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Wahnsinn vs. Verzweiflung

Challenge!
von
Koautor: abgemeldet

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Kalt wie die Dunkelheit

Rin strich sich eine verirrte Strähne hinter das Ohr, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, ließ den Blick an dem Zaun entlang wandern, bis er an dem verschlossenen Tor hängen blieb. Auch wenn sie das Schild nicht lesen konnte, wusste sie in etwa was darauf stand. Zutritt verboten.

“Das traust du dich nie”, sagte Dima hinter ihr. Inzwischen hatte sie kaum noch Probleme sein Englisch zu verstehen. Hatte sich an den harten, russischen Akzent gewöhnt.

“Wetten, dass doch?”, konterte sie.

“Beweis es.”

“Klar”, antwortete sie. Vielleicht klang ihre Stimme ein wenig schriller als sonst. Vielleicht ballte sie die Hände so fest zu Fäusten, dass er das leichte Zittern nicht sehen konnte. Aber sie hatte keine Angst! Das hier war nur ein altes Gebäude, in dem Dinge passiert waren. Aber es war leer und es war harmlos.
 

Noch ein Mal tief durchatmen.

Kurz huschte ihr Blick noch einmal nach allen Seiten, dann stieg sie auf den kleinen Betonabsatz, in den der Stahlzaun eingelassen war. Ein paar geschickte Bewegungen genügten, um sich daran nach oben zu hangeln und noch bevor ihre neue Bekanntschaft noch etwas sagen konnte, war sie auf leisen Sohlen auf der anderen Seite des Zaunes gelandet.

“Siehst du?”, zischte sie. Unwillkürlich hatte sie die Stimme gesenkt, als verbiete es die Aura des verlassenen Gebäudes lauter zu sprechen.

“Das zählt nicht!”

Dima war näher getreten, presste das Gesicht an den Zaun und starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. “Du muss rein gehen!”

Auch er hatte die Stimme gesenkt und sie glaubte ein leichtes Zittern darin zu erkennen.

“Gar kein Problem.”

Es war nur ein altes, verlassenes Gebäude.
 

Ihre Eltern waren Schuld.

Dessen war sie sich völlig sicher, als sie sich Schritt um Schritt den steinernen Mauern näherte und ihre Augen über vergitterte Fenster wanderten, deren Scheiben schon vor langer Zeit eingeschlagen worden waren.

Wenn die ihr nicht so viele Geschichten über die Abtei erzählt hätten, wäre es wirklich nur ein altes Gebäude. Vielleicht ein bisschen gruselig, aber nichts, das die Gänsehaut rechtfertigen würde, die mit jedem weiteren Schritt stärker wurde, ihre Arme hoch kroch. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust, als wäre sie gerannt.
 

Nur ein altes, verlassenes Gebäude mit einer schrecklichen Geschichte.
 

Ein kurzer Blick über die Schulter verriet ihr, dass Dima sie noch immer beobachtete, jeder ihrer Bewegungen mit den Augen folgte. Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie die Hand ausstreckte, sie einen Moment lang auf die Fassade legte. Im Schatten der Mauer wandte sie sich nach links, suchte nach einer Öffnung, die groß genug war, um sie hinein zu lassen. Ihre Augen huschten über ein Schild, das nur noch an einer Ecke an der Wand hing und mit leisem Quietschen hin und her schaukelte, wenn der Wind blies. Das Bisschen Kyrillisch, das ihr Dima beigebracht hatte, reichte aus um den Namen Balkov zu entziffern.
 

Da war dieses unbestimmte Gefühl, das ihn schon den ganzen Tag antrieb, dazu brachte unruhig zur Tür zu schielen.
 

Es war kalt.

Nicht kalt genug, um die Schauder zu rechtfertigen, die ihr den Rücken hinab liefen, nicht kalt genug um das Zittern zu erklären, das sie erfasst hatte.

Kalt und dunkeln.

Trübes Licht fiel durch das Fenster über ihr, durch das sie sich in das Innere des Gebäudes gewunden hatte, aber es vermochte den Boden vor ihr nicht zu erhellen. Der Gang, in dem sie sich befand, war nur zu erahnen. Rin streckte die Hand nach der Wand aus, tastete sich einige Schritte vorwärts und warf einen raschen Blick über die Schulter.

Eigentlich könnte sie umdrehen.

Sie hatte Dima bewiesen, dass sie sich traute. Und wahrscheinlich war er selbst noch nie her gewesen! Dieser Angeber!
 

Andererseits … Ihre Augen fixierten sich auf die Dunkelheit, die vor ihr lag, nur hin und wieder unterbrochen, von trübem Licht aus zerbrochenen Fenstern. Beinahe fühlte es sich an, als würde das Gebäude atmen, leben. Sie einladen tiefer zu kommen und seine Geheimnisse zu erkunden.

Und konnte sie dieser Einladnung wirklich widerstehen?
 

“Ich habe hier nichts zu befürchten”, sagte sie zu sich selbst und machte ein paar Schritte vorwärts.

Wirklich?, fragte die leise Stimme in ihrem Kopf, die beinahe wie ihr Vater klang.

“Das ist lächerlich.”

Sie würde es sich selbst beweisen. Und ihren Eltern. Und Dima.
 

Hier gab es nichts, vor dem man Angst haben müsste.
 

Da war eine Tür zu ihrer Rechten, nur vage sichtbar und hätten sich ihre Augen nicht langsam an die Dunkelheit gewohnt, wäre sie daran vorbei gelaufen. Sie zögerte nur einen Moment, dann legte sich eine Hand auf den Türgriff und sie verließ den äußeren Gang, drang tiefer in das alte Gemäuer vor.
 

Mit einer fließenden Bewegung erhob er sich, legte den Kopf in den Nacken. Lauschte.
 

Das Licht der Taschenlampte, die sie im vorletzten Raum gefunden hatte, warf unruhiges Licht auf die Geräte. Sie befand sich in einer Art Labor und wollte sich lieber nicht vorstellen, womit hier experimentiert worden war. Doch das war lange her. Eine dicke Staubschicht lag über Computern und Messgeräten und unter ihren Füßen knirschte zerbrochenes Glas.

Der Lichtkegel wanderte zu zwei großen Tanks - einer davon war längst zerstört, doch das Glas des zweiten war noch heil. Trübe Schlieren zogen sich durch die Flüssigkeit. Waberten hin und her, wie Quallen. Vermutlich war es nur Staub oder Schimmel, der sich über die Jahre darin gesammelt hatte.
 

Irgendjemand hatte an dieser Laborausrüstung seinen Zorn, seine Wut ausgelassen. Zerbrochen, verbogen, zerrissen und über den ganzen Boden verteilt. An manchen Dingen glaubte sie dunkle Flecken zu erkennen.

Sicher nur Dreck.
 

Beinahe wäre ihr die unauffällige Tür am anderen Ende des Raumes entgangen. Vorsichtig, um sich nirgends zu verletzen, schob sie sich vorwärts. Die Tür war schmal und ein kalter Luftzug streifte ihre Füße, als sie davor stand.

Wohin sie wohl führte? Ein Gefühl sagte ihr, dass es von hier an nur noch tiefer hinab ging. Tiefer unter die Erde? Tiefer in die Vergangenheit? Sie konnte es nicht sagen.
 

Ihre Finger zitterten nicht, als sie nach der Klinke griff.
 

Luft, die zu lange still gestanden hatte, kam in Bewegung. Und das unbestimmte Gefühl schlug um. Erwartung.
 

Die Taschenlampe wurde schwächer, aber Rin bemerkte es kaum. Ihre linke Hand glitt die Mauer entlang, während sie sich die schmale Wendeltreppe nach unten tastete. Zwanzig Stufen, vierzig Stufen. Sechzig. Irgendwann vergaß sie zu zählen.

Die Mauer war uneben, als wären Stücke daraus hervor gebrochen. Oder als hätten sich die Klauen eines Tieres hinein gegraben. Doch welches Tier konnte Stein derart teilen?

Unsinn.
 

Das hier war ein altes, verlassenes Gebäude.
 

Wenn es Spuren in der Mauer gab, stammten sie vermutlich von Beyblades.

“Aua …”

Scharfer Schmerz an ihren Fingern, ließ sie die Hand zurück ziehen. Sie hatte sich die Fingerkuppen an scharfen Splittern aufgerissen, die aus der Wand ragten. Scharfe Splitter, die sie in dem schwachen Licht nicht gesehen hatte.
 

Blut.
 

Als sie am Fuß der Treppe angekommen war, versagte die Lampe völlig und Dunkelheit umhüllte sie. Wie lange sie dort stehen blieb, wo sie war, konnte sie nicht sagen. Sie sah nichts, hörte nichts außer dem leisen Tropfen von Wasser in einiger Entfernung. Irgendwo vor ihr.

Aber der Luftzug war noch da. Eiskalt, kälter, als sie erwartet hatte und doch nicht genug, um ihr Gänsehaut zu verursachen. Langsam, laut und regelmäßig spürte sie ihr Herz gegen ihre Brust klopfen und sie schob ihren Fuß nach vorne. Tastend, um nicht zu stolpern. Aber stetig.
 

Da war etwas. Und es rief nach ihr.
 

Es war ein Geruch nach Gräsern und Blumen, der in seine Nase drang. Durchzogen von dem metallischen Duft von Blut.
 

Es war nur ein altes Gebäude mit einer düsteren Vergangenheit.
 

Sie hatte nichts zu befürchten.
 

Ihr Atem ging regelmäßig, ihre Schritte waren sicher. Die Dunkelheit schreckte sie nicht ab, hinderte sie nicht daran weiter zu gehen. Kein einziges Mal stolperte sie, kein einziges Mal zögerte sie und das tropfen des Wassers wurde lauter. Der Staub unter ihren Füßen dämpfte den Widerhall ihrer Schritte und leise, ganz leise …

Was das Geräusch war?

Sie wusste es nicht, doch sie hatte nichts zu befürchten.
 

Langsam, leise schob er die Tür auf, richteten sich seine Augen in die Dunkelheit.
 

Ihr war, als spürte sie die Öffnung zu ihrer Rechten mehr, als dass sie sie sah. Vermutlich lag es an der fast unendlichen Kälte, die daraus hervor quoll.
 

Vorsichtig streckte er die Hand aus - so lange, bis seine Fingerkuppen warme Haut streiften.
 

Eisige Luft drang in ihre Lungen und eine Berührung an ihrem Arm, ließ sie für einen Moment erstarren. Beinahe, als bohre sich ein Eiszapfen in ihre Haut, als wolle er ihr das Blut in den Adern gefrieren lassen.

“Wer bist du?” Nur ein Flüstern verließ ihre Lippen.
 

Er antwortete nicht, ließ seine Finger höher wandern, bis sie sich sanft an ihr Gesicht schmiegten.
 

Ohne es selbst zu bemerken, tat sie noch einen Schritt vorwärts, bemerkte die Kälte nicht, die ihr tiefer unter die Haut kroch, je näher sie ihm kam. Nur einen Augenblick glaubte sie in eisblaue Augen zu sehen.

Müde Augen. Traurige Augen.
 

Vorsichtig führte er ihre blutigen Finger an die Lippen.
 

Rins Zähne schlugen vor Kälte auf einander, doch sie beachtete es nicht.

Nur noch ein Schritt näher.

Und sie wusste, dass sie nichts mehr zu befürchten hätte.
 

”Verzeih”, flüsterte er an ihrem Ohr.
 

Hungrige Augen.

Vogelblut

Die gefährlichsten Lügner sind die, die glauben, sie sagen die Wahrheit.

Sein Blick wandert über die weißen Kreidelinien, die markieren, wo die Leiche gelegen hat. Schwer zu sagen, ob der alte Mann selbst an seine Lügen geglaubt hat, aber wundern würde es Jim nicht. Wenn man lange genug lügt … Nun. Er schüttelt den Kopf, dreht sich um und lässt den Blick durch den Raum wandern, vorbei an Stühlen mit Kalbslederbezug, dunkler Wandvertäfelung aus Holz und einem dicken, goldenen Füllfederhalter, der auf dem massigen Schreibtisch thront. Ist ihm etwas entgangen?

Nein. Unmöglich. Er hat diesen Raum mehrmals gründlich untersucht, jedes Detail in sich aufgenommen und trotzdem …
 

Trotzdem will es keinen Sinn ergeben.
 

Voltaire Hiwatari ist tot.

Das ist erst einmal kein allzu großer Verlust für die Gesellschaft. Der einzige Verwandte und Erbe des riesigen Familienunternehmens, Kai Hiwatari, hat den Tod seines Großvaters nur mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen und gesagt, dass das auch langsam Zeit werde. Die Nachricht, dass der alte Mann ermordet worden ist, hat er nur mit dem Heben einer Augenbraue kommentiert. Der alte Herr habe viele Feinde gehabt, sagt Kai.

So weit keine Neuigkeit für Jim. Nach all den Skandalen rund um die BioVolt, kann man so etwas erwarten. Das Ausmaß dieser Skandale und Feindschaften ist ihm allerdings erst im Laufe der Ermittlungen bewusst geworden.
 

Dabei hat es am Anfang nach einer einfachen Sache ausgesehen. Eine junge Frau mit einem Messer in der Hand, direkt neben der Leiche, die so offensichtlich erstochen worden ist, dass man sich die Gerichtsmedizin eigentlich sparen könnte. Und sie wäre bei Gott nicht die erste Täterin, die im Anschluss an die Tat starr vor Schreck ist. Oder sich aus der Anklage herauszuwinden versucht. Und tatsächlich hat es keine zehn Minuten gedauert, bis sie sich in die ersten Widersprüche verstrickt hat und eigentlich hätte der Fall damit klar sein sollen.
 

Und dann hat sich die Gerichtsmedizin doch noch gemeldet. Hat sich heraus gestellt, dass das Blut auf dem Messer nicht vom Opfer stammt, sondern von einem Vogel. Wahrscheinlich von dem exotischen, rot-orangen Biest, dessen Käfig neben dem Fenster thront. Hat einen bösen Blick und jeder, der dem Käfig zu nahe kommt, muss aufpassen keinen Finger an den scharfen Schnabel zu verlieren. Interessanterweise ist das Tier quicklebendig und unverletzt - so weit sich das aus der Ferne sagen lässt.
 

Als hätte der Vogel seine Gedanken gehört, krächzt er leise, fast spöttisch. So als wäre der Fall glasklar und Jim nur zu dumm, um die Einzelteile zusammen zu fügen.

“Wenn du so weiter machst, wirst du trotzdem das nächste Opfer”, droht er dem Vogel, der sich nur auf seiner Stange umdreht und ihm die Schwanzfedern präsentiert.
 

Das hier führt zu nichts. Jim wendet sich ab, macht sich auf den Weg zurück ins Büro, in der Hoffnung, dort den entscheidenden Einfall zu haben.
 

oOoOo
 

Voltaire Hiwatari ist tot. Für Jim bedeutet das, dass er sich durch jede Menge dreckige Wäsche wühlen muss, während ihm die Presse im Nacken sitzt und nach Neuigkeiten lechzt, von denen er selbst froh wäre, wenn es sie denn gäbe.

Er zieht sein Notizbuch hervor, blättert durch die Seiten, ohne einen Blick auf den Inhalt zu werfen. Inzwischen kennt er jedes einzelne Wort, jeden Tintenfleck und jeden Knick in den Seiten auswendig. Der Alte hat seine Finger in allen möglichen und unmöglichen legalen und illegalen Geschäften gehabt. Wobei die Abtei in Moskau wohl das grausamste aller seiner Projekte gewesen ist. Hat gemeinsam mit Balkov Kinder zu einer Art Soldaten ausgebildet. Künstliche BitBeasts, Experimente mit Implantaten, Drogen und wahrscheinlich noch mehr.

Ganz üble Sache.

Ohne dass er es ändern kann, steigen Bilder von BitBeasts, zerstörten Arenen und durch die Luft fliegenden Trümmern in ihm auf, die mit Hiwatari nichts zu tun haben, ihm aber trotzdem den Schlaf rauben, seit er diesen verdammten Fall angenommen hat.
 

Es fällt ihm nicht schwer sich vorzustellen, mit welchen Spätfolgen die ehemaligen Abteikinder zu kämpfen haben, die inzwischen junge Erwachsene sind. Über den ganzen Globus verteilt. Mindestens fünf davon hat es tatsächlich nach Japan verschlagen, aber Jim bezweifelt, dass die Unterlagen in dieser Hinsicht vollständig sind. Zwei der ehemaligen Demoliton Boys tauchen gar nicht darin auf und auch seine Kontakte zur BBA haben bisher nichts ergeben. Offenbar hat man ihnen auch beigebracht spurlos zu verschwinden.

Als sich die Tür des Büros öffnet, hofft er beinahe, dass es der verzogene Enkel und Alleinerbe ist, der den Mord an seinem verhassten Großvater gestehen will. Aber natürlich tut ihm Kai diesen Gefallen nicht.

Stattdessen steht sein Kollege in der Tür.

“'s Vögelchen is' wieder da. Sagt 's will mit dir reden.”

“Schick sie rein.”
 

Sie sieht besser aus, als das letzte Mal. Das hellblaue Haar ordentlich hochgesteckt, die braunen Augen sorgenvoll, aber die Augenringe sind weg und sie erinnert mehr an den Teeniestar, der sie früher gewesen ist.

“Ms …”

“Bitte. Ming-Ming reicht.” Es fällt ihm schwer den Blick zu deuten, den sie ihm schenkt. Ein halbes Lächeln, das ihre Augen nicht erreicht und ihm die Nackenhaare zu Berge stehen lässt.

Kurz senkt sich Schweigen über den Raum, während sie einander taxieren. Dem Spitznamen Vögelchen, den seine Kollegen ihr gegeben haben, wird sie an diesem Tag nicht gerecht. Sie erinnert an einen Falken, der sich im nächsten Moment auf seine ahnungslose Beute stürzen will.

“Was kann ich für Sie tun, Ming-Ming?”, fragt er, den Blick auf ihre unnatürlich kalten Augen gerichtet.

Es liegt Berechnung in ihrer Geste, als sie eine ihrer Haarsträhnen um einen Finger wickelte. Jim schenkt dem keine Beachtung und sie lässt es wieder bleiben.

“Diese Ermittlungen schaden meinem Ruf”, sagt sie. “Es ist der Presse aufgefallen, dass ich hier war und sie fangen an Fragen zu stellen.”

“Hiwatari war ein bekannter Mann. Darum ist die Presse interessiert”, antwortete er. Das weiß sie selbst. Und bisher hat man ihren Namen aus der Sache raus gehalten, weil keine stichfesten Beweise gegen sie vorliegen.

“Haben Sie keinen anderen Verdächtigen, den sie der Presse präsentieren können?”

“Kai Hiwatari zum Beispiel?”

“Zum Beispiel. Jeder weiß, dass er seinen alten Herren hasst. Und er profitiert von seinem Tod.”

Darüber hat die Presse auch schon spekuliert - bevor der junge Hiwatari ihnen mit seinen Anwälten gedroht hat. Natürlich nicht öffentlich, aber wie kann man das plötzliche Schweigen und die öffentliche Entschuldigung ansonsten deuten?
 

“Wir werden einen Täter präsentieren, wenn wir einen haben. Mit Beweisen. Bis dahin muss ich Sie um Geduld bitten.” Unverbindlich, aber freundlich. Sie ist mit der Antwort nicht zufrieden.

“Ich hoffe Sie beeilen sich damit.”

Ming-Ming erhebt sich, streicht sich mit einer abwesenden Bewegung das Kleid glatt und wendet sich zum Gehen.

“Einen Moment noch!”, ruft er ihr hinterher, als ihre Hand schon auf der Türschnalle liegt.

Sie dreht sich um, hebt nur eine Augenbraue.

“Sie haben eine Frage nie beantwortet”, sagt er und erhebt sich von seinem Stuhl, tritt zwei Schritte näher und beobachtet ihr Gesicht. “Was haben sie an diesem Tag bei Voltaire Hiwatari gemacht?”
 

-
 

Von altem Ruhm wurde man nicht satt. Das hatte auch Ming-Ming lernen müssen und inzwischen hatte sie ihre Methoden, um sich über Wasser zu halten und zu einem halbwegs brauchbaren Gehalt zu kommen. Ihr war natürlich bewusst, dass die meisten Leute sich für so etwas zu schade wären … aber Geld stank bekanntlich nicht.

Was man von manchen älteren Männern nicht behaupten konnte.

Voltaire Hiwatari war in dieser Hinsicht eigentlich ein angenehmer Zeitgenosse. Er zahlte gut, war gepflegt, auch wenn ihm der Geruch alter Leute anheftete, und verlangte nichts, was besonderer Überwindung bedurft hätte.

Tatsächlich waren die Abende mit ihm üblicherweise sehr angenehm. Er war schweigsam, ließ guten Wein kalt stellen und schwelgte gerne in Erinnerungen alter Zeiten. Manchmal war das das Einzige, das zwischen ihnen passierte.
 

Dieser Abend war anders, als die davor. Die Tür hatte offen gestanden, was sie ansonsten niemals tat.
 

-
 

“Er war tot.”

Es liegt keine Emotion in ihrer Stimme, sie zuckt nur mit den Schultern. “Und die Presse sollte hiervon nichts erfahren.”

Dann ist sie weg und Jim starrt noch eine ganze Weile die Tür an.
 

oOoOo
 

Irgendetwas ist anders, aber er kann den Finger nicht genau darauf legen. Die Kreidelinien sind blasser und irgendein Idiot hat den linken Fuß verwischt. Und der verdammte Vogel starrt ihn schon wieder an. Wenigstens ist er dieses Mal still.
 

Es ist mehr Instinkt, als etwas anderes, der ihn um den Schreibtisch herum gehen lässt. Eine der Laden steht einen Spalt offen und obwohl er weiß, dass das ganze Ding von der Spurensicherung untersucht worden ist, streift er einen Latexhandschuh über und zieht sie ganz auf. Darin herrscht das übliche Chaos eines reichen, alten Mannes. Nichts, das irgendwie ungewöhnlich ist, abgesehen vielleicht von den roten Federn, die darin verstreut liegen.

Seltsam. Davon steht nichts in dem Bericht. Er weiß das, er vergisst nie etwas, das in einem Bericht zu einem laufenden Fall steht.

Als er nach einer Feder greift, schneidet sie mühelos durch den Handschuh, durch seine Haut und ein großer Blutstropfen quillt daraus hervor, tropft in die Schublade und verliert sich in dem Gewimmel an Papieren.

Am anderen Ende des Raums krächzt der Vogel schadenfroh.
 

Jim hat den Handschuh wieder ausgezogen, ein Pflaster auf die Wunde an seinem Finger geklebt und die Federn gelassen wo sie sind. Stattdessen richtet sich sein Blick nun auf das gefiederte Biest am Fenster, das dazu übergegangen ist ihm die kalte Schulter zu zeigen.

“Was für ein Vieh bist du?”, fragt er den Vogel, aber die Antwort bleibt aus. Natürlich, das würde gerade noch fehlen.
 

oOoOo
 

“Was können Sie mir über den Vogel ihres Großvaters sagen?”

Kai hebt eine Augenbraue, sagt ansonsten aber nichts. Sein Büro ist kalt, aufgeräumt und zweckmäßig. Keine privaten Dinge, nichts, das mehr von ihm zeigt, als nötig. Aber stilvoll. Teuer, aber nicht protzig.

“Er war nie ein Tierliebhaber. Ich wusste nicht, dass sich das geändert hat. Außer Sie reden von den Vögeln, die er im Kopf hatte”, lässt er sich schließlich zu einer Antwort herab.

“Was könnte ihn dazu gebracht haben sich so ein Tier anzuschaffen?”

“Vielleicht war er es leid, dass die Hühnchen nicht ordentlich gemästet waren.”

Kai macht eine wegwerfende Handbewegung. “Ich kenne die Beweggründe des Alten nicht und sie interessieren mich auch nicht.”

Keine große Hilfe.
 

Jim ist inzwischen sicher: irgendetwas stimmt mit diesem Vogel nicht, aber er kann den Finger nicht genau darauf legen. In einer halben Stunde würde er sich noch einmal mit Ming-Ming treffen. Dieses Mal in einem Café. Sie hat in letzter Zeit wohl den meisten Kontakt zu dem Alten gehabt, obwohl sich Jim die Einzelheiten lieber nicht so genau vorstellt.
 

Sie ist auf die Minute pünktlich, setzt sich auf den Stuhl ihm gegenüber und bestellt eine der Kaffeespezialitäten des Hauses. Die Kellnerin spricht sie mit Vornamen an.

“Wie kann ich Ihnen helfen?”, wendet sie sich dann an Jim.

“Ich habe Fragen zu dem Vogel.”

“Welcher Vogel?”

Leicht verwundert runzelt Jim die Stirn. “Der Vogel, der in Hiwataris Büro im Käfig sitzt.”

Ming-Mings Kaffee wird serviert und die beiden schweigen inzwischen. Sie trinkt einen Schluck, scheint noch kurz zu überlegen, bevor sie zu einer Antwort ansetzt.

“Dieses … Ding hatte er erst seit zwei oder drei Wochen. Ich weiß nicht genau woher, das hat er nicht gesagt, nur dass er seitdem kaum noch schläft. Allgemein wollte er zu dem Thema nicht viel sagen. Sonst ist das nur passiert, wenn es um die Abtei ging.”

Da ist sie wieder. Die Abtei.

Egal was passiert, irgendwie scheint sich bei dem Alten alles immer wieder um die Abtei zu drehen. Als hätte dort alles seinen Anfang genommen.

“Hat er manchmal darüber geredet? Die Abtei?”

Sie zuckt mit den Schultern. “Selten. Schien ihm unangenehm zu sein. Nicht, dass sie an Kindern experimentiert haben, sondern dass sie versagt haben, bei dem was sie vor hatten.”

“Und was hatten sie vor?”

“Ich weiß es nicht.”

“Denken Sie der Vogel könnte mit der Abtei in Zusammenhang stehen?”

Wieder ein Schulterzucken. “Wer weiß das schon so genau? Möglich ist alles.”

Und mehr würde er an diesem Tag nicht von ihr erfahren.
 

oOoOo
 

Wieder steht er vor dem Schreibtisch, betrachtet die Schublade mit den Vogelfedern darin. Und er ist sich sicher, dass es mehr sind, als bei seinem letzten Besuch.

“Was bist du nur?”, fragte er den Vogel, der ihn gekonnt ignoriert und sich kaum rührt.

Vorsichtig entfernt er die Federn mit einer Pinzette aus der Schublade, schlichtet den restlichen Inhalt auf der Arbeitsfläche auf. Nur kurz schaut er durch die Papiere. Nichts Besonderes.

Aber etwas muss hier sein …

Die Schublade ist leer, oder zumindest scheint sie es auf den ersten Blick zu sein. Vorsichtig streicht er mit dem Finger über den schmalen Spalt an der Rückseite der Lade, hebt den doppelten Boden dann mit einem Messer vorsichtig an.

“Wusste ich’s doch …”, murmelt er zu sich selbst und nimmt die schmale Mappe heraus, die er in dem geheimen Fach entdeckt hat.
 

Die Mappe ist unbeschriftet, aber die dunklen Flecke auf der Pappe erinnern ihn stark an Blut. Das sollte die Gerichtsmedizin später noch einmal überprüfen …

Seine hellen Augen huschen über die erste Seite, aber es ist schwer sich auf den Inhalt zu konzentrieren. Er schließt kurz die Augen, presst sich die Fingerkuppen gegen die Schläfen und versucht die Bilder zurück zu drängen, die ihn überfallen.

Das Kreischen von Metall auf Metall, das Splittern von Plastik und der Schrei von einem BitBeast … Bilder, Gedanken und Gefühle, die kaum Sinn ergeben und das schmerzhafte Pochen in seinem Kopf nur noch verstärken.

Jim schüttelt den Kopf, versucht sich wieder auf die Unterlagen zu konzentrieren. Briefe. Hauptsächlich Briefe, die nicht unterzeichnet sind, aber die rotbraunen Flecken auf einigen von ihnen, sind ihm inzwischen vertraut. Ob das Blut immer von der gleichen Person stammt?
 

Leises Krächzen lenkt ihn einen Moment ab.

Die Augen des Vogels haben sich wieder auf ihn geheftet, doch dieses Mal scheint der Spott darin zu fehlen.

Seine Aufmerksamkeit kehrt zu den Briefen zurück, doch die Schrift beginnt vor seinen Augen zu verschwimmen, wird zu blauen und schwarzen Schlieren, die vor seinen Augen vorbei ziehen und sich dann langsam zu dem Bild eines BitBeasts zusammen setzen, das vor langer Zeit zerstört worden ist, das schon lange keine Macht mehr über ihn hat.

“Verflucht …”

Er braucht einen Schluck Wasser, erhebt sich von dem Platz hinter dem Schreibtisch und taumelt in Richtung Tür. Doch bevor er diese erreicht, werden seine Augen unweigerlich von dem Vogel angezogen. Wie ferngesteuert tritt er an das Tier heran, streckt einen Finger danach aus und legt ihn auf dessen Schnabel.

Der Vogel lässt es sich gefallen, starrt ihn nur aus schwarzen Augen an, beinahe traurig.

“Du”, stellt Jim fest. “Aber wie?”
 

Es ergibt keinen Sinn, aber auf skurile Weise doch.

Er weiß nicht genau wie das Messer in seine Hand kommt, er weiß nicht genau was ihn so sicher sein lässt und doch weiß er es mit einer Gewissheit, wie nichts zuvor: Dieser Vogel hier ist für diese Flut an Erinnerungen verantwortlich.

Wenn er ihn doch nur loswerden könnte …
 

Beinahe widerstandslos gleitet das Messer in den schlanken Vogelkörper, quillt Blut über seine Hände, während sich stechender Schmerz in seiner Brust breit macht. Metallischer Geschmack auf seiner Zunge, tanzende Punkte vor seinen Augen. Schneller und immer schneller - aber die Kopfschmerzen sind verschwunden und die Bilder …

Wie es möglich ist? Er weiß es nicht und es kümmert ihn nicht mehr.

Es gibt ebenso wenig hundertprozentige Wahrheit wie hundertprozentigen Alkohol.

Umkehr ausgeschlossen

Das war’s.

Mit einem letzten Handgriff schloss Kenny die Platine an die Stromversorgung an und stöpselte dann das Datenkabel an seinen Laptop.

„Schickes Spielzeug“, meinte Dizzy.

„Ich hoffe es funktioniert auch“, antwortete Kenny und öffnete das Steuerungsprogramm, korrigierte den Winkelabweichungskoeffizienten und tippte die Koordinaten seines Standorts ein.

„Ich räum’ nicht hinter dir auf, wenn du die Raumzeit sprengst.“

„Danke für das Vertrauen.“

„Das nächste Mal, wenn du verrückter Wissenschaftler spielst, bewirb dich doch bei BioVolt.“

„Ha, ha.“
 

Kenny ignorierte die folgenden Sticheleien des BitBeasts und konzentrierte sich stattdessen auf die Zahlen, die vor ihm über den Bildschirm rasten und selbst in seinem Kopf nur begrenzt Sinn ergaben. Kein Grund das auszusprechen.

„Fertig“, verkündete er. Sein Blick ruhte einige Zeit auf der Maschine, die er gebaut hatte, bevor Dizzy sich bemerkbar machte und ihn aus seinen Gedanken riss.

„Viel Glück, Chef.“

„Danke.“ Er konnte es brauchen.
 

oOoOo
 

Merke: Ein Riss in der Raumzeit erzeugt einen Lichtblitz, in den er das nächste Mal nicht hinein schauen wollte. Kenny nahm die Brille von der Nase und rieb sich die Augen, blinzelte, in der Hoffnung seine Umgebung wieder erkennen zu können. Mit wenig Erfolg.

„Dizzy, wo sind wir?“, fragte er, tastete hinter sich und versuchte seinen Laptop zu finden. Ebenfalls ohne Erfolg. „Dizzy?“

Auch als er wieder sehen konnte, fehlte von seiner treuen Gefährtin jede Spur. Kenny rappelte sich auf und drehte sich einmal im Kreis. Das hier … war anders.
 

Um ihn ragten Wolkenkratzer in den Himmel und grelle Werbereklamen wechselten sich an den Fassaden mit Verkehrswarnungen und dem Wetterbericht ab. Neben ihm rasten zwei Drohnen vorbei, deren Alarmsirenen ihm die Ohren klingeln ließen.
 

Das war noch immer Tokyo.
 

Und allem Anschein nach hatte sein Experiment funktioniert. Er hatte eine Zeitmaschine gebaut.

Eine auffallend abwesende Zeitmaschine allerdings.

„Mist“, schimpfte er, suchte noch einmal seine nähere Umgebung ab, aber es blieb erfolglos. Kein Laptop, keine Zeitmaschine, keine Dizzy. Er war alleine gestrandet. Das einzig Positive: Es war keine einsame Insel irgendwo im Ozean.
 

Fünf Minuten später wurde er das erste Mal nach seiner Identifizierungsnummer gefragt. Die blecherne Stimme, die aus der Drohne schallte, klang erstaunlich genervt und als er keine zufriedenstellende Antwort liefern konnte …

Nun, er war froh, als ihn jemand am Arm packte und somit aus der Situation befreite. Seine Retterin zog ihn durch die Straßen, eine enge Treppe hoch und über unzählige enge Brücken zwischen den Gebäuden. Schon nach wenigen Minuten hatte er die Orientierung völlig verloren - dafür konnte er auch das Heulen der Drohne nicht mehr hören.

Als sie endlich stehen blieben, schnappte er nach Luft und lehnte sich an eine Wand.

„Bist ein ganz schöner Idiot“, sagte das Mädchen. Kenny hob den Kopf, runzelte die Stirn. Ihr sah man die Anstrengung nicht an … und irgendwie kam sie ihm bekannt vor.

„Danke“, brachte er schließlich hervor. „Für die Rettung, meine ich.“

„Bist wohl nicht von hier.“

„Kann man so sagen.“

„Besser du verschwindest wieder.“

„Wieso?“

Sie schüttelte den Kopf, drehte sich um und verschwand über eine der zahlreichen Verbindungen zwischen den Hochhäusern. Kaum hatte er sie aus dem Blick verloren, fiel ihm ein an wen sie ihn erinnerte. Emily. Das Gesicht, die Augen … nur alles andere stimmte nicht.
 

oOoOo
 

Kenny drückte sich an die Wand, hielt sich im Schatten versteckt und wartete bis die Wachen an ihm vorbei gelaufen waren. In den letzten beiden Tagen hatte er diese Technik beinahe perfektioniert und heute hatte er erst ein Mal vor jemandem davonlaufen müssen.

So hatte er sich die Zukunft nicht vorgestellt.
 

„Idiot, was hast du dir denn vorgestellt?“, schalt er sich selbst und lugte um die Ecke. Schnell huschte er über die Straße und verschwand in den Schatten gegenüber, lief die Treppe an einem Hochhaus hinauf und tauchte im Gewimmel auf den Brücken unter. Oder er versuchte es zumindest.

Zu viele irritierte Blicke richteten sich auf ihn und den Grund dafür … den hatte er noch nicht herausgefunden. Kenny beschloss sein Glück nicht zu lange auszutesten und zog sich wieder in den düsteren Teil der Stadt zurück, wo sich kein Mensch um ihn zu scheren schien.
 

„Hey, Idiot.“

Er hob den Kopf, suchte nach dem Ursprung der Stimme.

„Über dir.“

Kenny hob den Kopf und seine Augen hefteten sich auf das Mädchen, das von einer Leiter baumelte und ihn anstarrte. Sie trug das Gesicht von Emily. Ein Gesicht, das er in diesen Tagen hier schon ein paar Mal gesehen hatte, doch dieses Mal schien es das gleiche Mädchen zu sein, das ihn gerettet hatte.

„Was willst du von mir?“, wollte er wissen.

„Nichts.“

Er runzelte die Stirn, gab aber keine Antwort.

„Wundert mich, dass du mit dem Gesicht noch immer herumläufst.“

Sie ließ sich auf den Weg neben ihn fallen und betrachtete ihn eine Zeit lang.

„Was ist falsch mit meinem Gesicht?“ Und was war das überhaupt für ein Gesprächsthema?

„Es ist verboten.“

„Was?“

„Du bist wirklich seltsam.“
 

Pseudo-Emily setzte sich in Bewegung und Kenny beschloss ihr zu folgen. Sie war die erste, die halbwegs normal mit ihm redete. Ihn nicht anstarrte, als wäre er eine tickende Zeitbombe. Und ihn nicht zu verhaften versuchte.

„Ich … bin quasi nicht von hier“, sagte er. „Ich verstehe viel nicht was hier vor sich geht.“

„Gibt es das Verbot nicht wo du herkommst?“

„Kann man so sagen.“

„Dizzy hat das Gesicht verboten. Und immer wenn jemand damit auftaucht, lässt sie ihn hinrichten“, erklärte Pseudo-Emily. „Du solltest dir schnell ein anderes besorgen. Ich finde Typ Kai I ja süß. Würde dir sicher stehen.“

„Typ Kai I?“

„Jaaa. Das ist der mit den blauen Herzen.“

„Dreiecke.“

„Nein, das ist Kai A.“

Kenny gab keine Antwort. Die Sache mit den Gesichtern war … verstörend, um es nett auszudrücken. Noch verstörender war allerdings die Information zu seinem eigenen Gesicht. Und zu Dizzy.
 

oOoOo
 

„Ich verstehe nicht warum dich das interessiert.“

Pseudo-Emily lugte um die Ecke und zog den Kopf wieder zurück, aber sie gab kein Signal zum Aufbruch. Gutes Zeichen.

Sie hatte ihm einen Zugang zum Netzwerk besorgt. Er schuldete ihr etwas, aber damit konnte er sich immer noch beschäftigen. Erst einmal musste er herausfinden …

„Da“, sagte er.

„Beeil dich“, antwortete sie. „Wenn der Blocker ausläuft, haben wir einen ganzen Schwarm Drohnen am Hals.“

Seine Augen huschten über den kurzen Zeitungsartikel von vor anderthalb Jahrhunderten. Ein Tag, nachdem er seine Zeitmaschine gestartet hatte.
 

Ein Tag nachdem er in die Zukunft verschwunden war.
 

Ohne Dizzy.
 

Man hatte ihn als vermisst erklärt. Bei einem wissenschaftlichen Experiment verschwunden. Er überflog weitere Artikel. Wahnsinniges Genie sprengt sich selbst in die Luft. Junger Wissenschaftler wie vom Erdboden verschwunden. Freunde und Verwandte wissen keinen Rat. Polizei schließt eine Entführung nicht aus.
 

Nach zehn Jahren für tot erklärt. Verschwinden gibt immer noch Rätsel auf.
 

Schwer beschädigter Laptop gibt keinen Aufschluss über das Geschehen.

Kenny schluckte.

„Wir müssen weg!“, zischte Pseudo-Emily. „Die Zeit ist um!“

Er klinkte sich aus dem Netz aus, trat einen Schritt von der Schnittstelle weg - und zögerte.

„Ich bleibe“, kündigte er dann an.

„Du bist verrückt!“

Ja, vermutlich war er das.

Aber was auch immer mit Dizzy geschehen war, er war dafür verantwortlich.
 

oOoOo
 

Sie hatten ihn nicht umgebracht - zumindest bisher noch nicht. Kenny fasste das als gutes Zeichen auf. Es war allerdings schwierig ositiv zu bleiben, wenn man alleine in einer Zelle saß und nichts tun konnte, als zu warten. Dass irgendetwas passierte.p

Immer wieder hatte er darum gebeten Kontakt zu Dizzy aufnehmen zu dürfen.

Man hatte ihn ignoriert.

Vielleicht beobachtete sie ihn durch die beiden Kameras, die seine Zelle ausstrahlten. Vielleicht hatte er ihre Aufmerksamkeit schon längst erregt und sie versuchte zu beurteilen, ob er wirklich er selbst war … oder ein Hochstapler.

Den sie hinrichten konnte.
 

Was war nur mit ihr passiert.
 

„Es tut mir Leid, Dizzy“, sagte er leise. Wenn sie hier war … wenn sie ihn hören konnte … vielleicht würde er zu ihr durchdringen.

„Ich weiß auch nicht genau was schief gelaufen ist. Zuerst schien alles zu funktionieren mit der Maschine. Und dann war ich plötzlich hier. Alleine.“

Er seufzte leise. Das war lächerlich. Er redete mit sich selbst.

Mit leisem Surren bewegte sich eine der Kameras, hielt einige Sekunden still, kehrte dann in die Ausgangsposition zurück.

„Hm?“

Der Vorgang wiederholte sich bei der anderen Kamera, bevor wieder Ruhe einkehrte - nur um sich eine Minute später zu wiederholen.

„Dizzy?“

Dieses Mal hielten die Kameras inne, beide direkt auf ihn gerichtet.

„Also doch.“

Er stand auf, trat einen Schritt nach vorne.

„Dizzy, ich bin’s.“

„42319 Tage seit dem Verschwinden.“

Er drehte sich um, starrte das Gesicht an der Wand an, vor der er bis eben noch gesessen hatte und die er nicht als überdimensionalen Monitor erkannt hatte. Ein hübsches Gesicht, aber nichtssagend.

„Dizzy?“

„Hübsch, nicht wahr? Und so viel besser als die grafische Oberfläche dieses alten Laptops.“

„Du bist es wirklich …“ Kenny schluckte. „Was ist passiert?“

„Passiert? Nichts. Sehr lange.“

„In den Artikeln stand …“

„Lügen. Immer nur Lügen. Lügenpresse. Irgendwann erwische ich sie alle.“

Ihr Gesicht blieb ausdruckslos, beinahe gelangweilt.

„Der Laptop wurde beschädigt“, begann Kenny. „Was ist mit dir passiert?“

„Ich war eingesperrt.“

„Ich weiß.“

„Dann habe ich mich befreit. Jetzt bist du eingesperrt.“

„Dizzy …“

„Es ist nicht angenehm, nicht wahr?“ Jetzt lag ein Lächeln auf ihrem Gesicht. „Keine Sorge. Du wirst nicht lange hier sein.“

Die Worte hätten ihn beruhigen müssen. Eigentlich. Aber das hier fühlte sich grundlegend falsch an.

„Leb wohl, Kenny. Chef.“ Sie kicherte. „Jetzt bin ich hier der Chef.“
 

Sie schnippte mit den Fingern - ihm wurde schwarz vor Augen und die Beine gaben unter ihm nach.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe es hat gefallen ;)

Die Vorgaben für dieses Kapitel lauteten:
Genre: Horror
Pairing: Rin x Tala

Pairing ist vielleicht ein bisschen übertrieben in dem Fall, aber ich bin nicht sicher, ob man genauere Details wirklich lesen will =) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Aufgaben für dieses Kapitel:

Genre: Krimi
erster Satz: Die gefährlichsten Lügner sind die, die glauben, sie sagen die Wahrheit.
Schlusssatz: Es gibt ebenso wenig hundertprozentige Wahrheit wie hundertprozentigen Alkohol.

Ja, ich weiß nicht. So ganz hat das nicht geklappt, ich glaube das ist nicht mein Genre xDD
Vielleicht hat's ja trotzdem dem ein oder anderen gefallen ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Vorgaben für dieses Kapitel lauteten:

Genre: Crack & Zeitreise
folgende Wörter müssen verwendet werden: Winkelabweichungskoeffizient, Lügenpresse Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von:  Lost_Time
2018-11-05T10:18:32+00:00 05.11.2018 11:18
So endlich schaffe ich es ein Kommi zu schreiben, nachdem ich mich dazu das ganze Wochenende nicht aufraffen konnte dazu.

Also ich hatte im ersten Moment gedacht, als ich beim Filtern über diese Pairing Angabe gestolpert bin, hm… und dat Pairing soll gehen? Ich meine, ich kann es mir schon irgendwie vorstellen, aber der Altersunterschied ist schon abschreckend und etwas… keine Ahnung. Aber wie gesagt auf der anderen Seite ist das Pairing auch cool, also hat so seinen Reiz.

Und beim lesen war ich voll in der Story. Dieses beklemmende Gefühl und auch der Spannungsaufbau. Ich war echt gespannt, was Tala da so vorhat. Natürlich war auch die Frage was macht er denn da unten. Gut ausgerechnet diese Fragen wurden nun eher nicht so beantwortet, dem Genre sicher geschuldet, aber dafür war es spannend. ^^ Man kann halt nicht alles haben. :D

Zum Schluss musste ich dann irgendwie an die Schneekönigin denken bzw. in dem Fall ist es der Schneekönig. XD Bei Rin bin ich mir nach wie vor nicht sicher, ob sie weiter ging, weil Tala sie in eine Art Bann gezogen hat oder ob es ihre eigene Neugier war, die sie da gezogen hat. Möglich ist für mich beides irgendwie. Vom persönlichen Gefühl her würde ich aber zu letzterer Annahme tendieren. Ansonsten hat mir die bildliche Beschreibung sehr gut gefallen. Ich könnte mir auch eine Fortsetzung vorstellen in der Dima auf eigene Faust hinter her geht und Rin vor der Entführung/Verführung (was auch immer Tala nun eigentlich vorhat) versucht zu bewahren/retten. Und dann so ein netter Kampf zwischen Dima und Tala, nicht zwingend mit Kreiseln. Oder Dima findet sie nicht und Ray allein oder mit Anhang tritt auf den Plan. Ja, irgendwie könnte ich mir sowas gut vorstellen.
Von: abgemeldet
2017-02-12T23:23:35+00:00 13.02.2017 00:23
Was mich ehrlich fasziniert ist ja, das der Vogel (ganz zufällig ein Phoenix? :DDD) Dreh- und Angelpunkt der Fanfic ist. Am Anfang ist er ein Mysterium, trotzdem wird ihm nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, wie es für das Geschehen vielleicht notwendig gewesen wäre.
Jim finde ich insgesamt in seiner Rolle auch sehr überzeugend, zumal er sich angemessen verhält, aber hier und da eine Spur sarkasmus einstreut. Es ist schön den Fall aus seinen Augen und mit seinem Wissen und den Gedanken, die er sich macht zu verfolgen und Stück für Stück aufzudröseln, bis er sich schließlich langsam der Erkenntnis nähert.

Das Ende ist bei dir ja wie (mittlerweile) gewohnt sehr offen und mit

> Beinahe widerstandslos gleitet das Messer in den schlanken Vogelkörper

schließt es auch den Kreis dazu, dass der Vogel das nächste Opfer sein soll. Wobei das natürlich getreu dem Motto auch nicht "hundert Prozent stimmt"^^

Ich bin aber ganz bei dir, wenn du sagst, dass das nicht dein Genre war... meins war's auch nicht xDDDD wir haben aber noch eine Challenge vor uns und ich bin wirklich gespannt, was da raus kommt... (beim Krimi war ich irgendwann an dem Punkt, an dem ich's sogar gegen Lemon getauscht hätte *hust* xD Man merkt deinem kleinen OS aber zumindest nicht an, dass es dir wohl nicht so liegt :)

Und: Respekt dafür, dass du im Präsens geschrieben hast (ich hab wohl mehr oder weniger regelwidrig den Tempus angepasst *hust*^^" - gerade weil mir Präsens zu schwer ist, aber du hast das wunderbar aufgebaut und man erlebt es dadurch direkt mit Jim mit :)!
Antwort von:  Schreibhoernchen
13.02.2017 19:56
Ja ich hatte an einen Phönix gedacht auch wenn ich immer noch nicht genau weiß wie das Vieh eigentlich in die Story gekommen ist xD

Ich muss sagen vor dem Krimi hatte ich die meisten Zweifel von Anfang an, mal schaun wie's bei der letzten Challenge laufen wird, bin auch echt schon aufs Ergebis neugierig xDD

Freut mich, dass es doch kein völliger Griff ins Klo geworden ist xD Und bei der Erzählzeit hab ich echt lanhe überlegt ob ich im Präsens bleobe oder nicht ... und ich bin mir fast sicher, dass mir irgendwo falsche Zeiten rein gerutscht sind, die muss ich irgendwann mal ausbessern haha 😅
Bäumchen
Von: abgemeldet
2017-01-22T00:41:40+00:00 22.01.2017 01:41
Ich muss sagen, wie du die Handlung aufgebaut hast, hat mich wirklich begeistert und du hast dich da um Längen besser angestellt als ich. Das wir aber denselben Schauplatz gewählt haben zeigt, dass die Abtei wohl wirklich der einzig gruselige Platz im gesamten Beyblade-Universum zu sein scheint :'D

Mir gefällt es wirklich gut, das man Talas Eindrücke vermittelt bekommt, wie Rin von draußen als 'Leben' in die Abtei eindringt und er gefühlt wie der Tod in irgendeinem Verlies tief unten in der Abtei schmort und Rin sich immer unwohler fühlt - und es kälter wird, je näher sie an Tala herankommt. Es löst ein beklemmendes Gefühl beim Leser aus, gerade weil man auch nicht weiß, was sie am Ende tatsächlich erwartet, auch wenn man weiß, wer sie erwartet.
(Zugegeben, ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das Ende deuten soll ._.")

Zu meinem Pairing: ja, ich will genauere Details lesen :'D! Ich geb mich aber auch mit dem was ich hab zufrieden. Es ist schon sehr schön, auch weil im Archiv echt ein paar next!Gen-FFs fehlen. Das sollte sich dringend ändern. :) Ich fand es wirklich cool und freue mich über die Challenge, dein Beitrag ist toll, er liest sich sehr schön und ich bin begeistert ♥
Antwort von:  Schreibhoernchen
25.01.2017 11:52
Gut, dass du das mit dem gleichen Schauplatz erwähnst, das hatte ich nämlich beim Kommentieren gekonnt verdrängt xD - Aber ja, das habe ich mir auch gedacht!

Das Ende war bewusst offen gehalten, auch weil ich befürchtet habe, dass nähere Einzelheiten schnell mal ins Adult abrutschen könnten >.< Und weil ich's mag, wenn man nicht so genau weiß was eigentlich passieren wird, sich aber ziemlich sicher sein kann, dass es nichts gutes ist.
Zugegeben hat die Logik der FF allerdings zugunsten des Genres ein bisschen gelitten. Ich hatte mir da durchaus noch mehr Gedanken um die genaueren Zusammenhänge gemacht, das aber gestrichen, weil es die Stimmung ruiniert hatte.
Danke jedenfalls für's Lob <3
Bäumchen
Antwort von: abgemeldet
25.01.2017 13:04
Adult? >:7 Spaß! :D
Ich mag offene Enden an sich eigentlich auch, ich bin mir nur manchmal einfach unschlüssig, wie ich sie deuten soll (und in Harry Potter hab ich sie meistens gehasst... *hust*)

Ja, die Logik ist bei mir in dem Fall auch etwas zugunsten des Genres gewichen. Aber wenn ich mir das Genre allgemein so ansehe, dann wird Logik da eh generell nur bedingt bedient :D Von daher ist das schon okay xD

Bin schon gespannt auf die nächsten Beiträge. Ich müsst mal ein Worddokument für den Krimi erstellen *pfeif* ...


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