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Suara - Christmas Special

Der Wunsch sei dir gewährt
von

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Du fehlst

Regentropfen an der Scheibe. So klar und glänzend wie kleine Edelsteine. Regentropfen an der Scheibe, so klar und glänzend.   Es war spät am Abend des vierundzwanzigsten Dezembers. Schnee fiel keiner. Die Straßen waren hell erleuchtet mit der Vielzahl an Lichterketten und Lichterfiguren. Das war aber auch das Einzige, was an Weihnachten erinnerte. Ansonsten erinnerte eher alles an einen feuchten Herbsttag im Oktober. Hinten im Zimmer erstrahlte der Tannenbaum in seiner vollen Pracht. Er war mit roten und silbernen Kugeln geschmückt, einer Lichterkette und Lametta. Darunter lagen ein paar Geschenke. Im Haus roch es nach warmen Wein und Punsch, außerdem nach Plätzchenteig und Zimt.   Chika war sich bewusst, dass es Weihnachten war. Doch sie konnte sich nicht wirklich darauf einstimmen. Alles an ihr wollte weinen, schreien und weglaufen. Nichts war mehr so wie sie es kannte. Sie war allein. Suara war nicht mehr da. Suara war seit einem halben Jahr tot und auf dem Klostergelände beerdigt worden, auf dem sie gearbeitet hatte. Chikas Mutter war auch nicht mehr da. Sie war nun eine Tochter des Hause Taneda, Shikaos und Sukaos Schwester. Sie war unglücklich. Auch wenn es ein halbes Jahr her war, vermisste sie ihre Schwester, als wäre sie erst vor ein paar Tagen aus dieser Welt geschieden. Auch Shikao trauerte noch immer. Nicht einmal die fröhliche Weihnachtszeit konnte irgendjemanden aufbauen oder aufheitern. Chika konnte sehen wie sich der Junge, er ihr neuer Bruder geworden war, immer mehr zurückzog. Im Sommer war er jeden Tag an Suaras Grab gewesen. Man hatte nie einen Leichnam gefunden von ihrer Schwester. Man hatte nur einen Stein an den Tempel gestellt mit einer Inschrift » Ewig ruht die Seele, derer, die zusammenführte was nun ewig zusammengehört. Ewig sei geheiligt diese Seele, die Freude brachte und Glück. « . Chika saß auf der Fensterbank von Suaras ehemaligen Zimmers und sah dem Regen zu, wie er leise und schwerfällig zu Boden ging. Dieses Weihnachtsfest war das schlimmste und traurigste, was sie jemals erleben würde. Aber für ihre Schwester wollte sie stark sein und weiter gehen. Sie wollte leben und glücklich sein. Denn immerhin hatte Suara allen vorgelebt, dass auch jemand mit Todesangst unbeschwert leben konnte, lachen konnte und stark war. Stark genug, um allen Widrigkeiten zu trotzen. „Chika kommst du, es gibt essen.“ Sie sah zur Tür. Sukao stand da. Doch Chika hatte überhaupt keinen Hunger, und schon gar keinen Appetit. Sie wollte nichts essen. „Du musst was essen. Du hast den ganzen Tag noch nichts gegessen.“ Sukao protestierte lautstark, als sich Chika von ihm wegdrehte und weiter aus dem Fenster blickte. „Warum schneit es denn nicht? Warum regnet es?“   „Es ist als würde der Himmel weinen.“ Takuma drehte sich um. Ikami stand hinter ihm und betrachtete unter ihrem Regenschirm heraus den Himmel, der sich noch dunkler gegen den Nachthimmel absetzte als die eigentliche Schwärze der Nacht. „Was meinst du?“ Ikami schüttelte den Kopf. „Wir sollten uns beeilen. Shikao wartet sicher schon.“   Shikao saß in seinem kleinen Haus, dass ihm seine Eltern hatten eingerichtet, jenes in dem sich Suara das erste Mal zur Katze verwandelt hatte vor seinen Augen. Er saß in diesem Raum, wo er sie gesehen hatte. Diese grünen leuchteten Augen. Dieses schwarze seidige Fell. Er konnte sich genau daran erinnern. Er saß oft hier drin und betete zu Gott, dass er Suara zurück brachte, dass irgendjemand sie finden würde, lebend. Niemand wusste was mit ihr an jenem Tag passiert war. Sie war einfach verschwunden und niemand hatte was gesehen oder gehört. In Shikaos Erinnerung an diesen Tag war alles nur rot. Rot wie das Blut. Er sah es vor sich, wie es vor ihm lag in einer kleinen Pfütze. Die Ärzte meinten es wäre Suaras. Aber ihren Körper fand man nie. Die Wissenschaftler meinten, ihr Körper müsse sich aufgelöst haben. Shikao wusste, dass das Schwachsinn war. Ein Körper konnte sich nicht auflösen. Aber wo war sie hin? Innerlich hatte Shikao den ganzen Sommerlang, den gesamten Herbst gehofft, dass Suara leben würde und plötzlich vor der Tür stehen würde. Aber das war nie geschehen. Doch die Hoffnung gab er nicht auf. Er ging jeden Tag nach der Schule zu dem kleinen Tempel in dem sie gearbeitet hatte und legte Blumen auf ihr Grab. Katzen säumten noch immer den Weg und lebten noch immer im dem Katzenschrein. Shikao konnte sich manchmal auch denken, dass Suara jetzt eine von ihnen war. Unter Katzen zu leben. Vielleicht war sie ja dort bei den anderen Vierbeinern. Denn immerhin gab es ja neben der Krankheit noch diesen vermaledeiten Fluch dieser Achilea. Shikao würde niemals vergessen, wie dieses Wesen ihn angesehen hatte. „Test bestanden“ hatte sie einst gesagt, aber was für ein Test? Es klingelte an seiner Tür. „Es ist offen.“ Er stand auf und ging seinen Gästen entgegen. Gisang, Takuma, Ikami und Shingo kamen hinein. Gisang und Shingo waren unterdessen ein Paar geworden. Das fand Shikao recht amüsant, da Gisang ja immer etwas von ihm gewollt hatte. Er brachte seine Gäste in einen kleinen Wohnraum mit einer schwarzen Couch und einem Tisch. Dort hatten seine Bediensteten bereits das Abendmahl vorbereitet. „Geht’s dir gut?“ „Klar, warum denn auch nicht.“ Takuma klopfte seinem Freund auf die Schulter. Er spürte, dass er eine schwere Last mit sich trug und mit niemanden darüber redete. Seit Suaras Tod war Shikao anders geworden. Desinteressierter der Welt gegenüber. Verschlossener als früher noch. Aber dennoch netter. Er ärgerte keine Mädchen mehr, machte ihnen keine falschen Hoffnungen mehr und er behandelte andere nicht mehr wie Dreck und Abschaum. Suara hatte ihn wirklich verändert. Zum Positiven. Aber Suara hatte eine deutliche Lücke ins Shikaos Leben gerissen, dass spürte Takuma. Und er wusste nicht ob diese Lücke jemals geschlossen werden konnte. Suara war etwas Besonderes gewesen für den Blonden. Etwas, dass er noch nie beobachtet hatte und das vom ersten Tag an, an dem Suara an die Schule gekommen war. Shikao war vom ersten Augenblick von ihr angetan und an ihr interessiert gewesen und hatte sie völlig anders behandelt als jeden anderen. „Wir sollten essen.“ Shikao unterbrach Takumas Gedanken, welcher Shikao die ganze Zeit besorgt angestarrt hatte. „Und hör auf dir ständig den Kopf wegen mir zu zerbrechen. Mir geht’s gut.“ „Wenn der stolze Hengst das sagt, sollten wir das wohl glauben.“ Shingo lachte und setzte sich an den Tisch. Er zog Gisang eng zu sich um seinen Besitz an ihr deutlich zu machen, was allerdings nicht nötig wäre, da Takuma noch immer mit Ikami zusammen war und Shikao noch nie an Gisang Interesse hatte. Auch die Anderen setzten sich hin und begannen zu essen. Nach dem sie satt und gut gefüllt waren, erzählten sie sich Geschichten vom Sommer und was sie nächstes Jahr vorhatten. Immerhin würden sich die Wege vieler bald trennen, wenn sie auf eine höhere, weiterbildende Schule gehen würden, studieren oder arbeiten würden. Sie alle hatten so viele Pläne. „Ob Suara auch solche Pläne hatte?“ Ikami versank in Gedanken und blickte traurig nach unten. Takuma zog sie in ihre Arme. Shikao blickte zu dem Kamin rüber wo das Bild stand, dass seine Mutter auf seiner Hochzeit mit Suara gemacht hatte. Sie war wunderschön in diesem weißen Kleid. „Ich weiß nicht welche Träume und Pläne sie hatte. Aber eines weiß ich, einen Traum konnte ich ihr zumindest erfüllen. Ihr Lächeln an diesem Tag werde ich niemals vergessen. Es war wärmer und strahlender als die Sonne es jemals sein könnte.“ Sie schwiegen und folgen Shikaos Blick zu dem Foto. „Du hast alle überrascht, als du ihr den Antrag gemacht hattest. Immerhin wart ihr beide noch so jung.“ Shikao lachte. „Sie zweifelte an mir. Sie wusste nicht, ob ich sie wirklich so sehr liebe wie ich immer behauptet hatte. Was blieb mir anderes übrig um ihr meine Gefühle zu beweisen. Außerdem hatte sie gesagt, dass sie davon träumt irgendwann wie ein ganz normales Mädchen zu heiraten und eine Familie zu haben. Nun ja, das mit der Familie konnte ich nicht erfüllen, dafür fehlte die Zeit.“ Wieder lachte er leicht und kratzte sich etwas am Kopf. „Sie war sehr glücklich darüber. Das weiß ich.“ Ikami lächelte. „Und egal wo sie ist, ich bin sicher, sie ruht in Frieden und hat kein Bedauern. Sie ist bestimmt kein ruheloser Geist.“ Wieder trat eine betretene Stille ein, ein leichter Windhauch fuhr durch den Raum, obgleich alle Fenster geschlossen waren, der allen Anwesenden einen warmen und angenehmen Schauer über den Rücken jagte. Es war, als wäre Suaras Geist in das Zimmer gekommen um Ikamis Aussage Zustimmung zu geben. Shikao rieb sich die Arme. Es roch nach Suaras Lieblingsparfüm. Er konnte es deutlich riechen. Er hatte sie so oft im Arm gehalten, er erkannte ihren Duft. Er stand auf und öffnete die Tür zum Garten und sah sich um. Es war dunkel. Aber nicht so dunkel wie noch ein paar Minuten zu vor. Der Mond erstrahlte hell und klar und es hatte aufgehört zu regnen. Der Himmel war wolkenfrei und man konnte die Sterne sehen. Shikao lächelte. Irgendwie spürte er, dass Suara da war, wenn auch nur in seinem Kopf. Aber er spürte wie sie lächelte. Er wusste, dass sie glücklich war.   Chikao und Sukao verbrachten ihren Heiligabend mit Shikaos Mutter und Großmutter. Geschenke würde es erst am nächsten Morgen geben. Anders wie in europäischer Kultur, wo der Weihnachtsmann die Bescherung schon am 24ten bringt, so kommt der Santa Claus in Amerika und Asien erst am 25ten. Und so erzählte die Großmutter den beiden Kindern ein Märchen nach dem Anderen bis die beiden Kleinen so müde wurden, dass sie einschliefen. Frau Taneda deckte die Kinder zu. Und setzte sich dann bei warmen Wein neben ihre Mutter. „Die Kleine ist wirklich zu süß. Nur schade, dass das Leid sie bereits in so jungen Jahren geplagt hat.“ „Sie hat viel durchmachen müssen. Und sie ist noch lange nicht darüber hinweg. Genauso wenig wie mein störrischer Sohn.“ „Sei nicht so streng mit ihm. Er hat das verloren, was er am meisten geliebt hat, dass was ihm einen Grund zum fröhlich sein gegeben hatte. Er wird darüber hinweg kommen. Gib ihm etwas mehr Zeit.“ „Dass du einmal so verständnisvoll ihm gegenüber sein könntest, hätte ich niemals für möglich gehalten.“ Die ältere Dame schmunzelte. Auch sie hatte niemals gedacht, ihren eigentlich verhassten Enkel mal in den Schutz zu nehmen. Aber sie hatte Mitleid mit ihm. Sie wusste was es bedeutete, einen geliebten Menschen zu verlieren. Auch wenn die Umstände in diesem Fall anders waren wie bei ihr. Sie hatte in jungen Jahren ihr erstes Kind bei einem Autounfall verloren. Erst später war Shikaos Mutter geboren worden. Von dem verstorbenen Kind hatte sie niemanden erzählt. Nur ihr Mann wusste das. Daher konnte sie gut mitfühlen, wie Shikao sich nun fühlte. Denn auch sie hatte lange daran zu kämpfen gehabt, über den Verlust ihres Kindes hinweg zu kommen. Sie seufzte und stand auf. Sie entschuldigte sich bei ihrer Tochter damit, dass sie müde sei und lieber etwas schlafen würde.

Der erste Schnee

Es war kalt. Viel kälter als Shikao es vom Abend in Erinnerung hatte. Er stand auf. Die Anderen schliefen noch tief und fest. Auch im Haupthaus konnte er kein Licht erkennen, als er durch das östliche Fenster blickte. Also schliefen dort wohl auch noch alle. Er sah auf die Uhr. Es war 8 Uhr. Eigentlich war es seltsam, dass noch alle schliefen. Er ging zu der Tür die zum Garten führte und öffnete sie. Ein kalter, eiskalter, Wind wehte zu ihm hinein. Draußen war es neblig und er konnte fast die Hand vor Augen nicht erkennen so dicht war die Luft vor ihm. Er konnte nicht mal erkennen, ob Schnee lag oder nicht. Nebel war doch gar nicht angekündigt gewesen.

Auf einmal konnte er einen Schatten in den Nebelschwaden erkennen. Lange schwarze Haare und ein weißes Kleid. Katzenohren. Er konnte sehen wie ein langer Schwanz hin und her schlug. Für einen Moment dachte er, es wäre Suara. Doch dann wurde ihm klar, als die Gestalt näher kam, dass es Achilea war. Er war wie versteinert. Was wollte die denn hier? Hatte sie nicht genug zu tun, mit den armen Seelen, die sie zerfressen und besetzen musste.

„Komm mit.“

Ihre Stimme klang ruhig und friedlich. Sie klang ähnlich wie an jenem Tag im Vergnügungspark, als sie auf Klassenfahrt im Geisterhaus waren. „Test bestanden“ ging es Shikao wieder durch den Kopf.

Wie benebelt folgte er Achilea durch seinen Garten. Er fror erbärmlich. Immerhin hatte er nur einen Pyjama an und nur Hauslatschen. Achilea führte ihn eine geraume Ewigkeit durch den Nebel. Shikao ließ sie nicht aus den Augen. Sie war wahrlich nicht menschlich. Ihre Haut war so weiß, sie war fast durchscheinend. Außerdem schien sie förmlich über den Boden zu schweben. Er dachte darüber nach, wie Suara kurz vor ihrem Tod von zwei Achileas gesprochen hatte. Einer guten und einer bösen. Sie meinte sie hätte die Böse besiegt, während sie in einem ewig währenden Gefängnis gefangen war. Das war während der Zeit in dem Institut gewesen. Aus diesem Gefängnis hätte sie nur entkommen können, weil sie seine Stimme gehört hatte. Shikao hatte dem nicht folgen können. Aber nun glaubte er zu verstehen. Die Aura dieses Wesens, war anders, wie er sie in Erinnerung hatte. Es war zwar kalt aber dennoch misstraute er ihr nicht. Und wenn Suara meinte, sie hätte die Böse besiegt, dann konnte das nur die Gute sein. Aber etwas, eine Sache konnte er sich nicht beantworten. Was wollte Achilea ausgerechnet von ihm? Ihm Grunde, soviel war ihm klar, konnte es nur mit Suara zu tun haben. Wollte sie ihm etwa Suaras Körper zeigen, wo er sich das halbe Jahr hatte befunden? Er würde nervös.

Achilea blieb stehen und drehte sich langsam zu Shikao um.

„Wie sehr liebst du Suara?“

„Was?“

„Wie sehr liebst du Suara?“, wiederholte Achilea, ohne den Tonfall ihrer Stimme zu ändern.

„Mehr als mein Leben.“

Er würde für sie sterben, dass wusste er. Auch wenn es vielleicht nicht passend war, dass einem Geist oder Fluchgeist, Gott, oder was auch immer da vor ihm stand, zu sagen.

„Willst du sie zurück haben?“

„Ja natürlich! Was soll diese dumme Frage?“

„Was bist du bereit für sie aufzugeben?“

Shikao wusste darauf keine Antwort. Was er aufgeben würde, um Suara zurück zu bekommen? Er blickte nach unten und schwieg, er dachte nach.

„Ich besitze nichts, dass so wertvoll wäre, wie es Suara für mich ist.“

„Nicht einmal dein eigenes Leben?“

Shikao sah sie direkt an. „Wenn ich mein Leben geben würde, für ihres, dann wäre sie niemals glücklich. Suara war ein Mensch, der nie wollen würde, dass andere sich für sie opfern. Sie würde sich opfern. Außerdem kann ich sie nicht allein lassen. Wenn sie lebt und ich nicht, wer beschützt sie denn dann?“

Er sah wie Achilea wieder lächelte, wie damals. „Test bestanden“. Wieder hallte es in Shikaos Kopf wieder.

„Ich habe ein Weihnachtsgeschenk für dich. Doch dafür wird ein Preis fällig werden.“

Sie schritt zu Seite und schwenkte ihren Arm langsam nach rechts. Ihr Blick folgte ihrer Armbewegung und Shikao sah auf die Stelle auf die sie zeigte. Dort saß eine kleine Katze. Ihr schwarzes Fell wirkte leicht grau und ihre Augen schienen zu leuchten. Jemand musste das Kätzchen ausgesetzt haben, dachte er zu erst. Doch dann schien er in den Augen des Kätzchen etwas zu erkennen.

„Su… Suara?!“

Die Katze rührte sich nicht von der Stelle und sah ihn einfach nur an, während der Junge auf sie zu kam und sich zu ihr kniete. Er streckte seine Hand zu ihr aus und das Kätzchen schnupperte daran bevor es seinen kleinen Kopf an seine Hand schmieg. Shikao lächelte. Irgendwie spürte er, dass das hier Suara war, auch wenn es noch so absurd sein mochte. Er war fest davon überzeugt, dass Suara lebte und zwar in der Gestalt der kleinen Katze. Er hob sie an und drückte sie sanft an sich.

„Du bist doch Suara oder?“ Zur Antwort schnurrte das Kätzchen und kuschelte sich an Shikao.

Achilea erschien in zwei Gestalten vor Shikao und beide sprachen zur selben Zeit.
 

Dein Test ward bestanden.

Sie wünschte sich zu bleiben.

Doch ihr menschlicher Körper

zerbrach in 1000 Teile.

Die Katze in ihr jedoch,

sie lebt und ist kraftvoll.

So lebt sie denn weiter.

Als Reinkarnation.

Als geistiges Wesen.

Voller Verstand.

Voller Erinnerungen.

Doch der Preis der gezahlt

wird wird ihre Stimme sein.

Du wirst niemanden etwas erzählen können.

Das ist der Fluch, der Preis.
 

Shikao sah die beiden an.

„Ihr nehmt ihr die Fähigkeit zu sprechen?“

Achilea nickte. Shikao sah hinab zu dem Kätzchen in seinem Arm. Sie würde bei ihm sein, sie lebte. Wenn auch in der Gestalt einer Katze. Aber würde, dass Suara glücklich machen? Ein Leben als Haustier zu führen. Im Moment schien sie zufrieden zu sein. Sie schlief friedlich und schnurrte leise. Doch Shikao wusste nicht, was die Zukunft bringen würde.

„Nimmst du das Geschenk an?“

Shikao schreckte hoch. Er wurde je aus seinen Gedanken gezerrt, als Achilea ihn scharf fragte, ob er Suara denn bei sich behalten wolle.
 

Er wollte. Ob so oder in menschlicher Gestalt, das war ihm egal. Aber er wollte nicht, dass seine Selbstsucht, sie bei sich zu haben, irgendwie Suara beeinflusste. Er wusste nicht, ob sie mit einem Leben zufrieden war, dass nun ganz anders aussah. Würde sie es ertragen, ihn jeden Tag zu sehen, aber nur auf einer tierischen Art mit ihm umzugehen? Würde sie es ertragen, wenn er eines Tages wieder heiraten würde? Und auch wenn er daran noch nicht mal denken mochte, so war ihm klar, dass er nicht ewig single sein konnte und wieder heiraten musste. Immerhin war er nicht mal 20 Jahre alt. Aber was war dann mit Suara, die immer bei ihm sein würde. Das würde ihr das Herz brechen.

Und was war mit Chika? Könnte Suara es ertragen sie jeden Tag zu sehen, mit dem Wissen, ihre Schwester nie wieder in den Armen halten zu können. Er sah Achilea an.

„Was passiert wenn ich das Geschenk nicht annehme?“

„Dann nehmen wir sie mit uns zurück ins Jenseits. Dort wo sie eigentlich sein müsste.“

Shikao schauderte. Das war irgendwie gruselig.

„Was passiert dann mit ihr.“

„Sie wird Ruhe finden.“, meinte die gute Achilea mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Die böse Achilea verzog keine Miene. Sie starrte nur Shikao nieder, wartend auf seine Entscheidung. Shikao erwiderte ihren Blick und sah dann hinab zu Suara, die immer noch friedlich schlief.

„Ich liebe sie. Ich will sie bei mir haben. Aber ich will nicht, dass Suara Kummer erleiden muss. Und wenn sie auf der anderen Seite ihren Frieden findet, so möchte ich, dass ihr sie wieder mitnehmt.“ Die beiden Geisterfrauen sahen sich an und dann wieder zu Shikao.

„Du würdest lieber auf Suara verzichten, als ihr ein Leben als Katze zu geben? Voller Trauer und dem Wissen, dass sie nur eine Katze ist, die nicht sprechen kann, nicht deine Frau sein kann. Du würdest lieber weiter in Einsamkeit leben, als Suara Leid anzutun?“

Shikao nickte. Die gute Achilea kam auf ihn zu und nahm ihm das Kätzchen ab.

„So sei es denn. Leb wohl kleiner Junge. Du bist ein guter Mensch. Wenn mehr wie du wären, würde es etwas wie SIE nicht geben.“

Sie deutete auf die böse Achilea, die ihr Gesicht immer noch nicht verzogen hatte und kalt und starr auf Shikao starrte.

Die Gute sprach weiter: „Ich hoffe du findest dein Glück. Suara wird es gut ergehen. Im Jenseits wird sie sich an nichts erinnern und kein Leid verspüren.“

Die beiden Frauen, zusammen mit der kleinen Katze lösten sich in weißen und schwarzen Nebel auf und Shikao blieb allein zwischen den dichten Nebelschwaden stehen. Tränen flossen ihm das Gesicht hinunter. Er hatte Suara gehen lassen. Er hatte sie noch ein letztes Mal im Arm gehalten aber nun wusste er, dass er weiter gehen musste. Er blickte nach oben. Er konnte sehen, wie der Himmel sich etwas aufklarte und weiße Schneeflocken zu Boden fielen. Der Himmel hatte aufgehört zu weinen. Der erste Schnee war gekommen.

Stimmen aus dem Jenseits

Takuma wunderte sich über seinen Freund. Das gesamte Mittagsmahl war Shikao vollkommen still gewesen und hatte immer wieder zum Garten hinaus geblickt. Takuma runzelte die Stirn.

„Alles klar bei dir? Erwartest du noch jemanden?“

Shikao schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hab nur das Gefühl, dass ich beobachtet werde.“

„Beobachtet?“ Takuma blickte in den verschneiten Garten hinaus, konnte aber nichts erkennen, nur die Flocken die langsam zu Boden fielen. Der Schnee im Garten war ganz und gar perfekt. Kein einziger Fußabdruck war zu sehen.

„Aber da ist doch niemand.“

Shikao richtete seine Aufmerksamkeit nun wieder dem Essen. „Ich weiß. Deswegen finde ich es ja merkwürdig.“ Er aß weiter.

„SUARA!“

Ikami war hochgeschreckt und starrte zum Garten. Dort stand in einem weißen Kleid, so wie die Gute Achilea es trug Suara im Schnee. Sie hatte keine Schuhe an. Ihre Ohren und Schwanz waren zu sehen und ihre Augen funkelten grün. Sie bewegte sich nicht.

Nach Ikamis Ausruf hatten alle dorthin gesehen und schraken alle hoch, als sie Suara dort draußen im Schnee stehen sahen.

Shingo grinste abfällig. „Sie lebt? Sie hat uns den ganzen Herbst verarscht mit ihrem Tod?“

Shikao stand auf und ging auf Suara zu. Er war blass vor Schock. Hatte Achilea nicht gesagt, dass sie tot war und im Jenseits? Hatte er das alles nur geträumt? Oder träumte er jetzt? Er stand direkt vor ihr, er wollte sie in den Arm nehmen doch Suara schüttelte den Kopf.

Als sie ihre Stimme erhob, schauderten alle Anwesenden. Sie klang so fern und sanft, wie aus einer anderen Welt.

„Ich bin gekommen um mich zu bedanken. Für alles. Ich hatte ja leider keine Möglichkeit es im Leben zu tun.“ Ihr Gesicht blieb ruhig und regungslos. Shikao wollte sie wieder fest in seine Arme schließen, um sich selbst zu versichern, dass Suara auch wirklich vor ihm stand. Doch wieder schüttelte Suara den Kopf.

„Du darfst mich nicht berühren. Dann ziehe ich dich mit mir auf die andere Seite.“

„Warum bist du hier? Nur um dich zu bedanken?“ Ikami kam zu den beiden und trat neben Shikao auf die Veranda.

Suara nickte und sah dann Shikao an. „Du hast mich zurückgewiesen um mir Leid zu ersparen. Ich danke dir.“

Ikami sah Shikao verwirrt an. Was meinte Suara damit? Shikao hatte sie doch niemals zurückgewiesen gehabt. Im Gegenteil. Shikao grinste.

„Weißt du noch was du mir gesagt hattest? Du hast gesagt, dass du Angst hast, deinen Körper an die Katze zu verlieren, Angst davor im Körper der Katze zu sterben.“

Suara lächelte. Das erste Mal seit sie erschienen war. „Du hast Recht. Ich hätte nicht gedacht, dass du dich daran noch erinnerst.“

Suara blickte in den Garten. „Vor einem halben Jahr hab ich davon geträumt gehabt, wie sie dich vor die Entscheidung gestellt hat, doch ich bin aufgewacht, bevor ich deine Antwort hören konnte. Achilea meinte, das wäre deine Zukunft gewesen. Und sie hatte Recht behalten.“ Sie blickte wieder zu Shikao und den Anderen.

„Du hast von dieser Begegnung geträumt?“

Suara nickte.

„Wieso hast du niemanden davon erzählt?“

Suara senkte den Blick. „Ich wollte es nicht wahrhaben, ich wollte nicht glauben, dass ich sterben würde und dass ich in einer Welt leben würde, ganz ohne euch. Ich hab es nicht geglaubt. Bis gerade eben.“

Sie hob ihren Kopf und in ihren Augen konnte Shikao Trauer lesen. Ihre Augen funkelten von den Tränen, die sich darin bildeten. Shikao spürte ein unglaublich großes Verlangen das Mädchen in das Arm zu nehmen doch Suara hatte ja gesagt, dass er sich nicht berühren sollte, sonst würde er auch sterben. Das Einzige, was ihn daran hinderte, Suara dennoch zu umarmen, war das Versprechen, dass er Chika ein Bruder sein würde. Er wollte das kleine Mädchen nicht allein zu lassen.

Suara wand sich wieder an Shikao.

„Ich möchte, dass ihr nicht mehr an mich denkt. Ihr sollt glücklich und ohne Trauer weiter leben und voran gehen. Vor allem du Shikao. Der Anblick, dich so leiden zu sehen, macht mich traurig. Ich will nicht, dass du dich so gehen lässt.“

Shikao schmunzelte.

„Ich kann nicht weiter machen wie vorher. Nicht ohne dich Kitty. Das solltest du wissen. Du bist ein Teil von mir und ich brauche dich.“

Suara seufzte und drehte ihren Kopf um. Sie blickte in den Nebel der sich gerade bildete.

„Ich muss zurück. Meine Zeit hier ist nur begrenzt.“

Shikao wollte gerade protestieren, da sah er wie aus dem Nebel zwei Schatten heraustraten. Ikami schrak zurück. Es war das erste Mal, dass sie die beiden Achileas sah. Sie wusste nicht wer das war. Shikao würde es ihr wohl anschließend erklären müssen.
 

Zwei Herzen waren vereint

Auseinandergerissen vom Schicksal

Zwei Herzen so nah einander

Und nun durch den Tod getrennt

Wollt ihr vereint sein

So zahlt den Preis

Wollt ihr zusammen sein

Muss etwas gegeben werden

Eine Seele muss auf die andere Seite

Eine Seele kann dann hier verweilen.
 

Suara sah Achilea, die Gute an. Sie runzelte die Stirn. „Ein Opfer? Dann könnte ich weiter leben?“

Achilea nickte.
 

Du kannst leben

Doch ein Anderer muss gehen.

Ihr habt 24 Stunden jemanden zu finden.
 

Dann verschwanden sowohl die beiden Geister als auch Suara mit ihnen. Sie würde ihn 24 Stunden am Katzenschrein sein, meinten die Stimmen aus dem Jenseits noch bevor der Nebel sich wieder lichtete und die Jugendlichen fragenden Blickes zurücklies.
 

„Wo sollen wir jemanden herbekommen, der sich freiwillig opfern will.“

Shingo schlang seine Weihnachtskekse runter und schien recht desinteressiert dem ganzen entgegen zu sehen. Er war sich durch aus bewusst, dass es hier spukte und dass ständig merkwürdige Dinge passiert waren, wenn es um Suara ging. Allein was alles passiert war während der Klassenfahrt passiert war. Alles war ihm makaber und er war froh, dass das letzte halbe Jahr nichts dergleichen vorgefallen war. Und er wollte nicht, dass das Ganze wieder von vorne losging. Es ging ihm nicht darum Suara nicht zurück zu bekommen, aber er weiß Gott andere Probleme als sich mit geistesgestörten Geistergeschichten rum zu schlagen.

„Willst du nicht das Suara zurückkommt?!“ Ikami war sichtlich wütend Shingos Haltung gegenüber und hätte ihm am liebsten eine verpasst, wenn Takuma sie nicht zurück gehalten hätte.

„Was bringt das denn? Du kannst nicht Gott spielen und jeden von den Toten zurückholen, nur weil es dir gerade so passt. Dass sie gestorben ist, ist der Krankheit zu verdanken gewesen und nicht von so einem bekloppten Geist. Es war ihr verdammtes Schicksal zu sterben. Kapier das endlich und misch dich nicht in den Kreislauf von Leben und Tod ein.“

Diesmal fing er sich wirklich eine. Und zwar einen kräftigen Faustschlag von Shikao.

„Auch wenn es das Fest der Liebe ist. Der musste jetzt sein.“

Shingo saß am Boden und rieb sich die Wange, die rot wurde. Sein Zahn blutete auch von Shikaos heftigem Schlag.

„Spinnst du?“

Shikao grinste. „Nicht im Geringsten. Mir geht es prächtig. Und dir? Hast du nen Gehirnschock erlitten? Wir werden irgendeinen Weg finden um diesen verdammten Kreislauf und das Schicksal zu umgehen. Wenn es Suaras Schicksal ist zu sterben, finden wir keinen der sich opfern will. Ist es aber ihr Schicksal zu leben… dann finden wir auch jemanden.“

Shingo schüttelte mit dem Kopf.

„Ich hau ab. Ihr seid doch alle nicht mehr richtig in der Birne. Babe, komm mit …Oder willst du bei diesem Zirkus hier bleiben?“ Er richtete sich direkt an Gisang. Sie blickte zu Shikao, der wieder das Hochzeitsfoto mit Suara in der Hand hielt und lächelte während er es ansah.

Sie seufzte. Innerlich wollte sie hier bleiben. Sie würde sich freuen wenn Shikao und Suara wieder vereint wären und sie ihre Laufkonkurrentin zurückbekommen könnte. Denn sie hatte begriffen, dass niemand an Suaras Stelle treten konnte, in Shikaos Herzen. Sie hatte versucht ihn zu trösten, über seinen Verlust hinweg. Doch wieder wurde sie nur zurückgewiesen. Sie hatte endlich begriffen, dass sie niemals eine Chance bei Shikao haben würde. Nur ein einziges Mädchen hatte es jemals geschafft, Shikaos Herz zu öffnen und das war Suara. Das wusste sie auch wenn sie es immer geleugnet hatte und sich gewünscht hatte, dass nach Suaras Tod, Shikaos Herz auch für andere Mädchen offen stand. Doch das tat es nicht.

„Ich komme.“ Sie ging zu Ikami. „Sorg dafür dass sie zurückkommt. Ich beruhige Shingo.“ Sie lächelte und Ikami antwortete ihr ihrerseits mit einem Lächeln. Dann gingen Shingo und Gisang.
 

„Tränen der Einsamkeit fließen den Fluss der Zeit hinab. Tränen der Einsamkeit bahnen sich ihren Weg ins Nirwana. Tränen der Einsamkeit haben den Schmerz und das Leid des Herzens gesehen und erkannt. Tränen der Einsamkeit liegen schwer und wiegen viel. Tränen der Einsamkeit sind immer ehrlich. Tränen der Einsamkeit weinen wir hier und warten auf Antwort derer, die unsere Einsamkeit verstehen. Tränen der Einsamkeit kann keiner verstehen. Tränen der Einsamkeit weinen wir einsam und allein. Tränen der Einsamkeit fließen der Fluss der Zeit hinab.“



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