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Shi Ans

von

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Toujours Vivant

Es war ein warmer Herbstvormittag in Los Angeles, als der Leader von X JAPAN in seinem silbernen Maserati in Richtung Studio fuhr. Eigentlich hatte er sich gegen neun Uhr angekündigt, doch die warme Brise, die durch die geöffneten Fenster hereinkam, lud regelrecht zu einer kleinen Spritztour am Pacific Coast Highway ein. Es hatte schon seine Vorteile, wenn man sein eigener Chef war und es war schließlich nicht so, dass sich die Arbeit im Studio aus dem Staub machte. Außerdem lief zurzeit sowieso alles am Schnürchen – die Arbeiten am Album waren abgeschlossen und nachdem er einen solch guten Fluss gehabt hatte, gab es genügend neue Songs für ein zweites, der Bekanntheitsgrad der Band im Ausland wuchs stetig, kurzum, alles funktionierte zu seiner vollen Zufriedenheit.
 

Mit dem Blick auf der Fahrbahn, rückte er die bernsteinfarbene Ray Ban Sonnenbrille auf seinem Nasenrücken zurecht, legte den linken Ellenbogen auf dem geöffneten Fenster ab und trat das Gaspedal durch, dass der Motor nur so aufheulte. Er war noch nie ein großer Freund von Geschwindigkeitsbegrenzungen gewesen und es war sowieso kaum was los. Weshalb sollte er also mit 55mph durch die Gegend krebsen? Die kalifornische Küste zog an ihm vorbei, als im Radio der Nachrichtensprecher endlich endete und wieder Musik gespielt wurde – genauer gesagt „Hot Blooded“ von Foreigner. Es war jetzt nicht unbedingt seine absolute Lieblingsband wie KISS, aber es war ein eingängiger Song, der gute Laune verbreitete, sodass seine rechte Hand den Lautstärkeschalter am Lenkrad betätigte und der Refrain in voller Lautstärke aus den Boxen schallte.
 

„I'm hot blooded, check it and see, I got a fever of a hundred and three. Come on baby, do you do more than dance? I'm hot blooded, hot blooded”, sang er lauthals, wenn auch recht schief, mit, während er mit den Fingern im Takt auf dem Lenkrad trommelte und den Kopf im Rhythmus mit bewegte.
 

Ja, heute war eindeutig ein guter Tag und nichts in der Welt würde ihm seine gute Laune verderben können – nicht einmal sein Handy, das sich gerade vibrierend in seiner Hosentasche Aufmerksamkeit verschaffte. Er regelte die Lautstärke nach unten, ging ein wenig vom Gaspedal und fischte es hervor, ehe er auf „Anruf annehmen“ und gleich darauf auf „Lautsprecher“ drückte. Anschließend legte er es in seinen Schoß und konzentrierte sich wieder auf die Straße.

„Yoshiki speaking“, meldete er sich und wartete darauf, dass sich der Anrufer vorstellte, da er nicht wirklich aufgepasst hatte, wer was von ihm wollte.

„Sugizo hier.“

„Sugizo!“ Ein Lächeln schlich sich auf seine Züge – der alte Freund und nun auch Gitarrist und Violinist von X JAPAN war stets ein willkommener Anrufer. „Wie geht es dir?“

„Gut… gut…“ Irgendwie klang es, als wäre er mit seinen Gedanken woanders, aber vielleicht lag das auch nur daran, dass der Fahrtwind so viele Nebengeräusche erzeugte. „Hör mal, Yoshiki… ich… ich muss mit dir sprechen.“

„Was ist? Hat es was mit den Noten zu tun, die ich dir gestern geschickt habe? Sind sie unspielbar?“ Nun, da er neben dem Flügel auch noch eine Violine als klassisches Instrument zur Verfügung hatte, hatte er unzählige Ideen, um sie zum Einsatz zu bringen, doch manchmal fürchtete er, dass die Melodien in seinem Kopf viel zu kompliziert und extravagant waren, als dass sie für Sugizo noch spielbar wären. Zu seinem Glück hatte sich das bis dato noch nicht bewahrheitet!

„Nein… nein… fährst du?“

„Ja, bin grad ein wenig auf dem Pacific Ocean Highway unterwegs – ist so ein schöner Tag, das lädt regelrecht zu einer Spritztour ein. Ich weiß, ich weiß, ist absolut nicht umweltfreundlich, aber es macht nun einmal Spaß!“ Nach all den Jahren kannte er die Meinung des engagierten Umweltaktivisten nur zu gut.

„… Kannst du bitte rechts ran fahren, Yoshiki?“

„Warum?“

„Tu es bitte einfach.“
 

Ein wenig irritiert kam der Drummer der Bitte nach und fuhr in die nächste Parkbucht, wo er den Motor abstellte.

„Okay, ich stehe. Verrätst du mir jetzt mal, was das soll?“

„Du solltest so schnell wie möglich nach Japan kommen…“

„Wieso? Ist irgendetwas mit der Band?“ Yoshiki spielte mit einer gebleichten Haarsträhne herum, während er den Autos hinterher blickte, die an ihm vorbeifuhren. Im Radio kam der nächste Song – „Girls just wanna have fun“. Die DJs mussten heute wohl ihre alten Platten aus den 70ern und den 80ern heraus gekramt haben. Leise pfiff er die ersten Takte mit, während er auf Sugizos Antwort wartete.
 

„… Toshi ist im Krankenhaus und es steht nicht sonderlich gut um ihn…“, erklärte der Gitarrist mit sachlicher Stimme und man konnte hören, wie er sich schwer seufzend durch die Haare fuhr.

„… …“ Geschockt hatte der Drummer von seinen Haaren abgelassen und starrte ungläubig auf sein iPhone. Das alles erinnerte ihn viel zu sehr an jenen 1. Mai 1998, als er ebenfalls im Auto unterwegs gewesen war und die Nachricht erhalten hatte, dass hide verstorben war.

„Yoshiki? Bist du noch da?“

„… Du verarscht mich!“, brach es aus ihm heraus und er nahm das Mobiltelefon in die Hand.

„Ich wünschte, ich täte es“, entgegnete der Jüngere ruhig. Er hatte gewusst, dass es nicht einfach sein würde, ihrem Leader diese Neuigkeit beizubringen.

„Das… das… das kann nicht sein! Ich hab doch gestern noch mit ihm gesprochen!!“

„Er hatte einen schweren Autounfall.“

„Autounfall?!“ Toshi war doch ein solch besonnener Fahrer, wie konnte er da einen Unfall haben?

„Er war auf der Autobahn unterwegs, als er wohl einen LKW überholen wollte. Der Fahrer ist scheinbar vom Sekundenschlaf übermannt worden, hat das Steuer verrissen und Toshi hatte keine Ausweichmöglichkeit mehr. Er ist in die Leitplanke gedrängt worden, hat diese dann durchbrochen und ist auf der Gegenfahrbahn zum Stehen gekommen.“

Yoshikis Hände fingen immer mehr zu zittern an, als er den Ausführungen des Violinisten lauschte.

„Augenblicklich wird er operiert, aber er ist in keinem guten Zustand. Die Ärzte halten es für fragwürdig, ob er die Nacht überhaupt überlebt…“ Zum Ende hin war Sugizos Stimme immer leiser geworden.

„Nein, dass… dass…“ Damit legte er einfach auf, realisierte gar nicht wirklich, wie das Handy aus seiner Hand rutschte und in den Fußraum fiel.
 

Toshi kämpfte mit dem Tod?

Sein Toshi?

Sein bester Freund Toshi?

Sein Kindergartenfreund Toshi?
 

Unterdessen vibrierte das Smartphone im Fußraum munter vor sich hin, doch dies registrierte er gar nicht. Seine Gedanken kreisten nur um den Sänger und um das, was Sugizo ihm mitgeteilt hatte.
 

Das konnte nicht wahr sein…! Das durfte einfach nicht wahr sein…! Jeder, nur nicht Toshi! Alle ursprünglichen Pläne vergessend, startete er den Wagen wieder und eilte, ohne auch nur irgendeine Geschwindigkeitsbegrenzung zu beachten, zurück zu seiner Villa. Hatte er zuvor noch ein Auge für die raue Schönheit der Natur gehabt, so zog diese nun unbeachtet an ihm vorbei. Er war schon wieder in LA, als er das Vibrieren des iPhones endlich wahrnahm. Während der Fahrt beugte er sich rasch nach unten und schnappte es sich. Zum Glück ging es nur geradeaus, sodass er seine Aufmerksamkeit für einen Moment von der Straße nehmen konnte. Ein kurzer Blick auf das Display zeigte ihm an, dass Sugizo noch mehrmals versucht hatte, ihn anzurufen und ihm schlussendlich eine Nachricht geschickt hatte. Er tippte auf „Öffnen“, doch sie enthielt nur die Adresse des Krankenhauses, in dem Toshi zurzeit operiert wurde. Nachdem er die Mitteilung geschlossen hatte, suchte er aus dem Telefonbuch die Nummer des Unternehmens, das sich um seinen Privatjet kümmert, und rief dort an, um zu veranlassen, dass eben jener so schnell wie möglich startklar gemacht wurde.
 

Zuhause angekommen, eilte er in die obere Etage, holte aus seinem Arbeitszimmer nur seinen Reisepass und aus seinem Schlafzimmer seine Medikamente, ehe er wieder zu seinem Auto eilte und erneut viel zu schnell zum Flughafen fuhr, wo sein Flugzeug stand. Er konnte nur hoffen, dass sie Rückenwind hatten, damit der über 20-stündige Flug irgendwie kürzer wurde, da er so schnell wie nur irgend möglich an die Seite seines besten Freundes wollte. Die Ärzte gaben ihm vielleicht keine große Überlebenschance, aber wenn sie sich zumindest schon einmal die Mühe machten, ihn zu operieren, musste das doch bedeuten, dass noch nicht alles verloren war. Oder? Schließlich schnitt man ja nicht mehr an Menschen herum, die sowieso schon dem Tod geweiht waren. Oder? Er wollte einfach nur so schnell wie möglich bei Toshi sein, damit dieser wusste, dass er bei ihm war, dass er auf ihn aufpasste und ihn beschützte, so wie er es schon seit 40 Jahren tat. Und dann würde er sich natürlich noch den LKW-Fahrer vornehmen…!
 

Erschöpft schloss er die Augen, als der Privatjet abhob und seine lange Reise in Richtung Japan antrat. Hatte ihn Sugizos Anruf einfach nur geschockt und gelähmt, weil ihn zu viel an hide erinnert hatte, so war er nun schlichtweg erledigt und hatte das Gefühl, als wäre er nur noch eine Puppe, deren Körper mit tonnenschwerem Sand ausgefüllt war. Eine nicht ganz unbekannte Empfindung für ihn, hatte er sie doch das erste Mal vor über 30 Jahren wahrgenommen, als er seinen Vater hatte begraben müssen.
 

„Aber Toshi wird nicht sterben! Er hat noch immer eine Chance! Er wird leben! Er wird mich nicht alleine lassen! Toshi ist nicht Papa und auch nicht hide! Er wird durchkommen! Alles wird gut werden!“
 

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Nun, da das Monster Rainy Days abgeschlossen ist, könnt ihr euch auf neues Lesefutter freuen. Ich hoffe, 23 Kapitel auf 132 Seiten stillen euren Hunger und ich kann euch auf eine wilde Achterbahn der Gefühle mitnehmen. Ob Toshi überlebt oder aber ob ich bereits zu Beginn eine meiner Hauptfiguren töte, verrate ich euch natürlich noch nicht. Dafür müsst ihr brav weiterlesen ;P
 

In diesem Sinne hoffe ich, dass euch das erste Kapitel neugierig auf mehr gemacht hat und über eure Meinungen, Gedanken, Kommentare etc. würde ich mich natürlich freuen :)

La Lutte

@ Kaoru: Das war pure Absicht, dass es ähnlich aufgezogen war wie damals bei hide ;P
 

@ LunaLee: Eigentlich mehr dafür, dass du die ganze Zeit Versuchskaninchen gespielt hast… ;)
 

@ Blaire: Ich hatte es absichtlich so aufgezogen, dass der Inhalt des ersten Kapitels stark den Ereignissen ähnelt, wie sie im Prolog von YOSHIKIs Biografie beschrieben werden, ähneln.
 

@ Asmodina: Überlebst du einen zweiwöchigen Hochladerhythmus? ;) Wenn nicht, musst du meiner Betha Dampf unterm Hintern machen!
 

@ T0M0: Es hätte auch Heath oder Pata treffen können – letztendlich hat da das Los entschieden, weil ich mir nicht einig werden konnte, wer die „Ehre“ hat…
 

@ JaeKang: Ich glaub, das waren die ersten drei oder vier Kapitel gewesen, wenn ich mich nicht irre…
 

@ -Shin-: Ich glaub, ich weiß was du meinst :) Und danke dafür! Ich versuche stets so real wie möglich zu schreiben, sodass die Story dreidimensional wirkt und nicht nur zwei- oder eindimensional (Verstehst du jetzt, was ich meine?).
 

@ Terra-gamy: Wie ich Yoshiki so leiden lassen kann? Weil es Spaß macht, Charaktere zu quälen? ;) Spaß beiseite, bei Shi Ans hab ich auch gehörig mit ihm und Toshi mitgelitten.
 

@ all: Wow, ich bin überwältigt vom Anklang, den das erste Kapitel gefunden hat (nicht dass ich mich beklage ;P)! Hoffentlich kann das nächste Kapitel da in etwa mithalten… Ich wünsche euch auf jeden Fall viel Spaß dabei!
 

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Es ging bereits auf Mittag zu, als Yoshikis Flieger in Tokyo landete und er von dort aus direkt in einen bereitstehenden Helikopter einstieg. Die Zeit des Fluges hatte er genutzt, um im Studio in LA Bescheid zu geben, dass er vorerst in Japan wäre. Anschließend hatte er sein Management verständigt, dass er unterwegs war, damit sie sich um entsprechenden Schutz durch Bodyguards für ihn kümmerten, und ganz zum Schluss hatte er sich noch bei Sugizo gemeldet und ihm mitgeteilt, dass er bereits auf dem Weg war. Der Violinist hatte versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln – wohl der gutgemeinte Versuch, seine Gedanken ein wenig von Toshi wegzulocken, aber sie waren das einzige, worum sie kreisten. Nachdem er aufgelegt hatte, wollte er ein wenig schlafen, doch sobald er seine Augen schloss, fand er sich in jener Halle wieder, in der damals hide aufgebahrt worden war. Wie vor so vielen Jahren ging er den Gang hinunter zu dem geöffneten Sarg, doch als er hineinblickte, lag darin nicht der verstorbene Gitarrist sondern Toshi. Er hatte die Schlafen-Geschichte zweimal wiederholt, doch nachdem er jedes Mal nach Luft ringend und mit einem so heftig pochendem Herz aufgewacht war, dass er das Blut nur so in seinen Ohren hatte rauschen hören können, hatte er sich entschieden, auf Schlaf zu verzichten und sich stattdessen mit Filmen abzulenken. Doch wie Sugizo zuvor, so scheiterten auch diese nichtexistenten Welten daran, seine Gedanken von seinem besten Freund abzulenken.
 

Nun saß er im Hubschrauber und Tokyo zog unter ihm vorbei. Der Himmel war grau und mit Wolken behangen. Es würde ihn nicht wundern, wenn es bald zu regnen anfinge. Seine Hände zitterten vor Anspannung und Sorge und waren schweißig nass, sodass er sie immer wieder an seiner Jeans abwischte, doch sie wurden einfach nicht trocken. Sugizo hatte sich nicht mehr gemeldet, weshalb er davon ausging, dass Toshi die Nacht überstanden hatte. Das musste bedeuten, dass es ihm besser ging, nicht?! Von Pata und Heath hatte er nichts gehört, aber er vermutete, dass sie ebenfalls dort waren, wenn der Jüngste seiner Chaotentruppe vor Ort war.
 

Er war froh, dass der Landeplatz des Krankenhauses, in dem sein bester Freund lag, relativ schnell in Sicht kam. Eigentlich war er nur für Rettungshubschrauber bestimmt, doch das interessierte ihn im Augenblick herzlich wenig. Normalerweise versuchte er ja, seinen Ruhm nicht zu seinem eigenen Wohle auszunutzen, aber es gab immer Ausnahmen und die aktuelle Lage war eine solche. Er war YOSHIKI, der YOSHIKI, der für den Kaiser ein Lied hatte komponieren und vorspielen sollen, also konnte er auch auf einem Landeplatz für Rettungshubschrauber mit einem zivilen Helikopter landen! Wenn er aus dem Fenster blickte, dann konnte er unter sich noch keine Security ausmachen, aber er würde auch ohne zu Toshi kommen. Dass es sich um ein Krankenhaus handelte, bestärkte seine Hoffnung, dass er vielleicht nicht von fanatischen Fanmassen zerdrückt wurde, die ihm die Kleider halb vom Leib rissen.
 

Kaum hatten die Kufen des Hubschraubers festen Boden berührt, da entriegelte er auch schon die Tür, stieg aus und lief einmal quer über das Landefeld zum Eingang in die Notaufnahme, von wo aus ihm auch direkt zwei Krankenpfleger entgegen kamen, die nicht sonderlich freundlich drein blickten. Diese und ihr aufgeregtes Geschnatter ignorierte er jedoch, rückte nur die Sonnenbrille zurecht, zog das Capi, das er trug, tiefer ins Gesicht und verbarg seine gebleichten Haare unter der Kapuze seines Shirts. Jetzt nur noch an die Info, fragen, wo genau Toshi war, und er konnte damit aufhören, sich zusammenzureißen und auf Automatismus zu funktionieren. Leider hatten sich die männlichen Krankenschwestern an seine Fersen geheftet und unwohl nahm er wahr, wie sich etliche Leute nach ihm umdrehten, als er an ihnen vorbeiging. Ob das nun daran lag, dass er durch den falschen „Eingang“ hereingekommen war oder daran, dass sie ihn erkannten, konnte er nicht sagen – er hoffte, dass es Ersteres war.
 

„Was glauben Sie eigentlich…“, setzte einer der Krankenpfleger erneut an, als Yoshiki plötzlich stehen blieb, sodass sie fast in ihn hineinrannten, und sich zu ihnen umdrehte, während er seine Sonnenbrille etwas nach oben schob.

„Wissen Sie, wer ich bin?!“, zischte er leise.

„Das gibt Ihnen noch lange nicht…“, versuchte derselbe Pfleger wie vorhin sein Glück, wurde jedoch unterbrochen.

„Interessiert mich gerade nicht die Bohne! Deyama Toshimitsu liegt hier irgendwo und ich will zu ihm und zwar sofort!“ Gegen Ende hin war er lauter geworden, sodass sich etliche Anwesende in seine Richtung drehten und er des Öfteren geflüstert seinen Namen wahrnehmen konnte. Die beiden Krankenpfleger sahen sich kurz an, ehe sie ihm mitteilten, dass sich jener auf der Intensivstation im siebten Stock befände und er dort nach genaueren Informationen fragen sollte.

„Danke!“ Damit schob er sich die Sonnenbrille wieder über die Augen, da sie erneut ein wenig nach unten gerutscht war, und eilte zum nächsten Aufzug, in welchen er verschwand, während er noch mehrmals seinen Namen hörte, aber er reagierte nicht darauf. Im Grunde überraschte es ihn nicht, dass sie ihm doch so schnell weitergeholfen hatten, denn auch sie mussten die Unruhe bemerkt haben, die seine Anwesenheit ausgelöst hatte. Hätten sie ihn noch weiter dort unten festgehalten, hätte es sicherlich nicht mehr lange gedauert, bis sich die ersten mit Autogramm- und Fotowünschen auf ihn gestürzt und somit das reinste Chaos in der Notaufnahme ausgelöst hätten.
 

Rasch drückte er auf die Sieben, ehe noch irgendwer auf die Idee kommen könnte, ihm zu folgen, und lehnte sich, nachdem sich die Türen geschlossen hatten, seufzend gegen die metallene Verkleidung. Nun, da er seinem Ziel so nahe war, merkte er wie die Maske der Stärke wieder langsam von ihm wich und durch Angst ersetzt wurde – Angst, seinen besten Freund verlieren.

Ein leises „Pling“ kündigte an, dass der Aufzug die entsprechende Etage erreicht hatte und nachdem die Türen wieder aufgeglitten waren, stieg er aus und blieb vor einer Tafel mit diversen Wegweisern stehen. Doch er musste darauf gar nicht nach der richtigen Abteilung suchen, da Heath gerade von der Männertoilette zurückkam und ihn entdeckte.
 

„Yoshiki!“

„Heath?!“ Er zuckte leicht zusammen und drehte sich dann in Richtung des jüngeren Bassisten, der ihn in eine freundschaftliche Umarmung schloss. „Wo ist Toshi? Wie geht es ihm?“, wollte er wissen und löste sich wieder von ihm.

„Komm mit“, entgegnete der Größere nur, legte ihm eine Hand zwischen die Schulterblätter und dirigierte ihn so. Aber anstatt in einem Krankenzimmer zu stoppen, führte er ihn in einen Aufenthaltsraum, in dem Pata und Sugizo saßen und sich gedämpft unterhielten.

„Yoshiki!“

Die beiden Gitarristen sprangen praktisch auf, als sie ihn sahen und während der Jüngere ihn umarmte, drückte der andere seine Schulter. Das war zwar alles schön und gut, aber zu Toshi zu kommen hatte im Moment oberste Priorität – gefolgt von „in Erfahrung bringen, ob die Ärzte, die sich um ihn kümmerten, überhaupt fähig waren und wenn nicht, ihm die besten Weißkittel des Landes, wenn nicht der ganzen Welt zu besorgen“.

„Ich will zu Toshi! Wo ist er? Wie geht es ihm?“

„Setz dich erst einmal“, entgegnete Sugizo und drückte ihn auf den nächsten Sitz, während Heath aus einem Wasserspender ein Glas Wasser abzapfte und es ihm reichte.

„Ich will kein Kaffeekränzchen machen, sondern zu Toshi!!“, brauste ihr Leader auf und drückte Pata das Wasser in die Hand, der es unschlüssig hin und her drehte. Was sollte er jetzt damit? Schlussendlich gab er es wieder an ihren Bassisten zurück, der es dann einfach selbst trank.

„Du wirst nicht zu Toshi können“, erklärte der Jüngste der Truppe und ging vor Yoshiki in die Hocke.

„Was heißt das?!“

„Das heißt, dass sein Zustand so kritisch ist, dass nur Familienmitglieder zu ihm dürfen und auch nur sie von den Ärzten die Einzelheiten über seinen Zustand erfahren“, antwortete Heath und lehnte sich gegen die Wand.

„Ich bin sein bester Freund!!“

„Seine beiden Brüder und seine Mutter sind bei ihm. Sie kommen in regelmäßigen Abständen her und sagen uns, wie es ihm geht“, fuhr Sugizo fort und fiel im nächsten Moment auf den Hintern, da der Drummer abrupt aufgestanden war und ihn somit aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Er war noch gar nicht wieder richtig aufgestanden, da stürmte der Ältere aus dem Warteraum.
 

„Yoshiki!“

Die drei eilten ihrem Leader hinterher, der mit geballten Fäusten zurück zum Aufzug und dem dortigen Wegweiser stapfte. Als der ihm auch nicht weiterhalf, krallte er sich die nächstbeste Krankenschwester, die ihm über den Weg lief, bevor seine Bandmitglieder auch nur den Hauch einer Chance hatten, ihn aufzuhalten.

„Ich will zu Deyama Toshimitsu, bringen Sie mich zu ihm!“

„Gehören Sie zur Familie?“, wollte die bereits etwas ältere Schwester wissen. Zumindest schien sie schon einmal etwas zu wissen, andernfalls hätte sie ihm sicherlich nicht die Frage gestellt. Nur stand er jetzt vor dem Problem, was die richtige Antwort war, um zu Toshi zu kommen… die Wahrheit würde ihm wohl nicht weiterhelfen, andernfalls wären Heath, Pata und Sugizo schließlich bei ihrem Sänger. Was blieb ihm sonst noch?

„Er ist mein Bruder!“, erklärte er mit fester Stimme. Auf dem Papier stimmte das zwar nicht, aber nachdem sie beide praktisch zusammen aufgewachsen waren, kam Toshi dem ziemlich gleich und außerdem sah er generell X als seine Familie an. In dem Sinne war der Ältere also sogar doppelt sein Bruder! Leider schien die Krankenschwester seine Logik nicht zu kennen, denn in ihrem Gesicht konnte man deutlich ablesen, dass sie die Aussage als Lüge abstempelte und ihn aller Wahrscheinlichkeit nach erkannt hatte.

„Tut mir leid, aber Sie können nicht zu ihm. Nur Familienangehörige haben Zutritt.“

„Ich bin YOSHIKI von X JAPAN und mir sind Ihre Regeln gerade herzlichst egal! Sie bringen mich auf der Stelle zu Toshi!!“, forderte er lauter und musste sich stark um seine Fassung bemühen. Alles was er wollte, war zu seinem besten Freund zu kommen, der um sein Leben kämpfte. Mehr wollte er doch nicht! War das so schwer zu verstehen?

„Bitte mäßigen Sie Ihre Stimme, dies ist eine Intensivstation“, wies die Krankenschwester ihn unbeeindruckt zurecht und stieß dabei auf dasselbe Problem, dem sich schon so viele seiner Lehrer während der Schulzeit gegenüber sahen: Yoshiki Regeln aufzwingen zu wollen, sorgte erst recht dafür, dass er sie brach.

„Das ist mir scheißegal!! Bringen Sie mich zu Toshi oder ich schreie hier herum so viel ich will!!!“ Während er näher an die Pflegekraft herangetreten war, war seine Stimme deutlich lauter geworden, sodass aus dem Schwesternzimmer zwei weitere Krankenschwestern kamen und weiter hinten im Gang auch noch die Tür eines Arztzimmers aufging.
 

„Sollen wir ihn stoppen?“, flüsterte Sugizo zu Pata und Heath, mit denen er einen knappen Meter hinter ihrem Leader stand.

„Danke, aber ich hänge noch an meinem Leben“, äußerte der Älteste der kleinen Gruppe nur und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich stimme Pata zu. Das einzige, was ihn wieder runterbringt, ist Toshi zu sehen…“
 

„Selbst wenn Sie der Kaiser höchstpersönlich wären, ich kann Sie nicht zu Herrn Deyama lassen. Vorschrift ist Vorschrift.“

„…“ Deutlich war zu sehen, wie seine Kiefer arbeiteten und seine Fäuste zitterten. „Schön, wie viel wollen Sie?“

„Bitte?“

„Jeder ist käuflich! Was ist ihr Preis?“

„Wollen Sie mich bestechen?“

„Entweder kaufe ich Sie oder ich kaufe das ganze beschissene Krankenhaus, wenn ich nur so zu meinem besten Freund komme!!!“, brauste der Drummer weiter auf.
 

„Jetzt geht das wieder los“, seufzte der Bassist.

„Dass mit dem Studio damals hab ich ja noch nachvollziehen können, aber was will er denn mit einem Krankenhaus?“, schloss sich Pata an.

„So oft wie er in einem ist, würde sich das doch glatt rentieren…“, entgegnete Sugizo.
 

„Gibt es hier irgendwelche Probleme?“, erkundigte sich der Arzt, der aus seinem Büro gekommen war und an die kleine Truppe herangetreten war.

„Ich will zu Deyama Toshimitsu und zwar sofort!!“, wiederholte Yoshiki aufgebracht seine Forderung zum gefühlten hundertsten Male und so wie seine Stimme zitterte, konnte man ahnen, dass sein Temperament an einem seidenen Faden hing und es, wenn es so weiter ging, nicht mehr lange dauern würde, bis es vollends durchbrechen würde.

„Tut mir leid, aber nur Familienangehörige haben Zutritt“, wiederholte der Mediziner die Hausordnung und legte in einer beruhigenden Geste eine Hand auf die Schulter des Pianisten. Dies sorgte allerdings nur dazu, dass der Geduldsfaden des Musikers endgültig riss und er äußerst grob die Ärztehand wegschlug und ihn zur Seite schubste.

„Ich will zu Toshi und zwar hier und jetzt und kommen Sie mir nicht noch einmal mit dem Familienscheiß!!!“

„Ich muss Sie bitten, augenblicklich meine Klinik zu verlassen oder ich muss Sie von der Sicherheit entfernen lassen“, entgegnete der Arzt gefasst und packte ihn am Arm, um ihn in Richtung Aufzug zu eskortieren.

„Lassen Sie mich los!!!“ Mit der freien Hand schlug Yoshiki nach seinem Widersacher und kämpfte gegen den Klammergriff an seinem Oberarm an.

„Bitte beruhigen Sie sich“, mischte sich eine der hinzugekommenen Schwestern ein und versuchte mit ihren Kolleginnen so gut es ging den inzwischen tobenden Schlagzeuger zu beruhigen. Dieser verstand unterdessen die Welt nicht mehr… er wollte doch nichts Böses! Er wollte nur an der Seite seines besten Freundes sein und diesem beistehen, doch statt dass man ihn zu ihm brachte, wurde er angegriffen!
 

Unbemerkt von allen anderen, da sämtliche Aufmerksamkeit auf Yoshiki ruhte, den inzwischen auch dessen Bandkollegen versuchten zu beruhigen, öffnete sich am Ende des Flures eine Tür und ein Mann, der sicherlich keine 170cm groß war, und Mitte 50 sein musste, dafür aber eine deutliche Ähnlichkeit zu dem Sänger von X JAPAN aufwies, kam heraus und näherte sich dem ganzen Trubel.

„Gibt es ein Problem?“, wollte er wissen.

„Kenichi!“ Augenblicklich hielt Yoshiki inne, als er die vertraute Stimme wahrnahm.

„Herr Deyama…“ Auch der Arzt hatte seinen Blick dem Neuankömmling zugewandt.

„Gibt es ein Problem?“

„Ich will zu Toshi!“, wiederholte der Drummer erneut seine Forderung, richtete sie diesmal jedoch direkt an den ältesten Bruder seines besten Freundes und ignorierte das Krankenhauspersonal.

„Das geht in Ordnung“, erklärte Kenichi nur in Richtung des Arztes, „er ist Toshis kleiner Bruder.“ Er wusste selbst nur zu gut, dass der ehemalige Störenfried aus Schulzeiten eine weitaus engere Bindung zu seinem jüngsten Bruder hatte, als er und Kazuo – der mittlere der drei Deyama-Brüder - es je haben würden.

„Aber…“, wollte die Krankenschwester ganz am Anfang ansetzen, wurde jedoch von Kenichi unterbrochen, der seine Worte wiederholte, dass Yoshiki Toshis kleiner Bruder sei. Wie zur Bekräftigung seiner Worte, zog er den Jüngeren aus dem Pulk, der sich gebildet hatte und dirigierte ihn ohne weitere Worte an das Personal in Richtung der Tür, aus der er gekommen war.
 

„Danke, Kenichi.“

„Dass du aber auch immer nur für Tumult sorgen kannst…“, äußerte der Ältere. Es sollte eigentlich die angespannte Stimmung ein wenig lockern, doch Yoshiki schwieg nur. Er war froh, endlich am Ziel angelangt zu sein.
 

Mit grünem Kittel, Mundschutz und Einweghandschuhen bekleidet, durfte Yoshiki wenig später endlich das Krankenzimmer von Toshi betrete. Kenichi wartete im Vorraum, während sein jüngerer Bruder Kazuo und ihre Mutter am Bett des anderen saßen. Beide standen sie auf, um den Neuankömmling zu begrüßen – Kazuo mit einer Verbeugung und ihre Mutter mit einer Umarmung. Mit zusammengezogenem Magen, nahm der Pianist das Zimmer in Augenschein, das mit Unmengen an Apparaten, die blinkten oder piepten oder beides zusammen taten, vollgestellt war. Sie alle waren in irgendeiner Art mit seinem besten Freund verbunden, der reglos im Bett lag und in gewisser Weise einer unvollständigen Mumie Konkurrenz machte, da ein Großteil seines Körpers – zumindest soweit Yoshiki das sehen konnte – mit Bandagen oder Gipsverbänden bedeckt war.

„Wie geht es ihm, Okaa-san?“, fragte der Jüngste im Raum leise. Nachdem er praktisch mit Toshi aufgewachsen war, war es für ihn nur natürlich, dessen Mutter ebenfalls mit „Mutter“ anzusprechen.

„Nicht gut…“, antwortete sie mit gesenktem Kopf und umschloss seine rechte Hand mit ihren beiden.

„Aber er hat die Nacht überlebt. Sugizo hat am Telefon gesagt, dass er dann über den Berg ist!“

„Sein Zustand ist trotz allem noch sehr kritisch, Yoshiki… er hat schwere innere Verletzungen, ein Schädelhirntraume und noch zahllose weitere Blessuren.“ Ihre Stimme zitterte und es war ihr deutlich anzusehen, dass sie mit den Tränen kämpfte.

„Toshi ist stark“, entgegnete der Pianist, doch es klang, als würde er es mehr zu sich selbst sagen.

„Er wird künstlich beatmet, er liegt im Koma, keiner kann sagen wann und ob er aufwachen wird…“, mischte sich Kazuo mit ein und drückte die Schulter seiner Mutter.
 

Schweigend löste sich Yoshiki von Frau Deyama und trat ganz an das Bett heran, wo er schweigend Toshi musterte, während dessen Mutter zu ihrem anderen Sohn leise meinte, dass sie sich etwas zu essen holen sollten und mit ihm das Zimmer verließ, damit der Drummer ein paar ungestörte Minuten mit seinem besten Freund haben konnte.

Dieser ließ sich kraftlos auf einen der Stühle fallen und nahm vorsichtig Toshis Hand, an der ein intravenöser Zugang angebracht war, in die seine. So ruhig und leblos wie er dalag, sah er vor seinem inneren Auge stets hide in seinem Sarg liegen. Doch die Wärme, die die Hand ausstrahlte, erinnerte ihn daran, dass der andere nicht dessen Schicksal teilte. Er lebte – sein Herz schlug, das zeigte das EKG an, und sein Brustkorb hob und senkte sich, wenn auch nur dank einer Maschine.
 

„Hey…“, flüsterte der Pianist kaum hörbar und räusperte sich mehrmals, da seine Stimme stark belegt war. Er legte die Mütze und die Sonnenbrille, die er noch immer trug, ab und nur überdeutlich konnte man in seinen Augen und in seinem Gesicht die Sorge, die Ohnmacht und die Angst, gepaart mit Erschöpfung, ablesen. Doch außer Toshi war niemand da, der dies hätte sehen können…

Zitternd hob er seine andere Hand und berührte mit seinem Zeigefinger die Wange des anderen.
 

„Hörst du mich, Tocchi? Ich bin hier! Tut mir leid, dass ich nicht früher da sein konnte… aber ich verspreche dir, von jetzt an werde ich nicht mehr von deiner Seite weichen, ok?!“
 

Vorsichtig strich er über die warme Haut unter seinem Finger, in der Hoffnung, dass die Berührung den anderen vielleicht wecken könnte.
 

„Bitte mach die Augen auf, Tocchi, danach kannst du solange schlafen wie du willst und ich verspreche bei aller Schokolade der Welt und bei meiner Weinsammlung, dass ich dich danach ausschlafen lasse – solange du willst! Ich werde auch nicht rein zufällig irgendwelche lauten Geräusche machen, um dich so zu wecken – versprochen!“
 

Doch alle Versprechen der Welt brachten den Sänger nicht dazu, seine Augen aufzuschlagen, sodass Yoshiki seinen Stuhl leise ein wenig nach hinten rückte und seinen Oberkörper dann nach vorne beugte, sodass er seinen Kopf auf Toshis Oberarm legen konnte, wo er dann selbst die Lider senkte.
 

„Bitte bleib hier, Tocchi… du musst stark sein, du musst kämpfen!“, flüsterte er und schniefte einmal kurz, als vereinzelte Tränen sich den Weg durch seine Wimpern hindurch bahnten und über seine Wangen rannen.

„Ich kann dich nicht auch noch verlieren… ich hab doch schon Papa und hide… und außerdem hast du es mir versprochen! Du hast versprochen, für immer an meiner Seite zu sein und den Weg mit mir gemeinsam zu gehen. Außerdem, wer soll sonst meinen überfürsorglichen Babysitter spielen? Heath, Pata und Sugizo sind da bei weitem nicht so gut darin wie du und… und außerdem will ich keine andere Glucke!“
 

Blind wischte er sich über die Augen und machte es sich dann wieder so bequem wie nur irgend möglich.
 

„Erinnerst du dich noch daran, wie wir das erste Mal eigene Songs bei diesem einen Fest aufgeführt haben und wie eifersüchtig und neidisch die anderen Bands dann waren, weil sie nur gecovert haben und wir so einen riesen Applaus bekommen haben? Oder als ich noch Sänger war… du hast dich hinter meinem Rücken ständig schlapp gelacht und gedacht, ich würde es nicht registrieren! Oder… oder was du damals ins Jahrbuch geschrieben hast, als wir die Oberstufe abgeschlossen haben? We are X!“
 

Ein leichtes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, während weitere Tränen seine Wangen benetzten und er die Worte wiederholte.
 

„We are X… gemeinsam werden wir auch das schaffen. Erinnerst du dich? Zusammen sind wir unschlagbar! Zusammen gehört uns die Welt!“
 

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Falls ihr euch wundert, weshalb Yoshiki Taiji nicht bei den Menschen mit aufzählt, die er verloren hat… Das liegt daran, dass ein Großteil der Story vor Taijis Tod geschrieben wurde. Ich hatte überlegt, es abzuändern, beschloss dann aber, Taiji in der FF am Leben zu lassen.
 

Inwieweit Yoshikis Bestechungsversuche bei Toshi Wirkung zeigen und er die Augen wieder aufmacht, erfahrt ihr dann im dritten Kapitel!
 

In diesem Sinne hoffe ich, dass euch das Kapitel weiter in den Bann gezogen hat und über eure Meinungen, Gedanken, Kommentare etc. würde ich mich natürlich freuen :)

Sans Toi

@ -Shin-: Kenn ich, ich bin da auch immer ungeduldig würd am liebsten heute als morgen wissen, wie es weitergeht. Bei Büchern oder abgeschlossenen FFs führt das dann dazu, dass ich die ganze Nacht durchles, weil ich nicht aufhören kann^^;
 

@ Asmodina: Will ich, dass du meine liebe Beta antreibst? Nur wenn das keine negativen Auswirkungen auf mich hat! ;P
 

@ T0M0: Was ich noch mit den beiden vorhabe? Einiges! Schließlich umfasst die FF einen Zeitraum von 4 Jahren. Genug Zeit, um seine Charaktere zu „quälen“ ^.~
 

@ Terra-gamy: Die Versuchung sollte auf jeden Fall groß sein. Wenn Yoshiki scheitert würde Toshi schließlich sämtliche Schokolade der Welt gehören! ^.~
 

@ all: Sorry für die leichte Verspätung! Ich hoffe, ich hab euch deswegen nicht zu lange auf die Folter gespannt… Wie auch immer, viel Spaß mit dem dritten Kapitel!!
 

••••••••••••••••••••
 

„Ehrlich, Yocchan! Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, aber musst du uns immer – autsch, das war schon wieder so eine bescheuerte Dorne! Musst du uns immer in dieses bescheuerte Rosenfeld träumen“, beschwerte sich hide lautstark und lutschte an seinem Daumen, während er Yoshiki folgte, der durch die edlen Blumen hindurch ging und mit den Händen sanft über die samtigen Blütenköpfe strich.

„Wir sind Rockstars! Wäre da eine Bar mit Alk en masse umsonst nicht angemessener? Oder wie wäre es mit einem Stripclub mit ein paar scharfen Häschen?“

Unvermittelt blieb der Drummer stehen und drehte sich zu dem Gitarristen mit den pinken Haaren um, welchen er nur anlächelte.

„Mein Traum, mein Rosenfeld!“ Damit wandte er sich wieder um und ging weiter. „Wenn du in einen Stripclub willst, dann musst du dich selbst dorthin träumen!“

„Probier mal zu träumen, wenn du tot bist, du Idiot – das funktioniert nicht ganz!“

„Ich vermiss das Gezanke mit dir…“, seufzte der Blonde nostalgisch und ging weiter voran.

„Und deswegen träumst du es dir herbei? Unter uns… du spinnst, aber sowas von!“

„Das fällt dir erst jetzt auf?“, entgegnete Yoshiki und drehte sich im Gehen zu dem anderen, um ihn breit anzugrinsen. Statt darauf einzugehen, schüttelte hide nur den Kopf und streckte ihm die Zunge heraus, ehe er mit etwas Anlauf auf den Rücken des Jüngeren sprang, damit dieser ihn Huckepack trug.

„Ein Glück, dass du in deinen Träumen keine Bandscheibenprobleme hast!“

„Du hast doch nur keine Lust, weiter selbst durch die Rosen laufen zu müssen“, konterte der Pianist und hielt die Beine des Gitarristen fest.

„Träum uns in einen Stripclub und du bist mich ganz schnell wieder los!“

„Dann bleiben wir definitiv hier, so hab ich dich schließlich für ein paar Stunden wieder für mich…“

„Ach Yocchan“, seufzte hide und wuschelte durch die gebleichten Haare. „Du musst auch mal leben und dich nicht nur in die Arbeit verkriechen. Das Leben ist da, um es zu genießen und nicht, um es in einem dunklen Studio zu verbringen.“

„Du klingst wie Toshi, Pata, Heath und Sugizo…“

„Dann muss ja was dran sein, wenn nicht nur dein Unterbewusstsein, das mich herbei träumt, dir das sagt, sondern die vier auch.“

„Jetzt werde ich in meinen Träumen auch schon damit genervt“, grummelte Yoshiki und ging wortlos weiter, während hides Kinn auf seinem Kopf ruhte und der quirlige Gitarrist in sein Schweigen mit einfiel. Schon bald lichteten sich die unzähligen roten Rosen und wurden immer mehr von Palmen durchbrochen, die schließlich zu einer kleinen Bucht mit weißen Sandstrand und türkisblauen Meer führten. Am Strandanfang blieb Yoshiki jedoch verwirrt stehen und ließ hide los, der von seinem Rücken rutschte, da er in der Brandungszone jemanden entdeckt hatte, der eigentlich nicht in diese Traumwelt gehörte.
 

„Tocchi?!“ Er rannte zu ihm, doch je näher er ihm kam, desto weiter schien der Sänger in die Ferne zu rücken.

„Toshi!!!“ Inzwischen war er am Meer angekommen, doch der andere entfernte sich trotz allem immer weiter. Ein trauriges Lächeln zierte sein Gesicht, als er die Hand wie zum Abschied hob.

„Leb wohl, Yocchan…“

„Toshi!!“

Im nächsten Augenblick war er verschwunden und der Pianist stand kniehoch im warmen Salzwasser.

„Tocchiiiii!!!!!“ Er schrie ihm nach, hatte die Augen zusammengekniffen, doch nichts geschah. Als er sie wieder aufschlug, war die Bucht verschwunden und er ruhte mit seinem Kopf wieder auf Toshis Arm in dessen Krankenzimmer auf der Intensivstation. Ein greller, gleichbleibender Ton durchbohrte die Stille wie ein Pfeil und innerhalb einer Sekunde war Yoshiki hellwach, während mehr oder minder zeitgleich die Zimmertür aufgerissen wurde und die Familie seines besten Freundes hereingestürmt kam, dicht gefolgt von Pflegepersonal und Ärzten. Wie gelähmt starrte er auf die gerade Linie, die der Monitor des EKGs anzeigte. Die verzweifelten Rufe von Okaa-san, die Versuche ihrer Söhne, sie zu beruhigen, die kurzen, einsilbigen Befehle, die die Mediziner erteilten… - das alles zog scheinbar in Zeitlupe an ihm vorbei.

Eine einfache, gerade Linie…

Ein schriller, anhaltenter Ton…

Kein Herzschlag…

Kein Leben…
 

„Ich muss sie bitten, den Raum zu verlassen“, forderte einer der Ärzte, während eine Schwester Toshis Familie nach draußen begleitete, wo Heath, Pata und Sugizo angespannt warteten. Ihnen stand die Sorge überdeutlich ins Gesicht geschrieben.
 

Der Ton verstummte, weil ein Pfleger ihn ausschaltete, doch die Linie blieb.

Kein Ausschlag, der zeigte, dass das Herz seines besten Freundes gleichmäßig schlug…

Kein Puls…

Nichts mehr…
 

„Sie müssen den Raum bitte auch verlassen“, sprach eine Pflegerin Yoshiki an und berührte ihn kurz am Oberarm. Unterdessen wurde die Bettdecke von Toshi gerissen und ein Defibrillator startklar gemacht.
 

Tod…

Fort…

Wie sein Vater und hide…
 

Plötzlich kam Leben in seinen gelähmten Körper und der Drummer stürzte sich auf den Sänger, während Tränen sich ihren Weg an die Oberfläche bahnten.

„Tocchi! Wach auf!!“ schrie er und wollte ihn schütteln, um ihn so wieder aufzuwecken, doch er wurde links und rechts von zwei Pflegern gepackt, die ihre liebe Not hatten, ihn in Richtung Zimmerausgang zu bugsieren, da er sich gegen sie wehrte und nach seinem besten Freund rief, auf dessen Brust die Elektroden des Defibrillators gesetzt wurden und durch dessen Körper im nächsten Moment ein Stromschlag gejagt wurde.

„Tocchiiiii!!“

Er wollte zu ihm, doch es gelang ihm nicht. Dafür war er gleich darauf aus dem Zimmer geschafft worden und ehe er auch nur einen Versuch starten konnte, wieder hinein, wieder zu Toshi zu gelangen, da schlangen sich von hinten zwei zierliche Arme um ihn, um ihn festzuhalten.

„Lass mich los! Lass mich los!!“, schrie er hysterisch klingend und versuchte sich loszureißen, indem er um sich schlug, doch es brachte nichts.

„Yoshiki!“, versuchte eine tiefe Stimme, dicht an seinem Ohr, zu ihm durchzudringen. Pata hielt ihn fest? Dumpf glaubte er auch Heath und Sugizo zu hören, doch er war viel zu sehr auf das fixiert, was er durch die Glasscheibe hindurch im Krankenzimmer beobachten konnte. Immer wieder wurden Stromstöße durch seinen besten Freund gejagt, sodass sich sein lebloser Oberkörper um mehrere Zentimeter auf dem Bett aufbäumte, nur um dann wieder zurück zu fallen.

„Lass mich…! Ich muss…!!“ Unaufhörlich rannen Tränen über seine Wangen und vernebelten mehr und mehr sein Blickfeld.

Er musste zu Toshi!

Er musste verhindern, dass er ihn auch noch verließ!

Mit Schlagen, Treten und Kicken versuchte er irgendwie frei zu kommen, doch er war viel zu erschöpft und zitterte zu stark, als dass er groß etwas ausrichten konnte. Alles Adrenalin trug nicht dazu bei, dass er loskam. Zu seinem Glück spürte er jedoch, wie der Griff plötzlich lockerer wurde, aber bevor er auch groß etwas tun konnte, wurde er herumgedreht und seine Oberarme wieder schraubstockartig festgehalten.

„Yocchan!“ Pata schüttelte ihn leicht, in der Hoffnung, ihn so wieder zur Besinnung zu bringen, doch der Jüngere warf den Kopf nur von einer Seite zur anderen, bekam vor lauter Schluchzen kaum noch Luft und versuchte weiterhin, auf den zierlichen Körper einzuschlagen, um frei zu kommen, aber statt das der Gitarrist sich aus der Gefahrenzone brachte, zog er den bebenden Körper zu sich und schlang die Arme um ihn, um so effektiv die Hände außer Gefecht zu setzen.
 

Ein weiteres Mal konnte Yoshiki hören, wie der Defibrillator ausgelöst wurde und von einem Moment auf den nächsten, hörte sein Widerstand auf. Schluchzend sank er zu Boden und zog Pata dabei unweigerlich mit sich, der die Umarmung jedoch nicht löste und sich vor ihn kniete. Er registrierte nicht wirklich, wie Heath und Sugizo ebenfalls neben ihm in die Hocke gingen und in einer beruhigenden Geste über seinen Rücken und durch seine Haare strichen. Alles was er hörte, waren die Geräusche, die aus dem Krankenzimmer nach draußen drangen.

Alles Bemühen der Ärzte war umsonst.

Toshi sprach nicht darauf an.

Er war tot.

Tot, wie so viele andere Menschen in seinem Leben.

Erneut kam der Defibrillator zum Einsatz, doch Yoshiki konnte das Geräusch nicht mehr länger ertragen.

Immer wieder derselbe Ton, wenn sich das Gerät auflud.

Immer wieder derselbe Klang, wenn der Elektroschock abgegeben wurde.

Immer wieder dasselbe Geräusch, wenn Toshis Körper wieder auf der Matratze zu ruhen kam.

Er riss sich los, sprang auf und rannte blind darauf los, die Rufe der anderen ignorierend.

Einfach nur weg! Mit dem Ärmel wischte er sich über die Augen, als er die unzähligen Treppen nach unten stolperte und mehr als einmal fast den Boden unter den Füßen verloren hätte. Folgten ihm die anderen? Der Drummer konnte es nicht sagen, doch im Moment war das auch egal. Einfach nur weg! Er hatte es doch schon immer gewusst: er brachte den Menschen um sich herum nur den Tod. Erst sein Vater, dann sein Kumpel aus der Schule, schließlich hide und nun sein bester Freund. Einfach nur weg! Weg von allen, ehe er noch mehr Menschen auf dem Gewissen hatte.
 

Schließlich war er im Erdgeschoss angekommen und stürmte an den Menschen im Eingang vorbei nach draußen, wo eine Meute Reporter bereits wartete. Anscheinend hatte es sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet, wo sich Toshi befand und was passiert war. Nachdem seine Sonnenbrille und sein Capi oben im Krankenzimmer waren, wurde er sofort erkannt und ein Blitzlichtgewitter brach aus. Zum Glück schien die Security des Krankenhauses wenigstens so gut zu sein, um sie draußen zu halten, damit Toshis Familie ungestört war. Schützend hob Yoshiki den Arm vors Gesicht und drängte sich durch den Pulk hindurch, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob er irgendjemand mit seinem Ellenbogen stark anrempelte oder auf irgendwelchen Füßen herum trampelte. Er wollte einfach nur weg! Unmengen an Fragen prasselten sinnflutmäßig auf ihn herab, doch er antwortete auf keine einzige. Stattdessen öffnete der verhangene Himmel seine Schleusen und lauwarmer Regen fiel hernieder, während endlich der Taxistand in Sicht kam. Eigentlich hatte er mit seinen Leuten abgemacht, sie anzurufen, wenn sie ihn abholen sollten, da der Hubschrauber schließlich nicht ewig auf dem Landefeld der Klinik warten konnte, doch er wollte nicht solange auf seinen Fahrer warten. Er musste jetzt weg! Zum Glück hatte das Nass von oben dafür gesorgt, dass die meisten Reporter sich eines Besseren besannen und Unterschlupf unter der Überdachung suchten, anstatt ihn weiter zu verfolgen. Lediglich einige wenige hartnäckige Paparazzi klebten noch immer an seinen Fersen. Er wollte gerade die Tür des Taxis öffnen, als sie sich erneut mit Kameras auf ihn stürzten. Rot sehend, riss er dem einen die digitale SLR aus der Hand und schleuderte sie zu Boden, während er einem weiteren einen gezielten Tritt in die Kronjuwelen verpasste. Ein dritter war so klug, den strategischen Rückzug anzutreten, sodass Yoshiki schließlich einsteigen konnte und dem Fahrer die Adresse nannte, zu der er ihn bringen sollte.
 

Gleichzeitig beobachteten Heath, Pata und Sugizo – zum Teil hinter einem großen Gummibaum versteckt – die ganze Szene durchs Fenster. Sie waren ihrem Leader gefolgt und hatten ihn aufhalten wollen, doch als er unbehelligt in die Reportermenge gerannt war, hatten sie kapituliert und sich möglichst unauffällig verhalten, um nicht auch noch Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und für noch größere Unruhe zu sorgen.

„Lasst uns zurück gehen“, entschied Pata und steuerte die Treppen an, während die beiden Jüngeren ihm stillschweigend folgten.

„Glaubt ihr, Toshi ist…?“, fragte Heath und hielt den Kopf gesenkt. Ihn und Toshi verband eine enge Freundschaft, wenn auch bei weitem nicht so tiefgehend wie zwischen diesem und ihrem Leader, doch auch er wollte den Sänger nicht sterben sehen.

„Die Ärzte haben ihn noch reanimiert, als wir Yoshiki hinterher sind“, äußerte Sugizo, „er könnte durchaus noch am Leben sein.“

„Wir werden es wissen, wenn wir wieder dort sind“, entgegnete Pata mit gewohnt stoischer Ruhe.

„Warum ist Yosh überhaupt so abgehauen? Ich meine, erst macht er ein Riesentheater, dass er unbedingt zu Toshi will und dann läuft er einfach weg…!“

„Ich vermute, dass es einfach zu viel für ihn war, Hiichan“, äußerte Sugizo.

„So ein Sensibelchen wie er ist…“, warf der Älteste der Truppe ein.

„Hat er dich eigentlich irgendwie ernsthaft getroffen, Pata, als er sich so gewehrt hat?“, wollte Heath wissen. Es hatte ihn überrascht, dass der Gelockte sich darum gekümmert hatte, ihren Drummer in Schach zu halten, denn eigentlich war er jemand, der sich nur bedingt in solche Angelegenheiten einmischte. Andererseits… von ihnen allen war Pata neben Toshi derjenige, der Yoshiki am längsten kannte… Vielleicht war es doch nicht so abwegig, dass ausgerechnet er sich seiner dann angenommen hatte.

„Da war nicht allzu viel Kraft dahinter… dazu war er viel zu fertig.“
 

Wieder auf der Intensivstation angekommen, entdeckten sie sofort Toshis ältesten Bruder Kenichi, der auf sie zu warten schien.

„Was ist mit Yoshiki?“

„Weg“, antwortete Sugizo.

„Was ist mit Toshi?“, wollte Heath augenblicklich wissen.

„Die Ärzte haben ihn zurückholen können…“

„Gott sei Dank!“ Allen dreien fiel ein Stein vom Herzen.

„Er ist schwach, sein Zustand ist kritisch, aber er lebt“, erklärte Kenichi, dessen jüngerer Bruder sowie ihre Mutter bereits wieder an Toshis Seite waren.

„Wir müssen Yoshiki verständigen“, äußerte Sugizo.

„So schnell wie möglich, der denkt ja wahrscheinlich, dass Toshi tot ist…“

„Ich hoffe, er stellt nicht wieder irgendeinen Blödsinn an“, murmelte Pata in seinen nichtvorhandenen Bart.

„Ich werde ihn anrufen“, beschloss der Violinist und hatte bereits sein iPhone aus der Tasche gezogen, wo er Yoshikis Nummer aus dem Adressbuch wählte. Während er wartete, dass der andere abnahm, verabschiedete sich Kenichi mit einer angedeuteten Verbeugung und ging ebenfalls zurück. Unterdessen entwich Sugizo ein lautes Seufzen, als Yoshikis Handy auf Mobilbox schaltete.

„Yoshiki, ich bin es, Sugizo. Toshi lebt, er ist nicht tot! Hörst du? Meld dich bitte, wenn du die Nachricht kriegst!“ Nachdem er aufgelegt hatte, steckte er das Telefon zurück in die Hosentasche.

„Sein Handy ist aus…“

„Wir müssen es weiter probieren“, entgegnete Heath und lehnte sich gegen die Wand.
 

Eine Stunde später hatte Yoshiki schließlich sein Ziel erreicht – ein kleines Cottage nahe Narita, Chiba, das er von seinem Vater geerbt und in dem er zu X‘ Anfangszeiten eine Weile gelebt hatte. Kaum einer wusste, dass er es besaß, geschweige denn wo es sich befand, sodass es der ideale Zufluchtsort war. Nachdem er aus einem Geheimversteck den Schlüssel geholt und die Tür aufgesperrt hatte, trat er ein und ließ sich einfach zu Boden sinken, nachdem er die Holztür hinter sich wieder geschlossen hatte. Die gesamte Fahrt über hatte er leise vor sich hin geweint und auch jetzt traten noch immer neue, bittere Tränen an die Oberfläche.

Toshi war tot…

Sein bester Freund seit Kindergartentagen, der wie ein Bruder für ihn war, war tot.

Fort…

Nie mehr würde er mit ihm reden, mit ihm lachen, mit ihm streiten, mit ihm weinen können.

Weg…

Nie mehr würde er mit ihm kuscheln, seine Wärme und Nähe genießen können.

Einfach so, von einer Sekunde auf die nächste, war ihm die wichtigste Bezugsperson in seinem Leben genommen worden und nichts – kein Geld der Welt, kein Vitamin B – würde ihn zurückbringen.

„Warum?!?!“, schrie er an die Decke und schlang die Arme um seinen zitternden Körper, während unaufhörlich Tränen aus seinen Augen traten. „Das ist nicht fair, Tocchi!! Du hast versprochen, für immer an meiner Seite zu sein!! Hörst du?! Wir hatten ein Versprechen!!!“ Sein Schluchzen wurde immer lauter und heftiger, bis er kaum mehr Luft bekam und seine Lunge regelrecht, fast wie bei einem Asthmaanfall, zu stechen anfing. Doch er wusste, dass dies nicht damit zusammenhing, sondern nichts anderes als ein Atemkrampf war. Bewusst konnte er sich nur an zwei andere dieser Art erinnern: einmal, als sein Vater gestorben war und dann Jahrzehnte später, als hide ihn auch verlassen hatte.

„Das ist nicht fair!!... Ich sollte sterben, nicht du!! Ich bin derjenige, dessen Gesundheit im Eimer ist, nicht deine!! Ich hätte sterben sollen!!! Ich hätte X mit ins Grabe nehmen sollen, nicht du!!“

Weinend legte er sich auf den Holzboden und rollte sich zusammen, während er darauf wartete, dass der Krampf vorbei ging. Abgesehen von seinem Schluchzen herrschte Totenstille in dem kleinen Cottage, sodass es nur noch deutlicher zu hören war.
 

Was sollte er denn ohne Toshi machen?

Es gab niemanden mehr, der ihn mit einer einfachen Umarmung wieder zum Lächeln bringen konnte, wenn er sich traurig fühlte…

Es gab niemanden mehr, den er mitten in der Nacht anrufen konnte, weil er einfach nicht schlafen konnte…

Es gab niemanden mehr, der kopfschüttelnd in seinen Kühlschrank blickte und sich dann kommentarlos hinter den Herd stellte…

Es gab niemanden mehr, der seinen Liedern eine Stimme verlieh…

Es gab niemanden mehr, der sich zu ihm auf die Klavierbank setzte und sich gegen ihn lehnte…

Es gab niemanden mehr, der ihn auch ohne Worte verstand…

Es gab niemanden mehr, der bedingungslos an ihn glaubte und ihn unterstützte, egal wie hirnrissig seine Idee auch wieder sein mochte…

Es gab niemanden mehr, der ihn bedingungslos liebte und dem er blind vertrauen konnte, weil dieser jemand Yoshiki und nicht YOSHIKI sah…
 

Schniefend richtete er sich auf, wischte die Tränen aus dem Gesicht, auch wenn neue nachkamen, und holte sein iPhone aus der Hosentasche. Im Taxi hatte er es ausgeschaltet, da er wusste, dass seine Bandkollegen versuchen würden, ihn zu erreichen. Ganz zu schweigen vom Management, wenn es von der Nummer mit den Paparazzi Wind bekäme… Doch er wollte nicht reden. Nichts, was irgendwer sagen konnte, würde den Schmerz in irgendeiner Art und Weise lindern und die Leere, die er spürte, wieder füllen können.

Wenn hide ihn nie getroffen hätte, dann würde er jetzt vielleicht noch leben.

Wenn Toshi ihn nie getroffen hätte, dann würde er jetzt vielleicht noch leben.

Es war seine Schuld. Alle, die ihm etwas bedeuteten, starben…
 

Einen Schrei ausstoßend, schleuderte er das Handy gegen die nächstbeste Wand, an welche es prallte und mit zerbrochenem Display zu Boden fiel. Keuchend hievte er sich hoch und presste eine Hand gegen seine Brust, da ihm das Atmen noch immer schwer fiel. Er wankte zur Kommode, die im Eingang stand, und über der ein alter Spiegel hing. Sich auf dem Holz abstützend, starrte er in das verstaubte Glas und musterte den Mann, der ihm entgegenblickte: gebleichte Haare, die wirr herab hingen, rote, vom Weinen verquollene Augen, dunkle Augenringe, blasse Haut, die von den Tränen feucht glänzte und rote Flecken aufwies, eine gerötete Nase, weil er immer wieder mit dem Handrücken darüber rieb, bebende Lippen, die zum Teil Blutspuren zeigten, da er darauf herum gebissen hatte… Einen Entschluss fassend, richtete er sich auf, blickte noch einmal in den Spiegel und schlug dann mit der Faust auf sein Abbild ein, sodass das Glas splitterte.
 

Mit dem heutigen Tage würde YOSHIKI gemeinsam mit Toshi aufhören zu existieren…
 

••••••••••••••••••••
 

Was denkt ihr, wie Yoshiki seinen Entschluss in die Tat umsetzen wird? Die Antwort darauf gibt es dann im nächsten Kapitel (genauso weshalb es von Vorteil sein kann, die Onlinebanking-Daten seines besten Freundes zu haben) ^.~

Aux Ailes de la Mort ~ 1ère Partie ~

@ -Shin-: hide wollte auch seinen Auftritt haben und nicht immer nur namentlich erwähnt werden, also hat er eine Traumsequenz bekommen ^.~
 

@ Asmodina: Ich weiß, aber dazu sind Cliffhänger ja da – der Leser zappelt und der Autor hat seine Freude ^.~
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Ach was, so schlimm hat Toshi es doch gar nicht bei mir… zumindest wurde er noch nicht wie andere Charaktere, die ich schon mal geschrieben habe, gekillt ^.^
 

@ Astrido: Hatte Pata bei den Reunion Shows nicht auch ein Solo? Mir war als wär da was gewesen Ô.o Den Spruch finde ich übrigens gut!
 

@ Terra-gamy: Ähh… gute Frage! Aber keine Sorge, er findet schon noch heraus, dass Toshi nicht tot ist ^.^
 

@ LunaLee: Dachte ich mir fast, dass du für hides Auftritte immer zu haben bist ^.~
 

@ Kaoru: Das Bild aus dem Steckbrief hatte der echte Yoshiki mal auf Twitpic hochgeladen und fand es recht passend dafür, gerade weil es so widersprüchlich zur Story ist^^;
 

@ all: Dieses und das darauffolgende Kapitel sind eigentlich ein großes und wurde in zwei Teile geteilt. Der erste Part geht auf Toshi ein, während der zweite sich auf Yoshiki konzentriert. Viel Spaß dabei! ^.^
 

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Fast drei Wochen waren vergangen, als Toshi schließlich zur Freude aller aus dem Koma erwachte. Kurz nach dem Herzstillstand hatte er sich noch einmal dem Tode nahe befunden, da zu den unzähligen, sowieso schon schwerwiegenden Verletzungen auch noch eine Lungenentzündung hinzu gekommen war und es mehrere Tage lang fraglich war, ob sein geschwächter Körper dies auch noch ertragen konnte. Doch die aggressive Behandlung mit Antibiotika zeigte rasch ihre Wirkung und schon bald ging es mit ihm bergauf. Nachdem sein gesundheitlicher Zustand sich stabilisiert hatte, durften schließlich auch Nichtfamilienangehörige zu ihm, sodass Heath, Pata und Sugizo jede freie Minute bei ihrem komatösen Sänger verbrachten und mit ihm sprachen, beziehungsweise ihm Musik oder Videos von Yoshiki auf einem mitgebrachten Laptop abspielten.
 

Von ihrem Leader hatten sie nichts mehr gehört, seit er an jenem Tag aus dem Krankenhaus gerannt war, in dem Glauben, sein bester Freund wäre tot. Sie hatten versucht ihn telefonisch zu erreichen, doch außer Mobilbox und Anrufbeantworter war nichts gewesen. Als er darauf nicht reagiert hatte, hatten sie in der Firma, im Penthouse und in der Villa am Stadtrand nach ihm gesucht, doch er war wie vom Erdboden verschluckt. Auch in Los Angeles war er nicht und weder seine Familie noch sein Management hatte irgendeine Ahnung, wo er sein könnte. Freunde, Vertraute und Mitarbeiter auf der ganzen Welt wurden angerufen, doch niemand hatte ihn gesehen. Um keine unnötige Unruhe zu verbreiten, wurde der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass es dem Schlagzeuger selbst augenblicklich nicht sonderlich ginge und er sich behandeln ließe, weshalb er nicht zu sprechen wäre. Seine restliche Zeit verbrächte er an der Seite seines besten Freundes und Presse wie Fans wurden gebeten, dies zu respektieren.
 

Yoshikis kleiner Bruder Kouki war zu dem alten Cottage ihres Vaters nach Narita gefahren und hatte dort das zerbrochene Handy sowie den zersplitterten Spiegel mit den Blutspuren gefunden. Der Pianist hatte also dort gewesen sein müssen! Sein nächster Anlaufpunkt war der Pilot und die Crew von Yoshikis Privatjet gewesen, die jedoch lange gezögert hatten, ehe sie mit der Sprache herausgerückt waren, da sie dem Chef eigentlich versprochen hatten, Stillschweigen zu bewahren. So hatte Kouki letztendlich herausgefunden, dass sein Bruder noch am selben Tag, an dem er in Tokyo gelandet war, die Stadt auch schon wieder verlassen und sich nach Kapstadt abgesetzt hatte. Da es keine weiteren Anhaltspunkte gab und er inzwischen Gott weiß wo sein konnte, beziehungsweise Gott weiß was angestellt haben konnte, nahm er sich die aktuellen Kontobewegungen vor. Vollen Zugriff hatte er jedoch nur auf die Geschäftskonten, bei Yoshikis Privatkonten sah es da schon anders aus. Die wenigen, die er einsehen konnte, waren unauffällig, sodass sich jegliche Spuren seines großen Bruders im Sand verliefen.
 

Da das Handy des Drummers nicht mehr funktionierte und es somit auch keine Nummer mehr gab, unter der man ihn hätte erreichen können, schickten sie ihm alle E-Mails, in denen sie ihn informierten, dass Toshi am Leben war und sich sein Zustand stetig verbesserte. Sie hatten die Funktion aktiviert, dass sie eine Bestätigungsmail erhalten wollten, wenn die Nachricht abgerufen wurde, doch keiner von ihnen hatte bis dato eine bekommen. Yoshiki hatte seine E-Mails seit seinem Verschwinden nicht mehr kontrolliert.
 

Nun war es so, dass Kouki mit einem angeheuerten Privatdetektiv auf der Suche nach seinem Bruder war, während Heath, Pata und Sugizo dem endlich aufgewachten Toshi Gesellschaft leisteten und dafür sorgen mussten, dass der Sänger nicht davon Wind bekam, dass Yoshiki fort war und keiner wusste was los war, da sie sich alle einig waren, dass dies momentan zu viel Aufregung für den geschwächten Sänger wäre. Zu Beginn war dies nicht sonderlich schwierig gewesen, da er noch so erschöpft war, dass er sowieso einen Großteil des Tages verschlief, wobei die starken Schmerzmittel sicherlich auch dazu beitrugen. Doch mit der Zeit kamen die Fragen nach Yoshiki. Immerhin kannte er ihn lange genug, um zu wissen, dass dieser eigentlich schon längst an seiner Seite sein und den Ärzten das Leben zur Hölle machen würde. Mal wäre er verhindert, um Interviews zu geben, dann fühlte er sich nicht so gut, sodass er sich ausruhte, dann wiederum hätte er einen TV-Auftritt zu absolvieren, nur um kurz darauf nach LA zu fliegen, da er dort geschäftliche Verpflichtungen hatte und dringend im Studio gebraucht wurde.
 

Ein Klopfen an der Tür riss Toshi aus seinem Dämmerschlaf und er drehte vorsichtig den Kopf in Richtung des Geräusches. Inzwischen waren knapp drei weitere Wochen vergangen und er befand sich nicht mehr länger auf der Intensivstation sondern war auf die normale, in ein geräumiges Einzelzimmer verlegt worden. Ein Teil der Verbände war inzwischen abgekommen, aber er hatte trotz allem noch immer das Gefühl von einer Herde Elefanten zertrampelt worden zu sein. Sein rechter Arm sowie mehrere Rippen waren gebrochen gewesen, waren inzwischen aber wieder gut zusammengewachsen, sodass der Arzt ihm bereits versprochen hatte, dass in den nächsten Tagen der lästige Gips am Unterarm wegkommen würde. Da sowohl ein Oberschenkelknochen sowie Schien- und Wadenbein des anderen Beines einen komplizierten Bruch aufgewiesen hatten, hatte er daran mehrmals operiert werden müssen und es würde noch eine langwierige Rehaphase auf ihn zukommen. Die inneren Verletzungen heilten gut ab und auch die starken Prellungen der Wirbelsäule waren am Abklingen, sodass die Nerven durch die Schwellungen nicht mehr länger eingeklemmt waren. Lediglich an die Kopfverletzung wurde er noch beinahe täglich mit schweren Kopfschmerzen erinnert, doch seine Ärzte hatten ihm versichert, dass alles in Ordnung wäre und dies auch noch nachlassen würde.
 

„Hey, Toshi! Wie geht es dir?“, begrüßte Heath den Kranken, nachdem er in das abgedunkelte Zimmer getreten war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. Er hatte einen Strauß weißer und roter Rosen dabei, die bereits in einer Vase standen, welche er nun auf den Nachttisch stellte, ehe er den im Bett liegenden kurz umarmte.

„Mein Kopf fühlt sich an, als würde Yocchan ihn als Snare Drum missbrauchen…“, seufzte der Sänger und wartete, bis sich der Jüngere einen Stuhl herbeigeholt hatte. „Wo steckt er eigentlich?“

„Yoshiki?“, fragte Heath und biss unruhig auf der Innenseite seines Mundes herum. Ihm war ganz und gar nicht wohl dabei, den Älteren immer wieder anlügen zu müssen. „Der ist noch immer in LA, aber er ruft täglich einen von uns an, um zu wissen, wie es dir geht und er hat mich gebeten, dir die Rosen mitzubringen.“

„Hat er nicht meine Telefonnummer hier im Krankenhaus? Dann kann er doch direkt hier anrufen…“ Nachdem er auf die normale Station verlegt worden war, hatte seine Mutter das Telefon angemeldet, damit sie ihn anrufen konnte, wenn sie in Tateyama und nicht in Tokyo war.

„Eh… Doch! Die hat er!“
 

„Ich brauch irgendeine Erklärung, warum Yosh ihn nicht anruft. Und zwar schnell! Warum? Warum? Warum?“
 

„Aber er weiß ja von uns, dass du ständig so schlimme Kopfschmerzen hast und deshalb viel schläfst. Und von daher möchte er dich natürlich nicht stören und dir lieber Ruhe gönnen. Und außerdem muss er ziemlich lange arbeiten und dann noch die Zeitverschiebung… Unter den momentanen Umständen möchte er dich dann auch nicht mitten in der Nacht anrufen.“

„Kannst du Yoshiki sagen, dass mir das nichts ausmacht und dass er sich gerne auch nachts melden kann?“ Heath konnte ihm nur zu gut ansehen, dass er seinen besten Freund vermisste, so tat er das Einzige, was ihm in dem Moment einfiel.

„Ja klar! Ich schick ihm später einfach eine Nachricht, dass er sich gefälligst bei dir melden soll.“ Der Bassist versuchte noch ein halbwegs überzeugendes Grinsen aufzusetzen, während er sich gedanklich den Kopf zermarterte, was sie nun machen sollten. Toshi erwartete schließlich einen Anruf, nur wusste eben keiner wo der Anrufer steckte, um ihm mitteilen zu können, dass er sich dringend bei seinem besten Freund im Krankenhaus melden sollte.
 

Und so wurde das Versteckspiel von Mal zu Mal schwieriger, denn natürlich kam kein Anruf. Sie hatten überlegt, ob Kouki sich vielleicht als sein großer Bruder ausgeben könnte, doch sie ahnten, dass Toshi dann auf einen Besuch warten würde und auch wenn man die Paparazzi mit dem jüngeren der beide Hayashibrüder an der Nase herumführen konnte, bei dem Sänger würde das keine Minute lang gut gehen. Immerhin kannte er Yoshiki seit über 40 Jahren, er würde es sofort merken!

So blieb Heath, Pata und Sugizo nichts anderes übrig, als ihn immer wieder aufs Neue zu vertrösten. Die Heimlichtuerei wurde auch dadurch nicht erleichtert, dass sie sich immer tiefer in die Lügengeschichten verstrickten und sich immer öfter Widersprüche ergaben. Erst gestern war dies für Toshi wieder mehr als offensichtlich gewesen. Als er Sugizo nach Yoshiki gefragt hatte, hatte dieser gemeint, er wäre wegen seines Forschungsprojektes in Florida. Tags zuvor hatte Pata ihm erklärt, dass der Pianist wegen seiner Schilddrüsenüberproduktion zwecks Tests ins Krankenhaus gemusst hatte und wegen irgendwelchen radioaktiven Markierern mehrere Tage unter Quarantäne stand. Und davor hatte Heath gesagt, dass der Drummer überraschend an einem neuen Filmprojekt arbeitete und er sich deshalb sicherlich erst einmal für eine Woche lang in seinem Studio einschließen würde und jeglichen Kontakt zur Außenwelt unterbände.
 

Wenn man also rekapitulierte, dann hatte sich Yoshiki für eine Woche zwecks eines superwichtigen Auftrags im Studio eingeschlossen, war zeitgleich aber im Krankenhaus in LA unter Quarantäne und schien sich neuerdings auch noch zweiteilen zu können, sodass er es sogar noch schaffte, für sein langjähriges Forschungsprojekt in Florida, am anderen Ende der USA, sein zu können. Man brauchte keinen Harvardabschluss, um zu wissen, dass da was faul war. Wenn man dann noch mit in Betracht zog, dass Yoshiki seit der ganzen Masaya-Geschichte zu einer furchtbaren Glucke geworden war und von LA aus am liebsten den Rettungsdienst alarmiert hätte, als sie ein paar Wochen vor dem Unfall telefoniert hatten, während Toshi nebenbei Gemüse kleingeschnippelt und sich dabei in den Finger geschnitten hatte. Entsprechend stimmte es einen schon verwunderlich, dass er nun so rein gar nichts von sich hören ließ.
 

Den Entschluss gefasst habend selbst herauszufinden, was es damit auf sich hatte, angelte Toshi nach dem Telefon und tippte auswendig die Handynummer seines besten Freundes ein. Der Anruf aus dem Krankenhaus auf ein Mobiltelefon, das sich nicht in Japan befand, würde die Telefonkarte zwar sehr schnell leeren, aber die konnte man schließlich wieder aufladen. Doch statt Yoshiki erhielt der Sänger nur die Mobilbox. So legte er auf und wählte das Studio an. Selbst wenn der Pianist nicht da war, würde ihm ja zumindest der Staff sagen können, was Sache war. Außer natürlich, die machten bei der Heimlichtuerei auch mit. Denn dass seine Mutter sowie seine Brüder daran beteiligt waren, hatte er inzwischen auch schon herausgefunden, da sie jegliche Gespräche über Yoshiki mieden und, sollte sein Name doch einmal fallen, ganz schnell das Thema wechselten.
 

„Nur weil ich ein Schädelhirntrauma hatte, heißt das ja nicht, dass ich neuerdings von Dummsdorf bin!“
 

„Extasy Records, Amy speaking. How may I help you?”

Toshi fiel ein Stein vom Herzen, als er Yoshikis langjährige Assistentin hörte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Angestellten dort sprach sie etwas Japanisch.

„Toshi hier“, meldete er sich in seiner Muttersprache.

„Toshi! Das ist ja eine Überraschung! Wie geht es ihnen?“

„Geht schon, danke. Hören Sie, Amy, ich rufe wegen Yoshiki an, ist er zu sprechen?“

„Yoshiki?!“ Irgendwie klang sie erschrocken, als sie den Namen aussprach.

„Ja, Yoshiki. Ich habe schon seit Ewigkeiten nichts mehr von ihm gehört, was ehrlich gesagt etwas seltsam ist, vor allem, wenn ich dann noch irgendwelche Stories hier zu hören bekomme, die hinten und vorne nicht mehr zusammenpassen.“

„……………. Sie wissen von nichts?“

„Wovon sollte ich wissen?“

„Ich fürchte, ich bin in keiner Position, Ihnen darüber etwas zu sagen, Toshi…“

„Amy, was ist los?“

„Fragen sie das Management oder die Band – die werden Ihnen sicherlich alle Fragen beantworten können. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann…“

„Schon gut. Sie haben mir schon weitergeholfen. Danke, Amy! Auf Wiederhören.“

„Auf Wiederhören und passen Sie gut auf sich auf, Toshi!“
 

„Band? Management? Yoshiki, was hast du jetzt schon wieder angestellt? Und warum zum Teufel glauben die, dass sie das vor mir verheimlichen müssen?!“
 

Zum Glück des Sängers musste er nicht lange warten, ehe die Antwort in Form von Heath, Pata und Sugizo an der Tür klopfte und hereinkam. Sie begrüßten ihn wie üblich und auch wie sonst hatten sie die obligatorischen Rosen dabei, die Yoshiki schickte, nur dass sich Toshi inzwischen ziemlich sicher war, dass sie gar nicht von seinem besten Freund kamen, sondern von den Dreien nur immer zur Deckung gekauft und mitgebracht wurden.

„Wie geht es dir?“, fragte Pata, nachdem sie es sich alle drei auf bereitstehenden Stühlen bequem gemacht hatten.

„Wie immer… Kopfschmerzen und so halt.“

„Die Ärzte sollten dich mal akupunktieren, vielleicht gehen sie so weg. Wäre definitiv besser als ständig Schmerzmittel in rauen Mengen zu schlucken…“, äußerte Sugizo.

„Wie geht es eigentlich Yocchan, Pata?“, überging Toshi die Aussage. „Ist bei der Untersuchung seiner Schilddrüse irgendetwas herausgekommen? Ist er noch immer unter Quarantäne?“

„Eh……… ich hab noch nicht wieder mit ihm gesprochen…“

„Yoshiki ist im Krankenhaus?“, wollte Heath überrascht wissen. „Ich dachte, der arbeitet an diesem superwichtigen Filmprojekt!“

„Film? Meiner Info nach ist er doch in Florida wegen seinem Forschungsprojekt, wie Musik das Gehirn beeinflusst“, mischte sich auch Sugizo mit ein.

„Wenn ihr mich schon verarscht, dann solltet ihr euch vielleicht besser absprechen“, entgegnete Toshi mit verschränkten Armen von seinem Krankenbett aus, was dazu führte, dass ihn alle drei ziemlich ertappt anblickten.

„Wir hatten doch gesagt, diese Woche Florida!“, zischte der Violinist den beiden anderen zu, während er versuchte, möglichst unschuldig drein zu blicken.

„Florida war für nächste Woche! Die Woche war Hollywood“, entgegnete Heath und rutschte unruhig auf seinem Stuhl umher, während er die beiden anderen anfunkelte.

„Die Woche Krankenhaus, nächste Florida und dann Hollywood – anders macht das doch alles gar keinen Sinn!“, gab Pata ebenfalls seinen Senf dazu, blickte aber wie gewohnt stoisch drein.

„Bevor ihr euch gegenseitig die Köpfe abbeißt, will ich eine Antwort auf meine Frage: Wo ist Yoshiki?!“, wiederholte Toshi jene Worte, die er schon seit so vielen Wochen ständig fragte. Augenblicklich herrschte Stille und alle drei sahen sich an, doch keiner schien so recht zu wissen, was er sagen sollte. So war das eigentlich nicht geplant gewesen. Schließlich war vorgesehen gewesen, den Sänger solange hinzuhalten, bis sie Yoshiki gefunden hatten – vorzugsweise innerhalb einiger Tage, maximal einiger Wochen, aber nicht mehrerer Monate oder am Ende sogar noch mehrerer Jahre.

„Ich habe in LA im Studio angerufen und dort sagte man mir, ich solle euch oder das Management fragen und da ihr gerade hier seid…!“

„Du hast was?!“, quietschte Sugizo erschrocken auf.

„Also?!“

„Das ist… also das ist…“, fing der Bassist schließlich an, doch so recht wusste er auch nicht, was er sagen sollte.

„Heath, die Ärzte haben gesagt ‚Keine Aufregung!‘“, mahnte Pata.

„Wir sind doch eh aufgeflogen“, konterte der Violinist.

„Ich warte…!“

„Naja, also…“, setzte Heath erneut an, „also… das ist eine lange Geschichte. Sehr lang! Und sehr kompliziert! Yoshiki-kompliziert eben!“

„Ich habe Zeit“, entgegnete Toshi und blickte den Jüngeren abwartend an.

„Ähm… okay…“

„Prinzessin ist verschwunden, keiner weiß, wo sie steckt, was mit ihr ist, ob sie überhaupt noch am Leben ist oder irgendwelche Scheiße gebaut hat“, machte Pata es kurz und schmerzlos, damit sie es hinter sich hatten.

„……… Bitte WAS?!?!?!“

„Nicht aufregen, Toshi!“, erinnerte ihn Sugizo leise. Es war nie gut, im selben Raum wie ihr Sänger zu sein, wenn dieser wütend wurde. Das wurde er zwar nur selten, doch dann ergriff man besser die Flucht. Dagegen waren Yoshikis beinahe täglichen Fünf-Minuten harmlos!

„UND DAS SAGT IHR MIR ERST JETZT?!?!?!“

„Wir haben alles unter Kontrolle“, meldete sich Heath leise zu Wort. Er wusste, warum er Toshi von Anfang an lieber reinen Wein eingeschenkt hätte.

„Dann wäre Yocchan ja wohl hier!“, konterte Toshi, diesmal aber wieder mit ruhigerer Stimme.

„Willst du die ganze Story hören?“, hakte Sugizo zögernd nach.

„Natürlich!“

„Also es ist so, dass…“
 

Damit begannen die drei dem Sänger zu erzählen, was sich ereignet hatte und wie der aktuelle Stand der Dinge aussah.

„Yoshiki glaubt, ich wäre tot?“, fragte Toshi ungläubig, nachdem sie geendet hatten. So wie er seinen besten Freund kannte, konnte er in etwa erahnen, was dies bei ihm ausgelöst hatte.

„Wir haben alles versucht, um ihn irgendwie zu erreichen und ihn vom Gegenteil zu überzeugen, aber er ist wie vom Erdboden verschluckt“, antwortete Heath.

„Kann natürlich auch sein, dass er längst tot ist und er deswegen unauffindbar ist“, äußerte Pata schulterzuckend.

„Pata!!“ Sowohl der Bassist wie auch der Violinist sahen ihn strafend an.

„Was?! Seit hide ist er doch noch sensibler und wenn er Toshi, und somit dann auch X, ebenfalls verliert…“

„Ihr habt etwas von einem Privatdetektiv gesagt“, überging der Sänger den Einwand, auch wenn er dem Gitarrist gedanklich recht geben musste.

„Ja, aber der hat auch keine Neuigkeiten. Yoshikis Spur verläuft sich in Kapstadt. Die Geschäftskonten weisen keine Anomalitäten auf und die Privatkonten – zumindest die, auf die Kouki zugreifen kann – sind auch unauffällig“, antwortete Heath.

„Wie viele kann Kouki einsehen?“

„Eins oder zwei, glaube ich.“

„Das sind bei weitem nicht alle… hat einer von euch zufällig einen Laptop dabei?“

„Meiner ist im Auto“, antwortete Sugizo und sprang auch gleich auf, als er Toshis Blick verstand, „und ich werde ihn auch gleich holen!“ Damit war der Violinist schon aus dem Raum gesprintet.

„Du kannst auch mein Handy haben“, bot Pata an.

„Lass mal, ich mach sowas lieber über den Computer. Die Handybildschirme sind mir dazu zu klein.“
 

Die Kopfschmerzen und alles andere waren im Augenblick nebensächlich und der Sänger war froh, als Sugizo wieder kam und sogleich den Laptop startete und sich einloggte, als die Anmeldemaske erschien.

„Brauchst du Internet?“

„Ja…“

„Dann schalte ich die W-Lan-Karte ein. Einen Hotspot gibt es hier auf jeden Fall. Das haben wir schon ausprobiert, als du noch im Koma warst.“

Gleich darauf reichte er Toshi das Notebook, der den Browser öffnete und etwas in die Suchleiste eintippte.

„Was machst du da?“, fragte Sugizo neugierig, der sich wie die beiden anderen so gesetzt hatte, dass er den Bildschirm einsehen konnte.

„Mich in Yoshikis Privatkonten einloggen.“

„Du hast darauf Zugang?!“, wollte der Bassist überrascht wissen.

„Nach der Privatinsolvenz und allem hat Yocchan darauf bestanden. Er meinte, wenn ich je Geld bräuchte, dann solle ich mich nur bedienen, das wäre okay für ihn. Ich hab ihn für verrückt erklärt und gesagt, er soll den Scheiß bleiben lassen, aber wir wissen schließlich alle, wie dickköpfig er ist.“

„Oh ja… nur allzu gut!“, seufzte Pata.

„Du kennst die Kontonummern und Zugangsdaten auswendig?“, wollte Heath erstaunt wissen. Zwar machte auch er Online Banking, aber er konnte sich nie seine Kontonummer merken.

„Sind nur zwei und über die habe ich auf alle Zugriff“, erklärte Toshi abwesend, da er das erste Konto aufrief, „und ja, ich kann sie auswendig. Notgedrungen, weil Yoshiki darauf bestanden hat. ‚Man weiß ja nie was ist, da ist es besser, du kannst das im Schlaf!‘“, machte er seinen besten Freund nach. „Ach du…!“, äußerte er gleich darauf, als er sich durch die verschiedenen Konten durchklickte.

„Was ist?“, fragte Heath und lehnte sich näher ran, um mehr sehen zu können.

„Ich seh mir gerade die amerikanischen Konten durch. Bis auf das eine, das wahrscheinlich Kouki einsehen kann, sind die alle praktisch leer geräumt.“

„Leer wie in: Yoshiki hat alles abgehoben?“, hakte Pata nach.

„Leer wie in: Yoshiki hat praktisch alles zur YOSHIKI FOUNDATION rübergeschoben“, erklärte Toshi.

„Das heißt jetzt aber nicht, dass der Idiot jetzt alles seiner eigenen Stiftung gespendet hat, nur um sich dann umzubringen, weil es für ihn nichts Lebenswertes mehr gibt, oder?“, klinkte sich Sugizo ein.

„Ich ahne, was er getan haben könnte“, murmelte der Sänger vor sich hin und scrollte sich durch die Kontenbewegungen.

„Und was?“, fragte Heath.

„Ich hab hier eine Kreditkartenabbuchung für einen Flug von Johannesburg nach München, zwei Tage nachdem er aus Japan verschwunden ist. Zeitgleich hat er in Johannesburg 6 000$ abgehoben.

„München?“, wiederholte der Bassist.

„Ist das nicht in Deutschland?“, überlegte Pata.

„Was will er in Deutschland?“, fragte sich Sugizo.

„Die haben dort gutes Bier!“, erklärte der Gitarrist.

„Irgendwie bezweifle ich, dass Yoshiki nach Toshis Tod zu einer Bierverkostungstour nach Deutschland fliegt“, äußerte Heath mit hochgezogener Augenbraue, während sich besagter Sänger ausloggte, einen neuen Tab öffnete und den Namen einer weiteren Bank eingab – diesmal eine japanische. Auch dort meldete er sich zum Online Banking an und hatte gleich darauf Einblick in Yoshikis Konten, die ähnlich aussahen wie die amerikanischen.

„Leer geräumt bis auf das, das Kouki einsehen kann.“

„Auch wieder alles zur YOSHIKI FOUNDATION?“, fragte Pata.

„Nein… auf ein amerikanisches Konto, das mir nichts sagt… aber es ist bei derselben amerikanischen Bank wie die anderen…“

„Wieso das?“, überlegte Heath laut.

„Keine Ahnung…“
 

Auf der Unterlippe herum knabbernd kopierte Toshi die Kontonummer und wählte den vorherigen Tab aus, wo er die Nummer in das entsprechende Feld kopierte.

„Willst du dich in Yoshs Konto hacken?“, fragte Sugizo.

„Nein, aber ich kenne seine Passwörter und was das anbelangt, ist er nicht der Kreativste, weil er so schon immer durcheinander kommt, bei welchem Account er welches benutzt.“

„Du kennst seine Passwörter?!“

„Die beiden sind doch praktisch ein altes Ehepaar, Hiichan“, entgegnete Sugizo, während Toshi die Einwürfe überging und überlegte, welches Passwort wohl am wahrscheinlichsten war, denn schließlich hatte er nur drei Versuche, ehe der Zugang gesperrt werden würde. Er tippte das erste ein, klickte auf bestätigen und erhielt prompt die Mitteilung, dass es falsch war.

„Mist.“

So tippte er das nächste ein, doch auch dieses stimmte nicht.

„Einen Versuch hast du noch“, äußerte Pata, doch Toshi nickte nur abwesend und gab eine reine Zahlenkombination ein, während die Passwörter zuvor nur aus Buchstaben bestanden hatten.

„Bist du dir sicher?“, hakte Heath nach, als der Finger des Sängers über der Enter-Taste verharrte. Er hatte eine Vorahnung, was Yoshiki getan hatte, doch anstatt aufs Blaue los zu suchen, hätte er lieber noch eine Bestätigung, dass er auf der richtigen Spur war.

„… Das ist der Tag, an dem Yocchan und ich uns kennengelernt haben… der Tag, an dem wir Freunde wurden…“, murmelte Toshi mehr zu sich selbst, so als würde dies den anderen erklären, weshalb er sich ausgerechnet für dieses Passwort als das letzte entschied. Mit angehaltener Luft bestätigte er schließlich und atmete erst auf, als die Anmeldemaske verschwand und er das Konto vor sich hatte. Erleichtert fuhr er sich übers Gesicht und rief auch hier die Kontobewegungen auf, während die anderen drei ebenfalls befreit aufatmeten.

„Die Überweisungen der anderen Konten sind alle hier angekommen, aber er hat das Geld weiter verschoben…“

„Wohin?“, hakte Heath sofort nach.

„Auf irgendein Konto bei der BNP.“

„BNP?“

„Banque Nationale de Paris – eine große Geschäftsbank in Frankreich, Heath. Wenn ich mich recht entsinne, dann hat Yoshiki dort vor Jahren mal ein Konto errichtet, als er mit dem Gedanken gespielt hat, Extasy auch in Europa zu etablieren.“

„Kannst du dich da auch einloggen?“, wollte Sugizo sofort wissen.

„Das sind Geschäftskonten, keine Privatkonten… und selbst wenn, es würde uns nicht großartig weiterhelfen. Er kann schließlich überall an das Geld kommen und dann wieder sonst wohin verschwinden. Aber zu wissen, dass er solch große Beträge zur BNP rübergeschoben hat, bestätigt meinen Verdacht“, entgegnete Toshi, loggte sich überall aus, schloss den Browser und fuhr das Notebook herunter.

„Dass du eine Ahnung hast, meintest du vorhin schon einmal“, äußerte Pata und sah ihn abwartend an.

„… Ihr meintet vorhin doch, dass sich Yocchan umgebracht haben könnte… in gewisser Weise dürfte das stimmen…“

„In gewisser Weise?“, wiederholte Sugizo skeptisch. Wie konnte man sich den „in gewisser Weise“ umbringen?

„Ich bezweifle, dass Yoshiki Suizid begehen würde, dazu verabscheut er es wegen seines Vaters viel zu sehr…“

„Aber nach seiner Logik wäre er dadurch sowohl mit ihm als auch mit hide und dir wieder vereint“, gab Heath zu bedenken, doch Toshi fuhr fort, so als hätte er dies gar nicht gehört. Es war eine Sorge von ihm, die an ihm nagte, doch alles was er tun konnte, war darauf zu vertrauen, dass sein bester Freund der Durchführung von Selbstmord noch immer abgeneigt war – egal was dieser glaubte, was passiert war.

„… Als X damals berühmt wurde, da blieb Hayashi Yoshiki in Tateyama zurück, während YOSHIKI die Welt erobern wollte. Von da an gab es nur noch YOSHIKI… nach hides Tod wollte er YOSHIKI nur noch vernichten und wieder zu Hayashi Yoshiki werden, doch dann kam die Bitte, für den Kaiser einen Song zu komponieren und der Ruf der Bühne war lauter als alles andere, sodass Hayashi Yoshiki und YOSHIKI sich irgendwo in der Mitte getroffen haben und zu einer Person verschmolzen sind. Ich denke, nun da er glaubt, ich wäre tot, wird er alles tun was nötig ist, um YOSHIKI und alles, was er mit ihm verbindet, ein für allemal zu vernichten…“

„Und dazu muss er sang und klanglos verschwinden?“, äußerte Pata leicht skeptisch mit hochgezogener Augenbraue.

„In Japan ist es ihm unmöglich noch einmal zu Yoshiki zu werden, weil alle Welt ihn nur als YOSHIKI sieht. Dass er nicht in LA ist, hat, denke ich, ähnliche Gründe wie seine Flucht aus Japan…“

„Und du glaubst er ist in Frankreich“, erkundigte sich Sugizo.

„Yoshiki – also der, den ich damals kennengelernt habe – liebt Europa. Die ganzen klassischen Komponisten – Bach, Beethoven, Chopin… und gerade Frankreich hat es Yocchan schon sehr lange angetan. Mit anderen Worten: Ja, ich bin mir sehr sicher, dass er dort irgendwo ist…!“
 

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Was macht eurer Meinung nach Yoshiki in Frankreich? Vielleicht eine Wein-Tour, wenn schon aus der Bierverkostungstour in Deutschland nichts wurde?

Aux Ailes de la Mort ~ 2e Partie ~

@ T0M0: Wie heißt es so schön? Viele Köche verderben den Brei. Oder in dem Falle: Je mehr involviert sind, desto schneller unterlaufen Fehler ;)
 

@ -Shin-: Wie viele Jahre die Story genau umspannt steht eigentlich im Titel „Shi Ans“. Man muss nur erst einmal rausfinden, welche Sprachen ich da vermischt hab… Und wenn man dann noch ein wenig mitdenkt, weiß man eigentlich bereits, wie die Story verläuft ;)
 

@ Asmodina: Wieso steigt deine Sorge? Ich würde meinen Lieblingscharas doch nie etwas zu leide kommen lassen! ;)
 

@ Terra-gamy: Toshi kennt Yoshiki schließlich wesentlich länger als der Privatdetektiv… außerdem kennt er seine Pappenheimer ;)
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Eineiige Zwillinge sind sie klar nicht, aber vom Gesicht her gibt es schon Ähnlichkeiten zwischen Yoshiki und Kouki. Allerdings hat Kouki definitiv die maskulineren Züge ;)
 

@ Kaoru: Frankreich, bis auf den Süden, und der französische Teil Kanadas… ist notiert! Aber ich glaub, ich mach mir das einfacher ;P Während du schläfst, injiziere ich dir einfach einen Peilsender. Die gibt es doch sicherlich in derselben Größe wie die Identifikationschips für Tiere… Dann brauch ich mir nur noch ein entsprechendes Programm am PC installieren und muss dann nicht erst halb Frankreich und halb Kanada auf den Kopf stellen!
 

@ Astrido: Sich mit Depri-Balladen zuzudröhnen hilft, um in die entsprechende Stimmung zu kommen… ;)
 

@ sasu1: Vielen Dank und willkommen in der Runde! :)
 

@ all: Et voilà, der zweite Teil von „Auf den Schwingen des Todes“ bzw. „Aux ailes de la mort. Viel Spaß dabei!
 

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Nach Toshis Tod agierte Yoshiki nur noch nach Instinkt und Reflexen. Sein Pilot hatte ihn nach Kapstadt gebracht, von wo aus es ihn weiter nach Johannesburg im Landesinneren trieb. Während des Fluges von Japan nach Südafrika hatte er einen Großteil seines Privatvermögens seiner eigenen Stiftung überwiesen und dann überlegt, was er mit dem Rest machen sollte. Er wusste, dass sein kleiner Bruder früher oder später, nachdem sein Verschwinden offensichtlich geworden war, die Konten einsehen würde, auf die er ihm Zugriff verschafft hatte. Dementsprechend ließ er diese in Ruhe. Das letzte, was er wollte, war, dass Kouki ihn ausfindig machen könnte. Für ihn gab es nichts mehr, dass ihn noch in seinem alten Leben hielt.
 

In Johannesburg angekommen, hob er zunächst eine größere Summe an Bargeld ab, weil er so gut wie keinen Yen mehr bei sich hatte, den er noch hätte eintauschen können. So ziemlich alles war für die Busfahrt in die Stadt im Herzen von Südafrika draufgegangen, obwohl er einen Teil der Strecke bereits getrampt war. Aber da es nur eine weitere Person gab, die das Konto einsehen konnte, diese jedoch tot war, ging er das Risiko ein. Als er kurz darauf wieder flüssig war, suchte er sich erst einmal ein günstiges Hotel, in dem er sich erfrischte. Anschließend machte er eine kleine Einkaufstour, da er außer den Klamotten, die er am Leib trug, keine anderen bei sich hatte. Doch außer einer Jeanshose, zwei Shirts, zwei Paar Socken sowie Briefs und einer Sonnenbrille, da er seine schließlich bei Toshi zurückgelassen hatten, besorgte er nichts weiter. Anschließend fuhr er zum Flughafen und fragte dort, wann sie in irgendeinem Flieger – Zielort egal – einen Platz freihatten. Die Dame am Schalter teilte ihm mit, dass die nächste Möglichkeit ein Nonstopflug nach München, Deutschland, wäre, der in 12 Stunden abhöbe. Ohne nachzudenken buchte er diesen, kehrte dann ins Hotel zurück, um wenig später auszuchecken und zurück zum Flughafen zu fahren.
 

Als er am nächsten Tag in der bayrischen Hauptstadt ankam, sprang ihm ein Angebot der hiesigen Eisenbahngesellschaft ins Auge. Er hatte zwar keine Ahnung, worum es sich genau handelte, doch die Worte „München“, „Paris“, „39€“ genügten ihm. Zwar hatte er nie gezielt vorgehabt, dorthin zu gehen, aber es musste wohl Schicksal sein, dass es ihn ausgerechnet jetzt an einen Ort verschlug, an dem er sich schon immer wohl gefühlt hatte. In Paris angekommen, suchte er jene kleine Wohnung auf, die er vor Jahren einmal gekauft hatte. Die Immobilie war nichts im Vergleich zu denen, die er in den USA und in Japan besaß, doch sie enthielt einige schöne Erinnerungen. Schließlich war dies das Appartement, in dem er gewohnt hatte, als er das erste Mal nach Paris gekommen war, um an Rose of Pain zu arbeiten und um das Musikvideo dazu etwas außerhalb der Metropole zu drehen. Zunächst hatte er sie nur gemietet, doch als er Jahre später durch Freunde mitbekommen hatte, dass die Wohnung auf dem Markt war, hatte er sie gekauft und quartierte sich seither dort ein, wenn er privat nach Paris kam. Zum Glück war es nie ein Problem, den Schlüssel beim Hausmeister zu deponieren, sodass er jederzeit hereinkam und sich keine Gedanken darüber machen musste, ob er den Wohnungsschlüssel auch wirklich bei sich hatte oder ob dieser am anderen Ende der Welt war.
 

Er ließ seine wenigen Habseligkeiten achtlos zu Boden fallen und legte sich erschöpft auf das Bett. Seit seiner Flucht aus der Klinik hatte er kaum geschlafen, denn sobald er die Augen schloss, sah er Toshis Gesicht vor sich, der ihn aufmunternd anlächelte, so wie er es immer getan hatte. Egal ob er krank, traurig oder mit den Nerven am Ende gewesen war, er hatte sich neben ihn gesetzt, einen Arm um seine Schultern gelegt und ihn an sich gezogen, sodass er seine Wange gegen Toshis Brust hatte legen können. Dann hatte dieser einmal kräftig seine Haare durchgewuschelt, dass sie in alle Richtungen abstanden. Anschließend hatte er seinen Kopf angehoben, damit er ihn ansehen musste, ihn sanft angelächelt und versprochen, dass alles wieder in Ordnung käme, solange sie nur zusammen hielten. Doch nun würde nichts mehr in Ordnung kommen… Er war alleine auf der Welt! Nicht nur hatte er mit seinem Sänger auch seine Band verloren, sondern viel wichtiger, seinen besten Freund. Niemand sonst kannte ihn so in und auswendig, wie der Ältere.
 

Erneut stiegen dem Pianisten die Tränen in die Augen und rannen über seine Wangen. Er wischte sie jedoch nicht weg, sondern schlang einfach nur die Arme um sich und rollte sich zusammen, während er leise in das Kopfkissen schluchzte und seine Schultern bebten.

Wann würde der Schmerz nachlassen?

Wann würde die Leere verschwinden?

Doch er wusste bereits aus Erfahrung, dass beides für immer ein Teil von ihm sein würde. Am liebsten hätte er all dem ein Ende bereitet, aber so lange er noch lebte, würde ein Teil von Toshi, aber auch von hide und seinem Vater mit ihm weiterexistieren. Insofern war es für ihn keine Option, sich einfach selbstsüchtig in den Tod zu stürzen. Wie schon zuvor würde er damit irgendwie weiterleben müssen. Er musste mit dem Wissen fortfahren, dass sowohl hide als auch Toshi noch am Leben sein könnten, wenn sie ihn nie getroffen hätten.

Niemals hätte er sich so hartnäckig an den Leader von Saber Tiger hängen dürfen, um ihn abzuwerben.

Niemals hätte er eine so enge Bindung zu dem kleinen Jungen zulassen dürfen, der damals an seinem ersten Tag im Kindergarten lächelnd auf ihn zugekommen war und ihn einfach nur umarmt hatte, während er weinend in einer Ecke gesessen hatte, weil er seine Eltern vermisste.

Niemals hätte er zulassen dürfen, dass hide in Tokyo blieb und X beitrat – er hätte dafür sorgen müssen, dass der Ältere die Warnungen der anderen ernst nahm und sich von ihm fern hielt.

Niemals hätte er zulassen dürfen, dass Toshi ihn dazu brachte, mit X nach Tokyo zu gehen – er hätte einmal in seinem Leben konservativ und vernünftig sein und dafür sorgen müssen, dass sie beide auf die Universität gingen.

Mit Schuldgefühlen, die unaufhörlich an ihm nagten, und Trauer, die bleischwer auf ihm lastete, weinte er sich in einen rastlosen Schlaf, in dem er sich unruhig hin und her wälzte und im Traum immer wieder nach Toshi rief, doch wach wurde er erst am Nachmittag des nächsten Tages, als die Sonne bereits wieder am Sinken war.
 

Die nächste Woche verbrachte Yoshiki die meiste Zeit damit, einfach nur reglos im Bett zu liegen und an die Decke zu starren, während immer wieder neue Tränen über sein Gesicht liefen. Nur selten stand er auf, und wenn er es tat, dann ging er nur zum Fenster, um auf das Treiben auf der Straße unter ihm zu blicken. In seinem kleinen Apartment schien die Zeit stehen geblieben zu sehen, während das Leben draußen seinen gewohnten Gang weiterging. Nicht einmal das weiße Klavier, das schon bessere Tage gesehen hatte, konnte ihn aus seiner Melancholie reißen. Einmal hatte er sich auf den Stuhl gesetzt, der davor stand, die Abdeckung geöffnet und seine Finger auf der abgegriffenen Klaviatur sortiert. Doch kaum hatte er einige wenige Töne angespielt, war er weinend zusammengebrochen, bis er vor lauter Tränen kaum noch hatte atmen können. Jede Note rief schmerzhafte Erinnerungen an seinen besten Freund wach. Er konnte einfach nicht mehr spielen… Seither hatte er das Klavier nicht mehr angerührt. Es kam nur selten vor, dass er die Wohnung verließ, und wenn, dann nur, um ein paar Einkäufe zu tätigen. Viel brauchte er sowieso nicht, da er kaum Appetit hatte. Oftmals war ein Croissant das einzige, was er den ganzen Tag über aß. An seinem zweiten Tag in der Stadt der Liebe hatte er sich eine Stange Baguette gekauft, aber davon war noch fast die Hälfte übrig und inzwischen steinhart.
 

Von Tag zu Tag wurde er jedoch rastloser, sodass er schließlich entschied, das erste Mal seit seiner Ankunft, bewusst etwas zu unternehmen, beziehungsweise es zumindest zu versuchen. Denn egal wie sehr er auch um Toshi trauerte und ihn vermisste, das Leben ging weiter. Mehr als jeder andere wusste er dies. Zwar würde seines nicht mehr als YOSHIKI fortfahren, sondern als Hayashi Yoshiki, doch dafür musste er sich erst einmal ein neues Leben aufbauen und das geschah nun einmal nicht von alleine.

Beim Blick in den Spiegel stockte er jedoch erst einmal, da er ziemlich herunter gekommen aussah. Eine Dusche sowie eine Rasur später, konnte man ihn schon wieder eher unter Leute lassen, aber seinem Körper sah man trotz allem an, dass ihm die Hungerkur der letzten Tage nicht sonderlich bekommen war – vor allem, wenn man dann noch in Betracht zog, dass er durch die Schilddrüsenüberproduktion sowieso einen gesteigerten Stoffwechsel hatte. Als er sich erneut im Badezimmerspiegel musterte, blieb sein Blick am Rasierapparat in seiner Hand hängen und eine Idee formte sich in seinem Kopf. Rasch legte er das kleine Gerät beiseite und holte aus dem Spiegelschrank eine Schere. YOSHIKI würde aufhören zu existieren! Er nahm eine gebleichte Haarsträhne in die Hand, hielt sie auf Spannung und setzte dann die Klingen der Schere direkt am Haaransatz an. Er kniff die Augen zusammen, als er die Schneiden zusammendrückte und im nächsten Augenblick keinen Zug mehr auf den Haaren spürte, da er sie lose in der Faust hielt. Für einen Moment starrte er sie an, dann ließ er sie zu Boden fallen und packte die nächste Strähne. Nach und nach schwebten immer mehr blonde Haare auf die Fliesen herab, bis schließlich nur noch wenige Millimeter lange, schwarze Stoppeln seinen Kopf zierten. Er starrte seinem Gegenüber, das ihn aus dem Spiegel heraus anblickte, entgegen und legte die Schere ins Waschbecken. Das letzte Mal, dass seine Haare so kurz gewesen waren, war zu Schulzeiten gewesen, als er mit seiner Frisur einmal wieder gegen die Schulordnung verstoßen hatte und die Lehrer ihm zur Strafe und um seinen Willen zu brechen, die Haare abgeschnitten hatten. Niemand mehr würde ihn jetzt noch für YOSHIKI halten, denn YOSHIKI hatte stets blonde, lange Haare gehabt!
 

Mit neugekaufter Sonnenbrille und Kapuze verdeckt, verließ er das Gebäude und begann mit seinem Streifzug durch die Straßen von Paris. Er versuchte große Menschenmassen so gut es ging zu meiden, da er einerseits befürchtete, doch erkannt zu werden und ihm, zum anderen, nicht nach Gesellschaft war – außer, sie wäre einen guten Monat älter als er, nur um die 160cm groß, hatte schwarze Haare und weigerte sich trotz allen Ruhmes hartnäckig dagegen, Veneers zu tragen. Aber egal wie sehr er auch versuchte, seine Vergangenheit zu verdrängen und sich von YOSHIKI zu lösen, immer wieder kam er an Orten vorbei, die ihn wieder daran erinnerten. Mal war es ein Restaurant, dann eine Sehenswürdigkeit oder ein Hotel. Selbst so etwas Banales wie ein fnac Laden auf der Avenue des Champs Elysées ließen ihn seine Schritte beschleunigen, um ihn so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Ohne es wirklich beeinflusst zu haben, saß er bald darauf in der Metro der Linie 2 und stieg an der Station Blache aus. Er registrierte nicht wirklich die rote Mühle, die ihn begrüßte, als er den Untergrund wieder verlassen hatte, sondern überquerte einfach nur die Straße und begann die Rue Lepic zu erklimmen. Wie von selbst schwenkte er dann nach rechts und bahnte sich seinen Weg durch die engen Straßen des Künstlerviertels Montmatre, ehe er schließlich sein Ziel erreicht hatte und ehrfürchtig vor der riesigen, weißen Basilika stand, die auf einem der Hügel, die die Stadt umgaben, über Paris thronte. Sacré Cœur hatte schon immer eine Anziehungskraft auf ihn ausgeübt, die er nicht erklären konnte. Seufzend setzte er sich auf eine der Stufen und blickte über die Stadt hinweg, während er die Unmengen an Touristen um sich herum einfach ignorierte.
 

Das letzte Mal, dass er hier gewesen war, war gemeinsam mit Toshi gewesen, als sie in Paris wegen der Japan Expo gewesen waren. Es war bereits dunkel gewesen, doch sie hatten stundenlang einfach nur schweigend dagesessen und auf die erleuchtete Metropole herabgeblickt. Aber nun gehörte dies der Vergangenheit an – genauso wie alles andere…

Toshi war tot und mit ihm auch X. Sie hatte vielleicht Sugizo als sechstes Mitglied dazu holen können, um an hides Platz zu stehen, doch es gab niemanden, den er an Toshis Stelle sehen konnte und wollte. Wenn er von seinem Drumset aus auf die Bühne blickte, dann wollte er in deren Mitte seinen besten Freund sehen, der sich dann und wann zu ihm umdrehte und ihn angrinste, so als wollte er sagen: „Hättest du dir das vor 30 Jahre vorstellen können?!“ Niemand sonst sollte während Endless Rain oder Tears oder Forever Love zu ihm herüberkommen und sich zu ihm auf die Klavierbank setzen.
 

Verstohlen wischte Yoshiki die Tränen weg, die unter seiner Sonnenbrille hervorgetreten waren und kaute dabei auf seiner Unterlippe herum. Er würde nicht hierbleiben können… hier gab es zu viele Geister der Vergangenheit, die YOSHIKI nie für immer gehen lassen würden. Es gab keine andere Wahl als weiterzuziehen, in der Hoffnung, irgendwann einen Ort zu finden, an dem er wirklich nur Hayashi Yoshiki sein konnte…

Ein Ort, an dem niemand seine Vergangenheit kannte.

Ein Ort, an dem er mit eben jener abschließen konnte.

Ein Ort, an dem er sehen könnte, wie es gewesen wäre, wenn es YOSHIKI nie gegeben hätte.
 

Doch gab es einen solchen Ort überhaupt oder würde YOSHIKI ihn für den Rest seines eigenen Lebens verfolgen?
 

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Auf Wunsch von Astrido gibt es, wie bei Rainy Days auch, wieder am Ende eine kleine Liste mit jenen Fakten, die stimmen:

- Der Teil mit Yoshikis Wohnung stimmt insoweit, dass er sich damals, als er 1989 in Paris war, ein Appartement gemietet hatte, da er nicht in einem so unpersönlichen Raum wie einem Hotelzimmer bleiben wollte. Zu diesem Zeitpunkt schrieb er an Rose of Pain. Das PV dazu wurde etwas außerhalb von Paris in der Gemeinde La Ferté-Milon gedreht. Entsprechende Bilder dazu gibt es auch in Yoshikis Biografie.

- Es stimmt in der Tat, dass Yoshikis Lehrer ihm während seiner Schulzeit mehrmals die Haare abschnitten und so versuchten, seinen Willen zu brechen, da er sie als Teenager u.a. grün gefärbt hatte. Als er sich weigerte, seine Haare der Schulordnung anzupassen, wurden sie gegen seinen Willen rappelkurz abgeschnitten. Das hatte allerdings nur zur Folge, dass Yoshiki danach noch mehr rebellierte.
 

Ok, das wären, glaube ich, so die wichtigsten. Allzu viele wird es in Shi Ans sowieso nicht geben, da vieles frei erfunden ist.

Tja, was meint ihr denn nun? Wird Yoshiki einen Ort finden, an dem er von seiner Vergangenheit loskommt?

Refuge des Anges

@ sasu1: Bis Yoshiki erfährt, dass Toshi noch am Leben ist, dauert es noch so 3-4 Kapitel :)
 

@ Asmodina: Das Haare abschneiden? Ist ja nicht so, als würden die nicht nachwachsen :)
 

@ Astrido: Bist du heimlich an mein Skript gekommen oder woher weißt du, wohin es Yoshiki verschlagen wird???
 

@ T0M0: … vor allem, wenn das Schicksal in diesem Falle „Tei“ heißt ;)
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Dann hätte er zumindest seine Nurses, aber die sind in dem Fall wohl auch kein großer Trost… ;)
 

@ Terra-gamy: Danke, jetzt hab ich so ein mentales Bild vor Augen, wie sich Yoshiki im Frack mit Kaiserpinguinen ganz eng zusammenkuschelt um nicht zu frieren! ;)
 

@ Kaoru: Apropos… wenn wir mal wieder in Paris sind, können wir dann mal einen Tag für Versailles einplanen??
 

@ all: Auch in diesem Kapitel werden wir bei Yoshiki bleiben und ihn dabei begleiten, wie er versucht, sich ein neues Leben ohne Toshi aufzubauen. Viel Spaß dabei!
 

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Yoshiki verbrachte noch eine weitere Woche in Paris, ehe er weiterzog. Statt zu fliegen oder mit der Bahn zu reisen, hatte er sich einen kleinen, gebrauchten Renault Twingo gekauft, der zwar schon eindeutig bessere Tage gesehen hatte, ihn aber trockenen Fußes von A nach B bringen würde. Es war nicht unbedingt ein Auto, dass er sich noch vor ein paar Monaten in Los Angeles oder Tokyo angeschafft hätte, doch all dies gehörte der Vergangenheit an. Als er mit gerade einmal 60PS unterm Hintern durch Frankreichs Norden zuckelte, hatte er eigentlich gedacht, er würde die 380PS seines geliebten Ferraris vermissen, doch seltsamerweise tat er es nicht. Je länger er den kleinen Land- und Nebenstraßen folgte, desto mehr merkte er, wie sich eine wohltuende Ruhe in ihm breit machte, die ihm allmählich half, mit Toshis Verlust zurecht zukommen.
 

Er hatte kein bestimmtes Ziel vor Augen und so fuhr er einfach wie es ihm gefiel. Manchmal legte er 100km am Tag zurück, manchmal auch nur 30km. Wenn es ihm ein Ort besonders angetan hatte, dann blieb er länger als nur für eine Nacht. Wenn dem nicht der Fall war, dann stieg er am nächsten Morgen in sein Auto und die Fahrt ging weiter. War er früher stets in Fünfsternehotels abgestiegen, in denen ein Zimmer für die Nacht gerne einmal 3000 Euro und mehr gekostet hatte, so gab er sich nun mit kleinen Pension und Hotels zufrieden, sodass er selten mehr als 50 Euro für eine Übernachtung zahlte. Es war nicht so, dass er sich nichts Teureres hätte leisten können, doch wozu der ganze Luxus?
 

Es war lange her, da hatte er einmal überlegt, eine Zweigstelle von Extasy Records in Paris für den europäischen Markt zu eröffnen. Für diesen Zweck hatte er damals bei der BNP, einer großen, französischen Geschäftsbank, ein Konto eröffnet – und auf eben jenes hatte er einen Großteil seines Privatvermögens geschoben.

Auf Grund der damaligen Überlegung, mit Extasy nach Paris zu gehen sowie des Kaufes der Wohnung dort, hatte sich sein damaliges Management um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für ihn gekümmert, da er in diesem Falle vorgehabt hatte, nach Frankreich zu ziehen. Was genau sie dafür hatten tun müssen, wusste er nicht, da er außer Passbildern und Unterschriften nichts dazu beigetragen hatte, doch was definitiv sicher war, war, dass sie noch gültig war, sodass er sich wegen seines Aufenthaltes keine Sorgen zu machen brauchte. Zudem hatte es ihm ermöglicht, eine Krankenversicherung abzuschließen, als er noch in Paris gewesen war. Schließlich würden ihm seine ganzen Medikamente irgendwann ausgehen und dann würde er neue brauchen. Hinzu kam, dass er nicht wusste, wie lange seine Auslandskrankenversicherung noch laufen würde, denn insgeheim hoffte er, dass man nicht allzu lange nach ihm suchte und ihn stattdessen relativ schnell für tot erklärte. Er ahnte, dass er seiner eigenen Familie, aber vor allem seiner Mutter, mit seinem Untertauchen einen gewaltigen Schock und Schmerz zugefügt haben musste. Aus diesem Grund hatte er ihr aus Kapstadt auch eine Postkarte geschickt.

„Tut mir leid, aber ich kann nicht anders. Bitte suche nicht nach mir. Danke für alles!“

Somit ging er wenigstens nicht völlig sang und klanglos wie sein Vater… Es lag wohl in der Familie, einfach so, von heute auf morgen, nicht mehr anwesend zu sein…
 

Yoshikis Reise brachte ihn von Paris in Richtung Caen und ging von dort aus vornehmlich an der Küste entlang. Er verbrachte ein paar Tage in der Hafenstadt Cherbourg-Octeville, ehe sein Weg ihn weiter durch die grüne Landschaft der Normandie führte, die sich jedoch immer mehr auf den Herbst einstimmte. Le Mont Saint-Michel war ein weiterer Punkt zu dem er kam. Dort ganz oben auf dem Berg, am Rand des Klosters zu stehen und den Wind im Gesicht zu spüren und das Meer zu riechen, taten den Narben und Wunden, die sein Herz zierten, gut, sodass er mehrere Tage auf dem Felsen, der dem Festland vorgelagert war, verbrachte. Anschließend fuhr er weiter an der Küste entlang und gelangte nach Saint-Malo. Auf den ersten Blick schien es nur eine Hafenstadt von vielen zu sein, doch dann entdeckte Yoshiki den historischen Stadtkern, dessen Festungsmauern direkt ans Meer grenzten. Etwas daran zog ihn magisch an, sodass er fast eine Woche blieb und jede nur erdenkliche Minute auf dem alten Mauerwerk verbrachte. In die Zeit seines Aufenthaltes in der alten Stadt fiel auch Toshis Todestag…
 

Ein Monat war es nun her, dass er fort war.

Einen Monat lang war er nun alleine und YOSHIKI verschwand immer häufiger und ließ Hayashi Yoshiki zurück.

An jenem Tag war er in die Cathédrale Saint-Vincent de Saint-Malo gegangen, hatte eine Kerze für Toshi angezündet und für ihn gebetet.

„Ich hoffe, du bist glücklich, wo immer du jetzt auch bist, Tocchi…“

Danach hatte er den Tag noch in sich gekehrter als normal auf der Festung verbracht, auf das Meer gestarrt und dessen Rauschen gelauscht, während er sich an die unbeschwerte Tage erinnerte, die sie am Strand von Tateyama verbracht hatten.

Als die Sonne unterging und die Flut kam, kaufte er eine einzelne rote Rose und kehrte zurück auf die Stadtmauer. Er beobachtete, wie die rötlichen Schlieren des Sonnenunterganges sich schwarz wie die herannahende Nacht färbten, und warf die Rose ins Meer hinaus. Sich über die Augen wischend drehte er sich um und stieg die Steintreppe hinab, um sich auf den Weg in seine Unterkunft zu machen.
 

Am nächsten Tag setzte er seine Reise ins Ungewisse fort, doch egal wo er auch lang kam, nirgendwo hielt es ihn fest. Die letzte Nacht in Saint-Malo hatte die frische Wunde, die ganz langsam angefangen hatte, sich zu schließen, wieder aufgerissen. Hatte er in letzter Zeit das Gefühl gehabt, dass die Tränen langsam abnehmen würden, so waren die Dämme nun wieder gebrochen und er hatte sich erneut völlig in sich zurückgezogen. Dies ging sogar soweit, dass er zwei Tage lang im Auto schlief und sich keine Unterkunft suchte, weil er Menschen so extrem scheute. Erst als sein Rücken ihm die Nächte auf der Rückbank übel nahm, rang er sich dazu durch, zumindest soweit wieder unter Leute zu gehen, um sich eine Unterkunft zu suchen.
 

An der Küste entlang ging es weiter nach Brest und von dort aus dann an Frankreichs Westküste entlang Richtung Süden. Er machte einen Abstecher zum Pointe du Raz, wo er eine Zeit lang den mächtigen Wellen des Atlantiks lauschte, die gegen die Klippen schlugen, ehe er wieder ins Auto stieg und seinen Weg fortsetze – zuerst nach Nantes und dann weiter nach La Rochelle, wo er mehrere Tage lang blieb, die alte Hafenstadt erkundete und dann weiter auf die Île de Ré fuhr. Da sowohl Weihnachten als auch Neujahr bevorstanden, verbrachte er die Zeit auf der kleinen Insel, die direkt vor dem Festland lag und über eine Brücke zu erreichen war. Er hatte sich in einer kleinen Pension eingemietet und konnte von seinem Fenster aus, direkt auf das Meer blicken. Seine Wirtin, eine Frau in ihren 60ern, hatte ihn eingeladen, die Feiertage doch mit ihr und ihrer Familie zu verbringen, damit er nicht so alleine war, doch er hatte dankend abgelehnt. Menschliche Nähe war das letzte, das er wollte. Auch wenn er jeglichem menschlichen Kontakt so gut es ging aus dem Weg ging, merkte er doch, wie sich sein Französisch verbesserte, auch wenn er selbst nur wenig sprach. Zumindest verstand er weitaus mehr als noch vor etlichen Monaten, auch wenn ihn die lokalen Dialekte häufig zum Verzweifeln brachten.
 

Dafür war ihm jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen und er rechnete nur noch in „wie viel Tage, Wochen und Monate inzwischen vergangen waren, seit Toshi gestorben war“. Er wusste, dass irgendwann sein Geburtstag gewesen war, aber er konnte sich beim besten Willen nicht entsinnen, was er an jenem Tag gemacht hatte. Was gab es schließlich schon zu feiern?
 

So verbrachte er die Feiertage damit, alleine am Strand zu sitzen und stundenlang die aufgewühlte See zu beobachten. Ab und an wanderten seine Gedanken zu seiner Familie und zu den Menschen, die er zurückgelassen hatte, doch die meiste Zeit fühlte er einfach nur Leere. Hin und wieder fragte er sich, ob man nach ihm suchte oder ob man ihn inzwischen vielleicht sogar für tot erklärt hatte. Es gab Momente, da spielte er mit dem Gedanken, den Laptop, den er aus dem Privatjet mitgenommen hatte, auszupacken und sich ins Internet einzuloggen, um sein E-Mailkonto zu kontrollieren. Doch das alles gehörte der Vergangenheit an, richtig? Das alles waren Dinge aus einem früheren Leben. Ein Leben, in dem sein bester Freund aus Kindheitstagen eine wichtige Rolle gespielt hatte.
 

Schließlich waren all die Feiertage vorbei und er konnte endlich weiterziehen. Zunächst zog es ihn nach Bordeaux und als solcher Weinliebhaber, wie er es eigentlich war, hatte er gedacht, dass es ihn dort länger halten würde, doch erst einmal in der Stadt angekommen, verspürte er nicht die geringste Lust, eines der zahllosen Châteaux aufzusuchen, um die ein oder andere Weinprobe zu machen. Stattdessen fuhr er bereits am nächsten Tag weiter und gelangte ganz in den Süden von Frankreich, bis an die spanische Grenze. Er überquerte sie jedoch nicht, sondern blieb in der Republik und erreichte schließlich den Parc National des Pyrénées. In einer Ortschaft mietete er sich ein kleines Fremdenzimmer und verbrachte die nächsten Tage damit, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang im Nationalpark umherzuwandern. Relativ bald merkte er jedoch, dass er kein Mensch für die Berge war. Zwar war die Landschaft atemberaubend und die klare Bergluft sowie die Stille angenehm, doch er vermisste den salzigen, manchmal algigen Geruch des Meeres. Ihm fehlten das Tosen der See und das beständige Gemurmel der Wellen. Also verabschiedete er sich vom Nationalpark und fuhr an der französisch-spanischen Grenze entlang, bis er das Mittelmeer sehen konnte. Er steuerte den erstbesten Strand an, den er finden konnte, stellte den Wagen ab und ging zum Wasser, wo er Schuhe und Socken auszog, nur um anschließend in das kühle Nass zu waten. Er brauchte das Meer, definitiv! Verglichen mit dem Atlantik oder auch dem Pazifik, war dieses hier äußerst zahm, doch es verströmte trotz allem den vertrauten Geruch und das leise Murmeln der Wellen existierte ebenfalls. Das erste Mal seit Tagen fühlte sich Yoshiki wieder halbwegs im Gleichgewicht.
 

Wie schon zuvor, fuhr er wieder an der Küste entlang und blieb an einem Ort selten länger als einen Tag. Schließlich war er in der Camargue angekommen, die für ihre schneeweißen Pferde sowie ihre Stierkämpfe berühmt war. Von dort aus ging es weiter in Richtung Marseille und dann nach Saint Tropez. Doch irgendwo auf halber Strecke, mitten im Hinterland und ausgerechnet an einem Tag, an dem es Bindfäden regnete, begann der kleine Twingo seltsame Fahrgeräusche von sich zu geben. Yoshiki dachte sich jedoch vorerst nichts weiter dabei – schließlich war das Auto schon in die Jahre gekommen und da war es selbstverständlich, dass es nicht mehr so schnurrte wie ein niegelnagelneuer Lamborghini. Wenig später bereute er diese Einstellung allerdings, da er am Straßenrand stand und sich der Wagen partout weigerte wieder anzuspringen. Benzin war noch genug im Tank, daran konnte es nicht liegen… Das Problem war, dass sich Yoshiki bisher nie großartig um Autotechnik gekümmert hatte. Tanken, Reifen wechseln, Luft kontrollieren, Öl nachfüllen und die Scheibenwischanlage auffüllen, waren Dinge, die er auch konnte, aber alles andere… bisher war er noch nie mit irgendeinem seiner Autos liegengeblieben und selbst wenn das passiert wäre, dann wäre Hilfe nur einen Anruf entfernt gewesen. Aber ohne Handy und mit der nächsten Ortschaft in kilometerweiter Entfernung…?! Wetterfeste Sachen hatte er natürlich keine, um in das nächste Dorf zu laufen und dort um Hilfe zu bitte… und zu allem Überfluss schien zu dem Regen jetzt auch noch ein Gewitter hinzuzukommen, denn in der Ferne konnte er Donner hören.
 

Um es kurz zu fassen: er saß in einer Sardinendose fest, die sich keinen Millimeter mehr vom Fleck bewegte, während es draußen in Strömen regnete und ein Unwetter aufzog. Zum ersten Mal seit seinem Verschwinden fragte er sich, ob es so gut gewesen war, sich von YOSHIKI zu trennen. Seufzend verschränkte er die Arme auf dem Lenkrad und legte den Kopf darauf, während er überlegte, was er nun tun sollte.

Warten, bis es aufklarte?

Im Regen ins nächste Dorf laufen?

Auf ein Wunder hoffen?

Sich doch als Mechaniker probieren?
 

Doch allem Anschein nach hatte das Schicksal Nachsicht mit ihm, denn eine gute Stunde später hielt vor ihm ein Geländewagen, aus dem eine Frau mit Regenjacke stieg, die erst ihre Kapuze etwas zurechtrückte und dann zu ihm eilte. Da Yoshiki die Augen geschlossen hatte, registrierte er sie erst, als sie gegen die Fensterscheibe klopfte, damit er diese herunterließ.

„Vous avez des problèmes?“

Hatte er Probleme? Ja, das konnte man so ausdrücken… die Frage, die sich ihm nun nur stellte, war: was hieß gleich noch einmal „der Motor springt nicht an“ auf Französisch? Auf Japanisch wäre das alles kein Problem, Englisch würde auch noch gut funktionieren, aber… Französisch?!

„Oui! Eh……. la voiture… elle ne…“ Was genau tat sein Auto jetzt nicht? Es funktionierte nicht – das konnte er sagen! „… elle ne marche plus.“

Sofort prasselten Unmengen an weiteren Fragen in Französisch auf ihn herab, die er nicht wirklich verstand, weil die Frau viel zu schnell und noch dazu mit Dialekt sprach. Sein Gehirn trat in einen Streik und er musste wohl wie ein Reh im Scheinwerferlicht dreinblicken, was allerdings bewirkte, dass sie auf einmal deutlich langsamer und vor allem Hochfranzösisch sprach, sodass er sie besser verstehen konnte. Zudem redete sie nicht mehr ohne Punkt und Komma, sondern in kurzen Sätzen.

„Venez, venez!“, forderte sie ihn auf und machte noch eine entsprechende Handbewegung.

„Où?“ Wohin sollte er denn mitkommen??

„Je vous amène à mon village. Il y a un garage, là-bas. On va informer le mécanicien qui va chercher votre voiture pour la réparer, d’accord ?!“

„D’accord“, stimmte er zu. Wenn er es richtig verstanden hatte, dann würde sich ein Mechaniker um den Wagen kümmern. Das war definitiv besser, als ewig hier herumzusitzen und auf ein Wunder zu hoffen.
 

Die Frau, die ihn gefunden hatte, lächelte ihn nur freundlich an und gab ihm dann mit einer Handbewegung zu verstehen, auszusteigen und mit zu ihrem Auto zu kommen, wo er einstieg, sodass sie in ihre Ortschaft fahren konnten. Sie stellte sich als Fatima vor und während sie konzentriert auf die schmale Straße vor sich blickte, musterte er sie kurz von der Seite her. Alterstechnisch musste sie sich in derselben Gegend bewegen wie er selbst. Vom Aussehen her, schien sie jedoch nicht unbedingt europäischer Abstammung zu sein, sondern eher arabischer. Doch das verwunderte ihn nicht wirklich, schließlich hatte Frankreich genügend Überseegebiete.

„Sie sind nicht von hier, oder?“, fragte sie ihn, nachdem er sich ebenfalls kurz vorgestellt hatte.

„Nein“, antwortete Yoshiki kurz angebunden und war froh, dass sie so langsam und deutlich sprach, dass er ihr folgen konnte.

„Tourist?“

„Nein.“ Er wollte nicht zu viele Informationen über sich preisgeben. Am Ende stellte sie sich vielleicht noch als X JAPAN Fan heraus und erkannte ihn.

„Wie ein Geschäftsmann sehen Sie aber auch nicht aus. Abgesehen davon, dass Sie hier draußen wohl kaum ein großes Geschäft machen können…!“

„Bin ich auch nicht…“

„Sonderlich gesprächig sind Sie ja nicht“, stellte Fatima mit einem Schmunzeln in seine Richtung fest.

„Tut mir Leid…“

„Schon okay“, tat sie es lächelnd ab und fuhr in ein kleines Fischerdorf ein.

„Voilà, Refuges des Anges!“

Überrascht horchte Yoshiki bei dem Ortsnamen auf – Zufluchtsort der Engel… das hatte irgendetwas. Interessiert blickte er aus dem Fenster und versuchte durch die Bindfäden von Regen und den aufkommenden Nebel etwas zu erkennen, doch viel konnte er nicht ausmachen. Sie fuhren durch schmale Gässchen, die von weißgetünchten Steinhäusern mit hellbraunen Dachziegeln gesäumt wurden. Blumenkästen, deren grüner Inhalt die ersten Knospen trug, kündigten den baldigen Frühling an und Bänke an den Hauswänden sowie kleine Tische, um die Stühle gestellt waren, deuteten an, dass die Einwohner ihr Leben nach dem kurzen Winter bereits wieder nach draußen verlagerten. Es dauerte nicht lange und Fatima parkte den Wagen vor einem windschiefen Gebäude mit einem größeren Rolltor, das nach oben gezogen war, sodass man ins Innere blicken konnte, wo ein Wagen aufgebockt war und daneben ein kleines Boot stand, das definitiv schon bessere Zeiten gesehen hatte.

„Un moment, s’il vous plaît“, bat Fatima ihn mit einem freundlichen Lächeln kurz zu warten und stieg aus dem Auto aus, um die wenigen Schritte durch den Regen in die Werkstatt zu eilen. Hinter dem aufgebockten Wagen kam ein kleiner, älterer Mann im Blaumann hervor, der über und über mit Schmieröl versehen war und sie freundlich mit Küsschen links, Küsschen recht begrüßte. Yoshiki konnte nur erahnen, worüber sie genau sprachen, doch Fatima deutete immer wieder in die Richtung, aus der sie gerade eben gekommen waren und dann wieder zu ihm, sodass er vermuten konnte, worum es in der Unterhaltung ging. Es dauerte auch nicht lange, dass sie zurückkam und fragte, ob er den Autoschlüssel dabei hatte, welchen er ihr einfach gab. Damit ging sie wieder zu dem Mechaniker, gab ihm diesen und verabschiedete sich mit einem Winken und einen breiten Lächeln, ehe sie wieder zu ihrem eigenen Auto kam und einstieg. In einfachem und verständlichem Französisch erklärte sie ihm kurz, dass der Mann, der allem Anschein nach Henri hieß, seinen Twingo in die Werkstatt bringen und ihn sich ansehen würde. Sobald er wüsste, was Sache wäre, würde er sich melden.

„Und bis dahin kommen Sie einfach mit zu mir“, entschied sie und schenkte ihm ein weiteres offenes Lächeln. Je öfter Yoshiki es sah, desto mehr fühlte er sich an Toshi erinnert – zu seinem eigenen Überraschen jedoch in keiner Weise, die schmerzte. Vielmehr gab es ihm dieses Gefühl der Sicherheit, das alles in Ordnung war – eben jenes Gefühl, das er bereits beim ersten Mal gehabt hatte, als Toshi auf ihn zugekommen war und ihn angelächelt hatte. „Dort können Sie sich ausruhen, es ist warm und reichlich zu essen und zu trinken gibt es auch!“

„Ich… ich möchte Ihnen wirklich keine Umstände bereiten“, versuchte Yoshiki in möglichst einfachem Französisch höflich abzulehnen.

„Tun Sie nicht“, wiegelte Fatima ab und ließ das Dorf hinter sich, nur um eine steile Küstenstraße direkt nach oben zu fahren.

„Aber Sie haben mir so schon sehr geholfen!“ Das letzte, was er wollte, war, irgendwem zur Last zu fallen. Außerdem hatte er sich geschworen, nie mehr jemanden nahe an sich herankommen zu lassen, schließlich hatte die Vergangenheit nur zu deutlich gezeigt, dass er all jene Menschen nur umbrachte.

„Ich hätte Sie bei dem Wetter ja schlecht in Ihrem Auto sitzen lassen können“, konterte sie nur mit einem Grinsen und irgendwie hatte Yoshiki das Gefühl, er würde mit seinen Argumenten nicht wirklich weiter kommen. Erst recht nicht auf Französisch! Bevor er die Möglichkeit hatte, etwas darauf zu erwidern, bogen sie auf einen geschotterten Weg ab, der zu einem größer angelegtem Privatgrundstück führte, von dem er noch nicht ahnte, dass es für die nächsten Jahre sein Zuhause werden sollte.
 

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So, die große Rundreise entlang Frankreichs Küste ist zu Ende und Yoshiki ist in Refuge angekommen – im Gegensatz zu allen anderen genannten Plätzen existiert der Ort existiert übrigens nicht, sondern wurde von mir frei erfunden.

Ansonsten gab es in dem Kapitel nicht wirklich viele neue Fakten, außer vielleicht den, dass Yoshiki vor Jahren einmal mit dem Gedanken gespielt hatte, Extasy auch in Europa zu etablieren. Die Pläne scheinen nach der Klage, die er in den USA am Hals gehabt hatte, gemeinsam mit einem öffentlichen Label in LA gestorben zu sein.

Nouvelle Existance

@ Terra-gamy: Vielleicht, weil er sich dort einfach wohl fühlt?
 

@ Asmodina: Lange dauert es ja nicht mehr und Yoshiki geht ein Lichtlein auf ;)
 

@ Astrido: Wie lange Yoshiki letztendlich in dem Glauben lebt, Toshi sei tot, steht im Titel der Story – man muss ihn lediglich richtig übersetzen ;)
 

@ T0M0: Ich kann mir das auch äußerst gut vorstellen, auch wenn ich jedes Mal bei dem Bild von Yoshiki in der Knutschkugel abbreche!
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: *g* Glaub mir, es wird noch genügend Kapitel geben, bei denen du dir wünschst, ich würde einen Gang zurückschalten!
 

@ all: Ich gebe es zu, ich finde es grad ein wenig amüsant, auf welchen Holzpfaden ihr unterwegs seid. An sich verbirgt sich nämlich die komplette Storyline in den zwei Worten „Shi Ans“. Mal sehen ob im Laufe von 23 Kapiteln jemand auf die Bedeutung kommt, wenn nicht, löse ich es am Ende auf :)

Aber gut, genug gelabert: Ich wünsch euch viel Spaß mit dem Kapitel – ist übrigens vorerst das letzte aus Yoshikis Perspektive, danach geht es erst einmal zu Toshi.
 

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Wochen und Monate zogen ins Land und während Toshi verbissen seine Reha absolvierte, um möglichst schnell nach Frankreich fliegen und seinen besten Freund suchen zu können, hatte sich bereits der Privatdetektiv, den Kouki angeheuert hatte, der Aufgabe angenommen. Bislang vermuteten alle, dass sich Yoshiki irgendwo in Paris aufhielt, doch was bis dato keiner ahnte, war, dass er am anderen Ende des Landes einen Ort gefunden hatte, an dem YOSHIKI aufgehört hatte zu existieren.
 

Es hatte mehrere Tage gedauert, bis dessen Twingo wieder lief, doch in dieser kurzen Zeit hatte er in dem kleinen Fischerort Refuge des Anges etwas gefunden, das den Schmerz in seinem Herzen linderte und die Narben auf seiner Seele ein klein wenig verblassen ließ. Eigentlich hatte er nie vorgehabt länger zu bleiben, doch irgendetwas hielt ihn an dem kleinen Ort, sodass er letztendlich entschied, sich dort niederzulassen und sich in einem kleinen, schon länger nicht mehr bewohnten Cottage, das noch zu Fatimas Anwesen gehörte, einzumieten. Es hatte etwas Arbeit benötigt, doch schließlich war das kleine windschiefe Häuschen oben auf den Klippen sein neues Zuhause geworden. Es war nichts im Vergleich zu den Immobilien, in denen er früher gelebt hatte, doch er hatte ein Dach über den Kopf, es gab fließend Wasser und Strom und wenn es nötig war, konnte man das Cottage mit einem Kamin beheizen.
 

Um zum Haupthaus zu gelangen, in dem Fatima mit ihren beiden Kindern – einem 15-jährigen Jungen und einem 13-jährigen Mädchen – wohnte, musste man etwa fünf bis zehn Minuten lang einem unbefestigten Weg folgen, der sich durch verwildertes Weideland schlängelte. Zum eigentlichen Haus gab es noch leer stehende Stallungen sowie ein Gästehaus mit zwei Appartements, die an Urlauber vermietet wurden. Schon in den ersten Tagen nach seiner Ankunft hatte Yoshiki herausgefunden, dass Fatimas Ehemann vor drei Jahren an Krebs verstorben war und sie sich seither alleine um das Anwesen kümmerte. Früher hatte einmal noch eine kleine Herde von Camargue Pferden zum Besitz der Familie gezählt, doch da nach dem Tod ihres Ehemannes, die Zeiten alles andere als rosig gewesen waren, hatte Fatima sie verkaufen müssen und einen Teil des Weidelandes an umliegende Farmer verpachtet.
 

Schon bei seinem ersten Zusammentreffen mit den Kindern hatte Yoshiki bei ihnen dieselbe ernste und traurige Ausstrahlung wahrgenommen, die er von sich selbst kannte und als er von ihrem Verlust erfahren hatte, hatte er auch gewusst, weshalb. Vielleicht war aber genau dies auch der Grund gewesen, warum er sich sehr schnell in der Familie wohl gefühlt hatte, obwohl er sich eigentlich geschworen hatte, von nun an alles und jeden auf Abstand zu halten… Vielleicht hatten sie genau wie er gespürt, dass sie denselben Schmerz teilten… Und auch wenn Fatima sowie die Kinder zu Beginn öfter etwas über ihren Gast hatten erfahren wollen und ihn nach seiner Vergangenheit ausgefragt hatten, so akzeptierten sie nun, dass er nur wenig erzählte und oftmals ausweichend antwortete. Letztendlich wussten sie von ihm lediglich, dass er ursprünglich aus Japan kam, in seinem Leben bereits mehrere Menschen verloren hatte, die ihm sehr nahe gestanden hatten, und er einmal Geschäftsmann gewesen war. So ungeschickt, wie er sich bei den Renovierungsarbeiten angestellt hatte, vermuteten sie, dass er einst wohl sogar ein recht erfolgreicher Unternehmer gewesen sein und Personal gehabt haben musste. Außerdem, wie sollte er es sich sonst leisten können, Tag ein Tag aus ohne Arbeit auszukommen? Wenn er nicht an den Klippen entlang spazierte oder einen schmalen Pfad nach unten zum Meer hinabstieg und sich dort aufhielt, war er oftmals in seinem neuen Zuhause anzutreffen oder aber verbrachte etwas Zeit mit Fatima und den Kindern. Ab und an ging er ins Dorf und vertrieb sich dort den Tag – gerade wenn sich Gäste auf dem Anwesen befanden, war er oft dort, da er kein Risiko eingehen wollte, dass doch noch jemand YOSHIKI entdeckte. Inzwischen war etwa ein Jahr vergangen und sowohl für Fatima und die Kinder als auch für die Dorfbewohner war er nur Yoshi – ein schüchterner, etwas verquerer Ausländer, der einen lustigen Akzent hatte, auf den man jedoch zählen konnte, wenn man Hilfe brauchte.
 

In Henri, dem Mechaniker, der sein Auto repariert hatte, hatte er eine gewisse Art von Vaterfigur gefunden. Er hatte sich seiner angenommen und ihn allen anderen Leuten im Ort vorgestellt. Yoshiki hatte es zunächst ausschlagen wollen, doch gegen die freundliche, offene Art der Mensch dort kam er nicht an und auch wenn er zum Teil noch immer Probleme damit hatte, ihren Dialekt zu verstehen, so hatte er sich schneller in die Gemeinschaft integriert, als er gedacht hatte. Immer wieder versuchte er sich daran zu erinnern, niemanden mehr eng an sich zu lassen, aber immer öfter ertappte er sich dabei, wie er mit den Leuten über einer Tasse Tee zusammen saß und es ihm zusehends leichter fiel, über Scherze zu lachen und sich über den neusten Dorfklatsch zu amüsieren.
 

Nachts lag er oft wach, lauschte dem Rauschen des Meeres und sinnierte darüber, wie sich sein Leben entwickelt hatte. Wäre Toshi nicht gestorben, hätten sie weiter die Welt erobert und er wäre weiterhin ständig zwischen Los Angeles und Tokyo hin und her gependelt. Er würde ein Leben in Luxus führen: hier eine Villa, dort ein Penthouse, Garagen voller teurer Sportwagen, zig Assistenten, die auf Abruf bereit standen, Bodyguards, die ihn schützten, und Fans, die ihn vergötterten. Das alles hatte er gegen ein einfaches Leben am anderen Ende der Welt eingetauscht. Mit jedem Tag, mit jeder Woche, die verstrich, war er sich sicherer, dass er YOSHIKI erfolgreich getötet hatte, er hatte aufgehört zu existieren. Er hoffte, dass die Menschen aus seinem alten Leben inzwischen nicht mehr nach ihm suchten und ihn für tot erklärt hatten, doch sicher sein konnte er nicht. Natürlich könnte er mit seinem Laptop ins Haupthaus gehen und sich dort ins Internet einloggen, schließlich hatte Fatima ihm das Passwort gegeben, um nachzusehen und Gewissheit zu haben, doch bis dato hatte er nie das Verlangen verspürt, sein altes Leben zu googeln. Seine einzige Verbindung zu früher bestand aus einem kleinen Rosenstock, den er eines Tages auf dem Markt gekauft hatte. Es war mühsam gewesen, in den steinigen Boden der Klippen ein Loch zu graben, doch letztendlich hatte er es geschafft, die Pflanze nahe des Abgrundes einzupflanzen. Zu seiner eigenen Überraschung gedieh sie hervorragend und trug schon bald blutrote Knospen. Einen flachen, großen Stein, den er bei einem seiner Streifzüge entlang der Klippen gefunden und den er nur unter Mithilfe von Fatimas Sohn Ben hatte zurück zum Cottage tragen können, hatte er unter die Rose gelegt. Nachdem er wochenlang fast daran verzweifelt war, mehr schlecht als recht fünf Buchstaben in das harte Material zu meißeln, ging er jeden Monat, stets an dem Tag, an dem Toshi verstorben war, zu dem Rosenstock und legte einen Blumenstraus auf den Stein. Auch sonst saß er oft vor der kleinen Gedenkstätte und blickte auf das Meer hinaus, während seine Hand zärtlich durch die dornigen Rosen strich. Manchmal vergoss er auch einfach nur stumme Tränen und lauschte dem Rauschen der Wellen, in der Hoffnung, dass sie seinen Schmerz davon tragen würden, und andere Male redete er, so als würde sein bester Freund direkt neben ihm sitzen.
 

Heute war wieder so ein Tag, an dem er vor den Rosen saß und in den Erinnerungen an jene Zeit schwelgte, als Toshi noch am Leben gewesen war. Seine Gedanken wurden jedoch jäh unterbrochen, als Fatimas Sohn die Klippen hochgerannt kam.

„Yoshi!!“

„Was ist?“, fragte er mit gewohnt leiser Stimme und wischte sich rasch über die Augen, ehe er sich zu dem schlaksigen Teenager mit den kurzen, schwarzen Haaren umdrehte, der keuchend neben ihm zum Stehen gekommen war.

„Henri hat das Boot endlich fertig repariert“, erklärte er und Yoshiki konnte sich daran erinnern, dass der Mechaniker schon seit Ewigkeiten – glaubte man dem Dorfklatsch – an dem kleinen Schiff, das er bereits an seinem ersten Tag in der Werkstatt gesehen hatte, herum werkelte. „Er ist gerade hier und hat uns alle zur Jungfernfahrt eingeladen. Kommst du mit?“

„… ich weiß nicht…“, entgegnete Yoshiki ausweichend und strich sich durch die pechschwarzen Haare, die seit seiner Abschneideaktion in Paris zwar wieder deutlich gewachsen waren, die er aber trotz allem wesentlich kürzer hielt, als er es als YOSHIKI je getan hatte.

„Wir wollten etwas rausfahren und fischen und schwimmen gehen“, versuchte der Teenager sein Glück weiter, als sein Blick dem Strauß schneeweißer Lilien zu ruhen kam, der auf dem Stein unter den Rosen lag. Augenblicklich verstummte er und er setzte sich einfach neben den Erwachsenen, der für ihn im Laufe der Zeit zu einem guten Freund geworden war, auch wenn es meist er selbst war, der redete, da der andere sich oftmals in Schweigen hüllte. „Wer ist dieser Toshi?“, wollte er leise wissen – eine Frage, die ihm auf der Zunge brannte, seit er den gravierten Stein zum ersten Mal gesehen hatte.

„… ein Freund, Ben… ein sehr guter Freund“, antwortete Yoshiki kaum hörbar mit zittriger Stimme.

„Ist er…?

„… ja… genau heute vor einem Jahr…“

„… Möchtest du alleine sein…?

„… bitte…“

„D’accord…“ Damit erhob sich Ben, drückte kurz seine Schulter und lief dann den Weg zum Haupthaus zurück, wo seine Mutter, seine Schwester und Henri warteten, während Yoshiki alleine zurückblieb und wieder auf das Meer hinaus starrte.
 

Wochen später, es musste wohl um seinen Geburtstag herum sein, doch das wusste keiner, da er es niemandem gesagt hatte, endete einer seiner Streifzüge durch die Landschaft im Dorf, wo er ein altes Klavier entdeckte. Allem Anschein nach hatte es jemand außer Haus geschafft, um es zu Kleinholz zu verarbeiten, da es seine besten Tage eindeutig hinter sich hatte. Das Holz war an mehreren Stellen gerissen, der Lack blätterte ab und bereits von weitem konnte man sehen, dass die Klaviatur eine dringende Generalüberholung benötigte. Er wusste nicht, was ihn überkam, schließlich hatte er seit dem Versuch in Paris kein Klavier mehr angerührt, doch ehe er sich versah, hatte er auch schon bei dem Haus geklingelt, vor dem es stand, und den Besitzer gefragt, ob er es aufkaufen könnte. Dieser hatte ihn zwar für verrückt erklärt, ihm das kaputte Instrument jedoch für 50€ überlassen und sogar versprochen, es ihm zu bringen. So stand einen Tag später das alte Klavier in Yoshikis kleinem Cottage, der damit beschäftigt war, das volle Ausmaß der Schäden in Augenschein zu nehmen. Er hatte zwar noch nie ein Piano selbst repariert, denn wenn früher einmal etwas mit seinen Flügeln gewesen war, dann hatten sich entweder seine Angestellten darum gekümmert oder aber der Kundenservice. Doch er wusste schließlich, wie ein Klavier auszusehen und zu klingen hatte, weshalb er sich sicher war, dass er das ganze schon irgendwie hinkriegen würde. Das Tasteninstrument am Ende zu stimmen, würde das kleinste Übel sein, denn das hatte ihm Toshi vor Jahren einmal beigebracht. Ganz zu Beginn ihrer Karriere hatte der Sänger eine Lehre als Klavierstimmer begonnen, weshalb Yoshiki es nie so ganz eingesehen hatte, Geld für einen Profi zu bezahlen, wenn sein bester Freund das auch konnte. Der war leider nie sonderlich begeistert davon gewesen, wenn der Pianist nachts um drei Uhr angerufen hatte, damit er augenblicklich ins Studio kam, weil der Flügel geringfügig schief klang. Ein paar Mal hatte es Toshi gemacht, doch dann hatte er genug davon gehabt und es Yoshiki beigebracht, sodass er künftig die Nächte wieder durschlafen konnte und der Pianist trotz allem einen perfekt gestimmten Flügel zum Spielen und Aufnehmen hatte.
 

Wochen nach Neujahr und dem ein oder anderen Fehlversuch, der zu einem weiteren der zahlreichen Trips in die Großstadt geführt hatte, um Material zu beschaffen, war er endlich mit allen Arbeiten fertig. Er hatte das kaputte Holz ausgetauscht, den Lack abgeschliffen und neu aufgetragen, die Filze, Hämmer und Saiten ausgetauscht sowie die Klaviatur neu aufgearbeitet. Als er schließlich endlich mit Stimmen fertig war, stand er zufrieden vor seinem Werk und betrachtete es. Sollte er es wagen, sich wieder auf den Stuhl vor dem Piano zu setzen und zu spielen? Sein letzter Versuch lag lange Zeit zurück und war ganz zu Beginn seiner Flucht vor seinem alten Leben gewesen. Damals hatte er kaum einen Takt spielen können, ohne direkt in Tränen auszubrechen, weil ihn einfach alles an dieser simplen Tätigkeit an Toshi erinnert hatte… Doch etwas in ihm drängte regelrecht danach, sich endlich wieder vor ein Klavier zu setzen und zu spielen, weshalb er letztendlich auch auf dem Holzstuhl Platz nahm und seine Finger auf der Klaviatur sortierte. Zittrig schlug er mit dem kleinen Finger der linken Hand ein c‘. Kaum hallte der Ton klar durch das kleine Cottage, zog er seinen Arm zurück, so als hätte er mit der Hand auf eine heiße Herdplatte gelangt. Tief durchatmend, sortierte er seine Finger erneut auf den weißen Tasten und schlug noch einmal mit demselben Finger das c‘ an. Doch anstatt wieder abzubrechen, schloss er die Augen und ließ gleich darauf ein g‘ ertönen, gefolgt von einem c“. Den letzten Ton ließ er liegen und begann, in der rechten Hand ein h“ gefolgt von einem c“‘ zu spielen. Nichts anderes als die sanfte Melodie von „Without You“ war aus dem Steinhaus zu hören…

Als er den Schlussakkord gespielt hatte, öffnete er vorsichtig die Augen wieder und wischte sich mit den Handrücken darüber, um die Tränen zu trocknen, die unter seinen geschlossenen Lidern hervorgetreten waren und über seine Wangen rannen. Es war nicht dasselbe zu spielen und zu wissen, dass Toshi seinen Songs nie mehr eine Stimme geben würde, doch in gewisser Weise fühlte er sich durch das Spielen mit ihm verbunden und im Vergleich zu der Zeit in Paris, etlichen Monate zuvor, war dieses Gefühl jetzt etwas einfacher zu ertragen. Wenn er so mit geschlossenen Augen dasaß und spielte, dann war es ein leichtes sich wieder am Kristallflügel sitzen zu sehen und zu spüren, wie Toshi neben ihm auf der Klavierbank Platz nahm, gefühlvoll sang und sich dabei leicht gegen ihn lehnte. Wenn er sich konzentrierte, dann glaubte er sogar ganz leicht den Geruch seines besten Freundes vermischt mit dessen Lieblingsparfums wahrzunehmen.
 

Seufzend schüttelte Yoshiki den Kopf, um alle Gedanken daran aus seinem Kopf zu verbannen, klappte die Klaviaturabdeckung nach unten und stand dann auf, um nach draußen zu der kleinen Gedenkstätte zu gehen, die er für Toshi eingerichtet hatte. Aber kaum war er aus der Tür getreten, wurde er lächelnd von Fatima begrüßt, die auf der Bank saß.

„Wie ich sehe, beziehungsweise höre, hast du die Restaurierung erfolgreich abgeschlossen…“ Sie stand auf und folgte ihm, als er nur leicht nickte und den Trampelpfad zu dem Rosenstrauch ging, vor welchem er sich hinkniete. Kommentarlos kniete sie sich neben ihn und folgte seinem Blick zu dem Stein, der unter den Rosen lag.

„Das war ein wunderschöner Song, den du da gerade gespielt hast, Yoshi…“

„…“

„Ich wusste nicht, dass man als Geschäftsmann auch so Klavier spielen kann…“

„… ich hab eine Zeit lang in der Musikbranche gearbeitet…“, erklärte er leise und fuhr mit dem Finger die Konturen des Steines nach.

„Es klang auf jeden Fall wunderschön, wenn auch sehr traurig“, entgegnete sie und stand auf. Kurz drückte sie seine Schulter und ließ ihn dann in Ruhe, wofür er ihr sehr dankbar war.
 

Von da an begann er wieder täglich zu spielen, auch wenn es mit seelischen Schmerzen verbunden war, doch gleichzeitig tat es gut, die kühlen Tasten unter seinen Fingern zu spüren und wahrzunehmen, wie sie unter seinem Gewicht nachgaben und eine traurige Melodie nach der anderen formten. Einige Tage später kam Fatimas Tochter Lara vorbei, als er gerade gespielt hatte und hatte ihn gefragt, ob er ihr nicht auch ein bisschen was am Klavier beibringen könne. Zunächst hatte er gezögert, hatte dann aber doch Ja gesagt – er empfand es als Ding des Unmöglichen, ihr etwas auszuschlagen, wenn sie ihn mit ihrem besten Dackelblick bedachte – und ihr zunächst einige Grundlagen gezeigt. Es musste sich im Dorf herumgesprechen, dass er Klavierunterricht gab, denn innerhalb weniger Tage waren mehrere Leute bei ihm, die fragten, ob er ihnen, beziehungsweise ihren Kindern nicht auch Unterricht geben könnte. Er überlegte lange, denn all das bedeutete nur mehr Kontakt zu Menschen als nötig, doch am Ende stimmte er zu, denn schließlich hatte er früher einmal mit dem Gedanken gespielt, an der Musikhochschule zu studieren, um Klavierlehrer zu werden. Da YOSHIKI nicht mehr länger existierte, war es wohl nur ein logischer Schritt, sein Leben dort anzuknüpfen, wo er es damals zurückgelassen hatte. Die Leute wollten ihm Geld für den Unterricht geben, doch damit fühlte er sich nicht sonderlich wohl, da er einerseits kein ausgebildeter Lehrer war und andererseits ein solch sparsames Leben führte, dass ihm seine Ersparnisse noch eine lange Zeit reichen würden. Die Einwohner wussten mittlerweile jedoch, was für eine Naschkatze ihr manchmal etwas seltsamer Yoshi sein konnte, weshalb er den Vorschlag, ihn für eine Klavierstunde stattdessen mit einem Kuchen zu bezahlen, nicht wirklich ausschlagen konnte. Hinzu kam, dass er noch immer nicht wirklich kochen konnte und sich meist auf Instant beschränkte. Mehr als einmal hatte er sich an komplizierteren Sachen probiert, da er die Tütensachen nicht mehr sehen konnte, doch es hatte jedes Mal damit geendet, das aus den geöffneten Fenstern des Cottages Rauchschwaden gezogen waren und Fatima besorgt an seine Tür geklopft hatte und wissen wollte, ob alles in Ordnung sei. Dabei hatte sie ihm auch stets angeboten, dass er gerne mit ihr und den Kindern essen könne, doch er zog es noch immer vor, die meiste Zeit alleine zu verbringen, sodass er nur selten auf ihr Angebot zurückkam und sich letztendlich doch wieder von Instantessen ernährte. Insofern war Kuchen wirklich keine schlechte Idee!
 

So kam es, dass Yoshiki am zweiten Jahrestag von Toshis Tod am Abend vor der Gedenkstätte saß, mehrere Räucherstäbchen angezündet hatte, die er extra in der Stadt besorgt hatte, und ein trauriges Lächeln sein Gesicht zierte, als er den Wind durch seine kurzen Haare streichen spürte, während er zusah, wie die Sonne langsam verschwand und nur noch rote Schlieren zurückließ, die wenig später ebenfalls verschwunden waren.

„Ich vermisse dich, Tocchi… ich vermisse dich jeden Tag so sehr… es ist nicht fair, dass du vor mir gegangen bist! … Ich wünschte du wärst hier… ich brauch dich doch…! … und ich vermisse es, mit dir zu reden und mich bei dir vor der Welt zu verstecken… ich vermisse deinen Humor, auch wenn er oftmals auf meine Kosten war… ich vermisse es mit dir zu lachen und ich vermisse es, mit dir zu weinen… ich wünschte, du wärst hier! Ich wünschte, du könntest sehen, was ich erreicht habe… ok, das mit dem Kochen lassen wir besser aus… siehst du, das ist noch ein Grund, weshalb ich dich brauche! Du weißt doch, dass ich eine totale Niete in der Küche bin!“ Er lachte leise vor sich hin, während er schniefte und sich über die Augen wischte. Mit einer mitgebrachten Schere schnitt er die letzte Blüte vom Rosenstock und warf sie über die Klippen nach unten ins Meer. „Ich weiß nicht, ob glücklich das richtige Wort ist… aber ich habe zumindest das Gefühl, in meinem neuen Leben angekommen zu sein… ein Leben als Hayashi Yoshiki, ohne YOSHIKI, den Rockstar… und ohne dich! YOSHIKI ist damals mit dir gestorben… aber… aber manchmal denke ich doch an Heath, Pata und Sugizo… Was sie wohl machen? Ob es ihnen gut geht? Wie es wohl all unseren Freunden geht? Manchmal frage ich mich auch, wie es meiner Mutter geht… ich hoffe Kouki hat ein Auge auf sie… Pass bitte auf sie alle auf, ok? … zusammen mit hide und Vater… Ich weiß, zu wünschen, du wärst wieder am Leben ist sinnlos, aber wenn ich mir wünschen könnte, dass du auf sie aufpasst, dann würde ich das tun… ich weiß schließlich aus erster Hand, was für eine furchtbare Glucke du bist… Und dass du glücklich bist, wo immer du jetzt bist… das würde ich mir auch wünschen!“
 

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Ab dem nächsten Kapitel begleiten wir dann Toshi bei seiner Suche nach der berühmten Stecknadel im Heuhaufen. In diesem Falle heißt die Nadel allerdings Yoshiki und der Heuhaufen ist ein knapp 675 000km2 großes Land ;)
 

Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen und über eure Meinungen, Kommentare, Gedanken würde ich mich natürlich wie immer freuen!

Les Grandes Recherches

@ sasu1: Im nächsten Kapitel ist es endlich soweit – in diesem hier muss Toshi erst einmal Suchhund spielen und ganz Frankreich auf den Kopf stellen ;)
 

@ Astrido / Terra-gamy / -Shin-: Ich steck euch drei einfach mal zusammen in einen Raum, dann dürftet ihr ruckzuck dahinter kommen. Es stimmt auf jeden Fall das „ans“ Französisch für „Jahr“ ist. Und je nach Kanji bedeutet „shi“ „Tod“ oder „vier“. Jetzt müsst ihr nur noch das mit dem Tod richtig interpretieren, wobei sich das in 1-2 Kapiteln eigentlich auch von selbst klärt :)
 

@ Asmodina: Heulst du, weil das Kapitel so schön ist oder weil Yoshiki am Klavier sitzt?
 

@ T0M0: Ich verrat mal so viel: Yoshiki kippt vor Überraschung aus den Latschen, als er Toshi wieder sieht.
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: So gerne ich Yoshiki auch schreibe, so ab Kapitel 7 hat er angefangen mich zu nerven… das war der Zeitpunkt, an dem Toshi her musste!
 

@ all: Da ich beim letzten Kapitel getrödelt habe, gibt es zum Ausgleich nun bereits das nächste. Viel Spaß dabei!
 

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Sobald die Brüche an seinem Oberschenkel sowie am Schien- und Wadenbein ausgeheilt waren und er die Reha absolviert hatte, nach welcher er endlich wieder richtig gehen konnte, ohne ständig auf eine Gehhilfe angewiesen zu sein, schloss sich Toshi der Suche nach seinem besten Freund an. Immer wieder flog er gemeinsam mit Heath, Pata und Sugizo sowie dem Privatdetektiv, den Kouki engagiert hatte, nach Frankreich, um nach Yoshiki zu suchen. Nachdem er die Kontobewegungen gesehen hatte, war er sich sicher gewesen, dass dies der einzige Ort sein konnte, wo sein bester Freund war. Doch nach über einem Jahr hatten sie noch immer kein Lebenszeichen von ihm gefunden, sodass Kouki letztendlich entschied, den Detektiv die Suche einstellen zu lassen. Auch Heath, Pata und Sugizo widmeten ihre Zeit wieder hauptsächlich ihren eigenen Projekten, da es nicht so aussah, als würde X JAPAN in naher Zukunft noch einmal zusammen kommen. Natürlich hatte inzwischen auch die Öffentlichkeit Yoshikis Fehlen registriert, sodass man letztendlich entschieden hatte, die Wahrheit mitzuteilen – nämlich dass der Drummer, in dem Glauben Toshi wäre tot, untergetaucht wäre und niemand wüsste, wo er sich aufhielt und ob er überhaupt noch am Leben war. Als die erfolglose Suche nach ihm nach über einem Jahr schließlich eingestellt wurde, wurde die Entscheidung getroffen, ihn für tot zu erklären. Im engsten Kreise hatte man eine kleine, private Gedenkfeier abgehalten, während es für die Fans ein paar Tage später noch einmal eine gesonderte Feier gegeben hatte.
 

Dies alles hielt Toshi jedoch nicht davon ab, alleine nach seinem besten Freund weiterzusuchen. Immer wieder flog er auf eigene Faust nach Frankreich und während sich die Suche zu Beginn vor allem auf größere Städte konzentriert hatte, so klapperte der Sänger nun vor allem die kleineren Ortschaften im Hinterland ab. Schnell hatte er herausgefunden, dass er bei den Einwohnern nicht wirklich weiterkam, wenn er Englisch sprach, weshalb er begonnen hatte, Französisch zu lernen.
 

Zwei Jahre nach Yoshikis Verschwinden saß Toshi frustriert in dessen Büro von Extasy Records und starrte an die Decke, da er offiziell seine eigenen Finanzen ausgeschöpft hatte und somit nicht mehr länger nach seinem besten Freund suchen konnte. Es gab natürlich immer noch die Privatkonten von Yoshiki, die dieser nicht angerührt hatte und auf welche er Zugriff hatte, doch dies erschien ihm nicht richtig. Immerhin war es nicht sein Geld! Er würde wohl keine andere Wahl haben, als vorerst diverse Projekte anzunehmen, bis er wieder genug zusammen hatte, um nach Frankreich zurückzukehren.
 

Auch wenn sie ihn für tot erklärt hatten, so hatte Yoshikis Familie sein Testament bis heute nicht eröffnet. Stattdessen kümmerte sich sein jüngerer Bruder Kouki um alles Geschäftliche, so wie er es vor dem Verschwinden des Pianisten schon immer getan hatte. Er hatte sich lediglich Toshi als Unterstützung mit an Bord geholt, damit er jemanden hatte, der sich mit der musikalischen Seite auskannte. Ab und an nahm der Sänger Projekte, wie zum Beispiel den Titelsong für einen Film zu komponieren, an, die dann über Extasy liefen und zu welchen er Heath, Pata und Sugizo hinzuzog, doch er fühlte sich alles andere als wohl in Yoshikis Rolle. Kouki hatte ihm das Büro seines großen Bruders gegeben und auch wenn Toshi nun in dessen ledernen Chefsessel saß, so wusste er, dass dies nicht sein Platz war.
 

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken und er rief ein kurzes „Ja“, woraufhin die Holztür aufging und Kouki hereintrat. Jedes Mal aufs Neue, wenn er den Jüngeren der beiden Hayashibrüder sah, kam Toshi nicht umhin festzustellen, wie viel ernster und älter er doch aussah, als noch vor wenigen Jahren. Aber vermutlich war das kein Wunder, wenn der eigene Vater einfach so sang und klanglos aus dem eigenen Leben verschwand, an den man noch nicht mal wirkliche Erinnerungen hatte, und man Jahre später praktisch dasselbe mit seinem großen Bruder noch einmal durchlebte, nur dass bei diesem noch die Ungewissheit hinzukam, ob er vielleicht nicht doch noch irgendwo am Leben war.

„Hey, ich hab gehört, du bist wieder da!“, begrüßte Kouki den Älteren mit einem schmalen Lächeln und setzte sich auf den Stuhl, der auf der anderen Seite des Tisches stand.

„Notgedrungen“, entgegnete Toshi seufzend.

„Wieso?“

„Ohne Geld kannst du schlecht suchen… von daher werde ich wohl erst einmal eine Zeitlang hier sein. Stehen irgendwelche Projekte aus, um die ich mich kümmern kann?“

„Es sind ein paar Ausschreibungen für Werbung und Film eingegangen, ich schick sie dir rüber…“

„Okay, gut…“

„Aber jetzt mal ein rasanter Themenwechsel: Was meinst du mit, du würdest erst mal hier bleiben? Heißt das, du stellst die Suche nach Yosh ein?“

„Versuch mal, ohne Geld weit zu kommen…“

„Du glaubst wirklich, dass er irgendwo in Frankreich noch am Leben ist?“

„Du nicht?“

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, was ich noch denken soll“, äußerte Kouki leise und spielte mit seinen Händen, die in seinem Schoß ruhten – eine Geste der Unschlüssigkeit, die Toshi nur zu gut von Yoshiki kannte. „Die ständige Ungewissheit, als der Detektiv noch nach ihm gesucht hat, war kaum auszuhalten, doch nun da wir ihn für tot erklärt haben, ist es auch nicht wirklich besser. Sich ständig zu fragen, ob er nicht vielleicht doch noch lebt, ist auch nicht wirklich gesund… Vielleicht klingt es hart, Toshi, aber ich habe für mich entschieden, mir nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen. Ich hoffe lediglich, dass er seinen Frieden gefunden hat – egal ob im Diesseits oder im Jenseits.

„Das hoffe ich auch“, entgegnete der Sänger leise und starrte an einen unsichtbaren Punkt an der Wand.

„Na gut, dann werd ich mal in mein Büro gehen und dir die Sachen rüberschicken“, äußerte Kouki und stand auf, um zur Tür gehen, wobei Toshi dies mit einem kurzen Nicken quittierte. Die Hand des Jüngeren lag bereits auf der Klinke, doch anstatt sie herunterzudrücken, drehte er sich zu dem anderen um.

„Ne, Toshi… wenn du wirklich glaubst, dass mein Bruder irgendwo da draußen noch am Leben ist, dann nimm das Geld von den beiden Privatkonten, die er nicht angerührt hat, um mich zu täuschen. Ich bin mir sicher, dass er nichts dagegen hätte und damit solltest du noch einige Zeit nach ihm suchen können.“

„Kouki…?!“ Die Überraschung war Toshi nur zu deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Ich werde den Privatjet durchchecken lassen und dir einen Piloten organisieren, dann bist du unabhängig von den Airlines und ich bin mir sicher, ein Teil der Kosten lässt sich später geschäftlich absetzen, da du schließlich in Frankreich bist, um dir Anregungen für diverse neue Projekte zu holen, die ich dir jetzt gleich zukommen lasse.“ Yoshikis kleinerer Bruder zwinkerte ihm kurz verschwörerisch zu, ehe er schließlich die Klinke herunterdrückte und das Büro verließ, während Toshi nicht anders konnte, als Kouki einen Moment lang ungläubig hinterher zu sehen.
 

Somit war der Sänger zwei Wochen später erneut in Frankreich und setzte seine Suche fort, doch wie schon zuvor hätte er auch gut und gerne nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen suchen können und wäre wohl in etwa genauso erfolgreich gewesen. Erst knapp drei Jahre nach Yoshikis Verschwinden hatte Toshi ein kleines Erfolgserlebnis. Er hatte lange überlegt, ob er auf die Île de Ré fahren sollte, doch letztendlich bot sie genau das, was der Pianist stets aufsuchte, wenn er traurig und depressiv war: Unmengen an Meer! Am Abend quartierte sich Toshi in einer kleinen Pension nahe des Strandes ein und konnte von seinem Zimmer aus direkt auf das Meer blicken. Als er tags darauf in dem gemütlichen Frühstücksraum saß und die Wirtin, die wohl in ihren 60ern sein musste, ihm noch eine Tasse Tee brachte, nachdem er sein Essen bereits verputzt hatte, sprach er sie auf Französisch an und fragte, ob sie einen Moment Zeit hätte.

„Excusez-moi, madame…“

„Oui…?“

„Pourriez-vous sacrifier du temps pour moi? J’aurais une question…“

„Bien sur, monsieur. Dites-moi !“ Damit setzte sie sich ihm gegenüber und blickte ihn abwartend an, während er aus seiner Hosentasche eilig seinen Geldbeutel hervorholte und daraus ein Foto von Yoshiki zog, welches er ihr zeigte.

„Kennen Sie diesen Mann? Er heißt Yoshiki Hayashi.“ Der einzige Vorteil, den die langwierige Suche nach seinem besten Freund hatte, war der, dass er mittlerweile recht flüssig in Französisch war, auch wenn ihn die ganzen Dialekte in den Wahnsinn trieben. „Er ist zierlich und um die 175cm groß. Es kann sein, dass er mittlerweile eine andere Frisur hat… er wird vermisst und ich bin auf der Suche nach ihm.“

Die ältere Frau nahm ihm das Bild ab und musterte den blonden Mann, der einem darauf entgegen grinste, eingehend.

„Mir ist, als hätte ich ihn schon einmal gesehen…“, antwortete sie schließlich langsam und gab Toshi das Foto zurück, der glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen.

„Sie haben Yoshiki gesehen?!“

„Ich bin mir nicht sicher, ob es derselbe Mann ist, aber wenn ich mich recht entsinne, dann hieß er auch Yoshiki…“ An ihrem Blick konnte man deutlich sehen, dass sie überlegte. „Ich denke, das war um Weihnachten vor zwei oder drei Jahren gewesen, dass er hier war… allerdings hatte er keine langen, blonden Haare, sondern kurze, schwarze… Er war wirklich sehr menschenscheu… hat die meiste Zeit nur am Strand gesessen und aufs Meer geblickt… er hat eine solche Traurigkeit ausgestrahlt, dass man nur Mitleid mit dem Armen haben konnte…“ Sie seufzte schwer und überlegte weiter, während Toshi sich stark zusammenreißen musste, um keine Freudensprünge zu machen, denn das Verhalten, dass sie da schilderte, klang sehr stark nach seinem besten Freund. „… wir hatten ihn eingeladen, Weihnachten und Neujahr mit uns zu verbringen, damit er die Feiertage nicht alleine sein musste, aber er hatte darauf bestanden für sich zu sein… ich denke, kurz nach Neujahr ist er weitergefahren…“

„Hat er gesagt, wohin er will??“

„Nein, er hatte nur einmal gemeint, er würde ohne Ziel durchs Land fahren…“
 

Von diesem ersten Lichtschimmer angespornt, setzte Toshi seine Suche schließlich auf dem Festland fort, doch es sollte Monate dauern, ehe er endlich wieder auf Yoshikis Spur stoßen würde. In der Zwischenzeit telefonierte er immer wieder mit Kouki, Heath, Pata und Sugizo, um sie auf dem Laufenden zu halten, doch nach dem Erfolg auf der Île de Ré hatte er lange Zeit nichts Positives mehr zu berichten. Es war erneut so, als würde man die berühmte Stecknadel im Heuhaufen suchen, nur dass die Nadel Yoshiki hieß und der Heuhaufen ein knapp 675 000km2 großes Land war. Insofern schätzte sich Toshi schon glücklich, überhaupt auf der Insel auf ein kleines Lebenszeichen seines besten Freundes gestoßen zu sein. Natürlich war dies schon Unmengen an Monaten alt und in der Zwischenzeit konnte ihm Gott-weiß-was alles zugestoßen sein, aber er versuchte positiv zu denken.
 

Knapp vier Jahre nach Yoshikis Verschwinden war Toshi in Südfrankreich an der Mittelmeerküste unterwegs, als er beschloss, es für den heutigen Tag gut sein zu lassen und sich eine Unterkunft zu suchen. Die Gegend, in der er unterwegs war, war nicht wirklich dicht besiedelt, sodass es eine Weile dauerte, ehe er in die nächste Ortschaft kam. Es war ein kleines Fischerdorf namens Refuge des Anges. Der Ortskern selbst lag an der Küste, in der Ferne konnte man jedoch noch ein paar einzelne Häuser ausmachen, die auf den höher gelegenen Klippen thronten und von dort ins Dorf hinabblickten. Bei seiner Einfahrt konnte Toshi keine Pension direkt ausmachen, dafür entdeckte er jedoch in der Nähe des Hafens eine kleine Wirtschaft und da er seit Mittag nichts mehr gegessen hatte, entschied er, sich dort erst einmal eine Stärkung zu holen. Die Leute dort konnten ihm sicherlich auch sagen, ob es hier eine Pension oder ähnliches gab, wo er für die Nacht unterkommen konnte. Seufzend stieg er aus dem Renault, nachdem er ihn in eine enge Parklücke bugsiert hatte, sperrte ihn ab und betrat dann das Lokal, an dessen Tischen etliche Einheimische saßen und sich über ihrem Essen und Wein unterhielten, aber interessiert aufblickte, als er durch die Tür kam und sich an einen der wenigen freien Tische setzte. Eine ältere Frau mit hochgestecktem Haar kam augenblicklich mit der Speisekarte zu ihm und zündete, nachdem sie ihm diese gegeben hatte, das Windlicht an. Toshi schenkte ihr ein kurzes Lächeln und widmete sich dann dem Angebot, das relativ beschaulich war und vor allem aus Fisch bestand. Als die Wirtin, die sich in der Zwischenzeit mit ein paar anderen Gästen unterhalten hatte, zu ihm zurückkam, bestellte er provenzalischen Grillfisch sowie ein Glas Orangensaft. Sie notierte alles und versprach, dass sie sich sofort darum kümmern würde, und wollte eigentlich schon wieder gehen, als Toshi sie mit einem „Excusez-moi“ zurückhielt.

„Kann ich noch etwas für Sie tun, Monsieur?“

„Ja, in der Tat… ich bin auf der Suche nach einer Pension oder einem Hotel…“

Anstatt ihm jedoch eine Antwort zu geben, fing die Wirtin plötzlich hinter vorgehaltener Hand an zu kichern und schüttelte den Kopf. Ein paar der anderen Gäste hatten ebenfalls aufgeblickt und zu ihm herübergesehen, als sie ihn hatten sprechen hören.

„Das ist wirklich witzig!“

„Was ist witzig?“, wollte Toshi irritiert wissen und ging im Kopf noch einmal kurz durch, was er so eben auf Französisch gesagt hatte. Ihm war nicht, als hätte er irgendwelche Fehler gemacht, die für einen Muttersprachler urkomisch sein würden.

„Sie haben genau denselben niedlichen Akzent wie unser Yoshi!“ Erneut schüttelte sie lachend den Kopf, riss sich dann aber zusammen. Doch Toshi konnte sehen, dass etliche der anderen Anwesenden bestätigend mit dem Kopf nickten.

„Yoshi?“, wiederholte Toshi den Namen und zog eine Augenbraue nach oben. Wenn sie denselben Akzent hatten, dann war dieser Yoshi auch Japaner? Und wenn man noch ein -ki an den Namen hängte, hatte man Yoshiki… Hatte er ihn etwa gefunden?!

„Vielleicht werden Sie ihm ja begegnen… er wohnt bei Fatima, sie vermietet hier im Ort auch Gästeappartements. Andererseits… er ist recht scheu, manchmal ein ziemlich seltsamer Kauz, aber man kann sich auf ihn verlassen… allerdings haben wir ihn schon seit längerem nicht mehr hier im Dorf gesehen…“ Es schien fast so, als redete die Wirtin mehr mit sich selbst, als mit Toshi. „Auf jeden Fall werde ich mich jetzt mal um Ihr Essen kümmern, damit sie mir nicht noch vom Fleisch fallen!“

„… danke!“

„Ich werde bei Fatima kurz anrufen und ihr Bescheid geben, dass Sie kommen werden.“

„Vielen Dank!“ Er nickte leicht dankend mit dem Kopf, war in Gedanken aber viel zu sehr mit diesem Yoshi beschäftigt. War es am Ende tatsächlich Yoshiki? Besser er machte sich keine allzu großen Hoffnungen und wartete erst einmal ab. Nicht dass er sich hier in etwas verrannte und am Ende nur enttäuscht wurde.
 

Es dauerte nicht lange und Toshi bekam seine Bestellung. Die Wirtin teilte ihm noch mit, dass sie bei Fatima angerufen hatte und er jederzeit willkommen war, sodass er sich auf den Weg zu ihr machte, nachdem er aufgegessen und bezahlt hatte. Einer der älteren Herren am Nebentisch hatte ihm im stärksten Dialekt noch eine Wegbeschreibung gegeben, die er sich zweimal hatte anhören müssen, da er beim ersten Mal beim besten Willen nichts verstanden hatte. Im Dunkeln ließ er schließlich das Dorf hinter sich und folgte der schmalen Straße die Klippen hoch, ehe er im Scheinwerferlicht ein Schild entdeckte, das auf ein Gästehaus hinwies und dem ausgeschilderten Privatweg folgte. Schließlich erreichte er das erleuchtete Haupthaus und war noch gar nicht richtig ausgestiegen, als auch schon eine arabisch aussehende Frau aus der Haustür trat und auf ihn zu kam. Sie war etwas größer als er selbst, musste aber ähnlich alt sein wie er, vielleicht ein paar Jahre jünger…

„Sie müssen der Gast sein, von dem mir Marie erzählt hat“, begrüßte sie ihn und hielt ihm die Hand entgegen, die er nahm und kurz schüttelte.

„Toshimitsu Deyama“, stellte er sich kurz vor und ließ ihre Hand dann wieder los, „bitte entschuldigen Sie, dass ich so spät noch vorbeikomme und Ihnen solche Umstände bereite.“

„Ach was“, tat sie es lächelnd ab und wartete, bis er seine Reisetasche aus dem Kofferraum geholt hatte, „ich bin übrigens Fatima.“

„Dachte ich mir fast. Die Wirtin ließ Ihren Namen mehrmals fallen“, entgegnete Toshi und schloss das Auto ab, als er alles hatte. Er verkniff sich vorerst jegliche Nachfrage nach Yoshiki und folgte Fatima stattdessen über einen gepflasterten Weg zum Gästehaus. Aus ihrer Hosentasche holte sie einen Schlüssel hervor, sperrte die Tür auf und trat dann ins Dunkel, welches jedoch nicht lange währte, da sie an der Wand den Lichtschalter betätigte. Toshi trat nach Fatima ein und blickte sich kurz um, nur um festzustellen, dass es definitiv zu den besseren Orten gehörte, in denen er auf seiner langen Suche quer durch Frankreich abgestiegen war. Es gab eine kleine Kochnische mit Essecke sowie ein Sofa mit Fernseher. Eine Tür führte weg und er vermutete, dass sich dahinter das Schlafzimmer samt Bad befinden musste – eine Annahme, die sich bestätigte, als Fatima ihn kurz durch die kleine Wohnung führte.

„Ich habe Ihnen Wasser und ein paar Kleinigkeiten in den Kühlschrank“, teilte sie ihm mit, als sie wieder im Wohnraum angekommen waren.

„Danke, das ist sehr aufmerksam.“

„Und zum Frühstücken kommen Sie morgen Früh einfach ins Haupthaus hinüber.“

„Ich möchte Ihnen wirklich keine Umstände bereiten.“

„Tun Sie nicht!“ Nach einigen weiteren Runden von Smalltalk sowie der Preisabsprache, verabschiedete sie sich und ließ Toshi alleine zurück, der sich erschöpft auf das Sofa fallen ließ, die Schuhe von seinen Füßen kickte, nur um sie gleich darauf auf den Couchtisch zu legen. Von eben jenem angelte er sich eine kleine Infomappe, die auf Französisch und Englisch verfasst war, und blätterte darin herum. Als er las, dass er hier Wi-Fi hatte, fischte er sein iPhone aus der Hosentasche und entschied sich, Yoshikis kleinem Bruder eine kurze E-Mail zu schicken, um ihn über den aktuellen Stand der Dinge zu informieren.
 

„Es kann sein, dass ich auf Yoshiki gestoßen bin. Bin hier in einem kleinen Fischerdorf am ADW und anscheinend haben die hier jemanden namens ‚Yoshi‘, der denselben Akzent hat wie ich.“
 

Offenbar war Kouki früh aufgestanden – immerhin war es in Japan bereits Morgen –, denn es dauerte keine fünf Minuten und Toshi hatte eine Antwort.
 

„Yoshi klingt nicht unbedingt nach einem typisch französischen Namen und wenn du eine weitere Silbe dran hängst, erhältst du den Idioten, der auch als mein großer Bruder bekannt ist… Aber es könnte natürlich nur ein Zufall sein…“
 

„Ich weiß, aber irgendwie hab ich so ein Gefühl, dass ich ihm dicht auf den Fersen bin. Die Wirtin, die mir von diesem Yoshi erzählt hat, hat noch ein paar andere Dinge erwähnt und die könnten auch auf Yoshiki passen. Ich werde morgen versuchen, mehr über diesen Yoshi in Erfahrung zu bringen, bzw. ihn zu treffen… die Wirtin meinte allerdings, er wäre recht menschenscheu… ich meld mich bei dir, sobald ich Neues weiß!“
 

„Tu das und viel Glück!“
 

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Ich verrate mal so viel: Toshis Suche hat im nächsten Kapitel ein Ende, allerdings ist da ein Happy End noch lange nicht vorprogrammiert!

Finalement Réuni

@ Asmodina: Das war doch jetzt keine fiese Stelle für ein Kapitelende – hatte schon wesentlich gemeinere ;)
 

@ T0M0: Wie gut, dass Fatima noch ein freies Gästeapartment hat! ;)
 

@ -Shin-: War ehrlich gesagt auch schön, mal wieder aus Toshis Sicht zu schreiben. Nur Yoshiki wird auf die Dauer doch anstrengend… und mir gingen langsam die Depri-Balladen aus… ;)
 

@ sasu1: Nee, einen Herzkasper bekommt Yoshiki nicht, wenn er Toshi das erste Mal sieht… nur sowas ähnliches :)
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Aber dann ist die Yoshiki-Nadel doch Asche!!!
 

@ Astrido: Wenn im Japanischen „hachi“ zufällig auch „Tod“ bedeuten würde, hätte ich Toshi auch 8 Jahre lang suchen lassen, aber da „Tod“ nun mal „shi“ ist, wurden es 4 ;)
 

@ Kaoru: Ich glaub, das hast du schon mal gesagt… Und keine Sorge, Kouki wird noch das ein oder andere Mal auftauchen. Dazu schreib ich ihn viel zu gerne, als dass er nur einen kurzen Miniauftritt bekommt! :)
 

@ all: So, und jetzt bitte alle „Looking for Freedom“ von David Hasselhoff aufdrehen (wahlweise geht auch „Wind of Change“ von den Scorpions), es gibt die Wiedervereinigung… allerdings nicht von Ost- und Westdeutschland ;)
 

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Wie vereinbart ging Toshi am nächsten Morgen zum Frühstücken ins Haupthaus, wo er feststellen musste, dass seine Gastgeberin zwei Kinder hatte, die jedoch beide schon einen recht erwachsenen Eindruck auf ihn machten. Sie stellten sich als Ben und Lara vor und Fatima erklärte ihnen, dass er Monsieur Deyama hieße, woraufhin er aber meinte, Toshi sei auch in Ordnung. In den Jahren seiner Suche hatte er in Frankreich schon diverse Verunstaltungen seines Namens gehört, weshalb er mittlerweile eigentlich immer auf die Abkürzung seines Vornamens zurückgriff. Da gab es nicht viel, was die Franzosen falsch aussprechen konnten, außer dass sie das i am Ende furchtbar betonten.

„Toshi?“, wiederholte Ben den Namen mehr als überrascht klingend, während Lara ihn nur wie einen Geist anblickte. Beides Reaktionen, die Toshi doch irritierten.

„So hieß doch der Freund von Yoshi“, flüsterte Lara leise ihrem Bruder zu, war dabei jedoch immer noch laut genug, dass der Sänger sie hören konnte.

„Hört auf, hier herum zu flüstern. Das ist unhöflich!“, ermahnte Fatima die beiden, woraufhin sie sofort stoppten, „macht euch lieber einmal nützlich und seht nach Yoshi! Und wenn ihr zu ihm geht, könnt ihr ihm das hier auch gleich noch mitbringen.“ Damit drückte sie ihrer Tochter eine abgedeckte Schüssel in die Hand, die sich gleich darauf mit ihrem großen Bruder verabschiedete und das Haus verließ. Während Toshi sich hinsetzte, spähte er aus dem Fenster und konnte gerade noch sehen, wie sie einem unbefestigten Weg die Klippen hoch folgten, ehe sie aus seinem Blickfeld verschwunden waren.

„Bitte entschuldigen Sie die beiden“, bat Fatima und gab ihm zu verstehen, sich nur an dem reichlich gedeckten Frühstückstisch zu bedienen. „Möchten Sie Tee oder Kaffee?“

„Tee, bitte!“, antwortete er und angelte sich ein Croissant, welches er begann aufzuschneiden. „Dieser Yoshi scheint ja im ganzen Ort bekannt zu sein…“, versuchte er möglichst unauffällig mehr über diesen Menschen in Erfahrung zu bringen, „die Wirtin meinte gestern schon, wir hätten denselben Akzent…“

„Ja, Marie hat schon davon erzählt… Ihre Aussprache ähnelt sich wirklich sehr.“

„Ist dieser Yoshi etwa auch Japaner?“ Toshi beschmierte die beiden Croissanthälften mit Butter und Marmelade, ehe er davon abbiss.

„Ist er in der Tat, aber er war schon seit Jahren nicht mehr dort…“

„Die Wirtin meinte, er würde auch hier leben? …. Es ist immer wieder schön, einmal einem Landsmann zu begegnen…“

„Ja, er wohnt hier auf dem Grundstück in einem kleinen Cottage, allerdings lebt er sehr zurückgezogen und meidet den Kontakt zu den Gästen so gut wie möglich. Von daher werden Sie ihm hier wohl kaum über den Weg laufen…“

Toshi versuchte noch etwas mehr über diesen Yoshi zu erfahren, doch Fatima blockte jede weitere Frage höflich ab, sodass er schließlich aufhörte nachzuhaken und sich stattdessen mit ihr über Belanglosigkeiten unterhielt und zudem fragte, ob es in Ordnung wäre, wenn er noch ein paar Tage bleiben würde – etwas, das kein Problem darstellte.
 

Nachdem er fertig gefrühstückt und das Haupthaus wieder verlassen hatte, fielen ihm in der Auffahrt zwei weitere Autos auf, die er am Abend zuvor nicht registriert hatte: ein alter Geländewagen sowie ein kleiner Twingo. Von der alten Dame auf der Île de Ré hatte er noch in Erfahrung bringen können, dass Yoshiki genau einen solchen Wagen gefahren hatte, als er dort gewesen war. War sein bester Freund etwa tatsächlich hier? Er musste dringend dieses kleine Cottage finden, in dem dieser Yoshi lebte! Die Frage war nur, wo genau es auf dem Grundstück war… er folgte dem Weg, von dem er vorhin gesehen hatte, dass Ben und Lara ihn genommen hatten, doch nach nur ein paar hundert Metern zweigte er sich auf, sodass Toshi vor dem Problem stand, dass er nicht wusste, wohin er gehen sollte. Er entschloss sich, nach links abzubiegen und diesem Pfad zu folgen, doch als er über eine Viertelstunde lang nur zwischen verwilderten Weiden mit schiefen Zäunen ging, hatte er irgendwie das Gefühl, in die falsche Richtung gegangen zu sein. Um nach neuen Anhaltspunkten zu suchen, drehte er sich einmal im Kreis, doch außer halb verdorrten Gras und vereinzelten Bäumen konnte er nichts ausmachen, das auch nur im Entferntesten nach einem Cottage aussah. Dafür machte sein Handy vibrierend auf sich aufmerksam, sodass er es aus seiner Hosentasche angelte und den Anruf entgegennahm, als auf dem Display Heaths Name samt Foto erschien.

„Hey, Hiichan“, begrüßte er den alten Freund und ließ sich einfach auf den Boden sinken.

„Hey, wie geht’s?“

„Ganz gut und dir?“

„Kann mich nicht beklagen. Pata, Sugi und ich spielen gerade den Song ein, den du vor ein paar Tagen rübergeschickt hast…“

„Ist er halbwegs in Ordnung?“

„Wir hatten kein Problem damit und Kouki hat dem Kunden gestern eine Demoversion geschickt, der anscheinend auch ganz begeistert davon gewesen war.“

„Das freut mich zu hören…“ Auch wenn er es inzwischen seit einiger Zeit tat, Toshi fühlte sich noch immer nicht wirklich wohl dabei, sozusagen für Yoshiki zu komponieren.

„Apropos Kouki“, kam Heath auf den eigentlichen Grund seines Anrufes zu sprechen, „er hat was angedeutet, dass du Neuigkeiten hinsichtlich Yosh hättest…“

„Sagen wir es so, ich bin auf eine Spur gestoßen, die vielversprechend klingt…“

„Ja?“

„In dem Dorf, in dem ich bin, gibt es einen Japaner namens Yoshi, der sehr zurückgezogen irgendwo auf dem Grundstück meiner Gastgeberin wohnt, und denselben Wagen fährt, den Yoshiki gefahren hat, als er auf der Île de Ré war…“

„Klingt nach was…“

„Ja, aber die Leute hier scheinen alle recht beschützend um diesen Yoshi zu sein… wirklich viel habe ich nicht über ihn herausbekommen.“

„Hast du deine Gastgeberin mal direkt nach Yoshiki gefragt?“

„Ich hab überlegt, ob ich es tun soll, schließlich habe ich es bisher immer so gemacht, aber irgendetwas hat mich davon abgehalten…

„Angst? Unsicherheit?“, fing Heath an vorzuschlagen.

„Keine Ahnung… aber so oft, wie ich in Zusammenhang mit diesem Yoshi jetzt schon seltsamer Kauz und menschenscheu gehört habe, möchte ich ihn lieber direkt finden und mit ihm sprechen, anstatt dass ihn andere vielleicht vorwarnen…“

„Aber wenn dieser Yoshi unser Yoshiki ist, macht der dann nicht Luftsprünge, wenn er erfährt, dass du nach ihm suchst und nicht tot bist…“

„Ich weiß es nicht, Hiichan… ich meine, wir wissen nicht, in welchem psychischen Zustand er ist… unser einziger Anhaltspunkt ist der, wie er nach hides Tod beinander war…“

„Da hat er sich zwar in LA verkrochen, aber es gab immer noch genügend Leute, die wussten, wo er war und wie man ihn erreichen konnte…“

„Genau… ich möchte einfach verhindern, dass er, falls er es denn ist, irgendwie halbe Sachen mitbekommt, dass ihn jemand aus Japan sucht und er dann wieder die Flucht ergreift, weil er nicht möchte, dass ihn jemand findet…“

„Verständlich…“

„Von daher werde ich wohl weiter dieses Cottage suchen, in dem dieser Yoshi… ach verdammt!

„Was ist?“

„Ich glaub, ich hab grad einen Tropfen abbekommen und wenn ich mir den Himmel so ansehe, scheint das gleich losregnen zu wollen…“

„Du bist an der Mittelmeerküste!“

„Das hindert die Regenwolken nicht daran, hier auch vorbeizuziehen… wobei es vorhin noch richtig schön war!“

„Dann sieh zu, dass du ins Trockene kommst!“

„Mach ich.“ Wie um seine Worte zu unterstreichen, stand Toshi auf und trat den Rückweg an, als er von ein paar weiteren Regentropfen getroffen wurde.

„Viel Glück bei deiner Suche!“

„Danke! Ich melde mich, wenn ich Neues weiß.“

„Tu das!“

„Und grüß mir die anderen.“

„Mach ich. Tschau!“

„Tschau!“ Damit legte Toshi auf, stopfte das Mobiltelefon zurück in die Hosentasche und eilte dann den Weg zurück zu seinem kleinen Gästeappartement, während es leicht zu regnen begonnen hatte. Er entschied, die Suche für den Augenblick zu unterbrechen und stattdessen ins Dorf zu fahren und dort einen Supermarkt oder dergleichen zu suchen, um seine Vorräte wieder aufzustocken.
 

Es war Nachmittag, als die Sonne wieder herauskam und Toshi beschloss, sich erneut auf die Suche nach diesem Yoshi zu machen. Wie schon am Vormittag folgte er den Weg, den er Ben und Lara hatte nehmen sehen, doch anstatt wieder links abzubiegen, entschied er sich diesmal für rechts – ein Pfad, der ihn sehr schnell zu den Klippen brachte und sich nahe am Abgrund entlang schlängelte. Ab und an riskierte Toshi einen Blick nach unten und konnte sehen, wie sich die Wellen des sonst so sanften Mittelmeeres an herausragenden Felsvorsprüngen brachen. Es dauerte nicht lange und er konnte ein paar hundert Meter von den Klippen entfernt ein kleines Steinhaus mit hellroten Tonziegeln ausmachen, welches von roten Rosen umgeben war. Was ihn jedoch viel stutziger machte, war, dass direkt am Abgrund ein Rosenstock wuchs. Den ganzen Weg über hatte er keinen einzigen gesehen, sodass es wohl schlecht eine Wildpflanze sein konnte. Doch weshalb setzte jemand eine Rose so nah an den Klippen ein? Interessiert trat er näher heran und versuchte zu verdrängen, dass der Abgrund vielleicht nur einen knappen Meter von ihm entfernt war. Unter dem Strauch konnte er einen Stein ausmachen, sodass er vollends herantrat und in die Hocke ging. Vorsichtig strich er einige tiefe Triebe beiseite und starrte dann mit weitgeöffneten Augen auf den flachen, sicherlich vom Meer blankpolierten Stein, in den unbeholfen fünf Buchstaben eingemeißelt wurden, die zusammen gelesen seinen Namen ergaben: Toshi. War es purer Zufall, dass hier an den Klippen eine Rose wuchs, von der er wusste, dass sie zu Yoshikis Lieblingen zählte, sich darunter ein Stein befand, den man wohl fast schon als symbolischen Grabstein bezeichnen konnte, der noch dazu seinen Namen trug, und das Ganze dann auch noch in direkter Nähe zu dem Haus war, in dem ein Mann lebte, dessen Namen praktisch identisch mit dem seines besten Freundes war und der rein zufällig auch noch Japaner war? Das waren wirklich extrem viele Zufälle auf einem Haufen! Toshi schüttelte kurz den Kopf, so als wollte er all diese Gedanken verdrängen, um unbelastet an die ganze Geschichte zu gehen. Es brachte nichts, wenn er sich unbegründet Hoffnungen auf irgendetwas machte, nur um hinterher enttäuscht zu werden. Er musste einen klaren Kopf bewahren, so wie er ihn in all den Jahren der Suche gehabt hatte! Es war sinnlos, sich in irgendetwas zu verrennen, weil er sich die Dinge so zurechtlegte, wie er sie sehen wollte. Seufzend strich er über den Stein und klemmte sich dann eine nervige Haarsträhne hinters Ohr. Wer immer dieser andere „Toshi“ auch gewesen sein mag, er musste diesem seltsamen Kauz von Yoshi viel bedeutet haben, wenn er ihm hier eine Gedenkstätte errichtet hatte.
 

Das sachte Geräusch von sich nähernden Fußstapfen ließ Toshi aus seinen Gedanken aufschrecken, sodass er aufstand und sich umdrehte, um zu sehen, wer da kam. Als er die Person jedoch erblickte, die vielleicht 20 oder 30 Meter von ihm entfernt angehalten hatte, als er sich ihr zugewandt hatte, und ihn nun anstarrte, als würde sie einen Geist sehen, glaubte er zu träumen und sich kneifen zu müssen.

„… Yocchan…?!“ Es war nicht mehr als ein Flüstern, während seine Augen über den ausgezehrten Körper vor sich wanderten. Was war mit ihm geschehen, dass er nur noch ein Schatten seiner selbst war? Doch egal, wie ausgemergelt er auch sein mochte und egal, wie eingefallen sein Gesicht war, er würde diese braunen Augen, die ihn voller Entsetzen anstarrten, nie in seinem Leben vergessen. So viele Jahre hatte er sie Tag ein Tag aus gesehen, hatte in ihnen Freundschaft, Liebe, Freude, Trauer, Schmerz, Wut, Hass, Unverständnis und so viele andere Emotionen gesehen…

„… Tocchi…“ Nur zu deutlich konnte man den Unglauben aus der zittrigen Stimme heraushören, als seine Augen nach hinten rollten und er schneller ohnmächtig zu Boden sank, als Toshi zu ihm eilen konnte, um ihn aufzufangen.

„Yocchan!“ Er überbrückte die wenigen Meter zwischen ihnen und ließ sich neben seinem besten Freund auf den Boden fallen, wo er ihn vorsichtig auf den Rücken drehte und leicht gegen seine Wange klopfte. Nun, da er direkt neben ihm war, wurde erst das volle Ausmaß darüber deutlich, wie ausgezehrt der Körper des Jüngeren war. Seine Haut erschien blass und spröde, zum ersten Mal in seinem Leben, schien Yoshiki seinem tatsächlichen Alter gerecht zu werden, wenn nicht sogar noch älter auszusehen. Unter dem T-Shirt, das er trug, konnte man nur zu deutlich seine Knochen erahnen und seine Arme schienen nur noch von Haut bespannt zu sein.

„Was ist mit dir geschehen?“, fragte Toshi leise und strich zärtlich durch die kurzgeschnittenen Haare, erhielt jedoch keine Antwort, da der andere noch immer ohnmächtig war, sodass er ihn letztendlich vorsichtig hochhob und in Richtung des kleinen Cottages trug, dessen Haustür offen stand. Als Yoshiki so in seinem Arm lag und sein Kopf gegen seiner Schulter ruhte, entdeckte Toshi eine Verdickung des Halses, die so gebeugt weitaus offensichtlicher war, als wenn er durchgestreckt war – dies ließ den Älteren nichts Gutes ahnen…

Als er das kleine Haus betrat, nahm er kaum etwas um sich herum wahr. Er kickte lediglich die Tür mit dem Fuß zu, ehe er in einer Nische auch schon ein Queen-Size-Bett ausfindig machte und dieses direkt ansteuerte. Vorsichtig legte er Yoshiki darauf ab, zog die Decke unter ihm hervor und breitete sie über ihm aus. Sanft strich Toshi über die Stirn des Jüngeren, die sich unter seiner Hand wärmer anfühlte als sie es sollte. An der Schläfe entlang fuhr er zum Hals hinab und suchte die Hauptschlagader, an welcher er den Puls fühlte, der ebenfalls alles andere als im Normalbereich lag. Ihm schwante Böses…
 

Lautlos stand er auf und ging durch die angrenzende Tür, hinter der sich ein kleines Bad verbarg. Aus einem einfachen Regal nahm er ein kleines Handtuch, befeuchtete es mit kaltem Wasser und kehrte damit zu Yoshiki zurück. Zusammengefaltet legte er es auf dessen Stirn und setzte sich dann neben ihn auf die Bettkante. Vorsichtig nahm er die knochige Hand des Jüngeren in die seine und drückte sie leicht, in der Hoffnung, dass er es spürte. Während er darauf wartete, dass dieser wieder zu sich kam, nahm sich Toshi zum ersten Mal die Zeit, sich genauer in dem kleinen Cottage umzusehen. Es gab einen Kamin, der im Winter wohl zum Heizen diente, eine kleine Kochgelegenheit, von der Toshi vermutete, dass sie, wenn Yoshiki in den vier Jahren seiner Abwesenheit nicht plötzlich seine Leidenschaft zum Kochen entdeckt hatte, wohl nicht sehr oft benutzt werden würde. In der Raummitte stand ein quadratischer Tisch, an dem zwei Personen Platz fanden, und an einer Wandseite stand ein weißes Klavier. An der anderen befanden sich eine Kommode sowie mehrere Regale. Alles in allem war es sehr einfach und zweckmäßig eingerichtet. Aber gut, in den Villen in Los Angeles und Tokyo hatte es auch nie großen Schnickschnack gegeben. Sie waren ebenfalls schlicht und geradlinig gewesen.
 

Ein leichtes Murren vom Bett und eine Bewegung in der Hand, die er festhielt, sorgten dafür, dass Toshi seine Aufmerksamkeit wieder Yoshiki zuwandte, der scheinbar langsam wieder zu sich kam und mit den Lidern flatterte. Für den Moment entschied er, sich ruhig zu verhalten und den Jüngeren erst einmal wieder richtig wach werden zu lassen. Es dauerte auch nicht lange und er öffnete die Augen, wobei er als erstes in Richtung seiner Stirn zu schielen versuchte, da darauf etwas Feuchtes lag. Angestrengt überlegte er, wie das da überhaupt hingekommen war und was er eigentlich in seinem Bett machte. Er erinnerte sich, dass am Vormittag Ben und Lara bei ihm gewesen waren und erzählt hatten, dass ein Gast da war, allerdings hatte er nicht weiter nach Details gefragt, da ihn Touristen nur insofern interessierten, dass er die meiste Zeit in seinem Cottage auf den Klippen verbrachte. Als sie gegen Mittag, nachdem es auch aufgehört hatte zu regnen, wieder gegangen waren, hatte er das Essen, das sie von Fatima mitgebracht hatten, aufgewärmt und sich hinterher etwas hingelegt, weil er sich nicht sonderlich gut gefühlt hatte. Gegen Nachmittag war er dann wieder aufgewacht und aufgestanden. Als er zufällig zum Fenster geblickt hatte, hatte er eine unbekannte Person an Toshis Gedenkstätte knien gesehen und war nach draußen geeilt, um von dem Fremden zu wissen, was er dort verloren hatte. Dieser musste sein Kommen gehört haben, denn er war aufgestanden und hatte sich zu ihm umgedreht. Und dann musste er einen Geist gesehen haben, denn plötzlich stand da kein Unbekannter mehr, sondern ein Mensch, den er seit dem Kindergarten kannte, ein Mensch, den er seit knapp vier Jahren täglich vermisste…

Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass jemand seine Hand hielt, sodass er seinen Blick in diese Richtung drehte. War das etwa dieser Fremde? Langsam wanderte er an dessen Arm nach oben und stockte dann bei seinem Gesicht. Nie im Leben würde er dies vergessen, doch es war unmöglich, dass er es jetzt sah! Außer natürlich er war durchgedreht und konnte plötzlich wie Gackt Geister sehen. Was der wohl gerade trieb? Die einzig andere Möglichkeit, die er sah, dass Toshi da nun an seinem Bett saß und seine Hand hielt, während er ihn besorgt ansah und schon wieder diese nur zu vertrauten Sorgenfalten auf der Stirn hatte, war die, dass er wohl tot war. Angesichts dessen, wie schlecht es um seine Gesundheit stand, war letzteres eindeutig die plausiblere Erklärung. Das Jenseits hatte er sich allerdings eindeutig anders vorgestellt – immerhin fühlte er sich noch genauso grauenhaft wie zu Lebzeiten und in seinem kleinen Cottage war er auch immer noch. Wo waren die Plüschwolken, die Tuniken und die Flügelchen samt Heiligenschein und Lorbeerkranz?
 

„Hey, Yocchan…“ Sanft drückte Toshi die Hand des Jüngeren, als dieser ihm unverwandt ins Gesicht starrte, sonst aber keine Reaktion zeigte.

„Jetzt sind wir endlich wieder zusammen“, flüsterte Yoshiki leise und lächelte glücklich. Seit dem Tag vor knapp sechs Monaten, an dem er die Diagnose erhalten hatte, hatte er ohne Angst diesem Moment entgegengeblickt, hatte er doch gewusst, dass dies der Augenblick sein würde, an dem er seinen besten Freund nach knapp vier Jahren endlich wieder sehen würde.

„Ich kann es noch immer nicht glauben, dass ich dich hier tatsächlich gefunden…“, entgegnete Toshi und nur zu deutlich konnte man den Unglauben aus seiner Stimme hören. Er hatte tatsächlich seinen besten Freund wieder!

„Ich wusste nicht, dass das so schwer ist…“, entgegnete Yoshiki und blinzelte irritiert, während er sich mühsam aufrichtete, wobei das feuchte Handtuch von seiner Stirn in seinen Schoß fiel. Zumindest gab es Erfrischungstücher im Jenseits! „Allerdings muss ich mit dem Chef von dem Laden hier wirklich mal ein Wort reden. Ich dachte, wenigstens im Jenseits wäre mein Körper kein Schrotthaufen mehr, aber der ist ja noch immer genauso im Eimer wie zu Lebzeiten!“

„Äh…… Yocchan…..“ Nur zu gut konnte sich Toshi noch daran erinnern, wie verwirrt Yoshiki zum Teil nach dem Wachwerden sein konnte, insofern schwante ihm nichts Gutes, als er den anderen so reden hörte. „Was glaubst du, was wir sind?“

„Na tot! Wieso sollte ich dich sonst sehen können?“ Manchmal konnte Toshi wirklich dämliche Fragen stellen.

„Yocchan… wir sind nicht tot… weder du noch ich!“ Hatte er vorhin Yoshikis Hand losgelassen, als sich dieser aufgesetzt hatte, so legte er seine nun an dessen Oberarm.

„Aber… aber… ich… du…“ Wie war das möglich? Er war nicht tot? Und Toshi auch nicht? Aber er war doch… Er hatte doch gehört und gesehen, wie er vor knapp vier Jahren… Wie kam es dann, dass er…

„Yosh…“ Überdeutlich konnte der Ältere sehen, wie der Jüngere versuchte, die Information zu verarbeiten, weshalb er seinen Arm leicht drückte und etwas näher zu ihm rutschte, wobei er das feuchte Handtuch aus dessen Schoß nahm und es auf den Boden neben dem Bett warf. „… ich war nie tot… die Ärzte konnten mich wiederbeleben, aber das hast du nicht mehr mitbekommen, weil du weggelaufen bist. Heath, Pata, Sugizo, Kouki… sie alle haben versucht dich irgendwie zu kontaktieren, um dir mitzuteilen, dass ich am Leben bin, aber sie konnten dich nicht erreichen und du warst unauffindbar…“

„Du…“ Immer wieder schüttelte er den Kopf und schien sich schwer damit zu tun, die Neuigkeiten zu verstehen. Hieß das etwa, Toshi war die ganze Zeit über am Leben gewesen? Er war nie tot gewesen?

„Ich bin es wirklich, Yosh“, versicherte er ihm leise und strich über seinen Arm.

„Du…“

„Sobald ich aus dem Krankenhaus war und die Reha abgeschlossen hatte, hab ich mich auf die Suche nach dir gemacht. ..“

„Du bist… du hast…“ Hieß das, wenn er damals geblieben wäre, dann wären die letzten Jahre völlig anders verlaufen?

„Ich hab dich all die Jahre über gesucht, um dir selbst zu sagen, dass ich nicht tot bin… dass ich mein Versprechen nicht gebrochen habe und immer an deiner Seite sein werde, egal was ist…“

Einen weiteren Moment starrte Yoshiki ihn nur ungläubig an, dann fiel er ihm schluchzend mit einer solchen Wucht um den Hals, dass Toshi fast rückwärts vom Bett fiel. Er hatte sich jedoch schnell gefangen und schlang seine Arme um den zierlichen Körper, der sich bebend an ihn drückte, während er spürte, wie Unzählige Tränen an seinem Hals herabliefen.

„Ich hab dich so vermisst… Ich hab dich so vermisst, Tocchi… Ich hab dich so vermisst…!!!“
 

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Gut, Yoshiki und Toshi wären jetzt wiedervereint… aber ich hab ja noch 14 Kapitel für euch, bis die Story zu Ende ist. Insofern könnt ihr jetzt grübeln, was ich in all der Zeit noch mit den beiden anstellen werde. Kleiner Tipp, die Antwort findet sich im Titel „Shi Ans“ ;)
 

Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen. Über eure Meinungen, Kommentare, Gedanken, etc. würde ich mich natürlich freuen!

Dialogues

@ -Shin-: Naja, so ab und an hat er mal seine Medikamente genommen, aber generell hat er das alles mehr schleifen lassen.
 

@ Asmodina: Wenn du die Wiedersehensszene schon rührend fandest, dann kannst du eigentlich ab jetzt Taschentücher draußen lassen :)
 

@ T0M0: Auch wenn Yoshikis Vorstellung vom Jenseits ein bisschen an die Philadelphia-Werbung erinnert ;)
 

@ sasu1: Ich hatte das beim Schreiben auch als Film im Kopf. Allerdings kann ich anders auch nicht schreiben… ich muss das vor meinem inneren Auge sehen, sonst geht da nichts!
 

@ Astrido: Dass man Yoshiki im letzten Kapitel mit ihm nicht angemerkt hat, wie schlecht es ihm geht, liegt daran, dass ich gestoppt hatte, bevor die Erkrankung überhaupt sichtbar wurde. Für den Leser sollte das genauso überraschend sein wie Toshi.
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Nö, ich bin nicht gemein zu meinen Charakteren – bin immer ganz lieb… die meiste Zeit… wenn mir danach ist ;P
 

@ Terra-gamy: Das dauert in der Tat noch ein bisschen…
 

@ Kaoru: Woher wusstest du, dass ich genau an der Stelle von dem Kommi grinsen würde??
 

@ all: Wie der Kapiteltitel schon andeutet, wird in diesem Kapitel viiiiiel geredet. Aber kein Wunder, Yoshiki und Toshi müssen schließlich vier Jahre nachholen!
 

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„Ich kann nicht glauben, dass du wirklich…“ Immer wieder wiederholte Yoshiki diesen halben Satz, nachdem er sich halbwegs beruhigt hatte, und fuhr mit Zeige- und Mittelfinger Toshis Gesichtsstrukturen nach, so als wollte er auch wirklich ganz sicher gehen, dass er es war und er dies auch nicht träumte. Immerhin wäre es nicht das erste Mal… Wie oft war er in den letzten Jahren aufgewacht und hatte geglaubt, dass alles nur ein böser Traum gewesen wäre? Doch dann hatte er jedes Mal aufs Neue realisiert, wo er war und hatte erkennen müssen, dass der Albtraum nicht seinen Schlaf sondern sein Leben bestimmte.

„Ist es dir in all den Jahren nie in den Sinn gekommen, einmal deine E-Mails zu kontrollieren?“ Natürlich war Toshi die Laptoptasche aufgefallen, die im Regal lag.

„Meine E-Mails?“, fragte Yoshiki irritiert und lehnte sich wieder gegen Toshi, der ihn noch immer locker festhielt, und schlang seine Arme um ihn.

„Heath, Pata, Sugizo und Kouki haben dir Unmengen an Mails geschickt, in denen stand, dass ich nicht tot bin…“

„Ich habe mit dem Gedanken gespielt… aber… ich wollte mit meinem Leben als YOSHIKI nichts mehr zu tun haben… also habe ich es gelassen…“

„Also hatte ich recht…“

„Womit…?“

„Mit etwas, dass ich Heath, Pata und Sugizo gesagt hatte… ihre Befürchtung war, dass du dich vielleicht umgebracht hast und dich deswegen niemand finden und erreichen konnte.“

„Es gab Momente, in denen ich mich gefragt hatte, ob das nicht die bessere Lösung wäre…“, gestand Yoshiki und legte seinen Kopf auf Toshis Schulter. Es war so surreal, dass er wieder bei ihm war, dass er ihn fühlen, hören und riechen konnte. Aber es tat gut, ihn zurück zu haben. „Was hast du ihnen daraufhin gesagt?“

„Dass du wohl eher YOSHIKI töten würdest…“

„Womit du recht hattest…“

„Aber ein Klavier musste trotz allem sein, wie es mir scheint!“, entgegnete Toshi leise lachend und zeigte mit dem Kopf in Richtung des Pianos, das an der Wand stand.

„Das war Beschäftigungstherapie… es war in einem furchtbaren Zustand, als ich es gekauft habe. Ich hab den ganzen Winter damit zugebracht, es wieder auf Vordermann zu bringen!“

„Funktioniert es?“

„Einwandfrei… allerdings spiel ich deutlich weniger als früher…“

„Warum?“

„Weil es zu schmerzhaft ist… kurz nach deinem Tod, beziehungsweise kurz nachdem ich dachte, du wärst tot, konnte ich gar nicht spielen… sobald ich die Tasten berührt habe, ist mir klar geworden, dass wir nie mehr zusammen musizieren würden, dass du nie mehr neben mir auf der Bank sitzen würdest, dass ich mich nie mehr gegen dich lehnen könnte…“

„Und jetzt?“

„Die meiste Zeit spiele ich mit den Kindern, denen ich das Klavierspiel beibringe und bei Hanonübungen gibt es nicht viel, dass ich mit dir in Verbindung bringen kann“, antwortete Yoshiki und ein leichtes Grinsen schlich sich auf seine Züge, während er sich nur tiefer in seinen besten Freund kuschelte. Es tat gut, ihn endlich wieder an seiner Seite zu haben, auch wenn er sich dafür in den Hintern treten könnte, in all den Jahren nie seine E-Mails kontrolliert zu haben. Andererseits, hätte er es getan, hätte er vielleicht auch nie diesen kleinen Ort namens Refuge des Anges gefunden, der für ihn mittlerweile zu einem neuen Zuhause geworden war.
 

„Du als Klavierlehrer?“, fragte Toshi und zog belustigt eine Augenbraue nach oben.

„Hat sich irgendwie so ergeben. Am Anfang wollte ich eigentlich nicht, weil ich keinen zu nahe an mich heranlassen wollte, aber irgendwie kam es dann doch dazu… Ich glaube, eine Teilschuld liegt bei der Bezahlung mit Kuchen!“

„Bezahlung mit Kuchen?“

„Geld brauche ich ja nicht wirklich, hab schließlich so ziemlich meine ganzen Konten geplündert… und irgendwer machte dann den Vorschlag, mit den Kuchen, weil die Leute inzwischen wussten, dass ich nicht wirklich Kochen kann…“

„Kuchen bäckt man für gewöhnlich“, warf Toshi mit einem Augenzwinkern ein, woraufhin ihn Yoshiki mit dem Zeigefinger in die Brust piekte.

„Ich weiß, ganz blöd bin ich ja schließlich auch nicht!“ Gott, wie hatte er dieses Geplänkel vermisst. Ächzend richtete er sich auf und setzte sich etwas anders hin, da ihm langsam die Füße einschliefen, nur um sich gleich darauf erneut an seinen besten Freund zu kuscheln, der auch direkt wieder die Arme um ihn schlang. Yoshiki vergrub sein Gesicht in Toshis Halsbeuge und atmete zufrieden den auch nach Jahren noch vertrauten Geruch ein. Wie sehr hatte er sich all die Zeit über danach gesehnt?

„Ich könnte mich dafür in den Hintern beißen, dass ich damals einfach weggelaufen bin“, äußerte er schließlich leise und schloss halb die Augen. Es tat so gut, nach all den Jahren wieder in Toshis Armen zu liegen und zu spüren, wie er ihn festhielt.

„Ich hatte dich gar nicht als so beweglich in Erinnerung“, entgegnete Toshi grinsend und rückte den Jüngeren ein wenig zurecht, da es auf Dauer unbequem wurde, so wie er sich an ihn gekuschelt hatte. Anscheinend gab er sich gar keine Mühe, sein eigenes Körpergewicht zu tragen, sondern vertraute einfach darauf, dass Toshis Arme ihn schon festhielten. Für den Moment verkniff sich der Ältere jeglichen Kommentar darüber, dass er jeden Knochen des anderen spüren konnte und es sicherlich auch nicht normal war, dass er immer wieder seltsame Atemgeräusche wahrnahm, die ganz eindeutig von dem Jüngeren kamen.

„Haha…“

„Mal ehrlich, Yocchan… wir können die Zeit nicht zurückdrehen und Dinge ungeschehen machen. Könnten wir das, wäre vieles anders verlaufen…“

„Wäre aber toll, wenn man das könnte“, seufzte Yoshiki und rutschte etwas herum, „Ne, Tocchi…… was ist damals eigentlich passiert, nachdem ich…?“
 

„Die Ärzte konnten mich offensichtlich wiederbeleben, aber ich lag danach noch ein paar Wochen im Koma. Als ich schließlich wieder zu mir kam, hatte ich ewig lang noch furchtbare Kopfschmerzen wegen der Kopfverletzung, sodass mit mir nicht wirklich viel anzufangen war. In all der Zeit haben dein Bruder, Heath, Pata und Sugizo mit einem Privatdetektiv nach dir gesucht, doch sonderlich weit sind sie nicht gekommen… Kouki war in deinem Haus in Narita und hat dort dein Handy gefunden und vom Pilot haben sie schließlich erfahren, dass du nach Kapstadt geflogen bist, doch dann haben sich deine Spuren im Sand verlaufen…“

„Hat der Typ also doch gequatscht…“, murmelte Yoshiki mehr zu sich selbst.

„Ich wusste die ganze Zeit über nicht, dass du weg warst. Heath, Pata und Sugizo haben mich ständig besucht, Rosen mitgebracht, die angeblich von dir waren und mir sonst welche Stories erzählt, weshalb du nicht kommen könntest und sich alles Mögliche ausgedacht, um dein Verschwinden mir gegenüber zu vertuschen.

„Sie haben dir gegenüber keinen Ton verloren?“

„Nein… letztendlich haben wirklich alle dabei mitgespielt – sei es nun deine Familie, meine eigene, die ganzen Mitarbeiter. Sie wollten mich nicht… wie haben sie es genannt… unnötig aufregen. Außerdem haben sie gedacht, sie würden dich finden, ehe ich ihr Lügenspiel durchschaue.“

„Hat ja anscheinend nicht geklappt…“, äußerte Yoshiki und ein leichtes Grinsen schlich sich auf seine Lippen. Dass die anderen wirklich gedacht hatten, sie könnten Toshi auf die Dauer an der Nase herumführen... Er wusste schließlich aus erster Hand, dass es praktisch unmöglich war, vor dem anderen etwas geheim zu halten, da er genau merkte, wenn man ihn für dumm verkaufen wollte.

„Als meine Kopfschmerzen besser wurden und ich nicht mehr mit Schmerzmitteln zugedröhnt war, wurde es immer offensichtlicher, dass sie mir etwas verheimlichten, sodass ich sie dann letztendlich zur Rede gestellt habe und sie mir zähneknirschend gebeichtet haben, dass du in dem Glauben, ich sei tot, verschwunden bist und sie lediglich wissen, dass du nach Kapstadt abgehauen bist. Sie haben mir von dem Privatdetektiv erzählt und dass Kouki sich deine Konten vorgenommen hätte, dort allerdings auch nichts war, was einen Hinweis auf deinen Aufenthaltsort geben könnte…“

„Ich hab ja extra nicht die Konten angerührt, auf die Kouki Zugriff hat, weil ich ahnte, dass er dort nachsehen würde, ob ich Geld abgehoben hätte… Du allerdings…“

„Ich allerdings kann deine kompletten Privatkonten einsehen, sodass wir deine Spur weiterverfolgen konnten, bis hin zur BNP…“

„Bis dahin bist du gekommen? Aber auf das eine Konto hast doch selbst du keinen Zugriff…“

„Ich kenne deine Liebe für Passwörter und wie schnell du sie durcheinander bringst“, gab Toshi grinsend zu bedenken, während er gedankenverloren über Yoshikis Arm strich, „also hab ich einfach die drei gängigsten ausprobiert und mit dem dritten war ich drinnen… Ich wusste ja, dass du Frankreich liebst und die Wohnung in Paris hast… und da du einen Großteil deines Geldes auf eine französische Bank geschoben hast, lag es nahe, dass du vermutlich auch dort sein würdest. Als der Privatdetektiv jedoch bei deinem Appartement war, warst du schon lange wieder weg…“

„Ich bin damals von Kapstadt nach Johannesburg und von dort dann nach München… es war nicht geplant, nach Paris zu gehen, aber dann gab es ein Sonderangebot der Bahn und das erschien mir wie ein Wink mit dem Zaunpfahl“, erinnerte sich Yoshiki, „aber alles in Paris hat mich an dich und die Band erinnert, also hab ich mir ein Auto gekauft und bin einfach drauf los gefahren… einfach der Nase nach, in der Hoffnung einen Ort zu finden, wo ich den Schmerz vergessen könnte…“

„Du hast es uns auf jeden Fall äußerst schwierig gemacht dich zu finden.“

„Das war der Sinn dahinter. Ich wollte nicht, dass mich irgendwer findet… Ich wollte nicht ihr Mitleid und ich wollte auch kein es wird schon alles wieder gut werden, Yoshiki hören… Schließlich kenne ich den Tod… nichts wird wieder gut werden…“ Zum Ende hin hatte seine Stimme sehr emotionsgeladen geklungen und er hatte mehrmals mit den Augen geblinzelt.

„Nach ungefähr einem Jahr hat Kouki die Suche nach dir mit dem Privatdetektiv aufgegeben und deine Familie hat dich für tot erklärt, was allerdings auch nicht ganz so einfach war…“

„Wieso?“ Neugierig setzte sich Yoshiki auf und war insgeheim froh, dass Toshi ihm dabei diskret half.

„Weil zunächst einmal der Öffentlichkeit erklärt werden musste, weshalb du überhaupt tot seist. Während des Jahres, in dem nach dir gesucht wurde, hieß es, du hättest dich aus gesundheitlichen Gründen aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen.“

„Und wie lautet nun das offizielle Statement zu meinem Tod?“

„Dass du in dem Glauben, ich sei tot, überstürzt das Land verlassen hättest und seit einem Jahr verschollen wärst. Eine ausgiebige Suche nach dir hätte keinerlei Hinweise ergeben, sodass deine Familie entschieden hätte, dich für tot zu erklären.“
 

„Mama und Kouki halten mich also für tot…“

„Nicht unbedingt…“

„Wie meinst du das? Wenn sie mich doch…“

„Ja, für die Öffentlichkeit haben sie dich für tot erklärt, aber so wie deine Mutter immer von dir spricht, habe ich nicht den Eindruck, dass sie dich wirklich auch für tot hält. Ich denke, sie hofft, dass du irgendwo noch am Leben bist und dich vielleicht eines Tages doch noch dazu entscheidest, zurückzukehren – nicht als YOSHIKI der Rockstar, sondern als Hayashi Yoshiki, ihr Sohn…“

„Und Kouki…?“

„Kouki ist schwieriger, aber ich weiß, dass ein Teil von ihm noch immer hofft, dass sein großer Bruder am Leben ist. Der andere Teil ist jedoch ziemlich wütend, dass du einfach so sang- und klanglos gegangen bist… dass du nun schon der zweite Mensch in seinem Leben bist, der ihn einfach so zurücklässt.“

„… dass ich wie Vater einfach so ohne ein Wort der Erklärung gegangen bin…“, äußerte Yoshiki leise und lehnte sich wieder gegen Toshi.

„Er hat lange gebraucht, um damit zu Recht zu kommen und sich immer wieder mit dem Privatdetektiv angelegt, weil der einfach nichts, was in deine Richtung gedeutet hat, finden konnte. Letztendlich war Kouki auch derjenige, der den Vorschlag ausgesprochen hat, dich für tot zu erklären – ich denke, es diente vor allem ihm dazu, seinen Frieden zu finden…“

„Kouki war es also…“ Es überraschte ihn, dass es ausgerechnet sein Bruder gewesen war. Er hätte eher auf seine Mutter getippt, beziehungsweise auf das Management direkt, die ihr diesen Vorschlag nahegelegt hatten.

„Aber ich weiß, dass er irgendwo tief in sich die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, dass du noch am Leben bist… denn ansonsten wäre ich jetzt nicht hier…“

„Wie das?“

„Als du für tot erklärt wurdest, haben außer mir alle aufgehört, nach dir zu suchen… ich bin ständig zwischen Japan, Frankreich und den USA hin und her geflogen, hab es mir sogar angetan, Französisch zu lernen, um von den Franzosen mehr Infos zu bekommen… aber vor einem Jahr oder so, war es finanziell einfach nicht mehr drinnen, sodass ich nach Tokyo zurück bin, um für Extasy Records das ein oder andere Projekt zu erledigen, um genügend Geld zu haben und weiter nach dir zu suchen…“, erklärte Toshi und dachte an sein Gespräch mit Yoshikis Bruder zurück.

„Du arbeitest für Extasy? Seit wann denn das??“

„Deine Familie hat nie dein Testament eröffnet… Kouki führt alles so, als würdest du jeden Tag wieder zurückkommen…“

„Kouki schmeißt den Laden?!“

„Er hat es versucht“, erklärte Toshi leise lachend, „mit dem Geschäftlichen hatte er auch kein Problem, aber die ganze musikalische Seite ist ihm schnell über den Kopf gewachsen. Sobald es mir wieder halbwegs gut ging, ist er zu mir gekommen und hat gefragt, ob ich mich nicht darum kümmern könnte, weil ich davon sicherlich mehr Ahnung habe als er. Letztendlich hab ich dann zugestimmt und ihm geholfen… Und irgendwann meinte er dann noch, ich könnte doch auch noch komponieren, Klavier spielen, singen und Gott weiß was.“

„Du schreibst für Extasy?!“

„Notgedrungen… wir mussten Aufträge annehmen oder wir hätten drastisch kürzen müssen. Mir war nie sonderlich wohl dabei, sozusagen deinen Platz einzunehmen.“

„Ich fand deine Stücke schon immer toll und dass du für Extasy komponierst, ist tausend Mal besser, als wenn Kouki sich daran versuchen würde!“

„Na, ich weiß nicht…“

„Du bist gut, Tocchi – sowohl als Sänger und Pianist als auch als Komponist!“, entgegnete Yoshiki und konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen, als sein bester Freund verlegen den Kopf senkte. Manche Dinge änderten sich eben nie… aber das war auch gut so!

„Auf jeden Fall“, beschloss Toshi das Thema zu wechseln, „war ich zurück in Tokyo, als Kouki mich fragte, was los sei, woraufhin ich ihm eben erzählt habe, dass ich dich zwecks mangelnder Finanzen wohl erst einmal nicht länger weiter suchen kann. Daraufhin meinte er dann, dass ich, wenn ich mir wirklich sicher wäre, dass du noch lebst, das Geld von den beiden Privatkonten, die du nicht angerührt hast, nehmen und weiter nach dir suchen sollte. Insofern… ich glaube nicht, dass er das angeboten hätte, wenn er fest davon überzeugt wäre, dass du tot bist…“

„Wieso hast du dir das Geld nicht schon früher genommen?“, fragte Yoshiki verständnislos und richtete sich erneut auf, um Toshi direkt anzublicken, „ich hab doch gesagt, du kannst jederzeit auf meine Konten zurückgreifen, solltest du jemals Geld brauchen!“

„Ich weiß und du weißt auch, was ich dir damals dazu gesagt habe“, entgegnete Toshi und half dem Jüngeren sich gerade hinzusetzen, der sich jedoch, kaum dass er sich aufgerichtet hatte, auch schon wieder an ihn kuschelte.

„Letztendlich hast du es dann aber doch getan…“

„Die Aussicht, direkt weiter nach dir suchen zu können, anstatt wochen- oder monatelang in Tokyo festzusitzen, war einfach zu verlockend“, antwortete Toshi schulterzuckend und drückte Yoshiki leicht an sich, der eine Hand auf seine Brust gelegt hatte.

„Warum hast du nie aufgehört? … Warum hast du nie aufgehört zu suchen? Alle anderen haben es getan… und du? Du hast sogar extra Französisch gelernt…!“

„Du bist mein bester Freund, Yocchan, meine Familie… außerdem, ich musste dir doch sagen, dass ich nicht tot bin! Ich hätte doch nicht einfach in Tokyo sitzen und Däumchen drehen können, während du Gott weiß wo bist und um mich trauerst und leidest! Das hätte ich beim besten Willen nicht tun können! Wenn es hätte sein müssen, hätte ich die ganze Welt auf den Kopf gestellt, um dich zu finden!“, erklärte der Ältere und als Yoshiki kurz aufblickte und in seine Augen sah, konnte er erkennen, dass er jedes einzelne Wort so meinte.
 

„… Ich bin froh, dass ich dich noch einmal sehen konnte“, flüsterte er leise und lehnte sein Gesicht gegen Toshis Brust, sodass er ganz leicht dessen gleichmäßigen Herzschlag wahrnehmen konnte. Es erinnerte ihn dezent an eine Bass Drum – immer derselbe Rhythmus, immer derselbe Klang: b-dam… b-dam… b-dam… Irgendwie hatte es etwas einlullendes, sodass er die Augen schloss und sich nur noch auf seine anderen Sinne verließ. Der Körper, an der er sich gelehnt hatte, roch noch genauso, wie er es in Erinnerung hatte, strahlte noch immer dieselbe vertraute Wärme aus. Die Arme, die ihn festhielten, gaben ihm wie jeher das Gefühl geborgen und sicher zu sein – so als könnte die Welt um sie herum untergehen, ohne dass ihnen etwas passieren konnte. Es tat gut, dies noch einmal zu spüren, wo er doch so lange gedacht hatte, er hätte es für immer verloren.

„Alles okay?“, fragte Toshi und strich federleicht über die Schläfe, die sich unter seinen Fingern deutlich erwärmt anfühlte. Wo war noch einmal das feuchte Tuch? Kurz blickte er sich um und entdeckte es dann am Boden neben dem Bett. Natürlich hatte er Yoshikis zweideutige Aussage gehört und zusammen mit dem, was er bisher gesehen hatte, bekräftigte es nur den unschönen Verdacht, den er hatte. Erst recht, als er wieder diese pfeifenden Atemgeräusche hörte und die Verdickung am Hals des Jüngeren nur wenige Zentimeter von seinen Fingerspitzen entfernt war.

„Mhm“, brummte dieser nur und kuschelte sich lediglich noch ein bisschen tiefer ein. „Sorry, bin etwas erschöpft“, fügte er nach einer kurzen Pause murmelnd hinzu.

„Schon ok“, entgegnete Toshi leise und strich den hervorstechenden Wangenknochen nach, „schlaf, wenn du müde bist.“

„Ehrlich gesagt“, entgegnete Yoshiki und schlug die Augen auf, während er sich ächzend wieder richtig hinsetzte, „wäre mir Wasser gerade lieber als Schlaf… mein Hals ist durch das Reden ganz trocken …“ Er wollte schon vom Bett aufstehen, doch Toshi war schneller und schon halb in der Küche, als er gerade erst einmal die Füße auf den Boden gesetzt hatte.

„Bleib im Bett, ich hol es dir!“ Auf der Suche nach einem Glas öffnete er einfach alle Schranktüren, während der Jüngere im Hintergrund ein gequengeltes „Tocchi“ von sich gab.

„Ich kann mir selbst Wasser holen!“

„Yocchan, du bist vorhin zusammengebrochen…“, gab der Ältere zu bedenken und stellte beim Durchsuchen der Schränke fest, dass sich das Einkaufsverhalten seines besten Freundes in den Jahren auch nicht geändert hatte – es war noch immer dieselbe eigenwillige Mischung, aus der man wohl kaum ein vernünftiges Essen würde kochen können.

„Du hast eben eine umwerfende Wirkung auf mich“, konterte Yoshiki schief grinsend, als Toshi schließlich auf Gläser stoß und den Kommentar nur mit einem Schnauben quittierte. Zwei der Trinkgläser füllte er mit Evian aus dem Kühlschrank, ehe er mit beiden zurück zum Bett ging und dem Jüngeren eines reichte. Er setzte sich wieder neben ihn und gönnte sich selbst einen kleinen Schluck, während Yoshiki vorsichtig an dem Wasser nippte, so als wäre es furchtbar heiß.
 

„Stimmt was nicht?“, hakte der Ältere schließlich nach, da der andere wirklich extrem kleine Schlucke nahm, dafür, dass er gerade eben noch meinte, er sei extrem durstig.

„Alles in Ordnung“, entgegnete er gewohnt leise und lächelte Toshi kurz an, ehe er erneut trank, nur um direkt danach in einen Hustenanfall auszubrechen, da er sich an dem Wasser verschluckt hatte. Rasch nahm ihm der Ältere das Glas aus der Hand und stellte es zusammen mit seinem eigenen auf den Boden, bevor er ihm auf den Rücken klopfte, damit es wieder besser wurde. Es dauerte ein paar Minuten, bis er sich nicht mehr die Lunge aus dem Leib hustete und sich einfach nur erschöpft gegen ihn lehnte, während Toshi einen Arm um ihn legte und in gleichmäßigen Strichen über den zierlichen Oberarm fuhr, dessen Knochen er nur zu deutlich spüren konnte.

„Geht’s wieder?“

„Ja, hab nur was in den falschen Hals bekommen…“

„Ne, Yocchan…?“

„Hm?“

„Können wir bitte aufhören, um den heißen Brei herumzutanzen?“

„Welchen heißen Brei?“, hakte Yoshiki leise nach, auch wenn er ahnte, worauf Toshi anspielte.

„Ich denke, du weißt welchen“, entgegnete der andere mit hochgezogener Augenbraue und hörte auf, ihm über den Arm zu streichen.

„Tocchi…“

„Die Schwellung an deinem Hals… Die Schilddrüsengeschichte ist schlimmer geworden, habe ich recht?“

„Tocchi…“

„Wie krank bist du, Yoshiki?“
 

Was sollte er darauf antworten? Dass er vor knapp sechs Monaten den Tod und nicht das Leben gewählt hatte, in der Hoffnung seinen besten Freund so endlich wiedersehen zu können? Dass er die Entscheidung seit dem Augenblick bereute, in dem er Toshi erblickt hatte und sie nun am liebsten rückgängig machen wollte, weil sein bester Freund leben und er sterben würde?
 

••••••••••••••••••••
 

Was denkt ihr? Wie krank ist Yoshiki wirklich? Die Antwort darauf gibt es in ca. zwei Wochen :)
 

Nach langer Zeit war in diesem Kapitel auch mal wieder eine kleine Tatsache, nämlich dass Yoshiki und Kouki bis heute nicht den Grund wissen, warum sich ihr Vater umgebracht hat (laut Biografie übrigens Ersticken durch Autoabgase und nicht wie vielfach im Internet behauptet durch Erhängen).

Jouer Franc Jeu

@ Asmodina: Ok, wenn du die Taschentücher bei dem Kapitel gebraucht hast, dann kannst du sie jetzt eigentlich ganz draußen lassen…
 

@ -Shin-: *g* Deine arme Schwester! Am besten Tür zusperren beim Lesen ;)
 

@ sasu1: Und ich trödel auch noch rum und mach die Folter noch ein wenig länger… Sorry! Ich hoffe, du hast es überlebt!
 

@ Astrido: Das mit dem Tagebuch höre ich gerade zum ersten Mal. Weder in seiner Biographie noch in den wenigen Interviews, wo er wirklich ausführlich über seinen Vater spricht, hat Yoshiki je etwas darüber verloren. Nur eben, dass er sich bis heute fragt, warum sein Vater das getan hat, aber dass er darauf eben keine Antwort bekommen wird, sodass ihn diese Frage sein Leben lang quälen wird.
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: *g* Ja, weiß ich, dass du solche Szenen liebst. Ich mag solche Kuschelszenen allerdings auch ;)
 

@ Kaoru: Was genau willst du deinem Prof vorschlagen? Shi Ans??
 

@ all: Sorry, für die kleine Verzögerung. Eigentlich sollte das Kapitel gestern noch on kommen, hatte es dann aber doch nicht mehr geschafft. Nun gut, dann will ich euch auch nicht mehr länger vom Lesen abhalten und wünsch euch viel Spaß mit dem Kapitel!
 

••••••••••••••••••••
 

Yoshiki hatte gerade zu einer Antwort ansetzen wollen, da Toshi ihn eindringlich anblickte, doch er kam nicht dazu, da es an der Tür klopfte, die sich auch sogleich öffnete, und Fatima eintrat, um wie jeden Abend nach ihm zu sehen, seitdem sich sein Zustand rapide verschlechtert hatte. Die Überraschung, Toshi bei ihm zu sehen, war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, doch er erklärte ihr kurz die Situation, sodass sie sich damit zufrieden gab und sich wieder verabschiedete. Das bedeutete jedoch gleichzeitig, dass er wieder an derselben Stelle war wie vor fünf Minuten und irgendwie fand er, hätte Fatima doch noch ein wenig länger bleiben können.
 

„Yocchan…?“

„Oui…. bien…. C’est-à-dire…….“, begann er und registrierte erst, als er redete, dass er in der falschen Sprache war. In den knapp vier Jahren hatte er sich so daran gewöhnt, die ganze Zeit über Französisch zu sprechen, dass er automatisch damit begonnen hatte. Zwar hatte er vorhin ohne weiteres ins Japanische wechseln können, doch wenn er richtig gehört hatte, dann hatte er bei sich selbst einen leichten französischen Akzent herausgehört. „… ach shit, falsche Sprache…!“

„Yoshiki…“ Es war deutlich, dass es dem anderen nicht leicht zu fallen schien, seine Frage zu beantworten. Erst recht, als er anfing seine Finger zu kneten und sich immer wieder durch die kurzen Haare zu streichen. Toshi vermutete, er würde sie längst schon wieder zwirbeln, wären sie kinnlang. „Fang einfach von vorne an, okay?“

„Von vorne…?“, wiederholte Yoshiki und bedachte Toshi kurz, ehe er auf dem Bett nach hinten rutschte, sodass er mit dem Rücken an der Wand lehnte und den Kopf in den Nacken legte, um nach oben an die Decke zu blicken. „… ich dachte, du wärst tot“, begann er leise zu erzählen, „… ich dachte, ich wäre nun endgültig alleine… ich hatte mich vom Leben betrogen gefühlt… und von dir alleine gelassen…“

„Yocchan…“ Toshi war zu ihm nach hinten gerutscht und hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt.

„Es gab so viele Augenblicke, in denen ich am liebsten tot gewesen wäre, um dich noch einmal sehen zu können…! Aber so sehr ich es auch wollte, ich konnte mich nicht umbringen… dafür hab ich dann einen anderen Weg gefunden… … … … … … ich hab angefangen, die Kontrollbesuche wegen der Schilddrüse zu vernachlässigen. Erinnerst du dich noch, was ich dir vor Jahren über die verschiedenen Krebsmöglichkeiten erzählt habe?“ Bei seiner Frage blickte er Toshi nicht an, sondern starrte weiterhin nach oben.

„Ja…“

„Vor knapp sechs Monaten war ich nach langer Zeit mal wieder zu einer Kontrolluntersuchung, weil mir am Hals eine kleine Schwellung aufgefallen war, die nicht wegging.“

„Krebs.“

„Ja…“, antwortete Yoshiki und schluckte schwer.

„Welche Variante?“

„Die aggressive… die, die statistisch innerhalb von sechs Monaten zum Tod führt…“

„Das…“ Toshi wollte nicht glauben, was ihm Yoshiki da erzählte. Es konnte doch nicht sein, dass er so lange nach seinem besten Freund gesucht hatte und dieser nun statistisch gesehen so gut wie tot war!

„… der Arzt meinte damals, es gäbe neue Behandlungsmethoden, die noch nicht lange angewandt werden, aber bereits erste Erfolge erzielt hätten…“

„Hast du…?“

„Wozu?“, entgegnete Yoshiki und blickte zum ersten Mal Toshi an, während er mehrmals schnell hintereinander blinzelte, „Ich sah es als meine Möglichkeit, dem Ganzen endlich ein Ende zu bereiten und dir, hide und Papa folgen zu können…“

„Yocchan…“ Nur zu deutlich konnte er die Tränen sehen, die der andere zurückzuhalten versuchte.

„Sicher, ich habe YOSHIKI umgebracht und mir im Laufe der Zeit hier ein Leben als Yoshiki aufgebaut, aber das hat die Sehnsucht nach dir nicht gelindert. Ich wollte meinen besten Freund wiederhaben!“, erklärte der Jüngere und konnte nicht verhindern, dass erste Tränen sich ihren Weg aus seinen Augen bahnten. „Weißt du, Tocchi… zum ersten Mal hatte sich das Leben wieder fair angefühlt! Ich habe nichts gemacht, was den Verlauf irgendwie hinauszögern oder verbessern könnte. Ich habe nichts gemacht…!“ Energisch wischte er sich die Tränen weg und biss sich auf die Unterlippe.

„Gibt es denn rein gar nichts, was man noch…?“ Man brauchte keinen Harvardabschluss, um zu wissen, worauf es hinauslief. Yoshiki war vor knapp sechs Monaten beim Arzt gewesen, der die aggressivste Krebsvariante diagnostiziert hatte. Da der Jüngere bereits eine Schwellung am Hals hatte ausmachen können, hatte das Gewebe sicherlich nicht erst seit gestern zu wuchern angefangen. Die Gleichung war dementsprechend ganz einfach – sein bester Freund war schon so gut wie tot.

„Mein Körper ist voll von Metastasen, Tocchi…“, entgegnete Yoshiki leise, während er leicht den Kopf schüttelte. Er hatte seinen Willen bekommen, er würde sterben. Doch was brachte ihm das noch, nun da Toshi leibhaftig bei ihm war?
 

„Aber es muss doch…“ In Japan oder in den USA musste es doch irgendwelche Ärzte geben, die noch etwas für ihn tun konnten. Yoshiki schüttelte daraufhin jedoch nur erneut mit dem Kopf und senkte eben jenen. Er schloss die Augen und kaute weiter auf seiner Unterlippe herum, doch der andere konnte sehen, dass erneut Tränen über seine Wangen rannen.

„Es ist nicht fair…“, flüsterte er, während Toshi nach seiner Hand griff und ihre Finger miteinander verschlang. „Es ist nicht fair…“, wiederholte er, wobei seine Stimme immer mehr in ein leises Schluchzen überging, „es ist nicht fair…“

Kommentarlos zog der Ältere ihn zu sich und hielt ihn fest.

„Ich will nicht sterben, Tocchi…!“ Er löste seine Hand aus der seines besten Freundes und schlang im nächsten Moment beide Arme um dessen Hals, während der andere ihn nur an sich drückte und sein Gesicht gegen Yoshikis lehnte. „Es ist nicht fair… ich will nicht sterben… nicht wo ich dich wieder habe… ich will nicht…“ Der Rest ging in undeutlichem Schluchzen unter und der Ältere konnte nichts anderes tun, als ihn im Arm zu halten und beruhigend über den Rücken zu streichen, während er selbst irgendwie versuchte, damit klar zu kommen. Natürlich hatte er während all der Jahre die geringe Wahrscheinlichkeit im Hinterkopf gehabt, dass der Jüngere tot sein könnte, doch nie hatte er damit gerechnet, ihn zu finden, nur um ihn kurz darauf für immer zu verlieren. Es kam einem schlechten Scherz gleich! Wenn er ehrlich sein sollte, dann war ihm zum Heulen zumute, aber es brachte nichts, wenn er jetzt auch noch weinend zusammen brach.

„Warum… warum musstest du mich suchen? … Warum… warum konntest du mich nicht alleine sterben lassen? … Warum… warum musstest du…“

Erneut verstand Toshi den Rest nicht, da er in Schluchzen unterging, sodass er die Umarmung einfach nur verstärkt. Gleichzeitig gab es ihm auch ein Gefühl der Sicherheit, denn solange er Yoshiki festhielt, war dieser bei ihm. Solange der schmale, bebende Körper gegen den seinen gepresst war und sich die knochigen Arme beinahe schraubstockartig um seinen Hals schlangen, konnte er sicher sein, dass er den Jüngeren noch hatte. Jeden Gedanken darüber, für wie lange noch, hatte er aus seinem Kopf verbannt.
 

Unterdessen drückte sich Yoshiki an den anderen und verbarg sein von Tränen nasses Gesicht in dessen Nackenbeuge. Wie bereits vorhin atmete er den seit Jahrzehnten vertrauten Geruch ein, während er sich gedanklich dafür fertig machte, dass er vor knapp vier Jahren einfach so aus dem Krankenhaus gerannt war und sich kein einziges Mal mehr rückversichert hatte, ob Toshi wirklich tot war, ehe er in seinen Privatjet gestiegen war. Warum hatte er kein einziges Mal seine E-Mails gecheckt? Er hatte es oft genug überlegt, sich dann jedoch wieder anders entschieden. Wenn er gewusst hätte, dass sein bester Freund am Leben war, dann wäre er doch nie so fahrlässig mit seiner Gesundheit umgegangen. Selbst mit der Diagnose Krebs hätte er nichts unversucht gelassen, um am Ende doch als Gewinner hervorzugehen. Doch in all den Jahren hatte er nie seinen eigenen Tod als Gegner gesehen, sondern das Leben. Und nun, da er schließlich triumphiert hatte, stellte sich heraus, dass er doch der Verlierer war.

Ein weiteres Schluchzen ließ seinen Körper erbeben und er konnte spüren, wie Toshi die Umarmung verstärkte, wie seine Arme gegen seine hervorstehenden Rippen drückten.

Alles wäre so viel einfacher, wenn der Ältere ihn nie gefunden hätte und er weiterhin in dem Glauben wäre, er wäre tot. So war es wenigstens einfach gewesen, zu ertragen, wie sein Körper immer mehr abschaltete. Nur die Götter wussten, wie lange er noch durchhalten würde, denn in den letzten Wochen hatte er spürbar abgebaut. Er hatte selbst den erschrockenen Blick in Toshis Augen gesehen, als dieser registriert hatte, wie abgemagert er war. Doch wie sollte er auch zunehmen, wenn er kontinuierlich abnahm, sich häufig erbrach und das Essen für ihn zu einer Tortur geworden war, weil die tumoröse Schilddrüse sowohl auf Luft- und Speiseröhre drückte? Er wusste schließlich selbst, dass er immer mehr Zeit des Tages im Bett zubrachte, weil er sich zu schwach fühlte, aufzustehen und sein Körper erneut von Fieber gebeutelt wurde. Hinzu kamen die unzähligen Schmerztabletten sowie Medikamente, damit er diese dank seiner Allergien überhaupt vertrug. Die machten ihn allerdings nur noch müder.

Nein, wenn er ehrlich war, dann war er froh, dass Toshi ihn gefunden hatte, dass er seinen besten Freund noch einmal sehen konnte, ehe er starb. So konnte er ihn wenigstens noch einmal umarmen, seine Nähe spüren, seinen Geruch einatmen, seinen Herzschlag hören… Auch wenn er sich wünschte, mehr Zeit zu haben, um die verpassten vier Jahre nachholen zu können, so war er glücklich um jede Minute, die er jetzt noch mit ihm hatte.

Sicher, er hatte sich hier in Refuge des Anges ein neues Leben aufgebaut, hatte neue Freundschaften geschlossen, obwohl er sich mit Toshis Tod eigentlich geschworen hatte, nie mehr einen Menschen an sich heran zu lassen. Er hatte zu Fatima und den Kindern eine engere Bindung aufgebaut, als er je gewollt hatte, doch all das hatte nie seinen besten Freund ersetzen können, hatte nie die Sehnsucht nach ihm gelindert. Zwar hatte er X JAPAN stets als seine Familie angesehen, doch seine Hauptbezugsperson war neben hide stets der Ältere gewesen. Und nachdem der Gitarrist verstorben war und sie beide sich wieder ausgesöhnt hatten, war er stets seine erste Anlaufstelle gewesen – noch vor seinem Bruder und seiner Mutter.

So fest wie nur irgend möglich, schlang er die Arme um Toshis Hals und presste sich gegen ihn. Er wollte ihn nicht zurücklassen. Er wollte bei ihm bleiben.
 

Einige Zeit lang hielt der Ältere den bebenden Körper einfach nur fest, bis er glaubte, dass das Schluchzen nachließ, ehe es vollkommen verebbt war. Irritiert drehte er den Kopf so, um Yoshiki ins Gesicht blicken zu können – oder so gut das eben ging, wenn sich eben jener in seiner Nackenbeuge vergraben hatte. Mit einem leisen Seufzen stellte er fest, dass sich der Jüngere in den Schlaf geweint hatte und nun gegen ihn gekuschelt dasaß, während die dünnen Arme noch immer um seinen Hals geschlungen waren. Bedacht, ihn nicht aufzuwecken, löste Toshi sie und zog anschließend vorsichtig Yoshikis Beine über seine eigenen, sodass er mehr in seinen Arm lag als aufrecht zu sitzen. Es dauerte jedoch nicht lange und die Atemgeräusche von vorher fingen wieder an. Kaum hatte der Ältere seinen Kopf jedoch so gelagert, dass er mehr an der Schulter und weniger an der Brust lehnte, hörte es wieder auf, sodass Toshi ihn dann auf diese Art festhielt und ihm immer wieder geistesabwesend über die zierlichen Oberarme strich, während er das schlafende Gesicht seines besten Freundes musterte. Er wirkte so friedlich, auch wenn seine Wangenknochen abstanden, seine Wangen und Augen eingefallen waren, dunkle Ringe letztere zeichneten und seine Lippen ganz blutleer erschienen. Unwillkürlich hatte Toshi das Bild von hide vor Augen, der scheinbar schlafend in seinem aufgebahrten Sarg gelegen hatte. Doch im Unterschied zu ihm atmete Yoshiki und als er mit seinen Fingern über dessen Hals strich, konnte er unter der erwärmten Haut den beschleunigten Pulsschlag spüren. Sein bester Freund war am Leben! …

Doch die Frage war, für wie lange noch…

Wochen?

Tage?
 

Er hatte immer geahnt, dass Yoshiki vor ihm gehen würde – so fragil und kränklich wie er immer gewesen war, war das stets eine logische Annahme gewesen. Doch in seiner Vorstellung waren sie beide zu diesem Zeitpunkt weit über dem Rentenalter, hatten ihre dritten Zähne und graue Haare.

Sich auf die Unterlippe beißend, drückte er den schlafenden Körper so eng wie möglich an sich und senkte seinen Kopf. Er konnte ihn nicht verlieren! Er konnte ihn nicht verlieren, nicht nachdem er ihn gerade erst wiedergefunden hatte! Sie beide, sie gehörten doch zusammen… wenn er eines in den 10 Jahren der Trennung, nach seinem Ausstieg bei X JAPAN gelernt hatte, dann das. Egal was für ein Sklaventreiber und Perfektionist der andere sein konnte, egal wie nervig und uneinsichtig er manchmal war, er vermisste dies, wenn er es nicht hatte – das hatte er erst in den vergangenen Jahren wieder erkannt. Nach so vielen gemeinsamen Jahrzehnten, fehlte einfach etwas, wenn er nicht plötzlich in den unpassendsten Momenten angehopst wurde, Yoshiki ihm um den Hals fiel, er ihn mitten in der Nacht anrief, weil er nicht schlafen konnte, ihn als Kuscheltier missbrauchte, sie sich gegenseitig neckten und aufzogen. Er konnte das nicht schon wieder verlieren, nicht nachdem er es gerade erst wieder gefunden hatte!
 

Überrascht blickte er auf, als ihm auf Yoshikis T-Shirt ein dunkler Fleck auffiel. Vorsichtig, bedacht ihn nicht aufzuwecken, strich er mit dem Finger darüber und musste feststellen, dass er sich klamm anfühlte. Irritiert starrte er auf den Stoff, als sich direkt daneben ein weiterer Kreis bildete. Er blinzelte mehrmals, ehe er mit leicht zitternder Hand seine feuchte Wange berührte. Auf der Unterlippe herum kauend schloss er die Augen und lehnte seine Stirn gegen die Brust des Jüngeren.

„Es ist nicht fair…“, flüsterte er leise, „es ist nicht fair… Du kannst nicht einfach so gehen… nicht nachdem ich dich gerade erst wieder gefunden habe… du bist doch mein bester Freund… meine Familie…“
 

Es dauerte einige Minuten, bis Toshi die Augen wieder öffnete und den Kopf anhob. Nein, er würde nicht weinen, nicht solange Yoshiki noch lebte. Vor Jahren hatte er versprochen, er würde für immer an seiner Seite sein, den Weg mit ihm gemeinsam bis zu seinem Ende beschreiten – und davon würde er nicht zurücktreten! Energisch wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht. Er würde ihm bis zum Ende alle Stärke geben, die er hatte. Schließlich kannte er den Jüngeren lange genug, um zu ahnen, dass er sich innerlich selbst fertig machte und sich die Schuld zuwies. Damit lag er zwar nicht falsch, doch der Tag der Schuldzuweisungen war schon lange verstrichen. Wenn er jetzt vor Yoshikis Augen Tränen zeigte, würde es nur noch schlimmer werden. Er würde erst weinen, wenn dessen Herz stehen geblieben war und er aufgehört hatte zu atmen. Solange er lebte, würde er stark für ihn sein!
 

Behutsam legte Toshi seinen besten Freund auf die Matratze, stand auf und deckte ihn zu. Anschließend hob er das klamme Handtuch vom Boden auf, suchte an der Wand nach einem Lichtschalter, da draußen die Dämmerung eingesetzt hatte, und betätigte ihn, als er ihn gefunden hatte. Leise ging er zur Kocheckte, befeuchtete das Tuch von Neuem und legte es dem Jüngeren erneut auf die warme Stirn. Als er zurück in Richtung der Miniküche ging, nahm er ihre Getränkegläser mit und stellte sie auf den Tisch, ehe er sich daran machte, zu überlegen, was er zum Abendessen kochen konnte. Als Fatima hier gewesen war und nachdem Yoshiki ihr kurz erklärt hatte, wer er war, hatte sie angeboten, dass sie zum Abendessen ins Haupthaus kommen sollten, doch da der andere nun schlief und Toshi ihn nur ungerne wecken wollte, würde er zusehen, dass er aus den wenigen Vorräten irgendetwas Essbares zusammen stellen würde. Als er vorhin nach Gläsern gesucht hatte, hatte er schon gesehen, dass es nicht viel gab, aber zumindest hatte er Pulver für Hühnerbrühe sowie Nudeln gefunden. So zurückhaltend wie Yoshiki das Wasser getrunken hatte, konnte er nur erahnen, dass der Tumor wohl sowohl auf die Luft- als auch auf die Speiseröhre drücken musste. Etwas Flüssiges, dass er in kleinen Schlucken trinken konnte, war da sicherlich eine gute Essensidee, und wenn er die Nudeln klein brach und schön weich kochte, dann dürften sie auch kein Problem darstellen.
 

So leise wie möglich suchte Toshi aus einem Unterschrank zwei Töpfe hervor – mehr fand er auch gar nicht – und füllte diese mit Wasser. Dabei entdeckte er neben der Spüle mehrere Strohhalme und schlug gedanklich mit dem Kopf gegen die Wand. Dass ihm diese nicht schon eher aufgefallen waren! Damit hätte sich Yoshiki wahrscheinlich nicht verschluckt!

Seufzend stellte er die Töpfe auf die Herdplatten und wartete darauf, dass das Wasser anfing zu kochen, während er sich fragte, wie wohl eigentlich die Beziehung zwischen seinem besten Freund und Fatima genau aussah. Er lebte auf ihrem Grundstück, sie und die Kinder kümmerten sich offensichtlich um ihn, aber irgendwie bezweifelte er, dass da mehr lief, denn ansonsten würde er ja schließlich im Haupthaus und nicht in dem kleinen Cottage leben, oder?

Als das Wasser kochte, gab er in den einen Topf etwas Salz und brach die Nudeln hinein, während er in den anderen mehrere Teelöffel von dem Instantpulver gab, gut umrührte und dann die Herdplatte ausschaltete. Es dauerte nicht lange und die Nudeln waren ebenfalls gut durch, sodass sie abgegossen werden konnten – oder so gut das eben ging, wenn der beste Freund scheinbar keinerlei Sieb besaß, sah man einmal von einem kleinen Teesieb ab. Seufzend improvisierte Toshi mit dem Deckel und gab den Inhalt des Topfes dann zur Brühe.
 

Stellte sich nun nur die Frage, ob er warten sollte, bis Yoshiki von alleine wieder wach wurde oder ob er abwarten sollte. Letztendlich entschied er sich für letzteres und setzte sich somit an die Bettkante, während er aus seiner Hosentasche sein Handy angelte und direkt von zwei neuen Nachrichten begrüßt wurde. Eine war Heath, wobei Sugizos und Patas Namen auch mit beistanden, und die andere von Kouki. Beide wollten mehr oder weniger dasselbe wissen, nämlich ob sich dieser „Yoshi“ als ihr Yoshiki herausgestellt hatte. Sein Finger schwebte schon über der Antworten-Taste, doch er zögerte, da er sich nicht sicher war, was er schreiben sollte. Sollte er ihnen sagen, dass er ihn gefunden hatte, er aber so gut wie tot war? Sollte er nur sagen, dass er auf ihn gestoßen war? Wollte Yoshiki überhaupt, dass irgendwer außer ihm wusste, dass er noch am Leben war?
 

„Was überlegst du?“, riss ihn eine verschlafene Stimme aus den Gedanken.

„Yocchan!“ Rasch steckte er das iPhone weg, nachdem er gesehen hatte, dass sich die Tastensperre aktiviert hatte.

„Also, weshalb hypnotisierst du dein Handy?“, fragte der Jüngere, der von selbst wieder aufgewacht war und Toshi am Fußende hatte sitzen sehen. Nachdem er das feuchte Tuch von seiner Stirn genommen und auf den Nachttisch gelegt hatte, setzte er sich ächzend auf und blickte den anderen abwartend an.

„Kouki und die anderen wollten wissen, ob ich dich gefunden habe…“

„Und? Was hast du geantwortet?“

„Nichts“, entgegnete Toshi und zuckte mit den Schultern, während er sich durch die Haare fuhr.

„Nichts?“

„Ich meine, willst du überhaupt, dass sie wissen, dass ich dich gefunden habe?“

„… ich… ich weiß es nicht“, entgegnete Yoshiki leise und starrte auf seine Socken. Ein Teil von ihm sehnte sich danach, sie noch einmal zu sehen. Nun da er Toshi wieder hatte, musste er keine Beileidsnummern fürchten, doch andererseits fragte er sich, wozu es gut sein sollte. Auf dem Papier war er schließlich schon tot. Welchen Sinn hatte es also, seine Familie noch einmal zu sehen, wenn sie ihn dann doch wieder verloren.

„Yocchan…“

„Riecht es hier nach Essen?“, wechselte er rasch das Thema, um nicht weiter darüber sprechen zu müssen. Er würde sich erst seine Gedanken dazu machen, ehe er Toshi eine wirkliche Antwort geben konnte.

„Ich habe gekocht“, bestätigte der Ältere und verkniff sich jeglichen Kommentar über den rasanten Themenwechsel. Aus Erfahrung wusste er, dass er auf seine Frage noch eine Antwort bekommen würde. „Oder wie auch immer man das nennt, wenn man aus deinen… nennen wir es mal Vorräten, was zu essen zaubert.“

„… ich war schon seit eins oder zwei Wochen nicht mehr wirklich einkaufen… irgendwie verliert Essen seinen Reiz, wenn man sich die meiste Zeit danach erbricht…“, entgegnete Yoshiki und zuckte leicht mit den Schultern, während Toshi nur eine Augenbraue anhob.

„Warst du deshalb schon bei einem Arzt?“

„Wozu…?“

„Aber Fatima hat dir doch heute früh…“

„Sie kocht für mich immer so Schonkostzeugs, seit sie durch Lara und Ben herausgefunden hat, dass ich zwei Tage lang nichts mehr gegessen hatte…“

„Verträgst du das besser?“

„Ab und an“, äußerte der Jüngere und zuckte erneut mit den Schultern.

„Du musst etwas essen… woher soll dein Körper sonst noch irgendwelche Energie hernehmen…“, seufzte Toshi und bedachte den anderen mit einem besorgten Blick. Wie schlimm musste es um ihn stehen, wenn er, der Essen sonst immer so geliebt hatte, freiwillig darauf verzichtete.

„Ich weiß“, seufzte Yoshiki und legte den Kopf auf seine angezogenen Knie, „Was hast du gekocht?“

„Hühnerbrühe mit etwas Nudeln… meinst du, du kriegst davon etwas runter oder muss ich alles alleine essen?“

„Ich probiere es… aber sei nicht beleidigt, wenn ich hinterher alles wieder auskotze…“

„Deal!“, stimmte der Ältere ein und stand auf, um rasch die Suppe noch einmal zu erhitzen, damit sie nicht nur lauwarm war, während Yoshiki langsam zum Esstisch ging und sich auf einem der Stühle niederließ.

„Teller sind im linken Hängeschrank“, informierte er den anderen, als dieser den Herd ausschaltete.

„Ich weiß. Hab ich vorhin schon entdeckt, als ich deine Küche auf der Suche nach einem Sieb auf den Kopf gestellt hab“, entgegnete Toshi und holte zwei Suppenteller aus dem Schrank, in welche er das Essen gleichmäßig aufteilte.

„Sieb?“

„Zum Nudeln abgießen…“

„Nudeln gießt man ab?“

„Wie kochst du die?“

„Ich lass sie solange kochen, bis das Wasser weg ist…“

„So macht man definitiv keine Nudeln“, äußerte der Ältere und konnte sich nur schwer ein Lachen verkneifen. Zumindest Yoshikis Kochkünste waren noch genauso miserabel wie damals! Kopfschüttelnd holte er aus derselben Schublade, in der er bereits ein Teesieb entdeckt hatte, zwei Suppenlöffel, tat sie in die Teller und trug diese dann zum Tisch.

„Ich hab hier einfach nirgendwo diese Instantnudeln gefunden, die man nur mit kochendem Wasser übergießen muss, fünf Minuten wartet und sie dann essen kann“, verteidigte der andere seine Kochweise und riskierte einen Blick in den Teller, während Toshi von der Spüle noch rasch einen Strohhalm holte und in das Glas des Jüngeren gab, ehe er sich ebenfalls setzte.

„Für gewöhnlich steht auf der Nudelpackung eine Kochanweisung… sowas wie Wasser zum Kochen bringen, salzen und dann die Nudeln darin für 15 Minuten gar kochen“, äußerte der Ältere und begann etwas von der Hühnerbrühe zu löffeln, während Yoshiki lediglich zaghaft an seinem Strohhalm zog und ein wenig Wasser trank.

„Das hab ich beim ersten Mal auch so gemacht, aber da war noch so viel Wasser übrig… und ich konnte mich dumpf entsinnen, dass Mama mal meinte, beim Sushireis muss das komplette Kochwasser aufgesogen werden.“

„Und welcher Zusammenhang besteht zwischen Reis und Nudeln?“

„Beides sind Grundnahrungsmittel und beides kocht man in Wasser“, erklärte der Jüngere seine Logik und rührte mit dem Löffel in der Suppe umher. „Allerdings hat das nie so wirklich funktioniert… entweder sind die Nudeln zerbröselt oder angebrannt und waren total bissfest…“ Er hatte ein paar Nudeln aus der Brühe geangelt und kurz betrachtet, ehe er sie zurück in den Teller fallen ließ. „So wie deine wurden sie in den seltensten Fällen…“
 

Toshi neckte Yoshiki noch ein wenig mit seinen Kochkünsten, eher auf das Thema „Fatima“ zu sprechen kam, während der andere sich schließlich dazu durchgerungen hatte den ersten Löffel Suppe zu sich zu nehmen.

„Fatima und ich?“, lachte er und legte den Suppenlöffel zurück in den Teller, als er die Andeutungen seines besten Freundes verstand. „Da läuft garantiert rein gar nichts. Uns verbindet eine gute Freundschaft und dass wir beide wissen, wie es ist, jemanden zu verlieren, der einem sehr nahe steht.“ Mit ein paar Worten weihte er Toshi in die Familiengeschichte ein, dass ihr Ehemann an Krebs verstorben war und sie sich seither um die Kinder und das Anwesen alleine kümmerte. „Fatima hat mich damals aufgelesen, als mein Auto im Gewitter liegen blieb und mich nach Refuge des Anges gebracht. Eigentlich wollte ich nur so lange bleiben, bis der Wagen repariert war, aber hier hatte ich mich das erste Mal, seit ich dachte, du wärst tot, wieder im Reinen gefühlt… also bin ich letztendlich geblieben. Sie und die Kinder wollten immer wieder wissen, wer genau ich war, aber ich bin den Fragen lieber ausgewichen… irgendwann meinte ich, ich sei Geschäftsmann. Da hat mich Fatima gebeten, ob ich vielleicht mal einen Blick in die Bücher werfen könnte, weil die Zahlen seit dem Tod ihres Mannes immer rückläufiger wurden. Seitdem helf ich ihr da halt ein wenig aus, aber beziehungstechnisch läuft da absolut rein gar nichts“, erklärte Yoshiki und kicherte bei der Vorstellung leise vor sich hin. Hätte er eine Schwester, wäre das so, also würde Toshi denken, er hätte mit ihr ein Verhältnis. Kopfschüttelnd aß er ein paar weitere Löffel der Hühnerbrühe und konnte sich nur schwer ein Grinsen verkneifen.

„Schön zu sehen, dass du dich so köstlich amüsierst.“

„Die Vorstellung ist einfach…“

„Ich wollte es nur wissen…“, entgegnete der Ältere und schob seinen leeren Teller von sich. „Sie war dir gegenüber sehr beschützend, als ich nach diesem ‚Yoshi‘ gefragt habe…“

„Im Laufe der Zeit habe ich ihr erzählt, dass ich jemanden verloren habe, der mir sehr nahe stand und ich seitdem mit meinem alten Leben nichts mehr zu tun haben will. Daraufhin meinte sie, sollte jemals jemand nach mir fragen, würde sie nichts sagen.“ Er gönnte sich einen weiteren Löffel, als er das allzu bekannte Gefühl einer Welle von Übelkeit verspürte, die ihn überrollte, sodass er aufsprang und ins Bad eilte. So schnell wie er verschwunden war, konnte Toshi gar nicht schauen. Dafür konnte er aus dem angerenzenden Raum Würggeräusche hören, sodass er seufzend aufstand und Yoshiki folgte, der auf dem Fliesenboden kniete und sich über die Toilette beugte. Kommentarlos ging der Ältere neben ihm in die Hocke und legte ihm eine Hand auf den Rücken, über welchen er in sanften Kreisen strich.
 

„Ach Yocchan…“, seufzte er leise und legte seine Stirn gegen die knochige Schulter des Jüngeren, als sich dieser gegen ihn lehnte, nachdem der Brechreiz nachgelassen hatte.

„Geht’s?“, fragte Toshi besorgt und legte beide Arme um den anderen, um ihn an sich zu drücken, während er sanft über dessen Schläfe strich und dabei erneut feststellen musste, dass er sich warm anfühlte.

„Besser… sorry…“, antwortete Yoshiki mit rauer Stimme und ließ erschöpft sein ganzes Körpergewicht gegen seinen besten Freund fallen, der dadurch aus dem Gleichgewicht kam und auf seinem Hintern landete. Der Jüngere kuschelte sich jedoch nur an ihn und schloss müde die Augen. Genau aus diesem Grund hatte er in letzter Zeit eine solche Abneigung gegen Essen; vor allem fühlte er sich hinterher nur noch schlechter als zuvor schon.

„Shh, alles okay…“, flüsterte Toshi und strich durch die kurzen, schwarzen Haare. Irgendwie war es seltsam, mit den Fingern in keinen lange, gebleichten Strähnen, die sich verknotet hatten, hängen zu bleiben. Er stand auf und zog dabei den Jüngeren hoch, welchen er zum Waschbecken dirigierte, damit er sich den Mund ausspülen konnte. Während er dies tat, ging Toshi zurück zur Toilette zum Spülen, entdeckte dabei aber in der Schüssel etwas, dass ihm gar nicht gefiel.

„Du hast Blut erbrochen…!“ Es war keine Frage, sondern eine reine Feststellung, als er die Spülung betätigte.

„Wäre nicht das erste Mal“, entgegnete Yoshiki schwach und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht.

„Du musst zum Arzt, Yosh! Blut erbrechen, auch wenn es nur eine kleine Menge ist, ist alles andere als eine Lappalie!“

„… mir geht es gut…“, widersprach der Jüngere und wankte auf wackligen Knien an Toshi vorbei in Richtung Tür, als er auch schon die Hand seines besten Freundes im Rücken spürte und im nächsten Moment hochgehoben wurde.

„Das sehe ich“, seufzte der Ältere und zog besorgt die Augenbrauen in die Höhe, während er Yoshiki zum Bett trug und dort ablegte. Wortlos nahm er das Handtuch von vorhin, befeuchtete es erneut mit kaltem Wasser und legte es zurück auf die Stirn des anderen, der ihn aus halbgeöffneten Augen anblickte und seine Bewegungen verfolgte. Als er zurück in die Küche gehen wollte, um abzuspülen – irgendwie bezweifelte er, dass der Jüngere heute Abend noch einen Bissen essen würde – wurde er am Ärmel festgehalten.

„Kannst… kannst du heute Nacht hierbleiben?“

„Natürlich!“ Nicht dass er das nicht sowieso vorgehabt hätte…

„… danke, Tocchi…“
 

••••••••••••••••••••
 

Was denkt ihr? Wird Yoshiki Toshi die Erlaubnis geben, Kouki zu informieren oder wird Toshi hinter Yoshikis Rücken dessen Familie informieren? Oder schweigt er gar?

Entretiens

@ T0M0: Ich lass dich gar nicht lange zappeln, die Auflösung steht direkt im ersten Satz des neuen Kapitels :)
 

@ -Shin-: Falls es dich tröstet, ich hab beim Schreiben auch höllisch mitgelitten und wollte die Story das ein oder andere Mal abbrechen.
 

@ Asmodina: Keine Sorge, Unterstützung bekommt Toshi! :)
 

@ sasu1: Ich hab mir mal den Song angehört – der passt echt gut dazu! Den hättest du mir letztes Jahr empfehlen müssen, als ich die Story geschrieben hab. Irgendwann sind mir nämlich die Deprisongs ausgegangen, um in der entsprechenden Stimmung zum Schreiben zu sein…
 

@ Astrido: Klar könnte man ihn operieren, bestrahlen und seinen Körper mit Chemo vergiften. Aber so geschwächt wie er bereits ist (einige Details kommen auch erst in späteren Kapiteln), würde man ihn damit eher umbringen als helfen.
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Kommt darauf an, auf was für einen Bestandteil er allergisch reagiert. Einer Freundin von mir kannst du keines der gängigen Schmerzmittel geben, weil diese alle ein und denselben Baustein enthalten, den sie nicht verträgt. Wie es in Wirklichkeit bei Yoshiki aussieht? Keine Ahnung, dazu hat er sich nie im Detail geäußert. Folglich konnte ich ihm andichten, was ich wollte :)
 

@ Terra-gamy: Hast du heimlich in meinem Script gelesen oder woher kennst du Toshis Plan?? ;)
 

@ Kaoru: Tja, jetzt müsste man am besten die Zeit zurückdrehen können, damit Yoshikis Entscheidung anders ausfallen könnte und es am Ende heißt: „Ils vécurent heureux et eurent beaucoup d'enfants.“ … bin mir nur nicht ganz sicher, wie das mit dem 2. Teil funktionieren soll…
 

@all: Viel Spaß beim nächsten Kapitel!
 

••••••••••••••••••••
 

„Wenn du Kouki sagen willst, dass du mich gefunden hast, bin ich einverstanden“, durchbrach Yoshiki am nächsten Morgen das einvernehmliche Schweigen am Frühstückstisch und blickte Toshi kurz an, der bereits seit einiger Zeit mit dem Essen fertig war und dem Jüngeren seitdem dabei zusah, wie er ein Stückchen Baguette nach dem anderen für garantiert fünf Minuten in seinem Tee aufweichte, ehe er es aß. Verglichen zum Abend zuvor, ging es ihm deutlich besser, was garantiert auch daran lag, dass er 12 Stunden durchgeschlafen hatte. Toshi hingegen hatte kaum ein Auge zugetan, da er auf jede kleinste Regung seines besten Freundes geachtet hatte. Entsprechend müde saß er am Tisch, wurde jedoch sichtlich wacher, als Yoshiki sich zu Wort meldete.

„Sicher?“

„Ja… aber sag ihm nicht, wie es um mich steht, ok?“ Er schob sich ein Stück des aufgeweichten Baguettes in den Mund, kaute noch kurz darauf herum ehe er es hinunterschluckte. Es schmeckte nicht wirklich lecker, aber es war eines der wenigen Dinge, die beim Schlucken nicht wehtaten und die ihn nicht zum Erbrechen brachten.

„Denkst du nicht, dass es…“

„Nein“, fiel er Toshi ins Wort, „er würde sich nur unnötig Sorgen machen.“

„Wenn du meinst“, seufzte der Ältere und verkniff sich jeden Versuch, den anderen noch umzustimmen. Er hatte diesen Tonfall drauf, den er nur zu gut kannte – Widerrede war zwecklos. Da könnte er genauso gut mit einer Mauer diskutieren und hätte wahrscheinlich mehr Erfolg. So angelte er einfach nur sein iPhone aus der Hosentasche und löste die Tastensperre.

„Ich meinte nicht, dass du ihn gleich direkt anrufen musst, während ich hier bin!“ Eigentlich hatte eher darauf gehofft, dass Toshi mit seinem Bruder telefonierte, wenn er nicht anwesend war.

„Als du vorhin im Bad warst, kam eine weitere Nachricht von ihm. Außerdem ist es in Japan gerade eine zivile Uhrzeit“, entgegnete der Ältere und suchte im Telefonbuch nach der Nummer von Yoshikis kleinem Bruder.

„Aber ich bin nicht hier!“

„Wieso das?“ Statt auf „Anrufen“ zu tippen, legte Toshi das Handy beiseite.

„Weil er vielleicht mit mir reden will…“

„Verständlich! Das letzte Mal habt ihr vor knapp vier Jahren miteinander gesprochen…“

„Ja und du hast gestern selbst gesagt, dass Kouki sauer auf mich ist!“

„Auf dieselbe Art, auf die du wütend auf euren Vater bist…“

„Sag einfach nicht, dass ich dir direkt gegenüber sitze. Kouki ist unausstehlich, wenn er angepisst ist…“

„Da kenn ich noch wen“, konterte Toshi nur und blickte Yoshiki für einen Moment direkt an, ehe er die Nummer wählte und gleichzeitig auf Lauthören schaltete. Es klingelte nur wenige Male, als auch schon abgenommen wurde und sich der jüngere der beiden Hayashi-Brüder meldete.

„Hi Kouki“, begrüßte der Ältere ihn und bedachte seinen besten Freund mit einem langen Blick, doch der schüttelte nur vehement den Kopf.

„Und? Hat sich dieser verrückte Kauz als dieser Idiot von meinem großen Bruder herausgestellt?“

Statt zu antworten, deutete Toshi mit dem Finger erst auf Yoshiki und dann energisch auf das Telefon, doch der Jüngere schüttelte erneut den Kopf. Es war schon seltsam genug nach all den Jahren Koukis Stimme zu hören, da musste er nicht sofort mit ihm reden. Wahrscheinlich würde er ihn direkt einen Kopf kürzer machen, weil er einfach so sang und klanglos verschwunden war.

„Toshi, bist du noch da?“, hakte Kouki nach, als der andere nicht antwortete. Etwa zeitgleich zur Frage, verpasste Toshi Yoshiki unter dem Tisch einen kräftigen Tritt gegen das Schienbein, sodass dieser vor Schmerz aufquiekte.

„Man, Tocchi, das hat weh getan!!“, jammerte er lautstark und rieb sich mit der Hand über das schmerzende Bein, als ihm klar wurde, dass sein kleiner Bruder ihn garantiert gehört hatte und nun wusste, dass er anwesenden war.

„………… Yoyo?“, kam es zögerlich und voller Unglauben aus dem Lautsprecher des Smartphones.

„…“ Vielleicht glaubte Kouki ja, dass er sich geirrt hatte, wenn er sich von jetzt an mucksmäuschenstill verhielt? Vorsichtshalber stellte er die Füße auf die Sitzfläche, damit Toshi ihn nicht noch einmal treten konnte, was ihm von dem anderen lediglich ein Augenrollen einbrachte.

„Toshi………. Du hast ihn gefunden?!“

„Ja… er sitzt mir gegenüber und versucht mich mit Blicken zu erdolchen, weil ich ihm gegens Schienbein getreten habe.“
 

Mit Handzeichen versuchte Yoshiki seinem besten Freund zu verstehen zu geben, dass er die Klappe halten sollte, weil das absolut nicht das war, was er vor ein paar Minuten noch gesagt hatte, aber Toshi schien ihn gekonnt zu ignorieren und er selbst musste mit dem Gestikulieren aufhören, als Kouki ihn erneut bei dem Spitznamen nannte, dem er ihn als kleines Kind gegeben hatte, weil er seinen vollständigen Name noch nicht hatte aussprechen können.

„… Yoyo…?“

„… Hey…“

Er konnte nicht anders, als leise und mit zittriger Stimme darauf zu reagieren – schließlich war es sein kleiner Bruder. Sie waren gemeinsam aufgewachsen, hatten sich gestritten, nur um sich hinterher in den Armen zu liegen, Kouki hatte er es zu verdanken, dass seine Mutter ihm das Geld gegeben hatte, damit er Extasy gründen konnte… Natürlich hatte er ihn in all den Jahren vermisst! Vielleicht nicht in dem Ausmaß wie Toshi, aber er hatte ihm gefehlt – schließlich war er seine kleine Nervensäge von Bruder!

„… Du bist es wirklich…“

„… Ja… ich bin es…“

„Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, einfach so zu verschwinden?!“ War Koukis Stimme zuvor noch ruhig und leise gewesen, war sie nun deutlich lauter und er klang ganz eindeutig wütend. Genau aus dem Grund hatte Yoshiki eigentlich nicht gewollt, dass er wusste, dass er von seiner Anwesenheit wusste. „Und glaubst du, Mama so eine gottverdammte, dämliche Postkarte zu schicken, würde es in irgendeiner Art und Weise rechtfertigen, dass du ohne ein Wort einfach aus unser aller Leben verschwindest?! Wir haben uns verdammt nochmal Sorgen um dich gemacht! Wir hatten Angst um dich! Aber du scheiß Arschloch hast ja in all den Jahren kein einziges Mal daran gedacht, zumindest deine verdammten E-Mails zu kontrollieren!!“

Toshi saß schweigend auf seinem Platz, während Koukis Redeschwall über seinen älteren Bruder hinweg rollte, der nur auf seiner Unterlippe herumkaute und seine Finger knetete.

„Nach allem was war, wie konntest du da einfach so… ohne jedes Wort… wie konntest du da einfach gehen?!“ Seine Stimme fing an zu zittern und Yoshiki glaubte, so etwas wie Tränen aus ihr herauszuhören. „Du bist kein Stück besser als er! Du hast kein Recht wütend auf ihn zu sein, wenn du uns am Ende genauso einfach zurücklässt!“ Mittlerweile war er sich ziemlich sicher, dass sein kleiner Bruder am anderen Ende der Leitung damit kämpfte, nicht offen los zu weinen, so belegt wie seine Stimme klang, und er hatte eine ziemlich gute Vorstellung davon, wen genau Kouki mit „er“ meinte. Genau aus dem Grund hatte er schließlich kurz nach seinem Verschwinden die Postkarte geschickt…

„… Kicchan…“ Es war lange her, dass er den Spitznamen verwendet hatte, mit dem ihr Vater seinen kleinen Bruder immer gerufen hatte, doch in dem Augenblick schien es ihm die richtige Wahl – vor allem, da er Kouki nur in den seltensten Fällen weinen gesehen, beziehungsweise gehört hatte. Er war derjenige von ihnen, der nah am Wasser gebaut war, nicht der Jüngere.

„… sorry…“ Man konnte ihn leise schniefen hören.

„Schon gut, ich hätte mich wohl auch angeschrien…“, entgegnete Yoshiki schief grinsend und kratzte sich am Kopf.

„Also? Wann kommst du nach Hause?“

„Nach Hause?“

„Toshi ist ja, wie du sicherlich schon festgestellt hast, quietschlebendig, also besteht ja wohl kein Grund mehr, dass du dich irgendwo im Ausland verkriechst! Ich werde direkt morgen Früh zu den Behörden gehen, damit dein Tod revidiert wird und dann geht selbstverständlich noch eine Mitteilung an die Presse raus, damit die Fans wissen…“

„Kouki, Stopp!!“

„Wie ‚Stopp‘?“

„Ich komm nicht zurück und ich will nicht, dass die Öffentlichkeit irgendetwas über mich weiß. Es ist besser, wenn niemand weiß, dass ich noch am Leben bin.“

„Wie du kommst nicht zurück?“

„So, wie ich es gesagt habe… ich werde nicht nach Japan zurückkehren!“

„Warum nicht?“

„Darum!“

„Das ist keine Antwort!“ Klares Unverständnis war aus Koukis Stimme herauszuhören.

„Ist es. Es ist okay für mich, wenn du Mama sagst, dass Toshi mich gefunden hat… und Heath, Pata und Sugizo… Aber ich will nicht, dass sonst irgendwer davon erfährt! Genauso wenig brauchst du dich mit den Behörden herumzuschlagen!“

„Das ist doch Bullshit!“

„Ist mir egal, wie du es nennst, solange du dich daran hältst – ansonsten bin ich ganz schnell wieder weg.“
 

Yoshiki wollte noch etwas sagen, doch da hatte Toshi schon das Smartphone, das in der Tischmitte gelegen hatte, an sich genommen und fiel seinem Bruder ins Wort, der gerade etwas darauf erwidern wollte.

„Kouki, tu einfach erst einmal, was er sagt, okay? Ich meld mich später noch mal!“ Damit hatte er aufgelegt und steckte das Handy weg, während er den Jüngeren mit hochgezogenen Augenbrauen ansah, während sich dieser wieder richtig hinsetzte und vorsichtig einen kleinen Schluck von seinem mittlerweile erkalteten Tee trank.

„Genau aus diesem Grund wollte ich nicht mit Kouki sprechen“, seufzte Yoshiki und drehte die Tasse hin und her, während er sein restliches Baguette auf Toshis Teller legte.

„Bist du dir wirklich sicher, dass du nie mehr nach Japan zurück willst?“, hakte der Ältere vorsichtig nach und bestrich die übrig gebliebene Scheibe mit Marmelade.

„Welchen Sinn hätte es denn?“, entgegnete Yoshiki und stand langsam auf.

„Dass deine Familie dich noch einmal sieht?“, schlug Toshi vor und folgte mit seinem Blick den Jüngeren, der zum Bett ging und vom Nachttisch etliche Tabletten holte, mit denen er zurückkam, während er vom Baguette abbiss. „Dass sie die Möglichkeit haben sich richtig von dir zu verabschieden?“

Schweigend setzte sich Yoshiki wieder und schluckte ein Medikament nach dem anderen, während sein bester Freund kommentarlos weiter aß und darauf wartete, dass er sich endlich zu Wort meldete.

„… ich will nicht, dass sie mich so sehen…“

„Glaubst du, es wäre für deine Mutter und deinen Bruder einfacher, wenn ich sie eines Tages anriefe und ihnen mitteilte, dass du gestorben bist?“

Statt zu antworten, starrte der andere nur auf seinen leeren Teller und zuckte leicht mit den Schultern.

„Ich meine, im Moment ist dein Körper vielleicht noch eher in der Lage, einen 12 Stunden Flug nach Japan wegzustecken, als in vielleicht zwei Wochen. Schließlich weiß keiner, wie lange er letztendlich noch durchhält und du kannst hinterher noch immer hierher zurückkommen und keiner in Japan, abgesehen von den Leuten, die du instruieren möchtest, werden je wissen, dass du dort gewesen warst…“

„… wie kannst du so gelassen darüber reden, dass ich bald…?“, fragte Yoshiki leise und hielt den Kopf gesenkt, während er von unten her aufsah und Toshis Blick suchte. „Macht es dir überhaupt nichts aus, dass ich… Ich könnte mir dafür in den Hintern treten, mich ohrfeigen… Ich hasse mich dafür, dass ich kein einziges Mal die E-Mails… dass ich einfach so zugelassen habe, dass…“

„Es ist das einzige, was ich tun kann, wenn ich dich nicht anschreien will, was du dir bei dem Schwachsinn gedacht hast, oder wenn ich bei dem Gedanken, dich bald zu verlieren, nicht weinend zusammenbrechen will“, entgegnete Toshi ebenso leise und griff nach Yoshikis Hand, die auf dem Tisch lag. Dieser konnte sehen, dass der Ältere mit den Tränen kämpfte, da seine Augen verräterisch glänzten und er mehrmals schwer schluckte, ehe er mit zitternder Unterlippe fortfuhr. „… Aber ersteres ändert nichts an den Fakten und letzteres hilft dir auch nichts… Was bringt es dir, wenn ich zu heulen anfange, weil es nicht fair ist, dass du stirbst… weil ich dich nicht verlieren will… weil ich nicht weiß, was ich ohne dich tun soll…“ Der Kleinere blickte an die Decke und blinzelte mehrmals, bevor er seine Hand zurückzog und sich mit eben jener über die Augen wischte. Er musste stark sein! „Es ist nicht fair… klar, du hast immer gesagt, du würdest vor mir sterben… aber da bin ich davon ausgegangen, dass wir zu dem Zeitpunkt beide alt und klapprig sind…“

Wortlos stand Yoshiki auf, ging um den Tisch herum und setzte sich rittlings auf Toshis Schoß, während er seine Arme um dessen Hals schlang und seinen Kopf gegen den seinen lehnte.

„Das ganze so ruhig und rational zu sehen wie nur irgend möglich, ist das einzige, das ich tun kann, um einen relativ klaren Kopf zu behalten und dir in der Geschichte irgendeine Hilfe zu sein…“, entgegnete der Ältere und legte locker die Hände auf die abstehenden Beckenknochen, die man selbst durch das dicke Material der Jeans hindurch spüren konnte.

„Du musst für mich nicht den Starken spielen, Tocchi…“, füsterte der Jüngere und verstärkte ganz leicht den Druck seiner Arme, „alleine dich bei mir zu haben, ist genug…!“

„Ich hab doch gestern schon geahnt, dass du dich deswegen selbst fertig machst… ich wollte es nicht noch verstärken, indem ich vor dir in Tränen ausbrechen“, erklärte Toshi und lehnte seine Stirn gegen Yoshikis knochiges Schlüsselbein, während er dessen vertrauten Geruch einatmete.

„Es ist okay… solange du nur bei mir bist…“

„Mhm…“
 

Die beiden saßen noch einige Minuten so da und hielten einander fest, ehe der Kleinere seinem besten Freund einen leichten Klaps auf den Hintern gab, damit er von ihm runter ging und er aufstehen konnte, um den Tisch abzuräumen und abzuspülen. Yoshiki kümmerte sich darum, das Geschirr zu trockenen und wegzuräumen, da er immer noch am besten wusste, wo alles hin musste, auch wenn sich der andere erstaunlich schnell in seiner Küche zu Recht gefunden hatte. Aber gut, sie war schließlich nicht sonderlich groß.

„Ne, Tocchi…?“

„Hm?“

„Die ganzen Narben an deinem Körper, die ich vorhin gesehen habe, als du aus dem Bad kamst… Sind sie von dem Unfall?“, fragte der Größere zögerlich und räumte die Teekanne in den Schrank. Als der andere nur mit einem Handtuch um die Hüften aus dem Badezimmer gekommen war und er einen kurzen Blick auf seinen nackten Oberkörper erhascht hatte, waren ihm etliche Stellen aufgefallen, die stark nach Narbengewebe aussahen, doch Toshi hatte schnell sein Hemd übergezogen, sodass er sie nicht mehr weiter hatte begutachten können.

„Ja…“

„Darf ich sie sehen?“

„Wozu?“, wollte der Ältere überrascht wissen und legte das Besteck klappernd auf die Abtropffläche.

„Du kennst all meine Narben“, erklärte Yoshiki schulterzuckend und legte das Geschirrtuch beiseite, „ich… ich möchte einfach wissen, was du durchmachen musstest, während ich dachte, du wärst tot…“

Kopfschüttelnd, doch mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen, legte Toshi den Lappen beiseite und drehte sich zu dem Größeren. Am Tuch trocknete er sich kurz die Hände ab, ehe er sein Hemd in etwa auf Brusthöhe hochschob, sodass der andere die Narben sehen konnte, die seinen Oberkörper zierten.

„Was ist eigentlich mit dem Unfallfahrer passiert?“, hakte Yoshiki nach, während er mit dem Zeigefinger vorsichtig die alten Verletzungen nachfuhr.

„Soweit ich weiß, wurde er verurteilt… ein Teil des Verfahrens fand aber statt, als es mir noch nicht sonderlich ging, insofern habe ich davon nicht allzu viel mitbekommen… und als es mir dann besser ging und ich wusste, dass du fort warst, hatte ich ehrlich gesagt andere Prioritäten“, antwortete der Kleinere und nahm die Hand des anderen, um dessen Finger zu einer Narbe auf Brusthöhe zu dirigieren. „Die hier ist von den Rippenbrüchen und der Lungenverletzung. Eine Rippe ist beim Brechen gesplittert und hat dabei den linken Lungenflügel verletzt. Es kam zu Blutungen und ein Teil ist kollabiert…“

„Klingt ungesund…“

„Ist es auch… vor allem, wenn du dann auch noch eine Lungenentzündung dazu entwickelst… ein paar Tage nachdem du verschwunden warst, kam das auch noch hinzu und eine Zeitlang konnten die Ärzte nicht sagen, ob mein Körper das auch noch verkraften würde…“

„Aber er hat es“, entgegnete Yoshiki und schenkte Toshi ein Lächeln als dieser seinen Finger zu einer Narbe am Bauch schob.

„Die hier stammt vom Bauchtrauma… sowohl die Milz, wie auch ein paar andere Gefäße waren gerissen, sodass es zu starken Blutungen gekommen war…“

„Was war mit deinem Kopf?“

„Schädelhirntrauma… anscheinend war mein Hirndruck über mehrere Tage hinweg erhöht… alles was ich dazu sagen kann, ist, dass ich noch wochenlang höllische Kopfschmerzen hatte und seitdem immer wieder migräneartige Attacken habe“, erklärte Toshi und zuckte kurz zurück, als der Jüngere über eine kitzlige Stelle fuhr. „Was eine Zeit lang echt nervig war, waren die Prellungen an der Wirbelsäule, die zu vorübergehenden Lähmungen geführt haben.“

„Damit kenn ich mich aus!“

„Es war grauenhaft!“

„Glaub ich dir… man will was machen, aber es funktioniert einfach nicht so, wie man will und hinzu kommt, dass alle anderen einen wie ein rohes Ei behandeln.“

„Das haben sie eh die ganze Zeit gemacht. Deshalb haben sie mir ja auch ewig lang nicht gesagt, dass du weg warst…“

„Deine Beine waren auch verletzt, oder?“, überlegte Yoshiki und versuchte die langverdrängten Bilder von Toshi im Krankenhaus wieder hervorzukramen.

„Oberschenkelknochen rechts und Schien- und Wadenbein links waren gebrochen. Da wurde auch ein paar Mal herum operiert… Später in der Reha musste ich praktisch komplett neu laufen lernen und die ganzen Muskeln wieder aufbauen. Zu Beginn war es die reinste Tortur…!“ Eigentlich wollte er noch etwas hinzufügen, doch er stoppte, als Yoshiki sein Hemd wieder nach unten schob und sich stattdessen an seiner Hose zu schaffen machte, die der Jüngere schneller offen hatte, als er reagieren konnte.

„Was wird das?“, wollte Toshi irritiert wissen, als die Jeans auch schon zu Boden gerutscht und Yoshiki vor ihm in die Hocke gegangen war. Zum Glück waren sie alleine, denn er konnte sich lebhaft vorstellen, dass das gut und gerne äußerst zweideutig aussah, wie der Jüngere da vor ihm kniete, unschuldig zu ihm hochblickte und nur meinte, er wolle auch diese Narben sehen.
 

Seine Hand strich gerade sanft über die Narbe am Oberschenkel, als es kurz an der Eingangstür klopfte, die auch direkt danach aufging und Fatima eintrat, nur um irritiert stehen zu bleiben.

„Pardonnez-moi, je n’avais pas l’attention de vous déranger“, entschuldigte sie sich sofort, machte einen großen Schritt zum Tisch, um dort die Tupperschüssel, die sie unter dem Arm trug, abzustellen, nur um dann direkt wieder zur Tür zurückzukehren. Die ganze Zeit war sie bemüht, ihre Augen höflich von Toshi fernzuhalten.

„Non… non, non… entrez!“, entgegnete der Jüngere und winkte sie kurz mit einer Hand herein, während seine eigentlich Aufmerksamkeit noch immer bei den Narben lag. Die sahen aber auch wirklich brutal aus!

„Non, non…“ wiegelte Fatima ab, während Yoshikis Hintern Bekanntschaft mit dem Boden machte, da der Ältere es endlich geschafft hatte, seine Hand wegzuschlagen, um sich anzuziehen, er damit den anderen jedoch aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Aber er musste nun wirklich nicht in Unterwäsche vor seiner Gastgeberin stehen, nur weil sein bester Freund seine Nase mal wieder in sämtliche Angelegenheiten stecken musste.

Fatima wiederholte unterdessen noch einmal, dass sie wirklich nicht die Absicht gehabt hatte, die beiden zu stören sondern lediglich Yoshis Mittagessen vorbeibringen und sie fragen wollte, ob sie am Nachmittag Lust hätten, mit an den Strand zu kommen.

„Ich war schon seit Wochen nicht mehr dort“, sinnierte der Größere der beiden auf Französisch. „Das musst du echt mal sehen, Tocchi, das ist eine richtig kleine Bucht… allerdings geht es einen ziemlich steilen Trampelpfad die Klippen hinunter, weshalb ich schon seit einiger Zeit nicht mehr dort war…“

Hinter der Erklärung konnte der Ältere heraushören, dass der andere nur deshalb nicht mehr dort gewesen war, weil er sich zu schwach gefühlt hatte, um den Pfad zu bewältigen.

„Ich kann dich notfalls auch tragen“, entgegnete er auf Französisch, auch wenn es etwas seltsam war, sich mit seinem besten Freund in einer Sprache zu unterhalten, die nicht ihre Muttersprache war – erst recht wenn er bei Yoshikis Japanisch das ein oder andere Mal einen französischen Akzent heraushörte.

„Okay, dann kommen wir mit, Fatima!“

„Gut, wir kommen dann am Nachmittag vorbei. Ich weiß nicht genau wann, kommt darauf an, wie lange Ben und Lara herumtrödeln, aber ich schätze so zwischen zwei und drei.“

„Wir werden eh hier sein, also ist egal.“

„Okay, dann bis später.“
 

••••••••••••••••••••
 

Yoshiki hat Kouki gegenüber deutlich gemacht, dass er nicht mehr nach Japan zurückkehrt. Im nächsten Kapitel könnte diese Meinung jedoch ins Wanken geraten…

Prendre une Décision

@ -Shin-: Im Grunde genommen ist das gesamte Kapitel die Strandszene. Ich hoffe, das ist lang genug^^
 

@ Astrido: Ab und an finde ich Sad Ends nicht schlecht. Immer nur Happy Ends wird mir auf die Dauer zu kitschig. Für welches Ende ich mich jedoch bei Shi Ans entschieden habe, verrate ich noch nicht ^.~
 

@ T0M0: *g* Davon hab ich auch gehört. Aber meinst du, dass bei so einem Dickschädel ein einfacher Klaps genügt?
 

@ sasu1: Wenn ich schneller updaten soll, musst du meine Betaleserin irgendwie dazu bringen in einem doppelt so schnellem Tempo zu korrigieren ^.~
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Dazu hat man doch seine Charas, um gemein zu sein ^.~ Aber keine Sorge, ich werde kapitelweise auch mal lieb zu ihnen sein!
 

@ Asmodina: Meinst du?
 

@ Kaoru: *g* Ich glaub, für dich muss ich mal wieder eine reine Kouki-FF schreiben. Am besten noch aus seiner Sicht als Ich-Erzähler, um dich ein wenig mit meinen Zeitenfehlern zu ärgern.
 

@ all: Lange Rede, kurzer Sinn: Viel Spaß beim mittlerweile 13. Kapitel!
 

••••••••••••••••••••
 

Am Nachmittag gingen Fatima, Ben, Lara, Yoshiki und Toshi zum Strand, wobei die beiden Teenager es sich zur Aufgabe machten, letzteren Löcher in den Bauch zu fragen. Von ihrer Mutter hatten sie zwar die Grundzüge über Toshis Hintergrund erfahren, aber sie wollten sich doch auch ihr eigenes Bild machen. Fatima hatte sie zuerst zurückhalten wollen, doch der Kleinste der Truppe hatte lächelnd abgewiegelt, sodass sie ihn seither ausquetschten. Je weiter sie sich jedoch von dem kleinen Cottage entfernten, desto öfter blickte Toshi über seine Schulter zu Yoshiki, der mehr und mehr zurückfiel, bis er sich schließlich bei den Geschwistern entschuldigte und darauf wartete, dass sein bester Freund zu ihm aufschloss. Wortlos ging er vor dem Jüngeren in die Hocke, als dieser schweratmend bei ihm angekommen war, und dieser kletterte ohne Widerworte auf seinen Rücken.

„Alles klar?“, fragte er auf Japanisch und stand dann auf, während der andere die Arme um seinen Hals schlang und leicht gegen seinen Kopf nickte. Yoshiki hatte sich schon seit dem Mittagessen – Fatima hatte für ihn wie üblich Schonkost gekocht und Toshi hatte es für ihn aufgewärmt, während er selbst sich mit einem Stück belegtem Baguette zufrieden gegeben hatte – nicht sonderlich wohl gefühlt, aber da er unbedingt einmal wieder zum Strand wollte, hatte er verschwiegen, dass ihm schwindelig war.

Als der Ältere mit seinem besten Freund auf dem Rücken wieder aufgestanden war, dachte er eigentlich, dass die anderen einen größeren Vorsprung hätten, doch Fatima, Lara und Ben schienen schnell gemerkt zu haben, dass sie nicht nachkamen, sodass sie angehalten hatten und auf sie warteten. Somiz musste er nur wenige Meter zurücklegen, ehe er wieder zu ihnen aufschloss.

„Ça va?“, stellte Fatima dieselbe Frage, die Toshi zuvor auch schon gefragt hatte und erneut antwortete Yoshiki mit einem leichten Nicken, fügte diesmal aber noch ein leises „Oui“ hinzu. Sie quittierte das Ganze mit einer hochgezogenen Augenbraue, setzte dann aber den Weg fort, während Lara und Ben den anderen kurz besorgt anblickten, dann aber auch weitergingen und Toshi das Schlusslicht bildete. Die Geschwister blieben jedoch in direkter Nähe und setzten ihre Fragerunde fort, wobei sie es diesmal hauptsächlich auf Yoshiki abgesehen zu haben schienen, doch der gab immer nur kurze Antworten, die zum Teil so leise waren, dass sein bester Freund sie wiederholen musste, weil die Teenager sie nicht verstanden.
 

Nach ein paar weiteren Minuten waren sie an dem Trampelpfad angekommen, der zur Bucht hinunterführte und als Toshi ihn sah, verstand er, weshalb der andere schon länger nicht mehr dort gewesen war. Wenn ihn der einfache Marsch durch die Wiesen hierher schon so erschöpft hatte, dann wollte er lieber gar nicht erst wissen, wie fertig es ihn machen würde, den Weg zu erklimmen, wenn er zurück wollte. So folgte er vorsichtigen Schrittes den anderen zur Bucht hinunter, wobei er registrierte, dass Ben besonders langsam zu gehen schien, sodass er fast gleichauf mit ihm war, und immer wieder fragend zu ihm blickte, so als wollte er sich vergewissern, dass er mit Yoshiki auf dem Rücken auch keine Probleme beim Abstieg hatte. Da dieser jedoch noch leichter war, als er ihn in Erinnerung hatte, stellte das kein wirkliches Hindernis dar. Es war lediglich etwas irritierend und brachte ihn ein wenig aus dem Gleichgewicht, wenn der Jüngere ins Rutschen kam. Schließlich kamen sie jedoch in der Bucht an, wo Toshi den anderen zurück auf seine eigenen Füße stellte und ihm dann einen Arm um die Hüfte legte, um ihn festzuhalten. Nach all den Jahren war er aber auch wieder froh um seine Nähe.

Fatima hatte unterdessen eine Decke ausgebreitet, auf welche sich Yoshiki direkt fallen ließ, während die Geschwister sich in Windeseile ihrer Klamotten entledigten und in den Badesachen, die sie darunter getragen hatten, direkt ins Meer rannten. Toshi setzte sich zu seinem besten Freund auf die Picknickdecke, wobei sich ersterer direkt gegen ihn lehnte, was ihn zum Schmunzeln brachte. Kurz strich er über dessen Wange.

„Yosh, du fühlst dich schon wieder deutlich wärmer an, als heute Mittag“, seufzte er auf Französisch und legte ihm eine Hand auf die Stirn.

„Mir geht’s bestens“, entgegnete der Größere und schob Toshis Arm beiseite. Der ließ dies zwar zu, stand im nächsten Moment aber auf, sodass Yoshiki, der nicht darauf gefasst gewesen war, zur Seite hin wegkippte.

„Hey!“, beklagte er sich und rappelte sich wieder auf, während Fatima ihr Getue nur lächelnd beobachtete. „Wo gehst du hin?“

„Nirgends“, antwortete der Kleinere und ging zur Brandungszone, während er sein Hemd aufknöpfte und sich schließlich seiner entledigte.

„Meinetwegen musst du dich nicht ausziehen!“

„Als würde ich mich jemals deinetwegen ausziehen!“, konterte Toshi und hielt das Oberteil kurz ins Meer, bis es nass war, und wrang es dann aus, ehe er sich damit zu Yoshiki umdrehte und es eben jenem zielsicher direkt ins Gesicht warf. Für einen Moment saß dieser reglos da, dann versuchte er sich davon zu befreien.

„Das ist nass“, nuschelte er durch den Stoff hindurch, als der Ältere, das Hemd auch schon wieder wegnahm, sich erneut neben ihn setzte und es zusammengelegt auf die Stirn des Größeren drückte.

„Wenigstens kühlt es“, entgegnete er und entfernte es noch einmal kurz, als Yoshiki sich halb liegend an ihn kuschelte.

„Dafür hab ich Salzwasser in den Augen!“, beklagte sich der Jüngere theatralisch und hob kurz den Kopf an, um zu Fatima zu blicken, die auf ihn einen recht belustigten Eindruck machte. „Siehst du wie gemein er zu mir ist?!“

„Was ich sehe, ist, dass ihr wirklich sehr vertraut miteinander seid.“

„Eine der Folgen, wenn man sich praktisch sein ganzes Leben lang kennt“, entgegnete Toshi lachend und drückte das feuchte Hemd erneut auf die Stirn des anderen, nachdem sich dieser wieder an ihn gekuschelt hatte.

„Das klingt, als wäre es was schlechtes“, entgegnete Yoshiki und rollte sich zusammen, während sein Kopf an der Brust des Kleineren lag und er dumpf dessen Herzschlag wahrnehmen konnte. Seufzend schloss er die Augen und war einmal wieder froh darum, seinen besten Freund zurückzuhaben.

„Sie beide scheinen sich auf jeden Fall sehr nahe zu stehen“, äußerte Fatima an Toshi gewandt, der mit dem Arm Yoshiki Kopf etwas nach oben schob, damit er gut Luft bekam und nicht wieder diese seltsamen Atemgeräusche von sich gab.

„Er ist wie ein kleiner Bruder für mich“, entgegnete dieser und blickte kurz zu dem Jüngeren, der sich nicht an der Konversation beteiligte. Do ruhig wie er atmete, musste er wohl eingedöst sein. „Wir haben praktisch unser ganzes Leben miteinander verbracht, stets auf den anderen aufgepasst…“

„… Ich bin froh, dass Sie ihn gefunden haben, bevor er…“

„Sie wissen…?“

„Er hat nie direkt etwas gesagt, aber wissen Sie… ich weiß nicht, ob er es Ihnen erzählt hat, aber mein Mann ist an Krebs verstorben… die letzten Wochen bevor er verstarb, habe ich ihn hier auf dem Hof gepflegt. Vielleicht klingt es seltsam, aber ich sehe es in den Augen, wenn der Körper mehr und mehr vom Krebs zerfressen wird… und ich kann es bei Yoshi sehen…“

„Er ist ein Schatten seiner selbst…“

„Aber er ist aufgeblüht, seit Sie hier sind. Als ich ihn damals außerhalb von Refuge im Gewitter aufgelesen habe, war er komplett in sich gekehrt, hat kaum ein Wort gesprochen… sicher, im Laufe der Zeit wurde er offener, aber das ist nichts im Vergleich dazu, wie er Ihnen gegenüber ist.“

„Ich bin auf jeden Fall froh, dass er hier einen Ort hat, an dem er seinen Frieden gefunden hat“, entgegnete Toshi und blickte kurz liebevoll auf Yoshiki hinab, der friedlich in seinen Armen zu dösen und von der Unterhaltung nichts mitzubekommen schien.

„Aus irgendeinem Grund scheint Refuge diese Wirkung auf viele Leute zu haben“, entgegnete Fatima und lachte kurz. „Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie viele Gäste mir bei ihrer Abreise schon gesagt haben, sie hätten sich schon seit langem nicht mehr so im Reinen gefühlt.“

„Haben Sie viele Gäste?“

„Genug um über die Runden zu kommen – drücken wir es so aus“, antwortete sie und lachte am Ende, „Ich bin ehrlich, ich hab von Geschäfteführen und dem Ganzen nicht wirklich eine Ahnung. Früher habe ich hier eine kleine Camargue-Zucht betrieben, mein Mann hat sich um die Zahlen gekümmert und der Gästebetrieb war eine kleine Spielerei von ihm am Rande. Er war schon immer ein Weltenbummler gewesen, aber mit den Pferden kam man nie wirklich weg, also hat er sich die Welt eben hierher geholt, wie er es immer genannt hatte… Als er krank wurde, musste ich die Zucht verkaufen, weil es einfach nicht mehr möglich war, mich einerseits um die Herde und andererseits um zwei Kinder und einen kranken Mann zu kümmern. Einige Zeit nach seinem Tod habe ich versucht den Gästebetrieb wieder aufzunehmen, aber das war stets sein Metier gewesen und Refuge ist nicht gerade eine Touristenhochburg.“

„Stimmt, ich kann mich nicht entsinnen, den Ort überhaupt auf einer Landkarte gesehen zu haben…“, überlegte Toshi kurz.

„Auf den großen garantiert nicht! Die Kinder und ich sind irgendwie über die Runden gekommen und wenn wir Glück hatten, dann ging es am Monatsende null auf null auf, wenn nicht, dann mussten die Reserven aus dem Verkauf der Herde herhalten. Als Yoshi dann mal erwähnte, er wäre Geschäftsmann gewesen, habe ich ihn gefragt, ob er eventuell einmal einen Blick in die Bücher werfen und mir den ein oder anderen Tipp geben könnte. Keine Ahnung, wie viele Nächte wir uns letztendlich um die Ohren geschlagen haben, in denen er mit mir einen Business Plan und Gott-weiß-was noch alles ausgearbeitet hat. Aber seitdem läuft es immer besser… Ich bin ganz froh, dass ‚la rentrée‘ jetzt endlich war und hier wieder etwas mehr Ruhe eingekehrt ist.“

„La rentrée?“ Wenn er sich recht entsann, dann hatte er den Begriff schon einmal gehört.

„Der Zeitpunkt, an dem ganz Frankreich wieder aus den Sommerferien kommt und zum Alltag zurückkehrt“, erklärte Fatima kopfschüttelnd und warf einen kurzen Blick in Richtung mehr, wo Ben und Lara offensichtlich ihren Spaß dabei hatten, sich gegenseitig unterzutauchen.
 

Toshi wollte eigentlich noch etwas darauf erwidern, doch das kurze Vibrieren seines Handys in der Hosentasche hielt ihn davon ab, da es gleichzeitig dafür sorgte, dass Yoshiki in seinem Arm murrend die Augen einen Spalt öffnete.

„Du vibrierst“, brummte er in genuscheltem, nicht wirklich verständlichem Französisch und blinzelte mehrmals.

„Ich weiß und wenn du nicht direkt drauf liegen würdest, dann könnte ich auch nachsehen, wer da gerade was wollte“, entgegnete Toshi grinsend und piekte de, Jüngeren in den Bauch.

„Du bist gemein“, jammerte dieser und schlug die Hand weg, ehe er sich das klamme Hemd von der Stirn nahm, es entfaltete und dem Älteren über den Kopf warf.

„Der Schlaf scheint dir ja gut getan zu haben“, entgegnete dieser nur und pflückte sich das Oberteil aus dem Gesicht, welches er dann neben sich legte.

„Hab nicht geschlafen… nur meine Augen ausgeruht!“, konterte Yoshiki und pokte nun seinerseits dem Kleineren in die Brust.

„Das nennt man gemeinhin auch ‚schlafen‘.“

„Hab ich nicht! Hab ja schließlich mit einem halben Ohr mitbekommen, dass ihr über mich geredet habt.“

„Nur ein bisschen über dich gelästert und dreckige Geschichten ausgetauscht“, grinste Toshi breit, wofür ihm erneut in die Brust gepiekt wurde.

„Siehst du, wie gemein er zu mir ist, Fatima?!“

„Aber sicher!“, antwortete diese und konnte nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken, was Yoshiki kurz veranlasste, eine Schnute zu ziehen, ehe er zwischen die Beine des Älteren rutschte, damit dieser sein Handy aus der Tasche holen und es entsperren konnte.

„Kommst du jetzt dran?“

„Ja! Und ich spür meinen Arm und mein Bein endlich wieder.“

„Willst du damit sagen, ich wär schwer?“

„Auf die Dauer wirst selbst du das!“, konterte Toshi und angelte sein iPhone aus der Hose, als es erneut anfing zu vibrieren und das Display nun zwei Nachrichten anzeigte.

„Nochmal was?“, wollte Yoshiki neugierig wissen und versuchte den Kopf soweit zu verdrehen, dass er einen Blick auf das Smartphone erhaschen konnte, weshalb der Kleinere es so hielt, dass er es ebenfalls sehen konnte, ohne sich halb den Nacken verrenken zu müssen.

„Das sind Nachrichten von Mama und von Heath!“, stellte er überrascht fest, als Toshi sie geöffnet hatte.

„Ich vermute, die Kouki-Flüsterpost ist am arbeiten. Welche willst du zuerst lesen?“

Statt zu antworten, nahm Yoshiki ihm einfach das Handy aus der Hand und wählte als erstes die Nachricht, die seine Mutter geschrieben hatte. Sie dankte Toshi, der gerade seinen Kopf auf seine Schulter gelegt hatte und so mitlas, dafür, dass er ihn gefunden hatte und konnte es gar nicht erwarten, ihn endlich wiederzusehen. Anscheinend hatte sein Bruder kein Wort darüber verloren, dass er nicht nach Japan zurückkommen würde.

Als nächstes öffnete er die Nachricht von Heath, die aber anscheinend sowohl von ihm, wie auch Pata und Sugizo kam. Der Anfang war an Toshi adressiert, in dem sie ihn dafür beglückwünschten, dass er ihn schließlich gefunden hatte, doch der Rest schien für ihn direkt bestimmt zu sein, da sie ihn ansprachen. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er die Schlussformel las: WE ARE X!

„Mach mal das Bild auf, das mit dabei ist.“

Yoshiki tippte auf den Anhang und im nächsten Moment nahm ein Foto das gesamte Display ein, das die drei im Studio zeigte, wie sie alle die Arme vor der Brust zu einem X gekreuzt hatten und in die Kamera grinsten.

„Sind das grüne Haare, die da unter Heaths Mütze hervorspitzen?“, fragte der Jüngere irritiert und zoomte in das Bild, doch es wurde schnell pixelig, sodass er sich fragend zu Toshi umdrehte, der nur leise kicherte, wobei er das Vibrieren in der Brust des anderen spüren konnte, da er mit dem Rücken genau dagegen lehnte.

„Er hat eine Wette gegen Sugizo und Pata verloren.“

„Und jetzt hat er grüne Haare?“

„Neongrün, um genau zu sein.“

„Oh mein Gott!“
 

„Was ‚oh mein Gott!‘?“, fragte Lara neugierig, die gerade mit ihrem Bruder aus dem Wasser gekommen war und sah, dass sich Yoshi etwas auf einem iPhone ansah.

„Nur ein Bild von einem alten Freund, der sich offensichtlich die Haare neongrün gefärbt hat“, erklärte dieser, als ihm Toshi das Handy aus der Hand nahm und in den gespeicherten Bildern herumblätterte. Als er gefunden hatte, was er suchte, gab er es dem Größeren wieder.

„Das ist das ganze Ausmaß“, erklärte der Ältere und Yoshiki starrte auf eine Nahaufnahme von Heath mit seiner neuen Haarfarbe, ehe er auch den anderen das Foto zeigte.

„Ach du…!“

„Sehr gewagt“, kommentierte Fatima mit hochgezogener Augenbraue, während Ben sich darüber lustig machte, dass die Farbe seiner kleinen Schwester sicherlich ausgezeichnet stehen würde – giftgrün für eine giftige Ziege!

Unterdessen blätterte Yoshiki neugierig in den Bildern und blieb an einem hängen, das Sugizo offensichtlich im Krankenhaus zeigte, wie er einen Säugling im Arm hielt.

„Wessen Kind hat er da?“

„Seines“, antwortete Toshi und hatte sein Kinn wieder auf die Schulter des anderen gelegt, um so mit auf das Display blicken zu können.

„Aber seine Tochter ist doch schon viel älter… und Sugi sieht auf dem Bild auch viel älter aus als in den 90ern…“

„Dann denk mal scharf nach!“

„……….. Er ist nochmal Vater geworden?? Wann?? Wie??“, machte es bei Yoshiki schließlich Klick und er sah Toshi aus großen, fragenden Augen an.

„Erste Frage: Bingo, der Kandidat hat 100 Punkte! Zweite Frage: Vor gut zwei Jahren. Dritte Frage: Welche Geschichte willst du hören? Den Klapperstorch, die Biene und die Blume oder den Aal und die Höhle?“

„Man Tocchi“, quengelte Yoshiki ungeduldig und boxte ihm gegen den Oberschenkel, während die anderen nur schmunzelten. „Ich meine ‚Wie??‘ wie in ‚Um Vater zu werden, braucht er eine Frau und mein letzter Stand ist der, dass er genau die nicht hatte‘!“

„Der Stand ist etwas veraltet…“

„Dann update mich mal!“

„Dein Verschwinden und die Ungewissheit, was mit dir ist, hat an ihm genauso gezehrt, wie an allen anderen auch. Als die Suche nach dir offiziell eingestellt wurde, brauchte er Abstand von allem und hat sich entschieden, sich für ein paar Monate eine Auszeit zu gönnen. Du erinnerst dich noch daran, dass er diesen Buckelwal adoptiert hat, oder?“

„………. Lila oder wie er ihn genannt hat…“

„Lyra… Er hatte beschlossen bei diesem Whale Trail von Greenpeace mitzumachen. Dabei hat er dann eine australische Meeresbiologin namens Caitlyn McDonald kennengelernt und zwischen den beiden hat es offensichtlich gefunkt. Als Sugizo schließlich nach Tokyo zurückgekommen ist, war er bereits verlobt. Caitlyn ist ein paar Monate später nachgekommen, nachdem sie bei Sea Life einen Job ergattern konnte, kurz darauf haben sie geheiratet und wenig später war der Kleine dann da.“

„Der Kleine?“, wiederholte Yoshiki mit hochgezogener Augenbraue, „also ist es ein Junge? Wie heißt er?“

„….. Hideto.“

„Sugi hat seinen Sohn nach hide benannt?“

„Ja“, antworte Toshi grinsend und griff nach dem Handy, um ein paar Bilder weiter zu blättern, auf denen Klein-Hideto vielleicht ein Jahr alt war.

„Er hat pinke Strähnen!“, entfuhr es Yoshiki, als er das Foto sah, was dazu führte, dass auch Fatima, Ben und Lara interessiert auf das Display blickten.

„Heaths Werk! Er hat babygesittet und war der Ansicht, der Kleine sollte seinem Namenspaten etwas ähnlicher sehen. Sugizo hat einen halben Anfall bekommen, als er seinen Sohn abgeholt hat und Heath mehr oder weniger angeschrien, was er sich dabei gedacht hat, einem Baby die Haare zu bleichen und zu färben. Beruhigt hat er sich erst wieder, nachdem er gesehen hatte, dass es lediglich Clip-in Extensions waren, die Heath entsprechend zurechtgeschnitten hatte.“

Lachend schüttelte Yoshiki nur den Kopf und blätterte unterdessen weiter. Es war schön zu wissen, dass sich manche Dinge nie änderten und sich seine Chaoten auch nach wie vor gegenseitig foppten. Er spürte ein merkwürdiges Ziehen in seinem Herzen und wenn er es nicht besser wüsste, würde er fast sagen, dass er dies vermisste, dass er sie vermisste. Nach einigen eher uninteressanten Fotos blieb er schließlich an einem hängen, das Sugizo mit einer Frau im Arm zeigte, wo sie beide glücklich in die Kamera lächelten.

„Ist das Caitlyn?“ Er hielt Toshi das Smartphone näher hin, welches eine schlanke Frau mit rotblonden Haaren zeigte, die in etwa gleichgroß mit dem Violinisten zu sein schien.

„Ja, das ist sie.“

„Sie ist hübsch“, äußerte Yoshiki und blätterte weiter, nur um direkt beim nächsten Bild hängen zu bleiben. „Jetzt sag mir nicht, Heath hat auch geheiratet?“ Das Foto zeigte Heath – noch mit schwarzen Haaren – mit einer Asiatin, die sicherlich fast zwei Köpfe kleiner war, als der großgewachsene Bassist. Beide sahen aus, als wären sie bis über beide Ohren verliebt.

„Noch nicht“, lachte Toshi, „aber die Wetten laufen, dass er sich demnächst bald mal traut, sie zu fragen.“

„Wie kommt es, das plötzlich alle heiraten, kaum dass ich weg bin?!“

„Vielleicht haben sie mehr was von ihrem Privatleben, weil ihnen kein perfektionistischer Sklaventreiber im Nacken sitzt?“, entgegnete der Kleinere und schlag die Arme um Yoshiki, der ihn erneut gegen den Oberschenkel boxte.

„Wie heißt sie?“

„Wendy Feng. Ist eigentlich eine ganz niedliche Geschichte, wie sich die beiden kennengelernt haben…“

„Ja?“

„Erinnerst du dich noch an diesen deutschen Freund von unserem Küken?“

„Dumpf…“

„Heath hat ihn vor zwei Jahren oder so mal besucht und dabei noch ein paar Freunde von ihm kennengelernt…“

„Darunter auch Wendy?“

„Sie ist die Tochter von Freunden. Ihre Eltern sind vor Ewigkeiten von China nach Deutschland ausgewandert. Theoretisch ist sie also Chinesin, praktisch ist sie Deutsche.“

„Spricht sie Japanisch?“

„Als Heath und sie sich kennengelernt haben, kein einziges Wort. Das macht das Ganze auch so süß! Wir wissen schließlich beide, dass Heath mit Englisch auf Kriegsfuß steht. Am Anfang konnten sie sich wirklich nur mit Händen und Füßen verständigen, aber bei unserem Kleinen scheint es gefunkt zu haben, weil er danach immer wieder nach Deutschland geflogen ist, um sie zu besuchen und in Tokyo hat er plötzlich ganz eifrig angefangen Deutsch und Englisch zu pauken.“

„Aber wenn ich ihm und Pata Englischstunden aufbrumme, überlegen sich die beiden alle möglichen Tricks, um sich darum zu drücken…“

„Da war eben nicht die Liebe involviert. Wendy hat gleichzeitig angefangen Japanisch zu lernen und da sie ja schon Chinesisch kann, ist ihr Japanisch inzwischen bedeutend besser als Heaths Englisch oder Deutsch.“

„Aber sie ist in Deutschland, oder?“

„Sie ist vor knapp einem Jahr nach Japan gekommen. Die beiden leben zusammen und haben gemeinsam eine Geschäftsidee verwirklicht. Wendy hat in Deutschland als DJane gearbeitet und weil Heath das ja auch öfters mal macht, hatten die beiden die Idee, einen kleinen Club aufzumachen. Dadurch, dass das Küken natürlich auch genügend Verbindungen in der Musikbranche hat, kriegt er immer wieder richtig gute Acts, die für praktisch lau dort spielen, sodass der Club mittlerweile ein richtiger Geheimtipp geworden ist. Und für uns gibt es stets Drinks umsonst!“

„Macht Heath da mit Pata nicht gewaltige Verluste?“

„Pata ist trocken.“

„Pata ist trocken?!“ Das war ja nun wirklich eine Neuigkeit, die alles toppte.

„Die Ärzte haben bei ihm erste Leberschäden festgestellt…“

„Ach du… Aber ihm geht es jetzt gut??“

„Er ist okay, auch wenn es am Anfang echt schwer war. Heath hat extra für Pata nichtalkoholische Cocktails in die Getränkekarte aufgenommen, damit der Gute nicht immer nur am Wasserglas hängt.“

„Pata hat früher nie Cocktails getrunken…“

„Ich weiß, aber was Heath ihm da zusammenmixt, scheint ihm echt zu schmecken, weil er davon noch mehr schafft als von JD!“

„Aber Pata hat nicht geheiratet und ist nicht Vater geworden?“

„Nein. Obwohl… indirekt ist er Vater geworden… sogar mehrmals inzwischen“, antwortete Toshi verschmitzt grinsend und musste anfangen zu lachen, als Yoshiki ihn nur völlig verwirrt anblickte. „Er hat sich wieder Katzen zugelegt und eine kleine Zucht begonnen.“ Um es seinem besten Freund zu zeigen, nahm er kurz das Handy an sich, blätterte ein paar Bilder weiter und reichte es ihm schließlich wieder, als es ein Foto von Pata zeigte, der lächelnd inmitten eines Wurfes von Katzen saß und mit den kleinen Kitties spielte.

„Wie niedlich!“ Yoshiki zeigte das Bild kurz Fatima, Ben und Lara, die die ganze Zeit über schweigend, aber interessiert zugehört hatten. Schließlich hatten sie so in kurzer Zeit mehr über ihn erfahren, als er ihnen in all den Jahren je über sich erzählt hatte. „Pata sieht glücklich aus…“

„Ist er auch“, bestätigte Toshi lächelnd und blätterte für den anderen weiter, ehe er wieder bei einem Foto verharrte.

„Das ist ja Mama!“ Ganz überrascht nahm er das Smartphone in beide Hände und betrachtete das Bild genau, schließlich hatte er sie seit über vier Jahren nicht mehr gesehen – das letzte Mal war mehrere Monate vor seinem Verschwinden gewesen. „Sie sieht noch genauso aus, wie ich sie in Erinnerung habe… Wie geht es ihr, Toshi?“

„Gut, den Umständen entsprechend… sie vermisst dich… so wie alle…“

„….. ich vermisse sie auch“, gestand Yoshiki leise auf Japanisch und zog die Arme seines besten Freundes enger um sich und wischte sich mit dem Handrücken kurz über die Augen, ehe er noch einmal das Bild betrachtete. „Sag mal………… ist das da ein Pool in unserem Garten??“, wollte er dann wieder auf Französisch wissen und kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung, mehr Details erkennen zu können. Beim Hintergrund handelte es sich definitiv um das Grundstück seines Elternhauses.

„Ist es.“

„Seit wann haben wir einen Pool??“

„Seit es letzten Sommer so unerträglich heiß war. Seitdem halten sie und sämtliche Frauen der Nachbarschaft, inklusive meiner Mutter, dort täglich ihr kleines Kaffeekränzchen ab und schwimmen ein paar Runden.“

„Toll, ich wollte früher als Kind immer einen Pool, aber da hieß es nur ‚das Meer ist ein paar Minuten entfernt, warum sollten wir Geld dafür ausgeben‘!“, schmollte Yoshiki gespielt theatralisch und ging weiter durch Toshis gespeicherte Bilder.

„Du scheinst es überlebt zu haben…!“

„Nur sehr schwer!“, konterte der Jüngere und verharrte bei einem Foto, das seinen kleinen Bruder mit einem Säugling auf dem Arm zeigte. „Ist das Kouki mit Hideto?“

„Schau mal genauer hin“, forderte der Kleinere ihn auf, sodass Yoshiki heran zoomte und das iPhone in alle möglichen Richtungen drehte.

„Mit etwas Fantasie würde ich sagen, dass das mir ähnlich sehen könnte… aber das ergibt keinen Sinn!“

„Spinn den Gedanken mal weiter… Wer sah dir sowohl als Kind ähnlich und wer tut es jetzt im Erwachsenenalter immer noch?“

„……………………………………. Kouki ist nochmal schwanger geworden?!?!?“

„Eher deine Schwägerin“, lache Toshi, „aber ja, im Endeffekt läuft beides darauf hinaus, dass du nochmal Onkel geworden bist.“

„Ich bin nochmal Onkel geworden?“, wiederholte der Größere und starrte ungläubig auf das Display, als sein bester Freund ihm das Handy wegnahm und zu einem anderen Bild blätterte, auf dem aus dem Säugling mittlerweile ein Kleinkind geworden war, das dieselben Gesichtszüge teilte wie er und sein kleiner Bruder.

„Ist es wieder ein Mädchen?“

„Nein, ein Junge… er wird am 24. November zwei Jahre alt.“

„Da hat er ja fast mit mir zusammen Geburtstag… Wie heißt er?“

„Kouki wollte, dass im Namen dasselbe Kanji vorkommt, das ihr beide euch auch teilt…“

„Das ‚ki‘…“

„Ja… von allen Namen, konnte er sich letztendlich aber nur mit einem wirklich anfreunden und das war Yoshiki…“

„Kouki hat seinen Sohn nach mir benannt?!“, fragte der Jüngere voller Unglauben und starrte auf das Bild seines Neffens.

„Um deinen Bruder zu zitieren: ‚So hab ich wenigstens einen Yoshiki.‘ Ich hab dir ja gesagt, auch wenn er nach außen hin wütend auf dich ist, vermisst er im Grunde seines Herzens seinen großen Bruder.“

„Mir fehlt die kleine Nervensäge auch…“, entgegnete der Größere kaum hörbar und legte das Smartphone beiseite, ehe er sich umdrehte, beide Arme um Toshis Hals schlang und sein Gesicht in dessen Nackenbeuge verbarg.
 

Ja, er hatte sie alle in all den Jahren vermisst – jeden einzelnen. Vielleicht nicht so sehr wie seinen besten Freund, aber sie hatten ihm gefehlt, das war ihm durch die Bilder wieder mehr als bewusst geworden. Ein Teil von ihm wollte sie noch einmal sehen, doch der andere hielt dagegen, dass es in seinem Zustand auch nicht mehr viel bringen würde und es wohl besser war, wenn sie ihn so in Erinnerung behielten, wie sie ihn vor knapp vier Jahren das letzte Mal gesehen hatten. Was brachte es schon, wenn sie ihn nun, sterbenskrank noch einmal sahen? Es würde doch nur alles schwerer machen… Andererseits würde er gerne wenigsten ein einziges Mal seinen Neffen sehen und ihn im Arm halten, wenigstens alle noch einmal sehen, um sich von ihnen zu verabschieden und nicht einfach so sang und klanglos zu gehen wie sein eigener Vater…
 

„Wirst du nun mit Toshi nach Japan zurückkehren, Yoshi?“, wollte Ben wissen, als Toshi seine Arme um den Jüngeren schlang und ihn festhielt.

„Nein…“, antwortete Yoshiki und drehte den Kopf so, dass er zu ihm, seiner Schwester und seiner Mutter blicken konnte, „es hat für mich keinen Sinn mehr, zurückzugehen…“

„Aber ich muss zurück“, äußerte Toshi, was dafür sorgte, dass der andere ihn anblickte, „meine Aufenthaltsgenehmigung ist befristet und die läuft übermorgen ab…“

„Du willst übermorgen gehen?!“

„Ich muss… ansonsten bin ich illegal im Land… außerdem wird es Zeit, dass ich mal wieder nach Extasy sehe und notfalls ausbügel, was Kouki verzapft hat…“

„Ich will nicht, dass du gehst! Ich will dich nicht noch einmal verlieren…!! “

„Ich komm doch wieder… so schnell ich kann! Aber visumstechnisch muss ich erst einmal ausreisen.“

„Ich will aber nicht“, beharrte Yoshiki, hatte jedoch ins Japanische gewechselt und sah seinen Freund flehend an. „Was ist, wenn ich in der Zwischenzeit…?“ Was, wenn in der Zwischenzeit sein Körper aufgab und er starb?

„Das darfst du einfach nicht! Du musst solange kämpfen!“ Dass genau dies eintrat, war auch Toshis größte Sorge. Was, wenn er zurückkam und Fatima ihm nur berichten konnte, dass sein bester Freund während seiner Abwesenheit verstorben war?

„Ich will nicht, dass du gehst!! Ich will es nicht!!“, wiederholte der Jüngere und klang dabei immer trotziger. Er hatte Toshi doch gerade erst wieder, da konnte der doch nicht gleich wieder gehen…!

„Yoshiki, es bringt nichts, wenn du bockst. Das Gesetz verlangt es, dass ich übermorgen das Land verlasse“, versuchte der Ältere es mit Rationalität.

„Dann… dann heiraten wir morgen eben! Dann gilt meine Aufenthaltsgenehmigung doch auch für dich…“

„Soweit ich weiß, ist die gleichgeschlechtliche Ehe in Frankreich genauso wenig erlaubt oder anerkannt wie in Japan…“ Innerlich musste er über den Vorschlag schmunzeln – nur Yoshiki konnte auf solch eine Idee kommen.

„Dann… dann komm ich mit dir mit!“

„……. Was?! Du hast doch heute Früh noch zu Kouki gemeint… und eben…“

„Wenn das die einzige Möglichkeit ist, bei dir zu sein… Aber wir kehren nach Refuge zurück, sobald du deine Sachen erledigt hast!“

„Natürlich!“

„Gut, dann ist es beschlossene Sache: ich komm mit dir nach Tokyo!“
 

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Im Gegensatz zu den anderen Kapiteln, ist dieses hier mit etlichen Fakten vollgestopft:

- Sugizo hat eine mittlerweile 16-jährige Tochter, die bei ihrer Mutter lebt. Als sie ein Kleinkind war, hat Sugizo mit ihr einmal einen Fotoshoot gemacht.

- Sugizo hat in der Tat einen Buckelwal adoptiert und diesen Lyra genannt.

- Heath erwähnte einmal in einem Interview, dass er einen Freund in Deutschland hat.

- Neben seiner Solokarriere hat Heath eine Zeit lang in diversen Clubs auch als DJ aufgelegt. Nach eigener Aussage würde er in diese Richtung gerne mehr machen.

- Pata hat(tte) zwei Katzen namens Kotaru und Kotetsu. Wenn man sich einmal die Danksagungen bei diversen Alben und DVDs anschaut, erscheinen auch die beiden dort. Es ist nicht bekannt, ob Pata die beiden noch immer hat.

- Von Koukis Privatleben ist kaum etwas bekannt – lediglich, dass er verheiratet ist und eine Tochter hat, die mit einem Herzfehler geboren wurde, der mittlerweile aber operiert wurde.

- Das zweite Kanji von Yoshikis und Koukis Namen ist gleich: 佳樹 (Yoshi-ki) ・ 光樹 (Kou-ki)

Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen! Über eure Meinungen und Kommentare würde ich mich natürlich freuen^^

La Situation Continue de s’Aggraver ~ 1ère Partie ~

@ Asmodina: Aber ob der Arzt da noch was ausrichten kann?
 

@ -Shin-: Die Strandszene war ehrlich gesagt auch eines meiner Lieblingskapitel zu schreiben :)
 

@ sasu1: Nachdem sich Sugizo nach hides Tod schon die Haare entsprechend gefärbt hatte, mochte ich die Idee irgendwie, dass er seinen Sohn nach hide benennt…
 

@ Astrido: Klar könnte man die Schilddrüse rausnehmen, nur würde die OP eine weitere Belastung für seinen Körper bedeuten, die er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht überleben würde.
 

@ T0M0: Also ich kann mal so viel verraten: Es wird nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen bei Yoshikis Rückkehr sein.
 

@ Terra-gamy: Keine Sorge, bei den Dreh- äh Schreibarbeiten ist kein Kind zu Schaden gekommen ;)
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Och, mir würden da schon noch ein paar Möglichkeiten einfallen, wie die Story noch zu einem Happy End käme… Aber ist lustig, dass dir auffällt, dass Toshi der einzige ist, bei dem nichts über die jüngsten Entwicklungen in seinem Privatleben bekannt ist. Das wird Yoshiki aber auch noch auffallen und dann entsprechend nachbohren. Er hat da nämlich schon so einen Verdacht…!
 

@ all: Ich weiß, ich bin spät dran… superspät um genau zu sein, aber zwischen Umzug vorbereiten, neue Wohnung einrichten etc. musste Shi Ans erst einmal zurück strecken. Dafür gibt es jetzt endlich das langerwartete Kapitel!
 

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Letztendlich hatte es weder Fatima noch Ben und Lara wirklich überrascht, dass sich Yoshiki am Ende doch dazu entschieden hatte, mit Toshi nach Japan zu gehen. Schließlich war sein Hauptgrund der Heimat fernzubleiben nicht mehr länger vorhanden, da sein bester Freund am Leben und nicht wie gedacht tot war. Nichtsdestotrotz freuten sie sich natürlich, als er versprach, so schnell wie möglich nach Refuge des Anges zurückzukehren, da er in den vergangenen Jahren praktisch zu einem Mitglied der Familie geworden war. Fatima behielt den Gedanken, dass er das vielleicht gar nicht mehr erleben könnte, für sich und lud stattdessen die beiden Freunde zum Abendessen ins Haupthaus ein, damit sie noch etwas mehr Zeit miteinander verbringen konnten, ehe sie abreisen würden.
 

Als es nach der Rückkehr vom Strand jedoch Zeit war, zum Essen aufzubrechen, ging Toshi den Weg alleine, um Fatima und den Kindern mitzuteilen, dass sie doch nicht kommen würden, weil Yoshiki mit Migräne im Bett lag und er ihn nicht zulange alleine lassen wollte. Während er noch rasch ins Gästehaus verschwand, um seine Sachen zusammenzupacken, damit er sie mit zum Cottage nehmen konnte, packte Fatima für ihn und den Jüngeren das Essen in Tupperdosen und gab es Toshi mit, als dieser den Schlüssel bei ihr abgab.
 

Wieder in dem kleinen Steinhaus angekommen, stellte er die ganzen Sachen ab und musste feststellen, dass von dem Größeren keine Spur zu sehen war – sah man einmal von einer zerwühlten Bettdecke ab. Dafür konnte er aus dem angrenzendem Bad Würggeräusche hören, sodass er seufzend dorthin ging und dort auch Yoshiki vorfand, der über der Kloschüssel hing und den wenigen Inhalt seines Magens von sich gab. Da er sich den ganzen Tag über noch nicht erbrochen hatte, hatte er eigentlich gehofft, dass sich der gestrige Abend nicht wiederholen würde, doch da hatte er sich anscheinend getäuscht. Am Vormittag sah es noch so aus, als hätte der Jüngere einen guten Tag vor sich, aber bereits am Nachmittag am Strand, hatte Toshi gemerkt, dass er einen geschwächten Eindruck machte, auch wenn er alles getan hatte, um dies nicht zu zeigen. Als sie dann wieder zurück gegangen waren und der andere keine Anstalten gemacht hatte, von seinem Rücken zu rutschen, nachdem sie die Klippen wieder erklommen hatte, verhärtete sich sein Verdacht. Bestätigt wurde er, als er am Cottage ankam und Yoshiki eingeschlafen war, nur um über furchtbare Kopfschmerzen zu klagen, als er wieder aufwachte.
 

Seufzend half er dem anderen auf, als sich dieser hochhievte, mit der Hand nach der Spülung suchte, diese kurz betätigte und dann zum Waschbecken taumelte, um sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen und sich den Mund auszuspülen.

„Geht’s“, fragte Toshi besorgt und stützte ihn, als Yoshiki zurück in Richtung Bett wankte und sich auf eben jenes kraftlos fallen ließ.

„Geht schon“, antwortete er leise und kuschelte sich wieder in die Decke.

„Hast du wieder Blut erbrochen?“, wollte der Ältere wissen, der sich auf die Bettkante gesetzt hatte und durch Yoshikis Haare strich. Dieser schüttelte verneinend den Kopf und rutschte lediglich etwas näher zu seinem besten Freund.

„Fatima hat mir etwas von dem Abendessen mitgegeben… Soll ich dir was davon aufwärmen?“, hakte Toshi nach, bekam aber erneut nur ein Kopfschütteln.

„Du musst aber irgendetwas mit Kohlenhydraten zu dir nehmen, Yocchan… Ansonsten hat dein Körper rein gar keine Energiezufuhr.“

„… will nicht“, entgegnete der Jüngere leise und kuschelte sich gegen die Hand seines besten Freundes.

„Und wenn es Milch oder Saft wäre?“

„…….. Milch…“

„Okay.“ Aufmunternd lächelte Toshi ihn an, strich kurz über seine Wange und stand dann auf, um Yoshiki ein Glas Milch zu holen. „Was macht eigentlich dein Kopf?“, wollte er wissen, als er noch einen Strohhalm von der Theke mitnahm und zu dem anderen zurückkehrte.

„Tut weh…“, entgegnete dieser und setzte sich ächzend auf, „außerdem wird die Kopfschmerztablette jetzt wohl auch nicht mehr wirken, weil ich die garantiert mit ausgekotzt habe…“

„Was ist mit den ganzen anderen Medikamenten?“

„Hab ich alle in der Früh geschluckt“, antwortete der Jüngere und lehnte sich gegen seinen besten Freund, als sich dieser neben ihn gesetzt und einen Arm um ihn geschlungen hatte. „Und die für den Abend hab ich noch nicht genommen…“

„Wenn du dich ständig erbrichst, wäre es vielleicht besser, wenn du das Zeug nicht mehr schluckst, sonder intravenös oder intramuskulär bekommst…“, überlegte Toshi und hielt Yoshiki das Glas mit dem Strohhalm so hin, dass er nur noch zu trinken brauchte.

„Das klingt nach Arzt… und davon will ich keinen“, entgegnete der Größere und trank vorsichtig einen kleinen Schluck Milch.

„Wäre aber wirklich besser… und damit meine ich nicht, um dich zu piesacken, sondern einfach um zu sehen, was für Möglichkeiten es noch gibt, damit du so wenig wie möglich leiden musst und deine Lebensqualität zumindest ansatzweise erhalten bleibt.“

„Im Moment wär ich schon froh, wenn die Kopfschmerzen weg wären“, äußerte der Jüngere und trank einen weiteren Schluck Milch, während Toshi immer wieder über seinen Arm strich.

„Doktor Hiraishi praktiziert noch… ich könnte ihn morgen anrufen und fragen, ob wir abends, wenn keine Patienten mehr da sind, mal vorbeikommen können, damit er dich durchcheckt?“

„Wir?“

„Meinst du, ich würde dich alleine hinschicken?“

„… Danke…“ Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen legte Yoshiki seinen Kopf auf die Schulter des Älteren und schloss halb die Augen.

„Selbstverständlich…“, äußerte Toshi und lehnte seinen Kopf gegen den des anderen. „Du solltest versuchen, noch ein wenig von der Milch zu trinken.“
 

Nachdem Yoshiki es nach einer geschlagenen Stunde schließlich geschafft hatte, das Glas zu leeren, machte sich der Kleinere daran, einen Teil des Essens, das Fatima ihm mitgegeben hatte, für sich aufzuwärmen, da er mittlerweile am Verhungern war. Während er aß, überlegte er, ob er auf die Nachrichten von Heath, Pata, Sugizo und Yoshikis Mutter antworten sollte, entschied sich jedoch dagegen und beschloss stattdessen, am nächsten Vormittag Kouki anzurufen und ihm mitzuteilen, dass er nicht alleine zurück nach Tokyo kommen würde. Als er fertig gegessen hatte, räumte er leise noch die Küche auf, da der Jüngere eingeschlafen zu sein schien, und machte sich anschließend ebenfalls fürs Bett fertig, in der Hoffnung, in dieser Nacht zumindest einen Teil des Schlafes nachzuholen, den er in der zuvor missen musste, weil er auf die kleinsten Geräusche von Yoshiki geachtet hatte. So vorsichtig wie möglich krabbelte er dann unter die Decke und löschte das Licht. Doch kaum war es dunkel und er hatte sich auf die Seite gedreht, spürte er, wie sich der Jüngere von hinten an ihn kuschelte und seine Nähe suchte, sodass er sich auf den Rücken rollte, damit Yoshiki seinen Kopf auf seine Brust legen konnte, was er auch sofort tat.

„Yosh?“, fragte er kaum hörbar in die Dunkelheit und legte einen Arm um ihn, während seine Finger mit den kurzen Haaren spielten. Hatte er etwa gar nicht geschlafen oder hatte er ihn am Ende geweckt?

„Kannst… du mich festhalten?“, bat der Größere leise und nahm im nächsten Moment war, wie sein bester Freund ihn an sich drückte und beide Arme um ihn schlang. Er selbst verknotete ihre Beine, um so viel Körperkontakt wie nur irgend möglich zu haben. Nachdem er es schließlich geschafft hatte, das ganze Glas Milch zu trinken, war er erschöpft eingedöst, nur um wenig später wieder wach zu werden und zu hören, wie Toshi versuchte extra leise zu kochen. Er schien nicht mitbekommen zu haben, dass er nicht mehr schlief, sodass er ihn in dem Glauben ließ und aus halbgeöffneten Augen beobachtet hatte, wie er aß, dabei mit seinem iPhone herumspielte und anschließend abwusch. Letztendlich waren es wirklich banale Dinge, doch er hatte sie in den knapp vier Jahren vermisst – so wie alles andere auch. Also hatte er sich die ganze Zeit schlafend gestellt, um so viel davon wie ein trockener Schwamm aufzusaugen, wie nur möglich.

Wäre er damals nicht einfach abgehauen, ohne ein einziges Mal zurückzublicken, dann hätte er dafür noch viel mehr Zeit…

Wäre er nicht so nachlässig gewesen, dann hätte er noch ein ganzes Leben mit seinem besten Freund…

Doch so? So hatte er vielleicht ein paar Tage, maximal wohl ein paar Wochen, um die versäumten vier Jahre nachzuholen.

„Du hast vorhin gar nicht geschlafen, oder?“, fragte Toshi leise und drückte seinen besten Freund an sich, während er wieder die Atemgeräusche hörte – es war irgendeine Mischung aus Pfeifen und Röcheln, was dafür sorgte, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Jemand, der so atmete, konnte beim besten Willen nicht richtig Luft bekommen. Er versuchte ein Kissen unter Yoshikis Kopf zu schieben, damit er höher lag, doch der Jüngere schob es direkt beiseite und legte sein Gesicht wieder auf seine Brust, während sich seine Hand in seinem Schlafshirt verkrallte. Als er keine Antwort erhielt, hielt er ihn einfach fest und strich in Kreisen über den zierlichen Rücken, wobei er die abstehenden Wirbel nur zu deutlich wahrnahm. Irgendwie musste er Yoshiki dazu bekommen, dass er mehr aß und dass er es vor allem auch bei sich behielt. Bei den kleinen Mengen, die er zu sich nahm, nur um sie dann wieder von sich zu geben, würde sein Körper doch sicherlich nicht mehr lange die Kraft haben, um gegen den Krebs anzukämpfen und zu funktionieren. Noch gut zwei Tage, dann würden sie wieder in Tokyo sein… Er würde alles daran setzen, dass sie so schnell wie möglich zu Doktor Hiraishi konnten. Der Mediziner in seinen 60ern hatte den Jüngeren schon so lange behandelt und ihn das ein oder andere Mal wieder auf die Beine bekommen, dass ihm sicherlich etwas einfallen würde, wie man seinem besten Freund helfen konnte. Toshis Gedanken wurden jäh unterbrochen, als er etwas Feuchtes durch den Stoff seines Oberteils auf seine Haut durchsickern spürte. Er löste seine rechte Hand von Yoshiki Rücken und strich zärtlich an seinem Hals nach oben in Richtung Gesicht und dort über die eingefallenen Wangen, die sich ebenfalls nass anfühlten.

„Yocchan?“ Er weinte, soviel war klar. Doch weshalb? Waren die Schmerzen so schlimm? Als Antwort bekam er jedoch nur ein leises Schniefen zu hören, sodass er es von neuem versuchte. „Yocchan, was ist los? Sind die Kopfschmerzen so schlimm? Tut dir was anderes weh?“ Vorsichtig strich er mit dem Daumen die Tränen weg, doch kaum hatte er sie getrocknet, waren an ihrer Stelle schon wieder neue.

„Yocchan…“ Wie sollte er ihm denn helfen, wenn er nicht sagte, was los war?

„…………. Ich will nicht sterben, Tocchi“, antwortete Yoshiki schließlich leise mit brüchiger Stimme, „ich will bei dir bleiben… ich will nicht gehen… ich will bei dir bleiben…“

„Yocchan…“

„Ich will nicht sterben…! … ich will meinen Neffen aufwachsen sehen… genauso Chibi-hide… ich will dabei sein, wenn unser Küken seinen inneren Schweinehund überwindet und… und heiratet… ich will mit Patas Katzen spielen… ihm vielleicht eines der Kitten für Klein-Yosh abkaufen… ich will wieder mit euch spielen…“

„Yocchan…“ Nur zu deutlich konnte Toshi spüren, wie der geschwächte Körper immer wieder erzitterte und bebte. Verzweifelt kramte er in seinem Kopf nach irgendetwas, das er sagen könnte, um seinen besten Freund zu trösten, doch es herrschte gähnende Leere. Es gab nichts, was er hätte äußern können.

„… ich will bei dir bleiben, Tocchi… ich will nicht gehen…! … Ich… ich hab Angst, vor dem was sein wird…“
 

Das Schluchzen seines besten Freundes tat dem Kleineren in der Seele weh und er musste sich zusammenreißen, um nicht selbst zu weinen – schließlich wollte er auch nicht, dass Yoshiki ihn zurückließ. Sicher, er hatte die letzten Jahre bereits ohne ihn verbracht, doch dabei hatte er sich stets an die Hoffnung geklammert, dass er irgendwo auf diesem gottverdammten Planeten am Leben war und er ihn finden konnte, wenn er ihn nur lange genug suchte. Doch wenn der Jüngere starb, dann war er wirklich alleine…

„Du musst keine Angst haben, Yocchan“, flüsterte er und konnte selbst hören, wie sehr seine Stimme zitterte, „Ich werde die ganze Zeit bei dir sein… jede Sekunde… bis du die Augen schließt…“ Er konnte spüren, wie seine eigenen Tränen über seinen Wangen rannen. „… und wenn du sie wieder öffnest, dann werde ich zwar nicht mehr bei dir sein, aber dafür werden es dein Vater und hide sein… Sie werden bei dir sein…!“

„… woher… woher willst du das wissen? … Was, wenn sie nicht…? … Was, wenn da nichts ist…?“ Nur zu deutlich konnte Yoshiki das leichte Zittern in dem Körper unter ihm wahrnehmen, was nur dafür sorgte, dass er seine Hand, die auf Toshis Brust lag, noch stärker in dessen Shirt verkrallte.

„Sie werden da sein, Yocchan“, entgegnete der Ältere und atmete tief durch, ehe er sich kurz auf die Unterlippe biss, „Sie werden da sein, Yocchan… Du wirst nicht alleine sein… das verspreche ich dir…!“

Der Jüngere antwortete nicht mehr darauf, aber der Kleinere konnte spüren, wie er versuchte, noch näher an ihn zu rutschen, so als wollte er sicher gehen, dass man nicht mehr sagen konnte, wo der eine Körper aufhörte und der andere anfing, so als wären sie eins. So fest wie nur irgend möglich drückte er ihn an sich und konnte nach einiger Zeit wahrnehmen, wie das Beben nachließ und er sich entspannte. Letztendlich musste er sich in den Schlaf geweint haben… Tief Luft holend löste Toshi eine Hand von ihm und wischte sich die feuchten Wangen trocken, ehe er sich vorsichtig ein wenig in Richtung Yoshikis Seite drehte und ebenfalls versuchte einzuschlafen.
 

Er konnte nicht sagen, wie lange er in Morpheus Armen gelegen hatte, doch es erschien ihm nicht sonderlich lange und wirklich tief schien er auch nicht geschlafen zu haben, denn er war sofort wach, als er merkte, dass der Jüngere hochrumpelte, über ihn kletterte und im Dunkeln in Richtung Bad eilte, von wo aus er einen Lichtschein ausmachen und direkt danach erneute Würggeräusche hören konnte. Seufzend tastete er mit der Hand nach dem Lichtschalter und betätigte diesen, kaum dass er ihn gefunden hatte. Gähnend setzte er sich auf, schwang die Beine aus dem Bett und tapste barfuß ins Bad, wo sein bester Freund auf dem Badvorleger vor der Toilette saß, sich mit der Hand gerade über den Mund wischte und mit der anderen blind nach der Spülung tastete, wobei Toshi ihm zuvor kam und sie betätigte, ehe er ihm unter die Arme griff und ihn hochzog.

„Alles okay?“, fragte er und kam sich irgendwie dämlich dabei vor, denn wenn schließlich alles in Ordnung wäre, dann würde Yoshiki sich nicht ständig übergeben.

„Mach dir keine Sorgen“, entgegnete dieser leise und krallte sich mit einer Hand am Waschbecken fest, während er mit der anderen kaltes Wasser in seinen Mund schöpfte, um diesen auszuspülen.

„Du hast wieder Blut erbrochen…“

„Ich bin okay…“, antwortete er und drehte den Wasserhahn zu. Mit der feuchten Hand wischte er sich durchs Gesicht, das sich auch schon wieder so warm anfühlte, dass die Feuchtigkeit eine willkommene Abwechslung war. Wie in Ordnung er war, bewies sein Körper gleich darauf, als seine Knie nachgaben. Hätte Toshi nicht sowieso schon die ganze Zeit einen Arm um ihn gehabt, sodass er ihn nun mühelos auffing und hochhob, wäre er wohl zu Boden gegangen und hätte sich wahrscheinlich noch das Kinn am Waschbecken angeschlagen.

„Das sehe ich“, äußerte der Ältere mit hochgezogener Augenbraue, rückte den Größeren etwas zurecht und trug ihn dann zurück zum Bett, wo er ihn absetzte.

„Mach dir keine Sorgen, Tocchi…“, wiederholte er leise und legte sich wieder hin, während der andere noch einmal im Bad verschwand und gleich darauf mit einem Eimer zurückkam.

„Was willst du mit meinem Putzeimer?“, wollte Yoshiki wissen und zog sich die Decke bis zur Nase.

„Für heute Nacht ist das ein Kotzeimer und du schläfst nicht an der Wand, sondern außen. Wenn dir wieder schlecht wird, kannst du dich direkt in den Eimer erbrechen und musst nicht erst ins Bad rennen“, erklärte Toshi und stellte den grünen Plastikbehälter vor dem Nachttisch ab, während der Jüngere in Richtung Bettkante rutschte. Ehe sich der Kleinere jedoch selbst wieder hinlegte, verschwand er noch einmal im Badezimmer und kehrte von dort mit einem feuchten, kleinen Handtuch zurück, welches er Yoshiki auf die Stirn legte.

„Du machst schon wieder einem Brennofen Konkurrenz“, erklärte er nur, als der andere ihn fragend anblickte und für ihn die Bettdecke hochhielt, als er über ihn kletterte und es sich bequem machte.

„Mir ist trotzdem kalt…“

Statt zu antworten, löschte Toshi das Licht und kuschelte sich von hinten an den Jüngeren, um ihm so Wärme zu spenden, auch wenn er selbst nun das Gefühl hatte, direkt neben einem Heizstrahler zu liegen.
 

Als der Ältere am Morgen aufstand, hatte er keine Ahnung, wie viele Stunden er effektiv geschlafen hatte, weil er immer wieder aufgewacht war, wenn sich Yoshiki ein weiteres Mal übergeben hatte und er dann aus dem Bett gekrochen war, um für ihn Wasser zu holen, damit er sich den Mund ausspülen konnte, und anschließend den Eimer geleert hatte. Zumindest schien der Jüngere nun, da die Sonne aufgegangen war, etwas schlafen zu können, sodass Toshi auch keinerlei Absichten hatte, ihn aufzuwecken, weshalb er sich auch so leise wie möglich verhielt. Nur zu gut hatte er gemerkt, wie der andere von Mal zu Mal schwächer geworden war und er hoffte, dass ihm ein wenig Ruhe nun gut tun würde, schließlich musste er morgen einen 12-stündigen Flug nach Japan überstehen. Als er unter der Dusche stand, überlegte er, wie oft es dem anderen wohl schon so dreckig gegangen war und ob Fatima und die Kinder davon überhaupt je gewusst hatten oder ob er es ihnen gegenüber heruntergespielt hatte.
 

Wenig später stand Toshi draußen vor dem Cottage und wählte Koukis Nummer, wobei er die Haustür einen Spalt offen hatte und mit einem Ohr immer hinein lauschte, ob weitere Würggeräusche zu hören waren.

„Toshi?“

„Hey, Kouki!“

„Hat ja ganz schön lange gedauert dein Rückruf…“

„Sorry, ging nicht eher…“

„Und?“

„Ich muss Frankreich morgen verlassen, weil mein Visum ausläuft und Yoshiki wird mit mir nach Japan zurückkommen.“

„Wirklich?! Damit hatte ich nach seinem Theater gestern ja fast nicht mehr gerechnet…“

„Um ehrlich zu sein, müsste ich morgen nicht ausreisen, würde er nicht mitkommen.“

„Seine Beweggründe sind mir ehrlich gesagt grad ziemlich egal, solange er endlich nachhause kommt“, entgegnete Kouki, „Okay, dann werde ich dem Piloten sagen, dass er die Maschine für morgen startklar macht, Mama und den anderen werde ich Bescheid geben, dass Yosh heimkommt und dann werde ich noch die entsprechenden Behördengänge erledigen, damit mein Bruder nicht mehr länger als tot gilt!“ Es war deutlich heraus zu hören, dass Kouki bereits voll im Arbeitsmodus war und praktisch nur darauf wartete, endlich loslegen zu können, damit für die Rückkehr seines großen Bruders alles bereit war.

„Ich denke, einen Großteil der Behördengänge kannst du dir sparen…“

„Hä?“

„Stell einfach sicher, dass Yoshiki einreisen kann und sag dem Piloten, dass ich will, dass wir irgendwo außerhalb auf einem kleinen Flughafen landen, wo möglichst wenige Leute sind.“

„… Das verstehe ich nicht… Ich meine, wenn Yosh zurückkommt, dann können wir doch seinen Tod für nichtig erklären, zusätzlich eine Pressemitteilung herausgeben, damit die Fans wissen…“

„Kouki, bevor du hier weiter Luftschlösser baust, hör mir bitte erst einmal zu und lass mich alles erklären. Und so wie ich es dir sage, wirst du es letztendlich auch machen, egal ob es dir gefällt oder nicht!“

„…. Okay… ich höre…“

„Yoshiki ist krank… schwer krank. Wenn wir Glück haben, dann lebt er vielleicht noch ein paar Wochen, im schlimmsten Fall ist er in ein paar Tagen tot. Ich kann nicht hellsehen, aber im Augenblick geht es ihm echt dreckig und wenn er morgen in demselben Zustand ist, dann wird der lange Flug alles andere als ein Zuckerschlecken. Der einzige Grund, weshalb dein Bruder schließlich eingewilligt hat, mit nach Japan zu kommen, ist der, dass er die verbleibende Zeit bei mir sein will, ich aber nicht hier bei ihm in Frankreich bleiben kann. Das ist der einzige Grund, weshalb er mitkommt. Wenn ich wieder in Tokyo bin, werde ich alle dringenden Sachen erledigen, letztendlich aber so schnell wie möglich wieder mit ihm hierher zurückkommen, weil es das ist, was er will. Mein Antrag auf ein weiteres Visum läuft bereits und ich hoffe, dass ich mit Yoshiki innerhalb einer Woche zurückkehren kann.“

„Yosh wird sterben?“, fragte Kouki ungläubig und Toshi konnte heraushören, wie seine Stimme zitterte, doch fürs erste entschied er den Einwurf zu ignorieren und einfach fortzufahren.

„Du wirst dem Piloten sagen, dass wir morgen Nachmittag am Aéroport de Toulon-Hyères zu ihm stoßen werden und ich nicht will, dass wir an irgendeinem großen Flughafen in Tokyo landen. Irgendetwas kleines, je weniger Leute desto besser! Und dasselbe gilt für die Menschen, die wissen, dass Yoshiki im Lande sein wird. Offiziell ist er tot und so wird es auch bleiben. Es ist okay, wenn eure Mutter und Heath, Pata und Sugizo Bescheid wissen, dass er kommt, aber alle anderen Leute müssen auf ein Minimum reduziert werden. Ich will nicht, dass auch nur ein Sterbenswörtchen darüber an die Presse gerät, weil er in keinster Weise in der Verfassung ist, diesen Trubel auch nur irgendwie durchzustehen. Hast du mich verstanden, Kouki?!“

„…. Kannst du den französischen Flughafen noch einmal wiederholen?“

„Aéroport de Toulon-Hyères“, wiederholte Toshi langsam, „ich hab vorhin auf GoogleMaps nachgesehen, das ist der nächste.“

„Okay… also werde ich mich darum kümmern, dass Yoshiki einreisen kann, vorzugsweise aber niemand weiß, dass er im Lande ist.“

„Genau und wenn du schon dabei ist, dann ruf bitte Doktor Hiraishi an und frag ihn, ob es innerhalb der nächsten Tage möglich ist, nach Praxisschluss mit Yosh bei ihm vorbeizukommen, damit er ihn einmal gründlich durchcheckt.“

„Der alte Doc… okay, mach ich.“

„Ich werde dir gleich noch eine Liste mit Medikamenten schicken. Wenn du mit ihm telefonierst, dann frag ihn bitte, ob es die auch in flüssiger Form gibt, damit man sie Yosh notfalls intravenös verabreichen kann.

„Okay…“

„Oberste Priorität ist es, dass kein Wort, aber vor allem, dass kein einziges Bild nach draußen dringt! Es ist besser, wenn die Öffentlichkeit in dem Glauben bleibt, Yoshiki wäre längst tot und ihn so in Erinnerung behält, wie sie ihn vor vier Jahren das letzte Mal in den Medien gesehen hat!“

„… Was hat Yoyo…?“

„… Schilddrüsenkrebs… die aggressive Variante, die innerhalb von sechs Monaten zum Tod führt… Yoshiki wurde vor knapp sechs Monaten damit diagnostiziert…“

„… Wie geht es ihm?“

„Er ist schwach und hat extrem abgebaut… wir sind gestern zum Strand gegangen und nach zehn Minuten oder so war er schon völlig fertig, sodass ich ihn die restliche Zeit über getragen habe… Die Nacht über hat er sich ständig übergeben… im Moment schläft er…“ Toshi lugte kurz zur Haustür herein und sah Yoshiki noch immer zusammengerollt im Bett liegen. Lediglich das frische Handtuch, das er ihm vorhin auf die Stirn gelegt hatte, war heruntergerutscht.

„Pass bitte auf ihn auf…“

„Mach ich, versprochen…“

„Ne… Toshi…?“

„Hm?“

„Danke, dass du ihn gefunden hast, bevor er…“

„Ich mach selbst drei Kreuze…“

„Okay, dann werde ich mich an die Arbeit machen und wir telefonieren dann wieder…“

„Machen wir.“

„Bis dann…“

„Bis dann.“
 

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Ich hoffe, das Kapitel hat euch nach der langen Abstinenz gefallen. Wie immer würde ich mich natürlich über eure Kommentare und Meinungen freuen :)

P.S.: Wenn ihr Taschentücher ausgepackt habt, dann behaltet sie am besten draußen, da ihr die im weiteren Verlauf wahrscheinlich noch das ein oder andere Mal brauchen könntet.

La Situation Continue de s’Aggraver ~ 2e Partie ~

@ all : Heute ausnahmsweise keine einzelnen @s, da meine Hand dank Sehnenscheidenentzündung ein schicker Verband ziert und ich nicht wirklich was schreiben darf^^; In diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen!
 

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Es ging bereits auf Mittag zu und Toshi hatte schon längst die Liste an Medikamenten Kouki zugeschickt, ehe Yoshiki langsam Anstalten machte, wach zu werden.

„Morgen, Dornröschen“, begrüßte der Ältere ihn, der auf der Bettkante saß und das feuchte Handtuch von seiner Stirn nahm, um diese kurz zu befühlen. Zu seiner Erleichterung machte sie einen deutlich kühleren Eindruck, als noch in der Früh.

„Wie spät ist es?“, fragte Yoshiki gähnend und kuschelte sich tiefer in sein Kopfkissen. Er fühlte sich müde und schlapp, sein Schädel brummte noch immer leicht, sein Hals brannte höllisch und eigentlich wollte er nur weiterschlafen, um genau von dem allen hoffentlich nichts mitzubekommen.

„Kurz vor 12. Ich dachte, ich warte, bis du von selbst wach wirst. Fatima war vorhin hier und hat ein paar Einkäufe vorbeigebracht. Sie lässt dich lieb grüßen.“

„Mhm…“, brummte der Jüngere und zog sich die Decke halb über den Kopf.

„Kalt?“

„Hell…“

„Wie fühlst du dich?“

„Wie Matschbanane…“

„Du solltest versuchen, aufzustehen, damit dein Kreislauf in Schwung kommt, und etwas zu essen, damit dein Körper irgendwas hat, von dem er Energie ziehen kann“, entgegnete Toshi und zog Yoshiki die Decke weg, der das Ganze mit einem unzufriedenen Murren quittierte und ein quengelndes „Will nicht!“ noch hinzufügte. Der Ältere nahm darauf jedoch wenig Rücksicht, da im Vordergrund stand, den anderen für den morgigen Flug halbwegs fit zu bekommen, weshalb er ihn gnadenlos hochhob und ins Bad trug. Nach einigem hin und her duschte Yoshiki, während Toshi in die Küche verschwunden war und für seinen besten Freund etwas zu essen zubereitete, auch wenn dieser eigentlich gesagt hatte, dass er nichts wollte, weil er befürchtete, sich nur erneut übergeben zu müssen.
 

Wenig später saß Yoshiki frisch geduscht am Tisch und hatte eine Schüssel mit einem gelben Etwas vor sich zu stehen, während Toshi es sich auf dem Stuhl ihm gegenüber bequem machte und ihn erwartungsvoll anblickte.

„Wenn du das alles isst, dann hast du gleichzeitig auch schon einen Großteil deiner Medikamente zu dir genommen, weil ich sämtliche Tabletten gemäß deinem Medikamentenplan zerkleinert und drunter gemischt habe. Du musst dann nur noch die drei Kapseln hier schlucken!“, erklärte er und deutete auf die durchsichtigen Pillen mit den bunten Körnchen, die neben der Schüssel lagen.

„Du hast was?“

„Ich hab gesehen, dass Pata das mal bei einer seiner Katzen gemacht hat, als die krank war. Außerdem musst du so nicht diese riesen Dinger hinunterschlucken.“

„Seh ich aus, als hätte ich Ohren und nen Schwanz?“, wollte Yoshiki mit hochgezogenen Augenbrauen wissen, während er mit einem Löffel in seinem Essen herumrührte.

„Genau genommen, ja“, entgegnete Toshi grinsend.

„So meinte ich das nicht!“

„Ich dachte lediglich, dass es für dich auf die Art einfacher sein könnte, die ganzen Tabletten zu dir zu nehmen“, erläuterte der Ältere und blickte ihn aufmunternd an, „Seit meiner Ankunft hab ich schließlich gesehen, dass es dir nicht ganz einfach zu fallen scheint, einige der ganz großen herunterzubekommen… Also warum sie nicht so schlucken?“

„Das Zeugs sieht aber seltsam aus“, entgegnete Yoshiki und hatte ein wenig von dem Essen auf dem Löffel hochgehoben, nur um es gleich wieder herunter tropfen zu lassen.

„Es ist Banane.“

„Sieht aus wie schon mal gegessen und wieder ausgekotzt…“

„Es ist… Bananenmousse“, erklärte Toshi und nannte lieber einen beschönigenden Namen anstatt das Kind beim Namen: Matschbanane.

„Mousse au chocolat sieht aber ganz anders aus…“

„Das ist ja auch Mousse à la banane!“

„Die Banane sieht eher so aus, wie ich mich fühle…!“

„Du wirst nicht dran sterben, wenn du die Schüssel isst. Im Gegenteil, die Vitamine und die schnellen Kohlenhydrate werden dir gut tun“, konterte Toshi und nahm Yoshiki den Löffel aus der Hand, um zum Beweis selbst eine Löffelspitze zu essen. „Siehst du?! Essbar!“

„Das war ja nur ein Bruchteil dessen, was du von mir verlangst zu essen!“

„Wenn ich mehr esse, dann futter ich dir deine Medikamente weg und ich brauch die schließlich nicht“, entgegnete der Älter, während er erneut ein wenig aus der Schüssel holte, den Löffel diesmal jedoch Yoshiki hinhielt. „Sag Aa!“

„Beeee!“

Da er dabei den Mund trotzdem ein wenig offen hatte, versuchte Toshi dennoch, den Jüngeren zu füttern, stieß mit dem Edelstahl jedoch nur gegen dessen Zähne, was diesen dazu veranlasste, ihm im Reflex halb die Hand wegzuschlagen, um sich seine eigene vor den Mund zu halten.

„Au, das waren meine Zähne!“

„Wenn du den Mund auch nicht richtig aufmachst“, seufzte der Kleinere und legte das Besteck beiseite, um mit dem Finger die verspritzte Matschbanane vom Tisch aufzuwischen.

„Ich kann selber essen, du musst mich nicht füttern!“

„Dann tu es!“, entgegnete Toshi und hielt ihm den Zeigefinger hin.

„Ist das meine Fleischbeilage zur Matschbanane?“

„Nein, du sollst sie lediglich ablecken!“

Für einen Moment blickte Yoshiki seinen besten Freund an, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank, doch anscheinend war es ihm wirklich ernst damit, sodass er schließlich den Kopf senkte und die Matschbanane vorsichtig vom Finger des anderen schleckte. Als kleine Rache für die Zähne, biss er am Ende leicht hinein, sodass diesmal dem anderen ein Schmerzenslaut entkam.

„Au! Was soll das?“

„Ich wollte nur alles aufessen“, entgegnete der Jüngere grinsend und leckte sich kurz über die spröden, blutleeren Lippen, ehe er mit dem Löffel wieder anfing im Essen herumzurühren.

„So schlecht, wie du vorhin meintest, kann es dir gar nicht gehen, wenn du noch zum Scherzen aufgelegt bist“, äußerte Toshi und betrachtete seinen Zeigefinger, auf dem man leicht die Abdrücke von Yoshikis Schneidezähnen sehen konnte.

„Kann sein, dass die Dusche vorhin ein wenig geholfen hat“, gab der andere zu und probierte vorsichtig eine Löffelspitze von der Matschbanane. „Aber das ändert nichts daran, dass mein Kopf noch immer leicht brummt und ich mich so fühle wie mein Essen – nämlich äußerst matschig.“

„Letzteres ist garantiert nur, weil du dich in der Nacht sooft erbrochen hast und dein Körper daher ausgetrocknet ist.“

„Kann ich ja nichts dafür“, verteidigte sich der andere halbherzig, während er damit beschäftigt war, die nächste Portion von der Schüssel in seinen Mund zu löffeln. So komisch das Zeugs auch aussah, es schmeckte richtig lecker und tat seinem brennenden Hals auch noch gut. Nichtsdestotrotz brauchte er fast eine geschlagene Stunde, um alles aufzuessen und am Ende auch noch die Kapseln zu schlucken, die der Ältere nicht mit ins Essen gemischt hatte.
 

In der Zwischenzeit hatte Toshi begonnen, für sich selbst etwas zuzubereiten, da ihm der Magen knurrte. Als er schließlich ebenfalls aufgegessen hatte und sich rasch um den Abwasch kümmerte, lag Yoshiki mit verschränkten Armen auf dem Tisch und döste, sodass der andere versuchte, so leise wie möglich zu sein. Statt abzutrocknen und dabei noch mehr unnötigen Lärm zu verursachen, ließ er das nasse Geschirr stehen – es würde auch an der Luft trocknen – und hob dafür vorsichtig Yoshiki hoch, um diesen ins Bett zu legen. Das war für seinen Rücken garantiert wesentlich angenehmer als wenn er die ganze Zeit in dieser gekauerten Haltung am Tisch schlief. Toshi war jedoch noch keine zwei Schritte weit gekommen, als es an der Haustür klopfte und gleich darauf Ben seinen Kopf durch den Spalt steckte.

„Salut!“

„Salut, Ben.“

Behutsam legte Toshi Yoshiki auf der Matratze ab und zog die Decke unter ihm hervor, um ihn zuzudecken.

„Il reste?“

„Oui, il ne va pas bien“, bestätigte der Kleinere und fühlte eher routinemäßig noch kurz nach der Temperatur und dem Puls seines besten Freundes. Beides war zwar nicht im Normalbereich, aber es könnte schlimmer sein. „Il passait une mauvaise nuit“, erklärte er und drehte sich schließlich zu dem anderen um.

„Alors… je ne vous dérange pas davantage…“ Er kratzte sich scheinbar verlegen kurz am Kopf und machte dann Anstalten zu gehen, doch Toshi war bereits bei ihm und dirigierte ihn nach draußen und drückte ihn dort dann auf die Bank, die neben der Tür stand.

„Kann ich was für dich tun?“, fragte er, da es offensichtlich war, dass der Teenager etwas von Yoshiki gewollt hatte.

„Nein… ist schon in Ordnung…!“, wiegelte Ben ab und war im Begriff aufzustehen, als der andere ihn wieder zurück auf die Holzbank zog und abwartend anblickte.

„Sicher?“, hakte Toshi nach, bekam jedoch erst einmal ein Schweigen, da die Schuhe des anderen bedeutend interessanter sein mussten als er.

„….. Wann werden Sie und Yoshi morgen abreisen?“

„Ich wollte gegen Mittag aufbrechen. Kommt drauf an, wann unser Flieger letztendlich geht.“

„Ich verstehe…“ Erneut schwieg Ben, ehe er plötzlich in seiner Hosentasche zu kramen anfing und schließlich einen gefalteten Zettel daraus hervorholte, den er Toshi reichte. Dieser blickte ihn fragend an und mit einem Nicken gab der Teenager ihm zu verstehen, dass er ihn öffnen sollte, sodass er dies tat und schließlich auf einen schwarz-weiß-Ausdruck starrte, der ihn und Yoshiki auf der Bühne zeigte. Das Bild war sicher sechs Jahre alt.

„Das sind Sie, habe ich recht?“

„Woher…?“ Das letzte, das er gebrauchen konnte, war, dass am Ende doch noch alles an die Öffentlichkeit kam. Es brauchten keine unnötigen Leute zu wissen, dass der Pianist und Drummer eigentlich noch am Leben war und die letzten Jahre völlig zurückgezogen in einem kleinen Dorf an der französischen Mittelmeerküste verbracht hatte.

„Gestern am Strand… sie haben beide viel geredet… noch dazu auf Französisch. Da war es mithilfe von Google nicht schwer, die ganzen Puzzleteile, die uns Yoshi im Laufe der Jahre gegeben hatte, zusammenzufügen.“

„Hast du mit irgendwem darüber geredet?“, wollte Toshi wissen und faltete das Papier zusammen.

„Nein…“

„Gut! Ich möchte, dass das so bleibt… was die Öffentlichkeit anbelangt, so ist YOSHIKI vor knapp drei Jahren gestorben“, bat der Ältere und reichte Ben den Zettel wieder, der diesen wegsteckte.

„Keine Sorge, was mich anbelangt, so kenne ich nur Yoshi…“

„Gut… danke!“ Er spürte, wie sich Erleichterung in ihm ausbreitete.

„Keine Ursache, ich wollte lediglich wissen, ob meine Vermutung stimmt. In all den Jahren hat Yoshi so wenig über sich erzählt… einerseits denkt man, man kennt ihn nach all der Zeit, nur um dann festzustellen, dass man praktisch nichts weiß…“

„Du kennst einen Teil des Menschen, der hinter dem Rockstar YOSHIKI steckt – das ist mehr, als so manch anderer von Yoshiki weiß“, entgegnete Toshi und legte ihm für einen Moment eine Hand auf die Schulter. „Du verstehst dich gut mit ihm?“

„… Es ist leicht, mit ihm über meinen Vater zu reden… leichter als mit meiner Mutter oder meiner Schwester…“

„Er hat seinen eigenen verloren, als er zehn war…“

„Ich weiß“, antwortete Ben und starrte dann wieder auf seine Füße, ehe er schließlich fortfuhr, Toshi diesmal jedoch nicht mehr anblickte. „Es ist so wie bei Vater, habe ich recht? Er wird an Krebs sterben…“

„Hat er dir…?“

„Yoshi hat nie ein Wort darüber verloren, aber ich bin alt genug, um mich daran zu erinnern, wie es war, als mein Vater daran zugrunde gegangen ist.“

„Er hat geschwiegen, weil er keine alten Erinnerungen wecken wollte“, erklärte Toshi und starrte in Richtung des Rosenbusches und des Steines, die Yoshiki in seinem Gedenken errichtet hatte.

„Letztendlich wird er genauso gehen…“

„Ich weiß…“ … auch wenn er versuchte, nicht zu oft daran zu denken…

„Passen Sie bitte auf Ihn auf, wenn Sie in Japan sind…?“

„Das werde ich, darauf kannst du dich verlassen! … Und ich werde ihn so schnell wie möglich wieder zurückbringen.“

Statt zu antworten, nickte Ben diesmal nur und griff mit seinen Händen in den Nacken, um den Verschluss einer Silberkette zu öffnen, die Toshi ihn schon die ganze Zeit hatte tragen sehen. Als er ihn offen hatte, nahm er das Schmuckstück vom Hals und hielt sie dem anderen hin.

„Können Sie die bitte Yoshi geben? Und sagen Sie ihm, er soll sie mir wiedergeben, wenn er zurückkommt.“

„Du kannst sie ihm doch morgen persönlich geben.“

„Ich werde morgen nicht da sein“, erklärte Ben und legte die Kette einfach über Toshis Oberschenkel, als dieser keine Anstalten machte, sie zu nehmen. „Ich werde heute Abend mit ein paar Freunden wegfahren… ich bin nicht gut im Verabschieden…“, fügte er noch erklärend hinzu und stand auf.

„Ich werde sie ihm geben“, versprach Toshi und nahm das Schmuckstück in die Hand. Es war eine schlichte Silberkette mit einem aufklappbaren Anhänger aus demselben Material. Wenn er sich recht entsann, dann hatte er genau dieselbe Kette auch bei Lara gesehen.

„Merci. A plus!“ Damit verabschiedete sich Ben und ging langsam den Weg in Richtung Haupthaus zurück, während Toshi aufstand, das Schmuckstück in seine Hosentasche steckte und dann zu den Klippen ging und vor dem Gedenkstein niederkniete.
 

Sanft strich er mit der Hand darüber und blickte dann aufs Meer hinaus. Wie lange noch, ehe er vor einem ähnlichen Stein sitzen würde, der statt seinem Namen Yoshikis trug? Rasch schüttelte er den Kopf, um den Gedanken zu verbannen. Er wollte es gar nicht wissen! Er würde einfach hoffen, dass sie noch so viel Zeit miteinander wie nur irgend möglich verbringen konnten, auch wenn es sicherlich irgendwann schwer werden würde, zusehen zu müssen, wie sein bester Freund immer mehr zu einem Schatten seiner selbst wurde, bis er sich schließlich vollständig auflöste. Schließlich konnte er es jetzt schon erkennen und es tat ihm in der Seele weh, mit ansehen zu müssen, wie er schwer Luft bekam, Schlucken für ihn zu einer Qual wurde oder er sich ständig übergab. Wie würde es am Ende aussehen? Würde er sich nur noch quälen? Wäre er von Schmerzmitteln zugepumpt? Würde er irgendwann überhaupt noch selbstständig Atmen können, wenn der Tumor mehr und mehr auf die Luftröhre drückte? Würde er irgendwann überhaupt noch eigenständig Nahrung aufnehmen können oder würde er künstlich ernährt werden müssen, um nicht zu verhungern?
 

„Tocchi?“

Erschrocken stand der Angesprochene auf und drehte sich um, nur um Yoshiki zu erblicken, der ihn fragend ansah.

„Du bist wach…!“

„Ja, bin grad aufgewacht und du warst nicht da… also hab ich dich gesucht…“, erklärte der Jüngere und überbrückte den letzten Meter zwischen ihnen, um seine dünnen Arme um den Kleineren zu schlingen und sich an ihn zu drücken. „Als ich aufwachte und du nicht da warst, dachte ich, dass ich es nur geträumt hätte, dass du hier bist“, erzählte er leise, „Aber dann hab ich deine Sachen gesehen… und die Haustür war einen Spalt auf…“

„Ben war hier“, äußerte Toshi und umarmte den zierlichen Körper, „wir haben uns draußen unterhalten, um dich nicht zu wecken und dann bin ich noch kurz hierhergekommen…“

„Was wollte Ben?“, fragte Yoshiki direkt nach und löste sich ein wenig von dem Älteren, um ihn ansehen zu können. Immerhin wusste er aus Erfahrung, dass der Teenager meist dann zu ihm kam, wenn er über etwas reden wollte, von dem er das Gefühl hatte, dass seine Mutter oder seine Schwester es vielleicht nicht richtig verstehen würden.

„Eine Vermutung bestätigen.“

„Eine Vermutung bestätigen?“

„Er hat uns gegoogelt“, erklärte Toshi und konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen.

„……… wir haben gestern zu viel geredet… noch dazu in seiner Muttersprache…“

„Er wird nichts sagen, für ihn bist du Yoshi und nicht YOSHIKI… er wollte es lediglich wissen… Und er wollte dir was geben!“

„Er wollte mir was geben?“

Toshi kramte kurz in seiner Hosentasche und zog dann die Kette heraus, die er dem Jüngeren in die Hand drückte.

„Das ist Bens!“, stellte Yoshiki überrascht fest und betrachtete sie für einen Moment.

„Er will, dass du sie hast und lässt ausrichten, du sollst sie ihm wiedergeben, wenn du zurückkommst.

„Ben und Laras Vater hat ihnen kurz vor seinem Tod die Ketten geschenkt“, erklärte der Größere und öffnete den Anhänger, sodass Toshi sehen konnte, was sich darin befand: ein Familienfoto.

„Ich kann mich in der kurzen Zeit nicht entsinnen, dass sie sie mal nicht getragen hätten… abgesehen von gestern beim Schwimmen…“

„Ich mich auch nicht und ich kenn die beiden bedeutend länger…“, entgegnete Yoshiki mit einem leichten Lächeln, ehe er sich die Kette um den Hals legte und sie im Nacken verschloss, damit er sie nicht verlieren würde. Er würde gut darauf aufpassen! „Apropos, da fällt mir noch was ein…!“, kam es ihm plötzlich, sodass er sich ganz von seinem besten Freund löste und zum Cottage zurückeilte, in dem Vertrauen, das Toshi ihm schon folgen würde, was dieser auch tat. Drinnen angekommen, zog der Jüngere die unterste Schublade des Nachttischs auf und wühlte darin herum, bis er schließlich fand, was er gesucht hatte und sich damit zu dem Älteren umdrehte, den er hatte hereinkommen hören.

„Wenn ich nicht mehr… Kannst du Fatima bitte diesen Umschlag geben?“, bat er leise und hielt ihm ein weißes, längliches Couvert hin.

„Darf ich fragen, was drin ist?“, wollte Toshi wissen und nahm den Brief, zumindest vermutete er, dass es einer war, entgegen.

„Eine Art Abschiedsbrief… sozusagen… und ein Scheck…“

„Ein Scheck?“

„Wenn ich das gestern am Strand, als ich da halb vor mich hingedöst habe, richtig mitbekommen habe, dann hat sie dir doch erzählt, dass sie hier früher Pferde gezüchtet hat, nicht?“

„Hat sie…“

„Ich hab keine Ahnung, wie viel anständige Camargue-Pferde kosten, damit man sie für die Zucht verwenden kann, aber vielleicht hilft ihr das Geld, einen Grundstein zu legen und vielleicht noch ein paar Leute einzustellen, die ihr dabei helfen… Und wenn es nicht genug ist, dann reicht es vielleicht, um Ben und Lara wieder jeweils ein eigenes Pferd zu kaufen. Ihre beiden waren damals die letzten, die nach dem Tod ihres Vaters verkauft wurden… Bitte gib Fatima den Umschlag, okay?!“

„… Mach ich, versprochen!“

„Danke!“ Yoshiki umarmte ihn kurz, löste sich aber wieder, als er ein Vibrieren spürte. „Dein Handy klingelt…“

„Ich spüre es“, entgegnete Toshi, fischte sein iPhone aus der Hosentasche und warf einen kurzen Blick auf das Display. „Ist dein Bruder“, informierte er den Jüngeren und nahm den Anruf entgegen, während sich dieser ans Klavier setzte, die Abdeckung öffnete und ein wenig spielte. Das Telefonat dauerte nicht lange, Kouki teilte ihm lediglich die Abflugzeit mit und dass er grünes Licht für Yoshikis Einreise hatte. Toshi bedankte sich kurz für die Infos, unterbrach dann die Verbindung und legte das Smartphone zusammen mit dem Umschlag auf den Tisch. Unterdessen spielte der Größere noch immer Klavier und der andere erkannte nur zu gut den Song, sodass er sich hinter ihn stellte und ihm beide Hände auf die Schultern legte und leise mitsummte, bis er einen guten Einstieg gefunden hatte. Yoshiki hatte in der Nacht gemeint, er wollte wieder mit der Band spielen… Gut, er konnte nicht Heath, Pata und Sugizo gleichzeitig ersetzen, aber er konnte singen, so wie sie es früher oft gemacht hatten: on piano Yoshiki and on vocals Toshi!

„Forever love, forever dream“, begann der Ältere zu singen, als sie an der entsprechenden Stelle angekommen waren und lächelte den Jüngeren nur aufmunternd an, als dieser ihn kurz fragend ansah, während er aber weiter spielte. „Du wolltest doch gemeinsam musizieren“, entgegnete Toshi, als der Schlussakkord gefallen war und Yoshiki erneut zu ihm blickte, wobei er in dessen braunen Augen ein Funkeln sah, das er sonst nur dort fand, wenn sie gemeinsam auf der Bühne standen.

„Kannst du noch den Song?“, wollte der Jüngere wissen, doch anstatt einen Namen zu nennen, begann er einfach die ersten Noten anzuschlagen, die im Original eigentlich von Streichern gespielt wurden, aber Toshi erkannte auch so das Lied.

„Crucify my love, if my love is blind. Crucify my love, if it sets me free…”

„Du kannst den Song noch!“, stellte Yoshiki erfreut fest, als er auch bei dieser Komposition den Schlussakkord gespielt hatte und strahlte seinen besten Freund breit an. Nach so vielen Jahren noch einmal gemeinsam mit ihm Musik zu machen, war etwas, woran er lange nicht mehr geglaubt hatte. Es nun doch tun zu können, durchströmte ihn mit einem solchen Glücksgefühl, dass alle andere vorerst keinen Platz mehr fand. Und zum Glück erinnerten sich seine Finger noch zu gut an die Griffe, obwohl er sie schon so lange nicht mehr gespielt hatte, dass er nicht vorhatte, eher aufzuhören, als dass seine Finger keine Songs mehr kannten.

„Wir haben ihn oft genug performt und geprobt“, entgegnete Toshi und schmunzelte angesichts der kindlichen Freude, die er in Yoshikis Gesicht sehen konnte. Allerdings bezweifelte er, dass er gerade recht viel anders drein blickte – dazu hatte er es viel zu sehr vermisst, den Songs seines besten Freundes eine Stimme zu verleihen. Sicher, er hatte oft genug für sich selbst geschrieben oder Lieder eingesungen, die andere für ihn geschrieben hatten, doch Yoshikis Songs waren etwas Besonderes für ihn. Vor vielen Jahren hätte er vielleicht einmal anders darüber gedacht, doch heute stellten sie für ihn eine Art kleinen Schatz da. All die Balladen, bei denen seine Stimme und Yoshikis Klavier im Mittelpunkt standen, waren die perfekte Vereinigung ihrer jeweiligen Instrumente.

„Und…“, Für einen Augenblick schien Yoshiki zu überlegen, „… erinnerst du dich noch daran?“, wollte er dann wissen und begann mit einem leicht holprigen Einstieg ein Lied zu spielen, dass nicht er selbst komponiert hatte, sondern Toshi.

„Crystal piano…!“, erriet dieser überrascht den Song und lehnte sich gegen den Rücken des anderen, während er auf einen geeigneten Einstieg wartete.
 

Sie spielten noch eine ganze Weile zusammen, ehe sie schließlich einvernehmlich entschieden, fürs erste aufzuhören, weil Yoshikis Handgelenke zu schmerzen begannen und Toshi dringend etwas Flüssigkeit brauchte, um seine Stimmbänder zu ölen. Während der Sänger sich etwas zu trinken holte und für den Jüngeren einfach auch direkt etwas mitbrachte, stand dieser auf, ging zu seinem Bett und ließ sich der Länge nach drauf fallen.

„Ich hab das Gefühl, gerade vier Stunden Art of Life gespielt zu haben“, seufzte dieser und streckte alle Viere von sich. „Aber es fühlt sich gut an!!“

„Dein Körper ist eh schon geschwächt und auch wenn es nicht unbedingt danach aussieht, Klavier spielen benötigt auch Kraft und Energie“, entgegnete der Ältere und kam mit einem Glas Wasser samt Strohhalm zu ihm, welches er ihm reichte, nachdem er sich auf gesetzt hatte. Dankend nahm Yoshiki es entgegen und trank mehrere kleine Schlucke.

„Wie fühlst du dich eigentlich?“, wollte Toshi wissen und legte dem Jüngeren kurz eine Hand auf die Stirn, doch diese fühlte sich halbwegs normal an. „Yocchan?“, hakte er erneut nach, als der andere nicht auf die Frage zu antworten schien und stattdessen irgendetwas Faszinierendes in seinem Glas gefunden haben musste.

„Was?“ Überrascht blickte er auf und sah fragend zu dem Älteren, der die Frage wiederholte. „Im Vergleich zu heute Nacht?“, hakte Yoshiki nach, wartete jedoch keine Antwort ab, sondern fuhr einfach fort, „Bedeutend besser, vor allem brummt mir der Schädel endlich nicht mehr. … Und wenn ich ehrlich bin… ich hab Hunger!“

„Du hast was?“, fragte Toshi lachend, „Ich glaube, das ist das erste Mal, seit ich dich gefunden habe, dass du sowas verspürst.“

„Du würdest dir ja nun auch nicht unbedingt den Magen vollschlagen wollen, wenn dir die ganze Zeit über flau ist!“, konterte der Größere und blies über den Strohhalm Blubberblasen in sein Wasser.

„Soll ich dir das Essen aufwärmen, das Fatima gestern vorbeigebracht hat?“

„Kannst du da dann auch gleich noch die ganzen Tabletten rein tun, wie bei der Matschbanane?“

„Ich weiß nicht unbedingt, wie die Inhaltsstoffe sich verhalten, wenn sie mit Wärme in Verbindung kommen, aber wenn du eh schon Hunger hast, kannst du ja hinterher noch einen Jogurt essen und ich misch dir da die Medikamente drunter.“

„Deal!“, stimmte Yoshiki ein und ließ sein Wasser erneut blubbern, während Toshi aufstand und zur Kochzeile ging, um sich um das Abendessen zu kümmern.
 

„Was wollte mein Bruder eigentlich?“, fragte der Jüngere nach einer Weile, als bereits der Geruch von Essen durch das kleine Cottage zog.

„Ich habe heute früh mit ihm telefoniert, damit er unseren Rückflug organisiert und Kouki hat mir vorhin die Abflugszeit mitgeteilt.“

„Hat er Freudensprünge gemacht, als du ihm gesagt hast, dass ich doch mitkomme?“, wollte Yoshiki wissen, zog die Knie an und schlang die Arme um sie.

„Schockiert trifft es wohl eher, weil ich ihm im Zuge dessen reinen Wein eingeschenkt habe, was dich anbelangt“, entgegnete Toshi und rührte in den Töpfen.

„Du hast…?“ Eigentlich wäre es ihm ja lieber gewesen, wenn niemand etwas davon erfahren hätte, damit er niemandem unnötigen Kummer bescherte, aber er schätzte, so wie er aussah, hätte er sowieso kein Geheimnis draus machen können. „Wie hat er reagiert?“

„Schwer zu sagen… irgendeine Mischung aus Unglauben und Sorge. Er wird die Info auch an deine Mutter sowie Heath, Pata und Sugizo weitergeben. Ich hoffe, das ist in Ordnung… aber ich dachte, da sie auch wissen, dass ich dich gefunden habe, sollten sie es auch wissen…“, antwortete der Ältere und blickte über seine Schulter kurz zu dem anderen, der sein Kinn auf die Knie gelegt hatte und an einen unsichtbaren Punkt an der gegenüberliegenden Wand starrte.

„Ist es… Und wann fliegen wir morgen?“

„15:24 Uhr vom Aéroport de Toulon-Hyères. “

„Hat Kouki mich noch auf dieselbe Maschine wie dich buchen können?“

„Wir fliegen mit deinem Privatjet“, entgegnete Toshi lachend, „da brauchen wir keine Tickets zu buchen. Wir brauchen lediglich eine Starterlaubnis und die haben wir um 15:24 Uhr.“

„Meinen Jet gibt es noch?“, fragte Yoshiki ganz überrascht, da er eigentlich davon ausgegangen war, dass dieser mit seinem Verschwinden verkauft worden war. Wozu sollte die Firma ein eigenes Flugzeug unterhalten, wenn derjenige, der es am meisten genutzt hatte, nicht mehr da war?

„Kouki nutzt ihn meistens, wenn er nach LA muss, um sich dort um die Sachen zu kümmern… Wobei ich selbst ihn ab und an auch genommen habe, um zwischen Tokyo, Frankreich und LA hin und her zu pendeln“, erklärte der Ältere schulterzuckend.

„Verstehe…………. Sag mal, Tocchi… was ich mich schon seit gestern gefragt habe…“

„Hm? Was?“

„Alle anderen scheinen sich ja ohne mich ein Leben aufgebaut und eine Familie gegründet zu haben… Was ist eigentlich mit dir? Du bist der Einzige, von dem ich nichts weiß… Hast du wie unsere Küken auch jemanden gefunden und rennt von dir in Tokyo vielleicht auch eine Miniversion herum?“

„Yocchan…“ Seufzend drehte sich Toshi um, um den anderen anzusehen, doch anstatt ihm in die Augen zu blicken, zog er es vor, auf seine Füße zu sehen. „Ich war fast ein Jahr lang im Krankenhaus und auf Reha. Sobald ich wieder halbwegs gut zu Fuß unterwegs war, hab ich mich auf die Suche nach dir gemacht…“

„Und während du nach mir gesucht hast, hast du dich in eine sexy Französin verliebt, die der eigentliche Grund war, weshalb du auf deine alten Tage noch Französisch gelernt hast“, schlussfolgerte Yoshiki, bekam von Toshi jedoch nur einen Blick zugeworfen, der genau ein Wort ersetzte, das er nicht aussprach: Trottel!

„Aber ja… ich habe jemanden gefunden…“

„Wusste ich es doch!“, rief der Jüngere aus und setzte sich im Schneidersitz hin, während er seinen besten Freund erwartungsvoll ansah. „Darf ich sie kennenlernen? Ich meine, ich muss sie schließlich abchecken, ob sie auch zu dir passt und ob sie nicht wieder so eine falsche Schlange wie diese Kaori ist! Bei der hab ich dir schließlich von Anfang an gesagt, dass ich da ein schlechtes Gefühl hab, aber du musstest sie ja unbedingt heiraten und wir wissen beide, dass das letztendlich ein Schuss in den Ofen war! Also? Wer ist sie? Ich will alle schmutzigen, kleinen Details wissen!“

„Es gibt keine Frau, Yocchan“, entgegnete Toshi kopfschüttelnd, „die Person, die ich gefunden habe, warst du… Ich habe dich gefunden…“

„… Oh…!“
 

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Da jetzt auch die Frage geklärt ist, ob Toshi mittlerweile vielleicht auch heimlich eine Familie gegründet hat, kann es im nächsten Kapitel endlich zurück nach Japan gehen. Ein Schritt, der für Yoshiki alles andere als leicht ist. Wird er im letzten Moment vielleicht noch einen Rückzieher machen und doch in Refuge bleiben? Was denkt ihr?
 

P.S.: Vielen Dank für mittlerweile über 100 Kommentare zu Shi Ans und für eure Treue! :)

Le Retour au Pays du Soleil Levant

@ Terra-gamy: Wenn dir die Musikszene so gut gefallen hast, dann kannst du dich noch auf eine weitere freuen. In einem späteren Kapitel gibt es nämlich noch einmal eine :)
 

@ sasu1: Soviel kann ich schon mal verraten, der Flug wird noch heftig werden…
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Keine Sorge, die Französischstellen sind mit diesem Kapitel eigentlich abgeschlossen :)
 

@ -Shin-: Danke, jetzt hab ich den Song auch im Kopf >_< asante sana squash banana wewe nugu mimi apana *mitsing*
 

@ Kaoru: Ähm… ich sag’s mal so: Die besten Y-T-Dialoge schreibe ich, wenn wir beide mal wieder ein paar Tage miteinander verbracht haben. Den Rest kannst du dir dann denken ;) Wobei die Matschbanane ein wenig an die Sellerie-Geschichte angelehnt war.
 

@ all: So, während ich die letzten Umzugskartons zuklebe, gibt es für euch das nächste Kapitel. Ich wünsch euch viel Spaß dabei!! :)
 

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Der Abreisetag begann genau so, wie Toshi gehofft hatte, dass er es nicht tun würde – Yoshiki war noch nicht einmal wirklich mit Frühstücken fertig, da hing er auch schon über der Kloschüssel und gab das Essen inklusive sämtlicher Medikamente sowie Blut wieder von sich. Zusätzlich reagierte sein Körper, wie zuvor auch schon, mit Fieber und Herzrasen. Alles zusammen keine Kombination, mit welcher Toshi seinen besten Freund gerne auf einen 12-stündigen Flug schickte.
 

Nachdem der Würgereiz schließlich nachgelassen hatte, verbrachte der Jüngere den restlichen Vormittag im Bett, wo er immer wieder wegnickte und unruhig schlief. Der andere hatte versucht, ihn dazu zu bringen, die erbrochenen Tabletten erneut zu sich zu nehmen, doch er hatte sich geweigert, aus Angst sich direkt wieder übergeben zu müssen. Alles Argumentieren hatte nichts geholfen, sodass Toshi es schließlich dabei belassen hatte und sich stattdessen daran machte, ihre Sachen zusammenzupacken. Da er seine Reisetasche nie wirklich ausgeräumt hatte, bestand da bei ihm nicht allzu viel Arbeit und als er die Schubladen der Kommode aufzog, in der der Jüngere seine Klamotten hatte, musste er feststellen, dass diese auch noch locker in seine Tasche passten, sodass er einfach alles nahm und einpackte. Größere Schwierigkeiten bereitete da schon die Suche nach Yoshikis Reiseunterlagen. Er hatte ihn bereits am Abend zuvor danach gefragt, doch der Jüngere war sich nicht wirklich sicher, wo er die hingetan hatte, da er sie schließlich seit Jahren nicht mehr gebraucht hatte. Wahllos begann Toshi diverse Schubladen zu öffnen und zu durchsuchen, doch wirklich viel fand er dabei nicht – erst recht keine Ausweispapiere. Schließlich stieß er jedoch auf den Geldbeutel des anderen, der zumindest eine Carte de Séjour [1] enthielt. Seufzend packte er wenigstens schon einmal das Portemonnaie sowie den Umschlag, den ihm Yoshiki für Fatima gegeben hatte, zu seinen eigenen Unterlagen in die Laptoptasche, als ihm einfiel, dass er in der seines besten Freundes noch nicht nachgesehen hatte. Kaum hatte er in das große Außenfach der Umhängetasche gegriffen, hatte er auch schon sämtliche Dokumente, die er brauchte, sodass er sie zu den seinigen packen konnzr und in eine der Innentaschen noch Yoshikis ganze Medikamente verstaute.
 

Am späten Vormittag weckte Toshi seinen besten Freund, damit sich dieser fertig machte und im besten Falle noch versuchte, wenigstens etwas Flüssigkeit zu sich zu nehmen, während er für sich selbst noch rasch eine Kleinigkeit zu essen zurecht machte und die restlichen Sachen aus dem Kühlschrank einfach in eine Stofftasche, die er gefunden hatte, packte, damit sie diese mitnehmen konnten und sie nicht schlecht wurden. Mit Sorgenfalten auf der Stirn beobachtete der Ältere wie sich Yoshiki durch das Cottage schleppte, sich scheinbar im Zeitlupentempo anzog, dabei immer wieder schmerzerfüllt das Gesicht verzog und sich schließlich stöhnend auf einen der Stühle fallen ließ. Angesichts der ganzen Tabletten, die der Jüngere sonst immer schluckte, wollte Toshi gar nicht wissen, wie er sich fühlen musste, wo er nun gänzlich ohne war.

„Ich hab Kouki eine Liste der Medikamente geschickt, die du nimmst, damit er sie an Doktor Hiraishi weiterleitet“, berichtigte der Kleinere in einem leisen Tonfall und strich sanft durch Yoshikis Haare, „Der Dok findet sicherlich welche mit denselben Inhaltsstoffen, die du dann intravenös bekommen kannst… Dann können sie wirken, auch wenn du dich übergibst.“

„Mhm…“, brummte der Jüngere und nippte ein wenig an einem Glas stillen Wasser, worüber Toshi schon einmal froh war, denn so trocknete er nicht aus. Wenn das nicht besser wurde, würde er ihn den ganzen Flug über einfach immer wieder zum Trinken animieren müssen.
 

Wenig später brachen sie zum Haupthaus auf, um das Gepäck im Wagen zu verstauen und sich von Lara und Fatima zu verabschieden. Toshi hatte vorgeschlagen, mit dem Auto hochzufahren, damit Yoshiki nicht laufen musste, doch dieser hatte gemeint, dass ihm die frische Luft sicherlich gut tun würde und der Weg nun auch nicht so weit wäre, sodass er ihn sicherlich schaffen würde. So hatte sich der Kleinere einen Teil der Taschen umgehangen, trug die restlichen in einer Hand und hatte die andere auf Yoshikis Hüfte gelegt, um ihn etwas zu stützen. Schließlich angekommen packte Toshi alles in den Mietwagen, als auch schon Fatima und Lara zur Haustür herauskamen, um sich zu verabschieden. Wie bereits am Tag zuvor angekündigt, war Ben nirgendwo zu sehen.
 

Der Kleinere machte als erster die Runde, wobei es ihm nicht sonderlich schwer fiel, auf Wiedersehen zu sagen, schließlich kannte er sie kaum. Er bedankte sich jedoch bei ihnen, dass sie Yoshiki bei sich aufgenommen und sich um ihn gekümmert hatten, und versprach, gut auf ihn aufzupassen und so schnell wie möglich mit ihm zurückzukommen.

Der Jüngere begann seine Verabschiedung bei Lara, die sich einfach schniefend an seine Brust warf und die Arme um ihn schlang. Und wenn Toshi richtig sah, dann rannen unter Yoshikis Sonnenbrille, die er aufgesetzt hatte, auch ein paar Tränen hervor. Er musste dem Teenager mehrmals versprechen, gut auch sich Acht zu geben und ganz schnell wiederzukommen, ehe sie gewillt war, ihn wieder los zu lassen. Während sie sich über die verheulten Augen wischte, zog Yoshiki aus seiner Hosentasche den Schlüssel zum Cottage heraus und gab ihn ihr.

„So kannst du Klavier spielen, wann immer du willst“, entgegnete er schief lächelnd und fuhr mit dem Handrücken kurz verstohlen über seine feuchten Wangen.

„Mach ich, versprochen! Und wenn du wieder hier bist, können wir an neuen Songs üben!“

„Machen wir, versprochen!“, antwortete der Jüngere und umarmte sie noch einmal.

„Hey, ist das nicht Bens Kette??“, fragte Lara überrascht, als sie sich wieder voneinander lösten, und griff nach dem silbernen Anhänger, der um Yoshikis Hals baumelte. Auch Fatima blickte erstaunt hin, hüteten ihre Kinder die Ketten schließlich wie Schätze und gaben sie nie aus der Hand.

„Ist es… er hat sie mir gestern gegeben und mich gebeten, sie ihm wiederzugeben, wenn ich zurückkomme.“

Einen Augenblick lang starrte Lara noch auf den Anhänger in ihrer Hand, dann ließ sie ihn los und griff unter ihre langen, schwarzen Haare in den Nacken, um den Verschluss ihrer eigenen Kette zu lösen. Als sie sie in der Hand hielt, trat sie einen Schritt auf Yoshiki zu, legte sie ihm um und verhakte das kleine Schloss wieder.

„Lara…“

„Gib sie mir wieder, wenn du wieder hier bist!“

„Werde ich… und ich werde gut darauf aufpassen, versprochen!“ Erneut umarmte er den Teenager und als er sich schließlich von ihr löste, konnte Toshi, der etwas abseits stand, erneut Tränen auf seinen Wagen sehen.

Als nächstes wandte sich Yoshiki Fatima zu, die ihn zwar anlächelte, deren Augen aber verräterisch glitzerten – schließlich wusste sie, dass dies unter Umständen ein Abschied für immer sein konnte.

„Pass auf dich auf, okay“, bat sie ihn und legte ihm beide Hände auf die schmalen Arme, während er die seinen auf ihre Taille legte.

„Mach ich… versprochen!“ Damit zog er sie an sich und hielt sie für einen Moment fest. „Danke für alles, Fatima. Wenn du mich damals nicht aufgesammelt hättest… ich wüsste nicht, was aus mir geworden wäre…“

„Keine Ursache“, entgegnete sie lächelnd, während Tränen über ihre Wangen rannen, „jederzeit… jederzeit, Yoshi…!“

„Danke…“ Er löste sich von ihr und hob zitternd seine Hand an, um mit dem Daumen vorsichtig ihre Tränen wegzuwischen. Es kostete ihn schon extrem viel Kraft, sich so gesund wie möglich zu geben, da er nicht wollte, dass sie sahen, wie schlecht er sich eigentlich fühlte, doch anscheinend reichte seine Energie nicht dazu aus, um sämtliche Anzeichen von Schwäche zu unterdrücken.

„Sag deiner Familie bitte, dass sie mir hier jederzeit willkommen sind. Nun da sie dich nach so langer Zeit endlich wieder haben, du aber nicht auf Dauer in Japan bleiben willst, wollen sie dich sicherlich öfters mal besuchen kommen“, bat Fatima ihn und strich mit ihrer Hand kurz über seine Wangen, sodass seine Tränenspuren ebenfalls weg waren.

„Werde ich…“
 

Sie ließ ihren Arm fallen und musterte ihn noch einmal von Kopf bis Fuß, ehe sie ihn anlächelte und dann zu Toshi sah. Yoshiki folgte ihrem Blick und nickte leicht.

„Ich sollte wohl besser…“ Langsam ging er zu seinem besten Freund, der beim Auto stand und auf ihn wartete. Als er bei ihm war, legte ihm dieser eine Hand auf die Schulter, die er kurz drückte, ehe er ihm in einer bestätigenden Geste über den Rücken strich und dann zur Fahrertür ging, um einzusteigen, während Yoshiki noch einmal zu Lara und Fatima blickte, die beide gegen die Tränen zu kämpfen schienen. Er winkte ihnen kurz zu und ging dann zur Beifahrerseite, um sich ebenfalls ins Auto zu setzen. Als er sich angeschnallt hatte, startete Toshi den Motor, parkte aus und fuhr dann langsam in Richtung Ausfahrt, während sich sein bester Freund im Sitz umdrehte und durch die Rückschutzschreibe sehen konnte, wie ihnen Mutter und Tochter hinterher winkten. Erst als sie so klein geworden waren, dass er sie nicht mehr klar ausmachen konnte, setzte er sich wieder normal hin, nahm die Sonnenbrille ab und ließ den Tränen freien Lauf, die er bis dato zurückgehalten hatte, um den Abschied nicht noch schlimmer zu machen, als er sowieso schon war. Toshi bog unterdessen auf die eigentliche Straße ab und blickte aus dem Augenwinkel immer wieder zu dem Jüngeren, den er leise schluchzen hörte, während er sich die Hände vors Gesicht hielt und seine Schultern unkontrolliert bebten. War es wirklich die richtige Entscheidung, ihn in seinem Zustand noch aus seiner gewohnten Umgebung zu reißen? Kurz bevor sie das eigentliche Dorf erreichten, entschied sich der Kleinere den Wagen am Straßenrand anzuhalten. Als sie standen, drehte er sich zu Yoshiki und zog ihn, so gut es mit Gurt ging, in seine Arme.

„Willst du hierbleiben, Yocchan? Soll ich dich zurückfahren?“, fragte er leise und hielt den zitternden Körper fest, der jedoch leicht den Kopf schüttelte, obwohl Toshi fast damit gerechnet hätte, dass er nicken würde.

„Ich… ich will bei dir sein“, verneinte Yoshiki zwischen mehreren Schluchzern, „und… und wenn ich das nur kann… wenn… wenn ich mit dir nach Japan… komme… Es… es tut nur so… weh… Das… das hier war mein Zuhause… für drei Jahre…“

„Du wirst wiederkommen, das versprech ich dir“, flüsterte Toshi in sein Ohr und strich ein paar Tränen weg, während er den Jüngeren weiter im Arm hielt und ihn zu trösten versuchte. Nach ein paar Minuten löste sich der Größere schließlich von ihm und setzte sich wieder richtig hin.

„Du musst… meinetwegen hier nicht am Straßenrand… stehen, Tocchi“, äußerte er leise mit brüchiger Stimme und wischte sich über die Augen, „wir haben schließlich… einen Flug, der auf uns wartet… Lass… lass mich hier einfach noch ein wenig heulen… du kannst derweil weiterfahren…“

„Ganz sicher?“, hakte Toshi noch einmal nach und strich über die zitternde Schulter des anderen. Statt zu antworten, nickte Yoshiki nur kurz mit dem Kopf, sodass sich der Ältere wieder richtig hinters Steuer setzte, die Handbremse löste und wieder anfuhr.
 

Nach einer guten Stunde Fahrt kamen sie schließlich in Hyères an und Toshi tankte noch schnell den Mietwagen voll, ehe er die letzten Kilometer zum Flughafen zurücklegte und das Auto dort auf den Parkplatz fuhr, um es der Firma, von der er es geliehen hatte, wieder zurückzugeben. Der Jüngere hatte sich während der Fahrt in den Schlaf geweint, sodass der Ältere entschied, ihn erst zu wecken, wenn sämtliche Formalitäten erledigt waren und er auch das Gepäck holte. Die Unterlagen waren schnell alle durchgegangen und ein Mitarbeiter untersuchte das Auto auf etwaige Dellen und Kratzer, konnte jedoch nichts nennenswertes feststellen, sodass Toshi den Schlüssel abgab, seine Kaution zurück erhielt und dann mit einem Gepäckwagen zum Wagen zurückkehrte.

„Yocchan, aufwachen…!“ Sanft strich der Ältere über Yoshikis Wange, bis dieser anfing, leicht zu blinzeln und schließlich die Augen müde einen Spalt öffnete.

„… Tocchi…?“

„Wir sind am Flughafen“, teilte er ihm mit und drückte kurz seine Schulter, „Werd erst einmal wach, ich räum derweil den Wagen aus…“

„Mhm…“, brummte der Jüngere verschlafen und suchte mit der Hand nach dem Sicherheitsgurt, um diesen zu lösen. Als er sich befreit hatte, streckte er sich gähnend, nur um sich direkt die Hände am Dach anzuhauen. „Au…!“

„Alles okay?“, hakte Toshi vom Kofferraum aus nach, da er ihn gehört hatte.

„Auto ist zu niedrig“, nuschelte Yoshiki und kuschelte sich wieder in seinen Sitz. So mies, wie er sich fühlte, würde er am liebsten einfach weiterschlafen, um so wenig wie möglich zu spüren. Als der Ältere dann gleich darauf den Kofferraumdeckel zuschlug, zuckte er kurz zusammen und stöhnte vor Schmerz leise auf, weil das Geräusch einfach viel zu laut war.

„Wie geht es dir?“, wollte Toshi besorgt wissen, als er sämtliche Taschen auf dem Gepäckwagen verstraut hatte und wieder zu Yoshiki gekommen war.

„Grauenhaft… mir ist schlecht… mein Kopf tut weh…“

„Je nachdem wie lange das beim Emmigration Office dauert, sind wir in 30 bis 45 Minuten im Jet… denkst du, du hältst es noch so lange aus, oder willst du davor noch auf eine Toilette und dich übergeben?“

„Geht schon…“

„Okay, dann komm raus, damit wir uns auf den Weg machen können“, äußerte Toshi, lächelte ihn aufmunternd an und hielt ihm eine Hand hin, die Yoshiki auch ergriff, sodass der Kleinere ihn aus dem Auto ziehen konnte. Kaum stand er auf eigenen Füßen, hielt er sich erst einmal an den Schultern des anderen fest, da sich alles drehte.

„Geht es?“, fragte der Ältere und hielt ihn zusätzlich mit einer Hand fest. Nach ein paar Minuten nickte der Jüngere schließlich, sodass Toshi die Beifahrertür schloss und ihn zum Gepäckwagen dirigierte, auf dem noch einiges an Platz war. „Setz dich drauf, ich fahr dich!“

Ohne Widerworte machte es sich Yoshiki darauf bequem, beziehungsweise so gemütlich wie es eben ging, wenn man überall von Metallstangen gepiekt wurde. Aber wenigstens musste er nicht laufen, auch wenn der Trolli eine ziemlich holprige Angelegenheit war, weil er jede noch so kleine Unebenheit spürte und sie seinem sowieso schon gereizten Magen alles andere als gut tat. Er hatte keine Ahnung, wie lange Toshi ihn über das Flughafengelände schob und wo genau sie überhaupt waren, da er mit seiner Sonnenbrille herumspielte und die Bügel zuklappte, nur um sie gleich darauf wieder aufzuklappen. So war er wenigstens abgelenkt und dachte nicht die ganze Zeit darüber nach, dass seine Übelkeit mit jedem Holpern schlimmer wurde. Schließlich schien die Fahrt jedoch zu Ende zu sein, da sie wie schon einige Male zuvor stehen geblieben waren, Toshi diesmal jedoch nicht direkt weiterschob, als er auf einem Schild gefunden hatte, was er gesucht hatte, sondern sich stattdessen mit einer Frau in Uniform kurz auf Französisch unterhielt, ihr irgendwelche Sachen in die Hand drückte.
 

„Okay, Yocchan, Endstation“, wandte sich der Ältere in Japanisch an ihn und hielt ihm, wie vorhin beim Auto auch schon, die Hand hin, um ihn hochzuziehen.

„Wo sind wir?“, fragte Yoshiki und blickte sich suchend um, während er seine Sonnenbrille aufsetzte und dann mit Toshis Hilfe aufstand, wobei ihm erneut leicht schwindelig wurde. Soweit er es sehen konnte, standen sie vor irgendeinem Glasbau, während die Frau von eben kurz die Dokumente, die sich bei genauerem Hinsehen als ihre Reiseunterlagen herausstellten, durchsah. Der Ältere, der ihre Laptoptaschen sowie die Stofftasche vom Gepäckwagen nahm, hatte ihm gestern Abend noch berichtet, dass er nach einer langen Suchaktion schließlich auf seine Ausweisdokumente gestoßen war.

„VIP-Lounge“, erklärte Toshi und legte Yoshiki einen Arm um die Hüfte, um ihn zu stützen und folgte mit ihm der Frau, die den Gepäckwagen hineinschob und ihnen mitteilte, dass sie es sich in der Lounge gemütlich machen sollten, sie würde sich um alles kümmern und dann zu ihnen zurückkommen.

„Lange her, dass ich in so einer war“, äußerte der Größere und kuschelte sich so an seinen besten Freund, dass er seinen Kopf auf dessen Schulter legen konnte, als sie sich in einer der Sitzecken niedergelassen hatten.

„Was macht die Übelkeit?“, hakte Toshi nach und strich über den Oberarm des anderen.

„Mir ist schlecht…“

„Dort drüben sind die Toiletten“, entgegnete der Ältere, als er die entsprechenden Schilder ausfindig gemacht hatte, und deutete in die angegebene Richtung.

„Geht schon…“, brummte Yoshiki und schloss halb die Augen, als er hören konnte, wie sich Stöckelschuhe klappernd näherten. Vielleicht waren ihre Papiere ja schon fertig und sie konnten in den Jet… Stattdessen war es jedoch nur eine Angestellte, die wissen wollte, ob sie ihnen etwas zu trinken bringen könnte.

Toshi bestellte für sich zunächst einen Kaffee, musste diesen dann jedoch wieder streichen, weil sich sein bester Freund beklagte, dass er dann die ganze Zeit furchtbaren Kaffeeatem hätte. Stattdessen entschied er sich für einen Früchtetee, während er für Yoshiki einfach Kamillentee orderte.

„Ich will aber nichts trinken…“

„Du musst, damit dein Körper nicht austrocknet. Und außerdem wird der Kamillentee deinem Magen gut tun“, entgegnete der Ältere ungerührt und bezahlte rasch, als die Servicedame mit den Bestellungen wieder kam.

„Ich kotz trotzdem…“, beharrte der andere und setzt sich wieder aufrecht hin, damit Toshi richtig nach der Tasse greifen konnte, an welcher er kurz nippte, während er ihn aus dem Augenwinkel heraus anblickte.

„Probier es wenigstens, Yosh! Wenn du was in dir behältst, dann ist es gut und wenn nicht, dann erbrichst du es eben wieder…“, entgegnete der Kleinere und stellte seine Tasse wieder beiseite, nur um nach Yoshikis zu greifen, ein wenig von dem Tee auf den Löffel zu tun, ihn kurz zu bepusten und ihn ihm anschließend hinhalten.

„Toshi“, versuchte es der Jüngere mit einem extra quengeligen Tonfall, aber sein bester Freund bestand darauf, sodass er vorsichtig den Tee vom Löffel schlürfte. Er musste insgeheim gestehen, dass die Flüssigkeit gut tat, da sich sein Mund die ganze Zeit über schon so trocken angefühlt hatte.

„Und?“

„Gib die Tasse her!“
 

Während Toshi die letzten Tropfen seines Tees trank und Yoshiki seinen eigenen im Schneckentempo auslöffelte, kam die Flughafenangestellte zurück, um ihnen ihre Ausweisdokumente zurückzugeben und ihnen mitzuteilen, dass der Shuttleservice zum Flieger für sie bereit stand. Kaum hatten sich die beiden jedoch erhoben, merkte der Jüngere schon, wie das Blut aus seinem Kopf viel zu schnell nach unten sackte, ihm in einer Sekunde erst schwindelig und in der nächsten regelrecht schwarz vor Augen wurde. Halt suchend streckte er eine Hand nach seinem besten Freund aus, der auch direkt bei ihm war und ihn festhielt, da er gesehen hatte, wie sehr Yoshiki schwankte und wie er die Augen zusammenkniff.

„Yocchan?“

„… so schwindelig…“

Rasch hängte sich Toshi mit einer Hand das gesamte Handgepäck um, nur um im nächsten den Jüngeren im Brautstil hochzuheben und der Flughafenangestellten in Richtung Rollfeld zu folgen.

„Lass die Augen erst einmal zu…“

„… so schlecht…“

„Wir sind gleich im Jet…“ Dankend lächelte er der Dame zu, als sie ihm die Tür aufhielt und er nach draußen zu dem Bus trat, der ihn zu dem Privatflugzeug bringen würde. Es war einer dieser Linienbusse, der auch Touristen zu ihren Ferienfliegern fuhr, sodass er sich für die kurze Fahrt in eine der Vierersitzgruppen setzte, während sich Yoshiki auf seinem Schoß befand.

„Mach mal vorsichtig die Augen auf“, bat er den Jüngeren und strich zärtlich über dessen Wange, als dieser ganz langsam die Lider öffnete. „Besser?“

„… schlecht…“, seufzte er leise und lehnte seinen Kopf gegen Toshis Schulter. Zumindest drehte sich nicht mehr alles wie bei einer wilden Achterbahnfahrt.

„Musst du kotzen?“

„… glaub schon…“

„Wir sind gleich da. Ich kann den Jet schon sehen“, versicherte der Ältere ihm und stand auf, wobei er ihn erneut trug, da der Bus zum Stehen gekommen war und sich die Türen geöffnet hatten. Schwach nickte Yoshiki gegen seine Schulter und schloss halb die Augen. Er wollte einfach nur, dass das ganze aufhörte, dass sein Kopf nicht mehr höllisch weh tat, dass ihm nicht mehr so furchtbar übel war, dass er sich nicht mehr so schlapp fühlte…
 

Vorsichtig erklomm Toshi die schmale Flugzeugtreppe und ignorierte fürs erste die Crew, die bei der Tür stand, um ihn zu begrüßen. Stattdessen führte sein erster Weg zu der großzügig geschnittenen Bordtoilette, wobei er feststellen musste, dass der Privatjet eindeutig nicht dafür geplant worden war, dass man in dem Gang einen anderen Menschen trug, da er ständig mit Yoshikis Füßen irgendwo hängenblieb. Ein Meter mehr in der Breite hätte sicherlich nicht geschadet!
 

Kaum hatte er den Jüngeren heruntergelassen, hing dieser auch schon über der Schüssel und gab den eben erst getrunkenen Tee wieder von sich. Auf den letzten Metern hatte Toshi bereits gemerkt, wie ihn der Würgreflex überkommen hatte und gedanklich war er ihm äußerst dankbar, dass er ihn für einen Moment noch hatte unterdrücken können.

„Ich bin gleich wieder da“, teilte er Yoshiki mit, strich kurz über seine zitternde Schulter und verschwand schnell nach draußen, um endlich die ganzen Taschen loszuwerden, deren Gurte bereits unangenehm in die Haut geschnitten hatten.

„May I take your bags?“, wurde er auch direkt von Stewardess Katy empfangen, die mit gebührendem Abstand gewartet hatte. Sie, sowie der Pilot und Co-Pilot gehörten zu jener Crew, die bereits vor dem Verschwinden des Jüngeren jahrelang für diesen gearbeitet hatten.

„That’d be nice, thank you!“ Damit gab er ihr die Laptoptaschen und die Stofftasche, nickte dem Piloten, den er am anderen Ende des Ganges sah, noch kurz zur Begrüßung zu, ehe er wieder zu Yoshiki in die Bordtoilette ging, wo dieser am Boden lag und sich zusammengerollt hatte. Die Sonnenbrille, die er bis eben noch getragen hatte, lag neben ihm, sodass der andere sie aufhob und auf der Ablage neben dem Waschbecken beiseitelegte. Nur zu deutlich konnte man die Geräusche hören, die er beim Atmen machte und an seinem Mund konnte Toshi etwas Blut ausmachen, als er jedoch kurz in die Schüssel sah, war dort nichts zu sehen, da der andere bereits gespült hatte.

„Yocchan!“ Er war bei ihm niedergekniet und richtete seinen Oberkörper, damit er besser Luft bekam. „Was ist los? Weshalb liegst du hier am Boden?“ Als er nicht direkt reagierte, schüttelte er ihn leicht und klopfte mit dem Handrücken gegen die blassen Wangen, was schließlich dazu führte, dass dieser kurz leicht den Kopf anhob, um ihn müde anzublicken, ihn gleich darauf jedoch wieder gegen seine Brust sacken ließ. Besorgt fühlte Toshi an der Stirn nach seiner Temperatur, die eindeutig erhöht war, und tastete am Hals dann nach einem Puls, wobei er Yoshikis schnellen Herzschlag alles andere als beruhigend fand.

„Ach Yocchan“, seufzte der Ältere und drückte ihn an sich, „Was soll ich nur mit dir machen?“ Er war sich sicher, dass es ihm besser gehen würde, wenn er seine Medikamente nahm, aber auf dem Ohr war er schließlich taub und wenn er sich ansah, was ein bisschen Kamillentee ausgelöst hatte, konnte er ihn langsam auch verstehen. Er musste ihn einfach so schnell wie möglich nach Japan zu Doktor Hiraishi bringen, damit er alles, was er benötigte, intravenös bekam.

„Los, hoch mit dir!“ Damit stand Toshi auf und zog den anderen, dem er unter die Arme gegriffen hatte, mit sich hoch. Sobald er stand, hielt er ihn an der Hüfte fest, damit er nicht wieder zu Boden ging.

„Hast du dir den Mund schon ausgespült?“ Als Yoshiki nur schwach den Kopf schüttelte und eigentlich nur wie totes Gewicht an ihm hing, angelte er sich mit der freien Hand eines der bereit stehenden Gläser, füllte es mit Wasser und hielt es dem Größeren an die Lippen, damit er den Geschmack von Erbrochenem in seinem Mund loswerden konnte. Vorsichtig nahm er einen Schluck und spuckte die klare Flüssigkeit gleich darauf wieder aus, wobei sie einen leicht rötlichen Teint hatte. Anschließend zog Toshi aus dem Handtuchspender mehrere Papiertücher heraus, die er leicht befeuchtete, um damit zunächst die glühende Stirn des anderen abzutupfen und dann noch die Blutspuren an seinem Mund zu beseitigen. Nachdem er das Papier weggeworfen hatte, dirigierte er Yoshiki hinaus und zum nächstbesten Sitz, auf welchem er ihn absetzte.
 

„Ich bin gleich wieder da“, entschuldigte er sich und verschwand rasch nach vorne ins Cockpit, um mit dem Piloten zu sprechen. Unterdessen tastete der andere an der Seite des Sitzes herum. Wenn er sich recht entsann, dann war da ein Knopf, damit die Lehne nach hinten ging, sich ein Fußteil ausklappte und er flach liegen konnte. Nach einigem blinden Tasten hatte er ihn schließlich gefunden und war froh, als er sich schließlich auf dem schmalen Bett zusammenrollen konnte. Er konnte sich nicht entsinnen sich schon jemals so grauenhaft und gleichzeitig so verloren gefühlt zu haben… Das unglaubliche Pochen in seinem Kopf war kaum auszuhalten, sein Rachen brannte vom ständigen Erbrechen fürchterlich und in der Brust und im Bauch hatte er dumpfe Schmerzen, die er nicht wirklich zuordnen konnte. Wenn er Luft holte, hatte er generell den Eindruck, als müsste er gegen einen Widerstand atmen, der entweder keinen Sauerstoff in seine Lungen ließ oder verhinderte, dass das Kohlenstoffdioxid wieder ausströmte. Und zu alledem kam hinzu, dass er zurück in einem Umfeld war, das er eigentlich für immer hinter sich gelassen hatte und welches nun irgendwie so groß und bedrohlich auf ihn wirkte. VIP-Lounges, Privatjets, Angestellte – das alles war Teil von YOSHIKIs Welt gewesen, doch YOSHIKI hatte er schon vor Jahren umgebracht. All das war kein Bestandteil seines neuen Lebens, das aus dem Cottage, dem Meer und dem Klavierunterricht bestand. Verglichen mit seinem alten Dasein, wirkte sein jetziges so klein, dass er sich nun, da er sich wieder mitten darin befand, verloren vorkam. Zumindest Toshi schien sich darin gut zu Recht zu finden, weshalb er auch hoffte, dass sein bester Freund schnell wieder kommen würde. Wenn er an seiner Seite war, dann fühlte er sich nicht ganz so klein und hatte zudem das Gefühl, dass er sicher vor der Welt war, weil der Ältere ihn beschützen würde.
 

„Yocchan…?“ Toshi war zurückgekommen, setzte sich in den Ledersessel neben dem Jüngeren und beugte sich zu ihm.

„Tocchi…“ flüsterte Yoshiki leise und drehte den Kopf in Richtung seines besten Freundes, der in einer beruhigenden Geste leicht über seine Wange streichelte. „Ich war gerade vorne im Cockpit“, berichtete er in einem gedämpften Tonfall, „wir werden pünktlich in 15 Minuten starten und gegen Mittag japanischer Zeit auf einem kleinen Flughafen nahe Saitama landen.“

„Saitama…?“

„Auf größeren Flughäfen um Tokyo herum ist mir die Gefahr zu groß, dass dich vielleicht irgendwer erkennen könnte, deshalb landen wir außerhalb. Von dort werden wir dann abgeholt und nach Shibuya gebracht.“

Angesichts dieser Information nickte Yoshiki nur leicht und schloss erschöpft die Augen, nur um sie direkt wieder ein wenig zu öffnen, als er spürte, wie die Armlehne zwischen den beiden Sitzen hochgeklappt wurde. Im nächsten Moment hatte Toshi seinen Sessel ebenfalls nach hinten geklappt und schob seinen rechten Arm unter den Kopf des Jüngeren, damit dieser etwas höher lag und er leichter Luft bekam. Dankend blickte er ihn an und senkte dann erneut die Lider, während er so weit wie möglich in die Richtung seines besten Freundes rutschte, der ihm in einer beschützenden Geste die andere Hand auf den abstehenden Beckenknochen legte.
 

Wenig später hob der Privatjet pünktlich ab und sobald sie ihre Reiseflughöhe erreicht hatten, stellte Toshi Yoshikis Sitz wieder flach, da die Sessel für den Start aufrecht hatten sein müssen. Der Jüngere bekam davon nicht wirklich etwas mit, da er mehr schlief, als dass er wach war. Als der Ältere es sich wieder in seinem Sitz bequem gemacht hatte, griff er nach der Hand des anderen und verschränkte ihre Finger, während er aus dem Fenster blickte und zusah, wie Frankreich unter ihnen immer kleiner wurde. Er konnte nur hoffen, dass er seinen besten Freund auch tatsächlich in jenes Leben würde zurückbringen können, aus welchem er ihn nun herausgerissen hatte…
 

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[1] Carte de Séjour = Aufenthaltsgenehmigung
 

Ab dem nächsten Kapitel sind wir dann wieder in Japan. Was denkt ihr, wie es dort ablaufen wird? Wird am Ende vielleicht sogar noch Toshis Albtraum war und die Presse bekommt Wind von allem?

Le Retour de l’Enfant Prodigue

@ Asmodina: Sorry, dass das Warten ein wenig länger gedauert hat >_<
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: *g* Und mich stört es, wenn etwas auf ein Land ausgerichtet ist und das nicht durchkommt, von daher gibt es bei Shi Ans so viel Französisch.
 

@ hide_sama: Ich bin mal lieb und verrate, dass das mit der Presse eine falsche Fährte war ^.~
 

@ -Shin-: Wie das in Japan wird? Lustige Momente sind auf jeden Fall dabei, so viel kann ich versprechen!^^
 

@ Terra-gamy: Toshi ist eh der Ritter in der schimmernden Rüstung (schon mal alleine deswegen, weil Yoshiki die bessere Prinzessin ist) ^.~
 

@ all: Ach herrje, sind schon wieder 4 Wochen vergangen?! So lange wollte ich euch doch eigentlich gar nicht warten lassen… Aber irgendwie hab ich mit dem Umzug und dem einhergehenden Chaos ein wenig die Zeit aus den Augen verloren… Ich werde auf jeden Fall versuchen, mich zu bessern und wieder in den 2-Wochen-Rhythmus zu finden!
 

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Die untergehende Sonne am Horizont tauchte das Innere des Privatjets in ein rötliches Licht, als Toshi Yoshiki weckte. Letzterer hatte seit dem Start in Frankreich in eine Decke eingerollt und in ein Kissen gekuschelt geschlafen, welche der Ältere von der Stewardess erbeten hatte. Allerdings diente das Nackenkissen hauptsächlich dazu, dass der andere höher lag und leichter Luft bekam. Im Schlaf hatte er immer wieder leise gewimmert, was Toshi jedes Mal dazu gebracht hatte, seinen Sessel ebenfalls nach hinten zu klappen und seinen besten Freund im Arm zu halten, bis er wieder ruhiger wurde.

Nun, als er ihn weckte, da es Abendessen gab, blinzelte der Jüngere müde und öffnete seine Augen einen kleinen Spalt.

„Tocchi…?“

„Es gibt Essen.“ Da er nicht davon ausging, dass Yoshiki allzu viel runterbringen würde – wenn er ihn denn überhaupt dazu bringen konnte – hatte er Katy in weiser Voraussicht gebeten, nur eine Mahlzeit aufzuwärmen. Er würde mit dem anderen teilen und sollte er ihm widererwarten doch mehr wegessen, würde eben einfach die zweite Portion aufgewärmt werden.

„Will nichts…“, nuschelte der Jüngere und verkroch sich tiefer in seiner Decke, während er die Augen wieder schloss und hoffte, möglichst schnell wieder einschlafen zu können. Sein Kopf fühlte sich im Vergleich zu den Schmerzen ein paar Stunden zuvor, oder wie lange es auch immer her war, seit sie gestartet waren, etwas besser an und die Übelkeit war einem flauen Gefühl gewichen. Dafür tat alles andere aus irgendwelchen Gründen weh, die ihn nicht wirklich interessierten, würden sie ihm doch nicht die Lösung liefern, wie er die Schmerzen wieder los wurde. Zu alldem kam hinzu, dass sein Mund völlig trocken war, er aber befürchtete, sich nur wieder übergeben zu müssen, wenn er um etwas zu trinken bat, und er sich zeitgleich völlig erschöpft fühlte, sodass er generell bezweifelte, dass er überhaupt ein Glas Wasser in den Händen halten könnte, wenn er denn etwas wollte, um seinen Mund zu befeuchten.

„Du musst etwas zu dir nehmen, damit du wieder zu Kräften kommst“, argumentierte Toshi seufzend und strich über die blasse Wange des anderen, die sich unter seiner Hand deutlich erwärmt anfühlte. „Dein Körper ist geschwächt und ausgetrocknet… du musst versuchen, wenigstens eine Kleinigkeit zu essen und zu trinken!“ Doch statt einer Einwilligung, schüttelte Yoshiki nur stur den Kopf und zog sich die Decke bis zur Nasenspitze. „Yocchan…“ Was sollte er nur mit ihm machen?

Kopfschüttelnd beugte er sich über den Jüngeren und suchte an dessen Sitz nach dem Knopf, um diesen wieder gerade zu stellen, was den anderen zumindest schon einmal dazu brachte, dass er mürrisch die Augen öffnete, als er plötzlich aufrecht saß und nicht mehr lag.

„… gemein…“

„Ich verlange ja nicht, dass du den ganzen Teller isst, aber wenigstens ein bisschen was von dem Reis und vielleicht noch ein wenig von dem Lachsfilet und dem Gemüse“, entgegnete Toshi, während er sich wieder richtig hinsetzte und nach der Gabel angelte, um ein paar Reiskörner drauf zu schieben und diese dann Yoshiki hinzuhalten. Dieser schüttelte jedoch nur erneut den Kopf, fragte durch die Decke hindurch aber, ob er vielleicht nicht erst einmal mit Wasser anfangen könnte. Er hoffte, dass Toshi dann vielleicht Ruhe geben würde und er um das Essen herumkäme.

„Wasser? … okay!“ Somit aß er selbst die paar Reiskörner, die auf der Gabel waren und rief dann in Englisch Katy zu, dass sie ein Glas Evian mit Strohhalm bringen sollte, was sie auch sofort tat, sodass der Jüngere zunächst einmal sein Getränk anstarrte, während der Kleinere ihn im Auge behielt und gleichzeitig sein Abendessen aß. Zwar wäre es ihm bedeutend lieber, wenn der andere Kohlenhydrate zu sich nähme, aber Flüssigkeit war immerhin schon einmal ein Anfang.
 

Nur widerwillig schälte sich Yoshiki aus seiner Decke und vermisste sie auch direkt, als sie in seinem Schoß lag, da ihm nun an den Oberarmen und der Brust kalt war. Zitternd nahm er das Glas an sich und führte den Strohhalm zu den Lippen, um einen kleinen Schluck zu trinken, der augenblicklich dafür sorgte, dass sich sein Mund nicht mehr ganz so stark nach Sandpapier anfühlte. Sofort zog er noch mehr Wasser hoch und schluckte es, in der Hoffnung, das Gefühl komplett loszuwerden. Außerdem merkte er jetzt erst, wie durstig er eigentlich war, weil er die ganze Zeit über nichts getrunken hatte. Er wollte noch mehr zu sich nehmen, als Toshi ihm plötzlich den Strohhalm aus dem Mund zog.

„Hey…!“ Erst riss er ihn aus dem Schlaf, weil er ja unbedingt essen sollte und nun rang er sich schon dazu durch, etwas zu trinken, und plötzlich passte ihm das auch nicht.

„Nicht so viel auf einmal… ansonsten rebelliert nur dein Magen“, entgegnete der Ältere und nahm ihm das Glas aus der Hand, um es wieder auf den Tisch zu stellen.

„Hab Durst…“, schmollte Yoshiki leise und zog sich wieder die Decke bis zur Nasenspitze. „Wer hat eigentlich die Klima auf Eisschrank gestellt?“

„Eigentlich ist die Temperatur im Jet angenehm“, äußerte Toshi mit hochgezogener Augenbraue, „dein Körper kämpft lediglich mit Fieber und gaukelt dir was anderes vor.“

„Ist trotzdem kalt…“

„Katy, can you please turn up the heating?! Thanks!”, rief der Kleinere der Stewardess zu und wandte sich dann wieder dem Teller vor sich zu.

„Danke, Tocchi…“

„Das Essen ist übrigens auch warm… würde dich sozusagen von innen wärme“, versuchte er erneut, Yoshiki zum Essen zu bewegen und grinste ihn kurz an, eine Geste, die der Jüngere sogar leicht erwiderte, nachdem er sich erneut ein wenig aus der Decke geschält hatte und nach Toshis Hand griff.

„Ich ess aber nur einen kleinen Bissen“, entgegnete er und nahm die Gabel, mit welcher er einige Reiskörner in seinen Mund beförderte.

„Und? War es jetzt so schlimm?“, wollte der andere schmunzelnd wissen, nachdem Yoshiki herunter geschluckt hatte.

„Noch häng ich ja nicht schon wieder über der Kloschüssel…“

„Mach einfach langsam“, äußerte Toshi, als sich der andere entgegen seiner vorherigen Ankündigung eine weitere Gabel mit etwas Reis in den Mund schob. Angesichts dessen wie er jedoch zitterte, beschloss der Ältere ihm lieber das Besteck abzunehmen, ehe er noch den Reis überall verteilte. Stattdessen gönnte er sich selbst ein paar Bissen von seinem Essen, bevor er Yoshiki ein wenig Reis vermischt mit Lachs hinhielt, der diesen entgegen seiner Erwartungen sogar anstandslos aß.

„Wie fühlst du dich eigentlich?“

„Ein wenig besser“, antwortete der Jüngere nachdem er hinuntergeschluckt hatte, „…. aber so schlapp und müde...“

„Hast du Schmerzen?“

„Wie kommst du darauf?“

„Du hast im Schlaf immer wieder wie vor Schmerzen gewimmert…“, erklärte Toshi besorgt und setzte ein fragendes „Yocchan…?“ hinterher, als der andere nicht direkt reagierte.

„Mein Kopf bringt mich nicht mehr ganz so arg um… dafür tut alles andere irgendwie weh… ich kann es nicht richtig zuordnen…“

„Du solltest deine Medikamente nehmen, dann wäre es sicherlich besser…“

„Die krieg ich nicht runter“, entgegnete er, nachdem er eine weitere Gabel Reis, die Toshi ihm hingehalten hatte, heruntergeschluckt hatte.

„Dann nimm nur die kleinen…“

„Die großen unterdrücken die allergischen Reaktionen auf die Schmerzmittel… ich muss sie nehmen“, erklärte Yoshiki und stellte seinen Sitz wieder in eine liegende Position, da er einfach nur wieder schlafen wollte. Außerdem waren die Schmerzen im Bauchbereich erträglicher, wenn er nicht saß.

„Genug?“, hakte der Ältere nach als er sah, dass er sich wieder hinlegte, sodass er nur nickte und ihn bat, ihn nicht dazu zu zwingen noch mehr zu essen oder die Tabletten zu schlucken. Er war schon froh, dass er das bisschen, was er zu sich genommen hatte, nicht gleich wieder von sich gegeben hatte.
 

„Versuch zu schlafen, okay?“, entgegnete Toshi und lächelte ihn aufmunternd an, widmete sich dann aber wieder seinem Essen, wobei er ab und an zu seinem besten Freund blickte, der sich auf der Seite, die ihm zugewandt war, zusammengerollt und sich erneut in seine Decke gekuschelt hatte. Als Katy wenig später den Tisch abräumte, bat er sie noch, eine zweite zu bringen, was sie auch sofort tat, sodass er sie vorsichtig über Yoshiki ausbreiten konnte. Anschließend holte er leise seine Laptoptasche, die unter dem Tisch gestanden hatte, hervor, packte das schmale Netbook aus und startete es, um noch rasch seine E-Mails zu kontrollieren, ehe er ebenfalls versuchen würde, ein wenig zu schlafen, um nicht völlig gejetlagged in Tokyo anzukommen. Er wollte gerade sein Passwort eingeben, als ein leises „Tocchi“ ihn davon abhielt.

„Yocchan… bist du wach?“, fragte er mit gedämpfter Stimme, um den Jüngeren nicht zu wecken, sollte er doch schlafen, doch als er sich zu ihm umdrehte, blickten ihm zwei braune Augen entgegen.

„Kann ich bei dir…?“

„Komm her“, antwortete Ältere und drückte die hochgeklappte Armlehne, die momentan auf Höhe mit der Lehne seines eigenen Sitzes war, ganz zurück, damit sie eine ebene Fläche mit der von Yoshikis bildete.

Leise ächzend setzte sich der Jüngere auf und rutschte auf der durchgehenden Sitzbank zu Toshi rüber, sodass seine angewinkelten Beine in Richtung der flachen Lehne wegklappten und er sich an die Brust des Kleineren kuscheln konnte, der ihn mit einem Arm festhielt, sodass er mehr saß als lag.

„Geht es so?“, wollte der Ältere wissen, als er die Decken so zurecht zupfte, dass auch Yoshikis Rücken von ihnen bedeckt war, wobei der andere als Antwort nur kurz brummte und sein Gesicht lediglich tiefer in Toshis Oberkörper vergrub. Seufzend hielt dieser den anderen fest und strich in gleichmäßigen Mustern über dessen Oberarm, während er mit der freien Hand sein Passwort eintippte und darauf wartete, dass der Rechner vollständig hochgefahren war und sämtliche Programme, die auf Autostart gestellt waren, geladen hatten. In der Zwischenzeit blickte er auf Yoshiki hinab, der eine Hand in seinem Oberteil verkrallt hatte und aussah, als würde er bereits wieder schlafen, wobei er erneut leise wimmerte. Seufzend streichelte er über dessen Wange und drückte ihn an sich, als sein Laptop fertig gebootet hatte, sodass er seine Aufmerksamkeit seinem E-Mailprogramm zuwandte, welches aus allen Nähten zu platzen schien. Ein Großteil der Nachrichten hatten in irgendeiner Weise mit der Arbeit bei Extasy Records zu tun, sei es dass Kouki ihm Projektangebote geschickt hatte, die er sich ansehen und über die er entscheiden sollte, ob er sie annehmen wollte, oder aber Techniker, die zu irgendwelchen Dingen seinen Senf haben wollten. Die restlichen Nachrichten waren von Familie und Freunden, doch ehe er dazu kam, sich auch nur eine davon anzusehen, ploppte Skype auf, welches er stets im Hintergrund zu laufen hatte, und teilte ihm mit, dass Yoshikis Bruder anrief.

„Sag mal Kouki, ist es bei dir nicht mitten in der Nacht?“, begrüßte er den anderen, nachdem er sein Mailprogramm minimiert und den Videoanruf entgegen genommen hatte. Er sprach absichtlich leiser, damit er Yoshiki am Ende nicht noch aufweckte, und regelte die Lautstärke der Lautsprecher nach unten.

„Früher Morgen“, entgegnete der jüngere der beiden Hayashi-Brüder. „Kannst du etwas lauter sprechen, Toshi, du bist kaum zu hören.“

„Nicht wirklich, ansonsten wecke ich Yoshiki auf…“

„Wie geht es ihm?“

„Schlecht… er hat sich den ganzen Tag über immer wieder erbrochen, ist total geschwächt, hat Schmerzen…“

„Was ist das eigentlich für ein seltsames Hintergrundgeräusch bei dir?“, wollte Kouki wissen und Sorgenfalten hatten sich angesichts dessen, was der andere ihm erzählt hatte, auf seiner Stirn gebildet.

„Das Flugzeug?“

„Nein, das klingt mehr wie… der einzige Vergleich, der mir einfällt, ist, dass es wie Yocchan klingt, wenn er Bauchschmerzen hat…“

„Denk bei Yocchan nicht an deinen Sohn sondern an deinen Bruder und ersetz Bauchschmerzen gegen allgemeine Schmerzen und du weißt, woher das Geräusch kommt.“

„Das ist Yosh?“

„Er hat die Schmerzmittel heute Früh wieder erbrochen und weigert sich seitdem welche zu nehmen. Im Moment liegt er gerade hier bei mir und wimmert im Schlaf immer wieder… ich schätze, dass das Mikrofon davon noch einen Teil auffängt…“

„Yosh ist direkt bei dir? … Könntest du vielleicht mal kurz…“ Kouki vollendete den Satz nicht, aber Toshi verstand auch so, was er sagen wollte.

„Ich weiß nicht, wie viel du erkennen kannst, aber der Deckenberg ist dein Bruder“, äußerte der Ältere und klappte den Deckel vom Monitor so, dass die Webcam, die darin eingelassen war, Yoshiki im Bild hatte.

„Er hat kurze, schwarze Haare?!“

„Ja.“

„….. liegt das nur am Licht und der Cam oder ist er ganz blass?“

„Er ist extrem blass… an seinen Lippen siehst du es am besten, aber ich will ihn jetzt nicht umdrehen… nicht dass er noch wach wird…“

„Nein, ist schon in Ordnung… ich seh ihn ja morgen…“

„Erschrick nicht, wenn du ihn zum ersten Mal wieder siehst“, bat Toshi und stellte den Bildschirm wieder richtig hin, „er hat extrem abgebaut…“ Wie um es zu beweisen, schob er den Laptop etwas weiter Richtung Tischende und löste dann vorsichtig Yoshikis Hand, die sich in sein Oberteil verkrallt hatte, und hielt sie dann in Richtung der Webcam.

„Oh mein Gott“, entfuhr es Kouki leise, als er die dürre Extremität seines Bruders auf dem Bildschirm sah. Blasse, fast durchsichtige Haut überspannte die Knochen sowie die Sehnen, die weißlich durchschimmerten. Den einzigen Farbkontrast bildeten rot-bläuliche Adern und Venen, die sich darunter wie Schlangen wanden.

„So sieht er mehr oder weniger am ganzer Körper aus“, entgegnete Toshi, nachdem er Yoshikis Hand wieder hingelegt und das Notebook wieder zu sich gezogen hatte.

„Ach du…“

„Hör mal, könntest du mir einen Gefallen tun?“

„Klar! … Welchen?“

„Kannst du bitte Doktor Hiraishi anrufen, sobald es eine halbwegs annehmbare Zeit in Japan ist, und ihn bitten, zum Penthouse zu kommen, sobald Yoshiki und ich gelandet sind? So wie es ihm zurzeit geht, wäre mir deutlich wohler dabei, wenn ein Arzt ihn sich so schnell wie möglich ansieht und ihn an den Tropf hängt. Mit dem Fieber, was er gerade wieder hat, trocknet er nur noch schneller aus und wenn er das bisschen, dass er vorhin zu sich genommen hat, auch wieder erbricht…“

„Ich werde den Doc anrufen. Übrigens, er hat mich am Abend noch einmal angerufen und mir mitgeteilt, dass er sämtliche Medikamente für Yoshiki in intravenöser Form hat. Zum Teil heißen sie wohl anders, aber der Wirkstoff entspricht dem, der in den Tabletten ist, die er bisher genommen hat.“

„Das ist gut! Dann hat er wenigstens die Medikamente im Körper, auch wenn er sich weiterhin übergibt…“

„Dan wird euch übrigens in Saitama abholen.“

„Dan? Ist der nach Yoshikis Verschwinden nicht in die USA zurückgekehrt?“ Der Amerikaner hatte sich jahrelang um die Sicherheit des Pianisten und Drummers gekümmert, hatte somit auch stets zu den engsten Vertrauten gezählt, war allerdings in die Heimat zurückgegangen, nachdem der Musiker für tot erklärt worden war.

„Er ist vor drei Wochen zurückgekommen, um etwas Urlaub zu machen und alte Freunde zu besuchen – daher weiß ich auch, dass er im Land ist. Eigentlich wollte er übermorgen abreisen, aber als ich ihm mein Anliegen erklärt hatte, hat er sich sofort bereit erklärt, fürs erste zu bleiben.“

„Das ist gut, Dan verrät garantiert nichts“, äußerte Toshi und unterdrückte nur mit Müh und Not ein Gähnen.

„Du solltest schlafen… du hast Augenringe bis zu den Kniekehlen…“

„Ich hab die letzten Nächte kaum Schlaf abbekommen…“

„Dann leg ich jetzt auf, wir sehen uns ja eh in ein paar Stunden.“

„Okay, bis später“, seufzte Toshi und brach die Verbindung ab. Gähnend schloss er alle Programme und fuhr dann den Laptop herunter, um diesen wieder in seine Tasche zu packen und wegzustellen. Behutsam schob er Yoshiki von sich und stand dann auf, um auf der Bordtoilette mit einer der Einwegzahnbürsten kurz seine Zähne zu putzen, und holte sich dann von Katy noch eine weitere Decke sowie ein Kissen. Wieder bei seinem Sitz angekommen, klappte er die Lehne ebenfalls nach hinten, sodass beide Sessel zusammen eine große, gemeinsame Liegefläche ergaben. Nachdem er es sich so bequem wie möglich gemacht hatte – er hatte noch nie gut in Flugzeugen geschlafen, egal ob Touristenklasse, erster Klasse oder Privatjet – zog er seinen besten Freund zu sich, der sich automatisch ihn kuschelte. Erneut gähnend tapste er nach der Konsole, die in der Wand eingelassen war und an welcher man das Licht über ihnen ausschalten konnte. Als es halbwegs dunkel war, lehnte er den Kopf gegen Yoshikis und schloss ebenfalls die Augen, während der Flieger der Heimat immer näher kam.
 

Am nächsten Vormittag saß Toshi seufzend in seinem Sessel und blickte abwechselnd zum Fenster hinaus und dann wieder zu seinem besten Freund, der schlafend in dem seinen lag. Japan war nicht einmal mehr drei Stunden entfernt und er war froh, wenn sie endlich landen würden. Der Jüngere hatte sich in den Morgenstunden erneut mehrmals übergeben, sodass er davon abgesehen hatte, ihn zu überreden, etwas zu frühstücken. Stattdessen ließ er ihn schlafen und hoffte, dass dies die richtige Entscheidung war, da die Schmerzen scheinbar schlimmer geworden waren und er im Schlaf immer wieder das Gesicht schmerzerfüllt verzog. Toshi fühlte sich hilflos, wenn er ihn wimmern und immer wieder leise stöhnen hörte, da er nicht wusste, was er tun sollte, um seinem besten Freund die Schmerzen zu nehmen. Natürlich könnte er ihn dazu zwingen, die Tabletten zu schlucken, aber was brachten diese schon, wenn er sie mit hoher Wahrscheinlichkeit direkt wieder erbrach?! Das einzige, was ihm einfiel, war, ihn im Arm zu halten und ihm durch die Nähe zu zeigen, dass er das nicht alleine durchmachen musste und dass er bei ihm war.

Seufzend stellte der Ältere seinen Sitz wieder nach hinten, damit er gleichauf mit Yoshiki war und drückte diesen erneut an sich, in der Hoffnung, dass die Geborgenheit vielleicht ein wenig die Schmerzen linderte, auch wenn er rein rational betrachtet wusste, dass dies Wunschdenken war.
 

Als sie wenige Stunden später im Landeanflug auf Saitama waren, saß Toshi angeschnallt in seinem aufrecht gestellten Sitz, während er den Jüngeren im Arm hielt. Er wusste, dass es an sich gegen die Vorschrift war und Yoshiki eigentlich festgegurtet in seinem eigenen Sessel sitzen müsste, doch erst kurz zuvor hatte er sich erneut erbrochen und dabei wieder Blut von sich gegeben, sodass der Ältere es nicht übers Herz brachte, ihn alleine zu lassen, auch wenn es nur bedeutete, dass er im Sitz neben ihm saß. Es war offensichtlich, dass er Schmerzen hatte. Darüber hinaus hatte ihn der Co-Pilot bereits darüber informiert, dass die Landung etwas rauer werden könnte, da es ziemlich windig war und sie den Jet innerhalb kürzester Zeit herunter bremsen mussten, kaum dass sie gelandet waren, da die Landebahn nicht sonderlich lang war.

Als Toshi aus dem Fenster blickte, als der Flieger in einer Schleife nach rechts kippte, konnte er unter sich bereits sein Heimatland näher und näher kommen sehen. Immer mehr Details, wie Infrastruktur, Häuser und Bäume wurden sichtbar. Gelegentlich hatte er das Gefühl zu spüren, wie der Jet von einer besonders starken Windböe ergriffen wurde, die ihn hinfort tragen wollte, doch der Pilot korrigierte dies, sodass sie schneller als Toshi gedacht hätte, aufsetzten. Er drückte Yoshiki fest an sich, als die Räder plötzlich Bodenkontakt hatten und das ganze Flugzeug zu zittern schien, während er spürte, wie er in den Sitz gepresst wurde, da der Pilot praktisch eine Vollbremsung hinlegte.

„… -chi…“, konnte er ganz leise die Stimme des Jüngeren hören, der offenbar wach geworden war und dessen Augen verwirrt umherwanderten.

„Shhh, alles okay“, flüsterte Toshi und strich über seine Schläfe, während der Jet mittlerweile Schrittgeschwindigkeit erreicht hatte und nun langsam in Richtung Vorfeld rollte. „Wir sind gelandet… wir sind daheim.“ Yoshiki nickte darauf nur leicht und schloss wieder die Augen, um sich erneut an seinen besten Freund zu kuscheln, der ihn weiter beruhigend streichelte, sodass er schnell wieder einschlief und gar nicht mehr mitbekam, wie der Jet schließlich seine Parkposition erreichte und Toshi eine Hand unter ihn schob, um seinen Gurt zu lösen.

„I hope everything was to your satisfaction“, kam Katy zu dem Älteren.

„Yes, thank you”, bedankte sich Toshi und konnzr sich endlich abeschnallen.

„Your car is already waiting outside. The crew will take care of your luggage and if you could hand me your and the boss’s passports, I will handle the immigration office.”

„They’re in my laptop case, just take them”, teilte er ihr mit und schob Yoshiki vorsichtig auf seinen eigenen Sitz, um aufzustehen, die Sitzecke zu verlassen und um den Jüngeren dann in seine Decken eingewickelt hochzuheben, damit er ihn aus dem Flugzeug tragen konnte.

„Okay. I will personally bring them to the penthouse later on.“

“Thanks, Katy.”

“Please tell the boss that the entire crew whishes him all the best”, bat die Stewardess, die vorweg gegangen war, um ihn zur Tür zu begleiten, und drehte sich nun kurz zu ihm um, während sie weiterging, „… and that it’s nice to have him back…!“

„I will, Katy.“ Toshi lächelte sie kurz dankbar an und nickte dann dem Co-Piloten zu, der bereits die Tür geöffnet und die Treppe herabgelassen hatte.

„Have a nice day, Mr.Deyama“, verabschiedete dieser ihn, als der andere das Flugzeug verließ und langsam die Stufen herabstieg, wobei der Wind der Turbinen an seinen Klamotten und Haaren riss.

„Geht es, Toshi, oder soll ich ihn nehmen?“, wurde er direkt von Dan auf Japanisch begrüßt, der am Treppenende stand und wohl gesehen hatte, dass er die Treppe praktisch wie auf rohen Eiern nahm. Nach all dem Französisch in Frankreich und dem Englisch an Bord, war er froh, endlich wieder seine Muttersprache zu hören – wenn auch mit Akzent, aber das konnte er verkraften, Yoshikis Aussprache klang neuerdings schließlich auch sehr französisch angehaucht.

„Geht schon…“ Vorsichtig brachte er die letzten beiden Stufen hinter sich und nickte dem Amerikaner dann zu, der die Geste erwiderte und ihm eine Hand in den Rücken legte, um ihn zu dem schwarzen Minivan zu dirigieren, der nur wenige Meter entfernt von dem Privatjet stand. Dan öffnete ihm die Tür des Wagens und half ihm dabei, den Schlafenden auf die Rückbank zu bugsieren, ehe Toshi selbst einstieg und Yoshiki erneut gegen seinem Oberkörper ruhte.

„Ich kümmere mich noch um Ihr Gepäck und dann können wir los. Doktor Hiraishi ist bereits informiert, dass Sie gelandet sind und auf dem Weg zum Penthouse.“

„Danke, Dan.“ Damit schloss der Bodyguard die Tür und als Toshi einen kurzen Blick durch die dunkel getönten Scheiben nach draußen warf, konnte er sehen, wie er und der Co-Pilot die Taschen aus dem Jet trugen, um sie dann im Kofferraum zu verstauen.
 

Wenig später ließen sie den kleinen Flughafen hinter sich und steuerten zügig auf Tokyo zu, wobei Toshi mit einem flüchtigen Blick nach vorne auf den Tacho bemerkte, dass Dan es mit der Geschwindigkeitsbegrenzung nicht ganz so eng nahm, wofür er ihm sehr dankbar war. Je schneller sich der Doc um Yoshiki kümmern konnte, desto wohler war ihm. Seufzend drückte er seinen besten Freund an sich, als dieser im Schlaf erneut das Gesicht schmerzerfüllt verzog und leise stöhnte. Es würde ihm deutlich besser gehen, sobald er seine Medikamente wieder hatte, dessen war sich Toshi sicher, und dann würde er mit etwas medizinischer Magie auch noch ein paar Wochen leben, die sie gemeinsam verbringen würden, um so viel wie möglich von der verlorenen Zeit aufzuholen.

„Es geht ihm nicht sonderlich, oder?“ Es war mehr eine Feststellung seitens Dan, der kurz im Rückspiegel nach hinten geblickt hatte.

„Nicht wirklich…“

Der andere erwiderte nichts mehr darauf, doch Toshi konnte merklich spüren, wie der Wagen beschleunigte.

„Wie viel über der erlaubten Geschwindigkeit fahren wir?“

„Irrelevant“, entgegnete Dan nur und überholte mehrere Autos, „solange der Verkehr es zulässt, fahr ich so schnell es geht.“

„Danke…“

Schneller als erwartet erreichten sie die ersten Ausläufer der Metropole Tokyo, wo sie den Highway verließen und auf den Yamate Dori einbogen, der sie an Toshima und Shinjuku vorbei nach Shibuya brachte. Abwechselnd blickte Toshi zwischen der an ihnen vorbeiziehenden Skyline und seinem besten Freund hin und her, als ihm plötzlich zwei braune Augen entgegen starrten.

„Hey, du bist ja wach!“, stellte er leise fest und legte seine Hand gegen Yoshikis Wange, welcher sich leicht in die Berührung hinein lehnte.

„ … Wo sind wir?“, fragte er kaum hörbar und seine Pupillen wanderten suchend umher.

„Im Auto, fahren gerade an Shinjuku vorbei“, erklärte Toshi und drehte den Kopf des anderen leicht, sodass er zum Fenster hinausblicken konnte. „Schau, Yocchan… wir sind zuhause“, flüsterte der Ältere in das Ohr des anderen und deutete mit dem Zeigefinger auf den weißen Gipfel des Fuji-yama, der immer wieder majestätisch zwischen den Hochhäusern hindurch spitzte.
 

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Ok, dem Kitsch halber vergessen wir am Ende einfach mal, dass der Fuji-yama eigentlich sehr schüchtern ist und nur schwer durch die tokyoter Smogschicht durchkommt ^.~

Home Sweet Home ~1ère Partie~

@ -Shin-: Ob’s ein Wunder ist, kann ich nicht sagen… liegt aber vielleicht auch daran, dass ich mich nicht wirklich mit dem Gedanken anfreunden konnte, Yoshiki sterben zu lassen.
 

@ hide_sama: Ich verrat mal so viel: Die flüssigen Medikamente, die er in diesem Kapitel erhält, helfen insoweit, dass er demnächst Toshi schon beim Kochen helfen will (glaub, das war ne ungewollte Nebenwirkung).
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Genau ;) Ist ja schließlich immer noch Fiktion, auch wenn ich versuche so real wie möglich zu bleiben. Aber wenn es dem Kitsch dient, dann muss der Fuji-yama halt mal über seinen Schatten springen und sich nicht ständig schüchtern hinter Smog verkrümeln!
 

@ Terra-gamy: Tut es auch – so sehr, dass Toshi sogar mit Büchern beworfen wird!
 

@ all: Hab grad mit erschrecken festgestellt, dass das Ende der Story nicht mehr fern ist – nach diesem hier noch fünf Kapitel und dann ist Shi Ans auch schon wieder vorbei. Ob es ein Sad End oder doch noch ein Happy End gibt, wird natürlich noch nicht verraten, aber ihr könnt ja gerne schon mal spekulieren ;)
 

••••••••••••••••••••
 

Als der Minivan schließlich in der Tiefgarage direkt vor dem Aufzug geparkt hatte, war Toshi sofort ausgestiegen und hatten dann mit Hilfe von Dan Yoshiki vorsichtig herausgezogen, der bereits wieder schlief, nachdem er während der Fahrt kurz wach geworden war. Mit seinem besten Freund im Arm, wobei der Bodyguard eine der Decken über den Kopf seines Bosses gezogen hatte, für den Fall, dass ihnen jemand begegnen sollte, trat Toshi in den Aufzug und nickte Dan kurz dankbar zu, als dieser seine Schlüsselkarte durch das Lesegerät zog, damit das Penthouse überhaupt anwählbar war, und dann den Knopf für eben jenes drückte. Bevor die Türen schlossen, war er wieder aus dem Lift getreten und informierte ihn noch, dass er das Gepäck nachbringen würde.

Alleine fuhr Toshi bis in die oberste Etage rückte, seinen besten Freund etwas zurecht. Er bezweifelte zwar, dass er mehr als 45kg auf die Waage brachte, aber auch die wurden mit der Zeit schwer – erst recht, wenn Yoshikis Oberkörper schon während der Fahrt über immer gegen denselben Oberarm gelehnt hatte.

„Here we go“, seufzte der Ältere und zog die Decke vom Gesicht des anderen, als der Aufzug in der letzten Etage schließlich anhielt und die Türen sich keine Sekunde später öffneten, durch welche er direkt in den Eingangsbereich des Penthouses trat. Einen Moment lang überlegte er, ob er sich die Schuhe ausziehen sollte, wie es sich gehörte, da er dafür jedoch beide Hände brauchte, entschied er sich dagegen.

„Kouki?!“

„Toshi? Seid ihr schon da?!“ Augenblicklich kam der jüngere der beiden Hayashi-Brüder herbeigeeilt, wobei Doctor Hiraishi ihm direkt folgte. „Oh mein Gott, Yoshiki!“ Er wollte sich schon auf den anderen stürzen, als Toshi seinen besten Freund beschützend an sich drückte. Kouki konnte später über ihn herfallen, zunächst einmal wollte er ihn medizinisch versorgt wissen.

„Doc, es ist gut, Sie zu sehen“, begrüßte der Ältere den Arzt und nickte ihm kurz zu, welcher die Geste erwiderte und mit einer Hand in Richtung der Schlafzimmer deutete, woraufhin Toshi den Master Bedroom ansteuerte. Kouki wich unterdessen nicht mehr von seiner Seite und der ergraute Mediziner holte lediglich rasch seinen Koffer aus dem Wohnbereich, um dann ebenfalls nachzukommen.
 

Auf dem Bett legte Toshi Yoshiki vorsichtig ab und begann, ihn aus seinen Decken zu schälen.

„Was macht er für seltsame Geräusche?“, fragte Kouki besorgt, als er eine Mischung aus Pfeifen und Röcheln wahrnahm, wann immer sein älterer Bruder atmete.

„Er muss höher liegen“, entgegnete Toshi nur abwesend und hatte sich auch schon ein zweites Kissen geschnappt, welches er unter den Kopf des anderen stopfte, ehe er die letzte Decke von ihm zog und vorsichtig den Schal, den er die ganze Zeit um den Hals herum getragen hatte, entfernte.

„Er sieht furchtbar aus“, äußerte Kouki leise und musterte seinen Bruder, der so rein gar nichts mehr mit dem Yoshiki gemein hatte, den er in Erinnerung hatte – und das lag nicht nur an den kurzen, schwarzen Haaren.

„Der Tumor behindert ihn beim Atmen“, sprach der Arzt mehr zu sich selbst und setzte sich auf die Bettkante, um den anderen besser untersuchen zu können, nachdem er sein Stethoskop sowie ein Ohrfieberthermometer ausgepackt hatte, während Toshi hinter ihm stand und seinen besten Freund nicht aus den Augen ließ.

„Kann man das ganze Ding nicht einfach entfernen?“, fragte Kouki und kam nicht umhin, auf die Ausbeulung am Hals seines Bruders zu starren, die alles andere als natürlich aussah.

„Könnte man“, entgegnete Doktor Hiraishi und begann mit einer allgemeinen Untersuchung, in der er erst einmal die Vitalfunktionen seines Patienten prüfte, „ aber in seinem Zustand würde ich nicht dazu raten. Das Risiko, dass er aus der Narkose nicht mehr aufwacht, ist um ein vielfaches höher als eine Chance auf Heilung. Sagen Sie, Toshi, hatte er schon die ganze Zeit über Fieber und diesen rasenden Herzschlag?“

„Wenn es ihm schlecht geht, dann ist es wesentlich stärker ausgeprägt und wenn es ihm halbwegs gut geht, dann ist beides reduzierter. Er hat sich seit gestern früh immer wieder erbrochen – zum Teil auch mit Blut – praktisch nichts bei sich behalten, über wahnsinnige Kopfschmerzen geklagt und woanders scheint er auch noch Schmerzen zu haben, aber er konnte es selbst nicht wirklich einordnen“, berichtete Toshi und blickte zu seinem besten Freund, der von der Untersuchung bisher nichts mitbekommen hatte, da er weiterhin schlief.

„Was mir momentan die größten Sorgen bereitet, ist der hohe Puls… kein Herzmuskel hält das auf Dauer aus und wenn man seinem Herzen länger zuhört, dann hört man, dass es immer wieder kurz aus dem Takt kommt…“ Damit legte der Arzt das Stethoskop und das Thermometer, mit dem er ganz zu Anfang die Temperatur gemessen hatte, zurück in seinen Koffer und holte dafür ein Blutdruckmessgerät hervor, um mit seiner Untersuchung fortzufahren. „Hat Yoshiki eigentlich etwas darüber erzählt, ob der Tumor metastasiert hat?“

„Nicht wirklich… er vermutet es, aber er hat es nie wirklich abklären lassen… Er war generell mit Arztbesuchen wohl sehr sparsam…“, antwortete Toshi und lugte genau wie Kouki auf das Blutdruckmessgerät, als es piepsend sein Ergebnis verkündete. Auch ohne Medizinstudium konnten sie sagen, dass er viel zu niedrig war. Seufzend löste der Arzt die Manschette von Yoshikis Oberarm, packte das kleine Gerät weg und begann dann damit, ihn abzutasten.

„Wenn er Blut erbricht, sind es dann große Mengen oder eher kleine?“, hakte Doktor Hiraishi während der Untersuchung weiter nach, wobei sein Patient selbst im Schlaf an mehreren Stellen schmerzerfüllt aufstöhnte. Toshi verzog nur leicht den Mund, während Kouki aus Sympathie gleich zusammenzuckte.

„Kleine Mengen, und vor allem dann, wenn er sich mehrmals innerhalb kürzester Zeit übergibt.“

„Allein vom Tasten her kann man am Magen nichts ausmachen, aber wenn die Blutungen daher kämen, wären sie im Normalfall auch deutlich stärker. Meine Vermutung ist eher die, dass durch das ständige Erbrechen die Magensäure bereits die Wände der Speiseröhre angegriffen hat, sodass sich dort Wunden befinden, die sich wieder verschließen, wenn er sich über einen längeren Zeitraum nicht erbricht, aber sich öffnen, sobald er wieder damit anfängt.“

„Das klingt logisch…“, äußerte Toshi, „am Schlimmsten ist es wirklich, wenn er nur noch Magensaft und Galle würgt.“

„An der Leber kann man eine Vergrößerung ertasten, was eventuell auch das Erbrechen erklärt“, teilte der Arzt seine Tastbefunde mit.

„Krebs?“, fragte Kouki zögerlich, der schon seit einiger Zeit nur noch geschwiegen hatte.

„Gut möglich… aber er ist im gesamten Bauchraum empfindlich“, entgegnete der Arzt und drückte an einer anderen Stelle seine Finger ins Gewebe, was dazu führte, dass Yoshiki im Schlaf aufstöhnte.

„Weshalb wird er davon nicht wach?“

„Weil sein Schlaf wohl schon eher an Bewusstlosigkeit grenzt. Er ist stark ausgetrocknet, dann noch der niedrige Blutdruck…“

„Er ist in den letzten Stunden ab und an mal ganz kurz wach gewesen, war dabei aber regelrecht benommen und keine fünf Minuten später war er auch schon wieder weg“, berichtete Toshi und beobachtete, wie der Arzt, als er mit dem Abtasten fertig war, wieder Yoshikis Oberteil nach unten schob. Als der Oberkörper seines Bruders entblößt gewesen war, war Kouki nicht umhingekommen, auf die hervorstehenden Knochen zu starren, die nur zu deutlich zu sehen waren.

„Sie sagten vorhin etwas von Kopfschmerzen, Toshi?“, wandte sich Doktor Hiraishi an den anderen, ehe er aus seinem Koffer alles holte, was er brauchte, um Yoshiki einen Venenverweilkatheter zu legen.

„Ja, er hat immer wieder mal richtig schlimme Kopfschmerzen, die wohl kaum auszuhalten sind… gestern auch wieder…“

„Hat Yoshiki über Sehstörungen geklagt oder sind Ihnen Sprach-, beziehungsweise Koordinationsstörungen aufgefallen?“, fragte der Mediziner weiter, während er die Einstichstelle desinfizierte.

„Nein…“

„Bewusstseinsstörungen? Wirkte er zeitweise abwesend?“

„Abwesend…?“, überlegte Toshi laut, „ab und an hatte ich während unseren Unterhaltungen das Gefühl, dass er abdriften würde… Er hat dann zum Teil gar nicht mehr reagiert, erst als ich ihn mehrmals angesprochen oder ihn geschüttelt habe… Worauf wollen Sie hinaus, Doc?“

„Gehirntumor“, antwortete dieser, als er den Zugang legte und ihn erst mit einem Pflaster, dann noch mit einem Verband fixierte, als er richtig saß und er die Nadel entfernt hatte, sodass nur noch eine biegsame Teflonnadel in dem Blutgefäß zurückblieb. „Die extremen Kopfschmerzen, das Erbrechen, das Abdriften, wie sie es nennen… das alles könnte auch darauf hinweisen.“

„Gehirntumor?“, wiederholte Kouki geschockt und starrte den Arzt an, der aus seinem Koffer jedoch lediglich eine fertig aufgezogene, äußerst große Spritze holte, welche er an die Kanüle anschloss und deren Inhalt er auf diese Art langsam in Yoshikis Blutbahn drückte.

„Was ich ihm gerade gebe, ist ein Cocktail aus den ganzen Medikamenten, die Sie mir geschickt haben, Toshi“, wandte sich Doktor Hiraishi an ihn. „Sie sollten relativ schnell wirken, sodass er in spätestens zwei Stunden wieder schmerzfrei sein sollte.“ Damit entfernte er die leere Spritze, legte sie zurück in seine Tasche und holte zwei weitere heraus, die er Toshi gab. „Sie haben gesehen, wie es funktioniert. Denken Sie, dass Sie ihm die heute Abend geben können?“

„Abdeckung ab, Spritze andocken und dann langsam reindrücken… und wenn alles drinnen ist, Spritze ab und Abdeckung wieder drauf“, wiederholte Toshi die Schritte. „Sollte ich hinkriegen… wäre ja nicht das erste Mal“, äußerte er. In all den Jahren, in denen er sich um seinen besten Freund gekümmert hatte, wenn dieser krank war, hatte er das ein oder andere von Ärzten und Krankenschwestern gelernt.

„Gut, dann legen Sie die Spritzen zur Aufbewahrung in den Kühlschrank, in etwa auf Höhe der Eier und geben ihm heute Abend gegen 10 Uhr noch einmal eine und morgen Früh auch wieder so gegen 10 Uhr. Nehmen Sie die Spritzen aber eine halbe Stunde vorher oder so heraus, damit sie nicht mehr ganz so kalt sind.“

„Okay, mache ich“, versprach Toshi und legte die Spritzen auf den Nachttisch, während der Arzt eine leere Spritze sowie eine Ampulle aus seinem Koffer holte, etwas von der Flüssigkeit aufzog und diese dann ebenfalls Yoshiki verabreichte.

„Was ist das?“, fragte Kouki.

„Ein Mittel, das den Blutdruck erhöht. Dadurch sollte sein Puls automatisch nach unten gehen, sodass sein Herz entlastet ist“, erklärte der Arzt und zog als nächstes mehrere Beutel mit Schlauch, die mit einer durchsichtigen Lösung gefüllt waren, aus seinem Koffer.

„Ach Kouki, könnten Sie mir bitte noch die Tasche holen, die ich im Wohnzimmer habe stehen lassen?“

„Klar!“ Damit verschwand der Jüngere der Hayashi-Brüder kurz, während Doktor Hiraishi einen Beutel an den Zugang anschloss und dann die Rollklemme öffnete, sodass die Flüssigkeit langsam in Yoshikis Körper tropfte. Toshi hatte unterdessen ein Bild, das neben dem Bett hing, abgenommen und hängte an dessen Nagel den Beutel auf.

„Sie wissen, wie man die Lösungen anhängt?“

„Ja! Sooft wie Yosh in der Vergangenheit welche davon gebraucht hat, sich dann aber immer geweigert hat, zum Arzt zu gehen…“

„Gut, dann hängen Sie einfach einen neuen Beutel an, wenn Sie sehen, dass der alte leer ist.“
 

„Sagen Sie mal, Doc, was haben Sie in der Tasche?“, wollte Kouki keuchend wissen, als er einen großen Rucksack mit sich ins Zimmer schleppte, „Backsteine?“

„Nein, EKG und Sauerstoffgerät. Da es unklar war, in welchem Zustand sich Yoshiki genau befindet, habe ich vorsichtshalber alles mitgebracht, was benötigt werden könnte“, erklärte der Doktor und stand ächzend auf, um die Geräte auszupacken und aufzubauen, während sich Toshi an seiner Stelle zu seinem besten Freund aufs Bett setzte, nach seiner Hand griff und sie festhielt. Bis jetzt hatte der Jüngere keinerlei Anzeichen gezeigt, dass er die Untersuchung auch nur im Entferntesten mitbekommen hatte.

„Wozu?“, wollte Kouki wissen und half beim Aufbauen mit.

„Ich benötige sowieso ein Langzeit-EKG von ihm und dann können wir das auch gleich so machen“, entgegnete der Arzt und hatte erneut Yoshikis Oberteil nach oben geschoben, um nun diverse Elektroden auf dessen Brust zu kleben. „Außerdem ist es mir lieber, wenn wir sein Herz unter Beobachtung haben… wenn es Probleme gibt, schlägt das Gerät sofort Alarm.“ Als er fertig war, schloss er die Kabel an und startete dann das EKG, welches auf seinem Bildschirm sofort visuell den Herzschlag des Jüngeren anzeigte und dabei beständig piepte. Relativ schnell konnten Kouki und Toshi jedoch die Unregelmäßigkeiten feststellen, die der Doktor bereits beim Abhorchen erwähnt hatte.

„Wenn es Yoshiki morgen besser geht und er aufstehen will, dann ziehen Sie einfach wieder die Kabel von den Elektroden. Allerdings ist es besser, wenn Sie das Gerät vorher abschalten, weil sonst der Alarm losgeht und mit dem können Sie die Toten wecken.“

„Kann man ihn anschließend auch wieder neu verkabeln?“, hakte Toshi nach und behielt den Monitor im Auge.

„Einfach die Kabel wieder anschließen – jedes Kabel ist in einer anderen Farbe gekennzeichnet, genau wie die Elektroden. Da können Sie nichts falsch machen.“

„Gut…“ Vielleicht konnte er so endlich mal wieder eine Nacht lang unbesorgt durchschlafen, weil er wusste, dass das Gerät ihn wecken würde, wenn mit Yoshiki etwas nicht stimmte.

„Und das Sauerstoffgerät?“, wollte Kouki wissen, als der Arzt dieses nun ebenfalls mit seinem Bruder verband, indem er es einschaltete und ihm dann die Gesichtsmaske überzog.

„Es unterstützt seine eingeschränkte Atmung lediglich insofern, dass er einen höheren Sauerstoffanteil einatmet, als würde er normale Luft atmen“, erklärte der Mediziner und stand auf. „So, ich fürchte, mehr kann ich fürs erste nicht für Yoshiki tun“, seufzte er und packte seine Sachen zusammen.

„Sie haben schon so viel für ihn getan…!“, wiegelte Toshi ab und verbeugte sich tief, um seine Dankbarkeit auszudrücken, wobei er aus dem Augenwinkel sehen konnte, dass Kouki dasselbe tat, doch Doktor Hiraishi winkte ab, schließlich war es seine Aufgabe zu helfen und Yoshiki war überdies ein langjähriger Patient und guter Bekannter.

„Wenn irgendetwas sein sollte, dann rufen Sie mich an“, wandte er sich an Toshi, den er lange genug kannte, um zu wissen, dass er nicht von der Seite des anderen weichen würde, „egal wie spät es ist!“

„Mache ich, danke!“

„Ansonsten komme ich morgen Vormittag vorbei, um nach ihm zu sehen und dann können wir entscheiden, wie wir weiterverfahren.“

„Gut“, antworteten Toshi und Kouki gleichzeitig.

„Ich denke, er wird einen Großteil des heutigen Tages verschlafen, aber versuchen Sie, dass er morgen wieder anfängt, Kleinigkeiten zu sich zu nehmen“, äußerte der Arzt und hatte nebenbei all seine Sachen zusammen gepackt.

„Ich werde mich darum kümmern“, versprach Toshi und reichte ihm zum Abschied die Hand, während Kouki ihn noch zum Aufzug begleitete.
 

Seufzend zog der Ältere unter seinem besten Freund die Zudecke hervor, welche er behutsam über ihn legte, und setzte sich dann zu ihm auf die Bettkante, um dessen Hand, die nun von einem Zugang geziert wurde, vorsichtig mit seiner eigenen zu umschließen.

„Er sieht so klein aus…“, äußerte Yoshikis Bruder, als er zurückkam und sich hinter Toshi stellte.

„Ich weiß, Kouki…“

„Ich hätte nicht gedacht, dass es ihm so schlecht geht…“

„Am Tag vor unserer Abreise ging es ihm auch noch deutlich besser…“

„Was sind das eigentlich für zwei identische Ketten, die er da um den Hals hat? Die passen so gar nicht zu dem, was er sonst immer trägt…“

„Sind von Ben und Lara…“, antwortete Toshi abwesend.

„Von wem?“

„Den Kindern seiner Vermieterin. Er hat sich mit ihnen gut verstanden… Die Ketten gehören eigentlich ihnen, waren ein Geschenk ihres verstorbenen Vaters… Sie haben sie ihm gegeben und gemeint, er soll sie ihnen zurückgeben, wenn er wiederkommt…“

„Er wird also nicht hierbleiben?“, hakte Kouki nach und wenn sich Toshi nicht ganz irrte, dann klang er leicht verletzt.

„Nein… Um ehrlich zu sein, es überrascht mich, dass er mitgekommen ist… Als wir losgefahren sind, ist er im Auto weinend zusammengebrochen. Ich habe ihn gefragt, ob ich ihn zurückfahren soll und er dort bleiben will. So schwer ihm der Abschied gefallen ist, hätte es mich nicht überrascht, wenn er Ja gesagt hätte…“

„Er fühlt sich dort also viel mehr zuhause als hier, wo seine Familie und seine Freunde sind…“

„Kouki…“ Toshi hatte sich zu ihm umgedreht, doch der andere hatte den Kopf zur Seite gedreht, fixierte irgendeinen unsichtbaren Punkt und hatte die Unterlippe vorgeschoben. Denselben Gesichtsausdruck hatte er oft genug bei seinem besten Freund gesehen. „Hier in Japan könnte er doch nur noch als YOSHIKI, der Rockstar, existieren, aber nicht als Hayashi Yoshiki … Und YOSHIKI hat er vor vier Jahren ausgelöscht…“

„Und Yoshiki wird ihm bald folgen…“

„Ja… wird er…“, entgegnete Toshi leise und drückte die Hand seines besten Freundes, der den Druck unterbewusst ganz leicht erwiderte.

„Warum hat der Idiot nicht…?“, redete Kouki mehr mit sich selbst und starrte noch immer die Wand an, „Er wusste schließlich die ganze Zeit über, dass er ein erhöhtes Risiko für das Scheißzeugs hat… deshalb sollte er ja auch alle paar Wochen zur Kontrolle… Weshalb hat der Idiot nicht…? Und weshalb hat er es einfach so akzeptiert?!“ Als Toshi erneut zu ihm aufblickte, konnte er einzelne Tränen sehen, die über seine Wangen rannen, sodass er Yoshikis Hand vorsichtig auf die Bettdecke zurücklegte, anschließend aufstand und dessen Bruder in eine Umarmung zog. Es war selten, dass er den Jüngeren hatte weinen sehen, da Kouki im Gegensatz zu seinem Bruder mit seinen Gefühlen nicht so offen umging und zudem seit dem Tod ihres Vaters der Ansicht war, er müsse für den anderen stark sein und dürfe deshalb keine Tränen zeigen.

„Ich will ihn nicht verlieren, Toshi… ich will ihn nicht auch noch verlieren…“ Der Jüngste im Raum hatte seine Arme um den besten Freund seines älteren Bruders geschlungen und sein Gesicht gegen dessen Schulter gelegt.

„Ich weiß, Kouki… ich auch nicht… Ich wünschte, ich hätte damals nicht diesen Unfall gehabt… dann wäre alles seinen gewohnt Gang gegangen…“
 

Die beiden spendeten sich einige wenige Minuten Trost, ehe sich der Jüngere wieder löste und sich rasch mit dem Handrücken über die Augen und Wangen wischte.

„Sorry…“

„Schon okay“, winkte Toshi lächelnd ab und blickte zu Yoshiki, der weiterhin zu schlafen schien, mittlerweile aber deutlich ruhiger und wohl auch schmerzfreier als noch vor wenigen Stunden im Flieger.

„Du siehst übrigens ähnlich grauenhaft aus wie mein Bruder“, äußerte Kouki mit einer Kopfbewegung in Richtung des anderen. Er hatte es bereits über die Webcam gesehen, aber nun da Toshi in persona vor ihm stand, war ihm nur zu deutlich anzusehen, dass er fertig war.

„Komplimente zu machen liegt euch beiden nicht im Blut!“, konterte der Ältere, auch wenn er wusste, dass man ihm den Schlafentzug der letzten Nächte deutlich ansehen konnte. Er hatte in der Früh auf der Bordtoilette beim Zähneputzen schließlich selbst gesehen, dass er dunkle Augenringe bis zu den Kniekehlen hatte und seine Lider zudem noch leicht angeschwollen waren.

„Ich sag nur die Wahrheit“, entgegnete Kouki schulterzuckend, „Aber du solltest dir echt ein paar Stunden Ruhe gönnen. Sobald Yosh wieder wach ist, wirst du es ja sowieso nicht tun.“

„Ist schon okay“, wiegelte Toshi ab und setzte sich erneut zu seinem besten Freund.

„Ich meine das ernst, Toshi!“

„Ich auch!“

„Was bringt es Yoshiki, wenn du demnächst zusammenklappst?“, wollte Kouki wissen und packte den Älteren am Arm, um ihn hochzuziehen. „Wir kennen ihn beide gut genug, um zu wissen, dass er sich dann die Schuld dran geben wird und wir wissen beide, dass du dann viel schlimmer zu leiden hast, als wenn du dich jetzt für ein paar Stunden hinlegst und ich derweil bei ihm bleibe!“

„Also gut“, willigte Toshi seufzend ein und ließ sich hochziehen. Das letzte, was er gebrauchen konnte, war, dass Yoshiki in seinem Zustand meinte, er müsste ihn betütteln und zur Glucke aller Glucken mutieren. „Aber nur für zwei Stunden oder so…“

„Ja ja, wie auch immer! Du legst dich drüben im anderen Zimmer hin und ich bleib derweil hier. Und bei der kleinsten Veränderung ruf ich dich!“

„Okay“, äußerte Toshi und nahm die Medikamente mit, um sie in den Kühlschrank zu legen, damit sie nicht verdarben. Aus einem der Schränke holte er noch eine Schüssel und brachte diese zu Kouki, der ihn aber nur irritiert ansah.

„Was soll ich damit? Ich werde hier garantiert nicht nebenbei einen Kuchen backen.“

„Willst du putzen und das Bett neubeziehen, wenn sich Yosh übergeben muss?“, konterte Toshi schmunzelnd und im nächsten Augenblick wurde ihm die Rührschüssel auch schon entrissen.

„Und jetzt legt dich endlich hin!“

„Gute Nacht!“

„Eher ‚Guten Nachmittag‘…“

„Gute Nacht, Kouki!“
 

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So, während Toshi sich jetzt eine Runde aufs Ohr haut, Yoshiki-sitted Kouki fürs erste. Ob das allerdings soooo gut verläuft und wie es Yoshiki nach seinem Medikamten-Cocktail geht, erfahrt ihr im zweiten Teil von Home Sweet Home :)
 

P.S.: In diesem Kapitel war auch mal wieder eine kleine Wahrheit versteckt und zwar das Thema Kouki und Tränen zeigen. Als klein Kouki im Alter von fünf Jahren gesehen hat, wie sehr seine Mutter und sein großer Bruder unter dem Tod seines Vaters leiden, hat er beschlossen, nicht mehr zu weinen, da er befürchtete, sie nur noch mehr aufzuwühlen, würde er Tränen zeigen.

Home Sweet Home ~ 2e Partie ~

@ hide_sama: *g* Ich bin auch immer ein ungeduldiger Leser, weshalb es durchaus mal vorkommt, dass ich eine ganze Nacht lang durchlese, weil ich das Buch nicht beiseitelegen kann^^;
 

@ Asmodina: Ich hätte eine Heizdecke und Eiswürfel im Angebot. Was willst du? ^.~
 

@ -Shin-: Nicht mehr viel, versprochen! Am Ende wirst du sogar sehen, dass ich eigentlich ganz lieb war^^
 

@ Terra-gamy: Manchmal glaub ich, dass du heimlich Zugang zu meinen Storyboards hast. Oder du kennst meinen Erzählstil mittlerweile zu gut…^^;
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Da ich mich im TV oft genug über den Schwachsinn aufrege, den Drehbuchautoren über Diabetes zusammendichten („Er hat die schlimmste Form!“ … oder … „Schnell, er ist unterzuckert! Er braucht sein Insulin!“), bin ich immer sehr penibel, wenn es darum geht, Krankheitsbilder und dergleichen darzustellen.
 

@ all: Viel Spaß mit dem 19. Kapitel!^^
 

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Toshi hatte keine Ahnung, wie lange er letztendlich geschlafen hatte. Was er jedoch wusste, war, dass er sofort aufrecht im Bett saß und hellwach war, als er Kouki panisch nach ihm schreien hörte. Er sprang auf, verhedderte sich natürlich erst einmal in der Decke, die sich während des Schlafes um seine Beine gewickelt hatte, und rannte dann ins nebenanliegende Zimmer, kaum dass er sich befreit hatte.

„Was ist los?“, wollte er von dem anderen wissen noch bevor er wirklich im Raum war und blieb dann irritiert stehen, als er durch die Tür getreten war. Kouki lag halb auf dem Bett und schien mit seinem älteren Bruder zu ringen, der hysterisch um sich schlug, sich bereits völlig in den Schläuchen und Kabeln verheddert hatte und dessen Atemmaske am Kinn hing. Während der jüngere der Brüder versuchte Vernunft in den Älteren einzureden, konzentrierte sich Toshi auf das, was Yoshiki unkontrolliert nach Luft schnappend von sich gab. Das wilde Piepsen des EKGs schob er erst einmal in den Hintergrund und nahm dafür immer wieder seinen Namen oder Fetzen dessen war.

„Toshi, Gott sei Dank bist du da!“, keuchte Kouki und versuchte, seinen Bruder irgendwie zu beruhigen, doch nichts was er tat, schien zu helfen. Im Gegenteil, dieser steigerte sich immer weiter rein und so abgehakt und röchelnd wie er atmete, fürchtete er, dass er bald keine Luft mehr bekam. „Ich krieg ihn einfach nicht beruhigt!“
 

Sofort war Toshi beim Bett, setzte sich darauf und zog Yoshiki in seine Arme, wobei er ihn so an seine Brust drückte, dass er nicht mehr länger um sich schlagen konnte.

„Shhhhh, Yocchan… alles okay… alles ist gut!“, redete er in einem ruhigen Tonfall, in dem man normalerweise wohl eher auf ein kleines, panisches Kind einging, auf ihn ein und wiegte ihn leicht hin und her, während der Jüngere ihn aus weitaufgerissenen Augen anstarrte und nach Luft schnappte. Kouki hatte sich unterdessen wieder aufgerichtet und beobachtete, wie sein Bruder langsam ruhiger wurde – zumindest hatte er aufgehört mit den Armen wild um sich zu schlagen.

„Alles okay, Yocchan… alles okay…“, wiederholte Toshi immer wieder dieselben Worte und legte seine Stirn gegen Yoshikis.

„….. –shi…….“

„Ich bin hier, Yocchan… ich bin hier… alles ist gut…“ Er war froh, als der Jüngere sich endlich beruhigte und wieder langsamer atmete, anstatt wie ein Fisch an Land nach Luft zu schnappen. Allmählich begann er seinen Griff um den anderen zu lockern und hob den Kopf wieder an, um ihn direkt anzusehen, wobei er seinen Blick erwiderte. Doch wenn sich Toshi nicht ganz täuschte, dann glaubte er darin so etwas wie Angst und Furcht zu sehen. Die Frage war nur weshalb und wovor?

„……. Tocchi……..“

„Shhhhh, ich bin hier, Yocchan…“ Sanft strich er über die Wange des anderen und wiegte ihn wie ein kleines Kind leicht hin und her. „Ich werde dich mal entheddern…“ Behutsam legte er ihn zurück auf die Matratze, aber Yoshiki wollte direkt die Hand nach ihm ausstrecken und ihn festhalten, doch durch den Salat aus Kabeln und Schläuchen hing er fest, sodass Toshi sie ergriff und wieder auf die Brust des Jüngeren legte.

„……. Tocchi……….“

„Ich befreie dich nur rasch, okay?! … Ich geh nirgendwo hin…“ Vorsichtig begann er das Chaos zu entwirren und fragte sich einmal mehr, was genau vorgefallen war, dass es dazu gekommen war. Nach ein paar Minuten hatte er seinen besten Freund schließlich aus dem Gewirr befreit, das einzige, das er noch ordnen musste, war die Maske des Sauerstoffgerätes, welche er behutsam von dessen Gesicht nahm, den Schlauch entdrehte und sie ihm dann wieder aufsetzen wollte, als Yoshiki erneut die Augen aufriss und seine Hand wegschlagen wollte.

„Shhh, das ist nur eine Sauerstoffmaske“, erklärte Toshi ruhig und fasste den schmalen Arm des anderen, um ihn wieder auf die Matratze zu drücken. „Siehst du?“ Damit hielt er ihm die Maske direkt vor die Augen und drückte sie anschließend leicht über Mund und Nase, ohne die Gummiriemen über seinen Kopf zu ziehen. „Du nimmst dadurch lediglich mehr Sauerstoff auf, auch wenn deine Atemleistung eingeschränkt ist…“ Als Yoshiki keine Anzeichen mehr machte, ihn abzuwehren und ruhig durch die Maske atmete, setzte Toshi sie wieder richtig auf und nahm seinen besten Freund dann wieder in den Arm, wobei er darauf achtete, dass er hoch genug lag, um richtig Luft zu bekommen.

„Siehst du, alles okay, Yocchan…“ Erneut redete er leise auf den Jüngeren ein und wiegte ihn wie ein kleines, verängstigtes Kind hin und her, während Yoshiki seinen Kopf gegen seine Schulter lehnte, die Augen schloss und sich seine linke Hand in Toshis Hemd verkrallte. Am Rande bekam der Ältere mit, wie das EKG nicht mehr wild piepste und es dauerte nicht lange, bis der andere erneut eingeschlafen war, sodass er schließlich aufblickte und zu Kouki sah, der schweigend am Fußende saß und sich auf die Unterlippe biss.
 

„Was war los?“, wollte Toshi wissen, während er seinen besten Freund weiter im Arm hielt.

„Das frage ich mich auch“, entgegnete der jüngere der Brüder und strich sich durch die Haare. „Er ist plötzlich wach geworden und hat angefangen zu würgen, also hab ich ihn hochgezogen, ihm die Maske heruntergezogen und ihm die Schüssel hingehalten.“

„Hat er sich erneut erbrochen?“

„Nein, er hat ein paar Minuten lang gewürgt, aber nichts von sich gegeben… Ich hab dabei die ganze Zeit mit ihm geredet, hab ihm über den Rücken gestrichen und er hat absolut keine Reaktion gezeigt… Und plötzlich, als ich die Schüssel wegnahm, hat er mich völlig entsetzt angesehen und angefangen hysterisch zu werden. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen, aber es ist nur schlimmer geworden. Er hat angefangen um sich zu schlagen, er hat nach dir gerufen… als ich versuchte, ihm klar zu machen, dass du gerade nicht da bist, ist er völlig ausgerastet…“

Seufzend hörte Toshi Koukis Ausführungen zu und drückte dabei Yoshiki an sich.

„Wie hast du ihn so schnell ruhig bekommen?“

„Indem ich da war“, antwortete der Älteste leise und malte unregelmäßige Muster auf den Oberarm seines besten Freundes, der friedlich schlief und ihn noch immer am Hemd festhielt. „Ich glaube, seine größte Angst ist aufzuwachen und festzustellen, dass alles nur ein Traum war, dass ich wirklich tot bin und er alleine ist und ich diesmal wirklich nicht mehr zurückkomme, so wie beim letzten Mal… Vorgestern hat er am Nachmittag etwas geschlafen und ich war draußen, als er aufgewacht ist, anstatt bei ihm, wie sonst immer… er hat mir erzählt, dass er dachte, als er mich nicht direkt gesehen hat, es wäre alles nur ein Traum gewesen… dann hat er allerdings meine Sachen gesehen und wusste, dass ich bei ihm war… Hier in diesem Schlafzimmer gibt es nichts, dass auch nur im entferntesten auf mich hindeutet und ihm versichern könnte, dass ich am Leben bin und er es nicht geträumt hat…“

„Aber es war, als hätte er mich absolut nicht erkannt!“, beharrte Kouki und klares Unverständnis war in seinen Augen zu sehen.

„Er war wahrscheinlich nicht mal wirklich wach und verwirrt und irritiert… er wusste nicht, wo er war… und wenn in seinem Kopf wirklich ein weiterer Tumor wächst, dann können wir nur erahnen, wie das seine Wahrnehmung und sein Verhalten beeinflussen könnte…“

„Aber er hat sofort auf dich reagiert! … … Manchmal denke ich fast, dass er dich mehr als Familie ansieht als mich… …“

„Kouki… ich weiß, dass er auf mich fixiert ist, jetzt noch viel stärker als zuvor, aber weißt du… in all der verrückten Zeit, die X war, da waren wir beide füreinander die einzige Konstante, von der wir wussten, dass sie morgen auch noch da sein würde… es war egal was passierte, wir konnten uns darauf verlassen, dass wir am nächsten Morgen zumindest den jeweils anderen noch immer hatten… Und solange wir beide uns hatten, war für X alles möglich… auch wenn wir unsere Mitglieder zum Teil häufiger gewechselt haben als manche ihre Unterwäsche, wir wussten, solange wir den jeweils anderen hatten, konnten wir mit X alles schaffen…“, erklärte Toshi leise und drückte Yoshiki unterbewusst an sich. „Aber Kouki, komm nie auf den Gedanken, er würde dich nicht als Familie ansehen…! Du und eure Mutter wart die einzigen Personen nach denen er explizit gefragt hat, wie es ihnen geht. Er hat von sich aus die Zustimmung gegeben, dass ich dich anrufe, um dir zu sagen, dass ich ihn gefunden habe…“

„Das heißt, wenn er nicht eingewilligt hätte, hättest du mir nie erzählt, dass du ihn gefunden hast?“

„Wenn es sein Wunsch gewesen wäre, dann hätte ich das respektiert und geschwiegen“, bestätigte Toshi. Es wäre ihm sicherlich nicht leicht gefallen, so viele Menschen, die ihm nahe standen, anzulügen, aber wenn es das gewesen wäre, was Yoshiki gewollt hätte, dann hätte er es getan. Auch wenn er selbstverständlich nichts unversucht gelassen hätte, ihn anders zu überzeugen. „Und als er erst nicht mit dir reden wollte, lag das nicht daran, dass er mit dir nichts zu tun haben wollte, sondern viel mehr daran, dass er deine Reaktion gefürchtet hat, weil er ganz genau wusste, dass er dich verletzt hatte… und glaub mir, man fürchtet nur den Zorn derer, die man wirklich liebt, weil man Angst hat, dass da nur noch Wut ist und man mit seinem Verhalten alle anderen Emotionen zerstört hat!“

„Sprichst du aus Erfahrung?“, hakte Kouki mit hochgezogener Augenbraue nach.

„Ja… Yoshiki und ich wir hatten beide Angst, dass der jeweils andere nichts mehr von einem wissen wollte, weil er von Hass zerfressen war… In Wirklichkeit hatten wir schon Jahre vor unseren ersten Gesprächen aufgehört, wütend auf den anderen zu sein… Aber das ist jetzt nicht relevant! Relevant ist, dass das, was du dir da zusammengesponnen hast, reiner Schwachsinn ist! Ich meine, wenn Yoshiki dich nicht als Familie ansehen würde, dann hätte er sicherlich auch kein Interesse an seinem kleinen Neffen und dann hätte er mir garantiert auch nicht unter Tränen gesagt, dass er nicht sterben will, weil er den Kleinen aufwachsen sehen will!“

„Er weiß von Yocchan?“

„Ich hab ihm von ihm erzählt… ich glaub, es hat ihn ein wenig gerührt, dass du deinen Sohn nach ihm benannt hast“, entgegnete Toshi mit einen leichten Grinsen auf den Lippen, während Kouki ertappt seine Finger verbog, eine Geste die der Ältere auch nur zu gut von Yoshiki kannte, wenn sich dieser in einer ähnlichen Situation befand.

„Du weißt genau, dass ich das nur deshalb gemacht habe, weil alle anderen Namen, die auf –ki enden, doof klingen und ich wollte ihn jetzt auch nicht unbedingt nach mir benennen… so selbstverliebt bin ich beim besten Willen nicht! Das würde ich eher noch meinem Bruder zutrauen, aber da du ja keine Kinder bekommen kannst, wird die Welt von diesen Auswüchsen seiner narzisstischen Züge zum Glück verschont…“

„Bitte was?!“ Hatte er das gerade richtig gehört oder spielte der Jetlag seinen Ohren einen Streich?

„Ich bitte dich“, entgegnete Kouki schulterzuckend, „du stehst ihm näher als seine zig Freundinnen es je taten oder er hätte doch schon längst eine von denen geheiratet. Stattdessen hat er eine Zeit lang seinen Spaß mit ihnen, bevor er schließlich das Interesse an ihnen verliert, sie aber noch eine Weile behält, damit die Presse ihn in Ruhe lässt, und sie dann abschießt.“

„Er hat nur deshalb nie geheiratet, weil er sich selbst einfach unsicher war, ob er von einer Frau verlangen konnte, damit leben zu müssen, dass die Musik für ihn immer an erster Stelle käme!“

„Weißt du, wie oft ich von Yoshiki zu hören bekam ‚Sorry, Kouki, kann jetzt nicht, bin mit Toshi zum Essen verabredet!‘ ?“ Statt auf eine Antwort zu warten, fuhr er direkt fort. „Immer! Und weißt du, wie oft ich mit ‚Warte kurz, Kouki, ich sag nur schnell wie-auch-immer-seine-Freundin-gerade-hieß ab!‘ abgewürgt wurde, nur damit er mich ein paar Minuten später zurückrief? Ständig!“

„Das ist doch…!“

„Ich sag nur“, entgegnete Kouki, wobei ein leichtes Grinsen seine Lippen umspielte, während Toshi scheinbar noch am Überlegen war, ob er ihn für diesen Unsinn einweisen lassen sollte oder es vielleicht doch besser wäre, ihn mit Blicken zu erdolchen. Zum Glück des Jüngeren, wurde dessen Aufmerksamkeit jedoch sehr schnell von ihm auf dessen großen Bruder gelenkt.
 

„….. Toshi……..“ Die Stimme war sehr leise und durch die Sauerstoffmaske auch noch sehr gedämpft, aber der Ältere nahm es trotz allem wahr, sodass er Kouki Kouki sein ließ und stattdessen zu Yoshiki blickte, der ihn aus halbgeöffneten Augen ansah und diesmal weitaus klarer wirkte als noch vor kurzem.

„Hey… du bist ja wach!“, lächelte Toshi und drückte ihn leicht an sich, während der andere mit der Hand, an der sich auch der Zugang befand, vorsichtig das seltsame Ding in seinem Gesicht abtastete und es schon wegschieben wollte, als sein bester Freund ihn davon abhielt, indem er sein Handgelenk festhielt. „Das ist nur eine Sauerstoffmaske, lass sie vorerst auf. Dadurch nimmst du mehr Sauerstoff auf…“

„Krankenhaus?“, fragte Yoshiki und starrte auf seinen zugepflasterten und verbundenen Handrücken, in den ein durchsichtiger Schlauch führte.

„Nein, wir sind in deinem Penthouse“, erklärte Toshi, „Doktor Hiraishi war hier und hat dich untersucht. Er hat dir unter anderem den Zugang gelegt, damit dein Körper nicht noch weiter austrocknet und wir dir zudem die Schmerzmittel intravenös geben können.“

„Piepen?“

„EKG“, antwortete der Ältere und schob Yoshikis Pullover ein wenig hoch, damit dieser die Elektroden sehen konnte, die auf seinen Oberkörper geklebt waren. „Der Doc braucht ein Langzeit-EKG von dir und außerdem hat er beim Abhorchen Unregelmäßigkeiten festgestellt. Er hielt es für sicherer, dich fürs erste daran anzuschließen…“

„Nervig…“

„Ich weiß“, lachte Toshi kurz leise auf, „ich bin mir sicher, dass man es auch leiser stellen kann.“ Lächelnd strich er über die Stirn des anderen, die sich, wenn er sich nicht ganz täuschte, etwas kühler anfühlte, während sich der Jüngere an ihn schmiegte und leicht zusammenrollte. „Wie fühlst du dich, Yocchan?“

„…… müde…… kalt……“

Kommentarlos angelte der Ältere nach einer der dünnen Decken aus dem Flugzeug, die noch immer im Bett lagen und zog sie über Yoshiki, der mit einer Hand an einem Ende zerrte, damit sie bis zu seinem Kinn ging.

„Schmerzen?“ Erleichterung breitete sich in Toshi aus, als der andere leicht mit dem Kopf schüttelte und sich in die Decke einkuschelte.

„……. Nur müde…“

„Bevor du gleich wieder einschläfst, schau mal, wer noch hier ist…“ Damit deutete der Kleinere auf den Jüngeren der Brüder, der bisher schweigend dabei gesessen hatte. Irritiert folgte Yoshiki dem Zeigefinger seines besten Freundes und blieb dann an jemanden hängen, den er schon seit über vier Jahren nicht mehr gesehen hatte.

„Kouki…“

„Siehst du, er erkennt dich“, triumphierte Toshi und grinste den Jüngsten in der Runde an, während Yoshiki nur verwirrt drein blickte. Weshalb sollte er seinen Bruder auch nicht erkennen?

„Hey…“ Damit rutschte Kouki ganz zu ihm und ergriff seine Hand als er sie nach ihm ausstreckte.

„Weshalb sollte ich ihn nicht erkennen?“, wollte er von seinem besten Freund wissen, den er fragend anblickte.

„Erinnerst du dich nicht an vorhin?“

„Vorhin?“

„Du warst kurz wach, weil dir schlecht war. Ich war im Zimmer nebenan und hab geschlafen, während du nach mir gerufen hast… Kouki hat versucht dich zu beruhigen, aber du hast gar nicht reagiert, bist nur noch hysterischer geworden…“

„Das letzte woran ich mich erinnere, ist, dass… dass wir im Flieger waren und du mich festgehalten hast…“, überlegte Yoshiki angestrengt und sah dann wieder zu seinem kleinen Bruder. Er sah noch immer genauso aus, wie er in Erinnerung hatte – höchstens die ein oder andere Falte war hinzu gekommen. Um sich richtig aufzusetzen, verkrallte er seine Hand in Toshis Oberteil und zog sich dann hoch, wobei der Ältere ein wenig nachhalf, ehe er sich zu Kouki lehnte und beide Arme um diesen schlang, sodass sich jener plötzlich in einem Salat aus Kabeln und Schläuchen wiederfand.

„Ich hab dich vermisst, Kicchan…“

Etwas überrumpelt blickte der Jüngere drein, ehe er schließlich die Arme um seinen großen Bruder legte und ihn an sich drückte, wobei es ein seltsames Gefühl war, dass er dabei nur zu deutlich dessen Knochen spüren konnte. Wenn er wollte, hätte er mühelos anfangen können, die Wirbel oder Rippen des anderen zu zählen, die sich seinen Händen entgegen wölbten.

„Ich dich auch… ich dich auch, Yoyo…“, seufzte Kouki und lehnte seinen Kopf gegen Yoshikis, während er kurz zu Toshi blickte, der ihn nur anlächelte, und dann die Augen schloss. Es tat gut nach all den Jahren seinen Bruder wieder zu haben, auch wenn er manchmal eine ziemliche Nervensäge sein konnte und er ihn am liebsten auf den Mond schießen würde.

„Tut mir Leid, Kouki… dass ich dich einfach so zurückgelassen habe…“, flüsterte Yoshiki leise und schmiegte sich an den anderen, während er die Augen schloss und die Nähe genoss.

„Was ich vor ein paar Tagen am Telefon gesagt habe… ich hab es nicht so gemeint…“

„… ich weiß… auch wenn du nicht ganz unrecht hattest…“

„Ich bin nur froh, dass ich dich noch einmal sehen kann“, wisperte Kouki und drückte seinen Bruder so fest er konnte an sich, wobei er fast schon Angst hatte, dass er ihm im nächsten Moment die Knochen brach. Yoshiki nickte nur leicht und hielt sich stärker an ihm fest, während er sein Gesicht, so gut es mit der Atemmaske ging, in Koukis Nackenbeuge vergrub. Als dann einige Minuten lang Stille zwischen ihnen geherrscht hatte, in denen sie lediglich die Wärme des jeweils anderen aufgesogen hatten, drehte der Jüngere von ihnen schließlich seinen Kopf, sodass er den anderen sehen konnte und stellte fest, dass dieser wieder eingenickt war.

„Er schläft, Toshi…“

„Dann lassen wir ihn… Sein Körper kann die Ruhe definitiv gebracht…“

Als Kouki ihm den anderen zurückgeben wollte, wehrte er ab und drückte ihn wieder zu ihm.

„Halt ihn ruhig…“, entgegnete Toshi mit einem Lächeln. Die beiden hatten sich schließlich seit Ewigkeiten nicht gesehen und es schadete sicherlich nicht, wenn sie noch ein wenig Zeit miteinander verbrachten. Das letzte, das er schließlich wollte, war, Kouki kostbare Zeit mit seinem Bruder zu stehlen, indem er ihn die ganze Zeit in Beschlag nahm. „Ich hab ihn so ziemlich den halben Tag im Arm gehabt… so langsam spür ich meine Oberarme nicht mehr…“

„Und wie?“ Hilflos dreinblickend sah er zu Toshi der aufgestanden war und sich ein leises Kichern nicht verkneifen konnte.

„Kouki, du weißt, wie man ein Baby im Arm hält, das ist mit Yosh nicht viel anders! Pass lediglich auf, dass sein Kopf mehr auf Schulter- als auf Brusthöhe liegt, so kriegt er leichter Luft.“

„Er ist viel größer als seine Miniausgabe!“

„Du kriegst das sicherlich für ein paar Minuten hin“, entgegnete der Ältere zuversichtlich und ging Richtung Tür, „ich bin nämlich am Verhungern und brauch erst einmal etwas zum Essen.“

„Ne, Toshi…“

„Ja?“ Er drehte sich noch einmal zu Kouki um, der etwas umständlich versuchte, die Kabel vom EKG beiseite zu schieben.

„Yoshiki hat gesagt, er will den Kleinen kennen lernen?“

„Worauf willst du hinaus?“

„Sugizo und die anderen hatten für morgen Abend eine kleine Willkommensparty vorgeschlagen… ich würde es davon abhängig machen, wie es ihm Morgen geht… aber wenn wir es durchziehen, dann fällt mir sicher eine plausible Erklärung für Chika ein, weshalb ich den Kleinen mal für ein paar Stunden entführen muss.“

„Das würde ihn sicherlich sehr freuen, Kouki“, entgegnete Toshi lächelnd und ging dann in die Küche, während er sein iPhone aus der Tasche zog, um ein paar Anrufe zu tätigen. Auf seinem Weg zur offenen Kochecke entdeckte er zu seiner Zufriedenheit sein Gepäck im Flur und auf dem Bartresen, der die Küche vom Wohnraum abtrennte sowohl seine wie auch Yoshikis Ausweisdokumente. Er war gerade beim Kühlschrank angekommen und hatte diesen geöffnet, als die erste Person, die er angewählt hatte, abnahm.

„Hey, Sugizo… Ja, wir sind in Tokyo gelandet… Hör mal, kannst du für einen Moment mal kurz die Luft anhalten, ehe du mich weiter löcherst? Ich muss was mit dir besprechen…“

Âme Sœur

@ -Shin-: Freut mich, dass du mit Kouki warm wirst :) Neben Yoshiki und Toshi ist er einer meiner Lieblingscharaktere zu schreiben.
 

@ hide_sama: *g* Sorry, das mit der angedeuteten mpreg musste einfach sein. Es gab zu früheren Zeiten, gerade im englischen Fandom etliche Stories, die in der Richtung den Vogel abgeschossen hatten. Die Parodie musste einfach sein ;)
 

@ Asmodina: Gibt sie ihm definitiv!
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Koukis Frau heißt im echten Leben auch Chika ;)
 

@ Terra-gamy: Ich verrat mal so viel, dass a) die Party stattfindet und b) Yoshiki nicht die Hälfte verschläft. Dafür streiten er und Kouki sich…
 

@ all: Ich wünsch euch viel Spaß beim Lesen!
 

••••••••••••••••••••
 

Kouki war noch bis zum Abend bei seinem großen Bruder und dessen besten Freund im Penthouse geblieben, ehe er sich schließlich verabschiedet hatte, jedoch versprach, am Vormittag wieder zu kommen. Toshi hatte sich dann wenig später zu Yoshiki ins Bett gelegt und die erste Nacht seit einigen Tagen gut geschlafen, weil er wusste, dass ihn das EKG wecken würde, sollte irgendetwas mit dem Jüngeren sein. Zuvor hatte er noch den Beutel mit der Flüssigkeit ausgetauscht und ihm seine Medikamente gespritzt, sodass er hoffentlich eine schmerzfreie Nacht verbringen würde.

Als er schließlich wieder langsam wach wurde, da ihn die Sonnenstrahlen an der Nasespitze kitzelten, hatte er zwar absolut kein Gefühl für die Uhrzeit, dafür hatte er aber den Eindruck, dass irgendetwas auf seinem Brustkorb lag, sodass er nicht ganz so tief atmen konnte wie gewohnt. Verschlafen blinzelte er mit den Augen und als sie sich schließlich an das helle Licht gewöhnt hatten, erkannte er seinen besten Freund, der seine Ellenbogen auf seine Brust gestützt hatte und ihn über die Atemmaske hinweg ansah. Er wurde mit einem ungeduldigen „Endlich bist du wach!“ begrüßt, während er sich gähnend streckte.

„Yocchan? … Was bist du schon auf?“, fragte er mit schlaftrunkener Stimme und schlang die Arme um den zierlichen Körper, um ihn an sich zu drücken.

„Schon?“, wiederholte Yoshiki und verschränkte seine Arme auf Toshis Brust, damit dieser ihn näher an sich ziehen konnte. „Vor 10 Stunden war es auf dem Wecker am Nachttisch 8 Uhr.“

Erneut gähnend drehte der Ältere den Kopf in die entsprechende Richtung, nur um festzustellen, dass es halb neun durch war.

„Dir scheint es ja heute bedeutend besser zu gehen…“

„Darf ich aufstehen? Ich hab keine Lust, die ganze Zeit ans Bett gefesselt zu sein… und die Atemmaske nervt beim Reden!“

„Darfst du“, entgegnete Toshi schmunzelnd und zog dem anderen die Sauerstoffmaske vom Kopf. Es tat gut, ihn wieder so lebendig zu sehen. „Denkst du, du kriegst auch eine Kleinigkeit runter?“

„Machst du mir…“ Für einen Moment legte er den Kopf in einer überlegenden Geste schief. „… machst du mir Misosuppe?“

„Ich hab ehrlich gesagt keine Ahnung, ob unsere Vorräte Dashi und Misopaste enthalten, aber wenn alles da ist, kriegst du deine Misosuppe“, versprach Toshi und war froh, dass er den Jüngeren offensichtlich nicht zum Essen zwingen musste.

„Und ich will Mousse à la banane!“

„Also Matschbanane…!“

„Mousse à la banane klingt plus cultivé!“

„Comme vous voulez, Monsieur!“, schmunzelte der Ältere und schob Yoshiki von sich, damit er sich aufsetzen konnte und beugte sich dann einmal über den anderen hinweg, um das EKG auszuschalten und anschließend die Kabel von den Elektroden zu entfernen.

„Kann ich die Dinger nicht auch noch wegmachen?“, wollte der Jüngere wissen und wählte extra einen jammernden Tonfall, während er schon anfing, an einem der Pflaster herumzupuhlen. „Das juckt darunter!“

„Vergiss es, die Elektroden bleiben dran“, entgegnete Toshi und schlug die schmale Hand weg. Zum Glück hatte er gerade die letzten Kabel entfernt, sodass er sie gleich bei sich behielt und Yoshiki vom Tropf trennte. „Okay, kannst aufstehen“, meinte er dann schließlich, als er fertig war und krabbelte selbst aus dem Bett, um dem anderen eine helfende Hand hinzuhalten. Nachdem er solange gelegen hatte, wollte er kein Risiko eingehen, dass er direkt zusammenklappte, weil sein Kreislauf überfordert war. Kommentarlos ergriff Yoshiki die Hand und ließ sich hochziehen, wobei er sich an Toshis Schulter abstützte sobald er stand, da er merkte, wie im ersten Moment alles Blut vom Kopf in Richtung Beine rauschte.

„Alles okay?“

„Geht schon… mein Kreislauf muss nur erst auf Touren kommen…“, entgegnete der Jüngere und ließ schließlich los, als er das Gefühl hatte, nicht mehr direkt den Boden zu küssen, sobald er auch nur einen Schritt wagte.

„Kann ich dich im Bad alleine lasse? Dann würde ich derweil Frühstück machen…“

„Geh schon, ich komm alleine klar. Mach mir lieber meine Misosuppe – ich hatte seit vier Jahren keine mehr!“, scheuchte Yoshiki den Älteren nach draußen und ging langsam in Richtung Bad, sodass sie wenig später schließlich gemeinsam am Bartresen saßen und frühstückten.
 

Toshi hatte in den Vorräten keine Zutaten für eine frischgekochte Suppe gefunden, dafür jedoch Instantmisosuppe. Dazu hatte er noch Reis gekocht, dem Jüngeren sein Mousse à la banane gemacht und Tee gebrüht.

„Was hältst du eigentlich davon, wenn später Heath, Pata und Sugizo sowie Kouki und deine Mutter vorbeikommen?“, wollte Toshi wissen, als er die letzten Reiskörner aufgegessen hatte, während Yoshiki noch immer vorsichtig seine Suppe löffelte, wobei er besonderen Wert darauf zu legen schien, auch ja nichts von dem Instanttofu abzubekommen.

„Sie wollen herkommen?“, fragte er überrascht und schlürfte vorsichtig die warme Flüssigkeit vom Löffel.

„Eine kleine Willkommensfeier sozusagen… nichts großes, nur wir sieben. Und außerdem gäbe es da noch eine kleine Überraschung für dich“, äußerte der Ältere grinsend.

„Überraschung? Was für eine?!“

„Wenn ich es dir sagen würde, dann wäre es keine mehr…“

„Gemein…“, schmollte Yoshiki und wollte schon den Löffel in den Mund schieben, als er ein Stückchen Tofu darauf entdeckte, sodass es sich anders überlegte und das Besteck lieber noch einmal in die Schüssel eintauchte.

„Sag mal, ist der Tofu vergiftet oder wieso isst du den nicht?“

„Das ist diese Trockenvariante… die schmeckt ekelhaft“, erklärte der Jüngere und schlürfte erneut lediglich die Suppe, während Toshi angesichts seiner Antwort nur mit den Augen rollte und ihm dann seine eigene, mittlerweile schon leere Schale hinschob.

„Tu deinen Tofu zu mir, das kann man sich ja nicht mit ansehen…!“ Damit stand er auf und ging zum Kühlschrank, wo er glaubte, er hätte Seidentofu gesehen. Er räumte ein wenig hin und her, bis er schließlich gefunden hatte, was er gesucht hatte. Nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte, holte er sich aus dem Hängegeschränk eine wiederverschließbare Dose, schnitt den Tetrapack, in dem der Tofu war, mit einem Messer auf und ließ den Inhalt in die Tupperdose gleiten. Vorsichtig schnitt er einen Teil ab, nahm ihn dann einfach in die Hand, ging damit zu Yoshiki und bröselte den weichen Seidentofu in dessen Misosuppe, wobei ein kurzer Blick in seine eigene Schüssel ihm zeigte, dass sein bester Freund bereits fleißig den Instanttofu herausgefischt hatte.

„Danke“, flötete der Jüngere und grinste Toshi breit an, der nur den Kopf schüttelte, sich rasch die Hände wusch, aus dem Kühlschrank noch die Spritze mit den Medikamenten herausnahm, damit sie sich erwärmen konnten, und sich dann wieder an die Bar setzte und die Tofustücke aß.

„Ich weiß echt nicht, was du dagegen hast“, äußerte der Ältere zwischen zwei Bissen, „sicherlich, es gibt besseres, aber deswegen erstickt man nicht daran.“

„Ich schon“, konterte Yoshiki und nickte bestätigend mit dem Kopf, ehe er sich, wie schon die Minuten davor interessiert umblickte. Es sah nicht so aus, als hätte sich während seiner Abwesenheit viel in dem Penthouse verändert, aber es waren definitiv einige Sachen dazu gekommen, die ihm zwar bekannt vorkamen, die aber eigentlich in eine andere Wohnung gehörten, die allerdings nicht auf ihn lief.

„Sag mal, Tocchi… weshalb ist hier eigentlich so viel Zeugs von dir? Deine ganzen Gitarren stehen beim Flügel und die ganzen Bilder an den Wänden und in den Regalen gehören auch eindeutig dir…“

„Weil ich vor etwa zwei Jahren mit der Überlegung gespielt habe, meine Wohnung zu kündigen“, erklärte Toshi schulterzuckend, während er die leere Schale auf den Tisch stellte und den Löffel hineinlegte, „Irgendwie erschien es mir unsinnig, zwölf Monate lang Miete zu bezahlen, wenn ich vielleicht zwei Monate im Jahr drin wohnte. Als Kouki das mitbekam, bot er an, dass ich ins Penthouse ziehen könnte. Er meinte, es würde nicht wirklich einen Unterschied machen, ob es nun das ganze Jahr über mehr oder weniger unbenutzt wäre oder wenn ich es für ein paar Monate im Jahr nutze… also hab ich meine alte Wohnung aufgelöst und bin hier eingezogen.“

„Und wo schläfst du? Der Master Bedroom sieht noch genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte und im Schrank waren auch noch meine Klamotten“, äußerte Yoshiki und zupfte zur Unterstreichung seiner Äußerung an seinem Shirt, das er vorhin aus dem Kleiderschrank gezogen hatte. Eigentlich hatte er nicht damit gerecht, dort noch Sachen von sich zu finden, doch alles war noch so eingeräumt gewesen, wie er es zurückgelassen hatte.

„Ich habe mich im Gästezimmer nebenan ausgebreitet… Ich habe den Master Bedroom stets als dein Schlafzimmer angesehen... Es hätte sich falsch angefühlt, sich dort plötzlich breit zu machen…“, erklärte Toshi leise und starrte lieber auf dem Tisch. Kouki hatte ihm damals auch gesagt, er solle einfach das größte Schlafzimmer nehmen und die Sachen seines Bruders in Kisten räumen, doch für ihn wäre das gleichbedeutend gewesen mit der Akzeptanz, dass sein bester Freund nie mehr zurückkommen würde. Aus demselben Grund hatte er auch sonst kaum etwas an der Einrichtung verändert…

„Du hättest ruhig das große Schlafzimmer nehmen können“, entgegnete Yoshiki und legte dem Älteren eine Hand auf den Rücken, nachdem er endlich seine Suppe aufgegessen hatte, und beugte sich zu ihm, um seinen Kopf gegen seine Schulter zu lehnen.

„Es wäre nicht richtig gewesen, Yocchan“, äußerte Toshi und legte seinerseits einen Arm um den anderen und strich kurz über dessen Rücken, ehe sich der Jüngere wieder richtig hinsetzte und anfing, langsam sein Mousse à la banane zu essen.
 

Wenig später, kurz nachdem der Ältere ihm die Medikamente verabreicht hatte, kam Doktor Hiraishi vorbei, um nach seinem Patienten zu sehen und war überrascht, wie gut es diesem im Vergleich zum Vortag ging. Erneut führte er einen allgemeinen Check durch, der diesmal jedoch weitaus ausführlicher war, da Yoshiki direkt ihm Rede und Antwort stehen konnte. Toshi saß neben ihm auf dem Sofa und war erfreut darüber zu hören, dass sich alle Werte verbessert hatten. Überdies machte er drei Kreuze, dass der Jüngere seit dem Frühstück noch keine Anzeichen gezeigt hatte, dass ihm schlecht wäre, sodass er hoffte, dass dies auch den restlichen Tag über so bleiben würde. Es war eindeutig besser, wenn der andere Nahrung und Flüssigkeit selbstständig zu sich nahm, statt dass man sie ihm intravenös zuführen musste.

Als der Arzt schließlich mit allen Untersuchungen fertig war und er Yoshiki noch gefühlte sechs Liter Blut abgenommen hatte, verabredeten sie, dass Toshi mit ihm am nächsten Abend in die Privatklinik käme, wobei er sicherstellen würde, dass alle entsprechenden Bereiche abgeriegelt wären, sodass keiner ihn zu Gesicht bekäme. Es war bereits gegen Mittag, als sich der in die Jahre gekommene Doktor schließlich wieder verabschiedete und Toshi noch mehrere aufgezogene Spritzen mit Schmerzmitteln sowie weitere Beutel mit Flüssigkeit daließ.
 

Nachdem der Kleinere die ganzen Sachen in den Kühlschrank geräumt und Yoshiki eine Decke aus dem Schlafzimmer gebracht hatte, da er sich durch die Medikamente und die Blutentnahme etwas schläfrig fühlte und sich daher auf die Ledercouch gelegt hatte, machte er sich daran, in der Küche Shouyu-Ramen zum Mittag zuzubereiten. Die Eier waren jedoch noch nicht einmal richtig hartgekocht, als das „Ping“ des Aufzuges einen Besucher ankündigte, wobei es nicht allzu viel Auswahl gab, wer es sein könnte, da nur wenige Leute eine entsprechende Karte hatten, die ihnen Zugang zum Penthouse gewährte. Er musste auch gar nicht lange herumraten, wer der Gast sein könnte, da er im nächsten Augenblick auch schon wutschnaubend in die Wohnung gestapft kam und ihn wohl in der Küche gehört haben musste, wie er mit den Töpfen herumhantierte, da er direkt zum Bartresen kam.

„Toshi, halt mich davon ab, dass ich da unten gleich Köpfe rollen lasse!!“, grollte Kouki und setzte sich auf einen der Barhocker, während er seine Krawatte lockerte. Dass sein Bruder im angrenzenden Wohnzimmer dösend auf dem Sofa lag, hatte er noch gar nicht registriert.

„Was ist los?“, fragte Toshi und schaltete die Eier aus. Er ging davon aus, dass mit „da unten“ Extasy Records und die JMA gemeint waren.

„Ach, diese Arschlöcher vom Management liegen mir schon wieder wegen dieses bescheuerten Memorialalbums in den Ohren“, machte Kouki seinem Ärger Luft, wobei Toshi großzügiger Weise einmal nicht darauf hinwies, dass der Jüngere eigentlich auch Teil des Managements war. Stattdessen angelte er lieber die Eier aus dem Wasser und schreckte sie ab. „Ich meine, ich finde es so schon morbid genug, den Tod meines Bruders zu vermarkten, aber da unten zu sitzen und mir was anhören zu dürfen von wegen ‚Die Fans erwarten es!‘ oder ‚Das ist das Standardprozedere!‘, während ich weiß, dass er sich ein paar Stockwerke weiter oben befindet und am Leben ist, ist einfach nur makaber! Und heute haben sie dann echt noch den Vogel abgeschossen!!“

Gedanklich machte Toshi drei Kreuze, dass er Kouki nur im musikalischen Bereich aushalf und dieser nicht auch noch von ihm erwartete, dass er sich um das ganze geschäftliche Drumherum kümmerte. Er hätte nicht den Nerv dazu, sich die ganze Zeit mit diesen Schlipsträgern herumzuschlagen, die nur Zahlen sahen.

„Was haben sie diesmal gemacht?“ hakte er nach und legte den Löffel sowie die Eier beiseite, nachdem er mit dem Abschrecken fertig war.

„Du weißt doch, dass die Studios praktisch mit zwei Servern arbeiten. Auf dem einen liegen die ganzen abgeschlossenen Sachen und die, die gerade noch bearbeitet werden, während auf dem anderen die Demos sind sowie all die Songs, die Yoshiki mal angefangen und dann wieder verworfen hat, weil sie seiner Meinung nach nicht perfekt waren…“

„Ich erinnere mich… an einem Teil der ganzen verworfenen Sachen war ich schließlich beteiligt“, entgegnete Toshi und warf einen kurzen Blick in Richtung seines besten Freundes, der jedoch nichts von der Unterhaltung mitzubekommen schien.

„Auf jeden Fall soll jetzt angeblich der letztgenannte Server voll sein und es wäre weitaus rentabler, wenn wir einen Großteil der unfertigen Songs abmischen und in mehreren Memorialalben veröffentlichen und sie im Zuge dessen auf den anderen Server schieben, als wenn wir einen weiteren Server anschaffen!“

„Ich hatte immer wieder Demos mit auf den Server geschoben, wenn ich irgendwelche Songideen hatte…“

„Das ist ja auch in Ordnung“, winkte Kouki ab und fuhr sich durch die Haare, „ich hasse es einfach, wenn sie so eiskalt kalkuliert über das Lebenswerk meines Bruders sprechen.“

„Wer hält die Rechte an den Songs, nun wo alle denken, Yoshiki sei tot?“, fragte Toshi und spielte mit der Frühlingszwiebel umher.

„Keine Ahnung!“, seufzte Kouki, „als ich das letzte Mal in sein Testament geblickt habe, standen da noch immer seine tollen 25%-Angaben von 2009. Wir haben ihm damals schon gesagt, dass das völlig sinnlos ist, aber er meint ja immer, alles besser zu wissen! Ich schätze, da ich ihn seit seinem Verschwinden in allen Geschäften vertrete, liegen die Rechte im Moment wohl bei mir…“

„Also ist es letztendlich deine Entscheidung…“

„Toll, das heißt, ich darf über etwas entscheiden, von dem ich keine Ahnung habe!“, freute sich Kouki, wobei seine Stimme nur so vor Sarkasmus triefte.

„Willst du einen Rat?“

„Bitte!“

„Lass uns mal rein geschäftlich reden: Ich hab keine Ahnung, wie es bei den Songs von Yoshikis ganzen anderen Projekten aussieht, aber bei den X-Sachen sind genügend dabei, von denen ich dir sagen kann, wenn du mir heute den Auftrag gibst, daraus ein Memorial-Album zusammenzustellen, dann hast du in einem Monat ein fertig abgemischtes Doppelalbum. Es gibt da so viele Lieder, denen praktisch nur noch der letzte Schliff fehlt, ehe sie gepresst werden können… Gib mir ein halbes Jahr und du hast mehrere Doppelalben, mit denen du deine Schlipsträger beglücken kannst. Gib mir noch einmal circa ein Jahr Zeit und ich dürfte bei seinen anderen Projekten soweit durch sein, dass du noch einmal mehrere Alben hast…“

„Irgendwie höre ich da ein großes ‚Aber‘ heraus…“, äußerte Kouki und zog eine Augenbraue nach oben.

„Wenn wir hier mal rein privat reden und sämtliches Geschäftliche außen vorlassen, dann sag ich dir, vergiss Yoshikis verworfene Songs auf dem Server. Würden sie seinem Standard entsprechen, hätte er sie schon seit Jahren veröffentlicht und sie nicht auf den Server verbannt, um sie irgendwann mal wieder hervorzuholen, erneut daran zu arbeiten und sie dann wieder zu verwerfen. Ich weiß, dass ihm seit Ewigkeiten genügend Leute in den Ohren liegen, er solle sie doch einfach veröffentlichen, aber er hat sie ignoriert, weil er nicht glücklich damit geworden wäre, diese Songs einem breiten Publikum zugänglich zu machen, wenn sie in seinen Augen, beziehungsweise Ohren, unvollständig sind. Das wäre, als würdest du einem Maler mitten beim Malen die Leinwand wegreißen und ein unfertiges Bild in die Galerie hängen. Ich vermute, ein Großteil der Leute, die Yoshiki damals deswegen in den Ohren lagen, versuchen jetzt dich unter Druck zu setzen…“

„Würde mich nicht wundern“, schnaubte Kouki, „in all den Jahren, in denen ich mittlerweile meinen Bruder im Unternehmen ersetze, lieben sie es immer noch, mich Junior zu nennen, so als wollten sie es mir noch einmal extra unter die Nase reiben, dass sie mich nicht als den Chef ansehen…“

„Rein unter uns gesprochen, würden wir hingehen und all die verworfenen Songs von Yoshiki veröffentlichen, hätte ich das Gefühl, ihn zu hintergehen und diesen Deppen da unten zu helfen, aus seinem Tod so viel Profit wie möglich zu schlagen. Wenn es denen wirklich nur darum geht, das Geld für einen weiteren Server zu sparen, dann kauf ein paar externe Festplatten mit was-weiß-ich-wie-viel Terrabyte, zieh die Songs darauf, verschlüssel die Festplatten, pack sie in einen Safe und den Safe in einen Tresor.“

„Die Idee gefällt mir“, überlegte Kouki mit einem schelmischen Grinsen, als sich plötzlich eine dritte Stimme einschaltete, die ihn fast von seinem Barhocker rutschen ließ.

„Ihr könnt die Songs veröffentlichen…“

„Yoshiki?! Was machst du hier? Ich dachte, du wärst im Schlafzimmer!!“ Hatte sein großer Bruder etwa die gesamte Unterhaltung mitbekommen?

„Eigentlich dösen, weil mich die Schmerzmittel schläfrig machen, aber dein Gezeter macht das ziemlich unmöglich“, erklärte Yoshiki und setzte sich auf, wobei die Decke in seinen Schoß rutschte.

„Wie viel hast du mitgehört?“, hakte der Jüngere der Brüder vorsichtig nach. Er fühlte sich nicht ganz wohl dabei, dass der andere eine solche Diskussion mitbekommen hatte, denn theoretisch war es schließlich an dem Älteren diese Entscheidung zu fällen und nicht an ihm und Toshi.

„Praktisch alles“, entgegnete Yoshiki schulterzuckend und drehte sich so, dass er die beiden anderen ansehen konnte. „Und wie schon gesagt, mir ist egal was mit dem Zeugs passiert… Wenn ihr wollt, könnt ihr es veröffentlichen.“

„Du hast die Sachen jahrelang als Schund bezeichnet, den nie eine Menschenseele zu hören bekommen soll“, gab Toshi zu bedenken.

„Ist doch jetzt auch egal, oder? YOSHIKI ist tot“, entgegnete Yoshiki ziemlich gleichgültig, „Es ist normal, dass die ganze Maschinerie hinter einem Künstler nach dessen Tod aus seinen unveröffentlichten Werken noch so viel Geld wie möglich schlagen will. Schaut euch hide an… oder all die anderen verstorbenen Künstler die nach ihrem Tod größere Erfolge als zu Lebzeiten gefeiert haben… Warum sollte es bei mir anders sein?“

„Weil Toshi und ich da noch ein Wörtchen mitzureden haben und wir uns anscheinend beide unwohl dabei fühlen, dich wie eine tote Sau auszuschlachten“, konterte Kouki und sprang auf. „Und genau aus dem Grund geh ich jetzt auch Festplatten kaufen!“

„Kouki!“

„Heute Abend geht klar, Toshi?“, wollte der Jüngere der Brüder wissen und ignorierte den anderen, während er schon auf dem Weg zum Aufzug war, um diesen zu rufen.

„Ja“, bestätigte der Gefragte und wandte sich wieder dem Mittagessen zu.

„Gut! Mama hat vorhin noch angerufen, dass sie etwas später in Tateyama weggekommen ist, weil sie anscheinend noch Unmengen an Pudding für Yoshiki gemacht hat…“

„Mama hat Pudding für mich gekocht?“, mischte sich der andere mit ein, wurde jedoch erneut gänzlich ignoriert. Dabei wollte er doch nur wissen, ob es stimmte, dass er bald den besten Pudding auf der ganzen Welt bekommen würde!

„Und in den nächsten Tagen bring ich dir dann die Festplatten, Toshi!“, äußerte Kouki noch während er ungeduldig mit den Fingern an der Wand trommelte.

„Wie mir?!“, fragte der Angesprochene irritiert aus der Küche. „Ich habe was von Safe und Tresor gesagt, nicht dass ich die Dinger in Verwahrung nehme!“

„Ich bin der Ansicht, dass sie bei dir besser aufgehoben sind“, entgegnete Kouki und trat in den Aufzug, als dieser schließlich da war. „Außerdem hast du an einem Teil der Sachen mitgearbeitet, also gehört es an sich sowieso dir“, rief er noch, ehe sich die Türen schlossen und er weg war, während Toshi nur völlig verwirrt zu Yoshiki blickte.
 

„Hat dein Bruder gerade….?“, fragte der Ältere und gestikulierte mit dem Schneidemesser, mit der er die Frühlingszwiebel zerteilen wollte, in der Luft herum.

„Ich denke, du bist gerade in den Besitz meiner ganzen unveröffentlichten Werke gekommen“, entgegnete Yoshiki und stand langsam auf, um zum Bartresen zu gehen und sich auf einen der Hocker zu setzen.

„Ich muss noch mal mit Kouki sprechen“, seufzte Toshi und schnitt die Zwiebel klein, „das kann er nicht einfach so machen.“

„Anscheinend doch, wie du gerade gesehen hast“, äußerte Yoshiki mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen, „Kann ich dir bei was helfen?“

„Du und kochen?! … Ich schätze, du kannst die Eier schälen, da muss ich mir keine Sorgen machen, dass du dir irgendwelche Gliedmaße abhackst oder die Küche zum explodieren bringst“, überlegte Toshi und reichte dem Jüngeren die zwei hartgekochten Eier.

„Meine Kochkünste haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert!“, schmollte Yoshiki und schlug das erste Ei auf.

„Das hab ich gemerkt, als du mir erzählt hast, auf welch abenteuerliche Weise du Nudeln kochst“, konterte Toshi lachend und wurde im nächsten Moment mit Eierschale beworfen.
 

Am frühen Nachmittag legte sich der Ältere zu dem anderen aufs Sofa, der sich nach dem Mittagessen wieder hingelegt hatte, da er ein leicht flaues Gefühl im Magen verspürt und er sich zudem müde gefühlt hatte. Nachdem Toshi die Küche wieder auf Vordermann gebracht hatte, schmiegte er sich an seinen besten Freund, der sich mit einem Buch, das er vorhin aus dem Regal gezogen hatte, in seine Decke gekuschelt hatte und nun darin las.

„Was hast du da?“, fragte der Kleinere und legte eine Hand über Yoshikis Bauch, als dieser kurz aufgeblickt hatte, da er über die Sofalehne hinter ihn gerutscht war.

„Homers ‚Die Odysee‘“, antwortete der Jüngere und drehte den Buchrücken kurz zu Toshi, sodass dieser ihn sehen konnte. „Ich wusste gar nicht, dass ich das Buch habe…“

„Ist auch meines“, entgegnete der Ältere schmunzelnd und malte unregelmäßige Muster auf die Decke. „Ist das nicht eine etwas schwere Lektüre, dafür dass du eigentlich schläfrig bist?“

„Ich dachte, da wäre eine Liebesgeschichte dabei“, äußerte Yoshiki grübelnd und rutschte etwas näher zu dem anderen ran, während er noch einmal zur Inhaltsbeschreibung ging.

„Indirekt“, schmunzelte Toshi, „und auch erst am Schluss – davor musst du dich erst einmal durch die zehnjährige Reise lesen.“

„Sag mal…“, begann der Jüngere und legte das Buch aufgeschlagen auf den Boden, nur um sich danach zu dem anderen umzudrehen, sodass sie einander ansehen konnten und sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Da er fast flach lag, konnte man wieder überdeutlich seine Atemgeräusche hören.

„Was?“

„Hast du von Platon mal ‚Das Symposion‘ gelesen?“

„Nicht das ich wüsste“, überlegte Toshi, „Der Titel kommt mir jetzt auch nicht wirklich bekannt vor…“

„Fatima hat die französische Übersetzung und ich hatte mir die mal ausgeliehen…“, erinnerte sich Yoshiki und spielte gedankenverloren mit den Ketten, die ihm Ben und Lara gegeben hatten. Er vermisste die drei, doch den Schmerz konnte man nicht im Geringsten mit dem vergleichen, den er gespürt hatte, als er ohne seinen besten Freund gewesen war.

„Worum geht es in dem Buch?“

„Ehrlich gesagt… ich weiß es nicht mehr wirklich“, lachte Yoshiki leise verlegen, „Fatima musste mir ständig ganze Absätze erklären, weil es altes Französisch war und ich kaum was verstanden habe. Aber ich erinnere mich noch an eine Stelle“, äußerte er und wurde deutlich ernster als zuvor.

„Wovon handelt sie?“, fragte Toshi mit gedämpfter Stimme nach und blickte seinem besten Freund direkt in die Augen, der die Geste erwiderte.

„… Um Seelenpartner… Wusstest du, dass die Idee der Seelenverwandschaft ursprünglich von Platon stammte?“

„Nein…“

„Seiner Theorie nach, bestanden die Menschen früher aus vier Armen, vier Beinen und zwei Gesichtern… Zeus fühlte sich durch ihre Macht bedroht und spaltete sie in der Mitte entzwei… Somit verdammte er uns alle dazu, unser Leben mit dem Versuch zu verbringen, uns zu vervollständigen…“, erzählte Yoshiki und wandte seinen Augen ab, damit Toshi nicht sah, wie sie sich mit Tränen füllten. Schon damals, als Fatima ihm die Stelle in Französisch übersetzt hatte, hatte sie ihn aus einem ganz bestimmten Grund berührt…

„Ich halte es einerseits für eine schöne Vorstellung zu denken, dass es jemanden gibt, der einen vervollständigt, mit dem man eins ist… andererseits muss es wohl auch sehr zermürbend sein, wenn man sein ganzes Leben lang nach dieser einen Person sucht und sie am Ende vielleicht nie findet…“, äußerte Toshi leise und verschränkte seine Finger mit Yoshikis.

„Ich schätze“, begann der Jüngere, wobei seine Stimme leicht brach und eine einzelne Träne sich den Weg über seine Wange bahnte, „… insofern kann ich mich glücklich schätzen, dass ich nur vier Jahre meines Lebens mit der Suche verbringen musste, ehe dieser kleine Junge an meinem ersten Tag im Kindergarten auf mich zukam, während ich weinend in einer Ecke saß, mich einfach umarmt hat und mich fragte, ob wir Freunde sein wollen…“

„… Yocchan…“ Toshi verstand, was der andere damit ausdrücken wollte und atmete einmal tief durch, um nicht selbst anzufangen los zu weinen, weil der Jüngere so von ihm dachte. Vorsichtig schob er einen Arm unter ihn und zog ihn dann so eng wie möglich an sich, wobei sich Yoshiki an ihn drückte und seinerseits die Arme um ihn schlang und ein Bein zwischen die seinen schob, um ihm so nah wie möglich zu sein. „Vier Arme…“, flüsterte er leise, als er die feuchte Wange seines besten Freundes in seiner Nackenbeuge spürte.

„… vier Beine…“

„… und zwei Gesichter…“
 

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So, in diesem Kapitel gab es wieder ein paar eingebaute Fakten:
 

1. YOSHIKIs unveröffentlichte Werke – In einem Interview erzählte YOSHIKI, dass er von 20 Demos 19 verwirft, weil er der Ansicht ist, dass X JAPAN nur die allerbesten Songs veröffentlichen sollte. Zudem lagern bei ihm um die 20.000 Seiten an Musiknoten. Diesbzgl. äußerte er, dass nach seinem Tod ja vielleicht jemand darin noch einen guten Song entdecken könnte.
 

2. Die 25%-Angaben in YOSHIKIs Testament – Vor seiner Bandscheiben-OP 2009 verfasste YOSHIKI sein Testament, da es eine 10%-ige Wahrscheinlichkeit gab, dass er den Eingriff nicht überleben könnte. Anstatt jedoch genau festzulegen, wer wie viel seines Vermögens bekommen sollte, hat er lediglich Prozentangaben gemacht. 25% sollten an langjährige Fans gehen, 25% an seine Familie, 25% an die YOSHIKI Foundation und 25% an die Bandmitglieder von X JAPAN.

La Réunion

@ Astrido: Was Yoshiki bei X Japan einfach fehlt, ist jemand, der wirklich über ihm steht und ihm einen Tritt in den Hintern gibt, wenn er irgendwas zum 1000x neu aufnehmen will. I.V. hat er schließlich auch innerhalb einer Woche fertig gehabt, weil er sonst nicht an der Ausschreibung hätte teilnehmen können und beim Golden Globes Theme Song hatte er auch eine feste Deadline, die er eingehalten hat. So eine endgültige Deadline fehlt ihm bei X… wobei ich mich langsam frage, wie lange EMI das Spielchen noch mitmacht. X‘ 4-Jahresvertrag läuft schließlich auch nicht ewig…
 

@ -Shin-: Ich hatte es auch als solches verstanden – Danke! :)
 

@ Toshi-Hamlet_Hayashi: Sowas geht relativ schnell – ist bei uns in der Produktionsfirma auch so, dass wir vieles auf externen Festplatten archiviert haben, da der Server sonst schon längst schlapp gemacht hätte.
 

@ hide_sama: Es ist leider Gottes so, wie hide es einmal gesagt hat: Ein Künstler ist erst dann berühmt, wenn er tot ist. Ich meine, wie viele Leute ziehen über einen Künstler zu seinen Lebzeiten her und kaum ist er tot, finden sie ihn plötzlich ganz toll?
 

@ Terra-gamy: Na dann bin ich mal gespannt, was du zu der Party in dem aktuellen Kapitel sagst :)
 

@ all: Viel Spaß beim Lesen!
 

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„Toshimitsu, aufwachen…“

Brummend vergrub Toshi sein Gesicht in etwas, wovon er vermutete, dass es Yoshikis Schulter war. Er musste wohl selbst eingenickt sein, nachdem sich der Jüngere in den Schlaf geweint hatte. Doch weshalb sollte er nun wach werden? Gut, die Couch war jetzt nicht sonderlich bequem, sodass er seinen Rücken spürte, Yoshiki atmete ihm die ganze Zeit über halb ins Ohr, was jedes Mal aufs Neue kitzelte, und außerdem hatte der Jüngere das Bein, das er zuvor zwischen seine beiden geschoben hatte, angezogen, sodass dessen Knie unangenehm in seinen Schritt drückte. Aber damit konnte er ganz gut leben, wenn es bedeutete, dass er zurück in seinen Traum konnte, in dem er nie den Unfall gehabt hatte, Yoshiki nie für vier Jahre verschwunden und an Krebs erkrankt war, an welchem er sterben würde.

„Toshimitsu, aufwachen…!“

Allerdings klang die Stimme, die verlangte, dass er die Augen öffnen sollte, äußerst bekannt, sodass er murrend schließlich doch die Lider ein klein wenig anhob und den Kopf von Yoshikis Schulter wegdrehte, damit er überhaupt etwas sah.

„Okaa-san?“, murmelte er schlaftrunken und blinzelte mehrmals, ehe er über sich die Mutter seines besten Freundes ausmachen konnte, die er schon seit Kindheitstagen stets höflich mit „Mutter“ ansprach. „Wie spät ist es?“

„Kurz nach drei… Kouki hat vorhin noch angerufen und gesagt, er käme wohl so gegen vier, sobald er irgendwelche Festplatten hätte…“

„Festplatten?“, überlegte Toshi kurz und rieb sich über die Augen, „Ach ja richtig… seine Schnapsidee…“

„Und er meinte, Heath, Pata und Sugizo würden auch so zwischen vier und fünf kommen“, fügte Yoshikis Mutter hinzu und stand dann auf, um sich auf die Lehne des anderen Sofas zu setzen, wobei sie ihren Ältesten anblickte, der friedlich schlief, dabei allerdings, alles andere als gesund klingende Atemgeräusche von sich gab. Sie hatte sich bereits die Zeit genommen, ihn von Kopf bis Fuß zu mustern, ehe sie Toshi geweckt hatte, und hatte ihrem Jüngsten insgeheim zustimmen müssen, dass er wirklich schlecht aussah. Sie war ihm dankbar, dass er sie vorgewarnt hatte, ansonsten hätte sie sich sicherlich noch mehr erschrocken, als sie es sowieso schon getan hatte, als sie ihn gesehen hatte.

„Sag mal, Toshimitsu, ist das auch nur im entferntesten angenehm, so wie Yoshiki auf dir liegt?“, fragte sie mit einem Wink in Richtung der Beine, wobei ein leichtes Schmunzeln ihre Lippen umspielte, doch Toshi konnte auch nur zu gut die Sorge und Angst um ihren Sohn in ihren Augen erkennen.

„Nicht wirklich“, brummte der Angesprochene und schüttelte leicht an Yoshikis Schulter, damit dieser wach wurde, doch der murrte nur und schien, von der Vorstellung die Augen aufzumachen, alles andere als begeistert zu sein. „Yocchan, aufwachen!“

„….. dorme…….“, nuschelte dieser nur undeutlich auf Französisch.

„Nichts da schlafen, es gibt Pudding!“

„………. câlin………“

„Seit wann steht bei dir Kuscheln über Pudding?!“

„……… m’as manqué……..“

„Aber es ist Pudding von deiner Mutter“, versuchte Toshi es weiter, wobei das letzte Argument schließlich Wirkung zu zeigen schien, da Yoshiki schlaftrunken die Augen öffnete und den Älteren anblinzelte.

„Mama?“

„Ich bin garantiert nicht deine Mama“, schmunzelte der Kleinere, „aber dreh dich mal um 180 Grad in die andere Richtung.“

Noch mehr schlafend als wirklich wach, tat Yoshiki wie geheißen und drehte sich einmal um, doch nach etwa der Hälfte merkte er, wie plötzlich die Couch zu Ende war und er mit einem Rums auf dem Flokati landete, der genau davor lag.

„Au!“, beklagte er sich und musste im nächsten Moment kräftig niesen, da ihn der Teppich an der Nase gekitzelt hatte.

„Gesundheit!“

„Du bist gemein, Toshi!“, jammerte Yoshiki und blieb einfach so auf dem Bauch liegen, wie er gelandet war.

„Woher soll ich wissen, dass du das Sofa nicht abschätzt und stattdessen Rollerfäßchen in Richtung Boden machst“, konterte der Ältere und lugte nach unten, von wo aus ihn der Jüngere anklagend ansah. Zumindest schien er jetzt deutlich wacher zu sein!

„Ich glaub, ich bin auf Homer gelandet…“, brummte der Größere und zog den dicken Wälzer unter seinem Bauch hervor, um damit nach Toshi zu werfen, der das Buch jedoch kommen sah und es mühelos auffing und beiseite legte.

„Schau lieber mal nach oben, anstatt mich hier zu bewerfen“, entgegnete der Ältere und deutete auf Yoshikis Mutter, die das Ganze nur schmunzelnd und kopfschüttelnd beobachtet, sich ansonsten jedoch ruhig im Hintergrund gehalten hatte. Fragend dreinblickend folgte der Jüngere dem Zeigefinger seines besten Freundes und blieb an einem paar Füße mit Hausschuhen hängen. Langsam wanderten seine Augen an der zierlichen Figur, vorbei an einer schwarzen Stoffhose und einem dunkelroten Rollkragenshirt, nach oben…
 

„Mama…!!“ Eigentlich wollte er aufspringen, zu ihr stürzen und sie in die Arme schließen, doch sein geschwächter Kreislauf machte ihm einen Strich durch die Rechnung, sodass seine Knie nachgaben, kaum dass er auf die Beine gekommen war. Zum Glück war seine Mutter etwa zeitgleich aufgestanden und hatte dabei bereits einen Schritt in seine Richtung gemacht, sodass sie ihn nun auffing und mit ihm zu Boden ging, wobei sie ihn so fest an sich drückte, dass Yoshiki schon um seine Rippen fürchtete. Er hatte sie gar nicht so kräftig in Erinnerung gehabt… Seufzend schlang er seine dürren Arme um sie und schmiegte sich an sie, wobei er ihren vertrauten Geruch einatmete.

„Gott, Yocchan… du kannst dir ja gar nicht vorstellen, welche Sorgen ich mir um dich gemacht habe“, flüsterte sie und Yoshiki glaubte herauszuhören, dass sie mit den Tränen kämpfte.

„….. tut mir leid, das wollte ich nicht……“

Aus dem Augenwinkel bekam er mit, wie Toshi leise aufstand und wegging, ihnen somit wohl etwas Privatsphäre geben wollte.

„Ich bin so froh, dass dich Toshimitsu gefunden und zurückgebracht hat…“

Yoshiki antwortete nichts darauf, sondern lehnte sich nur gegen sie, während er die Arme so fest um sie schlang, wie es nur ging. Er war froh, dass es ihr gutzugehen schien. Seine größte Sorge war stets gewesen, dass ihr etwas passieren würde und er nicht da wäre, um sie zu unterstützen. Er hätte sich dann nur darauf verlassen können, das Kouki das richtige täte. Als sie sich kurz darauf schließlich voneinander lösten und aufstanden, half ihm seine Mutter auf und hielt ihn dann fest, während sie zum Bartresen gingen, hinter welchem Toshi mit einer großen Tupperdose stand.

„Was hast du da?“, wollte Yoshiki neugierig wissen und setzte sich neben seine Mutter auf einen der Barhocker.

„Deinen Pudding“, entgegnete der Ältere und tat einen Teil des Inhaltes in eine kleine Glasschüssel, welche er dann dem anderen samt Löffel hinstellte.

„Also hat Kouki das vorhin nicht erfunden?“, wandte sich Yoshiki mit großen Augen an seine Mutter, die nur lächelnd den Kopf schüttelte.

„Ich ging davon aus, dass du auf Puddingentzug sein könntest, also hab ich einfach mal eine extragroße Menge gemacht“, erklärte sie und schmunzelte, als ihr Ältester sie im einen Moment umarmte und sich im nächsten über seine Leibspeise hermachte. Allzu viel hatte er jedoch noch nicht gegessen, als der Signalton des Aufzuges einen Besucher ankündigte, der jedoch vorerst im Eingangsbereich verharrte.

„Toshi, wenn mein Bruder wie üblich an dir klebt, dann halt ihm mal die Augen zu, damit er seine Überraschung nicht sofort sieht!!“

„Welche Überraschung?!“, wollte Yoshiki direkt wissen und sich in Richtung Kouki drehen, doch sein bester Freund stand schon hinter ihm und legte ihm die Hände über die Augen. „Toshi, ich seh nichts!“, quengelte der Jüngere und versuchte die Arme des anderen wegzuziehen, hatte dabei jedoch wenig Erfolg.

„Ist nur für einen Augenblick“, entgegnete Toshi und blickte kurz zu Kouki, der leise zu ihnen kam, seiner Mutter zur Begrüßung kurz zunickte und ein „Shhh“ in Richtung der Überraschung aussprach, damit sich diese nicht direkt selbst verriet.

„Was ‚Shhh‘??“, äußerte Yoshiki eine Schnute ziehend und verschränkte die Arme, „darf ich jetzt nicht mal mehr reden?!“

„Das hatte eigentlich nicht dir gegolten, aber wenn du dich angesprochen fühlst, kannst du gerne die Klappe halten“, konterte Kouki grinsend.

„Mama, der ist gemein zu mir“, schmollte Yoshiki und deutete mit dem Zeigefinger in die Richtung, in der er seinen kleinen Bruder vermutete. Allerdings bekam er von seiner Mutter nicht die erwartete Rückendeckung, die er erwartet hatte, da sie murmelnd nur fragte, wie alt die beiden gleich wieder waren, woraufhin Toshi auf maximal fünf Jahre tippte. Er wollte gerade noch etwas sagen, um sich über die Äußerung seines besten Freundes zu beklagen, als eine kleine Hand seinen ausgestreckten Finger ergriff und daran zog.

„Sind deine Hände über Nacht geschrumpft, Kouki?“

„Als ob das möglich wäre! Selbst mit schwarzen Haaren stellst du noch blonde Fragen!“

„Tu ich gar nicht! Ich will nur wissen, was meinen Finger festhält, weil sehen kann ich ja nichts!“

„Ich denke…“, überlegte Kouki theatralisch übertrieben, „du kannst ihn langsam erlösen, Toshi!“

Dieser kam dem auch direkt nach und nahm grinsend seine Hände von Yoshikis Augen, der für einen Moment blinzelte, da er sich wieder an das Licht gewöhnen musste, ehe er zu seinem Finger starrte, der noch immer von einer kleinen Hand festgehalten wurde, die wiederum, wie er feststellte, einem Kleinkind gehörte, das sein jüngerer Bruder im Arm hielt.

„Ist das…?“, fragte er völlig überrumpelt und blickte von dem Kind zu Kouki und dann zu Toshi sowie seiner Mutter, ehe er wieder bei seinem Bruder angelangt war.

„Toshi meinte, du würdest den Kleinen gerne mal sehen“, erklärte dieser und löste die Hand seines Sohnes, nur um ihn dann Yoshiki in die Arme zu drücken. „So, Yocchan, geh mal zu deinem Onkel Yoshiki!“
 

„Yoyo?“, wiederholte der Kleine fragend, als er auf den Oberschenkeln des ihm noch fremden Mannes stand, von dem sein Vater aber gemeint hatte, das er ganz lieb sei, und die Hand nach ihm ausstreckte und sie auf seinen Mund legte. Schmunzelnd zog Yoshiki sie von seinen Lippen und musterte seinen Neffen, der ihn so anstarrte, als würde er ihn auch unter die Lupe nehmen wollen. Wie schon bei seiner Nichte musste er feststellen, dass es wohl irgendwie in den Genen liegen musste, dass die Familienzugehörigkeit zwischen ihnen nicht zu leugnen war.

„Ja, das bin ich, Yocchan“, antwortete Yoshiki lächelnd und hob seinen Neffen hoch und drückte ihn an sich, ehe er sich zu Toshi drehte.

„Du hast das…?“

„Du hast vor ein paar Tagen schließlich gemeint…“, antwortete dieser und lachte auf, als der kleine Yoshiki über die Schulter seines Onkels hinweg die Schüssel mit dem Pudding entdeckte und die Arme danach ausstreckte, in der Hoffnung, daran zu kommen.

„Pudding!“

„Pudding?“, wiederholte Yoshiki und drehte sich wieder zum Tresen um, wobei er seinen Neffen in seinen Schoß setzte und mit einem Arm festhielt, während er mit der freien Hand die Glasschüssel zu sich zog. „Willst du, Yocchan?“, fragte er und tat ein wenig von dem Inhalt auf den Löffel, während der Kleine nur ein lautes „Ja“ krähte und vor Freude die Hände zusammenpatschte.

„Bei der Vorliebe für Pudding ist die Verwandtschaft unübersehbar“, schmunzelte Toshi und hatte sich mit Kouki und dessen Mutter ins Wohnzimmer gesetzt, von wo aus sie beobachteten, wie Yoshiki sich mit seinem Neffen die Leckerei teilten und wie sie über eine gemeinsame Lieblingsspeise sehr schnell eine Beziehung zueinander aufbauten, sodass sie wenig später gemeinsam auf dem Boden lagen und leeres Papier, das Kouki zusammen mit Stiften aus dem Arbeitszimmer geholt hatte, vollmalten.

„Danke, dass du ihn gefunden und hergebracht hast, Toshimitsu“, bedankte sich Yoshikis Mutter leise und legte dem Sohn ihrer besten Freundin kurz einen Arm auf die Schulter.

„Es war reines Glück… aber ich bin froh, dass wir ihn wiederhaben“, entgegnete Toshi lächelnd und legte für einen Moment seine Hand auf die ihre, ehe sie wie Kouki wieder den beiden Yoshikis zuschauten, wobei es der Jüngere nicht unterlassen konnte, seinen älteren Bruder zu necken.

„Weißt du, Yosh… deine Malkünste können wirklich mühelos mit Yocchans mithalten!“

„Ich kann das nun mal nicht! Dafür kann ich aber komponieren, Klavier spielen, beherrsche Orgel, Spinett, Gitarre, Bass, Violine, Geige, Trompete…“, begann der Ältere aufzuzählen, wurde aber schon gar nicht mehr wirklich beachtet, weil sein Neffe, als er seinen Namen gehört hatte, sein vollgekritzeltes Blatt Papier seinem Vater zeigte.

„Guck mal, Papa!“

„Sieht toll aus!“, lobte Kouki seinen Sohn, der sich daraufhin daran machte, weiter zu malen, während er selbst damit fortfuhr, seinen großen Bruder zu necken. „Sag, Yosh, willst du Mama nicht auch mal dein Bild zeigen?“

„Für wie dämlich hältst du mich?!“, äußerte Yoshiki und setzte sich auf, um den anderen in Grund und Boden zu starren.

„Willst du ehrlich eine Antwort darauf?!“

Unterdessen hatte sich Toshi über die Couch gelehnt, um einen besseren Blick auf das Bild seines besten Freundes zu erhaschen und wiegte abschätzend seinen Kopf hin und her, während er überlegte, was genau es wohl darstellen sollte.

„Was meinst du?“, ignorierte Yoshiki seinen Bruder und wandte sich stattdessen an Toshi, da er registriert hatte, dass dieser sein Blatt Papier beäugt hatte.

„Sieht… interessant aus. Moderne Kunst?“

„Moderne Kunst?“, wiederholte der Jüngere ungläubig und starrte den anderen aus großen Augen an, ehe er ihm das Bild hinhielt, „Das ist Yoshikitty!!!“

„Eher ein explodierter Ball mit Augen“, kicherte Kouki und ging in Deckung als ein Stift nach ihm flog.

„Du bist gemein“, schmollte Yoshiki, „ich werde demnächst Abkratzen und du hast nichts besseres zu tun als mich zu ärgern!“ Kaum hatte er die letzten Worte ausgesprochen, legte er sich wieder neben seinen Neffen, nur um diesen jetzt beim Malen zu beobachten und mit ihm die richtigen Stifte auszusuchen, während zwischen den anderen betretenes Schweigen herrschte – besonders Kouki blickte schuldbewusst drein und biss sich auf die Unterlippe. Sie hatten ausgemacht, dass sie zumindest für die Willkommensfeier so tun wollten, als wäre alles in Ordnung, damit sie sich einfach nur darüber freuen konnten, Yoshiki wiederzuhaben, ohne dass die gute Stimmung von Sorge und Trauer überschattet wurde.

„Yocchan…“, versuchte ihre Mutter zwischen den beiden Brüdern zu vermitteln, doch anstatt dass ihr Sohn aufblickte, sah nur ihr Enkelkind zu ihr, wandte sich dann aber auch wieder seinem Papier zu und plapperte munter auf seinen Onkel ein, als er nicht weiter angesprochen wurde. Toshi entging nicht, dass sich Yoshiki rasch verstohlen über die Augen wischte, sodass er seufzend aufstand und sich zu ihm auf den Boden setzte. Die Jahre der Zusammenarbeit hatten ihn gelehrt, dass Kouki seine wahren Gefühle schnell einmal hinter Sprüchen verbarg, die auch verletzend sein konnten. Aus Erfahrung wusste er jedoch auch, dass dies häufig mit Yoshikis sensibleren Charakter und seiner Angewohnheit, weitaus offener mit seinen Gefühlen umzugehen, kollidierte. Da der Jüngere mit dem Rücken zu ihm dalag, beugte sich Toshi über dessen Schulter und konnte auf der blassen Wange, die er sehen konnte, einzelne Tränen ausmachen.

„Ich hab es nicht so gemeint, Yosh…“, konnte man aus dem Hintergrund Kouki leise murmeln hören, doch Yoshiki zeigte keinerlei Reaktion darauf. Erst als Toshi die Tränen vorsichtig mit seinem Daumen wegwischte, zeigte er eine Regung.

„Je ne pleure pas, Tocchi…“

„Je le sais“, entgegnete dieser und akzeptierte für den Moment, dass der andere es vorzog, auf Französisch zu sprechen. Allerdings ging Yoshikis Rechnung nicht weiter auf, da eine Träne auf seinen Neffen tropfte, der erst verwundert von seinem Papier aufsah und dann überrascht zu seinem Onkel blickte.

„Weinst du, Yoyo?“

„Nein“, verneinte dieser und wischte sich rasch übers Gesicht, ehe er sich aufsetzte, wobei er sich unterbewusst gegen Toshi lehnte und den Kleinen zu sich zog. „Siehst du die Pflaster?“, wollte er von ihm wissen, nachdem er den Ausschnitt seines Oberteils nach unten gezogen hatte, sodass man einige der Elektroden, die er noch immer trug, sehen konnte.

„Aua?“, fragte Klein-Yoshiki und legte seine Hände auf die Pflaster.

„Nein, das sind ganz spezielle Pflaster, die den Herzschlag sichtbar machen.“

„Herzschlag sichtbar?“

Statt direkt zu antworten, drückte Yoshiki sanft ein Ohr seines Neffen gegen seine linke Brust und hielt ihn dort für einen Moment. „Hörst du das Pochen? Mit den Pflastern kann man das auf einem Fernseher sichtbar machen… Die Pflaster ziepen allerdings an den Haaren und das tut weh…“ Um zu verdeutlichen, was er meinte, zog er ganz minimal an einer Haarsträhne des Kleinen und ließ gleich darauf auch schon wieder los.

„Aua…“

„Genau… Aua!“
 

Toshi, der Yoshiki eine Hand auf die Schulter gelegt hatte, verzichtete darauf, darauf hinzuweisen, dass der Jünger eigentlich gar keine Brustbehaarung hatte, an denen die Elektroden ziepen könnten, und lächelte stattdessen nur, als das Kleinkind sich an seinen Onkel kuschelte und seine Arme, soweit sie reichten, um ihn schlang, damit das „Aua“ ganz schnell wieder besser wurde. Kouki wollte noch einmal versuchen, bei seinem Bruder durchzukommen, doch als er ansetzte, verkündete der Aufzug weitere Besucher, die auch gleich darauf vollbepackt eintraten und dafür sorgten, dass Yoshiki zuerst verwirrt zu seinem besten Freund blickte, dann jedoch seinen Neffen wieder auf den Boden setzte und langsam aufstand, um Heath, der sich die Haare mittlerweile wieder schwarz gefärbt hatte, Pata und Sugizo zu begrüßen, wobei letzter auf Toshis Bitte hin seinen Sohn mitgebracht hatte, der von dem Bassisten augenscheinlich einmal wieder eine pinke Extension erhalten hatte, die zwischen seinen schwarzen Haaren hervor lugte. Der gelockte Gitarrist trug dafür eine Transportbox, aus der es maunzte, unter dem Arm, während Heath mit einem Rucksack sowie mehreren Tabletts voll mit Sushi beladen war. Alle drei hatten zudem Gitarrentaschen dabei, sodass Yoshiki, während er sie alle freudig begrüßte und sie ihn drückten, ganz langsam dahinter kam, was es mit dem ganzen auf sich hatte. Erst brachte Kouki seinen Sohn mit, dann hatte Sugizo den kleinen Hideto dabei, der sich direkt zu Yocchan setzte und anfing, mit zu malen, Pata hatte ganz offensichtlich eine seiner Katzen mitgebracht und sie alle hatten ihre Instrumente bei sich. Lediglich den Inhalt von Heaths Rucksack konnte er sich ganz erschließen…

„Tocchi… du hast… das ist praktisch alles, was ich dir...“ Unfähig vollständige Sätze zu formulieren, starrte er seinen besten Freund an, ehe er diesem um den Hals fiel und sich an ihn drückte.

„Ich konnte unser Küken leider nicht davon überzeugen, Wendy heute Abend einen Heiratsantrag zu machen, außerdem hätte das die Liste der Personen erweitert, die von deiner Anwesenheit wissen dürfen… aber da du ja nicht glauben wolltest, dass Pata Heaths nichtalkoholische Cocktails noch mehr liebt als sein Zauberwasser, ist er heute Abend für die Getränke zuständig“, erklärte Toshi lächelnd und schloss die Arme um den Jüngeren, wobei er spürte, dass dessen Freudentränen – zumindest vermutete er, dass es solche waren – seinen Nacken benetzen.

„Danke, Tocchi… danke!!“ Damit löste er sich von ihm, um erneut erst seine Freunde zu umarmen, die die Geste lächelnd erwiderten und ihm versicherten, dass es nichts sei, ehe Yoshiki auch zu seiner Mutter und seinem Bruder ging und die beiden ebenfalls drückte.

„Yosh…“ Kouki hielt ihn für einen Moment fest und wollte noch etwas sagen, doch der Ältere fiel ihm ins Wort.

„Ich weiß, Kicchan“, entgegnete er lächelnd, „alles in Ordnung!“
 

Es wurde ein geselliger Abend über Pudding, Sushi und Unmengen an Cocktails, bei dem Yoshiki ein wenig von seinem neuen Leben in Frankreich erzählte und ihn die anderen an den Ereignissen in ihrem Leben seit seinem Verschwinden teilhaben ließen. Mitten in der Unterhaltung fiel Heath auf, dass es auf den heutigen Tag genau vier Jahre waren, dass ihr Bandleader untergetaucht war, sodass sie alle mit alkoholfreier Piña Colada darauf anstießen, dass er wieder da war. Keiner verlor ein Wort darüber, wie blas und abgemagert er aussah oder dass er nur mit Mühe aß und trank und dann auch nur sehr langsam. Abwechselnd saß Yoshiki neben Toshi auf dem Sofa und lehnte sich gegen ihn, da er seine Nähe suchte, oder rutschte mit Yocchan und Hidechan am Boden herum, als sie mit Patas Katze spielten, die eine enorme Geduld mit den Kindern zu haben schien. Später packten Sugizo, Heath und Pata ihre Instrumente aus – im Gegensatz zu den Gitarristen, die Akustikgitarren mitgebracht hatten, hatte Heath seinen E-Bass samt einem kleinen Verstärker dabei – und Yoshiki setzte sich auf die Bank vor dem Flügel, während sich Toshi lächelnd hinter ihn stellte und ihm eine Hand auf die Schulter legte. Während sie wahllos ein X JAPAN Lied nach dem anderen spielten, so als wären sie nie vier Jahre getrennt gewesen, zeigte der Älteste der Band den drei anderen kurz den erhobenen Daumen, als er die Augen seines besten Freundes strahlen sah. Es machte ihn glücklich, ihn so zu sehen, doch gleichzeitig musste er sich auch zusammenreißen, nicht los zu weinen, da dies auch das letzte Mal sein konnte, dass sie gemeinsam spielten. Eine gute Stunde später hörten sie schließlich auf und als sich Toshi wieder hinsetzte, um sich erst einmal einen großen Schluck Wasser zu gönnen, kuschelte sich Yoshiki an ihn, sodass er halb auf ihm lag und strahlte, als hätten sie gerade im Tokyo Dome vor 55.000 Fans und nicht im Wohnzimmer vor zwei Erwachsenen, zwei Kleinkindern und einer Katze gespielt.

„Glücklich?“, wollte der Ältere wissen und stellte sein Glas beiseite, um den Jüngeren festzuhalten.

„Ja… sehr!“, antwortete Yoshiki und schmiegte sich an ihn, „Erschöpft, aber überglücklich!“ Er hatte keine Ahnung, wie er Toshi jemals dafür würde danken können, dass er versucht hatte, so viele seiner Wünsche wie möglich zu erfüllen.
 

Später am Abend, als die Kinder unter einer Decke auf dem Sofa lagen und bereits schliefen, machten sich alle daran, einen Großteil des Geschirrs, das den Wohnzimmertisch belagerte, in die Küche zu räumen, als Toshi registrierte, dass sich Yoshiki abgeseilt hatte. Als er nach ihm sah, fand er ihn im Eingangsbereich vor, wo er am Boden saß und sich gerade seine Sneaker anzog.

„Wo willst du hin, Yocchan?“, fragte er leise, damit die anderen die Unterhaltung nicht direkt mitbekamen.

„Ins Studio… oder ist da noch wer?“

„Nein, Kouki hat mir vorhin erzählt, dass er alle früh nach Hause geschickt hat, damit niemand mitbekommt, was hier oben vor sich geht… Was willst du im Studio?“

„Einfach etwas Ruhe“, antwortete Yoshiki mit ebenfalls gedämpfter Stimme und stand auf, als er beide Schuhe anhatte, „ist doch etwas mehr Trubel, als ich von den letzten Jahren her gewohnt bin…“

„Ist alles okay mit dir, Yocchan?“, hakte Toshi besorgt nach und legte ihm kurz eine Hand auf die Stirn. „Du fühlst dich warm an…“

„Mir geht es gut, Tocchi, mach dir keine Sorgen“, entgegnete der Jüngere und umarmte ihn, einem Impuls folgend.

„Soll ich mit runter kommen?“, wollte der Ältere wissen und legte locker die Arme um den knochigen Körper.

„Nein, schon okay… ich werde mich unten einfach ein wenig ausruhen…“

„Okay“, seufzte Toshi leise und löste sich von Yoshiki, um aus seiner Hose sowohl sein iPhone als auch seinen Geldbeutel zu ziehen. Zunächst tippte er auf seinem Handy herum, ehe er es dem anderen gab. „Nimm es mit, ok? Ich hab das Penthouse auf Kurzwahl 1 eingespeichert. Wenn irgendetwas ist, dann ruf einfach schnell hoch und ich komm sofort!“

„Okay…“ Yoshiki steckte das Smartphone weg, als Toshi aus seiner Geldbörse noch eine Karte zog und ihm diese ebenfalls gab.

„Damit kommst du unten in sämtliche Räumlichkeiten und kannst im Fahrstuhl auch das Penthouse wieder anwählen.“

„Danke!“ Erneut umarmte Yoshiki ihn kurz und rief dann den Aufzug, der auch direkt kam, sodass er die wenigen Stockwerke nach unten fahren konnte, während sich Toshi wieder zu den anderen gesellte.
 

Unterdessen hatte die restliche Gruppe das Verschwinden der beiden anderen bemerkt, dachten sich jedoch nichts weiter dabei, da sie vermuteten, dass sie sich zurückgezogen hatten, weshalb sie sich einfach weiter um das Schmutzgeschirr kümmerten.

„Toshi wird es hart treffen, oder?“, fragte Heath schließlich leise in den Raum, als sich gerade niemand anders unterhielt.

„Sehr hart“, entgegnete Frau Hayashi seufzend und ordnete ihr Geschirrtuch, um es beiseite zu legen, „wir alle haben uns, seit wir meinen Sohn für tot erklärt haben, irgendwie mit dem Gedanken abgefunden, dass es vielleicht wirklich so sein könnte… Toshimitsu war der einzige, der diese Möglichkeit stets völlig von sich geschoben hat…“

„Er hat immer gesagt, er würde es spüren, dass Yoshiki noch am Leben ist“, äußerte Kouki mit gedämpfter Stimme „… er würde es fühlen, wenn er tot wäre, weil dann ein Teil von ihm mit ihm gestorben wäre…“

„Die beiden sind ja praktisch wie siamesische Zwillinge“, entgegnete Pata, „… wo der eine ist, ist der andere meist nicht weit…“

„Egal, wie schwer es uns selbst auch trifft, wir müssen Toshimitsu gegebenenfalls auffangen und für ihn da sein… einen Sohn zu verlieren ist schwer genug…“

„Du musst dir um mich keine Sorgen machen, Okaa-san“, erklang plötzlich Toshis Stimme hinter den anderen, der einen Teil der Unterhaltung mitgehört hatte, „… Ich komm schon klar!“ Ohne weitere Worte nahm er das Geschirrtuch, das Yoshikis Mutter beiseitegelegt hatte und machte sich daran, die wenigen nassen Teile noch abzutrocknen, während ihn die anderen nur besorgt ansahen. Nein, irgendwie würde er schon lernen, ein Leben ohne seinen besten Freund zu führen, auch wenn es bedeuten würde für immer unvollständig zu sein. Er müsste lügen, wenn er sagen würde, er hätte nicht auch einmal kurz mit dem Gedanken gespielt, sich nach Yoshikis Tod das Leben zu nehmen, damit alles so wäre, wie der Jüngere ursprünglich angenommen hatte. Doch das wäre nur eine Flucht vor der Realität und er wusste, dass der andere nicht wollen würde, dass er sich seinetwegen umbrächte. Somit würde er versuchen, ohne ihn zu leben und wann immer es zu schwer werden würde, würde er sich die letzten Zeilen aus Tears ins Gedächtnis rufen. Sie hatten Yoshiki über die Jahre so oft geholfen und ihm Trost gespendet, sie würden ihm sicherlich auch helfen.

„Wo ist eigentlich Yosh?“, wechselte Sugizo das Thema, damit nicht noch länger diese Anspannung in der Luft lag, weil keiner so recht wusste, was er sagen sollte, da eigentlich keiner gedacht hatte, dass Toshi die Unterhaltung hören könnte.

„Ihm ist es mit der Zeit doch etwas zu viel Trubel geworden, sodass er runter ins Studio ist, um etwas Ruhe zu haben“, erklärte der andere und konzentrierte sich aufs Abtrocknen.
 

Es fiel kein weiteres Wort mehr, über die Unterredung, die er mitbekommen hatte, worüber er ganz glücklich war. Nicht recht viel später brachen dann die anderen auf, da es mittlerweile auf elf Uhr zuging und vor allem die Kinder ins Bett gehörten. Es überraschte Toshi ein wenig, dass Yoshikis Mutter bei Kouki übernachtete und somit bot er ihr an, eines der Gästezimmer zu nehmen, was sie jedoch höflich ablehnte.

„Weißt du, Toshimitsu, ich weiß, dass Yocchan nur deinetwegen jetzt hier und nicht noch immer in Frankreich ist… Es ist offensichtlich, dass er in den letzten Jahren sehr zurückgezogen gelebt hat und ich möchte mich ihm in keiner Weise aufdrängen, weshalb ich auch in nächster Zeit bei Kouki wohnen werde. Ich weiß, wenn er mich bei sich haben will, dann wird er anrufen und dann werde ich auch sofort hier sein… wenn er es nicht möchte, dann werde ich das akzeptieren!“

Toshi nickte verstehend und verabschiedete sich schließlich auch von ihr, wobei er versprach, gut auf Yoshiki aufzupassen und sich zu melden, wenn irgendetwas mit ihm sein sollte. Somit war er schließlich alleine im Penthouse und räumte noch die restlichen Sachen im Wohnzimmer auf, ehe er zum Telefon griff und seine eigene Handynummer wählte, um zu sehen, wie es seinem besten Freund unten im Studio ging. Er ließ es klingeln bis die Mailbox dran ging, sodass er vermutete, dass der andere wohl einfach zu tief schlief und den Anruf nicht mitbekam. Damit er nicht die ganze Nacht auf einem der Sofas verbrachte, schlüpfte Toshi schnell in ein Paar Schuhe und rief dann den Aufzug, um die paar Stockwerke nach unten zu fahren.
 

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So, das war das letzte Kapitel für dieses Jahr. Danke für eure Treue, eure Kommentare und eure Favoriteneinträge für diese Story, die bereits über 11 Monate läuft. Ein dickes Dankeschön auch an meine Betaleserin Kaoru, die bereits seit über einem Jahr an diesem Monster betat, damit ihr nicht mit meinem manchmal eigenwilligen Deutsch erschlagen werdet.

Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr, in dem noch zwei weitere Kapitel auf euch warten werden! :)
 

Und zum Schluss des Jahres gab es noch einen weiteren Funfact für euch in dem Kapitel: Yoshiki kann nämlich in der Tat nicht malen - behauptet zumindest Toshi. Als die beiden bei einer der Dinner Shows Dinge versteigert und live signiert haben, kam Yoshiki plötzlich darauf, dass hide von ihnen allen die schönste Unterschrift hatte, weil er immer noch einen Bären dazu gemalt hat. Gesagt getan, beim nächsten zu signierenden Gegenstand, den Yoshiki in der Hand hat, malt er einen Bären à la hide dazu. Toshi sieht, dass Yoshiki da noch irgendwas zu seinem Autogramm hinzufügt und will wissen, was er da macht. Yoshiki erklärt, dass er einen Bären wie hide hinzumalt, woraufhin sich Toshi das "Kunstwerk" ansieht und trocken meint, Yoshiki solle aufhören, die Sachen so zu verunstalten. An die Fans gewand erklärt er, dass Yoshiki beim besten willen nicht malen/zeichnen kann.

Le Cantique de la Victoire

@ hide_sama: Starr Yoshikitty lange genug an und stell dir vor, ein 4-jähriger versucht es zu malen – also so zumindest stell ich mir das Ergebnis vor (wobei der 4-jährige in dem Fall dann durch Yoshiki ersetzt wird) ;)
 

@ Asmodina: Definitiv!
 

@ -Shin-: Wenn es dich beruhigt, ich arbeite bereits an was neuem, auch wenn es bis zur Veröffentlichung noch etwas dauern wird, da ich immer erst fertig schreibe, ehe ich anfange eine Story hochzuladen.
 

@ Astrido: Das GG jetzt nur als Digital Release raus kommt, stört mich weniger. Meistens kauf ich mir eh nur die Alben, weil ich nicht ganz einsehe, alle Songs doppelt und dreifach im Regal stehen zu haben. Singleauskopplungen, die mir gefallen, lade ich daher eh immer über iTunes oder Amazon herunter.
 

@ Rockryu: Vor der Reunion hab ich das Last Live auch immer nur sehr ungern angeschaut. Seit 2008 geht es, aber ich brauch hinterher immer eine Reunionshow :)
 

@ Kaoru: Yoshiki² - warum stand das nie in meinen Mathebüchern? Das wäre Mathe gewesen, die ich sogar verstanden hätte!
 

@ all: Ich hoffe ihr seid alle gut ins neue Jahr gerutscht. Als Sicherheitsvorkehrung würde ich vor dem Lesen des Kapitels eine Packung Tempos bereit halten, da ich keine Haftung für plötzlich entstandene Indoor Swimmingpools übernehme ;) In diesem Sinne: Viel Spaß mit dem vorletzten Kapitel!
 

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Lediglich die übliche Nachtbeleuchtung brannte, als Toshi ein paar Stockwerke tiefer bei Extasy Records und der JMA ankam. Auf der Suche nach Yoshiki ging er zunächst die Aufenthaltsräume, Besprechungszimmer und Büros durch, doch von dem Jüngeren war nirgendwo eine Spur zu sehen, sodass er schließlich zum Studio ging. Als er eintrat, konnte er bereits sehen, dass überall die Lichter brannten, und aus den Lautsprechern im Mischraum hörte er eine sanfte Klaviermelodie erklingen, die ihm unbekannt war.

„Yocchan?!“

Er betrat den Mischraum und blickte sich suchend um, doch auch dort konnte er seinen besten Freund nirgendwo entdecken. Dafür registrierte er, dass die gesamte Technik hochgefahren war und auf dem Mischpult ein Satz Notenblätter lag, was ihn ein wenig verwunderte, weil normalerweise alle Unterlagen bei Arbeitsende weggeräumt wurden. Verwundert trat er an das Pult und hob die losen Blätter hoch, die ganz eindeutig Yoshikis Handschrift trugen. Als er genauer dem Klavierstück lauschte, musste er feststellen, dass es sich auch hierbei ganz eindeutig um den Stil seines besten Freundes handelte. Hatte er hier unten etwa einen Song aufgenommen? Er blickte wieder auf das oberste Blatt und las den Titel: „Ri no uta“ – Siegeslied. Allerdings stockte er, als er das erste Kanji sah… theoretisch konnte man die Überschrift auch als „Toshi no uta“ lesen – Toshis Lied. Was hatte Yoshiki hier unten wirklich getan? Kopfschüttelnd blickte er auf und starrte durch die Scheibe in den beleuchteten Aufnahmeraum, als er schließlich stockte. Ihm war als hätte er, verdeckt vom Kristallflügel und der Klavierbank, etwas ausmachen können. Noch mit den Notenblättern in der Hand lief er in das angrenzende Zimmer und konnte spüren, wie sein Herz für einen Augenblick aussetzte, als er am Boden seinen besten Freund liegen sah. Für einen Moment schien es, als könnte er sich nicht bewegen, als würde die gesamt Welt still stehen, ehe er zu ihm stürzte und sich neben ihn auf den Parkettboden fallen ließ, wobei die Notenblätter langsam herabsegelten.

„Yocchan!!“

Der Jüngere lag halb auf der Seite, sodass er ihn auf den Rücken drehte und zu sich in die Arme zog. Was ihm Angst bereitete, war, dass der Jüngere flach lag, er aber keinerlei Atemgeräusche von ihm hören konnte, wie sonst immer.

„Yocchan!!“ Er schüttelte ihn, während er mit zittrigen Fingern an dessen Hals nach einem Puls suchte, aber nicht wirklich einen fand. Nein, er konnte nicht…! Erneut rief er ihn beim Namen und diesmal flatterten die Augen des Jüngeren, sodass er sie einen kleinen Spalt öffnete und beinahe gleichzeitig röchelnd einen tiefen Atemzug nahm, so als hätte er gerade minutenlang die Luft angehalten.

„Gott sei Dank!“ Erleichterung breitete sich in Toshi aus, als der andere ihn ansah. Als er dann kraftlos eine Hand anhob, um nach ihm zu greifen, kam er ihm mit seiner eigenen entgegen und umschloss sie. „Ich bin bei dir, Yocchan, alles wird gut!“, versprach er, während er mit der anderen fanatisch Yoshikis Hosentaschen auf der Suche nach seinem iPhone abklapperte, um einen Notarzt zu rufen. Er hatte keine Ahnung, was los war, schließlich schien es dem Jüngeren den ganzen Tag über richtig gut gegangen zu sein – er hatte sich nicht erbrochen, er hatte weder rasende Kopfschmerzen noch Fieber gehabt… und doch lag er hier nun völlig geschwächt auf dem Boden. „Yocchan, wo ist das Handy? Ich ruf einen Arzt und dann wird alles wieder gut, ich verspreche es!“ Er sah den anderen fragend an und strich mit der Hand über dessen blasse Wange, doch dieser blickte ihn lediglich unverwandt an und hob seinen anderen Arm zitternd hoch, um seine Finger auf Toshis Handrücken zu legen. Mehrmals öffnete er den Mund, so als wollte er etwas sagen, doch kein Ton kam über seine Lippen und als er es schließlich doch tat, war es ganz leise und wurde von der Klaviermusik, die anscheinend auf Dauerschleife lief, fast übertönt.

„……… Tocchi………..“

„Ich bin hier, Yocchan, ich bin hier…“ Er musste etwas tun, er musste in den Mischraum und einen Notarzt rufen, weil er sein Handy nirgendwo bei dem Jüngeren finden konnte, aber er wollte ihn auch nicht alleine lasse. Aber irgendetwas musste er doch tun…!
 

Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als das Röcheln plötzlich aufhörte, Yoshikis Finger aus seiner Hand rutschten, er die Augen schloss und sein Kopf zur Seite rollte, sodass er in Toshis Armbeuge zum Liegen kam.

„Yocchan……?“

Erneut schüttelte er ihn, in der Hoffnung, dass er wie gerade eben reagierte, doch nichts geschah.

„Yoshiki, mach die Augen auf!!“, flehte Toshi und klopfte ihm gegen die Wange, aber er erhielt nicht die gewünschte Reaktion.

„Yocchan!!!“ Immer wieder schüttelte er den leblosen Körper, bekam jedoch keinerlei Regung. Er suchte wie zuvor am Hals nach einem Puls, doch er konnte keinen finden – weder dort, noch an der Brust, direkt über dem Herzen, oder am Handgelenk.

„Bleib hier, Yocchan… bleib hier…“, bat er und Tränen rannen über seine Wangen, tropften auf seinen besten Freund hinab, während ihm ein raues Schluchzen über die Lippen kam. Er konnte nicht tot sein! Er konnte doch nicht einfach so gehen… nicht jetzt! Verglichen mit den Tagen zuvor, ging es ihm doch heute so gut. Sie wollten doch morgen zu Doktor Hiraishi, damit Yoshiki von Kopf bis Fuß durchgecheckt werden konnte, um noch eventuellen Möglichkeiten nachzugehen, wie sie vielleicht noch ein paar Tage mehr Zeit miteinander verbringen konnten. Und anschließend wollten sie doch nach Refuge des Anges zurückkehren – Fatima, Ben und Lara warteten schließlich auf ihn.

„Yoshiki…!!“ Schluchzend zog er ihn komplett zu sich in die Arme und drückte den zierlichen Körper an sich, während er seine Stirn gegen die des Jüngeren legte. „….. Yocchan…“ Zitternd wiegte er seinen besten Freund hin und her, wobei immer nur dessen Name über seine Lippen kam und er gleichzeitig zu verstehen versuchte, dass er von nun an alleine war.

Aber wie sollte er es begreifen, wenn alles, was er kannte, ein Leben mit seinem besten Freund war?

Wie war es nachvollziehbar, dass sein Telefon nie mehr mitten in der Nacht klingeln würde, weil Yoshiki die Zeitverschiebung zwischen Los Angeles und Tokyo einmal wieder nicht bedacht hatte? Wie war es nachvollziehbar, dass nie mehr ein einziger Telefonanruf genügen würde, um die Stimme seines besten Freundes zu hören?

Wie war es nachvollziehbar, dass Yoshiki nie mehr mitten in der Nacht zu ihm ins Bett krabbeln würde, weil er sich alleine fühlte und Nähe brauchte?

Wie war es nachvollziehbar, dass sie nie mehr miteinander Lachen und Weinen würden, dass sie sich nie mehr gegenseitig necken würden?

Wie sollte er begreifen, dass es nun wirklich keinen Yoshiki mehr gab, nicht weil Kouki ihn für tot erklärt hatte, sondern weil er in seinen Armen gestorben war?

Wie war es auch nur irgendwie erfassbar, dass er von nun nie mehr ganz sein würde, dass ein Teil von ihm stets fehlen würde?

„…… Yocchan……!!“

Ob Platons Urmenschen einen ähnlichen Schmerz gespürt hatten, als Zeus sie in seinem Zorn entzwei gespalten hatte?
 

Toshi hatte jegliches Zeitgefühl verloren, sodass er nicht sagen konnte, wie lange er schon mit seinem besten Freund im Arm auf dem kühlen Fußboden saß und weinte. Wie viele Tränen konnte man wohl um jemanden weinen, ehe die Seele ausgeblutet war? Er wusste es nicht, doch irgendwann fingen seine Wangen zu trocknen an und lediglich raue Schluchzer kamen über seine Lippen. Als er einmal für einen Moment aufblickte, registrierte er die Notenblätter seines Songs – Toshi no uta – die um sie verstreut herum lagen. Eine Seite, die direkt neben ihm gelandet war, war verkehrtherum und wie es aussah, hatte Yoshiki etwas auf die Rückseite geschrieben. Zitternd nahm Toshi sie in die Hand und begann die vertraute Schrift seines besten Freundes zu lesen.
 

„Hiermit verfüge ich, Hayashi Yoshiki, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, dass nach meinem Tod sämtliche Rechte an meinen Werken, veröffentlicht wie unveröffentlicht, auf meinen besten Freund und Mitgründer von X JAPAN, Deyama Toshimitsu, übergehen.“
 

„Du…“, flüsterte er ungläubig und schüttelte den Kopf, wobei er nicht anders konnte, als weiterhin auf das Notenblatt zu starren, während er seine Schläfe gegen Yoshikis lehnte. Ganz unten am Papier registrierte er schließlich noch fünf kleine Hiraganazeichen, die zusammengelesen ein einziges Wort ergaben: Danke.

„Yocchan…“ Erneut traten ihm Tränen in die Augen, als er den Jüngeren an sich drückte und das Blatt beiseitelegte.
 

Toshi konnte nicht sagen, wann er schließlich mit Yoshiki im Arm aufstand, dabei auf dem Kristallflügel sein Handy und seine Schlüsselkarte entdeckte, jedoch nur letztere an sich nahm, und ihn dann nach oben ins Penthouse brachte, wo er ihn im Schlafzimmers aufs Bett legte, ihm die Schuhe auszog und ihn anschließend vorsichtig zudeckte, so als hätte er Angst, er könnte ihn aufwecken. Danach ging er noch einmal ins Studio hinunter, sammelte sein iPhone und die Notenblätter ein, ehe er sich ans Mischpult setzte und Yoshikis allerletzte Aufnahme vom Server zog und auf eine CD brannte, die er an sich nahm. Im Anschluss fuhr er alles herunter und schaltete die gesamte Technik wieder aus, sodass es aussah, als wäre nie jemand hier gewesen. Die ganze Zeit über waren ihm immer wieder Schluchzer über die Lippen gekommen, sodass er sich darauf biss, bis er den metallenen Geschmack von Blut im Mund hatte. Schließlich kehrte er ins Penthouse zurück und legte sich zu seinem besten Freund, an welchen er sich kuschelte, und weinte sich in den Schlaf.
 

Als er am nächsten Morgen schließlich wach wurde, strahlte bereits die Sonne durch die Fensterfront, doch das registrierte er gar nicht wirklich. Er sah lediglich Yoshiki im Bett liegen, der sich keinen Millimeter bewegt hatte. Sicherlich eine Stunde lang saß er einfach nur neben ihm, während neue Tränen über seine Wangen rannen und studierte das Gesicht des Jüngeren, das so friedlich aussah, als würde er lediglich schlafen. Genau genommen tat er das schließlich auch, er würde nur nie mehr aufwachen, die Augen öffnen und Toshi anstrahlen.

Schließlich griff er zum Handy und wählte Koukis Nummer, der kurz darauf abnahm. Ehe er die Nachricht überbrachte, bat er den Jüngeren seine Mutter dazu zu holen, da er nicht wusste, wie oft er dieselben drei Worte würde wiederholen können. Als keine zwei Minuten später beide am Apparat waren und darauf warteten, dass er sprach, biss er sich auf die Unterlippe und griff nach der Hand des anderen, so als würde es ihm die nötige Kraft geben, doch die Totenstarre hatte bereits Besitz von ihr ergriffen, sodass er stattdessen kurz zärtlich über die kühle Wange strich.

„Toshimitsu…?“

„…… Yocchan ist…“ Statt dem letzten Wort kam ihm nur ein Schluchzen über die Lippen, doch die beiden anderen verstanden auch so und er konnte hören, wie Okaa-san in Tränen ausbrach, während Kouki lange Zeit nur schwieg, ehe er versprach mit seiner Mutter zu kommen und Heath, Pata und Sugizo zu informieren.
 

Wie in Trance erlebte Toshi mit, wie nach und nach alle ins Penthouse kamen. Er hörte Weinen, aber er konnte nicht sagen, von wem es kam. Vielleicht war es auch er selbst… Menschen umarmten ihn, drückten ihn an sich, doch keiner der Körper fühlte sich so an wie Yoshiki, keiner roch so wie er. Menschen wollten ihn von seinem besten Freund wegführen, ihn dazu zu bringen, etwas zu essen, sich auszuruhen, doch er verharrte an der Seite des Jüngeren, schließlich hatte er ihm versprochen, bei ihm zu bleiben. Wenn er sich hinlegte, dann nur neben seinen besten Freund, der mittlerweile gewaschen und in ein weißes Totengewandt gekleidet, nach Norden hin auf einem Futon aufgebahrt worden war. Unzählige rote Rosen waren um ihn herum aufgestellt worden und ein buddhistischer Mönch war gekommen, um Sutren zu verlesen und Räucherstäbchen zu verbrennen. Die ganze Zeit über harrte Toshi an Yoshikis Seite aus und hielt die Ketten von Ben und Lara in seiner Hand fest umschlossen, die er dem Jüngeren abgenommen hatte.
 

Er hatte das Gefühl, dass sich alles um ihn herum in Slow Motion und doch gleichzeitig in Fast Motion abspielte. Alles wirkte so surreal wie in einem schlechten Traum, der nicht enden wollte. Schneller als erwartet wurde es dunkel und die Totenwache begann, doch Toshi registrierte es nicht wirklich, schließlich war er schon seit der letzten Nacht bei Yoshiki und wachte über ihn. Es musste eine wirklich seltsame Laune des Schicksals sein, dass der Jüngere genau vier Jahre später an dem Tag verstarb, an dem dieser gedacht hatte, dass er selbst verstorben sei.

Mit der Zeit begann es ihn zu nerven, dass immer wieder jemand versuchte, ihn zu überreden, etwas zu sich zu nehmen, oder sich doch für ein paar Stunden in einem der Gästezimmer auszuruhen. Wann würden sie verstehen, dass er solche nichtigen Sachen nicht brauchte? Das einzige, was er benötigte, war sein bester Freund! Alles andere war nebensächlich und irrelevant!

Er hatte keine Ahnung, wie die anderen Yoshikis Tod verkrafteten, doch wenn er ehrlich war, dann interessierte es ihn gar nicht wirklich. Der Schmerz über den Verlust hatte sich wie eine Hülle um ihn gelegt, die keinen anderen Gedanken zuließ, als den an seinen besten Freund. Vor seinem inneren Auge spielte er immer und immer wieder ihre Geschichte ab – wie sie sich im Kindergarten kennenlernten und beste Freunde wurden, wie sich Yoshiki nach dem Tod seines Vaters veränderte, wie sie X gründeten und schließlich nach Tokyo zogen, um erfolgreich zu werden, wie sie sich bis nach ganz nach oben hocharbeitet und dann fielen, wie sie immer weniger redeten, er schließlich ausstieg und sie sich zerstritten, wie sie sich bei hides Beerdigung das erste Mal nach einem Jahr abseits der Bühne wiedersahen, aber kein Wort miteinander wechselten, wie sie sich zehn lange Jahre lang anschwiegen, ehe sie wieder zueinander fanden, wie sie X JAPAN wiedervereinten und die Welt eroberten, wie er seine Stimme verlor und sich von HOH trennte, wobei Yoshiki die ganze Zeit über zu ihm hiel. Und zu guter Letzt: sein Unfall, das Verschwinden des Jüngeren und wie er ihn schließlich fand – zurückgezogen in einem kleinen Dorf in Frankreich, das auf kaum einer Karte verzeichnet war. Doch egal, wie oft er ihre Geschichte auch wiederholte, sie endete jedes Mal damit, dass Yoshiki in seinen Armen starb und er nun an seiner Seite Wache hielt.
 

Aber irgendwann musste er an einem Punkt angelangt sein, dass er ihre Geschichte so oft wiederholt hatte, dass sie sich änderte, denn als er die Augen aufschlug, blickte er direkt in die braunen Augen seines besten Freundes, der ihn aufforderte, aufzustehen.

„Yocchan!“ Also war alles doch nur ein böser Traum gewesen, der nun endlich vorbei war!

„Toshi, ich bin es… Kouki!“

Der Angesprochene blinzelte verwirrt und so schnell wie die Freude, die er eben noch gespürt hatte, gekommen war, so schnell wich sie auch schon wieder dem Schmerz, der ihn für einen Moment lang nur die Gemeinsamkeiten zwischen den Brüdern hatte sehen lassen, aber nicht die zahllosen Unterschiede.

„Wo… wo bin ich? Wo ist Yoshiki?!“ Hektisch blickte er sich um, konnte jedoch nur sein Schlafzimmer ausmachen.

„Du bist heute Nacht während der Wache eingeschlafen, wir haben dich ins Bett gebracht“, erklärte Kouki, „Ich habe dir bereits einen schwarzen Anzug rausgelegt. Mach dich frisch und zieh dich um, Yoshiki wird in einer Stunde eingesargt und dann zum Krematorium gebracht.“ Damit ging der andere wieder und Toshi hatte nur am Rande mitbekommen, wie blass der Jüngere aussah und wie rot und geschwollen seine Augen waren. Mechanisch tat er, wie Kouki ihn angewiesen hatten, steckte zum Schluss noch die Ketten von Ben und Lara in seine Hosentasche und trat dann nach draußen, wo Yoshikis Mutter, dessen Bruder sowie Heath, Pata und Sugizo noch immer Wache hielten. Sie alle trugen mittlerweile Schwarz und sahen auf, als sie seine Anwesenheit bemerkten. Er glaubte zu hören, dass sie irgendetwas zu ihm sagten, doch es machte nicht wirklich Sinn für ihn. Stattdessen nahm er einfach wieder seinen Platz an Yoshikis Seite ein und verharrte dort, bis der einfache Holzsarg kam, in den der Jüngere schließlich gebettet wurde. Eine einzelne rote Rose wurde ihm mitgegeben und auf seine Brust gelegt, ehe der Sarg verschlossen wurde. Schluchzer kamen über Toshis Lippen als er seinen besten Freund nicht mehr länger sehen konnte und nur verschwommen nahm er den Nagel wahr, auf welchen er symbolisch mit einem einfachen Stein klopfte, den er von Kouki in Empfang genommen hatte, und den er anschließend an Pata weiterreichte, sodass dieser denselben Ritus vollziehen konnte.
 

Anschließend fuhren sie mit dem Sarg in die Tiefgarage, wo er in den Leichenwagen geladen wurde, um ins Krematorium überführt zu werden. Heath, Pata und Sugizo verabschiedeten sich unter Tränen von Yoshiki und traten dann respektvoll mehrere Schritte von dem Auto zurück, damit Toshi Lebewohl sagen konnte, denn die Einäscherung und die anschließende Kotsuage – das Auflesen der Knochen – war etwas, das nur dem engsten Familienkreis, also Okaa-san und Kouki, vorbehalten war. Er würde sich nun ebenfalls verabschieden müssen… Für immer… oder zumindest für so lange, bis sie im Tod wieder vereint waren…

Doch er war noch gar nicht wirklich zum Wagen getreten, als ihm Yoshikis kleiner Bruder eine Hand auf die Schulter legte.

„Komm“, forderte dieser ihn auf und dirigierte ihn stattdessen zu dem Minivan, der bereitstand, um dem Leichenwagen zu folgen. Es war derselbe, der ihn und Yoshiki vom Flughafen abgeholt hatte.

„Wohin?“ Weshalb brachte Kouki ihn vom Sarg weg?

„Zum Krematorium…“

„Aber ich bin nicht…“

„Yoshiki hätte es so gewollt“, antwortete der Jüngere mit brüchiger Stimme, während Toshi ihn aus verweinten Augen einen Moment lang überrascht anstarrte, dann aber dankbar nickte und in das Auto einstieg, das, wie bereits ein paar Tagen zuvor, von Dan gefahren wurde.
 

Die Fahrt und die eigentliche Einäscherung kamen ihm wie ein einziger Strudel vor, der ihn einfach mitriss und in dem er keinerlei Kraft hatte, dagegen anzukommen. Mechanisch folgte er sämtlichen Schritten, die Kouki und dessen Mutter taten und wusste dabei nie so wirklich, was er eigentlich machte. Das einzige dessen er sich wirklich bewusst war, war, dass er gedanklich alle ihm bekannten Götter anflehte, dass dies nicht wahr sein konnte, dass dies lediglich ein Albtraum war… doch nichts geschah und so imitierte er lediglich das Verhalten von Yoshikis Familie, da er zuvor noch nie bei einer Einäscherung, geschweige denn einer Kotsuage dabei gewesen war. Als seine Großeltern verstorben waren, war er zu jung gewesen, als dass seine Eltern erlaubt hätten, dass er mit dabei war, und als sein Vater vor einigen Jahren gestorben war, hatte er keinerlei Kontakt mehr zu seiner Familie gehabt, sodass er erst Wochen später überhaupt erst von dessen Dahinscheiden erfahren hatte.

So betrat er nach der Einäscherung hinter Yoshikis Mutter und dessen Bruder die Halle, in der sich nun die Asche und die nichtverbrannten Knochen seines besten Freundes befanden. Als er jene sah, traf ihn die Realität mit ihrer ganzen Härte und er konnte das Schluchzen, das er die ganze Zeit versucht hatte zu unterdrücken, nicht mehr länger zurück halten.

Yoshiki war tot…

Sein bester Freund war tot…

Nun, da die Knochen und die Asche vor ihm lagen, gab es daran keinen Zweifel mehr.

Yoshiki war fort… seine Seele würde ins Jenseits übergehen und dort mit der seines Vaters und mit hides vereinigt sein, während er selbst in der harschen Realität, alleine, gefangen war.
 

„Komm…“, forderte Okaa-san ihn leise auf und hatte ihm eine Hand auf den Rücken gelegt, die beruhigende Kreise fuhr, während sie ihm ein leichtes, aufmunterndes Lächeln schenkte, obwohl er in ihren Augen die Tränen sah. Er musste sich zusammenreißen! Schließlich hatte er nur seinen besten Freund verloren, während sie bereits ihren Ehemann hatte begraben müssen und nun auch ihren ältesten Sohn. Doch das mit dem „sich zusammenreißen“ war leichter gesagt als getan, aber er versuchte es zumindest so gut wie möglich, wischte sich über die Augen, biss sich auf die Unterlippe und nickte Yoshikis Mutter schließlich kurz zu. Sie erwiderte die Geste sanft und reichte ihm dann zwei Bambusstäbchen, ehe sie ihn zur Bahre mit der Asche ihres Sohnes führte.

Als Toshi sich dann an erster Stelle vorfand, die demjenigen vorbehalten war, der dem Verstorbenen am nächsten war und dem somit auch die Ehre zuteilwurde, die Knochen mit den Stäbchen aufzuheben und weiterzureichen, hielt er es zunächst für einen Fehler. Fragend sah er zu Yoshikis Mutter und dessen Bruder, wollte mit ihnen schon die Plätze tauschen, doch beide gaben ihm zu verstehen, dass er den ersten Knochen auflesen sollte. Er schluckte schwer und hob dann zitternd den ersten auf, reichte ihn an Okaa-san weiter, die ihn mit ihren eigenen Stäbchen aufnahm, an Kouki weitergab, welcher ihn schließlich sanft in die bereitstehende Urne legte. Mit zusammengepressten Lippen beobachtete Toshi, wie der Jüngere einen Knochen nach dem anderen in dem Gefäß verschwinden ließ, wobei ihm nicht entging, dass Koukis Hand mindestens genauso stark zitterte, wie seine eigene.

Als das Ritual der Kotsuage beendet war, wurden sie alle drei symbolisch mit Salz gereinigt und verließen dann das Krematorium, wobei Yoshikis Mutter die Asche ihres Sohnes trug. Auf der Rückfahrt zum Penthouse herrschte einvernehmliches Schweigen im Wagen, wobei Toshi aus dem getönten Fenster auf die vorbeihuschende Skyline blickte, während stumme Tränen über seine Wangen rannen. Erst wenige Tage vorher war er genau dieselbe Strecke gefahren, doch damals hatte noch sein bester Freund in seinen Armen gelegen und geschlafen. Er erkannte die Stelle, an der er ihn geweckt hatte, um ihm den Fuji-yama zu zeigen, damit er sah, dass sie zuhause waren. Aber wo war zuhause überhaupt? Er wusste es nicht mehr… Er hatte das Gefühl zu schweben, losgelöst von allem zu sein, ohne zu wissen, wie er wieder Halt unter den Füßen bekommen sollte. Nichts war mehr so, wie es einmal war und es würde auch nie mehr so sein, denn sein bester Freund war nicht mehr länger da…

Yoshiki war tot.

Wie würde es nun weitergehen? Was sollte er tun? Einfach so zu seinem Leben zurückkehren? Aber was war überhaupt sein Leben? Die letzten drei Jahre hatte er immerhin damit verbracht, nach Yoshiki zu suchen. Doch das wäre nun sinnlos… Er wusste, dass Okaa-san am Nachmittag nach Tateyama zurückkehren und dort die weiteren Totenriten durchführen würde. Wenn schließlich sieben mal sieben Tage vergangen wären, würde Yoshikis Urne dem Familiengrab beigefügt werden. Der Weg seines besten Freundes war durch uralte Traditionen vorgezeichnet, doch wie sah sein eigener Weg nun aus?
 

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*vorsichtig in die Runde lug* Habt ihr das Kapitel alle überstanden? Falls es euch beruhigt, ich hab beim Schreiben auch zwei Tempopackungen gekillt. Wenn ihr allerdings aufmerksam gelesen habt, dann werdet ihr einen klitzekleinen Vorverweis entdeckt haben, der bereits verrät, wie alles im letzten Kapitel aufgelöst wird :)
 

Wer sich ein wenig mit japanischen Totenriten auskennt, wird vermutlich schon bemerkt haben, dass ich mich da im Rahmen des Möglichen an die Tradition gehalten habe (empfehlen kann ich hierzu auch „Nokan – Die Kunst des Ausklangs“). Ansonsten war von der Storyline her alles fiktiv – bis auf die Namensgebung von „Ri no uta“. Toshis Vorname wird in Kanji利三 geschrieben. Das erste Kanji利, das in seinem Namen als „Toshi“ gelesen wird, wird eigentlich „ri“ gelesen und bedeutet u.a. Sieg, Vorteil, Gewinn.
 

P.S.: Wie klingt denn "Toshi no uta" in eurer Vorstellung?

Les Âmes Réunies

@ all: Wie heißt es? Alle schönen Dinge müssen einmal zu einem Ende kommen. In diesem Sinn wünsche ich euch viel Spaß beim letzten Kapitel von Shi Ans!
 

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Als Toshi schließlich mit dem Privatjet erneut am Aéroport de Toulon-Hyères landete, waren zwei Wochen seit Yoshikis Tod vergangen.
 

Okaa-san hatte ihm angeboten, mit ihr nach Tateyama zu kommen, doch er hatte abgelehnt. Seine eigene Familie dachte schließlich, dass sein bester Freund bereits vor Jahren verstorben war, da konnte er nicht den obligatorischen Standardbesuch abstatten und so tun, als wäre nichts gewesen wäre. Obwohl es ihn nicht wundern würde, wenn Yoshikis Mutter, seine eigene Mutter längst in alles eingeweiht hatte. Generell stellten hatte Kouki, der in Tokyo geblieben war, um sich um den Nachlass zu kümmern, durch die beiden Tode seines Bruders einige Hürden zu überwinden. Am Ende mussten zwar doch mehr Menschen als beabsichtigt eingeweiht werden, doch zumindest für die Öffentlichkeit konnte der Schein gewahrt werden und das war das wichtigste. In einer Pressemitteilung wurde bekanntgegeben, dass Toshi im Ausland auf die menschlichen Überreste des Bandleaders von X JAPAN gestoßen sei und sie in seine Heimat überführt hatte. Da man kein genaues Todesdatum wüsste, würde von nun an der Tag als Todestag gelten, an dem Yoshiki wieder auf heimischen Boden angekommen war. Es stimmte zwar hinten und vorne nicht, aber Toshi wusste aus Erfahrung zu gut, dass Statements gerne beschönigt wurden. Zudem hatte er Kouki gebeten, sicherzustellen, dass keine Details über das Leben des anderen in Frankreich bekannt würden. Es war ein Leben gewesen, in dem der Rockstar YOSHIKI schon lange nicht mehr existiert hatte, weswegen es auch niemanden etwas anging.
 

Drei Tage nach dem Tod seines besten Freundes wurde dessen Testament eröffnet, doch Toshi ging nicht hin, sondern saß, wie so viele andere Tage auch, einfach nur auf dem Sofa im Penthouse und starrte ins Leere. Manchmal rollte er sich auch auf der Couch zusammen und weinte bittere Tränen, dann wiederum holte er aus Yoshikis Kleiderschrank ein Oberteil, legte sich damit aufs Bett und atmete den Geruch seines besten Freundes ein, solange er noch in den Stofffasern haftete. Er vermisste ihn und egal wie oft Heath, Pata, Sugizo und Kouki auch nach ihm sahen und ihm Gesellschaft leisteten, er hatte das Gefühl, alleine auf der Welt zu sein. Alles erschien ihm sinnlos und zum ersten Mal verstand er aus ganzem Herzen, was Yoshiki gemeint hatte, als er sagte, dass das Leben nicht fair sei. Er selbst hätte tot sein sollen, nicht der Jüngere! Als Kouki schließlich von den Anwälten zurückkam und ihm sowohl die Festplatten, mit den gesamten Werken des anderen, als auch die Notenblätter, auf denen Yoshiki den Zusatz zu seinem Testament geschrieben hatte, übergab, hatte er gedacht, er würde zumindest eine kleine Freude darüber spüren, dass keine rachgierigen Geschäftsleute seinen besten Freund würden ausschlachten können. Doch als er in sich hineinhorchte, war dort nichts außer Leere. Er hatte keine Ahnung, wie es mit dem restlichen Besitz von Yoshiki aussah, wer wie viel bekommen hatte, aber es interessierte ihn auch nicht wirklich. Stattdessen saß er lieber tagein tagaus auf dem Sofa und lauschte der letzten Komposition des Jüngeren. Es war ein leises Stück, das sanft dahinplätscherte und ihn an den Jungen erinnerte, der hinter dem Rockstar und dem Geschäftsmann gewesen war. Wenn er die Augen schloss, dann sah er das Gesicht seines besten Freundes wieder vor sich – ungeschminkt, nicht hinter einer Sonnenbrille versteckt, strahlte er ihn einfach nur an. Und jedes Mal, wenn er ihn erneut sah, brach er wieder weinend zusammen und schluchzte seinen Namen. Er würde ihn nie mehr anstrahlen… nie mehr!

Mehr als einmal hatte ihn einer der anderen so vorgefunden und langsam begann er zu verstehen, warum Yoshiki damals vor vier Jahren untergetaucht war, als er gedacht hatte, er wäre tot. Ein Teil von ihm begriff, dass sie ihn trösten und ihm Beistand leisten wollten, doch der andere Teil von ihm wollte sie anschreien, wie denn bitte schön alles wieder gut werden würde, wenn Yoshiki tot war. Und er hatte keine Ahnung, wie lange er diesen zweiten Part noch unterdrücken konnte… Doch eine Lösung schien sich ihm aufzutun, als er eine Woche nach dem Tod seines besten Freundes sein neues Visum für Frankreich erhielt. Zu Beginn hatte er sich gefragt, was er mit der sechsmonatigen Aufenthaltsgenehmigung machen sollte, schließlich musste er nur noch einmal kurz zurück, um Ben und Lara ihre Ketten zu geben und um Fatima Yoshikis Scheck zu überreichen. Allerdings wusste er nicht wirklich, wann er das machen sollte… Er fühlte sich nicht danach, in der Weltgeschichte herumzufliegen. Lieber würde er sich in dem Penthouse verkriechen und für immer schlafen, ohne jemals wieder die Augen zu öffnen. Aber dann begann er sich daran zu erinnern, was ihm Yoshiki über Refuge des Anges erzählt hatte, dass es der einzige Ort gewesen war, an dem er nach seinem Tod hatte Frieden schließen können. Vielleicht würde er dort auch mit seinem Leben wieder ins Reine komme und nicht mehr länger diese Leere verspüren.
 

Toshi wusste, dass Kouki am nächsten Tag mit seiner kompletten Familie, die inzwischen auch eingeweiht war, nach Tateyama fahren würde, sodass er ihn bat, ihn mitzunehmen, da er ihm und seiner Mutter eine Bitte vortragen wollte, von der er nicht sicher war, ob es überhaupt an ihm war, diese zu stellen. Doch Yoshiki zuliebe wollte er es tun…

Der Empfang von Okaa-san war herzlich und beim Tee erkundigte sie sich, wie er den Tod ihres Sohnes verkraftete. Er hatte keine Ahnung, was Kouki ihr alles erzählt hatte, aber er beschloss, dass dies wohl die beste Gelegenheit war, auf sein Anliegen zu sprechen zu kommen, da die Frage es geradezu anbot. Außerdem befanden sich ihre Enkelkinder, vor denen er diese Thematik nicht unbedingt diskutieren wollte, derzeiti m Obergeschoss, um zu spielen.

„Um ehrlich zu sein, Okaa-san, ich wollte dich deshalb um etwas bitten“, begann er und rutschte seitlich von dem Teetisch weg und verbeugte sich tief.

„Worum geht es, Toshimitsu?“

„Ich habe gestern mein neues Visum für Frankreich erhalten und beschlossen an jenen Ort zurückzukehren, wo Yoshiki die letzten Jahre über gelebt hat. Es ist ein kleines Fischerdorf an der Südküste Frankreichs und laut Yocchan war dies der einzige Ort, an dem er akzeptieren konnte, dass ich tot bin, und wo er wieder anfangen konnte zu leben“, erklärte Toshi mit leiser Stimme. Er hatte sich wieder aufgerichtet, hielt den Kopf jedoch gesenkt und konnte nicht verhindern, dass ihm bei den Erinnerungen an seinen besten Freund die Tränen kamen. „Er hat dort oben auf den Klippen in einem kleinen Cottage gelebt… ganz am Rand hat er zu meinem Gedenken eine Rose gepflanzt… Man hat von dort einen wunderschönen Blick über das Meer…“

„Du möchtest dort für längere Zeit bleiben?“

„Ja… Ich weiß nicht für wie lange… vielleicht ein paar Wochen oder die gesamte Dauer meines Visums… ich weiß es nicht, Okaa-san. Alles, was ich weiß, ist, dass ich nicht hier bleiben kann… ich… ich kann es einfach nicht… Ich weiß nicht warum, aber ich kann einfach nicht… Es ist… alles ist einfach…“ Immer mehr Tränen rannen ihm über seine Wangen und er biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut aufzuschluchzen, doch der Schluchzer kam ihm trotz allem über die Lippe. „Es ist… es ist, als wäre meine Seele mit ihm gegangen… und… und nur mein Körper ist noch hier gefangen…! Es ist… es ist meine Schuld, dass er… wenn ich damals nicht den Unfall gehabt hätte… Ich hätte nicht nach Tokyo zurückkommen sollen… ich hätte bei ihm in LA bleiben müssen… dann… dann wäre er nicht…“ Er war vollends weinend zusammengebrochen und blickte überrascht aus verheulten Augen auf, als ihn jemand in die Arme nahm und an eine Brust drückte. Verschwommen konnte er das Gesicht von der Mutter seines besten Freundes wahrnehmen, die ihn leicht hin und her wiegte und durch seine Haare strich.

„Du hoffst, dass du dort deinen Frieden finden kannst, so wie Yocchan es getan hat“, äußerte sie mit leiser, zitternder Stimme.

„Ich… ich kann nicht hierbleiben, Okaa-san… ich kann… einfach nicht… Alle sagen… ‚Alles wird schon wieder gut‘… aber wie kann… kann alles wieder gut werden… wenn… wenn Yoshiki…?“

„Es wird besser werden, Toshi, das musst du mir glauben… es braucht Zeit und auch nach 30 oder 40 Jahren wirst du den Schmerz noch spüren, aber nach und nach werden die Momente kommen, in denen du auch wieder etwas anderes spürst als den Verlust… erst einzeln und selten, doch dann immer öfter. Und wenn du denkst, dass du es dort vielleicht leichter kannst, als hier, dann solltest du gehen…“

„Ich hoffe es“, entgegnete Toshi leise und löste sich aus ihrer Umarmung, um sich über die Augen zu wischen.

„Aber versprich, dass du dich ab und an meldest, damit wir wissen, wie es dir geht… und deine Familie auch.“

„Mach ich“, versprach er und nickte leicht, wobei er erneut den Kopf gesenkt hielt.

„Gib mir Bescheid, wann du fliegen möchtest und ich lass dir den Jet startklar machen“, äußerte Kouki leise, der mit seiner Frau bisher stumm am Tisch gesessen hatte.

„Danke, Kouki…“

„Und wenn du wieder nach Hause willst, dann ruf an und ich lass dich abholen.“

„Danke…!“

„Du sagtest, du hättest eine Bitte, Toshimitsu…“, erinnerte sich Yoshikis Mutter und legte eine Hand auf die seine.

„Ich… ich möchte dich und Kouki um Erlaubnis bitten, einen Teil von Yocchans Asche mit nach Frankreich nehmen zu dürfen, um sie dort unter der Rose auf der Klippe beizusetzen.“ Erneut hatte er sich tief verbeugt und die Augen geschlossen, während er ihr Urteil abwartete.

„Ich denke, dass das nach einem Ort klingt, an dem Yoyo glücklich wäre“, entgegnete Kouki, wobei man aus seiner Stimme ein leichtes Lächeln heraushören konnte.

„Du hast unseren Segen dazu, Toshi“, fügte Yoshikis Mutter hinzu und legte einen Finger unter sein Kinn um es anzuheben und ihn anzulächeln, als er die Augen wieder aufschlug.
 

Ein paar Tage später kehrte er dann erneut nach Tateyama zurück, um der kleinen Zeremonie beizuwohnen, in der Yoshikis Urne noch einmal geöffnet wurde und einige seiner Knochen in das kleinere Gefäß gelegt wurden, welches Toshi mit sich gebracht hatte. Als er sich am Abend von Okaa-san verabschiedete, um am nächsten Nachmittag zurück nach Frankreich zu fliegen, vertraute er ihr die Festplatten mit Yoshikis Werken an und sie versprach, sie gut für ihn in Verwahrung zu halten. Gepackt hatte er am Morgen darauf relativ schnell, da es eigentlich nur vier Dinge gab, auf die er Wert legte, dass er sie dabei hatte: die Knochen seines besten Freundes, die beiden Ketten von Ben und Lara sowie den Umschlag für Fatima. Der Rest bestand aus wahllos hineingeworfenen Klamotten, zwischen denen er sorgfältig die CD mit Toshi no uta sowie einige Bilder verstaute. Insofern war er früher als geplant am Flughafen, wo er überrascht feststellen musste, dass nicht nur Heath, Pata und Sugizo gekommen waren, um ihn zu verabschieden, sondern auch Yoshikis Familie sowie seine eigene. Er sagte ihnen allen Lebewohl und versprach, sich zu melden, doch während die anderen sein Gehen wohl ziemlich schwer nahmen, glaubte er, zum ersten Mal seit Yoshikis Tod, etwas anderes als Schmerz zu spüren. Zwar konnte er das Gefühl nicht beim Namen nennen, doch es erinnerte ihn an Glück und Vorfreude…
 

Und so stand er nun erneut am Aéroport de Toulon-Hyères und wartete darauf, dass er seinen Mietwagen in Empfang nehmen konnte, um zurück nach Refuges des Anges zu fahren. Wenig später befand er sich auf der Straße und fuhr denselben Weg zurück, den er erst vor wenigen Wochen genommen hatte. Die Urne mit Yoshikis Knochen hatte er gut gepolstert in einer Tasche verstaut, die sich nun angeschnallt auf dem Beifahrersitz befand.

„Du bist wieder zuhause, Yocchan“, flüsterte er und blickte kurz zu seinem besten Freund, als er das Ortsschild des Dorfes passierte, „ich hatte dir doch versprochen, dass ich dich zurückbringen würde…“ Langsam lenkte er den Wagen durch die schmalen Straßen, ehe er schließlich den Ort selbst hinter sich ließ und die steile Küstenstraße hochfuhr. Er erkannte jene Stelle wieder, an der er gehalten hatte, um einen weinenden Yoshiki zu fragen, ob er hier bleiben wolle und er alleine nach Japan zurückfliegen solle. Insgeheim war er froh, dass der Jüngere damals den Kopf geschüttelt hatte und mit ihm gekommen war. Schließlich bog er in den geschotterten Privatweg ein und folgte ihm bis zum Haupthaus, wo er den Wagen neben Fatimas Geländewagen und Yoshikis Twingo abgestellte. Vorsichtig schnallte er die Urne ab, nahm die Tasche an sich und stieg dann aus, um zur Haustür zu gehen und zu klingeln. Seit er mit dem kleinen Gefäß aus Tateyama zurückgekehrt war, hatte er es praktisch keine Sekunde aus den Augen gelassen und stets bei sich gehabt. Oft genug hatte er sich dabei ertappt, wie er mit den Knochen sprach, so als würde noch immer sein bester Freund neben ihm sitzen.
 

Er musste nicht lange warten, ehe ihm Fatima die Tür öffnete und ihn überrascht ansah, ihn dann aber herzlich begrüßte und ihm ganz Französisch ein Küsschen links und ein Küsschen rechts auf die Wange drückte.

„Toshi, ça me fait plaisir de vous voir! Entrez!“

„Tout le plaisir est à moi, Fatima!“, entgegnete er und rang sich ein kleines Lächeln ab, ehe er ihrer Aufforderung nachkam und eintrat. Seit Yoshikis Tod war ihm eigentlich nicht mehr zum Lachen zumute, allerdings wollte er auch nicht direkt mit der Tür ins Haus fallen. Doch anscheinend brauchte er das auch nicht, denn Fatima blickte kurz zur Tür hinaus, sah sich suchend um und wandte sich dann ihm zu, wobei ihre Lippen einen schmalen Strich bildeten.

„Yoshi… il est…“

„Oui“, bestätigte er leise und drückte die Urne fest an sich. „Es… tut mir leid, Fatima…“

„Nein, mir tut es leid“, äußerte sie leise und legte ihm kurz eine Hand auf die Schulter, „Sie hatten ihn gerade erst wieder gefunden….“ Für einen Moment sah sie ihn an und Toshi konnte den Schmerz in ihren Augen sehen, ehe sie ihn aufforderte mitzukommen und sie ihn ins Wohnzimmer führte, wo Ben und Lara sich über einem Playstationspiel geschwisterlich zofften, jedoch direkt auf Pause drückten, als sie Toshi sahen.

„Wo ist Yoshi?“, fragte Lara und blickte sich suchend um, „Ich habe mit einem neuen Song angefangen, er muss ihn sich unbedingt mal anhören! Und mir an ein paar Stellen mit dem Fingersatz helfen, meiner ist irgendwie nicht so gut…“

Toshi sah zu der 17-Jährigen und anschließend zu ihrem älteren Bruder, wobei er glaubte, bei ihm bereits so etwas wie Erkenntnis zu sehen, so als wüsste er bereits, was Sache war. Hatte er etwa die Pressemitteilung gelesen, die auf Japanisch und Englisch veröffentlicht worden war? Schließlich wusste er über Yoshikis Vergangenheit Bescheid… Alles in ihm wollte den beiden sagen, dass ihr Freund nicht mehr zurückkommen würde, doch bereits als er sich die französischen Worte im Kopf zurecht legte, konnte er spüren, wie ihm die Tränen in die Augen schossen, sodass er nur stillschweigend in die Tasche seiner Jeans griff, die Ketten der beiden hervorholte und sie ihnen hinhielt.

„…….. Nein…“ Für einen Moment starrte Lara auf die Anhänger, die von Toshis Finger baumelten, ehe sie aufsprang, sich weinend gegen ihn warf und die Arme um ihn schlang. Überrumpelt stand er zunächst da, hielt sie dann aber fest, während er gleichzeitig die Tasche an sich drückte. Unterdessen war Ben aufgestanden und zu ihm gekommen, hatte die Ketten an sich genommen und seine kleine Schwester zu sich gezogen.

„Danke, dass Sie die Ketten zurückgebracht haben…“

„Yocchan hatte es euch versprochen“, entgegnete Toshi leise und wischte sich rasch über die Augen, ehe er Fatimas Aufforderung nachkam und sich hinsetzte, wobei sie neben ihm Platz nahm, während ihre Kinder sich erneut auf die Couch setzten, auf der sie zuvor schon gesessen hatten.

„Wann ist Yoshi…?“

„Heute vor zwei Wochen“, antwortete Toshi auf Fatimas Frage, „genau an dem Tag, an dem er vor vier Jahren dachte, dass ich gestorben wäre…“ Er biss sich auf die Unterlippe und langte dann in die Innentasche seiner Lederjacke, aus welcher er den Umschlag zog, den Yoshiki ihm anvertraut hatte, und gab ihn Fatima, die ihn verwirrt ansah.

„Was ist das?“

„Yocchan hat mich geben, Ihnen diesen Brief zu geben“, erklärte er leise und wartete darauf, dass sie ihn öffnete und dessen Inhalt zu Tage förderte. Als erstes fiel ihr der Scheck in die Hand und ihre Augen weiteten sich geschockt, als sie den Betrag darauf las.

„Das… das ist…“

„Was ist, Maman?“, wollte Ben wissen, woraufhin ihm seine Mutter nur den Scheck reichte, sodass er und seine Schwester einen Blick darauf warfen. „Heilige Scheiße…!“, entfuhr es dem 19-Jährigen und er reichte das kleine Stück Papier zurück, während seine Schwester nur murmelte, dass sie noch nie so viele Nullen auf einmal gesehen hätte.

„Das… das kann ich unmöglich annehmen, Toshi!“, äußerte Fatima und wollte ihm schon den Scheck geben, als er ihre Hand zurückdrückte und sie bat, den Brief zu lesen, der mit dabei war, sodass sie diesen nahm, auseinanderfaltete und dann laut vorlas, doch statt ihrer Stimme konnte Toshi die seines besten Freundes hören.
 

„Liebe Fatima,

wenn du diesen Brief liest, dann bin ich bereits tot und du hast den Umschlag mit diesem Brief und dem Scheck gefunden. Es gibt vieles, das ich dir und den Kindern nie über mich erzählt habe, weil ich es als irrelevant ansah. Dass ich früher einmal Geschäftsmann war, war nur die halbe Wahrheit… in erster Linie war ich ein erfolgreicher Musiker. Doch nach dem Tod meines besten Freundes war dieses alles nichtig. Ich hatte das Gefühl, mit ihm gestorben zu sein… Ohne ihn erschien mir mein bisheriges Leben nicht mehr lebenswert… Und so bin ich nach Frankreich gekommen, ohne wirklich zu wissen, was ich hier eigentlich wollte… was ich suchte. Vielleicht war es Schicksal, dass du mich damals aufgelesen hast, ich weiß es nicht. Doch was ich weiß, ist, dass ich hier das erste Mal seit langem das Gefühl hatte, dass tief in mir drin vielleicht doch noch Leben sein könnte, dass nicht meine komplette Seele ins Jenseits gegangen ist. Weißt du, mein bester Freund und ich, wir kannten uns von klein auf… Wir sind miteinander aufgewachsen, sind zusammen nach Tokyo gegangen und gemeinsam erfolgreich geworden. Die Welt, die so viele Jahre lang mein Zuhause war, ist rau, doch wann immer ich mich umdrehte, war da mein bester Freund und hat mich angelächelt, sodass ich wusste, alles würde gut werden, egal was war. Wann immer du mich in den vergangenen Jahren angelächelt hast, hatte ich ein ähnliches Gefühl… Ich konnte ernsthaft daran glauben, dass es doch irgendwie möglich sein konnte, in einer Welt ohne meinen besten Freund zu überleben.

Fatima, ich weiß nicht, wie ich dir für alles danken kann, außer dass ich dir diesen Scheck ausstelle, der diesem Brief beiliegt. Ich kenne mich mit Pferden nicht wirklich aus – das einzige, von dem ich wirklich Ahnung habe, ist Musik – aber ich hoffe, dass der Betrag ausreicht, damit du deine Zucht wieder aufbauen kannst und dann noch genügend Geld übrig ist, um ein paar Hilfskräfte anzuheuern. Wenn es zu wenig ist, dann hoffe ich, dass es wenigstens dafür reicht, Ben und Lara wieder ihre eigenen Pferde zu kaufen.

Ich danke dir und den Kindern für alles, doch für mich ist es nun an der Zeit, meinen besten Freund endlich wieder in die Arme zu schließen.

In Liebe

Yoshi“
 

Tief durchatmend legte Fatima den Brief beiseite und blickte dann zu Toshi, der sich rasch über die Augen wischte. Yoshiki hatte sich ohne ihn genauso leer und tot gefühlt, wie er jetzt…

„Wussten Sie, was…?“

„Nicht den genauen Wortlaut… Yocchan hat mir nur grob erzählt, was in etwa drin steht und dass er möchte, dass Sie das Geld bekommen.“

„Das ist so viel“, äußerte Fatima kopfschüttelnd und nahm wieder den Scheck in die Hand, um den Betrag anzustarren.

„Yoshiki hat Geld nie eine große Bedeutung zugeschrieben“, erklärte Toshi, „er hat immer gesagt, wenn er die Wahl hätte zwischen allem Geld der Welt und einem einzigen Freund, auf den er vertrauen kann, dann würde er immer den Freund wählen…“

„… Ich kann einfach nicht glauben, dass er...“ Immer wieder schüttelte Fatima ungläubig den Kopf, ehe sie ihn einfach kurz umarmte, „Danke, dass Sie hergekommen sind, Toshi.“

„Ich hatte ihm geschworen, Ihnen den Brief zu geben und außerdem hatte er schließlich versprochen, die Ketten zurückzubringen. Allerdings… allerdings hätte ich auch noch zwei Anliegen…“

„Natürlich…!“

„Ich würde gerne für eine Weile oben in Yoshikis Cottage bleiben, wenn das in Ordnung ginge… Ich zahle natürlich Miete und wenn Lara möchte, kann ich ihr weiter Klavierstunden geben.“

„Das ist kein Problem“, erklärte Fatima lächelnd und blickte kurz zu ihrer Tochter, die ebenfalls nickte.

„Und dann… dann wollte ich fragen, ob es möglich wäre, einen Teil von Yocchans Asche oben an den Klippen zu begraben, dort wo er für mich eine Gedenkstelle errichtet hat…?“

„Einen Teil von Yoshis Asche?“, wiederholte Ben irritiert.

„Er wollte die ganze Zeit über hierher zurück… ich hatte ihm versprochen, mit ihm so schnell wie möglich wieder herzukommen…“, antwortete Toshi und drückte die Urne an sich.

„Ich denke, ihm würde es dort oben gefallen“, äußerte Fatima nachdenklich, „er hat so oft dort oben gesessen und aufs Meer hinaus gestarrt… Ich werde ein paar Männer aus dem Dorf anrufen, damit sie beim Graben mithelfen! Der Boden ist sehr hart und steinig… Und Henri könnte den Gedenkstein gravieren… Er hat in seiner Werkstatt die entsprechenden Geräte dazu und hat schon das ein oder andere kleine Kunstwerk aus bloßem Stein geschaffen!“

„Danke…!“
 

Zwei Tage später hatte sich am Abend sicherlich das ganze Dorf oben an den Klippen eingefunden, um sich von Yoshiki zu verabschieden. Die Nachricht von seinem Tod musste sich wie ein Lauffeuer ausgebreitet haben und so zurückgezogen, wie er gelebt hatte, hätte Toshi es nicht verwundert, wenn kaum einer von seiner Existenz gewusst hätte, doch anscheinend hatte jeder einmal irgendwann mit ihm Kontakt gehabt.

Nachdem er die Urne langsam in das gegrabene Loch hatte gleiten lassen, schaufelten er und Fatima es wieder zu und mehrere Männer aus dem Ort setzten den Gedenkstein schließlich darüber ab. Toshi hatte keine Ahnung, was dieser Henri letztendlich wirklich genau machte – eigentlich war er wohl Mechaniker – aber er hatte ein kleines Wunder mit dem Stein vollbracht. Zuerst hatte er ja gedacht, alleine den Namen einzugravieren, wäre schon zu viel von dem alten, rundlichen Mann verlangt gewesen, doch er hatte von sich aus vorgeschlagen, noch eine einzelne Rose hinzuzufügen, weil Yoshi schließlich so vernarrt in diese Pflanze war und sie dank ihm nun überall auf der Klippe wuchs. Zögernd hatte Toshi dem zugestimmt und war positiv von dem Resultat überrascht gewesen. Er konnte sich vorstellen, dass es Yoshiki gefallen hätte.

Als der Stein nun auf der Grabstelle lag, stand er etwas abseits und lauschte den Anekdoten, die die Menschen über seinen besten Freund erzählten und dann nach und nach eine einzelne Rose auf dem Gedenkstein ablegten. Toshi war der letzte, der herantrat, doch er stand nur schweigend davor, während ihm Tränen über die Wangen rannen und er auf den Strauch blickte, der noch immer blutrote Blüten hervorbrachte, obwohl es mittlerweile Herbst war. Schließlich ging er in die Hocke und legte eine Hand auf den Stein. Zärtlich strich er die Gravur nach und biss sich auf die Unterlippe. Er vermisste ihn so sehr! Entfernt konnte er wahrnehmen, wie die anderen leise in Richtung Haupthaus hinunter gingen und Fatima ihm kurz eine Hand auf die Schulter legte, nur um ihn dann ebenfalls mit seinem besten Freund alleine zu lassen.

„Ich hoffe, du bist glücklich, Yocchan… wo immer du jetzt auch sein magst…“, schluchzte er leise, „Ich hoffe, du bist jetzt wieder mit hide und deinem Vater vereint…“ Er wischte sich über die Augen, doch es brachte nicht wirklich viel, da direkt neue Tränen nachkamen. „Ich vermisse dich, Yocchan… jeden Tag… jede Minute… Es tut so weh zu wissen, dass ich nie mehr neben dir aufwachen werde… dass ich dich nie mehr im Arm halten kann… dass ich nie mehr für dich singen kann… Ich fühl mich ohne dich so tot… so leer… so als wäre meine Seele bereits bei dir… Am liebsten würde ich dir einfach folgen, sodass wir wieder zusammen sind… aber… aber ich verspreche dir… ich werde versuchen zu leben… ich verspreche es… ich versuche es…!“ Schluchzend legte er die einzelne, rote Rose auf den Stein, als er plötzlich verwirrt aufsah, da er glaubte, gehört zu haben, wie ihn jemand rief. Aber das war schließlich unmöglich…! Das konnte nicht sein…! Doch er würde diese eine Stimme jederzeit, überall erkennen…!

„…Tocchi!“

„Yocchan?“ Seine Stimme war vom Weinen ganz brüchig. „Bist du das?“

„… Tocchi!“

Wie war das möglich? Spielten ihm seine Ohren einen Streich? Halluzinierte er?

„Yocchan!!“

„… Tocchi!“
 

Es war ganz eindeutig die Stimme seines besten Freundes. Doch woher kam sie? Wo war er? Suchend blickte er sich mit tränenverschleierten Augen um, konnte jedoch nichts sehen. Dafür machte er den Fehler und blickte direkt in die untergehende Sonne, die als roter Feuerball im Meer versank, sodass er seine Lider für einen Moment schließen musste. Als er sie gleich darauf wieder öffnete, nahm er nicht war, dass er nicht mehr länger an der Mittelmeerküste war, sondern sich in einem klimatisierten Büro an der Westküste der USA befand und auf einer schwarzen, ledernen Couch lag. Das einzige, das er sah, war Yoshiki, der sich über ihn gebeugt hatte und ihn mit Sorgenfalten auf der Stirn ansah. Mehrmals blinzelte er, nur um sich ganz sicher zu sein, dass es nicht doch Kouki war, aber die Person, die er erblickte, blieb dieselbe: sein bester Freund!

„Na endlich, Toshi!“

„Yocchan!!“ Überglücklich hatte er sich aufgesetzt und sich mit einer solchen Wucht gegen den anderen geworfen, dass dieser aus dem Gleichgewicht kam, nach hinten wegkippte, und schließlich am Boden lag. Da Toshi nicht einmal im Traum daran dachte, ihn loszulassen, wurde er einfach mit von dem Sofa gezogen und kam auf dem anderen zum Liegen, um den er so fest wie nur irgend möglich die Arme geschlungen hatte. Es war ihm gerade völlig egal, wie es dazu gekommen war, dass er seinen besten Freund wieder hatte. Hauptsache war, dass er ihn zurück hatte und er kerngesund aussah. Alles andere war Nebensache, solange er nur Yoshiki wieder in die Arme schließen konnte und es ihm gut ging. Er verbarg sein Gesicht in der Halsbeuge des Jüngeren, als Freudentränen über seine Wangen rannen und seine Schultern bebten. „Ich bin so froh, dich wieder zu haben, Yocchan… ich hab dich so vermisst…!“

„Äh… Tocchi… alles okay?“, hakte Yoshiki vorsichtig nach, der ziemlich bewegungsunfähig am Boden lag und nicht wirklich nachvollziehen konnte, weshalb sein bester Freund gerade so aufgelöst war. Es war natürlich schön zu wissen, dass er vermisst wurde, aber etwas übertrieben war das schließlich schon, da er ja nur ein paar Räume weiter im Aufnahmestudio gewesen war. In der Hoffnung, den Älteren zu beruhigen und dann in Erfahrung bringen zu können, was überhaupt los war, strich er beruhigend über den bebenden Rücken über sich, was jedoch nur darin resultierte, dass der andere ihn noch stärker festhielt und er doch begann, sich ein wenig um seine Rippen zu sorgen.

„Es ist mir egal, dass wir jetzt beide tot sind… solange ich dich nur wieder habe…“, flüsterte Toshi unter Tränen und drückte sich an den Jüngeren. Er würde ihn nie mehr loslassen! Nie mehr! Zwar hatte er keinerlei Ahnung, weshalb er nun auch plötzlich gestorben war, aber das war letztendlich auch egal. Hauptsache er hatte den anderen wieder!

„Tot?“, wiederholte Yoshiki skeptisch und zog eine gebleichte Augenbraue nach oben. Was für einen Unsinn hatte sein bester Freund denn da zusammengeträumt? Da war er mit seinem Reismonster ja noch harmlos! Ob Toshi überhaupt schon realisiert hatte, dass er wieder in der Realität war? Besser er ging auf Nummer sicher und zwickte ihn mal in die empfindliche Haut am Hals!

„Au!“ Irritiert richtete sich der Ältere auf, als sich die Fingernägel des anderen plötzlich in seine Haut bohrten, und sah zu dem Jüngeren, der sich aufsetzte, nun da er selbst nicht mehr auf dessen Oberkörper lag. Zum ersten Mal nahm er seine Umgebung wirklich wahr und er musste feststellen, dass das Jenseits irgendwie verdächtig nachh Yoshikis Büro in LA aussah…!

„Denkst du, das würde weh tun, wenn du tot wärst?“, fragte der Jüngere und wischte mit dem Daumen sanft die Tränen aus Toshis Gesicht, während er ihn anlächelte.

„Keine Ahnung, du bist länger tot als ich!“

„Warum sollte ich tot sein?!“

„Weil… weil du in meinen Armen gestorben bist!“

„Also mein letzter Stand der Dinge war, dass ich quietschlebendig bin – abgesehen von den ganzen Wehwehchen, aber das ist ja nun nicht wirklich wichtig – und du auch! Heath, Pata und Sugi jammern zwar herum sie wären tot, weil ich sie seit zwei Tagen im Studio gefangen halte, damit wir mit den Aufnahmen am neuen Album vorankommen, aber so lautstark wie sie nach Pausen fordern, können die nicht wirklich tot sein. Somit sind wir alle quietschlebendig!“, endete Yoshiki mit seiner ausführlichen Erklärung und strahlte den Älteren an, der nur verwirrt dreinblickte.

„Neues Album?“

„Okay, ich gebe zu, so neu ist es nun auch wieder nicht mehr, weil wir schon seit etlichen Jahren daran arbeiten, aber…“ Er unterbrach sich selbst, als er praktisch die imaginären Fragezeichen sehen konnte, die um Toshis Kopf herumschwirrten. „Du hast geträumt, Tocchi“, versuchte er stattdessen einen neuen Ansatz und zog seinen besten Freund zu sich in die Arme. „Wir haben die ganze letzte Nacht durch die Vocals für den neuen Song aufgenommen. Als wir fertig waren – vor so ca. vier Stunden – meintest du, du würdest dich in meinem Büro etwas hinlegen und schlafen. Vor etwa zehn Minuten oder so ist Amy zu mir ins Studio gekommen, um mich an meinen Arzttermin in zwei Stunde zu erinnern und meinte, ich sollte vielleicht mal nach dir sehen, weil du ziemlich unruhig schlafen würdest. Also bin ich hergekommen und du hast im Schlaf geweint und meinen Namen geschrien… Ich hab ewig lange gebraucht, um dich endlich wach zu bekommen und dann bist du direkt über mich hergefallen, sodass wir jetzt hier auf dem Boden sitzen“, erklärte Yoshiki und strich durch die Haare seines besten Freundes, der die Arme um ihn geschlungen hatte und sich an ihn schmiegte, während er ihn völlig irritiert ansah.

„Die… die vier Jahre waren nur ein Traum?“

„Du hast über einen Zeitraum von vier Jahren geträumt?“

„Es war alles so real… die Emotionen… einfach alles…“ Das hieß, er hatte nie den Unfall gehabt, Yoshiki war nie verschwunden, er hatte nie drei Jahre lang nach ihm gesucht, nur um ihn dann kurz darauf sterben zu sehen?

„Es war nur ein Traum, Tocchi“, sprach der Jüngere beruhigend auf ihn ein und hielt ihn fest, „nichts davon war echt… keiner von uns ist tot, wir sind beide am Leben!“ Wie intensiv musste der Traum gewesen sein, dass der andere im Schlaf weinte, nach ihm rief und selbst im Wachzustand noch glaubte, dass es real gewesen war?

„Es war so echt…“, murmelte Toshi und versuchte so nah wie möglich bei dem Jüngeren zu sein. Er konnte noch immer den Schmerz und die Leere spüren, die er über Yoshikis Verlust gefühlt hatte. Und wenn er daran dachte, wie sein bester Freund in seinen Armen gestorben war, dann schossen ihm erneut die Tränen in die Augen, sodass er sich nur fester im Hemd des anderen verkrallte.

„Shhh, alles okay“, murmelte Yoshiki und wiegte den Älteren leicht hin und her, als er sah, dass er erneut zu weinen anfing. „Ich geh nirgendwo hin, versprochen! Ich bleibe hier bei dir… ich halte dich solange im Arm, wie du willst…“ Er hoffte nur, dass Heath, Pata und Sugizo nicht die Gunst der Stunde nutzten und stiften gingen, sodass er dann später ohne Bassist und ohne Gitarristen war. „Ich werde den Arzttermin absagen und bei dir bleiben, versprochen!“

„……. Arzttermin?“, nuschelte Toshi gegen Yoshikis Oberteil und blickte fragend auf.

„Ja, dieser dämliche Kontrolltermin wegen der Schilddrüse“, antwortete der Jüngere, „aber ich verschieb den einfach auf irgendwann anders. Ist ja auch egal, ob ich da heute hin geh oder nächste Woche!“

„Nein… nein!“ Toshi riss sich los und blickte dem anderen direkt in die Augen, wobei Yoshiki glaubte, fast so etwas wie Angst darin zu erkennen. Er würde nach und nach schon noch erfahren, was genau sein bester Freund geträumt hatte. Jetzt war erst einmal wichtig, dass er sich wieder beruhigte und realisierte, dass das alles nur ein Traum gewesen war und absolut rein gar nichts davon der Realität entsprach. „Du musst dahin gehen! Du musst…!!“

„Toshi, das ist nur ein Arzttermin, davon geht die Welt nicht unter. Eigentlich hätte ich da eh schon vor zwei Wochen hingemusst, aber dann war ich so im Stress, das es nicht geklappt hat und wie du siehst, dreht sich die Welt noch immer um die Sonne und daran wird sich auch nichts ändern, wenn ich den noch einmal um eine Woche oder so verschiebe.“

„Nein, du musst hingehen!!“, beharrte der Ältere und musste an seinen Traum zurückdenken. Er durfte sich auf keinen Fall auch nur in irgendeiner Weise wiederholen, das musste er verhindern!

„Es ist nur ein Arzttermin, Tocchi“, entgegnete Yoshiki und zog ihn wieder an sich.

„Du musst hingehen, Yocchan! Du musst!!“ Flehend sah er ihn an.

„Okay, wenn es dir so viel bedeutet, geh ich eben hin“, gab sich der Jüngeren geschlagen und ließ sich nach hinten fallen, sodass er erneut auf dem Boden lag und Toshi auf ihm drauf.

„Gut“, nuschelte der Ältere und kuschelte sich an die Brust des anderen. Es tat so gut, ihn endlich wieder zu haben, auch wenn er ihn offensichtlich nie verloren hatte, doch für ihn fühlte es sich trotz allem so an.

„Willst du mitkommen?“

„Gerne…“

„Dann müssen wir Heath, Pata und Sugizo nur im Studio einsperren. Nicht dass die meinen, sie könnten mir noch entkommen…“, überlegte Yoshiki und strich in unregelmäßigen Mustern über Toshis Rücken, der sich an ihn drückte und ein Bein zwischen die seinen geschoben hatte.

„Gönn ihnen ein paar Stunden Pause, dann meutern sie auch nicht die ganze Zeit…“

„So werden wir aber nie fertig…“

„Die paar Stunden…“

„Ich hab einen Vorschlag: wir machen alle für heute Schluss, wenn du mir dafür später erzählst, was du genau geträumt hast, dass du so durch den Wind bist.“

„….. okay“, stimmte Toshi zu und hob kurz den Kopf an, um Yoshiki ins Gesicht zu sehen, ehe er ihn wieder auf seine Brust legte und dem beständigen, ruhigen Herzschlag des anderen lauschte. Nur zu deutlich konnte er sich noch daran erinnern, wie er bei dem reglosen Körper seines besten Freundes im Bett gelegen und vergebens darauf gehofft hatte, noch einmal sein Herz zu hören. Doch das war alles nur ein Traum gewesen, nichts davon war real gewesen… Sein Unterbewusstsein hatte lediglich aus seinen Ängsten eine glaubwürdige Geschichte zusammengesponnen, die jedoch auch nur dies war: eine Geschichte, Fiktion…
 

„Ne… Yocchan…“

„Was ist, Tocchi?“, fragte der Angesprochene leise und hob den Kopf an.

„Hast du jemals Platons Symposium gelesen?“

„Willst du jetzt Literatur mit mir diskutieren?“

„Hast du?“

„Vor Jahren mal… war aber ziemlich schwerer Stoff, sodass ich mich nicht wirklich mehr an die Handlung erinnere… lediglich eine Stelle: Platons Theorie des Urmenschen…“

„ Vier Arme…“

„… vier Beine…“

„… und zwei Gesichter…“

„So in etwa komm ich mir gerade vor“, schmunzelte Yoshiki und schlang ein Bein um Toshi, während er seine Umarmung verstärkte.

„Ne… Yocchan…“

„Ja?“

„… ich denke, ich kann mich glücklich schätzen, dass ich nur vier Jahre meines Lebens mit der Suche zubringen musste, ehe ich damals im Kindergarten diesen kleinen, zierlichen Jungen weinend in einer Ecke habe sitzen sehen…“
 

ENDE
 

••••••••••••••••••••
 

Und wieder ist eine Monsterstory zu Ende. In diesem Sinne vielen, vielen Dank, dass ihr der FF ein Jahr lang die Treue gehalten habt! Ein dickes Dankeschön geht auch an meine lieber Betaleserin Kaoru, dass sie sich mal wieder durch über 100 Seiten Tei’sches Deutsch gekämpft hat und sich dazu auch noch mein Französisch angetan hat. Ich weiß, ich bin nicht immer die einfachste und trotzdem gibst du seit ca. fünf Jahren jeder meiner Stories den letzten Schliff. Ein zweites dickes Dankeschön geht an abgemeldet, dass sie mir so lange in den Ohren gelegen hat, die Story zu beenden und sie immer als Versuchskaninchen hergehalten hat, ob es denn auch wirklich traurig genug ist. Ich verspreche, sollte ich jemals wieder was in der Art schreiben, schicke ich dir die Heulstellen erst nach Feierabend!
 

Zum Ende von Shi Ans muss ich gestehen, dass die Story eigentlich nie so enden sollte. Ursprünglich (d.h. irgendwann Anfang 2011) hatte ich die Idee zu einer FF, in der einmal wieder die Freundschaft zwischen Yoshiki und Toshi im Mittelpunkt stehen sollte. Im Grunde war der Storyverlauf so geplant gewesen, wie er auch stattgefunden hat, mit dem Unterschied, dass Yoshiki in Refuge niemals krank wurde. Toshi hat ihn dort gefunden, sie verbrachten ein paar nette Tage und Toshi kehrte dann alleine nach Japan zurück, nachdem er Yoshiki versprochen hatte, nie ein Wort darüber zu verlieren, dass er ihn gefunden hatte. Als ich alles soweit durchgeplant hatte, hatte ich die Idee mit Kaoru besprochen – fand sie nicht schlecht, nur das Ende sollte anders sein. Irgendwann kam dann von ihr der Vorschlag „Lass ihn sterben, dann macht das Ende mehr Sinn.“ …… Ich musste zustimmen, die Idee war gut und gefiel mir besser als meine eigene (siehst du, Kao, ich hör doch auf dich ^.^). Also fing ich an, die Story mit neuem Ende zu planen und kam dabei schnell zu dem Ergebnis: Ich kann zwar ohne mit der Wimper zu zucken den gesamten GacktJOB abmurksen (kleiner Insider), aber Yoshiki kann ich beim besten Willen nicht sterben lassen. Damit hatte ich die Story dann begraben, denn ich hatte mich mittlerweile so sehr mit Kaorus Idee angefreundet, dass ich zu meiner ursprünglichen Idee nicht mehr zurückkehren wollte. Somit lag die Story dann monatelang auf Eis, bis mich LunaLee dazu brachte, sie erneut auszukramen und noch einmal darüber nachzudenken… während einer dieser schlaflosen Nächte, in denen ich für gewöhnlich ganze Romane durchplane, hatte ich den Geistesblitz, Kaorus Idee beizubehalten, sie aber zu erweiter: Yoshiki würde sterben, aber nur in Toshis Traum – das war eine Möglichkeit mit der ich leben und die ich auch schreiben konnte. Et voilà Shi Ans was born!
 

Nun bin ich natürlich gespannt, was ihr von diesem Ende haltet oder ob ihr euch vielleicht ein anderes gewünscht hättet. Und ist euch eigentlich aufgefallen, dass die Schlussszene mit Platons Symposium genau spiegelverkehrt zu genau derselben Szene ist, die Toshi zuvor geträumt hat? Was das wohl wieder zu bedeuten hat?
 

In diesem Sinne, vielen Dank für eure Treue, die unzähligen Kommentare und die vielen Favoriteneinträge! Ich bin mir sicher wir lesen uns früher oder später wieder.
 

LG
 

- Tei



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Von:  Croft_Manor
2013-02-03T17:40:30+00:00 03.02.2013 18:40
So nach einer halben Ewigkeit kam ich dann auch endlich mal zum Ende XD
Und nachdem ich mir drei kapitel lang einen abgeheult habe, bin ich doch sehr froh das es NUR ein Traum war. Scheisse eh XD

Aber sie ist gut. Bild dir was drauf ein, oder nicht, aber ich lese selten ne FF und dann auch nicht zuende XD

Ich bin sehr sehr froh übers ende. Pfuh XD
Von:  Rockryu
2013-01-20T17:13:01+00:00 20.01.2013 18:13
Ein hochemotionales Meisterwerk. Niemand kann Freundschaft so darstellen wie du.
Gib mir bescheid, wenn du wieder was schreibst. (Ich schreibe auch, aber nur Blödsinn.)
Von:  -Shin-
2013-01-20T16:59:29+00:00 20.01.2013 17:59
Mit meiner Meinung bleib ich wohl ziemlich einsam aber ich fand die Traum-Auflösung nicht so gut und ich hoffe du nimmst mir das nicht übel. 
Ich kann es absolut nachvollziehen, dass du Yoshiki nicht sterben lassen kannst und ich vermeide FFs in denen Personen sterben eigentlich tunlichst. 
ABER diese FF ist einfach so gut und in sich stimmig, dass ich ich damit klar kam. Die ganze Traumsache nimmt jetzt aber irgendwie die Tiefe aus der Handlung... jedenfalls für mich. 
Von:  Terra-gamy
2013-01-20T09:21:28+00:00 20.01.2013 10:21
Als du Yoshiki hast sterben lassen, dachte ich nur das kann doch nur ein Traum sein und war gar nicht mehr gewillt das Kapitel zu ende zu lesen ^^ und am ende des Kapitel war er immer noch tod. Doch endlich ist Toshi aufgewacht, als ich schon fast geglaubt hab, dass es wohl doch kein Traum war.
Es war wirklich toll zu lesen und ich freu mich jetzt schon auf deine nächste ff
Von:  Asmodina
2013-01-20T06:13:21+00:00 20.01.2013 07:13
Jetzt habe ich wieder Tränen in den Augen..allerdings vor Freude. Diese Geschichte war wunderschön und das Ende mehr als überraschend, obwohl ich es insgeheim mehr als gehofft hatte. Denn ich denke, das ich nicht die Einzige bin, welche nicht gerne an Yoshikis Tod denkt.
Ich freue mich auf weitere Stories von dir^^
Von:  Astrido
2013-01-20T00:17:34+00:00 20.01.2013 01:17
wow. mit dem ende hätte ich nun wirklich nicht gerechnet, obwohl ich es mir fast anhand deiner ff (nur mit yoshiki und hide anstatt yoshiki und toshi) hätte denken können...
dennoch bin ich sehr glücklich über dieses ende!
toshi tat mir echt leid, diesmal!
ich hoffe, du wirst uns damit nicht alleine lassen und eine weitere ff schreiben.
lg
yuura
Von:  NatsUruha
2013-01-19T23:52:26+00:00 20.01.2013 00:52
ich kanns ganicht glauben das das die FF bendeet is T___T

die war so toll...
wundervoll geschriben...

Alles nur ein Traum...
wahnsinn... damit hab ich echt nicht gerechnent... echt jetzt...
ich weiß ganicht was ich schreiben soll....

Ich bin schon sher auf das nächste Projeckt von dir gespannt ^^

bis dahin
Hide_Sama
Von:  Kaoru
2013-01-06T11:04:32+00:00 06.01.2013 12:04
Salut,

du weißt, ich heul selten bei Büchern und Filmen-> und da ich darauf vorbereitet war...
Mir hat das Kapitel stilistisch gut gefallen, auch dass du noch mal Platon eingebracht hast. Dadurch war es authentisch und in sich schlüssig. Man kann Toshis Gefühle gut nachvollziehen und hat beinahe Mitleid mit ihm.

Was mir nicht gefällt ist der Titel und dabei bleib ich. Das, was du meinst, wird durch "chant" ausgedrückt. Kann mir vorstellen, dass dir das nicht feierlich genug ist, aber bei "cantique" erwarte ich doch etwas mehr als das, was das Kapitel dann letztlich hergibt.
(Wow, das war die erste Kritik, die ich jemals in einem Kommi an dich geäußert hat...)

A plus~
Von:  Rockryu
2013-01-06T10:02:38+00:00 06.01.2013 11:02
Ich habs überstanden, ohne Tempos. Schimpf mich kalt.
Ich war wohl gut darauf vorbereitet.

Manchmal trauer ich um hide. Aber ich weine nie. Manchmal hab ich Angst um den realen Yoshiki. Aber was kann ich schon tun?
X Japan ist ziemlich schnell sehr wichtig für mich geworden. (Du bist schuld) Ich denke, ihrem Weg zu folgen ist alles, was wir tun können. Wir können auch dann einen Ort suchen, wo Träume und Leben eins werden, wenn sie alle nicht mehr da sind.

Zu der Geschichte stellt sich die Frage: Geht Toshi nach Frankreich und bringt die Kette zurück? Bleibt er da? Oder war es tatsächlich nur ein böser Traum? Wer weiß? Ach ja, du weißt ja...
Von:  -Shin-
2013-01-05T20:23:14+00:00 05.01.2013 21:23
Ich hab den ersten Satz gelesen und irgendwie gewusst: Jetzt stirbt er. 
Also klar, eigentlich hab ich es mir die ganze Zeit schon gedacht, aber da hat es mich einfach getroffen und argh~...! Weinen musste ich nicht >.< Aber es hat ganz schön weh getan. T_T

Ich denke mal, dass Toshi nach Frankreich zurückgehen wird. Vllt erst nur um die Ketten zurückzubringen aber ich glaube, dass er im Endeffekt dableiben wird.

Toshi no uto stelle ich mir vor wie Toshis Stimme. Hm~...sanft aber kraftvoll. Mir Parts die sehr sehr leise und zaghaft klingen aber auch schnelle lauteren Zeilen beinhalten. Aber immer... schön... nicht unkontrolliert und wild wie Yoshiki bei seinen Pianosolos manchmal wird.  

Btw: Frohes neues Jahr^^

Ich freu mich auf das letzte Kapitel und auf das Projekt danach. Ich hoffe es geht schnell!!


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