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Das Herz der Hölle

von

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Die Zwei

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Der Eine

Das Schöne beim Kiffen war – einer der wenigen Vorteile – dass am nächsten Morgen der Kater ausblieb. Das Gefühl von Watte und einem schweren Kopf vom Abend begrüßte Raphael ohne Nebenwirkungen am Morgen, was er selber als bedenklich einstufte. Das war eben der bemerkenswerte Vorteil gegenüber dem Alkohol. Er war nicht abhängig, das hier war die große Ausnahme gewesen; er hatte schon ganz vergessen, dass dieses Tütchen überhaupt existiert hatte. Aber Michael förderte des Öfteren etwas zu Tage, dessen Besitz er heute sogar leugnen würde; Geschmäcker änderten sich immerhin stetig. Es war ohnehin bemerkenswert, dass seit dem letzten Zusammensturz seiner Behausung – auch hervorgerufen durch besagten Freund – so ein Päckchen überleben konnte.
 

Nun drehte er sich auf den Rücken und stellte mit mulmigem Gefühl fest, dass er sich nachts an den warmen Körper neben sich gekuschelt hatte. Der Besitzer dessen schlief zum Glück noch – zumindest war ihm ein nackter Rücken zugedreht und gleichmäßiges Atmen ließ ihn sich heben und senken. Michael hatte die Arme von sich gestreckt nach vorne gelegt und die Beine etwas angezogen und Raphael wagte sich daran zu erinnern, letzte Nacht seine Jungfräulichkeit verloren zu haben. Mal wieder. Jetzt, bei Tageslicht betrachtet, behagte ihm dieser Gedanke nicht wirklich. Es war nun kein Drama aber sich vorzustellen, seinem guten Freund so unverschämt nahe zu kommen, war im nüchternen Kopf befremdlich bis unmöglich. Er würde auch unter keinen Umständen in romantische Gefühle verfallen und sich nun an ihn heranschmiegen, um einen Quicke am Morgen zu erreichen – von küssen am Hals oder dem Befummeln ganz zu schweigen.
 

Im Gegenteil; Raphael schob vorsichtig die Beine über die Bettkante und behielt dabei stets Michael im Blick. Vergessen würde dieser die letzte Nacht nicht haben, doch er wollte nicht selbstverständlich nackt neben ihm liegen, wenn er erst einmal erwachte. Mika-Chan hatte die lästige Angewohnheit, Raphael permanente Geilheit zu unterstellen und auf dessen zu 90% negativ ausfallende Reaktion auf seine ausnahmsweise mal vorhandene Unschuld konnte er heute gut und gerne verzichten.
 

„Ich bin wach“, grollte es plötzlich von der anderen Seite des Bettes und Raphael erstarrte mitten in der Bewegung; nun bloß keine Schwäche zeigen, Michael witterte Angstschweiß förmlich und bohrte seine Finger gnadenlos in die betreffenden Wunden, wenn man ihm die Chance dazu ließ.
 

„Schön. Gut geschlafen?“, antwortete Raphael und kam nun doch in die Höhe, nur um nach seiner Kleidung zu fahnden; er fühlte sich schutzlos, wenngleich ein paar Mikrometer Stoff ihn nicht vor Tritten und Schlägen, geschweige denn einer Wand aus Feuer schützen würden. Es ging ums Prinzip.
 

„Fresse“, grollte der Rothaarige und setzte sich auf; seine Haare standen an einer Seite ab, während sie auf der anderen plattgelegen waren. Er wirkte unglücklich und genervt – wie so oft, wenn sie sich trafen – und irgendwie sah seine Schulter…
 

„Hast du sie dir schon wieder ausgerenkt…?“
 

„Wenn du mich nicht vernünftig heilen kannst!“
 

„Ich heile niemanden, der im Suff von zwei Soldaten umgerannt wird!“, keifte Raphael zurück und schlüpfte in Shorts und Jogginghose, zog das Band fest und wich dem geworfenen Kissen gerade noch rechtzeitig aus da er fest damit gerechnet hatte, der auf ihn zufliegende Gegenstand sei der Feuerengel höchst persönlich.
 

„Ich würd gar nicht zu dir kommen, wenn sich mein Sanitäter nicht komplett abgeschossen hätte“, grollte Michael und rutschte nun selber aus dem Bett, den einen Arm wieder gefährlich hängend. Raphael schnaufte, umrundete das Bett und stellte sich vor ihn, um dann einen lebensbedrohlichen Schritt zu vollziehen und ihn nach hinten zu schubsen, was Michael tatsächlich viel zu irritiert auffasste, um ihm nun das Genick zu brechen. Raphael drängte sich zwischen seine Beine. Damit schien wohl die Erinnerung von letzter Nacht aufzukommen und er sah sich mit Gegenwehr konfrontiert, was er entnervt mit einem Augenrollen quittierte.
 

„Halt still ich renk dich ein.“
 

Michael zog misstrauisch die Augen zusammen und wieder konnte Raphael sich kurz nicht von seinem Gesicht losreißen, dann besann er sich eines Besseren, fasste ihn am Oberarm, zog kräftig und drehte ihn nach außen. Ein lautes Knacken ertönte, dann ließ er ihn wieder los.
 

Fest zusammengepresste Lippen lösten sich wieder, dann setzte sich der Feuerengel wieder auf und drehte – Raphael könnte ihn wirklich köpfen – wieder an der Schulter. Mürrisch und von Angstgefühlen längst keine Spur mehr ergriff er den Verband am Bodes, setzte seinen Fuß auf die Matratze und nutzte sein Knie, um wieder eine feste Mullbinde zu wickeln. Dass er dabei Michael zwischen seinen Beinen einsperrte, war ihm ganz recht – so ohne weitere Überlegung bezüglich möglicher Schäden.
 

„Lass das Scheißteil endlich weg und heil mich, das ist dein Job!“
 

„Wenn du deinen ernst nehmen würdest, hätte ich mit meinem nicht so viel Sonderstunden. Ich heile dich nicht, basta. Ich bin Arzt und keine persönliche Krankenversicherung.“
 

„Wenn du einen Lerneffekt auslösen willst, kannst du das so was von vergessen“, knurrte Michael und rollte mit den Augen, als Raphael wieder mit dem Verband anrückte und ihn fest um die angeschlagene Schulter wickelte. Er musste sich sichtlich beherrschen, ihm nicht extra weh zu tun, aber das ließ die Berufsehre nicht zu. Meistens zumindest, Michael war sich fast sicher, dass einige Wunden hätten anders versorgt werden können statt noch in ihren herumzupulen und nur noch schlimmer siffen zu lassen.
 

„Musst du ja mit rumlaufen, mein Körper ist gesund.“
 

„Bis auf deine verätzte Raucherlunge, klar.“
 

Ein Lächeln huschte über Raphaels Gesicht, der nun endlich das Bein runternahm und beobachtete, wie Michael trotz nur eines Arms zielsicher in seine Shorts schlüpfte und diese geschickt verschloss.
 

„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich meinem Körper Krebs erlauben würde? Ich bin topfit.“
 

Nun kräuselten sich die Lippen Michaels, der nach seinem Oberteil fahndete und es schließlich halb unter dem Bett liegend fand. Ihm lag ein bissiger Kommentar zu letzter Nacht auf den Lippen, doch er wollte dieses Thema eigentlich beruhen lassen. Es war nicht so, dass er sich nach dem Sex schämte und sich seiner Nacktheit nicht gewahr werden konnte, ohne purpurrot anzulaufen. Er hatte diesbezüglich wirklich keine Probleme; klar, einiges war nicht so stark ausgebildet wie es für einen Körper, der irgendwo im Alter zwischen 14 und 16 das Wachstum eingestellt hatte, dennoch sein könnte, doch was scherte es ihn? Er hatte genug Freude damit. Vor allem, da Sex wirklich die Ausnahme blieb. Es gab andere Dinge, mit denen er sich beschäftigen konnte und ein mangelndes Intimleben kompensieren konnte. Töten, zum Beispiel.
 

Raphael war der spöttische Ausdruck nicht entgangen und so zog er eine Augenbraue hoch, stupste den anderen einmal an.
 

„Wenn du mich jetzt mit dir vergleichst, bist du nicht fair. Nicht jeder kann hyperaktiv durch die Gegend wirbeln und erwarten, dass seine Freunde da mitziehen. Du kannst ja keine zehn Minuten still auf dem Arsch sitzen bleiben, um es mal vulgär zu sagen.“
 

„Und das hat mir eben den unzählige Male gerettet“, murrte der Rothaarige und überlegte, wann er seine Schuhe ausgezogen hatte. Raphael nickte zur Seite; die hatte er ihm schließlich von den Füßen gelöst und eigentlich für immer entsorgen wollen, Michael trennte sich aber ungern gegen seines Wissens von Klamotten, mit denen er Krach machen konnte und dazu waren die mit Eisen unter den Sohlen beschlagenen Stiefel hervorragend geeignet.
 

„Welche Frechheit ist dir eingefallen, die du dir gerade verkneifst?“, wollte Raphael dann aber doch wissen und wagte es, einen Blick über das Bett schweifen zu lassen. Zerwühlte Laken und unter dem Kopfkissen schimmerte die kleine Tube mit Gleitmittel hervor. Zwei Stummel ehemaliger Joints lagen auf seinem Nachtschrank und im Schlaf hatte Michael es irgendwie fertig gebracht, ein Kissen von dessen Hülle zu befreien.
 

„Na ja“, hörte er dann doch eine Antwort, mit der er gar nicht wirklich gerechnet hatte. Er wusste nur nicht, was er sonst sagen sollte.
 

„Deine Kondition letzte Nacht hat zu wünschen übrig gelassen, meinst du nicht? Wenn du damit dauernd Weiber abschleppst, kommt keine ein zweites Mal wieder.“
 

Bitte? Dieser freche Knilch! Dabei hatte er für seinen Zustand und vor allem den Umstand mit wem er da geschlafen hatte, eine wirklich passable Zeit von nicht ganz acht Minuten hingelegt! Da hatte Michael selber ja wohl deutlich den Kürzeren gezogen aber das konnte er ihm natürlich nicht sagen. Ein Schnaufen von Raphael, der einen kühlen Blick zum Feuerengel schleuderte.
 

„Kannst ja wiederkommen, wenn du nüchtern bleibst dann zeig ich dir mal, was Kondition ist.“ Das wollte er eigentlich gar nicht sagen, für ihn war das Thema abgehakt gewesen. Ein zweites Stelldichein mit Mika-Chan war schon so etwas wie eine Affäre und das ausgerechnet mit einem Mann und dann noch dem da? Ihre Freundschaft stand auch irgendwo auf der Kippe, wenn da was schief ging.
 

Raphael hörte ein leises Lachen und sah zu, wie Michael sich hingebungsvoll am und vor allem im Ohr kratzte.
 

„Eher umgekehrt. Ich bin keine Gummisusi und ein schneller Fick schon gar nicht. Außerdem hast du gestern Nacht angefangen mit dem Gefummel, mich trifft keine Schuld.“
 

Das war leider richtig, er hatte ihn immerhin unbedingt küssen wollen und auch jetzt bestand eigentlich der Wunsch, ihn so zum Schweigen zu bringen aber bei Tageslicht bangte Raphael um einen Großteil seiner Zunge, wenn er es denn wagen sollte.

Trotzdem ließ er sich nicht so einfach abspeisen und zog dann die einzige Registerkarte, die eigentlich immer wirkte: „Wenn du Angst hast, dann nicht.“
 

Auf so eine billige Provokation ging Michael meist nicht ein, auch jetzt legte er nur das gewisse Maß an Verachtung an den Tag und zuckte mit der gesunden Schulter.
 

„Das nicht aber wenn es jedes Mal so läuft, kann ich mir gleich wen anderes suchen.“
 

Raphael überlegte gerade ernsthaft, ihn nach vorne zu schubsen und sich von hinten an ihn zu drängten aber er musste niemandem seine Potenz aufzwingen, außerdem konnte das wirklich schlecht enden. Michael musterte ihn aufmerksam, erlaubte sich dann ein schräges Grinsen.
 

„Vergiss es einfach, das war eine einmalige Sache. Popp weiter deine Helferinnen und lass meinen Arsch in Ruhe.“
 

Der Punkt, an dem Raphael resignierte und auf Durchzug schaltete. Das kannte er ja alles, er der Engel vom Planeten Porno bla, bla, nahm alles und jeden bla, bla, hör auf zu rauchen und reg mich nicht auf, bla, bla…
 

Doch so viel Aufmerksamkeit teilte Michael ihm gar nicht zu, er schaute sich im Schlafzimmer um und schien etwas zu suchen, schaute sogar unters Bett und beugte sich dabei unverschämt frech nach vorn; Raphael schloss die Augen und zählte kurz von zehn herunter. Wenn sein Körper nun auf Michael und dessen Kleidung konditionierte, bekam er ein ernstzunehmendes Problem, denn etwas Haut war immer irgendwie zu sehen und meistens die, für die er bei anderen Personen einen arbeitsreichen Abend investieren musste. Oberschenkel, Bauch, die empfindliche Stelle am Rücken, wo die Flügel emporwuchsen. Offiziell bestand noch immer eine schwindende Toleranz bezüglich Sexualität, wenn man der breiten Öffentlichkeit Glauben schenken konnte.

Dass sich dies auf die höchstrangingen Engel bezog, die eben diese mindere Meinung mit viel Tam-Tam und harten Strafen vertraten, war dabei absolut nicht von Interesse.

Die langen Arbeitsgewänder der Frauen wichen dennoch – je nach Anstellung – kurzer, enger Kleidung und was schon all die Jahre im Hintergrund lief, breitete sich allmählich mehr und mehr aus. Dennoch befanden sie sich in einer Art mittelalterlichen Lebenseinstellung in den Bereichen der Homosexualität und anderweitigen Interessen wider jeder Natur.
 

Sicher, dachte Raphael. Da es unsere Natur ist, einen gegengeschlichtlichen Partner zu suchen und uns zu vermehren.
 

Die Politik des Himmels war hässlich und voller Lügen, aber das brachte dieses System eben überall mit sich.

Außerdem, wenn er sich beeilte, könnte er Mika-Chan in seine Bettdecke einwickeln und damit verhindern, weiter auf die weißen beine starren zu müssen, die er in der letzten Nacht so ungehindert auf die Matratze pressen konnte. Ob der Kleinere zu einem Spagat fähig war? Biegsam war er allemal und wieder kam Raphael ein eindeutig sexueller Gedanke in den Kopf, den er gerne weiterverfolgen würde, doch dann wurde er zur Seite geschoben.
 

„Kann man helfen?“
 

„Rucksack“, kam die knappe Antwort, die schon wieder nach einer Anweisung klang. Michael wollte er definitiv nicht als Chef haben.
 

„Na ja hier sicher nicht. Wahrscheinlich im Wohnzimmer oder Flur. Darf man fragen, wie die eigentlich hergekommen bist? Ja wohl kaum mit deinen Flügeln, oder?“
 

„Und wenn doch?“
 

„Wie um alles in der Welt konntest du auch nur zwei Flügelschläge hintereinander koordinieren?“
 

„Fuck mich nicht ab, man!“ Kurz war er zu Raphael herumgewirbelt, der Michael nun quer durch seine eigene Behausung folgte und zugleich mit Ausschau hielt, wobei dieses stinkende Ungetüm eines Rucksacks garantiert nicht in seiner sauberen Umgebung untergehen würde.
 

„Ich frag doch nur!“
 

„Du nervst, Mann!“
 

Zugegeben, manchmal irritierten ihn diese plötzlichen Ausbrüche, an seiner Frage war ja nichts Verwerfliches gewesen. Dennoch beließ er es bei dem Thema und seufzte, zupfte sich sein offenes Hemd zurecht und beobachtete, wie der Rothaarige seinen gefundenen Rucksack entdeckte, ihn sich auf die eine heile Schulter schob und noch in der Seitentasche kramte, um sein Telefon herauszuziehen. Raphael sparte sich den Kommentar seines Hausanschlusses, da sich der bekannte Sturkopf wieder zeigte und mit dem wollte er unter keinen Umständen aneinander geraten. Sein Wohnzimmer war gerade renoviert.
 

„Ja wie lange braucht ihr? Ist gut, bin auf dem Dach.“
 

Ah, eine Eskorte also. Raphael könnte ihm nun hinterherlaufen und schauen, wie Michael mit einem Arm hoch aufs Dach zu kommen gedachte, doch eigentlich wollte er es gar nicht wissen. Gedanklich ging er schon seinen Terminplan durch und buchte Mika-Chan einen neuerlichen Termin, ohne dass er diesen davon in Kenntnis setzte. Meistens lag Raphael mit seinen Schätzungen ziemlich günstig.
 

„Meld dich bitte bald wegen der Schulter, ja?“
 

„Wirst ja sehen, ob ich wieder vor dir stehe oder nicht.“
 

Nein, das offensichtliche Augenrollen gönnte er ihm nicht. Verabschiedungen waren auch nicht wirklich ihr Ding, sie umarmten sich nicht, es gab keine Küsschen auf die Wange und schmerzliche Tränen blieben auch aus – Michael kam, wirbelte durch seinen Tagesablauf und ging wieder auf unbestimmte Zeit. Vielleicht sollte Raphael den Spieß mal umdrehen und sich bei ihm blicken lassen, doch meist lungerten irgendwelche Soldaten bei ihm herum und auf deren zweifelhafte Gesellschaft konnte er ganz gut verzichten.

Trotzdem sorgte er sich nach dem letzten großen Krieg um ihn, was genau mit Luzifer passiert war, hatte er vom Rothaarigen selbst auch nie erfahren. Die wichtigsten Informationen hatte Barbiel ihm zugetragen und das war es dann.

Letztendlich war jeder kurze Wutausbruch eine willkommene Konstante, an der er seinen alten Freund noch erkannte.
 

Der hatte sich wohl bemerkt bereits aus dem Staub gemacht, was Raphael jetzt erst bemerkte. Mit einem Schmunzeln wandte er sich wieder der Aufgabe zu, in seinem Schlafzimmer Ordnung zu schaffen.
 

-
 

Michael sparte sich das genervte Fluchen, als er endlich auf dem verdammten Dach war und sich dort hinhockte, um sein Bein zu inspizieren. Ein langer, sauberer Schnitt war das Resultat vom Abrutschen an der Dachkante, was er auf den nutzlosen Arm schon, an dem wiederrum Raphael seiner Meinung nach Schuld war. Also, nicht direkt. Wirklich angefangen hatte es wie vom Blonden schon vorgeworfen damit, dass die Jungs – mal wieder, musste Michael sich eingestehen – einen über den Durst getrunken und ihn dann einfach über den Haufen gerannt hatten. Und das, musste er ebenso zugeben, lag an seinem eigenen Pegel. Letztendlich war irgendwer auf seinen Arm getreten oder sonst was, zumindest tat es verdammt weh und da blieb ihm nur der Weg zurück. Einrenken hätte es fast jeder können, aber er wollte wirklich einfach schnell geheilt werden. Verdammter Fummler! Jetzt saß er hier mit mehr Wunden als zuvor und wartete auf die Soldaten, die gerade eh in der Gegend waren und ihn mit dem Flugschiff einsammeln sollten.
 

Seine Füße schmerzten vom langen Marsch hierher und von anderen Bereichen wollte er gar nicht erst anfangen. So war der Abend definitiv nicht geplant gewesen, auch wenn das Rauchen vom Joint ganz nett gewesen war. Der Gedanke, Rauschmittel und Alkohol einfach mal fallen zu lassen, kam ihm momentan immer seltener. Es gefiel ihm, an nichts mehr denken zu müssen und all die Sorgen der letzten Jahrtausende für ein paar Stunden zu vergessen. Luzifer war wieder da, nach diesem musste er also nicht mehr suchen. Die Hölle selber hatte schwere Rückschläge erleiden müssen, von daher hatten die Dämonen gerade wirklich andere Sorgen als einen ungeplanten Angriff gen Himmel; zumal der Chef wieder regierte und für kopflose Aktionen bisher herzlich wenig übrig gehabt hatte.
 

Michael langweilte sich also, mal wieder. Einen Abend im Rausch zu verbringen war keine schlechte Idee und wenn er sie zählen würde, hätte er einen schockierenden Überblick über den tatsächlichen Zustand, in dem er gerade herumdümpelte. Drogenprobleme? Hatte er hinter sich gelassen. Damals, vor ewig langer Zeit. Inzwischen konnte er sie besser einschätzen, wie er selber fand.
 

Das Dröhnen des sich nähernden Flugschiffs brachte ihn schon wieder fast auf 180; sie hatten einige zur Auswahl, allerdings hatte genau dieses einen Motorschaden. Wie auch sonst sollte er mit dem verräterischen Ding in den Kampf ziehen, wenn ihn jeder potenzielle Feind kilometerweit erahnen konnte?

Mussten sie ausgerechnet dieses Scheißding nehmen?
 

Noch einmal schloss er die Augen, während das warme Blut von seinem Bein runter in den verschmutzten Stiefel rutschte, aber jetzt noch einmal zu Raphael zu gehen, der ihm nur noch mehr unnötige Verbände anlegte? Das schaffte er auch alleine, dazu sparte er sich die überflüssige Standpauke.
 

Staub wirbelte auf und über ihm nahm das Dröhnen zu; eine metallische Tür glitt auf und jemand rief seinen Namen, dann ließen sie eine primitive Strickleiter herunter – wirklich niemand würde wagen zu vergessen, dass der Boss gerade nicht fliegen konnte – und Michael erhob sich, schob den Rucksack noch einmal auf die Schulter und ergriff dann eine Sprosse; schlagartig kam ein Ruck und sie zogen ihn schnell nach oben. Ein letzter Blick auf Raphaels Anwesen, dann war er in den Innenraum geklettert und sah sich zwei zerstört wirkenden Soldaten gegenüber. Sie hatten darauf verzichtet, Camael ans Steuer zu setzen – zum Glück, noch jemand mit geladenen Standpauken – und schauten ihn abwartend an, während Michael auf die Beine kam. Er nahm sie prüfend ins Auge und schleuderte endlich seinen Rucksack von sich, blaffte dann ein „Was?“ in die angespannten Gesichter.
 

„Boss, du blutest.“
 

„Welch Seltenheit“, knurrte Michael und zwängte sich zwischen ihnen her, ließ sich dann auf dem Platz des Co-Piloten nieder. Die Koordinaten würden ihn wieder direkt nach Hause bringen, doch wollte er wirklich dort hin? Andererseits war eine Grenzpatrouille gerade wirklich nicht ratsam, sein Körper war schwer und müde, geschlafen hatte er nicht wirklich und jetzt begann die nervige Schulter auch wieder zu pochen. Eine Woche, niemals würde er den verdammten Verband eine ganze Woche tragen, das konnte Raphael sich abschminken!
 

Eigentlich wollte er die Koordinaten aus Trotz ändern, doch zuhause klang ganz gut. Schlafen und gegen die Schmerzen ein paar Medikamente nehmen. Ach, sein Bein könnte er auch später versorgen und wenn es wirklich gerade abfallen sollte, würde Raphael sich sicherlich dennoch erbarmen. Und es war ja nicht so, dass es sonst keine Heiler im Himmel gab, die er passende bedrohen konnte.

Ein schmerzlicher Gedanke an Bal keimte auf, die vor so langer Zeit einen ganz anderen Weg eingeschlagen hatte. Michael würde sogar wagen zu behaupten – es aber nie auszusprechen – dass er so etwas wie eine romantische Zuneigung für sie empfunden hatte; ein wenig verliebt war er schon gewesen. In die einzige Frau, die nie einen Unterschied gemacht hatte zwischen ihm und Luzifel.

Bis sie sich in genau diesen verliebte und ihm ebenso den Rücken zuwandte.

Ein Seufzen, für das er nachdenkliche Blicke erntete, dann rollte er sich etwas auf seinem Sitz ein und lehnte den Kopf zur Seite, schloss die Augen. Er würde niemandem Rechenschaft schulden, was er die ganze Nacht bei Raphael getan hatte. Drei Tage war er weggewesen; eine nahezu lächerlich bedeutungslose Zeit, verglich man diese mit Einsätzen von zum Teil Jahren. Was ging sie es an, was er in seiner Freizeit machte? Edin Wort, dessen Bedeutung viel zu viel von Michaels Leben in Anspruch genommen hatte.

Er grunzte abfällig, ehe ein leichter Schlaf ihn überfiel.

Der Andere

„Mika-Chan, der Onkel Doktor ist da!“
 

Raphael hatte sich schon vor langer Zeit vom Leben verabschiedet, daher wagte er sich diesen einen Schritt wirklich, obwohl er – wie zu erwarten – am Eingang von einem mürrischen Soldaten empfangen wurde. Der Blonde hatte übertrieben gute Laune und begrüßte den bedenklich gekleideten jungen Mann damit, ihn doch vor nicht allzu langer Zeit noch auf dem OP-Tisch liegen gehabt zu haben, dann schlüpfte er hindurch und öffnete sogleich einen Knopf an seinem Hemd. Das war ein Reflex, er wusste immerhin, was ihn hier erwartete. Zwar lebte auch Michael in einem manchmal vorzeigbaren Anwesen, allerdings herrschten hier ganz andere Verhältnisse. Waren in den anfänglichen Gängen noch verwahrloste Obdachlose zu sehen – so Raphaels Einschätzung vor vielen tausend Jahren, als er das erste Mal hergekommen war und dann darüber belehrt wurde, dass es sich hier um einen Teil der himmlischen Armee handelte – bestand der Engel des Krieges in seinen Privatbereichen auf absolute Ruhe. Keine Wachen, keine herumlungernden Soldaten.
 

Viele wussten ohnehin nicht, wie er eigentlich aussah, geschweige denn seinen Wohnsitz, daher waren Anschläge das geringste Problem.

Viel schlimmer war die zunehmende Hitze.

Da Raphael besonderen Wert auf eine gute Lüftung legte, mummelte sich sein Freund in einem regelrechten Backofen ein; es wäre wirklich nicht verwunderlich, wenn hin und wieder ein Vorhang den Prozess der Selbstentzündung hinter sich bringen würde.

Wobei, wer rechnete hier schon mit Vorhängen?
 

In Raphaels Hand schlenkerte ein kleiner, schwarzer Koffer, dessen Existenz er sich eigentlich schämte, doch er legte eben Wert auf sterile Arbeitsmaterialien. Ein scharfes Messer würde er hier zweifelsfrei kriegen, legte aber keinen Wert auf Schlachtwerkzeug.
 

Er wusste auch, dass Michael hier irgendwo herumlungerte, trotzdem wäre es nett, dieses Mal nicht aus einer dunklen Seitennische angesprochen zu werden, was ihm beim letzten Mal – vor mehreren hundert Jahren – beinahe einen Herzinfarkt beschert hatte.

Dunkler Stein ragte empor und endete in einer hohen, lichtgefluteten Decke. Es brannten keine dramaturgischen Fackeln an den Wänden, immerhin war Michael trotz der Wüstengegend, in der er aus praktischen Gründen wohnte, dennoch in der modernen Welt angekommen und benutzte hohe Fenster und stabile Leuchtstoffröhren, von denen eine im hinteren Gang bedenklich flackerte.

Raphael seufzte und machte sich auf in die Höhle des brennenden Löwen.
 

Dunkel erinnerte er sich daran, dass das Schlafzimmer irgendwo am Ende lag, umgeben von einem Wohnbereich mit Badezimmer und Küche, in der er sich Michael aber nicht wirklich vorstellen konnte. Andererseits war ein Vorrat von Nahrung natürlich praktischer als jeden Tag Zeit mit der Jagd zu verschwenden. Wenn es die Situation zuließ, würde Raphael mal einen Blick auf den Vitaminvorrat legen. Dass Michael chronisch unterernährt war, war ja kein Geheimnis, aber er schien das ja irgendwie zu brauchen, um sich entsprechend bewegen zu können.
 

„Mika-Chan?“, rief Raphael noch einmal und näherte sich mit Unbehagen dem flackernden Licht, hinter dem die nächste Ecke lag. Warum noch einmal hatte er sich darauf eingelassen und den Gedanken gefasst, nach ein paar Tagen mal nach ihm zu sehen? Weil der Dickschädel sich vermutlich lieber den Arm abreißen statt Raphael noch einmal um Hilfe bitten würde, wenn er wieder mal nicht ordentlich mit sich umgegangen war.

Es grenzte sowieso an ein Wunder, dass er zu ihm gekommen war, das sollte man ihm anrechnen.
 

„Mika-Chan sag was ich geh nicht eher, bis ich dich gesehen hab.“ Außerdem würde er sich gleich eine Stresszigarette anmachen; das war mehr als das sonstige Rauchen, denn eine Stresszigarette verlängerte sich automatisch auf mindestens drei, wenn er das Licht so ansah, eher vier. Als er direkt unter diesem stand, gönnte Raphael sich einen Blick nach oben, ehe er vorsichtig um die Ecke lugte, dabei aber keine Stichflammen ausmachen konnte.

Er spürte ihn ja irgendwo hier in der Nähe, doch wo genau, war fragwürdig.
 

Raphael rechnete irgendwie mit dem Schlafzimmer, doch da würde er unter Garantie nicht einfach reinplatzen. Ob das gegenüber seiner eigenen Behausung und wie man sich dort benahm richtig war, sei nun dahingestellt. Hier ging es immerhin um sein liebliches und vermutlich auch seelisches Wohl, doch diesen Schritt musste er auch gar nicht wagen, denn aus genau der gefürchteten Tür kam das Objekt der Begierde – Raphael musste mit solchen Bezeichnungen aufpassen, so ganz verkraftete er den Anblick der nackten Beine noch immer nicht – und starrte ihn wütend an. Das war ein neuer Rekord, eigentlich hatte er immer ein bis zwei Minuten, bis Michael sich über ihn aufregte.
 

„Was willst du?“
 

„Ich freu mich auch, dich zu sehen. Mit Fieber, wie du aussiehst. Lass mich rein, ich will nach dir sehen.“
 

„Kannst wieder abhauen, hab kein Bock auf dich.“
 

„Ja, schön. Geh vor jetzt.“
 

Raphael bewegte sich auf dünnem Eis, das wusste er. Trotzdem war er den weiten Weg nicht hergekommen, um sich direkt wieder von Michaels schlechter Laune abspeisen zu lassen. Der zog wieder die Augen zusammen, drehte ihm dann den Rücken zu und ging vor, wobei er ziemlich offensichtlich hinkte.

Raphael schnalzte mit der Zunge – eine gefährlich unüberlegte Tat, für die Michael ihn vermutlich jeder Zeit aus reiner Laune rauswerfen würde – und folgte ihm dann. Das Zimmer hatte sich bedingt verändert, allerdings kaum nennenswert.

Noch immer war hier dieser wirklich schöne, dunkelrote Marmorboden, an den Wänden hing allerlei Zeugs über Anatomie und Schwachstellen diverser Dämonen, ein paar Waffen, Wurfmesser und natürlich Souvenirs, die ihm aus emotionalen Gründen mehr bedeuteten als der Rest, den er umgelegt hatte.
 

„Nett“, kommentierte Raphael den Schädel eines was auch immer und ignorierte die leeren Flaschen und Päckchen, von denen Michael sich wohl in letzter Zeit ernährt hatte.
 

„Was war’s?“, kam dann noch die reine Höflichkeit hinterher, während der Heiler beobachtete, wie sich sein Freund aufs Bett setzte und die Arme auf den Oberschenkeln ablegte.
 

„Kleiner Drache. Was willst du?“
 

„Hab ich doch schon gesagt“, antwortete er ihm und zog sich ungefragt den schweren Ledersessel heran, um sich näher zu Michael zu setzen. Er bot einen ungewohnten Anblick in Jogginghose und Tank-Top, kam aber offensichtlich auch direkt aus dem Bett. Die Haut war blass, seine Wangen bedingt rot und in den Augen glänzte es fiebrig. Das war selten, aber auch der Engel des Feuers durfte sich seinen Taten gegenüber hin und wieder verantworten. Gerade schien sein Körper sich rächen zu wollen und forderte etwas Ruhe ein. Dass Michael davon genervt war, konnte man deutlich sehen, Allerdings war er auch zu erfahren im Umgang mit sich selber, um so einen Zustand zu ignorieren und sich selber hinzurichten. Ein paar Tage Ruhe, dann könnte er sich wieder anderem zuwenden.
 

„Wie fühlst du dich?“, eröffnete Raphael seinen unerwünschten Hausbesuch und unterdrückte den Drang, nicht doch eine Zigarette auszupacken. Das war eine rein rhetorische Frage, er sah es ja selber. Der Verband war ab, allerdings sah die Schulter ganz gut aus.
 

„Blendend“, schnarrte es ihm sarkastisch entgegen, doch zu mehr hatte der Rothaarige gerade scheinbar keine Lust.
 

Raphael speiste diese Antwort mit einem kühlen „Aha“ ab und rutschte auf dem Stuhl näher, fasste dann ungefragt nach der vor kurzem verbundenen Schulter. Vorsichtig bewegte er Michaels Arm in dem beanspruchten Gelenk, wobei dieser ihn wie schon neulich wieder unangenehm musterte; durch das einfallende Licht wirkten die gelben Augen, als wäre überhaupt keine Pupille in ihnen.
 

„Hast du noch Beschwerden mit der Schulter? Mach es uns beiden einfacher und antworte einfach, okay?“
 

Es dauerte einen kurzen Moment, aber Raphael rechnete nicht mit einer gerade ausgedachten Lüge, sondern eher mit einem weiteren, bissigen Kommentar, auf die Michael sämtlichen Anspruch erhob. Doch er schüttelte nur mit dem Kopf, schien diese Bewegung dann aber sogleich zu bereuen und schloss kurz die Augen, öffnete die Lippen einen Spalt und atmete tief ein; Raphael sah ihn selten im Beherrschung ringend und so wirklich gefallen wollte es ihm nicht. Wozu gewöhnte er sich an all das Geschrei, wenn er nun einen anderen Weg einschlug?
 

„Kopfschmerzen?“, vermutete er und ließ vom Arm ab, lauschte dem gebrummten „Hm-hm“.
 

„Ich könnte dich jetzt ganz durchleuchten oder du kooperierst – ausnahmsweise – mal und ich komm hier weg, bevor mein ganzer Dienstplan verfallen ist.“
 

„Du bist doch eh immer im Dienst.“ Michael seufzte, ließ sich dann auffallend müde flach auf den Rücken sinken, die Augen noch immer geschlossen.
 

„Stimmt nicht, du siehst mich nur öfter im Krankenhaus als privat.“
 

„Wooooorkahooooliiiiic!“, kam der leichte Singsang als Antwort, was Raphael mit einem „Tzz“ beantwortete.

Auf Michaels Gesicht zeigte sich der Anflug eines Grinsens, dann hob er das Bein an und stupste mit einem halb unter dem Bein der Jogginghose verschwindenden, nackten Fuß gegen Raphaels Knie.
 

„Da ist was mit.“
 

„Hab ich gesehen, du hinkst. Trittst du mich, wenn ich die Hose hochschiebe?“
 

„Ja weil sie ab Mitte der Wade zu eng zum Weiterschieben wird.“
 

„Dann zieh sie aus.“
 

Michael setzte sich mit einem Ruck wieder auf und rutschte dabei so weit nach vorne, dass er Raphaels Gesicht unangenehm nahe kam; den warmen Atem spürte er, einen Anflug von Mundgeruch konnte man auch erahnen.
 

„Wie lange fieberst du schon? Zieh sie aus ich hab sonst eine Schere dabei.“ Ein Kopfnicken zur Seite, wo der schwarze, kleine Koffer stand, den Michael jetzt langsam ins Visier nahm. Als er aufstand, befand er sich zwischen Raphaels Beinen, da dieser bis zur Bettkannte auf dem Stuhl herangerollt war. Dünne, blasse Finger lösten das Bändchen am Saum, dann streifte er die Stoffhose herunter, erwischte die dieses Mal vorhandenen Shorts etwas und erlaubte Raphael so eher unfreiwillig einen Blick auf den Ansatz von genau dem, was ihn eigentlich nichts angehen sollte, ehe der schwarze Stoff wieder nach oben gezogen wurde, dafür landete die graue Hose am Boden.
 

„Ich sollte dich erschießen“, murmelte Raphael, starrte auf den Unterschenkel und wollte eigentlich gar nicht wissen, wie der von hinten aussah. Dennoch schubste er Michael wieder auf das Bett, fasste dessen Fußgelenk und zog sein Bein in die Höhe, hatte die eiternde Wunde so direkt vor Augen. Von knapp unterhalb der Wade bis fast zur Kniekehle war ein einziger, gezackter Schnitt zu sehen, der sich im Laufe der Tage gnadenlos entzündet hatte und höchstwahrscheinlich der Grund für die erhöhte Temperatur war. Natürlich, weil der Körper sich zur Wehr setzte und all die Bakterien rauszuspülen gedachte, die dort rumschwammen.
 

„Wer hat hier so stümperhaft versucht zu nähen?“
 

„Ich, gefällt dir das Muster?“
 

Raphael ließ das Bein los und starrte einen auf den Rücken liegenden Feuerengel an, der nun ein freches Grinsen zu Tage brachte; die Beine etwas gespreizt und auf den Unterarmen abgestützt.
 

„Du hast Sanitäter!“
 

„Ja und? Das kann ich auch selber, die brauch ich erst bei Knochenbrüchen.“
 

„Oh ja ich sehe, wie gut du das kannst. Das wird schmerzhaft aber anders krieg ich‘s nicht hin. Der Faden ist ganz umschlossen und eingekrustet. Dreh dich auf den Bauch.“
 

Er könnte ihn nun belehren und damit vollquatschen, dass mit solchen Verletzungen eigentlich ein schneller Besuch verbunden war und dann hätte man ja Ruhe aber seit abertausend Jahren hatte Michael sich als beratungsresistent herausgestellt und an diesem Zustand würde er so oder so nichts mehr ändern. Dann musste er halt leiden, den Faden musste Raphael ohnehin lösen, selbst wenn er dazu bereit wäre, auch nur an Heilung zu denken.
 

„Ich brauch ein Handtuch, das sauber ist.“
 

„Brauchst du nicht scheiß auf das Laken.“
 

„Musst du wissen, ist deine Einrichtung.“
 

Michael drehte sich genervt auf den Bauch und stützte seinen Kopf ab, indem er die Wange gegen den Handballen drückte, während Raphael den Koffer neben ihm abstellte und öffnete. Kurz beglückwünschte er sich für die Entscheidung, die Sachen wirklich mitzunehmen, dann suchte er die wichtigsten Sachen heraus.
 

Da er gerade stur und auch etwas wütend war, würde er ihm keine Betäubung gönnen und vielleicht wirklich unnötig in der Wunde bohren, doch er würde ihm einfach dem Fieber überlassen sein, das war Strafe genug. Ganz abgesehen davon war Michael ohnehin vermutlich nicht dazu in der Lage, den Gedankengang zu verfolgen. Raphael musste zugeben, dass er diese Situation so noch nicht kannte. Michael mit Fieber okay, schon kompliziert genug weil er sich auf höhere Temperaturen einstellen musste und all das. Ihn dann aber noch in seinen privaten Gemächern anzutreffen und so vor sich hinschwächelnd machte er fast einen entspannten Eindruck. Traurig, wenn ausgerechnet Fieber das bei ihm schaffte. Und Marihuana, wie man vor wenigen Tagen gesehen hatte.
 

„Warum wartest du immer, bis dein Körper sich nicht mehr wehren kann?“

Das war eigentlich nicht einmal eine Frage, er wollte keine Antwort darauf und machte sich daran, die fest gezogenen Fäden zu inspizieren. Zwar hatte Raphael keine schlechten Augen – also bitte, er – aber die Brille nahm er gerne, um sein Umfeld eben noch etwas zu vergrößern. Als er kurz Michaels Blick streifte, prustete dieser leise los und ließ die Stirn auf seine Matratze und auch in die zerwühlte Bettdecke fallen, wo er leise kicherte. Das war Raphael egal, mit der Reaktion ärgerte er ihn seit Jahren und irgendwann gewöhnte man sich eben dran.
 

Als er seine Hand auf Michaels Oberschenkel legte, kamen kurzweilig wieder die Erinnerungen an neulich Nacht hervor, aber dafür war keine Zeit und die infizierte Wunde war auch kein wirklich erotischer Anblick, deswegen hielt er ihn nur so gut es ging flach auf der Matratze und machte sich mit einem kleinen Skalpell daran, den ersten Faden aus seiner Umgebung zu lösen. Die Muskeln in Michaels Bein spannten sich an, als der Schmerz die Wade einnahm, doch er lag vollkommen ruhig und platt dort, die Arme locker über den Kopf weggestreckt und das Gesicht noch immer in der Decke verborgen.

Es war eine wirklich bescheidene Arbeit, da die Fäden überall klebten und festhingen, außerdem hatte der Rothaarige es etwas zu gut gemeint, indem er den Knoten so fest es ging herangezogen und dann zugeknotet hatte. Immerhin war er nicht weit gekommen.
 

„Was ist das überhaupt für ein unmöglicher Faden?“
 

„Du könntest ihn einfach drinlassen, der wird schon aufgelöst.“
 

„Glaub ich nicht, ist das Angelschnur?“
 

„Nylon…“
 

„Angelschnur…“ Raphael seufzte, zog dann den ersten Teil heraus. Da er ohnehin niemals ohne Desinfektionstücher zu Michael kommen würde, konnte er damit gleich vorsichtig über die sofort blutende Stelle wischen. Wieder spannten sich die Muskeln im Bein an und rein aus Reflex streichelte er Michaels Oberschenkel, damit der sich wieder entspannen würde.
 

Akribisch ging er bei den anderen Fäden ähnlich vor, hin und wieder erntete er einen Laut vom Feuerengel, der leise stöhnend die Decke in den Händen eindrehte. Nun tat er ihm doch Leid und Raphael war drauf und dran, ihn bald zu heilen aber die Fäden mussten so oder so raus. Allerdings konnte er sich nicht dauernd von ihm erweichen lassen. So würde der freche Wicht seine Lektion ja nie lernen!
 

„Hast du demnächst was vor? Steht irgendein Krieg oder so an?“
 

„Laber mich doch einfach nicht voll…“
 

„Ich will mich nur mit dir unterhalten. So letzter Faden ist raus, liegen bleiben.“
 

Ehrlich gesagt gefiel ihm die Idee, Michael im Auge zu behalten. Die vielen, kleinen Verletzungen in letzter Zeit waren nicht normal, vor allem nicht für jemanden, der seinen Körper so akribisch ausgebildet hatte wie der Feuerengel es eben seit jeher tat. Wenn, dann hatte er große Wunden – mal fehlte eine Hand, mal ein Flügel. Dann war er wirklich auf Raphael angewiesen aber das hier? Er wurde unvorsichtig und das war gefährlich, gerade für ihn. Allerdings würde es schwer werden, Michael von einer spontanen Pyjamaparty zu überzeugen, schon gar nicht bei ihm zuhause, wo er Raphael ja als Besuch auf Zeit schon ungern duldete.
 

Es gab kein wirkliches Gesprächsthema zwischen ihnen, dass er mit dem Rothaarigen in genau diesem Zustand führen wollte, also säuberte Raphael die Wunde und begann dann doch, ihn zu heilen. Scheinbar schien Michael das zu überraschen, denn er drehte den Kopf wieder schwerfällig zur Seite, um auf das Vorgehen zu schauen.
 

„Dein Fieber krieg ich so nicht runter, bleib einfach noch etwas liegen und trink ausreichend. Wenn du dich morgen besser fühlst tu dir wirklich den Gefallen und ruh dich noch etwas aus.“ Das war gelogen, er würde das Fieber wegbekommen, aber so hatte er im Idealfall wirklich noch zwei Tage, um sich etwas einfallen zu lassen. Da sein Dauerpatient keine Anstalten machte sich irgendwie zu bewegen ergab Raphael sich seinem Schicksal, fasste über ihn hinweg und drehte Michaels leichten Körper auf die Seite, um ihn von der Decke zu rollen. Dann schob er ihn wieder zurück und legte die Decke bis zu seinen Schultern hoch, betrachtete den noch immer auf dem Bauch liegenden Engel.
 

„Deine Arme auch“, schloss er schließlich und griff nach einem davon, als sich schlanke, kraftvolle Finger um Raphaels Handgelenk schlossen. Mit einem festen Ruck drehte Michael sich auf den Rücken und zog Raphael im Sturzflug mit auf die Matratze, sodass dieser schräg neben ihm kniete, jedoch nur entnervt die Augen verdrehte und sich aus dem Griff befreite. Er fasste das als Einladung auf, setzte sich auf die Matratze und spielte mit dem von Suizid geprägten Gedanken, sich eine Zigarette anzustecken.
 

„Geh“, murrte es aus weichen Kissen und mit etwas Mühe drehte der Feuerengel ihm den Rücken zu, womit Raphael jedoch ebenso gerechnet hatte; er war gerade Arzt und nicht etwa der gute Freund, der zum unangemeldeten Krankenbesuch kam – was Michael nebenbei überhaupt nicht leiden konnte.
 

„Gern geschehen“, schnalzte der Blonde mit der Zunge und strich dann doch noch einmal über die wie Blut schimmernden Fransen, was einen unerwartet schnellen Schlag mit der flachen Hand verursachte. Böse funkelte Michael ihn an, hatte sich noch einmal halb zu ihm gewandt und drehte sich dann wieder um, zog sich die Decke fest über die Schultern.

Raphael resignierte, nahm seinen Koffer mit und schloss die Tür so leise es ging, das Bild des zusammengekauerten Engel dabei fest im Kopf behaltend.

Solo

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Duo?

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Hilflos

Dass er vor den anderen aufwachte, überraschte Raphael nicht wirklich.

Da war der Umstand, überhaupt eingeschlafen zu sein, viel schlimmer denn wenn er sich nicht täuschte, krabbelte EINE SPINNE ÜBER SEINEN ARM!
 

Mit einer hektischen Bewegung schüttelte er sie ab und sah in ein dunkles Blätterdach, es dämmerte gerade erst und mehr als fünf Stunden Schlaf hatte er sicher nicht errechnet. Dass sie noch beide in der Hängematte lagen, wunderte ihn ebenso und auch, dass Michaels Arm über dem Bauch des Blonden hing, sein Gesicht irgendwo an Raphaels Brust gedrückt und friedlich schlafend.

Toll, nun könnte er sich nicht einmal anziehen, ohne den kleinen Feuerteufel zu wecken, den er vorsichtig anschielte. Er hatte selten jemanden im Arm liegen, mit dem er in der letzten Nacht ein Stelldichein durchlebt hatte und gerade jetzt…
 

Einer von Raphaels Armen lag um den Kleinen gelegt, er lag also zum Teil drauf und wenn sich der Heiler nun minimalst bewegte, würde Michael aufwachen und ihn einäschern. Klar, weil er sich ja auch ankuschelte! Mit etwas Geschick und einem festen Untergrund könnte Raphael sich sicherlich befreien, doch das war eben nicht gegeben und zudem waren die Instinkte seines Attentäters derart scharf ausgeprägt, dass er ihn bei der kleinsten Pulserhöhung im Aufwachmodus von der Hängematte schubsen und einen Feuerstoß hinterherschicken würde. Innerlich seufzend – bloß keine weiteren Geräusche von sich geben – richtete Raphael den Blick nach oben und sinnierte, wie groß seine Chancen auf Morgensex waren. Unterirdisch, vermutlich. Er musste sich unbedingt eine Kamera zulegen und Michael abfüllen, damit er von diesem Fotos schießen konnte. In eindeutig-zweideutigen Positionen und mitten beim Akt. Ob er wohl ein Video mitdrehen würde? Dann gäbe es Material, an dem er sich immer wieder erfreuen könnte.
 

Raphael runzelte die Stirn und schüttelte dann sachte mit dem Kopf; noch einmal mit ihm schlafen? Es wurde allmählich wirklich zu einer Affäre, er musste mehr aufpassen. Mika-Chan war sicherlich nicht von der romantischen Sorte und eine feste Sexpartnerschaft hatte der Blonde auch nie verfolgt. Monogamie war außerdem überhaupt nicht sein Ding.
 

„Warum hältst du mich fest…?“
 

Angstschweiß perlte hervor, dann bog er endlich den Arm unter dem Rothaarigen weg und drehte sich so gut es ging auf die Seite, wo Michael sich gerade aufsetzte und durch das zerzauste Haar fuhr.

Konfrontation? Konnte er haben.
 

„Du hast dich an mich gekuschelt und auf meinem Arm gelegen, also bitte!“
 

„Aha“, antwortete der Rotschopf viel zu desinteressiert und schob die Decke mit dem Fuß weg. Raphael rutschte gerade noch rechtzeitig in die Mitte, als Michael sich an einen Ast herüberangelte und seine Klamotten aus den Zweigen auflas, dann recht flink zu Boden schlängelte und am nächstbesten Busch seine Morgentoilette erledigte, während er noch irgendwo im Halbschlaf die Nase hochzog und ausspuckte.

Raphael verzog den Mund, streckte dann aber vorsichtig den Arm und zog wenigstens seine Hose heran, während er den nackt umherstreifenden Feuerengel beobachtete. Der suchte nach einem fehlenden Kleidungsstück, welches wohl doch nicht auf dem Baum gelandet war und schlüpfte dann in die gleichen, furchtbar engen Hosen vom Vortag. Irgendwie erregte dieser Anblick Raphael, er hatte nun wieder die nackten Beine vor sich, ohne von der Tatsache des männlichen Geschlechts konfrontiert zu werden. Allerdings musste er sich langsam angewöhnen, Michael nicht mehr als Sexobjekt zu sehen, denn wie oft dieser noch mitziehen würde, war fraglich. Konstante Verhaltensweisen waren nicht seine Stärken, man konnte sich nur immer auf dieselben Dinge verlassen, zu denen Sex jedoch bisher nie gehört hatte.
 

Ein Stoßgebet an seinen eigenen Körper, dann glitt Raphael halb bekleidet vom Baum zu Boden und rang mit sich, nun auch in den Busch zu pinkeln, doch er unterdrückte dieses Bedürfnis, solange noch jemand bei ihm war. Oder wieder auf dem Baum, so schnell konnte er ihn gar nicht im Auge behalten.
 

„Fang mal.“
 

Gerade noch rechtzeitig streckte er die Arme aus und nahm den geworfenen Rucksack in Empfang, dann klinkte die Hängematte schon an einer Seite aus. Er würde Michael arbeiten lassen und den kurzen Moment wirklich zum Pinkeln benutzen, nachher rannten so oder so wieder überall Soldaten rum und vor denen wollte er sich noch weniger entblößen. Er sollte sich dessen auch nicht schämen, dennoch warf Raphael einen Blick über die Schulter und beobachtete, wie der Feuerengel den nächsten Baum erklomm und am Karabiner ihres Schlaflagers rumpfuschte. Raphael war nie der Typ gewesen, der sich zum Kollektivpissen an eine Mauer stellte und mit dem Nebenmann ein angeregtes Gespräch führte. Ehrlich gesagt traute er das nur den – wie er aus verlässlicher Quelle wusste – zum Teil unregistrierten Soldaten in Michaels Armee zu, inklusive ihrem Oberbefehlshaber.
 

Und wie gerne würde er sich nun die Hände waschen, doch leider wuchsen in der Wildnisse keine Waschbecken und so stellte Raphael jegliche Aktion hinten an, die eine indirekte Berührung mit seinem Mund bedeuten würde. Essen? Nur, wenn er vorher seinen Koffer mit den Desinfektionstüchern bekommen würde.
 

„Du pisst ohne Seife in der Nähe?“
 

„Ich bewundere dich für deinen Wortschatz.“
 

„Ich mich auch, hab ihn tief vergraben.“
 

Mit der Hängematte über der Schulter kam der Rothaarige wieder, nahm den Rucksack entgegen und ging in die Hocke, legte dann routiniert den schweren Stoff zusammen und rollte ihn über dem Reißverschluss zusammen, zog ihn da fest.
 

„Gehen wir nochmal zurück zum Schiff?“
 

„Ich bin mit einer Kampfmerkabah losgezogen, glaubst du, wir laufen? Du musst öfter mit in einen Einsatz, Grünschnabel.“
 

Kurz überdachte Michael die letzte Aussage, blickte dabei stumm in Raphaels Gesicht und berichtigte mit Erinnerung an die nächtliche Schlafsituation: „Oder vielleicht besser nicht…“
 

Die Reaktion darauf war ein spöttisches Schnauben, bei dem der Heiler auch in sein Oberteil schlüpfte und seine Haare mühsam außer Acht ließ – die Hände, keine Seife.

Eigentlich wollte er auch vermeiden, das Offensichtliche anzusprechen, doch wie sollte er sich bei diesen Frechheiten bitte zusammenreißen?
 

„Du kannst kaum leugnen, dass du spaß hattest. Dann bist du ein verdammt guter Schauspieler. Und die dämliche Verbeugung kannst du stecken lassen, ich kenn dich lange genug, dir hat das gefallen!“
 

Michael brach ab, auf den Schauspielerkommentar hin den Arm gespielt heranzuziehen und sich zu verbeugen, schulterte den Rucksack auf einer Seite und glitt mit der Zungenspitze sichtbar über die hellen Zähne; die silberne Kugel seines Steckers im Muskel blitzte auf und zog kurz die volle Aufmerksamkeit Raphaels auf sich. Dann verschwand der Anblick wieder und er blickte hoch in Michaels Augen; Sonnenlicht schien durch die Blätter und fiel direkt hinein, ließ das warme Gold unangenehm hell strahlen, doch es schien den Besitzer gar nicht zu stören.
 

„Nächstes Mal liegst du unten.“
 

Verdutzt folgte der Blonde ihm, da sich sein Kumpane in Bewegung gesetzt hatte und nun allmählich den Pulk Soldaten ansteuerte, der klugerweise vor dem Boss aufgewacht war. Er musste sich mit diesem Gespräch beeilen, sonst könnten sie es nicht mehr führen und wie er später noch einmal daran anknüpfen sollte, wusste der Heiler wirklich nicht zu sagen.
 

„Du willst wirklich noch mal? ich dachte, ich bin unfähig.“
 

„Bist du auch, deswegen liegst du nächstes Mal unten. Ich lass mir doch nicht zwei Mal weh tun und du kommst mit heilem Arsch davon.“
 

„Ich hab mich entschuldigt und dich geheilt, muss mich einfach daran gewöhnen, dass du ein Kerl bist.“
 

„Das wirst du dann nicht mehr vergessen, keine Sorge.“
 

Wie immer klang Michael wirklich gelangweilt, sobald es um ihre soziale Interaktion miteinander ging, doch Raphael war zumindest etwas beeindruckt, wie selbstsicher der Kleine war. Also… er hatte es ja einmal erlebt, Michael war nach den paar Minuten aktiven Handelns vollkommen von der Rolle. Man könnte nun wieder die Schuld auf die Drogen schieben, das hatte Raphael ja auch getan aber bei ihm hatte nur die Dauer gelitten, nicht etwa Technik und eine aufkeimende Atemnot. Gut, er würde es sehen.
 

„Fein. In einer Woche bei mir.“
 

„Wieso bei dir?“
 

„Weil ich alles da hab, was man dafür braucht. Oder willst du, dass ich in dein Schlafzimmer komme? Diesen Vorort der bakteriellen Hölle.“
 

„Ist mir latte.“
 

Michael beschleunigte seinen Schritt nicht, das würde vor den Soldaten einen seltsamen Eindruck machen und er musste auch nicht unbedingt Meter um Meter vor Raphael hermarschieren. Wer unter seinen Leuten an der Autorität des Bosses zweifelte, nur weil der nicht vor seinen Truppen patrouillierte, war definitiv falsch in der Einheit. Oder wurde zur Not eines Besseren belehrt.
 

Allerdings ersparte Raphael es ihnen beiden – eher sich, da er dann vermutlich den Ärger seines Lebens bekommen würde – nun weiter in die Materie vorzudringen und wartete dann brav, bis er endlich in das Flugschiff und damit auch an seine Tasche kam, aus der er irgendwo ganz weit unten ein vereinsamtes Päckchen Desinfektionstücher hervorzog und sich die Hände säuberte. Funktionierende Wasserleitungen waren ein Luxus, den er bereits nach ein paar wenigen Stunden vermisste. Insgeheim glaubte er ja noch immer, dass Michael hier Trinkwasser bunkerte, mit dem man sich auch waschen konnte. Wie bitte sonst könnte er Monate auf einem Einsatz verbringen? Wenn Raphael dann aber an gewisse Dinge dachte, die bei der nach einem Einsatz (manchmal) anstehenden Routineuntersuchung auf Michaels Körper ein Leben aufgebaut hatten, konnte er den Gedanken an Hygiene schnell wieder verdrängen. Man möge ihn pingelig nennen aber ein kurzes Waschen würde viele Wochen Infektionen und Mangelerscheinungen ersparen.
 

Neben ihm sank Michaels Rucksack zu Boden und die Schritte zogen an Raphael vorbei zurück zum Kontrollpult, plötzlich wimmelte es auch draußen vom Rest der Soldaten. Wie auch immer sie es anstellten – Michael schien nicht verärgert zu sein und genau das war wohl auch das Ziel. Ein guter Start in den Tag.

Raphael nahm es sich heraus – da ebenfalls Elementarengel, sollte sich ruhig jemand mit ihm anlegen – sich neben Michael zu setzen und zuzusehen, wie der noch die letzten Leute einsteigen ließ, dann ging es eigentlich direkt weiter. Vom Aufwachen bis hierher waren keine fünfzehn Minuten vergangen, so schnell startete Raphael seinen Tag eigentlich nie, zumal er eigentlich wirklich müde von der letzte Nacht war. Sein Rhythmus bestand aus noch mindestens vier Stunden Bett, duschen, Frühstücken und dann anziehen. Sicherlich nicht im Busch pinkeln und in den gleichen Klamotten wie am Vortag direkt weiterfliegen an einen Ort, der allgemeinhin als verseucht bezeichnet wurde.
 

Hier gab es zwei wichtige Komponenten: Die dort herrschende Zahl der Dämonen, die sich seit dem Zusammensturz der Schalen noch immer tummelten und das Gift, welches sie inzwischen in Atmosphäre und Boden gebracht hatten. Ihre Schutzimpfung bezog sich natürlich nicht darauf, wie sollte er auch vorher wissen, was sie erwartete? Doch die gängigsten Krankheiten waren eben abgedeckt und wenigstens würde nun niemand mehr an einem Wundkrampf sterben.
 

„Also“, ertönte neben Raphael die Stimme Michaels, welche sich irgendwie immer zwischen Teenager und jungem Erwachsenen befand.
 

„Steh mir gleich bloß nicht im Weg rum. Wir gehen da rein, suchen die scheiß Quelle für den Dreck da und gehen wieder. Wenn unterwegs ein Dämon meint, mich anfucken zu müssen ist der Geschichte. Ich will kein „minimaler Schaden“ und „lass uns einen friedlichen Weg finden“, klar?“
 

„Was sagst du mir das? Mir ging es um die Leute auf unserer Seite, Dämonen kannst du rösten wie du lustig bist. Ich bezweifle aber, dass wir wirklich erfolgreich sein werden. Nicht, dass ich dir das nicht zutrauen würde“, räumte er sofort ein, da Michael einen bösen Blick in Raphaels Richtung warf; wenn er dafür sogar vom Kontrollpult aufsah, war er wirklich sauer.
 

„Aber das Ganze ist doch seltsam, oder? Warum bist du überhaupt aufgebrochen?“
 

„Hab ich dir doch gestern schon erklärt. Weil man mich loswerden will. Wenn ich den Mist nicht annehme, schicken sie mich eben direkt zu Luzifer oder im Gegenteil auf die verkackte Grenzpatrouille, an der ich seit Jahrtausenden hänge. Mir ist langweilig. Raphael. Seit so vielen Jahren. Wenn ich einen nutzlosen Auftrag kriege, mach ich ihn halt manchmal. Aber ich geh nicht Babysitten und zerhackstücke weiter Dämonen, an denen der Hohe Rat rumexperimentiert hat und wie üblich abgekackt ist. Wie viele davon mal Engel waren, will ich gar nicht wissen.“
 

Nein, das wollte Raphael auch selber nicht. Als er gerade wieder etwas sagen wollte, unterbrach Michael ihn noch beim Luftholen: „Warum du mitkommst, würd mich viel mehr interessieren. Ich weiß, dass du mich eh anlügst also spar dir die Erklärung und kack einfach nicht ab.“
 

„Ich bin nicht zum ersten Mal weg, Mika-Chan. Ist lange her aber so was verlernt man ja nicht einfach. Ist wie Fahrrad fahren.“
 

„Was du nicht kannst.“
 

„Ich kann fliegen. Wozu sollte ich mich auf etwas schwingen, was mir den Schritt zerquetscht?“
 

Ein leises Gähnen neben ihm, dann schüttelte Michael nur voller Unverständnis den Kopf und tippte ihre letzten Koordinaten ein, lehnte sich dann zurück und fasste den Horizont ins Auge. Dabei wechselte er immer wieder zum kleinen Radar vor sich, was für Raphael nur eine Ansammlung von Strichen und Zahlen war, dennoch versuchte er, bei dem stetigen Bildwechsel mithalten zu können, entdeckte aber bei weitem nichts. Wenn Michael immer unter solcher Anspannung flog, erklärte das die müden Aussetzer auf dem Schlachtfeld, die vermutlich der Grund für die übertriebene Vorsicht waren; ein Teufelskreis also.
 

„Hast du nichts, was rechtzeitig lospiept, wenn wer angreift?“
 

„Wenn sie das Schiff erreichen, ist es zu spät. Viele Dämonen kann der Radar nicht erfassen und manche Engel auch nicht.“
 

Den Satz ließ er in der Luft hängen, Michael hatte keine Lust auf ein Gespräch und Raphael wollte nicht schon wieder streiten, von daher ließ er ihn erst einmal in Ruhe, machte es sich aber ähnlich wie Michael zur Aufgabe, einen ganz bestimmten Punkt vor sich zu beobachten. es gefiel ihm schlichtweg nicht, was er an dem Rothaarigen immer und immer wieder diagnostizieren musste. es war sein Schicksal, seinen Beruf mit sich herumzutragen, daher interessierten ihn körperliche Mängel besonders. Innerlich legte Raphael immer und immer wieder Krankenakten an, wobei die für Michael nicht in aufgeschriebener Form existierte. Irgendwann hatte er es aufgegeben und der Feuerengel war ohnehin durch die meisten Sachen durchgelaufen. Sein Krankenblatt mit Allergien existierte irgendwo in Raphaels persönlichen Unterlagen, sollte er ihn denn wirklich mal im Krankenhaus einquartieren. Dazu gab es noch den Vermerk, ihm auf keinen Fall diverse Lebensmittel vorzusetzen, ganz oben auf der Liste das gelbe, krumme Ungetüm, mit dem der Feuerengel erschreckend präzise auf Genitalien zielte und diese damit befeuerte.
 

Momentan sah der Heiler bei seinem Stammpatienten Anzeichen für eingerissene Mundwinkel, trockene Flecken im Gesicht und ansatzweise rissige Lippen – er trank einfach zu wenig. Das war noch kein Grund zur Sorge, doch es konnte schnell zu einer werden, wenn auch seine Organe sich zu beschweren begannen. Zumal war ein mit Kopfschmerzen gesegneter Michael absolut unangenehm.
 

-
 

Seit ihrer Landung unmittelbar des betreffenden Gebiets waren kaum zwanzig Minuten begannen und bereits jetzt zog Raphael sich genügend Sauerstoff aus der Umgebung, da er als Dauerheiler im Einsatz war. Bemerkenswert: Es war nicht Michael, der von einem Dämonen besprungen und in die Halsschlagader gebissen wurde. Es war auch nicht Michael, der in eine Falle trat und beinahe ein Bein verloren hatte. Zwar war er sofort zur Stelle und holte den entsprechenden Soldaten mit einigen wohlwollenden Schwerthieben zurück in ihre Truppe, doch passiert war ihm noch nichts, Gut, Raphael glaubte auch nicht, dass der Kriegsherr sich die ganze Zeit selbst auf die Füße trat aber am Ende erwischte es ihn meistens am Stärksten.
 

„Mika-Chan. Wenn wir in zehn Minuten nichts finden, bitte ich dich zur Umkehr. Warte, Korrektur: Mir ist egal, ob ich respektlos bin, Ich verlange, dass wir in zehn Minuten umkehren, hier überall schwebt Nervengift herum, wir atmen das alle fleißig ein.“
 

„Kannst du die Dosis bestimmen?“
 

„Nicht genau, ich will aber nicht bis zum Exitus warten. Wir haben nicht alles dabei, ich kann nur auf wenige Gifte behandeln und ein Rückflug dauert. Tut mir Leid aber auf sowas war ich nicht vorbereitet.“
 

Es behagte ihm nicht, das sah Raphael deutlich; eine Hand fest um den griff seines Schwertes gelegt traten die Knöchel weiß hervor und der Soldat malmte mit dem Kiefer, nickte dann aber. Tot brachte er keinem mehr was.
 

„Gut, dann aber etwas schneller, ich flieg nicht zwei Mal hier hin. War ich auch nicht. Nicht in dem Ausmaß.“
 

Jetzt ging alles plötzlich ganz flink, ihre kleine Formation löste sich in dem Moment, in dem Michael plötzlich an Geschwindigkeit zulegte und seine Deckung aufgab; neben Raphael gerieten auch die anderen in Bewegung und folgten ihm, behielten dabei aber einen gewissen Abstand ein, den sich der Blonde nur zu gut erklären konnte: Es wurde brüllend heiß und wenige Atemzüge später spürte Raphael, wie der Sauerstoff um ihn herum großzügig eingesammelt wurde, damit Michael brennen konnte.
 

Er mochte diesen Anblick, wenngleich keine Zeit für solche Gedanken blieb. In Flammen stehend zog Michael die Aufmerksamkeit sämtlicher Dämonen auf sich, gleich eines Lichts inmitten unzähliger Insekten. Als in den dunklen Ecken der Kraterlandschaft Bewegung einkehrte, schickte der Feuerengel von Zeit zu zeit einen alles fressenden Stoß Flammen von sich weg und verbrannte so ganze Nester, während einzeln heraneilende, verkrüppelte Körper den Soldaten zum Opfer fielen.
 

Raphael wartete noch einen Moment, schickte nebenbei einen Angreifer mit einer schnellen Handbewegung und der schneidenden Luft in den Tod, als er das Flackern von Michaels Seite bemerkte. Das Feuer hatte kurz nachgelassen und der Feuerengel – nicht mehr als eine in Flammen stehende Kontur seines eigentlichen Körpers – wandte Raphael das Gesicht zu. Seine Augen waren kaum etwas anderes als zwei glühende, weiß strahlende Punkte, dennoch schaute er ihn irgendwie böse an. Natürlich, weil ihm der verdammte Sauerstoff genommen wurde. Ein weiterer Grund, warum Raphael nie mit ihm in den Krieg ziehen wollte; wenn sie zusammenarbeiteten, klappte es. Aber wehe, einer von ihnen machte einen kurzen Schlenker und erledigte eine Aufgabe im Alleingang. Solange Raphael für genügend Sauerstoff sorgte, könnte Michael den Himmel verbrennen. Aber wenn er ihn selber benötigte, geriet alles ins Wanken.
 

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren drehte der Windengel ab; die Quelle dürfte sich eigentlich leicht ausfindig machen, das war einer der wenigen Vorteile als Windengel, war sein Element doch sonst eher unscheinbar neben den Erdbeben, Eiszeiten und Waldbränden, die die anderen Drei hervorrufen konnten. Man vergaß einfach zu gern, dass Raphael der Sturm war. Er könnte sie einfach wegpusten, sie in ein Vakuum sperren oder unter Druck zerquetschen, doch wozu? Sein Leben war auf Vorteilen aufgebaut, Zerquetschen und Wegpusten gehörte nicht zu diesen, da ein gewisser Standard gewahrt werden wollte. Weder Unterwelt noch seelenlos im Wassergarten oder gar in einer Wüste – er wollte Teil dieser wundervollen Welt sein und das erreichte man nicht mit dem Ruf, Störenfriede zu zermalmen.
 

Zwar behinderte Michael mit seinem Feuersturm die Arbeit ganz gewaltig, dennoch konnte Raphael größere Quellen verpesteter Luft ausmachen und näherte sich so mehr und mehr dem Ursprungsort, zwei der Soldaten bei sich, die geschäftig um ihn herum Wache bezogen.
 

„Schafft er das lange genug?“, versuchte Raphael ein Gespräch zu beginnen, während sie zwischen Höhlen und Abgründen her hetzten, doch nach einem zögerlichen Seitenblick schwiegen die Soldaten und blickten stur gerade aus.

Gut, also hatte Michael wie schon geahnt seine grenzen, die Raphael jedoch durchaus nachvollziehen konnte. Die restlose Zerstörung eines Körpers hatte ihn in ein künstliches Koma versetzt, doch Barbiel war es ihm wert gewesen, Hoffentlich überschritt Michael seine eigene Grenze nicht. Was dann wohl passieren würde? Fraß das Feuer ihn selber auf? Immerhin hatte er trotz Allem noch Fleisch und Blut, auch wenn dies unter dem Schutz seines Elements stand.
 

„Stopp!“, hörte der Blonde sich selber plötzlich rufen und war irritiert, dass er zwar funktionierte, dafür aber scheinbar gedanklich nicht einmal anwesend sein musste. Desorientiert wandte er den Kopf, blickte dann nach oben und zog die Augenbrauen zusammen; die Präsenz war verschwunden. Zwar war nicht zu behaupten, dass die Luft wirklich besser wurde, aber ihre Quelle bewegte sich entweder unbemerkt fort oder existierte mit einem Mal nicht mehr.
 

Unbewusst wischte Raphael sich den Schweiß von der Stirn, er fühlte sich wie in einem Backofen und doch beruhigte ihn der Gedanke, dass es noch jemanden zum Brennen gab.
 

„Moment“, wandte wer an die Soldaten, die tapfer schwitzten und nicht wagten, sich ihm zu widersetzen. Dennoch warfen sie hin und wieder einen flüchtigen Blick über die Schulter, was der Heiler ihnen gewiss nicht verübeln konnte. Er wollte ein Auge auf Michael behalten und ließ ihn dann brennend wie das jüngste Gericht einfach stehen, ganz großes Kino, wirklich.
 

„Ich kann nicht mehr einordnen, wo es ist. Entweder man hat die Quelle ganz freigelassen oder eine Möglichkeit gefunden, eine vollkommen verseuchte Stelle einfach so zu entfernen.“
 

„Kann sowas denn passieren?“, erhob jetzt erstmals ein Mann im äußerlichen Alter von etwa 25 Jahren die Stimme; er hatte fahles, braunes Haar und kleine Augen, über die nackte Brust zog sich ein undefinierbares Tattoo.
 

„Ich weiß es nicht“, gab Raphael zu. Er hasste diese nutzlosen Momente, eigentlich überraschte ihn nichts sonderlich schnell, doch das überforderte ihn zugegebener Maßen. Als er die Stimme wieder heben wollte, erklang ein leises Piepen und der zweite Mann – äußerlich ebenfalls wie sein Kollege gealtert, gefärbtes, grünes Haar mit dunkelblondem Ansatz – nahm eine Art Handy von seinem Gürtel, in welches er nur ein knappes „Ja?“ hineinsprach.
 

Einen Moment lang herrschte Stille, dann streckte er den Arm und reichte das Gerät an Raphael weiter, der gerade eben bemerkte, dass ihm ein kühler Windhauch um die Ohren strich. Alarmiert setzte er den Hörer ans Ohr.
 

„Hallo?“
 

Es dauerte kaum fünf Sekunden, dann drückte er das Ding zurück in die Hand seines Besitzers und spannte seine Schwingen, er durfte verdammt noch mal so viel Luft gebrauchen, wie er jetzt brauchte! Hinter ihm war Flügelschlagen zu hören und weiße Schwingen tauchten knapp hinter ihm auf, dafür war aber wirklich keine Zeit. Im Gegensatz zu vorher war er in wenigen Augenblicken wieder da, nun sparten sie sich die ganzen Schleichpässe. Zwar stand Michael noch aufrecht und er wirkte auch ausreichend genervt, doch das tat nichts zur Sache.
 

Nicht unweit entfernt lag ein in seinem eigenen Blut ertränktes Etwas, von dem der vermisste Giftdunst ausging – ein Dämon, keine versteckten Objekte, die den Ort verseucht hatten.

Raphael landete, zog die Flügel ein und schritt auf den Rothaarigen zu, der ihn entnervt ansah und dann abdrehte, noch ehe Raphael ihn erreichen konnte, dabei direkt abwehrend eine Hand hob.
 

„Mir geht’s gut, lass mich!“
 

„Einen Scheiß geht’s dir! Lass mich dich ansehen und hör auf, dich zu bewegen!“
 

Er fasste nach Michaels Arm und riss ihn zu sich herum, die rechte Halsseite pulsierte dunkles Blut nach draußen, die Haut war gereizt und ansatzweise verfärbt. Als würde das etwas ändern, wischte der Rotschopf sich über das laufende Blut und schüttelte die Hand, rollte mit den Augen.
 

„Wie konnte das passieren?“
 

Raphael hatte sein Kinn in seine Gewalt gebracht und drehte den Kopf seiner Freundes ungefragt hin und her, während dieser mit einem Bein hibbelte.
 

„Hast du dir das Scheißvieh mal angeguckt? Der Sack hat nicht gebrannt und mich hinterrücks gebissen.“
 

„Wozu hast du Leute dabei, die auf sowas aufpassen sollen, wenn du dich umdrehst?!“
 

Die Wut stieg in Raphael empor, jedoch konnte er diese nicht auf etwas katalysieren. Er wollte Michael dieses eine Mal nicht anschreien, viel eher traf es die Soldaten, den Hohen Rat, das tote Vieh am Boden, welches gerade pflichtbewusst in einen versiegelten Behälter gesteckt wurde… vielleicht auch auf sich selber oder die anderen beiden Elementarengel. Sicher, Jibril gewöhnte sich wieder an ein Leben und baute sich erneut einen gesellschaftlichen Stand auf und Uriel war nicht ständig zugegen aber war es denn zu viel verlangt, wenn sie sich ebenfalls mal kümmern würden? Hatten sie nicht selbst immer gesagt, sie als Elementarengel müssten zusammenhalten?
 

„Die waren selber beschäftigt, mach nicht so ein scheiß Gewese drum.“
 

Raphael biss sich auf die Unterlippe, dann gestattete er sich, noch einmal vom Sauerstoff gebrauch zu machen und die Wunde wenigstens vom weiten Bluten abzuhalten, heilen konnte er ihn aber noch nicht; Gifte fielen nicht in seinen Zuständigkeitsbereich, das wusste Michael auch. Dass er infiziert war, stand außer Frage und deswegen mussten sie sich nun auch beeilen, wieder zurück zu kommen.
 

„Ich kann dich im Krankenhaus behandeln, hier wird das nichts, Können wir nachts durchfliegen?“
 

„Sicher, krieg ich hin.“
 

„Oh nein, du nicht. Du kommst jetzt mit, setzt dich dann gleich hin und bewegst dich nicht.“
 

Den bösen Blick ignorierte Raphael, schloss seine Hand entschieden um den Oberarm des anderen und blickte in die Runde angeschlagener Männer, die alle betreten schwiegen; eine Eigenschaft, die er selten zu sehen bekam.
 

„Noch jemand von irgendwem gekratzt, gebissen, gestochen oder sonst was?“
 

Kollektives Kopfschütteln, was Raphael grimmig nicken ließ, dann zog er Michael mit sich in die Richtung, aus der sie gekommen waren. es schmeckte ihm nicht, dass der Rückweg so unverschämt lang war, zumal sie wirklich noch eine Strecke bis zum Flugschiff laufen mussten aber den Rotschopf tragen? Das würde der niemals zulassen.
 

„Das sieht ganz nebenbei nicht nach einer Bisswunde aus. Eher wie viele Stiche“, bemerkte er unterwegs und schaute immer wieder runter zu Michael, an dessen verlangsamtes Tempo er sich kommentarlos angepasst hatte.
 

„Keine Ahnung“, räumte der nun ein und kniff immer mal wieder die Augen zusammen. Solange er denn noch laufen konnte und bei Bewusstsein blieb, konnte Raphael noch was damit anfangen aber so ganz unvorbereitet mit schweren Nervengiften konfrontiert zu sein war furchtbar. Das war auch neu, es gab höchstens mal diverse Tiere, an denen Michael sich mal den Magen verdorben hatte – der Biss eines von Bakterien verseuchten Komodovarans war eben nicht ganz angenehm aber man ging ja auf diversen Inseln jagen, um neue Geschmäcker auszuprobieren.

Trotzdem hatten sie es immerhin jedes Mal zu Raphael geschafft.
 

„Wenn Symptome auftreten, die du nicht zuordnen kannst – immer her damit.“
 

„Fühl mich betrunken.“
 

„Etwas genauer?“
 

Er war bei weitem nicht so ruhig, wie er es äußerlich gerade verpackte, innerlich starb Raphael vor Angst ein bisschen. Immerhin war das Flugschiff schon in Sicht und wieder überholten ihn ein paar Soldaten, um vermutlich schnell zum Start bereit zu sein. Inzwischen war Raphael auch dazu übergegangen, allzeit bereit Michael zu fangen und ihn zu stützen, doch noch lief dieser langsam weiter.
 

„Könnte kotzen, meine Augen pochen komisch und mein Kopf tut weh.“
 

Das waren eher Katersymptome, doch diese Korrektur ersparte er ihm einfach mal. Bedenklich war eher, wie schnell sich die Stelle am Hals verfärbte und dass dies wie viele, rissige Adern über Schultern und Wange empor wuchsen. Dass Michael immer blasser wurde, war das geringste Problem.
 

Im Flugschiff angekommen lagen einige Decken und Kissen in einer geschützten Ecke, zu der Raphael seinen – wieder mal – Patienten kompromisslos hin schleifte, nachdem dieser eigentlich wie selbstverständlich den Weg zum Kontrollpult eingeschlagen hatte. Protest machte sich breit und mürrisch wand Michael sich in Raphaels Armen hin und her, der ihn dann aber doch niederrang und auf die Kissen drückte, aufstand und seinen Fuß auf der Brust des Kleineren abstellte, während er den direkten Weg zum Krankenhaus anordnete; sie mussten ohnehin alle behandelt werden und Michael hatte ohnehin ein paar wirklich schwere Stunden vor sich. Sie waren immerhin so nett gewesen und hatten dann wieder – nachdem Raphael versichert hatte, dass er bei ihm bleiben würde und sich schon zu Wort meldete, wenn etwas nicht stimmte – die Trennwand gezogen, sodass Ruhe herrschte und Michael sich langsam selber runterfahren konnte. Das war leichter gesagt als getan aber was erwartete Raphael auch von einer Person, die mit dem eigenen Arm unter der Achsel geklemmt in sein Behandlungszimmer kam und sagte, er solle den bitte wieder annähen und etwas pronto, wenn es denn ginge.
 

„Ich würde dir gerne helfen, kann dir aber nichts geben.“
 

„Also verreck ich jetzt.“
 

Das klang erschreckend nüchtern und irgendwie auch seinem Schicksal ergeben, darüber würden sie später noch einmal sprechen.
 

„Nein, ich kann deine Organe immer wieder etwas aufpushen, das ist aber keine Dauerlösung. Mach etwas Platz und schau nicht so, ich war dir schon viel näher.“
 

Vorsichtig ließ er sich neben ihm auf den Boden sinken und bemitleidete sich gerade dafür, keine Zigaretten rauchen zu dürfen – nicht in dem Ding hier. Allerdings galt seine Sorge gerade auch uneingeschränkt Michael, der sich auf den Kissen ausgestreckt hatte und sich die Schläfen rieb.
 

„Du trinkst zu wenig“, rutschte es Raphael dann doch heraus, während er mit dem Finger langsam über die verschwitzte Stirn vor sich glitt, dabei rote Haarfransen zur Seite schob, wo sie nass kleben blieben.
 

„Dein Körper kann Schadstoffe schlecht verarbeiten, wenn du dauernd dehydrierst. Ich will dir keine Vorwürfe machen aber jemand wie du sollte doch wissen, wie wichtig Flüssigkeit ist, Gerade du eigentlich, oder?“
 

„Kann man jetzt auch nichts mehr dran machen. Vergess das immer.“
 

„Ich auch“, räumte Raphael ein und strich nun mit der flachen Hand über Michaels kalte Stirn, schickte dann vorerst die Kopfschmerzen fort, was ihm wieder diesen bösen Blick einbrachte.
 

„Lass das und spar dir das für wichtigere Organe.“
 

„Mir geht’s gut, ich kann simple Kopfschmerzen beseitigen. Wie fühlst du dich sonst?“
 

„Müde…“
 

„Vergiss es, du bleibst wach.“
 

Und das aus reiner Angst, dass er sonst nicht wieder aufwachen würde. Allein bei dem Gedanken schnürte sich in Raphael einiges zusammen, das würde er nicht überstehen. Andererseits, wenn Michael schlafen wollte… er selber könnte ja wachen. Damit konnte er immerhin etwas von dem zurückgeben, was ihm in seinem Kälteschlaf gegönnt wurde, wie man erzählt hatte. Dass er wirklich auf ihn gewartet hatte…
 

„Fünf Minuten“, flüsterte er leise und beugte sich etwas weiter herunter, als Michael auch schon die Augen schloss, sich auf die Seite rollte und damit automatisch vor Raphaels Beinen lag, zu denen er sich nun eingerollt hatte. Besorgt strich er ihm wieder über die Haare, fuhr mit dem Zeigefinger am Ohr herunter und stoppte schließlich vor den Stichen. Das war kein Biss.
 

Da hatte es jemand speziell auf Michael abgesehen.

Morgenstund

Es war unnötig, Michael wieder aufzuwecken, da dieser von alleine die Augen aufriss und sich hastig an die Kehle griff; Raphaels Kopf war ein Stück nach vorne gesackt und ruhte so mit dem Kinn an seiner Brust, als er die hektischen Bewegungen neben sich bemerkte und aus dem kurzen Schlaf hochschreckte. Sein Rücken tat weh und der Boden hatte seinen Hintern ziemlich kalt werden lassen, die Position war nicht gut für den von weichen Federkernmatratzen verwöhnten Engel. Eine Hand hatte gegen sein Knie geschlagen, deswegen orientierte er sich wieder im Flugschiff und blickte dann auf das rote Gesicht des noch immer in den Decken liegenden Feuerengels.
 

„Mika-Chan!“
 

Hektisch glitt er auf die Knie und fasste nach den umherwühlenden Händen, damit er einen schnellen Überblick bekommen würde, doch strampelnde Beine machten es ihm schwerer als notwendig.
 

„Beruhig dich, ich helf dir ja!“
 

Dass er nicht noch die Flügel ausbreitete und dem angeborenen Fluchtinstinkt nachgab, war dann Raphaels ganz persönliches Glück. Erstickte Geräusche kamen vom Rothaarigen, dessen Gesichtsfarbe schlimmer und schlimmer wurde. Einen schnellen Atemstoß schickte er ihm in die Lungen, das beruhigte Michael jedoch kaum, er verfiel nur noch mehr in Panik und wand sich unter Raphael, der nun breitbeinig über ihm kniete und den Brustkorb möglichst abtastete, während Michaels Hände sich nach Hilfe suchend um seine Oberarme schlossen und dort einschneidende Abdrücke mit den langen Fingernägeln hinterließen. Hyperventilieren, das konnten sie wirklich nicht gebrauchen.
 

Als er den Grund für die Atemnot gefunden hatte, war es eigentlich ganz leicht und nachdem er seine Hand über der Brust des Kleineren hatte wirken lassen, atmete dieser hastig ein und aus, hustete etwas und schloss unter Schmerzen die Augen, während Raphael sich erledigt setzte – sprich auf Michaels Schoß und einen Teil seines Bauches zur Ruhe kam.
 

„Was war das“, krächzte der Betroffene unter ihm und behielt die Augen noch zu, während Raphael sich über die Stirn wischte.
 

„Deine Nervenbahnen werden lahm gelegt, die Muskulatur versagt. Deine Lunge kann so nicht arbeiten.“
 

Michael öffnete die Augen; sie waren ungesund gerötet und er schien endlos müde, dennoch beugte er sich auf den Unterarmen etwas hoch und blickte zu Raphael empor, der noch auf ihm saß.
 

„Wenn ich unterwegs verrecke, bereitest du dem ein Ende, klar? Ich will nicht wie irgendein Penner an meiner eigenen Kotze ersticken. Guck mich nicht so an, sonst pump ich mir selber alles in den Arm, was du in deinem Koffer mitschleppst.“
 

„Ich werde – verzeih den Vergleich – einen Teufel tun. Du hältst hübsch durch und wir ziehen dich wieder hoch.“
 

„Ach sei doch mal realistisch.“
 

Matt und nicht im Geringsten daran interessiert, dass der Blonde weiterhin auf ihm hockte, sank Michael wieder in sein provisorisches Krankenlager, rieb sich über die schweißnasse Stirn und schob alle Haare weg, die ihn irgendwie stören könnten. Raphael musste zugeben, dass er wie im fiebernden Endstadium schwitzte und ehrlich gesagt auch so aussah.
 

„Wenn wir ankommen, kannst du das Zeug auch nicht direkt identifizieren und als ob du jedes erdenkliche Gegengift rumfliegen hast. Ich verreck an dem Scheiß, basta. Wenn Uriel meine Seele zu Luzifer durchlässt, trete ich ihm trotzdem in den Arsch, sag ihm das.“
 

„Mika-Chan wir haben Möglichkeiten, außerdem sind ein paar deiner Jungs vorgeflogen und bringen das verdammte Vieh ins Labor, wegen dem du hier liegst. Ich hätte dich ja gern mit ihnen weggeschickt aber der Transport wäre nicht wirklich besser gewesen als das hier.“
 

„Hab schon Schlimmeres überstanden.“
 

„Jaaaah“, meinte Raphael und versuchte sich an einem schwachen Grinsen, als er endlich wieder zur Seite glitt und neben dem Rothaarigen Platz bezog; er wollte die Beine strecken und legte sich deswegen neben Michael, schaute jedoch an die Decke.
 

„Offener Brustkorb, abgeschnittener Flügel, hin und wieder eine Hand weniger als die Natur es eigentlich vorgesehen hat…“
 

„Richtig“, schloss das Daueropfer seine Krankenakte wieder und atmete einmal etwas lauter aus, als Raphael es gutheißen könnte. Besorgt drehte er sich auf die Seite und ließ wieder seine Hand über Michaels Brustkorb wandern, schickte wieder eine Salve der Heilung in ihn hinein. Das konnte er bis zum Ende machen, natürlich. Aber es würden mehr und mehr Faktoren hinzukommen, er war der Engel der Heilung, nicht etwa unerschöpflicher Vergiftungslösungen.
 

„Hey“, murmelte er leise, denn gerade wusste er nicht, ob sein Freund wieder schlief oder nur erneut die Augen geschlossen hatte.
 

„Hm…?“
 

„In einer Woche bei mir, denk dran. Durchhalten, okay?“
 

„Deswegen nehm‘ ich dich nie mit… du bist so weinerlich.“
 

Raphael nickte und suchte einmal nach der schweißnassen Hand des Rothaarigen, nahm diese in die eigene und fuhr ihm über die kalte, unangenehm blasse Haut.
 

-
 

Die letzten Stunden waren für beide eine Tortur gewesen, aber immerhin hatten die eingeatmeten Dämpfe bisher keine Wirkung auf den Rest der Mannschaft, wovon Raphael sich selber vergewissert hatte. Inzwischen waren die Decken fleckig von Blut und Schweiß, erbrochen hatte der Rothaarige sich auch, allerdings war von vornherein nichts im Magen, was den dröhnenden Schmerz im Kopf nur verschlimmert hatte. Raphael selber war müde, regelrecht platt und erledigt, aber sie befanden sich im unmittelbaren Landeanflug vor dem Krankenhaus.

Die Trennwand wurde aufgezogen und Michael – zum Glück, wie Raphael fand – hatte gerade erneut einen kurzen Anfall von Bewusstlosigkeit, sodass er ihn aus den Decken fischen und sich auf die Arme laden konnte. Inzwischen war seine rechte Gesichtshälfte von blauen Aderrissen durchzogen und am Arm war es bis zum Ellenbogen nach unten gewandert, über den Brustkorb breitete sich der Rest aus. Alles in allem ein furchtbarer Anblick, da die Haut um all die blauen Farbtöne ungesund weiß schimmerte.

Der Soldat mit den kleinen Augen trat heran und Raphael ließ sich bereitwillig den Feuerengel aus den Armen nehmen. Kein falscher Stolz würde ihn dazu verleiten lassen, seine letzten Kraftreserven aufzubrauchen und ihn zu tragen, wenn dort ein muskulöser junger Mann stand, der ganz offensichtlich bester Dinge war.
 

Die hintere Ladeluke öffnete sich und ein Stab von Ärzten, Schwestern und Pflegern stand bereit, sie in Empfang zu nehmen. Raphael winkte unwirsch mit der Hand ab, als man ihn selber zur Seite ziehen wollte und eilte dem Soldaten mit Michael im Arm voraus, lotste diesen so zielstrebig durch die Gänge. Er hatte genaue Anweisungen durchgegeben und wusste, welchen Raum er nun aufzusuchen hatte. Dieses Krankenhaus hatte sich in sein Selbst gebrannt, er würde blind jede Kachel benennen können. Das war sein Zuhause.
 

„Drauf da“, wies er den für ihn namenlosen Soldaten an und desinfizierte sich noch einmal schnell die Hände und Unterarme am Waschbecken, als bereits zwei Kollegen den Raum betraten und routiniert begannen, Michael aus seinem Oberteil zu schneiden. Das war nicht das erste Shirt, welches ihnen zum Opfer fiel und auch wenn der Rotschopf bei Zeiten ein Lieblingsstück zu verschmerzen hatte, rettete ihm das meistens seinen unverschämten Hintern.
 

Raphael fiel gerade dem Segen anheim, nicht der einzige Heiler des Himmels zu sein und lehnte sich kurz an das Waschbecken hinter sich; er brauchte Schlaf, das ständige Heilen im Flugschiff hatte ihn an seine Grenzen gebracht und wenn er nicht wieder in etwas Ähnlichem wie nach der Sache mit Barbiel landen wollte, musste er sich wohl oder über am Riemen reißen.
 

„Herr Doktor…“
 

Ein Neuling, der bestimmt schon seit fünf Jahren hier arbeitete, dem er aber bisher nicht viel Beachtung geschenkt hatte, hielt eine kleine Phiole zwischen den Fingern, während der ältere Kollege – wie hieß er noch gleich? – wie zuvor Raphael selbst den Körper des bewusstlosen Soldaten abtastete.
 

„Die Bradykardie begann vor etwa einer Stunde, seit dem waren kurze Ohnmachtsanfälle von Zeit zu Zeit gegeben. Erbrechen und erhöhte Drüsenfunktion, Kopfschmerzen und schlechte Sehqualität“, ratterte er die Informationen der letzten Stunden herunter und überschlug dann noch einmal, ob er etwas vergessen hatte, nahm dann endlich die Phiole zur Hand und kramte in einer Schublade nach einem Zugang.
 

„Er dehydriert“, fiel es ihm dann doch wieder ein. Das war nicht seine Art, Raphael kam bestens selber mit seinen Patienten zurecht und Michael hatte ihm zudem deutlich zu verstehen gegeben, dass, sollte er jemals aus einer Ohnmacht aufwachen und ein anderes Gesicht als das des Blonden würde auf ihn heruntersehen, er verdammt unangenehm werden könnte. Dennoch waren es seine Kollegen – oder viel mehr Angestellten – und sie hatten in wirklich kurzer Zeit die Akten nach Gegengiften gewälzt; die ein oder andere Nachtschicht hatte ihm auf dem Weg in dieses Zimmer ebenfalls entgegen geblickt.
 

Als er Michaels Hand wieder in seine nahm, hätte er direkt einen Toten berühren können – das Ergebnis wäre mit Ausnahme der Leichenstarre dasselbe gewesen. Die schlaffen Finger lagen kraftlos zwischen den seinen, er war eiskalt und vollkommen farblos.

Raphael biss sich auf die Zunge, dann schmeckte er unverwechselbar und beruhigend sein eigenes Blut und schob die dicke Nadel in die dunkel verfärbte Ader auf dem Handrücken. Der Kollege aus dem Labor klebte schnell ein Pflaster über den Plastikaufsatz und dann konnte Raphael das Gegengift in den Zugang geben. Dabei ruhte sein Blick auf Michaels regungslosem Gesicht, wobei er meinte, eine Bewegung hinter den geschlossenen Lidern ausmachen zu können aber das war vermutlich ein aus Wunschdenken und Erschöpfung gepaarter Traum. Er brauchte Schlaf, aber vorher musste er Gewissheit haben.

Michael würde ihn in der Luft zerreißen, wenn er sich im Krankenhaus wiederfand aber wenn man Raphael nur ein paar Stunden ausruhen ließ, konnte er sich ihm gerne stellen, von daher sagte er nichts dazu, dass eines der Krankenbetten herangefahren und der Rotschopf bis auf die Unterwäsche entkleidet wurde, ehe sie ihn hineinhoben. Es war ein Segen, dass ihre Körper schnell auf die meisten, positiven Ersatzstoffe reagierten, dennoch wollte Raphael die ersten zwanzig Minuten bei ihm verbringen und sicher gehen, dass Michael nicht doch über die Klippe sprang.
 

Deswegen trottete er schließlich langsam neben dem Bett her und zupfte hin und wieder an der dünnen Decke, die seinem Freund – und dessen wurde er sich in solchen Momenten immer wieder bewusst, zwischen ihnen bestand eine wie auch immer geartete Beziehung, keine angeborene Zwecksgemeinschaft – bis zu den Achseln hochgezogen wurde. Nur, weil sie ihm ein weiteres Gift gespritzt hatten – denn nichts anderes steckte hinter dem Begriff „Gegengift“ hieß das nicht, dass er nun unbedingt darauf anschlug. Zur Not setzte Raphael den nächstbesten Heiler neben ihn und zwang ihn mit dem weiterzumachen, wo sein Körper gerade versagte. Er war so müde…
 

Es ging alles ziemlich schnell, der Puls des roten Teufels piepte wenige Minuten später beruhigend konstant mit Hilfe der Maschine, an die man ihn angeschlossen hatte; diese primitiven Metho9den waren nicht Raphaels Fall aber wie gesagt – falscher Stolz. Er hatte sich einen Stuhl herangezogen und wollte dort ausruhen, als man ihn an seinen eigenen Zustand erinnerte und kurz durchleuchtete. Das war unnötig, er kannte seinen Körper und wusste, dass die eingeatmeten Dämpfe keine Probleme verursachen würden, dennoch ließ er sich wehrlos abführen.
 

Als Raphael wieder zurückke4hrte, erlaubte er sich ein leises Gähnen, seine Schritte gingen schlurfend und aus einer romantischen Überzeugung raus wollte er nun nicht neben Michael am Krankenbett einschlafen, dennoch bezog er Stellung auf seinem Stuhl. Das weiche Polster war ein Segen und die konstanten Töne waren beruhigender als jede Diagnose auf dem Papier. Einige Zeit beobachtete er den so jung aussehenden Engel, verschränkte dabei die Arme vor der Brust und glitt dessen Körper mit den Augen ab, gähnte wieder leise. Dass er sich stets um ihn sorgen musste, war schon ein kleines Ärgernis aber er tat es ja gerne. Nein, das war gelogen.

Raphael setzte nicht gern seine Gesundheit auf dem Spiel und rannte dem Kurzen nach wie eine Amme, er hasste es eigentlich sogar. Dennoch fühlte er sich… verantwortlich? Schuldig? Hatte er etwa irgendwie die Rolle des älteren Bruders übernommen, der sich ja doch nie wirklich gesorgt hatte?

Ein grimmiges Lächeln umspielte seine Lippen; Sex unter Geschwistern, sie hatten nie viel übrig für solche Tabus. Setsuna und Sara hatten sich auch großer Hilfe erfreut, wo der meist gelegene, gesunde Menschenverstand doch von Inzest und ethischen Werten sprechen würde.
 

Er beugte sich vor, als Michael sich schwerfällig auf die Seite gedreht hatte und dadurch für ein Verrutschen der Decke sorgte. Behutsam zupfte Raphael wieder alles zurecht, ließ dann einen Finger langsam über das Tattoo auf der Wange gleiten, wobei er beim Kopf des Tieres stoppte, sachte mit dem Daumen drüber wischte. Tattoowierte Gesichter waren furchtbar und falsch, wie er eigentlich fand. Es verbarg immer etwas von einer Person, auch wenn es nur der schmale, schlanke Hals des Drachen war, vor dem er sich vor all den vielen Jahren so erschrocken hatte.
 

Die Erinnerung daran war ausgeprägter, als sie wegen einer Banalität hätte sein sollen. Zwar war ein Michael ohne Tattoo inzwischen schlichtweg undenkbar, dennoch gab es einmal die Zeit, in der es eben nicht so war. Und plötzlich lief er an ihm vorbei, das blau-lila schimmernde Ding knapp unterhalb der gelben Augen. Ob Michael bewusst eine Art Komplementärkontrast gewählt hatte oder ihn das ewige Grün der Echsen einfach genervt hatte, wusste Raphael nicht zu sagen, doch inzwischen wollte er dieses Vieh nicht mehr missen.

Seufzend ließ Raphael seine Handfläche auf der kalten Wange ruhe, dann keimte ein nachhaltiger Moment ihres nächtlichen Abenteuers auf und er beugte sich vor, um die Lippen auf die Haut vor sich zu drücken und dann seine Stirn an Michaels zu lehnen, ihm noch einmal durch die Haare zu wuscheln und dann selber wieder auf dem Stuhl zu sitzen.
 

„Du bist anstrengend und nervig, Mika-Chan.“
 

Und trotzdem würde er immer wieder für ihn in die Bresche springen, einfach weil er es auch wert war.
 

-
 

Raphael erwachte wieder mit schmerzendem Rücken, der Stuhl hatte ihm im Endeffekt doch nicht so gut getan und gerade bereute er die Entscheidung, nicht doch aufgestanden zu sein und im Bereitschaftsraum ausgeruht zu haben. Oder gleich nach Hause zu gehen, doch das könnte er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Es piepte noch immer konstant im Raum, inzwischen war es wieder dunkel geworden – eine furchtbar klischeehafte Szene, wie er fand. Idealerweise würde er nun aufstehen und ein leeres Bett vorfinden oder mindestens eine Blutlache unter diesem, doch neben ihm schlief der Feuerengel friedlich und blutlos. Insofern er es bei den schlechten Lichtverhältnissen beurteilen konnte, hatten sich all die vielen Aderrisse zum Teil zurückgezogen – es leben die Astralkräfte! – und Michaels Atem hatte sich auch von einem Flattern in tiefe, ruhige Züge verwandelt. Dennoch erhob sich der Blonde, streckte den Rücken durch und trat dann einen Schritt näher, um sich das Übel noch einmal anzusehen.
 

Die Stiche am Hals waren noch immer nicht verheilt, was ihn irgendwie nervte, doch darum könnte er sich auch später noch kümmern. Vorsichtig ließ er die Hand nach vorne rutschen und berührte Michaels Stirn; nicht mehr so kalt wie zuvor und das übermäßige Schwitzen hatte auch endlich aufgehört. Alles in Allem schlief er einfach und ruhte aus, eventuelle Folgeschäden könnte Raphael erst später ausmachen. Er könnte sich nun auch zu ihm legen und sich hingebungsvoll anschmiegen, aber die Szenen eines schlechten Krankenhausfilms glitten ihm durch den Kopf und so war es wirklich der Bereitschaftsraum, den er zum endgültigen Nachtlager auswählen würde.
 

„Schlaf gut“, murmelte er dem Patienten noch leise zu, dann machte er kehrt und verließ endlich den Raum, ließ die Tür leise ins Schloss fallen.

Die Betten im Bereitschaftsraum waren nun auch nicht das, was er seinem Rücken sonst gönnte aber eine Aufwertung zum Stuhl, dem Flugschiff oder gar der Hängematte alle mal. Wobei, so unbequem war es in dem Ding zwischen den Bäumen nicht gewesen, es hatte ihm sogar ziemlich gefallen. Sex war so eine Sache und in einem Bett mit sicherer Matratze vermutlich noch besser gewesen, doch eigentlich konnte er sich nicht großartig beschweren. Erinnerungen keimten auf, bei denen Raphael selber schmunzeln musste. Die Stimme des Rothaarigen glitt ihm durch den Kopf; nicht so laut wie sonst, angenehm leise und vor allem Geräusche, die er sonst nicht von ihm kannte.

Nicht unter den Bedingungen.

Dazu kam das Gefühl an den Händen, seine Hüften festgehalten zu haben – das Insekt blendete Raphael großzügig aus, auch wenn er gerade daran erinnert wurde, seit zwei Tagen nicht geduscht zu haben – und das federleichte Gewicht auf dem Schoß.
 

Seufzend drückte er die Nase in das geruchslose Kissen und schloss die Augen, tastete noch einmal zur Sicherheit nach dem Bewusstsein des anderen Elementares und schlief dann mit der beruhigenden Gewissheit ein, dass dieser sich auf dem Weg der Besserung befand – erneut.
 

-
 

„Wie fühlst du dich?“
 

Er rechnete mit einer frechen Antwort, allerdings erntete Raphael nur einen verkniffenen Gesichtsausdruck und böse zusammengezogene Augenbrauen, während Michael – aufrecht im Bett sitzend – auf das Tablett mit dem Frühstück herunter sah, welches man ihm angedreht hatte.

Im Laufe der Nacht hatten sie ihn mit Elektrolyten vollgepumpt und wenn der beratungsresistente Engel dieses eine Mal auf Raphael hören würde, konnten sie dem Flüssigkeitsmangel immerhin entgegentreten.
 

„Guck nicht so grantig, das war eine ganz harmlose Frage.“
 

„Gut, ich geh gleich“, murrte es hinter einer Wasserflasche und einer Schale ungesüßter Früchte. Raphael ließ die Augen rasch über die Auswahl gleiten und stellte dann mit nicht wenig Erleichterung fest, dass sich das verhasste Obst nicht unter dem Angebot befand und so lehnte er sich selber bloß im Stuhl zurück – geduscht und umgezogen, er fühlte sich hervorragend.
 

„Vorher darf ich dich noch einmal durchchecken, eigentlich wäre es mir sogar lieber, wenn du noch eine Nacht zur Beobachtung bleibst.“
 

„Jaaaaaa… nein. Vergiss es. Durchchecken, geschenkt. Danach will ich nach Hause.“
 

Die Wasserflasche wurde weggeschoben, die Früchte keines Blickes gewürdigt. Das war einfach nicht sein Ding, sie hatten sich nicht in einem unfairen Kampf auf Leben und Tod wehren müssen.

Raphael würde sie notfalls unter Körpereinsatz in ihn reinzwängen und genau der Gedanke schien auch Michael gerade gekommen zu sein, der pikiert ein Stück Apfel zwischen die Finger nahm und seinen ganzen Frust darauf ablud.
 

„Hast du Schmerzen? Iss auf“, setzte Raphael seine persönliche Visite fort und bediente sich bei den Früchten, da Michael eh nur scheinheilig auf ein, zwei Stücken herumkauen würde. Er schob ihm ja jetzt schon die Schale hin und schaute böse auf, als Raphael diese mit der Hand stoppte und wieder zu ihm rückte.
 

„Nein“, kam es pragmatisch, dann steckte er sich das Stückchen Apfel in den Mund und kaute genervt.
 

„Das Gift war nicht selten, aber effektiv“, murmelte der Blonde und nahm sich eine halbe Kirsche, während Michael möglichst viel Abstand zum Obst aufzubauen versuchte und den Oberkörper nach hinten drückte, kaum dass Raphael aufgestanden war und neben ihm Stellung bezog. Dieses Arzt-Patientending war absolut nicht Michaels Fall, deswegen suchte er ihn meist alleine auf und nicht wie üblich mit einem Stab von Assistenten und Krankenschwestern, die sich dann alle vor dem Bett postierten und zu ihm herunterblickten. Wenn Raphael sich nun also erhob, wurde es auf irgendeine Art und Weise unangenehm für den kleinen Engel, der ihn misstrauisch ansah und zur Vorsicht noch nach etwas Birne angelte.
 

„Ich weiß nur nicht, was das Ganze sollte. Hast du dir mal wieder neue Feinde gemacht?“
 

„Brauch ich nicht, dann werden die alten nur eifersüchtig.“
 

Ein mattes Schmunzeln glitt über die Züge des Heilers, ehe er wieder in die Schale langte und selber ein Stück Apfel aß, dann schob er plötzlich das zweite, mit aufgenommene Stück zwischen Michaels Lippen und nahm gerade noch rechtzeitig die Finger weg, ehe er ihn um ein paar Kuppen erleichtern würde.

Die Schale fischte er sich auch schnell hoch, da diese sonst zum Wurfgeschoss umfunktioniert worden wäre und glitt auch einen Schritt nach hinten, aß dann in aller Ruhe die andere Hälfte der Kirsche.
 

„Du sollst auf mich hören, verdammte Scheiße. Ich bin dein fürsorgender, besorgter Arzt also mach gefälligst, was ich dir sage.“
 

Langsam stellte er die Schale wieder ab und wie zu erwarten verschränkte der andere bockig die Arme vor der Brust, beobachtete Raphael allerdings genau, während dieser sich wieder auf den Stuhl setzte. Mürrisch griff Michael nach der Schale, schob sich drei Fruchtstücke zwischen die Lippen und rang deutlich mit sich, Raphael nun zu beschmeißen. Lebensmittelverschwendung war allerdings gar nicht Michaels Fall, also würde er nun doch die Schale leeren und ihn dann mit dem Porzellan attackieren.
 

„Ich frage mich, warum dich alle tot sehen wollen“, schloss das Zielobjekt in aller Ruhe wieder zu ihrem vorherigen Gesprächsthema auf und erntete damit ein Schnaufen. Raphael rollte mit den Augen und zuckte die Schultern.
 

„Ich weiß, dass viele Dämonen einen persönlichen Rachegrund haben und andere dadurch einige Vorteile, schneller hier eindringen zu können. Aber findest du nicht, dass der ganze Mist etwas abgekatert aussah? Ich meine… man schickt dich speziell in dieses Gebiet, ausgerechnet das giftigste Vieh attackiert dich, dein Feuer hat nichts gebracht…“
 

„Klar“, murrte Michael und stöhnte dann entsetzt, da er noch nicht einmal den Boden der Schale sehen konnte.
 

„Wär nicht das erste Mal, dass der Hohe Rat mich ausknipsen will. Und ich glaube auch nicht, dass du im Plan mit drin warst aber da war es ja wohl schon zu spät, alles abzublasen.“
 

Er schabte sich eine Handvoll Früchte heraus und breitete diese dann auf dem Serviertablett aus, damit die Masse nicht so erschlagend war und er schön brav alles nacheinander essen konnte. Ein schrecklich kindisches Verhalten, aber Hauptsache, er aß das Zeug.
 

„Erschreckender Weise wäre das nicht mal so verwerflich“, murmelte Raphael, doch ob diese Antwort ihn glücklich machen würde? So ganz konnte er sich noch nicht damit anfreunden, doch Michael schien der kleine Mordanschlag nicht weiter zu stören und endlich sah er ein Ende in Hinblick auf sein Frühstück. Würde er ihn nicht wirklich genau beobachten, wäre Raphael das leichte Zögern entgangen, mit dem die Schale wieder in seine Richtung geschoben wurde, so gab er den Widerstand dann aber auf, nahm noch ein paar Stücke raus und legte sie ihm vor, ehe er selber den Rest an sich nahm. Einfach nur um ihn zu boykottieren verweigerte der Rotschopf dann die Aufnahme der letzten Früchte, was mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen wurde.
 

„Ach ja“, fing er plötzlich an und schraubte die Wasserflasche auf, nahm einen kleinen Schluck.
 

„In einer Woche, ne. Bei mir. Ich will nicht immer zu dir latschen, deine Lampen kotzen mich an.“
 

„Kann nicht jeder dekoratives Neonlicht haben“, schoss Raphael kühl zurück und wunderte sich dann doch, dass Michael wirklich wieder auf das Thema zu sprechen kam.
 

„Hatten wir nicht festgestellt, dass ich die nötigen Sachen dafür zuhause habe?“
 

„Dann bring sie halt mit, mir doch egal. Ich geh jetzt.“
 

Raphael beobachtete, wie der andere die Beine aus dem Bett schwang und auf die Füße kam, dabei einen prüfenden Blick an sich herabwarf und dann wieder nach oben blickte.
 

„Wo sind meine Sachen?“
 

„Bis auf dein Oberteil da im Schrank.“
 

Genervtes Augenrollen, dann schlenderte er an Raphael vorbei und zog die Schranktüren auf, fischte die über Nacht frisch gewaschene Hose heraus und blickte dann irritiert auf seine Stiefel. Raphael sah es förmlich hinter der Stirn arbeiten, ob das tatsächlich Michaels Stiefel waren. Due Kruste aus Schmutz und Schlamm fehlte und er sah sich mit geputztem Leder konfrontiert. Da hatte es ein Azubi besonders gut gemeint und sein ganzes Herzblut in die Reinigung gesteckt, was jedoch nur zu einem verständnislosen Kopfschütteln führte, dann zog er sich an und machte danach deutlich, dass der freie Oberkörper ihn keines Wegs störte.
 

Raphael nahm den Rücken des Rotschopfs ins Visier, dann verließ ihn der nächste Satz einfach ganz frei und ohne überhaupt richtig nachzudenken: „Ich hätt grad wirklich Lust, dich von hinten zu nehmen.“
 

Michael stoppte in seiner Bewegung – morgendliches Dehnen, er war ja nicht blöd – dann drehte er sich sichtlich verwirrt zu Raphael um, der über seine eigene Aussage erschrocken war.
 

„Wie war das?“
 

„Gute Frage, vergiss es einfach. Ist mir so rausgerutscht.“
 

Ein kritischer Blick, dann wandte sich der andere wieder ab und streckte die Arme in die Luft, kratzte sich anschließend am Hals – und zuckte zusammen, als er die Stiche berührte. Das war immerhin ein Moment, mit dem der Blonde wieder umgehen konnte und so trat er an ihn heran, legte seine Hand an den Hals und ließ endlich diese unansehnlichen Löcher verschwinden. In der letzten Nacht lagen die Prioritäten woanders, da hatte er keine Zeit für kleine Wunden. Jetzt allerdings war es in Ordnung und wenn er nur die Hand wieder wegnehmen würde, könnte Michael auch gehen. Unpraktischer Weise stand er wirklich dicht hinter diesem und atmete den Geruch der Haare ein; es war nicht angenehm, er hatte nun einmal geschwitzt wie ein verrückter aber wie immer war da etwas Rauch und frische Luft, die sich stets vor ihm zu verstecken versuchte, allerdings an seinen Körper gebunden war, damit er überhaupt funktionierte.
 

„Wenn deine Hose stramm wird, sagst du Bescheid?“
 

Das war der Moment, in dem Raphael aus seiner Starre erwachte und von ihm abrückte, ein leises „Tzz“ vernehmen ließ und sich nun beherrschte, ihm nicht peinlich berührt den Rücken zuzudrehen.
 

Michael schüttelte den Kopf – Mika-Chan, er musste bei Mika-Chan bleiben. Michael war zu erwachsen – und verließ dann das Zimmer endgültig. Klar, er ging eben, wie es ihm passte, sollte er nur. Raphael selber ließ sich entnervt auf seinem Stuhl sinken und überdachte die Aussage noch einmal; ihm hatte der Anblick des schlanken Rückens gefallen, ja. Natürlich war da ein gewisser Attraktivitätsfaktor, er könnte nie aus reiner Geilheit mit jemandem schlafen. Aussehen spielte eine nicht unwichtige Rolle und auch, wenn er Michael nie als Sexobjekt betrachtet hatte, waren dort unumstößlich hübsche Züge vorhanden. Klar, was erwartete man auch von Luzifers kleinem Bruder?
 

Dazu kam die kleine Statur, die Raphael gedanklich gerne mit dem Begriff „zierlich“ versah, dies aber niemals laut aussprechen würde. Er hing am Leben, wirklich.
 

Es war ja nicht so, dass er seinen Körper nicht auswendig kannte; niemand hatte so oft auf dem OP-Tisch gelegen wie der Rothaarige und doch machte ihn der Anblick der nackten Beine bei Zeiten verrückt. Nun war es der Rücken, der es ihm angetan hatte. Raphael ächzte; er brauchte ein neues Hobby, Michael als Solches alleine war einfach nicht gut für ihn.

Trunkenheit

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Lyneth
2014-08-03T08:42:14+00:00 03.08.2014 10:42
Zu geil, ich musste an manchen stellen so lachen. ;-) Bin immer wieder fasziniert davon auf was für ideen du kommst. Freu mich drauf wie es weiter geht. Lg Lyn ♡
Von:  Lyneth
2014-07-07T12:02:44+00:00 07.07.2014 14:02
Spannend, Spannend... hoffe es geht bald weiter und Michael macht nicht schlapp. Aber der ist ja hart im nehmen. Freu mich schon aufs nächste Kapitel. LG Lyn
Von:  Lyneth
2014-07-02T10:45:13+00:00 02.07.2014 12:45
Mal wieder ein super schönes Kapitel. Sex auf einer Hängematte ist mal ne lustige Idee gewesen. Stell ich mir recht schwierig vor. Aber hat ja geklappt. ;-) Bin mal wieder super gespannt wie es weiter geht und auf was für Ideen Du noch kommst. Liebes Grüßle Lyn ♥♥
Von:  Lyneth
2014-06-04T08:55:23+00:00 04.06.2014 10:55
Ich muss ehrlich sagen das ich deine FF liebe. Habe mir auch ein paar andere von dir schon durchgelesen. Einfach klasse. Dein Schreibstil ist großartig und die Charaktere genau so beschrieben wie sie sein müssen. Lg Lyn
Von:  Lyneth
2014-05-31T07:50:15+00:00 31.05.2014 09:50
Hab deine FF erst vor kurzem entdeckt und finde sie super. Deine art zu schreiben ist einfach klasse. Hoffe es geht bald weiter. Bin echt gespannt was Michael dem Sturkopf noch so dummes einfällt. ;-) Ganz lieben Gruß Lyn
Antwort von:  Inzestprodukt
31.05.2014 21:08
Huhu, danke für den Kommentar!
Das hat mich daran erinnert, dass ich die anderen Kapitel noch hochladen muss :)


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