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Cross Brothers

Blutsbande
von

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Vorwort

Vorwort
 

„Eigentlich ein netter Gedanke.“ Sage ich unvermittelt und schwenke mein Glas. Es befindet sich nur noch ein Rest vom Cuba Libre und ein paar Eiswürfel darin, aber ich mag das Klimpern und das Funkeln der Eiswürfel. Meine Freunde sehen mich verwundert an. Ich lache nur und schüttele den Kopf. Da kommt auch schon der Kellner und ich bestelle einen weiteren Cuba.

Bis eben diskutierten wir noch über die Modeerscheinung unter den Romanen. Vampire. Aber nicht als Monster, als Blutsauger als Menschenjäger. Sondern als Teenie-Superstars. Glitzernd und funkelnd, oder sogar erotisch und begehrenswert. Der Geist der Zeit mochte einer Legende das Gesicht geben, welches zu einem allgemeingültigen Stigma wird, doch ich konnte mich nicht damit zufrieden geben. Ich fragte mich, ob es möglich wäre einen Übergang zu schaffen, dem Blutsauger zwar die verführerische Komponete zu geben (da genau das alle wollen) ihm aber auch zu dem zurück zu führen, was er einst war. Ein Wesen das sich von menschlichem Blut ernährt, das scheinbar geschaffen ist um Jagd auf Menschen zu machen. Je mehr ich darüber las, über die Legende Vampir, umso mehr Unstimmigkeiten traten auf und es wurde deutlich, das der Vampir als solcher, nicht mehr war als der Zombie des Mittelalters. Genau diese verstumpften Wesen, die einen Blockbuster so erfolgreich machten. Doch dem Ganzen musste irgendwie mehr ab zu gewinnen sein, mehr Romantik, mehr Mystik mehr Grauen.

Mein Cuba kommt und ich nicke höflich. Ich greife nach den blauen f6 und fummele mir eine Zigarette heraus. Das ist ein schweres Genre und dann noch weg, weg vom Fanfictionformat. Das schaffe ich doch nie, dachte ich damals und jetzt kommt es mir in den Sinn. Diese zwei, dieser Blonde und der Schwarzhaarige, waren eigentlich nur Randfiguren aus einem Traum gewesen, doch nach dem Aufwachen wusste ich das sie mehr waren. Die Protagonisten einer ungewöhnlichen Reihe, verfasst von einer Amateurin.

Klingt nach einer Herausforderung. Ich lasse das Feuerzeug klicken und lächele vor mich hin. Um zu wissen wie Monster ticken, brauche ich nur eines zu tun: Menschen beobachten.
 

02/14 Edda Allen

Prolog

...Einhundert...

Sechzig.

Eins; Zwei, Drei...

Das ergab zusammen 163.

Ich stand dem 163-sten Killer in diesem Jahr gegenüber und das war eine ziemlich traurige Bilanz. Selbst für mich.

Es war mitten in der Nacht und den Glockenschlägen nach, hatte es gerade zur Geisterstunde geläutet. Die Stunde des Showdowns für den bösen Mann, der mir an den Kragen wollte.

Er hatte sein Gesicht hinter einem schwarzen Tuch verborgen und trug gewöhnliche Jeans sowie eine Cordjacke. Am auffälligsten an seiner Erscheinung, war das lange Stück Holz in seiner Hand.

Es wirkte wie eine Szenerie eines Krimis.

Den Tatort hatte der Attentäter sicherlich bewusst gewählt um die Dramatik meines Todes zu verfeinern, denn wir standen auf einem Friedhof, zur bereits erwähnten Geisterstunde.

Der Vorhang hatte sich gehoben und nun sollte das dramatische Stück beginnen. Innerlich lachte ich laut, doch seinem schlechten Skript folgend, blickte ich ernst drein.

Dieses lange Stück Holz war ein sogenannter Pfahl, und etwas derartiges war mir schon lange nicht mehr unter die Augen gekommen.

Ich beschloss, das Schweigen zu brechen, welches sich wie ein bleierner Vorhang über uns gelegt hatte. Mein Gott, ich vermisste die dramatische Hintergrundmusik!

„Beeindruckend, dass du mich verfolgen konntest.“ entgegnete ich mit gespielter Überraschung, denn der Typ war mir schon seit einer Woche auf den Fersen. Optimistisch hatte ich daran geglaubt, er würde aufgeben. Doch hier bewies sich, dass Optimismus oftmals fernab jeglicher Realität lag.

Duftwellen von Schweiß kribbelten in meiner Nase, sodass ich einen Schritt zurückging. Ich sah, dass die Angst den Körper des Mannes komplett versteinerte. Er war sich seiner Sache überhaupt nicht sicher.

Doch wie passte das zu meiner Krimi-Theorie? Ein Mörder, der sich vor dem Opfer fürchtete, stellte eine schlechte Figur dar. So konnte er nicht das absolut Böse verkörpern.

Vielleicht trieb ihn der Wahnsinn?

Wahnsinn schien bei den Menschen an der Tagesordnung zu stehen. Ich verstand diese Existenzen immer weniger, obwohl ich unter ihnen lebte.

Das mag alles recht merkwürdig klingen und ich fühle mich verpflichtete ein Wort der Erklärung zu bieten. Tatsächlich distanzierte man Wesen wie mich von den Menschen. Es gab nur eine Nahrung, die uns alles gab, was wir brauchten. Eine Nahrung, die mich mit Kraft erfüllte.

Ich ernährte mich von Blut. Und Menschenblut zählte zu den Dom Perignon unter dem Angebot.

Außerdem waren meine Sinne weitaus schärfer als die eines Menschen. Meine Augen erfassten jedes kleinste Detail über mehrere hundert Meter und mein Gehör konnte Laute vernehmen, die ein Mensch niemals wahrnehmen konnte. Doch all das war abhängig vom Blut. Ohne ausreichende Blutmenge in mir, brachte mir die tollste Anatomie nichts.

Leider hielten die Menschen Kreaturen wie mich für Monster, obwohl ich diese Beleidigung genauso gut zurück schleudern konnte.

Schließlich sollte ich diese Nacht das Opfer von einem Menschen werden, den ich in meinem Leben zuvor noch nicht gesehen hatte.

„Dies ist deine letzte Nacht!“ zischte er auf einmal und mir wurde bewusst, dass er anscheinend von seinen Worten fest überzeugt war.

Wie war das noch mal mit dem Optimismus?

Doch ich hatte keine Zeit mich über ihn lustig zu machen, denn er rannte plötzlich los und riss dabei das Holzstück in seiner Faust in die Lüfte.

„Sinnlos.“ murmelte ich und griff nach dem Pfahl.

Erschrocken blickte mich der Mensch an. Anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, dass ich ihm überlegen sein könnte. Ich revidiere. Das war schon längst kein Optimismus mehr, sondern Größenwahn!

„Es ist noch nicht vorbei, Vampir!“ knurrte der hundsgemeine Pfähler und schlug mit der anderen Faust entschlossen in meinen Bauch, der Pfahl flog aus meiner Hand und rollte über den Boden, wo er mit der Dunkelheit verschmolz.

Damit hatte ich wiederum nicht gerechnet und so lockerte ich überrascht meinen Griff und stöhnte auf. Netter Schlag. Zumindest schien er kein Schwächling zu sein.

Dennoch war sein Plan zum Scheitern verurteilt.
 

Vampir, oder auch Blutsauger schien tatsächlich die treffende Bezeichnung für meine Existenz zu sein. Ich trank Blut, vorwiegend menschliches und ich lebte schon weitaus länger als es die Natur den Menschen vor schrieb. Allerdings schlief ich nicht in Särgen und meistens hielt ich mich tagsüber unter den Menschen auf, als gehörte ich zu ihnen.

Weihwasser stellte für mich eine ebenso große Bedrohung dar, wie Knoblauch, nämlich gar keine.

Zusätzlich zu den außerordentlichen Sinnesorganen, besaß ich eine übernatürlich schnelle Selbstheilung und somit wird der Holzpfahl zu nichts mehr als einem Zahnstocher. Ihre einzige Gefahr bestand darin, dass sie ins Herz gerammt wurden und solch eine Verletzung erschwerte die Selbstheilung ungemein, konnte sie sogar ganz stoppen, bis der Pfahl entfernt wird.

Wurde ein Pfahl nicht entfernt konnte man tatsächlich an dem hohen Blutverlust sterben, denn ohne Wundheilung und ohne frisches Blut, war selbst ein Vampir aufgeschmissen. Vielleicht stammen daher die Legenden vom gepfählten Vampir?

Kehren wir zurück zum Todes sehnsüchtigen Menschen.

Er stolperte von mir zurück und sah sich fiebrig um, ob in der Nähe etwas Waffenähnliches lag, womit er mich abermals bedrohen könnte.

Ich fing mich schnell von dem Schlag, denn Schmerzen war ich gewohnt.

„Das bringt doch nichts.“ meckerte ich, als der Kerl den Boden nach Stöckern absuchte.

„Halt’s Maul!“ blaffte er zurück und mir entfuhr ein gelangweilter Seufzer.

„Aber wenn ich dir doch sage, dass es sinnlos ist? Nachher heulst du mir vor, was für ein Untier ich bin. Auch wenn ich es Notwehr nenne.“ plapperte ich weiter und ging auf ihn zu. Ich meinte es ernst. Wenn der Typ von mir besiegt wurde, dann hätte ich gleich eine ganze Horde von denen am Hals, denn ich bezweifelte, dass er seine Dummheit zugeben würde.

„Bleib stehen!“ schrie er panisch und stolperte ungelenk zurück.

„Warum? Hast du Angst?“ Ich bleckte meine Fänge und sah mit blitzenden Augen, wie er über einen Grabstein stolperte und auf den Boden knallte.

Doch was tat ich nun mit ihm? Töten konnte und wollte ich ihn nicht. Schließlich würde eine Leiche zu viel Aufmerksamkeit erregen und irgendwie war er mir ans Herz gewachsen. Schließlich hatte er mich eine Woche lang verfolgt.

„Weißt du, das mit dem Pfahl... Es ist ja nicht deine Schuld. Du hast dich wahrscheinlich auf die Legenden und Ammenmärchen verlassen.“ begann ich und ging in die Hocke, sodass wir auf Augenhöhe miteinander waren. Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine kleine Falte, was mir bedeutete, dass ich richtig lag. „Doch ein Pfahl bleibt ein Stück Holz. Das ist ein Kratzer für Kreaturen wie mich.“

Es sei denn man traf das Herz richtig.

„Was willst du jetzt tun? Du schindest Zeit!“ erwiderte mein neuer Schatten zischend und mir verging der Humor. Er hatte recht, denn mir war unklar, wie ich mich seiner wieder entledigen konnte.

„Sag du’s mir? Soll ich dich töten?“ fragte ich und grinste ihn an. In diesem Moment genoss ich meine Macht über ihn.

„Sinnlos!“ entgegnete er und sah mir entschlossen in die Augen. Sein Selbstbewusstsein war neu aufgeflammt und er hatte abermals recht. Ich mochte das irgendwie.

Warum konnte ich solche Typen nicht in einer Bar bei einem Bier kennen lernen? Musste ich immer das Monster sein?

„Mach es mir nicht so schwer!“ brabbelte ich widerwillig und packte ihn fest am Kopf. Mir blieb nur noch eine Möglichkeit und dafür entschuldigte ich mich lieber vorher.

„Tut mir echt Leid, Mann. Ich wünschte du würdest nicht versuchen mich umzubringen.“

Mit meiner geballten Faust schlug ich ihm ins Gesicht, sodass er das Bewusstsein verlor und ein paar Zähne.

Als Blutsauger sollte ich auch in der Lage sein, meine Spuren zu verwischen und auch dafür besaß ich besondere Fähigkeiten. Das Gedächtnislöschen. Hierbei löscht man aber nicht wirklich irgendwelche Eindrücke oder Erinnerungen. Ich kann lediglich das, was ich in den Köpfen meiner Opfer vorfinde versiegeln.

Ich sollte es können... In all der Zeit, in denen ich es mit solchen über motivierten Typen oder redseligen Frauen zu tun hatte, war das Gedächtnislöschen für mich ein anderes Kaliber. Sprich: Ich versagte hier auf ganzer Linie. Meistens sorgte ich für eine dauerhafte geistige Behinderung oder ich vernichtete alles im Kopf.

Doch vielleicht war das Schicksal heute auf meiner Seite? Schließlich hätte ich den Mann genauso gut töten können!

Also murmelte ich fremdsprachige Wörter und ich spürte augenblicklich, dass meine Handfläche glühte. Mein Arm kribbelte. Dieser Vorgang erforderte meine volle Konzentration und so hielt ich meine Augen fest geschlossen.

Doch das Schicksal wollte mir auch heute nicht zur Seite stehen.

Plötzlich vernahm ich ein widerliches Röcheln und mir stieg ein abartiger Verwesungsgeruch in die Nase. Mir war schon beim Betreten dieses Ortes klar gewesen, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Abgesehen von meinem Verfolger.

Angewidert von dem Gestank öffnete ich meine Augen und bemerkte nur noch einen Schatten der zwischen den Gräbern vorbei huschte. Es zog den Verwesungsgeruch mit sich und zurück, blieb nur ein Hauch Gestank und gedämpfte röchelnde Laute vergingen in der Dunkelheit.

Ich hatte meinen Sinnen kaum getraut und ich benötigte einen Moment ehe ich begriff, was ich gerade erlebt hatte. Es gab auf dieser Welt nichts, was schneller als ein Vampir sein konnte und dieses Ding hatte sich so schnell bewegt, dass ich es kaum wahrnahm.

Erschrocken ließ ich den Jäger los. Seinen Geist hatte ich nun sicherlich völlig zerstört, nachdem sich meine Konzentration im Nichts aufgelöst hatte.

Ich fand keine Erklärung für dieses Ding und suchte deshalb nach dem Ort, wo ich seinen Schatten sah.

Plötzlich versanken meine Füße in aufgewühlter Erde, soweit ich es erkennen konnte. Verwirrt sah ich mich um und mir stieg der Verwesungsgeruch ein weiteres Mal in die Nase. Ich schnupperte mich voran und schließlich endete die Geruchsspur an einem Grab.

Doch es war kein gewöhnliches Grab.

Die Leiche ragte aus dem aufgewühlten Boden. Anscheinend war jemand der Meinung, dass der Verstorbene nicht tot genug war, denn man hatte mehrmals auf die Leiche eingestochen und seltsamerweise sickerte frisches Blut aus dem Toten.

Der Tote schien zum größten Teil selbst als Nahrung gedient zu haben, denn ihm fehlte ein Arm und der andere war bereits angeknabbert.

Es war mitten in der Nacht und den Glockenschlägen nach, schien sich die Stunde der Dämonen zu nähern.

Die Stille legte sich wie ein bleierner Vorhang über dem heiligen Ort des Todes und kein Windhauch wollte mir den Geruch aus der Nase wehen.

Ich hielt mir die Hand vor dem Mund und wandte mich ab. Der Ekel schüttelte mich und mir wurde kalt.

Kapitel 1

Kapitel Eins
 

„Die glauben einem nicht, das man ein Mensch ist.“
 

Heutzutage entsann sich kaum jemand an das Leben davor. Das Leben vor der Dämmerung. Vor sehr langer Zeit brachen nahezu gleichzeitig Kämpfe und Kriege aus. Die Menschen kämpften um ihr Überleben, denn mitten unter ihnen hatten Wesen gelebt dessen Existenz nicht mehr war, als Märchen und Hirngespinste. Doch plötzlich erhoben sie sich. Vampire Werwölfe und andere Wesen griffen die Menschen und innerhalb weniger Stunden brach die Kommunikation zusammen. Europa wurde von völliger Finsternis verschlungen. Der Krieg Menschheit gegen Kreatur weilte viele Jahre lang bis schließlich einige junge Menschen sich ein Herz fassten und einen Friedensvertrag aushandelten. Die Kreaturen verlangten den Planeten zurück, nachdem sie so lange Zeit dem Menschen dabei zusahen, wie er diesen allmählich zerstörte. Doch nach langen Jahren des Kriegs, mussten auch sie schwere Verluste verzeichnen und willigten einem Waffenstillstand zu. Dieser Waffenstillstand bestand nun seit zwanzig Jahren ungebrochen. Weitere Friedensverhandlungen gab es seit dem nicht mehr.
 

Die Welt in der er sich bewegte, schien unwirklich. Die Geräusche drangen nur dumpf an sein Ohr, alles lief in Zeitlupe ab.

Er hob seinen Kopf und blickte auf die groteske Szenerie vor ihm. Langsam ging er darauf zu, auch wenn die Angst seine Beine bleiern werden ließ.

Gott hat uns verlassen, dachte er und rutschte mit seinen Füßen leicht weg. Er blickte auf die dickflüssige schwarze Masse in der er watete, als sich ein verzerrter Schatten auf ihn stürzte. Panisch riss er seine Waffe nach oben und blickte in die goldenen Augen der Kreatur die ihre Schnauze gierig auf riss. Geifer tropfte auf ihn herab-
 

Plötzlich riss er die Augen auf. Sein Atem ging schnell und sein Herz raste. Nelson setzte sich auf und fasste sich erschrocken an die Stirn, welche nass vor kaltem Schweiß war.

„Traum.“ murmelte er wieder und wieder, bis er sich gefasst hatte.

Im nebenan gelegenen Zimmer schrillte ein Telefon. Nelson stand auf und fuhr sich durch sein ergrautes Haar.

Durch die gelblichen Vorhänge fiel mattes Sonnenlicht auf leere Fotorahmen und eingestaubte Bücher in Regalen.

Nelson griff nach seiner Kleidung die akkurat auf einem Stuhl gelegen hatte. Er stapfte in den Flur, an der Wand hingen Zeitungsartikel.

Peacemaker Nelson- Frieden auf beiden Seiten? Lautete ein Artikel und ein Bild seines jüngeren Selbst lächelte dem Leser unsicher entgegen.

„Nelson hier.“ brummelte er in den Hörer und eine aufgeregte Stimme antwortete: „Kommissar, es ist schon wieder passiert!“
 

Kommissar Nelson sah den Andrang schon vom Weiten. Wie es schien hatte die Polizei Mühe, die Schaulustigen und die Presse vom Tatort fernzuhalten.

Nelson parkte seinen Wagen nicht unweit vom Medienrummel entfernt, damit er im Notfall schnell entwischen konnte. Bevor er aus stieg überprüfte er sein äußeres Erscheinungsbild im Rückspiegel. Er glättete seine Haare und wischte sich Krümel aus dem Mundwinkel. Hinterlassenschaften des spärlichen und ungesunden Frühstücks.

Schließlich atmete Nelson noch einmal tief durch und öffnete die Autotür. Er hoffte, dass ihn keiner der Paparazzi erkennen würde. Denn das war nicht einmal so unwahrscheinlich.

Kommissar Nelson hatte seinen Dienst vor zwanzig Jahren aufgenommen, in den unruhigen Zeiten der sogenannten Dämmerung stand er an vorderster Front. Als junger Hüpfer erlebte er den Aufstieg der Vampire und Dämonen, den Krieg zwischen Mensch und Kreatur, Tag und Nacht.

Damals kämpfte er noch für die Menschheit, doch seine Ansichten hatten sich indes geändert.

Nelson verriegelte sein Auto und schritt auf die Menge zu. Er selbst, wusste nicht, auf welcher Seite es sich noch zu kämpfen lohnte und Tage wie dieser erleichterten seine Entscheidung nicht im Geringsten. Seit Monaten arbeitete er in einer Sonderkommission an diesem Fall, bisher erfolglos.

Aus der Menge kämpfte sich eine dürre Gestalt hervor und gestikulierte wild mit den Armen. Der Kommissar kniff seine Augen zusammen und die Gestalt nahm festere Formen an. Es war mal wieder Zeit für einen Besuch bei dem Augenarzt, dachte Nelson bei sich und beobachtete, wie die Gestalt auf ihn zu rannte.

„KOMMISSAAAAR!!! HIER BIN ICH!“

„Um Gottes willen...“ murmelte Nelson. Er kannte die Gestalt viel zu gut. Es war ein Neuling in der Sonderkommission und man hatte ihn, als Koryphäe, zu der Betreu- nein- Einarbeitung verdonnert. Der Neue hieß David (den Nachnamen hatte Nelson längst vergessen) und war aufgrund überragender Leistungen schnell aufgestiegen. Papa, der Polizeipräsident, besorgte ihm die Stelle und nun hatte David also seinen ersten ganz großen Fall.

„KOMMISSAR NELSON!!! ICH HABE SCHON AUF SIE GEWARTET!“

Nelsons Eingeweide gefroren zu Eisklumpen. Prompt drehten sich einige Journalisten zu ihm um und tuschelten aufgeregt untereinander. Am Liebsten wäre der Kommissar einfach wieder in sein Auto gestiegen aber es war bereits zu spät. Kameras und Aufnahmegeräte wirbelten zu ihm herum, als Nelson auch schon die Beine in die Hand nahm. Er stürzte sich in das Getümmel und boxte einen Pressefuzzi nach dem anderen aus dem Weg. Schließlich erblickte er Polizisten am Eingang des Friedhofs, welche den Kommissaren ihrerseits erkannten und sofort einließen.

Nelson straffte seinen braunen Mantel und funkelte böse zur Menge zurück. Die Journalisten brüllten ihm eine Frage nach der anderen zu. David war sicherlich noch irgendwo da drin, doch das interessierte den Kommissaren nicht mehr. Alles was jetzt zählte, war einzig noch der Tatort, hier irgendwo auf diesem Friedhof.

Einer der Polizisten stürmte auf ihn zu.

„Endlich sind Sie da!“ rief er aufgeregt und reichte ihm die Hand. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen und ihm standen die Haare zu Berge. Noch so ein junges Ding, dachte sich Nelson und drückte beim Händeschütteln mehr als nötig zu.

„Ich stand im Stau. Ich hoffe der Tatort ist unverändert?“ knurrte Nelson und fixierte den Polizisten.

„J-ja... Selbstverständlich. Wir haben nur auf Sie gewartet!“ murmelte er beschämt und deutete auf die vor ihnen liegende Lindenallee. „Am Ende des Weges liegt der Tatort. Sie werden dort ebenfalls schon erwartet, denn letzte Nacht waren erstmals Zeugen anwesend... Ähm, wenn Sie entschuldigen.“ Der unsichere Beamte nickte und half dann seinen Kollegen die Medien auch weiterhin zurück zu drängen.

Nelson traute seinen Ohren kaum.

Hatte er von Zeugen gesprochen?

Der Kommissar beschleunigte seinen Schritt und sein Mantel bauschte sich hinter ihm auf. Wenn das der Wahrheit entsprach, dann bestand endlich die geringe Chance auf einen Hinweis oder einer Spur. Endlich konnte er auf etwas handfesteres hoffen, als auf schweigende Opfer.
 

Der Tatort offenbarte sich in derselben Abscheulichkeit, wie die vielen Male zuvor. Angefressene, mehrfach erstochene Leiche, aufgewühlte Erde, Blutspuren und ein schrecklich verzerrtes Gesicht, so als hätte das Opfer kurz vor seinem Tod qualvoll geschrien. Alles deutete auf ein grausames Verbrechen mit Todesfolge hin, allerdings waren die Opfer bereits vor der Tat, tot gewesen. Es wurden hier Leichen auf ekelerregende Art und Weise verstümmelt. Der Verwesungsgeruch erfüllte den Ort des Verbrechens. Nelson war vieles gewohnt, doch hier streikte seine Nase. Er drückte sich ein Taschentuch ins Gesicht und näherte sich dem ‚Opfer‘.

„Kommissar! Sie haben mich doch gesehen!“ japste jemand hinter Nelson. David hatte es also wieder auf den Tatort geschafft. Warum haben ihn die Pressefuzzis nicht gleich entführt? dachte Nelson bitter und ging in die Hocke. Sein Gesicht war dem der ermordeten Leiche sehr nahe.

Die Augen schienen völlig verdreht in den Augenhöhlen, denn man sah nur noch das Weiß. Einzig beim rechten Auge, erkannte Nelson am Lid ein Stück dunkler Iris. Der Tote war noch nicht lange unter der Erde gewesen. Der Mund war weit aufgerissen und Maden krabbelten in der Mundhöhle, aus der ein abstoßender Geruch drang. Angeekelt erhob sich Nelson und wandte sich zu David um.

„Was kannst du mir über die Zeugen sagen?“ fragte der Kommissar und widerstand dem Drang, die Leiche ein weiteres mal anzusehen. Es gab viele Momente in seinem Beruf an der die Realität seiner Arbeit und sein Verständnis von Menschlichkeit miteinander kollidierten.

„Ich glaube nicht, das die Zeugen uns weiterhelfen können.“ antwortete David und blickte auf die Leiche nieder. „Sie reden wirres Zeug und geben keine Angaben zum Tathergang. Ich glaube das sind nur durchgeknallte Junkies. Was immer sie auch gesehen haben wollen, es wird wohl an den Pillen liegen, die sie zweifelsohne geschluckt haben.“ raunte David und blickte wieder zu dem Kommissaren.

„Hast du die Zeugen schon auf Drogenbesitz überprüft?“ hackte Nelson nach.

„Nein, ich wollte auf Ihr Urteil warten.“

„Bring mich zu ihnen!“ befahl der Kommissar und David stapfte voran. Seine teuren Lackschuhe zierten bereits Schlammspuren und Kratzer. Berufsrisiko, dachte Nelson mit einem Gefühl der Genugtuung.

Hinter einer Baumgruppe kamen mehrere Holzbänke zum Vorschein, sowie ein Container für Pflanzenabfälle. Auf einer der Bänke, saßen zwei Gestalten, welche Davids Behauptungen rein äußerlich bekräftigten.

Der Kleinere von Beiden hatte wirres braunes Haar. Er trug gewöhnliche Kleidung und wäre dem Kommissar kaum aufgefallen, wenn er nicht 'Twinkle Twinkle little Star' gesummt hätte. An seinem Mundwinkel klebte getrocknetes Blut.

Der Größere stach einem geradezu ins Auge. Sein fast goldenes Haar stand in alle Himmelsrichtungen ab und die hellgrünen Augen funkelten in dem Sonnenlicht, welches durch das Blätterwerk der Bäume fiel. Sein brauner Ledermantel und die spitzen Stiefel erinnerten an einen Cowboy. An seiner Faust klebte ebenfalls Blut. Hatten sich die Beiden geprügelt?

„Verstehen Sie was ich meine?“ flüsterte David hinter vorgehaltener Hand dem Kommissar zu. Dieser runzelte die Stirn.

„Das hat noch nichts zu bedeuten.“ knurrte er, denn seine Laune hat sich verschlechtert. Beim Anblick des Blondchens war ihm ein übler Verdacht in den Sinn gekommen.

Nelson zog einen Block aus der Innenseite seines Mantels und blätterte eine leere Seite auf. Dann ging er auf die Zeugen zu.

„Guten Morgen.“ begrüßte Nelson die Zeugen und sein Blick huschte dabei von einem zum anderen. Der Vermummte reagierte überhaupt nicht. Doch der Blonde taxierte Nelson regelrecht.

„Guten Morgen.“ erwiderte der Blonde zögernd und lächelte milde.

„Haben Sie die Tat beobachtet?“ fragte Nelson und wühlte in seinen Taschen nach einem Kuli.

„Viel haben wir nicht gesehen.“

Es redete nur der Blonde. Er hatte eine sehr dunkle, aber irgendwie ölige Stimme. Es war angenehm ihm zuzuhören.

„Ich möchte nur von Ihnen hören, was Sie gesehen haben.“ hakte Nelson stur nach und taxierte den Blonden. Es fiel ihm schwer dem Blick dieser unglaublichen Augen lange stand zu halten.

„Nun, ich bin mir nicht sicher, ob Sie mir glauben werden. Das war wirklich seltsam, wenn Sie verstehen.“

„Pff.“ Nelson schüttelte den Kopf. Sein Verdacht wurde allmählich zu einer Gewissheit. Nur sie konnten solche Antworten von sich geben.

„Ich bin mir nicht sicher, ob Sie eine Vorstellung haben, was ich schon gesehen habe. Versuchen Sie nicht, mich hinters Licht zu führen. Mir ist schon längst bewusst, das Sie kein Mensch sind!“ knurrte Nelson leise, sodass David ihn nicht hören konnte. Fest entschlossen und zornig hielt der Kommissar den Blickkontakt mit dem Blonden bei, bis dieser ehrlich lächelte. Zwei Fänge offenbarten sich dabei und die jadegrünen Augen leuchteten einen Augenblick lang auf.

„Wirklich beeindruckend.“

Der Vampir nickte anerkennend. „Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut.“

„Das war mir bewusst.“ Zischte Nelson.

Vor der Dämmerung noch mythische Gruselgestalten, heutzutage lästiger Alltag. Nelson mochte sie nicht. Vampire waren überheblich und ihre Arroganz wurde nur von ihren übermenschlichen Fähigkeiten überschattet. Obwohl sie rein äußerlich aussahen wie Menschen, sollte man Abstand zu ihnen wahren. Vampire ernährten sich schließlich vom Blut der Menschen und in der Regel war ihnen jedes Mittel recht um an diese Nahrung zu kommen.

„Also, was ich gesehen habe, war genauso menschlich wie ich, verstehen Sie?“ begann der Vampir laut und seine Stimme verlor die anziehende Wirkung. Er klang viel eher nach einem Trottel als nach einem übermenschlichen Wesen. Eine kleine Ader zuckte auf Nelsons Stirn. Diese kleine Ratte wollte ihn wohl auf den Arm nehmen?

„Und es war laut!“ fuhr er fort, wobei er mit den Armen gestikulierte, „Es bewegte sich wie dieser Quasimodo, aus dem Trickfilm und es stank nach faulem Fleisch.“

„Faules Fleisch?“ wiederholte Nelson nachdenklich. Dann war es also tatsächlich irgendein Ding, was dieses Chaos verursachte. Das durfte auf keinen Fall an die Öffentlichkeit dringen, es würde blanke Panik auslösen.

Alles bloß das nicht!

„Ja! Mir war echt übel.“ bestätigte der Vampir und verschränkte die Arme. Er sah sehr zufrieden aus.

Doch Nelson beschäftigte noch etwas anderes.

„Was taten Sie zum Zeitpunkt des Verbrechens?“

Das zufriedene Grinsen im Gesicht des Vampirs erschlaffte und nun war es an Nelson selbstsicher zu grinsen.

„Ich-“

„Es gibt mehrere mögliche Antworten auf diese Frage.“ raunte eine tiefe Stimme hinter Nelson und diesem wurde ganz anders. Diese Stimme zog ihn nur durch diesen Satz allein schon in den Bann, sodass er dem Drang sich sofort um zu drehen, nur schwer widerstehen konnte.

Der Blonde vor ihm wurde plötzlich ganz bleich und Nelson beschloss sich nur auf ihn zu konzentrieren. Die dunkle Stimme sprach erneut und Nelson hörte wie der Kies knirschte. „Zum einen könnte er sich eine neue Bleibe gesucht haben, er könnte auch zum Blumen pflücken gekommen sein, aber welche Antwort er auch hat, sie ist nicht relevant für den Fall, den Sie untersuchen.“

„Wahrscheinlich ist die Antwort sehr wohl relevant, denn aus Zeugen könnten, im Verlauf der Ermittlungen, Täter werden.“ entgegnete Nelson kalt und bemühte sich nach wie vor nicht der Stimme nach zu geben.

„Ich halte Sie für einen scharfsinnigen Kommissaren, dem schon lange klar ist, das dieser Narr nichts mit dem Fall zu tun hat. Sie ermitteln seit geraumer Zeit an diesen mysteriösen-“ er legte eine besondere Betonung auf das Wort, „- Vorfällen und Ihnen ist bewusst, das es sich um etwas handelt was Sie nicht begreifen können. Und Typen wie er hier , sind Ihnen vertraut. Nicht wahr Kommissar?“

Nelson wurde mulmig zu Mute. Der Kerl zu dem die ölige Stimme gehörte hatte sich über ihn informiert. Wenngleich Nelson inzwischen eine Person des öffentlichen Lebens war, der in dieser Stadt ein Symbol für die Bürgerkriege und die Aufstände der Dämmerung war. Womit das Sammeln von Informationen über ihn schon allein dadurch geschah, das man sich in der Stadt aufhielt.

Er war einer der Überlebenden in der Dämmerung vor zwanzig Jahren, als sich die Kreaturen das erste Mal gegen die Menschheit erhoben. Er kehrte aus dieser Schlacht als 'gezeichneter Krieger' zurück, wie die Presse es schön redete. Tatsächlich litt Nelson nach dem Krieg unter Neurosen und Wahnvorstellungen. Nach mehreren Therapien setzte er sich öffentlich für die Stadt ein. Er suchte Gespräche und versuchte auf den Seiten der Menschen und der Kreaturen Kompromisse zu finden. Dies mehr oder weniger erfolgreich. Es folgten Gesetze die inzwischen in weiteren Städten ihre Anwendung fanden. Jedoch zog sich Nelson bald als Friedensstifter zurück und nahm seinen Dienst bei der Polizei wieder auf, wie in dem Leben das er vor der Dämmerung führte und ihm damals wie ein Traum vorkam.

Trotz seiner therapeutischen Vergangenheit wurde er sofort vom einfachen Polizisten in den Rang des Kommissars erhoben, jedoch arbeitete er nie allein.

Zu Beginn arbeitete er mit einem älteren Kollegen als Team, der jeden seiner Schritte eher überwachte anstatt mit Nelson zusammen zu arbeiten. Sie fürchteten, dass bei ihm eine Schraube locker sei und er ohne Überwachung irgendwann Amok laufen würde.

Inzwischen hatte man Nelson David zugeteilt, in der Hoffnung es täte ihm gut.

Tatsächlich aber glaubte Nelson in David seinen Sargnagel gefunden zu haben. Irgendwann würde dieser Trottel ihn ins Grab bringen und sei es das er mit einer Knarre nicht umgehen konnte und Nelson aus Versehen erschoss.

Diese ironische Art von Tod passte zu einem Helden, dachte Nelson grimmig und zwang sich schließlich wieder seine Gedanken zurück auf den Friedhof zu bringen.

Blondie vor ihm hatte den Blick auf den Boden gesenkt, Nelson folgte seinem Blick und stellte fest, das Blondie einen Käfer beobachtete. Der Kerl sah immer noch bleich aus, ganz so als hätte er eine üble Magenverstimmung. Jegliches Grinsen und jegliche Selbstsicherheit war von ihm gewichen. Er wirkte auf einmal wie ein kleiner Junge der einem anderen Kind ein Eis geklaut hatte und nun seine Strafe von Mami erwartete.

Dieses Verhalten hing mit dem Auftauchen des Fremden zusammen, zweifellos.

Nelson spürte die Blicke des Fremden im Nacken und beschloss die plötzliche Stille zu unterbrechen. Er hätte die Pause gar nicht zulassen dürfen, denn nun fühlte sich der Fremde bestätigt, das er den Kommissaren beeindruckt habe.

„Leider muss ich Ihnen zustimmen... das mir solche Personen vertraut sind, dennoch gehört es zu meinem Beruf alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, wenn Sie erlauben-“ Nelson wandte sich zu dem Fremden um, „- würde ich gern meinen Job weitermachen, bevor wir der Frage nach gehen welche Blumen Sie gedachten, hier zu pflücken.“

Nelson blickte stur in die dunkelgrünen Augen des Fremden, dessen Anblick allein, ihm schon den Magen umdrehte.

Der Kerl überragte David um einen Kopf und hatte lange schwarze Haare. Er trug eine schlichte, schwarze Jeans jedoch einen teuer aussehenden schwarzen Mantel. Seine Gesichtszüge waren hart und makellos.

Er stierte stur auf den Kommissar herab und ignorierte David welcher stocksteif neben ihm stand und ihn fassungslos anstarrte.

Nelson dachte daran das er das Knirschen des Kiesweges erst vernahm als der Kerl bereits gesprochen hatte. Eigentlich hätte man den Kies schon vorher hören müssen, nämlich als der Typ kam. Nelson verwarf den Gedanken und redete sich ein, das der Fremde auf dem Rasen neben dem Weg gelaufen sein muss, damit man ihn nicht sofort bemerkte, auch wenn es die Tatsache, das er auf einen abgesicherten Tatort eingedrungen war nicht vom Tisch fegte.

„Dann bitte.“ entgegnete der Fremde abfällig.

„Also, zurück zu Ihnen, was taten Sie zum Zeitpunkt der Tat?“

Der Blonde blickte auf und lächelte unsicher.

„Das ist etwas peinlich, wissen Sie... Seit einigen Wochen werde ich gestalkt!“

Nelson runzelte die Stirn. Der Blonde kratzte sich an der Stirn und warf einen unsicheren Blick zum Typen neben ihm, der inzwischen mit der Schuhspitze Kreise in den Kies malte und nach wie vor, vor sich hin summte.

„Er hat mich verfolgt und schließlich hier gestellt und als er gerade zur Sache kam da roch es nach Tod.“

„Tod?“ fragte der Fremde. Nelson sah sich noch einmal um. Der Fremde erinnerte ihn an eine Fledermaus. Sein langer Mantel verlieh ihm unwillkürlich diesen Eindruck.

„Ja.“ bestätigte der Blonde nur und funkelte den Fremden an.

Nelson wich einen Schritt zur Seite und deutete gereizt auf den Blonden.

„Wollen Sie weitermachen?“ zischte er wütend der Fledermaus zu, die mit den Schultern zuckte.

„Es würde die Ermittlungen zwar vorantreiben, doch ersuchten Sie mich eben noch, das ich Sie ihren Job machen lasse.“ erwiderte er und Nelson ballte wütend die Fäuste.

„Kommissar?“

Alle Augen ruhten auf David, der seinen Chef verunsichert musterte, „Was geht hier vor?“

Nelson hatte völlig vergessen wie jung David war und das dieser keine Erfahrung im Umgang mit Wesen wie der Fledermaus hatte. Er mochte sich unbehaglich in der Gegenwart von ihm fühlen, wusste dieses Gefühl aber garantiert nicht zu zu ordnen.

Ebenso hatte er auch nicht erkannt, was der Blonde wirklich war und hatte ihn als Junkie abgestempelt.

Kreaturen wie diese Gestalten hatten die Macht, anderen einen solchen Eindruck zu vermitteln. Das machte sie so gefährlich.

„Sieh zu und lerne!“ befahl Nelson und der Fremde mit den schwarzen Haaren grinste breit.

„Ihr Schüler?“

„Nicht von Interesse für Sie. Aber wo wir gerade so nett plaudern-“ Nelson ging einen Schritt auf den Schwarzhaarigen zu und ihm jagte ein Schauer über den Rücken. Die Fledermaus hatte eine eigenartige Ausstrahlung die selbst den erfahrenen Kommissaren nicht kalt ließ, „Was tun Sie hier und wie heißen Sie?“

Der Fremde antwortete nicht sofort und musterte den Kommissar genau.

Nelson hielt dem Blick stand. Er kannte diese dramatischen Auftritte zur Genüge und wusste das er niemals zu keinem Augenblick Schwäche zeigen durfte. Das sich Batman soviel Zeit mit der Antwort ließ bedeutete nur, das ihm klar wurde, das sich der Kommissar nicht durch Zaubertricks erweichen lassen würde. Ein falscher Satz und Nelson richtete das Spotlight auf ihn.

In diesem Moment war es an dem Kommissaren selbstsicher zu grinsen, „Nun?“

„Kommissar Nelson, haben sie Familie?“

„Bat-“ Nelson räusperte sich, „Mein lieber Herr, beantworten Sie meine Fragen nicht mit Gegenfragen.“

„Anscheinend nicht... Vergessen Sie meine Frage...“ wisperte der Fremde und kniff die Augen leicht zusammen, „Als ich diesen schlecht gesicherten Tatort erblickte wurde ich neugierig, weshalb man sich keine Mühe gab. Ich habe mich umgesehen und fragte mich was die Polizei für Ermittlungen betreibt und überlegte mir einen netten Plausch mit ihnen zu halten. Jedoch erwiesen sich die meisten dieser uniformierten Vertreter des Gesetzes nicht als Freunde eines netten Gesprächs. Sie schienen in meiner Gegenwart zu erstarren. Sie sind der Erste der ein Wort mit mir wechselt.“

„Aus welchem Grund sollte ich Ihnen über die bisherigen Ermittlungen etwas erzählen?“ knurrte Nelson dem die Wut ins Gesicht geschrieben stand.

„Diese Frage können Sie sich selbst beantworten.“

Eine peinliche Pause entstand.

Nelson wusste das die Fledermaus Recht hatte. Die Menschen kamen in diesem Fall nicht weiter. Insbesondere die Aussage des blonden Vampirs bestätigte Nelsons Verdacht, das sie es hier mit einer Kreatur zu tun hatten, die sich an Toten vergriff. Noch dazu waren da die Vampire der Stadt, die womöglich etwas wissen konnten. Die Ermittlungen und Befragungen in den Vierteln, in welchen Kreaturen wie die Fledermaus lebten, waren nicht erfolgreich. Sie endeten meist mit Schmähungen und Beleidigungen. Die Vampire dieser Stadt hatten sich sogar empört mit einem Friedhof in Verbindung gebracht zu werden, da sie mit Tod und Leichen absolut nichts zu schaffen hätten.

Doch wenn Sie mit ihresgleichen sprächen, würden sie eventuell andere Antworten geben. Nelson hatte das schon in Betracht gezogen, doch keiner von ihnen arbeitete mit der Polizei zusammen.

Doch sich auf diesen arroganten Schnösel ein zu lassen, war das Letzte! Noch dazu stank dieses Angebot bis in den Himmel. Was hatte dieser Typ davon? Nelson witterte Gefahr und schnaubte schließlich verächtlich.

„Warum sollten Sie das tun?“

„Ich möchte meine Art von dem Verdacht reinwaschen, das Sie damit zu tun hätten.“ erwiderte dieser und diesmal klang seine Stimme gewöhnlich.

Anscheinend war es ihm wichtig, das Nelson ihn ernst nahm.

Er hatte schon einige Erfahrungen mit Blutsaugern gemacht und die wesentlichste war die Ausstrahlung der Vampire. Vampire waren geschaffen für die Jagd auf Menschen und sie passten sich ihrer Beute stets an. Sie waren in der Lage ihr Opfer so zu manipulieren, das dieses ihr Leben bereitwillig hingab. Und diese Fähigkeit begann mit der puren Ausstrahlung der Vampire. Man fühlte sich in ihrer Nähe zumeist unbedeutend, kleiner und unscheinbar. Je älter ein Blutsauger war, umso eindrucksvoller wurde diese Ausstrahlung. Jeder Vampir gewann mit höherem Alter mehr Fähigkeiten und Macht. Er hatte Geschichten gehört in den ein Blutsauger hohen Alters eine ganze Menschenmasse mit nur einem Fingerschnippsen manipulieren konnte. Diese Fähigkeit sollte ihnen helfen verborgen zu bleiben und unter den Menschen zu überleben. Doch vor über zwanzig Jahren setzten sie diese Kraft gegen die Menschen ein und das mit großem Erfolg. Nelson hatte erlebt wie Menschen sich eine Kugel in den Kopf jagten nur weil ein Vampir ihnen dieses zusäuselte. Er hingegen war über die Jahre hinweg immun geworden. Er konnte den Einfluss dieser Wesen spüren sich allerdings dagegen verwehren. Doch bei allem was ihm bisher begegnet war. Diese Beiden hier gehörten einem anderen Kaliber an. Die Ausstrahlung des Schwarzhaarigen schien besonders gewaltig und er hatte immer mehr Mühe dem Stand zu halten. Ihm kamen immer wieder Bilder in den Kopf doch er schob sie beharrlich in den hinteren Teil seines Kopfes. Wenn dieser Typ so eine Macht hatte, dann war er alt und stark. Sehr stark. War es klug einen solchen mächtigen Vampir zu verärgern?

„Ich mache Ihnen ein Angebot,“ murmelte Nelson und streckte seine Hand aus, „Sie sagen mir was Sie über die Fälle bereits wissen und was Sie darüber zu wissen glauben. Dafür lassen wir Ihren Namen unter den Tisch fallen. Sollten Ihre Hinweise hilfreich sein, dann arbeiten wir zusammen, vorausgesetzt Sie teilen uns die Wahrheit mit. Dafür tun wir so als seien Sie nicht in dieser Stadt.“

Der Schwarzhaarige musterte die angebotene Hand nachdenklich.

„Ein großartiges Angebot...“ murmelte der Blonde hinter Nelson.

David sah fassungslos von einem zum anderen, als traue er seinen Augen kaum.

Auf einmal lächelte der Schwarzhaarige und schlug in Nelsons Hand ein.
 

Die Sonne stand hoch am Himmel und strahlte fröhlich auf die groteske Leiche hinab.

Der Schwarzhaarige hockte unmittelbar vor der Leiche und verzog keine Miene.

Nelson und David standen einige Schritte entfernt und während Nelson mit verschränkten Armen wie ein Adler den Fremden beobachtete, drückte sich David ein Taschentuch ins Gesicht.

Der Geruch nach Verwesung betäubte ihre Sinne. In Gedanken wunderten sich beide, das dem Fremden nichts anzumerken war.

„Kommissar...“ nuschelte David in sein Taschentuch, sodass Nelson Mühe hatte ihn zu verstehen. Als Antwort brummte er nur.

„Sie wissen das er kein Mensch ist? Nur eine rhetorische Frage, werden Sie nicht wieder sauer.“

„Ich sagte doch 'Sieh zu und lerne', der Typ ist älter als wir beide zusammen. Er weiß mehr über die Nacht als wir beide je wissen wollen. Der Kerl wird uns noch nützlich sein.“

„Das bezweifle ich nicht Kommissar, doch unsere Gesetze...“ David brach ab und runzelte die Stirn.

Der Kommissar musterte ihn. Manchmal wirkte David nur halb so blöd als er sich sonst gab. Doch das war sicherlich nur Einbildung.

„Niemand erfährt davon, das ist ein Befehl. Dies ist deine Chance dich zu bewähren, David.“

Der Angesprochene nickte ernst.

„Es wäre angemessen, -“ der Schwarzhaarige erhob sich, wandte sich zu den beiden eben noch tuschelnden um und lächelte freundlich, „-wenn wir einander mit Namen anreden könnten. Man nennt mich Vald.“

Er streckte seine Hand aus.

„Kommissar Nelson, wie Sie bereits wissen.“ brummte Nelson und schüttelte die dargebotene Hand erneut.

„David Hawson, sehr erfreut.“ nuschelte David und schüttelte nervös die Hand von Vald.

Nelson wunderte sich noch über den Nachnamen von David und sinnierte einen Augenblick darüber, das er ihn sich vielleicht doch merken sollte, als der Schwarzhaarige das Wort ergriff.

„Der Gestank ist ungewöhnlich. Doch der Tatort erscheint mir seltsam vertraut. Ich habe so etwas schon einmal gesehen, jedoch fehlen hier die Spuren für das was ich denke das es das ist.“

„Was ist es denn?“ fragte David neugierig.

„Das verschweige ich noch, solange ich mir nicht sicher bin.“ antwortete Vald freundlich und warf erneut einen Seitenblick auf die Leiche.

Der Kommissar fragte sich etwas anderes. „Warum ist der Gestank ungewöhnlich?“

„Der Zeuge sagte aus, dass es plötzlich nach Tod gerochen habe. Das was das hier anrichtet-“ er deutete auf den Tatort, „ muss auch nach Tod riechen.“

„Der Zeuge sagte ebenso aus, das er das Etwas nicht erkannt habe.“ ergänzte Nelson und Vald blickte einen Moment überrascht drein.

„Nicht erkannt?“

„Erklären Sie mir... Sollten die Sinne ihrer Vertreter nicht schärfer sein? Was gibt es denn außer euch, das sich derart schnell bewegt?“ hakte Nelson nach und behielt die nachdenkliche Miene der Fledermaus im Auge.

Er hatte schon die eine oder andere Erfahrung mit diesen Kreaturen gemacht und wusste genau, das sie in der Lage waren jede Bewegung jeden Geruch und jeglichen Windhauch wahr zunehmen, sei es noch so klein und zart. Nelson hatte nie vergessen, das sie Jäger waren und sich über sehr lange Zeit an ihre Beute angepasst hatten.

„Das ist ungewöhnlich.“ murmelte Vald, „Doch nicht nur das... Wie lange war das Opfer schon tot?“

Es war David der antwortete und mit jedem Wort etwas von seinem Selbstbewusstsein wieder gewann als hätte er auf seine Chance gewartet. „Das Opfer liegt seit sechs Jahren unter der Erde, sein Name war Steve Clarkson. Er war Lehrer für Geschichte in der 'Hollowmemory School'. Sein Tod kam plötzlich, ein Herzinfarkt. Er lebte gesund und war Vater zweier Kinder.“

„Er hatte garantiert einen Hund.“ erwiderte eine ölige Stimme hinter Nelson und er sah den Blonden breit grinsend auf sie zu kommen.

Der Blonde stach in dieser Kulisse mit seiner Aufmachung heraus.

Bei jedem Schritt auf dem Kies klirrten seine silbernen Sporen an den dunkelbraunen Stiefeln. Sein brauner Mantel bauschte sich hinter ihm auf und zu allem Überdruss setzte er sich einen staubigen Cowboyhut auf das blonde Haupt.

Vald rieb sich mit geschlossenen Augen die Nasenflügel. Er schien um seine Fassung zu ringen, als der Blonde auf die Leiche hinab sah.

„Ein richtiger Vorstadtjunge. Der hatte einen Hund, garantiert. Einen Golden Retriever oder so ein anderes typisches Familienhaustier.“

Nelson fehlten die Worte, sein Zeuge der eben noch kreidebleich den Augenkontakt mit der Fledermaus vermied, besaß nun die Dreistigkeit ebenfalls vor der Leiche in die Hocke zu gehen und sie zu mustern.

„All die Viecher.“ murmelte er und Vald funkelte seinen Rücken an.

„Die tun nichts zur Sache, sieh dich um!“ zischte er.

Der Blonde blickte sich um und stand dabei langsam auf. „Sieht das bei den anderen genauso aus?“

Der Kommissar verstand nicht, „Wovon reden Sie?“

„Von den toten Pflanzen.“ antwortete Blondie und Nelson blickte sich um.

Rings um das aufgerissene Grab waren jegliche Pflanzen, Blumen und Gräser braun oder schwarz. Es fiel kaum auf, da die aufgewühlte Erde mitten hindurch lief, doch auch an den Rändern dieser Spur war das Gras schwarz und sah irgendwie verfault aus.

„David?“ murrte Nelson der sich ärgerte, dass ihm das nicht aufgefallen war.

„Wie ich ihnen schon einmal mitteilte, Kommissar, finden wir das auf allen Tatorten.“

„Schönen Dank auch David.“

Vald rieb sich das Kinn, während der Blonde sich zu den toten Pflanzen hinunter beugte und dabei seinen Hut mit einer Hand hielt, damit er nicht runterrutschte.

Die Spur der aufgewühlten Erde endete an der Mauer des Friedhofes. Manchmal fanden sie noch Dreck auf der Mauer, aber damit war die Spur auch zu Ende.

„Die Toten verband nichts außer das sie im Sarg beerdigt wurden und sie plötzlich starben. Bisher wurden uns zehn Fälle gemeldet und alle Tatorte präsentierten sich in eben diesem Bild.“ erklärte David und deutete auf das zerstörte Grab.

Blondie zupfte einen braunen Grashalm ab und drehte ihn zwischen seinen Fingern.

„Vor sechs Jahren?“ wiederholte Vald und David antwortete wie aus der Pistole geschossen.

„Auch bei den anderen Opfern sah es so aus, als seien sie erst vor kurzem gestorben, Das Blut in ihren Körpern war noch warm.“

Vald nickte und sein Blick huschte über jedes Detail am Tatort. Er musterte das Loch und den zerstörten, halb ausgegrabenen Sarg in der Erde. Eine breite Spur von aufgewühlter Erde führte vom Tatort weg.

Nelson folgte seinem Blick.

„Auch das finden wir an den Tatorten vor. Vermutlich soll das die Spuren verwischen, oder uns in die Irre führen.“ meinte Nelson mit einem Kopfnicken auf die Spur.

„Oder beides.“ bestätigte Vald. Er zog aus seinem schwarzen Ledermantel ein langes schwarzes Band, womit er sich die Mähne zusammen band. Dann um schritt er das geschändete Grab ein paar Mal.

„Ist dir der Stein aufgefallen?“ fragte der Cowboy an Vald gewandt. Dieser sah den Fragenden nicht an als er antwortete.

„Aufgesprengt von innen.“

„Könnten die Täter die Opfer sein?“ fragte der Blonde und steckte die Hände in die Taschen seines Mantels.

„Nicht vollständig auszuschließen, aber ich bezweifle es.“ murrte Vald. „Die Einstiche sehen ebenfalls seltsam aus.“

„Glaubst du das es messerscharfe Klauen sind?“

„Bei den Kanten...“

„Aber es war sehr schnell, ich konnte es kaum erkennen. Die Geschwindigkeit mit der es sich bewegte war unglaublich.“ Sinnierte der Blonde nachdenklich und er ging ein paar Schritte auf die Leiche zu. Auch er verzog keine Miene bei dem Geruch die diesen Platz umgab.

Nelson beobachtete das Gespräch eine Weile lang als er mit seiner Frage nicht mehr an sich halten konnte.

„Kennen Sie sich?“ platzte es aus ihm heraus und Vald als auch Blondie sahen den Kommissar scharf an als hätte er etwas Verbotenes gesagt.

„In gewisser Weise...“ murmelte Vald und sah das erste Mal zu Blondie, welcher Vald strafend anblickte und unmerklich mit dem Kopf schüttelte.

„Wenn man so alt ist wie wir, kennt man sich irgendwann.“ war die dürftige Erklärung des Blondies. Grinsend kam er auf Nelson und David hinzu, drängte sich zwischen die Beiden und legte ihnen einen Arm um die Schulter.

„So wie die Menschheit, müssen auch wir zusammen halten. Darum sind wir interessiert daran Fälle wie diese zu klären. Unser Ruf ist auch ohne solche Geschichten schlecht genug. Und, wenn wir ehrlich sind, manche Geschichten über uns sind doch aus purem Neid entstanden. Unsere Fähigkeiten sind überragend, das müssen Sie zugeben, Kommissar.“

Nelson entwand sich dem Griff des Cowboys und funkelte ihn an. David wirkte entspannt. Blondie hatte wieder seine Stimme eingesetzt und lediglich Nelson ließ sich nicht täuschen.

„Woher kennen Sie sich?“

„Kommissar, das ist irrelevant.“ sagte Vald laut und Blondie nickte.

„Wichtig ist nur, das die Fledermaus da drüben das nicht alleine schafft.“

Vald funkelte den Blonden an, während Nelson sich fragte ob diese Kreaturen auch Gedanken lesen konnten.

„Und er weiß das.“ fügte er leise hinzu. Die Stimmung auf dem Friedhof schien schlagartig zu kippen. David schüttelte sich als hätte ihn ein kalter Windstoß überrascht. Nelson spürte wie die Luft zwischen Vald und Blondie vibrierte. Jeden Augenblick, so schien es, würden sie aufeinander losgehen.
 

David rieb sich die schmerzende Stirn, hinter der es widerlich pochte. Die Augenblicke auf dem Friedhof machten ihm mehr zu schaffen als ihm lieb war. Er begriff immer noch nicht was dort geschehen war. Als die Stimmung zu kippen drohte hatte sich sein Vorgesetzter, Kommissar Nelson, zwischen die beiden seltsamen Typen gestellt und ihnen zugesichert, das sie sich während der Ermittlungen in der Stadt aufhalten dürften, sich aber regelmäßig bei ihm melden sollten.

Danach hatten sie den Tatort schnell verlassen und er, David, wurde von Nelson schon zu dessen Auto geschickt. Nun saß er, die Füße vergraben in leere Kaffeebecher in dem stickigen Auto und sinnierte über die Geschehnisse nach.

David wusste das diese Stadt nicht den Menschen allein gehörte. Er wusste das sie zur Hälfte vom Vampiren regiert wurde und das diese sehr gefährlich waren. Sein Vater hatte ihm einmal erklärt das Vampire Jäger seien, deren Beute die Menschen wären. Und alles an den Blutsaugern sei zur Menschenjagd da.

David hatte diesen letzten Teil nie verstanden, doch das hatte sich nun geändert. Er hatte am eigenen Leib gespürt, dass sie einen in den Bann zogen. Bei jedem Wort das sie sprachen wurden ihm die Knie weich und er hatte sich schwach und unfähig auch nur einen Schritt zu gehen gefühlt. In ihrer unmittelbaren Nähe war er stocksteif und ihm blieb die Luft weg.

David hatte sich in seinem Leben noch nie so hilflos und klein gefühlt. Obwohl sein Boss ihn jeden Tag spüren ließ, das er für diesen Job nicht geeignet war, stellte dieser Tag den Höhepunkt seiner Unfähigkeit dar.

Plötzlich ging die Tür auf der Fahrerseite auf und Nelson stieg ein.

Er schlug die Autotür zu und holte eine Schachtel Zigaretten aus seiner Jacke.

„Hm?“ Er hielt die Schachtel David hin, doch dieser schüttelte müde den Kopf.

„Mach dir nichts draus!“ murrte Nelson und zündete sich mit einem Klicken seines Feuerzeugs die Zigarette an. Dann schnallte er sich an. „Die meisten haben anfangs Probleme mit ihnen umzugehen.“

Doch das tröstete David nicht. Im Gegenteil kam er sich nun wie ein kleines Kind vor, das von seinem Onkel einen Lutscher bekommt, weil es auf die Nase gefallen war. Er sagte nichts und rieb sich weiter die Stirn.

„Es gibt in dieser Stadt eine Regel-“ begann Nelson und David beendete den Satz leise .

„- Der Tag gehört den Menschen und die Nacht gehört Ihnen.“

„So ist es, Junge. Sie sind anders. Sie jagen Menschen. Dennoch sollte man sie nicht in eine Schublade stecken. Ein jeder von Ihnen hat eine eigene Vorstellung von dieser Welt und wenn man diese Vorstellung kritisiert können sie unangenehm werden. Sie haben ihre eigenen Regeln und das müssen wir akzeptieren,wir können diese Regeln nicht verstehen. Als ich vor einigen Jahren Kommissar wurde habe ich mit denselben Problemen gekämpft.“

Nelson legte eine Pause ein, in der er ein paar Mal an seiner Zigarette zog und den Rauch langsam ausatmete. Die Luft im Wagen wurde immer blauer und David hielt den Atem an. Nicht nur wegen des Rauchs, sondern wegen seines Chefs, der plötzlich nicht mehr abfällig oder spöttisch mit ihm sprach. Er redete zum ersten Mal mit David in einem vertrauten Plauderton und noch dazu redete er über seine Vergangenheit. Ein Thema was David sehr interessierte, doch er sich nie zu fragen traute.

„Kommissar?“ fragte David nach einer Weile.

„Immer mit der Ruhe, Bursche, ich bin nicht dein Großvater. Ich wäge gerade ab, was ich dir erzähle!“

Das kam rau und unfreundlich rüber und David musste unwillkürlich grinsen, so kannte er seinen Kommissar. Ganz der Alte.

„Ich dachte damals, kennst du einen, kennst du alle. Aber sie waren sehr unterschiedlich. Manche von ihnen waren sogar recht nett. Doch sie hatten diese Ausstrahlung. Einige hatten mehr Ausstrahlung als andere.“

David ahnte wovon Nelson da er zählte. Er sprach von dem Gefühl das man in der Nähe der Vampire bekam.

„Einer von ihnen erklärte mir, das das mit dem Alter zusammenhängt. Je älter sie sind umso mehr Ausstrahlung oder Charisma haben sie. Die Beiden heute waren anders. Ihre Ausstrahlung war atemberaubend.“ Nelson drehte den Zündschlüssel und der Motor startete mit einem röchelnden Laut. Der Kommissar blickte David gerade heraus an.

„Die Beiden sind nicht nur alt, sie sind verdammt alt. Glaube nicht das ich mich auf eine Zusammenarbeit einlasse, weil sie so nett lächeln. Sie sind sehr stark und Gott-weiß-was die drauf haben. Mir wäre es lieber wenn sie uns wohlgesonnen sind.“

David fühlte wieder die Kopfschmerzen hinter seiner Stirn. Kommissar Nelson wurde hinter vorgehaltener Hand 'der Esel' genannt, weil er stur und egozentrisch war. Nichts und niemand war gerissener als er, seiner Meinung nach. Wenn dieser von sich selbst überzeugte Kommissar sagte, das die Vampire gefährlich waren, dann hieß das nichts gutes.

„Aber ich habe es nicht bemerkt.“ säuselte David fassungslos.

„Der blonde Vogel wollte nicht das du es bemerkst.“

Darauf antwortete David nicht. Er strich durch seine kurzen braunen Haare und seufzte, während sein Chef durch die Straßen Hollows bretterte als sei er auf der Flucht. Die Kaffeebecher zu David's Füßen kullerten hin und her. Genauso drehten sich die Gedanken in seinem Kopf. Er kam sich immer noch wie ein Idiot vor, auch wenn Nelson ihn das erste Mal seit Beginn ihrer Teamarbeit wie einen gleichwertigen Kollegen behandelt hatte.

Als dieser Wald neben ihm gestanden hatte, gingen David die unterschiedlichsten Dinge durch den Kopf. Angefangen von längst vergessen geglaubten Kindheitserinnerungen bis hin zu völlig abstrusen Dingen. Nachdem der Typ verschwunden war, hatte sich David erleichtert gefühlt. Es war unheimlich das allein die Nähe dieser Typen eine solche Schwermut in ihm auslösten, das es selbst lange nach der Begegnung nicht verschwand.

„Erzählen Sie mir mehr.“ verlangte David schließlich der die Stille im Auto nicht ertrug.

„Pff- Was willst du von mir hören? Das das nie wieder vorkommt? Irgendwann wird einer von denen versuchen dir die Kehle auf zu reißen, dann wird dich keine meiner Geschichten trösten können!“

David stöhnte. Nelsons Worte waren wirklich aufbauend, dachte er grimmig, „Sie wollten mir von Hollow erzählen!“

„Hollow ist ein Mahnmahl.“ begann Nelson und überholte ein Taxi, „Früher stand hier eine Stadt namens London.“

„Was ist mit London passiert?“

„Das weiß keiner so genau, leergefegt. Kein Schwein mehr da. War eine Geisterstadt als ich herkam.“

David schwieg. Er wusste das Nelson in Irland die Dämmerung erlebt hatte.

Dämmerung... Seit dem Gesetz das den Menschen den Tag und Kreaturen die Nacht gewährte, sprach man davon das die Dämmerung, der Augenblick sei, indem beide Seiten existieren konnten. Die Medien nannten daher den Aufstand der Kreaturen vor zehn Jahren die 'Dämmerung'.

„London wurde 'Hollow' genannt, denn es schien, das die Menschen wie durch ein Loch einfach so verschwunden seien. Die Stadt wurde ein Wahrzeichen der Ereignisse, ein Mahnmal. Sie wurde wieder bevölkert und in Zuge dessen landete ich hier.“

Nicht nur die Menschen kamen her, dachte David bei sich und wartete das Nelson weiter sprach.

„Diese Beiden... Sie kommen mir bekannt vor...“ murmelte der Kommissar nachdenklich, „Ich glaube ich habe von ihnen gehört.“

„Von denen?“ fragte David ungläubig.

„Ja.... Andere Vampire haben solche Vögel mal erwähnt.“ erwiederte Nelson grübelnd.

„Ich weiß nicht was ich glauben soll...“ murmelte David und rieb sich mit der Faust die schmerzende Stirn.
 

Sonny lehnte sich über die Reling der Tower Bridge und beobachtete geistesabwesend das Spiel des Wassers der Themse.

Mit einem Mal hatte sich seine Situation völlig verändert. Sein plötzliches Auftauchen hatte eine Menge zwiespältiger Gefühle in ihm erweckt. Seine lange Suche war an ihrem Ziel angelangt und doch freute sich Sonny nicht im Geringsten ihn wieder zu sehen. Vielmehr hatte er Angst gehabt. Nahezu Panik. Eben noch hatte er seinen Stalker gestellt, im nächsten hatte ihn die Polizei umzingelt. Die ganze Nacht hatten sie ihn und den Jäger auf dem Friedhof festgehalten.

Das Wasser unter ihm schäumte sich bräunlich auf und bewegte sich in sachten Wellen voran.

Der Wind schlug ihm kalt ins Gesicht und zerrte an seinem Hut auf dem Kopf.

Sonny drehte sich um, sodass er mit dem Rücken an der Reling lehnte und zu den Türmen der Brücke aufsehen konnte.

Die Stimme hatte ihn bis ins Mark erschüttert und nachdem er alles gesagt hatte was er wusste, war er urplötzlich verschwunden. Nelson hatte ihn, Sonny, regelrecht vom Tatort gejagt, allerdings ohne ihm seine Waffen wieder zu geben.

Die Halfter an seiner Hüfte waren leer und wirkten wie ein schlechtes Accessoire.

Eine Möwe stieß von einem der Türme hinab und ließ sich von dem Wind nach oben treiben.

Sonny beobachtete ihr Spiel mit den Aufwinden eine Weile und zermarterte sich den Kopf was er fühlen sollte. Er fühlte sich unsicher, glücklich und ängstlich zugleich.

Noch dazu war er in etwas geschlittert was ziemlich groß wirkte. Weder der Kommissar noch der Junge konnten begreifen was da geschehen war. Doch das Deuten von Omen gehörten zu Sonny's Existenz wie die Zufuhr von Blut. Der gesamte Friedhof war ein Omen. Sterbende Pflanzen, Totenstille ringsumher, kein Zwitschern oder Zirpen. Es schien alles Leben von diesem Ort verschwunden zu sein, als hätte sich etwas Dunkles darüber gelegt.

Die Möwe schrie auf und flatterte auf den Turm zurück.

„Ich sollte dich damit erschießen.“

Der Cowboy schrak so heftig zusammen das sein Hut ihm vom Kopf rutschte und an den Bändern um seinen Hals baumelte.

Da stand er, neben ihm, mit verschränkten Armen auf der Reling lehnend und nachdenklich auf die Themse hinaus schauend. Sonny hatte ihn so lange nicht mehr gesehen das er ihn intensiv musterte.

Seine langen schwarzen Haare flatterten im Wind, ebenso wie sein langer schwarzer Mantel. Er trug spitze, schwarze Stiefel und Sonny wusste das sie in der Sohle und in der Spitze mit Metall verstärkt waren. In diese hatte er seine schwarze Jeans gestopft und in jene ein weißes Hemd. Vald hatte schon immer einen eigenwilligen Stil. Aus reinem Vergnügen hatte er sich vor langer Zeit im Gothic Stil gekleidet und Lolitas um den Finger gewickelt. Irgendwie war er dem Stil treu geblieben und verkörperte nun die romantische Vorstellung einer Vampirromanautorin. In seinen Ohren trug er kleine silberne Ringe. An der Hüfte bemerkte Sonny den Griff eines langen Schwertes und zwei Revolver. Seine Revolver. Das hatte er also mit erschießen gemeint.

„Das habe ich nicht gewollt. Ich war dort weil dieser Jäger mich verfolgt hatte und ich mich seiner entledigen wollte.“ erklärte sich Sonny kleinlaut und setzte dabei seinen Hut wieder auf.

„Nie bist du Schuld... Stets treibt dich das Schicksal an....“ murmelte Vald und zog die Revolver aus dem Gürtel seiner Hose und warf sie Sonny zu. Dieser fing sie überrascht auf.

„Sag mir, warum es dich ausgerechnet hierher getrieben hat.“ verlangte Vald und Sonny schob die Waffen in ihre Halfter zurück.

Ihm kamen die letzten Wochen in den Sinn. Der alte Mann in Deutschland, der ihm berichtete von einem langhaarigen Typen der einen riesigen Wolf mit nur einem Schwerthieb geköpft haben soll. Und er dachte an die Französinnen die ihm sehr bereitwillig Auskunft gaben und vieles mehr.

„Ich habe dich einfach gesucht.“ erklärte Sonny schulterzuckend. „Schließlich sind wir-“

„Keine Reisegefährten mehr. Jeder geht seinen eigenen Weg!“ unterbrach ihn Vald, der seine Hand auf sein Schwert legte, „Wir hatten eine Abmachung.“

„Eine Abmachung...“ wiederholte Sonny monoton, die Hand auf seinem Hut, erinnerte er sich sehr gut, als Vald ihn davon jagte. Abmachung nannte er das....

„Glaubst du ich wüsste es nicht? Denkst du ich hätte es nicht bemerkt? Deine Suche nach mir? Die permanente Jagd nach einer Spur oder einem Hinweis zu meinem Aufenthaltsort?“ zischte der Schwarzhaarige und seine dunkelgrünen Augen funkelten. „Hätte ich es gewollt, dann hättest du mich längst gefunden. Und kaum bist du wieder an meinen Fersen hast du Ärger am Hals!“

Ein Gefühl von Scham stieg in Sonny auf. Die schwierige Suche nach ihm und das ständige plötzliche Verschwinden hatten schon längst in dem Blonden den Verdacht erweckt, das er wusste wer ihn verfolgte. Es gab keinen Zweifel, das Vald wusste das er verfolgt hatte, doch wer es war....

Es schien fürchterlich erbärmlich zu sein, das sie sich nun wieder gegenüber standen.

„Nach fünfzig Jahren....“ beendete Sonny murmelnd seine Gedanken.

„Ja, Son. Fünfzig Jahre. Und jetzt bist du hier. Willst du dich etwa verantworten? Bist du endlich Manns genug, Rechenschaft abzulegen? Ich habe Dinge gehört....“ Vald schüttelte den Kopf und umklammerte nun fest den Griff seines Schwertes. Sonny schlug seinen Mantel zurück und knöpfte ihn am Rücken fest, sodass er ungehindert seine Revolver zücken konnte, obwohl er es nicht wollte. Doch Vald sah aus, als würde er von seinem Schwert Gebrauch machen wollen und Sonny war sich nicht sicher, ob Vald ihn nicht doch töten würde.

„Auch über dich reden sie.“ sagte Sonny und beobachtete Vald genau. Jede Regung, jedes Zucken jeder Atemzug. Eine kleine Veränderung, die er nicht bemerkte und er hatte vielleicht schon seinen Kopf verloren.

„Mag sein. Ich kenne die Geschichten über mich. Dämonentöter nennen sie mich. Du jedoch.... Ein Vampir der unter Menschen lebt, ihre Arbeiten verrichtet. Der mit ihnen isst und schläft....“ Vald zog seine Klinge und betrachtete das Spiel der Sonne darauf. „Ich wollte es nicht glauben doch ich kenne dich und es fiel mir schwer die Glaubwürdigkeit dieser Geschichten in Frage zu stellen.“

„Die alte Leier. Das ist meine Sache! Auf dem Friedhof eben waren wir ein gutes Team oder nicht?“

Der Schwarzhaarige taxierte den Blonden. „Ich brauche dich hier nicht!“

„Das ist ein Friedhof. Du brauchst mich!“ widersprach der Blonde und legte seine Hände sacht auf die Revolver. Er konnte sich nicht sicher sein, ob Vald die Kugeln entfernt hatte. Die nächsten Augenblicke würden es ihm schon zeigen. Doch Vald taxierte ihn nur.

Sonny hatte einen Nerv getroffen. Es gab einen Grund weshalb seine Schritte und Taten sich schnell verbreiteten. Warum gerade er berühmt genug war, das in der ganzen Welt über ihn gesprochen wurde. Für gewöhnlich scheuten Vampire alles was mit dem Tod in Verbindung stand. Sie hatten sogar riesige Angst vor dem Tod. Denn er war das Einzige das ewiger schien als sie selbst und das was sie durch ihre Existenz als Vampire überwunden hatten. Die unbändige Angst hing damit zusammen das die Wandlung von einem Menschen in einen Vampir so fürchterlich war, dass sie die 'Strafe Gottes' genannt wurde. Sonny glaubte, das die meisten Vampire den Tag fürchteten an dem sie vor ihrem Schöpfer stehen und Rechenschaft darüber ablegen mussten, weshalb sie nicht wie Menschen gelebt und gestorben waren.

Diese Angst war der Grund weshalb Vampire nicht in Särgen schliefen oder schicke Eigenheime auf Friedhöfen errichten. Wenn es ging, legten sie mehrere Meilen zwischen sich und einem solchen Ort. Sie lehnten auch alles ab, was über den Tod hinausging, wie die Existenz von Geistern.

Doch Sonny war anders. Er war der berühmteste Sonderling unter den Blutsaugern, denn er sprach stets von Geistern. Man munkelte er würde mit Toten reden und furchtlose Blicke auf die andere Seite werfen. Zumindest in einem hatten die Geschichten Recht.

Sonny konnte mit Verstorbenen Kontakt aufnehmen. Es gab sie, genauso wie es ihn gab, doch diese Fähigkeit machte ihn einsam.

Vald wusste davon. Er wusste ebenso wie nützlich diese Fähigkeit sein konnte.

Langsam ließ er das Schwert wieder in die Scheide sinken.

„Wenn du so heroisch sprichst, dann hast du mehr gesehen, an diesem Ort.“ stellte er fest und Sonny entspannte sich.

„Ja.“ war seine knappe Antwort und er blickte geradewegs in Valds dunkle Augen.

„Sag mir was du sahst.“

Sonny löste seinen Mantel und sah auf die Themse hinaus.

„Ich hörte Verzweiflung, in der Luft und... sie waren da....“ Das Bild der Gestalten rings um der Leiche ging ihm nicht aus dem Kopf. Egal wie oft er mit ihnen zu tun hatte oder wie oft er sie auch sah, es erfüllte ihn nach wie vor mit tiefer Traurigkeit. Er hatte sich bewusst dafür entschieden nicht wie andere Menschen zu sterben. Doch Geister waren gewaltsam an die Erde gebunden und es wirkte sich sehr unterschiedlich auf sie aus.

„Wer war da?“

„Ich weiß nicht, Freunde oder Familie. Sie knieten um ihn und schrien und weinten, er solle endlich kommen. Er solle zu ihnen kommen. Nach Hause.“

Die Möwen stürzten in den Fluss hinab und stiegen dann schnell wieder auf, wo der Wind sie herum schleuderte.

Der Lärm der Autos vermischte sich mit ihrem Kreischen und dem Rauschen des Windes.

Eine Weile lang sagte keiner etwas von ihnen. Jeder schien seinen Gedanken nach zu hängen, wobei Sonny sich erinnerte als er Vald das erste Mal von seiner Fähigkeit erzählt hatte, damals unter Tränen. Er erinnerte sich das er ihm nicht glaubte das seine Mutter gestorben sei, wo sie doch direkt neben ihm stand.

„Du kannst mit ihnen reden.“ sagte Vald auf einmal. Er klang ruhig und gefasst, „Du weißt das du das musst. Du musst mit ihnen reden.“

Sonny seufzte. „Ja ich weiß. Das könnte hilfreich sein, doch ich weiß nicht ob sie mir antworten werden. Sobald sie wissen das ich sie bemerke werden sie über mich herfallen und bedrängen. Ich kann nicht versprechen das sie mit mir reden.“

„Du schaffst das.“ entgegnete Vald und brachte damit Sonny aus dem Konzept. Verblüfft blickte dieser den Schwarzhaarigen an, der anscheinend geistesabwesend geantwortet hatte, denn er lehnte wieder an der Reling und beobachtete das Spiel der Möwen.

„Nur solange....“ murmelte er, „nur für diese Zeit, bist du wieder mein Bruder.“
 

Die Nachrichten überschlugen sich bereits zur Mittagsstunde mit den Neuigkeiten über den Tatort. Der große Aufhänger war das Gerücht, das Nelson mit einem Fremden gesehen worden war. Die Journalisten übertrafen sich selbst mit Theorien, wer das gewesen sein könnte. Während die einen mutmaßten, das es nur der Täter gewesen sein könne, behaupteten andere, das Nelson die Krieger eingeschaltete hätte.

David las mit Abscheu den Artikel und drückte seinen Pappbecher dabei so fest, das der brühend heiße Kaffee über schwappte und seinen Oberschenkel verbrühte.

„Scheiße!“ rief er und sprang auf. Die Zeitung segelte zu Boden und der Kommissar sah kurz von seinem Berg an schwarzen Akten auf, die er seit Stunden unermüdlich wälzte.

„Pass auf die Akten auf!“ war sein Kommentar und sein Kopf verschwand wieder. David blickte den schwarzen Berg wütend an. Seit sie im Büro waren, langweilte er sich zu Tode. Der Kommissar hatte ihn die Akten der Untoten an schleppen lassen und seitdem ignoriert.

Mit spöttischem Blick musterte er die dünnen schwarzen Dinger. Er hatte von ihnen gehört. Die sogenannten Krieger hatten vor vielen Jahren Vampire gefangen genommen und Informationen und Daten über sie notiert. Diese hatten sie in Akten gesammelt. Über die Zeit waren tausende davon entstanden.

Von den Kriegern hatte er auch schon gehört.

David ließ sich in seinen Stuhl fallen und hob die Zeitung auf. Sie kamen kurz nach Beginn der Dämmerung und schlugen in manchen Gebieten mit brachialer Gewalt die Kreaturen zurück. Die Meinung über diese Armee war gespalten. Denn zivile Opfer betrachteten sie als notwendiges Übel und als `Chance patriotische Gesinnung zu vertreten´.

David hielt sie für einen rassistischen Haufen gut bewaffneter Irrer. Diese Meinung war das Einzige was er mit seinem Boss, der sich in Akten vergrub, teilte.

David fragte sich, wie lange es dauern würde bis die Krieger von dem Rummel Wind bekommen würden und in die Stadt kämen.

„Kommissar?“

„Stör mich nicht.“

„Das ist auch nicht meine Absicht, ich denke nur ich könnte etwas Nützlicheres tun, als Ihnen beim arbeiten zu zusehen.“ protestierte David.

„Dann tu das!“ war die knappe Antwort. Das war die beste Antwort. Genau das wollte David hören. Ohne einen weiteren Kommentar ließ er Nelson in seinem Büro alleine und zog seine Jacke vom Kleiderhaken. Als erstes wollte er die Ratschläge der beiden Vampire überprüfen. Sie hatten geraten schwarze Hunde auf den letzten Friedhöfen zu postieren. David wies Beamte an, auf einigen wenigen genau das zu tun.

Dieser Wald oder wie er hieß hatte davon gesprochen das die Angehörigen der verstümmelten Toten etwas verschwiegen haben mussten und sprach davon die Familien auf häufig auftretende oder erbliche Krankheiten zu über prüfen. Ebenso ihre Aussagen. Sie sollten noch einmal befragt werden, ob ihnen etwas unnatürliches, geradezu übernatürliches aufgefallen sei.

Nachdem David seiner Anweisung, die Hunde zu postieren, mehr Nachdruck verlieh, beauftragte er andere Beamte mit der Überprüfung der Krankheiten. Dann stürzte er aus dem Gebäude, ehe Nelson bewusst wurde was er David geantwortet hatte.

Während er die Treppe runter polterte überlegte er wen er zuerst aufsuchen sollte. Er hielt es für sinnvoll ins Viertel der Vampire zu fahren, doch das machte tagsüber keinen Sinn. Also sollte er mit den Familien anfangen.

David nickte dem Beamten an der Pforte zu und stieß die Türen auf. Beim herunter laufen der steinernen Vortreppe holte er seinen Block aus der Tasche und lief zu seinem Auto. Dabei war er in seinen Aufzeichnungen versunken und bemerkte nicht, das jemand an der Fahrerseite seines Wagens lehnte, sodass David in ihn hinein lief.

„Rmpf.“

David stolperte zurück und sein Block fiel raschelnd auf den Boden. Verblüfft rieb er sich die Nase und sah zu dem Fremden auf, der sich nach dem Block bückte.

Als David ihn erkannte, wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht.

Der lange braune Mantel flatterte leicht im warmen Wind. Silberne Sporen blinkten im Sonnenlicht.

Der blonde Vampir lächelte freundlich und hielt David den Block hin.

„Guten Tag. Sie sind wohl in Eile?“

„Ähm, danke. Ja... Ähm, wollen Sie zum Kommissar?“ redete David fahrig.

„Nein, ich wollte zu Ihnen. Sonny.“ stellte er sich grinsend vor und streckte ihm seine Hand entgegen.

„Äh. Ich weiß. Ich habe Ihre Aussage aufgenommen.“ erwiderte David verwirrt, ergriff aber dennoch die Hand.

„Ja aber ich finde es so persönlicher. Äh- dein Name war?“

„David! Oder Dave... Auch Idiot, wie der Kommissar mich oft ruft...“

„Dave! Sehr erfreut, wollen wir?“ fragte Sonny und wechselte auf die Beifahrerseite.

David sah ihm mit offenem Mund nach. Er verstand nicht warum er sich so vorgestellt hatte und er wusste das er auf gar keinen Fall mit dieser Kreatur allein sein wollte. Und aus irgendeinem Grund hat er sich als Dave vorgestellt obwohl ihn kein Schwein so nannte!

Er rang einen Moment mit sich. Nelson hatte erwähnt das beide Vampire gefährlich waren und im Grunde wäre es in dieser Situation das Beste standhaft zu bleiben und Nelson hinzu zu holen. Er konnte einfach behaupten, das er etwas vergessen habe und zurück in die Wache stürmen. Neugierde kämpfte mit Unsicherheit. Sein Finger ruhte auf dem schwarzen Knopf seines Autoschlüssels.

Die Türen seines Wagens klickten und Sonny setzte sich sogleich auf den Beifahrersitz.

David wollte einfach nicht in der Nähe dieses Typen sein, doch zurück zum Kommissaren und ihm beim durchblättern der Akten zusehen wollte er auch nicht.

Schweren Herzens stieg David in sein Auto und schnallte sich an.

„Was wollen Sie von mir?“ fragte er seufzend und steckte den Schlüssel ins Zündschloss.

„Lass uns überlegen. Vald sagte die Familien müssen überprüft werden. Ich nehme an, das hast du jetzt vor. Ich habe noch eine andere Theorie. Sag mal Dave...“

Er konnte den Namen 'Dave' nicht mal leiden....

„... gibt es in dieser Stadt Gilden?“

„Gilden? Sie meinen Zusammenschlüsse von Jägern....“

„... die sich Gilden nennen, genau. Und sag Du zu mir!“

Doch David hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Was hatten die Gilden mit der Geschichte zu tun? Andererseits hielten sich die Jäger dieser Stadt dezent zurück was diese Vorfälle anging. Das war einer der Gründe weswegen die Polizei so lange davon ausging das es sich um nichts unmenschliches handelte. David krallte seine Hände um das Lenkrad. Was ist wenn sie ganz und gar dahinter steckten? Eine wilde Theorie, doch ihre Zurückhaltung machte sie verdächtig. Schließlich wussten die jäger doch mehr über die Nacht als die Polizei?

„Dave?“

„Äh-was?“

„Gibt es Gilden?“ wiederholte Sonny seine Frage und sah David aus großen hellgrünen Augen an. David verlor sich einen Moment darin ehe er sich wieder fing.

„Ähm ja, das sind diese Greifenjäger.“

„Greifen? Wie poetisch...“

„Ich fahre jetzt nicht zu den Jägern!“ David hatte das Bedürfnis sich zu behaupten. Dieser Typ war einfach unverschämt! Was bildete er sich ein, sich Informationen auf diese Weise zu erschleichen?

„Warum nicht, Dave? Wo wolltest du dann hin?“ Der Cowboy sah ihn fragend an und David hätte ihm am liebsten eine gepfefferte Antwort entgegen geschleudert.

„Ich....“

„Ja?“

„Ich weiß es nicht mehr.“

Ein paar Beamte liefen an Davids Wagen vorbei und warfen ihm verwirrte Blicke zu. Es vergingen noch ein paar Augenblicke die mit peinlichem Schweigen gefüllt waren als-

„Hahahaha- Du bist lustig, Dave!“ lachte der Vampir und sein schallendes Lachen löste etwas in David. Wärme durchflutete ihn, als hätte er einen Scotch gekippt und er fühlte sich mutiger.

„Nennen Sie mich nicht Dave!“ fauchte er nach Nelson-Manier und ließ den Wagen an.

„Du sagtest doch das du so heißt?! Wo fahren wir hin?“

„Zur Gilde des Greifen.“ knurrte David und sah im Augenwinkel wie der Vampir zufrieden grinste.
 

Von weitem erhob sich das Anwesen der Gilde wie eine finstere Burg auf einem Hügel. Das herrschaftliche Anwesen befand sich außerhalb von Hollow und war ein Prachtbau aus rotem Backstein mit Zinnen und Türmen. Es war riesig und auf einem Hügel gebaut. Eine einzige Straße führte dorthin die durch einen dichten Wald führte. David wusste das in diesem Wald Hunde und Kameras jede Bewegung verfolgten. Wenn sein Boss schon als neurotisch galt, dann definierten diese Gildenheinis den Begriff neu. Als Nelson das erste Mal mit ihm zum Orden fuhr, wurden sie abgefangen und mit Waffengewalt aus dem Wagen gezerrt.

„Du wirkst angespannt.“ bemerkte Sonny.

„Ich mag nicht hier sein.“ erwiderte David und behielt den Bau vor sich genau im Auge. Je näher sie kamen umso mehr war von dem Gebäude zu sehen und umso bedrohlicher erhob es sich über ihnen.

„Du bist ein Mensch, du brauchst nichts zu fürchten.“

„Die glauben einem nicht, das man ein Mensch ist.“ war Davids knappe Erklärung.

Plötzlich tauchte vor ihnen ein Pferd mit einem Reiter auf der Straße auf. David machte sich auf das Schlimmste gefasst und trat auf die Bremse.

Sie kamen einige Meter vor dem Reiter zu stehen. Oder eher der Reiterin.

Sie lenkte ihr Pferd auf das Auto zu und stieg kurz vor dem Wagen ab. Sie hatte welliges braunes Haar und trug an der Hüfte einen langen silbernen Dolch sowie kleine Beutelchen.

„Das ist nicht gut.“ murmelte David und sah das Sonny einen Revolver unter seinem Mantel hervor holte. „Gar nicht gut, gar nicht gut....“ Er kurbelte das Fenster runter vor dem die junge Reiterin stand.

„Guten Tag!“ begrüßte sie ihn freundlich.

„Tag?“ entgegnete David und lächelte schief.

Sonny verbarg den Revolver gut doch David wusste wie schnell solche Situationen kippen konnten. Er wusste wie aggressiv die Jäger sein konnten.

„Ich habe euch auf den Überwachungskameras gesehen.“ sagte das Mädchen und verschränkte die Arme auf dem herunter gekurbelten Fenster und lehnte sich lässig ins Auto.

„Habt ihr euch verfahren?“

„Ich wünschte es wäre so.“ antwortete David. Das Mädchen musterte Sonny neben David und dieser betete das sie nicht erkannte was er war. Doch Nelson hatte davon gesprochen das diese Kreaturen es in der Hand hatten was andere Menschen von ihnen bemerkten, nun musste der Blonde nur beweisen ob dieses Talent auch bei erfahrenen Jägern funktionierte.

„Dann habt ihr einen Termin? Davon weiß ich nichts.“

„Wir haben keinen Termin, sondern...“ David schloss die Augen und atmete einmal tief ein und wieder aus. „Sondern ein paar Fragen.“ sagte er schließlich mit fester Stimme.

„Letzte Nacht wurde wieder eine Leiche geschändet. Wir glauben das wir es mit nichts menschlichem zu tun haben und würden gern die Meinung eines Experten zu Rate ziehen.“ sagte der Cowboy neben David und blickte in die braunen Augen der Jägerin und hielt dem ihren stand.

„Ach so... ist das. Hm... Tja, daraus wird nichts.“ Sie richtete sich zur vollen Größe auf und stemmte eine Hand in die Hüfte.

„Warum nicht?“

„Zum einen mag Mayne Nelson nicht, weswegen wir nichts mit diesen Fällen zu tun haben wollen zum anderen befindet ihr euch in großer Gefahr.“ Sie lächelte und senkte verschwörerisch ihre Stimme „Ich möchte es simpel ausdrücken... Stell dir vor diese Straße ist vermint. Euer Glück ist, das ich gesehen habe, das ihr jetzt gerade auf einer Mine steht. Wenn ihr jetzt fahrt, dann verschaff ich euch Zeit, indem ich euren Platz einnehme.“

„Und wenn wir nicht fahren?“ Sonny beugte sich über David und blickte die Jägerin unter seiner Hutkrempe an. David zog die Luft zischend ein und murrte dabei: „Was war daran undeutlich? Wir sollten abhauen.“

„Hör auf deinen Freund, Playboy. Denn was mit Minen passiert wenn man den Fuß hebt, das weißt du doch?“

Doch David wartete Sonnys Antwort nicht ab. Er legte den Rückwärtsgang ein und wendete scharf.

„Was soll das? Wir sind gerade erst angekommen?! Weshalb lässt du dich ab wimmeln? Mensch, Dave. Ich dachte für einen Moment du hättest deine Eier gefunden. Ich hab meine Knarre weggepackt!“

„Was weißt du eigentlich von diesen Gilden?“ fragte David wütend und trat das Gas durch.

„Nun, du wirst mich bestimmt über alles was ich wissen sollte, aufklären.“

„Spare dir deinen Sarkasmus!“ fauchte David und ihm fiel auf, das er den Blondschopf auf einmal doch duzte. Er beschloss es zu ignorieren, auch wenn es nicht gut war. Er wollte auf keinen Fall ein freundschaftliches Verhältnis zu diesem Blutsauger pflegen.

„Nelson hat mir erzählt, das die Gilden plötzlich während des Krieges auftauchten.“ begann David und er erinnerte sich, als sie das erste Mal diese Straße entlang gefahren waren. Sein Chef neben ihm, die Zigarette im Mund.

Es war kurz nachdem er Nelson zugeteilt worden war. Im Rahmen von laufenden Ermittlungen, über die Nelson ihn damals natürlich nicht informierte, waren sie zur Gilde gefahren.

Ein Wort der Warnung wäre nett gewesen, dachte David grimmig.

„Das Mädchen hat uns gewarnt und vermutlich auch gerettet. Ganz sicher kann man sich bei denen nicht sein. Ich war schon einmal hier. Damals versperrten sie die Straße mit Geländewagen, aus denen schwer bewaffnete Jäger sprangen. Sie zerrten uns aus dem Auto und hielten uns die Läufe ihrer Waffen ins Gesicht. Die hätten uns erschossen, wenn einer von denen Nelson nicht erkannt hätte.“ erklärte er knapp.

„Warum waren du und Nelson hier?“

David drosselte das Tempo als sie das Ende des Waldes erreicht hatten. Er fühlte sich schon wesentlich sicherer, da die Silhouette Hollow's zu sehen war.

„Keine Ahnung, da musst du Nelson fragen.“

„Das ist alles sehr seltsam. Diese Gilde verkriecht sich in einer Villa und ignoriert die Vorfälle in der Stadt. Normalerweise würden Jäger keine Gelegenheit zur Jagd auslassen. Und sie kannten Nelson? Kennt er die Jäger dort etwa? Es gibt so vieles was ich jetzt noch nicht verstehe....“

Der Blonde redete vor sich hin und David antwortete ihm auch nicht. Der Kerl stand also vor einem Rätsel, doch nicht nur er.

Ich verstehe auch nicht warum ich überhaupt mit dir her gefahren bin, dachte David wütend.

Das Mädchen ging ihm allerdings nicht mehr aus dem Kopf. Sie sah so schrecklich jung aus. So jung und Jägerin. Es war deutlich, das diese Bande nach ihren eigenen Regeln lebte.

„Sie haben ein Problem mit Nelson, denke ich...“ begann David und fuhr sich mit einer Hand durch seine hellbraunen Haare, die er am Morgen noch mühevoll mit Haargel gebändigt hatte. Sonny sah ihn von der Seite her an und sagte nichts. David hatte einen Gedanken laut ausgesprochen und nun fühlte er sich schuldig, weiter zu reden, obwohl Nelson das sicherlich nicht gefallen würde.

„Damals wurden sie sogar aggressiver als sie ihn erkannten. Aggressiver, weil sie ihn nicht töten konnten. Einer beschimpfte Nelson als Deserteur. Er sei ein Vampirfreund...“

er versuchte sich zu erinnern, an den bulligen Kerl, der ihm damals den Lauf seines Gewehres ins Gesicht gehalten hatte. Dieser Schrank von einem Mann spuckte dem Kommissaren vor die Füße und-

„Genau, Nelson habe bei der Befreiung des Viertels bewiesen wo er stehe.“

„Befreiung des Viertels? Welchen Viertels?“

„Des Vampirviertels. In Hollow leben die Vampire nur in einem Viertel welches sie auch nicht verlassen dürfen.“

„Denkst du das du darüber mehr erfahren kannst?“

„Was spielt das für eine Rolle? Wir müssen die Leichenschändungen stoppen!“

„Vielleicht finden wir aber auf diesem Weg heraus warum die Jäger sich so zurückhalten

Schließlich ist das sehr merkwürdig, fast schon verdächtig.“

David wollte wieder sprechen, doch er konnte nicht. Sonny hatte Recht, doch aus

irgendeinem Grund wollte er seinen Boss nicht danach fragen. Es kam ihm so vor als sei alles

was der Kommissar vor David in Hollow tat ein Kapitel, das nie gelesen werden sollte. Wenn

Nelson von sich aus erzählte war es in Ordnung, doch hinter seinem Rücken zu schnüffeln

bereitete ihm schreckliche Gewissensbisse. Und ihn fragen?

Als David dieser Gedanke kam, lachte er leise und der blonde Vampir blickte ihn fragend an.

Nelson würde ihn wieder als Idioten beschimpfen und aus seinem Büro jagen. So war sein

Chef und das mochte er auch irgendwie an ihm.

„Die Jäger tauchten übrigens nicht plötzlich auf.“ Raunte Sonny, der sich nun den Cowboyhut

ins Gesicht zog. „Es gibt sie seit es Menschen gibt. Sie jagen Wesen wie mich um Wesen wie

dich zu schützen, so sagen sie zumindest.“

Im nächsten Augenblick grunzte er und begann leicht zu schnarchen. David schnaubte.

Dieser verdammte Blondschopf!
 

Zane gab ihrem Pferd die Sporen und eilte sich zu den Ställen zu kommen. Der Fahrer des Wagens gehörte zu Kommissar Nelsons Truppe, daran hatte sie keinen Zweifel, da sie heimlich die Zeitungsberichte verfolgte hatte sie ihn auf einen der Fotos schon einmal gesehen. Ihre braunen Locken tanzten im Wind und sie beugte sich leicht vor. Kurz vor der Villa lenkte sie den Hengst in den Wald, welcher sich bald lichtete und ein kleines Gestüt kam zum Vorschein. Einige Männer, bis an die Zähne bewaffnet sprangen dort rum. Großartig, dachte sie bei sich und zog die Zügel an, dann konnten die anderen sich um den Hengst kümmern.

Zane war eine Jägerin der Gilde des Greifen und des flammenden Phönix, seit sie als junges

Mädchen ihre Familie verlor. Doch etwas wirklich Großes hatte sie noch nie gejagt. Obwohl

der Gildenmeister ihr die beste Ausbildung zukommen ließ, erlaubte er es nicht, das sie

mehr tat als Kobolde zu jagen oder Wohnungen abzusichern. Zane war überzeugt davon, das

Robert Mayne in ihr ein kleines Mädchen sah. Doch dieses Mädchen hatte sie mit dem Tod

ihrer Eltern hinter sich gelassen.

Zane sprang von ihrem Pferd und rief den Männern, die ihr entgegen liefen zu, das sie es

eilig hätte und sie sich bitte kümmern sollen. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und

rannte zurück zur Villa, wo ihr Auto parkte.

Abgesehen von David Hawson, Nelson Assistent, gab es einen ganz bestimmten Grund weswegen sie so rannte. Neben David hatte ein blonder, als Cowboy verkleideter Typ gesessen, dessen Stimme eine geradezu betörende Wirkung auf sie gehabt hatte. Obwohl sie bisher noch keinem Vampir in Natura begegnet war, so hatte sie doch Geschichten von ihnen gehört. Vampire konnten allein mit ihrer Stimme Menschen manipulieren, ihnen die Sinne verdrehen und sie umkehren, ganz wie es ihnen beliebte. Seine grünen Augen verreiten ihn ebenfalls, denn sie hatte leicht gefunkelt. Etwas Dunkles war in ihnen gewesen und Zane zweifelte keinen einzigen Augenblick daran das er ein Vampir war. Und wenn es ihr gelang einen Vampir zu jagen, dann würde auch Mayne zugeben müssen, das aus ihr eine großartige Jägerin geworden war.

Sie fand ihren Wagen und sprang blitzschnell rein, ohne sich an zu schnallen trat sie das Gaspedal durch, um möglichst schnell den Käfer einzuholen.

Unbemerkt von ihr nahmen zwei Jäger der Gilde, ein besonders bulliger und glatzköpfiger und ein schmächtiger ebenfalls die Verfolgung auf.
 

David drosselte das Tempo erst als wieder Hollow erreichten. Der Blonde hatte während der gesamten Fahrt geschlafen.

„Seltsam…“ sagte David laut und Sonny streckte sich.

„Was ist seltsam?“ murmelte er und schob seinen Hut wieder auf seinen Kopf.

„Das dieses Mädchen behauptete uns zu helfen.“ erwiderte David. Er bog in eine kleinere Straße ein. Den ganzen Tag hatte er noch nichts gegessen und allmählich hatte er einen riesigen Hunger. Er kannte eine kleine Imbissbude, die er nun ansteuerte.

„Glaubst du ihr nicht?“

Sonny grinste ihn herausfordernd an.

„Nein, du etwa? Du bist doch bestimmt jemand der diese Vögel besser kennt…“

Der Blonde seufzte und ließ sich mit seiner Antwort Zeit. David warf einen kurzen Seitenblick auf ihn. Komischer Typ, dachte er bei sich, allesamt! Ob Jäger oder Blutsauger, sie alle waren einfach seltsam.

„Ich habe tatsächlich schon einige von ihnen getroffen. Die meisten sind ziemlich aggressiv, aber keiner ist wie der andere, wenn du weißt was ich meine.“

David lenkte den Wagen Richtung Westen, in den Randbezirk Hollows. Dort war in den letzten Jahren etwas Leben zurückgekehrt, jedoch hatten einige Randgebiete immer noch den Charme eines zerbombten Städtchens. Immer wenn er durch diese Gegenden fuhr, malte er sich aus, was vor zwanzig Jahren dort geschehen sein mochte.

Sein Chef, Kommissar Nelson war damals mittendrin gewesen, wenn auch nicht hier, sondern in Irland. Es hatte Auswirkungen auf ihn gehabt. In der Wache hatte man David erzählt, das man lange haderte, ehe man Nelson wieder in den aktiven dienst aufnahm. Denn er war neurotisch und litt unter Wahnvorstellungen, welche er nur durch Therapien wieder in den Griff bekam.

Die Gegend lichtete sich und David’s Auto verließ den Asphalt und rumpelte über Schotter. Anstatt schicker Häuser und Vorgärten waren Trümmer und zerstörte Wohnsiedlungen zu sehen.

„Was ist das hier?“ fragte Sonny und sah sich neugierig um, „Und wo fährst du überhaupt hin?“

„Wir sind hier im Memorial-District. Hier hat es vor zwanzig Jahren wohl Kämpfe gegeben aber das weiß niemand so genau. Bisher wurden keine Leichen oder Überlebenden dieser Zeit hier gefunden.“ David sah die kleine Containerbude zwischen den Türmen von Trümmern auftauchen. „Und ich habe Hunger.“

„Memorial-District? Und eine Imbissbutze, was?“

„In den letzten Jahren haben einige in Hollow begonnen, den District wieder mit Leben zu füllen.“ David zuckte mit den Schultern und parkte in der Nähe der Containerbude.

Sie stiegen aus und Sonny ging direkt auf einen Schuttberg zu und besah sich diesen näher. David folgte ihm wiederwillig, denn sein Magen rebellierte inzwischen lautstark. Der Cowboy ging vor dem Schutthaufen in die knie und zerrieb einen bröseligen kleinen Stein.

„Seltsam…“murmelte er nachdenklich.
 

Zane ahnte wohin die Reise von Bonny und Clyde führte. Im Memorial District gab es eine ausgezeichnete Imbissbude. Sie kannte Wege dorthin, ohne auf ihr Auto angewiesen zu sein. Drum parkte sie den Wagen am Rande des Districts und schlug sich durch die Trümmerberge. Sie kannte diese Gegend. Der Memorial District war offiziell ein Denkmal, doch in Wirklichkeit fehlten die Mittel, all die Trümmer zu räumen. Die Stadt scherte sich nicht darum und so war es ein Gebiet frei von Gesetz und voll von Leben, verborgen in den Schatten, die die Trümmer warfen. Nur ein paar Meter weiter lebten die Menschen friedlich in dem Glauben das alles Nichtmenschliche außerhalb der Stadt oder in dem Vampirviertel lebte. Doch hier sammelten sich einst alle die in Hollow einreisen wollten. All jene, die hofften sich den Vampiren anschließen zu können oder einen Menschen zu erwischen. Und es sammelten sich Menschen an diesem Ort, die durch die Wesen der Nacht geliebte Menschen verloren hatten und auf Rache aus waren. Lange Zeit war dieses Gebiet wie ein schwarzer Fleck auf Hollows Stadtkarte, bis Mayne es räumte. Robert Mayne, Großmeister der Jägergilde des Greifen und flammenden Phönix, hatte vor einigen Monaten die gesamte Gilde um sich geschart und während der Abenddämmerung alle Wesen und widerspenstigen Menschen entweder vertrieben oder getötet. Seit dieser ‚Säuberung‘ wie die Jäger es nannten, lebte der Distrikt wieder auf. Einige Menschen aus Hollow hatten begonnen sich selbst um die Trümmer zu kümmern und Wege und Straßen durch die Berge von Schutt geschaffen, sowie alles auf zu türmen. Zane hatte sich oft hergeschlichen und in den Trümmern nach Hinweisen gesucht, die eventuell darauf hinwiesen, was während des Krieges mit der Stadt und den Menschen geschehen sein mochte.

Die Jägerin verbarg sich in einer Ruine nahe der Imbissbude und sah gerade noch wie der verdächtige Cowboy zusammen mit Nelsons Assistent die Bude betrat.
 

Indes, in einem verlassenen Dorf vor Hollow, lehnte sie sich genüsslich zurück. Sie saß in einem Ohrensessel und zu ihren Füßen lag ein junges Mädchen mit leeren Augen, sie atmete nicht mehr.

Dafür fühlte sich die Dame in dem Sessel umso lebendiger. Sie warf ihren Kopf in den Nacken und leckte sich über die roten Lippen. Sie spürte wie das Blut in ihren Adern pulsierte, sie mit Leben und Kraft erfüllte. Sie krallte sich in die Lehnen und genoss die Macht. Im gesamten Raum saßen andere, wie sie. Blutsauger, die begierig zu ihr aufblickten.

Sie spürten ihre Blicke, fühlte ihre Verehrung. Ihre Kinder…

Durch die schmutzigen Scheiben fiel etwas Sonnenlicht, welches ihre weiße Haut nahezu glänzen ließ. Sie war außergewöhnlich. Außergewöhnlich schön. Ihre Haare waren von einem sehr hellen Blond, so hell, das es fast schon in ein strahlendes Weiß überging. Es war lang und fiel in sanften, schimmernden Wellen über ihren schmalen Rücken. Ihre Augen glimmten in einem hellen Blau aus einem leicht rundlichen, doch ausgeprägt femininem Gesicht. Ihre Lippen voll und rot, verzogen sich zu einem zärtlichen Lächeln. Alles lief nach Plan. Die Protagonisten eines dramatischen Stücks, das sie verfasst hatte, waren bereits in der Stadt versammelt. Nun musste sie nur noch ihren Part in schauspielerischer Perfektion spielen, dann bekam sie endlich alles wonach sie sich so sehr sehnte: Rache!

Kapitel 2

Kapitel 2
 

„Ich fürchte den Tod.“
 

Jäger verfolgten im Grunde nur ein Ziel: Das Ausmerzen allen übernatürlichen Lebens.

Sie nannten sich selbst Jäger, da sie genau dies taten: Sie jagten. Schon vor der Dämmerung, dem verheerenden Krieg zwischen Mensch und Kreatur, spürten Jäger Wesen wie Vampire auf und töteten sie. Während des Kriegs wurden die Jäger zu unentbehrlichen Anführern und Experten im Umgang mit all den Wesen, die plötzlich die Menschheit angriffen. Sie wurden gefeiert, verehrt bis zum Waffenstillstand. Plötzlich gab es Gebiete und Tageszeiten, zu denen die Jäger nicht mehr das tun durften, was sie bis dato immer taten: Jagen. Dafür boomte ein gänzlich neues Geschäft. Es schien, das die Menschen die Wesen um ihre Fähigkeiten beneideten und so manche ‚Institution‘ zahlte hohe Beträge für lebende Wesen. So kam es, das die Menschen immer mehr lernten, von den Kreaturen die ihnen einst als fantastisch erschienen waren. Legenden wurden widerlegt oder bestätigt, wie die Geschichte des blutsaugenden Vampirs. Ganz gleich was ein Vampir konnte oder nicht konnte, ohne die Zufuhr von Blut, wurde auch er schwach.
 

Ein gefährlicher Umstand, wenn der Vampir das nicht selbst einschätzen konnte, so wie Sonny. Nachdem Essen hatte ihn David zurück nach London gefahren und inmitten der Stadt ausgesetzt. Schon den ganzen Tag über hatte er sich etwas matt gefühlt, doch er glaubte lange, das es einfach an den Aufregungen des Morgens und der letzten Nacht gelegen hatte. Doch er musste sich eingestehen, dass seine Energietanks einfach leer waren. Es war helllichter Tag und er konnte wohl kaum einfach so einen Menschen überfallen, schließlich gab es hier Regeln. Sonny wankte leicht beim Laufen. Da gab es noch ein weiteres Problem. Seit sie der Villa den Rücken gekehrt hatten, waren ihnen Jäger gefolgt. Er hatte sie im Memorial District das erste Mal bemerkt. Es war das Mädchen und weiter abseits noch zwei Männer. Bisher konnte er sie nicht abschütteln und auch jetzt in Hollow spürte er ihre Nähe. Was tun?

Tagsüber durften die Menschen Jagd auf seinesgleichen machen. Wenn er also nun wegen Blutmangel schwach wurde, dann konnten sie mit ihm anstellen was ihnen beliebte. Sonny blies Luft zwischen seinen Lippen aus. Auch jetzt waren sie noch hinter ihm, das Mädchen war am nächsten.

Sein Bewusstsein wurde etwas vernebelt. Wenn er nicht bald einen Tropfen zu sich nahm, dann würde die Bestie in ihm erwachen. Vampire die kein Blut tranken wandelten sich über kurz oder lang in wilde Bestien, die über Menschen herfielen sie brutal niederschlachteten nur um einen Schluck des Lebenssaftes zu bekommen. Sonny fühlte wie sich Nebelschleier auf seinem Bewusstsein legten und seine Sinne sich schärften, schärften für die Jagd. Er nahm die Menschen nicht mehr als Menschen wahr sondern als schleierartige Wesen, die von einem blutroten Pulsieren erfüllt waren.

Sonny bog in eine kleine Seitengasse und atmete mehrmals tief ein und aus, doch es half nichts. Seine Knie gaben nach und er brach auf dem Asphalt zusammen.
 

„Hab ich dich.“ murmelte sie und band ihre langen braunen Haare zu einem Zopf zusammen. Die Verfolgung vom District bis hierher war nicht einfach gewesen, doch das Glück war auf ihrer Seite. In den letzten Stunden sah er immer kränker aus und nun war er in der Gasse vor ihr zusammengebrochen.

Sie zückte einen Kabelbinder und schob einen Müllcontainer vor, sodass die Gasse nicht von

Passanten eingesehen werden konnte.

Ihr fiel sein ungewöhnlicher Kleidungsstil abermals auf. Ein Cowboyhut verdeckte sein

Gesicht und er trug einen braunen Mantel mit schnörkeligen Verzierungen am Ärmel. An

seinen spitzen Stiefeln blinkten silberne Sporen.

„Feinstes Silber.“ stellte sie mit einem prüfenden Blick fest.

Dann packte sie den großen Typen an den Schultern und richtete ihn soweit auf, das sie ihn

gegen die Wand lehnen konnte. Seine Beine zerrte sie gerade, damit er nicht direkt wieder

um fiel.

Die werden Augen machen, dachte sie bei sich und schnappte sich einen Arm, dabei kippte

der schlaffe Körper und fiel auf sie. Der Kopf des Typen lag an ihrem Hals, doch so ging es

irgendwie! Sie stemmte sich auf ihre Knie und schnappte den zweiten Arm.
 

Stille lastete schwer auf seinem Gemüt. Sein Bewusstsein schwamm in einem dunklen Meer, der absoluten Stille und Finsternis. Er ließ sich einfach treiben. Doch irgendwas zerrte an ihm, an seinem Bewusstsein. Er hörte sich selbst, eine Stimme panisch und drängend, das er aufwachen möge. Doch er wollte nicht, sich treiben zu lassen war wesentlich angenehmer. Da wurde sein Bewusstsein plötzlich überschattet. Er roch es, er spürte es, er hörte es.

Jemand zerrte an seinem Körper, seinen Armen und sein Kopf lag an jemandem. Er roch Leder, Schweiß und etwas blumiges. Er sog den Geruch tief in sich ein als ein regelmäßiges Pochen ihn er füllte. Ein Herzschlag, begleitet von einem Rauschen. Ein Beben.

Die Kreatur in ihm reckte sich.

Ein weiterer Schlag.

Er sah das rote Blut vor sich, ein heißes Glühen, das Leben!

Noch ein Schlag.

Seiner Kehle entrann ein gieriges Knurren.

Schlag.

Das Wesen, das ihn hielt erstarrte, es schien abzuwägen, ob es sich das Knurren nur eingebildet hatte.

Schlag.

Er bleckte die Fänge, fühlte die weiche Haut an seinen Lippen seiner Nase.

Schlag.

Blitzschnell packten seine Hände den Haarschopf des Wesens und er versengte seine Zähne in den zarten Hals.

Warmes Blut erfüllte seine Mundhöhle, gierig schluckte er es runter. Die Kreatur schrie nach mehr und mehr. Er wollte es in sich aufnehmen, erfüllt werden von diesem süßen Geschmack.

Doch je mehr er trank, umso mehr wurde an seinem Bewusstsein gezerrt. Kraft erfüllte ihn gänzlich und er kehrte aus dem tiefen dunklen Meer zurück.

Das Denken setzte ein, was tat er hier.

Ein schwaches Pochen, immer langsamer, immer leiser.

Sonny riss die Augen auf und zog seine Fänge aus dem Hals. Das Mädchen von der Villa!

Entsetzt stellte er fest, das ihr Körper schlaf in seinem Arm lag, während die andere Hand, sie an den Haaren hielt. Sie hatte das Bewusstsein verloren.

„Scheiße!“ fluchte er laut und legte sie behutsam auf den Boden. Er fuhr mit einem Finger über die Biss Male und ein bläulicher Schimmer funkelte auf ihrer Haut. Die Male schlossen sich sofort.

Eine Jägerin am helllichten Tag völlig blutleer zu saugen! Was würd Vald dazu sagen? Er würde ihn umbringen.

„Ganz ruhig, immer langsam.“ Ermahnte er sich selbst und lauschte genauer. Er spürte sie. Ihr Herz schlug regelmäßig und beständig. Soviel hatte er vielleicht noch nicht von ihr genommen. Vielleicht war sie nur aufgrund des Schocks ohnmächtig?

Er sah sich um und fand einen Karton. Diesen zog er heran und legte ihre Füße darauf. Da fiel etwas Weißes von seinen Händen. Verwundert bückte er sich danach und musterte es.

„Ein Kabelbinder?“ wisperte er fassungslos und sah das Mädchen an, „Ein Kabelbinder? Da ist ein Pfahl ja wenigstens noch ein Hauch dramatischer und effektiver!“

Ihre Augenlider zitterten und ihre roten Lippen hauchten ein 'Nein'

„Zu spät.“ kommentierte Sonny und schloss für einen Moment seine Augen. Er hatte fast schon vergessen was für ein erregendes Gefühl es war. Er hörte das Rauschen seines Blutes und fühlte wie sein Herz den roten Saft in seinen Körper pumpte. Mit jedem Herzschlag spürte er seine Kraft, seine Möglichkeiten. Schlag um Schlag. Als sei er wieder am Leben. Als sei es wie früher.

Genüsslich hielt er die Augen geschlossen, winkelte ein Bein an und lehnte sich an die Wand an seinem Rücken. Er wollte es noch etwas genießen.
 

Langsam kehrte ihr Bewusstsein zurück und mit ihr unbändige Angst. Der Blutsauger war über sie hergefallen. Wie erbärmlich! Sie hatte sich nicht verteidigen können, hatte ihn unterschätzt und somit sich selbst in Gefahr gebracht. Sie konnte nur hoffen das er sie für tot hielt und verschwunden war.

Sie realisierte das sie auf dem Boden lag und etwas war mit ihren Beinen, sie lagen höher, als der Rest ihres Körpers.

Vorsichtig drehte sie ihren Kopf was ihren Schwindel für einen Augenblick verstärkte und sie Sterne vor ihren Augen sah.

Bleib wach, ermahnte sie sich gedanklich und ließ ihre Augen über den Boden wandern, bis ihr Blick silberne Sporen streifte, die an staubigen Boots blinkten.

Er war noch da, direkt vor ihr, saß er an der Wand. Sie nahm sich einen Moment, um ihn genauer zu betrachten.

Er hatte ungewöhnlich schöne Gesichtszüge und blondes, fast schon goldenes Haar. Es war nicht lang, aber auch nicht kurz und stand in alle Himmelsrichtungen ab. An seinem Mundwinkel hing noch ein Tropfen Blut, welcher langsam herab rann.

Wie konnte ihr nur sein wahres Wesen entgehen, welches sie in jener Sekunde bis ins Mark erschütterte. Es mochte daran liegen, das er sich an ihrem Blut gelabt hatte und bekannterweise, war das der Red Bull für Vampire.

Ihre Augen suchten die seinen, die geschlossen waren, bis er sie aufschlug und sie direkt ansah. Sie sah das seine Iris spitz verlief und aus hellem Grün empor stach.

Der Blick raubte ihr den Atem. Bilder kamen ihr in den Sinn, Bilder ihrer Vergangenheit. Wie sie niedere Kreaturen im Memorial District jagte.

„Du bist wach.“ raunte er mit dunkler Stimme, die an ihrem Verstand zerrte. Sie antwortete nicht sondern blickte weiterhin fasziniert in das Jade hinein.

Besinne dich, ermahnte sie sich selbst und atmete tief ein und aus. Er war kein einfacher Blutsauger. Seine Ausstrahlung lähmte sie. Bedenke deine Schritte. Ihre Situation war verfahren, sie musste ihre Karten geschickt ausspielen.

„Die Frage ist, was hast du jetzt vor?“ entgegnete sie ruhig obwohl es in ihrem Inneren tobte. Neben der Faszination für dieses gefährliche Geschöpf machte sich unbändige Panik in ihr breit. Was erwartete sie nun? Der Tod? Schließlich konnte sie sich kaum regen. Gefesselt an den dreckigen Asphalt, durch den hohen Blutverlust. Ihr Hals pochte und fühlte sich heiß an. Unwillkürlich strich sie mit einem Finger über die Stelle, an welcher er ihr Fleisch durchschlagen hatte, doch dort war nichts außer glatte Haut.

„Ich habe es heile gemacht.“ murmelte der Vampir.

„Heile gemacht...“ wiederholte sie monoton. Vampire besaßen Kräfte. „Es klingt, als hättest du ein Spielzeug zerbrochen.“ sagte sie und befühlte die glatte Haut an ihrem Hals, die immer noch brannte doch rein äußerlich nicht verletzt schien.

„Lenk nicht ab, dummes Mädchen. Beantworte mir meine Frage!“ befahl er und klang nun sehr gereizt. Er sprang auf und packte sie am Kragen ihrer Lederjacke. Daran zog er sie in eine sitzende Position und funkelte sie an.

Sie wollte nicht antworten, wollte sich nichts von der Angst in ihr anmerken lassen.

„Ich wollte den Kerl neben dem Polizisten überprüfen. Er war mir aufgefallen.“ antwortete sie und schlug sich erschrocken mit der Hand auf den Mund.

Der Blonde lächelte. Seine Fangzähne blitzen weiß und gefährlich, seine Augen funkelten vergnügt.

„Warum so schüchtern, dummes Mädchen? Versuch nicht mich zu täuschen, ich rieche deine Angst, kann hören wie dein Herz schlägt und ich sehe in deinen Augen die blanke Panik.“ Er ließ sie los und stand auf. Mit einem Griff in seine Tasche hatte er eine zerknitterte Schachtel Zigaretten gezückt. „Du weißt wenig über Vampire?“ fragte er, zog eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie sich mit einem schwarzen Feuerzeug, das er ebenfalls aus der Schachtel angelte, an.

„Es ist unmöglich genug über sie zu wissen.“ murmelte sie und schloss für einen Moment die Augen. Sie kämpfte mit der Angst und versuchte nicht die Beherrschung zu verlieren. Und sie hatte allen Grund dazu. Abgesehen von ihrer unbedachten Tat, saß sie einem Vampir zu Füßen, der gerade Blut getrunken hatte und so stark und mächtig war, das vermutlich keine hundert Jäger ihn aufhalten könnten. Sie war eine junge Frau, allein in dieser Gasse und unerfahren in der Jagd nach Vampiren. Doch sie erinnerte sich sehr deutlich an die Erzählungen der anderen Jäger. Ein jeder Blutsauger unterschied sich von dem anderen, genau wie die Menschen. Neben den ausgefeilten Techniken für die Jagd auf Menschen, besaßen sie meist übernatürliche Fähigkeiten. Ein jeder andere und ein jeder in anderer Intensität.

Die Jäger erzählten auch von der Macht der Stimme. Vampire besäßen die Fähigkeit, einen Menschen mit ihrer Stimme zu beeinflussen. Sie konnte sich nie vorstellen, wovon diese Revolverhelden da sprachen, bis jetzt der Blonde zu ihr sprach und jedes seiner Worte in ihr wiederhallte und irgendwas mit ihr anstellte.

„Dann ist dir jetzt sicher klar geworden, das du fast gestorben wärst?“ fragte der Blonde und klang zunehmend gereizter.

Sie dachte schweige lieber und antwortete: „Ja.“

Sie blickte ihn erschrocken an und seine Augen verengten sich.

„Du fürchtest was mit dir geschieht?“ wisperte er fast und sie nickte zustimmend, in diesem Augenblick freiwillig. „Ich trank dein Blut. Du bist mir eine Zeit lang unterworfen.“

Der Blonde zog an seiner Zigarette und bückte sich nach seinem Hut.

„Was dachtest du....“ er hob ihn langsam auf und klopfte den Dreck ab. „... was du da eigentlich tust?“

Ihre Augen weiteten sich und ein eiskalter Schauer jagte durch ihren Körper. Ihr wurde kalt, so fürchterlich kalt, seine Worte bohrten sich wie kleine Messer in ihren Leib und ihre Arme zitterten heftig, sodass sie sich selbst umklammerte.

„Hast du geglaubt, es wäre eine Trophäe mehr, in der Villa deiner Gilde? Ihr verdammten Jäger, haltet euch für die Götter dieser Welt! Ist es nicht so?“

Ängstlich blickte sie auf den Boden und biss sich auf die Lippen. Sie spürte wie das Etwas, über das sie die Kontrolle verloren hatte ein lautes 'Ja' brüllen wollte. Spürte wie der Vampir in ihr war, sie zwang, das zu sagen was er hören wollte.

„SIEH MICH AN!“ befahl er und sie blickte auf, in dieses Jade, durch welches ein rötlicher Schimmer lief. „IST ES NICHT SO?“

„Was willst du von mir hören?“ wisperte sie und rieb mit den Händen über ihre kalten Oberarme.

„ICH WEISS NICHT, VIELLEICHT DAS ES DIR LEID TUT? DAS ES EINE BESCHEUERTE IDEE WAR ODER DAS DU EINFACH NICHT WUSSTEST WAS DU DA TATEST? SAG ES MIR! SAG MIR, HÄTTE ICH DICH TÖTEN SOLLEN? GLAUBST DAS ICH DAS IMMER SO MACHE, WEIL ICH KEIN MENSCH BIN? SAG SCHON!“ donnerte er und Tränen stiegen in ihr auf. Ihr Blick verschwamm und sie fühlte sich fürchterlich erniedrigt. Ihre Ehre als Jäger war binnen Sekunden zu Staub zerfallen.
 

„Heulst du etwa? Ich hätte allen Grund zu heulen, über soviel Dummheit!“ knurrte Sonny und blickte auf das bibbernde Mädchen hinab. Kochend vor Wut entzündete er seine Zigarette ein zweites Mal, die während seines Brüllers erloschen war.

Ein Jäger war es, der ihn in Schwierigkeiten gebracht hatte, kaum das er in Hollow angelangt war und nun versauerte dieser in irgendeinem Krankenhaus, weil er seinen Verstand verloren hatte. Eine Jägerin war es, die beinah in seinen Händen gestorben wäre und dem Waffenstillstand zwischen ihm und seinem Bruder ein jähes Ende bereitet hätte.

„Ich heule nicht.“

Sonny stutzte. Er ging in die Hocke und versuchte das Gesicht des Mädchens zu sehen, welche weiterhin stur auf den Asphalt blickte.

„Was sagtest du, dummes Mädchen?“ fragte er und blies ihr den Rauch ins Gesicht. Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen, in welchen zwar Tränen schwammen, doch der Blick war entschlossen.

„Ich sagte, ich heule nicht. Hast du Schwierigkeiten mich zu verstehen?“ fügte sie spöttisch hinzu.

Sonny musterte sie scharf, ihre hellbraunen Augen die unter Strähnen ihrer halb zusammengebundenen dunklen Haarpracht finster zu ihm aufblickten. Ihre Gesichtsfarbe war blass, vermutlich sein Verdienst. Er spürte zudem ihren geistigen Widerstand. Sie verwehrte ihn und schluckte die Antworten die er von ihr ab zwang wieder herunter. Er hatte nicht damit gerechnet so ein starkes Mädchen vor sich zu haben. Doch so jung....

Sie war Jägerin einer Gilde und für gewöhnlich nahmen Gilden nur sehr erfahrene Jäger bei sich auf. Junge Mädchen oder übereifrige Männer die ihren ersten Bartwuchs bekamen, wurden von Gilden nicht aufgenommen.

Während die meisten Jäger einfach irgendeine Kreatur jagten, waren Gilden organisierte Armeen, deren Ziele die Befreiung ganzer Städte oder Landstriche waren.

Ein solcher Jäger war ein Soldat, ein erfahrener Krieger der einem schnell gefährlich werden konnte, wenn man unachtsam war.

„Du hast Glück....“ murmelte Sonny und legte eine Hand an ihr Kinn um ihr noch besser in die zornigen Augen blicken zu können. „Du faszinierst mich, darum überhöre ich deine Beleidigung.“

„Dann tötest du mich nicht? Deine Gnade ist eine Beleidigung!“ zischte sie verächtlich und Sonny grinste.

„Ihr Jäger.“ murmelte er und stand auf. „Wie fühlst du dich?“

„Was kümmert es dich?!“

„Sage mir wie du dich fühlst.“ raunte Sonny sanft und er wusste das diese Stimmlage ihre Verteidigung durchbrechen müsste.

„Schlapp und zittrig.“ antwortete das Mädchen und ihre Augen glühten nun vor Zorn.

„Ich kann mir nicht helfen, obwohl du Schuld hast, fühle ich mich schlecht. Ich kann dich nicht hier liegen lassen. Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Du musst bei mir bleiben, bis es dir besser geht.“

„Du redest zu viel, Vampir!“ zischte das Mädchen und Sonny streckte ihr seine rechte Hand entgegen.

Sie sah verwundert auf die Hand.

„Mein Name ist Sonny. Schlag ein.“

Ihre Augen huschten über sein Gesicht zurück zu der dargebotenen Hand.

Scheinbar wägte sie ihre Möglichkeiten ab, denn ein Blick wanderte zum Container der den Fluchtweg aus der Gasse versperrte.

Obwohl er wirklich mächtig war, insbesondere nach seiner Stärkung, konnte er spüren wie sie sich ihm verweigerte. Sie kämpfte innerlich gegen ihn an und er musste sich konzentrieren um seine Macht über sie aufrecht zu erhalten. Das war höchst erstaunlich!

„Wenn ich dich töten wollte-“ begann Sonny sanft doch sie unterbrach ihn unwirsch.

„-hättest du es längst getan!“ sie schlug in seine Hand ein und stemmte sich langsam hoch. „Sag Zane zu mir.“
 

In seinem Glauben, stets zu wissen wie der nächste Schritt aussieht und allem vor raus zu sein, war er tief erschüttert. Seitdem er seinen Bruder auf der Tower Bridge stehen ließ, waren viele Stunden vergangen. Es ging ihm nicht gut, er musste etwas trinken. Er könnte einfach trinken.

Nachdenklich schwang er das Glas in seiner Hand und die dunkelrote Flüssigkeit darin schwappte zähflüssig hin und her. Doch es war nicht dasselbe. Was in diesem Glas vortäuschte das zu sein, was er brauchte, verbreitete einen chemisch beißenden Geruch. Die Lady hinter der Theke, an der er saß und skeptische Blicke auf das Glas warf, lächelte.

Natürlich fand er sie schnell. Die Vampire Hollows. Sie waren der Grund weshalb er überhaupt auf die Inseln gekommen war. Sie wurden von einer Lady angeführt, der er einige Fragen stellen wollte. Und nun saß er ihr gegenüber. Sie war so schön wie sie ihm beschrieben wurde. Ihre Haut war blass und das lange glatte schwarze Haar ging bis zu ihrem wohlgeformten Hintern. Unter ihren großen blauen Augen hatte sie auf der linken Seite einen Schöhnheitsfleck.

„Das ist der Fortschritt.“ säuselte sie und lächelte.

„Der Fortschritt riecht nach faulen Eiern.“

„Das ist fast schon eine Metapher.“

Vald stutzte. Er wollte das kommentieren, doch er war zu erschöpft dafür. Er warf einen weiteren Blick auf die Flüssigkeit und trank es dann in einem Zug.

Der eigenartige Geschmack ließ ihn das Gesicht verziehen.

„Es ist gewöhnungsbedürftig.“

„Es ist widerlich. Dennoch schulde ich dir Dank.... Ich habe einige Fragen an dich.“

Sie sah ihn aus ihren großen Augen fragend an.

Vald wägte ab, was er als nächstes sagen würde. Sie war das Oberhaupt dieser Gruppe in Hollow, doch sie war bei weitem nicht so alt und stark wie er. Dennoch war sie der Schlüssel. Ihr Name wurde genauso ehrfürchtig ausgesprochen wie seiner, aufgrund ihrer früheren Begleitung.

„Vern.... Ich muss wissen-“

„Schon gut.“ sagte Vern und legte einen Finger auf seine Lippen. „Man hört so einiges. Ich wusste das du kommen würdest. Ja, ich war tatsächlich mit ihr eine lange Zeit unterwegs. Bis sie mir zu abgedreht wurde. Ich fürchte jeden Tag, das sie durch diese Tür kommt und mir alles nimmt.“ Vern blickte zur massiven Holztür ihrer Bar. Vald folgte ihrem Blick. Ihm fiel auf, das die Tür mit Silber verstärkt war. Das konnte weder ihn noch sie aufhalten.

„Dann....“ er sah wieder zu Vern und schob das Glas mit dem künstlichen Blut weit weg. „... hast du keine Idee wo sie sich gerade aufhält?“

„Keiner weiß wo Elizabeth als nächstes hin geht. Ich dachte du wüsstest das....“

„Wäre ich hier wenn ich es wüsste?“ knurrte Vald. Ihn nervten diese jungen Blutsauger. Als er die Bar betreten hatte, wollte ein junger Rothaariger Kerl ihm den Zutritt verwehren. Er hatte seine tätowierten Arme schützend ausgebreitet und lange Reden geschwungen, warum er, Vald, nicht würdig wäre, dem Meister zu begegnen. Doch anstatt sich davon aufhalten zu lassen, hatte Vald ihn an seinen Piercings im Ohr gepackt und beiseite geschleudert.

Er lag noch immer auf der Couch neben der Tür und rieb sein Ohr, während er wütende Blicke zu ihm rüber warf. Vald funkelte zurück ehe er wieder Vern ansah.

„Dann erzähl mir einfach etwas über die Zeit bei ihr.“ verlangte er.

Vern war seinem Blick gefolgt. „Es tut mir Leid das Jassie sich so unhöflich benommen hat. Er ist meine rechte Hand, mein Schüler. Er weiß noch nichts von den Regeln unter uns.“ erklärte sie entschuldigend und holte einen Whisky unter der Theke hervor. „Es ist aber auch lange her, das ich den Regeln unterworfen war.“

Sie nahm ein Glas und schenkte einen Doppelten ein, den sie Vald vor die Nase schob. „Das Alter eines Gleichen, ist das Maß an Respekt und Ehrerbietung.“

„Das Leben ist heilig.“ murmelte Vald und nahm den Whisky dankbar an. Das würde den ekelhaften Geschmack des Fortschritts weg spülen. Die alten Regeln zu zitieren verlieh diesem Gespräch einen Hauch von Mystik, was ihm sehr gefiel.

„Anfangs hielt ich sie für eine Revolutionärin. Sie hatte Pläne, große Pläne und vor allem hatte sie Talent. Sie wusste wie sie andere für sich gewinnen konnte. Doch irgendwann redete sie nur noch davon Rache zu üben.“

Er leerte das Glas bis auf einen Tropfen. Nachdenklich beobachtete er das Spiel des Lichts in dem goldenen Tropfen.

„Sie war besessen davon und ständig verfolgten wir die Spuren ihres Ziels. Du weißt wovon ich rede, stimmt's?“

Er sah auf und blickte sie direkt an. Es wäre schwachsinnig das Gegenteil zu behaupten, doch er konnte sich nicht sicher sein, das Vern wirklich mit Elizabeth, wie sie sich jetzt nannte, gebrochen hatte. Für gewöhnlich brach niemand mit ihr und konnte danach noch darüber erzählen. Das war der Grund weshalb er Vern persönlich treffen wollte. Er musste sich versichern ob sie nicht doch log.

„Natürlich weiß ich das.“ antwortete er daher knapp. Alle wussten das sie auf Rache aus war und es war auch weithin bekannt an wem sie Rache üben wollte.

„Ich war es so Leid, Menschen zu foltern, weil sie den Blonden gesehen hatten oder weil sie sahen wie ein Schwarzhaariger einem Wolf den Kopf ab schlug. Sie redete jedoch nie darüber weshalb sie euch so verachtete. Irgendwann sagte ich ihr das ich gehen müsste.“

„Und du konntest einfach gehen?“ fragte Vald spöttisch und Vern lächelte.

„Unglaublich aber wahr. Sie legt keine Hand an ihre Kinder.“

Das Glas in Valds Hand zersplitterte und Blut rann über seine Handflächen. „Sie wandelte dich.“ stellte er fest.

„Ja. Kurz nachdem sie mich zu ihrer machte, befreite sie mich. Ich war nie ihre Schülerin. Sie.... Sie sagte stets das dieses Lehrer-Schüler- Verhältnis ein überholtes Relikt aus dem Mittelalter sei.“

Ein altes Relikt....

Vald fummelte gelassen die Splitter aus seiner Hand, damit die Wunden heilen konnten. So ergab das ganze ein Bild. Sie hatte schon damals über die Traditionen gelacht und auch in den Zeiten danach stets bewiesen das sie von Regeln und Gebräuchen absolut nichts hielt. Auch ihre Jagd auf ihn und seinen Bruder zeigten was für ein gefährliches Miststück sie wirklich war. Dabei war sie weder alt, noch besonders mächtig. Doch irgendwie hatte sie es geschafft innerhalb kürzester Zeit stärker zu werden. Sie zog mordend nahezu schlachtend durch die Welt. Alle Fragen, Wege und Hinweise, denen Vald nachging, führten schlussendlich zu ihr.

„Es hat mich etwas gewundert.... Das Glas werde ich ersetzen.“

„Nicht der Rede wert. Alle reagieren so, wenn sie erfahren wer meine Mutter ist.“

„Du nennst sie Mutter...“ sinnierte Vald und beobachtete wie die Wunden sich schlossen, ehe er die Hand zur Faust ballte.

„Ich wurde geboren, in ihren Armen. Es ist wie es ist, alles was zuvor war, verschwindet wie ein Traum kurz nach dem Aufwachen. Als sei man gestorben und wieder geboren. Sie selbst, betrachtete uns als Kinder.“

Vald wurde übel. Sie sprach von 'Uns' was hieß, das Elizabeth viele gewandelt hatte. Und diese vom Zwang der Ausbildung auch sofort befreite. Sie könnte doch gleich Bomben auf die Welt nieder jagen, dachte Vald grimmig und schnappte nach der Whiskyflasche, die noch immer auf dem Tresen stand.

Vern schob ihm lächelnd eine neues Glas zu.

„Wechseln wir das Thema? Mein Freund? Kommissar Nelson rief heute an und quetschte mich auch aus. Er fragte nach dir.“

Sagte sie Nelson?

„Der Kommissar?“ fragte Vald laut und Vern nickte.

„Er ist ein Freund, der uns vor vielen Jahren geholfen hat. Jedenfalls rief er an und fragte ob du schon bei uns aufgetaucht seist. Er müsse mit dir reden und er wollte wissen ob du wüsstest wo ein gewisser Idiot und ein Blonder Papagei stecken würden.“

„Mhm.... Habt ihr ein Telefon?“

„Hier.“ der Rothaarige legte ein Handy auf den Tresen und setzte sich auf den Barhocker neben Vald. „Du arbeitest mit Nelson zusammen, was? Hör zu du Vogel-“

„Nein, du hörst zu.“ Vald wandte sich dem Rothaarigen zu und blickte ihm in die Augen. Er konzentrierte sich um ihm genau das zu vermitteln was er wollte. Es funktionierte augenblicklich. Jassie wurde bleich und wich mit dem Oberkörper ein Stück zurück. Vald wusste das es jetzt nur noch von seinen Worten abhing beziehungsweise von dem was er in seine Worte fließen ließ.

„Du bist unbedeutend für mich, so jung, das ich dich zunächst für einen Menschen hielt. Und so jung das du nicht weißt, was es bedeutet, einem wie mir zu begegnen. Man sollte meinen, das du dann wenigstens die Klappe hältst, anstatt zu provozieren. Wenn du das willst...“ raunte Vald und ließ den Blick zu den Piercings im Ohr von Jassie wandern. Dieser schlug sofort eine Hand auf diese, „... dann lass ich mich auf deine Provokation ein und zerre jedes einzelne Silber aus deinen Lauschern, vielleicht hörst du dann ja besser!“

„Vald!“ mischte sich Vern ein und Vald ließ die halb erhobene Hand wieder sinken. Ihm war gar nicht aufgefallen das er die Drohung fast in die Tat umgesetzt hätte. Doch er schlug den Bogen, indem er mit dieser Hand die Whiskyflasche griff und sich nach schenkte. Sein Bruder sagte ihm auch oft, das er ab und zu zur Cholerik neigte.

„Jassie! Verschwinde!“ zischte Vern und Jassie rutschte widerwillig von seinem Hocker, „Was hast du mit dem Kommissar zu tun?“

„Du warst ehrlich zu mir, darum will ich ehrlich zu dir sein. Die Möhre hat recht, ich arbeite mit Nelson zusammen. Anscheinend hat die Stadt ein Problem.“

„Ja das hat sie wirklich aber keins womit wir uns beschäftigen sollten.“ erwiderte Vern skeptisch.

„Auf diesen Ruhestätten gibt es nichts was unsereins fürchten sollte!“ knurrte Vald, „Dachte ich zumindest bisher. Dort gehen seltsame Dinge vor sich und ich sah das die Zeitungen euch bereits in Visier nahmen.“

„Sie redete oft davon, das ihr euch in Dinge einmischt, die euch egal sein sollten.“ säuselte Vern und Vald seufzte. Er hatte keine Lust dieser Person Rechenschaft ab zu legen und griff sich das Handy von Jassie und tippte Nelsons Nummer ein, die er mit einem Kugelschreiber auf seinem Unterarm geschrieben hatte.
 

„Es war kalt, damals…“ begann sie. „Nicht wie heute… Keine Kälte die durch das Wetter verursacht wird, es war… eine andere verheerende Kälte.“ Der Mond schimmerte durch die Wolken und warf einen silbrigen Lichtstreif auf das Dach einer Kapelle. Dort saßen zwei Gestalten. Die eine strich sich ihr lockiges Haar zurück und klemmte es hinter ihr Ohr, dann umschlang sie wieder ihren Oberkörper. Neben ihr saß ein großer blonder Mann. Ein Bein hatte er angewinkelt, das andere ausgestreckt. Ein Cowboyhut zierte sein Haupt.

„Der Waffenstillstand war längst in Kraft getreten und wir kamen mit den ersten hierher. Im Grunde waren wir Flüchtlinge, unser Zuhause…“ Sie brach ab und schüttelte den Kopf.

Der Blonde hatte sie nach seinem Übergriff regelrecht umsorgt. Lud sie zum Essen ein, bedrängte sie ständig, etwas zu trinken. Doch er stellte auch Fragen, Fragen über ihr Zuhause, die Gilde, über sie. Sie hatte sich erbittert dagegen gewehrt, diesem Blutsauger irgendwas zu erzählen. Schließlich war sie ein Mensch und er eine Kreatur, die Menschen jagte und sie tötete. Doch seine Macht über sie war zu groß, sie sah keinen Weg sich von ihm los zu reißen oder ihm Schaden zu zufügen. Wenn er rief, folgte sie, ob sie wollte oder nicht.

Doch er war zwischendurch… anders. Nach dem Übergriff hatte er sie in eine psychiatrische Klinik geschleift und dort einen Typen besucht, welcher eher seltsame Dinge erzählt hatte, von Friedhöfen und Sonnenblumen. Er war sehr nett zu dem kranken Mann gewesen, fast schon fürsorglich. Ein Vampir, der kranke Menschen besuchte?

Bis dato, glaubte sie, das der Blutsauger sie nur mitgeschleift hatte um sich ihrer irgendwie unauffällig zu entledigen, damit nicht aufflog, das er gegen den Waffenstillstand verstoßen hatte. Doch er begann stattdessen Anekdoten zu erzählen. Wie er andere um ihr Geld betrog und eine Geschichte wie er sich im Wald verlaufen hatte.

Wieder und wieder, warf sie ihm Schmähungen an den Kopf, hackte nach , was er von ihr wolle. Doch er lachte immer nur und fragte sie wie sie sich fühle und ob sie nicht etwas von sich erzählen wolle.

Schlussendlich erzählte er ihr, das sie verfolgt wurde von zwei Jägern und ob diese Beiden zu ihr gehörten.

Das taten sie nicht. Zane wurde überwacht und es verwunderte sie nicht einmal. Die Wut darüber war dennoch groß gewesen und sie hatte sich auf offener Straße empört und dem zweifelhaften Angebot des Vampirs, die Verfolger abzuschütteln nichts entgegen gesetzt. Die Jagd durch die Stadt, hatte ihr sogar Spaß gemacht und im Laufe der Stunden fühlte sie, wie seine Macht über sie mehr und mehr schwand.

Am Ende waren sie vor einem Friedhof angekommen und er sagte, dass sie die beiden Jäger nun endlich los seien. Sie hatten sich einen Augenblick angesehen. Sie spürte, dass sie frei war und er hatte nur gegrinst.

Nun saßen sie auf dem Dach einer Kapelle auf eben jenem Friedhof den sie vor einiger Zeit erreicht hatten. Zane fühlte sich schwermütig und verwirrt. Soviel Spaß hatte sie schon sehr lange nicht mehr gehabt, oder jemals?

„Ich weiß das ich eigentlich nichts erzählen sollte!“ sagte sie daher laut um sich selbst zu erinnern, an ihren Beruf und an ihr Wissen über Kreaturen.

„Dann lass es.“ Murrte er, der sich Sonny nannte. Was für ein Name, dachte sie und lächelte, irgendwie ironisch.

„Nein, sie haben mich eh mit dir gesehen, was habe ich schon noch zu verlieren?“

Vampire tranken das Blut von Menschen um zu überleben. Sie töten dabei häufig ihre Opfer und sie besitzen Fähigkeiten, die einen Menschen manipulieren, ihn unterwerfen und zwingen sein Leben freiwillig hin zu geben. Hatte sie nicht selbst gespürt, wie fürchterlich sich das anfühlte? War sie nicht selbst Opfer? Doch sie lebte, sie lachte, sie spürte keine Angst. Neben ihr saß ein Vampir und ihr bisheriges Leben lehrte sie diesen sofort an zu greifen, oder zumindest zu fliehen. Doch sie genoss es hier zu sein, neben ihm und einfach nur zu plaudern. In der Gilde hatte sie niemandem dem sie sich anvertrauen konnte, niemanden mit dem sie je soviel Spaß gehabt hätte.

„Werden sie dich suchen?“ fragte er und beugte sich etwas vor.

Sie schüttelte den Kopf, „Dann müssten sie zugeben gescheitert zu sein und das sieht man bei uns nicht gern. Aber zurück zu meiner Geschichte…“ Sie seufzte und streckte die Beine aus. Wind kam auf und blies ihr einen kühlen, erfrischenden Hauch ins Gesicht. Sie erinnerte sich als wäre es gestern gewesen. Bilder, die sich eingebrannt hatten, Geräusche, an die sie schon lange nicht mehr gedacht hatte kehrten zurück und versteinerten ihr Gesicht, fegten die letzten Stunden hinweg, als hätte es sie nie gegeben.

„Ich war sehr klein als wir mit den ersten Flüchtlingen an den Grenzen Hollows ankamen. Auf unserem Weg war uns einiges geschehen. Des Nachts wurden wir angegriffen und viele sind gestorben. Wir waren müde, hungrig, durstig und an unseren Grenzen. Nelson war auch da. Er hatte uns angeführt. An den Grenzen der Stadt waren auch die Jäger angekommen, was wir da noch nicht wussten. Wir sahen den zerstörten Distrikt und dahinter Häuser. Einige rannten los um nach Menschen zu suchen. Sie kehrten zurück mit Lebensmitteln und der Kunde, dass die Stadt eine Geisterstadt sei.

Meine Eltern brachen in ein kleines Haus im Distrikt ein und die anderen schlugen sich weiter in die Stadt durch. Doch ich war am Ende. Wir erholten uns alle recht schnell und bald kamen weitere Flüchtlinge. Nachts verriegelten wir die Türen, doch wir hörten nichts. Stille…. Es war unheimlich. Bis wir dort ankamen, hatten wir nachts immer Geräusche gehört, Schreie, Laute, Schritte… doch hier in Hollow, war es still. Alle schöpften wir Hoffnung. Eines Tages klopfte es an unserer Tür. Es war Robert Mayne, der Großmeister des Ordens des Greifen und flammenden Phönix. Meine Eltern waren während der Dämmerung ihrerseits Jäger, bis sie mich bekommen hatten. Und sie waren wohl auch bekannt. Mayne wollte sie für seinen Orden.“

Der Blonde rutschte etwas auf seinem Platz. Sie blickte zum Nachthimmel auf der sich langsam aufklarte.

„Doch sie lehnten sein Angebot ab. Sie stellten mich ihm vor, ich hatte damals Angst vor ihm. Er sah aus wie ein wilder Löwe:“ Erinerungsselig lächelte sie, „Doch er verstand. Danach habe ich ihn lange nicht mehr gesehen. Die Stadt wuchs und schon bald war auch Maynes gilde in aller Munde. Immer mehr Flüchtlinge landeten in der Stadt und es zog Normalität ein. Läden eröffneten, Trümmer im Distrikt wurden geräumt und überhaupt… Einige sprachen davon, das hier in Hollow die Dämmerung nicht spürbar sei. Über viele Jahre hinweg herrschte hier Frieden. Ich wurde von meinen Eltern ausgebildet in der Jagd. Heute weiß ich das es mir zur Jagd dienen sollte. Damals sagten sie mir, das ich lernen müsse, mich zu verteidigen. Schließlich kam Vern.“

Zane legte eine Pause ein und Sonny rutschte etwas näher zu ihr. „Vern?“ fragte er neugierig.

Sie nickte, „Ja. Vern ist ein Vampir, sie und ihre… ‚Familie‘ nannte sie es… Sie kamen nach Hollow, auf der Suche nach Zuflucht. Sie suchten sich ein abgelegenes Viertel und ließen sich dort nieder. Mayne war außer sich vor Wut. Doch damals erlebte ich Nelson als Vermittler. Er schloss einen Vertrag zwischen uns Menschen und den Vampiren. Ich wusste nicht was ich von dem alten Zausel Nelson halten sollte. Er hatte uns nach Hollow gebracht und ich dachte bis dahin, der er für die Menschen gekämpft hatte. Es hatte mich sehr verstört, das er Vern ein Zuhause gab. Doch ich war sehr jung. Die Jahre vergingen, als andere nach Hollow kamen. Sie kamen des Nachts und verschanzten sich in den Trümmern von Hollow. Ich war neu oder zehn und ich war gerade im Bett am Einschlummern…. Als ich es hörte. Im Erdgeschoss schrie meine Mutter fürchterlich…“ Zane brach ab. Sie atmete tief ein und aus. Das war Vergangenheit, es lag hinter ihr…

„Wer waren sie?“ fragte Sonny dunkel und bot ihr eine Zigarette an, welche sie dankend annahm.

„Gestaltwandler vielleicht. Sie sahen aus wie Menschen aber sie waren flink, stark und meinen Vater hatten sie bereits in Stücke gerissen. Als ich das sah, rannte ich wieder ins obere Stockwerk. Meine Mutter schrie nicht mehr… Eins von ihnen jagte mir hinterher. Ich rannte panisch in mein Zimmer zurück und schlug die Tür zu. Das Ding zerrte an der Tür,. Versuchte sie aufzustoßen, als es im unteren Stockwerk rumpelte. Mayne war gekommen. Er tötete sie alle und holte mich aus dem Haus raus. Meine Eltern waren tot und er… er nahm mich auf.“

„Stopp mal, der Großmeister der Jägergilde hier in dieser Stadt… ist dein Vormund?“ fragte Sonny ungläubig. Zane sah ihn an, er wirkte erschüttert.

„Ja.“
 

Sonny fühlte sich wie eine Lampe. Eine Lampe die die größten Motten der Gegend anzog. Soeben hatte er erfahren das er das Mündel des Großmeisters einer Gilde angefallen hatte. Na wenn es weiter nichts ist. Müde ließ er seinen Kopf in die Hand sinken. Irgendwann würde alles eskalieren und sein Bruder würde ausflippen. Dieses Mal brachte er ihn um, mit Sicherheit.

„Was ist mit dir?“ fragte sie und beugte sich etwas zu ihm. Der Geruch nach Leder kribbelte in seiner Nase.

„Nichts, alles gut.“ antwortete er monoton.

„Es ist meine Schuld...“ sagte sie und setzte sich in den Schneidersitz. „Mayne würde mir den Kopf abreißen wenn er erführe was heute geschehen ist. Ich werde die Klappe halten.“

Der Mond stand nun in voller Pracht am Himmel und die Wolken hatten sich gänzlich aufgelöst. Eine klare Nacht.

Da hörte er es. Er hatte so etwas noch nie gehört.

„Sonny, weißt du-“

„Sch, hörst du das?“ fragte er und legte einen Finger auf ihren Mund. Er sah sie gespannt an, doch sie blickte nur fragend drein. Anscheinend konnte nur er das hören.

Es wurde allmählich deutlicher und klang doch dumpf.

„Wie ein Schmatzen...“ murmelte er und spitzte die Ohren.

„Ich glaub ich höre es auch.... Was ist das?“

„Keine Ahnung...“

Er versuchte die Herkunft des Geräusches zu lokalisieren, doch es schien als würden viele Schmatzen. Das widerliche Geräusch ertönte aus unzähligen Richtungen. Dumpf und stetig.... Als würde...

„Als würde es unter der Erde stattfinden....“ sprach Sonny seinen Gedanken laut aus.

„Mir wird schlecht....“ kommentierte Zane und griff sich an die Hüfte und zog ihren Dolch aus der Scheide.

„Wir sollten abwarten, was als nächstes geschieht. Ich gehe nach sehen, du wartest hier.“ Er sprang vom Rand des Daches, der kleinen Kapelle und Zane zischte wütend: „Warum muss ich hier warten? Das ist Diskriminierung!“

Doch Sonny ignorierte sie. Nun war es noch deutlicher, das es unter seinen Füßen rumorte. Die Erde bewegte sich und das Schmatzen drang deutlich daraus hervor.

„Hey, Zane! Kannst du mich hören?“

„Ja!“ tönte es wispernd vom Dach.

Sonny bewegte sich auf ein Grab zu. Vorsichtig und mit Bedacht setzte er einen Fuß vor den anderen und bei jedem seiner Schritte fühlte er wie sich das Etwas unter ihm mit bewegte.

„Als ich in diese Stadt kam, hätte ich nie gedacht, das ich mit einem Jäger Freundschaft schließen würde.“ wisperte Sonny und dachte an sein erstes Friedhofsabenteuer in Hollow.

„Schön das du auch voller Vorurteile bist!“ zischte sie vom Dach.

Sonny war inzwischen vor dem Grabstein angelangt. Die Blumen darauf bewegten sich wellen artig. Doch das war nicht das Einzige was er sah. Da saß ein kleines Mädchen auf dem Grabstein und blickte ihn aus leeren Augen an.

„Wer bist du?“ flüsterte Sonny so leise, das Zane es nicht hören konnte.

Das Mädchen sprang vom Grabstein und deutete auf den darauf eingemeißelten Namen.

„Hallo, Anna.“

Sonny ging in die Hocke um auf Augenhöhe mit dem Geist zu sein.

Anna hatte langes glattes Haar und trug ein Kleid. Der Inschrift des Grabsteins zufolge war sie an ihrem ersten Schultag durch einen Unfall gestorben.

„Warum bist du hier?“ fragte Sonny und das Mädchen zuckte mit den Schultern. Der Boden bewegte sich erneut und sie blickte traurig auf die Blumen, welche sich aus dem Boden lösten und um fielen.

„Du kannst nicht gehen, weil dein Körper keine Ruhe findet.“

Anna sah wieder zu ihm und öffnete den Mund. „Wenn es nicht aufhört....“ sagte sie und ihre zarte Stimme hallte in seinen Ohren wieder, „... werden alle sterben. Es kommt und tötet, doch es macht kein Ende.“

„Was meinst du mit Es?“

„Sonny mit wem sprichst du da?“ zischte Zane doch Sonny war gebannt von dem Mädchen, das nur er sehen konnte, das nur er hören konnte.

„Es ist bereits auf dem Weg.“ antwortete das Mädchen. In diesem Augenblick krachte es und ein Baum wackelte in der Ferne. Sonny wandte sich um. Schlagartig hörten die Bewegungen unter der Erde auf und auch das Schmatzen verstummte. Bleierne Stille legte sich über den Friedhof. Sonny wollte dem Mädchen noch Fragen stellen, doch Anna war verschwunden.

Er vernahm ein schlürfendes Geräusch und es roch zunehmend nach fauligem Fleisch. Sonny sah zur Kapelle. Dort auf dem Dach saß Zane, welche gebannt auf den Baum blickte, der sich vor kurzem bewegt hatte. In ihrer Hand hielt sie immer noch den Dolch.

Er erinnerte sich an die Geschwindigkeit des Etwas und schlug seinen Mantel zurück, um ihn am Rücken fest zu knöpfen. Dann zog er seine Revolver und legte seinen Hut auf Anna's Grabstein.

„Pass gut darauf auf.“ wisperte er und entfernte sich vom Grab ein Stück. Der Geruch war nun überwältigend und das Schlürfen endete abprubt. In seinem Nacken kribbelte es. Das Etwas war da und es beobachtete ihn.

„Wir sind uns schon einmal begegnet!“ sagte Sonny laut und stierte in die Finsternis. Dort saß ein Ding. Anders konnte er es nicht umschreiben. Es hatte eine krumme, pelzige Schnauze und goldene Augen. Im Entferntesten glich es vielleicht einem Wolf, doch die Klauen waren dafür zu lang und noch dazu tropfte irgendwas von ihnen. Es lief auf den gekrümmten Hinterbeinen und hielt die Vorderbeine vor seinem Leib.

Die Gier und Mordlust blitzte in seinen Augen und ehe sich Sonny an den Anblick gewöhnt hatte, war es verschwunden.

Der Geruch, ermahnte sich Sonny und sprang einen Satz nach vorn. Er hörte wie etwas in den Boden krachte. Er war nur knapp entkommen.

Blitzschnell entsicherte er die Revolver und drückte auf das Ding zielend ab, doch es war wieder verschwunden und die Kugeln schlugen in die Wand der Kapelle ein.

Der Geruch um wehte ihn dieses Mal von Rechts, ein weiterer Sprung und die Klauen umgriffen nur Luft. Zunehmend stieg Angst in Sonny auf. Es war zu schnell, er hatte keine Chance gegen dieses Ding und das Beste wäre die Flucht zu ergreifen, doch er konnte nicht sicher sein, ob dieses Ding nicht auf Zane losgehen würde. Er dachte nur 'Hilfe' und ließ sich nach hinten fallen.

Ein fauliger Windzug strich über sein Gesicht und Sonny drückte erneut ab.

Dieses Mal flogen Fellfetzen durch die Luft.

Ein Streifschuss! Sonny sprang schnell wieder auf die Beine und konzentrierte sich auf den Geruch. Doch er roch nichts.

Einige Sekunden geschah nichts. Das war die Chance, dachte er bei sich.

„ZANE!“

„WAS?“

„VERSCHWINDE!“ brüllte er und rannte dabei zur Kapelle. Das Vieh hatte sich erschrocken, doch es würde gleich wieder angreifen. Sein Treffer war jedoch nur ein Glückstreffer.

Plötzlich umhüllte ihn der Geruch nach Verwesung, Geifer rann seinen Mantel hinab. Er hielt die Luft an.

„SONNY!“ brüllte Zane panisch vom Dach der Kapelle.

Keine Chance, schoss es ihm durch den Kopf, er kriegt mich vorher.
 

Man sagt, das zwischen Zwillingen eine besondere Verbindung besteht, wodurch sie es spüren, wenn es dem anderen schlecht geht. Ein Phänomenen das die Wissenschaft nicht erklären kann. Obwohl die Zwillinge voneinander getrennt sind, wissen sie sofort, wenn der andere in Gefahr ist. Sie selbst können es nicht erklären, sie wissen es einfach.

Es heißt, das eine solche Verbindung ebenso zwischen gewöhnlichen Geschwistern bestehen kann, das solch eine Verbindung auch zwischen Menschen besteht, die einfach nur sehr viel Zeit miteinander verbracht haben.

Sie spüren den Zustand des anderen, fühlen es wenn dieser sich nicht fühlt oder in Gefahr ist. Ein Augenblick, der ein sofortiges Handeln erfordert ohne dabei die eigenen Risiken ab wägen zu können.
 

„RUNTER!“ donnerte eine dunkle Stimme und vor Sonny tauchte ein schwarzer Blitz auf, Sonny ging in die Knie, als die Bestie die Klauen nach ihm aus schlug. Das nächste was er roch drehte ihm den Magen um.

„NEIN!“ brüllte das Mädchen und das Vieh heulte auf. Ein schlurfendes Geräusch und der Geruch der Verwesung verschwand. Zurück blieb der bleierne Geruch nach Blut.

Sonny blickte auf. Vor ihm stand Vald, das Schwert fest umklammert und schwarzes Blut tropfte von der Spitze der Klinge. An seiner Schulter breitete sich ein nasser Fleck auf und zwischen zerrissenem Stoff trat dunkles Blut hervor. Es floß dickflüssig aus der gewaltigen Wunde.

„Warum heilt es nicht?“ fragte Sonny mit hoher Stimme.

Zane kletterte vom Dach und Vald packte Sonny bei der Schulter. „Weißt was ich fürchte?“ raunte er dunkel und Sonny stütze ihn da er plötzlich gefährlich schwankte. Seine Augen flackerten.

„Vald, warum heilt es nicht?“ Sonny's Stimme klang immer höher und er fühlte wie Zane an ihm zerrte, doch er hörte sie nicht, er sah nur seinen Bruder.

„Ich fürchte den Tod.“ murmelte Vald und brach zusammen. Das Blut schoss dickflüssig aus der Schulter und lief nun über Sonny's Hände. Dieser blickte versteinert auf den leblosen Leib seines Bruders hinab.



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