Accept
Der Regen hatte endlich aufgehört. Jetzt hing nur noch eine dicke Wolkendecke über der Stadt. Doch auch die ließ keinen Sonnenstrahl hindurch.
Mamoru saß auf seinem Stammplatz im Crown und starrte trübsinnig in die Tasse mit heißem Kaffee vor sich. Er machte blau. Schon seit Montag. Heute war Donnerstag. Es war das erste Mal in seinem Leben, dass er die Schule schwänzte. Dank seiner sehr guten Noten konnte er es sich sogar leisten. Offiziell lag er mit einer Grippe im Bett. Inoffiziell jedoch saß er seit vier Tagen von morgens bis abends hier und hoffte darauf, dass Usagi vorbei kam. Aber nichts war bisher passiert. Sie schien einen großen Bogen um das Café zu machen. Er ahnte nur allzu gut warum. Von Rei hatte er erfahren, dass sie nach der Schule sofort nach Hause ging. Sie traf sich nicht einmal mehr mit ihren Freundinnen zum Lernen. Dafür hielten sie sich nun jeden Tag hier auf. Und hatten dem Schwarzhaarigen schon am Sonntag eine heftige Standpauke gehalten.
Minako warf ihm vor, dass er vollkommen unsensibel war.
Ami erklärte ihm sachlich, wie hoch der Wert von Usagis Gefühlen für ihn war.
Rei meinte, er soll ihr definitiv sagen, wie es um sein Herz stand.
Makoto warnte ihn davor, noch einmal Saoris Namen auch nur in den Mund zunehmen.
Mamoru musste jeder von ihnen versprechen, all das zu berücksichtigen. Er wollte ja selbst nur liebend gerne mit seinem Odango sprechen. Aber selbst als er versucht hatte, sie auf dem Handy zu erreichen, hatte sie gleich wieder aufgelegt, als sie seine Stimme gehört hatte. Sie brach scheinbar den ganzen Kontakt komplett ab. Laut seufzte er auf.
Motoki sah zu ihm. So wie es Usagi am Wochenende schlecht gegangen war, ging es nun Mamoru auch nicht viel besser. Kurz haderte er mit sich selbst. Aber es konnte sowieso kaum noch schlimmer kommen.
“Mamoru?”
”Hm?”
“Ich hab mit Usa telefoniert.”
”Wann?”, war er bis eben noch tief in seinen Gedanken versunken, so war Mamoru nun schlagartig und hunderprozentig konzentriert, “Warum redet sie mit dir, aber nicht mit mir? Es geht doch um mich in den Briefen. In mich ist sie doch verliebt und nicht in dich. Und nicht nur das sie nicht mit mir redet. Sie macht um mich einen Bogen. Man könnte meinen, sie hätte die Stadt verlassen.”
”Beruhig dich! Sie weiß nicht, wie sie sich dir gegenüber verhalten soll. Du weißt jetzt, was sie für dich empfindet. Aber sie weiß nicht, was du darüber denkst oder wie du fühlst.”
“Ja dann sollte sie vielleicht mal mit mir reden. Dann wüsste sie auch, was ich darüber denke.”
“Ich weiß. Aber das ist nun mal Usa. Sie hat Angst.”
”Vor was?”
“Die Frage sollte besser lauten ‘Vor wem’.”
“Hä?”
”Sie hat Angst vor dir. Vor dir und deiner Antwort auf ihren Brief. Sie hat mich gefragt, ob ich was weiß. Aber du redest ja mit mir nicht drüber. Und von daher kann ich ihre Angst sogar verstehen. Du igelst dich ein und sagst kein Wort.”
”Geht ja auch nur mich und sie was an.”
“Ich weiß.”, Motoki seufzte, “Aber ihr müsst eine Lösung finden. Ich hab keine Lust, nur noch mit ihr zu telefonieren oder das wir einen Stundenplan aufstellen müssen, wer von euch wann und wie lange hier sitzen darf. Ihr seid mir beide wichtig.”
Mamoru vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Ihm war selbst klar, dass eine Lösung her musste. Und wenn es erstmal eine aus der Not heraus geborene war. Doch ihm fiel nichts ein. Sein Kopf war genauso leer wie in den letzten Tagen, wo er versucht hatte, eine Lösung zu finden. Es war schier zum Verzweifeln. Er wollte mit ihr reden. Doch sie ließ ihn nicht an sich ran. Nur allzu gerne wollte er ihr etwas sagen. Er war sich nur noch nicht sicher, was überhaupt.
Das er sie nicht hasste?
Das er ihre Wutausbrüche lustig und irgendwie niedlich fand?
Das er ihr Lachen mochte?
Das er sie gern hatte?
Er war nicht in sie verliebt. So viel war ihm selbst klar. Wenn er sie sah, freute er sich. Aber das war auch schon alles. Die sogenannten Schmetterlinge im Bauch hatte er jedoch nicht. Sowas hatte er noch nie. Er war sich nicht mal sicher, ob das nicht alles nur Einbildung war. Kurz überlegte er, ob er Motoki fragen sollte. Er wusste, dass der Blonde schon seit einiger Zeit in eine Kommilitonin aus deinem Wirtschaftskurs verliebt war. Ob er sowas wohl bei deren Anblick fühlte?
”Motoki?”
”Ja?”, der Angesprochene drehte sich zu ihm und sah ihn fragend an.
“Ach vergiss es.”, Mamoru wandte sich wieder ab. Er drehte sich auf dem Hocker und ließ seinen Blick durch das Café schweifen. Sah den Passanten dabei zu, wie sie vorbei hasteten. Am liebsten wäre er nach Hause gegangen. In seine dunkle Wohnung. In seine Komfortzone. Ohne eine Chance darauf, dass er Usagi treffen würde. Ohne zu erfahren, wie sehr sie ihn wirklich liebte oder ob es nur eine Schwärmerei war. Letzteres war er nur allzu gewohnt von den Mädchen aus seiner Schule. Er wusste nicht einmal, warum sie alle scharenweise an ihm hingen. Warum er permanent kleine Zettelchen bekam mit der Frage drauf, ob er mit der jeweiligen Absenderin fix zusammen sein wollte. Mamoru wollte nie. Doch keine seiner Mitschülerinnen ließ sich davon abschrecken, ihm keine weiteren Briefchen zu schreiben. Sehr zum Verdruss seiner männlichen Schulkollegen. Er verstand nicht, was sie alle an ihm fanden. Ja, er war mit seinen achtzehn Jahren fast einen halben Kopf größer als seine Mitschüler und stach durch seine blauen Augen hervor. Seine Noten war ausgezeichnet und er war ein guter Teamplayer in der Fußballmannschaft seiner Schule. Aber das war schon alles. Darum hatte er es immer als angenehm empfunden, dass es auch Mädchen wie Usagi und ihre Freundinnen gab, die es scheinbar nicht kümmerte, wie gut er offensichtlich aussah. Sondern die ihn so nahmen, wie er war. Höflich und manchmal etwas vorlaut. Vorallem Usagi gegen über.
Doch nun war alles anders. Jetzt war ausgerechnet Usagi ihn in verliebt. Von ihr hätte er es nie erwartet. Er dachte eher, dass es Rei sein könnte. Die junge Miko aus dem Hikawa-Tempel. Sie hatte ihm ein paar Mal recht eindeutige Blicke zugeworfen. Doch auch das ging vorbei. Den letzten hatte er vor ein paar Wochen bekommen. Wahrscheinlich hatte sie Usagi zuliebe damit aufgehört. Glaubte die Schwarzhaarige etwa, dass ihre blonde Freundin Chancen haben könnte und sie ihr diese nicht verbauen sollte? Mamoru schüttelte unbemerkt den Kopf. Wieso war das alles plötzlich so kompliziert? Leise fluchte er. Fuhr sich durch die schwarzen Haare.
“Mamoru?”
”Hm?”, er hatte sich wieder Motoki zugewandt. Dieser blickte jedoch an ihm vorbei und deutete auf den Eingang des Crown. Er folgte seinem Blick und erstarrte. Alles in ihm verkrampfte sich und ihm schoss durch den Kopf, dass es Usagi wahrscheinlich jedes Mal so ergangen war, als er hier rein kam. Nur allzu gerne wollte er sich bewegen. Sich rühren. Doch jede einzelne Muskelfaser war erstarrt. Er konnte sich nur zu einem Lächeln durchringen. Mamoru ahnte jedoch, dass er dabei ziemlich dumm aussehen musste.
Sie hatte keine Ahnung, warum sie dem Drängen ihrer Freundinnen nachgegeben hatte. Eigentlich hatte sie sich sogar extra beeilt mit dem Säubern der Tafel, um gleich im Anschluss nach Hause gehen zu können. Aber Ami und Makoto hatten beide vor dem Schultor gewartet. Immer und immer wieder hatte sie abgelehnt. So oft, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass sie ihren beiden Freundinnen gefolgt war. Und als sie endlich ihren Blick wieder gehoben und sich orientiert hatte, stand sie auch schon auf der gegenüberliegenden Straßenseite vom Crown. Direkt davor standen Rei und Minako und winkten zu ihr rüber. Noch während sie über die Straße ging, wehrte sie sich mit Händen und Füßen. Als sie dann vor ihrem Stammcafé stand, hatte sie aufgehört, sich zu wehren. Aber in ihrem Kopf stellte sie immer noch auf stur. Sie wollte ihn nicht sehen. Ihn nicht sprechen. Er würde sich nur über sie lustig machen. Als sie durch die Schiebetüre trat, drangen die Stimmen ihrer Freundinnen nur noch dumpf an ihre Ohren. Vorsichtig hob sie den Blick. Sah Mamoru, wie er auf dem Hocker vorm Tresen saß und zu ihr herüber sah. Ihr Herz sackte in den Keller. Ihre Finger krampften sich um den Griff ihrer Schultasche. Sie wollte flüchten. Wollte sich nicht seinen fragenden Blicken aussetzen.
“Usagi-chan, komm!”
Die Blondine fuhr erschrocken zusammen. Ihre Augen wandten sich von dem Oberstufenschüler ab und Ami zu, die sie besorgt musterte.
“Ich sollte gehen.”
“Aber wir sind doch gerade erst gekommen.”
Usagi hörte den leicht vorwurfsvollen Unterton in Minakos Stimme. Deren Blick tat ihr übriges dazu. Doch sie schüttelte nur den Kopf:
”Ich kann das nicht.”
”Wir sind doch bei dir.”
”Das weiß ich, Rei. Und ich danke euch dafür. Aber ich kann ihm nach dieser peinlichen Aktion nicht mehr unter die Augen treten. Versteht mich doch bitte.”
”Müssen wir uns jetzt ein neues Stammcafé suchen?”, Makoto sah ihre Freundin an.
“Nein. Kommt nur weiterhin hierher. Ich brauch ein wenig Zeit, okay?”
Die Mädchen nickten. Sie alle verstanden Usagi nur zu gut. Jede von ihnen hätte genauso reagiert.
“Bis morgen!”, Usagi versuchte zu lächeln und drehte sich dann auf dem Absatz um. Gerade als sie auf den Ausgang zulief, begann sich alles um sie herum zu drehen. Ihr wurde heiß und kalt und schlussendlich schwarz vor Augen. Sie erahnte den harten Fließenboden und machte sich innerlich auf den Schmerz gefasst, der sie in wenigen Sekunden erreichen würde und doch ausblieb. Jemand hatte sie aufgefangen. Sie hörte die Rufe ihrer Freundinnen. Die Stimme von ihrem besten Freund. Und die von Mamoru. Seine Stimme verwirrte sie. War er besorgt um sie? Er klang so. Sie spürte eine warme Hand, die zärtlich über ihre Wange strich. Immer wieder wurde ihr Name genannt. Auch von dem Schwarzhaarigen. Neuerlich verlor sie den Halt unter den Füßen. Doch dieses Mal wurde sie hochgehoben. Die zwei jungen Männer sprachen miteinander. Aber die Sätze drangen nicht mehr richtig an ihre Ohren vor. Viel zu sehr war sie stattdessen von diesem Parfüm gefangen, dass sie umgab. Schokolade. Zartbitter. Und Rosen. Die ganz dunkelroten aus dem Geschäft vorne um die Ecke. Die rochen genauso sinnlich. Ihre Sinne wurden benebelt und sie eingelullt. Usagi ahnte, dass sie ihre Augen wieder hätte öffnen können. Doch sie wollte es nicht. Denn tief in ihrem Herzen ahnte sie bereits, in wessen Armen sie da lag. Und sie war egoistisch genug, um es gnadenlos auszunutzen. Hoffte innerlich, dass diese dumme Kuh von Saori jetzt in diesem Moment auftauchen würde. Leider kam sie nicht. Aber gut, sie konnte nicht alles haben. Sie schmiegte sich ein wenig mehr an ihn und konnte sein Herz schlagen hören. Es schlug schneller, als sie es vermutet hätte. Sie hörte, wie eine Tür zugeschlagen wurde. Merkte, dass sie, leider, schon wieder aus seinen Armen entlassen wurde. Er legte sie auf eine weiche Unterlage. Wahrscheinlich hatte er sie ins Hinterzimmer gebracht und sie lag nun auf dem Sofa, dass dort stand. Sie überlegte, ob er sich verdrücken würde. Er tat es nicht. Liebevoll strich er über ihre Stirn. Ihre Haut kribbelte an den Stellen, wo er sie berührte. Mühsam unterdrückte sie ein Seufzen. Warum tat sie sich das nur an? Warum schlug sie nicht einfach die Augen auf und ging? Sie geiselte sich selbst und genoss es auch noch. Scheinbar war sie wirklich masochistisch veranlagt.
Mamoru sah besorgt zu ihr hinab. Schon als sie das Café im Beisein ihrer Freundinnen betreten hatte, war ihm ihre ungewohnte Blässe aufgefallen. Das und die Augenringe unter ihren geröteten Augen. Sie schien sich in den Schlaf zu weinen und daher mit verquollen Augen aufzuwachen. Und er war dran Schuld. Weil er ihr nicht schon am Wochenende sagen konnte, wie er zu ihren Gefühlen stand. Aber bisher wusste er auch noch keine. Ihre Wangen waren ein wenig eingefallen. Sanft glitt sein Handrücken darüber. Sie fühlte sich ein wenig kalt an. Ihre Stirn hingegen schien zu glühen. Sein Blick fiel auf ihre Lippen, die leicht geöffnet waren. Sie waren das einzig in ihrem Gesicht, dass einen rosigen Ton hatte.
“Usagi! Komm bitte wieder zu dir.”
Das Mädchen rührte sich nicht.
“Bitte! Es tut mir leid, dass ich nicht so reagiert habe, wie du es dir vielleicht gewünscht hättest. Aber gib mir doch bitte auch die Chance mich zu erklären. Bitte, Usagi!”, seine Stimme war leise und flehend. So flehend, dass die Blondine ihm nicht wiederstehen konnte. Außerdem hatte jeder eine Chance verdient, erhört zu werden. Auch Mamoru! Langsam öffnete sie die Augen. Kurz musste sie blinzeln, weil das diffuse Licht sie blendete. Ihren Kopf wandte sie leicht zur Seite. Konnte so dem Schwarzhaarigen genau in die ozeanblauen Augen blicken. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Er machte sich wirklich Sorgen um sie.
“Alles gut?”, Mamoru half ihr, sich wieder aufzurichten, “Darf ich?”
Usagi rutschte ein Stück auf dem Sofa, so dass er neben ihr Platz nehmen konnte. Sie schwieg und sah zu Boden. Plötzlich war ihr das alles wieder furchtbar unangenehm und peinlich. Sie war so verliebt in ihn und er wusste nichts damit anzufangen. Konnte es noch schlimmer kommen? Konnte es! Ihr Magen knurrte in die Stille hinein.
“Hunger?”
“Hm.”
Mamoru kam der Geistesblitz und ihm wurde schlagartig klar, warum sie so blass und wackelig auf den Beinen war.
“Bleib hier sitzen. Ich hol dir was.”
”Okay.”, sie sah ihm nach, wie er zur Tür ging. Als er sie öffnete, konnte sie ihre restlichen Freunde dahinter sehen, die alle versuchten, einen Blick auf sie zu erhaschen. Doch Mamoru ließ es nicht zu. Stattdessen drehte er sich nochmal im Türrahmen um:
”Wenn ich wieder da bin, reden wir!”
Usagi konnte nur nicken. Ihre Gedanken drehten sich in ihrem Kopf. Er wollte mit ihr reden. Worüber?
Über den Brief etwa?
Über ihre Gefühle für ihn?
Über seine für sie?
Ihr Herz begann wieder zu rasen. Liebend gerne wäre sie aufgesprungen und geflüchtet. Aber das war nicht möglich. Ihre Beine fühlten sich immer noch wie Pudding an und die Möglichkeit auf eine kurze Zweisamkeit mit Mamoru bestärkten sie noch mehr, gleich wieder wegzuknicken. Leise seufzte sie. Sie sank zurück ins Sofa und legte den Kopf auf die niedrige Rückenlehne. Starrte an die Decke.
“Wie geht es ihr?”
Mamoru sah zu seinem besten Freund, der in der Küche des Crown stand und schnell Teig ins Waffeleisen gegossen hatte. In der Mikrowelle drehte sich ein Schüssel mit sich langsam verflüssigter Schokoladensauce. Motoki holte eine Packung mit Vanilleeis aus dem Tiefkühler und gab zwei große Kugeln davon auf einen Teller.
“Sag schon!”
”Sie hat wohl seit dem nicht mehr sonderlich viel gegessen. Zumindest verrät mir das ihr Magen. Außerdem sieht sie ja nun nicht gerade aus wie das blühende Leben. Nicht wahr?!”, der Schwarzhaarige sprühte eine Extraportion Schlagsahne auf jede Kugel und gab dann Schokoraspeln hinzu plus Amarenakirschen.
“Du weißt schon...”
”Ja ich weiß es, Motoki! Ich weiß, dass ich wohl daran schuld bin, dass Usagi zusammen gerutscht ist. Ich bin schuld für ihr momentanes Aussehen. Ich bin schuld, weil sie nichts isst und nur heult. Ich weiß es! Okay?!”
”Ich wollt es ja nur...”
”Du wolltest mich nur daran erinnern. Vielen Dank! Und keine Sorge, so schnell vergess ich das nicht.”
“Jetzt sei nicht so beleidigt.”, seufzte Motoki.
“Bin ich auch nicht. Ich steh nur nicht so drauf, wenn man mich ständig daran erinnert. Sind die Waffeln fertig?”
Dem Blonden entging der wütende Ton in Mamorus Stimme nicht. Er reichte seinem Freund den Teller mit den Waffeln, dem Vanilleeis und den Sahnehauben. Drückte ihm eine Gabel und einen Löffel in die Hand.
“Halt uns die Mädels vom Leib.”
“Was hast du vor?”
Mamoru blieb seufzend und mit hängendem Kopf vor der Küchentüre stehen:
”Keine Ahnung. Ich will nur, dass sie nicht mehr wegen mir hungert.”
Mit diesen Worten verschwand er aus der Küche. Sofort wurde er von Usagis Freundinnen umringt, die alle auf ihn einredeten. Er beachtete sie nicht weiter und ging in schnellen Schritten zum Hinterzimmer.
“Mamoru Chiba! Was ist da los?”, Reis Stimme klang härter, als sie es beabsichtigt hatte.
“Geht euch nichts an.”
”Usagi ist unsere Freundin!”
“Und es ist etwas zwischen ihr und mir.”, er öffnete die Tür und trat wieder ins Zimmer. Sah sich um.
Usagi schreckte aus ihren Gedanken auf, als sich die Tür öffnete. Sie sah, dass Mamoru mit einer Hand etwas abfällig über seine Schulter winkte. Es galt ihren Freundinnen. Sie richtete sich etwas auf und nahm ihm den Teller ab, den er in der anderen Hand trug. Sie konnte nicht anders als zu Grinsen, als sie die Waffeln sah.
”Brauchst du noch was zu trinken?”
Sie schüttelte den Kopf und begann zu essen. War Vanilleeis jemals köstlicher als heute gewesen? Wahrscheinlich nicht. Die warmen Waffeln erfüllten sie mit einem Wonnegefühl und die Sahne ließ sie fast schon genießerisch auf ihrer Zunge zergehen. Ein wohliger Seufzer entglitt ihrem Mund. Aber es war ihr egal.
Der Schwarzhaarige nahm mit Wohlwollen zur Kenntnis, dass sich ihre Wangen mit jedem Bissen mehr und mehr von ihrer Blässe verabschiedeten und sich zart rosa färbten. Sie schien mehr Hunger zu haben, als sie jemals zugegeben hätte. Mamoru wusste, dass Essen eigentlich fast schon zu ihren Hobbies gehörte. Daher war er erstaunt, dass sie selbst darauf nahezu verzichtet hatte. Er stützte seine Arme auf den Beinen ab und sah einfach nur auf den Tisch. Blätterte in einer Fachzeitschrift für Baristas. Ihm war klar, warum er hier den besten Kaffee im ganzen Viertel bekam. Und wahrscheinlich sogar den besten in ganz Tokio, wenn nicht sogar in Japan. Einige Kreationen kannte er. Meistens war er das Testkanninchen für Motokis neue Schöpfungen, bevor er diese in die Karte aufnahm. Sie waren eh immer alle gut. Und nun wusste Mamoru auch warum. Neben ihm schmatzte Usagi leise. Normalerweise hätte es ihn sicherlich gestört. Heute überhörte er es geflissentlich. Gerade als er begonnen hatte, einen Artikel zu lesen, erreichte Tellerklappern seine Ohren. Er wandte sich von der Zeitschrift ab und Usagi zu. Sie lächelte ihn schüchtern an:
“Willst du anfangen oder soll ich?”
“Was meinst du?”, er lehnte sich in die Ecke des Sofas zurück und sah sie fragend an.
“Du hast doch vorhin gesagt, dass wir reden werden. Nun frage ich dich, wer von uns anfangen soll.”
“Wie du magst.”
Usagi seufzte. Das war nun nicht gerade die Antwort, die sie hören wollte. Innerlich hatte sie gehofft, dass er anfing. Während er draußen war, hatte sie sich alles so schön vorgestellt. Mamoru würde reden und reden und ihr am Ende seine Liebe gestehen. Dann würden sie sich in die Arme fallen und heiß und innig küssen. Schon allein bei der Vorstellung wurde ihr ganz heiß.
“Sicher das es dir gut geht?”
“Was?”, verwirrt sah sie den jungen Mann an.
“Du bist so rot.”
”Äh, ja, alles gut.”
”Pass auf Usagi.”, Mamoru versuchte allen Mut zusammeln, “Ich finde es toll, was du für mich empfindest. Das du dich in mich verliebt hast. Aber ich weiß gar nicht warum. Ich meine, wir streiten uns doch nur. Ich beleidige dich immer und...”
Das Mädchen musste aufstehen. Sie war sich soweit sicher, dass ihre Beine sie wieder trugen. Etwas unruhig ging sie durch den Raum. Hin und her. So wie er das sagte, entwickelte es sich gerade nicht in die von ihr erhoffte Richtung.
“Wieso ich? Warum nicht Motoki?”
”Das frage ich mich allerdings auch.”, sie konnte sich ein hohles Auflachen nicht verkneifen und wandte sich ihm zu, “Ich hab es sicher nicht geplant. Glaub mir, mir wäre Motoki auch wesentlich lieber gewesen. Aber ich kann doch nichts dafür. Ich meine, du bemerkst es nicht einmal, wie ich dich anschmachte und scheinst mich nicht leiden zu können. Irgendwie hab ich mir das auch auch anders vorgestellt. Ich will kein Arschloch zum Freund. Du wirst dich auch sicherlich nicht so schnell ändern. Um ehrlich zu sein, will ich dich auch gar nicht als Softie kennen. Für den Part ist Motoki zuständig. Ich würde dich nur bitten, es zu akzeptieren. Ich werd dir sicher nicht auf den Keks gehen. Versprochen. Nimm es einfach hin, okay?”
Mamoru war geplättet von ihrer Ehrlichkeit und sein Herz neuerlich bei ihrem Anblick zusammen. Sie stand vor ihm wie ein Häufchen Elend und sah betrten durch den Raum. Nestelte an ihren Fingernägeln rum und trat von einem Fuß auf den anderen.
“Und vielleicht könntest du aufhören, mich zu beleidigen. Denn das ertrag ich momentan einfach nicht.”, jetzt musste sie doch mit den Tränen kämpfen. Dabei wollte sie noch einmal tapfer sein. Sie drehte sich abrupt um. Hielt sich an einem Regal fest. Sie hatte sich das ganze hier irgendwie anders vorgestellt. Das er ihr vielleicht nicht gerade seine Liebe gestehen würde, war ihr ohnehin fast schon klar gewesen. Aber das er nicht mehr als ein Stottern zusammen brachte und nun einfach nur auf dem Sofa saß, ließ die Enttäuschung in ihr immer mehr anwachsen. Sie war sauer auf ihn. War er wirklich so ein ungehobelter Gefühlsklotz, den das alles kalt ließ?
“Na gut, ich geh dann jetzt lieber. Ist ja alles schon peinlich genug. Und da du nun wohl nichts weiter zu sagen hast, sind wir ja nun auch fertig.”, sie warf ihm keinen Blick mehr zu, sondern ging in schnellen Schritten an ihm vorbei und öffnete die Tür. Wenn sie noch den kleinen Funken Hoffnung hatte, er würde sie aufhalten, so erlosch dieser jetzt vollständig. Usagi musste sie die Hand vor die Augen halten, als das grelle Tageslicht sie blendete. Im Gegensatz zum Hinterzimmer, dass lediglich durch eine Energiesparlampe erhellt wurde, war hier trotz Wolkendecke alles strahlend hell.
Ihre Freundinnen kamen auf sie zu. Sie ahnte nur allzu gut, was diese von ihr wissen wollten. Doch sie schüttelte nur den Kopf. Viel zu sehr schmerzte sie die kurze Erinnerung an das eben geschehene. Sie deutete mit einem Handwink eine Verabschiedung an und ging zu Motoki. Wollte ihm sagen, dass er wohl erstmal eine Weile auf sie verzichten müsse.
“Ich war noch nicht fertig!”
Die Türe vom Hinterzimmer flog auf und Mamoru stapfte wütend heraus. Er war stocksauer, dass sie ihn einfach so stehen gelassen hatte. Ohne eine Chance auf eine weitere Erklärung zu ihren Gefühlen.
Erschrocken sahen die Mädchen samt Usagi und Motoki zu ihm hin. Aber bis auf die Blondine mit den zwei langen Zöpfen beachtete er sie nicht weiter.
“Was willst du denn noch? Ich hab dir meine Gefühlswelt zu Füßen gelegt und dich darum gebeten, es einfach hinzunehmen. Und da du dich nicht weiter dazu geäußert hast, gehe ich davon aus, dass wir mit dem Gespräch fertig waren.”, ihre Stimme klang müde.
“Waren wir aber nicht. Nur du hast gesagt, wie du dich fühlst. Mir hast du nicht mal die Chance gelassen, dir zu antworten.”
”Warum sollte ich auch? So wie du eben geschaut hast, sprach dein Blick Bände.”
“Du bist nicht die einzige, die durcheinander ist.”
Gespannt horchten alle auf.
“Glaubst du wirklich, dass es mich kalt lässt, dass ausgerechnet du mir solche Gefühle entgegen bringst? Ich bin seit deinem Brief vollkommen überfordert. Frag Motoki. Ich hab wegen dem scheiß Brief die Schule geschwänzt.”
”Scheiß Brief?”, Wut begann in Usagi aufzulodern. Das er gerade erzählt hatte, dass er die Schule deswegen schwänzte, überging sie ganz einfach:
”Scheiß! Brief! Jetzt hör mal zu du Arsch, ich hätte mir auch was besseres vorstellen können, als dir seitenweise und nächtelang Briefe zu schreiben. Aber was soll ich denn machen? Und glaub mir, es war nie meine Absicht, dir diese Gefühlsausbrüche zukommen zu lassen. Ich finde es auch zum Kotzen, dass du so tust, als sei es meine Schuld, dass es dir so dreckig geht. Entschuldige bitte, dass ich mich nun mal ausversehen in dich verliebt habe. Wird nicht wieder vorkommen.”
”Siehst du, du tust es schon wieder!”, er war einen Schritt auf sie zugekommen.
“Was?!”
”Du redest nur von dir und wie es dir geht. Aber mir geht es auch nicht besser. Bis jetzt hat mir nun mal noch kein Mädchen so offen gesagt, dass es in mich verliebt ist. Also sorry, dass mich das alles gerade ein wenig durcheinander bringt und ich nun einmal nicht schnell genug antworten kann.”
”Sag doch einfach, dass du mich nicht leiden kannst. Dann kann ich einen Schlussstrich unter den ganzen Scheiß ziehen. Mich in meinem Zimmer verkriechen, eine Woche lang heulen und mich dann anderen Jungs zuwenden.”
“Wer sagt denn, dass ich dich nicht leiden kann?”
“Na was denn dann? Ist ja nicht gerade so, als würdest du mich mögen. Zumindest lässt du mich das nicht so spüren. Alles was ich von dir zu hören bekomme, ist, dass ich dumm und verfressen bin. Klingt ja jetzt nicht gerade nett, oder? Man kann uns ja nicht mal als Freunde bezeichnen. Schließlich nennen mich die anderen ja auch nicht Weichbirne oder Mondgesicht, so wie du es tust. Und ich hab einfach keine Lust mehr, dein Blitzableiter zu sein. Ganz ehrlich, vergiss einfach, was ich dir vorhin gesagt habe.”
“Hör auf die Dramaqueen zu spielen.”, Mamoru hielt sie am Ärmel fest, “Und jetzt hörst du mir mal zu, Fräulein. Ich kann nichts dafür, dass ich dir scheinbar den Kopf verdreht habe. Und es stimmt auch nicht, dass ich dich nicht leiden kann. Ich mag dich. Aber nur als Freundin.”
”Wir sind keine Freunde. Freunde beleidigen nicht einander. Und das hast du von Anfang an getan. Schon das erste Mal als wir uns begegnet sind.”
“Ja und es tut mir leid. Aber wir sind nun mal wie Hund und Katz. Deswegen brauchst du dir bei mir auch keine Hoffnungen machen. Geh und schenk dein Herz einem netteren Jungen.”, er kramte Geld aus der Tasche und legte es Motoki auf den Tresen. Wandte sich dann von Usagi und allen anderen ab, nahm seine Jacke von der Garderob und verließ das Café. Es wurde ihm einfach alles zu viel. Die Vorwürfe die ihm alle machten und das keiner ihn verstehen wollte, machten ihn einfach nur wütend. Und bevor er jetzt noch was falsches gesagt und allen vor den Kopf gestoßen hätte, verließ er lieber das Café.
Seine Füße trugen ihn in Richtung Jubaan-Park. Auf der Bank am Springbrunnen fand er bisher immer die nötige Ruhe, wenn er sie mal benötigte. Und jetzt brauchte er sie mehr als nur dringend. Heute war es sowieso noch leerer als sonst. Das Wetter lud auch nicht gerade zu einem Spaziergang ein. Mamoru ließ sich auf die Bank fallen und starrte in den grauen Himmel. Es sah nach Regen aus. Schon wieder. Er seufzte laut auf, schloss die Augen. Warum ging das alles so gründlich schief? Er wollte ihr doch nur auf nette Art und Weise sagen, dass er sie nicht so mochte wie sie ihn. Und verliebt war er in sie schon mal gar nicht. Usagi war in ihrem Inneren wirklich ein wunderbares Mädchen. Er kannte sie jetzt seit zwei Jahren. Es gab sogar Zeiten, meistens auf Geburtstagsfeiern, wo sie sich relativ gut verstanden und Spaß miteinander hatten. Aber sie war nur eine gute Freundin. Mamoru hatte mit Gefühlen einfach nicht so viel am Hut. Mit der Liebe schon mal gar nicht. Er war das ganze Gegenteil von der Blondine. Manchmal beneidete er sie sogar um die Fähigkeit, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen. Ihn überforderte sowas schlichtweg. So wie jetzt.
“Mamoru?”
Er schreckte aus seinen Gedanken auf. Rappelte sich ein wenig zusammen und sah in die Richtung, aus der ihre unverkennbare Stimme gekommen war. Sie war etwas atemlos, als sie langsam auf ihn zu kam.
“Sieht nach Regen aus.”
“Hm.”
”Ich werd wohl nass werden.”
”Keinen Schirm dabei?”
”Hab ich zuhause vergessen.”, Usagi ließ ihren Blick vom Himmel hinab zu ihm wandern und grinste verlegen, “Hör mal, ich wollte dich nicht wütend machen. Und du hattest allen Grund dazu. Ich hab dir wirklich nicht die Chance gegeben, dich zu erklären. Entschuldige.”
“Schon gut.”
“Okay. Ich bin dann auch schon wieder weg.”
Der Schwarzhaarige sah, wie sie sich von ihm wegdrehte.
“Usagi?”
“Ja?”
”Ich verspreche dir, dass ich ab jetzt an netter zu dir bin und das ich deine Gefühle respektiere. Auch die für mich.”, er stand auf und kam auf sie zu. Sie sah ihn nur über die Schulter hinweg an. Sie lächelte zaghaft und es wurde von ihm erwidert. Ein wenig ertrank sie in seinen Augen und musste sich ernsthaft zusammen reißen, um sich von ihm abwenden zu können. Seine Nähe nahm sie gefangen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und liebend gerne hätte es um sie herum noch einmal schwarz werden können, damit er sie wieder auffing. Was sie daran erinnerte, sich bei ihm noch dafür zu bedanken. Er nahm es nickend zu Kenntnis.
“Eigentlich bist du gar nicht so dumm.”
“Was?”, verwirrt sah sie ihn an.
“Naja, du hast dich doch in mich verliebt. In einen intelligenten Oberschüler. Das ist echt clever von dir.”, grinste er. Er sah, wie sie leicht errötete:
”Bild dir bloß nichts drauf ein. Wahrscheinlich verliebe ich mich nächste Woche schon wieder in jemand anderes.”
“Ja, wahrscheinlich. Sagst du mir dann Bescheid?”
”Warum?”
”Damit ich nicht auf den neuen Jungen eifersüchtig und vorgewarnt bin.”
“Baka.”, sie konnte nicht anders als zu lachen und ihn in die Seite zu kneifen. Sie hoffte, dass es vielleicht doch so sein würde, wie sie es ihm eben gesagt hatte. Sie würde sich neu verlieben. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie ihn an. Innerlich seufzte sie auf. Was für ein Schwachsinn. Keiner konnte Mamoru das Wasser reichen. Er war groß und gutaussehend. Kein anderer Junge den sie kannte, konnte da mithalten. Nicht mal Motoki.
“Ich muss nach Hause.”
Mamoru wollte noch was sagen, aber sie war schon losgelaufen. Er rief ihr einen Abschiedsgruß hinterher. Wünschte ihr noch einen schönen Abend. Seine Stimme erreichte ihr Ohr. Ihr Herz. Ließ es schneller schlagen als ohnehin schon. Immer wieder wiederholte sie seine Worte. Er würde es akzeptieren. Warum war er nur so verdammt verständnisvoll. Usagi wäre es lieber gewesen, er würde sich von ihr distanzieren. So war sie gezwungen, ein Spiel zu spielen. Und sie hatte keine Ahnung, wie lange sie das durchhalten würde.