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Die Meeries - Nuzlocke Challenge [HeartGold-Edition]

von

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Eine etwas andere Nuzlocke Challenge

Jede Geschichte beginnt irgendwann, so auch diese.

Genau genommen tat sie es in jenem Moment, als die Mittagssonne hoch am Himmel stand und warmes Licht spendete. Doch jener Mann, in dessen Zimmer gerade aufdringlich der Wecker zu klingeln begann, hatte zu diesem Zeitpunkt noch die Vorhänge zugezogen, so dass kein Licht herein drang.

Bis spät in die Nacht war er mit seinen Forschungen beschäftigt gewesen, derart vertieft, dass er die Zeit vergessen und erst in den frühen Morgenstunden ins Bett gegangen war. Murrend und raschelnd befreite er sich von seiner Bettdecke und musste sich überwinden, aufzustehen. Ein lautes Gähnen erklang während eine tastende Hand nach der Ursache des schrillen Lärms suchte und den Wecker schließlich verstummen ließ.

Das graue Haar wurde ein wenig unbeholfen wirkend geordnet, sich frische Kleidung angezogen und schließlich in den weißen Kittel gehüllt, den er bei seiner Arbeit trug. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet, dass es beinahe zwölf Uhr mittags war.

Es war schon so spät.

„Ich habe verschlafen…“, stellte der Professor fest, als er seine Krawatte anlegte und sich kurz darauf daran machte, die Vorhänge zu öffnen. Sogleich war es viel heller im Zimmer und er hatte einen guten Blick auf das kleine Örtchen Alabastia. Seiner Heimat, in der er auch arbeitete. Doch heute würde ihn der Weg nicht sofort ins Labor führen.

Zuvor würde er in eine andere Region reisen und sich seiner Radiosendung widmen. Und bei dieser Gelegenheit würde er auch noch einen alten Freund besuchen.

Und noch etwas war an diesem Tag anders. Er hatte geträumt. Von einem jungen Mann, der sich wie einst viele Trainer vor ihm bald auf die Reise machen würde. Einem vielversprechenden Talent. Hoffentlich hatte er eine Gelegenheit, mit diesem einen Menschen Bekanntschaft zu machen während er sich in der Johto-Region aufhielt.

Ein Schmunzeln schlich sich auf die Lippen des älteren Mannes als er sich auf den Weg machte.

„Ich freue mich schon darauf dir irgendwann zu begegnen… Chan.“
 

Dieser Mann namens Chan saß gerade in seinem Zimmer und las einen Manga als plötzlich eine Nachricht auf dem Desktop auf ploppte und kein Blick mehr auf das vollbusige Hintergrundbild erhascht werden konnte.

Der auf der Handinnenfläche abstützte Kopf regte sich ein wenig und der Dunkelhaarige wurde auf die neue Nachricht aufmerksam. Wer schrieb ihm denn zu dieser Zeit? Noch dazu eine vertonte Nachricht? Der Mauszeiger näherte sich der Nachricht und doch hatte er irgendwie ein ungutes Gefühl dabei.

Zu recht, denn kurz nach einem leisen Klick ertönte umso lauter eine quietschende Mädchenstimme und die kleine Tanne brüllte ihm nahezu ins Ohr:

„Abenteuer!! Aufgeregt!! Ich liiiieeebee Pokémon!!“

„Woah!“

Chan zuckte vor Schreck über die plötzliche Lautstärke zusammen und hielt sich die Ohren zu. Da wurde man ja taub! Seine armen Ohren! Noch dazu wurden sie auf eine so merkwürdige Art gefährdet, denn genau genommen hatte er nicht verstanden, was ihm die junge Frau eigentlich mit ihrer Nachricht sagen wollte.

Die Ratlosigkeit währte jedoch nur kurz, da er sich dazu entschied, einfach mal zu ihr zu gehen. Schließlich wohnte sie quasi nebenan. Und dann sollte sie ihm gleich mal erklären, wegen was sie gerade so abgegangen war.

„Hey, Mama!“, rief er nach unten als er gerade an seinem Poster vorbei an der Treppe ankam, drauf und dran, die Stufen hinunter zu steigen.

„Ich geh’ mal rüber zu Tanne! Ich glaub’, sie will mir irgendetwas sagen…“

„Ah, da bist du ja, Chan!“, folgte sogleich als Feststellung von Seiten seiner Mutter, die mit einem verträumten Blick am Tisch saß und wohl eine Tasse Tee oder ähnliches vor sich stehen hatte. Der Anblick erinnerte ihn ja fast an eine alte Großmutter in der Rente, aber er würde sich hüten, seine Mutter damit zu vergleichen. Würde womöglich nur Schläge geben.

Andererseits hätte sie sich diese auch verdient mit der unnützen Fortsetzung ihrer Worte:

„Du hast ganz knapp deine Freundin Tanne verpasst…!“

Hatte sie ihm nicht zugehört? Er hatte doch gerade eben noch gesagt, dass er zu Tanne gehen würde. Außerdem hatte er gar nicht mitbekommen, dass die Kleine überhaupt zu Besuch gekommen war – und angesichts der lautstarken Nachricht hätte ihm das auf jeden Fall auffallen müssen! Na ja, egal. Er war ja bereits auf dem Weg.

Ein etwas genervt klingendes „Deswegen geh’ ich doch rüber…?“ ließ er sich aber dennoch nicht nehmen. Und es wurde noch schlimmer als erneut die Stimme seiner Mutter in einem komischen Gezwitscher erklang:

„Ach, übrigens…“, begann sie und wurde schlagartig von ihrem Sohn unterbrochen, dessen Kopf wütend herum fuhr und lauter als beabsichtigt ein „WAS?“ dazwischen warf.

Ob das seine Mutter überrascht hatte?

Für einige Momente stand sie nur da und sah ihn mit großen Augen an. Er konnte nicht klar definieren, ob sie wütend über seine Gereiztheit war oder wie sie darauf reagieren würde.

Doch mit der Reaktion, die kam, rechnete er definitiv nicht.

Im nächsten Augenblick lächelte sie breit und gab ein ebenso zwitscherndes „Nüx!“ von sich, bei dem sich Chan nur mit der Hand gegen die Stirn schlagen konnte.

Irgendwie hatte er bei dieser Situation das Gefühl als handele es sich um ein Déjà-vu…

Es kam ihm einfach irgendwie bekannt vor, doch er wusste nicht, woher.

Mit einem leichten Kopfschütteln und einem Seufzer, welcher die Bewegungen begleitete, näherte sich ihm seine Mutter als er gerade im Eingangsbereich auf den Boden sank um sich seine Straßenschuhe anzuziehen.

„Professor Lind hat nach dir gesucht. Er meinte, er habe eine dringende Bitte an dich. Du kennst den Weg, oder?“

Mit den Händen in die Hüfte gestemmt setzte sie also doch noch fort, was sie zuvor hatte sagen wollen. Die letzten Worte klangen allerdings irgendwie verdächtig, so dass ihr Sohn einen skeptischen Seitenblick riskierte und bemerkte, dass seine Mutter hinter ihrem Rücken etwas verbarg. Die Situation ließ beinahe nur einen Schluss zu.

„Jaa…?“, beantwortete Chan zuerst noch zögerlich ihre Frage, um kurz darauf mit mehr Überzeugung in der Stimme eine Warnung auszusprechen: „Denk’ nicht mal dran…!“

Eine Hand hebend und grinsend wollte er sich von seiner Mutter verabschieden, ehe sie auf dumme Gedanken kommen würde, doch der Verlust der Ernsthaftigkeit war für sie wohl wie eine Einladung, um ihm eine große Papierrolle ins Gesicht zu klatschen.

„EY!“

„Nimm die hier mit! Da! Mit meiner Karte findest du das Labor sofort! Ist ja schließlich auch direkt nebenan!“

Grummelnd nahm Chan die Rolle aus seinem Gesicht, doch dass er sie tatsächlich öffnete lag nur daran, dass er nicht mit seiner Mutter diskutieren und damit Zeit verschwenden wollte. Schließlich wollte er wissen, weswegen Tanne so ausflippte, und anscheinend hatte ja auch Professor Lind nach ihm verlangt. Aber weswegen brauchte er eine Karte für dieses Kaff, Neuborkia, welches nur aus vier Häusern bestand? Davon gehörte eines ihnen, eines Tanne’s Familie, ein Gebäude war das Labor des Professors… es war keineswegs so unübersichtlich, dass man sich verlaufen konnte. Das Haus, in dem er mit seiner Mutter wohnte, befand sich inmitten von Bäumen nahe einem Gewässer. Der einzige Weg, der aus der Stadt führte, war die Route 30 in Richtung Rosalia City. Dorthin gelangte man aber nur, wenn man an den anderen Häusern vorbei ging. Er konnte es also gar nicht verfehlen!

„Ääähm… Danke… Wow…“

Chan’s Stimme strotzte nur so vor Ironie, die seiner Mutter wohl nicht auffiel. Denn die erwischte er gerade dabei, wie sie voller Tatendrang und hochmotiviert irgendwelches Zeug in seinen Beutel packte und vor sich hin brabbelte. Was zum…?

„Pass auf, dass du nichts Wichtiges vergisst, bevor du das Haus verlässt! Ich packe dir mal alles in deinen Beutel. Trainerpass… Frische Unterwäsche…“

„Ich geh’ jetzt! Sonst wird das nie was!“, beschloss Chan und riss seiner Mutter den Beutel aus der Hand um sich diesen umzuhängen. Bevor die noch mehr unnützes Zeug hinein stopfte und er den Beutel am Ende gar nicht mehr tragen konnte. Oder darunter begraben wurde. Oder noch Schlimmeres. Er mochte sich gar nicht ausmalen, was alles geschehen könnte. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte er sich, dass seine Mutter es bei einem gezwitscherten „Bis daaann!“ beließ und ihm nicht folgte.

Die Augen hätte er wohl aber besser geradeaus gerichtet während er die Tür öffnete…
 

Mit einem „Wuuuusch“ kam ein dunkler Schatten heran geschossen, der in den verwirrt drein blickenden Chan, der nicht mehr als ein „WA-!?“ heraus bringen konnte, hinein lief.

„Du…“

Es war die dunkelhaarige Lilli mit der hellen Ponysträhne, die ihn da beinahe über den Haufen rannte. Eigentlich war sie ein Marill, ein mausähnliches blaues Pokémon welches dem Element Wasser angehörte. Und in nicht allzu großer Entfernung verriet ein „Chaaan!“ den Aufenthaltsort der dazu gehörigen Trainerin.

Tanne stand dort und winkte eifrig mit beiden Armen um ihrer beider Aufmerksamkeit zu gewinnen. Es war ein Wunder, dass ihr Endivie, welches neben ihr stand, nicht eine wirbelnde Hand ins Gesicht bekam. Oder Lotta stand einfach nur weit genug weg, um nicht von ihrer sehr aktiven und bewegungsfreudigen Trainerin eine rein zu bekommen.

„NEIN, wir sind NICHT zusammen!!“, entfuhr Chan aus reinem Reflex, mit dem er zudem Lilli von sich weg schob. Diese Missverständnisse kamen ständig auf, aber in diesem Fall war das doch gar nicht möglich, denn… „Das ist ein Pokémon! Ein Pokémon!“

„Hö?“ Tanne blickte ihn aus großen, blauen Augen verwundert an. „Weiß ich doch?“

Natürlich wusste sie, dass Chan und Lilli kein Paar waren. Sie wusste auch, dass dieser Nerd nichts mit einem Pokémon anfangen würde. Warum betonte er denn extra noch das – ihrer Meinung nach - Offensichtliche?

Gut, für andere sah es vielleicht verdächtig aus, wenn sie sich so nahe standen. Aber das war Tanne egal, denn sie schob sich einfach näher zu ihrem Pokémon und Chan, um zu dem Größeren empor zu blicken. Dieser sah nach ihrer Erwiderung deutlich gelangweilter und weniger angriffslustig aus.

„Was gibt’s denn?“, erkundigte er sich bei Tanne. Denn die war ja anscheinend sehr mitteilungsbedürftig gewesen. Wenn sie anscheinend bei ihm zu Hause gewesen war und ihm auch noch so eine seltsame Nachricht schickte als sei sie auf irgendeinem Trip.

„Na jaaa…“

Oh weia, sollte das etwa wieder so ein dämlicher Verlauf wie zuvor im Gespräch mit seiner Mutter werden? Chan vermutete es fast und war umso erleichterter, als dem nicht so war.

„Professor Lind hat nach dir verlangt. Warst du schon bei ihm im Labor?“

Herrgott, wusste denn hier jeder alles über jeden? Seine Mutter, Tanne… Die wussten ja beide schon, dass der Pokémon-Professor irgendetwas von ihm wollte, ehe er es überhaupt selber wusste! Chan seufzte.

„Nee… Bin aber auf dem Weg dorthin.“

Auch wenn er sich beim besten Willen nicht erklären konnte, was der Professor von ihm wollen könnte. Er hatte bisher eigentlich nicht viel mit ihm zu tun gehabt. Der Professor und sein Gehilfe waren ja auch ziemlich beschäftigt und irgendwie nur im Labor anzutreffen.

Das Einzige, was Chan wusste, war, dass Tanne vor einiger Zeit ihr Endivie von eben diesem Professor bekommen hatte. Danach hatte sie sich noch ein Marill gefangen und war seitdem den ganzen Tag auf Achse und mit den beiden Weibchen unterwegs. Mal hier, mal da, nirgends allzu lange.

Aber was wollte der Professor nun von ihm? Wenn es etwas zu erledigen gab, gab es doch eindeutig genug andere Menschen, die er darum bitten könnte. Er hatte ja noch nicht einmal ein eigenes Pokémon.

Ganz in diese Gedanken versunken starrte Chan eher abwesend in die Richtung, in die Tanne gerade deutete, um ihm zu zeigen, wo er hin musste.

Dabei fiel ihm eine Gestalt ins Auge, die sich ziemlich nah am Pokémon-Labor herum drückte. Wer auch immer das war verhielt sich ziemlich verdächtig. Zum Einen versteckte er – oder sie? – sich an der Seite beim Zaun und dem Briefkasten. Zum Anderen war das Gesicht unter der Kapuze und der ins Gesicht gezogenen Mütze nicht erkennbar. Die Entfernung trug ihren Teil dazu bei, dass das Antlitz unter dem Schatten nicht zugeordnet werden konnte. Hatte er denjenigen – oder diejenige – schon einmal gesehen?

Ein Kapuzenpulli und eine Schirmmütze… das erinnerte ihn irgendwie an…

„A…rdy…?“

War er das wirklich? Er hatte ihn lange nicht mehr gesehen. Früher hatten sie mehr miteinander zu tun gehabt, doch inzwischen war alles anders geworden. Bedauerlicherweise. Aber Ardy hatte seine Gründe für seine Entscheidung gehabt und die würde er akzeptieren müssen. Und auch akzeptieren. Dennoch war die Ähnlichkeit unverkennbar und so näherte sich Chan dem Verhüllten, um vielleicht doch noch einen Blick zu riskieren. Hatte er Recht oder lag er falsch? Den Hals streckend wollte er eigentlich nur schauen, bekam dafür aber prompt die Faust der fremden Person ab.

„Hey! Starr mich nicht so an!“, fauchte ihn eine gereizte Stimme an.

Chan, völlig perplex über den unerwarteten Angriff, meckerte zurück: „Ey!! Spinnst du total? Vollpfosten!“

Was ging denn mit dem ab? Warum schlug der ihm einfach so eine rein? Chan murrte kurz vor sich hin und überhörte völlig Tanne’s ängstlich-überraschtes „Oh Gott, Chan!“ als er sich auf den anderen Mann stürzte um sich für den Schlag zu rächen!

Um die beiden Prügelnden herum sauste die kleine Tanne hin und her, versuchte „Chaaaan!“ rufend eben diesen zu beruhigen. Sie zappelte, sie quietschte, doch nichts half. Chan war zu beschäftigt damit, nach einem erfolgreichen Schlag in das Gesicht des Anderes, den Haarschopf aus dessen Händen zu befreien. Der konnte ihm doch nicht einfach so sämtliche Haare ausreißen, der Bastard! Er war kürzlich erst beim Friseur gewesen und hatte sich seine blonden Strähnen nachfärben lassen. Doch nicht, damit sie ihm jetzt irgendein daher gelaufener Idiot, der sich toll vorkam, ausriss. War der Kerl irgendein komischer Fanboy, der die Haare aufbewahren und sonst was damit anstellen würde?

„Ch…“, wollte Tanne wohl erneut versuchen, die Schlägerei zu beenden. Keiner der Beiden hatte bisher auf ihre Rufe reagierte und inzwischen wurde es ihr auch zu blöd. Diese dummen Jungs!

„Hmpf.“ Die junge Frau schnaubte und ballte die Hände zu Fäusten um sie drohend über die beiden Kämpfenden zu erheben und bedrohlich zu schimpfen: „JETZT REICHT’S ABER!!“

Auf den einen wurde mit dem ausgestreckten Zeigefinger gedeutet, was ihn wohl herzlich wenig interessierte. Auch auf ihre Forderung „DU, hör’ auf, andere Leute anzupöbeln!!“ hin drehte er nur schnaubend den Kopf zur Seite und beantwortete auch nicht die Frage, wer er überhaupt sei. Schließlich ging seine Identität das Mädchen ja wohl nichts an. Chan hingegen wurde direkt von Tanne in Richtung des Labors geschoben, damit er endlich dort hinein ging statt sich auf offener Straße zu prügeln.

Professor Lind wartete schließlich schon und um diesen anderen komischen Vogel hier würde sie sich schon noch kümmern.
 

„Was?“

Die sich plötzlich öffnende Labortüre lenkte die Aufmerksamkeit des Professors und seines Gehilfen auf eben jene.

„Ah! Da bist du ja, Chan! Ich habe schon auf dich gewartet!“, entgegnete Professor Lind, kaum dass er den jungen Mann erkannt hatte. Na endlich!

Besonders wütend schien er aber nicht darüber zu sein, dass er jetzt erst aufkreuzte, denn ein abschätziger Blick in das Gesicht des Professors ließ Chan ein Lächeln entdecken.

„Weißt du eigentlich, mit was sich meine Forschung beschäftigt??“, wurde er da gerade noch gefragt, doch die Antwort kam völlig unbeeindruckt: „Lassen Sie mich raten…“

Was konnte das nur sein, wenn es sich um ein Pokémon-Labor und bei dem Kerl um einen Pokémon-Professor handelte? Ganz bestimmt beschäftigte er sich mit … Mathematik! Deutscher Rechtschreibung? Oder vielleicht doch mit…

Er überlegte wirklich, ob er auf diese blöde Frage eine ebenso blöde Antwort geben sollte, entschied sich dann aber dagegen und erwiderte „Mit Pokémon.“

Was wohl ein Fehler war, denn mit einem Mal brach aus Professor Lind ein derartiger Redeschwall hervor, dass Chan nicht zu sagen vermochte, was er ihm eigentlich mitteilen wollte.

„Pokémon in Pokébällen aufzubewahren und sie überall zur Hand zu haben ist heutzutage nichts Besonderes mehr. Aber vor der Erfindung des Pokéballs haben die Leute ihre Pokémon mit sich spazieren geführt!“

„Ach, wirklich?“

Wozu erzählte der ihm das? Wahrscheinlich schweifte er jetzt vollends ab und erzählte ihm die frühere Geschichte der Entwicklung von Pokébällen oder weiß der Geier was. Besser, er hörte gar nicht mehr zu. Leider verhinderten vor dem geistigen Auge auftretende Bilder, dass er wirklich nicht zuhören konnte.

„Ja, genau wie deine Freundin Tanne! Pokémon in Pokébällen durch die Gegend zu tragen ist natürlich eine komfortable Sache, aber es lohnt sich auch, ihnen etwas Auslauf zu gönnen! Es ist nämlich gut möglich, dass dies beeinflusst, wie und wann sich deine Pokémon entwickeln!“

Blablabla… Es fiel ihm nur etwas schwer, sich vorzustellen, wie er ein dickes, schlafendes Relaxo durch seine Haustüre bekommen wollte. Hatten die Leute früher ihre Pokémon etwa auch mit in die Badewanne genommen und im eigenen Bett schlafen lassen? Schwer vorstellbar, zumal ein großer Teil der Monster noch nicht einmal dort hinein passen würden. Und es gab so einige Pokémon, mit denen er garantiert nicht kuscheln wollen würde.

„Und genau da kommst du ins Spiel! Ja, Chan, genau DU!“

Professor Lind gestikulierte wild mit den Armen und hätte ihm beinahe mit dem Zeigefinger ins Auge gestochen.

„He, Vorsicht!“, beschwerte sich Chan sofort und suchte nach Deckung, indem er abwehrend den rechten Arm hob. Wieso hampelte der auf einmal so herum? Hatte er etwa bemerkt, dass er ihm schon gar nicht mehr zuhörte, und wollte seine Reaktionszeit testen?

„Ich möchte dir eines meiner Pokémon geben, damit…“

Der Professor begann noch etwas zu sagen, aber Chan schaltete ab sobald es darum ging. Er hörte nur noch, dass ihm ein Pokémon gegeben werden würde. Das war doch klasse! Er hatte schließlich noch keines und wenn er einfach so eines bekommen würde, dann war das doch genial. Ohne etwas zu bezahlen! Wer würde da schon Nein sagen? Garantiert nicht er!

„Cool, ich mach’s!!“

Was auch immer er dafür tun müsste, er würde es tun. Aber zuerst wollte er ein cooles Pokémon haben und genau das war, womit er die nächsten Sekunden verbringen sollte. Professor Lind deutete zu seiner Linken auf drei Pokébälle und bot ihm an, sich eines davon auszusuchen. Ein eindringliches Geräusch aus seinem Laptop erlaubte Chan zudem, sich Zeit bei der Auswahl zu lassen, während Professor Lind seine neu eingegangene E-Mail überprüfte.

Wen sollte er nehmen? Ein Endivie hatte Tanne bereits und er wollte etwas Cooleres haben. Ein Feuerpokémon, oder doch lieber das kleine Krokodil Karnimani, welches seine Gegner mit Wasserattacken angreifen konnte? Puh, keine leichte Entscheidung!

„Hör mir zu…“, begann Professor Lind wieder, doch Chan war noch völlig in seine Überlegungen versunken. Schließlich war das hier eine Entscheidung, die sich so schnell nicht rückgängig machen lassen würde und er wollte schließlich länger etwas von seinem Pokémon haben. „Ich habe einen Bekannten namens Mr. Pokémon… besonders seltener Fund… mal wieder um ein Pokémon-Ei… Blablaba… Ich hab’s! … Bla… du könntest der Sache doch für mich nachgehen, oder?“

Jetzt wusste er, welches Pokémon er nehmen würde, und so streckte Chan zielstrebig die Finger nach einem der Pokébälle aus um seine Auswahl aus diesem zu befreien.

„Was sagst du? Los, du darfst dir dafür auch eins dieser Pokémon aussuchen! Wie ich bereits sagte… aber wenn ich dir schon eines schenke, kannst du ruhig etwas für mich tun.“

Der war gar kein Professor, sondern ein Erpresser! Puh, vielleicht hätte er sich vorher überlegen sollen, ob es eine so gute Entscheidung war, sich auf all das hier einzulassen. Aber nun hatte er schon ein kleines Feurigel in der Hand und hielt es hoch, um auch dem Professor klar zu machen, welches seiner Pokémon er gerne hätte. Das Kleine sah aus als lächele es die ganze Zeit und gab ein munteres „Feu! Feu!“ von sich. Noch mochte es vielleicht klein und niedlich sein, aber später würde bestimmt ein cooles, feuerspeiendes Pokémon daraus werden!

„Ähm… ja… wie auch immer. Möchtest du ihr einen Spitznamen geben?“

Chan nickte, denn ihm war auch bereits ein guter Name eingefallen, den er dem weiblichen Feurigel gerne geben wollte.

„Ich nenne sie… Tiramisu!“, verkündete er sogleich seine Entscheidung.

Im nächsten Moment wurde er geblendet, als das kleine Feurigel in einen Lichtkegel getaucht wurde, und im nächsten Moment deutlich schwerer auf seinen Armen lag. Doch nicht mehr als ein Feurigel, sondern als eine Frau mit langem, weißen Haar. Lediglich der Pony war braun und von schwarzen Strähnen umrahmt. Was aber mehr als das und große ihn ansehende Augen auffiel war die Tatsache, dass die Frau in seinem Arm unbekleidet war.

„Was zum…!?“, entfuhr Chan erschrocken als er dies ziemlich schnell bemerkte. „B-Brüste!!“ Moment mal, das war ja nicht einmal das Ungewöhnliche! „M… Mensch!! Äh… HÄÄÄ?“

„KYAAAAAAAH!!!“, kreischte die Dame auf seinen Armen urplötzlich los, hatte wohl die Schrecksekunde überwunden und die Situation realisiert. Denn mit einem Mal wurde sie knallrot und fing an, zu zappeln, um von seinem Arm herunter zu kommen.

„Lass mich runter!!“, forderte sie laut. „NEEEEIIIIIIN!!“

Himmel, da zerriss einem ja das Trommelfell, wenn die so plärrte! Dem Wunsch kam Chan also sehr gerne nach, zumal er immer noch nicht ganz verstand, was hier gerade eben geschehen war. Er hatte ein Pokémon ausgewählt und auf einmal wurde es zu einer erwachsenen Frau!? Und sprach? Wie ging das denn?! Dass das bei Tanne und ihren Pokémon auch so war, daran dachte er in diesem Moment nicht. Ein starrer Blick folgte der Frau, die gerade von dem Gehilfen seinen Arbeitskittel dargeboten bekam, um sich wenigstens vorübergehend etwas anziehen zu können. Dann wurde er auch schon von Professor Lind weggeschoben.

„Glotz’ sie nicht so an, das ist unhöflich! Außerdem sollst du doch zu Mr. Pokémon und schauen, was der eigentlich schon wieder gefunden hat. Er wohnt nur ein kleines Stück nördlich von Rosalia City. Vielen Dank schon mal, Chan!“

Ach ja, da war was gewesen. Entsprechende Wortfetzen hatte er auch vorher aufschnappen können. Ein nicht erwähnenswerter Botengang und dafür bekam er ein Feurigel…? Na ja, mehr oder weniger. Chan riskierte einen Blick in Richtung des Pokémon, welches keines mehr war, und wurde sogleich wieder von dem Gehilfen des Professors abgelenkt, der ihm raschelnd eine Tüte mit Gemüse entgegen hielt.

„Halt, Chan! Sieh das hier als Entlohnung für deine Dienste an. Hab’ ich gerade in meiner Manteltasche gefunden...“, erklärte er dazu, was er mit der Tüte vor hatte. Als ob er Grünzeug essen würde…!

„Wenn dir die Situation etwas zu brenzlig wird, solltest du deinen Pokémon ohne zu zögern etwas Gemüse geben. Zu Beginn sind nämlich alle Pokémon noch leicht zu verletzen.“

Ach so, das Grünzeug war für Tiramisu, die schon sabbernd neben ihm stand und die Tüte fixierte.

„Aha… Wie auch immer… Tiramisu?“

Es war immer noch ein merkwürdiges Gefühl, anstelle des kleinen Feuerpokémon eine Frau neben sich zu haben, deren Körper nur von dem Kittel bedeckt war. Noch dazu starrte sie ihn gerade extrem gruselig an, wie er fand. Sie rührte sich nicht, ihr Blick war starr und brachte ihn aus der Fassung. „Ähm…“

Sofort versuchte er, seine Irritation zu kaschieren, indem er die Tüte mit dem Gemüse in seinen Beutel packte, denn schließlich konnte es ja nicht schaden, das mitzunehmen. Nicht, wenn es das für lau gab, und verhindern konnte, dass Tiramisu unterwegs etwas zustieß. Wenn sie von einem wilden Pokémon besiegt werden würde, hätte er nämlich ein Problem!

„Okay, gehen wir… als erstes sollten wir dir andere Klamotten besorgen…“, entschied er, denn vielleicht würden sie diese auch etwas robuster machen und gegen die Angriffe schützen. Von hinten hörte er noch ein zweistimmiges „Bis daaaann!!“ ehe er die Tür öffnete und mit Tiramisu, die sich dicht hinter ihm hielt, das Labor verließ.
 

„Chaaaaaaaaaan!!! Huuhuuu!“

Oh Gott. Die Stimme kannte er doch. Diese schrillen, lang gezogenen Wörter, bei denen ihm auf jeden Fall die Luft ausgegangen wäre.

„Tanne!? Ihr seid ja immer noch hier!?“

Hatte die nichts zu tun, oder was? War sie die ganze Zeit hier draußen gewesen? Seine Augen suchten die Freundin und ihre Pokémon, entdeckten sie auf einem großen Tuch und vor Leckereien und Getränken sitzend nicht unweit des Labors. Was zum…? Die machten hier einfach mal so vor dem Labor ein Picknick?! Es sah zumindest sehr stark danach aus. Oder sie waren gerade fertig geworden, denn kaum war sie entdeckt worden tänzelte Tanne ziemlich flink auf sie beide zu um Tiramisu näher in Augenschein zu nehmen.

„Wie süüüß! Das Pokémon, das du bekommen hast, ist ein Feurigel, stimmt’s?“

Wie auch immer sie darin noch ein Pokémon erkennen und es sogar zuordnen konnte. Es war ihm ein Rätsel und rang ihm gar ein wenig Respekt ab, aber vielleicht brachte das einfach ihre Erfahrung als Pokémon-Trainer? Außerdem hatte sie ja selbst zwei solche Exemplare. Lotta und Lilli waren schließlich auch ein Endivie und ein Marill, aber nicht einmal ansatzweise als solche erkennbar. Oder hatte nur er solche Probleme damit?

„Hihi… Das ist ein echt tolles Pokémon!“, fügte Tanne lächelnd hinzu und schaltete dann wohl in eine Art Tutorial-Modus oder etwas ähnliches. „Dann erkläre ich dir mal was!! Wenn du sie so spazieren führst, wird sie immer zutraulicher werden. Vergiss nicht, dich manchmal umzudrehen und mit ihr zu reden! Oh, und warum stellst du sie nicht auch mal deiner Mut-…?“

Chan ließ sie ihren Satz nicht beenden, denn der Verlauf deutete bereits an, wie das enden würde. Gegen die ersten Worte hatte er ja nichts, aber jetzt wurde es doch zu viel des Guten und so unterbrach er das Mädchen schnell: „Wozu das denn!? Ich hab’ ja schließlich nicht vor, Tiramisu zu heiraten…!“

Weshalb sollte er sie seiner Mutter vorstellen? Das war ganz bestimmt das, was Tanne gerade vorschlagen wollte. Aber er sah das absolut nicht ein. Schließlich war er nicht mit diesem Pokémon liiert, da konnte es noch so menschlich aussehen! Er würde auch niemals mit ihr eine Beziehung führen – keine solche zumindest! – und deshalb sah er keine Notwendigkeit in solchen Aktionen.

„Das gehört sich doch so!!“, beschwerte sich Tanne gleich bei ihm und erst, nachdem er ihr mit einem Schnauben klar machte, wie wenig er davon hielt, probierte sie es mit der Wahrheit: „Aber deine Mutter hat bestimmt schickere Klamotten für sei!! Sieh dir den Kittel doch mal an! Der ist ihr viel zu groß! Es gibt soooo viele süßere Klamotten, die sie anziehen könnte…!“

Frauen. Das konnte man doch gar nicht mehr anders sagen. War doch total egal, was sie trug, solange sie überhaupt etwas am Körper hatte. Sonst würden sie unterwegs von jedem alten Knacker aufgehalten werden, der sie voll sabberte und begrabbeln wollte. Wenn sie süß aussah, würde das bestimmt genauso passieren. Also besser, sie behielt den Kittel an, auch wenn dadurch die Beine unbedeckt waren und er lediglich das Nötigste der unteren Körperhälfte verdeckte.

„Hatschu!“

Da war Tanne sofort auf Achse, sobald das Geräusch erklang und verriet, dass Tiramisu gerade eben niesen musste. „Oh… Da hast du’s…! Sie erkältet sich noch!! Geh und besorg ihr süß-… äh, warme Klamotten, los!“

Oha, da wurde das Mädchen gleich wieder wütend und er hatte sie von vorhin noch gut genug in Erinnerung um zu wissen, dass er sich wohl besser nicht weiter mit ihr anlegen sollte. Außerdem wollte er ja auch nicht, dass Tiramisu krank wurde, aber anscheinend war der Kittel wohl doch zu wenig. Und er wohnte ja gleich hier, also gab er seufzend klein bei.

„Ist ja gut… Komm, Tiramisu…“

Dann würde er eben doch seine Mutter um andere Klamotten für sie bitten. Ein kurzer Seitenblick nach hinten ließ ihn feststellen, dass Tiramisu ihn erst noch irritiert ansah, aber nach weiteren vergangenen Sekunden tapsend hinterher kam. Schuhe würde er ihr auch besorgen müssen, er konnte sie doch nicht barfuß hier herum laufen lassen. Am Ende trat sie noch in irgendeine Glasscherbe oder so. Lieber nicht.

„MAMA! Bin wieder da! Hast du vielleicht Klamotten für T-…?“

„Ach jeee!“

„…iramisu?“

Oh weia, was war denn jetzt schon wieder los? Er hatte gerade erst die Tür zu seinem Zuhause geöffnet und schon kam ihm ein entzücktes Gezwitscher entgegen. Ursprünglich aus der Kehle seiner Mutter stammend war der Grund dafür recht bald klar, denn sie schien ähnlich wie Professor Lind dazu fähig, einen wahren Redeschwall von sich geben zu können.

„Da hast du aber ein niedliches Pokémon im Schlepptau, Chan! Hat dir das Professor Lind geschenkt? Was wollte er eigentlich von dir??“

„Also…“, versuchte der Dunkelhaarige, seine Mutter zu unterbrechen, damit er ihre Fragen beantworten konnte, doch keine Chance. „Ähm… Klamotten? Weißt du…“

Wow, wenn die so rotierte und im Kreis um sie herum sprang machte sie Tiramisu noch Angst! Die wirkte ohnehin gerade ein wenig überfordert. Und wenn er ehrlich war, konnte er es auch sehr gut verstehen. Dieses hibbelige Fangirl-Getue war ja gruselig!

„Hm, das hört sich nach Arbeit an!“

„Hä?“

Er hatte doch noch gar nichts gesagt. Wie denn auch, wenn sie ohne Punkt und Komma plapperte und ihn gar nicht erst zu Wort kommen ließ, damit er irgendetwas erklärte? Wahrscheinlich hatte sie sich selbst irgendetwas zusammen gereimt und wollte gerade einfach alles loswerden, was sie zu sagen hatte. Denn gerade setzte sie erneut dazu an, ihren Redeschwall fortzusetzen:

„Aber manchmal ist es ganz gut, von Leuten um einen Gefallen gebeten zu werden! ACH JA! Dein Pokécom ist von der Reparatur zurück! Hier hast du ihn wieder… kleiner, tragbarer Computer… Telefongespräche…fonsymbol auswählen…speichert automatisch… Namen auswählen… Kinderleicht, was?“

Sie war völlig begeistert von dem neuen Design des Pokécoms ihres Sohnes und präsentierte ihm stolz sein repariertes Gerät. Nur… war Chan da schon gar nicht mehr da. Und auch das süße Pokémon war auf einmal verschwunden.

„Chan?“

Sie bekam keine Antwort von ihrem Sohn. Auch dann nicht, als sie angestrengt in die Stille lauschte. Nichts und niemand regte sich. Selbst seinen Beutel hatte ihr Sohnemann einfach nur achtlos auf den Boden geworfen. Tze! Typisch Mann, der nicht einmal in der Lage war, einen einzigen Gegenstand aufzuräumen. Immer warfen sie alles einfach auf den Boden und sie konnte hinterher räumen. „Na warte, Bürschchen…!“ So nicht. Dem würde sie noch die Leviten lesen und ihm obendrein die Löffel lang ziehen dafür, dass er einfach abhaute während sie noch mit ihm sprach. Das war eine Unverschämtheit! Aber sie hatte schon eine Idee, wie sie sich dafür ’rächen’ konnte und würde. Eine super tolle Idee!

Ha! Nun aber würde sie sich erst einmal auf die Suche nach ihrem Sohn und seiner neuen Freundin begeben. Die er ihr eigentlich auch mal noch hätte vorstellen können…
 

„Tiramisu!? Bist du langsam mal fertig mit dem Umziehen???“

Ein lautes Gähnen begleitete den schon etwas genervt klingenden Ruf.

Chan hatte seine Mutter einfach ihrem eigenen Geplapper überlassen und war mit Tiramisu nach oben gegangen, um im Kleiderschrank nach passenden Stücken zu wühlen. Einiges davon sah passend aus und so hatte sich Tiramisu nach nebenan verzogen, um sich umzuziehen. Aber wie lange sie brauchte… Frauen!

Immerhin hatte er gerade keine Zeit mehr, darüber den Kopf zu schütteln, da sich prompt die Tür öffnete und ein zögerliches „Ähm…“ verriet die Rückkehr seines Pokémon, das hoffentlich etwas Passenderes gefunden hatte als den übergroßen Professorenkittel.

„U…und? Was hältst du davon, Chan?“

Tiramisu wirkte etwas verschüchtert und behielt die Arme hinter dem Rücken. Die weiße Bluse samt schwarzer Krawatte und ebenso dunklem Rock schienen aber gut zu passen, ebenso das Schuhwerk mit den kleinen Absätzen. Aber alles in einem…

„Wie süß! Sehr hübsch!“, kommentierte Chan ihren Auftritt, teils aber auch nur mit dem Hintergedanken, das alles hier einfach nur schnell hinter sich bringen zu wollen.

Die Frau ihm gegenüber beobachtete lächelnd, wie er näher kam um ihr das weitere Geschehen zu erläutern. „Sehr gut. Dann ziehe ich mich auch noch schnell um.“

„Okay.“

„Und danach können wir zu diesem Mr. Pokémon gehen.“

„Ja!“

Das klang nach einem Plan und Tiramisu war schon gespannt, wer und wie dieser Mr. Pokémon wohl sein mochte. Und was unterwegs so alles passieren würde. Hoffentlich nichts Schlimmes, aber Spannendes. Hauptsache, Chan war bei ihr und passte auf sie auf. Das würde er bestimmt, schließlich hatte er sich ja gerade auch darum gekümmert, dass ihr nicht mehr kalt war und sie um eine Erkältung drum herum kam. Sie sah noch lächelnd zu ihm empor ehe der plötzliche Aufschwung der Tür und ein lautes „Wo bist duuu? Chaaaan!! Vergiss deinen Beutel nicht!!!“ den Aufbruch weiter verzögern sollte.

Chan’s Mutter hatte soeben ihren Sohn samt Pokémon entdeckt, schien aber noch in der Tür abrupt zu erstarren.

„Eh…?“

Der Anblick überrumpelte sie eben. Da war zum Einen ihr Sohn, der gerade drauf und dran war, sein T-shirt auszuziehen, und zum Anderen eine erwachsene Frau, die eindeutig andere Kleidung trug als vorher. Auf dem Bett lagen einzelne Kleidungsstücke verstreut und die Decke sowie Kissen entweder zerknautscht oder definitiv nicht dort, wo sie zuvor gewesen waren. Was war hier denn passiert? Da versteinerte gar das Lächeln, das gerade auf ihre Lippen schleichen wollte, ehe sie erblasste und schockiert zurückwich.

„Chan, du…!? Wie kannst du nur? Das arme Mädchen! Oh mein Gott!!“

Was hatte er getan?

„NEEIIIN!! Es ist nicht das, was du denkst! Mann, Mama!!“

„RAUS!“

Seine Einwände und sein Erklärungsversuch wurden ja mal überhaupt nicht ignoriert. Seine Mutter setzte sogar noch eins drauf und schob ihn kurzerhand aus dem Zimmer, um hinter ihm die Tür zuzuknallen. Pff…! Chan schnaubte und setzte dann eben vor der Tür alleine seine Erklärung fort: „Ich wollte mich doch nur umziehen…! Meine Güte…“

Nicht einmal das durfte er, ohne dass ihm irgendetwas unterstellt wurde!

Dann würde er am besten gar nicht noch Öl ins Feuer gießen und einfach in sein eigenes Zimmer gehen, um sich dort umzuziehen. Das weiße T-Shirt landete prompt beim Betreten des Zimmers auf dem Boden und dann öffnete er seine Schranktür um nach seinem grünen Nerd-und-stolz-T-Shirt zu suchen. Dieses zog er sich gleich über und verließ mit einem „So, fertig.“ sein Zimmer in Richtung der Treppe, die nach unten führte.

„Tiramisu! Komm, gehen wir!“

Wo war sie denn?

Von unten tönte lediglich die Stimme seiner Mutter in seine Richtung. „Ah, Chan!“

Nach weiteren Schritten, die ihn die Stufen hinunter führten, entdeckte er sie. Und Tiramisu.

„Was geht denn hier ab!? Was macht ihr da bitte schön?“

Da fiel Chan direkt die Kinnlade hinunter als er die beiden Frauen vor einer Tasse und einem Glas am Esstisch im Erdgeschoss vorfand.

„Ich trinke Kaffee mit einem netten Mädchen? Ach, und ich habe dir noch ein paar Klamotten für sie eingepackt. Und Professor Lind war da, um dir seine Nummer zu hinterlassen. Vorsichtshalber.“, erklärte seine Mutter und überforderte ihn sogleich mit unnötigen Informationen. Tiramisu wirkte nicht so geschwätzig und lächelte nur leicht, ihm mit einem „Chan! Ich bin gleich fertig.“ andeutend, dass sie sich beeilen würde.

Und das tat sie tatsächlich. Mit wenigen Zügen leerte sie das Wasserglas vor sich, stellte es auf der Tischplatte ab und erhob sich mit dankenden Worten gen Chan’s Mutter. „Fertig! Vielen Dank!“

„Gerne doch!“

Es war ein nettes Gespräch gewesen, das sie geführt hatten, während Chan mit dem Umziehen beschäftigt gewesen war. Hoffentlich konnten sie das mal wiederholen! Chan schien ohnehin keine Zeit zu haben; er war bereits an der Tür und zappelte ungeduldig.

Tiramisu ließ es sich dennoch nicht nehmen, sich mit einem Winken und „Bye!“ zu verabschieden bis sie ihm tatsächlich nach draußen folgte.
 

Sie fand Chan in der Nähe des Labors vor, augenscheinlich angestrengt in Richtung des Briefkastens blickend und in seine Gedanken versunken.

„Nanu? Ist etwas?“, fragte sie ihn, dabei seine Aufmerksamkeit gewinnend obwohl er sie bei seiner Antwort nicht ansah. Doch immerhin antwortete er, auch wenn er dabei nur mit einem „Nope… Es ist nichts.“ abwehrte und ihr nicht verriet, weswegen er dorthin gestarrt hatte. „Lass uns gehen. Auf zur Route 29!“

Er setzte sich in Bewegung und Tiramisu folgte prompt.

„Wie weit ist es denn?“, wollte sie nun aber doch noch vorher wissen um abschätzen zu können, wie lange es wohl dauern würde.

„Nicht sehr. Wir müssen nur dort drüben nach Rosalia City und dann weiter in Richtung Norden.“

Das klang überschaubar, auch wenn vor ihnen nur hohes Gras und Bäume waren. Und hier und da eine einzelne Person.

So wie sich auch hinter ihnen eine einzelne Person befand, verborgen im Schatten des Labors, um Chan’s prüfenden Blicken zu entgehen.

Dieser Blindfisch schien ihn nicht entdeckt zu haben.

Dann konnte er nun ja endlich seinen Plan in die Tat umsetzen.

Ein finsteres Grinsen schlich sich auf die Lippen der Gestalt, die die Kapuze tiefer ins Gesicht zog und sich aus dem Versteck wagte.

Schließlich waren nun alle Störenfriede weg. Und diesen Idioten, der eines der Pokémon aus dem Labor vorzeitig von dort geholt und damit seinen Plan teilweise vereitelt hatte, würde er sich später noch vorknöpfen.

Prägende Begegnungen - oder doch eher...?

Jener „Idiot“ hatte gerade eindeutig Besseres zu tun als noch weitere Gedanken an die merkwürdig verhüllte Gestalt zu verschwenden. Denn ehe es sich Chan versah stürzte sich ein wildes Taubsi auf ihn und Tiramisu und klapperte bedrohlich mit dem Schnabel. Und so aus nächster Nähe sah das Pokémon doch ein wenig gefährlich aus mit den aufblitzenden Krallen.

„W-Was in drei Teufels Namen…!?“, entfuhr dem erschrockenen Chan, der nicht einmal ansatzweise mit einer plötzlichen Attacke gerechnet hatte. Kaum ging man ein paar Schritte in höheres Gras, da kamen die Viecher auf einmal daher als hätten sie Tollwut. Das hielten seine Nerven doch nicht aus! „Hast du sie noch alle, du blöder Vogel!?“

Tiramisu schien sich davon so gar nicht beeindrucken zu lassen. Sie schob Chan mit sanftem Druck beiseite und ballte kampflustig die linke Hand zur Faust.

„Tiramisu!!!“

„Lass mich mal.“

Ihre Augen folgten der Flugbahn des Vogels, der sich bereits wieder in die Luft erhoben hatte und nun über ihren Köpfen kreiste. Es wartete wohl darauf, einen günstigen Moment zu erwischen, der sich ihm in Form einer sich nicht sonderlich defensiv präsenten Tiramisu tatsächlich recht bald bot.

„Tiramisu!!!“

Was machte die da? Chan riss die Augen auf als das Taubsi zum Sturzflug ansetzte und sich dem Meerschweinchen mit dem Schnabel voran näherte. Der Vogel würde sie treffen und auf ihrem doch noch recht niedrigen Level konnte das durchaus gefährlich werden!

Sofort machte Chan einen erneuten Schritt nach vorne und hob die Arme, wollte Tiramisu vor der Attacke schützen. Doch diese hatte wohl bereits eine andere Idee.

Mit einem „Ha!“ zog sie die Mundwinkel nach oben, deutete ein leichtes Lächeln an, als habe sie die Attacke des Vogels bereits erwartet. Das Taubsi war keine zwei Meter mehr entfernt und so setzte sie mit aller Kraft zum Sprung an. Dabei prallte sie mit dem Ellenbogen gegen das Taubsi, welches sie dadurch eher schlecht als recht mit der Schnabelspitze am Hals erwischte. Weh tat es trotzdem.

„Mist!“, entfuhr es dem Meerschweinchen. Die Wunde begann sofort zu bluten und so legte sie ihre Rechte darauf, um den Weg zu versperren. Das hätte nun wirklich nicht sein müssen. Und wo war jetzt der Vogel?

„Tiramisu! Pass auf!“, hörte sie Chan einmal mehr rufen. „Über dir!“

Die Warnung kam gerade noch rechtzeitig um Tiramisu zu ermöglichen, sich unter der erneuten Attacke des Taubsi wegzuducken. Dabei fiel sie auf den harten Boden, was nur bedingt von dem weichen hohen Gras gedämpft wurde. Aber dadurch vermied sie wenigstens einen Treffer durch ihren Gegner. Zumindest durch diesen.

„Au!!!“

Irgendetwas Weiches hatte sie an ihrem Fuß berührt und sie mit scharfen Krallen gekratzt. Als sie sich nach dem Übeltäter umsah entdeckte Tiramisu ein Wiesor, das sie drohend anfunkelte. Ob es vorhatte, sich mit dem Taubsi gegen sie zu verbünden? Sie hatte das Wiesel in diesem hohen Gras vorher gar nicht gesehen.

„Auch das noch…“

Was sollte sie jetzt tun, wem sich zuerst widmen? Das kleine Tier krallte sich an ihrem Bein fest wie ein Klammeraffe.

„Hey!! Was soll das?“

Und über ihrem Gesicht bemerkte sie den Schatten des Vogels, der zu einem erneuten Angriff ansetzte. Na toll! Vor ihr das Taubsi, hinter ihr das Wiesor… aber Moment mal, da kam ihr eine Idee!

„Na wartet!“

Mit einer flinken Handbewegung erwischte sie das Wiesor am Schwanz und zog es von ihrem Bein weg. Und weil sie es ohnehin gerade in der Hand hatte holte sie ausreichend Schwung um es dem heran fliegenden Taubsi geradewegs gegen den Körper zu schlagen.

„NEEIIN!!! Lasst mich!!!“

Der Treffer hatte gesessen und beide Pokémon in Ohnmacht fallen lassen.

Chan konnte das Spektakel nur sprachlos und mit offenem Mund beobachten, dem erst nach einiger Zeit ein „Ähm…“ entwich. Dazu fiel ihm wirklich nichts mehr ein. Aber gut, zwei besiegte wilde Pokémon bedeuteten ein wenig Erfahrung für Tiramisu, die sie sehr gut gebrauchen konnte. Schließlich war sie noch „klein“ und konnte noch keine besonders guten Attacken, die sie gewinnbringend einsetzen könnte.

„Kannst du aufstehen?“, fragte er sein Meerschweinchen und bot ihr seine Hand an, um ihr vom Boden aufzuhelfen. Beim Versuch, aufzustehen, schien Tiramisu’s Fuß unter ihr wegzuknicken. Die Kratzer hatten kleine Blutbahnen auf ihrer Haut verursacht, und ihr „Autsch!“ war gar nicht nötig um zu erkennen, dass sie Schmerzen haben musste.

Denn noch vor diesem einen Wort traten ihr Tränen in die Augen.

Chan überlegte kurz. Der Blick glitt einmal zu Tiramisu’s Hals, an dem sie das Taubsi erwischt hatte, dann noch einmal zu ihrem zerkratzten Fuß.

„Na gut…“ Er presste die Lippen kurz aufeinander und stieß dann ein Seufzen aus.

„Huh?“

Tiramisu blickte ihn fragend an weil sie sich keinen Reim darauf machen konnte, welche Erkenntnis er gerade in seinem Kopf gewonnen hatte. Wie denn auch? Sie war zum einen weiblich und zum anderen ein Meerschweinchen, wie also sollte sie sich in die Gedankengänge eines Menschenjungen hinein versetzen können?

Chan drehte sich um und ging in die Knie. Irritiert blinzelte das Meerschweinchen ihn an, noch immer nicht die Intention dahinter verstehend.

„Komm schon, steig auf. Du bist verletzt…“

Ach so?! Die Augen etwas weiter öffnend verstand Tiramisu nun, was er damit bezweckte. Sie sollte auf seinen Rücken klettern und er würde sie tragen? War das nicht etwas…? Erneut blinzelte sie während sich ein zarter rötlicher Ton auf ihre Wangen schlich. Sollte sie wirklich…?

Unsicher und mit zitternder Hand tastete sie nach Chan’s Schultern und hielt sich an diesen fest. Wirklich? Sie war vielleicht schwer. Allerdings fiel ihr kurz darauf ein, dass er sie schon bei ihrer ersten Begegnung auf den Armen gehabt hatte. Bei der Erinnerung errötete Tiramisu nur noch mehr und schmiegte eilig ihr rotes Gesicht an den Rücken ihres Trainers.

„Geht’s bei dir so, Tiramisu?“

Chan wartete ihre leise Zustimmung ab ehe er sich erhob und ihren Beinen mit seinen Armen zusätzlichen Halt bot. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sich auf diese Art tragen zu lassen und Tiramisu wusste noch immer nicht recht, was sie davon halten sollte. Doch sobald die ersten holprigen Schritte gemacht waren stellte sie fest, dass man sich durchaus daran gewöhnen konnte.

„Da vorne ist eh schon Rosalia City…!“

Chan’s Stimme drang wie von weiter Ferne an ihr Ohr, denn Tiramisu hatte längst mit einem entspannten Schmunzeln die Augen geschlossen und sich an seinen Rücken gekuschelt. Und aus diesem Dämmerschlaf erwachte sie erst wieder als sie von einer heiseren lauten Stimme geweckt wurde.
 

„Stopp, Grünschnabel!“

Ein alter Mann kam erstaunlich gut zu Fuß näher heran und stützte sich auf seinen Stock. Irgendwie bot er ein merkwürdiges Bild mit diesem Hilfsmittel und den tiefen Falten im Gesicht, die von seinem Alter zeugten, denn er hatte wie ein hipper Jugendlicher seine Kappe verkehrt herum aufgesetzt und wollte mit seiner Sonnenbrille wohl cool sein.

„Du bist noch nicht lange Trainer, oder?“

Ein aufmerksamer Blick wanderte von oben nach unten und musterte Chan’s Erscheinungsbild ganz genau. Dieser öffnete die Lippen um etwas zu sagen, doch wurde jäh wieder unterbrochen:

„Aha, Volltreffer! Wusste ich’s doch!“, stieß der Alte triumphierend aus. Mit einem breiten Grinsen hob er den rechten Daumen empor. Bei Facebook hätte er in diesem Moment wahrscheinlich auf den „Gefällt mir!“-Button gedrückt…

„Aber das ist schon in Ordnung…“, fügte er dann hinzu und klang als sei es furchtbar schlimm, dass man als Trainer erst angefangen hatte. Hallo, hier war schließlich erst das zweite Kapitel und er verließ gerade zum ersten Mal sein mickriges Heimatdorf?

„Keine Sorge, ich bringe dir ein paar Tricks bei! Schließlich ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen.“

Gott, konnte der Kerl nicht einfach aufhören zu labern? Chan und Tiramisu konnten ihn nur stumm anstarren denn sobald der Mund geöffnet wurde brabbelte der Alte sofort weiter und ließ sich unter keinen Umständen in seinem Monolog unterbrechen. Waren alle älteren Herrschaften so? Professor Lind hatte auch ein Talent für solches Wasserfall-Geschwafel...

„Aber ohne das Mädel.“

Und zack. Ohne dass es Chan so recht mitbekam – und Tiramisu wohl auch nicht – hatte sich der Alte das Meerschweinchen geschnappt und flitzte im Kreis um Chan herum. „Sie scheint verletzt zu sein und würde uns nur aufhalten. Komm mal eben her, Lady…!“

„Eh?“

Es war nicht zu sagen wer von den Beiden in diesem Moment mehr überrumpelt war. Chan konnte es gar nicht fassen, geschweige denn reagieren. Einzig Tiramisu versuchte sich zappelnd und kreischend zu befreien.

„Chaaaaaaaaaan!! H-hilfe!! Was soll denn das!?“

Den Alten kümmerte es nicht, denn der steuerte zielstrebig das nächste Haus mit einem roten Dach an und erklärte, worum es sich dabei handelte – auch wenn nicht ganz klar war wem genau seine Worte nun eigentlich galten: „Wir lassen dich am besten einfach gleich hier im Pokémon-Center! Dann wird sie geheilt. Außerdem wirst du hier garantiert noch Stammkunde werden.“

So schnell hatte Chan noch nie jemanden rennen sehen, schon gar nicht einen alten Mann. Der schien innerhalb von einem einzigen Wimpernschlag die Tür aufgerissen und Tiramisu im Inneren des Gebäudes abgesetzt zu haben und sauste gerade schon wieder in Chan’s Richtung. Was zum…?

So schnell konnte er gar nicht schauen, da hatte ihn der Kerl am Kragen seines T-shirts gepackt und schleifte ihn durch die kleine Stadt, die mit ihren paar zusätzlichen Häusern gegenüber Neuborkia eindeutig die Nase vorn hatte. Vor jedem Gebäude, zu dem er etwas zu sagen hatte, blieb der Alte kurz stehen, erklärte, und rannte weiter.

„Hier ist der Supermarkt! Da gibt’s Bälle und andere nützliche Items.“, erläuterte er den Sinn und Zweck des blau bedachten Gebäudes neben dem Pokémon-Center.

„Hier geht’s zur Route 30. Schau doch!“, war dann die nächste Erklärung mit zusätzlich deutendem Zeigefinger in Richtung des Weges, der aus Rosalia City führte. „Dort gibt’s Trainer, die nach Gegnern suchen. Und wenn du noch ein Stück läufst, kommst du zum Haus von Mr. Pokémon.“

Prima, da wollte Chan ja eigentlich sowieso hin. Aber er hatte keine Chance, den Rundgang des alten Mannes zu unterbrechen, der bereits von der Route abdrehte und das Meer ansteuerte. „Und das ist das Meer, wie du siehst. Manche Pokémon halten sich ausschließlich im Wasser aus. Du kannst hier surfen oder angeln.“

Wie praktisch. „Vielen Dank für die unnütze Info.“, dachte sich Chan, der genau wusste, dass er weder surfen konnte noch eine Angel besaß. Somit konnte er mit dieser Aussage aktuell noch gar nichts anfangen außer sie als unwichtig abzustempeln. War der Kerl jetzt endlich fertig?

Die Hoffnung wurde jäh zerschlagen als der Alte stolz ein weiteres Haus präsentierte. Es sah eher unscheinbar aus, nicht so imposant wie das Pokémon-Center oder der Supermarkt, die wenigstens durch etwas andere Dächer heraus stachen.

„Und daaa~s…“

Oha, das klang, als sei dieses Gebäude furchtbar wichtig. Als dürfe man Rosalia City nicht verlassen ohne es gesehen zu haben weil man die Sehenswürdigkeit schlechthin verpasste.

„… ist mein bescheidenes Zuhause!“, zerstörte auch die Hoffnung, dass irgendetwas an dem Ganzen hier Sinn machte. Das war… ernüchternd.

„Danke, dass du mich bis hierher begleitet hast!“, erwiderte der Alte grinsend und endlich – endlich! – den starren Griff um Chan’s Kragen lösend. Der hier doch gar nicht freiwillig mitgemacht hatte und immer noch überfordert und mit leerem Blick vor sich hin starrte. Das fiel wohl auch dem Alten auf.

„Und weil du Chan von AWP bist und ich ein großer Fan bin, möchte ich dir gerne meine ganz persönlichen, supertollen Turbotreter schenken! Sie sind noch schön warm vom Tragen!“

Chan hatte die Situation immer noch nicht ganz realisiert und streckte wie fremd gesteuert seine Hände in Richtung des müffelnden Schuhpaares aus.

„Der Witz war gut, oder? Du bekommst natürlich ein brandneues Paar.“

Wow, alles andere wäre ja wohl auch ein bisschen eklig gewesen. Andererseits fielen manchen Leuten noch merkwürdigere und fragwürdigere Geschenke ein. Chan, der gerade bemerkte, das die Führung damit wohl beendet war, fand nur langsam in die Realität zurück und kam erst dann in dieser an als der Alte aus seinem Haus längst einen nigelnagelneuen Schuhkarton geholt und ihm diesen in die Hand gedrückt hatte.

Als sich Chan das Präsent etwas näher besah stellte er sogar fest, dass die Schuhe gar nicht mal so schlecht aussahen. Das flammenähnliche Muster verlieh ihnen einen sportlichen Touch und auch die Farbe war nicht so schlimm wie erwartet. Er hätte ja fast damit gerechnet, dass ihm dieser Spaßvogel rosafarbene Schühchen andrehte…

So aber konnte der Dunkelhaarige aufatmen und in das neue Schuhwerk schlüpfen, welches wohl der Grund dafür war, warum dieser Alte so unheimlich schnell laufen konnte. Und siehe da – kaum hatte Chan die Schuhe an schienen sich seine Füße wie von selbst in Richtung des Pokémon-Centers zu bewegen.

„WOAH!! Argh!!“

Das ging ihm zu schnell! Er konnte nicht einmal mehr rechtzeitig bremsen und prallte mit voller Wucht gegen die Tür. Seine Nase!

„Au!!“

Durch die Geschwindigkeit und den Aufprall wurde Chan’s Körper nach hinten abgefedert und er plumpste rücklings auf den Boden. Diese Schuhe waren ja gefährlich! Am besten zog er die gleich wieder aus!

„Hm?“

Noch ehe er sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte entdeckte er Tiramisu, die gerade aus dem Pokémon-Center kam. „Ah! Tiramisu…!“

Und schwupps war Chan wieder auf den Beinen und sah sein Meerschweinchen besorgt an. „Bist du wieder fit?“

Sie sah wieder etwas besser aus. Ihr Gesicht war nicht mehr ganz so blass sondern hatte wieder eine gesündere Farbe angenommen. Und in ihren Bewegungen schien sie auch nicht mehr eingeschränkt zu sein. Der Gang war sicherer und sie lächelte ihn fröhlich an.

„Ja!“, bestätigte Tiramisu ihr momentanes Befinden, doch im nächsten Moment verriet ihr knurrender Magen, dass es durchaus noch verbesserungswürdig war.

„Ä-ähm…“

Ups. Das war ihr jetzt schon ein wenig peinlich. Aber sie hatte schließlich auch noch nichts gegessen und das Glas Wasser, das sie von Chan’s Mutter bekommen hatte, machte auch nicht satt.

„Ich glaube, da hat wohl jemand Hunger… Da vorne war ein Geschäft. Glaube ich…“

Tiramisu’s Augen blitzten freudig auf, Chan hingegen blickte bei seinen eigenen Worten ziemlich entgeistert drein. Er hatte sein ganzes Erspartes eingepackt und sah vor seinem geistigen Auge seine Pokédollar gerade von dannen schweben… Hoffentlich fraß ihm dieses Meerschweinchen nicht am Ende die Haare vom Kopf!

„Hier.“ Das war doch das Haus mit dem blauen Dach gewesen, richtig? Er näherte sich diesem und fasste nach der Türklinke. Hinter sich hörte er ein quietschendes „Jaaaa! Futter!!“ Tiramisu schien irgendeine Art Freudentanz aufzuführen. Was genau trieb die da eigentlich? Die hatte wohl zu viel Energie, von wegen Hunger…

Kopfschüttelnd winkte Chan sein Meerschweinchen heran und öffnete nun endlich die Tür zum Supermarkt.

„OOOOOOOOOOOOOOOHHHHHHH!!!!!“

Oh Gott, Tiramisu flippte ja völlig aus!

„DAS PARADIES!!!!“

Lag das jetzt am Geschlecht oder warum ging die so ab wenn es um einen kleinen Einkauf ging? Chan rückte lieber etwas von ihr ab und ging zu dem Verkäufer an der Kasse. Der war als Mann vielleicht gerade eine etwas angenehmere Gesellschaft als ein durchdrehendes Meerschweinchen, das sich förmlich auf die Regale stürzte und um diese herum sprang.

„Willkommen!!“, wurde er dort begrüßt. „Kann ich euch helfen?“ Grins.

Dieses Angebot würde er doch gerne annehmen. Die Leser wollten bestimmt auch mal andere Pokémon außer Tiramisu sehen. Schließlich hatte er noch so viel mehr Meerschweinchen…! Aber zum Fangen benötigte er etwas ganz dringend, was er im Moment noch nicht besaß:

„Ich brauche Pokébälle!“

„Pokébälle sind leider schon alle ausverkauft. Vorhin hat ein junger Mann den ganzen Rest gekauft.“ Grins, grins.

Das Grinsen regte ihn jetzt schon auf, aber Chan war gerade nicht nach einem Streit zumute und so akzeptierte er schnaubend, dass die nächste Lieferung wohl noch etwas auf sich warten ließ. So ein Mist.

„Dann eben nur Gemüse.“ Für Tiramisu. „Und für mich ’ne Pizza.“

„Sehr gerne.“, erwiderte der Verkäufer und Chan machte sich schon Hoffnungen. Sollte er sich dringend abgewöhnen, denn im nächsten Moment kam der nächste Dämpfer: „Pizza ist schon ausverkauft. Hat auch schon der junge Mann…“

„Hmpf!!! Na toll…“ Von was hatte dieser Typ denn bitte schön nicht das letzte Stück gekauft?

„Wie wäre es stattdessen mit ein paar Heilsalben und Tabletten? Sie wirken gegen Gift und Paralyse.“, versuchte ihm der Verkäufer alternative Angebote zu machen.

„Meinetwegen…“

Die Medikamente waren zwar keine Pizza und somit würde er wahrscheinlich bereits zu Beginn seiner Reise verhungern, aber was soll’s… dann überlebte wenigstens Tiramisu. War doch sicher auch einmal interessant, eine Nuzlocke Challenge, die daran scheiterte, dass der Trainer verhungert war. Chan seufzte und zückte seinen Geldbeutel.

„Das macht dann insgesamt 1.800 Pokédollar!“ Grins, grins, grins. Boah…

„WAS!?“ Sah er aus als wäre er irgendein Neureicher? Als Youtuber verdiente man zwar ein bisschen was, aber nicht so viel wie manche immer meinten. Der Verkäufer hier dachte wohl auch man wurde über Nacht reich…

Schweren Herzens trennte sich Chan von seinen hart verdienten Münzen. Und bevor der Kerl ihm jetzt noch mehr abzocken wollte schob er dem lieber gleich einen Riegel vor. Die ein oder andere Masche kannte er schließlich! „Und ich brauch’ keine Tüte, ich hab’ schließlich meinen Beut…“

Moment mal? Wo war sein Beutel? Er hatte ihn doch die ganze Zeit um gehabt? Hatte er zumindest gedacht, aber jetzt, wo er sich danach umsah, entdeckte er, dass er sein Gepäck gar nicht mehr dabei hatte. Ach du Scheiße?! Hatte er es unterwegs verloren? Vielleicht bei dieser Sache mit dem Taubsi und dem Wiesor? Bestimmt hatte er den Beutel schon gar nicht mehr gehabt als er Tiramisu huckepack getragen hatte. Und die hatte seinen Beutel auch nicht dabei, wie er mit einem Blick in ihre Richtung feststellte.

„Ach egal. Tiramisu!“

Mit dem Ruf machte er sein Meerschweinchen auf sich aufmerksam bevor die hier noch Wurzeln schlug oder in ihrem eigenen Sabber angesichts der vielen frischen Leckereien im Regal ersoff. „Gehen wir. Der Saftladen hier hat fast nichts Brauchbares und ist obendrein teuer! Und Mr. Pokémon wartet bestimmt schon.“

Tiramisu blinzelte ihn an einer Karotte knabbernd an. Was? War es etwa schon so spät, dass sie aufbrechen mussten? Ein wenig wehleidig warf sie noch einen Blick in das Regal. So viele Köstlichkeiten, so viel leckeres und knackiges Gemüse… aber gut, sie hatte von einer rundlicheren Kundin gerade diese extrem saftige Karotte geschenkt bekommen und war für den Moment wunschlos glücklich. Also folgte sie vor sich hin nomsend Chan nach draußen und in den Norden von Rosalia City.

Die Fortsetzung der Reise war schließlich auch ganz spannend, außerdem war sie neugierig wegen diesem Mr. Pokémon und dessen Entdeckung.
 

Zuerst einmal galt es aber heil über diese Route zu kommen.

Im hohen Gras versteckten sich haufenweise Käferpokémon. Gefühlt alle paar Meter wurden sie von flinken Webarak, hinterlistigen Raupy und trägen Safcon aufgehalten.

Immerhin stolperten sie dabei auch über Gemüse und Tabletten, die wohl irgendwelche anderen Trainer auf der Flucht vor den bösen übermächtigen Käfern verloren hatten. Unterwegs verdrückte Tiramisu über das ganze Gesicht strahlend eine extragroße Gurke und Chan sah sich mit einem Fan konfrontiert, der bei seinem Anblick abging wie ein Zäpfchen und ihm die Hand so lange schüttelte, dass Chan das Gefühl hatte, sie würde ihm gleich abfallen.

„Wow, du bist doch Chan von AWP!!! Ich bin ein großer Fan!“, schien dieser sein Glück gar nicht fassen zu können. „Hier, ich möchte dir uuuuuunbedingt diese Aprikokobox schenken!“

Geschenke nahm er natürlich gerne an, auch wenn er eigentlich gar nicht vorhatte, jetzt zum Aprikokosammler zu mutieren und täglich an jedem Aprikokobaum vorbei zu schauen… aber einem geschenkten Gaul sah man ja bekanntlich nicht ins Maul und so bedankte sich Chan höflich und schritt weiter voran bis eine Kampfansage seine ganze Aufmerksamkeit einforderte: „Los, Rattfratz, Tackle!!“, befahl eine junge Stimme.

Chan zuckte bei dem lauten Gebrüll zusammen. Was? Da wollte ein Trainer mit ihm kämpfen? Ha! Dem würde er es zeigen!

„Alles klar, ich nehme die Herausforderung natürlich an! Los, Tiramisu, dem zeigen wi-… Äh… Moment… Hä?“

Nach weiteren Schritten hatte er den rufenden Trainer ausfindig gemacht, aber der stand mit dem Rücken zu ihm und drehte sich gerade erst um.

„Ach, du meintest gar nicht mich…“, versuchte Chan den Jungen zu beschwichtigen, der die Backen wie ein Hamster aufblähte und ihn empört anstarrte.

„Mann ey, was willst du?“, beschwerte er sich prompt über die Störung. „Du nervst! Ich kämpfe gerade gegen meinen Kumpel!“

Ja, das sah er jetzt auch. Entschuldigung, dass er besagten „Kumpel“ hinter dem dicken Trainer nicht gleich gesehen hatte! Das war doch aber kein Grund, ihn gleich so anzupflaumen…

„Öhm… könntet ihr vielleicht Platz machen? Ich muss zu Mr. Pokémon.“

Die Route war ja groß genug um den Kampf woandershin zu verlagern. Aber inkompetent wie die Trainer in Pokémon-Spielen nun mal waren machte der Junge keine Anstalten, den Weg frei zu machen. Sein Kumpel ebenso wenig, denn der nutzte die Ablenkung und befahl seinem eigenen Rattfratz, das den dicken Jungen anzugreifen.

„Geh woanders lang!“, forderte der im Moment noch von Chan. „Du hast ja noch nicht einmal ein Pokémon dabei…!!“

„Hä?“ Natürlich hatte er ein Pokémon!? Eines, das die ganze Zeit schon rum stresste weil es ihr nicht schnell genug voran ging. Oder erkannte der nicht, dass es sich bei Tiramisu um ein Feurigel handelte? Wäre nicht verwunderlich, aber das Meerschweinchen würde sich bestimmt outen.

„Tiramisu??“

Er entdeckte ihren Haarschopf inmitten des hohen Grases zu seiner Rechten.

„Komm schon, Chan!“

Während er sich mit dem Trainer geplagt hatte, hatte sich Tiramisu bereits nach einem anderen Weg umgesehen und dabei hochkant in das Gras gestürzt, in dem sie beinahe unterging. Bei genauerem Hinsehen entdeckte der Dunkelhaarige, dass sie einen gut versteckten Weg durch das dichte Gebüsch ansteuerte. Nicht schlecht!

Da folgte er ihr doch gleich und konnte bereits nach kurzer Zeit ein kleines Häuschen ausmachen vor dem ein Mann mit erhobenen Armen, die ein großes Ei hielten, herum hampelte und die ganze Zeit „Chaaaaan! Chaaaaan!!!“ plärrte.

„Da bist du ja endlich!“

Der Hampelmann, auch genannt Mr. Pokémon, wurde mit einem Mal auf ihn aufmerksam als er sich nach der Ursache des Raschelns umsah und die Beiden dort entdeckte. Professor Lind hatte ihm geschrieben, dass sie kommen würden, und er wartete schon gefühlt eine halbe Ewigkeit.

„Du bist doch Chan, oder?“, vergewisserte er sich, dass er den richtigen Trainer angesprochen hatte. „Der Idiot, der extra hierher kommt, nur weil Professor Lind zu faul ist…?“

Mr. Pokémon rannte auf ihn zu und stolperte, kurz bevor er bei ihnen angekommen war, über einen Stein. „ARGH!!“ Oh nein, das Pokémon-Ei!! Es rutschte ihm aus der Hand und der ehemalige Besitzer verfiel kreischend in eine solche Panik, dass es einen weiteren Mann auf den Plan rief.

„Mach doch keinen solchen Krach, Mr. Pokémon. Was ist denn los? Oh?“

Die hellen Augen hatten neben seinem Freund auch Chan und Tiramisu entdeckt. „Ach. Bist du nicht Chan von AWP? Mein Name ist Professor Eich.“

Chan versteckte sich gerade hinter dem Rücken seines Meerschweinchens und lugte erst bei der Vorstellung des älteren Herrn hervor. Tiramisu wirkte im Gegensatz zu ihm nicht einmal ansatzweise skeptisch sondern blinzelte den Professor treudoof wie ein Lama und das gefangene Ei umklammernd an.

„Was haben wir denn da?“

Der Professor kam näher und ging an Mr. Pokémon, der sich gerade mühsam und den Rücken haltend in die Höhe kämpfte, vorbei. Mit einer nachdenklich am Kinn angelegten Hand musterte er Tiramisu. Was war das denn für ein Pokémon? Ein solches hatte er ja noch nie gesehen. „Das ist ein ziemlich seltenes Pokémon, das du da spazieren führst…“ war schließlich der Schluss, zu dem er kam. „Hmmmm…“

„Das ist weil… bla… bla…“

Mr. Pokémon ratterte Professor Eich wohl den gesamten Verlauf seines E-Mail-Austauschs mit Professor Lind herunter, der scheinbar haarklein Chan’s Rolle in dem Ganzen beschrieben hatte.

„Ach, du hilfst Professor Lind also bei seiner Forschung?“, erkundigte sich der Professor aus der Kanto-Region und musterte nun auch Chan mit deutlichem Interesse. „Du siehst auch aus wie jemand, der sich sehr um seine Pokémon kümmert. Und du scheinst zuverlässig zu sein. Alles klar, möchtest du mir auch helfen?“

Prompt und ohne eine Antwort abzuwarten versenkte der Professor seine Hand in der weiten Tasche seines weißen Kittels und zog ein kleines Gerät hervor. „Sieh mal her… Das ist das neueste Modell des Pokédex. Er erfasst automatisch Daten über Pokémon, die man gefangen oder gesehen hat, und legt selbstständig neue Einträge an. Er ist eine Art High-Tech-Lexikon. Nimm ihn mit auf deine Reise!“

Gehörte langes Gerede eigentlich zu den Dingen, die man beherrschen musste, bevor man Professor werden durfte? Dieser hier ratterte alle möglichen Funktionen des kleinen Geräts herunter und kam aus den Lobreden und der Schwärmerei gar nicht mehr heraus.

„Augen zu und durch!“, beschloss Chan und nahm den Pokédex an, damit das Geplapper hoffentlich sein Ende nahm.

„Und jetzt speicher am besten noch meine Telefonnummer in deinem Pokécom ein, damit ich dich jederzeit belästigen kann!“

Lachend ratterte Professor Eich die Zahlenfolge herunter und Chan ergab sich seinem Schicksal, irgendwie nur die Nummern von komischen Professoren und seiner Mutter zu haben. Doch gerade als er die neue Nummer hinzufügen wollte klingelte der Pokécom. Wer war das denn jetzt?

“Ja? Wer stört?“, fragte Chan, den Anruf annehmend.

„H-hallo, Chan? Es ist schrecklich!“, ertönte Professor Lind’s Stimme so laut, dass es Chan beinahe das Trommelfell zerriss und Tiramisu, Professor Eich und Mr. Pokémon auch ohne Lautsprecher den sich überschlagenden Worten lauschen konnten.

„Äh… uhm… wie soll ich das erklären? Ich weiß ja selbst nicht, wie… Jedenfalls ist es ganz schrecklich! Bitte, komm schnell zurück!!! Wääähääää!“

„Professor?“, versuchte Chan, sich Gehör zu verschaffen. „Was ist…? Was?“ Er verstand rein gar nichts. Was war denn passiert? „Herrgott, jetzt brüllen Sie doch nicht so ins Telefon! Und reden sie langsamer! Ich versteh kein Wort…!“

Aber da hatte Professor Lind schon aufgelegt…

Irgendetwas musste passiert sein.

Er warf einen kurzen Blick in Tiramisu’s Richtung.

„Beeilen wir uns!“

„Okay!“

Er vermochte nicht so recht zu sagen, wie das Meerschweinchen auf diesen merkwürdigen Anruf reagierte. Einerseits schien sie sich darüber zu freuen, dass es etwas zu tun gab, andererseits war sie aber bestimmt auch besorgt, was ihrem ehemaligen Besitzer zugestoßen sein könnte.
 

Das Gebrüll des Professors war wohl aber noch meilenweit zu hören gewesen und hatte einige wilde Taubsi auf den Plan gerufen, die ihnen kampflustig nachflatterten.

„LAUF!“, schrie Chan und nahm die Beine in die Hand, um möglichst schnell zurück nach Rosalia City zu bekommen.

Einige Treffer kassierten sie dennoch von den Vögeln und nachdem sie schnaufend und hustend in der kleinen Stadt angekommen waren war erst einmal ein erneuter Abstecher ins Pokémon-Center fällig, um wieder zu Kräften zu kommen.

Puh. Das war anstrengend. Zu dumm, dass es hier keinen Schutz zu kaufen gab, mit dem sie sich in solchen Situationen die feindlichen Biester vom Leib halten könnten.

Immerhin hatten sie die Vögel abgehängt, denn über die Grenze hinweg schienen sie ihnen nicht zu folgen. Vielleicht fürchteten sie sich vor zu vielen Menschen. Einem Habitak wäre es wahrscheinlich egal gewesen, die waren ja doch noch eine Spur aggressiver als Taubsi.

Und wo war Tiramisu jetzt schon wieder?

Er entdeckte sie beim Ausgang der Stadt, wo ihnen zuvor der alte Mann entgegen gelaufen war. Chan runzelte die Stirn als er bemerkte, was genau Tiramisu da mit genießerisch geschlossenen Augen tat.

„Ein Feuer-Pokémon, das Blumen beschnüffelt… Ich fasse es nicht.“ Wobei, sie war ja auch Vegetarierin… vielleicht war sie deswegen so angetan? „Wie lange dauert das noch?“

Er dachte, sie machte sich vielleicht Sorgen?

Der Dunkelhaarige schüttelte den Kopf.

Neben ihm schnaubte jemand verächtlich.

„Hm?“

„Ein Pokémon aus dem Labor. Was für ein peinliches Exemplar. Passend für einen Schwächling wie dich…“

Die Stimme kannte er doch.

Das war der Typ, der vor dem Labor in Neuborkia herum gelungert und auf einmal auf ihn eingeschlagen hatte! Der Kerl mit dem Kapuzenpullover, der Möchtegern-Bösewicht, der sein Gesicht nicht zeigen wollte.

„Du schon wieder? Willst du Stress? Lass mich und mein Pokémon in Ruhe!“

Was laberte der ihn so von der Seite an und bezeichnete ihn als Schwächling und seine süße Tiramisu als peinlich? War doch ihre Sache wenn sie gerne Blumen beschnüffelte. Jeder hatte doch irgendeine Macke…!

Der Fremde schnaubte erneut und deutete mit dem Zeigefinger auf Chan. „Was ich damit sagen will? Dann erkläre ich’s dir eben: Du bist ein Loser und dein Pokémon auch. Meins hier ist dagegen nicht übel. Wenn es mit dir fertig ist, bleiben keine Fragen mehr offen. Oder willst du etwa behaupten, du könntest gegen mich gewinnen…?“

Sollte das eine Herausforderung zum Kampf sein?

Chan verzog schmollend das Gesicht und zeigte dem Kerl den Mittelfinger.

„Das wollen wir doch erst einmal sehen!!!“, entgegnete er auf diese Provokation hin. „Das lassen wir nicht auf uns sitzen! Mach ihn platt, Tiramisu!!!“

„Los, Karnimani.“

Was?

Chan starrte mit mulmigem Gefühl auf das gegnerische krokodilähnliche Pokémon.

Das war jetzt aber gar nicht gut. War Karnimani nicht vom Typ Wasser? Damit dürfte es gegenüber Tiramisu, dem Feuer-Pokémon, im Vorteil sein.

Er biss die Zähne zusammen, dann fiel ihm eine Taktik ein, mit der er den Kampf vielleicht trotzdem für sich entscheiden könnte. Und so flüsterte er Tiramisu ins Ohr: „Setz erst Rauchwolke und Silberblick ein, bevor du es mit Tackle angreifst.“

Mithilfe der Rauchwolke würde es dem Karnimani schwerer fallen, das Meerschweinchen zu treffen, und anhand des Silberblicks könnte Tiramisu die Verteidigung des Gegners senken. Dadurch würde sie selbst kräftigere Treffer landen können und das Karnimani vielleicht nicht fähig sein, zum Gegenschlag auszuholen.

„Karnimani, Silberblick!“

Scheinbar war der andere Trainer nicht ganz so dämlich, sich auf den Typvorteil zu verlassen, und setzte eine ähnliche Taktik ein.

Allerdings war der Rauch sehr dicht und im Gegensatz zu Tiramisu hatte das Karnimani wohl nicht darauf geachtet, sich die Position des Feindes einzuprägen. Noch während sich das krokodilähnliche Pokémon hektisch umsah machte sich das Meerschweinchen bereit, mit Tackle anzugreifen und traf.

„Tz-!“, schnaubte der Verhüllte. „Für einen Schwächling hast du ganz schön was auf dem Kasten… Keine schlechte Taktik.“

Wollte er sich damit bei ihm einschleimen und ihn vom Kampfgeschehen ablenken? Wenn ja, dann hatte sich der Kerl gehörig geschnitten, denn Chan ignorierte die grimmige Bemerkung und wies sein Meerschweinchen an, weiter mit Tackle anzugreifen.

Mit einem „Karnimani, weich aus.“ reagierte allerdings auch der andere Trainer und sorgte dafür, dass sich Karnimani mit dem Bauch voran auf den Boden legte. Tiramisu, die gerade bereits zu einem Tackle angesetzt hatte, kullerte über den Feind hinweg und streifte diesen nur noch mit dem Knie.

„Gleich hast du’s geschafft!“, feuerte Chan sie an. „Los! Tackle!“

„HIYAH!“, stieß Tiramisu einen Kampfschrei aus um einem Faustschlag in Karnimani’s Gesicht zusätzliche Kraft zu verleihen.

Gewonnen!

Das gegnerische Pokémon sah schon sehr mitgenommen aus und wurde deshalb von dem Verhüllten zurück gerufen.

„Du hast gewonnen.“, gab der Verlierer missmutig zu. „Bist du jetzt zufrieden… …?“

Keine Antwort.

Chan besah sich Tiramisu’s siegreiche Linke und erkundigte sich, ob bei ihr alles okay war.

Na dann. Die Ablenkung wollte der Vermummte nutzen um sich aus dem Staub zu machen. Doch da hatte er die Rechnung ohne Chan gemacht.

„He!“, rief der Dunkelhaarige sofort und eilte dem jungen Mann mit der Kapuze nach, die Hand ausstreckend um ihn irgendwo zu fassen zu bekommen. „STOPP MAL! Was sollte das jetzt eigentlich? Wer bist du und was zum Teufel hast du für ein Problem mit mir und meinem Pokémon!? Und was hast du beim Labor gemacht?“

„H-Hey!“

Chan hatte den Fremden an der Kapuze zu fassen bekommen und zog daran, um ihn zurückzuhalten, was den panisch-empörten Ausruf zur Folge hatte. Und noch ehe der Andere es verhindern konnte, hatte der Youtuber ihm die Kapuze vom Kopf gezogen und blickte in ein bekanntes Gesicht, auf das er mit einem überraschten „Wa-… DU?“ reagierte.

Tense…!?

Die kurzen braunen Haare, die hellen Augen… ganz klar Tense. Ein Tense ohne Brille, aber unverkennbar ein Tense!

„Du trägst zwar keine Brille, aber du bist es definitiv!“

Was machte der denn hier?!

„Shit.“, gab Tense grummelnd zurück und wühlte in der Tasche des Kapuzenpullovers nach der unauffindbaren Brille.

„Wo hast du die Brille hin? Verloren?“, fragte Chan, der durch die Identifikation seines besten Freundes vollends aus dem Kontext gerissen wurde und prompt die zuvor gestellten Fragen vergessen hatte. Was machte Tense hier, warum meckerte der ihn an und warum hatte er gegen ihn kämpfen wollen?

„Das frage ich mich auch. Sie muss doch hier irgendwo sein…“, murmelte der Braunhaarige noch immer suchend.

„Ahahaha!!!“, fing Chan auf einmal bei einem gewissen Gedanken an zu lachen. „Kein Wunder, dass du gegen mich verloren hast, wenn du nicht mal was siehst!! Du bist so ein Idiot! Hahaha!!“

Tense zusätzlich zu provozieren hätte er wohl besser lassen sollen. Denn der hatte nun wohl doch noch seine Brille in der Tasche gefunden, aufgesetzt und funkelte Chan nur noch wütend an bevor er ihm mit einem „Nerv’ nicht!“ einen Faustschlag ins Gesicht verpasste wie zuvor Tiramisu seinem Karnimani.

„Ah!“ Autsch…! „Depp!“, beschwerte sich Chan und hielt sich die Wange. Wollte der ihm alle Zähne rausschlagen oder was?

„Schon wieder!“ Das war jetzt schon das zweite Mal. Erst die Prügelei vor dem Labor und jetzt kassierte er schon wieder eine? „Ich dachte, wir seien Freunde?“

Jener Freund stapfte allerdings gerade schon schnaubend davon und Chan wurde durch einen durchdringenden Blick von Tiramisu davon abgehalten, Tense zu folgen.

„Wolltest du nicht eigentlich nachsehen, was beim Professor passiert ist? Du trödelst schon wieder so…“

Ach ja, der Professor und sein Anruf. Da war was.

Das hätte er ja fast vergessen!

Und nachdem er sich umsah und Tense ohnehin nirgends mehr entdecken konnte entschied sich Chan schulterzuckend dafür, Tiramisu’s Worten nachzukommen. Zum Glück ging es schneller von Rosalia City nach Neuborkia als anders herum. Denn auf dem Rückweg konnten sie wenigstens bei den Vorsprüngen hinunter springen und das hohe Gras größtenteils meiden.

Noch einmal würden sie sich nicht von wild gewordenen Taubsi über eine ganze Route jagen lassen!
 

Außerdem war es schön, zu sehen, wie schnell sie auf einmal vorankamen.

Schon kurze Zeit später standen sie vor dem Labor und Chan riss mit einem „Hallo?“ die Tür auf. Um kurz danach ein Klicken zu vernehmen und auf Handschellen zu blicken, die seine Handgelenke aneinander ketteten. „H-hä?“

Was ging denn jetzt ab?

„Was soll die Scheiße denn jetzt!?“

Vor ihm stand ein Polizist, der ihn völlig überzeugt anstierte, obwohl im Hintergrund ein panischer Professor Lind auf und ab lief und wichtigtuerisch mit den Armen wedelte.

„Der Täter kehrt immer zum Tatort zurück. Du bist verdächtig!“, war die Begründung des Uniformierten.

„Geht’s noch?“

Mann, das machte ihn gerade wirklich wütend. Er hatte nichts getan! Oder doch? Nein, er wusste von nichts. Zumindest von nichts, weswegen man abgeführt und ins Gefängnis gesteckt werden könnte. Der konnte ihm gleich mal erklären, was er denn bitte schön verbrochen haben sollte!

„Du bist garantiert der Dieb, der die Pokémon aus dem Labor gestohlen hat! Das ist doch eines davon!“

„Ich?“ Tiramisu sah sich mit einem anklagend erhobenen Zeigefinger konfrontiert und versuchte, Chan aus der Patsche zu helfen und die Situation klar zu stellen. Dabei kam sie jedoch nicht weiter als zu einem „Aber…“, ehe sich nun auch endlich der Professor zu Wort melden konnte:

“Stopp, das ist ein Missverständnis! Das Feurigel habe ich ihm geschenkt!!“

Zum Glück kam das vom Professor, denn der war in diesem Moment vielleicht am Glaubwürdigsten. Schließlich hätte Chan das Meerschweinchen ja bestechen können, damit es ja nichts Falsches sagte sondern zu seinen Gunsten aussagte. Na ja, im Normalfall sagten die ja gar nichts sondern quiekten einfach nur den ganzen Tag lang vor sich hin. Gerade war es dennoch gut, ein sprechendes Meerschweinchen in der Nähe zu haben. Und eine Freundin, die alles gefasst beobachtete und sich nun auch mit erhobenem Arm einmischte.

„Hey! Chan!!“

Tanne war auch noch hier? Entweder hatte er sie aufgrund ihrer Größe übersehen oder sie war ihm gerade einfach nur nicht aufgefallen weil er beim Betreten des Gebäudes gleich für nichts und wieder nichts verhaftet wurde.

„Erinnerst du dich noch an den komischen Typen, der hier im ersten Kapitel herum geschnüffelt hat und totaaal verdächtig war? Ich wette, der ist derjenige, der das arme Karnimani einfach so geklaut hat!!“, stellte die junge Frau an Chan gewandt ihre ganz eigene Vermutung in den Raum.

„Karnimani? Du meinst, Tense war der Dieb?“, entfuhr es Chan urplötzlich, denn die Puzzleteile ergaben in seinem Kopf sofort das Bild des besten Freundes. Und so purzelten die Worte unbedacht über seine Lippen und riefen einmal mehr den hellhörigen Gesetzeshüter auf den Plan:

“… „Tense“? Ihr kennt den Dieb!?“

Sofort zückte er ein kleines Notizbuch und kritzelte etwas in dieses.

Oh scheiße! Bestimmt war das auch ein Missverständnis, deshalb versuchte Chan, durch weitere Erklärungen die Situation zu entschärfen und Tense zu entlasten. Er erzählte, wie Tense vor dem Labor herum gelungert war, wie sie sich geprügelt hatten. Wie der Freund beim Verlassen der Stadt nicht mehr zu sehen gewesen und ihnen letztlich doch noch entgegen gekommen war. Dass er ebenfalls ein junges Karnimani besessen und ihn zum Kampf heraus gefordert hatte. Jedes noch so kleine Detail könnte hilfreich sein, den Verdacht abzulenken, doch Chan bemerkte beim Reden selbst, dass er wohl mehr Schaden anrichtete als Tense irgendwie zu helfen. Verdammt. Ablenken, sofort ablenken!

„Wie wär’s, wenn sie einem armen, unschuldigen Jungen endlich mal diese Dinger abnehmen würden?“

Mit trockener Stimme und entsprechendem Gesichtsausdruck hob er die Arme, damit der Polizist endlich wieder die Handschellen löste. Denn egal was war – er hatte mit dem Diebstahl der Pokémon jedenfalls nichts zu tun. Das hatte ja auch Professor Lind bestätigt, der gerade das Ei in Tiramisu’s Armen genauer unter die Lupe nahm.

„Arm? Unschuldig?... Du?“

Tanne sah Chan mit großen verwunderten Augen an und konnte sich ein Prusten nicht verkneifen. Zum Glück lachte sie erst über seine Worte als der Polizist seinen Fehler eingesehen und mit dem kleinen Schlüssel die Handschellen geöffnet hatte.

Für ihn gab es hier auch nichts mehr zu tun. „Ich werde diesen Kerl finden! Bis dann!“

Und weg war er, der Polizist, auf dem Weg, für Recht und Ordnung zu sorgen. In Rosalia City, wo der Verdächtige zuletzt gesehen worden war. Er musste sich beeilen, damit sich der Kerl nicht irgendwo versteckte und mit seiner Schandtat ungestraft davon kam!

Auch Tanne schien aufbrechen zu wollen. Für den Moment hatte sie genug Abwechslung gehabt und sie war schließlich auch nur hier, weil sie ebenfalls angerufen worden und um die Rückkehr gebeten worden war. Und die Situation war ja scheinbar gerade geklärt.

„Ich gehe auch. Wir treffen uns dann auf Route 29, Chan!“

„Alles… klar… Ähm…“

War das jetzt eigentlich die richtige Entscheidung gewesen? Genau genommen hatte er gerade – wenn auch unbeabsichtigt – seinen Kumpel verpfiffen. Andererseits war irgendetwas anders als sonst. Tense benahm sich merkwürdig und Chan konnte nicht sagen, was wohl in ihn gefahren sein mochte. Er versank ins Grübeln. Überlegte, ob das gut oder schlecht gewesen war. Was Tense mit alledem bezweckte. Und was sie weiter tun sollten.

„Waaaas? Chan hat einen Pokédex von Professor Eich bekommen? Wow! Das ist ja unglaublich, Tiramisu! Weißt du, was das bedeutet!?“

Boah, konnten die nicht die Klappe halten? Chan grummelte kurz vor sich hin und fauchte dann los: „Maaaaaaann!! Ihr stört mich beim Nachdenken!!!“

Da konnte sich doch kein Mensch konzentrieren, wenn die im Hintergrund über solche banalen und unwichtigen Dinge plapperten und man selbst gezwungen war, sich das auch noch reinzuziehen. „RUUUUUHEEEEE!!!“

„Ist es wegen Tense?“

Professor Lind sah Chan fragend an und machte ihm im nächsten Augenblick einen Vorschlag, an den der Trainer noch gar nicht gedacht hatte. Wie auch, er konnte ja nicht denken, weil ihn die anderen Beiden mit ihrem überschwänglichen Gerede ablenkten…

„Wie wäre es, wenn du dich auf die Suche nach ihm machst? In den größeren Städten findest du bestimmt etwas heraus… Tiramisu scheint dich auch lieb gewonnen zu haben und dir helfen zu wollen.“

Die größeren Städte… klar!

„Hm… Keine schlechte Idee.“

Da hätte er ja auch von selbst drauf kommen können…!

„Wenn du die verschiedenen Arenaleiter herausforderst und bekannter wirst, sollten die Leute gesprächiger werden, wenn ihnen etwas auffällt…“, erläuterte der Professor seine Idee weiter, drückte damit wohl seinen Dank dafür aus, dass Chan für ihn das Ei von Mr. Pokémon abgeholt hatte.

Chan nickte verstehend und gleichzeitig zustimmend.

„Okay, ich werde sehen, was sich machen lässt.“

Das klang nach einem Plan. Und auch Tiramisu schien damit einverstanden zu sein, denn die klammerte sich gerade an seinen Arm und wollte partout nicht mehr loslassen.

„Ach ja, bevor du gehst, wollte dir deine M-…“

Professor Lind verstummte abrupt als sich die Tür des Labors ein weiteres Mal öffnete und ein „Chaaaan…“ die Person ankündigte, zu der er den Angesprochenen gerade eigentlich hatte schicken wollen.

Seine Mutter. Seine Mutter, die mit in die Hüfte gestemmten Fäusten mitten auf der Türschwelle stand und im nächsten Moment mit etwas herum wedelte, das dem zu ihr blickenden Chan sofort bekannt vorkam. Sein Beutel!

„Sieh mal, was ich in der Nähe der Route 29 gefunden habe…“

Cool, da war sein Beutel ja! Den hatte er gerade zwar schon wieder total vergessen, aber so wurde zumindest vermieden, diesen zu einem späteren Zeitpunkt stundenlang suchen zu müssen. Dankbar streckte Chan die Hand nach dem Beutel aus, doch dieser wurde sogleich aus seiner Reichweite gezogen. Was?

„Und was höre ich da?“

Oh-oh, jetzt kam wohl die Beschwerde…! Am besten einfach mal den Kopf einziehen!

„Du willst auf eine Reise gehen?“

Durfte er etwa nicht? Er war erwachsen und konnte auf sich selbst aufpassen! Außerdem hatte er Tiramisu dabei und immer noch vor, sein Team auch im Laufe der Zeit um weitere Meerschweinchen zu bereichern. Da sprach doch sicher nichts dagegen? Zumal er sich nur auf den Weg machen würde, um Tense zu finden und diesen zur Rede zu stellen bevor der dem Polizisten in die Arme lief.

„Bring mir auf jeden Fall was mit! Ich spare auch einen Teil deines Geldes für dich!“

Chan runzelte die Stirn und bedachte seine Mutter mit einem skeptischen Blick. Von wegen Beschwerde. Die zeigte sich bei dem Gedanken, dass der Junge aus dem Haus war, eher begeistert als besorgt.

„Danke, Mama…“

Bei der weiblichen Logik blickte er nicht durch, wirklich nicht. Aber wenigstens bekam er nun doch seinen Beutel in die Hand gedrückt und hängte sich diesen um, bevor es sich seine Mutter anders überlegte. „Ich muss aber gleich los. Wir haben Tense auf dem Rückweg getroffen. Vielleicht können wir ihn noch einholen!“

Außerdem wollte sich Tanne ja noch unterwegs mit ihnen treffen, warum auch immer. Deshalb ergriff der Dunkelhaarige die Hand seines Meerschweinchens und zog sie in Richtung der Tür. Sie sollten sich beeilen, wenn sie Tense noch erwischen wollten.

Und erst als sie aus dem Labor verschwunden waren veränderte sich der Ausdruck auf dem Gesicht seiner Mutter und nahm besorgte, zweifelnde Züge an.

„Chan… Pass auf dich auf…“, murmelte sie leise und den Blick gen Boden senkend.

Sie hatte ein ungutes Gefühl…
 

„Da bist du ja! Das ging schnell!“, begrüßte Tanne ihren sich nähernden Freund mit dem Feurigel im Schlepptau. Es wurde zwar bereits dunkel, aber die Beiden erkannte sie trotzdem noch recht gut.

„Tanne!“

Chan schien seine Schritte auf die letzten Meter noch zusätzlich zu beschleunigen und kam atemlos, aber entschlossen drein blickend, bei ihr an. „Wir machen uns auf die Suche nach Tense! Tiramisu und ich werden alle Orden sammeln und spätestens in der Pokémon-Liga werden wir ihn bestimmt finden! Und ihm seine Spinnereien aus dem Kopf prügeln!“

Die Angesprochene blinzelte. Ganz schön hohes Ziel, das er sich da in den Kopf gesetzt hatte. Aber was Tense betraf… „Lass mich dir auch dabei helfen, Chan!! Bitte! Äh…“

Moment mal, hatte er nicht gerade…

„Sagtest du gerade Pokémon-Liga? Mit Tiramisu?“

Sofort verzog sich das junge Gesicht zu einer zweifelnden Grimasse. Was hatte sie? Chan sah sie fragend an.

„Du hast nicht ernsthaft vor, das nur mit Tiramisu zu schaffen? Sobald du einem Trainer mit Wasser-Pokémon gegenüber stehst, kannst du den Sieg total vergessen! Du brauchst eindeutig noch mehr Pokémon! Komm, ich zeige dir, wie man sie fängt. Sieh gut her!“

Oh Gott, Tanne war auch jemand, der einen nicht mehr zu Wort kommen ließ wenn sie einmal mit etwas, was ihr wichtig war, anfing… Dabei versuchte Chan doch, ihr zu erklären, dass Tiramisu auch mit Tense’ Karnimani fertig geworden war, und dass er wusste, wie man Pokémon fing! Aber nein…

„Zuerst musst du das gegnerische Pokémon durch Angriffe schwächen und danach kannst du einen Ball werfen, um es zu fangen!“ War klar. „Wenn du es vorher auch noch mit Statusveränderungen belegst, kannst du es noch leichter fangen!“ War auch klar. „Kinderleicht, ne? Und hier hast du fünf Bälle, um es mal auszuprobieren!“

Echt? Na, die nahm er doch gerne an. Das waren tausend Pokédollar, die er sich im Verlauf seiner Reise sparen konnte. Außerdem würde er wohl ohnehin erst in der übernächsten Stadt die Gelegenheit haben, Bälle zu kaufen. Der Verkäufer in Rosalia City hatte ja schließlich keine mehr. Was Chan immer noch wurmte, genauso wie der nicht vorhandene Pizzavorrat.

„Danke für die Bälle… oder so.“, murmelte Chan seufzend.

„Gern geschehen!“

Tanne strahlte über das ganze Gesicht und war schon wieder auf dem Sprung. Winkend entfernte sie sich von ihm. „Ich mache mich dann aber schon mal auf den Weg nach Viola City! Bye, Chan!“

Und weg war sie, der kleine Wirbelwind, den wohl nichts und niemand dazu bringen konnte, die Beine ruhig zu halten. Weg, das war auch Tiramisu.

„Tiramisu?“

Ah da. Die hatte wohl schon wieder zu viel Ausdauer und rollte gerade durch das Gras. Manchmal verhielt sie sich wirklich komisch. „Äh…?“ Ach, besser, er ließ das unkommentiert und ließ sie einfach machen. Kopfschüttelnd wollte er sich mit dem Anblick abfinden und sie nur daran erinnern, dass er gerne den Weg fortsetzen wollte. Doch ehe er so weit kam bemerkte er ein heran hüpfendes Hoothoot.

„Ah!“, machte auch Tiramisu, die den Vogel ebenfalls entdeckt hatte. Das Hoothoot starrte sie aus nächster Nähe an und wirkte interessiert an ihrer Beschäftigung.

„Ein wildes Pokémon!“, konnte das Meerschweinchen den Trainer rufen hören. „Schnapp’s dir, Tiramisu!“

Gesagt, getan. Die Aufgeforderte reagierte geschwind und erwischte den Vogel am Fuß. Das Hoothoot reagierte erschrocken und mit einem Geräusch, das an ein Heulen erinnerte. Oh je. „Sorry…!“, entschuldigte sich das Meerschweinchen, aber Chan wies sie mit seinem „Sehr gut! Halt es fest!“ nun mal an, ja nicht loszulassen.

„Los, Pokéball!“

Wie praktisch, dass Tanne ihm gerade welche in die Hand gedrückt hatte, denn sonst wäre er auf dieser Route leer ausgegangen! „Bring uns unseren ersten Gefährten!“

Der Vogel verschwand augenblicklich im Ball.

Chan und Tiramisu beobachteten beide gespannt dessen Fall auf den Boden, wo er herum rollte weil sich das Hoothoot zu befreien versuchte und letztlich doch scheiterte.

„Yeah!“, stieß Chan triumphierend aus als der Pokéball nicht mehr wackelte und somit das erste neue Teammitglied gefangen war. Jetzt brauchte er nur noch einen Namen dafür, aber die Farbe des Pokémon erinnerte ihn an ein ganz bestimmtes Meerschweinchen:

„Und weil er braun ist, nenne ich ihn… Toffee!“

Wie schon bei Tiramisu reichte der Name aus um den Pokéball in ein helles Licht zu tauchen, welches insbesondere bei der sich verbreitenden Dunkelheit um sie herum blendete. Huch!?

Im nächsten Moment blickte er in die weit aufgerissenen Äuglein des kleinen Meerschweinchens mit der Frohnatur, das wohl ebenso erschrocken war wie Tiramisu.

„Iiiiiek!!“, kreischte sie los weil Toffee beinahe nichts am Leib trug. Es wurde zwar dunkel, aber man erkannte trotzdem die Konturen seines Körpers und so verdeckte sie eilig ihre Augen.

„Warum zum Teufel seid ihr eigentlich immer alle nackt!?“, beschwerte sich auch Chan, der wenigstens nicht gleich bis unter die Haarwurzel errötete sondern genug Ruhe bewahrte um in seinem Beutel nach Wechselkleidung für das kleine Meerschweinchen zu suchen.

„Hier, zieh das an!“ Er glaubte, etwas Passendes gefunden zu haben, und drückte es dem leise „D-danke!“ drucksenden Toffee in die Hand, allerdings… „Ist aber vielleicht ein bisschen zu groß…“

Na ja, sie würden sehen. Das Vögelchen schlüpfte flink in die angebotene Kleidung und Chan lächelte. „Perfekt!“

Doch nicht zu groß sondern genau passend. Wie auch immer sich diese Kleidungsstücke dann in seinen Beutel verlaufen hatten, denn schließlich hätten sie weder Tiramisu und noch weniger ihm selbst gepasst. Egal.

Er war gerade hochmotiviert, noch ein Pokémon für sein Team zu gewinnen, nachdem das mit Toffee eben so prima geklappt hatte. Und hier gab es ja noch eine kleine Sackgasse, die Route 46, die die Reiseroute mittels eines hohen Vorsprungs unterbrach. Der war zum Klettern zu hoch, aber zu dessen Füßen befand sich ebenfalls hohes Gras.

„Und da hinten ist auch gleich noch eine andere Route! Route 46… Holen wir uns da auch noch ein Pokémon und dann auf nach…“ Was hatte Tanne gesagt? „… Viola City!“

„Ui, was gibt’s da?“

Toffee tappste Chan neugierig hinterher, nur Tiramisu blieb noch zurück. Denn die hatte immer noch gerötete Wangen, sah jetzt aber eher angetan aus weil Toffee ein gutes Stück kleiner war als sie und … so süüüß! Wie niedlich der Kleine doch war! Schön, dass sie ihn dabei hatten! Also folgte auch sie mit einem Lächeln auf den Lippen und Chan’s Antwort lauschend:

“Da gibt’s zum Beispiel Kleinstein, das uns in der Arena gut helfen kann! Und dann ist da noch… Mist.“

Auf der Route 46 gab es zwar nicht viel, aber das erhoffte Kleinstein zeigte sich nicht. Stattdessen entdeckte Chan ein Rattfratz. Die kleine lilafarbene Ratte starrte sie aus dem Gras heraus an und wedelte eifrig mit dem Schwanz wie ein kleines Hündchen.

„Rattfratz… Kleinstein wäre besser gewesen…“

Schade. Aber dann würden sie eben das Rattfratz mitnehmen.

Dieses zeigte sich hochgradig aggressiv und sprang gerade mit aufblitzenden Augen und den kleinen Füßchen voran Tiramisu an.

“Kyaaaaah!!“, erschrak diese fürchterlich über die unerwartete Attacke. „Was willst du von mir!? Bleib weg!“

Kreischend lehnte sie den Oberkörper zurück und schlug gleichzeitig mit der Faust in Richtung des Angreifers um die Ratte abzuwehren.

„Rattfratz. Es frisst alles.“, ertönte eine künstliche Stimme aus Chan’s Beutel. Der Pokédex! „Wo es Nahrung findet, baut es ein Nest und pflanzt sich ständig fort.“

„Das ist doch eindeutig…“

Es pflanzte sich ständig fort? Das passte doch wie die Faust aufs Auge. Da konnte das Rattfratz doch nur einen bestimmten Namen bekommen!

„Ein… Mööh!!!“

Auch das Rattfratz wurde in helles Licht getaucht und enthüllte einen nackten Mööh, der sich wohl bereits wieder von dem harten Schlag ins Gesicht erholt hatte und einmal mehr die überrumpelte Tiramisu begrabschte.

„Wo fasst du denn hin?! Perversling!!“

Und nicht nur das – seine Lippen waren ihrem Gesicht ziemlich nahe und formten einen Kussmund. Iiiiiih! Der sollte weg gehen!

„CHAAAAN!! HIIIILFEEEE!“

„… Ach herrje …“

Das Rattfratz war wohl nicht nur nutzlos sondern auch noch komplett triebgesteuert…!

„Das kann ja was werden!“, stellte Chan fest und fühlte sich auf einmal sehr erschöpft.

Ein kreischendes Feurigel, ein dieses belästigendes Rattfratz und ein daneben stehendes und hohl drein blickendes Hoothoot, das die Situation nicht einschätzen konnte.

Beste Voraussetzungen für den richtigen Beginn der Reise.

Nicht.

Gemeinsam sind wir stark!

Das konnte doch alles nicht wahr sein!

Mit einem genervten Kopfschütteln sah sich Chan gezwungen, Tiramisu und Toffee wieder zurück in ihre Pokébälle zu beordern.

„Meine Güte...“, brummte er mürrisch mit einem Blick hinter sich wo er einen deprimiert schleichenden Mööh entdeckte, der ihm mit gesenktem Kopf folgte. „Vor dir muss man ja alle Weibchen verstecken…!“

Der schwängerte die ja schon, indem er sie nur ansah!

Allein für Tiramisu war es wahrscheinlich ziemlich gefährlich, sich außerhalb ihres sicheren Pokéballs aufzuhalten, wenn hier ein paarungswütiges Meerschweinchen in Form einer lilafarbenen Ratte herumlief…!

„Ah!“

Neue Route, neues Glück, und aus dem hohen Gras heraus blinzelte ihn ein neugieriges Webarak an.

„Ein Webarak!“, bemerkte der Youtuber und deutete für Mööh in die Richtung des genannten Pokémon. „Super, neues Routenpokémon! Los, Mööh!“

Der sollte das schwächen, damit der Fang leichter gelang.

Noch während Chan sich bereits einen passenden Namen für die kleine grüne Spinne überlegte, starrte Mööh diese nur schweigend an.

Vorerst. Denn schon im nächsten Moment brüllte Mööh wutentbrannt los.

„GROAHR!“

Chan, der damit gar nicht gerechnet hatte, zuckte vor Schreck zusammen und konnte nichts mehr dagegen tun, dass Mööh das männliche Webarak in der Luft zerriss und dabei wüst vor sich hin fluchte. „Wa…?“

Oh Gott! Hatte er gerade eben nicht noch gedacht, dass ein frei herumlaufender Mööh eine Gefahr für Tiramisu war? Die Wahrheit war noch viel schlimmer! Wenn der so auf andere Männchen reagierte, dann war wohl eher der arme, kleine, wehrlose Toffee in Gefahr!! Und er selbst vielleicht auch? Zugegeben, das schüchterte ihn gerade schon ein wenig ein. Genug, um die Beschwerde „Ich wollte das doch fangen…“ lediglich zu flüstern, was noch dazu in einem fremden Ruf unterging.

„Hey! Du da!“

Was war denn jetzt schon wieder?

Abgelenkt durch die Stimme sah sich Chan nach dessen Besitzer um und entdecket den etwas rundlicheren Jungen mit dem gestreiften T-Shirt, der sich vorher noch mit seinem Kumpel ein Duell geliefert und ihn so angeschnauzt hatte.

„Du wirkst wie ein Schwächling auf mich! Prima! Dich knöpf’ ich mir vor!“, drohte er und schickte sein Rattfratz in den Kampf. Na ja, wenn er unbedingt verlieren wollte…

„Los, Mö…“, wollte Chan seine eigene Ratte ins Gefecht schicken, doch besann er sich gerade noch rechtzeitig. „… Lieber doch nicht…“

Das andere Rattfratz war auch ein Männchen und noch einmal so etwas wie das zerfetzte Webarak wollte er nun wirklich nicht sehen…! Wahrscheinlich zeigte ihn der andere Junge dann noch an. Wegen Tierquälerei oder so. „Dann… Ähm…“

Wen sollte er stattdessen ins Rennen schicken?

„Tiramisu!!“, entschied er sich schließlich und rief sein Feurigel während Mööh wieder mit seinem Pokéball Vorlieb nehmen musste. „Los, zeig die neue Attacke, mit der du vorhin Mööh losgeworden bist!“

Das ließ sie sich nicht zweimal sagen. Tiramisu’s Mundwinkel verzogen sich zu einem sachten Lächeln und mit einem Knistern entflammte ihre linke Hand. Jetzt gab es gegrillte Ratte! Die erschrak darüber offensichtlich während sein Trainer mit glitzernden Augen Chan auf die Pelle rückte.

„Wow, du bist ja soooo cool!!!“, jubelte er sofort. „Krieg’ ich ein Autogramm? Und deine Telefonnummer? Bitte, bitte, bitte!“

„Ähm…?!“

Chan wich abgeschreckt zurück und wollte bereits mit einem Kopfschütteln verneinen, doch da kam ihm plötzlich eine Idee. Wenn er den Leuten auf den verschiedenen Routen und in den verschiedenen Städten seine Nummer gab, dann könnten sie die Augen nach Tense offen halten und ihn benachrichtigen, wenn sie ihn sahen… Das wäre doch eine Idee! Solange der Junge nicht seine Nummer bei Ebay verscherbelte…

„Na gut.“, gab er also nach und nannte dem Jungen, der sich als Julian vorstellte, die Zahlenreihenfolge, die nötig war, um ihn zu erreichen.

„Yeah! Ich hab’ die Telefonnummer von Chan von AWP!“ Konnte der nicht vielleicht noch lauter kreischen damit das auch der letzte Idiot mitbekam? „Wie genial ist das denn?“

Chan blickte dem Jungen nach, der scheinbar gerade völlig abhob und vor sich hin tänzelte.

Und hatte dabei irgendwie das böse Gefühl, etwas unglaublich Dämliches getan zu haben.

„Du weißt schon, dass dich Julian jetzt ständig anrufen und dir irgendeinen Schwachsinn erzählen wird, wie toll doch sein Rattfratz ist, das du gerade platt gemacht hast…?“

Julian’s dunkelhäutiger Freund mit der Sonnenbrille hatte wohl ihren Kampf von gerade eben mitbekommen, wie auch das danach.

„Aber mal was anderes! Liefern wir uns einen Kampf! Mit mir wirst du nicht so leicht fertig!“

Sagte er und verlor.

„War nett mit dir. Bye! Wir müssen weiter.“

Chan grinste über beide Ohren über Tiramisu’s Sieg über das Taubsi und das Rattfratz, das der Junge eingesetzt hatte. Da hatte er sich wirklich ein cooles Starterpokémon ausgesucht. Nur sollte es ihm im nächsten Gebiet nicht so wirklich viel helfen, ebenso wie die anderen Beiden.
 

Denn eine Weile später standen sie am Eingang zur Dunkelhöhle.

„Yeah!“, freute sich der Schwarzhaarige mit der blonden Strähne und ballte motiviert die Fäuste. „Eine zweite Chance auf Kleinstein!“

Bei Route 46 hatte das ja nicht wirklich geklappt weil sich Mööh in den Vordergrund gedrängt hatte. In der Dunkelhöhle würde es aber erneut möglich sein, dem kleinen Gestein zu begegnen und es zu einem Teammitglied zu machen. „Und wehe, wenn jetzt ein Zubat kommt!“

Eigentlich sollte er es besser nicht verschreien. Vielleicht war er ja schnell genug und entdeckte ein Kleinstein bevor die Fledermäuse auf ihn aufmerksam wurden. Chan stürmte voran in die Höhle, Tiramisu kam eher zögernd nach.

„Chan…“, jammerte sie inmitten der pechschwarzen Finsternis, in der man kaum die eigene Hand vor Augen sah. „Es ist kalt. Und dunkel.“ Es fröstelte sie, so dass sie sich mit den Händen an den Oberarmen zu wärmen versuchte. Brrrr!

„Ich suche Kleinstein!“, antwortete Chan’s Stimme etwas entfernt. Es dauerte ein wenig, bis sich Tiramisu’s Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und die Umrisse ihres Trainers ausmachen konnten. Damit hatte sie es auch etwas leichter als er, dessen Finger die Steine abtasteten. Und irgendwann fand er, was er gesucht hatte, und schrie vor Schreck auf als sich einer der Steine bewegte. „WAH!“

Um Himmels willen, da bekam man ja einen Herzinfarkt!? Aber hey, dafür hatte er ein neues Pokémon. „Willkommen im Team, Domino!“

Keine Antwort.

„… Hä?“

Warum sagte er nichts dazu? Gut, es mochte ein stilles Wesen haben, aber deswegen konnte es doch trotzdem etwas Nettes sagen? Chan tastete in der Dunkelheit nach dem neuen Teammitglied und klopfte mit der Faust gegen etwas Dumpfes.

„Nanu?“

Das war dann wohl Domino’s Kopf gewesen. Allerdings regte sich das Porzellanschwein noch immer nicht und sagte auch nichts. Auch nicht gegen Tiramisu, die sich einen Spaß daraus machte, das Kleinstein einzukleiden und ihm eine kuschelige Mütze aufzusetzen.

„…?“

Er hatte wirklich nur komische Pokémon im Team.

Aber dafür jetzt wenigstens sein erhofftes Kleinstein, das ihm in der Arena sicherlich von Nutzen sein würde! Und da er in dieser gottverdammten Höhle ohnehin nichts sehen konnte beschloss er, diese einfach wieder zu verlassen und die Reise in Richtung Viola City fortzusetzen. Sie müssten ohnehin gleich da sein.

Am Eingang der Höhle klatschte ihm jedoch erst einmal ein Taubsi ins Gesicht, das sich im Eifer des Gefechts auf ihn stürzte als sei er irgendein feindliches Pokémon.

„Ich hab’ schon ein Flugpokémon.“

Nämlich Toffee. Trotzdem würde er sich das Taubsi fangen. Einfach, um ein Flugpokémon in Reserve zu haben, falls etwas passieren sollte. In einer Nuzlocke Challenge war man ja nie wirklich sicher, dass alles glatt lief.

„Hallo, Schoko.“, begrüßte er sein neues Vögelchen. So langsam sollte er mal wieder in einem Pokémon-Center vorbei schauen. Nach den Kämpfen war sein Team erschöpft und außerdem war es dringend notwendig, Mööh zu kastrieren. Mit dem ging es so schließlich auch nicht weiter. Reichte ja, dass der total aggro wurde, wenn er einem männlichen Pokémon gegenüber stand. Da brauchte der nicht auch noch jedes weibliche anzuspringen und es schwängern zu wollen!

„Hey hey, im Gegensatz zu Toffee bin ich wenigstens auch tagsüber aktiv und nicht nur nachts!“, quietschte ihn Schoko auf dem Weg voll und versuchte wohl, ihn von ihren Vorteilen zu überzeugen. „Ich bin eindeutig die bessere Wahl! Und jetzt rück’ mal Klamotten raus!“, keifte sie dann auf einmal los als habe sie erst nach mehreren Metern bemerkt, dass sie in der menschlichen Form rein gar nichts am Leib trug.

„Du siehst nicht gerade aus als wäre es dir peinlich, so herum zu laufen!“, mischte sich Tiramisu ein noch ehe Chan das Taubsi in den Ball zurück rief um das Gezeter abrupt zu beenden.

„Chan!“, erklang da auch schon die nächste weibliche Stimme. Oh Mann, gab’s hier irgendwas umsonst oder warum quiekte ihm eine nach der anderen hinterher?

„Chaan! Warte doch mal!“, rief die Stimme erneut. „Du bist echt schnell! Du hast mich in Windeseile überholt!“

„Ach, Tanne.“, konnte Chan endlich die Stimme seiner Youtube-Kollegin zuordnen. „Ich hab’ dich unterwegs gar nicht gesehen…?“

Wann sollte er sie denn überholt haben? Die war doch voraus gelaufen. Wo war die denn dann bitte schön zwischenzeitlich gewesen? Hatte sie sich verfranst und war in Richtung des Hauses von Mr. Pokémon abgebogen statt an den beiden jungen Trainern vorbei die Dunkelhöhle und Route 31 anzusteuern? Das erschien ihm logisch und kam als Möglichkeit durchaus in Frage, so dass er nicht weiter nachhakte. Wäre ohnehin nicht möglich gewesen, denn Tanne plapperte schon wieder über etwas völlig anderes.

„Ich wollte dir noch diese Kampfkamera schenken!“

„Brauch’ ich nich’.“, wollte Chan abwinken, aber da wurde ihm das Teil schon in die Hand gedrückt. Oh Mann!

„Ach ja, und sieh dich in Viola City gut um! Da gibt’s einiges an coolen Sachen zu entdecken! Zum Beispiel den Knofensa-Turm, die Trainerschule oder die Arena! …“

Tanne fixierte ihn mit leuchtenden Augen als sie wie ein Wasserfall drauflos quatschte, doch ebenso schnell verstummte sie wieder obwohl ihr Mund gleichzeitig offen blieb.

„… Wobei, das war’s auch schon. Ähm…“

Ach so? Chan prägte sich ihre genannten Punkte ein. Das dürfte ja schnell gehen und in die Arena wollte er sowieso. Ohne die Arenaorden würde er schließlich früher oder später nicht mehr weit kommen.

„Muss jetzt auch schon weiter nach Dukatia City, weil ich dort zum Shoppen verabredet bin! Und noch mal überholst du mich nicht! Byyyeeee!“

Und schon war der kleine Wirbelwind wieder verschwunden.

„Ciao.“

Chan winkte ihr mit trockenem Gesichtsausdruck hinterher. Himmel, die war immer so aufgedreht. War das nicht anstrengend? Dieses ständige Gequietsche und Gezappel. Kopfschüttelnd wandte er sich Tiramisu zu. „Wir gehen erst ins Center und dann in den Turm. Die Trainerschule brauchen wir nicht!“

Das war doch ein Plan. Der einzige Störfaktor lief hinter ihm her und murmelte „Ich würde da gerne rein.“

„Okay, wenn’s unbedingt sein muss.“, gab Chan nach. Gegen Tiramisu hatte er eben keine Chance, also würde er ihr ihren Wunsch erfüllen bevor die ihm womöglich noch Feuer unter dem Hintern machte. Auf diese Erfahrung würde er dann doch gerne verzichten. Seufzend fand er sich damit ab, dass sie die Trainerschule besichtigen wollte. Was war denn an Schulen so interessant? Menschen mussten die ohnehin jahrelang besuchen und sich mit Prüfungen und Hausaufgaben herumschlagen. War doch ätzend. Aber als Meerschweinchen kannte sie das offensichtlich nicht und hatte deshalb großes Interesse an dem Gebäude.

Chan seufzte während sich Tiramisu mit einem „Juhu!“ über seine Entscheidung freute.

„Aber erst bringen wir die anderen ins Center.“, bot er ihr allerdings einen Kompromiss an. Das war wichtiger. Erst einmal alle aufpäppeln und dann konnten sie sich in aller Ruhe die Stadt mit all den wichtigen Orientierungspunkten ansehen.

Außerdem lag das Pokémon-Center auf dem Weg. Schon beim Betreten von Viola City stach es einem ins Auge und war mit wenigen Schritten erreicht.

„Sollen wir deine Pokémon heilen?“, fragte die Krankenschwester und streckte ihm bereits die Arme entgegen als er das Center betrat.

„Ich bitte darum! Und das Rattfratz gehört dringend kastriert! Hören Sie? Dringend!“, erklärte er gleich nachdrücklich ehe er Joy die vier Pokébälle seiner Mitstreiter aushändigte. „Ich gehe in der Zwischenzeit mit meinem Feurigel in die Trainerschule…“

Würde er jedenfalls, wenn sich besagtes Feurigel in der Nähe aufhalten würde. „… Eh? Tiramisu?“ Wo war sie denn jetzt schon wieder? Und warum verschwand sie die ganze Zeit so urplötzlich? Immer musste er sie suchen! Die konnte sich doch nicht ernsthaft verlaufen haben. Sie war gerade noch hinter ihm gewesen!

Mit einem Augenrollen verließ Chan das Center und hielt Ausschau nach seinem Pokémon.

Dieses war vor der Tür an einem sportlich, aber gleichzeitig auch ziemlich verdächtig aussehenden Typen hängen geblieben. „Beerenfürstücke? Wie bitte?“

„Genau, Schwester! Beerenfürstücke!“

In welcher Sprache unterhielten die sich bitte?

“Und was ist das jetzt genau?“, wollte Tiramisu wissen, die sich wahrscheinlich ebenso wie Chan fragte, worum es überhaupt ging und was der Kerl mit Beerenfürstücke meinte.

„Komm ruhig näher! Wenn du mehr wissen willst, dann… Ähähähä…“

Da lief es einem ja eiskalt den Rücken hinunter wenn der so penetrant grinste und sich an sein Meerschweinchen ran machte! „He?!“

Mit einem schnellen Satz war Chan bei den Beiden und ergriff Tiramisu’s Hand.

„Pfoten weg. Das ist ein Pokémon, du Widerling! Gaff sie nicht so an!!“, beschwerte er sich bei dem Kerl, der sogar noch ein Stück größer war als der Youtuber selbst. Aber das war ihm doch egal. Machte sich der Kerl nicht strafbar wenn er was mit einem Pokémon anfing? Mit einem Meerschweinchen, hallo? „Lass das!“

„Pah, Langweiler…!“, schnaubte der Kerl, wirkte wohl aber trotz angefressener Miene so als habe er prompt das Interesse verloren. Vielleicht gingen seine Gedanken in eine ähnliche Richtung wie die des Schwarzhaarigen und er hatte sich dagegen entschieden, Tiramisu abzuschleppen. Und noch während Chan Tiramisu an der Hand von diesem ekligen Aufreißer wegzog wandte sich der schon wieder dem nächsten Rock zu. Nicht zu fassen!

„Hat dir eigentlich keiner beigebracht, dass man nicht mit komischen Fremden spricht? Dabei wolltest du doch unbedingt in die Trainerschule!“

Da musste man ja furchtbar aufpassen. Irgendwann entführte einer Tiramisu weil sie so süß war. Oder Toffee, der ihr in seiner Naivität wohl recht ähnlich war. Und auf Mööh musste man auch aufpassen wenn der so aggressiv wurde. Auf kleine Kinder aufzupassen war wahrscheinlich leichter. Wobei, gerade zog er die Pokémon vor. Schließlich befanden sich vier davon gerade im Pokémon-Center und Tiramisu, die er gerade zur Trainerschule navigierte, würde von dieser ohnehin ausreichend abgelenkt sein und keinen Unsinn mehr machen.

„Wow!!!“, entfuhr es dem Feurigel als sie gerade die Trainerschule betraten und sich prompt in einer typischen Atmosphäre wiederfanden. Die Bänke waren von einigen Schülern besetzt. Die Einen folgten aufmerksam dem Unterricht, den ein bärtiger Kerl mit merkwürdiger Frisur gab; die Anderen zockten im Verborgenen irgendein Game. Der Lehrer war wohl ebenso enthusiastisch wie blöd. Freudestrahlend und hochmotiviert ratterte er den Stoff an der Tafel herunter und bekam noch nicht einmal annähernd mit wie wenig sich mancher Schüler für das, was er sagte, interessierte.

„Öde…“, das fand auch Chan und konnte durchaus nachvollziehen, warum die zockenden Banknachbarn sich die Zeit anders vertrieben. Die sollten nur aufpassen, dass ihnen der Lehrer nicht ihre Handhelds abnahm. Aber der war scheinbar ohnehin auf die beiden Neuankömmlinge aufmerksam geworden und tanzte mit wilden Pirouetten in Richtung des Eingangs um Chan und Tiramisu mit seinem Gequassel Kopfschmerzen zu bereiten.

„Earl lautet mein Namö! Pokémon sind wunderbar, oui! Isch werde dir vielö Lektion erteilön für zu werdön eine besserö Trainer. Was möchtest du wissön? Soll isch dir erzählön, wie man wird stark?“

Wow, krass. Er verstand nur die Hälfte von dem, was dieser Außerirdische da von sich gab, aber hey – wenn jemand so derart wie ein Wasserfall redete, dann gab es dafür doch bestimmt eine Belohnung? „Ja, erzähl mal…“, gab sich Chan also geschlagen und hoffte inständig, dass die Belohnung etwas Sinnvolles sein würde, das ihn entsprechend entschädigte.

„Du möschtest also wissen, wie man trainiert Pokémon auf die Art und Weisö, die ist rischtisch?“

„Jaha…?“ Hatte er doch gesagt? Oder hatte er wirklich nicht verstanden, was der meinte?

„Très bien!“, brüllte der Lehrer ausgelassen. „So lass misch erklärön! Selbst wenn eine Pokémon… Bla… kurz an die Kampf teilnimmt… Bla bla… ein paar von die EP ab… Bla…“

Chan blickte den Bärtigen an. Die Lippen bewegten sich, aber er kapierte wirklich kein Wort von dem, was der da von sich gab.

„Mehr vön mir?“, fragte der Lehrer auf einmal und Chan motivierte lediglich der Gedanke an die Entschädigung zu einem desinteressierten „Jaa…ha…“

„Soll isch dir nun beibringen die korrekte Art und Weise zu kämpfön mit deine Pokémon?“

War das nicht das Gleiche wie die ganze Zeit schon? Der redete wohl gerne um den heißen Brei herum. Innerlich betete Chan bereits zu Gott, dass der den Lehrer verstummen oder ihn selbst taub werden lassen würde. Konträr dazu winselte er allerdings ein weiteres „… Ja….“ Auch wenn ihn der Lehrer gerade furchtbar nervte!

„Très bien! So lass misch erklärön…“

Bla bla bla bla.

Eine gefühlte Ewigkeit später holte der Kerl wohl mal Luft und Chan nutzte es, um Klartext zu sprechen. „Krieg’ ich jetzt wenigstens etwas dafür, dass ich dir zuhöre…?“

„Non!“

Der Lehrer schien noch immer nicht verstanden zu haben, dass er gar kein Interesse an seinen Worten zeigte, und beantwortete die Frage ebenso enthusiastisch wie er zuvor die Kampfweise erklärt hatte, die Chan bis jetzt nicht einleuchtete.

„Scheiße. Dann tschüss.“

Das tat er sich nicht länger an! Und Tiramisu war scheinbar auch überfordert. Denn die starrte hochkonzentriert auf die Tafel, verstand aber wahrscheinlich genauso viel wie Chan. Nämlich nur Bahnhof. Da war der Knofensa-Turm sicher interessanter und lehrreicher. Außerdem würden sie dort auch wieder die Möglichkeit für ein weiteres Team-Mitglied haben.

Aber zuerst mussten sie die Jungs aus dem Pokémon-Center holen…
 

Draußen war es immer noch dunkel und dennoch vermochte der hohe hölzerne Turm einen Schatten auf die kleine Gruppe zu werfen, die ihn Minuten später ehrfürchtig nach oben blickend erreichte.

„Da drin dauert’s wohl länger…“, stellte Chan mit einem nachdenklichen Blick fest während Tiramisu mit offenem Mund staunte. „Hoch…“

„Seid ihr bereit?“

„Jawohl!“, kam zu Chan in dreifacher Form ein und dieselbe Antwort auf seine Frage zurück. Dreifach deshalb, weil Domino mal wieder nichts sagte. Der hatte sich auch keinen Meter bewegt sondern musste die ganze Zeit von seinem Trainer vorwärts geschoben werden. Das würde wohl noch ziemlich mühsam werden. Ebenso das Training, das einige von den Pokémon noch bitter nötig hatten, um für alles Weitere gewappnet zu sein.
 

Zahlreiche Bäume umrahmten den hohen Turm und schienen ihn von fast allen Seiten zu stützen. Der Eindruck, den man von außen bekam, setzte sich auch im Inneren fort. Dazu war es noch nicht einmal nötig, dass die Nasen den Geruch des Holzes einfingen aus welchem der Turm erbaut worden war. Statuen, die einem Knofensa nachempfunden waren, zierten zu beiden Seiten den Eingang. Sie sahen dem Pokémon so zum Verwechseln ähnlich, dass Tiramisu reflexartig eine Kampfpose einnahm und die leblose Statue herausfordernd anstarrte. Und sich darüber wunderte, warum diese sich keinen Millimeter rührte. Nanu?

Nanu, das dachte sich auch Chan, der bereits einige Schritte voraus gegangen war und die sich bewegende breite Säule im Zentrum des Raumes begutachtete.

„Krass, die Säule bewegt sich…“

Warum das denn? Ziemlich wackelige Angelegenheit. Nicht, dass der Turm gleich einstürzte, und seine Reise ein jähes Ende nahm. Grausige Vorstellung!

„Die Mönche scheinen oben mitten im Training zu stecken.“, klärte ihn die Stimme einer älteren Dame auf, die wohl nur dazu da war, Schaulustigen gegenüber zu erläutern, was es mit dieser Säule auf sich hatte. Was sollte das denn für ein Training sein? Tanzten die, oder was?

Auf die ungestellte Frage in seinen Gedanken bekam er zwar keine Antwort, aber die Alte war ja eh nicht alleine hier und so gab es als potenzielle Informationsquellen weitere Anwesende. Darunter zwei Mönche, von denen sich einer neben einer Leiter positioniert hatte und neugierige Gäste dazu einladen wollte, einen Blick nach oben zu werfen. Und dabei hatte er ein ganz besonderes Lockmittel:

“Leute, die es bis ganz an die Spitze schaffen, erhalten eine exklusive Attacke!“, versprach er gerade als Chan näher kam. „Willst du dein Glück probieren, junger Mann?“

„Aber klar doch!“, entgegnete der Youtuber grinsend. „Und ich brauche kein Glück. Ich habe ein Feuer- und ein Flugpokémon dabei, die eure Knofensa fertig machen werden!“

Knofensa-Turm. Das hieß für ihn automatisch, dass hier wohl das rankenähnliche Pokémon angebetet und sicherlich auch im Kampf benutzt wurde. Was für ihn nur von Vorteil war, denn sowohl Tiramisu als auch Toffee sollten mit dieser Art Feind sehr gute Chancen haben. Das würde ein Kinderspiel werden! „Und dann fange ich mir auch gleich selbst eines!“

Sicherlich gab es die hier auch zu fangen und ein Pflanzen-Pokémon im Team wäre für die weitere Reise bestimmt nützlich. Zum Einen um den Zerschneider zu lernen und zum Anderen gegen diverse Wasserpokémon, gegen die Tiramisu auf Dauer nicht mehr standhalten würde. Immer schön den Typvorteil nutzen und jede Gelegenheit wahrnehmen, das Team durch Anhänger verschiedener Typen zu ergänzen. Dann würde er für alles gewappnet sein. Erst mal aber würde er hier ein wenig trainieren wenn sie es ihm ohnehin so leicht machten. Und die Attacke abstauben. Was das wohl für eine sein mochte?

Gedankenverloren kletterte Chan die Holzleiter herauf und blickte oben in das grinsende Gesicht eines Nebulak.

„Eh?“

Beinahe hätte er die Hand mitten in dem Gesicht des Geistpokémon platziert. So aber konnte er die Finger gerade noch rechtzeitig zurückziehen. Was dummerweise den Nachteil hatte, dass er so schnell keinen alternativen Halt mehr fand und mit einem „WOAH!“ abrutschte. Tiramisu, die hinter ihm die Leiter hinauf kletterte, machte sich ganz klein, um von dem fallenden Chan nicht mitgerissen zu werden.

„AAAAAAHHHH!!!!“, schrie der gerade noch und verlor mitten im Fall sämtliches Zeug aus seinem Beutel. Darunter den Pokéball seines Hoothoot Toffee, das hochmotiviert aus diesem erschien und sich mit einem „Yay! Ich darf kämpfen!“ über den versehentlichen Ruf zum Gefecht sichtlich freute.

Jene Freude währte nur kurz, denn der starre Blick des Nebulak bereitete ihm ein komisches Gefühl in der Magengegend und machte ihn schwummerig. Als hätte er nächtelang durchgemacht und jetzt erst bemerkt, wie müde er war, fiel Toffee prompt um und war noch vor dem Bodenkontakt tief und fest eingeschlafen.

Das Nebulak grinste über seine erfolgreiche Attacke nur noch mehr und schleckte Toffee fröhlich über die Wange. Noch nicht einmal das konnte den kleinen Vogel wieder aufwecken.

„So wird das nichts... Aaaargh…“

Wenn er Tiramisu oder ein anderes Pokémon ins Rennen schickte würde es wahrscheinlich ähnlich ablaufen. Was für eine fiese Taktik! Die sollte er sich merken! Fieberhaft überlegte er, was er alternativ machen könnte, und nutzte dann nach der Erkenntnis „Dann fange ich es eben gleich!“ die Ablenkung des Nebulak aus um einen Ball zu werfen.

Obwohl es nicht geschwächt worden war blieb es brav im Ball, doch es brauchte ja noch einen Namen! Chan flüsterte diesen leise und als Oreo seine menschliche Gestalt inmitten des altbekannten Lichtblitzes annahm und Tiramisu beschämt einen hochroten Kopf abwandte, musste der Trainer einmal mehr feststellen:

“Vielleicht sollte ich den Pokémon erst Klamotten geben und sie danach fangen…“

Oreo machte das wohl nichts aus, denn der grinste schon wieder und präsentierte sich mit stolz in die Hüfte gestemmten Armen ungehemmt in seiner ganzen Pracht.

Kopfschüttelnd ließ Chan ihn besser wieder in seinem Ball verschwinden.

Das war’s dann wohl mit Knofensa, aber ein Nebulak mit Geist- und Giftattacken war vielleicht auch nicht so übel. So konnte er sich jetzt wenigstens auf das Training und vor allem die Kämpfe gegen die Mönche konzentrieren, die noch folgen sollten.

Tiramisu hatte wie erwartet mit ihrer Glutattacke leichtes Spiel mit den zierlichen Pflanzengegnern und auch Mööh und der ständig einschlafende Toffee trugen ihren Teil dazu bei, dass Chan irgendwann auch die letzte Leiter nach oben erklimmen konnte.

Von dort kam ihm bereits ein Schwall an Beschimpfungen und Fluchen entgegen.

Nicht diese Wörter waren es, jedoch aber die Stimme, die Chan verriet, wen er dort erwarten würde.
 

Der junge Mann schien in ein hitziges Gespräch mit einem der Mönche vertieft und schimpfte vor sich hin. Jener Mönch versuchte wohl, ihn zu beruhigen und ihm einen guten Rat mit auf den Weg zu geben: „Du solltest deine Pokémon besser behandeln… Deine Gründe in allen Ehren… Aber du kämpfst einfach zu verbissen.“, erreichte damit scheinbar aber eher das genaue Gegenteil von der gewünschten Reaktion.

„Für mich zähle nur Pokémon, die starke Siegertypen sind.“, fauchte Tense zurück und übertönte in der Lautstärke den älteren Mann. „Alle anderen Pokémon interessieren mich einen feuchten Kehricht! Ich mach das alles hier ja auch nicht nur zum Spaß!“

„Tense…!“

Mit dem doch recht überraschten Ruf lenkte er den Angesprochenen wohl ab, aber der warf ihm nur einen geringschätzigen Blick zu.

„Chan…“

War das hier die Möglichkeit, endlich mit ihm zu reden, was der ganze Mist sollte? Schließlich war ja jetzt sogar die Polizei hinter Tense her. Doch während Chan noch überlegte, mit was er anfangen sollte, war der Andere bereits beim Fenster und ergriff ein Fluchtseil. Der wollte doch nicht…

„Warte, Tense!“, versuchte Chan, seinen – eigentlich – besten Freund aufzuhalten. „Verrate mir wenigstens, was du vorhast!“

Der Mönch hatte doch gerade eben noch etwas von Gründen gesagt und auch Tense’ Worte ließen vermuten, dass er irgendetwas mit alledem im Schilde führte. Nur was? „Und warum du so komisch drauf bist!“ Normal war der nicht. Tense sollte es ihm erklären! Doch der schnaubte nur und stieß sich mit dem Fuß vom Fensterbrett, auf das er geklettert war, ab, noch ehe Chan ein „HE!“ von sich geben und ihm nachstürmen konnte.

„Nichts für ungut, aber für einen Schwächling wie dich habe ich gerade keine Zeit.“, entgegnete Tense trocken anstelle einer vernünftigen Antwort und war mit Schwung außer Reichweite. „Komm sofort zurück!!!“ Verdammt!

„Tense, du bist so ein Arsch!!“

Und weg war er auch. So eine verfluchte Scheiße! Das regte ihn jetzt aber wirklich auf!

„Die armen Pokémon…“, wisperte der Mönch hinter ihm während Chan noch drauf und dran war, auf das unschuldige Fensterbrett einzuprügeln um sich irgendwie abzureagieren.

„Du da. Junge.“, forderte er dessen Aufmerksamkeit ein als habe er sein Vorhaben durchschaut. Die alten, doch weisen Augen betrachteten den jungen Mann mit den dunklen Haaren und der blonden Strähne. Er kannte diesen „Tense“ wohl. Ob das der Junge war, den dieser gemeint hatte? Er sah anders aus als der Mönch es erwartet hätte. Normal. Auf eine gewisse Art war es gerade diese Normalität, die den Anblick merkwürdig machte. Vielleicht war es noch nicht zu spät…

„Was?“, wollte Chan wissen, mehr verwundert als verärgert über die an ihn gerichteten Worte.

Der Mönch würde sich vergewissern müssen.

„Kämpf gegen mich.“, forderte er von dem deutlich jüngeren Mann und schickte sein Knofensa und sein Hoothoot bereits in besagten Kampf.

„Kein Problem!“ Chan hatte gegen beide einen Typvorteil und so war seine Auswahl recht schnell klar, ebenso die Festlegung der jeweiligen Gegner: „Domino, kümmer du dich um den Vogel! Und du, Tiramisu, erledig’ die Pflanze!“

Tiramisu, die den Level des Knofensa um beinahe das Doppelte überstieg, hatte mit ihrem Gegenpart leichtes Spiel und mit einer einzigen Glut „Gewonnen!“

„Hä?“, wunderte sich Chan dennoch. Nicht darüber, aber über „Domino?“

Na gut, bei Domino und dem Hoothoot war der Levelunterschied genau entgegen gesetzt zu dem von Tiramisu und Knofensa, aber mit seiner Verteidigung als Gesteinpokémon sollte Domino eigentlich dennoch etwas reißen können. Der Vogel stürzte sich mit blitzendem Schnabel auf ihn, aber das Kleinstein rührte sich kein Stück. „Domino!!!“, brüllte Chan lauter.

War der taub? „Beweg’ dich doch endlich! Komm schon!“

Gute Verteidigung war das eine. Sich von einer Attacke treffen zu lassen weil man nicht auswich, eine andere. Doch bis sich Domino regte drängte sich Tiramisu schon dazwischen und versetzte dem Hoothoot mit einem Kinnhaken den K.O.-Schlag. „HA!!“

Und nun zu Chan, denn dem hatte sie durchaus auch etwas zu sagen. Mit den Händen auf Domino’s Schultern schob sie diesen zu seinem Trainer zurück.

„Chaaan! Domino ist doch aus Porzellan! Wie soll er denn kämpfen?“, erinnerte sie ihn mit jammerndem Unterton an etwas, was er die ganze Zeit über nicht bedacht hatte. „Stimmt ja…“ Kein Wunder, dass er Domino, wann immer er ihn während des Trainings einwechselte, sofort wieder auswechseln musste… Das hätte mal böse ins Auge gehen können!

Der taktische Fehlschlag schien den Mönch, der seine besiegten Pokémon zurückrief damit sie sich ausruhen konnten, jedoch nicht wirklich zu interessieren, denn der erkannte mit einem „Ah, sehr gut.“ den Sieg seines Gegners an.

„Mit deinem Kampfstil brauchst du dich nicht einmal vor Meister Falk zu verstecken. Hier, nimm diese TM. Das ist die TM Blitz. Damit kannst du jeden noch so dunklen Ort erhellen. Praktisch, oder? Zumindest, wenn du ein Pokémon hast, das diese TM erlernen kann.“

Der Mönch weiter unten hatte es ja bereits versprochen, dass es eine TM zu ergattern gab. Ganz schöner Betrug, dass es ausgerechnet so eine war. Chan winkte mit einem gezwungenen Lächeln ab. Die TM war doch total nutzlos! Und dafür war er jetzt extra hier hinauf geklettert?

„Ähm… ist schon gut.“, versuchte er, sich vor der Annahme des unnötigen Geschenks zu drücken und suchte eilig nach einem guten Grund: „Hauptsache, wir konnten noch ein bisschen für die Pokémon-Arena hier trainieren.“

Als wolle sie ihn bei seinen Lügen – wobei das ja nicht ganz gelogen war sondern er einfach nur seine wahren Gedanken für sich behielt – unterstützen gähnte Tiramisu gerade und sorgte dafür, dass Chan dem Gespräch ein schnelles Ende machen konnte:

“Wir machen uns mal wieder auf den Weg. Ist schon spät und morgen wartet langes Training.“

„Ich bin auch schon ganz schön müde…“, bekräftigte Tiramisu ihren Trainer und tappste diesem schläfrig hinterher nachdem er sich von dem Mönch verabschiedet hatte.

Und der Mönch, der völlig auf die Weitergabe der versprochenen TM fixiert war, hatte prompt den ursprünglichen Grund für seinen Kampf mit Chan vergessen. Der fiel ihm erst ein, als der Trainer längst auf dem Weg ins Pokémon-Center und auf der Suche nach einem Schlafplatz war.

„Oh, Mist!!! Jetzt habe ich ihn gar nicht gewarnt…!!“

Der junge Mann, Tense, hatte ihm doch eindringlich seine Gründe dargelegt, und er hatte es total verbockt, diese Chan mitzuteilen. Dabei betrafen sie ihn doch!

„Äääähm… Ach, wird schon schief gehen…“, hoffte er dann.

Er war ja auch nicht mehr der Jüngste und es war zu anstrengend, hinunter zu klettern und den jungen Burschen zu suchen. Außerdem hatte der ja eh gesagt, er würde morgen noch einmal trainieren gehen. Mit ausreichend Training würde er es bestimmt schaffen und dann würde es gar nicht nötig sein, ihm die eigenen Bedenken mitzuteilen…
 

Die Ausrede mit dem Training war auch durchaus ernst gemeint gewesen, wie die verschlafenen und hungrigen Meerschweinchen am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe feststellen mussten. Sie waren noch nicht einmal ganz wach und dann nervte sie schon ein hochmotivierter und brüllender Chan:

“Auuufwaaacheeen!!“, schrie er mit erstaunlicher Ausdauer. „Jetzt wird trainiert, ihr Müffelstücke! Unser Ziel ist die Arena!“

Tiramisu und Mööh wirkten verwirrt und angewidert über die abrupte Störung ihres Schlafes. Sie hatten doch gestern erst so viel trainiert, warum denn jetzt schon wieder?

Das galt zwar auch für Toffee, aber für den fielen die frühen Morgenstunden vielleicht noch in seine nachtaktive Zeit, so dass er als Einziger einigermaßen fit wirkte und sich nur darüber wunderte, dass Mööh gerade noch keine Brille trug. Hatte ja schließlich noch nicht einmal die Zeit gehabt, sich diese aufzusetzen. Was vielleicht auch mit ein Grund für die verärgerte Miene war.

Auch Oreo schien nicht begeistert, gähnte gerade noch herzhaft und murrte dann über die Ansprache „Müffelstücke“. Ging’s noch mit dem Kerl?

Und Domino? Domino war Domino. Ein Meerschweinchen aus Porzellan, das nicht sprechen konnte. Aber irgendwie trotzdem einen ähnlichen Eindruck vermittelte wie die anderen Schlafmützen.

Trotzdem drängte Chan zur Eile. Frühstücken konnten die Meerschweinchen nach der Arbeit immer noch. Quasi als Belohnung und zur Stärkung vor der Arena, in der er hauptsächlich auf Mööh und Domino setzte. Wenn er Letzteren auf irgendeines der wilden Pokémon warf machte er wenigstens auch etwas Schaden. Und das war nötig, denn letztlich waren es Oreo und Domino, die am meisten von dem Training profitierten und von ihrem niedrigen Level herunter kamen.

„Yeah! Das sollte reichen!“, verkündete Chan sehr viel später das Ende des Trainings.

Er war zufrieden mit dem Ergebnis. Drei Pokémon befanden sich im zweistelligen Bereich, Mööh war knapp drunter. Nur Toffee würde noch ein wenig Training benötigen, aber der hatte eine gute Fähigkeit für die bevorstehenden Kämpfe und würde sich gegen geflügelte Artgenossen trotzdem behaupten können.

Es war ohnehin an der Zeit, die Früchte ihres Trainings zu erproben.

Nach einer Stärkung in Form von saftig-frischem Gemüse war es auch so weit und Chan verkündete die Teamaufstellung, die er sich für die Arena überlegt hatte:

“Ihr drei dürft die Arena rocken! Mööh und Toffee machen die Vorkämpfe und Domino kümmert sich dann um den Arenaleiter!“

„Jupp. Das schaffen wir schon.“, erwiderte Toffee zuversichtlich.

Auch Mööh war einverstanden, auch wenn er dies mit einem grummeligen „Kinderspiel…“ äußerte und eher vermuten ließ, dass er die ganze Aktion für unter seiner Würde empfand.

„Prima.“

Chan wartete Domino’s Antwort nicht ab, denn bis da eine kommen würde, wäre er längst in Rente, wenn nicht sogar gestorben. Also ging er einfach mal von Einverständnis aus. Der Kleine konnte ja ohnehin nichts dagegen machen, dass er in Richtung Arena mitgeschleift wurde. Auf zum Kampf!
 

„Wow, du bist doch Chan von AWP!“, kreischte ihm direkt beim Betreten des Ziels schon wieder eine Stimme entgegen. „Ich kann dir jede Menge Tipps geben!“

Danke, seine Strategie stand schon, und er hatte gerade nun wirklich nicht die Zeit, sich mit irgendwelchen aufdringlichen Fans zu beschäftigen. Schließlich wollte er gegen den Arenaleiter antreten, aber außer Guido befand sich hier irgendwie niemand…?

“Um zu Falk zu kommen, musst du dich auf diesen Knopf stellen!“

Ach so? Okay, dann waren die Tipps vielleicht doch ganz hilfreich. Zumal der Kerl ihm sogar ganz genau die Stelle anzeigte, auf die er sich stellen sollte. Der Knopf war ganz schön groß.

„Aha, und dann…?“

Chan näherte sich dem Knopf. Um sich nicht extra bücken zu müssen trat er einfach mit dem Fuß darauf. War doch bestimmt egal, womit man drückte…

„Woah!!!“

Besser wär’s gewesen, wenn er sich gebückt hätte. So hätte er vermieden, dass er durch die Schwerkraft nach unten gezogen wurde als der gedrückte Knopf einen Mechanismus in Gang setzte, der ihn, einen sich an ihm festklammernden erschrockenen Toffee und einen verächtlich „Pussy.“ murmelnden Mööh nach oben beförderte. Das Ding drehte sich auch noch, da wurde einem ja schlecht!

Noch dazu musste sich Chan oben erst einmal wieder neu orientieren, wo er jetzt eigentlich war. Überall waren Balken. Wow, das weckte Vertrauen. Wenn er da herunter fiel brach er sich garantiert irgendetwas! Sehr zögerlich krabbelte Chan auf allen Vieren über den ersten Balken und sah sich bereits den beiden Vortrainern, Leo und Klaus, gegenüber.

„Ganz schön hoch, was? Das Training hier oben festigt das Band zu unseren Vogel-Pokémon. Wollen wir doch mal sehen, ob du Falk gewachsen bist.“, begrüßte ihn Leo.

Ob er Falk gewachsen war? Die Frage war wohl eher, ob er diesen überhaupt lebend und ohne Knochenbrüche und Schrammen erreichen würde! Und was hatte Klaus zu sagen?

„Wir trainieren hier Tag und Nacht, um die stärksten Vogel-Pokémon heranzuziehen. Zeige doch mal, was du so drauf hast.“

Nichts leichter als das. Mit dem Sandwirbel-spammenden Taubsi von Klaus wurde Toffee spielend leicht fertig weil der gegnerische Trainer irgendwie nicht kapierte, dass das Hoothoot über die Fähigkeit Adlerauge verfügte, die es unmöglich machte, seine Genauigkeit zu senken. Und da Klaus genau dies Runde für Runde versuchte, hatte es Toffee sehr leicht, in der Zwischenzeit das Taubsi mit mehreren Tackle auszuschalten.

Schwieriger war es für Mööh, der mit einem Schnabel attackiert wurde und als kleines Rattfratz nicht in der Lage war, dem Vogel in die Luft zu folgen. Also entschied sich Chan, sein Ass im Ärmel früher einzusetzen, und warf deshalb Domino auf das gegnerische Pokémon. Er warnte ja sogar Mööh, sich zu ducken, aber bei dessen langsamer Reaktionszeit fiel Domino auf Beide. Das Gewicht des Porzellanschweins und des erwachsenen Männchens war zu viel für den kleinen Vogel, der darunter begraben wurde.

Wäre er nicht bereits k.o., so hätte wahrscheinlich der noch wütender werdende Mööh dem Vogel den Rest gegeben. So musste sich der Brillenträger damit begnügen, darüber zu fantasieren, auf welche Art er Chan für diese blöde Aktion umbringen sollte, und legte einen stummen Eid darüber ab. Da besänftigte es ihn auch nicht wirklich, dass Chan ihn und Toffee zurückrief.

„Super gemacht. Gönnt euch ’ne Pause, ihr zwei.“, lobte er sie dabei. So, und wo war nun Falk?

„Du hast mich gerufen?“

Chan wandte seinen Kopf in die Richtung um aus der – wie er glaubte – die Stimme des jungen Arenaleiters kam. „Falk?“

Den Kerl hätte er eher in eine Arena mit Wasser- oder Eispokémon gesetzt, denn mit seinen blauen Haaren und der gleichfarbigen Kleidung wirkte der nicht gerade wie ein Trainer von Flugpokémon. Irgendwie passte er aber dennoch hierher, denn seine Robe ähnelte gar ein wenig der von den Mönchen. Zufall? Chan wusste es nicht. Was er aber wusste, war die Tatsache, dass man sich ohnehin nie auf den äußeren Schein verlassen sollte. Falk wirkte siegessicher. „Ja. Ich bin Falk, der Arenaleiter von Viola City. Viele Leute sagen, mit Elektro-Attacken kann man Pokémon vom Typ Flug ganz leicht die Flügel stutzen und machen sich so über mich lustig. Das kann ich so nicht stehen lassen!“

Wer hatte ihn denn danach gefragt? Und war der Typ irgendwie nicht ganz helle, dass er ihm den Schwachpunkt seines Typs verriet? Als ob er das nicht bereits wüsste. Ebenso wie er wusste, dass er kein Pokémon hatte, das Attacken dieses Typs beherrschte oder diesem gar angehörte. Brauchte er ja auch nicht. Genauso wenig wie Falk’s praktische Demonstration seiner weiteren Worte.

„Wenn du erst einmal siehst, wie anmutig meine Flug-Pokémon durch die Lüfte gleiten, weißt du, was wahre Größe ist!“

Pah.

„Du hast doch bestimmt eh keine Pokémon vom Typ Elektro dabei!“

Noch mehr Pah. Auch wenn er Recht hatte. Und sich damit wohl ein bisschen über ihn lustig machen wollte, aber Chan würde auf diese Provokation nicht hereinfallen und entgegnete nur mit einem Grinsen und belehrend erhobenem Zeigefinger: „Brauche ich auch nicht. Ich habe schließlich Domino. Guck!“

Los geht’s. Mit seinem aktuellen Level war Domino auch stärker als Falk’s Taubsi, das den Kampf eröffnete. Chan holte Schwung und warf sein Kleinstein auf das gegnerische Pokémon. Ziemlich treffsicher und mit hoher Durchschlagskraft, denn der Vogel war prompt k.o., aber auch Domino bekam etwas davon ab.

„Argh!“, machte Chan als er etwas bemerkte, was ihm nicht so ganz gefallen mochte. „Er geht kaputt!?“

Wohl wahr. Domino’s linker Arm löste sich bröckchenweise von seinem Körper ab. Da hatte er wohl zu fest geworfen! Oh weia!

Das dachte sich auch Falk, der sich gezwungen war, sein deutlich besser trainiertes Tauboga in den Kampf zu schicken obwohl er sich vor den Gesteinsattacken Domino’s durchaus fürchten musste. Ha, daran hatte der wohl nicht gedacht, als er sich so auf Elektro-Pokémon fixiert hatte und dabei völlig außer Acht ließ, dass Vögel derartige Gestein-Attacken auch nicht besonders gut wegstecken konnten.

Da half es dem Tauboga auch nichts mehr, dass es zwei Level höher war als Domino. Es fand trotzdem dasselbe Ende wie sein kleinerer Artgenosse, kostete das Kleinstein aber auch die Unversehrtheit seines rechten Armes.

„Na hoppla.“, gab Chan summend von sich und war insgeheim doch recht froh, dass es nur die Arme waren, die sich bröckelnd vom Rest lösten. Sobald er den Orden hatte würde er einfach ins Pokémon-Center laufen damit sie Domino dort wieder zusammen klebten, und dann würde er Viola City den Rücken kehren. Hier gab es nichts mehr zu erledigen.

„Ich habe gewonnen. Den Orden, bitteschön!“, forderte er mit ausgestreckter Hand von Falk, der ihm seufzend den Flügelorden reichte und ihm außerdem die TM Ruheort schenkte.

Das war mal eine TM nach seinem Geschmack. Die konnte man gebrauchen.

Chan lächelte stolz. „Dann mal wieder ab nach unten…!“

Dort erwartete ihn bereits wieder Guido, der ihm zu seinem Sieg gratulieren wollte, aber erst einmal „Äääh…“end auf Chan’s Allerwertesten starrte weil der mit dem Mechanismus nicht zurechtkam und sich wie ein fiepsendes Meerschweinchen am Boden festklammerte. Und sich in dem Unwissen, wie er unten ankommen würde, einfach irgendwie festhielt, so dass nicht sein Gesicht dem Ausgang präsentiert wurde sondern sein Po.

„Herzlichen Glückwunsch zum Sieg!...!? Draußen wartet schon jemand auf dich. Er sagte, Professor Lind hätte ihn geschickt.“, versuchte Guido die Situation wohl irgendwie zu retten. „Und, dass er im Pokémon-Supermarkt auf dich wartet!“ Überaus interessante Pose, das musste er zugeben. Würde er garantiert nicht einnehmen wollen.

„O-ok…!“, japste Chan mühsam und war noch viel zu verwirrt um sich darüber zu ärgern, dass ihm hier wahrscheinlich gleich wieder jemand Arbeit aufdrücken wollte. Sollte er noch mal zu irgendwem vorbeischauen und die Drecksarbeit für den Professor erledigen? Oder was war es diesmal?

Die Antwort würde wohl im Supermarkt auf ihn warten und da sollte es als Nächstes hingehen. So viel dazu, dass es hier nichts mehr zu erledigen gab.
 

„Ah, Chan! Lange nicht gesehen!“, begrüßte ihn der Gehilfe, den er anhand seiner Brille und seines Kittels auch ohne diesen Ruf sicherlich schnell erkannt hätte.

„Ich wollte dir nur das Ei geben, damit du es für Professor Lind trainieren kannst. Würdest du?“

… Hä? Das Ei „trainieren“? Wie sollte das denn gehen?

„Öhm… äääh… Keine Ahn- … äh, ich meine, wir erforschen es noch!“, stotterte der Gehilfe als er Chan’s skeptischen Gesichtsausdruck bemerkte, in dem sich diese Frage wohl offensichtlich widerspiegelte. „Herumlaufen? Warm halten??“, schlug er dann vor um nicht als komplett inkompetent zu gelten.

„Klar doch…“, nahm Chan den Auftrag an, wenn auch etwas widerspenstig und sich innerlich fragend, ob der Professor und sein Gehilfe eigentlich überhaupt irgendetwas hinbekamen?

Er hatte noch nicht einmal ausgesprochen, da wurde ihm das Ei auch schon in die Hand gedrückt. Mann, war das schwer geworden… nichts im Vergleich zu dem Moment, in dem sie es von Mr. Pokémon bekommen hatten. Gut, es war seitdem auch eine Weile vergangen. Er war nach Neuborkia zurückgekehrt, hatte auf dem Weg Tense getroffen, war verhaftet worden und dann an Rosalia City vorbei bis hierher nach Viola City gelaufen. Da war auch das „Lange nicht gesehen!“ von eben gar nicht mal so abwegig. Das Pokémon im Inneren des Eis hatte scheinbar auch viel Zeit gehabt, zu wachsen. Sicher dauerte es nicht mehr lange, bis es schlüpfen würde. Und der Gehilfe hatte ihm ja wenigstens ein paar Tipps gegeben, was er machen könnte, um diesen Vorgang zu beschleunigen. Aber nicht hier drin, weswegen Chan mit dem Ei im Arm den Supermarkt verließ und vor der Tür beinahe mit einer Frau im Kimono zusammen stieß.

„Dieses Ei… hohoho!“, machte diese keineswegs beeindruckt oder verunsichert über den knapp entkommenen Zusammenstoß.

„Hä? Was soll damit sein??“ Was zum…?! Was wollte die denn?

Die Fremde senkte ihren Blick, den der geheimnisvoll das Gesicht abschirmende Fächer nicht so ganz verbergen mochte, auf das Ei in seinem Arm.

„Ich verstehe.“, sprach sie weiter. „Mr. Pokémon hat es also Professor Lind geschickt und dieser gab es dann an Euch weiter…“

Konnte die Gedanken lesen? Chan runzelte die Stirn.

„Das ist ein wirklich kostbares Ei. Zieht es bitte mit viel Hingabe auf.“

Hallo, war er hier etwa die Mutterhenne oder was?

Er öffnete die Lippen, wollte sich wohl darüber beschweren, aber da fauchte die Fremde ihn auf einmal aus nächster Nähe und mit deutlich gehobener Lautstärke an wie ein Halbstarker: „Verstehen wir uns?!“

Wow, ging’s noch? Die war ja gruselig!

Chan nickte eilig und machte sich dann lieber mal davon bevor die in ihrer gespaltenen Persönlichkeit noch seltsamer, möglicherweise sogar gefährlich, wurde.

Indem er von einem Eck der Stadt ins andere flitzte setzte er damit sogar automatisch den Tipp des Gehilfen um, dass er mit dem Ei herumlaufen sollte. Auch wenn er sich dabei ziemlich dämlich vorkam und auch skeptische Blicke anderer Passanten erntete, die sich wahrscheinlich auch fragten ob er noch alle Tassen im Schrank hatte.

„Irgendwie bringt das nichts…!?“, meinte Chan nach einer Weile festzustellen. Das Ei wackelte in seinen Armen, aber das konnte an der Bewegung liegen oder schlichtweg Einbildung sein. Aber der Gehilfe hatte doch noch irgendetwas gesagt. Was war das gleich gewesen? Er sollte das Ei warm halten? Wenn er sich da drauf schmiss ging das höchstens kaputt und das Pokémon in ihm auch! Dafür gab es aber andere, die diesen Job erledigen könnten.

„Los, ihr Müffelstücke!“, rief er seine Pokémon zu Hilfe und forderte sie auf: „Kommt alle raus aus euren Bällen und kuschelt, bis es schlüpft!“

Dass er da nicht früher darauf gekommen war!

Schon etwas später hörte er aus einem Knäuel verschiedener Meerschweinchen eine gedämpfte Stimme rufen: „H… hey! Was soll das?“

„Ah, es hat geklappt!“

Eine weibliche Stimme, die garantiert nicht Tiramisu gehörte. Nein, es war das Langhaar-Meerschweinchen Petit Four, die soeben aus ihrem Ei geschlüpft war und sich eilig in ein langes zartrosa Kleid hüllte. „Schämt ihr euch nicht, eine Prinzessin so zu behandeln? Pah!“, beschwerte sie sich prompt, dass man sie nicht gebührend in Empfang nahm, indem man beispielsweise den roten Teppich vor ihr ausrollte, oder ihr huldigte wie irgendeiner ultrawichtigen Gottheit.

„Prinzessin? Bitte? Sonst geht’s dir aber gut…?“

Was hatte er sich da denn schon wieder angetan? Er hätte sich doch selbst auf das Ei schmeißen sollen. Oder es in irgendeinem Gebüsch verstecken, damit es ein ahnungsloser Passant fand und dieses zickige Meerschweinchen selbst an der Backe hatte.

„Aber okay… meinetwegen. Ich hab’ keine Zeit, mit dir zu diskutieren.“, gab Chan dann aber doch lieber nach und wich so einer Endlosdiskussion mit der eingebildeten Schnepfe aus. Er hatte schließlich Wichtigeres zu tun: „Die Route 32 wartet auf uns. Auf der 36er soll zumindest angeblich irgendein komischer Baum den Weg versperren… da geht’s wohl nicht weiter.“

Leider. Aber irgendetwas war wohl an der Geschichte mit diesem Baum dran, denn wann immer er von Passanten Worte aufschnappte hatten sie irgendetwas mit diesem zu tun. Immerhin führten mehrere Wege nach Rom und so stand auch für ihn mit seinem mittlerweile kompletten Team eine alternative Route bereit. Ob nun Route 36 oder 32 war da doch egal. Über letztere würde er früher oder später in Azalea City landen, das war auch nicht schlecht. Und je länger sie unterwegs waren umso mehr Möglichkeiten hatten sie, weitere Pokémon für das Team zu fangen. Also klemmte sich Chan munter den wehrlosen Domino unter den Arm.

„Komm, Domino, fangen wir uns noch ein Teammitglied für die Box! Für Notfälle…!“

Man konnte ja nie wissen! Und Domino war ihm eine liebe Begleitung, denn der redete wenigstens nicht so viel wie die anderen Müffelstücke – beziehungsweise gar nicht.
 

Nur wenige Schritte dauerte es, da ertönte aus dem hohen Gras ein „Määäh!!“ und er warf reflexartig Domino auf die Ursache des Geräusches.

„WAAAAAH!!! Wer oder was ist daaa?!?“

Ein wildes Pokémon? Egal, er warf einfach mal erschrocken ein paar Kleidungsstücke hinterher. Ein weinerliches „Mwäääh!!“ verriet ihm, dass Domino getroffen hatte und bei dem kleinen flauschigen Voltilamm scheinbar auch für eine Beule und Kopfschmerzen sorgte.

„Autsch, das tat weh.“, jammerte Bananacolada aufgrund der unsanften Behandlung und sah Chan vorwurfsvoll an. „Ich verlange eine Entschädigung.“

Der wurde recht kleinlaut und versuchte, sich zu entschuldigen.

„S-sorry, hab mich nur total erschreckt. D-dann… äh… hast du ’nen Wunsch frei? Oder so ähnlich? Ich nehm dich auch anstelle von Oreo mit…?“

Das war ein Voltilamm! Mit dem wollte er es sich nicht verscherzen! Das war ein Pokémon mit Elektroattacken und definitiv eine Kandidatin für das spätere Stammteam! Bedrückt starrte er auf den Boden. Das war ein bisschen blöd gelaufen, kein guter Start für eine hoffentlich lange Zusammenarbeit.

„Ich werde mir etwas überlegen.“

Ja? Da fiel ihm aber ein Stein von Herzen. Zu seinem Glück entging Chan durch den abgewandten Blick seines neuen Teammitglieds dessen teuflisches Grinsen, das ihn seine Worte prompt hätte bereuen lassen. Was auch immer sich Bananacolada als Gegenleistung ausmalte konnte nichts Gutes sein! Jedenfalls nicht für ihn.

Aus irgendeinem Grund fröstelte es Chan. Doch als er selbst auf die Idee kam, dass es vielleicht an dem Voltilamm liegen könnte, und sich deshalb nach ihr umsah, strahlte die ihn an wie die Verkörperung eines Sonnenstrahls. Ein breites Grinsen zierte ihre Lippen.

„Ist was?“, fragte sie ihn mit zuckersüßer Stimme.

Da hatte er sich wohl geirrt…

„Äh…ja? Nein…“, erwiderte Chan, unsicher, was er davon halten sollte. Hatte er sich das wirklich nur eingebildet? „Wie auch immer. Ist egal…“, versuchte er sich vor der Antwort zu drücken. Besser wär’s, wenn er sie sich nicht unnötig zum Feind machte indem er ihr irgendetwas unterstellte. Das Gegenteil wäre wohl angebrachter. Nicht zum Feind, sondern zu einer starken Verbündeten. Und statt Misstrauen sollte er ihr wohl eher Vertrauen entgegen bringen.

„Dann zeig mal, was du so drauf hast! Der Typ da wird deine Bewährungsprobe.“

Mit einem Nicken deutete er in Richtung der fortlaufenden Route 32. Etwas entfernt stand der Junge, den Chan wohl mit „Der da“ gemeint hatte. Und „Der da“ hatte seine Worte wohl genauso gehört wie die optimistisch grinsende Bananacolada.

„MANN!!!! Ich heiße Niels!! Und nicht „Der Typ da“!“, fauchte er ihnen entgegen als sie sich ihm näherten um ihn zum Kampf herauszufordern.

Auch wenn es besser gewesen wäre, es nicht zu tun.

Chan hätte es sein lassen sollen.

Denn mit diesem Kampf sollte das Unvermeidliche seinen Anfang nehmen.

Ob ihm das jemals verziehen werden konnte?

Verluste ( Teil 1 / 2 )

Der Gegner – Niels – war ein junger Teenager mit einem kleinen Rattfratz, das es sich auf seiner Schulter gemütlich gemacht hatte.

„Ah, ein neues Gesicht! Du hältst dich also für stark?“, klopfte er dennoch große Sprüche in Chan’s Richtung. Pah! Der sollte sich mal vorsehen, der Knirps! Schließlich hatte Chan Bananacolada an seiner Seite, die siegessicher grinste und vor sich hin knisterte.

„Los, Bananacolada.“, schickte der Dunkelhaarige sein neues Pokémon schnaubend in den Kampf. „Du bist doch bestimmt besser als so eine Ratte…“

Immerhin war sie ein Voltilamm und lilafarbene Ratten waren seinem Team nun schon einige Male zum Opfer gefallen.

Umso erstaunlicher war es, dass Bananacolada quiekend den ersten Treffer kassierte weil ihr das Rattfratz bei seinem Tackle mitten ins Gesicht sprang. Weinerlich verzog sie das Gesicht und sogleich rollten dicke Tränen über ihre Wangen, kaum dass die Ratte den Blick auf ihr Antlitz wieder frei gegeben hatte.

Mit jämmerlichem Schniefen sank Bananacolada in die Knie und so fielen die Tränen trommelnd in das Gras. Ihr Gegner fiepte besorgt und kam mit zögerlichen Schritten näher. Kaum kam es in ihre Reichweite grinste Bananacolada unter dem tränenüberströmten Gesicht und klopfte dem Rattfratz mit der linken Faust auf den Kopf.

„Äääätsch!“, stieß sie triumphierend aus und erhob sich sogleich als wäre nie etwas gewesen. „Reingelegt! Dummes Vieh!“

Sie streckte ihrem Gegner frech die Zunge heraus.

Der sollte sich nur mal nicht mit einer der Banana-Sisters anlegen!

Das deutlich kleinere Tier fauchte und setzte offensichtlich wütend über diese miese Taktik zu einem erneuten Sprungangriff in Richtung ihres Gesichts an. Bananacolada holte in diesem Moment gerade erst aus und erwischte die Ratte nicht mehr rechtzeitig. Diese krallte sich an ihr fest. Und doch war es mehr dem Schwung zu verdanken, dass Bananacolada das Gleichgewicht verlor und rückwärts stolperte. Ein lautes BAMM folgte als sie mit dem Hinterkopf gegen einen nahen Baumstamm stieß.

Autsch!

Das dachte sich auch Chan, der im ersten Moment gar nicht hinsehen konnte sondern die Augen mit seiner Hand abschirmte. Das hatte ganz schön gekracht! Da bekam man ja schon vom Hinsehen Kopfschmerzen, wie musste es dann erst dem Meerschweinchen gehen?

„Tackle, Bananacolada!“, wies er das Voltilamm an damit sich dieses für den Volltreffer des Rattfratz rächte.

Doch es blieb still hinter ihm, wo die beiden Pokémon gelandet waren.

Chan runzelte sekundenlang die Stirn, wandte dann den Blick um.

„… Bananacolada?“

Er bekam keine Antwort.

Das Rattfratz hatte die Krallen aus Bananacolada’s Gesicht gelöst und war zu seinem Trainer zurückgekehrt. Sie folgte ihm nicht. Denn das würde sie nicht mehr tun können, wo doch nicht einmal mehr genug Leben in ihr war um das Abrutschen an dem Baumstamm zu verhindern. Ihre Augen blickten leer geradeaus.
 

Und der Anblick ließ bei Chan die Sicherung durchbrennen.

„Mööh!“, schrie er und griff nach dem Pokéball seines eigenen Rattfratz. Der Feind gehörte zwar dem männlichen Geschlecht an und man hatte bereits gesehen, welche Folgen Mööh’s Einsatz unter diesen Bedingungen hatte, aber es war Chan egal. „Töte es! TÖTE ES!!“

Der Angesprochene reagierte prompt, erwischte das Rattfratz am Hals und tat mit ihm das Gleiche, was das Rattfratz Bananacolada angetan hatte. Krachend donnerte der Hinterkopf der kleinen empfindlichen Ratte gegen den harten Stamm und es knackte bedrohlich unter dem lilafarbenen Fell.

Nun war auch der Trainer schockiert und reagierte.

“Oh nein! Rattfratz, komm zurück!“, rief er seine Ratte zurück in den Ball und schickte dafür sein anderes Pokémon in den Kampf: „Und los, Zubat!“

Kreischend tauchte die Fledermaus auf, spürte allerdings bereits im nächsten Moment fixierende Finger an seinem Kopf. Diese gehörten Tiramisu, die nicht gerade wenig Druck ausübte und es wohl nur noch einem kleinen Rest Verstand zu verdanken war, dass sie den Kopf nicht in ihrem Griff zerquetschte. Ihrem Blick nach zu urteilen reagierte sie instinktiv. Und sehr, sehr wütend über den Verlust einer Mitstreiterin, die gerade erst ins Team gekommen war und sich noch nicht einmal hatte beweisen können.

Der Teenager sah sich prompt mit den beiden wutentbrannt grummelnden Meerschweinchen konfrontiert, die sich in ihrer menschlichen Form vor ihm aufbauten und ziemlich bedrohlich auf den Kleineren wirkten. Da fiel ihm auch kaum etwas ein womit er sie vielleicht beschwichtigen könnte, außer: „W… was geht mit euch ab!? Bring’ das Voltilamm doch einfach ins Pokémon-Center und lass es heilen!?“

Das war doch kein Grund, so durchzudrehen!

Aber genau das taten sie. Und das nicht nur die Meerschweinchen sondern allen voran auch deren Trainer, der schreiend den Teenager am Kragen packte und schüttelte. „WIE BITTE?!“

Für Niels wäre es wohl besser wenn Chan sich verhört hätte.

„Weißt du eigentlich, was du da angerichtet hast, du %$§&!?“

„Woah! H-hey, Vorsicht! I-ich falle…!“, wimmerte der kleinere Trainer ängstlich, wurde aber von Chan gänzlich ignoriert.

„… „Lass es heilen“!?“, setzte dieser nämlich seine laute Schimpferei fort. „DU ARSCH HAST SIE … sie …“

Bananacolada war tot! Wegen diesem mickrigen Jammerlappen und seinem noch viel blöderem Rattfratz! Er hatte sie umgebracht! Und deswegen war es Chan auch völlig egal, dass Niels ihn mit sich riss als er nach hinten umkippte. Der schwerere Körper landete auf dem des Teenagers, der nur noch ein „Au!!“ von sich geben konnte nachdem er wieder zu Sauerstoff gekommen war. Durch den Aufprall war ihm zumindest kurzzeitig mal die Luft weggeblieben. Aber Chan war all das nicht genug.

„… „Au“…?“, äffte er Niels wütend nach und hob die zur Faust geballten Rechte. „Ich zeig dir, was RICHTIG wehtut! VERRECK, DU MADE!!“

Was er seinem Voltilamm angetan hatte würde ihm der Kerl so was von büßen! Doppelt und dreifach würde er es ihm heimzahlen und selbst damit würde der noch gut davon kommen! Gott, so sauer war er noch nie in seinem Leben gewesen! Meerschweinchen hatte doch eh schon keine allzu große Lebenserwartung im Vergleich zu anderen Tieren, aber dass ihr Tod durch so einen dämlichen Idioten beschleunigt wurde konnte Chan einfach nicht akzeptieren. Dieser Bastard sollte wenigstens einen Bruchteil des Schmerzes spüren!

„Stopp, Chan!“, riss ihn eine weibliche Stimme aus seinen Gedanken und er spürte fremde Finger an seinem Handgelenk, welches dieses festhielten und ihn dadurch daran hinderten, dem Balg die Faust in die Fresse zu rammen. „Du kannst doch nicht einfach einen Menschen töten!!“

Wer wagte es, sich einzumischen und ihn aufzuhalten?

Chan wandte den Kopf um und wollte die verantwortliche Person anschnauzen, doch Tiramisu kam ihm zuvor und ließ ihn mit einer schallenden Ohrfeige wieder zur Besinnung kommen.

„Tiramisu…“

„Lass uns gehen…“, murmelte sie leise und unter Tränen, die sie trotz aller Mühe nicht zurückhalten konnte. „Ich will… hier nicht mehr sein.“

Nicht hier, an diesem Ort, an dem Bananacolada bereits nach kurzer Zeit ihr Leben verloren hatte. Dort, wo ihr Körper noch immer ruhte, weggeworfen wie ein Stück Dreck, das man nicht länger benötigte und einfach achtlos am Wegesrand liegen ließ.

Das wiederum war etwas, was Chan zwar davon abhielt, dem flüchtenden Teenager zu folgen, aber auch verhinderte, dass er Tiramisu’s leiser Bitte Folge leistete.

„Aber zuerst…“

Mühsam erhob er sich vom Boden und rief Mööh näher heran.

„W… was willste?!“, entgegnete der miepend und sich nicht so recht ausmalen könnend, was sein Trainer gerade von ihm wollte. Dasselbe galt auch für Tiramisu, deren Gesichtsausdruck stetig vom Weinerlichen ins Fragende wechselte.

Chan streckte dem Männchen die offene rechte Handfläche hin.

„Meinen Beutel.“, verlangte er nach dem, was Mööh gerade noch schützend in seinen eigenen Händen hielt. Sinn und Zweck des Ganzen erschloss sich dem Meerschweinchen auch bereits kurze Zeit später, denn wie es in Pokémon nun mal üblich war mangelte es in so mancher Hinsicht an der Logik. Wer ein Fahrrad in den Beutel bekam fand dort auch Platz für eine Schaufel, die Chan hervor holte und Mööh stumm in die Hand drückte. Die Geste reichte völlig aus um zu verdeutlichen, was er vorhatte.
 

„Warum zum Teufel muss ich jetzt die ganze Drecksarbeit eigentlich alleine machen? Unfair!“, schimpfte Mööh also nach einigen Minuten in denen er bereits murrend versuchte, ein Loch zu buddeln das groß genug wäre, um Bananacolada dort zu beerdigen.

Was ihn an alledem aber noch mehr aufregte war, dass keiner auf die grandiose Idee kam, ihm vielleicht seine Hilfe anzubieten. Tiramisu und Chan waren etwas entfernt bei dem leblosen Körper der ersten Banana-Sister und der Trainer gab auf das Gemecker ohnehin nur ein „Sei still und grab weiter!“ zurück.

„Petit Four, hilf doch mal!“, versuchte es Mööh also bei der Prinzessin, die in nächster Nähe auf einem Stuhl – woher auch immer die den schon wieder hatte! – saß und eine Tasse Tee genoss. Die sah jetzt nicht so aus als hätte sie Unaufschiebbares zu tun. Also sollte sie einfach mal die Pfote schwingen und ihn beim Graben ablösen!

„Siehst du nicht, dass ich gerade Tee trinke?“, schnaubte das angesprochene Meerschweinchen allerdings und machte keineswegs den Eindruck als würde sie diese äußerst wichtige Tätigkeit vorzeitig abbrechen wollen. „außerdem würde ich ganz dreckig werden.“, argumentierte sie dann noch und offenbarte damit wohl den wahren Grund dafür, dass sie keineswegs hilfsbereit war. Wer war sie denn, dass sie im Dreck wühlen und ein Loch in den Boden graben würde? Ihr Kleid würde dreckig werden und bei ihren zarten Ärmchen… das konnte man ihr doch nicht zumuten! Dafür hatte man seine Diener!

Außerdem gab es dafür doch auch andere. Etwas entfernt konnte sie zumindest Toffee entdecken, der mit einem kleinen Bund Blümchen zurückkam, mit denen er das Grab wohl wenigstens ein bisschen schmücken wollte. Sollte der doch weiter buddeln! Sie würde jedenfalls keinen Finger krumm machen, pah.
 

„Bin fertig, du Sklaventreiber!“, motzte Mööh irgendwann später und lenkte Chan’s Aufmerksamkeit ab von der leblosen Bananacolada in seinem Arm auf das große Loch.

Meinetwegen war sie… Das Grab war das Mindeste, was er jetzt noch für das Voltilamm tun konnte. Verdammte Nuzlocke. Er hätte besser aufpassen sollen. Die Schuld über ihren Tod nagte tief an ihm und er konnte gar nicht in Worte fassen, wie leid es ihm tat.

So brachte er nur ein ersticktes „Ruhe in Frieden…“ hervor ehe er Bananacolada vorsichtig in das Loch legte. So sanft, dass man meinen könnte, sie würde zerbrechen. Vielleicht war es auch so, er würde keine Möglichkeit mehr haben, herauszufinden, wie robust sie irgendwann möglicherweise geworden wäre.

Auch hinter sich herrschte gedrückte Stimmung. Toffee und Tiramisu schnieften um die Wette und sogar Mööh seufzte gebrochenen Herzens weil ein potenzielles Weibchen weniger da war. Ungerührt hingegen wirkten Domino, bei dem man ohnehin nie wusste, was er dachte oder fühlte, und Petit Four, die das betretene Schweigen mit einem mürrischen Drohen unterbrach: „Mach das Loch bloß wieder zu, Mööh, sonst breche ich mir noch meinen Fuß!“

Zur Stimmung passte es nicht besonders, aber irgendwo tief im Inneren war Chan froh darüber, dass sie etwas sagte und sich nicht in die depressive Stimmung reinziehen ließ. Seufzend senkte er den Kopf als Toffee die gepflückten Blumen auf den leblosen Leib fallen ließ und sich Mööh daran machte, das Loch wieder zu schließen. Mit jeder weiteren Schaufel voller Erde verschwand Bananacolada bis sie schließlich vollends bedeckt war. Geschützt unter einer dicken Schicht.

„Okay.“

Die Entscheidung war gefällt und Chan hob entschlossenen Blickes seinen Kopf.

„Ich habe mich entschieden.“, sprach er in fester Überzeugung zu seinen Meerschweinchen, die ihn abwartend ansahen. „Wir kehren sofort zurück nach Neuborkia und bleiben dort.“

Das würde das Beste sein. Egal, welche Intentionen Tense mit seinen Taten verfolgt hatte. Er würde kein weiteres Meerschweinchen mehr opfern, nur um die Absichten seines ehemals besten Freundes herauszufinden. Das war es nicht wert.

„Ja, aber… Was ist dann mit Tense!?“, wollte da gerade auch Tiramisu wissen, die all das Theater um den jungen Mann selbst miterlebt hatte.

„Der kommt schon klar…“, entgegnete Chan kühl. „Aber ich werde keinen von euch mehr in Gefahr bringen. Auf keinen Fall!“

Da würde er auch keine Diskussion zulassen. Dachte er.

„NEEEEEIIIIIIN!!!!“, schrie Petit Four aus voller Kehle los. „Das geht nicht!“

Chan und Tiramisu zuckten vor Schreck zusammen als sie neben ihnen so lautstark losbrüllte.

„W-was denn!?“, fragte der Trainer ziemlich irritiert darüber, dass ausgerechnet die Prinzessin sich gerade so unprinzessinnenhaft verhielt und entgegen jeglicher Manier den Mund so weit aufriss, um sich quietschend und mit Tränen in den Augen zu beschweren.

„D… das geht nicht…“, wiederholte sie, etwas leiser, aber immer noch empört und weinerlich zugleich. „Ich… ich…!“

Die Furie kam ihm jetzt doch ein bisschen zu nahe und so wich Chan einen Schritt zurück, die Arme erhebend und sich ergebend zeigend. „Ähm… äh…? Was?“

„Ich…“, winselte Petit Four weiter. „Ich wollte doch unbedingt noch in Dukatia City einkaufen gehen…“, gab sie dann wimmernd zu und setzte einen „Ach, komm schon, Chaaaan!“-Blick auf. Dort gab es ein Kaufhaus und sie hatte sich schon sooo darauf gefreut, dort shoppen zu gehen. Das wollte sie unbedingt noch tun! Bei dem Gedanken strahlten ihre Augen sofort wieder, aber bei Chan biss sie damit wohl auf Granit.

„Das kannst du auch alleine!“, blaffte er sie für ihre unlauteren Motive an. „Da müssen wir ja erst durch den Einheitstunnel, Azalea City und dann auch noch in den Steineichenwald…!“

Viel zu viele Anlaufstellen bei denen etwas passieren konnte! Ein viel zu weiter Weg, um dieses Risiko tatsächlich einzugehen. Wenn Dukatia City gleich ums Eck wäre, hätte er sich ja v i e l l e i c h t darauf eingelassen, den Abstecher noch zu wagen, aber für das Erreichen der großen Stadt würden sie eindeutig länger brauchen! „Du brauchst doch einfach nur ’nen Packesel…“, fügte er dann noch mit einem Zischen hinzu. Das war doch bestimmt der einzige Grund, warum sie sie begleiten sollten! Damit Madame von und zu ihre Einkäufe nicht selbst tragen musste. Da würde er all sein Hab und Gut darauf verwetten!

„… Hääää?“

Die Prinzessin setzte ein offensichtlich erzwungenes Lächeln auf. Sie sollte mit ihrem überragenden Level von EINS alleine nach Dukatia City gehen? Zu Fuß noch dazu? „Sei froh, dass du mich begleiten und beschützen darfst. Du kannst dich natürlich auch todesmutig… verstecken.“

Chan war sprachlos über diese Dreistigkeit, mit der die Prinzessin das sagte.

Aber andererseits: Das war natürlich… auch eine Idee.
 

Und auf genau diese Idee ließ sich Chan ein, auch wenn er sich bereits am Eingang des Einheitstunnels fragte, warum er eigentlich so bescheuert war.

Gemeinsam mit Petit Four verharrte er hinter einem großen Felsen und lugte nur so weit wie nötig hinter diesem hervor um potenziell feindlichen Trainern aus dem Weg zu gehen.

Die Prinzessin konnte über dieses überaus mutige Verhalten nur den Kopf schütteln.

„Du bist echt so ein „Held“…“

Der versteckte sich ja wirklich…!

„Sei bloß leise! Sonst werden wir entdeckt!“, flüsterte Chan gerade noch laut genug, damit das Meerschweinchen seine Worte verstehen konnte. „Ich hab’ eben nicht vor, auf dem Weg nach Dukatia City noch irgendwen von euch zu verlieren!“

War das denn immer noch nicht klar?

Noch deutlicher werden konnte er allerdings nicht, denn scheinbar hatte auch einer der Wanderer sein Gewisper vernommen und blickte sich nach dessen Verursacher suchend um. Sofort verschwanden die Köpfe des dunkelhaarigen Trainers und seines Togepi hinter dem Felsen. So lange, bis sich der kräftige Mann abwandte, in der festen Überzeugung, sich das nur eingebildet zu haben.

Hinter seinem Rücken huschten ein drängender Chan und eine „Hetz’ mich nicht!“ motzende Petit Four vorbei und retteten sich in den Schutz des nächsten größeren Felsens. Oder tarnten sich mit felsähnlichen Blättern bei der Wand. Zumindest der Trainer. Denn Petit Four fand das alles einfach nur total bescheuert.

Eines musste sie aber zugeben: Irgendwie war es faszinierend, wie Chan den Weg durch den Einheitstunnel fand ohne auch nur irgendeinem der Trainer aufzufallen. Erstaunlich, wenn man bedachte, wie verdächtig er sich eigentlich verhielt. Als ob man die Füße unter dem felsähnlichen Papier nicht sehen würde. Oder sein dunkles Haar mit der heraus stechenden blonden Strähne. Oder wenn er aus seinen Verstecken heraus einen Blick riskierte.

Vielleicht lag es daran, dass der Einheitstunnel nicht ganz so groß war und sie recht bald den Ausgang erreichten?
 

„… eam Rock… atürli…“

Beinahe rumpelte die Prinzessin mit ihrem Trainer zusammen als dieser nach den erklingenden Wortfetzen ohne jegliche Vorwarnung stehen blieb um im Schutz des höheren Gebüsches zu bleiben.

„Held…“, konnte sie sich nur noch wiederholen.

„Team Rocket dürfte es eigentlich gar nicht mehr geben.“

Die Worte waren klarer, nicht mehr so abgehakt – die Stimme allerdings eine ganz andere, rauer klingend als zuvor. Es waren mindestens zwei Männer, die sich scheinbar auf der anderen Seite des Busches unterhielten. Der, dessen Wortfetzen ihre Ohren zuerst erreicht hatten, ergriff gerade wieder das Wort.

„HA!“, schnaubte er verächtlich. „Dass ich nicht lache. Team Rocket ist aktiver denn je!“

Der Alte ihm gegenüber war ja mal voll von gestern. Überhaupt nicht up to date. Oder bereits senil. Aber er war ja nett und würde ihn gerne aufklären: „Wir haben uns zwar vor drei Jahren vorübergehend aufgelöst, aber jetzt stecken wir mitten in unserem Com-…“ Moment mal…! „… Eigentlich geht dich das ja überhaupt nichts an…!“

Was erzählte er dem Alten denn hier von ihren Plänen? Die würde der doch bestimmt ohnehin nicht verstehen und er selbst wollte innerhalb der Bande auch nicht unbedingt gerne als Klatschtante gelten. Er würde doch nicht jedem dahergelaufenen Kerl die geheimsten Geheimpläne von Team Rocket verraten wenn doch alle Welt glauben wollte, die Bande existiere seit Jahren nicht mehr.

„Lass mich einfach in Frieden!“

Er hatte hier etwas zu tun und der Alte störte ihn dabei. Also schob er diesen grob weg und stemmte dann herausfordernd die Arme in die Hüften. Der sollte ihm bloß nicht mehr zu nahe kommen!

„Dann mache ich dir eben Beine!“, drohte der Alte, scheinbar todessehnsüchtig. Aber immerhin wandte er sich ab und kehrte ihm den Rücken zu. „Verschwinde aus dieser Stadt!“

Pah. Der sollte nur reden, der alte Mann.

Schnaubend drehte sich auch der Rüpel weg und erblickte dabei Chan, der eigentlich gerade den Versuch startete, sich an dem anderen Mann vorbei zu schleichen. „Was willst du, Bengel?“ Hatte der etwa gelauscht?

„Äh… Nüx?“ Chan lächelte gezwungen und winkte eilig ab. „Ähm… einen schönen Tag noch… und so! T… tschüssi!“

Das ging ihn alles nichts an. Was auch immer hier abgezogen wurde konnte nichts Gutes bedeuten. Und er wollte jeder potenziellen Gefahr für seine Meerschweinchen aus dem Weg gehen. Also auch diesem schwarz gekleideten Kerl auf dessen Brust ein großes R prangte.

„Geh woanders spielen!“, rief ihm der Rüpel noch hinterher als Chan bereits die ersten Häuser von Azalea City erreichte und dort prompt einem wahren Schrank von Mann in die Arme lief.
 

„Woah!!“, machte er erschrocken angesichts des Kerls, der gut zwei Köpfe größer war als er und mindestens vier Mal so breit.

„Du da, Junge…!“

Hilfe!! Der war ihm nicht geheuer mit seiner Sonnenbrille, der Glatze und dem breiten Grinsen mit dem er Chan’s Hände ergriff. „WAH!?“

„Weißt du, wo man hier Flegmon-Ruten kaufen kann? Die sollen echt lecker sein!“, schwärmte ihm der Mann, den er gerade eher noch für irgendeinen kranken Perversling mit üblen Hintergedanken hielt, auf einmal vor und Chan glaubte, die Augen hinter der dunklen Brille begierig glitzern zu sehen.

„… Was?“ ’Ne Rute? „Lecker“? Iiih… „Nee, keine Ahnung. Probier doch einfach Maggi?“, schlug er alternativ vor. Von irgendwelchen Ruten wollte er gar nichts wissen. Das klang ja schon total eklig. Wer machte denn so was? Und vor allem: Warum kaufte man so etwas und – noch schlimmer – aß es? Nein, den Reiz dessen konnte er sich nicht einmal ansatzweise vorstellen…

„Flegmon-Ruten!!! Heißer Tipp!“

„Kurt’s Pokébälle!!! Toll!!!“

„RUTEN!!! Köstlich!“

„KURT!!! Geh hin!!!“

„Alle Flegmon aus der Stadt verschwunden… Ruten?“

„BÄLLE!!! Hol welche!“

Von allen Seiten brüllten irgendwelche Leute wie auf dem Markt.

Da meldeten sich ja beinahe die Kopfschmerzen von vorhin zurück…

„Ich habe irgendwie das Gefühl als solle ich unbedingt zu diesem Kurt…? Und Flegmon-Ruten kaufen?“

Waren die hier alle total bescheuert? Wer sollte denn dieser Kurt sein und was sollte er bei dem? Und was hatte das mit den Ruten auf sich? War das hier irgendwie DIE Delikatesse schlechthin, für die Azalea City berühmt war oder was? Er konnte sich an nichts dergleichen erinnern. Echt komischer Haufen hier, hoffentlich waren sie bald aus dieser Stadt weg.

Tiramisu wirkte auch schon ganz ängstlich und rückte ihm ziemlich auf die Pelle damit, dass sie sich an seinem Arm festklammerte. „Überall sind diese schwarz gekleideten Leute…“

Das war in der Tat merkwürdig. Sogar vor der Arena standen sie herum und machten nicht den Eindruck als würden sie irgendjemanden durch lassen wollen. Na egal, den Leiter herauszufordern wäre ohnehin viel zu gefährlich!

Aber was auch immer dieser Kurt machte konnte vielleicht nützlich sein.

Vor allem wenn ihn hier schon jeder anschrie, dass er bei diesem vorbeischauen sollte.

Nur: Warum hing hier dann nirgends auch nur ein gottverdammtes Schild, welches Haus das von Kurt sein sollte? Als ob er das riechen könnte…!

Chan blieb nichts anderes übrig als sich durch zu klopfen und sein lautes „Haallooho…!? Wohnt hier „Kurt“!?“ zu wiederholen bis er am anderen Ende der Stadt endlich das richtige Haus erwischte.

Noch beim Betreten des Gebäudes schwang ihm eine nahezu tödliche Aura entgegen und ein finster drein blickendes Gesicht knurrte ihn an: „HÄ? Keine Zeit…!“

Wow, hallo?! Was war denn hier los? Der Kerl war bis an die Zähne bewaffnet mit Schusswaffen, Granaten und sogar einem Katana als zöge er gleich in den Krieg. Wie in Trance schimpfte er vor sich hin: „Dieses Team Rocket! Es missbraucht unschuldige Pokémon für ihre Schandtaten! Einfach das Letzte! Und gerade quälen sie die Flegmon und schneiden ihnen ihre Ruten ab! Ich werde ihnen eine Lektion erteilen! Vielleicht sollte ich ihnen einfach mal ihre Ruten abschneiden…!?“

„Opa!“, rief von hinten ein kleines Mädchen, scheinbar die Enkelin des Alten, empört. „Wenn du so redest, sperren sie dich noch ein…!“

Mit offenem Mund beobachtete Chan die sich bietende Szenerie während sich Tiramisu – nun vollends verängstigt und leichenblass – hinter ihm versteckte. Der Alte rauschte mit erstaunlichem Tempo an ihnen vorbei ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen.

„Haltet durch, Flegmon!! Der alte Kurt eilt euch zur Rettung!“

„Oopaa! Halt!“, versuchte die Kleine ein letztes Mal, ihren Opa zur Rückkehr zu bewegen, doch ohne Erfolg. Oh Mann! Also wandte sie sich dem überrumpelten Chan zu, der mit leerem Blick und wie fern gesteuert das Dynamit entgegen nahm welches sie ihm mit den Worten „Hier, du Typ, der einfach rein kommt, bring das bitte Opa! Das hat er vergessen!“ in die Hände drückte.

Hä? Na toll? Er war doch eigentlich nur hier weil er ein paar Bälle als Souvenir mitnehmen wollte? Mussten ja irgendwelche tollen Dinger sein. Zumindest ging er davon aus wenn die anderen Bewohner die lauthals anpriesen. Genauso wie ihre ekligen Flegmon-Ruten, die sie sich sonst wohin stecken sollten…

Uff, eigentlich hätte er spätestens bei diesem Gedanken bemerken sollen, dass es eigentlich grundsätzlich eine dämliche Idee war, was auf dieses Geschwätz zu geben. Mit den Bällen stimmte bestimmt auch irgendwas nicht. Er hätte einfach durch diese Stadt und den Steineichenwald durch und direkt nach Dukatia City laufen sollen. Das wäre am einfachsten gewesen. Dann würde er auch nicht in diesem Schlamassel stecken.

Der war auch nur deshalb gerade einigermaßen erträglich weil ihm eine Fährte aus fallen gelassenen Waffen eindeutig den Weg wies. In jene Richtung, aus der er ursprünglich gekommen war. Dorthin, wo sich der Alte und der Rüpel von Team Rocket vorhin unterhalten hatten. Der hatte ja echt alles auf dem Weg verloren… na egal, gut für ihn. Zumindest so lange, bis die Spur ein jähes Ende nahm.

„Nanu?“ Der schwarz gekleidete Typ war auch weg. Ebenso Kurt, den er auch nach mehrmaligem Umsehen nicht entdecken konnte.

„…lo…?“, erklang sehr schwach und gedämpft von irgendwoher. „… ilf…!!!“

Tiramisu war diejenige, die die Richtung ausmachte, aus der die erstickten Worte kamen.

Vorsichtig näherte sie sich dem Brunnen und legte zaghaft die Finger auf den steinernen Rand. Chan folgte ihr und riskierte einen Blick. Zunächst war alles dunkel, aber nach einigen Wimpernschlägen konnte er „Kurt!?“ erkennen, der am Grund des Brunnens saß. „Was machst du denn da unten!?“

„Chan?! Ein Glück!!!“, kam die Antwort von unten.

„Wir holen dich rauf! Warte kurz!!“

Ein Glück war wohl auch die Leiter, an der man nach unten klettern konnte.

„Ich bin in den Brunnen gefallen und habe mir die Hüfte geprellt! Ich sitze hier fest!“, jammerte Kurt von weiter unten und zerschlug damit Chan’s Hoffnung, dass der Alte einfach selber die Leiter empor klettern konnte. Wie jetzt, sollte er den etwa hoch tragen? Wie sollte das denn gehen?

Hier oben zu überlegen würde ihn gerade allerdings auch nicht weiter bringen. Am besten kletterte er mal nach unten. Vielleicht hatte sich Kurt einfach nur furchtbar erschreckt und war deswegen nicht in der Lage, sich zu bewegen? Dann hatte er sich eventuell davon erholt bis er unten war. Den alten Mann würde er ja nicht einfach da unten sitzen lassen können, also machte sich Chan eilig daran, ebenfalls zum Grund des Bodens zu gelangen.

„Wir sind gleich…“ … da!, wollte er nach unten rufen um Kurt zu beruhigen, aber der schnitt ihm abrupt das Wort ab. „A-ach… äh… nicht so schlimm! Lass dir ruhig Zeit!!!“

Hä? Was sollte das denn auf einmal? Er dachte, der Kerl hatte sich die Hüfte geprellt? Das musste doch wehtun und der Alte eher froh darüber sein, wenn ihm schnell geholfen wurde.

Stattdessen hockte der da unten und je näher Chan ihm kam umso deutlicher wurde das geifernde Grinsen auf dem Gesicht des Verletzten.

Brrr! Da lief es einem ja kalt den Rücken hinunter wenn der so gaffte!

Chan verharrte an Ort und Stelle bis er sich dazu entschloss, diesen perversen Sack einfach zu ignorieren. Bis er sich wieder in Bewegung setzen konnte stieg ihm aber beinahe Tiramisu mit ihren Absätzen auf die Hand. „He! Tiramisu!“, wollte er sie darauf aufmerksam machen, dass sie langsamer klettern sollte, und blickte deshalb nach oben. „Mach mal langsamer!! Du trittst mir gleich a-…!“

Mit einem Mal wurden Chan’s Augen riesengroß als er bemerkte, dass man beim Klettern unter Tiramisu’s Rock schauen konnte. „TIRAMISU!!!!“

„Mh? Was denn, Chan?“, fragte sie verwundert nach unten blickend und scheinbar immer noch nicht bemerkend, was der Grund für seinen erschrockenen Ausruf war.

„Man sieht deine…!!“

Der Trainer blickte eilig weg, doch selbst ohne ausgesprochenes Ende kam für Tiramisu die Erkenntnis, worum es ging. Mit einem Mal riss sie ihre Augen auf, ebenso den Mund und keinen Wimpernschlag später kreischte sie schrill: „KYAAAAAAAH! NICHT SCHAUEN!!!“

Doch nicht nur der Schrei sondern auch ein lautes Krachen, begleitet von Chan’s Gebrüll, das sich unter das seines Meerschweinchens mischte, erfüllten den Flegmon-Brunnen und machten mehr als nur wilde Pokémon auf sie aufmerksam.

„Was ist da los?“, fragte eine mürrische weibliche Stimme etwas entfernt. „Wie nervig.“, empfand der Rüpel die Situation.

„Das müssen mehrere sein…“, bemerkte ein anderer Rüpel mit einem Zopf.

„Was soll der Lärm? Ist das etwa der halbwahnsinnige Opa…?“

Von dem hatte jener Schwarzgekleidete, der gerade sprach, bereits seinen Arbeitskollegen berichtet. Von einem älteren Herrn, der ihn oben zugeschwafelt und dafür gesorgt hatte, dass er vor lauter Schreck in den Brunnen gefallen war. Was zugegeben ganz schön weh getan hatte, schließlich prallte man bei der Landung auf harten Stein, und war fortan mit Rückenschmerzen geplagt. So auch er, dessen Laune nicht viel besser war als die seiner meckernden Kollegin.

Ein vierter im Bunde schien dafür bester Laune zu sein.

Mit einem Grinsen hakte er nach: „Wollt ihr unsere „Gäste“ nicht begrüßen? Zeigt ihnen, dass man sich nicht in die Angelegenheiten von Team Rocket einmischen sollte.“
 

„Au, das tat weh.“, jammerte Chan und hielt sich mit der rechten Hand den Kopf während die linke weiterhin auf Tiramisu’s Schulter lag. Er hatte ihren Fall abgefangen und als Polster gedient, allerdings auf seine Kosten, die sich in Schmerzen an Kopf und Po äußerten. Autsch!

„Ch… Chan!“, wimmerte Tiramisu mit einem ängstlichen Blick nach oben, mit dem sie wohl überprüfen wollte ob ihr Trainer über die Situation verärgert war. Es war ihm ja eigentlich nicht zu verdenken, denn sie waren ein ganzes Stück nach unten gefallen weil sie vor lauter Schreck die Leiter losgelassen und Chan beim Fallen versehentlich mitgerissen hatte. „Es tut mir leeiiiid!“

„Dass ihr den Sturz überlebt habt…“, staunte Kurt mit einem offensichtlich verwunderten Gesichtsausdruck, begleitet von einer Prise Respekt. „Sag, könntest DU nicht diesem schwarz gekleideten Clown eins auf die Mütze geben und die Flegmon retten…?“

Das war doch DIE Idee!? Er konnte das schließlich nicht mehr, wo er sich doch die Hüfte geprellt hatte und dazu verdammt war, hier tatenlos die Zeit abzusitzen. So konnte er die Verantwortung doch prima auf eine andere Person abwälzen! Hach, was war er doch genial!

Allerdings hatte er bei alledem die Rechnung ohne Chan gemacht, der zwar im ersten Moment so aussah als denke er tatsächlich darüber nach. Im zweiten schüttelte er den Kopf und erwiderte entschlossen: „Nein. Ich werde keinen Kampf mehr bestreiten.“

Wie könnte er seine Meerschweinchen weiterhin bewusst in Gefahr bringen? Was mit Bananacolada geschehen war reichte ihm völlig und er wäre verdammt froh, wenn dieses Bild nicht länger in seinem Kopf existieren würde.

„Aber…“, versuchte Kurt den jüngeren Trainer umzustimmen, doch kam er dabei nicht allzu weit weil kalter Stahl an seiner Kehle ihn verstummen ließ. Oha! Ergebend hob er die Hände und wagte noch nicht einmal einen Blick nach hinten. Jetzt… hatten sie gerade ein kleines Problem… irgendwie?

„Vorsicht, das Schwert ist scharf… I-ich ergebe mich…!“

„Eine sehr weise Entscheidung, Opa.“, entgegnete der Rüpel des Team Rocket anerkennend, aber dennoch recht grimmig drein blickend.

„Jetzt nur noch den Jungen aus dem Weg räumen.“, bemerkte die Frau unter dem Dreiergespann trocken und bekam dabei Unterstützung von dem Dritten im Bunde, der diesbezüglich auch bereits eine Idee hatte: „Um den Jungen können sich unsere Pokémon kümmern…“

Davon hatten die Rüpel so einige und Chan sah sich im nächsten Moment mit mehreren geworfenen Pokébällen konfrontiert, die auf ihn zuflogen und sich drohend öffneten. Dagegen half nicht einmal sein „N… Nein!!“, mit dem er die Situation zu entschärfen und den Kampf zu vermeiden versuchte. Nein, nein, nein!! Der Anblick ließ ihn erstarren, aber im Gegensatz zu ihrem Trainer reagierten die Meerschweinchen optimal und stellten sich den Gegnern entgegen. Allen voran Petit Four war hochmotiviert, den fremden Fledermäusen mit Konfusion zu schaden und lachte dabei auch noch wie eine Verrückte. Es war wohl schwer, zu sagen, ob sie sich amüsierte oder ob sie nicht doch eher stinksauer war…

„In den Staub, ihr Unwürdigen!! Ihr steht zwischen mir und dem Einkaufszentrum!“, sprach dann wohl eher für eine Mischung aus beidem. Tiramisu und Domino hielten sich gar nicht erst lange mit solchen Sprüchen auf sondern erledigten ihren Job schweigend, aber präzise.

„Ha! Legt euch nicht mit mir an! Ihr Loser!“

Die Prinzessin stemmte triumphierend die Fäuste in die Hüfte und blickte siegesgewiss auf die k.o. geschlagenen Feinde am Boden herab.

„So so.“, murmelte eine leise Stimme ums Eck, die Petit Four zwar entging, aber zumindest der aufmerksameren Tiramisu ein „Oh…!“ entlockte und ihren Blick auf den Vorstand der Rüpel lenkte.

„Gar nicht mal so schlecht.“, meinte dieser als er noch immer grinsend aus dem Schatten hervor trat, umjubelt und angefeuert von seinen Untergebenen, die gerade hochkant verloren hatten und deshalb gerade ihre letzte Hoffnung in Lance setzten.

„Aber werdet ihr auch mit meinen Pokémon fertig? Ich kann übrigens seeeehr grausam sein. Und ich werde nicht zulassen, dass ihr uns in die Quere kommt!“

Na ja, Zubat wurden ja schon einige gebraten und das machte lediglich das Smogon zu einem Gegner, der hier noch nicht zum Einsatz gekommen war.

„So ein idiotisches Kind wie euren Trainer gibt’s in jeder Stadt.“, provozierte Lance die Pokémon weiter und kümmerte sich dabei auch herzlich wenig um Kurt, der durch die Ablenkung der Rüpel der Bedrohung für den Moment entkommen war und ein jämmerlich winselndes Flegmon empor hob und bemitleidete.

„Du Armes…“, tröstete er es mit traurigem Blick als er bemerkte, dass das Flegmon wohl auf der Suche nach seiner Rute war und der Verlust derselben ihm Tränen in die Augen trieb, die so langsam kullerten wie ein langgezogenes „Fleeeg… moooon?“ das Mäulchen des Pokémon verließ. „Halte durch, Flegmon!“

Lance und Chan interessierte das Geschehen im Hintergrund recht wenig, schließlich waren sie eher miteinander beschäftigt. Letzterer, der sich darüber beschwerte, dass er zumindest eine 3 vorne dran hatte und deshalb schon lange nicht mehr als „Kind“ durchging. Und Ersterer, der etwas gänzlich anderes wissen wollte: „Spuck lieber aus, wo ihr die anderen Flegmon versteckt habt. Dann verschone ich dich, Balg!“

Verdammter Kerl. Der ging ihm irgendwie ganz schön gegen den Strich und so ballte Chan knurrend die Faust. „Du… Arsch!!“ Gar nichts würde er ihm sagen! Außerdem wusste er doch ohnehin nicht, was er mit dem Verschwinden der Flegmon zu tun haben sollte und wo sich die vielleicht vor Rutendieben flüchtenden Tierchen versteckt hatten. „Dir werd’ ich’s zeigen! Los, Petit Four und Tiramisu!“, wollte der Dunkelhaarige die zwei Mädels in den Kampf schicken ehe er feststellte, dass die längst dabei waren. Nur die Art und Weise war etwas merkwürdig.

„W-was treibt ihr da!?!?“

Die Beiden warfen das arme Smogon, dem sich wahrscheinlich längst alles drehte, hin und her wie bei einem Ballspiel. Tiramisu erfreute sich sichtlich an diesem Spiel während Petit Four eher den Eindruck machte als sei sie genervt darüber, dass sie sich an diesem Schwachsinn überhaupt beteiligen musste.

„… „Prinzessin“ Petit Four, du Trampel.“, korrigierte sie die ihrer Meinung nach ziemlich respektlosen Anrede ihrer hochwohlgeborenen Person. „Wenn ich bitten darf.“ Würde sie natürlich nie tun. Man konnte doch wohl erwarten, dass dieser Pöbel sie angemessen ansprach!

„He, du feiges Vieh…!“, erklang einmal mehr Lance’ Stimme und ließ Petit Four mit einem Zischen herumfahren weil sie zunächst davon ausging, sie sei gemeint. Und sie war NICHT feige sondern toll! Aber der Vorstand sprach mit dem Zubat, das sich ängstlich an seinen Rücken klammerte und wohl den Kampf verweigern wollte. Harhar, was für ein Feigling!

„Komm zu Mama…!“, grinste Petit Four die Fledermaus finster beim Näherkommen mit erhobenen Händen an. Schon ihre drohende Ausstrahlung reichte scheinbar aus, dem nachtaktiven Tier psychisch den Rest zu geben, denn es bibberte und zitterte und fiel dann von ganz alleine bewusstlos um.

Der Trainer der beiden besiegten Pokémon zuckte über diesen Kampfverlauf allerdings nur mit den Schultern und machte keineswegs den Eindruck als sei er über seine Niederlage sehr enttäuscht.

„Tze.“, machte er nur abwertend. „Egal. Dir ist es ja scheinbar ernst damit, uns aufzuhalten. Aber du kannst noch so sehr versuchen, uns das Leben schwer zu machen… wir lassen uns nicht aufhalten! Schließlich arbeiten wir seit drei Jahren hierfür…! Du kannst nur in Schrecken auf das warten, was wir weiter im Schilde führen. Adios~!“

„Dir ist klar, dass ich dich gerade besiegt habe, oder…?“, unterbrach Chan, sich nicht recht zwischen einem Seufzen und einem genervten Schnauben entscheiden könnend, den Monolog des Anderen. Der hatte doch nur eine große Klappe und nichts dahinter. Was faselte der da für einen Schwachsinn?

„Pah!“, schnaubte dafür Lance umso überzeugter. „Ich habe mich nur zurückgehalten.“, behauptete er dann. „Wenn ich dich besiegt hätte, wäre die Challenge so gut wie vorbei! Und auf dich wartet schließlich noch jemand. Dieser „Tense“…“

Weiter kam er nicht, denn das letzte Worte ließ bei Chan sämtliche verfügbaren Alarmglocken läuten und ihn nun doch aufmerksamer lauschen. Tense?

Woher zum Teufel kannte ein Clown von Team Rocket den Namen seines besten Freundes? Und worauf wartete jener und warum?

Chan hatte eine vage Ahnung, doch sein „Soll das etwa heißen, dass… Tense irgendetwas mit dieser Team Rocket-Sache zu tun hat und deswegen so komisch ist, oder wa-…?“ erreichte niemandes Ohr mehr. „Eh?“ Wo war der Bastard mit seinem schwarzen Anzug!?

Der dunkelhaarige Trainer blickte sich irritiert suchend um und zuckte leicht zusammen als eine Hand seine Schulter berührte. Doch war dies nicht die des Vorstandes oder einer der ihm untergebenen Rüpel, sondern die Hand des alten Kurt.

„Gute Arbeit, Chan!“, lobte er ihn. „Die Typen von Team Rocket haben Reißaus genommen!“ Und nicht nur das – seiner Hüfte ging es wieder besser und so langsam wagten sich auch die kleinen Flegmon aus ihren Verstecken hervor, manche mit, manche ohne Rute. „Lass uns gehen.“

Noch ehe der Youtuber etwas dagegen sagen konnte ergriff der alte Mann ein Seil und blitzte ihn siegessicher aus triumphierenden Augen an als er den skeptischen Blick bemerkte. „Vertrau mir, ich weiß, was ich tue. So hat das dieser Lance gerade auch gemacht…“

„M… Mo…!“, versuchte Chan ihn vom Einsatz des Fluchtseils abzubringen, doch zu spät – Kurt schlang einen Arm um Chan’s Bauch und hielt ihn fest. „NEEEEEIIIIIIN!!!“, schrie Chan laut und panisch los. Er hatte hier doch noch etwas vor! Verdammt noch mal! „Ich wollte doch noch… STOOOOP!!!“
 

„Raaaah!!!“, ging das Geschrei kurz darauf in Kurt’s Haus noch weiter.

„Mann, Kurt!“, beschwerte sich der Trainer und fuhr sich gestresst mit beiden Händen durch die kurzen dunklen Haare. „Mein Beutel liegt doch noch im Brunnen! Und ich wollte auch ein Flegmon fangen!“

Natürlich nicht um teures Geld für die Rute des Pokémon zu verlangen, aber für das Team wäre es sicherlich cool gewesen! Flegmon mochte langsam sein, aber mit seinen Wasser- und Psychoattacken könnte es die Meerschweinchen-Armee gut ergänzen und seine Weiterentwicklungen waren von der Verteidigung her nicht gerade zu verachten.

„Nicht so laut, Chan! Die Leute wollen sicher schlafen!“, versuchte ein leises weibliches Stimmchen – Tiramisu’s – das Geschrei zu mildern, denn draußen hatte sich längst die Dunkelheit breit gemacht und durch das Gebrüll weckte er bestimmt ganz Azalea City auf. Wenn man ihn nicht sogar noch weiter hörte…

„Schon gemerkt, dass der Beutel immer wieder mal fehlt und du trotzdem irgendwelche Items einsetzen konntest?“, gab Kurt zurück, der die Beschwerden nicht so einfach auf sich sitzen lassen und Chan obendrein seine unlogischen Aussagen vor Augen führen wollte. „Zauber doch weiterhin die Items aus deiner Hosentasche oder wo auch immer du die dann her bekommst…“, provozierte er ihn weiter, aber auch das war nicht genug und so setzte er selbst dem noch einen drauf: „Und noch was… Du glaubst nicht ernsthaft, dass du auf Anhieb ein Flegmon gefunden hättest, oder? Eher erwischt dich ein Zubat!“

Im Flegmon-Brunnen tauchten die Fledermäuse zumindest zu einer Wahrscheinlichkeit von satten 85 Prozent auf und ein Flegmon zeigte sich für gewöhnlich nur zu einer deutlich geringeren Wahrscheinlichkeit von mickrigen 15 Prozent. Vielleicht würde Chan mit der VM Surfer etwas mehr Glück auf seiner Suche haben, aber da gab es ein kleines Problem, das auch dem Trainer bewusst war:

„Aber Surfer bekomme ich doch erst, wenn… wenn… ähm… na ja, später halt. Irgendwann.“

Chan wusste nicht genau, wann. Was er dafür aber umso besser wusste war die Tatsache, dass er mit seinen Meerschweinchen doch ohnehin nur noch nach Dukatia City wollte. Damit Petit Four in ihr dummes Einkaufszentrum konnte und Ruhe gab. Wozu also noch mehr Risiken auf sich nehmen, die man vermeiden konnte? So wichtig war ihm die Chance auf ein Flegmon nun auch wieder nicht…

„Himmel, Junge. Schau dir doch einfach mal dein Pokémon-Team gaaanz genau an. Fällt dir eigentlich nichts auf?“

Was wollte der Alte denn jetzt schon wieder damit sagen? Chan runzelte die Stirn und wusste nicht so recht, was er darauf erwidern sollte. Was sollte denn mit seinem Team sein? Er hatte Tiramisu, Domino, Mööh, Petit Four, Oreo und Toffee dabei. Verschieden stark trainierte Pokémon mit unterschiedlichen Typen und Attacken. Die einzige Gemeinsamkeit war, dass sie allesamt Müffelstücke waren. Aber das war doch bestimmt nicht, was Kurt meinte? Der Trainer blickte fragend zu ihm und machte wohl einen recht hilflosen Eindruck dabei, weshalb Kurt kopfschüttelnd ins Detail ging:

„Ohne den Orden der Arena wirst du nicht weit kommen. Aber mit deinen Pokémon solltest du die Käfer in der Arena problemlos schlagen können. Was meinst du?“

Ach so. Ja. Grundsätzlich hatte er ja schon Recht, zumindest waren Tiramisu als Feuer-Pokémon und Toffee als Flug-Pokémon sehr hilfreich im Kampf gegen die Krabbeltiere. Aber trotz allem plagten Chan Zweifel ob er das wirklich tun sollte. Kämpfen, seine geliebten Meerschweinchen gefährden so wie die kleine Bananacolada?

„Was meinst du, Tiramisu?“, wandte er sich an das Meerschwein, das ihn schon von Beginn an begleitete.

„Wir schaffen das, Chan.“, entgegnete diese lächelnd und voller Zuversicht, dass ihre effektiven Attacken gegen die Käfer ausreichen würden um den Sieg in der Arena davon zu tragen.

„Und was meint ihr anderen dazu? Sollen wir es wagen?“, wollte Chan dann auch von seinen übrigen Teammitgliedern wissen um sich an der Mehrheit orientieren zu können. Doch was die Mehrheit aussagte war keine Antwort auf seine Frage. Denn besagte Mehrheit hatte sich bereits eingerollt und auf einem Bett zusammen gekuschelt, welches Kurt bereits für die Meerschweinchen vorbereitet hatte.

„HEY! Nicht pennen!!“, fauchte Chan, doch nicht einmal das weckte Toffee und Petit Four auf, die sich zu beiden Seiten des Porzellanschweins Domino an eben jenes klammerten und tief und fest schlummerten.

„Hier, du bist doch sicher auch schon müde, oder?“

Mit diesen Worten drückte Kurt Tiramisu eine weitere Garnitur Bettwäsche in die Hand während Chan noch ungläubig über seine verschlafenen Müffelstücke vor sich hin brummte bis sein Starterpokémon ihn mehrmals anstupste.

„Chan… He, Chan! … CHA-!“

„WAS!?“

Boah, es nervte ihn total, wenn er immer so penetrant von der Seite oder – wie in diesem Fall – von hinten angelabert wurde. Man schaffte ja zwischen den einzelnen Wörtern kaum einen Atemzug, geschweige denn eine Reaktion. Entsprechend zischend klang seine Erwiderung gen Tiramisu, die ihn jedoch unbeeindruckt und stattdessen eher noch erwartungsvoll anglitzerte.

„Kommst du auch mit ins Bett, Chan?“, wollte sie von ihrem Trainer wissen, der ebenso wie Kurt zusammen zuckte und über beide Ohren rot anlief. Nicht doch…!

Und als hätte er es geahnt kam gleich ein blöder Spruch von dem alten Kurt, der ein überraschtes „Seid ihr zusammen!?“ von sich gab.

„NEIN!!!“, brüllte der Dunkelhaarige entrüstet.

Die verbale Gegenwehr war sehr vehement, doch hinterließ keinen Eindruck. Zumindest nicht bei Kurt, der gerade wohl irgendwelchen Schwachsinn in der Birne hatte und lüstern vor sich hin grinste. Dafür aber bei Tiramisu. Und bei dieser hinterließ es einen denkbar schlechten Eindruck, auf den hin sie schmollend das Gesicht verzog und das Kissen umklammernd ein mürrisches „Dann eben nicht!“ aussprach. Sie ärgerte sich innerlich darüber, dass Chan auf eine normale Frage hin gleich so ausflippte und reagierte als hätte sie irgendeine ansteckende Krankheit nur weil sie gerne mit ihm kuscheln wollte. Tz!

„Was?“, wurde nun auch dem Trainer bewusst, in welches Fettnäpfchen er soeben getreten war. „Äh… Moment mal! Warte, Tiramisu, so war das doch nicht…!“, wollte er die Situation noch irgendwie retten, doch keine Chance. Das Meerschweinchen ignorierte ihn komplett und rollte sich auf der vorbereiteten Schlafstätte ein.

Dann musste er den Frust darüber eben an Kurt auslassen, der sich immer noch geifernd in irgendwelchen Fantasien verlor, von denen Chan nun wirklich nichts wissen wollte.

„Jetzt hör endlich auf, meine Müffelstücke zu belästigen!“

Erst die Aktion im Brunnen, wo dieser alte Sack Tiramisu unter den Rock gegafft hatte, und jetzt machte er schon wieder Andeutungen in eine solche Richtung!? Das konnte doch nicht sein Ernst sein!

„Man schlägt keine wehrlosen, alten Männer!“, jammerte Kurt, etwas ängstlich gegenüber dem um sich schlagenden Chan.

„Wehrlos?“, schnaubte dieser entrüstet. „Du bist pervers!!“

„RUHE!!“, „SEID ENDLICH RUHIG!“, „Haltet den Rand! Wir wollen schlafen!“, mischten sich irgendwann auch sämtliche Nachbarn in den lauten Streit ein und brachten die dafür Verantwortlichen wenigstens nach einiger Zeit zu einer kleinlauten Entschuldigung.

„Mann…!“, brummelte Chan dennoch. So schnell konnte er sich nicht beruhigen, da half es auch nichts, sich hinzulegen und die Decke bis zur Schulter hoch zu ziehen.

Immerhin kehrte so Ruhe in Kurt’s Haus ein.

So lange, bis ein leises Rascheln ankündigte, dass die Nacht noch lange nicht vorbei sein sollte.

Sie hatte nur noch diesen einen Moment abgewartet.

Und nun erhob sich Tiramisu mit einem letzten Blick auf ihren Trainer lautlos vom Bett, näherte sich ihm um mit den Pokébällen der anderen Meerschweinchen das Haus zu verlassen.
 

„Mensch, Tiramisu…“

Petit Four stieß ein lautes Gähnen hinter vorgehaltener Hand aus.

„Ich brauche doch meinen Schönheitsschlaf. Warum weckst du uns? Und was sollen wir hier?“

Die Prinzessin war furchtbar müde und nicht gerade begeistert von dem unterbrochenen Schlaf, konnte sich aber immerhin so weit noch orientieren, dass sie die Umgebung erkannte: „Ist das nicht der Einheitstunnel?“

Waren sie nicht gerade noch in Azalea City in einem weichen, kuscheligen Bett gewesen? Wie kamen sie jetzt auf einmal wieder zurück in den Tunnel, den sie zuvor durchquert hatten?

Tiramisu beantwortet allerdings in diesem Moment nur eine einzige der gestellten Fragen und das war jene, was sie hier wollten.

„Training.“, erwiderte sie lächelnd. Während Chan schlief hatten sie ja schließlich alle Zeit der Welt, ihr Level zu erhöhen, vielleicht neue Attacken zu erlernen, um für alles Weitere gewappnet zu sein.

„Muss das sein? Müüüde…“, jammerte Petit Four trotzdem über den Verlust besagten Schönheitsschlafes während Domino die ganze Nacht-und-Nebel-Aktion wie üblich komplett kalt ließ.

Mehr als Toffee, dessen lautes „WHAA!“ die Meerschweinchen zusammen zucken und sich irritiert nach der Ursache seines Schreis umsehen ließ. An Toffee’s Jacke klammerte sich ein kleines Sandan.

„TIRAMISU!“, quiekte der Kleine, der sich ein wenig von der Sandmaus bedroht fühlte. „Hiiiilfeeee!!! Dieses komische Sandan hat sich an mir festgekrallt und will nicht mehr loslassen!! Iiiiieeeh!!!!!“ Sie sollte das wegmachen, das komische Viech!

„Du bist aber süß!“, quietschte hingegen die mutige Retterin, die auf Toffee’s Bitte hin beide Hände unter die Ärmchen des Sandan schob und die Jacke sanft von der Klammermaus befreite. „Willst du nicht mit uns kommen? Na?“

Die kleine Maus war doch putzig und ein Boden-Pokémon hatten sie noch nicht im Team. Das könnte ihre Reihen gut ergänzen. Außerdem hatte sie sehr überzeugende Argumente für einen Eintritt in die Meerschweinchen-Armee: „Sonst müssen wir dich leider platt machen!“ Und das meinte sie ernst.

Das Sandan blickte mit offenem Mäulchen nach oben. Dabei wirkte es eigentlich gar nicht mal so abgeschreckt sondern eher neugierig. Und so als wolle es etwas sagen, aber irgendwie bekam es trotzdem kein Wort heraus.

„Du sagst ja gar nichts… Irgendwie erinnerst du mich an Domino. So ruhig. Als wärst du aus Porzellan…“

Kaum waren die letzten Worte ausgesprochen veränderte auch das Sandan seine Form inmitten eines Lichtes, das die nähere Umgebung des Tunnels hell erleuchtete. Scheinbar hatte sich das Kleine dafür entschieden, mit den anderen Meerschweinchen zu reisen. Und so hielt Tiramisu nun Porzellan in den Händen, die starr geradeaus blickte ehe sie von einer höheren Macht in die Box befördert wurde.

Schließlich war ihr Team vollständig. Mit dem Wissen, dass auf der Ersatzbank ein neues Mitglied der Armee wartete, konnten sie sich nun auch endlich auf ihr Training konzentrieren. Dieses war zumindest für Domino, Toffee, Tiramisu und Petit Four vorteilhaft. Mööh und Oreo ließen es ruhiger angehen und stiegen trotz einiger Kämpfe kein neues Level auf.

„Puh.“, schnaufte Tiramisu irgendwann und wandte mit demselben Lächeln wie zu Beginn dieser kurzen Trainingssession den Kopf zu ihren Mitstreitern um. „Das sollte reichen…“

Mit diesen Worten wollte sie eigentlich lobende Worte für das Durchhaltevermögen einleiten, aber eine vertraute und wütend klingende Stimme kam ihr zuvor:

“Was… fällt… euch… ein…!?“

„Chan?“, erkannte Tiramisu ihren Trainer, der am Ausgang des Einheitstunnels bereits wartete. Oh-oh, da war wohl jemand sauer!? Zumindest hatte er die Hände zu Fäusten geballt und stemmte diese in die Seite. Als die Meerschweinchen nahe genug heran getreten waren kam er ihnen auf die letzten Meter entgegen und streckte die Hand in Richtung von Tiramisu’s Gesicht aus. Etwas ängstlich, was da kommen mochte, zuckte das Feuer-Pokémon zusammen und wollte dem erwarteten Schlag ausweichen.

Entgegen ihrer Erwartung kam ohnehin keiner, da hätte sie auch gar nicht die Augen zusammen kneifen und die Muskeln anspannen müssen damit eine Ohrfeige oder anderer Schlag nicht zu sehr schmerzen würde.

Aber Chan erhob gar nicht die Hand gegen sein Meerschweinchen. Stattdessen berührte er sanft Schulter und Hüfte und zog Tiramisu vorsichtig zu sich heran. Seinen Kopf gegen ihren drückend vergrub er sein Gesicht in ihrem Haar und flüsterte leise in ihr Ohr: „Tut… das… nie… wieder…! Ich… habe mir Sorgen um euch gemacht…!“

Tiramisu schreckte zusammen und brauchte einen Moment um die Situation zu realisieren und die eigenen Hände vorsichtig auf Chan’s Rücken zu legen. So erwiderte sie seine Umarmung zärtlich bis angewidertes Gemurre die Atmosphäre gnadenlos zerstörte:

„Boah, wie ekelhaft…!“, beschwerte sich Petit Four im Hintergrund während die männlichen Meerschweinchen eher neidisch als angewidert drein blickten weil sie auch mit Tiramisu kuscheln wollten. „Hört sofort auf damit, sonst bekomme ich Albträume, wenn ich mich wieder meinem wohlverdienten Schönheitsschlaf widme…!!“

Chan ächzte innerlich kurz und spürte, dass auch Tiramisu in seinen Armen erstarrte. Was waren die anderen denn bitte für Spanner? Mit einem kurzen Zischen rief er die Oberzicke und die beiden Aufreißer zurück in ihre Pokébälle. Oh Mann! Darüber konnte er wirklich nur den Kopf schütteln und sich nach seinem Starter-Pokémon umsehen in welches auch wieder Leben kam.

Tiramisu legte beide Hände auf Chan’s Brust und lächelte ihn von unten zuversichtlich an.

„Hör mal… Wir haben für die Arena trainiert und sind richtig stark geworden! Du musst dir keine Sorgen um uns machen. Toffee und ich werden gewinnen, versprochen!“

„Genau!“, pflichtete ihr auch der kleine Vogel bei und wirkte dabei sehr kampflustig und motiviert. „Also geben wir denen eine auf die Mütze! Los! Los! Auf geht’s! Yeah!“

„Okay.“, gab deshalb auch Chan nach und seufzte. Seine Mundwinkel verzogen sich dennoch zu einem leichten Lächeln, weil die gute Laune der beiden Meerschweinchen ansteckend war. „Ich zähle auf euch.“

Das würde schon gut gehen. Oder?

Aber sie waren ja schließlich im Typvorteil.
 

„Was soll das denn sein!?“

Da wich jegliche Herausforderung im Blick der Verwirrung über den Anblick der vielen Bäume in der Arena. Was zum Teufel? Sie waren durch die Tür getreten und fanden sich auf einmal in einem kleinen Wald wieder!?

Vor ihnen war der Abgrund, den man wohl nur auf klebrigen Fäden überqueren konnte. Beziehungsweise auf den spinnähnlichen Geräten, die bereit standen und diesen Eindruck sehr stark vermittelten.

„SPINNEN!!! Iiiiih!!“, kreischte Tiramisu angewidert beim Anblick der Szenerie und drohte in totale Panik zu geraten. Frauen…

„Die sind doch gar nicht echt…“, brummte Chan etwas genervt davon, dass Frauen dauernd beim Anblick von etwas Mehrbeinigem loskreischten. Da summten einem ja die Ohren! Noch dazu hätte es sich wirklich vermeiden lassen wenn Tiramisu die Augen aufgemacht und richtig hingesehen hätte. Hier handelte es sich definitiv um Gefährte, keine Lebewesen. Und sooo spinnenähnlich fand er die jetzt auch nicht, die waren den Krabbeltieren zwar gewiss nachempfunden worden, aber von der glatten Oberfläche – wohl der Sitzfläche – führten nur sechs Beinchen weg. Spinnen hatten acht. Also warum zur Hölle drehte das Meerschweinchen hier so dermaßen am Rad?

Der Trainer warf einen kurzen Blick auf Toffee um dessen Reaktion abzuschätzen. Der kreischte ja auch gerne mal los, aber im Moment wirkte der Blick eher etwas leer und der Kleine schien sich Gedanken darüber zu machen, wie tief man hier wohl fallen konnte. Na, er wohl am allerwenigsten, schließlich konnte er fliegen, selbst wenn er in den Abgrund plumpste. Da hatten Chan und Tiramisu es deutlich schwieriger. Aber was genau sollten sie denn jetzt eigentlich machen?

„U-und du bist dir sicher, dass die uns wirklich nichts tun?“

Das Meerschweinchen wirkte immer noch sehr ängstlich und machte sich scheinbar Sorgen darüber, dass die Geräte sie im nächsten Moment höchst aggressiv anspringen und auffressen könnten.

„Probier’s doch einfach aus…“, gab Chan darauf nur zurück. Er war sich sicher, dass nichts passieren würde. So sicher, wie sich Tiramisu scheinbar mit ihren Vermutungen war, aber nach einem „IRKS!“ schien sie ihm zumindest ansatzweise Glauben schenken zu wollen. „W-wenn du das sagst, Chan…“

Urgh…! Es brachte sie ganz schön ins Schwitzen, sich zu überwinden und sich Zentimeter für Zentimeter dem Abgrund zu nähern um dort angekommen vorsichtig mit der Fußspitze das Gefährt anzutippen. Nichts passierte. Tiramisu atmete hörbar auf. Puh!

Das kleine Erfolgserlebnis ließ sie etwas mutiger werden. So ließ sie sich auf den glatten Untergrund sinken. Ganz schön kalt. Sie tastete sich mit den Händen weiter vor und erschrak fürchterlich als das Gerät auf einmal unter ihr vibrierte. „Hä?“

Zu mehr war keine Zeit, denn auf einmal schoss das Teil voran und Tiramisu konnte nur panisch schreien: „KYAAAAAAAAH!! Chaaaaan!!!“

„Tiramisu!!!“

„Oh. Weg ist sie…“, bemerkte auch Toffee, der beobachtete, wie das Gerät Tiramisu entführte und auf der anderen Seite gegen den Boden des nächsten Waldstückes donnerte. Der Schwung beförderte Tiramisu direkt in die Arme eines Käfersammlers.

„ARGH!“, ächzte dieser. Das Meerschweinchen mochte nicht so viel wiegen, aber der Schwung reichte aus, um den Jungen ins Wanken geraten zu lassen. „Hey, was…!? Na warte!“, funkelte er die potenzielle Angreiferin an und griff zu seinem Pokéball.

„Tiramisu!! Warte, wir kommen und holen dich!“, rief Chan, um das ängstlich quietschende Meerschweinchen zu beruhigen. „Komm schon, Toffee!!“

„Äh…“

Chan griff nach den Schultern des Hoothoot und hüpfte mutig von der Kante auf ein weiteres bereit stehendes Spinnchen. Zuvor hatte er noch damit gerechnet, dass dieses dem von Tiramisu folgte, aber gerade musste er sich eines Besseren belehren lassen. Das Gerät unter ihm und Toffee schlug eine gänzlich andere Richtung ein. „Waa…!? Was soll das!? Was soll die Scheiiiiißee?“ hörte man den Trainer erschrocken rufen als er über ein ganz anderes Waldstück hinweg flog und Tiramisu einige Meter entfernt gegen den Trainer kämpfen sah. „Wir wollten nach da drüben!!“

Oh Gott, wo kamen sie denn da raus?! Mit einem „Aaaah!“ flog Chan raschelnd in eine gut bestückte Baumkrone. Der arme Toffee blieb davon verschont, war aber sicher auch nicht besser dran. Er landete zwar weich, aber als er sich nach der Ursache umsah, stellte er fest, dass er im Netz eines anderen Käfersammlers gelandet war.

„Oh?“, entdeckte dieser seinen Fang. „Naaaanuuuu? Was hab’ ich denn da gefangen? ’Nen Vogel…!?“

Davon war Kai, der Arenaleiter, nicht wirklich begeistert. Er hatte mit Herausforderern gerechnet, was nach dem vorherigen Geschrei nicht verwunderlich war, aber musste ausgerechnet ein Flug-Pokémon dabei sein? Noch dazu wirkte das noch sehr klein und schüchtern. „Du bist doch sicher nicht alleine hier… Wo ist denn dein Trainer abgeblieben?“

Hätte er sich umgesehen, hätte er sich die Frage sparen können, denn Chan rutschte gerade am Baumstamm entlang wie geplättet herunter und hielt sich die angeschlagene Nase. Autsch.

Toffee entdeckte seinen Trainer und schlüpfte flink aus dem Netz um winselnd auf diesen zuzuflattern. „Chaaan!!! Wäääh!!“

„Komischer Vogel.“, kommentierte der grünhaarige Leiter das Geschehen und zog damit den Zorn des Youtubers auf sich.

„Hä? „Komischer Vogel“…?“, äffte er die Worte nach und hielt den sich an ihn klammernden Toffee fest. Der verzog ganz schön das Gesicht und fand den Leiter wohl jetzt schon ziemlich doof. Chan konnte es nachvollziehen. „Hey, mein Team ist ja wohl fu**ing awesome!!!“

„Ach ja?“

Kai zeigte sich von dieser Ansage nicht besonders beeindruckt. Stattdessen wirkte er mit seinem Grinsen sehr kampfbereit und schickte auch schon sein erstes Pokémon – Sichlor – in den Kampf.

„Gegen dieses Käfer-Pokémon kann sogar dein Piepmatz nicht anstinken! Der hat keine Chance!“

„Woah!!“, entfuhr es seinem Herausforderer als dieser erschrocken das gegnerische Pokémon erkannte. „Kannst du nicht mit was Harmloserem anfangen!?“

Normalerweise setzten doch diese Käfersammler nur Raupy und Hornliu ein, vielleicht auch deren erste Entwicklungsstufe. Aber ein Sichlor zu Kampfbeginn war schon ein bisschen krass, um nicht zu sagen vollkommen übertrieben? Was ging denn mit diesem Kind ab, dass er gleich solche Geschütze auffuhr? Wollte der ihn unbedingt daran hindern, siegreich aus diesem Kampf hervorzugehen?

„Hmm…“ Kai schien ernsthaft über diese Frage nachzudenken, aber reagierte dann doch nur mit einem provokanten „Nö!“ darauf. „Nur weil du mit einem Vogel nicht gegen einen Flug-Käfer-Doppeltyp ankommst?“

Wahrlich, Toffee war da nicht gerade die beste Wahl. Aber genau das machte Pokémonkämpfe ja schließlich aus: Strategisches Vorgehen. Und er, Kai, wusste zumindest über die Schwächen in seinem Team Bescheid, und tat etwas gegen eben diese. Sichlor war eine gute Wahl weil es gegen die Flugattacken nicht ganz so anfällig war wie seine anderen Pokémon. Noch dazu konnte es immer besser austeilen je länger der Kampf dauerte – und dann würde die Zornklinge tödliche Folgen haben und ihn selbst als den klaren Sieger heraus kristallisieren. Das war seine Strategie.

Aber eines hatte er dabei nicht eingerechnet: Tiramisu, die mit laut gekreischtem „Neeeeiiiin!!!“ wohl doch noch den Weg an den Vortrainern vorbei gefunden hatte und einen flammenden Sturzflug genau auf das Sichlor hinlegte. Sie klammerte sich quiekend an dem Käfer fest als sie diesen endlich zu fassen bekam. „Lass den kleinen Toffee in Ruhe!!!“, brüllte sie laut und schaffte es, mit ihrem feurigen Auftritt den ersten Gegner auch außer Gefecht zu setzen bevor er ernsthaften Schaden anrichten konnte.

„Ähm…“ Damit hatte er wirklich nicht gerechnet und so war Kai für den Augenblick ziemlich verdutzt. Tja, eine Trumpfkarte spielte man eben zum Schluss auf. Jetzt hatte er nur noch die beiden Kokon-Pokémon und musste wohl auf Kokuna’s Giftstachel setzen.

„Egal. Meine anderen Käfer lassen sich nicht so einfach unterkriegen!“

Die konnten nämlich auch Härtner und so ihre Verteidigung erhöhen bis die Feinde durch das Gift in ihrem Blut langsam dahin siechten. Da war die Niederlage von Sichlor noch zu verschmerzen, der Kampf war jedenfalls noch lange nicht entschieden!

Diesmal trat auch der kleine Vogel an, der ihm zuvor ins Netz gegangen war, denn durch Tiramisu’s Auftritt war Toffee noch motivierter als ohnehin schon. „Ich will auch mal kämpfen!“

Jubelnd tappste er auf das Kampffeld, bemerkte jedoch im ersten Moment gar nicht, dass sich das gegnerische Kokuna längst zum Kampf bereit gemacht hatte und mit aufblitzendem Stachel auf ihn herunter sauste. Aber dem Feuer-Pokémon war es glücklicherweise nicht entgangen und so schubste sie Toffee beiseite und drückte das Kokuna mit der Hand weg. Zu langsam allerdings um von der gegnerischen Attacke verschont zu bleiben.

„Urgh!“ Autsch, das tat verdammt weh, dieses Stechen!

„Tiramisu!! N…nein!“

Oh nein, was sollte er tun? Ziemlich panisch über den erfolgreich eingesetzten Giftstachel drohte Toffee zu rotieren und noch unaufmerksamer zu werden. Kai sah darin seine Chance und forderte sein Safcon auf, diese zu ergreifen und dem kleinen Vogel mit einem Tackle zu schaden.

„Verzieht euch!“, quietschte das Hoothoot und warf das Safcon auf das Kokuna. „Ich hab‘ gerade anderes zu tun! Wäääh!!!“ Durch die harten Kokons erreichte Toffee mit dieser Aktion sogar ein Doppel-K.O. und konnte sich daher im nächsten Augenblick gleich ängstlich einer blassen, schwitzenden Tiramisu nähern, die ihre verletzte Hand hielt. „Tiramisu, alles okay? Bitte stirb nicht!!“

Das war seine größte Angst! Dass Tiramisu etwas geschehen könnte nur weil sie ihn beschützt hatte! Und sie sah gerade wirklich nicht gut aus. Das Gift breitete sich wohl in ihrem Körper aus und ließ sich keineswegs davon aufhalten, dass der Kampf bereits beendet war.

„Chan!! Chaaaan!! CHAAAAAN!!!“ Mit jedem Wort quietschte Toffee lauter um den Trainer auf sich aufmerksam zu machen, der gerade den neuen Orden in Empfang nahm und von Kai bequasselt wurde, was ihm dieser Orden alles ermöglichte und wie toll das war und bla. „Tiramisu geht es nicht gut!!! Sie ist ganz blass und verschwitzt und keucht!“

In Punkto Weinerlichkeit übertraf Toffee die Verletzte in diesem Moment sogar noch, denn als Chan Kai einfach stehen und weiter labern ließ um sich stattdessen seinem Pokémon zu widmen reagierte dieses nur mit einem leisen Schluchzen.

Ohne groß nachzudenken schnappte sich der Dunkelhaarige das Pokémon. „Du siehst gar nicht gesund aus! Los, zum Arzt ins Pokémon-Center!“
 

Und das ging schneller wenn er Tiramisu auf seinem Arm trug, sie war ja leicht genug dafür. Nur ihr Gezappel machte das Vorankommen etwas schwierig, aber das Center war ja nicht allzu weit von der Arena entfernt und so war Tiramisu bald in den Händen einer fähigen Person, die etwas gegen das sich ausbreitende Gift unternehmen und sie wieder aufpäppeln konnte.

Schwester Joy pattete Tiramisu tröstend und fürsorglich und machte bei ihrem „Keine Sorge, das bekommen wir schon wieder hin. Komm einfach später wieder vorbei.“ einen kompetenten Eindruck. Als sei sie schon öfter mit Vergiftungsfällen in Berührung gekommen und wisse genau, was sie zu tun habe. In dieser Stadt vielleicht gar nicht mal so abwegig, denn bestimmt war Chan nicht der einzige, der Kai in seiner Arena herausforderte.

„Vielen Dank!!“ Dem Trainer fiel ein Stein vom Herzen. „Dann ruh‘ dich gut aus, Tiramisu. Wir gehen in der Zwischenzeit noch ein bisschen auf der Route 33 vor der Stadt trainieren.“

Das war ja gleich ums Eck und wenn Tiramisu wieder fit war konnte sie ja gerne nachkommen. Ach ja, da fiel ihm gerade ein, dass er auf der besagten Route noch gar kein Pokémon gefangen hatte. Als er die Möglichkeit gehabt hatte waren da ja Kurt und dieser Kerl vom Team Rocket im Weg gewesen und hatten diskutiert – und Chan es daher ja vorgezogen, lieber einen Schleichversuch an den Beiden vorbei zu wagen statt sich ins hohe Gras zu werfen um nach einem weiteren Teamkameraden zu schauen. Das wollte nachgeholt werden! Das war doch eine schöne Aufgabe neben dem Training.

„Schoooon wieder!?“ Maaaann! Das nervte Petit Four jetzt aber ganz schön, dass sie schon wieder trainieren sollten. Hatten sie doch erst! „Kein Wunder, dass das alles hier so langsam voran geht, wenn du dauernd zum Trainieren gehen willst…!“ Wie lange dauerte das denn noch, sie wollte nach Dukatia City und shoppen – und nicht wieder zurück laufen und beim Trainieren schmutzig werden.

„Willst du nun nach Dukatia City oder nicht?“

„Natürlich will ich da hin…!!!“ Moment, erpresste Chan sie da gerade mit der neuen Stadt? Von wegen, er würde sie dort nicht hin bringen wenn sie das Training verweigerte? Was für ein Arsch! Dem würde sie es zeigen. Und wenn sie wirklich dreckig wurde beim Training, dann würde sie Chan’s gesamtes Geld für neue Kleider verwenden. So! Das hatte er jetzt davon! Mit diesem Hintergedanken fiel es ihr auch wenigstens ein kleines bisschen leichter, der Gruppe in Richtung der Route 33 zu folgen. Wenn auch grummelnd.
 

Eine weitere Tatsache, die das Training angenehmer gestaltete, war die doch recht kurze Dauer. Während Chan sich über ein gefundenes Hoppspross freuen konnte und die meiste Zeit damit verbrachte, diesem hinterher zu jagen und es doch nicht zu erwischen, stiegen seine Pokémon ein paar Level auf. Oreo auf seinem Level 9 war viel zu sehr damit beschäftigt, wilde Habitak-Weibchen aufzureißen und abzuschlecken, und damit Mööh’s Ekel und Zorn auf sich zu ziehen, die die Ratte an männlichen Seinesgleichen ausließ um auf Level 13 zu kommen. Der Anblick versetzte auch Toffee auf seinem Level 13 einen ziemlichen Schreck, so dass er sich eher versteckte als sich ins brutale Getümmel zu werfen. Das machte ihm Angst! Mööh machte ihm Angst! Ebenso viel Panik hatte wohl das Habitak vor Oreo, denn es entkam irgendwie seinem Griff und suchte sich als neues Opfer das Porzellanschweinchen Domino, den das Gepicke am Kopf ziemlich kalt ließ. Und auch Petit Four war nicht untätig, auch wenn sie von diesen primitiven Kampfhandlungen nun wirklich nicht viel hielt – aber diese sie angaffenden Ratten auf dem Baum gingen ihr auf die Nerven und so boxte sie ein Rattfratz nach dem anderen weg. Auch die beiden erreichten Level 17. Alles in einem waren sie also viel erfolgreicher als ihr Trainer, der immer noch das Hoppspross überreden wollte, der Meerschweinchen-Armee beizutreten, und keinerlei Fortschritt machte. Und entsprechend gereizt Julian anmeckerte, der ihn ständig während des Trainings anrief um ihm etwas von seinem ach so coolen Rattfratz vorzuschwärmen. Boah, wie nervig!

„Hihi.“ Ein leises Kichern ließ die Meerschweinchen und Chan ihre Tätigkeit unterbrechen. „Ihr seid ja ganz schön fleißig!“

„Tiramisu!“ Petit Four entdeckte das geheilte Feuer-Pokémon zwar als Erste, aber trotzdem war der Trainer am schnellsten bei seinem Starter und erkundigte sich nach ihrem Befinden. Tiramisu bestätigte, dass es ihr wieder besser ging, doch dann richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf eine weitere sprechende Person.

„Sag mal…“ Leise und recht nah erklang sie, die Stimme jenes jungen Mannes, der entspannt mit den Händen in der Tasche seines Kapuzenpullovers an einen Baum lehnte.

„… „Tense“?“ War er das nicht? Tiramisu war sich nicht ganz sicher ob sie ihn richtig identifizierte, aber irgendwie so war der Name doch gewesen? Der Name dessen, der die anderen beiden Starter-Pokémon in Neuborkia geklaut hatte, und scheinbar mit Team Rocket unter einer Decke steckte?

„Was?“ Auch Chan wurde auf seinen Kumpel aufmerksam.

„… Stimmt es eigentlich, dass Team Rocket wieder da ist?“

Hä? Die Frage irritierte Trainer wie Pokémon offensichtlich, aber Chan fing sich recht schnell und erwiderte: „Jaaa… Die haben hier voll rum genervt. Wir haben sie längst verjagt! Und wo kommst du auf einmal wieder her…?“

Der tauchte immer so plötzlich auf wie er verschwand. Aber warum fragte er nach Team Rocket wenn er doch mit denen gemeinsame Sache machte? Irgendetwas war hier doch faul!

„Tze.“, machte Tense abfällig. „Erzähl keine Märchen!! Aber wenn das wirklich stimmt, dann kannst du mir ja bestimmt auch eine Kostprobe deiner Fähigkeiten geben.“

Oh-oh, hatte der nicht beim letzten Mal ein Wasser-Pokémon eingesetzt? Chan hatte noch immer nichts dabei, was diesem Pokémon effektiv schaden konnte. Aber er hatte auch keine Wahl, denn Tense setzte ohne große Umschweife seine Pokémon ein.

„Dann mal los, du Schwächling!“

Der Brillenträger schickte Zubat, Nebulak und Tyracroc ins Rennen während Chan sich für Domino und Petit Four entschied und seufzend die Herausforderung annahm. Blieb ihm ja eh nichts anderes übrig. Dann versuchte er aber wenigstens, einen Deal zu erreichen: „Wenn wir gewinnen verlange ich eine Erklärung von dir, was das alles soll!!“ Und damit meinte er auch wirklich alles! Den Einbruch ins Labor, das Böse-Bube-Getue, die Zusammenhänge mit Team Rocket – alles!!! Und für dieses Ziel wollte er den Kampf auch schnellstmöglich siegreich beenden und warf deshalb Domino für einen ordentlich schmerzenden Steinwurf auf das Geister-Pokémon und die Fledermaus.

„… Was soll der Scheiß?“

War das nicht geschummelt wenn der Trainer so in den Kampf eingriff statt seine Pokémon einfach mit Anfeuerungsrufen zu motivieren oder Items einzusetzen? Er hatte noch nie gesehen, dass jemand sein Kleinstein durch die Gegend warf. Aber gut, er hatte jetzt noch Tyracroc, das sich rechtzeitig unter dem Steinwurf weggeduckt hatte und ohnehin sein Ass im Ärmel war. Gegen dieses Prinzesschen würde es sich ja wohl durchsetzen können. Die sah eh so aus als würde sie beim kleinsten Pieks anfangen zu schreien und zu heulen.

„Los, Petit Four, zeig ihm, was für ein Miststück du sein kannst!“, beschränkte sich Chan nun wohl auch auf die Anfeuerungsrufe, denn Domino hatte seine Arbeit schon sehr gut erledigt und eine Wasserattacke würde ihn womöglich ausknocken. Also blieb ihm gegen das Krokodil ohnehin nur Petit Four.

Die sah alles andere als motiviert aus als das Tyracroc sein Gesicht zu einer sehr merkwürdigen Grimasse verzog. „… So etwas wie… das da? Nein, danke. Das entstellt mein wunderschönes Gesicht.“ Auf dieses Niveau ließ sie sich gar nicht erst herab. Was brachte es dem Vieh eigentlich, so dämlich zu glotzen?

„Neiiiin! Gähner und Bitterkuss!“, präzisierte ihr Trainer, was er gemeint hatte. Doch nicht so eine komische Grimasse. Petit Four war eh so zickig und eitel, da wäre es wahrscheinlich ziemlich merkwürdig, wenn sie auch so ein Gesicht machen würde. Aber mit Gähner und Bitterkuss konnte sie durchaus beweisen, wie fies sie sein konnte, denn die eine Attacke würde den Gegner einschläfern und die andere ihn verwirren. Kombiniert dürften dem Kroko weitere Attacken ziemlich schwer fallen und dann würde Petit Four alle Zeit der Welt haben, ihm Schaden zuzufügen.

„Ach so! Dann mal los!“ Auf diese Taktik konnte sich die Prinzessin einlassen. Die war elegant und sie würde dabei ihr schönes Kleid nicht dreckig machen, denn für ein Luftküsschen in Richtung des Gegners brauchte sie ja keinen einzigen Schritt zu machen. Und wirksam war es auch, denn Tyracroc patschte sich prompt selbst ins Gesicht. Harhar! Petit Four formte ein Victory-Zeichen mit ihren Fingern und lachte siegessicher. Auf eine Art und Weise, die genauso seltsam war wie die zuvor noch eingesetzte Grimasse über die sie sich so lustig gemacht hatte.

„Ach, und DAS „entstellt“ dein Gesicht nicht, oder was?“ Das war doch echt nicht zu fassen! Dieses Meerschweinchen! Die Rache folgte jedoch sogleich in Form einer Aquaknarre direkt ins Gesicht und Chan konnte sich ein kurzes Schmunzeln nicht verkneifen. Natürlich wollte er nicht verlieren weil Petit Four sich zu fein war, richtig zu kämpfen… aber diesen Treffer hatte sie irgendwo verdient! Und sie reagierte darauf ziemlich erschrocken und quietschte gleich laut: „Kalt! Nass! Iiiiiiieh!!“

Wie konnte dieses Mistvieh es wagen, sie wie einen begossenen Pudel dastehen zu lassen? „… Grr.“

Kaum war der Schreck überstanden überwog die Wut gegenüber dem dreisten Krokodil. „Ich bring dich um!! Was fällt dir Banause ein, meine Frisur zu zerstören!? Drecksvieh!!!“ Das gab eine Konfusion in die Fresse, die sich gewaschen hatte! Das Vieh sollte für diese Aktion büßen! Und damit wurde auch das dritte Pokémon des Feindes erledigt, doch der reagierte auf seine Niederlage scheinbar ziemlich gelassen und schnaubte nur verächtlich. „Ich hasse Schwächlinge…!“

Chan freute sich über den Sieg umso mehr, denn Petit Four hatte sich gegen Tyracroc ziemlich gut gehalten und nahm ihm so die Angst, dass das Krokodil ihnen jemals wieder gefährlich werden könnte. „Yeah! Gewonnen!!“ Die Siegerfaust schnellte in die Luft, aber trotzdem hatte der Dunkelhaarige nicht vergessen, dass er eine Bedingung gestellt hatte.

„Also, Tense? Wir haben eine Abmachung. Ich hab‘ dich besiegt, also rede!“

Herausfordernd blickend sah er sich nach seinem ehemals besten Kumpel um.

Und blickte einmal mehr ins Leere.

„… Tense?“

Nichts. Egal, wo er hinsah, der Kerl war schon wieder weg.

„Du bist echt so ein…!! Wo ist die Sackfalte jetzt schon wieder hin verschwunden!?“

Was für ein elendiger Verräter! Er hatte fair gekämpft, fair gewonnen und der machte sich einfach aus dem Staub statt seinen Teil zu erfüllen? Wie unfair war das denn?

„Raaaah! Das kann doch einfach nicht wahr sein! Ich krieg ‘ne Krise! Wieso haut der immer ab statt mir einfach mal zu erklären, was abgeht? So eine verdammte Schei…!!“

Das war doch echt zum Haareraufen! Schon wieder.

„Heul nicht so rum, du Pussy!!! Das nervt!“, murrte Mööh, der gar nicht verstehen konnte, was Chan für ein Problem hatte. Der Idiot war doch selber schuld. Schließlich konnte sich das Rattfratz nicht daran erinnern, dass der jemals die Bedingung angenommen und versprochen hätte, sich daran zu halten. Da sollte Chan nicht rumheulen wenn er nichts erreichte.

„Was!? Wenn hier jemand eine Pussy ist, dann ja wohl du, Mööh!“ Eigentlich. Bis jetzt hatte sich Mööh zwar nicht so pussyhaft verhalten wie er es von ihm gewöhnt war, aber Chan war gerade wegen Tense‘ Verschwinden ziemlich geladen und nutzte die Gelegenheit, seiner Wut Luft zu machen.

Und so war Tiramisu einmal mehr die Einzige, die einen klaren und ruhigen Kopf behielt und nachdachte statt ihre Zeit mit gegenseitigen Anschuldigungen und Beleidigungen zu vergeuden. „Hmmm… Vielleicht ist er in den Steineichenwald gegangen?? Er kann sich ja nicht einfach so in Luft aufgelöst haben… Und im Wald kann man sich bestimmt gut verstecken.“ Nah war er auch, denn wenn sie sich umdrehten standen sie direkt am Eingang. So abwegig waren Tiramisu’s Gedanken also gar nicht.

„Meinst du? Na ja, einen Versuch ist’s ja wert.“, gab Chan nach und beruhigte sich wenigstens wieder ein bisschen. „Und nach Dukatia wollten wir ja eh… Zumindest „wollen“ wir das, weil Petit Four unbedingt ins Einkaufszentrum will… na ja…“ Vielleicht war Tense noch nicht allzu weit gekommen und sie könnten ihn noch einholen?

„Genau!“, stimmte da sogar Mööh seinem Trainer zu, wenn auch mit ganz anderen Hintergedanken. Denn er hatte längst abgeschalten als der Dunkelhaarige die Prinzessin erwähnt hatte. „Ich brauche auch ganz dringend was aus dem Einkaufszentrum…“

Und dieses „was“ würde ihm sicher den Weg zu Petit Four’s Herzen ebnen. Wenn er ihr ein teures Geschenk – von Chan’s Geld natürlich – machte würde sie sich sicherlich freuen und sich in ihn verlieben. Hehe…

Aber erst einmal mussten sie es durch diesen Wald schaffen.

Und dann...



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