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Silbermond

Davon wie Mondlicht die Welt verändert.
von

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Klein, groß und größer

“Shu-cay! Was fällt dir eigentlich ein? Wir sind doch noch gar nicht fertig!“

Mit einem leisen Rascheln verschwand der junge Mann zwischen den Büschen und rannte im Schatten der Bäume weg von dem großen Haus, in dessen Vorgarten er sich gerade noch aufgehalten hatte. Ein wütendes Mädchen, mit einem kleinen Sonnenschirm in der Hand, stand am Gartenrand und rief ihm hinterher.
 

Leise seufzte Shu-cay, als er aus der Sicht und tiefer im Wald war, der sich direkt neben dem großen Haus ausbreitete. Seine kräftigen, aber eleganten Arme und Hände schoben Äste und Zweige zur Seite, während er immer tiefer und offensichtlich ziellos in den Wald ging. In seinen braunen, glatten Haaren verfingen sich kleine Äste und Blätter, die aber seinem Aussehen nicht schaden konnten. Auf einer kleinen Lichtung blieb er stehen, hob seinen Kopf und schaute mit halb geschlossenen Augen in den blauen und wolkenlosen Himmel.

“Es ist viel zu schön, um regungslos und still dazustehen und einem Maler zuzuschauen, wie er mich abmalt. Mich und meine kleine, verwöhnte Schwester.“

Ein leises Rascheln war zu hören und mit einem Blinzeln, das offen zeigte, dass der junge Mann etwas vergessen hatte, öffnete er einen Beutel, der ihm um die Hüfte gebunden war. Mit einem hohen Piepser kam eine kleine, beflügelte Fee zum Vorschein, die so aussah, wie man sie sich immer vorgestellt hatte. Kleine, zarte Flügel, sanfte Gesichtszüge und umgeben von einem leichten Schimmer.

“Du hast mich wieder vergessen! Du ahnst doch gar nicht, wie stickig es in dem dummen Beutel ist!“

“Es tut mir Leid, Tixi.“ lächelte Shu-cay. „Ich war auf der Flucht!“

“Nichts da, keine Ausreden, du-...“ mitten im Satz brach Tixi ab und schaute dem jungen Mann ratlos hinterher, der mit einem verwirrten Gesichtsausdruck wieder losgelaufen war, dieses Mal aber offensichtlich zielgerade in eine Richtung.

“Wo willst du wieder hin, Shu-shu!“

“Ich hab da gerade.. etwas gesehen.“

So schnell es die kleinen Flügel der Fee erlaubten, flog sie ihm hinter her und schaute sich ungläubig um.

“Da ist nichts. Was hast du denn gesehen?“

“Ich.. weiß es nicht. Es war weiß und leuchtete. Und es ist in diese Richtung fort.“ sprach Shu-cay leise, wie in seiner eigenen Welt gefangen.

“Ähhm.. Da war nichts Shu-Shu. Du träumst doch wieder.“

Lächelnd blieb er stehen um Tixi anzuschauen, die sich auf seine Schulter gesetzt hatte.

“Habe ich bei dir geträumt, oder warst du wirklich da, als ich dich vor meinem Fenster gesehen habe?“

“Das.. das ist etwas anderes! Mich gibt es!“ quiekte die kleine Fee empört, wobei sie das Wort „mich“ sehr betonte.
 

Shu-cay setze sich leise lachend wieder in Bewegung. Der Wald war ruhig und hell, denn durch jede Blätterlücke fiel helles Sonnenlicht auf die Baumstämme und den Waldboden. Plötzlich blitzte ein helles Licht zwischen den Bäumen vor den beiden auf. Der junge Mann stockte, zögerte jedoch nicht lang und rannte auf das Wesen zu, das er sah. Dieses jedoch zuckte erschrocken auf und rannte weiter in den Wald hinein.

“Schnell Tixi, hier ist es, ich habe es genau gesehen!“

“Ahhhh! Man hat nur Ärger mit ihm!“

Geschickt sprang Shu-Cay über herausragende Wurzeln und bückte sich, um dem Schlag der Äste zu entkommen. Ohne es zu merken, entfernte er sich immer weiter von seinem Dorf.

“Shu-shu.. Weißt du, wohin du rennst? Hier waren wir noch nie!“

Es war nur ein Rauschen von oben zu hören und mit einem Mal wurde Shu-Cay von einem riesigen Ast auf den Boden geworfen.

“Was..?!“ ächzte er, während er Schutz hinter einem Baumstamm suchte.

“Das sind die Bäume! Schau, sie wollen nicht, dass du weiter läufst!“ schrie Tixi aufgebracht, während sie sich an einem Ohr des Mannes festhielt.

“Kommt nicht in Frage! Was so von dem Wald beschützt wird, muss ich sehen!“ Schnell sprang Shu-Cay auf die Beine und rannte weiter in den Wald hinein, der immer dunkler zu werden schien. Und es hätte noch eine wunderschöne Verfolgungsjagd werden können, wenn nicht...
 

“Ha! Das ist eine Sackgasse, Shu-shu. Hier kommst du nicht weiter.“ Etwas schadenfroh richtete sich Tixi ihre, durch den Wind zerzausten, Haare und schaute zusammen mit dem jungen Mann auf einen großen, alten Baum, der ihnen den Weg versperrte.

“Aber.. ich bin sicher, dass es hier entlang...“ murmelte Shu-Cay, der den Baumstamm genau musterte. Die Blätter des Baumes waren nur noch vereinzelt an den Ästen zu sehen, ansonsten schien er schon sehr mit dem Verdorren zu kämpfen. Sanft berührte Tixi die Rinde des Baumes mit ihren winzigen, zarten Fingern.

“Er leidet und kämpft um sein Leben, Shu-shu...“ sagte sie leise und schaute ihren Begleiter an. Dieser nickte leicht und fing an, ein wenig an dem riesigen Baumstamm entlang zu laufen, bis er mit einem Ruck stehen blieb.

“Aber, was ist denn das? Ein Loch?“ blinzelnd kniete er nieder und schaute das große Loch an, das in dem Baumstamm und teilweise dem Boden zu sehen war.

“Es ist riesig! Kein Wunder, dass es dem Baum nicht gut geht, seine Wurzeln sind total beschädigt.“ schimpfte Tixi. „Wer kann das gewesen sein?“

“Ich weiß es nicht, Kleine, aber er selbst war es sicher nicht...“ Mit zusammen gekniffenen Augen beugte sich der junge Mann nach vorne, um in die Höhle schauen zu können, die tief in die Erde und unter den Baum zu führen schien. Kurz war das Glänzen eines Augenpaares zu sehen und ein Rascheln zu hören, dann war es ruhig.

“Was auch immer ich gesucht habe... Es ist in der Höhle.“ sagte Shu-Cay ruhig.

“Das ist ja schön, Shu-shu! Dann lass uns mal wieder gehen, ja?“ quiekte Tixi leise und beobachtete den Jungen mit wachsender Verzweiflung dabei, wie er versuchte sich durch das Loch zu zwängen. „Was machst du da? Hör zu, du gehörst nicht in ein Erdloch, komm schon, lass uns gehen. Deine Schwester wird sicher sauer sein, dass du die schöne Kleidung ganz dreckig machst. Ahh, hast du das gehört, da ist sicher ein böses Wesen in der Höhle und.. Shu-shu, hörst du mir überhaupt zu?!“ Doch mit den Worten verschwand auch schon der Haarschopf des Mannes in der Höhle. Tixi seufzte laut.

“Nichts als Ärger...“ und dann flatterte sie ihrem Begleiter nach.

Im matten Licht des Mondes

Der Gang, den die beiden nun nach unten kletterten, hatte große Ähnlichkeiten mit einem Tierbau, tief in den lehmigen Boden gegraben. Hier und da ragten kleine Wurzeln in den Durchgang hinein, die es Shu-Cay schwer machten, sich fort zu bewegen. Auf allen Vieren krabbelte der junge Mann mühsam in die einzige Richtung, in die der Gang zu führen schien und langsam fing er an daran zu zweifeln, ob es wirklich so eine gute Idee war, hinein zu klettern. Tixi hatte das Zetern aufgegeben und klammerte sich unsicher an Shu-Cays Hals.
 

Der Weg führte die beiden immer tiefer in die Erde, schon lange konnte Shu-Cay nichts mehr sehen, bis die Hände des Mannes plötzlich ins leere griffen und er durch den unerwarteten Mangel an Halt sein Gleichgewicht verlor. Panisch versuchte er sich noch an Wurzeln und der Wand festzuhalten, stürzte dann doch den kleinen Abhang hinunter. Unsanft landete er auf seinem Hintern.

“Ahh... Zum Glück war es nicht tief.“ sprach er leise und rieb sich die Hüfte.

“Ja, jaaa! Da kannst du wirklich von Glück reden!“ grummelte Tixi, die Shu-Cay kurz besorgt gemustert hatte.

“Ich sehe nichts, Tixi..! Leuchte doch ein wenig.“ Es lag etwas ruhiges und flehendes in der Stimme des Mannes, das es Tixi unmöglich machte, ihm den Wunsch nicht zu erfüllen.

“Gut, gut, ich versuche es.“ seufzte sie, schloss die Augen und der schwache Schimmer um sie herum, wurde stärker. Nun konnten die beiden sehen, dass sie sich immer noch in demselben Gang befanden, der nun aber um einiges Breiter war. Und außerdem, dass der Abgrund, den sie hinunter gefallen waren, gar nicht so tief war.

“Danke Tixi, lass uns weiter gehen.“

Sie kamen nicht weit, da mussten sie um die erste Kurve biegen, die dieser Gang zeigte. Und mit großen Augen schauten sie in eine Höhle, die durch ein paar Löcher in der Lehmdecke beleuchtet wurde.

“Öhm.. dann kann ich das leuchten ja lassen.“ sagte Tixi leise und setze sich wieder auf Shu-Cays Schulter. Dieser jedoch hatte nur Augen für das Wesen, das in einem Lichtstrahl Platz genommen hatte und die beiden ruhig anschaute.
 

“Das ist doch.. ein weißer Wolf?“ sagte er leise. „Wie konnte ich das nicht erkennen?“

Tixi musterte den Wolf misstrauisch.

“Aber irgendwas ist nicht normal an ihm...“ flüsterte die Fee dem Menschen ins Ohr. Doch dieser schien sie komplett zu überhören. Wie gebannt starrte er dem Tier in die Augen und ging ein paar Schritte auf sie zu.

“Wer bist du denn?“ sprach er leise und lächelnd. „Ist das deine Höhle?“

Still und ruhig beobachteten die Augen des Wolfes jede Bewegung des Menschen, machte aber keine Anstalten wieder fort zu laufen, als Shu-Cay dem Tier näher kam. Mit einer ausgestreckten Hand kam dieser dem Wolf immer näher, bis er endlich direkt vor ihm Stand. Vorsichtig roch das Tier an der Hand, den Blick nicht von den Augen des Menschen abwendend.

“Du bist aber eine hübsche.“ lächelte Shu-Cay. „Nicht wahr? Du bist doch eine Wölfin?“

Tixi stöhnte leise.

“Du redest mit einem Wolf! Sie kann dir nicht antworten!“

Der Blick des Tieres glitt zu Tixi, die sich nun plötzlich wieder unwohler fühlte. Durch den Blick eingeschüchtert versteckte sie sich in den Haaren ihres Begleiters. Dieser legte seine Hand auf die Stirn der Wölfin, die keine Anstalten machte, zu zuschnappen. Shu-Cay schaute das Tier warm an.

“Du bist wirklich nicht wie andere Wölfe.“ flüsterte er. „Was ist mit dir?“ Suchend überflog sein Blick das Fell des Tieres, bis er an einer roten Stelle am Bein hängen blieb.

“Was ist das? Hast du dich verletzt?“ Vorsichtig strich er mit seiner Hand an dem Hals der Fähe entlang zu ihrem Bein. Die Wölfin zuckte kurz zusammen, ließ ihn aber gewähren und schaute ihm immer noch fest in die Augen.

“Das wirkt aber schlimm. Das muss gepflegt werden.“ sagte der Mensch mit einem traurigen Nicken. Tixi zuckte zusammen und flatterte ihm vor die Augen.

“Sag mal, spinnst du? Was willst du machen, sie nach Hause nehmen?“

Shu-Cay runzelte die Stirn. Tixi hatte Recht. Er konnte die verletzte Wölfin nicht zu sich nehmen. In seiner Familie hatte nie jemand Verständnis für seine Zuneigung gegenüber den Tieren gezeigt. Nein, mit zu sich nach Hause konnte er die Wölfin nicht nehmen. Aber die Wunde musste versorgt werden.

“Es bleibt mir wohl nichts anders übrig, als wieder zu kommen.“

Fürsorglich und versprechend schaute Shu-Cay das Tier an, während Tixi sich wieder seufzend auf seine Schulter setze und offensichtlich kapitulierte. Langsam und wohl bedacht keine zu hektischen Bewegungen zu machen, um die Wölfin nicht zu erschrecken, richtete der Mensch sich auf.

“Ich bin bald wieder hier, um mich um dich zu kümmern. Warte hier und ruh' dich aus.“

Mit diesen Worten drehte sich Shu-Cay um und ging den Weg aus der Höhle hinaus, den er mit Tixi gekommen war.
 

Als sie den Kopf aus der dunklen Höhle steckten und sich wieder neben dem Baum befanden, atmeten beide Freunde tief die süße Abendluft ein. Es dämmerte, die Sonne war nicht mehr zu sehen und die Bäume warfen ruhig ihre langen Schatten. Obwohl der Wald vielen Angst einjagen hätte können, wirkte er auf Shu-Cay und Tixi friedlich und ruhig. Und auf irgendeine Art und Weise abwartend. Als würden die Bäume jeden ihrer Schritte genau beobachten, bereit einzugreifen, wenn sie etwas falsches taten.
 

Die beiden fanden den Weg zurück zu in den bekannten Teil des Waldes schneller als sie gedacht hatten. Als sie Shu-Cays Haus zwischen den Bäumen sahen, war es bereits dunkel und der Mond warf sein silbernes Licht auf die weißen Wände. Shu-Cay seufzte leise. Es wirkte alles so friedlich. Und irgendwo in einer Höhle lief leise das rote Blut einer verletzten Wölfin auf den Boden. Schnell huschte der Mensch mit seiner Fee auf der Schulter zu der großen Hecke, durch die er nur ein paar Stunden zuvor geflohen war und blieb stehen.

“Tixi?“ sagte er leise.

“Ja doch, ich bin schon unterwegs.“ grummelte die Fee mit ihrer hohen Stimme.

Shu-Cay hielt seinen Beutel auf und die schimmernde Gestalt flatterte flink hinein.Vorsichtig zog er die ledernen Schnüre zusammen, die den Beutel schließen sollten.

“Aber drück mich nicht wieder gegen alles!“ hört man die dumpfe, schmollende Stimme aus dem Beutel.

“Pst!“

Und mit diesen letzten Worten kroch der junge Mann durch die Hecke in den Vorgarten des Hauses. Wie er dieses Haus hasste. Das Haus und alle Bewohner.

Im Mondlicht sieht alles anders aus

Leise schlich Shu-Cay durch den Garten des riesigen Hauses. Der Mond schien schon hoch am Himmel und liess alles wie ein gemaltes Bild erscheinen. Der junge Mann konnte vom Garten aus in den Speisesaal blicken. Die Kronleuchter strahlten warmes Licht aus, schafften es aber nicht, die kühlen Blicke der Anwesenden zu erreichen und zum Schmelzen zu bringen.

„Vater hat Besuch. Reizende Gesellschaft.“ murmelte Shu-Cay leise und schlich weiter an der Wand entlang, wohl bedacht, nicht entdeckt zu werden. Als er einmal um das halbe Haus gelaufen war, kam er mit einer tastenden Hand an eine Türklinke. Vorsichtig drückte er sie nach unten und eine alte Holztür öffnete sich knarrend. Ein schwacher Lichtschein fiel nach draußen auf den Rasen und man konnte nur für einen Moment Shu-Cay im Licht stehen sehen – dann war er durch den Spalt in dem Raum verschwunden.
 

Leise schloss er die Tür hinter sich und zuckte bei jedem Knarren zusammen. Die Lichtquelle dieses Raumes war ein Kamin, dessen Feuer schon fast erloschen war. Vor dem Kamin lag ein großer, verschlafener Hund. Sein graues Fell wurde leicht durch die Flammen erleuchtet. Durch das Eintreten des Mannes, war er aus seinem Schlaf hoch geschreckt. Er brauchte nur einen Moment, um mit seiner feinen Nase den Geruch des Eindringlings zu erkennen. Bellend richtete er sich auf und kam schwanzwedelnd und humpelnd auf Shu-Cay zugelaufen.

“Pscht, pscht, treue Seele! Sei leise und verrate mich nicht, Pondo.“ flüsternd versuchte er den Hund zu beruhigen, der froh über die Gesellschaft des Besuchers war. Als Shu-Cay endlich geschafft hatte, das Tier zu beruhigen, hörte er harte Absätze auf Holz schlagen, schnelle Schritte, das Knarren einer Tür und plötzlich lugte ein grauer Lockenkopf in das Zimmer.

„H-hallo? Ist da jemand?“

Shu-Cay seufzte leise. Soviel zu dem heimlichen hineinschleichen.

„Tante Selda, ich bin es, Cay.“ sagte er leise, immer noch den Hund streichelnd, der nicht von ihm ablassen wollte. Die Tür öffnete sich nun ganz und vor ihm stand eine kleine, runde Frau, die für ihr Alter noch sehr volle Locken hatte.

“Oh, Junge! Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!“ sagte sie mit zittriger Stimme. „Was machst du denn hier? Warst du schon wieder im Wald?“

Shu-Cay lächelte sanft.

„Bitte, sprich etwas leiser. Ich habe es eilig und möchte nicht von meinem Vater oder meiner Schwester gesehen und aufgehalten werden.“ Langsam schob er Pondo bei Seite, der sich wieder auf den Teppich vor den Kamin legte und dort auf der Stelle einschlief. Selda machte einen Schritt beiseite um Shu-Cay vorbei zu lassen.

„Dann schnell, mein Junge, dein Vater ist im Speisesaal.“

Shu-Cay lächelte, drückte der alten Frau einen Kuss auf die Wange und ging dann schnellen Schrittes aus der Küche in den Flur.
 

Nun ging es etwas schneller. Rasch fand er in einem der vielen Zimmer des Hauses einen Verband, eine kleine Schale und ein Tuch. Die Kräuter, die er im Sinn hatte und von denen er wusste, dass sie gegen Wunden halfen, bewahrte er in seinem Zimmer auf. Dort lief er hin, fand sie und öffnete den Beutel, der an seinem Gürtel befestigt war.

„Du hast doch nicht etwa vor, diese stinkenden, e-...hrmpppf!“

Nachdem auch die Kräuter gut in dem Beutel verwahrt waren, machte er sich flink wieder durch das dunkle Gebäude auf zur Küche und in den Garten. Als er gerade den Schatten des Hauses verließ, um zu der Hecke zu rennen, fiel ein Licht auf ihn.

„He, wer ist da?!“ hörte er die dunkle und kalte Stimme seines Vaters. Ohne ihm zu antworten oder stehen zu bleiben, zwängte er sich durch das Gebüsch und verschwand im dunklen und kalten Wald.
 

Als er sich sicher war, dass niemand ihm gefolgt war, öffnete Shu-Cay den Beutel und lies Tixi heraus.

„Ahhh! Du hast wirklich das Hirn eines Vogels! Ich wäre beinahe da drin erstickt!“ quiekte die kleine Fee laut und aufgewühlt. Dabei schien sie heller zu leuchten, als sie es sonst tat. Möglicherweise kam es dem jungen Mann auch nur so vor, denn um ihn herum war es dunkel.

„Verzeih mir, meine schöne Fee...“ sprach Shu-Cay leise und mit tiefer, beruhigender Stimme und einem Ton, der jede Frau hätte erröten lassen können. Tixi räusperte sich leise.

„Schon gut, ich hab es ja überlebt...“

Lächelnd streichelte Shu-Cay mit seinem Zeigefinger über Tixis zarten Flügel.

„Dann lass uns schnell weiter gehen.“

Die beiden kannten diesen Teil des Waldes in und auswendig. Auch in der Nacht waren sie hier oft gewesen und sie kannten fast jede Tierfamilie, die hier lebte. Als sie aber dem Waldbereich näher kamen, indem sie von einem Ast angegriffen wurden und der ihnen immer noch dunkler erschien, als es sowieso war, wurde ihnen mulmig zumute. Während sie vorher flüssig voran gekommen waren, musste Shu-Cay sich seinen Weg größtenteils ertasten und das obwohl Tixi ihm so gut sie konnte leuchtete. Die Äste und Zweige warfen lange und große Schatten, die es ihnen nicht erlaubten, weiter als ein paar Meter schauen zu können. Als sie gerade daran zweifelten, diesen Baum je wieder zu sehen, standen sie plötzlich vor einem riesigen Schatten.

„Wir sind da“ flüsterte der junge Mann und schaute Tixi an.

„Ja dann... „ Die Fee flatterte auf die Schulter ihres Begleiters, hielt sich fest und nickte ihm zu. „Dann mal los!“

Während die beiden durch den engen Gang krochen, schwiegen sie. Während Shu-Cay immer mehr daran zweifelte, ob das, was er gesehen hatte auch wirklich existierte, zweifelte Tixi immer mehr an Shu-Cays Verstand. Bis sie endlich in der kleinen Höhle standen, die von dem hellen Mondlicht erleuchtet wurde.

„Aber...?“ stotterte Tixi und ihr Begleiter schaute mit weit aufgerissenen Augen die Gestalt an, die an der selbe Stelle saß, an der vorher der Wolf gelegen hatte. Mit rosigen Wangen flatterte Tixi vor Shu-Cays Augen.

„Ni-nicht hinschauen...!“

Doch dieser schob die Fee sanft bei Seite und schaute weiter verwirrt die blasse Frau an, deren Körper nur von ihren langen, silbernen Haaren verdeckt wurde und den Blick ruhig erwiderte.

Wie ein Traum

Sie hätte genauso gut auf einem Aquarell Bild zu sehen sein können, auf dem die schönsten Farben benutzt wurden und ein Moment der völligen Ruhe und des Friedens einzufangen... Shu-Cay hätte keinen Unterschied erkannt. Das Mondlicht, das auf ihre Haare fiel, gab dem Mann das Gefühl, dass die Zeit angehalten hatte. Nichts konnte dieses schöne Bild trüben, niemand konnte ihr etwas böses antun. Shu-Cay wäre wohl für immer dort gestanden und hätte die Frau angeschaut, wenn Tixi ihm nicht unsanft ins Ohr gezwickt hätte. Erschrocken zuckte ihr Begleiter zusammen und zwinkerte. Die Realität hatte ihn wieder.
 

Langsam ging Shu-Cay auf das Mädchen zu, dass still auf dem Boden saß und ihm in die Augen schaute. Ein paar Meter vor ihr, kniete er sich hin und lächelte leicht.

„Wer bist du, schöne Frau? Wo ist die Wölfin hin, die hier noch vor kurzem war?“

Als Antwort auf diese Frage, neigte die Dame ihren Kopf leicht zur Seite und ein sanftes Lächeln, das auch aus ihren Augen zu strahlen wirkte, erschien auf ihrem Gesicht. Shu-Cay blinzelte kurz, überrascht durch diesen lieblichen Anblick, konnte dann auch nicht anders, als auf die selbe Art zurück zu lächeln. Verwundert musste auch Tixi feststellen, dass sie diesem Lächeln ebenfalls nicht widerstehen konnte und es, wie auch ihr Mensch, erwiderte. Langsam streckte Shu-Cay seine Hand nach dem Haar der Frau aus und strich eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht, um ihre Augen besser sehen zu können.

„Wer du auch bist, du schaffst es jedes Wesen in deinen Bann zu ziehen, mit nur einem Lächeln.“ sprach er leise und liebevoll. Die Frau kicherte leise und ihre helle Stimme erfüllte für einen Moment die ganze Höhle. Ohne ihren Blick von Shu-Cay abzuwenden, setzte sie sich gerade hin. Der Mann ihr gegenüber wurde leicht rot, schloss seine Augen und zog seinen Umhang aus, der ihm über die Schulter hing. Dann legte er ihn über den Körper der Frau.

„Damit du nicht frierst.“

Die zarten Finger der weißhaarigen berührten den Umhang und sie lächelte.

„Ich danke Dir.“ hauchte sie leise und schaute Shu-Cay tief in die Augen. Dieser blinzelte kurz und lächelte dann.

„Du kannst sprechen? Sag mir, wie ist dein Name?“ fragte er neugierig. Er schien die Wölfin, wegen der er gekommen war, schon vergessen zu haben.

„Ich habe viele Namen und keinen von ihnen wirst du aussprechen können.“ antwortete ihm die helle Stimme der Frau. Tixi, die anscheinend aus der Art Trance, in die sie verfallen war, aufgewacht war, schnaubte leise.

„Das ist nichts neues. Er konnte auch meinen Namen nicht aussprechen und deswegen nennt er mich Tixi.“ Die Dame lächelte ihr kurz zu, woraufhin Tixi wieder still war. Shu-Cay musterte die schönen Gesichtszüge der Frau. Er wollte alles über diese Frau wissen, aber konnte sich für keine Frage entscheiden. Die zarte und helle Stimme der Fremden unterbrach die Stille.

„Du hast viele Fragen. Möchtest wissen, wo die Wölfin ist, die du versorgen wolltest, wer ich bin, was ich bin und warum ich mich hier, in dieser Höhle, aufhalte.“ Sie lächelte und Shu-Cay nickte. Endlich fiel ihm auch die Wölfin wieder ein und er zog aus seinem Mantel die Verbände hervor.

„Ich bin die Wölfin, die du suchst.“ sagte sie schlicht und beobachtete, wie die beiden Besucher sie verdutzt anschauten. Sie lachte leise.

„Wenn ihr mich als Wölfin gesehen habt, dann nur, weil ihr nicht richtig hingeschaut habt. Aber ich muss zugeben.. Ohne das Mondlicht, sind eure Augen auch kaum in der Lage, meine wirkliche Gestalt zu erkennen“ sprach die Frau weiter, während Shu-Cay und Tixi immer noch sprachlos lauschten. Endlich räusperte sich die Fee.

„Wieso das?“

Die weißhaarige lachte glockenhell.

„Ganz einfach. Manchmal ist es schon hilfreich, alles in einem anderen Licht zu sehen.“

Shu-Cay lächelte abwesend, dann blinzelte er, als ob ihm plötzlich wieder etwas eingefallen wäre und eindringlich schaute er die Frau an.

„Ihr wart verletzt, am Bein.“ suchend musterte er das Bein der Frau, wohl bedacht, mit seinem Blick nicht weiter nach oben zu gleiten. Die Frau nickte leicht und zeigte ihr Bein. Tixi verzog das Gesicht und kniff die Augen zusammen, während Shu-Cay die Wunde ruhig betrachtete.

„Die sollte verbunden werden, sonst kann sie nicht heilen.“ sagte er leise und schaute auf. Die verletzte nickte nur kurz und lies Shu-Cay gewähren, der den Beutel öffnete, indem die Kräuter lagen und sie heraus holte. Während er sie sich in den Mund steckte, um auf ihnen zu kauen, entrollte er den Verband. Die Kräutermasse verteilte er anschließend auf der offenen Wunde, die noch ein wenig blutete und wie eine Bisswunde aussah. Anschließend wickelte er vorsichtig den weißen Stoff um das Bein. Während Shu-Cay das tat, beobachteten sowohl Tixi, als auch die Frau ihn ruhig. Als er fertig war, setzte er sich lächelnd ein wenig von ihr weg und schaute sie an.

„So.. jetzt sollte es dir bald besser gehen. Jedenfalls der Schmerz sollte nachlassen.“

Dankbar lächelte die Dame ihm zu und tastete den Verband ab, der sich langsam rot färbte.

„Ich danke dir, Menschensohn. Es fühlt sich schon besser an.“ sprach sie leise.

„Mein Name ist Shu-Cay. Ihr dürft mich so nennen.“

„Und ihr dürft mich nennen, wie es euch gefällt. Namen sind unwichtig. Die Person, die ihn trägt, sollte am wichtigsten sein.“ säuselte die weißhaarige. Shu-Cay und Tixi schauten sich an und der Mensch lächelte sanft.

„Dann werde ich Euch Silbermond nennen. Das Mondlicht lässt Eure Haare silbern glänzen.“

Silbermond nahm eine Haarsträhne zwischen die Finger und schaute sie prüfend an. Dann, nach einem kurzen Moment, lächelte und nickte sie, als Zeichen, dass ihr die Idee gefiel. Nach einem kurzen Moment der Stille, räusperte sich Shu-Cay leise und stellte eine der Fragen, die ihm durch den Kopf schwirrten.

„Wer hat Euch diese Wunde zugefügt?“ fragte er, während sein Blick wieder über das Bein strich.

Silbermond lächelte sanft und schloss leicht die Augen.

„Ich.“ antwortete sie kurz.

„Waaas?“ piepste Tixi geschockt. „Aber wieso denn? Das tut doch weh!“

Die junge Frau lächelte und strich wieder mit einem Finger über ihr Bein.

„Wenn ich ein anderes Wesen heile, übertrage ich die Wunde auf mich. Erst vor ein paar Stunden habe ich einen verletzten Hasen gerettet... Sie hatte Junge, die sie ernähren musste, ich konnte sie nicht ihrem Schicksal überlassen.“ leise und traurig neigte Silbermond ihren Kopf und die langen, silbernen Haare hüllten ihr Gesicht kurzzeitig in Dunkelheit. Wieder herrschte Stille, bis Tixi diese erneut brach.

„Das ist ja schon schade, dass das Kaninchen verletzt war.. Aber warum musst du es heilen? Jetzt hast du ein kaputtes Bein, das ist doch auch nicht besser?“ total überfordert surrte Tixi auf Shu-Cays Kopf und hielt sich an seinen Haaren fest. Der junge adlige jedoch schwieg und lauschte dem Gespräch. Silbermond lächelte sanft und atmete tief ein.

„Natürlich tut es mir weh, es ist nicht angenehm. Aber es ist meine Aufgabe, deswegen bin ich hier, deswegen gibt es mich. Wenn die Menschen einen Hasen töten, der Junge hat, die alleine nicht überleben können, töten sie eine ganze Familie. Wenn sie einen Hasen töten würden, um ihre Kinder vor dem verhungern zu retten, würde ich nicht eingreifen. Aber sie tun es aus Spaß, weil es ihnen Freude bereitet.“ Die Stimme der jungen Frau zitterte und vorsichtig strich sie sich eine glitzernde Träne aus dem Gesicht. „Sie sehen die kleinen Hasen nicht, wie sie nach der Mutter rufen und langsam verhungern. Aber ich sehe sie...“ Ihre Stimme wurde wieder fester und ein grimmiges Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus. „Solange ich ihnen helfen kann und das Gleichgewicht des Waldes so aufrecht halten kann, werde ich es tun und mir somit soviele Wunden zufügen, wie nötig ist.“

Shu-Cay hob seinen Blick und schaute Silbermond fest in die Augen. Er atmete schwer und nickte dann endlich.

„Menschen können abscheulich sein. So oft wünschte ich mir, keiner von ihnen zu sein.“

Die junge Frau lächelte, das grimmige aus ihrem Gesicht war wieder verschwunden und zurück blieb nur Güte.

„Es ist nicht schlimm ein Mensch zu sein. Es kommt nur darauf an, was man daraus macht.“ sagte sie sanft. Shu-Cay grub mit einer Hand in dem lehmigen Boden, ein wenig gedankenversunken.

„Silbermond... Ich würde den Wald so gerne aus Eurer Sicht sehen. In deinem Licht. Wäre das möglich?“ fragte er zögernd. Die Wölfin blinzelte kurz und lachte dann leise und herzlich.

„Ich werde morgen, wie auch jeden Tag, in diesem Teil des Waldes sein.Wenn du mich besuchen möchtest, werde ich auf dich am Eingang zu dieser Höhle warten.“ Die Augen der Frau glänzten vor Vorfreude und gerade in diesem Augenblick hatte ihre Ausstrahlung große Ähnlichkeiten mit der eines Kindes. Shu-Cay war prompt von dieser Ausstrahlung angesteckt, rutschte etwas näher und strahlte Silbermond an.

„Wieso erst morgen früh? Lass uns jetzt gehen! Ihr sagtest doch, das Mondlicht lässt alles in einem ganz anderen Licht dastehen, es ändert alles!“ sprach er begeistert. Die weißhaarige lächelte und schüttelte fröhlich den Kopf.

„Ich kann des Nachts diese Höhle nicht verlassen. Dieser alte Baum hält mich hier und heilt jede Nacht meine Wunden.“ Sie streckte eine Hand aus und berührte vorsichtig eine Wurzel des Baumes, die aus der Decke ragte. Shu-Cay folgte ihrer Hand mit seinem Blick und runzelte die Stirn.

„Er hält Euch jede Nacht gefangen?“

„Dann wird dich Shu-shu befreien und den bösen Baum mit seinem Schwert töten!“ quiekte Tixi aufgebracht, die offensichtlich die Wölfin auch schon in ihr Herz geschlossen hatte. Silbermond jedoch riss nur ihre Augen auf und schien aufgebracht.

„Nein! Das dürft ihr nicht tun. Der Baum ist mein Beschützer, er heilt mich und bewahrt mich vor den Gefahren, Nachts, wenn alle Wesen schlafen und nur böse Seelen im Wald herum schleichen.“

Shu-Cay hob beschwichtigend seine Arme.

„Es tut uns Leid, meine Lady, das wussten wir nicht.“ sprach er mit seiner beruhigenden und tiefen Stimme. Die Wölfin seufzte leise.

„Wir werden morgen, wenn die Sonne am Himmel steht, an dem Eingang der Höhle auf Euch warten.“ sprach er weiter und lächelte entschuldigend. Silbermond nicht und lächelte wieder.

„In Ordnung. Dann geht nach Hause und ruht Euch aus. Ich werde da sein.“

Mit den Worten verabschiedeten sich Shu-Cay und Tixi von der geheimnisvollen Frau mit den weißen, langen Haaren und kletterten den Erdgang wieder hinauf an die frische Luft.
 

Als Shu-Cay und Tixi wieder festen, harten Waldboden unter ihren Füßen und den dunklen Nachthimmel über ihren Köpfen hatten, kam ihnen die Begegnung mit der weißen Wölfin, die sich als Frau entpuppte, wie ein merkwürdiger Traum vor. Müde und in Gedanken versunken liefen sie den, mittlerweile schon etwas bekannten, Weg nach Hause. Als sie an dem großen, weißen Haus ankamen, waren bereits alle Lichter erloschen und der Mond stand hoch am Himmel. In Shu-Cays Zimmer angekommen, fiel er samt Kleidung ins Bett, Tixi legte sich neben ihm auf das Kopfkissen. Durch sein Fenster schien das Mondlicht und lies alles in einem friedlichen und ruhigen Farbton erscheinen. In einem ganz anderen Licht.



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