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Blue Boy

[Simon Cruz & Olli "Twisted" Kosunen]
von

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Prolog


 

*

Mann. Wenn es jemanden gab, der einen Ruf weghatte, dann warst ohne Zweifel du es.

Welch krude Horrorgeschichten man sich unter Bandkollegen über dich erzählte und wie man sich über deine Arroganz ausließ, die förmlich auf deine Stirn geschrieben zu sein schien. Nein, angeblich sprach sie aus deinem Lächeln. Und angeblich sagte dieses mehr als tausend Worte.

Für sie warst du das Arschloch.

Für mich warst du einfach nur der Typ, an dem man kein gutes Haar ließ. Ein Urteil über dich konnte ich mir nicht bilden, denn wir waren uns nie begegnet. Doch im Grunde hatte ich immer schon an Martins Übertreibungen gezweifelt. Vielleicht warst du ja arrogant. Aber kein Mensch besitzt nur diese eine Seite. Schließlich sind wir dreidimensionale Wesen, die man hinstellen kann. Und selbst du wirktest bei unserer ersten Begegnung nicht so, als wärst du flach wie ein Blatt Papier.

Ganz im Gegenteil.

*
 

Langsam aber sicher begannen mir die wabernden Lichter auf den Sack zu gehen. Natürlich, ich liebte das Rampenlicht und blühte erst dann richtig auf, wenn ich mich auf einer Bühne präsentieren konnte, eine Disco war allerdings ein etwas anderes Kaliber.

Doch heute war mir alles lieber, als zu Hause zu vergammeln und mir ein Bier nach dem anderen hinter die Binde zu kippen. Feierlaune wollte zwar keine aufkommen, aber wenn ich all die fröhlichen Menschen anschaute, die sich noch fröhlicher soffen, dann erschien es mir plötzlich legitim, einen über den Durst zu trinken.

Zwar war ich ohnehin nicht eine von diesen verklemmten, kleinen Pussys, die bereits von einem Bier einen roten Kopf bekamen und genoss den Alkohol fast täglich in vollen Zügen, doch in dieser Nacht übertrieb ich es vielleicht ein klein wenig. Denn aus den wabernden Lichtern entstanden bald schon rasende, bunte Flammen und rissen mich nicht nur einmal fast zu Boden. Gerade noch so gelang es mir, mich an einer umstehenden Person festzukrallen, was mir selbst in diesem Zustand absolut erbärmlich vorkam.

Besagte Person scheuerte mir glücklicherweise nicht gleich eine, sondern drehte sich zu mir um und stieß ihre Krallen förmlich in meine Oberarme, damit ich nicht gleich wie ein Schwächling auf die Knie sank. Prompt lallte ich etwas, das wohl ein 'Aua' sein sollte, aber letztendlich war ich doch ziemlich dankbar, dass ich somit wieder aufgerichtet wurde, denn ich wäre beinahe tatsächlich wie ein Blatt Papier zusammengeklappt.
 

"Alles klar?", hörte ich die Person ziemlich nah vor meinem Gesicht fragen. Ob sie männlich oder weiblich war konnte ich in meiner Befindlichkeit nicht erkennen; lediglich die langen, blonden Haare, die ihr auf die Schulter fielen, nahm ich wahr. Und natürlich das Augenpaar, welches sekündlich seine Position zu wechseln schien.

"Woah, ein Chamäleon", faselte ich, die lauten Umgebungsgeräusche sowie die dröhnenden Bässe sorgten allerdings dafür, dass Goldlöckchen, wie ich die Person mit einem stillen Grinsen später taufen würde, lediglich die Bewegungen meiner Lippen wahrnahm.

Fasziniert griff ich der Person mitten ins Gesicht, woraufhin sie mich urplötzlich auf eine Couch stieß und ich mir mein irres Gegluckse nicht länger verkneifen konnte.

"Trink mal Wasser, Kerl, du bist ja vollkommen dicht."

"Joa, vielleicht, vielleicht."

Grinsend sah ich zu, wie Goldlöcken von dannen zog und bedauerte es beinahe schon, dass ich es wohl nie wieder zu Gesicht bekommen würde, doch schon wenig später kehrte der blonde Engel zu mir zurück und hielt mir ein Glas mit Wasser unter die Nase. Währenddessen hatte er direkt neben mir Platz genommen und sich verdammt noch mal in meine Intimzone geschlichen. Oh Scheiße, er roch heftig nach Schnaps. Oder war ich das etwa?
 

Schließlich trank ich. Trank, und bemerkte mit Erschrecken, wie gut mir dieses so harmlose Gesöff tat. Stürzte alles hinunter. Bis das Glas leer war und ich es auf dem niedrigen Tisch abstellte.

"Du bist mein Retter...meine Heldin...was auch immer..."

"Einigen wir uns auf Retter, wenn es denn sein muss", erwiderte der andere trocken, schmunzelte ein wenig. "Für 'ne Heldin hab ich dann doch zu viel in der Hose."

Ah, also doch ein Männchen. Okay. Eigentlich war ich Androgynität gewohnt, spätestens seit Peter wusste ich, dass nicht alles Weibchen war, was Rock trug, aber für Verwirrung sorgte dieses Spielchen letzten Endes doch jedes Mal. Und wenn man eh nicht mehr klar denken konnte, dann war man tatsächlich versucht, seinem Gegenüber die Hosen herunterzuziehen, um unverzüglich und präzise zu erfahren, mit welchem Pronomen man um sich zu werfen hatte. Doch selbst wenn ich es in diesem Falle gewollt hätte, ich hätte es nicht gekonnt. Die Trunkenheit war stärker als jeder Muskel meines Körpers. War sie immer. Deswegen pinkelte man sich auch manchmal ein, wenn man Alkohol in seinen Blutbahnen rasen spürte.
 

"Wenn du mich fragst, ist es eigentlich ziemlich bescheuert, sich so den Rest zu geben", meinte Goldlöckchen nun und strich sich die Haare nach hinten, verschwendete keinen Blick in meine Richtung. Hatte das Bier mein Gesicht dermaßen gezeichnet, dass ich absolut unansehnlich geworden war? Ich hoffte es nicht. Trotz Alkohol blieb ich eitel. War mein gutes Recht. Schließlich musste man als Sänger einer Band stets aussehen wie gerade mit Perwoll gewaschen. Tat ich zwar ohnehin nie, weil nicht jeder Peter oder Martin heißen konnte, aber ich versuchte wenigstens mein Bestes.
 

"Pff", machte ich, spielte nicht sonderlich unauffällig mit meiner Zunge an meinem Lippenpiercing und glotzte ungeniert den Damen in ihren kurzen Lederröcken hinter. "Heute darf ich mir den Rest geben. Heute, wo doch mein Ehrentag ist."

Vorwitzig beugte ich mich zu Goldlöckchen hinüber und schnippte ihm mit den Fingern vor der Nase herum, woraufhin es auszuweichen versuchte. Ich allerdings grinste nur dämlich.

"Ich hab Geburtstag, Baby! Woohoo!"

"Na dann herzlichen Glückwunsch", erwiderte der andere halbherzig, nippte nun selbst an seinem Schnapsgläschen und ich musste feststellen, dass seine Augen ebenfalls unter all die knappen Röckchen der Ladys krochen. Er war sogar so eingenommen von diesen Anblicken, dass eine Gesprächspause entstand. Oder er wollte sich einfach nicht mit einem sturzbetrunkenen Typen unterhalten. Weil die bekanntlich sehr viel Scheiße laberten. Einige von ihnen bekamen sogar einen homosexuellen Touch, wenn sie locker wurden. Oho.
 

"Und wieso bist du dann ganz alleine hier, wenn du doch Geburtstag hast?"

Endlich guckte Goldilock mal zu mir rüber. Mh. Wirklich schade, dass es zu viel in der Hose hatte, um eine Heldin zu sein. Sonst hätte ich nicht lange gefackelt und das Mäuschen abgeschleppt. Irgendwie musste ich zwar zugeben, dass mir dieses Gesicht bekannt vorkam, aber im Moment konnte ich es nicht einordnen. Es war mir auch egal. Viel lieber kam ich wieder näher und fummelte ein bisschen an den blonden Strähnen herum, ließ sie zwischen meinen Fingern hindurchgleiten, was unserem Hengstchen selbstverständlich missfiel, seiner erneuten ausweichenden Geste nach zu urteilen.

"Gegenfrage: Hättest du Bock, mit einer absoluten Tunte, die vollkommen den Verstand verliert, wenn sie betrunken ist, einem nervigen Gitarristen und im Gegensatz dazu einem absoluten Drummerlangweiler deinen Ehrentag zu verbringen?"

"Absolut Tunte, die den Verstand verliert?", hakte der andere prompt nach und kaute auf seiner Unterlippe herum mangels Piercing, an dem er spielen konnte. Eine Weile lang musterte er mich nachdenklich, ehe so etwas wie Erkenntnis in seinen Zügen auftauchte. Zwar wackelten seine Augen und die Nase noch immer sehr ungesund, aber selbst ein Blinder hätte realisiert, dass in Goldilocks Hirn ein Licht aufgegangen war.
 

"Man, klar, du bist doch Simon Cruz!", rief er laut aus und ich konnte nicht anders, als die Stirn in Falten zu legen. "Und die Tunte, die du meinst, ist Peter. Verdammte Tussi, die..."

"Du kennst Peter? Du Ärmster."

"Ja, ja, ich Ärmster", lachte Goldlöckchen auf und es traf mich in diesem Augenblick fast wie ein Schlag. Dieses Lächeln, es musste von den Göttern erschaffen worden sein. Kein Normalsterblicher bescherte seinen Mitmenschen so einen Flash, wenn er die Mundwinkel nach oben zog.

"Gott, du bist Olli", entwich es mir daraufhin ganz verwirrt. Ich schüttelte mein Haupt. "Du musst einfach Olli sein. Wie sagt Martin immer? Ach ja: Dollface. Und verdammte Axt, er hat Recht! Du bist voll die Puppe, wenn du lachst."

"Klar bin ich Olli", rollte mein Gegenüber mit den Augen. "Und du scheinst ja schon eine krasse schwule Schlagseite bekommen zu haben von deinem Umgang mit Peter."

Er trank noch einen Schluck, lachte dann wieder, allerdings nicht mehr so breit.

"Ein Glück, dass ich rechtzeitig die Flucht ergriffen habe, ehe der mich warmmachen konnte. War wirklich höchste Eisenbahn. Man, wie weit wir schon gegangen waren..."

"Reicht", gab ich bekannt und hob meine Hände. "Ich will gar nicht wissen, was ihr gemacht habt."

Ich räusperte mich.

"Themenwechsel: Was macht denn ein Goodlooker wie du ganz allein in einer großen, bösen Disco?"

Aber er brauchte gar nicht zu antworten. Ich musste nur einmal mehr seine Blickrichtung verfolgen.

"Die Damen, natürlich."

"Na klar die Damen", äußerte Olli und man hörte seiner Stimme an, dass er nun ganz in seinem Element war. "Meine Kumpels haben sich schon alle verpisst, schon viel eher...weißt du, wir haben alle Frauen zu Hause und sie wollen eben nicht in Versuchung geführt werden. Ist ja auch verdammt riskant."

Er deutete mit dem Kinn auf ein Mädchen mit meterlangen Beinen.

"Guck dir nur die Schnitte an. Hell yeah..."

"Ja, heiß."

Aber da war etwas, das mich im Moment stärker interessierte als der x-te Arsch einer Frau.

"Du hast wirklich ne Frau?"

"Klar. Und genau deswegen darf ich nur gucken und nicht anfassen. Appetit holen ist okay, aber gegessen wir zu Hause."

"Man, bin ich froh, dass ich Single bin", freute ich mich daraufhin und als mich die Frau, der wir gerade eben noch eindeutige Blicke zugeworfen hatten, bemerkt zu haben schien, schlug ich Olli hart auf die Schulter und erhob mich schwankend. "Entschuldige mich, aber ich hab da was klarzumachen..."

Besagter antwortete nicht erst, trank ungerührt weiter an seinem nächsten Schnapsglas und ließ mich ziehen.
 

Wenn sich nur der Boden nicht so bewegt hätte. Aber eigentlich mochten Frauen es doch, wenn man vor ihnen sofort auf die Knie ging. Peinlich nur, dass ich Olli ebenfalls schon auf diese Art und Weise angebetet hatte.
 

Pah, Olli. Das war wirklich verrückt. Ich musste an all die Geschichten denken, die meine Bandkollegen sich über ihn erzählten. Wie viel ich bereits über ihn erfahren hatte, ohne ihn überhaupt zu kennen.

Theoretisch musste er ein absolut schlechter, egoistischer und arroganter Mensch sein.

Doch waren nicht genau dies die interessanten Charaktere in der Geschichte, die sich Leben nannte?

1. Kapitel - Animal Attraction


 

*

Peter war schuld. Ganz allein Peter. Er saß in dieser Nacht in meinem Ohr und hat mich zu all den Schwulitäten verleitet.

Es tut mir leid, Olli. Eigentlich bin ich nicht so. Selbst nicht, wenn Frauen mich abblitzen lassen. Selbst nicht mit vier Promille im Blut.

Aber du fordertest es geradezu heraus und das weißt du auch. Zu manchen Dingen gehören eben immer zwei.

Zwei besoffene Typen, der eine derartig an Homosexualität gewöhnt, dass er Heterosexualität manchmal schon als seltsam empfand und der andere so offensiv metrosexuell, dass einem Normalsterblichen die Augen bluten konnten; da blieb einfach kein Raum für Unschuld.

*
 

"Da bist du ja schon wieder."

"Ja. Back on track. Allzeit breit - äh, bereit."

Diese Worte rangen Olli wundersamerweise erneut ein Schmunzeln ab. In Kombination mit seinem Blick, den er von unten zu mir hinaufwarf, strahlte er irgendetwas Sympathisches auf mich aus. Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass er im Gegensatz zu meinen sehr verehrten Bandkollegen noch Augen für andere Frauen hatte - trotz Ehe oder Beziehung oder in was auch immer er steckte. Darüber hatten sich Peter und Martin bisher nicht ausgelassen, obwohl das gerade ein interessantes Gesprächsthema dargestellt hätte.
 

Als wenn nichts gewesen wäre ließ ich mich wieder neben ihn auf meinen Hosenboden fallen. Liebäugelte erneut mit Ollis Schnapsglas, aber ja, er musste mich gar nicht so ansehen, ich wusste, dass ich bereits genug getankt hatte.

"Hat die Braut dich nicht rangelassen, oder was?"

Vernahm ich da etwa so etwas wie leichten Hohn in seiner Stimme? Sollten die Arroganz-Anschuldigungen doch der Wahrheit entsprechen?

"Ach, die Alte war eh total verklemmt", erklärte ich schulterzuckend, woraufhin Olli neben mir leise vor sich hinlachte.

"Wahrscheinlich warst du ihr einfach zu hacke. Man muss schon selbst ziemlich zu sein, damit man auch nen absolut Besoffenen vögelt."

Sollte das ein Kompliment sein? Egal. Ich nahm es als solches. Und feuerte prompt eine kleine, plumpe Anmache zurück. Einfach, weil mir danach war und ich nicht erst lange über Gott und die Welt nachdenken wollte. Nicht heute. Nicht in diesem Zustand.

"Da hab ich ja Glück, dass du schon fast so dicht bist wie ich."

Ich hatte mich entspannt zurückgelehnt und erwartete fast schon mit Begierde Ollis Reaktion auf meine Worte. Er schien mir ein recht schlagfertiges Bürschchen zu sein und ich konnte nicht leugnen, dass solche Menschen einen gewissen Reiz auf mich ausstrahlten. Intelligenz wirkte immer sexy, egal, wie betrunken man war. Egal, ob es sich um ein Männlein oder ein Weiblein handelte.

Egal, egal, egal. Fuck everything.
 

Olli antwortete nicht sofort. Zunächst musterte er mich einmal mehr mit diesem abschätzenden Blick, der mich allerdings nur zu einem noch breiteren Grinsen animierte, hoffend, der andere würde nicht den Heteroklemmi spielen und sich auf so etwas wie einen kleinen Flirt einlassen. Ich meine, das war im Grunde alles nur ein Heidenspaß und nicht mehr. Niemals hätte ich ernsthafte Absichten gegenüber einem anderen Schwanz gehegt. Das war einfach nicht meine Art. Das überließ ich mal schön Peter.
 

"Was soll denn das heißen?", meinte Olli letzten Endes, öffnete seine Lippen ein klein wenig, aber nicht, um mir eines seiner berauschenden Lächeln zu schenken, sondern um besser mit seiner Zunge gegen die Innenseite seiner Wange zu stoßen. Wie so ein übelster Proll.

Die Arroganz, die förmlich auf seine Stirn geschrieben zu sein schien.

"Was das heißen soll?"

"Ja."

"Dass dicht und dicht sich gern gesellt."

Ein Kopfschütteln kam von Ollis Seite. Mehr nicht. Schade.

"Ey, mach dich mal locker", lachte ich auf und klopfte Mister Dollface auf die Schulter. "Dein Keuschheitsgürtel sitzt eindeutig zu fest. Kneift's nicht?"

Doch Olli wandte nur seinen Blick ab.

Schade, schade, schade. Er wollte nicht mehr mit mir reden. Also konnte ich mich ebenso gut verpissen. Mit den Frauen hatte ich heute ohnehin kein Glück und irgendwie stand mir auch gar nicht mehr der Sinn nach prallen Titten. Nur Olli, den hätte ich ganz gern noch ein bisschen geärgert. Als Belohnung dafür, dass er mich vor einem bösen Sturz auf meinen ohnehin schon blöden Schädel bewahrt hatte. Aber man sollte schließlich immer aufhören, wenn es am schönsten war. Galt für die Sauferei, galt für das Piesacken wildfremder Puppengesichter. Galt für alles.
 

"Ich mach los", kündigte ich also an, schwankte vor Olli herum und fiel nicht nur einmal fast auf ihn drauf.

"Weißte was, ich komm mit."

"Was? Mit zu mir?"

"Nein. Ich hau auch ab. Wird langsam langweilig."

"Ohne mich würdest du dich noch mehr langweilen, das schwör ich dir."

Schließlich stand er vor mir und hielt mich schon aus Reflex an den Oberarmen fest. Wahrscheinlich, weil ich schon wieder umzufallen drohte.

Wir blickten uns direkt an.

"Ey, Püppchen", säuselte ich wie im Delirium, wurde aber bereits nach draußen gezogen und durfte die frische Nachtluft schnuppern. Mh. Das tat gut. Fast so gut wie das Glas Wasser vorhin.
 

"Scheiße."

"Was? Ich riech nichts."

"Nee...Scheiße", beharrte Olli auf den Ausscheidungen. "Wie spät ist es eigentlich?"

"Keine Ahnung", lallte ich vor mich hin, versuchte, mein Handy aus der Hosentasche zu angeln, aber meine Finger griffen fünfmal ins Leere, bis sie das Gerät zum Vorschein brachten. Nur leider war es mir erst recht nicht möglich, die Uhrzeit zu erkennen. Also konterte ich ganz einfach geschickt.

"Ich glaube, es ist kurz vor nackig, Zeit zum Ausziehen."

"Sehr witzig."

Olli schnappte sich ungefragt mein Handy und warf nun selbst einen Blick auf den Screen. Ich lachte einmal mehr, als er merkwürdige Grimassen bei dem Versuch zog, den tanzenden, schwarzen Linien einen Sinn entlocken. Es half auch nichts, die Augen zusammenzukneifen. Haha. Olli war nicht weniger dicht als ich. Lediglich standfester, was es kaschierte.

"Ach, scheiß drauf", meinte der andere schließlich und schob mir das Handy zurück in die Hosentasche, oder besser gesagt: Versuchte es. Es fiel garantiert nicht nur einmal zu Boden. Und Olli war derjenige, der sich bücken durfte.

"Bück dich Fee, Wunsch ist Wunsch", kommentierte ich eifrig, bekam allerdings kein einziges Mal einen frechen Spruch zurück, was ich zutiefst bedauerte. Aber vielleicht lag es auch daran, dass Olli momentan andere Probleme hatte.

Verloren starrte er in die Nacht, die lediglich von ein paar Straßenlaternen erleuchtet wurde.

"Was'n los, Baby?", hakte ich gespielt besorgt klingend nach und grabschte nach seiner Wange. "Hat Mami vergessen, dich aus der Disco abzuholen? Ooooohh..."

"Hör auf, so eine Scheiße zu labern, Mann", rügte Olli mich jedoch nur ärgerlich, fuhr dann aber weniger sauer fort. "Egal, wie spät es ist, es ist garantiert nach Mitternacht und um die Zeit fahren in Schweden doch keine Busse mehr, oder hab ich da was verwechselt?"

Ich zog meine Mundwinkel nach unten und zuckte die Schultern.

"Ey, du bist Schwede, du hast das zu wissen."

"Man kann zwar alles essen, aber nicht alles wissen."

Schweigen. Was bildete der sich auch ein, einem Besoffenen direkt auf den IQ zielen zu wollen? Meine Hirnzellen waren bereits vor Stunden in einen tiefen Schlummer verfallen, dort oben war längst Feierabend für heute.
 

Ehe Olli weiter über seinen gottverdammten Bus schwafelte, steckte er sich eine Zigarette an und guckte wieder in das Irgendwo im Nirgendwo. Fraglich, was daran so spannend war.

"Ich komme also nicht mehr ins Hotel. Nice."

"Ein Glück, dass ich gleich um die Ecke wohne", warf ich ein und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. Nun hatte ich allerdings auch Appetit auf eine Zigarette bekommen. Nur leider war mein ganzer Vorrat an Kippen aufgebraucht. Schon aus diesem Grund musste ich ein Opfer abschleppen, das ich möglichst erfolgreich anpumpen konnte.

"Schön für dich."

"Nee, du raffst es nicht", schüttelte ich den Kopf. Olli schaute mich so ernst an, dass ich fast wieder hätte lachen müssen. Doch mehr als ein Glucksen kam nicht von mir. "Ich lade dich hiermit ein, in meinen heiligen Hallen zu nächtigen."

Ich sah ganz genau, wie Ollis linke Augenbraue emporwanderte.

"Du willst mich doch nur..."

"Quark. Ich will gar nichts. Ich will nur nicht, dass so ein Püppchen wie du unter einer Brücke pennen muss. Weißt du, ich bin einfach nur kein Unmensch."

Wieder schaute ich auf Ollis Zigarette, die er fast schon eine Spur zu galant zwischen Zeige- und Mittelfinger hielt. Ich konnte gar nicht anders, als mir kurz, aber wirkungsvoll über die Lippen zu lecken.

"Na gut, ein bisschen Eigennutz ist schon dabei. Gib mir einfach, zwei, drei Kippen ab und du kriegst ne Nacht in einer warmen Stube. Deal?"

Wir starrten uns regelrecht an. Keiner war gewillt, den Blick zu unterbrechen. Und ich dachte nur, dass man so ein Angebot unmöglich ausschlagen konnte. Bei Simme wars doch so schön. Warm. Kuschelig. Ja, besonders kuschelig. Denn Simme hatte nicht nur ein großes Herz, sondern vor allen Dingen auch ein großes Bett. Aber das musste ich ja nicht erwähnen, das würde Olli schon früh genug mitbekommen. Und wenn er einmal in meiner Wohnung stand, dann wollte er ohnehin nicht mehr weg. Großes Bett hin oder her.
 

*****
 

"Mein lieber Schwan...trägst du eigentlich immer so enge Leggins?"

Erst jetzt bemerkte ich die kleidungstechnischen Vorzüge Ollis. Klar, schon vorher hatte ich es zur Kenntnis genommen, dass Olli ein seltsam-tussiges Verhältnis zu allem zu pflegen schien, was glitzerte. Er trug glitzernde, silberne Armreifen und riesige Kreolenohrringe, die jedem Peter dieser Welt Konkurrenz machen könnten (Peter war für mich nur noch ein Synonym für alle schwulen Männer) und toppte das Ganze mit einem absolut auffällig funkelnden Oberteil, das er mir Sicherheit aus der Damenabteilung hatte. Doch ich fands echt nicht schlecht. Ich hätte schon arg lügen müssen, hätte ich behaupten wollen, dass es mich nicht ansprach. Deswegen ließ ich es einfach bleiben, denn als Pinocchio zu enden war ich nicht gewillt. Außerdem machte es mir trotz Ollis leider sehr zurückhaltenden Reaktionen noch immer viel Spaß, ihm freche bis obszöne Sachen an den Kopf zu werfen. Einfach, weil Ollis Optik förmlich danach schrie. Und einfach, weil mir eh alles egal war.

Außerdem konnte man diesen Arsch, der gerade vor mir die Treppen hinaufging, unmöglich unkommentiert lassen. Das war ne Bombe, Alter Falter, damit hätte man Nüsse knacken können, ohne Zweifel!
 

"Tja, ich kanns mir eben leisten, zu zeigen, was ich hab", kam es von Olli, der nun oben vor meiner Haustür angekommen war und darauf wartete, dass ich das Tor zur Hölle - pardon - das Tor zu unserer gemeinsamen nächtlichen Bleibe aufstoßen würde. Doch ich dachte gar nicht daran. Ich dachte an etwas ganz anderes. Und meine Hand anscheinend auch.

"In der Tat, sehr ansehnlich", urteilte ich, grabschte im nächsten Moment allerdings schon nach seinen strammen Arschbacken. "Und schön fest. Mh. Ich mag Leute, bei denen man was zum Anfassen hat."

"Simon..."

Ganz dicht stellte ich mich nun hinter die blonde Glitzerpüppi und hauchte ihr etwas ins Ohr, während meine Hand wie angeklebt auf ihrem Arsch zu sein schien.

"No homo."

"No homo?"

"No homo."

"Gut, dann mach endlich die Bude auf, ich hab keinen Bock, die Nacht im Hausflur verbringen zu müssen und dazu auch noch mit deiner Pfote an meinem Arsch."

Na, wer würde denn da gleich zickig werden?

"Och, aber ich hätte darauf Bock", sagte ich klipp und klar an, griff ein letztes Mal fest in das pralle Sitzfleisch Ollis, fummelte dann aber nach meinem Schlüssel, den ich sogar wundersamerweise in den Tiefen und Untiefen meiner Hose ausfindig machen konnte. Nur die Einführung des Schlüssels in das Schlüsselloch gestaltete sich äußerst schwierig und es sah beinahe schon so aus, als würden wir tatsächlich im Hausflur schlafen müssen.

"Also wenn du bei den Frauen auch solche Probleme beim Einfädeln hast wenn du besoffen bist, dann ist es kein Wunder, dass sie dich abblitzen lassen", kommentierte Olli das Geschehen.

"Ich will dich erst mal sehen." Und prompt fing ich an, ein wunderschönes Lied zu trällern, welches ich irgendwann einmal aufgeschnappt hatte. "Last night, ouhouh, I stuck it in the wrong hole..."

"Ja, sehr witzig. Steck du lieber den Schlüssel ins richtige Loch."

Tat ich schließlich auch. Beinahe hätte ich geschrien wie ein Olympiasieger, als das Ding steckte und ich es nur noch drehen musste.
 

"Ladys first", verkündete ich feierlich, als ich die Tür aufhielt und Olli mit der Hand den Weg wies.

"Ich bin aber keine Lady", stellte er richtig, trottete dann aber trotzdem in die gute Stube und ich hinterher.

"Du siehst aber aus wie eine heiße Lady", meinte ich anschließend noch. "Hoffentlich vergesse ich heute Nacht nicht, dass du nen Schwanz hast."

"Glaub mir, das würdest du schon früh genug mitbekommen."

"Ach, so weit würdest du mich gehen lassen? Bis in deine Hose? Ist ja interessant..."

"Halt die Klappe, Simon."

"Ist ja gut, ist ja gut", seufzte ich dramatisch und ließ mich, einmal im Schlafzimmer angekommen, von Müdigkeit überwältigt auf mein Bett fallen. Doch ich durfte die Augen noch nicht schließen. Also warf ich Olli einen Blick zu, der unschlüssig im Türrahmen verharrte und komisch auf mein großes Bett schaute.

"Was denn?", wollte ich wissen, wartete aber gar nicht erst, bis der andere mir eine Antwort liefern konnte, sondern erhob mich wieder. "Machs dir schon mal ein bisschen gemütlich, ich geh schnell duschen. Ich riech wie ein Iltis."

"Ab-aber..."

Ich wusste, was er nun sagen wollte. Also kam ich ihm zuvor. Hielt dabei wissend den Zeigefinger in die Höhe.

"Du hast gesagt, dass du keine Lady bist, also gibts auch beim Duschen kein Ladys first."

Grinsend setzte ich hinzu: "Es sei denn, du willst mit mir gemeinsam duschen..."

"Kein Bedarf."

"Okay. Dann eben nicht. Ist ja nur mein Strom, den ich bezahlen muss."

Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen und sprang der mich erwartenden Dusche fast schon freudig entgegen. Nur leider flaggte es mich im Flur zweimal in die Ecke, aber auch das konnte einen wahren Krieger nicht aufhalten.

"Sei brav, Schätzchen!", flötete ich noch, ehe ich im Bad verschwand und Olli sich schon mal mit seinem Schicksal anfreunden ließ. Schicksal Simmes Doppelbett. Ob er noch dachte, ich würde ihn auf die Couch abschieben? Nix da. Jemanden auf die Couch zu verfrachten war herzlos. Und Simme hatte nicht nur ein großes Bett und ein großes Herz, sondern auch einen großen Schwanz und große Eier. Aber das nur mal am Rande, weil ich ihnen gerade unter der Dusche Guten Tag sagte.
 

Aus purer Absicht kehrte ich lediglich mit einer frischen Unterhose zurück in das Schlafzimmer, wo Olli schon mal unser Bett vorwärmen sollte. Hatte er natürlich nicht gemacht. Schüchtern hatte er anstelle auf dem kleinen Stühlchen Platz genommen, welches neben dem Nachtschränkchen stand.

"Du hättest dich ruhig aufs Bett setzen können. Oder legen", lächelte ich ihn warm an, Olli aber hatte dem nichts hinzuzufügen. Also eröffnete ich ihm, dass er nun in die Dusche dürfte.

"Aber nur kaltes Wasser verwenden", warnte ich ihn. "Sonst kostet dich die Nacht zehn Kippen, klaro?"

Als er mich skeptisch anguckte, zwinkerte ich ihm zu. Dann war ich es, der allein zurückblieb. Doch im Gegensatz zu Olli legte ich mich schon einmal in die Federn und schaltete den Fernseher ein.

Es interessierte mich nicht, was gezeigt wurde, Hauptsache, dieses bunte Flimmern hielt mich noch ein paar Minuten wach. So lange, bis Olli wiederkommen würde. Denn ich ahnte, dass es erst jetzt richtig spaßig werden würde.
 

*****
 

Ich schmunzelte vor mich hin. Trotz des Fernsehers, der versuchte, mir in moderater Lautstärke irgendeinen belanglosen Mist näherzubringen, konnte ich Ollis hübsches Stimmchen laut und deutlich vernehmen. Ollis hübsches Singstimmchen, wohlgemerkt. Zwar vermochte ich nicht zu verstehen, was er da vor sich hinträllerte, aber das war im Grunde auch nebensächlich. Viel wichtiger war doch, dass er genau wie ich zu jeder Zeit den Sänger heraushängen ließ. Wäre ich nicht so breit gewesen, hätte ich wahrscheinlich auch ein Liedchen angestimmt, aber wie bereits erwähnt hatte mein Hirn für diesen Tag Feierabend. Schön, dass Olli noch frohen Mutes war. Tja, Alkohol machte eben fröhlich. So fröhlich, dass Olli selbst noch sang, als er wieder im Schlafzimmer erschien, ebenso wie ich nur mit einer engen, schwarzen Unterhose bekleidet.
 

"Everybody's got an animal ins-"

"Wow."

Er hielt in der Bewegung inne. Blieb im Türrahmen stehen. Egal. So hatte ich wenigstens einen perfekten Blick auf das, was sich mir nun bot.

"Was?"

"Wowow, sagte ich."

Alter Verwalter. Da entfleuchte mir ja prompt jegliche Müdigkeit aus den Gliedern. Dass Olli einen geilen Hintern für einen Typen hatte wusste ich bereits, aber dass er oben ohne dem Augenschmaus noch einen draufsetzen konnte, hatte ich nicht erwartet. Klar, Ollis Arme waren auch nicht von schlechten Eltern, aber was sich da auf seinem Bauch abzeichnete war etwas, das die Mädels sicher reihenweise in Ohnmacht fallen ließ. Hundertprozentig.
 

"Was ist denn so 'wow'?"

Amüsiert schüttelte ich den Kopf.

"Stellst du dich so dumm oder bist du so dämlich, dass du es nicht raffst?"

Ich erntete keine eindeutig identifizierbare Reaktion. Lediglich ein unsicheres Zucken mit dem rechten Mundwinkel. Gut, dann musste Onkel Simme eben deutlicher werden. Aber wehe, der Herr regte sich auf, wenn ich ihm auf die Sprünge half.
 

"Komm mal ran, Baby."

Die Erfolgsquote für diese Aufforderung schätzte ich auf gerade mal zwanzig Prozent. Doch wahrscheinlich war Olli so durcheinander, dass er gar nicht mehr darüber nachdachte, in welche Gefahrenzone er sich gerade begab. Vielleicht war er aber auch nur ein kleines Naivchen, das meine Warnschüsse nicht ernstgenommen hatte.
 

So stand er schließlich vor mir, der stattliche Hengst. Sonnengeküsste Haut präsentierte sich mir hautnah - wie passend - aber das, was mir den Atem geraubt hatte, waren diese verdammt ausgeprägten Bauchmuskeln, die den Püppchenlook des Typen deutlich zu trüben wussten. Ich war verwirrt. Und angetan. Und vielleicht auch ein bisschen neidisch. Aber die Faszination überwog gerade alles. Überwog meine Gehirnzellen, die eh schon wieder in der Ursuppe zu schwimmen schienen. Leitete letzten Endes meine Hand. Alter Verwalter.

"Menschenskinder, da hat aber jemand einen knackigen Body. Mein lieber Schwan."

Präzise fuhren meine Fingerspitzen über jeden einzelnen Muskel und ich rechnete jeden Moment damit, dass Olli mir auf die vorwitzigen Pfoten haute. Doch nichts dergleichen bewahrheitete sich. Er ließ mich tatsächlich an sich herumfummeln, ja er schien meine Lobpreisungen sogar zu genießen, denn er stemmte nun eine Hand in die Hüfte und griff sich mit der anderen in die noch etwas feuchten Haare. Keine Frage, er präsentierte sich mir. Präsentierte sich mir wie ein Model. Wo war denn sein Keuschheitsgürtel hin? Hat er ihn unter der Dusche weggespült? Oder schwamm der mit meinen Hirnzellen in der Ursuppe herum? Keine Ahnung. Am besten nicht hinterfragen. Einfach genießen. Und ausnutzen.
 

"Da kann ein Simme nicht mithalten", meinte ich, nachdem ich lange genug den straffen Oberkörper Ollis begutachtet hatte, mit Augen sowie mit Händen. Ich war nun aufgestanden, sodass ich Angesicht zu Angesicht vor Olli stand, ihn noch immer befummelnd, was er aber breit und sonnig grinsend hinnahm.

"Gegen dich fühl ich mich ja wie der letzte Spaghettisultan. Mann, ich sollte wirklich mehr für meine Figur tun."

Noch ehe ich es mir versehen konnte hatte meine Hand sich einmal mehr auf Ollis Arsch geschlichen und prüfte dort die Durchtrainiertheit meines Gastes zur Nacht. Leider stieß dies nicht auf Gegenliebe. Hätte ich doch nur weiterhin an der Front gefühlt.

Entschieden packte Olli mein Handgelenk und gab es mir förmlich wieder. Doch das Grinsen wollte nicht mehr aus seinem Gesicht weichen. Ein Zeichen, dass er sich gar nicht so belästigt fühlen konnte, wie er vorgab.

"Meine Güte, du machst ja London Konkurrenz", schüttelte er schalkhaft den Kopf, während ich schon wieder auf Grabschkurs ging. Dieses Mal musste aber wieder der Bauch dran glauben. Schließlich waren meine flinken Fingerchen dort willkommen, wie ich bemerkt hatte.

"So, tu ich das?"

Schweigen im Walde. Das war Antwort genug. Also peterte ich wohl gerade ziemlich arg. Aber scheiß doch drauf, ich war besoffen, ich durfte das. Und Olli war auch mehr Frau als Mann. Nein, er war ein Mischwesen, das mit absoluter femininer Eleganz überzeugte und im Gegensatz dazu krasse, männliche Muckies vorzuweisen hatte.

"Apropos London", setzte ich dem Schweigen schließlich ein Ende, hielt sogar meine Finger still. "Du hast dem damals seinen Schniepel angefasst, oder? Iiiih, ernsthaft?"

"Das ist ewig her, Schnee von gestern..."

Mein Grinsen wurde nun so breit, dass ich kaum mehr aus den Augen gucken konnte.

"Wenn du den angefasst hast, dann kannst du ja auch mal meinen anfassen. So einen kleinen gepflegten Geburtstagshandjob würde ich jetzt begrüßen, oh ja..."

"Nee, danke, kein Interesse", kam es allerdings nur von Olli, der sich mir jetzt komplett entzog und Richtung Tür marschierte. "Ich geh lieber pennen."

Ratlos guckte er sich um, seine Hand ruhte bereits auf der Klinke.

"Sofa im Wohnzimmer, okay?"

"Du kannst auch hier schlafen, falls du dich traust", gab ich keck kund, warf mich zurück in die Federn und rückte an das Fenster, sodass vorne noch ein schönes Plätzchen für Olli freigegeben wurde, ganz wie ich es geplant hatte. "Oder hast du Angst vor dem großen, bösen Homosimme?"

Da warf letzten Endes sogar Olli den Kopf in den Nacken und verdrehte die Augen; dabei schlenderte er wieder auf mich zu.

"Du bist echt ein Spinner, weißt du das?"

"Ja klar. Und ich bin froh, nicht normal zu sein. Aber bevor du dich hinlegst, will ich, dass du mir ne Zigarette spendierst."

Tat er bereitwillig. Braver Junge.
 

Ein erster Rauchschwaden verließ meine Lungen. Wie gut das tat. Mann, Abstinenz würde wohl nie mein bester Freund werden.

"So ein Zigarettchen in Ehren kann eben niemand verwehren."

Obwohl Olli eben noch großartig angekündigt hatte, pennen zu wollen, wirkte er auf mich noch ziemlich munter. Er saß halb im Bett, stützte sich den Hinterkopf mit der Hand ab und starrte vor sich hin, wie ich im Dunkeln zu erkennen glaubte.

Eine Weile lang ging ich nicht darauf ein, beguckte mir einfach nur dieses perfekte Mannsbild und genoss meine Zigarette, die auch irgendwie blumiger schmeckte als es Zigaretten gewöhnlicherweise taten. Wahrscheinlich waren Ollis Zigaretten einfach besser. Das erschien mir einleuchtend.
 

"Zeig mal deine Frau."

"Hä?"

"Boah, bist du schwer von Begriff? Du sollst mir deine Frau zeigen. Bitte danke."

Der blonde Schopf wackelte im Finsteren. Bestimmt schüttelte er den Kopf über mich. Pff, sollte er doch.

"Wieso sollte ich sie dir zeigen?"

"Ich will mir eben ein Bild von ihr machen. Und von deinem Geschmack. Muss ja wissen, ob sie es wert ist, dass du für sie alle anderen Frauen links liegen lässt."

Daraufhin stellte Olli keine weiteren dummen Fragen, sondern suchte sich sein Handy aus der am Boden liegenden Hose, die er achtlos dorthin geworfen hatte, nachdem ich es ihm schulterzuckend erlaubt hatte.

Das Display leuchtete hell auf und bald schon bewegte sich der helle Lichtpunkt kurz und hektisch. Und nein, dieses Mal lag es nicht an meiner Trunkenheit.
 

"Hier."

Gespannt robbte ich näher auf den anderen zu. Rechnete schon wieder eine gewisse Quote aus, als ich einfach den Arm um ihn legte und meinen Kopf ungeniert gegen seine Brust schmiegte. Ja, natürlich tat ich das nur, um besser auf das Handy sehen zu können. Fand sicher auch Olli, denn er gab mir nicht gleich den nächsten Korb, sondern ließ mich gewähren. Störte sich nicht einmal daran, dass ich meine Hand auf seinem Bauch ablegte. Ach ja, stimmt, Bauch war ja eine erlaubte Zone, ich vergaß.
 

Nun aber Attention please, Simon Cruz. Was Sie sahen, war ein Foto. Ein Hochzeitsfoto, eindeutig. Olli trug so einen komischen spießigen Anzug mit Fliege, strahlte über alle vier Backen und führte eine Madame an der Hand, die -

Ja, die ihm wie aus dem Gesicht geschnitten war. Lange, blonde Haare, dasselbe Lächeln, dieselbe Nase, dieselben Augen...

"Ey, ist das deine Schwester?"

Man hörte Olli amüsiert schnauben, während er mir das nächste Bild präsentierte.

"Das ist meine Frau, du Kunde."

"Aber die sieht so aus wie du."

"Tja, da siehst du mal", kam es unverzüglich von Olli, dem so etwas wie Stolz in der Stimme schwang, wie ich meinte. "Ich kann mich ja schlecht selber ficken, aber da ich es gern tun würde, brauch ich ne Lady, bei der der Eindruck entstehen kann..."

Ein ganz kleines Stück löste ich mich nun von seiner warmen Brust. Nur um ihn einen ungläubigen Blick zuzuwerfen. Direkt in sein Antlitz, welches wirkte wie das eines Königs. Eines Kaisers. Eines Gottes. Erhaben und so selbstbewusst, dass es schon fast nicht mehr feierlich war.

"Ernsthaft?"

"Klar."

Er erwiderte schließlich meinen Blick.

"Selbst du findest doch, dass ich eine übelste Granate bin. Oder?"

Dieses 'oder?' schrie geradezu nach einer Erwiderung. Eigentlich wollte ich die Behauptung viel mehr so stehen lassen, denn wenn man sie aus dem Nichts an den Kopf geknallt bekommt, verwirrte sie einen schon ein wenig.

"Kann ich nicht beurteilen, ich steh nicht auf Männer", nuschelte ich vor mich hin, ließ meinen Kopf allerdings widersprüchlicherweise zurück auf Ollis Brust sinken und meine Hand berührte wieder vorwitzig die muskulösen Erhebungen auf seinem Bauch.

Nein, wirkliche Scham empfand ich nicht. Erst recht jetzt nicht mehr. Jetzt grinste ich vor mich hin, denn wenn ich so darüber nachdachte, fand ich Olli in meinen Zustand der vollkommenen Trunkenheit doch ziemlich lecker. Und genau das wollte er doch aus meinem Mund hören. Er, der sich vorhin noch gegen meine Grabschattacken gewehrt hatte und nichts von Schwulitäten wissen wollte. Ausgerechnet er.
 

"Geile, scharfe Sau", murmelte ich also. Meine rauen Fingerspitzen glitten tiefer. Direkt über seinen Bauchnabel. Dort machten sie Halt. Man wollte ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.

"Was?"

"Sag mal, bist du schwerhörig?"

"Nö. Also, was hast du gesagt?"

Der ärgerte mich doch absichtlich, keine Frage. War das die Rache für meine Frechheiten? Tze. Das würde ich nicht auf mir sitzen lassen.

Kurz wendete ich mich dem Fenster zu, um den Rest meiner Zigarette zu entsorgen, die zum Schluss eh nur noch ungenutzt vor sich hingequalmt hatte. Dann aber widmete ich mich wieder Olli. Schmiegte mich an ihn, fast schon auf ihn. Er grinste. Und er grinste immer noch, als ich meine Hand an seine Seite legte und ihn ein Stück hinunterzog, sodass er beinahe in die Horizontale ging.

Oh, wie nahe ich nun seinem hübschen Gesichtchen gekommen war. Und wie herrlich der andere die Zähnchen bleckte. Na, wie weit würde er mich dieses Mal gehen lassen?
 

"Ach, so weit würdest du mich gehen lassen? Bis in deine Hose? Ist ja interessant..."
 

"Geile, scharfe Sau, sagte ich", wiederholte ich meine Worte von vorhin, Olli dabei keine einzige Sekunde aus den Augen lassend. "Geiler Fickschlitten. Geiles Bückstück. Geile Bums..."

"Was?"

"Was, was?", äffte ich Olli nach, woraufhin dieser nur zu lachen begann und sich leicht neben mir räkelte.

Kurz herrschte Stille zwischen uns, in der der andere wahrscheinlich etwas zu Verstand gekommen war. Man musste zugeben, es sah so aus, als würden tatsächlich noch Hirnzellen auf seiner Seite des Feldes spielen.

"Wenn Noora wüsste, was du hier mit mir machst, du böser Bube…", erwähnte Olli schließlich mit Unschuldsstimme. "Sie würde dir die Augen auskratzen. Oder dich gleich vierteilen."

"Sie weiß es aber nicht", erwiderte ich unverzüglich und kratzte nun etwas fester über Ollis Bauch, ließ ihn meine Raubtierkrallen spüren. "Und alles, was in diesem Raum geschieht, bleibt auch in diesem Raum. Das war so, das ist so, und das wird immer so sein. Mach dir keine Gedanken, Babe."

Und dann überbrückte ich einfach die letzten Zentimeter zwischen uns und küsste ihn direkt auf den Mund. Ich staunte wahrlich nicht schlecht, als der andere mich bereits mit offenen Armen - oder passender offenen Lippen - empfing und mich in einen Zungenkuss verwickelte, der jedem Mann den Verstand gekostet hätte. Ein hocherotisch-intimes Spielchen entbrannte zwischen uns und unseren gierigen Zungen, die sich hungrig umkreisten, sich verließen und wieder trafen. Absolut heiß, absolut geil, absolut köstlich.

Hätte ich noch Restverstand gehabt, jetzt wäre er spätestens flöten gegangen. Da ich aber längst keinen mehr besaß, rutschte meine Hand im Lustrausch von ganz allein über Ollis Bauchnabel hinweg bis zum Saum seiner engen Unterhose, den sie packte und ein kleines Stückchen nach unten zog. Doch bereits als ich Ollis warme Finger sich auf meine Pfote schieben spürte, wusste ich, dass hier mal wieder Schluss war.

"Lass", raunte der andere mir zu, brach den Kuss ab und rutschte ein Stückchen von mir weg. "Da steh ich nun wirklich nicht drauf, sorry."

"Das sah mir aber gerade ganz anders aus."

"Das ist nur der Alk", redete der andere sich seufzend heraus. "Und außerdem bringst du mich ganz durcheinander. Wie damals bei Peter...ey, ich hatte nicht vor, rückfällig zu werden."

"Ey, lass doch, morgen wissen wir eh nicht mehr, was wir heute Nacht gemacht haben. Wir sollten einfach -"

"Nee, schon gut."

Er machte eine kurze Pause, drehte sich endgültig von mir weg und machte gar Anstalten, sich aus der Bettdecke zu schälen.

"Vielleicht sollte ich wirklich ins Wohnzimmer -"

"Musst du nicht."

Wieder handelte meine Hand. Weil Hand ja auch von handeln kam. Legte sich an seinen Oberarm. Drückte aber nicht fest. Ruhte einfach nur dort.

Daraufhin drehte sich Olli zu mir herum, sodass wir uns einmal mehr direkt ansahen. Mein Hundeblick war sicher göttlich und ebenso unwiderstehlich. Ich hatte ihn ja auch monatelang vor dem Spiegel geübt.

"Ich bin auch brav, versprochen. Keine Fummelei mehr, kein Knutschen, nicht mal mehr dreckige Sprüche wirst du von mir hören."

Das überzeugte ihn glücklicherweise. Er ließ sich zurück in das Bett sinken, aber seine nette Vorderseite bekam ich heute nicht mehr zu sehen. Okay. So fiel mir auch das Einschlafen leichter. Eindrücke für einen heißen Traum hatte ich jedoch schon mehr wie genug gesammelt.
 

*

Everybody’s got an animal inside.

No one has ever been so civilized.

Animal attraction is everything there is.

Love is just a feelin’ that we missed.

*
 

2. Kapitel - One more time


 

*

Nein, das hätte ich nicht erwartet. Alles, aber nicht das. Dass du mir so unverblümt dein wahres Gesicht präsentieren würdest. Dass die anderen so Recht hatten mit dem, was sie über dich sagten.

Klartext: Du warst wirklich ein Arschloch. Eine arrogante Kackbratze. Ich hätte dich hassen sollen, für die Nummer, die du abgezogen hast. Aber mein dämlicher Schädel musste ja meinen Verstand ignorieren. Einfach so.

Wahrscheinlich war es aber genau das, was dich interessant machte. Interessant für mich. Weißt du, Menschen, die ein bisschen böse sind, sind meistens auch gut im Bett. Das sollte doch auch auf dich zutreffen, oder?

*
 


 

Klingeling.

Das Schicksal sorgte schon dafür, dass ich irgendwann wieder aus meiner Alkoholnarkose erwachte.

Klingeling.

Doch ich wollte es nicht gewinnen lassen. Aus diesem Grunde zog ich mir die Zudecke bis über beide Ohren und versuchte im Halbschlaf dieses lästige Geräusch zu ignorieren.

Klingeling! Klingeling!

Aber das war leichter gesagt als getan.

"Maaaaann ey!", fluchte ich sauer vor mich hin, warf die Bettdecke schließlich von mir und begab mich äußerst widerwillig in die Vertikale. Als die blöde Türklingel ein weiteres Mal so nervtötend herumschrie, schlurfte ich in den Flur, Ollis Anwesenheit komplett ignorierend. Na ja, fast. Sein blonder Schopf fiel mir im Vorbeigehen natürlich ins Auge, aber ich wollte unter keinen Umständen näher über das nächtliche Geschehen nachdenken. Zumal ich mich im Moment eh an nichts Konkretes erinnern konnte. War vielleicht auch besser, sagte ich zu mir selbst. Und als ich letzten Endes die Tür aufriss und dem Störenfried die von mir erdachte Schimpftirade an den Schädel schmettern wollte, aber in ein so bekanntes Gesicht blickte, dass ich kaum noch den Mund aufbekam, war ohnehin alles Vergangene vergessen und nur das Hier und Jetzt zählte.
 

"Simme! Weißt du eigentlich, wie spät es ist?"

Ich öffnete meine Lippen, um eine Antwort abzuliefern, doch Peter gackerte schon weiter in seiner aufgebrachten Art, die meinem postalkoholisierten Schädel ganz und gar nicht gut tat.

"Und wieso gehst du nicht an dein Handy? Wir haben zigmal versucht, dich zu erreichen!"

Obwohl der Mister London so meckerte, es war mir gleich. Vielleicht lag das an meiner Verfassung. Vielleicht auch daran, dass ich sein Auftreten als viel zu überspitzt empfand. Wer wird denn gleich so ein Fass aufmachen, nur weil ich meinem Schönheitsschlaf ein paar Stunden angehängt hatte?

"Akku ist leer...vielleicht", gab ich schließlich schulterzuckend von mir, doch das juckte Peter gar nicht. Peter plusterte sich auf. Ja, das war schon niedlich, musste ich zugeben.

"Heute ist Probe! Und da hätten wir dich schon ganz gerne dabei gehabt."

Er seufzte tief.

"Aber du scheinst dir ja gestern noch richtig die Kante gegeben zu haben, so wie du aussiehst."

"Ey, spiel hier mal nicht die Obermutti", beschwerte ich mich und kratzte mir erst mal ausgiebig die Eier. "Als wenn du immer so pünktlich wärst und nie Alkohol konsumierst. Wenigstens geh ich im Suff nicht so arg ab wie du."

Stimmte das überhaupt? Egal. Irgendwie flackerten mir gerade Episoden von letzter Nacht in meinem aufgeweichten Hirn herum. Und das waren wirklich keine Sternstunden, sollten diese sich tatsächlich so zugetragen haben und keine Halluzinationen sein.
 

Gerade setzte Peter zu einer erneuten Schimpftirade an (der Junge schien eindeutig zu wenig Sex zu haben, dass er sich so aufspielte), als ihm das Wort im Halse stecken zu bleiben schien. Ich bemerkte nun auch, dass er mich nicht mehr anschaute, sondern irgendeinen Punkt hinter mir fixierte.

"Hast du jetzt nen Geist gesehen, oder was?", hakte ich mürrisch nach.

"Na ja, so ähnlich..."

Ich zog den Mund in die Breite und drehte mich entnervt um, damit ich auch mal einen Blick auf Peters Geist erhaschen konnte. Doch alles, was sich mir offenbarte war ein in der Bewegung erstarrter Olli, der in Unterhosen im Türrahmen des Schlafzimmers verharrte.

Hach ja, schön.

"Ja, ja, ja, ich weiß, was du jetzt denkst", kam ich meinem Bandkollegen gleich zuvor, der noch immer nicht die Sprache wiedererlangt hatte. "Aber können wir das bitte später ausdiskutieren, ich brauch erst mal nen Hering und ein Glas Wasser. Wenn du nicht so grantig wärst, würde ich dir sogar auch was zu Futtern anbieten, Peterherzchen."

Doch das Peterherzchen kam wie erwartet nicht über meinen Gast hinweg. Er starrte und starrte und ich glaubte schon, seine Augen würden jeden Moment herausfallen und bis nach Kambodscha kullern. Dabei war Olli doch gar nicht so komisch, dass man ihn am liebsten in der Freakshow abgeben wollte. Im Gegenteil. So wie ich mich daran erinnerte, hatte ich in der letzten Nacht ziemlichen Gefallen an ihm gefunden. Besser gesagt: Mein besoffenes Ich hatte Gefallen an ihm gefunden. Gott, ich durfte die Dinge, an die ich mich erinnerte, gar nicht Revue passieren lassen, sonst hätte ich noch an mir selbst gezweifelt.
 

"Äh...ja, ist ja schön, dass du endlich deine schwule Ader entdeckt hast", meinte Peter schließlich nachdem er sich wieder etwas erholt hatte und Olli sich stumm in das Badezimmer verzogen hatte. "Aber wieso ausgerechnet...der?"

"Nichts hab ich entdeckt", stellte ich klar. "Und du kommst jetzt entweder rein oder bleibst draußen, es zieht nämlich langsam."

Selbstverständlich betrat Peter nun meine Bude. Stand allerdings noch immer da, als hätte er einen Stock im Arsch. Konnte sogar stimmen. Peter war als Kleinkind nämlich in der analen Phase steckengeblieben.

"Willst du nun Frühstück oder willst du mir lieber im Flur als Kleiderständer dienen?"

"Du hattest doch sicher heute Nacht selbst einen Ständer. Mit Olli."

Eigentlich ging es Peter gar nichts an, was ich wann mit wem machte. Deswegen ließ ich die Sache einfach offen.

"Und wenn schon...wir hätten garantiert keine Kleider an unsere Dinger gehängt."

"Also doch."

"Was?"

Peter guckte mich an, als hätte er all meine dreckigen Geheimnisse aus meinen Augen gelesen.

"Du hast diese Dummbratze gevögelt."

"Na, das ist jetzt aber fies."

Ärgerlich zog ich meine Augenbrauen zusammen, wollte dem Satz noch etwas hinzufügen, aber Peter verdrehte bereits die Augen und schüttelte den Kopf.

"Gott, du bist sogar verknallt in den."

"Peter", murrte ich, "ich werde dich nicht als Kleiderständer benutzen, ich werde dich am Kleiderständer aufhängen, wenn du hier so eine Scheiße laberst. Olli hat nur hier gepennt, okay? Wieso muss ich mich eigentlich vor dir rechtfertigen? Und wenn ich Olli gebumst hätte - es ginge dich einen Dreck an. Meinen Schwanz kann ich reinstecken, wo ich will. Hältst du doch selbst nicht anders. Oder hast du mich jemals gefragt, ob du dich von Typ XY rammeln lassen darfst?"

Das saß. Wahrscheinlich musste man nur mal ein wenig deutlicher werden, wenn man sein Ziel erreichen wollte. War bei Olli so und war bei Peter wohl genauso.

"Aber...wieso ausgerechnet von dem?", setzte Peter erneut an und klang fast schon verzweifelt. "Da draußen gibts tausend scharfe Typen und du suchst dir ausgerechnet...den aus?"

"Sorry, ich mach dir wohl Stress", hörte ich es hinter mir sagen und blickte nach einer halben Drehung Olli an, der wahrscheinlich sein Geschäft erledigt hatte. "Ich hau dann mal ab, bevor der kleine Pisser mir noch an die Gurgel springt."

Beim 'kleinen Pisser' sah Peter tatsächlich so aus, als würde er sich am liebsten auf Olli stürzen. Aber zunächst musste er an mir vorbei. Und auch wenn ich nicht solche krassen Muckies wie Olli besaß, so war meine Stärke doch nicht zu unterschätzen.

"Ihr gebt jetzt alle beide Ruhe", bestimmte ich, "schließlich ist das hier meine Wohnung und da habe ich zu bestimmen. Wen ich vögle, wen ich nicht vögle und wer sich hier prügelt. Verstanden? Schön. Kann ich dann in Ruhe frühstücken gehen?"

Keiner der beiden erwiderte etwas. Nur ich blieb noch einmal stehe, bevor ich die Küche betrat und nickte Olli zu.

"Und du bleibst noch. Mit einem leeren Magen lasse ich niemanden gehen."

Schweigen. Dennoch folgte mir Olli unauffällig und auch Peter trottete hinter mir her.
 

"Setzt euch hin", wies ich die beiden an, woraufhin sie tatsächlich Platz nahmen, allerdings nicht direkt nebeneinander, sondern mit einem Stuhl Abstand. Ich nahm das mental kopfschüttelnd zur Kenntnis und servierte wenig später ein leckeres Katerfrühstück für Olli und mich. Peter durfte aus dem Nutellatopf naschen.

"Brot ist alle", erklärte ich, während ich das Glas vor dem Blondinchen abstellte und dieses mich ziemlich belämmert musterte. "Tja, tut mir ja leid, aber eigentlich verdienst du dir nicht mal das. Erst klingelst du mich wach und dann machst du hier so einen Aufstand."

"Ja, ja, da siehst du mal, wieso ich damals ausgestiegen bin", mischte sich Olli ein, der wasweißich wie lange schon eine Zigarette in der Hand hielt und sich diese nun zwischen die Lippen steckte, um sie sich anzuzünden. "Viel zu drama, die Queen."

"Halts Maul", zischte Peter dunkel. "Du bist doch wegen etwas ganz anderem ausgestiegen..."

"Reicht", versuchte ich dem sich erneut anbahnenden Streit ein Ende zu setzen. Da das Gemeckere am frühen Morgen ebenfalls an meinen Nerven zerrte, klaute ich mir einfach Ollis Zigarette und nahm erst einmal einen genüsslichen Zug. Erst dann nahm ich auf dem mittleren Stuhl Platz und fischte mir mit der freien Hand einen Hering aus dem Glas.

Zeit für einen Themenwechsel. Höchste Zeit.

"Olli", sagte ich nebenbei, ohne Angesprochenen anzuschauen. "Ich geb dir dann mal meine Nummer, damit du mich anrufen kannst, wenn du wiedermal Bock auf Party hast. Wie lange bist'n eigentlich noch in der Stadt?"

"Keine Ahnung, ne Woche oder so."

"Stockholm hat jetzt schon die Pest", keifte Peter und ich hätte ihm am liebsten den Hering ins Gesicht geschmissen, doch dann hätte ich mich noch unbeliebter gemacht, als ich eh schon war.
 

Wir verfielen wieder in Schweigen, ich lutschte an meinem Hering, Olli hatte seine Zigarette zurückbekommen und qualmte mir entspannt zurückgelehnt die Bude voll.

"Auch Hering?", fragte ich in die Runde, Olli aber schien nicht sonderlich auf das Fischzeug zu stehen und so schlecht wie mir ging es ihm auch nicht, meinte ich. Merkte man ja bereits daran, dass er noch in der Stimmung war, um mit Peter zu zanken. Und wie er plötzlich loslegte.

Ich hatte natürlich bemerkt, welche Blicke er dem Bassisten zugeworfen hatte, aber ich hatte gehofft, dass er wenigstens seine Klappe halten würde - mir zuliebe. Doch nichts da.

"Sag mal", meinte Olli an mich gewandt und nickte in Peters Richtung. "Trägt der eigentlich nen BH? Ich seh da sowas wie ein zweites Paar Träger unter dem Top vorgucken. Und außerdem hat er ziemlich viel obenrum...macht der jetzt komplett einen auf Transe, oder was?"

Stumm musterte ich Peter, der sich erst gar nicht rührte, dann aber wie von der Tarantel gestochen aufsprang, auf Olli zumarschierte und sich dessen Zigarette schnappte.

Für einen Augenblick fürchtete ich, er könnte die Haare des anderen abfackeln wollen, aber er drückte das Ding einfach nur aus. Mitten auf dem Tisch.

"Na, machts Spaß, direkt auf meinen wunden Punkt zu zielen?"

Unter normalen Umständen hätte ich nun 'Bitchfight, ich halte die Ohrringe!' gerufen, aber das hier waren keine normalen Umstände. Hier war die Kacke am Dampfen. Egal, wie blöd sich Peter benahm, niemand hatte das Recht, auf diese eine Sache anzuspielen. Diese Sache, die Peter am meisten verletzen konnte.
 

So schnell wie Peter abgedampft war, konnte ich nicht mehr schlichten. Er rannte fast schon in Richtung Tür.

"Ich warte dann draußen auf dich", meinte er noch beiläufig. "Bis du mit deinem Geliebten fertig bist. Hier drinnen ersticke ich noch."

Dann war er weg. Und ich war mit Olli allein.
 

"Musste das sein?", fragte ich den anderen, der nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte, seitdem Peter ihm die Zigarette ausgedrückt hatte. "Ich meine...du weißt doch bestimmt ganz genau, dass Peter Probleme mit seinem Geschlecht hat. Peter will eben manchmal ein Mädchen sein, na und, ist doch egal. Ist doch sein Leben. Und auch wenn du ihn nicht leiden kannst, musst du ja nicht so...zynisch sein. Mach dich am besten nicht drüber lustig, dann bekommst du auch keinen Ärger mit mir."

"Ach, Ärger mit dir", echote Olli daraufhin und nickte wie ein weiser, alter Mann, der Sarkasmus sprach jedoch aus jeder Geste. "Bist wohl Londons Schießhund, äh? Eigentlich hätte ich es wissen müssen, dass ich mich besser nicht auf einen der gegnerischen Mannschaft einlassen sollte. Gibt nur Stress."

"Och, Olli", verdrehte ich die Augen. "Jetzt sei nicht pissig. Peter ist eben mein Kumpel und auch wenn er manchmal scheiße ist, so mag ich ihn. Heißt aber nicht, dass ich dich nicht auch mögen kann. Letzte Nacht, das war doch eigentlich ganz nett, soweit ich mich erinnern kann."

Ollis Züge wurden starr. Und seine Augen schmaler. Dann stand er einfach auf.

"Letzte Nacht war eine einzige schwule Eskapade", meinte er daraufhin kalt. "Wenn ich mir vorstelle, dass ich dich fast gevögelt hätte, wird mir ganz schlecht."

"Olli!"

Ich hatte Mühe, ihm zu folgen. Im Schlafzimmer lagen noch seine Sachen, die er sich nun überzog, allerdings nicht sonderlich hastig. Deswegen blieb mir auch noch Zeit, hastig meine Handynummer auf irgendeinem abgerissenen Zettel zu notieren.

Als er fertig war und sich umdrehte, hielt ich ihm den Schnipsel hin.

"Hier."

Olli aber schaute mich nur entgeistert an.

"Was soll ich damit?"

"Du sollst anrufen, wenn du wiedermal Bock auf Party hast."

Ja, vielleicht war ich tatsächlich des Lebens müde. Und eigentlich weiß ich selbst nicht so genau, wieso ich dieses Ekel wiedersehen wollte. War ich so masochistisch veranlagt? Eigentlich nicht, jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Aber manchmal kam der Appetit ja beim Essen. Vielleicht auch hierbei.

"Kein Bedarf", warf mir Olli an den Kopf und rauschte an mir vorbei.

Und ich stand noch immer mit ausgestrecktem Arm da und hielt den Zettel in der Hand.

Super. Aber das war ja immer so: Auf einen geilen Tag beziehungsweise eine geile Nacht folgte ein beschissener Tag beziehungsweise ein beschissener Morgen.
 

Ich ließ meine Hand nach einer Weile sinken. Und irgendwie, ja irgendwie war ich enttäuscht.
 


 

*****
 

"Eins sag ich dir: dein Geschmack ist scheiße."

"Ach ja? Und deiner nicht, oder was?"

Obwohl Olli ziemlich gemein vorhin zu ihm war, konnte Peter bereits wieder frech in die Runde grinsen. Die Verdrängungsmethode half eben immer. Hätte ich auch mal versuchen sollen. Vielleicht.

"Also gibst du zu, dass du was mit dem hattest."

"Einen Scheiß tue ich."

Nein, ich hatte keinen Bedarf, schon wieder die angeblichen nächtlichen Begebenheiten auszuschlachten. Schon deshalb, weil ich nicht wusste, ob ich Olli noch einmal gegen Peters Stänkerattacken hätte verteidigen können. Oder wollen. Wie auch immer. Früher oder später wäre es aber wieder auf diese hinausgelaufen, das stand fest. Doch Peter schien sich ohnehin nicht um meinen Widerwillen der Thematik gegenüber zu scheren.

Während wir in gemäßigtem Tempo in Richtung des Proberaumes dackelten (ich schleppte mich allerdings mehr dorthin, als dass ich fröhlich dackelte) laberte er mich weiter mit dem für ihn heißesten Scheiß des Tages zu. Ja, einen Hering in seiner Fresse zu sehen hätte mich jetzt irgendwie befriedigt.
 

"Na ja, ich versteh dich ja", setzte Peter nun an und ich zog skeptisch aufgrund seiner Einlenkung meine Augenbraue empor. "Heiß ist der Typ ja, muss er ja, schließlich hab ich den damals auch nicht von der Bettkante schubsen können. Und blasen kann der, das glaubst du gar nicht. Angeblich hatte er nie was mit Kerlen, aber ich hab ihm die Naturtalentnummer nicht abgekauft. Nee, Deep Throat ist nichts, was man einfach so aus dem Ärmel schüttelt."

Obwohl ich mich leicht angeekelt fühlte während meines derzeitigen Kopfkinos konnte ich nicht leugnen, dass mich die intimen Fakten über Olli doch ziemlich interessierten. Aber das eröffnete ich Peter freilich nicht. Viel mehr schwieg ich mich aus und hoffte, dass mein sehr verehrter Kumpel mir noch mehr über Ollis Qualitäten berichtete. Doch da ich nicht reagierte, reagierte auch Peter nicht mehr. Schade. Und ich wusste nicht einmal, wieso ich das bedauerte. Wahrscheinlich war ich einfach nur eine neugierige Natur, die Informationen für ihre im Kopf angelegte Stasiakte benötigte. Ja, das musste es sein. Ohne Zweifel.
 

"Trotzdem...er ist zwar gut im Bett, hat fraglos verschiedene optische Vorzüge, aber in ein Arschloch wie den sollte man sich nicht verknallen."

"Ja, und wieso erzählst du mir das?"

"Du wirkst ziemlich verknallt auf mich."

"Jetzt hör endlich auf mit diesem Schwachsinn!"

Keine Ahnung, wie oft ich diese Worte bereits so oder auch sinngemäß von mir gegeben hatte. Und wahrscheinlich würde ich sie noch hundertmal wiederholen müssen, bis Peter endlich verstand, dass mir Olli ziemlich egal war. Klar, mir gefiel es nicht, dass wir nicht gerade im Guten auseinandergegangen waren, aber das lag wohl einzig und allein an meiner Harmoniebedürftigkeit und an nichts anderem.
 

"Ich will nichts von Männern, kapiert?"

Peter wurde etwas langsamer und beguckte sich eingehend meine Haare, die müde hinunterhingen, weil ich heute zu faul und zu krank gewesen war, um mir einen perfekten Iro zu stylen.

"Aber du hast blaue Haare."

"Und?"

Er zuckte mit den Schultern.

"In Aserbaidschan ist blau ein Synonym für Homosexualität."

"In Aserbaidschan?"

"Ja."

Gott, der hatte doch voll den Treffer. Was hatten meine Haare schon mit Aserbaidschan zu tun, ich wusste ja noch nicht einmal, wo dieses verkackte Land auf der Weltkarte zu finden war. Und blau, blau...es gab etliche Typen, die blaue Kleidung trugen und ich bezweifelte, dass sich jeder von ihnen zu Männern hingezogen fühlte. Nein, das konnte einfach nicht sein, das war kompletter Unfug. Blau war doch schon seit Urzeiten die Farbe, die man kleinen Jungs zuordnete. Ich glaubte nicht, dass man sie somit als Homosexuelle auszeichnen wollte.
 

"Du solltest dich echt mal untersuchen lassen, Mann. Du hast sie doch nicht mehr alle."

Peter jedoch zuckte nicht einmal mit der Wimper, als ich ihm meine Meinung an den Kopf warf. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sein Handy penetrant vor sich hinbimmelte. Viel zu penetrant für meine Katerbirne. Er sollte dem ein Ende setzen, ehe ich es tun würde.
 

Zum Glück für ihn nahm er den Anruf endlich entgegen. Ließ mir somit eine Verschnaufpause von dem anstrengenden Gespräch, welches wir bis jetzt geführt hatten. Eigentlich wollte ich sie nutzen, um über Olli nachzudenken; über Olli, sein aufbrausendes Verhalten heute Morgen und die Geschehnisse von letzter Nacht. Doch meine Gehirnzellen schienen noch immer in der Ursuppe zu schwimmen. Und nicht nur das - Peters Telefonat pflanzte mir zusätzlich ein dickes Fragezeichen über den Schädel, sodass ich neugierige Natur einfach gespannt lauschen musste.

Er faselte irgendwas von 'Honey' und schien auch sonst ziemlich weich heute zu sein, fast schon wie ein Stück Butter, das in der heißen Pfanne dahinschmolz. Alter, was ging denn hier? Ich wollte es erfahren. Und ich würde es erfahren. Gleichzeitig konnte ich damit von mir und meinem Olli-Problem ablenken, das eigentlich keines und doch eines war.
 

"Wer ist denn der Glückliche?", fragte ich Peter gespannt, als er aufgelegt und das Handy in seiner Hosentasche verschwinden lassen hatte (heute trug er ausnahmsweise mal keinen Rock, oh Wunder).

"Welcher Glücklicher?"

Langsam zweifelte ich wirklich an meinem Ausdrucksvermögen. Alkohol schien das arg zu schädigen.

"Na...", setzte ich an und imitierte eine hohe, übertriebene Stimme. "Honey, wir kommen gleich, keine Angst, Honeylein, dein Peterchen kümmert sich gleich um dein Schwänzelchen."

"Das hab ich gar nicht gesagt", regte Peterchen sich prompt auf und ich widersprach ihm grinsend.

"Doch, doch, doch, du hast deinen Gesprächspartner Honey genannt. Jetzt sag mir doch, wer dein neuer Honey ist."

Aber Peter war schlauer. Schlauer als man manchmal annahm. Er vermochte es, mich mit meinen eigenen Waffen zu schlagen. Schon sein überlegener Blick sagte mir, dass er zuletzt lachen würde.

"Wie war das? Wieso muss ich mich eigentlich vor dir rechtfertigen? Meinen Schwanz kann ich reinstecken, wo ich will."

Na prima. Jetzt würde ich vor Neugierde verrecken. Peter schwieg wie ein Grab und es half nicht mal etwas, ihn an den Seiten zu kitzeln und ihm somit eine Antwort durch Folter zu entlocken. Dennoch würde ich früher oder später herausfinden, mit wem Peter derzeit bumste. Das war doch immer so. Erst machte er ein Riesengeheimnis daraus und wenige Tage später kannte die halbe Stadt sogar schon Details über sein derzeitiges Sexualleben.
 

Ich war da anders. Ich riss meine Fresse nicht auf, wenn ich mal wieder eine Schnitte im Bett hatte. Wieso sollte ich auch? Die meisten Erlebnisse konnte man als bloße One Night Stands bezeichnen, die mehr oder minder gut ausfielen und am nächsten Tag schon nicht mehr von Belang waren.

Und das mit Olli war auch nichts anderes. Das mit Olli war sogar noch weniger. Das war überhaupt nichts. Ich meinte mich zwar an einen ziemlich heißen Kuss zwischen uns beiden zu erinnern, aber was bedeutete schon ein Kuss? Er hatte mir nichts bedeutet und Olli schon dreimal nicht, wie er mir unmissverständlich klargemacht hatte. Im Grunde war es tatsächlich nur eine schwule Eskapade, bedingt durch Alkohol. Nichts, worüber ich noch nachdenken musste.

Trotzdem tat ich genau das. Ich dachte ständig an diese Nacht. Versuchte die anzüglichen Gespräche zu rekonstruieren, die sich zwischen uns zugetragen hatten, was allerdings hoffnungslos war. Versuchte herauszufinden, was genau einen Kuss mit einer Frau von einem mit einem Mann unterschied. Doch mein Kopf war wie leergefegt. Da war nichts mehr. Da war nur noch dieses unangenehme Ziehen im Magen, wenn ich mich an Olli erinnerte. Und die Gewissheit, dass ich so nicht weitermachen konnte mit meinem kleinen, verkackten Leben.

Das letzte Wort war noch nicht gesprochen. Bevor wir uns nie wieder begegneten, brauchte ich einen reinen Tisch und wenigstens neutrale Gefühle auf beiden Seiten. Ich hasste es zu wissen, irgendwo so etwas wie einen Feind zu haben. Oder zumindest jemandem, mit dem man sich nicht sonderlich gut verstand.
 

Also wagte ich das Unterfangen bereits wenige Tage später. Fühlte mich wie ein vollkommen Wahnsinniger, als ich alle Hotels in der Gegend per Telefon abklapperte und mich nach einem Herrn Olliver Kosunen erkundigte, weil ich keine Ahnung hatte, wo er während seines Schwedenaufenthaltes wohnte.

Und jedes Mal sah ich Peter vor mir, einen hämisch grinsenden Peter, der mir eine böse, böse Behauptung ins Ohr flüsterte.

"Gott, du bist sogar verknallt in den."

Dieser Satz ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Und umso länger ich über ihn nachdachte, desto schwachsinniger fand ich ihn. Leider hätte das, was ich hier tat, bei einem Außenstehenden genau diese Assoziation hervorgerufen. Nein, nicht nur bei einem Außenstehenden. Sicher auch bei Olli.
 

"Du schuldest mir noch zwei Zigaretten."

Das war mein Spruch, den ich locker-lässig vortrug, als ich Olli nach einer halben Ewigkeit erreichte. Doch so locker-lässig wie ich vorgab zu sein war ich längst nicht. Im Gegenteil. Ich fürchtete, Olli könnte an das Naheliegendste denken, was mich zu diesem Anruf verleitet hatte.
 

Verknallt. Simme und verknallt. Ich machte ja viel Scheiße mit, aber das ging zu weit.

Verknallt wie ein kleines Mädchen. Absurd.

Doch würde Olli das ebenso sehen?
 


 

*

We were never the perfect couple

We were never nothin' but trouble

I can't stay with you forever

Baby you're the best fun that I've had

*
 

3. Kapitel - Wild Side

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

4. Kapitel - Back to Paradise

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

5. Kapitel - Sex

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Epilog


 

*

Der Anfang ist nicht das Ende. Das Ende birgt im Gegensatz dazu allerdings auch keinen neuen Anfang. Denn in dieser Geschichte gibt es kein Ende. Wird es nie geben. Das verraten mir deine Blicke, wann immer du mir in die Augen siehst. Das verrate ich dir, wenn ich dir mein lüsternes Lächeln schenke.

Olli, die Welt hat uns wieder. Und sie kann uns nicht trennen, denn du hast dich in mich eingebrannt.

Wir schrieben uns unsere Gefühle gegenseitig auf die Haut. Und es wird für immer halten.

Versprich es mir. Ich verspreche es dir.

*
 


 

Boah, geht mir das auf die Nüsse.

Schon zum gefühlten hundertsten Mal vibriert mein verdammtes Handy in der Hosentasche und sträubt sich gegen meinen Versuch, es einfach zu ignorieren.

Gut, dann also rechts ranfahren und dem Störenfried ein paar Takte erzählen. Es ist ja nicht so, als ob ich spätestens um neunzehn Uhr an meinem Ziel angekommen sein sollte. Ach wo. Glaub nem Mann mit Iro nie, denn der bedient sich Ironie.
 

London. Natürlich London. Wer auch sonst. Wo ist mein Heringsglas?

"Ja, was denn, Mann?", schmettere ich meinem zweitliebsten Blondinchen entgegen und hätte am liebsten gleich wieder aufgelegt und meine wilde Fahrt fortgesetzt. Aber das geht nicht. Peter weint, wenn ich böse zu ihm bin. Weint sich an Martins starker Schulter aus und lässt Unbefugte zugucken. Denn man kennt ja Peter und man weiß auch, wie sein Ausweinen aussieht.
 

"Simme, wo bist du?"

Ach, wie herzzerreißend.

"Ich bin mit meinem Maschinchen unterwegs, Mutti. Ganz, ganz weit weg von zu Hause befinde ich mich gerade."

"Was? Aber übermorgen ist der Gig und -"

"Übermorgen", echoe ich und lache kurz und amüsiert auf. "Bis dahin bin ich längst wieder zurück."

"Wo fährst du denn nun hin?"

Ist ja klar, dass er auf seiner Ausgangsfrage beharrt. Doch möchte ich sie ihm beantworten?

"Geht dich gar nichts an."

"Gut, dann eben nicht", meint Peter und klingt irgendwie eingeschnappt, doch nicht für lange, denn ich erfahre, dass er mich lediglich testen wollte. "Ich weiß sowieso, dass du zu deinem allerliebsten Olli fährst."

Sarkasmus hin oder her - kann unser Bassblondinchen jetzt hellsehen? Wird es der nächste Uri Geller?

"Woher -"

"Ich hab die Tourdaten von deiner ach so tollen Band gesehen und wenn dann schon mal ein Gig an der finnischen Grenze ausgeschrieben ist, liegt es nahe, dass du dich auf die Socken machst, um deinem Schatz ganz nah zu sein."

"Wer sagt eigentlich, dass Olli mein Schatz ist?"

"Ach komm, Simme, seitdem du mit ihm dort am See warst bist du ganz gaga und deine Haare sind sogar noch blauer geworden."

Oh ja, stimmt. Peter war uns während der Heimfahrt durch Zufall in der Stadt begegnet und wir glaubten zunächst, eine Nutte stände am Straßenrand. Okay, Peter und Nutte, das ist ja so was wie ein Synonym. Fies aber wahr.

Doch wie dem auch sei: Ab jenem Zeitpunkt durfte ich mir alle möglichen Verhöhnungen anhören und bin nun sozusagen das Gespött der ganzen Crashdiet-Band. Natürlich wollten die Jungs Details von dem Treiben am See geliefert bekommen, aber ich schwieg wie ein Grab. Und schweige noch immer. Sollen sie doch spekulieren. Sollen sie doch sagen, dass Olli mein Schatz und Geliebter ist. Irgendwie haben sie ja damit auch Recht.
 

"Meine Haare sind nur so blau, weil ich sie nachgefärbt habe."

"Ja, weswegen auch sonst."

Eben. Dann wäre das auch geklärt.

"Und nun möchte ich gern weiterfahren, wenn du erlaubst."

"Oh, da ist aber schon jemand notgeil. Uuuuh."

"Musst du grad sagen. Guck du auf deinen Dicken."

"Mach ich auch. Ich schlabbere den dreimal täglich ab."

Details, zu viele Details. Was Peter mit seinem Dicken alias Martin anstellt, will ich nicht mehr vorgeführt bekommen. Einmal ist genug. Ich habe heute noch Sehschäden von jener Begebenheit.
 

"Okay, dann viel Spaß beim Vögeln", wünscht mit Peter und ich kann das nur zurückgeben. Wieso sollte ich erst widersprechen, wenn es ohnehin stimmte? Olli und ich werden sicher nicht nur Händchen halten, wenn wir uns wieder gegenüberstehen. Man muss zudem bedenken, dass ich seit Olli niemandem mehr in der Kiste hatte. Und das ist natürlich nicht gut für mein erhitztes Gemüt.
 

Ich bin heilfroh, als Peter das Gespräch endlich beendet, ich das Handy wieder in der Tasche versinken lassen und den Motor meiner süßen Kiste starten kann. Und dann gehts auch schon mit Karacho weiter in Richtung der finnischen Grenze. In Richtung Olli.

Bah, ich freue mich wirklich wie ein kleines Kind auf ihn. Doch irgendwie habe ich Schiss, dass es ihm nicht genauso gehen könnte. Schließlich hat er seine Frau und noch hunderte von Groupies um sich herumschwirren, also beste Voraussetzungen, damit ich schnell in Vergessenheit geraten kann. Geil gefickt hatte er ja, der Simme, aber im Leben war schließlich alles ersetzbar. Auch geile Ficks. Die konnte man sich auch woanders holen. Gibt ja genug Menschen auf der Welt.

Ach, ich bin doch bescheuert. Ich sollte lieber seine Reaktion abwarten, wenn er mich so ganz unerwartet in der ersten Reihe erblickt. Mich, seinen Hauptgroupie.

Mh. Irgendwie verursacht der bloße Gedanke daran ein wuschiges Gefühl in meinem Magen. Und als ich mich letzten Endes kackedreist vordrängle und die schreienden Weiber vor der Open-Air-Bühne wegdränge, die hinter meinem riesigen Iro natürlich nichts mehr sehen können, platze ich fast auseinander vor Vorfreude auf Ollis Auftritt.

Doch lange muss ich mich nicht gedulden, denn die blonde Sexbombe entert bereits wenig später die Bretter und ich pfeife und rufe prompt los, um auf mich aufmerksam zu machen, doch vorerst vergebens. Olli wirkt genauso konzentriert wie fröhlich, performt den ersten Song mit größter Professionalität und ich kann mich vorerst lediglich an seinem von mir so begehrten Körper weiden. Natürlich trägt er auch heute wieder seine berühmten knallengen Leggings, die perfekt für hungrige Mäuler wie mich alle Konturen erkennen lassen, besonders auch im Bereich des Schrittes.

Na, haben wir denn heute überhaupt was drunter?, frage ich mich im Stillen, grinse und lecke mir über die Lippen und just in diesem Moment treffen sich unsere Blicke.

Olli hält in der Bewegung inne, es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, ist aber sicher nur ein kurzer Augenblick, aber er genügt, um das kleine Flämmchen in meinem Bauch zu einer Stichflamme mutieren zu lassen.

Ich lächle ihn extra noch lüstern an, was dazu führt, dass Olli prompt seinen Einsatz verpasst und sogar ein wenig rot anläuft aufgrund seines Patzers, doch mir gibt dies absolute Genugtuung.

Es hat ihn durcheinander gebracht. Es hat ihn verwirrt. Es hat etwas in ihm ausgelöst. Er sieht mich nicht nur als irgendeinen verrückten Fan unter vielen. Nicht nur als einen verflossenen Fick. Denn das bin ich nicht. Das wird mir nicht gerecht. Schön, dass er es auch so sieht. Sehr schön.
 

Den ganzen Gig über tauschen wir ab und an ein paar heiße Blicke und ich könnte jede Wette eingehen, dass Olli stellenweise nur für mich performt, besonders in den Momenten, in dem er sich aus seinem Top schält und seinen leckeren Oberkörper entblößt oder sich forsch in den Schritt greift.

Mh, meins, denke ich, als er das tut und werde tatsächlich noch spitzer, als ich es ohnehin schon bin. Ich sollte mir es nach dem Gig abholen, mein Eigentum. Mein hübsches Spielzeug.

Doch bevor es so weit ist, bemerke ich den Baum direkt neben mir, dessen blaue Blüten über die Absperrung ragen, sodass ich mühelos eine von ihnen pflücken kann.

Simme hat einen Plan.
 

Ich bin komplett nervös, als ich mich mit Müh und Not zwischen den Menschenmassen durchquetsche, um mich hinter die Bühne zu begeben, wo Olli hoffentlich noch auf mich wartet. Das ist eben das Schicksal von Erste-Reiher-Stehern: Beim Gig die Ersten und bei der Autogrammstunde die Letzten. Aber ich wollte mir kein Autogramm abholen. Jedenfalls kein Herkömmliches. Für den Hauptgroupie durfte es schon etwas mehr sein.
 

Bald schon erreiche ich mein Ziel. Stehe hinter Olli, der noch keine Notiz von mir genommen hat, weil er viel zu beschäftigt ist mit den vielen Fans, die ihn belagern.

Ich warte also geduldig, bis er sie alle abgefertigt hat, starre derweil versonnen auf seine Rückseite und lasse das hübsche Blümchen zwischen meinen Fingern kreisen.

Erst als sich alle vom Acker gemacht haben, schmiege ich mich von hinten an ihn und halte ihn ganz fest.

Ach, Olli. Die Welt hat uns wieder.
 

"Simme", murmelt er mit einem Lächeln auf den Lippen, was ich aus seiner Stimme heraushören kann. "Ich dachte schon, du kommst nicht mehr."

"Ich komme immer, wenn du in der Nähe bist", hauche ich ihm ins Ohr, woraufhin Ollis Lachen in meinen Ohren bereits ziemlich erregt klingt. "Schön, dich zu sehen. Du wirst mit jedem Mal schärfer, weißt du das eigentlich?"

"Und du mit jedem Mal frecher."

Kann stimmen. Gut erkannt.

"Krieg ich ein Autogramm?", frage ich, lasse die freie Hand im selben Zug über seinen Oberkörper gleiten, begehrlich, sehr begehrlich.

Meins, meins, meins.

"Aber nicht so eines auf Papier“, stelle ich nachträglich klar. "Dein Hauptgroupie will ein ganz besonderes haben. Eines, das du mir mit deiner Zunge auf meinen Körper schreibst. So eines will ich."

"Simme..."

"Gibst du mir so eins? Oder erlaubst du dir keine Groupies neben der Ehe?"

Er antwortet nicht, grinst nur weiter vor sich hin und legt schließlich seine Hand auf die meine, allerdings auf die, die noch die Blume umfasst hält.
 

"Was ist denn das?", will er wissen, nachdem er sich ein bisschen in meinen Armen gedreht hat und wir uns so direkt gegenüberstehen.

Nun bin ich allerdings derjenige, der zu Grinsen beginnt.

"Die hab ich für dich gepflückt", erkläre ich und stecke ihm die Blume in sein schönes blondes Haar. "Ich dachte, das steht dir."

Olli aber zieht sich das Ding schnell wieder aus den Strähnen und gluckst amüsiert.

"Bin ich ein Mädchen, Mann? Ich trag doch keine Blümchen."

"Aber...die ist blau", werfe ich ein.

"Blau?"

"Ja, blau."

"Und was ist mit blau?"

Ich fahre mir mit der Zungenspitze über die Oberlippe. Ganz kurz nur. Lasse Olli dabei nicht aus den Augen.

"Peter sagt, in Aserbaidschan ist blau die Farbe der Homosexualität."

"Aber -"

Mein Finger landet auf seinen Lippen. Ich dachte mir schon, dass er Einspruch einlegen würde.

"Komm, bisschen homo sind wir doch beide. Ein ganz kleines Bisschen. Und jetzt trag dein Blümchen, sonst bin ich enttäuscht."

"Folg du mir lieber in den Bus", findet Olli, nachdem er entnervt die Augen verdreht hat. "Du wolltest doch dein Autogramm."

Wohl wahr, wohl wahr. Ich werde es genießen, mein Autogramm. Und ich gebe natürlich auch gerne eines zurück.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von: abgemeldet
2014-06-05T13:55:15+00:00 05.06.2014 15:55
gut gemacht so wie es manchmal wirklich ist im leben das andere hatte ich schon im mai gelesen das Secretary habe auch schon andere gelesen ich mag die geschichten von Shönen-Ai lg manu
Antwort von:  Anemia
05.06.2014 16:54
Ich bemühe mich auch immer sehr, damit speziell die Dialoge recht realistisch werden, denn genau das macht für mich den Reiz aus. ;) Man muss schon das Gefühl haben, dass diese Dinge tatsächlich passieren könnten. :)


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