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Wo ist Izzy?

Rockstar wider Willen
von

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Starting Over

„Ach komm schon, Izzy! Bitte, bitte, bitte! Du tust den Jungs damit einen großen Gefallen!“, bettelt Jelena, legt die Hände aneinander und hält sie vor ihr Gesicht, als würde sie beten wollen. Missmutig sehe ich Jelena an und schüttele den Kopf. „Ich habe bisher immer nur zum Spaß Gitarre gespielt, ich will damit nicht groß raus kommen, wie du es nennst!“

„Izzy! Es ist wirklich wichtig! Ihr Gitarrist ist kurzfristig abgesprungen, weil es einige Differenzen gab und jetzt brauchen sie nun mal dringend einen neuen und da habe ich eben sofort an dich gedacht!“, meint Jelena eindringlich und sieht mich fordernd mit ihrem Welpenblick an. „Sie sind wirklich gut und du würdest perfekt zu ihnen passen! Vor allem weil du dich doch auch so anziehst und Emo ist doch zurzeit total angesagt!“

„Jelena, du weißt doch nicht mal was Emo bedeutet! Du hast dich nie wirklich mit Musik auseinander gesetzt. Wie kannst du dir dann so sicher sein, dass ich zu ihnen passe? Was ist, wenn wir uns nicht verstehen? Hm? Schon mal daran gedacht?“, frage ich sie genervt.

Nein, ich will nicht in einer Band spielen. Das war nie mein Traum gewesen und es gibt auch einen Grund dafür, warum ich nur für mich alleine spiele!

„Du musst doch nur kurz mit ihnen sprechen, alles weitere entwickelt sich dann ganz von selbst! Wirst schon sehen!“, meint Jelena und lächelt mich aufmunternd an. In mir bewirkt es jedenfalls eher das Gegenteil, denn ich drehe mich auf dem Absatz um und gehe die Straße entlang. Das ist doch selten dämlich!

Noch ehe ich überhaupt ein paar Meter vorwärts komme, laufe ich in jemanden herein. Überrascht halte ich mich an der fremden Person fest und sehe auf.

Na ganz toll! Ich blicke in mein Ebenbild! Als würde ich vor einem Spiegel stehen. Das ist ja schrecklich!

„Hey, Süßer!“

Habe ich gerade richtig gehört? Süßer? Ich?! Was ist denn mit dem Kerl nicht in Ordnung?

„Ah! Da bist du ja! Auf dich haben wir schon gewartet, Nick!“, ruft Jelena irgendwo hinter mir und ich würde ihr am liebsten den hübschen Hals umdrehen.

Ich spüre die Hände von diesem Nick an meiner Hüfte und lasse augenblicklich seine Arme los, um auf Abstand zu gehen.

„Jelena!“, begrüßt er sie freudig, geht einfach an mir vorbei und umarmt sie. Wie kann er sie einfach umarmen? Hände weg! Das ist meine beste Freundin!

Jelena erwidert die Umarmung, sehr zu meinem Leidwesen und lächelt dabei auch noch glücklich. Wie kann sie so ein Gesicht machen, wenn dieser komische schwarze Vogel sie umarmt? Und wenn ich schwarz meine, dann meine ich auch schwarz. Schwarz gefärbte Haare, schwarz geschminkte Augen, schwarze Klamotten... Okay, da ist auch weiß mit drin, aber das zählt nicht!

Dieser Emoverschnitt soll bloß seine Pfoten von Jelena lassen!

„Nick, das ist Isidor. Ich habe dir ja bereits von ihm erzählt und er ist wirklich sehr gut!“, erzählt Jelena und geizt nicht mit ihrem Lob, das mich zwar freut, aber irgendwie komme ich mir hier vor wie auf dem Straßenstrich und sie ist mein Zuhälter.

„Wie ich sehe hast du deine Gitarre dabei, dann mal rein in die gute Stube!“, meint Nickt und grinst breit. Na, dem wird sein blödes Lachen aber noch vergehen...

Stirnrunzelnd sehe ich zu, wie Nick statt zur Haustür zur Garage geht und das Tor öffnet. Was hat er vor?

Nick winkt uns zu und Jelena folgt ihm einfach. Meine Güte, Mädchen! Lauf dem Kerl doch nicht einfach hinterher!

Mürrisch folge ich ihr. Sicher ist sicher!

Erstaunt wandert mein Blick über die Musikanlage und all die Instrumente. Wo bin ich denn hier gelandet? In einer Garagenband?

„Hier proben wir. Aufnahmen machen wir natürlich in einem Tonstudio, aber zurzeit sieht es nicht so gut aus, deswegen müssen wir uns ein wenig ins Zeug legen, um Aufträge zu bekommen!“, erklärt Nick. Tja, schön für ihn, dann können wir ja wieder gehen.

„Aha...“, kommt es wenig interessiert von mir.

„Dann leg' mal los!“, meint Nick und setzt sich auf einen Hocker, der am Rand steht und sieht mich sehr interessiert an.

Womit habe ich das denn jetzt verdient?

„Jelena...“, brumme ich und sehe sie wütend an, doch die ist genau wie Nick und es scheint sie nicht im Geringsten zu interessieren, ob ich Lust habe vorzuspielen oder nicht. Wie diese Mütter, die ihre Kinder zu Schönheitswettbewerben schicken, nur weil sie es nicht auf die Reihe gekriegt haben.

Ich atme tief durch und mache das, was ich eben am besten kann. Ich lasse die beiden Idioten einfach stehen und verlasse fluchtartig die Garage.

Ich renne was das Zeug hält, was mit einem Gitarrenkoffer als Handgepäck nicht gerade einfach ist und sehe zu, dass ich von hier wegkomme.

Dummerweise scheint mir jemand zu folgen, doch ich wage es nicht, mich umzudrehen, um zu sehen ob es Jelena ist. Oh, wie hoffe ich, dass es Jelena ist!

„Warte! Isidor!“, brüllt eine sehr männliche Stimme irgendwo hinter mir und es läuft mir eiskalt den Rücken runter. Sicherheitshalber lege ich noch einen Zahn zu und renne um die nächste Kurve, pralle dabei beinahe gegen ein Straßenschild und stolpere ein paar Schritte zurück, direkt in die Arme meines Verfolgers, dessen schweren Atem ich nur allzu deutlich an meinem Ohr hören kann und der nun ebenfalls sein Gleichgewicht verliert und zusammen mit mir zu Boden fällt.

„Aua...“, jammert Nick und reibt sich seinen Ellenbogen, der nun eine schöne Schürfwunde aufweist.

Ich liege noch immer auf meinem Verfolger und robbe seitlich von ihm herunter, versuche irgendwie wieder auf meine Füße zu kommen und lande plumpsend auf meinem Hintern. Mit angezogenen Beinen sitze ich neben ihm und sehe auf meine Hand, als Nick sie ergreift.

„Wieso bist du weggerannt?“, fragt er mich noch völlig außer Atem und sieht mich, mit seinen intensiv betont geschminkten Augen, an.

Ich schlucke und hole tief Luft. „Das geht dich gar nichts an!“

„Und wieso bist du dann hergekommen, wenn du gar keine Lust hast vorzuspielen?“, fragt Nick mich munter weiter.

Ich weiche seinem Blick aus, weil ich drohe darin zu versinken und starre lieber auf die Schnürsenkel meiner Sneakers.

Nick hält noch immer meine Hand fest und erst jetzt fällt mir auf, wie warm sie ist. Trotzdem gefällt es mir nicht sonderlich und so ziehe ich meine Hand weg, schüttele seine ab, wie eine lästige Fliege und stehe nun doch auf. Nick tut es mir gleich und sieht mich immer noch an, als wäre ich ein wandelndes Gemälde von Picasso oder sonst wem.

„Was ist denn noch?“, grummele ich und als ich ein Lachen höre, sehe ich ihn entsetzt an. Wie kann er mich auslachen?

„Du bist so süß, wenn du so garstig bist!“, meint er, beugt sich vor und küsst mich.

Ein kurzer flüchtiger Moment in dem unsere Lippen sich berühren, weiter nichts und doch scheint so vieles in diesen paar Sekunden zu passieren. Zuerst einmal passiert jedoch nichts, denn ich bleibe stocksteif an Ort und Stelle stehen und kann immer noch nicht fassen, was hier gerade mit mir geschieht!

Im Bruchteil einer Sekunde schubse ich Nick von mir, wische mit dem Handrücken über meinen Mund und im nächsten Moment verpasse ich ihm ein Veilchen mit meiner Faust.

„Scheiße! Was soll das denn?!“, brüllt Nick vor Schmerz und sieht mich fassungslos an. Im Gegensatz zu ihm bin ich wieder die Ruhe in Person und zucke lediglich mit den Schultern. Was soll schon los sein?

„Hast du etwa erwartet, dass ich den Kuss erwidere?“, frage ich verächtlich und verschränke abweisend die Arme vor der Brust.

„Ja, hatte ich!“, meint Nick und sieht mich noch immer aufgebracht an. Er hält sich die schmerzende Wange und er kann froh sein, dass ich ihm nicht seine beiden Unterlippenpiercings raus gezogen habe. So ein Arsch!

„Tja, such dir 'nen Homo mit dem du knutschen kannst!“, murre ich, weil mir nichts besseres einfällt.

„Der steht doch vor mir!“

Verwirrt sehe ich Nick an. „Ich? Du hältst mich echt für schwul?“, frage ich ihn und schüttele den Kopf. Der Kerl spinnt echt!

„Izzy!“

Jelena's Stimme tönt zu uns herüber und wie es scheint, hat sie uns endlich eingeholt. Völlig außer Atem bleibt sie bei uns stehen und sieht mich mahnend an. „Wieso läufst du einfach weg?!“

Ich zucke mit den Schultern und weiche ihrem Blick aus. „Ich gehe nach Hause!“, verkünde ich, drehe mich um und gehe wieder einfach los. Was die anderen von mir denken ist mir so was von egal!

Sehr weit komme ich leider nicht, weil ich wieder zurückgehalten werde. Ich sehe auf meine Hand, blicke auf und direkt in Nick's dunkle Augen. Er hält sich noch immer die Wange. Muss schwer sein, so ein Kopf.

„Warum willst du nicht vorspielen? Wovor rennst du weg?“, fragt er mich ruhig, aber eindringlich. Ich zerre an meiner Hand, doch er ist zu stark und lässt mich nicht los. Widerwillig bleibe ich einfach stehen, sage jedoch kein Wort.

„Sag's mir!“, fordert Nick mich auf und kommt mir noch näher.

„Ich kann nicht vor anderen spielen. Zufrieden? Ja? Dann lass mich endlich los!“, murre ich und zerre erneut an meiner Hand. Nick lässt mich immer noch nicht los.

„Ist es dir peinlich? Jelena, ich dachte er spielt gut?!“ Nick sieht zu meiner Freundin und die nickt.

„Natürlich ist er gut!“, meint sie und sieht zu mir.

„Keiner verteilt Noten, du musst nur vorspielen und wenn du mir gefällst, kannst du in die Band mit einsteigen!“, erklärt Nick mir.

Ich schüttele den Kopf. „Ich will dir gar nicht gefallen! Ich muss niemandem gefallen!“, erwidere ich störrisch.

„Also, eigentlich gefällst du mir jetzt schon! Ich stehe auf so süße Zicken wie dich!“, meint Nick lachend. Er beugt sich vor und flüstert mir ins Ohr. „Ganz besonders im Bett!“

Mich überkommt eine eiskalte Gänsehaut und ich erstarre zu einer Salzsäule. Wie oft muss ich diesem Schornsteinfeger eigentlich noch sagen, dass ich nicht schwul bin?!

„Lass mich endlich los!“, raune ich ihm wütend zu.

Nick tut mir zum Glück den Gefallen, auch wenn ich ihm ansehe, dass er mich stundenlang triezen könnte und es sogar tun würde, wenn er die Chance hätte.

Die hat er zum Glück nicht.

„Izzy, du hast Talent! Du solltest es nicht einfach so vergeuden!“, meint Jelena und sieht mich kopfschüttelnd an.

Die hat gut reden, sie steckt ja auch nicht in meiner Haut!

„Ich vergeude es nicht, ich behalte es nur für mich!“, erwidere ich genervt und sehe sie vorwurfsvoll an.

Wie kann Jelena mir so etwas nur antun? Ich dachte sie wäre meine beste Freundin? Dann sollte sie mich doch auch verstehen. Wieso will sie mich zu etwas zwingen, was ich gar nicht will?

Ich schlucke und sehe von einem zum anderen. Die haben sich doch eindeutig gegen mich verschworen!

Den Gefallen werde ich ihnen aber nicht tun! Ich werde nicht vorspielen und ich spiele auch nicht in so einer dummen Band, die nicht mal einen vernünftigen Proberaum hat!

„Ich gehe jetzt heim und wenn mich noch mal jemand zurückhält, schmeiße ich ihm meinen Gitarrenkoffer um die Ohren!“, murre ich und sehe dabei Nick an.

Der grinst nur und zuckt mit den Schultern. „Wir sehen uns dann!“

Von wegen! Dem werde ich für den Rest meines Lebens aus dem Weg gehen!

„Wenn du doch noch mal vorspielen willst, du weißt ja wo du mich findest!“, ruft Nick mir nach. Jelena begleitet mich und winkt ihm zu. Als ich noch einmal zu Nick zurück sehe, wirft er mir eine Kusshand zu. Angewidert drehe ich mich um und gehe die Straße herunter.

In welchen Farbtopf ist der Idiot denn gefallen?

„Wie heißt seine Band eigentlich?“, frage ich Jelena, die mich verwundert ansieht.

„Gute Frage...“

„Hast du es dir nicht gemerkt oder haben sie echt keinen Namen für ihre Band?“, frage ich sie entsetzt.

Jelena sieht mich geknickt an. „Keine Ahnung...“

„Du hast also gar nicht danach gefragt?“

Jelena nickt und sieht wieder geradeaus. „Kann ich doch nichts für. Ich kann nun mal nicht an alles denken. Ich habe ja nur gesehen, dass sie einen Gitarristen suchen und ich dachte echt, dass das was für dich wäre. Ahnt ja keiner, dass du den Schwanz einziehst!“, meint sie und klingt ein wenig beleidigt.

Wieso ist sie beleidigt? Hätte sie mich vorher gefragt, hätten wir gar nicht erst herzukommen brauchen!

„Ich werde niemals in einer Band spielen! Nur, für den Fall, dass du irgendwann wieder so eine fixe Idee hast, mich irgendwo unterbringen zu wollen!“, ermahne ich sie und Jelena nickt resigniert.

„Schade, Nick scheint dich nämlich zu mögen.“

Mögen? Ja, klar! Der Kerl will mich ins Bett kriegen, mehr nicht! Wahrscheinlich sucht er nur ein williges Betthäschen und keinen Gitarristen!

„Ich habe besseres zu tun, als mich verführen zu lassen!“, erwidere ich brummend.

„Er sieht aber gar nicht mal so schlecht aus und du bist seit einer ganzen Weile Single. Hast du denn nicht mal vor, diesen Zustand zu ändern? Mir kommt es manchmal so vor, als wärst du so alleine ganz zufrieden.“

„So ist es auch!“, erwidere ich und grinse. „Ich bin frei! Ich will keine Klette und wenn ich Sex brauche, kann ich mir auch einen One-Night-Stand suchen!“

„Wenn du meinst...“, murmelt Jelena und sieht mich von der Seite an.

„Was ist?“, frage ich sie.

„Ist das nicht einsam, wenn man niemanden an seiner Seite hat?“

„Einsam ist es nur, wenn du jemanden vermisst, den du gerne an deiner Seite hattest. Wenn da niemand ist, kann man auch nicht einsam sein. Ich habe doch dich, meine Familie. Ich bin nicht einsam.“

Jelena lächelt. „Ja, das stimmt.“

Ich nicke und gehe mit Jelena zur Bushaltestelle. „Bist du sicher, dass du seine Nummer nicht haben willst? Ich habe sie nämlich.“ Jelena sieht mich grinsend an und hält mir ihr Handy vor die Nase.

Ich grummele und schüttele heftig den Kopf. Nie und nimmer! Der Rabe hat in den heiligen Tiefen meines Handys nicht das Geringste zu suchen!

„Na, dann eben nicht!“ Jelena steckt ihr Handy wieder ein und steckt ihre Hände in die Hosentaschen.

„Willst du dich nicht endlich mal mädchenhafter anziehen?“, frage ich sie und betrachte Jelena von oben bis unten.

„Klar, sobald du nicht mehr rum läufst, als würdest du zu einer Beerdigung gehen!“, kontert sie keck und grinst breit.

„Okay, dann bleib so wie du bist, du halber Kerl!“, erwidere ich lachend und handle mir einen Tritt gegen die Wade ein.

„Na warte, du kleines Luder...!“, meckere ich gespielt erbost und renne ihr hinterher, während Jelena lachend um die Bushaltestelle rennt.

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Gelangweilt sitze ich in der Schule und starre aus dem Fenster. Der Himmel ist beinahe wolkenlos und nur einige Kondensstreifen sind zu erkennen. Die Sonne scheint zwar auch, jedoch auf der anderen Seite des Gebäudes. Wenn es heißer wird, muss ich in meiner Klasse wenigstens nicht gebraten werden.

Ich muss dauernd an den Vorfall gestern denken. Zumal ich meinen ersten Kuss auch noch von einem Kerl bekommen habe und mich in meiner Ehre als Mann sichtlich gekränkt fühle. Der Kerl hat mich doch überhaupt nicht ernst genommen! Der wollte nur seinen Spaß und mich ärgern, mehr nicht!

Ich schüttele den Kopf und kann es immer noch nicht fassen, dass Jelena auf so eine dumme Idee gekommen ist. Ich werde nie in einer Band mitspielen. Da kann sie mir noch so viel aufschwatzen.

Ja, ich spiele gerne auf meiner Gitarre, aber eben nur für mich allein.

Mein Blick fällt auf die Tafel, an der mein Lehrer irgendetwas schreibt, was doch niemanden hier im Raum interessiert, denn alle warten sehnlichst die letzten 20 Minuten ab, um endlich in die Pause gehen zu können. Mal ehrlich, wer hat auch schon bei diesem tollen Wetter Lust in der stickigen Klasse zu sitzen und zu büffeln?!

Ich wäre jetzt viel lieber am Meer und würde schwimmen, den ganzen Tag mit Jelena verbringen und einfach nur das tun, wozu ich Lust habe und nicht, was die Gesellschaft mir vorschreibt.

Morgen müssen wir bei dieser Affenhitze auch noch eine Stunde laufen. Ich weiß nicht mal wozu das gut sein soll, denn wir können dabei nicht mal etwas gewinnen. Noch so eine dämliche Idee meiner Lehrer. Die scheinen es wirklich zu lieben uns Schüler zu foltern...

Ich sehe nach draußen auf den Sportplatz und erkenne Jelena. Hat sie jetzt Sport? Ich betrachte sie, weil ich sowieso nichts besseres zu tun habe. Mit ihren hellblau gefärbten Haaren sticht sie sofort aus der Menge heraus.

Warum hat sie eigentlich noch keinen Freund? Ich meine, sie ist nett und lustig und eigentlich sogar ziemlich umgänglich, solange man ihr nicht ihre Schokolade weg isst.

Ich lege den Kopf schief und schaue zu, wie die Schüler, einer nach dem anderen, über ein Hindernis springen. Wie heißt das noch gleich? Hochsprung oder so?

Mit Sportarten kann man mich jagen. Ich hasse Sport und der einzige, den ich betreibe ist der vor der Konsole. Okay, ab und an stemme ich Gewichte, wenn es mich doch mal ins Fitnesscenter treibt, aber das gehört auch nicht unbedingt zu meinen Stärken.

Habe ich überhaupt Stärken? In letzter Zeit fallen mir nur immer mehr Schwächen auf. Ich kann gut zuhören, ich weiß nur nicht, inwiefern mir das nützen sollte. Ich könnte später Seelsorger werden oder Therapeut.

Ich muss nur noch lernen, besser mit meinen Mitmenschen klar zu kommen, denn da mangelt es mir gewaltig.

Ich habe mich ein Jahr in meinem Zimmer eingesperrt nach diesem Vorfall. Es ist ein Wunder, dass ich es überhaupt wieder verlassen habe und es ist größtenteils Jelena zu danken, denn sie hat mich aus meinem Tief wieder heraus geholt. Ohne sie würde ich wahrscheinlich immer noch in diesem Zimmer vergammeln.

Irgendwie mag ich sie auch. Ich habe mir sogar mal vorgestellt, wie es wäre mit ihr auszugehen. Ich meine, wir hängen so oder so ständig zusammen und sind unzertrennlich, da ist es ja gar nicht mal so abwegig, dass man sich ein bisschen in die Freundin verguckt.

Trotzdem ist nie etwas zwischen uns passiert.

Und dann ist da diese Sache gestern. Dieser blöde Nick schwirrt in meinem Kopf herum, als wäre das sein Territorium!

Ich seufze. Mein erster Kuss sollte mit einem Mädchen sein, nicht mit einem Jungen. Das ist doch echt blöd. Noch einmal seufze ich.

„Na, haben wir Liebeskummer, Isidor?“, höre ich plötzlich eine Stimme neben mir. Verwirrt sehe ich auf und in die braunen Augen meines Lehrers, der mich belustigt ansieht.

„Klar, jeden Tag!“, erwidere ich und ziehe eine Grimasse.

„Dann darfst du dich jetzt ein bisschen ablenken und die Aufgabe an der Tafel lösen!“, fordert er mich auf und schmollend stehe ich auf, um zur Tafel zu gehen. Na ja, wenigstens habe ich meine Mitschüler ein wenig erheitert, die mich grinsend ansehen.

Schon komisch, obwohl ich nicht viel mit ihnen rede, nehmen sie mich so wie ich bin. Irgendwie gehöre ich wohl dazu, denn bisher wurde ich von niemandem geschnitten oder geärgert. Ich bin einfach da.

Ich trotte zur Tafel und sehe mir die Formel an. Mathematik... Was hat sich der Erfinder nur dabei gedacht? Wenn ich könnte, würde ich ihn eigenhändig ausgraben, nur um ihn wieder unter die Erde zu bringen!

Ich kratze mich am Kopf, greife nach der weißen Kreide und löse die Aufgabe. Zum Glück hilft mir Jelena immer dabei, sonst würde ich jetzt hier stehen und keinen blassen Schimmer von all den Zahlen haben.

Ich sehe zu meinem Lehrer, der mir anerkennend zunickt und gehe wieder zu meinem Platz. Mein Blick fällt zur Uhr, die mir sagt, dass ich noch zehn Minuten hier ausharren muss.

Ich linse zum Sportplatz und sehe, wie Jelena gerade über das Hindernis springt. Wie kann das nur jedes Mal so elegant aussehen?

Na ja, sie hat ja auch die langen Beine, dass muss dann wohl einfach toll aussehen. Würde ich das machen, würde es nur plump ausschauen.

Ich ziehe meine Shirt ein Stück hoch und besehe prüfend meinen Oberkörper. Wenigstens damit kann ich ein klein wenig angeben. Immerhin zeigen sich, wenn auch nur schwach, die Ansätze eines Sixpacks.

„Isidor!“

Erschrocken sehe ich auf und lasse mein Shirt wieder herunter fallen. „Es ist ja ganz schön, dass du uns an deinem Körper teilhaben lässt, aber bitte konzentriere dich die letzten Minuten auf den Unterricht!“, meint mein Lehrer kopfschüttelnd, auch wenn ich ihm ansehe, dass seine Mundwinkel leicht zucken und er sich ein Lachen verkneifen muss.

Verlegen sehe ich auf meinen Tisch und hoffe, dass die Stunde gleich vorbei ist.

Als es endlich zur Pause klingelt, hält mich und auch den Rest meiner Klasse, nichts mehr auf den Stühlen und so drängt es uns aus dem Raum, hinaus auf den Schulhof.

„Isidor, warte!“, höre ich eine Stimme hinter mir.

Ich drehe mich um und sehe meinen Lehrer abwartend an. Habe ich etwa schon wieder etwas verbrochen?

„Was ist los mit dir? Du bist heute so abwesend. Das haben mir schon ein paar andere Lehrkräfte mitgeteilt.“

Ich zucke mit den Schultern und verziehe meinen Mund. Was soll schon los sein?

„Ich hatte gestern keinen guten Tag...“, erzähle ich ihm widerwillig.

„Isidor, ich weiß, dass es dir noch schwer fällt Kontakte in der Klasse zu knüpfen. Das kann ich gut verstehen, aber du bist jetzt wieder seit einem halben Jahr in der Schule und du solltest dich wirklich auf den Unterricht konzentrieren.“

Ich nicke resigniert. Kommt jetzt die übliche Leier von ihm?

„Wenn du dich wieder so verschließt, sind wir genau dort, wo wir vor einem halben Jahr waren. Das möchtest du doch nicht oder?“, fragt er mich beugt sich ein wenig vor. „Ich möchte, dass du gut mit deinen Mitschülern auskommst und nicht im Unterrichtsstoff hängen bleibst. Wenn du mit irgendetwas Probleme hast, kannst du mich jederzeit ansprechen. Ich bin für dich da.“

Ich nicke und ringe mir ein Lächeln ab. Klar, wird er für mich da sein. Das Problem ist nur, dass er es sich scheinbar zur Lebensaufgabe gemacht hat, mich wieder in die Gesellschaft einzuführen.

Ob ich das überhaupt will, danach fragt mich keiner. Ja, mir ist es unangenehm mit Leuten zu reden, die ich nicht kenne, auch wenn sich das ändern kann, je öfter man miteinander spricht, aber bisher konnte ich nur bei Jelena wirklich ich sein. Sobald ich mit einem Klassenkameraden spreche, fühle ich mich unbehaglich, weil ich im Grunde genommen nichts über sie weiß. Ja, wir verbringen einige Stunden am Tag miteinander, aber mehr auch nicht. Danach gehen wir getrennte Wege. Wieso muss ich mich mit so jemandem anfreunden?

Die Begegnung von gestern ebenfalls. Der Kerl kennt mich im Grunde genommen doch gar nicht, wie kann er mich einfach behandeln, als würden wir uns ewig kennen?

Ich könnte das nicht. Ich bin immer befangen und mache mir tausend Gedanken, was ich mit meinem Gegenüber reden soll.

„Wir sehen uns dann morgen!“, verabschiedet sich mein Lehrer und als er sich umdreht und geht, sehe ich ihm einen Moment nach.

Ich konnte mich nicht mal meinem Lehrer öffnen, obwohl er ziemlich viel für mich getan hat. Er ist sogar zu mir nach Hause gekommen, um mit mir und meinen Eltern zu reden. Ich fürchte nur, er wird es nicht schaffen einen selbstsicheren Menschen aus mir zu machen.

Ich verlasse langsam das Schulgebäude und gehe zum Sportplatz. Schon von weitem sehe ich Jelena. Blaue Haare sind wirklich toll. Ich muss gar nicht großartig in der Menge suchen, wenn ich zu Jelena möchte.

Ich grinse und gehe zu ihr. Als sie meine Schritte vernimmt, dreht sie sich lächelnd zu mir um und legt ihr Handtuch auf die Bank. „Hast du meinen Sprung gesehen?“, fragt sie mich begeistert.

Ich nicke und halte ihr beide Daumen hoch. „Das war spitze!“, lobe ich sie.

Jelena sieht mich erfreut an und setzt sich auf die Bank. „Ich habe gleich noch eine weitere Stunde Sport. Am liebsten würde ich noch mal springen. Je höher ich es schaffe, desto besser!“

Ich setze mich zu Jelena auf die Bank und greife nach ihrer Wasserflasche, die in ihrer Sporttasche liegt. Ich öffne den Deckel und trinke einen Schluck daraus, ehe ich sie ihr reiche, die sie mir dankend abnimmt und in großen Zügen daraus trinkt.

„Soll ich dann auf dich warten?“, frage ich sie, denn immerhin habe ich nach der nächsten Stunde Schluss und so könnten wir noch am Nachmittag etwas unternehmen. Ich habe nämlich keine Lust bei dem schönen Wetter zuhause herum zu hängen.

„Lass uns was unternehmen! Wir könnten wieder zu dem Musikladen gehen und uns ein paar CD's anhören!“, schlage ich munter vor.

„Ich kann heute nicht...“, meint Jelena und sieht plötzlich niedergeschlagen aus.

„Was ist los?“, frage ich sie besorgt und lehne mich vor, um ihr in die Augen zu sehen, wobei ich ihre Haare ein wenig zur Seite streichen muss, da sie ihren Kopf gesenkt hält.

„Ich glaube, ich bin schwanger...“, gesteht Jelena mir und sieht mich niedergeschlagen an.

Ich lasse meinen Blick sinken und kann es nicht fassen. Entsetzt sehe ich sie an und bringe kein Wort hervor.

„Sieh mich nicht so an!“, meint sie und nimmt mir den Verschluss ihrer Flasche aus der Hand, um sie zu schließen.

„Schwanger? Wieso? Von wem?“, frage ich sie verwirrt und mein Kopf scheint auf einmal so leer zu sein.

Wieso spricht sie erst jetzt darüber? Sie hat mir nie erzählt, dass sie einen Freund hat. Wieso sagt sie mir so etwas nicht? Wir reden doch über alles!

Jelena knabbert nervös auf ihrer Unterlippe und legt ihre Wasserflasche zurück in die Sporttasche. „Es war nur einmal. Wir haben getrunken und da ist es einfach so passiert. Ich habe Angst, Izzy! Wenn ich jetzt schwanger werde, verbaue ich mir meine ganze Zukunft. Es gibt nichts, was ich einem Kind bieten kann und ich kann dann nicht mal die Schule beenden...“ Jelena's schnieft und ihr kommen die Tränen, doch ich fühle mich unfähig ihr beizustehen.

„Wer?“, frage ich mit erstickter Stimme und räuspere mich.

„Ein Junge aus der Parallelklasse.“

Sie will mir also nicht mal erzählen mit wem sie geschlafen hat. Ich schlucke und habe das Gefühl, als hätte mir gerade jemand eine Ohrfeige verpasst. Ich weiß nur nicht wieso. Liegt es daran, dass Jelena schwanger ist und mir erst jetzt davon erzählt hat oder liegt es daran, dass sie nicht mir geschlafen hat? Ich weiß nicht, was mich im Moment mehr enttäuscht.

„Ich gehe heute zum Arzt. Ich hoffe, ich bin nicht schwanger, aber der Test aus der Apotheke war positiv...“, meint sie und versteckt ihr Gesicht in ihren Händen. Ihre Schultern beben unter den Weinkrämpfen.

Hilflos sitze ich neben ihr und weiß nicht, was ich tun soll. Ich würde am liebsten wegrennen und schreien, doch ich bleibe einfach sitzen und halte meinen Mund geschlossen. Ich bemerke, wie uns einige Mitschüler neugierig beobachten, sich aber keiner so richtig traut, zu uns zu kommen und zu fragen, was mit Jelena ist.

Ich sehe sie an und weiß selber nicht so genau, was ich von alledem halten soll.

Ich müsste sie trösten, ihr beistehen und zur Not mit ihr zum Arzt gehen. So machen Freunde das doch oder?

Ich schlucke und auf einmal kommt Jelena mir so fremd vor, als würde plötzlich wie aus dem Nichts eine hohe Mauer zwischen uns empor ranken und es gibt keinerlei Möglichkeit sie zu erklimmen.

Ich dachte gestern wäre ein schlimmer Tag gewesen, aber heute ist eine einzige Katastrophe!

Ich greife nach Jelena's Hand und halte sie fest in meiner.

„Hast du es ihm schon gesagt?“, frage ich sie und meine Stimme klingt so schrecklich nüchtern und emotionslos.

Jelena schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, wie ich es ihm sagen soll, aber ich möchte erst mal auf Nummer sicher gehen und Gewissheit haben. Danach werde ich weitersehen. Meine Eltern wissen es ebenfalls noch nicht. Ich habe solche Angst, Izzy!“, meint sie mit tränen erstickter Stimme und lehnt sich an meine Schulter. Sie versteckt ihren Kopf an meiner Halsbeuge und weint hemmungslos.

Ich spüre wie meine Hand zittert und ich versuche einen klaren Gedanken zu erfassen, doch es will mir einfach nicht gelingen.

Ich bin noch zu jung. Ich will mir über solche Sachen keine Gedanken machen müssen!

„Mit einem Baby habe ich keine Zukunft mehr...“, meint Jelena leise und schnieft. „Glaubst du, ich kann ein Baby großziehen?“ Zweifelnd sieht sie mich an.

Ich zucke mit den Schultern. Woher soll ich das wissen? Ist sie nicht selber Schuld an ihrer Misere? Hätten sie verhütet, stünde sie jetzt gar nicht vor diesem Problem.

Jelena richtet sich wieder auf und wischt sich mit dem Handtuch die Tränen aus dem Gesicht. „Jetzt wo du es weißt, fühle ich mich etwas besser. Danke!“

Komisch, denn ich fühle mich überhaupt nicht besser. Ich sehe zu, wie Jelena aufsteht und mir zulächelt, ehe sie zurück zum Sportplatz geht.

Ich bleibe auf der Bank sitzen, schaue wie in Trance zu den anderen Schülern und bekomme nicht mal mit, dass es längst geklingelt hat.

Jemand tippt mir auf die Schulter und als ich mich umdrehe, sehe in Nick's Augen. Verwirrt schaue ich zu ihm auf. „Was machst du hier?“, frage ich ihn erstaunt.

Er lächelt. „Du kamst mir gleich so bekannt vor. Meine Klasse ist im anderen Gebäude, aber ich war mir sicher, dich schon mal gesehen zu haben!“, erzählt er mit einem breiten Grinsen.

Er setzt sich neben mir auf die Bank und sieht mich an. „Du siehst so blass aus. Ist jemand gestorben?“, witzelt er und handelt sich von mir einen wütenden Blick ein. Ich schüttele den Kopf und sehe ihn einfach nur an.

„Wenn ich dich jetzt umarme, kannst du dann so tun, als wäre es nichts und deine Klappe halten?“, frage ich ihn zögerlich.

Nick legt den Kopf schief, scheint einen Moment nachzudenken und nickt schließlich. Ich rutsche näher an ihn heran und strecke meine Hände nach ihm aus. Ich schlinge meine Arme um seinen Körper und lehne meinen Kopf auf die Schulter. Mit geschlossenen Augen schmiege ich mich an ihn und spüre, wie er die Umarmung erwidert.

Irgendwie habe ich das jetzt wirklich gebraucht.

Als ich meine Augen kurz öffne, sehe ich wie Jelena zu uns sieht, sich dann jedoch abwendet.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  Glimmerharp
2013-07-03T16:36:05+00:00 03.07.2013 18:36
Hey,
Ich hab deine FF gelesen und finde sie echt Klasse^^
Nur die Entwicklung mit Jelena find ich seltsam o.o
naja bin gespannt was du aus dem allen machst^^

Lg
Glimmer
Antwort von:  Shunya
03.07.2013 21:07
Glimmerharp
Keine Sorge, bei 50 Kapiteln wird noch so einiges passieren. =u=
Danke für deine Meinung. :D


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