Red. Wie sehr er ihn vermisste, seinen Erzfeind und doch besten Freund. Viel zu lange war er schon auf dem Mount Silver verschwunden, um dort mit seinen Pokemon stärker zu werden und zu trainieren.
Green musste unwillkürlich leicht lächeln, als er zum Mount Silver starrte. Ja, da oben war er. Red. Einfach so war er gegangen, hatte sich um nichts geschert, nicht mal um seine Aufgabe als Champ. Ihm war wohl völlig egal, wie sehr er die Menschen um sich herum verletzte, ganz besonders Green. Um seine Mutter scherte sich der hochwohlgeborene Champ erst recht nicht. Sie vermisste ihn, oh ja. Gefühlt achttausend Mal im Monat schickte sie Red Briefe, welche von der örtlichen Schwester Joy angenommen wurden.
Schwester Joy... Wie gern er nur an ihrer Stelle wäre. So ungern, wie er es nur zugeben wollte.
Green hatte in den letzten Monaten etwas festgestellt. Sobald er an Red dachte, war da ein neues, unbekanntes Gefühl, das er überhaupt nicht kannte. Es war warm, prickelnd und einlullend. Gänzlich neu.
Daisy hatte schon mehrfach auf ihn eingeredet, ihn versucht, davon zu überzeugen, Red Red sein zulassen. Vergeblich. Green konnte und wollte Red nicht einfach vergessen. Er war wie Fluch und Segen zugleich. Fluch, da Green die Arenaaufgabe hatte schleifen lassen. Segen, da er ihn immer angespornt hatte.
"Red", hauchte Green beinah kraftlos. In der letzten Zeit war endlos viel passiert. Ihm war etwas über einen gewissen Gold zu Ohren gekommen, der in Jotho anscheinend ganz schön für Aufruhr gesorgt hatte. Auch hier war er gewesen, hatte sein gesamtes Team in den Boden gestampft. Green hatte ihm in einer fünfminütigen Rede klar gemacht, dass er gefälligst Red zu besiegen haben solle und fall er dies nicht täte, wohl nach Jotho kommen müsse und ihn dort zu Rede stellen würde. Er war talentiert, ja. Und wie er es war. Er hatte nie daran gezweifelt, erst recht nicht mehr, als sein alter Herr ihm einen Pokedex anvertraut hatte.
Urplötzlich schwank die Tür der Arena auf. Eisige Luft strömte in das Gebäude und mit einem Quieken machte sich auch nun sein Evoli bemerkbar, das bisher um seinen Hals gewickelt, geschlafen hatte. Green war, bevor die Tür aufging, im Begiff, die Arena zu verlassen, hatte aber beim Anblick des Besuches all seine Vorhaben vergessen.
Red stand in der Tür und musterte ihn unverhohlen aus seinen roten Augen. Etwas unfassbar... Tiefes lag in diesen Irden, was Green zu einem wohligen Schaudern brachte.
Red war also wieder da. Sein Pikachu sprang mit einem lauten "Pika!", in die Arena, schoss auf Green zu und strahlte ihn aus seinen braunen Augen heraus erwartungsvoll an. Green lächelte und sah zu dem kleinen Elektronager herunter, eh er sein verschlafenes Evoli von seinen Schultern hob und es Pikachu vor die Nase setzte.
"Dann hat dich Gold also plattgemacht?", wollte der Arenaleiter wissen, ehe er sich wieder gerade hinstellte. Innerlich zerplatze er vor Freude. Red war wieder hier! Er musste Gold wirklich demnächst in Jotho besuchen kommen, wenn er wieder einmal frei hatte. Gold war aber schon vor einiger Zeit hier gewesen. Vor.. einem Jahr. In dieser Zeit hatte er in der Kalos Region wilde Pokemon studiert, sich mit dem neuen Typ Fee beschäftigt, die Mega-Entwicklung unter die Lupe genommen und sich öfters mal mit Calem getroffen, um mit diesem zu trainieren. Calem war ein wirklich guter Freund von Green geworden, da er nett, freundlich und umgänglich war.
"Er ist so gewaltig wie Mount Silver", vernahm Green die raue Stimme Red's. Sie war so anders. Natürlich war sie das, wenn man sich jahrelang nicht sah.
Green besah sich den ehemaligen Champ genauer. Er war... erwachsener. Seine Cap trug er noch immer, ebenso wie seine 'gewohnte' Standartkleidung. Er hatte dennoch immer noch etwas Bedrohliches an sich. Wer wusste es schon? Vielleicht besiegte er Gold irgendwann? Man wusste es nicht.
"Komm. Wir gehen zu mir nach Hause, ja? Du siehst aus, als würdest du schon gar kein richtiges Bett mehr kennen", grinste Green etwas spöttisch, ehe er sich die paar Schritte auf Red zu begab und ihn umarmte.
"Du hast mir gefehlt, Red."
"Du hast wirklich alles verpasst", stellte Green kopfschüttelnd fest, als er Red seine Ramen reichte und sich setzte. Dieser reagierte nicht auf diese Kritik, sondern begann eifrig damit, die Ramen förmlich zu verschlingen. "Pass auf, es ist", wollte er den Schwarzhaarigen noch warnen, bevor er aber merkte, dass es viel zu spät war. Red hatte sich die Zunge bereits verbrannt. Zischend zog er diese zurück, ehe er Green aus seinen roten Augen ansah, die ihn fast fragten: "Wie bitte?".
Eigentlich brannten Green tausend Fragen auf der Zunge, die er dem ehemaligen Champ zu gern gestellt hätte, jedoch wusste Green, dass er damit bei Red nicht weit kommen würde. Er musste von sich aus heraus erzählen, nicht, weil er ihn dazu zwang.
"Arenaleiter sein ist wirklich anstrengend", gab Green von sich, in der Hoffnung, dass Red darauf anspringen würde. Vergebens. Einzig die roten Augen seines Gegenübers blickten ihn an, mit einem Ausdruck, der von unterdrücktem Spott sprach.
Dieser... Idiot! Er hasse ihn für seine blöde, arrogante Art. Red hielt sich nicht für etwas Besseres, oh nein. Er hatte jahrelang am Existenzminimum gelebt. Dennoch hatte er dieses... Kalte an sich. Wie er ihn dafür hasste. Das Einzige, was der Arenaleiter wollte, war, dass Red endlich redete. Er wollte Gefühle hören, wollte wissen, wie es dort oben war. Er wollte Reds Stimme hören, ja Herrgott, er wollte, dass er sich öffnete!
Green sprang wütend auf. "Red! Wie-", schrie er, brach jedoch sofort ab. Green wollte Red nicht anschreien. Nicht jetzt. Ich würde den Jüngeren nur verschrecken. Red beinah enttäuscht ansehend, ließ sich der Neunzehnjährige wieder auf seinen Stuhl fallen, missmutig auf seine Schüssel Suppe starrend.
"Du bist immer noch der Gleiche", sprach auf einmal der Gast, was Green zum Aufhorchen brachte. "Hm?" Green sah auf. Sah in die Augen Reds und hätte am liebsten wieder weggesehen. Sie glitzerten auf eine seltsame Art und Weise, was den jungen Mann zum Erschaudern brachte. "Wie meinst du das?", fragte der Ältere, der leicht Rosa im Gesicht wurde. "Immer noch so laut, unbeherrscht und emotional", gab Red von sich, der sich leicht vor lehnte. Green stierte in seine Augen, ignorierte dabei sein rot angelaufenes Gesicht: "Und du hast keine, was?", zischte er wütend, gekonnt Reds feixenden Gesichtsausdruck übergehend.
"Doch." Und mit diesem Wort lehnte sich Red nach vorne und drückte seine Lippen auf die Greens. Der Küsser löste sich jedoch so schnell wieder von Green, dass dieser gar nicht in der Lage war, irgendetwas zu fühlen. Fassungslos blickte er den ehemaligen Champ an, der sich seelenruhig wieder hinsetze und weiteraß. Verwirrtheit machte sich in dem Körper des Geküssten breit. Was war das gewesen?! Was hatte Red damit bezwecken wollen?
Nachdem sich der Arenaleiter wieder gesammelt hatte, fing er mit holpriger Stimme wieder zu sprechen an. "Was sollte das?", brachte Green gepresst hervor. "Macht man das nicht, wenn man sich gern hat?", antwortete Red, der bereits mit dem Essen fertig war.
Der Arenaleiter wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Tat Red gerade nur so blöd, oder war er es wirklich?
"Red", sprach Green und machte den jüngeren auf sich aufmerksam. Dieser blickte ihn an, als Green anfing zu sprechen. "Man küsst sich nur, wenn man sich liebt", begann der überaus gutherzige junge Mann nun, den unwissenden Sprössling vor sich aufzuklären.
"Vielleicht liebe ich dich ja", kommentierte der Trainer, als Green endete. Red hatte nur leider keinerlei Ahnung, was er in Green damit auslöste. Schwitzige Hände, Herzrasen, Rot angelaufenes Gesicht und Zittern wurden zur Schau gestellt. "W-wie kommst du darauf?", stotterte der Arenaleiter vor sich hin.
Ein Schulterzucken seitens Reds, was Green unheimlich wütend machte. Aggressiv sprang er auf: "Red! Wie kannst du sowas behaupten, wenn du keine Ahnung von sowas hast?!", brüllte Green los.
Auf einmal begann Red zu grinsen. Der Ältere zuckte zurück und starrte den Grinsenden an. Green hatte Red noch nie grinsen sehen. Es war wunderschön und gruselig zugleich. "Wer sagt, dass ich davon keine Ahnung habe...?", hauchte Red hinterhältig, ehe er aufstand, und aus der Küche ging.
Dieser gottverdammte Idiot. Green war so naiv und leicht durchschaubar, dass ich leicht schmunzelte, als ich mich ins Bett legte. So ein Trottel. Dachte er wirklich, ich entsagte allen meinen Gefühlen? Natürlich nicht. Sonst hätte ich keinen heimlichen Briefkontakt mit Daisy geführt, um mich zu erkundigen, wie es ihm ging, was er so trieb oder ob er liiert war. Daisy hatte mir stets lange, ausführliche Antworten geschrieben, erzählte von Veränderungen in der Liga, den Neuentdeckungen... Eben alles, was so anfiel.
So auch, dass Green ein auffälliges Verhalten an den Tag legte, sobald es um mich ging. Es, so schrieb sie mir, wirkte beinah... vernarrt. So, als hätte er tiefer gehende Gefühle für mich.
Denen ich mich im Übrigen auch nicht völlig entsagten konnte. Ja, ich liebte Green, schon seitdem ich ihn auf meiner Reise als Rivale ständig in unverhoffter Nähe gehabt hatte. Damals war es freundschaftliche Liebe, heute war es weitaus mehr. Damals war ich mir dem nicht bewusst gewesen. Der Mount Silver hatte eine klärende Wirkung. Auch auf menschliche Gefühle.
Langsam drehte ich mich im Gästebett Greens herum, vergrub meine Nase im Kopfkissen. Meerwasser, Salz und Minze. Es roch nach Green. Es war ein fantastischer Geruch, so stark, dass es sich anfühlte, als würde ich direkt in seinen Armen liegen. Vielleicht tat ich es irgendwann auch. Vielleicht. Aber bis dahin war es noch ein sehr langer Weg, der mir schier unendlich erschien, noch länger, als bis zur Elite Four und dem Champ.
Am nächsten Morgen spürte ich, wie sich Pikachu an mich kuschelte, als ich die Augen öffnete. Das war typisch für ihn, seit wir auf dem Mount Silver gewesen waren. Er vertrug Kälte nicht ganz so gut, sodass er oft bei mir Schutz gesucht hatte. Daraufhin hatte ich ihn zu Glurak gesetzt, der Pikachu fürsorglich an sich drückte. Generell war Glurak immer da gewesen, wenn ich ihn gebraucht habe. So wie alle meine Pokemon, und... Green. Ich lächelte leicht. Mal sehen, was der Arenaleiter so trieb.
Schnell schwang ich meine Beine aus dem Bett und tapste zur Tür. Es war ein ungewohntes Gefühl, mit nackten Füßen zu gehen, da ich während meines Trainings keinerlei Chance gehabt hatte, überhaupt irgendwas auszuziehen. Am Kältetod zu verenden hatte noch nie wirklich in meinem Interessenbereich gelegen... Hier hatte ich nur Boxershorts und ein altes Hemd von Green an. Pikachu sprang auf meine Schulter, als ich die Tür öffnete und quiekte vergnügt. Auch er freute sich, wieder hier zu sein. Er mochte Evoli wirklich gern, was ich gut verstehen konnte. Als ich es gestern gesehen hatte, war mir der Ewigstein an seinem Hals aufgefallen. Green hatte sich stark verändert, wie mir schien. Im positiven Sinne. Er schien nicht mehr die Auffassung zu vertreten, dass nur ein starkes Pokemon ein gutes Pokemon war. Er war wirklich erwachsen geworden.
Leise schlich ich durch die Wohnung, suchte im Wohnzimmer, in der Küche, im Badezimmer, in der Abstellkammer. Nichts. Green war weg. Außer... Mein Blick wanderte zu der letzten Tür, die ich noch nicht geöffnet hatte. Sein Schlafzimmer. Langsam ging ich auf die Tür zu, legte meine Hand an die Klinke. Auf einmal fühlte sich alles so schwer an, jedoch auch so leicht. Zaghaft schluckte ich. Das war eine Verletzung seiner Privatsphäre, sollte ich den Raum betreten. Aber auf der anderen Seite...
Gemächlich drückte ich die Klinge herunter, schob langsam die Tür auf, um hineinzulinsen. Pikachu tat es mir nach, sodass mein rotes Auge und sein braunes durch den schmalen Spalt sahen. Zunächst sah ich Holz, dunkles Holz. Der Fußboden. Ich schob die Tür weiter auf. Da, die Bettkante! Ich ließ meinen Blick weiter wandern. Mein Herz wummerte, in meinen Ohren rauschte das Blut. Was, wenn Green nackt schlief und ohne Decke? Ich sah weiter nach oben. Satinbettwäsche, dunkelrot, so rot, wie meine Augen... Sonnenlicht fiel auf die Bettdecke, sodass der Satin seltsam funkelte. Ich biss mir auf meine Unterlippe, als mein Blick gen Kopfkissen wanderte. Mehrere Sekunden starrte ich bloß darauf, ehe ich gefühlte zehn Zentimeter kleiner wurde.
Das Bett war leer.
"Daisy!", rief ich atemlos, als ich in ihrem Zimmer stand. Lächelnd blickte mich meine Schwester an, erwartete geduldig den Grund meiner Hektik. "Er ist wieder da! Red ist hier!", strahlte ich, und lachte mir innerlich ins Fäustchen, als ich ihren ungläubigen Blick sah. Von wegen Red ließ mich im Stich!
Das tat er nie.
Daisy sah mich verstört an: "Wieder da? Das... das kann nicht sein, Green", sagte sie ungläubig. Ich blinzelte mehrmals, bis ich den versteckten Vorwurf heraushörte. Daraufhin spürte ich eine rasende Wut in mir, die mich schier blind machte. Red war mein empfindlicher Punkt. Schon immer. Wie ich es hasste. Er, oder bloß seine Namenserwähnung machte mich schwach. Schwach nach diesem verschlossenen Menschen, der mich so faszinierte.
"Er ist wieder da. Komm doch vorbei, wenn du mir nicht glaubst", zischte ich und verschwand aus dem Zimmer. Wütend polterte ich die Treppen hinab, rannte fast meinen Alten über den Haufen, der mich in seiner Müdigkeit kaum wahrzunehmen schien und verließ türknallend das Haus. Draußen angekommen stützte ich meine Hände auf meine Knie, versuchte, meine Gedanken zu klären. Ganz ruhig, Green. Ganz ruhig.
Seufzend richtete ich mich auf und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Wieso war ich so unkontrolliert? Dieser blöde Red...
In meiner Verzweiflung bemerkte ich nicht, wie Daisy aus ihrem Zimmerfester zu mir hinab schaute und dann ihren Blick abwandte, um auf das zu sehen, was in ihren Händen lag.
Pikachu stupste mit seine Pfote das Toast an, ehe es dafür sorgte, dass es knusprig braun geröstet auf einem der Teller landete, die ich für Green und mich auf den Küchentisch gestellt hatte. Stumm sah ich dabei zu, wie Evoli ratlos vor dem Tisch stehen blieb und zu Pikachu hoch lugte, der ihm fröhlich zuwinkte. Evoli und Pikachu hatten sich immer gemocht, und es gehasst, gegeneinander zu kämpfen. Daher waren sie, falls wir sie im Kampf eingesetzt hatten, immer umeinander herumscharwenzelt. Noch nie hatte eins meiner Pokemon so oft einen Gegner verfehlt. Jedoch konnte ich Pikachu verstehen. Ich hatte auch nicht gern gegen Green gekämpft, es war mir immer unangenehm gewesen. Oft hatte ich mit Daisy darüber gesprochen, wenn ich während meiner Reise in Alabastia gewesen war, was sich mit Glurak als Teampartner wunderbar einrichten ließ.
Daisy hatte mich verstanden, hatte mir Mut gemacht und mir gesagt, dass Green verschiedenste Gründe hatte, um mich zu bekämpfen. Nichtsdestotrotz sah er mich als besten Freund an. Er war nun mal so, hatte sie immer gesagt. Er würde mit der Zeit anders werden, der jugendliche Leichtsinn würde verschwinden.
Sie hatte recht behalten. Green war reifer geworden.
Ich schreckte aus meinen Gedanken, als ich hörte, wie die Wohnungstür aufging. Schnell setzte ich mich an den Tisch und schob Pikachu von diesem herunter, der prompt auf Evoli landete. Das empörte Quicken, welches darauf folgte, war so laut, dass sich Green aus dem Flur zu Wort meldete: "Red, bist du das?", fragte er verwirrt. Dies nahm ich zum Anlass, um meine Hand Bekannntschaft mit meiner Stirn machen zu lassen. Das war ja toll gelaufen.
Zügige Schritte tönten durch den Flur, bis hin zu meinen Ohren. Sofort setzte ich mich ordentlich hin, stütze meinen Kopf auf meine Hand und sah teilnahmslos aus dem Fenster. Als Green den Raum betrat und ich das Stocken seiner Schritte wahrnahm, drehte ich mich zu ihm um. Der Arenaleiter sah den Tisch verwirrt blinzelnd an, ehe er mich noch verwirrter anblickte. Innerlich schmunzelte ich. Greens Blick war Gold wert.
Ich nickte zu dem freien Stuhl mir gegenüber und blickte ihn auffordert an. Noch einmal stuzte er, ehe er sich langsam in Bewegung setzte, sich zögerlich zu mir gesellte. Ich blickte ihn etwas freundlicher an, sodass er die Augenbrauen zusammenzog. Der arme Junge, er wusste wahrscheinlich gar nicht, wie ihm geschah. Ich ließ alle weitere Gesichtsakrobatik seinerseits unkommentiert und began zu essen. Ja, selbst ich, Red, kümmerte mich um andere Leute. Es war ja wirklich kaum zu glauben.
"Ich war heute morgen bei Daisy", warf Green nach mehreren Minuten der Stille plötzlich ein. Ich sah mit angehobenen Augenbrauen auf. Er schnalzte daraufhin mit der Zunge und fuchtelte mit seinem Toast durch die Gegend, während er mich an seinen Ausführungen teilhaben ließ: "Sie hat sich für dich interessiert, weißt du. Wann du wiederkommen würdest", erzählte er, was mich innerlich lächeln ließ. Hörte ich da etwa... Eifersucht? Gar nicht mal so irreal. Was aber ganz sicher real war, war der freudige Aufschrei von Pikachu, als er dem Pirsifbeerengelee hinterher jagte, den Green in seinem Enthusiasmus von seinem Brot geschleudert hatte.
Ich schaute Pikachu zu, wie er freudig das Gelee auf seine Pfoten nahm und ableckte. Green hingegen sah pikiert auf sein Toast, was mich zum Lächeln brachte. Dieser Ausdruck in den Augen war einfach... niedlich.
Ich lauschte verträumt dem Rascheln des Grases am Wegesrand, und lächelte, als die Sonnenstrahlen mein Gesicht erreichten. Es war beinah unangenehm, so hell war sie. Ich musste erneut feststellen, wie viel ich auf dem Mt. Silver verpasst hatte. Natürlich, es war immer noch Winter, und Green, der neben mir durch den Schnee schlenderte, beschwerte sich laufend über die Kälte, aber es war wärmer und.. geborgener hier unten.
Wir hatten beschlossen, meine Mutter besuchen zu gehen. Ehrlich gesagt hatte Green mich dazu gezwungen, aber das Verhältnis zwischen ihr und mir war aus meiner Sicht nie gut gewesen. Ich hatte es schlichtweg für nicht nötig empfunden, sie über meine Rückkehr zu informieren. Als Green mich jedoch gefühlte zehntausend Mal gefragt hatte, ja, sogar darum gebeten hatte, war ich schließlich weich geworden.
Es war sehr viel Zeit vergangen, seitdem ich Route 1 betreten hatte. Nur mit einem Trank, meinem gelben Rucksack und meinem ersten Pokemon, Pikachu. Fast eine genauso lange Zeit, als ich das letzte Mal in Alabastia gewesen war. Irrsinnigerweise machte sich in meiner Brust ein vorfreudiges Gefühl breit, so, als würde ich.. nach Hause kommen.
Ich hatte nie so wirklich gewusst, wo ich hingehörte. Ich hatte keinen Vater gehabt, meine Mutter hatte mir nie gesagt, wo er lebte, wer er war. Ich war aufgebrochen, um mich zu finden. Ich hatte geglaubt, dass ich mich als Trainer gut eignen würde, und als ich das erste Mal Pikachu gesehen hatte, war es, als hätte ich endlich etwas. Ich bestritt unzählige Kämpfe mit ihm, ich wurde sogar Champ. Aber es hatte mich nicht erfühlt, auch wenn ich immer geglaubt hatte, dass Stärke etwas war, an dem man sich festhalten konnte. Aber es war nicht so. Ich war rastlos gewesen, hatte es nicht in der Liga ausgehalten. Ich musste raus, etwas anderes sehen, als diese vier Wände, die mich Tag für Tag angähnten.
Und auf meiner Suche hatte ich den Mt. Silver gefunden. Oder ehr Einsamkeit. Ironischerweise fühlte ich mich ohne Menschen besser als mit. Außer, naja, außer mit Green. Es schien so leicht mit ihm. Er verstand mich und wir brauchten keine vielen Worte, um uns zu verstehen. Ich hatte ihn während meiner Zeit zwischen Schnee und Eis vermisst, und ich war mehr als einmal versucht gewesen, mich auf mein Glurak zu schwingen und ihn besuchen zu gehen. Aber ich hatte mich nicht getraut. Nicht wirklich. Viel zu groß war meine Angst vor seiner Ablehnung gewesen, ich kannte doch seine Meinung zu mir. Er hatte in mir nicht mehr gesehen als einen Rivalen, jemand, der ihm Konkurrenz machte. Als ich aber in den Briefen von Daisy las, wie sehr er mich vermisste, war in mir etwas gebrochen. Ich hatte jedoch noch länger gebraucht, bis ich schließlich nach unten flog, unter anderem auch wegen eines gewissen Gold.
Gold war hartnäckig gewesen, aber nicht gut genug. Nach mindestens zehn Versuchen hatte er aufgegeben, mir lachend die Hand gereicht und gesagt, dass er verstehen könnte, warum ich den Titel 'Pokemon Meister' trug.
Als ich jedoch endlich vor der Arena stand, fühlte ich mich grauenvoll. Ich traute mich einfach nicht, diese große und schwere Holztür aufzuschieben. Als ich es aber tat und Green mich umarmte, fühlte ich mich endlich zu Hause. So, als gehörte ich nur hier hin, nach Kanto, zu Green.
Es war also seltsam, dass ich mich auf Alabastia freute. Aber es war nicht schlecht, Professor Eich Hallo zu sagen, und Daisy meinen Dank auszusprechen. Auch wenn dazu der Besuch bei meiner Mutter nötig war.
Ich beobachtete ein wildes Rattfratz, das neben mir durchs Gras flitze, als wir den letzten Abhang nach Alabastia hinunter gesprungen waren. Ich holte tief Luft, als ich mein Heimatdorf sah. Die roten Dächer sahen noch genau so aus, wie ich sie in Erinnerung gehabt hatte, die weiße Farbe strahlte noch immer so hell wie an dem Tag, an dem ich gegangen war.
"Danke", sagte ich und konnte das sanfte Lächeln auf Greens Lippen erahnen.
Meine Mutter begann zu weinen, als sie die Tür aufgemacht hatte. Green versuchte sie mit einem verklärten Grinsen zu beruhigen, während sie meine Hände so fest drückte, das ich das Gefühl hatte, dass sie zerbrechen würden. Ich sah mich um, als wir im Eingangsbereich standen. Alles so wie immer, sogar der Geruch war gleich. Als sie uns zum Tisch führte, stolperte sie fast, und ich fühlte so etwas wie Zuneigung, als ich ihre roten Wangen und die geschwollenen Augen sah. Ich lächelte sogar leicht, als ich begann, von meiner Reise zu erzählen.
Als wir uns drei Stunden später verabschiedeten, drückte sie mir einen Trank in die Hand und lächelte mich an.
"Ich bin unglaublich stolz auf dich."
Ich hatte meinen alten Herrn selten so erfreut gesehen. Er hatte sogar noch meinen Namen im Kopf, was beeindruckend war. Der alte Mann lachte so sehr, dass er beinah weinte, als er begann, die Kindheitsgeschichten von Red und mir zu erzählen. Leider waren sie nur für Daisy und ihn lustig, wir waren zu sehr damit beschäftigt, uns in Grund und Boden zu schämen, als dass wir hätten lachen können.
Ich war schon lange nicht mehr hier gewesen. Ich war jetzt 19, so alt wie Red. Ich hatte studiert, und würde vielleicht auch einmal Professor werden. Aber nicht hier, Alabastia war mir zu klein. Jedoch schien alle Professoren etwas für kleine Häuseransammlungen zu haben, mir Ausnahme von Professor Platan, der in Illumina City ein beträchtliches Anwesen besaß. Was Red wohl vor hatte?
Es war Abend geworden, die Sonne war bereits untergegangen und es wurde Zeit, wieder nach Vertania City zurück zu gehen. Wir waren in Begriff, unsere Jacken anzuziehen, als mich meine große Schwester an Ärmel zurück zog. "Ich hab hier was für dich", wisperte sie mir zu, ehe sie mir einen Briefumschlag in die Hand drückte. Ich stockte. Was war das? Ich blickte den Umschlag an. Die wunderbar geschwungenen Lettern, die Daisys Namen bildeten, kamen mir bekannt vor.
Red. Es war Reds Schrift.
Ein heißer Stich aus purer Wut und Schmerz durchschoss mich. Ich fühlte, wie ich zu zittern begann, Schweiß bildete sich auf meiner Stirn und das ebenmäßige weiße Papier zerknitterte unter meinen angespannten Fingern.
Was sollte das? Wie konnte er nur?! Mich endlos lange, drei Jahre hier unten versauern zu lassen, sich nicht mal zu melden, aber Stille Post mit Daisy konnte er spielen, oder was?! Was machte sie so wichtig, dass sie es wert war, Briefe von ihm zu bekommen?! Und was hatte ich getan, dass ich keine bekam? Das unzufriedene Knurren, das sich meine Kehle hinaufschleichen wollte, unterdrückte ich nur mit Wut.
Mein Blick wanderte zurück zu Daisy. In ihren Augen lag Verständnis und der Wunsch nach Vergebung. So verletzt hatte sie mich noch nie angesehen. Ich musste schlucken, da mein Hals unangenehm zu kratzen begonnen hatte. Meine Zähne mahlten aneinander, und ich konnte das Knirschen bis in meine Kopfhaut fühlen. Es verursachte mir Gänsehaut.
Eine kühle Hand auf meiner Schulter lenkte mich ab. Ich wirbelte herum, und sah in Reds Augen. Sie waren kalt. Meine Umwelt verschwamm, ich erkannte nur noch Red. Seine roten Augen, die Emotionslosigkeit, die... Gleichgültigkeit.
Als meine Faust seinen Kiefer traf, hörte ich nichts, sah nichts. Ich hörte Daisys Aufschrei nicht, ich sah das verschreckte Gesicht meines Opas nicht. Ich sah nur Red. Wie seine Augen sich weiteten, endlich Emotionen zeigten. ich sah, wie der Schmerz sichtbar wurde, wie seine blassen Lippen aufsprangen und von Blut besprenkelt wurden. Ich sah, wie sie seine Kappe hinab fiel, seine unordentlichen Haare den Weg zu seiner Stirn fanden. Und ich fühlte, wie sein Gesicht zur Seite ruckte. Und es hätte sich nicht besser anfühlen können.
Als er zurück stolperte, rannte ich an ihm vorbei, mich dafür schämend, dem Brennen in meinen Augen nachzugeben.
Die Luft war kühl, als ich auf Route eins rannte. Ich fühlte, wie die Kälte sich in meiner Haut fest biss, wie ein wild gewordenes Bissbark. Ich achtete nicht auf meine Schritte, noch konnte ich genau sehen, wohin ich lief, die Tränen versperrten mir alle Sicht. Ich vertrat mich mehrfach und knickte schließlich mit meinen rechten Fuß um. Der Schmerz, der mein Bein hinaufschoss, ließ mich aufjaulen, ehe ich in den Schnee fiel. Meine Jacke sog den schmelzenden Schnee unter mir auf, meine roten Hände bildeten ein wunderbares Ebenbild zum Schnee. Die Tränen, die meine Wangen verließen, tropften auf den Schnee hinab und hinterließen kleine Krater.
Ich ließ mich zur Seite fallen, mir war es egal, ob ich nun krank werden würde oder nicht. Es war einfach alles egal. Einfach alles. Ich schniefte, als ich beinah das Gefühl hatte, zu ersticken. Meine Hände brannten aufgrund der Kälte, sodass ich sie in meiner Jackentasche vergrub. Ich sog scharf Luft ein, als ich einen Fremdkörper in meiner linken Tasche verspürte. Schnell zog ich meine Hand wieder hervor, und betrachtete den kleinen Zettel. Ich hatte das Gefühl, ein Gewicht auf meiner Brust zu tragen, nachdem ich die Worte gelesen hatte. Sie
waren von Red.
Ich brauche dich.
Ich sprang auf und wirbelte herum. Ich hatte es gewusst. Keiner besaß einen so derart schneidenden Blick wie er. Mein Fuß schrie vor Schmerz auf, meine Kleidung war vollgesogen, meine Socken durchnässt.
Aber all das zählte nicht mehr, als ich zu Red rannte. So wie früher. Als ich mich so wie früher in seine Arme warf und er mich fest an sich drückte. Das Pochen seiner Wange war nebensächlich, so wie der lilafarbende Bluterguss, als ich sie mit meiner Hand umschloss. Das Blut schmeckte metallisch, als ich ihn küsste. Und seine Lippen waren rau, als er meinen Kuss erwiderte.
Hier standen wir also. In einer sternenklaren Nacht, auf der Route, mit der alles begonnen hatte. Ich, völlig durchnässt und mit einer todsicheren Erkältung, und er, blutig und mit blauen Flecken übersät. Aber es war perfekt.
Am Ende wurde es doch immer noch perfekt.