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Das Portal

Die Welt in dir
von

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Quark zum Frühstück (Version Juli ´10)

Manchmal sitze ich einfach nur stundenlang am Fenster und schaue hinaus. Regen perlt an der Scheibe hinunter, mein Atem bildet einen dünnen Tropfenfilm auf dem kalten Glas, leichte Umrisse meines Gesichtes sind zu erkennen, wie in einem Spiegel.

Und dennoch kommt es mir unwirklich vor. Ich sehe etwas anderes, etwas was dahinter liegt, hinter dieser scheinbar tristen und vom Alltag geplagten Welt. Ich sehe Burgen, Drachen, Einhörner und gefangene Prinzessinnen. Ich sehe meine Welten. Die Welten, in die ich mich jeden Tag flüchte, um diesem Leben für einen Moment zu entkommen, für einen Moment nicht das einfache Mädchen von nebenan zu sein.

Ich wollte immer nur dem Bewusstsein entfliehen, dass es nicht viel erstrebenswertes für mich in dieser Welt gab.

Manche mögen jetzt denken, dass diese Sichtweise übertrieben sei oder gar fern ab der Realität. Aber was ist, wenn diese Welt nicht meiner Realität entspricht? Wenn ich eigentlich ganz woanders zu Hause wäre und dort mein Leben leben würde, meine Seele reifen lassen würde.

Es gibt vergängliche Momente in denen ich weit weg von hier bin, nicht auf dieser Fensterbank sitze und hinaus schaue, sondern durch majestätisch alte Wälder schreite und uralte Völker besuche und jedes Mal erscheinen mir diese Welten so viel realer als die meine. Und dann kommt er wieder, dieser Moment, in dem mich etwas zurück reißt, fast wie eine starre alte Kette, die sich einfach nicht durchtrennen lassen will und bannt mich im hier und jetzt zu verweilen und akzeptieren zu müssen, dass es nichts weiter als jugendliche Träumereien sind; Ausgeburten meiner viel zu ausgeprägten und von der Gesellschaft teils missbilligten Fantasie.

Ich habe nie geschafft von diesen Fantasien abzulassen und mich der Gesellschaft zu beugen. Stattdessen ist mein Zimmer überlagert mit den schriftlichen Sprungbrettern, die mich in meine Welten katapultieren. Bücher.

In meiner Familie kümmerten meine Neigungen kaum einen. Meine Mutter und meine Schwester lebten in Europa, während ich mit meinem Vater in Kanada geblieben war. Ich wollte die Wälder und die Freiheit hier nicht missen müssen, war mir allerdings der Tatsache bewusst, dass mein Dad nie wirklich für mich da sein würde. Er war im Management Bereich tätig und eigentlich ständig unterwegs. Sollte er tatsächlich mal Zeit zu Hause verbringen, dann war er auf dem Sprung oder so geschafft, dass ich ihn nicht großartig ansprechen brauchte. Es war ein sehr oberflächliches Verhältnis zwischen uns entstanden, seit dem sich meine Mutter von ihm getrennt hatte. Aber irgendwie konnte und wollte ich auch den Gedanken nicht ertragen, ihn einfach alleine in unserem schönen Haus zurück zu lassen.
 

Träge schob ich letztlich die wiederkehrenden allmorgendlichen Gedanken beiseite und schlurfte müde ins angrenzenden Badezimmer, über den kleinen Flur und am knisternden Ofen vorbei.

Im Spiegel offenbarte sich mir das Übel. Meine Haut wirkte fahl und ausgezehrt, hatte sie doch sonst eine angenehme sachte bräune, die ich den Genen meiner südländischen Mutter verdankte. Unausgeschlafen starrte ich das Glas an, während Maus graue Augen zurück starrten, eingerahmt von zerzausten langen dunkel braunen Haaren.

„Super!“, brummte ich leise und klatschte mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht.

„Elizabeth! Du kommst zu spät. Beeile dich!“, nörgelte mein Vater von unten aus der Küche. Er war mürrisch, wie jeden morgen. Manchmal glaubte ich, dass ich wie eine Last für ihn war, die ihn zwang zu unmöglichen Zeiten aufzustehen, um zu jedweder Tageszeit die Kontrolle über mein Tun und Handeln inne zu haben.

Hastig bürstete ich mir mit einer für jeden Unwissenden brachialen Gewalt durch meine Haare, was mir persönlich jedoch nichts ausmachte und huschte wieder in meine Zimmer zurück.

Das dumpfe Morgenlicht schob sich langsam über den Bergkamm und tauchte mein chaotisches Zimmer in ein angenehmes Orange. Unweigerlich blieb mein Blick an meinem, an den Rändern vereisten, Fenster über der breiten Fensterbank hängen. Langsam schritt ich an das kühle Glas heran und ließ mich auf das gepolsterte Fensterbrett nieder.

Wie gerne ich mich manchmal einfach in meinen Zimmer hätte einschließen wollen. Einfach nur um Ruhe vor der Welt um mich und Zeit für meine eigenen Welten zu haben. Es er erschien mir das Leben i einer jener so viel leichter und spannender als meine tatsächlich Existenz im Hier und Jetzt.

Eigentlich kam ich mir bei seinen Versuchen stets die Übersicht zu bewahren wie ein Depp vor. Eltern viel es von Grund auf schwer los zulassen -soweit verzieh ich ihm- aber wie sollte man etwas loslassen, dass man nie geschätzt hatte. Man sollte meinen, dass es dann erst recht einfach wäre, da man keine solide Bindung brechen musste, sondern einfach nur von etwas Abstand nehmen würde, dass einen eh nie viel bedeutet hatte.

Nicht jedoch bei meinem Vater. Meine Theorie war, dass er es einfach vergessen hatte, mich loslassen zu müssen. Es wurde weiter gemacht, so wie die letzten 17 Jahre auch und niemand hatte ein Problem. Niemand außer mir verstand sich.

„Bring die dreckigen Sachen mit herunter und stell die Waschmaschine an!“

„Ja doch! Ich bin dabei!“, antwortete ich trocken, mit dem selben genervten Unterton wie jeden morgen. Jeden Tag wenn er da war, war es dasselbe Spiel und nie schien ihm der Gedanke zu kommen, dass der Haushalt und alles weitere auch merkwürdigerweise wunderbar weiterhin funktionierte, wenn er nicht da war.

Lustlos schob ich mich von der weichen breiten Fensterbank hinunter, warf noch einen letzten Blick durch das, an den Rändern gefrierende, Glas hinaus in den verschneiten Wald und stapfte durch mein Dachzimmer auf den schmalen kleinen Flur. Die Holzdielen knarrten unter meinem Gewicht und verrieten jede meiner Bewegungen. Sollte ich mich tatsächlich mal davon schleichen wollen, hatte ich wohl ziemlich schlechte Karten.

In dem dunklen Metallofen neben meiner Zimmertür leuchtete es noch etwas durch das verrußte Sichtfenster, rasch warf ich ein Stück Holz nach, damit noch Glut da war, wenn ich aus der Schule kam. Ein paar Mal pusten und es brannte und knisterte wieder munter vor sich hin. Wenn ich mittlerweile etwas konnte, dann war es Feuer entfachen und in Gang halten.

Leider blieb dieses Talent auf den Ofen beschränkt. Alles was zwei Beine hatte und nicht meinem Geschlecht angehörte, gefror in meiner Gegenwart zu einem Eisblock. Vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil dieses Symptom immer dann auftrat, wenn es um einen Kerl ging, den ich ausnahmsweise anziehend fand. Manchmal habe ich mich auch gefragt, ob ich irgendetwas ausstrahlen würde, vielleicht einen Männer abweisenden Duft. Heutzutage wusste man ja nie.

Asche hatte sich bereits auf der Metallplatte unter dem Ofen gesammelt und der Korb mit dem Brennholz war fast leer. Meine Aufgaben für den Nachmittag waren offensichtlich.

Der Wäschebehälter im anliegenden kleinen Bad, dass ich mir mit meinem Vater teilte, war kurz vorm überquollen. Mit beiden Armen hob ich das Holzgestell an und stellte aufstöhnend fest, dass er schwerer war als ich vorerst angenommen hatte. Mürrisch ging ich schließlich blind die knirschende Treppe hinunter. Nachdem man lange genug in einem Haus wohnte, konnte man nahezu überall darin blind sein und trotzdem wissen, wo man lang zu gehen hatte.

„Ich habe dir dein Quarkmüsli schon fertig gemacht! Beeile dich, Nanuk ist gleich da!“

„Ich mache ja schon. Meine Güte!“, brummte ich, meinte es aber harmloser als es sich vermutlich anhörte.

Der Weg in den Keller erwies sich als schwieriger, denn der Gang war enger und die Treppenstufen schmal. Wer zum Teufel dachte sich so etwas bloß aus. Konnte man die Stufen nicht genauso leicht begehbar machen, wie alle anderen auch. Das waren wohl die Dinge im Leben, die man nie begreifen würde.

Das Licht in dem unterirdischen Raum war dumpf und flackerte sacht. Genauso stellte man sich immer den furchtbaren Keller vor, in denen der Mörder bereits auf einen wartete.

Hastig stopfte ich die Wäsche in die Maschine und stellte sie an. Leise piepend begann sie ihr Werk und rotierte vor sich hin. Der Keller war klein, reichte aber um auf der linken Seite von der Treppe aus, zwei Reihen Holz zu lagern. Durch eine Metallluke, die in der hintersten Ecke des Raumes lag, konnten wir das Holz hinunter schaffen und hier trocknen lassen. Jetzt war sie mit einer dicken Schneeschicht bedeckt und unmöglich anzuheben, sofern man sie überhaupt unter dem Schnee fand.

Auf der rechten Seite standen zwei Wäscheständer, die gerade voll mit Sachen hingen. Leise schnaubend, dass die letzte Wäsche natürlich noch nicht abgenommen war, stemmte ich mir den Korb mit Bügelwäsche in die Hüfte. Das Rattern und Gurgeln von Leitungen und dem Sicherungskasten begleitete meinen Weg die Treppe hinauf. Mit einem eleganten Hüftschwung schob ich die Buchentür zu und wand mich nach rechts in Richtung Stube.

Unsere Diele war ebenfalls recht klein. Eigentlich diente sie tatsächlich nur dazu, dem großen Kachelofen Platz zu bieten und alle Räume im Erdgeschoss auf kleinstem Platze zu verbinden.

Gegenüber von der Kellertür führte die knirschende Treppe hinauf zu unseren Schlafzimmern und dem einzigen Bad. Links neben ihr thronte der Ofen, mit seiner einladenden gepolsterter Fliesenbank und den Plüschkissen, die ich extra dafür genäht hatte.

Oft saß ich im Dämmerlicht auf den warmen Scheiben und las ein Buch, wenn mir meine Fensterbank zu kalt wurde.

Rechts betrat man den schmalen Gang zur Haustür und geradeaus sah man direkt in die Stube. Ein kurzen Ausflug in unseren am seltensten genutzten Raum machend, stellte ich die Wäsche hinter das große Polstersofa. Eigentlich hatten wir eine schönes Wohnzimmer. Es war eingesäumt von Fenstern, die es hell und freundlich machten. Die Wände waren beigefarben und über dem großen nicht genutzten Kamin hingen ein paar Fotos aus längst vergangenen Zeiten.

Einen Atemzug lang blieb ich stehen, betrachtete die Bilder und das Sofa und erinnerte mich, wie wir beide früher auf ihm gelegen hatten und Dad mir Geschichten vorgelesen hatte. Den Gedanken bedrückt abschüttelnd, schritt ich hinaus, durch die Diele in die Küche.

Die Tapete hatte einen angenehmen hellen Blauton und die Schränke waren in einem rustikalen weiß gehalten. Ich mochte die Küche. Sie erlaubte mir einen Moment zu glauben ich sei nicht hier in Kanada, sondern in einem anderen Land, mit anderen Menschen und einer anderen Familie.

Der Herr des Hauses saß am Küchentisch vor der großen Terrassentür mit den dunklen Vorhängen und schlürfte seinen Kaffee, den Blick in die Morgenzeitung geheftet. Der Gedanke ihn auf das Phänomen mit dem Multitasking bei Männern anzusprechen, lag mir auf der Zunge aber ich wollte es mir nicht schon so früh am Tag mit ihm verscherzen.

Wortlos setzte ich mich an den massiven Holztisch und sah in die Schüssel, die er mir zurechtgemacht hatte. Er hatte sich sogar die Mühe gemacht frische Äpfel mit rein zuschneiden. Eigentlich wollte ich ja nicht so misstrauisch sein aber das war für meinen Geschmack zu viel Fürsorge.

„Okay! Sag es mir gleich! Dann weiß ich, ob ich in der Schule schon mit Hausaufgaben anfangen muss, damit ich alles schaffe, was ich erledigen soll!“, sagte ich tonlos, legte meinen Kopf auf der abgestützten Hand ab und schaute ihn ausdruckslos an.

Eine Sekunde abwartend legte er die Zeitung beiseite, faltete sie sorgfältig zweimal und stellte den Kaffee penibel vorsichtig ab, als wolle er nur das kleinstmögliche Geräusch verursachen. Fast schon bedrückt schaute er mich einen Moment an, bevor er seufzte, sich einmal durch die braun grauen Haare fuhr und endlich mit der Sprache herausrückte. Ausnahmsweise machte es den Anschein, als würde es ihn tatsächlich treffen, was er zu berichten hatte.

„Ich muss nach Europa“ -noch war nichts Dramatisches an der Nachricht- „für die nächsten zwei Wochen, Elizabeth!“

„Oh Paps! Das ist jetzt nicht dein Ernst! Du verpasst schon wieder meinen Geburtstag. Das ist dann schon der dritte in Folge! Nächstes Jahr werde ich achtzehn. Bist du dann auch wiedermal nicht da?“, murrte ich vorwurfsvoll und ließ mich entrüstet in den Stuhl zurückfallen. Seine immer tiefer werdenden Falten zerklüfteten seine Stirn und sein silbrig durchzogenes dunkles Haar wirkte auf einmal vollends aschfahl. Es nahm ihn wirklich mit.

„Schon gut Paps! Von irgendwas musst du ja mein Geschenk bezahlen nicht.“, rang ich mir ein mattes Lächeln ab und hoffte, ihm den Tag somit etwas erleichtert zu haben.

„Ich werde dir was Hübsches mitbringen! Du weißt ja wie du hier zurechtkommst.“, antwortete er und wirkte um einiges erleichtert. Die Krawatte zurechtmachend und das Hemd glatt streichend, schob er leise den Stuhl nach hinten und schritt mit energischem festen Gang aus der Küche. Er war ein charakterstarker Mensch. In seinem Job musste man das wohl sein aber das man dabei auch seine Familie zu verdrängen hatte war mir fremd.

Die Momente, in denen ich tatsächlich glaubte, dass ich ihm etwas bedeutete waren selten aber angenehm. Ich gab die Hoffnung nicht auf, dass er sich irgendwann daran erinnerte, dass er mich mal bewusst geliebt hatte.

Das erste Desaster am heutigen Tag hinter mir lassend widmete ich mich nun endlich vollends dem Müsli. Die Zeit war davongeflogen. Nanuk würde jeden Moment vor der Tür stehen und klingeln. Pünktlich um halb acht, wie jeden morgen. Hastig stopfte ich mir ein paar Löffel in den Mund.

„Mikosch! Mikosch! Mhhh yam yam!“, rief ich und wartete, dass mein rot getigerter Kater an getapst kam.

„Ich glaube er ist noch draußen!“, hallte Dads Stimme dumpf vom Flur her.

„Ach so. Dann pack ich es ihm in den Napf“

Den Rest des Quarks in seine Futterschale spachtelnd, verschwand ich einen Gedanken daran, was für eine Jacke ich anziehen sollte. Nicht das es mich groß kümmern würde aber leider kümmerte es dafür meine Mitschülerinnen umso mehr. Diese Erfahrung machte ich, als ich vor zwei Jahren eine schwarze Cordjacke zu einer grünen Jeans trug. Ich wusste beim besten Willen bis heute nicht, was daran so verwerflich war aber anscheinend wussten es dafür alle anderen. Vermutlich irgendein Trend, den ich nicht mitbekommen hatte und es auch nicht für nötig hielt.

Es klingelte. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass er auch heute wieder pünktlich war. Fluchs warf ich mir meinen gefütterten Mantel um, schulterte den Rucksack und ging schnellen Schrittes durch die Diele, auf die Haustür zu. Ein schwarzer Schopf schimmerte durch die milchigen Scheiben.

„Guten Morgen!“, strahlte ich, als ich die Tür aufschwang. „Na der Herr, wie ist heute Euer wertes Befinden?“

„Anscheinend so glänzend, wie bei dir!“, lächelte er und seine grünen Augen funkelten mich an. Ich hatte nie so richtig das Gefühl eine beste Freundin gehabt zu haben und so lange ich ihn hatte, würde ich auch nie eine brauchen. Da war ich mir sicher.

Die Luft war klar und kalt an diesem Morgen. In den Straßen lag wiedermal eine neue Schneeschicht, die sich über Nacht wie eine Decke über alles gelegt hatte und die Spuren des letzten Tages verschwinden ließ. Dennoch war es nicht unangenehm kühl. Es war genau richtig fand ich. Vereinzelt tanzte eine Schneeflocke zur Erde hinab und glitzerte wunderschön, wenn sie mit einem Sonnenstrahl den Weg kreuzte.

Nanuk seufzte zufrieden. Eine kleine Dampfwolke bildete sich vor seinem Mund, als wir nebeneinander her schritten. Ich warf einen verstohlenen Blick zur Seite. In solchen Momenten zwang sich mir immer die Frage auf, warum er keine feste Freundin hatte. Sein Gesicht war sanft und seine Haut wirkte weich und glatt, das Haar dunkeln wie Ebenholz und samtig schimmernd, die Augen kräftig und strahlend grün, mit kleinen bernsteinfarbenden Sprenkeln. Immer wenn er mit seiner kräftigen aber einfühlsamen Stimme sprach, wirkte es wie Balsam für meinen manchmal aufgewühlten Geist.

In noch selteneren Momenten spukte mir der Gedanke durch den Kopf, dass er vielleicht auf mich wartete. Das er insgeheim in mich verliebt war und auf den richtigen Moment hoffte es mir zu sagen. Diese Fantasie war so abwegig, wie die Tatsache, dass er nie eine sechs in einer Arbeit schreiben würde. Nicht mein kleines Genie. Ich hatte kaum einen Menschen kennengelernt, der sich so im Griff hatte wie er. Außerdem waren wir viel zu gute Freunde, das würde ich nie für so etwas Albernes aufs Spiel setzen. Dessen war ich mir ebenfalls sicher, sonst müsste ich mir ja eine Freundin suchen.

„Hör auf schon am frühen morgen zu fantasieren! Irgendwann läufst du noch mal gegen einen Laternenpfahl.“

Verdutzt blickte ich schnell wieder nach vorn und heftete meinen Blick auf den noch unberührten Schnee vor uns.

„Du denkst immer noch ich sei blind was? Sag doch einfach, dass du mit mir ausgehen möchtest!“, sagte er selbstbewusst mit einem schadenfrohen Grinsen auf den Lippen.

„Wer fantasiert jetzt hier?“, lachte ich und schaufelte noch im selben Moment Schnee von einem aufgehäuften Berg und drückte es ihm ins Gesicht. Wollte ich das? Wollte ich mehr als nur Freundschaft? Oft verstanden wir uns so gut, dass die Grenzen zwischen Freundschaft und Liebe selbst für mich zu verschwimmen begannen.

„Was war denn jetzt überhaupt mit Keyla? Wolltet ihr nicht essen gehen?“, warf ich hastig ein, um mich und ihn abzulenken.

Er prustete ein paar Mal den Schnee aus seinem Gesicht und kam dank meiner Frage nicht dazu Rache zu üben. Er antwortete immer brav auf meine Fragen, grinste ich innerlich.

„Das war einfach nicht mein Fall. Was sollte ich mit ihr reden? In welchem Einkaufszentrum man am besten shoppen kann? Das ist nicht mein Ding!“, gab er hilflos zu und zog schmunzelnd die Schultern hoch.

Die Nase rümpfend klopft er sich die weißen Flocken aus seinem grau karierten Schal und von dem schwarzen langen Filzmantel.

„Ich hatte es mir schon ausgemalt, wie ihr beide da sitzt und du dich Hilfe suchend umschaust und nicht weißt, wie du es schaffen kannst am schnellsten wieder zu flüchten!“, lachte ich und sah nun den roten Schornstein der Schule aufblitzen.

„Sehr komisch!“, grinste er trocken.

Jeder Tag an dieser Schule war wie ein Spießrutenlauf und ich wusste nicht, wie ich es immer wieder aufs Neue ohne Nanuk aushalten würde. Vermutlich gar nicht. Wir waren einfach keine typischen Charaktere, die man in einer der Gruppen unterbringen konnte. Wir waren nicht dämlich genug für die Gruppe der Looser, nicht schlau genug für die Streber und nicht hoch modern wie die Coolen.

Wobei, wenn ich genau darüber nachdachte, Nanuk war unheimlich schlau, sah gut aus und hätte es sportlich locker mit jedem an unserer Schule aufnehmen können. Er musste sich nicht mit mir abgeben. Ohne Probleme hätte er auch ein angesehener Kerl an unserer Schule sein können, was er insgeheim vermutlich trotzdem war. Stattdessen jedoch war er bei mir. War mein Kumpel. Freundschaft war manchmal eine komische Sache. Wie mich doch viele Mädchen für diese komische Sache zwischen uns hassten.

„Guten Morgen Nanuk!“, klingelte Megans Stimme uns entgegen, wie das helle Läuten von Glocken.

Nanuk lächelte sanft und winkte kurz zur Antwort.

Der Weg zur Eingangstür war noch verschneit. Einige der Schüler lieferten sich auf dem kleinen Rasenstück vor der Schule eine hastige Schneeballschlacht vorm Unterricht. Ich stapfte durch das weiße Bett und die Schüleranzahl nahm stetig mit der Nähe der Tür zu.

„Wow! Ich weiß ja das du einen Kopf größer bist als ich, aber das man mich nun gar nicht mehr sieht ist mir neu!“, brummte ich trocken und schob mich durch hineinströmende Schüler in den breiten Flur. So mussten sich Hühner in Käfighaltung fühlen. Kein Platz zum Atmen, kein Platz zum Gehen, kein Platz für Individualität.

„Sei nicht so griesgrämig, der Tag ist noch lang!“, schimpfte er und grinste trotzdem dabei. „Bleibt es eigentlich dabei, dass wir nächste Woche deinen Geburtstag feiern?“, warf er beiläufig ein und sammelte nebenher ein paar Bücher aus seinem metallenen Spint.

Um uns war es laut. Jeder gackerte irgendwas vor sich hin. Viele wühlten in ihren Schränken nach Unterlagen, knallten die Türen zu und verschwanden in der Menge.

„Fang nicht wieder damit an. Du weißt genau, dass ich nicht gern feiere. Außerdem sieht es ganz schön kläglich aus, wenn wir zwei mit Papierhütchen am Tisch sitzen und auf den Clown warten oder?“-genervt zog ich einen Mundwinkel hoch- „Nimm das Geschichtsbuch mit.“

„Wenn du magst können wir auch mit Papierhütchen auf einen Stripper warten. Also wenn dir das lieber ist. Ich habe da keine Probleme mit.“, sagte er und blinzelte unschuldig.

„Ey!“, schnaubte ich empört, boxte ihm etwas in die Seite und schaute mich hastig um, ob jemand mitgehört hatte. „Rede nicht so einen Unsinn, nachher hört das noch einer und glaubt es, dann stehen wir beide ganz schön dumm da.“

„Wäre ja nicht unbedingt was Neues.“

Dummerweise entsprach das leider der Wahrheit und das obwohl er das gar nicht nötig hatte. Er hätte auch einer der vielen sein können, die auf uns -besser auf mich- herabschauten. Falls man mich überhaupt wahrnahm.

„Beweg deinen zarten Hintern mal ein wenig schneller, du weißt der Curtis ist über pünktlich.“

Fluchs schlängelten wir uns durch den Gang in unsere Klasse. Mathematik war nicht gerade mein Lieblingsfach aber leider konnte man es nicht abwählen. Wie wir es erwartet hatten war Herr Curtis bereits in der Klasse und sortierte vorne am Lehrerpult seine Unterlagen. Auf den ersten Blick wirkte der kleine untersetzte Mann, in seinem billigen Anzug, ziemlich zerstreut, war aber tatsächlich ein Genie und verstand es obendrauf auch noch sein Wissen gut verpackt zu vermitteln. Leider half auch das bei mir nicht unbedingt.

„Schreiben wir nicht nächste Woche die Arbeit über Kurvendiskussion?“, murmelte ich, als wir uns zu unseren Plätzen in der hintersten Reihe bewegten.

„Brich nicht gleich in Panik aus, dass kriegen wir schon hin!“, grinste er und strich mir aufmunternd über den Rücken. Noch im selben Moment traf mein Blick den Megans und ihre Eifersucht schlug mir fast wie ein Amboss entgegen. Sachte den Kopf schüttelnd vor Missverständnis und Perplexität, versuchte ich mich schnell aus ihrem Sichtfeld zu schieben, bevor sie sich mein Gesicht gut genug einprägen konnte, um zu Hause eine Voodoo Puppe zu basteln und mich so aus dem Weg zu räumen. Nicht das ich wüsste, was sie in ihrer Freizeit tat.

Tatsächlich -wie mir mal wieder bewusst wurde- erinnerten sich nur wenig an mein Gesicht, wenn mal mein Name viel. Die meisten mussten minutenlang überlegen, ob sie ein Mädchen mit der Beschreibung an dieser Schule schon mal gesehen hatten. Ich dachte es besser dabei zu belassen. Konnte nur von Vorteil sein. Je weniger einen kannten, desto weniger Feinde konnte man haben.

„Soll ich dir was viel Schlimmeres sagen“ -genervt verdrehte ich die Augen- „in zwei Monaten ist der alljährliche Winterball.“, grinste er unverschämt amüsiert.

„Super. Danke dass du mich daran erinnerst, ich hatte fast geschafft es zu verdrängen! Das sagst du auch nur, weil du schon wieder unzählige Einladungen bekommen hast, nicht wahr?“, murrte ich und ließ mich plump auf meinen Stuhl fallen. Den Kopf auf meine Hände abstützend, stierte ich gefrustet nach vorn an die Tafel, vehement seinen Blick meidend.

„Es ist weniger geworden im Laufe der Jahre“, gab er kleinklaut zu und setzte sich ebenfalls neben mich an den länglichen Tisch.

„Sehr komisch.Erwartest du jetzt etwas Mitleid?“

Es herrschte immer noch das alltägliche Gewusel in unserer Klasse. Alle surrten durch die Gegend, nur wenige saßen schon an ihren Plätzen und die üblichen Verdächtigen schnorrten sich ihre Hausaufgaben zusammen. Die Tische in unserer Klasse waren immer für zwei Schüler ausgerichtet und standen alle horizontal zum Lehrerpult, so dass jeder Schüler nicht den Kopf verdrehen musste, um was sehen zu können. Nach hinten war die Klasse stufig aufgebaut, so dass die hintersten Reihen am höchsten saßen.

Ich liebte diesen Platz. Es gab mir das Gefühl über alle hinweg zu blicken und doch von niemandem gesehen zu werden. Es war wie in meiner Familie. Ich schaute über sie hinaus und sah in die Ferne aber keiner aus meiner Familie machte sich die Mühe, zu mir hochzuschauen. Sie lebten unter mir vor sich hin, wohlwissend, dass es über ihnen auch noch etwas gab. Ich will damit nicht sagen, dass ich glaube etwas Besseres zu sein. Manchmal habe ich nur das Gefühl eine komplett andere Sicht auf die Welt zu haben, nicht nur das zu sehen, was direkt vor meiner Nasenspitze passiert, sondern noch weit darüber hinaus schauen zu können. Dinge zu sehen, die sonst keiner sieht. Oft drängt sich mir der Gedanke auf, dass ich geistig krank sei, wenn meine Seele wieder abschweift und sich in anderen Welten wiederfindet. Vielleicht verdrängte ich manchmal bewusst die Realität, weil ich mit ihr -und sie mit mir- einfach nicht zurecht kam.

Ihr kennt das bestimmt. Wenn man ein Buch zu Ende gelesen hat und das letzte Wort im Kopf nachhallt, dann fühle ich mich immer, als würde ein kleiner Teil von mir gerade zerbröckeln, als würde eine Welt gehen, in der ich mich wohl gefühlt hatte. Genauso wenn man morgens träumend im Bett liegt und einen plötzlich etwas aus dem Schlaf reist, ist man vorerst benommen, muss einen Moment realisieren, was Fantasie ist und was tatsächlich passiert. Zu oft verspüre ich dieses Gefühl. Manchmal ist es so schlimm, dass ich glaube, ich würde in zwei Welten leben, zwischen denen ich ständig hin und her pendle.

Das war das wichtigste an diesem Platz in der Klasse, man war weit genug vom Lehrer weg, um sich mit solchen Dingen zu beschäftigen, ohne das es jemanden störte und dennoch einen guten Blick auf die Tafel zu haben, sollte man dem Unterricht ausnahmsweise doch folgen wollen.

In Gedanken spielte ich mit dem Kugelschreiber in der Hand herum, ließ ihn sich auf dem Tisch drehen, baute ihn auseinander und wieder zusammen. Die Tafel am anderen Ende des Raumes war fast voll geschrieben. Herr Curtis wuselte wie ein aufgescheuchtes Huhn von einer Seite zur anderen und erklärte lautstark den Unterschied zwischen dem normalen Ableiten einer Funktion und der Polynomdivision.

Ich glaube die Wörter hatte ich sogar schon mal gehört. Meine Mitschüler unter mir waren aufmerksam über ihre Hefte gebeugt und schrieben, als würde ihr Leben davon abhängen. Sie machten mich alle wahnsinnig. Jeder versuchte der beste zu sein, perfekt zu sein und den Erwartungen ihrer tollen Eltern gerecht zu werden. Vielleicht war das ja das Problem warum ich so faul war. Meine Mutter war, keine Ahnung wie viele tausende Kilometer, weit weg und mein Vater stellte nicht den geringsten Anspruch an mich. Ich glaube ihm würde es reichen, wenn ich einfach nur die Schule schaffte, einen Mann fand und dann auszog.

Langsam schob mir Nanuk einen penibel gefalteten Zettel zu. Irritiert zog mich dieser aus meinen Überlegungen und nahm nun meine ganze Aufmerksamkeit ein. Er schrieb mir sonst nie Zettel. Das hatten wir gar nicht nötig auf unseren Plätzen. Ein Flüstern zwischen uns hatte noch nie ein Lehrer vorne gehört.

Eine Augenbraue hochziehend warf ich ihm einen misstrauischen Blick aus meinen grauen Augen zu. Nanuk lächelte verstohlen und blickte weiter nach vorne. Die wuscheligen dunklen Haare und die kräftigen grünen Augen ließen ihn fürchterlich unschuldig aussehen, egal was er tat. Ich hatte es nie lange geschafft, ihm wegen irgendwas böse zu sein. Sein Glück. Meine Wenigkeit war nämlich schrecklich nachtragend.

Knurrig faltete ich den Zettel auf.

„Träum nicht!“, stand dort in seinen typischen elegant geschwungenen Buchstaben, wie sie für einen Jungen eher untypisch waren. Krakelig war dagegen die grinsende Fratze, die er darunter gemalt hatte und die mir unschön die Zunge rausstreckte. Zeichnen war einfach kein Talent von ihm. Eine Tatsache die mich beruhigte, denn es ließ seine perfekte Aura nicht mehr ganz so perfekt erstrahlen.

Wenn man als Gänseblümchen neben einer leuchtenden weißen Lilie wuchs kam man sich schnell ziemlich dumm und hässlich vor. Ich glaube es war überflüssig zu ergänzen wen ich ich mit welcher Pflanze meinte.

Zu Beginn unserer Freundschaft dachte ich oft er würde mich nur veräppeln oder hätte eine Wette verloren, die ihn zwang Zeit mit mir zu verbringen aber mit der Zeit spürte ich, wie sein aalglattes Verhalten und Aussehen langsam nachließ. Er beging auch Fehler, trat in Fettnäpfchen und erlebte Dramen, die wir zusammen durchstanden. Fünf Jahre war es her, dass er nach Silver Creek gekommen war. Still und elegant hatte er meine kleine Schule ganz schön auf den Kopf gestellt. Alle Mädels waren hinter ihm her und noch immer hofften viele, er könne sich für sie interessieren. Ein paar Mal hatte er sogar versucht mit welchen auszugehen aber jedes Mal endete es auf dieselbe Weise. Gelangweilt hörte er sich diverse Probleme der Frauenwelt an, lächelte und nickte und hoffte, dass der Abend schnell rum gehen würde.

Rasselnd erklang die Schulglocke. Ein bisschen vor sich hin fantasieren und schon war die schlimmste Stunde am Tag rum. Super. Geschichte stand als nächstes auf dem Plan. Frau Dreyer war auch nicht gerade meine Lieblingslehrerin, gestaltete den Unterricht jedoch so, dass meist viel in eigener Regie stattfand und auch das bedeutete für mich wieder rum träumen.

„Siehst du! Ich hab doch gesagt packe das Geschichtsbuch ein!“

„Was wäre ich bloß ohne dich!“, witzelte Nanuk mit einem zuckersüßen Lächeln.

„Da mag ich gar nicht drüber nachdenken!“, grinste ich und lehnte mich zufrieden zurück. Ruhig ließ ich meinen Blick über die Klasse schweifen, als Alex in die nun wieder aufgewühlte Menge trat.

Alexander Crane. Einer der wenigen nicht Europäer hier an der Schule. Unsere Kleinstadt existierte schon seit vielen Jahrhunderten und bestand zum Großteil aus eingewanderten Europäern und nachgezügelten Verwandten. Nur wenige wurzelstämmige Amerikaner verirrten sich in den Ort und blieben tatsächlich. Zu ihnen jedoch zählte die Familie Crane. Alles hoch angesehene Anwälte und der einzige Sohn, charmant und absolut gut aussehend. Wenn jemand Nanuk Konkurrenz machen konnte, dann er.

Alex war ein unerreichtes Ziel. Ein Objekt, das mich veranlasste von romantischen Abenden, nächtlichen Spaziergängen und gemeinsamen Kuschelstunden zu träumen. Ich wusste nur zu gut, dass es bei einem Traum bleiben würde. Mein Verstand war ausgeprägt genug, um zu wissen, dass ich absolut keine Chance hatte, bei ihm auch nur ein wenig Aufmerksamkeit zu erhaschen. Höchstens wenn ich mich, nur in Unterwäsche bekleidet, auf den Schulhof stellte und -Alle meine Entchen- singen würde.

Das kupferblonde Haar aus dem makellosen Gesicht streifend drehte er den Kopf und -das konnte jetzt nicht wahr sein- starrte mich aus den hellen blauen Augen direkt an.

„Oh mein Gott Nanuk! Mach was, mach irgendwas! Lass mich verschwinden oder so!“, stammelte ich und rutsche meinen Sitz etwas hinunter. Meine Fingernägel gruben sich in die Unterseite meiner Sitzfläche. Das Herz sprang mir plötzlich fast aus der Brust.

Eine Augenbraue hochziehend warf Nanuk einen Blick zu mir herüber und anschließend zu Alex, bis er begriff was ich eigentlich von ihm wollte. Genüsslich legte er den Stift beiseite und lehnte sich süffisant grinsend zurück, um das Schauspiel in vollen Zügen zu genießen.

Langsam, als würde er jeden seiner Schritte genießen, mit denen er mich nervöser machte, kam er die Stufen zu uns hinauf.

Ich konnte fühlen, wie mir das Blut in den Kopf schoss und mich zum glühen brachte. Schreckliche Hitze staute sich unter meinem beigefarbenen Rollkragenpullover. Jede seiner Bewegungen fixierend kaute ich mir auf meiner Unterlippe herum. Die letzte Stufe. Noch drei Schritte. Und der Gong zur ersten Runde.

„Morgen Elizabeth!“, sagte er freundlich und lächelte mich offen an. Seine Hände in den Taschen der dunklen ausgewaschenen Jeans versenkt, ruhten die meerblauen Augen auf meinem puterroten Gesicht. Irgendwie beschämt versuchte ich seinem Blick auszuweichen und senkte den Kopf, um nun das Auseinandernehmen meines Kugelschreibers zu überwachen. Es erschien mir unauffälliger als meinen Stuhl mit meinen Nägeln zu traktieren.

„Morgen!“, nuschelte ich und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich Nanuk das Lachen verkniff. Alex kannte meinen Namen. Ich wusste gar nicht, was es da zu lachen gab. Das war ein Wunder.

„Hast du die Hausarbeit fertig?“, fragte er charmant und freundlich, als hätte er mich gerade zum Essen eingeladen.

Vollkommen perplex sprang mir die Feder des Kulis vom Tisch.

„Ich…also“-unbedacht kroch ich vom Stuhl und suchte nach ihr- „äh klar. Das Thema war doch… irgendein Krieg oder? Der auf dem einen Meer da stattfand?“ -ich hoffte es stimmte wenigstens ein wenig- „Oder nicht?“

Die Augen zusammenkneifend, biss ich mir noch etwas fester auf die Unterlippe, um wieder klar denken zu können und wollte unter dem Tisch hervorkommen. Laut knallend stieß ich mir meinen dummen Schädel an dem dicken Holz. Mein schmerzlich verzogenes Gesicht lugte langsam hinter der Tischplatte hervor. Alex hatte eine Augenbraue hochgezogen und starrte mich an, als wolle er sagen, dass er mich jetzt feuern würde -zum Glück war er nicht mein Arbeitgeber- und hatte die Arme vor der Brust verschränkt.

„Hexenverbrennung im Mittelalter.“, antwortete er trocken und sein so makelloses Gesicht wirkte ruckartig hart und unnachgiebig. Ich glaubte in seiner Welt hatte ich gerade was ganz böses getan und bedrohte damit seine glänzende Zukunft. Verdammt, es ging doch sonst auch immer um irgendeinen dummen Krieg, ärgerte ich mich innerlich. Noch mehr jedoch ärgerte ich mich über meine dämliche Naivität.

„Meine Arbeit baut auf deiner auf. Wenn du nichts Vernünftiges abgibst, wird mein Vortrag schlechter bewertet. Streng dich also an!“

Ohne eine Antwort abzuwarten schritt er elegant, wie eine Raubkatze davon und verursachte ein Rumoren bei dem Hühnerhaufen von toupierten Frisuren und geschminkten Visagen.

„Ahh!“ -mein Kopf knallte auf die Tischplatte- „Das kann doch nicht wahr sein. Wieso hast du mich nicht daran erinnert?“

„Ich hab dir drei Klebezettel in die Wohnung gehangen.“, sagte Nanuk in Gedanken und starrte ein Luftloch.

„Einen an deinen Türrahmen“

Ich vermutete, dass dieser durch den Windzug beim Tür öffnen und schließen abgefallen sein musste.

„Den nächsten an den Badezimmerspiegel“

An so eine Stelle konnte auch nur er einen Klebezettel hängen. Der Klebstoff musste sich durch die hohe Luftfeuchtigkeit aufgelöst haben und der Zettel daraufhin verschwunden sein.

„Und den letzten, unten an die Waschmaschine.“

Das erklärte warum in der einen Wäsche so viele Fussel drin waren.

Ich brummte leise. Der Vortrag war nicht das größte Übel, schlimmer war die Tatsache, dass der Hühnerhaufen nun noch einen Grund mehr hatte mich zu hassen. Wenn ich dafür verantwortlich sein würde -das glaubten sie ohne große Bemühungen-, dass ihr Alex eine schlechtere Note bekam, hatte ich bis zu den Sommerferien eine unerträgliche Plage am Hals.

Frau Dreyer betrat das Zimmer, stolperte wie jeden zweiten Tag über den Fußabtreter und zerstreute ihre halbe Tasche auf dem Boden. Zum Glück saß ich nicht in der ersten Reihe und war der arme Hund, der Ihr ihre Sachen wieder zusammensammeln musste.

Der Hühnerhaufen huschte auf seine Plätze. Langsam wurde es wieder ruhiger. Die garstigen Blicke von Megan nahmen im Laufe der Stunde wieder zu. Eigentlich war ich froh gewesen, dass sie, Monate nachdem Nanuk sie abgewiesen hatte, endlich wieder aufhörte mich für alles verantwortlich zu machen. Jetzt begann das ganze Debakel wieder von vorn, denn die Gottheit hatte mit mir geredet. War das zum kotzen.

„Mach dir keinen Kopf! Das machen wir heute Nachmittag. Ich hab darüber schon oft genug was schreiben müssen. Ein paar Tage hast du ja noch!“, flüsterte Nanuk und zwinkerte mir aufbauend zu.

Ich nickte aber meine Laune hob es nicht sonderlich. Ich wunderte mich, wie schnell solch Gefühle wieder verblassen konnten. Noch vor einem Moment, dachte ich meine Brust würde explodieren vor Nervosität und jetzt war nur noch die Wärme zu spüren, die sich unter meinem Pulli gestaut hatte. Gefühle waren so vergänglich und dennoch hungerte jeder nach einem bestimmten Befinden, einem inneren Zustand, der ihm als erstrebenswert erschien. Zu viele Menschen auf dieser Welt gingen für diese Gefühle über Leichen. Eine Erkenntnis, die mich unweigerlich schaudern ließ.

Wann war dieser Tag bloß endlich wieder vorbei, schoss es mir durch den Kopf. Ich versuchte die vorangegangen Gedanken beiseite zu schieben, in dem ich mal etwas tat wofür ich die Schule schließlich besuchte. Lustlos schrieb ich die gekrakelten Wörter von der Tafel ab, stopfte das Blatt irgendwo in meinem Block und beruhigte somit mein Gewissen, etwas getan zu haben.

Den Blick durch die Klasse schweifen lassend, viel mir mal wieder auf wie kindisch sie doch eingerichtet war. Auf der rechten Seite, an der Wand zum Flur hin, hingen große bunte Plakate mit Ausführungen und Bildchen zum Spanischen Krieg. Dazwischen waren Zettel geheftet, die Informationen an die Schüler weitergeben sollten, was es nächste Woche in der Schulkantine zu Essen gab oder wann wieder Elternabend war. Auf der linken Seite war eine Fensterfront, hier und da mit Fensterbildern gesprenkelt, die Schmetterlinge oder Blümchen darstellen sollten. Die Aussicht nach draußen war ernüchternd.

Es hatte wieder begonnen zu schneien. Dicke runde Wattebällchen segelten von den Wolken hinab. Vereinzelt stahl sich ein Sonnenstrahl durch den verhangenen Himmel und ließ die Eiskristalle funkeln. Ein lichter Baumbestand umkreiste die Schule an dieser Seite und wurde mit der Entfernung zu ihr immer dichter. Die mächtigen Pflanzen verblassten durch den Schnee und schimmerten nur noch trüb dunkelgrün und braun.

Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie oft ich als kleines Kind durch die Wälder dieser Gegend getigert war. Es gab kaum einen Ort, eine Nische oder einen Bach den ich nicht kannte. Wenn mir mein Vater wieder zu sehr auf die Nerven ging, flüchtete ich immer zu einer großen mächtigen Kiefer und verschanzte mich in ihrem Geflecht aus Wurzeln. Über die Zeit hinweg waren sie durch einen mittlerweile versiegten Fluss frei gespült worden.

Die restlichen Schulstunden flogen an mir vorüber. In der Mittagspause bewegte ich mich das erste Mal von meinem Platz weg. Ein Salamibrötchen in der Hand haltend, stand ich an der Fensterfront unserer Klasse. Mein Blick ging in den Wald hinaus. Nach und nach schienen die Geräusche um mich herum zu verstummen und ich gönnte mir einen Moment Ruhe.

„Was siehst du?“, flüsterte Nanuk dicht an meinem Ohr.

Ein Schauer fuhr mir den Rücken hinunter. Ich wusste nicht ob es der plötzliche stille Schrecken oder der warme sanfte Klang seiner Stimme war, der ihn verursacht hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde, hatte ich das tief rührende Bedürfnis mich fallen zu lassen, damit er mich fangen würde. Leise drang nur noch Nanuks ruhiges Atmen zu mir durch. Einen Augenblick glaubte ich das rhythmische Schlagen seines Herzen an meinem Rücken zu spüren, so nah stand er bei mir. Nur bei mir.

„Ich…“, stotterte ich, den Klang meiner Stimme kaum wiedererkennend.

Sachte legten sich seine kräftigen Hände auf meine Schultern. Unter der Berührung zusammenzuckend, merkte ich nicht, dass mein Atem hastiger geworden war. Es pochte in meiner Brust, das Blut schoss mir zum zweiten Mal heute in den Kopf. Die Luft schien wie elektrisiert. Nie zuvor hatte ich in seiner Nähe solche Gefühle und Wünsche. Wir waren doch nur Freunde. Oder nicht?

„Ich sehe den Wald“- meine Hände zitterten- „nichts weiter. Nur den Wald.“

 

„Beth! Elizabeth! Wach auf! Rede mit mir!“

Verschwommen glaubte ich Nanuks wuscheligen Schopf über mir zu erkennen. Jemand strich mir durchs Gesicht, schob meine Haare zur Seite und hielt meinen Kopf. Es dauerte lange bis ich wieder klar sehen konnte, mein Herz nicht mehr stürmisch pochte und ich registrierte, dass ich auf dem Boden lag.

„Was zum…“ Ich versuchte mich aufzurichten aber Nanuk hielt mich mit sanfter Gewalt am Boden.

„Du könntest dir den Kopf gestoßen haben. Hast du nicht genug getrunken. Du siehst ganz bleich aus!“

„Rede doch nicht so einen Unsinn. Ich hab mich einfach nur erschrocken als du plötzlich hinter mir standest!“, raunte ich, denn das war das einzig logischste was mir auf die schnelle einfiel und schob seine Hand beiseite. Langsam richtete ich mich auf und starrte in verdutzte Gesichter. Glänzend. Ein Desaster folgte heute anscheinend dem nächsten.

Nanuk blickte mich ratlos an, als hätte ich gerade etwas vollkommen Abwegiges behauptet. Seine sonst so weichen Züge verhärteten sich und er sah aus als sei er enttäuscht und wütend gleichzeitig. Unmerklich verkrampfte sich seine Hand auf meiner Schulter. Schnell wandte er den Blick ab von mir, stand auf und hastete davon, noch ehe ich etwas sagen konnte. Die kleine Schneise die er in die Menge gerissen hatte schloss sich fast im selben Moment und es sah aus, als wäre er nie da gewesen.

Vollkommen perplex und irritiert starrte ich ihm nach. Ruckartig zog ich die Beine an und schob meinen Hintern wieder in die Höhe. Kaum hatte ich eine aufrecht stehende Position erreicht, knickte ich auch schon wieder in den Knien ein. Gerade noch rechtzeitig griff ich nach dem Fenstersims um mich ab zu stützen, sonst wäre ich benommen vorn über gekippt.

„Hey Beth! Soll ich dich zum Sekretariat bringen? Dann kannst du zu Hause anrufen!“, fragte Ben besorgt und nahm automatisch einen Arm von mir über seine Schultern, um mich zu stützen. Er war nett, wie immer. Sonst machte er immer einen Bogen um mich, wenn Nanuk bei mir war aber der war ja nun aus mysteriösen Gründen geflüchtet.

„Mach dir keine Umstände! Bei mir ist eh keiner zu Hause!“, nuschelte ich und spürte wie sich mir auf einmal mein Magen umdrehte. „Bring mich einfach nur auf meinen Platz.“

Es klingelte wieder. Der nächste und -zum Glück- letzte Lehrer für heute betrat den Raum nahezu zeitgleich mit Nanuk. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, ließ er sich auf seinem Stuhl nieder. Seine Zähne knirschten und seine Finger trippelten energisch auf der Tischplatte. Seine Fingerknochen waren rot und an einigen Stellen die Haut ein wenig eingerissen. Hatte er sich geschlagen?

Ein bisschen nach unten rutschend lehnte er sich nach hinten, senkte das Kinn fast auf die Brust und stierte nach vorne, als würde er jemanden mit seinem Blick aufspießen wollen. Aus mir unerklärlichen Gründen glaubte ich, mir würden diese Blicke gelten.

Was war denn passiert? War ich ihm zu nahe getreten, in dem ich sagte, dass ich wegen ihm umgefallen war? Das alles war so schrecklich untypisch für ihn, dass ich mir einfach keinen Reim darauf machen konnte. Verwirrt und gekränkt durch seine abweisende Haltung, blickte ich stumm nach vorn.

Mein Schädel drehte sich; nicht weil ich gefallen war, sondern weil meine kleine Welt gerade zu bröckeln schien. Was war ich schon ohne Nanuk? Ich musste das klarstellen; mich entschuldigen, sollte ich ihn verletzt haben. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, ihm wegen irgendetwas Unrecht getan zu haben.

Innerlich pochte jedoch noch immer der Glaube, dass nicht ich mich komisch verhalten hatte. Aber letztlich war auch das egal, denn nichts auf der Welt war es wert, ihn zu verlieren. Egal ob ich die Ursache für seinen Argwohn war oder nicht, ich würde mich entschuldigen.

Es war schwach und selbstsüchtig, dass wusste ich; aber wen hatte ich denn schon. Niemanden. Niemand war für mich da. Niemand sorgte sich sonst um mich. Auch dieser Gedanke war dumm und überheblich.

Ich maßte mir an zu wissen, dass ich meinem Vater nicht wichtig war. Woher sollte ich das wirklich wissen. Es gab so viele Wege jemanden zu lieben, ohne dass dieser es bemerkte. Von Minute zu Minute wurde mir elendiger zumute. Wie egoistisch ich doch war. Im Bruchteil eines Augenblicks schossen mir Dinge durch den Kopf, über die ich nie nachgedacht hatte.

Der Lehrer beendete frühzeitig die Stunde. Alle stürmten hinaus, als sei eine Seuche ausgebrochen. Noch bevor ich mich zur Seite drehen konnte, war Nanuk aufgesprungen und wirbelte die Treppe hinunter; schob sich unsanft durch die anderen Schüler und schlüpfte durch die schmale Tür.

Es war das erste Mal, dass ich allein nach Hause ging.

Bedrücktes Schweigen

Dad war schon weg, als ich das Haus betrat. Wie sollte es auch anders sein. Vermutlich schlummerte er schon im Flugzeug und wartete darauf, irgendwo in Europa wieder zu erwachen.

Es war ruhig. Kein Kater kam angeschnurrt und umschmuste mir die Beine, in der Hoffnung auf etwas zu Fressen. Die Dielen knirschten nicht unter verräterischen Schritten. Es drang kein Rattern aus dem Keller zu mir hinauf. Ich war wieder allein.

Tief ausatmend, warf ich achtlos meinen Rucksack an die Treppe und ging nach links in die Küche. Die Sonne schien nicht mehr, so dass die blauen Wände auf einmal einen traurigen Grauton angenommen hatten. Das Frühstücksgeschirr stand noch auf dem Tisch und ein paar Brötchenkrümel umzingelten die gefaltete Zeitung. Dads After Shave lag noch in der Luft, wie ein herber rauer Wind an der See. Ich mochte den Duft. Er war nicht so weich und süß, wie es heute viele bevorzugten.

Meine Gedanken wollten trotz alledem nicht von jenem Moment ablassen, als Nanuk mich so angeschaut hatte, mit einem Blick, den ich von ihm nie erwartet hätte. Ich war nicht im Stande jetzt irgendetwas aufzuräumen, oder die Hausarbeit zu schreiben. Purer Zufall hatte mich überhaupt erst das richtige Haus finden lassen. Anwohner mussten bei meinem Anblick gedacht haben, ich stünde unter Drogen oder starken Medikamenten. Leise vor mich hin murmelnd war ich benommen die Straßen entlang getorkelt.

Immer noch war mir schlecht und auch mit der Ankunft zu Hause wurde es nicht besser. Schnee klebte noch immer an meinen Hosenbeinen. Betrübt ließ ich mich auf meinen Platz am Esstisch fallen. Langsam schmolz die weiße Schicht an meinem Fußende und bildete eine kleine Pfütze unter mir, während ich gedankenlos einen Punkt an der Wand fixierte. Wenn ich ganz genau hinhörte, vernahm ich in regelmäßigen Abständen sogar ein leises Tropfen.

Ob er wohl kommen würde? Wir wollten schließlich den Film heute Abend schauen, ging es mir durch den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte ich ihn anrufen; fragen was los war und ob ich etwas falsch gemacht hatte. Im nächsten Moment flaute der Wille allerdings ruckartig ab und schlug in schiere Wut um.

Ich wurde oft wütend, wenn ich etwas nicht verstand und mir einfach keine Lösung dafür einfiel. Jeder gute Freund hätte besorgt nachgefragt, ob alles in Ordnung sei. Und was machte er. Stürmte davon und schenkte mir Blicke, als hätte ich ihn zutiefst beleidigt.

Meine Stimmung begann sich im Kreis zu drehen. Eine Minute verzweifelt und von mir selbst angewidert, die anderen wutschnaubend. Nichts davon brachte mich weiter. Irgendwann hielt ich es einfach für sinnvoll den Tag abzuwarten und zu schauen, ob er kam und was er zu sagen hatte; falls er was zu sagen hatte.

Wie bereits am Morgen festgestellt machte ich mich nun doch wiederwillig an die Hausarbeiten; nahm die Wäsche ab, hängte die nächste auf, stockte das Brennholz in den Körben auf, säuberte die Öfen und letztlich hatte ich mich mit dem Bügeleisen bewaffnet in der Stube eingefunden und schaute mir Der Pferdeflüsterer an. Warum ausgerechnet dieser Film? Es war der erste der auf dem Stapel vor dem DVD Player lag. Meine Motivation war nicht groß genug, mir auch noch einen aus der unzähligen Menge von Filmen rauszusuchen. Ich kannte sie eh alle, von daher war es egal.

Als ich das Holz die Treppe hochgeschafft hatte, überkam mich das letzte Mal das Gefühl bewusstlos nach hinten zu fallen. Ab da schien sich mein Kreislauf wieder gefangen zu haben. Erklären konnte ich es mir dennoch nicht. Generell trank ich nicht sonderlich viel, dass wusste ich. Trotzdem hatte ich deswegen nie Probleme mit meinem Kreislauf gehabt; auch wenn ich Sport gemacht hatte, zeigte mein Körper keine Anzeichen einer Dehydrierung. Es war mir ein Rätsel.

Ruckartig hob ich das Bügeleisen an. Die Erkenntnis über Nanuks Verhalten, kam so plötzlich und unerwartet, dass ich nur mit geweiteten Augen nach draußen starrte. Er stand hinter mir, flüsterte mir etwas ins Ohr; war mir so nahe. Vielleicht war das der Moment, in dem er mir sagen wollte, dass ihm unsere Freundschaft nicht genug war. Vielleicht wollte er mir mitteilen, dass ich ihm mehr bedeutete.

Wenn mir mein Gegenüber in so einer Situation einfach umkippen würde, wäre ich vermutlich auch zutiefst gekränkt gewesen. Obwohl es nun wirklich, - alles andere mal beiseite schiebend- ein gänzlich ungünstiger Zeitpunkt für so eine Offenbarung war, wie ich fand. Genauso gut hätte er es heute Abend tun können. Wir wären alleine gewesen, keiner hätte etwas mitbekommen und man hätte in Ruhe darüber reden können.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er so etwas dem Zufall überlassen würde und demnach schien es nicht seine Art, einfach in der Schule damit herauszuplatzen. Sollte ich jedoch Recht haben -eine andere Möglichkeit kam für mich gar nicht mehr in Frage- so war ihm für sein Verhalten definitiv verziehen.

Leider schlich sich nun das nächste Problem an mich heran. Wie sollte ich ihm heute Abend gegenübertreten, sollte er kommen -jetzt war ich mir sicher er würde kommen-. Ein sachtes Kribbeln schlich sich in meinen Magen, bevor meine Vernunft alles im Keim erstickte. Wir waren Freunde; gute Freunde sogar. Auch wenn ich mir fast sicher war, dass ich mit der Zeit mehr für ihn empfinden würde - würde ich solche Gefühle zulassen- so wollte ich diese Freundschaft nicht verlieren. Zu oft hatte ich beobachtet, dass sich ein Paar nach einer Trennung noch nicht einmal mehr „Hallo“ sagen konnte. Natürlich mochte es Ausnahmen geben aber seien wir doch mal ehrlich; hatte das jemals so geklappt, wie es sich beide vorgestellt hatten? Nein. Irgendeiner empfand immer noch etwas mehr für den anderen, als er sich eingestehen wollte und das war der Punkt, der mir nicht behagte. Derjenige würde leiden. Und hätte etwas verloren, was er nie wieder zurückerlangen würde. Mein Entschluss stand fest. Wir würden eine andere Regelung finden müssen.

Ich wirbelte nach dieser Erkenntnis, mit neuer Kraft beseelt, durch das Haus und erledigte die restlichen Aufgaben im Handumdrehen. Nach und nach verschwand die Sonne, die durch die Wolken dämmerte, hinter den mächtigen Wäldern, die um unser Dorf lagen und auf dem uns einkesselnden Gebirgskamm thronten. Ein letztes Mal tauchte sie die weiße Welt in ein sachtes Lila, bevor alles in grau und blau Tönen überging. Das letzte Licht wurde von den dunklen Möbeln und Wänden verschluckt und ließ mich in dämmrigen Räumen umhergehen. Ich wollte kein Licht anmachen, mochte ich doch die Dunkelheit und die damit verbundene Gleichheit aller Dinge lieber. Bei Nacht war ein Sofa nur ein Sofa. Man sah nicht, ob es ein teures Ledersofa war oder nur eine ausgesessene alte Couch.

Grantig fiel mir wieder die Hausarbeit ins Gedächtnis. Nach dem zermürbenden Tag jedoch, hatte ich keinesfalls noch einen Funken Elan dafür. Getrost verschob ich es auf morgen, wohlwissend, dass mir diese Zeit noch durchaus reichen würde, um eine vernünftige Arbeit abzugeben. Genauso wie es der liebe Alex haben wollte, dachte ich grimmig.

Langsam trottete ich die Treppe hinauf und bog links in mein Zimmer ab. Ein unangenehmes Gefühl an meiner Socke veranlasste mich nach unten zu schauen. Raschelnd klebte da ein gelber Handflächen großer Klebezettel. Leise seufzend und mit einem leichten Lächeln, bückte ich mich und zupfte ihn von meiner Wollsocke.

„Denk an die Hausarbeit! Hexenverbrennung im Mittelalter!“, las ich geräuschlos die geschwungenen Linien. Einige Augenblicke auf den Zettel starrend, seufzte ich abermals an diesem Tag. Die Lieder senkend, zwang sich mir ein Lächeln auf die Lippen.

Es klingelte. Erschrocken ließ ich den Zettel fallen und zuckte unmerklich zusammen. Mein Herz begann wie auf Knopfdruck schneller zu schlagen. Irgendwie hatte ich Angst vor der Situation, die mir, nein, die uns bevorstand. Nervös leckte ich mir über die Lippen und zupfte mit den Schneidezähnen trockene Hautfetzen ab, wie ich es immer tat, wenn mir langweilig war oder ich nervös wurde.

Zurückhaltend schritt ich die Treppe hinunter, überlegte tatsächlich einen Moment, ob ich mir was anderes hätte anziehen sollen, anstelle des schlabbrigen Pullis und der Jogginghose und bog dann in den Gang zur Haustür ein. Es war bereits düster draußen und unsere Außenbeleuchtung war noch immer kaputt. Innerlich ärgerte ich mich über Dad, dass er es nicht schon längst repariert hatte. Dabei wusste er ganz genau, dass ich mich mit so etwas nicht auskannte.

Der Schatten vor der Tür verschwamm fast nahtlos mit dem dunklen Hintergrund. Ich konnte nicht sagen, ob es wirklich Nanuk war, wusste aber auch nicht, wer sonst bei uns hätte klingeln sollen.

Etwas kurzatmig öffnete ich langsam die Tür, schwang sie jedoch nicht vollends auf, sondern stoppte nach dem ersten Drittel und lugte hinaus.

„Ich wusste nicht, ob du heute lieber Popcorn oder Chips magst!“

Er wirkte nicht mehr wütend oder enttäuscht; nur noch bedrückt -was für ein Wunder. Niedergeschlagen senkte er den Blick, hielt die beiden Tüten in der Hand und schien mit sich selbst nichts anfangen zu können.

„Komm rein!“, flüsterte ich und schwang die Tür auf; etwas beiseite tretend, um ihn passieren zu lassen.

Wie ein getretener Hund schlich er an mir vorüber, in die Küche und legte dort die Tüten auf den Küchentisch. Emsig holte er Schalen aus den weißen Schränken, schnitt die Tüten auf und füllte mit dem Inhalt die Schalen auf. Es war erschreckend wie gut er sich bereits bei uns auskannte, erschreckender jedoch fand ich, dass er mich zu meiden schien.

Schweigend lehnte ich am Türrahmen, die Arme wärmend um meine Brust gelegt und beobachtete ihn. Was jetzt wohl passieren würde? Würde er es noch mal versuchen? Ich konnte mir nur schwer vorstellen, wie er mir auf einmal seine Liebe gestand. Es passte einfach nicht zu ihm.

„Was war eigentlich heute in der Schule?“, fragte er, drehte sich jedoch nicht zu mir um; schaute mir nicht in die Augen.

„Das fragst du mich?“, raunte ich, versuchte jedoch noch im selben Atemzug meiner Empörung keinen freien Lauf zu lassen.

„Ja. Sonst kann mir hier wohl keiner antworten.“, sagte er ohne jeglicher Art einer Betonung.

„Ich bin umgekippt und du bist getürmt! Ganz einfach!“

Er atmete schwer, lehnte sich auf die Küchenzeile und starrte in die Schalen. Minuten verstrichen, in denen ich krampfhaft versuchte nicht wütend zu werden. Sollte ich ihm jetzt erklären, dass er mir seine Liebe gestehen wollte? Sollte er das tatsächlich gewollt haben, schließlich wusste ich es nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Das war doch alles lächerlich.

Langsam drehte er sich um, den Blick noch immer nach unten gerichtet. Eine weitere Minute verstrich. Ein langer gleichmäßiger Atem entfuhr seinen Lungenflügeln und dann -endlich- hob er langsam den Kopf. Sein Blick war fest und fordernd. Er wirkte plötzlich so erwachsen.

„Sag mir was heute passiert ist Elizabeth…bitte!“, verlangte er, mit einer harten Stimme, dass letzte Wort leicht flehend.

Ich hatte das Gefühl, er würde auf eine bestimmte Antwort hoffen. Den Wunsch konnte ich ihm nicht erfüllen, denn ich wusste nicht was er hören wollte. Ich hätte es gern gewusst; nur zu gern das geantwortet, was er hören wollte. So jedoch, konnte ich nur berichten was passiert war; nichts weiter.

„Ich bin ans Fenster gegangen“, überrascht über mich selbst, dass ich so willentlich seiner Aufforderung nachkam, begann ich zu sprechen; leise und unsicher. Immer wieder brach meine Stimme ab, suchte nach den passenden Worten. Ich schaffte es nicht ihm dabei weiter ins Gesicht zu schauen. Aus bizarren Gründen glaubte ich, ich würde ihn enttäuschen und ich wollte sein frustriertes Gesicht nicht sehen. „…wollte in den Wald hinausschauen. Plötzlich warst du hinter mir. Ganz dicht. Hast mich gefragt, was ich sehe. Du warst so nah hinter mir, dass ich deinen Atem im Nacken spüren konnte. Dann hast du meine Schultern ergriffen. Ich hab geantwortet, dass ich den Wald sehen und sonst nichts. Danach weiß ich nur noch, dass ich am Boden aufgewacht bin.“. Ich wollte nicht aufschauen. „Warum bist du weggelaufen und hast mich ignoriert; hast mich angestarrt, als hätte ich dich beleidigt oder sonst irgendetwas getan? Ich versteh das nicht. Was ist denn los mit dir?“, meine Stimme wurde zum Ende hin immer unsicherer.

Was für ein Blödsinn. Ich fragte ihn, was mit ihm los war, dabei hätte ich mich eher selber fragen sollen. Was war mit mir los? Es war lächerlich. Die ganze Szenerie entsprach eher einem Schnulzentheater. Zumindest für mich.

Nanuk blieb ernst; ließ keinen Spott über die Situation einhergehen. Seine grünen Augen bohrten sich in die meine, bis ich ihm fröstelnd auswich. Er wirkte traurig und bedrückt aber irgendwie auch beschämt. Nach Worten suchend, nestelte er in seinen Hosentaschen nach etwas. Zumindest sah es so aus.

„Ich wollte dir nicht zu nahe treten“, fing er an und bemühte sich sein sanftes Lächeln aufzusetzen. Es sah gezwungen aus und wirkte auf mich überhaupt nicht so ehrlich, wie er es rüberbringen wollte. „Es war dumm. Ich wollte dich nur ein wenig aufscheuchen. Du bist doch so ein Träumerchen.“, schmunzelte er gequält. Das letzte Wort sprach er mit Wehmut aus, als würde er etwas schlimmes und verhängnisvolles damit verbinden. „Lass uns das einfach vergessen, ja. Versprich mir, nicht so viel vor dich hinzu träumen, sonst tust du dir wirklich noch mal was.“, bat er und machte einen kurzen Schritt auf mich zu, stockte jedoch und haftete seinen Blick wieder gen Boden. „Du lebst in der Realität Beth. Nicht in einer anderen Welt. Du lebst hier.“, plötzlich ballten sich seine Hände zu Fäusten und er klang hart und verbittert.

Ich wollte auf ihn zugehen, wollte seine Hand nehmen und ihm sagen, dass das alles okay war und er sich keine Sorgen machen sollte. Meine Beine bewegten sich nicht. Verständnislos musterte ich seine versteiften Muskeln, die breiten Schultern, die unter den Anspannungen unmerklich bebten. Wie ein Schwall vom Duft einer betörenden Pflanze, schien seine starke Persönlichkeit den Raum einzunehmen, meinen Willen zu beugen und mich nur noch wünschen ließ, dass das alles nie passiert wäre.

„Der Film fängt gleich an.“, hauchte ich gedämpft, zwang mit aller Kraft, meinen Beinen sich wieder zu bewegen und schritt, mit einem sachten Bogen, an ihm vorbei, um die Schalen zu greifen. Meine Socken scharrten dumpf auf den glatten hellen Fliesen und ich bewegte mich vorsichtig, um nicht auszurutschen -das hätte mir gerade noch gefehlt-.

Stumm tapste ich in die Stube, stelle den Knabber Kram auf den Glastisch, vor unserem dunklen weichen Polstersofa und ließ mich zurückfallen. Anschmiegsam formte die Couch eine perfekte Sitzkuhle für mich. Schweigend wartete ich. Mehrere Augenschläge später folgte Nanuk und ließ sich eine Armlänge neben mich nieder. Ich schaltete den Fernseher ein.

Wir redeten nicht mehr; keiner rührte das Popcorn oder die Chips an. Betreten ließen wir uns von dem Film berieseln, waren beide dankbar das Thema nicht weiter auszuweiten. So sehr es mich auch aufgewühlt hatte und so wenig ich es auch verstand, ich wollte nicht weiter darüber diskutieren. Was auch immer war und warum auch immer er meinte so zu handeln, er musste seine Gründe gehabt haben. Ich hoffte es inständig, denn das war der einzige Gedanke, der mich ruhen ließ.

Das letzte Gespräch, das wir an diesem Abend noch führten, war ein knapper Abschied. „Schlaf gut. Bis morgen.“. Mehr nicht.

Mein Gefühl heuchelte mir vor, ich hätte eine halbe Stunde am Türrahmen gestanden und Nanuk hinterher gestarrt, wie er die Straße hinunter schritt und nach und nach von der Dunkelheit verschluckt wurde. Die Kälte legte sich wie eine raue fordernde Decke über mich; entzog mir die letzte Wärme, die mich davor bewahrt hatte, wie ein elendiges Häufchen Elend mit den Zähnen zu klappern. Letztlich waren es wohl nur zehn Minuten, die ich reglos dastand.

Bedächtig zog ich mich ins Haus zurück, ließ die Tür langsam ins Schloss fallen und lehnte mich mit der Stirn gegen das kalte Glas der Eingangstür. Müdigkeit überkam mich so schlagartig, dass ich mich am liebsten auf der Stelle zusammengerollt hätte. Träge schob ich mich von der Tür weg, schlürfte ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher aus. Der Weg die Treppe hinauf kam mir elendig lang vor, während ich meine Beine schläfrig hinter mir her zog.

Durch das Ofenfenster vor meiner Tür glühte es noch sacht orange und legte einen sanften Schimmer über alles. Licht brauchte ich nicht, um mein Bett zu finden. Umständlich zog ich mir, auf der Matratze liegend, meine Sachen aus und warf mir das lange schlaksige Nachthemd über. Leise seufzend zupfte ich mir die kuschlige Biberdecke bis unters Kinn und zog meine Beine an die Brust.

Die Zimmertür stand noch offen. Knackend fielen die letzten Holzscheite in sich zusammen. Ich mochte das Geräusch. Es ließ mich schnell und ruhig einschlafen. Irgendwann in der Nacht spürte ich ein kleines Knäuel, das sich an meinem Fußende auf der Decke zusammenrollte. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen, bevor ich wieder weg döste.
 

Die folgenden Tage waren komisch. Wir hatten uns unmerklich voneinander distanziert. Keiner schien noch etwas über das leidige Thema verlieren zu wollen aber das änderte nichts daran, dass es noch immer wie ein Damoklesschwert über uns hing.

Stumm teilten wir den Bürgersteig auf dem Hin- und Rückweg zur Schule. Nur das Eis, gepaart mit verstreutem kleinem Kies, knirschte unter unseren Schritten und vermied, dass es gänzlich still um uns war. Ab und an versuchte einer von uns, plump ein Gespräch anzufangen aber wir merkten beide schnell, dass wir noch nicht bereit dafür waren, einfach weiter zu machen.

Man sollte meinen, dass es einfach wäre, es zu vergessen und so zu tun, als sei es wie zuvor. Aber das war es nicht. Nicht für mich und anscheinend auch nicht für ihn.

Mit jedem Tag hatte ich das stärkere Gefühl, dass irgendwie mehr dahinter steckte; dass er mir etwas verschwieg. Wenn es nicht um Gefühle ging, was sollte es dann sein? Was meinte er, als er sagte, ich würde nicht in einer anderen Welt leben? Wollte er, dass ich nicht mehr las; keine Bücher mehr wälzte, als seien es nur Kurzgeschichten? Was sollte ihm das nützen?

Ich hatte schon immer gelesen. Das war einfach so und ich hatte nie gehört, dass es in irgendeiner Weise schädlich wäre. Es war einfach meine Art, das ganze Chaos um mich herum zu vergessen und die Dinge zu erleben, die mir in diesem Leben niemals wiederfahren würden. Ich würde niemals mit einem Drachen durch die Luft reiten oder aus meinen Fingern Magie versprühen; niemals durch einen Wald wandern, der von kleinen leuchtenden Elfen erfüllt war und ich würde auch nie so geliebt werden, wie es in den großen Schnulzen immer beschrieben wurde. Zumindest war ich davon überzeugt.

In den Pausen verschwand Nanuk meist sehr schnell und kam auch erst am Ende der Pause wieder. Ich erklärte mir das Verhalten damit, dass er vermutete, ich würde ihn sonst wieder fragen, was das alles bedeutete. Ehrlich gesagt, wollte ich es gar nicht mehr wissen. Zumindest nicht jetzt, wo die ganze Sache noch so frisch war; man sich immer noch auf irgendeine Weise verletzt fühlte.

Als Nanuk noch nicht an meiner Schule war, verbrachte ich viel Zeit mit Ben und den anderen aus der Clique. Ich hatte zwar nie das Gefühl gehabt, dass auch nur einer unter ihnen war, der mich wirklich verstand aber es waren trotzdem meine Freunde. Wir unternahmen viel; erlebten auch Diverse Blockbuster, die man eben im Alter von zehn so erlebte und hatten viel Spaß zusammen gehabt. Bei diesem Gedanken musste ich zwangsläufig innerlich schmunzeln. Aber mit der Zeit zog es mich immer mehr zu Nanuk und schließlich kapselte ich mich fast komplett von ihnen ab.

In den letzten Tagen freute sich Ben über meine gestiegene Anwesenheit in der Gruppe aber Marie war alles andere als begeistert. Sie glaubte ich würde ihr ihren Ben wegnehmen, da er schon immer sehr aufmerksam im Bezug zu mir war; ihr gegenüber allerdings nicht.

In einer ruhigen Mittagspause, saß ich bei Ben und den anderen. Genüsslich aß ich mein Mettbrötchen und lauschte den Gesprächen der anderen.

Ich erfuhr, dass sie für die nächsten Tage einen Ausflug ins Hallenbad geplant hatten. Zur Enttäuschung für Marie, lud Ben mich prompt ein mitzukommen. Es war eine Weile her, dass ich das letzte Mal dort gewesen war und Dad hatte mir erlaubt den Wagen zu nehmen, so lange er fort war. Ich sagte zu und bot mich also als Fahrer an. Ben war offensichtlich sehr zufrieden mit sich, denn er grinste bis über beide Ohren und schwärmte schon davon, was wir noch alles tun konnten an dem Wochenende.

Zaghaft versuchte ich in seine Freude mit einzustimmen, schaffte es allerdings nicht sonderlich gut, da mich Maries boshafte Blinke ablenkten. Das blondhaarige Mädchen schien mich zu ihrem Erzfeind auserkoren zu haben, obwohl ich eigentlich immer deutlich gemacht hatte, dass Ben und ich nur Freunde waren und ich kein Interesse hatte daran etwas zu ändern.

Ich war gespannt darauf, was die Pubertät für Spuren an allen hinterlassen hatte. Ob sie muskulös geworden waren oder immer noch schlaksiger Natur. In den dicken Winterklamotten, in die wir uns immer hüllten war das nur schwer zu erkennen. Wenn man im Sommer einen dünnen Pullover tragen konnte, dann war es schon warm. An Shirts war gar nicht zu denken.

Ein Grund mehr, warum mich viele für meine untypische etwas dunklere Haut beneideten. Ich verdankte sie meiner Mutter, deren Eltern irgendwo aus dem Mittelmeerraum kamen und uns diese Gene mitgegeben hatten.

Beim Gedanken an sie, schlich sich ein schmerzliches Gefühl der Entbehrung ein. Es war drei Jahre her, dass ich sie und meine Schwester Merle das letzte Mal in Deutschland unserer Heimat besucht hatte. Vielleicht würde ich es diesen Sommer schaffen den großen Teich zu überqueren; geschweige denn Dad bezahlte mir den Flug. Dies bezüglich war er glücklicherweise immer recht spendabel gewesen aber ich wollte und konnte es nicht als selbstverständlich voraussetzen.

Das Wochenende rückte schnell näher. Nanuk war mir den Rest der Woche nun gänzlich aus dem Weg gegangen, von den Strecken zur Schule und zurück mal abgesehen, so dass ich alle Pausen bei Ben und den anderen verbrachte.

Ich war überrascht, wie offen und herzlich mich alle wieder aufnahmen und sich anscheinend freuten, dass ich wieder mehr Interesse für sie hatte; von Marie natürlich abgesehen. Ihr Modelkörper umzingelte jeden Moment Ben und ließ mich nicht aus den Augen.

Grace war es am wenigsten anzumerken, dass ich lange nichts mit ihnen zu tun hatte. Munter plapperte sie vor sich hin, berichtete mir von lustigen Geschichten und ihren neu errungenen Erfahrungen bezüglich der Männerwelt. Entzückt stellte ich fest, dass es sehr angenehm war nicht nur mit Nanuk zusammen zu sein. Ich freute mich mal wieder reine Mädchengespräche führen zu können und schwor mir, dass ganze nicht wieder einschlafen zu lassen, auch wenn ich mich mit Nanuk wieder vertragen hatte.

Überraschenderweise entschied ich mich Grace am Freitagabend zu mir einzuladen. Wir verstanden uns so gut, dass es einfach aus mir raus gesprudelt kam. Sie strahlte übers ganze Gesicht und ihr Sprachtempo überschlug sich fast vor Freude.

Ehrlich gesagt, kam ich mir ein wenig schäbig vor. Immer hatte ich geglaubt es gäbe nur Nanuk und sonst würde sich keiner für mich interessieren. Vollkommen verblendet hatte ich gar nicht bemerkt, dass sie mich nicht vergessen hatten; vielleicht immer mal wieder die Hoffnung hatten, ich würde zu ihnen kommen aber sich letztlich nicht trauten von selbst an mich heranzutreten. Warum auch? Ich war diejenige gewesen, die gegangen war. Sie waren mir keine Rechenschaft schuldig.

Das wichtigste jedoch war, dass mich das alles von den merkwürdigen Ereignissen ablenkte und mich meine Langeweile nicht zwang darüber nachzudenken. Ich würde mir ein schönes Wochenende machen und hoffen, dass sich bis Montag alles ein wenig gelegt hatte und wieder Normalität einkehrte.

Grace nussbraune Augen funkelten voller Vorfreunde, als wir uns Freitagmittag verabschiedeten und sie zu Ben in den dunkelblauen kleinen Opel Corsa stieg.

„Bis nachher!“, rief ich ihr noch zu und konnte gerade noch sehen, wie sich Bens dunkler Haarschopf zu ihr rüber lehnte und sie angestrengt nach irgendwas befragen wollte. Ich musste grinsen, denn ich konnte mir denken, was nun kommen würde.

Nanuk war ruhig und schritt ein wenig steif neben mir her.

„Du triffst dich heute also mit Grace?“, fragte er.

Ich suchte verzweifelt nach einem Unterton oder irgendeinem Anzeichen, was er mir damit sagen wollte aber ich fand keinen. Entweder war er sehr gut darin -davon ging ich aus- Gefühle zu verbergen oder es war tatsächlich nur eine einfache Frage.

„Ja. Ich habe ganz vergessen, dass wir mal gute Freundinnen waren und da dachte ich mir, es wäre schade drum, dass kaputt gehen zu lassen.“, antwortete ich wahrheitsgetreu.

Er sagte nichts weiter dazu, nickte nur und ging stumm weiter.

Kühler Wind pfiff uns um die Ohren und wehte lockeren Pulverschnee von den Dächern der Häuser. Der Baustil war hier sehr einheitlich. Die Fassaden der Einfamilienhäuser waren mit Holzbrettern verkleidet und in den verschiedensten Pastelltönen gestrichen. Nur die wenigstens waren in kräftigen Farben gehalten.

Die meisten Fenster im ersten Obergeschoss waren nicht schräg mit dem Dach bündig, sondern stachen unter einem separaten Spitzdach nach vorne heraus. Neben den Wohngebäuden schlossen sich entweder Carports oder Garagen an. Die kleinen Vorgärten, mit den hölzernen Zäunen waren komplett eingeschneit. Hier und da stand ein großer weißer Schneemann neben der überdachten Eingangstür und lächelte uns mit seiner Karottennase entgegen.

„Bis Montag! Viel Spaß.“, brummte er gegen den Wind an und ging, ohne eine Antwort abzuwarten, über die Straße und folgte einer, nach kurzer Zeit abknickenden, Abzweigung.

Das Haus von meinem Dad und mir war fast am Ende der Straße und somit auch fast am Ende des Dorfes. Ich ging noch gute fünf Minuten ehe ich ankam. Die Garageneinfahrt war komplett zugeschneit. Sollte ich tatsächlich irgendwohin wollen, würde ich erst mal eine Stunde dafür investieren müssen, die Auffahrt frei zu bekommen. Die Holztür des dunkelblauen Zaunes ließ sich quietschend aufschwingen.

Ich stöhnte leise und stapfte zur Haustür, ging die drei Stufen unter das Vordach hinauf und wollte aufschließen. Der Schlüssel ließ sich nur schwer umdrehen und das Schloss knirschte bedenklich. Im selben Moment, wie ich es schaffte die Tür aufzubekommen, überlegte ich wo wir das Enteisungsmittel und Öl für das Tor hingetan hatten. Eigentlich konnte es nur irgendwo im Keller oder auf dem Dachboden sein aber das hieß leider nicht, dass ich es auf Anhieb finden würde.

Mikosch schob sich unerwartet hinter mir durch die Tür und hüpfte auf die Fliesen des Kachelofens. Erwartungsvoll schaute er mich aus seinen dunklen unergründlichen Augen an und miaute leise.

„Na du Rumtreiber! Dich habe ich auch schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Was machst du bloß immer solange draußen bei dem Wetter?“, fragte ich ihn und streichelte ihm über das hübsche orangene Köpfchen. Schnurrend schmiegte er sich an meine liebkosenden Hände und genoss jedes Kraulen. „Jetzt muss ich aber.“

Leise schnurrend blieb er sitzen und musterte mich, wie ich die Haustür endlich schloss und meine verschneiten Winterstiefel auszog und auf altes Papier auf die erste Kellerstufe stellte. Den Rucksack an die gewohnte Stelle an die Treppe werfend, entledigte ich mich dem gefütterten Wollmantel und meinem weichen Schal. Ich hängte beides über das Treppengeländer und ging in die Stube. Es war frisch im ganzen Haus. Die Öfen mussten ausgekühlt sein.

Einen prüfenden Blick auf unsere CD Sammlung werfend, nahm ich schließlich ein älteres Album von Priscilla Hernandez heraus und legte es in die Anlage. Sachte ertönte die melodische Stimme, gepaart mit kräftigen und ausdrucksstarken Klängen.

Minutenlang blickte ich aus den großen Fenstern hinaus in den Wald und genoss die Musik, bevor ich meine Tasche nahm und hoch in mein Zimmer ging.

Das Licht war gedämpft, durch den dunklen Vorhang der noch immer vor meinem Fenster hing und mich in Ruhe, bis zum Klingeln des Weckers schlafen ließ. Ich schritt nach rechts, quer durch den länglichen Raum und zog den dicken Stoff hoch. Den Rucksack neben meinem weißen Schreibtisch platzierend, der direkt neben dem Fenster in der Ecke stand, warf ich einen kurzen Blick auf den Tisch. Das Klebezettelchaos wies nichts auf, was dringend noch erledigt werden musste. Zum Glück.

Die Kissen auf der breiten Fensterbank aufschüttelnd, starrte ich hinaus. Dicke Zweige bogen sich im Garten unter der kaum vorstellbaren Last des Schnees, der sich auf ihnen gesammelt hatte. Manchmal knarrte es Nachts laut und einer von ihnen barst unter einem kräftigen Windstoß. Irgendwann hatte ich mich an das Geräusch gewöhnt und zuckte nicht mehr zusammen, als würde draußen ein Krieg ausbrechen.

Direkt vor der breiten Fensterbank stand ein kleines Schränkchen, mit einer Lampe und zwei Büchern. Die Fächer darunter waren ebenfalls mit diversen Romanen gefüllt, die ich bereits gelesen hatte oder noch lesen wollte. Sorgsam legte ich die dicke dunkle Felldecke zusammen und platzierte sie am Ende der Bank. Echtes Fell wäre mir jedoch nie untergekommen.

Ich verbrachte die meiste Zeit in meinem Zimmer, auf dieser Fensterbank und gönnte mir gelegentlich einen Moment, um einen Blick hinauszuwerfen und mir die gerade gelesene Szene in Ruhe vorzustellen. Das war das Beste an einem Buch. Man ließ sich in der Fantasie eines anderen Menschen fallen und lebte seine Ideen, mit einem kleinen Hauch der eigenen Wünsche angereichert. Schließlich las jeder in einem Buch etwas anderes. Für den einen war der Hauptcharakter unglaublich schön und für den anderen eher durchschnittlich, wohingegen der fesche Bösewicht einen großen Reiz ausmachte.

Ich drehte mich in Gedanken zur Dachschräge nach links, unter der mein breites Bett stand, legte die Biberdecke zusammen und schüttelte die unzähligen Kissen auf. Natürlich stieß ich mir, wie immer, den Kopf beim Aufrichten und hätte beinahe das Panorama Poster von der Wand gerissen. Wenn ich nicht einschlafen konnte, starrte ich gerne auf die dunkle Ozeanfläche und den leuchtenden Mond, der in den Fluten verschwand.

Meine Mutter und ich hatten einmal alte Verwandte am Mittelmeer besucht. Eine Nacht verbrachten wir am Strand mit Lagerfeuer und sternenklarem Himmel. Ich konnte mich an keinen Abend erinnern, an dem ich die Natur und das Meer so geschätzt hatte. Das Poster wirkte auf mich, wie ein Foto jenes unvergesslichen Abends.

Seufzend kramte ich meine Klamotten zusammen und hing sie in den massiven Buchenschrank, der neben meinem Bett stand. Mikosch kam in mein Zimmer gestiefelt und rollte sich auf einem Kissen auf der Fensterbank zusammen.

Während ich so vor mich hin wuselte, musste ich mir eingestehen, dass ich doch etwas nervös war. So lange hatte ich mich nur mit Nanuk befasst und alle anderen links liegen lassen. Ich hoffte, dass ich Grace nicht enttäuschen würde, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie die Hoffnung barg, ihre alte beste Freundin zurückzubekommen.

Es war ein Wunder, dass sie mir die ganze Sache nicht Übel nahm und sich stattdessen sogar freute. Die Gruppe schien im Allgemeinen nicht sehr nachtragend zu sein. Heutzutage war das viel wert. Vermutlich hatte ich mit ihnen mehr Glück, als ich mir eingestehen wollte.

Die Türklingel ertönte und die melodische Melodie aus der Stube wurde für einen Moment von einem ohrenbetäubenden Läuten verdrängt. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Mikosch hob neugierig das Köpfchen und spitzte die Ohren, während ich schon aus dem Zimmer lief und die Treppe hinunter polterte. Die Stufen knarrten wie immer trügerisch aber hielten dennoch beharrlich meinem Gewicht stand.

Ein dunkler Schopf schimmerte durch die milchigen Glasscheiben der Haustür. Meine Schritte wurden langsamer. Die Person war definitiv größer als Grace. Für einen Augenblick blieb ich stehen. Mein Herz hatte sich von dem plötzlichen Sprint noch nicht ganz erholt. Stirnrunzelnd legte ich die rechte Hand auf die Türklinke und schwang sie auf.

„Nanuk?“, fragte ich irritiert und schaffte es nicht den entrüsteten Ton gänzlich aus der Frage zu verbannen.

„Hi. Ich wollte gar nicht lange nerven, ich weiß ja das du gleich noch Besuch bekommst“ - meine Augenbraue schob sich nach oben- „ Ich wollte dir nur das hier geben.“

Er streckte die Hand aus und hielt mir eine Kette hin. Die etwas großen Kettenglieder wirkten alt und ein wenig angelaufen, fast wie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, oder einer anderen Welt, huschte es mir durch den Kopf. An ihr hing ein kleiner Tropfen förmiger Anhänger aus einem mir unbekannten Stein, der in ein dunkles Metall gefasst war. Der Stein schimmerte ein wenig, als würde fließendes Wasser durch ihn hindurch gleiten.

„ Ich… ich weiß gar nicht was sagen soll. Warum schenkst du mir das?“, fragte ich und konnte meinen Blick nicht von der Kette abwenden, traute mich jedoch auch nicht meine Hand nach ihr auszustrecken.

„Sieh es als zu frühes Geburtstagsgeschenk.“, lächelte er matt und legte mir das kühle Metall auf die Hand. „Trag sie bitte. Leg sie nicht weg, auch nicht zum schlafen. Sie wird dir Glück bringen, vertrau mir.“

Irgendetwas an seinem Verhalten war komisch. Er wirkte schon wieder wehmütig und blickte mich traurig an, mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen. Ich wollte nicht unddankbar sein und spielte ihm vor, mich unwahrscheinlich über das Geschenk zu freuen. Es musste erst wieder ein wenig Zeit ins Land gegangen sein, bevor ich ihn fragen konnte, was es tatsächlich mit der Kette auf sich hatte und ebenso mit allem anderen.

Unendlich lange schien er mir forschend ins Gesicht zu schauen, auf der Suche nach etwas, was er nicht zu finden schien und vielleicht auch gar nicht wollte. Er sagte nichts; stand nur da und beobachte, wie ich die Kette in der Hand hin und her wog und mit dem Finger über den scheinbar flüssigen Stein strich. Er war angenehm kühl und es kam mir vor, als würde er mit jeder Bewegung, die ich machte anders Funkeln.

Es dämmerte langsam. Die Straßenlaternen fingen hinter ihm an leise surrend vor sich hin zu glimmen. In ein paar Häusern brannte Licht und Schatten bewegten sich hinter den meist durchscheinenden Gardinen. Kleine Flocken rieselten vereinzelt vom Himmel und benetzten seine dunklen Haare. Seine grünen Augen durchforsteten mein Gesicht und ich spürte, wie mir innerlich etwas unwohl wurde.

„Ich werde sie tragen. Versprochen.“, flüsterte ich und wandte, aus mir unerfindlichen Gründen, etwas beschämt den Blick ab.

Ein kurzes unglückliches Lächeln umspielte seine schimmernden Lippen, bevor er sich abwand und ohne ein weiteres Wort, den Weg hinunterging und nach geraumer Zeit in der Seitengasse verschwand.

Ich weiß nicht was passiert war, dass er auf einmal so anders wirkte. Betroffen und abwesend tat er Dinge, die er sonst nie getan hatte. Sehr selten hatte er, seit meiner Ohnmacht, noch ein ehrliches Grinsen auf den Lippen oder einen kecken Spruch für mich übrig.

Betrübt schaute ich ihm nach und legte in Gedanken die Kette um. Sie war nicht so schwer, wie ich es erwartet hatte. Angenehm schmiegten sich die Kettenglieder an meinen Hals und schienen, im Bruchteil einer Sekunde meine Körperwärme aufgenommen zu haben. Der Anhänger lag direkt unter der Mitte meiner Schlüsselbeine und funkelte und glitzerte geheimnisvoll.

Für einen Moment glaubte ich er würde Wärme ausstrahlen, die meinen Körper und meinen Geist erfasste und meine Rastlosigkeit und Träumereien bannte.

Der Larijahn Graben

Abermals an diesem Abend klingelte es an der Tür. Dieses Mal war es hoffentlich Grace, dachte ich und schlürfte, etwas erschöpft von dem ganzen Trubel, zur Haustür.

„Hi Beth. Ich hoffe ich bin nicht zu früh. Ich habe ein paar Filme mitgebracht und was zu Knabbern. Oder hast du heute Abend etwas Anderes vorgehabt? Wir können auch gerne etwas Anderes machen. Ich hätte nichts dagegen. Also sag ruhig, wenn du was geplant hast.“

„Grace! Beruhige dich mal wieder.“, lachte ich und zog sie ins Haus. „Es ist alles bestens. Wir machen einfach wonach wir Lust haben.“

„Ich dachte nur, es müsse etwas Besonderes werden, nach so langer Zeit. Noch dazu war ich einfach so aufgeregt. Gott, ist das peinlich.“, schmunzelte sie und wirbelte überdreht in der Diele herum.

Ihre braunen dunklen Augen leuchteten und ließen ihr sonst eher blasses Gesicht, mit den rötlichen Wangen, strahlen. Hastig zog sie die gefütterten schwarzen Chucks aus, um nicht noch mehr Schnee auf den Fliesen zu verteilen und stellte sie mit einer gewohnten Bewegung auf die Stufen zum Keller hinunter. In Gedanken streifte sie den dicken roten Mantel ab, der wunderbar zu ihren glühenden Wangen passte und gab ihn mir. Die darunter hervorkommende Statur hatte sich kaum verändert. Sie war immer noch so schmal wie ich, lediglich mit etwas weniger Oberweite bestückt und etwas größer als ich.

Unschlüssig darüber, wie sie sich weiter verhalten sollte strich sie sich durch ihre feinen braunen schulterlangen Haare und schaute sich um.

„Der Ofen ist immer noch wundervoll.“, platzte es plötzlich aus ihr heraus, während ich bemüht war ihren Mantel unterzubringen.

Wir hatten nie eine Garderobe gehabt. Dad meinte sie würde, zusätzlich zum Kachelofen, zu viel Platz in dem kleinen Flur wegnehmen und irgendwo anders im Haus, ließe sich schon Stauraum für Jacken finden. In diesem Moment hätte ich ihn gern da gehabt, um ihn zu fragen, wo er gedacht hatte, dass noch Platz vorhanden sei. Leise schnaubend legte ich sie einfach über das Treppengeländer. Das war der sicherste Ort, wo sie nicht hinunter fallen würde und ich sie ohne Probleme wiederfinden konnte.

„Möchtest du einen Tee?“, fragte ich und sah, wie sie sich auf den warmen Fliesen aufwärmte. Genauso musste ich auch immer dort sitzen. Ein zufriedenes Grinsen auf den Lippen und zusätzlich noch den schnurrenden Kater auf dem Schoß.

„Gern. Pfefferminze trinke ich am liebsten. Wenn du aber keinen hast, ist es auch nicht schlimm, dann nehm ich irgendeinen.“

Ihre Stimme erschien mir gleich viel ruhiger und ihre Art entspannter. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie gerade alte Erinnerungen Revue passieren ließ und innerlich über kindliche Peinlichkeiten lachte.

Ruhig holte ich eine Kanne und zwei Tassen aus den Schränken in der Küche, füllte den Wasserkocher und stellte ihn an, roch prüfend an dem Papierbeutel mit der Teemischung, ehe ich ein paar Löffel in das Teeei streute und merkte kaum, wie sich in meinen Gedanken wieder Zweifel einnisteten.

Viele Jahre waren vergangen seitdem wir Freunde gewesen waren. Pferde und Puppen waren mit das Einzige, was uns interessiert hatte. Über was sollte ich jetzt mit ihr reden? Ich konnte kaum mit der Frage anfangen, ob sie noch lange mit Puppen gespielt hatte.

Der Übergang vom Kind, zum Erwachsenen war schwierig. Wenn man befreundet war, verschwamm die Grenze und man durchlebte zusammen diesen Wandel. Wir würden von vorne anfangen müssen. Uns interessierten nun andere Dinge, man hatte andere Sehnsüchte und wir hatten kaum noch Zeit zusammen verbracht, die es nun einfacher machen würde, einen Weg zum anderen und seinen Interessen zu finden.

Ich hatte ein wenig Angst; Angst davor etwas falsch zu machen und sie zu verlieren, bevor ich sie überhaupt zurück hatte. Die letzten Tage waren nur all zu selbstverständlich an mir vorüber gegangen. Ein beklemmendes Gefühl, untermauerte unangenehm die Tragweite dieses Abends und ließ mich schwer Atmen.

Das Wasser kochte und ein lautes Klicken signalisierte mir, dass der Wasserkocher seine Arbeit vollrichtet hatte. An meiner Unterlippe zupfend, goss ich das dampfende Wasser in die durchsichtige Kanne. Der Dunst legte sich, wie ein sachter Schleier über meine Haut und wärmte sie für einen Augenblick, bevor er getrocknet war und einen kalten Schauer hinterließ.

Der Geruch feiner Minze durchströmte schlagartig die Küche. Aromen waren schon eine nette Erfindung aber ich glaubte immer noch nicht daran, dass sie tatsächlich nicht schädlich sein sollten.

„Wollen wir uns in die Stube setzen oder in mein Zimmer gehen?“, fragte ich und balancierte das kleine Tablett, mit der Kanne und den Tassen vor mir her, in den Flur.

Grace sprang sofort auf, sichtlich aus ihren Träumereien gerissen und schaute mich an, als würde sie sich schämen, mir nicht geholfen zu haben.

„Lass uns in dein Zimmer gehen. Da war ich schon ewig nicht mehr.“, gestand sie und lächelte nun ein wenig beschämt.

Ich konnte mir ein kurzes Schmunzeln nicht verkneifen. Ihre Neugierde war kaum zu übersehen. Vermutlich würde ich genauso begierig darauf sein, zu sehen, wie sie sich entwickelt hatte und ob sie sich stark verändert hätte.

Ein Zimmer sagte viel über einen Menschen aus, auch wenn man nicht wusste worauf man achten sollte. Irgendwie merkte man es und spürte fast die Erinnerungen oder Ereignisse, die mit einzelnen Gegenständen gekoppelt waren.

Vorsichtig ging sie vor mir die Treppe hinauf. Ihre Schritte waren leise und das Holz knirschte kaum. Es kam mir fast vor als hätte sie Angst etwas kaputt zu machen. Am Ende der Treppe knisterte bereits wieder das Feuer in meinem Ofen und schenkte uns einen Schwall Wärme, der sich besonders in den hohen Ecken des Daches sammelte. Sobald wir uns setzen würden, hätte die Luft wieder eine normale Temperatur.

Sie fragte nicht, wo sie sich niederlassen sollte, sondern entschied sich automatisch für meinen Lieblingsplatz auf der Fensterbank. Selbstsicher kramte sie meine Bücher von dem kleinen Regal und schob die Lampe etwas beiseite, um Raum für das Tablett zu schaffen. Im ersten Moment drang sich mir Empörung auf, wie frei sie sich in meinem Zimmer bewegte, doch einen Gedankengang später, wurde mir bewusst, dass sie sich vielleicht auch einfach nur so wohl, wie früher fühlte.

Wir hatten nie Probleme damit gehabt, Dinge zu teilen oder eigenständig im Zimmer des Anderen zu agieren. Schließlich war uns nichts peinlich gewesen und es war noch nicht das Alter, in dem man ganz genau auf meins und deins schaute.

Langsam stellte ich das Tablett ab und ordnete die Bücher, die sie unbedacht auf mein Klebezettelchaos gelegt hatte, in die Fächer unter dem, zum Tischchen umfunktionierten, Regal ein.

„Oh entschuldige. Ich habe gar nicht gesehen, dass da noch Bücher lagen, dann hätte ich sie gleich dorthin gelegt.“, murmelte sie. Nun wieder verunsichert, strich sie sich durch die glatten Haare und schob dieselbe Haarsträhne hinters Ohr, die ihr seit ihrem Ankommen schon mindestens fünf Mal ins Gesicht gefallen war.

„Ist nicht schlimm.“, lächelte ich und suchte in dem Regal neben meinen Schreibtisch nach dem Stövchen für die Kanne.

„Es hat sich doch einiges verändert.“, gestand sie und blickte sich in Ruhe um, während ich suchte. „Es sind noch einige Bücher hinzu gekommen und deine geliebten Legosteine sind weg. Oder liegen die immer noch in einer Kiste unter deinem Bett?“

Ich lachte. Das sie sich daran noch erinnern konnte. Die Steine hatte ich immer sorgfältig unter meinem Bett verschwinden lassen, wenn jemand zu Besuch kam, weil ich nie wollte, dass man mich für ein jungenhaftes Mädchen hielt. Irgendwann war Grace zum spielen da gewesen und sah einen kleinen roten Stein. Ihr Funkeln in den Augen hatte ich noch heute gut im Gedächtnis. Ihr Vater hatte ihr nicht erlaubt damit zu spielen, da es angeblich nichts für Mädchen gewesen sei. Als sie merkte, dass ich welche besaß, spielten wir ständig mit ihnen. Wir bauten uns kleine Türmchen und letztlich irgendwann ganze Burgen über die unsere Barbiepuppen herrschten. Was man als Kind nicht alles spielte.

„Nein. Ich habe sie irgendwann dem Sohn unserer Nachbarn gegeben. Der konnte damit mehr anfangen als ich.“, schmunzelte ich entschuldigend.

„Er hat sich bestimmt gefreut.“, schlussfolgerte sie und goss uns schon einmal Tee ein, während ich endlich das Stövchen fand und es mit einem Teelicht bestückt, neben der Kanne platzierte. Langsam und theatralisch schwer atmend, ließ ich mich vor ihr auf dem runden Teppich nieder und lehnte mich mit dem Rücken an das Bettgestell.

„Und wie ist er so? Der Übeltäter?“, fragte sie mit einem süffisanten Ton in der Stimme, den ich ihr -bis jetzt- nie zugetraut hätte. Sie musste bei weitem schlagkräftiger geworden sein, als ich es im ersten Moment vermutet hatte.

„Nanuk? Wie kommst du jetzt darauf?“, fragte ich zurück und versuchte so locker und heiter, wie zuvor zu klingen. Die Frage war jedoch so unerwartet und für meine Verhältnisse zu plötzlich, dass ich einen Moment brauchte, um meine Überlegungen zu sortieren.

Mich beschlich der Gedanke, ob sie nur deswegen so offen zu mir gewesen war, um schließlich mehr über Nanuk zu erfahren und über mich vielleicht bessere Chancen bei ihm zu erlangen. Zuweilen war ich selber schon von meinem Misstrauen angewidert aber es war leider immer dasselbe gewesen. Die Mädchen kamen und gingen, sowie sie von ihm abserviert wurden. Obwohl ich noch Tage vorher die nette Beth war, war ich schon einen Tag später nur noch Luft.

Ich bemühte mich mein knurriges Gemüt zu besänftigen und wartete die Antwort ab. Sie würde über den restlichen Abend entscheiden.

„Naja, dank ihm sind wir keine Freunde mehr gewesen.“, lachte sie abrupt auf. „Das habe ich ihm und zeitweise auch dir, ganz schön Übel genommen. Also wollte ich jetzt von dir wissen, was so toll an ihm ist, dass du uns alle dafür hast sitzen lassen.“ Ihr Blick war aufmerksam geworden. Eine Augenbraue hebend, starrte sie mich über den Tassenrand schielend, fordernd an.

Am Anfang des Abends hatte ich sie noch für schüchtern gehalten. Liebend gern hätte ich mich für diesen Fehler selbst geohrfeigt. Ihre Frage war zwar nicht mit dem Ziel gestellt worden, wie ich es vermutet hatte aber das neue Ziel gefiel mir nicht unbedingt besser. Jetzt lag es eindeutig an meiner Antwort über den restlichen Abend zu entscheiden. Das dumme war nur, dass ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte. Ich wollte sie nicht verletzten, in dem ich sagte, dass ich mich einfach zu Nanuk hingezogen fühlte und mich von ihm besser verstanden fühlte, wollte sie aber auch nicht anlügen und ihr irgendein Märchen auftischen.

Eine Grundlage für eine Freundschaft sollte nicht auf einer Lüge aufbauen. Zumindest war das meine Meinung und bei der würde ich auch bleiben, komme was wolle. Genau dasselbe erwartete ich auch von meinen Freunden, warum sollte ich dann anders handeln. Ein Seufzer entfuhr meinen Lippen.

„Er hat so eine ganz eigene Art. Irgendwie einnehmend aber gleichzeitig auch charismatisch, so dass man sich aufgenommen und teils geleitet führt. Es ist so einfach einer starken Persönlichkeit zu folgen, wenn man selbst nicht sehr stark ist. Es war so viel unproblematischer mit ihm. Ich weiß gar nicht, wie ich es erklären soll.“, gestand ich nüchtern und lachte überspielt. Erst im nach hinein wurden mir meine Worte erst richtig bewusst. Es war fast zu einfach in seiner Nähe, bis zu dem Zeitpunkt meiner Ohnmacht.

„Er scheint ein sehr angenehmes Wesen zu haben. Deswegen sind wohl auch alle hinter ihm her. Noch dazu wirkt er so erwachsen und irgendwie starr. Er hat immer denselben zufriedenen Gesichtsausdruck, ist dir das schon mal aufgefallen. Gruselig.“, kicherte sie und schien das Gewicht ihrer Worte nicht im Ansatz greifen zu können. Dennoch stieg ich in das Gekicher ein, denn mir drang sich die Vorstellung von Nanuk, mit einem Puppenähnlichem steifen Gesicht auf, wie es sanft lachte und sonst nicht imstande war eine andere Regung aufzuzeigen. Gruselig war erschreckend passend.

„Gibt es denn einen auf den du ein Auge geworfen hast?“, fragte ich verstohlen, um vom Thema abzulenken.

„Manchmal glaube ich, Jack schaut mich so komisch von der Seite an, wenn ich nicht hinschaue. Du kennst das. Sie mustern einen dann mit so einem prüfenden Blick und lassen sich diverse Sachen durch den Kopf gehen, wobei ich nicht glaube, dass auch nur weniger als die Hälfte davon Jugendfrei ist.“, grinste sie amüsiert und ich war glücklich, dass sie auf das Thema eingegangen war.

„Das sagt mir nicht, wie du zu ihm stehst.“, bohrte ich spitzfindig nach und griff nach meiner Tasse Tee.

„Ich weiß es nicht so richtig. Er ist ja ganz nett und diese dunklen braunen Augen haben es mir fürchterlich angetan. Trotzdem kommt er nicht aus sich heraus und soviel Interesse habe ich nicht, dass ich selber den ersten Schritt tun würde.“

Der Abend dauerte lange an, viel länger als ich es vermutet hatte. Ihre vorwurfsvolle Stimmlage ebbte nach dem ersten Höhepunkt unseres abends je ab und schließlich kam Nanuk gar nicht mehr zur Sprache. Zum Glück.

Wir redeten noch Stunden über die teils trotteligen Kerle an unserer Schule und die wenigen, die vernünftig erschienen. Auch wenn ich kein großes Bedürfnis hatte, einen Freund zu haben, tat es doch gut darüber zu sprechen. Letztlich waren wir beide zu müde, um uns die Treppe hinunter zu schleppen, so dass wir in meinem Bett zusammen einschlummerten. Wie früher.

Wir verstanden uns auch am nächsten Morgen noch wunderbar, obwohl wir beide ziemliche Morgenmuffel waren. Gegenseitig zogen wir uns mit alten Kindergeschichten auf und sie half mir bei meinen Aufgaben, die ich noch zu erledigen hatte. Ihre Eltern hatten wir nur kurz angerufen, damit sie sich keine Sorgen machten.

Grace wies mich beharrlich auf diverse Macken hin, die sich mit der Zeit bei den Leuten aus unserer Clique abgezeichnet hatten. Manche Sachen waren sinnvoll zu wissen, andere wiederum hatten sich, im Bezug zu früher nicht geändert. Das Marie schon damals hinter Ben her war, hätte mir gar nicht entgehen können, so offensichtlich wie es war.

Zum Mittag schoben wir uns nur zwei Pizza Baguettes in den Ofen und machten uns währenddessen an der zugefrorenen Einfahrt zu schaffen. Auf die Treppenstufen hatte ich eine Eieruhr gestellt und ich hoffte, sie durch die dicke Mütze noch hören zu können. Schwarz verkohlte Baguettes waren nicht unbedingt meine Leibspeise.

Mit einer Schaufel und einem Eispickel bewaffnet hämmerten wir auf der Zentimeter dicken Eisschicht ein. Es musste schrecklich grotesk aussehen, was wir da taten aber nur so konnten wir den Wagen später heile aus der Garage bekommen. Die ersten Lücken hoben sich ab, durch die die Pflastersteine schimmerten.

„Dafür sind uns die anderen was schuldig!“, keuchte ich atemlos und zupfte meinen Schal etwas lockerer, um nicht vor Hitze einzugehen. Grace nickte nur tonlos und traktierte weiter die Schaufel.

Das bizarre Poltern und Knirschen hallte von den Häusern und den Wäldern um uns wieder und fing sich in der Straße, wie das bedrohlich ankündigende Kreischen eines Gewitters. Sachte Windböen ließen die Töne ab und an etwas abflauen und trugen sie über die Häuser hinweg.

Der Schnee um uns hatte heute einen merkwürdigen Grauton, fand ich. Er glänzte nicht so schön weiß und klar, wie sonst. Vermutlich lag das am verhangenen Himmel, der die Straße mit den bunten Häusern sehr trist und farblos erscheinen ließ.

„Meinst du es schneit heute noch?“; fragte ich, um mir eine kurze Pause zu verschaffen und schaute in den Wolken vergangenen Himmel hinauf.

„Kann gut sein. Dahinten kommt es noch etwas dunkler. Aber was kümmert es uns. Wenn wir das hier fertig haben, fahren wir schwimmen und haben unseren Spaß.“

Sie hatte bereits aufgegeben, wenigstens noch zu versuchen, es mit einem Lächeln rüber zubringen, was mir zeigen sollte, dass sie sich eigentlich auf das Schwimmen freute. Die Arbeit nervte uns beide ungemein aber wir wussten, wofür wir es taten und auch, wenn wir uns momentan noch nicht freuen konnten, weil die körperliche Qual uns übermannte, so war der ausgelassene Badespaß trotzdem kaum noch zu erwarten.

Für einen Moment hielt auch Grace inne und richtete sich langsam auf, die verrutschte Kapuze etwas zurecht schiebend.

„Piept hier nicht etwas?“, fragte sie stirnrunzelnd und blickte sich suchend um.

Ich blinzelte ein paar Mal und lauschte angestrengt. Was hörte sie nur schon wieder, dachte ich belustigt, bis mir die Baguettes wieder einfielen. Das Grinsen fiel mir buchstäblich aus dem Gesicht und ich hastete fast schon panisch ins Haus zurück. Hinter mir kleine Schneebrocken verteilend, rutschte ich in die Küche. Es roch bereits ein wenig herb, doch nach einem prüfenden Blick in den Ofen, schienen die Baguettes noch genießbar zu sein.

Das Blech platzierte ich auf den Herdplatten und stellte den Ofen ab. Bis alles eine Temperatur angenommen hatte, dass man es essen konnte, gesellte ich mich zurück zu Grace und wir entfernten auch die letzten Reste der Eisschicht aus der Einfahrt.

„Ich gehe nochmal in die Garage und schaue nach der Batterie und allem Anderen. Der Wagen stand schon eine Weile. Du kannst gerne schon anfangen zu essen.“

„Ich warte auf dich. Ist schon okay.“, lächelte sie und gab mir die Schaufel, ehe sie sich erschöpft ins Haus bewegte.

Langsam schwang ich die knirschende Garagentür nach oben auf und begutachtete, den perfekt eingeparkten neuen Seat Ibiza Cupra. Der schwarze Lack funkelte mir entgegen und wies bislang nicht einen Kratzer auf. Ich hoffte inständig, dass es auch so bleiben würde, denn mein Dad würde mich eigenhändig malträtieren, sollte dies nicht der Fall sein.

Verstanden hatte ich es dennoch nicht, sich in so einer Gegend einen kleinen Rennflitzer zu holen. Die Straßen waren meist auch bei schönem Wetter nicht schnell zu befahren, da sich regelmäßig Moose auf den Straßen ablagerten und alles zu einer rutschigen Schlitterpartie umschwenken konnte. Ich glaube das Auto war nichts weiter als ein Statusobjekt. Früher haben sich die Urmenschen mit einem dichten Fell und einer großen Keule gemessen und heute eben mit schicken Autos.

Nach einer kurzen Kontrolle erkannte ich auf den ersten Blick keine Mängel und die Maschine sprang sauber und ohne Mucken an. Er sollte seinen Zweck erfüllen und uns hoffentlich heile in die Nachbarstadt bringen.

Nicht vom Schock gepackt, war Grace um einiges Schlauer als ich und hatte sich ihrer Sachen bereits unter dem Vordach der Haustür entledigt und sie auf einem Bügel in den Keller gehangen, zum Trocknen. Dieses Mal tat ich es ihr gleich und sah, als ich wieder die Treppenstufen hinauf kam, dass sie bereits emsig dabei war, meine Schneepfützen aufzuwischen.

„Was machst du denn da?“, raunte ich entrüstet und nahm ihr den Lappen vor der Nase weg. „Du bist doch nicht meine Putzfrau.“

„Wie ihr wünscht Lady.“, antwortete sie mit gespielt untergebenen Tonfall und machte einen kleinen Knicks vor mir. Wir mussten beide Lachen.

Schnell wischte ich den Rest trocken und holte das Essen aus der Küche. In der Stube machten wir es uns schließlich auf dem Sofa bequem und genossen die Baguettes. Wir mussten ein komisches Bild abgeben, wie mir mit der Zeit bewusst wurde. Beide hatten wir pastellfarbene Rollkragenpullover und eine alte Jeans an. Die Haare waren wüst zerzaust, von der Mütze und die Wangen glühten noch rot. Knirschend brach das krosse Brot zwischen unseren Kiefern, während wir wie gebannt irgendeine Soap im Fernsehen verfolgten.

Ich hatte das Gefühl völligen Einklangs und Zugehörigkeit. Es war noch viel besser als früher. Innerlich war ich unendlich dankbar dafür, dass wir beide uns kaum verändert hatten. Mir war durchaus bewusst, wie viel Glück ich doch hatte, denn es hätte auch ganz anders kommen können. Man hätte genauso enttäuscht feststellen können, dass die Interessen einfach zu weit auseinander gingen und man sich in zwei verschiedene Richtungen entwickelt hatte, unfähig die entstandene Kluft dazwischen zu überbrücken. So wie bei mir und meinem Dad.

„Die Anderen müssten gleich hier sein. Du musst noch deine Sachen packen.“, erinnerte mich Grace und riss mich aus meinen Gedanken.

„Richtig.“, gab ich nur tonlos zur Antwort und räumte die Teller zurück in die Küche, um sie in die Spülmaschine zu sortieren.

Zusammen stiefelten wir die Treppe hinauf und scheuchten Mikosch auf, der sich vor dem Ofen auf dem Flur auf seiner zerwühlten Decke eingerollt hatte. Verschlafen blinzelte er uns entgegen und legte schließlich wieder das Köpfchen auf die Pfoten, als wir in meinem Zimmer verschwunden waren.

„Ich bin ewig nicht mehr Schwimmen gewesen.“, begann ich zögernd. „Trägt man heute nur noch Bikinis?“ Fragend lugte ich zu Grace aufs Bett hinüber, während ich die Schranktüren aufgemacht hatte.

„Sag jetzt nicht du hast keinen?“, kicherte sie und lehnte sich neugierig nach vorn.

„Doch schon aber“, ich brach ab und wühlte in einem kleinen Fach herum. „er ist halt sehr alt.“ Ich verzog das Gesicht und hob den etwas zu klein geratenen hellblauen Bikini hervor, der mit lilafarbenen Muschelumrissen bestickt war und mir das letzte Mal richtig passte als ich vierzehn war. „Ich meine ich habe mich nicht gerade zu einem Busenwunder entwickelt aber ich glaube, dass könnte dennoch eng werden. Oder wie siehst du das?“ Seufzend ließ ich mich zu Boden sinken und sah den ganzen Tag schon den Bach runter gehen. Das ich an das wichtigste nicht gedacht hatte, war wieder so typisch für mich.

„Ich glaube Ben wird dir nicht von der Seite weichen. Und genau deswegen solltest du ein besonderes Auge auf Marie werfen, bevor sie dir an der Gurgel hängen kann.“, lachte sie und kugelte sich fast bei dem Gedanken auf meinem Bett hin und her.

Ein tiefer Seufzer verließ meinen Mund. Das geriet alles wieder in Bahnen, die mir gar nicht passten. Das Desaster war da nahezu schon vorprogrammiert.

Die Klingel ertönte sacht von unten.

„Oh verdammt!“, brummte ich und stopfte schnell den Bikini, zwei Handtücher, Badelatschen und Shampoo aus dem Badezimmer in einen alten zerfledderten Rucksack. Zähneknirschend schob ich meinen Geldbeutel in die hintere Tasche der Jeans und ergriff den Schlüssel von meinem Nachtschrank. „Na dann mal auf ins Vergnügen.“

„Stell dich nicht so an. Das wird lustig. Zumindest für mich.“, witzelte Grace und kramte ebenfalls ihren Rucksack neben meinem Bett hervor und sprang euphorisch vom Bett auf, während es nochmals klingelte.

Hastig hüpfte ich über die Treppenstufen nach unten und lief zur Haustür, um sie dynamisch aufzuschwingen. Das erste was ich sah, waren Maries sorgfältig zurechtgelegten blonden Haare und ihren grantigen und durchbohrenden Gesichtsausdruck. Irgendwie wollte das Eine mit dem Anderen einfach nicht zusammen passen. Die rosa angehauchten Wangen und die lieblichen Lippen waren zu einem erzwungenen Lächeln verzogen.

„Hi Beth. Können wir endlich los?“, erklang ihre melodische Stimme, die eine Symphonie von Abneigung ertönen ließ. Wahnsinn. Wie konnten aus einem so hübschen Mädchen solche Töne kommen?

Ich maßregelte mich, bevor ich mir noch durch die Vorstellung einer Medusa den restlichen Tag ruinierte.

Grace schlüpfte neben mir durch die Tür und schaute sich nach Ben um, als ihr plötzlich sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich und sie wieder zurück ins Haus gesprungen kam und mich dabei grob zurück zog.

„Was zum Teufel ist denn los?“, fauchte ich wirsch, aufgrund der Forschheit, mit der sie mich hineingezerrt hatte und fing mir einen nahezu Medusa artigen Blick von Marie ein, die bereits fordernd mit dem Fuß trippelte.

„J-J-Jack. Draußen. Am Auto.“, entwich es ihr, fast zischend, zwischen den Zähnen hervor.

Ein paar Mal musste ich verdutzt blinzeln, bis ich die Situation vollends begriffen hatte. Es war eindeutig ein Desaster.

„Reiß dich zusammen und geh jetzt da raus. Ich dachte da wäre nichts an großen Gefühlen?“, mahnte ich und schob sie wieder die Tür hinaus, an Marie vorbei, die verächtlich mit den Zähnen knirschte.

Ich warf mir meinen Mantel über und schulterte sorgfältig den Rucksack. Die Tür fiel endlich ins Schloss, worauf sich auch Marie von den Stufen hinweg bewegte und somit aus meiner Reichweite verschwand. Tief ausatmend schüttelte ich unmerklich den Kopf und sog einmal die kühle Luft ein.

„Das ist nicht dein Auto!“, raunte Jacks tiefe Stimme mir entrüstet entgegen. Seine rote Sporttasche plump neben sich fallend lassend, schritt er mit Ben zusammen, vollkommen fassungslos um den schwarzen kleinen Flitzer in der Garage herum.

Auch wenn es nicht direkt mein Auto war, glitt mir dennoch ein sachtes stolzes Lächeln über die Lippen. Soviel zum Statussymbol, höhnte meine innere Stimme.

„Mein Dad hat ihn sich vor kurzem gekauft, weil unser alter Wagen langsam den Geist aufgab.“, versuchte ich so trocken und gleichgültig rüberzubringen, wie es gerade noch so nicht auffällig wirkte. Schnell merkte ich, dass es offensichtlich egal gewesen war, auf meine Stimmlage zu achten, denn die beiden Herren waren vollends vom dem Wagen eingenommen. Stirnrunzelnd schritt ich kopfschüttelnd an ihnen vorbei und öffnete den kleinen aber ausreichenden Kofferraum.

„Alle Taschen zu mir!“, grinste ich und hatte prompt Maries Tasche gegen die Brust geschleudert bekommen. Eh ich mich versah, saß Madame auch schon im Wagen und schaute abermals genervt drein. Grotesk verkrampft zupfte sie an ihrer blonden Haarsträhne, bis sie einigermaßen dort zu liegen schien, wo sie sie haben wollte und schnaubte hinter geschlossenen Türen, wir sollten uns doch gefälligst beeilen.

Wäre ich nicht so empört über ihre Dreistigkeit gewesen, hätte ich vermutlich bei diesem Anblick lachen müssen.

Etwas steif und verkrampft packte Grace neben mir ihre Tasche in den Kofferraum und versuchte selbstsicher an Jack vorüber zu gehen, der sie mit nicht einem Blick würdigte. Irgendwie erzürnt aber auch erleichtert ließ sie sich schnell auf dem Beifahrersitz nieder und ich hörte schon Maries elfengleiche Stimme, wie sie bissig nachhakte, warum ausgerechnet Grace vorne sitzen durfte.

Einmal tief einatmend, deutete ich Ben darauf hin, dass ich gern losfahren wollte und sie sich zum einsteigen bequemen sollten.

„Ach so, ja!“, grinste er etwas beschämt über den offensichtlichen Neid und schubste Jack zur hinteren Tür auf der Fahrerseite.

Ich war mit dem Wagen bislang nur einmal gefahren und demnach fühlte ich mich auch ein wenig überfordert. Bewusst langsam zog ich meinen Mantel aus und gab ihn zu Grace auf den Beifahrersitz. Der Fahrersitz war sehr weit hinten. Da mein Dad eine stattliche Größe hatte, war das auch kein Wunder. Unproblematisch konnte ich mich in den sportlichen Ledersitz fallen lassen und zur Freude von Jack, den Sitz wieder nach vorne schieben.

Etwas unwohl ließ ich den Motor anspringen, der leise schnurrend unter der Motorhaube arbeitete. Die beiden Jungs tuschelten auf der Rückbank über diverse Daten und Zahlen des Wagens und was letztlich effektiver ist, ein 5-Gang oder ein 6-Gang Getriebe. Als ob ich davon eine Ahnung gehabt hätte.

Die harte Arbeit hatte sich gelohnt, denn ich konnte ohne größere Manöver die Einfahrt verlassen und den Wagen etwas ruppig gen Ortsausgang lenken. Jack brummte immer mal wieder über mein ungeübtes Schalten und das grobe Aufheulen des Sportmotors.

„Ich fahre nicht so oft Auto. Es tut mir ja Leid, wenn ich den Wagen in deinen Augen quäle. Dann fährst du halt das nächste Mal.“, raunte ich etwas wirsch und Jacks Gehabe verebbte kommentarlos.

Die Straßen waren glücklicherweise geräumt, so dass wir angenehm und ohne weitere Probleme am Schwimmbad am Stadtrand ankamen.

Wiedermal murrend war Marie die erste die aus dem Auto sprang, fast zeitgleich mit dem Stehen der Reifen.

„Endlich sind wir da. Ich habe uns schon an einem Baum kleben sehen.“, brummte sie vorwurfsvoll und war auch schon am Kofferraum um ihre Tasche raus zu holen.

„Du kannst die Zeit auch nicht abwarten, was?“, murrte Grace, was mir durch den Kopf ging und schob sich schwerfällig aus dem Sportsitz heraus.

Der Weg bis zur Umkleide war eine einzige Farce, denn eine Stichelei folgte der nächsten, bis sich Grace und Marie fast an die Gurgeln gegangen wären. Mich beschlich irgendwie das Gefühl, dass das allgemeine Verhältnis zwischen Marie und Grace deutlich schlechter geworden war, seit dem ich in die Gruppe zurück gekehrt war. Anscheinend hatte Grace nun keinen Grund mehr, vor ihr zu kuschen und machte ihren Standpunkt nun mehr als deutlich. Maries Bemerkungen stießen immer mehr auf Eis, während Graces Spitzfindigkeiten immer mehr ins Rote trafen.

Endlich in der Umkleide angekommen, entledigte ich mich meiner dicken Wintersachen und begutachtete meinen normal gebauten Körper. Ich hatte keine übermäßig langen Beine oder eine Modelstatur und das Einzige, was ich an mir mochte waren meine Hände, was vermutlich auch nur daran lag, dass ich generell Hände sehr gern mochte.

Mühsam zwängte ich mich in den Bikini und musste feststellen, dass er gerade so alles bedeckte, was er bedecken sollte und somit mehr als nur anregend auf das männliche Geschlecht wirken musste. Etwas was mir gar nicht behagte, denn ich war alles Andere als jemand, der bewusst auf sich aufmerksam machen wollte. Marie ging eher in die Richtung einer Egozentrikerin.

Unbewusst warf ich einen Blick in den kleinen Spiegel, der in der Umkleidekabine hing und jeden darauf aufmerksam macht, was für ein abscheuliches Bild er doch abgab.

Nanuks Kette funkelte mir unwirklich entgegen. Auf meiner dreckigen braun grauen Hautfarbe wirkte sie deplatziert und einer anderen faszinierenderen ansehnlichen Frau entrissen. Trotz Nanuks eindringlicher Worte, entschied ich mich sie abzulegen und sorgsam zu verstauen, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Wobei meine Angst sie zu verlieren, definitiv ausschlaggebender war.

Vorsichtig ließ ich sich die Kettenglieder auf meiner Hand zusammenrollen und strich nochmals über den glatten Stein, der sich kühl und samtig anfühlte und im Inneren, wie Wellen eines schwarzen Meeres auf und abwogen zu schien. Langsam glitt das Metall in die Tasche und hinterließ eine kalte Spur auf meiner Hand.

Ein sachter Schauer fuhr mir den Rücken hinunter, als würde ein Windzug unter den Trennwänden hindurch wehen. Irritiert blickte ich mich um und horchte, konnte aber kein Rauschen des Windes hören, welcher durch ein offenes Fenster hätte eindringen können.

Bei dem Gedanken daran flogen plötzlich Bildfetzen vor meinem inneren Auge vorüber. Das Geräusch von rauschendem und tobendem Wind hallte durch meinen Kopf und ich spürte, wie ich eine Gänsehaut bekam als würde ich an einer Klippe stehen. Unter mir brachen sich die tosenden Wellen, vom Wind angetrieben, an den zerklüfteten und berstenden Steinbrocken und Felswänden. Das Wasser schoss Meter weit in die Höhe und benetzte meine Haut mit einem dünnen stechenden Sprühnebel bitterkalten Wassers. Ein bissiger Salzgeruch wehte mir um die Nase und ließ mich nichts Anderes mehr wahrnehmen. Mich schüttelte es vor Kälte.

„Beth!“, ertönte von außerhalb der Kabine, die mahnende Stimme von Grace, während sie vehement an meine Tür klopfte.

Blinzelnd musterte ich mein Spiegelbild. Mein ganzer Körper zitterte und feine Härchen hatten sich, die Wärme auf meiner Haut fangend, aufgestellt. Der schwere Salzgeruch lag noch deutlich in meiner Nase und hatte einen merkwürdigen Geschmack auf meiner Zunge hinterlassen.

Ich schüttelte mich nochmal. Nicht weil mir kalt war, sondern weil mir bewusst wurde, dass mir sonst solche intensiven Fantasien, nur beim Lesen eines Buches gelangten und nicht bei einer alltäglichen Gelegenheit. Es fühlte sich an, als hätte ich mit dem Ablegen der Kette auch eine andere Last abgelegt; eine Last, die mich am Boden der Tatsachen zu halten schien.

„Was für ein Schwachsinn.“, murmelte ich und schüttelte zum dritten Mal, wiederwillig den Gedanken anzunehmen, den Kopf.

Abermals tief einatmend, wickelte ich mir das schwarze Handtuch um die Hüfte und packte meinen Rucksack, um ihn in den gegenüberliegenden Metallspinden verschwinden zu lassen.

„Das wird ein Fest!“, lachte Grace, nachdem ich endlich aus der Kabine gekommen war, hinter mir und ich musste ihr innerlich Recht geben. Ich zwang meine abstrusen Gedanken beiseite und versuchte mich auf den kommenden Nachmittag zu konzentrieren; auf die ganzen Katastrophen, die auf mich zu kommen würden.

Denn im Gegensatz zu mir trug sie einen beigefarbenden Bikini, der an den Schnüren mit Holzperlen und Muscheln verziert war und wunderbar zu ihrer eher helleren Haut passte, da er sie nicht zu blass erschienen ließ. Sie brauchte sich keine Gedanken zu machen, irgendwie komisch auszusehen.

Insgesamt war ihr Körperbau meinem sehr ähnlich, von der Oberweite mal abgesehen. Ich schätze es waren A Körbchen. Aber heutzutage war das ja schon fast normal, zumindest fand ich, dass die Anzahl von Frauen mit einer pralleren Oberweite und einer normalen Statur eher zurück gingen.

Ihre weichen Haare zu einem Zopf zusammenbindend stand sie neben mir und hatte den Spint dort in Beschlag genommen. In der Luft lag dieser typische Geruch von Chlor und ich war froh, dass er den noch anhaltenden Salzgeruch nun gänzlich verdrängte. Die Luft erschien schwer von der hohen Luftfeuchtigkeit und machte das atmen etwas unangenehm. Auf den alten Fliesen waren Haare verteilt und ein bisschen Schmutz war hier und da von Straßenschuhen abgebröckelt. Ein Segen auf meine Badelatschen, dachte ich und hätte vermutlich ohne sie nicht einen Schritt barfuß gemacht. Dafür, dass es Wochenende war, war es erstaunlich ruhig. Selten plärrte ein Kind oder gackerten ein paar Teenies.

Ohne auf Marie zu warten, gingen wir mit Handtüchern bewaffnet durch die Reihen der Umkleidekabinen in Richtung der Duschen. Glücklicherweise waren die sauberer, so dass ich ohne eine erneute Ekelattacke mir kurz kühles Wasser über den Körper laufen lassen konnte. Grace schob prüfend ihren Fuß unter den Wasserstrahl und zuckte unmerklich zusammen, ehe sie einen kurzen Satz durch das Wasser machte und mit dem Ergebnis zufrieden war. Ihre Haare tropften ein wenig und ihr Bikini hatte hier und da dunkle Flecken bekommen, wo tatsächlich etwas Wasser angekommen war.

„Super machst du das!“, brachte ich mit zittriger Stimme hervor und huschte schnell durch die Tür in den Schwimmbadbereich. Klaglos mit sich im Einklang stapfte mir Grace hinter her und suchte sich in dem Holzregal neben der Durchgangstür ein Fach für unsere Handtücher.

Etwas beschämt verschlang ich die Arme vor der Brust und blickte mich in dem Schwimmbad um. Erst jetzt viel mir auf, dass einiges erneuert wurde und es insgesamt etwas tropischer aussah als zuvor.

Die beiden Jungs hatten sich bereits auf die Rutschen gestürzt und stürmten unbeholfen die Treppe hoch.

„Sehen ja beide nicht schlecht aus, was.“, grinste ich und stupste Grace in die Seite.

„Ja, die Beiden haben sich ganz gut entwickelt. Sind zwar keine Muskelpakete aber haben auch keinen Bierbauch.“, lächelte sie etwas zurückhaltend.

„Tja und deine Aussage bezüglich Jack war ja wohl alles andere als Wahrheitsgetreu.“, witzelte ich und fixierte sie ganz genau.

„Guck mal! Da drüben ist ein Whirlepool frei!“, sagte sie tonlos und deutete auf eine rundes hochstehendes Becken mit weißen Fliesen, umzingelt von Palmen und anderem tropischen Gewächs.

Ihr Versuch sich aus dieser Sache herauszuwinden war mehr als schlecht.

„Hör auf mich zu veräppeln und rede endlich mal Tacheles!“, grinste ich selbstsicher und folgte ihr zu dem erhobenen kleinen Becken.

Sorgsam ließ ich meinen Blick über das Wasser schweifen und musste irritiert feststellen, dass auch hier drinnen, kaum Leute waren. In ein paar verborgenden Ecken, neckten sich Paare und suchten gezielt nach Rückzugsgebieten, um über geheime Dinge zu mauscheln.

Im Kinderbereich waren nur drei Teenies, die sich in dem Knöchelhohen Wasser niedergelassen hatten und ausgelassen kicherten und sich scheinbar über vorbeigehende Leute lustig machten. Ab und an platschte es laut, wenn jemand aus den Außenrutschen zurück in die Becken klatschte und eine um sich schlagende Welle verursachte.

Die beiden Jungs schienen sich für den heutigen Tag zum Ziel gesetzt zu haben, einen neuen Abfahrtsrekord, für die Schnellwasserrutsche aufzustellen, so dass man sie entweder nur ins Becken rutschen sah oder auf dem Weg die lange Treppe hinauf in die erste Etage. Wenn man sich die Mühe machte, konnte man bestimmt auch die wild fuchtelnden Konturen der Beiden, in den dicken Plastikrohren außerhalb des Bades erkennen. Selbst wenn man dazu nicht in der Lage war, so war doch wenigstens das laute Gegröle zu hören.

Die Wege und Beckenränder waren mit großen tropischen Pflanzen versehen, die in riesigen Keramik Töpfen wuchsen. Im Hintergrund ertönte irgendeine beruhigende Musik, die an die tanzenden Ureinwohner von Haiti erinnerte und zusätzlich noch mit dem Klang rauschender Welle unterlegt war.

Vorsichtig schritt ich die schmale Treppe zu dem blubbernden Becken hinauf und schließlich die wenigen Stufen wieder in das warme Wasser hinab. Es war angenehm temperiert und verursachte durch die aufsteigende Luft ein wohliges Gefühl auf der Haut. Genüsslich ließ ich mich zurück sinken und legte den Kopf auf die Polsterstütze ab. Über mir hing das leuchtend grüne Blattwerk einer Palme und erlaubte mir, mir einzubilden tatsächlich in der Karibik zu sein und mir die Sonne auf die Haut brennen zu lassen.

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass er mitkommt.“, begann Grace seufzend und rutschte bis zum Kinn in das aufbrausende Wasser hinab.

Ich musste zugeben, dass mir das Zuhören deutlich schwer fiel, da mir zunehmend dösiger zumute wurde.

„Irgendwie versuche ich immer noch mir einzureden, dass das alles nicht so ist, wie es ist. Aber leider kann man Gefühle nicht einfach abstellen.“

Das rhythmische Rauschen der imitierten Meereswellen, legte sich nach und nach wie ein Schleier über meinen Geist.

„Manchmal glaube ich wirklich, dass er auch Interesse an mir hat.“

Das warme pulsierende Wasser massierte sanft meine durchgefrorenen Muskeln.

„Das eine Mal stand er plötzlich ganz dicht neben mir und schien keinen klaren Satz mehr zustande zu bringen.“

Sachte schien das Blattwerk über mir sich sanft hin und her zu wiegen.

„Und dann werde ich auch noch so fürchterlich rot, wenn er da ist oder mache solche verrückten Sachen, wie vorhin. Das ist einfach nur peinlich.“

Die helle Deckenbeleuchtung wurde dunkler. Langsam schloss ich die Augen.

„Erging dir das auch schon mal so?“

Das Rauschen des Meeres verebbte langsam und die Musik klang nach und nach ab. Um mich herum war es völlig finster geworden. Das Wasser wurde ruhiger und kühlte ein wenig ab, bis es letztlich sanft meinen Körper umhüllte.

Vorsichtig öffnete ich die Augen und kniff sie sofort wieder zusammen. Ich hasste Wasser in den Augen, denn es brannte und tat weh und ich war selten in der Lage gewesen unter Wasser gucken zu können. Die Arme nach oben streckend suchte ich nach der Wasseroberfläche und strampelte wie wild mit den Beinen, bis mir bewusst wurde, dass um mich herum nur Wasser war. Keine weichen Fliesen schmiegten sich an meine Haut und keine Metallstangen waren zum Greifen nahe. Notgedrungen öffnete ich wieder die Augen und versuchte den Schmerz zu unterdrücken.

Dunkelheit. Einige Minuten verstrichen, in denen ich blinzelnd auf der Stelle paddelte und wartete, dass sich meine Augen an die Schwärze gewöhnten. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich gar nicht atmete, zumindest nicht so, wie man normal atmen würde. Irgendwie schien meine Lunge an Sauerstoff zu gelangen aber der dafür arbeitende Prozess blieb mir gänzlich verborgen.

Verwirrt und mit steigender Angst blickte ich mich um. Schatten zogen an mir vorüber und schienen immer näher zu kommen. Lange, im Wasser pendelnde, Gestalten, von denen ich nicht sagen konnte, ob es Fische oder etwas Anderes waren.

Eigentlich wollte ich sie im Auge behalten, um schnellst möglich in Erfahrung zu bringen ob ich flüchten sollte oder ob es nur eine Einbildung war aber meine Angst vor dem, was sich in dem Dunkel unter mir verbarg war deutlich größer.

Langsam senkte ich den Blick und schob meine wallenden Haare beiseite, die sich durch das Wasser, wie leblose Fäden vor meinem Gesicht hin und her wellten.

Finsternis erstreckte sich unter mir und verschluckte alles, was sich dort befinden mochte. Panik umklammerte mein Herz und ließ instinktiv Adrenalin durch meine Adern pumpen. Mein Verstand war nicht in der Lage zu fassen, was gerade geschah. Ich hoffte inständig, ich sei eingeschlafen und träumte einen wirren Traum. Selbst für einen Traum fühlte es sich jedoch furchteinflößend real an.

„Du solltest nicht hier sein!“, fauchte eine abstrakte zischende Stimme. Ich konnte den Ursprung der Worte nicht ausmachen und drehte mich nur wahllos im Kreis.

„Ich weiß was du bist!“, erklang das Fauchen wieder und erschien dieses Mal von ganz woanders her zu kommen als zuvor.

„Nyrva.“

Ich erschrak. Das Wort schien mir das Wesen direkt ins Ohr gehaucht zu haben. Grotesk paddelnd drehte ich mich wieder aber sah nichts.

Ich öffnete den Mund, versuchte zu sprechen aber meiner Kehle entglitten nur ein paar Luftblasen und der Versuch ließ mich kläglich schlucken. Das Wasser schmeckte komisch. Es war nicht salzig und auch nicht klar. Ein schwerer süßlicher Geschmack benetzte meine Zunge und es fühlte sich irgendwie warm und wohlig an.

„Nicht sprechen.“

Aus dem nichts legte mir jemand etwas auf den Mund. Es fühlte sich an wie Finger aber sicher war ich mir keinesfalls. Ich sah nur den dunklen Umriss von Gliedmaßen, die seitlich fächerartige Auswüchse zu haben schienen, ähnlich wie Flossen. Zwangsläufig musste ich in die Richtung schauen, aus der die vermeintliche Hand gekommen war.

„Nyrva.“, spottete die Stimme. „Du musst denken, was du sagen willst. Glaubst du unter Wasser sprechen zu können?“

Das etwas schien belustig und machte mich damit automatisch wütend. Angestrengt versuchte ich es zu erkennen aber es machte den Anschein, als würde sich eine schützende Hülle um den Schatten legen und ihn vor unliebsamen Augen verborgen zu halten.

Angestrengt versuchte ich wiederwillig dem Rat Folge zu leisten und leisten und formte meine Gedanken zu klaren Sätzen.

„Was bist du?“, meine Stimme musste sich gebrochen und verzerrt anhören, denn mir fiel es unnatürlich schwer das Durcheinander in meinem Kopf einigermaßen zu sortieren und gesammelt zum Ausdruck zu bringen.

„Wichtiger wäre doch die Frage, was du bist. Nyrva.“, ertönten die Wörter und erst jetzt, wo ich mich darauf konzentriert hatte, stellte ich fest, dass ich sie tatsächlich nur in meinen Kopf zu hören schien.

„Warum sagst du immer Nyrva zu mir? Was soll das bedeuten?“, giftete ich, wütend über meine Unwissenheit und die ganze Situation in der ich mich befand.

„Falsche Fragen. Du hast nicht viel Zeit und nutzt sie so schlecht.“

Ich glaubte ein sachtes Kichern zu hören. Konnte man in Gedanken kichern, fragte ich mich perplex.

„Was soll das alles? Wo bin ich hier überhaupt?“

„Gut. Bessere Fragen.“. Der Spott war verschwunden und ruhige Zuversicht schien das Wesen einzunehmen.

Rätselnd blickte ich mich über mir und um mich herum um, als ich plötzlich glaubte, dass die Gestalt immer mehr feste Formen annahm. Es war ein Mann, der sich vor mir im Wasser hin und her wand. Zumindest machte es den Anschein eines Mannes.

Immer näher kam er an mich heran und wog sich in der Strömung. Aschblonde Haare wellten sich teils geflochten, teils lang und wild um ihn herum und schimmerten geheimnisvoll in den matten Lichtstrahlen, die noch in die Tiefe hinab kamen. Seine Augen wirkten schmal und in die Länge gezogen, waren aber ebenso hell und leuchtend wie seine Haare, als würden sie keine Pupillen aufweisen können. An der Stelle seiner Nase hob sich nur sacht ein Knochen unter der Haut ab und entblößte die zwei schmalen Schlitze seiner Nasenlöcher unmerklich. Sanft umspielte ein scheinbares Lächeln seine nicht vorhanden Lippen und entblößte spitze funkelnde Fangzähne. Die reißenden Zähne eines Jägers. Die Haut seines schmalen langen Körpers wirkte ledern, als könne man ihr mit keiner Klinge etwas anhaben.

Langsam und vorsichtig streckte er mir seine Hand entgegen. Scharfe Klauen glitten unmerklich über meine Wange und ließen mir einen Schauer über den Rücken laufen, verletzten jedoch nicht meine, im Gegensatz zu ihm, so zarte Haut. Kaum sichtbare dünne Häute waren zwischen seinen langen Fingern gespannt und mussten ihn zu einem schnellen wendigen Gegner machen. An seinen Unterarmem lagen fächerartige Gestelle von Knochen und Häuten an, welche er nach Belieben zur Seite ausstrecken konnte wie Flügel, um zu manövrieren und schnell zu bremsen. Ähnliche Auswüchse hatte er ebenfalls an den übernatürlich muskulösen Beinen, die antiproportional zu seinem schmalen Oberkörper wirkten. Seine Füße machten den Anschein, als würde er Flossen tragen, bis ich durch den Dunst des Wassers erkannte, dass sie von Natur aus so geformt waren.

Still und gebannt musterte ich das Wesen und war völlig eingenommen von der fantastischen Gestalt. Muscheln und funkelnde Steine zierten seine knochige und lederne Rüstung, die seine Lenden und Schultern einhüllten. Diverse Dolche aus Stein oder Knochen prangten an seinen Oberschenkeln und auf seinem Rücken und in einem kleinen Beutel an seiner Hüfte schienen sich kleine flache Steine zu befinden, die er vermutlich mit präziser tödlicher Geschwindigkeit durch das Wasser schießen lassen konnte.

„Diese Welt heißt Panthera. Das hier ist der Larijahn Graben im Thelos Meer.“

„Ich bin wo?“, fragte ich perplex und starrte den Meermenschen mit seiner Perfektion entsetzt an.

„Panthera ist die Welt der Jäger. Eine Welt voller Träume und Mystik. Jede Art in ihrer Form perfekt.“, abermals entblößte er seine Fangzähne und lächelte mich an. Langsam bewegten sich seine Beine und hielten ihn auf der Stelle, während ich fast schon wild zappeln musste um nicht zu sinken.

„Das ist ein Traum oder?“. Ich begriff gar nichts. Vollkommen benebelt starrte ich durch die Finsternis und sah hier und dort einen kleinen mir unbekannten Fisch an uns vorüber ziehen. In Gedanken blickte ich an ihm vorüber und glaubte in weiter Ferne etwas leuchtend Weißes aufleuchten zu sehen.

„Larij. Meine Heimat. Die weiße Stadt im Meer.“, antwortete er als er meinem Blick gefolgt war. „Es ist dein Traum Nyrva. Deiner allein. Jeder Nyrva träumt seinen eigenen Traum.“

Das Wesen strahlte eine sanfte und wohlige Ruhe aus und nach und nach wünschte ich mir, mit ihm zu gehen und die weiße Stadt zu erkunden, von seiner Weisheit und Ruhe zu profitieren und diese Welt meines Traumes zu genießen aber es kam anders.

Langsam spürte ich ein schmerzliches Stechen in der Brust.

„Geh jetzt Nyrva. Es wird Zeit.“, erklang die raue zischende Stimme und das Wesen griff mit beiden groben Händen mein Gesicht und blickte mich aus den hellen silbrigen Augen lange an, als wollte er sich mein Gesicht ganz genau einprägen. „Ich werde dich wiedersehen.“

Der Schmerz wurde größer und langsam begriff ich, dass ich keine Luft mehr bekam. Meine Lunge krampfte und verlangte nach Sauerstoff. Beißend rang mein Körper mit der nahenden Bewusstlosigkeit.

„Wehre dich nicht. Es ist noch nicht Zeit.“

Das dunkle Antlitz mit den funkelnden Haaren verblasste. Langsam und wiederwillig schloss ich die Augen, hörte auf zu zappeln, hörte auf mich zu wehren und sank wie ein Stein ins Meer hinab. Ich fühlte mich, als würde ich einschlafen. Nichts weiter.

Graues Weiß

Jeder Atemzug stach in meinen Lungen und ließ mich wiederwillig zusammenzucken, als würde mir jemand Stromstöße verpassen. Reflexartig musste ich Husten und machte alles nur noch schlimmer, so dass ich mich schmerzlich im Bett hin und her wand.

„Sie wird wach!“, erkannte ich Graces schwache Stimme. Sie wirkte müde und ausgezehrt.

„Gott sei Dank.“, flüsterte Ben und seufzte leise.

Langsam und mühselig zwang ich mich die Augen zu öffnen, die sofort und ohne Vorwarnung wie Feuer brannten. Meine Umgebung war unklar. Ich schaffte es kaum zu erkennen wo ich mich befand, geschweige denn die Menschen um mich herum identifizieren zu können, die wie verschwommene Statuen um mein Bett verteilt standen. Lediglich die Stimmen drangen deutlich zu mir hindurch. Die Szenerie kam mir befremdlich vor, als würde nicht ich sie erleben, sondern sie nur als Teil eines Filmes von außen betrachten.

Ich glaubte es würde eine kleine Ewigkeit dauern, bis meine Augen sich einigermaßen an die helle Umgebung gewöhnt hatten und ich den ganzen Trubel tatsächlich visuell fassen konnte. Bis auf Marie - wie sollte es auch anders sein- waren meine Freunde da und schienen schon sehnlichst mein Erwachen zu erwarten.

Benommen blinzelnd schaute ich mich etwas um und versuchte mich langsam aufzurichten.

Skeptisch beäugte Grace mein Tun und schien neben meinem Bett nur darauf zu warten, vom Stuhl aufzuspringen und mir zu helfen. Ihr Gesicht erschien kraftlos und matt und ich wollte nicht wissen, wie lange sie schon dort gesessen haben musste. Immer noch war sie in dieselben Anziehsachen gehüllt, wie an unserem Treffen am Wochenende. Meine Gedanken nahmen die Frage voraus, die ich eigentlich laut stellen wollte, welchen Tag wir hatten doch schließlich sträubte ich mich davor, es tatsächlich wissen zu wollen.

Erst jetzt wurde mir richtig bewusst, dass ich gar nicht wusste, was eigentlich wirklich passiert war. Ich hatte mich so auf meine Mitmenschen konzentriert, dass in mein Bewusstsein nicht hindurch gedrungen war, dass alle nur wegen mir hier zu sitzen schienen.

„Ist irgendwer gestorben?“, zwang ich mich zu einem erschöpften Lächeln und versuchte die Stimmung etwas zu erheitern, dass ich mit dieser Frage jedoch genau das Gegenteil verursachte, schlug mir wie ein Faustschlag auf den Magen.

Ruckartig traf die Anwesenden eine unsichtbare Ohrfeige und ließ Grace ganz leise aufschluchzen.

Perplex starrte ich in die fassungslosen und bleichen Gesichter. Keiner schien sich zu trauen, mir zu sagen, was geschehen war obwohl sich jeder denken konnte, dass ich keine Ahnung hatte. Anscheinend blieb mir keine andere Wahl, als nachzufragen, bevor ich das nächste Fettnäpfchen anvisierte.

„Was ist denn passiert?“, ertönte meine Stimme nochmals, zunehmend fremder für mich selbst, durch Heiserkeit und das fortwehrende Kratzen im Hals geplagt.

„Kannst du dich denn an gar nichts erinnern?“, fragte Grace mit zittriger Stimme und stand plötzlich auf, um ans verhangene Fenster zurück zu weichen und ziellos hinaus zu starren. Ohne jeglichen Kommentar schritt Jack an sie heran, um sie in den Arm zu nehmen. Nach Minuten langem Schweigen, nahm Ben ihren Platz ein, ebenso kreidebleich und sichtlich neben sich stehend. Die warmen braunen Augen auf die weiße Bettdecke senkend, atmete er mehrmals tief ein und aus bevor er begann zu sprechen.

„Ich kann dir nicht genau sagen was passiert ist. Es war schon geschehen, als Jack und ich etwas mitbekommen hatten. Es ging alles so schnell und wir fühlten uns so hilflos.“ Er rang deutlich nach Luft, um weitersprechen zu können. „Du lagst auf dem Boden. Ein Rettungsassistent vom Schwimmbad war schon da und saß neben dir. Er drückte dir die ganze Zeit auf der Brust herum und beatmete dich zwischenzeitig wieder. Bis wir verstanden, dass er gerade versuchte dich wiederzubeleben, warst du schon auf dem Weg ins Krankenhaus. Du… du warst ganz blau angelaufen und lagst so leblos da. Wir dachten…“ Er brach ab und vergrub sein Gesicht in den, auf dem Bett abgestützten, Händen.

Ein dicker Kloß hatte sich in meiner Kehle festgesetzt, während Grace im Hintergrund aus dem Fenster starrte und leise in Jacks Armen vor sich hin wimmerte.

Sollte das mein Neuanfang sein? Mein Start in bessere Zeiten? In Zeiten, die nicht mehr ganz so eintönig waren wie zuvor?

Ich konnte nicht wirklich fassen, was Ben mir erzählt hatte. Benommen schien ich nur noch einen einzigen Punkt an der Wand zu fixieren und versuchte krampfhaft mich an das Geschehen im Schwimmbad zu erinnern aber es war alles verflogen. Keine Erinnerung wies noch darauf hin, dass ich überhaupt dort gewesen war. Es war, als hätte dieser Tag nie existiert.

Eine Schwester betrat geschäftig in ihren weißen Unschuldskittel gehüllt den kleinen Raum, lief einmal um mich herum um irgendwelche piependen Gerätschaften mit einem prüfenden Blick zu begutachten und meine Freunde schließlich unfreundlich des Zimmers zu verweisen, da die Besuchszeit vorüber war. Wiederwillig verabschiedeten sie sich wie in Trance und verschwanden nach und nach durch die Tür.

Ohne ein weiteres Wort an mich zu richten verschwand auch die Schwester wieder aus meinem Zimmer und ließ mich im fahlen grellen Licht der Deckenlampen zurück. Knirschend fiel die Tür zurück in den Rahmen und ich hatte das Gefühl, nun gänzlich von der Außenwelt abgeschlossen zu sein.

Monoton füllte das Überwachungsgerät die Stille, mit einem penetranten Piepen. Vom Flur drangen Schritte und das Scharren von Essenscontainern zu mir hinein. Leise surrte die Lampe über mir und flackerte unmerklich.

Je länger ich alleine in meinem Bett saß, umso mehr belanglose Laute vernahm ich. Langsam und zittrig ließ ich mich in das weiche Laken zurücksinken. Benebelt starrte ich die Wand mir gegenüber an. Kein Bild thronte an ihr, kein Zeichen von Leben. Nur die leere Wand schien mich höhnisch anzulachen.

Weiße Farbe ist rein und unbefleckt; völlig fern von Dunkelheit und Unglück. Ich glaubte lange, dass ich eine weiße reine Weste hätte - wie man das immer so schön im Volksmund sagte- und es nichts um mich herum gab, was sie hätte trüben können. Aus meiner Sicht waren immer andere Schuld, die meine weiße Weste beflecken wollten; mein Leben erschweren wollten.

Ich begann zu zweifeln. Das Weiß an den Wänden verlor an Kraft und Klarheit, je länger ich es betrachtete. Es wurde grau und wirkte nicht mehr so steril und unnahbar. Meine Weste begann zu bröseln, wie ein trockener Kuchen.

Das Weiß an der Wand hatte für mich plötzlich eine ganz andere Bedeutung angenommen. Deutlich erinnerte ich mich an die hellen Wände in meinem Zimmer, als mein Dad und ich in das neue Haus einzogen. Sie strahlten und wirkten auf mich freundlich und einladend.

Es gab keinen Zweifel daran, dass die Farbe an der Wand in meinem Krankenzimmer die Selbe war aber dennoch war es anders. Ich betrachtete es einfach nicht als die Selbe.

Farberkennung war nichts weiter als eine subjektive Umsetzung des Auges von einzelnen Farben, eines eigentlich so übersichtlichen Farbspektrums. Mal war das Grün leuchtend und satt und am nächsten Tag wirkte es stattdessen mürbe und ausgezehrt.

Meine Gedanken drehten sich im Kreis, fassten jedes Mal wieder dieselbe leidige Frage auf und ließen die Zeit dabei keineswegs verstreichen.

Gemächlich begann es vor den halb geschlossenen Vorhängen zu dämmern. Das Weiß wandelte sich nun endgültig in dunkle und verzerrte Grautöne und drückte unendlich schwer auf mein Gemüt. Die Geräte um mich herum warfen abstrakte Farben an die Wände und ließen das Zimmer fast wie eine Disco für Arme aussehen.

Mein Hals tat fürchterlich weh und jeder Schluckversuch fühlte sich an, als wollte ich einen Tennisball durch meine Speiseröhre quetschen. Trinken fiel mir schwer, denn auch das kühle Wasser war keine Entspannung für die geschundene Lunge und die Schleimhäute durch die sie vermutlich diverse Schläuche geschoben hatten. Eigentlich wollte ich mir nicht bewusst machen, was tatsächlich mit mir geschehen war. Es waren nur Erkenntnisse, die mich weiter hätten schaudern lassen.

Langsam drehte ich mich auf die Seite und schob mir das weiche Kissen weiter unter den Kopf. Krampfhaft versuchte ich die Geräusche um mich herum auszublenden und ein wenig Ruhe zu finden. Ich glaubte es dauerte Stunden, bis ich halbwegs eingeschlafen war.
 

Die Schwestern in diesem Krankenhaus schienen alle samt nicht viel Feingefühl zu besitzen. Am nächsten Morgen wurde meine Zimmertür aufgerissen und ruppig die Gardinen zur Seite gezerrt. Sonnenlicht flutete den Raum und schien durch meine Augenlieder hindurch zu leuchten, als seien sie durchsichtig.

Mürrisch hob ich ein wenig den Kopf.

„Frühstück kommt gleich!“, wurde mir knapp zugerufen, als die Dame in weiß schon fast wieder aus der Tür verschwunden war.

„Glänzend!“, brummte ich leise.

Abermals blickte ich mich müde in dem kargen Zimmer um. Wieso war ich eigentlich dort? Wieso war das alles geschehen? Was hatte ich der Welt da draußen getan, das sie es mir so dankte?

„Frühstück!“, lachte ein junges Mädchen neben meinem Bett und schob den beweglichen Tisch über meine Decke, um darauf den Teller mit Brot und den kleinen Plastikbehältern mit Marmelade und Honig abzustellen. Wie sollte es anders sein, war sie auch schon wieder verschwunden ehe ich mich aufgerichtet hatte.

„Danke!“, nuschelte ich tonlos vor mich hin und starrte auf den Teller. Vermutlich hätten sie es mir auch pürieren können und ich hätte es trotzdem nicht schmerzfrei in meinen Magen transportiert bekommen.

Sekundenlang rang ich mit mir ob ich es essen sollte oder lieber den Schmerzen aus dem Weg gehen sollte. Ich entschied mich entgegen meines knurrenden Magens für das Letztere.

Nachdem der volle Teller wieder abgeholt wurde rollte ich mich auf die andere Seite und starrte regungslos aus den Fenstern. Die letzten Zipfel einer Tanne wogen im unteren Bereich der Scheibe hin und her. Auf der gegenüberliegenden Seite sah man nur weitere Fenster mit den weißen Vorhängen, hinter denen vielleicht auch eine Trübsal blasende Person lag und zurück starrte. Es war fast wie in einem Spiegel. Ein Gedanke der mir keinesfalls behagt. Schlimm genug, dass mir solche Dinge passierten, so wünschte ich, dass wenigstens andere davon verschont bleiben würden. Ein törichter Gedanke aber er hatte einen guten Kern, obgleich seine Verwirklichung mehr als unrealistisch erschien.

Ganz leise und zaghaft klopfte es an meiner Tür. Für einen Moment glaubte ich, es sei nur ein Geräusch von draußen, vor dem Fenster, bis sich das Klopfen etwas energischer wiederholte und ich klar hören konnte, von wo aus es zu mir und meinen abstrusen Fantasien hindurch drang.

„Herein!“, krächzte ich und wurde schmerzlich daran erinnert, dass meine Kehle und meine Lungenflügel immer noch brannten und das das alles kein böser Traum gewesen war.

Zögerlich wurde die Tür etwas aufgeschoben. Neugierig aber auch etwas mürrisch drehte ich mich auf die andere Seite und versuchte mich gleichzeitig etwas aufzurichten. Es gab nicht viele Leute mit denen ich zu rechnen hatte aber das musste nicht zwangsläufig heißen, dass nicht doch jemand unerwartetes kommen würde, daher versuchte ich ein wenig Haltung zu bewahren. Grob schlug ich mit den Fäusten hinter mich gegen das Federkissen, um besser sitzen zu können und wand den Blick währenddessen nicht von dem Türspalt, der immer größer wurde, ab.

Ein schwarzes Büschel Haare schob sich zuerst ins Zimmer und schien den Körper wiederwillig hinter sich her zu ziehen.

Mein Magen verkrampfte sich ein wenig. Sofort erfüllte mich Zwiespalt und meine Gedanken wirbelten wild in meinem Kopf umher. Einerseits freute ich mich ihn zu sehen, andererseits zügelte mich meine Unzufriedenheit und die Unwissenheit über die Gründe der vergangenen Geschehnisse.

„Hallo Beth.“, flüsterte seine klare und weiche Stimme so leise, dass ich sie kaum hören konnte. Vorsichtig, wie ein scheues Reh, betrat er den Raum, schloss nahezu lautlos die Tür und machte wenige Schritte an mein Bett, unschlüssig darüber, was er nun tun sollte.

Ich antwortete nichts. Lange ruhten meine Augen auf ihm, wie er da stand und mit irgendetwas zu ringen schien. Immer wieder schritt er von einem Fuß auf den anderen, schob die Ärmel seines dünnen schwarzen Pullis hoch, griff sich nervös in den Nacken und starrte auf den Boden. Die einzigen Geräusche waren seine scharrenden Schritte und das immer wiederkehrende tiefe Atmen seinerseits. Abermals vergrub er seine Hände in den Taschen seiner dunklen Jeans und betrachtete seine Turnschuhe, wie sie über den Boden glitten. Es blieb still zwischen uns.

Nach einer Weile zog er sich wiederwillig den Stuhl an mein Bett, der in der Ecke des kleinen Raumes stand. Schwerfällig ließ er sich auf das Polster fallen und stütze die Ellenbogen auf den Knien ab. Den Oberkörper nach vorne gelehnt und den schwarzen Haarschopf hängen lassend, schüttelte er mehrmals sacht den Kopf.

„Warum tust du das?“, fragte er schließlich und in seine Stimme war wieder diese Härte zurückgekehrt, die ich das erste und letzte Mal vernommen hatte, als wir in meiner Küche standen und er mich gefragt hatte, was an jenem verhängnisvollen Schultag passiert war. Minutenlang schien er mit jedem Atemzug Stärke gesammelt zu haben, um dieses Gespräch beginnen zu können, ohne letztlich an Zweifeln und Unentschlossenheit zu scheitern.

Jede noch so große Tugend seinerseits änderte nichts an der Situation. Er tut es schon wieder, brodelte der unliebsame Gedanke in mir auf. Ich zügelte mich, wollte nicht schon wieder planlos aus meiner Haut fahren und damit Dinge aufs Spiel setzen, die mir lieb und teuer waren. Er sollte erzählen weswegen er gekommen war, auch wenn die ersten Worte nicht viel Gutes verhießen. Trotz allem wäre ich die letzte gewesen, die ihn dabei hätte unterbrechen wollen.

Wieder dauerte es lange, bis er einsah, dass ich ihm nichts entgegenzubringen hatte.

„Du hast sie nicht getragen. Hab ich Recht?“, resignierte er und klang dabei fast schon etwas wütend. „Ich gab sie dir, weil sie dich beschützen sollte. Nenn es einen Glücksbringer, wenn du magst. Ein Glücksbringer kann dir jedoch kein Glück bringen, wenn du ihn nicht trägst. Du hattest es mir versprochen Beth. Versprochen. Weißt du was das heißt? Ich habe mich auf dich verlassen, auf dein Versprechen mir gegenüber verlassen. Warum tust du das?“

Seinen Kopf in den, auf den Knien abgestützten, Händen legend atmete er schwer und schüttelte wieder mehrmals unmerklich den Kopf.

Langsam hatte ich das Gefühl, dass sich eine unsichtbare Spannung in dem kleinen Raum aufbaute und die Luft zu elektrisieren schien. Wir stritten nicht. Noch nicht. Aber dennoch war etwas Schweres und Belastendes zwischen uns getreten.

„Willst du damit sagen, dass das was passiert ist meine Schuld ist, weil ich deine Kette nicht getragen habe?“, fragte ich und bemühte mich angestrengt, vollkommen gleichgültig zu klingen. Würde ich auch nur das kleinste Anzeichen von Wut aufzeigen, würde er die Diskussion vorerst auf sich beruhen lassen, weil er genau wusste, dass es mich zu diesem Zeitpunkt zu sehr anstrengen würde. Also versuchte ich ruhig zu bleiben, unberührt von der Tatsache, dass er mir in befremdlicher weise fast schon zu verstehen geben schien, dass es anscheinend meine Absicht war zu ertrinken. Das war meiner Logik entsprechend zumindest die einzig naheliegende Botschaft, die er mir mit diesen Worten vermitteln wollte.

Jeder Klang der meine Kehle verließ hinterließ ein unangenehmes Kratzen und bereitete mir Unbehagen vor jedem nächsten Satz, den ich gedachte auszusprechen.

„Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen.“, seufzte er, ohne dabei aufzublicken. „Ich…“, er brach ab und stand auf. Ohne jeden weiteren Kommentar schritt er an meinem Bett vorbei ans Fenster und starrte regungslos hinaus. Seine Wut schien wieder abgeklungen zu sein und die mir bereits bekannte Wehmut hatte ihn erneut ergriffen und umklammerte sein Herz; ließ ihn Schweigen über Dinge, die er wünschte aussprechen zu können.

Ich wusste nicht was ich alles dafür getan hätte, um ihm diese Last zu nehmen und endlich zu erfahren, was mit ihm los war. Leise seufzend zog ich meine Decke etwas weiter hoch und musterte bedrückt den Baumwollbezug. Was sollte ich ihm sagen, ohne ihn zu verletzen; ohne ihm deutlich zu machen, wie sehr er mir mit allem weh getan hatte und mich enttäuscht hatte?

„Ich würde dir gern das sagen, was du hören willst… würde dir gerne erzählen, warum das alles ist, wie es ist. Aber das kann ich nicht.“

„Was soll das heißen du kannst es nicht? Ich weiß noch nicht einmal, was genau du meinst. Du bist so merkwürdig in den letzten Wochen und ich weiß einfach nicht warum. Habe ich dir irgendwas getan oder dich irgendwie verletzt? Ist in deiner Familie irgendetwas passiert oder magst du mich einfach nur nicht mehr? Rede doch mit mir Nanuk. Du kannst nicht den Rest deines Lebens vor mir davon laufen!“, krächzte ich mit Mühe und spürte machtlos, wie mir das Wasser in die Augen schoss.

„Es geht hier nicht um uns. Das durfte es nie.“, hauchte er atemlos und die Trauer und Verzweiflung in seiner Stimme schnürte mir die Kehle zu. „Es geht um dich.“

Verkrampft stütze er sich mit einer Hand an der Glasscheibe ab und es sah aus, als würde auch er versuchen die Tränen zu unterdrücken. Seine Schultern zitterten etwas, während er sich wortlos mit Daumen und Zeigefinger über die Augen strich. Sekundenlang rührte er sich nicht, kämpfte vehement damit seine Fassung zu bewahren und seinen Gefühlen keinen freien Lauf zu lassen.

Wie sehr ich mir doch wünschte, er ließe zu er selbst zu sein.

„Wie kam es überhaupt dazu? Deine Freunde wollten mir nicht wirklich etwas erzählen. Ich schätze sie mögen mich nicht.“, fragte er tonlos und doch konnte ich das kaum merkbare Beben in seiner Stimme noch immer vernehmen. Ich kannte ihn einfach zu gut.

Der Gedanke alles zu erzählen und es damit noch mal zu durchleben ließ mich schaudern aber ich glaubte dadurch vielleicht etwas zu erreichen und ihn dazu zu bewegen, mir etwas von den Dingen zu erzählen die er so unnachgiebig für sich behalten wollte.

Wieder befand ich mich in der Selben Situation, wie noch vor wenigen Wochen und wieder steckte mir ein dicker Kloß in der Kehle.

„Ich weiß nicht was du hören willst. Wir wollten doch nur schwimmen. Ich weiß nicht was daran so schlimm war. Grace und ich hatten uns in den Whirl Pool gesetzt, um ein wenig in Ruhe zu reden und das schöne Wasser zu genießen. Ich weiß nicht was passiert ist. Ich muss eingenickt sein. Plötzlich war überall Wasser um mich herum. Ein Meermensch sprach mit mir und sagte irgendwann es sei noch nicht Zeit. Danach wachte ich im Krankenhaus wieder auf.“, meine Stimme bebte und die quälende Verzweiflung, warum mir so etwas passiert war, brach aus mir heraus, wie ein Wasserfall aus einer Gebirgsquelle. Tränen rannen langsam über meine Haut und verursachten kleine dunkle Stellen auf dem Laken unter mir.

Plötzlich durchfuhr mich eine zweite elektrisierende Welle des Schauderns. Ich berichtete Nanuk so selbstverständlich von den Dingen die geschehen waren, dass ich selbst erst gar nicht begriff, dass ich zuvor nicht in der Lage gewesen war mich an sie zu erinnern. Aufgewühlt versuchte ich einen Punkt auf meiner Bettdecke zu fixieren und mir krampfhaft eine logische Erklärung dafür einfallen zu lassen.

Bedächtig schritt Nanuk im selben Moment an meine Seite, zog den Stuhl nun ganz an mein Bett und ergriff meine Hand. Er hielt sie nicht fest aber auch nicht lose zwischen den seinen. Es fühlte sich an, als hätten sich seine Hände, wie eine schützende Hülle um die meinen gelegt, stets bereit zuzupacken und mich zu halten, sollten sie es müssen. Nur ganz sacht berührte sich die Haut, wie ein zarter Windhauch.

Schlagartig nahm mich nun eine ungewohnte innere Ruhe ein. Meine aufkeimende Panik und die Ratlosigkeit über das momentane Geschehen verkrochen sich ganz langsam wieder dahin zurück, woher sie gekommen waren. Es fühlte sich an, als hätte jemand den unendlich schweren Stein von meiner Brust genommen, der meine Lunge daran hinderte ihrer normalen Arbeit nachzugehen.

Minuten verstrichen, bis ich meine Stimme wieder fand und die Tränen etwas versiegt waren. Ich war nicht allein. Er war da und er würde immer da sein. Zumindest war es das, was mir diese Geste hätte vermitteln können. Und ich ließ zu, dass sich dieser Gedanke als der richtige verfestigte.

„Erzähl wie es dort war. Was hast du gesehen?“, fragte er leise.

Schleppend und mit immer wiederkehrenden Pausen versuchte ich ihm zu erzählen, was sich mir für eine Welt gezeigt hatte, was der Meermensch gesagt hatte und wie unerwartet ich aus diesem Geschehen gerissen wurde.

„Warum willst du das alles so genau wissen?“, wollte ich erfahren, doch schaute ich ihn, die Antwort abwartend, nicht an. Ich hatte nicht die Kraft den von mir erwarteten Blick zu ertragen. Seine Stimme verriet mir Neugierde, gepaart mit einer unsicheren Anteilnahme und dem unterdrückten Hauch von Wehmut und Trauer.

„Dein Herz hat lange nicht geschlagen. Wenn du dich dennoch ohne größere Lücken an alles erinnern kannst, hat dein Gehirn vermutlich keine Schäden davongetragen.“, antwortete er tonlos und starrte in Gedanken aus dem Fenster. Die grünen Augen leer und ausdruckslos auf die gegenüberliegende Hauswand gerichtet, wirkte er in sich gekehrt und einer Situation ausgeliefert, die ihm nicht nur missfiel sondern ihn innerlich fast zu zerreißen schien.

Die Antwort war logisch aber für mein Verständnis so unpassend, wie selten etwas, was er je erwähnte. Ich versuchte nicht mir den Kopf darüber zu zerbrechen, was er mit dieser Aussage nun wieder verbergen wollte. Eine innere Gewissheit sagte mir, er würde mir es so oder so nicht offenbaren.

„Du musst diese Kette tragen Beth! Bitte!“, sagte er plötzlich eindringlich und blickte mich nach langer Zeit endlich wieder an. Fordernd bohrten sich die leuchtend grünen Augen in die meine und zwangen mich regelrecht dazu den Blick abzuwenden.

„Was soll das Nanuk? Meinst du eine kleine Kette könne mich von all dem Unheil auf der Welt bewahren?“, antwortete ich leise aber bissig.

„Nein. Sie beschützt dich vor dem Unheil in dir.“, flüsterte er.

Ich musste mich unwahrscheinlich anstrengen, um die Worte zu verstehen und gönnte mir lieber noch einen Augenblick länger, in dem ich abwog, ob ich gerade richtig verstanden hatte, was er gesagt hatte.

„Dem Unheil in mir?“, wiederholte ich und konnte den aufkeimenden Zorn nicht mehr verbergen.

Als habe ihn jemand geohrfeigt, zuckte er zusammen und schien erst jetzt die Tragweite seiner Worte vollends zu fassen. Seine Haltung versteifte sich und seine Gesichtszüge gefroren.

„Sie soll dich nur daran erinnern, wie gefährlich es für dich ist, wenn du immer vor dich hin träumst. Du siehst doch was dabei heraus kommt.“, versuchte er sich verzweifelt mit einer Ausrede zu retten.

„Also willst du doch sagen, dass ich an dieser Situation selber Schuld bin? Ist es das weswegen du hergekommen bist Nanuk? Um mir zu sagen, dass mich meine Träumereien umbringen werden?“, die Ungläubigkeit in meiner Stimme war mir im ersten Moment selbst fremd.

„Nein natürlich nicht. Beth, versteh doch. Ich will dich nur schützen.“, die verzweifelte und brechende Stimme seinerseits, veranlasste mich keinesfalls ruhiger zu werden.

„Du willst mich vor mir selbst schützen, ja! Hab ich das jetzt richtig verstanden?“, schrie ich anfänglich, bis meine Stimme in ein verächtliches Kratzen überging.

„Ruhe dich aus. Du bist noch zu schwach um dich so aufzuregen. Bitte Beth. Es tut mir Leid. Ich hätte nicht herkommen dürfen.“, bat er und versuchte mich nun mit sanfter Gewalt in mein Kissen zurückzudrücken.

„Richtig! Du hättest nicht herkommen dürfen. Wenn du mir nur zu sagen hast, dass ich eine Gefahr für mich selbst bin, dann geh!“, knurrte ich bösartig und zeigte so energisch und selbstsicher, wie ich in diesem Moment sein konnte zur Tür.

Nanuk traf es wie ein Schlag. Vollkommen perplex starrte er mich sekundenlang irritiert an.

„Das meinst du nicht so. Überleg dir das noch mal.“, versuchte er mich umzustimmen.

„Raus!“, keifte ich und musste danach schmerzhaft auf husten. Jedes weitere Wort war nun nur noch mit Pein verbunden, so dass es mir noch nicht einmal über die Maßen leid tat ihn hinauszuwerfen.

Abermals starrte er mich fassungslos an. Sein Wille schien gebrochen. Nach und nach entwich jegliche Stärke und Wärme aus seinem Blick. Langsam ließ er die Arme fallen und senkte den Kopf. Ein sachtes Beben schlich sich in seine Atmung und seine Schultern schienen kurz zu zittern.

„Wie du meinst.“, antwortete er tonlos. Kein Hauch von Reue, Trauer oder Mitleid schwang in seinen Worten mit. Achtlos schob er den Stuhl wieder in seine Ecke zurück, verharrte dort einen Atemzug lang und schritt dann ohne jeglichen Kommentar aus der leise aufschwingenden Tür hinaus.

Auch wenn mein Stolz und meine Sturheit mich zum Schweigen zwangen, so hatte ich noch im selben Augenblick, in dem er den Raum verließ, die Befürchtung etwas abgrundtief Falsches getan zu haben.

Er sah so verletzt und gekränkt aus, dass ich nicht glauben konnte, dass er in den nächsten Tagen noch mal wieder kommen würde. Je mehr Zeit verstrich desto näher rückte mir eher die schmerzliche Erkenntnis er würde gar nicht mehr wieder kommen. War ich zu weit gegangen? Was erwartete er bloß von mir?

Am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt. Für was auch immer war mir im ersten Moment ziemlich gleich. Zum einen versuchte ich mir einzureden, dass ich mir keine Vorwürfe machen bräuchte, denn schließlich war ich die Verletzte und er wollte mir zusätzlich einreden, ich hätte selbst Schuld daran getragen. Andererseits hatte er stets unanfechtbar immer nur das Gute für mich gewollt und jetzt zu glauben, dies hätte sich geändert war mein Verrat an unserer Freundschaft.

Langsam beschlich mich der Gedanke, dass meine Beziehung zu Nanuk nur noch aus Entschuldigungen für sein Verhalten und Rechtfertigungen für meine Leiden bestand. Nichts sehnlicher wünschte ich mir, als das es einfach wieder so sein könne wie vor einigen Wochen.

Vor Schmerz das Gesicht verziehend drehte ich mich wieder auf die Seite und schaute aus dem großen Fenster. Die Sonne ging langsam auf, doch hier in der Stadt wirkte dennoch alles trostlos und dunkel. Mit der Zeit hatte ich aufgehört die Tage zu zählen, denn sie strichen so belanglos an mir vorüber, wie sonst nur Minuten. An keinem Tag geschah noch etwas ausgesprochen Nennenswertes, weswegen man sich an ihn erinnern müsste. Einzig die Tatsache, dass mich Grace und die Anderen nicht besuchten, ließ mich glauben, dass es in der Woche sein musste und sie in der Schule saßen.

Vehement versuchte ich den Gedanken zu verdrängen, was erst passieren würde, wenn ich wieder in der Schule war; wie mich alle anstarren würden, als sei ich eine Aussätzige. Noch mehr pochte in mir die Angst davor Nanuk wieder unter die Augen treten zu müssen.

Abermals in den letzten Wochen war ich innerlich fassungslos über die unerwartete Wendung unserer immer so verständnisvollen und liebevollen Freundschaft und wieder versuchte ich selbstquälerisch eine Ursache für diese Entwicklung zu finden. Stundenlang zermarterte ich mir mein Hirn über das Wenn und das Aber und kam letztlich doch keinen Schritt voran. Ich hoffte so inständig, dass es für das alles einen plausiblen Grund gab und das er sich mir bald offenbaren würde.

Die Tage zogen sich wie ein zähes Kaugummi. Viel zu viel Zeit stand mir zur Verfügung, um über so viele Dinge nachzudenken. Zeit, die ich freiwillig nie für so etwas hätte haben wollen. Immer und immer wieder versuchte ich eine Antwort auf alles zu finden. Doch so viele Dinge wurden mir grundsätzlich erst richtig bewusst, wenn das Ereignis an sich bereits schon lange geschehen war.

Eigentlich hatten wir erst richtig begonnen uns zu streiten, als Nanuk die Kette erwähnte, die er mir geschenkt hatte. Ich wusste nicht, warum er so darauf beharrte, dass sie mich schützen würde. Hätte er mir doch jemals etwas von dem was er tat erklärt. Vielleicht war die Antwort auf so viele Fragen so leicht und dennoch kam ich einfach nicht darauf.

Letztendlich glaubte ich, dass die Kette ein altes Erbstück hätte sein können oder etwas, dass ihm viel bedeutete. Was wäre so schwer daran gewesen mir dies mitzuteilen. Ich hätte so vieles verstanden und so vieles respektiert aber was sollte ich tun, wenn man nicht mir redete und ich unwissend blieb.
 

Tage später, als ich mich bereits fragte, wie ich nach Hause gelangen sollte, kam Dad unerwartet durch die Tür und starrte mich sekundenlang fassungslos an.

Im ersten Moment glaubte ich er würde zu einer Standpauke ansetzen und starrte ihn nur abwartend und den Atmen anhaltend an.

Ausdruckslos kam er auf mich zu, wartete einen Augenblick an meinem Bettrand und senkte sich dann zu mir hinunter, um mich so fest in den Arm zu nehmen, dass ich glaubte meine Rippen knirschen zu hören.

„Tue das nie wieder! Jage mir nie wieder so einen Schrecken ein! Das erste was wir machen, wenn du hier raus bist, ist ein Handy für dich zu kaufen!“, raunte er mir mit erstickender tiefer Stimme ins Ohr und ich glaubte nach kurzer Zeit ein Schluchzen zu vernehmen.

Völlig verdutzt erwiderte ich erst nach einer langen Schrecksekunde seine Umarmung und fühlte mich dabei, seit so vielen Jahren, dass erste Mal wieder richtig geliebt und aufgehoben.

„Es tut mir Leid.“, flüsterte ich zaghaft und rang selbst mit den Tränen.

Es kam mir fast wie eine Ewigkeit vor, wie er da halb auf meinem Bett lag und mich im Arm hielt, unfähig einfach loszulassen. Vielleicht tat er es nur, um seine Tränen zu verbergen und uns Beiden die peinliche Situation zu erleichtern. Ich hatte meinen Dad noch nie weinen sehen und für ihn war es ein fürchterliches Zeichen von Schwäche. Er war nicht der Mensch der gerne Schwächen zeigte.

Als er sich langsam wieder gefasst hatte, so schien es mir, ließ er behutsam von mir ab, schlich mit hängenden Schultern durch den Raum und schob sich den einzigen weißen Stuhl an meine Seite.

Ich glaubte zu wissen was nun kommen würde; welche Fragen er nun stellen würde. Entgegen meiner Befürchtungen schwieg er.

Den Kopf bedächtig gen Boden gesenkt und die Hände unter dem Kinn gefaltet hockte er da. Völlig in sich gekehrt und in Gedanken verloren, bemerkte er nicht, dass ich ihn fragend anschaute.

Jedes Mal wenn er von einer Geschäftsreise heimkehrte glaubte ich, er sei wieder ein wenig mehr gealtert. Falten, die sich vertieft hätten. Haut, die bleicher geworden sei. Weiße Haare, die sich unliebsam vermehrt hätten.

Dieses Mal war es anders. Er wirkte zermürbt und ausgezehrt. Sein herb duftendes After Shave kroch mir nur noch unauffällig in die Nase. Das weiße Hemd wirkte grau und war faltig. Locker hing die dunkel blau gestreifte Krawatte um seinen Hals und baumelte sacht vor seiner Brust hin und her. Ich glaubte auf seiner dunklen Nadelstreifenhose noch einen zarten Senffleck erkennen zu können und amüsierte mich innerlich ein wenig über die Vorstellung, dass dieser vermutlich entstanden war, als er die Nachricht über meine missliche Lage erhalten hatte. Er war ein sehr sauberer Mann und achtete stets auf sein Äußeres, weswegen ich nicht glaubte, dass er lange freiwillig mit einer beschmutzten Hose herum laufen würde. Vermutlich hatte er sich seit seiner Abreise aus Europa noch nicht einmal zu Hause blicken lassen, um sich umzuziehen, geschweige denn zu waschen.

Manchmal wog er den Kopf ein wenig hin und her aber letztlich wusste er genau, dass es keiner Worte bedurfte, um mir seine Gefühle mitzuteilen. Ich wusste nur zu gut darum.

Trotz der vielen wiederkehrenden törichten Gedanken, dass mich meine Familie anscheinend als Luft wahrnahm, so war ich mir doch in diesem Moment sicher, dass mein Dad ganz allein für mich da war und in seinem Inneren nichts weiter Platz hätte, als der Schmerz und die Trauer über das Vergangene Ereignis und die momentane Fassungslosigkeit und Freude mich wohlauf vorzufinden.

Stundenlang verbrachte er nahezu regungslos an meinem Bett. Ich genoss jede Minute unabhängig davon, dass wir Schwiegen. Im Laufe des Abends erschien einer der vielen Ärzte und erklärte endlich, dass ich entlassen werden könnte.

Geschäftig war bereits zeitgleich eine Schwester dabei meine Sachen, die mir Grace gebracht haben musste, in meine Tasche zu packen und diverse Sachen aus dem kleinen Bad zusammenzutragen.

Danach entschloss sie sich endlich mich von den unzähligen piependen Geräten zu trennen, so dass einer nach dem Anderen verstummte, bis nur noch das Scharren der Schritte vom Flur zu hören war.

Ich konnte es kaum noch abwarten nach Hause zu fahren und meinen Mikosch wieder in die Arme zu nehmen, von den unzähligen Büchern, die ich eigentlich schon hätte gelesen haben wollen mal ganz abgesehen.

Dad machte sich schnell nützlich und half mir überfürsorglich aus dem Bett, nahm schließlich meine Tasche und ging schnellen Schrittes ohne jedes Wort hinaus, die Tür hinter sich schließend. Ich brauchte einen Augenblick um seine Geste zu begreifen. Er hatte schon Recht damit, dass es gänzlich ungünstig erschien in einem Krankenhaushemd in der Kälte herum zu laufen.

Langsam pellte ich mich aus dem dünnen Stoff und zog mir meine normalen Sachen wieder an. Einerseits wirkte es etwas beengend auf einmal wieder die feste Jeans an den Beinen zu spüren und keine luftige Freiheit aber andererseits fühlte ich mich dadurch wieder ein riesiges Stück selbstsicherer und vor allem gesünder. Allein das Tragen eines Krankenhauskittels veranlasst Besucher dazu einen fragend anzugucken, wenn man den Flur passiert, als hätten sie es sich zur Aufgabe gemacht bei jedem Patienten herauszufinden an welcher Krankheit er wohl litt.

Langsam gingen wir durch die langen Korridore des Gebäudes. Dad schaute immer wieder hinter sich, ob ich noch da war und es mir gut ging. Mit der Zeit kam ich mir etwas albern vor, so dass ich ihn jedes Mal etwas finster anstarrte, wenn er wieder nach hinten blickte. Er begriff schnell und ließ es schließlich bleiben.

Matt und etwas schleppend schob er die schwingende Glastür nach draußen auf und sofort wehte mir der kühle frische Wind um die Nase und machte mich auf einen Schlag so viel lebendiger, wie es kein Medikament vermochte.

Wie ein junges Reh sprang ich regelrecht nach draußen und blickte in den blauen Himmel hinauf. Der helle strahlende Schnee funkelte von überall her und machte mich im ersten Moment fast blind, war mir dieser Anblick doch lange verwehrt geblieben.

Schnellen Schrittes wand ich mich durch die unzähligen Autos die auf dem Parkplatz vor dem Eingangsbereich standen, zu unserem kleinen Flitzer hindurch und schritt ungeduldig wie ein kleines Kind neben der Beifahrertür hin und her. Dad kam nur langsam nach und starrte mich teils entrüstet, teils aber auch lächelnd über die Tatsache, wie schnell ich unser Auto gefunden hatte an.

Die Fahrt von der Stadt nach Hause war mir noch nie so lang vorgekommen.

Es dämmerte langsam als wir die Einfahrt hinauffuhren. Die ersten Lichter brannten bereits wieder in den mit Holz verkleideten bunten Häusern unserer Nachbarn und ließen den Schnee auf den Fenstersimsen Funkeln und Leuchten.

Ich war gerade aus dem Wagen gestiegen, als mir Mikosch bereits miauend um meine Beine schnurrte und mir deutlich zeigte, wie sehr er mich vermisst hatte. Der rot getigerte Kater folgte mir aufgeregt bis zur Haustür und schien kaum abwarten zu können, endlich wieder seinen alt eingesessenen Platz auf meiner Fensterbank einzunehmen und sich von mir Kraulen zu lassen, während ich ein Buch las.

„Warte damit ich dir hinaufhelfen kann!“, mahnte Dad doch es war zu spät. Kaum hatte er sich umgedreht, um die Haustür wieder hinter sich zu schließen, sprintete ich bereits mit Mikosch die Treppe hinauf. Ich musste gestehen, dass es mir einen undankbaren Schmerz in den Lungenflügeln einbrachte aber der war schnell verfolgen, als ich mich auf mein eigenes Bett fallen lassen konnte, riechen konnte, dass es nach meinem Shampoo roch und hier und da mit Kekskrümeln bestückt war.

Leise seufzend stand ich auf, schritt in Gedanken planlos durch mein Zimmer und freute mich allein über die Tatsache wieder zu Hause zu sein. An meinem Lieblingsplatz blieb ich schließlich stehen.

Mikosch hatte sich wie erwartet auf der gepolsterten Fensterbank niedergelassen und schaute mich neugierig aus seinen grünen Augen an. Sacht zwinkerte er mir zu und begann bereits bei der kleinsten Aufmerksamkeit die ich ihm schenkte nahezu lautlos zu Schnurren.

Die Ruhelosigkeit fiel langsam und sehr zäh von mir ab. Gedankenlos ließ ich mich neben Mikosch nieder und blickte aus dem Fenster in den Wald an unserem Garten hinaus, die Bergkuppe hinauf und über die einzelnen Wolken hinweg. Die letzten glühenden Reste der Sonne färbten den Himmel rot violett und ließen den Schnee auf den mächtigen Bäumen, rings um die Häuser in jeglichen Abwandlungen dieser Farben schimmern.

Langsam wanderte mein Blick vom Himmel, über die Wolken und die Wälder wieder zurück an den Rand unseres Gartens. Gerade als ich mich vom Fenster wegdrehen wollte, glaubte ich am Waldrand jemanden stehen zu sehen. Ich drehte den Kopf wieder etwas zurück, um die Stelle genauer ins Visier zu nehmen.

Ich sah gerade noch wage Umrisse einer männlichen Person, die in den Schatten zwischen den Bäumen verschwand und nach und nach von der tiefen Dunkelheit verschluckt wurde, bis letztlich nichts mehr zu erkennen war. Erst als ich fest überzeugt war nichts mehr zu sehen, spürte ich wie mir ein eisiger Schauer über den Rücken gelaufen war.

Es gab nur einen, der den schmalen Pfad hinter unserem Haus kannte.

Der einsame Weg

Dad hatte sich tatsächlich zwei Wochen Urlaub genommen und alle seine geplanten Termine kurzfristig gekippt, um mich jeden Tag genau im Auge haben zu können und sorgfältig zu beobachten, wie es mir nach und nach besser ging. Am ehesten war es an meinem Essverhalten abzusehen. Zuerst konnte ich nur püriertes Gemüse einigermaßen schmerzfrei schlucken. Schließlich arbeitete ich mich über Milchreis, Suppe und Hühnerfrikassee zu ganz normalen Essen hinauf.

Die Zeit bis zu meinem ersten Schultag nach dem Unfall, wie ich es bezeichnete, rückte unweigerlich näher und mit jedem verstrichenen Tag wurde ich wieder unruhiger. Dad hingegen nutzte die Zeit und kümmerte sich um diverse Reparaturen am Haus und manchmal ertappte ich ihn sogar, wie er im Wohnzimmer auf dem Sofa saß und in Ruhe ein Buch las.

Ich genoss es über die Maßen, nicht allein im Haus zu sein und die Abende mit meinem Dad verbringen zu können. Langsam glaubte ich, wir würden wieder etwas näher zusammenrücken und sein Interesse an meinem Leben wachsen.

Manchmal schauten wir einfach nur schweigsam einen Film oder spielten Karten. Wenn es ein besonders schöner Nachmittag war konnte ich ihn sogar überzeugen, mit mir spazieren zu gehen, was er früher schon immer gehasst hatte, da es ihm fürchterlich sinnlos erschien, ohne jegliches Ziel einfach drauf los zu gehen.

Die Schmerzen in meinem Hals und in der Lunge und die wiederkehrenden Attacken von Übelkeit, nahmen rasch ab. Anders war es jedoch mit den Erinnerungen. Jene Bildfetzen, die vor meinem geistigen Auge entlang rasten und mich jedesmal, wenn ich allein war und etwas zur Ruhe kam, mich an die merkwürdige Szenerie und den tief sitzenden Schrecken erinnerten.

Manche Nacht wachte ich Schweiß gebadet auf und hatte mich mit den Händen in die Decke gekrallt. Ein einziges Mal erschrak ich mich so sehr vor meinen Erinnerungen, dass ich als ich erwachte nach Nanuk gerufen haben musste, denn Dad saß bereits an meinem Bett und erklärte mir noch im selben Moment, dass er nicht da sei. In Gedanken korrigierte ich ihn etwas benommen, dass Nanuk wohl nie wieder dieses Haus betreten würde.

Einerseits pochte mein Verstand darauf, dass es völliger Unsinn war, das zu Glauben aber meine innere Stimme flüsterte mir jede Nacht und jeden Moment, den ich aus dem Fenster starrte und den schmalen Pfad hinter unserem Haus betrachtete ein, dass dem nicht so war. Er war weg. Der Schatten am Waldrand war nichts weiter als der letzte Tribut, den er unserer Freundschaft zugemessen hatte; der letzte wehmütige Blick zurück auf etwas oft so wundervolles.

Die Tage verstrichen und wieder und wieder dachte ich an ihn, spürte wie ich ihn vermisste und wie mir seine Nähe fehlte und doch fiel es mir schwer, mir einzugestehen, dass ich ihm hätte verzeihen können, wenn er wieder auftauchen würde. Anstatt meinen eigenen Gefühlen jedoch auf den Grund zu gehen flüchtete ich mich zusehends mehr in diverse Fantasiewelten, dass ich kaum merkte wie schnell die Zeit verstrich.

Der erste Schultag stand bevor. Schweren Herzens rollte ich mich früh morgens auf von der Wand weg und schlug die Bettdecke zur Seite, als mein Wecker mir lautstark mitteilte, dass es an der Zeit war aufzustehen. Noch etwas schläfrig schaute ich mich sekundenlang im Zimmer um und wartete darauf, dass nicht nur mein Körper sondern auch mein Geist einigermaßen wach wurde. Mikosch blinzelte mich müde an und legte sich langsam wieder auf die zerwühlte Decke nieder, nachdem ich ihn unabsichtlich aufgescheucht hatte.

„Beth bist du wach?“, rief Dad vom Fuß der Treppe.

„Ja! Ich komme gleich runter!“

Langsam stand ich auf und zog die Gardine vor meinem Fenster auf, um in die Dämmerung in unseren Garten hinaus zu schauen. Eine flackernde Laterne warf vom Straßenrand aus hier und da ihr gelbliches Licht auf den Schnee und ließ so Hebungen und Senkungen hervortreten. In Gedanken bemerkte ich plötzlich eine Regelmäßigkeit in dem Farbenaufkommen. Fußabdrücke schienen von unserem Haus in Richtung des Waldes zu führen. Ich blinzelte ein paar Mal, um pure Einbildung meinerseits ausschließen zu können. Die Spuren blieben.

„Beth! Du schaffst es nicht, wenn du jetzt nicht aufstehst!“, ertönte wieder Dads Stimme, nur dieses Mal etwas mahnender.

„Ist gut.“, antwortete ich tonlos und konnte mich nur schwer vom Fenster lösen.

Die restlichen Minuten, die ich brauchte um mich für die Schule fertig zu machen spielte ich in Gedanken alle Möglichkeiten durch, die diese Spuren hätten verursachen können. Im Inneren wusste ich woher sie kamen aber ich wollte vollends sicher sein.

„Dad? Warst du in den letzten Tagen im Garten?“, fragte ich beiläufig, als ich mich bereits angezogen an den Küchentisch setzte um zu frühstücken.

Die Kaffeetasse absetzend las er noch die letzte Zeile aus dem Artikel in der Zeitung zu Ende, ehe er den Kopf hob und mich fragend anguckte.

„Was sollte ich denn im Garten machen? Da ist doch kaum noch ein Durchkommen nach den ganzen Schneefällen in den letzten Tagen.“

„Mh ja da hast du wohl recht.“ Damit schloss die erste Möglichkeit schon mal aus. „War sonst jemand bei uns im Garten? Neues Holz haben wir nicht bekommen oder?“

„Wie kommst du denn darauf? Nein. Es war niemand im Garten.“, sagte er und verzog nun etwas das Gesicht. „Wieso? Ist da etwas im Garten?“

„Ich hab Fußspuren gesehen.“, sagte ich so lustlos ich konnte und war nun noch unmotivierter in die Schule zu gehen. Am liebsten wäre ich sofort aufgesprungen und in den Garten gerannt, um den Ursprung all dessen zu finden. Letztlich kam nur noch einer in Frage, der sich dort hätte aufhalten können.

Irgendetwas musste er dort getan haben, irgendetwas von dem er wusste, dass ich es finden würde. Vielleicht hatte er einen Brief versteckt, in dem er mir alles erklären würde und er wollte möglichst ausschließen, dass ihn vor mir jemand sah oder überhaupt das ihn jemand sah, wie er ihn mir brachte. Vermutlich wollte er mir aus dem Weg gehen. Ich hätte ihn beim Überbringen sehen können, ihn Abfangen können und ihn zur Rede stellen können. Eine Vorstellung, die ihm nach und nach immer mehr Unbehagen zu bereiten schien.

So sehr mich diese Erkenntnis auch beschäftigte, konnte ich mich nicht noch länger vor der Schule drücken. So bald ich diesen Tag überstanden hätte, würde ich mich sofort daran machen, die Stelle hinter dem Haus abzusuchen.

„Bis nachher Dad und lass nicht wieder das Mittagessen anbrennen!“, lächelte ich und warf mir im Flur meinen Mantel über.

„Ich werde es versuchen.“, antwortete er gespielt beleidigt.

Einmal tief einatmend öffnete ich die Haustür und schaute hinaus. Es war halb acht Uhr morgens. Niemand stand vor unserer Tür und wartete auf mich, lächelte mich liebevoll an und witzelte darüber wie absurd ich doch den ganzen Unterricht am heutigen Tage wieder finden würde.

Ein trauriges Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Ob es das wohl gewesen war? Ob unsere Freundschaft nun so auseinander gehen sollte? Ich wusste es nicht. Aber ich wollte es wissen und daher musste ich den Tag schnellst möglich hinter mich bringen.

Rasch machte ich mich auf den Weg und wie am Tag zuvor mit Grace abgesprochen, wartete sie ein paar Straßen vor der Schule auf mich, um mir meinen Weg zu erleichtern.

„Guten Morgen!“, lächelte sie und schob sich ihre Pudelmütze ein wenig zurecht. „Wo hast du denn Nanuk gelassen?“

Ihre Frage schien mir wie ein Fauststoß auf den Magen zu schlagen. Ich hatte nicht einen Augenblick darüber nachgedacht, was ich eigentlich sagen sollte, wenn Nanuk tatsächlich nicht mehr auftauchen würde.

Mit meiner Fassung ringend visierte ich den Eingangsbereich der Schule an und überlegte fieberhaft, was ich antworten sollte, ohne das es irgendwie merkwürdig klang.

„In letzter Zeit verstehen wir uns nicht mehr so gut, da erschien es mir besser morgens lieber alleine zur Schule zu gehen.“

„Das war mir schon klar. Ich meinte das eher dahin gehend, dass er schon seit Tagen gar nicht mehr aufgetaucht ist. Kein Lehrer weiß wo er ab geblieben ist, bei ihm zu Hause soll es stets finster sein und am Telefon erreicht man auch niemanden. Der schwarz haarige Schöne ist wie vom Erdboden verschluckt. Da dachte ich mir, dass doch wenigstens du wüsstest wo er sein könnte.“, antwortete sie schließlich mit einem wenig Spott in der Stimme, während wir uns durch die Tür auf den Flur schoben.

Sofort waren wir von einem nahezu unerträglichen Lärmpegel umgeben, der ein normales Gespräch schier unmöglich machte.

Ich zuckte nur unmerklich mit den Schultern, nachdem sie den fordernden Blick keineswegs von mir abwandte. Sie wollte eine Antwort von mir, das war mir klar, nur konnte ich ihr keine geben und selbst wenn ich tatsächlich gewusst hätte was mit Nanuk war, hätte ich es niemandem preis gegeben.

Insgeheim wünschte ich mir, dass sie mich vielleicht nur ärgern wollte und sobald wir den Klassenraum betreten würden, er wie gewohnt an seinem Platz saß, die grünen kräftigen Augen auf uns gerichtet und die schmalen sanften Lippen zu einem gutmütigen Lächeln verformt.

Er war nicht da. Der Platz neben dem meinen war leer und verlassen. Die Unterlagen im Fach unter der Tischplatte waren verschwunden. Es war fast so als sei er nie da gewesen. Beklommen schritt ich die Stufen hinauf und ließ mich langsam und bedächtig auf meinem Stuhl nieder. Sekundenlang starrte ich neben mich auf den verlassenen Platz. Irgendetwas Schweres schien sich auf meine Brust zu legen und ließ mich zäh atmen.

Die Stunden schlichen langsam an mir vorüber. Ich hatte keine Ahnung was für einem Unterricht ich beigewohnt hatte, mit wem ich den Tag über gesprochen hatte oder was ich überhaupt groß getan hatte. Alles wirkte so belanglos auf mich als sei der Tag es nicht mehr wert, ihn ohne Nanuk zu würdigen und zu genießen.

Grace versuchte noch ein paar Mal im Laufe der Unterrichtsstunden, ein vernünftiges Gespräch mit mir zu führen aber ich war gänzlich unfähig ihr länger als einem Satz zu folgen. Auf dem Weg nach Hause hatte sie es vollkommen aufgegeben und verabschiedete sich nur rasch.

In Gedanken trottete ich weiter, bis ich an der Kreuzung ankam, an der Nanuk sonst immer abgebogen war, um nach Hause zu gehen. Ich blieb stehen. Tief atmend starrte ich die Straße hinab, die in einem jähen Bogen das Ende nicht mehr preis gab. Ich rang minutenlang mit mir ob ich hingehen sollte. Was sollte ich schon vorfinden, wenn er tatsächlich einfach verschwunden zu sein schien.

Andererseits fielen mir die Fußspuren wieder ein. Vielleicht war es angebrachter erst sie zu untersuchen, bevor ich mich auf den Weg zu ihm machen sollte.

Ich tat es schon wieder, ärgerte ich mich. Ich dachte hin und her und würde zu keinem Ergebnis kommen. Entschlossen machte ich einen Schritt nach vorne und überquerte die Straße. Das musste ein Ende haben. Zu oft grübelte ich unendlich lange über Dinge und tat so als wären sie schier unlösbar, anstatt einfach mal zu Handeln und das Schicksal entscheiden zu lassen. Was würde es schon ausmachen, ob ich jetzt nachsah oder später. Irgendwann hätte ich den Weg angetreten, da war ich mir sicher und das zählte.

Die Straße schien verlassen vor mir zu liegen. Ich sah kein Auto auf den Einfahrten stehen oder irgendwo Leben hinter den Fenstern zum Vorschein kommen. Völlig allein stapfte ich über die teils nicht geräumten Fußwege. Der Schnee knirschte unter meinen Füßen und ließ mich mehrmals fast ausrutschen. Unter der Schneeschicht musste an einigen Stellen bereits Eis gewesen sein.

Je näher ich seinem Haus kam, desto langsamer wurde ich. Meine Schritte wurden kürzer und mein Blick war fest auf die verhangenen Fenster gerichtet. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite direkt vor dem dunkelroten Haus blieb ich letztlich stehen. Ein eisiger Wind tobte plötzlich durch meine Haare und nahm mir die Sicht. Für einen Moment überkamen mich trotz aller guten Vorsätze wieder Zweifel ob ich tatsächlich am richtigen Platz, zur richtigen Zeit war. Sekundenlang rang ich mit mir, ob ich nicht einfach wieder umdrehen sollte und das Schicksal sein eigenes Spiel spielen lassen sollte.

„Reiß dich zusammen. Jetzt bist du schon hier, jetzt kannst du auch klingeln.“, flüsterte ich doch meine Worte kamen selbst für mich nicht mehr deutlich an, da sie vom Wind davon getragen wurden.

Zögerlich überschritt ich die Straße, schob das Tor auf und ging zur Haustür. Im Briefkasten neben dem Eingangsbereich stapelte sich Post und auf dem Weg zur Tür schien schon ewig keiner mehr Schnee geschoben zu haben. Meine Spuren waren wohl die ersten seit langem. Verloren durchzogen sie die frische Schicht Pulverschnee, wie die Fährte eines einsamen Wolfs. War ich das nun? Ein einsamer Wolf? Nein. Mit Sicherheit nicht. Ich hatte auch noch andere Menschen um mich herum, Menschen die mir auch viel bedeuteten. Und doch war es ein nahezu unerträglicher Verlust, den ich mit seinem Verschwinden erleiden würde.

Abermals wehte ein eisiger Wind durch meine Haare und unter meinen Mantel, wie die letzte Warnung vor dem nahenden Unheil. Ein Schauer fuhr mir den Rücken hinunter, als ich meine Hand nach der kleinen metallenen Klingel ausstreckte. Neben mir bogen sich die alten Tannen und schmissen mit Schnee um sich, der auf ihren Ästen gelegen hatte.

Ich kam mir vor wie in einem Gruselfilm und das obwohl es heller Tag war. Das Surren der Klingel drang dumpf zu mir hindurch.

Gespannt wartete ich auf die polternden Schritte auf der Treppe und das freudige Gesicht, welches mir gleich die Tür öffnen würde.

Nichts passierte.

Den Schnee von meinen Wimpern blinzelnd klopfte ich erst sacht und dann immer energischer an die alte Holztür. Nachbarn schoben ab und an einen Kopf hinter der Gardine hervor und schauten was ich da tat. Keiner bemühte sich großartig, nicht von mir gesehen zu werden. Neugierde war mit das weit verbreiteteste Laster der hier wohnenden häufig alten Leuten. Es kümmerte mich nicht, denn viele kannten mich und würden wohl nicht gleich die Polizei alarmieren.

Langsam begann meine Hand vom kräftigen Klopfen zu schmerzen. Angestrengt stellte ich mich auf meine mittlerweile fast tauben Zehenspitzen und wollte durch das hohe runde Türfenster schauen, doch auch dieses war verhangenen und verwehrte mir einen Einblick. Minutenlang stand ich regungslos vor der Tür, unwillig zu akzeptieren, dass mir niemand öffnen würde, dass er tatsächlich fort war.

Tränen der Enttäuschung und der Wut sammelten sich in meinen Augen. Die Gefühle überkamen mich schlagartig und ohne jede Vorwarnung. Eine Chance mich auf diese Situation zu wappnen hatte ich oft genug gehabt und dennoch hielt ich es insgeheim für unnötig, denn ich wollte mir beim besten Willen nicht eingestehen, dass es tatsächlich war wie es sich mir nun darstellte.

In Gedanken ergriff ich den Türknopf und drehte wütend daran. Ein Knacken drang an meine Ohren und die Tür sprang einen Spalt weit auf. Irritiert starrte ich auf den runden metallenen Knauf. Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und warf einen vorsichtigen Blick in das Dunkel.

„Hallo?“, rief ich zögerlich und drückte die Tür sacht soweit auf, dass ich den Kopf hindurch stecken konnte.

Meine Stimme hallte durch den großen Vorraum doch niemand antwortete mir. Langsam schob ich mich durch den Spalt und schloss die Tür hinter mir. Unmerklich schüttelte ich mich ein wenig, froh aus dem eisigen Wind hinaus zu sein und verteilte ein paar Schneeflocken auf dem dunklen Parkettboden.

Die Fenster im unteren Geschoss waren alle mit großen dunklen Gardinen zugezogen. Nur schwer quälte sich etwas Licht durch sie hindurch und ließ mich wage Umrisse erkennen. Der große offene Flur war leer. Ich glaubte noch ein paar staubfreie Stellen zu erkennen, an denen einmal wundervolle antike Möbel gestanden hatten.

Ich ließ mir keine Zeit die restlichen Räume zu untersuchen, sondern stürmte sofort auf die vor mir liegende Treppe zu.

„Nanuk?“, schrie ich fast und polterte die Stufen hinauf, den langen schmalen Flur entlang bis ans Ende. Die anliegenden Türen standen offen und auch in ihnen konnte ich während meines vorbei Schnellens keine Möbel erkennen. Alles war verlassen.

Vor seiner weißen Zimmertür blieb ich stehen. Unter dem Türschlitz schien ein wenig Licht hindurch, die mich Hoffnung schöpfen ließ.

„Nanuk? Bist du da? Ich bin es, Beth!“, flüsterte ich fast und klopfte sacht an die hölzerne Tür. Das dumpfe Poltern brach sich an den Flurwänden und türmte sich für mich zu einem lauten unnatürlichen Grollen auf.

Ich schluckte schwer und drückte schließlich die Klinke nach unten. Mit einem leichten Schubs nach vorn, schwang sie geschmeidig auf und gab die Höhle des Löwen preis. Natürlich war er nicht da. Was hatte ich mir auch eingebildet. Dennoch war dies hier womöglich der einzige Raum im ganzen Haus, in dem noch Möbel vorhanden waren. Beruhigen tat mich das jedoch nicht.

Mappen und Bücher waren aus den Regalen links neben mir gerissen worden und lagen auf dem dunklen Teppich verteilt. Mir gegenüber, vor den beiden Fenstern, hatte jemand die Blumen herunter geschmissen und die dunkle Erde hatte sich rings um die Töpfe verteilt. Das Bett war zerwühlt und das Laken teils zerrissen und herausgezogen. Die Kissen schienen zerfetzt worden. Haufenweise Federn wirbelten bei einem Windhauch durch die Luft.

Für einen Augenblick machte es den Anschein als sei ein Engel hier qualvoll seiner Flügelpracht beraubt worden. Mir stockte unweigerlich der Atem. Völlig unfähig mich vom Eingang weg zu bewegen starrte ich weiter ins Zimmer.

An den pastellzarten Wänden schienen sich Risse zu befinden, als habe jemand mit einem Schwert oder dergleichen wild um sich geschlagen. Sauber abgetrennte Hälften seiner Poster lagen vor den Wänden. Die Schranktüren aus massivem Holz standen offen und diverse Kleidungsstücke lagen vor ihm verteilt. Es wirkte als habe er die Flucht vor etwas ergriffen.

Aus mir unerklärlichen Gründen traute ich mich nicht weiter hinein. Wie gebannt blickte ich im Raum auf und ab und versuchte mir einen Reim auf das alles zu machen. Was musste passiert sein, dass das komplette Haus bis auf sein verwüstetes Zimmer leer stand. Einbrecher würden keinen Bogen um ein einzelnes Zimmer machen und alles andere dafür mitnehmen. Das ergab, wie so vieles in letzter Zeit, einfach keinen Sinn.

Schwerfällig wandte ich den Blick ab und machte auf dem Hacken kehrt. Ich gehörte dort nicht hin und hatte eigentlich auch kein Recht länger zu verweilen, geschweige denn sein Zimmer zu Betreten und vielleicht sogar eigenständig nach Antworten zu suchen. Mit Sicherheit war diese Sicht der Dinge unbefriedigend und vermutlich hätten viele andere Menschen schon aus der puren Neugierde heraus anders gehandelt aber mir missfiel dieser Gedanke zusehends. Ich hatte schlicht zu viel Angst, vor dem was ich hätte finden können und war noch zu erstarrt von dem Bild, was sich mir geboten hatte.

Feigheit konnte in vielen Fällen Menschenleben retten, doch in diesem speziellen Fall war es nichts weiter als schwach, das wusste ich nur zu gut. Ich war stets ein schwacher Mensch gewesen, hatte mich nur zu gern von Anderen leiten lassen und mich letztlich darüber beschwert, wenn es dann nicht so verlief, wie ich es eigentlich gern gehabt hätte. Bei Nanuk musste ich mich nicht beschweren. Blind konnte ich ihm folgen, ihn die Dinge erledigen lassen und den richtigen Weg für uns suchen lassen und war stets mit dem Ergebnis zufrieden gewesen. Es war so unendlich leichter in der zuvor geschlagenen Schneise eines anderen zu wandern, als sich eine eigene neue zu bahnen.

Dumpf hallten meine Schritte durch den Gang und durch das insgesamt verlassene Haus. Abermals schossen mir die Tränen in die Augen, denn die Erkenntnis war nun so nah an mich herangetreten, dass ich es kaum noch schaffte sie irgendwie verdrängen zu können.

Er war weg. Vielleicht würde er nie mehr wiederkommen. Möglicherweise war ihm etwas passiert und es wurde doch eingebrochen. Stand ich dann nicht in der Pflicht dem nach zu gehen. Nur was sollte ich tun, um das heraus zu finden? Sollte ich bei der Polizei anrufen und nachfragen, ob etwas passiert war?

Ich blieb vor der Haustür stehen. Leise schniefend blickte ich mich noch mal zur Treppe um, als sich in der Luft plötzlich ein kaum sichtbarer Film die Treppe hinunter wog. Erstarrt vor Schreck starrte ich das bizarre Gebilde an. Es sah aus wie die Verzerrungen der Luft, die sich im Sommer über den heißen Asphaltstraßen bildeten, nur das diese hier mit einem leicht bläulichen Ton versetzt waren und sich bewegten.

Fast wie die Erscheinung eines Geistes, schoss es mir ohne Vorwarnung durch den Kopf.

Gemächlich waberte das Etwas auf mich zu und mit ihm erschien mir die Temperatur in dem Raum rapide zu sinken. Ich wollte rennen, rennen so schnell wie ich konnte doch meine Beine rührten sich nicht. Völlig regungslos war ich nicht in der Lage den Blick von diesem merkwürdigen Ding abzulassen.

„Das ist Einbildung Beth. Nichts weiter. Ein schlechter Streich deines Geistes.“, flüsterte ich völlig apathisch.

Je näher mir die Wolke, wie ich sie nun einfach für mich nannte, kam desto bläulicher verfärbte sie sich. Wie ein Spinnennetz schien sich die Luft auf meine Haut zu legen und jeder einzelne Faden erschien mir klebrig und kalt. Trotz meines steigenden Unbehagens verspürte ich tief in mir drin, das merkwürdige Gefühl, ich sei nicht mehr allein. Eine wohlige Zufriedenheit vernebelte meinen Geist und täuschte mich über den Umstand hinweg, dass Nanuk fort war.

Mit einem Mal glaubte ich er sei einfach wieder da, sein Geist würde über mich wachen und meine aufgewühlte Seele beruhigen. Das Funkeln nahm ab, bis ich es nur noch schwer erkennen konnte und die Fäden auf meiner Haut sich nur noch wie ein sanfter Windkuss anfühlten. Meine Angst war verschwunden und doch rannen nun unzählige Tränen über mein Gesicht. Ich hatte das trügerische Gefühl, dass es nicht meine Trauer war, die mich weinen ließ. Ein abstruser Gedanke aber ich kam nicht von ihm los.

Langsam sank ich auf die Knie und vergrub weinend das Gesicht in meinen Händen. Laut schluchzend rührte ich mich minutenlang nicht vom Fleck. Völlig eingenommen von Gewissensbissen und resignierender Trauer über Geschehnisse, die mir verborgen blieben, glaubte ich dennoch genau in diesem Moment Nanuk so nahe gewesen zu sein, wie schon seit langem nicht mehr.

Eine verrückte Idee meines Verstandes flüsterte mir zu, dass er es war, der mir diese Gedanken und Gefühle geschickt hatte. Wie auch immer das hätte sein können. Und selbst wenn es alles nur Zufall gewesen wäre und es letztlich nichts weiter als meine eigenen tief verborgenen, mich nun übermannenden Gefühle waren, so tat es unendlich gut sie zu spüren.

Es dauerte lange bis ich mich wieder gefasst hatte und beklommen den Heimweg antreten konnte. In Gedanken versunken hielt ich meine geschlossenen Hände an die Brust, als würde ich damit dieses Gefühl bewahren können.

Wortlos öffnete ich unsere Haustür und ging ohne jeden Umweg die Treppe hinauf und ließ mich benommen auf meine Fensterbank nieder. Ich dachte gar nicht daran, meinen Mantel auszuziehen. Völlig eingeschneit starrte ich regungslos aus dem Fenster.

„Beth? Bist du das? Sagst du mir neuerdings kein Hallo mehr?“, fragte Dad von Treppenabsatz zu mir hinauf, doch seine Worte kamen so fremd und weit weg bei mir an. Es fühlte sich an, als sei ich gar nicht wirklich dort, sondern in einem Traum gefangen, der mich quälte und nicht wieder los ließ.

„Ich wollte dir nur sagen, dass ich die Spuren im Garten gesehen habe. Ich hab schon geschaut ob uns was gestohlen wurde aber die Luke zum Keller ist unversehrt. Du brauchst dir also keine Sorgen machen.“

Ein kurzes Zucken fuhr durch meinen Körper, als habe mir jemand einem Stromstoß versetzt. Ruckartig sprang ich in die Höhe und stürzte die Treppe hinunter, vorbei an meinem völlig irritierten Vater und hinaus in den Garten. So gut ich konnte stapfte ich schnellen Schrittes durch den Schnee, in den ich mittlerweile fast bis zu den Knien einsank. Angestrengt visierte ich die bereits vorhandenen Spuren von Dad an, in der Hoffnung, dass ich dadurch leichter vorwärts kommen würde.

Im hinteren Bereich unseres Gartens angekommen war der Schnee größtenteils aufgewühlt und einzelne Spuren kaum noch erkennbar. Innerlich ärgerte ich mich, nicht schon heute Morgen hinuntergegangen zu sein aber nun ließ es sich nicht mehr ändern.

Ruhig suchte ich mit meinen Augen die Hauswand ab, entlang der Fenstersimse und den kleinen Nischen im Holz. Mir fiel nichts Ungewöhnliches auf. Akribisch begann ich entlang der Ritzen zu tasten, ob nicht doch irgendetwas zwischen ihnen steckte doch meine Hände blieben leer.

Unnachgiebig überlegte ich fiebrig, was die Spuren sonst noch hätten bedeuten können und begann während meiner Überlegungen durch den Schnee zu stiefeln. Unbewusst tapste ich in jede einzelne Spur und folgte ihr in den dämmrigen Wald. Selbst durch das dichteste Geäst fanden die kleinen Flocken hindurch ihren Weg zum Boden und auch wenn die Schicht hier um einiges dünner war, so ließ sich die Fährte immer noch leicht verfolgen.

Es dauerte nicht lang und ich hörte die Autos von der Straße nicht mehr, sah keine Lichter der kleinen niedlichen Fenster. Langsam stiefelte ich immer tiefer in den Wald, völlig ab von jedem Weg den ich kannte. Zwischen mächtigen alten Baumstämmen hindurch, über gefrorene Bäche und umgestürzte Bäume hinweg, beschlich mich nach und nach der Gedanke, dass ich vielleicht einer Trugfährte folgte.

Aus mir unerklärlichen Gründen fing langsam mein Herz an schneller zu schlagen. Irgendwie wurde ich nervös und fühlte mich bei etwas ertappt. Schwer schluckend blieb ich stehen und schaute mich um. Es war dämmrig um mich und man konnte nicht weit zwischen den mächtigen Bäumen hindurch schauen. Unser Haus hatte ich schon lange aus den Augen verloren. Das einzige was mir half wieder zurück zu finden war die Tatsache, dass ich nur Berg ab laufen müsste.

Ab und an knisterte es leise in den Baumwipfeln und ein kleines Käuzchen schaute aus verschlafenen Augen zu mir hinunter, als wollte es mir vorwurfsvoll deutlich machen, dass ich dort um diese Uhrzeit nichts zu suchen hatte. Sacht segelte ab und an ein Windhauch durch die Stämme und schob eine kleine Welle von Schnee vor sich her. Knirschend wogen sich über mir die Baumkronen im Wind und verteilten hier und dort noch mal eine Hand voll Schnee, die von den Ästen hinunter fielen.

Nichts drang an meine Ohren, was auf mich hätte befremdlich wirken können.

„Hallo?“, rief ich sicherheitshalber und aus manchen Richtungen raschelte es ruckartig. Das waren vermutlich nichts weiter als kleine Mäuse, die ich aufgeschreckt hatte.

Antworten tat mir jedoch niemand. Ein letztes Mal warf ich einen prüfenden ausgiebigen Blick in alle Richtungen, konnte immer noch nichts feststellen und ging schließlich weiter.

„Jetzt werde ich schon vollends bescheuert.“, ärgerte ich mich leise.

Was tat ich da eigentlich? Rannte Blindlinks fragwürdigen Spuren hinterher und glaubte ein blaue Dunstwolke hätte mit mir kommuniziert. Nahe liegender war der Gedanke, dass mein Hirn durch mein Ersaufen doch was abgekriegt hatte. Vermutlich spielte mir meine Fantasie unliebsame Streiche, wo ich mich doch immer nach solchen Szenerien gesehnt hatte.

Abermals blieb ich stehen. Einen Augenblick starrte ich den Spuren hinterher, wie sie weiter den Berg hinauf führten und anscheinend kein Ziel hatten.

„Was für ein Unsinn.“, raunte ich leise und schüttelte den Kopf.

Ich wollte bereits kehrt machen, als meine Neugierde sich wieder zurückmeldete. Und wenn da doch etwas war? Wenn er nur meinen Ehrgeiz und meinen Willen testen wollte?

Letztlich wäre es egal gewesen. Was hätte es an der ganzen Sache geändert. Völlig gleich was dort vielleicht auf mich wartete oder auch nicht, wovon ich eher ausging. Brummig schob ich meine Gedanken beiseite und trat den Heimweg an.
 

„Mein Gott! Wo warst du denn schon wieder? Es ist schon fast Abendbrotzeit und du rennst die ganze Zeit draußen herum und kein Mensch weiß wo du bist!“, raunte mir Dad entgegen, kaum das ich mit meinem Hintern in der Diele stand.

„Ich war so lange weg?“, fragte ich irritiert, da ich mir keineswegs Gedanken über die Zeit gemacht hatte.

„Willst du mich jetzt ärgern?“, knurrte er und stand mit verschränkten Armen in der Küchentür. Sein Blick war finster und die Brille auf seinen Nasenrücken hinunter gerutscht. „Was ist eigentlich los mit dir? Seit dem Nanuk hier nicht mehr auftaucht bist du völlig von der Rolle. Ich meine ich weiß ja das er ein guter Freund war aber Freunde kommen und gehen nun mal.“ Langsam lockerte sich seine Haltung wieder und er machte ein paar Schritte auf mich zu, bemüht ein verständnisvolles Gesicht aufzusetzen.

„Es tut mir Leid. Es wird nicht wieder vorkommen.“, blockte ich trocken ab und schritt die Treppe hinauf.

„Beth? Elizabeth!“, raunte er nun wieder. „Bleib gefälligst stehen wenn ich mit dir rede!“

„Nenne mich nicht so!“, fauchte ich zurück und blieb auf den Stufen stehen. Ich war unzufrieden mit mir und dem Rest der Welt und das gab ich ihm durchaus zu spüren. Ob er nun endgültig dafür verantwortlich war, war mir in dem Moment vollkommen gleich.

„Was weißt du denn schon? Ich musste erst fast krepieren, damit du endlich mal wieder etwas mehr Zeit mit mir verbringst. Meinst du ich merke nicht, dass du schon wieder mit den Hufen scharrst. So wie du die letzten Tag durch das Haus tigerst suchst du doch geradezu nach einem Grund, um mich wieder alleine zu lassen. Und das nehme ich dir noch nicht einmal übel, denn du bist nun einmal so aber dann heuchele mir nicht vor, dass du gerne hier bist!“ Tränen der Wut stiegen mir in die Augen.

„Wie redest du denn mit mir? Unterstehe dich in solch einem Ton mit mir zu sprechen! Du hast Hausarrest, für den gesamten restlichen Monat!“

„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du mich hier einsperren kannst! Ich bin nicht Mum!“, schrie ich ihn an und polterte die letzten paar Stufen hinauf und schmiss mit aller Kraft meine Zimmertür zu, die laut scheppernd ins Schloss schnellte.

„Und knall die Türen nicht so!“, hörte ich noch seine wutentbrannte Stimmte dumpf zu mir hoch kommen.

Ich wusste noch nicht einmal so recht warum ich plötzlich so aus meiner Haut gefahren war. Eigentlich wollte ich es nur umgehen über Nanuk sprechen zu müssen und dann schien sich mein Hirn abgeschaltet zu haben.

Resignierend über meine abstrusen Sinneswandel pellte ich mich aus meinen dicken Sachen und warf sie achtlos vor die Fensterbank. Tief atmend schmiss ich mich aufs Bett und starrte das Mondposter an. So lang war der Abend schon her, dass ich an einem solchen Strand gelegen hatte und in den Nachthimmel blickte. Leise seufzend rollte ich mich auf die Seite.

Hatte er tatsächlich gesagt, dass ich Hausarrest hatte? Das war nun wirklich ein schlechter Scherz. Als hätte mich das von irgendetwas abgehalten. Meine jähzornige Laune kehrte zurück.

Ich richtete mich fluchs wieder auf und zog mir meine Jacke wieder an. Langsam schritt ich ans Fenster und versuchte den Holzrahmen so leise wie möglich hochzuschieben. Direkt neben meinem Fenster war ein Gitter für Rosen an dem ich wunderbar hinunter klettern konnte. Ich kam mir zwar vor, als sei ich gerade aus einem schlechten Teenie Film entsprungen aber mich hielt momentan nichts in meinem Zimmer.

Vorsichtig tastete ich mit den Fußspitzen nach Lücken im Gatter in die ich hinein treten konnte. Es dauerte nicht lange und ich konnte einen Hüpfer in den Schnee machen und mich zügig vom Grundstück stehlen. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er toben würde, wenn er heraus bekam, dass ich keineswegs brav in meinem Zimmer geblieben war. Auch der Zorn würde schnell wieder verrauchen, denn die nächste Geschäftsreise stand doch schon wieder vor der Tür und dann hatten wir beide ein paar Tage Zeit unsere erhitzten Gemüter abkühlen zu lassen. Vielleicht war es uns auch beiden zu viel, plötzlich ständig aufeinander zu hocken, war es doch die letzten Jahre nie so gewesen.

Grübelnd schlenderte ich die Straße entlang. Langsam verkroch sich die Sonne hinter den Bergen und es begann zu dämmern. Die Laternen fingen gemächlich an zu glimmen und zogen bereits die ersten paar Insekten an, die bei diesen Temperaturen tatsächlich noch zu überleben schienen. Wobei es sich eher um vereinzelte Tiere handeln musste, die durch Zufall aus ihrem Winterschlaf erwacht waren und nun auf ihren baldigen Tod warteten. Direkt in ihrer Nähe hörte ich bereits Fledermäuse quieken und rasend schnell durch die Luft sausen. Es war nichts weiter als eine Frage der Zeit, das stand fest.

Gemächlich schlug ich den Weg zu einem alten Spielplatz in der Nachbarschaft ein. Silhouetten von metallenen Gerüsten erhoben sich zwischen den Häusern. Einsam und verlassen pendelte eine Schaukel etwas im Wind. Und wieder erinnerte es an irgendeinen Horrorfilm. Hatte ich das nicht schon genügend erlebt.

Müde vom Tag und seinen abstrakten Ereignissen griff ich nach dem kalten Metall der Kettenglieder, um mich selbst auf das alte Holzbrett zu setzen und ein wenig hin und her zu schwingen. Seufzend legte ich meinen Kopf gegen die Metallringe und starrte in den sich verdunkelnden Himmel.

Wind strich über mein Gesicht; sanft und kalt. Die Luft war wunderbar klar und kühl. Die Laternen leuchteten sacht und tauchten den Schnee um sie herum in ein helles gelb orange. Über meinem Kopf surrten die Fledermäuse entlang und versuchten nach irgendwelchen Insekten zu schnappen.

Die Ruhe genießend ließ ich meinen Blick über die Rutsche und die Bänke schweifen. Bei einem orange glühenden Punkt blieb ich hängen. Den Kopf etwas anhebend beobachtete ich die Stelle und sah, wie der Punkt aufglühte und wieder verschwand und nach kurzer Zeit wieder aufglühte. Dort musste jemand mit einer Zigarette sitzen, dachte ich und richtete mich nun vollends auf. Wieder suchte mich ein merkwürdiges Gefühl der Nervosität heim und redete mir ein, ich würde verfolgt oder beobachtet werden.

Plötzlich bewegte sich der Punkt. Wild sprang er in der Luft umher und sank schließlich auf Hüfthöhe hinab. Da kam jemand auf mich zu.

Meine Muskeln versteiften sich. Für einen Moment überlegte ich ob ich rennen sollte, doch der Gedanke erschien mir so übertrieben, dass ich letztlich nur das kleine Taschenmesser in meiner Manteltasche fest umschloss und mir innerlich schwor es zu gebrauchen, sollte ich dazu gezwungen werden.

„Ist schön hier draußen nicht wahr? So schön ruhig.“, sprach eine männliche feste Stimme mich von der Seite an.

„Ist ganz angenehm.“, antwortete ich, gab mir jedoch keine Mühe mein Misstrauen zu verbergen. Stumpf starrte ich weiter nach vorne und wollte damit kenntlich machen, dass ich keinerlei Interesse an einem Gespräch hatte. Vergeblich.

Mit einem kurzen Auflachen schnappte er sich die Schaukel neben mir und ließ sich plump auf das Holzbrett fallen.

Genüsslich schien er nochmals an seiner Zigarette zu ziehen, die nun Feuerrot aufleuchtete, ehe er sie achtlos vor sich zu Boden warf und im flachen Schnee austrat. Einen weiteren Moment schien er einfach nur schweigend in den Himmel zu starren und begann ein wenig hin und her zu schaukeln.

Vorsichtig warf ich einen verstohlenen Blick zur Seite, konnte jedoch bei der hereinbrechenden Dunkelheit nur noch die aufleuchtenden Umrisse erkennen, die von den Laternen erhellt wurden.

Er war eindeutig größer als ich. Er schien recht kurze Haare zu haben, denn sein Hinterkopf hob sich deutlich markant gewölbt vom Hintergrund ab. An seiner Stirn sah es aus, als würden ihm ein paar Strähnen etwas wüst ins Gesicht hängen. Vielleicht war er einer dieser neumodischen Punks, die sich ihre Haare extra mi viel Gel und ewigen Zeiten vor dem Spiegel so im Gesicht drapierten, dass man ja ihre Augen kaum sah.

Nase und Mund waren normal geformt und wiesen keine Besonderheiten, wie einen großen Buckel oder dergleichen auf. Es ließ ihn irgendwie perfekt wirken so ohne Macken und genau das war es, was so viele Mädchen dahin schmelzen ließ. Aalglatte Perfektion. Dabei konnten wir noch nicht einmal was dafür, schließlich war es einer der Urinstinkte, die uns nach dem kräftigsten Partner suchen ließen. Was jedoch nicht viele davon abhielt trotzdessen mit einem kompletten Deppen zusammen zu sein und sich einzureden dabei die Glückseligkeit mit Löffeln gefressen zu haben. Möglicherweise war das der kleine aber feine Unterschied, der unsere Evolution tatsächlich ausmachte. Die Beharrlichkeit stets Kompromisse einzugehen, mit dem ständigen Zweifel, dass man nichts Besseres finden würde als das was man bereits besaß.

Sein Kinn war kräftig, etwas kantig und stets in Bewegung. Vermutlich kaute er noch nebenher Kaugummi. Vom Rest seines Körpers konnte ich nicht viel erkennen, da er eine dicke Cordjacke und Jeans trug.

„Bist nicht so gesprächig was?“, fragte er und ich glaubte er würde verstohlen grinsen.

„Was sollte ich auch schon mit einem Fremden besprechen?“, antwortete ich trocken. Langsam aber sicher wurde mir die Situation zusehends unangenehmer. Ich kannte ihn nicht und war mir sicher so einen Typ auch noch nie an unserer Schule gesehen zu haben. Man musste natürlich in Erwägung ziehen, dass er älter war als ich ihn einschätzte und demnach gar nicht mehr zur Schule ging. In diesem Fall gab es keine großen Möglichkeiten ihn schon mal gesehen zu haben, selbst wenn er schon Jahre in unserer Gegend gewohnt hätte. Ich hatte kaum etwas mit den Erwachsenen aus unserer Nachbarschaft zu tun, es sei denn sie waren die Eltern von Freunden von mir. Ich hatte es nie als Nachteil empfunden nur die junge Generation überblicken zu können, mit all ihren Grüppchen und Cliquen. Das war schon schwierig genug wie ich fand.

„Stimmt wohl. Ich dachte nur, dass du vielleicht mit jemandem reden magst, anstatt hier so alleine zu sitzen. Um ehrlich zu sein hatte ich aber auch keine Lust da hinten im Dunkeln zu bleiben und zu wissen das ich beobachtet werde.“

„Ich hab dich nicht beobachtet.“, sagte ich tonlos und begann ihn immer weniger zu mögen.

„Natürlich nicht. Und das du ständig herüber geschaut hast habe ich mir natürlich eingebildet, nicht wahr?“, fragte er höhnisch und scharrte nebenher ein wenig im Schnee herum.

„Bist du nur hier her gekommen, um mich zu ärgern? Dann kannst du auch gern wieder gehen. Ich bin hier um meine Ruhe zu haben und mich nicht dumm von der Seite bequatschen zu lassen.“, knurrte ich nun und hoffte, das würde ihn vertreiben.

„Sag mal kenne ich dich irgendwoher?“, fragte er unverhofft und trat urplötzlich einen Schritt an mich heran, um mein Gesicht näher betrachten zu können.

Erschrocken fuhr ich zusammen und sprang von der Schaukel auf. Mein Herz pochte wild in meiner Brust und ich wusste nicht ob es Angst war oder ein aufkeimendes Prickeln, wie es in Situationen zwischen Mann und Frau des Öfteren mal auftrat. Vehement sträubte ich mich die zweite Möglichkeit überhaupt als solche anzuerkennen und machte noch zwei Schritte von ihm weg. Perplex und ohne dass ich es wirklich bewusst gesteuert hatte, grub sich meine Hand unter den dicken Wollschal um meinen Hals und ergriff den weichen kühlen Anhänger, der an seiner antik erscheinenden Kette auf meinem Dekolleté ruhte.

Da stand er nun. Den Kopf leicht schief gelegt und die Hände in den Hosentaschen verschwinden lassend, schien er mich ratlos anzustarren. Ein tiefer dunkler Schatten hatte sich auf sein Gesicht gelegt, so dass ich seine Mimik nicht sehen und demnach auch nicht deuten konnte. Sekundenlang schwieg er und ließ es dadurch zu, dass sich wieder Distanz zwischen uns aufbauen konnte. Distanz, die mich beruhigte und mir anscheinend sagen sollte, dass er nichts Böses von mir wollte.

Man hatte so viel in den Nachrichten gehört und in der Zeitung gelesen. Immer wieder standen da Schicksale von Jungen unschuldigen Mädchen, trocken nieder geschrieben von irgendeinem alten senilen Greis, der sich mit dem Job gerade mal eine kleine Butze und einen gebrauchten Kleinwagen leisten konnte. Mädchen, die genau wie ich erst nett und freundlich in ein Gespräch verwickelt wurden und urplötzlich schlug die Situation um und sie fanden sich gefesselt in einem Auto oder mit zerrissenen Sachen irgendwo im Gebüsch liegend wieder. Wimmerten und Schreiten aber niemand hörte sie oder man ignorierte sie. Und selbst wenn die gebrochenen Stimmen begannen zu schweigen, wenn sie gefunden wurden und sie wieder in ihren üblichen Alltag geschubst wurden, so hörte doch kaum einer die andauernden stummen Schreie, die fortan ihr Leben begleiten würden.

Ich wollte keins von diesen Mädchen sein. Hochsensibilisiert betrachtete heutzutage fast jedes Mädchen einen Mann, mit dem es alleine an einer Bushaltestelle saß, alleine die Straße mit ihm teilte oder auch einfach nur einen Schokoriegel an seine Kasse bezahlen wollte, als Bedrohung. Jeder Mann war eine potenzielle Gefahr, denn jede Art von Mann war bereits dazu in der Lage gewesen. Ärzte, Ehemänner, Polizisten… ja selbst die eigenen Väter.

Wolken zogen auf und um uns wurde es noch dunkler. Sacht strich ein frischer Wind über mein Gesicht und wehte mir ein paar meiner dunklen Strähnen über die Stirn. Ein paar Haare kitzelten an meiner Nase und ich spürte wie ich niesen wollte. Krampfhaft versuchte ich den Zwang zu unterdrücken, doch vergebens. Zusammenzuckte schnaufte ich und versuchte währenddessen ihn keine Sekunde aus den Augen zu lassen. Innerlich spannten sich bereits meine Muskeln, die Möglichkeit in Betracht ziehend, dass er meine Unbeholfenheit ausnutzen würde, um mich zu überrumpeln.

Nichts geschah.

„Du bist sehr misstrauisch. Würde es nicht unhöflich sein, würde ich dich fragen, ob es einen Grund dafür gibt aber du hättest eh nicht geantwortet, nehme ich an.“, sagte er und seine Stimme hatte sich unmerklich verändert. Ich glaubte sie wäre härter geworden.

Ohne etwas zu sagen griff er in seine Jackentasche und schien nach etwas zu suchen. Meine innere Alarmglocke läutete so laut, dass ich fast geschworen hätte diesen Ton irgendwie nach außen abzugeben. Abermals spannten sich meine Muskeln und Adrenalin schlich sich wieder in meine Adern zurück. Eigentlich hätte ich einfach gehen sollen. Hin und her gerissen fürchtete ich mich jedoch ihm den Rücken zuzukehren. Ich hätte eigentlich gar nicht dort sein dürfen. Vielleicht hatte der Hausarrest meines Vaters doch seinen Sinn gehabt.

Wenn ich nur auf ihn gehört und mich seiner Strafe ergeben hätte, dachte ich betrübt.

Fieberhaft versuchte ich mir noch die letzten wenigen Reste an Wissen von meinen Stunden bei einer Selbstverteidigungsgruppe ins Gedächtnis zu rufen. Meist musste man den Gegner heran kommen lassen um wirklich schlagfertig agieren zu können. Am liebsten hatte es mein Trainer sogar gesehen, wenn man von selbst nach vorne trat und sozusagen in den Schlag hineinrannte, um seinem Wiedersacher den Handlungsspielraum zu nehmen. Ich konnte mir weiß Gott was Besseres vorstellen, als dem Kerl jetzt auch noch auf die Pelle zu rücken.

Gebannt starrte ich auf seine Hand, wie sie in der Tasche herumwühlte und nach etwas suchte. Seine Finger gruben sich immer tiefer hinein. Dumpf raschelte der Stoff unter den Bewegungen. Er selbst wirkte ruhig und besonnen, machte keinen Anschein als würde er kurz davor sein etwas Schreckliches zu tun. Knisternd kam plötzlich eine kleine sacht glänzende Packung zum Vorschein.

„Ich wusste doch, dass ich noch eins haben müsste.“, flüsterte er mehr zu sich selbst als zu mir.

Langsam und bedacht darauf mir nicht zu nahe zu kommen und somit mein Misstrauen zu steigern, machte er einen Schritt in meine Richtung und beugte sich nach vorn, als müsste er über einen breiten Tisch langen. Sekundenlang hielt er mir ruhig und geduldig die Packung mit dem letzten samtweichen Taschentuch darin entgegen.

Verdutzt starrte ich ihn an. Irgendwie schämte ich mich auf einmal ein wenig. Es mochte wohl wahr sein, dass die Zahlen von Vergewaltigungen gestiegen waren aber das musste nicht heißen, dass man jedem ständig etwas vorausahnend zu Lasten lag. Wie so oft maßte ich mir an, den Menschen der mir gegenüber stand und Gutes für mich wollte besser zu kennen und zu glauben, dass dem nicht so sei.

Vorsichtig hob ich meine Hand, zögerte einen Augenblick und hob den Blick in seine Richtung. Ich wollte sein Gesicht sehen, wollte wissen ob er mich vielleicht anlächelte oder ob es für ihn nur eine Geste der guten Manieren war. Dunkle Schatten zeichneten sich auf dem Gesicht des jungen Mannes ab. Für diesen Moment wirkte er um Längen älter, als ich vorerst angenommen hatte. Die Konturen der Knochen und Muskeln erschienen mir härter und steifer. Eine Woge von Neugierde und einem mir befremdlichen undefinierbaren Verlangen schlug mir plötzlich entgegen, als könnte ich sie körperlich greifen.

Ich wollte nicht unhöflich sein oder ihm gar einen Grund geben wütend auf mich zu sein, so dass ich meine Bewegung langsam und aufmerksam beendete. Knisternd und kalt spürte ich das Plastik zwischen meinen Fingern und sah wie meine Hand ein wenig zitterte und dann passierte es.

Seine Finger streiften die meine so deutlich und so gezielt, dass es unmöglich hätte ein Zufall sein können. Wie elektrisiert fuhr ich zusammen, jedoch gleichwohl unfähig meine Hand zurück zu ziehen. Es fühlte sich an, als ob mit dem Kontakt unserer Hände eine Hitze von ihm auf mich überging, die sich wie ein suchender Virus heiß und fordernd durch meinen Körper fraß und nach der schwächsten Stelle suchte, um sich dort einzunisten und mein Immunsystem zu vernichten. Schlagartig wurde mir schummrig zumute und mein Magen krampfte sich zu einem kleinen Klumpen zusammen. Ausnahmsweise war ich froh darüber mir nicht den ganzen Tag den Bauch vollgeschlagen zu haben, denn in diesem Moment hätte nicht der geringste Krümel mehr in meinem Verdauungsapparat Platz gefunden.

Ein leises Keuchen verließ meine Kehle und ich konnte mich gerade noch zusammenreißen nicht meine Haltung zu verlieren. Einmal fest die Augen zu und wieder aufschlagend starrte ich den Schatten vor mir an.

Behutsam zog er seine Hand zurück, geradeso als wollte er mir höhnisch mitteilen, dass diese Berührung für ihn keinerlei Bedeutung hatte. Fast wie in Zeitlupe lehnte er sich wieder zurück und ließ seine Hände wieder in den Taschen verschwinden. Sein Kreuz hatte sich gestrafft und seine Haltung war wie die einer Person, die auf jemanden herabsah. Als sei sie nicht das wert, was er zuvor geglaubt hatte.

Ich schluckte schwer und machte unmerklich einen unsicheren Schritt zurück. Schnee knirschte unter meinen Füßen und paarte sich mit dem sanften Hauch des Windes. Die kühle klare Luft nahm mir nach und nach meine Benommenheit und ich sah, wie ich das Taschentusch in meiner geballten Faust hielt. Mein Verstand wollte nicht begreifen was da gerade passiert war, geschweige denn sich einen Reim darauf machen.

Stumm starrte ich ihn und hoffte er würde etwas sagen, würde die Situation irgendwie aufklären oder zumindest irgendetwas tun um diesen peinlichen Moment zu beenden.

„Das wäre auch zu einfach gewesen.“, flüsterte er leise, so dass ich es kaum verstand und machte einfach auf dem Absatz kehrt.

Völlig perplex starrte ich ihm nach, wie er ohne ein weiteres Wort durch den Schnee stapfte und in der Dunkelheit verschwand, als sei er nie dagewesen. Unfähig ihm irgendetwas hinter her zu rufen stand ich in der Finsternis und zerquetschte weiter die kleine Verpackung in meiner Hand.

Matthew Hunt

Geistesabwesend saß ich auf dem knirschenden Holzstuhl und starrte aus dem Fenster. Um mich herum war der übliche Pausentrubel. Kleinere Grüppchen von Schülern standen oder saßen beisammen und unterhielten sich angeregt. Nur unbewusst kam mir die neueste Nachricht des Tages zu Ohren.

Wir hatten einen neuen Schüler.

Immer wieder hörte ich, wie Mitschülerinnen aufgeregt ihre Freundinnen fragten, ob sie ihn schon gesehen hätten. Sah er gut aus oder entsprach er doch nur wieder dem Durchschnitt, so wie die meisten an der Schule. Hatte er lediglich unscheinbare Klamotten an oder war er vielleicht reich und trug schicke neue Sachen. Alles Dinge, die mich schlichtweg gar nicht interessierten. Ich will gar nicht sagen, dass mich das sonst nicht auch neugierig gemacht hätte aber der Umstand von Nanuks Verschwinden hatte fast jedwedes Interesse am Schulleben absterben lassen.

Immer wieder kamen und gingen die Leute. Jeder in der Hoffnung den Neuen, irgendwo in dem Getümmel auf dem Flur, mit einem Blick erhaschen zu können. Angeblich schien er recht gut auszusehen, berichtete mir Grace schließlich mit einem übertriebenen Grinsen im Gesicht. Braun gebrannte Haut und muskulös sei über den Flur stolziert, wie ein Löwe in der Steppe. Viel zu erhaben um mit dem niederen Fußvolk ein Wort zu wechseln.

Ich seufzte schwerfällig. Was für eine Farce, schoss es mir durch den Kopf.

„Was ist denn? Willst du ihn nicht auch einmal sehen?“, fragte Grace, als sie sich auf den leeren Stuhl neben mich setzte und an ihrem Brot knabberte. Ein wenig mit dem Stuhl kippelnd, schaute sie mich schief von der Seite an. Wenn sie eine Brille gehabt hätte, wäre es der perfekte skeptische Blick über den Brillenrand hinweg gewesen, dachte ich innerlich und amüsierte mich ein wenig darüber. Meine Contenance verlor ich jedoch keinesfalls.

„Warum denn? Nur wieder einer von diesen Idioten, die der Meinung sind sie könnten die Welt umreißen und alle nach ihrer Nase tanzen lassen.“

„ Du bist nur do garstig wegen Nanuk, nicht wahr. Wie lange willst du ihm denn noch hinterher jammern? Das ist jetzt schon Wochen her. Wenn er gewollt hätte, dann hätte er sich gemeldet. Also komm mal wieder aus deinem Mäuseloch hervor, bevor selbst die Katze keine Lust mehr hat zu warten.“

„Willst du mir jetzt sagen, dass selbst meine Feinde mich bald vergessen würden? Das wäre ja ein Traum, wenn Marie wie von selbst mit den Sticheleien aufhören würde“, witzelte ich.

„Du bist unglaublich. Deinen Zynismus hätte ich gern. Damit würde ich manche Sachen bestimmt nicht mehr so ernst sehen. Aber jetzt mal ohne Spaß Beth. Du scheinst ganz schön abgenommen zu haben, weißt du das? Ich will dir ja nicht zu nahe treten aber nagt die ganze Sache vielleicht doch mehr an dir, als sie sollte?“

Ihre Stimme wurde leiser, so dass nur noch ich sie wirklich verstehen konnte und gleichwohl hatte ich das Gefühl sie hätte es so laut und so vorwurfsvoll ausgesprochen, dass es jeder in der Klasse hätte hören können.

„Was für ein Unsinn.“, raunte ich und fuhr wieder auf. „Was redest du denn da für einen Mist. Mir geht es bestens.“

„Es war ja nur eine Frage. Ich mach mir halt Sorgen um dich.“, sagte sie schließlich und wand den Blick in Gedanken von mir ab. Sie wusste, dass es bei so einem Thema kein Weiterkommen gab. Unmerklich seufzend aß sie ihr Brot weiter und betrachtete in Gedanken die fast menschenleere Klasse.

Insgeheim hatte sie jedoch Recht. Mit allem.

Nanuk war nun seit sieben Wochen spurlos verschwunden. Er hatte nicht angerufen, hatte keinen Brief geschrieben, war nicht bei mir zu Hause aufgetaucht und hatte sich für all das Geschehene entschuldigt. Nichts war passiert und mein Missmut schlug mir nicht nur auf meinen Magen.

Vor zwei Wochen, nach meiner mysteriösen Begegnung auf dem Spielplatz, hatte ich angefangen unregelmäßige Hitzewallungen zu bekommen. Manchmal musste ich mich morgens übergeben und fühlte mich so elend und ausgezehrt, dass es mich die größte Mühe kostete den Weg zur Schule anzutreten. Vier Kilo waren seit dem von meiner Hüfte gepurzelt und ich glaubte meine Wangen seien eingefallen und meine Augen matt und müde geworden. Zuerst hatte ich es auf meine Regel geschoben, da diese zeitgleich eingesetzt hatte doch auch danach verschwand das Unbehagen nicht. Vielleicht brütete ich irgendwas aus und würde bald eine Grippe bekommen, die sich gewaschen hätte.

Es fiel mir schwer es einzugestehen. Wahrscheinlicher als meine Vorüberlegungen war jedoch, dass es an Nanuks Verschwinden lag, welches mir mein Unterbewusstsein mit einer solchen Reaktion nun allzu deutlich machen wollte. Natürlich vermisste ich ihn unheimlich aber andererseits war da auch ein unnachgiebiger Schmerz in mir verankert. Ein Schmerz der tiefer zu sitzen schien, als die Sehnsucht nach ihm.

Wie konnte er mich bloß einfach ohne ein Wort des Erklärens hier zurücklassen? Wo er doch genau wusste, dass ich mit ihm bis ans Ende der Welt gegangen wäre. Ich hätte alles mit ihm durchgestanden, alles in Angriff genommen und ihm stets vertraut. Jetzt jedoch war ich mir noch nicht einmal mehr sicher, ob ich ihm jemals alles hätte verzeihen können, sollte er es wagen sich noch einmal bei mir blicken zu lassen.

An manchen Tagen hatte ich mich noch einmal getraut zu seinem Haus zu gehen und mich zu erkundigen, ob es immer noch leer stand. Es blieb nachwievor gänzlich unberührt und mutierte für mich zu einer buchstäblichen Geistervilla. Je mehr Zeit verstrich desto mehr verblasste die Erinnerung an jenen Tag, an dem ich mir Eintritt in das alte Haus verschafft hatte, zu einem gespenstischen Ausschnitt aus einem meiner Bücher. Was geschehen war konnte einfach nicht der Realität entsprechen, so dass ich für mich beschlossen hatte, dass mich meine Gefühle übermannt haben mussten und mir wirre Dinge vorgegaukelt hatten. Manche Menschen konnten sich in extremen Situationen alles Mögliche einbilden. Warum hätte ich also davor verschont bleiben sollen.

Während meinen Überlegungen stahl sich immer öfter der geheimnisvolle Schatten des jungen Mannes in mein Gedächtnis. Das Gefühl bei unserer Berührung war noch so nah, dass ich glaubte es seien erst Minuten vergangen. Manchmal schüttelte es mich heiß und kalt gleichzeitig und ein merkwürdiges Kribbeln machte sich in meinem Magen breit. Ein weiterer Mann in meinem Leben, der mich mehr verwirrte, als das er mir Klarheit schenkte.
 

„Wie fühlst du dich, wenn du bei Jack bist?“, fragte ich ohne Grace dabei anzuschauen.

Ein paar Sekunden kaute sie weiter und schaute mich rätselnd von der Seite an. Man konnte ihr regelrecht vom Gesicht ablesen, dass sie gerade darüber nachdachte, mich zu Fragen warum ich das wissen wollte. Den letzten Bissen in Ruhe hinunter schluckend, seufzte sie einmal kurz und ließ den Stuhl langsam wieder mit allen vier Beinen den Boden berühren. Den Kopf etwas schief legend, musterte sie mich noch einen Augenblick ehe sie feststellen musste, dass ich nicht gewillt war diesen zu erwidern.

„Weißt du das nicht selbst am besten.“, sagte sie schließlich mit einem Ton, den ich nicht deuten konnte.

Unsicher wagte ich nun doch einen Blick in ihre Richtung. Traurig und mitfühlend schaute sie mich an, als wolle sie mir sagen, dass alles wieder gut werden würde. Das hatte mir gerade noch gefehlt.

„Es geht nicht um Nanuk. Beantworte mir doch einfach meine Frage.“, bat ich etwas patzig und schaute wieder aus dem Fenster. Ich wusste, dass sie mir keineswegs glaubte, egal was ich geantwortet hätte.

„Wie soll man das am besten beschreiben.“, resignierte sie nun leise und zögerlich, suchte innerlich noch nach den passenden Worten. „Es ist einfach so, dass mein ganzer Körper verrückt zu spielen scheint, wenn er da ist. Sobald er mir Aufmerksamkeit schenkt, mich anschaut oder mich gar berührt, fühlt es sich an, als würde jede meiner Fasern elektrisiert auf mehr warten. Alles in mir ist so auf Spannung, dass wenn er weg ist und dieses Gefühl nachlässt, mir teilweise sogar schlecht wird. Er lässt mich einfach nicht los und kann mit nur einem Blick mein ganzes Empfinden so auf den Kopf stellen, dass ich nicht mehr weiß, was ich sagen wollte oder noch einen Augenblick zuvor gedacht habe. Ich kann einfach nichts dagegen tun. Es passiert ohne irgendein zu tun von mir. Kein Bad und keine Wärmflasche könnte mich je innerlich so erhitzen.“

Bei dem letzten Satz musste sie zwangsläufig Schmunzeln. Ihr Blick ruhte auf dem großen braunhaarigen jungen Mann, der sich angeregt mit Ben unterhielt, völlig unwissend welche Macht er mit seiner Anwesenheit auszulösen vermochte.

„Das hatte ich befürchtet.“, sagte ich nach einer kurzen Pause deprimiert.

Grace schaute mich fragend von der Seite an. Eine Augenbraue hochziehend rückte sie mit dem Stuhl etwas näher heran und guckte mich an, als hätte ich etwas völlig undenkbares gesagt.

„Was meinst du damit?“, fragte sie scharf und musterte mich mit einem Blick, der mir klar machte, dass jeder Fluchtversuch nun völlig ergebnislos bleiben würde. Warum musste ich auch fragen, dachte ich, mich in Gedanken selbst ohrfeigend. Ich würde es ihr erzählen müssen aber nicht jetzt. Allein diese Tatsache, dass ich es hinauszögern wollte, würde sie fürchterlich wütend machen, dass wusste ich.

„Die Stunde geht gleich weiter. Kommst du heute Abend auf einen Tee bei mir vorbei, dann erklär ich es dir?“

„Du hast verdammt viel Glück, dass ich heute so gute Laune habe. Fängst hier mit so einer Frage an und lässt mich dann ohne eine Antwort im Regen stehen. Das kann jawohl nicht wahr sein.“, empörte sie sich übertrieben und stand langsam auf. „Und wehe dir, du lässt dir bis heute Abend irgendeine fadenscheinige Ausrede einfallen, dann werde ich zu deinem persönlichen Poltergeist.“

Drohend hob sie den Finger in meine Richtung und stemmte die andere Hand in ihre Hüfte. Ich rang mir ein kurzes müdes Lächeln ab und nickte stumm.

Unzufrieden zog sie ihren braunen Pullover wieder ein wenig zurecht und ging schnellen Schrittes die Stufen zu ihrem Platz zurück. Es war irgendwie lustig mit anzusehen, wie sie den Blick nicht von Jack abwenden konnte, während dieser nichts davon bemerkte.

Ich hatte Grace schon lange nicht mehr gefragt, wie es eigentlich um die beiden stand, war ich doch zusehends mit mir selbst beschäftigt gewesen. Heute Abend musste ich das unbedingt nachholen. Nicht nur weil es meine Pflicht als Freundin war, sondern tatsächlich auch, weil es mich interessierte. Dieses ganze Hin und Her ging schon so lange, dass ich überlegte ob ich da nicht einmal nachhelfen sollte. Wobei man mit solchen Ideen ja generell vorsichtig sein sollte, denn meist gingen sie grundsätzlich nach hinten los.

In einer ruhigen Minute versuchte ich einmal so beiläufig wie möglich Ben auszufragen, wie es um Jacks Gefühle bestellt war. So wie es den Anschein machte war auch er nicht abgeneigt von Grace, aber leider dermaßen verunsichert, dass er sich nicht traute auch nur irgendetwas zu tun.

Immer mehr fand ich, dass es sich das männliche Geschlecht in den letzten Jahren wirklich verdammt einfach gemacht hatte. Ich erlebte es nur noch selten, dass ein Mann auf eine Frau zuging oder sonst irgendwie den ersten Schritt wagte. Emanzipation hin oder her aber wenn diese nur bewirkte, dass die Männer sich nichts mehr zutrauten, weil die Frauen einfach zu selbstsicher rüberkamen, dann wollte ich die alten Zeiten wieder haben.

Auf der anderen Seite waren diejenigen, die das Selbstbewusstsein hatten, was sich Frauen wünschten, zum Teil Proleten oder solche, die es einfach schamlos ausnutzten. Ein gesundes Mittelmaß war gänzlich untergegangen.

„Ist hier noch frei?“, riss mich plötzlich eine Stimme aus meinen Gedanken und es fühlte sich an, als hätte mich jemand geohrfeigt.

Erschrocken fuhr ich herum und blickte in das Gesicht der Person, die mich angesprochen hatte. Tiefblaue fast schon azurfarbende Augen musterten mich, auf eine Antwort wartend. Völlig perplex war ich nicht in der Lage etwas zu erwidern. Während meiner Gedankengänge hatte ich nicht bemerkt, dass es um mich herum in der Klasse still geworden war.

„Ich nehme das jetzt mal als ein Ja hin.“, sagte er schließlich und nahm seine Umhängetasche ab und stellte sie neben den Tisch. Ohne mich weiter zu beachten, nahm er auf dem Stuhl Platz, auf dem bis vor wenigen Minuten noch Grace gesessen hatte.

Auf dem vor wenigen Wochen noch Nanuk gesessen hatte, korrigierte ich mich innerlich.

Mit einem Mal schien ich meine Stimme wiedergefunden zu haben.

„Du kannst da nicht sitzen! Der Platz ist schon vergeben!“, raunte ich und plusterte mich ein wenig auf.

Mir einen fragenden Blick von der Seite zuwerfend, verzog er seine Lippen zu einem schnippischen Grinsen.

„Dann wird sich derjenige wohl einen neuen suchen müssen.“

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen und mein Herz begann zu rasen. Blut schoss mir in den Kopf und pulsierte durch meine Adern wie glühende Lava.

„Du?“, stieß ich entsetzt aus und sprang vom Stuhl auf. Dieses Profil, diese perfekte Nase und diese dunkelblonden Strähnen, die sich quer über seine Stirn und die linke Hälfte seines Gesichts gelegt hatten. Das konnte unmöglich ein Zufall sein.

Die ganze Klasse, allen voran Grace, gafften uns fragend an. Keiner wagte etwas zu sagen. Keiner wollte mich bestätigen, dass es Nanuks Platz war. Hatten sie ihn denn schon alle vergessen? Glaubte keiner mehr, dass er zurückkehren würde?

Ich wurde fürchterlich wütend. Zum einen über die Sache, dass sich dieser Typ erdreistete einfach sitzen zu bleiben und zum anderen über meine völlig unangebrachten Gefühle, die aufkamen als ich ihn wiedererkannte.

Verdammt noch mal Grace hatte genau das gesagt, was ich befürchtet hatte, dachte ich zornig und wollte es nicht wahr haben. Ich konnte mich doch nicht in diesen Kerl verknallt haben? Das war dermaßen grotesk, dass ich mich gegen jede noch so kleine Bestätigung dieses Gefühls sträubte.

„Ah du erinnerst dich. Und? Bist du jetzt gesprächiger?“, fragte er amüsiert und lehnte sich lässig nach hinten. Die kräftigen Arme vor der straffen Brust verschränkend, starrte er mich unter seinem Pony hinweg an. Das Gesicht war kantig und mit ein paar Bartstoppeln versehen. An seinem rechten Ohr sah ich einen rubinroten Stecker, der im fahlen Licht der Deckenlampe funkelte und ich glaubte darunter am Hals den Ansatz einer Narbe erkennen zu können. Seine Haut hatte einen goldigen Braunton, welcher einen ansehnlichen Kontrast zu dem eng sitzenden türkisen T-Shirt bot. Auf den Muskelwölbungen an seinen Armen prangten ebenfalls hier und da Narben, als hätte man ihm regelmäßig Klingen über die Haut gezogen.

Bloß nicht noch einer dieser komischen Emo Typen, dachte ich barsch.

Breitbeinig seine helle Markenjeans präsentierend, starrte er mich weiter süffisant grinsend an.

Trotz meiner schier grenzenlosen Wut, fühlte ich wieder genau das, was ich nicht fühlen wollte. Mein Magen verkrampfte sich zu einem Klumpen und meine Hände schienen ein wenig zu zittern, so dass ich bemüht war irgendetwas zu ergreifen, damit man es nicht sah.

Er wirkte so unendlich reifer und erwachsener als alle anderen in meinem Alter. Meine Wut gemischt mit dem unsäglichen Gefühlschaos einer naiven Verliebtheit, machte mich wahnsinnig und ließ mich keinen klaren Gedanken fassen. Trotz allem musste ich zugeben, dass er so wie er das saß unverschämt gut aussah. Und leider war es schon immer dieser Machotyp von Mann gewesen, den Frauen am begehrenswertesten fanden. Zumindest so lange bis sie, trotz allem guten Zureden, kaltblütig ersetzt wurden und ihm Wochenlang bitterlich nachweinten. Das Schlimme war, dass er genau das nur zu gut wusste.

Meine Unterlippe begann zu beben. Ich wollte etwas sagen, wollte aufbegehren und ihn anschreien, was das alles sollte. Die Hände zu Fäusten geballt ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen. Ich wusste beim besten Willen nicht, was genau ich ihm eigentlich entgegen bringen sollte. So unglaublich zornig war ich schon lange nicht mehr.

Von unten warf mir Grace einen fragenden Blick zu, zuckte kurz mit den Schultern und hob etwas die Hände als wolle sie mich fragen, was mit mir los sei.

„Also immer noch verbissen schweigsam.“, lachte er spöttisch und nahm die Hände hinter den Kopf, den Blick wieder nach vorn gerichtet.

Ich hätte explodieren können und die gesamte Schuleinrichtung durch die Gegend schmeißen können, so wutentbrannt war ich. Mein Herz raste weiter unsichtbar hinter meiner Brust und ließ mich das Rauschen meines Blutes deutlich hören.

„Solltest du dich doch noch einmal um entscheiden, mein Name ist Matthew Hunt. Du kannst mich Matt nennen.“, seine klare tiefe Stimme drang an meine Ohren. Unweigerlich sträubten sich mir meine Nackenhaare. Ich wollte seinen verdammten Namen gar nicht wissen. Gar nichts wollte ich von ihm wissen. Das war Nanuks Platz und niemand anders hatte das Recht dort zu sitzen. Und dann auch noch dieses fast schon schmerzende Pochen in meiner Brust. Am liebsten hätte ich mir mein Herz herausgerissen und wäre darauf herum gesprungen, bis es nicht mehr geschlagen hätte und mir nicht länger sagen konnte, was ich wohl für ihn empfand. Wasser schoss mir in die Augen und ich wünschte mir von Sekunde zu Sekunde mehr, ich könnte einfach im Boden versinken. Doch es war zu spät.

Der Lehrer betrat den Raum, schloss die Tür hinter sich und somit fiel mein einziger Fluchtweg zu. Ich hatte jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder schaffte ich es mich schleunigst wieder zu fangen oder ich musste noch kurz die Frage herauspressen ob ich mal auf die Toilette dürfte. Ich glaubte zwar nicht daran, dass er mich gehen ließ, da gerade erst Pause war, aber die Gewissheit nahm immer mehr zu, dass ich nicht in der Lage war mich wieder zusammenzureißen.

„Mr. Bates? Dürfte ich nochmal kurz auf die Toilette, es wäre dringend.“, sagte ich und versuchte das Brechen meiner Stimme so gut es ging zu verbergen.

Einen kurzen fragenden Blick zu mir hoch werfend, hatte er gerade seine Bücher auf dem Lehrerpult positioniert.

„Wenn es denn sein muss.“, brummte er und holte auch den letzten Rest seiner Arbeitsutensilien aus der ledernen Tasche.

Hastig schob ich meine Hintern vom Stuhl und schlug den Weg zu den Stufen an, als ich noch im Vorbeigehen, das selbstsichere Grinsen von Matthew Hunt sah. Wie gern wäre mir das erste Mal in meinem Leben die Hand ausgerutscht.

Die Klassentür hinter mir zuziehend, blieb ich einen Moment tief einatmend stehen. Das nun folgende Getuschel in der Klasse war mir schrecklich egal. Seit Nanuk fort war spotteten eh schon alle über mich also würden sie nun nichts Neues tun, sondern höchstens ein neues Thema anschlagen.

Auf etwas wackeligen Beinen ging ich den leeren Flur entlang. In meinem Kopf rauschte noch immer das Blut und mein Magen krampfte sich zusehends mehr zusammen. Langsam sammelte sich Speichel in meinem Mund, als ich meine Schritte beschleunigte. Ein merkwürdig beklemmendes Gefühl ließ mich schnell hintereinander Schlucken, als ich das allseits bekannte spannen hinten im Rachen spürte. Nun rannte ich. Mit meiner letzten Kraft die schwere Tür aufschwingend, stürzte ich auf eine Toilette zu und umarmte schleunigst das Porzellan.

Mittlerweile war das Erbrechen nichts Neues mehr für mich aber irgendetwas erschien heute anders. Hitze stieg in mir auf und ich spürte, wie ich zu schwitzen begann und mein Bewusstsein sich langsam verabschiedete. Mein Kreislauf machte mir heute einen gehörigen Strich durch die Rechnung. Den Mund benommen an meinem Pullover abwischend, stemmte ich mich mit meiner letzten Kraft in die Höhe. Vorsichtig versuchte ich mich ans Waschbecken zu bewegen und war bemüht den Kontakt zur Wand nicht zu verlieren. Gerade als ich nach dem Wasserhahn greifen wollte, verließ mich mein Wille und mir wurde schwarz vor Augen. Ich spürte noch, wie ich mit dem Kopf auf das Becken aufschlug und mir die rote Suppe ein warmes Kissen auf den kalten Fliesen bereitete.
 

„Du machst mich fertig, weißt du das? Willst du dich umbringen, ohne das es so aussieht oder was soll das alles?“, maulte Grace und ihre Gesichtszüge waren müde und schlaff.

„Wie oft soll ich das denn noch sagen. Ich hatte einen Schwächeanfall. Vermutlich werde ich krank. Was weiß denn ich! Glaub mir doch einfach!“, fauchte ich und war unendlich genervt davon, dass sie mir bereits seit über einer Stunde immerzu dieselben Fragen stellte.

Mikosch hatte sich schon lange aus meinem Zimmer gestohlen und der Tee der auf dem Stövchen stand musste bereits kalt sein. Grace erzählte mir, dass ich einfach nicht von der Toilette wiederkam und sie schließlich nachschauen wollte wo ich blieb. Sie fand mich in einer Blutlache liegend und dachte zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ich sei Tod. Langsam fand ich es wirklich lästig.

Ich hatte sonst nie großartig etwas gehabt, war selten krank gewesen und kann mich nicht erinnern, mir je etwas gebrochen zu haben. In letzter Zeit war ständig irgendwas. Ich hatte das Gefühl mein Körper brütete irgendetwas aus. Irgendeine Krankheit die einfach nicht ausbrechen wollte. Richtig akut wurde es jedoch erst, als ich Matt das erste Mal auf dem Spielplatz traf. Vielleicht verstärkten diese pulsierenden Gefühle mein Unwohlsein nur noch mehr. Insgesamt erschien mir jedoch alles so schrecklich schwachsinnig, dass es unmöglich so seine Richtigkeit haben konnte. Ich war wie eine tickende Zeitbombe und völlig unwissend, was passieren würde, wenn sie hochging.

Der dicke Verband um meinen Kopf juckte und ich hatte nichts womit ich kratzen konnte. Schlimm würde die Verletzung nicht sein, sonst hätte mich Grace nach meinem Besuch im Krankenhaus nicht nach Hause gebracht. Ein wenig brummte mir noch der Schädel und ich hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend, was sich genauer betrachtet als Hunger herausstellte.

Nach unsäglich langem Schweigen seufzte Grace leise und lehnte sich etwas nach vorn. Stunden saß sie neben meinem Bett am Boden und hatte sich an den alten Kleiderschrank gelehnt, während ich in meinem Bett lag und aus dem Fenster starrte.

„Es tut mir Leid.“, begann ich flüsternd. „Ich weiß auch nicht was mit mir los ist. Irgendwie überschlägt sich im Moment alles.“

„Ist schon gut. Ich weiß einfach nur nicht wie ich damit umgehen soll. Ich würde dir gern helfen aber habe keinen blassen Schimmer, wie ich das anstellen soll.“

„Ich glaube mir ist nicht zu helfen.“, antwortete ich trocken und zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. Zu oft in letzter Zeit musste ich diese einfache Lippenbewegung herbeizwingen. Ich fragte mich, wie lange das noch anhalten würde.

„Sagst du mir jetzt wenigstens, was es mit dieser Frage heute auf sich hatte?“, wollte sie wissen und schaute mich von unten an.

„Wenn du dich mit aufs Bett setzt?“, antwortete ich, denn ich wollte sie nicht mehr auf dem Boden sitzen sehen.

Mühselig erhob sie sich und rieb sich den Hintern, der ungemein schmerzen musste. Tief ausatmend schob sie sich neben mich unter die Decke und warf mir einen Bist-du-nun-zufrieden-Blick zu.

Da ich nicht all zu viel Kraft hatte, versuchte ich ihr die Geschichte mit Matt so kurz und knapp zu berichten, wie es eben möglich war. Zwischenzeitig runzelte sie etwas die Stirn oder konnte sich ein kurzes Schmunzeln nicht verkneifen, bis sie schließlich verstand warum ich mich so komisch verhalten hatte.

„Du hast dich in ihn verknallt und willst nicht akzeptieren, dass jemand so schnell Nanuks Platz hätte einnehmen können und noch dazu brütest du irgendeine Krankheit aus, von der du keine Ahnung hast was es sein könnte. Trifft es das ungefähr?“, fasste sie mehr für sich als für mich, meinen Monolog zusammen.

„Er nimmt von niemandem den Platz ein und ich hab mich nicht in ihn verknallt.“, brummte ich und schaute sie schief von der Seite an.

Eine Augenbraue hochziehend starrte sie skeptisch zurück.

„Na gut. Ich habe keine Ahnung ob man es als Verknallt bezeichnen kann aber irgendetwas ist da.“, räumte ich ein und zuckte mit den Schultern.

„So Leid es mir tut dir das sagen zu müssen aber der Kerl hat es dir voll und ganz angetan und das du dich so dagegen sträubst, macht es nur noch eindeutiger. Bei mir war das zu Beginn sehr ähnlich. Ich wollte es auch nicht wahrhaben und habe es vor mich her geschoben. Ich hab versucht tausend andere Gründe für meine Gefühle zu finden und redete mir ein, dass es nicht lange anhalten würde. Das es nur eine kurze Phase sei, die sich wieder legen würde. Dem war nicht so. Ich mochte ihn immer mehr und sehnte mich immer stärker nach seiner Nähe. Nimm es einfach hin. Deine Gefühle spielen nicht nach deiner Pfeife. Das macht das Leben doch so interessant, nicht wahr.“, lächelte sie sanft und stupste mich von der Seite an.

„Ich glaube da noch nicht dran. Guck ihn dir doch an. So ein Prolet und Frauenheld. Das kann unmöglich sein!“, empörte ich mich. Eigentlich hatte ich mir doch die Antwort auf all das Übel schon gegeben. Frauen fühlten sich immer von dem größten Macho angezogen, weil er am selbstsichersten und stärksten rüberkam. Was für ein Elend, dachte ich und hätte mich am liebsten unter meiner Decke verkrochen und wäre so schnell nicht wieder hervorgekommen. Dem Schicksal würde ich mich keinesfalls ergeben. Und wenn ich ihn so fürchterlich genau unter die Lupe nehmen müsste, um meinen Gefühlen ein Schnippchen zu schlagen. Ich würde irgendetwas finden, was diese Laune ausmerzen musste.

„Fragt die Liebe je nach einem Grund?“, seufzte Grace und lächelte mir aufmunternd zu.

„Nein. Die Liebe setzt keine Gründe voraus, denn sie ist einfach da und gibt uns Kraft wo keine ist, spendet uns Wärme in den kältesten Momenten und schenkt uns Licht in der tiefsten Dunkelheit.“, antwortete ich und spürte wie meine Stimme zum Ende hin zu zittern begann. Tränen stiegen mir in die Augen und ich wusste noch nicht einmal wirklich warum.

„Siehst du. Liebe ist etwas Vollkommenes. Lass es einfach zu, dass sie dich einnimmt und dir all das Gute einfach überlässt.“, flüsterte sie mir zu als sie mich in den Arm nahm.

„Aber auch Liebe fordert immer ihren Preis, nur ist er uns nicht sofort ersichtlich.“, sagte ich leise.

Grace schwieg und das verriet mir, dass sie durchaus wusste was ich meinte. Schluchzend lag ich in ihren Armen und wollte nichts weiter als meinen Frieden zurück. Nichts war wie zuvor. Das einzige was blieb, waren die Erinnerungen an eine andere Zeit und der Glaube, an eine bessere Zukunft.

Ich drückte sie noch etwas fester, wohlwissend das ein Teil meiner Zukunft sich schon verbessert hatte. Keine Beziehung vermochte es den Wert einer wahren Freundschaft aufzuwiegen. Das wusste ich nun und ich hoffte, ich würde es nie wieder vergessen.

„Das wird schon alles wieder. Auch diese Phase deines Lebens wird vorüber gehen und auch jede Krankheit hat irgendwann ihr Ende. Warte ein wenig ab und lass dir Zeit, die ganze Sache mit Nanuk zu verdauen, bevor du dich in etwas Neues stürzt.“, riet mir Grace mit einem fast mütterlichen Ton.

„Du hast Recht. Das wird wohl das Beste sein.“, nuschelte ich und wischte mir mit der Decke die Tränen aus dem Gesicht. „Wenn es bloß nicht alles so fürchterlich weh tun würde.“

„Gib dir keine Schuld daran. Man neigt gern dazu sich selbst die Schuld zu geben, wenn man das Verhalten eines anderen nicht versteht. Nanuk ist gegangen weil er vermutlich gehen musste. Das er dir nichts sagte, ist nicht zu verzeihen aber auch dafür wird er einen Grund haben und den hat er für sich selbst beschlossen. Du hast ihm keinen Grund eingeredet.“

„Ja. Vermutlich.“, flüsterte ich. Langsam spürte ich, wie ich ruhiger wurde. Unendlich dankbar für ihre Anwesenheit, genoss ich jeden Moment. Die Vertrautheit, die sich in den letzten Wochen zwischen uns aufgebaut hatte war wie Balsam für meinen rastlosen Geist. Erst jetzt merkte ich, wie reifer und empathischer sie stets wurde. Sie hatte einfach einen Draht zu den Menschen um sie herum, warum vermutlich viele mit ihren Problemen zu ihr kamen. Stets hatte sie ein aufmunterndes Wort oder einfach nur eine freie Schulter, an die man sich anlehnen konnte.

„Danke“, sagte ich schlicht. Ein so kleines Wort und dennoch steckte so viel Gefühl dahinter.

Sie lächelte stumm.
 

Ich war für den Rest der Woche krankgeschrieben und man verschrieb mir diverse Medikamente und Proteinpräparate, die mich wieder aufpäppeln sollten. Tatsächlich ging es mir nach und nach ein wenig besser. Mit der Zeit fand ich etwas Ruhe und schaffte es meine Gefühle rasten zu lassen. Nach der Schule besuchte mich Grace jeden Tag und berichtete mir von Matt, der sich wohl schon in den ersten Tagen mit drei Mädchen verabredet hatte.

„Was hab ich dir gesagt. Der absolute Prolet. Und alle fallen drauf rein.“, ärgerte ich mich, als wir am Küchentisch saßen und in unserem Nudelauflauf herumstocherten.

„Trotzdem kann man nichts dagegen sagen, dass er weiß wie er die Frauen rumzukriegen hat. Ich frag mich nur, was er damit bezwecken will. Glaubst er führt Strichliste und will irgendeinen Rekord aufstellen oder sucht er tatsächlich einfach nur nach der Richtigen?“, grübelte Grace und starrte einen Moment in Gedanken aus dem Fenster in den grau verhangenen Himmel hinaus.

„Es ist mir ziemlich egal warum er das tut. Ich weiß nur, dass ich definitiv keiner seiner blöden Striche sein werde. Mal ganz davon ab, dass ich nicht glaube, dass ich seinem Beuteschema entspreche.“, grummelte ich und störte mich keinesfalls an dem Gedanken.

„Wieso bist du dir da so sicher? Du warst ja kaum nach seinem Eintreffen krank. Wie sollte er dich da fragen können?“, grinste sie schelmisch und stopfte sich eine Gabel voll Nudeln in den Mund.

Das war tatsächlich ein Gedankengang, der mir so noch nicht gekommen war.

„So ein Blödsinn.“, blockte ich die Vorstellung sofort ab.

„Wir werden sehen.“, nuschelte Grace und grinste mich verschmitzt von der Seite an.

Für den Bruchteil einer Sekunde und völlig aus dem Zusammenhang gerissen, spielte sich plötzlich dieser Film vor meinem geistigen Auge ab.

Ein einsamer abgelegener Ort, der Mond schien klar und hell, leise surrte die Heizung des Autos, während sich zwei Gestalten im Zwielicht der Nacht ihrer Leidenschaft hingaben.

„Oh mein Gott!“, rief ich aus und sprang vom Stuhl auf. „Was ist bloß los mit mir? Das ist ja schrecklich!“

Erschrocken zuckte Grace unmerklich zusammen und starrte mich irritiert mit ihren nussbraunen Augen an. Einen Moment in ihrer Position innehaltend musterte sie mich still, wie ich nun murrend in der Küche auf und ab Schritt.

„Sollte ich mir jetzt Sorgen machen?“, fragte sie skeptisch.

„Jetzt ist alles aus“, offenbarte ich melodramatisch.

Ich blieb stehen und fuhr mir durch die Haare. „Ich hab Fünf-Sekunden-Fantasien“

„Was hast du?“

„Kennst du das nicht? Einem kommt plötzlich dieser Gedanke, der sich innerhalb von fünf Sekunden in deinem Kopf abspielt aber in dem du Stunden oder gar Wochen vorbei fliegen lässt?“

„Oh nein!“, stieß sie wohlwissend aus und musste herzhaft auflachen. „Was war es? Der schmutzige One-Night-Stand oder das romantische Candle Light Dinner?“

„Frag nicht“

Schwer ausatmend ließ ich mich wieder auf den Stuhl fallen und senkte den Kopf auf die abgelegten Unterarme. „Das ist alles ein Traum. Ein Alptraum.“

„Du übertreibst. Findest du nicht?“ Genüsslich aß sie weiter und blickte mich nun völlig unbeeindruckt von der Seite an. „Betrachte ihn doch als nettes Trostpflaster um über Nanuk hinwegzukommen“

„Da gibt es nichts wo ich drüber hinwegkommen müsste. Er ist fort. Er hat mich allein gelassen. Er hat unsere Freundschaft verraten. Fertig.“

„Du wirst nie vorwärts kommen, wenn du nicht ehrlich zu dir selbst bist. Aber das musst du langsam mal selbst wissen“, sagte sie in einem besserwisserischen Ton und stand auf. Routiniert stellte sie den Teller in die Spülmaschine, nahm sich einen Lappen und wischte den Tisch ab.

Es war ruhig geworden zwischen uns. Minutenlang redete keiner. Sie wusste nur zu gut, dass sie einen empfindlichen Nerv getroffen hatte. Natürlich wusste ich, dass die Behauptungen nichts weiter als dumme Abwehrreaktionen waren. Ich hatte durchaus auch meinen Teil zu der Situation beigetragen aber das machte das Gesamtbild auch nicht angenehmer für mich.

„Ich weiß es doch“, gestand ich letztlich mit einem bissigen Unterton und schob den Teller von mir weg.

Mitfühlend lächelte sie bedrückt und stellte meinen Teller ebenfalls in die Spülmaschine.

„Ich werde dann mal so langsam gehen. Es ist schon spät. Im Gegensatz zu dir muss ich morgen schließlich wieder in die Schule“, stichelte sie und stupste mich etwas in die Seite.

Brummig stand ich auf und geleitete sie zur Tür, wo sie sich in die dicke Daunenjacke einpackte.

„Weißt du schon, wann du wieder in die Schule kommen kannst?“

„Nächste Wochen will der Arzt noch einmal schauen, ob die Aufbaupräparate anschlagen und sich die Naht an meinem Kopf anschauen. Ich denke danach werde ich dann endlich auch wieder unter den normal Sterblichen verweilen dürfen“, entgegnete ich trocken. Diese ganzen Arzttermine hingen mir mittlerweile zum Hals heraus. Zumal sie bislang keinerlei Erfolg versprachen. Eher noch hatte ich fortwährend das Empfinden es würde sich schleichend verschlechtern.

Seufzend wünschte sie mir noch einen einigermaßen angenehmen Sonntag und schlug mir vor, ich könnte ja Matt anrufen sollte es mir langweilig werden.

„Sieh bloß zu das du Land gewinnst!“, schimpfte ich böse grinsend und beobachtete noch einen Moment, wie sie lachend die Straße hinunter ging.

Der nun wieder herrschenden Einsamkeit wegen schwer atmend, schloss ich die Tür hinter mir und starrte die Treppe hinauf. Ich horchte in die Stille, die mich umgab und hoffte darauf irgendetwas zu vernehmen. Etwas was mir wenigstens die Einbildung erleichtern könnte, dass ich nicht wieder alleine war. Vergeblich. Es herrschte Totenstille.

Selbst der Kater schien sich vollends meinem Blickfeld entzogen zu haben, so dass ich mich seufzend die Treppe hoch schleppte. In Gedanken sammelte ich die Wäsche von Fußboden meines Zimmers auf und warf sie in den Korb im Bad. Schweigsam überflog ich den Spiegel und erhaschte einen Blick auf mein fahles ausgezehrtes Gesicht. Ich zuckte erschrocken zusammen und blickte nochmals auf, nun einen genaueres Auge auf meine Erscheinung werfend. Meine Wangen waren eingefallen, dunkle Ringe umrandeten meine müden Augen und meine Lippen schienen spröde und an manchen Stellen aufgerissen.

War das wirklich ich? Was hatten die letzten Wochen bloß aus mir gemacht. Immer noch wartete ich darauf, dass dieser Virus oder was auch immer, in mir ausbrach, ich ein paar Tage ordentlich krank war und dann Ruhe einkehren würde. Aber es geschah einfach nichts. Ich wurde nicht wirklich krank aber fühlte mich auch nicht vollends gesund. Mein Wohlbefinden schwebte in irgendeinem Zustand, zwischen beidem und machte mich wahnsinnig.

Lange würde ich das mit Sicherheit nicht mehr durchhalten. Jeden Tag zehrt es an den Nerven und anscheinend auch auffallend an meinem Körper. Vielleicht sollte ich mich auch einfach nur dazu zwingen mir einzugestehen, dass ich das Verschwinden von Nanuk keinesfalls verwunden hatte. Nur wie lange sollte das noch so weitergehen. Bis er wieder da sein würde? Vielleicht kam er nie mehr zurück.

Langsam schritt ich in mein Zimmer zurück und ließ mich müde auf die Fensterbank fallen. Kaum merklich lehnte ich meinen schweren Kopf gegen das kalte Glas und starrte in den Garten hinaus. Es vergingen einige Augenschläge, bis mir etwas auffiel was nicht ins Bild passte. Er war wieder da. Der Schatten am alten Pass der in den Wald hinauf führte. Ich blinzelte einmal. Der Schatten rührte sich nicht und nahm für mich noch deutlichere Umrisse eines Menschen an. Ich blinzelte ein zweites Mal. Nichts. Es war weg.

Völlig irritiert richtete ich mich auf und fixierte die nähere Umgebung aber auch dort fiel mir nichts weiter auf. Eine Augenbraue hochziehend sackte ich wieder etwas in mich zusammen. Meine Kraft reichte noch nicht einmal mehr wirkliches Erstaunen oder Neugierde zu zeigen.

Das Bild von eben schob sich noch mal unauffällig zwischen meine Selbstmitleid verherrlichenden Gedanken.

Glühte da beim Schatten ein kleiner orangener Punkt auf?

Feuer und Flamme

Die einsamen Tage daheim zogen sich wie ein zähes Kaugummi. Immer mal wieder inspizierte ich den Pass, der hinter unserem Haus den Hang hinauf führte aber ich konnte keinmal Spuren feststellen. Manchmal glaubte ich bereits, ich hätte mir das ganze eingebildet. Überspannte Nerven, ein ausgelaugter Körper, da sah man schon mal Dinge, die nicht da waren. Die Tatsache, dass ich mich selber bereits als so psychisch instabil betrachtete, gefiel mir keinesfalls aber ermöglichte mir wenigstens, einen Lösungsansatz für die ganzen Ereignisse zu finden.

Der Gang zur Schule fiel mir unglaublich schwer. Zwei Wochen war ich nicht dort gewesen und hatte nur kurze Reporte von Grace erhalten. Man witzelte bereits ich sei magersüchtig, weil ich Model werden wollte. Unglaublich komisch.

Eisiger Wind zerrte an meiner Kapuze und wollte sie mir vom Kopf reißen, um mir die kalte Luft durch die Haare zu treiben. Zitternd hielt ich den Stoff und ging ein wenig schneller. Durch das Knirschen des Schnees unter meinen Füßen hindurch, vernahm ich plötzlich ein leises Summen. Die Melodie erschien sanft und orientalisch, obwohl sie durch die Luftwirbel stark verzerrt wurde. Ich hatte das Gefühl, sie nach und nach so deutlich wahrzunehmen, als würde sie jemand direkt neben mir Summen. Fast als sei sie nur für mich bestimmt.

Ich blieb stehen. Nach dem Verursacher suchend, schaute ich mich um. Es war niemand auf den Straßen zu sehen. Die Lichter in den Fenstern der Häuser waren dunkel. Alles wirkte so verlassen. Es schien, als hätte der Schnee über Nacht alles unter einer kalten Decke begraben und das Dorf zur Ruhe gemahnt.

Das Summen wurde deutlich hörbarer. In einer kleinen Nebengasse auf der anderen Straßenseite, im Schatten zwischen den Häusern, stand jemand. Locker an die Wand gelehnt, die Hände in den Hosentaschen. Ich konnte kaum mehr erkennen. Die Schatten hielten ihn verdeckt. Fast wie eine schützende Wolke.

Ich schüttelte leicht den Kopf. Jetzt gingen diese Spinnereien wieder los. Das musste endlich ein Ende haben. Geistig und auch körperlich angeschlagen oder nicht. Keinesfalls durfte jeder Tag mit einem neuen Hirngespinst beginnen.

Zähneknirschend wand ich mit ab. Beinahe musste ich die Hand vor mein Sichtfeld schieben, um nicht doch noch mal einen Blick auf die Gestalt zu werfen. Das Summen wurde lauter, eindringlicher. Es bahnte sich seinen Weg durch den tosenden Wind an mein Ohr und drang in mein Bewusstsein ein, als würde es eine Art Befehl übermitteln. Meine Schritte wurden schneller. Ich hoffte mich so dem Wirkungsfeld zu entziehen und tatsächlich verlor der penetrante Klang nach und nach an Stärke.

„Beth! Da bist du ja. Ich dachte für einen Moment wirklich schon du würdest nicht kommen“, sagte Grace, die neben dem Haupteingang auf mich gewartet hatte. Irgendwie fühlte ich mich wärmer, fast elektrisiert. Hoffentlich brach jetzt nicht auch noch Fieber aus.

„Sei nicht albern. Natürlich komme ich.“, raunte ich und schob die schwere Glastür auf. „Ich bin froh endlich aus dem Haus raus zu können. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie lange ich da nun schon allein vor mich hin vegetiere“ Genau aus diesem Grund durfte ich nicht schon wieder krank werden. Das würde ich keinen Tag länger ertragen. Zu Hause sitzen, nichts tun, warten das etwas geschah, was nicht passieren würde. Tiefe grüne Augen huschten durch meine Gedankengänge. Am liebsten würde ich mich auch dafür Ohrfeigen. Zu lange schon beherrschte er meine Erinnerungen und doch war ich mir sicher, ihn hinter mir lassen zu wollen.

In mir drin fühlte es sich mittlerweile brütend heiß an und ich spürte, wie sich etwas Schweiß auf meiner Stirn sammelte und sie zum Glänzen brachte. Die summende Melodie sprang in meinem Kopf wieder an, als hätte jemand eine Nadel auf einer Platte abgesetzt und sie damit wieder in Gang gesetzt. Wenn auch nur irgendjemand je erfahren würde, was wirklich in mir vor sich ging, würden man mich vermutlich sofort einweisen lassen. Vehement versuchte ich die Töne in die hinterste Ecke meines Hirns zu verdammen.

„Naja. Ich meine… so ganz einfach war es ja nun nicht die letzte Zeit.“, sagte Grace und ihr Stimme wurde immer leiser, als würde sie befürchten eine laute Stimme könne mir mehr weh tun.

Ich wusste was sie meinte. Launisch und angeschlagen erwies ich mich als keine gute Freundin und schon gar nicht als leicht zu pflegender Krankheitsfall. Immer zu weigerte ich mich, irgendwelche Chemie Cocktails in mich hinein zu spülen und darauf zu hoffen, dass etwas mich gesund machen würde, dessen Name ich noch nicht einmal wirklich aussprechen konnte. Und tatsächlich schien nichts geholfen zu haben. Laut ausatmend strich ich mir über die Stirn und wischte den nassen Film ab.

Mühsam schob ich mich hinter Grace durch die Menschenmenge auf dem Gang und visierte unsere Klassentür an. Es war länger her, als es sich für mich anfühlte. Weit würden sie wohl mittlerweile mit dem Lernstoff sein? Würde man mich unterstützen; mir helfen wieder in das alte Schema hinein zu finden? War ich überhaupt noch dazu in der Lage?

„Ja, kann sein aber ich bin ja hier.“, wich ich aus und blieb auf der Türschwelle stehen. Da war er wieder, der leere Platz. Ein Platz den ich anders in Erinnerung hatte. Himmel wie ich ihn vermisste und ihn nicht mehr vermissen wollte. Die grünen Augen strahlten mich wieder vor meinem geistigen Augen, mit einer ruhigen und sanften Zuversicht, an. Stattdessen setzte sich dort in diesem Moment nun Matthew Hunt. Vorlaut, arrogant, selbstgefällig und einfach unglaublich anziehend. Himmel wie ich ihn dafür hasste.

„Alles in Ordnung?“, fragte Grace und schaute mir irritiert über die Schulter. Sie war nicht die Einzige, dir mir einen fragenden Blick zuwarf. Mehrere Mitschüler hatten ihre Gespräche kurzzeitig eingestellt und mich gemustert, ehe sie noch etwas enger zusammenrutschten und ihr Getuschel intensiver fortführten. Manchmal fühlte ich mich, wie in einem schlechten Film. Musste denn immer alles so Klischee behaftet ablaufen.

„Bestens.“, brummte ich leise und schwenkte nach links, die Stufen bis zur letzten Sitzreihe hinauf. Mir war nicht wirklich danach zumute, mich mit diesem Kerl auseinander setzen zu müssen aber mir würde wohl kaum eine Wahl bleiben. Grace schien meine Gedanken lesen zu können und ließ mich in Ruhe in die Schlacht ziehen. Leise seufzend, schob sie sich durch die Reihe unter meinem Platz und setzte sich kommentarlos. Meine Schritte wurden langsamer, je näher ich Matt kam. Irgendetwas hatte dieser Kerl; irgendetwas was mir einerseits nicht ganz geheuer war, aber andererseits ihn auch schrecklich interessant machte. Eine grausame Kombination, wie ich fand.

Die Hitze in mir nahm zu und ich befürchtete fast, das es nicht mehr nur aufkeimende Fieberschübe waren. Das Atmen fiel mir von den paar Stufen schon etwas schwerer als zuvor und ich hatte tatsächlich das erste Mal Bedenken, dass meine lange Krankheitsphase an meiner so oder so schon nicht vorhandenen Kondition gezehrt hatte.

„Von den Toten auferstanden?“, fragte er trocken, ohne den Blick von seinen Unterlagen abzuwenden.

„Sind wir wieder ausgesprochen charmant heute.“, witzelte ich und knirschte unmerklich mit den Zähnen. Plump ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und starrte in die Klasse hinunter, dankbar sitzen zu dürfen. Grace seufzte einmal tief und blickte reglos auf die Tafel. Marie war wie immer inmitten ihrer Hühnerbande und tuschelte aufgeregt. Vermutlich machte sie sich über mich lustig, was sollte sie auch sonst tun. War ausnahmsweise nicht ich das Ziel, dann ein beliebiges anderes armes Geschöpf, was ihr nicht in den Kram passte, weil eine Haarsträhne an der falschen Stelle lag. Man wusste nie bei ihr, was für ein unverzeihliches Trendfettnäpfchen man wieder mitgenommen hatte.

Ben und die Jungs standen unten am Lehrerpult und schwiegen mehr, als das sie sich über etwas austauschten. Gelegentlich warf Ben einen raschen Blick zu mir hinauf und schien sich selbst nicht sicher zu sein, ob er mich lieber in Ruhe lassen sollte oder ob es mir gut tun würde, sich mit ihm zu unterhalten. Um ehrlich zu sein, wusste ich selbst noch nicht einmal, was mir eher gefielen würde.

„Verstehe. Das ist also dein Herzblatt was?“ Mit einem Mal hatte ich Matts volle Aufmerksamkeit. Schief grinsend, lehnte er sich ein wenig zu mir hinüber und hob eine Augenbraue. Dieser Umstand gefiel mir ohne jeden Zweifel gar nicht.

„Keine Ahnung was du meinst. Aber wenn es um so was geht, sollst du ja die erste Ansprechstelle sein, nicht wahr.“, antwortete ich bissig, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.

„Autsch“, murrte er gespielt verletzt und verzog seine zimtfarbene Haut zu einer Grimasse. „Der Punkt geht an dich, Eisprinzessin.“

„Komm schon. Was soll dieser Unsinn? Lass mich einfach in Ruhe. Du willst nicht mit mir ausgehen und willst auch nicht mit mir befreundet sein, also erspare uns beiden diese Farce und halt einfach die Klappe.“ Selbst überrascht, aus welchen Tiefen ich gerade diesen grantigen Satz gezaubert hatte, fixierte ich angespannt meine Tischplatte. Ein kleiner Teil in mir schrie mir jubelnd zu, es ihm so richtig gegeben zu haben aber ein erschreckend größerer Teil, bangte das ich vielleicht Recht haben könnte; das er tatsächlich nicht einen Funken Interesse an mir hatte.

Was geschah aber, wenn er jetzt verneinte? Wenn er auf einmal zugab, mehr für mich zu empfinden? Ich schmetterte mir eine gedankliche Ohrfeige entgegen. Naivität war nie etwas gewesen, was ich geschätzt hatte und selbst nun dieser zu verfallen war mehr als purer Hohn. Irgendetwas in mir drin konnte doch nicht ernsthaft glauben, dass er mich mochte; schlimmer jedoch, dass ich ihn mochte.

„Absurd.“, nuschelte ich mir zu und beendete damit meinen Gedankengang kopfschüttelnd.

„Da ist tatsächlich was dran, so wie du das sagst.“ Er überlegte einen Moment, lehnte den Kopf zurück und blinzelte ein paar Mal nachdenklich. „Wie wäre es Freitagabend in der kleinen Bar unten am See?“

Völlig perplex rührte ich mich keinen Zentimeter und gefror regelrecht in meiner Position. Das meinte er jetzt nicht wirklich ernst? Ein Sturm aus unterschiedlichen Gefühlen, bahnte sich durch meine Hitzewellen einen Weg zu meinem Verstand. Einerseits begann mein Herz zu Pochen und trieb das Blut wild pulsierend durch meine Adern, während eine leise Stimme mir zu säuselte welches schicke Kleid ich anziehen sollte, um ihn von meinen Reizen überzeugen zu können. Ich hatte mich noch immer keinen Zentimeter bewegt und merkte nur aus den Augenwinkeln, wie er mich süffisant grinsend anstarrte und auf eine Antwort zu warten schien.

Und dann kam die andere Gefühlswelle. Dunkler und lauter. Pure Verabscheuung zerschlug das pochende Herz und ließ mich gedanklich meine Klauen um seinen Hals legen. Was bildete er sich bloß ein? Das ich wie ein hechelnder Hund mich nun freuen würde? Nur darauf gewartet hätte von meinem uneingeschränkten Herrchen beachtet zu werden? Zorn brodelte in mir und vermischte sich wie so oft mit dem Missmut, dass das alles vermutlich nicht passiert wäre, wenn Nanuk noch da gewesen wäre. Ich wollte so eben zu einem heftigen Gegenschlag ausholen, drehte mich langsam und angespannt in seine Richtung, als die Klassentür zufiel und unser Mathelehrer den Raum betrat. Autorität machte sich in der Klasse breit, wie ein zäher Nebel, der nach und nach alle einhüllte und gefügig machte.

Mein Zorn wurde noch im Halse erstickt, stellte ich bitter fest und versuchte mühsam meine Antwort hinunter zu schlucken. Es fiel mir unglaublich schwer. Die ganze Stunde über glaubte ich, er würde mich von der Seite fixieren und darauf warten, was ich sagen würde. Immer zu mit diesem Grinsen auf den Lippen, als würde er bereits wissen, was sich in mir abspielte. Der Gong kam unerwartet aber schrecklich erlösend. Ehe er auch nur ein Wort sagen konnte, riss ich meine Tasche in die Höhe und stürmte an ihm vorbei die Stufen hinunter auf den Flur hinaus. Hinter meiner Stirn pochte die Hitze und ich spürte, wie eine neue Welle Nässe meine Haut benetzte. Langsam ekelte ich mich vor mir selbst und wünschte mir, neue Sachen zum Wechseln bei mir zu haben. Der Flur war im Bruchteil einer Sekunde von Schülern belagert und ich rettete mich auf die Mädchentoilette. Etwas Wasser ins Gesicht klatschend, starrte ich mein Spiegelbild an.

Kreidebleich und ausgemergelt sah ich aus wie Scheintod. Langsam wusste ich nicht mehr was ich noch machen sollte. Die Blutergebnisse beim Arzt waren völlig in Ordnung und die noch ausstehenden Untersuchungen waren nichts weiter als Routine. Jedes Mal bekam ich das Selbe Ergebnis vor die Nase gesetzt. Es war rein physiologisch alles in bester Ordnung mit mir.

Den konnte ich keineswegs mit guten Gewissen so weiter laufen lassen. Meine Tasche wieder über die Schulter werfend quetschte ich mich auf den vollen Flur hinaus und steuerte direkt das Zimmer der Schulschwester an. Wenn der ganze Umstand auch nur einen guten Aspekt hatte dann der, dass ich immer todkrank aussah und jederzeit nach Hause geschickt wurde, wenn ich nur darum bat.

„Hallo Beth. Wieder ein schlechter Tag heute?“, begrüßte mich die junge Schwester in ihrem weißen Kittel und schaute mich mitleidig an.

„Nichts Neues mehr was, Ann.“, antwortete ich und lächelte etwas unglücklich. Ohne das sie groß etwas sagen musste, stellte ich meine Tasche auf dem Boden ab und setzte mich auf das Krankenbett. Alles in dem kleinen Raum war weiß und steril, so dass es mich zwangsweise an das Krankenhaus erinnerte, in dem ich noch vor kurzem eine gefühlte Ewigkeit verbracht hatte. Wieder drückte dieses reine weiß auf mein Gemüt und schien mir zuzuflüstern, was für ein fürchterlicher Mensch ich war. Wahrscheinlich war mein Denken übertrieben und unangebracht aber seit dem Nanuk fort war schien mein Leben völlig aus den Fugen geraten zu sein. Die schützende Hand über meinem chaotischen Alltag und meinen Selbstzweifeln war verschwunden.

„Du siehst wirklich nicht gut aus meine Liebe. Zeig mir mal deinen Arm her.“, bat Ann und wollte meinen Blutdruck messen.

Ohne Murren ließ ich alles über mich ergehen. Vielleicht war auch genau das das Problem. Ich hatte mich immer auf ihn verlassen und immer bei ihm Schutz und Rat gesucht. Für einen Moment musste ich mich anstrengen, mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal alleine mit meinen Problemen klar gekommen war.

„Ziemlich niedriger Blutdruck aber das ist ja eigentlich nichts Ungewohntes bei dir.“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu mir und kritzelte etwas in ein Buch auf dem Tresen. „Geh man nach Hause heute. Ich hab es eingetragen. Und wegen morgen schaust du einfach wie es dir dann geht, sonst ruf kurz durch und ich verlängere den Eintrag.“

„Danke Ann. Ich hoffe morgen geht’s mir wieder etwas besser.“, log ich ihr offen ins Gesicht und wünschte mir eigentlich nie wieder in die Schule zu müssen. Meine Tasche wieder schulternd, schritt ich auf den leeren Flur hinaus. Die Pause war schnell um gewesen, so dass mir zum Glück keiner mehr über den Weg laufen konnte.

So wie ich Grace kannte, würde sie vermutlich nach Schulschluss noch mal bei mir vorbei schauen. Manchmal glaubte ich, dass es sie so langsam aber sicher anfing zu nerven. Ständig war ich krank, ständig wurde sie nach mir gefragt. Aber wann fragte sie mal einer wie es ihr ging? Ein Gedanke den ich lieber beiseite schob. Mein Gewissen belastete ich allein schon sehr gut, da würde mir diese Erkenntnis auch nicht viel mehr weiter helfen.

Die Luft draußen war kalt und klar und tat mir unglaublich gut. Langsam schritt ich nach Hause und überlegte mir, wie es weiter gehen sollte. So wie es war, war es definitiv kein Dauerzustand aber das war mir schon länger klar. Bis dahin hatte ich immer noch gehofft, dass sich das Problem mit der Zeit von alleine lösen würde, dass es einfach nur ein körperlicher Schwäche Zustand war, der sich wieder regulieren würde. Dem war nicht so. Wochen und Monate vergingen und nichts tat sich.

Mikosch schnurrte freudig um meine Beine, als ich an der Haustür ankam. Lächelnd nahm ich den rot getigerten Kater auf den Arm und ging ins Haus hinein. Mein Vater war mal wieder nicht da. Irgendeine Sitzung in Bangladesch. Bangladesch! Wenn ich dort mal in den Urlaub fahren könnte, würde ich Freudensprünge machen und mein Vater fuhr da mal einen Tag hin um schnell was zu klären. Wir lebten zwar unter einem Haus aber doch in zwei verschiedenen Welten.

Träge schleppte ich mich die alte knarrende Treppe in mein Zimmer hinauf und warf mich frustriert aufs Bett. Maunzend rollte sich der Kater an meinen Beinen zusammen und schnurrte leise vor sich hin. Es war kalt im Haus, der Ofen schon seit mehreren Stunden ausgekühlt. Mürrisch legte ich mich auf die Seite und zog mir die Decke über die Beine. Eigentlich hätte ich so viel machen müssen aber meine Motivation saß noch im Keller und spielte anscheinend verstecken.

In Gedanken strich ich mit dem Daumen über den dunklen Stein um meinen Hals, den mir Nanuk einst geschenkt hatte. Warm und weich schmiegte er sich in meine Hand und manchmal glaubte ich er würde sacht pulsieren. Das letzte was mir von ihm geblieben war und es musste ausgerechnet so ein Oma Schmuckstück sein, dachte ich bitter und starrte aus dem Fenster.

Einzelne Schneeflocken schwebten an der Scheibe vorbei. Im sachten Licht der bald untergehenden Sonne schimmerten sie geheimnisvoll wie kleine Feen. Müdigkeit machte sich in mir breit. Was hatte ich vorhin noch gesagt? Ich musste eigenständiger werden? Vielleicht sollte ich dann damit anfangen, in dem ich endlich akzeptierte das Nanuk fort war. Schmückstück hin oder her aber jedes Mal wenn ich es in den Fingern hatte, kochten die Selben Gefühle in mir hoch. Gut erinnerte ich mich an seine Warnung, dass ich die Kette keinesfalls ablegen sollte, dass sie mir Glück bringen würde und mich beschützen sollte aber ich hatte eher das Gefühl, dass das Gegenteil eingetreten war.

„Reiß dich zusammen Beth. Du musst anfangen einen Schlussstrich zu ziehen.“, redete ich mir ein und setzte mich auf. Langsam hob ich die Hände zum Nacken und öffnete den widerspenstigen Verschluss der Kette. Seufzend legte ich sie in die Schublade meines Nachtschrankes und lehnte mich wieder zurück. Irgendwie fühlte ich mich plötzlich noch träger aber auf der anderen Seite auch klarer in meinen Gedanken. Es dauerte nicht lange und ich glitt hinüber ins Land der Träume.

Laut meckernd dröhnte ein Konzert von den unterschiedlichsten Vögeln über meinem Kopf. Durch meine geschlossenen Lieder strahlte die warme Sonne und zwang mich regelrecht dazu wach zu werden. Irritiert öffnete ich meine Augen und blinzelte ins Licht, ehe ich mich einigermaßen daran gewöhnt hatte.

Benommen wollte ich mich aufrichten und griff mit der Hand in weiches grünes Moos, das sich warm und raschelnd unter mir erstreckte. Dichtes Blattwerk rauschte über meinem Kopf und der Vogelchor verstummte eine Sekunde. Hin und her hüpfend auf den dünnen Ästen wurde ich misstrauisch beäugt. Das Licht war hell und warm und glich in keiner Weise dem was ich von zu Hause kannte.

Ich gönnte mir eine Sekunde und versuchte heraus zu finden wo ich war und vor allem, warum es sich irgendwie komisch anfühlte. Meine Hand suchte in dem Moos nach einem kleinen Stein, den ich in den Baum hinauf warf. Der Vogelschwarm schoss unter lautem Protest aus dem hintersten Ecken des Blattwerks empor und verschwand hoch über den Kronen. Endlich Ruhe.

Ein seltsam vertrautes Gefühl beschlich mich und ich musste mich an den Traum erinnern, in dem ich fast ertrunken wäre. Beide Träume fühlten sich gleich an. Sofern sich Träume irgendwie anfühlen konnten.

Sekundenlang saß ich einfach nur da. Ich beobachtete meine Umgebung und wusste nicht so recht etwas mit mir anzufangen. Um mich herum wirkte alles so bestechend klar, dass es mir schwer viel es für eine Illusion zu halten. Es erschien so natürlich und völlig selbstverständlich.

Schwer ausatmend stand ich auf und schaute zwischen den Bäumen hindurch in die Ferne. Der Wald lichtete sich bald, daher beschloss ich mir erst einmal einen Überblick zu verschaffen. Meine Schritte wurden durch das Moos gedämpft, meine Bewegungen durch das Spiel von Licht und Schatten für die Augen Dritter nahezu verschluckt. So musste sich eine Raubkatze fühlen, die sich an ihre Beute pirschte.

Ich näherte mich dem Waldrand und erkannte zwischen den dicken Baumstämmen Wiesen und Felder. Nichts Unbekanntes oder etwas was mich gewundert hätte.

Was hatte ich auch erwartet. Eine rosa Wiese mit blauen Kaninchen vielleicht. Ich schüttelte den Kopf und musste über meine eigene Naivität grinsen. Rechts und Links am Waldrand entlang war nichts weiter zu sehen. Am Fuße des Hügels erkannte ich eine Gruppe von Rotwild mit einem mächtigen Hirsch als Anführer. Sein mehrastiges Geweih ragte über die Zipfel der Grashalme weit hinaus und ließ darauf schließen, dass das Tier ständig den Kopf hin und her bewegte, um sich nach Feinden umzuschauen. Wunderschöne und edle Tiere. Ihr Fell glänzte in der Sonne und sie sahen aus, als wären sie aus Bronze gegossen.

Langsam kämpfte ich mich durch das hohe Gras und glaubte in einer Senke einen schmalen Pfad erhascht zu haben. Diesen ansteuernd kam ich nicht umhin die Gruppe von Rotwild aufzuscheuchen. Hastig galoppierten sie durch das Gras zurück in den Wald, während der Große sich immer wieder umschaute und mich genau im Blick behielt. Sie waren nicht die Einzigen die ich in ihrem Tun störte. Hier und dort hörte ich etwas durchs Gras huschen aber konnte nicht sehen was es war.

Der Weg war mehr als schmal und glich eher einem Trampelpfad der durch die Tiere des Waldes angelegt worden war. Bewusst langsam schritt ich auf ihm entlang. Meine Hände strichen über die Spitzen der Gräser und Sträucher. Es fühlte sich weich und hart zu gleich an. Das Kribbeln wanderte durch meine Finger und zog sich durch meine Arme direkt zu meinem Herzen. Ich fühlte mich wohl, geborgen. Das erste Mal seit langem ging es mir gut. Wirklich gut.

„Dies ist kein Jagdgebiet. Ihr befindet euch im königlichen Besitztum. Geht von dannen oder ich werde Euch einsperren lassen.“, raunte eine Stimme hinter mir.

Erschrocken fuhr ich herum. Laut schnaubte mir das riesige Pferd mit aufgeblähten Nüstern entgegen. Das Tier war tiefschwarz und sein Fell glänzte wie poliert in der strahlenden Sonne. Die schweren Hufe standen wie in den Boden eingeschlagen und rührten sich keinen Zentimeter. Der Hengst allein hätte mir schon Respekt eingeflößt aber sein Reiter verlieh dem Bild seine Vollendung. Erhaben und stark saß er tief im Ledersattel, die große Pranke auf dem Schaft seines Zweihänders abgelegt. Er wollte das Schwert nicht ziehen, es war viel mehr eine Geste von Autorität und Macht. Sein dunkler Metallharnisch funkelte und ließ mich ein paar Mal Blinzeln. Das Gesicht durch die Sonne gegerbt wirkte furchteinflößend und sehr männlich. Sein Alter war schwer zu schätzen aber ich vermutete, dass er jünger war als er aussah. Vielleicht sogar nicht viel älter als ich.

Die Nuss braunen Augen bohrten sich in meine, so dass ich schon fast gezwungen war weg zu schauen. Langsam sah ich aus den Augenwinkeln, wie er die Hand vom Schwert nahm und langsam von seinem Schlachtross abstieg. Laut klappernd stampfte er auf den Boden. Die Rüstung musste unnatürlich schwer sein und konnte von einem normal gebauten Mann kaum mühelos getragen werden. Schritt für Schritt kam er auf mich zu. Ich war geneigt mich umzudrehen und weg zu laufen. Gruselig und undurchschaubar wusste ich nicht was er nun vor hatte.

„Es tut mir Leid. Ich wollte nicht jagen oder so was. Ich hab auch gar keine Waffen dafür.“, versuchte ich ihm zu erklären. Er ging unbeirrt weiter. Angst kroch so langsam durch mich hindurch und ließ mich ein paar Schritte rückwärtsgehen.

Mit jedem Schritt den er näher kam schien sein Gesicht sich zu verändern. Seine Augen öffneten sich, seine Mimik veränderte sich und erschien mir fast schon warmherzig. Ein sachtes Lächeln umspielte seine rauen Lippen. Verwirrt blieb ich stehen und beobachtete wie er unbeirrt näher kam.

„Es ist lange her. Verzeih, dass ich dich nicht erkannt hab. Du hast dich verändert.“, seine Stimme war plötzlich unnatürlich weich und hatte einen liebevollen Klang angenommen. Er verwechselte mich. Aber mit wem?

„Entschuldigt aber…“, begann ich doch ich wurde unterbrochen. Er hatte seinen Finger auf meine Lippen gelegt und die braunen Augen schauten mich erwartungsvoll an.

Er stand nun dicht bei mir und überragte mich um einen gute Kopflänge. Ich roch den Schweiß und einen Hauch von Heu aus dem Stall. Sein Dienst schien noch nicht lange begonnen zu haben. Die kurzen braunen Haare erinnerten mich ein wenig an Ben. Peinlich berührt schob ich den schwer gepanzerten Arm beiseite und wollte zu einer Erklärung ansetzen. Ich kam nicht dazu.

Der Mann lächelte und nahm ohne Vorwarnung meinen Kopf in seine Hände. Zärtlich strich er mir eine Haarsträhne aus de Augenwinkeln und sein kantiges Gesicht näherte sich dem meinen. Ich war so irritiert, dass ich nicht wusste ob ich mich wehren sollte oder nicht. Eingehüllt von seiner Ausstrahlung und seinen Gefühlen, die er mir entgegen brachte war ich unfähig etwas anderes zu tun als ihn gewähren zu lassen. Sanft legten sich seine Lippen auf meine. Sie fühlten sich warm und weich an. Plötzlich wusste ich, dass er nicht viel älter als ich sein konnte. Er benahm sich nicht wie jemand der bereits in einem gestanden Alter war. Plötzlich spürte ich ein jugendliches Feuer unter der metallenen Rüstung und glaubte sein ungestümes Herz pochen zu hören. Ich war so mitgerissen von seinem Begehren, dass ich entgegen meiner Erwartungen den Kuss erwiderte. Es fühlte sich so gut an. Nein. Er fühlte sich gut an.

Meine erstarrte Haltung schlug ruckartig um. Weiche Knie und ein merkwürdiges Kribbeln im Bauch ließen mich schwer atmen. Je mehr ich mich in seiner Umarmung verlor umso mehr rebellierte jedoch etwas in mir, dass es falsch war. Ich war nicht die für die er mich hielt. Er war mir unbekannt. Ein Fremder.

Sachte legte ich die Hände auf seine Brust und begann ihn vorsichtig weg zu schieben. Ohne sich zu wehren, ließ er mich gewähren und legte gleichzeitig den Kopf schief.

„Hab ich etwas getan? Hab ich dich gekränkt?“, fragte er und erschien ehrlich betroffen.

„Nein habt ihr nicht. Ich befürchte nur ich bin nicht die, für die ihr mich haltet.“, gestand ich und es machte mich traurig ihn aufklären zu müssen. Er schien für die Frau, die er glaubte vor sich zu haben, ehrliche Liebe zu empfinden.

„Was meint ihr? Habt ihr mich vergessen?“, begann er aufzubegehren und machte wieder einen Schritt auf mich zu, um mich erneut zu küssen. Hastig wich ich zurück.

„Nicht. Ich bin nicht sie. Mein Name ist Elizabeth. Für wen auch immer ihr mich haltet, ich bin es nicht. Verzeiht das ich nicht eher etwas gesagt habe.“ Für einen Moment musste ich mich beherrschen nicht zu weinen. Sein niedergeschmettertes Gesicht traf mich so hart, dass es mir schwer fiel ihm weiter in die Augen zu schauen. Er verstand nicht was gerade geschah. Viel schlimmer jedoch, er glaubte mir nicht. Sich sträubend schüttelte er den Kopf und schnaubte leise.

„Es ist lange her, das weiß ich. Aber ihr… du musst dich doch erinnern. Ich bin es. Rahlan.“

Seine Verzweifelung versetzte mir einen herben Stich. Vorsichtig hob ich die Hand und streichelte ihm über die Wange. Ich kam nicht umhin ihm zumindest einen Bruchteil an Zuneigung entgegen zu bringen. Seine Gefühle schienen so ehrlich und tief, dass es mir das Herz zerriss ihn enttäuschen zu müssen.

„Glaub mir. Ich bin es nicht. Es tut mir Leid.“, flüsterte ich.

Er bedachte mich mit einem langen durchdringenden Blick, ehe er den Kopf senkte und sich halbherzig einzureden versuchte, dass ich Recht hatte. Routiniert zog er seine ledernen Handschuhe wieder an.

„Ich verstehe.“, sagte er kurz und seine Stimme war ungleich rauer und tiefer. Ruhig stand der schwarze Hengst hinter ihm und wartete geduldig auf seinen Herren, der sich nun umdrehte und wieder zu ihm zurück schritt. Ohne ein weiteres Wort zu mir zu sagen, schwang er sich in den Sattel zurück und streckte mir von weit oben die Hand entgegen. Unsicher schaute ich ihn an.

„Ich weiß nicht wer du bist und was du hier möchtest aber mein Gefühl sagt mir, dass du keine Gefahr darstellst. Ich bring dich zum Schloss meines Herrn. Dort kannst du dich ausruhen und dich stärken. Vertrau mir.“, lächelte er sanft und nahm mit der anderen Hand die Zügel auf. Schnaubend begann der große Schwarze mit den Hufen zu scharren und schien nur darauf zu warten, seine schweren Eisen in den Boden zu graben, um im gestreckten Galopp über die Felder zu fliegen.

Ohne zu überlegen nahm ich seine Hand und ließ mich von ihm mit einem Ruck in den Sattel ziehen. Ungeduldig schnaubte das Tier und ich spürte wie sich seine Muskeln spannten. Dem Hengst einen unsichtbaren Befehl gebend galoppierte er aus dem Stand los. Die Wucht seines Antritts drückte mich gegen den metallenen Harnisch von Rahlan. Hinter uns wirbelte Staub durch die Luft und hier und dort kamen ruckartig Köpfe von Hirschen und Rehen aus dem Gras. Die Erde unter uns musste beben. Wind trieb mir Tränen in die Augen und die wilde schwarze Mähne des Pferdes peitschte mir zusätzlich ins Gesicht.

Der Weg unter uns wurde breiter und bereits nach wenigen Minuten säumten rechts und links Fahnenstangen mit immer demselben Wappen den Weg. Ein schwarzes Pferd mit Flügeln war darauf abgebildet, wie es umringt von blauen Flammen auf einem roten Hintergrund stieg. Ein Zeichen von Macht und Stärke. Genau das was Rahlan und sein Tier ausstrahlten. Vielleicht handelte es sich um ein Kriegervolk. Vielleicht taten sie nichts anderes als in die Schlacht zu ziehen und andere Völker auszulöschen. Vielleicht war es doch keine so gute Idee zum Schloss aufzubrechen.

Meine Zweifel kamen leider zu spät. Bereits in ein paar hundert Metern erkannte ich eine Schlossanlage mit einer überragenden Burgmauer, welche übersät war mit den Bannern des Landes. Wachen mit denselben imposanten dunklen Rüstungen bewachten das Zugangstor. Vor den Burgmauern waren satte grüne Wiesen umzäunt und ich hörte als wir uns näherten lautes Poltern. Kurz bevor wir das Tor passierten kam eine Herde edler schwarzer und kräftiger Pferde heran galoppiert. Sie setzten ihren Weg am Zaun entlang fort und ich war nicht in der Lage abzuschätzen um wie viele es sich wohl handeln mochte. Ihre dunklen Mähnen wehten im Wind und ihre Eisen schlugen tiefe Furchen in die Erde. Von der unglaublichen Ausstrahlung der Tiere nahm ich an, dass es sich um eine reine Hengstherde handeln musste. Stuten und Wallache konnten nicht so muskulös sein.

Die Männer am Tor nickten Rahlan nur kurz zu und beäugten mich mit einem undefinierbaren Blick. Der Innenhof des Schlosses war riesig und beherbergte ein eigenes kleines Dorf. Schneider, Bauern, Schmiede, Bäcker, Fleischer. Alles was man brauchte um autark zu leben. Um mich herum wirkte es so unnatürlich sauber. Ich hatte mir ein mittelalterliches Dorf immer dreckig und stinkend vorgestellt. Im Unterricht hieß es die Menschen früher hätten ihre Fäkalien einfach aus dem Fenster geschüttet. Hier mussten sie eine andere Lösung dafür gefunden haben. Die Bürger auf den Straßen waren auch nicht ärmlich gekleidet. Der Stoff den sie trugen wirkte zwar robust aber nicht grob. Keiner war in Lumpen oder Fetzen gehüllt, die an einen Bettler erinnern würden. Manche schauten kurz zu Rahlan hinauf und nickten freundlich. Sie schienen ihn zu kennen und zu achten. Meine Wenigkeit hingegen wurde zwar wahrgenommen aber nicht weiter beachtet. Der Hengst unter uns schnaubte laut mit jedem Schritt den er tat. Die Strecke musste ihn geschwächt haben. Ohne Rahlan zu fragen ließ ich mich aus dem Sattel gleiten und ging neben dem Tier her. Der Krieger musste erkannt haben, was ich damit bezwecken wollte und stoppte das Pferd, um selbst abzusteigen.

„Du hast Recht. Zephal hat uns lange genug getragen.“, lächelte Rahlan und zog seine Handschuhe aus, um sie in den Satteltaschen zu verstauen. Zephal schritt schnaubend neben uns her, ohne dass man ihn führen musste. Das Tier schien zu wissen, dass er Rahlan zu folgen hatte. Egal wohin.

Die Häuser um uns herum glichen alten Fachwerkgebäuden, wie ich sie schon öfter in kleinen Bauerndörfern gesehen hatte. Über unseren Köpfen hingen Wäscheleinen mit Bettlaken oder anderen Sachen. Reges Treiben beherrschte die Straßen und jeder Mensch schien einer wichtigen Aufgabe nachzugehen. Was ich bislang vermisste war der Anblick von Kindern. Man hörte kein Lachen und sah keinen Nachwuchs mit Hunden spielen oder zwischen den Leuten hindurch laufen. Ich wusste nicht wie spät es war daher nahm ich an, dass sie in der Schule waren.

„Wohin bringst du mich?“, wollte ich wissen. Die Gasse in der wir uns bewegten wurde breiter und der sandige Boden ging in einen grob gepflasterten Weg über.

„Ich bringe dich ins Schloss. Dort kannst du dich in einer Unterkunft für Reisende ausruhen und dich stärken, bevor du deinen Weg fortsetzt.“, antwortete er und grüßte mit einem kurzen Nicken weitere Wachen, die uns begegneten. „Woher kommst du überhaupt? Ist das eine religiöse Kleidung die du da trägst?“

„Das hört sich gut an. Ein wenig Wasser würde mich sicherlich erfrischen.“, antwortete ich und musterte weitere Wachen, die an einem pompösen Torbogen standen. Erst jetzt fiel mir auf, dass all die Männer in den Rüstungen jung waren. Keiner von ihnen erschien mir älter als dreißig. Die gesamte Bevölkerung des Schlosses bewegte sich in einer Alterspanne vom Jugendlichen bis hin zu einem reifen Erwachsenen. Keine Kinder und keine Alten.

„Nein. Das sind ganz gewöhnliche Sachen.“, antwortete ich in Gedanken und versuchte eine plausible Antwort darauf zu finden, wo diese Menschen waren.

Der Torbogen zur Eingangshalle wurde ebenfalls von steigenden Pferden eingerahmt, die in den dunklen Stein gemeißelt waren. Über ihren Köpfen thronten schwere metallene Buchstaben aber ihre Bedeutung konnte ich nicht entziffern, denn die Sprache war mir fremd. Die Eingangshalle war riesig und zu beiden Seiten stützen Säulen die Decke. Malereien zogen sich an der Decke entlang. Eine Armee schwarzer Pferde und ihrer Reiter zogen in den Krieg gegen eine Horde von Männern die auf Greifen ritten und mit Flammen um sich schlugen. Die schwarzen Tiere galoppierten auf einer Welle blauen Feuers und die roten Umhänge der Soldaten schimmerten als würden auch sie in züngelndes Feuer übergehen. Meine erste Vermutung, dass es sich um ein Volk von Soldaten handeln musste schien der Realität nahe zu kommen. An den Seitenwänden thronten die unterschiedlichsten Wappen über denen sich eine Waffe und eine Fahne kreuzten. Völker die bereits gefallen waren, dachte ich instinktiv.

Rahlan schritt zielsicher voran und bog hinter einer Säule in einen schmalen Gang ab. Fackeln an den Wänden erhellten den Weg. Die schwere Rüstung Rahlans klirrte leise und das Geräusch brach sich an den Wänden. Unnatürlich lang hallte es nach und ließ mich keinen klaren Gedanken fassen. Nach mehreren Ecken kamen wir auf einen Durchgang zu der durch einen schweren samtenen Umhang verschlossen wurde. Rahlan schob ihn beiseite und wies mir den Raum dahinter zu betreten. Ein großes rundes Fenster brachte Licht in die Kammer. In einer hinteren Ecke prasselte ein Feuer im Kamin und verbreitete eine wohlige Wärme. Auf einem kleinen Tisch vor den Flammen waren Getränke, Brot und andere Leckereien ausgebreitet und luden zu einer Mahlzeit ein.

„Leistest du mir Gesellschaft?“, fragte ich, denn der Gedanke alleine in diesem Gemäuer zu bleiben missfiel mir.

„Natürlich. Wenn du das möchtest.“, lächelte er und ließ den Vorhang hinter sich zu fallen. Routiniert begann er die Schnallen an seinem Harnisch zu öffnen und das schwere Metall abzulegen. An einer Schale mit Wasser entfernte er den Schweiß und den Dreck des Ritts und fuhr sich mit den nassen Händen durch die kurzen kastanienbraunen Haare. Jede Bewegung und jede Geste wirkten erhaben und stolz. Jetzt war es deutlich zu sehen, dass er noch jungen Blutes war. Seine Augen waren ungleich wacher und seine Erscheinung aufrechter. Er war ein Bild von einem Mann. Selbst unter dem weiten Leinenhemd waren die breiten muskulösen Schultern deutlich zu erkennen. Ich konnte mir nur in meinen Träumen ausmalen, wie es wohl darunter aussehen mochte.

„Was ist das hier für ein Königreich?“, fragte ich und versuchte meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, anstatt seine Muskeln anzuschmachten.

„Was genau meinst du?“ Er schenkte uns beiden Saft in zwei Zinnbecher ein und stellte sie auf den kleinen Tisch vor den Kamin.

Für einen Moment musste ich überlegen, was an meiner Frage missverständlich war, bis ich sie neu formulierte. „Wie lebt ihr hier? Habt ihr unterschiedliche Schichten? So etwas wie den Adel und die einfachen Bürger?“ Mit jeder Frage kam ich mir dümmer vor und bereute überhaupt danach gefragt zu haben. Missmutig rutschte ich auf dem runden Kissen vor der Feuerstelle hin und her. Beiläufig schob er die Ärmel seines Gewandes hoch und ließ sich neben mir auf einem weiteren Kissen nieder. Für einen Moment zuckte ich unmerklich zusammen, als mein Blick auf seine Unterarme fiel. Nicht nur an den Armen, sondern auch auf den Handrücken waren teils dünne Narben aber teils auch wulstige schlecht geheilte Verletzungen zu erkennen. Vermutlich stammten sie von den unterschiedlichsten Arten von Klingen. Dünne Einhänder, mit einer flach geschliffenen Klinge oder einem langen Bihänder, mit klauenartigen Spitzen an den Klingenseiten, die nur dazu gemacht waren um Haut und Innereien zu zerreißen, wenn man das Schwert erst einmal ins Fleisch gejagt hatte und es mit Kraft wieder zurück zog.

Ein Schauer fuhr mir über den Rücken. Ich konnte mir nicht vorstellen wie es sein musste in den Krieg zu ziehen. Schon allein der Gedanke sich auf eine Schlacht vorbereiten zu müssen, völlig unwissend, sich mit Metallpanzern und Klingen zu bestücken, ohne die Gewissheit, dass man den nächsten Morgen erleben würde. Ob man in solch eine Rolle hineinwachsen musste? Vielleicht gab es auch einfach Menschen, die so etwas konnte und welche die eben nicht dafür geschaffen waren.

Das Knistern des Feuers im Hintergrund war wie eine Melodie der Natur, sanft und zerstörerisch zugleich. Eine beruhigende Wärme flutete den Raum und schuf eine wohlige Atmosphäre. Ich wusste dass auch dieser Schein trug. Das Feuer vor mir war durch Menschhand gebändigt und gefügig gemacht. Fast so wie Rahlan, schoss es mir ungewollt durch den Kopf. In diesem Moment war er vertrauenserweckend und liebevoll aber wie mochte es in einer Schlacht um seinen Gemütszustand stehen. Wie die Flammen vermochte er ebenso aufzulodern und alles um ihn herum zu vernichten. Ungebändigt, zerstörerisch und schlichtweg tödlich.

Versunken in meinen Gedanken musste ich unbewusst ein Stück weg gerückt sein. Irritiert legte Rahlan den Kopf ein wenig schräg und schaute mich aus den warmen braunen Augen an. Sie wirkten ungebrochen wach und freundlich. Ich konnte mir einfach nicht eingestehen, dass Rahlan mit Sicherheit nicht nur Verletzungen erduldet hatte, sondern ebenso welche zufügte.

„Alles in Ordnung? Hab ich dich irgendwie verstört?“, fragte er vorsichtig.

Unsicher ob ich ehrlich antworten sollte, wich ich lieber aus: “Ich bin nur nicht mit solch Menschen wie dir vertraut.“

„Menschen wie mir?“

„Kriegern.“

„Ich verstehe.“, sagte er knapp und etwas in seiner Stimme hatte sich verändert. Er senkte den Kopf und schaute ins Feuer. Ich hatte ganz eindeutig einen wunden Nerv getroffen. Der Glanz in seinen Augen schien erloschen und wich einem wehmütigen Ausdruck, als habe er sich Anderes von dem Gespräch erhofft.

„Ich wollte dich nicht verletzen. Ich denke einfach zu viel nach.“, gestand ich und ertappte mich dabei, wie ich abermals auf die mit Narben überzogenen Arme schaute.

„Wir sind Söldner.“, begann er trocken und antwortete damit auf meine zuerst gestellt Frage. Anscheinend seine Methode der peinlichen Situation zu entfliehen. „Das Schloss beherbergt alle möglichen Menschen, die ein Leben abseits von anderen ermöglichen. Der Rest aller Anwohner sind bereits ausgebildete Söldner oder eben solche, die zu einem gemacht werden. Im Moment sind es nicht viele, die das Schloss bewohnen. Die meisten befinden sich in einer Schlacht am Rinnsalgebirge. Und bevor du fragst, nein wir machen keinen Unterschied darin für wen wir kämpfen. Bezahlt ist bezahlt und mit leeren Magen lebt man nicht lang.“

Jeder Satz der seinen Mund verließ trieb mir mehr Kälte in die Knochen. In meinem Kopf explodierten Bilder von Schlachten und wilden Auseinandersetzungen. Nur mit viel Mühe konnte ich vermeiden, mir Gedanken darüber zu machen ob er nur andere Krieger tötete oder nicht auch mal ein Kind oder dergleichen zu seinen Opfern zählte. Ich fühlte mich schäbig so über ihn zu urteilen. In meiner Welt gab es genauso Söldner.

„Es muss ein hartes Leben sein.“, räumte ich ein.

„Man sucht es sich nicht aus. Entweder entstammt man einer Söldnerfamilie und es ist vorbestimmt denselben Weg wie seine Ahnen einzuschlagen oder man wird von seinen Eltern an den König verkauft und zu einem Söldner ausgebildet. Viele Jugendliche kommen auch freiwillig und erhoffen sich Ruhm und Anerkennung. Es gibt viele Gründe warum dieses Leben für manche erstrebenswert ist und ebenso viele es zu verachten. Ich kann dich also auch sehr gut verstehen. Lass dir gesagt sein, dass ich diesen Weg nicht gewählt habe. Ich versuche nur das Beste daraus zu machen und meiner Familie keine Schande zu bringen.“, sagte er und immer mal wieder musste er sich zusammen nehmen, den vorwurfsvollen und zugleich verteidigenden Unterton aus seiner Stimme zu verbannen. Bemüht darum sein Gesicht nicht zu verlieren atmete er einmal tief durch. „Hast du noch andere Fragen?“

Überrumpelt starrte ich ihn an und wusste nicht was ich dazu sagen sollte. Irgendwie eingeschüchtert blickte ich zu Boden. Auf den matten Steinplatten spiegelte sich ein wenig der orangene Feuerschein wieder. Es war anstrengend dem Spiel von Licht und Schatten zu folgen aber genauso faszinierend. Zwischen uns hatte sich im Laufe der Begegnung eine Spannung aufgebaut, die ich nicht einzuordnen wusste. Manchmal war sie beängstigend und manchmal elektrisierend. Wäre es daher angebracht gewesen jetzt noch mehr über das Söldnertum zu erfragen. Wohl kaum. Stattdessen fragte ich: “Wie kam das Wappen des Schlosses zustande?“

Ein flüchtiges Grinsen huschte über seine Gesichtszüge. Er war nicht dumm. Wohlwissend, dass ich die Situation entschärfen wollte, nahm er dies dankend an.

„Der König dieser Lande ist ein Magier. In jüngster Zeit verhexte er einen schwarzen Hengst und schenkte ihm die Macht sich selbst mit blauen Flammen zu schützen. Der Urhengst der Linie besaß zudem noch Flügel und war schon von sich aus ein seltenes und anmutiges Wesen. Immer mal wieder kommt das alte Urgen des Hengstes durch und es wird wieder ein Tier mit Flügeln und der Begabung der Feuerkontrolle geboren. Daher das Wappen.“, er stockte und blickte plötzlich zum samtenen Vorhang. „Er ist der Hexenkönig von Beriaskahn. Sein Name lautet Darjan Beriaskahn.“

Plötzlich wurde der Vorhang beiseite geschoben und Rahlans Gesicht verfinsterte sich. Ein junger Mann betrat den Raum und füllte ihn schlagartig mit einer machtvollen und autoritären Ausstrahlung. Jeder Gedanke auch nur den kleinsten Widerspruch gegen ihn zu leisten wurde allein durch seine Anwesenheit im Keim erstickt. Kühl und berechnend blickten eisblaue Augen auf uns nieder. Rahlans Muskeln spannten sich aber er rührte sich keinen Zentimeter als habe er Angst damit etwas Schlimmes herauf zu beschwören. Er ließ den Mann keine Sekunde aus den Augen. Erst jetzt verstand ich, was es mit seinem Verhalten auf sich hatte. Vor mir stand Darjan. Der Hexenkönig. Ein süffisantes Grinsen machte sich auf Darjans Gesicht breit.

Der Hexenkönig

Zwischen den Aschblonden langen Haaren thronte eine bläulich silberne Krone. Das Metall lag wie eine zweite Haut auf der hellen ebenen Stirn von Darjan. Fünf große spitze Zacken ragten aus dem silbernen Geflecht hervor und jeder Zacken wurde am Fuße mit einem blauen Saphir untermalt. Eine Krone die eines Königs würdig war. Wenn ich mir je eine eigene Vorstellung von einer elfenähnlichen Gestalt gemacht hatte, dann kam er ihr am nächsten. Die Alabasterhaut schien das Feuer des Kamins zu reflektieren und seine ganze Gestalt war elegant aber dennoch kantig genug, um nicht an Männlichkeit zu verlieren. Ein gekonnter Mix aus Legolas und Aragorn, dachte ich und musste innerlich Schmunzeln.

„Legolas und Aragorn? Ich hoffe für euch, dass es sich bei Beiden um einen angemessen Vergleich handeln mag.“, durchschnitt seine tiefe und glasklare Stimme meine Gedankengänge. Erschrocken fuhr ich zusammen.

„Darjan.“, begehrte Rahlan kurz auf und wollte aufstehen, doch eine einzelne mahnende Geste von Darjan, ließ ihn in der aufwärts Bewegung gefrieren. Ich fragte mich plötzlich ob es der Gehorsam oder die Furcht vor einer Strafe war.

„Nichts von beidem. Lediglich Respekt.“ Sein Grinsen wurde etwas breiter.

Erst jetzt begann ich zu begreifen, dass es meine Gedanken waren, die er stets beantwortete. Erschrocken blickte ich hilfesuchend zu Rahlan.

„Ich denke es ist Zeit, dass du mich mit unserem Gast allein lässt. Findest du nicht Rahlan?“

Es war keine Frage und auch keine Bitte. Es war ein Befehl. Nett und höflich formuliert aber mit einer Stimme vorgetragen, die einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ohne mir einen weiteren Blick zu schenken erhob sich der Krieger und verließ den Raum. Wir waren allein.

Sekundenland blieb der Hexer vorm Feuer stehen und begutachtete mich, als würde man ein Stück Fleisch auf seine Qualität prüfen. Ich wurde nervös, wollte verschwinden und diesen Menschen weit hinter mich lassen. Selbstsicher legte er den Kopf etwas auf die Seite und schien auf eine Reaktion zu warten. Was wollte er bloß? Sollte ich etwas sagen, sollte ich mich vor ihm verbäugen? Ich wusste es nicht. In meinem Leben war ich noch keinem König begegnet, dem man irgendwelche Höflichkeitsfloskeln oder Gebärden entgegen zu bringen hatte.

Der samtene blaue Umhang raschelte über den Steinboden und schwere Stiefel bewegten sich auf mich zu. Er verströmte einen Hauch von Lavendel und einem anderen herben Duft, den ich nicht zu deuten in der Lage war. Magier hatte ich mir immer zierlich und hager vorgestellt. Darjan war nichts dergleichen. Unter den feinen blauen Stoffen mussten ebenso trainierte Muskeln schlummern, wie bei jedem anderen der jungen Söldner, die ihr Dasein in diesem Schloss fristeten.

„Magie ist keine Entschuldigung den Körper ruhen zu lassen. Ist der Geist schwach, muss ich mich wie jeder meiner Söldner mit dem Schwert verteidigen können.“, lächelte er süffisant und ließ sich schließlich auf den Platz von Rahlan nieder.

Ich musste aufhören so viel nachzudenken.

„Was wollt ihr von mir?“, fragte ich und rückte ganz bewusst ein Stück von ihm fort.

„Ich wollte dich kennen lernen. Es ist selten das du uns besuchst.“, antwortete er und ich wusste nicht was er meinte. Erst jetzt ebbte sein Grinsen langsam ab. Durchdringend schaute er mich an und seine Mimik schien erstarrt. Plötzlich spürte ich es. Eine helle und kalte Hand schien in mich hinein zu greifen, durchwühlte meine Eingeweide und meine Gedanken. Ich rang nach Luft und stöhnte leise. Wollte er mich töten?

„Darjan… bitte.“, keuchte ich und hielt mir den Bauch. Es waren keine Schmerzen die ich fühlte, vielmehr ein unangenehmes Gefühl als hätten meine Innereien in einem Karussell Platz genommen, in dem nicht genügend Raum für Leber, Nieren und Lunge war. Vor meinen Augen drehte sich alles. „Darjan.“, stöhnte ich abermals und glaubte der Besinnungslosigkeit nahe zu sein.

„Darjan! Hör auf!“, bellte plötzlich Rahlans Stimme durch meinen Schleier aus Übelkeit und Schwindel.

Die unsichtbare Hand ließ mein Inneres los und verschwand aus meinem Körper. Laut pochend schlug mein Herz gegen meine Brust und mein Atem ging stoßweise. Benommen sackte ich nach vorn und wäre gestürzt, wenn mich nicht zwei Arme aufgefangen hätten. Ich erkannte aus den Augenwinkeln das helle Leinenhemd und roch wieder die Kombination aus Schweiß und Heu. Inständig hoffte ich er würde mich nicht wieder mit Darjan alleine lassen. Um ihm dies zu verdeutlichen, klammerte ich mich an seinem Arm fest. Beruhigend strich er mir über den Kopf.

„Was soll denn das? Bist du übergeschnappt?“, fauchte er Darjan an und schien seine Stellung dem König gegenüber völlig zu vergessen.

„Zügele deine Zunge mein Freund. Etwas mit ihr stimmt nicht. Sie kennt uns nicht, kennt diese Welt nicht. Vielleicht ist sie eine Spionin. Wir sollten sie erst einmal gefangen halten, bis die Larij bestätigen können ob es sich um eine Nyrva handelt oder nicht.“, argumentierte er kühl und ich hörte das Rascheln des Umhangs als er wieder aufstand.

Nyrva. Ich kannte das Wort. So hatte mich schon einmal jemand genannt. Das Wesen aus dem Meer.

„Ich bin eine Nyrva.“, prustete ich raus und hoffte so dem Kerker zu entgehen. Lähmende Stille breitete sich im Raum aus. Langsam schritt Darjan auf mich zu und ich drückte mich unweigerlich näher an Rahlan. Geschmeidig sank der Hexenkönig vor mir auf die Knie und hob vorsichtig mein Kinn an, so dass ich ihm in die eisigen Augen schauen musste. Ein herausforderndes Grinsen jagte mir einen Schauer den Rücken hinunter.

„Beweise es.“, forderte er mich auf und gab meinem Kinn einen groben Schubs ehe er sich wieder aufrichtete. Sekundenlang stand er vor mir und schien zu warten.

Hätte ich doch bloß meinen Mund gehalten, dachte ich und wusste nicht, was man nun von mir erwartete. Bereits das erste Mal als ich diesen Namen hörte konnte ich nichts damit anfangen und dies hatte sich auch nicht geändert. Unsicher klammerte ich mich noch ein Stück fester an Rahlan.

„Siehst du. Sie weiß es nicht und sie kann es nicht. Wer weiß was du hier angeschleppt hast. Vielleicht ist sie eine Bedrohung für uns alle. Xaron kennt meine Art von Magie. Er kann sie blocken wenn er will und mir würde jeder Kontakt einer Person zu ihm verborgen bleiben. Du weißt das Rahlan und bringst sie trotzdem hier her. Du verrätst uns alle damit.“, knurrte Darjan und war wahrlich zornig über das Verhalten des Söldners. Nur zu gern wollte ich beweisen, dass sie vor mir nichts zu befürchten hatten und damit Rahlan schützen. Aber wie?

„Bitte Darjan. Meinetwegen behalten wir sie hier, bis du Kontakt zu den Larij aufgebaut hast. Aber schick sie nicht in den Kerker. Leg eine Barriere an den Eingang, dass sie den Raum nicht verlassen kann. Ich werde hier bleiben und auf sie aufpassen.“, bot er beschwichtigend an und schob mich noch im selben Moment ein wenig von sich fort.

Was sollte das? Wollte er ihm beweisen, dass ich ihm egal war? Das er alles tun würde, um sein Volk zu schützen? Ich war mehr als verwirrt. Egal was er beabsichtigte, es schien zu wirken.

Wiederwillig nickte Darjan und der fein geflochtene lange Schopf des aschblonden Haares pendelte über dem blauen Umhang hin und her, als er den Raum verlassen wollte. Im steinernen Türrahmen blieb er stehen. Einen kühlen berechnenden Blick auf mich werfend, flüsterte er ein paar unverständliche Worte, legte einen Finger auf seine Lippen und dann an den Türrahmen. Als seine Haut den Stein berührte, sprang ein blauer Funken über und züngelte nach oben und nach unten am Türrahmen entlang.

„Nur damit du es weißt Rahlan, auch du kannst den Raum nicht verlassen bis ich es dulde. Solltet ihr es trotzdem versuchen…“, er machte eine Pause und lächelte charmant drohend. „Lasst es am besten einfach.“ Ohne ein weiteres Wort verschwand er und der Vorhang schwang wieder in zurück. Licht fiel durch das Fenster auf den Stoff und ließ ihn sanft Glitzern. Nichts deutete daraufhin, dass wir nun nichts weiter als Gefangene waren. So langsam aber sicher wünschte ich mir wieder aufzuwachen.

„Es tut mir Leid. Ich wusste nicht, dass ich dir solche Probleme bereiten würde.“, versuchte ich mich irgendwie bei ihm zu entschuldigen. Während ich sprach hatte er sich abgewendet und war aufgestanden. Ausdruckslos schritt er an das runde Fenster und versperrte der strahlenden Sonne den Zutritt zum Raum.

„Ich bin enttäuschter darüber, dass ich dich verwechselt habe.“, sagte er tonlos und stemmte die Hände gegen das grob geschmolzene Glas. Ein stolzer Mann, ein gehorsamer Mann, erfüllt von seinen Prinzipien, der Ehre und der Liebe zu einer Frau. All das hatte ich innerhalb von ein paar Minuten zu tiefst erschüttert. Was tat man in so einer Situation, was blieb noch außer sich zu entschuldigen. Was hatte ich einem solchen Menschen entgegen zu bringen.

Unzufrieden mit mir und meinem Leben hatte ich nichts, was ich anderen Menschen hätte schenken können, um ihnen Stärke, Selbstbewusstsein oder gar das Gefühl geliebt zu werden einzuflößen.

Andererseits warum machte ich mir solche Vorwürfe. Es war schlichtweg nur ein Traum, ein Traum in dem ich entscheiden konnte was ich wollte und was nicht, denn es kamen keine Konsequenzen auf mich zu. Wenn ich meine Augen wieder aufschlug war es nichts weiter als eine Erinnerung. Noch nicht einmal das stimmte tatsächlich. Was waren Träume? Sehnsüchte, Wünsche, Ängste. Dinge die uns im realen Leben beschäftigten. Dinge, wie die Sehnsucht nach Liebe und körperlicher Zuneigung. Wenn ich endlich mal ehrlich zu mir war, dann war es doch genau das was mir fehlte. Als Nanuk noch da war hatte ich eine Person an meiner Seite, eine Person die mir Halt gab und die mich liebte. Auf welche Art auch immer. Was war nun? Ich fühlte mich zu Matt hingezogen, weil er neu und geheimnisvoll war und ich mir innerlich erhoffte er könne Nanuks Platz einnehmen. Das war es was ich fühlte. Das war es, was ich mir einfach nicht eingestehen wollte.

Wann hatte ich das letzte Mal jemandem geholfen oder jemandem beigestanden? Ich wusste es nicht aber ich wusste, dass ich nun Schuld an Rahlans Situation und seiner Trauer war. Ich war es ihm und mir schuldig es wieder gut zu machen.

Unsicher ob ich das richtige Tat, schritt ich langsam an ihn heran. Es fühlte sich an als hätte ich eine innere Barrikade niedergerissen und neuen Mut gefasst, um die Dinge anders anzugehen. Rahlan rührte sich nicht und schien sich innerlich zurück gezogen zu haben. Ahnungslos ob es die Situation verbessern oder verschlimmern würde, machte ich einen weiteren zögerlichen Schritt an ihn heran. Sein Körper war nur noch wenige Zentimeter von dem meinen entfernt und abermals konnte ich ihn riechen. Anziehend animalisch. Alle Hemmungen und Gewissensbisse abwerfend legte ich vorsichtig eine Hand auf seinen Rücken und strich behutsam über den Leinenstoff. Meinen Blick gesenkt glaubte ich nicht daran, dass er wirklich darauf reagieren würde und wartete von ihm abgewiesen zu werden. Es war ein Traum. Was hatte ich zu verlieren.

Die Muskeln unter meiner Hand spannten sich, ehe sie sich wieder lockerten und er sich aufrichtete. Bedächtig drehte er sich Schritt für Schritt zu mir um. Ich traute mich nicht in sein Gesicht zu blicken und starrte stattdessen auf seine Brust. Auf der gegerbten Haut waren weitere Narben und frischere Verletzungen, die noch am heilen waren. Wie viele Schlachten musste er schon erlebt haben, musste er schon überlebt haben.

Mir wurde warm und mein Herz begann schneller zu schlagen. War das vielleicht der Punkt an dem ich erwähnen sollte, dass ich noch Jungfrau war, witzelte ich in Gedanken. Wollte ich meine Jungfräulichkeit wirklich in einem Traum verlieren? Die Entscheidung wurde mir abgenommen.

„Wer bist du Elizabeth? Und warum werde ich das Gefühl nicht los, dass ich mich zu dir hingezogen fühle?“, flüsterte Rahlan und hob behutsam meinen Kopf an. Sein Gesichtsausdruck war fürsorglich und liebevoll aber in seinen Augen konnte ich etwas erkennen, was nicht dazu passte. Hinter der braunen sanften Iris loderte ein Feuer hell und verheerend und ich wusste nicht ob es gut war dieses zu entfachen. Ich befürchtete mich zu verbrennen.

Das war der Moment an dem ich endlich mal meine Gedanken abschalten musste. Es war ein Traum und alles andere als ein Alptraum. Genieß es einfach Beth, dachte ich und atmete einmal tief durch. Mehrmals blinzelnd schaute ich ihn an und versuchte nach und nach Standfestigkeit in meinen Blick zu legen. Ich wollte nicht das kleine naive Mädchen sein, was nicht wusste was er von mir wollte.

So sehr ich auch alles los lassen wollte, spürte ich wie sich die Muskeln unter meiner Haut spannten. Nervosität konnte einen positiven als auch einen negativen Ursprung haben. Welcher in meiner Situation zutraf war mir leider schmerzlich bewusst. Ich war ein Angsthase. Ich konnte mich nicht fallen lassen, konnte mich nicht beruhigen lassen. Konnte ich überhaupt irgendwas? Ich atmete einmal tief durch und konnte seinen Blick nicht mehr ertragen.

„Du denkst falsches von mir. Ich habe nicht vor über dich her zu fallen.“, lächelte er. Sanft fuhr er mir über die Wange und strich eine Haarsträhne zurück hinter mein Ohr. Leise ausatmend lehnte er sich gegen den Fenstersims hinter ihm und blickte aus den warmen braunen Augen auf mich herab. Seine Art sollte mich beschwichtigen aber ich hatte eher das Gefühl ihn gekränkt zu haben.

Einen Schritt zurück tretend war ich wieder am Anfang der Szenerie von trauter Zweisamkeit angekommen. Unsicher, verwirrt, deprimiert. Ich drehte mich im Kreis.

„Woher kennst du den Begriff Nyrva?“, fragte er und schien sich wieder vollends gefasst zu haben.

Dankbar über die Frage, überlegte ich wie ich beginnen sollte. „Ich wurde schon einmal so genannt. Es ist schon eine Weile her. Er hat mir nicht gesagt was es zu bedeuten hat. Er meinte ich müsse das selber heraus finden.“ Während ich sprach ging ich ein wenig im Zimmer auf und ab und setzte mich schließlich auf das weiche Himmelbett. Die Bettwäsche raschelte unter mir und fühlte sich zu gleichen Teilen angenehm kräftig und weich an. Man würde bestimmt traumhaft darin schlafen können.

„Wer war es, der dich so nannte?“ Sein Interesse schien um Längen gewachsen zu sein. Ein Umstand der mich verunsicherte. War es klug ihm das alles zu erzählen? Warum interessierte man sich so dafür? Ich wusste ja selbst noch nicht einmal was es eigentlich bedeuten sollte. Vielleicht war es was Schlechtes in dieser Welt.

„Das ist schon so lange her. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern. Ist denn das so wichtig?“, versuchte ich auszuweichen und vielleicht im Gegenzug etwas von ihm zu erfahren.

Rahlan lehnte sich zurück und schaute mich sekundenlang regungslos an. Er schien selbst nicht sicher zu sein, was er mir sagen durfte. Die Sonne im Hintergrund verschwand nach und nach hinterm Horizont und färbte das Land des reitenden Kriegerclans in ein blutiges Rot. Was ich sonst als romantisch empfunden hätte, erschien mir nun bedrohlich.

„Weißt du eigentlich wo du hier bist?“, fragte er als sei das eine völlig selbstverständliche Frage. Neugierig legte er ein wenig den Kopf schräg und die braunen Augen ruhten wach und aufmerksam auf mir.

„Ich weiß nicht was du meinst.“, gestand ich und erhob mich wieder vom Bett. Langsam drängte sich mir der Gedanke auf herauszufinden, ob diese magische Barriere an der Tür nicht vielleicht nur eine Täuschung war.

„Nein es war keine Täuschung.“, ertönte wieder die klare eindrucksvolle Stimme Darjans im Raum. Mit einer einzelnen Berührung des steinernen Türrahmens, leuchtete das magische Feuer wieder auf und erlosch langsam. Ich erschrak, hatte ich nicht einmal im Ansatz sein Erscheinen gehört.

Die wachen kühlen Augen ruhten auf mir, stumm und ohne auch nur den Hauch eines Gefühls zu vermitteln. Sekunden verstrichen und keiner sagte etwas, ich glaubte sogar den Atem angehalten zu haben. Hieß das jetzt dass ich wieder gehen durfte?

„Du wirst nun mit mir kommen. Wir haben etwas zu besprechen.“, forderte er mich ausdruckslos auf. Rahlan machte einen energischen Schritt auf ihn zu, wollte etwas sagen und verlor seine Körperspannung wieder noch ehe er den Schritt vollends beendet hatte. Er wusste, dass Wiederworte jeglicher Art sinnlos waren, im schlimmsten Falle ihm sogar eine Strafe einbrachten. Es war nicht viel Zeit nötig, um diese eine Regel im Beisein von Darjan zu lernen.

Das beantwortete meine Frage ob ich das Zimmer nun verlassen konnte. Leider war mein Weg in die tatsächliche Freiheit wohl noch immer versperrt. Verunsichert schluckte ich den dicken Kloß in meinem Hals hinunter und ging auf Darjan zu. Das Feuer des Kamins strich mir wärmend über die Wange. Dumpf hörte ich von Draußen das Poltern von Hufeisen auf den gepflasterten Straßen der Burg. Alles hier fühlte sich so wirklich an, als würde ich mir die Hand im Feuer verbrennen können, Rahlans Berührung auch nach Stunden noch spüren. Ich lebte weiter obwohl ich schlief. In Träumen blieb einem oft ein kleiner Rest, den man unterbewusst selbst steuerte, in dem sich eigene Wünsche oder Ängste manifestierten oder einfach Dinge, die sich stets wiederholten. Hier war nichts davon der Fall. Alles war so fremdbestimmt, so willkürlich, so real.

Darjan ergriff meinen Oberarm und zerrte mich ruppig durch den Türbogen. Der schwere samtene Stoff streifte mein Gesicht und hinterließ ein elektrisierendes Gefühl auf meiner Haut. Für eine Sekunde sah ich ihn, den Mann, den Rahlan mir nicht zeigen wollte. Im Moment meines Verschwindens war er da und starrte mir hinterher. Gebrochen, verzweifelt, von Sehnsucht zerfressen. Das war der wahre Rahlan. Was für ein Verhältnis verband ihn mit Darjan, dass er ihm dennoch Freund und Untertan war.

Unsicher ob ich mir Sorgen machen musste, stolperte ich vor Darjan einen schmalen steinernen Gang entlang. Immer mal wieder erschien linksseitig ein rumpfgroßes rundes Fenster, durch das die sinkende Sonne ihren letzten Abendgruß in die Gemäuer entsandte. Unendlich schien sich der Weg vor mir zu erstrecken, ohne Türen, ohne Abzweigungen. War das der Weg in mein Verließ? Ich wurde langsamer.

Fast vollends hinterm Horizont verschwunden, konnte die Sonne kaum noch Licht spenden. Dunkelheit kroch die Wände empor wie zäher Sirup und entriss den Mauern der Burg jegliche Wärme und Behaglichkeit. Ich hatte das Gefühl, nun das wahre Wesen dieser Festung zu sehen. Keine romantische verträumte Kulisse mit edlen Pferden, die auf den Wiesen spielten.

Dies waren Gemäuer die mit Blut bezahlt wurden, besiedelt von Männer die nur das Dienen und den Krieg kannten, Hengste die dafür gezüchtet wurden schwere Rüstungen zu tragen, bis in den Tod. Der Punkt war erreicht an dem ich kein Gast mehr war.

„Warte.“, flüsterte Darjan plötzlich hinter mir und jagte mir einen Schauer den Nacken hinunter. Wie schockgefroren brachen meine Bewegungen ab.

Verstohlen strich er mit den Fingern merkwürdige Zeichen auf den rauen Stein. Sekundenlang tat sich nichts, bis ich ein leises Knirschen hörte und ein Stück der Wand nachgab. Es schob sich Zentimeter für Zentimeter tiefer in das Gemäuer und verschwand letztlich, so dass ein Gang sichtbar wurde. Die rechte Hand einladend nach vorne gestreckt, lächelte er mich charmant an und forderte mich auf dem neu erschaffenen Weg zu folgen.

Unweigerlich musste ich langsam schlucken aber der dicke Kloß in meinem Hals machte keine Anstalten zu verschwinden. Auf wackeligen Beinen schritt ich in die Dunkelheit. Plötzlich entfachte sich neben mir eine Fackel mit bläulichen Flammen von selbst. Sie schien der Startpunkt einer ganzen Reihe von Selbstentzündungen zu sein, die sich vor mir ereigneten. Alles um uns herum wirkte kalt und unnachgiebig. Ich fühlte mich wie in einer Feste aus Eis und Stahl, in den Tiefen einer gefährlichen Winterlandschaft. In den hintersten Ecken meiner Gedankenspielereien heulte ein Wolf auf, der der ganzen Fantasie noch die Krone aufsetzte.

„Das was du dir ausmalst ist die Stadt Lanza im Kristwald. Eine eisige Hochburg von seltsamen Magiern und Hexen, die selbst dem tapfersten Krieger das Blut in den Adern gefrieren lassen. Meine Heimat um genau zu sein.“

Um das breite hämische Grinsen auf seinem Gesicht zu erkennen musste ich mich nicht erst umdrehen. Die Luft im Gang wurde nach und nach wärmer. Ich nahm an, dass wir uns endlich einem Raum näherten. Sachtes Glimmen war in nicht allzu weiter Entfernung an den groben Steinwänden zu erkennen, dieses Mal jedoch nicht blau sondern rot. Meine Schritte wurden abermals langsamer. Wir waren allein. Es war niemand da, der mir hätte helfen können und ich glaubte nicht dran, dass mich hier irgendjemand schreien hörte.

„Ist ein weiter Weg um mich umzubringen. Das hättet Ihr auch schon am Anfang des Ganges tun können.“, witzelte ich mit etwas zittriger Stimme und hoffte inständig, dass er es lustig finden würde. Darjan sagte gar nichts. Angespannt richteten sich meine Nackenhaare auf.

Seine Schritte waren dicht hinter mir. Sie hörten sich sanft an, als würde er mit den schweren Stiefeln auf weichen Wolken und nicht auf hartem Stein gehen. Ob er das auch mit Magie tat, dachte ich und erschrak noch im selben Atemzug. Ich durfte nichts mehr denken, denn jeder Gedanke wurde von ihm durchleuchtet und meist mit einem bissigen Kommentar beantwortet. Da konnte ich gut drauf verzichten.

„Dann hör auf zu denken.“, knurrte er leise und schien von meinen inneren Monologen genervt zu sein.

„Wir wäre es meine Gedanken in meinem Kopf zu lassen.“, warf ich bissig zurück und versuchte stattdessen meine Umgebung zu fixieren. Noch zwei Schritte und wir hatten den rötlich flammenden Feuerschein erreicht. Es als ein einfaches Büro zu bezeichnen wäre maßlos untertrieben gewesen. Der Raum der sich vor mir auftat war riesig, pompös und dennoch mit Eleganz durchzogen, die ihn ansprechend und geheimnisvoll machten. Massive Meter hohe Holzregale Verdeckten rechts und links die Steinwände und waren gefüllt mit uralten Büchern, Pergamentrollen und anderen Dingen. Kristalle, Schädel, teilweise rostige alte Waffen. Es war nicht die Halle eines einfachen Gelehrten. Es waren die Gemächer eines stolzen wissbegierigen Königs. Am Ende des längliches Raumes säumte eine Fensterfront die Stirnseite und offenbarte die weiten Wiesen und den sich verdunkelnden Himmel, rings um die Burganlage. Vor den riesigen Fenstern stand ein mächtiger Schreibtisch, voll mit Bergen von Büchern und Schriftrollen. Der Geruch von Weihrauch und Tinte lag in der Luft. Die Halle nötigte es mir ab Darjan in einem anderen Licht zu betrachten. Er war kein stumpfer Kriegsherr, der nur die Schlacht kannte. Er war intelligent, stark, ein Stratege. All das machte ihn zu einem Gegner, den wohl niemand gegen sich haben wollte.

Vor dem Schreibtisch standen Feuerkörbe die sacht orange rot glommen aber keinen Ruß produzierten. Sie gaben Wärme ab und wirkten anziehend auf mich. Es war eine andere Wärme als die von einer Heizung oder einem Kaminfeuer. Das Glimmen erschien mir ungleich sanfter, angenehmer, nicht so sengend auf der Haut.

„Setz dich.“, forderte Darjan mich auf und deutete auf zwei Sessel, groß, mit Samt bezogen und sehr einladend, die vor dem Schreibtisch neben den magischen Flammen standen. Das nun folgende Gespräch würde kaum einem Kaffeekränzchen gleichen, eher einer Inquisition, schoss es mir durch den Kopf. Das Bild einer gehängten Hexe drängte sich mir auf. Es fröstelte mich.

Erhaben schritt er um den Tisch herum und nahm beiläufig ein Pergament an sich. Grob überflog er die Zeilen und strich mit den Fingern über blaue Wachssiegel am Ende der Schrift. Sein Gesicht verzog keine Miene aber ich glaubte ein wenig Anspannung erkennen zu können. Die Falten auf seiner Stirn, die durch den warmen Feuerschein nun sichtbar wurden, wirkten tiefer, die Schatten unter den Augen dunkler. Schwer ausatmend setzte er sich in den großen Sessel und ließ sich zurücksinken. Sekundenlang ruhte sein Blick auf dem Papier in seiner Hand, ehe er es weglegte als habe er festgestellt, dass es doch unwichtiger Natur sei.

„Nun denn.“, begann er leise. Der bedrohliche Klang in seiner Stimme hatte nachgelassen. Insgesamt erschlaffte seine Erscheinung unter dem Wissen, sich in seinen Gemächern sicher fühlen zu können. „Du weißt nichts über dich nehme ich an?“ Mit einem Mal hatte ich wieder seine volle Aufmerksamkeit. Neugierig betrachtete er mich, schien meine Gesichtszüge mit den Augen nachzuziehen.

„Ich verstehe nicht.“, antwortete ich knapp und fühlte mich von seinen eindringlichen Blicken peinlich berührt. Jetzt wo er zur Ruhe gekommen war, sah auch ich ihn in einem anderen Licht. Immer noch der erhabene König, der beherzte Krieger und der wissbegierige Hexer. Doch da war auch noch etwas anderes. Eine männliche Aura die so anziehend wie beängstigend war.

„Du weißt nicht was du bist und du weißt nicht was du kannst? Wo du hier bist ist dir auch völlig fremd?“ Es waren eigentlich keine Fragen. Es waren Feststellungen.

„Es ist ein Traum. Was spielt das für eine Rolle.“, sagte ich und musste Schmunzeln.

Darjan legte den Kopf schief. Die langen grau blonden Haare fielen zur Seite und sein Blick wurde nachdenklich. Er schien mit irgendetwas zu hadern. Unmerklich spannte sich seine Kiefermuskulatur und er schnaubte unzufrieden. Irritiert beobachtete ich ihn. Den Blick von mir abwendend begann er auf dem großen Schreibtisch zwischen den Büchern und den Schriften zu wühlen und zu suchen. Es dauerte lange und ich musste mich beherrschen, um nicht aufzustehen und ihm auf die Finger zu schauen, wonach er so akribisch Ausschau hielt.

„Du hast ein Amulett nicht wahr?“, fragte er. „Es sieht sehr alt aus. Mit einem pulsierenden eingefassten Stein.“

„Das stimmt.“, sagte ich erst verwundert und besann mich wieder darauf, dass es ein Traum war und sich die erdachten Personen natürlich an meinem Wissen nährten. „Was soll damit sein?“

„Du trägst es nicht. Sonst wärst du nicht hier.“, stellte er für sich fest und schob einen Stapel Bücher von einem schmalen Einband herunter. Das in feinem rot braunem Leder gefasste Werk schien mit Blattgold bearbeitet worden zu sein. Auf dem Einband waren schimmernde Buchstaben zu erkennen, ihren Sinn jedoch konnte sie nicht entziffern.

Langsam blätterte der Hexenkönig die alten raschelnden Seiten durch, bis er gefunden hatte wonach er suchte. „Ist sie das?“, fragte er und legte mir das Buch vor die Nase.

Ich erkannte sie sofort. Es war die Kette, die mir Nanuk überlassen hatte, die mich schützen sollte. Verunsichert nickte ich. Wieso nur fühlte ich mich so beklemmt und in die Enge getrieben, obwohl es doch nichts weiter als ein Traum war? „Was soll das bedeuten ich wäre sonst nicht hier?“, fragte ich plötzlich. Er wusste irgendetwas.

„Diese Kette…“, er brach ab und schaute mich nun mit seinen blauen Augen offen an. Er hatte Zweifel, Zweifel daran mir etwas darüber zu erzählen.

„Was ist mit dieser Kette?“, fragte ich nun mit etwas Nachdruck, auch wenn ich wusste, damit seine Ehre als König anzukratzen. Ich hatte einen Ton angeschlagen, der mir nicht zustand. Seine Reaktion jedoch verblüffte mich. Darjan lachte auf. Kurz und hell.

„Sie gehört eigentlich mir.“, antwortete er schließlich. „Sie wurde mir gestohlen, schon vor langer Zeit. Sie gehört nicht dorthin, wo sie gerade ist. Aber anscheinend gibt es Menschen, denen sie mehr Nutzen bringt als mir.“

Er sprach zwar die Wahrheit aber er sprach sie bewusst so, dass ich sie nicht verstand. „Wer hat sie gestohlen?“

„Jemand von euch. Ich weiß bis heute nicht wie und daher würde ich gern wissen, von wem du diese Kette hast?“ Seine Gesichtszüge verfestigten sich.

„Von einem Freund.“

„Wie lautet sein Name?“

„Den werde ich sicherlich nicht nennen. Was soll das hier? Ich hab die Kette geschenkt bekommen und man kann ja wohl kaum etwas aus meinen Träumen stehlen, um es anschließend mir zu schenken.“, höhnte ich und pfiff Luft durch meine fast geschlossenen Lippen.

Darjan beäugte mich auf eine prüfende und bohrende Weise, dass es mich schauderte. Meine Muskeln spannten sich unmerklich. Was hatte ich denn jetzt wieder gesagt? Hätte mich nun endlich mal der Wecker aus dieser Farce reißen können, dachte ich bitter und verspürte zum ersten Mal den Drang, aus einem Traum fliehen zu wollen. Raschelnd schmiegte sich der samtene Bezug des Sessels unter meine Bewegung an meine Haut. Ich hörte immer noch keinen Wecker.

„Ein Traum.“, wiederholte er ohne irgendeine Betonung in die Worte zu legen. Die breiten Kiefer malmten und auf seiner Stirn erkannte ich schmale Falten. „Ja. Ein Traum.“, sagte er abermals und seine Miene begann sich wieder zu erhellen, als habe er seinen Gedankengang mit einem zufrieden stellenden Ergebnis beendet.

„Was bedeutet Nyrva?“, fragte ich und wusste selbst nicht, wieso ich das gerade jetzt wissen wollte. Das Wort spukte so aufdringlich in meinem Kopf, dass ich erfahren musste, was meine Gehirnwindungen für eine Übersetzung anboten. Wieso hatte ich in meinem Träumen eigentlich eine so endlose Fantasie? Vielleicht hätte ich beginnen sollen, selbst Romane zu schreiben.

„Die Larij benutzen diesen Begriff für Wanderer. Sie streifen umher. Sehen Dinge, die anderen verborgen bleiben. Sie sind kein Teil dieser Welt und auch kein Teil einer anderen. Sie existieren zwischen zwei Knotenpunkten. Nur geht das nicht auf ewig. Irgendwann müssen sie sich für eine Seite entscheiden und dort für immer bleiben.“, er sprach ruhig, fast als würde er etwas wiederholen, was er schon lange eingeübt hatte. Und dennoch besah er mich mit einem Blick, als würde er auf eine bestimmte Reaktion warten. Vielleicht Erstaunen oder Verwunderung.

„Hört sich nach einer armen Seele an. An keinem Ort zu Hause zu sein, überall und nirgends umherzuwandern und sich letzten Endes für etwas endgültig entscheiden zu müssen. Wer möchte das schon.“, schlussfolgerte ich und dachte darüber nach, wie es wohl wäre in zwei Welten Daheim zu sein und letztlich einer den Rücken zu kehren. Das war als müsse man sich zwischen zwei Freunden entscheiden, die einem gleich viel bedeuteten. Ich atmete schwer. Keine leichte Aufgabe und sicherlich keine, die jemand gern fällen würde.

„Vermutlich.“, murmelte er und sein Blick ruhte nachwievor auf mir. „Ich denke es ist Zeit.“

Irritiert blickte ich den Hexenkönig an. Langsam richtete er sich auf und schritt mit erhobenem Haupt um den Tisch herum. Der Gang eines Tigers, dachte ich. Majestätisch aber genauso gefährlich wie schön. Hinter den riesigen Fenstern der steinernen Halle strahlte ein golden schimmernder Mond. Durch den Nachthimmel zog sich ein Band türkis funkelnder Sterne. Es war finster. Irgendetwas an der Nacht erschien mir anders, als die Nächte die ich kannte. Diese wirkte tiefer, dunkler und bedrohlicher.

„Für was ist es Zeit?“, fragte ich und spürte wie mir Panik in die Glieder kroch. Ruhig stand er nur vor mir und seine kühlen blauen Augen blickten mich von oben herab an.

„Zeit zu gehen.“, flüsterte er und das erste Mal sah ich den Anflug eines wohl wollenden Lächelns auf seinen Lippen. „Ich hoffe wir sehen uns nicht wieder.“ Bedächtig hob er seinen Arm und tippte mir kaum merklich mit dem Zeigefinger auf die Stirn.

Vor meinen Augen wurde es schwarz.

Waldgeflüster

Ich schlug die Augen auf. Dunkelheit umgab mich, etwas warmes Pelziges hatte sich an meine verkrampfte Hand geschmiegt, als wolle es mir sagen, dass alles gut sei. Es bestand kein Grund zur Panik.

Das mir bekannte Ticken der schweren alten Metalluhr an meinem Schreibtisch beherrschte den Raum. Kleine Schneeflocken glitzerten vor meinem Fenster. Ruckartig stieß ich die Luft aus meinen Lungenflügeln. Das darauf folgende Keuchen überdeckte das monotone Ticken und Mikesch sah erschrocken auf. Für eine Sekunde zuckte sein kleiner Körper zusammen und die Vorderpfoten stemmten sich in die Decke, bereit zur Flucht. Er hielt inne und wartete angespannt was nun geschah.

Ich versuchte meine steifen Knochen damit zu lockern, dem leise erwartungsvoll schauenden Kater durch das weiche Fell zu streichen. Beruhigend kraulte ich das kleine Köpfchen und wurde mit einem rhythmischen Schnurren belohnt.

Meine Umgebung wirkte auf mich für einen Atemzug lang befremdlich. War das wirklich mein zu Hause? War das die Realität oder träumte ich noch immer. Ich war nicht in der Lage einen Unterschied zwischen dem eben erlebten und der jetzigen Situation festzustellen. Alles war greifbar und so real gewesen, so unbeeinflusst von meinem Geist. Vielleicht war meine Krankheit noch immer nicht ausgestanden. All die körperlichen Symptome, das Schwitzen, das Fieber, die vielen Gebrächlichkeiten, möglicherweise waren sie Anzeichen für einen geschundenen Geist. War ich dabei verrückt zu werden, eine gestörte Persönlichkeit mit Tagträumen und Halluzinationen zu entwickeln? So froh ich auch gewesen war, dass ich mich physisch deutlich besser fühlte, so war die neue Theorie kein Stück akzeptabler.

Mit dem Handrücken strich ich mir über die Stirn, auf der sich ein feuchter Film gebildet hatte. Meine Augen brannten und mein Gesicht fühlte sich an als habe man meine Haut rechts und links gelöst, straff nachgezogen und dann festgetackert.

Ich zwang mich ein paar Mal tief ein und aus zu atmen. Mikesch rollte sich unter meiner Hand erneut zusammen und fiel schnell wieder in ein entspanntes Dösen. Das Leben einer Katze stellte ich mir einfach vor. Man legte sich einfach irgendwohin, schlief, kam nach Hause wann es einem beliebte um gekuschelt zu werden und zu fressen. Traurig, dass viele Menschen Tieren fast noch mehr Liebe und Aufmerksamkeit schenkten als den Lieben um sie herum, die sich nichts weiter als ein wenig Zuneigung wünschten. Ein wesentlicher Grund war wohl, dass Tiere einen nicht verletzten. Sie waren einfach da und spendeten Trost. Menschen kamen und gingen, wie es ihnen beliebte und hinterließen manchmal eine große schmerzende Lücke im Leben des Anderen.

Auf meinen Wangen lief es heiß hinab. Ich hatte vergessen, wie lange es her war. Er war noch immer verschwunden, ohne ein Lebenszeichen. Vorsichtig stand ich auf, wollte mit hastigen Bewegungen nicht wieder den Kater verschrecken. Etwas wackelig schritt ich ans Fenster heran und schaute in den Garten hinaus. Der Schnee bildete eine ebene weiße Decke. Immer mehr der kleinen Flocken rieselten herab und begruben das Dorf unter einer kalten Schicht. Viele Menschen mochten den Winter mit seinen kalten grauen Tagen nicht. Sie übersahen vielleicht einfach nur die schönen Dinge, wenn sich das Tageslicht auf das gefrorene Wasser senkte und es zum Glitzern brachte oder die wunderschönen klaren Morgenstunden, mit dem zarten rosa, welches die Welt begrüßte. Nein, am Winter war nichts Schlechtes, die meisten waren nur blind.

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war sechs Uhr morgens. Nicht unbedingt die Zeit, wo es sich gelohnt hätte sich nochmals hinzulegen. Ich entschied mich heute nicht zur Schule zu gehen. In den letzten Wochen hatte ich mich fast damit abgefunden, die letzte Klasse zu wiederholen. Ich hatte einfach zu viele Sachen verpasst und tat mich mit dem meisten Stoff so oder so schon schwer. Natürlich half mir Grace wo sie nur konnte, um das Vergangene wieder aufzuholen aber es war schwierig und nervenaufreibend jeden Tag nur hinter her zu sein.

Seufzend schritt ich aus dem Zimmer und machte sofort auf dem Absatz wieder kehrt. Die Diele war eisig kalt und mir standen die Haare zu Berge. Rasch nahm ich mir eine Wolljacke vom Haken an meiner Tür und setzte meinen Weg fort. Die restlichen Zimmer waren fast völlig ausgekühlt. Automatisch stellte ich in der Küche den Wasserkocher an, der leise knisternd seinen Dienst antrat. Ich warf einen Blick auf den Kalender. Mein Vater müsste in den nächsten Tagen wieder nach Hause kommen. Unschlüssig ob ich mich freuen sollte oder nicht, nahm ich mir eine Tasse und einen beliebigen Teebeutel.

Dampfend kam das Wasser aus dem Kocher und verteilte seine feinen Perlen auf meinem Gesicht. Ein angenehmes Gefühl auch wenn es danach sofort in einen kühlen Schauer überging. Langsam zog ich einen Stuhl zurück, zupfte meine Jacke ein wenig enger um meinen Oberkörper und setzte mich, die wohltuend riechende Tasse zwischen meinen Händen. Ich schaute hinaus und dachte über den Tag nach. Was ich noch machen wollte oder auch musste. Alleine zu leben war angenehm, denn man räumte immer nur sein eigenes Chaos weg. Auf lange Sicht hin gesehen, stellte ich es mir jedoch sehr eintönig und einsam vor.

Vorsichtig kam der kleine rote Kater in die Küche getapst und schaute mich aus seinen verschlafen goldbraunen Augen an.

„Na hast du schon Hunger?“, fragte ich leise und lächelte. Ein leises Maunzen war die Antwort. Ich stand wieder auf und gab dem Kater ein wenig fressen, um ihn kurz darauf durch die Terassentür in die weiße Wunderlandschaft hinaus zu entlassen. Für einen Moment blieb ich an der offenen Tür und blickte den langen Garten zum Hang hinauf, in Richtung des Nadelwäldchens. Nichts weiter als unberührter Schnee.

Es war ein schöner Morgen. Der erste seit langem, an dem ich mich gut fühlte. Keine Anflüge von Schwäche oder dergleichen. Vom dem wirren Traum abgesehen.

Zum einen war es angenehm aber zum Anderen fast schon ungewohnt. Ich hatte keine Ahnung, wie es bloß alle um mich herum mit mir aushielten. Meine Geduld mit mir selbst war schon recht früh aufgebraucht und der allmorgendliche Blick in den Spiegel war alles andere als ein Geschenk. Täglich quälte mich der Gedanke daran was ich verloren hatte und warum es dazu gekommen war. Ich hatte keine Antwort darauf finden können aber ich war mir nun sicher, es hinter mir lassen zu können. Irgendwann musste ich wieder nach vorn schauen. Vorsichtig nippte ich an der Tasse. Der wohlige Geschmack von Kamille breitete sich in meinem Gaumen aus.

Ich verbrachte den Morgen damit ein wenig Ordnung zu schaffen und ein paar liegen gebliebene Dinge zu verrichten. Die Öfen knisterten angenehm im Hintergrund und es dauerte zum Glück nicht lange bis das Haus einigermaßen warm war. Gegen Mittag erstattete Grace mir einen Besuch und berichtete vom Tag in der Schule. Sie fragte schon gar nicht mehr warum ich nicht dort gewesen war. Es war meine Entscheidung ob ich ging oder nicht und anhand meiner Krankengeschichte machte sich eh niemand mehr die Mühe mein Fehlen zu hinterfragen.

„Du siehst gut aus heute.“, stellte sie überrascht fest als wir in der Küche saßen.

„Ich fühle mich auch gut. Heute ist ein Tag an dem es wieder ein wenig Berg auf geht.“, lächelte ich.

Grace nickte aber wirkte irgendwie nicht so als würde sie es tatsächlich interessieren. Ich beobachtete sie für einen Moment von der Seite. Etwas an ihr war anders. „Ist alles in Ordnung?“

„Ja schon.“

„Das hört sich nicht gerade überzeugt an. Was ist los?“ Ich wurde etwas unruhig. So kannte ich sie nicht. Pure Heiterkeit war sonst ihr Markenzeichen.

„Ich weiß auch nicht. Es läuft alles ein wenig drunter und drüber bei mir zu Hause. Ich glaube meine Eltern verstehen sich nicht mehr so gut. Sie streiten sich und schlafen teilweise schon in getrennten Zimmern. Manchmal versuchen sie wenigstens noch den Anschein zu wahren und vor mir und meinem Bruder so zu tun als seien wir eine heile Familie aber selbst Tom erkennt das.“, sie stockte und wirkte bedrückt. Ich wusste nicht ob sie die Tränen unterdrückte oder ob sie relativ gefasst war. Es gab kaum Situationen, die sie wirklich betroffen machten, daher wusste ich nicht, wie ich mit ihr umzugehen hatte. Wollte sie Trost oder nur ein paar aufbauende Worte? Ich schüttelte innerlich den Gedanken ab. Was war ich nur für eine Freundin. Konnte ich nicht einfach mal das machen, was eine Freundin eben tat? Nämlich der anderen beistehen. Egal wie sich das gestalten sollte, letztlich war es die Geste die zählte.

Ich rückte mit meinem Stuhl ein Stück näher ran und nahm sie in den Arm. „Du weißt ich bin für dich da. Egal was du brauchst. Du hast mir so viel geholfen und bist mir eine Freundin, die ich nicht mehr missen will. Wenn ich irgendwas für dich tun kann, dann lass es mich wissen. Meine Tür steht immer offen.“

„Ich weiß.“, flüsterte sie und ich glaubte zu hören, wie ihre Stimme ein wenig zitterte. Ich kraulte ihren Rücken und behielt sie weiter fest im Arm. Wie lange wir dort so saßen, vermochte ich nicht mehr zu sagen. Irgendwann wurde es für uns Beide ungemütlich und wir gingen einfach in die Tagesordnung über. Grace hatte nicht das Bedürfnis es weiter zu erklären und ich fragte nicht weiter nach. Wir wussten, dass wir uns aufeinander verlassen konnten. Das war das Wichtigste.

Ich bemühte mich meine neu gewonnene agile Stimmung dafür zu nutzen sie aufzuheitern. Wir gingen ein wenig spazieren und kochten gemeinsam. Den restlichen Nachmittag lümmelten wir uns aufs Sofa und schauten ein paar Filme. Irgendwann sagte Grace sie müsse langsam mal Heim, da ihr Bruder allein sei und sie für ihn Abendbrot machen sollte. Sie dankte mir für den Tag und ging. Ich wusste nicht ob es ihr jetzt viel besser ging aber zumindest hatte ich das Gefühl, dass sie die Miesere daheim für einen Moment vergessen konnte.

Der Tag war wie im Fluge verstrichen. Beiläufig legte ich ein wenig Holz nach als es an der Tür klingelte. Ich zog das Band des Wollmantels nach und schritt langsam in den Flur. Hinter dem milchigen Scheiben war nicht zu erkennen, um wen es sich wohl handeln mochte. Skeptisch und ein wenig verwundert öffnete ich die Tür.

„Hey. So willst du los? Könnte kalt werden, findest du nicht?“, strahlte mir der blonde Wuschelkopf entgegen und macht keine Anstalten zu warten, ob ich ihn hereinbitten würde.

„Matt? Was soll das? Warte mal.“, rief ich als er sich unvermindert an mir vorbei schob, flink seine Schuhe abstreifte und linksseitig in Richtung Küche verschwand. Hatte ich irgendwas verpasst, dachte ich und musste mich beherrschen, die Tür nicht schnaubend ins Schloss fallen zu lassen. Ich ging ihm nach.

„Was machst du hier?“, fragte ich, während meine Kiefergelenke knackten.

„Wir haben eine Verabredung Liebes. Schon vergessen? Wir wollten an den See gehen. Nun, ich hatte ehrlich gesagt gehofft es wäre ein wenig wärmer aber was soll‘s.“, grinste er und ließ sich selbstverständlich auf einen Küchenstuhl nieder. Locker streifte er seine Lederjacke ab und blickte mich süffisant grinsend an. Die goldblonden Haare fielen ihm zerzaust in das gebräunte Gesicht, während mich seine wachen Augen beobachteten, wie eine Raubkatze sein Opfer.

Meine Bewegungen wurden schlagartig langsamer als müsste ich mich an ihm vorbei schleichen, um nicht angegriffen zu werden. Vage erinnerte ich mich an das Gespräch und biss mir auf die Unterlippe. Wie konnte ich das nur vergessen, schimpfte ich innerlich.

„Ja ich weiß aber das ist heute wirklich kein guter Tag dafür.“, begann ich und wollte mich der Verpflichtung dem Date gegenüber entziehen. Noch inmitten meines Satzes schnellte er in die Höhe und kam auf mich zu. Sacht legte er mir seinen Zeigefinger auf die Lippen. Die Berührung war kaum spürbar und dennoch sträubten sich mir schlagartig meine Nackenhaare und ein elektrisierendes Gefühl schoss durch meine Glieder.

„Vergiss es Süße.“, sagte er und lächelte charmant. „Aus der Nummer kommst du nicht mehr raus. Wir haben eine Verabredung und allein dein Wille, allen Menschen um dich herum gerecht zu werden, zwingt dich dazu, dass auch durchzuziehen.“

Ich zuckte zusammen als hätte mich jemand geohrfeigt. Er hatte Recht damit. Ein Charakterzug, der mir oft Arbeit einbrockte.

Langsam nahm er seinen Finger von meinen Lippen und ich konnte mich nur schwer beherrschen, diesem nicht mit meinem Kopf zu folgen. Bevor er seine Hand zu sich zurücknahm, legte er lächelnd den Kopf schief und ergriff stattdessen eine meiner braunen struppigen Haarsträhnen.

„Du siehst gut aus. Geht es dir besser?“, fragte er und ich glaubte tatsächlich er würde es ernst meinen. Mitgefühl war etwas, was ich ihm nicht zugetraut hätte.

„Ich denke es geht wieder voran.“

„Gut. Dann schnapp dir deinen Mantel und los geht’s.“

Wieso wurde ich das Gefühl nicht los, dass das berechnend war, dachte ich und ließ die Schultern ein Stück hängen. „Fein. Ich gehe mir was Warmes anziehen.“

Während des ganzen Weges durch die Siedlung gab Matt kein Wort von sich. Das war seltsam, wo er sonst immer irgendetwas zu sagen hatte. Unabhängig davon, dass es größtenteils Unsinn war. Kühl zog der Wind an uns vorbei und suchte sich seinen Weg in die Bergwipfel, wo er sanft den Schnee aus den Baumkronen trug. Das Wetter wurde etwas milder. Langsam näherte sich der Frühling, der wieder Farbe ins Dorf bringen würde.

„Hast du dich hier gut eingelebt?“, fragte ich, da ich die Stille nicht mehr ertragen konnte. Der See war nicht mehr weit. Es gab nur eine Stelle an ihm, wo sich ein kleiner Sandstrand am Ufer gebildet hatte. Im Sommer fand man dort so gut wie nie einen freien Platz, so dass ich irgendwann aufgegeben hatte mich dort sonnen zu wollen. Stattdessen schlenderte ich lieber durch die Wälder und genoss die kühle Luft zwischen den Bäumen.

„Wie man es nimmt. Noch bin ich nicht richtig hier angekommen.“, meinte er und wirkte dabei überraschend ernst.

„Wieso? Weil du noch kein ansprechendes Mädchen gefunden hast? Du gehst ja alle einmal durch.“, witzelte ich. „Da muss doch eine bei gewesen sein, um sie schnell in die Kiste zu kriegen. Wie wäre es mit Jessica? Die hattest du glaub ich noch nicht. Sie sieht ganz nett aus und soll leicht zu haben sein.“

„Wer sagt denn, dass ich etwas suche, was leicht zu haben ist? Du hälst ja scheinbar sehr viel von mir.“, antwortete er. Seine Stimme war plötzlich vernehmbar härter und in seinem letzten Satz schwang ein gewisser Grad Schärfe mit. Unmerklich zuckte ich zusammen.

„Was erwartest du denn, was die Leute von dir denken, wenn du jeden zweiten Tag eine andere abschleppst?“, entgegnete ich und versuchte dabei so neutral wie möglich zu klingen.

„Ich suche eben nach einer Person mit dem gewissen Etwas. Warum sollte ich Menschen unnötig hin halten, wenn ich bereits weiß, dass sie nicht dem entsprechen, was ich will? Wäre das nicht deutlich egoistischer? Du würdest also des Anstandes wegen den Kontakt wahren, um dich dann irgendwann zu überwinden und das Ganze zu beenden. Und was ist mit dem Anderen? Der hat sich in dieser Zeit auf dich eingestellt, hat Gefühle für dich entwickelt und sich vielleicht Vorstellungen über eine gemeinsame Zukunft gemacht. Dessen Gefühle trittst du dann mit Füßen. Ist das für dich der richtige Weg?“

„Also… so war das gar nicht gemeint.“

„Nein? Wie war es denn dann gemeint?“

„Ich… naja… es ist halt ein untypisches Verhalten.“

Er schnaubte und schüttelte den Kopf. Ich schien es mit jedem Satz schlimmer zu machen.

„Überall das Selbe.“, knurrte er leise.

„Wie meinst du das?“

„Vergiss es. Lass uns über was anderes reden. Das Thema bringt uns ja doch nicht weiter.“, tat er die Diskussion ab. Für einen Moment war ich alles andere als gewillt, das Gespräch einfach so abzuschütteln. Ich wollte nicht, dass er glaubte ich sei gefühlslos oder würde ihn missachten.

„Wann merkst du denn ob jemand das ist was du suchst? Liebe auf den ersten Blick?“, fragte ich und hatte ehrliches Interesse an der Antwort.

„Findest du das witzig, dich über mich lustig zu machen?“, fragte er und schaute mich griesgrämig von oben herab an. Der See war nun in Sichtweite. Wie nicht anders zu erwarten war, hielt sich dort keine Menschenseele auf. Am äußeren Rand des Sandstrandes war eine kleine Hütte zwischen alten Brombeerhecken, auf denen nun eine dicke Schicht Schnee das Geäst zu Boden drückte. Dort konnten wir uns nieder lassen. Das Wasser war an den Übergängen zum Ufer noch immer gefroren und bildete um die dortigen Wasserpflanzen und Grashalme interessante Panzer aus Eis.

Ich schien kein Talent dafür zu haben, dass Gespräch in einer neutralere Zone zu lenken. Die Sekunden verstrichen, ehe ich mich zu einer Antwort durchringen konnte. „ Ich kenne dich einfach nicht gut genug, um es vielleicht anders zu sehen, daher würde ich mir wünschen, dass du es mir erklärst.“, sprach ich ruhig und hoffte den richtigen Ton angeschlagen zu haben.

Für den Bruchteil eines Atemzuges blickte er mich mit seinen türkisen Augen durchdringend an, als hätte ich etwas Seltsames von ihm verlangt. Er setzte sich fast schon schwerfällig auf die Holzbank in der kleinen Hütte. Seine Augen ließen von mir ab und schweiften über die Wasseroberfläche. Die Luft die seine Lunge verließ bildete eine feine Dunstwolke vor seinem Gesicht, wie bei einem schnaubenden Stier. Es war ein langer gleichmäßiger Atemzug, als müsste er sich für etwas Schweres wappnen. Den Blick senkend, stützte er sich mit den Ellenbogen auf den Knien ab.

Überlegte er, ob er mir etwas erzählen wollte, dachte ich.

„ Ich suche schon lange nach jemanden. Viel zu lange. Jede Enttäuschung nimmt mir ein Stück meiner Hoffnung und so langsam, glaube ich schon fast nicht mehr daran fündig zu werden. Es mag sich für dich übertrieben anhören aber es ist wichtig für mich und meine Familie, dass ich nicht allein wieder nach Hause komme.“, seine Stimme war so klar und ruhig, dass ich ihm noch Stunden hätte zuhören können, ungeachtet des Inhaltes.

„Du gehst wieder nach Hause? Ich dachte hier sei dein zu Hause?“

Er zuckte kurz mit den Schultern. „ Ich bin immer nur ein Reisender. Mich hält es nirgends lange. Ich setze nur überall meine Suche fort. Verläuft sie zu lange negativ, verschwinde ich wieder.“

„Suchst du dann wirklich nach der großen Liebe? Hört sich für mich eher an, wie jemand der nach Sammlerstücken Ausschau hält.“

Einen kurzen Moment schmunzelte er. „Ich bin einsam. Ich war es schon immer und vielleicht werde ich es auch immer bleiben. Also suche ich natürlich nach jemanden, der mich auf meinen Wegen endlich begleitet und mir die Nächte versüßt. Kommt dir das so seltsam vor? Wünschst du dir niemanden?“, fragte er und lächelte sanft.

„Doch schon aber ich würde nicht durch das Land ziehen und so akribisch nach demjenigen suchen.“

„Warum nicht? Was hält dich davon ab?“

„Ich habe Verpflichtungen und gar nicht das Geld ständig umher zu reisen.“, grinste ich verlegen und kam mir vor als würde ich einem kleinen Kind etwas vom echten Leben erzählen.

„Stell dir vor du hättest keinerlei andere Sorgen, wärest niemanden Rechenschaft schuldig und hättest genügend Geld um die Reisen zu bezahlen. Was wäre dann?“, neugierig schaute er mich von der Seite an und sein Blick war wieder ernst geworden.

„Ich glaube ich wäre sehr schnell sehr enttäuscht und würde aufgeben. Ich habe aber auch bei weitem nicht so viel Charisma und Mut wie du.“, flüsterte ich und schaute zu Boden. Plötzlich spürte ich seine Finger an meinem Kinn, wie sie meinen Kopf sanft zu sich drehten. Ich sah nur noch die großen türkisen Augen, ehe sich seine warmen Lippen auf die meinen legten und ich fast schon von selbst die Lieder schloss. Ein Prickeln überzog mein Gesicht und meine Hände wurden zittrig.

Seine Hand strich über meine Wange und fuhr durch meine Haare, ehe er meinen Nacken ergriff und meine Lippen fester an seine presste. Völlig machtlos ließ ich es geschehen und zuckte unmerklich zusammen, als ich seine Hand in meinem Rücken spürte, wie sie meinen Körper an ihn schob. Für den Bruchteil einer Sekunde spannten sich meine Muskeln und ich wollte mein Gleichgewicht halten. Seine weiche Zunge strich plötzlich über meine Lippen und ließ jede Anspannung verschwinden. Fast schon benommen kippte ich nach vorne und stützte mich mit den Händen auf seiner Brust ab. Selbst durch die dicke Jacke konnte ich noch deutlich das Muskelspiel unter meinen Fingern spuren und in meinem Inneren brannte der Wunsch, über seine gebräunte Haut zu streichen und die Konturen seines straffen Oberkörpers nachzuziehen. Es fühlte sich wie Feuer an, was von seinem Lippen übertragen wurde, über mein Gesicht fegte und durch meinen nunmehr geöffneten Mund bis zu meinem Herzen vordrang und alles mit einer Welle von glühender Leidenschaft überzog.

Seine Zunge liebkoste die meine. Ich musste einige Male leise Aufstöhnen als seine Hand plötzlich unter meinen Pullover kroch und sanft über meine Wirbel strich. Wie glühendes Metall spürte ich die Wege, die seine Fingerkuppen auf meiner Haut vollführten.

Langsam und vorsichtig als wolle er mich nicht aus einem Traum reißen, zog er sich wieder von mir zurück. Fast als wüsste er, wie es um meine Körperspannung nun stünde, hielt er mich weiter in seinem Arm.

„Das war mein erster Kuss.“, flüsterte ich fassungslos wie überwältigt.

„Ich wünschte ich könnte das Selbe behaupten Liebes“, hauchte er und gab mich nun aus seiner Umarmung frei. Langsam ließ er seinen Schädel rotieren, dass seine Halswirbel knackten und lehnte sich wieder zurück. Sein Blick glitt über das ruhige Wasser, während er fast automatisch in seine Jackentasche griff und die Schachtel Zigaretten heraus holte. Ein paar Sekunden später nebelte er die kleine Hütte mit grauen Rauchschwaden ein und atmete schwer ein und aus.

Das war es, dachte ich schockiert. Ein Kuss und er tat als wäre nichts gewesen. Irritiert blinzelte ich ihn an und fühlte mich immer mehr benutzt und beschämt.

„Was sollte das?“, fauchte ich und schlug ihm mit dem Handballen gegen den Oberarm.

Erschrocken riss er die Augen auf, als habe er schon vergessen, dass ich ebenfalls anwesend war. Mehrere Lidschläge blickte er mich nur stumm an, ehe er in mir bekannter Art und Weise antwortete:“ War ganz nett für das erste Mal. Noch ein bisschen Übung und du wirst zum richtigen Männerfresser.“

Ich erstarrte regelrecht vor Entsetzen und spürte wie meine Unterlippe zu beben begann. Das konnte er nicht ernst meinen. Dieser Kuss war so liebevoll und einfühlsam, dass konnte er niemals gespielt haben. Zumindest konnte ich das keinesfalls mit meinem Weltbild vereinbaren. So stumpf und oberflächlich konnte niemand sein.

„So machst du das also ja?“, schrie ich ihn an und mein unerwartet aufkeimender Zorn ließ mich die Hände ballen. „Du gibst dich als sensibel und zärtlich und wimmelst die Frauen dann mit deiner kalten unantastbaren Art ab? Du Heuchler! Der Kuss eben, dass war dein wahres Ich habe ich Recht? Stehe doch dazu und tue nicht so als wäre das nur dein Auswahlritual. Du kannst mir nicht erzählen, dass du nahtlos jede so küsst, wie mich gerade.“

„Doch. Eigentlich schon.“ Er blieb ganz locker und zündete sich direkt die zweite Zigarette an, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

„Lügner!“ Ich schlug ihm die Zigarette und das Feuerzeug aus der Hand. „Wenn es so wäre, würdest du nicht mit jeder meiner Behauptungen noch mehr abblocken.“

„Interpretierst du da nicht ein wenig zu viel rein?“, grinste er und nahm sich einfach die nächste Kippe, zündete sie an und pustete mir direkt ins Gesicht. Die türkisen Augen nicht von mir abwendend, registrierte er jede noch so kleine Bewegung von mir.

„Wie kann man nur so sein? So egoistisch“, zischte ich und schüttelte mit dem Kopf. Ich spürte wie mein Schädel zu glühen begann und mir die Tränen in die Augen schossen. Ich wollte nicht meinen ersten Kuss an so jemanden verschwendet haben. Warum hatte ich das nur zugelassen.

„Nicht weinen. Das ist gemein. Wenn ihr weint, seid ihr immer so niedlich“, säuselte er, ließ die Zigarette im Mund und wischte mir mit den Händen die Tropfen von den Wangen.

Eisiger Wind strich durch meine Haare und ließ mich schaudern. Es wollte sich einfach nicht in meinem Kopf festsetzen, dass das eben nichts weiter als eine Masche gewesen sein sollte. Mir war klar, dass er nicht in mich verliebt war aber dennoch mussten doch so etwas wie Zuneigung oder generell eine gewisse Anziehung vorhanden sein. Ich verstand es einfach nicht. Meiner Verwirrung die Krönung aufsetzend, tat ich schließlich etwas völlig Verrücktes. Mit beiden Händen griff ich nach seiner Jacke und zog ihn mit einem Ruck an mich heran. Unsere Lippen trafen sich so hart, dass ich erst dachte sie würden bluten. Matt legte sanft seine freie Hand auf meine Schulter und wollte mich behutsam von ihm weg drücken, doch ich ließ nicht locker. Wenn es wirklich bedeutungslos war, dann würde er das beenden, dessen war ich überzeugt. Ich ließ meinen Lippen ein wenig Platz zu seinen und begann vorsichtig mit meiner Zunge über die weiche zarte Haut zu streichen. Es roch nach Qualm aber das interessierte mich nicht. Vorsichtig glitten meine Schneidezähne über seine Oberlippe und zogen sanft an ihr. Eine meiner Hände wanderte langsam an seinem Hals hinauf, über den gespannten Nackenmuskel, bis hin zu seinen weichen Haaren. Ich vergrub meine Finger in ihnen und kreiste mit den Spitzen über seinen Kopf. Es dauerte seine Zeit aber nach und nach lockerte er sich, wollte mich nicht mehr von sich stoßen. Achtlos fiel die Zigarette aus seiner Hand zu Boden, er rutschte näher und umschlang mich nun vollständig mit seinen Armen, drückte mich an seinen Körper und atmete schwer aus.

Die Zeit stand still. Mein Kopf drehte sich. Gefühlte Stunden später, meinen Lippen waren bereits taub, lösten wir uns nur schwerfällig voneinander. Mittlerweile war ich mir gar nicht mehr sicher, wem ich da etwas beweisen wollte. Ich ließ mich etwas auf der Bank zurücksinken und wand mich vorsichtig von ihm ab. Mir war schwindelig und mein Magen fühlte sich wie ein krampfender Klumpen an.

„Es ist schon spät. Wir sollten gehen“, flüsterte er und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr zurück. „Außerdem treffe ich mich nachher noch mit Amber.“

„Oh bitte. Wirklich?“, resignierte ich und war verwundert, dass ich noch einen Ton von mir brachte.

„Was willst du von mir Beth?“, fragte er und stand auf. Seine Stimme hörte sich seltsam an. Irgendwie angespannt und beleidigt.

„Ich will, dass du dir eingestehst, dass das nicht einfach nur ein Spiel für dich ist. Du hast etwas dabei empfunden. Da war Leidenschaft.“

„Natürlich war da Leidenschaft. Meine Güte, Beth. Was ist denn nicht richtig mit dir?“, schnaubte er und wirkte genervt. „Versuchst du jetzt zwanghaft mir weiß zu machen, dass ich was für dich zu empfinden habe, weil ich dich geküsst habe?“

„Nein. So war das nicht gemeint.“

„Doch. Genau so.“

„Vielleicht will ich einfach nur nicht als unbrauchbar betrachtet werden“, flüsterte ich und blickte von ihm weg.

„Hörst du eigentlich, was du da redest?“, sagte er und kam auf mich zu. „Ich suche nach jemandem an meiner Seite. Wieso sollte ich das nicht damit testen, denjenigen zu küssen. Es ist etwas Intimes und gibt mir am ehesten Aufschluss darüber ob ich jemanden mag oder nicht. Setze das doch nicht so leichtfertig mit Gefühlen gleich.“

„Du lügst.“, antwortete ich trocken. Ich wusste nicht warum ich so überzeugt davon war. Irgendetwas an ihm passte nicht zu dem was er sagte. „Was suchst du wirklich?“

„Was meinst du damit?“, fragte er und runzelte die Stirn. Doch da war noch etwas anderes, Misstrauen legte seine Stirn in Falten.

„Du suchst doch gar nicht nach der großen Liebe. Das ist ein Vorwand. Wonach suchst du wirklich?“

„Das… was… wovon redest du denn?“

„Wonach suchst du Matt?“

Sekundenlang starrte er mich an. Die strahlenden Augen bohrten sich bis in die Abgründe meiner Seele und hinter seiner Stirn schienen die Gedanken Achterbahn zu fahren.

„Das kann ich dir nicht erklären.“, flüsterte er und wand sich schließlich ab. Er seufzte und strich sich durch die Haare. Ich weiß nicht was ich getan hatte aber er schien wie gebrochen. Sein Gesicht wirkte schlagartig um Jahre gealtert und seine Fassade des strahlenden selbstsicheren Egoisten bröckelte. Ich hatte Recht. Das Pokerspiel hatte ich gewonnen und tatsächlich Recht mit meiner Vermutung. Ich konnte es gar nicht fassen.

Vorsichtig rutschte ich an ihn heran und schaute von unten zu ihm hinauf. „Das musst du auch nicht. Aber tue nicht mehr so als wäre dir alles egal. Das mag ich nicht.“, lächelte ich und versuchte zu verstehen, was ich da gerade bei ihm ausgelöst hatte.

Wir machten uns auf den Heimweg. Er sagte nichts mehr und rauchte nur eine Zigarette nach der anderen. Dennoch wirkte er verändert. Ich hatte das Gefühl sein wahres Gesicht gesehen zu haben. Ich verstand nur nicht warum er sich hinter einer Maske versteckte. Der Abschied war kurz und ohne irgendeinen Körperkontakt. Ich war mir sicher, dass mich Matt nun nicht mal mehr eines Blickes würdigen würde.

Am nächsten Tag fühlte ich mich seltsam erquickt. Selten hatte ich so gut und tief geschlafen und kein Traum hatte mich an meinem Verstand zweifeln lassen. Genüsslich streckte ich mich unter der Bettdecke und stand auf. Als ich mein Nachthemd auszog spürte ich jedoch ein Spannen auf meinem Rücken. Die Stirn runzelnd stellte ich mich vor den Spiegel und versuchte meinen Rücken zu begutachten. Mir den Kopf halb verrenkend, glaubte ich rosa schimmernde Striemen im Lendenbereich zu erkennen. Vorsichtig strich über die Stellen. Sie brannten nicht und taten nicht weh, eigentlich spürte ich sie mit den bloßen Händen überhaupt nicht. Um sicher zu gehen machte ich mit meinem Handy ein improvisiertes Foto davon. Es war leicht verwackelt und schief aber das erklärte nicht, warum ich auf dem Handydisplay die Streifen nicht sah. Ich zoomte an die Stelle meines Rückens und konnte nichts erkennen, außer makelloser Haut. Irritiert schüttelte ich kurz den Kopf und rieb mir über die Augen. War ich doch so müde, dass ich noch nicht richtig sehen konnte, dachte ich und schaute wieder in den Spiegel. Da waren sie, feine rötliche Linien, die je länger ich sie betrachtete, fast wie eine fremdartige Schrift an meiner Wirbelsäule entlang gingen.

„Das ist doch ein schlechter Scherz“, ärgerte ich mich und lag das Handy beiseite. Ich versuchte den Gedanken abzuschütteln und machte mich stattdessen fertig für die Schule. Vielleicht stand das Licht einfach seltsam im Zimmer oder ich war noch nicht wach. Wer wusste das schon.

Feiner Pulverschnee rieselte von den Dächern, auf dem Weg zur Schule. Der Wind war frisch aber nicht so eisig, wie noch am Abend zuvor. Ich summte leise ein Lied als ich die Schule betrat und mir einen Weg durch die vollen Gänge bahnte. Der Trubel tat mir zum ersten Mal seit Monaten wieder richtig gut und ich hatte nicht das Gefühl, von den Massen erdrückt zu werden. Freundlich lächelnd schlenderte ich in mein Klassenzimmer und schritt die Stufen bis zu meinem Platz hinauf. Matt war bereits da und hatte die Ellenbogen auf dem Tisch platziert um seinen müden Kopf zu stützen.

„War wohl eine anstrengende Nacht mit Amber“, witzelte ich trocken und setzte mich. Beiläufig kramte ich meine Sachen für den kommenden Mathematikunterricht hervor.

„Interessiert dich das wirklich oder machst du dich nur über mich lustig?“, fragte er knurrig ohne mich eines Blickes zu würdigen.

„Vielleicht von beidem etwas.“

„Ich hab ihr abgesagt.“

Ich stockte und musste mich zusammenreißen nicht in der Position zu verharren. Hastig kramte ich weiter und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. „Wie kam das?“

„Ich war müde und hatte keine Lust mehr darauf ausgequetscht zu werden“, brummte er und schielte mich nun von der Seite an. „Was machst du heute noch?“

„Wieso fragst du?“, meinte ich und wollte desinteressiert klingen, dennoch musste es ihm nicht entgangen sein, dass meine Stimme einen kleinen Hüpfer machte. Wieso fragte er mich das, dachte ich irritiert. Hatte er nicht genug von mir, dank dem gestrigen Abend.

„Es ist anstrengend immer wieder mit fremden Menschen etwas zu unternehmen. Ab und an mal an etwas alten anzuknüpfen schadet nicht und bei dir kann ich mir sicher sein, dass ich nicht vor Verlangen zergehen werde, um dich ins Bett zu bekommen.“

Ich rollte mit den Augen. Irgendwie hätte ich mit so einer Antwort rechnen müssen. „Warum sollte ich mich dann noch einmal mit dir treffen, wenn du schon so nett von mir denkst?“, fragte ich und schepperte etwas zu laut meine Federmappe auf den Tisch. Ein paar der Anderen drehten sich verwundert um.

„Stört es dich, dass ich nicht mit dir schlafen will? Sei doch einmal nicht so verdreht und denk wie ein normaler Mensch. Nanuk wollte dich doch auch nicht rum kriegen oder irre ich mich da? Ich will einfach nur nicht jeden Abend allein rum sitzen. Warum also nicht mit jemanden einen Film gucken oder so.“

„Du bist nicht allein. Du hast jeden Abend eine andere Frau, bei deiner völlig verrückten Suche nach was auch immer“, giftete ich und spürte, wie sich meine Eingeweide verdrehten, als er seinen Namen sagte. Natürlich wollte Nanuk das nicht, zumindest hatte er nie irgendwelche Anstalten in die Richtung getätigt. Wir waren Freunde und nichts weiter. Matt konnte nicht wirklich glauben, dass ich ihm die freundliche Art glaubte.

„Jetzt zier dich nicht so. Ich komme heute Abend rum und wir gucken einen netten Film. Du darfst auch einen Aussuchen. Und ich hab noch eine Idee. Damit du Ruhe gibst und mich, was das angeht, in Frieden lässt“, er brach beim letzten Satz ab, beugte sich vor und küsste mich unvermittelt. Das Rumoren in der Klasse war schlagartig still und man hätte eine Stecknadel aufprallen hören können. Sofort begann mein Herz zu rasen. Der Kuss dauerte nicht lange aber lange genug, um mir wieder den Schwindel in den Kopf zu treiben.

„Bist du verrückt?“, zischte ich mit hochrotem Kopf und versuchte die Menschen um uns herum so gut es ging auszublenden. Was ziemlich schwierig war, denn sie alle starrten uns an.

„Jetzt denken alle du bist meine Freundin. Niemand wird dich mehr wegen Nanuk nerven und ich kann mit keiner deiner Freundinnen mehr ausgehen, ohne als der böse Freund der fremdgeht dazustehen. Zufrieden?“, grinste er breit und seine Augen funkelten mich an.

„Und was ist mit deiner Suche? Das macht doch gar keinen Sinn?“, fragte ich vollends verwirrt.

„Ich glaube ich werde hier nicht fündig aber vielleicht ist es an der Zeit mal etwas länger an einem Ort zu bleiben“, lächelte er und wand den Blick ab. Matts Mimik verfinsterte sich. Es sah aus als habe er mit dieser Entscheidung etwas unvorstellbar Schweres hinter sich gebracht. Ein schwerer Atemzug verließ seine Kehle und die Leichtigkeit mit der er mich geküsst hatte war verschwunden.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte ich und legte eine Hand auf seinen Unterarm. Er zuckte kurz zusammen und blickte wieder zu mir auf.

„Natürlich“, antwortete er trocken ohne sein Gesicht zu verziehen. Ich glaubte ihm kein Wort. Ich sollte völlig verdreht sein aber was war er dann, fragte ich mich.

Der restliche Tag war wie ein Spießrutenlauf. In der ersten großen Pause kam Grace sofort auf mich zu und zerrte mich auf den Gang hinaus. Matt grinste nur selbstzufrieden auf die Klasse herab und ignorierte alle die ihn ansprachen.

„Was war das?“, fragte sie aufgebracht und packte mich an den Schultern, um mich grob zu schütteln.

„Das tut weh“, protestierte ich und versuchte mich aus ihrem Griff zu befreien. „Ich weiß nicht was das sollte. Glaubst du ich hab das mit ihm abgesprochen?“

„Ihr habt euch doch gestern getroffen? Was ist da passiert? Seid ihr jetzt zusammen? Wieso erzählst du mir nichts davon?“ Sie war völlig außer sich und ihre Stimme überschlug sich fast.

„Grace. Beruhige dich. Ich weiß wirklich nicht was das sollte. Ich scheine jetzt irgendwie sein Alibi zu sein, damit ihn alle anderen in Ruhe lassen.“, schmunzelte ich und wusste noch nicht so recht, wie ich auf die Situation reagieren sollte. Grace löcherte mich unentwegt mit weiteren Fragen und verstand das alles deutlich weniger. Noch vor ein paar Tagen war mir Matt regelrecht zu wieder und nun saß ich neben ihm auf meinem Platz und ertappte mich dabei, wie ich ihn von der Seite anschmachtete. Ich musste es noch nicht mal mehr heimlich tun, da uns nun alle für ein Pärchen hielten.

Der Gong des Schulschlusses war wie eine Erlösung. Hastig kramte ich meine Sachen zusammen, sprintete die Stufen wieder hinunter und ging schnellen Schrittes Heim. Vor der Haustür blieb ich stehen. Mikesch schnurrte schon um meine Beine und bat um Einlass. Der Schlüssel passte nur widerspenstig ins Schloss. Ich musste wohl mal wieder den Zylinder enteisen, dachte ich und ließ die Katze ins Innere. Seufzend stellte ich den Rucksack in den Flur und nahm mir den Wäschekorb stattdessen, um von draußen Holz zu holen.

In Gedanken stapfte ich durch den Schnee ums Haus zu unserem kleinen Holzschuppen. Der Tag war so aufwühlend, dass es mir schwer fiel meine Gefühle irgendwie zu sortieren. Der Korb war bereits mehr als voll. Ich verzog meinen Mund vor Ärger und nahm wieder ein paar Scheite herunter, da ich so viel nie alleine wieder ins Haus getragen bekam. Polternd fiel ein Stück Holz herunter und kullerte über die Teils gefrorene Schneedecke. Mein Blick folgte diesem automatisch und stoppte als der Brocken inmitten einer Schuhspur zum Stillstand kam. Sekundenlang starrte ich die Spur an und musste mehrmals Blinzeln, bis ich begriff, dass jemand in unserem Garten gewesen sein musste. Ich wusste das gestern das komplette Grundstück unter einer unberührten Schneedecke vergraben war. Die Spur war frisch. Ich folgte den Schritten mit meinem Blick. Sie führten den Hang hinauf, in den Wald hinter unserem Haus. Direkt an dem Baum, wo ich den Schatten gesehen hatte, verschwanden sie zwischen den knorrigen Stämmen.

Ich überlegte nicht lange, zog mir die Kapuze meines Parkers über den Kopf und ging los. Meine Schuhe versanken bis über die Knöchel im Schnee und der Weg den Hang hinauf war mühsam. Je höher ich kam, desto mehr begann der Wind an meiner Kapuze zu zerren. Ich schüttelte mich vor Kälte und freute mich schon auf den warmen Kaminofen. Mit jedem Schritt schaute ich mich genauer um und stellte fest, dass es lediglich Spuren gab, die in den Wald hinein führte aber nicht zum Haus. Vielleicht war es nur irgendjemand, der unseren Garten als Abkürzung benutzt hatte, dachte ich und spürte wie die andere Hälfte meines Kopfes der Meinung war, dass es der Schatten war. Der Waldrand bot ein wenig Schutz vor dem kalten Wind. Ich schaute mich um. Die Spuren verschwanden nach ein paar Schritten, als habe sich derjenige in Luft aufgelöst. Es gab nichts, dass sonst irgendwie seltsam aussah, aufgewühlter Schnee oder abgebrochene Äste. In Gedanken strich ich über die raue alte Rinde der Kiefer neben mir. Meine Finger waren schon so kalt, dass ich die Berührung kaum spürte. Langsam sog ich die Luft ein und atmete schwer wieder aus. Ich jagte Gespenstern nach, dachte ich enttäuscht von mir selbst. Das musste aufhören. Aus meiner Gesäßtasche kramte ich mit klammen Händen meine Geldbörse hervor. In diesem Bereich war ich altmodisch. Fotos von Familie und engen Freunden trug ich immer bei mir. Ich klappte das Leder auf und starrte direkt auf ein Bild von Nanuk und mir vom letzten Sommer. Wir waren in die Stadt gefahren und hatten uns in der Bibliothek herum getrieben. Ich hatte ein altes in Leder gebundenes Buch gefunden, welches über alte Sekten und elitäre Gruppierungen berichtete. Ein paar Seiten durchblätternd fand ich eine alte Aufnahme von einem Anhänger der Gemeinschaft der Pforten. Der Mann war etwas älter und hatte ein paar Falten aber er sah Nanuk zum Verwechseln ähnlich. Er war peinlich berührt und fast schockiert, als ich ihm das Bild unter die Nase hielt und in einem unaufmerksamen Moment machte ich ein Foto von ihm mit der Aufnahme. Ich schmunzelte. Er hatte sich fürchterlich über das Bild geärgert. Das war nun vorbei, dachte ich und kniete mich nieder. Zwischen den Wurzeln lag ein größerer Stein. Mühsam fummelte ich ihn aus dem Geflecht hervor und legte das Bild in die Mulde.

„Es tut mir Leid aber ich kann das nicht mehr“, flüsterte ich und warf einen letzten Blick auf das Bild, ehe ich den Stein wieder an seinen Platz setzte.

„Du darfst ihm nicht trauen.“ Ein Flüstern.

Ich sah auf und schaute mich um. Niemand war zu sehen.

„Er ist gefährlich für dich.“ Es war wie ein Surren in der Luft, dass nur schwer eine Tonlage erreichte, um deutlich hörbar zu sein, als müsste sich die Stimme durch etwas hindurch kämpfen.

„Wer ist da?“, fragte ich leise und rührte mich nicht.

„Er sucht nach dir. Er hat dich bereits markiert.“

Plötzlich begann es auf meinem Rücken zu brennen wie Feuer. Die Linien, die ich heute früh gesehen hatte, fühlten sich an als würde sie mein Fleisch versengen. Ich schrie auf und sackte in den kalten Schnee, krümmte mich vor Schmerzen.

„Du musst dich von ihm fern halten.“

„Lass mich in Ruhe. Hör damit auf“, schrie ich und wand mich im Schnee hin und her. Es tat so schrecklich weh.

„Vertrau ihm nicht.“, zischte der Wind und ebbte schließlich ab. Der Schmerz war schlagartig verschwunden. Benommen und mit aufgerissenen Augen lag ich im Schnee, keuchte und starrte in den Himmel, unfähig mich zu rühren. Der Stoff auf meinem Rücken klebte auf der Haut und die Linien fühlten sich nass und sengend an.

Zeichen des Verrats

„Beth?!“ Die Stimme hörte sich weit entfernt an. Ich erkannte sie nicht. „Wo bist du?“

Ich wollte antworten aber kein Ton verließ meine Kehle. Es kostete mich jeden Funken Willen, den ich aufbringen konnte, um meinen halb tauben Arm zu heben. Vielleicht konnte ich mich so irgendwie bemerkbar machen. Meine Knochen waren steif und ich spürte meine Beine und meinen Rücken kaum noch.

„Beth. Um Himmels Willen. Was ist passiert?“, rief Matt und er klang ernsthaft besorgt. Ich hörte den Schnee unter seinen hastigen Sprüngen den Hang hinauf knirschen. Es war mir nicht möglich meinen Kopf zu drehen, alles war kalt und schmerzte.

„Was machst du hier?“, fragte er, als plötzlich sein besorgtes Gesicht über mir auftauchte. Sofort zog er seine Jacke aus und legte sie über mich. Vorsichtig richtete er mich auf und nahm mich ohne weitere Umschweife auf den Arm. Der Abstieg war holprig und einige Momente dachte ich wir würden stürzen. Matt schaffte es schließlich mich ins Haus zu schaffen. Er legte mich behutsam auf das Sofa und kramte sofort alle möglichen Decken zusammen, die er fand und wickelte mich in sie ein. Ganz langsam streifte er mir die Stiefel von den Füßen. Jede Bewegung ließ mich Stöhnen. Es fühlte sich an, als würde er jeden Knochen brechen müssen, um mich bewegen zu können.

„Was hast du da oben gemacht? Wolltest du ein Schläfchen machen?“, fragte er und zwang sich ein Grinsen auf die Lippen aber ich wusste es besser. Er sah alarmiert aus. Seine Augen flackerten angespannt. Hastig schmiss er Papier und Rindenstücke in den Kamin und zerbrach unzählige Streichhölzer, bis er endlich ein Feuer entfacht hatte.

„Matt“, meine Stimme zitterte, hörte sich gebrechlich und alt an.

„Ja“, antwortete er schlagartig und war mit einem Satz bei mir. „Was möchtest du?“

„Es ist alles gut“, flüsterte ich.

„Alles gut? Willst du mich verarschen? Du hast scheinbar stundenlang in der Kälte gelegen. Du bist völlig unterkühlt. Was hast du bloß da draußen gemacht?“, raunte er und warf hastig Holzscheite in das aufflackernde Feuer, ehe er zu mir aufs Sofa zurückkam. Seufzend setzte er sich neben mich und zog mich an sich, in seine Arme. „Soll ich dir vielleicht ein Bad einlassen? Irgendwie müssen wir dich wieder warm kriegen.“

„Mir würde da schon was einfallen“, grinste ich in die Decke hinein, die ich mir vors Gesicht geschoben hatte.

„Solche Töne hätte ich jetzt aber gar nicht von dir erwartet. Ich lass dir erst mal ein Bad ein. Und wenn dein Kopf wieder aufgetaut ist reden wir weiter“, grinste er amüsiert und ließ mich unter dem Berg von Stoff zurück. In meinen Händen und Füßen begann es zu kribbeln. Aus dem oberen Geschoss hörte ich Wasser rauschen. Ob er das wohl ernst gemeint hatte, dass er nicht mit mir schlafen würde, dachte ich insgeheim. Nur mit ausreichend Beherrschung schaffte ich es meine Gedanken wieder von diesem Thema wegzulenken.

„Kannst du die Treppe alleine hoch gehen oder soll ich dich tragen?“, fragte er.

„Es wird schon gehen“, meinte ich und zwang mich vom Sofa aufzustehen. Ich war noch sehr wackelig auf den Beinen aber schaffte es bis ins Badezimmer hinauf. „Ab hier krieg ich das allein hin“, grinste ich und schob die Tür hinter mir zu.

„Natürlich“, antwortete er und drehte sich süffisant lächelnd auf dem Absatz um. „Ich kümmere mich unten um den Ofen und mache dir mal einen Tee was“

Wie in Zeitlupe legte ich die einzelnen Kleidungsstücke ab. Meine Bewegungen waren noch immer sehr schwerfällig und kosteten mich viel Kraft. Das heiße Wasser brannte auf meiner Haut, ehe sie sich langsam erwärmte. Ich ließ mich bis zur Nasenspitze in den Schaum hinab gleiten. Es dauerte keine Ewigkeiten und ich war in der Wanne eingeschlafen.

„Hey Dornröschen. Glaub nicht, dass ich dich wach küssen werde. Das waren genug Küsse für die letzten paar Tage.“

Erschrocken blinzelte ich mir den Schaum aus den Augen und fuhr hoch.

„Wie lange war ich weg?“, fragte ich benommen und blickte auf. Matt stand vor der Wanne, die Ärmel hoch gekrempelt und hielt mir ein Handtuch hin. Den Kopf abgewandt und die Augen geschlossen, wartete er.

Mühsam erhob ich mich aus dem Wasser und wickelte mich in das Handtuch. Es war sogar schon vorgewärmt. Ein Schmunzeln huschte über meine Lippen. So viel Mitgefühl hätte ich ihm gar nicht zugestanden.

„Nicht lange. Vielleicht zwanzig Minuten. Hoffe es geht dir jetzt besser.“, sagte er und schielte mich von der Seite an. „Komm runter, wenn du hier fertig bist.“

Die Stufen knirschten unter seinen Schritten und ich hörte wie er in die Küche ging und dort mit Geschirr klimperte. Ich schnappte mir aus meinem Zimmer einen bequemen Pullover und eine lockere Jeans. Der Drang mich ihm gegenüber besonders schick darzustellen, ging gegen null und er wollte ja schließlich nichts von mir.

In der Stube stand bereits eine dampfende Kanne Tee. Der Geruch von Kräutern und Honig lag in der Luft, während im Kamin Holz unter den Flammen knisterte und eine wohlige Wärme verbreitete. Seufzend ließ ich mich wieder auf das Sofa fallen, wo noch immer der Berg aus Decken thronte. Es war lange her, dass ich mich so umsorgt fühlte. Grace gab sich immer Mühe für mich da zu sein aber es war irgendwie anders, freundschaftlicher. Matt umgab eine Aura von Versuchung und Geheimnissen. Schwer zu sagen ob es überhaupt eine Frau gab, die sich solch einer Aura entziehen konnte. Ich hörte seine Schritte hinter mir. Er hatte eine Dosensuppe warm gemacht und stellte mir das Tablett mit dem Teller auf den Couchtisch.

„Ich dachte etwas Stärkung wäre nicht verkehrt.“

„Du bist ja fast besser als jeder Butler. Kann ich dich auf Dauer buchen?“, witzelte ich und nahm mir die Schüssel, um vorsichtig die Hühnerbrühe zu löffeln.

„Den Preis dafür könntest du nicht zahlen“, grinste er und nahm neben mir Platz.

„Woher willst du das wissen? Vielleicht hab ich ja ein kleines Vermögen auf meinem Sparbuch.“

„Wieso sollte ich Geld haben wollen, wenn es etwas viel wertvolleres von dir zu holen gibt?“, sein Grinsen wurde breiter, fast schon diabolisch.

„Und was sollte das sein?“

„Du sagtest es war dein erster Kuss. Bedeutet du hast noch deine Unschuld oder irre ich mich da?“

Ich verschluckte mich fast und musste Husten. „Du hast gesagt du schläfst keinesfalls mit mir“, raunte ich und hoffte er würde es bejahen. Ständig mit dem Gedanken oder besser gesagt der Hoffnung zu leben, er würde mehr in mir sehen als einen netten Zeitvertreib, würde ich nicht ertragen.

„Stimmt auch wieder“, antwortete er und zuckte mit den Schultern.

Erleichtert atmete ich aus und aß weiter. Ein komisches Gefühl in der Magengegend jedoch blieb.

Tief Luft holend lehnte er sich zurück und schien sich keineswegs daran zu stören, dass außer dem Knacken im Kamin und meinem Schmatzen nichts weiter zu hören war. Entspannt schloss er die Augen und sein Kopf fiel zurück auf die Sofalehne.

„Wird wohl doch nichts mehr mit dem Film heute was?“, grinste ich und stupste ihn sanft in die Seite.

„Nicht frech werden Madame. Willst du denn noch was gucken?“, fragte er und schielte mich aus halb geöffneten Augen an.

„Muss ich nicht. Du kannst mir auch einfach ein wenig über dich erzählen.“

„Da gibt es nicht viel.“

„Natürlich nicht“, lachte ich. „Das ist auch die Standard Antwort. Komm schon. Woher bist du? Was magst du so? Was willst du mal werden?“

„Die Vergangenheit ist nicht wichtig. Was ich hier mache, dass weißt du bereits und Pläne für die Zukunft habe ich keine.“, sagte er trocken.

„Glaubst du damit kannst du mich abspeisen? Das ist aber ein erbärmlicher Versuch. Ich lass dich heute noch damit durchkommen aber ich werde wieder fragen. Das verspreche ich dir.“

„Ja ich befürchtete so etwas.“, lachte er. Ohne das ich etwas sagen musste, stand er auf und legte Holz nach. Es war schon zehn und so langsam fragte ich mich, ob er vor hatte hier zu schlafen.

„Gut. Eine andere Frage. Warum ich?“ Ich zog eine Augenbraue hoch und beobachtete ihn von der Seite. Er verzog keine Miene und setzte sich wieder aufs Sofa.

„Ich gehe davon aus, dass du die Frage darauf beziehst, dass ich mich entschieden habe mit dir befreundet zu sein. In Anbetracht meines bisherigen Auftretens eine berechtigte Frage“, murmelte er mehr für sich und nickte anerkennend. „Warum du? Ich denke weil du so völlig verdreht bist, dass es dir vielleicht mal gut tun würde mit jemand Normalen Zeit zu verbringen. Und wer weiß…“, er stockte kurz und wandte seinen Blick zu mir, ehe er weitersprach:“ Vielleicht mögen wir uns irgendwann sogar.“

„Solange willst du doch gar nicht warten. Das könnte ewig dauern, bis ich dich tatsächlich leiden kann“, witzelte ich. Gemächlich schlich sich die Müdigkeit in meine Glieder. Sekundenschlaf stellte sich ein und die Kälte forderte ihren Tribut. Mein Körper wollte Ruhe. Matt war nicht blind und räumte schon einmal das Geschirr vom Tisch ab.

„Ruhe dich aus. Ich werde mich mal auf den Heimweg machen“, lächelte er und wuschelte mir durch meine Haare.

Knurrig versuchte ich den Kopf weg zu drehen. Sobald ich müde wurde, war ich nichts weiter als eine grantige Ziege. „Ja. Ich werde wohl mal schlafen gehen“, bestätigte ich murrend.

Matt machte kein Drama aus dem Abschied und schnappte sich nur seine Jacke, wünschte mir eine angenehme Nacht und war auch schon aus der Haustür verschwunden. Das war definitiv der Vorteil an Männern. Grace hätte noch endlos viele andere Dinge gefunden, über die sie hätte berichten können. War sie zu Besuch, musste ich sie regelrecht aus dem Haus schmeißen.

Abermals hatte sich etwas Grundlegendes in meinem Leben geändert. Ein neuer Freund war hinzugekommen. Zu Grace Leidwesen hatte es Matt tatsächlich ernst gemeint. Er bändelte nicht mehr am laufenden Band mit Frauen an und schien zufrieden damit zu sein, ein ganz normales Leben in der Schule zu führen und sich in seiner Freizeit größtenteils mit mir zu treffen. Natürlich war da noch immer ein aufregendes Kribbeln in meiner Magengegend, wenn er bei mir war aber es machte mich bei weitem nicht mehr so nervös. Es fühlte sich eher wie eine angenehme elektrisierende Energie an, die mich anspornte und glücklich machte.

Die Wochen verstrichen und endlich zog der Frühling ins Land. Die Wälder färbten sich giftgrün und in den Vorgärten schossen Krokusse und andere Frühblüher aus dem Boden. Mittlerweile waren wir zu einer richtigen Gruppe zusammen gewachsen. Wir gingen mit Grace und den anderen ins Kino, auf Partys und fuhren in der Gegend rum. Ich war wieder munter und verspürte keinerlei Rückfälle. Kein Arzt konnte sich erklären, was mit mir los war aber alle waren glücklich, dass es nun zu Ende war. Die seltsamen Spuren auf meinem Rücken jedoch blieben. Manchmal wenn ich morgens wach wurde, schimmerten sie sacht und ich hatte versucht, die feinen Linien und Male einer Sprache zuzuordnen aber ohne Erfolg. Also beließ ich es dabei und wollte mich nicht weiter verrückt machen.

Matt und ich verstanden uns wunderbar, auch wenn er nie wirklich viel über sich preisgab. Grace hing mir alle paar Tage in den Ohren, wann wir uns endlich eingestanden, dass wir ein Paar waren und jedes Mal wieder belehrte ich sie eines Besseren. Wie Grace aber nun einmal war, interessierte sie das kein Stück.

Vor einer Weile noch hätte ich es niemals zugegeben aber ich vermisste meine seltsamen Träume. Sie kamen nicht mehr. Keine schwarzen Hengste, keine seltsamen Magier oder leidenschaftliche Begegnungen mit Männern, die ich nicht kannte. Manchmal hatte ich das Gefühl mein Verstand versuchte im Schlaf in die Welten hinab zu tauchen aber irgendetwas versperrte mir den Zutritt. Ich träumte von einer riesigen bernsteinfarbenen Tür. Sie war sicherlich drei Meter hoch und genauso breit. In den beiden Türflügeln waren Bilder eingraviert, von zwei Kriegern mit überkreuzten Lanzen, fast wie Wächter, die einem den Zugang verwehrten. Jedes Mal wenn ich nach den schweren metallenen Türbeschlägen greifen wollte, schien mich eine grobe Hand an der Schulter zu packen und zurück zu reißen.

An dunklen einsamen Tagen dachte ich über das Geschehen am Waldrand nach. Ob ich es mir eingebildet hatte oder es nur ein Traum war. Ich fand keine Antwort darauf und beließ es irgendwann dabei. Zu lange hatte ich mich mit allerlei Dingen gequält und keine Ruhe gefunden. Das sollte nun zu Ende sein.

Mein Vater war mittlerweile dauerhaft auf Geschäftsreisen und meinte nur knapp zu mir, dass ich ja schon groß sei und gut allein zurecht käme. Er schickte Umschläge mit Geld und Andenken aus anderen Ländern. Ich begann langsam zu vergessen, wie seine Anzüge nach Waschmittel rochen und wie er mit dreckigen Händen im Garten Blumenzwiebeln eingrub. Vielleicht hatte er nur darauf gewartet, dass ich wieder gesund wurde und er sich voll in seine Arbeit stürzen konnte. Ich wünschte er würde sich trotzdessen öfter melden und mir nicht das Gefühl geben, unwichtig zu sein. Ich wusste er meinte es nicht böse. Er vergaß es einfach.

„Beth? Bist du da? Die Tür steht offen.“

„Ja. Komm rein. Ich bin in der Küche“, antwortete ich und füllte den Wasserkocher wieder auf. Sanft drückten sich seine weichen Lippen auf meine Wange. Die türkisen Augen strahlten mich an.

„Was steht heute an?“, fragte er und schnappte sich einen Stuhl um darauf Platz zu nehmen. Kaum das es ein paar Grad wärmer wurde, sah man Matt nur noch in eng anliegenden Shirts rum laufen, wo alle anderen noch Pullover trugen.

„Grace trifft die letzten Vorbereitungen für den Frühlingsball. Ich dachte wir helfen ihr dabei?“

„Meinst du nicht sie kann das allein besser? Ich stehe nur wieder im Weg rum und werde von ihr angezählt“, meinte er und legte die Stirn in Falten. Ich schenkte ihm eine Tasse Tee ein und stellte sie auf den Tisch, ehe ich auf dem freien Stuhl neben ihm Platz nahm. Er starrte aus dem Fenster ins Leere und ein merkwürdiger Schleier hatte sich über sein Gesicht gelegt. Sekundenlang rührte er sich nicht. Etwas war anders.

„Ist alles gut bei dir?“, fragte ich.

„Nein.“

„Was ist los?“

„Das ist nicht so einfach.“

„Es ist nie einfach“, lachte ich. „Also erzähle schon. Was hast du für gravierende Probleme.“

„Ich werde bald gehen müssen.“

„Wie meinst du das? Hast du keine Arbeit in der Nähe gefunden? Du hast doch gute Noten. Warum suchst du nicht einen Studienplatz in der Universität in der Stadt.“

„So ist das nicht. Ich hab mir vorgenommen, dass Schuljahr zu beenden und dann zu gehen. Ich bin schon zu lange von zu Hause weg. Meine Familie braucht mich.“

„Was redest du denn da? Du bist doch hier zu Hause. Ich dachte diese Phase deines Lebens hättest du hinter dir gelassen“, sagte ich bestürzt und wusste nichts mit seinen Aussagen anzufangen. Sie trafen mich wie ein Schlag. Monatelang hatte ich versucht mehr über ihn zu erfahren aber immer nur schwieg er und nun wollte er einfach wieder gehen.

Matt fuhr sich durch seine Haare und leckte angespannt über seine Lippen. „Es geht einfach nicht.“

„Und was ist mit den Menschen hier? Bedeuten sie dir nichts? Bedeute ich dir nichts?“, flüsterte ich und spürte, wie mir das Wasser in die Augen schoss.

Langsam stand er auf und schritt zur Terrassentür. Stumm blickte er in den Garten hinaus. Er atmete schwer. Das weiße Shirt spannte sich über seinen breiten Schultern. In seinem Nacken erkannte ich feine Linien, die sich bei näherer Betrachtung als Narben entpuppten. Ich hatte keine Ahnung, was er in seinem Leben durchgemacht hatte aber ich hatte das Gefühl hier war er glücklich. Wenn er das selbst schon nicht einsah, dann musste ich ihm das eben klar machen.

„Matt du gehörst hier her. Die Leute mögen dich und du bist gern hier.“, sagte ich und stand ebenfalls auf. Vorsichtig näherte ich mich ihm. Ohne darüber nachzudenken, legte ich eine Hand auf seinen Rücken und hatte das Gefühl er würde unter der Berührung zusammen zucken.

„Das ist ja das Problem“, flüsterte er.

Unter meiner Hand spürte ich das Muskelspiel, während er sich zu mir herum drehte. Uns trennte nur eine Handbreit. Sein Blick durchdrang mich und gab meinem Herz einen Schlag. Von jetzt auf gleich begann es zu rasen und ich hatte Mühe meine Atmung zu regulieren.

„Wenn ich noch länger bleibe, werde ich dich nicht mehr vergessen können“, hauchte er und seine Nase berührte sacht die meine. Ich konnte nicht anders als den Kopf zu heben und den Kontakt zu seinen Lippen zu suchen. Es war gefühlt ewig her, dass wir uns geküsst hatten und dennoch kam es mir nun vor, als wäre es erst gestern gewesen. Ein elektrisierender Stoß jagte durch meine Glieder und ließ mich erzittern. Mit einem Ruck hatte er mich mit seinen kräftigen Armen umschlungen. Der Kuss war nicht sanft, nicht liebevoll. Fordernd und mit einer Begierde nach mehr drückte er mich an sich. Seine Hände hoben mich mit einem Ruck hoch und noch ehe ich mich besann was geschah, hörte ich die knirschenden Stufen unter seinen Schritten, hinauf in mein Zimmer.
 

„Beth?“, fragte er und die Stimme drang nur leise zu mir hindurch. „Ich glaube es ist genug Wasser.“ Er lachte und stand auf.

Erschrocken fuhr ich zusammen und starrte auf die Teetasse vor mir. Den Großteil des heißen Wassers hatte ich daneben geschüttet. Es rann bereits von der Arbeitsplatte auf die Schranktüren hinunter. Ich fluchte innerlich und spürte, dass mein Gesicht knallrot angelaufen war. Peinlich berührt wischte ich das Wasser weg und hörte wie er hinter mich trat.

„Warst du wieder in Gedanken ja“, grinste er und nahm sich einen Lappen um mir zu helfen. „Ich würde nur zu gerne wissen, was dich so aus dem Konzept gebracht hat. Du wirst es mir wohl kaum erzählen nicht wahr?“

„Du würdest es mir nicht glauben“, brummte ich und rang nach Fassung. Die Gedanken an mehr als nur eine Freundschaft wurden aufdringlicher, mit jedem Tag den wir zusammen verbrachten. Vielleicht hatten die vielen romantischen Filme Recht. Es gab keine reine Freundschaft zwischen Mann und Frau. Einer von beiden empfand irgendwann immer mehr für den anderen.

„Lass es auf einen Versuch ankommen“, grinste er und suchte sich eine Teesorte aus dem Schrank.

„Lieber nicht.“

„Langweilerin. Also was steht heute an?“

„Grace könnte Hilfe für den Ball gebrauchen. Aber ich glaube nicht, dass ich da heute Lust zu habe.“

„Worauf hat denn die Dame des Hauses dann Lust?“, grinste er und warf mir beiläufig eine meiner Haarsträhnen wieder auf den Rücken. Manchmal glaubte ich er wusste ganz genau, was ich für ihn empfand und machte sich einen Spaß daraus.

„Sofa und Filmchen“, antwortete ich trocken und schlenderte so beiläufig es mir möglich war in die Stube. Leise lachend folgte er mir. Bevor er sich setzte, streckte er sich genüsslich und ich hörte ein paar Knochen knacken. Schnaubend plumpste er neben mir auf das Polster und rutschte soweit hinunter, bis er seinen Kopf auf die Rückenlehne ablegen konnte.

„Folterst du mich heute wieder mit Bridget Jones?“

„Nein. Ich foltere dich lieber mit Fragen. Erzählst du mir heute etwas von dir?“, fragte ich und schaute ihn neugierig von der Seite an. Meine Hoffnung ebbte nicht ab, dass er irgendwann antworten würde.

„Liebes du weißt alles Wichtige über mich.“

„Unsinn. Du erzählst nie irgendwas. Ich weiß gar nichts“, murrte ich und schnaubte leise.

Matt zog eine Augenbraue hoch und lehnte sich langsam zu mir herüber. „Ich bin hier. Reicht das nicht?“

„Wie machst du das nur immer? Jedes Wort was deinen Mund verlässt, hört sich an, als würdest du einen verführen wollen.“

„Angeborenes Talent?“, witzelte er und zuckte mit den Schultern.

Leise begann es an der Scheibe zu klopfen. Regentropfen prasselten dagegen und benetzten das frische Grün im Garten mit schimmernden Perlen. Ich überließ ausnahmsweise Matt die Auswahl des Filmes. Meine Gedanken kreisten zu sehr um die abstruse Beziehung, die wir zueinander hegten.

Es dauerte nicht lange und ich war auf dem Sofa eingeschlafen. Die Frage was im TV lief hätte ich schon nicht mal mehr beantworten können. Ein paar Mal wurde ich durch lautes Poltern kurz wach und nickte augenblicklich wieder weg. In meinem Dämmerzustand kurz vorm Einschlafen war ich der Meinung das kantige Antlitz des Hexenkönigs zu sehen. Feuerschein glitzerte in den matt blonden Haaren und die Krone auf seinem Haupt funkelte bedrohlich. Alles wirkte verschwommen, wie durch einen Schleier aus Wasser. Der Traum war lange her und dennoch erkannte ich ihn sofort.

„Du wirst es bald selbst lenken können, Elizabeth. Gehe klug mit deiner Gabe um. Nicht alle sind deine Freunde, die sich als solche ausgeben.“

„Was meint Ihr damit?“, flüsterte ich.

„Man sucht nach dir. Halt es geheim.“

Ich verstand nicht was er meinte und ehe ich nachfragen konnte verschwand sein verzerrtes Gesicht vor meinem Auge. Jemand strich mir durchs Gesicht. Die Berührung war zart und dennoch fühlte es sich an, wie glühendes Eisen, was sich über meine Haut zog. Ich fuhr hoch.

„Alles gut mit dir?“, fragte Matt und schaute mich besorgt an. Es brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass ich in seinen Armen lag. Eine Hand hatte sich unter mein lockeres Shirt auf meinen Rücken gestohlen. Zuerst wollte ich zufrieden Seufzen, doch dann spürte ich, wie es brannte. Die Linien schmerzten und es fühlte sich an wie flackerndes Feuer. Das Gesicht verziehend stöhnte ich und sprang auf. Ich griff auf meinen Rücken und wischte über die Haut, in der Hoffnung, dass Gefühl würde verschwinden.

„Mach das es aufhört“, schrie ich und rannte ins Bad hinauf. Ich schnappte mir den Duschkopf und riss den Hahn auf. Das Wasser strömte eisig kalt über meinen Rücken aber am Schmerz änderte sich nichts. Eher wurde es noch schlimmer als würde sich das Nass mit den Zeichen nicht vertragen. Meine Kleidung sog sich mit Wasser voll und klebte an mir. Benommen vor Schmerz ließ ich den Duschkopf fallen und ging in die Knie. Keuchend sackte ich zusammen und rollte mich zur Seite. Es dauerte nur Sekunden bis mir Matt ins Bad gefolgt war.

„Es soll aufhören.“, wimmerte ich. Machtlos beugte sich Matt zu mir hinunter und stockte für einen Augenblick, traute sich nicht mich zu berühren und damit weitere Schmerzen zu verursachen. Durch meinen Schleier aus Pein hindurch glaubte ich für eine Sekunde noch etwas Anderes in seinem Blick wahrzunehmen. Entsetzen gepaart mit Trauer. Noch bevor ich versuchen konnte ihn genauer zu fixieren glitt ich in eine Ohnmacht hinüber.

Weit entfernt drangen seltsame Geräusche an mich heran. Mir war es nicht möglich sie zuzuordnen. Mühsam öffnete ich meine Lider. Geruch von kokelndem Holz lag in der Luft und benebelte meine Sinne.

„Bist du wach?“, fragte mich eine sanfte Männerstimme. Ich kannte sie. Es war zwar lange her aber sie hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt wie kaum eine Andere. Ich nickte stumm.

„Gut. Es tut mir Leid kleine Nirva aber ich musste unsere Welt vor dir schützen solange du es nicht kontrollieren kannst. Du bist nun soweit. Diese Erfahrung hast du nun durch Schmerz erlangen müssen. Ich habe dich gewarnt. Du hast nicht gehört.“ In seiner Stimme lag kein Tadel, eher eine Art von Bedauern. Ihm schien tatsächlich etwas an meinem Wohl gelegen zu sein.

„Ich wusste mit der Warnung nichts anzufangen, König.“, flüsterte ich. Langsam richtete ich mich auf. Nebel lag um uns. Zwischen den spitzen schillernden Zacken der Krone, die auf seinem silbrigen Haupt thronte, erkannte ich wieder das Bernstein farbene Thor, welches sich hinter ihm auftürmte. „Das war euer Werk?“ Mir fiel es nicht schwer die gebräuchliche Anrede für einen König zu finden. Unzählige Romane hatte ich gelesen, die mir als Vorlage dienten.

„So ist es.“

„Warum habt ihr das getan?“

„Ich kann nicht zulassen, dass sie unsere Welt stürmen können. Zu viele Schätze sind zu hüten, zu viele Geheimnisse zu wahren. Du musst lernen wem du vertrauen kannst.“ Er half mir hoch und aus dem Nichts erschienen hinter uns samtene pompöse Sessel. Mit einer eleganten Geste gebot er mir Platz zu nehmen. Alles wirkte so unwirklich. Bis auf das vom Nebel eingerahmte Tor und dem Geruch nach Feuer war nichts um uns herum. Der Dunstschleier hielt alles verborgen. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich, dass sich an manchen Stellen die Barriere lichtete und ein Schein von Wäldern und Wiesen zum Vorschein kam.

„Ich verstehe immer noch nicht. Das ist ein Traum. Niemanden könnte ich in meine Träume mitnehmen.“, lächelte ich sanft und glaubte nur an die mir vertraute Realität.

Der König legte in seiner Ruhe und Weisheit das Haupt zur Seite und musterte mich einen langen und quälenden Moment. Seine Mimik offenbarte nichts.

„In unserer Welt nennen wir dich Nirva. In eure Sprache übersetzt würde es wohl Weltengänger bedeuten. Du bist weit davon entfernt zu träumen Elizabeth. Die Welt die du gesehen hast nennt sich Kantara. Sie ist die erste und allumfassende Welt. Eine Welt zu der es keine Portale geben dürfte. Dich dürfte es nicht geben.“ Er wartete kurz, betrachtete mich mit einem prüfenden Blick und die kühlen Augen bohrten sich tief in die Meine, auf der Suche nach aufkeimender Panik oder Zweifel. Ich wollte lachen und ihm erklären, dass es Schwachsinn war aber irgendwas ließ mich gefrieren. Ich starrte nur stumm zurück.

„Ich könnte dir das Portal aus deinem Leib reißen, es verschließen und meine Welt schützen. Du würdest dabei sterben.“

„Warum tut ihr das nicht, wenn euch eure Welt so wichtig ist.“

„Ich sehe etwas in dir. Ich weiß nicht was es ist aber ich habe das Gefühl es wäre ein Fehler dir das Portal zu nehmen. Insofern bleibt mir nur eines.“ Langsam stand er auf. Der schwere samtene Mantel streifte mit einem raschelnden Geräusch über den nicht vorhandenen Boden, die schweren Stiefel polterten mit jedem Schritt. Darjan straffte seine Schultern und bäumte sich zu seiner vollen Größe vor mir auf als er sich im nächsten Augenblick, geschmeidig und elegant wie eine Katze, auf ein Knie herabließ. Ohne etwas zu sagen ergriff er meine Hände, hielt sie so fest, dass es fast weh tat und starrte mir fest in die Augen.

„Bitte. Ich bitte dich Elizabeth. Du musst unsere Welt schützen. Wandere durch sie, erkunde alles was du möchtest doch hüte dich vor den dunklen Landen. Lies was immer du an Werken findest, rede mit den Menschen und den Kreaturen. Die Welt steht dir offen. Mein Schloss soll dir, wann immer du es möchtest, ein Heim sein. Aber bitte… bitte schütze unsere Welt. Lass nicht zu, dass sie geplündert wird, dass sie die alten Bibliotheken stürmen, unsere Güter stehlen um sie zu Gewinn zu machen und mein Volk schlachten wie Vieh. Es liegt an dir. Du bist die Einzige. Ich lasse dich nun wieder in deine Welt zurück. Leb wohl.“ Die eisfarbenen Augen bohrten sich in meine ehe er sie langsam schloss und ich meine ebenfalls.

Wieder hörte ich aus weiter Entfernung Lärm und konnte ihn nicht weiter zuordnen. Es dauerte sehr viel länger bis ich wieder Herrin meiner Sinne war als noch gerade eben. Ich lag in meinem Bett. Der Schmerz war verflogen. Vorsichtig schob ich eine Hand unter meinen Rücken und suchte nach den roten Striemen aber ich spürte nichts. Es war nichts mehr da.

Plötzlich krachte es. Das laute Scheppern zog mir durch alle Glieder und ließ mich zusammen fahren. Jemand schrie und tobte, rannte im Erdgeschoss auf und ab. Panik machte sich in mir breit. Vorsichtig stieg ich aus dem Bett und versuchte die Dielen unter meinen Schritten nicht zum Knacken zu bringen. Angespannt ergriff ich den Baseballschläger neben meiner Zimmertür, der dort schon seit unzähligen Jahren einstaubte. Die Treppe hinab war es kaum machbar sich so leicht zu machen, dass das Holz einen nicht entlarvte. Bereits die erste Stufe knirschte so laut, dass sich meine Nackenhaare aufstellten. Die umher irrenden Schritte brachen abrupt ab.

„Beth?“, hörte ich eine fast schon unter Verzweiflung brechende Stimme. Ich war mir sicher, dass es Matt war aber etwas an ihm war anders. Jeglicher Charme und seine allgegenwärtige Arroganz waren verflogen. Erleichtert ausatmend warf ich den Kopf in den Nacken und ließ den Schläger sinken.

„Was machst du hier?“, fragte ich vorwurfsvoll als ich in der Küche angekommen war. Ein Stuhl war an der Wand zerschellt, eine Tasse in Scherben am Boden. Matt stand am Küchentisch und stütze sich auf eine Stuhllehne, den Kopf gen Boden gesenkt. „Matt?“, fragte ich vorsichtig und verlangsamte meine Schritte. „Du machst mir Angst.“

Kopfschüttelnd hob er den Blick und seine Augen waren unterlaufen und wässrig. Er konnte mich nicht lange anschauen. Zwei Schritte setzte er an die Küchenzeile zurück und rutschte fast schon unkontrolliert an ihr hinab. Er murmelte irgendwelche unverständlichen Sachen und vergrub seinen Kopf zwischen Armen und den herangezogenen Knien. Ich glaubte so etwas wie „Warum du?“ zu verstehen.

„Matt. Bitte rede mit mir? Was ist los?“, flüsterte ich und hatte Bedenken irgendetwas falsch zu machen. Ich hatte schon einige von seinen Seiten kennengelernt aber nicht eine davon war auch nur ansatzweise so zerbrechlich gewesen. „Matt?“, wiederholte ich sanft seinen Namen und ließ mich zu ihm hinab. Vorsichtig legte ich eine Hand auf seinen Unterarm. Wie elektrisiert zuckte er zusammen.

„Wusstest du es?“, fragte er.

„Was meinst du?“

„Du weißt genau was ich meine.“, beharrte er.

„Matt ich weiß wirklich nicht wovon du sprichst.“

„Ach nein. Weltengänger.“, knurrte er und hob langsam den Kopf. In seinen Augen loderte ein türkises Feuer, was mich unweigerlich zurückweichen ließ. Ich landete ungeschickt auf meinem Hintern.

„Was? Wieso sagst du das?“, schrie ich ihn fast an und rutschte auf den kalten Fliesen weiter von ihm weg.

„Es ist wahr.“, stellte er anhand meiner Reaktion für sich selbst fest. „Dachtest du es wäre witzig einen Jäger an der Nase herum zu führen? Glaubst du nur weil du mir hübsche Augen machst, würde ich dich verschonen?“, seine Tonlage wurde immer schärfer und bedrohlicher.

„Matt. Bitte. Du machst mir Angst. Wovon redest du?“, Tränen schossen mir in die Augen. Wieso nannte er mich so, wie es der Hexenkönig getan hatte? Wieso sprach er von sich als Jäger? Was, verdammt nochmal, war nur los?

„Wie hast du es geschafft dich dem Bann so lange zu entziehen? Ich hätte es bereits bei der ersten Berührung spüren müssen das du es bist? Also sag schon.“, fordert er mich auf und ließ seinen Hinterkopf gegen die Küchenzeile prallen. Wieder und wieder. „Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte schon längst mit einer dicken Belohnung wieder bei meiner Familie sein können.“, raunte er mehr zu sich als zu mir. Er sprang ruckartig wieder auf die Beine und schlug mit seiner Faust auf die Arbeitsplatte. „Wie konnte ich nur so naiv sein.“, schrie er und aus seiner Kehle kam ein bedrohliches Knurren.

Hastig stemmte ich mich in die Höhe und wäre bei seinem Aufschrei beinahe wieder zu Boden gestürzt. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, wie er plötzlich mit großen imposanten Schritten auf mich zu kam. Stolpernd wollte ich ausweichen, bis ich mit dem Rücken dumpf gegen die Wand prallte. Er kam ganz nah. Blitzartig schepperten seine Fäuste rechts und links neben meinem Kopf gegen die Wand.

„Was sollte das?“, forderte er wieder eine Antwort. Sein Blick war fest und berechnend. Die Narben an seinem Hals und auf seinen Schlüsselbeinen tanzten auf seiner Haut hin und her.

„Matt bitte. Ich weiß nicht was…“, er ließ mich nicht ausreden.

„Lüg mich nicht an.“, tobte er und ließ wieder seine Fäuste gegen die Wand prallen.

Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und brach schier in Tränen aus. An ein Gespräch war von meiner Seite nicht mehr zu denken.

Sekundenlang starrte er mich an, schüttelte immer wieder den Kopf, ehe er die Fäuste sinken ließ. Abermals murmelte er etwas vor sich hin und ging in der Küche auf und ab. Es schien als würde er mit sich Ringen, raufte sich die Haare dabei und war sich uneins. Plötzlich blieb er stehen, fast als wäre er zu einem Ergebnis gekommen. Gekränkt würdigte er mich keines Blickes und starrte stattdessen aus der Terrassentür in den Garten hinaus.

„Ich dachte du wärst anders. Ich dachte das alles hier wäre anders. Es ist lange her, dass ich mich irgendwo zu Hause gefühlt habe. Du warst der erste Mensch, die erste Frau, die es geschafft hat, das ich bleibe. Wie lächerlich, dass ich wirklich in der Annahme war es wäre ehrlich gewesen. Aber Menschen sind doch alle gleich. Jeder denkt an sich und versucht seine eigene Haut zu retten. Ich verstehe das. Glaub mir. Ich mache dir keinen Vorwurf. Ich hätte es einfach besser wissen müssen.“, sprach er leise aber dennoch mit einer Härte in seiner Stimme, die fast schon in den Ohren schmerzte. Seine Kiefer malmten als er einen Blick über die Schulter auf mich zurückwarf. „Ich werde jetzt gehen. Zurück nach Hause, wo ich hingehöre. Du wirst hier bleiben. Ich bring es nicht mehr übers Herz dir ein Haar zu krümmen. Aber eines sage ich dir Beth, es werden andere kommen und nach dir suchen. Glaub mir“, langsam schritt er auf mich zu, bis sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Sein Blick, eisig und klar, bohrte sich bis in meine Seele hinab. „Glaub mir. Keiner von ihnen wird auch nur eine Sekunde zögern dich zu holen. Es ist nur eine Frage der Zeit.“ Es klang wie eine Drohung, eine unheilvolle Ankündigung vom baldigen Ende meines gewohnten Lebens. Schwer ausatmend ließ er von mir ab. Beiläufig griff er nach seiner Jacke über der Stuhllehne und begab sich Richtung Haustür. Jeder seiner Schritte hallte in der Totenstille von den Wänden wieder und türmte sich zu einem Gewitter voll Unklarheiten, Wut und Trauer auf.

Reglos stand ich an der Wand. Unfähig den Kopf zu drehen und ihm hinterher zu schauen. Die letzten Sekunden waren eingeschlagen wie eine Atombombe, die alles schlagartig zerstört hatte. Stumm flossen Rinnsale salzigen Wassers über meine Wangen, benetzten den dünnen Stoff meines Pullovers und hinterließen dunkle Flecken.

Für einen Moment stockte er, hielt den Griff der Türklinke bereits fest umschlungen, dass das weiß seiner Knöchel zum Vorschein kam. Seine Zähne knirschten und er haderte mit sich ob, es richtig war einfach zu gehen. Vielleicht war doch irgendetwas der letzten Monate wahr gewesen und er tat ihr Unrecht. Viele Weltengänger wussten nicht um ihr Schicksal ehe er sie fand. „Wenn es nicht so schmerzen würde.“, dachte er verbittert.

Mein Atem ging stoßweise. Alles in meinem Kopf drehte sich und der aufkommende Schwindel ließ sich nur noch schwer unterdrücken. Ich hörte seine Schritte durch das Rauschen in meinen Ohren hindurch. Jedes Auftreten war wie ein Hieb direkt in mein Herz. Er ging tatsächlich. Er ließ mich allein. Wieder ließ mich jemand allein. Etwas in mir drin brach entzwei und löste eine neuerliche Welle Tränen aus. Es raubte mir jegliche Möglichkeit zu atmen. Panisch stemmte ich die Hände auf die Brust und versuchte unter dem wilden Schluchzen nach Luft zu ringen.

Er ging. Einfach so. Wegen was? Was hatte ich getan? Er durfte nicht gehen. Das würde ich nicht überstehen. Nicht noch einmal.

„Matt!“, rief ich mit dem bisschen Sauerstoff den ich in meine Lunge getrieben bekam. „Geh nicht.“ Ich wollte ihm nach aber meine Muskeln versagten. Mein Körper hörte nicht auf mich. „Matt, bitte.“ Der Druck auf meiner Brust wurde größer. Es fühlte sich an als hätte eine Würgeschlange meinen ganzen Körper unter sich begraben und würde sich weiter und weiter um mich zusammenziehen. „Ich liebe dich!“, brach es aus mir heraus.

Eine Sekunde hörte ich nichts, dann schlug die Haustür ins Schloss.



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Kommentare zu dieser Fanfic (22)
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Von:  Taroru
2017-03-20T20:15:44+00:00 20.03.2017 21:15
und wieder ein cliffhänger D:
du lässt mich echt leiden D:

und du hast nicht zu viel versprochen, kleinigkeiten wurden geklärt.... und viel mehr fragen aufgeworfen!
fakt ist..... ich brauche nachschub, also lass dir was einfallen o.o
tippsel schneller, lass mich nicht wieder so lange warten :-p
Von:  Taroru
2017-03-20T15:46:52+00:00 20.03.2017 16:46
also eins muss ich dir nach wie vor lassen....... du hörst immer bei so extremen cliffhängern auf...... und du weißt doch, das ich sowieso nicht besonders geduldig bin ^^°
und nun verlangst du das ich warten soll? nach dem du an so einer stelle aufgehört hast? das kann nicht dein ernst sein D:
gib mir mehr lesefutter D:


(ganz nebenbei, es freut mich sehr, das du was gepostet hast, das lässt mich in der tat hoffen, bald noch mehr zu bekommen ;-) )
Von:  Taroru
2013-03-21T01:50:03+00:00 21.03.2013 02:50
ui, mir fällt jetzt gerade auf, das ich ja in den genuss kam, es so gar noch weiter zu lesen, als es hier gerade zu finden ist :-D
ich bin ja begeistert *lach* wie immer und ich hoffe das es bald weiter geht :-)

ich finde, du machst das mit den verschieden charakteren super. sie sind wirklich verschieden, sie haben ihre stärken und schwächen, das macht sie menschlich. und das bringst du noch immer gut rüber.
gut, in diesen kapitel sind jetzt noch mehr fragen auf meine liste gekommen, die ich unbedingt noch beantwortet haben mag :-)
aber ich denke das ist deine absicht, neugierig machen und so. und das ist dir gut gelungen :-)

der lesefluss war auch nicht irgendwie gestört, ich finde es nach wie vor flüssig geschrieben. es liest sich halt einfach so weg und dann erscheint mir das kapitel wieder viel zu kurz :-p ich lese halt einfach zu viel :-D

ich hoffe das es bald weiter geht :-)
Von:  Luthien-Tasartir
2012-04-04T17:03:29+00:00 04.04.2012 19:03
Kommentar zu „Das Portal“ von Feuerfuchs

So, nach langer Wartezeit kommt nun doch endlich mein Rekommentar. Ich werde ihn in zwei Teile gliedern und somit sowohl formale als auch inhaltliche Aspekte abdecken. Dann wollen wir mal anfangen, nicht?^^

Teil 1, formale Aspekte:

I. Verwendung von Stilmitteln:
Insgesamt sind mir einige geschickt angewendete Stilmittel aufgefallen, weswegen ich dir hier ein kleines Lob aussprechen möchte:
Gemeint sind:
a) Die Anapher „Ich sehe“ ziemlich zu Anfang. Du bringst damit die andersartige Wahrnehmung der Protagonistin gut zum Ausdruck.
b) Der Vergleich „wie eine starre alte Kette“. Vielleicht liegt es an mir, da ich es zeitweise ebenso empfand, aber ich finde ihn ausgesprochen gelungen, um das „Gefängnis der Realität“ darzustellen.
c) Deine Metaphern. Hier vor allem die „schriftliche[n] Sprungbrett[er]“ für Bücher, die einen ja in andere Welten eintauchen lassen.

II. Orthografie
Du hast zwar eine größtenteils gute Rechtschreibung, allerdings sind mir dennoch einige Dinge aufgefallen, die du dir noch einmal anschauen solltest.
- Dass/das- und viel/fiel-Verwechslungen. Nur kleine Veränderungen, allerdings haben sie schwerwiegende Folgen für den Sinn deines Satzes.
- Worttrennungen. Zum Beispiel: Managementbereich, das du auseinandergeschrieben hast. Open Office führt einen diesbezüglich oftmals aufs Glatteis.
- Groß-/Kleinschreibung. Hier ist mir aufgefallen, dass du den „Morgen“ immer klein schreibst. Dies ist nur manchmal richtig.

III. Grammatik
a) Tempusfehler: Zwei an der Zahl, die mich aus dem Lesefluss brachten.
b) Falsche Pronomen… oder hat Beth wirklich mehrere Zimmer? Außerdem gibt es in dem Abschnitt noch einige Leichtsinnsfehler.
Wie gerne ich mich manchmal in meinen Zimmer hätte einschließen wollen. Einfach nur um Ruhe vor der Welt um mich und Zeit für meine eigenen Welten zu haben. Es er erschien mir das Leben i einer jener so viel leichter und spannender als meine tatsächlich Existenz im Hier und Jetzt. und so weiter. (Das Unterstrichene solltest du verbessern.)

IV. Sonstiges
a) Lustlos schob ich mich von der weichen breiten Fensterbank hinunter, warf noch einen letzten Blick durch das, an den Rändern gefrierende, Glas[…]
Das mit dem gefrorenen Glas hast du schon einmal erwähnt. Die Wiederholung ist hier also nicht nötig.
b) […]so dass jeder Schüler nicht den Kopf verdrehen musste[…]
Ich fände es hier für den Lesefluss besser, schriebest du hier: „sodass kein Schüler den Kopf verdrehen musste“. Ist simpler und man stolpert nicht über den Satz.

Teil 2; Inhalt:
Insgesamt faszinierte mich gleich zu Beginn deine Liebe zum Detail, die es dem Leser ermöglichte, in die Gedankenwelt der Protagonistin einzutauchen. Später wurde es für meinen Geschmack etwas zu viel, da dadurch die Handlung stagnierte. An für sich begegnete ich der starken Melancholie Beths mit gemischten Gefühlen. Einerseits konnte ich mich teilweise mit ihr identifizieren (was nicht unbedingt etwas Gutes zu bedeuten hat), andererseits wurde mir ihr Schwarzdenken mit der Zeit etwas zu intensiv. Versteh mich nicht falsch. Es ist nichts Verwerfliches dabei, Beth so kreiert zu haben, wie sie nun ist, aber ich persönlich hätte mir ein paar mehr Lichtblicke gewünscht. Was dir allerdings meiner Meinung nach gelungen ist, ist die Beschreibung deiner Hauptfigur als sie vor dem Spiegel stand. Als ich die negative Beschreibung gelesen habe, dachte ich gleich: „Wie schön, mal keine Schneewittchen-Mary-Sue-Beschreibung.“ Leuten, die den Mut zur Hässlichkeit in ihren Geschichten aufbringen, gebührt mein Respekt.
Auch ist dir Nanuk gut gelungen. Seine sanguinische Ader, die einen Kontrast zu Beths verträumten Charakter darstellte, sofort sympathisch. Noch dazu erfüllt er als bester Freund des Hauptcharakters seinen Zweck, diesem mehr Tiefe zu geben. Wenn ich von Nanuk rede, muss ich allerdings noch etwas anbringen: Die Tatsache, dass er, der Frauenschwarm der Schule, das graue Mäuschen Beth – vermutlich – anziehend findet, ist doch etwas klischeehaft. Ansonsten wollte ich dich noch fragen, wann und wie Beth gefallen ist. Ich habe es auch nach mehrmaligem Lesen nicht ergründen können, wodurch mich die Aussage Nanuks vollkommen verwirrte.
Ansonsten gibt es noch zu sagen, dass mir der männerabweisende Duft gut gefiel. Wahrscheinlich aufgrund des biologischen Hintergrunds … oder einfach so. Auf jeden Fall musste ich an dieser Stelle lachen. Genauso wie die Tatsache, dass sie die Waschmaschine anstellen gehen musste, obwohl sie bereits zu spät kam. Diese Logik kann wirklich nur von einem Elternteil kommen.
Insgesamt mochte ich das Kapitel allerdings doch recht gerne, auch wenn der Charakter zeitweise Suepotenzial aufblitzen lassen hat. Allerdings würde ich – wenn ich ehrlich bin – nicht weiterlesen, obwohl ich die Kapitelfragen schon gerne beantwortet bekäme.
Warum? Weiß ich nicht wirklich. Womöglich, da das Kapitel für meinen Geschmack etwas zu lang war und es mich dafür dann doch nicht stark genug gefesselt hat.
So, das war es von meiner Seite. Hoffentlich hat sich für dich die Wartezeit gelohnt und der Kommentar brachte dir etwas.

MfG
Luthien-Tasartir
✖✐✖ (Rekommentar)
Von:  Taroru
2011-06-22T00:27:36+00:00 22.06.2011 02:27
muss ich eigentlich noch irgendwie zu sagen? ;p
meine meinung kennst du ja schon *lach* XD
also schreib weiter weiter weiter weiter weiter und das ganz schnell ;p
ich platze sonst noch vor ungeduld ^^

und ich sage es trotzdem noch mal *lach*
ich finde es super geschrieben ^^ ich mag wie es aus ihrer sicht geschilder wird, ich kann mit ihr richtig mitfühlen ^^ und werde praktisch in den bann der story gezogen XD
meine neugierde ist jedenfalls nach wie vor vorhanden ;p
also lass mich bitte nicht zu lange warten *knuff* ^^
Von:  Taroru
2010-08-10T23:28:40+00:00 11.08.2010 01:28
^^
ich bin sprachlos XD
wie kann man nur so 'belangelose' dinge so gut schreiben das es mir vorspannung fast den atem raubt *lach* gerade zum ende hin, wo sie auf diesen fremden trifft XD ich musste mich ernst daran erinnern das ich luft holen sollte *lach*
mir hat das lesen wieder richtig spaß gemacht ^^
sicher ist dir klar, das mir das kappi wie immer viel zu kurz war XD *lach* aber ich muss auch sagen... ich kenne niemanden sonst der so lange kappis schreibt ^^ bei den meisten ist es weit aus weniger ;p
so möchte ich jetzt jeden abend verbringen, wenn ich nach hause komme XD mag also morgen ein neues kappi haben ;p

nach wie vor bin ich gespannt wie es weiter geht ^^b also lass mich nicht so lange warten ^^
ich kann mich einfach nicht satt lesen XD es ist so gut geschrieben das es wie ein film in meinem kopf abgespielt wird XD davon würde ich gerne mehr lesen ;p
Von:  Taroru
2010-07-10T21:25:59+00:00 10.07.2010 23:25
kommi für die juli version ;p

'Es er erschien mir das Leben i einer jener so viel leichter und spannender als meine tatsächlich Existenz im Hier und Jetzt.'

wenn man es genau liest, sieht man das ein buschtabe fehlt XD *lach* ist nen tippfehler denke ich ;p

ansonsten kann ich eigentlich nur sagen, das ich finde das es bilderhafter geschrieben ist, als vorher... man kann es jedenfalls noch besser vor sich 'sehen', ich hoffe du verstehst was ich meine XD
für mich ist lesen so, wie für viele andere fernsehen XD ich sehe keine buchstaben vor mir sondern bilder, und durch die beschreibungen bekommen sie mehr halt, sie werden realer, finde ich ^^

so jetzt hab ich es auch geschafft, das überarbeitete zu lesen ;p ich bin jedenfalls begeister ^^b
Von: abgemeldet
2010-06-13T13:58:15+00:00 13.06.2010 15:58
Endlcih hab ich es mal geschafft das erste Kapitel in Ruhe zu lesen und zu kommentieren.

*freutz*

Aaaalso:

Hier und da sind einige Schreib/Tippfehler die mich aber weiter
nicht sonderlich stören.
Die Beschreibungen sind für mich sehr gut gelungen, da ich von der
Sorte Mensch bin, die alles sich bildlich vorstellen.
Ich konnte mich beim lesen auch in die Gefühle gut hineinversetzen.

Die gesamte Story hat mir bis hier hin sehr gut gefallen
und ich werd so schnell wie möglich mich durch das 2. Kapitel
durchlesen.

^^O
Von:  Taroru
2010-04-26T21:49:30+00:00 26.04.2010 23:49
yey XD
endlich weiter lesen ^^ wurde ja echt mal zeit das wieder ein kappi kam ;p

hab ich dir eigentlich schon mal gesagt das ich mich in diese bildhafte sprache verliebt habe? es ist alles so klar und doch verworren geschrieben, ich kann mir jedenfalls alles sehr gut vorstellen, von der handlung, von den gesprächen, und auch von den orten...
man kann das wirklich alles sehr gut nachvollziehen ^^ es wirkt nicht überzogen oder aufgezwungen sondern locker und leicht erzählt.
es macht wirklich spaß das geschehen zu verfolgen und es wird auch immer mehr spannung aufgebaut....
ich mag die charas auch immer mehr XD auch ihren vater ^^ ich kann ihn mir richtig gut vorstellen...

wann gibt es das nächste kappi? muss ich da auch wieder so lange drauf warten? XD *lach*

Von:  Snowflower
2010-03-28T21:06:01+00:00 28.03.2010 23:06
Also...es hat sehr lange gedauert, entschuldige, aber endlich hab ich heute Zeit gefunden, um dein neues Kapitel zu lesen =D
Und es hat sich definitiv gelohnt!
Ich bin wirklich total begeistert und gebannt. Du hast einfach Talent die Geschichte fließend zu erzählen, man ist wie verzaubert, wie ein Teil der Geschichte. Wirklich, ganz klasse.
Du hast es ganz toll rübergebracht, wie Beth zu Grace steht...man kennt das ja selbst...wenn man einen alten Freund wiedertrifft ist man natürliche rst sehr erfreut, aber irgednwann kommt der Punkt an dem man sich fragt: Passt das überhaupt noch?
Glücklicherweise hat es bei denen beiden noch gepasst, ich hab ganu die gegenteilige Erfahrung gemacht, habe mich deswegen aber sehr gefreut, dass die beiden sich so toll verstehen.
Bin sehr gespannt, wie es weitergeht!!!
Ich hoffe, dass bald das nächste Kapitel kommt.
Ah und was ich noch sehr gut fand waren die Namen, die in dieser Traumwelt gefallen sind. ich fand sie sehr ansprechend und 'mystisch'. Ich finde das immer mit am schwersten...sich Dorfnamen oder andere Namen auszudenken, aber du hast da großes Talent. Sieht man ja schon an dem tollen katzennamen Mikosch =)
Das einzige, was mir etwas negativ aufgefallen ist, war, dass du in diesem Kapitel meienr Einschätzung nach mehr Rechtschreibfehler (vorallem Kommas vergessen) gemacht hast. Was natürlich normal is...aber da brauchst einfach eine gute Betalerser (falls du jemanden brauchst, helfe dir da gerne ^^ Kannst ja ne ENS schreiben oder ins GB)

Ja, das wars dann mal von mir zum 3. Kapitel.
Und beeil dich!!! xD

Ganz liebe Grüße,
Snow


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