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Eine Liebesgeschichte aus Edo

von

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Herbstgedicht - Teil 1 -

Es regnete noch immer, als sie Edo endlich erreichten. Yukio war es vorgekommen, als hätte diese Reise ewig gedauert, zumal er lediglich durch die Bambusgitter seines Palankin nach draußen hatte sehen können. Das sanfte, aber schon bald auf die Nerven gehende Schaukeln, hatte weder Ruhen, noch Entspannen zugelassen. Am liebsten wäre Yukio wie die anderen, einfach zu Fuß gegangen, doch das war nicht möglich gewesen. Aufgrund seiner Verkleidung als Mädchen, hätte es sich nicht geziemt, auch nur einen Schritt auf dem staubigen Weg zu tun und so hatte er sich den Sicherheitsvorkehrungen fügen müssen.

Seine gedrückte Laune hatte sich jedoch etwas gebessert, als sie endlich Edo erreicht hatten. Neugierig hatte er nach draußen gelugt, die vielen Menschen betrachtet, unter welchen sowohl Bauern, als auch Samurai waren und versucht seine Unruhe zu bezähmen. Er war als Geisel nach Edo geschickt worden, als Pfand, dass sein Vater dem Shogunat treu ergeben war. Was für ein Leben er hier führen würde, wusste er noch nicht. Yukio war nur klar, dass die Gefolgsleute seines Clans ihn schon am nächsten Tag wieder verlassen würden und dann wäre er auf sich allein gestellt. Es würde von ihm Abhängen, welchen Status er sich am Hof erobern würde und ob das Auge des Shoguns mit Wohlwollen auf ihm liegen würde, oder mit Missfallen.

Tatsächlich war das Yukios größte Sorge, denn das was er über den derzeitigen Shogun, Tokugawa Isamu, gehört hatte, war nicht sonderlich beruhigend gewesen. Vor Jahren, als es einige Provinzen gewagt hatten sich gegen ihn aufzulehnen, hatte er fürchterliche Kriege geführt. Als Stratege war er brillant gewesen, doch leider auch für seine übermäßige Grausamkeit berühmt. Nun war er fast fünfzig, führte schon lange keine Kriege und drangsalierte mit seinem, noch immer heißblütigen, Temperament seine Diener und Generäle. Zumindest war es das, was Yukio zu Ohren gekommen war und das beruhigte ihn keineswegs. Doch da er ohnehin keine andere Wahl gehabt hatte, nach Edo zu kommen oder nicht, hatte er sich seinem Schicksal gefügt und ertrug auch die letzten Minuten, das endlose Schaukeln des Palankin, bis sie endlich den Palast erreichten. Durch das kleine Gitter konnte Yukio einen großen Hof erkennen, auf welchem viele Samurai standen, was Yukios Herz schmerzhaft schlagen ließ. Bald würden ihn die Vertrauten seiner Kindheit verlassen und er würde alleine zurückbleiben müssen.
 

Vom Fenster im ersten Stock konnte Minoru in den Hof blicken. Die Miene des Siebzehnjährigen war unbewegt, als er die kleine Gruppe betrachtete, die den Hof erreichte. Sie waren durchaus zur richtigen Zeit angekommen und Minoru aufatmen, denn er hätte seinem Herrn ungern eine Verspätung mitteilen müssen. Tokugawa Isamu war nicht gerade für seine Geduld bekannt.

„Lauf augenblicklich zu unserem Gebieter und informiere ihn darüber, dass der Sprössling aus der Provinz Dewa eingetroffen ist“, wies er einen Soldaten an und blickte wieder zum Fenster hinaus. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ein Diener mit einem offenen Regenschirm an den Palankin trat. Der rote, lackierte Schirm verdeckte das folgende Schauspiele und so war alles was Minoru von der aussteigenden Person sah, ein zierlicher kleiner Fuß, einen sehr eleganten Kimono und lange Haare, die nur locker zusammengebunden waren. Das Gesicht war nicht zu erkennen, da der Schirm sich augenblicklich etwas senkte, um den Regen von der Gestalt abzuhalten. Hatte man etwa ein Mädchen geschickt, fragte sich Minoru irritiert und setzte sich in Bewegung, um den Gast unten am Eingang zu begrüßen.

Die Wachen des Matsumoto Clans trugen keine Uniformen. Tatsächlich hielten die meisten Daimyos Derartiges für einen unnötigen Luxus, den einzig der Shogun an seinem Hof durchsetzte. Die Männer waren nass, verneigten sich jedoch angemessen.

„Seid willkommen. Mein Name ist Yoshida Minrou und werde Euch zum Shogun bringen, doch muss ich Euch vorher bitten, eure Waffen abzulegen“, sagte Minoru und strahlte dabei die gleiche Autorität aus, wie sie jedem Älteren zugestanden hätte. Seine Position, als Mitglied er Palastwache, hatte ihn rasch Autorität lernen lassen und Minoru versuchte sich jeden Tag, dieses Gunstbeweis seines Herrn, als würdig zu erweisen.

Die Männer murrten nicht, sondern nahmen ihre Schwerter und legten sie ab, wie es von ihnen erwartet wurde. Tokugawa selbst sah diese Art von Vorsichtsmaßnahmen als Unsinnig an, aber seine Berater, die ständig von der Panik getrieben wurden, der Shogun könnte einem Attentat zum Opfer fallen, hatten diese Regelung, durchgesetzt. Das war der Moment in welchem Minoru einen Blick auf den Matsumoto Sprössling werfen konnte. Erst beim zweiten Blick erkannte Minoru ihn als Jungen, der den Blick gesenkt hielt und es vermied ihn anzusehen. Seine Gestalt war schlank, das Haar lang und die Haut so weiß, wie Schnee. Nein, nach einem Krieger sah er nicht aus und das lag gewiss nicht an seiner Kleidung.

Es war nicht ganz ungewöhnlich, dass sich Adelige als Frauen verkleideten, wurden diese doch kaum aufgehalten, oder überprüft. Minoru erinnerte sich daran, dass die Prvinz Dewa von zwei Clans beherrscht wurde. Einmal von dem Clan der Matsumoto und dann von dem Clan der Mogami. Beide Clans versuchten ihre Macht über die Provinz auszudehnen und die Macht ganz zu übernehmen, was erklärte, warum der Junge verkleidet nach Edo gereist war.

„Bitte folgt mir“, forderte Minoru die Gruppe höflich auf und wandte sich ab.
 

Yukio hatte keine Vorstellung vom Palast in Edo gehabt. Tatsächlich war das Anwesen seiner Familie in Dewa schon recht luxuriös gewesen, zumindest für den hohen Norden des Landes. Die Winter waren dort um einiges strenger, als im Süden und so hatte sein Vater Unsummen dafür ausgegeben, um das Haus in eine warme Festung zu verwandeln, die auch dem kalten Winter trotzen konnte.

Doch nun, wo er die Augen über die kostbaren Hölzer gleiten ließ, die bemalten Schiebetüren und den blankpolierten Flurboden, über welchen sie gingen, gleiten ließ, wurde ihm klar, dass kein Ort der Welt sich mit dem Palast des Shoguns würde messen können. Doch war es nicht nur die Pracht die Yukios Aufmerksamkeit auf sich lenkte, sondern auch der junge Samurai der sie führte. Er musste nur wenig Älter als Yukio selbst sein, vielleicht zwei oder drei Jahre und hatte dennoch schon einen Posten im Palast ergattert. Er war zu beneiden, wenngleich Yukio schon ahnte, dass er seinen Posten sicherlich aufgrund dessen erhalten hatte, dass sein Vater schon im Palast seinen Dienst tat. Je weiter entfernt man von Edo lebte, desto unmöglicher war es, eine solche Ehre zu erlangen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als in kleinen Schritten, der Gruppe zu folgen, bis man sie vor eine breite Schiebetür führte, die im schlichten hellbraun gehalten war.

Die beiden Samurai, die davor saßen, verneigten sich und zogen diese mächtige Tür auf, um die Gruppe einzulassen. Dabei handelte es sich um einen Vorraum, in welchem die Samurai angewiesen wurden zu warten, während Minoru Yukio alleine weiter führen würde. Dann wurde die nächste Tür aufgezogen und dort, in einem schönen Zimmer ohne Fenster, saß auf dem Podest ein Mann, der über eine Karte gebeugt war und der monotonen und leisen Stimme, eines Samurais lauschte.

Wie es sich gehörte kniete sich Yukio hin, ebenso wie der junge Samurai an seiner Seite und als Tokugawa seinen Blick endlich auf Yukio lenkte, verneigte sich dieser, wie man es ihm beigebracht hatte. Frischer Duft der Tatamimatten stieg ihm in die Nase, bevor er sich langsam wieder aufrichtete.
 

Wie ein Mädchen, dachte Minoru etwas abfällig, als er Yukio knien sah. Wie sich ein Samurai dazu bringen lassen konnte, als Mädchen zu reisen, wollte ihm einfach nicht in den Kopf. Er hätte, es gewiss nicht getan.

„Du bist also Matsumoto Yukio“, sprach Tokugawa schließlich und entzog seine Aufmerksamkeit dem Samurai mit der Karte. Seine Augen huschten über die knabenhafte Gestalt, au eine Art die Minoru unruhig machte. Er kannte seinen Herrn und wusste, dass dieser Schönheit nicht abgeneigt war. „Mir scheint fast, dass euer Vater mir anstatt seines Sohnes, ein Mädchen zu schicken wünschte“, sagte der Shogun weiter und lachte dunkel, was Yukio zum erröten brachte und in Minoru einen Hauch von Mitleid weckte. Der zurückhaltende Junge wollte den Mund öffnen, um etwas zu sagen, doch kam ihm Tokugawa zuvor.

„Du musst mir nicht versichern, dass du kein Mädchen bist, das sehe ich auch so“, begann Tokugawa weiter zu sprechen. „Yoshida-san wird dich jetzt in deine Räume bringen. Dort wirst du bleiben, bis ich darüber entschieden habe, wie viel Bewegungsfreiheit ich dir zugesehen werde.“ Minoru atmete ein wenig auf. Das war der übliche Ablauf und mit etwas Glück für Yukio, würde der Junge ein langweiliges Leben am Hofe führen und aus Minorus Aufgabengebiet fallen.

„Ich danke Euch für eure Großzügigkeit“, murmelte der Junge und erhob sich im gleichen Moment wie Minoru, der ihn wieder aus dem Raum führte. Die Samurai des Matsumoto Clans hatten das leise Gespräch kaum verfolgen können, doch auch sie erhoben sich und folgten Minoru und Yukio.
 

Die Unterkunft für den Jungen, der bald ohne Gefolge im Palast zurückbleiben würde, war in der Nähe des Palastgartens. Die schönen Räume waren einst für Gesandte reserviert gewesen. Nun waren sie ein perfektes Heim für die Söhne der weitentfernt lebenden Daimyos. Der Palastgarten wurde tatsächlich so oft genutzt, dass keine ihrer Bewegungen unbeobachtet blieb. Die Höflinge und Besucher des Gartens hatten vor allem in den Sommermonaten einen freien Blick auf die Geiseln, die wie auf einer Bühne leben mussten, jeden Moment von allen Seiten beobachtet.

Tatsächlich weilten die diesem Teil des Palastes derzeit noch zwei andere Jungen, die auf der Veranda, vor ihren Räumen saßen und Minoru, mitsamt seinem Anhang beobachteten. Der junge Samurai achtete jedoch nicht auf sie. Ein Blick zu Yukio verriet, dass auch dieser nicht hinsah, ihm stattdessen in kleinen, zierlichen Schritten folgte, wie es eben der enggebundene Kimono erlaubte.

Yukio waren zwei Räume zugestanden worden. Ein Empfangsraum und ein Schlafgemach, die durch eine dünne Shojitür miteinander verbunden waren. Beide konnten von der Veranda her betreten werden. Es waren sicherlich nicht die schönsten Räume aber vor ihnen knieten zwei Diener. Eine ältere Frau und ein Junge, die sich sehr höflich verneigten.

„Das werden eure Gemächer sein und das eure Diener, Kumiko und Shiro. Ihr müsst Euch nun von eurem Gefolge verabschieden. Sie haben Anweisung morgen früh wieder abzureisen und bis dahin in der Kaserne zu bleiben“, teilte Minoru Yukio die übliche Vorgehensweise mit und sah im nächsten Moment die feuchten Augen, des Jünglings, der ganz offensichtlich nicht damit gerechnet hatte, sich so schnell verabschieden zu können.

„Wird es mir erlaubt sein, sie bis morgen früh, in der Kaserne noch einmal zu… aufzusuchen?“, erkundigte er sich mit dünner Stimme, die Minoru fast den Kopf hätte schütteln lassen. Wie konnte man sich nur so gefühlsbetont zeigen, anstatt sich einfach den Regeln zu fügen.

„Es tut mir leid, aber das ist nicht erlaubt“, antwortete Mirnou und spürte den Hauch von Mitleid, da er ein wenig verstehen konnte, wie schwer es fallen musste, auf alles vertraute zu verzichten. Zumindest nickte Yukio und Minoru trat ein wenig beiseite, um den Jüngling unbelauscht mit von seinen vertrauen Begleitern Abschied nehmen zu lassen. Es dauerte nicht lange und Yukio verneigte sich vor seinen Begleitern, dankte ihnen für ihre Treue, ehe er ohne einen weitern Blick auf Minoru zu werfen, seine neuen Räume betrat.

Ein wenig überrascht, sah Minoru auf die sich schließende Shojitür. Er hatte Tränen erwartet, aber wie es aussah, hatte sich der Junge doch fangen können. Er wandte sich ab, um den Rest des Matsumoto Gefolges zur Kaserne zu bringen.
 

Über den Rest des Tages schaffte es Minoru erstaunlich gut, Yukio aus seinen Gedanken zu bannen. Als Mitglied der Wache des Shoguns, unterstand er einem seiner Vertrauten, Fukuwara Saburo. Dieser war nicht nur Minorus Lehrer, sondern auch ein enger Freund, seines verstorbenen Vaters. Der Wunsch Fukuwara zu gefallen, war so tief, dass Minoru innerhalb der Palastmauern schon den Ruf erhalten hatte, ein überaus ernsthafter junger Mann zu sein, der einem erfahrenen Samurai in kaum etwas nachstand.

Das war auch der Grund, warum Fukuwara Minoru damit betraute, sich um den Neuankömmling zu kümmern. Gewiss war das nicht die spannendste Aufgabe für Minoru, doch hatte Fukawara Minoru diesen mit einer solchen Bestimmtheit übergeben, dass Minoru nicht einmal auf die Idee gekommen war, sich dagegen zu äußern.

Die ersten Zweifel kamen ihm allerdings, als er Yukios Gemächer erreichte. Der junge Shiro kniete vor der geschlossenen Shojitür und wirkte sehr unglücklich, als er Minoru nahen sah. Als der Samurai die Veranda betrat verneigte er sich sehr tief.

„Verzeiht, aber Matsumoto-san ist noch nicht fertig“, sagte er kleinlaut und leckte sich sehr nervös über die Lippen, was Minoru die Augenbrauen zusammenziehen ließ.

„Warum ist er noch nicht fertig?“, fragte er den Diener ziemlich barsch, der nicht einmal wagte den Kopf, geschweige den Blick zu heben.

„Matsumoto-san... weigert sich das Gewand zu tragen, welches Tokugawa-sama ihm geschickt hat“, wisperte er gegen den Verandaboden, was Minoru nur ärgerlicher machte. Was sollte das alles auf einmal? Wusste der Yukio auf einmal nicht, was sich gehörte? Er trat näher und wies Shiro an die Tür zu öffnen, der es auch eiligst tat. Die Shojitür glitt fast geräuschlos auf und gab den Blick frei auf Kumiko frei, die vor einem deutlich wütenden Yukio kniete und ihm einen Kimono hinhielt. Einen Mädchenkimono, der mit bunten Blumen bemalt war und lange Ärmel hatte. Yukio selbst trug nur einen weißen Juban und drehte in dem Moment den Kopf zu Minoru, als dieser eintrat. Funkelnde Augen begegneten dem überraschten Blick des jungen Samurais, der einen Moment brauchte, bis er sich gefangen hatte.

„Warum seid Ihr noch nicht fertig, Matsumoto-san?“ fragte er und ignorierte Kumiko die sich vor ihm verneigte und dann den Kimono in aller Ruhe wieder glättete. Sie ließ sich kaum aus der Ruhe bringen. Ganz anders dagegen Yukio, der den bunten Stoff losgelassen hatte und sich trotz seines unangemessenen Aufzugs zu Minoru wandte.

„Ich bin noch nicht fertig, weil ich nicht passendes zum mich ankleiden bekommen habe“, gab er frostig zurück, was Minoru die Augenbrauen heben ließ.

„Tokugawa-sama hat Euch doch ein Gewand geschickt, als zieht es an, damit Ihr euch nicht schon am ersten Tag verspätet“, antwortete er so nüchtern wie möglich, wobei er selbst nicht verstand, warum der Shogun Yukio einen Mädchenkimono geschickt und seine anderen Kleider zurückhalten hatte lassen.

„Seid Ihr von Sinnen? Ich werde keineswegs in einem Mädchengewand…“ Weiter kam er gar nicht, da ihn Minoru auch gleich unterbrach.

„Ich sehe keine Schwierigkeiten darin. Schließlich seid Ihr heute Morgen ebenfalls in einem Mädchenkimono nach Edo gekommen“, erinnerte er den aufgebrachten Jüngling daran, und hätte beinahe ein wenig aus Schadenfreude lächeln müssen, als er sah wie Yukio errötete. „Außerdem solltet Ihr bedenken, dass der Shogun Euch dieses Gewand geschickt hat und darum ist es auch eure Pflicht es zu tragen, wenn Ihr euren Clan nicht schon am ersten Tag in Ungnade fallen lassen wollt.“

Das war keine leere Drohung, sondern eine Weissagung, die auf Minorus Erfahrungen beruhte. Er hatte schon einige Männer gesehen, die sich dem Shogun aus vielen verschiedenen Gründen widersetzt hatten und ihnen allen war es nicht gut bekommen. Dieser Einwand schien zu wirken, denn obwohl sich Yukios Gesicht verdüsterte, machte er eine Handbewegung, dass Kumiko ihm beim ankleiden helfen sollte.

„Bitte wartet draußen, bis ich angezogen bin, Yoshida-san“, sagte Yukio sich schon abwendend. Nein, glücklich war er nicht, das sah ihm Minoru an, doch er verneigte sich dennoch leicht, bevor er wieder auf die Veranda trat und Shiro die Tür schließen ließ. Der Junge war wirklich töricht, dachte er bei sich und blickte in den Garten, der langsam von Dunkelheit umfangen würde. Wenn er nicht bald lernte, dass es besser war sich allem hier am Hof zu fügen, würde er keinen Monat überleben.
 

Es kostete Yukio wirklich Überwindung den Kimono anzuziehen. Er wollte ihn nicht tragen. Oh, er hatte sich auf der Reise hierher gefügt, da er den Schutz einer solchen Verkleidung erkannt hatte, doch hier war es nicht mehr nötig und so sah er den Kimono, als eine Demütigung an, die er in seinen Augen einfach nicht verdiente. Während Kumiko ihm einen schweren, dunkelblauen Obi band, musste Yukio leider auch Minoru im Geiste zustimmen, dass sein Verhalten falsch gewesen war. Es wäre äußerst dumm gewesen, sein Vorhaben zu verwirklichen und sein Missfallen, über den Kimono später beim Shogun zu äußern. Seinem Clan zuliebe, musste er sich fügen und hoffen, dass sein Aufenthalt hier, seine Familie nicht nur vor den Angriffen der Mogami schützen würde, sondern ihnen auch die Provinz Dewa ganz einbringen würde.

Mit diesem Gedanken im Kopf trat er schließlich aus seinem Zimmer hinaus. Der enge Obi zwang ihn sich sehr gerade zu halten und der enge Kimono würde ihn wieder zu winzigsten Schritten verdammen, aber all das war ein kleiner Preis, für das was ihm als Gewinn winken mochte.

„Verzeiht, dass ich Euch habe warten lassen, Yoshida-san.“ Es war keine plötzliche Reue die Yukio bewog sich zu entschuldigen, sondern die Erkenntnis, dass er sich ungebührlich vor ihm verhalten hatte. Der junge Samurai musterte ihn einem Moment und neigte leicht den Kopf, zum Beweis, dass er die Entschuldigung akzeptierte.

„Folgt mir bitte“, forderte er Yukio auf, der in trippelnden Schritten versuchte mit Minoru Schritt zu halten. Während sie durch den Garten gingen, nutzte Yukio die Gelegenheit seinen Begleiter zu mustern. Er war einen halben Kopf größer als Yukio selbst, hatte breitere Schultern und seinen Handrücken zierte eine schmale Narbe, die vom Kampftraining kommen musste.

„Verzieht meine Frage, aber wie kommt es, dass jemand der so jung ist wie Ihr, schon in der Palastwache eingesetzt wird?“ fragte Yukio mit echter Neugierde, die jedoch etwas in sich zusammen fiel, als er die Falte auf Minorus Stirn entdeckte. Der Samurai sah ihn nicht an und schon dachte Yukio, dass die Frage unangemessen war, als Minoru sich doch zu einer Antwort herab ließ.

„Fukuwara-sama, mein Lehrer, befand, dass ich gut genug für die Palastwache bin und hat mich daher aufgenommen“, erläuterte er kurz angebunden, was Yukio die Lippen aufeinander pressen ließ. Wie es aussah stimmte es, dass man nur mit guten Kontakten einen Posten im Palast ergattern konnte, wenngleich es Yukio nicht laut aussprach. Er zog es vor den Rest des Weges zu schweigen und Minoru animierte ihn auch zu keiner Konversation.
 

Sobald sie wieder die weitläufigen und schönen Flure betraten, senkt sich Yukios Blick ein wenig. In regelmäßigen Abständen standen Wachen zu rechten und zur linken Seite, von welchem sich Yukio beobachtet fühlte. Auch Diener kamen ihnen entgegen und auch da fühlte sich der Jüngling im Mittelpunkt des Interesses. Wäre Minoru nicht so vorgeprescht, hätte Yukio seine Schritte gewiss verlangsamt, doch diese Möglichkeit war nicht vorhanden, so dass sie viel zu bald den kleinen Bankettesaal erreichten, in welchem Tokugawa und seine Vertrauten speisten.

Yukio bereute, dass er nicht eher fertig geworden war, da er nun mit Minoru gemeinsam als letzter den Saal betrat, was ihm alle Blicke sicherte. Er ließ sich von Minoru zu seinem Platz führen, der bedauerlicherweise zur Linken des Shoguns war. Noch ehe er sich hingekniet hatte, lagen Tokugawas Blicke auf ihm.

„Es freut mich, dass Ihr doch noch den Weg hierher gefunden habt“, sagte der Shogun mit etwas Ironie in der Stimme, während Yukio sich schmerzlich bewusst war, wie genau er zusah, wie der Jüngling sich setzte.

„Verzeiht. Ich bin nicht geübt mich in solche Kimonos zu kleiden“, entschuldigte sich Yukio und verneigte sich entschuldigend.

„In dem Fall, werden wir dafür sorgen, dass Ihr Übung darin bekommt“, meinte Tokugawa nachdenklich, was Yukios Wangen brennen ließ. Die Aussicht, dass der Shogun diese Art von Drohung tatsächlich wahr machen könnte, wollte seinen Zorn hoch schwappen lassen. Doch er beherrschte sich, senkte demütig den Blick und predigte sich Geduld.
 

Wie es sich gehörte hatte sich Minoru an die Seite des Saales gesetzt, so dass er genau zwischen Yukio und Tokugawa blicken konnte. Ihm waren die wenigen Gesprächsfetzen nicht entgangen, die einen Samurai beleidigen mussten. Doch bis auf das leichte erröten seines Nackens konnte Minoru nichts sehen, was Yukios Missfallen verkündet hätte.

Auf das Mahl blickend frage sich Minoru wie lange es wohl dauern würde, bis dieser unbedarfte Jüngling stolpern würde, denn dass er es würde, war sicher. Minoru hatte den Nachmittag genutzt, um sich über den Neuankömmling zu informierten und hatte herausgefunden, dass dieser gerade einmal ein Jahr jünger als er selbst war. Trotzdem kam er ihm wie ein Kind vor, warum Minoru beschloss ihm mit etwas Nachsicht zu begegnen.

Er hatte als Geisel einen jungen Samurai erwartet und gekommen war ein verweichlichter Knabe, dem besser zu Gesicht gestanden hätte ein Mädchen zu sein! Einen Seufzer unterdrückend sah er wie Yukio dem Shogun Sake nachfüllte, wobei er seinen wundervollen Unterarm entblößte. Wie Tokugawas Augen, ruhten auch Minorus darauf, der mit einer bösen Vorahnung bemerkte, dass Yukio mehr von Tokugawas Aufmerksamkeit auf sich lenken würde, als es gut für ihn wäre.

Herbstgedicht - Teil 2 -

Es war bereits sehr spät, als Yukio sich endlich zurückziehen durfte. Der Sake, die aufdringlichen Fragen, die Scherze auf seine Kosten und das viele Essen, hatte ihm schlicht und ergreifend die Kraft geraubt. Der Kimono erschien ihm unglaublich schwer und wäre nicht Minoru dagewesen, um ihn wieder zurück in sein neues zu Hause zu bringen, hätte er den Weg sicherlich nicht gefunden.

Der Kiesweg knirschte unter seinen Füßen, während er Minoru folgte. Er sehnte sich nach seinem Futon und Ruhe. Sie hatten gerade die Veranda erreicht, wo sich Yukio von Minoru verabschieden wollte, als ein paar Räume weiter, eine Shojitür aufgezogen wurde. Hinaustrat ein junger Mann. Er hatte sein Haar im Samuraistil hochgebunden, trug jedoch einen dunklen Kimono dessen Saum mit goldenen Fäden bestickt war. Seine Augen streiften sowohl Minoru, als auch Yukio. Er deutete nur eine kleine Verneigung an, bevor er mit seinem Diener Richtung Plast lenkte.

„Wer war das?“, fragte Yukio überrascht und sah dem jungen Mann nach, der entschlossenen Schrittes und erhobenen Haupts, sich von ihnen entfernte. Fast mochte sein Weggang arrogant wirkten. Als Minoru nicht antwortete, sah Yukio überrascht zu diesem und erblickte eine tiefe Furche auf der Stirn des jungen Samurais, die alles andere als beruhigend wirkte.

„Das war Ikomo Ryo. Er kommt aus der Provinz Harima und ist genauso eine Geisel wie du“, erklärte er schließlich und machte eine Handbewegung, dass Yukio endlich ins Zimmer gehen sollte. Der Diener hatte die Tür bereits aufgezogen und verneigte sich tief, während Yukio die Augen von dem andere kaum lassen konnte. Erst als ihn Minoru fast in den Raum drängte, fing sich Yukio wieder.

„Ich dachte, dass man sich als Geisel nicht frei bewegen könnte“, sagte Yukio und legte die Hand auf die Shojitür, so als würde er nach dieser Frage auch tatsächlich eintreten wollen.

„Ikomo-san, hat gewisse Privilegien erhalten“, antwortete Minoru kühle, was Yukio die Augenbrauen heben ließ.

„Privilegien?“ fragte er überrascht und sah Minoru mit Unverständnis an. „Darf ich fragen wie er diese erhalten hat?“ wollte er wissen, doch ganz offensichtlich war Minoru nicht bereit ihm diese Information zu geben, denn er trat einen Schritt von Yukio fort und legte die Hand auf sein Schwert.

„Das sollte nichts sein, was Ihr erstreben solltet, Matsumoto-san. Ich wünsche Euch eine gute Nacht.“ Mehr sagte der Samurai nicht, sondern verneigte sich sehr höflich vor Yukio und verließ ihn. Yukio blieb alleine zurück. Kumiko nahm ihn auch gleich in Empfang. Später als er befreit von dem schweren Staat auf seinem Futon lag und um Schlaf kämpfte, fragte er sich, warum Minoru sich wohl so kühl verhalten hatte und vor allem auch, was für Privilegien es genau waren die Ikomo sich da erobert hatte und eben so wie.
 

Der nächste Morgen fing genauso irritierend an, wie der letzte aufgehört hatte. Stimmen weckten Yukio, der gerne noch ein bisschen weiter vor sich hin geschlummert hätte. Doch bevor noch überhaupt die Chance bestanden hätte die Stimmen zu identifizieren wurde die Shojitür zu einem Schlafgemach auch schon aufgestoßen. Vor Schreck setzte sich Yukio auf. In der Tür stand ein Kind von ungefähr sechs Jahren, vornehm gekleidet. Das Haar war im Samuraistil gebunden. Der Knabe starrte Yukio neugierig an, während Shiro sich verneigte und eine fremde Frau das Kind ergriff, dass sich strampelnd zur Wehr setzte.

„Bitte verzeiht“, keuchte die Frau und versuchte den wilden Schlägen auszuweichen. „Kamaguchi-san wollte Euch unbedingt sehen und ließ sich nicht davon überzeugen zu warten, bis Ihr aufgestanden seid.“ Yukio verstand gar nichts, aber um Glück tauchte nur einen Moment später Kumiko auf und sah die Hilflosigkeit ihres Herrn.

„Das ist nicht der rechte Moment, Matsumoto-san zu besuchen“, wies sie das Kind zurecht, welches unter den strengen Worten sich etwas beruhigte. „Ihr solltet Euch entschuldigen und dann gehen“, wie sie ihn weiter zurecht, was den Jungen heftig erröten ließ. Schließlich ließ er sich zu einer stammelnden Entschuldigung bringen und rauschte dann mit seinem Kindermädchen davon.

Yukio sah den beiden Sprachlos nach, bevor sein Blick zu Kumiko wanderte, die nicht sonderlich aufgeregt wirkte.

„Bitte verzeiht ihm. Er ist nur ein Kind und weiß nicht, was sich gehört. Außerdem wird er von seiner Kinderfrau verzogen“, erklärte sie und verneigte sich vor Yukio, der endlich seine Sprach wiederfand.

„Wer war das Kind?“ Er hoffte wirklich, dass er nicht jeden Tag so geweckt werden würde, denn sonst würde er innerhalb von einem Monat vor Schreck sterben!

Das war Kamaguchi Masahiro. Er ist von seinen Eltern nach Edo an den Hof geschickt worden, um erzogen zu werden. Er kommt aus der Provinz Musashi“, gab Kumiko bereitwillig zur Antwort. Yukio wusste schon was ihre Worte bedeuteten. Auch ihm hatte man weiß gemacht, dass eine Erziehung im Palast von Vorteil für ihn sein könnte. Das war die höfliche Umschreibung für Geiselhaft gewesen, weswegen er dazu nichts sagte.

„Lass mir mein Frühstück bringen und hilf mir dann mich anzukleiden“, wies Yukio die Dienerin an und stand dann auf. Shiro eilte das Frühstück zu holen, während Kumiko Yukio einen Kimono rauslegte, der den Jungen die Stirn runzeln ließ.

„Das ist nicht meine Kleidung“, wies er auf den bunten Stoff, der für einen Jungen in seinem Alter nicht ganz angemessen war.

„Ich weiß. Doch hat Tokugawa-sama diese Sachen für Euch geschickt und wünscht, dass Ihr sie auch tragt.“ Während Kumiko sprach hielt sie den Blick gesenkt, weil sie schon zu ahnen schien, dass Yukio gleich wirklich böse werden würde.

„Er wünscht, dass ich das da trage?“ empörte sich der Junge und presste die Lippen zusammen. Was für ein Spiel sollte das hier werden? Doch dann erinnerte er sich an die Worte seines Vaters, der ihm eingeschärft hatte auf gar keinen Fall unangenehm aufzufallen und sich allen Wünschen des Shoguns zu fügen. Es hing zuviel von ihm ab, als dass er sich über Kleidung echauffieren konnte. Mit einem tiefen Seufzer gab er nach und nickte Kumiko zu, dass sie ihm beim anziehen helfen sollte.
 

Es war bereits Mittag, als Minoru mit einer Nachricht zu Yukio geschickt wurde. Er durchquerte den Palastgarten mit raschen und entschlossenen Schritten. Allerdings musste er diese verlangsam, als er die kleine Veranda ins Blickfeld bekam auf welcher Yukio saß und Shamisen übte. Sein Diener Shiro saß neben ihm. Der Jüngling wirkte überraschend gelassen und ahnte wohl noch nicht, was ihm für eine Ehre widerfahren war. Minoru presste die Lippen aufeinander und blieb vor der Veranda stehen, während Yukios Finger die letzten Töne dem Instrument entlockten. Die süße Melodie verklang und es entstand ein Moment der Stille, die sich wie ein Graben zwischen die beiden jungen Männer fraß, bevor Yukio endlich den Kopf drehte und zu Minoru blickte. In seinen Augen funkelte Stolz und vorsichtige Höflichkeit.

„Guten Tag, Yoshida-san“, begrüßte er ihn und reichte das Instrument Shiro, der die Shamisen sofort zurück ins Zimmer brachte. „Ich habe nicht erwartet, Euch so rasch wieder zu sehen“, fügte Yukio hinzu und machte eine Handbewegung, dass Minoru zu ihm auf die Veranda kommen sollte. Ein wenig unwillig schlüpfte Minoru aus seinen Zori und stieg auf die Veranda. Shiro kam angelaufen und brachte ihm ein Sitzkissen, so dass er sich bequem hinsetzten konnte.

„Ich habe ebenfalls nicht gedacht, Euch so schnell wieder aufsuchen zu müssen“, antwortete er und fischte den Brief aus seinem Ärml, dem man ihm übergeben hatte. Er reichte ihn an Yukio weiter. „Mir ist die Ehre zuteil geworden, Euch darüber informieren zu dürfen, dass Tokugawa-sama Euch heute Abend, als Gesellschaft beim Abendessen wünscht.“ Der halbe Hof zerriss sich darüber schon das Maul, was Minorus Laune, dass gerade er diese Nachricht überbringen musste, stark gedrückt hatte.

Yukio dagegen schien nicht zu verstehen, denn er nahm den Brief an sich, las ihn und ließ die Hände gelassen sinken. Sein Gesicht zeigte weder besondere Freude, noch Sorge, was nur bedeuten konnte, dass er seine Gefühle hervorragend unter Kontrolle halten konnte, oder schlicht nicht verstand, was diese Einladung bedeutete.

„Bitte richtet meinen Dank aus, wenngleich ich nicht verstehe, warum dazu eine schriftliche Einladung nötig gewesen wäre“, sagte er und begann den Brief sorgfällig zu falten, während Minoru ihn mit gerunzelter Stirn anstarte. Hatte er etwa nicht verstanden? Die Frage lag Minoru auf der Zunge, aber er schluckte sie hinunter.

„Man wird Euch angemessene Kleidung bringen. Bitte seid dieses Mal pünktlich“, ermahnte er Yukio und rückte sein Schwert zurecht, um aufzustehen.

„Werdet Ihr sonst kommen, um mich wie ein Kind begleiten?“ wollte Yukio amüsiert wissen, was in Minoru seinen Geduldsfaden reißen ließ.

„Ich bin nicht dazu da, um Kinder zu ihren Stelldichein zu begleiten“, antwortete er heftig und bereute es sofort. Ein echter Samurai sollte sich nicht so gehen lassen. Er sah, dass er Yukio mit dieser Antwort verärgert hatte, da er die Lippen aufeinandergepresst hatte und ihn ärgerlich anfunkelte. Minoru blieb nichts anderes übrig, als sich zu verabschieden und zu gehen.
 

Es ließ ihn den ganzen Tag nicht mehr los. Je mehr Gedanken er sich zu dem ganzen Vorfall machte, desto ärgerlicher wurde er. Es hatte ihm nie gefallen, sich um diese Art von Gästen zu kümmern. Ryo Ikomo war ein sehr intriganter Kerl, der es schnell verstanden hatte sich einen Status im Palast zu sichern. In Minorus Augen war die Wahl, es über das Bett des Shoguns zu tun, vollkommen ehrlos und dennoch durfte er seine Abscheu dem jungen Mann nicht zeigen. Masahiro Kamaguchi war dagegen noch ein Kind, das von seinem Kindermädchen viel zu sehr verzogen wurde. Minoru hoffte, dass man bald einen Lehrer für ihn finden würde, der ihn als Schüler aufnahm und Minoru damit von der Pflicht befreite, ständig einen sechsjährigen zu suchen, der alles nur für ein Spiel hielt. Und nun war jetzt noch Yukio Matsumoto dazu gekommen.

So naiv konnte kein Mensch sein! Zumindest hatte Mironu das angenommen. Eine andere Erklärung gab es nicht, weswegen er so gelassen auf die Einladung hätte reagieren sollen, auf die jeder anderer im Palast mit höchster Aufregung beantwortet hätte. Also hatte man ihm vor seiner Ankunft entsprechend geschult und eingetrichtert, was ihn hier erwarten würde. Ob die Verkleidung bei der Ankunft nicht vielleicht doch ein Trick gewesen war, um im Shogun Gelüste zu wecken? Falls ja, dann war diese Idee grandios geglückt und hatte schneller Früchte als wahrscheinlich erhofft. Mit seinem hübschen Gesicht, dem gespielt zurückhaltendem Verhalten, würde Yukio Ryo schon bald von seinem Thron stürzen und dann hätte der Palast einen neuen Favoriten, der es verstehen würde seiner Familie Einfluss zu verschaffen.

„Yoshida-san?“ Die Worte weckten Minoru aus seinen ärgerlichen Gedanken und er sah zum Hauptmann, der hinter seinem Schreibtisch kniete und Minoru nachdenklich betrachtete. „Du scheinst mit heute sehr in Gedanken versunken zu sein, Yoshida-kun“, sagte er mit einem freundlichen Lächeln, was Minoru leicht erröten ließ.

Manch einer sagte, dass er Fukuwaras Liebling war, doch dem war nicht ganz so. Tatsächlich erwartete Fukuwara von Minoru mehr, als von jedem anderen in seinem Alter, wobei er auch ein väterliches Auge auf Minoru hatte, was den jungen Samurai oft in den Fokus seines Vorgesetzten schob.

„Verzeiht mir, Fukuwara-san“, entschuldigte sich Minoru und verneigte sich leicht. „Ich… war in Gedanken.“ Niemals hätte er gesagt, was ihm wirklich durch den Kopf ging, bei Dingen die ihn nichts angingen. Doch wie sooft erriet Saburo Minorus Gedanken mühelos und faltete die Hände.

„Du dachtest an die Einladung, die der Shogun ausgesprochen hat und welche Auswirkungen sie auf die Ruhe des Palastes haben wird, nicht wahr?“ Minorus Erröten war Antwort genug, weswegen Saburo auch weiter sprach. „Nun, es steht uns nicht zu, über die Entscheidungen unseres Herrn zu urteilen, aber wir sollten bereit sein, wenn die Dinge in Bewegung geraten werden. Ich befürchte, dass Ikomo-san, es nicht einfach hinnehmen würde, wenn er in der Gunst unseres Herrn sinken würde.“

Minoru nickte leicht und dachte an die vielen Vorfälle, die begonnen hatten einzutreten, seit Ryo Tokugawas Favorit geworden war. Wer es sich mit Ryo verscherzte, dessen Karriere vermochte rasch einen Knick zu erleiden. Das hatte nicht nur dazu geführt, dass Ryo sich mittlerweile relativ frei im Palast bewegen durfte, sondern auch dazu, dass selbst höhergestellte guten Kontakt zu ihm zu pflegen begonnen hatten. Minoru empfand so etwas als ehrlos und dankte den Göttern, dass der Hauptmann nicht zu dieser Sorte von Männern gehörte. Tatsächlich stand Saburo Fukuwara in so hoher Gunst, dass er es nicht nötig hatte, diese durch eine Freundschaft mit Ryo stärken zu müssen. Außerdem hielt er sich weitestgehend aus den politischen Ränken raus. Für ihn zählte nur die Pflicht, weswegen ihm Minoru auch so sehr nacheiferte.

„Aber wir sollten uns nicht mit Möglichkeiten beschäftigen die nicht Gegenwart geworden sind. Wenn man ständig nur der Zukunft hinterher läuft, wird man die Gegenwart nie richtig einschätzen können.“ Das waren sehr weise Worte, die sich Minoru zu Herzen nehmen wollte. Als Samurai sollte er im hier und jetzt leben und sich nicht um die Zukunft oder Vergangenheit sorgen. Wer konnte schon wissen, was Morgen geschehen würde.

„Ihr habt recht, Herr. Ich werde euren Rat beherzigen.“ Er hatte die letzte Silbe gerade ausgesprochen, als er im Flur schon dumpfe Schritte hörte, die eilig Richtung Schreibstube rannten.

Minoru wandte sich zur Tür, sein Körper spannte sich, bereit jeden Augenblick aufzuspringen und sein Schwert zu ziehen. Vor der Tür wurden die Schritte langsamer und durch den Schatten auf der Shojibespannung sah man einen Schatten sich hinknien, ehe die Tür endlich aufgezogen wurde. Es war eine Wache, die ganz außer Atem war.

„Verzeiht Herr, aber es hat einen Vorfall im Gästehaus am Garten gegeben. Matsumoto-san ist dabei verletzt worden.“ Der Mann hatte nicht einmal Gelegenheit weitere Worte zu sprechen, da Saburo schon aufsprang und Minoru es gleich tat. Sie legten den Weg im Laufschritt zurück. Wie es aussah, hatte jemand beschlossen, dass die Gunst die der Shogun Yukio entgegengebracht hatte, schon zuviel gewesen war. Minoru schlug das Herz bis zum Halse, als er sich fragte was wohl genau passiert sein musste. Er hatte Yukio erst vor ein paar Stunden gesehen und war es dem Jungen hervorragend gegangen.

Auf der Veranda hatten sich einige Diener versammelt, wobei die Tür zu Yukios Räumen geschlossen war. Saburo drängte sich zwischen den Dienern und zufälligen Besuchern des Gartens hindurch und betrat gemeinsam mit Minoru, das Zimmer, in welchem die beiden Diener waren, sowie eine Wache. Im Schlafgemach lag Yukio auf seinem Futon, während ein Arzt über ihn gebeugt war.

Saburo zögerte nicht, sondern ging in den zweiten Raum, wohin ihm auch Minoru folgte. Yukios Gesicht war blass. Sein Haar war ein wenig feucht, ebenso wie der Körper, da die dünne Yukata an seinen Gliedern zu kleben schien.

„Was ist geschehen?“ forderte Saburo zu wissen und kniete sich auf die andere Seite des Futons, um den Arzt bei seinen Untersuchungen nicht zu behindern. Der Mann sah auf und neigte höflich den Kopf, bevor er antwortete.

„Matsumoto-san ist von einer Schlange gebissen worden. Einer Habu“, erklärte er und zupfte den Yukatasaum auseinander, um eine kleine Bissstelle an Yukios Knöchel zu zeigen. Die zwei Einstiche waren nahezu winzig, bluteten jedoch noch immer. Minoru hatte sich neben Subaru hingesetzt und starrte auf die helle Haut, die von zwei roten, sehr dünnen Rinnsalen Blut geziert wurde. Der Arzt verband die Wunde langsam und sehr sorfälltig.

„Wo ist es geschehen?“ Saburos Stimme hatte sich verändert, hatte einen harten, kalten Klang bekommen, der Augenblicklich Antworten forderte. Das war der Moment, in welchem sich Kumiko aus dem Nebenraum zu ihnen gesellte.

Sie verneigte sich und gab die gewünschte Antwort: „Matsumoto-san wünschte noch zu baden, bevor er sich für den Abend vorbereiten würde und so begleitete ich ihn ins Badehaus. Ich half im beim auskleiden und wollte gerade den Masseur holen, als ich einen Schrei hörte und sofort in den Baderaum zurück lief. Matsumoto-san saß da schon blass auf dem Badezuber, während durch die Holzgitter des Bodens sich eine Schlange wand. Ich rief sofort um Hilfe, woraufhin die Wachen und andere Diener herbeigelaufen kamen, die Schlange töteten und Matsumoto-san in sein Zimmer brachten.“

Während die Frau sprach waren die Furchen auf Saburos Stirn sehr tief geworden und auch Minoru fühlte sich schuldig. Er hatte niemals geglaubt, dass ein solcher Vorfall im Palast geschehen könnte, wo es immerhin keine Schlagen gab. Sicherlich, an den Stadträndern, oder in den Hütten der Bauern, kam es ab und zu vor, dass sich eine Schlange verirrte und auch jemanden biss, aber doch nicht in Edo! Es war also kein Zufall gewesen, nicht zuletzt, weil das feuchtwarme Klima eines Badehauses für die Schlange gewiss nichts gewesen wäre. Man hatte sie also dorthin gebracht.

„Habt Ihr jemand Verdächtigen gesehen, der sich in der Nähe des Badehauses aufgehalten hat und dorthin nicht gehört hätte?“ bohrte Saburo weiter, doch die Frau schüttelte nur den Kopf. „Wird der Junge durchkommen?“ Die Frage ging an den Arzt der Yukio gerade eine Medizin eingeflößt hatte. Erst nachdem er die Schale fortgestellt hatte, sah er zu Saburo.

„Er ist jung und stark und die Schlange war klein gewesen. Wenn er die ersten zwölf Stunden übersteht, wird er überleben. Allerdings werden wir erst nach zwei Tagen wissen, ob er irgendwelche Schäden zurückbehalten wird“, teilte er dem Hauptmann mit, der lediglich nickte.

„Ich werde den Shogun informieren“, verkündete Saburo endlich seine Entscheidung. Um diese Ehre würde sich niemand mit ihm streiten wollen, da alle wussten, was für ein zweifelhaftes Vergnügen es war, schlechte Nachrichten zu überbringen. Tokugawa neigte zu beträchtlichen Wutanfällen, wenn man ihm schlechte Nachrichten brauchte, die alles andere als angenehm zu ertragen waren. „Yoshida-san wird hier bleiben und über Matsumoto-san wachen. Sollte sich sein Zustand verschlechtern, werdet Ihr mich sofort benachrichtigen. Ich werde noch zwei Wachen hierher schicken, die vor der Tür Posten beziehen werden.“

Als Minoru das hörte sah er seinen Herrn überrascht an. Fast hätte er protestiert, doch er hielt dann doch den Mund. Er neigte den Kopf zustimmend und sah dann zu, wie Saburo die Gemächer verließ. Auch der Arzt suchte seine Sachen zusammen, trug der Dienerin Kamuko auf wie sie sich um ihren Herrn kümmern musste und ging ebenfalls.
 

Es war später Abend, als Yukio sich zu regen begann. Seine Augen öffneten sich flatternd. Sein Gesicht schimmerte vom Schweiß, auch wenn Kumiko sich unermüdlich bemühte, ihm diesen mit einem feuchten Tuch abzuwischen. Die Lippen des Jünglings bewegten sich ein wenig, doch er vermochte keinen Ton zu sprechen.

„Bitte bleibt ruhig liegen, Matsumoto-san. Ihr seid von einer Schlange gebissen worden“, erklärte Kumiko und sah besorgt zu Minoru, der nicht wusste was er tun oder sagen sollte. Er hatte über Stunden hinweg neben dem Futon des Jungen gesessen, ihn angestarrt und sich Vorwürfe gemacht, dass er mit einem solchen Anschlag nicht gerechnet hatte.

„Trinkt das, das wird Euch gut tun“, sprach Kumiko weiter und hob eine Schale mit Kräutertee an Yukios Lippen. Doch dieser nahm nur einen Schluck, verzog das Gesicht und drehte den Kopf dann fort.

„Wasser…“, murmelte er erschöpft und wurde sich offenbar erst da bewusst, dass Minoru auch im Zimmer saß. Während die Dienerin sich entfernte, um das gewünschte Wasser zu holen, lagen Yukios müde Augen auf Minoru. Nein, er fühlte sich gar nicht wohl unter diesem dunklen Blick, in dem nur Schwäche zu sehen war.

„Seid Ihr gekommen, um mich abzuholen?“ fragte Yukio schließlich und leckte sich über die trockenen Lippen. Auch Minoru hatte plötzlich das Gefühl, als würde sein Mund ganz trocken werden.

„Nein, ich bin hier, um über Euch zu wachen, Matsumoto-san. Es ist bereits spät in der Nacht und ihr werdet die nächsten Tage das Bett hüten müssen“, informierte er Yukio und verspürte Schuld in sich. Hätte er Yukio doch gewarnt, oder ihm zumindest nah gelegt Augen und Ohren offen zu halten! Stattdessen hatte er es unterlassen, in der falschen Annahme, dass Yukio all diese Dinge von selbst tun würde.

„Und das Abendessen?“ Nun wirkte Yukio doch ein wenig erschrocken. Er versuchte sich aufzusetzen, doch Minoru war schneller, denn er beugte sich vor und drückte Yukio zurück auf den Futon.

„Das ist schon längst vorbei und Tokugawa-sama ist bereits über eure Unpässlichkeit informiert worden. Ihr braucht also keinen Tadel zu fürchten, falls es das ist, was Euch beunruhigt.“ Minrou hätte fast seufzen können, als er das sagte. Wie konnte man nachdem man gerade dem Tod von der Schippe gesprungen war, nun an solche Dinge denken, anstatt den Göttern zu danken, dass man noch weiteratmen durfte!

„Und Euch hat man also dazu abkommandiert auf ein Kind aufzupassen?“ Es war unglaublich, aber in Yukios Worten war milder Spott zu hören, sowie der Hauch von einem Lächeln auf den blassen Lippen. Minoru straffte die Gestalt, bevor er antwortete.

„Da Ihr ein Gast des Palastes seid und ich zur Palastwache gehöre, ist es nicht verwunderlich, dass ich nun hier bin“, antwortete er ziemlich steif und versuchte gefasst wie irgend möglich zu klingen.

„Aber Ihr würdet lieber wo anders“, wisperte Yukio ohne Minoru aus den Augen zu lassen, was diesen schwitzen ließ.

„Ihr sollte euch besser ausruhen“, unterband Minoru schließlich dieses Gespräch, das ihn nervös werden ließ und griff nach dem feuchten Tuch mit welchem er über Yukios Stirn tupfte. Hätte man ihn noch am Morgen gefragt, wo er sein wollte, wäre Yukios Futon sicher der letzte Ort gewesen, an dem er gerne gewesen wäre. Doch nun, nach diesem Anschlag, wo die Schuld an ihm nagte, fühlte er sich verpflichtet hier sitzen zu bleiben.

Während er seinen Gedanken nachhing hob Yukio die heiße Hand und legte sie auf Minorus, was diesen innehalten ließ.

„Ich danke Euch, dass Ihr über mich wacht“, wisperte er dann erschöpft, ließ die Hand sinken und versank wieder in Schlaf, noch bevor Kumiko überhaupt mit dem Wasser zurückgekommen wäre.

Herbstgedicht - Teil 3 -

Es war zu erwarten gewesen, dass der Vorfall, die trägen Vorgänge im Palast aufschrecken würde. Die Auswirkungen waren schon am frühen Morgen, zu sehen, als verdächtig viele Höflinge und Damen durch den Garten flanierten und sich nicht einmal von dem schwülen Wetter abhalten ließen. Die beiden Wachen die vor Yukios Gemach harrten, hatten Befehl erhalten, keinen Gast zu dem Jungen vorgelassen und so, versuchten die Neugierigen, an den Mienen der beiden Diener, Kumiko und Shiro rauszufinden, wie es dem Jüngling wohl ging.

Tokugawa hatte natürlich getobt und gezetert. Immerhin hatte er einen anderen Abend für sich und Yukio geplant, doch dieser war ihm verdorben worden. Er verlangte von Saburo, dass er den Fall restlos aufklärte und der Schuldige bestraft wurde, was in diesem besondern Fall, der Tod sein würde. Nur würde es nicht gerade einfach werden den Fall zu lösen, da das Badehaus allgemein zugänglich war und die Schlange dort schon länger deponiert gewesen sein könnte. Ja, es stand nicht einmal fest, ob sie überhaupt für Yukio bestimmt gewesen war, oder für jemand anderen, so dass der Jüngling nur per Zufall, Opfer der Schlange geworden war. Fragen über Fragen, aber Antworten waren nicht in Sicht und das war etwas was auch Minoru Sorgen bereitet.

Gegen Morgen war er von einer anderen Wache abgelöst worden und hatte einige Stunden schlafen können, bevor er, wie jeden Morgen an Saburos Frühbesprechung teil nahm. Zwar war er noch ein wenig müde gewesen, doch er hatte sich sehr zusammen gerissen, wie man es von einem Samurai erwartete. Danach hatte Saburo seine Ermittler fort geschickt, während er Minoru bei sich behalten hatte.

„Du hast die ganze Nacht gewacht, da solltest du etwas ausruhen“, sagte er und lächelte seinen jungen Schüler an, der ganz begierig jedes Wort seines Lehrers aufsaugte. „Wie geht es eigentlich Matsumoto-san?“ erkundigte er sich und füllte Minoru eine Schale mit Tee, die er ihm freundlich rüber schob.

„Er ist in der Nacht einmal aufgewacht, hat aber den Rest der Nacht dann durchgeschlafen. Ich glaube nicht, dass auch nur ahnt, wer ihn töten wollte“, sagte Minoru und griff nach der Teeschale, wobei er sie in den Händen behielt und höflicherweise erst darauf wartete, dass Saburo trank, bevor er sich einen Schluck genehmigte. Saburo lächelte und stellte seine Schale wieder auf den Boden, während seine Augen auf dem Haupt seines Schülers lagen.

„Du scheinst ihn nicht sonderlich zu mögen“, sagte er nach einigen Augenblicken des Schweigens und als Minoru rot anlief, lachte er leise. „Warum missfällt er dir so sehr?“ wollte er schließlich wissen und beugte sich ein wenig vor, als würde er die Antwort aus Minoru herauskitzeln wollen.

Tatsächlich war es Minoru wirklich ein wenig peinlich, dass Saburo ihn so einfach durchschaut hatte, aber er bemühte sich um Souveränität und räusperte sich, bevor er antwortete: „Er ist nicht im geringsten ein Samurai.“ Es platze einfach aus ihm heraus. „Ich kann einfach nicht verstehen, wie er sich, als ein Mädchen verkleidet dazu hatte hergeben können, nach Edo zu reisen. Jeder andere wäre offen gereist und wäre der Gefahr eines Angriffs mit dem Schwert begegnet.“

Saburo nickte leicht und wie immer hatte Minoru das Gefühl, dass sein Lehrer ihn vollkommen verstand. Es war ein wunderbares Gefühl zu wissen, dass ein Mensch, denn er so sehr bewunderte, ihn so gut nachvollziehen konnte. Minoru war wirklich dankbar dafür.

„Du hältst ihn also für schwach“, sagte Saburo und sah Minoru sehr ernst an. „Unterschätz ihn nicht, denn auch wenn er so nicht aussieht, ist große Stärke in ihm. Jemand der über seinen Schatten springen kann, wenn es nötig ist, sollte man keineswegs unterschätzen.“

Dennoch rümpfte Minoru die Nase und konnte sich eines Einwandes nicht erwähren. „Aber er trug ein Mädchengewand, als er hierher gekommen ist.“

„Und der Shogun wünschte, dass er es auch beim Abendessen trug“, erinnerte ihn Saburo daran, bevor sein etwas strenger Ton, wieder etwas weicher wurde. „Und vergiss den großen Ishikda Mitnunari (jap. Herrführer 1560–1600) nicht. Auch er war einst dazu gezwungen, als Frau verkleidet, zu fliehen. Das hat ihn in den Augen seiner Gegner nicht weniger respektabel gemacht.“ Das war natürlich ein Einwand, aber Minoru bezweifelte dennoch, dass Yukio sich, wie in einen großen Herrführer verwandeln würde. Viel mehr hatte er das Gefühl, dass der Jüngling, am Hofe untergehen und zum Spielball seiner Konkurrenten werden würde. All diese Gedanken sprach er vor Saburo jedoch nicht aus. Es stand ihm nicht zu sich so zu äußern und darum schwieg er.

„Ich habe entscheiden, dass du ab heute nur noch für Matsumoto-san zuständig sein wirst“, wechselte Saburo schließlich das Thema, was Minoru aufblicken ließ.

„Ich? Aber warum?“ Es entschlüpfte Minoru einfach so und er schämte sich augenblicklich, so impulsiv gesprochen zu haben.

„Kamaguchi-san wird bald einen Lehrer bekomme, der sich seiner annehmen wird und Ikomo-san genießt mittlerweile schon so viele Freiheiten, dass er keine Wächter mehr braucht.“ Bei diesem Punkt verdüsterte sich Saburos Miene ein wenig. Er hielt nicht sonderlich viel von Ryo, wenn gleich er es niemals offen gezeigt hätte. „Matsumoto-san dagegen ist noch neu. Ihm sind die Regelnd es Hofes noch fremd und nach dem Vorfall des letzten Abends, würde ich ihn gerne im Auge behalten lassen. Du hast dich bis jetzt hervorragend und die Belange der Gäste gekümmert, daher finde ich, dass du das auch weiterhin tun solltest.“

Minoru verneigte sich tief und höflich. „Es ehrt mich, dass Ihr soviel Vertrauen in mich setzt, aber all das verdanke ich der Weißheit von Ito-san“, erwiderte Minoru und hatte durchaus angenehme Gedanken an den alten Samurai, der mit Minoru zusammen sich um den Gästetrakt kümmerte. Oder besser gekümmert hatte. In letzter Zeit war er viel krank gewesen, so dass Minoru immer mehr und mehr Pflichten hatte übernehmen müssen, bis schließlich alle Verantwortung auf seinen Schultern geruht hatte.

„Ich weiß sehr wohl, wie es um Ito-san steht und auch, dass er dir schon vor Wochen alle Aufgaben übertraten hat, die du Monatelang schon ohnehin ausgeführt hattest.“ Saburos Lächeln machte Minoru ein wenig verlegen, den er hatte seine Aufgaben so stillschweigend wie möglich verrichtet und nie ein Wort darüber verloren, dass Ito-san langsam in die Zeit kam, in welcher man lieber beten, statt bewachen sollte. „Du sollest nicht zu bescheiden sein, Yoshida-kun. Ich habe deine Entscheidungen sehr genau verfolgt und ich sehe keinen Grund warum ich Ito-san nicht von seinen Aufgaben endgültig entbinden und sie dir dafür übertragen sollte.“

Nun war Minoru wirklich sprachlos. Er rückte vom Tisch fort und verneigt sich so tief, dass er mit der Stirn den Boden berührte. „Ich danke Euch, für euer Vertrauen, Herr“, sprach er gegen die Tatamimatten, während ihm das Herz bis zum Halse schlug. Es hatte ihn nicht gedrängt die Pflichten von Ito-san zu übernehmen, aber es ehrte ihn ungemein, dass Saburo sie ihm vertrauensvoll übergab.

„Ich werde Euch nicht enttäuschen“, wisperte er noch, bevor er sich endlich aufsetzte. Saburos mildes Lächeln war noch immer auf seinen Lippen.

„Ich weiß und darum werde ich dir auch Suzuki-san, sowie Tanaka-san zur Seite stellen.“

Das freute Minoru fast noch mehr, denn sowohl Suzuki Shouta, als auch Tanaka Osamu, waren zwei junge Samurai, die er sehr mochte. Sie waren zwar etwas rau, dafür aber pflichtbewusst und gewissenhaft, wenn es um ihnen übertrage Aufgaben ging. Mit zwei solchen Samurai, würde seine Pflicht Yukio im Auge zu behalten, ein Kinderspiel werden.
 

Der ganze Vormittag bestand für Yukio aus dämmrigem, durch einen bemalten Seidenparavent fallendes Sonnendlicht. Die Farben ließen sein Zimmer wie eine Traumwelt erschienen, wenn da nicht die schreckliche Erschöpfung gewesen wäre, gegen die er nicht ankämpfen konnte.

Schon am Morgen war der Arzt gekommen, hatte ihn untersucht, sein Bein neu verbunden und war verschwunden, nachdem er neue Medizin hinterlassen hatte. Kumiko kümmerte sich wirklich rührend um ihn, während Shiro das Schlafgemach kaum zu betreten wagte. Ab und zu brachte er etwas, wenn ihn Kumiko anwies, aber ansonsten hielt er sich im Hintergrund. Yukio war es eigentlich egal, denn er verfiel immer wieder in Momente, wo er kurz die Augen schloss und als er sie wieder öffnete, wusste er, dass viel Zeit vergangen sein musste. Es war schon später Nachmittag, als er endlich der Meinung war etwas essen zu können. Eigentlich hatte Yukio keinen wirklichen Hunger, doch Kumiko hatte ihn diesbezüglich so lange überredet, dass Yukio einfach hatte nachgeben müssen.

Als er hörte, wie die Shojitür aufgezogen wurde, glaubte er, dass es Shiro mit seinem Essen sein müsste, weswegen er sich auch von Kumiko aufhelfen ließ. Doch es war nicht Shiro, sondern Minoru, der seinen Raum mit zwei weiteren Männern betrat, die sich hinter ihm hinknieten, um sich vor Yukio zu verneigen. Die beiden Männer waren sicher nur wenig älter als Minoru selbst, wirkten aber ein wenig wilder als er.

„Ich hoffe Ihr seid nicht gekommen, mich zu verhaften“, sagte Yukio halb im Scherz und lehnte sich gegen Kumikos Körper die hinter ihm saß und verhinderte, dass er einfach auf den Futon sank.

Minoru hob den Kopf und fand Yukios Kommentar offenbar nicht komisch, da er auf ihn nicht einging.

„Ich bin gekommen, um Euch mitzuteilen, dass Fukurwar-san angeordnet, dass Ihr ab sofort bewacht werden sollt. Die Ehre dieser Aufgabe ist mir, sowie Suzuki-san und Tanaka-san zugefallen.“ Die beiden Samurai verzogen keine Miene, deuteten aber nochmals eine Verbeugung an.

„Ich soll bewacht werden? Wozu das alles? Sollt Ihr nun jedes Mal das Bad überprüfen, ob sich dort auch wirklich keine Schlange verbirgt, wenn ich es benutzen möchte?“ fragte er mit leichter Ironie und merkte wie ihm langsam wieder schwindelig wurde. Kumikos besorgter Blick streifte ihn, aber er hob die Hand, dass er sich nicht hinzulegen wünschte.

„Bitte macht Euch nicht über diesen Vorfall lustig. Ihr hattet Glück, dass Euch nicht noch mehr geschehen ist“, ermahnte Minoru Yukio. „Wärt Ihr in den Zuber gefallen, hättet Ihr ertrinken können.“ Gut, darüber hatte Yukio nicht nachgedacht, aber er hatte sich allgemein keine Gedanken zu dem ganzen Vorfall gemacht, was jedoch nicht am mangelndem Interesse gelegen hätte, sondern daran, dass er viel zu erschöpft war, um sich darüber Gedanken zu machen.

Yukio sah Minorus ernste Miene und rückte von Kumiko fort, was seinen Schwindel etwas stärker werden ließ. Doch da er sich mit einer Hand abstütze, ging es wieder etwas.

„Ich würde gerne mit Yoshida-san alleine sprechen“, sagte er zu der Dienerin, die sich daraufhin verneigte und unwillig zurück zog. Minoru nickt den beiden anderen Samurai zu, die sich erhoben und nach draußen gingen, während er selbst sich erhob und das kleine Schlafzimmer betrat, in welchem Yukio auf dem Futon saß. Kumiko schob die Shojitür hinter ihm zu.

Die beiden jungen Männer saßen nun gerade mal eine Armlänge voneinander entfernt und sahen sich angespannt an, bis Yukio als erster den Blick senkte.

„Ihr und Fukuwara-san seid der Meinung, dass diese Schlage für mich bestimmt gewesen ist, nicht wahr?“, fragte er offen heraus und hob seinen dunklen Blick, um zu Minoru blicken zu können, der daraufhin nickte.

„Und wer, glaubt Ihr, hätte etwas davon, wenn ich schon jetzt mein Leben beenden würde?“ wollte er weiter wissen und spürte wie sein Arm langsam taub wurde und einzuknicken drohte.

„Das weiß ich nicht. Noch ist nicht offen ersichtlich, wem euer Tod gelegen kommen würde, aber vielleicht war diese Tat auch nur dazu da, um gleich von Anfang an zu verhindern, dass Ihr einen Status im Palast erlangen könnt.“ Minorus Stimme war nicht laut, aber dennoch durchdringend. Sie hielt Yukios Augen offen, der leicht nickte.

„Welchen Status sollte ich schon im Palast ergattern können? Tokugawa-san hat mich schon am ersten Abend gedemütigt“, wisperte er und erinnerte sich nur zu gut an den Mädchenkimono den man ihn gebracht hatte. „Mir scheint fast, dass sowohl der Mörder, als auch Ihr, eure Zeit für mich verschwendet.“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen spürte er auch schon wie sein Arm ruckartig einknickte. Wahrscheinlich wäre er auf den Futon zurück gefallen, wenn Minoru nicht nach ihm gegriffen hätte. Er war zu ihm gerückt und hielt Yukio fest, um ihn dann ganz behutsam auf den Futon zurück zu legen. Yukio war ihm wirklich dankbar dafür, wenngleich ihm klar war, dass Minoru ihn nicht mochte.

„Ich danke Euch“, murmelte er, als er wieder bequem lag und das Schwindelgefühl langsam zu verschwinden begann. Minoru rückte wieder ein kleines bisschen fort, wie es sich gehörte.

„Ihr irrt Euch, wenn Ihr annehmt, dass Ihr keinen Status am Hof erlangen könntet. Tatsächlich stehen eure Chancen dafür sogar sehr gut, denn der Shogun ist bereit Euch seine Gunst zu schenken“, sagte Minoru mit einem ein wenig verkniffenem Gesicht.

„Wenn ich vorher nicht sterbe“, flüsterte Yukio und beobachtete das Gesicht des jungen Samurais, der auf ihn herab blickte. Minrous Züge vereinigten Jugendlichkeit und Ernsthaftigkeit, was ihm eine reizvolle Attraktivität verlieh. Ob er wohl einen Liebhaber hatte, fragte sich Yukio unpassender weise.

„Der Arzt meinte, dass Ihr überleben werdet und dann wird Tokugawa-sama Euch gewiss zu sich rufen. Ihr solltet es als Ehre ansehen“, sagte er zwar, meinte es aber nicht. Yukio konnte es an seinem Gesicht sehen und an der Art wie er dabei die Augen senkte, um Yukio nicht ansehen zu müssen.

„Eine Ehre auf die ich gerne verzichten würde, wenn ich könnte“, sagte Yukio und dachte an seine Eltern, die ihm immer wieder gesagt hatten, dass Yukio alles tun müsste, um die Gunst des Shoguns zu erlangen. Die Worte klangen ihm noch in den Ohren, nur wusste Yukio nun wie der Shogun aussah. Er war alt und alle Schönheit die er einst besessen haben mochte, war schon vor Jahren verwelkt. Ihn schauderte es, wenn er an den Abend zurück dachte, wo der Shogun seine Hand berührt hatte. Sein Handrücken war faltig und von Altersflecken übersäht gewesen, dass es Yukio seine ganze Selbstbeherrschung gekostet hatte, die eigene Hand nicht augenblicklich fort zu ziehen.

„Mir scheint, dass Euch noch immer nicht ganz klar ist, in was für einer Situation Ihr euch befindet. Ob Ihr wollt oder nicht, Ihr seid im Fokus unseres Herrn“, erklärte Minoru, schon fast ein wenig ungeduldig. „Alleine das hat Euch zu einer Zielscheibe am Hof gemacht und je mehr Tokugawa-sam sich Euch zuwenden wird, desto mehr Feinde werdet Ihr haben.“ Yukio konnte sehen, wie Minorus Hand sich fest um den Griff seines Schwerts legte, da er wohl der Meinung war, dass Yukio nicht verstand. Aber Yukio verstand, wenn auch nicht alles und nicht bis zum letzten Bisschen. Nur beunruhigte es ihn nicht. Zumindest nicht jetzt wo er das Gefühl hatte dem Tod näher als den Lebenden zu sein.

„Ihr meint also schon zu wissen, wem ich diese Bettlägerigkeit zu verdanken habe?“ fragte Yukio und betrachtete durch halbgesenkte Wimpern, wie Minoru die Lippen aufeinander presste.

„Die Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen“, antwortete er ausweichend. Zögerte dann einen Moment, bevor er sich entschied, doch weiter zu sprechen. „Aber Ihr tätet gut dran, Ikomo-san von Euch fern zu halten.“

„Warum sollte ich das tun? Ob ich nun krank bin oder nicht. Irgendwann wird er mir einen Höflichkeitsbesuch abstatten wollen, genau wie Kamaguchi-chan und ich werde ihn kaum fortschicken können.“ Nun hatte der keine Masachiro sich das Recht einfach genommen einfach zu Yukio zu gehen, aber früher oder später würde, auch Ryo bei ihm auftauchen und wenn Yukio dann nicht unhöflich sein wollte, würde er gezwungenermaßen ihn empfangen müssen. Von Minoru kam ein Kopfschütteln, dass Yukio fast schmunzeln gelassen hätte, wenn er sich nicht so müde gefühlt hätte.

„Ikomo-san ist der Momentane Favorit unseres Herrn und Ihr könnt versichert sein, dass er seine Position mit allem verteidigen wird, was er nur in die Finger kriegen kann.“ Minorus Bemerkung genügte um Yukio sich hochstemmen zu lassen. Natürlich war er nicht blind, aber die Vorstellung, dass Ryo soweit ging, war in Yukios Augen nahezu abstoßend! Er schloss die Augen und versuchte sich zu sammeln, was ihm jedoch kaum gelingen wollte. Gerne hätte er Minoru gefragt, was er nun tun sollte, der das Gesicht des jungen Samurais war so verkniffen, dass er es nicht wagte.

Vor der Tür räusperte sich Kumiko. „Matsumoto-san, euer Essen ist da“, rief sie leise durch die geschlossene Tür, was Minoru augenblicklich dazu brachte, ein wenig weiter von Yukio fort zu rücken, während sich die Tür leise öffnete und die Dienerin mit einem Tablett eintrat.

„Wer hat das Essen gebracht?“ erkundigte er sich ziemlich barsch, ohne den grimmigen Gesichtsausdruck zu verlieren, wie Yukio ein wenig belustigt feststellen musste.

„Shiro-chan hat es gebracht und er hat auch die ganze Zeit neben dem Koch gestanden, als es dieser zubereitet hat.“ Kumiko antwortet höflich, aber ihre Worte verrieten, dass sie schon ein wenig entrüstet darüber war, dass Minoru ihr mit dieser Frage unterstellte, sie würde die Sicherheit ihres Herrn vielleicht vernachlässigen.

Minorus Augenbraue hob sich leicht, ehe er sich zu Yukio umwandte um sich zu verabschiedet.

„Wartet noch einen Augenblick, Yoshida-san“, hielt Yukio ihn noch einmal auf und spürte, wie ihm das Herz zu klopfen begann. „Ihr sagtet vorhin, dass ich nun drei Wachen haben werde…Ließe es sich einrichten, dass Ihr morgenfrüh diese Wache übernehmt?“ fragte er und betrachtete Minorus Gesicht, welches sich hinter einer unbeweglichen Maske verstecken wollte, es aber nicht so recht konnte. Eine kleine Ader hüpfte auf seiner Schläfe, bis er schließlich nickte.

„Wie Ihr wünscht“, erwiderte er. Dann verabschiedete er sich und ließ Yukio mit Kumiko allein. Doch Yukios Hunger war vergangen und er ließ sich mit einem Seufzer zurück in die Kissen gleiten. Er hoffte das Minoru nicht recht hatte und zwar nicht nur, weil Yukio nichts an einem Streit mit Ryo lag, sondern auch, weil er sich unter diesen Umständen, vor dem nächsten Besuch bei Tokugawa fürchten musste.
 

Nach dem Besuch bei Yukio war Minoru ärgerlich, jedoch nicht auf den kranken Jüngling, der seine Situation nicht zu verstehen schien, sondern auf sich selbst, da er so offen gesprochen hat. Bis jetzt hatte er sich in die intriganten Belange des Hofes nicht eingebunden, aber Yukios Unbekümmertheit hatte ihn die Nerven verlieren und eine sehr deutliche Warnung aussprechen lassen. Es hätte ihm nicht zugestanden soweit zu gehen und dennoch war es ihm über die Lippen gekommen. Nur schien Yukio davon nicht beeindruckt gewesen zu sein. Viel mehr schien er zu glauben, dass Ryo sich einfach damit zufrieden geben würde zu wissen, dass Yukios Bestreben Tokugawas neuer Liebling zu werden, gering war. Konnte man noch naiver sein? In Minorus Augen kaum.

Die erste Wache hatte er Tanaka übergeben und sich selbst am Abend zu Saburo begeben, um ihn von seinem Gespräch mit Yukio zu berichten, wobei er peinlichst genau darauf achtete nicht zu erwähnen, was er genau von Yukio hielt.

„Zumindest hat er nichts gegen die Wachen“, sagte Saburo nachdem Minoru geendet hatte und rieb sich das Kinn. Er wirkte ein wenig müde, wie es Minoru erschien, was nur bedeuten konnte, dass er eine längere Zeit bei Tokugawa verbracht hatte. Der Shogun verstand sich ausgezeichnet darin anderen Menschen die Kraft zu rauben, während sie sein Toben über sich ergehen ließen.

„Ist schon klar, wer die Schlange ins Badehaus gebracht hat?“ fragte Minoru, machte sich jedoch nicht sonderlich viele Hoffnungen, dass jemand etwas gesehen haben musste. Als Saburo den Kopf schüttelte, fielen auch Minorus Schultern etwas zusammen.

„Nein. Es gibt keinen Hinweis, weder der Bademeister, noch die Bademädchen wollen etwas gesehen haben. Außerdem wäre es für niemanden schwer gewesen das Badehaus zu betreten und die Schlange dort zu deponieren. In den tiefen Gittern de Bodens hätte sie sich lange verstecken können. Ich befürchte, dass wir auf diese Weise nicht rauskriegen werden, wer Matsumoto-san entschlafen lassen wollte.“ Auch Minoru war Saburos Meinung, dass der Vorfall im Badehaus nicht im Gegrinsten Zufall gewesen war.

„Ich denke, dass es Zeit ist, Ikomo-san zu befragen. Er müsste noch in seinen Gemächern sein“, entschied Saburo, was Minoru irritiert den Kopf heben ließ. Soweit er sich erinnerte, hatte Saburo Ryo noch nie besucht und es auch sonst vermieden in näheren Kontakt zu dem jungen Mann zu treten, der wild entschlossen war Karriere am Hof zu machen.

„Wird er um diese Zeit, nicht zu Tokugawa-sama gegangen sein?“ wandte Minoru vorsichtig ein, der die Zeiten, in welchen der Shogun nicht allein zu sein wünschte, nur zu gut kannte. Doch Saburo schüttelte den Kopf.

„Nein, Tokugawa-sama war sehr verärgert. Ihm wird in den nächsten Tagen, eher der Sinn nach Blut stehen, als nach Bettgeflüster.“

Die Vorstellung, wie Ryo sich an Tokugawas Körper schmiegte, hatte eine geradezu ernüchternde Wirkung auf Minoru. Es lief ihm eiskalt den Rücken runter und er dankte den Göttern, dass Saburo niemals auf die Idee gekommen war, ihn zum Schlafzimmerdienst zu zuteilen. Zwar betrat man bei diesem Dienst das Schlafgemach des Shoguns nicht, blieb jedoch hinter so dünnen Wänden stehen, dass jedes Wort, jedes Geräusch und jedes noch so leises Rascheln zu einem drang. Nun mochte dieser Dienst recht erträglich sein, wenn einmal wöchentlich eine Konkubine das Schlafgemach des Shoguns betrat, damit er seine Pflicht tun konnte, einen Erben zu zeugen. Nicht so angenehm wurde es dagegen, wenn Ryo ihn besuchte. Zumindest soweit es Minoru von den anderen Samurai gehört hatte, die ihn gerne damit neckten, dass er für diesen Dienst noch zu jung sei.

„Seid Ihr wirklich der Meinung, dass es in Ordnung ist, Ikomo-san aufzusuchen? Er könnte es als eine direkte Verdächtigung seiner Person ansehen“, gab Minoru zu bedenken. Ryo galt nämlich als jemand, der schnell alles gegen zu sich nehmen pflegte.

„Ihn nicht aufzusuchen würde bedeuten, dass wir die Ermittlungen nicht gründlich führen. Außerdem würde es ein falsches Signal für ihn“, erklärte Saburo klar, woraufhin Minoru den Kopf senkte und seinem Herrn zustimmte.
 

Saburo hatte recht damit gehabt, dass Ryo an diesem Abend nicht bei Tokugawa war. Er war in seinem übermäßig prachtvoll möblierten Gemach und wirkte verstimmt, als Saburo und Minoru eintrafen. Er begrüßte sie zwar höflich und bot ihnen auch Erfrischungen an, doch zeigte er auch deutlich, dass er sich über ihren Besuch nicht freute.

„Was hat Euch zu mir geführt, Fukuwara-san?“ erkundigte er sich und bedachte Minoru lediglich mit einem kurzen Blick, wenn auch nicht Wort.

„Gewiss habt Ihr davon gehört, was Matsumoto-san widerfahren ist“, begann Saburo zu sprechen, während Minoru Ryos Gesichtszüge betrachtete, die sich leicht verdüsterten.

„Ja, ich hörte davon“, antwortet der junge Mann knapp. „Es war wirklich ein sehr bedauerlicher Unfall. Ich nehme an, dass es ihm schon besser geht?“ Die Frage hatte eine Spitze tief in sich versteckt und Minoru ahnte nur zu gut, dass Ryo auf eine negative Antwort hoffte. Doch er wurde von Saburo enttäuscht.

„Ja, zum Glück, hat die Schlange nur wenig Gift gehabt und es sieht so aus, als würde sich Matsumoto-san wieder vollständig erholen. Dennoch bleibt die Frage, wie eine Habu, ins Badehaus gekommen ist. Ihr habt das Badehaus nicht zufällig aufgesucht?“

Ryo, der gerade von seinem Tee hatte kosten wollen stellte die zierliche Schale auf den Tisch zurück. Seine Augen waren schmal geworden und für einen Augenblick meinte Minoru darin sogar Hass aufflammen zu sehen.

„Ich muss Euch enttäuschen, Hauptmann. Ich habe gestern das Badehaus erst nach dem Vorfall besucht und wurde von euren Männer wieder fortgeschickt, die es durchsuchten“, antwortete er sehr kühl und lächelte überheblich. „Ganz davon abgesehen, dass ich keinen Grund hätte, Matsumoto-san etwas schlechtes zu wünschen. Warum auch? Er ist doch gerade erst am Hof angekommen.“ Ryo girff abermals nach seinem Tee und nahm einen Schluck davon, doch so leicht wollte Saburo es ihm nicht machen, denn er tat etwas, was Minoru sehr erstaunte.

„Es mag sein, dass er nur kurz am Hofe ist, aber er hat es schon am ersten Abend geschafft, Tokuawa-samas Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.“ Er sagte es ganz nebenbei, aber Minoru entging nicht wie sich Ryos Gesichtsfarbe von blass zu puterrot änderte. Der Ärger stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Es wäre auch ein Wunder gewesen, wenn er in diesem Aufzug keine Aufmerksamkeit auf sich zogen hätte“, zischte Ryo unbeherrscht und beugte sich etwas vor, als wollte er Saburo mit seinen Augen, gegen den Boden pinnen. „Wollt Ihr mir etwa unterstellen, dass ich es war, der die Schlange im Badehaus hat deponieren lassen, weil ich mir Sorgen machte, dass dieses Kind mir den Platz streitig machen könnte?“ Ryo trug das alles so aggressiv vor, dass Minorus Hand unwillkürlich sich auf den Griff seines Schwertes legte, obwohl doch keine unmittelbare Gefahr bestand.

„Nein, das wollte ich nicht“, erwiderte Saburo und verneigte sich leicht. „Verzeiht, wenn es so geklungen haben sollte. Wir möchten Eure Zeit nun nicht weiter in Anspruch nehmen.“

Minoru war vollsten verwirrt, als sie Ryos Gemächer verließen und von der Veranda auf den Kiesweg des Gartens traten.

„Warum habt Ihr ihn durch diese Frage bewusst verärgert, Fukuwara-san?“ Minoru musste es einfach fragen, denn er verstand es nicht. Doch Saburo antwortete nicht sofort, sondern barg seine Hände in den weiten Ärmel seines Kimonos.

„Weil ich wissen wollte, wie viel ihm daran liegt, dass Matumoto-san nicht der neue Favorit unseres Herrn wird“, antwortet er leise und schlenderte mit Minoru durch den Garten, der nicht ganz verstand.

„Aber wir wussten doch schon vorher, dass er seinen Platz auf gar keinen Fall verlieren will“, wandte Minoru ein.

„Wirklich?“ Saburo sah Minoru an und blickte dann zu den Tanaka, der als Wache vor Yukios Tür wachte. „Meinst du nicht auch, dass es viel klüger gewesen wäre erst abzuwarten, um zu sehen, ob echte Gefahr von Matsumoto-san ausgeht, anstatt vorsorglich einen Anschlag auf ihn zu verüben? Du hast Ikomo-san doch gerade gesehen. Er scheint sich sehr sicher zu sein, dass ihn nichts von seinem Platz vertreiben könnte.“ Saburo nickte Tanaka leicht zu, ehe er mit Minoru den Weg einschlug den Garten zu verlassen.

„Vielleicht wollte er vorsorglich das Problem lösen, bevor es zu einem ernsten wird“, überlegte Minoru und versuchte Saburos Gedankengängen zu folgen, was ihm nicht sehr leicht fallen wollte. Manchmal waren Saburos Ideen einfach zu kompliziert, um ihnen in einem so frühern Stadium schon folgen zu können.

„Oder jemand anderes wollte verhindern, dass es zu dem Treffen zwischen Tokugawa-sama und Matsumoto-san kam. Jemand dem daran lag es nur ein wenig hinaus zu zögern oder aber jemand…“ Er brach ab und seine Miene wurde düsterer. Minoru wartete und hoffte, dass Saburo weiter sprechen würde. Doch er wurde enttäuscht werden.

„Du darfst Matsumoto-san nicht aus den Augen lassen, denn ich befürchte, dass dies nicht der letzte Vorfall dieser Art gewesen ist.“ Das war alles was Saburo noch zu Minoru sagte, bevor er sich von ihm verabschiedete. Viel klüger war Minoru nach diesem Gespräch nicht geworden, aber er wollte Saburos Warnung sehr ernst nehmen, denn der Hauptmann neigte nicht dazu sich zu irren.
 

Da es Yukio am nächsten Tag schon wesendlich besser ging, durfte er nach dem frühstück etwas auf der Veranda sitzen blieben. Die Untersuchung des Arztes war sehr positiv verlaufen, weswegen er von den guten gesundheitlichen Fortschritten, auch dem Shogun berichten wollte. Nach seinem Abschied hatte Yukio sich Tee bringen lassen und auch Tanaka ein Schälchen eingießen lassen, wenngleich dieser höflich ablehnte.

„Bitte trinkt doch ebenfalls ein. Nur damit ich sicher sein kann, dass es nicht wieder etwas enthält, das mir schaden könnte.“ Zwar glaubte Yukio das nicht, aber es genügte, um Tanaka das Schälchen austrinken zu lassen. Yukio war klar, dass der Mann die ganze Nacht vor seinem Gemach gewacht hatte und dementsprechend müde sein musste. Trotzdem verwickelte er ihn in ein oberflächliches Gespräch, fragte ab und an, wer das sei, der gerade durch den Garten spazierte und lauschte den Namen, die er sich unmöglich würde alle merken können.

Er wollte Tanaka gerade eine weitere Portion Tee eingießen lassen, als Minoru über den Kieselweg zu ihnen marschiert kam. Im Sonnenlicht wirkte sein Haar, wie schwarzes, glänzendes Gefieder, das einen reizvollen Kontrast zu seiner hellen Haut aufbaute. Seine Schritte waren kraftvoll und geschmeidig. Er erreichte die Veranda und verneigte sich leicht vor Yukio zum Gruße, ehe er aus seinen Zori schlüpfte und die Veranda betrat. Tanaka verabschiedete sich daraufhin und ließ die Yukio mit Minoru allein.

„Guten Morgen, Matsumoto-san. Es freut mich zu sehen, dass es Euch heute besser zu gehen scheint.“ Seine Augen huschten über Yukios blasse Gestalt, die in einem hellen Kimono steckte. Yukio war klar, dass er ein bescheidenes Bild abgeben musste, denn weder seine Haut, noch seine Augen hatten den Glanz der Lebendigkeit vollkommen wiedererlangt.

„Guten Morgen“, erwiderte er daher den Gruß ließ Shiro ein neues Schälchen für den Samurai bringen. „Es geht mir wirklich besser, auch wenn der Arzt noch geraten hat mich zu schonen.“ Dass der Arzt ihm auch gesagt hatte, dass er bei solchen Fortschritten noch vor Ende der Woche Tokugawa wieder Gesellschaft würde leisten könnten ließ er lieber aus. Es entstand eine Stille zwischen Ihnen die einzig von Shiro unterbrochen wurde, der Minorus Teeschale füllte.

„Ich…“, begannen beide gleichzeitig und schwiegen dann.

„Bitte sprecht zuerst, Yoshida-san“, sagte Yukio und hob die vom Kimonoärmel bedeckte Hand an die Brust, da es ihm unangenehm war, dass sei beide zur gleichen Zeit hatten sprechen wollten.

„Verzeiht, ich wollte nur sagen, dass…“ Minoru brach ab und seine Miene verdüsterte sich augenblicklich. Yukio, der nicht verstand was geschehen war, drehte den Kopf, um in die gleiche Richtung zu sehen, in welche Minoru starrte. Es war Ikomo Ryo, der sich ihnen langsam mit seinem Diener näherte und Mionru durch diesen Auftritt zum schweigen gebracht hatte. Denn obwohl Yukio zu dem jungen Samurai blickte und, hoffte dass dieser weiter sprechen würde, sagte er nichts mehr. Stattdessen rückte er etwas ab und überließ seinen Platz dem ankommenden Ryo, der mit einem dezenten lächeln beide grüßte und sich dann setzte. Er trug einen schwarzen Kimono, mit goldenen Chrysanthemen, die eher zum Spätsommer gepasst hätten, als zum beginnenden Herbst.

„Verzeiht, dass ich Euch ohne Ankündigung aufsuche, Matsumoto-san. Aber ich wollte mich selbst davon überzeugen, wie es Euch nach diesem fürchterlichen Vorfall geht. Ich hoffe doch besser?“ Obwohl Ryos Worte freundlich waren, schwang in ihnen ein Ton mit, der Yukio beunruhigte.

„Vielen Dank, es geht mir schon um einiges besser. Ich werde wohl schon gegen der Ende der Woche in der Lage sein, am Palastleben teilzunehmen“, erwiderte er höflich, während Shiro aufstand, um eine weitere Teeschale zu holen.

„Bleib hier, ich will nichts trinken“, sagte Ryo streng zu ihm, was den Jungen augenblicklich verharren und sich wieder hinknien ließ. Weder der Ton, noch die Art wie Ryo abgelehnt hatte waren angenehm, doch bevor Yukio etwas dazu sagen konnte, wechselte Ryo wieder in den weichen Singsang. „Wie schön. Wir werden uns alle freuen, wenn Ihr wieder gesund sein werdet. Wisst Ihr denn schon, wie die Schlange ins Badehaus gekommen sein könnte?“ Die Frage klang beiläufig, doch Yukio spürte regelrecht wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Unsicher warf er einen Blick zu Minoru, der andeutungsweise den Kopf schüttelte, bevor er Ryo antworten konnte.

„Nein. Leider ist noch nichts diesbezüglich in Erfahrung gebracht worden“, antwortete er und spürte, wie die Stimmung zu kippen drohte. Ryos Anstandsbesuch verwandelte sich in etwas, was Yukio nicht ganz erfassen konnte.

„Es wird angenommen, dass die Schlange jemandem entkommen ist und sich im warmen Badehaus einfach versteckt hat“, kam ihm Minoru zur Hilfe, was Yukio dankbar aufatmen ließ.

„Ach?“ Ryo wandte sich zu Minoru um, der eine höfliche Miene aufgesetzt hatte und nicht zeigte, ob das nun das war was er wirklich glaubte, oder lediglich eine Ausrede. „Indem Fall sollten wir alle hoffen, dass Matsumoto-san von solchen weiteren unglücklichen Zufällen, verschont bleiben sollte“, sagte Ryo mehr zu Minoru, als zu Yukio selbst, ehe seine Aufmerksamkeit auf den nun wirklich verunsicherten Jungen zurückkehrte. „Bitte erholt Euch gut“, sprach er fast vertraulich zu Minoru. „Denn ich würde Euch sehr gerne näher kennen lernen.“ Das dünne Lächeln, dass er Yukio beim Abschied zuwarf, beruhigte Yukio keineswegs, so dass er sehr dankbar war, als Ryo mit seinem Diener wieder von dannen zog. Ihm klopfte das Herz und er musste blass geworden sein, denn plötzlich war Minoru neben ihm und sah ihn aus besorgten Augen an.

„Ist alles in Ordnung mit Euch?“ fragte er und berührte Yukio leicht an der Schulter, der sich ganz und gar nicht in Ordnung fühlte.

„Warum habt Ihr ihm gesagt, dass die Schlange im Badehaus nur ein Zufall wäre. Gestern sagtet Ihr mir doch noch, dass es wahrscheinlich ein Anschlag auf mein Leben war“, verlange er zu wissen und stieß Minorus Hand etwas gereizt fort. Hatte Minoru ihm am Tag zuvor nur Angst machen wollen, oder warum hatte er seine Meinung zu der ganzen Angelegenheit so sehr geändert?

Doch Minoru blieb ihm diese Antwort schuldig. „Ihr solltet Euch nun besser wieder hinlegen und ausruhen“, war die ausweichende Antwort, die Yukio nur noch mehr ärgerte.

„Beantwortet bitte meine Frage, Yoshida-san!“ forderte er energisch, obwohl ihm das gar nicht gut zu tun schien. Endlich seufzte Minoru und ließ sich doch zu einer Antwort herab.

„Weil die Wahrscheinlichkeit durchaus besteht, dass Ikomo-san für die Schlange im Badehaus verantwortlich.“ Die Antwort war erschreckend ruhig vorgetragen und ließ Yukio Schweiß auf die Stirn treten.

„Das ist es was Ihr glaubt?“, fragte er und versuchte das flaue Gefühl in seinem Magen zu ignorieren, dass sich in seinem ganzen Körper auszubreiten versuchte.

„Nein. Aber es ist besser, wenn er glaubt, dass Ihr dieser Meinung seid und nun begebt Ihr euch am besten wieder zu Bett.“ Minoru reichte Yukio die Hand, die ohne Widerworte ergriffen wurde. Yukio ließ sich in sein Zimmer führen, wo Kumiko sich seiner annahm. Nachdem er im Bett lag, dachte er an Ryo, der ihm sicherlich etwas arrogant vorgekommen war, aber nicht wie jemand, der ihm schlechtes wollte.

Nur auf was sollte er sich nun verlassen? Lieber auf seinen eigenen Instinkt, der ihm sagte, dass Minoru alles viel zu panisch sah, oder auf Minorus Worte, die von Erfahrung im Leben am Hof geprägt waren? Yukio wusste es nicht und das war es, was ihn am meisten besorgte.

Herbstgedicht - Teil 4 -

Die Tage flossen wie flüssige Seide dahin. Da Yukio sich erholte, verblasste das Interesse des Hofes etwas an seinem Fall. Wenngleich noch immer genug Besucher in den Garten strömten, um ab und an einen Blick auf ihn zu erhaschen. Alle kleinen Ersuche sich zu einem Genesungsbesuch bei ihm einzufinden, wurden jedoch von Minoru oder seinen Männern streng abgelehnt, was Yukio ein wenig verstimmte. Er langweilte sich in seiner Abschottung und spürte deutlich, dass er wieder unbekümmert selbst durch die Gärten spazieren wollte, ohne dass jeder seiner Schritte eingeschränkt wurde. Die Kraft war in seine Glieder zurückgekehrt und einzig die Überfürsorglichkeit des Arztes, hätte ihn noch länger ans Bett gefesselt, wenn Yukio nicht darauf bestanden hätte, dass es genug wäre. Dennoch drängte ihm der Arzt zumindest einen Sonnenschirm auf, damit seine blasse Haut nicht zuviel von der Herbstsonne abbekam, die seit Yukios Krankheit überraschend intensiv zu scheinen begonnen hatte.

Suzuki-san begleitete seinen kleinen Ausflug, der allerdings schon an einer Bank endete, als Yukio ein kleiner Kieselstein in den Zori rutschte und sich partout nicht rausschütteln lassen wollte. Es blieb nichts anderes, als sich zu setzten, um den Zori auszuziehen, um den Stein los zu werden. Einige Höflinge nutzen die Gunst der Stunde, um auf Yukio zuzugehen und ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Schon zu bald hatte sich eine kleine Traube von Menschen, um Yukio gesammelt, die zwar oberflächlich Konversation machen wollten, in Wirklichkeit jedoch nur Klatsch und Tratsch suchten, um sich das Maul über ihn zerreißen zu können. Schließlich bot Suzuki-san dem ganzen Einhalt und brachte Yuki wieder zurück, der die ganze Aufregung nicht verstand. Nach den langen Tagen der Langeweile, waren ihm selbst diese flachen Gespräche als Gipfel der Konversation vorgekommen.

„Ich verstehe wirklich nicht, warum wir so schnell wieder gehen mussten“, sagte er mindestens zum dritten Mal zu Suzuki-san, der aussah, als würde er über Yukios Uneinsichtigkeit nur den Kopf schütteln wollen.

„Der Arzt sagte doch, dass Ihr euch nicht überanstrengen solltet. Ohnehin war es Zeit Euch zurück zu bringen, da das Mittagessen nicht mehr fern war“, antwortete Suzuki und machte keinen Hehl daraus, dass es ihm am meisten Recht gewesen wäre, wenn Yukio wieder auf seinem Futon liegen würde.

Es war sinnlos mit dem Samurai zu streiten, entschied Yukio, da dieser ihn einfach nicht verstehen wollte. Das aufregende Leben am Hofe, wie es sich Yukio auf seiner langen Reise vorgestellt hatte, entpuppte sich immer mehr, als ein langweiliger Alltag, aus dem es kein Entkommen gab. Alles worauf er hoffen konnte, war einige Freiheiten sich am Hof erobern zu können, um sein Dasein etwas erträglicher zu machen. Er überlegte, ob man ihm auch erlauben würde, ab und an in Edo spazieren zu gehen, als ein Schatten auf die verschlossene Shojitür fiel. Suzukis Kopf ruckte zur Seite und fast meinte Yukio zu sehen, dass seine Hand sich auf den Schwertgriff legen wollte, während Shiro aufstand, um die Tür aufzuschieben Doch es war lediglich Minoru, der eintrat. Er sah nicht sonderlich glücklich aus, aber Yukio band kein Gewicht daran, da Minoru selten so etwas wie Freude oder Entspannung zeigte.

„Guten Tag, Yoshida-san“, begrüßte er ihn daher. „Ist es etwa schon Zeit für die Wachablösung?“

Suzuki verneigte sich leicht gegen Minoru und verließ dann das Zimmer, bevor Minoru sich auf seinen Platz setzte.

„Ihr seid heute entgegen dem Rat des Arztes spazieren gegangen?“ fragte er sogleich spitz, was Yukio im Geiste seufzen ließ. Er hatte mittlerweile schon mitbekommen, dass Minoru nur wenig für Vergnügen übrig hatte.

„Wenn Ihr so fragt, muss ich annehmen, dass Ihr es schon wisst, was mich fragen lässt, warum Ihr dann noch eine Bestätigung von mir braucht.“ Yukio hatte nicht das Bedürfnis sich zu rechtfertigen, wo er immerhin nichts Falsches getan hatte. An Minorus Schläfe zuckte es gefährlich.

„Es wäre besser gewesen, wenn Ihr diese zwei Tage noch abgewartet hättet“, sagte er steif. „Tokugawa-sama hat von euere Genesung gehört und wünscht Euch heute Abend zu sehen. Nach dem Abendessen.“

So. Das saß. Yukio wurde blass und leckte sich nervös über die Lippen, während er nach Worten suchte, die ihn beruhigen würden.

„Nach dem Abendessen?“ fragte er noch einmal, als würde er hoffen, dass Minoru sich geirrt hätte. Doch dieser nickte lediglich und kramte in seinem Ärmel nach dem offiziellen Brief, der für Yukio bestimmt war. Er überreichte ihm das Schreiben, das Yukio mit zitternden Händen öffnete. Der Brief war sehr höflich formuliert, ließ aber keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Befehl handelte, welchem Yukio gehorchen musste.

„Ich sehe, dass Ihr euch nur wenig freut, Matsumoto-san“, kam es von Minoru, woraufhin Yukio den Blick zu dem Samurai hob. Ihm wurde übel, wenn er daran dachte, dass er durch seine eigene Torheit zwei Tage verloren hatte, in welchen er sich nicht hätte fürchten müssen. Ihm wurde fast übel bei dem Gedanken. Doch von Minoru war kein Mitleid zu erwarten. Er ließ den Brief auf den Tisch fallen, als hätte er sich die Hände daran verbrannt.

„Gewiss wollt Ihr euch nun in aller Ruhe für den Abend fertig machen“, fuhr Minoru mit neutraler Stimme fort, aber Yukio hatte nicht die Kraft sich über diese Gefühllosigkeit aufzuregen. „Ich werde Euch nach dem Abendessen abholen“, fuhr er weiter fort und verneigte sich leicht vor Yukio, der zu paralysiert war, um diese Verneigung zu erwidern. Er hörte wie die Tür sich öffnete und schloss, bekam aber nicht wirklich mehr etwas mit. Wie lange es genau dauerte, bis er endlich Kumikos Stimme hörte, konnte er nicht abschätzen.

„Wünscht Ihr noch ein Bad zu nehmen, um die letzten Spuren der Krankheit abzuwaschen?“, fragte sie und lächelte Yukio aufmunternd an, was diesen nur stumm nicken ließ.

Es gab kein Entkommen und wenn man es genau betrachtete, dann war es auch seine Pflicht die er auszufüllen hatte. Seine Eltern hatten ihm eingeschärft, dass wenn die Möglichkeit sich bot, die Zuneigung des Shoguns zu erringen, er nicht zögern sollte. Doch, wenn er an diesen alten Mann dachte, überkam ihn ein fürchterlicher Schauer, dem er nicht entkommen konnte.
 

Der Nachmittag verging für Yukio wie im Traum. Er ließ sich von Suzuki und Kumiko ins Bad begleiten und gab sich Kumikos Händen hin, die ihn von oben bis unten in eine zarte Wolke Schaum schrubbte, bevor sie ihn mit warmem Wasser übergoss. Dann saß er im heißen Wasser und versuchte an alles andere zu denken, nur bloß nicht an den Shogun. Das erwies sich jedoch als sehr schwierig, da Yukios Gedanken immer wieder zu dem Punkt glitten, was in der Nacht geschehen würde. Hatte Minoru etwa recht gehabt, als er ihm gesagt hatte, dass Yukio gute Chancen dafür hatte der neue Favorit zu werden? Das war das letzte was Yukio wollte.

All seine guten Vorsätze, die er sich die ganze, lange Reise nach Edo immer wieder vorgesagt hatte, waren nun nichts weiter, als Schal und Rauch. Die Realität hatte nichts mit süßer Romantik zu tun, die so gerne in Kabukistücken glorifiziert wurde. Hier herrschte die Wirklichkeit und der Shogun würde sich nicht in einen wunderbaren Mann verwanden, dem Yukio gerne seine Hand reichen würde, jemanden wie… Saburo. Yukio tauchte etwas mehr in den Bottich ein, als er an den Hauptmann dachte. Gewiss war er nicht mehr jung, aber er war noch immer anziehend und er hatte freundliche Augen, vor denen man sich nicht fürchten musste. Einem solchen Mann hätte Yukio sich gewünscht. Doch das Leben war nun einmal kein Wunschkonzert und so würde er im Notfall die Augen schließen und seine Pflicht tun müssen.

Nach dem Bad fühlte sich Yukio wirklich erfrischt. Durch seine Gedanken wieder ein wenig aufgebaut, fiel er allerdings wieder etwas in sich zusammen, als er vor dem Spiegel saß und sein Haar zusammenbinden ließ. Er sah die Schönheit und Jugend, die ihn aus dem Spiegel anblickte und wusste, dass sie nicht zu den Altersflecken passen würden, die Tokugawas Haut zierten. Wäre Kumiko nicht um ihn gewesen, er hätte vielleicht die Nerven verloren. Kumiko puderte Yukio gerade den Nacken, um seine Blässe noch zu unterstreichen, als Shiro mit dem Tee und Konfekt kam. Yukio war viel zu nervös, um zu essen, aber er hatte sich überreden lassen, zumindest einige Stückchen Konfekt zu essen, wenn er schon das Abendmahl verschmähte.

Allerdings rührte Yukio weder den Tee, noch den kandierten Ingwer an. Nachdem er hübsch zu Recht gemacht auf einem Seidenkissen saß und mit seinem Fächer spielte, war an Essen nicht zu denken. Bei jedem, noch so leisem Geräusch zuckte er zusammen, als würde er jeden Moment einen Attentäter erwarten. Schließlich kam doch Minoru.

„Seid Ihr soweit, Matsumoto-san?“, fragte er an der Tür, während Yukio das Gefühl hatte, nicht aufstehen zu können. Er musste all seinen Mut zusammen nehmen, um sich zu erheben und zu Minoru auf die Veranda zu treten. Einen Moment dachte er, dass es Saburo war, der vor ihm stand. Das Mondlicht, hatte kurzzeitig Minorus Gestalt größer und kräftiger wirken.

„Ja, ich bin soweit. Bitte führt mich, Yoshida-san“, wisperte Yukio und ließ dem Samurai den Vortritt, der voranging.

Yukio hatte nicht das Gefühl den Boden zu berühren und heftete seine Augen auf Minorus Rücken vor sich, ohne nach links oder Rechts zu blicken. Er wollte nicht die Menschen sehen, die an ihnen vorbeigingen, oder zu ihnen blickten. Er wollte sich aus dieser Situation stehlen, bis nur sein Körper zurückbleiben würde. Doch es gab kein Entkommen vor dem Ganzen. Sie betraten den privaten Bereich und Yukios Herz schlug so laut, dass er schon fürchtete, dass es alle in der Nähe hören mussten! Dann öffnete sich die Tür und er betrat den privaten Raum, des Shoguns.
 

An der Tür ließ Minoru Yukio den Vortritt, doch der Junge trat so zögerlich ein, dass sich der junge Samurai sogar fragte, ob er nicht einfach in sich zusammenfallen würde. An dem schmalen Hautrand, an den Ohren, konnte er sehen, dass Yukio auch ohne Puder ganz weiß geworden war. Wahrscheinlich waren seine Hände nun so kalt wie Eis geworden und wieder rührte sich so etwas wie Mitleid in Minoru dem Jüngling gegenüber, der keine Sekunde geahnt hatte, was ihm widerfahren könnte, wenn er zu schnell genesen würde. Nun war es jedoch zu spät und als Minoru die Tür hinter sich zuzog, um auf seinen Platz in der Ecke zu gehen, konnte er gar nicht anders, als einen Blick auf Tokugawa zu werfen, der Yukios Näherkommen mit wohlwollen betrachtete. Die dünne Shojitür, die sich hinter Yukio schloss, war lediglich ein Sichtschutz und kein Lärmschutz, so dass Minoru zum ersten Mal verstand, was es bedeutete hier die ganze Nacht ausharren zu müssen.

Er hörte Tokugawa auf Yukio einreden, konnte aber nicht jedes Wort verstehen. Yukio dagegen antwortete so leise, das man nichts verstand. Die Worte erstarben und für einen Augenblick herrschte vollkommene Stille. Dann hörte Minoru Seidengeraschel und stellte sich vor, wie Tokugawa Yukio an sich zog. Seine Kehle wurde trocken, bei der Vorstellung was nun folgen sollte. Er fühlte sich unwohl und hätte sich am liebsten aus dem Raum gestohlen, was aber absolut untolerierbar gewesen wäre. Es war das erste Mal, dass Minoru vor seiner Pflicht flüchten wollte.

Gerade wollte er damit beginnen sich auf etwas anderes zu konzentrieren, als auf dem Flur eilige Schritte erklangen. Automatisch spannte sich Minorus Körper an, seine Hand legte sich auf den Schwertgriff und auch die beiden anderen Wachen brachten sich in Alarmbereitschaft. Die Schritte wurden an der Tür jedoch langsamer, bis sie vor der Tür stehen blieben, während eine Wache die Shojitür aufzog.

Minoru war überrascht ausgerechnet Saburo zu sehen, sowie den Vorsteher des Inneren Palastes, in welchem die Konkubinen untergebracht waren. Ohne auf Minoru zu achten, betrat Saburo den Raum, ging weiter zu dem mit Stoff bespannten Sichtschutz und sprach Tokugawa an.

„Verzeiht, dass ich Euch störe, Tokugawa-sama. Aber man brachte gerade die Nachricht, dass es eurer Mutter schlecht geht“, informierte er den Shogun, während Minoru das besorgte und angespannte Gesicht seines Meisters betrachtete. Aus dem inneren Schlafgemach, kam ein Grunzen, oder zumindest ein ähnlicher Laut, bis Tokugawa sich endlich hinaus bequemte. Sein Kimono war etwas verzogen und er betrachtete ärgerlich den gesenkten Kopf seines Hauptmanns.

„Was ist mir ihr?“, fragte Tokugawa deutlich ungehalten,w as den Vorsteher auf den Plan rief.

„Der Arzt ist der Meinung, dass sie den Sonnenaufgang nicht mehr erleben wird“, erklärte er und hielt den Kopf ebenfalls gesenkt, während Tokugawa abermals schnaufte.

Minoru hatte Tokugawas Mutter nie gesehen, aber er hatte viel von ihr gehört und zwar nicht nur gutes. Sie neigte dazu wisch in die Politik einzumischen und wäre sie ein Mann, wäre sie gewiss offizieller Berater des Shoguns geworden. Aber sie war auch alt und in regelmäßigen Abständen wurde Tokugawa dann gezwungen zu ihr zu eilen und die ganze Nacht bei ihr zu sitzen. Wundersamerweise erholte sich die Dame allerdings jedes mal wieder, dass schon die Gerüchte im Palast die Runde machten, dass sie wohl unsterblich wäre und nicht zu sterben wünschte.

Tokugawas Miene war ganz finster, als er sich an Saburo wandte, um ihm Anweisungen zu geben. „Ich werdet Matsumoto-san zurück in sein Zimmer bringen“, brummte er, bevor er aus dem Raum rauschte. Minoru konnte sich gerade noch so beherrschen, ihm nicht hinterher zu sehen. Doch sein Interesse galt ziemlich schnell dem inneren Gemach, in welches er nicht blicken konnte. Aber Saburo konnte es und er hatte sich erhoben und hielt Yukio die Hand hielt. Es dauerte lange, bis der Junge nach Saburos Fingern griff und endlich hinaus trat. Mit einer Hand hielt er seinen Kimono zusammen, während er die andere auf Saburos Finger legte. Minoru presste die Lippen zusammen, denn Yukio wirkte nicht wie jemand, der wusste was er tat. Viel mehr wirkte der Jüngling verschreckt und erleichtert, dass es nicht bis zum Ende gegangen war.

Nur ein Blick von Saburo genügte, um ihn aufstehen zu lassen. „Wir bringen Matsumoto-san zurück und du bliebst die Nacht über als Wache bei ihm“, sagte Saburo, obwohl es nicht nötig war. Minoru hatte das Gefühl, dass er es nur sagte um Yukio zu beruhigen, der den Kopf gesenkt hielt und sich ohne Gegenwehr auf den Flur führen ließ. Sie hatten kaum drei Schritte gemacht, als der Jüngling einknickte. Kein Wunder, der Schreck musste ihm wohl noch in den Knochen sitzen.

„Ich hole einen Diener.“ Minoru wollte sich gerade abwenden, als Saburo ihn aufhielt.

„Nein. Das ist nicht nötig. Kumiko wird sich schon um ihn kümmern können“, sagte er kurz angebunden und hob Yukio einfach hoch. So fürsorglich hatte Minoru seinen Vorgesetzten noch nie erlebt und folgte ihm daher auch tief irritiert.
 

Minorus Verwirrung wuchs noch weiter an, als er sah, wie behutsam Saburo Yukio auf seinen Futon bettete, wo Kumiko sich sofort daran machte, ihn auszukleiden. Yukio war nicht ohnmächtig geworden, aber seltsam mitgenommen und als er nur noch mit einem dünnen Juban bekleidet auf dem weichen Futon saß und den Blick zu Subaro hob, da meinte Minoru etwas zu sehen, was ihn alarmierte. Sein Kopf drehte sich zu seinem Vorgesetzten, doch es war bereits zu spät, da dieser sich schon abwandte und ohne ein Wort zu verlieren, den Raum verließ.

Was mochte zwischen diesen beiden sein? Minoru war zutiefst beunruhigt. Er hatte das Gefühl etwas aufgefangen zu haben, was nicht hätte sein dürfen.

„Bitte bleibt hier“, bat Yukio ihn, als Minoru sich verabschieden wollte, um seinen Platz vor der Tür einzunehmen. Es wäre ihm lieber gewesen fortgehen zu können, aber Saburo hatte ihn angewiesen Yukio ihm Auge zu behalten und so blieb er sitzen. Als Yukio nichts weiter sagte, fühlte sich Minoru genötigt etwas zu sagen. Eigentlich machte ihm schweigen sonst nichts aus, aber jetzt konnte er es kaum ertragen.

„Es wäre doch besser gewesen, wenn Ihr noch einige Tage geruht hättet“, sagte er, über überhaupt etwas zu sagen, während Yukios Gesicht gegen die Decke gerichtet war.

„Ja…vielleicht habt Ihr recht…“, sagte er leise, bevor er Minoru doch ansah. „Wie kommt es eigentlich, dass Ihr Fukuwara-san unterstellt worden seid?“

Die Frage überraschend gestellt, entriss Minoru seiner Verwirrung. Er musste zwinkern, um sich auf das neue Thema einzustellen.

„Fukuwara-san war so freundlich mich auch, mich auch nach meiner Ausbildung bei ihm, bei sich zu behalten und in den Kreis seiner Vertrauten aufzunehmen“, sagte er daher ein wenig knapp, noch vollkommen ahnungslos, was Yukio mit der Frage bezwecken wollte.

„Ihr seid also sein Liebhaber?“ Auf Yukios Gesicht spiegelte sich Interesse, was Minoru bis in die Haarwurzeln erröten ließ.

„Natürlich nicht!“ erwiderte er heftig. „Fukuwara-san war mein Lehrer und jetzt bin ich ihm ein loyaler Samurai. Im Übrigen wüsste ich nicht, was Euch das alles anzugehen hätte.“ Wie konnte es dieser Grünschnabel auch nur wagen, ihm solche Fragen zu stellen? Minoru war wirklich ärgerlich. Saburo war ein sehr guter Vorgesetzter und Minoru bewunderte ihn zutiefst, doch so sehr er ihn auch mochte, waren da keine romantischen Gefühle für ihn. „Warum stellt Ihr mir überhaupt solche Fragen?“ erkundigte er sich reichlich barsch, ohne seinen angefallenen Ärger zu verbergen.

„Ich war einfach nur neugierig“, war die schlichte Antwort, die Minoru nur bedingt gefiel und die Stirn runzeln ließ. Yukio setzte sich auf. Da Kumiko sein Haar gelöst hatte, fiel es ihm nun über die schlanken Schultern und ließ ihn zerbrechlich wirken. Nein, so sah kein Samuraischüler aus, dachte Minoru abgelenkt, wenngleich ihm auch klarer wurde, wieso er auf Tokugawa einen solchen Reiz haben musste.

„Außerdem wundert es mich, wie es sein kann, dass jemand der so jung wie Ihr seid, einen Posten in der Wache des Shoguns erhalten haben kann.“ Das war eine Frage, die sich gewiss nicht weniger gestellt haben und gleichzeitig der Grund, warum sich Minoru solche Mühe gab, seinen Pflichten gerecht zu werden, was ihm früh jegliche Leichtigkeit genommen hatte, die viele andere junge Männer, in seinem Alter noch hatten. Um den Erwartungen gerecht zu werden, hatte er vieles andere aufgegeben, dass ihn selbst Tanaka oft damit neckte, dass er sich wie ein alter Mann verhielt.

„Und darum habt Ihr angenommen, dass ich mir diesen Posten, durch eine Liebschaft mit Fukuwara-san erschlichen habe?“ zischte er nun wahrlich verärgert und bemühte sich sichtlich darum die Fassung nicht zu verlieren, um am Ende für diese perfide Unterstellung, nicht noch Genugtuung zu fordern. Yukio war klug genug, dazu nichts zu sagen, sondern lediglich mit den Schultern zu zucken.

„Es mag sein, dass ich diesen Posten erhielt, weil Fukuwara-san mir ein gutes Auskommen hatte geben wollen, aber ich kann Euch ebenso gut versichern, dass er mich nicht behalten hätte, wenn ich meines Postens nicht wert gewesen wäre!“ Wie konnte dieses Kind nur so etwas annehmen? Wäre er ein echter Samurai gewesen, hätte Minoru ihn gewiss zum Duell gefordert.

„Ich wollte Euch nicht beleidigen…“, versuchte Yukio Minoru zu beruhigen, was jedoch nicht ganz funktionierte.

„Ihr solltet Euch nun ausruhen“, sagte Minoru, verneigte sich knapp und verließ dann Yukios Zimmer, um auf der Veranda seinen Platz einzunehmen. In ihm kochte es! Er war ärgerlich, nicht zuletzt, weil er für den Hauch eines Moments tatsächlich Mitleid mit dem Jungen gehabt hatte. Nun er kannte er, dass dieser Einfallspinsel es nicht verdient hatte.
 

So fürchterlich der Abend geendet hatte, so friedlich begann der nächste Tag. Kumiko berichtete Yukio schon am nächsten Morgen, dass die Mutter des Shoguns wieder wohlauf war und wahrscheinlich nur einen von ihren Momenten gehabt hatte, in welchen sie sich dem Jenseits besonders nah fühlte. Die Besuche ihres Sohnes ließen sie dann nach ein paar Stunden immer genesen, was den Verdacht nah legte, dass die Dame genau durch diese Art von Schwächeanfällen und Nahtoderfahrungen, ihren Sohn in ihre Nähe zwang. Seine seltenen Besuche waren daran schuld und so hatte niemand wirklich Mitleid, um ihn, dass er in solchen Fällen die ganze Nacht in einem stickigen Zimmer des Inneren Palastes sitzen und der dünnen Stimme seiner Mutter lauschen musste.

Yukio hatte allerdings andere Probleme und daher keinen Kopf, um sich über die erste Dame des Reichs Sorgen zu machen. Viel mehr machte er sich Sorgen um sich selbst. Unweigerlich würde wieder eine Einladung in das Schlafgemach des Shogun folgen und Yukio war sich nicht ganz sicher, ob er würde ertragen können. Sich noch einmal überwinden, um dorthin zu gehen, war einfach unmöglich! Ihn schauderte es, wenn er daran dachte, wie Tokugawa ihn an sich gezogen hatte, um seine Wange zu küssen. Yukio hätte den Göttern danken müssen, dass dann die schlechte Nachricht eingetroffen war und nicht weiter hatte passieren können! Übelkeit stieg in ihm auf, weswegen er das Frühstück verschmähte und einen Tee wollte. Er hatte die erste Schale noch nicht ganz an die Lippen gehoben, als auch schon Masahiro angekündigt wurde. Der kleine Junge, schien ein besonders Interesse an Yukio entwickelt zu haben, da er so fröhlich auf ihn zusprang, dass er Yukio beinahe umgestoßen hätte.

„Guten Morgen, Kamaguchi-chan“, begrüßte er das Kind, dass ich nah an ihn setzte und zu ihm hochblickte.

„Ihr seht heute blass aus, Matsumoto-san“, sagte der Junge und streckte seine Hand nach Yukios Wange aus, was zwar unhöflich war, aber Yukio nur wenig störte. Er beneidete Masahiro, der aufgrund seiner Jugend, weit entfernt von den Intrigen und Wirrungen des Hofes war. „Ihr werdet doch nicht krank, oder? Das wäre schlecht, denn ich bin gekommen, um euch zum Spielen zu bitten.“ Er sagte es so ernst, als würde er Yukio förmlich zum Duell fordern wollen, was ein Lächeln auf die Lippen des Jünglings zauberte.

„In dem Fall, werde ich das krank sein verschieben müssen“, antwortet er nachdenklich und strich dem Kind, dass sich so zutraulich an ihn geschmiegt hatte, über den Rücken. Wie gerne er doch mit Masahiro getauscht hätte! Doch dauerte es leider nicht lange, bis der Grund für Masahiros frühen Besuch, sich ebenfalls bei Yukio eingefunden hatte. Es handelte sich dabei um einen älteren Mann, der Masahiros neuer Lehrer in Kaligraphie war und Imada hieß.

„Verzeiht, aber es ist Zeit für euren Unterricht, Kamaguchi-san“, informierte er den Jungen, der das Gesicht verzog und flehend zu Yukio hochblickte, als würde ihn dieser retten können.

„Aber ich versprach Matsumoto-san gerade ihm den Vormittag über Gesellschaft zu leisten“, versuchte sich das Kind zu retten, was Imada die Stirn runzeln ließ und Yukio in eine schwierige Lage brachte. Es war besser den Lehrer nicht zu verärgern, zumal es nicht gut gewesen wäre Masahiro seinen Unterricht versäumt hätte.

„In dem Fall würde ich mich freuen, wenn Ihr nach dem Unterricht zu mir kommen würdet.“ Als Yukio sah, wie Masahiros Hoffnungen, auf eine Rettung vor dem Unterricht eingingen, bekam er dann doch Mitleid mit ihm. „Doch damit Euch der Kaligraphieunterricht leichter fällt, werde ich euch diese kandierten Ingwerstückchen mitgeben, damit sie Euch den Unterricht versüßen.“ Das war etwas, was Masahiros Laune etwas hob und so ließ sich Yukio ein Taschentuch geben, legte dorthinein einige der kandierten Köstlichkeiten und überreichte es Masahiro, der sich artig bedankte, bevor er mit seinem Lehrer fort ging.
 

Es war gerade einmal Mittag und Yukio dabei seine Finger an einer Shamisen zu üben, als er vor der Tür zu seinem Empfangszimmer Stimmen hörte. Verärgert über die Störung legte er das Instrument fort und erhob sich selbst, um zu sehen, was dieser Lärm zu bedeuten hatte, als Tanaka-san auch schon die Shojitür aufzog.

„Was hat dieser Lärm zu bedeuten“, fragte Yukio und blickte auf die fünf Wachen die formeller Kleidung gekommen waren.

„Man hat mich gerade darüber informiert, dass man Euch, zu einem Gespräch geladen hat, Matsumoto-san“, erklärte Tanaka ein wenig steif und überreichte das Schreiben Yukio der es flüchtig las. Er verstand nicht, warum er gebeten wurde, den Soldaten zu folgen, obwohl das Schreiben keine Unterschrift trug. Hilflos blickte er zu Tanaka, der jedoch keine Regung zeigte und auch nicht andeutete, was Yukio machen sollte. Also blieb ihm nichts anderes, als den Wachen zu folgen.

Was mochte geschehen sein, fragte er sich unsicher und versuchte sein klopfendes Herz damit zu beruhigen, dass er sich nichts hatte zu Schulden kommen lassen. Umso beunruhigter wurde er, als man ihn in einen der Inneren Räume des Palastes brachte, die nichts mit der leichten Eleganz zu tun hatten, die Besucher und Tokugawas Vertraute genießen durften. In diesem Teil des Palastes war alles schlicht gehalten. Hier war alles funktionell und als er den Raum betrat, wo man ihn erwartet, spürte er wie die Angst ihm die Kehle zuschnürte. Der Raum wurde von Öllampen erhellte und in dem gelben Schein der Lampen saßen, Fukuwara-san und zwei andere Samurai die Yukio nicht kannte. Die Wachen die an den Seiten saßen nahm er nicht wahr und so entging ihm, dass auch Minoru unter ihnen war. Was war nur los, fragte Yukio sich mit echter Angst.

„Bitte setzte Euch, Matsumoto-san“, sagte ein älterer Mann, dessen Haar an den Schläfen weiß war und der streng auf Yukio blickte. „Ist Euch klar, warum man Euch hierher gerufen hat?“ fragte er weiter, nachdem Yukio sich hingekniet hatte.

„Nein, das weiß ich nicht.“ Die Antwort wurde von einem leichten Zittern durchzogen, woraufhin der dritte Samurai, ein Mann der noch keine grauen Haare hatte, Yukios Taschentuch hervor zog und es vor ihn hinlegte.

„Aber dieses Taschentuch erkennt Ihr doch, nicht wahr?“, fragte wieder der Älteste, woraufhin Yukio das Taschentuch in die Hände nahm und es von allen Seiten betrachtete.

„Ja, natürlich erkenne ich es“, sagte er erstaunt und faltete es zusammen. „Es ist mein eigenes. Ich packte Kamaguchi-san darin Konfekt ein, ehe er zum Unterricht ging.“ Wie waren sie nur an das Taschentuch gekommen? Yukio hätte gerne gefragt, doch diese Möglichkeit blieb ihm nicht.

„Dann behauptet Ihr also auch nicht zu wissen, dass das Konfekt vergiftet war?“ Die Frage ließ Yukio zusammenzucken. Sprachlos saß er da und schüttelte den Kopf. Er selbst hatte von dem Konfekt nichts gegessen, aber er hatte es Masahiro gegeben, um ihm eine Freude zu machen. Wie hatte es nur geschehen können? Oder waren die vergifteten Süßigkeiten für Yukio selbst bestimmt gewesen.

„In dem Fall, müssen wir Euch bitten, Euch von Fukuwara-san befragen zu lassen“, hörte Yukio noch einen der beiden Männer sprechen, während er das Gefühl hatte, dass vor seinen Augen alles verschwimmen würde. Er hörte wie Männer sich erhoben und den Raum verließen und sagte es dennoch nicht zu zwinkern, um alles wieder klar sehen zu können.

„Matsumoto-san?“, sprach ihn endlich jemand mit sanfterer Stimme an, woraufhin er die Augen öffnete und in Saburos Augen blickte. „Ist alles in Ordnung?“ fragte er besorgt, was nur bedeuten konnte, dass Yukio ganz blass geworden war.

„Wie kann etwas in Ordnung sein, wenn man mir unterstellt, dass ich Masahiro-chan zu vergiften versucht hätte.“ Als er merkte, was er gesagt hatte, schlug er sich die Hand vor den Mund und starrte Saburo aus großen Augen an. Nein, er hatte es nicht getan, doch nun wo er es ausgesprochen hatte. Doch wollte ihm Fukuwara aus der Sache scheinbar keinen Strick drehen, denn er berührten Yukios schlanke Schulter und deutete ein Lächeln an.

„Bitte, berichtet mir genau, was geschehen ist“, forderte er sanft von ihm und Yukio von der Stimme ein wenig beruhigt berichtete, dass das Konfekt schon vom Abend zuvor in seinem Zimmer stand und von niemandem angerührt worden war. Er selbst hatte davon nichts gekostet und er hatte auch nicht geahnt, dass Masahiro-san ihn besuchen würde. Alles war nur ein Zufall gewesen und Yukio vollkommen unschuldig. Saburo hörte sich das alles sehr genau an.

„Mir scheint fast, dass Ihr unter keinem guten Stern zu stehen scheint, Matsumoto-san.“ Er tätschelte Yukios Hand, als dieser den Kopf senkte. „Doch glaube ich Euch, denn ich sehe weder einen Grund, warum ihr ein Kind vergiften solltet, noch warum Ihr ihm dann euer Taschentuch hättet geben sollen. Leider bleibt damit dennoch die Frage, wessen Tat es war und wer Euch damit schaden wollte.“ Er machte eine kleine Pause in welcher Yukio ihn hoffnungsvoll anblickte. „Ich werde versuchen die Wahrheit ans Licht zu bringen, doch Ihr solltet Euch vorerst mit niemandem treffen.“

Yukio, von dem Gefühl überwältigt, dass ihm zumindest eine Person glaubte, ergriff Saburos Hand und drückte sie.

„Ich danke Euch, dass zumindest Ihr mir Glauben schenkt“, murmelte er und blickte eine Spur zu lange in Saburos Augen, ehe ihm dieser seine Hand wieder entzog.

„Yoshida-san wird Euch zurückbringen und vergesst meinen Ratschlag nicht“, ermahnte er Yukio noch einmal, der sich vor Saburo verneigte und dann mit ihm zurückging.
 

Es gefiel Minoru ganz und gar nicht Yukios Kindermädchen spielen zu müssen, aber er wollte sich Saburos Befehlen nicht widersetzten. Trotzdem war er leicht verärgert, als er neben Yukio her ging, der den Kopf gesenkt hielt und auf seine Füße zu starren schien. Konnte er nicht gerade und neutral gehen, sondern musste jeden Blick auf sich ziehen und seine Last so der Welt zeigen?

Nur zu gerne hätte Minoru ihn zu Recht gewiesen, aber er durfte es nicht und führte Yukio in sein Zimmer, wo man das Konfekt längst fortgenommen hatte und mit ihm Shiro, der es immerhin gebracht hatte. Auch Kumiko war fort. Offensichtlich wollte man auch sie zu der Angelegenheit vernehmen.

„Ich danke Euch, dass Ihr mich zurückgebracht habt“, murmelte Yukio und wollte gerade eintreten als ihn Minoru dann doch aufhielt.

„Dafür brauche ich euren Dank nicht, doch wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, dann haltet Euch von Fukuwara-san fern“, sagte Minoru ziemlich schroff und ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. Nur schein Yukio das nicht zu verstehen, was die Verwirrung auf seinem Gesicht bewies.

„Wie meint Ihr das?“, fragte er tonlos, woraufhin Minorus Geduld riss. Er stieß Yukio in den Empfangsraum und schob die Tür geräuschvoll hinter sich zu, mühsam sich beherrschend, nicht doch ausfallender zu werden.

„Ich habe eure Blicke und Berührungen Fukuwara-san gegenüber gesehen und auch, wenn Ihr euch keine Gedanken darüber macht, werde ich es nicht zulassen, dass Ihr ihn in irgendeine hässliche Geschichte verwickelt“, fuhr er Yukio wütend an, obwohl er wusste, dass es sich nicht hätte einmischen sollen. Doch Minoru konnte einfach nicht. Wenn es um Saburo ging, sein Vorbild und seinen Mentor, konnte er nicht still daneben sitzen, nichts sagen und nichts tun!

„Ich weiß nicht was Ihr meint“, versuchte Yukio sich zu wehren, doch Minoru durchschaute die Lüge nur zu schnell und runzelte die Stirn ärgerlich.

„Ihr wisst sehr wohl, was ich meine und sollte Fukuwara-san, wegen Euch in Tokugawa-samas Auge geraten, dann werde ich euren Kopf fordern!“ So aufbrausend hatte sich Minoru noch nie verhalten! Aber er hatte die Nerven verloren und bereute es nur einen Augenblick später, als er Tränen in Yukios Augen sah. So heftig hätte er gar nicht werden müssen und war es nicht verständlich, dass Yukio jemanden bei sich wissen wollte, der ihm glaubet und auf seiner Seite stand?

Er erinnerte sich an den Abend zuvor, als Fukuwara Yukio mühelos hochgehoben hatte, um ihn in sein Zimmer zurück zu tragen. War das nicht ein Zeichen, gewesen, dass er Yukio unterstützten würde? Minoru war sich nicht mehr sicher, ließ den Gedanken jedoch fahren, als er sah wie zwei dicke Perlen über Yukios Wangen flossen.

„Verzeiht, ich wollte nicht...“ weiter kam er gar nicht, da Yukio seine Hand fort schlug, mit der er ihn hatte berühren wollen. Vor Schreck zog Minoru diese Hand zurück und sah Yukio stumm an.

„Geht! Ich will Euch hier nicht in meinem Zimmer haben“, warf er ihm mit aufgelöster Stimme entgegen, die Minoru erschreckte. Sein Ärger verflog und obwohl er wusste, dass er sich hätte entschuldigen müssen, ahnte er, dass Yukio ihm nicht zuhören würde. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich vor Yukio zu verneigen und dann das Zimmer wieder zu verlassen.

So hart hatte er ihn gar nicht anfahren wollen und doch hatte er es getan. Das war unverzeihlich, doch Yukio wollte jetzt keine Entschuldigung hören, was Minoru sehr wohl wusste. Ihm blieb nichts anderes übrig, als vor der Tür zu sitzen und auf den abendlichen Garten zu blicken. Schon bald kam Kumiko, doch noch ehe sie zu Yukio konnte, hielt er sie auf und befragte sie noch einmal wegen des Konfekts. Die ältere Frau kniete sich daraufhin neben Minoru und seufzte.

„Ich verstehe selbst nicht wie das geschehen konnte. Ich war die ganze Zeit dabei, als Matsumoto-san sich fertig machte und am Morgen, als ich ihn weckte, war das Konfekt noch immer so abgedeckt, wie ich es zugedeckt hatte. Ich kann mir wirklich nicht erklären, warum man ihn verdächtigen sollte. Im Grunde ist er doch noch ein unbekümmerter junger Mann, der gegen Kamaguchi-chan sicherlich nichts hat“, sagte sie und sah zu Minoru der ihr aufmerksam zugehört hatte. Auch er glaubte nicht so recht daran, dass Yukio Masahiro hatte vergiften wollen, aber es war Konfekt aus seinem Zimmer und sein Taschentuch.

„Und sonst hätte niemand ins Zimmer kommen können?“ befragte er die Frau weiter, die darauf hin den Kopf schüttelte.

„Nein, vollkommen unmöglich. Tanaka-san hat die ganze Nacht vor der Tür gewacht und er hätte ganz sicherlich niemanden hineingelassen. Nein, es ist unmöglich, dass jemand in der Zwischenzeit betreten hat, von mir oder Shiro abgesehen“, teilte Kumiko ihm weiter mit. „Und wir waren es nun ganz sicherlich nicht. Shiro stand die ganze Zeit in der Küche, als das Konfekt vorbereitet worden war und der Koch hatte noch geschimpft, weil ein Diener sich ein Stück genommen hatte und dem ist nichts unwohl bekommen. Ihr seht, es ist eigentlich unmöglich.“

Ja, wenn man die Sache so betrachtete, dann war es wirklich unmöglich und dennoch war es geschehen. Immerhin war es unmöglich, dass sein Lehrer oder einer von seinen Dienern Masahiro hatten töten wollen. Vollkommen absurd, wo der Junge lediglich eine politische Geisel war und sonst keinen Einfluss hatte. Und dennoch hatte sich jemand seiner angenommen, warum nur?

„Wenn Ihr keine weiteren Fragen habt, dann würde ich nun gerne zu Matsumoto-san“, rief die alte Dienerin Minoru aus seinen Gedanken.

„Oh, gewiss. Lasst Euch nicht von mir aufhalten.“ Es gab nichts aus Kumikos Worten zu zweifeln und trotzdem hatte Minoru das Gefühl, als wenn er etwas übersehen würde. Doch eigentlich hätte es ihm gar nicht zugestanden, sich darüber größere Gedanken zu machen, denn immerhin wurde bereits eine öffentliche Untersuchung durchgeführt, die alles ans Licht bringen sollte.

Es dauerte nicht lange bis Minoru sich den Grund dafür eingestand, warum er das Geheimnis des Konfekts lösen wollte. Würde sich die Angelegenheit noch länger hinziehen, dann würde Saboru noch öfters zu Yukio kommen müssen und Minoru fühlte schon jetzt Magenschmerzen, wenn er an den Moment dachte, wo es jemanden auffallen sollte, mit welchem Blick Yukio Saburo betrachtete. Wie ein Lauffeuer würde es sich verbreiten, dass der möglicherweise neue Favorit des Shoguns Gefallen, an seinem Hauptmann fand und nicht an Tokugawa selbst. Es würde weniger ein Skandal geben, als viel mehr würde es Tokugawas Zorn auf Saburo lenken, der nichts getan hatte und dennoch im schlimmsten Fall dafür würde bezahlen müssen. Minoru presste die Lippen zusammen und nahm sich vor Yuikio die Stütze zu sein, die der Jüngling in Saburo zu sehen meinte. Ihm würde man es hoffentlich weniger nachtragen.
 

Halb in Gedanken versuchen, wie er Yukio von Saburo ziehen könnte und halb auf die Umgebung achtend, sah Minoru am späten Abend Ryo zurückkehren. Er saß noch immer vor Yukios Tür, als er Ryo wütend den Garten betreten sah. Die sonst so weichen und schon fast hochmütig gesetzten Schritte, waren einem nahezu unangemessenen Trampeln gewichen. Er war so schnell, dass selbst sein Diener kaum hinterher kam. Der Zorn war nicht zu verbergen und Minoru brauchte auch nicht lange, bis er erfuhr, was der Grund für diesen Zorn war. Ryo warf einen Blick zu Yukios Räumen und ab da war alles klar. Was immer auch geschehen sein mochte, es hatte Ryo nicht nur verärgert, sondern seinen Hass auch auf Yukio gelenkt. Was mochte nur geschehen sein?

Nun von Ryo würde er ganz sicher nicht erfahren, aber die Chance, dass der Hof am nächsten Tag darüber tratschen würde, lag mehr als gut. Minoru wollte sich schon fast entspannen, als er Saburo sah, der nach Ryosuke den Garten betrat und langsam auf ihn zukam. Er wirkte ruhig und beherrscht, ohne Arg in seinen Schritten, genauso wie Minoru ihn auch kannte. Sobald sein Vorgesetzter nah genug gekommen war, verneigte er sich vor ihm.

„Schläft Matsumoto-san schon“, erkundigte sich der Hauptmann, nachdem er sich neben Minoru niedergelassen hatte.

„Ich denke schon. Zumindest ist er schon eine ganze Weile ruhig. Ich nehme an, dass Kumiko über ihn wacht“, erklärte er und behielt den Grund für Yukios frühen Rückzug für sich. Er hatte sich nicht gut verhalten und darum wollte er seinem Vorgesetzten darüber nicht berichten. Saburo nickte leicht.

„Das ist wahrscheinlich auch besser so. Der heutige Abend ist kein guter Abend und auch die Nacht wird für einige nur wenig erholsam werden.“ Er sagte es in einem fast prophetischen Ton, der Minoru ein wenig beunruhigte.

„Geht es Kamaguchi-san besser?“ erkundigte Minoru sich höflich, da er annahm, dass das der Grund für den ganzen Ärger sein musste.

„Ja, es geht ihm besser. Zum Glück hat er nur ein Stück des Konfekts gegessen, darum war die Vergiftung auch nicht sehr groß. Er sollte dankbar sein, dass sein Lehrer ihn davon abgehalten hat sich mit den Süßigkeiten vollzustopfen, wenngleich er sicherlich nicht diesen Grund dazu aufgeführt hatte.“ Saburo schüttelte den Kopf und betrachtete Minoru eingehender, was diesen unruhig werden ließ. „Hast du etwas auf dem Herzen? Du siehst etwas blass aus.“ fragte er dann sehr direkt, woraufhin Minoru fast zusammengezuckt wäre.

„Vielen Dank, mir geht es gut, ich bin nur etwas beunruhigt, da ich Ikomo-san vorhin in schlechter Laune den Garten habe betreten sehen und frage mich daher, woher diese rühren könnte.“ Er wusste, dass er sich damit als ein neugieriger Kerl entpuppte, aber das war immer besser, als zugeben zu müssen, dass er sich mit Yukio in die Haare gekriegt hatte.

„Ah, das… Ich verstehe.“ Saburo nickte leicht und blickte zu der verschossenen Tür, hinter welchen Licht flackerte und Ryo gewiss tobte. „Tokugawa-sama wünschte heute Nacht seine Gesellschaft nicht. Ich nehme an, dass es daran lag, weil er etwas zu leidenschaftlich sich dafür eingesetzt hatte, dass man Matsumoto-san, während er Untersuchung gefangen setzten sollte.“

Nun konnte Minoru seinen Lehrer nur noch sprachlos anstarren. Nie und nimmer hätte er gedacht, dass Ryo soweit gehen könnte, zumal man immerhin auch annehmen konnte, dass da Gift für Yukio selbst bestimmt gewesen sein konnte. Dafür lag die Wahrscheinlichkeit sogar höher, als dass Yukio, grundlos Masahiro hätte vergiften sollen.

„Das hört sich an, als…“ Minoru wagte es nicht auszusprechen und sah zu Saburo, der auf den stillen Garten hinaus blickte, als würde er weit weg nach etwas suchen.

„Es hört sich danach an, als würde Ikomo-san nicht mehr lange seinen Platz halten können. Mit dieser Forderung hat er Tokugawa-sama heute sehr verärgert. Wenn er vorher noch keinen Grund hatte Matsumoto-san schaden zu wollen, so hat er diesen jetzt.“ Der Hauptmann drehte den Kopf langsam zu Minoru und blickte ihn mit einem unergründlichen Blick an. „Du solltest heute Nacht in Ruhe schlafen, Yoshida-kun, denn du siehst müde aus. Ich werde deine Wache übernehmen, bis mich Tanaka-san ablöst“, sagte er freundlich, jedoch nachdrücklich genug, dass Minoru nichts anders übrig blieb als zu gehorchen.

Nachdem er sich verabschiedet hatte, durchquerte er den Garten, wobei ihn das Bedürfnis sich umzudrehen und noch einmal zu Saburo zu blicken überwiegte. Er hatte schon fast den Garten verlassen, als er doch einen vorsichtigen Blick über die Schulter warf und erschrak dann. Saburo hatte sich zur Tür gewendet und öffnete diese leise.

Minoru machte das er fort kam, aber die Frage, was Saburo zur so späten Stunde, bei Yukio nur wollen konnte, wollte ihn nicht mehr loslassen. Nicht einmal als er schon auf seinem Futon in der Kaserne lag.

Herbstgedicht - Teil 5 -

Yukio schlief nicht wirklich. Es war viel mehr ein Dösen, da der Ärger noch zu groß war, als dass er hätte Ruhe finden können. Wie hatte es Minoru auch nur wagen können so mit ihm zu sprechen? Aber viel schlimmer, als die harten Worte des jungen Samurai, war Yukios eigene Reaktion gewesen. Er hatte sich von seinen Gefühlen übermannen lassen und nun lief es ihm kalt über den Rücken, wenn er daran dachte, dass er ihm früher oder später ins Gesicht würde sehen müssen. Es konnte kaum etwas Schlimmeres geben.

Als die Tür zu seinem Schafgemach geöffnet wurde nahm er an, dass es Kumiko sein musste, die noch einmal nach ihm sehen wollte, doch er irrte sich.

„Matsumoto-san?“ fragte leise eine Männerstimme, die Yukio wirklich überall erkannt hätte. Vor Überraschung setzte er sich auf, und starte auf die Gestalt, welcher langsam in den dunklen Raum trat und dann die Tür hinter sich zuzog. Durch die mit Papier bespannten Shoji erkannte er den Hauptmann Saburo. Doch was mochte dieser wollen.

„Seid Ihr gekommen, mich doch in Gewahrsam zu nehmen?“ fragte Yukio und leckte sich nervös über die Lippen. Hatte man doch etwas gefunden, um ihm die Schuld an Masahiros Vergiftung zuzuschieben? Doch er sollte beruhigt werden, denn Saburo schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich bin nicht gekommen, um Euch gefangen zu nehmen, sondern um mit Euch zu sprechen“, sagte Saburo freundlich. Nur zu gut konnte sich Yukio den Gesichtsausdruck des anderen vorstellen, was ihn sich etwas entspannen ließ. Er nickte in der Dunkelheit und setzte sich etwas bequemer hin.

„Und wo rüber wünscht Ihr mit mir zu sprechen?“, fragte Yukio mit zitternder Stimme, während ihm das Herz aufgeregt in der Brust hüpfte und er das Gefühl hatte sich jeden Moment Saburo an den Hals werfen zu müssen, um seinen aufgewühlten Gefühlen freien Lauf zu lassen.

„Ich würde gerne wissen, warum Ihr Kamaguchi-san das Konfekt gegeben habt und selbst keins kostetet.“ Die Frage war höflich gestellt, ohne die Spur einer Unterstellung, doch sie ließ Yukio dennoch gequält stöhnen. „Bitte, die Antwort ist wichtig, drum erzählt mir den Grund“, drängte Saburo weiter, bis Yukio sich ihm nicht mehr entziehen konnte.

„Nun gut“, seufzte Yukio und blickte auf die Schatten seiner Hände, die er kaum noch erkennen konnte. „Ich war sehr aufgeregt vor meiner Einladung zu Tokugawa-sama und konnte daher nichts Essen. Als Kamaguchi-san zu mir kam, um mich zum spielen aufzufordern, kam nur einige Augenblicke später Imada-san, sein Lehrer und teilte mit, dass seine Kaligraphiestunde bald beginnen würde. Um den Jungen etwas zu trösten, legte ich einige Konfektstücke auf das Taschentuch und gab es Kamaguchi-san“, erklärte Yukio und hob den Kopf, um zum schemenhaften Gesicht von Saburo zu blicken.

„Ihr tat es also ohne Arg oder Annahme, dass etwas mit dem Konfekt nicht stimmen könnte…“, murmelte Saburo, ohne dass Yukio hätte verstehen können, worum es eigentlich nun ging.

„Aber ich dachte, dass Ihr mir glauben würdet“, flüsterte Yukio schließlich, rückte ein Stück näher an Saburo und ergriff die Hände des Samurai, dessen Augen funkelnd zu ihm blickten. Dass er lächelte, konnte Yukio selbst in der matten Dunkelheit erkennen.

„Ich glaubte Euch, aber ich musste mir sicher sein, dass man nicht über Euch versuchte Kamaguchi-san zu schaden“, antwortete Saburo beruhigend und legte seine andere Hand auf Yukios, dem augenblicklich warm wurde. Den Göttern sei Dank war es so dunkel, dass Saburo unmöglich sehen konnte, dass Yukio rot wurde.

„Schreibt morgen einen Genesungsbrief an Kamaguchi-san, schickt ihm jedoch weder Konfekt noch etwas anderes und auf gar keinen Fall dürft Ihr ihn besuchen. Habt Ihr mich verstanden, Matsumoto-san?“ Saburos eindringliche Stimme drang in Yukios Verstand ein, der aufgewühlt nickte. Warum er sich so unhöflich verhalten sollte war ihm nicht ganz klar, aber als er merkte, dass Saburos Hand noch immer seine Bedeckte fand er auch seine Worte wieder.

„Ja, ich habe Euch verstanden. Doch sagt mir, was nun geschehen wird“, bat er hauchend, darum kämpfend so ruhig wie möglich zu klingen. Durch die trüben Schatten der Nacht konnte er sehen, wie Saburo wieder ein wenig lächelte.

„Ich werde meine Hand über Euch halten, damit Euch nichts geschehen kann. Doch Ihr müsst auf mich hören und Euch auf keinen Fall in eine Geschichte verwickeln lassen, die Euch schaden könnte. Allerdings wird Yoshida-san und seine Kameraden schon acht geben, dass Ihr in nichts geratet und nun solltet Ihr schlafen, damit Ihr morgen ausgeruht seid.“ Nach diesen letzten Worten entzog Saburo Yukio seine Hand, verneigte sich und verließ das Zimmer. Yukio dagegen blieb zurück, aufgewühlt und mit klopfendem Herzen. Wäre es doch so ein Mann, der Interesse an ihm hätte, dachte er betrübt und ließ sich wieder auf seinen Futon sinken. Dennoch war an Schlaf nicht mehr zu denken, denn Saburos Nähe wollte aus dem Schlafgemach nicht weichen und ließ den Jüngling fast weit, bis in die Morgenstunden wach liegen und die Hand drückend, die der Hauptmann gehalten hatte.
 

„Matsumoto-san?“ Kumikos Stimme wollte nicht so recht in Yukios Kopf dringen und die alter Dienerin musste ihren jungen Herren zwei Mal ansprechen, bis er den Kopf endlich zu ihr drehte und sie ansah. „Wollt Ihr nicht vielleicht einen kleinen Spaziergang machen? Nur hier im Garten. Ich bin sicher, dass es Euch gut tun würde, anstatt nur auf der Veranda zu sitzen. Shiro könnte Euch begleiten.“ Der Diener saß etwas entfernt und beobachtete Yukio, der ihm jedoch lediglich einen kurzen Blick schenkte. Dass sie lieber Shiro ihm zur Gesellschaft schicken wollte, als Suzuki, der an der Tür zu Yukios Zimmer saß, rechnete er ihr schon hoch an.

Es war klar, warum Kumiko ihn etwas spazieren schicken wollte, damit er den Kopf etwas freibekam und nicht wie ein Gefangener wirkte, dem man verboten hatte seine Gemächer zu verlassen. Das Problem bestand nur darin, dass Yukio gar keine Lust auf einen Spaziergang hatte. Gleich nach dem Aufwachen hatte er wie von Saburo verlangt einen Genesungsbrief an Mashhiro geschrieben. Zu gerne hätte er sich selbst davon überzeugt wie es dem kleinen Jungen ging, aber er wagte es nicht, sich über Saburos Ratschläge hinweg zu setzten, zumal ihm klar war, dass das Auftauchen des Hauptmanns zu so später Stunde für sie beide kompromittierend hätte sein können. Schließlich gab er sich doch einen Ruck, wenn auch nicht so begeistert, wie es Kumiko sicherlich gerne gehört hätte.

„Ja, vielleicht sollte ich wirklich einen kleinen Spaziergang machen“, antwortete er ein wenig matt und erhob sich langsam. Ihm fehlte eindeutig die Lust, aber er konnte unmöglich den ganzen Tag rumsitzen und warten, bis ihn der Shogun wieder zu sich rief. Die Vorstellung an eine Wiederholung seines letzten Besuchs ließ ihn frösteln. Shiro erhob sich ebenfalls und nachdem er Yukios Zori gebracht hatte, betraten beide den mit weißen Kieseln ausgelegten Gartenweg. Wahrscheinlich würde Kumiko noch einige Augenblicke auf der Veranda bleiben, um zu sehen, ob Yukio sich doch nicht anders entschied, bevor sie an ihre Aufgaben ging, dachte Yukio und schlenderte weiter.

Sie waren erst zu dem kleinen Teehaus gekommen, natürlich immer in Suzukis Blickfeld, als Yukio sah, dass Minoru den Garten betrat. Augenblicklich änderte Yukio die Richtung, aber der einzige Weg den er gehen konnte, war der direkt ins Teehaus oder eben zurück, was wie Flucht gewirkt hätte. Sich auf die Lippe beißend entschied sich Yukio doch Minoru entgegen zu gehen und ihn soweit es möglich war zu ignorieren. Vielleicht kam er auch lediglich, um die Wache abzulösen. In dem Fall hätte Yukio nichts zu befürchten. Zu sehr hing ihm ihr letztes Gespräch nach, bei welchem Yukio sich nicht gerade höflich verhalten hatte. Allerdings hatte auch Minorus Haltung einiges zu Wünschen gelassen. Der Kies knirschte unter Yukios Füßen je näher er dem jungen Samurai kam und plötzlich standen sie sich gegenüber, ohne etwas zu sagen. Wäre Shiro nicht bei ihnen gewesen, hätten sie sich wohl aus ihrer Starre gelöst, um wortlos aneinander vorbei zu gehen. Aber so musste sich einer den Ruck geben, um vor dem Diener eine Normalität in Bewegung zu bringen, die zwischen ihnen beiden nicht herrschte. Es war Minoru der sich als erster zusammenriss.

„Es freut mich, dass Ihr schon wieder die Lust verspürt ein wenig zu spazieren“, sagte er ein wenig steif, was Yukio die Stirn runzeln ließ.

„Es ist weniger die Lust, als Kumiko-sans Bitte. Außerdem ist es mir noch nicht verboten worden, im Garten zu lustwandeln.“ Yukio hatte nicht beabsichtigt, dass es so spitz klingen sollte und er bereute es augenblicklich. Ihm lag nichts daran Saburos Untergebene zu verärgern, aber Minoru erschien ihm wie ein besserwisserischer Jüngling, der sich aufgrund seiner Stellung zuviel einbildete. Die Art wie er nach Yukios Worten nach Luft schnappte, bestätigte lediglich Yukios Vorurteil. „Bitte entschuldigt mich“, murmelte er daher und wollte die Gelegenheit nutzen an Minoru vorbei zu gehen, um dieses unselige Aufeinandertreffen, so schnell wie möglich zu beenden. Allerdings kam er gar nicht so weit, denn er war gerade an Minoru vorbei, als er spürte wie das Riemchen von seinem Zori sich löste. Er blieb an den weißen Kiessteinen hängen, strauchelte und hätte sich mit Gewissheit sehr unzeremoniell auf den Boden gelegt, wenn da nicht plötzlich ein Arm gewesen wäre, der ihn mühelos aufgefangen hätte. Sekundenlang spürte Yukio fremde Stärke, die ihn sicher hielt und wieder aufhalf. Doch es war nicht Shiro der Yukio vor dem Fall bewahrt hatte, sondern Minoru, dessen erboste Miene von vorhin, nun ein wenig besorgt wirkte.

Gerade von ihm hätte sich Yukio nicht helfen lassen, wenn er die Wahl gehabt hätte. Aber das konnte sich Yukio nun nicht mehr aussuchen. „Danke“, murmelte er zurückhaltend, wurde aber gleich von Minoru unterbrochen.

„Ihr solltet Euch hier auf die Bank setzten, während der Diener Euch neue Zori bringt“, entschied er, bevor er Yukio zur Bank dirigierte und dieser sich setzten musste. Shiro derweilen war schon zurück zum Haus gegangen, um neue Zori zu holen. Nun entstand eine wirklich unangenehme Situation, zumindest in Yukios Augen. Er blickte zu Minoru hoch, der neben der Bank stand und auf ihn hernieder blickte.

„Ihr müsst nicht bei mir bleiben“, sprach Yukio und senkte den Blick auf seine Hände. „Shiro-chan wird nicht lange brauchen, oder gibt es einen besonderen Grund, warum Ihr mich aufgesucht habt?“ Im Herzen fürchtete Yukio, dass Minoru mit schlechten Nachrichten gekommen war, dass man doch beschlossen hatte ihn wegen des Vorfalls mit Masahiro fest zu setzten, doch seine Sorgen sollten sich nicht bestätigen.

"Ich bin gekommen, um mich für meine harschen Worte gestern zu entschuldigen.“ Yukios Kopf ruckte überrascht hoch, als er Minorus Worte hörte. Er muss sehr irritiert ausgesehen haben, denn seine Augenbrauen hoben sich leicht. „Ihr habt es nicht erwartet?“ Die Frage ließ Yukio die Lippen aufeinander pressen und leicht mit den Schultern zucken.

„Ihr habt mir bereits beim letzten Mal sehr klar und deutlich gezeigt, was Ihr von mir denkt und haltet, womit eine Entschuldigung das Letzte war, was ich von Euch erwartet hätte.“ Wahrscheinlich war es sehr unhöflich zu sprechen, aber in Yukios Augen war es die reine Wahrheit. Er konnte einfach nicht vergessen, was am Vorabend geschehen war. Wie konnte dieser Kerl sich nur erdreisten so mit ihm zu sprechen? Nein, gelogen hatte er wirklich nicht, denn Yukio konnte nicht abstreiten, dass er sich stark zu Saburo hingezogen fühlte. Sicherlich war dieser Mann nicht mehr ganz jung, aber er war noch immer attraktiv und hatte eine Art an sich, dass man sich einfach sicher fühlen musste. Und gerade jetzt brauchte Yukio Sicherheit, jetzt wo alles so aus den Fugen geraten war und man ihn sogar verdächtigte, Masahiro-chan vergiften haben zu wollen. So hatte das alles nicht ablaufen sollen, dachte er bekümmert und blickte auf die kleinen Kiesel zu seinen Fußen, Minoru ganz vergessend. Zumindest bis dieser sich räusperte. Er schien davon abzusehen sich über Yukios Worte aufregen zu wollen.
 

„Falls ich gestern etwas ausgesprochen haben sollte, was so nicht der Wahrheit entspricht, dann gebietet die Höflichkeit, dass ich mich dafür entschuldige“, sprach Minoru wieder weiter und atmete durch, bevor er die Frage stellte, welche ihm schon seit dem Abend zuvor so schwer auf der Brust ruhte, dass er sie einfach stellen musste. „Fukuwara-san hat Euch gestern Nach noch aufgesucht“, sagte er schließlich und bemühte sich um einen ruhigen Klang seiner Stimme. „Was hat er gewollt?“

Schon alleine diese Frage zeigte ihm, dass er einen wunden Punkt getroffen haben musste, denn Yukio presste die Lippen zusammen und wendete den Kopf von ihm ab, wenn auch nur für kurz.

„Warum fragt Ihr ihn nicht selbst, sondern kommt zu mir damit?“ Yukio sah zu Minoru hoch und das helle Sonnenlicht ließ sein Gesicht strahlend und unschuldig wirken. Einzig seine Augen verrieten, dass tiefer Kummer in ihm schlummerte. Doch ob dieser Kummer mit Saburo verbunden war, oder sich auf Yukios gesamte Lage bezog, war nicht zu erkennen. Minoru konnte nicht antworten. Denn was hätte er auch sagen sollen? Dass es ihm nicht zustand seinen Vorgesetzten auszufragen und das er deswegen zu Yukio gekommen war, in der Hoffnung, dass dieser wie ein redseliges Waschweib ihm alles erzählen würde?

„Fragt ihn, denn ich werde es Euch nicht verraten“, fuhr Yukio nach einem Moment weiter fort und wirkte verärgert. Er hob den anderen Zori auf und erhob sich, ganz offensichtlich, um Minoru hier stehen zu lassen.

Aber so einfach wollte ihn Minoru nicht gehen lassen. Er streckte seinen Arm nach dem jungen Mann aus und gerade als er seinen schlanken Oberarm umfasste, ertönte ein Krachen. Es war ein Geräusch welches nicht von einem Menschen erzeugt worden war, sondern aus den tiefsten Tiefen der Hölle zu kommen schien. Nicht einmal einen Atemzug später bebte die Erde unter ihren Füßen. Das letzte Erdbeben war schon etwas her gewesen und dieses kam ohne auch nur einen einzigen Vorboten. Reflexartig zog Minoru Yukio an sich und gleich darauf knieten sie beide auf dem Boden sich aneinander klammernd. Der Boden bewegte sich ruckartig und einen Moment hatte Minoru sogar das Gefühl, er würde sich jeden Moment öffnen, um sie beide zu verschlingen.

Dann hörte es plötzlich wieder auf. Es war so still, dass Minoru nicht einmal zu atmen wagte, bis er die ersten Vögel hörte, die sich schreiend in die Luft erhoben. Erst da wagte er seinen Blick auf Yukio zu senken, den er seine Brust gepresst hatte. Der Jüngling hatte die Augen geschlossen und sich schutzsuchend gegen Minoru gedrückt. Er wirkte wie ein kleiner Vogel der Schutz suchte und für den Hauch eines Augenblicks konnte Minoru nachvollziehen warum der Shogun Interesse an ihm zeigte. Wie viele Menschen Eiszapfen abbrachen, einfach weil sie nur schön waren, so würde auch Yukios Stolz und seine Unschuld brechen und dieser Bruch würde für jemand anderen zum Vergnügen werden.

„Schon gut. Es ist vorbei.“ Bis es wieder los gehen würde und ob die Kritische Zeit wirklich vorüber war wusste Minoru eigentlich auch nicht. Alles was er wollte war lediglich Yukio etwas Angst nehmen, während dieser die Augen öffnete und zu ihm hochsah. „Ihr solltet zurück ins Haus und ich muss in die Kaserne, um nachzusehen was mit Fukuwara-san ist“, redete er einfach weiter und bemerkte zu seiner Verblüffung wie Yukios seine Kraft zu finden schien. Dennoch ließ ihn Minoru nicht los, als sie sich beide erhoben.

„Ich werde Euch zurückbringen“, bot er an, was angesichts der wenigen Schritte wahrscheinlich nicht einmal nötig war, aber etwas in ihm drängte Minoru dieses Angebot zu machen.

„Das ist nicht nötig, es ist nicht weit und ich kann alleine gehen.“ Es war nicht zu verbergen, dass Yukio Minoru los werden wollte und da auch noch Suzuki, mit Shiro im Schlepptau, sich im Laufschritt ihnen näherte, blieb Minoru nichts anderes übrig, als Yukio los zu lassen. Als sich ihre Blicke begegneten war ihm, als hätte er seine Antwort bereits erhalten und das ließ ihm das Herz bis in die Knie sinken.

„Ist euch etwas passiert?“ Suzuki klang etwas außer Atem, als er sie erreichte und musterte Yukio genau, der sich noch etwas wackelig auf den Beinen hielt.

„Nein, Matsumoto-san geht es gut. Bringt ihn bitte zurück in seine Räume“, sagte Minoru und sah zu, wie die kleine Gruppe sich zusammen entfernte. Er selbst sah ihnen noch einen Moment nach, bevor er sich umdrehte und zur Kaserne zurück lief, um zu sehen ob Schäden entstanden waren.
 

Das Erdbeben war leicht gewesen und hatte keine Schäden hinterlassen. Die Stimmung in der Kaserne war deutlich erleichtert und auch Minoru konnte sich entspannen, als er Saburo im Hof stehen sah. Er rieb sich den Arm, wirkte aber sonst unverletzt.

„Fukuwara-san! Geht es Euch gut?“ Der ältere Samurai drehte sich zu Minoru um und lächelte leicht.

„Es ist alles in Ordnung, ich habe mir lediglich den Arm gestoßen, aber das ist kaum der Rede wert. Dir scheint ebenfalls nichts geschehen zu sein“, bemerkte Saburo und musterte Minoru, was diesen augenblicklich die Schultern straffen ließ.

„Ich war im Gästetrank, bei Matsumoto-san, als das Beben einsetzte. Aber auch er ist unverletzt. Ich habe ihn zurück in sein Gemach geschickt, damit er sich ausruhen kann.“ Saburo nickte auf die Information hin und bedeutete Minoru ihm zu folgen.

„Mir scheint, dass Matsumoto-san nicht sonderlich viel Glück widerfährt, seit er hier ist“, bemerkte er ganz nebenbei, was Minoru aufhorchen lässt. Er sagte nichts, aber als sie die Schreibstuben betraten und sich in einen ruhigen Raum zurückzogen, konnte Minoru seine Neugierde kaum zurückhalten.

„Ihr seid also nicht der Meinung, dass er…“ Minorus Mund wurde ganz trocken und er stockte, setzte sich aber, als ihm Saburo bedeutete Platz zu nehmen.

„Dass er das Konfekt vergiftet hat, um Kamaguchi-chan zu töten? Nein, das wäre mehr als sinnlos gewesen. Kamaguchi-san ist noch ein Kind und wäre Matsumoto-san wirklich dazu fähig solche Intrigen zu spinnen, dann wäre sein Ziel sicherlich eher Ikomo Ryu gewesen.“ Minoru dachte darüber nach und musste zugeben, dass es für Yukio sicher besser gewesen wäre, wenn der derzeitige Favorit des Shogun das Zeitliche gesegnet hätte. „Viel mehr denke ich, dass es Ikomo-san selbst war, der das Konfekt vergiftete und für die Schlange im Bad sorgte. Er hat viel zu verlieren und weiß, wie leicht Tokugawa-sama das Interesse verlieren kann. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er Matsumoto-san in seinem Bett zu haben wünscht.“

Dazu wusste Minoru nichts zu sagen, aber er musste wieder an jenen Abend denken, als Yukio ins Gemach seines Herrn gerufen worden war und wie verschreckt er ausgesehen hatte. Er wünschte ganz gewiss nicht der neue Favorit zu werden.

„Wird ihn der Shogun wieder zu sich rufen?“ Die Frage entschlüpfte Minorus Lippen einfach und ehe er sie zurückziehen konnte, hörte er auch schon wie Saburo seufzte.

„Er wünschte ihn bereits heute Abend zu sehen“, war die schlichte Antwort, welche Minorus Magen sich zusammenziehen ließ. „Sowohl er, als auch Ikomo-san haben sich zum Abendessen einzufinden und danach werden wir weiter sehen.“

Diese Konstellation alarmierte Minoru und auch das bedauernde Lächeln auf den Lippen seines Lehrers sagte ihm, dass sie beide das gleiche dachten. Das Abendessen war nur ein Vorwand, um zu sehen wie die beiden jungen Männer zueinander standen, denn nichts reizte den Appetit mehr an, als ein kleiner Kampf.

„Doch um auf etwas erfreulicheres zu kommen. Eure Schwester wird übermorgen in Edo eintreffen.“ Die Erwähnung von Minorus Lieblingsschwester, Ai, ließ die Sorge etwas abfallen. Sie war fünfundzwanzig und vor wenigen Monaten Witwe geworden. Ob es Glück oder Pech gewesen war, hatte Minoru nicht ganz entscheiden können, aber er war erfreut gewesen, als er gehört hatte, dass eine Verbindung zu Saburo ins Auge gefasst worden war. Die Verhandlungen hatten sich über Wochen hingezogen und würden nun bald ihren Abschluss finden.

„Wird sie im Palast verweilen?“ erkundigte er sich höflich und versuchte seine Freunde so gut es ging zu verbergen, doch Saburo lächelte ganz offen.

„Ja, das wird sie. Da wir uns bereits kennengelernt haben, hielt ich es nicht für nötig sie in einem Haus in der Stadt unter zu bringen. Außerdem werdet Ihr auf diese Weise Gelegenheit haben, sie öfters zu sehen.“ Minoru errötete bei dieser Ankündigung und wusste, dass Saburo ihn längst durchschaut hatte. Ihm gefiel die Vorstellung sehr, mit Saburo verwandt zu sein. „Das letzte Wort ist jedoch noch nicht gesprochen, aber ich denke nicht, dass sich der Shogun dagegen stellen wird. Doch bis ein Hochzeitstermin gewählt werden kann, sollten wir uns besser darum kümmern, ob es zu Schäden in der Kaserne gekommen ist.“ Das war eine freundliche Erinnerung an Minoru, dass die Arbeit rief. Augenblicklich verneigte sich Minoru und verabschiedete sich, um sich wieder seinen Aufgaben zu widmen.
 

Die Einladung war für Yukio eine Überraschung, aber ihm war auch klar, dass die Verdächtigungen gegen ihn noch nicht ausgestanden waren. Wahrscheinlich hatte sich einfach keiner getraut dem Shogun mitzuteilen, wegen was man ihn verdächtigte. Er hätte sich über das bisschen Freiheit freuen sollen, aber er konnte es nicht. Stattdessen fühlte er sich eher so, als würde er nur noch genauer beobachtet werden.

Zudem fürchtete er sich vor dem Abend. Tanaka der als Wachablösung für Suzuki gekommen war, hatte ihm mitgeteilt, dass auch Ryo anwesend sein würde. Das war nichts was Yukio beruhigt hätte. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, dass auch Ryo sicher nicht froh darüber war, mit Yukio an einem Tisch zu sitzen und höfliche Konversation mit ihm zu betreiben.

Kumiko half ihm bei den Vorbereitungen. Sie band ihm das Haar sehr schlicht zusammen, so dass es über seinen Rücken fiel und den schlanken, blassen Hals ein wenig verbarg. Sie hatte für ihn einen dunkelblauen Kimono ausgewählt auf dem silberne Chrysanthemen sich im Wind neigten. An seiner Aufmachung war nichts auszusetzen, aber Yukio fühlte sich dennoch nicht wohl, als er sich auf den Weg machte. Um sich von dem bevorstehenden Abendessen abzulenken, entschied er sich eine Bemerkung zu machen.

„Ich habe Fukuwara-san heute noch gar nicht gesehen, nach dem Erdbeben hatte er gewiss viel zu tun, nicht wahr?“ Gewiss war das nicht die klügste Bemerkung, aber Yukio konnte nicht abstreiten, dass er wissen wollte, ob Fukuwara während des Erdbebens verletzt worden war. Er konnte wirklich froh sein, dass nicht Minoru sein Begleiter war, sondern Tanaka, denn dieser hätte ihn sicherlich sofort wieder verdächtigt, sich viel zu sehr für den Hauptmann zu interessieren. Tanaka war zwar wortkarg, aber er gab dennoch Antwort.

„Es gab keine Verletzten und Fukuwara-san ist wohl auf. Er wird an dem Abendessen teilnehmen.“ Yukio war so überrascht, dass er über seinen Kimonosaum stolperte. Wäre Shiro nicht zur Stelle gewesen, wäre Yukio hingefallen. Tanaka hatte sich ebenfalls umgedreht, aber Yukio winkte gleich ab.

„Ich bin nur mit dem Fuß hängen geblieben. Es ist nichts“, sagte er schnell und ging weiter, Shiro einen Schritt hinter sich habend. Yukio konnte nicht fassen, dass Saburo auch da sein würde. Er hatte gefürchtet ihn nun wieder länger nicht sehen zu können und nun hatte sich das Schicksal soweit zu ihm geneigt! Er freute sich und versuchte es gleichermaßen zu verbergen, indem er die Augen etwas niederschlug. Vielleicht war ihm das Glück noch mehr Hold und an diesem Abend erwähnte der Shogun nicht in, sondern Ryo in sein Bett. Dann könnte er sich vielleicht erbitten, dass Saburo ihn zurück in sein Gemach führte.

Es waren träumerische Gedanken, aber sie ließen Yukios Herz schneller schlagen und als die Tür für ihn geöffnet wurde, da wirkte der Raum mit den Menschen die er eigentlich gar nicht sehen wollte, nicht mehr ganz so schrecklich. Anmutig verneigte er sich, bevor er unter leisem Seidengeraschel zu seinem Platz ging und zwar auf der linken Seite des Shoguns. Dabei sah er aus dem Augenwinkel, dass Saburo ihm schräg gegenüber, neben Ryo sitzen würde, der den Platz zur Rechten des Shoguns eingenommen hatte.

„Mir scheint, dass Euch die Aufregung des Tages wohl bekommen ist, oder konntet Ihr es kaum erwarten hier her zu kommen?“ Die Frage stammt von Ryo, der zwar lächelte, aber alles andere als freundlich wirkte. Dennoch reichte es reichte aus, um den Shogun einen genauren Blick auf Yukio werfen zu lassen. Genau dieser Blick reichte aus, um Yukios Wangen sich einen Tick dunkler zu verfärben. Selbst durch den hellen Puder traten rosafarbene Flecken hervor.

„Was immer auch der Grund ist. Es freut mich, Euch so wohlbehalten und entzückend an meiner Tafel zu sehen.“ Tokugawas Stimme war dunkel und man hörte heraus, dass er schon Sake getrunken hatte. Yukio hätte sich fürchten müssen, aber er konnte sich auf seine Angst nicht konzentrieren, denn all seine Aufmerksamkeit lag auf Saburo. Hier und da schaffte er es ein paar Worte mit Saburo zu wechseln und je länger er ihn anblickte und seine Stimme hörte, desto mehr wünschte er sich alleine an seiner Seite zu sitzen.

„Ich hörte, dass die Dame Yoshida bald in Edo eintreffen wird“, bemerkte Ryo als das Essen schon fast vorüber war. Diese Bemerkung reichte aus, um den Shogun den Mundwinkel heben zu lassen und Saburo selbst schmunzelte, wobei er kurz den Blick senkte, was eindeutig aussagte, dass er dieses Thema lieber nicht angesprochen hätte. „Mir scheint, dass Matsumoto-san keine Ahnung hat, wer die Dame ist“, fuhr er weiter fort und nippte an seinem Sake, bevor er das Schälchen beiseite stellte und Yukio scharf ins Auge fasste.

„Die Dame Yoshida ist die Schwester einer eurer Wachen, von Yoshida Minoru. Sie kommt nach Edo, um die Gemahlin von Fukuwara-san zu werden. Natürlich nur, wenn unser Herr, seine Einwilligung dazu erteilt.“ Die zuckersüßen schnitten sich in Yukios Herz. Er bekam kaum noch mit, wie Ryo sich an den Shogun wandte und dieser zufrieden nickte, denn er hatte das Gefühl, seine ganze Welt würde in Scherben liegen. Ihm war als würde Saburos Erwiderung an ihm vorbei rauschen und er sie gar nicht mehr richtig hören.

Er musste blass geworden sein, denn der Shogun berührte ihn leicht am Arm, woraufhin er Yukios Kinn berührte, um sein Gesicht näher zu betrachten.

„Mir scheint, dass Ihr etwas frische Luft brauchen könntet“, bemerkte er und ließ Yukio auch gleich los. „Entfernt Euch aber nicht zu weit. Fukuwara-san, ich habe noch mit Euch zu reden“, brummte der Shogun etwas kühler weiter und erhob sich, um den Raum zum verlassen. Ryo blieb sitzen und lächelte leicht, während seine Augen an Yukio zu kleben schienen.

„Wollt Ihr vielleicht noch etwas mehr Sake?“ fragte er und griff persönlich nach einer der Flaschen, doch Yukio konnte sich kaum noch beherrschen. Er sprach nicht sondern erhob sich, um den Raum zu verlassen. Vor der Tür waren einige Wachen, aber von Shiro war keine Spur. Wahrscheinlich wusste er, dass Yukio in dieser Nacht bei Tokugawa bleiben würde und war deswegen gegangen. Yukio schlug den entgegen gesetzten Weg ein, der von den Wachen fort führte und noch ehe er die erste Biegung erreicht hatte, beschleunigten sich seine Schritte. Ihm war, als würde sich ihm der Magen umdrehen wollen und gleichzeitig sich doch auch seine Kehle zusammen ziehen.

Er hörte nicht einmal, dass ihm jemand mit schnellen Schritten folgte und als ihm Draußen die kühle Luft entgegen schlug, konnte er ein Schluchzen nicht unterdrücken.
 

„Matsumoto-san!“ rief Minoru, der gesehen hatte, wie Yukio blass und aufgewühlt aus dem Zimmer gestürmt war. Halb hatte er die Gespräche im Innern vernommen und Yukios Reaktion bestätigte ihm seine Befürchtung nur noch mehr. Der Jüngling reagierte nicht auf ihn und als er ihn leicht an der Schulter berührte, fuhr er so angstvoll herum, als würde er einen Oni vor sich erwarten. In seinen Augen spiegelte sich Verzweiflung und der Jammer der Welt, der Minoru, obwohl als Krieger ausgebildet, doch rührte.

„Ich bin es doch nur“, versuchte er beruhigend auf den anderen einzusprechen, der in Tränen zu zerfließen drohte. Würde es so weiter gehen, würden die Tränen sein Make-up zerstören. Ohne nachzudenken, griff er nach der Hand des anderen und führte ihn von der Veranda in einen Nebenraum, der leer war. Es war mehr als dumm das zu tun, aber ihm war bewusst, dass er in diesem Augenblick nicht klar dachte.

„Ihr müsst Euch zusammenreißen. Wenn der Shogun Euch so sieht, werdet Ihr ihn nur verstimmen.“ Minoru versuchte streng zu klingen aber es wolle ihm nicht so recht gelingen. Leider hatten seine Worte auf Yukio eher den gegenteiligen Effekt, als das was er doch beabsichtigt hatte. Er versuchte es also noch einmal und legte seine Hände auf Yukios Schultern, die ihm so schmal und fein, wie die eines Mädchens, vorkamen.

Schlussendlich wusste er selbst nicht wie es geschah, aber er zog Yukio in seine Arme, wie er es schon einmal an diesem Tag getan hatte. Ihm schlug das Herz bis zum Hals, als er die knisternde, warme Seide unter seinen Fingern fühlte und das duftende Haar an seiner Wange. Wenn jemand nun rein käme, dann wäre es um ihn geschehen gewesen, aber daran dachte er nicht.

„Ihr dürft es niemanden merken lassen. Hört Ihr mich? Dann wert nicht nur Ihr verloren, sondern auch Fukuwara-san, habt Ihr mich verstanden?“ Als Antwort erhielt er ein leises Schluchzen und strich über Yukios Rücken, tief seufzend, weil er die Dinge nicht ändern konnte.

„Warum… warum habt Ihr es mir nicht gesagt?“ hörte er Yukio schließlich fragen, gedämpft, weil gegen seine Schulter. Es war unglaublich wie sehr sich der Jüngling an ihn klammerte. Darauf wusste Minoru jedoch keine Antwort und presste die Lippen zusammen. Yukios Duft und seine Hitze umschlangen Minoru wie ein eiserner Griff und er schob ihn etwas von sich zurück.

„Ihr müsst Euch jetzt wirklich zusammenreißen. Denkt nicht an das was heute geschehen ist. Das werdet Ihr ohnehin nicht mehr ändern können“, sagte er sanft und strich Yukio eine Träne von Wange. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, es ihm gleich gesagt zu haben, als ihm bewusst geworden war, dass Yukio Subaru mehr mochte, als es gut für ihn war, doch er hatte sich das Gegenteil einreden wollen. Nun tat ihm der Junge leid. „Verschließt jeden Gedanken an euren Kummer tief in eurem Herzen, das ist das einzige was ich Euch raten kann.“ Yukio presste die Lippen zusammen, doch dann nickte er und trat einen Schritt von Minoru zurück, fort in den Schatten, der sein Gesicht verbarg.

„Es gibt keinen Auswegen für mich, nicht wahr?“ Die Frage klang hoffnungslos.

„Für Euch gibt es nur einen Ausweg. Ihr müsst den Shogun an Euch binden, sonst wird Euch Ikomo-san vernichten. Versteht Ihr was ich meine?“ Minoru war sich nicht ganz sicher, ob Yukio ihm überhaupt zuhörte und umschloss sein Gesicht mit den Händen. Sie sahen sich an und mit jedem Moment in dem Yukios Blick klarer wurde, desto mehr hatte Minoru das Bedürfnis ihn zu schützen. Nur wie? Er wusste es nicht. Dazu kam noch, dass sie unbedingt zurück mussten, um keinen Verdacht aufkommen zu lassen.

„Wir sollten zurückgehen“, murmelte Yukio schließlich und schien sich wieder gefangen zu haben. Minoru nickte schweigend und wandte sich ab, um die Tür für Yukio aufzuziehen. Doch bevor der andere hinaus trat, berührte Yukio leicht seine Hand. Vielleicht war es nur eine zufällige Berührung, vielleicht aber auch nicht. Schlussendlich war es einerlei, denn ab da wusste Minoru, dass ihre Leben untrennbar miteinander verbunden waren.



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Seiya-Chan
2012-07-07T07:07:49+00:00 07.07.2012 09:07
Hallo!
Endlich ein neues Kapitel!War toll wie immer. Bitte schreibe schnell weiter, ich möchte wissen wie es weiter geht! :)
MfG
Von:  Seiya-Chan
2011-04-09T16:52:40+00:00 09.04.2011 18:52
Schon wieder so ein spannendes Kapitel! Bin mal gespannt warum Saburo reingegangen ist!
Von:  Seiya-Chan
2011-03-06T19:22:40+00:00 06.03.2011 20:22
Juhu, endlich ein neues Kapitel! Ich bin ziemlich gespannt, wer dieses
Attentat verübt hat und natürlich auch, wie es weiter geht!

Von:  Seiya-Chan
2011-02-16T15:50:16+00:00 16.02.2011 16:50
Die FF gefällt mir bisher sehr gut! Ist mal was anderes als die üblichen Themen! Auf jeden freue ich mich schon auf die nächsten Kapitel!
lg Seiya-Chan


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