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The Demonic Liar

The Golden Goblet
von

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Episode 1.1

Blut an ihren Händen, Blut an ihren Füßen … Blut in ihrem Gesicht. Eisige Kälte ließ sie schaudern und eine fast schmerzhafte Gänsehaut breitete sich auf ihrem ganzen Körper aus. Das erste, was ihr auffiel, als sie ihre Lider aufschlug, welche Magneten glichen, war die tiefe Dunkelheit – und nicht nur die um sie herum, sondern auch die in ihrem Kopf.
 

Und da war noch mehr Blut auf ihrem Kleid. Im Dunkeln wirkten sie wie rostbraune Flecken.
 

Was war geschehen? Wie war sie hier gelandet? Der Geruch von Moos, Erde und Nässe stieg ihr in die Nase. Zudem roch es ein wenig verbrannt. Nun, zumindest wusste sie, dass sie sich in einem Waldstück aufhielt. Blieb nur noch die Frage, was sie hier zu suchen hatte – zusammen mit all dem Blut.
 

Sie hatte doch niemanden umgebracht, … oder etwa doch?
 

Erschrocken fuhr ihr Kopf in alle Richtungen und ihre Augen suchten verzweifelt ihre unmittelbare Umgebung ab. Doch sie war alleine, wie sie feststellen musste. Zum einen beruhigte sie das natürlich ungemein, aber zum anderen schockierte sie diese Einsamkeit; wie messerscharfe und eiskalte Klauen umklammerte die Unwissenheit und das Alleinsein sie. Nein, dieses Gefühl war mehr wie eine Woge, welche sie unter sich begrub. Dunkles, kaltes Wasser drang in ihren Mund, in ihre Kehle und versuchte sie zu ertränken. Sie ertrank an Gefühlen!
 

Sie musste von hier verschwinden, und zwar sofort! Und wo zur Hölle kam all das Blut her?
 

Ihre zittrigen Hände begannen vorsichtig, ihren ganzen Körper abzutasten. Blut bedeutete immer eine offene Wunde und um sich selbst ruhig zu stellen, musste sie diese verdammte Wunde finden. Aber da war nichts. Keine Kratzer, keine Schnitte, keine fehlenden Körperteile. Bis ihre Finger über etwas an ihrem Hals entlangglitten. Dabei handelte es sich jedoch um keine Wunde, dafür aber um einen Gegenstand. Eine feine Schnur, die ihren gesamten Hals umgab. Und vorne befand sich etwas Hartes. Ein kleiner Anhänger? Eine Kette! Aufgeregt umschloss sie mit ihrer Hand den Kettenanhänger und atmete tief ein und aus. Ihr Herz raste, stoppte dann wieder und vollführte mehrere waghalsige Sprünge gegen ihren Brustkorb. Das war es! Diese Kette war der Schlüssel zu allem, das spürte sie – nein, das wusste sie ganz genau!

Automatisch erhob sich ihr erschöpfter Körper, wobei sie einen dumpfen Schmerz im Knöchel spürte. Doch das war jetzt nicht wichtig. Sie musste von hier fort, irgendwohin, wo man ihr erklären konnte, was los war. Sie wusste nicht einmal, wer sie eigentlich war. Unter anderen Umständen hätte sie vielleicht angefangen, zu weinen, aber die Tränen kamen nicht, denn ihr Körper wusste, wohin sie musste.

Ihre schmerzenden Füße trugen sie durch den Wald, ohne, dass sie sich Gedanken über den Weg machen musste. Sie trug keine Schuhe, weshalb sie jede kleinste Erhebung im Erdboden spürte. Jeden Grashalm und jeder Zweig, der sich erbarmungslos in ihre Fußsohle grub. Es schien, als ob der Wald sie dazu aufforderte, augenblicklich zu verschwinden. Als ob er etwas gesehen hatte, was er überhaupt nicht hatte sehen wollen…
 

Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis sie endlich die Innenstadt erreicht hatte. Woher sie den Weg so genau gewusst hatte, wusste sie nicht. Vielleicht befanden sich all diese Dinge in ihrem Unterbewusstsein, in dem ein undurchdringlicher Nebel herrschte. Bewusst kam sie an diese Informationen jedenfalls nicht, was das Ganze auch nicht gerade leichter machte. Und zu ihrem Pech versagte ihre geheime Informationsquelle genau da, wo sie sie am meisten brauchte. In ihren Augen war es ein Ding der Unmöglichkeit, sich in dieser anscheinend ziemlich großen Stadt zurecht zu finden. Auch wenn jemand so nett sein und ihr helfen würde, käme sie kein Stück weiter, wo sie doch selbst nicht wusste, was das alles auf sich hatte.
 

Verzweifelt vergrub sie ihre von Blut und Erde verschmierte Hand in ihrem Haar. Es konnte sich hierbei genauso gut um einen äußerst schlimmen Albtraum handeln. Sie musste nur die Augen zusammenkneifen und hoffen, was sie auf der Stelle tat … bis ein ohrenbetäubendes Quietschen wie von Bremsen sie aus ihrem Hoffen und Flehen riss. Sie stand am Anfang einer schmalen, dunklen Einfahrt, in der zwei helle Scheinwerfer wie die Augen eines Monstrums aufleuchteten. Und genau dieses Augenpaar kam geradewegs auf sie zu. Dieses Monster wollte sie mit Haut und Haaren verschlingen! Sie würde in einem dunklen Schlund vor sich her krepieren … als sie plötzlich kräftige Arme zur Seite stießen, weg von der Gefahr und in die rettende Sicherheit. Ein Schrei stieg langsam in ihr hoch, durchbrach aber dennoch nicht die Oberfläche. Der Schrei blieb hinter Schloss und Riegel und ihre Lippen öffneten sich keinen Spalt.

Abermals durchfuhr ein glühender Schmerz ihren Knöchel und mit den Knien voran landete sie auf dem steinharten Asphalt. Wenn keine Blockade in ihr geherrscht hätte, so wäre nun der richtige Zeitpunkt für ein paar ausgemachte Flüche gewesen. Warum sie aber keinen Zugriff auf ihre Stimme hatte, blieb vorerst ein ungelöstes Rätsel, denn ihre Aufmerksamkeit wurde wieder auf etwas anderes gerichtet: Ihren Retter! Der ragte wie eine Art Schatten bedrohlich über ihr auf. Sie vernahm noch ein aufgebrachtes „Verdammt! Pass' das nächste Mal besser auf, Mädchen!“ des rücksichtslosen Autofahrers, ehe sie begann, nach dem Gesicht des Fremden zu suchen.
 

Saphirgrüne Augen. Ihr Herz pumpte eifrig, damit ihr Körper optimal durchblutet wurde.
 

Sie brauchte keine Angst vor ihm zu haben. Er war ihr genauso vertraut wie die Kette um ihren Hals. Wahrscheinlich kannte sie ihren Retter sogar besser als sich selbst. Erwartungsvoll streckte sie ihre Arme nach ihm aus und versuchte, ihn zu greifen zu bekommen, als er ihr plötzlich auswich. Sie hätte schwören können, dass sich eben noch ein Lächeln auf seinem Gesicht befunden hatte, aber das war nun fort, genauso wie das vertraute Funkeln in seinen grünen Augen. Dass er ihr einfach ausgewichen war, traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. Hatte ihr Gefühl sie getäuscht? War dieser Mann einfach nur nett gewesen, indem er sie vor einem schrecklichen Autounfall bewahrt hatte?

„Du kannst dich an nichts mehr erinnern, nicht wahr?“, erklang seine tiefe Stimme. Jedes Wort und jeder Ton drang wie Nadelspitzen in ihren Körper. Sie kannte diese Stimme und auch ihr Körper schlug darauf an! Doch anstatt zu antworten, blickte sie ihn nur stumm an. Ihre Miene wirkte … nun ja, ratlos. Was hätte sie darauf antworten sollen? Er wusste es anscheinend selbst. Müde und geschafft senkte sie ihren Kopf und blickte auf ihr verschmutztes Kleid. Sie wollte sich erinnern und ihm sagen, dass etwas nicht mit ihr stimmte, aber es funktionierte nicht. Es war, als ob ihr Körper ein eigenes Leben hatte und nicht mehr auf die Befehle ihres Verstandes und Gehirnes reagierte. Nichtsdestotrotz brachte sie noch ein lasches Kopfschütteln zustande, bevor sie ihm wieder in die Augen blickte. Er schüttelte nur mit dem Kopf und raufte sich die Haare.

„Ist in Ordnung. Steh' auf, ich nehme dich mit zu mir. Aber solange du dich nicht an mich erinnerst, werde ich dich nicht anfassen. Und du mich nicht, verstanden?“ Leuchtete in seinen Augen so etwas wie Schmerz auf? Hatte sie ihn vielleicht verletzt? Nein, das konnte nicht sein. Sie brauchte ihn doch. Niemals hätte sie ihm wehtun können. Also musste sie sich wieder erinnern und versuchen, das gutzumachen, was sie verbrochen hatte. Ihm zuliebe und weil diese Dunkelheit in ihrem Kopf an ihren Kräften zerrte.

Nickend kämpfte sich die junge Frau auf die Beine und folgte dem jungen Mann humpelnd die Straße entlang, bevor eine dunkle Limousine vor ihnen anhielt und sie so in diese einsteigen konnte. Das dunkle Auto rauschte von dannen und ließ die nächtliche Innenstadt hinter sich. All die blinkenden Werbebanner verloren an Wirkung und die Menschen waren nur noch zur Dekoration dar – wie Fische in einem Aquarium.

Diese Nacht war das Ende eines schrecklichen Erlebnisses und der Beginn einer dunklen Geschichte…

Episode 1.2

Das pfirsichfarbene Haar ergoss sich über das gesamte Kissen und verströmte einen blumigen Duft, der an Frühling erinnerte. Die unzähligen Blessuren, welche zuvor ihre zarte Haut verunstaltet hatten, waren nun endgültig verschwunden, denn Sariel besaß heilende Kräfte. Zwar waren diese für Menschen auf Dauer schadend, aber er setzte sie ja nur sehr selten ein, weshalb das kein Problem war. Seine Sally war stark, sehr stark sogar. Vielleicht hatte er sie dieses Mal etwas überschätzt, aber dennoch … sie hatte es geschafft!

Seine Lippen fuhren sachte über ihre in leichte Falten gelegte Stirn, hinunter zu ihrer Halsbeuge und der pochenden Halsschlagader, welche stolz über ihr Leben kundgab. Obwohl er ihr und auch sich selbst ausdrücklich befohlen hatte, aneinander nicht zu berühren, so hatte er sein Befehl schon nach einer geschlagenen Stunde gebrochen! Nun schlief sie seelenruhig, gar wie ein Engel anmutend und er vergriff sich wie der Dämon, der er war, an ihrer lieblichen, fleischlichen Hülle.

Tagelang hatte er ohne ihre Präsenz auskommen müssen; einzig seine Schuldgefühle hatten ihn während dieser Tage still, unbemerkt und doch schmerzhaft begleitet. Sariel wusste ganz genau, dass er einen gewaltigen Fehltritt begangen hatte und dennoch tat er so, als ob Sally an allem Schuld trug. Nun, er war äußerst verletzt, denn sie erinnert sich nicht mehr an ihn, Sam. Er war doch ihr Sam … für immer.

Wehleidig fuhr er mit seiner Daumenspitze ihre vollen Lippen nach. Natürlich hätte er lieber seine Lippen mit den ihren vereint, doch das wäre zu viel des Guten gewesen. Er konnte sie unmöglich derart beschmutzen. Nach alledem, was er schon getan hatte, wäre das so gewichtig wie ein weiteres Vergehen gewesen. Sariel wusste, dass er sein ganzes Glück, welches aus ihrer Liebe bestand, verspielt hatte. Sobald sie sich wieder an alles erinnerte, dann würde sie ihn von sich weisen, angewidert von seinem dämonischen Charakter. Sie würde ihn verfluchen und sich wünschen, dass sie sich niemals getroffen hätten.
 

Zurecht. Er war ein Monster.
 

Sein Herz – wenn er denn überhaupt eines hatte – verkrampfte sich qualvoll. Wenn dem so war, dann musste er sie berühren, ein letztes Mal. Sie war einfach wunderschön, sogar in den übergroßen Sachen, die ursprünglich ihm gehörten. Und erst ihr unverkennbarer Geruch! Sie hatte sein Männerduschgel benutzt, und dieses hatte sich mit ihrem eigenen Körpergeruch vermischt. Ja, sogar wenn er blind gewesen wäre, hätte er seine Celeste allein anhand ihres Geruches erkannt. All die Dinge liebte er an ihr, doch etwas fehlte: Ihre Stimme. Seitdem er sie gefunden hatte, war kein einziger Ton ihrem Munde entflohen. Sie hatte ihn immer wieder angesehen, zaghaft und doch voller Liebe. Als ob sie wusste, dass sie ihn, der neben ihr saß, vor ihrer Amnesie geliebt hatte. Nur wusste sie nicht, dass er, den sie angeblich liebte, sie fast in den Abgrund gestürzt hätte.

Sich nach ihrer Nähe verzehrend, fuhr seine Hand über die deutlich sichtbare Erhebung unter dem schwarzen Pullover, wo seine Hand für ein paar Sekunden verharrte, bevor sie auf ihrem Oberschenkel zum Stillstand kam. Er konnte so noch stundenlang weitermachen, aber all die Tage, die vergangen waren und an denen er sich um Celeste riesige Sorgen machen musste, hatten an seiner Substanz gezerrt. Bevor er noch hier, neben seinem Engel, einschlief, würde er lieber das Zimmer verlassen und es sich auf der Couch bequem machen. Nun war er seinen tief verborgenen Gelüsten nachgegangen, was schon schlimm genug gewesen war, aber noch fataler wäre es doch gewesen, wenn er neben ihr einschlafen und sie bemerken würde, dass er unter der Last seiner eigenen Worten zusammengebrochen war.

Widerwillig kämpfte sich der Schwarzhaarige auf die Beine und verließ sein eigentliches Schlaf- und Arbeitszimmer mit hängenden Schulter. Morgen wartete noch allerhand Arbeit auf ihn und es war wohl das Beste, wenn er sich vorerst auch schlafen legte.
 

Zur gleichen Zeit, in derselben Stadt polierte ein junger Mann Anfang zwanzig ein großes Arsenal von Waffen in einer Kapelle. Seine verzerrte Miene verkündete eine fast unmenschliche Wut. Länger konnte er diesen Drang nach Vergeltung nicht unterdrücken. Dieser Mistkerl Saleem hatte die Erde zur Hölle gemacht und dafür würde er büßen! Nicht nur seine Zwillingsschwester litt unter seiner Anwesenheit, sondern auch Ioelet … aber die gab es inzwischen nicht mehr. Erfüllt von unbändigem Zorn schleuderte er das Messer, welches er gerade in seiner Hand gehalten hatte, von sich und verließ mit trampelnden Schritten das heilige Gebäude. Er hatte Dinge zu tätigen, denn irgendwann musste Satans Diener dingfest gemacht werden. Er, Keenan Ephraim Zacharias, würde Saleem persönlich zurück in die Hölle befördern, auf dass er niemals mehr einen Fuß auf die Erde der Menschen setzen konnte. Was zu weit ging, ging zu weit. Jetzt würde er zeigen, dass die Menschen nicht so schwach waren, wie diese verdammten Dämonen angenommen hatten.

Flashback 1.1

„Gib mir deinen Arm, Celeste! Sofort! Wir haben nicht alle Zeit der Welt, schon gar nicht ich.“ Doch sie weigerte sich immer noch. Dieses ganze Theater dauerte nun eine halbe Stunde und kein Ende schien in Sicht zu sein. Zuerst hatte sie seinem Plan, wenn auch erst nach langem Hin und Her, zugestimmt und dann weigerte sie sich plötzlich. All seine Worte prallten an ihr ab oder wurden höchstens mit einem schneidenden Blick abgetan. So langsam neigte sich seine Geduld dem Ende zu … was höchst ungemütlich für seine Leute werden würde – und vor allem für Celeste.

Der geflügelte Diener Gottes hatte den Kelch vor seinem Dahinscheiden seiner Geliebten zugespielt. Praktisch, wie er fand, denn dann musste er niemanden aus dem Weg räumen – vom Engel Ioelet abgesehen –, um an sein Ziel zu kommen. Zwar wäre es kein großer Verlust für die Welt gewesen, doch er wollte nicht, dass seine Sally wieder einen Grund zum Protestieren hatte. Zudem machte er sich so nur unnötig schmutzig. Wenn der Dämon nicht so sehr an der jungen Frau gehangen hätte, wäre sie schon vor fünfundzwanzig Minuten tot gewesen, genauso wie Ioelet.

„Cele‒“, brüllte er, als plötzlich sein Handy klingelte. Knurrend griff er in seine Hosentasche und beförderte ein schwarzes Mobiltelefon an die Oberfläche. Die Nummer gehörte einem seiner „Bekannten“. Mit einem hörbaren Murren nahm er den Anruf entgegen, gefolgt von einem überaus gereizten „Ja?“.

„Saleem, was ist los? Ziehst du es jetzt durch oder hast du etwa Angst bekommen? Hey, sie ist nur ein Menschenmädchen. Solche findest du auf der Erde zuhauf und dazu sind die meisten auch noch ziemlich willig, was deine Sally nicht gerade zu sein scheint.“, meinte der Mann auf der anderen Leitung amüsiert. Saleem allerdings fand sein Gerede überhaupt nicht lustig und musste sich deshalb zusammenreißen, um ihn nicht anzuschreien. „Jetzt hör' mir mal gut zu: Deine Kommentare kannst du schön für dich behalten. Was Sally ist oder nicht ist, sollte dich keineswegs interessieren, wenn dir dein Leben lieb ist. Und wenn du sie noch einmal bei ihrem Spitznamen nennen solltest, dann darf DEINE Familie DEINE Gedärme und alle andere Innereien, die sich so in dir finden lassen, aus DEINEM Briefkasten fischen. Ich frage mich, welches Familienmitglied wohl die Ehre hat, dein Herz…“ Jedoch wurde sein lauter Gedankengang durch ein erschrockenes Schnauben unterbrochen. „Schon gut, schon gut. Ich wollte nur wissen, wann du jetzt endlich wiederkommst.“, murmelte er kleinlaut. „Eine halbe Stunde, wenn überhaupt. In weniger als einer halben Stunde werde ich da sein. Setzt schon mal einen Tee für mich auf. Wie wäre es mit … ähm, Oolong-Tee?“, sinnierte Saleem.

Doch noch bevor sein „Bekannter“ eine Antwort in seinem Kopf formuliert hatte, damit er diese anschließend kundtun konnte, hatte Saleem schon wieder aufgelegt.
 

Eine halbe Stunde also. Das bedeutete, er musste Sally Gewalt antun, ob er wollte oder nicht.
 

Ihm lag einfach nichts daran, von seinen Artgenossen als weich abgestempelt zu werden. Nach all den Jahren auf der Erde wollte er ihnen zeigen, dass er genauso hart und unbeugsam war wie in der Hölle – so, wie sie ihn eben kannten. Und auch wenn er Sally liebte, so konnte er dieses Mal nicht auf ihre Gefühle Acht geben. Es würden bessere Zeiten hereinbrechen, irgendwann, aber dafür musste er ihr erst einmal wehtun…
 

…damit alle sahen, dass ein lächerliches Menschenmädchen seinen Willen nicht brechen konnte.
 

Sobald Celeste bemerkt hatte, dass Saleem fertig mit seinem Telefonat war, ging sie resolut auf ihn zu, sodass sie ihm gegenüber stand. Seine kalte, düstere Seite machte ihr Angst und Pfarrer Hayne sagte zu ihr immer, dass alle Entscheidungen, die man unter dem Einfluss von Angst tat, falsch waren. Dementsprechend musste sie nun gegen seinen Willen handeln.

„Sam, ich kann das nicht! Bitte lass' uns gehen.“, hauchte sie ihm zu, aber da griff er hart nach ihrem Handgelenk und zog sie zu sich heran. Erst glaubte die junge Frau, er wollte sie umarmen, doch da lag sie vollkommen falsch. Ja, das Wort falsch zeigte ihr nun ganz andere Dimensionen auf. „Du willst nicht? Es tut mir leid, aber dann muss ich etwas tun, was mir nicht leichtfallen wird.“

Seine rechte Hand legte sich fest – zu fest, wie sie spürte – auf ihren Unterarm. Mit der freien Hand holte er ein silbernes Messer hervor. Erkenntnis, gepaart mit tiefster Furcht glühten in ihren kastanienbraunen Augen auf.
 

Sam würde sie umbringen, damit er danach den Kelch zerstören konnte!

Aber … sie liebten sich doch … oder beruhte das nicht auf Gegenseitigkeit?
 

„Saleem, bitte, tu' das nicht. Du verlierst deine Menschlichkeit! Das bist nicht du … Sam, bitte!“, flehte die junge Frau, welche nunmehr einem Mädchen glich, so hilflos und ungeschützt. Sie wollte ihn von sich stoßen, denn sie war in Gefahr, genauso wie der Kelch. Und den Kelch musste sie mit ihrem Leben beschützen. Ja, mit Gottes Kraft schaffte sie es. Nur nicht zimperlich sein. Sam konnte ihr wehtun, also konnte sie ihm erst recht wehtun. Die Situation hatte sich radikal geändert und forderte nun von ihr, genauso zu handeln, wie man es von einem Erwachsenen in ihrem Alter erwarten konnte.
 

Aber verdammt nochmal: Sie schaffte es einfach nicht!
 

Celeste hatte bisher immer geglaubt, dass Gott stets an ihrer Seite wachte, doch das war ein naiver Gedanke gewesen. Gott hatte nicht einmal einem seiner Engelskinder geholfen, obwohl es von äußerster Priorität gewesen wäre. Ja, es war einzig und alleine Gottes Schuld, dass Ioelet tot war und ihr Zwillingsbruder Keenan die schlimmsten Momente seines Lebens durchmachte. Ihr Verrat war gar nichts dagegen. Sie trug keine Schuld an alledem. Keine Schuld. Sie konnte ohne ein schlechtes Gewissen sterben…

Denn auch jetzt gab es kein Anzeichen von der Anwesenheit Gottes – und sie merkte, wie ihr Glaube an ihn sie verließ, mitsamt ihren Kräften. Es ließ sich wie ein heftiges Brennen beschreiben. Wahrlich, es war ein Wunder, dass sie noch nicht in Flammen stand. Wut und Schmerz verschlang ihren Körper von innen und sie stand nur da und beobachtete, wie Saleem das Messer über ihren Arm führte. Die feine Klinge schnitt sauber und gerade ihre Pulsadern auf; eine wahrhaftige Lebensquelle. Das Ganze wäre perfekt gewesen, wenn Flammen aus diesen Schnitten emporgestiegen wären und ihren „Geliebten“ verbrannt hätten. Aber das fand gerade mal in ihrer Fantasie statt. In Wirklichkeit würde er sie hier jämmerlich verbluten lassen, wie Schlachtvieh.

Sie brachte schon keine Worte mehr heraus, denn ihre Tränen sagten alles aus. Wie ein steter Fluss quollen sie aus ihren Augen, die wie auch ihre Arme und ihr Innerstes brannten. Lichterloh. So musste sich wohl die Hölle anfühlen. So musste sich Sam's Geburtsstätte anfühlen. Das war ein Zeichen dafür, dass sie in der Hölle landen würde. Sie hatte Gott verraten, ihn, den Erschaffer der Menschen.

Nun, dann sollte dem wohl so sein. Mit einem erschütterten Lächeln nahm sie war, wie noch mehr Tränen über ihre leichenblassen Wangen rollten und in ihren aufgeschnittenen Armen landeten. Es brannte … noch mehr als zuvor.

„Feuer.“, murmelte sie.
 

Immer wieder.

Feuer, Feuer, Feuer.

Und der Tod.
 

Und dennoch liebte sie Saleem nach wie vor. Und er sie. Das wusste sie, denn er sagte es ihr überdeutlich, nachdem er den Kelch mit ihrem Blut gefüllt hatte.
 

„Ich liebe dich, meine kleine Sally. Für immer.“
 

Genau diese Worte waren das Letzte, was sie vernahm, bevor die kalten Klauen der Dunkelheit sie ergriffen und in die tiefsten Tiefen der Unterwelt zogen. Sie fiel in Ohnmacht. Nur Saleem's Worte und sein liebevoller Gesichtsausdruck begleiteten sie.
 

Ja, er würde für immer an ihrer Seite bleiben.



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