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Untouched

TaKa/Kakao
von

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Prolog

PROLOG:
 

Hi!
 

Ich konnte meiner momentanen Sucht nicht entgehen - sehr zum Leidwesen meiner anderen FFs und deren Leser^^° - und musste einfach mit diesen Zwei hier anfangen eine Geschichte zu ersinnen.

Es wäre schön, wenn jemand sich mit mir für dieses Paar und diese Geschichte erfreuen würde.
 

Enjoy reading!
 


 

Sie erlebten das nun schon zum zweiten Mal. Ungezähmter Wind strich durch ihre Haare. Hitze umspielte ihre Körper, streichelte ihre Wangen entlang. Die Zeit schien hier keine Bedeutung zu haben.
 

Der Geruch erinnerte Takao an brennende Holzkohle, nicht aufdringlich, doch intensiv und auf seltsame Weise erfrischend. Gemächlich öffnete er seine braunen Augen und blickte direkt in Rubinrote. Klar und undurchdringlich musterten sie ihn. Mit einem tiefen Atemzug wandte sich Takao ab und drehte sich einmal im Kreis.

Schwärze, durchsetzt von Abermillionen Sternen, umgab sie und erneut erfüllte diese mystische Atmosphäre sein ganzes Wesen.

Ruhe, Freude, Frieden durchströmte ihn von Kopf bis Fuß, während er in dieser Dimension, dieser Fatahmorgana - erschaffen durch die aufeinander prallenden Energieströme ihrer Bit-Beasts -, für eine viel zu kurze Zeit festsaß.
 

Nach einem weiteren genießerischen Atemzug blickte er wieder zu dem Graublauhaarigen, der ihn nicht aus den Augen gelassen hatte, und ein Lächeln formte seine Lippen.
 

Unvermittelt sprudelten die ehrlichen Worte aus seinem tiefsten Inneren heraus, ganz so, als wäre ein Korken gezogen worden:

„Als ich dich das erste Mal gesehen habe, wollte ich dich unbedingt besiegen - deine Akzeptanz als Rivale erlangen. Als wir als Bladebreakers gekämpft haben, wollte ich nichts mehr als deinen Respekt. Und auch heute noch suche ich nach deiner Anerkennung, deiner Wertschätzung.“
 

Rubinrote Iriden durchbohrten ihn mit raubtierhafter Vorsicht, den Kopf hoch erhoben. Stolz wie der Phönix in seinem Blade. Und genauso schön. Und faszinierend.

Seine Stimme klang ruhig und rauchig, wie knisterndes Feuer: „Die hast du schon längst.“
 

Takao musterte ihn durchdringlich: „Nein. Du bist unbezwingbar. Egal wie oft ich dich schlage, egal wie gut ich bin... nie ist es genug. Nie bringst du mir mehr entgegen als schlichte Akzeptanz.“
 

Diesmal war es Kai, dessen Lippen sich verzogen. Doch nicht in Spott oder Tadel, sondern ungewöhnlich mild.
 

Dann verschwamm Takaos Sicht auf einmal und er fühlte sich wie in einem Strudel aus Farben gefangen, der ihn vor Schwindel die Augen schließen ließ.
 

Die Umgebung veränderte sich. Als wären sie auf einer kleinen Insel mitten im Universum gestrandet, funkelten Sterne, Monde und Planeten am Firmament, so nah und klar, als schaute man durch das beste Mikroskop der Welt und trotzdem würde es nicht im Entferntesten an das heranreichen, was sie hier erleben durften.
 

Kai war ein Kopfmensch und er hatte nach dem Finale der World Championchips versucht zu begreifen, was da geschehen war. Aber es ging schlicht über seinen Verstand, wie vieles was mit diesem Sport und diesen mythischen Tiergeistern zu tun hatte.

Und auch jetzt hatten Dranzer und Dragoon es wieder geschafft sie an diesen überwältigenden Ort zu bringen. Nun standen sie nicht mehr auf einer Ebene, sondern lagen an einer Art Strand. Wellen umspülten beinahe bis zu ihren Füßen.

Langsam richtete er sich auf und betrachtete dieses glitzernde Meer, das sich in der Unendlichkeit des Alls verlor. Dann wanderten seine Augen zu der Person neben sich, die unbewegt mit hinter dem Kopf verschränkten Armen dalag.
 

„Erwartest du von mir, dass ich mich vor dir in den Staub werfe?“ Seine Stimme klang amüsiert.

Beinahe lauernd legte er sich auf die rechte Seite, stützte seinen Kopf auf der Hand ab und betrachtete den scheinbar schlafenden Blauhaarigen.

Ein Schmunzeln zuckte um Takaos Lippen, ehe er schließlich seine tiefbraunen Augen öffnete, ihn schalkhaft ansah. Unwillkürlich schauderte es den Halbrussen bei diesem intensiven Blick.

„Im Staub liegst du bereits“, grinste er frech, „Ich dachte da mehr an so etwas wie Lob.“

„Die Arbeit zur vollsten Zufriedenheit zu erledigen, verdient kein Lob, sondern ist nicht weniger als der zu erwartende Standard.“
 

Nun stütze sich Takao ebenfalls mit dem Ellenbogen ab und bettete seinen Kopf auf der linken Hand. Er bemerkte nicht, wie ungewöhnlich nah sie sich dabei kamen.

„Du willst also sagen, dass du nicht mehr als Standard bist?“ Herausfordernd funkelte er den Graublauhaarigen an, sich ein belustigtes Grinsen nicht verkneifen könnend.

„Standard ist alles was noch übrig bleibt, wenn ich mit ihnen fertig bin“, erwiderte Kai unmissverständlich.

„Und eben drum könntest du mir wie Max, Rei und Daichi auch mal zeigen, dass du gut findest, was ich tue.“
 

Mit hochgezogener Augenbraue versuchte sich Kai daran zu erinnern, wann Takao angefangen hatte so sehr nach seiner Aufmerksamkeit zu verlangen. Nun, das wohl schon seit dem Tage, an dem sie sich das erste Mal begegnet waren. Er konnte nur nicht nachvollziehen woher das jetzt kam.

„Du kennst mich“, war die schlichte Erklärung, die jedoch lediglich ein Schmollen nach sich zog, ehe Takao plötzlich meinte: „Das reicht mir nicht mehr.“

Noch bevor Kai etwas erwidern konnte, verschwamm seine Sicht und der Boden unter ihnen.
 

Ein Strudel umgab sie, als er die Augen wieder öffnete. Ein Tornado aus Feuer wütete um sie herum, aber die Luft in dessen Auge war angenehm und roch nach Sommerwald.
 

Takao stand direkt vor ihm und diesmal war er es, der ihn undurchdringlich und klar zugleich anblickte. Als der junge Japaner anfing sanft zu lächeln, rieselte ein heißkalter Schauer seinen Rücken hinab.

Die dunklen Augen spiegelten das Feuer wider und Kai war sich sicher, dass der Blauhaarige nur vage erahnte, wie selbstsicher und anziehend er wirken konnte.

Es gab schließlich einen Grund, warum er so viele Menschen für sich begeistern konnte...
 

„Schau nur, was wir erschaffen können!“, rief Takao euphorisch und breitete seine Arme aus, was wie auf Kommando den Tornado plötzlich auflöste und die Sicht freimachte für die uunwirkliche Landschaft mitten im Universum.
 

Kais Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, was Takao nicht verborgen blieb.

„Nur du schaffst es, mich immer aufs Neue an meine Grenzen zu treiben.“ Der samtene Ton in seiner Stimme bescherte Takao eine Gänsehaut.

„Genug des Lobes?“, fügte Kai noch amüsiert hinzu, was den anderen aus seiner Starre riss.

Ein breites Grinsen überzog sein Gesicht, als er ein paar Schritte auf Kai zu machte, direkt vor ihm zum Stehen kam: „Na, eine Umarmung muss aber schon noch sein.“
 

Unter einem genervten Augenrollen und Schnauben zog Kai ihn zu sich, was den Japaner erst einmal überrumpelt dreinschauen ließ, hatte er doch nicht erwartet, dass er tatsächlich bekam, was er wollte. Doch der Schreckmoment währte nicht lange.

Fröhlich glucksend schlang er seine Arme um Kais Hals und fühlte sich ziemlich in seinen Traum zurückversetzt, den er damals – vor dem Beginn der WM, als er mit Daichi in der Wildnis trainiert hatte – gehabt hatte. Ironischerweise wäre er damals fast in einem Waldbrand umgekommen, hätte ihn Daichi nicht geweckt.
 

Die ruhige Stimme war es, die ihn zurück in die Realität dieser surrealen Welt katapultierte:

„Und? Bist du jetzt zufrieden?“
 

Auf einmal bildete sich ein Kloß in Takaos Hals und ihm war, als nähme er Kai zum ersten Mal in seinem Leben wirklich wahr.

Kai hatte sein Kinn auf seiner Schulter gebettet, während seine Arme Takaos Taille locker umschlangen und er selbst hielt Kais Nacken gefangen. Es dauerte einen Augenblick bis er sich von dem Gefühl dieses Körpers an seinem losreißen konnte.

Diese Dimension schien ihn betrunken zu machen.
 

Takao ließ von ihm ab und grinste ihn mit leicht verpeiltem Ausdruck in den Augen an:

„Ja, wir kommen der Sache schon näher. Wenn das so weiter geht, schaffen wir es glatt noch dich zu sozialisieren.“
 

Kai verzog seine Mundwinkel nach unten und sah ihn aus halb geöffneten Augen kühl an. Doch das zauberte erst recht ein Lächeln auf Takaos Lippen. So ehrlich, beinahe anhimmelnd, dass der Graublauhaarige erstaunt zurückblickte.

Ehe er sich versah, erfasste ihn eine Welle aus Zuneigung, die ihm den Atem raubte und ein überwältigendes Kribbeln in seinem Bauch zurückließ. Er merkte kaum, wie er dabei in den braunen Augen versank.
 

Takao erging es ähnlich. Diese rubinroten Augen machten ihn beinahe schwindlig bei dem Versuch etwas in ihnen zu lesen.

Es kam ihm alles so unwirklich vor.

Und da wo sein Verstand aufhörte zu funktionieren, begannen seine Sinne auf Hochtouren zu arbeiten.

Wie ein Faustschlag schlug ihm Kais Geruch entgegen – nicht unangenehm, im Gegenteil. Er brachte seinen Bauch dazu wie wild zu kribbeln. Die Tatsache, dass Takao Kai noch an den Schultern festhielt und er nun komischerweise überdeutlich die Wärme seines Körpers durch den Stoff an seinen Fingern spüren konnte, minderte dieses intensive Gefühl nicht gerade.

Warum zum Teufel überkamen ihn solche seltsamen Empfindungen?

Lag das an diesem Ort?

Was passierte hier mit ihm?

Und anscheinend nicht nur mit ihm...

Bei dem Anblick dieser tiefroten Seen, die ihn sehnsüchtig entgegenzublicken schienen, fing sein Herz an verrückt zu spielen. Als Takao sich von diesem Anblick abwenden konnte, blieb er fatalerweise an den leicht rosigen Lippen hängen, was ihm endgültig die Sicherung rausfliegen ließ.
 

Vorsichtig, als hätte er Angst sich zu verbrühen, fasste er mit der Hand Kais Wange und verschloss keine Sekunde später ihre Lippen zu einer sanften Berührung.
 

Federleicht. Unsagbar süß.
 

Erschrocken hatte Kai die Augen aufgerissen, doch anstatt den anderen von sich zu stoßen, bemerkte er wie gelähmt, wie seine Synapsen Funken sprühten und sein gesamter Körper von dem Gefühl dieser vorwitzigen Lippen eingenommen wurde. Lippen, die so sanft auf seinen ruhten, dass es ihm den Atem nahm und sein Herz hart gegen seine Brust schlagen ließ.
 

Und kaum hatte die Frage in Takaos Verstand gefunden, was zum Teufel er hier gerade machte, und er sich lösen wollte, spürte er wie Kai den scheuen Kuss erwiderte.

Der Tod jedes Gedankens.
 

Vorsichtig berührten sich ihre Lippen, ertrinkend in dem überwältigenden Gefühl, das sie dabei überfiel. Sie bemerkten nicht, dass sie sich dabei fest umschlangen, in einer engen Umarmung versanken. Sie spürten lediglich die Hitze auf ihrer Haut und das unverhohlene Verlangen nach mehr. Die anfängliche Scheu wich schnell einem zunehmend fordernden und leidenschaftlichen Kuss.
 

Unvermittelt hielt Kai inne, öffnete leicht seinen Mund und stellte überrascht fest, wie schnell und heftig Takao darauf reagierte. Keinen Augenblick später stahl sich seine Zunge mutig in Kais Mund, was diesem ein Aufkeuchen entlockte. Der Graublauhaarige glaubte selbst nicht, was er da tat, als er den anderen fiebrig küsste, als ob es etwas wäre, was er schon sein Leben lang hatte tun wollen.
 

Hungrig erwiderte Takao diesen Kuss und er fühlte sich noch enger an den anderen Körper gezogen. Er fühlte sich, als würde er vor Leidenschaft zerfließen. Sein ganzes Sein verlangte nach Kai, versetzte ihn in einen alles einnehmenden Rausch.
 

Dem Halbrussen erging es genauso. Fahrig begannen seine Finger über Takaos Rücken zu streicheln. Sehnsüchtig nach der warmen Haut wanderten sie zaghaft unter das gelbe Shirt. Es traf ihn wie zahllose Stromschläge, als er sie spürte - trieb ihn in den Wahnsinn.
 

Als Takao plötzlich von seinen Lippen abließ, nur um sie im nächsten Moment an seinem Hals verlangend saugen und küssen zu lassen konnte er ein lustvolles Aufstöhnen nicht unterdrücken, was Takao amüsiert gegen die empfindliche Haut grinsen ließ.
 

Daraufhin löste sich Kai ein wenig von ihm, sodass sich ihre Blicke zum ersten Mal, seit sie diesem Rausch verfallen waren, trafen. Doch anstatt wieder zu Verstand zu kommen, stürzte sie der lustverschleierte Ausdruck in den Augen des jeweils anderen wieder haltlos in die unstillbare Lust den anderen berühren zu wollen. Stürmisch versanken sie erneut in einem verlangenden Kuss.
 

Eingenommen von diesem unbeschreiblichen Gefühl und der Erregung, die durch ihre eng aneinander gepressten Körper spülte, bemerkten sie nicht, wie der Feuersturm um sie herum wieder aufkam. Nicht, wie die Umgebung anfing zu flirren und der Boden unter ihren Füßen wegbröckelte.
 

Dann ging alles ganz schnell: Mit einem immensen Druck wurden sie auseinander gerissen, zurück auf die Wiese, auf der sie ihr Beyblade-Match angefangen und auf der sie in mehreren Metern Abstand voreinander gestanden hatten und nun vom aufgewühlten Erdreich umgeben waren.
 

Genauso unliebsam, wie sie zurück in die Realität gefunden hatten, wurde ihnen schlagartig das volle Ausmaß ihrer Tat bewusst.

Erschrocken starrten tief braune Augen in fassungslose Rubine.

Ungläubig berührten Takaos Fingerspitzen seine geschwollenen Lippen und er hätte schwören können, Kais Küsse immer noch auf ihnen spüren zu können.
 

Unfähig diese Empfindungen zu begreifen, beobachtete er wie Kai seinen Hals berührte, mit seinen Fingern über seine feuchten Lippen strich und zur selben Erkenntnis kam.

Und obwohl sie nicht verstanden, was da eben geschehen war, so verstanden sie beide in diesem Augenblick, dass ihr Kuss jedoch genauso real gewesen war, wie er sich angefühlt hatte.
 

Das Gefühlschaos, welches Takao daraufhin übermannte, ließ ihn die aufflackernde Panik in den roten Augen übersehen. Das nächste, was er wahrnahm, war der Blade, der plötzlich vor seinen Füßen kreiselte, strauchelte und schließlich zum Stehen kam.

Ein Blick zu Kai verriet ihm, dass Dranzer ebenfalls aufgehört hatte sich zu drehen und gerade von seinem Besitzer aufgehoben wurde.
 

Als Takao dem Ausdruck in Kais Augen begegnete, zog sich sein Magen in angstvoller Vorahnung schmerzhaft zusammen. Der Graublauhaarige wandte sich wortlos von ihm ab.
 

„Kai!“

Doch noch bevor Takao zu dem Halbrussen aufschließen konnte, war dieser in der sich allmählich legenden Staubwolke, die ihr Kampf aufgewirbelt hatte, spurlos verschwunden.
 

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Über Kommentare würde ich mich sehr freuen^^.

Jeder der eines hinterlässt, bekommt dann Bescheid gesagt, wenn es weitergeht.
 

Bye
 

Minerva

Scandalous

Und hier schon das zweite Kapitel^^.

Danke für die Kommentare!
 

Enjoy reading!
 


 

Der frische Oktoberwind schnitt ihm geradezu ins Gesicht. Mit einem unmerklichen Brummen zog er seine Wintermütze noch tiefer ins Gesicht, doch die Kälte ließ sich davon nicht vertreiben. Mit diebischer Intelligenz fand sie die Ritzen seiner Kleidung und leckte über seine warme Haut.

Schaudernd beschleunigte er seinen Schritt und steuerte auf das große Gebäude zu, in dem er die folgenden vier Jahre mutmaßlich einen Großteil seiner Zeit verbringen würde.
 

Erleichtert drängelte er sich in die Eingangshalle, wo ihm augenblicklich stickige Hitze entgegenschlug und ihm den Schweiß ausbrechen ließ. Wie er das hasste! Immer diese gewaltigen Temperaturunterschiede zwischen draußen und drinnen, sodass man sich kaum Entscheiden konnte, wo es schlimmer war.
 

Genervt suchte er sich an der Wand einen ruhigen Platz, um sich, ohne zusammengetrampelt zu werden, die warme Winterjacke auszuziehen.

Man hatte ihn ja vorgewarnt, dass Sapporo nicht gerade das wärmste Plätzchen auf der Erde war, aber dieser Kälteeinbruch war nach Aussage seines Vermieters selbst für Hokkaido ungewöhnlich.
 

Noch während er den Schaal von seinem Hals zog, wanderte sein Blick über die ganzen Menschen, die teils verwirrt, teils zielstrebig durch die große Halle liefen. Das war also sein erster Studientag in der Hokkaido-Universität.
 

Ohne weiter auf die wiederkehrende Nervosität in seinem Bauch zu achten, kramte er aus seiner Laptop-Tasche den Zettel hervor, auf dem die Raumnummer stand. Die Einführungsveranstaltung würde im Audimax des Juridicum stattfinden. Das hieß er müsste innerhalb der nächsten Viertel Stunde am Ende des Westflügels sein, wollte er nicht bereits am ersten Tag zu spät kommen.
 

Ein Unterfangen, das sich als komplizierter herausstellte, als er sich das vorgestellt hatte. Nicht nur war der Westflügel ungefähr einen gefühlten Kilometer lang, nein, die Gänge waren geradezu voll gestopft mit ziellos umherirrenden Studenten und jeder von ihnen schien ihm mit Absicht im Weg zu stehen. Er war nicht gerade zimperlich beim Durchdrängeln und ignorierte geflissentlich die verärgerten oder verwunderten Blicke, die ihm zugeworfen wurden, als er zum Audimax hetzte.
 

Vollkommen verschwitzt fand er schließlich den gesuchten Raum, den eine große Fünf auf den Schwingtüren auswies. Zusammen mit ein paar anderen abgehetzt wirkenden Studenten schlich er sich in den Vorlesungssaal. Zu seiner Erleichterung war der Professor zwar schon da, hatte allerdings noch nicht angefangen. Ziemlich umständlich kämpfte der noch gegen das verhedderte Kabel seines tragbaren Mikrofons an und schien das Gewirr dabei nur schlimmer zu machen.
 

Aufatmend erspähte er noch zwei freie Plätze und ließ sich neben einem Mädchen mit langen schwarzen Haaren sinken. Prompt bohrten sich ihre grünblauen Augen in ihn.

„Hier ist doch noch frei, oder?“, brachte er etwas verunsichert heraus.

Unverzüglich nahmen ihre Züge einen warmen, geradezu gewinnenden Ausdruck an:

„Ja, selbstverständlich. Hallo, ich heiße Ishimo Hana. Freut mich dich kennenzulernen.“

Lächelnd hielt sie ihm die Hand hin, die er mit einem festen Händeruck schüttelte:

„Kinomiya Takao.“

„Ich weiß.“ Und als sie sah, dass er etwas zurückhaltender zu werden schien: „Aber keine Sorge, die Leute hier sind berühmte Persönlichkeiten gewohnt. Du wirst deine Ruhe haben.“
 

Das hoffe ich, dachte sich Takao und ließ seinen Blick über die Studenten schweifen. Er war nicht umsonst so weit fort gegangen. Er brauchte ein wenig Abstand von Tokio und den ganzen eingefleischten Fans, die dort im Übermaß vorkamen. Sapporo versprach etwas mehr Privatsphäre.
 

„Wohnst du in einer WG? Ich wohne bei meiner Schwester. Sie studiert hier auch Jura, macht aber nächstes Semester ihren Abschluss“, begann Hana weiter zu reden und schaute ihn treuherzig mit ihren großen Augen an.

Gerade als Takao antworten wollte, bemerkte er, wie sich jemand schwer atmend neben ihn setzte und seinen Blick keck erwiderte:

„Oh man! Ich dachte schon, ich komme nie an. Da draußen ist es schlimmer als auf dem Jahrmarkt.“

Ein Grinsen zog sich über Takaos Lippen, als er den Türkishaarigen betrachtete, der sich völlig fertig die Jacke abstreifte.

„Jahrmarkt, wenn es etwas umsonst gibt. Kinomiya Takao“, stellte er sich vor.

„Matsumura Akira. Du bist doch der Beyblader, oder?“

Der Blauhaarige nickte: „Aber hier bin ich nur Student.“

Akira grinste ihn an: „Die Professoren hier sollen kalte Hunde sein. Die kennen sowieso keinen Promi-Bonus.“

„Oh je, ich glaube, dann habe ich mich in der Uni geirrt!“, gab Takao gespielt schockiert von sich, der derartiger Kommentare müde war.

Doch seine beiden Kommilitonen lachten nur. Noch bevor Hana und Akira sich einander vorstellen konnten, krächzte der Professor in sein Mikro und begann mit der Einführung.
 

Die folgenden Tage waren für Takao recht stressig, aber er fing an, gefallen an dem Ganzen zu finden. Auch Hana und Akira stellten sich als sehr nett und hilfsbereit heraus.

Beide kamen ebenfalls von weit her und mussten sich erst einleben, auch wenn Hanas Schwester bereits seit vier Jahren in Sapporo lebte.

Das hatte praktischerweise zur Folge, dass die Schwarzhaarige sich recht gut in der Uni zurechtfand und ihnen bei organisatorischen Problemen auf die Sprünge helfen konnte. Außerdem war sie geradezu ein Lexikon, was die Leute und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen in dieser Fakultät betraf. Sie wusste alles. Wer mit wem, wann wo und gerüchterweise auch wie was gemacht hatte. Ihre Schwester schien ein neugieriges Klatschmaul zu sein und Hana versperrte sich scheinbar auch nicht die Ohren, wenngleich sie nur Takao und Akira mit diesen Informationen versorgte. Die Tatsache, dass diese sich oft über ihre Leidenschaft lustig machten, ignorierte sie dabei völlig.
 

Akira war mehr der Sportler-Typ. Überraschenderweise stellte sich heraus, dass seine Eltern Pferdezüchter waren und er ein begeisterter Reiter war und nun hier in Sapporo nach einer Möglichkeit suchte seinem Hobby weiter nachzugehen. Außerdem interessierte er sich für Politik und hätte sich fast für Politikwissenschaften eingeschrieben, war aber von seiner Tante, die Anwältin war, eines besseren belehrt worden.
 

„Du bist schon 22, oder?“, fragte Hana eine Woche später auf dem Weg zu ihrer ersten Übung im Strafrecht.

„Ja, ich habe zuvor eine kaufmännische Ausbildung gemacht“, erklärte Takao schulterzuckend.

„Ich habe mal gelesen, man munkelt, du seiest die rechte Hand von Mr. Dickenson“, schaltete sich Akira dazwischen.

Hana hob eine Augenbraue: „Wer ist Mr. Dickenson?“

„Was?! Das weißt du nicht?“, rief Akira entsetzt aus, was ihm einen bösen Blick bescherte: „Mr. Dickenson ist ja auch nur der Vorstandsvorsitzende der BBA, der weltweit größten Organisation, die der Beyblade-Sport kennt.“

„Ich kenne mich mit solchen Dingen halt nicht aus“, meinte Hana schmollend.

„Stimmt das?“, kam der Türkishaarige auf seine ursprüngliche Frage zurück.

Takao zögerte: „Ich habe sehr viel gelernt. Bestimmt mehr als gewöhnliche Azubis. Aber die Journalisten übertreiben es halt hin und wieder gern, bauschen Sachen unnötig auf.“

Akira sah ihn mit seinen kohlschwarzen Augen skeptisch an, doch beließ es vorerst dabei.
 

Die Übungsräume waren allgemein viel kleiner als Vorlesungssäle. Kaum dreißig Studenten passten hinein. Hier sollten sie mit einem Dozenten den Stoff der Vorlesungen vertiefen und einüben.
 

Es war bereits acht Uhr abends und nach einem ganzen Tag in der Uni verspürten Takao und seine neuen Freunde kein sonderliches Bedürfnis mehr sich voll ins Geschehen zu schmeißen. Zielstrebig gingen sie in die letzte Reihe, wo sich Takao an der Wand niederließ. Der Raum füllte sich schnell.
 

Den Kopf auf die Arme gebettet, wartete er auf den Dozenten, nur nebenbei dem Gekabbel von Hana und Akira lauschend. Die Müdigkeit kroch unaufhaltsam in sein Bewusstsein vor, ließ die Stimmen um ihn herum zu einem Rauschen zerfließen.

Bis eine Stimme wie ein Blitz in seine Gedanken krachte und ihn wie vom Donner gerührt aufschrecken ließ. Was er sah, nahm ihm den Atem, als wäre ihm in den Magen geschlagen worden.
 

„Entschuldigen Sie meine Verspätung. Mawashi-san ist leider kurzfristig verhindert. Deshalb werde ich ihren Kurs für dieses Semester übernehmen“, begrüßte der junge Mann die Studenten, während er leger zu seinem Pult ging. Die Studenten waren jedoch nicht so sehr von diesem Auftritt, als vielmehr von dem großen schwarzen Hund irritiert, der neben dem Dozenten herging und sich unaufgefordert in die Ecke an der vorderen Wand legte.

„Mein Name ist Hiwatari und wir werden sofort mit einigen allgemeinen Regeln für die Falllösung eines Strafrechtsfalls beginnen.“
 

Gefangen in einem Zustand zwischen Ersticken und Hyperventilation versuchte Takao dem Impuls sich unter dem Tisch zu verstecken zu verdrängen. Obwohl er sich zittrig fühlte, war er zur Salzsäule erstarrt.

Er bemerkte nicht, wie Akira ihn musterte.

Kais Stimme klingelte ihm immer noch in den Ohren. Er starrte ihn regelrecht an. Kai war ungewöhnlich braun, was seine roten Augen intensiv zur Geltung kommen ließ. Die graublauen Haare waren noch genau so lang und verwuschelt, wie er sie in Erinnerung hatte. Er sah so unverschämt gut aus, dass in Takao heißer Zorn die Oberhand gewann. Dieser Bastard war ganze sieben Jahre unauffindbar gewesen und nun stand er gesund und munter da und belehrte Studenten. Takao wusste nicht, was er erwartet hatte, aber im Augenblick war ihm die Vorstellung von Kai unter einer Brücke sympathischer.
 

Die Augen des Graublauhaarigen wanderten über die Teilnehmer seiner Übung. Abschätzend musterte er jeden Einzelnen – und das auf eine erstaunlich unauffällige Weise. Aber Takao bemerkte es als stächen tausend Nadeln auf alle ein, die von seinem Blick gestreift wurden.

Dann blieben sie an ihm hängen.
 

Rubinrot bohrte sich in Dunkelbraun.

Und der einzig klare Gedanke, den Takao fassen konnte, war:

Oh bitte, bitte, lass mich nicht aussehen, wie ich mich fühle!

Und während Takao hoffte nicht zu gucken wie ein verängstigtes Reh, begegnete ihm stoische Ruhe in roten Seen.
 

Man sah ihm nichts an. Rein gar nichts. Und das obwohl Kai sicher war, dass sein Herz gerade eben aufgehört hatte zu schlagen.

Von allen Orten auf der Welt musste er ausgerechnet hier sein? In einer Strafrechtsübung!?

So oft hatte er sich vorgestellt, wie es sein würde, wenn sie sich je wieder sehen sollten. Und keine Variante war so schlimm wie die Realität.
 

Takao saß ganz still in der hintersten Reihe, hielt seinem Blick fest stand. Der Ausdruck in den tiefbraunen Augen war kalt und undurchdringlich. Keine Emotion lag in ihnen. Und Takao ohne Emotionen zu erleben war so atypisch und erschreckend, dass es dem Halbrussen fast schlecht wurde.
 

Er hielt an diesem Abend seine erste Übung. Er war gut. Als hätte er das schon tausendmal gemacht. Niemand ahnte, was wirklich in ihm vorging. Außer vielleicht einer. Ein blauhaariger junger Mann in einem schwarzen Rollkragenpullover und Jeans, der schweigend zugehört und mitgeschrieben hatte. Sonst nichts.

Kai war wahrscheinlich noch nie so schnell aus einer Veranstaltung geflüchtet, wie an diesem Abend.

Und keiner folgte ihm bis auf seinen Hund.
 

Gemächlich packte Takao seine Sachen zusammen. Er fühlte sich schwindlig und erschöpft, so als brütete er eine Erkältung aus.

Er bemerkte nicht, wie sich Hana und Akira vielsagende Blicke zuwarfen.

„Sag mal, Takao, das war doch gerade ein altes Teammitglied von dir“, fing der Türkishaarige vorsichtig an.

Braune Augen sahen ihn ungewohnt ausdruckslos an: „Ja. Aber wir haben uns seit langem nicht mehr gesehen. Wir kennen uns nicht mehr.“ Hatte er Kai denn je gekannt?

„Aha. Okay.“ Akira war zwar neugierig und forsch, aber er wusste, wann er nicht mehr nachbohren sollte.

Und für Takao war das Thema für heute erledigt. Sein Bauch fühlte sich an als sei er im freien Fall. Er hatte einfach keine Kraft, um Kai zu stellen. Sollte das Arschloch doch weiterhin machen was es will. Takao kümmerte es nicht mehr; zumindest wollte es ihn nicht mehr kümmern.
 

Am nächsten Morgen trafen sie sich wie die letzten Tage im Unicafé.

„Mann Takao! Du siehst scheiße aus“, begrüßte ihn Akira und hielt ihm einen Kaffee hin.

„So stelle ich mir den Morgen vor“, strahlte Takao mit fröhlichen Augen, ehe er wenige Sekunden später seufzend den Kopf auf die Arme legte.

Mit einem Kichern setzte sich Akira zu seinen Freunden, als Hana auch schon anfing zu reden:

„Ich habe meine Schwester über Hiwatari-sensei ausgefragt.“

Und obwohl er es hasste, konnte der Braunäugige nicht anders: „Und?“

Freudig blickte die Schwarzhaarige ihn an: „Er hat Wirtschaftswissenschaften und Jura studiert. Letztes Semester hat er seinen Abschluss gemacht und schreibt jetzt an einer Doktorarbeit im Strafrecht.“

„Und dieser riesige Hund?“, wollte Akira wissen.

„Den hat er aus Frankreich. Angeblich hat er ihn als Rettungs- und Wachhund ausgebildet. Deswegen darf er auch mit in die Uni.“

Takao starrte in seine Kaffeetasse. Er hatte gewusst, dass Kai klug war und Tiere mochte. Aber ein Doppelstudium? Ein Hund aus Frankreich?

„Außerdem war er mit einer Kommilitonin einer Freundin meiner Schwester über ein Jahr zusammen. Angeblich eine On-and-Off-Beziehung, wie sie im Bilderbuche steht.“

„Ich sag nur eins: Heißer Versöhnungssex!“, grinste der Türkishaarige süffisant, was ihm einen strengen Blick von Hana einbrachte.

Takao ignorierte das flaue Gefühl im Magen.

„Das soll echt heftig gewesen sein“, fuhr die Schwarzhaarige fort, „Keiner wusste, wann sie zusammen und wann getrennt waren. Aber im Gegensatz zu ihm, ist sie nach dem Abschluss gegangen, um ihr Referendariat zu machen.“

„Warum weiß deine Schwester solche Dinge? Verwanzt sie die Leute?“ Langsam aber sicher war es Akira unheimlich. Führte diese Frau über jeden Buch, der hier ein und ausging?

Hana sah ihn leicht empört mit ihren großen grünblauen Augen an: „Sie verschließt die Augen eben nicht vor der Welt.“

„So kann man hyperneugierig und redselig auch umschreiben“, lachte Takao.

Kai hatte lang genug seine Gedanken beherrscht und jetzt sollte das nicht wieder einreißen.

Schmollend erhob sich die Schwarzhaarige: „Ihr wollt es doch auch immer wissen!“

Die darauf folgende Auseinandersetzung zwischen ihr und Akira erinnerte Takao sehr an sich selbst und Hiromi. Er vermisste seine Freunde schon ein wenig. Hiromi und der Chef waren immer bei ihm gewesen.
 

Am Nachmittag hatte Takao frei. Steif vom vielen Sitzen beschloss er ein wenig im Park spazieren zu gehen. Die kalte Luft war direkt angenehm und erfrischend. Es war auch nicht mehr so frostig wie die ersten Tage.
 

Tief einatmend lehnte er sich an das Geländer einer kleinen Fußgängerbrücke und blickte auf den Gehweg unter ihm. Links und rechts davon war ein breiter Streifen Wiese und große Laubbäume. Im Sommer musste es hier sehr schön sein, dachte sich Takao. Doch nun waren die Äste kahl und das Gras fahl. Trotzdem schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. Die Ruhe tat ihm gut.

Das Glück schien ihm jedoch nicht hold zu sein. Er blinzelte ein paar Mal, als könne er seinen Augen kaum trauen.
 

Schweiß rann ihm am ganzen Körper herunter. Seine Hündin lief beim Joggen immer brav bei Fuß, hielt sein Tempo ohne Mühe, aber er wusste, dass sie sich langweilte. Deswegen sprang er plötzlich zur Seite, drehte sich dabei um und beugte sich ein wenig: „Na, Ella? Komm!“

Freudig galoppierte sie an und schnappte spielerisch nach seinen Händen, die sie knufften. Lachend sprintete Kai ein paar Meter, bis ihn Ella einholte, dann drehte sich der Spieß um und er musste sie fangen. Er liebte diesen Hund und mit ihr zu spielen. Es scherte ihn nicht, dass die Leute ihn anstarrten, wenn er mit diesem großen schwarzen Tier herumtobte oder ihm Übungen beibrachte.
 

Takao beobachtete ihn von der Brücke aus und musste sich dabei eingestehen, dass er Kai nicht genug hassen konnte, um ihn in diesem Augenblick nicht attraktiv zu finden. Er trug zwar nur Joggingklamotten und spielte mit seinem Hund, aber mehr brauchte es auch nicht für ihn, um umwerfend zu sein. Manche Menschen hatten eben Ausstrahlung. Das Lächeln auf seinen Lippen, die fröhlich funkelnden Augen, die Takao selten so gesehen hatte – das war mehr als genug, um dem Blauhaarigen den Atem zu rauben.
 

Ein bekanntes Gefühl grub sich in seinen Eingeweiden hoch, erfüllte seine Brust. Er hatte den Drang mit Kai zu sprechen. Er wusste nicht genau wie oder was, aber er wollte ihr Problem klären.

Entschlossen stemmte er sich vom Geländer ab und lief die Treppe runter, den Weg entlang.

Der Graublauhaarige war schon relativ weit weg, doch Takao machte sich nicht die Mühe zu ihm zu rennen, als er sah, wie er einen Stock aufhob und ihn für den Hund warf.
 

Aufmerksam wie er nun einmal war, entdeckte Kai die sich ihm nähernde Person und ihm wäre beinahe der Stock aus der Hand gefallen, als er den Blauhaarigen erkannte. Um Fassung bemüht, hielt er inne und beobachtete den jungen Mann, der wie ein Fremder auf ihn zuging. Die braunen Augen trafen auf seine - undurchdringlich, reserviert.
 

Er blieb vor ihm stehen: „Warum hast du dich nicht einmal verabschiedet?“

Kai presste es den Atem aus den Lungen über so viel Direktheit. Aber was hatte er schon erwartet? Es gab tatsächlich nicht mehr zu sagen als das.

„Wozu? Das hätte nichts geändert.“

Wut blitzte in Takaos Augen auf, äußerlich blieb er jedoch unheimlich ruhig: „Stimmt. Es spielt ja auch keine Rolle, ob du im Straßengraben liegst, oder nicht. Ray studiert Medizin, Max Maschinenbau, Hiromi Wirtschaftswissenschaften, der Chef Informatik und Daichi reist rum und fördert junge Blader. Ich könnte dir auch noch aufzählen, was die All Stars, White Tiger X, Majastics und die anderen Teams jetzt machen. Nur du, du fehlst.“

„Und was willst du jetzt von mir?“

Baff von so viel Kaltschnäuzigkeit fuhr Takao hoch: „Eine Entschuldigung zum Beispiel?!“

Unmerklich zuckte der Graublauhaarige zusammen. Innerlich jedoch erleichtert, dass der Blauhaarige endlich so aufbrausend war, wie er ihn kannte. Diese ruhige Teilnahmslosigkeit hatte ihn schier wahnsinnig gemacht.

„Ich sehe keinen Grund dafür.“

Es ging so schnell, dass er keine Zeit mehr hatte, um zu reagieren. Grob packte ihn Takao an der Schulter und animiert von dieser Handlung sprang Kais Hund hoch, packte den Arm des „Angreifers“, was diesen zurückschrecken ließ.

„Ella, Aus! Platz!“, befahl Kai geistesgegenwärtig und die Hündin gehorchte prompt.

Erschrocken war Takao zurückgesprungen und hielt sich nun den Arm.

„Scheiße, verdammt!“, fluchte er immer noch durch den Wind.

„Es tut mir leid. Sie ist als Schutzhund ausgebildet und wollte mich beschützen“, entschuldigte sich Kai betreten und ging einen Schritt auf den Blauhaarigen zu, der den Ärmel seines Mantels hochschob.

Der Hund hatte lediglich nach ihm geschnappt und nicht zugebissen. Trotzdem hatten die Zähne gegen den Unterarm geschlagen, was schmerzte wie eine Prellung. Im Ärmel war allerdings ein kleines Loch vom Fangzahn gerissen worden.

„Ich werde dir den Schaden ersetzen“, meinte Kai mit schlechtem Gewissen, als er sah, wie Takao das Loch abtastete.

Das brachte den Blauhaarigen wieder zurück. Wild starrten ihn die braunen Augen an:

„Du brauchst mir gar nichts ersetzen. Das, was du kaputt gemacht hast, ist nicht ersetzbar.“

Ungehalten drehte sich Takao um, sah noch einmal auf den Hund, der neben Kai lag und ihn aufmerksam beobachtete, dann ging er davon.

Kai blickte ihm wie erstarrt nach.
 

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Es fängt langsam an. Es wird noch Klarheit in das Chaos kommen.
 

Über Kommentare würde ich mich sehr freuen!
 

Bye
 

Minerva

Alors on danse

Danke für die Kommentare^^! Diesmal ein sehr langes Kapitel.
 

Enjoy reading!
 

Er konnte nicht ablehnen. Und eigentlich war es auch gar nicht so schlimm, wie er es sich ausgemalt hatte. Trotzdem blieb es ein Club. Und Kai mochte Clubs im Allgemeinen nicht so gern. Es war ihm einfach zu voll und unkontrolliert. Es gefiel ihm zu tanzen, aber eben mit einer Person und vorzugsweise mit einer nachvollziehbaren Schrittfolge. Er mochte auch Musik – er liebte sie -, aber nicht in dieser Lautstärke und nicht von irgendwelchen Möchtegern-DJs verpfuscht.

Letztlich blieb ihm jedoch keine andere Wahl, als mit den Kollegen vom Lehrstuhl samt dem Professor – der auch sein Doktorvater war – einen Trinken zu gehen. Und da der Club eine großräumige Lounge nebenan mit allerlei Getränken bot, unter anderem teure Weine, denen der Professor besonders erlegen war, hatten sie beschlossen sich dort zu verabreden.
 

„Und ich bin immer noch der Meinung, dass es nicht einsichtig ist, warum ein beim Haupttäter unbeachtlicher Irrtum den Vorsatz des Anstifters aufheben soll. Der Anstifter muss sich diesen Irrtum vielmehr zurechnen lassen, denn er ist schließlich der entfernte Urheber der Tat und hat mit seinem Verhalten diesen Irrtum mitverursacht“, ereiferte Kenzo sich zum dritten Mal an diesem Abend.

Zu Kais Leidwesen wurden seine beiden anderen Kollegen nicht müde sich ins Gemetzel verschiedener Ansichten zum Thema „Wie ist der Anstifter zu bestrafen, wenn der Auftragsmörder die falsche Person abknallt?“ zu schmeißen. Professor Otonashi nickte wie ein Honigkuchenpferd über seinem Weinglas und schien glücklich, dass seine Leute so viel Eifer an den Tag legten. Kai interessierte sich ja auch für derlei Fragen, aber er sah keinen Sinn darin mit anderen über vorgefertigte Meinungen irgendwelcher Juristen zu lamentieren. Er hatte seine Meinung dazu gefasst und würde im Einzelfall vor Gericht eine Entscheidung treffen und nirgendwo sonst mit jemanden darüber streiten.
 

Lustlos führte er sein Weinglas zu den Lippen und wünschte sich nach Hause auf seine Couch, wo er mit etwas leckerem zu Essen und seinem Hund irgendeinen Film schauen könnte. Der Graublauhaarige war sich sicher, dass es nicht mehr langweiliger werden konnte, zumal sein Doktorvater plötzlich das Bedürfnis verspürte mit ihm über seine Dissertation zu sprechen. Schon wieder. Aber da hatte er noch nicht die drei Studenten entdeckt, die sich ins Getümmel des Clubs schmissen.
 

Sie hatten es Hana versprochen. An ihrem Geburtstag würden sie einen neuen Club ausprobieren und nicht nur in den zahlreichen Bars rumhängen. Und da standen sie nun. Es war groß, laut und sah teuer aus, was es im Endeffekt auch war. Hana war glücklich. Voller Vorfreude aufs Tanzen suchte sie umgehend einen geeigneten Platz, Akira und Takao dabei hinter sich herschleifend. Mit hochgezogenen Augenbrauen tauschten sie einen Blick, zuckten dann mit den Schultern und feierten einfach mit, auch wenn ihnen die Lounge, die sie im vorbeigehen in den Augenwinkeln gesehen hatten prinzipiell sympathischer war.

Es dauerte nicht lange und die Schwarzhaarige war ihnen fremdgegangen. Verstörend eindeutig tanzte sie mit einem muskulösen Kerl mit Statussymptomen, während Akira und Takao sich was zu trinken holten und prompt die Bekanntschaft mit zwei Medizinstudentinnen machten, die ebenfalls im ersten Semester waren.

„Willst du die Brünette oder die Rothaarige?“, flüsterte Akira ihm ins Ohr, woraufhin Takao die Mädchen noch einmal musterte.

„Ich denke, ich mag es konventionell braun.“

„Wie du meinst.“ Mit einem breiten Grinsen legte Akira der Rothaarigen den Arm um die Taille: „Was halten die Damen davon, wenn wir uns ein wenig in die Lounge setzen?“

„Klingt gut“, lächelte die Rothaarige verführerisch.

Takao kam sich vor als beobachtete er ein Aquarium, in dem pheromonverseuchte Fische schwammen. Ungemein amüsant.
 

Kai wusste nicht wie viele Gläser Wein er schon intus hatte, aber nach dem steigenden Unterhaltungswert seiner Kollegen nach zu urteilen, mussten es einige gewesen sein. Sie scherzten über irgendwelchen Unsinn und brachten den ganzen Tisch zum wiehern, ihn mit eingeschlossen.

Ein Grund mehr aufzuhören.

Es war nicht so, dass seine Kollegen geistlose Schwachmatten waren, keineswegs. Sie waren eigentlich äußerst klug, freundlich und effektiv mit dem was sie taten. Er verstand sich gut mit ihnen. Nichtsdestotrotz zog er es vor nicht in solchen Gesellschaften festzusitzen. Er war einfach nach wie vor nicht der geselligste Typ und würde es wahrscheinlich auch nie werden.
 

Der Graublauhaarige kam gerade von der Toilette mit dem Entschluss sich zu verabschieden, als sein Blick zu einer Sitzgruppe in der Ecke der Lounge fiel.

Sein Herz hörte einen Augenblick auf zu schlagen, als er Takao entdeckte. Er saß mit einem, den Kai aus der Übung wiedererkannte und der ein Mädchen am Hals hängen hatte, in der Couchecke. Das andere Mädchen hatte sich auf Takao fixiert und Kai sah gerade noch, wie sie ihn küsste, bevor sein Blickfeld von einer aufstehenden Clique verdeckt wurde.

Sich zu seinem Glück beglückwünschend ging Kai zurück zu seinen Leuten.

Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit sich in Sapporo ausgerechnet in diesem Club an diesem Tag zu begegnen?

Vermutlich genauso hoch wie die, dass sie sich nach sieben Jahren auf Hokkaido in der Universität von Sapporo in einer Strafrechtsübung trafen.

Kaum saß er wieder auf seinem Platz, suchten seine Augen wie von selbst nach der Couchecke und als er die beiden knutschenden Pärchen fand, verfluchte er sich für seine Neugier.

„Hey! Stoß mit uns an, Hiwatari-san“, rief Kenzo ihm zu, die anderen mit erhobenen Gläsern erwartungsvoll dreinschauend. Also stieß er mit ihnen an.
 

Mittlerweile saß sie auf seinem Schoß und hatte die Arme um seinen Nacken geschlungen. Takao beendete die Zungenakrobatik ungern, aber ihm war nach einiger Zeit wieder Hana eingefallen.

„Komm! Lass uns tanzen gehen“, forderte er die Brünette auf, die daraufhin zufrieden nickte.

„Hey Akira“, Takao pfiff kurz, damit ihm der Türkishaarige Aufmerksamkeit schenkte, „wir gehen tanzen.“

Zwischen zwei Küssen brachte er so etwas wie ein „Okay“ hervor, was Takao grinsen ließ.

Dann schnappte er sich die Hand von dem Mädchen und ging mit ihr zurück auf die Tanzfläche, insgeheim um zu schauen, ob bei Hana alles in Ordnung war. Er war es von Hiromi gewöhnt irgendwie immer auf sie aufzupassen und er fand es gehörte sich nicht, die Schwarzhaarige zu lange alleine zu lassen. Schließlich waren sie zusammen hergekommen.

Takao ahnte nicht im Entferntesten, dass ihm rote Augen folgten.
 

Um vier Uhr morgens hatte sich die Menge ziemlich gelichtet. Jeder, der nicht betrunken war und noch stehen konnte, machte sich langsam fertig zum gehen.

Und obwohl es zwischenzeitlich anders ausgesehen hatte – Akira war mit der Rothaarigen plötzlich verschwunden gewesen – standen sie nun zu Dritt vor der Garderobe, um sich ihre Jacken zu holen.

Hana hatte diesen protzigen Typen in den Wind geschossen und Takao hatte die Brünette auf ein andermal vertröstet. Er hatte genug Anstand, um an Hanas Geburtstag nicht mit einer Frau abzuziehen und im Gegensatz zu Akira waren die Toiletten für ihn keine ansprechende Alternative.

„Freut mich, dass ihr mitgekommen seid“, strahlte sie die Schwarzhaarige an.

Akira fuhr sich verlegen durch die Haare: „Ist doch klar.“

Takao konnte sich ein Augenrollen kaum verkneifen.
 

„Entschuldigung! Sie sind doch Kinomiya Takao?“, fragte ihn ein Mann, der im Club Barkeeper sein musste, auf ihn zukommend.

Skeptisch hob der Blauhaarige eine Augenbraue: „Ja, bin ich.“

„Dann kommen Sie bitte mal mit“, bat ihn der Mann mit ehrlichen Augen.

Er tauschte einen fragenden Blick mit seinen Freunden aus, ehe er dem Barkeeper folgte.

„Soweit ich mich erinnere, kennen Sie sich ja und da keiner mehr da ist, der sich seiner annehmen könnte... es sind keine Taxis mehr frei und fahren lassen, kann ich ihn ja auch nicht.“

Mit diesen Worten ging er zu einem Tisch und zeigte auf einen jungen Mann, der seinen Kopf, auf seinen Armen gebettet hatte. Takao war sich sicher ihn anzustarren wie ein hirnloser Idiot.

„Das sind seine Autoschlüssel“, sagte der Barkeeper und drückte, dem immer noch Erstarrten, einen Schlüsselbund in die Hand. Er kam sich vor, wie im falschen Film. Nein, er war sich ganz sicher, dass das ein schlechter Scherz sein musste.
 

Neugierig geworden, kamen Akira und Hana an seine Seite und blickten mit ihm auf das Häuflein Elend.

„Oh je“, brachte Akira hervor.

Hana hatte mehr an Emotion zu bieten: „Du musst ihn nach Hause bringen.“

Takao sah sie entgeistert an: „Wir verstehen uns nicht. Ich will keine Zeit mit ihm verbringen.“

Die grünblauen Augen sahen ihn an, als hätte er ihr gerade offenbart, dass er ihre Katze ertränken wolle.

„Komm schon. Wer soll ihn denn nach Hause bringen? Akira und ich sind dafür noch weniger geeignet als du.“

„Da sagt sie was“, fing jetzt auch noch Akira an den Moralapostel zu spielen.

Am liebsten hätte sich Takao gewatscht, um sich zu vergewissern, dass er nicht alpträumte.

Resigniert ging er schließlich auf Kai zu und berührte ihn am Arm: „Hey, aufwachen.“

Kai zuckte zusammen und hob schwerfällig den Kopf. Er blickte Takao direkt an, doch es war deutlich zu erkennen, dass es ihm schwer fiel ihn zu erkennen. Die Rädchen drehten langsam. War wohl besser so. Er hatte keine große Lust auf blöde Sprüche, schon gar nicht vor seinen Freunden.

„Takao?“, fragte Kai ungläubig. Die roten Augen waren matt und müde, irgendwie resigniert.

„Ja, und du gehst jetzt nach Hause.“ Nachdrücklich packte er Kais Arm und zog ihn hoch, überrascht davon, wie pflegeleicht er war und gekonnt ignorierend, wie bei der Berührung kribbelnde Hitze seine Finger hoch kroch und sein Herzschlag beschleunigte.
 

Hilfsbereit holte Hana Kais Jacke und Akira suchte draußen das Auto zu dem Schlüssel, während Takao den Graublauhaarigen stützte, da er nicht mehr selbst gehen konnte. Der schien es jedoch irgendwie komisch zu finden, denn etwas wie ein Glucksen verließ seine Kehle. Takao hatte nicht oft jemanden erlebt, der so stark betrunken war. Und obwohl er genug damit beschäftigt war nicht daran zu denken, wie nah Kai ihm nun war, konnte er nicht umhin sich zu fragen, warum er so über die Stränge geschlagen hatte. So sehr schien er sich schließlich nicht verändert zu haben, dass ihm Kontrollverlust nichts mehr ausmachte.
 

Draußen war es eisig und es hatte angefangen zu schneien. Tief atmete Takao die kalte Dezemberluft ein. Hana neben ihm streckte sich genüsslich: „Es ist doch okay, wenn wir gehen?“

Das fragte sie, nachdem sie ihm eingeredet hatte, es tun zu müssen. Doch anstatt ein Wort über seinen Unmut zu verlieren, nickte er nur: „Ja. Kannst du nur bitte in Kais Geldbörse nach seinem Ausweis schauen? Da müsste drauf stehen, wo er wohnt.“

„Klar.“ Mit diesen Worten fischte sie ungeniert das schwarze Portemonnaie aus Kais Hosentasche und wühlte sich bis zum Pass durch, den sie Takao dann in dessen Hosentasche steckte, weil er selber schlecht dran kam, musste er doch seinen alten Teamkollegen auf den Beinen halten.

„Hiwatari-san fährt einen BMW!“, rief Akira bestürzt und lief vor einem weißen Auto auf und ab.

„Na dann.“
 

Kaum hatte er die Fahrertür geschlossen, knallte ihm die Stille und Kais Geruch so stark entgegen, dass es ihn schwindlig machte. Wie er das hasste.

Sie hatten ihn auf den Beifahrersitz verfrachtet und willenlos, wie er war, ließ er sich alles gefallen. Erschreckend und faszinierend zugleich.

Müde las Takao die Straße von Kais Personalausweis ab und gab sie ins Navi ein.
 

Kai wohnte in einem kleinen Häuschen am Rande der Stadt. Die ganze Fahrt über hatten sie geschwiegen. Er hatte beschlossen es einfach hinter sich zu bringen.

Als er ausstieg, wurde er sofort von großen Schneeflocken bedeckt. Er sah kaum zwanzig Meter, so stark schneite es bereits. Mit einem tiefen Atemzug ging er zur Beifahrerseite.

„Auf geht’s“, sprach er sich selbst Mut zu und zog den Graublauhaarigen aus dem Auto und zur Haustür. Es dauerte eine Weile, bis er den richtigen Schlüssel hatte und aufsperren konnte. Kaum war die Tür einen Spalt breit offen, schmiss er sie wieder zu.

„Sag deinem Hund, er soll mich nicht fressen“, mahnte Takao, was ihm ein Brummen einbrachte. Immerhin war Kai noch bei Bewusstsein, was er allerdings von dem verstand, was er sagte, war wieder etwas anderes...

Glücklicherweise schien es angekommen zu sein.

„Sei brav, Ella“, kam leise über Kais Lippen, schien jedoch auch zu reichen, denn das schwarze Ungetüm ließ Takao widerstandslos ins Haus.
 

Es war dunkel im Flur und Takao schlecht gelaunt. Seine Hand fuhr vergeblich über die Wand auf der Suche nach dem Lichtschalter, also entschied er sich einfach im dunklen und mit Schuhen nach dem Schlafzimmer zu suchen, um Kai endlich los zu werden. Ihn nach dem Raum zu fragen, brachte er nicht über sich. Die sarkastischen Kommentare zu so einer Frage lagen ihm ja schon selbst auf den Lippen und auf Kais geistige Abwesenheit wollte er da nicht vertrauen. Albern, ja, aber er konnte es nicht ändern.
 

Glücklicherweise war die Wohnung wunderbar übersichtlich. Wohn- und Schlafzimmer lagen nebeneinander am Ende des Flurs.

Seufzend ließ er Kai an der Bettkante runter, woraufhin dieser sofort glucksend nach hinten ins Bett kippte und Takao sich auf der Matratze abstützen musste, um nicht ebenfalls reinzufallen.

Sie kamen sich dadurch viel zu nah und Kai sah ihn plötzlich mit halb geöffneten Augen so klar an, dass Takao nicht einschätzen konnte, ob er nun verstand, was geschah, oder nicht.

Kais Mundwinkel zogen sich zu einem traurigen Lächeln hoch: „Tut mir leid.“

„Was?“, fragte Takao irritiert, die ihn befallende Hitze verdrängend.

„Dass ich weggegangen bin.“

Heiß-kalte Schauer durchfuhren seinen Körper. Bittere Wut setzte sich in seinem Bauch fest:

„Das hätte dir früher einfallen müssen.“

Ungehalten wollte Takao sich gerade wieder aufrichten, als eine Hand seinen Mantel eisern fasste und ihn somit in dieser Position gefangen hielt.

„Es tut mir wirklich leid“, brachte Kai nachdrücklich über die Lippen und sah ihn direkt an, was Takao eine Augenbraue heben ließ.
 

Eine Idee hatte sich in seine Gedanken geschlichen. Warum sollte er nicht versuchen Kais Trunkenheit zur Informationsgewinnung auszunutzen?

Es war zwar unanständig, aber er konnte ja auch nicht einschätzen, was Kai nun sagen wollte und was er nur sagte, weil er keine Hemmungen mehr hatte alles auszusprechen. Nicht wahr?

„Warum bist du einfach so fortgegangen - ohne Lebwohl zu sagen?“

Kai drehte seinen Kopf zur Seite, unterbrach damit den intensiven Augenkontakt. Takao glaubte schon, er würde ihm nicht mehr antworten, als ihn die tiefroten Augen abermals fokussierten: „Aus Feigheit.“

„Weswegen? Wegen mir? Das ist doch albern...“ Takao wurde zum Ende immer leiser.

Unliebsame Erinnerungen an die Zeit, nachdem er begriffen hatte, dass Kai endgültig verschwunden war, kehrten zurück, raubten ihm den Atem. Er hatte davor und danach nie mehr so gelitten, war nie mehr so enttäuscht worden.
 

Eine Hand, die sanft über seine Wange strich, holte ihn ruckartig aus seinen Gedanken.

Kais Blick ließ sein Herz schnell und dumpf gegen seinen Brustkorb pochen. Er sah ihn traurig, sehnsüchtig und sanft zugleich an, eine Mischung, die Takao nie zuvor bei ihm gesehen hatte, eine, die ihm heiß und zittrig werden ließ.

Er beobachtete das Geschehen, als wäre nicht er es, der an der Handlung teilnahm, als Kai ihn zu sich herunterzog.

Zärtlich berührten sich ihre Lippen und mit einem Mal brachen alle vergrabenen Gefühle hervor, wie eine unaufhaltsame Flut durch einen Damm.

Alles in ihm schauderte, zitternd stütze er sich über Kai ab, der ihn im Nacken hielt, als Takaos erstarrte Lippen den gehauchten Kuss leidenschaftlich erwiderten.
 

Doch dieser Moment weilte nicht lange. Als hätte er sich verbrannt, schreckte Takao zurück und stellte sich aufrecht hin. Sein Herz hämmerte wild gegen seine Brust und seine Gedanken wirbelten konfus durcheinander. Also griff Takao die nächstliegende Emotion heraus, um auf diese Situation zu reagieren: Wut.

„Spinnst du?“

Kai starrte leer geradeaus, dann legte er die Arme über die Augen und sah dabei so traurig aus, dass Takao – obwohl er sich dafür hasste – ein wenig Mitleid bekam.

Zögerlich setzte er sich auf die Bettkante: „Was ist denn jetzt los?“

Langsam fuhr er mit den Fingern über Kais Arme, versuchte sie von seinem Gesicht zu lösen, was nicht funktionieren wollte. Stattdessen kribbelten seine Finger bei der Berührung wie verrückt.

Sauer über seine körperlichen Reaktionen, beschloss er wenigstens Kais Schuhe auszuziehen und ihn zuzudecken.

Kaum wollte Takao gehen, vernahm er die flüsternde Stimme: „Bitte bleib bei mir.“

Seufzend drehte er sich um und traf auf diese verfluchten Rubine, die ihn um den Verstand brachten.

Er hasste Kai für diese Augen. Er hasste ihn für seinen Stolz und seine Selbstherrlichkeit. Für alle schlechten Eigenschaften, unter der jeder litt, der ihm einigermaßen Nahe stand.

Kai kam ihm in diesem Augenblick jedoch so seltsam verloren vor, dass er wider besseres Wissens nachgab.

„Ich bleibe bis du schläfst.“ Und das würde bei dem Alkoholkonsum wohl eine absehbare Zeitspanne sein. Hoffte er zumindest.

Da keine Sitzgelegenheit in greifbarer Nähe war und der Hund keine zwei Meter entfernt auf dem Boden lag, ging er auf die andere Seite des Bettes und legte sich, natürlich voll bekleidet, hinein.
 

Keine Sekunde später, rückte ihm Kai erneut auf die Pelle, zu seiner Überraschung allerdings, ohne ihn erneut unter einem Anfall von Irrsinn küssen zu wollen. Stattdessen machte er etwas, dass sogar noch mehr imstande war, Takao aus der Fassung zu bringen.

Hingebungsvoll schmiegte er sich an ihn und vergrub seinen Kopf an seiner Brust, in den Stoffen seiner Kleidung. Er war sich sicher, dass sein Herzschlag den ganzen Raum erfüllte.

Abwesend strich er Kai durch das weiche Haar und fragte sich ernsthaft, wie und vor alledem warum zur Hölle er hier nur wieder hineingeschliddert war.
 

Als er sich sicher war, dass Kai eingeschlafen war, löste er sich von ihm und stieg aus dem Bett. So leise wie möglich schlich er hastig aus dem Raum.

Schwer seufzend ließ er sich gegen die geschlossene Tür sinken. Ein dumpfes Gefühl hatte sich in seinem ganzen Körper ausgebreitet, raubte ihm die Luft zum Atmen. Er fühlte sich genauso taub und hilflos, wie zu dem Zeitpunkt, an dem ihm klar geworden war, dass Kai nicht mehr zurückkommen würde.

Doch nun war es eine gänzlich andere Situation. Kai war hier. Betrunken. Küsste ihn.

Überfordert raufte sich Takao die Haare.

Das schien ihm die Aufmerksamkeit des Hundes einzubringen, denn das schwarze Ungetüm kam auf ihn zu, was Takao schnell aufstehen ließ. Glücklicherweise beschränkte sich der Hund darauf ihn bloß aufmerksam anzustarren und begegnete ihm nicht feindselig.

Trotzdem ging er ihm lieber aus dem Weg und schritt auf die Haustür zu.

Er wollte nur weg. Er wollte nur vergessen.
 

Als er am nächsten Morgen aufwachte, dachte er, er müsse sterben. Sein Kopf dröhnte, als führe ein Zug mit angezogener Handbremse drüber und jeder Muskel in seinem Körper fühlte sich schwer an. Am schlimmsten war jedoch die erstickende Übelkeit, die so schnell in ihm hoch stieg, dass er sich wunderte, wie er seine steifen Glieder aus dem Schlafzimmer bis ins Bad und zum Klo bekam, bevor er sich elendig erbrach.
 

„Wie kann man nur so viel trinken?“, meinte Takao nüchtern und sah zu seiner Zufriedenheit, wie Kai zusammenzuckte, als er seine Stimme vernahm.

Er wischte sich den Mund mit Klopapier ab und sah dann, immer noch am Boden hockend, zu dem schadenfroh in der Tür lehnenden Japaner.

„Was machst du hier?“, brachte er, unter einer erneuten Welle der Übelkeit, hervor.

„Der Barkeeper hat mich aufgegabelt, mir deine Schlüssel in die Hand gedrückt, woraufhin ich dich dann – genötigt von meinen Freunden – nach Hause gebracht habe.“

Kai lehnte sich erneut über die Klobrille, doch Takao setzte unbeirrt im sarkastischen Tonfall fort:

„Und als ich dann – endlich! – nach Hause konnte, musste ich feststellen, dass inzwischen so viel Schnee gefallen war, dass kein Taxi, kein Bus oder sonst irgendetwas in dieser Stadt mehr fährt. Bis jetzt. Da draußen geht es zu, wie in einem Roland Emmerich-Film. Und da ich zudem auch noch so gut wie am anderen Ende Sapporos wohne... Da bin ich doch tatsächlich hier geblieben.“

Takao klang so über die Maßen sarkastisch, fast boshaft, dass Kai es nicht wagte zurückzuschauen, als er sich wieder kurz erholte. Zitternd und schweißdurchtränkt blieb er hocken und starrte in die Kloschüssel.
 

Mit einen abfälligen Schnauben wandte sich Takao ab und ging in die Küche. Der Hund stand nun vor dem Bad und starrte sein armseliges Herrchen fast besorgt an. Eine gute Gelegenheit die Schränke nach etwas Essbaren zu untersuchen.

Zuvor hatte der Hund ihn jedes Mal angeknurrt, wenn er versucht hatte einen Schrank zu öffnen. Durch die Wohnung durfte er gehen, auf der Couch liegen, aber Wühlen durfte er nicht. Er wunderte sich, was Kai dem Vieh noch alles beigebracht hatte...

Er fand schnell, was er suchte. In keiner Zeit machte er zwei Käsesandwiches, die er auf einer Platte ins Wohnzimmer brachte und auf dem niedrigen Couchtisch abstellte. Anschließend füllte er Orangensaft in ein Glas und stellte es ebenfalls auf den Tisch.
 

Er konnte sich ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen, als er hörte, dass Kai immer noch überm Klo hing. Das hatte er davon.

Wenigstens eine kleine Genugtuung für den ganzen Ärger, den Takao wegen ihm hatte. Das schleichende Mitleid für ihn ignorierte der Blauhaarige gekonnt. Wo käme er denn da hin?

Als er nach geraumer Zeit die Klospülung hörte und bemerkte, dass Kai Anstalten machte, das Bad zu verlassen, ging er schnell hin und schlug ihm die Tür vor der Nase zu: „Du bleibst da gefälligst drin, bis du geduscht hast! Du stinkst.“

Zufrieden mit sich, sah Takao dann runter auf den Hund, der neben ihm stand und ihn mit angelegten Ohren böse anfunkelte.

„Was?“, fuhr er das Tier gereizt an und machte auf dem Absatz kehrt, das Knurren übergehend.
 

Er war so schnell im Schlafzimmer verschwunden, dass der Hund keine Gelegenheit mehr hatte ihm zu folgen. Endlich konnte Takao mal einen Schrank öffnen, ohne blöd angegafft zu werden.

Unter dem Vorwand nett zu sein, machte er den Kleiderschrank auf und begutachtete die zahlreichen Hemden, die feinsäuberlich an den Bügeln hingen. Viele Weiße, einige Blaue, ein paar Dunkelblaue und ein rotes Hemd. Takao konnte sich vorstellen, dass Kai dieses warme Dunkelrot ganz ausgezeichnet stehen würde.

Daneben hingen elegante Stoffhosen, Blue Jeans und schwarze Jeans. Im Schrank daneben waren Pullis und T-Shirts. Ansonsten entdeckte er noch Mützen, Lederhandschuhe, Unterwäsche, Socken – eben alles, was man so im Kleiderschrank hatte. Mit gerunzelter Stirn hielt er inne. Nur keine Sportbekleidung. Was ziemlich seltsam war, denn jeder hatte Sportkleidung und er hatte Kai schließlich auch in Joggingklamotten gesehen. Wo er sie wohl aufbewahrte? Vielleicht in dem Keller, den er gesehen hatte, als er den Hund in den kleinen Garten gelassen hatte?
 

Nach kurzem Nachdenken holte Takao einen blauen, schön weichen Cashmere-Pullover, eine Jeans, Socken und Shorts hervor und ging damit aus dem Zimmer.

Der Hund lag vor der Badtür und lauschte anscheinend dem Wasserrauschen der Dusche. Zögerlich ging Takao auf ihn zu – möglichst Augenkontakt vermeidend – und legte die Kleidung neben ihn. Dann verschwand er wieder schnell in die Küche, was der Hund mit schrägem Kopf beobachtete.
 

Er wusste nicht, wie er es heil in und aus der Dusche geschafft hatte, aber letztlich stand er mit einem Handtuch bekleidet da und starrte auf das Häufchen Kleidung vor der Badtür. Fahrig sah er sich im Flur um, lauschte, doch Takao war nirgends zu entdecken. Nur Ella saß vor der Tür und blickte ihn wedelnd an. Er streichelte ihr kurz über den Kopf, bevor er die Sachen vom Boden aufhob und wieder im Bad verschwand.
 

Dort betrachtete er befremdet die Auswahl und musste sich eingestehen, dass er es irgendwie zuvorkommend von Takao fand, ihm die Sachen rauszusuchen und er sich darüber freute. Zumindest empfand er so etwas wie Freude, verstehen warum, tat er jedoch nicht. Schließlich musste der andere in seinem Schrank gewühlt haben und Kai mochte es darüber hinaus nicht bemuttert zu werden. Na gut. Nachdem er nun schon so dumm gewesen war sich haltlos zu betrinken und von Takao nach Hause gebracht werden musste, brauchte er jetzt nicht Haarspalterei zu betreiben.
 

Erst jetzt viel Kai auf, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte, dass Takao ihn überhaupt nach Hause gebracht hatte. Im Grunde wusste er gar nichts mehr ab dem Zeitpunkt, an dem seine Kollegen gegangen waren. Er sah noch seinen Doktorvater vor Augen, der beschwippst und mit hochrotem Kopf seine Hand schüttelte, als wäre es das lustigste, was er je getan hatte. Gut, für einen Japaner mochte es auch amüsant sein.

Danach war nichts mehr.

Stöhnend fuhr sich Kai über den dröhnenden Kopf. Toll, er hatte einen Blackout. Und weiß der Geier, was er alles getan hatte, ohne sich daran zu erinnern. Das war über die Maße erniedrigend und verdrießlich. So etwas hätte ihm einfach nicht passieren dürfen.

Und weshalb hatte er sich gehen lassen?

Der bloße Gedanke daran machte ihn rasend.
 

Takao saß im Schneidersitz auf dem Sessel und aß ein Sandwich, als Kai, bemüht um sein Gleichgewicht, ins Wohnzimmer trat. Sein Blick wanderte zum Fenster. Auf der kleinen Veranda mochte der Schnee gut dreißig Zentimeter hoch liegen und das obwohl das Dach schützend darüber ragte. Kai kannte die Winter in Sapporo und an manchen Tagen kam man eben nicht von der Stelle und zu ihrer beider Glück sollte heute anscheinend so ein Tag sein.
 

„Wie ich sehe, kennst du dich aus; dann hättest du wenigstens auch einen Teller nehmen können“, pöbelte er noch bevor Takao ihn bemerkt hatte, weil dieser nicht einmal mit einer Serviette auf seinem teuren Sessel aß.

Takao zuckte leicht zusammen, musterte Kai einen Augenblick, ehe er runter schluckte, ihm die Zunge herausstreckte und ihn wieder schweigend ignorierte.

Irritiert von diesem Verhalten ging Kai zur gegenüberstehenden Couch und ließ sich innerlich seufzend darauf sinken, legte sich hin und hoffte, dass die erneute Welle der Übelkeit schnell abklingen würde.

Mit einer hochgezogenen Augenbraue bemerkte Kai das auf einer Silberplatte liegende Käsesandwich und das Glas Orangensaft.

„Dein wievieltes Sandwich ist das?“, spöttelte er weiter, was ihm wieder Takaos Aufmerksamkeit einbrachte.

„In meiner grenzenlosen Freundlichkeit habe ich es für dich gemacht. Man muss etwas zu sich nehmen, wenn man so viel getrunken hat. Dann geht es einem besser“, erklärte er mit vor Sarkasmus triefender Stimme, „Außerdem habe ich deinen Köter heute früh in den Garten gelassen.“

„Der Köter heißt Ella und ist eine Hündin“, belehrte ihn Kai tadelnd.

„Ist mir doch egal, was für ein Geschlecht das Vieh hat, das mich anfällt“, patzte ihn Takao umgehend an.

„Ich habe bereits gesagt, dass mir das leid tut“, begann Kai nachgiebig, meinte dann jedoch: „Aber es war deine eigene Schuld, dass sie das getan hat. Du hättest mich nicht angreifen dürfen.“

„Angreifen?“, spie Takao aus, „Ich habe dich angegriffen? Du weißt gar nicht, wie das aussehen täte, würde ich dich wirklich ernsthaft angreifen.“

Der Hund schien jedoch seine eigene Vorstellung davon zu haben, wann ein Angriff begann. Alarmiert durch Takaos laute Stimme kam sie auf ihn zu, was diesen im Sessel erschrocken aufstehen ließ.

Leicht schmunzelnd beobachtete Kai Takaos panische Reaktion und meinte dann sanft: „Ella, komm her. Alles okay.“

Die Hündin sah ihr Herrchen kurz an, kam dann wedelnd auf ihn zu und legte sich neben die Couch, den Kopf auf dem haselnussbraunen Stoff gebettet und auf die Streicheleinheit wartend, die sie dann auch bekam.

Takao stieg beruhigt von dem Möbelstück und setze sich normal hin und aß sein Sandwich zu Ende.
 

„Sie mag dich, ansonsten hättest du dich nicht so frei in der Wohnung bewegen können“, durchbrach Kai nach einer Weile die Stille.

Takao blickte ihn skeptisch an: „Soll das ein Witz sein? Sie hat mich die ganze Zeit beobachtet und angeknurrt, wenn ich was angefasst habe.“

Kam es ihm nur so vor, oder verstärkte Kai auf seine Worte hin die Streicheleinheit?

„Es ist schon vorgekommen, dass sie Leute nicht aus einem Raum gelassen hat. Und eine Freundin meiner Ex hat sie sogar mal in einer Ecke festgehalten.“ Kai kam das Wort Ex ungewöhnlich schwer über die Lippen. Es schmeckte in Takaos Gegenwart seltsam bitter.

Dieser versuchte das unwillkürliche Zusammenzucken bei eben diesem Wort zu überspielen. „Was bringst du diesem Hund eigentlich bei?“, versuchte er aufgebracht zu klingen.

Ella legte den Kopf auf ihre Pfoten, als sich Kai gänzlich auf den Rücken legte, einen Arm hinter dem schmerzenden Kopf, den anderen über seiner pochenden Stirn und die Augen schloss.

„Sie ist ein Beauceron. Ein Hirtenhund. Und ich habe sie als Rettungs- und Schutzhund ausgebildet. Wir hatten auch schon einige Einsätze in Erdbeben- und Tsunamigebieten.“

Leicht beeindruckt von der letzten Aussage, hob Takao eine Augenbraue an, schwieg jedoch.

Das würde erklären, warum Kai am Anfang des Semesters so braun gewesen war. Wahrscheinlich hatte er die Ferien größtenteils im Freien verbracht.

Mittlerweile war er wieder weiß und durch den Kater sogar gespenstisch blass. Aber Takao hatte sich vorgenommen kein Mitleid mehr mit ihm zu haben, also schnaubte er lediglich und lümmelte sich auf den Sessel, sodass Beine und Kopf seitlich herausragten.
 

Es dauerte nicht lange und ihm wurde diese unbequeme Lage zu blöd. Unzufrieden richtete er sich wieder auf und sah sich um. Er hielt dieses nichts Tun einfach nicht aus. Es war ja schon schlimm genug die Gegenwart Kais zu ertragen, seinen Geruch in der ganzen Wohnung wahrnehmen zu müssen. Oh, und wie bekannt dieser ihm war.

Eine kurze Erinnerung an eine unwirkliche Welt, eine Umarmung, flackerte vor seinem inneren Auge auf.

Mit einem Kopfschütteln vertrieb er die Gedanken daran, die innere Aufgewühltheit blieb allerdings.

Mit einem unmerklichen Seufzen stand Takao auf und ging zu dem großen Regal an der vorderen Wand des Wohnzimmers. Da der Hund keine Notiz von ihm nahm, konnte er jetzt wenigstens die ganzen Einrichtungsgegenstände von nahem betrachten.

Neugierig schweifte sein Blick über die vielen Bücher, fuhr mit der Hand die Rücken entlang. Erstaunt erkannte er, dass unter den vielen japanischen und russischsprachigen Bänden auch französische und deutsche Exemplare standen.

„Du kannst Deutsch?“, fragte er ohne zu Wissen, ob Kai überhaupt wach war. Er ahnte nicht, dass dieser jedes Geräusch genauestens mitverfolgt hatte.

„Nur lesen“, antwortete er leise, die Augen immer noch geschlossen.

Kai konnte hören, wie Takao eines der Bücher aus dem Regal zog: „Faust? Darüber hab ich in der Schule gelernt.“

Er blätterte ein paar Seiten durch, verstand natürlich nichts, außer das Reimschema. Dann stellte er es zurück und schaute weiter. Albert Camus, Schiller – diese Autoren kannte er auch. Bei Friedrich Dürrenmatt und Bertolt Brecht setzte seine Allgemeinbildung jedoch aus.

„Ah, Effi Briest! Das war ein gutes Buch“, rief er plötzlich und zog es heraus.

Von dieser Reaktion gänzlich verstört, öffnete Kai seine Augen und sah zu Takao, der mit einem leichten Lächeln durch das deutsche Buch blätterte.

„Du liest literarische Werke?“ Um nicht zu fragen, ob er überhaupt lese.

Takao blickte kurz zu ihm, stellte dann das Buch zurück und erkundete das Regal weiter: „Stell dir vor, ich bin gebildet!“

Takao wusste nicht, ob er beleidigt oder wütend darüber sein sollte, dass Kai es scheinbar so sehr überraschte, dass sogar er mal etwas anderes als einen Manga gelesen hatte.

Neben den klassischen Werken aus Japan, England, Deutschland, Frankreich – wahrscheinlich auch Russland, aber da konnte er nicht einmal die Namen der Autoren lesen – fanden sich dann aber auch ganz normale Romane. Meist Krimis, Thriller und viele Stephen King-Bücher. Außerdem ein paar historische und kulturelle Bände. Er wunderte sich, ob Kai das alles auch gelesen hatte.

In den beiden unteren Regalreihen waren keine Bücher mehr, sondern DVDs und CDs. Auch da bewies sich Kais Geschmack als breit, wobei auch viele typische Klassiker dabei waren, wie „Der Pate“, „Avatar“ oder „Titanic“, die so gut wie jeder kannte oder besaß. Bei der Musik waren vor allem viele russische und französische Titel dabei.

„Von den beiden Pflichtfremdsprachen hast du also Französisch ausgewählt. Was war die Zweite?“

„Russisch.“ Er hatte weder Lust noch Zeit gehabt eine weitere Fremdsprache zu lernen. Französisch hatte ihm gereicht und Englisch sprach er eindeutig öfter als seine Muttersprache.

„Und du?“

„Spanisch und Chinesisch“, gab Takao mit gelangweilter Stimme von sich.

„Warum?“

„Spanisch kann ich schon etwas von der Ausbildung und Chinesisch spricht die halbe Menschheit. Ah!“ Takao zog eine CD mit klassischer Musik heraus, stand auf und ging zum Fernsehertisch. Unter dem Fach mit dem Receiver und dem DVD-Player befand sich eine CD-Anlage, in die er die CD schob.
 

Im nächsten Augenblick schallte melodische und für Kai eindeutig zu laute Musik aus den Lautsprechern. Mit schmerzverzerrtem Gesicht schloss er die Augen und fluchte innerlich. Als er sie wieder öffnete traute er ihnen nicht: „Was in aller Welt tust du da???“

„Hiromi zwingt mich an Silvester auf einen Benefizball und dafür muss ich ein wenig tanzen können, sonst dreht sie mir den Hals um“, antworte Takao schlicht und tanzte dabei den Walzer mit solcherlei erhobenen Händen, als führe er seine Partnerin.

„Haben dich eigentlich alle guten Geister verlassen? Hör auf damit, du nervst mich!“

Takao hielt inne, sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an und hielt sich die Hand vor den Mund: „Oh, nein! Wie schrecklich! Ich bin untröstlich.“

Dann ging sein spöttischer Tonfall in Ärger über: „Und mich nervt es hier mit dir festzusitzen.“

Gereizt hockte sich Takao wieder vor die Anlage, betätigte die Stopp-Taste und holte die CD heraus.

Die wohltuende Ruhe hielt jedoch nicht lange an.
 

Keine Minute später erfüllte moderne Musik das Zimmer und trieb Kais Kopfschmerzen auf die Spitze. Mit einem Blick, als würde er Takao jeden Augenblick an die Kehle springen, setzte er sich ruckartig auf, zu ruckartig, wie er an seiner verschwimmenden Sicht feststellen musste.

„Das muss jetzt echt sein, oder!?“

„Geh doch ins Schlafzimmer, wenn es dich stört. Mir ist langweilig und ich habe nichts besseres zu tun, als zu üben.“

Hiromi würde ihm die Hölle heiß machen, wenn er sie blamierte, nachdem er doch so großmäulig gewesen war, ihr zu sagen, dass er die paar Tänzchen auch ohne Tanzkurs lernen würde. Internet sei Dank würde er auch nicht völlig planlos dastehen, aber er war noch meilenweit davon entfernt sich nicht zu blamieren.
 

Stocksauer über Takaos bodenlose Frechheit starrte er ihn an, eine böse Erwiderung nach der anderen auf der Zunge. Doch stattdessen fand ein anderer wütender Satz über seine Lippen: „Was zum Teufel soll das sein, was du da machst?“

Takao starrte ihn an: „Discofox.“

„Das ist kein Discofox.“

„Ach ja?“

„Ja.“ Das tat direkt in den Augen weh.

„Und woher willst du das wissen?“

„Weil ich, ganz im Gegensatz zu dir, weiß, wie man ihn tanzt.“

Hochmütig lachte Takao auf: „Ach, wirklich? Das will ich sehen!“

Kaum hatte er das gesagt, stand Kai auf und kam auf ihn zu. Mit hochgezogenen Augenbrauen, beobachtete Takao, wie Kai seine linke Hand nahm und seine eigene Linke auf seinen rechten Oberarm legte: „Ich zeige dir, wie es geht. Es ist ja nicht mitanzusehen.“

Takao war so perplex, dass er vergas etwas zu sagen oder auch nur die Wärme, die von Kais Händen ausging, wahrnahm. Automatisch legte er seine andere Hand an Kais Rücken.

„Komm. Links, rechts, tepp. Links, rechts, tepp.“ Dabei führte er Takao, übernahm selber allerdings den Frauenpart.

„Tepp?“ Er brachte nichts vernünftigeres raus.

„Das ist ein unbelastetes Aufsetzen, wobei die Ferse oben bleibt“, erklärte Kai genervt.

Takao starrte auf ihre Füße und versuchte ein Gefühl für den Rhythmus zu bekommen, dann übernahm er die Führung und schaffte es auch vorwärts und rückwärts zu tanzen.

Er sah erst auf, als er Kais Stimme vernahm: „Ich zeige dir jetzt die Rechtdrehung. Ich führe, sieh einfach zu. Und das müsste dann für den Ball reichen.“

Mit diesen Worten zog er Takao nach dem Grundschritt in die Drehung und wiederholte es ein paar Mal, bevor er inne hielt: „Kapiert?“

Die braunen Augen sahen ihn kurz zweifelnd an, dann schaute er wieder runter und versuchte es ein paar Mal. Anfangs zwar stockend, aber er lernte glücklicherweise schnell.
 

Erst als er sicher war, die Schritte verinnerlicht zu haben, wagte Takao es aufzuschauen und blickte direkt in rubinfarbene Augen.

Und auf einen Schlag spürte er Kais Hand warm in der seinen. Der weiche Pullover fühlte sich mit jeder Sekunde heißer unter seinen Fingern an und sein Oberarm, wo Kai ihn berührte, schien mit einem Mal zu brennen. Schwer schluckend, versuchte er seine plötzliche Verunsicherung nicht zu zeigen, begann vielmehr in den roten Augen zu lesen. Bis auf eine gewisse Erschlagenheit vom Kater und Hochmut, fand er jedoch nichts. Sie waren undeutbar wie eh und je.

Kai hingegen bemühte sich darum den deutlich analytischen Blick Takaos zu ignorieren – generell die ganze Präsenz dieses Menschen. Doch diese tiefbraunen Augen machten es ihm so unsagbar schwer. Er hätte einfach nachgeben und den Raum verlassen sollen. Was bildete er sich auch ein ihm unbedingt eine Lektion erteilen zu wollen - schlicht um stur zu bleiben, um es besser zu wissen.
 

Auf einmal durchfuhr ihn ein Schauder und es war ihm kurz, als spüre er einen warmen Körper dicht an seinem, eine Hand, die ihm sanft durch die Haare strich.

Takao entging nicht, wie Kai ein Zittern durchfuhr und sah ihn fragend an.

Über dieses plötzliche Gefühl, dass ihn kurz befallen hatte, irritiert, blinzelte Kai ein paar Mal und unterbrach den Augenkontakt. Takao wunderte sich, ob diese Reaktion von der gesteigerten Empfindlichkeit aufgrund des Katers herrührte, oder ob er der Auslöser war.

Und das nicht zu wissen, war für ihn unerträglich. Takao hatte entschieden kein Wort über die gestrige Nacht – also in erster Linie den Kuss – zu verlieren, wenn Kai nicht fragte oder den Anschein machte, sich daran zu erinnern. Leider – oder zum Glück? – schien dieser einen Blackout zu haben, was bedeutete, dass er mit diesem Ereignis irgendwie alleine fertig werden musste. Es war für Kai ja nie geschehen. Und das war unerträglich. Es zerriss ihn innerlich, nicht zu wissen, was der Graublauhaarige für ihn empfunden hatte oder womöglich noch empfand. Er konnte sein Verhalten ums Verrecken nicht zuordnen und das trieb ihn so tief zurück in das schwarze Loch, in das er nach Kais Verschwinden gestürzt war - und in dem ihm klar geworden war, was zumindest er selbst empfand.
 

Takao ließ die Hand auf Kais Rücken weiter nach links wandern, ließ dessen Hand los und umfasste seine Schulter. Infolgedessen schmiegte er sich an ihn, was den anderen überfordert erstarren ließ und bettete seinen Kopf auf Kais linke Schulter.

„Ich hasse dich“, flüsterte er kaum hörbar.

„Ich hasse dich auch“, entgegnete Kai nach einiger Zeit wie betäubt, wobei er seine Arme mehr unbewusst um Takaos Taille schloss und ihn leicht an sich zog.
 

Ein Klingeln an der Haustür ließ Takao aufschrecken: „Das wird endlich mein Taxi sein.“

Er löste sich von ihm und Kais Magen zog sich schaudernd zusammen, als er unendlich traurigen Augen begegnete.

Mit einem Schlag wurde ihm vollkommen bewusst, was er Takao angetan hatte, wurde sich des vollen Ausmaßes von dessen Enttäuschung gewahr. Er hatte ihn kaputt gemacht. Er hatte es letztlich doch geschafft Kinomiya Takao zu brechen. Aber auf eine gänzlich andere Weise, als er es je beabsichtigt hatte.
 

Während Takao ging, um sich anzuziehen, blieb Kai noch wie vom Donner gerührt stehen. Er war schon bei der Tür, als endlich Bewegung in ihn kam: „Takao...“

„Nein!“, unterbrach er ihn sogleich barsch, schaute ihm direkt in die erschütterten Rubine.

Dann schüttelte er den Kopf, öffnete die Tür, ehe er ihn ein letztes Mal mit resignierten Augen ansah:

„Leb wohl.“
 

Das Geräusch der zufallenden Tür dröhnte noch eine Weile in seinen Ohren, während er weiterhin geradeaus starrend unbewegt im Flur stand, die letzten Worte Takaos in seinem Kopf wiederhallend.

Wie konnte das nur passieren?
 

Takao? Warum hast du für mich den neuen Blade bei Yuriy gelassen, obwohl ich mich der BEGA zugewandt hatte?

Weil ich wusste, dass du wieder zu uns zurückkommst.

Woher?

Weil wir Freunde sind!
 

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Beauceron sind sehr anspruchsvolle Hunde. Nichts für Anfänger. Ich bin mit zwei davon aufgewachsen^^. Tolle Hunde!

In Japan ist das Rechtsstudium viel einfacher als in Deutschland. Allerdings müssen sie zwei Sprachen wählen. Die meisten Studenten nehmen Englisch, Deutsch, Chinesisch, Spanisch, Koreanisch.

Ansonsten halte ich mich an das Deutsche Recht. Hab nicht wirklich was zu Japanischem Recht gefunden.
 

Über Kommentare würde ich mich sehr freuen!

Wäre schön, wenn jeder, der es liest, auch etwas dazu schreiben würde. Ist sonst ziemlich demotivierend.
 

Bye
 

Minerva

Because of you

Und schon ist das nächste Kapitel fertig^^.
 

Enjoy reading!
 

„Was soll das eigentlich?“

„Was?“ Takao sah seinen Freund verwundert an.

Akira stand vor ihm in der Bibliothek und hatte gerade ein BGB vor seine Nase auf den Tisch geknallt.

„Du hockst jetzt immer am Dienstag den ganzen Nachmittag in der Bib, nur um die Strafrechtsübung bei Haruyama-sensei zu besuchen, obwohl der viel schlechter ist als...“

„Akira“, unterbrach ihn Takao, „ich bin zu faul, um zu Hause zu lernen und so ist der Montag nicht so lang und ich lerne wenigstens einmal in der Woche ein paar Stunden.“

Akira setzte sich leger auf die vordere Tischkante: „Oh je, ich seh’ schon. Dann willst du bestimmt nicht wissen, was bei mir am Samstag war.“

Neugierig blickte Takao von seinem Lehrbuch auf.

„Oder etwas doch?“

Die Schokoaugen nahmen einen freundschaftlich ungeduldigen Ausdruck an: „Matsumura- kun, was hast du am Samstag erlebt?“

„Du weißt doch, dass ich diesen Reitstall zehn Kilometer von Sapporo gefunden habe und am Samstag meine erste „Reitstunde“ war.“

Takao nickte.

„Was glaubst du, wer mir da auf dem Pferd entgegen kam?“

„Ich glaube, ich will es doch nicht wissen“, meinte Takao, wobei ihm im Magen flau wurde.

„Ganz genau. Hast du gewusst, dass er reiten kann?“

„Nein.“

„Das hättest du sehen müssen! Der sah auf dem schwarzen Pferd aus, wie ein britischer Adliger aus so einem historischen Film.“

Akira schüttelte mit dem Kopf. Hiwatari-sensei war in der Halle einen kleinen Springparcours geritten und hatte ihn prompt erkannt, als er ihn entdeckt hatte. Dieser große schwarze Hund war ebenfalls da gewesen.

Takao konnte sich vorstellen, dass Kai auf dem Pferd ein interessanter Anblick war, aber er war ihm nicht seit einem Monat – erfolgreich - aus dem Weg gegangen, um auf diese Weise mit ihm konfrontiert zu werden. Daher steckte er seine Nase wieder ins Buch und hämmerte sich Definitionen zu verschieden Straftatbeständen ein.

Der Türkishaarige bemerkte durchaus, dass sein Kumpel nichts mehr von seinem ehemaligen Teamkollegen wissen wollte. Er wusste ja schon zuvor, dass sie sich nicht grün waren, aber diese Reaktion zeigte Akira deutlich, dass da mehr als ein Streit gewesen sein musste. Soweit er Takao kennen gelernt hatte, war dieser einer der loyalsten Menschen, denen er je begegnet war. Auch die anderen guten Eigenschaften, von denen er in der Presse gehört hatte, trafen zu. Der Profiblader war ein gut gelaunter Kerl, mit dem man viel Spaß haben konnte, impulsiv, charakterstark, leidenschaftlich, klug und hin und wieder anfällig für Fettnäpfchen, was ihn jedoch umso liebenswerter machte. Akira konnte sich bei bestem Willen nicht vorstellen, was man so einer treuen Seele antun musste, um so eine tiefe Abneigung zu provozieren.
 

„Also ich bin heute mit Lernen fertig geworden“, offenbarte Hana am Abend mit einem strahlenden Lächeln.

Akira starrte sie entgeistert an: „Bitte was? Wir schreiben in drei Wochen!“

„Ja, eben. Ich bin endlich mit dem Stoff durch und habe jetzt nur noch Gerichtsurteile, die ich durchlesen kann.“

„Eben? Endlich? Ich habe noch gar nicht angefangen.“

Jetzt war es Hana, die entsetzt dreinschaute: „Das meinst du doch nicht etwa ernst?“

Akira seufzte schwer: „Ich seh’ schon. Du bist eine Streberin à la Hermine Granger.“

„Ich bin keine Streberin! Ich mach halt das, was ich machen muss“, entrüstete sie sich.

„Aham.“ Er sah seine Kommilitonin mit hochgezogenen Augenbrauen an und hielt ihr die Tür zum Juridicum auf.

„Oh! Schau mal, wer da geht“, gluckste sie dann plötzlich und zeigte unauffällig in eine Richtung.

Akira folgte ihrem Blick und entdeckte Hiwatari-sensei, der gerade aus dem ersten Stock die Treppen runter lief. Dann fiel sein durchdringender Blick auf sie beide und kam ihnen sogar entgegen, was zu Akiras Irritation einen Rotschimmer auf Hanas Wangen zauberte.

„Ishimo-san, Matsumura-san, können Sie mir sagen, wo ich Kinomiya finden kann?“

„Können schon“, murmelte Akira defensiv, was ihm einen Ellenbogenschlag in die Rippen von Hana einbrachte. Hiwatari bemerkte seinen Widerwillen, was streng genommen wahnsinnig unhöflich war, aber Akira neigte dazu, die Feinde von Freunden ebenfalls nicht zu mögen.

„Kinomiya-kun hat jetzt Chinesischunterricht, Sensei. Ansonsten besucht er dieselben regulären Veranstaltungen und Übungen wie wir“, antworte Akira schließlich höflich.

„Danke.“ Hiwatari nickte ihnen zu und verschwand auf dem Wege, den sie zuvor gekommen waren.

„Mann, ist der heiß“, schwärmte Hana plötzlich.

„Häh?“ Mit großen Augen starrte er zu der breit lächelnden Frau.

„Findest du nicht, dass er gut aussieht? Ich finde ihn unglaublich attraktiv.“

Akira gestikulierte wie wild, als er sagte: „Du weißt schon, dass er wahrscheinlich ein riesiges Arschloch ist? So wie Takao-kun sich ihm gegenüber verhält...“

„Ja, aber das ändert nichts an dem heißen Anblick“, flötete Hana vergnügt vor sich hin und ging weiter. Akira folgte ihr mit großen Augen.
 

„Herr je, du bringst mich noch um, Kinomiya-kun! Wie soll hier denn einer mit deiner Schnelligkeit mithalten?“

Lachend hielt Takao dem Mann die Hand hin und half ihm auf.

„Mein Opa hat mit mir Kendo trainiert, seit ich laufen kann. Irgendwann musste ja was hängen bleiben.“

„Ja, aber und wie“, grinste ihn der Mann, der zudem sein Sensei war, an, „wenn ich nicht dafür bezahlt werden würde, würde ich dir meinen Posten sofort überlassen.“

Das ging bei Takao runter wie warmer Honig. Geehrt grinste er wie ein stolzer Gockel und strich sich verlegen über den Kopf.

Dann wackelte plötzlich der ganze Boden und die Fenster klirrten gequält für ein paar Sekunden.

„Ein Erdbeben?“, fragte Takao niemand bestimmten und blickte auf den Boden.

„Das sind wieder die blöden Beyblader - nichts für Ungut Kinomiya-kun“, ärgerte sich Kenji-kun und klopfte betonend mit dem Holzschwert auf den Boden.

„Die meinen auch, die hätten das Rad erfunden. Als gäbe es keinen anspruchsvolleren Sport und immer diese Prahlerei mit ihren ach so tollen Bit-Beasts“, echauffierte sich Kiki-chan.

„Sie sind ja nicht mehr lange hier“, beruhigte ihr Sensei den aufkommenden Disput.

Takao schaute neugierig in die Runde: „Wohin gehen sie denn?“

„Zurück in die Halle, die sie geschrottet haben.“ Kenji-kun machte sich nicht die Mühe seine Abneigung zu verbergen.

Ein schalkhaftes Grinsen breitete sich auf Takaos Zügen aus: „Das kann schon mal passieren.“

„Das Problem ist nur, dass die einzige Halle, in die sie kurzfristig hin und wieder rein können, direkt unter uns ist und es nicht nur beim Training stört, sondern auch unter Umständen gefährlich werden könnte. Das Dach in der Bey-Trainingshalle hat ein Loch“, erklärte der Sensei.

„Mit Löchern dürftest du dich aber auch auskennen“, feixte Iruka-kun und deutete bekräftigend zur Decke.

Takao grinste, ehe er ernst meinte: „Klar. So etwas kann passieren, aber nie unkontrolliert oder gefährlich für die Zuschauer. Außerdem wissen sie, dass hier oben auch Trainingsräume sind und werden sicherlich aufpassen.“

Kiki-chan legte ihren Kopf schief: „Warum bladest du eigentlich nicht?“

„Tu ich, aber alleine und draußen. Ich habe in Tokio jeden Tag Nachwuchsblader trainiert und war gar nicht mehr zum Kendo gekommen.“ Und jetzt wollte er sich einfach wieder mal auf diesem Gebiet verbessern.

„Die absolut richtige Entscheidung!“, lachte Kenji-kun und legte ihm kameradschaftlich den Arm um die Schultern.

Dann bebte die Erde erneut und diesmal sogar so heftig, dass Kenji-kun das Gleichgewicht verlor und auf dem Hintern landete.

Wie ein Rohrspatz schimpfte er drauf los: „Diese vermaledeiten Arschlöcher! Na, warte, wenn ich die in die Finger kriege!“

Takao legte ihm besänftigend eine Hand auf die Schulter: „Ich geh’ mal nachschauen, was da los ist.“

Seine Augen wanderten zum Sensei, der bestätigend nickte. Dann verbeugte sich Takao höflich und verschwand aus dem Raum.
 

Das Sportzentrum war riesig. Es gab viele Trainingshallen und Fittness-Räume, wo man fast allen Sportarten, die es gab, nachgehen konnte. Takao hatte gewusst, dass die Beyblader ein eigenes Trainingszentrum etwas außerhalb der Stadt hatten, war aber noch nicht dort gewesen. Er liebte das Beybladen, aber er hatte keine Lust ständig im Mittelpunkt zu stehen und Ratschläge geben zu müssen. Er wollte auch mal wieder kämpfen, richtige Gegner haben, die ihn an seine Grenzen trieben. Zwar hatte er das Vergnügen hin und wieder von dem aktuellen Weltmeister herausgefordert zu werden – und sie waren auch wirklich gut – aber das war zu selten. Als Takao Max erzählt hatte, er überlege sich wieder an World Championchips teilzunehmen, hatte dieser ihm abgeraten. Er solle sich lieber auf seine berufliche Zukunft konzentrieren, dem Nachwuchs etwas beibringen. Dann könne man ja weitersehen. Takao kam das vor, als müsste er seinen Lieblingssport aufgeben... oder sich zumindest aufs Abstellgleis stellen. Aber Takao kam sich mit seinen 22 Jahren einfach noch zu jung vor, um „nur“ noch als Trainer zu fungieren oder wie ihre berühmten Vorgänger nur noch auf Wohltätigkeitsveranstaltungen zu spielen.
 

Ein langer Gang oberhalb der Haupthalle erlaubte den Blick in vier voneinander abgetrennte Einheiten. In einer Halle wurde Fußball gespielt, in der zweiten Basketball, in der dritten Volleyball und schließlich in der vierten gebladet. Noch bevor er auf derselben Höhe war, konnte er das weiße Leuchten eines Bit-Beasts sehen, meinte das Summen der Kreisel zu hören. Takao ging regelrecht das Herz auf. Er lehnte sich an die Balustrade und blickte auf einen Blizzard, in dessen Mitte ein Schneeleopard gefährlich knurrte, sodass es ihm schien, dass alles vibriere. Abgesehen davon konnte er weder die Blader, noch das Tableau ausmachen, lediglich ein paar Zuschauer standen erregt an der Wand und starrten auf das Geschehen.

„Los, Snow Leopard!“, rief eine Stimme, woraufhin der Blizzard sich unter einem wütenden Gebrüll zu einem Schneetornado formierte.

Mit erstaunt aufgerissenen Augen beobachtete Takao das Szenario. Der Blader war stark, zu stark für diese Räumlichkeiten und das konnte in der Tat problematisch werden.

Plötzlich bebte der Boden erneut und Takao duckte sich unter das Geländer, als Eisstückchen bis zu ihm hoch gewirbelt wurden und an der Wand hinter ihm zersplitterten.

Ein schrilles Kreischen zerriss die Luft.

Mit geweiteten Augen durchfuhr ihn dieser Laut, ließ ihn innerlich erzittern.

Er erschauderte heftig, als er sich aufrichtete. Er sah den roten Phönix, groß und schön breitete das stolze Bit-Beast seine Schwingen aus. Feuer trat zwischen den Federn hervor, bildete Bälle wie kleine Sonnen, die sich rasch vergrößerten.

Dann ging alles ganz schnell. Ein gleißendes Licht erfüllte die Halle, sodass Takao die Augen schließen musste.

Als er sie wieder öffnete, war es neblig. Winzige Wassertropfen benetzten seine Haut, schwebten in der Luft und verwährten die Sicht auf das Geschehen in der Halle.
 

Der Nebel lichtete sich nur langsam, aber er erkannte die Kontrahenten bereits kurze Zeit später. Ein junger Mann kniete auf dem Boden und hob mit zornverzerrtem Gesicht den weißen Blade auf, während ein blauer, Dranzer, zurück in die Hand seines Besitzers fand.

Kai stand aufrecht am Rand des Tableaus. Er trug ein dunkelviolettes T-Shirt und die passende Hose dazu, ähnlich der Kleidung, die er früher getragen hatte. Schaal und blaue Dreiecke fehlten zwar, aber Takao wurde auch so schmerzlich genug an ihre Kämpfe von damals erinnert.

„Naoki!“, donnerte Kais Stimme wütend, „Wenn du noch ein einziges Mal deine Umgebung gefährdest, werde ich deinen Blade auseinander nehmen. Reicht dir die zerstörte Halle nicht?“

„Ich hatte alles unter Kontrolle“, fauchte dieser Naoki trotzig.

Takao bewunderte diesen Kerl für seinen Mut – oder eher Dummheit.

Wie erwartet, kam Kai auf den Blader zu, blieb direkt vor ihm stehen:

„Noch so eine Aktion und ich sorge dafür, dass du von der BBA gesperrt wirst.“

Außer sich starrte Naoki Kai an: „Aber du hast auch voll angegriffen.“

Jetzt konnte sich Takao ein Lachen nicht verkneifen und zog unwillkürlich die Aufmerksamkeit der am Rand stehenden Zuschauer auf sich: „Kinomiya?“
 

Als hätte man ihm ein heißes Eisen durch den Kopf gejagt, blickte Kai zur Balustrade. Takao lehnte dort leger mit den Unterarmen auf dem Geländer, bekleidet in seiner dunkelblauen Kendotracht. Doch die ruhigen braunen Augen erwiderten seinen Blick nicht, besahen vielmehr Naoki, der überrumpelt zu ihm nach oben starrte.

Störrisch, wie dieser war, rief er: „Was ist so lustig?“

Takao legte den Kopf schief: „Du. Weil du anscheinend keine Ahnung hast, was gerade eben geschehen ist.“

Kai verengte analysierend seine Augen.

„Ach ja? Und was ist geschehen? Ich habe verloren, und?“ Naoki ließ sich auch vom dreimaligen Weltmeister nichts gefallen.

Aber Takao war es regelrecht zu dumm. Er wollte nicht vor Kai sagen, dass dieser ihn mit einem Wimpernschlag zermalmt hatte. Voll angegriffen? Wahrscheinlich hatte er Kai noch nie richtig bladen gesehen, sonst würde dieser Naoki nicht so einen Unsinn von sich geben.

„Die Halle ist nicht für solche Kämpfe geeignet. Uns fällt da oben der Kopf von den Schultern“, meinte Takao lediglich und wandte sich nonchalant ab.

Kai sah ihm noch kurz nach. Er trainierte hier also Kendo und war nachsehen gegangen, was hier für ein Radau veranstaltet wurde. Und er hatte ihn keines einzigen Blickes gewürdigt.
 

Seufzend suchte Takao spätabends die Umkleidekabinen auf. Er war als Letzter gegangen, wie immer. Seit den Geschehnissen nach Hanas Geburtstag tat er eigentlich nicht anderes mehr, als zu joggen, draußen zu bladen oder Kendo zu trainieren. Er war geradezu sportverrückt. Die Kraftanstrengung ließ ihn wenigstens für kurze Zeit abschalten. Müde betrachtete er sein Gesicht im Spiegel, der neben seinem Spind hing, während er diesen öffnete. Er merkte nicht, dass sich ihm jemand näherte.
 

„Warum kommst du nicht mehr in meine Übung?“

Takao zuckte unwillkürlich zusammen und blickte kurz über die Schulter. Kai stand plötzlich in der Tür zur Umkleidekabine schräg hinter ihm.

„Lass mich in Ruhe und geh“, antwortete Takao reserviert.

„Du weißt, dass ich besser bin, als die anderen Übungsleiter. Zuvor bist du auch gekommen.“

Takaos Hände ballten sich zu Fäusten, als in ihm heißer Zorn aufstieg. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen, als er mit zusammengepressten Zähnen zischte: „Hau ab!“

„Nein.“

Das war es. Takaos Selbstbeherrschung stürzte in sich zusammen wie ein Kartenhaus und er drehte sich mit wutverzerrtem Gesicht zu Kai um: „Hau ab, hab ich gesagt!“

Er zeigte mit der Hand zum Ausgang und als Kai keine Anstalten machte sich von der Stelle zu bewegen, ging er bedrohlich auf ihn zu und wollte ihn grob packen, um ihn hinauszuwerfen: „Raus!“

Doch Kai war viel zu stur und wich Takaos Griff aus, bewegte sich von der Tür weg in die Umkleidekabine. Dummerweise hatte er sowohl Takaos Wut, als auch seine Geschwindigkeit bei weitem unterschätzt. Ehe er sich versah, fand er sich gegen einen Spind geschleudert wieder, Takaos Arme links und rechts von seinem Kopf abgestützt.

Kai ertappte sich dabei, wie kurz Furcht vor Takao in ihm hoch schwappte, doch er appellierte an seine Erfahrungen mit dem impulsiven Japaner.

Nie hatte er jemanden was zu leide getan, allerdings hatte Kai ihn auch noch nie so erlebt...

Er wusste nicht, was ihn dabei mehr erschreckte: Die Tatsache, dass Takao zu solchen Wutausbrüchen fähig war, oder dass er es war, dem sie galten, der sie provoziert hatte.

Gewissensbisse machten sich in Kai breit, aber er fragte mit überheblichem Gesichtsausdruck:

„Was ist passiert, dass du mich jetzt meidest und zuvor nicht?“

„Du bist passiert!“, spuckte Takao aus, immer noch vor Wut bebend. Die roten Augen musterten Takao, als wäre er ein Scherz. Dieser arrogante Kerl wollte wohl, dass er die Beherrschung völlig verlor, ihm wirklich noch etwas tat.

Kais Gedanken rasten auf der Suche nach dem Auslöser. Dann fiel ihm etwas ein:

„Was ist eigentlich geschehen, als du mich nach Hause gebracht hast?“

Vollkommen außer sich starrten ihn die braunen Augen an, dann veränderte sich ihr Ausdruck, wurde beinahe boshaft.

„Du hast dich entschuldigt, dass du damals aus Feigheit abgehauen bist und dann hast du das gemacht.“ Mit diesen Worten, fuhr Takaos Hand unter Kais Kinn und küsste ihn kurz auf die Lippen. Kai war zu überrascht, um auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Dementsprechend fassungslos starrte er Takao an, nachdem er sich von ihm gelöst hatte.

„Und nun sag mir, wie ich das bitte zu werten habe“, meinte Takao, triefender Spott in der Stimme.

Kai brauchte einige Sekunden, ehe er in der Lage war Takao anzublicken: „Ich...“

Ihm blieben die Worte im Hals stecken. Kai fühlte sich, als müsse er sich jeden Augenblick übergeben. Sein Puls raste und ihm wurde so schrecklich kalt. Er verfluchte sich innerlich, dass Takao so einen Einfluss auf ihn einübte. Sie hatten sich sieben Jahre lang nicht mehr gesehen. Sieben Jahre! Und er fühlte sich, als wäre ihr Kampf gerade erst zu Ende gegangen.
 

„Weißt du“, fing Takao plötzlich an, „ich habe die Schnauze von dir voll. Du tust mir nicht gut. Ich mag dich nicht einmal mehr als Sensei ertragen.“

Die roten Augen fanden auf diese Worte hin die Takaos. Fieberhaft versuchte Kai in ihnen zu lesen, doch er musste feststellen, dass Takao gelernt hatte seine Gefühle ebenso zu verbergen. Eine traurige Kälte spiegelte sich in den braunen Iriden, mehr konnte er nicht erkennen. Die sonst so lebensfrohen und selbstsicheren Augen Takaos wirkten so freudlos und verbittert. Und es war seine Schuld.
 

„Es tut mir so leid“, flüsterte Kai ehrlich.

„Du hast mich kaputt gemacht. Entschuldigen hat keinen Sinn mehr“, gab Takao vorwurfsvoll von sich und sah nach unten. Er fühlte sich auf einmal so erschöpft. Diese ganzen Emotionen, die ihm durch den Körper jagten, laugten ihn völlig aus und er war müde.

Zwei Hände umfassten sein Gesicht, brachten ihn dazu Kai anzusehen. Die aufkeimende Gegenwehr erlosch jäh, als er den rubinroten Augen begegnete.

„Ich wollte dich niemals verletzen. Du musst mir glauben.“

Reue, Trauer, Bedauern, Zuneigung. Unzählige Gefühle lagen vor Takao blank und die sonst so stolzen Augen so zu sehen, raubte ihm den Atem.

„Und warum hast du es dann getan?“, flüsterte Takao kraftlos und ließ seine Stirn gequält an Kais sinken.

Dieser fühlte sich schlicht elendig: „Ich konnte nicht anders.“

Takao löste sich wieder von ihm, blickte ihn direkt an.

„Sieben Jahre lang?“

Darauf antwortete Kai nicht mehr. Er konnte nicht.

Und Takao kam sich auf einmal so bescheuert vor. Warum stand er hier?

Kais Nähe verwirrte ihn und trieb ihn zurück in dieses seelische Desaster, dass er durchlitten hatte. Aber er war keine fünfzehn mehr. Er hatte zwischenzeitlich so viel erlebt und dazu gelernt. Er musste doch mittlerweile reif genug sein, um sich nicht von einem Menschen, der ihn einst über die Maße enttäuscht hatte, erneut so erschüttern zu lassen. Er würde die Vergangenheit endlich hinter sich lassen, aber dafür musste er noch etwas erledigen.
 

„Ich vergebe dir.“ Kai starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, doch Takao fuhr ruhig fort: „Ich möchte einfach nur studieren und dann wieder zurück nach Tokio. Bitte mach mir das nicht so schwer und ignoriere mich - wie du es in den letzten Jahren auch gemacht hast.“

Mit diesen Worten drehte sich Takao ruckartig um, holte seine Klamotten aus dem Spind und ging. Kai machte gar nicht erst den Versuch ihm hinterher zu rennen. Der stand immer noch wie erstarrt am Spind.

Als er im Flur war, fing er an zu rennen. Mit rasendem Herzen rannte Takao aus dem Gebäude immer weiter, bis ihm die Luft ausging und er sich schwer atmend in den Schnee sinken ließ.

Warum nur? Warum fühlte er sich so taub und verloren? Wie konnte es sein, dass diese plötzlichen Gefühle von damals immer noch da waren?

Verzweifelte Wut über Kai, über sich selbst, ließ ihn mit der Faust in den Schnee schlagen. Seine inneren Schmerzen wurden dadurch jedoch nicht gelindert.
 

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Ich habe lange überlegt, ob ich das Kapitel umschreiben soll. Aber dann habe ich mir gedacht, man macht in seinem Leben so viel irrationalen Unsinn. Deswegen habe ich Kai und Takaos Zusammentreffen so gelassen, wie es ist.

Sagt mir einfach, was ihr davon haltet^^.

Es wäre auch schön, wenn diesmal mehr Leute, was dazu schreiben würden. Ansonsten schreibe ich als nächstes bei den anderen FFs weiter, die besser kommentiert, also von mehr Leuten gelesen werden und die jetzt warten.
 

Bye
 

Minerva

Poketful of sunshine

Und hier das nächste Kapitel^^.
 

Enjoy reading!
 


 

Kai hatte geglaubt, wenn er sich ins Studium stürzte und ganz weit weg von allen, die er kannte, lebte, würde er diese Gefühle verdrängen können. Gefühle, von denen er nicht gewusst hatte, dass er sie überhaupt empfinden konnte.
 

Doch selbst die hohen Anforderungen des Doppelstudiums hatten dieses flaue Kribbeln in seinem Magen, immer wenn er Takaos Namen gelesen hatte, nicht vertreiben können. Als er sein Auslandssemester in Frankreich absolviert hatte, war es ihm kurzzeitig besser ergangen. Es war zwar Selbstbetrug, denn er hatte Paris geflissentlich gemieden und sich in Marseille verschanzt, aber das hatte er nicht einsehen wollen.

Als er dann über die Beauceron-Züchterin gestolpert war, hatte es nicht vieler Überlegungen bedurft, einen Welpen mitzunehmen. Er hatte sich daraufhin auf Ella konzentriert und seine gesamte Zeit in ihre Ausbildung gesteckt. Die Treue und Liebe, die er dafür bekam, hatten ihn einen großen Schritt vorwärts gebracht. Es mochte albern klingen, aber Ella hatte es irgendwie geschafft ihn zu therapieren. Er konnte sogar so viel Kraft aufbringen, um sich auf andere Menschen einzulassen, Bekanntschaften zu schließen.

Davon war Kassandra ihm am wichtigsten geworden und obgleich die Beziehung, die sie geführt hatten, im Grunde eine Katastrophe gewesen war, hatte er viel von ihr gelernt.
 

Das hatte ihm jedoch wieder sein Verhalten gegenüber Takao ins Gedächtnis gerufen und er hatte sich letztlich eingestanden, dass er alles falsch gemacht hatte, was er nur hatte falsch machen können. Doch die Erkenntnis kam viel zu spät. Nach sechs Jahren konnte er nicht einfach daher kommen und sich entschuldigen. Nachdem er seine Schuld eingestanden hatte, kam nämlich auch die Furcht davor, sich Takao zu stellen.

Die Angst ihm wieder zu begegnen, hatte sich übermäßig gesteigert, sodass er in dem Moment, als sie sich tatsächlich gegenüberstanden, nicht fähig gewesen war sich davon abzuhalten wieder in sein altes Verhaltensmuster zurückzufallen. Hätte er sich da schon entschuldigt, vielleicht wäre die Situation dann nicht so eskaliert.
 

Am schlimmsten traf Kai dabei Takaos Veränderung. Er war abgestumpft. Durch ihn war sein grenzenloses Vertrauen seinen Freunden gegenüber tief erschüttert worden. Was man vielleicht noch als unbarmherzige Realität abtun könnte, schließlich musste sich jeder einmal mit dem Verrat einer nahe stehenden Person auseinandersetzten, hörte aber da auf, wo Kai begriffen hatte, dass er Takao auf eine Weise verletzt und enttäuscht hatte, mit der er nicht fertig wurde.
 

Kai hatte ziemlich schnell, nachdem sie sich kennengelernt hatten, verstanden, was es war, das diesen impulsiven Japaner so besonders machte. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die von Grund auf ehrlich und unverdorben waren und das nicht, weil sie in einer heilen Welt aufgewachsen waren.

Kai wusste, dass Takaos Mutter früh gestorben war. Sein Vater hatte sich daraufhin in seine Arbeit vergraben und seine beiden Söhne beim Schwiegervater gelassen. Und kaum war Hitoshi alt genug gewesen, ging auch er fort und ließ seinen kaum sechsjährigen Bruder ebenfalls alleine. Zwar hatte sich sein Opa liebevoll um ihn gekümmert, aber eine perfekte Familie sah deutlich anders aus.

Trotzdem konnte keiner dem Jungen sein Vertrauen in andere Menschen nehmen, vor allem nicht das in sich selbst. Aus allen Tiefs war er gestärkt wieder hervorgekommen, wo andere womöglich verzweifelt wären. Takao war einfach unerschütterlich.
 

Nicht so wie er. Kai konnte mit vielem fertig werden, aber kaum mit sich selbst.

Nichtsdestotrotz war gerade er es, der Takao seelisch gebrochen hatte. Er hatte seine Freundschaft, Zuneigung und sein Vertrauen auf eine der gemeinsten Weisen, die sich Takao vorstellen konnte, verraten.

Er tat alles für seine Freunde und konnte deswegen nicht mit ihrer Zurückweisung umgehen. Wie ein kleines Kind verstand er nicht, warum man ihn nicht genauso mochte, war davon überzeugt, etwas falsch gemacht zu haben, anstatt zu begreifen, dass es nicht an ihm zu liegen brauchte. Andere eben nicht diese innere Stärke besaßen.

Sein Vater nicht, um in das Gesicht seines Jüngsten zu blicken, der nach seiner Mutter kam. Max und Rei nicht, um sich offen ihren Wünschen und Erwartungen gegenüber Takao zu stellen. Und er selbst erst recht nicht. All seine Schwächen verkörperte Takao in seinen Stärken, wofür er ihn verabscheut hatte.
 

Dennoch... irgendetwas hatte ihn zu diesem Moment geführt, an dem er Takaos Kuss erwidert hatte. Es wäre schlicht gelogen zu behaupten, er hätte es damals nicht aus tiefsten Herzen gewollt. Oh, doch. Das hatte er. Alle Gefühle, die er für Takao empfand – und nicht gewusst hatte, dass es sie überhaupt gab – waren aus ihm heraus gebrochen und er konnte nicht einschätzen, was geschehen wäre, wären sie erst später in die „Realität“ zurückgeholt worden.

Warum Takao ihn in erster Linie geküsst hatte, wusste er bis heute nicht, aber es mussten ähnliche Gefühle gewesen sein. Und obwohl er genau gewusst hatte, dass Takao mit Abweisungen allgemein schlecht zurecht kam, hatte er ihn alleine gelassen und das auch noch nach diesen Ereignissen, die alles zwischen ihnen auf unverständliche Weise verändert hatten, mit Gefühlen, die keiner von ihnen begriff. Und das war zuviel für den damals Fünfzehnjährigen gewesen.
 

Jetzt war Takao allgemein vorsichtiger im Umgang mit anderen Menschen, schüttete nicht allen gleich sein Herz aus und verbarg zu einem guten Teil, was er wirklich dachte. Und natürlich war er für ihn sein schlimmster Alptraum. Nach längerem Nachdenken war Kai zu dem Entschluss gekommen, dass Takao ihm weder verzieh, noch wusste, wie er ihn abhaken sollte. Dafür empfand er zuviel Wut und Enttäuschung.

Und Kai selber bestätigte die Erzählung, dass er ihn im Vollrausch geküsst hatte nur, dass er ebenso wenig von ihm ablassen konnte. Er hatte sich in erster Linie ja erst wegen Takao betrunken. Diesen Anblick, wie er mit diesem Mädchen rumgemacht hatte, hatte er nicht ertragen können. Sieben Jahre hin oder her. Es hatte sich nichts geändert. Takao war und blieb der einzige Mensch, der ihn an seine Grenzen brachte und für den er imstande war solch starke Gefühle zu empfinden.
 

Kai fühlte sich nun reif und gefestigt genug, um sich den Geschehnissen von damals zu stellen - überdies hatte er auch gar keine andere Wahl, denn die momentane Situation trieb ihn in den Wahnsinn.

Deswegen hatte er heute Takaos Freunde aufgesucht, um zu fragen, wo Takao zu finden war. Matsumura-san war nicht dabei gewesen, was nur gut war, denn Kai war keineswegs entgangen, dass er ihn solidarisch nicht leiden konnte. Aber Ishimo-san hatte ihm bereitwillig erklärt, dass Takao schon die ganze Woche zu Hause geblieben war.

Natürlich stand weder im Internet, noch im Telefonbuch seine Adresse, aber das war auch nicht notwendig. Als Dozent hatte Kai Zutritt zu den Studentenakten, wo ganz genau drin stand, wer wo wohnte. Und so kam es, dass er noch am selben Nachmittag vor dem kleinen Appartementhaus stand.
 

Takao wohnte im ersten Stock. Sich selber Mut zusprechend, klingelte er und es dauerte eine Weile, ehe er Geräusche von drinnen wahrnehmen konnte.

Kaum hatte Takao die Tür geöffnet und gesehen, wer da vor ihm stand, wollte er sie schon wieder zuschlagen, doch Kais Fuß war schneller, sodass er sie nicht mehr schließen konnte.
 

„Scheiße!“ Laut fluchend ging Takao von der Tür weg.

Mit hochgezogener Augenbraue beobachtete Kai, wie Takao, bekleidet in einem dunkelblauen Schlafanzug, zu seinem niedrigen Bett ging und sich darin die Decke über den Kopf zog.
 

Die Wohnung war klein, aber gemütlich. Wenn man hereinkam, stand man gleich im Wohn-/Ess-/Schlafzimmer. Zu seiner linken befand sich das Bad und eine kleine Küche, in welche man wegen einer halbhohen Wand reinsehen konnte. Davor stand ein kleiner Tisch mit Sitzkissen. Rechts war noch ein Raum, der eine Abstellkammer sein musste und das Bett mit Nachttisch und Fernseher davor. In der vorderen Wand befand sich eine Glastür mit einem relativ großen Balkon.
 

Mit einem Handzeichen bedeutete Kai Ella sich hinzulegen, während er selbst auf das Bett zuschritt und mit verschränkten Armen davor stehen blieb.

„Ist das dein Ernst?“

Mehr als ein Grummeln war unter der Decke nicht zu hören.

Die Augenbrauen zusammengezogen, setzte Kai sich an die Bettkante und zog herzhaft die Decke ein Stück zurück.

„Das ist so gemein“, maulte Takao umgehend, „warum musst du ausgerechnet dann kommen, wenn ich zu krank und schwach bin, um dich rauszuschmeißen? Macht es dir Spaß mich zu quälen?“

Den Stich in seiner Brust ignorierend, betrachtete Kai sein erschöpftes, blasses Gesicht: „Nein. Ich wusste nicht, dass du krank bist.“

Die braunen Augen sahen ihn halb wütend, halb skeptisch an.

Als wäre es ganz normal, legte Kai seine Hand an Takaos Stirn, die nach ein paar Sekunden jedoch unwirsch weggewischt wurde: „Fass mich nicht an!“

Kai stand auf: „Du hast Fieber. Wahrscheinlich die Grippe. Nimmst du Medizin?“

„Was interessiert dich das? Willst du, dass ich schnell wieder gesund bin, damit du mich weiterhin quälen kannst?“

„Ach, hör schon auf!“, schnaubte Kai gekränkt und ging in die Küche.

Takao fühlte sich viel zu schlecht, um sich großartig zu streiten und beobachtete deswegen geschlagen, wie Kai in seiner Küche herumwühlte. Dabei streifte sein Blick etwas schwarzes, das eingerollt auf dem Boden lag.

„Jetzt hast du auch noch diesen Hund in meine Wohnung gebracht!“, schimpfte Takao so gut er konnte, „Haustiere sind hier nicht erlaubt. Sie muss weg.“

Die roten Augen bedachten ihn mit einem typischen sonst-geht’s-dir-gut-Blick, bevor sich Kai wieder abwandte und schlicht erklärte: „Als Rettungshund darf sie überall mit rein.“

Mit schmerzenden Gelenken und dumpf pochendem Kopf verkroch sich Takao daraufhin wieder unter der Decke und hoffte, alles sei nur ein Alptraum.
 

Stöhnend schlug Takao nach unbestimmter Zeit die Decke zurück. Sein verwuschelter Kopf lugte in das Zimmer herein, das von einem angenehm matten Licht erfüllt wurde. Erst nach einer Weile hörte er das Geräusch von etwas kochendem auf dem Herd. Mühevoll stützte er sich auf die Unterarme und reckte den schmerzenden Kopf, um in die Küche sehen zu können. Zu müde, um vor der Erkenntnis zu erschrecken, dass es doch kein Alptraum gewesen war, blickte er auf Kais Rücken. Dieser schien irgendetwas zu kochen.

Erschöpft drehte sich Takao auf den Rücken und starrte nichts sehend an die Decke, während er mit der Hand seine heiße Stirn befühlte.
 

„Gut, du bist wach,“ holte ihn Kai aus seinen Gedanken.

Takao drehte den Kopf in seine Richtung und sah, wie Kai einen Teller Suppe auf den niedrigen Tisch stellte, den er anscheinend zuvor an das Bett geschoben hatte.

„Was soll das?“, wollte Takao müde, doch bestimmt, wissen.

Kai ließ sich nicht beirren: „Ich habe dir eine Hühnersuppe gemacht. Die ist gut bei Erkältungen und Grippe.“

Noch mehr als die Tatsache, dass Kai für ihn gekocht hatte, irritierte Takao etwas anderes: „Wo hast du das Huhn her?“

Kai besah ihn mit einem Blick, aus dem die sarkastischen Antworten nur so sprangen, aber er blieb sachlich: „Vom Metzger.“

„Du warst also noch mal weg?“, fragte Takao ungläubig, „Und wie bist du wieder rein gekommen?“

„Mit dem Schlüssel, der innen in der Tür steckt.“

„Dann hast du mich eingesperrt? Das ist Freiheitsberaubung.“

„Verklag mich“, gab Kai trocken von sich und setze sich auf den Boden auf ein Sitzkissen.

Takao sah ihn sauer an, anderweitige Kommentare waren ihm jedoch zu anstrengend, so begutachtete er den Teller mit der Suppe.

„Sie ist nicht vergiftet. Und schmeckt sogar“, kommentierte Kai Takaos misstrauischen Blick.

Als dieser jedoch keine Anstalten machte sich aufzusetzen, stand Kai wieder auf: „Dann gehe ich eben zurück in die Küche. Du solltest etwas essen.“

Takao blickte Kai nach und dann wieder auf den Teller. Er konnte zwar nichts riechen, aber aussehen tat die Suppe lecker. Überdies fühlte er, dass er eigentlich Hunger hatte, auch wenn das entsprechende Hungergefühl ausblieb. Er musste tatsächlich etwas zu sich nehmen. Die letzten Tage hatte er schon so gut wie nichts gehabt und das war sicherlich nicht die beste Strategie, um wieder gesund zu werden.

Also setzte er sich umständlich auf und an die Bettkante, nahm den alten Löffel, von seinen Beyblade-Tagen im Westen, in die Hand und begann mit zitternden Fingern die Suppe zu essen, während Kai in der Küche abspülte.
 

Er schmeckte nicht sonderlich viel, doch was seine Geschmacksknospen letztlich verarbeiteten, war ganz gut – und jedenfalls besser, als die zweifelhaften Reste aus seinem Kühlschrank, von denen er sich die letzten Tage „ernährt“ hatte.

Durch die warme Flüssigkeit fing allmählich seine Nase an zu laufen, bevor Takao plötzlich einen Knoten in seiner Brust spürte und ein unsägliches Brennen seine müden Augen erfasste.
 

Kai indessen hatte die Küche in einen ordentlicheren Zustand versetzt, als sie womöglich je gewesen war. Zumindest nach der nicht vorhandenen Anzahl von Reinigungsmitteln in Takaos Schränken zu urteilen. Nicht wissend, was er jetzt noch machen sollte, spähte er zu Takao. Der saß am Bett und löffelte langsam seine Suppe, doch etwas an dem Anblick stimmte nicht. Also ging Kai zurück ins Zimmer und auf Takao zu, der ihn gar nicht wahrzunehmen schien.

Dann sah er die kleinen Tropfen auf den fiebrigen Wangen, die stetig hinabflossen, um anschließend in der blauen Schlafanzughose oder im Boden zu versiegen.

Verstört und bewegt davon, kniete er sich neben Takao.

„Hey“, sagte er sanft und strich über eine nasse Wange die Tränen fort, während Takao unbeirrt weiteraß, als wäre es eine mechanische Handlung, die er nicht abbrechen konnte.
 

Von der Berührung auf seiner Wange wurde die Tränenflut auch nicht gemindert. In immer kürzeren Abständen suchten sie sich lautlos ihren Weg über die weiche Haut.

Kai konnte mit so etwas nicht umgehen. Es schnürte ihm regelrecht die Kehle zu, Takao so zu sehen und er wusste nicht, wie er möglichst sensibel darauf reagieren sollte.

Dann erinnerte er sich an eine Bekannte von der Rettungshundstaffel, die auf einem Einsatz ein verzweifeltes Kind getröstet hatte. Die Situation war eine andere, aber die Methode dürfte sich ähneln.

Kai setzte sich neben Takao auf das Bett, nahm ihm mit der einen Hand vorsichtig, aber bestimmt, den Löffel aus der Hand, legte ihn ab, und mit der anderen fuhr er zu seiner Wange, zwang Takao sanft ihn anzusehen.
 

Die braunen Augen blickten Kai an, welcher ihn reichlich betreten ansah, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Dann schloss Takao seine Augen gequält, was den Tränenfluss nicht sonderlich daran hinderte weiter zu fließen. Kai fühlte sich elend und war tief bestürzt. Er ertrug das nicht. Also gab er seinem Impuls nach, schloss Takao in seine Arme und ließ sich schräg seitlich ins Bett sinken. Takao leistete so viel Gegenwehr, wie eine Stoffpuppe. Es dauerte jedoch nicht lange und er schmiegte sich in seinen Armen an Kais Brust, krallte seine Finger in das dunkelgraue Hemd und weinte weiter leise vor sich hin.
 

Sanft streichelte Kai über den leicht bebenden Rücken und hoffte, dass es Takao irgendwie trösten würde. Sagen konnte er nichts. Was hätte er auch schon für tröstende Worte übrig gehabt?

Alles wird gut? Nein, ganz sicher nicht. Was sollte schon wieder gut werden?

Ich bin ja da? Das war das Lächerlichste. Gerade seine Anwesenheit konnte Takao nicht gebrauchen. Er hatte alles kaputt gemacht.
 

Nach geraumer Zeit schien sich Takao endlich ein wenig zu beruhigen. Zumindest löste er sich ein bisschen von ihm, soweit, dass sie sich nun in die Augen blicken konnten.

Takaos Augen schwammen noch in Tränen, sahen so traurig aus, dass Kai am liebsten gemartert aufgeseufzt hätte.

„Ich sehne mich so sehr nach dir. Es tut so unbeschreiblich weh“, flüsterte er mit tränenerstickter Stimme.

Wäre Kai etwas näher am Wasser gebaut, hätte er möglicherweise ebenfalls angefangen zu heulen.

„Nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander, hm?“ Kai legte seine Stirn auf die Takaos.

Er brauchte nichts zu sagen, die braunen Augen spiegelten unaufhaltsam alle Emotionen wider. Takao war viel zu sehr am Ende – körperlich, wie seelisch – um sich zusammenzureißen. Kai konnte mit ihm machen, was er wollte. Er war ihm schutzlos ausgeliefert.
 

„Everything I do, starts and ends with you“, flüsterte er Takao zärtlich ins Ohr.

Dieser empfand ein Kribbeln im ganzen Körper, als er sich an diesen Satz erinnerte.
 

Er war mit Kai im Finale ihrer dritten Weltmeisterschaft gestanden. Ihre Bit-Beasts hatten da zum ersten Mal diese Dimension erschaffen, in der sie von Sternen und Planeten umgeben worden waren - wie ein Traum. Dort hatte ihm Kai zum ersten Mal seit sie sich kannten gestanden, dass er ihm ständig nachstrebte und den Eindruck hatte, nie besser sein zu können.

Diese Worte mochten nicht besonders wirken, doch für Takao waren sie das. Er hatte von Anfang an nach Kais Anerkennung gesucht und damals hatte er zum ersten Mal das Gefühl gehabt dem wirklich einen Schritt näher gekommen zu sein. Er hatte etwas Besonderes für ihn sein wollen. Und wollte das immer noch.
 

Als sich ihr Blick erneut traf, rollten ein paar vereinzelte Tränen über Takaos Wangen und er kam Kai so unschuldig und schutzlos vor, dass er nicht verhindern konnte, dass ein starker Beschützerinstinkt in ihm ausgelöst wurde. Er wollte diesen Menschen vor allem Übel und Leid bewahren – was auch Kai selbst mit einschließen würde – doch gerade vor ihm selbst, konnte er Takao nicht schützen. Da war dieses nervige Gefühl, welches seinen ganzen Körper verrückt spielen ließ, seinen Verstand vernebelte. Und Takao hätte noch so verheult und krank gewesen sein können, dem unbändigen Wunsch, ihm genau in diesem Moment nahe zu sein, hätte das keinen Abbruch getan.
 

Ohne weiter darüber nachzudenken, gab Kai dem Drängen in seinem Inneren nach. Ganz sanft legte er seine Lippen auf Takaos und schloss dabei die Augen. Diesem spülte ein heißkalter Schauer durch den erschöpften Körper. Takao hatte den Eindruck keine Luft mehr zu bekommen, denn sein Herz schlug so schnell und heftig, dass er kaum genug atmen konnte, um genügend Sauerstoff in seine Lungen zu bekommen.

Takao hätte seine Hände nur in Kais Brust zu stemmen brauchen, um diese kribbelnde Sensation auf seinen Lippen zu beenden, das wusste er. Stattdessen blieb er jedoch unbewegt, schloss sogar die Augen, um die leichte Berührung deutlicher wahrnehmen zu können.

Unsagbare Hitzeschauder durchfluteten seinen Körper, so wie damals, als er Kais Lippen zum ersten Mal gespürt hatte.

Und Takao wurde jäh bewusst, dass er danach nie mehr so intensiv empfunden hatte – bis heute.

Ein paar Tränen stahlen sich unter seinen Lidern hervor, während er seine Arme wie ertrinkend um Kai schlang und den Kuss sehnsuchtsvoll erwiderte. Ganz sanft liebkosten sich ihre Lippen, was nicht nur Takao vorkam, als würden tausende kleine Stromschläge durch seinen Körper fahren. Zärtlich zogen und bissen sie an der Lippe des jeweils anderen, ohne es zu wagen ihre Zungen mit ins Spiel zu bringen. Aber es reichte auch so, um ihre Gefühlswelten komplett auf den Kopf zu stellen.
 

Sie wussten nicht, wie lange sie sich geküsst hatten, als Takao schlussendlich innehielt. Immer noch ganz nah beieinander, öffneten sie zögerlich ihre Augen.

Die rubinroten Augen funkelten ihn mit einem seltsamen Ausdruck an, den er oft bei anderen Menschen gesehen hatte. Letztens erst bei Hiro, als er ihm seine neue Freundin vorgestellt hatte.
 

„Was siehst du?“, raunte Kai unvermittelt. Seine Stimme ließ Takao erschaudern.

Wäre er nicht schon vom Fieber rot gewesen, wäre er es spätestens jetzt geworden.

„Ich weiß nicht... was ich davon halten soll.“

Ein sanftes Lächeln bildete sich auf Kais Lippen, was Takaos Herz noch mehr aus der Fassung brachte.

„Ich kann nicht mehr ohne dich“, hauchte Kai und Takao spürte beinah körperlich, wie schwer ihm diese Worte fielen, „Ziemlich vermessen, hm?“

Obwohl es das wirklich war – nach allem, was Kai getan beziehungsweise nicht getan hatte – konnte Takao trotzdem nicht anders, als leicht ironisch zu lächeln, während er seine Umarmung um Kai verstärkte und seinen Kopf in dessen Halsbeuge bettete.

„Wie gut für dich, dass ich zum Masochismus neige.“

Mit laut klopfendem Herzen verstärkte Kai die Umarmung und konnte ein erleichtertes Lächeln nicht verhindern.
 

Es war bereits weit nach Mitternacht, bevor sich Kai vorsichtig aus Takaos Griff löste. Auf leisen Sohlen, um ihn nicht zu wecken, brachte er den halbleeren Suppenteller in die Küche, wo er ihn wegschüttete. Anschließend wärmte er den großen Topf Hühnersuppe auf. Er würde auch noch etwas essen müssen und einen zweiten Versuch bei Takao starten, wenn dieser aufwachte.

Mit leicht wedelndem Schwanz schlürfte Ella auf ihn zu und stupste ihn mit ihrer feuchten Nase an.

„Na, meine Süße.“

Liebevoll streichelte Kai ihr über den Kopf, kraulte sie hinter dem Ohr, wofür sie ihm die Hand abschleckte.

Er ließ sich auf ein Knie nieder: „Es sieht fast so aus, als würden wir hier noch etwas länger bleiben.“

Ella stellte ihre Ohren auf, versuchte bekannte Worte aus seinem Satz zu filtern und verstand auch. Wedelnd stupste sie mit ihrer Schnauze in Kais Seite, als Zeichen ihrer Zuneigung und als er wieder aufstand legte sie sich zufrieden neben die Küche und schlief weiter.
 

Als Takao am nächsten Vormittag erwachte, fühlte er sich schon ein wenig gesünder. Sein Magen knurrte wieder, sein Hungergefühl war zurückgekehrt.

Schlaftrunken setzte er sich auf und musste erst einmal kurz nachdenken, ehe ihm einfiel, was alles geschehen war. Wie auf Kommando durchfuhr ihn ein heißer Schauer und seine Lippen fingen an zu kribbeln, wie geküsst von einem unsichtbaren Mund. Verpeilt strich er mit seinen Fingerspitzen darüber, das atemberaubende Gefühl verschwand jedoch nicht. Gekonnt verdrängte Takao alle Zweifel, die sich daraufhin in seine Gedanken schieben wollten, zumal als er bemerkte, dass er allein zu sein schien.
 

Umständlich schälte er sich aus dem Bett und stolperte durch die Wohnung, was sein Alleinsein allerdings bloß bestätigte. Aber Takao hatte nicht vor, sich davon beirren zu lassen. Er ließ es schlicht nicht zu. Vielmehr machte er sich auf den Weg in die Küche – eine sehr aufgeräumte Küche – und fand prompt einen vollen Suppentopf vor. Plötzlich schien sein Magen nur noch von dem nagenden Hungergefühl erfüllt zu sein, was dieser auch lautstark kundtat. Mit fahrigen Bewegungen schaltete er den Herd an und rührte ein paar Mal um, bevor er sich neben den Herd stellte und wartete.

Das wurde ihm jedoch schnell zu dumm und so ging er erst einmal ins Bad, um sich schnell ein wenig zu waschen und Zähne zu putzen. Anschließend zog er sich um, woraufhin die Suppe auch schon fertig war.
 

Kaum hatte er sich auf ein Sitzkissen niedergelassen und wollte zufrieden die Suppe löffeln, ging seine Haustür unvermittelt auf. Herein trat ein nasser Kai mit einer noch nasseren Ella an der Leine.

„Du hast schon wieder meine Fortbewegungsfreiheit vollständig aufgehoben und mich somit daran gehindert meinen Aufenthaltsort zu verlassen. Das ist Freiheitsberaubung.“

Kai sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an: „Du hast weder versucht hier raus zu kommen, noch kannst du mir erzählen, keinen Zweitschlüssel zu haben.“

„Das spielt keine Rolle. Nach der herrschenden Meinung reicht es, wenn die potentielle Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird und ob ich in der Wohnung einen Zweitschlüssel habe, weißt du nicht.“

Daraufhin schwieg Kai und buxierte die tropfende Hündin ins Bad, um sie abzutrocknen.

„Hat dich mein Vermieter noch nicht auf das Kalb angesprochen?“, grinste Takao überdreht.

Kais Stimme drang aus dem Bad: „Wenn du damit dieses hagere Männlein mit Omapulli meinst, dann schon.“

Takao kicherte: „Yepp, das ist er. Und?“

„Und nichts“, Kai reckte seinen Kopf aus dem Bad, „Ich habe ihm den Rettungshundeausweis gezeigt und ihm erklärt, dass ich nur zu Besuch bin.“

„Das war alles?“ Takao konnte es nicht glauben. Sein Vermieter war ein kauziger Kerl, ganz nett eigentlich, aber mit Haustieren verstand er keinen Spaß. Er hatte sogar miterlebt, wie dieser ein junges Mädchen zum Weinen gebracht hatte, weil sie ein kleines, verwaistes Kätzchen aufgeklaubt hatte und es nur für ein paar Tage aufpäppeln wollte. Die Mieze kam ihm nicht ins Haus. Dafür war Takao anschließend mit ihr ins Tierheim gefahren...
 

Mit noch ganz roten Wangen setzte sich Kai zu ihm an den niedrigen Tisch, ebenfalls mit einem Teller Suppe, und sie begannen beide schweigend zu essen. Und obwohl die Situation nicht hätte komischer sein können, empfand Takao gar nichts dabei.

Vielleicht etwas Nervosität. Oder auch etwas mehr. Aber das war okay. Irgendwie freute er sich, dass Kai nicht gegangen war. Aber nur ein wenig.

Takao fand erst aus seinen Gedanken, als Kai aufstand und den leeren Teller in die Küche brachte. Er tat es ihm gleich.

„Es geht dir besser“, stellte Kai fest, als er neben ihm war und seinen Teller in die Spüle legte.

Takao nickte: „Ja. Danke.“

Kai sah ihn an und erst jetzt bemerkte der junge Japaner, dass die roten Augen etwas matt glänzten und die Röte immer noch nicht aus seinen Wangen gewichen war. Ohne nachzudenken legte er seine Hand auf Kais Stirn und zog seine Augenbrauen zusammen.

„Liegt das an mir, oder bist du heiß?“

Kai konnte sich nicht verkneifen, ob der Zweideutigkeit zu grinsen, woraufhin Takao begriff und verlegen seine Hand zurückzog.

Schließlich meinte er sachlich: „Ich habe dich angesteckt.“

„Soll vorkommen.“ Ein verschmitztes Funkeln trat in die rubinfarbenen Augen.

Aus irgendeinem Grund zogen sich Takaos Mundwinkel zu einem breiten Grinsen auseinander, dann trat er kurzentschlossen einen Schritt nach vorne und verschloss Kais Lippen, welcher kurz vor Überraschung erstarrte. Dann entspannten sich seine Muskeln, seine Augen fielen zu und er erwiderte den plötzlichen Kuss genießerisch. Die ganzen Empfindungen dabei, versetzten ihn in einen Rausch, der ihn regelrecht süchtig machte.

Vollkommen darin gefangen, schlang er seine Arme um Takaos Taille und zog ihn zu sich, spürte, wie dieser es ihm gleichtat. Und diesmal waren sie nicht so scheu, begannen bald damit mit der Zungenspitze die Lippen des jeweils anderen zu kitzeln, bis sie fast gleichzeitig ihre Münder öffneten und beinah gierig in einem tiefen Zungenkuss versanken.

Warum sie das taten, wussten sie auch heute nicht.

Sie wussten aber, dass sie beide es wollten.
 

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Langsam kommen die Zwei in die Gänge, auch, wenn alles noch verwirrend und kompliziert ist.

Hier übrigens der Link zu dem Lied "Poketful Of Sunshine" von Natasha Bedingfield:

http://www.youtube.com/watch?v=9xbQfG15yXA&feature=related
 

Über Kommentare würde ich mich sehr freuen!
 

Bye
 

Minerva

Monster

Nach viel zu langer Zeit endlich ein weiteres Kapitel.

Vielen Dank für eure Kommentare und die Treue:)
 

Dieses Kapitel ist mir sehr schwer gefallen. Bis auf den ersten Abschnitt wusste ich nicht mehr weiter, nachdem ich mir durch die Endszene des letzten Kapitels selbst das Leben schwer gemacht hatte beziehungsweise wie ich die gewünschte Kurve noch kriegen sollte. Hier ist das Ergebnis und ich überlasse mich eurer Wertung. Ich bin sehr gespannt darauf!
 

Enjoy reading!
 


 

Dumpf pochte sein Herz gegen seinen Brustkorb.

Bubumm Bubumm Bubumm.

Er lauschte angestrengt dem stetigen Geräusch. Es wirkte hypnotisierend auf ihn, verdrängte für kurze Zeit die unruhigen Gedanken. Sein ganzer Körper fühlte sich taub und geradezu klamm an - als hätte er die Nacht in einem Moor verbracht.

Leer. Kalt.

Er war so unsagbar müde, doch schlafen war ihm unmöglich. Eine nervöse Unruhe kroch unaufhaltsam durch seinen erschöpften Körper, hielt ihn wach.
 

Zusammengekauert saß er auf seinem Bett. Träge starrte er auf den Spiegelschrank gegenüber. In der Dunkelheit erkannte er lediglich seine Silhouette und er war froh darüber. Wenn er aussah wie er sich fühlte, konnte er mit der Konfrontation mit dem Spiegel verzichten.
 

Sie hatten Kai tagelang gesucht. Bis Rei irgendwann zu dem Schluss gekommen war, dass es keinen Zweck mehr hatte. Wenn sie ihn kurz nach dem Kampf nicht mehr aufspüren konnten, wie sollten sie es dann nach ein bis zwei Wochen tun?

Natürlich wusste auch Takao, dass es keinen Sinn mehr hatte. Kai hatte eben eine Begabung dafür zu verschwinden. Auch Yuriy, der ebenfalls keine Ahnung gehabt hatte, wo er abgeblieben war, hatte ihnen dies bestätigt. Das schien so eine Abtei-Sache zu sein.

Und obwohl dieses Verhalten nichts Neues für Takao war, konnte er diesmal noch weniger damit umgehen als sonst.
 

Takao besaß ein gewisses Grundvertrauen in andere Menschen. Woher er das nahm, wusste er nicht, aber es hatte ihm eigentlich nie geschadet. Er wusste, dass andere ihn für naiv hielten und das mochte in vielerlei Hinsicht stimmen. Aber sie unterschätzten dabei seine Menschenkenntnis. Und für seine fünfzehn Jahre fand Takao sie recht beachtlich. Letztendlich konnte er zumindest erkennen, ob jemand „gut“ oder „schlecht“ war. Und das war mehr, als manch Anderer je in seinem ganzen Leben zu erkennen vermochte.
 

Nun war Takao allerdings an einem Punkt angelangt, an dem er nicht mehr weiter wusste. Es waren Dinge passiert, mit denen er schlicht ergreifend nicht umgehen konnte und anders als bisher, wusste er niemanden, mit dem er darüber reden konnte.

Er brachte es nicht über sich seinem Großvater, Hitoshi oder seinen Freunden zu erzählen, was während dem Match in dieser fantastischen Welt geschehen war.

Wie würden sie reagieren?

Wie sollte er ihnen das erklären?

Er wusste doch selbst nicht, was da genau abgelaufen war. Wie es dazu kommen konnte.

Der einzige Mensch, mit dem er darüber reden konnte, musste, war Kai und der war verschwunden.

Einfach abgehauen, geflohen!

Er hatte ihn abgewiesen. Alles aufgegeben, was sie jemals verbunden hatte.

Und er hatte ihn einfach mit dieser Situation allein gelassen und Takao wusste nun nicht, wie er damit zurecht kommen sollte.

Er konnte es keinem anvertrauen.
 

Er ertrug den schweren Druck in seiner Brust kaum, als die Ereignisse in seinem Kopf abermals Revue passierten – mit der unausgesprochenen Gewissheit, dass Kai nicht mehr zurückkommen würde. Diesmal nicht.
 

Er schnappte jäh nach Luft, als die verdrängten Fragen wieder auf ihn einstürmten.

Was war da passiert, das ihn die Grenze einer Freundschaft maßlos überschreiten ließ? Wie konnte er auf einmal so empfinden? Sehnsucht, Erregung, Qual. Und warum hatte Kai ihn so bereitwillig zurückgeküsst, ihn berührt?
 

Sein Bauch zog sich schaudernd zusammen und seine Lippen begannen bei der Erinnerung zu kribbeln, wie geküsst von einem unsichtbaren Mund. Gemartert stöhnte Takao erstickt auf und zog sein Kissen zu sich zwischen Oberkörper und angewinkelte Beine, als könne das zusätzliche Polster das Loch in seinem Inneren stopfen. Das Gefühl etwas an sich gepresst zu haben, während er seine Beine wieder umarmte, gab ihm ein wenig Trost.

Dieser Zustand hielt jedoch nicht lange an. Bereits ein paar Minuten später durchfuhr ihn ein Zittern. Takao fröstelte und spürte, wie seine trockenen Augen begannen zu brennen. Ein immenser Druck baute sich hinter seinen fest zusammengepressten Lidern auf, aber die ersehnten Tränen wollten nicht so einfach fließen. Vielmehr bildete sich ein großer Kloß in seinem Hals, ließ ihn jämmerlich Japsen. Seine Lippen verzogen sich dabei zu einem absurden Grinsen, welches mit jeder Sekunde mehr sein Gesicht entstellte. Er spürte, wie seine trockene Haut unter der Grimasse spannte und fuhr sich verzweifelt über sein Gesicht, barg es in einer Hand.

Warum nur? Warum passiert mir so was?

Wie in einer Dauerschleife lief diese Frage durch seinen Kopf.
 

Ständig tauchten Bilder in seinem Gedächtnis auf. Rote Augen, die ihn seltsam sehnsüchtig anblickten. Weiche Lippen, die sich gegen seine drückten. Vorwitzige Finger, die ihn berührten. Und oh, dieses Gefühl! In jenen Augenblicken hätte er mit ihm verschmelzen wollen.
 

Angestrengt holte Takao tief Luft. Er musste herausfinden, woher diese fatalen Emotionen so plötzlich gekommen waren.

Erinnerungen von Mädchen, für die er geschwärmt hatte, schossen durch seinen Kopf. Darunter auch Hiromi.

Dann zwang sich Takao über Kai nachzudenken. Von ihrer ersten Begegnung an, hatte ihn der Halbrusse gereizt. Arrogante und von Grund auf unfreundliche Menschen hatten Takao schon immer genervt, wobei sein Unverständnis für ein solches Verhalten oft in Neugier umschlug. So auch damals. Er hatte sich, für seine Verhältnisse, redlich bemüht, Kais Benehmen zu begreifen und versucht ihn aufzulockern. Aber der damals noch Dreizehnjährige war unheilbar unleidlich und altklug gewesen. Kai hatte sich oft viel zu erwachsen benommen oder war ins andere extrem geraten und hatte sich stur wie ein Dreijähriger abgewandt. Es war verdammt schwierig gewesen, zumal, wo sie so unterschiedliche Temperamente besaßen. Aber das hatte nichts an Kais tatsächlichen Fähigkeiten im Sport geändert. Er war einfach fantastisch gewesen und dafür hatte Takao ihn von Anfang an bewundert und respektiert. Und er hatte ziemlich schnell verstanden, dass Kai zwar ein Arschloch war, aber keineswegs ein schlechter Mensch. Warum er so schwierig war, leuchtete Takao nach der Geschichte mit der Abtei ein. Kai hatte nie gelernt jemandem wirklich zu vertrauen und hatte auch niemanden gehabt, der ihm so existenzielle Dinge wie ehrliche Zuneigung entgegengebracht hatte. Der einzige Mensch, von dem Kai es letztlich angenommen hatte zu bekommen, sein Großvater, hatte ihn nur benutzt. Das fand Takao schon zu dieser Zeit geradezu bösartig.

Obwohl Takao ab diesem Zeitpunkt Kais Verhalten besser nachvollziehen konnte, war es ihm nicht möglich gewesen sich mit ihm so zu verstehen, wie mit Max, Rei oder dem Chef.

Also blieb die Verständigung auf sportlicher Ebene, womit Takao gut leben konnte. Ohne Kai wäre er nicht so weit gekommen. Er hatte ihn immer angespornt und sei es nur mit seinem dummen Verhalten – wie dem Teamwechsel.

Das konnte er ihm eher verzeihen als seinem eigenen Bruder. Hiros Art ihn zu fördern, gefiel Takao einfach nicht. Er brauchte ihn mehr als Bruder statt Coach, aber das verstand er nicht. Langsam fand sich Takao auch damit ab.

Letztlich hatte Kai stets zu den Menschen zurückgefunden, die für ihn da waren und hatte ihnen mit ganzer Kraft beigestanden. Er war kompliziert und entnervend, aber gut.

Takao wollte von Anfang an besser als Kai sein und bei seinen Erfolgen auch dementsprechend von ihm respektiert werden. Er hatte sich regelrecht nach Anerkennung und Respekt gesehnt und im Grunde auch bekommen, soweit es Kai möglich war dies zu zeigen. Das war Takao nun klar.

Aber wie führte dieses harmlose Streben nach Aufmerksamkeit zu einem Kuss?

Inzwischen wusste er, dass Kais Unmut über seine Niederlagen gegen ihn zwar sehr groß war, er ihn aber trotzdem oder gerade deswegen schätzte – obwohl sie so unterschiedlich tickten. Aber das beantwortete nicht die Frage, warum Kai so bereitwillig auf seinen Kuss eingegangen war.
 

Verwirrter als zuvor vergrub Takao seine Finger in den Haaren, zog an ihnen, als würde der Schmerz die Gedanken vertreiben oder Klarheit schaffen können.

Er wusste einfach nicht, was passiert war, dass er jetzt so fühlte.

Er sehnte sich so sehr nach dem Geschmack der weichen Lippen. Nach dem süchtig machenden Geruch erhitzter Haut, der seinen Bauch kribbeln und sein Herz schneller schlagen ließ. Das Gefühl so umarmt zu werden und zu umarmen.
 

Vielleicht war es nur eine hormonelle Verirrung. Er war jung und unerfahren, hatte bis dato noch nie jemanden geküsst. Und da kreischende Fangirlies etwas leicht Abschreckendes für ihn hatten und Hiromi so unerreichbar war...

Ein freudloses Auflachen verließ Takaos Lippen. Als wäre es nahe liegender gewesen Kai anstatt Hiromi zu küssen. Und an der Nähe, nach ihrer Umarmung in dieser Dimension, konnte es ebenfalls nicht gelegen haben. Takao war ein recht körperlicher Mensch für einen Japaner und allein wie oft er seine Freunde Max und Daichi umarmte, sprengte den Rahmen dieses absurden Gedankens.

Er konnte es sich einfach nicht erklären.
 

Und nun war Kai einfach weg. Takao hatte gesehen, dass dieser erschrocken über diese Situation gewesen war. Aber Kai musste gesehen haben, dass es ihm doch genauso ergangen war. Normalerweise hätte Kai die Sache irgendwie geklärt und dabei schlicht vergessen, dass er auch einen Beitrag zu der Situation geleistet hatte. Immer stur geradeaus oder als ungeschehen abheften, das war Kais Strategie Nummer eins bei unliebsamen Begebenheiten. Wieso nicht auch hier? Wieso?
 

Fahrig strich sich Takao über die schmerzende Kopfhaut, als er den Griff lockerte.

Seit über drei Jahren kannten sie sich nun schon und waren befreundet. Und dann so etwas?

Was hatte er falsch gemacht?

Er war doch nicht alleine an dieser Sache schuld.

Weshalb tat Kai ihm das nur an?

War er so von ihm angewidert, dass er einfach alles wegschmiss?

Kümmerte sich nicht um ihn wie sein Vater? Hitoshi?

Langsam sickerte die Vorstellung in Takaos Bewusstsein, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Irgendetwas musste bei ihm grundlegend verkehrt laufen.

Und er wusste nicht, was er dagegen tun sollte.
 

***
 

Gemächlich schlenderte Takao über den Campus. Es war kalt, aber der Wind relativ mild und er genoss die vereinzelten Sonnenstrahlen, die sich durch die dicken Wolken kämpften.
 

Für jemanden, dessen Leben vor fünf Tagen wieder völlig aus der Bahn geworfen worden war, wirkte er ziemlich entspannt. Vermutlich hätten nur eine Handvoll Menschen erkannt, dass dem nicht so war.

Hana und Akira schienen auf jeden Fall nichts bemerkt zu haben. Sie hatten ihn lediglich geschimpft, weil er ihnen nicht gesagt hatte, dass er krank gewesen war. Sie hätten ihm gern geholfen. Takao freute sich darüber ausgerechnet zwei so netten Kommilitonen über den Weg gelaufen zu sein. Unter Umständen würden sie gute Freunde werden und auch noch in zehn Jahren miteinander in Kontakt sein. So wie mit Max, Rei, Daichi, die nicht in Tokio lebten, und einigen anderen. Zu wissen, dass da immer jemand für einen da war, egal wo sich dieser befand, verschaffte Takao ein gutes Gefühl.

Eine Sicherheit, die er in seinem Leben unbedingt brauchte.
 

Vor fünf Tagen hatte ein anderer Mensch, den er aus der Reihe seiner Freunde eigentlich ausgeschlossen hatte, es geschafft ihn emotional wieder völlig durcheinander zu bringen.

Was Takao dabei allerdings am meisten ärgerte, war, dass er sich so bereitwillig darauf eingelassen hatte. Was den Kuss in der Nacht betraf, konnte er sich vielleicht noch herausreden. Er war ein körperliches und seelisches Wrack gewesen und war zu vernebelt um auf Kais Kuss, dessen Worte, adäquat rational zu reagieren.
 

„Ich kann nicht mehr ohne dich“
 

Es schauderte ihn jedesmal bei der Erinnerung daran. Wie sollte er denn da bitte schön reagieren? Auf jeden Fall nicht so, wie er es getan hatte. Takao könnte sich für seine eigenen Worte watschen.

Null Selbsterhaltungstrieb.

Schlimmer war, dass er auch am nächsten Morgen nicht klüger geworden war. Und da konnte er nicht mehr behaupten, jenseits von gut und böse gewesen zu sein. Er hatte Kai freiwillig geküsst und es zu allem Übel auch noch genossen. So sehr genossen.

Jetzt konnte er nur froh darüber sein, dass Kais Handy geklingelt hatte, er nach zweimaligem Dauerklingeln auch dran gegangen war und es sich um etwas super wichtiges aus der Uni gehandelt hatte, sodass er hatte gehen müssen. Ironischerweise hatte es Takao zu jenem Zeitpunkt bedauert.
 

Glücklicherweise war Takao mittlerweile wieder zu Verstand gekommen und war sich klar geworden, dass er mehr als ein Problem hatte.

Er musste mit Kai reden. Endlich klären, was da damals geschehen war und warum sie auch heute kaum die Finger voneinander lassen konnten. Vor allem, warum Kai kaum die Finger von ihm lassen konnte oder wollte.

Es war zum Haare raufen.
 

Wir sind doch nicht ganz dicht, dachte sich Takao abermals, als er sich diese chaotischen Gefühle in Erinnerung rief und wurde prompt von einer Welle Erregung erfasst, sodass es ihn schauderte.
 

Nebenbei beschäftigte ihn auch die Frage, warum er solche Gefühle einem anderen Mann entgegen brachte - schließlich hatte er sich sonst nur von Frauen angezogen gefühlt.

Und was passieren konnte, wenn diese „Sache“ publik würde. Was wäre er dann noch für ein Vorbild für die Jugend?

Auch eine Baustelle, die stetig im Hinterkopf blieb.
 

Tief in Gedanken versunken, ging er ins Gebäude der juristischen Fakultät. Takao hoffte in einem der Räume, welche den wissenschaftlichen Mitarbeitern zugewiesen waren, Kai zu finden. Wegen einer plötzlichen Grippewelle war die Uni nicht so voll wie sonst und auch Übungsleiter und Professoren hatte es erwischt, sodass alle Strafrechtsübungen von einer Aushilfskraft übernommen werden mussten. Ein Umstand, den Takao ein wenig amüsiert zur Kenntnis nahm. Anscheinend war er einer der Ersten gewesen, die sich die Grippe geholt hatten.
 

Zielorientiert suchte er die Räume von Professor Otonashis Assistenten und fand recht schnell die richtige Tür. Mit bis zum Hals schlagendem Herzen klopfte er an.
 

Ein freundlich lächelnder Mann öffnete die Tür:

„Kinomiya-san? Wie kann ich Ihnen helfen?“

Haruyama-san, sein Übungsleiter in Strafrecht, zu dem er sich wegen Kai geflüchtet hatte, war ein hochintelligenter Mann mit einer treu-doofen Art, die ihn fatalerweise harmlos erscheinen ließ. Und seine Art Leuten etwas beizubringen, war viel zu kompliziert u umständlich, als dass man von ihm als guten Lehrer sprechen konnte - ein guter Jurist war er freilich, daran zweifelte Takao keine Sekunde.

„Entschuldigen Sie, Haruyama-sensei. Ich suche Hiwatari-san.“ Das Wort Sensei würde er außerhalb eines Übungsraumes wohl niemals in Bezug auf Kai verwenden und da auch nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ.

„Kommen Sie nur. Hiwatari-san ist im Arbeitszimmer unseres geschätzten Otonashi-sensei“, erklärte Haruyama-san und bedeutete Takao ihm, an mehreren Räumen vorbei, zu folgen, „Außer uns sind alle krank und der Professor muss bis Freitag einen wissenschaftlichen Aufsatz über die „Sozialen Konsequenzen bei der Reformierung des Jugendschutzgesetztes“ abgeben.“

Takao sah den Dozenten fragend an: „Und was hat das mit Hiwatari zu tun?“

„Er muss den Aufsatz schreiben.“ Mit diesen Worten öffnete Haruyama die Bürotür zu dem Arbeitszimmer des Professors, welches am Ende eines schmalen Gangs lag.
 

Kai saß mit verschränkten Armen am Schreibtisch, den Kopf darauf gebettet und schlief anscheinend. Der Hund war aufmerksamer. Ella kam sofort auf sie zu und beobachtete ihre Bewegungen.

Haruyama-san war Kais Anblick ziemlich peinlich: „Entschuldigen Sie, Kinomiya-san. Hiwatari-san ist auch unpässlich und daher...“

Ehe er den Satz beendete, schritt er schon zu Kai und rüttelte an seinem Arm. Schwerfällig flatterten die roten Augen auf und er versuchte sich zu orientieren. Müde und eindeutig total verschnupft, sah Kai zu seinem Kollegen, der freundlich sagte: „Sie haben Besuch.“
 

Schockiert stellte Takao fest, wie sein Herz aufgeregt in seiner Brust zu schlagen anfing und sich ein Gefühl aus Belustigung und Mitleid in ihm manifestierte, als Kai ihn ansah.

Überfordert blinzelte der Graublauhaarige die Stumpfheit aus seinen Augen, blickte Takao verwundert an.
 

Haruyama beugte sich in das Sichtfeld und starrte Kai mit seinen großen, dunklen Augen abschätzend an: "Sie sollten vielleicht von Zuhause aus weiter arbeiten."

"Danke, Haruyama", seufzte Kai ungeduldig.

Sein Kopf fühlte sich an, als würde eine ganze Kompanie mit Schlagbohrern auf ihn einarbeiten und die aufgeweckt-aufdringliche Art seines Kollegen machte es nicht besser.

"Gut, gut." Mit etwas abgehackten Bewegungen richtete sich Haruyama auf und schritt zurück zur Tür. Er nickte Takao höflich zu, ehe er verschwand.
 

Abwartend beobachtete der Blauhaarige, wie Kai sich mit den Händen übers Gesicht strich, sichtlich neben der Spur.

Er entschied sich, dass Angriff die beste Verteidigung war: "Du siehst scheiße aus."

"Bist du nur gekommen, um mir das zu sagen?", wollte Kai mit träger Stimme wissen. Es ging ihm wirklich nicht gut.

"Nein, aber man sollte nicht auf am Boden Liegende eintrampeln, also muss das warten", gab Takao schnippisch zurück.

"Hmm." Ein Welle von Schwindel ließ Kai seinen Kopf wieder auf seine verschränkten Arme legen.

Seufzend fasste Takao einen Entschluss: "Ich bringe dich nach Hause."

Als diese Worte durch die dicke Watte um Kais Gehirn drangen und er begriff, was Takao da sagte und aufsah, war dieser bereits damit beschäftigt Kais Tasche mit diversen wichtig aussehenden Unterlagen zu füllen.

"Finger weg von meinem Eigentum", kam es brüchig aus Kais rauem Hals, doch Takao warf ihm nur einen kühlen Blick zu und machte stur weiter.

Als er jedoch nach dem MacBook griff, um es zu schließen und in die Laptoptasche zu verstauen, hielt Kai trotzig den unteren Teil fest.

"Ich hau dir gleich die Tasche um die Ohren", drohte Takao genervt.

"Ich hetz' dir Ella auf den Hals", konterte Kai und seine müden Augen blitzten kurz herausfordernd auf.

"Dann sag ich Arzt und Polizei, dass du deinen großen, aggressiven Hund nicht unter Kontrolle hast und er eingeschläfert werden muss und zeige dich an." Ohne auf eine Antwort zu warten, zog er Kai den Laptop grob aus den Händen und drehte sich samt Tasche schnell um.

Nach seiner Meinung hatte er schon alles.

"Komm jetzt! Den Hund nehme ich nicht", blaffte Takao.
 

Nach einigen weiteren, sinnlosen Diskussionen hatten sie es schließlich in Kais BMW geschafft und Takao konnte mit Hilfe des Navis zu Kai fahren.

Sie schwiegen während der Fahrt. Kai hing im Beifahrersitz - nach einigem Gemecker hatte er eingesehen, dass er nicht ganz verkehrstüchtig war - und es schien ihm wirklich ziemlich schlecht zu gehen. Er hatte sich aus purer Starrköpfigkeit nicht erlaubt sich auszuruhen, typisch Kai.

Takao wusste, dass es klüger gewesen wäre, wenn er einfach wieder gegangen wäre. Aber erstens wollte er sich nicht noch einmal überwinden müssen Kais Nähe für ein Gespräch aufzusuchen und zweitens war es eine gute Möglichkeit sich zu revanchieren. Er wollte auf keinen Fall den Eindruck zurückbehalten ihm etwas schuldig zu sein, egal ob begründet oder nicht.

Er wollte das alles ein für allemal abhaken.
 

Bei Kai zu Hause ließ sich dieser erst einmal resigniert ins Schlafzimmer komplimentieren. Der Hund hatte Takaos Anwesenheit anscheinend akzeptiert, denn diesmal durfte er sich frei bewegen, auch, wenn er dabei immer noch kritisch beäugt wurde.

Erschöpft ließ sich der junge Japaner auf die Couch sinken. Jetzt würde er warten. Warten, bis Kai sich einigermaßen erholt hatte und er mit ihm reden konnte.
 

Um sich zu beschäftigen, war Takao kurzerhand, nach einem Blick in den überaus leeren - von was ernährte sich Kai eigentlich? - Kühlschrank, einkaufen gefahren. Es interessierte ihn nicht, dass er dabei unerlaubter Weise Kais Hausschlüssel nahm und das teure Auto benutzte. Das war eben so und Kai sollte sich unterstehen ihm auch nur einen seltsamen Blick zuzuwerfen.

Als er wieder kam, bemerkte er, dass Kai im Wohnzimmer auf der Couch saß, umringt von Büchern und Papieren, das MacBook auf dem Wohnzimmertisch. Er hörte ihn mit jemandem sprechen, eine ältere Männerstimme antwortete ihm, ebenfalls verschnupft klingend. Nach einem doch neugierigen Blick ins Wohnzimmer, erkannte Takao, dass Kai mit Professor Otonashi skypte. Durch die Information befriedigt, kümmerte er sich nicht weiter drum und ging in die Küche, wo er erstmal alle Einkäufe verstaute.

Takao beschloss ebenfalls eine Hühnersuppe zu kochen. Sie ging einfach, half bei Erkältungskrankheiten gut und schmeckte zudem sehr lecker. Außerdem goss er Ingwertee auf und machte eine kleine Schüssel Obstsalat mit Kiwi, Mandarinen, Ananas und Mango.
 

Takao liebte gutes Essen und hatte Rei einmal gezwungen ihm kochen beizubringen. Es war zu Anfang eine Katastrophe gewesen und der schwarzhaarige Junge hätte sich beinahe vor lauter Verzweiflung selbst ein Küchenmesser in den Bauch gerammt, um sich zu erlösen, aber dank Takaos unermesslicher Sturheit hatte es nach mühevollen Stunden geklappt.

Und nun konnte er wirklich etwas leckeres zubereiten ohne sich zu gefährden, die Küche anzuzünden oder jemanden mit dem Gericht zu vergiften. Er hatte sich wirklich selten dämlich angestellt.
 

Von dieser Schusseligkeit war allerdings nichts mehr übrig geblieben. Im Nu hatte er das Essen fertig. Genießerisch probierte er einen Löffel von der Suppe und stellte überaus zufrieden fest, dass er auf Anhieb die richtige Gewürzmischung gefunden hatte. Da musste nichts mehr hinzugefügt werden.
 

"Warum kochst du?"

Takao zuckte heftig zusammen, als er plötzlich die Stimme hinter sich hörte. Er wandte seinen Kopf zu Kai, der im Türrahmen stand und skeptisch auf die Küchenanrichte sah, wo Obstsalat und Teekanne standen.

"Ich dachte, du skypst noch", erklärte Takao seine vorherige Reaktion, ehe er antwortete, "Ich habe Hunger und wollte alle Rechnungen beglichen haben."

"Bevor was?", schaltete Kai prompt, was Takao nur milde überraschte.

Bevor ich endgültig einen Schlussstrich ziehe, dachte er, überging Kais Frage jedoch konsequent und füllte stattdessen einen Teller mit Suppe, den er dem Halbrussen wortlos hinhielt.

"Willst du mich vergiften?" Mit hochgezogener Augenbraue blickte Kai auf die köstliche Suppe, deren Geruch er nicht wahrnehmen konnte.

"Probier es aus." Wo früher Schalk in den braunen Augen zu finden war, lag nun nur abwartende Kühle. Ein befremdlicher Anblick für Kai und wieder etwas wie Schuld durchfuhr den Graublauhaarigen.

Mit einem gemurmelten Danke nahm Kai den Teller und ging zurück ins Wohnzimmer. Das war schon mehr als Takao erwartet hatte.
 

Die Situation zwischen ihnen war schwierig, ohne Frage. Aber Takao schien die Ereignisse vor ein paar Tagen verdrängt und alles auf Null zurückgesetzt zu haben. Aber was hatte Kai sich auch vorgestellt?

Auf jeden Fall nicht, dass der junge Japaner drauf und dran war ihm zu erklären, dass sie nichts mehr miteinander zu tun haben sollten.

Alle Rechnungen begleichen und tschüss.
 

Kai versuchte sich seine innere Unruhe nicht anmerken zu lassen, als Takao wenig später mit einem eigenen Suppenteller ins Wohnzimmer trat. Diese kühl-gelassene Art, die der Blauhaarige an den Tag legte, trieb Kai schier in den Wahnsinn.
 

Ein Umstand, dessen sich Takao vollauf bewusst war. Er bemerkte, wie Kais Augen über den Inhalt seines Tellers huschten, sich am liebsten über den Tellerrand gewagt hätten und es doch nicht fertig brachten. Solche Details wären ihm früher niemals aufgefallen. Allmählich verstand er, was Opa damit gemeint hatte, als er sagte, er hätte gelernt zu schauen und nicht nur zu sehen.

Er beschaute Kai und sah so viel.

Die trägen Bewegungen beim Auslöffeln der Suppe, das leichte Zittern der Hand, genauso wie die müden, trüben Augen und die angespannte Kopfhaltung. Takao konnte förmlich spüren wie steif Kais Nacken war, in dem Bestreben ja nicht zu ihm zu sehen, sondern stur aufs Essen. Auf einmal kam ihm Kai nicht mehr so unbezwingbar und rätselhaft vor, sondern... durchschnittlich. Keine Glorifizierung mehr.

Trotzdem konnte Takao sich diesem normalen, nun von der Grippe geplagten Menschen nicht entziehen, ihn soweit rationalisieren, dass er seinen Reiz verlor. Immer noch nicht.

Was reizte ihn nur an ihm?

Was nur? Was?

Takao versuchte schon seit langem sich einzureden, dass nichts an Kai war, das Wert war von ihm zur Kenntnis genommen zu werden. Ihn zu hassen hatte Takao nie geschafft.

Aber egal wie sehr er es sich einredete, Kai brauchte ihn nur mit diesen meist undurchdringlichen, roten Augen anzusehen oder einfach über den Campus zu stolzieren und er wurde in seinen Bann gezogen.

Das Schlechte, Verbotene ist immer verlockend, redete der Blauhaarige sich ein, als er unauffällig beobachtete, wie Kai sich bedächtig auf die Couch legte. Sein Gesicht war blass und seine Augen glitzerten fiebrig. Es ging ihm einfach nur schlecht, aber Takao wollte kein Mitleid empfinden, nur Abneigung.

Es funktionierte. Schlecht zwar, aber besser als nichts.

Ein Anfang.
 

"Wir müssen das jetzt endgültig klären", fiel Takao mit der Tür ins Haus. Getreu dem Motto "Jetzt oder nie", denn er war nicht überzeugt den Mut je zu einem passenden Zeitpunkt zu haben. Abgesehen davon bezweifelte er, dass ein passender Zeitpunkt für dieses Gespräch überhaupt existierte.

Kais Augen fokussierten sich auf die seinen, abwartend. Zuhörend.

Leider.

"Ich will dieses Chaos nicht mehr. Ich bin hier hergezogen, um zu studieren. In Ruhe. Das kann ich so aber nicht." Sehr vielsagend, ganz toll Takao, schalt er sich selbst in Gedanken.

Als eine unangenehme Pause eintrat - Takao wusste nicht wirklich, was er sagen sollte - entschied sich Kai zu antworten:

"Es tut mir leid, was damals geschehen ist. Ich habe einen großen Fehler gemacht."

Baff, ob des schnellen, wiederholten Eingeständnisses, schoss ihm der Zorn heiß durch die Glieder und setzte sich hartnäckig in seiner Brust fest.

"Schön, dass es dir leid tut!", keifte Takao, "aber das macht es nicht wieder gut. Gar nichts kann es wieder gut machen."

"Was willst du dann?", fragte Kai leise. Sein Magen fühlte sich flau an, als würde er einen Looping in der Achterbahn schlagen.

"Meine Ruhe", sagte Takao bestimmt.

Da war er wieder! Dieser Blick, den Takao so verabscheute. Die rubinfarbenen Augen musterten ihn - trotz fiebrigem Glanz - überlegen.

Wissend.

"Hattest du deine Ruhe, bevor du mich von dem Club nach Hause gefahren hast? Bevor du nach Sapporo gekommen bist?"

Scheiße verdammt!

Takao starrte Kai an. In seinen Augen tobte ein wütender Sturm, bereit entfesselt zu werden. Und doch... Er überlegte. Überlegte, ob er nun seine Ruhe, ein zufriedenes Leben, haben konnte. Ein Leben ohne Kai. Ein Leben, in dem Kai nur mehr ein Name war.

Er hatte es bis jetzt nicht geschafft Kai völlig aus seinem Leben zu verdrängen. Es hatte stets Kleinigkeiten gegeben, die ihn wie Nadelstiche an den Graublauhaarigen erinnert hatten.

Wenn das vor seinem Studium so gewesen war, wie sollte es dann jetzt funktionieren, wo Kai zum Greifen nah war?

"Viel mehr als jetzt", beharrte Takao stur.

Kais Mundwinkel zogen sich ein bisschen nach oben. Er hatte ihn durchschaut:

"Soll ich dich ab jetzt ignorieren?"

"Ja."

"Warum hast du mich am Morgen danach geküsst?"

Takaos Herz setzte ein paar Schläge aus und es kam ihm vor wie eine Ewigkeit ehe er seinen Körper wieder spürte, bemerkte, wie er den Anderen ertappt anstarrte.

Kai hatte es mal wieder geschafft.

Wut kochte heiß in ihm hoch und er fuhr ihn an: "Das war ein verdammter Fehler! Ich war nicht zurechnungsfähig."

Kai war an allem Schuld!

Kai war an seiner ganzen, gottverdammten Misere Schuld!

Immer wieder hallten diese Worte durch Takaos Kopf.

Der Halbrusse blieb ruhig: "Ich allerdings schon. Und jetzt?"

"Nichts und jetzt", knurrte Takao aufgebracht und wurde wieder laut, "Es interessiert mich nicht, was du machst! Du interessierst mich nicht!"

"Und jetzt willst du, dass ich dir verspreche dich zu ignorieren?"

"Ja!"

"Mein Standpunkt interessiert dich nicht?"

"Nein, verdammt noch mal! Und jetzt versprich es mir endlich!", zischte Takao mit vor Zornesröte gefärbten Wangen.

"Das werde ich nicht."

"Dann halt nicht", erwiderte Takao gefährlich leise, stand mit zitternden Fäusten auf und stürmte aus dem Raum, dabei Ella ignorierend, die bei diesem Verhalten alarmiert aufbellte.
 

Kai hörte die Haustür zuschlagen.

Temperamentvolle Abgänge waren nichts völlig unbekanntes bei Takao.

Dennoch...

Ein schwerer Stein lag Kai im Magen und das Schlucken schien ihm schwer. Er wusste nicht, wie er sich mit dieser Situation arrangieren sollte.

Er wollte sich ja noch nicht einmal völlig eingestehen, was genau er wollte...
 

Takao rannte einfach, so wie er es oft getan hatte, als er jünger war.

Ein Ausdruck des Unvermögens mit einer bestimmten Situation umzugehen.

Er war weder feige noch dumm, doch manchmal fühlte er sich so dermaßen missverstanden oder ungerecht behandelt, dass er einfach nur weg wollte.

Mit zunehmender Reife hatte er gelernt sich zu artikulieren und durchweg standhaft zu bleiben.

Dies war die berühmte Ausnahme von der Regel, so wie er über die Straße rannte, Haus um Haus an ihm vorbeiziehend. Das alles war eine Ausnahme, ein regelrechter Ausnahmezustand.

Wie immer, wenn Kai mitmischte.

Takao zischte einen bösen Fluch, während er eine Anhöhe hochlief, nach der ihm schließlich die Luft ausging. Keuchend stützte er die Hände auf den Oberschenkeln ab, die Augen fest zusammengekniffen, ganz als könne er den unbegreiflichen Schmerz in seiner Brust zurückdrängen.

Kai hatte kein Recht sich nun schuldbewusst aufzuführen, die Vergangenheit mit ihm aufarbeiten zu wollen!

Kai verstand nicht, was das für ihn bedeutete!

So lange hatte er gebraucht, um den Graublauhaarigen aus seinem Leben zu verdrängen und nun sollte alles umsonst gewesen sein?

Wie konnte er nur so masochistisch sein, sich auf ihn, auf diesen vermaledeiten Kuss einzulassen - wenn auch nur für ein paar Stunden?

Es gab keine Zukunft für seine verdrehten Gefühle und schon gar nicht mit diesem Menschen.

Takao blinzelte, als er sich wieder aufrichtete. Stoisch wandte er sich einem Straßenschild zu und holte sein Handy aus der Innentasche seiner Jacke. Er würde ein Taxi brauchen, um nach Hause zu gelangen.
 

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Takao ist sehr durcheinander und schafft nicht das, was er eigentlich wollte: Ein Gespräch und Klärung.

Fraglich ist, ob Kai es schafft zur Abwechslung mal den aktiven Part zu übernehmen.
 

Nach einer allgemeinen Sinnkrise, was das FF-Schreiben an sich betrifft, habe ich jetzt nun doch wieder Motivation und auch einen weiteren Handlungsverlauf für diese FF hier gefunden. Das nächste Kapitel ist begonnen und ich brauche lediglich noch etwas Zeit.

Was die anderen FFs betrifft, so arbeite ich momentan noch an RitH. Für meine KaRe fehlt mir zur Zeit immer noch der Nerv, aber ich werde nichts abbrechen. Egal wie lang ich brauche.

Soviel dazu^^.
 

Über Kommentare von euch würde ich mich wie immer sehr freuen!

Alle Kommentatoren bekommen einen GB-Eintrag, wenn es weiter geht.
 

Bye
 

Minerva

Ironic

Auf Grund von Krankheit hatte ich nun genügend Zeit dieses Kapitel zu beenden.

Endlich!

Das Thema in diesem Kapitel sucht Liebhaber, aber ich hoffe, ihr mögt es trotzdem^^.

Wer mich kennt, wird die wichtigen Stellen finden, allen anderen darf ich sagen, dass das nächste Kapitel meiner Meinung nach interessanter werden wird.

Übrigens liebe ich die Vergangenheitsszenen^^! Ich hoffe, euch gefallen sie auch:-)
 

Enjoy reading!
 

Er war vollkommen verschwitzt, sowie er durch das Eingangstor des Kinomiya Anwesens trabte und freute sich bereits auf ein warmes Bad, als er erschrocken zusammenfuhr.

"Wo in aller Welt hast du nun schon wieder gesteckt?"

Der fast Siebzehnjährige drehte sich mit einem spitzbübischen Grinsen zu der Quelle der Stimme um und sah, wie sich ein Schatten unter einem Baum im Garten löste und ins fahle Licht des Halbmondes trat.

"Eine Frage, die dir deine Eltern sicherlich auch stellen werden, wenn sie bemerken, dass ihre einzige Tochter nach zwei Uhr morgens Heim kommt, oder Hiromi?"

"Deine frechen Sprüche kannst du dir sparen. Weißt du eigentlich welche Sorgen sich dein Großvater macht, wenn du dauernd ohne ein Wort verschwindest und meist bis zum Morgengrauen nicht in deinem Bett liegst? Hm, Takao? Gibst du dir darüber überhaupt Rechenschaft?" , warf ihm Hiromi postwendend vorwurfsvoll an den Kopf.

Er zuckte mit den Schultern und erwiderte desinteressiert: "Opa weiß, dass ich zurecht komme und solange meine schulischen Leistungen nicht darunter leiden, gibt es nichts zu beanstanden."

Hiromi schnaubte aufgebracht: "Ach ja? Und warum ist er dann immer so bedrückt und -"

"Er ist ein alter Mann", unterbrach Takao sie kühl, "Er hat wohl Angst alleine zu bleiben, weil ich erwachsen werde und sein erster Enkel in meinem Alter bereits in Ägypten Steine ausgegraben hat."

"Das ist nicht wahr und das weißt du", entgegnete Hiromi scharf.

Takao seufzte theatralisch auf: "Was willst du eigentlich von mir? Es ist spät und ich will schlafen gehen. Morgen ist Schule, Mrs. Schulsprecherin."

Hiromi kam einige Schritte auf ihn zu, blieb allerdings ungefähr zwei Meter vor ihm stehen. Es war Takao, als würde sie ihn von Kopf bis Fuß mustern, so wie sie schweigend vor ihm stand, die Arme in die Hüften gestemmt und leicht vorgebeugt. Es machte ihn aggressiv.

"Ich will, dass du aufhörst nachts durch die Stadt zu ziehen und rumzuhuren", sagte Hiromi schließlich leise.

In Takaos Ohren klingelten die Worte jedoch als hätte sie sie ihm entgegen geschrien. Er wusste im ersten Moment nicht, ob er erstaunt über ihre derbe Wortwahl sein sollte oder wütend darüber, dass sie es gewagt hatte, die unschöne Wahrheit in Worte gefasst zu haben.

"Was geht es dich an, was ich tue!", donnerte er, "Du bist weder meine Mutter, noch meine Schwester. Du hast kein Recht mich zu bevormunden!"

"Aber ich bin deine Freundin!", rief Hiromi flehentlich, "Ich mache mir Sorgen um dich! Und nicht nur ich, die anderen auch."

Mit erhobenen Händen ging sie auf ihn zu. Takao musste all seinen Willen aufbringen, dem inneren Drängen zurückzuweichen, nicht nachzugeben.

Sanft fassten ihre Hände nach seinen Oberarmen und sie sah ihn beschwörend an: "Ich will doch nur, dass es dir gut geht."

"Es geht mir gut", blockte Takao ab und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei Hiromis Finger von seiner Jacke glitten. Sie ließ die Arme sinken.

"Nein, geht es nicht", beharrte sie in ruhigem Ton, "Du bist so ganz anders als früher und tust Dinge, die der alte Takao nie getan hätte."

Mit ablehnender Miene wich Takao einen Schritt zurück: "Tja, tut mir leid, ich verändere mich eben wie jeder andere auch. Wenn dir das nicht passt, kann ich dir auch nicht helfen."

Er blickte sie nicht an, als er das sagte, sah jedoch, wie sich ihre zierlichen Hände zu Fäusten ballten, ehe sie sie wieder lockerte.

"Natürlich verändert sich jeder mit dem Erwachsenwerden, aber nicht so arg, wie du mir weismachen willst. Kein normaler Jugendlicher wird plötzlich zum mürrischen Einzelgänger und Aufreißer, wenn er all die Jahre vorher ein geselliger Optimist mit moralischen Grundsätzen war."

"Willst du mir etwa vorwerfen, dass ich morallos bin?", fuhr Takao seine langjährige Freundin an.

"Ich werfe dir vor, dass du dir nicht von denen helfen lässt, die dich lieben und schätzen, sondern stattdessen jede gottverdammte Nacht eine andere abschleppst", presste Hiromi zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

"Nur kein Neid."

Sie überging den kühlen Kommentar geflissentlich: "Weißt du überhaupt, wie gefährlich es sein kann mit so vielen verschiedenen Weibern ins Bett zu steigen?"

"Danke, ich bin aufgeklärt", brummte Takao unwillig, ehe er kalt hinzufügte: "Wenn das alles war, dann wünsche ich dir eine gute Nacht! Komm gut nach Hause."

Mit diesen Worten schritt er zielstrebig zur Haustür und rempelte Hiromi dabei absichtlich an der Schulter an.

Baff und enttäuscht rief sie ihm nach:"Willst du wirklich, dass sich all deine Freunde von dir abwenden, weil sie es nicht ertragen, wie du mit ihnen umgehst?"

Er sah sie noch einmal mit harten Augen an, dann schlug er die Tür zu.

Seufzend strich sich Hiromi über die Stirn. Sie blieb noch einige Zeit wie erstarrt vor dem Anwesen stehen, konnte nicht glauben, wie dieses Gespräch verlaufen war.

Doch als die Erkenntnis, dass Takao die Tür nicht wieder öffnen würde, vollends zu ihr durchgesickerte, wandte sie sich enttäuscht ab.

"Was ist es nur, das du so verzweifelt suchst", murmelte sie ratlos.
 

***
 

"Hmhm."

Takao hörte mittlerweile nur noch mit halben Ohr dem Klatsch und Tratsch zu, den ihm seine beste Freundin bestimmt seit einer halben Stunde erzählte. Abschweifend kritzelte er mit einem Kugelschreiber abstrakte Figuren und Muster auf den Rand seines Arbeitsblattes.

Er interessierte sich nicht für Adelshäuser, modische Verfehlungen von Stars und Bekannten oder Zankereien mit ihren Kommilitoninnen. Es reichte ihm zu wissen, dass es einen Kaiserpalast mit hübschen Garten in Tokio gab und wo er gute Kleidung für die verschiedenen Anlässe bekam. Er kaufte immer das, was ihm gefiel und was ihm die Verkäufer andrehten. Übermäßiges Geschwätz über Designermarken oder Modeschauen langweilten ihn.

Ganz anders als seine Freundin Hiromi.

Sie hatte sich zum wahrsten Modeguru entwickelt und kleidete sich zu jeder Gelegenheit vorzüglich. Das musste er ihr lassen. Aber so viel Zeit zu investieren, um zu wissen was gerade In war oder sein würde, das Sortiment von X Kaufhäusern und Online-Shops zu kennen und ständig von A nach B zu rennen, war Takao schlicht zu dumm. Solange er nicht beschimpft und aus den Räumlichkeiten gejagt wurde, würde er nichts an seinem Kleidungsstil ändern, auch wenn Hiromi zu gern als Stilberaterin bei ihm fungieren würde.

"Hmm." Eine der gekritzelten Figuren erinnerten ihn an einen Pinguin mit Sonnenbrille.

"Hey! Hörst du mir überhaupt noch zu?", schreckte ihn Hiromis vorwurfsvolle Stimme aus seinen Gedanken.

"Doch, doch! Hör mal, ich muss jetzt wirklich noch einen Fall durchmachen und es ist schon recht spät. Ich ruf dich dann in einer Woche wieder an, okay?"

"Wann kann ich dich denn nun endlich mal besuchen? Ich würde deine Wohnung gern sehen, außerdem wollte schon immer mal nach Sapporo", versuchte sie ihn diesmal zu bezirzen.

"Du weißt doch, dass ich keine Zeit habe. Ich muss viel lernen und hab den ganzen Tag Vorlesungen. In den Ferien fahr ich doch sowieso nach Hause und dann sehen wir uns wieder."

Er konnte förmlich hören wie die Räder in Hiromis Kopf arbeiteten, bemüht darum seine Ablehnung als Erklärung und nicht als Ausflucht zu verstehen.

"Ich finde das sehr schade", meinte sie schließlich langsam, doch der beleidigte Unterton entging ihm nach so vielen Jahren Freundschaft nicht.

"Es wird doch irgendein Wochenende geben, an dem du dich frei schießen kannst? Mein Studium ist ja auch nicht für lau und ich kann es", gab sie nicht auf. Nun war der Punkt erreicht, an dem sie gekränkt wurde.

"Hiromi", jammerte Takao, "Ich will dich doch nicht ärgern. Ich hab wirklich keine Zeit. Das Studium ist umfangreich und ich tue mich schwer mit dem ganzen abstrakten Lernen. Du weißt doch, dass ich eher der praktische Typ bin. Lass mir noch etwas Zeit. Im Sommer wird es schon mal klappen, dass du mich hier besuchst."

Er hörte ihre Atemzüge durch die Ohrmuschel seines Handys und wusste, dass sie seine Erklärung schlucken wollte.

Sie seufzte: "Na gut. Und wann sehen wir uns dann wieder?"

Takao überlegte. Er würde vor Mitte April kaum nach Tokio kommen, setzte aber dennoch ein Datum fest: "Zu meinem Geburtstag, denke ich."

Hiromi stöhnte: "Das ist erst in sechs Wochen!"

Innerlich seufzend, verdrehte Takao seine Augen. Er würde und wollte nicht weiter mit Hiromi diskutieren. Es änderte nichts an den Tatsachen seiner Entscheidung.

Als er nichts darauf erwiderte, ließ sie es endlich bleiben: "Okay, dann am 9. April. Ich nehm' dich beim Wort!"

Ihre mahnende Stimme brachte Takao zum Schmunzeln.

"Sicher, glaubst du denn ich lasse mir dein supertolles Geburtstagsgeschenk entgehen?"

"Ach, du bist so ein Idiot." Mit diesen Worten legte sie auf.

"Ich dich auch", murmelte er noch und legte das Handy mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen auf seinen Schreibtisch.
 

Wenn sie sich nicht auch nur ein klein wenig zankten, war es kein gutes Telefonat. Überhaupt mit Hiromi zu telefonieren, war extrem anstrengend und langatmig. Sie versuchte ihm irgendetwas zu erzählen, damit es nicht so schien, als kümmere sie sich nicht um ihn und er versuchte dabei nicht einzuschlafen. Sie waren eben nicht für gelungene Telefonate geeignet und sie beide wussten es, trotzdem riefen sie sich alle zwei Wochen an. Sie beide waren mehr die Art von Freunde, die sich sehen mussten, um etwas miteinander anfangen zu können. Dann hatten sie Spaß und die Zeit flog nur so dahin.

Aber das mit dem sich sehen, war so eine Sache seit er in Sapporo lebte. Natürlich hätte er sich ein Wochenende und mehr frei schießen können. Es fiel ihm leichter als gedacht sich die ganzen Definitionen zu merken und er kam mit dem Lesen der Bücher recht zügig voran.

Nicht zuletzt war daran eine bestimmte Person Schuld, von der er sich mit Fleiß gekonnt zeitweise ablenkte. Und diese Person war auch der Grund dafür, dass er keinen Besuch von Hiromi wollte. Bei seinem Glück würden sie Kai über den Weg laufen und dann würde es zwangsläufig zum Super Gau kommen.

Auch wenn niemand außer Kai und ihm wussten, was da damals bei ihrem Kampf passiert war, hatten die anderen Kais plötzliches Verschwinden genauso wenig begeistert zur Kenntnis genommen und ihn unwillkürlich für Takaos Verhaltensänderungen verantwortlich gemacht - vor allem Hiromi. Der junge Japaner konnte sich gut vorstellen, dass sie Kai bei einer Begegnung an die Gurgel gehen würde und eine Herausarbeitung des "Kernproblems" war absolut das Letzte, was Takao wollte.

Er wusste natürlich, dass er sie oder einen der Anderen nicht ewig von Sapporo fern halten konnte, aber Takao zog es vor da rein nur an Morgen zu denken.
 

Und morgen musste er sich nicht mit Hiromi herumschlagen, sondern mit Akira.

Der hatte ihn nämlich dazu überredet ihn auf das Gestüt zu begleiten, auf dem er sich ein Pferd zum Reiten ausgeliehen hatte, welches er wöchentlich traktierte.

Takao konnte nichts mit Pferden anfangen. Er kannte sie eigentlich nur vom Film und aus der Ferne auf Koppeln grasend. Sie waren groß und schön, aber uninteressant. Er verspürte nicht das Bedürfnis eines zu streicheln oder gar zu reiten.

Nicht so Akira, der auf einem Gestüt aufgewachsen war. Er liebte diese Tiere und war vor dem Studium auch auf nationalen Springturnieren geritten. Er erzählte oft von zu Hause und seinen fünf Lieblingspferden, deren Namen Takao mittlerweile intus hatte.

Infolgedessen war es für Akira das non plus Ultra auch während dem Studium wenigstens ein bisschen in den Genuss von Pferdemist und Reitspaß zu kommen und natürlich war es die Aufgabe der besten Freunde diese Freuden mit ihm mal zu teilen.

Inzwischen waren Hinz und Kunz mit ihm zum Reitstall gefahren und sogar Hana hatte ihn zwei oder drei Mal begleitet. Für Takao wurde es demnach immer schwieriger sich zu drücken und nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem er schlicht nicht mehr ablehnen konnte, ohne Akira vor den Kopf zu stoßen. Etwas, was er wirklich nicht wollte.
 

Seufzend wandte sich Takao wieder seiner Hand zu, die immer noch wilde Muster auf den Rand des Arbeitsblattes kritzelte. Mit einem Akt des Willens legte er den Kugelschreiber auf die Seite und zog sich wieder sein Fallbuch zurecht. Wenigstens einen Fall wollte er noch bearbeiten, bevor er schlafen ging.
 

***
 

"Das ist McGyver", stellte Akira den haselnussbraunen Gaul vor, den er gerade aus seiner Box geführt hatte.

Mit einem Blick, der so viel sagte, wie "Willst du mich verarschen?", stand Takao im Gang und beobachtete, wie sein Freund das imposante Tier am Halfter je links und rechts mit Stricken befestigte, die an Haken zwischen den Boxen befestigt waren.
 

"Er ist ein ganz braver, fast zu brav, wenn du mich fragst. Und gescheit", lobte Akira das Pferd und streichelte es am Hals, "Er war mal ein Dressurpferd, aber nicht so erfolgreich und wurde deswegen verkauft. Die Besitzer haben allerdings nicht genug Zeit für ihn und mir deswegen für ein geringes Entgelt erlaubt ihn zu reiten."

"Dann ist er ein Hengst?", fragte Takao höflich, während Akira die Hufe mit etwas auskratzte, das vorne an einer Seite grobe Borsten und auf der anderen Seite ein längliches, abgerundetes Metallstück hatte, mit dem der gröbste Dreck aus dem Huf entfernt wurde.

"Nein, er ist kastriert. Das nennt man bei Pferden dann Wallach", erklärte Akira glücklich.
 

Takao konnte das nicht verstehen, aber nachempfinden. Beim Beybladen ging es ihm ja auch so und er konnte jedem, egal ob er es wissen wollte oder nicht, stundenlang begeisterte Vorträge über Techniken, Trainingsmethoden, Bit-Beasts und Matches halten, ohne zu bemerken, was um ihn herum geschah.

Das Pferd sah ihn neugierig an. Takao beschloss sich nicht so anzustellen und seine Liebe für Tiere anzuwerfen und es zu streicheln. Langsam ging er auf das Pferd zu und strich vorsichtig über die Nüstern. Sie waren samtweich. McGyver blieb ruhig, sodass er es wagte bis nach oben zur Stirn zu streicheln.

"Wenn du Lust hast, kannst du mir beim Striegeln helfen."

Takao zuckte mit den Schultern: "Warum nicht."
 

***
 

Nach einer Dreiviertel Stunde Hallenreiten, hatte Akira schließlich beschlossen, dass es für Takao interessanter war, wenn sie spazieren gingen. Ausgelassen führte er den Wallach an den Zügeln die Landstraße entlang. Takao genoss die Landschaft an diesem klaren Samstagnachmittag und ließ sich allerlei über Pferde und seine Heimat erzählen.

Eines musste er Akira lassen, er machte eine verdammt gute Figur auf dem Pferd. Er strahlte dabei so sehr, dass sich sein ganzes Auftreten veränderte. Takao bemerkte belustigt die Blicke der Frauen in der Reithalle, die den Türkishaarigen anschmachteten, ohne dass der es bemerkte.
 

"Wenn du willst, kannst du doch jetzt für eine Weile aufsteigen!"

Takao verdrehte innerlich die Augen: "Ich habe dir schon gesagt, dass ich das nicht haben muss."

"Aber jetzt ist keiner da, der zuguckt", versuchte es Akira weiter.

"Das hat damit nichts zu tun. Ich will einfach nicht so ein großes, unberechenbares Tier zwischen meinen Beinen haben." Mental beglückwünschte er sich für diese Wortwahl und schmunzelte leicht.

Davon bemerkte Akira nichts: "McGyver ist nicht unberechenbar. Er ist brav und ich werde ihn ja auch führen."

"Für dich nicht, aber für mich. Führen hin oder her", gab Takao resolut zurück.

"Aber sogar Hana hat sich getraut auf McGyver zu reiten", murmelte Akira halblaut.
 

Ein Satz, der Takao prompt an den Eiern packte und an seinem Stolz zog. Natürlich wusste er, dass Akira erreicht hatte, was er wollte, als er in den Steigbügel trat und sich in den Sattel schwang. Er sah, wie sein Freund mühsam ein Grinsen unterdrückte und mental konnte Takao das aufgebrachte Schnauben Hiromis hören, weil er sich so einfach auf das "unsinnige" Macho-Gehabe, wie sie es zu nennen pflegte, einließ.
 

"Und? Ist doch gar nicht so schlimm, oder?", grinste Akira und sah zu Takao hoch, der relativ entspannt aussah.

Aber eben nur aussah. Die Bewegungen des Pferdes waren befremdlich und er musste erst den Rhythmus finden, indem sich sein Becken mitschwingen sollte. Außerdem behagte ihm das Gefühl von mangelnder Kontrolle gar nicht. Dieses große Tier wurde nur über die dünnen Leinen der Zügel von Akira gehalten und beherrscht. Auch, wenn Takao ihm vertraute, so fühlte er sich doch unwohl und ausgeliefert.

"Pferde sind schöne Tiere, aber ich ziehe ihnen Bit-Beasts dann doch vor", antwortete Takao schließlich mit konzentriertem Gesichtsausdruck.

Die Landstraße ging nun steil bergauf und Takao musste sich nach vorne lehnen, um das Gleichgewicht halten zu können.

"Aber auf Dragoon kannst du nicht reiten."

"Das muss ich auch nicht." Der Gedanke, Dragoon als Reittier zu missbrauchen, empfand Takao für den mächtigen Drachen fast als beleidigend.

Sie schwiegen einige Minuten und der Blauhaarige begann sich allmählich an die neue Situation zu gewöhnen.

"Was machst du eigent-" Takao sollte den Satz nicht mehr zu Ende bringen.
 

PFSCH!
 

Plötzlich ging alles sehr schnell. Takaos Sicht verschwamm, als das Pferd plötzlich zur Seite sprang und in Panik davon preschte. Dank jahrelangem Reaktionstraining und vorzüglicher körperlicher Konstitution gelang es Takao sich rechtzeitig mit den Schenkeln festzuklammern und die Hände in Mähne und Sattel zu krallen. Er hatte gar keine Zeit, um Panik zu empfinden, so sehr versuchte er nicht von dem großen, wildgewordenen Tier zu stürzen, dass in schwindelerregendem Tempo in den Wald galoppierte.

Wind und Blätter peitschten ihm gegen die Ohren und die ruckartigen Stöße warfen ihn erbarmungslos im Sattel herum, ohne dass er irgendetwas daran ändern konnte. Er hoffte bloß, sich nirgends den Kopf anzustoßen, denn sehen, tat er nichts von seiner Umgebung.
 

Die Minuten kamen Takao vor wie Stunden, bis er endlich spürte, dass das Pferd langsamer wurde, in leichten Trab überging und schließlich stehen blieb. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er die Augen zugekniffen hatte.

Langsam öffnete er sie wieder und sah, dass McGyver neben einem Waldweg auf einer kleinen Lichtung stehen geblieben war. Schwer atmend, blieb Takao noch kurz regungslos in einer geduckten Haltung sitzen, aber der Wallach schien sich einigermaßen beruhigt zu haben. Die Atmung des Tieres ging ebenfalls schwer und das haselnussbraune Fell war am Hals ganz feucht vor Schweiß.

Zaghaft richtete sich Takao auf. Sein ganzer Körper zitterte von dem Schock des Erlebten und ließ sich nicht mehr richtig kontrollieren.
 

Plötzlich zuckte der Wallach unter ihm erneut zusammen und Takao befürchtete panisch, dass er jeden Augenblick erneut davonstürzen würde. Doch als nichts weiter geschah, wagte er es dem Blick des Pferdes zu folgen, das angespannt mit aufgestellten Ohren auf den Waldweg starrte.

Der junge Japaner erkannte zu seiner Erleichterung einen Reiter den Weg entlang kommen. Sicherlich konnte der ihm helfen und ihn zu dem Reitstall zurückbringen können, denn Takao hatte nicht einmal den Dunst einer Ahnung, wo er sich befand.

Doch seine aufkommende Erleichterung löste sich in Wohlgefallen auf, als die letzten Zweige freie Sicht auf seinen Retter gewährten.
 

Es musste ein Bild für die Götter sein, wie sie da auf den Gäulen saßen und sich anstarrten wie das achte Weltwunder.

Erst als die rubinroten Augen von ihm abließen, um über das hellbraune Pferd zu streifen, bemerkte Takao, dass er die Luft angehalten hatte. Zittrig holte er tief Atem, wobei ihm sein zusammengeschnürter Brustkorb schmerzlich an all die unterdrückten Gefühle erinnerte, die sich zu befreien suchten.

Es kam ihm so irreal vor, als er sah, wie Kai sein großes, schwarzes Pferd auf ihn zu lenkte und er bekam kein Wort heraus.

"Ssshh, ganz ruhig", sagte der Halbrusse leise zu McGyver, der die Neuankömmlinge nervös musterte, "Ich tu dir nichts. Alles ist gut."

Wie eine Puppe, unfähig sich zu rühren oder zu sprechen, beobachtete er, wie Kai neben ihn ritt und sich zu den Zügeln herabbeugte, die schlaff vorne herunterhingen.

Was für ein Glück, dass das Pferd sich nicht darin verfangen hatte und gestürzt ist, wurde Takao auf einmal erschrocken bewusst.

McGyver blieb ruhig, schien sogar vergessen zu haben, dass er vor wenigen Minuten noch Angst gehabt hatte. Neugierig blickte er auf das fremde Pferd und ließ sich von Kai kurz am Hals tätscheln.

Jeglicher Regung immer noch beraubt, bemerkte Takao wie Kai sein Pferd antrieb und im gemächlichen Schritt McGyver an den Zügeln neben sich herführte. Völlig steif, nahm Takao die erneute Bewegung eher mit aufflammender Furcht zur Kenntnis, aber er sah sich nicht in der Lage selber etwas zu unternehmen. Der Schrecken saß ihm noch zu tief in den Knochen und die scheinbare Sicherheit empfand er trotz allem trügerisch. Auch Kai würde das Tier nicht halten können, sollte es erneut scheuen.
 

Sie ritten den Waldweg still entlang und nach einer Weile machte das Adrenalin einer unangenehmen Müdigkeit platz. Erschöpft entspannte Takao seine Körperhaltung ein wenig und löste seine verkrampften Finger aus Mähne und Sattel. Er konnte sie kaum strecken, so sehr schmerzten sie. Mit einem unterdrückten Seufzen begann er seine Hände zu massieren, stets darauf bedacht keine allzu ruckartigen Bewegungen zu machen.

Erst dann wagte er es zu Kai zu schielen, der links schräg vor ihm ritt. Die Pferde waren sich so nah, dass Takaos Ferse hin und wieder die Flanke des schwarzen Pferdes berührte und ihm fiel dabei auf, dass es zwar schön war, aber auch viel massiver, stärker gebaut war, als Akiras Wallach.

Kai selbst war wie immer eine Erscheinung und er konnte sich dunkel daran erinnern, dass Akira erwähnt hatte, dass ihr "Sensei" auf dem Gaul aussah, wie ein britischer Aristokrat.

Tatsächlich hatte der Halbrusse gewisse Ähnlichkeit mit diesen adeligen Kitschhelden aus schnulzigen Liebesfilmen, die immerzu perfekt und mit irgendeinem dunklen Geheimnis im Nacken darauf warteten, dass die Hauptdarstellerin mit ihnen vögelte.

Diese aufrechte, elegante Haltung, selbst der verfluchte Reithelm. Kai sah einfach scheiß perfekt aus und das war demütigend. Die ganze Situation war demütigend. Alles was in den letzten sieben Jahren mit Kai zu tun hatte, war beschämend und erniedrigend gewesen.
 

Während Takao schweigend vor sich hin kochte, ärgerte sich Kai vielmehr über Matsumura-san, der Takao scheinbar ohne jede Vorkenntnisse auf das Pferd gesetzt und ihm noch nicht einmal einen Helm aufgesetzt hatte. Man musste immer damit rechnen, dass ein Pferd durchgehen konnte. Das hätte für Takao genauso gut im Krankenhaus oder im Sarg enden können.

Er sah ganz deutlich, wie mitgenommen der junge Japaner war und am liebsten hätte er ihn gefragt, was geschehen war, ob alles in Ordnung war. Doch Takaos Mimik verdeutlichte unmissverständlich, dass er keinen Wert auf Konversation legte. Zumindest nicht mit ihm. Also ließ er ihn auch in Ruhe. Sollte der sich erst vom Schreck erholen.
 

Erst als sie den Wald verließen und zwischen einigen Häusern entlang ritten, konnte Takao seine Gedanken ein wenig zurückdrängen.

"Wo sind wir?", fragte er kalt.

Kai wandte ihm ein wenig den Kopf zu, gerade soweit, dass er ihn aus einem Augenwinkel heraus ansehen konnte.

Selbst das erzeugte eine gewisse Spannung zwischen ihnen. Diese Pause, bevor Kai etwas sagte. Sie wirkte sehr gut und Takao mochte sich nicht vorstellen, wie er vor Gericht sprach. Wahrscheinlich würde er jeden Gegner niedermetzeln, genauso wie im Sport.

Doch bevor Kai dazu kam etwas zu sagen, schreckte sie auch schon eine hysterische Stimme auf und sie sahen wieder nach vorne.

Als Takao den türkisfarbenen Wischmob erkannte, der da keuchend auf sie zukam, wurde ihm ganz heiß vor Zorn.

"Bei allen Göttern, dir geht es gut!", stieß Akira nach Luft schnappend aus. Er war völlig verschwitzt.

"Dir aber nicht mehr lange", knurrte Takao wütend, "Warte nur, bis ich hier runter komme!"

Akira schien völlig außer sich: "Es tut mir so leid! Das Auto neben uns auf der Straße war in einen Nagel gefahren und der Reifen ist geplatzt, deswegen der Krach."

Das war natürlich Pech und nicht unbedingt etwas, womit Akira hätte rechnen müssen, aber Takao ging es ums Prinzip.

"Ich wollte von Anfang an nicht aufsteigen! Du hast mich gezwungen! Du kannst froh sein, dass ich so gut trainiert bin, sonst hätte ich mir wie Christopher Reeve das Genick gebrochen."

"Christopher Reeve war nur querschnittsgelähmt", verbesserte Akira, woraufhin ihn die stürmischen, braunen Augen seines Freundes am liebsten verschlungen hätten.

"Das ist ja auch so viel besser!", brauste Takao auf.

Mittlerweile stand Akira vor ihnen und blickte zu Kai, der angehalten hatte:

"Vielen Dank, Hiwatari-sensei." Mit diesen Worten nahm Akira McGyvers Zügel entgegen.

"Tragen Sie nie einen Reithelm, Matsumura-san?" Kais Stimme klang kühl und überheblich, trotzdem schauderte es in Takaos Magen.

"Normalerweise lasse ich nie jemanden ohne Helm aufsteigen, Sensei", erwiderte Akira gezwungen höflich. Als hätte er seinen Fehler nicht schon längst selbst erkannt...

"Bring mich jetzt endlich hier weg! Ich will nach Hause!", motzte Takao seinen Kommilitonen an.

"Warum steigst du nicht schon ab?"

"Ich kann nicht", jammerte Takao nun aufgebracht, "Meine Beine sind noch völlig starr von dieser Tour."

Akira verkniff sich ein Schmunzeln, denn es war nicht lustig. Es war gefährlich, wenn ein Pferd durchging und er wusste noch gut genug, wie er sich gefühlt hatte, als ihm das zum ersten Mal passiert war. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit hatte sich unangenehm eingeprägt.

"Gut, der Reitstall ist gleich um die Ecke. Mann, du glaubst nicht, wie ich gerannt bin, um dich wiederzufinden", seufzte Akira erschöpft und strich McGyver dabei über den Hals.

"Von mir kriegst du kein Mitleid", schnappte Takao.

"Ich sag auch bloß, dass ich mir echt Sorgen gemacht hab und nicht die freie Zeit genossen habe, die du mit McGyver auf und davon bist", stöhnte Akira.

"Mir egal. Selber Schuld."
 

Kai indessen ritt auf der anderen Straßenseite nebenher und beobachtete das ganze Schauspiel. Durch die Interaktion mit seinem Kommilitonen konnte er besser herauslesen, inwieweit sich Takao wirklich verändert hatte.

Er hatte durchaus bemerkt, dass Takaos anfängliche Wut schnell verraucht war und er sich nur noch mokierte, weil er von Anfang an nicht auf das Pferd gewollt hatte.

Typisch Kindergarten.

Gutherzig war er durch und durch, wollte sich aber zu nichts drängen lassen und das drückte er mit einer verschlosseneren Körperhaltung und mehr Härte in den Worten aus als früher. Man könnte das damit erklären, dass Takao einfach erwachsener geworden war, doch Kai wusste es besser. Der Schutzwall, den der junge Japaner um sich errichtet hatte, war auch bei diesem Matsumura noch präsent.

Aber im Vergleich zu ihm selbst...

Nichtsdestotrotz tat es irgendwie gut Takao so mit jemandem zu erleben.

Er war noch derselbe im Kern und Kai hoffte, dass es ihm gelingen würde an ihn heran zu kommen. Wie er das bewerkstelligen sollte, war ihm jedoch noch ein Rätsel.
 

Takaos Glieder entkrampften sich erst, als sie auf dem Vorplatz des Reitstalls standen. Mit Akiras Hilfe stieg er steif aus dem Sattel und wäre dabei fast auf den Boden geplumpst, so weich waren seine Knie.

"Ich werde nie wieder auf so ein Vieh steigen", funkelte Takao seinen Freund an, als der die Steigbügel über den Sattel legte, damit sie bei den letzten Schritten in den Stall nicht an den Bauch des Pferdes schlugen.

"Schon gut. Ich hab doch schon gesagt, dass es mir leid tut."
 

Auf dem Weg hinein, kam Takao nicht umhin Kai zu beobachten, der direkt vor ihnen elegant vom Pferd stieg. Erst jetzt fiel dem jungen Japaner auf, dass Ella ebenfalls da war. Brav trabte sie zu Kai, sobald er auf festem Boden stand und ließ sich von ihm über den Kopf streicheln, ehe er sie neben eine Boxentür schickte.

"Was ist eigentlich mit den Vorderläufen von Ihrem Pferd passiert, Hiwatari-sensei?", fragte Akira plötzlich. Er schien Takaos Blick gefolgt zu sein.
 

Jetzt bemerkte auch er die schrecklichen Narben an den Vorderbeinen. Lang und ledrig zog sich die kaputte Haut auf beiden Beinen vom Oberschenkel bis zum Huf herunter. Es sah einfach nur fürchterlich aus und stand im starken Kontrast zu dem ansonsten makellos, schönen Pferd.
 

"Ihre Vorbesitzer nutzen sie zum Vielseitigkeitssport. Der Reiter hat sie im Gelände falsch geritten und ist mit ihr einen Abhang hinunter geschlittert." Während dieser Worte strich Kai der Stute über die Stirn, ehe er die Trense entfernte.

"Das ist ja furchtbar!" Akira war ehrlich geschockt, "Was ist mit dem Reiter passiert?"

Rote Augen blickten in Kohlschwarze: "Nichts. Aber das Pferd wollten sie nicht mehr."

Nachdem Akira seinen Wallach abgezäunt hatte, ging er auf Kais Pferd zu und streichelte es mitfühlend am Kopf:

"Wie sind Sie dann an diese Schönheit hier gekommen?"
 

Takao beobachtete die beiden Männer genau und es war ihm, als könne er die Rädchen in Kais Kopf arbeiten sehen.

Ein Mensch der Tiere mochte, war gut.

Ein Mensch, der Tiere mochte, nervte nicht.

So einem Menschen kann man ruhig mal Zeit widmen.
 

"Ich habe sie dem Metzger abgekauft, in dessen Lagerräumen sich eine alte Dame versteckt hatte, die wir mit der Hunderettungsstaffel gesucht hatten."

"Hn", stieß Akira verblüfft aus, "Auch eine Möglichkeit, aufs Pferd zu kommen. Zumal so eine seltene Rasse."

Takao zuckte erschrocken zusammen, als McGyver die Nase gegen seine Schulter stupste und meckerte: "Akira! Dein Gaul will in die Box und ich nach Hause!"

"Ja, ja, schon gut." Mit einem letzten Lächeln wandte er sich an Kai: "Wie heißt sie eigentlich?"

"Ima. Den vorherigen Namen wollt ich nicht übernehmen."

"Ein sehr guter Name", lächelte er und strich der Stute über die weichen Nüstern.

"Akira", kam es warnend von Takao, worauf er sich seufzend wieder seinem Freund zuwandte und begann McGyver zu striegeln.
 

Schweigend kümmerten sich die Reiter um ihre Tiere, während Takao bockig an einer Boxentür lehnte und auf den Boden starrte. Er versuchte die Staubkörner zu zählen, die sich von der schwarzen Gummimatte, die auf dem grauen Betonboden lag, abhoben. Es war natürlich ein klägliches Unterfangen, doch immer noch besser, als auf Akiras dummen Gaul zu starren oder alternativ zu Kai, der seine Augen anzog, wie ein Magnet.

Er hatte zwar gewusst, dass Kai beim selben Reitstall war wie Akira, aber nie im Leben hatte er vermutet tatsächlich so ein Pech zu haben und ihm zu begegnen. Viel zu viel hatte er davon in Bezug auf diesen Kerl schon gehabt. Nun aber schalt er sich einen Deppen, dass er gerade mit der Erfahrung der Vergangenheit nicht mit so einem Zufall gerechnet hatte.

Statt Kai aus dem Weg zu gehen, war gerade er es, der es darauf anlegte ihm vor die Nase zu laufen. Da konnte er Kais Übung und das Gebäude der Juristischen Fakultät meiden, wie er wollte, wenn er ihm anschließend doch ausgesetzt war.

Fieberhaft suchte er eine Lösung für seine ganze Misere, aber es fiel ihm nichts ein, außer Sapporo wieder zu verlassen. Auch damit hatte Kai schon wieder Recht gehabt, er würde nie zur Ruhe kommen mit dem Wissen, dass der Grund seiner Unruhe in der Nähe frei herumlief.
 

Mit geschmeidigen Bewegungen bürstete Kai das glänzende Fell seiner Stute. Er musste sich ein wenig strecken, um auch ganz oben an den Hals zu gelangen, den das Pferd stolz hochreckte. Dann holte er eine kleine Dose aus dem Putzkasten, der an der Wand auf dem Boden stand, und kniete sich vor die Vorderläufe, wobei sich seine enge Reithose über seine Oberschenkel und seinen Hintern spannte.

"Ganz brav, Ima", flüsterte er und öffnete das Döschen. Die Stute senkte aufmerksam ihren Kopf, als er damit anfing eine gelbe Creme auf den scheußlich vernarbten Beinen zu verteilen. Obwohl ihr das nicht angenehm zu sein schien, ließ das Pferd ihn gewähren.

Als er fertig war, stand er auf und fuhr mit den Fingern über den Hals und die Nase der Stute. Die liebevolle Zärtlichkeit, die Kai dabei walten ließ, brachte Takao zum Schnauben.
 

Erst mit dem selbst verursachten Geräusch wurde ihm jäh bewusst, dass er Kai die ganze Zeit über angestarrt hatte und wandte seinen Blick schnell weg und traf auf schwarze Augen.

"Ist was?", fragte Takao gereizt, doch Akira winkte bloß ab.

"McGyver ist jetzt fertig. Wir können gleich gehen", erklärte sein Freund besänftigend.

Aufatmend nickte Takao und ging schon mal vor zum Auto. Kai, an dem er vorbeigehen musste, ignorierte er geflissentlich.

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Ima bedeutet "Jetzt das Geschenk".

Es sieht so aus, als würde Takao nicht umhin kommen zu begreifen, dass er sich nicht vor der Angelegenheit mit und um Kai drücken kann.
 

Ein großes Dankeschön an alle, die sich bis hierher durchgekämpft haben*umflausch*

So, wie es aussieht, wird es kein Pferdekapitel mehr geben.

Im nächsten Kapitel kommt wieder mehr Leben rein:-)
 

Über Kommentare würde ich mich sehr freuen^^! Es gibt keine bessere Motivation:-)

Vor allem was das Verständnis der Handlung, Absätze und Kommata angeht, brauche ich noch etwas Feedback, weil ich mir da unsicher bin.
 

Bye
 

Minerva

Wake me up

Er stand kurz vor seinem Abschluss. Die Schulzeit lief mit einem Prüfungsmarathon aus. Das letzte Hindernis vor seiner etwaig vielversprechenden Zukunft. Einer Zukunft, von der er nichts wusste.
 

Takao hatte keine Ahnung, was er mit seinem Leben anstellen sollte. Er war fast achtzehn und hatte die letzten zwei Jahre damit verbracht alle seine Pläne umzuwerfen.
 

Ob er gebladet hätte?

Ja, das hatte er. Allerdings nur alleine und nicht mehr bei den World Championchips.

Ob er einen Berufswunsch hätte?

Ja, eigentlich schon, doch der war in weite Ferne gerückt. Arbeit an sich war in weite Ferne gerückt.
 

Es war nicht so als hätte er in den letzten Jahren nichts gearbeitet. Das hatte er. Vorzugsweise als Trainer für die Nachwuchsblader und für die Schule hatte er sowieso fleißig gelernt. Er war sogar richtig gut geworden. Einer der besten in seinem Jahrgang unter dem Chef und ein paar anderen Strebern. Und wenn ihn doch die Freizeit ereilte, die Gedanken zuviel wurden und es einfach nichts zu tun gab, ging er einfach feiern.
 

Das war länger gut gegangen als er es je für möglich gehalten hätte.
 

Irgendwann war der Punkt jedoch erreicht, an dem die völlige Erschöpfung eintrat und sich die Auseinandersetzung mit seiner beruflichen Zukunft nicht mehr aufschieben ließ.
 

Die Müdigkeit zerrte an seinem Nervenkostüm, die vielen Eroberungen befriedigten, stopften nicht dieses Loch in seinem Unterbewusstsein, die einzige Routinequelle - die Schule - war in ein paar Monaten vorbei und jene, die er einst als Freunde bezeichnete, hatten sich von ihm abgewandt.
 

Hiromi hatte es kurz nachdem sie ihm nachts vor seinem Haus aufgelauert war, aufgebenden mit ihm zu reden und begonnen ihn zu ignorieren.
 

Der Chef hatte es ihr wenige Wochen später gleichgetan.
 

Daichi hatte ihn abgehakt, nachdem Takao ihm bei einem Streit bösartige Dinge an den Kopf geworfen hatte.
 

Max und Rei waren sowieso in ihren jeweiligen Geburtsländern und stellten ihre Mails und Anrufe nach unzähligen unbeantworteten Versuchen ein.
 

Er hatte sie alle vergrault und eine Zeit lang war ihm das egal gewesen.
 

Der Zusammenbruch kam plötzlich. Auf einmal konnte er sich nicht mehr dazu aufraffen abends wegzugehen und blieb einfach in seinem Bett liegen. Wach, ruhelos, einsam.
 

Seine Passivität setzte sich auch bei seiner ehrenamtlichen Arbeit als Beybladetrainer im BBA-Trainingscenter der Stadt durch, nur zur Schule schleppte er sich.
 

Doch die zuvor vorgetäuschte Zufriedenheit auf seinem Gesicht verschwand und Melancholie spiegelte sich in seiner Mimik und Körperhaltung wider.
 

Seine Klassenkameraden fanden das seltsam, aber er hatte seinen Ruf schon längst ruiniert und die Ursache wurde in mangelndem Aufreißerglück oder Geschlechtskrankheiten gesucht. Für sie war es nicht allzu neu, dass junge, sehr erfolgreiche Leute in einem gewissen Alter abstürzten. Warum dies so war interessierte sie irgendwann nicht mehr und damit entgingen ihnen auch Verhaltensunterschiede.
 

Der Zug raste ungebremst auf den Abgrund zu und in dem Moment, in dem er die Bremse doch noch reinhaute und das Unglück geradeso verhindern konnte, entrissen unzählige Hände ihm die Möglichkeit sich zu retten und gaben ihm in der entscheidenden Situation den Gnadenstoß.
 

Takao hatte nie darüber gesprochen, was er nachts tat, aber die Gerüchte tauchten schneller auf als ihm lieb war. Er hatte gar nicht erst versucht sie auszuräumen oder klarzustellen. Es wäre vergebene Liebesmüh gewesen und solange seriöse Medien nichts davon berichteten, schadete es ihm bisher auch nicht. Ein großes Glück, wohl aber nicht ganz so viel Zufall.
 

Es hatte auch zu dieser Zeit ein paar Leute gegeben, die ihm halfen, doch das hatte er erst später realisiert.
 

Nie hatte sich Takao schlecht zu den Frauen benommen, mit denen er schlief. Er hatte nie ihre Betrunkenheit ausgenutzt und immer betont, dass es eine einmalige Sache war und bis auf zwei Mal war es stets unkompliziert und einvernehmlich bei einem One-Night-Stand geblieben.
 

Er hatte keine einzige Geschlechtskrankheit, weil bei der Verhütung nie etwas schief gelaufen war.

Er hatte keine fraglichen Sexualpraktiken ausprobiert und der eine Dreier, den er mal gehabt hatte, fiel sicherlich nicht in diese Kategorie.

Drogen hatte er aus Neugierde probiert, aber nie konsumiert.

Er war nie ausfallend geworden oder hatte jemanden verletzt, außer zur Verteidigung, wenn er unfreiwillig in eine Schlägerei geraten war.
 

Er war lediglich eine männliche Schlampe oder - schöner ausgedrückt - ein Macho. Obwohl ihm persönlich die Prahlerei und fordernde Umgangsart fehlte, mit der er das Bild eines Machos verband.
 

Das Ereignis, das ihm zum Rettungsseil aus der Isolation werden sollte, war ein denkbar unglückliches. Die Spontanität dessen war es im Endeffekt wohl gewesen, was ihm zugute gekommen war.
 

Er hatte an seinem Schreibtisch gesessen, als ihn eine junge, panische Stimme aus der Konzentration riss. Sie rief nach ihm. Alarmiert war er aus seinem Zimmer gestürzt und in einen Kendoschüler gelaufen.
 

Takaos Großvater war bei einer besonders gewagten Aktion ausgerutscht und hatte sich den Arm gebrochen. Keine Situation, mit der eine Meute Sechsjähriger umzugehen wusste.
 

Takao hatte die Eltern der Schüler benachrichtigt, dass sie ihre Kinder abholen konnten und war mit seinem Opa, der mehr in seinem Stolz als sonst wie verletzt war, ins Krankenhaus gefahren.
 

Der Knochenbruch stellte sich als kompliziert heraus. Eine Operation ließ sich nicht vermeiden und so saß er mit seinem Opa im Krankenzimmer und wartete geduldig darauf, dass sie ihn abholten.
 

"Ich weiß nicht, was ich tun soll", durchbrach Opa die drückende Stille im Raum.

Er saß im Krankenbett, der rechte Arm mit einer Schlinge um den Hals herum fixiert und trübe vor sich hinstarrend.
 

Takao saß in einem Plastikstuhl daneben.

"Das ist ein Routineeingriff. In ein paar Wochen bist du wieder fit."
 

Opa wandte ihm den Blick zu. Auf einmal lag etwas altes, mürbes in den sonst so entschlossen funkelnden Augen.

"Ich muss doch unterrichten! Ich kann den Dojo doch nicht schließen und Hiro ist ja in Indonesien."
 

"Ich kann doch unterrichten", erklärte Takao spontan und meinte es auch absolut ehrlich.
 

"Du hast doch seit über einem Jahr kein Kendo mehr gemacht", entgegnete Opa vorwurfsvoll.
 

Takao lächelte ihn beherrscht an. Das hatte er in den letzten zwei Jahren gelernt: Emotionen vortäuschen und vor allem verhüllen.

"Ich brauche mich bloß einzuüben und um den Schülern das wichtigste einzuschärfen reicht es allemal." Davon war er auch überzeugt.
 

"Deine Prüfungen-"
 

"Leiden nicht darunter", unterbrach er seinen Großvater, "Mir wird der Ausgleich sowieso gut tun."
 

Sein Opa schwieg daraufhin und betrachtete ihn stattdessen eingehend. Seine Augen waren ein wenig trüb geworden und tiefere Falten zerfurchten das leicht gebräunte Gesicht.
 

Wie auf einen Schlag erfasste Takao die Erkenntnis, dass sein Opa alt geworden war und sein Magen zog sich erschrocken zusammen.
 

Die jugendliche Art und sein Aktionismus hatten Takao immer die Tatsache ignorieren lassen, dass er mit seinen Mitte 70 tatsächlich ein alter Mann war und nicht mehr uneingeschränkt alles einfach ging. Auch sein Opa war endlich. Endlicher als er und er würde irgendwann seinen Tod erleben müssen.
 

Vielleicht albern, aber bis zu diesem Augenblick hatte er nie darüber nachgedacht und gefühlt angenommen, dass sein Großvater immer da sein würde.

Anders konnte Takao es sich gar nicht vorstellen.

Es war erschreckend. Beklemmend. Einfach nur unfassbar.
 

Takaos Mimik schien zu bröckeln und wahre Emotionen in seine Augen zu dringen, denn Opa zog sorgenvoll seine Augenbrauen zusammen.
 

"Ich habe schon oft versucht mit dir darüber zu sprechen, aber du hast mich bisher immer abgeblockt", begann Opa in ruhigem Ton, haderte dann jedoch und ungewohnte Nervosität schlich in seine Augen.
 

In diesem Moment fiel die Mauer, die Takao sich errichtet hatte und er folgte seinen Gefühlen - wie früher.
 

Er griff nach der runzligen Hand seines Großvaters und drückte sie sanft. Eine stumme Aufforderung. Ein Versprechen. Dieses Mal würde er nicht auf stur schalten.
 

Opa sah ihm direkt in die Augen und etwas Entschlossenes trat in sie.

"Du bist kein Einzelgänger, Takao. Trotzdem hast du dich völlig zurückgezogen und anfangs dachte ich, es ist eine Phase, aber es wird nicht besser. Dir geht es nicht gut und ich mache mir Sorgen, weil du zu niemandem gehst und mit ihm redest."
 

Von allem, was sein Großvater ihm hätte vorwerfen können, war das das geringste Übel.
 

Verschämt senkte Takao den Blick.

"Es tut mir leid, dass ich so unfreundlich zu dir war und ständig abgehauen bin."
 

Opa erwiderte den Händedruck und strich mit dem Daumen über seinen Handrücken. Takao sah wieder auf.

"Junge, ich wünsche mir nur, dass es dir gut geht und unser Haus wieder voll ist mit deinen Freunden."
 

Freunde. Das Wort versetzte ihm einen Stich. Scham kroch in seine Wangen.
 

"Du solltest mit deinen Leuten reden, klar Schiff machen und dich an Mr. D wenden, wenn du bei der BBA später arbeiten möchtest", bekräftigte Opa mit aufflammender Zuversicht.
 

"Ich weiß nicht, ob ich dazu noch das Recht habe. Zu beidem. Außerdem bin ich mir nicht mehr sicher, was ich mal will."
 

"Das wirst du schon herausfinden, wichtig ist jetzt erstmal der Versuch." Opa tätschelte ihm die Hand und lächelte ihn aufmunternd an.
 

Dankbarkeit durchflutete Takao und er stand kurzentschlossen auf, um seinen Opa vorsichtig, ob des gebrochenen Arms, zu umarmen. Dieser gluckste froh, offensichtlich der Meinung, dass sich nun alles zum besseren wandte.
 

Und vielleicht... Vielleicht konnten ihm seine Freunde ja tatsächlich verzeihen wie es sein Opa gerade getan hatte.
 

***
 

Takao lächelte freundlich, als ihm die unentwegt redende Frau mit den spitzbübisch kurzen, schwarzen Haaren seine Teetasse überreichte.

Belustigt bemerkte er aus dem Augenwinkel wie Akira es ihm mit einem leicht gequälten Ausdruck in den Augen gleichtat.
 

Sie waren bei Hana zu Hause. In der geräumigen Dreizimmerwohnung, in der sie mit ihrer großen Schwester Reika lebte und welche sie nun mit Tee und Keksen versorgte, dabei ohne Unterlass von allem möglichen erzählend.
 

Takao wunderte sich, dass sie überhaupt Luft bekam, so schnell sprach sie. Aber obwohl Reikas Art recht anstrengend war, konnte man nicht umhin sie irgendwie zu mögen. Sie besaß eine sehr feminine Ausstrahlung, war zierlich gebaut und ihre großen verwaschen-grünen Augen strahlten freundlich.
 

Dagegen wirkte Hana fast burschikos, deren Figur eher einer Sportlerin glich und ihr Auftreten war mehr dominant als feminin. Trotz allem, wenn Takao sich entscheiden müsste, zöge er Hana auf jeden Fall vor. Er mochte durchsetzungsfähige Frauen, die nicht nur mit einem sinnlichen Wimpernschlag zu überzeugen versuchten. Frauen, wie er sie aus dem Leistungssport her kannte.
 

Obwohl sie sehr unterschiedlich waren, vermittelten die Schwestern einen verhältnismäßig harmonischen Eindruck. Es war amüsant ihren Gesprächen zu lauschen.
 

"Takao? Wann feierst du eigentlich deinen Geburtstag mit uns nach?", wandte sich plötzlich Akira an ihn, was Hana abrupt in ihrem Redeschwall innehalten ließ. Auch Reika sah ihn neugierig an.
 

"Ähm", begann er leicht verlegen und kratzte sich an der Wange, "Geplant hatte ich jetzt eigentlich nichts."
 

"Was?" Entgeistert riss Akira seine schwarzen Augen auf.
 

Auch Hana verschränkte entrüstet die Arme vor der Brust: "Das kannst du doch nicht machen!"
 

"Wann hattest du denn Geburtstag, Takao-kun?", richtete Reika sich mit ihrer melodischen Stimme an ihn, was Takao eine willkommene Ablenkung von den bösen Blicken seiner Freunde war.
 

"Am 9. April", lächelte er die hübsche Frau dankbar an.
 

Bei ihren nächsten Worten verrauchte seine Dankbarkeit allerdings im Nu.

"Ach, das ist erst eine Woche her, da kann man noch nachfeiern."
 

"Allerdings", nickte Akira.
 

"Finde ich auch", pflichtete Hana ihrer Schwester bei, "Schließlich warst du an deinem Geburtstag in Tokio und wir konnten nur erahnen, wie du dort gefeiert hast."
 

"Ich habe nur ein paar Freunde getroffen. Bei mir zu Hause. Im Dojo. Da gab es nur Essen und Trinken", versuchte sich Takao herauszureden.
 

"Ich will auch etwas zu Essen und zu Trinken", meinte Akira empört, was ihm einen mahnenden Blick von Hana und ein Kichern von Reika einbrachte. Selbst Takaos Mundwinkel zuckten belustigt bei Akiras schmollendem Gesicht.
 

"Warum möchtest du denn nicht noch einmal feiern gehen, Takao-kun?" Reika sah ihn mit ihren großen Augen fragend an.
 

Takao atmete tief durch, ehe er sich geschlagen gab.

"Na gut, wir gehen ein wenig feiern."
 

Er hob die Hand, als Akira und Hana sich triumphierend einen High-Five gaben.

"Es wird aber nur was ganz Kleines sein. Was essen und dann Kino oder so."
 

"Aww, kein Club?", jammerte Hana mit flehenden Augen. Das konnte sie echt gut, wenn sie wollte.
 

"Kein Club."
 

"Kino ist cool, Mann. Den neuen Tarantino wollten wir uns sowieso noch zusammen ansehen", grinste Akira und schlug Takao freundschaftlich auf die Schulter.
 

"Oh nein, muss das sein? Die sind immer so blutig." Hana zog ihre Mundwinkel nach unten.
 

"Ach was, du kannst dich ja an mich kuscheln, wenn es dir unheimlich wird." Akira warf Hana einen schmutzigen Blick zu.
 

"Als ob. Das hättest du wohl gerne", schnaubte sie, doch Takao sah den leichten Rotschimmer auf ihren hellen Wangen.

Wenn sich da mal nichts ergab...
 

Ein Klingeln ließ Reika hochfahren: "Ah, ich habe ja völlig vergessen, dass Sora noch mit einer Freundin vorbeischauen wollte! Ich hoffe, es macht euch nichts aus?"
 

"Nein, nein", winkten Takao und Akira synchron ab, während Hana ihrer Schwester einen irritierten Blick zuwarf.
 

"Wird es nicht ein wenig voll? Und was für eine Freundin bringt Sora mit?" Neugierig folgte sie Reika zur Tür und ließ die Jungs eine Weile alleine.
 

"Boah, ich hoffe, die beiden Mädels reden nicht auch so viel. Ich komm ja jetzt schon fast nicht mit", stöhnte Akira und streckte seine Beine aus, ehe er sich wieder korrekt hinkniete.
 

Takao schob sich indessen ein paar Schokoladenkekse in den Mund.

"Ich glaube nicht, dass das noch möglich ist."
 

Als sie sich ansahen, breitete sich ein fettes Grinsen auf ihren Zügen aus und mehr Kekse wurden verschlungen. Wenn man zu so einem Besuch schon "überredet" wurde, dann musste man auch das Beste daraus machen und das hieß essen.
 

Keinen Augenblick später öffnete sich die Türe und die Schwestern traten fröhlich mit zwei weiteren Frauen ungefähr in Reikas Alter herein.

"Darf ich euch Takao und Akira vorstellen? Das sind Sora und Kassandra."
 

Die Jungs standen höflich auf und verbeugten sich zur Begrüßung, während ihnen ein simultanes "Hallo" entgegenschlug.
 

"Sora studiert noch mit mir und Kassandra ist bereits letzten Sommer fertig geworden und arbeitet nun in Kyoto", meinte Reika lächelnd, während Hana Gläser und Säfte für den Zuwachs aus der Küche holte.
 

"Kyoto? Bist du denn ursprünglich von dort oder warum bist du so weit runter?", wollte Akira neugierig wissen.
 

Kassandra nahm das gereichte Glas Orangensaft dankend an, ehe sie ihre königsblauen Augen auf Akira richtete.
 

"Nein, ursprünglich komme ich aus Tokio, aber meine Eltern leben nicht mehr in Japan. Deswegen bin ich dem besten Angebot nach dem Studium gefolgt. Wichtig war für mich nur, dass ich in wärmere Gefilde ziehen kann", erklärte sie bereitwillig.
 

"Ach so? Und wo leben deine Eltern dann? Du siehst auch nicht ganz japanisch aus", spielte Akira auf Kassandras europäisches Aussehen an und kassierte dafür sogleich eine Kopfnuss von Hana, was alle zum Lachen brachte.
 

"Sei doch nicht so unhöflich!", knurrte Hana und ignorierte Akiras Gejammer geflissentlich.
 

"Das ist schon in Ordnung", wiegelte Kassandra ab und wandte sich wieder an ihn, "Meine Eltern sind aus Belgien und haben 17 Jahre in Tokio in der Deutschen Schule als Lehrer gearbeitet, wollten aber ihren Ruhestand in der alten Heimat genießen. Ich bin also hier seit der 1. Klasse und fühle mich auch eher als Japanerin."
 

"Glücklicherweise und endlich besucht sie auch mal wieder ihre beste Freundin", lachte Sora und umarmte Kassandra freundschaftlich.
 

"Du weißt wie stressig es ist und ich bin schließlich gleich gekommen, kaum, dass ich Urlaub bekommen habe", rechtfertigte sich Kassandra, wofür sie ein Augenrollen erntete.
 

"Seit wann bist du in Sapporo?", hakte sich Reika ein.
 

"Ich bin erst heute Vormittag gelandet", lächelte sie.
 

Takao beobachtete die Frauen neugierig, während Akira sie geradezu musterte und dies beim Trinken verstecken wollte.
 

Sora war sicherlich eine typische Jurastudentin, elegant gekleidet und mit einer modernen Nerdbrille auf der Nase, während Kassandra mit ihren halblangen, wuscheligen Haaren und ihren bequemen Schlabberklamotten eine angenehme Natürlichkeit und Gelassenheit ausstrahlte. Sie fiel damit etwas aus dem Rahmen und passte nicht so recht in das Bild einer erfolgreichen Jungjuristin.
 

Takao fand das sympathisch.
 

***
 

Es war bereits spät Abends und die beiden Männer waren froh, dass es genug Leckereien zu naschen gab, ansonsten wären sie wohl geflohen.
 

Zwei Frauen am Tisch waren schon anstrengend und schwer in ihrem Redefluss zu stoppen.

Aber bei vier Frauen?

Unmöglich.

Man brauchte nicht zu glauben, dass man da auch nur seine eigenen Gedanken hören konnte.
 

Diese typischen Frauengespräche interessierten Takao und Akira herzlich wenig und die meiste Zeit schwiegen sie oder plauderten kurz miteinander.
 

Ein ungläubiges Aufkreischen von Sora ließ Beide zusammenzucken.

"Das ist doch nicht dein ernst!!?"
 

"Doch, natürlich. Ich habe mir den Schlüssel nicht umsonst heimlich nachmachen lassen", erwiderte Kassandra unbekümmert und zuckte mit den Schultern.
 

"Das endet doch nur wieder im Chaos", murrte Sora mit verschränkten Armen und mahnendem Blick.
 

"Nein, tut es nicht. Wir sind schließlich nicht mehr zusammen."
 

Sora schnaubte.

"Ja ja, das kenne ich schon. Zwei Jahre lang ist das hin und her gegangen. Ihr seid beide verrückt!"
 

"Oh, danke! Wie lieb von dir!", Kassandra rollte mit den Augen, "Und nein, wir waren vorher nie getrennt, wir haben nur ständig gestritten wie die Metzgerhunde."
 

Sauer und verständnislos schüttelte Sora den Kopf, als sich Reika einmischte.

"Sprecht ihr von deinem Ex-Freund?"
 

"Richtig", erklärte Kassandra bereitwillig.
 

"Na, warten wir mal ab", motzte Sora nuschelnd und versuchte ihre Freundin mit ihrem Blick zu erdolchen, doch die ließ das vollkommen kalt.
 

"Ach, bist du dann diejenige, die mit Hiwatari-san zusammen war?"
 

Ein Nicken, das die ganze Situation für Takao veränderte und Hana aufquietschen ließ.
 

"Hiwatari ist unser Sensei!"
 

"Ja, ich hab gehört, dass er zu einer Übung verdonnert wurde", grinste Kassandra verschmitzt.
 

"Telefoniert ihr auch oder was?", moserte Sora, woraufhin sie einen freundschaftlichen Klaps kassierte.
 

"Hör schon auf dauernd zu lästern, da wird nix mehr sein. Und ja, ich habe ihn Anfang des Jahres angerufen. Wie sollte es auch anders gewesen sein, er ist ja unfähig sich zu rühren."
 

"Tch", machte Sora.
 

"Und ihr seid im Guten auseinander gegangen?", fragte Hana neugierig.
 

"Sag nichts, Kassandra. Hana ist ganz vernarrt in ihn", warnte Akira genervt und bekam dafür die nächste Kopfnuss verpasst.
 

Kassandra lachte vergnügt.

"Ja, wir sind im Guten auseinander. Die Beziehung hat nicht funktioniert und die Tatsache, dass ich nach dem Abschluss wegziehen und er überraschend die Stelle am Lehrstuhl angeboten bekam, hat sie schließlich auch beendet. Das war völlig in Ordnung für uns."
 

Hana und Reika blickten etwas verdattert drein, bevor Akira aussprach, was sie dachten.

"Warum ward ihr dann zwei Jahre zusammen, wenn es absolut nicht hingehauen hat?"
 

Kassandra zuckte mit den Schultern.

"Ich hab mich verknallt und wollte ihn haben."
 

"So einfach?", hakte Hana ungläubig nach, die Stirn gerunzelt.
 

"Es war alles andere als einfach. Es war ein ganzer 24/7-Job und hat ein halbes Jahr gedauert, bis ihm der Kragen geplatzt ist und er mich zur Rede gestellt hat." Sie lächelte verschmitzt.
 

"Bitte fragt sie nicht weiter aus. Die Sache hat so schon genug genervt", meckerte Sora missliebig.
 

"War er denn nicht gut", flüsterte Reika Sora zu, doch es war laut genug für alle.
 

"Er ist der anstrengendste Mensch, der mir je begegnet ist, aber wir haben viel voneinander gelernt", Kassandra klatschte einmal in die Hände, "So und nun wirklich Themenwechsel."
 

Reika und Hana fügten sich notgedrungen, während Sora aufatmete und über die Dinge zu sprechen begann, die sie in der kommenden Woche erledigen musste.
 

Takao versuchte sich nichts anmerken zu lassen und aß stoisch weiter Chips, obgleich sie sich in seinem Mund staubig und trocken anfühlten und er kaum schlucken konnte.
 

Diese Frau - so hübsch und sympathisch - war mit Kai zusammen gewesen. Zwei Jahre! Sie hatte Zeit mit ihm verbracht, ihn angefasst, mit ihm geschlafen und es machte ihn krank.

Vor Wut, weil Kai mit so einem fröhlichen, netten Mädchen eine Beziehung hatte, statt zu leiden, oder vor Eifersucht, weil sie es war, die Kai hatte festhalten können - Takao wusste es nicht.
 

Auf jeden Fall waren Kassandras Anblick und Stimme nun unerträglich für ihn und er brauchte all seine Kraft noch einige Minuten zu warten, bevor er ging.
 

Hana und Akira begleiteten ihn noch zur Tür, was Takao etwas irritierte.

"Du bleibst noch, Akira?"
 

"Hey! Warum klingt das so ungläubig? Wir fressen ihn schon nicht!", empörte sich Hana scherzend.
 

Akira zuckte bloß mit den Schultern und setzte ein schiefes Lächeln auf.

"Ich finde es sozialwissenschaftlich sehr spannend. Frauen, in ihrer natürlichen Umgebung." Er wackelte spitzbübisch mit den Augenbrauen.
 

"Okay", grinste Takao und verabschiedete sich mit einer Umarmung von seinen Freunden.
 

Als er allein im Treppenhaus stand, atmete er erstmal tief durch.
 

Das war echt mieses Karma. Da suchte er sich im nördlichen Eck Japans eine Uni und traf einen verschollenen Ex-Teamkameraden, der zu allem Überfluss seine Übung hielt.

Der ihn besoffen küsste, ihn pflegte und so ansah. Diese verfluchten roten Augen!

Und nun hatte er beim ersten Besuch bei Reika dessen charmante Ex-Freundin kennenlernen dürfen.
 

Es war zum Kotzen.
 

Wenn er zuvor dachte, sein Leben sei ein Irrenhaus, so wurde er eines besseren belehrt. Und eigentlich hätte er wissen müssen, dass er nicht so einfach vor der heutigen Situation fliehen können würde.
 

Kaum hatte er den nächsten Treppenabsatz erreicht, öffnete sich hinter ihm eine Tür.

Er ignorierte es.
 

Schnelle Schritte auf Frauenschuhen klackerten durchs Treppenhaus.

Warum beachten?
 

"Takao-kun?"
 

Verdammte Scheiße.
 

Kassandra holte ihn ein und lächelte ihn freundlich an, das pure Temperament flackerte in ihren Augen. Doch der wahre Alptraum begann mit ihren nächsten Worten.

"Ich weiß, dass ich nicht die Person deiner Wahl bin und du mich nicht sehen willst, aber ich möchte mit dir reden."
 

Takao war so baff, dass er sich sicher war einen Moment mit offenem Mund dazustehen, völlig erstarrt.
 

Kassandra ließ ihm nicht die Zeit sich zu fangen, sondern hakte sich forsch bei ihm ein und zog ihn sanft die letzten Treppen hinunter und auf die Straße.
 

Alle wirren Gedanken und chaotischen Gefühle wurden mit dem Hammer niedergeknüppelt, als sie die ersten Schritte aus der Türe traten und die kalte Nachtluft ihn aus seinem tranceartigen Zustand holte.
 

"Was soll das?", unwirsch löste Takao die Hand um seinem Oberarm, bevor er sich zusammenriss, "Ich möchte nicht unhöflich sein, aber ich muss wirklich nach Hause."
 

Kassandra blickte ihm direkt in die Augen und Takao verfluchte sie für ihren perfekten Welpenblick.

"In welche Richtung musst du denn?"
 

Schmollen und schweigen oder souverän und erwachsen?

Er entschied sich für die zweite Variante.
 

Ein großer Fehler.
 

Missmutig deutete er in eine Richtung, woraufhin sich ihre Gesichtszüge aufhellten.

"Klasse, ich auch! Dann können wir ein Stück zusammen gehen."
 

Takao gab sich redliche Mühe seine anhängliche Begleitung zu ignorieren, doch das wollte einfach nicht recht klappen. Diese Frau kennenzulernen hatte ihm zu seinem Kai-Alptraum noch gefehlt.
 

Er konnte sie nicht verteufeln oder gar nur hässlich finden. Sie war interessant und attraktiv. Und scheinbar auch sehr stur.
 

"Ich freu mich, dich kennengelernt zu haben, Takao-kun", beendete sie selbstbewusst die Stille mit Worten, die Takao nicht gegensätzlicher empfinden konnte.

"Jetzt kann ich meiner Nichte wenigstens erzählen, dass ich mit dem erfolgreichsten Beyblader aller Zeiten unterwegs war." Ein schelmisches Grinsen bildete sich auf ihren geschwungenen Lippen.
 

"Interessierst du dich für Beyblade?", erwiderte Takao höflich. Sie hatte ihn etwas aus der Reserve gelockt und er wusste es, aber...
 

Kassandra summte und fasste sich an den Hals, wo sie eine Kette aus ihren Klamotten hervorzupfte und hielt ihm einen runden Silberanhänger hin.

Darauf war ein rotgoldener Fuchs mit mehreren Schwänzen abgebildet. Ein Bit-Beast.
 

Baff und neugierig wie er von Natur aus war, fasste er nach dem Anhänger und betrachtete ihn genauer.

"Wow, also beladest du auch?"
 

"Nein", seufzte Kassandra,"Kitsoon ist ein Erbstück und ich habe auch mal ein wenig mit ihm gebladet, aber ich bin eher jemand, der Sport als Ausgleich und nicht zielorientiert und aus purer Leidenschaft betreibt."
 

"Verstehe. Und deine Nichte?"
 

Kassandra lächelte ihn an: "Die ist in einem Verein und ziemlich gut. Aber sie ist erst acht und muss noch eine Weile warten, bis sie an nationalen Turnieren teilnehmen darf. Ich dachte mir, ich schenke ihr Kitsoon, wenn sie soweit ist."
 

"Das ist eine gute Idee. Ohne Bit-Beast ist es fast unmöglich bis an die Spitze zu kommen."
 

Kassandra schnalzte mit der Zunge.

"Ich habe gehört, dass du Nachwuchssportler trainierst."
 

"Als ich meine Ausbildung in der BBA-Zentrale in Tokio gemacht habe, konnte ich nicht widerstehen und habe mich manchmal eingemischt, aber meine eigentliche Aufgabe war es nicht. Vielleicht später. Jetzt studiere ich erst einmal."
 

"Betriebswirtschaft."
 

"Nein, Rechtswissenschaften."
 

"Oh", machte Kassandra und blieb stehen. Mit großen Augen blickte sie ihn an, sodass Takao ein wenig irritiert zurückschaute.
 

"Was denn?", hakte er schließlich nach, als sie nicht aufhörte ihn anzustarren.
 

Sie schüttelte den Kopf und erklärte dann:

"Jetzt ergeben Kais kryptische Aussagen einen Sinn, als ich ihn zu seiner ersten Übungsstunde befragt habe; du bist in seiner Übung gesessen!"
 

Unverzüglich spannte sich Takaos Körperhaltung an und das ein wenig gelüpfte Rollo fiel herunter. Der Fluchtmechanismus setzte wieder ein.
 

Kassandra merkte es und sprach schnell weiter.

"Ich weiß nicht wirklich, was da zwischen euch damals passiert ist, aber ich weiß, dass es eine schwierige Situation ist-"
 

"Schwierig?", unterbrach Takao sie, Wut begann in ihm hoch zu brodeln, "Schwierig ist ja wohl eine Untertreibung!"
 

"Dann eben katastrophal", schoss Kassandra plötzlich zurück und die Schärfe in ihrer Stimme, überraschte Takao lange genug, um ihr Gelegenheit zum Sprechen zu geben.
 

"Als ich Kai kennengelernt habe, war er ein absoluter Bastard und - Himmel! - er ist immer noch einer. Ich meine, er ist unfähig einen Telefonhörer in die Hand zu nehmen und wenn man ihn dann schon selbst anruft, dann kriegt er den Mund nicht auf. Es kommt einem so vor, als wäre ihm völlig egal, ob man lebt oder tot ist."
 

Takao starrte sie an, unfähig zu gehen, denn ihre Augen hielten ihn gefangen und unterschwellig wollte er hören, was sie zu sagen hatte. Er hätte nicht erwartet, dass sie so über Kai sprechen würde, nachdem wie zufrieden sie mit dem Verhältnis zu ihrem Ex geklungen hatte.
 

"Aber weißt du, was ich herausgefunden habe, nachdem ich fast zwei Jahre mit ihm über sein Verhalten gestritten habe? Ich habe herausgefunden, dass er der unsicherste Mensch ist, den ich je getroffen habe und er gar nicht anders kann."
 

Als er das hörte, setzte eine Übersprungsreaktion ein und Takao begann schallend zu lachen.

Es war ein freudloses, zynisches Lachen.
 

Er musste sich den Bauch halten und krümmte sich.

"Das ist das Lächerlichste, was ich je gehörte habe", japste er glucksend und lachte weiter.
 

Kassandra stand vor ihm auf der von Laternen beleuchteten Straße und beobachte ungerührt Takaos Ausbruch. Die wenigen Fußgänger, die an ihnen vorbeischlenderten, sahen sie verständnislos an.
 

Sie wartete bis er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte und nach Luft schnappte.
 

"Ist es das wirklich?", wollte sie ruhig wissen, "Kommt es dir so unglaubwürdig vor?"
 

Takao nickte und sah sie mit vor Lachtränen glänzenden und unglücklichen Augen an.

"Ich wusste damals, dass Kai kompliziert ist und es ihm schwer fällt Freundschaft zuzulassen, dennoch hätte ich nie erwartet, dass er einfach verschwindet und sieben Jahre nichts von sich hören lässt. Ohne diesen unglückseligen Zufall wüsste ich bis heute nicht, dass er noch lebt. Es war ihm scheißegal, was aus seinen Freunden geworden ist. Er ist ein treuloses Arschloch."
 

"Und warum ist er das?", verlangte Kassandra zu wissen, was Takao sich wieder gerade aufrichten ließ.
 

Diese Frage machte ihn wütend. Sie war irritierend und ziemlich impertinent.

Was interessierte es ihn schon, warum Kai so ein Arschloch war, redete er sich ein.

Nichts konnte dieses Verhalten entschuldigen. Entschuldigen, was er ihm damit angetan hatte. Er hätte damals fast seine Freunde verloren, so sehr war Takao von seinem Weg abgekommen. Es könnte nichts geben, was ihn besänftigen würde.
 

"Das spielt keine Rolle. Es ändert nichts", presste Takao aus zusammengebissenen Zähnen hervor.
 

Kassandras Augen nahmen einen sanften Schimmer an.

"Es ändert nichts an der Vergangenheit, nein. Aber vielleicht ändert es etwas an der Zukunft."
 

Takao schnaubte.

"Ach ja? Dann lass mal hören!"
 

"Weißt du, es hat sehr lange gedauert, bis ich Kai soweit hatte, dass er mich nicht mehr ignoriert hat. Fachlich konnten wir wunderbar streiten und es hat ewig gedauert, bis ich den Eindruck hatte, dass er mich als Freundin akzeptiert. Nochmal solange hat es dann gedauert, ihn um den Finger zu wickeln und es wäre mir fast nicht gelungen. Er ist so schrecklich stur und misstrauisch. Ich war, bis ich Sapporo verlassen habe, die einzige Person, die Kai als Freundin bezeichnen konnte. Alle anderen Menschen hat er sich gekonnt vom Leib gehalten. Ich weiß, dass er mich nie geliebt hat, aber ich weiß auch, dass er sich sehr freut, wenn ich ihn anrufe, obwohl er muffig ist und kaum was sagt. Ich weiß, dass er mein unangemeldet bei ihm abgeliefertes Gepäck in sein Schlafzimmer gebracht hat und sich selbst die Couch zum Schlafen herrichtet und jetzt wartet, dass ich komme. Ich weiß, dass er mir die Tür öffnen, mich böse ansehen und dann ignorieren wird bis ich mir Hausklamotten angezogen habe. Dann wird er in der Küche stehen, etwas kochen und sich über meinen plötzlichen Besuch beschweren und sich solange darüber auslassen, wie viel er zu tun hat und er keine Zeit für mich aufbringen kann, bis ihm sämtliche Argumente ausgehen, warum er mich nicht haben will. Und wenn das erst überstanden ist und ich immer noch dasitze und diesmal nicht mit ihm streite, wird sich ein vernünftiges Gespräch ergeben. Erst dann."
 

Kassandra machte eine Pause und beobachtete Takaos Reaktion.
 

Der schwieg und sah neben ihrem Kopf vorbei ins Leere.

All das, das ganze Szenario..., all das war Kai.
 

"Ich habe erkannt, dass Kai so eine große Angst vor anderen Menschen hat, dass er selbst diejenigen, die ihre Freundschaft zu ihm eigentlich längst bewiesen haben, ständig auf die Probe stellt. Es ist ihm schleierhaft, dass man ihn ehrlich mögen könnte. Den einzigen Geschöpfen, denen er das glaubt sind Tiere, denn keines von ihnen hat ihn je verraten. Das Einzige, an das er sich klammert und über das er sein ganzes Selbstbewusstsein definiert, ist der Sport und neuerdings sein rechtliches Fachwissen."
 

Konnte das wirklich sein?

Und wenn schon, das würde nichts ändern.

Und? Dann hatte Kai ein Vertrauensproblem mit anderen Menschen. Er selbst war ja auch ein verräterisches Mistschwein - war abgehauen, als es kompliziert wurde.
 

"Ich weiß, dass Kai, nachdem eure Freundschaft erschüttert wurde, eine so große Panik bekommen hatte, dass er nicht anders konnte als zu fliehen. Und obwohl er es später bereut hatte und eingesehen hatte, dass diese Angst nicht seine Größte ist, war er nicht in der Lage eine Möglichkeit zu finden sich bei dir zu entschuldigen, da bereits sechs Jahre vergangen waren."
 

Takao holte tief Luft.
 

"Er war noch nie der Schnellste", flüsterte er, was Kassandra ein kleines Lächeln entlockte.

"Du sagst, es war nicht seine größte Angst?" Takao fühlte sich auf einmal so kraftlos und ausgelaugt. Seine Gedanken rasten, wusste er doch, dass er sich insgeheim eine Erklärung wünschte, die ihm möglich machte Kai zu vergeben. Andererseits wollte er nichts davon wissen.
 

"Er hat begriffen, dass er mit seinem Verhalten dich und denjenigen Menschen, die ihm am meisten bedeuteten, einen größeren Schaden zugefügt hatte als sich selbst und er euch mit seinem Verschwinden alles andere als einen Gefallen getan hatte. Nämlich das hatte er vorher geglaubt. Dass es besser gewesen war zu verschwinden, denn die Freundschaft hatte er seiner Ansicht nach ja zerstört."
 

Takaos Ohren pfiffen ganz laut und er hatte kurz den Eindruck, er höre nichts mehr. Kassandras Worte stressten ihn, machten ihn fertig. Er war auf einmal völlig durcheinander.
 

Nur eine Frage...

"Und wie kam er auf die Idee?"
 

"Ich habe ihm zig tausendmal erklärt, dass man gute Freunde nicht so einfach vergraulen kann und auch schwierige Situationen mit ihnen lösbar sind. Natürlich nicht eins zu eins so, aber von der Kernaussage her schon so ungefähr", lächelte Kassandra sanftmütig.
 

Takao fasste sich an seine pochende Schläfe. Er wusste nicht.... Er wusste einfach nicht...

Er atmete tief durch.
 

Und jetzt?
 

"Er hat sich bei mir entschuldigt, gesagt, dass er feige war. Aber das ändert nichts. Das macht es nicht besser. Es erklärt rein gar nichts. Er war schon immer egoistisch...", murmelte er stoisch vor sich hin, versuchte sich an diesen Worten festzukrallen, sie einzuverleiben, sie zu glauben.
 

Kassandra fasste ihn an der Schulter, was ihn hochschrecken und in ihre gutmütigen Augen blicken ließ.

"Rede mit ihm. Klärt ein für alle mal, was da passiert ist und vor allem was danach passiert ist. Schlimmer wird es die Situation kaum machen und egal was dabei rauskommt, es gibt dann kein quälendes 'was wäre, wenn' mehr."
 

Takao sah sie an und wusste, dass sie recht hatte. Diese fürchterliche Frau. Sein Alptraum.
 

Er musste nun nachdenken.
 

***
 

Es gibt keine Worte, die entschuldigen, dass ich so lange gebraucht habe, um das Kapitel fertig zu stellen.

Ich kann nur betonen, dass es einfach nicht schneller ging. Ich habe daran gearbeitet, doch mir wollte Kassandras Auftauchen nicht gelingen. Seit Herbst 2012 habe ich versucht daran zu schreiben, aber kein Satz war gut genug. Im Laufe von 2013 habe ich es oft versucht, doch es kam nichts dabei raus. Erst ungefähr im November/Dezember hat es Satz für Satz geklappt und kurz vor Weihnachten gelang es mir Kassandra zu schreiben und auch das Gespräch zwischen ihr und Takao. Die Vergangenheitsszene vom Anfang habe ich nach Weihnachten geschrieben und nun ist es endlich fertig.

Ursprünglich hätte Takao Kassandra auf Reikas Geburtstagsparty kennenlernen sollen, doch das verwarf ich.

Dann sollten sie in einem Café landen und Kassandra viel mehr über sich und Kai erzählen, Takao auch mehr darauf eingehen, aber letztlich sind sie doch nur auf der Straße geblieben.

Es war schwer.

Endlich ist es geschrieben.

Ideen habe ich für das nächste Kapitel und natürlich will ich schneller daran schreiben. Erzwingen kann ich ein höheres Tempo nicht.

Ich hoffe, es gibt noch ein paar Leute, die diese Geschichte mögen.
 

Liebe Grüße und ein gutes Jahr 2014!
 

Bye
 

Minerva



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Kommentare zu dieser Fanfic (45)
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Von:  Kinare
2022-02-01T20:45:52+00:00 01.02.2022 21:45
wow ich muss sagen super ff. ich war so gefesselt das ich erst alles durchlesen musste um dann ein kommi zu schreiben.
Ich muss sagen die beiden habens nicht leicht. Total überfordert und dann tief gefallen........ja das kenn ich nur zu gut^^
dennoch stur sind sie und das hast du wundervoll rübergebracht *daumen hoch* auch ihre quahl ist nicht zu übersehen....was mich echt hoffen lässt das sie zusammen einen Weg finden das zu beenden und sich wieder zu fangen.
hoffe du schreibst bald mal weiter^^
Lg Kinare
Von:  jasuminu
2016-06-25T11:48:04+00:00 25.06.2016 13:48
Hey mir gefällt diese ff sehr und hoffe das du sie noch zu ende schreibst...wäre sonst echt schade :( ich liebe dieses pairing *.*
Antwort von:  Minerva_Noctua
26.06.2016 06:59
Hi!

Vielen Dank für deinen Kommentar!
Es freut mich, dass ich nach so langer Zeit doch noch einen Kommi kriege:)
Ja, ich werde weiterschreiben. Allerdings dauert es noch.
Dank der FF "Die Geister die wir riefen" bin ich selbst wieder inspiriert und hab sogar kürzlich ein paar Sätze geschrieben. Abgebrochen wird also nicht:)
Übrigens kann ich die FF von Eris_the-discord (in meinen Favos) nur empfehlen, falls du sie noch nicht kennst:)

Liebe Grüße,

Minerva
Antwort von:  jasuminu
12.09.2016 13:45
Hey ist mir jetzt etwas peinlich aber hab deine Antwort erst jetzt entdeckt 0//0 ich wollte nämlich nachschauen, ob du eventuell schon an einer deiner FFs weiter geschrieben hast und naja dann hab ich das hier entdeckt haha ojee...aber es freut mich das du weitermachst bei dieser FF und bei Russian in the house ich liebe beide Parings andere interessieren mich irgendwie nicht...und ja du hast bestimmt gemerkt das ich auch einige kommis bei Eris da gelassen hab. Ich finde auch das die FF der Wahnsinn ist *.* komisch das sonst keiner mal ein kommi da lässt.. sie zählt mit deinen zu den besten das ist kein schleimen ist einfach so! Soo hoffe du schreibst schnell weiter ^.^ LG jasu
Von:  Kirri
2015-12-06T19:51:53+00:00 06.12.2015 20:51
Guten Abend, vielen Dank, dass du mir so einen schönen Sonntag bereitet hast! Dein Stil gefällt mir sehr gut und auch die Story geht in angenehmen Tempo vorran. Zu meiner eigenen Überraschung habe ich nichtmal was gegen Kais Ex einzuwenden ;) Es würde mich sehr freuen von dir zu lesen
Von:  Lyndis
2015-07-08T10:11:31+00:00 08.07.2015 12:11
Was für eine unglaublich schöne Story.
Ich liebe deinen Schreibstil so sehr und ich kann einfach nicht genug davon kriege.

Ich bin sprachlos weil es einfach so unglaublich schön und intensiv ist. Jedes mal wenn ich eine Story von dir anfange kann ich nicht aufhören bis ich das letzte Kapitel durch habe.

Und eins verspreche ich dir: Ich warte.
Ich warte so lange bis das nächste Kapitel kommt und ich werde es wieder verschlingen und dann warte ich wieder, bis die Story zuende ist.
Du wirst mich nicht mehr los.
Und wenn es 10 Jahre dauert bis das nächste Kapitel kommt. Eines Tages werde ich mexx öffnen, ich werde eine ENS haben und meine Augen werden zu glänzen anfangen und egal was ich dann vorgehabt haben werde, es muss warten, bis ich das Kapitel gelesen oder mir vielleicht sogar nochmal die ganze Story zu gemüte geführt habe.
Denn das ist es mir wert.
Von:  smartynp
2014-11-15T13:38:58+00:00 15.11.2014 14:38
hi,

habe die ff gerade gefunden und finde sie super. da sie ja schon länger geht hoffe ich doch das du auch weiter dran bist. würde zu gerne wissen wies weitergeht.

smart
Von:  nu
2014-01-06T21:28:37+00:00 06.01.2014 22:28
Ein neues Kapitel nach langer Zeit..und ich habe diese ff wieder entdeckt. Ich habe sie sogar noch einmal komplett gelesen, weil ich schon ziemlich raus war.
Ich glaube, dass es recht schwierig ist Kassandra in ihrer Rolle als Ex-Freundin sympathisch darzustellen. Aber ich finde, dass dir das gelungen ist und, dass es auch nicht völlig unrealistisch rüber kommt wo bzw. wie Takao und sie sich begegnen.
Was mir noch aufgefallen ist, dafür dass sie und Kai 2 Jahre lang zusammen waren und sie ihn unbedingt haben wollte, scheint auch sie ihn nicht wirklich geliebt zu haben? Weil sie so entspannt über die Trennung spricht und ihn weiterhin anruft und besucht..
Ich hoffe es wird dir leichter fallen, dass nächste Kapitel zu schreiben und dass es schnell weiter geht. Ich möchte wissen, wie sich das Gespräch weiter auswirkt ;)
LG
Von:  chrono87
2014-01-04T16:27:33+00:00 04.01.2014 17:27
Der erste Teil des Kapitels ist in der Tat verwirrend, wenn man total aus der FF raus ist, aber sobald man zum hier und jetzt kommt, macht es wieder Klick.
Ich muss sagen, ich bin überrascht, dass es ein Krankenhausbesuch geben musste, um Takao zumindest wachzurütteln. Wäre sein Opa nicht wegen eines komplizierten Armbruches ins Krankhaus gekommen, hätte Takao wohl nie die Wirklichkeit gesehen. Es geht nicht nur um die Sterblichkeit seines Opas. Man darf nicht vergessen, dass alle Menschen sterblich sind und demzufolge auch einer seiner Freunde sterben könnte. Dann hätte er sich hinterher wahrscheinlich noch viel mehr zurückgezogen, weil ihn die Schuldgefühl aufgefressen hätten.
Sie an, Kais' Ex. An Takaos Stelle hätte ich mich eher gefragt, wieso Kai ihn geküsst hat, wenn er doch eindeutig eher auch Frauen steht. Im nächsten Moment wäre ich sogar sauer gewesen, weil ich das Gefühl hätte, Kai würde nur mit mir spielen. Doch an all das denkt Takao gar nicht.
Zumindest hört er ihr zu und lässt sich mehr oder weniger ins Gewissen reden. Ich meine, vieles was sie sagt, ist ihm doch schon selbst aufgefallen. Zumindest kam das so herüber, als ich gestern das vorherige Kapitel noch einmal gelesen hatte.
Ich vermisse den Geburtstagsteil von Takao. Im letzten Kapitel wird nur erwähnt, dass er dafür nach Hause kommt, aber in diesem Kapitel wird nur erwähnt, dass er dort war. Mich würde interessieren mit wem er alles gefeiert hat und vor allem wie. Er war früher ja der totale Draufgänger und Partylöwe...

P.S. danke für deinen GB-Eintrag. ich habe das Kapitel bereits gestern gelesen, aber da ich im Moment in den Semesterklausuren stecke, hatte ich keine Zeit sofort einen Kommi zu hinterlassen.
Antwort von:  Minerva_Noctua
04.01.2014 21:31
Deine Interpretation gefällt mir sehr gut.
Manchmal braucht es ungewöhnliche, extremere Ereignisse, um aus seinem „Trott“ herauszukommen.
Takao denkt sich nicht sonderlich viel bei dem Kuss, weil er selbst nur mit Frauen geschlafen hat. Kai war eine Ausnähme für ihn und er nimmt einfach an, dass Kai das auch so geht. Falls er überhaupt so einen Gedanken zulässt und es nicht gleich verdrängt.
Na ja, er hat daheim im Dojo gemütlich gefeiert. Ob außer Kenny und Hiromi auch andere da waren ist unklar, aber es werden nur die Leute aus der Umgebung da gewesen sein.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit zum Kommentieren genommen hast:-)
Ich weiß, wie das ist. Ich hab nächste Woche zwei Klausuren, dann Messearbeit und wieder zwei Klausuren. Der Januar wird/ist anstrengend.
Ich wünsche dir viel Erfolg bei deinen Klausuren!
Antwort von:  chrono87
04.01.2014 22:38
Eine Ausnahme ist gut XD Ich wette, wenn es nach Kai ginge, dann würde es keine Ausnahme bleiben. Ich frage mich sowieso wie Kai die Kühle von Takao aushält. Früher wäre er bei dem geringsten zwischenmenschlichen Problem einfach getürmt. Daher rechne ich es ihm hoch an, dass er zumindest versucht Takao näher zu kommen. Ich hoffe sehr, er macht das bei Max und Ray auch so.
Nichts zu danken, ich hab mir gern Zeit genommen.
Oh, ich weiß was du meinst. Ich schreibe 8 Klausuren im gesamten Januar, jede woche min. 2. Daher wünsche ich dir ebenfalls viel Erfolg bei deinen Klausuren.
Ich bedanke mich schon jetzt für die Erfolgswünsche und hoffe sie gerecht zu werden. ^^
Von:  Noir10
2014-01-04T14:49:51+00:00 04.01.2014 15:49
Kyuuu es geht ja weiter freue mich richtig toll musste zwar die ff nochmal lesen aber habe ich gerne ghemacht nur kassandra mag ich nicht so!!
^^-^^

Antwort von:  Minerva_Noctua
04.01.2014 17:35
Vielen Dank für's Lesen und vor allem für deinen Kommentar:-)
Ich freue mich, dass es noch Leute gibt, die sich für diese FF interessieren:3

Liebe Grüße,

Minerva
Von:  WeißeWölfinLarka
2014-01-03T13:37:04+00:00 03.01.2014 14:37
Also ich muss gestehen, ich war anfangs raus aus der Story. Die kursiv gestaltete Erzählung über Takaos Leben zuvor wollte sich mir irgendwie nicht ganz recht einfügen, aber ich war auch zu faul, das vorherige kapitel noch mal nachzulesen. Im Laufe des Kapitels hab ich mich aber doch recht schnell zurecht gefunden. Dass dir besonders die stelle mit Kassandra Probleme bereitet hat, kann ich mir vorstellen, dennoch war davon nichts zu spüren beim Lesen.
Wie immer gut lesbar , und dass Kassandra Takao sozusagen ins Gewissen redet, ist auch interessant. Mal sehen, ob er Lehre annimmt.
Seine Vorgeschichte dagegen war sehr beklemmend zum Teil und insgesamt furchtbar spannend. Besonders die Stelle mit seinem Opa hat mich sehr berührt. Die Selbstoffenbarung, dass Opa nicht immer da sein wird. Das war traurig und doch so schön zugleich, das genau diese Erkenntnis ihn wieder auf den rechten Weg bringt.
Andererseits frag ich mich ab und zu (noch), was genau an Kais Verschwinden so furchtbar grausam war, dass Takao sich so gehen lässt und alles.. Vielleicht kann ich mich in der Hinsicht einfach nicht gut genug in Takao hineinversetzen.
Also, trotz der langen Pause (ich muss grade reden...), wieder ein großartiges, langes Kapitel! :-*
Antwort von:  Minerva_Noctua
03.01.2014 17:41
Vielen Dank für deinen prompten Kommentar:-)
Ich freue mich sehr darüber:3
Ich schreibe gern über Takaos Vergangenheit. Im nächsten Kapitel wird allerdings der voraussichtlich letzte Teil kommen.
Was so schlimm an Kais Verschwinden war, habe ich mehrmals angedeutet, aber ich gebe zu, dass es selbst für mich nicht ganz so einleuchtend rüber kommt. Ich werde darauf noch eingehen. Baustellen gibt es schließlich noch genug;-)
Takaos Erkenntnis bezüglich seines Opas hat ihm zumindest die Augen insoweit geöffnet, dass er begreift, welche Menschen ihm wirklich wichtig sind und dass er sie nicht mehr von sich stoßen darf. Und dieses erste Gespräch mit seinem Opa lässt er jetzt zu.
Ich hoffe, dass es so rüberkommt und sich nicht allein auf die Sterblichkeit seines Opas reduziert.

Vielen Dank nochmal und schönes Wochenende!

PS.: Ich hatte mir eher Minerva_Eule vorgestellt;-D
Antwort von:  WeißeWölfinLarka
03.01.2014 17:56
Nein, so kommt das schon rüber. Aber der Auslöser war ja schon die "Sterblichkeitsmöglichkeit" des Opas. DAS hat ihm die Augen geöffnet dafür, dass er sich weider öffnen und Freunde zulassen kann.
Von:  Eris_the-discord
2012-11-06T19:32:01+00:00 06.11.2012 20:32
Eeeendlich finde ich die Zeit zu lesen.

Jedes Mal wenn ich mich an den Text setze klingelt im zweiten Absatz das Handy. Wie schön war das Leben noch ohne dieses blöde Teil!

Also zum ersten Abschnitt - wieder eine sehr gelungene Rückblende. Was mir hier sehr gefällt ist, dass du dich von den Shounen Ai Autoren abgrenzt die Hiromi als die nervige Oberzicke schlechthin darstellen. Bei manchen Autoren scheint sie ziemlich verkorkst, weil ansonsten die "Schurkin" in der Geschichte fehlt. Hier fungiert sie aber als die sorgenvolle Freundin, die man auch aus Beyblade kennt - auch wenn sie in der Serie manchmal auch nervig sein konnte.
Auffallend ist in diesem Abschnitt auch die Wandlung von Tyson. Ich weiß nicht warum, aber in meinem Kopf geistert von Tysons erwachsenem Alter-Ego ebenfalls die Vorstellung des kleinen "Schürzenjägers" herum, wahrscheinlich weil er in der Serie so eine große Klappe hat xD
Deshalb hat es mich gefreut, einen solchen Tyson auch in einer anderen FF vorzufinden, als der meinen ^_~

Im zweiten Abschnitt dachte ich an meine Telefonate. Kann Tyson nur zu gut verstehen, ich bin nämlich auch die Person die sehr ungern telefoniert.
Musste bei dem Abschnitt schmunzeln, als er angefangen hat zu malen und dabei der Pinguin mit Sonnenbrille herausgesprungen ist, du hast es so dargestellt als ob er richtig verwundert über sein Werk wäre xD

Den "Pferdeabsatz" war nicht ganz mein Fall, allerdings nur weil ich mir Kai nicht in Reiterhosen vorstellen kann... außerdem hasse ich Pferde! Kann also Tysons Abneigung nur zu gerne verstehen. xD
Allerdings war dieser Abschnitt notwendig, denn wie du am Ende des Kapitels erwähnt hast, ist Tyson durch diese Erfahrung klar geworden, dass er sich dem Problem stellen muss.

Ich bin gespannt wie es weitergeht und bin froh, dass mich mein Handy wenigstens für den Kommi in Ruhe gelassen hat ^_^

LG Eris


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