

Lee beschloss, Yoshio Saburo unter Beobachtung zu halten.

Lange hatte er sein Opfer jedoch nicht zu observieren, denn der Graf reiste am übernächsten Morgen mit dem ersten Schrei der Taubenhähne ab.

Allerdings nicht, ohne diskrete Erkundigungen über den Blutwolf eingezogen zu haben.
 


 

Numatzu, Zwei Tage später
 

„Ähm ... Verzeihung. Yuna Nezu?“

„Ja?“ Yuna wischte die staubigen Hände an ihrer Schürze ab und sah den Fremden fragend an.

Er war recht jung, hatte ein ruhiges, ehrliches Gesicht, welches bei den Fräuleins bestimmt hoch im Kurs stand, und ein offenes Lächeln.

„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie störe. Ich, äh ... komme in einer delikaten Angelegenheit.“

„Delikat? Aha. Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

„Mein Name ist Yoshio Saburo. Ich habe einige Fragen an Sie.“

„Fragen? Was für Fragen?“

„Also ich ... Waren Sie mit Takeo Isamu Virgil Nezu verheiratet?“

„Was?“, hauchte Yuna.

Mit einem Mal war sie unendlich blass geworden.

Woher kannte der Fremde den vollständigen Namen ihres verstorbenen Mannes?

Plötzlich wirkte dieses Gesicht gar nicht mehr so offen und ehrlich.

„Waren Sie?“

„Ich wüsste nicht, was Sie das anginge!“, antwortete sie abweisend.

„Oh ... Also ... Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte Ihnen nichts Schlechtes! Ich komme im Auftrag des Erzherzogs von Iweh“, improvisierte Yoshio.

„Der Herzog?“ Yuna versteifte sich. „Was will der Herzog von mir?“

„Nichts! Ich meine ... Es handelt sich um dringende Familienangelegenheiten. Daher muss ich wissen, ob Sie die Ehefrau Takeo Nezus waren.“

„Ja.“ Yuna schob ihr Kinn vor. „Takeo war mein Mann. Aber mit dem Herzog habe ich nichts zu schaffen!“

„Es geht um das Erbe“, warf Yoshio hastig ein.

„Das Erbe? Machen Sie Witze?“ Yunas grüne Augen begannen zu brennen. „Das Erbe? Takeo war enterbt worden, als er mich heiratete. Und nach seinem Tod ...“ Ihre Stimme versagte. „Mir wurde mehr als deutlich gemacht, dass weder ich noch das Baby Anspruch auf den Schutz seiner Familie hätten.“

„Von wem stammte diese Aussage?“

„Von wem?“ Yuna lachte hart. „Von Takeos Vater. Akio. Dem ehrwürdigen Erzherzog höchstpersönlich. Direkt nachdem er mir ins Gesicht geschleudert hatte, sein einziger Sohn sei auf seiner Reise in die Feuernation von Aufständischen getötet worden. Er stand einfach da und hat es mir ... mitgeteilt.“ Als alte Erinnerungen auf sie einstürmten, schlang Yuna schützend die Arme um sich. „Er war so kalt! Es hat ihm nichts bedeutet, seinen Sohn zu verlieren. Nur weil dieser es gewagt hatte, sich ihm zu widersetzen und mich zu heiraten.“

Sie nahm einen zitternden Atemzug.

„Er verlangte sogar von mir Takeos Namen abzulegen. Aber ... das konnte ich nicht. Es war das Einzige, was mir geblieben war. Sein Name und sein Kind. Ich nahm meinen zwei Jahre alten Sohn und zog nach Ba Sing Se, wo es so viele Nezus gab, dass wir nicht weiter auffielen. Wenn der Herzog mir jetzt vorwerfen will, ich hätte seinen kostbaren Namen beschmutzt, dann bei den Göttern ...“

„Nein! Darum geht es nicht. Es geht um ebendiesen Sohn. Ihren Sohn. Hauptmann Nezu.“

„Und warum? Warum sollte der Alte plötzlich Interesse an Takeru haben? Und WARUM sollte uns das interessieren?“

„Ihr Sohn“, sagte Yoshio eindringlich. „Ist der Erbe des Herzogtums von Iweh.“

Yuna sog scharf die Luft ein.

„Nein!“, zischte sie. „Mein Sohn ist Takeru Nezu. Hauptmann der königlichen Leibgarde Seiner Lordschaft Zuko II. Und er weiß sehr gut, WER er ist! Auch ohne einen Stammbaum. Wir brauchen nichts vom Herzog! Er soll seinen Erben sonst wo suchen und uns in Ruhe lassen!“

„Sie ... Sie wollen Takeru sein Erbe verweigern?“

„Ich? Ich verweigere ihm gar nichts! Sein Großvater war derjenige, dem ich versprechen musste, dem Jungen nichts über seine Abstammung zu erzählen. Ich sah auch wirklich keinen Grund, ihm eine lange Ahnenreihe kaltherziger Mistkerle vorzubeten. Der einzige, von dem ich Takeru erzählte, war sein Vater. Takeo war ein wundervoller, ehrlicher und großherziger Mensch. Er wäre unendlich stolz auf seinen Sohn. Und das ist das einzige, was für mich zählt!“ Yuna hielt inne.

Schon lange war sie nicht mehr so aufgebracht gewesen.

Anders war auch nicht zu erklären, wieso sie ihre Vergangenheit mit einem Wildfremden erörterte. Vielleicht hatte sie ihr Geheimnis zu lange mit sich herumgeschleppt. Oder die Erwähnung des Herzogs von Iweh hatte zuviel der alten Bitterkeit an die Oberfläche gebracht.

„Wie dem auch sei“, meinte sie nun ruhig. „Sie können Seiner Hoheit ausrichten, es existiert kein Erbe. Ganz so, wie er es wollte.“

„Da wäre nur ein kleines Problem“, antwortete Yoshio. „Akio ist längst nicht mehr der Erzherzog. Er starb vor mehr als zwanzig Jahren.“

„Dann wir sein Nachfolger ja mehr als erleichtert sein, zu hören, dass mein Sohn nichts von seinem Anspruch auf den Titel weiß. Lassen Sie die Sache auf sich beruhen!“

„Ich fürchte, das kann ich nicht.“

„Sie KÖNNEN es nicht?“

„Nein. Ihr Sohn ist der letzte legitime Erbe derer von Iweh.“

„Fein!“, fauchte Yuna. „Tun Sie, was Sie tun müssen. Aber machen Sie sich keine Hoffnungen. Takeru wird weder sein jetziges Leben noch seine Stellung jemals aufgeben. Für nichts auf der Welt! Guten Tag!“

Scheinbar gelassen wandte Takerus Mutter sich um und ließ den Fremden stehen.

Innerlich jedoch war sie in Aufruhr.

Sie musste auf der Stelle packen gehen.

Falls dieser Mensch auf die Idee käme, Takeru aufzusuchen, wäre es ratsam vor Ort zu sein, um die Wogen zu glätten.
 


 

Burg Nezushiro, Iweh (nördlichste Provinz des Erdkönigreichs), am Abend des nächsten Tages
 

Graf von Nobu stürmte die breite Treppe einer ausufernden, steinernen Empfangshalle empor.

„Master Yoshio, wie schön Euch zu ...“

„Tag, Leo! Wo ist der Erzengel? Ich muss ihn sofort sprechen!“

„Seine Gnaden“, betonte der Bedienstete pikiert. „Sitzt zu Tisch.“

„Oh, gut. Stört mich nicht im geringsten, wenn er noch isst.“

„Ihr kommt wirklich ungelegen, Master Yoshio.“

„Ich weiß. Das tu ich doch immer. Aber es ist wirklich dringend, Leo.“

Ohne den altgedienten Butler weiter zu beachten, erklomm Yoshio die Treppe, immer drei Stufen auf einmal nehmend.

„Aber ... Euer Lordschaft!“

Der junge Graf ignorierte den Einwand, klopfte an die riesige Flügeltür zum Speisezimmer und öffnete sie schwungvoll.
 

Das Innere des altehrwürdigen blauen Salons, der schon seit Generationen als Speisesaal diente, war düster und muffig. Die einzigen Lichtquellen waren ein halbherziges Feuer im Kamin und ein fünfarmiger Kandelaber. Es roch nach altem Holz, noch älterem Stein und kalter Asche.

Das träge Ticken einer riesigen Wanduhr verstärkte nur den Eindruck der Verlorenheit, die dieser Raum ausstrahlte.

So war es schon immer gewesen. Seit Yoshio sich erinnern konnte.

An diesem Ort schien die Zeit stillzustehen.

Aus der Vergangenheit kroch sie durch kleinste Risse und Ritzen des porösen Mauerwerks, bis sie letztendlich zu lähmender, zäher Melancholie erstarrte, die sich wie ein staubiges Leichentuch auf alles und jeden senkte.

Am Kopfende einer langen, schweren Tafel, deren stumpfes Nussbaumholz durch die Jahrhunderte fast schon versteinert schien, saß ein großer, schlanker, einschüchternder Mann.

Der Herr all dieser Einsamkeit.

Als er den ungebetenen Eindringling erkannte, lehnte der Erzherzog von Iweh sich zurück.

„Yoshio“, knarzte er und legte seine Fingerspitzen gegeneinander.

„Hoheit!“ Yoshio verneigte sich tief, wenn auch unvorschriftsmäßig kurz.

„Was führt Dich her?“ Seine Gnaden griff nach dem Besteck und schnitt ein Stück Fleisch ab. „Möchtest Du mir beim Essen Gesellschaft leisten?“

„Vielleicht später.“

„Wie Du willst.“ Der Herzog aß ungerührt weiter.
 

Erzengel.

Diese Bezeichnung war überaus passend. Obwohl der kleine Yo erst sechs gewesen war, als er seinem Onkel diesen Spitznamen verpasst hatte.

Es war für einen phantasiebegabten Knirps aber auch wirklich ein Kinderspiel gewesen, sich den grimmigen, hochaufgeschossenen Erzherzog mit einem lodernden Flammenschwert in der Hand vorzustellen, den hellen Schopf von der Sonne erleuchtet wie ein Heiligenschein.

Heute war das ehemalige Weizenblond von Grau durchzogen.

Grimmig war der Erzengel allerdings immer noch.

„Onkel, ich muss Euch dringend sprechen!“

„Gut. Ich höre.“

Yoshio war schon immer direkter gewesen, als gut für ihn war.

Aus eben diesem Grund war er auch der einzige in der Verwandtschaft, dessen Gegenwart der Herzog uneingeschränkt duldete.

Jetzt allerdings schluckte der junge Mann trocken. Das Thema, welches er anzuschneiden gedachte war gelinde gesagt unerwünscht. Ein Tabu, das es nun zu brechen galt.

„Onkel ... Eure Ehefrau; wie hieß sie?“

Takeo Isamu Virgil Nezu, Freiherr von Zyang, Vicomte von Tsu-Nung, Erzherzog von Iweh, erstarrte, schloss kurz die Augen und ließ sein Besteck sinken.

„Wechsle das Thema!“, befahl er barsch und griff nach seinem Weinglas.

„War ihr Name Yuna?“

Die Knöchel der kräftigen Finger, die um den Stil des eleganten Glaskelchs lagen, traten weiß hervor.

„Du WAGST es?“ Seine Gnaden ballte die Fäuste. „Vor Jahren hatte ich Dir verboten, jemals wieder ein Wort über meine Familie zu verlieren!“

„Warum?“, stieß Yoshio aus. „Weil es zu schmerzhaft ist, wie Ihr immer behauptet habt? Oder etwa weil Ihr alle Welt glauben machen wolltet, sie wären tot?“

Diesen unbedachten Worten folgte erdrückende Stille.

Als der Erzengel endlich aufblickte, tanzten unheilige Flammen über die eisige Oberfläche seiner Augen. Er erhob sich.

„Hinaus!“, flüsterte er.

„War Eure Trauer nur geheuchelt? All die Jahre?“

„HINAUS!“, brüllte Takeo. „Du wirst ihr Andenken nicht beschmutzen!“

„Beschmutzen?“ Yoshio betrachtete den Älteren eindringlich.

Noch nie hatte er ihn so gesehen. So vollkommen außer sich.

Takeo sank in seinen Stuhl zurück.

„Lass sie ruhen!“ Die tiefe Stimme klang mürbe. „Ich bitte Dich, Yoshio, lass sie ruhen!“

„Aber ich muss es wissen, Onkel! War ihr Name Yuna?“

„Ja.“

Der junge Graf kannte seinen Onkel als vitalen, kraftstrotzenden Mann in den besten Jahren. Nun aber saß der Herzog von Iweh alt und gebeugt an seiner langen, kostbaren Tafel und starrte ins Nichts.

„Ihr Name war Yuna. Und ihre Augen ... hatten die Farbe frischen Klees.“

Grüne Augen also? Yoshio straffte sich und holte tief Luft.

„Sie ist nicht tot!“, murmelte er und griff nach der Hand seines Onkels.

Abrupt wurde sie ihm entzogen. „Weder sie, noch Euer ...“

„Hör sofort auf damit!“

Na bitte. Da war er ja wieder, der Erzengel.

„Onkel ...“

„Ich sagte, HÖR AUF! Deine Scherze sind weder komisch, noch angebracht!“

„Ich habe mit ihr gesprochen. Mit Eurer Yuna!“

„Nein!“

„Dunkelblond, grüne Augen ...“

„NEIN!“

„Doch, Onkel! Sie heißt Yuna Nezu, stammte ursprünglich aus Tsang Go ...“

„GENUG!“

„Lebte dann in Ba Sing Se. Und ihr Sohn ...“

„YOSHIO!“

„Was? WAS, Onkel? Wollt ihr gegen die Wahrheit anbrüllen?“ Yoshio setzte sich rücklings auf den Stuhl neben seinem Onkel, sodass er ihn ansehen konnte und beugte sich nach vorn. „Ich habe ihn gesehen. Euren Sohn. Ich habe ihn auf den ersten Blick erkannt, so ähnlich ist er Euch. Danach suchte ich seine Mutter auf. Sie hat dunkelblondes Haar, hellgrüne Augen. Und ein kleines Muttermal. Hatte Eure Yuna eines? Ein Muttermal, neben der rechten Augenbraue, das geformt ist wie ...“

„Ein Herz“, flüsterte Takeo mit gesenktem Kopf. „Es war geformt wie ein Herz.“

„Ja! JA, verdammt noch mal. Ich habe sie gesehen!“

„Yoshio, wenn dies Deine Auffassung eines Scherzes ist ...“

„Scherz? Ihr solltet mich wirklich besser kennen Onkel! Ich weiß, wie sehr die Erinnerung an die beiden Euch schmerzt. Wie könnte ich damit Schindluder treiben?“

„Nein“ Der Erzengel hob langsam sein Haupt. „Das würdest Du nicht. Aber Du musst Dich irren! Sie sind tot.“

„Woher wisst Ihr das?“

„Mein Vater ...“

„Hat er sie nicht loshaben wollen?“

„Ja. Ich hegte sogar den Verdacht, er sei es gewesen, der dafür sorgte, dass das Haus damals Feuer fing.“ Takeos Kiefermuskeln zuckten. „Aber es besteht kein Zweifel an ihrem Tod. Ich habe sämtliche Nachbarn befragt und... Ich stand an ihren Gräbern.“ Seine Fäuste ballten sich hilflos. „Ich stand an ihren Gräbern und habe die Götter verflucht.“

„Zeugen können bestochen werden. Und Gräber enthalten nicht immer das, was sie sollten.“

„Aber ...“

„Woher sollte ich von dem Muttermal wissen, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, Onkel? Lasst uns nachsehen. Bitte! Sollte ich mich irren, dürft Ihr mich vierteilen, in Öl sieden, enterben und danach bis in alle Ewigkeit auspeitschen.“

„Es kann nicht sein“, raunte Takeo ein letztes Mal. „Es DARF nicht sein. Wenn sie leben ...“

„Was wäre dann?“

„Dann hätte ich sie im Stich gelassen. Meine Frau und meinen kleinen Jungen.“

„Onkel Takeo!“ Beruhigend legte Yoshio eine Hand auf die Schulter des Herzogs. „Ihr hieltet sie für tot. Was hättet Ihr denn tun sollen? Lasst uns erst einmal nachsehen, ob ich nun in Öl gesiedet werde, oder nicht.“

„Ja.“ Der Erzherzog erhob sich. „Lass uns nachsehen. LEOOO?“
 


 

Feuerpalast, am Abend des übernächsten Tages
 

Aya Nezu hatte ein Problem.

Ein Großes.

Die Ausmaße dieses Problems konnte sie sogar bis auf den Letzen Jy genau beziffern.

362787 Jy.

So viel waren anscheinend die neue Robe und drei Kimonos wert, die letzten Monat für sie gefertigt worden waren. Das war an und für sich nichts außergewöhnliches. Außergewöhnlich war nur der Adressat der Rechnungen.

Takeru Nezu.

Ihr Mann zahlte ihre Ausstattung?

Seit wann? Und vor allem: WARUM?

Die Hofschneider arbeiteten für den Hof. Logischerweise. Und so war es auch der Hof, der für die Kosten aufkam.

Zumindest war Aya davon ausgegangen.

Wie um alles in der Welt sollte Takeru für eine derart hohe Summe aufkommen?

Hastig raffte sie die Rechnungen zusammen, rollte sie ein und versteckte sie in ihrem Ärmel. Die Dinger waren zwar aus purem Zufall in ihrer Korrespondenz gelandet, statt in der ihres Gatten, doch sollte Takeru dies herausfinden, wäre der Teufel los. Und schließlich wollte sie nicht an der unehrenhaften Entlassung eines gestressten Adjutanten Schuld sein.

„Lyra, falls jemand mich sucht, ich bin bei Lu Ten.“

„Ja, gut.“
 

Als Aya Lu Tens Arbeitszimmer betrat, war ihr Bruder bereits in Gesellschaft.

„Lee. Was tust Du denn hier?“

„Äh ... Arbeiten? Kommt durchaus auch mal vor.“

„Lee hilft mir, die Kostenvoranschläge für die neu geplante Universität zu überprüfen. Genau genommen lungert er in letzter Zeit häufiger hier herum.“

„Und arbeitet!“, ergänzte Lee pikiert.

„Und arbeitet“, bestätigte Lu Ten gelassen. „Hast wahrscheinlich was falsches gegessen.“

„Hey, auch ich werde älter und spüre die Last der Verantwortung!“

„In der Tat“, brummte Lu Ten. „Ich werde mich bei Niha für diese wundersame Wandlung bedanken.“

„Hör auf, mich zu foppen, und kümmere Dich lieber um Aya. Sie sieht besorgt aus. Warum siehst Du besorgt aus?“, fügte Lee an Aya gewandt hinzu.

„Ich ... äh ... es ist ... Es betrifft unsere Finanzen. Darum bin ich auch zu Lu Ten gekommen.“

„Soll ich gehen?“, wollte Lee wissen.

„Nein.“ Lu Ten klang bestimmt. „Da wir uns die Arbeit teilen, gibt es keinen Grund, weshalb Du nicht über alle finanziellen Belange Bescheid wissen solltest. Es sei denn Aya hat etwas dagegen.“

Fragend sahen die Prinzen ihre Schwester an.

„Es ist zwar eher privat. Aber ich ... Es ist so ..." Sie grub die Zähne in die Unterlippe. „Ich treibe meinen Mann in den Ruin!“, platzte sie schließlich heraus.

„Was?“, lachte Lee ungläubig

„Das kann ich mir nicht vorstellen!“ Lu Ten schüttelte den Kopf.

„Es ist aber so. Hier!“ Aya holte die Rechnungen aus ihrem Ärmel. „Aus irgendeinem Grund werden die Rechnungen für meine Garderobe an Takeru geschickt.“

„Nun ... natürlich.“

„Natürlich? Der Mann kann aber nichts dafür, plötzlich für die teuerste Seide der Welt zahlen zu müssen. Und ich habe nichts davon gewusst! Sonst hätte ich die Kimonos niemals ...“

„Aya, beruhige Dich. Takeru hat ausdrücklich verlangt, die Rechnungen für Deinen Unterhalt von nun an selbst zu übernehmen.“

„Aber er hat keine AHNUNG, was der Unterhalt einer Prin ... einer ehemaligen Prinzessin kostet.“ Aya ließ sich in einen Sessel sinken. „Hätte ich das nur gewusst. Ich hätte Baumwolle bestellen können. Oder einfach ein paar meiner alten Sachen ändern lassen.“

„Aya, die Tochter Zukos II kann nicht in Lumpen unter die Leute. Du bist immer noch eine wichtige Repräsentantin des Hofs.“ Wie immer konnte Lu Tens Argumenten wenig entgegengesetzt werden.

„Außerdem,“, warf Lee jetzt ein. „Nachdem er die Wohnung des Kommandanten gekauft hat, dürften für ihn DAS hier nur Kondu-Nüsse sein.“

„Er hat WAS?“, hauchte Aya.

„Eure Wohnung gekauft“, bestätigte Lu Ten die Aussage seines Bruders.

„Agni! Ich ... Warum SAGT mir so was denn niemand?“ Aya war aufgesprungen und lief händeringend im Zimmer auf und ab. „Ich ruiniere ihn!“, jammerte sie wieder.

„Ich lach mich tot!“, schnaubte Lee. „Du weißt wohl nicht, wie viel ...“

„Oh, ich weiß ziemlich genau, wo hoch der Monatssold eines Kage ist! Damit kann man gerade mal ein Zehntel einer meiner Roben zahlen.“

„Ich glaube, was Lee sagen wollte ist: Du weiß wohl nicht ganz über die finanzielle Situation Deines Gatten Bescheid. Er ist ziemlich wohlhabend.“

„Stinkreich trifft‘s wohl eher. Das weiß doch jeder.“

„Bitte?“ Begriffsstutzig blickte Aya von einem zum andern.

„Im Alter von dreizehn Jahren hat Takeru Nezu ein nicht unerhebliches Vermögen überschrieben bekommen, welches er seit seinem achtzehnten Lebensjahr selbständig verwaltet und stetig vermehrt hat“, referierte der Kronprinz.

„Ist er nicht drollig, wenn er wie ein Notar klingt?“

„Ich verstehe momentan überhaupt nichts“, gab Aya zu.

„Dann lass mich mal“, grinste Lee. „Nach Deiner Rettung vor den Wespen ...“

„Bienenfalter!“, warf Lu Ten, stets der Pedant, unwillkürlich ein.

„Ja doch. Jedenfalls war Papa sehr, sehr dankbar und ausnahmsweise mal nicht geizig. Takeru bekam einen ziemlichen Batzen Geld für seinen Heldenmut. Und ... na ja, es stellte sich heraus, dass Deine Killerqueen ein ziemlich gutes Händchen für Investitionen hat. Dazu kommt, dass er, sobald er dem Militär beitrat, für Kost, Logie und Klamotten nie etwas berappen musste. Du hast Dir einen Kerl geangelt, der reich ist wie Krösus.“

„Ja. Und bedauerlicherweise können wir nur die Zinsen und Gewinne seiner Geschäfte besteuern, nicht das Vermögen selbst.“

„Reich?“, echote Aya.

„Ja. Hast Du das nicht gewusst?“

„Sieht sie so aus?“ Lee verdrehte die Augen.

„Meine Garderobe ist ... kein Problem?“

„Nein. Nicht mal die Kosten für die Wohnung haben ihm ein Sorgenfältchen abgerungen.“

„Und warum weiß ich davon nichts?“

„Wahrscheinlich, weil Du Dich eher für die inneren Werte des Mannes interessiert hast. Oder seine schicke Uniform. Was weiß ich“, mutmaßte Lu Ten.

„Hey!“ Lee schlug seinem Bruder kräftig auf die Schulter. „Das war ja WITZIG. Es besteht noch Hoffnung für Dich, mein Großer.“
 

Auf dem Weg zurück in die eigene Wohnung, die tatsächlich eigeneres Eigentum war, als sie es eigentlich vermutet hatte, wurde Aya aufgehalten.

„Pri ... Frau Nezu?“ Um die Ecke schlitterte keuchend ein völlig aus der Fasson geratener Diener.

„Ja?“

„Ihr ... werdet ... Arbeits ... zimmer ... Lordschaft ... wartet.“

„Mein Vater erwartet mich in seinem Büro?“, übersetzte Aya.

„Ja! ... Dringend!“

Ach was.
 


 

Arbeitszimmer Seiner Lordschaft, gute zwanzig Minuten vorher
 

General Iroh saß in einem großen Ohrensessel direkt neben dem gemütlich prasselnden Kaminfeuer, blickte konzentriert auf ein Pai Cho-Brett, führte seine Teetasse an die Lippen und nahm laut schlürfend einen großzügigen Schluck.

„Hmmmmm“, brummte er.

„Onkel, der Stein bewegt sich nicht durch bloßes Anstarren.“

„Hmmm.“

„Ihr seid in der Zwickmühle.“ Zuko verschränkte triumphierend die Arme. „Entweder Ihr verliert jetzt, oder in drei Zügen.“

„Ich glaube nicht an Zwickmühlen, mein Junge.“

„Ja. Wohl eher ans schummeln. Wenn Ihr wirklich denkt, ich hätte nicht bemerkt, wie mein treusorgendes Eheweib während Eures Hustenanfalls einen meiner Steine verschoben hat, dann ...“

„ICH?“ Jin, sah von ihren Farbmustern auf und straffte sich. Die Wirkung verpuffte allerdings dank ihrer überschaubaren Körpergröße ins Nichts. „Also, ich würde nie ...“

„Mit meinem Onkel konspirieren?

„Ja. Nein! Also ... ich kam nur zufällig mit dem Ellbogen an das Spielbrett“, versuchte Mylady ihr Glück.

„Sollst Du schwindeln, Kobold?“

„Äh ... manchmal vielleicht schon.“

„So. Manchmal?“

„Nur wenn die vorliegende Situation es erfordert.“

„Die vorliegende Situation erfordert, dass Du Deine Wettschulden bezahlst, mein Herz“, meinte Mylord milde. „Ich habe gewonnen, also darf ich eine Woche lang ...“

Es klopfte.

„Um diese Zeit?“, murmelte Iroh.

„Ja?“, rief Zuko, nichts Gutes ahnend.

Ein Diener betrat das Arbeitszimmer.

„Bitte um Verzeihung, Euer Durchlaucht, aber im Vorzimmer sind zwei Männer, die partout darauf bestehen, vorgelassen zu werden.“

„Sie bestehen darauf?“ Zukos Augenbraue zuckte in die Höhe. „Und wer zum Teufel sind diese tollkühnen Draufgänger?“

„Der eine behauptet, er sei der Graf von Nobu, Herr.“

„Nobu ...“

„Oh, war das nicht dieser nette junge Mensch aus dem Erdkönigreich?“, schaltete Jin sich ein. „Wir lassen bitten!“

Nachdem die Tür wieder zugezogen worden war, wandte Mylord sich an seine Gemahlin.

„WIR lassen bitten, Jin? Wirklich?“

Jin verdrehte die Augen.

„Oh, hab Dich doch nicht so. Der Graf weiß doch, wie wichtig Du bist; auch ohne dass Du ihn zehn Minuten zappeln lässt.“

Zuko öffnete den Mund, schloss ihn mangels guter Argumente jedoch wieder. Manchmal war dieses Weib klüger, als gut für ihn war.

Die zärtliche Hand, die liebkosend über seine Wange strich, entschädigte ihn dafür.

„Entschuldige, Drache. Du kannst ihn ja immer noch böse anfunkeln, um Dich für die Störung zu revanchieren.“

Die Tür öffnete sich erneut.

„Graf Nobu und ... jemand“, leierte der stur geradeaus blickende Türsteher.

„Jemand?“ Zukos Augen verschmälerten sich. Seine Geduldsspanne ebenfalls. „Es ist fast acht Uhr abends und ich empfange JEMANDEN?“

„Furchtbar aufregend, oder?“

„Jin!“

Iroh kicherte leise in sich hinein und verschob klammheimlich seinen weißen Lotusstein.
 

„Euer Hoheit, Mylady, General Iroh!“ Yoshio Saburo betrat das Arbeitszimmer und verbeugte sich ehrerbietig vor jedem der Anwesenden.

Hinter ihm, auf der Türschwelle, verharrte ein großer, dunkler Schatten.

„Graf.“ Zuko erhob sich betont träge. „Euer Besuch kommt unverhofft.“

„Ich weiß, Mylord. Verzeiht bitte meine Unverfrorenheit, aber die Angelegenheit ist sehr dringend. Zudem ist sie ... familiärer Art. Ich fürchte, das wird eine Menge Staub aufwirbeln“, fügte er murmelnd hinzu, als rede er mehr mit sich selbst, als mit den Anwesenden.

„Familiär?“ Wieder wölbte sich die Braue Seiner Lordschaft. „Wenn Ihr Euch um Zirah bemühen wollt, muss ich Euch leider mitteilen, Ihr kommt außerhalb der üblichen Geschäftszeiten.“

„Was? Nein! Ich ... äh, es geht um Euren Schwiegersohn.“

„Hauptmann Nezu?“, fragte Zuko gefährlich leise. „Was ist mit ihm?“

„Nichts. Also ...“

„Yoshio!“ Zum ersten Mal meldete sich jener geheimnisvolle `jemand´ zu Wort, der immer noch die Türschwelle belagerte. „Ich halte das für keine gute Idee. Zuerst einmal sollte ich diese Yuna in Augenschein nehmen!“

Die tiefe Stimme strahlte unmissverständliche Autorität aus.

Zukos Nackenhaare begannen zu kribbeln.

Unwillkürlich änderte er seinen Standort, um Jin im Zweifelsfall abschirmen zu können.

„In meinem Palast wird NIEMAND in Augenschein genommen!“

Das Drachengrollen veranlasste Yoshio, schnellstens einzuschreiten.

„Nein, bitte. So hat mein Onkel das nicht gemeint!“

„Onkel?“, murmelte Iroh im Hintergrund nachdenklich. „War das nicht ..?“

„Erklärt Euch!“, forderte Zuko.

„Mylord, Lady Jin, General Iroh, darf ich meinen Onkel vorstellen? Seine Hoheit, der Erzherzog von Iweh.“

Endlich trat der Türschwellen-Belagerer ins Licht.

Trotz der Wärme im Palast war die eindrucksvolle Gestalt in einen Umhang gehüllt. Natürlich nebst unvermeidlicher, weiter Kapuze, die nun allerdings widerwillig zurückgezogen wurde.

Es dauerte eine klitzekleine Sekunde, bis es zu ersten Reaktionen kam.

Zuko sog scharf die Luft ein.

„Da brat mir doch einer ...“ Dem General fiel ein Pai Cho-Stein aus dem Ärmel.

„Ohmeingott!“, hauchte Jin und plumpste zurück in ihren Sessel.
 

Der Herzog runzelte befremdet die Stirn. Ein solcher Empfang war nun beileibe nicht das, was er gewohnt war.

„Vater, oder nur ein Onkel?“, erkundigte Seine Lordschaft sich kühl.

„Wie bitte?“ Die Stimme Takeo Nezus klang mindestens ebenso frostig.

„Ich will wissen, ob Ihr sein Vater seid, oder nur ein Onkel.“

„Momentan weder das eine, noch das andere!“ Das Kinn des Herzogs schob sich unmerklich nach vorn. „Yoshio bestand darauf, hierher zu kommen. Mein Neffe ist der Meinung, ich müsste jemanden kennen lernen. Offensichtlich besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen mir und einem Eurer Offiziere.“

„Gewisse Ähnlichkeit sagt er!“, schnaubte Iroh Tatzu ungläubig.

„Onkel Takeo, ich sagte Euch doch, ich bin zu neunundneunzig Prozent sicher! Eure Familie ...“

„Ich werde mich keinen falschen Hoffnungen hingeben, Yoshio. Zuerst will ich sie sehen!“

Der Graf beschloss, sich seine Verbündeten anderweitig zu suchen. „Euer Lordschaft,“ Er wandte sich an Zuko. „Mein Onkel war verheiratet mit einer jungen Frau namens Yuna. Der Sohn der beiden war gerade drei Jahre alt geworden, als mein Onkel in die Feuernation berufen wurde. Wieder zuhause musste er erfahren, dass ihr Heim abgebrannt war. Frau und Kind, so hieß es, seien den Flammen zum Opfer gefallen.

„Ich stand an ihren Gräbern!“, fiel Takeo seinem Neffen brüsk ins Wort. „Das hier ist reine Zeitverschwendung.“

„Nein“, sagte Zuko ruhig. „Ist es nicht.“ Er betätigte den Klingelzug. Sekunden später streckte ein Assistent den Kopf ins Zimmer. „Cheng, teile bitte Yuna Nezu mit, wir wünschten sie zu sehen.“

Die scheinbare Ruhe des Herzogs begann zu bröckeln.

„Das alles ist eine Farce!“, stieß er aus. „Es gibt hunderte Nezus und bestimmt tausende Yunas.“

„Ihr habt nicht gerade ein Allerweltsgesicht, Hoheit“, warf Iroh leise ein.

„Ja“, bestätigte Zuko. „Von Eurem Auftreten ganz zu schweigen. Beides kommt uns jedoch geradezu lachhaft bekannt vor. Gibt es etwa auch ein Dutzend Takeru Nezus, die Euch wie aus dem Gesicht geschnitten sind?“

„Es kann nicht sein“ Der Erzherzog ballte die Fäuste. „Ich... ich hätte sie doch niemals so im Stich gelassen!“

„Vielleicht trinken wir erst mal einen Tee, bis Yuna kommt?“, schlug Jin pragmatisch vor.

„Hervorragende Idee, mein Herz.“
 

Fünf Minuten später - es war Mylady tatsächlich gelungen, den Herzog in einen Sessel zu komplementieren - klopfte es erneut.

Takeo sprang auf die Beine.

Noch wäre Zeit, das Ganze aufzuhalten.

Er sollte dies hier nicht tun! Wenn die Beschreibung, die Yoshio ihm gegeben hatte stimmte, würde diese Frau ihn an das erinnern, was er verloren hatte. Und wenn sie seiner Yuna wirklich ähnlich war ... Es würde Jahre brauchen, darüber hinweg zu kommen.

Am besten schickte er sie weg, ohne sie auch nur anzusehen, am besten ...

„Euer Gnaden?“ Yoshios Respekt vor der Gattin des Feuerlords wuchs enorm, als sie sachte die Hand auf den Arm seines Onkels legte. „Vielleicht sollten wir Yuna erst vorbereiten. Warum wartet Ihr nicht in ... in der Ecke dort?“ Jin wies in den dunkelsten Winkel des Raumes.

„Diese Frau ist sowieso nicht ...“ Takeo zuckte hilflos mit den Schultern. „Ach, was soll´s.“
 

Nachdem die Protagonisten endlich verteilt waren, gab Zuko ein stummes Zeichen, worauf Jin zur Tür lief, um zu öffnen

„Yuna! Danke, dass Du gekommen bist.“

„Selbstverständlich, Mylady.“

„Jin!“, verbesserte Jin automatisch. „Schließlich sind wir jetzt verwandt.“

Yuna lächelte. „Ich befürchte, das wird mich noch einiges an Überwindung kosten.“

„Ja, also ...“ Jin knetete ihre Finger. „Also komm erst mal herein. Da ist etwas ... jemand. Du darfst Dich aber bitte nicht aufregen!“

„Aufregen?“ Yuna trat ein und blickte neugierig in den Raum, wieder zu Jin und wieder in den Raum. „Über was soll ich mich aufregen?“
 

Takeo Isamu Virgil Nezu starrte die Neuangekommene an, wie eine Erscheinung.

Yuna.

Das konnte nicht sein!

Und doch war es Yuna.

Die klugen Augen, das etwas schüchterne Lächeln, das strahlend und wohltuend wie das Mondlicht werden konnte. Ihre Stimme ...

Dies hier war eindeutig seine längst verloren geglaubte Liebe.

„Ist etwas mit Takeru?“

„Nein! Nichts Schlimmes, es ...“
 

„Yuna?“

Der raue, fast gebrochene Klang dieser Stimme ließ Yuna herumwirbeln.

„Was ...?“

„Yunicha ...“

Alle Farbe wich aus Yunas Gesicht. Eine halbe Ewigkeit blickte sie - ohne zu begreifen - in die Augen von etwas, das sie Nachts in ihren Träumen heimsuchte, mit Sehnsucht erfüllte, nur um sie leer zurückzulassen.

Dann sank sie langsam, aber sicher zu Boden.

Bevor irgendjemand reagieren konnte, bewahrten rettende Arme sie vor dem harten, marmornen Boden.

„Yuna?“ Takeos Stimme wankte ungläubig. Die wettergegerbten, kräftigen Hände strichen sanft einige dunkelblonde Haarsträhnen beiseite. „Yuna ...“, flüsterte er.

„Also doch der Vater“, murmelte Zuko.

Er bekam einen Ellbogen in die Seite.

„Sei nicht so gefühllos!“, schniefte Jin.

„Gefühllos? Also ICH lasse jetzt nach einem Arzt schicken, gefühllos wie ich bin.“
 

Es brauchte fast eine halbe Stunde, Yuna Nezu aus ihrer Ohnmacht zu holen und noch einmal halb so lang, bis sie in der Lage war, mehr zu tun, als zu weinen.

In diesen fünfzehn Minuten hielt ihr Ehemann sie an sich gepresst, steckte ihre sporadischen, kraftlosen Schläge ein und berauschte sich an einem Duft, den er seit Jahren entbehrt hatte.

Seine Yuna!

Aber wenn sie lebte, dann ...

„Wo ist er?“, raunte er. „Wo ist unser Sohn?“

Es folgte Totenstille.

„Ach Du Schreck“, murmelte Mylady.

„Ja. Da kommt was auf uns zu“, brummte General Iroh.

„Vielleicht sollten wir zuerst Aya einweihen“, schlug Zuko vor.

„Gute Idee, mein Gebieter!“

„Gibt es ein Problem?“, wollte Takeo wissen.

„Nun ja ...“ Jin zuckte mit den Schultern.

„Euer Sohn besitzt gewissen Eigenschaften, die ihn, falls ihm seine Beherrschung abhanden käme - was erst ein einziges Mal vorkam, wie ich betonen möchte - zu einer ... unberechenbaren Variablen machen.“

„Ich fürchte, ich verstehe nicht.“

„Unser Sohn ist Hauptmann Nezu.“ Endlich hatte Yuna ihre Sprache wieder gefunden.

„Ja. Und?“

„Der Hauptmann Nezu.“

„Sollte mir das etwas sagen?“

„Er kam wirklich nicht viel unter Leute, hm?“

„Zuko!“

„Ja doch“, erbarmte sich der Herrscher der roten Lande. „Herzog, Euer Sohn ist der beste Kage der Feuernation.“

„Kage?“

„Schatten“, half Jin.

„Leibwächter“, stellte Zuko klar. „Wie gesagt: der Beste. Nicht zu schlagen, der Kerl. Und wir wollen ihn nicht in Rage erleben.“


„Oh nein, das wollen wir nicht“, bestätigte Iroh, legte den Kopf schief und wippte auf seinen Ballen.

„Nicht, dass wir davon ausgehen. Der Junge pumpt Eiswasser durch seine Venen.“

„Ich sagte ja, er ist Euer Sohn.“ Yoshios klang lakonisch und ein bisschen selbstzufrieden.

„Ja! Und ich weiß nicht einmal Ansatzweise, wie ich Dir dafür danken soll. Aber jetzt will ich ihn sehen!“

„Ich halte den Vorschlag mit Aya für die bessere Taktik", brummte Iroh.

„Ich ebenfalls, Onkel.“

„Wer ist Aya?“, verlangte Takeo zu wissen.

„Meine Tochter.“ Zuko verschränkte angesichts dieser eklatanten gesellschaftlichen Ignoranz die Arme. Hatte dieser Kerl im Exil gelebt?

„Unsere Schwiegertochter“, ergänzte Yuna leise.

„Er ist ... mit der Tochter des FEUERlords verheiratet?“

„Seit fast zwei Monaten.“

„Die beiden sind einfach zum niederknien!“, seufzte Jin.

„Wie wahr, Kobold. Und sie ist wahrscheinlich die einzige, auf die er reagieren wird, sollte er, äh ... sich selbst nicht ganz im Griff haben.“

„Takeru hat sich immer im Griff“, verteidigte Yuna ihren Sohn.

„Selbst wenn sein Vater von den Toten aufersteht?“, gab Iroh zu bedenken.

„Selbst dann. Was glaubt Ihr denn, was er tun wird?“

„Verschwinden“, erwiderte Mylord trocken. „Ich rechne nicht damit, dass er hier das Mobiliar demoliert, aber er wird sich wohl kaum zu uns setzten um über den vorliegenden Sachverhalt zu plaudern. Ich lasse nach Aya schicken.“
 

Als Aya schließlich die Szenerie betrat blickte sie verwundert um sich.

Normalerweise war das Büro ihres Vaters weniger bevölkert. Allerdings kannte sie die Anwesenden. Bis auf einen.

Yuna hielt die Hand des Fremden umklammert, als befürchte sie, er könne sich jeden Moment in Luft auflösen.

Das allein war schon außergewöhnlich genug, was Aya jedoch an ihrem Verstand zweifeln ließ waren seine Augen.

Es waren, die seltsamsten, und doch schönsten Augen, die sie je gesehen hatte. Sie schillerten so hell, dass man fast den Eindruck bekam, die wechselten die Farbe. In einem Augenblick schimmerten sie kühl und silbern, im nächsten blitzten sie eisig blau. Ihr faszinierendes Farbspiel erinnerte sie an ...

Es waren Augen, die in ein anderes Gesicht gehörten.

Ein Gesicht, das sie besser kannte, als jedes andere auf der Welt. Ein Gesicht, das ihr mehr bedeutete als sie hätte sagen können. Ein Gesicht, in dessen um circa fünfundzwanzig Jahre älteres Spiegelbild sie nun fassungslos starrte.

„Wer ...?“

„Aya ...“ Yuna stand auf, ging auf ihre Schwiegertochter zu und griff nach deren Hand. „Du siehst richtig“, flüsterte sie glücklich. „Das ist ... Takeo.“

„Sein ... Vater?“, hauchte Aya.

„Ja!“

„Aber wie ...?“

„Das ist eine lange und ziemlich komplizierte Geschichte“

Aya blickte den Sprecher an.

„Graf Nobu, nicht wahr?“

„Ja.“ Yoshio neigte den Kopf. „Wie nett von Euch, Euch an mich zu erinnern. Ich bin der Neffe des Erzherzogs.“

„Erzherzog?“ Ayas Verwirrung wuchs. „Welcher Erzherzog?“

„Er meint mich!“

Aya betrachtete den Unbekannten, der ihr so fremd und doch unerhört vertraut war.

Selbst seine Stimme glaubte sie zu bereits zu kennen. Der gleiche, sonore Bass, aufgeraut durch Alter, Zeit und Jahre der Einsamkeit.

Takerus Vater. Ohne Zweifel.

Aber ... ein Herzog?

„Darf ich vorstellen, Takeo Isamu Virgil Nezu, Erzherzog von Iweh, Freiherr von ...“

„Ich denk das reicht, Yoshio. Lass der Prinzessin erst einmal Zeit, die Sache zu verarbeiten.“

„Ich bin keine Prinzessin mehr“, murmelte Aya automatisch. Dann blinzelte sie verwundert.

„Oh.“

Sie war jetzt scheinbar die Schwiegertochter eines Herzogs.

Das machte sie zur ...

„Prinzessin.“ Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken. „Ich schätze dann bin ich doch wieder eine.“

„Ach Du liebe Zeit!“, wisperte Jin an ihren Gatten gewandt. „Daran hab ich noch gar nicht gedacht. Glaubst Du, es wird ihm gefallen, plötzlich Prinz zu sein?“

„Nein.“

„Bei allen Feuern“, seufzte Iroh. „Das wird nicht leicht in seinen Schädel zu kriegen sein. Ganz zu schweigen von...“
 

„Ganz zu schweigen von was?“

Die Autorität der tiefen, ruhigen Stimme veranlasste sechs Personen dazu, sich ertappt zur Tür zu drehen.

Sofort schrillten Takerus Alarmglocken auf. Und wie immer wenn Gefahr im Verzug schien, beschleunigten sich die Reaktionen des Hauptmanns auf geradezu gespenstische Weise.

Es gab nur zwei Anwesende, die nicht zur Familie gehörten. Einer davon war Graf Nobu, der keine ernst zu nehmende Bedrohung darstellte, der andere ...

Takeru sog scharf die Luft ein und starrte dem Fremden ins Gesicht. Dann verengten sich seine Augen zu eisigen Schlitzen.

Die angespannte Stille im Raum dehnte sich bis zur Schmerzgrenze.

Der einzige, der dies nicht bemerkte, war der Erzherzog von Iweh.

Takeo Nezu war viel zu fassungslos.

DIES war sein Kind?

Der Knirps, der vor Vergnügen gekreischt hatte, wenn er ihn hoch in die Luft geworfen und wieder aufgefangen hatte. So hoch, bis Yuna ihn erschrocken gebeten hatte, vorsichtiger zu sein.

Sein kleiner Sohn, der, als er ihn zuletzt gesehen hatte, gerade mal gelernt hatte halbwegs ordentlich einen Löffel zu handhaben?

Sein Takeru, der immerzu auf seinen Schultern hatte sitzen wollen?

`Droß wie Papa!´

Takeo wurde die Kehle eng, als die lachende Kinderstimme durch seine Gedanken zog.

Sein kleiner, über die Maßen geliebter Junge, an dessen Grab er weinend zusammengebrochen war.

„Junge ...“, flüsterte Takeo mit versagender Stimme. „Mein Junge!“
 

Während all dessen war Takerus Miene reglos geblieben.

Der Soldat in ihm hatte den Sachverhalt innerhalb des Bruchteils einer Sekunde erfasst, analysiert und daraus die entsprechenden Schlüsse gezogen.

Er wusste, wen er vor sich hatte.

Die Gesichtszüge, die Größe, die Haltung.

Oh ja, Hauptmann Nezu wusste ziemlich genau, wen er vor sich hatte.

Er straffte sich.

„Soll das ein Scherz sein?“, zischte er, während er drohend in das Abbild seiner eigenen Augen starrte.

Augen, die sein Gesicht mit einer Intensität erforschten, die beinahe unverschämt war.

„Nein!“ Yuna eilte auf ihren Sohn zu. „Takeru, das ist Dein ...“

Noch bevor sie aussprechen konnte, machte er auf dem Absatz kehrt.

„Takeru!“ Aya vertrat ihrem Ehemann den Weg und legte sanft eine Hand auf seine Brust. „Möchtest Du nicht ...“

„Nein.“ Er schüttelte den Kopf.

„Er ist Dein Vater!“

„Tatsächlich? Das ist kaum möglich, da ich ohne Vater aufwuchs“, antwortete er kühl und schritt weiter Richtung Tür.

„Liebling!“ Sie griff nach seiner Hand „Ich bin sicher, wenn Du Dich beruhigst ...“

„Ich BIN ruhig!“, beschied Hauptmann Nezu seinem Eheweib knapp. „Falls Du etwas brauchst, ich bin in der Trainingshalle.“ Mit diesen harschen Worten wollte der wohl ehrerbietigste aller Ehemänner seine Frau einfach stehen lassen.

„Hauptmann!“ Ruhig aber bestimmt hielt Zukos Stimme den Rückzug seines Offiziers auf.

Takeru erstarrte in der Bewegung „Erbitte die Erlaubnis, den Raum zu verlassen!“, knirschte er.

„Ich denke nicht, dass ...“

„Erlaubnis erteilt!“, fiel Aya ihrem Vater ins Wort.

Sie hatte den Blick des Wolfes gesehen. Was in ihm brodelte war zu unberechenbar, um das Biest noch weiter zu reizen.
 

Nachdem Hauptmann Nezu den Raum verlassen hatte, wandte Zuko sich milde verwundert an seine Tochter.

„Möchtest Du mir das erklären?“

„Er muss jetzt alleine sein. Wahrscheinlich will er im Augenblick nicht einmal mich sehen.“ Ayas Blick fiel auf den Herzog, der immer noch fassungslos die Tür anstarrte, durch die gerade sein Sohn verschwunden war.

„Er ist manchmal etwas schwierig“, erklärte sie entschuldigend.

„Er ist ... ein Nezu“, antwortete Takeo mit leuchtenden Augen.

Plötzlich Prinz

Hallo ihr Lieben!
 

Zuallererst will ich mich bedanken, dass ihr trotz der langen Zeit, in der ich nichts von mir hören, bzw. lesen liess, hereinschaut.

Es gibt wirklich keine Entschuldigung dafür, eineinhalb Jahre für ein einziges Kapitel zu brauchen. Ich hätte die FF wenigstens als pausiert deklarieren sollen, aber ich dachte irgendwie immer „Demnächst macht Du weiter. Noch ein, zwei Wochen...“. Tja, und dann haben sich die Wochen gestapelt und gestapelt und gestapelt.

Ich tue mich mit den Enden der Geschichten immer schwer, weil ich einfach nicht Schluss machen will oder kann, aber diesmal...

Wahrscheinlich hat meine Faulheit diesmal einfach die Oberhand gewonnen.

Und bestimmt hab ich die meisten von euch durch diese ewige Warterei vergrault. Das tut mir wirklich sehr, sehr leid!

An diejenigen, die Aya und Takeru noch die Stange halten, tausend Dank!

Ich kann nur hoffen, dass eure Geduld sich für euch lohnt, und das Kapitel euch gefällt.
 

Lasst euch drücken!

Alexandra


 


 


 

Plötzlich Prinz
 

Oder: Der Abend, an dem Hauptmann Nezu ohne Essen ins Bett muss.
 


 

Verloren stand Yuna Nezu inmitten des prunkvollsten Gästezimmers, das der Feuerpalast zu bieten hatte, und rang die Hände.

Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss. Sie schluckte.

„Yunicha?“

Feste Arme schlangen sich um Yuna. Sie spürte, wie ein Gesicht sich in ihr Haar schmiegte.

Es war so lange her.

Sacht aber bestimmt drehte Takeo sie zu sich.

Dass sie wieder in diese Augen sehen durfte...

Dass sie wieder diesen Halt haben durfte...

Dass sie wieder lieben durfte...

Langsam senkte Takeo den Kopf.

Ja. Es war lange her. So fürchterlich lange.

Yuna bewegte sich unruhig. Der Kuss landete auf ihrem Mundwinkel.

„Yuna?“ Er hob ihr Kinn, doch sie wich seinem Blick aus. „Was ist?“

„I... ich ... Ich bin nicht mehr so, wie... wie Du mich gekannt hast, Takeo“, stammelte Yuna.

Takeo erstarrte.

Wollte sie damit sagen, dass sie ihn nicht mehr wollte?

„Gibt es einen anderen, Yuna?“, fragte er ruhig.

„Was?“ Erschrocken starrte sie ihn an. „Nein! Himmel, nein! Aber ... ich... Ich habe... nicht besonders auf mich geachtet. Auf mein Äußeres. Ich... hatte keinen Grund dazu. Und jetzt bin ich alt. Du dagegen ...“

„Was ist mit mir?“

Machte er Witze?

„Sieh Dich doch an!“, wisperte sie. „Du bist in Bestform und ... und ...“

„In Bestform?“, fragte Takeo rau. „Ja. Für den Moment. Seit wir das Arbeitszimmer des Feuerlords verlassen haben, beult mir meine Bestform die Hosen aus.“

„Takeo!“

Zärtlich umfasste er ihr empor gewandtes, entrüstetes Gesicht.

„Yuna...“, flüsterte er an ihren Mund. „Du wirst ja immer noch rot.“

„Ich ...“

„Und Du bist immer noch wunderschön.“

Sein Daumen strich sacht über ihren Wangenknochen. Dann küsste er sie. Und es war wieder wie damals.

Die Trauer, die Einsamkeit, die endlosen Jahre. Alles verpuffte.

Denn als er sie küsste, war alles wieder wie damals.

„Yuna!“

„Ich liebe Dich!“, weinte sie.

„Nicht weinen!“ Er küsste ihre Tränen fort. „Bitte wein doch nicht.“

„Es hat so weh getan, Takeo!“ Sie klammerte sich an ihn.

„Ich weiß“, flüsterte er. „Ich weiß.“

Yuna wusste, er sprach die Wahrheit.

Der gleiche Schmerz. Die gleiche Trauer. Die gleiche Fassungslosigkeit.

Wie viele Jahre hatte sie gedacht, es könne nicht wahr sein? Nicht wirklich. Das Leben könne ihr so etwas nicht antun. Alles, nur nicht das! Nicht das Schlimmste!

Und wie sehr sie damit Recht gehabt hatte.

„Yunicha!“

Yunas Gedankengängen wurde ein Ende gesetzt. Sie schlang die Arme um ihn, erwiderte den tiefen, fast verzweifelten Kuss.

Reden würden sie später.

Takeo hob sein Eheweib auf die Arme und trug sie zum Bett.

Ja. Reden würden sie. Aber erst am Morgen.
 


 

Vier Stunden später
 

Takeo lag neben seiner schlafenden Frau und blickte nachdenklich auf den kostbar bestickten Betthimmel des Gästebetts Seiner Lordschaft.

Jemals wieder so zufrieden sein zu können...

Noch vor Stunden war der bloße Gedanke daran lächerlich gewesen.

Und doch hatte er sein Glück wiedergefunden.

Der Herzog von Iweh sah keinen Sinn darin, mit den Jahren zu hadern, die dazwischen gelegen hatten. Er war lange genug verbittert gewesen. Jetzt würde er sie einfach nur festhalten. Seine Yuna.

Seinen Sohn allerdings...

Takeo seufzte.

Der Blick des Jungen war mehr als abweisend gewesen. Hass war es zwar keiner gewesen, aber eben auch sonst keinerlei Gefühl. Warum auch? Für Hauptmann Nezu war er ein Fremder. Vielleicht gar eine Art Bedrohung.

Takeo wusste besser als jeder andere, wie sehr man den eigenen Vater verabscheuen konnte. Blutsbande allein waren kein Garant für Zuneigung.

Sein Blick fiel auf Yuna. Sie schlief tief und fest.

Vorsichtig löste er sich aus ihrer Umarmung und verließ das Bett. Schließlich wollte er sie durch seine Unruhe nicht aufwecken.

Er würde jedoch nicht der einzige bleiben, den der Schlaf in dieser Nacht mied.
 


 

Gemächer des stellvertretenden Kommandanten, zur gleichen Zeit
 

In langen, ziellosen Bahnen ging Aya im Schlafzimmer umher.

Wo blieb er nur?

Er reagierte sich jetzt schon seit vier Stunden ab. Normalerweise reichte ihm das zum Verarbeiten schlimmster Staatskrisen.

Dabei kannte er noch nicht einmal die Hintergründe der ganzen Geschichte. Sie seufzte.

Herzog.

Er war der Sohn eines Herzogs.

Erzherzog. um genau zu sein.

Agni!

Wie sollte sie ihm dies alles nur beibringen? Vor allem, da er es offensichtlich bevorzugte, durch Abwesenheit zu glänzen.

Ratlos sank Aya auf eine Chaiselongue.

Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie Takeru sich im Augenblick fühlte.

Sie selbst hatte immer gewusst, wer und wo ihre Eltern waren. Hatte sich immer auf den Rückhalt und die Liebe ihrer gesamten Familie verlassen können. Sie hatte nie erfahren müssen, wie es war, vollkommen auf sich allein gestellt zu sein.

Er hingegen kannte seinen Vater nur aus Erzählungen. Hatte sich die liebevollen Schilderungen in kindlichem Eifer in den schillerndsten Farben ausgeschmückt und sein Vertrauen in einen zwar abwesenden, jedoch überlebensgroßen Vater gesetzt.

Und nun war ebendieser Mann aufgetaucht und zwang Takeru dazu, sich mit der Wirklichkeit eines realen Menschen auseinanderzusetzen.
 

Himmel, wo blieb er nur?

Sie erhob sich und nahm ihre unruhige Wanderung erneut auf.

Allem Anschein nach war ihr Bedürfnis ihrem Ehemann beizustehen wieder einmal wesentlich größer als dessen Bedürfnis nach Beistand.

Oh, warum hatte sie sich nicht einfach in einen der unzähligen charmanten, unkomplizierten, OFFENEN Männer verlieben können, die bei Hofe in Scharen ein und aus gingen?

Weil sie alle nicht Takeru Nezu gewesen waren.

Ihr beherrschter, kaltblütiger, unkooperativer Sturkopf von einem Ehemann.

Der tatsächlich die Stirn hatte, sie hier allein zu lassen, obwohl es bereits weit nach Mitternacht war...

Vielleicht sollte sie einen gefährlichen Nachtspaziergang planen? Das würde ihn wahrscheinlich postwendend in Erscheinung treten lassen.

Ungeduldig bearbeitete sie den sorgfältig manikürten Nagel eines Daumens mit den Zähnen. Als sie sich dessen bewusst wurde, nahm sie schnell die Hand fort.

„Agni! Wenn er nicht bald...“
 

In just diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Hauptmann Nezu betrat das Zimmer, als sei nicht das geringste vorgefallen.

Er hielt den Kopf gesenkt, damit beschäftigt, die dicken, wollenen Gamaschen an seinen Unterarmen abzuwickeln, drückte Aya im Vorbeigehen einen Kuss auf den Mundwinkel und verschwand im Waschraum.

Soweit so gut. Dies war das übliche Prozedere, wenn er nach dem abendlichen Training die Privatgemächer betrat.

Allerdings war die Uhrzeit alles andere als üblich. So spät wie es war, hatte der Oberhofmeister ihn wahrscheinlich aus der Trainingshalle werfen müssen.

Aus dem angrenzenden Raum hörte Aya leises Plätschern.

Sie ging zum Durchgang und beobachtete ihren Ehemann dabei, wie er über die große Waschschüssel gebeugt stand und sich wusch. Als er damit fertig war, griff er nach dem Wasserkrug und leerte dessen Inhalt ohne viel Federlesen über Kopf und Oberkörper.

Sie reichte ihm ein Handtuch.

„Danke!“

„Hast Du schon gegessen?“

„Nein.“ Er rubbelte energisch sein Haar trocken.

„Gut. Ich hab Dir was warmgehalten.“

Das brachte ihr, als er an ihr vorbei ins Schlafgemach ging, einen sanften Kuss ein.

Na wunderbar.

Die Sache schien schlimmer, als gedacht.
 

Im Schlafzimmer war Takeru damit beschäftigt, sich in aller Gemütsruhe ein frisches Hemd umzubinden. Aya wollte eben die Wärmeglocke von seinem Abendessen nehmen, als er ihr zuvor kam. Wie immer gehörte es nicht zu seinen Gewohnheiten, sich bedienen zu lassen.

„Weißt Du eigentlich dass ich gemeinhin als Deine Ehefrau gelte?“, seufzte Aya.


Takeru, eben dabei sich an den antiken, niedrigen Esstisch zu knien, runzelte die Stirn.

„Sei nicht albern“, brummte er und begann zu essen.

Natürlich. Jetzt war wieder SIE die Alberne.

„Dieser Deckel dürfte maximal ein Kilogramm wiegen. Ich glaube, ich bin in der Lage, ihn zu heben.“

„Das bestreitet niemand.“

„Hm. Der selbe Niemand, der sich weigert, sich auch nur einen Tee von mir zubereiten zu lassen? Ich habe das GELERNT, musst Du wissen. Die ganze Teezeremonie von vorn bis hinten und wieder zurück. Meine Lehrerin pflegte zu sagen, es sei die höchste Kunst einer Frau, ihrem Gatten einen perfekten Tee zu kredenzen um ihn so mit Anmut, Perfektion und Hingabe zu beglücken. Allem Anschein nach kannte sie Dich nicht. Befürchtest Du, Du könntest verweichlichen, wenn jemand etwas für Dich tut, sei es auch nur eine Kleinigkeit?“

Takeru schluckte den ersten Bissen Mushu-Schwein hinunter und legte die Stäbchen beiseite.

„Möchtest Du über irgendetwas sprechen?“, fragte er emotionslos.

„Du nicht?“

„Nein.“

„Natürlich“ Aya blickte auf ihre Hände hinab. „Auch das musst Du allein regeln, nicht wahr?“

„Aya...“

„Wozu bin ich Deiner Meinung nach eigentlich da, Takeru?“

„Ich habe keine Ahnung, was das...“

„Wozu? Um drei Schritte vor Dir zu gehen? Um mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen? Mich in Watte zu packen und auf Händen zu tragen?“

Takerus Kiefermuskeln zuckten.

„Mir war nicht bewusst, dass Du schlechter behandelt werden möchtest“, knirschte er.

„Ich möchte wie ein Mensch behandelt werden, Takeru! Wie jemand, mit dem man gemeinsam einen Lebensweg beschreitet!“

„Das tun wir.“

„Oh. Das tun wir? Wirklich? Du teilst doch fast nichts mit mir. Keine Pflichten, keine Sorgen. Nichts!“

„Wie bitte?“ Er erhob sich. „Das ist lächerlich!“

„Lächerlich? Ich kenne ja scheinbar nicht einmal Deine genauen Lebensumstände!“, rief Aya aufgebracht. „Zum Beispiel die horrenden Rechnungen für meine Ausstattung... Dass nun Du derjenige bist, der sie bezahlt, das hattest Du wohl nur vergessen zu erwähnen. Und Geld? War Dir entfallen, wie viel Du davon hast?“

„Geld? Darum geht es hier? Um mein Geld? Das hielt ich, um ehrlich zu sein, für äußerst unwichtig.“

„Nein, es geht NICHT um das Geld! Es ist mir im Grunde vollkommen egal. Aber... unwichtig? Du hältst es also nicht mal für nötig, dass ich über unseren, nein... entschuldige: DEINEN finanziellen Hintergrund Bescheid weiss? Weil es unwichtig ist? Das ist Dein Argument?“

„Ja. Und das Ende dieser Diskussion“, erwiderte er beherrscht. „Wenn Du weißt, worüber Du eigentlich mit mir sprechen willst...“

„Du kannst mir gegenüber nicht einmal laut werden, oder? Wenn es nicht so traurig wäre...“

„Ich soll laut werden?“ Er hob abwehrend die Hand. „Weißt Du wie viele Menschen ich täglich herumschubsen und kommandieren muss? Wie oft am Tag ich meine Stimme erhebe? Und mit Dir soll ich genauso umgehen? Ausgerechnet mit Dir?“

Na bitte. Ging doch. Jetzt jedenfalls war er um einiges lauter geworden.

„Was ich will, Aya, mehr als alles andere, ist Dein Glück. Mir war nicht bewusst, so weit am Ziel vorbeizuschießen.“

„Am Ziel vorbei?“ Aya gab ein ungläubiges Lachen von sich. „Du schießt nicht am Ziel vorbei! Du machst mich glücklich! Unfassbar, unsäglich, unbegreiflich glücklich! Aber ich möchte das selbe. Haargenau das selbe, Takeru! Dich glücklich machen.“ Ihre Augen wurden traurig. „Nur scheinst Du leider niemanden zu brauchen. Ich trage nichts bei, zu Deinem Glück. Nichts!“

„Nichts?“, stieß er aus. „Du BIST mein Glück, Aya. Bist es immer gewesen. Allein dass Du da bist, mir anvertraut wurdest...“

„Anvertraut? Das wurdest Du mir auch. Am Tag unserer Hochzeit. Und doch kann ich scheinbar nichts tun. Ich kann Dich weder schützen, noch verhätscheln, denn das lässt Du nicht zu. Scheinbar darf ich Dich nicht einmal einer einzigen Deiner Sorgen entledigen.“

„Doch. Das tust Du!“ Er umschloss ihr Gesicht mit den Händen. „Jeden Tag. Jede Stunde. Jedes Mal wenn ich Dich ansehe, werden meine Sorgen unbedeutend.“ Er zog sie in eine enge Umarmung. „Du willst, dass ich weniger ehrerbietig bin? Das kann ich nicht, Prinzessin. Nicht Dir gegenüber. Wenn Du willst, dass ich meine Gedanken öfter mit Dir teile, dann kann ich es versuchen. Aber mein Leben Aya... das teile ich mit Dir. Mit allem was ich habe. Höhen, Tiefen. Bis wir alt und grau sind. Ich kann es vielleicht nicht so zeigen, wie ich sollte, aber mein Leben... das bist Du.“

Aya schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte den Kopf an seine Brust. Die Träne, die sich über ihre Wange schlich, ignorierte sie dabei kurzerhand.

Er nicht.

„Ich wollte nicht patzig sein.“ Mit dem Daumen wischte er sacht die Feuchtigkeit von ihrem Gesicht. „Und im Büro Deines Vaters... Ich hätte mich nicht so benehmen dürfen.“

„Du tust ja schon wieder so, als sei ich aus Zuckerwatte“, seufzte Aya.

„Nein“, sagte er. „Aber ich... hätte vernünftiger sein müssen.“

„Es ist Dein gutes Recht ein einziges mal auch der Unvernünftige zu sein.“

„In einem riesigen Palast vollgestopft mit Feuerspuckern?“

„Hm. So betrachtet... vielleicht lieber doch nicht.“ Mit schimmernden Augen strich sie über seine Wange.

„Gott, wie ich Dich liebe, Prinzessin!“

Prinzessin. Oh je...

„Ach Du liebe Güte.“

„Liebe Güte?“ Er lächelte kläglich und hob eine Braue. „Das hältst Du für die adäquate Reaktion auf mein Liebesgeständnis?“

„Wie? Äh... nein. Doch. Ich... Liebster... Du solltest Dich besser setzen.“

„Um... zu essen?“, fragte er misstrauisch.

„Hm.“ Aya knabberte an ihrem Daumennagel und überlegte, wie er die Neuigkeit wohl besser verarbeiten würde; mit vollem, oder leerem Magen?

„Aya?“ Er nahm ihre Hand in seine und rettete ihren Fingernagel somit vor dem vollkommenen Ruin. „Was ist los?“
 

Eine Minute später wusste er es.

„WAS?“

„Der Erzherzog von Iweh“, wiederholte Aya leise. „Dein Vater ist ein Herzog.“

„Bist Du verrückt geworden?“ Ungläubig starrte er sie an.

Aya blinzelte. Hatte sie vorher tatsächlich gewollt, weniger ehrerbietig behandelt werden zu wollen? Konnte man diesen Wunsch auch zurücknehmen?

„Nein.“

„Das ist lächerlich! Meine Mutter hätte nie...“

„Was, Takeru?“

„Sie hätte mir so etwas nie verheimlicht!“

„Also, wenn ich alles richtig verstanden habe, hatte sie Deinem Großvater versprechen müssen, Dir nichts zu erzählen.“

„Ach. HAT sie? Wie schön, dass sie sich dem Vater dieses... Herzogs mehr verpflichtet fühlte, als ihrem eigenen Sohn.“

„Takeru...“

„Herzog!? Ich fasse es nicht!“

„Was ist denn so schlimm daran?“

„Was?“

„Was ist so schlimm daran?“

„Das weißt Du nicht?“

„Nein.“

„Na... Dann kann ich es Dir auch nicht erklären!“

„Du weißt es selbst nicht, oder?“

„Aya, ich BIN kein Adliger! Ich bilde sie aus, instruiere sie. Gegebenenfalls schütze ich sie. Ab und an sah ich mich auch schon gezwungen, mich mit einem von ihnen anzulegen. Aber ich gehöre nicht zu ihnen. Definitiv nicht!“

„Zu mir gehörst Du sehr wohl. Und ich bin auch adlig.“

„Das ist etwas anderes.“

„Ich halte Dich eigentlich sogar für einen überaus passenden und würdigen Prinzen“, gab Aya leise zu.

„PRINZEN?“

„Nun es ist der offizielle Titel für den Sohn eines Herzogs“, erinnerte sie ihn etwas kleinlaut.

„Bei allem Kiesgruben dieser Welt...“ Takeru raufte sich die Haare. (Wie viele Menschen es gab, die wohl alles dafür gegeben hätten, den seltenen Anblick eines aus der Fassung gebrachten Blutwolfes zu erleben, sei an dieser Stelle nur beiläufig erwähnt). „Kann dieser Tag eigentlich noch schlimmer werden?“

„Na ja... Dein Essen ist inzwischen eiskalt und wahrscheinlich völlig ungeniessbar.“
 


 

Der nächste Morgen
 

Als Takeo und Yuna am nächsten Tag, ungeahnt der bereits kursierenden Gerüchte, an einem kleinen Tisch der Gästeräume ihr Frühstück einnahmen, glaubte Seine Gnaden, sich endlich soweit im Griff zu haben, die Zeit ihrer Trennung anzusprechen.

„Yuna...“

„Möchtest Du noch von den Eiern?“

„Nein. Ich wollte fragen...“

„Tee?“

„Nein! Wir müssen...“

„Vielleicht lieber Kaffee?“

„Nein, Yuna. Ich möchte wissen, wie es Dir und Takeru ergangen ist, während ihr auf euch allein gestellt wart.“

„Können wir nicht später darüber reden?“

„Später? Um wie viel später, Yuna?“

„Um... Ich weiss nicht!“, antwortete sie, fast trotzig.

„Yuna, bitte! Kannst Du Dir nicht vorstellen, wie sehr mich diese Fragen quälen?“

„Vielleicht quälen mich die Antworten“, flüsterte Yuna mit abgewandtem Blick.

„Denkst Du, sie für Dich zu behalten ändert etwas daran?“, fragte er sanft.

Yuna schluckte. Takeo. Kluger, unnachgiebiger Takeo.

„Nein.“

„Wohin seid ihr von Tsang Go aus gegangen?“

„Zu meiner Mutter“, begann sie stockend. „Einen Monat später zog ich dann mit ihr und Takeru zusammen nach Ba Sing Se. Ich dachte... Ich dachte, dort würde uns Dein Vater nicht finden, falls er... falls er mir den Jungen doch noch hätte wegnehmen wollen. Zuerst wollte ich sogar meinen Mädchennamen wieder annehmen. Aber... Es hat sich angefühlt, als würde ich Dich verraten.“

Takeo griff über den Tisch um ihren kalten Händen Wärme zu spenden.

„Ich konnte es nicht“, flüsterte Yuna. „Ich konnte Deinen Namen nicht aufgeben. Ich konnte Dich nicht aufgeben. Es... es hat so lange gedauert, zu akzeptieren, dass Du tot sein sollst. Aber mit den Jahren musste ich es. Ich musste es, um irgendwie weiterleben zu können.

„Ich weiß. Ich selbst konnte mich niemals wirklich dazu bringen, euch loszulassen. Umso schlimmer, dass ich...“ Takeos Stimme brach.

Yuna sprang von ihrem Stuhl und überwand mit zwei schnellen Schritten die Distanz zwischen sich und ihrem Mann.

„Was?“, flüsterte sie an seine Schläfe.

„Ich habe doch gespürt, dass ihr nicht einfach so fort sein könnt! Ich hab es gespürt! Wie konnte ich dann einfach...“

In den gemeinsamen, viel zu kurzen Jahren hatte Yuna ihn niemals weinen sehen. Bis jetzt.

Sie hielt ganz still, während Takeo - ihr ruhiger, unerschütterlicher Takeo - sein Gesicht gegen ihren Hals drückte und seinem Kummer freien Lauf ließ.

Das erste Mal, seit er jenen glatten, glänzenden, regennassen Grabtafeln den Rücken gekehrt hatte.

„Takeo.“

„Ich hätte jeden Stein umdrehen müssen, um euch zu finden. Jede noch so kleine Ritze absuchen!“

„Bitte hör auf damit!“

„Yuna...“

„Hör auf!“ Sie umfasste sein Gesicht. „Du kannst nichts dafür. Du hattest doch genug Beweise. Die Aussagen der Nachbarn. Unsere Gräber... Welcher normal denkende Mensch hätte denn annehmen können, dass das alles nur die Intrige eines verbitterten, alten Mannes war? Wenn, dann trifft mich die weitaus größere Schuld, denn ich nahm das bloße Wort Deines Vaters für bare Münze. Ich habe nicht einmal einen Beweis für Deinen Tod gefordert. Dabei wusste ich doch, wie sehr er sich wünschte, mich und Takeru los zu sein.“

„Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass er euch so einfach findet!“

„Er war Dein Vater.“

„Er war ... Als ich an jenem Tag zurückkehrte und von dem Brand erfuhr... Als ich ein paar Wochen später wieder einigermaßen klar denken konnte, kam mir der Verdacht, dass er es möglicherweise selbst war, der den Brand legen ließ. Ich...“ Er schloss die Augen. „Mit der Zeit glaubte ich tatsächlich, mein eigener Vater hätte meine Familie töten lassen. Ich hatte nicht gewusst, dass man etwas oder jemanden so hassen kann, wie ich diesen Mann gehasst habe. Irgendwann war es nur noch dieser Hass, der mich aufrecht erhielt. Er sollte büßen.“

„Hast Du ihn... Du hast ihn doch nicht umgebracht?“

„Nein“, stieß er aus. „Aber ich versagte ihm einen Erben. Er starb in der Gewissheit, dass seine Linie aussterben würde. Und er tat es langsam und qualvoll. Und mir... Mir war es gleichgültig wie viel Schmerz und Angst er auszustehen hatte. Mir war gleichgültig, dass er am Ende doch noch Schwäche zeigte. Mir war Gleichgültig, wie sehr er auf Beistand oder Vergebung hoffte; auf ein kleines Zeichen der Zuneigung. Am Ende erwies ich ihm nur, was er mich gelehrt hatte. Kälte.“

„Und das bereust Du heute“, stellte Yuna leise fest.

„Bereuen?“ Ein trauriges Lächeln lag um seinen Mund. „Ich denke nicht.“

„Vielleicht kenne ich Dich immer noch besser, als Du Dich selbst“, murmelte Yuna und strich über sein Haar. „Ich höre es aus Deiner Stimme, dass Du es gern ungeschehen machen würdest.“

„Ungeschehen? Vielleicht. Aber nur, um nicht mehr sein Gesicht vor mir sehen zu müssen.“

„Was ist das anderes als Reue? Du bist kein grausamer Mensch, bist es niemals gewesen.“

„Ohne Dich zu sein hat mich verändert.“

„Ja. Aber Einsamkeit ist noch lange keine Grausamkeit.“

„Sie kann aber dazu führen. Es ist ein schmaler Grad. Und ich befürchte, das ein oder andere Mal habe ich ihn überschritten.“

„Das glaube ich nicht.“

Er zog sie auf seinen Schoss.

„Ach, Yunicha. Du hast mir immer zuviel zugetraut“

„Nein“ Sie schüttelte den Kopf.

Die Finger ihrer Linken nestelten unruhig an seinem Kragen. Er kannte diese Geste. Kannte sie so gut, dass unwillkürlich ein Lächeln über sein Gesicht glitt.

„Was?“, wollte er wissen. „Was ist?“

„Ich... muss Dir auch etwas beichten.“

„Ja?“

„Ich... Um uns über Wasser zu halten musste ich...“ Sie presste die Lippen aufeinander.

Takeo versteifte sich. Seine Stimme blieb jedoch ruhig.

„Was?“, fragte er, auf das Schlimmste gefasst.

„Wir mussten ins ärmste Viertel Ba Sing Ses ziehen.“

„Den Frieden?“ Takeo wurde blass.

„Ja. Und ich musste mir Arbeit suchen. Die einzige, die ich finden konnte, war im Kohlminen-Werk in Dylang. Ich musste Takeru bei meiner Mutter lassen.“

Takeo unterdrückte den erleichterten Seufzer, der über seine Lippen kommen wollte. Er hatte sich schon ausgemalt, seine Yuna, die vor ihm nie einen Mann auch nur angesehen hatte, hätte sich an grobschlächtige, brutale Kerle verkaufen müssen. Diese größte Angst schien zwar gebannt, doch ihr schien etwas anderes auf der Seele zu brennen.

„Was ist geschehen, Yuna?“

„Ich konnte damals nur alle zwei Monate nach Ba Sing Se, um nach den beiden zu sehen. Ich habe nicht bemerkt, dass Mama krank wurde. Sie hatte bei einem oder zwei meiner Besuche nur ein bisschen gehustet. Doch dann wurde es schlimm. Sehr schlimm.“

Um ihr die Sache zu erleichtern, drückte Takeo seine Frau fest an sich.

„Was geschah?“, fragte er leise.

„Ich wusste nichts von ihrer Krankheit. Sie hat mir nie geschrieben, dass es ihr schlecht ging. Wahrscheinlich, um mich nicht noch zusätzlich zu beunruhigen. Ich war damals so verzweifelt. Die Minengesellschaft war angeblich in Zahlungsnöten. Wir bekamen für fast drei Monate kein Geld. Und dann ging es Mama zu schlecht, um auch nur aufzustehen. Und Takeru...“

„Was?“ Diesmal klang Takeos Stimme rau.

„Er war ganz auf sich allein gestellt; musste nicht nur sich selbst versorgen, sondern auch noch meine Mutter.“

„Wie... wie alt war er?“

„Fast fünf.“

„Fünf“, echote Takeo.

Seltsamerweise liess seine Fassungslosigkeit Yuna ganz ruhig werden.

Ihr folgender Bericht klang nüchtern.

„Einer der Nachbar brachte einigen Straßenjungen das Stehlen bei. Für die Hälfte der Ausbeute, versteht sich. Als er bemerkte, dass sich niemand um Takeru kümmerte, hat er ihn ebenfalls rekrutiert.“

„Er... musste stehlen?“

„Ja.“ Yunas gekünstelte Ruhe verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Mein kleiner Junge musste sich Nachts ganz allein durch diese schmutzigen, stinkenden Straßen voller schmutziger, stinkender Menschen schlagen und hat versucht ihnen genug aus den Taschen zu klauben, dass ihm und Mama wenigstens etwas zu Essen blieb. Was ihm alles hätte passieren können... Und ich wusste nichts davon!“

Für einige Augenblicke konnte Yuna ihre Tränen nicht unterdrücken.

„Er hatte solche Angst, Takeo! Solche Angst. Angst vor der Nacht. Angst vor den Menschen. Angst vor... dem Teufel.“

„Dem Teufel?“

„Ich habe es erst erfahren, als wir schließlich hier waren. Im ersten Jahr ist er fast jede Nacht schreiend aufgewacht. Er stammelte konfuses Zeug. Dass er in die Hölle müsse. Dass er...“ Ihr entwich ein letztes, abgehacktes Schluchzen. „Er hielt sich für böse. Er kann nicht länger als drei oder vier Monate in dieser Diebesbande gewesen sein, aber es... es hat seine Seele vernarbt. Und ich bin daran Schuld!“

„Nein, Yuna...“

„Doch! Wenn Seine Lordschaft damals nicht in Ba Sing Se gewesen wäre und Takeru aufgegabelt hätte... Wir haben ihm viel zu verdanken. Sehr viel. Er gab uns eine kleine Wohnung. Ich bekam Arbeit, Mama wurde langsam wieder gesund und Takeru konnte in die Schule gehen. Aber es hat lange gedauert, bis er wieder gelernt hat, was es heisst in Sicherheit und Geborgenheit zu leben. Richtig akzeptiert hat er es glaube ich erst, als er seine Ausbildung zum Kanijo begann. Es war seine Art, sich Sicherheit und Geborgenheit selbst zu schaffen; seine Art, mit der Angst umzugehen. Er hat wie ein Besessener an sich gearbeitet, damit ihn nichts und niemand je wieder bedrohen würde. Weder ihn, noch die Menschen, die ihm etwas bedeuten.“

Jetzt war Yuna wieder ruhig. Doch diesmal war es keine erzwungene Ruhe.

Sie lehnte den Kopf an Takeos Schulter.

„Für Außenstehende ist er schwer zu verstehen, Dein Sohn. Sie nennen ihn furchtlos. Kalt. Stur. Mutig über jedes vernünftige Maß hinaus. Das alles ist er auch. Aber die wenigsten wissen, dass diese Eigenschaften einer tiefen Angst entspringen. Für ihn ist dieser Palast und die Menschen darin der sichere Mittelpunkt seiner Welt. Sein Heiligtum, wenn Du so willst. Und diese Welt verteidigt er ohne Kompromisse. Vor allem den Feuerlord und dessen Familie. Er liebt sie. Ohne Vorbehalte. Vermutlich sogar mehr, als er mich oder Dich jemals lieben wird.“

„Wenn er es überhaupt jemals tun wird“, murmelte Takeo resigniert. „Welchen Grund hat er schon, mir zu vertrauen, oder mich zu mögen.“

„Scht. Er wird es.“ Yuna strich über seine Wange. „Du wirst schon sehen. Irgendwann wird auch er erkennen, wie ähnlich ihr euch seid. Er ist vielleicht stur. Manchmal schier unendlich stur. Aber nicht unbelehrbar. Sonst hätte Aya es niemals geschafft, ihren steinernen Wächter in einen Prinzen zu verwandeln. Prinz...“ Ein halb trauriges, halb amüsiertes Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Dann ist er jetzt also tatsächlich einer?“

„Ja“, seufzte Takeo. „Ob er will oder nicht. Aber sag... wie ist das mit der Prinzessin und ihm? Wie kam es dazu?“

„Das ist mit Worten schwer zu beschreiben.“

„Wirklich?“

„Ja. Wirklich. Bist Du bereit für eine lange, wundervolle, unendlich romantische Geschichte?“, fragte sie mit feinem, ironischem Unterton und drückte einen Kuss auf seine Lippen.

„Hm. Wie lange?“

„Ziemlich. Warum?“

Er küsste sie zurück.

„Weil mir meine eigenen Romantik gerade ziemlich zu schaffen macht.“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“

„Dann kann ich es Dir ja später erzählen“, flüsterte Yuna und bog, da ihr Gatte damit beschäftigt war, ihren Hals zu küssen, zuvorkommend den Kopf zur Seite.

„Mhm. Vielleicht mit ein paar Pausen? Falls...“ Er schob leise raschelnd die Seide ihres Kimono von ihren Schultern. „Falls mir die Romantik noch einmal dazwischenkommt.“

Da war es. Dieses vertraute, liebevolle, fast spitzbübische Lächeln, das nur ihr vorbehalten war.
 

So kam es, dass der samt und sonders vor Neugier platzende Hofstaat den Herzog von Iweh am Tag nach seiner doch recht heimlichen Ankunft erst gegen Mitte des Vormittags zu Gesicht bekam. Allerdings nicht für lange.

Nachdem Takeo in Erfahrung gebracht hatte, wo sein Neffe sich derzeit aufhielt, begab er sich schnurstracks in den großen Park im Norden des Palast-Geländes.

Er fand Yoshio auf einer Bank sitzend, in ein Buch vertieft.

„Yoshio?“

„Onkel Takeo! Ich habe Euch gar nicht kommen hören.“

Yoshio legte seine Lektüre beiseite und wollte sich erheben.

„Bleib sitzen“, bat der Herzog. „Hier draußen können wir diesen Schnickschnack getrost bleiben lassen.“

„Schnickschnack?“

„Das Verbeugen und all dieser Kram. Als ich jung war hat mir das nie gepasst. Und später ... leider gewöhnt man sich an zu viele Dinge.“

„Nun,“ Yoshio zuckte mit den Schultern. „Erdkönig Nuro ist Euer Vetter zweiten Grades. Da veranstalten die Leute schon mal solchen - wie sagtet Ihr noch - Schnickschnack.“

„Ja.“ Takeo setzte sich neben seinen Neffen, und streckte die langen Beine von sich. „Humbug!“

„Hm.“

Eine Weile saßen die beiden Männer in stummem Einvernehmen nebeneinander.

„Ich habe Dir noch nicht gedankt“, unterbrach Seine Hoheit schliesslich die Stille.

„Doch habt Ihr.“

„Nicht genug, Yoshio. Bei weitem noch nicht genug!“

„Onkel Takeo, denkt Ihr wirklich das sei nötig?“

„Ja! Du hast einiges aufgegeben, um mir meine Familie wieder zu geben.“

„Aufgegeben?“

„Du warst immerhin mein Erbe.“

„Ja. Und den Göttern sei Dank, dass dieser Kelch an mir vorüber schrammt. Diese ganze Diplomatie und Speichelleckerei... Ich weiß, Ihr selbst habt dem auch nie viel abgewinnen können, aber Mutter bestand darauf, dass ich mir bei Hof einen Namen mache. Dabei bin ich im Grunde meines Herzens ein etwas besser gestellter Bauer. Ich will ein Stück Land und meine Ruhe! Versteht mich nicht falsch; mit meinen 21 Jahren lechze ich natürlich ab und an nach ein bisschen Abwechslung. Ein kleiner Besuch in der Stadt, dagegen ist nichts einzuwenden. Aber auf Dauer...“

„Warum hast Du Deiner Mutter nicht gesagt, dass Du keine gesellschaftlichen Ambitionen hast?“

„Das hatte ich!“ Yoshio schnaubte. „Mir wurde Verantwortungslosigkeit vorgeworfen. Und dann hat sie meine Schwestern ins Feld geführt. Fünf Mädchen und nur ein Sohn! Seit Vaters Tod...“ Yoshio beugte sich vor, legte die Ellbogen auf seine Knie und ließ seine Hände baumeln. „Mutter ist nunmal darauf angewiesen, die Mädchen bestmöglich zu verheiraten. Seit Vater tot ist, ist das scheinbar das einzige, voran sie denken kann. Ein Herzog für Milly, ein Graf für Oimi, für Hina mindestens einen Prinzen - ich frage mich, wie sie auf die Idee kommt, ein Prinz würde sich ein so launisches Weib anschaffen wollen. Für Tess einen Earl oder Conte. Nur die arme Emi wird es in ihrem Alter wohl kaum mehr über einen kleinen Landgrafen hinaus schaffen. Götter! Dass ich mir das Alles gemerkt hab ist schon zuviel des Guten.“ Yoshio fuhr sich durch die Harre und setzte sich wieder auf. „Glaubt mir, Onkel. Ich bin froh, die Last dieses Erbes los zu sein.“

„Ich wusste nicht, dass es eurer Familie so schlecht geht“, erwiderte Takeo betroffen.

„Weil es das nicht tut. Nur Mutter scheint das zu glauben.“

„Ja, Odette war schon immer ehrgeizig. Besonders was ihre Kinder angeht. Ich werde mich darum kümmern, dass die Mädchen ein Angemessenes Debüt bei Hof bekommen.“

„Das müsst Ihr nicht.“

„Aber ich will, Yoshio! Du wirst vielleicht nie ermessen können, was Du für Yuna und mich getan hast. Wir sind Dir so unendlich dankbar! Nur... von meinem Sohn kann man das nicht gerade behaupten.“ Bedrückt blickte der Erzherzog in die Ferne.

„Er wird schon noch zugänglicher.“

„Vielleicht“, murmelte Takeo leise. „Vielleicht aber auch nicht. Ich habe keinen Anspruch auf irgendwelche Zugeständnisse seinerseits.“

„Harter Brocken, was?“

„Einer der Härtesten, was man so hört. Himmel... Ist es widersinnig auf jemanden stolz zu sein, den man eigentlich nicht kennt?“

„Schätze nicht. Schliesslich scheint er ganz nach Euch zu kommen.“

„Yoshio?“

„Hm?“

„Du warst schon immer mein Lieblings-Neffe.“

„Nun, obwohl kein anderer Neffe zur Auswahl steht, zeugt es durchaus von Eurer exorbitanten Menschenkenntnis“, lobte Yoshio grinsend.

Sein Onkel legte ihm einen Arm um die Schultern, drückte ihn kurz an sich.

„Komm schon!“, sagte er dann. „Mal sehen was diese Feuerschlucker unter einem Frühstück verstehen.“

„Das wollt Ihr nicht wissen, Onkel!“

Als sie eben im Begriff waren, sich zu erheben, kam Yoshio eine Frage in den Sinn. Er blieb sitzen.

„Was ist?“, wollte Takeo wissen.

„Ich... Da ist etwas, was ich noch immer nicht verstehe“, murmelte der Jüngere. „Wie konnte Euer Vater so etwas tun? Wie konnte Akio Euch so etwas antun und Euch von Eurer Familie trennen?“

„Lange Zeit habe ich mich das selbe gefragt. Eine wirkliche Antwort habe ich nie bekommen. Mein Vater wuchs inmitten des Krieges auf. Der Stolz auf seine Abstammung und der Wunsch sein Land und seinen Namen zu schützen wurden dadurch nahezu krankhaft. Du denkst diese Intrige, die Yuna, Takeru und mich auseinander brachte, sei alles? Das war nur die Spitze des Eisbergs!“

Takeo nahm wieder neben seinem Neffen Platz.

„Ich persönlich hielt ihn sogar zu sehr viel mehr fähig. Ich dachte, er hätte meine Familie auf dem Gewissen. Ich dachte tatsächlich, er hätte das Feuer legen lassen. Was auch stimmte. Ich wusste nur nicht, dass Yuna und Takeru damals bereits fort waren. Wahrscheinlich muss ich für seinen Einfallsreichtum in diesem Fall sogar dankbar sein. Hätte er sich nicht dieses haarsträubende Komplott ausgedacht, wäre er womöglich den letzten Schritt gegangen und hätte die beiden endgültig beseitigen lassen. Sein Land und sein Name bedeuteten ihm alles. Ich war für ihn nur sein kostbarer Erbe. Ein Mittel zum Zweck, um den Stammbaum am Leben zu erhalten. Als ich es damals gewagt hatte, eine in seinen Augen nichtstandesgemäße Verbindung einzugehen ...“ Ein bitteres Lachen kam aus Takeos Kehle. „Im ersten Augenblick dachte ich, er bringt mich um. Er tobte wie ein Wahnsinniger. Wäre ich damals nicht gegangen, er hätte entweder mich oder sich selbst verletzt. Einige Tage später kam er zu mir, drohte, mich zu enterben. Als er merkte, dass mir das egal war, versuchte er hinter meinem Rücken Yuna zu bestechen. Kurz vor Takerus Geburt erzählte sie mir davon. Daraufhin ging ich ein letztes Mal zu ihm und machte ihm klar, dass ich nichts mehr mit ihm oder dem Titel zu tun hätte.

Danach geschah zwei Jahre nichts. Ich hoffte damals wirklich, er ließe uns nun in Ruhe. Darum ging ich auch nach Lungnai, als man mich bat, dem dortigen Baumeister des großen Deiches zu helfen, die Leute im Grenzland zu beruhigen. Einen Monat war ich dort.“ Von bösen Erinnerungen überwältigt schloss der Herzog die Augen. „Einen Monat. Und als ich nach Hause kam... waren sie fort. Das kleine Haus, in dem wir gewohnt hatten, ein Trümmerhaufen. Es hieß die Feuerstelle sei nicht ausreichend gesichert gewesen. Aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass das nicht stimmte. Doch es war egal. Ich hatte das einzig Wichtige in meinem Leben verloren. Ich wurde wieder als Erbe anerkannt. Meinen Vater interessierte nicht, dass er eigentlich keinen Sohn mehr hatte. Ihn interessierte nur der Fortbestand seiner geheiligten Ahnenreihe. Als ich wieder zu Sinnen kam, wuchs in mir der Verdacht, dass er hinter diesem Brand steckte. Und als ich endlich wieder zu fühlen begann, war es Verachtung. Verachtung und Hass auf meinen eigenen Vater.“

„Warum seid Ihr nicht gegangen?“

Takeo schüttelte den Kopf. Er war auf die folgende Antwort nicht stolz.

„Rache“, raunte er. „Ich wollte ihn büßen lassen. Mit allem was in mir war. Ich nährte seine Hoffnungen, ließ ihn glauben was er wollte. Er wurde älter, gebrechlicher. Weicher.“ Ein fast grausamer Ton lag nun in Takeos Stimme. „Irgendwann wünschte er sich nicht mehr nur einen bloßen Erben, er wollte einen Enkel! Im Alter sehnte er sich mehr und mehr nach dem Anblick wachsenden Lebens. Nach Kinderlachen. Kinderlachen!“ Schmerzliche Bitterkeit lag in der Stimme des Herzogs. „Oh, ich hatte das Lachen meines Kindes noch im Ohr. Und ER glaubte, ich würde es vergessen, oder für ein anderes eintauschen? Ich ließ ihn büßen!“, flüsterte Takeo. In diesem Moment erinnerte er Yoshio mehr den je an einen Erzengel. „Als die Ärzte ihm nur noch noch ein bis zwei Jahre gaben rief er mich zu sich. Wann ich ihm einen Erben schenken würde, fragte er mich. Er war... fast freundlich. Nannte mich seinen Sohn und flehte mich regelrecht an.“

`Wann schenkst Du mir endlich einen Enkel, mein Sohn?´

„Ich blickte ihm in die Augen. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit sah ich ihn wirklich an. Dann gab ich ihm seine Antwort.“

`Niemals.´

„Niemals. Als er begriff, dass ich es ernst meinte, erlitt er einen Schlaganfall. Er wurde bettlägerig, konnte nicht einmal mehr sprechen. Die Ärzte bezweifelten sogar, dass er noch recht bei Verstand war. Doch ich wusste es besser. Sein Geist war noch hellwach und spukte in dieser ausgemergelten Hülle umher. Elf Monate später, an dem Abend als er starb, ging ich noch einmal zu ihm. Ich ...“

„Was?“, hakte Yoshio leise nach.

„Ich tat etwas entsetzlich Grausames.“
 


 

Burg Nezushiro, vor 22 Jahren
 

Takeo Isamu Virgil Nezu, Prinz von Iweh, stand am Bett seines Vaters und starrte auf den Alten hinunter.

`Er stirbt´, dachte er. `Nach all dieser Zeit stirbt er endlich.´

„Hoheit, wenn Ihr Euch verabschieden wollt, solltet Ihr das jetzt tun“, flüsterte der Arzt, der eben seine Instrumente einpackte. „Er wird den Morgen wohl nicht mehr... Es tut mir sehr leid!“

„Ich verstehe.“ Takeo nickte. „Danke für Eure Hilfe. Leo wird Euch hinausbegleiten.“

„Ja. Danke. Und wie gesagt... mein Beileid!“

Beileid?

Wozu?

Kurz fragte Takeo sich, ob das Bedauern des Arztes über das Ableben des Herzogs der Tatsache entsprang, dass er diesem Patienten in den letzten beiden Jahren ein kleines Vermögen zu verdanken hatte.

Vielleicht lag es auch nur daran, dass der gute Doktor Akio Nezu erst kennengelernt hatte, als dieser fast schon dem Siechtum anheim gefallen war. Zumeist wurde Hilflosigkeit leider einfach mit Liebenswürdigkeit gleichgesetzt.

Takeo wusste es besser. Sein Vater war, von den letzten Monaten einmal abgesehen, selten hilflos gewesen. Und liebenswürdig? Nicht, seit er ihn kannte. Und das war immerhin schon ein 35 Jahre andauerndes Leben lang.
 

Takeo griff nach einem Kerzenhalter, der auf dem Nachttisch stand, und beugte sich über das Bett.

Der Geruch nach Alter, Zähigkeit und Angst lag in der Luft, nahm ihm beinahe den Atem.

„Könnt Ihr mich verstehen, Vater?“, fragte er leise. „Ich weiß, Ihr könnt es. Ihr sterbt. Also hört gut zu.“ Takeo packte die unruhig umhertastende Hand seines Vater, als wolle er ihm Halt geben, beugte sich tief über ihn und suchte den Blick der immer noch erstaunlich wachen Augen. „Da seid Ihr nun“, flüsterte er. „Der Vorletzte der Nezus. Ich werde mein Versprechen halten und nicht wieder heiraten. Es wird keinen Erben geben. Hört Ihr mich?“

Die Pupillen des Alten weiteten sich. Er bekam also noch mit, was sein Sohn ihm auf den Weg geben wollte. Gut!

„Nach Eurem Tod werde ich mich hinter den Mauern Eurer geliebten Burg verschanzen. Und ich werde darauf warten ebenfalls zu verrecken! Genauso ungeachtet und genauso einsam, wie Ihr es heute tun werdet. Euer Land - Euer unschätzbar kostbares Land - man wird es verschachern. An irgendjemanden. Der Titel, auf den Ihr so stolz seid; man wird ihn handeln wie eine Jungfrau auf einem Basar. Das wird Euer Vermächtnis sein.“

Die gichtgekrümmten Finger des alten Herzogs verkrampften, bis seine Fingernägel sich tief in den Handrücken seines Sohnes gruben.

Takeo erwiderte den Druck, umfasste die ausgemergelte Klaue einige Augenblicke fast behutsam, um sie schließlich verächtlich fallen zu lassen.

„Dies ist mein Vermächtnis an Euch, Vater.“ Eindringlich erwiderte er den fassungslosen, panischen Blick. „Denkt an den Enkel, den Ihr bereits hattet. Denkt an ihn. Denkt an meinen Takeru, während Ihr sterbt.“ Takeo schloss kurz die Augen. „Ich hoffe, es dauert lange“, raunte er. „Bei den Göttern, ich hoffe, es dauert lange!“

Dies waren die letzten Worte, die der Prinz von Iweh zu seinem Vater sprach, bevor er sich, entsetzt über sich selbst, abwandte und das Zimmer verließ.

Er würde es nie wieder betreten.

Das unverständige Brabbeln und Röcheln eines Sterbenden begleitete ihn für den Rest seines Lebens.
 


 

Zurück in der Gegenwart
 

„Ich bin nicht stolz darauf“, schloss Takeo seinen Bericht. „Doch damals ... Ich konnte nicht anders.“

„Vermutlich hätte ich das auch nicht gekonnt. In der Hölle soll er ...“

„Nein, Yoshio! So etwas wünscht man niemandem. Heute weiß ich das.“

„So weise bin ich noch nicht, Onkel. Noch lange nicht. Aber... was ist danach geschehen? Ihr habt Euer Versprechen gebrochen, indem Ihr mich als Erben eingesetzt habt. Warum habt Ihr Euren Sinn geändert? Was ist geschehen?“

„Du bist geschehen.“

„Wie bitte?“

„Du warst der Erstgeborene der neuen Generation.“

„Und?“

Takeo lachte fast unwillig auf.

„Du bist noch zu jung, um zu wissen, wie Kinder sind. Unsere Bitterkeit sagt ihnen nichts und darum kann man sie nicht aufrechterhalten. Zumindest nicht ganz. Kinder wollen nur wissen, ob man sie mag, oder nicht. Und Dich... mochte ich.“

„Ihr wart trotzdem ein alter Knautsch-Bock.“

„Zweifellos.“

„Aber... Ich mochte Euch auch.“

„Zweifellos.“
 


 

Hauptmann Osaru hatte die neusten Neuigkeiten über seinen Freund zunächst verwundert, wenn auch ein wenig amüsiert zur Kenntnis genommen. Bis er erkennen musste, dass MANN offensichtlich nicht die Absicht hatte, ihn in dieser Sache zu Rate zu ziehen. Geschweige denn, ihn auch nur einzuweihen.

Fast der ganze Tag verstrich, ohne dass Han Takeru auch nur zu Gesicht bekam. Entsprechend kurzangebunden war er beim abendlichen Training.

„ N´ Abend.“

„Guten Abend“, antwortete Takeru, während er zu einem Waffenständer ging, um zwei Kampfstäbe zu holen.

„Und? Wie geht es uns heute denn so?“, erkundigte Han sich süffisant.

„Mir?“ Takeru drehte sich um und runzelte die Stirn. „Gut. Bei Dir bin ich mir allerdings nicht sicher.“

„Sooo. Du bist Dir nicht sicher? Dann lass Dir gesagt sein, es geht mir hervorragend!“ Han entblößte zwei blendend weiße Zahnreihen. „Und sonst? Nichts... NEUES?“, knirschte er.

Takeru presste die Lippen aufeinander. „Nein.“

„Ach. Das ist ja lustig. Ich hab da nämlich was ganz anderes gehört. Hier renne plötzlich ein alter Spinner herum, der Dir verdammt ähnlich sehen soll, heisst es. Und obendrein knutscht er noch mit Deiner Mutter, heisst es.“

„Heisst es?“

„Ja.“

„Sieh an. Immer wieder schön, Teil des neusten Tratsches zu sein.“

„Ich hätte mir diesen Tratsch nicht anhören müssen, wenn ich das Ganze von Dir erfahren hätte!“

„Was erfahren? Es ist nichts weltbewegendes passiert.“

„Nichts weltbewegendes?“, schnaubte Han. „Nein! Dein Vater ist ja nur von den Toten auferstanden!“

„Und?“ Aus den Augenwinkeln beobachtete Takeru einige junge Soldaten, die sich, wie jeden zweiten Tag um diese Uhrzeit auf der Galerie eingefunden hatten, um ihren beiden Vorbildern bei der Arbeit zuzusehen. Momentan wurden die Jungs allerdings etwas unruhig. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Zwei Kage, die lieber miteinander zankten als zu trainieren, waren ein wahrlich seltenes Schauspiel.

„Könnten wir mit dem Training beginnen?“, fragte er ruhig.

„Sicher!“, blaffte Han. „Und schönen Dank auch für Dein Vertrauen in mich. Es ist wirklich erhebend, für Dich so wichtig zu sein wie das Badewasser vom Vortag!“

Takeru, eben im Begriff Han einer der beiden Kampfstäbe zu reichen, erstarrte in der Bewegung. Hatte er eine ähnliche Diskussion nicht schon gestern führen müssen? Sein Bedarf an `Kommunikation´ war langsam mehr als gedeckt.

„Oh! Tut mir leid, Han! Hab ich Dein Feingefühl verletzt? Ich war fälschlicherweise davon ausgegangen, einen erwachsenen Mann vor mir zu haben. Kein schmollendes Kind!“, bemerkte er ätzend.

„Ereignisse, die einem nicht in den Kram passen, zu ignorieren ist also erwachsen?“ Han fasste sich an die Stirn. „Tausend Dank für die Erläuterung dieser aufschlussreich schwachsinnigen Sichtweise.“

„Ich werde nicht über diese Sache diskutieren.“

„Aber warum auch? Stoß stattdessen doch lieber alle Welt vor den Kopf! Redselig und einsichtig wie immer, was?“

„Dann solltest Du Dich so langsam dran gewöhnt haben!“, knurrte Takeru.

Damit hatte er nicht ganz Unrecht.
 

Hauptmann Nezu betrachtete - anders als sein Waffenbruder - das Gespräch offenbar als beendet, denn er trug die jämmerlich unbenutzten Waffen wieder an ihren Platz.

„Meine Herren, der Anschauungsunterricht fällt heute flach!“, bellte er in Richtung der tuschelnden Rekruten auf der Empore und bedeutete ihnen mit einer knappen Kopfbewegung, gefälligst das Feld zu räumen. Angesichts seiner gegenwärtigen Laune beeilten sich die jungen Männer dermassen, dem Befehl folge zu leisten, dass es vor dem schmalen Durchgang zu einem kurzen Gerangel kam.
 

Han starrte indes erbost auf den Rücken seines Freundes und zählte bis sieben.

Dann beschloss er, es sei vielleicht besser seine verletzen Gefühle vorerst beiseite zu schieben und zum Kern der Sache vorzudringen.

„Komm schon, Takeru! Was ist es? Bist Du sauer, dass Du nun kein hergelaufener Straßenköter mehr bist, der sich im Schweiße seines Angesichts ganz allein hochgearbeitet hat?“

Langsam drehte Takeru sich um. „Wie bitte?“, knurrte er. „Darauf war ich niemals stolz. Und das weisst Du auch!“

„Schade. Jeder andere wäre es nämlich. Und zu Recht. Nichtsdestotrotz ändert das Auftauchen eines namhaften Vaters nichts daran, dass Du Deine Karriere nur Dir selbst zu verdanken hast.“

Eisiges Schweigen.

Han warf ratlos die Hände in die Luft.

„Zum Teufel, Taku, was stört Dich denn an ihm? Der Mann dachte, er hätte Frau und Kind verloren. Und ich eröffne Dir jetzt mal was ganz neues: Er hat sich nicht eben mal eine neue Familie gesucht, nein! Schlappe neunundzwanzig Jahre hat er um sie getrauert. Um seine Frau und um seinen kleinen Sohn.“

„Soll ich ihm deswegen jetzt um den Hals fallen?“, zischte Takeru ungehalten.

Han verschränkte die Arme. „Reizend! Ich wusste bis heute tatsächlich nicht, was für ein Arschloch Du sein kannst.“ Er klang ernüchtert.

„Hättest Dich nur erkundigen müssen.“

„Tja. Dumm nur, dass ich es selbst dann nicht geglaubt hätte. Mein Schädel muss offensichtlich doch mal was abbekommen haben. Ist aber nicht weiter schlimm. Bist ja jetzt auch ein adliges Zuckerbübchen. Da finden sich bestimmt gleich viel, viel bessere und vor allem mundfaulere und weniger aufdringliche Freunde als ich, nicht wahr? Wink einfach mit Deinem neuen Titelchen. Und falls sich immer noch keiner freiwillig meldet, leg noch ein paar Silberlinge drauf!“

Hauptmann Nezus schlagkräftige Antwort auf diese Bemerkung gefiel Han nicht besonders.

Der Ehefrau seines Gesprächspartners ebenso wenig.
 

„Du hast HAN geschlagen?“ Fassungslos sah Aya mit an, wie ihr Mann sich in aller Seelenruhe hinter seinem Schreibtisch setzte.

„Ein Kinnhaken, weiter nichts.“

„Weiter nichts? Meinst Du diese Art Kinnhaken, die, wenn ich mich richtig erinnere, bei anderen schon zu multiplen Kiefer-Frakturen geführt haben?“

Takeru vertiefte sich in irgendwelche Listen.

„Würde es Dir etwas ausmachen, mir zu sagen, wie es dazu gekommen ist?“, wollte Aya wissen.

„So was kommt schon mal vor.“

„Dann war es ein Trainingsunfall?“

„Nein.“

„Ah. Du findest also, es geht mich nichts an?“

„Ich finde, Du... bauscht es auf.“

„Aufbauschen? Für Dich ist es also schon aufbauschen, wenn man gewisse Dinge klären will. Warum wundert mich das nur so gar nicht? Dann bausche ich in Deinen Augen wohl ständig etwas auf?“

„Ab und an.“

„Wie... reizend.“

„Aya...“

„Ja?“

„Mir scheint, Du willst streiten.“

„Ja. Ausnahmsweise. Da ich aber nur auf wenig Resonanz stoße, überlasse ich Dich wieder Deinem Versuch aus einem Wasserbüffel einen Moskito zu machen.“

„Aya...“

„Ich gehe jetzt nach Hauptmann Osaru sehen“, beendete Aya die Diskussion mit hoheitlicher Würde, drehte sich auf dem Absatz um und verliess hoch erhobenen Hauptes das Zimmer.

Takeru starrte brütend die Tür an, durch die sie verschwunden war.

Wenn er so weitermachte stünde er am Ende dieser Farce noch ohne Freund da. Ohne Freund, Familie oder gar Eheweib.

Aber... nicht so weiterzumachen würde bedeuten... Es würde bedeuten...

Er wusste es nicht genau. Aber irgendwie schien es seinen Prinzipien zu widersprechen, einen verlorenen Vater ohne Wenn und Aber in die Arme zu schließen.

Da könnte ja jeder kommen!
 

„Agni! War das wirklich Takeru?“ Aya schnalzte mitleidig mit der Zunge, als sie Hauptmann Osarus in Mitleidenschaft gezogenes Gesicht sah.

„Ja. Aber macht ihm keinen Vorwurf, Prin...äh... Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ich Euch nun ansprechen soll.“

„Wie wäre es einfach nur mit Aya?“

„Einverstanden. Jedenfalls war das ganze meine Schuld. Ich habe Takeru provoziert. Mit Absicht.“

„Provoziert? Warum?“

„Ich dachte, wenn er seine Wut nicht rauslässt, erwischt es demnächst jemand anderen. Dann doch lieber mich. Ich werde damit fertig.“ Als Dr. Giu eine dicke Schwellung an seinem Wangenknochen abtastete, zuckte Han schmerzhaft zusammen. „Dachte ich jedenfalls“, ächzte er.

„Und er war nicht bereit darüber zu reden? Auch nicht mit Euch?“, fragte Aya.

„Nicht ein Wort.“

„Oh Agni. Manchmal ...“

„Er braucht nur Zeit, Hoh... äh, Aya. Er hat sich mit Veränderungen schon immer schwer getan.“

„Selbst mit den positiven?“

„Mit denen wahrscheinlich sogar noch mehr“, versuchte Han zu scherzen, während seine Lippe mit Alkohol betupft wurde. „AU!“

„Je mehr Ihr herumzappelt, desto mehr schmerzt es“, klärte Dr. Giu seinen Patienten mitleidlos auf.

„Wenn ich das Zeug trinken dürfte, statt damit besprenkelt zu werden, täte es mit Sicherheit weniger weh!“

„Ein weit verbreiteter Irrglaube. Alkohol hemmt das Schmerzempfinden nicht wirklich, er...“

„Wisst Ihr, was ebenfalls ein weit verbreiteter Irrglaube ist? Die Annahme, ich würde meinem behandelnden Arzt keine verpassen.“

Dr. Giu richtete sich auf.

„Ich denke, das sollten wir nähen“, sagte er.

„Das sagt Ihr jetzt nur, um es mir heimzuzahlen“, hauchte Han, blass geworden.

„Nun, das werden wir nie wissen, nicht wahr?“ Der Arzt lächelte süßlich.
 


 

Der selbe Tag, Schlafenszeit
 

In dieser Nacht sass Hauptmann Nezu noch spät auf einer der schmiedeeisernen Bänke auf seiner weitläufigen Dachterrasse. In gebeugter Haltung, die Ellbogen auf den Knien, hockte er da und betrachtete seine locker herabhängenden Hände.

Wie unnütz sie waren.

Unbrauchbare Hände. Vollkommen nutzlos. Wussten nicht, was zu tun war. Stattdessen verharrten sie in Untätigkeit.

Frustriert ballte er sie zu Fäusten. Scheinbar die einzige ihm mögliche Reaktion auf die Situation der vergangenen Tage.

Seit wann schafften es Zorn und Ratlosigkeit, ihn derart auszubremsen?

Was war mit seinem Verstand? Seiner analytischen Distanz?

Er war Soldat, verdammt noch mal. Soldat!

Denk nach, Mann! Denk einfach ruhig darüber nach.
 

Doch seine sonst so zielgerichteten Gedanken weigerten sich, eine eindeutige Richtung einzuschlagen.

Er wusste auch ziemlich genau warum. Ausnahmsweise weigerte er sich schlicht und einfach, bestehende Tatsachen zu akzeptieren.

Es sah ihm nicht ähnlich. Früher oder später müsste er es ohnehin tun.

Aber noch...? Noch hatte er keine Lust dazu.

Müde fuhr er sich mit einer Hand übers Gesicht und seufzte.

Er konnte sich nicht ausstehen, wenn er so widersinnig war.

Hatte Han Recht? Hatte er sich in der Rolle der Halbwaisen so sehr gefallen, dass er seinen Vater nun nicht mehr akzeptieren wollte?

Takeru war froh über den Weg, den sein Leben genommen hatte.

Wie könnte er es auch nicht sein, hatte ihn dieser Weg doch bis hierher geführt. An Ayas Seite.

Als Sohn eines reichen, mächtigen Mannes wäre er ihr vielleicht nie begegnet.

Und wer konnte schon sagen, wie ihre Begegnung mit den Bienenfaltern ausgegangen wäre.

Möglicherweise hätte es sie nicht einmal mehr gegeben.

Dieser Gedanke war so unerträglich, dass er ihm fast abwegig erschien.

Nun ja, EINE parallele Realität gab es durchaus, in der eine wahllose Kette von Ereignissen dazu geführt hatte, dass die Familie Nezu nicht auseinander gerissen wurde, Lady Jins Kater KEINEN Bienenfalter-Schwarm aufgeschreckt hatte und der älteste Sohn des Erzherzogs von Iweh am Hofe König Nuros schließlich der Tochter Zukos II begegnete, was ebenfalls den Beginn einer unsterblichen Liebe einläutete.

Aber da die Quantenphysik in der Feuernation noch in den Kinderschuhen steckte - oder quasi nonexistent war - konnte dies unser wackerer Held ja nicht ahnen.

(Außerdem war jene Liebe nicht gar so schicksalhaft und romantisch wie diese. Anm. des Autors)
 

Ja, er war mehr als glücklich, wie sein Leben verlaufen war.

Trotzdem grollte er nun dem verlorenen Vater. Oder besser: dem Vater, der ihn verloren hatte.

Ach verdammt...

„Takeru?“

Er blickte auf. Auf das Mädchen, für das er, wenn es sein müsste, alle Entbehrungen, alle Strapazen und alle Schmerzen dieser Welt noch einmal durchleben würde.

Nein, er würde sich niemals wünschen, sein Leben wäre anders verlaufen. Ob mit oder ohne Vater.

„Ja?“

„Willst Du heute wieder nicht schlafen?“

„Doch, Prinzessin.“ Er erhob sich und griff ihre Hand. „Doch.“
 

Takeo gab indessen eine recht gute Imitation seines Sohnes zum besten.

Auch er sass auf einer kühlen, nächtlichen Terrasse, in so ziemlich der gleichen Haltung und auch seine Gedanken kreisten unablässig um das vorliegende Dilemma. In so ziemlich der gleichen fatalistischen Manier.

Sein Sohn.

Sein Takeru.

Wie viele Jahre hatte er um ihn getrauert? War von einem kleinen Gespenst mit leuchtenden Augen und hellem Lachen aus dem Schlaf gerissen worden? Nacht für Nacht.

Und es hatte nie aufgehört

Selbst jetzt noch, nach beinahe drei Jahrzehnten. Wann immer ihm ein Junge oder junger Mann mit dunkelblondem Haar über den Weg gelaufen war, hatte dieses erdrückende Gefühl der Schwermut auf ihm gelastet.

Und jetzt... Jetzt hatte er seinen Sohn tatsächlich vor Augen und konnte doch nichts tun, um seine Familie wieder zu vereinen. So seltsam es war, aber dies liess ihn den Schmerz über den Verlust umso tiefer spüren.

Wann würde Takeru bereit sein, mit ihm zu sprechen?

Wann würde er beginnen, ihn als Vater zu sehen?

Was, wenn niemals?

Takeo beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und vergrub den Kopf in den Händen.

Er hatte doch schon so viel gewonnen. Nach all den Jahren der Bitterkeit hatte er plötzlich wieder Yuna an seiner Seite. Yuna, die die Einsamkeit und Kälte aus seinem Herzen vertrieb.

Er seufzte.

Vielleicht war es gierig, mehr zu wollen. Überheblich.

Aber das wirkliche Glück war so nah. So greifbar nah.

Doch ohne seinen Sohn, würde es nie vollkommen werden. Ohne sein Kind würde für immer diese eine, dunkle, klaffende Wunde in seiner Seele verbleiben.
 

„Takeo?“

Er schrak zusammen.

„Was tust Du denn hier? Es ist kalt.“ Yuna trat hinter ihren Mann und umarmte ihn.

„Kalt?“ Seltsam. Erst als er ihre Wärme im Rücken spürte, merkte er, dass der Rest seines Körpers fröstelte. „Du hast Recht“, murmelte er.

Yuna fuhr zärtlich mit den Fingern durch sein Haar.

„Er wird sich beruhigen“, versprach sie leise.

„Und dann?“

„Dann wird er Dich auch an sich heran lassen.“

„Woher willst Du das wissen“, seufzte Takeo.

„Weil er Dein Sohn ist. Mehr als Du denkst.“

„Wirklich? Wann immer ich ihn ansehe... Ich weiss nicht, wie er zu dem geworden ist, der er heute ist. Ich habe ihn nicht aufwachsen sehen, Yuna. Und nichts von dem, was er erreicht oder erfahren hat, ist mein Verdienst. Ich konnte ihm nichts von den Dingen geben, die ein Vater seinem Kind geben sollte. Keine Liebe, keine Geborgenheit, nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Wenn er sich nicht mit mir abgeben will, ist das sein gutes Recht.“

„Nein. Ist es nicht.“ Yuna löste die Umarmung und richtete sich auf. „Von mir hat er nichts auf den Weg bekommen ausser seiner Haarfarbe, Takeo. Den Rest hat er von Dir.“

„Nur weil er mir ähnlich ist, muss er mich nicht mögen“

„Nein?“ Yuna drückte einen Kuss in sein Haar. „Das ist Ansichtssache.“
 


 

Am nächsten Tag machte Hauptmann Nezu gleich in aller Götter-Frühe eine vollkommen neue Erfahrung.

Die morgendliche Teambesprechung im Büro des Kommandanten war vorüber, Offiziere und Kage waren eben im Begriff, den Raum zu verlassen, als Kuroto den Kopf hob.

„Nezu? Auf ein Wort!“

Takeru blieb wie angewurzelt stehen. Er kannte diesen Tonfall.

Nur war er noch nie Adressat des selbigen gewesen.

„Kommandant?“

Kuroto wartete, bis alle Übrigen sein Büro verlassen hatten. „Haben Sie heute Morgen das Gesicht von Hauptmann Osaru gesehen?“, erkundigte er sich beiläufig.

Takeru lag auf der Zunge, dass das nur schwer zu übersehen gewesen sei, da es sich leider an der Vorderseite von Hans Kopf befand, enthielt sich jedoch einer solch zynischen Bemerkung.

„Ja“, entgegnete er nur.

„Eine Ahnung, wie er zu der Beule an seinem Kiefer gekommen ist?“

„Ja.“

„Ja?“, knurrte Kuroto. „JA? Das ist alles? Hauptmann... Ich habe im Augenblick keine Lust auf Ihre Austern-Taktik. Da es nur zwei Männer gibt, die in der Lage sind Osaru eine ordentliche Rechte zu verpassen und ich nicht annehme, dass Seine Lordschaft sich dazu herabliess, dürften es wohl Sie gewesen sein.“

„Ja.“

„Darf ich vielleicht den Grund dafür erfahren?“

„Es handelt sich um... eine Privatangelegenheit.“

„Eine Privatangelegenheit?“, fragte Kuroto, als hätte er sich verhört.

„Ja, Sir.“

„Sie halten es also für privat, wenn Sie einen meiner besten Männer so zurichten, dass ich seine blau geschundene Visage mindestens noch vier bis fünf Tage vor Augen habe? Verdreschen Sie in Ihrer Freizeit Ihre Freunde und Kameraden, solange Sie wollen. Das ist Ihr Problem. Aber wenn Sie einen MEINER Offiziere verletzen, dann nehme ICH die Sache persönlich. Ist das klar?“

Etwas perplex stand Takeru im Raum. Wie reagierte man gleich noch auf die Rüge eines Vorgesetzten? Seit seiner Kadettenzeit war ihm dies nicht mehr untergekommen.

„Ob das KLAR ist?“, bellte der Kommandant.

Takeru stand stramm wie ein Besenstiel. „Ja, Sir“, quetschte er durch die Zähne.

„Gut. Ich dachte schon Ihre neuen Familienverhältnisse wären Ihnen zu Kopf gestiegen.“

WAS Takeru bei diesen Worten zu Kopf stieg, war das eigene Blut. Er sah rot.

„Sir..!“

„Sie können wegtreten!“

„Kommandant, ich...“

„WEGTRETEN HAB ICH GESAGT! Haben Sie neuerdings Wasserkastanien in den Ohren?“

Stocksteif, vor Wut und schlimmeren Dingen blass um den Mund drehte Takeru sich auf dem Absatz um und verliess den Ort seiner Schmach.
 

Draussen wartete leider schon Yuna; nichtsahnend, dass sie in diesem Leben keinen ungünstigeren Zeitpunkt hätte wählen können, um sich mit ihrem Sohn auszusprechen. Im Gegenteil. Sie wurde von der verzweifelten Hoffnung getrieben, er könnte sich in der Zwischenzeit möglicherweise - so ganz vielleicht - beruhigt haben.

Die teils neugierigen, teils nervösen Blicke, die die vorbeieilenden Wächter und Soldaten ihr zuwarfen, hätten ihr eigentlich Warnung genug sein sollen.

Schließlich öffnete sich die Tür.

Takerus Gesichtsausdruck erstarrte - falls überhaupt möglich - noch mehr, als er seiner Mutter ansichtig wurde.

Yuna atmete tief durch und fasste sich ein Herz.

„Takeru...“

„Mutter.“ Ein knappes Nicken und schon wollte er weiter.

„Takeru, warte!“

„Ich bin im Dienst.“

„Ich habe den Kommandanten bereits gefragt, ob ich Dich bei Gelegenheit sprechen könnte. Er hatte nichts dagegen.“

Ach. Sieh an. So schnell konnten `private Angelegenheiten´ wichtig genug werden, ein wenig Dienstzeit zu opfern.
 

„Ich habe zu tun, Mutter!“

„Ja. Natürlich hast Du das. Aber paar Minuten Deiner Zeit wirst Du wohl entbehren können.“

„Ich halte es für klüger, dieses Gespräch ein andermal zu führen“, knirschte Takeru, der sein Nervenkostüm für sechs Uhr einundzwanzig durchaus schon strapaziert genug fand.

„Damit Du alles in Dich hineinfressen kannst? Nein.“

„Gut. Wenn Du darauf bestehst. Hier entlang.“

Takeru führte seine Mutter in einen mit strategischen Karten und der Nachstellung historischer Schlachten vollgestopften Raum.

Sollte Kuroto dies als Anlass für eine weitere Rüge nehmen, bitte sehr...

Er ging zum nächstbesten der Tische, stemmte die Arme ab und starrte brütend auf eine Miniatur-Ausgabe des Feuerpalastes inclusive aller Verteidigungsanlagen.

Yuna nahm die Botschaft dieser Haltung bekümmert zur Kenntnis. Seine gesamte Rückenpartie - ja jeder einzelne Muskel, der auch nur im entferntesten an der Körpersprache ihres Sohnes Anteil hatte - bildete ein Bollwerk zutiefst von sich selbst überzeugter Kompromisslosigkeit.

„Du willst reden, Mutter? Schön. Sprechen wir doch darüber, warum ich bis vorgestern Abend nichts davon wusste, der Sohn eines Erzherzogs zu sein.“

„Er... er war enterbt worden!“, versuchte Yuna sich zu verteidigen. „Und somit weit davon entfernt, jemals Herzog...“

„Das tut nichts zur Sache!“, knurrte Takeru. „Jetzt ist er es. Du wusstest um seine Abstammung und somit auch um meine.“

„Aber... was hätte es denn genutzt, Takeru?“

„Was es genutzt hätte?“ Der Hauptmann wirbelte herum und sah ihr ins Gesicht. Yuna wünschte fast, er würde es nicht tun. Seine Augen waren die reinsten Eisschleudern. „Ich hätte ein klein wenig mehr über meinen Vater gewusst!“

„Alles was wichtig war, habe ich Dir erzählt“, versuchte Yuna sich zu verteidigen. „Ich habe immer versucht, Dir Deinen Vater näher zu bringen. Damit Du Dir ein Bild von ihm machen kannst. Damit Du weißt, wie er war “

„Ja.“ Ein hartes Lachen. „Aber nicht WAS er war.“

„Seine Abstammung hat ihn nie definiert!“

„Ach ja?“ Er machte einen ungehaltenen Schritt auf sie zu. „Dann ist das auch der Grund, warum sich die Leute um mich herum samt und sonders plötzlich völlig absurd verhalten und nicht mehr wissen, wie sie mich behandeln sollen? Weil es auch mich mich nicht definiert, wessen Sohn ich bin? Dieser Mann...“ Aufgebracht deutete er in Richtung des Gästeflügels. „Dieser Mann ist es gewohnt, dass die Menschen vor ihm kratzbuckeln. Auf den leisesten Wink hin bemüht sich ein ganzes Heer von Dienern um seine erlauchten Wünsche! Glaub mir, es definiert ihn, wer und was er ist. Und jetzt definiert es auch mich. Und ich mag es nicht von anderen definiert zu werden. Ganz und gar nicht!“

„Tak...“

Zu guter Letzt schienen ihm Hirschzebras nun doch noch durchzugehen.

„Und WAGE nicht, zu behaupten, es sei kein Unterschied, ob man der Sohn eines Stadtschreiber ist, wie Du immer behauptet hattest, oder der eines gottverdammten Herzogs!“ Als dem Hauptmann klar wurde, dass er gerade dabei war, hemmungslos seine Mutter anzuschreien, straffte er sich. „Ich hätte ein Recht gehabt, es zu erfahren!“, schloss er mit erzwungener Ruhe.

„Ja, wahrscheinlich. Doch wozu wäre es gut gewesen? Um Dich ins Ungewisse zu stürzen? Damit Du Dir Fragen stellst, die Dir niemand hätte beantworten können? Fragen, die Dich vielleicht von Deinem Weg abgebracht hätten?“

„Mein Weg? Hattest Du Angst, ich würde hier alles stehen und liegen lassen, um ein Erbe einzufordern, das mich einen feuchten Dreck interessiert?“

„Vielleicht hätte es Dich interessiert, wenn Du es früher gewusst hättest. Es ... es ist immerhin das Vermächtnis Deines Vaters. Noch bis vor zwei Tagen hätte Dir das sehr wohl etwas bedeutet! Und ich... Unter keinen Umständen wollte ich, dass Du oder ich jemals wieder etwas mit Akio Nezu zu tun hätten. Deshalb hatte ich ihm auch versprochen Dir nichts zu sagen, Takeru!“

„Versprochen?“ Er lachte hart. „Meinem Großvater? Einem Mann, der seinen eigenen Sohn verstieß und verleugnete. Dich ins Unglück stürzte, trotz Deines Babys und uns uns selbst überließ? Diesem Mann hast Du Dich mehr verpflichtet gefühlt, als mir?“

„Ich hatte es versprochen! Du selbst müsstest das doch verstehen. Du selbst brichst ein einmal gegebenes Wort niemals. Und weisst Du auch von wem Du diese Eigenschaft hast? Von Deinem Vat...“

„Ich will im Augenblick wirklich nichts mehr von ihm hören!“ Takerus Stimme war gefährlich leise. Und gefährlich kalt.
 

Yuna schluckte und blickte auf ihre Hände hinab.

„Es tut mir so leid, Takeru. Unendlich leid. Aber hast Du auch nur eine Ahnung, wie tief meine Wunden damals waren? Mit welchem Schmerz ich zu kämpfen hatte? Ich hielt Deinen Vater für tot, Takeru! Das Erbe der Nezus war das kleinste meiner Probleme. Und es kümmerte mich nicht.“

Mit fest verschränkten Armen starrte ihr Sohn auf den Boden.

„Ach... Aber mich soll es jetzt auf einmal kümmern?“, knirschte er.

„Nicht das Erbe. Nur Dein Vater!“

„Du kannst den Mann nicht von seinem Titel trennen. So leid mir das tut, Mutter. Außerdem... ein Erbe hat mir nie gefehlt. Ein Vater allerdings schon. Du kannst nicht von mir erwarten, ihn aus heiterem Himmel mit offenen Armen zu empfangen.“

„Ein offener Geist wäre mir schon genug, Takeru!“

„Sicher!“, schnaubte er bitter. „Mir Sturheit vorzuwerfen trifft schließlich immer ins Schwarze, nicht wahr?“

„So war das nicht gemeint! Ich...“

„Ich halte die Debatte vorerst für beendet. Guten Tag, Mutter.“

Als Yuna sich allein in dem kleinen Raum wieder fand, seufzte sie tief.

Ja, es wäre wirklich besser gewesen, dieses Gespräch auf später zu verschieben.
 

Unnötig zu sagen, dass Hauptmann Nezus Miene für den Rest des Tages abweisend genug war, ihn unbehelligt all seinen Aufgaben nachkommen lassen zu können. Ausserdem, wenn er jetzt schon seine Freunde verprügelte und seine Mutter anbrüllte...

Takeru war das nur Recht. Er hatte die Schnauze gestrichen voll. Voll von verärgerten Vorgesetzten. Voll von plötzlich undurchschaubaren Müttern und dubiosen Herzögen.

Und voll von schmollenden Freunden.

Ja, Han schmollte. Nun ja. Das war zwar albern, aber des Feuerbändigers Wille ist sein Schmelzofen.

Irritierend war nur, dass selbst Aya begann, ihm spekulative, besorgte Blicke zuzuwerfen.

Takerus Lippenpartie wurde stündlich schmaler. Bereits am frühen Nachmittag hatte er das Gefühl, sein Kiefer müsse demnächst abfallen vom ständigen Zähneknirschen. Ein konfuser Bediensteter des Palastes, der den Fehler beging sich angesichts des Hauptmanns WESENTLICH tiefer zu verneigen als angemessen oder üblich, entging nur knapp einer Backpfeife.
 


 

Zur gleichen Zeit, am fast gleichen Ort
 

Der Herzog von Iweh streifte neugierig durch den riesigen Palast Zukos des Zweiten.

Er ließ sich Zeit. Betrachtete beeindruckend große Wandgemälde, besonders schön angelegte Brunnen, bestaunte die eleganten Linien der Pavillons und Loggien, die filigranen Schnitzereien antiker Vertäfelungen.

Sein Ziel waren die inneren Gänge des Ostflügels, in denen, wie er in Erfahrung gebracht hatte, die etwas neueren Gemälde hingen.

Das erste überlebensgroße Portrait, welches ihm drohend entgegen starrte, war Sozin selbst. Sozin, der Kriegstreiber.

Rechts davon hing, ebenso groß und streng, ein Bild Azulons.

„Ts. Ausgemergelter Kerl!“, murmelte Takeo. „Scheint zu stimmen, dass er sich nur von Quellwasser und Haferschleim ernährt hat.“

Er schritt weiter und erblickte, wie er es befürchtet hatte, denjenigen der Feuerlord-Versammlung, bei dem ihm die Galle hochzukommen drohte.

Ozai.

Ironischerweise der bestaussehende dieser Burschen.

Ozai der Prächtige.

Arrogant, herrlich anzusehen, aber kalt und öde wie ein seit Millionen Jahren erloschener Vulkan. Um sein Haupt die Darstellung einer feurigen, gloriosen Sonne, unter seinen Stiefeln die übrigen Elemente im Staub.

„Eins muss man Dir lassen; Siehst Deinem Sohn leider verdammt ähnlich“, murrte Takeo zur Geißel des Krieges empor. „Frag mich nur, warum Du noch nicht auf dem Müll gelandet bist.“
 

„Es soll mich erinnern.“

Takeo drehte sich um. „Euer Lordschaft.“ Er neigte das Haupt.

Eine Geste, die erwidert wurde.

„Hoheit!“, antwortete Zuko.

„Ich wollte Eure Ahnen nicht beleidigen.“

„So? Warum nicht? Diese drei hier haben sich zu Lebzeiten wahrlich mit genug fragwürdigem Ruhm bekleckert. Ich glaube, dafür dürfen sie ruhig die ein oder andere kleine Schmähung erdulden. Besonders dieser hier!“ Zuko starrte zu seinem Vater hinauf.

Takeo konnte förmlich spüren wie Mylords Laune sich verdüsterte.

„Warum hängt ein Portrait Eures Onkels neben ihm?“, fragte er rasch, um das Gespräch auf etwas Erfreulicheres zu lenken.

„Nun, da mein Vater sich den Thron nur erschlichen hatte, ist es eigentlich mein Onkel, dessen Bildnis an dieser Stelle aufgehängt werden sollte. Also habe ich genau das getan. Ausserdem macht es den Anblick meiner illustren Vorväter erträglicher. Es zeigt mir, dass nicht alle Tatzus Idioten waren. Oder sind.“

„Ihr hängt sehr am General. Nicht wahr?“

„Ich liebe ihn“, antwortete Zuko schlicht. „Er ist Onkel, Vater, Ratgeber und Freund für mich. Aber genug der Sentimentalität.“ Zukos Aufmerksamkeit galt nun wieder seinem Gast. „Ich nehme an, Euer eigentliches Ziel sind nicht die offiziellen Herrscher-Portraits hier, sondern eher die Hallen aus Stein, unter der großen Kampfarena.“

„Nun, man sagte mir, dort hingen auch Bilder von... von Takeru.“

„Allerdings. Die Kage geniessen seit jeher ein sehr hohes Ansehen. Um ihre Tapferkeit zu honorieren liess Zuko der Erste im dritten Jahrhundert die Hallen aus Stein erbauen. Dort befinden sich unter anderem die sterblichen Überreste aller Leibwächter und eine Galerie mit Portraits jedes einzelnen von ihnen.“

„Und erbaut hat sie Euer Namensvetter?“

„Ja. Doch ich fürchte, das war die größte seiner Taten. Mein Vater suchte für mich einen Namensgeber der - wie soll ich sagen - seinen Vorstellungen von Ruhm und Glorie widersprach. Einen Schwächling und Versager sozusagen. Also wählte er Zuko den Bedächtigen. Ein bescheidener Mann, mit Liebe zur Kunst und Gärtnerei, doch leider nur ein Verfechter des Friedens, ohne jegliche Ambitionen auf die Weltherrschaft. Ein nahezu unverzeihlicher Makel, so als Feuerlord.“

„Klingt nach einem angenehmen Burschen. So als Feuerlord“, erwiderte Takeo. „Ihr könnt froh sein, seinen Namen zu tragen.“

„Oh, das bin ich! Mehr als froh. Ich würde Euch seine Galerien gerne persönlich zeigen, aber mich ruft die Pflicht. Ich weiss jedoch einen geeigneten Ersatz. Einen Moment bitte.“

Zuko winkte einen zwanzig Meter entfernt stehenden Soldaten zu sich.

„Herr?“

„Leutnant Rige, lass bitte nach Hauptmann Osaru schicken.“

„Sofort, Mylord!“

„Ich fühle mich zwar geehrt“, meinte Takeo, nachdem der Soldat fortgeeilt war, um den Auftrag auszuführen. „Aber ist ein so hochrangiger Offizier wirklich der geeignete Fremdenführer?“

„Fremdenführer?“ Mylord lüftete amüsiert die Braue. „Ihr seid kein Fremder.“

„Nein?“

„Momentan seid Ihr ein Teil der Familie, den wir noch kennenlernen müssen.“

„Das seht Ihr wirklich so?“

„Natürlich“

„Man nennt Euch zurecht einen Diplomaten.“

„Oh Agni!“, lachte Zuko. „Das tun nur Menschen, die mich nicht wirklich kennen.“

„Ich denke, Ihr sucht Euch aus, wann Ihr Diplomatie walten lasst, und wann nicht.“

„Hm... könnte hinkommen.“ Mylord verschränkte die Arme hinter dem Rücken.

„Euer Gemälde ist anders, als das der übrigen Lords“, merkte Takeo an, als sein Blick auf das offizielle Bildnis Zukos des Zweiten fiel.

„Anders?“

„Nun, zum Einen seid Ihr der einzige ohne Bart. Ist er denn nicht Sitte?“

„Ist er. Oder besser gesagt, er war es. Die traditionelle Frisur und der Odoro sind meiner Meinung nach genug Zugeständnisse an meine Vorfahren und mein Volk. Bei der Gesichtsbehaarung hört der Spass allerdings auf, da ich es vorziehe, die Ähnlichkeit mit meinem Vater auf ein Minimum zu beschränken.“

„Verständlich.“ Takeo legte den Kopf leicht schräg, noch immer in die Betrachtung des Bildes versunken. „Sie haben Euch gut getroffen.“

„Wirklich? Diese offiziellen Gemälde sind doch Kokolores.“

„Außerdem spricht die Balance der Farben für sich. Das Feuer ist auf diesem Bild viel bescheidener dargestellt. Die übrigen Elemente haben viel mehr Raum als in den Bildern Eurer Vorfahren.“

„Vielleicht ist dem Maler das Orange ausgegangen“, spekulierte Zuko.

„Nein, ich glaube, Ihr wolltet es so.“

„Ich mag´s eben bunt.“

„Und ausgewogen?“

„Das, und eine beklagenswerte Schwäche für Grün. Ich gebe meiner Frau die Schuld daran. Ah!“ Zuko deutete nach links. „Da ist er ja. Unser allseits beliebter und berüchtigter Hauptmann Osaru.“

Han salutierte vor seinem Herrscher und stand, weitere Anweisungen abwartend, stramm.

„Gute Güte“, murmelte Zuko nach einem Blick auf Hans Gesicht. „Hat eine der Hofdamen ihre neuen Schminkpuder an Euch ausprobiert, oder ist dies das farbenfrohe Ergebnis eines Faustschlags?“

„ÄhmmmFaustschlag, Mylord.“

„Aha. Takeru?“

„Äh...“

Zuko seufzte.

„Tja. Es war zu erwarten, dass ihn das Ganze etwas aus der Bahn wirft. Falls es Euch tröstet, Hauptmann, dieses Blauviolett steht Euch erstaunlich gut.“

„Es freut mich immer, einen Beitrag zur Verschönerung unseres prächtigen Palastes leisten zu können, Sire.“, erwiderte Han stoisch, was ihm ein anerkennendes Grinsen seitens Seiner Lordschaft einbrachte.

„Wie Ihr Euch denken könnt habe ich Euch natürlich nicht nur rufen lassen, um Euer kunstvoll zerschundenes Gesicht zu begutachten, Han. Kennt Ihr Seine Gnaden den Erzherzog von Iweh bereits?“

„Ich hatte bislang nicht die Ehre.“ Han zeigte keinerlei Regung. Innerlich platzte er vor Neugier.

„Nun, dann habt Ihr sie jetzt. Herzog, ich möchte Euch Han Freiherr von Osaru vorstellen, persönlicher Leibwächter meines Sohnes Kiram, Träger des Phönixordens sowie diverser andrer Auszeichnungen und außerdem bester Freund Eures Sohnes.“

„Meines... Es freut mich, Euch kennen zu lernen, Hauptmann.“

„Dies kann ich nur erwidern.“ Han neigte den Kopf.

„So, da Ihr nun in so guten Händen seid, ruft mich leider die Pflicht“, verabschiedete Zuko sich von seinem Gast. „Hauptmann, ich denke die Hallen aus Stein und die kleineren Galerien der Trainingshallen dürften die Hauptziele Eurer Führung sein. Ach, und in der privaten Sammlung meiner Frau im Südflügel hängt noch das ein oder andere Bild von Takeru aus der Zeit als er grade mal dreizehn war. Nach der Sache mit den Bienenfaltern, hat sie den armen Kerl glaub ich ein halbes Dutzend Mal malen lassen. Ihr wisst ja, wo diese Gemälde hängen.“

„Selbstverständlich, Mylord.“

„Gut. Dann entschuldige ich mich jetzt.“
 

Die beiden Männer warteten, bis Seine Lordschaft entschwunden war.

Dann begann Han sein neues Anhängsel im Schlendergang durch den Palast zu führen.

„Ihr... kennt also meinen Sohn?“, erkundigte Takeo sich nach kurzer Zeit.

„Ja, in der Tat. Wir besuchten gemeinsam die Militär-Akademie.“

„Ich bin froh, dass er dort einen Freund gefunden hat.“

„Nun... Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich hab ihn anfangs nicht ausstehen können.“

„Nein?“

„Nein. Er war seltsam. Ist er immer noch.“ Han grinste, erkannte aber an einem beunruhigten Blick seines Gesprächspartners, dass sein Sinn für Humor im Augenblick nicht gewürdigt wurde. „Verzeiht, Hoheit. Vergesst was ich gesagt habe. Und bitte, schenkt diesem Veilchen an meinem Kinn keinerlei Beachtung. Ein kleiner Zwist unter Freunden. Ich habe Takeru nur ein wenig gereizt. Was schwer genug ist, wie ich Euch versichern kann. Aber Euer Sohn ist keineswegs seltsam. Das treffendere Wort wäre besonders. Das ist er auf jeden Fall. Und wenn ich ihn im ersten Jahr nicht mochte, lag wohl vor allem daran, dass ich seinetwegen nur Jahrgangs-Zweiter wurde. Woran sich leider nie etwas geändert hat“, schloss er murrend.

„Ist er wirklich so gut?“, murmelte der Herzog.

„Nein. Besser.“

„Ich habe gehört, er könnte es mit bis zu zehn gut ausgebildeten Männern gleichzeitig aufnehmen?“, murmelte Takeo.

„Zehn?“ Han schnaubte. „Da hat jemand aber mächtig untertrieben.“

„Untertrieben? Ihr beliebt zu scherzen?“

„Normalerweise beliebe ich schon. Nur im Augenblick nicht. Zehn Mann ringen ihm vielleicht ein müdes Lächeln ab. Wobei... wir sprechen von Eurem Sohn und... wie soll ich sagen? Er ist nicht gerade für sein sonniges Gemüt bekannt. Also würde er vermutlich eher nicht lächeln, vor allem da er jeden potentiellen Feind sehr, sehr ernst nimmt.“

„Und mich sieht er wohl leider als solchen“, seufzte Takeo resigniert.

„Nein. Nicht als Feind. Er weiss Euch nur nicht einzuordnen. Ihr dürft nicht aufgeben! Takeru ist ein harter Brocken, ja. Unzugänglich wie ein Dachsfuchs-Bau. Aber nicht unversöhnlich. Und die Mühe ist er allemal wert! Keiner weiss das besser als ich. Euer Sohn ist verdammt vielschichtig. Und jede einzelne Schicht ist zäh wie Bullen-Leder. Doch es gibt niemanden, der selbstloser wäre. Oder loyaler. Hat man ihn erst auf seiner Seite, stellt er sich alles und jedem in den Weg, der einem Schaden will. Und sei man es selbst. Darum prüft er wohl auch so genau, wem er diese Loyalität schenkt, und wem nicht. Ihm gegenüber würde ich das natürlich niemals zugeben, aber... er ist wirklich nahezu ohne Fehl und Tadel, Euer Sohn. Er braucht nur Zeit, sein Misstrauen zu überwinden, Hoheit. Mehr nicht.“

„Ich bete zu den Göttern, dass Ihr Recht habt.“

„In diesem Fall habe ich das sogar. Vielleicht sollte ich mir das Datum merken“, sinnierte Han.

„Ihr seid ihm ein wahrhaft guter Freund.“ Takeo lächelte.

„Na ja...“, meinte Han bescheiden. „Muss ich wohl. Mit ihm als Freund steht man was das angeht etwas unter Zugzwang. Die Schlamassel aus denen er mich schon rausgehauen hat waren nicht gerade von Pappe. Außer diesem komischen, bunt angemalten und mit Süßkram vollgestopften Geburtstags-Schwein. Das war tatsächlich aus Pappe und hat uns in eine ziemlich brenzlige Situation manövriert. Ich meine, wer zur Stichflamme weiss schon, was eine Piñata ist? Ich dachte, sie wollten Waffen in dem Ding schmuggeln.“
 


 

Am Abend des selben Tages
 

Angespannt stand Hauptmann Nezu vor dem großen Spiegel im Schlafgemach und zerrte vergeblich seinen Kragen in Form. Das Ding war unglaublich eigensinnig.

Ausgerechnet heute Abend.

Ausgerechnet an einem Donnerstag.

Seit ungefähr drei Jahren bedeutete Donnerstag Abend Pai Cho mit Lord Zuko.

Ergo hatten Manieren und Erscheinung in Bestform zu sein. Uniformen sowieso.

Wahrscheinlich hatten die Wäscherinnen das verfluchte Ding zu heiss gewaschen. Oder falsch aufgehängt. Oder vertauscht.

„Verdammte Seide!“, fluchte er ungehalten.

Hinter sich hörte er die leisen Schritte seiner Frau.

Bestimmt drohte ihm jetzt eine weitere Grundsatzdiskussion.

Im Bemühen den viel zu engen Kragen der Uniformjacke zu öffnen, riss Takeru beinahe einen der kostbaren, goldenen Knöpfe ab.

„Lass mich machen.“

Sanfte Hände drehten ihn um, öffneten geschickt die obersten Verschlüsse, zupften hier und da, strichen den Stoff über seinen Schultern aus und knöpften die Uniform wieder zu.

Siehe da. Auf einmal sass alles wie angegossen.

Stirnrunzelnd blickte Takeru auf Ayas Scheitel hinab.

„Den solltest Du demnächst neu annähen lassen“, murmelte sie und strich über den leicht gelockerten Knopf.

Diese Knöpfe, aus reinem Gold gefertigt, in das das Drachenkopf-Wappen Seiner Lordschaft geprägt war, waren allein den Kage vorbehalten und somit Symbol ihrer Sonderstellung.

In ihrer Schmuckschatulle lag seit einer halben Ewigkeit ein ebensolcher Knopf. Ein Knopf, den Prinzessin Aya - nach einem kurzen aber heftigen Handgemenge ihres Leibwächters mit einem unzurechnungsfähigen Bediensteten - heimlich vom Boden ihrer Bibliothek aufgelesen hatte.

Was Takeru wohl sagen würde, wenn er wüsste, dass sie dieses kleine Ding hütete, wie einen Staats-Schatz? Sie lächelte leicht.

„Was?“, wollte Takeru wissen.

„Nichts“, antwortete Aya und drückte einen kurzen Kuss auf seine Lippen.

„Du hast doch etwas.“

„Ich?“ Aya blinzelte.

Das war... Dieser Mann hatte vielleicht Nerven.

„ICH soll etwas haben?“

„Ja.“

„So wie Dein Kragen eben?“

„Bitte? Was hat mein Kragen damit zu...?“

„Takeru, das Einzige, womit im Augenblick etwas nicht stimmt, bist Du.“

„Was? Ich...“

„Und der Einzige, der das nicht bemerkt, bist auch Du.“ Zärtlich umfasste sie sein Gesicht. „Deine Uniform ist vollkommen in Ordnung. Tadellos, wie immer. Bis auf den Knopf, den Du eben fast abgerissen hast. Deine Freundschaft zu Han ist ebenfalls vollkommen in Ordnung, bis auf den Schlag, den Du ihm gestern verpasst hast. Deine Stellung, Dein Leben hier, wir, unsere Ehe. Nichts davon ist in Frage gestellt. Der Einzige, der das tut, bist Du selbst.“

Takeru holte tief Luft und wollte sich abwenden. Allerdings liess sein Eheweib das nicht zu.

„Liebling, ich weiss, dass es nicht einfach ist“, flüsterte sie. „Und ich weiss, dass Du versuchst, so zu tun, als berühre Dich das alles nicht. Aber das tut es. Also rede mit mir!“

„Worüber?“, grollte er. „Ich weiß selbst nicht, was ich von dem Ganzen zu halten habe. worüber sollte ich also sprechen wollen?“

„Eben darüber. Diese Ratlosigkeit wäre schon mal ein Anfang. Sprich darüber. Vielleicht wird Dir dann einiges klarer. Ob Du es glaubst oder nicht, aber manchmal hilft es, die Dinge auszusprechen.“

Er drehte sich wieder zum Spiegel und rückte seinen Gürtel zurecht.

„Bitte, Takeru!“ Aya schmiegte sich an seinen Rücken und umarmte ihn fest. „Gib mir bitte das Gefühl, dass Du mich brauchst. Dass ich Dir wenigstens ein Bisschen helfen kann.“

„Aya.“ Er griff ihre Hände, die auf seinem Brustkorb lagen und barg sie in seinen. „In dieser ganzen Sache bist Du die Konstante. Mein Ruhepol. Egal was kommt. Ich habe Dich. Ich habe Deine Liebe. Denkst Du wirklich, das würde mir nicht helfen? Es hilft mir mehr als alles anderes. Ich weiß, dieser Mann ist mein Vater. Aber... ich fühle es nicht. Obwohl ich es in seinen Augen sehe. Da ist so viel Hoffnung. Stolz und... Zuneigung. Und ich weiß nicht, ob ich das je erwidern kann. Ob ich seinen Erwartungen gerecht werden kann. Mir ist bewusst, dass er für das was mit unserer Familie geschehen ist nichts konnte. Dennoch... vor zehn, vielleicht auch noch fünf Jahren, hätte ich alles darum gegeben, einen Vater zu haben. Und nun...“

„Es ist aber doch nicht so, dass Du keinen Vater mehr willst, oder?“

„Nein.“

„Warum willst Du ihn dann nicht einmal anhören?“

Er presste die Lippen aufeinander.

Aya rieb die Wange an seiner Schulter. „Ich verstehe, dass Du Zeit brauchst, aber ... Du bist der Mensch, den ich auf der Welt am meisten liebe. Und er... scheint Dir so ähnlich. Schon allein das ist für mich Grund genug, ihn zu mögen.“

„Aya ...“

„Und unsere zukünftigen Kinder? Findest Du nicht, sie haben ein Recht auf ihren Großvater?“

„Sie werden einen Großvater haben. Den besten, den sie sich wünschen können: Deinen Vater! Aber Takeo Nezu? Ich weiß nicht, wer er ist, wie er ist. Mein Vater war er jedenfalls nie.“

„Aber doch nur, weil ihm die Möglichkeit dazu geraubt wurde!“

Die Linie von Takerus Kiefers bleib unversöhnlich.

Aya seufzte. Sie hätte sich die Worte ebenso gut sparen können.

„Schon gut“, sagte sie leise und löste sich widerwillig von ihm. „Du solltest Dich beeilen, schliesslich wirst Du zum Pai Cho erwartet. Ausserdem dreht sich unsere Diskussion ohnehin schon wieder im Kreis. Ich werde nichts mehr dazu sagen. Letztendlich musst Du die Sache allein entscheiden. Aber bitte triff die Entscheidung, mit der Du leben kannst.“

„Und Du glaubst zu wissen, welche das ist?“

„Wissen nicht. Doch ich habe da so eine Vermutung.“ Ein letztes Mal strich sie seinen Kragen zurecht, legte die Hand an seine Wange und verschwand.
 

„Nun?“, brummte Zuko, das Kinn auf die locker verschränkten Hände gestützt, während er die Lage auf dem Pai Cho-Brett unter die Lupe nahm.

„Mylord?“

„Du hast mir noch nicht gesagt, wie Aya zu der ganzen Sache steht.“

Takeru musste nicht erst fragen, welche `Sache´gemeint war.

„Sie sagte, ich müsse es selbst entscheiden.“

„Kluges Kind.“

„Sie meinte aber auch, es sollte die Entscheidung treffen, mit der ich leben kann“, seufzte Takeru. „Ich frage mich nur, welche das ist?“

„Wirklich?“ Geschickt schlug Zuko Takerus Fächerstein. „Ich denke, tief drin ist Dir die Antwort auf diese Frage bewusst.“

Takerus finsterer Blick ruhte auf den Spieltisch.

„Wenn Du es nicht versuchst, wirst Du Dich immer fragen, was passiert wäre, wenn Du Dich auf ihn eingelassen hättest.“ Zuko blickte auf. „Oder etwa nicht?“

„Was ist, wenn ich nicht das bin, was er erwartet?“, fragte Takeru leise.

„Du hast offenbar nicht bemerkt wie er Dich ansieht. Dieser Mann hat nach vielen, vielen Jahren endlich seinen Sohn wieder. Und nur weil Dir das nicht in den Kram passt, wird er nicht aufhören wie ein Vater zu fühlen. Auch Deine Weigerung ihn zu akzeptieren, wird nichts daran ändern. Du bist sein Sohn.“

„So einfach ist das?“

„Ja. So einfach ist das. Und das sollte es auch sein. Glaub mir, Du kannst von Glück sagen, dass Dein Vater so fühlt. Es gibt... gab Ausnahmen von der Regel.“

Takeru wusste nur zu gut, dass Mylord auf den eigenen, lieblosen Erzeuger anspielte. Er fragte sich, wie sein abweisendes Verhalten dem Herzog von Iweh gegenüber wohl auf einen Mann wirken musste, der stets vergeblich versucht hatte, die Liebe und Anerkennung eines kalten, stolzen Vaters zu erringen.

Plötzlich verspürte er das ungewohnte Bedürfnis, sich zu rechtfertigen.
 

„Es gab eine Zeit, da... hätte ich alles für einen Vater gegeben“, begann Takeru stockend. „Doch da war keiner. Auch nicht in den dunkelsten Stunden. Und dann, nachdem wir hierher gezogen waren... Ich sah Eure Familie wachsen, sah Euch und Eure Kinder. Wie sehr ich mir damals gewünscht habe, ebenfalls Euer Kind zu sein.“ Seine Stimme war tonlos. Es koste ihn eine Menge, diese Dinge auszusprechen. „Dazuzugehören.“

„Ich weiß“, antwortete Zuko leise. „Und in mir hast Du einen Vaterersatz gesucht.“

Die Kiefermuskeln des Hauptmanns zuckten. „Vielleicht steht es mir nicht zu“, raunte er. „Aber inzwischen betrachte ich Euch als solchen.“

Über Zukos Gesicht glitt langsam ein ebenso spöttisches, wie gerührtes Lächeln.

„Darf ich Tian bitten, dieses Ereignis im Kalender blau anzustreichen?“

Sein Schwiegersohn schwieg, nahm das Pai Cho-Brett ins Visier und machte einen kurzen Zug.

„Takeru“, seufzte Zuko. „Seit langem bist Du für mich wie ein sechstes Kind. Im Grunde könnte man fast sagen, Du warst mein Erstes. Je länger ich Dich habe aufwachsen sehen, umso stolzer hat es mich gemacht“, fuhr er fort. „Und umso mehr hast Du zu uns gehört. Meinen Söhnen warst Du ein Vorbild, meiner Tochter sogar ein Retter. Jeder Mann wäre stolz auf einen Nachkommen wie Dich. Ich bin es jedenfalls immer gewesen. Und da Du mir die Ehre erweist, mich als eine Art Vater zu betrachten, will ich dieses Privileg nutzen, um Dir einen gut gemeinten Rat zu geben. Oder vielleicht sogar eine Art Bitte. Gib dem Herzog eine Chance. Gib Dir selbst diese Chance. Ich bin sicher, mehr braucht es nicht.“

„Aber ich habe bereits eine Familie.“

„Ja. Die hast Du. Ohne Wenn und Aber. Das heißt jedoch nicht, sie könnte nicht noch um einen Mann erweitert werden. Du magst im Augenblick nicht viele Gemeinsamkeiten mit ihm sehen, aber für einen Außenstehenden liegen sie auf der Hand. Und ich finde, ihn nicht als Vater anzuerkennen, ist unnötig grausam und sieht Dir nicht ähnlich.“

„Grausam?“

„Allerdings. Wenn ich mir vorstelle, eines meiner Kinder so früh verloren zu haben... Der bloße Gedanke macht mich krank. Es ist ein Band, das nichts auf der Welt zerstören kann, Takeru. Und egal, wie sehr Du versuchst es zu durchtrennen, das einzige, was Du damit erreichst, sind unnötige Schmerzen für Deinen Vater. Aber selbst die werden ihn nicht davon abhalten Dich zu lieben.“

„Der Mann kennt mich nicht einmal.“

„Nein?“ Seine Durchlaucht hob die Braue und verschob seinen Bambus-Stein. „Wenn Du meinst. Pai!“

„Ihr seid enttäuscht von mir.“

„Enttäuscht?“ Zuko entfuhr ein Lachen. „Aber niemals! Tatsächlich verhältst Du Dich wie erwartet.“

„Engstirnig?“

„Hm... auch.“

„Unfair.“

„Ein wenig“, antwortete Mylord mit mildem Lächeln.

„Irrational.“

„Vielleicht ein bissch... Ja. Total irrational. So gesehen eigentlich äußerst amüsant.“

„Ach, verd...“

„Lass es ruhig raus, Junge. Ich kann‘s ab.“

„Nein. Schon gut“, erwiderte Takeru beherrscht und schob seinen blauen Fischotter neben Zukos Lotus-Stein.

„Was? Da soll mich doch der...

„Cho Tsum“, murmelte Hauptmann Nezu, peinlich berührt, seinen Sieg verkünden zu müssen. „Entschuldigt!“

„Hm!“ Zuko verschränkte die Arme. „Wohl vergessen, mich gewinnen zu lassen, was?“, brummte er.

„Ähm...“

„Kommt in letzter Zeit bedenklich oft vor.“

„Nun, ich...“

„Revance!“, schnarrte Mylord und begann seine Steine vom Brett zu klauben. „Und diesmal fängst Du an!“

„Wie Ihr wünscht.“
 


 

Der nächste Tag, 11 Uhr vormittags
 

Der Herzog von Iweh sass neben seiner Schwiegertochter auf einer Chaiselongue, trank Tee und blätterte durch ihre alten Bilder und Zeichnungen.

„Mir scheint, Ihr seid auf diesem Gebiet sehr begabt“, murmelte er.

„Es geht so.“ Aya zuckte leicht mit den Schultern. „Mein Hauptinteresse liegt eher bei der Musik.“

„So?“ Takeo blickte auf. „Nun, ich finde Eure Bilder jedenfalls sehr schön.“

„Wirklich?“ Aya lächelte ein liebenswert wissendes Lächeln. „Irgendwie bezweifle ich, dass Ihr die Stilleben oder Landschaftsmalereien besonders fesselnd findet.“

„Nun... Hauptmann Osaru sagte mir gestern, Ihr hättet früher auch das ein oder andere Bild von Takeru angefertigt.“

„Ja?“ Unbegreiflicherweise röteten sich Ayas Wangen. „Äh... ja. Mein Zeichenlehrer liess mich oft meine Fähigkeiten in der Portrait-Malerei an ihm üben. Also... Die Portraits sind hier“, rettete sie sich aus der Bredouille und griff nach ihrer zweiten, noch volleren Zeichenmappe.

„Allerdings...“

„Was?“, wollte Takeo wissen.

„Die meisten dieser Bilder zeige ich nicht so oft.“

„Nicht so oft?“

„Eigentlich... nie.“

„Oh.“ Takeo legte leicht den Kopf schief. „Das ist schade.“

„Nein, nein!“ Aya knetete etwas verlegen die Hände. „Ich zeige sie Euch gerne. Es ist nur so, dass... Ziemlich viele dieser Portraits zeigen Takeru.“

„Ja?“

„Also... ziemlich viele. Die meisten.“

„Ist das ein Problem?“, fragte Takeo taktvoll.

„Nein. Eigentlich nicht.“ Ein leises Lachen entfuhr Aya.

Sie wusste selbst nicht, warum sie so befangen war. Es waren nur Bilder. Bilder die ihre damalige Verletzlichkeit allerdings mehr als deutlich zum Ausdruck brachten.

„Den Großteil habe ich bisher noch nie jemandem gezeigt. Nicht einmal Takeru. Er kennt nur die offiziellen. Also, die, die mich mein Zeichenlehrer anfertigen liess.“

„Verstehe. Ihr habt ihn also wesentlich öfter zu Papier gebracht, als ihm bewusst ist.“

„Ja. Wesentlich öfter.“

„Aya...“ Eine warme, beruhigende Hand legte sich auf Ayas verknotete Finger. „Ihr brauchte Euch nicht dafür zu entschuldigen, Euch in meinen Sohn verliebt zu haben. Im Gegenteil. Es ist für mich und die Familie der Nezus eine unschätzbare Ehre.“

Sein Lächeln erinnerte Aya so sehr an ein anderes, dass sich der Herzog bevor er sich´s versah im wärmsten Strahlen sonnen konnte, das die Feuernation zu bieten hatte.
 

„Himmel, wie jung er hier ist! Noch ganz ohne Narben.“

„Das war ungefähr einen Monat vor seiner Verletzung.“

„Hübscher Bursche.“ Ein wehmütiges Lächeln glitt über Takeos Züge. „Ich wette, die Mädchen... Äh, Verzeihung!“

„Ihr müsst Euch nicht entschuldigen!“ Aya lächelte. „Und Eure Wette gewinnt Ihr. Die Hofdamen waren alle ganz hingerissen. Ich habe nie verstanden, warum sich dass nach seiner Verwundung geändert hatte. Für mich...“

„Für Euch sah er noch genauso aus, nicht wahr?“, fragte Takeo leise.

„Ja.“ Unbewusst strich Aya mit den Fingern zärtlich über die Kohlezeichnung. „Und mit jedem Jahr... Nun... er... er wurde nicht gerade hässlicher“, schloss sie schwach.

„Ich bin sehr froh, dass er eine Frau gefunden hat, die ihn so sehr liebt, wie Ihr das tut.“

„Er war da, seit ich denken kann. Und auch wenn ich mir dessen früher nicht bewusst war, so hat er doch immer auf mich aufgepasst. Schon als Junge.“

„Ich habe davon gehört“, antwortete Takeo. „Er war wohl sehr mutig für sein Alter.“ Stolz auf seinen Sohn machte seine Stimme rau.

„Er war mutig genug für jedes Alter!“

In stillem Einvernehmen sassen die Beiden auf dem Sofa und blätterten weiter in den alten Zeichnungen.

„Das hier ist das Erste. Oh Agni, die Proportionen stimmen ja überhaupt nicht!“, lachte Aya beim Anblick des letzten Bildes in der Mappe. „Das war ein gutes halbes Jahr nach seiner Ernennung zum Kage. Oh, da fällt mir ein, es existieren irgendwo noch Zeichnungen von Takeru als kleinem Jungen. Seit der Gründung der Weberei lässt meine Mutter jedes Jahr ein Gruppenbild aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Weberei machen. Auf mindestens zweien davon ist auch Takeru zu sehen.“

„Wirklich?“, fragte Takeo begeistert. „Wisst Ihr, wo...“
 

Leider ging in ebendiesem Moment die Tür auf, um einen ahnungslosen Hauptmann Nezu einzulassen. Als er sah, wer in seinen eigenen vier Wänden beherbergt wurde, erstarrte Takeru.

„Takeru.“ Rasch erhob Aya sich. „Ich habe Deinem Vater ein paar alte Bilder gezeigt. Möchtest Du nicht...?“

„Nein“, beschied ihr Gatte knapp. „Ich möchte nicht.“

Takeo runzelte die Stirn und erhob sich ebenfalls.

„Hältst Du es für angebracht, mit Deiner Ehefrau in diesem Ton zu...“

Takeru richtete sich zu seiner vollen Größe auf und musterte den Herzog von oben bis unten.

„Haltet IHR es für angebracht, mich zu erziehen?“, erkundigte er sich kühl.

„Nein. Verzeih“, murmelte Takeo. „Es... ist wohl das beste, wenn ich jetzt gehe.“

„Ja. Das ist es wohl.“

„Takeru!“, rief Aya angesichts dieser eklatanten Unhöflichkeit ungläubig aus. „Entschuldigt!“, murmelte sie an den Herzog gewandt. „Ich werde die erwähnten Zeichnungen für Euch heraussuchen lassen und bringe sie Euch später vorbei. Zum Nachmittags-Tee?“

„Sehr gerne! Ich bin Euch wirklich sehr verbunden, Aya.“ Takeo nahm ihre Hand in seine und neigte das Haupt.

Mit einem letzten Blick auf seinen Sohn verliess er schliesslich den Raum.
 

„Möchtest Du mir erklären, was das sollte?“, erkundigte sich Takeru gefährlich leise, als sie allein waren.

„Ich hatte Besuch“ Aya hob ihr Kinn.

„Ah. Besuch.“

„Ja. Hast Du etwas dagegen?“

„Wenn dieser Besuch uneingeladen ist? Ja!“

„Ich hatte ihn hereingebeten.“

Takerus spürte, wie seine Kiefermuskeln noch mehr verkrampften.

Ihm war klar, dass Aya einen Besuch seines Vaters kaum hatte ausschlagen können. Sie war viel zu gut erzogen, um so etwas zu tun.

Allerdings schien ihre Haltung plötzlich unerwartet trotzig und alles deutete darauf hin, dass seine Frau auf eine Auseinandersetzung aus war.

„War Dir klar, dass dies kaum in meinem Sinne sein kann?“, knirschte er.

„Ja. Das war es. Aber wenn ich darauf Rücksicht nehmen müsste, was Dir momentan alles NICHT in den Kram passt, müsste ich vermutlich das Atmen einstellen!“

Wie bitte?

„Wie bitte?“

Langsam wurde Takeru die Sache zu bunt.

„Ich denke, Du hast mich verstanden!“, erwiderte Aya mit der hoheitlichen Macht einer über tausendjährigen Ahnenreihe im Rücken. „Du kannst Dich nicht einfach abkapseln, Dich nicht erklären und dann von mir stillschweigende Kooperation verlangen. Ich werde bestimmt nicht in aller Seelenruhe dabei zuzusehen, wie Du alles und jeden, der Dir beistehen will, vor den Kopf stößt.“

„Alles und jeden, oder Dich?“, presste Takeru durch zusammengebissene Zähne.

„Im Augenblick findet nichts was ich tue oder sage Dein Gehör, geschweige denn Deinen Beifall. Ich könnte ebenso gut ganz den Mund halten. Was Dir vermutlich ohnehin lieber wäre. Schliesslich tendiere ich ja dazu Dinge - wie sagtest Du noch? - aufzubauschen.“

„Aya...“ Sein Tonfall war warnend.

Sein Weib war allerdings nicht in Stimmung, darauf zu reagieren.

„Oh...“, flötete sie. „Habe ich wieder zu viele Worte benutzt? Wie viele Sätze darf ich zu einem solchen Thema denn anbringen? Oder sollte ich am besten gleich das Denken sein lassen?

„Aya, hör auf!“, knurrte er, kurz davor, seine Beherrschung zu verlieren.

„Aufhören? Nein! Ich will es wissen, Takeru! Sag mit wenigstens eines: ist es mir jetzt sogar verboten, in der Sache zwischen Dir und Deinem Vater eine neutrale Stellung zu beziehen?“

„Du solltest MEINE Stellung beziehen!“
 

Aya blinzelt.

Hatte er sie eben... angebrüllt?

Sie holte tief Luft.

„Vielleicht würde ich das, wenn ich wüsste, was Deine Stellung zu dieser Sache ist.“ Ihre Stimme zitterte. „Aber Du sprichst ja nicht darüber! Du verschanzt Dich lieber hinter Deinen meterdicken Mauern! Ich versuche im Augenblick nur, Deinen Vater ein bisschen kennenzulernen. Das ist das Wenigste, was er verdient! Und da DU das offensichtlich nicht willst, muss ich es eben tun. Und glaub es, oder nicht, ich tue es für Dich!“

„Für mich? Danke, aber auf diese Art Hilfe kann ich verzichten!“

„Fein!“ Aya ballte die Fäuste. „Wie Du willst! Dann stehe ich ab jetzt eben auf Seiten Deiner Eltern, wenn Du das so sehen willst. Dein Vater ist wenigstens kein engstirniger, sturer, gefühlloser Dummkopf!“

„Gefühllos?“ Takeru lachte ungläubig.
 

Wie oft in seinem Leben hatte er sich diesem Vorwurf schon ausgesetzt gesehen?

Der nüchterne, prosaische Hauptmann Nezu.

So kalt. So methodisch. Und so emotionslos.

Und nun musste er ebendiese Anklage ausgerechnet von der Frau hören, die es von allen Menschen auf dieser Welt am besten wissen sollte.

Er fühlte sich... allein. Im Stich gelassen. Und irgendwie verraten.

„Ja? Gefühllos?“, stiess er aus. „So gefühllos wie damals, als ich mit fünf Jahren fremder Leute Taschen leeren musste? So gefühllos wie ich war, wenn ich mich von den anderen Kadetten als vaterlosen Schlammwühler beschimpfen lassen musste? Oder etwa so gefühllos wie an dem Tag, als ich erkennen musste, dass Du mich wegen meiner Narben nicht mehr ansehen wolltest?“, schrie er.

Aya war blass geworden.

„Das ist nicht wahr!“, flüsterte sie. „Du weisst, dass das nicht wahr ist! Ich hatte damals...“

„Es ist mir egal, welche Gründe Du hattest“, sagte er, jetzt wieder vollkommen beherrscht. „Ich kannte sie nicht! Das einzige, was ich damals wahrnahm war die Scham. Aber die muss ich mir wohl eingebildet haben, gefühllos wie ich bin!“

„Takeru...!“ Aya spürte einen Kloss im Hals. Damit einher ging die sofortige Bereitschaft einzulenken.

Bis sie seine nächsten Worte hörte.

„Wahrscheinlich wäret Ihr mit Masaru Shouta doch besser bedient, Prinzessin. Ich bin fast sicher, er wäre um ein vielfaches gefühlvoller als ich.“

„Was?“, hauchte Aya. „WAS?“

Sie starrte ihm in die Augen, um herauszufinden woher in Teufels Namen all dieser Groll kam und warum er sich mit einem Mal so vehement gegen sie zu richten schien.

Takeru jedoch drehte sich nur auf dem Absatz um und liess eine perplexe, erschrockene und sehr aufgewühlte Ehefrau zurück.
 


 

Yuna eilte durch die Gänge.

Der Grund für ihre Eile? Sie war auf der Jagd.

Als sie bei Takeos Rückkehr von seinem Besuch bei Aya eben reine Hoffnungslosigkeit in seinem Gesicht gesehen hatte, war der Faden ihrer mütterlichen Geduld gerissen. Genug war genug!

Was fiel dem Jungen eigentlich ein, so kalt mit dem eigenen Vater umzuspringen?

Etwas entfernt hörte eine bekannte Stimme.

Aha! Hier steckte er also.

Sie nahm einige tiefe, beruhigende Atemzüge und bog ums Eck.

Da stand er und teilte in aller Seelenruhe einige vor ihm stehende Kanjios zur Wache ein.

Yuna wartete, bis auch der letzte Palastwächter mit seinen Aufgaben betraut und auf seinen Posten geschickt worden war. Sie musste sich gar nicht erst bemerkbar machen. Ihr Sohn wusste natürlich längst, dass sie hier war.

„Mutter?“ Mit dieser recht frostigen Frage auf den Lippen drehte Takeru sich um.

„Takeru. Kann ich Dich sprechen?“

„Sicher.“

„Unter vier Augen?“

Er zeigte auf eine Tür zu seiner Rechten und bedeutete ihr, voran zu gehen.
 

„Nun?“, fragte er, nachdem die Tür sich geschlossen hatte.

Yuna holte ein weiteres Mal tief Luft.

„Wie lange willst Du das hier noch durchziehen?“, fragte sie schliesslich betont ruhig.

„Bitte?“

„Du weisst genau, wovon ich spreche!“, stiess sie aus. „Du bist borniert, unvernünftig und ungehobelt.“

„Ich war nie für mein höfisches Benehmen bekannt“, entgegnete Takeru kühl.

„Ach nein? Ausser es handelt sich um die entsprechenden Leute, nicht wahr? Wie die Tatzus zum Beispiel?“

„Ich wüsste nicht, was die fürstliche Familie mit unserer gegenwärtigen Situation zu tun hätte.“

„Wirklich nicht? Was wäre, wenn Du immer noch nichts weiter wärest, als ein Kage?“

„Ich BIN nichts weiter, als ein Kage!“

„Wenn Du das glaubst, machst Du Dir selbst etwas vor, Takeru! Du bist jetzt Lord Zukos Schwiegersohn. Du hast, was Du immer wolltest. Eine Familie. Eine große Familie. Nicht nur mich oder Deine Großmutter.“

„Was...“ Takerus Hände ballten sich zu Fäusten. „Was wird das? Was willst Du mir vorwerfen? Mangelnde Loyalität Dir oder Mimschi gegenüber?“

„Loyalität? Zu seiner Familie ist man nicht nur loyal, Takeru. Man liebt sie!“

„Das tue ich!“, knirschte Takeru. „Ich liebe Dich und ich habe Großmutter geliebt.“

„Das weiss ich. Doch darum geht es gar nicht. Aber wenn Du inzwischen nicht in den Kreis der Tatzus aufgenommen wärest, würdest Du Deinen Vater sicher mit anderen Augen betrachten!“

„Wie bitte? Was hat mein Verhältnis zur Familie Seiner Lordschaft mit meinem Vater zu tun?“

„Nun, ganz offensichtlich brauchst Du jetzt plötzlich keinen Vater mehr!“

„Ganz offensichtlich“, zischte Takeru aufgebracht. „Wurden mir ein Haufen Lügen aufgetischt! Hast Du Dir schon mal überlegt, dass das mit ausschlaggebend sein könnte, mit was für Augen ich meinen Vater betrachte? Vielleicht hätte ich mich bereits beruhigt, wenn er kein gottverdammter Herzog wäre! Oder, wenn mich jemand über diese klitzekleine Tatsache irgendwann einmal aufgeklärt hätte!“

„Er kann nichts dafür!“, rief Yuna. „Weder dafür, ein Herzog zu sein, noch dafür, dass ich ihn für tot hielt, noch für die Dinge, die ich Dir über ihn verschwiegen habe!“

„Und soll ich Dir etwas verraten Mutter? ICH kann auch nichts dafür!“

„Ich weiss!“ Sie wich seinem Blick aus. „Ich weiss. Du kannst von Allen am wenigsten dafür. Es ist nur...“ Sie schloss die Augen. „Kannst Du nicht wenigstens ihm verzeihen? Wenn Du auf jemanden wütend sein willst, dann sei es auf mich! Du hattest Recht mit Deinen Vorwürfen mir gegenüber. Ich hätte es Dir sagen müssen. Ich hätte Dir sagen müssen, wer Dein Vater war. Aber ich hatte Angst, dass es Dich mir entfremdet. Dass Du mich dann noch weniger brauchen würdest. Und was wäre mir dann noch geblieben, Takeru? Was? Trotzdem hätte ich es Dir sagen müssen. Aber... er? Warum kannst Du ihm nicht vergeben, oder ihn wenigstens anhören? Für all das, was geschehen ist kann er nichts! Warum grollst Du ihm so sehr? Er will doch nur...“

„Ja, Mutter! Ja, ich grolle ihm! Mein Vater - der Vater, der nie da war - hatte einen guten Grund dafür. Den einzigen Grund, den ich verzeihen konnte. Er war TOT! Aber der Mann den Du so vehement verteidigst, ist nicht tot! Welche Entschuldigung hätte er also, uns im Stich gelassen zu haben? Welche Entschuldigung, Mutter?“

„Er wusste doch nicht, dass wir noch leben!“

„Dann hätte er es verdammt noch mal besser wissen müssen!“

„Verdammt, Takeru ...!“

„Dieser... Herzog ist nicht mein Vater. Mein Vater starb bei einem Aufstand im Grenzland zur Feuernation.“

„Du weigerst Dich tatsächlich immer noch, auch nur mit ihm zu sprechen?“, verlangte Yuna zu wissen.

„Ich habe diesem Mann gegenüber keinerlei Verpflichtung.“

„Takeru!“ Sie griff nach seinem Ärmel. „Stellst Du mich wirklich vor diese Wahl?“

„Ich stelle Dich vor keine Wahl!“, widersprach er und entzog sich ihrem Griff.

„Doch! Doch, das tust Du.“ Sie nahm einen zitternden Atemzug „Das erste Mal, als man mir meinen Ehemann genommen hat, war es sein Vater. Und jetzt? Jetzt ist es sein Sohn, der mir verweigert, endlich glücklich zu sein?“

„Ich verweigere Dir gar nichts. Wenn Du mit ihm gehen willst, dann nur zu.“

„So“, flüsterte Yuna rau. „Wie großzügig. Ich darf mit ihm gehen. Aber meinen Sohn, den soll ich dafür aufgeben?“

„Ich bin hier, Mutter. Wenn Du mich sehen möchtest ...“

„Was ich möchte, Takeru, ist meine Familie! Meine Familie! Verstehst Du das denn nicht?“

„Dieser Mann mag Deine Familie sein. Meine ist er nicht!“

„Wie kannst Du es wagen...“ Tränen sammelten sich Yunas Augen, teils vor Wut, teils vor Verzweiflung. „Wie KANNST Du? `Dieser Mann´, wie Du ihn so abschätzig nennst, hat Dich im Arm gehalten, als Du Deinen ersten Atemzug nahmst. Dieser Mann hat auf Dich gewartet, Dir entgegengefiebert, Dich gesegnet, bevor Du überhaupt da warst. DIESER Mann ist fast daran zerbrochen uns verloren zu haben. Dich verloren zu haben. Es hat ihm das Herz gebrochen, seinen Sohn zu verlieren. Und nun willst Du ihm diesen Sohn vorenthalten? Einem Mann, der nichts von dem, was Dir oder mir widerfahren ist, verschuldet hat? Er konnte nichts dafür, Takeru! Nichts! Er ist ebenso ein Opfer wie Du und wie ich. Er ist schon gestraft genug. Er durfte seinen Sohn nicht aufwachsen sehen. Wer bist Du, ihm jetzt Vorhaltungen zu machen? So hab ich Dich nicht erzogen!“

„Das liegt vielleicht daran, dass Du selbst mich kaum erzogen hast“, knurrte der in die Ecke getriebene Wolf unbeherrscht.

„Was?“, hauchte Yuna und machte einen Schritt zurück.

„Erzogen hat mich der Hunger“ Wie eine kalte, unbeteiligte Klinge schnitt Takerus Stimme durch die Luft. „Erzogen hat mich die Angst. Erzogen hat mich das beißende Ungeziefer unter meiner Bettdecke und der ranzige Gestank in meinem Haar. Erzogen haben mich die verächtlichen, mitleidigen Blicke der Menschen auf der Straße.“
 

Geschockt sah Yuna diesem Fremden ins Gesicht. Zum ersten Mal in ihrem Leben, begriff sie, was die Leute meinten, wenn sie Hauptmann Nezu unbarmherzig nannten.

All die Vorwürfe, die sie sich immer gemacht hatte ...

Sie so deutlich aus einem anderen Mund zu hören tat weh. Unsäglich weh.

Und doch erkannte sie nun zum ersten Mal die Haltlosigkeit dieser Anklagen. Zum ersten Mal gestand sie sich selbst zu, ihr Bestes versucht zu haben, um sich und ihren kleinen Sohn durchs Leben zu bringen. Immer! Manche Entscheidungen waren vielleicht falsch gewesen. Doch sie war jung gewesen. Entsetzlich jung. Entsetzlich verzweifelt. Und so entsetzlich allein.

„Es tut ... mir leid, dass ich nicht da sein konnte, als Du mich am meisten gebraucht hast“, wisperte sie mit zitternder Stimme. „Es tut mir leid, dass ich es nicht geschafft habe, für Dich zu sorgen. Ich wollte es! Ich wollte es so sehr! Aber wir schaffen leider nicht immer, was wir wollen, nicht wahr?“ Sie blickte auf ihre abgearbeiteten, rauen Hände. „Aber ich habe Dich geliebt, Takeru. Jede Sekunde Deines Lebens. Doch so sehr ich Dich auch geliebt habe, jetzt stehst Du da und ... und ich kenne Dich nicht wieder! Die Dinge die Du sagt ... vielleicht sind sie wahr, wahrscheinlich war ich eine schlechte Mutter.“

„Das wollte ich damit nicht...“

„Wahrscheinlich habe ich damals alles falsch angepackt. Aber jetzt kann ich endlich etwas richtig machen. Vielleicht nicht mehr für Dich. Aber für mich. Und das tue ich! Du hast inzwischen Deine eigene Familie, Takeru. Bleib bei ihr. Halte sie fest. Freue Dich an Deinen künftigen Kindern. Das ist ein Privileg, das leider nicht jedem vergönnt ist.“

Sie hob eine Hand und legte sie an seine versehrte Wange. Die Narben unter ihren Fingern waren ein weiteres, stummes Mahnmal ihres Unvermögens ihn zu schützen.

„Ich werde jetzt gehen“, sagte sie leise aber entschlossen. „Versuch auf Dich achtzugeben. Wie... wie Du das immer getan hast.“ Mit diesem Worten wandte sie sich zur Tür.

„Mutter...“

Mit einem sanften Klicken fiel die Tür ins Schloss.

Wabbawabba

Oder: Lebenshilfe für Jedermann
 


 

„Mutter...?“

Verdammt!

Verdammt, verdammt, verdammt!

Frustriert fuhr sich Takeru mit beiden Händen durch die Haare.

Was? Was zum Teufel tat er hier eigentlich?

Das alles hatte ganz anders geklungen, als das, was er eigentlich hatte sagen wollen.

Er...

Er hatte ja nicht einmal eine Ahnung, was er hatte sagen wollen. Alles mögliche, aber bestimmt nicht, was da eben aus seinem Mund gekommen war.

Nach dem gestrigen Gespräch mit Lord Zuko war er durchaus bereit gewesen endlich einzulenken und auf den Herzog zuzugehen. Doch dann, als er ihn so mir nichts, dir nichts in seiner eigenen Wohnung neben Aya sitzend vorgefunden hatte, war Takerus Widerstand erneut erwacht.

Wie konnte dieser Mann hier eine heile Welt und eine Familie erwarten? Dinge, die Takeru sich hart - sehr hart - hatte erarbeiten müssen.

Dinge, die einmal so unendlich weit weg gewesen waren, dort in Ba Sing Se.

Ein bitterer Geschmack in seinem Mund warnte ihn vor all zu alten Erinnerungen.

Takeru hatte es immer vermieden, seine Mutter um die Schrecken der damaligen Erlebnisse wissen zu lassen. Sie hatte sich selbst genug Vorwürfe gemacht. Und jetzt? Jetzt hatte er anscheinend nichts besseres zu tun, als ihre Schuldgefühle zu verstärken; durch das, wovor er sie immer zu schützen versucht hatte, die Dunkelheit dieser Zeit.

Jetzt drangen die verhassten, so lange vergrabenen Erinnerungen letztlich doch auf ihn ein. Erinnerungen an grausame Stimmen, grausame Hände und noch grausamere Absichten. Absichten, die er nicht erkannte hatte.

Er war diesen Dingen damals entkommen.

Die Zuversicht in seinem Herzen anscheinend nicht.

Er hatte verlernt zu vertrauen. Hatte verlernt zu glauben.

Erst hier - in einer Umgebung, die er selbst kontrollieren konnte - hatte er sich Stück für Stück die Normalität zurückerobert, hatte es gestatten können, dass die Zuversicht in seinem Herzen wieder die Oberhand gewann und eine Liebe zuließ, die er weit außerhalb seiner Reichweite gewähnt hatte.

Hier stand er. Glaubte wieder. Vertraute wieder. Liebte wieder.

Er hatte dem hoffnungslosen Jungen von damals gezeigt, dass dies möglich war. Warum machte er dann jetzt, wo es so darauf anzukommen schien, derart eklatante Rückschritte? War er immer noch so dumm und ohnmächtig, wie dieser armselige Tropf aus den Straßen Ba Sing Ses?

Nein.

Mit Sicherheit nicht.

Er war Hauptmann Takeru - und wie er inzwischen wusste - leider auch Theophile Nezu, Kage und Ehemann Ihrer königlichen Hoheit Prinzessin Aya Ria Ursa Nezus, stellvertretender und zukünftiger Kommandant der fürstlichen Leibgarde.

Und wenn er jetzt würde lernen müssen, einen unaussprechlich lächerlichen, zweiten Vornamen und das Attribut `hoheitlich´ oder `Prinz´ in seine Persönlichkeit zu integrieren, nun... er hatte schon lebensbedrohlichere Aufgaben bewältigt.

Eines stand fest. Er würde er selbst bleiben.

Aber dazu musste er erst wieder er selbst werden! Und das bedeutete zuallererst, sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen.
 

Wie das Schicksal es wollte, beziehungsweise ein gewisser Alleinherrscher, dem vor knapp zehn Minuten zugetragen worden war, welch dramatische Szenen sich im dritten Stock seines Palastes abspielten, flanierte Iroh Tatzu punktgenau vor eben jener Tür auf und ab, durch die Hauptmann Nezu nun den Gang betrat.

Natürlich hatte der General einen Plan. Das hier war schliesslich nicht der erste Dickschädel, den es aus der Reserve zu locken galt.

„Ah! Hauptmann. Genau der Mann, nach dem ich gesucht habe. Ich brauche Eure Hilfe wegen des Turniers übermorgen.“
 

Oh, verdammt. Das Turnier. Das hatte er ja vollkommen vergessen! Takeru spürte das Kribbeln jäher, unvertrauter Verlegenheit im Nacken. Ja, dies war so ziemlich das erste Mal im Leben von Hauptmann Steinvisage, dass er aufgrund privater Belange seine Aufgaben vernachlässigt hatte.

„König Nuro hätte gerne die Namen und Reihenfolgen der Teilnehmer“, sagte Iroh.

„Natürlich“, murmelte Takeru. „Ich habe die Liste in meinem Büro. Ich bringe sie Euch sofort.“

„Oh, nicht nötig.“ Der General verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und wippte auf den Zehenballen. „Ich werde Euch begleiten, dann können wir auch gleich die Details besprechen.“

„Wie Ihr wünscht.“
 

In Takerus Arbeitszimmer fehlte trotz der dort herrschenden, ans Pathologische grenzenden Ordnung, jegliche Spur der Namensliste, denn General Iroh hatte besagte Liste bereits vorher beim Adjutanten des Hauptmanns abgeholt. Allerdings wäre es der Aktion Sorgen-Gargoyle nicht zuträglich, dies dem ahnungslosen Opfer… äh, Patienten jetzt schon zu sagen.

„Verdammt!“, entfuhr es Takeru heftig. „Ich hatte Liste samt Zeitplan hierhin…“ Unwirsch durchforstete er die Stapel auf seinem Schreibtisch ein zweites Mal.

„Ähm… Stimmt etwas nicht?“, erkundigte Iroh sich sachte.

„Ich kann diesen blöden Wisch nicht…“ In diesem Moment wurde Takeru bewusst, dass sein gereizter Tonfall sich nicht mit dem Rang seines Besuchers vertrug. „Verzeihung!“ Müde fasste er sich an die Nasenwurzel. „Ich werde die Papiere suchen und Euch zukommen lassen.“

„Hmm… Das kann warten. Aber Ihr… Mir scheint, das Euch die momentane Situation mehr zusetzt als erwartet.“

„Die momentane Situation?“ Takeru stiess ein kurzes, humorloses Lachen aus. „Wohl eher mein momentanes Selbst.“

„Ich werde das Gefühl nicht los, dass Ihr dringend etwas Ballast los werden solltet.

Takeru zögerte. „Vermutlich.“

„Junge“, seufzte der General. „Dass Euch dieser Schritt schwer fällt, ist mehr als verständlich.“

„Wirklich? Mir wurde mehrmals zu verstehen gegeben, dass mein mangelndes Mitteilungsbedürfnis nicht nachvollziehbar sei.“

„Ach ja, Frauen. Für sie gehören Emotionen und Kommunikation irgendwie zusammen. Während wir meist schon mit dem Fühlen genug zu tun haben. Macht Euch keinen Kopf darum. Ihr seid nicht der erste, der damit überfordert ist, und ganz bestimmt auch nicht der Letzte. Außerdem ist es nur normal, wenn wir uns vor der Reaktion des Menschen, den wir am meisten lieben, auch am meisten fürchten. Meint Ihr nicht?“

„Ja.“ Takeru trat ans Fenster und starrte auf den Innenhof. „Und nein.“

Iroh legte erwartungsvoll den Kopf schief. Stießen sie etwa langsam zum Kern der Sache vor? Vorsorglich setzte er sich schon mal an einen kleinen, etwas abseits stehenden Tisch. Es war immer gut, einen Tisch in der Nähe zu haben, wenn man ernsthafte Gespräche führte. Wieso, wusste Iroh auch nicht.

„Wenn ich Grund hätte, an Ayas Liebe zu zweifeln, hätte ich auch einen Grund, ihre Reaktion zu fürchten. Aber den habe ich nicht.“

„Ah! Und schon sind wir einen Schritt weiter, nicht wahr?“

Takeru sah in dieses alte, weise Gesicht und nickte. „Das sind wir. Aber es liegen noch etliche vor mir. Ich habe sehr viele Leute brüskiert. Ich weiß, dass Aya mir verzeihen wird, aber meine Mutter…“

„Ist Eure Mutter“, unterbrach Iroh den Fatalismus des Hautmanns.

„Ihr habt nicht gesehen, wie verletzt sie war.“

Resigniert seufzend setzte Takeru sich nun ebenfalls an den Tisch. Sein Gesprächspartner hätte ob dieser Kooperationsbereitschaft beinahe die Augenbrauen gehoben.

„Wisst Ihr“, sinnierte Iroh. „Man kann ein Kind nicht erziehen, ohne es unabsichtlich das ein oder andre Mal zu verletzten. Und manchmal… manchmal wird man eben selbst dabei verletzt. Ihr habt Eure Mutter wahrlich nicht oft enttäuscht, Takeru. Diese eine Entgleisung wird sie mit Sicherheit verschmerzen können. Und falls Ihr Euch wegen des Herzogs Sorgen macht… Er erwartet gar kein Entgegenkommen. Er ist derjenige, der Euch Euren Dickschädel am wenigsten übel nimmt, denn den habt Ihr - was man so hört - von ihm geerbt. Außerdem weiß er noch nicht, dass Ihr immer das Richtige zu tun pflegt. Somit erwartet er keine Aussöhnung; er hofft nur darauf. Das ist ein großer Unterschied.“

„Ich? Tue immer das Richtige?“ Takeru schnaubte. „Wer hat dieses Ammenmärchen in die Welt gesetzt?“

„Ihr!“, antwortete Iroh genüsslich. „Durch Euer Verhalten. Und selbst die Tatsache, dass Eure heutige Unterhaltung mit Eurer Mutter allem Anschein nach etwas aus dem Ruder lief, änderst daran nicht viel.“

„Die Sachen die ich gesagt habe… Ich habe sie mit völlig ungerechtfertigten, wütenden Vorwürfen überschüttet.“

„Ich dachte immer, dass sie das selbst zur Genüge tut.“

„Allerdings. Aber… ich war zu aufgebracht, um sie mit meinen zu verschonen.“

„Hm“, brummte Iroh. „Nun, Eure Kindheit war gelinde gesagt sehr… abenteuerlich. Habt ihr schon mal mit jemandem über die Zeit in Ba Sing Se gesprochen? Ich meine richtig gesprochen?“

„Hauptmann Osaru“, antwortete Takeru.

„Das ist gut. Jeder braucht jemanden zum reden.“

„Es gibt allerdings Dinge, die… ich unausgesprochen liess.“

„Dinge, von denen auch eure Mutter nichts weiss?“

Takeru nickte knapp, mit abgewandtem Blick.

„Hauptmann“, seufzte Iroh. „Es ist die Aufgabe der Eltern, ihre Kinder zu beschützen. Nicht umgekehrt.“ Er bekam keine Antwort. Zeit für einen Taktikwechsel. „Das, was Ihr Hauptmann Osaru nicht erzählt habt… ich vermute, es waren die Dinge, die Euch am meisten quälen?“

Die gütigen, klugen Augen des Generals loteten Takerus Gesicht aus. Es war schwer zu durchschauen, dieses scheinbar so reglose Gesicht. Doch Iroh Tatzu hatte auf dieser Welt schon zu vieles erlebt, um nicht zu erkennen, dass sich hinter der Fassade jemand verbarg, der auf dieser Welt mehr hatte mitansehen müssen, als gut für ihn war. Und Hauptmann Nezu musste seinerseits erkennen, dass diesen warmen, mitfühlenden Augen eine ganz eigene, unbezwingbare Kraft innewohnte. Sie wussten. Sie verstanden. Sie vergaben.
 

„Han kennt nur den schwächsten meiner drei Dämonen“, hörte Takeru sich sagen. „Wir… wir unterhielten uns damals darüber, wann wir unseren ersten Toten gesehen haben.“

„Hm“, meinte Iroh leise. „Ein heikles Thema für einen Kage.“

„Sehr. Han hatte damals gerade seinen ersten Tribut zahlen müssen.“

Wenn die Kage gezwungen waren ein Leben tatsächlich zu nehmen, so nannten sie es den Tribut. Ein Tribut, den zu zahlen die Pflicht manchmal von ihnen verlangte.

„Leider war der erste Tote, den Han zu Gesicht bekam, ausgerechnet ein Mann, der durch seine Hand gestorben war. Es setzte ihm zu. Mehr als er erwartet hatte.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Der General nickte. „Doch wenn ich mich Recht entsinne, musstet Ihr Euren ersten Tribut schon viel früher zahlen.“

„Ja. Ayas Sechzehnter. Dieser Tag hat mich in mehrfacher Hinsicht gezeichnet.“ Die blassen Narben in Takerus Gesicht zuckten kurz. „Doch das waren beileibe nicht die ersten Toten, die ich gesehen hatte.“

„Ihr habt also Han davon erzählt; von Eurer ersten Begegnung mit dem Tod.“

„Ich… ich war vier. Zumindest glaube ich das. Der Mann war Kesselflicker. Zwei Halbwüchsige… Sie schnitten ihm die Kehle durch. Für eine Hand voll Silbermünzen und ein paar Kupfertöpfe haben sie ihm die Kehle durchgeschnitten. Und… leider war es kein sauberer Schnitt. Ich stand dabei. Er blickte mir ins Gesicht. Er … er blickte mich an, während ich zusah wie er langsam starb.“ Takeru schloss die Augen und atmete tief durch. „Er war so fassungslos. Er dachte, ich gehöre dazu. Dachte…“

„Du warst erst vier, Junge.“ Iroh legte sacht eine Hand auf Takerus Schulter. „Der Mann dachte bestimmt nicht, dass Du dazugehörst.“

„Ich weiss es nicht“, sagte eine Stimme, die irgendwie so gar nicht wie die des Hauptmanns klang.

„Und doch war das nicht die schlimmste Eurer Erinnerungen?“ , fragte Iroh leise. Trotz seiner Erfahrung erschütterte es ihn immer wieder, wie viel manchen Menschen aufgebürdet wurde.

„Nein… Ich weiss es ehrlich gesagt nicht so genau. Damals waren die Dinge eben so. Ob es tatsächlich so schlimm war oder nicht…“ Takeru zuckte mit den Schultern. „Ich… ich fand es… Natürlich hat es mich erschreckt. Aber es… es war eben so. Schrecklich, wirklich schrecklich, wurde es erst in den Träumen. Und die wurden schlimmer, je älter ich wurde. Vielleicht, weil ich es erst da langsam begriff. Genauso, wie ich erst später begriff, dass das, was dem Kesselflicker geschah, bei weitem nicht das Schlimmste war, was einem in diesen Straßen zustoßen konnte.“
 

„Was?“ Die Frage wurde sehr behutsam gestellt. „Was habt Ihr noch gesehen?

„Ich...“

„Ihr müsst es nicht erzählen.“

„Es ist nicht…“

Ach, Herrgott, was sollte es?

Die Mauern umschlossen ohnehin schon zu viel. Viel zu viel!

Takeru spürte einen kurzen, scharfen Riss in seinem Inneren, als die Dämme seiner Beherrschung brachen. Das Brennen in seinen Augen schien dagegen so unbedeutend, dass er es gar nicht wahrnahm.

„Da war dieses Mädchen… Es war dunkel. Wie immer. Ich versteckte mich in der Gasse der Freuden. Wart… wart Ihr schon einmal dort?“ Der Hauptmann sah aus dem Fenster und - wie Iroh vermutete - Meilenweit fort.

„Ja“, antwortete Iroh leise. „Und ich weiss leider auch, dass ihr Name nichts als Hohn ist.“

„Ja. Aber es war die Ecke, wo es am meisten zu holen gab. Kalt... Ich weiss noch, wie kalt es war. Der Regen ging schon in Schnee über. Das war schlecht. Weniger Leute auf der Strasse. Außerdem ist es nicht leicht mit eiskalten Fingern zu stehlen.“

Takerus Blick ruhte jetzt auf seinen Händen.

Sie schienen sich der Kälte zu erinnern, denn plötzlich zuckten seine Finger, nur um sich dann, ebenso unbewusst, wieder zu schliessen. Als wollten sie sich mit aller Macht an die Unerschütterlichkeit der Gegenwart klammern.
 

Mit erzwungener Ruhe fuhr Takeru schliesslich fort.

„Aus einem der Häuser kam Schreien. Lautes Schreien. Zwei Frauen kamen heraus. Zwei Frauen und ein Mann. Eine der Frauen konnte nicht mehr gehen. Sie… war jung. Wie jung? Das wusste ich damals nicht. Heute würde ich sagen… vierzehn? Vielleicht ein Jahr mehr oder weniger… Sie hatte Schmerzen. Schreckliche Schmerzen. Ihr Gesicht…“ Takeru starrte ins Leere, ins Herz der Dunkelheit. „Sie schrie, schrie die ganze Zeit über, und hielt sich den Bauch. Zuerst… zuerst dachte ich, das Blut käme von dort. Von ihren Fingern, die sich in ihren Bauch verkrallt hatten. Aber es war an ihren Beinen. Da war… soviel davon! Und an den Händen der anderen Frau. Der Mann… Die ganze Zeit über brüllte er `Hast Du´s weggemacht?´. Ich weiss noch… dass ich vor diesem Brüllen am meisten Angst hatte“, raunte Takeru. „Ich begriff damals nicht, dass sie verblutete. Dass sie noch ein halbes Kind war. Aber… ich habe nie wieder… jemanden, oder Etwas, so schreien gehört, wie dieses Mädchen. Ein Mensch… Ein Mensch dürfte gar nicht in der Lage sein solche Laute von sich zu geben.“

„Agni… Ist das auch passiert, als ihr vier wart?“

„Manchmal scheint mir, fast alles passierte als ich vier war“, antwortete Takeru tonlos.

„Ihr spracht von Dreien.“ Irohs Augen waren bekümmert. „… was ist mit dem schlimmsten Eurer Dämonen?“

„Der Schlimmste?“ Takeru bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl. „Nein, nicht der Schlimmste. Nur… beharrlicher. Gesehen hatte ich Schlimmeres. Heute weiss ich das. Aber dies… dies war nichts, was ich nur sah. Es war etwas, was mir passierte. Das eigene Elend ist immer das größte, nicht wahr?“, flüsterte er in bitterer Selbstanklage. „Wie schäbig ich war…“ Takeru fuhr sich über das Gesicht, als könne er die Schemen von damals vertreiben. „Ich sah all diese Dinge. Fürchterliche Dinge. Und… alles was ich fühlte war die Kälte. Den Regen, oder die Hitze. Meinen eigenen Hunger. Immer war es der Hunger! Das war wahrscheinlich auch der Grund…“
 

Einsamkeit lauerte in der langen Pause, die nun folgte. Einsamkeit und Selbstvorwürfe. Sie dröhnten Iroh in den Ohren. Doch er sass da und wartete. Wartete auf ein Kind, das sich seit Jahrzehnten in den Tiefen dieser Festung aus Schweigen und erzwungener Kälte verkrochen hatte. Wartete, bis es sich ans Tageslicht traute.
 

„Wisst Ihr, was man über das Leben auf der Straße sagt, General?“ Takerus Stimme klang mit einem Mal wieder vollkommen emotionslos. „Du hast zwei Chancen. Schlag Dich durch oder schlaf Dich durch. Ich hatte damals von der zweiten Möglichkeit noch keinen blassen Schimmer.“ Ein bitteres Lächeln verzog den Mund des Hauptmanns. „Allerdings wäre sie mir fast aufgezwungen worden.“

„Um Himmels Willen!“, entfuhr es Iroh unfreiwillig.

„Ich glaube der Himmel hatte damit am wenigsten zu tun. Eines Nachts… beging ich einen Fehler. Mir war eingeschärft worden, nur Leute zu bestehlen, die allein unterwegs waren. Doch an diesem Abend hatte ich eine Gruppe von vier Männern entdeckt, die ganz offensichtlich sehr viel Geld bei sich trugen. Besonders einer davon. Ich schlich mich an die Gruppe heran. Wider besseren Wissens. Ich hatte es fast geschafft, hatte die verdammte Geldbörse schon in der Hand.“

Iroh beobachtete den Hauptmann genau. Es war seltsam mit welcher Gleichgültigkeit er diese Episode erzählte. Als erstatte er nur Bericht - einen vor langer Zeit sorgfältig ausformulierten Bericht - über ein anderes Leben, den man abhaken und archivieren konnte.

„Was geschah dann?“ Die leise Frage brachte den Redefluss wieder in Gang.

„Die Münzen. Sie klimperten. Da war ein einziger Augenblick der Stille in diesen sonst so lauten, verkommenen Gassen. Und ausgerechnet in diesem Moment mussten die Münzen im Beutel dieses Mannes anfangen zu klimpern. Sie entdeckten mich. Natürlich. Leider befanden wir uns in einer Sackgasse. Ein weiterer, dummer Fehler, den ich hätte vermeiden sollen.“ Wieder dieses distanzierte, fast verzerrte Lächeln. „Erst kreisten sich mich nur ein. Schupsten mich herum. Bis einer von ihnen meinte, was für ein hübsches, blondes Vögelchen ihnen da ins Netz gegangen sei. Seltsam“, murmelte Takeru gedankenverloren. „Dass mir von all Dem diese Worte am klarsten in Erinnerung geblieben sind. Hübsches, blondes Vögelchen. Sie grölten es wieder und wieder. Ihre Hände wurden grober. Der Ärmel meiner Jacke zerriss. Mein Hemd ebenfalls. Irgendwann fiel ich zu Boden.“

„Agni…“, hauchte Iroh.

„Auf einmal waren da so viele Arme. So viele Hände. Sie waren schmutzig. Grob. Überall. Irgendwann packte mich einer von ihnen am Kragen und zog mich zu sich. Seine Augen machten mir Angst. So viel Angst, dass ich mich losreissen konnte.“

„Agni sei…!“

„Ich glaube, damals bändigte ich das erste Mal. Unbewusst. Aber als sie mir hinterher wollten, steckten sie plötzlich im Boden fest. Sonst hätten sie mich wieder erwischt.“

„Himmel, Junge… Das habt Ihr all die Jahre mit Euch herum getragen?“

„Nun, ja.“ Takeru zuckte mit den Schultern. „Ich war immerhin davongekommen. Die wirkliche Bedeutung dieses Geschehnisses wurde mir erst Jahre später bewusst. Damals wusste ich nur, dass ich Angst hatte. Todesangst. Ich wollte einfach nur weg, entkommen. Um jeden Preis.“

„Das seid Ihr!“ In stummer Zusprache drückte Iroh diese kampferprobten Hände, die jetzt verkrampft und ratlos vor ihm auf dem Tisch lagen. „Ihr seid dem entkommen.“

„Von da an hatte mich diese Angst für lange Zeit im Griff. Ich überwand sie erst langsam. Und wirklich besiegen… Ich glaube, besiegen konnte ich sie erst durch die Sache mit den Bienenfaltern. Ich begann zu begreifen, dass ich im Stande war Dinge, die mir wichtig sind, zu beschützen. Ich lernte, darum zu kämpfen; lernte, mir eine sichere Welt zu schaffen. Und jetzt, da meine Welt sicher ist. Und wundervoll… Jetzt ist da auf einmal mein Vater. “

„Er bedeutet Unsicherheit.“

„Ja“, bestätigte Takeru leise. „Mehr als das. Ich verliere meinen Blick auf die Dinge! Auf mich. Eigentlich bin ich jemand, der sich selbst recht gut kennt. Doch jetzt… Ich weiss nicht, was sich verändern wird. Wer sich verändern wird. Ich vertraue nur wenigen Menschen. Und es ist wohl allgemein bekannt, wie schwer es mir fällt, Leute an mich heran zu lassen. Aber ihn... Ihn muss ich an mich heranlassen. Ohne ihn zu kennen. Das macht mir...“ Er atmete tief durch. „Angst.“ Als die Erkenntnis dessen, was er eben gesagt hatte, zu ihm durchdrang, runzelte Takeru die Stirn. „Ich habe einfach nur Angst“, murmelte er erstaunt. „Das ist alles.“

„Ihr klingt erleichtert.“

„Das bin ich!“ Hauptmann Nezu blickte auf, ein selbstironisches, kleines Lächeln kräuselte seine Lippen. „Mit Angst kann ich umgehen. Sie ist ein alter Bekannter.“

„Aber sie vermag sich zu maskieren. Doch ich schätze, Ihr habt sie eben entlarvt.“

„Dank Euch!“

„Dank mir?“ Iroh lächelte. „Ich habe nur zugehört.“

„Nein. Ihr habt mich dazu gebracht, mir selbst zuzuhören.“

„Hm.“ Iroh wiegte nachdenklich seinen Kopf. „Manchmal bedarf es eines neutralen Fixpunktes um gewisse Dinge zu verstehen. Den können weder Aya, noch Eure Eltern, noch Osaru oder mein Neffe Euch bieten. Dazu lieben sie Euch viel zu sehr. Mir liegt Ihr zwar wirklich auch sehr am Herzen, aber es besteht trotzallem keine Gefahr, dass ich wegen ein paar unbedachter, oder zu klarer Worte Eurerseits einen Weinkrampf bekomme. Es ist nur verständlich, dass es Euch leichter fällt, Euch mir anzuvertrauen. Außerdem...“ Der General strich über seinen Bart. „Ohne mich rühmen zu wollen. Ich hab ein Händchen dafür, Leuten auf den Docht zu fühlen.“

„Das habt Ihr zweifellos. Und ich bin im Augenblick sehr dankbar dafür, General.“

„Oh, nichts für ungut. Könnt Ihr mir einen Gefallen tun und Eure Bußfertigkeit zuerst bei Aya unter Beweis stellen? Das Mädel vergöttert Euch einfach zu sehr. Unnötig, sie noch länger leiden zu lassen.“
 

Das Mädel litt tatsächlich ziemlich.

Doch Aya Ria Nezu, geborene Tatzu, war nicht umsonst die Nachfahrin etlicher Kriegsfürsten und Strategen.

Nachdem die erste Bestürzung über Takerus bittere Vorhaltungen überwunden war, hatte Aya einen Schlachtplan entwickelt.

Sie wusste zwar, dass der Wolf nur um sich schnappte weil er verwundet war, und ihr Herz blutete für ihn, aber umso dringender musste ihm geholfen werden.

Er wusste es schließlich! Er wusste, dass ihre damalige Gleichgültigkeit nur vorgetäuscht gewesen war. Und er wusste, dass sie ihm ohne Wenn und Aber zur Seite stand.

Ja.

Ungefähr genauso, wie er eigentlich auch wusste, dass sein Vater nichts für den Zerfall seiner Familie gekonnt hatte.

Sie seufzte als Verständnis, Mitgefühl und Liebe wieder einmal drohten, ihren Schlachtplan zunichte zu machen.

Nein!

Sie würde das jetzt durchziehen.

Wenn die Einsicht nicht zum Gatten kam, musste sie den Gatten eben zur Einsicht zwingen. Oder - in diesem Fall - zur Teestunde seines Vaters. Wenn er gezwungen würde, endlich länger als neunzig Sekunden im gleichen Raum mit dem Herzog zu verbringen, würde er schon sehen, dass... dass...

Na ja, er würde schon sehen!

Entschlossen ging Aya zu ihrer Mutter, holte die alten Gruppenbilder der Mitarbeiter der Weberei, ließ Meister Karu ausrichten, sie komme heute leider nicht zum Gesangsunterricht und machte sich dann auf zur Teestunde mit ihren Schwiegereltern.

Wenn `jemand´ sich nicht der Pflichtverletzung schuldig machen wollte, müsste `jemand´ Punkt drei Uhr Nachmittags dort auftauchen. Schliesslich kannte SIE die Dienstpläne fast ebenso gut wie dieser gewisse `jemand´, der um exakt diese Uhrzeit von einem Ehemann zu einem Kage avancieren würde.
 


 

Drei Uhr und elf Minuten am Nachmittag
 

Takeru wusste ziemlich genau, warum er stand wo er stand - rechts der Tür zu den prächtigen Gästezimmern, die seine Eltern derzeit bewohnten. Er stand dort, weil seine Ehefrau es sich in den Kopf gesetzt hatte ihm etwas vor Augen zu führen.

Er akzeptierte es. Sowohl seinen Standort, als auch die Lektion.

Er akzeptierte die Tatsche dass eine scheinbar unbekümmerte Aya ihn scheinbar kaum bemerkte, seine Mutter ihn mit einer scheinbaren Gleichgültigkeit scheinbar übersah, von dem er bislang nicht gewusst hatte, dass sie sie besass, und der Herzog ihn die scheinbar ganze Zeit über voller Hoffnung observierte.

Er akzeptierte es. Wohl fühlte er sich dabei allerdings nicht.

Wenn auch nur EINER der Anwesenden ihn tatsächlich nicht beachtet hätte, wäre ihm wesentlich wohler gewesen. Scheinbar.

Doch so erweckte das heimliche aber fundierte Wissen, im Fokus aller Anwesenden ganz oben zu stehen, im Hauptmann das Gefühl, als Kreisverkehr für eine riesige Ameisenkolonie herzuhalten.

Seine Instinkte - darauf trainiert selbst subtilste Gefahren und Beobachter zu entlarven - liefen auf Hochtouren und überlasteten. Ein guter Grund, sich in einen scheinbar reglosen Marmorblock zu verwandeln, wie er fand.
 

Doch selbst als Marmorblock konnte man nicht umhin, die Gespräche im Raum mitzuverfolgen, die schimmernde Wehmut im Blick des Erzherzogs zu bemerken, als dieser die Bilder seines kleinen Sohnes zu Gesicht bekam. Zu sehen, wie liebevoll er mit Yuna umging, wie hochachtungsvoll und herzlich er mit seiner Schwiegertochter sprach. Und wie bedacht er sich bemühte, seinen Sohn nicht unter Druck zu setzen.

In der Tat war Seine Gnaden bis jetzt so ziemlich der einzige gewesen, der nicht versucht hatte, Takeru zu beeinflussen.

In der Mine Hauptmann Nezus zuckte es kurz, als er in seinem derzeit recht komplexen Innenleben etwas Unerwartetes aufstöberte. Respekt. Respekt, gemischt mit einem guten Schuss Dankbarkeit, dass ihm die Distanz, die er im Augenblick noch brauchte, so bereitwillig gewährt wurde. Anscheinend wusste dieser Mann, der ihn eigentlich gar nicht kennen sollte, sehr genau was in ihm vorging. Vielleicht weil er… weil sie…

Takerus schmale Augen nahmen seinen Vater ins Visier.

Waren sie sich etwa wirklich so ähnlich, wie alle Welt behauptete? Konnte es dieses unsichtbare Band tatsächlich geben? Als auf eine Bemerkung Ayas hin ein Lächeln über das Gesicht des Herzogs glitt, wünschte er sich fast, dass dem so wäre. Doch als Takeo den Blick hob und ihre Augen sich beinahe trafen, starrte Hauptmann Nezu bereits wieder an die gegenüberliegende Wand.

Sein Vater. Er hatte einen Vater.
 


 

Etwa zur gleichen Zeit, im Arbeitszimmer Seiner Lordschaft.
 

„Nun, Onkel. Wie lautet der Lagebericht? Hat es geklappt?“

„Ja, das hat es. Unser guter Hauptmann hat sich einiges von der Seele reden können.“

„Gut!“ Zuko nickte. „Ich wusste, wenn ihn jemand zum sprechen bringt, dann seid Ihr das.“

„Hm. Danke. Aber im Lauf der Jahre hast Du Dich selbst zu einem sehr passablem Zuhörer gemausert, mein Junge.“

„Ich? Wenn der Mond im siebten Haus steht und Pluto aus seiner Umlaufbahn schliddert.“

„Ihr hättet das ebenso gut hinbekommen wie ich. In der Tat...“ Iroh strich sich über den Bart. „Warum habt Ihr das Ganze mir überlassen?“

„Der Junge wird momentan von allen Seiten - gewollt oder nicht - unter Druck gesetzt. Unnötig, das noch zu verstärken. Wenn ich ihn dazu gebracht hätte seinen Ballast bei mir abzuladen, hätte er mich, seinen Lord, seinen Schwiegervater und seinen Arbeitgeber in der Runde sitzen gehabt. Ich schätze es gibt Situationen, in denen ihm das die Sache nicht gerade erleichtert.“

„Gesprochen wie ein wahrer Mentor!“ Iroh strahlte.

„Danke. Alles abgeguckt.“

„Dazu bedarf es guter Augen.“

„Oder jemanden, der einem die Augen öffnet. So wie... einen Onkel, zum Beispiel.“
 


 

Zurück im Gästezimmer
 

Als es klopfte, drehte Hauptmann Nezu sich beinahe erleichtert in Richtung der sich öffnenden Tür. Und das, obwohl er sich öffnende Türen und Fenster eigentlich generell nicht besonders leiden konnte.

Ein junger Leutnant stand im Türspalt und entlud einen wortreichen, etwas konfusen Bericht in den Raum.

„Der… Was?“, raunte Takeru zurück.

„… Erdkönig… besteht… Hauptmann Keru… finden … Änderung… Turnier abblasen!“

Dies war alles, was die auf dem Sofa sitzende Versammlung dem verzweifelten Wortschwall des Leutnants entnehmen konnte.

„Dann SAGEN Sie ihm, … keinen Fall… Schrullen … einer Krabbelstube?“

Dies war alles, was die auf dem Sofa sitzende Versammlung dem prägnanten Wortschwall des Hauptmanns entnehmen konnte.

„DAS soll ich sagen?“, quietschte der jüngere Soldat.

Endlich ein Satz, den alle verstanden hatten.

„Nicht wortwörtlich!“, knirschte die Killerqueen mindestens ebenso verständlich wie der überlastete Kollege.

„A… aber wie denn dann?“

„Sie… Ich kümmere mich selbst darum!“ Damit brach Takeru ein ohnehin fruchtloses Gespräch ab und wandte sich an die auf dem Sofa sitzende Versammlung. „Wenn Ihr mich bitte kurz entschuldigt.“ Ein knappes Nicken, und er verliess den Raum.
 

Aya warf einen bangen Blick auf die Tür, durch die Takeru verschwunden war. In letzter Zeit schien er keine freie Minute mehr zu haben. Sie hatte auch den Eindruck, dass er nicht genug ass, kaum noch schlief…

„Prinzessin?“, unterbrach Takeo Nezu ihre Gedanken.

„Aya“, verbesserte Aya schnell.

„Nun, Aya… Seid Ihr sicher, dass er… Dass ihm das hier recht ist?“, erkundigte Takeo Nezu sich leise.

„Nein“, gab Aya zu und blickte auf ihre im Schoss gefalteten Hände hinab. „Vermutlich wird er mir nachher ordentlich die Leviten lesen. Aber ich weiss nicht, was ich noch tun soll.“

„Vielleicht solltet Ihr ihn einfach lassen.“

„Ihn lassen?“ Aya blinzelte. „Das hatte ich versucht, aber…“

„Er braucht Zeit.“ Takeo drückte die Hand seiner Schwiegertochter. „Das ist das Mindeste, was wir ihm zugestehen sollten.“

„Zeit?“, warf Yuna ein. „Wie viel Zeit denn noch?“ Die Bitternis von Takerus Vorwürfen brannte noch zu frisch in ihrer Erinnerung, um sie jetzt schon wieder milde zu stimmen.

„So viel Zeit wie er braucht, Yunicha. Ich würde ihm alle Zeit der Welt zugestehen, wenn er mich dadurch irgendwann akzeptieren könnte.“

„Falls er es je wird!“

„Yuna! Was…“

„Ich verstehe den Jungen einfach nicht!“, platzte es aus Yuna heraus. „Wie kann er nur so sein? Wie kann er so… so selbstherrlich und ungerecht…“

„Das ist genug, Yuna!“, unterbrach der Herzog sie ruhig. „Du magst im Augenblick nicht besonders gut auf ihn zu sprechen sein, aber das rechtfertigt nicht diese Schmähungen. Ich weiss nicht, was ihr alle von ihm erwartet. Für mich sind seine Reaktionen auf mich zwar schmerzlich, aber verständlich. Und sehr, sehr menschlich.“

„Menschlich…“ Yuna holte tief Luft. „Ja. Du hast Recht. Und ich… ich bin auch nicht wirklich zornig auf ihn. Eher… Es ist nur… Wir sind es im Allgemeinen nicht gewohnt, dass Dein Sohn menschlich reagiert.“

„Sondern?“, fragte der Herzog.

„Sachlich. Ziemlich unterkühlt.“

„Vernünftig“, verbesserte Aya. „Er ist vernünftig. Normalerweise sind seine Entscheidungen durchdacht, logisch und… Oh Agni, Ihr habt Recht, Hoheit. Ich hätte das hier nicht tun sollen. Entschuldigt mich bitte!“
 

Als Aya durch die Tür trat, beendete Takeru gerade ein Gespräch mit Konsul Fu. Offenbar hatten die beiden es geschafft, die Krise bezüglich des bevorstehenden Turniers noch abzuwenden. Der Assistent ihres Vaters schenkte ihr ein kurzes, warmes Lächeln, verbeugte sich und eilte in wichtiger Mission wieder von dannen.

„Gab es ein Problem?“, fragte Aya ihren Gatten vorsichtig.

„Nichts besonders wichtiges. König Nuro forderte eine Neu-Gruppierung der Kämpfer.“

„Oh“

„Ja.“

„Tut er das nicht jedes Jahr?“

„Fast.“

„Nun… ja… Ich… ich bin fertig mit meinem Besuch. Wir können gehen.“

Takeru neigte den Kopf und folgte ihr. Dabei fragte er sich kurz, warum er den Drang verspürt hatte, sich noch von seinen Eltern zu verabschieden.
 

Zurück in den eigenen vier Wänden beäugte Aya bekümmert die abweisende Rückenpartie ihres Mannes. Er hatte die Arme gegen den Kaminsims gestemmt und starrte in die kalte Asche.

Agni. Was hatte sie sich nur gedacht. Sie war zu weit gegangen. Natürlich war sie zu weit gegangen. Hatte sie ihn nicht erst gestern noch ihres Rückhalts versichert? Hatte sie nicht von ihm verlangt, seine Gefühle zu äußern, auch die Schattenseiten mit ihr zu teilen? Und heute? Heute, als er genau das getan hatte, war sie davor zurückgeschreckt, war ihm in den Rücken gefallen und hatte ihn zu einer Konfrontation gezwungen, zu der er augenscheinlich noch nicht bereit war. Sie war zu weit gegangen. In ihrem Wissen, dass er ihr ohnehin alles verzeihen würde, hatte sie ihn verletzt.

„Takeru…“

„Nein“, raunte er. „Lass mich bitte zuerst sprechen“

Aya schluckte, doch der Knoten in ihrer Kehle wollte sich nicht lösen.

„Es tut mir leid, Aya!“

„Was?“, stammelte sie überrascht.

„Ich habe Dinge gesagt, die… unverzeihlich sind. Ich habe mich furchtbar aufgeführt und das tut mir sehr leid.“

„Furchtbar? Du hast nur…“

„Nur?“ Takeru stiess sich vom Kaminsims ab und drehte sich um. „Aya…“ Sacht legte er die Hände um ihr Gesicht. „Wie kannst Du selbst dann noch nach Rechtfertigungen für mich suchen, wenn ich Dich so schrecklich kränke?“

„Wie könnte ich es nicht? Ich hab Dich doch auch verletzt. Was ich heute Nachmittag getan habe, war... unfair! Es tut mir so leid! Ich… Ich hatte schließlich von Dir verlangt, mich in Deine Sorgen mit einzubeziehen. Und ausgerechnet, als Du mir einen Teil Deines Schmerzes und Deiner Wut endlich gezeigt hast, vergesse ich plötzlich, dass ich versprochen hatte, ohne Wenn und Aber hinter Deiner Entscheidung zu stehen und falle Dir in den Rücken! Es tut mir so leid!“ Sie warf die Arme um ihn und drückte ihn an sich. „Ich bin auf Deiner Seite!“,, flüsterte sie „Das werde ich immer sein. Ich war nur so aufgebracht. Da war auf einmal so viel Groll in Dir. Und als Du mir dann auch noch Gleichgültigkeit vorgeworfen hast...“

„Nein, Liebes!“, murmelte er, die Wange an ihren Scheitel geschmiegt. „Ich weiss, was Du für mich empfindest. Ich weiss es. Nur begreifen kann ich es nicht. Aber vielleicht ist auch das etwas, wofür ich eben länger brauche als andere. Und was ich heute Vormittag sagte… Das… das war mit Abstand das Dümmste, was ich je von mir gegeben habe.“

„Das Allerdümmste!“, wisperte Aya glücklich und verstärkte die Umarmung, lauschte seinem Herzschlag, genoss seine Wärme.

„Dann verzeihst Du mir?“

„Ist das jetzt das zweitdümmste, was Du je von Dir gegeben hast?“

„Aya…“

„Natürlich verzeihe ich Dir!“

„Einfach so?“

„Nein, nicht einfach so. Du hast es nicht nötig, dass Dir einfach so verziehen wird. Schliesslich bist Du Hauptmann Nezu und hast Gründe für Dein Verhalten.“

„Ach… Tatsächlich?“

„Takeru, es ist nur normal, dass das Auftauchen Deines Vaters alles wieder an die Oberfläche bringt. All die Dinge, von denen Du gehofft hast, sie lägen hinter Dir…“

Dinge, die Aya nur erahnen konnte. Sie seufzte und kämpfte den Drang nieder, weiter in ihm zu bohren.

Irgendwann. Vielleicht würde er ihr irgendwann wenigstens ein paar der Schatten offenbaren, die seine Seele manchmal zu verdunkeln schienen. Doch dann schien es, als würde ihr immerhin ein Teil ihres Wunsches gewährt.
 

„Ich war die letzten Tage nur noch in Verteidigungsstellung“, gab Takeru zu. „Ohne zu sehen, gegen wen sich meine Gegenwehr richtete. Das schlimmste ist, ich habe Dir weh getan. Das wollte ich niemals!“

Aya legte sacht die Fingerspitzen über seine Lippen. „Ich wollte mein Versprechen, Dich nicht unter Druck zu setzen, eigentlich auch nicht brechen. Aber Du hast Dich so vehement geweigert, Deinen Vater auch nur zu sehen… Ich wollte Dir nur zeigen, wie er ist.“

„Ja. Und dieser überaus perfider Plan ist sogar aufgegangen.“

Sie bekam einen Kuss auf die Stirn.

„Wirklich?“

„Wirklich“, bestätigte er. „Ich denke… ich… werde ihn mögen.“

„Du… Wirklich?“ Immer noch perplex blickte Aya zu ihm auf.

„Ich wurde heute das seltsame Gefühl nicht los, dass er mich versteht. Und er ist der Einzige, der bereit war, einfach nur zu warten, mir die Zeit zu geben, die ich brauche. Das fand ich… bemerkenswert.“

„Er findet Dich auch bemerkenswert! Allerdings nicht so sehr, wir ich das tue.“ Im Einklang mit diesen Worten fand sich Takeru aufs Extremste bekuschelt.

„Gut! Sollte ich Dich je dabei ertappen, nicht mehr die Person zu sein, die mich von allen am bemerkenswertesten findet, werde ich entsprechende Schritte einleiten.“

„Die wären?“

Als Antwort hob der Hauptmann das Kinn seiner Frau, um ihr einen Kuss zu geben, der ihrer Meinung nach mehr als bemerkenswert war.

Da konnte sie ihm auch vergeben, dass er ihren Plan eben noch als perfide bezeichnet hatte.
 


 

Später, des Nächtens
 

In eingeweihten Kreisen war durchaus bekannt, zu welch hoher Kunst Prinzessin Aya und Ihr persönlicher Leibwächter die wortlose Kommunikation im Laufe der Jahre erhoben hatten.

So hätte es diese erlauchten Kreise auch nicht weiter verwundert, dass - nachdem die erste, extrem leidenschaftliche und körperbetonte Phase besagter Kommunikation abgeschlossen war - die Prinzessin zufrieden einschlief.

Nicht so der Hauptmann.

Ihn hatten die Ereignisse und vor allem auch die Gespräche dieses Tages ungewohnt aufgewühlt zurückgelassen. Bald zeigte sich allerdings der unschlagbare Vorteil nonverbaler Kommunikation. Sie funktionierte selbst im Schlaf. Takeru hatte sich eben erst so richtig schön eingegrübelt, als seine Frau zu spüren schien, dass etwas nicht stimmte.

„Was ist?“ Aya gähnte im Halbschlaf und kuschelte sie sich enger an ihn. „Kannst Du nicht schlafen?“

„Nein. Nicht wirklich.“

Sofort stützte Aya sich auf einen Ellbogen, um ihm ins Gesicht zu blicken. „Was?“, flüsterte sie, während sie über seine Wange strich. „Was ist?“

„Ich… ich habe Dir nie wirklich viel über meine Kindheit erzählt, oder?“

„Nein.“

„Heute Nachmittag… ich hatte ein Gespräch mit Deinem Großonkel.“

„Onkel Iroh?“

„Ja. Es ging eben darum. Um meine Vergangenheit. Ich hab keine Ahnung, wie er mich dazu gebracht hat.“

„Anscheinend hat er mehr Talent dafür als ich“, murmelte Aya leise.

„Ich… was? Nein! Bitte denk nicht… Himmel… Wahrscheinlich hätte ich mich Dir eher anvertrauen sollen, als ihm, aber…“

„Takeru“, unterbrach Aya verwundert seinen ungewohnt konfusen Redefluss. „Denkst Du ich sei Dir deswegen böse?“

„Nicht?“

„Nein! Ich bin einfach nur froh, dass Du jemanden zum reden gefunden hast. Onkel Iroh, Han, mein Vater oder ich… Die Hauptsache ist, dass es Dir gut getan hat. Und über manches lässt sich mit einem etwas Außenstehenden besser reden.“

„Der Grund dafür war jedenfalls nicht, dass ich Dich ausschliessen wollte.“

„Das weiss ich doch.“

„Es ist nur… Es fällt so unglaublich schwer. Ich… ich habe Angst. Angst, dass es Dein Bild von mir verändert. Dass es die Rollen umkehrt und ich… nicht mehr derjenige bin, der Dich beschützen kann.“

„Takeru…“ Sie griff nach seiner Hand und schmiegte sie gegen ihre Wange.

„Dabei habe ich übersehen, dass Du wahrscheinlich ohnehin die Stärkere von uns bist.“

„Ich? Stärker?“

Er nickte.

„Nein“, sagte Aya leise. „Ich habe nur sehr viel weniger Narben als Du. Deshalb bin ich noch lange nicht stärker. Aber ich könnte es sein. Für Dich! Und wenn Du willst, dann werde ich diesmal diejenige sein, die Dich beschützt.

„Ja“, raunte er. „Ich glaube, wenn es um meine Vergangenheit geht, brauche ich jemanden, der das tut. Und das… das kannst nur Du sein…Meine Aya.“

Der Mond spendete nur wenig Licht, doch Aya konnte das Schimmern in seinen Augen sehen. Es war das erste Mal, dass er sie seine Tränen wirklich sehen liess.

„Dann erzähl es mir!“, wisperte Aya und strich wieder liebevoll über seine Wange. „Erzähl es mir und wir stellen uns gemeinsam den Erinnerungen. Ich hab Dein Herz!“ Eine warme, unendlich behutsame Hand legte sich über die Stelle unter der Takerus Herz schlug. „Ich halte es. Ganz fest. Und ich werde nicht zulassen, dass es noch mehr ertragen muss!“
 

So fand der Blutwolf Schutz und Trost bei seiner Prinzessin, die er mehr als sein halbes Leben lang beschützt hatte.

Sie hielt ihn, hörte zu. Und sie weinte um ihn. Doch noch immer hielt sie sein Herz, hielt es ganz fest. Und er merkte, dass er so nicht mehr ertragen musste, sondern weniger.

Ja, Takeru hatte das Gespräch mit General Iroh bitter nötig gehabt. Jemand neutralen. Der zuhörte. Nur zuhörte, ohne die Dinge auf die ein oder andere Weise zu beurteilen. Und das war es zweifellos gewesen, was den Weg geebnet hatte, was einen Teil der Last von ihm genommen hatte.

Doch dies - sie - war seine Erlösung.

Wie sehr er sie doch brauchte.

Jemand der für ihn weinte. Wie er es nie vermocht hatte.

Deren Herz ihn verstand, durch wie viele Schlachten sein eigenes auch verwundet worden war. Jemand der ihn liebte, auch wenn er selbst sich nicht mehr begriff.

Und sein Schmerz schwand, wurde eine blasse Erinnerung,

Denn ausgerechnet was er am meisten gefürchtet hatte - ihre Tränen - bannten seine Furcht.
 


 

Leider kam Takeru auch am nächsten Tag nicht dazu, sich bei seiner Mutter zu entschuldigen, denn der Herzog und seine Frau hatten sich entschlossen einen alten Freund Seiner Gnaden zu besuchen, der unweit des Palastes wohnte, und es hiess, sie kämen wohl erst recht spät wieder. Wenn der Prinz allerdings wolle, so könne er…

„Hauptmann!“, knurrte Takeru.

„Äh… wie meinen?“, fragte Leo, der betagte Diener des Erzherzogs.

„Hauptmann Nezu. Nichts weiter.“

„Nun… wie Ihr wünscht, Hoheit!“ Leo brachte seine Nasenspitze fast bis an seine Kniescheiben und zeigte somit eine für sein Alter ganz erstaunliche Beweglichkeit.

„Haupt…“

„Wenn Lord Nezu es wünscht, werde ich Ihrer Gnaden gerne ausrichten, dass Ihr sie zu sprechen wünschtet.“

„Nicht nötig. Ich werde morgen mit ihr sprechen.“

„Sehr wohl!“

Takeru zögerte. Warum wusste er selbst nicht.

„Kann ich noch etwas für Euch tun, Hoheit?“

„Sie könnten aufhören, mich Hoheit, Lord oder was weiss ich was zu nennen!“

„Jawohl, Master Takeru.“

„Sie…“

„Gibt´s Probleme, Leo?“

„Nein, Master Yoshio, keine Probleme.“

Yoshio Saburo bildete sich spontan eine andere Meinung.

Sein riesiger Vetter, der äußerst präsent zwischen Tür und Angel äh… präsent war, schien sich durchaus in die Kategorie `Probleme´ einordnen zu lassen. Problemlos.

„Ermmmäh…“ Nervös fuhr sich Yoshio mit der Hand über den Nacken. „Vetter Takeru, wenn ich mich nicht irre?“ Zögernd wurde die Hand, die eben noch zur moralischen Unterstützung Yoshios Nacken gestärkt hatte, ausgestreckt.

„Ja.“

Die Hand wurde geschüttelt. Sehr zu Yoshios Bedauern, denn eigentlich hatte er vorgehabt, sie künftig noch zu benutzen.

„Arrgh! Ahahau…“ Versuchsweise bewegte der junge Graf die Finger seiner Rechten. „Ah. Gut! Nichts kaputt, lässt sich noch bewegen.“

„Wie bitte?“, erkundigte sich Takeru.

„Ich meine… die Hand. Sie… lässt sich noch… also bewegen.“

Hauptmann Nezu runzelte die Stirn. Natürlich liess sich die Hand bewegen. Warum auch nicht? Schliesslich war sie eben vollkommen intakt gewesen. Oder etwa nicht?

„Eine alte Verletzung?“

„Wie… äh… was?“

„Leidet Ihr an einer alten Verletzung?“, wiederholte Takeru wie er fand sehr geduldig.

Yoshios Augen wanderten vom Gesicht des Hauptmanns zu seiner rechten Hand und wieder zum Gesicht des Hauptmanns. Dass sein Mund dabei offen stand, soll nur am Rande erwähnt werden.

Entweder war dieser Orden-behangene Lichtfest-Baum da war der Ober-Hof-Komiker oder er…

„Verzeihung! Ich hätte Eure Hand nicht so kräftig gedrückt, wenn ich gewusst hätte, dass sie Euch schmerzt.“

Aha. Wenigstens gab er zu, KRÄFTIG zugedrückt zu haben.

Da er fast sicher war, dass die Knochen sich ihrer alten Position nun wieder leidlich sicher waren, schüttelte Yoshio seine Hand vorsichtig aus.

„Nein, nein“, murmelte er. „Geht schon wieder. Ihr habt nur… einen wirklich kräftigen Händedruck.“

„Ich… Verzeihung!“

„Nein. Mir tut es leid. Ich bin scheinbar nichts gewohnt.“

„Ich denke eher…“

„Hm?“

„Es könnte sein, dass ich im Eifer des Gefechts zu fest…“

Sieh an. Vetter Takeru war also auch nervös.

„Wollt Ihr nicht hereinkommen?“, fragte Yoshio zuvorkommend.

„Ich… will nicht stören.“

„Tut Ihr nicht. Oder stört uns der Hauptmann, Leo?“

„Seine Hoheit könnte niemals…“

„Leo!“, mahnte Yoshio milde.

„Der… Hauptmann könnte niemals stören!“, lenkte der Butler gnädig ein.

„Da seht Ihr´s. Bitte!“ Mit einer ausladende Geste forderte der junge Graf Takeru zum Eintreten auf.

„Danke.“

„Tee?“

„Ähm… Falls Kaffee nicht… ähm… ja.“

„Kaffee also? Leo, haben wir…?“

„Selbstverständlich. Seine Gnaden ist passionierter Kaffee-Trinker. Ich schätze dies ist eine Vorliebe, die Master Takeru von ihm geerbt hat, falls mir diese Bemerkung gestattet ist.“

Master Takeru wollte mal nicht so sein. Na ja, EIGENTLICH wollte er schon, enthielt sich aber einer Antwort.

Leo, dem die Charakterzüge des Prin… nein, Hauptmanns lächerlich vertraut schienen, witterte die Gelegenheit und legte noch eins drauf.

„Seine Gnaden ist überglücklich, seine Familie wiedergefunden zu haben!“, erklärte er, während er die Herrschaften in den grünen Salon führte. „Es hat ihm das Herz gebrochen, als er Euch damals verlor. Völlig das Herz gebrochen. Ich dachte nicht, dass er jemals wieder glücklich würde… Hoheit.“ Mit dem letzten Wort hatte der alte Diener sich umgedreht und blickte Takeru ruhig und erwartungsvoll in die Augen.

Takeru wollte schon den Mund öffnen, um den Titel zu berichtigen, entschied sich jedoch anders.

„Bitte, tut ihm nicht weh, Master Takeru“, bat Leo. „Er würde es nicht verkraften Euch noch einmal zu verlieren.“

„Nein“, bestätigte Yoshio leise. „Das würde er nicht.“
 

Takeru verlebte eine erstaunliche und seltsame Stunde mit seinem Cousin. COUSIN! Sowas hatte man doch nicht. Zumindest nicht er.

Das Erstaunliche und Seltsame war, dass er den jungen Mann mochte. Selbiges galt sogar für den alten Kauz, der den Kaffee brachte. Nicht einmal dessen Hang um ihn herumzuscharwenzeln, ihn mit blumigen Titeln zu überhäufen, und ihm zu sagen, er würde seine Tasse exakt auf die gleiche Art und Weise halten wie Seine Gnaden dies tat (falls ihm diese Bemerkung gestattet sei) und er müsse jetzt gar nicht so dreinschauen, das würde auch bei Seiner Gnaden nicht funktionieren (falls ihm diese Bemerkung gestattet sei) schmälerte Takerus Wohlbefinden. Yoshio und Leo schienen irgendwie zu wissen, wie sie mit ihm umzugehen hatten. Und das erstaunlich Seltsame war, dass ihn dies überhaupt nicht störte.
 

Als Hauptmann Nezu schließlich seinen Besuch beendete, stand Yoshio neben Leo im Rahmen der breiten Flügeltüren und sah seinem Vetter hinterher.

„Leo, altes Haus… ich bin der Meinung, das haben wir verdammt gut hingekriegt.“

„Ja, Master Yoshio. Und das, obwohl Ihr wieder einmal das Tischtuch ruiniert habt.“

„Ah… Schnickschnack. Ich wette, dem Kerl sind saubere Tischtücher vollkommen egal. Er ist schließlich Soldat.“

Dieser lachhaft eklatante Irrtum sollte erst in vier Jahren aufgeklärt werden.
 


 

Da er seiner Mutter nicht hatte habhaft werden können, beschloss Takeru nach Dienstschluss, sich wenigstens seines anderen, nicht minder brisanten Problems anzunehmen. Und da er genau wusste wo Hauptmann Osaru sich an diesem Abend aufhalten würde - nämlich in seinem Quartier, um sich vor morgen ordentlich auszuruhen - fand sich Takeru gleich nach einem späten Abendessen dort ein.

Er klopfte energisch.

Nach exakt sechs Sekunden öffnete sich die Tür.

Nach exakt 0,12 Sekunden wurde sie ihm vor der Nase zugeschlagen.

Verdammt!

„Han?“

Schweigen.

„Han, ich will mich entschuldigen!“

Wieder keine Reaktion.

„Verdammt!“, fluchte Takeru jetzt laut.

Er kannte Han gut genug, um zu wissen, was dieses Schweigen bedeutete.

Han Osaru mochte auf den ersten Blick zwar ein zugänglicher Zeitgenosse sein, der seinen Mitmenschen gegenüber überaus nachsichtig schien, überschritt man jedoch die Grenzen seiner Belastbarkeit, hatte man ein ernsthaftes Problem an der Backe. Erst einmal beleidigt, konnte Han unglaublich nachtragend sein.

Takeru drehte auf dem Absatz um.

Gut, dann eben der Balkon.
 

Aus Hans Zimmer drang nicht der kleinste Lichtstrahl.

Ernsthaft?

Es war gerade mal neun Uhr. Das konnte doch…

„Verlaufen?“

Takeru wirbelte herum. Vor ihm stand Han Osaru, mit den Hüften an die Balkonbrüstung gelehnt, die Knöchel seiner Füsse entspannt gekreuzt.

„Na, na… Sind wir etwa erschrocken? Solltest keinen Hausfriedensbruch begehen, wenn Dir das plötzliche Auftauchen des rechtmäßigen Bewohners gleich eine Herzattacke beschert.“

„Warum wolltest Du nicht mit mir sprechen?“, fragte Takeru, Hans Sarkasmus ignorierend.

„Wer sagt, dass ich es jetzt will?“

„Die Tatsache, dass Du es tust.“

Han schnaubte. „Ach ja? Sieh an!“ Er verschränkte die Arme. „Unser Herr Nezu ist ja mal wieder oberschlau.“

„Han… Es tut mir wirklich leid!“

„Dass Du mal wieder oberschlau bist?“

Takeru versteifte sich. „Du führst Dich auf wie im Kindergarten.“

„Und DU führst Dich auf, als wärst Du nie in einem gewesen! Dort lernt man nämlich - unter anderem - seine Freunde nicht zu verdreschen.“

„Verzeihst Du mir, wenn ich Dich den Gefallen erwidern lasse?“

„Oh. Du LÄSST Dich schlagen?“

„… Ja.“

„Wie großzügig. Aber ich will mir keinen Ärger mit Lord Zuko oder dem Erzherzog einhandeln.“

Das sass. Takeru sog scharf die Luft ein.

„Bei derartig vielen fürstlichen Gönnern, in deren Gunst sich das Blutwauzilein derzeit sonnt, ist mir die Gefahr zu groß, eine Armee auf den Hals gehetzt zu bekommen, sollte ich es wagen, das Blutwauzilein zu hart anzugehen.“

Leises Grollen kam aus der Kehle des Blutwauzileins.

„Ach Du liebes Bisschen… Hab ich Dir die Laune verdorben, Hoheit?“, fragte Han zuckersüss.
 

Takeru atmete durch. Tief. Dann tat er etwas, was sein Freund für den Rest seiner Tage nicht mehr vergessen sollte.

Han zuckte zusammen und wollte sich schon in Verteidigungsstellung werfen, als er ungläubig blinzelte.

Hauptmann Nezu hatte sich auf die Knie geworfen.

„Was…?“

„Verzeih mir!“

„Was soll das?“

„Bitte verzeih mir, Han.“

„Bist Du meschugge? Was machst Du da auf dem Boden?“

„Ich bitte Dich um Verzeihung.“

„Steh auf.“

„Mein Verhalten war…“

„Steh auf Mann! Das ist doch…“

„…unentschuldbar. Ich werde jede Strafe akzep…“

„Steh auf!“, brüllte Han entnervt.

„Verzeihst Du mir?“

„Meinet… Wenn Du endlich aufhörst mir auf die Schuhe zu sabbern!“

Ebenso schnell, wie er auf dem Boden gelandet war, stand Hauptmann Nezu wieder auf. Ein zufriedenes Lächeln im Ges…

Äh… WIE bitte?

„Sag mal… Hast Du mich gerade verarscht?“, zischte Han.

„Wie kommst Du darauf, ich würde so etwas tun?“

„Vielleicht durch Dein dämliches Gegrinse!“

„Welches?“, fragte Master Gargoyle, wobei sich in seiner Mine kein Muskel regte.

„Taku, ich schwöre… Es kommt der Tag, an dem ich Dich… Uffmmnghuh… Taku… meine Rippen!“
 

Da Hauptmann Osarus Hang zur Unversöhnlichkeit den Göttern sei Dank nur halb so groß war wie seine Fähigkeit zur Vergebung, legte er seinen Groll ad acta, holte zwei Schälchen Sake aus seinem Quartier (da Takeru grundsätzlich nichts trank, würde Han sich wohl oder übel beider Rationen annehmen müssen) setzte sich neben seinen Freund auf die Bank und betrachtete - die Beine weit von sich gestreckt - den Nachthimmel.
 

„Ach, Takeru! Es ist zu schön. Du. Ich. Das sanfte Mondlicht...“

„Zwing mich nicht, Dir weh zu tun.“

Han schnaubte und schlürfte genüsslich an seinem Reisschnaps.

„Wie bist Du damals eigentlich darauf gekommen, ausgerechnet mich mit Deiner unverbrüchlichen Freundschaft zu beehren?“, fragte Takeru leise.

„Dich konnt´ ich damit eindeutig am meisten nerven.“

„Ich meine es ernst, Han. Warum so einen verstockten Eisenbieger wie mich? Die anderen Kadetten haben mich anfangs gemieden wie die Pest.“

„Du warst ja auch ein Ekel. Immer so korrekt. Und ein unausstehlicher Streber obendrein. Nicht zu vergessen, dass ich ohne Dich Klassenbester gewesen wäre!“

„Warum also?“

„Schätze, ich wollte wissen, ob man Dich auch mal zum Lachen bringen kann.“

„Sicher“, seufzte Takeru „Wer bin ich, auf eine vernünftige Antwort zu hoffen?“

„Was? Zum Großteil war das wirklich der Grund. Du warst so dermaßen ernst, irgendwer musste etwas unternehmen. Außerdem...“

„Ja?“

„Du, als vaterloses Erdferkel in der Armee der Feuernation. Ich, eine Enttäuschung für meine Sippe, weil ich mich weigerte eine Laufbahn als General anzustreben… Und nicht zu vergessen meine Prügelei gegen die Vollidioten aus dem 3. Jahrgang, bei der Du dachtest, Dich einmischen zu müssen.“

„Sechs gegen einen war einfach zu unfair.“

„Ja. In Grund und Boden hätt´ ich die Kerle gestampft, wenn Du mich nicht gezügelt hättest. Aber danach blieb mir ja gar nicht anderes übrig, als mich Deiner anzunehmen, nicht wahr?“

„Zweifellos. Jedenfalls bin ich verdammt froh, dass Deine Wahl auf mich fiel.“

„Na, und ich erst …“ Han griff nach dem zweiten Schälchen Sake. „Solltest Du es Dir allerdings zur Gewohnheit werden lassen, mir eine zu verpassen...“ Vorsichtig betastete er seine immer noch leicht geschwollene Wangenpartie.

„Nein. Und es tut mir wirklich leid. Dass ich tatsächlich zugeschlagen habe...“

„Ich werd einen persönlichen Feiertag daraus machen. 17. Aschregen. Der Tag an dem Prinz Takeru die Beherrschung verlor. Kanpai!“ Laut schlürfend verleibte Han sich den Reisschnaps ein. „Glaubst Du, ich kann an diesem Datum künftig Urlaub bekommen?“, hustete er, denn eigentlich war er dieses Zeug überhaupt nicht gewohnt.

„In Deinen Träumen.“

„Dacht ich´s doch.“

„Nimmst Du meine Entschuldigung nun an?“

„Sei nicht albern, Taku.“

„Du hast es noch nicht gesagt.“

„Komm schon! Dieser kleine Klaps? Du musst schon weit mehr tun, um diese Freundschaft zu gefährden.“, meinte Han jovial, gänzlich außer Acht lassend, dass er vor nicht ganz einer halben Stunden noch den Beleidigten gemimt hatte.

„Ich werde mich hüten.“

„Tja“, grinste Han. „Adel verpflichtet eben doch. Ganz das brave Zuckerbübchen, was? Aber sag mal... wo wir grade von Adel sprechen. Wann hast Du eigentlich vor, Dich mit ihm auseinandersetzen?“

„Mit... ihm?“

„Ja. Ihm. Deinem Vater. Den Kerzendocht-Mann werd ich wohl kaum meinen.“

„Morgen.“

„Was?“ Han entfuhr ein Keuchen. „Morgen? Und das, nachdem Du ihn tagelang mit Blicken ins Innere eines Eisbergs befördert hast? Ich bin enttäuscht! Echt jetzt. Aber na ja… hast schon Recht. Wenn Du nicht bald einlenkst, endet das Ganze noch in schwelender Bitterkeit, Resignation, schrillen Vorwürfen, kaputten Vasen und Brandflecken im Teppich.“

„Deine Eltern kommen also immer noch nicht besser miteinander aus?“, fragte Takeru und beobachtete Han aus den Augenwinkeln.

„Da sie noch keine Möglichkeit gefunden haben, den schönen Schein zu wahren und sich trotzdem gegenseitig aus dem Weg zu räumen: nein.“

„Das tut mir leid.“

„Mhm. Hab ja Dich. Wieso ist der verdammte Schnaps schon alle? Also echt, Taku. Nicht mal ordentlich besaufen kann man sich mit Dir!“

„Die Flasche steht neben Dir.“

„Hast Du sie…?“

„Ja.“

„Ah! Besten Dank. Kanpai!“
 

Die Grillen zirpten, die Brise wehte, der Mond schien und der Sake tat seine Wirkung.

Die perfekte Idylle für einen Überraschungsangriff.

„Hast Du eigentlich nie bereut, dass Du es bei diesem Mädchen nicht noch einmal versucht hast?“

Wie von einer Krötentarantel gestochen fuhr Han in die Höhe.

„Was? Nein!“, stieß er aus. „Was? Keine Ahnung, von wem Du überhaupt sprichst!“

„Lügner.“

„Ich will nicht über sie sprechen.“

„Sagt unser Kommunikationswunder.“

„Takeru...“ Zur Abwechslung war es diesmal Hauptmann Nezu, der angeknurrt wurde.

„Du kannst nicht versuchen, mir eine heile Familie zu verschaffen und Dich dann wundern, wenn ich versuche, den Gefallen zu erwidern. Wie hieß sie noch...?“

„Halt die Klappe!“

„Emo... Emi...“

„Ich sag Dir, halt die Klappe!“, zischte Han warnend.

„Emely.“

Mit geballten Fäusten, die vor Wut bebten, stand Hauptmann Osaru da.

„Ja“, murmelte Takeru und betrachtete seinen Freund nachdenklich. „Emely. Das war´s.“

„HALT DIE KLAPPE!“

„Du wolltest doch dieses redseliges Besäufnis.“

„Ja. Macht aber leider keinen Spass wenn man der Einzige ist, der sich volllaufen lässt. Ich verschwinde!“, knirschte Han und bückte sich nach der Flasche mit dem Sake. „Und mach Du mit Deinem alten Herrn doch, was Du willst.“

Das war, wie Takeru fand, ein ganz hervorragender Vorschlag.

Er würde mit seinem Vater endlich das tun, was er wollte. Was er tief in seinem Innern wirklich wollte.

Ihn kennenlernen.
 


 

Nachtrag der belanglosen Art:
 

Leider musste Hauptmann Nezu als er den Weg in die eigenen vier Wände antreten wollte feststellen, dass sein Freund ihn schon wieder ausgesperrt hatte.

„HAN!“

„Außen rum, Zuckerbübchen!“

„Han, mach die verdammte Balkontür auf!“

„Nnnnein!“

„HAN! Ich schwöre bei Esba, wenn Du nicht sofort diese Tür öffnest…“

„Ich höre nur Wabbawabbawabba! Immer Dein Wabbawabba. Wabbawabba dies, Wabbawabba das. Wabbawabba Dienstvorschrift...“ Durch die Tür konnte man deutlich Hans Kichern hören.

„Komm morgen ja nicht zu mir gerannt, wenn Dir der Schädel brummt!“, grollte Takeru.

„Wabbawabba!“



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Von:  Vigeta_Lord_d_T
2021-11-26T05:57:46+00:00 26.11.2021 06:57
Ich bin von deinen ( allen 3 ) begeistert habe sie schon offters durchgelesen sie sind einfach zu gut lustig🤣, spannend😲, und HEISSSSSSSSSSSSS🥵🥵🥵🥵🥵 . ICH wünschte nur das du weiter schreiben würdest.

Ach ja wer zum strausengeier ist Emely ???? 🤔🤔🤔🤔

Und die Schwestern von Yoshio müssen noch unter die Haube gebracht werden.

Wie geht es mit dem Wettkampf weiter???? 🤔🤔🤔🤔

Gieb Es einen 4 Teil die Zwillinge???? 🤔🤔🤔🤔

Alle Fragen kann ich nicht schreiben. Sind noch zu viele.

Würde mich auf alle Fälle freuen wenn du weiter schreiben würdest.

😈😈😈😈

PS. So unterschreibe ich immer .
Von:  Orakel737
2018-12-02T16:50:06+00:00 02.12.2018 17:50
Ich warte geduldig auch gern noch ein paar Jahre, aber hoffe es geht irgendwann mal weiter <3
Von:  jukolover
2017-05-08T13:40:47+00:00 08.05.2017 15:40
Schreibst du noch weiter? Ist gerade so spannend unf echt schade nicht zu wissen wie es endet. :*(
Von:  hep62163
2016-02-09T12:20:50+00:00 09.02.2016 13:20
Hallo, ich hab deine Geschichten vor einigen Jahren schon gelesen und bin heute zufällig wieder darüber gestolpert. Schreibst du deine Wächtergeschichte weiter? Ich würde mich sehr freuen, denn du bist ne super Autorin. Bitttttttttteeeeeeee
Von:  Orakel737
2016-01-27T19:57:02+00:00 27.01.2016 20:57
2016 und ich überlege gerade deine Romane zum vierten mal (!) zu lesen...
In den Semesterferien wirds wohl spätestens dazu kommen :) Vielleicht wird Der Wächter des Drachen ja dieses Jahr fertig..?
Ich würde es mir wirklich wünschen :)
Der Wunsch, dass es danach vielleicht noch ein Avatar Fanfic über Kiram und Zerfa geben wird ist wohl unrealistisch geworden, aber vielleicht hast du ja andere Werke?
Würde mich freuen nochmal was von dir zu lesen!
Von:  sinutella
2015-12-10T16:12:51+00:00 10.12.2015 17:12
Eieiei über ein jahr ist dein letztes kapitel schon draußen und ich habe immer noch nicht kommentiert *shame on me*. Diesmal will ich ein allgemein kommentar abgeben. Ich verfolge deine storys da war die vorstellung über die Königskinder und deren Lovestory weit entfernt. Damals ging es noch nur um zuko und jin ♥ um so mehr habe ich (und viele andere zser auch) gefreut dass es eine Fortsetzung gibt. Seit gefühlt über 5 jahren lese ich deine Geschichte mindestens einmal jährlich... wie jetzt z.b. ich habe alle drei geschichten wieder gelesen und ich würde sie immer wieder nochmal lesen :) um so trauriger bin ich, wenn ich sehe dass seit über nem jahr nichts neues dazu kam... ich verstehe dass das leben einen manchmal doch mehr fordert. Ich weiß auch nicht in was für eine Situation du sein könntest und hoffe nur das beste :) aber ich würde mich mega freuen wenigstens zu wissen ob es weiter geht und wann ungefähr ♥ ich liebe deine Geschichten zu sehr und keine fanfictions hat es mir angetan wie deine ♥ ungelogen^^ ich liebe es zu sehen wie die charaktere sich entwickeln. Mit wie viel Feingefühl du denen ein lebendiges da sein gibst ♥ allgemein die ganze story und dein schreibstil ... eine mischung aus emotionen mit viel humor ....

Lange rede kurzer sinn: schreib weiter, diese Geschichte braucht auch ein würdiges ende :p und wenn es nicht zu viel verlangt ist... dann würde ich mich freuen, wie du es mal angekündigt hast, noch storys von zirah, kiram und han ♥

Ganz viele liebe grüße sinut :)
Von:  Carifyn
2015-05-30T03:45:23+00:00 30.05.2015 05:45
Diese Geschichte hat mir jetzt mehrere Wochen lang meine Mittagspausen und Zugreisen versüßt^^ Vielen DAnk für ein so wunderschönes Werk.
Leider hat mein heimtückischer Gatte (aka gute Geschichten Zuschieber) vorenthalten, dass sie noch gar nicht abgeschlossen ist. Ich muss dir also leider mitteilen, dass du jetzt einen weiteren Fan hast, der sabbernd auf eine Fortsetzung wartet!
Von:  xXxbluexXx
2014-11-14T21:12:05+00:00 14.11.2014 22:12
Ich finde es sooo toll das du die Geschichte doch noch beendest, hatte die Hoffnung schon aufgegeben ^^
Von:  Estel_13
2014-11-07T18:04:41+00:00 07.11.2014 19:04
Asche auf mein Haupt! ... ich habe das Kapitel schon vor Monaten gelesen und kein Kommi hinterlassen :(
...
oh man, da hast du aber eine Bombe platzen lassen armer Takeru (Taschentuch zück)
ich hoffe ich lese bald wieder was von dir
genieße die Zeit, lass dich von der Muse küssen
^^

Von:  Nebelkatze
2014-10-06T14:10:58+00:00 06.10.2014 16:10
Freudentanz, ein neues Kapitel! Und schon ist mein Tag wieder perfekt geworden :D

Es ist einfach einmalig, wie du die Stimmung der jeweiligen Situation rüberbringst.
Ich bin doch eh schon ein alter Salzwasserbüffel, und als Takeru von seinen drei Dämonen erzählt... Und die nächtliche Szene zwischen Aya und ihrem gepeinigten Liebsten - Taschentuch, bitte. (Ein gigantisches Hut-Ab für unseren Kage an dieser Stelle: Ich hätte wohl noch viel, viel länger gebraucht, um so eine Vergangenheit aus dem Käfig zu lassen. Aber es hat ja auch nicht jeder das Herz der Prinzessin in seinem privilegierten Besitz <3)

Und dann endlich Erleichterung, dass (fast) alles wieder im Lot ist <3 Ich bin sicher, Takeru schlägt sich auch in den noch ausstehenden "Schlachten" so meisterlich wie immer - wäre ja gelacht. Wie schön, dass auch Han gar nicht soooo nachtragend ist (naja, bei DEM Kniefall, haha)
Ich bin super gespannt auf Emely. Wie kann man sich einen Prachtburschen wie Han Osaru entgehen lassen? Also, wenn sie ihre Chance nicht bald ergreifen möchte: ICH schicke gerne eine Bewerbungsmappe! ;-)

Ah, ich könnte schon wieder ganz von vorne anfangen mit den Feuer- und den Erdfuzzis. Ach, warum könnte. Abend verplant xD

Vielen Dank für das neue Kapitel!! Ich freue mich schon auf das nächste! :D
Liebe Grüße, hoffentlich hast du noch einen wunderbaren Herbst,
Vivi






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