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Die 3/4-Gitarre

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Das Kapitel ist irgendwie kürzer als ich dachte. XD
Aber egal. Ich hoffe, ihr habt Spaß damit. Ruki is back! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Kameraden, die Vergangenheit holt unsere beiden Jungs wieder ein. :D Komplett anzeigen

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1. Anlauf

Es klingelte.
 

Reita drehte sich müde seufzend in seinem Kopfkissen um.
 

Er überlegte kurz, ob er dem Klingeln überhaupt irgendeine Beachtung schenken sollte, dann warf er zur Entscheidungsfindung zumindest noch einen halben Blick auf den Wecker: 7:20 Uhr in der Früh.
 

Die Frage, wer um so eine Uhrzeit die Dreistigkeit besaß, ihn zu behelligen, stellte sich nicht. Da gab es nur einen. Wozu, verdammt nochmal, war er Rockstar geworden, wenn er dann doch wie jeder gewöhnliche Werktätige so früh am Tage raus musste? Es klingelte wieder. Länger. Lauter. Ungeduldiger. „Jaaaa doch“, stöhnte der Bassist und kämpfte sich schwerfällig aus der Bettdecke frei. Noch ein Klingeln an der Tür. Und noch eins. Jetzt nahm es einen ekelig schalkhaften Takt an. War das ernsthaft der Takt von 'Inside Beast', der da geklingelt wurde? Reita glaubte, blöde werden zu müssen. Etwas sauer riss er die Tür auf und holte Luft, um den Störenfried anzupflaumen, kam aber nicht mehr dazu, weil da schon ein quirliges, kleines Fellknäuel an ihm vorbei schoss, ihn dabei fast von den Füßen riss, und in seiner Wohnung verschwand. Es sauste um die nächste Ecke ins Wohnzimmer. Reita hörte irgendwas klirrend zu Boden gehen und ließ die empört eingesaugte Luft eine ganze Ecke resignierender wieder fahren. Mit einem gedehnten Seufzen.

„Morgen!“, grüßte der Besitzer des Fellknäuels in neutraler Tonlage und tippte sich dabei an eine erdachte Hutkrempe.

„Du mich auch. Kannst du Koron nicht an der Leine halten, Mann?“, maulte Reita.

Ruki lächelte amüsiert. Er sah geschniegelt und gebügelt aus, wie immer. Eine stylische Jacke, die passförmig und maßgenau angegossen war, eine Frisur bei der jedes Härchen exakt an seinem Platz saß, Hautunreinheiten sorgfältig abgedeckt – selbst in der Freizeit gab er sich da keine Blöße – die Fingernägel akurat gefeilt und lackiert. Seine Hundeleine hatte er sich diagonal um den Oberkörper gewickelt wie eine Scherpe. So sah sie eher wie ein Modeaccessoire aus, nicht wie ein Gebrauchsgegenstand, den er gerade nur zu faul war in der Hand zu tragen. „Ach was, mein Hündchen tut doch keinem was. Der muss nicht an die Leine.“

„Was willst du hier?“, seufzte Reita, halb genervt, halb hinnehmend. Zwecklos. Er fragte auch nicht, wie Ruki ins Haus gekommen war. Irgendein anderer Mieter würde ihn wohl reingelassen haben.

„Ich bin mit Koron Gassi gegangen. Und da dachte ich halt, ich geh mal gucken, ob du schon wach bist“, gab der Sänger ungerührt zurück, schob sich an ihm vorbei und betrat unaufgefordert die Wohnung. Schließlich musste er Koron ja wieder einsammeln gehen, wenn er ihn nicht von Reita in einem derben Genickgriff baumelnd wieder ausgehändigt bekommen wollte.

„Hast du ne Macke? Ob ich schon wach bin? Ist ja nicht so, als ob du mir mit deinem Klingelterror ne große Wahl gelassen hättest. Ich hab dir schon so oft gesagt, daß du mir um so eine Uhrzeit noch nicht auf den Zünder gehen sollst. Weißt du, wie spät das ist?“

„Hm, spät genug. Das Gitarrenhaus macht in 10 Minuten auf. Ich dachte, du gehst vielleicht mit mir da hin.“ Die Entfernung wurde größer. Ruki leiser.

„Was willst du in einem Gitarrenhaus?“, gab Reita irritiert zurück.

„Eine Trompete!“

„Willst du mich auf den Arm nehmen?“

„Na ehrlich mal, was soll denn die intelligente Frage?“, scholl es aus den Tiefen der Wohnung. „Was soll ich in einem Gitarrenhaus schon wollen? Eine Gitarre vielleicht?“

„Du machst mich fertig“, warf Reita seinem Besucher vor, während er endlich die Tür wieder schloss und Ruki dann ins Wohnzimmer folgte, wo schon wieder irgendwas verdächtig schepperte. Seine armen Nerven. Es war eindeutig noch zu zeitig für diesen Wirbelwind von Hund und diesen Sklaventreiber von einem Sänger. Nicht falsch verstehen, er war mit Ruki ein Herz und eine Seele. Sie waren best friends, unternahmen viel zusammen und verstanden sich blendend. Ihr Umgang war sowohl während der Proben als auch danach ein kameradschaftlicher. Es flogen nie böse Worte. Aber manchmal hatte Ruki so ein paar Anwandlungen, für die Reita ihm den Hals umdrehen könnte. Zum Beispiel dafür, ihn um 7:20 Uhr aus dem Bett zu klingeln, wegen ... ja, weswegen eigentlich? Wegen sowas bescheuertem wie einer Gitarre!? Mürrisch folgte Reita ihm also ins Wohnzimmer. Was auch immer der Hund umgestoßen hatte, Ruki hatte es augenscheinlich schon wieder aufgeräumt. Zur Vermeidung weiteren Schadens hatte er das fluffige, wild schwanzwedelnde Ding nun auch auf den Arm genommen. Das besänftigte den Bassisten wieder ein wenig. „Ich brauch erstmal nen Kaffee. Willst du auch?“, überging er die letzte Szene vorläufig und rieb sich den immer noch vorhandenen Schlafsand aus den Augen. Die Müdigkeit war noch nicht ganz weg.

„Ja, gerne. Mit Milch, wenn du hast.“

Reita nickte nur und machte Kehrt, um in die winzige Küche zu verschwinden. Kein Grund, Ruki zum Platznehmen aufzufordern. Der fühlte sich auch ganz von selbst wie zu Hause. War ja regelmäßig hier zu Gast.
 

„Okay, nochmal von vorn“, begann Reita das Gespräch von Neuem, als er eine Weile später mit der durchgelaufenen Kaffeekanne am Couch-Tisch saß und dem Sänger eine Tasse voll einschenkte. Koron lag artig neben Ruki auf dem Sofa. Naja, wenigstens sauste er nicht mehr wild durch die Gegend wie ein tasmanischer Teufel und hinterließ überall Chaos.

Ruki schaute fragend von seinem smartphone hoch, mit dem er gerade irgendeine Nachricht abgerufen oder weiß der Geier was gegoogelt hatte.

„Was willst du mit ner Gitarre? Du bist Sänger.“

„Ich kann auch Gitarre spielen!“, beharrte Ruki mit Schmollschnute.

„Das streitet ja auch keiner ab. Aber wann tust du das schonmal?“

„Beim Songsschreiben ziemlich häufig. Ich muss doch testen, wie der Quirl klingt, den ich da verzapft habe.“

„Was ist denn mit deiner passiert? Hast du nicht schon eine?“

„Willst du nicht wissen“, winkte Ruki ab, legte mit einer Hand das Telefon weg und angelte mit der anderen nach der heißen Tasse. „Und unser 'cassis' läuft auf drei Gitarren, da muss ich zwangsläufig auch auf der Bühne Gitarre spielen“, fügte er noch an.

„Na meinetwegen.“

„Du musst mir helfen, wenn ich mir ne neue Gitarre kaufe, damit ich auch eine vernünftige erwische. Ich hab nicht so viel Ahnung davon. Ich will ja keinen Schrott kaufen.“

„Wieso fragst du nicht unsere beiden Gitarristos? Aoi und Uruha können dir da sicher auch helfen.“

Ruki ließ einen geradezu angewiderten Blick sehen. „Nee!“, entschied er. „Die zwei Ego-Kanonen nehm ich da sicher nicht mit. Die würden sich im Gitarrenhaus bloß einen runterholen und mir stundenlange Vorträge halten, was sie alles tolles über Gitarren wissen. Ich will keinen Crashkurs als Instrumentenbauer, ich will einfach nur ne ordentliche Gitarre kaufen. Und du hast lange nichts mehr mit mir unternommen.“ Das klang wie ein Vorwurf, fast beleidigt.

Reita verdrehte die Augen. „Das würde ich, wenn du deine Unternehmungen nicht immer auf 7 Uhr morgens legen würdest.“

„Soll ich Koron etwa ne Plastiktüte an den Hintern binden, damit er mir bis 12 Uhr mittags nicht in die Wohnung macht?“

„So war das nicht gemeint“, grummelte Reita.

Ruki wertete Reitas fehlgeschlagene Argumentation nur mit einem tadelnden Kopfschütteln, dann nahm er einen tiefen Zug aus seinem Kaffee-Pott. Und verzog hart das Gesicht. „Woah, dein Kaffee ist furchtbar!“, beschwerte er sich.

Reita winkte ab. Er gab es auf. Zwecklos. Einem Ruki in Hochform war keiner gewachsen. Der hatte auf alles eine passende Antwort. Oder halt eine unpassende, wann er das für passender hielt.
 

Tatsächlich fand sich Reita eine halbe Stunde später im renomiertesten Gitarrenhaus am Platz ein. Ein paar hundert Gitarren und Bässe, ganz gleich ob E' oder Akustik, Boxen, und alles was es dazu an Equipment gab, auf drei Etagen. Wer hier nicht fündig wurde, dem war nicht mehr zu helfen. Reita hatte seine blonden Haare unter einer Mütze versteckt und sich einen Atemschutz vor das Gesicht gespannt, um nicht so sehr aufzufallen. Er wollte ungern erkannt werden. Aber mit jemandem wir Ruki an seiner Seite, der sich diese Mühe nicht gemacht hatte, war das schwierig.

„Na schön, hast du schon eine Vorstellung, was es werden soll?“, wollte der Bassist beim Eintreten wissen und ließ den Blick schweifen.

„Ich will ne semi-Akustik“, gab Ruki zurück. „Am besten mit F-Löchern, die gefallen mir besser als die stupiden Dinger mit nem Schall-Loch in der Mitte.“

„Nagut, das ist ja schonmal ein Ansatz.“

„Ruki, altes Haus!“, scholl ihnen da von der Kasse her entgegen. In aller gebotenen Lautstärke, um im ganzen Erdgeschoss gehört zu werden. Aber da der Schuppen um diese Uhrzeit noch leer war, war das nicht weiter dramatisch. Ein Kerlchen mit Undercut kam ihnen winkend hinter der Kasse hervor entgegen geeilt. Da er nur ein ärmelloses, weit ausgeschnittenes Oberteil trug, sah man die zahllosen Tattoos überall an den Armen und auf der Brust. Unverkennbare Tattoos wohlbemerkt. Die Fans kannten diese Motive in- und auswendig.

„Miyavi“, bemerkte Reita ganz richtig und wusste nicht recht, ob er sich freuen sollte oder nicht. Der quirlige Ausnahme-Star konnte mitunter anstrengend sein. „Was treibst du denn hier? Bist du jetzt Kassierer in nem Gitarrenhaus? Rentiert sich das Plattenlabel nicht mehr, das du gegründet hast?“

„Mach dich nicht lächerlich!“, schmollte Miyavi und verschränkte die Arme. „Der Laden gehört mir, ja?“

„Tatsächlich?“

„Wer bist du neunmalkluger Held überhaupt?“

Reita zog sich genervt die Atemmaske aus dem Gesicht. „Habe die Ehre“, brummte er zynisch, als er sich zu erkennen gab und Miyavi sichtlich die Mimik einschlief.

„Reita, shit Mann, dich erkennt man mit der Mütze überhaupt nicht. Tut mir leid. Ich dachte, Ruki wäre mit nem Staff hier.“

Ruki gab ein vernehmliches Seufzen von sich, um die allgemeine Aufmerksamkeit wieder zurück zu bekommen. Er wickelte Korons Leine – ja, er hatte sein Hündchen hier im Laden doch mal angeleint – umständlich und theatralisch neu auf, um zu zeigen, daß er sich ausgegrenzt fühlte.

Miyavi verstand den Wink und klatschte enthusiastisch einmal in die Hände. „Also, Kollegen, was kann ich für euch tun? Neue Bass-Saiten für dich, Reita?“

„Nein, mit Saiten ist es heute nicht getan. Wir brauchen eine ganze Gitarre.“

„Einen Bass?“

„Nein, eine Gitarre!“, beharrte Reita und deutete vielsagend auf seinen Sänger, bevor noch der Einwand kam, daß Bass-Gitarren ja wohl auch Gitarren waren. Wie schon Reita selbst schien auch Miyavi nicht so schnell zu der Schlussfolgerung zu kommen, daß tatsächlich Ruki, obwohl er doch Sänger war, eine Gitarre haben wollte. Damit rechnete ja auf die Schnelle auch keiner.

Miyavi schaute Ruki einen Moment lang dumm an, versuchte sichtlich einen glaubwürdigen Sinn hinter diesem Deut zu finden, beschloss aber, nachdem er sich schon vor Reita so blamiert hatte, sich vor Ruki nicht auch noch in die Nesseln zu setzen, und kommentierte das nicht. Er nickte nur und winkte den beiden Gazettos, ihm tiefer in den Laden hinein zu folgen.

„Ich will eine Semi-Akustik mit F-Löchern. Irgendwas schickes, was sich hören lässt, aber nicht zu teuer ist“, begann Ruki seine Wünsche nochmals abzuspulen.

„Oh nein, bitte tu das nicht!“, gab Miyavi demotiviert zurück. „Semi-Akustik-Gitarren klingen total kacke. Die haben einen Klangkörper, werden aber mit elektrischen Tonabnehmern abgenommen, wie E-Gitarren. Diese Mischung stört sich dauernd gegenseitig. Kauf dir lieber ne richtige Akustik und stell ein Mikrophon davor. Das werden eure Tontechniker doch wohl hinkriegen.“

„Ich hasse das, noch ein Mikro vor der Gitarre stehen zu haben. Ich hab ja schon eins vor der Nase, das reicht.“

„Na dann häng ein Klemm-Mikro ins Schall-Loch. Du kannst sogar das Kabel ins Innere des Gitarrenkorpus legen, ein Loch für ne Kabelbuchse durchbohren, fertig. Dann hast du nicht mal mehr Kabelsalat“, schlug Miyavi vor.

„In F-Löcher passt ein Klemm-Mikro nicht rein. Und ich will die Gitarre auch nicht erst anbohren oder anderweitig groß ummodellieren“, hielt Ruki dagegen. „Dafür, daß die so schweineteuer sind, kann ich ja wohl erwarten, daß die gleich einsatzfähig sind, ohne daß man sie erst noch halb umbauen, in Kleinteile sägen und neu wieder zusammenkleben muss.“

„Kauf doch ne E-Gitarre mit einem guten Akustik-Simulator“, mischte sich nun auch Reita mit ins Gespräch ein. „Das ist auch viel billiger. Und vor allem sind E-Gitarren nicht so ... naja ... groß“, fügte er mit unschlüssiger Handbewegung auf Rukis Statur an.

„Was hat denn die Größe damit zu tun?“, zischte Ruki zickig. Wenn es um seine Größe ging, war bei ihm immer sofort Schicht im Schacht.

„Ich meine ja nur. Du bist halt nicht gerade ein Riese. Du musst um das große Instrument ja auch noch irgendwie mit den Armen drumkommen.“

„Lass das meine Sorge sein!“, jaulte Ruki hysterisch. Koron fiel wehklagend in das Geheul mit ein, als wolle er sein Herrchen bestätigen.

Reita und Miyavi hoben simultan ergeben die Hände. „Schon okay.“
 

Bevor Miyavi ihm irgendein Modell vorschlagen konnte, hatte sich Ruki bereits selber eine Gitarre geschnappt, sich auf einen herumstehenden Hocker gepflanzt und klimperte testhalber darauf herum. Eine Ibanez mit F-Löchern, wie er es gewollt hatte. Seine Hundeleine hatte er kurzerhand Reita in die Hand gedrückt.

Reita musste sich das Grinsen zum Glück nicht verkneifen, da man es hinter seinem Mundschutz ohnehin nicht sah. Aber er hatte doch Recht behalten. Die Gitarre wirkte vor dem Bauch des kleingeratenen, zierlichen Sängers wie ein auf den Schoß genommener Kontrabass. Einfach total überproportioniert.

Der Sänger fingerte sich mühsam ein paar Akkorde zusammen. Der Gitarrenhals war sichtlich zu lang für seine kurzen Arme, die Bünde spürbar zu breit für seine Hände. „Hm, die lässt sich nicht schön spielen“, entschied Ruki ziemlich bald, stellte die Gitarre zurück in ihren Verkaufs-Ständer, und wanderte herum, um sich eine andere auszusuchen.

Reita und Miyavi standen beide mit verschränkten Armen nebeneinander und sahen ihm kommentarlos zu. Nach der vierten Gitarre, die Ruki wieder zurückstellte, wurde es dem Ladenbesitzer zu bunt. Miyavi schnappte sich eine Yamaha Standard-Gitarre mit Schall-Loch und hielt sie ihm hin. „Ruki, versuch mal die hier. Die hat nur eine 24´er Mensur, mit der kommst du bestimmt besser klar.“

„Hässlich!“, bekam er nur um die Ohren gehauen. Schneller als man gucken konnte, hatte sich Ruki sein fünftes in Frage kommendes Instrument gekrallt und strafte Miyavi und seine Yamaha mit Nichtachtung.

„Versuch´s doch wenigstens mal!“

„Hässlich, hab ich gesagt!“ Ruki dängelte klirrend auf der Gitarre los, die er sich selber ausgesucht hatte. „Überhaupt, ne 24´er Mensur, was soll das? Ich spiel doch keine Kindergitarre! Wofür hältst du mich denn?“

„Für einen abgebrochenen Gartenzwerg, Mann! Und jetzt teste diese verdammte Yamaha, bevor ich sie dir über den Kopf haue!“, zeterte Miyavi am Ende mit seinen Nerven. „Du musst ja nicht die hier nehmen! Du sollst nur gucken, ob du mit einer 24´er Mensur besser zurecht kommst!“

„24´er“, schwärmte Reita neidisch vor sich hin. Da hatte er mit seinem Bass schon was mehr an Distanz zu überbrücken. Die Mensur war die Länge des Gitarrenhalses, oder um genau zu sein die gesamte spielbare Länge der Saiten von der Brücke über den Klangkörper hinweg bis zur Kopfplatte, und wurde in Zoll angegeben. Eine 24´er Mensur war sowas um die 60 cm lang. Damit war es streng genommen eine 3/4-Gitarre für Jugendliche oder zu klein geratene Japaner wie Ruki. Gitarren in Normgröße hatten meist eine 25,5´er Mensur, also etwa 65 cm von der Saitenaufhängung bis hoch zur Kopfplatte. Die 5 cm machten richtig was aus, das glaubte man gar nicht, wenn man den Unterschied nicht selber mal getestet hatte. Bässe konnten bis auf 36 Zoll raufgehen. Eine 36´er Mensur hatte hemmungslose 91,4 cm Saitenlänge. Was hätte Ruki erst gemacht, wenn er Bassist hätte werden wollen?

„Ich spiele keine Kindergitarre!“, beharrte Ruki und kämpfte weiter mit seinem viel zu großen Wunschartikel, zwar trotzig, aber nur mit bescheidenem Erfolg.

Reita zog sich ebenfalls einen Gitarrenhocker heran und setzte sich. Sah aus, als ob das noch eine Weile dauern könnte. „Dein Papa ist echt eitel“, redete er auf Koron ein, welcher ihn daraufhin aufmerksam mit hochgestellten Ohren ansah.

„Ich geb´s auf. Lassen wir ihn einfach in Ruhe weiter rumstümpern“, wandte sich Miyavi daraufhin dem Bassisten zu. „Reita, kann ich dir vielleicht was Gutes tun?“ Nebenbei stellte er seine 'Kindergitarre' wieder weg.

„Mh.“ Reita legte nachdenklich den Kopf schief. „Mein Verstärker hat Kathodenrasseln. Hast du einen guten Tipp für mich, wie ich das reparieren kann?“

„Klar, komm mit. Ich zeig dir mal an nem echten Verstärker, wo das herkommt und was man da machen kann. Die Boxen stehen ne Etage weiter oben.“

Reita klemmte Korons Leine unter ein Hockerbein und verschwand dann mit dem tätowierten Musikkollegen. Ließ Ruki einfach unbeachtet in der Gitarrenabteilung zurück. Der würde sich schon melden, wenn ihm dort langweilig wurde. Oder sein Ego wieder nach Beachtung verlangte.
 

Es dauerte eine geschlagene Stunde, bis Ruki sich mit suchendem Blick in die Boxen- und Verstärkerabteilung verirrte. Inzwischen musste er alle Semi-Akustiks durch haben, die das Gitarrenhaus auf Lager hatte.

Reita und Miyavi fachsimpelten immer noch über den Unterschied zwischen Röhren- und Transistorverstärkern, während sie mit dem Kopf in einem großen Lautsprecher steckten, der seiner Front-Verkleidung entledigt worden war.

Irgendwas stupste Reita am Hintern an und ließ ihn hochschrecken, so daß er mit dem Schädel gegen das Dach des Verstärkers krachte. „Aua!“, empörte sich der Bassist und rieb sich beim Umsehen die Beule. „Koron, lass das! Mein Hintern gehört mir!“ Dann folgte sein Blick der Hundeleine bis zu Ruki hinauf. „Und? Fündig geworden?“, wollte er mit Kopfnicken Richtung der Gitarre wissen, die Ruki mit sich rumschleppte. Eine Epiphone sollte es also werden. Die sah verdammt cool aus. Ein Beweis, daß Ruki sie wohl eher aus optischen Erwägungen heraus kaufen wollte, und nicht etwa aus Gründen der Spielbarkeit.

„Naja, ich hab mich für das kleinste Übel entschieden. Was kostet die?“, wollte der Sänger wissen und drehte die Gitarre, die er sich nun nach langem Hadern ausgesucht hatte, im Licht, um sie auf Lackschäden zu prüfen. Dunkelrot, mit ein paar peppigen, auflackierten Symbolen, goldenen Mechaniken und Stahlsaiten. Gab es auch Semi-Akustiks mit Nylon-Saiten? Reita wusste es spontan gar nicht. Aber wohl eher nicht. Auf Nylon reagierten die Magnetfelder der Tonabnehmer ja nicht.

„774'000 Yen.“ [ca. 6000 Euro], schoss Miyavi schnippisch zurück. So schwierige Kunden hatte er gern.

„Bist du bekloppt?“

Miyavi zog ein humorlos Gesicht. Nein, war er nicht. Und ja, er meinte das ernst.

„Komm schon, was kostet die für MICH?“

„774'000 Yen.“

„Ich bin PSC Familie!“

„Aber ich nicht mehr. Tut mir leid, Ruki, das Musikbusiness ist hart. Ich muss auch sehen, wo ich bleibe. Und wenn du mich nochmal fragst, dann kostet sie 775'000 Yen, nur für dich.“

Ruki drehte das Instrument erneut fassungslos in seinen Händen. „Ist die aus Platin? Oder sind da irgendwo Diamanten verarbeitet?“

„Tropenholz, wenn du´s genau wissen willst“, getraute sich Reita von der Seite einzuwerfen und erntete dafür ein enttäuschtes Fluchen.

Ruki hielt Miyavi das Instrument wieder hin. „Ich glaub, ich denk nochmal drüber nach. Danke für deine Hilfe ... Naja, eine Hilfe warst du mir ja nicht wirklich.“

„Du wolltest meine Hilfe ja nicht!“

„Ne Kindergitarre! Ne tolle Hilfe war das!“, maulte Ruki.

„Es war eine 3/4-Gitarre! Die zählt noch zu den Erwachsenen!“

Koron hob beleidigt das Beinchen und pinkelte Miyavi an die helle Jeanshose, wie um zu unterstreichen, daß er der Argumentation seines Herrchens wesentlich näher stand als der von Miyavi.

Miyavi wurde schlagartig knallrot wie eine Tomate, schnappte wutentbrannt nach Luft und schmiss Reita, Ruki und dessen mischuggenen Schoßhund in hohem Bogen aus seinem Laden! Hausverbot! Für die gesamte Gazette-Truppe! Bis an ihr Lebensende!
 

Reita schob seufzend die Hände in die Jackentaschen, als sie gemeinsam die Straße hinunter liefen. Das war ja sauber nach hinten losgegangen. Er hätte Ruki gern gefragt, ob er jetzt zufrieden war. Aber er ließ es.

„Meine Fresse, Miyavi ist so ne Pussi“, nörgelte Ruki da aber schon ganz von alleine los. Er brauchte keinen Anschubbser von seinem Kumpel.

„Was meinst du?“

„Was ich meine? Er hat uns rausgeschmissen! Mit Hausverbot!“

„Dein Hund hat ihm ans Bein gepinkelt!“

„Soll er doch froh sein, daß mein Hund ihm nicht in nen Verstärker gepinkelt hat! Die Elektronik wäre nicht mehr zu retten gewesen! Oder an eine Gitarre, da wäre das Holz aufgequollen. Ne Hose kann man waschen!“

Reita ließ den Kopf hängen. „Du machst mich fertig“, entgegnete er bloß. Und bemerkte dabei, daß er diesen Satz ziemlich häufig zu Ruki sagte.

Ruki kraulte Koron, den er auf dem Arm trug, ungerührt weiter. Ohne schlechtes Gewissen. Ohne jedes Unrechtsbewusstsein. „Also!“, wechselte er das Thema. „Wo kriege ich jetzt ne Git her? Hast du schon eine Idee, wo wir als nächstes hingehen?“

„Mit dir geh ich keine Gitarren mehr kaufen!“

„Aber ...“

„Frag Kai, wenn du mit Aoi und 'ruha nicht shoppen gehen willst! Ich nicht!“

Ruki zog eine Flunsch, sagte aber nichts mehr.
 

Miyavi saß daheim und übte sich im exzessiven Gebrauch kreativer Kraftausdrücke. Er hätte schon längst zu einem Termin in seinem Plattenlabel sein sollen. Aber mit seiner versauten Hose konnte er da natürlich nicht hin. Er würde sich erst umziehen müssen, davor am besten noch duschen, zu allererst aber seinen Manager anrufen und den Termin um eine Stunde verschieben lassen. So ein verdammter Mist, das alles. Ein Automotor, der in seiner Auffahrt tuckerte und dann verstummte, ließ ihn hellhörig werden und zum Fenster pilgern. Da unten stieg gerade Rhythmy aus einem Wagen. Von Harmony und Rhythmy, den beiden Schwestern seiner Frau Melody, war Rhythmy die, die er am wenigsten mochte. Sie war keine sehr angenehme Person. Und dann stieg da noch ein fremder Kerl auf der Fahrerseite aus, der sichtlich ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel hatte als sie. Argwöhnisch machte Miyavi sich auf den Weg hinunter ins Erdgeschoss. Die Tür wurde bereits mit dem Schlüssel geöffnet, als er unten ankam. Klar, Melody hatte ihrer Schwester den Schlüssel gegeben, damit sie nach Haus, Pflanzen und Briefkasten schaute, wenn Miyavi dieser Tage mit Kind und Kegel für eine Woche auf Reisen gehen würde.

Rhythmy blieb wie vom Donner gerührt stehen und gaffte ihn mit großen Augen an, als er so plötzlich und unvermutet vor ihr stand. „Miyavi!? Was tust du denn hier?“

„Sollte das nicht meine Frage sein?“

„Ich dachte, wir sind hier alleine“, raunte der fremde Mann Rhythmy leise zu.

„Solltest du nicht bei einem Termin in deinem Plattenlabel sein?“, gab diese die Aussage etwas anders formuliert an Miyavi weiter.

„Nun, offensichtlich bin ich das noch nicht. Willst du mir den Herrn nicht vorstellen?“

„Das ist nicht was du denkst!“

„Mit diesem Satz fangen die meisten Dramen an, meine liebe Schwägerin. Wähle deine Worte mit Bedacht.“

„Er ist nur ein alter Klassenkamerad!“

„Ach, so oft sitzengeblieben, ja? So viel älter als du und trotzdem in deiner Klassenstufe?“

„Okay, ein Schulfreund!“

„Eine Transe ist er also auch noch!? Rhythmy, du bist auf eine Mädchenschule gegangen, wie alle von euch dreien. Erklär mir das mal.“

„Miyavi!“, nörgelte sie spürbar überfordert und in die Enge getrieben.

Der Sänger nickte nur verstehend, zückte sein Handy und rief seinen Manager an, um seinen Termin um eine weitere Stunde zu verschieben. Hier war dringend ein Aufklärungsgespräch angezeigt. Und zwar ohne Aufschub. Das beließ er nicht dabei, Rhythmy den Hausschlüssel wieder abzunehmen und sie hinaus zu bitten.

Spießruten I

Am nächsten Tag fand sich die gesamte Band nach und nach in der Schneiderei ihres Vertrauens ein. Sie hatten einen Termin zur Anprobe ihrer neuen Outfits. Ruki war ein wenig ernüchtert von dem Fetzen, den er vorgelegt bekam. Auf der Modedesign-Zeichnung hatte es so cool ausgesehen. Aber jetzt, wo er es fertig geschneidert vor sich hatte, war es irgendwie nicht mehr das Wahre. Er hoffte, wenn er erstmal in dem Ding drinnen steckte und sich damit im Spiegel sah, wurde das wieder besser. Vielleicht stand es ihm ja doch ganz gut. Er versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, daß es diesmal wenigstens nicht so warm zu sein schien. Als Frontmann wurde er immer in Stoffbahnen über Stoffbahnen eingepackt, am besten mit Handschuhen, hoch geschlossenem Kragen und Hut drauf. Er ging auf der Bühne unter den Backofen-Scheinwerfern immer fast krachen. Aoi neben ihm schwärmte in den höchsten Tönen von seinem Dress. Wie immer, wenn er viel Haut zeigen und den heißen Feger raushängen lassen konnte, um die Mädels zu ködern.

Die Tür ging auf und Uruha kam herein. Er war als letzter angekommen. Das war nicht verwunderlich. Er war ziemlich häufig der letzte. Okay, mit verabredeten Zeiten nahmen sie es allesamt nicht so genau, außer wenn mal wirklich Verträge oder Geld dran hingen, aber Uruha war da bei weitem der legerste unter ihnen.

„N´Abend“, grüßte Aoi scherzhaft, dann wandte er sich wieder dem Spiegel zu. Und probierte ein paar seiner Callboy-Posen durch.

„Hi. ... Mir ist gerade was komisches passiert“, begann Uruha verwirrt zu erzählen.

„Was´n?“

„Ich wollte eben nochmal in das Gitarrenhaus in Shibuya drüben. Neue Saiten für meine Stratocaster kaufen. Die haben so coole Phosphor-Bronze-Saiten, wisst ihr? Die gibt´s nur dort. Aber ich bin wieder rausgeschmissen worden.“

„Wieso das denn?“, wollte Kai wissen.

„Ich hab keine Ahnung. Ich hab da auf einmal Hausverbot. Einfach so“, meinte der Gitarrist, eher traurig als wütend. „Aber ich hab doch gar nichts gemacht.“

Reita holte Luft, um etwas zu sagen, biss sich aber im letzten Moment doch noch auf die Zunge und schluckte es wieder runter. Und begann, konzentriert an seinen Sachen herumzuzupfen. Nichts anmerken lassen. Bloß nichts anmerken lassen! Kai als ihr Bandleader würde ausflippen, wenn er davon erfuhr.

„Hausverbot? In nem Gitarrenhaus? Wie hast du´n das geschafft?“, wollte Aoi wissen.

„Wie gesagt, ich bin mir keiner Schuld bewusst. Ich hab aus dem Verkäufer, der mich höflich wieder rausgebeten hat, auch nix rausgekriegt. Er wusste auch nicht mehr als daß ich da nicht mehr rein darf.“

„Na dann sag mir mal, welche Saiten zu brauchst. Dann geh ich heute Nachmittag hin und hol dir welche. Und frag mal, was da Phase ist“, bot Aoi an.

Reita fuhr sich verzweifelt mit der Hand durch das Gesicht, tauschte mit Ruki vielsagende Blicke – der Sänger schien das sogar noch lustig zu finden – sagte aber ebenso wenig wie Ruki selber.

„Ja, D´Addario EJ26, Stärke 011 auf 052“, meinte Uruha mit halb verzweifelter, halb dankender Note in der Stimme.

Aoi verdrehte kurz überlegend die Augen. „Kann ich mir merken“, entschied er dann leichthin, ganz als wüsste er genau, was für Saiten das waren, weil er die selber ständig verwendete.

„Wenn du nach Phosphor-Bronze-Saiten fragst, wissen die schon, was du meinst. Da ist die Auswahl recht gering.“

Aoi nickte. Dann grinste er belustigt. Aus dem Nicken wurde ein Kopfschütteln. „Du und Hausverbot. Ich glaub´s ja nicht. Ausgerechnet du?“

„Ich hab gar nichts gemacht, ehrlich! Das muss ein Missverständnis sein!“

„Wehe dir, wenn nicht!“, klinkte sich Kai drohend von der Seite mit ein. „Wenn ich rauskriege, daß du Mist gebaut hast, hagelt´s Sanktionen!“

Uruha zog schuldbewusst den Kopf ein, als hätte er wirklich was ausgefressen.

 

Kopfschüttelnd zog Ruki sich wieder an und richtete sorgsam seine Jacke und dann auch seine Frisur. Jedes Mal das gleiche. Sein Kostüm war wieder drei Nummern zu groß für ihn gewesen. Daraufhin war Ruki von den Schneidergesellen ungläubig neu vermessen worden und sie hatten die Klamotten mit Nadeln abgesteckt, um sie enger zu nähen. So langsam mussten die Schneider seine Maße doch mal kennen. Aber sie schneiderten das Zeug eins ums andere Mal wieder zu groß, weil sie ihren eigenen, selbst abgenommenen Maßen nicht glaubten. Die dachte immer, so zierlich könne Ruki doch gar nicht sein und sie hätten sich sicher vermessen. Ruki hatte ihnen bei dieser Gelegenheit gleich noch eine ganze Liste an anderen Änderungswünschen mitgegeben, wenn sie eh nochmal dran rumbasteln mussten. Er hoffte, danach würde ihm das Outfit dann auch gefallen. Bisher war es ziemlich stil-los.

Reita trat etwas ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, während er auf Ruki wartete. Der Sänger ließ sich mit dem Richten seiner Frisur Zeit. Die anderen drei hatten sich einfach nur schnell ihre Sachen drübergezerrt und waren schon über alle Berge. „Ruki! Was sollen wir denn jetzt machen?“, jammerte Reita aufgewühlt. „Kai wird uns köpfen! Spätestens morgen wird er von Aoi alles erfahren! ... Und du lässt so dreist Uruha den Kopf dafür hinhalten!“

„Du hast doch auch nichts gesagt, um 'ruha zu helfen!“, wischte Ruki den Tadel ungesehen vom Tisch.

„Was hätt ich denn sagen sollen?“

„Eben! Was hätten wir schon sagen sollen?“ Ruki zuckte mit den Achseln, dann begann er seine sieben Sachen zusammen zu kramen. Handy? Schlüssel? Geldbörse? Alles da? Er wollte ja hier nichts liegen lassen.

 

 

Ein paar Tage später klingelte es wieder in aller Herrgottsfrühe bei Reita. Kurz nach 7. Reita warf einen wütenden Blick auf den Wecker, schlug stinksauer die Decke zur Seite, fuhr aus dem Bett hoch, klatschte fast der Länge nach zu Boden, weil er sich mit einem Fuß in der Decke verhedderte, stolperte weiter bis zur Tür und riss den Hörer der Freisprechanlage aus der Wandhalterung. „Verdammte Axt, wie oft muss ich dir noch sagen, daß du mich um diese Uhrzeit nicht belästigen sollst!?“

Zwei Sekunden Stille. „T-Tag, Post“, antwortete dann eine verstörte Stimme. „Tut mir wirklich sehr leid, daß ich Sie um diese Zeit schon stören muss. A...aber möchten Sie Ihr Paket vielleicht trotzdem haben?“

 

Nachdem Reita sich von dem Vorfall mit dem Postboten erholt hatte, sich einen extra starken Kaffee hinter die Bühne gepfiffen hatte und dann auch endlich langsam in die Gänge kam, machte er sich auf den Weg in den Probenraum. Heute standen Bandproben auf dem Plan. Gazette probten bei weitem nicht jeden Tag, nein. Dreimal die Woche sollte im Normalfall reichen, sofern sie nicht gerade Hochkonjunktur mit dem Einstudieren neuer Songs kurz vor der Studio-Deadline hatten. Dann probten sie mitunter auch mal öfter. Aber dazwischen hatten sie ja schließlich noch genug andere Foto-, Presse-, Kleideranprobe-, Lagebesprechungs- und sonstwas für Termine. Langweilig wurde ihnen da schon nicht. Und gelegentlich neue Songs schreiben wollten sie ja auch. Dazu brauchte man Muße. Na jedenfalls hatte er jetzt tatsächlich ein paar Tage nichts von Ruki gehört und war wirklich halb besorgt, halb gespannt, was es inzwischen Neues gab.

Als Reita am Probenraum ankam, donnerte ihm bereits durch die geschlossene Tür hindurch das Schlagzeug entgegen. Verwundert sah er auf die Uhr. Da war jemand ernsthaft noch zeitiger als er? Da die Post ihn heute so grausam aus dem Bett geholt hatte, war er fast anderthalb Stunden früher dran als sonst und hatte fest damit gerechnet, der Erste zu sein. Kai war zwar sonst immer eher als alle anderen, aber Reita hätte nie gedacht, daß der es derart übertreiben musste. Der Bassist schob schulterzuckend die Tür auf und trat ein.

Kai sah Reita überrascht an, strudelte einen abfallenden Trommelwirbel über alle seine TomToms und crashte als Abschluss nochmal auf eins der Becken, dann brach er sein Spiel ab und ließ die Drumsticks sinken. „He, Mann, was willst du denn schon hier?“, wollte Kai mit grüßendem Kopfnicken wissen und stützte sich bequem mit den Ellenbogen vornüber auf seine Oberschenkel.

Reita lehnte seinen mitgebrachten Bass gegen die Wand und begann sich aus seiner zugeknöpften Jacke zu befreien. „Könnte ich dich auch fragen. Hast du ne Ahnung, wie spät das ist? Unsere Proben beginnen offiziell erst in einer Stunde. Inoffiziell in zwei Stunden, wenn dann endlich mal alle da sind.“

„Ich übe halt gerne mal alleine“, erwiderte der Bandleader grinsend. Ihm klebten schon ein paar Härchen nass im Gesicht. Der saß nicht erst seit 5 Minuten hier. Auf dem Tisch stand noch ein coffee-to-go-Becher.

„Bist du schon lange da?“, hakte der Bassist nach und würfelte seine Jacke einfach schwungvoll auf das Sofa. Kleiderhaken hatten sie hier nicht. Wollten sie nicht. Brauchten sie nicht. Gab ja genug Ablageflächen.

Kai warf einen prüfenden Blick auf die Wanduhr, wog auch nachdenklich den Kopf, ließ die Frage aber unbeantwortet. Stattdessen schaute er Reita weiter zu, wie der seinen mitgebrachten Bass holen ging, aus der Tasche auspackte und in einen Ständer stellte. Ohne ihn anzuschließen. Er würde heute erstmal mit einem anderen loslegen, den er schon hier hatte. Er nahm nicht alle seine Instrumente immer mit nach Hause.

Reita schaute Kai seinerseits wartend an, als er fertig war. Kein Wort zu dem Hausverbot nach dem Gitarrenhaus-Desaster. Scheinbar gab es an dieser Front noch nichts Neues. Gut, das beruhigte den Bassisten ein wenig. „Ich hab nen neuen Songtext geschrieben. Willst du ihn sehen?“, wollte Reita wissen.

„Na klar, zeig mal her!“, stimmte Kai euphorisch zu, stand von seinem Drumhocker auf, streckte erstmal verspannt den Rücken durch, und kam dann mit herüber zum Tisch. Reita schrieb meistens sehr halbfertiges Zeug, das der Rest der Band dann noch vollenden und ausfeilen konnte. Er dachte wohl, die anderen Bandmitglieder würden sich darüber freuen, noch etwas Spielraum für ihre eigenen Ideen zu haben. Wenn Ruki Songs anschleppte, dann waren die in der Regel schon bis auf den letzten Akzent durchgeplant und er ließ da auch kaum noch mit sich diskutieren, wenn man etwas anders spielen wollte als er sich das gedacht hatte. Ruki war da sehr eifersüchtig, wenn es um sein geistiges Eigentum ging.

 

Der Große Drache

 

intro: Gratulation – Gratulation – Gratulation

 

(1) Gratulation, nun ist es vollbracht

Es ist der 'Große Drache' erwacht

Schlafende Drachen, die soll man nicht wecken

Sie übermannen den tapfersten Recken

 

(2) Gratulation, jetzt nehmt euch in Acht

Ins Verderben stürzte euch diese Nacht

Zwei Liebende fliehen in heilloser Hast

Und der sie jagt, der hat sie schon fast

 

chorus: Feuer, Feuer, Feuer, yeah

Die Flinte im Anschlag, schon ist er nah

Gerechter Zorn rollt heran (Der 'Große Drache')

In rechter Absicht steht er da

 

- bridge -

 

(3) Unter´m Herzen trägt sie ein Kind

Dess' Vater ist ihr auch wohlgesinnt

Ihr armer Mann jedoch verflucht das Weib

Das fremde Bälger trägt im Leib

 

pre-chorus: Uuuuuuh, Feuer!

 

chorus: Feuer, Feuer, Feuer, yeah

Die Flinte im Anschlag, schon ist er nah

Gerechter Zorn rollt heran (Der 'Große Drache')

In rechter Absicht steht er da

 

outro: Gratulation – Gratulation – Gratulation

Feuer, Feuer, Feuer – yeah, Feuer!

(Für eine gerechte Sache)

 

Reita begann ihm zu erklären, wie er sich den Song vorgestellt hatte. Das erste „Feuer“ sollte Ruki schreien, das zweite Kai und das dritte er selber. Das in Klammern stehende Zeug sollte dazwischengesungen werden, so daß stellenweise mehrstimmige Gesangsspuren entstanden. Zur Bridge hatte er noch gar keine konkreten Ideen, gab Reita zu. Die wollte er ganz Aoi oder Uruha überlassen, je nachdem, welcher der beiden den Lead übernehmen würde. Die Gitarristen könnten sich besser mit den Gitarrensolo-Parts auseinander setzen als er.

„Irgendwie wäre es runder, wenn die dritte Strophe konsequenterweise auch mit 'Gratulation' beginnen würde, wie schon die erste und zweite“, überlegte Kai.

„'Gratulation, unter´m Herzen ein Kind'?“, schlug Reita vor.

„Ja, zum Beispiel.“

„Kann ich ändern“, nickte der Bassist kompromissbereit.

 

Im Laufe der nächsten anderthalb Stunden tauchten auch Aoi und Ruki auf. Während Aoi sich sofort begeistert mit auf Reitas neuen Song stürzte, begnügte Ruki sich damit, sich mit einer Solmisation einzusingen und seine Stimme aufzuwärmen. Die altbekannten do – re – mi – fa – so – la – ti – Silben, die nichts weiter als die Lage der jeweiligen Tonhöhe im Notensystem angaben, konnten auf Dauer echt nervig sein. Ruki hätte ja zur Abwechslung auch mal „C, D, E, F, G, A, H, C“ singen können, was auf´s gleiche rausgekommen wäre. Oder irgendeinen sinnvollen Text. Aber do-re-mi gefiel ihm offenbar besser. Und es beschwerte sich auch keiner. Man konnte seinem Sänger wohl schwerlich verbieten, seinen Job zu tun und zu singen. Das gehörte halt dazu. Uruha hielt sich ja auch immer mit Fingerübungen auf seiner Gitarre auf, um sich aufzuwärmen. Aoi nicht, der sah darin keinen Sinn oder es war ihm zu langweilig. Der spielte gleich los.

Irgendwann brachte es auch Uruha noch gedreht. Als letzten, wie immer. Gut, dafür blieb er solidarischerweise auch immer am längsten und übte noch alleine weiter, wenn alle anderen schon weg waren.

„Ah, 'ruha! Da bist du ja! Ich hab da was für dich“, fiel Aoi auch sofort beim Anblick seines Mitgitarristen ein. Er hechtete zu seiner Tasche. „Ich war inzwischen in Shibuya und hab dir deine Phosphor-Bronze-Saiten mitgebracht.“

„Oh, super, danke“, gab Uruha zurück. „Und hast du was rausgekriegt, was es mit dem Hausverbot auf sich hat?“

Reita zog den Kopf ein und schloss die Augen. Jetzt kam es!

Aoi schüttelte den Kopf. „Komische Sache, das! Ich durfte auch nicht rein. Ich hab auch Hausverbot da“, sinnierte er nachdenklich.

„Was!?“

„Ich hab den Verkäufer so lange gegängelt, bis er wenigstens deine Saiten rausgerückt hat. Aber dann hat er mich auch höflich vor die Tür gesetzt und mich gebeten, nicht mehr wiederzukommen. Entweder konnte oder wollte er mir nicht sagen, wieso. Aber wenn ich das richtig verstanden habe, haben wir alle Hausverbot dort. Unsere ganze Band.“

„Was soll´n der Quatsch?“, wollte Kai düster wissen. „Ich bin in dem Schuppen noch nie drin gewesen! Wieso soll ich da Hausverbot haben?“

„Keine Ahnung. Ich erzähle nur weiter, was ich rausgefunden habe!“, meinte Aoi mit hilflos hochgezogenen Schultern. Dann griff er nach dem Geld, das er inzwischen von Uruha für die Saiten hingehalten bekam.

Reita hatte nach wie vor demütig den Kopf gesenkt, Ruki hatte sich komplett abgewandt und starrte zum Fenster hinaus, um sich nicht durch seine Mimik zu verraten. Letzteres kam Kai wohl verdächtiger vor, denn an Ruki hielt er sich zuerst. „Ruki, hast du mir irgendwas mitzuteilen?“

„Nein“, machte der Sänger nur.

„Weißt du was darüber?“

„Nein.“ Ein unschuldiges Kopfschütteln folgte. Dann sah er Kai sogar in die Augen. Unverschämt glaubwürdig. Als Showman war er halt ein guter Schauspieler.

Kai stöhnte leise. „Ich rede mal mit dem Geschäftsführer von dem Musikhaus, so von Bandleader zu Shopleader, und frag mal was das soll“, entschied er und setzte das auf seine gedankliche to-do-Liste für die nächsten Tage.

„Der Chef von dem Laden ist Miyavi“, platzte es aus Reita heraus. Er hatte den Druck nicht mehr ausgehalten. Er hatte reden müssen. Jetzt ärgerte er sich über seinen Einwurf. Er wollte sich doch nicht verraten, Mann!

„Achso? Auch gut. Da weiß ich gleich, an wen ich mich wenden muss“, befand Kai zufrieden. Dann hakte er das Thema ab und griff sich seine Drumsticks. „Los, Jungs, ab an die Instrumente. Wir wollen proben. Vorschläge bitte!“

„The Invisible Wall“, verlangte Ruki sofort. Bei ihnen war es Sitte, daß sie sich alle der Reihe nach einen Song aussuchten, der als nächstes geprobt werden sollte. Immer die Runde rum. Jeder durfte mal.

„Och nö, willst du gleich mit sowas Hartem anfangen?“, nörgelte Aoi.

„Dann mach nen besseren Vorschlag“, forderte Ruki.

„Mir egal. Aber nicht den.“

„Wir haben 'mir egal' mit Drumsolo und 'mir egal' ohne Drumsolo. Welchen willst du?“

„Pfeife!“, betitelte Aoi den Sänger beleidigt.

„Leute, reißt euch bitte mal zusammen“, ging Kai dazwischen. „Wir spielen jetzt 'The Invisible Wall', basta. Und gebt euch was Mühe!“

„Warte, dafür brauch ich ein anderes Effektgerät“, warf Reita ein und begann seinen Kabelsalat umzustöpseln.

 

2. Anlauf

Nach den Bandproben zogen Ruki und Reita gemeinsam von dannen. Erst zu Ruki nach Hause, um das wuselige Schoßhündchen abzuholen, das für Rukis Geschmack schon wieder viel zu lange alleine zu Hause gesessen hatte, und dann ging es weiter. Reita wusste nicht wohin. Aber da er heute nichts besseres mehr vor hatte und gern mal wieder was mit seinem Kumpel unternehmen wollte, schloss er sich einfach an. Meistens gingen sie einfach nur einen trinken, wenn sie zu zweit um die Häuser zogen. Und danach war Reita heute in der Tat sehr zumute. Allerdings war es eine seltsame Gegend, in die Ruki ihn heute führte. Mit der U-Bahn und dem Bus raus in die Wohnsiedlungen, und dann noch ein ganzes Stück zu Fuß. Hier und da ein kurzer Stop unter einer Straßenlaterne, wenn Koron mal wieder irgendwo das Beinchen heben wollte. Ruki hatte sich die Leine wie so oft diagonal um den Oberkörper gebunden, um sie nicht halten zu müssen. Er ließ seine Hände beim Spazierengehen gern gemütlich in die Jackentaschen gestopft. Und Koron rannte ja nicht weg, wenn er frei war, auch wenn er immer sehr wuselig hierhin und dahin sauste und wild herumtollte.

„Ruki, wo sind wir hier?“, getraute sich der Bassist doch irgendwann zu fragen, als die Gassen immer enger und finsterer wurden, und die Grundstücksmauern immer häufiger. Sah nicht so aus, als ob es hier Kneipen gäbe.

„Siehst du gleich“, entgegnete Ruki wortkarg.

„Und was wollen wir hier?“

„Eine Gitarre.“

„Bitte was!?“

„Ich will mir eine Gitarre angucken gehen. Second Hand, Privatverkauf. Da sich Miyavi ja zickig hat, muss ich sehen, daß ich wo anders eine herkriege.“

„Ruki, zu wem genau gegen wir gerade!?“, wollte Reita in fast drohendem Tonfall wissen. Ihm schwante Übles. Nicht, daß er jetzt noch einen Rückzieher hätte machen können. Dafür war es zu spät. Aber er bekam akute Bedenken, in was Ruki ihn da wieder reinzog. Er hätte eher fragen sollen.

Ruki blieb stehen, schaute nochmal links und rechts die Straße hinauf und hinunter, musterte dann das Haus vor seiner Nase eingehend und nickte leicht. Ja, hier war er richtig, das musste es sein. In der oberen Etage huschte ein finsterer Schatten hinter dem Fenster vorbei. Zu schnell, um noch zu erkennen, wer oder was das gewesen war. Man sah nur noch die Gardine wackeln. Ruki holte tief Luft, wie um sich Mut zu machen, und griff nach der Klinke am Gartentor. „Hier wohnt Kyo“, warnte er seinen Bassisten nun beim Eintreten endlich vor.

„Kyo“, echote Reita tonlos. „Warte. Du meinst ... Kyo? DER Kyo? Von Dir en Grey?“

„Japp, eben jener.“

„Spinnst du? Zu DEM schleppst du mich?“

„Glaubst du, ich geh alleine da rein? Ich bin doch nicht wahnsinnig!“

„Wieso sagst du mir das nicht eher?“

„Weil du sonst nicht mitgekommen wärst!“

„Nein, wäre ich auch nicht! Vor dem Typen hab ich Angst, Mann!“, jaulte Reita.

„Ich auch! Darum solltest du ja mitkommen!“

Weiter konnten sie ihren Disput nicht ausbauen oder gar gemeinschaftlich die Flucht antreten, denn da schwang schon langsam die Haustür auf. Quietschend und knarrend wie das Öffnen einer Gruft. Die verwitterte, graue Hausfassade hatte etwas beunruhigend Totes an sich. Und die Dunkelheit, die aus den Fensteraugen und dem Türmaul dieses Hauses kroch, war so dicht und greifbar, daß sie fast mit ihren langen, schwarzen Fingern nach den Besuchern zu angeln schien. Aus der Düsterkeit des Hausflurs schälte sich eine ebenfalls recht kurzgeratene Gestalt mit schwarzen Haaren. Theatralisch wie ein verkappter Graf Dracula aus einem Horrorfilm.

Reita krallte sich unbewusst hinten in Rukis Jacke fest. Auch Koron blieb verängstigt dicht bei Fuß und verzichtete darauf, wie üblich durch die sich öffnende Tür in die fremde Wohnung hinein zu düsen.
 

Und da stand ... tatsächlich ... Kyo. Mit weißen Kontaktlinsen in schwarzem Kajal, verschmiertem, dunklen Lippenstift, schwarzer, nietenversetzter Kleidung, jedes bisschen freie Haut zutätowiert. Ruki und Reita schauderten. Kyo hob grüßend die Hand. „Hi, ihr beiden. Ihr seid ja überpünktlich.“

Ruki schluckte sein unwohles Gefühl als erster wieder herunter. „Ja, wir haben dein Haus leichter gefunden als gedacht.“ Er befleißigte sich zu einer respektvollen, japanischen Verbeugung, um den Gruß zu erwidern.

„Ich hab euch schon vom Fenster aus gesehen“, meinte Kyo, setzte sowas wie ein Lächeln auf, was ihn aber im Endeffekt noch dreimal gruseliger wirken ließ, und zeigte nach oben auf die Fensterfront des ersten Stocks. Sein Zeigefinger wanderte wie eine Tachonadel weiter zur Seite, Richtung Türschild. „Drück mal auf die Klingel da. Den Spaß will ich euch nicht nehmen, auch wenn ich die Tür schon aufgemacht habe.“

„Ist da ein Elektroschocker verbaut, oder was?“, wollte Ruki wissen und kam gehorsam näher, wobei er Reita einfach hinter sich herschleifte, der sich noch nicht wieder von seinem Jackensaum lösen konnte. Ruki hatte keine Lust, eine verwischt zu kriegen, wenn er klingelte.

„Nein“, versprach Kyo ihm.

„Reita, klingel du!“, trug Ruki seinem Kumpel auf.

„Ich denk ja gar nicht dran!“

„Du bist ein Feigling!“

„Na und? Klingel doch selber, wenn du keiner bist!“

Ruki atmete sichtlich durch und drückte dann fest entschlossen auf den Knopf. Anstelle eines Klingelsignals wogte ein Werwolf-Heulen aus den Tiefen des Hauses, das einem eine Gänsehaut unter jede Kleiderfalte kriechen ließ. Ruki stellten sich alle Haare auf.

Kyo lachte amüsiert.

„Äh ... ja ... cooler Soundeffekt“, fiel Ruki dazu nur ein.

Kyo trat zur Seite und machte ihnen Platz in der Tür. „Na dann immer reinspaziert!“, trug er seinen Gästen auf und wedelte auffordernd mit der Hand ins Innere.

„Wi-Wieso läufst du zu Hause in so nem Show-Aufzug rum?“, wagte nun auch Reita das Wort an Kyo zu richten. Er fand das echt creepy.

„Wieso nicht? Macht doch Spaß“, gab der nur zurück. Dann entschärfte er diese Meinung aber nochmal etwas: „Wenn ich keine Gäste erwarte, mach ich das natürlich nicht. Alleine ist das derwegen etwas sinnlos.“

„Du machst das nur für die Gäste?“

„Die Zeitungsreporter scheinen jedenfalls drauf zu stehen. Ich hab ja schließlich auch in Interviews einen Ruf zu verlieren.“

„Koron, Schatz, komm schon. Hast du Wurzeln geschlagen? Komm rein“, versuchte Ruki seinen Hund ins Haus zu locken. Aber der stand immer noch wie angetackert im Vorgarten und rührte sich keinen Millimeter von der Stelle. Ruki konnte ihn verstehen. Er hatte ja selber keine Lust, da reinzugehen, aber es half doch nichts. Schließlich ging Ruki hin, schnappte das Tierchen unter dem Bauch und trug es ins Haus hinein. Reita folgte ihm so dicht auf den Fuß, daß er fast dessen Atem in seiner Frisur spüren konnte. Dann fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss wie ein Kerkerverschlag.

Wenn man erstmal hier drinnen war, ohne den Kontrast des Sonnenlichtes von draußen, dann war es gar nicht mehr so dunkel. An der Wand hing ein auf antik getrimmter Kerzenhalter mit elektrischen Kerzen. Der Teppich war dick und erstickte jedes Trittgeräusch. An einer Wand hing ein Alice-Cooper-Poster, so auffallend und blickfängerisch in den Mittelpunkt gerückt, als wäre das Kyo´s einzig wahres Idol und Vorbild. An der gegenüberliegenden Wand fand sich ein mit künstlichen Spinnweben verhangener Spiegel über einer uralten, eisenbeschlagenen Kommode. Spooky. Echt spooky, dachte Ruki immer wieder.

Kyo ging voraus. Unter der Kommode quoll plötzlich eine dichte Nebelschwade hervor und hüllte ihn zur Hälfte ein. Reita quietschte entsetzt auf und krallte sich schon wieder schmerzhaft ins Rukis Schulter. Wie im Horrorfilm, ehrlich!

„Oh, ach ja, nicht wundern, die Nebelmaschine hat einen Bewegungsmelder. Stört euch einfach nicht dran“, winkte Kyo leichthin ab und deutete schon auf eine Tür zur linken, durch die er seine Besucher gern geführt wissen wollte.

Ruki drückte seinen Koron fester an sich und marschierte los.

Reita tänzelte schnell und überaus aufgekratzt hinterher, machte aber trotz der Vorwarnung einen riesigen, erschrockenen Satz, als die Nebelmaschine auch sie beide zischend eindampfte. „Ruki, ich will hier wieder weg!“, jammerte er weinerlich. Er hoffte inständig, mit der Durchquerung des Horrorflurs wäre der Museums-Teil des Hauses nun abgehandelt und das Wohnzimmer würde sich als ganz normal eingerichtetes, schönes, helles Wohnzimmer entpuppen, wie ein bewohntes Wohnzimmer eben so aussah. Leider wurde er enttäuscht. Schwarze Bezüge, zugezogene Vorhänge, eisenbeschlagene, antik anmutende Möbel und schauriger Zierrat dominierten auch hier das Bild. In der Ecke stand ein Galgen als Raumdeko, in den Kaminsims waren verzerrte Gargoyle-Fratzen eingearbeitet, der Couch-Tisch war ein mit einer Glasplatte abgedeckter Sarg. Wohlbemerkt mit dreckigem, spinnwebenverzierten Skelett drin.
 

Das weitaus normalste, was sich weit und breit finden ließ, waren die drei Gitarren, die sorgsam nebeneinander aufgereiht in Ständern da standen. Eine davon hatte eine mit Airbrush aufgesprühte Schlangenleder-Optik, eine trug eine Pistole mit wegfliegendem Projektil und aufgeklebte Nieten, und eine war einfach nur schwarz. Aber alles ganz normale Akustik-Gitarren mit einem gewöhnlichen Schall-Loch. Nicht das, was Ruki eigentlich gewollt hatte.

Kyo schnappte eine der Gitarren aus ihrem Standfuß und drückte sie Ruki ohne viel Umschweife in die Hand. „Hier, du wolltest doch schauen, ob du eine von meinen Gits haben willst. Such dir einfach eine aus und teste drauf los. Gestimmt sind sie alle. Ich bin derweile mal in der Küche und guck mal, was ich euch zu trinken vorsetzen kann.“ Mit diesen Worten war der Dir en Grey Vocal wieder verschwunden und Ruki und Reita blieben allein in dem Gruselkabinett von Wohnzimmer zurück.

Ruki haderte einen Moment lang überfordert mit Koron auf dem einen Arm und der Gitarre in der anderen Hand, und drückte den Hund schließlich einfach Reita in die Arme, um wieder genug Hände frei zu haben.

„Ruki ... ich will hier weg!“, raunte Reita ihm wieder weinerlich zu.

„Jetzt beruhig dich schon. Ist doch alles halb so wild“, meinte der nur. Er pflanzte sich auf das schwarze Ledersofa, packte sich die Gitarre auf den Schoß und begann zu spielen. Die Gitarre klang nicht übel. Aber sie machte halt optisch nicht viel her. Und sie hatte nur ein langweiliges, mittiges Schall-Loch.

Reita ließ sich zögerlich neben ihm nieder, immer noch mit den Augen jeden Quadratmeter nach etwaigen Gefahren absuchend. Er trommelte nervös mit den Fingern auf seinem Oberschenkel.

Es dauerte auch gar nicht lange, bis Kyo wieder auftauchte. Er balancierte drei knochenbleiche Becher in seinen Händen. In ihnen schwappte eine rote, trübe Brühe. Wie Blut. Als er die drei Becher auf den Couch-Tisch stellte, sah Reita auch, daß sie wie Schädel geformt waren. Das reichte! Ihm brannte eine Sicherung durch! Hysterisch schreiend fuhr Reita vom Sofa hoch und hechtete, Koron an sich gepresst, durch die Tür. Draußen im Flur hörte man ihn nochmal aufheulen, als die Nebelmaschine ihn anfauchte, dann scherbelte die Haustür klirrend wieder ins Schloss. Er war weg!

Ruki und Kyo schauten sich gegenseitig fragend an. Was war das denn gewesen? Kyos Blick wanderte weiter zu der roten Suppe in den Bechern. Zum Glück. Ruki hätte diese weißen Kontaktlinsen in der schwarzen MakeUp-Umrandung keine Sekunde länger mehr ertragen, dann wäre er ebenfalls von Grauen gepackt hochgefahren. „Er mag wohl keinen Tomatensaft?“, wollte Kyo irritiert wissen.

„Keine Ahnung“, gestand Ruki durchatmend. „Aber ich geh wohl besser mal nach ihm gucken.“ Er parkte die Gitarre neben sich auf dem Sofa.

„Ja, tu das. ... Gefällt dir denn eine davon?“, versuchte Kyo zumindest noch schnell den Grund des Besuches abzuhandeln.

„Ich weiß nicht so richtig. Die hier lässt sich nicht gut händeln. Und die anderen beiden sprechen mich optisch nicht sonderlich an.“ Jetzt bloß nicht aufhalten lassen. Wieso verdammt machten diese weißen Kontaktlinsen ihm plötzlich so zu schaffen? Er hatte solche Dinger doch schon selber getragen. Aber bei Kyo war das nicht nur eine Verkleidung. Bei Kyo war das eine Lebenseinstellung, wenn er so rumlief. Es waren nicht diese Linsen alleine. Es war seine ganze Aura, die Ruki eine Heidenangst einjagte.

Kyo nickte. „Die ist auch ziemlich groß für dich. Vielleicht solltest du es mal mit ner Nummer kleiner versuchen.“

„Jetzt fang du nur auch noch an! Du bist doch selber nicht viel größer als ich und spielst die Dinger doch auch!“

Kyo hob ergeben die Hände. „Ich sag´s ja nur.“

„Mh. Trotzdem danke. ... Ich ... bin dann mal wieder weg, bevor Reita über alle Berge ist. Mach´s mal gut! ... Äh ... und danke nochmal.“ Er krallte sich seine Jacke und versuchte, wenigstens keinen ganz so fluchtartigen Abgang hinzulegen wie Reita eben. Auch wenn er denkbar froh war, hier wieder weg zu kommen. Jawohl, nichts wie weg. Er musste aus diesem Geisterhaus raus.
 

„Mann, hab ich die Hosen voll“, maulte Reita schlecht gelaunt. Inzwischen waren sie auf dem Weg zurück zur nächsten Bushaltestelle.

„Wenn´s dich tröstet: ich auch!“, murmelte Ruki und beobachtete dabei genau jede von Korons Bewegungen. Der rannte wieder leinenlos vorweg.

„Es war ne scheiß Idee, hier her zu kommen.“

„Ja, war es“, stimmte Ruki zu. Ein wenig niedergeschlagen.

Reita warf ihm einen prüfenden Seitenblick zu. „Bist du mir böse?“

„Nein, wieso?“

„Wegen meinem theatralischen Abgang gerade?“

„Ach was, eigentlich war ich ganz froh drüber. Ein guter Aufhänger für mich, um selber schnell das Weite zu suchen. Nein, keine Sorge, ich hab vollstes Verständnis.“

„Ja. Aber was du immer noch nicht hast, ist eine Gitarre.“

Ruki nickte nur. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Ruki steckte Koron ein Leckerli zu, dann ließ er ihn wieder voraus rennen.

„Ich fühl mich total schlecht“, eröffnete Reita irgendwann das Gespräch wieder. „Wieso hatten wir solche Angst vor Kyo? Der kocht doch auch bloß mit Wasser. Er hat ein Image, okay, aber der tut doch keinem was. Wieso haben wir uns so in die Hosen gemacht?“

„Weil er es wollte, Reita. Und weil wir es zugelassen haben. Wir sind doch schon mit schlotternden Knien auf sein Grundstück getreten.“

„Mh“, machte der Bassist nur. Mehr nicht.

„Er hat an uns geübt, so einfach ist das. Er hat seine Bühnenshow an uns getestet und geschaut, ob er´s noch drauf hat. Ob er die Wirkung erzielen kann, die er erzielen will. Nüchtern betrachtet ist das gar kein großes Ding. Kyo ist einfach gut. Ein guter Showman. Das ist die ganze Erklärung.“

„Mann, der Sack sollte dir eine Gitarre verkaufen, und keine Albträume!“

Diesmal war es Ruki, der nur ein 'hm' beisteuerte.

„Das bleibt doch unser Geheimnis, oder? Bitte erzähl den anderen nicht, daß ich schreiend aus Kyos Haus geflüchtet bin. Die werden mich bis an mein Lebensende auslachen, Mann.“

Ruki kicherte bei der Vorstellung. „Nein, ich erzähl den anderen nicht, daß wir beide uns vor Kyo fast in die Hosen gemacht haben“, versprach er, wobei er seine eigene Feigheit mit aufwog. Und wenn er Reita sowas versprach, konnte der sich auch drauf verlassen, das wusste er.

Reita durchwühlte kurz seine Taschen, weil er das unbestimmte Gefühl hatte, daß irgendwas fehlte. „Du, ich glaub ich hab meinen Presseausweis bei Kyo liegen lassen. Jedenfalls hatte ich den gestern lose in meine Jackentasche gestopft und jetzt ist er nicht mehr da ...“

„Ist das ein Problem?“

„Ich weiß nicht.“

„Willst du zurückgehen?“, hakte Ruki sarkastisch nach.

„Kannst du knicken!“, entgegnete der Bassist überflüssigerweise. Keiner der beiden würde jemals wieder einen Fuß in dieses Spukhaus setzen.

Ruki feixte. Die Antwort war ihm schon vorher sonnenklar gewesen. „Du hast nen Presseausweis? Wozu? Und woher?“

„Och, hab ich mir mal selber gebastelt. Kann sich ja jede Zeitung und jeder Fernsehsender selber entwerfen. Da gibt es kein einheitliches Design, also kann auch kein Türsteher die alle kennen. Da fragt keiner, ob der Ausweis echt ist. Hauptsache es steht groß 'Presse' drauf. Und wenn du dann am besten noch ne Kamera dabei hast, sind sie zufrieden. Sehr nützlich, der verschafft einem Zutritt zu so manchen Events, das denkt man gar nicht.“

„Du bist ja richtiggehend kriminell, meine Fresse. Wer weiß, was du Kyo da für ein Instrument in die Hand gegeben hast.“

Reite nickte nur mit ungutem Gefühl. Beim Weitergehen herrschte für einen Moment nachdenkliches Schweigen.

Ruki pfiff Koron zurück. Aber das Hündchen störte sich wie üblich nicht die Bohne daran und wuselte geschäftig und ungestört weiter.

„Ich brauch jetzt nen starken Schnaps!“, tat Reita irgendwann kund.

„Gute Idee, bin dabei.“

Seelentröster

Über das Wochenende hörte Reita weder von Ruki noch vom Rest seiner Band etwas. Kai war, soviel er wusste, über´s Wochenende ans Meer gefahren, einen Kurztrip machen. Jedenfalls behauptete sein Instagram-Account das. Daher stand eigentlich nicht zu befürchten, daß sich in der Hausverbots-Sache recht bald etwas tun würde. Aber trotzdem machte Reita das Thema langsam mürbe. Es war wie ein schlechtes Gewissen, das er sich nicht erklären konnte. Er war schon ein paar Mal kurz davor gewesen, Kai einfach anzurufen und ihm alles zu erzählen. Wieso auch nicht? Ihn selber traf ja keine Schuld. Er hatte ja nix verbockt. Er war nur zufällig mit dabei gewesen. Und Kai war sonst nicht so unfair, Unschuldige mit anzuzinken. Aber irgendwie hatte Reita doch Bammel davor, wie ihr Bandleader auf diese Story reagieren würde. Er wollte lieber erst mit Kai zu tun kriegen, wenn der sich schon wieder abgeregt hatte. Also ließ er es. Miyavi würde Kai noch früh genug alles erzählen. Außerdem wollte er ja auch nicht als Petze dastehen und seinen Kumpel Ruki wie ein Kameradenschwein verpfeifen.

Reita hatte allerdings noch ein ganz anderes Problem mit dem Hausverbot im Gitarrenhaus: Sein Probenraum-Verstärker, der zunächst nur Kathodenrasseln gehabt hatte, hatte inzwischen komplett den Geist aufgegeben. Okay, vielleicht hatte er auch ein bisschen dran rumsabotiert, als er den Verstärker Miyavis Erläuterungen folgend selber reparieren wollte. Jedenfalls war das Ding nun im Eimer und tat keinen Mucks mehr. Und er würde sich keinen von ihrer Show-Soundanlage abzweigen können. Das erlaubte die Chef-Etage sicherlich nicht. Er musste sich wohl oder übel einen neuen Verstärker für den Probenraum kaufen. Aber wo, wenn er in das Gitarrenhaus nicht mehr rein durfte? Sich im Internet einfach irgendeinen bestellen, ohne vorher mal getestet zu haben, wie der klang, war das letzte, was er wollte. Selbst Verstärker gleichen Fabrikats konnten total unterschiedlich klingen. Bei jedem Baum, aus dem das verbaute Material gewonnen wurde, war das Holz anders beschaffen. Bei jedem Metallklotz, aus dem die Magnetspulen gefertigt wurden, war das Metall anders gegossen oder geschmiedet. So wie bei Gitarren auch, war da jeder ein bisschen ein Unikat. Leider war das Gitarrenhaus in Shibuya das einzige seiner Art und Angebotsgröße in erreichbarer Nähe. Reita wollte nicht erst bis nach Kawasaki rüberkutschieren, wegen eines Verstärkers. Uruha hatte ihm vorübergehend seinen alten Ersatz-Verstärker hingestellt, bis er einen neuen hatte. Aber das war eben ein Gitarrenverstärker und für die tiefen, wuchtigen Bassfrequenzen gar nicht ausgelegt. Ein Bass bewegte wesentlich mehr Luft als eine Gitarre mit ihren Mittelfrequenzen. Darum hatten Bassboxen auch eine federnd aufgehangene Magnetspulmembran. Reita traute sich gar nicht, Uruhas geliehenen Gitarrenverstärker ein bisschen aufzudrehen, weil er Angst hatte, daß die Vibrationen in der fest verschraubten Magnetspule das ganze Ding kurz und klein schlugen. Wie er´s drehte und wendete, er brauchte zeitnah eine neue Bassbox.

Mit solcherlei Überlegungen im Hinterkopf durchforstete Reita das Telefonbuch seines Handys. Es musste doch irgendwen geben, bei dem er sich jetzt ausheulen konnte. Bei 'D' blieb er hängen und musterte eine Weile den Namen auf dem Bildschirm. Dann drückte er kurzentschlossen die Wahltaste und rief an. 'D' wie 'D´espairs Ray'. Er war der einzige Gazetto, der Kontakt mit einem ehemaligen D´espairs-Ray-Mitglied hatte. Das war damals auch ziemlicher Zufall gewesen, daß sie sich vor ein paar Jahren auf einem Festival getroffen hatten und seitdem freundschaftlich in Kontakt geblieben waren. Aber wieso auch nicht? Reita mochte das Kerlchen.

Ein fröhliches „Na, hey! Reita! Von dir hab ich aber lange nix mehr gehört.“ ging am anderen Ende der Leitung ans Telefon. Diese immerfröhliche Stimme war eine echte Wohltat. Reita hatte ihn noch nie anders als fröhlich erlebt.

„Hizumi? Ich brauch deine Hilfe ...“, begann er betont weinerlich.

Ein gut gelauntes Lachen.

„Hast du gerade Zeit? Oder störe ich?“

„Nein, alles bestens. Schieß los! Was gibt´s?“, bewilligte Hizumi unbekümmert.

„Wollen wir uns irgendwo treffen?“

„So schlimm?“, hakte Hizumi, nun doch langsam etwas besorgt, nach.

„Nein, das nicht. Aber wie du schon sagst, wir haben so lange nichts mehr voneinander gehört. Ich würde dich einfach gern mal wieder treffen. Einfach ein bisschen quatschen. Am Telefon ist das irgendwie nicht das gleiche.“

„Hmmm ...“ Hizumi schien wohl auf die Uhr zu schauen. Oder in den Kalender. Oder auf den Stapel Arbeit auf seinem Schreibtisch. Jedenfalls dauerte es einen Moment, bis er sich entschieden hatte. „Okay, gib mir noch 2 Stunden. Wie wäre es 17 Uhr am Sky Tree Tower Aquarium? Also am Eingang da?“

„Sind da nicht zuviele Leute, die uns erkennen könnten?“

„Yoyogi Park?“

„Schon besser“, meinte Reita.

„Okay. Also 17 Uhr dann dort. Auf irgendeiner Parkbank.“

„Ich werde eine grüne Jacke tragen.“

„Ich find dich schon, keine Sorge“, lachte Hizumi. Sollte ja auch nicht schwer sein. So viele Personen, die sich bis zur Unkenntlichkeit mit Mützen, Schals, Sonnenbrillen und Atemmasken vermummten, gab es ja nun auch wieder nicht. Hizumi überlegte, ob er unter seinem Umbrella-Label nicht mal einen Sack mit zwei Augenschlitzen für Reita designen sollte, den er sich einfach über den Kopf ziehen konnte. Das wäre wesentlich einfacher. Vielleicht fand die Idee ja auch unter anderen Rockstars Anklang, die gern mal wieder unerkannt aus dem Haus gehen wollten. ... Wann hatte Reita gleich nochmal Geburtstag?
 

„Sie werden niemanden finden, der mit Maya arbeitet.“

„Warum soll keiner mit ihm arbeiten wollen?“, tat der Boss von Pony Canyon leichthin ab und blätterte weiter in seinen Unterlagen.

„Ach, um´s Wollen geht es doch gar nicht! Es wird auf Dauer keiner die Geduld dazu aufbringen.“

„Dann wird er seine Arbeitsweise wohl oder übel ändern müssen.“

Aiji hatte einen Moment echte Probleme, seine Kinnlade unter Kontrolle zu halten, damit sie ihm nicht bis auf den Boden fiel. Dann wurde ein bitteres Lächeln daraus. „Sie WERDEN Maya nicht ändern“, prophezeite er und schüttelte anschließend ratlos den Kopf. Ratlos über diese ganze Situation hier. Er verstand die Welt nicht mehr. Was war hier nur los? LM.C sollte zwangs-aufgelöst werden? Das hätte er sich im Traum nicht eingebildet, als er heute früh aus dem Bett aufgestanden war. Er warf einen hilfesuchenden Blick zu seinem Manager hinüber, der zur Unterhaltung überhaupt nichts beisteuerte. Auch der hob nur ratlos die Schultern.

„Mein Entschluss steht fest“, betonte der Boss ihres Vertragslabels. „Und das werde ich Maya jetzt auch noch selber sagen.“ Er warf einen abwägenden Blick auf die Armbanduhr. Pünktlichkeit war bei den Jungs so eine Sache. Aber selbst wenn man den Maya-Faktor mit einrechnete, sollte der Compadre so langsam anwesend sein. Immerhin hatten die Jungs hier einen Termin. Ohne Aiji noch weiter zu beachten, legte er seine Mappe mit Schriftkram weg und spazierte los. Wohl in der Annahme, daß Aiji ihm folgen würde. Die Besprechungsräume waren eine Etage weiter unten. Dort wollten LM.C heute neue Vertragsverhandlungen mit Pony Canyon führen. Eigentlich. Aiji hatte sich lediglich im Büro blicken lassen, um mitzuteilen, daß er da war und es losgehen konnte.

Aiji dachte gar nicht daran, sich dem Boss anzuschließen. Stattdessen riss er hektisch sein Handy heraus, sobald der außer Hörweite war, und drückte eine Kurzwahltaste. Ungeduldig stemmte er die andere Hand in die Hüfte. „Geh schon ran, Mann!“

„What´s up!?“, quietschte es ihm nach dem dritten Klingeln endlich näckisch aus der Leitung entgegen.

„Maya? Der Boss ist auf dem Weg zu dir!“

„Oh!“, machte der Vocal und begann panisch mit Papier herum zu rascheln. Wer weiß, was der schnell vor dem Chef verstecken musste.

„Ich bin beurlaubt worden, Maya, du kriegst einen neuen Partner!“, fuhr der Gitarrist schnell fort. Zeit war knapp. Er wusste, der Label-Chef konnte nur Sekunden bis in den Besprechungsraum brauchen.

„Was!?“, gab Maya fassungslos zurück.

„Ich wollte, daß du es weißt, bevor er zu dir reinplatzt.“

„Warum?“, begehrte Maya empört auf. „Warum will er mir einen neuen ...“

„Er meint, ich hätte dich nicht im Griff.“

„Spinnt der? Stört ihn irgendwas an unserer Arbeit? Shit, ich hör ihn kommen, ich muss auflegen.“

„Maya, lass das nicht zu! Hörst du? Maya!“

Es antwortete nur noch das Besetztzeichen. Aiji seufzte und legte ebenfalls auf. Dann rieb er sich verzweifelt mit der Hand über die Augen. Und plötzlich musste er in einem Anflug von Galgenhumor grinsen. Er vertraute Maya. Nein, schlimmer noch, er KANNTE Maya! Es bestand eigentlich überhaupt kein Grund zur Sorge. Also schön. Der Boss wollte, daß er Urlaub machte? Dann würde er das mal machen. Er freute sich darauf. Zurücklehnen und abwarten. „Nagut, dann bin ich mal weg“, erklärte er mit unerklärlich guter Laune seinem Manager, der immer noch unschlüssig bei ihm stand. Auf dem Weg durch die Gänge des Bürogebäudes schrieb er Maya eine sms, daß sie sich heute Abend unbedingt nochmal treffen sollten.
 

Ein paar Stündchen später saßen Reita und Hizumi tatsächlich im Yoyogi-Park auf einer Bank, quatschten einfach über Gott und die Welt und leerten dabei ein paar Bierdosen, die Hizumi in weiser Voraussicht mitgebracht hatte. Der Rest des Sixpacks stand unter der Bank. Reita zog nebenbei immer mal an seiner Zigarette und achtete rücksichtsvoll darauf, Hizumi möglichst nicht direkt mit dem Rauch anzublasen.

„Tja, jetzt weißt du´s“, fasste Reita ruhig zusammen. Es tat so gut, sich bei jemandem ausheulen zu können. Entgegen seiner Vorsätze hatte er auch die Story um Kyos Horrorhütte nicht verschwiegen. „Erst Miyavi und dann Kyo. Ruki bringt uns in Teufels Küche, wegen seiner Gitarrensuche. Ich krieg nicht mal mehr ne neue Bassbox, wegen dieser ganzen Vorgeschichte.“

Hizumi nickte verstehend. „Okay!? Und du meintest, da könnte ich dir eine Hilfe sein?“

„Ach, ich weiß auch nicht“, nuschelte Reita bedrückt, warf seine Kippe zu Boden und trat sie im Sitzen aus. Natürlich musste er die später wieder aufsammeln, das war ihm klar. In Japan konnte man Kippen nicht einfach auf die Straße schmeißen. „Wahrscheinlich wollte ich einfach bloß mit jemandem reden. Mir geht echt die Muffe, wenn ich dran denke, daß Kai das irgendwann alles rauskriegen wird.“

„Ich hab von Karyu noch eine 3/4-Gitarre zu Hause stehen. Eine Semi. Mit F-Löchern. Ich trenn mich zwar nur ungern davon, aber vielleicht gefällt sie Ruki ja. Dann hätte seine fatale Suche zumindest erstmal ein Ende.“

Reita winkte unmotiviert ab. „Kannste stecken lassen. Eine Dreiviertel will er nicht haben. Er ist ja erwachsen und will keine Kindergitarren spielen. Er hat noch nicht eingesehen, daß er mit seiner Statur keine große finden wird, mit der er klarkommt.“

„Oh, lass das meine Sorge sein“, feixte Hizumi verschmitzt. „Man muss nur den Futterneid wecken, dann nimmt er sie schon.“

„Futterneid, ja?“

„Vertrau mir!“

„Wie du meinst“, entgegnete der Bassist und rang sich nun ebenfalls wieder ein hoffnungsvolles Lächeln ab. Hizumi schien sich seiner Sache ja sicher zu sein. Wenn er jetzt noch mit Miyavi reden und das vermaledeite Hausverbot wieder aufheben könnte, wäre alles wieder in Butter. Aber das konnte Reita unmöglich auch noch erbitten. Hizumi tat sowieso schon mehr für ihn als er musste.
 

„Du siehst schlecht aus. Wie geht´s dir?“, wollte Aiji mitfühlend wissen, als der Vocal sich mit gesenktem Blick neben ihm auf der Parkbank niederließ. Maya hatte seine orangenen Wuschelhaare unter einer Mütze versteckt, obwohl die Temperaturen bei weitem nicht dafür angemessen waren, und er trug sehr schlichte, ungewohnt farblose Kleidung. Ohne seine drei Kilogramm Kajal um die Augen sah er regelrecht kränklich aus.

Maya schüttelte als Antwort nur den Kopf.

„Hast du deinen neuen Partner schon kennen gelernt?“

„Ja. Er scheint ganz nett zu sein. Ich mag ihn soweit erstmal. Aber alles andere ist totaler Rotz. Der Chef hat mir ein neues Konzept vor die Nase gesetzt, wie er sich unser Treiben in Zukunft vorstellt. Das wird in keinster Weise mehr irgendwas mit LM.C zu tun haben. Der neue Stil gefällt mir überhaupt nicht.“

„Ist das der neue Stil?“, hakte Aiji interessiert-amüsiert nach und deutete auf die triste, graue Kleidung des Sängers.

„Nein, das ist nur meine Stimmung im Moment.“

Aiji schenkte ihm ein tröstendes Lächeln und machte Anstalten, aufzustehen. „Gehen wir ne Runde?“ Er wartete, bis Maya sich lustlos und mit hängenden Schultern wieder hochgequält hatte, dann lief er im langsamen Bummelschritt los. „Hast du Lust, LM.C privat weiterzuführen?“

„Der Chef wird uns den Hals umdrehen. Der lässt uns doch nie im Leben weiter Konzerte geben und CDs aufnehmen.“

„NOCH nicht!“, betonte Aiji kichernd. „Ich kenn dich doch, Kumpel. Dir werden im Monatstakt die Partner weglaufen, weil es keiner mit dir aushält. Du musst nur weiter richtig hochtouren. Und der Manager wird am Rad drehen, weil ihr im Studio nichts fertigkriegen werdet. Irgendwann wird er mich anflehen, dir mal wieder zu zeigen, wo´s lang geht.“

Auf Mayas betrübtes Gesicht schlich sich doch wieder ein müdes Schmunzeln. „Bis heute Morgen hätte ich es nicht zugegeben, aber ich bewundere wirklich, daß du´s so lange mit mir ausgehalten hast. Ich war nie einfach, das ist mir klar.“

„Nein. Aber du bist verdammt gut.“ Aiji schlang einen Arm um Mayas Schultern und zog ihn kurz kameradschaftlich an sich. „Und ich mag dich so, wie du bist. Ich wäre dir, nachdem meine Band Pierrot sich aufgelöst hat, nicht so auf den Bimpf gegangen, daß wir zusammen ein Projekt starten müssen, wenn ich mir mit dir nicht sicher gewesen wäre. Deine Art ist das, was LM.C ausgemacht hat, von je her.“

„Ja. Und jetzt hat meine Art LM.C zerstört. Deswegen hat der Chef uns doch getrennt, oder? Weil ich nicht konsequent genug arbeite. Weil ich phasenweise unmotiviert und schlampig bin. Weil ich chaotisch bin. Weil ich nur Unsinn im Kopf habe.“

„Maya, ICH bin immer gut damit klargekommen. Auch wenn ich dir manchmal gern eine gescheuert hätte, damit du wieder klare Bilder siehst. Aber das bist halt du. Bleib wie du bist, hörst du? Und überlass alles andere mir, so haben wir es ja schon immer gehandhabt.“

Langsam fand Maya doch wieder zu seiner üblichen guten Laune zurück. „Was wirst du jetzt machen?“

„Urlaub!“, entschied der Gitarrist humorvoll. „Ich werde eine Weile Funkstille halten, Songs schreiben, mich abends mit dir treffen, um sie einzustudieren ... und irgendwann in ein paar Monaten werde ich mal bei Pony Canyon anfragen, was denn nun aus dir geworden ist. Sicher werden sie mir sagen, daß du zu diesem Zeitpunkt schon den dritten neuen Partner haben wirst und noch kein neues Minialbum oder eine Single oder auch nur ein Demotape in Aussicht steht.“

„Ey, Maya!“, scholl ihnen da von der Seite entgegen.

Er und Aiji fuhren simultan herum und sahen Hizumi von einer Parkbank herüber winken. Den anderen, gut vermummten Gesellen daneben erkannten sie erst auf den zweiten Blick: Reita. Erstaunlich, dem mal auf offener Flur zu begegnen. Die Jungs von Gazette schotteten sich doch sonst immer hermetisch ab. Mit einem Lächeln kam Maya näher und zog Aiji einfach mit. LM.C und Hizumi kannten sich ja, Hizumi hatte sogar schon T-Shirts für LM.C designt. „Hey, Hizumi, du auch hier? ... Hi, Reita.“

„Ja, die Welt ist klein“, lachte Hizumi. „Und, alles klar bei euch?“

„Nein, gar nicht. Alles Mist“, maulte Aiji. „Und bei euch?“

„Auch alles Mist“, urteilte Reita.

„Dann können wir ja nen Depri-Zirkel aufmachen“, schlug Maya vor.

„Mh. ... Bier?“, schlug Hizumi vor und rückte auf der Parkbank mit Reita etwas zusammen, damit auch Maya und Aiji darauf noch Platz fanden.

„Oh ja, bitte!“

„Na dann erzählt mal“, trug Hizumi den beiden auf und hielt ihnen die letzten beiden Dosen seines Sixpacks hin. Natürlich ein wenig versteckt. Alkohol in der Öffentlichkeit war ja nicht so direkt erlaubt. Sie bewegten sich hier derwegen auf dünnem Eis.

3. Anlauf

Es klingelte!
 

6:45 Uhr.
 

Reita stöhnte genervt. Dieser Vocal wurde echt immer dreister. Demotiviert kämpfte er sich aus dem Bett hoch und schlurkste zur Tür. Mit einem müden, aber halbwegs freundlichen „Ja?“ ging er an die Freisprechanlage. Seit der Sache mit dem Paketboten war er da wieder etwas vorsichtiger geworden.

„Hi, Reita! Schon wach?“ Das war Ruki, wie erwartet.

„Jetzt schon, ja“, seufzte Reita, drückte auf den Türöffner, zog die Tür einen Spalt weit auf und verschwand dann erstmal im Bad. Der Sänger würde schon selber reinkommen. Es dauerte auch nur Sekunden, bis in seinem Wohnzimmer irgendwas zu Boden krachte. Begleitet von einem Hecheln. Zumindest Koron war also schonmal angekommen. Als Reita eine Weile später und eine Idee munterer ins Wohnzimmer kam, saß Ruki schon in aller Seelenruhe auf dem Sofa. Er sah wieder wie geleckt aus. Die eleganten, an einen Anzug erinnernden Kleider maßgenau an den Leib gegossen, kein Härchen aus der Formation ausgebrochen, das MakeUp dezent aber geschmackvoll. Er hatte eine rampunierte Gitarre auf dem Schoß und fummelte daran herum.

„Morgen“, meinte der Bassist.

„Moin.“

„Deine alte Gitarre?“

„Ja.“

„Zeig mal.“ Reita nahm die schwarze Akustik-Gitarre mit der aufgemalten Gothic-Verzierung an sich. Der Hals war gebrochen, so daß nur noch die Saiten die Einzelteile zusammenhielten, die Rückwand war eingedrückt. Reita drehte sie mit spitzen Fingern vorsichtig in alle Richtungen, um sie nicht noch weiter zu zerstören. Das war echt nur noch Sperrholz. Und so furchtbar winzig, im Vergleich zu seinem Akustik-Bass, den er sonst gewöhnt war. „Was hast du´n damit gemacht?“

„Hab sie jemandem über den Kopf gehauen.“

Reita zog ungläubig eine Augenbraue hoch. „Will ich wissen, wem und warum?“

„Nein“, entschied Ruki schmunzelnd.

„Und was machen wir damit?“

„Sie reparieren lassen. Ich will sie mal zu jemandem bringen, der Ahnung vom Instrumentenbau hat. Vielleicht kriegen wir die wieder ganz, wenn ich schon nirgends eine neue bekomme.“

Reita drehte sie noch ein bisschen skeptisch im Licht hin und her. Unwahrscheinlich, dachte er, sagte das aber nicht laut. Kommentarlos gab er sie Ruki schließlich zurück und stand wieder von seinem Sessel auf. „Auch Kaffee?“

„Ja. Aber koch ihn diesmal ordentlich. Dein letzter neulich war ja bloß Aufwaschwasser.“

Grummelnd zog Reita los. Als er an der Tür zum Schlafzimmer vorbei kam, hielt er inne und schaute nochmal hin, ob er gerade richtig gesehen hatte. „Ruki?“

„Hm?“

„Komm mal ran auf nen Meter!“

Der Sänger erschien neben ihm und warf ebenfalls einen Blick auf das Bett. Mit Koron darin, der in einem Flockenmeer und den kläglichen Überresten eines zerfetzten Kopfkissens hockte und dieses schüttelte wie ein gerissenes Beutetier. „Oh“, macht Ruki nur. Er ging ins Schlafzimmer, griff sich den Kopfkissenbezug und versuchte, ihn Koron wegzunehmen. Aber das Hündchen hatte sich festgebissen und hing freischwingend unten an dem Stoff, als Ruki diesen in die Höhe hob. „Koron! Aus! Lass los!“, verlangte Ruki streng, aber Koron dachte gar nicht dran und baumelte fröhlich weiter in der freien Luft. Mit einem unterschwelligen Knurren in der Kehle.
 

„Ich hab immer noch Herzrasen!“, beschwerte sich Ruki schon zum vierten Mal und rutschte unruhig im Autositz herum.

„Du hast gesagt, ich soll den Kaffee stärker kochen!“

„Ja, du solltest nur den Kaffee stärker kochen! Du sollst mich nicht gleich umbringen!“

Reita stöhnte genervt. „Jetzt mach mal ne Ansage: Wo geht´s hin?“, wechselte er konsequent das Thema. Er fuhr den Wagen. Ruki saß links neben ihm auf dem Beifahrersitz und dirigierte. Koron hatte er auf dem Schoß. Reita getraute sich kaum noch, durch die Gänge zu schalten, denn für jedes Greifen nach der Gangschaltung erntete er von dem Hündchen ein böses Knurren. Dieser Hund war genauso eine anstrengende Diva wie sein Herrchen. Die zerdroschene Gitarre lag auf der Rückbank. In Einzelteilen, mehr oder weniger.

„Zu Shinya“, meinte der Sänger.

„Schon wieder Dir en Grey?“, gab Reita mit deutlich fehlender Begeisterung zurück. Sein Auftritt bei Kyo reichte ihm eigentlich erstmal für die nächsten Monate.

„Ach, Shinya ist harmlos. Aber der hat handwerklich was drauf.“

„Auch mit Gitarren? Shinya ist doch Drummer.“

„Einen Versuch ist es wert. Noch kaputter kann er sie ja kaum noch machen.“

Reita nickte hinnehmend. Damit konnte er leben. „Und warum muss das so früh am Tage sein? Es ist gerademal 7:15 Uhr.“

„Shinya hat heute noch Termine.“

„Aha“, war alles, was dem Bassisten dazu einfiel.

„Hier rechts, wir sind da! Halt an!“, forderte Ruki plötzlich und gestikulierte auf ein Haus.

„Mitten auf der Straße, du bist witzig! Ne Parklücke werden wir schon noch finden müssen, ob du willst oder nicht.“ Das Haus sah – so beim Vorbeifahren – wenigstens nicht so gruselig aus wie die Hütte von Kyo. Ein Mehrfamilienhaus. Shinya hatte wohl bloß eine Mietwohnung.
 

Eine gebügelte dreiviertel Stunde später waren sie ihr Auto endlich los und standen wieder vor dem von Ruki bezeichneten Haus. Hier in der Gegend war es echt schwer, mal eben eine Parklücke zu finden. Die Anwohner hatten offenbar alle Tiefgaragenstellplätze oder gar kein Auto. Ruki hatte Koron auf dem linken Arm und seine Gitarre in der rechten Hand, weil Reita sich weigerte, sie ihm abzunehmen. Er wollte nicht so aussehen, als hätte er das bemitleidenswerte Instrument so zerkloppt. So beschränkte sich Reitas Part einzig auf die Betätigung der Klingel. Sie wurden auch sofort eingelassen.

Shinya wohnte fieserweise ganz oben, unter dem Dach. Als sie endlich bis dort hochgekeucht waren, pfiff Reitas Lunge schon aus dem letzten Loch. Er hätte sich am liebsten erstmal eine Zigarette angesteckt. Ruki nahm die vielen Etagen etwas sportlicher. Als Sänger machte er ja auch viel Fitness- und Ausdauerzeugs, damit ihm auf der Bühne nicht die Luft ausging.

Der Schlagzeuger erwartete seine Gäste im Türrahmen lehnend. Oh ja, der sah mit den langen, weinroten, schlicht ausgebürsteten Haaren viel sympathischer aus als Kyo dieser Tage. Er hatte auch ein nettes Lächeln auf den Lippen, das ihm allerdings bei Korons Anblick ein wenig gefror. Aber er war höflich, sagte nichts dazu und begnügte sich mit einem grüßenden „Hi, ihr beiden. Cool, daß ihr mich mal besucht.“ Reita und Ruki grüßten zurück. Dann deutete er schon auf den traurigen Selbstbausatz von Gitarre. „Wouw, ist das die angekündigte Git, von der du mir erzählt hast?“

„Ja, das ist sie.“ Ruki hielt die Holzteile hoch. „Ist ein bisschen kaputt gegangen.“

„Ich seh´s schon. Na, dann mal immer reinspaziert. Gib ma her, dat Ding.“ Shinya nahm ihm das Instrument ab und begutachtete die Misere, während er voraus ging, um seinen beiden Besuchern den Weg zu weisen. „Mh ... ist das Griffbrett Palisander-Holz? Und der Hals ist Mahagoni, oder?“

„Ich hab keine Ahnung von Holz. Ich spiel nur drauf“, gestand Ruki. Inzwischen hatten sie einen Raum betreten, der bis unter die Decke mit Lagerregalen voller Holz, Kleber, Sägen, Feilen und sonstwas für Gerätschaften vollgestopft war. Ein paar Trommel-Spannringe und Trommel-Stellschrauben lagen dazwischen. Shinyas Hobby-Raum?

„Boar, hast du hier ne eigene Werkstatt?“, entfuhr es Reita fasziniert.

„Könnte man so sagen, ja. Ich werkel gerne an meinen Drums und am Equipment rum, da hat sich über die Jahre schon ein bisschen was angesammelt. Mal sehen, was wir mit der Gitarre noch machen können. Der Korpus ist aus Ahorn. Ich glaub, Ahorn hab ich noch rumliegen. Die eingedrückte Rückwand müssen wir austauschen. Aber was mir Sorgen macht, ist der Hals. Einen gebrochenen Hals wieder so zusammen zu fügen, daß er nachher die Zuglast von gespannten Saiten wieder aushält, ist schwierig. Von den Klangeigenschaften ganz zu schweigen. Die Bruchstelle mit dem Kleber dazwischen ist wie eine Staumauer mitten im See, auf die die Resonanzwellen auflaufen und nicht durchgelassen werden. Das Griffbrett mit den Bünden müsste eigentlich auch komplett ausgetauscht werden. Die Metallstäbchen für die Bünde hätte ich sogar noch, aber ich glaub Palisander hab ich nicht mehr da. Und da komm ich jetzt auch nicht mehr ran. Das Verbauen von Palisander ist seit 2017 verboten. Neues Artenschutz-Gesetz und so“, sinnierte Shinya vor sich hin und ließ dabei suchend den Blick über seine Lagerregale schweifen.

„Ich sehe, du bist Profi“, meinte Reita zufrieden. Das klang ja vielversprechend. Vielleicht wurde jetzt alles gut. Ruki würde wieder eine funktionierende Gitarre haben. Nie wieder um 7 Uhr oder noch zeitiger aus dem Bett geklingelt und zu irgendwelchen zwielichtigen Individuen der musikalischen Zeitgeschichte geschleppt werden. Keine neuen Hausverbote, keine Gruselkabinette mehr.

„Muss man als Drummer auch“, lächelte Shinya. „Die Klangeigenschaften der üblichen Hölzer zu kennen, ist das A und O, weil man bei Trommeln ja fast nur mit dem materialeigenen Naturklang arbeitet, im Gegensatz zur Gitarre am Verstärker, wo heute ja inzwischen fast alles Elektronik ist. Siehst du, das geht schon bei den Drumsticks los. Die sind ja auch aus Holz.“ Er legte die Gitarre weg und grabbschte sich stattdessen ein paar herumliegende Drumsticks. „Es gibt verschiedene Stärken. Die Bezeichnung hier an der Seite gibt an, wie dick der Drumstick ist. Je größer die Zahl, desto dünner der Stick. Ein 7B-Stick ist dünner als ein 5B-Stick. Und das 'B' steht für 'Bandgebrauch'. Es gibt auch 'S' und 'A', die sind für die Straßenmusik, also Marschkapellen oder so, die sich gegen eine Freiluft-Geräuschkulisse durchsetzen müssen, und Orchestergebrauch, wo es auch mal extrem leise zugeht.“
 

Ruki verkniff sich ein Seufzen. Shinya war echt eine Labertasche. Er wollte hier keinen Vortrag über Hölzer hören, er wollte einfach nur, daß der Kollege die vermaledeite Gitarre wieder instant setzte. Jetzt begann er auch noch hochmotiviert mit den Trommelstecken auf seiner Tischplatte herumzutrommeln.

„Dafür gibt es je nach Bedarf leichte Hölzer, wie Ahorn, und schwere Hölzer, wie Eiche oder manche Buchenarten. Wusstet ihr, wenn man mit zwei Drumsticks spielt, daß das Holz für beide aus dem gleichen Baum stammen muss?“, fuhr Shinya fort.

„Ja, sonst klingt der linke anders als der rechte“, bestätigte Ruki gelangweilt. Er hatte selber mal als Drummer angefangen, bevor er entschieden hatte, seinen Sänger rauszuschmeißen und selber zu singen, weil er das besser konnte als der. Aber diese Fachsimpelei über Hölzer und Drumsticks konnte Shinya gerne mal mit Kai weiterführen. Ihn, Ruki, interessierte das gerade nicht die Bohne. Er bückte sich und setzte Koron, dem es auf Rukis Arm auch langsam zu langweilig wurde, auf dem Boden ab.

Koron sauste davon wie eine losgelassene Aufzieh-Maus, durch die Tür, um die Ecke und ab in ein anderes Zimmer. Man hörte ein Krachen und Scheppern, dann das empörte Aufschreien einer Katze, dann noch mehr Gerumpel. Aus dem Katzengeschrei wurde ein wilden Fauchen. Gemischt mit einem Jaulen.

Reita und Shinya schauten sich gegenseitig mit riesigen Augen an. Ruki dagegen war schon eilig verschwunden, um seinen Hund zu retten. „Hast du Haustiere?“, wollte Reita, mit der Situation völlig überfordert, wissen.

„Ich hab eine Katze, ja.“

Okay, das erklärte, warum Shinya auf Korons Anblick so unwillig reagiert hatte. Sie schlossen sich gemeinsam Ruki an, um nachzusehen, was da los war. Im Wohnzimmer bot sich ihnen ein bizarrer Anblick. Der Kratzbaum und ein Stuhl waren umgestoßen, der Flachbildschirm des Computers lag auf dem Fußboden, eine in Scherben gegangene Vase daneben. Eine Leselampe lag hingeworfen auf dem Sofa. Ein paar Bücher und Zeitungen waren auf dem Boden verteilt. Eine Katze, Koron und Ruki rannten immer im Kreis um den Couch-Tisch, einer bei dem Versuch den anderen zu fangen. Koron war, nachdem sie den niedrigen Tisch auf ihrer gemeinsamen Umlaufbahn zum fünften Mal umkreist hatten, schließlich schneller. Er schnappte beherzt nach dem Schwanz der Katze und erwischte ihn auch. Man konnte bei Shinyas Katze förmlich mitverfolgen, wie der Schmerzreiz von der Schwanzspitze die gesamte Wirbelsäule hinaufwanderte, bis zum Gehirn, eine Sekunde lang dort verharrte – ein kurzes Luftanhalten – und von dort weiterfuhr, um sich in der Pfote zu entladen. Die Katze fuhr schreiend herum und langte Koron eine mit den Krallen. Der ließ aufjaulend wieder los. Dann hatte Ruki den Hund endlich zu fassen bekommen, hochgehoben und fest an seine Brust gedrückt. Die Katze plusterte sich nochmal fauchend und mit gesträubtem Fell auf, so daß selbst Ruki einen Schritt zurückwich, und trabte zutiefst beleidigt aus dem Zimmer.

Ruki hob das Hündchen mit beiden Händen vor sein Gesicht und begutachtete die deutlichen Kratzspuren auf dessen Schnauze. „Mein Gott, mein armer Knopf! Wie bist du denn zugerichtet!?“, entfuhr es dem Sänger.

„Armer Knopf!?“, echote Shinya vor Fassungslosigkeit hyperventilierend.

„Guck doch mal! Dein fieses Katzenvieh hat ihm eine eingeschenkt!“, empörte sich Ruki und drehte den Hund in Shinyas Richtung.

„Dein Köter hat meiner Katze in den Schwanz gebissen!“

„Kein Grund, ihn blutig zu kratzen! Armes Hündchen!“

„Ich geb dir gleich 'armes Hündchen'! Wehe meine Katze hat auch nur ein gekrümmtes Haar, du Bleifreifahrer!“, fuhr Shinya ihn stinksauer an und ging dann los, nachsehen wo seine Katze hin war.

„Deine Katze ist viel größer als mein armer Koron! Mein Koron war total im Nachteil, ja!? Jetzt wird der Kleine für immer entstellt sein! Guck dir doch nur mal diese Kratzer an! Die verheilen doch nie wieder ohne Narben!“

„Raus! Alle drei!“, befahl Shinya entrüstet. Er rauschte wieder ins Wohnzimmer herein, krallte Reita und Ruki am Kragen und bugsierte sie schneller ins Treppenhaus hinaus, als sie gucken konnte. Die Tür flog derb hinter ihnen ins Schloss. Ein paar Sekunden Ruhe. Dann wurde die Tür wieder aufgerissen. „Lasst euch hier nie wieder blicken!“, zeterte der Drummer, warf Ruki noch in hohem Bogen seine Gitarreneinzelteile hinterher und schmiss die Tür erneut zu. Erneut Ruhe. Diesmal dauerhaft.

Ruki gaffte entgeistert die Tür an, seinen Koron noch immer fest an sich gedrückt, und war wie erstarrt. Bis Koron ihm irgendwann quer durch das Gesicht leckte und ihn damit aus seinem Schockzustand wieder herausholte. Ruki zog eine Schnute, wie ein Kind, das gleich losheulte, weil es Ärger bekommen hatte.

Reita atmete tief durch. „Meine Fresse. Wieso passt sowas immer mir? Jedes Mal, wenn ich mit dir auf Achse bin, eskaliert irgendwas“, stöhnte er theatralisch. Und dabei hatte der Tag noch nichtmal richtig angefangen.

„Shinya ist so gemein!“, jammerte Ruki, als würde er die Welt nicht mehr verstehen, und schaute traurig auf die kaputte Akustik-Gitarre zu seinen Füßen hinunter.

Reita hätte gern mit einem 'und-du-bist-...'-Satz geantwortet. Leider fiel ihm partu nichts ein, was diesen Satz gerade angemessen beendet hätte, ohne alles noch schlimmer zu machen. Also ließ er es, schob die Hände in die Jackentaschen und machte sich wortlos an den Abstieg, die vielen Etagen und noch mehr Treppen nach unten. In der Jackentasche trafen seine Finger auf eine Pappschachtel und damit gleichsam auf eine vorübergehende Erste-Hilfe-Maßnahme: Um nicht doch noch einen provokanten Kommentar zu verlieren, fingerte er seine Zigaretten aus der Jacke, schüttelte sein Feuerzeug und steckte sich eine längst überfällige Fluppe an.

Spießruten II

Der Verkäufer seufzte leise. „Reita, du bist ja schon wieder hier“, bemerkte er in deprimierter Stimmlage. Es tat ihm ja leid für den Bassisten, aber der sollte wirklich nicht in diesem Gitarrenhaus sein. „Ich hab dich doch schon letzte Woche gebeten, nicht mehr her zu kommen. Ihr habt Hausverbot. Das weißt du doch.“

„Ja, schon klar“, gab Reita beschwichtigend und freundlich zurück. „Ich bin ja auch schon fast wieder weg. Ich will nur wissen, ob Miyavi heute da ist.“

Der Verkäufer schüttelte den Kopf. „Der Chef ist ziemlich selten selber hier. Ich kann dir auch nicht sagen, wann er sich wieder blicken lässt. Er kündigt sich nicht an.“

„Schade. ... Kannst du mir vielleicht seine Handynummer geben, damit ich mal mit ihm reden kann?“

„Die hab ich leider nicht.“

„Verkaufst du mir wenigstens schnell einen Bassverstärker?“

„Nein. Wenn Miyavi doch mal spontan hier aufschlägt und dich im Laden findet, bin ich meinen Job los!“

„Aber ich hab ihm doch nix getan. Nur, weil Rukis Hund sich hier ne Schote geleistet hat, muss doch nicht unsere ganze Band Hausverbot kriegen.“

„Reita, bitte. Ich hab das nicht zu entscheiden. Es tut mir leid. Geh jetzt bitte.“

Der Bassist ließ geschlagen den Kopf hängen. „Schon okay. Bis nächstes Mal.“

„Nix da 'nächstes Mal'. Komm bitte nicht mehr her, solange du noch Hausverbot hast.“

„Ja-ja“, grummelte er. Mist, verdammter. Kai hatte irgendwelche Kontaktdaten von Miyavi. Als Bandleader hatte er zu erstaunlich vielen, komischen Leuten irgendwelche suspekten Kontakte. Und wenn nicht er, dann zumindest die Chef-Etage der PSC, die für einen Bandleader immer gern die Vermittlung spielte. Aber er, Reita, bedeutungsloser kleiner Basser vom Dienst, hatte leider keine. Er konnte nichts klären, obwohl er es gern wollte. Er konnte Kai ja wohl kaum einfach nach der Handynummer von Miyavi fragen. Was sollte er ihm sagen, wozu er die brauchte? Wegen der Hausverbots-Sache? Da eher rief Kai Miyavi selber an und fragte persönlich.

Im Schaufenster, in der untersten, linken Ecke, hing ein kleiner Zettel. Weitab des Hauptsichtfeldes, aber trotzdem war er da. 'In diesem Laden haben Hausverbot: Gackt, Miku (AnCafe) und alle Gazette-Member.' Die 'Gazette-Member' waren offensichtlich erst vor kurzem handschriftlich ergänzt worden. Die anderen beiden Namen wirkten schon ein wenig verblasst. Reita musste kurz müde schmunzeln. Was hatte Gackt wohl angestellt, um einem Miyavi auf den Schlips zu treten? Waren die beiden nicht total dicke? Vielleicht war das auch ein Scherz unter Freunden. Diese Art von Humor würde Miyavi ausgesprochen ähnlich sehen. Reita hakte das Thema gedanklich ab und ging seiner Wege. Zurück zum Auto. Nagut, dann musste er wohl doch noch eine Weile Uruhas Gitarrenverstärker weiter bespielen. Wenigstens konnte keiner sagen, daß er nicht sein Möglichstes versucht hätte, einen neuen Bassverstärker zu beschaffen.
 

Miyavi schneite an diesem Vormittag unterdessen in die Wäscherei hinein und holte seine geliebte, helle Flicken-Jeans wieder aus der chemischen Reinigung ab. Er war immer noch stinksauer auf Rukis kleinen Flohteppich. Inzwischen hatte er schon einen Song geschrieben, um dieses Erlebnis zu verarbeiten. Der begann mit den Zeilen:
 

'Ein Hund der pinkelt mir ans Bein,

ich find´ das muss nun echt nicht sein.'


 

Auf das Läuten der Türglocke hin kam ein Angestellter der Wäscherei an den Tresen und begrüßte Miyavi höflich. Da der Kunde recht einprägsam war, wusste er auch auf Anhieb noch zu sagen, welche Wäschestücke ihm gehörten, und schaffte Miyavis Habseligkeiten unaufgefordert herbei.

„Haben Sie den Fleck aus meiner Hose wieder rausbekommen?“, wollte Miyavi sofort besorgt wissen. Wehe, wenn nicht. Er liebte diese Hose! Er würde sie Ruki doppelt und dreifach in Rechnung stellen, wenn die unwiederbringlich versaut war. Er hatte schon ernsthaft überlegt, ob er sie zur Not vielleicht abschneiden und in eine knielange Hose umändern lassen wollte. Aber eigentlich war ihm jeder Zentimeter daran zu schade zum abschneiden.

„Natürlich haben wir den Fleck wieder rausbekommen. Wir geben doch immer unser Bestes für unsere Kunden“, lächelte der Mann.

Miyavi schnappte sich die Hose und roch vorsichtig daran. Duftete nach chemischer Reinigung, aber zum Glück nicht mehr nach dem, was da vorher dran gewesen war. Das stimmte ihn zufrieden. Ein eingehender Anruf auf seinem Handy trieb ihn dazu, seinen Aufenthalt in der Wäscherei kurz zu halten. Mit einer Hand hielt er sich das Telefon ans Ohr, während er mit der anderen nach seinem Geld kramte. „Ja?“

„Miya', alter Haudegen, hier ist Gazetto-no-Kai“, scherzte der Anrufer, wobei er seinen Namen lustig verstellte. „Kennst du mich überhaupt noch?“

„Aber sicher! Wieso soll ich dich nicht mehr kennen? Wir sind doch alle eine Familie, die wir mal bei der PSC angefangen haben.“

„Naja, ich dachte nur, weil du mit uns ja jetzt nichts mehr zu tun haben willst und so ...“

„Wie das?“, hakte Miyavi nach und hielt nebenbei dem Menschen an der Theke endlich das gefundene Geld hin.

„Uruha und Aoi sind am Boden zerstört, weil du sie in deinen Gitarrenschuppen nicht mehr rein lässt.“

„Ach das!“, erinnerte sich Miyavi.

„Soviel ich höre, haben wir da allesamt Hausverbot. Sogar ich, der ich mich noch nie da drin habe sehen lassen. Erzähl doch mal, wie wir zu der Ehre gekommen sind. Sind wir bei dir in Ungnade gefallen?“

Miyavi lachte. Jetzt, wo seine Hose wieder den gesellschaftlichen Normen entsprach, konnte er es ja mit Humor nehmen. „Hat Ruki es dir noch nicht erzählt?“

„Er sagt, er wüsste von nichts.“

„NATÜRLICH sagt er das“, meinte Miyavi zustimmend. „Sein Köter hat mir im Laden ans Bein gepinkelt.“

Kai lachte schallend auf.

„Deine Anteilnahme rührt mich“, maulte Miyavi eingeschnappt. „Schön, daß du Spaß auf meine Kosten hast.“

„Das ist alles?“, wollte Kai ungläubig wissen, noch immer leise kichernd.

„Alles? Hast du ne Ahnung, wie meine Hose aussah? Die Reinigung hat mich ein Vermögen gekostet!“

„650 Yen!“ [ca. 5 Euro], warf der Wäscherei-Mitarbeiter beleidigt ein und bekam dafür von Miyavi ein böses, unterbrechendes Handwedeln zurück.

„Ach, Miya', komm schon!“, tadelte Kai ihn belustigt. „Das kann doch nicht dein Ernst sein. Deswegen kriegt die gesamte Band Hausverbot? Reicht es nicht, wenn du ein 'Hunde-müssen-draußen-bleiben'-Schild an die Tür klebst? Was können wir denn dafür?“

„Etwas mehr Mitleid wäre schön“, beschwerte sich Miyavi, sackte mit der freien Hand seine inzwischen eingetüteten Sachen an und verließ telefonierend die Wäscherei.

„Wegen einer Hose? Kauf dir ne neue, Mann!“

„Nicht nur wegen der Hose! Das war eine Beleidigung meiner Person! Ich bin angepinkelt worden! Ich fühle mich zutiefst entehrt!“ Eine Frau, die auf dem Bürgersteig Miyavis Weg kreuzte, starrte ihn entgeistert an, musterte ihn ausschweifend von oben bis unten und ging dann kopfschüttelnd weiter, als wäre sie der Meinung, er hätte es verdient, angepinkelt zu werden. Miyavi bemerkte mit einem seltsamen Gefühl, daß er vielleicht nicht so schreien sollte.

Kai unterdessen konnte sich ein leises Stöhnen nicht verkneifen. „Und ich dachte immer, Ruki wäre ne schwierige Diva. Aber du bist ja noch viel schlimmer.“

„Ruki ist zu eitel, um einzusehen, daß er für ne 4/4-Gitarre zu klein ist und es vielleicht mal besser mit ner 3/4-Gitarre versuchen sollte. Also wer ist hier ne Diva!?“

„Gut, meinetwegen, Punkt für dich. Dürfen meine Saitenzupfer nun wieder in dein Gitarrenhaus, oder nicht?“

„Ich denk nochmal drüber nach. Wenn Ruki sich entschuldigt hat, vielleicht.“

Der Drummer brummte. Langsam war seine Belustigung wieder aufgebraucht und sein Gesprächspartner begann ihn zu nerven. „Reita hat seit Tagen keinen Verstärker mehr. Aber weißt du was, ich werd ihn einfach in mein Auto setzen und mit ihm zur Konkurrenz fahren. Wir kriegen auch wo anders einen Bassverstärker!“

„Ja-ja, schon gut“, lenkte Miyavi ein. Das war immerhin eine Menge Geld. „Du hast ja Recht. Schick mir deine Jungs vorbei. Reita kriegt nen Verstärker, die anderen nen Kaffee, und dann ist alles wieder in Ordnung. Ich nehm das Hausverbot zurück.“

„Für Ruki auch?“

„Erst wenn er sich entschuldigt hat! Und nur solange er sein Pfiffi draußen lässt.“

„Das sollte sich einrichten lassen“, befand Kai etwas ernster als gewollt. Mit solchen Lappalien musste er sich nun als Bandleader seine wertvolle, knappe Zeit vertreiben. Private-Befindlichkeiten-Krempel. Als hätten Ruki und Miyavi keine anderen Probleme.
 

Als Kai im Probenraum ankam, war der Bassist bereits da und drehte am Regelwerk des geliehenen Verstärkers herum, um die Einstellungen so zu optimieren, daß es den großen Würfel trotz der Bass-Resonanzen nicht zerlegte. Da Reita im Gitarrenhaus unverrichteter Dinge wieder hatte abtreten dürfen, lag er selbst besser im Zeitplan als gedacht. Aber wiederrum nicht so viel besser, als daß er Kai noch hätte überholen sollen.

Aoi saß auch schon in der Ecke und zog auf eine seiner Akustik-Gitarren neue Saiten auf. Da er seine Saitenkurbel vergessen hatte, musste er die Mechaniken mit den Fingern drehen, was echt ewig dauerte. Da konnte man sich einen Wolf zwirbeln, bis man die alte Saite komplett runter und die neue komplett draufgespult hatte. Und eine Gitarre hatte ja nicht nur eine davon. Aoi war immerhin schon bei der dritten Saite, die es auszutauschen galt, und stimmte diese nun mit einem Stimmgerät grob vor, wobei er sie mit einem stetig höher werdenden bing-bing-Bing-BIng-BINg-BING-BING immer weiter andrehte.

„Na, wann kommt sie geschossen?“, scherzte Reita, als die Saite schon klang als würde sie jeden Moment reißen und jemandem um die Ohren fliegen. „Oh, hey, Kai!“, grüßte er dann erfreut. „Wie kommt es denn, daß du mal nicht der Erste bist? Ich hab mir direkt Sorgen um dich gemacht!“

„Wir verschieben die Proben auf heute Mittag. Fahr ins Gitarrenhaus und beschaff dir nen Verstärker, los, Abmarsch“, trug Kai ihm nur auf, ohne den Gruß zu erwidern oder die Frage zu beantworten. Er klang nichtmal schlecht gelaunt. Eher müde. Aber dann, nach einem Moment Bedenkzeit, knippste er doch sein übliches Sonnenschein-Grinsen an, das er auch sonst immer auf der Backe hatte. Die Aussicht, gleich eine Runde auf dem Schlagzeug zu spielen, hob seine Laune erheblich.

Das Gitarrenhaus in Shibuya? Da war Reita doch vor einer halben Stunde erst hergekommen! Was sollte in der halben Stunde groß passiert sein? „Wir haben da Hausverbot“, erinnerte der Bassist ihn vorsichtig und ließ sich von dem Lächeln nicht in falscher Sicherheit wiegen.

„Jetzt nicht mehr.“

„Hast du etwa ... mit Miyavi gesprochen?“

„Ja. Ihr werdet jetzt wieder bedient.“

Reita wartete auf mehr. Eine Erklärung, eine Standpauke, irgendwas. Einfach nur ein profaner Kommentar, was Kai von der ganzen Sache hielt. Aber es kam nichts mehr. Der setzte sich nur an sein Schlagzeug und begann – offenbar gut gelaunt – sich ein paar der Drums neu einzurichten und ein paar Trommelfelle nachzustellen.

„Okay ... dann ... geh ich mal“, kündigte Reita also unterwürfig an. Er stellte seinen Bass zur Seite und drehte Uruhas Gitarrenverstärker wieder herunter. Warum auch immer, er hatte nach wie vor ziemlichen Bammel vor einem etwaigen Gewittersturm von Kai, selbst wenn der eher Ruki hätte treffen sollen.

„Ach, Reita?“

„Hm?“ Er blieb in der Tür nochmal stehen.

„Hat Ruki inzwischen mal ne neue Gitarre, damit wir 'cassis' wieder spielen können?“

„Nein, hat er noch nicht. Aber er sucht schon ganz fleißig.“

Kai nickte nur und widmete sich dann lächelnd wieder seiner Schießbude. Das hieß dann wohl für Reita, daß er jetzt gehen durfte. Gruselig, diese gute Laune, wo man eigentlich mit Ärger rechnen würde. Aber vielleicht nahm Kai die ganze Sache ja doch lockerer als gedacht. Oder war zu dem Schluss gekommen, daß Reita keine Schuld traf. Wie auch immer. Reita sah lieber zu, daß er weg kam.

„Soll ich mal mitgehen und für Ruki eine Gitarre suchen?“, schlug Aoi vor.

„Lass dich nicht aufhalten“, meinte der Bandleader.

Aoi schmiss seine erst halb aufgewertete Gitarre achtlos auf das Sofa, sprang hoch und schloss sich dem blonden Bassisten an. Mit der Gitarre konnte er ohnehin so schnell kein Bohei mehr machen. Die würde noch eine ganze Weile total furchtbar klingen. Bis die neuen Saiten sich ordentlich aufgedehnt hatten, würde er sie noch stundenlang oder gar tagelang permanent nachstimmen müssen.

„Meinst du nicht, Ruki sollte sich seine Gitarre selber aussuchen? Ich geb dir Brief und Siegel drauf, daß du irgendeine erwischst, die ihm nicht in den Kram passt“, meinte Reita draußen im Flur, während er mit Aoi zum Auto schlenderte.

„Dafür hab ich doch dich“, gab der nur sorglos zurück. Es blieb offen, wofür. Dafür, ihm zu sagen, welchen Geschmack Ruki hatte? Oder dafür, Ruki die auserkorene Gitarre irgendwie schmackhaft zu machen? Reita verzichtete darauf, nachzuhaken. „Ich hab doch Ahnung von Gitarren, ich kauf ihm schon keinen Schrott“, versprach Aoi noch.

„Glaub mir, ob die Gitarre Schrott ist oder nicht, ist Rukis geringste Sorge.“

„Ach, wir finden schon was.“
 

Shinya saß in der Tierarztpraxis und kraulte tröstend sein Kitty. Hoffentlich hatte Rukis kleiner Kläffer wenigstens keine Tollwut. Aber das glaubte er nicht. War ja ein gepflegtes, verhätscheltes Schoßhündchen, das würde schon gesund sein. Trotzdem wollte er lieber nochmal nach dem angenagten Schwanz seiner Katze sehen lassen. Seine Katze war ein wenig grumpy und raunzte ihn böse an, als ihr das Geknuddel zu aufdringlich wurde. Also ließ er das Tier in Frieden, stand auf und begann zum Zeitvertreib die Annoncen an der Pinnwand im Wartezimmer zu lesen. Natürlich waren fast alles Anzeigen für abzugebenden Nachwuchs, entlaufene Tiere und Tierpensionen, wie man es in einer Tierarztpraxis erwarten würde. Aber ein Anschlag am Brett erregte sein Interesse: in Asakusa gab es heute also einen Musikflohmarkt. Das klang vielversprechend, da wollte er sich doch mal sehen lassen. Vielleicht hatte es ja doch noch was Gutes, daß Rukis Hund heute so ein Theater fabriziert hatte.

„Der Nächste bitte!“, wurde da im Wartebereich ausgerufen.

Shinya sackte seine Transportbox an. „Na komm, Kleines, das sind wir!“ Er schleppte die Box zum Behandlungstisch und öffnete sie, um seine Katze heraus zu lassen.

„Was haben wir hier?“, wollte der Tierarzt wissen.

„Einen Hundebiss.“

„So?“

„Von einem Chihuahua.“

„Seien Sie doch nicht albern! Chihuahuas sind doch keine Hunde!“, meinte der Arzt so todernst, daß man beim besten Willen nicht sagen konnte, ob das ein Scherz gewesen war oder nicht. Er schaute zunächst Augen, Ohren und das Gebiss des Tierchens an, dann ließ er sich den Biss an der Schwanzspitze zeigen. „Mein Gott, ich habe jetzt mit einem Rottweiler-Biss gerechnet. Ich dachte, der ganze Schwanz ist komplett ab. Aber hier sieht man ja gar nichts!“, kommentierte der Tierarzt wieder und griff theatralisch nach der Lupe. Diesmal klang es schon mehr nach Spaß. „Hat sich das Kitty denn wenigstens ordentlich revanchiert?“

„Naja, Ruki hat sich beschwert, daß meine Katze seinen Chihuahua an der Schnauze gekratzt hätte.“

„Ja, wie ich schon sagte, alles was kleiner ist als ne Katze, ist kein Hund. Grüße an diesen Herrn Ruki, er soll sich mal nen Dobermann oder sowas zulegen.“

„Ach, die beiden passen größentechnisch ganz gut zusammen, Ruki und sein Hund“, grummelte Shinya etwas mürrisch. Wäre das unerzogene Ding ein Dobermann gewesen, und kein Chihuahua, wäre sein Kätzchen jetzt wahrscheinlich Geschichte. Er versuchte sich vorzustellen, wie Ruki neben so einem riesen Hund aussehen würde. Der Hund würde den laufenden Meter von einem Sänger doch gnadenlos durch die Gegend ziehen wie ein Schlittenhund.

Der Arzt deutete auf die Schwanzspitze seines Patienten. „Naja, das hier ist jedenfalls keine große Sache. Ist ja bloß ein Kratzer. Ich desinfiziere das ein bisschen, und dann ist es wieder gut.“

Fünf Minuten später durfte Shinya seine Katze heil und munter wieder mitnehmen, gegen ein Honorar als hätte der Arzt eine stundenlange, hochkomplizierte Vollnarkose-Operation an dem Tierchen vollbracht, und zog wieder von dannen. Im Wartebereich warf er im Vorbeigehen nochmal einen Blick auf die Pinnwand. Ein Musikflohmarkt also. Die Adresse würde er sich mal merken.

4. Anlauf

Irgendwie war es ziemlich cool, zum Shopping von der Arbeit freigestellt zu werden. Reita und Aoi verbrachten den gesamten Vormittag in Miyavis Gitarrenhaus um sich einen neuen Bassverstärker und eine Semi-Akustik für Ruki auszusuchen. Miyavi hatte seinem Versprechen schnell Taten folgen lassen. Auf dem kleinen Zettel im Schaufenster mit den ausgehängten Hausverboten war 'alle Gazette-Member' bereits durchgestrichen und durch 'Ruki & Koron' ersetzt worden. Aoi hatte herzlich gelacht, auch wenn er bis jetzt nicht wusste, welchen schicksalhaften Verwicklungen er dieses Hausverbot zu verdanken gehabt hatte. Reita erzählte ihm die Story dahinter lieber nicht. Er hatte lediglich ein Auge darauf, daß Aoi nur Gitarren in die Auswahl zog, die Rukis Wunschzettel entsprachen. Natürlich gehörte die rote Epiphone für 774'000 Yen (für Ruki zum Vorzugspreis von 775'000 Yen) nicht dazu. Wie auch immer, man einigte sich schließlich auf ein schnittig aussehendes Ding, das sein Geld wert war und Sir Ruki sicher durch seine Optik bestechen würde. Einziges Manko: Aoi hatte sich entgegen aller Warnungen doch für eine 3/4-Gitarre entschieden. Reita hatte zwar als Bassist kein gutes Auge für die Größe von Gitarren, aber er war sicher, daß Ruki sowas nicht entgehen würde. Nun, er war gespannt, wie die Dinge nun ihren Lauf nehmen würden. Es fanden sich noch zwei diensteifrige Verkäufer, die Reita seinen neuen Verstärker zum Auto buckelten – alleine bekam man so einen 70-Kilo-Block definitiv nicht vom Fleck – und dann machten sie sich zufrieden auf den Weg zurück zum Probenraum. Gott sei Dank war ihr Probenraum im Erdgeschoss, dachte Reita noch. Vielleicht hatten sie sogar irgendwo noch eins dieser Rollbretter rumstehen, mit denen man Equipment durch die Gegend rollen konnte. Die PSC war doch ein gut sortierter Laden.
 

Reita packte in aller erdenklichen Ruhe seinen Verstärker aus, zerschnitt den riesigen Karton mit einem Cutter-Messer in handliche Pappstücke und stapelte diese sorgsam auf einen Haufen. Dann sortierte er das restliche Verpackungsmaterial – Luftpolsterfolie, Styropor und Plastikbezug – zu einem platzsparenden Konstrukt. Danach setzte er sich vor dem Verstärker auf den Boden, studierte die Bedienungsanleitung und verglich dabei die Abbildungen mit den Schiebe- und Drehreglern am Gerät. Als wäre er allein im Probenraum und nichts ginge ihn etwas an. Hinter ihm tobte ein riesiger Zoff zwischen Aoi, Ruki und Kai wegen der gekauften Gitarre. Natürlich gefiel sie Ruki nicht. War ja eine 'Kindergitarre'. Das hatte Reita schon im Laden gesagt. Aber auf ihn hörte ja keiner. Also, was waren das hier für Regler? Lautstärke? Höhen, Mitten und Tiefen? Den Streit komplett ausblendend beschäftigte sich Reita ausschließlich mit der Technik.

„Geiler Verstärker“, quatschte ihn irgendwann jemand von schräg hinten an. Das war Uruha, der sein Heil darin gesucht hatte, an Aois Gitarre die Saiten fertig zu wechseln, um in den Streit nicht mit reingezogen zu werden. Da er inzwischen mit der Gitarre fertig war und auf die Schnelle keine bessere Beschäftigung fand, um den drei Streithähnen auszuweichen, gesellte er sich einfach mit zu Reita.

„Ja, find ich auch. 4x10. Der Kollege hat 1000 Watt im Hintern.“

Uruha nickte anerkennend. '4x10' bedeutete, daß in dem Würfel vier 10-Zoll-Lautsprecher eingebaut waren. Das Ding rockte ordentlich. Das brauchte man für Bassfrequenzen aber auch. Da konnte sein Gitarrenverstärker nicht mithalten. „1000 Watt, ey. Da müssen wir doch die Fenster aufmachen, wegen Druckausgleich“, kommentierte Uruha.

Hinter ihnen flog die Tür ins Schloss und ließ beide erschrocken herumfahren. Aoi stapfte mit verbissener Miene in die eine Richtung davon, Kai in die andere, Ruki war verschwunden. Ruki hatte wohl den knallenden Abgang hingelegt.

„Ruki geht die Gitarre umtauschen“, informierte Kai die beiden als Antwort auf ihren fragenden Blick. Dann seufzte er hinnehmend. „Naja, was Gutes hat es immerhin: Er wird sich zumindest bei Miyavi entschuldigen müssen, um überhaupt erstmal wieder in den Laden rein zu dürfen.“

Reita sprang hoch wie ein Knallfrosch. „Ich geh mal besser mit“, entschied er. Wer weiß, was in Gottes Namen der Sänger jetzt schon wieder anstellte.
 

Schlecht gelaunt schleppte Ruki die Gitarrentasche die Straße hinunter. Die Geste war von Aoi ja lieb gemeint gewesen, aber warum in Gottes Namen wollte ihm jeder eine Kindergitarre andrehen? Er war doch kein Kind mehr! Reita stiefelte in zwei Meter Entfernung hinter ihm her wie ein Undercover-Agent. Auch so eine Masche. Als könnte Ruki nicht alleine auf sich aufpassen. Irgendwann blieb er stehen und ließ den Bassisten zu sich aufschließen. „Also, wo gehen wir hin?“, brachte er es gleich auf den Punkt.

„Seltsam. Das wollte ich eigentlich dich fragen“, konterte Reita.

„Ich geh Aois Gitarre umtauschen und fertig. Er hat mir den Kassenzettel gegeben.“

„Du hast im Gitarrenladen Hausverbot.“

„Zugegeben, das ist ein Problem.“

„Also?“

„Dann verkaufe ich die Gitarre eben wo anders und hoffe, daß ich den Neupreis halbwegs wieder rein kriege.“

„Und wo bitte?“ Reita wartete eine Weile vergeblich auf weitere Vorschläge. Ruki überlegte sichtlich hin und her, obwohl er nach wie vor unaufhaltsam die Straße entlang marschierte. Der hatte gar keinen Plan, wo er hin wollte, wurde Reita da klar. Der lief tatsächlich ziellos durch die Stadt, ohne zu wissen, wohin. Unfassbar. Und selbst wenn er die Gitarre irgendwo los wurde, hatte er noch lange keine neue. Nagut, eins nach dem anderen. Immer mit der Ruhe, dann würde sich schon alles finden. „Dich im Gitarrenhaus wieder um Einlass zu bemühen, ist keine Option für dich, was?“

Ein Brummen, das Antwort genug war.

„Na schön. In Asakusa drüben ist heute Tauschbörse für Musikinstrumente, CD´s und sonst noch so Musikkrempel. Lass es uns dort versuchen“, entschied Reita also und hielt den Daumen auf die Straße, um ein Taxi anzuhalten.
 

Die Tauschbörse war der reinste Trödelmarkt. Ruki und Reita schlenderten gemütlich umher, hielten links und rechts Aussschau nach brauchbaren, guten Gitarren – beziehungsweise überhaupt erstmal nach irgendwelchen Gitarren – aber fündig wurden sie nicht so richtig. Hier gab es echt nur Gerümpel. Was sie stattdessen fanden, war Pata. Der Gitarrist von X Japan diskutierte gerade sehr angeregt mit einem Schallplattenhändler über den Preis einer Platte. Es flogen sechsstellige Ziffern hin und her, die man zahlen wollte oder eben nicht. Ruki fühlte sich spontan an die rote Epiphone aus Miyavis Gitarrenhaus zurückerinnert. 774'000 Yen. 775'000 Freundschaftspreis, nur für Ruki.

„Was hast du denn hier tolles entdeckt?“, wollte Reita wissen, nachdem Pata auf sie aufmerksam geworden war und sie grüßte.

„Die 'double fantasy' von John Lennon und Yoko Ono. Limitierte Erstauflage von 1980, hyper seltene Sammlerrarität!“, schwärmte der sofort los.

Reita zog ein geringschätziges Gesicht. Sowas brauchte man?

Ruki dagegen war hellauf begeistert. „Woar, wie cool, die will ich auch haben!“

„Die gibt es hier aber nur einmal.“

„Ruki, du wolltest eine Gitarre haben, schon vergessen?“, erinnerte Reita.

„Pfeif auf die Gitarre! Das ist Yoko Ono, man! – Was soll die denn kosten?“, hakte Ruki nach und streckte die Hand nach der Platte aus, um sie sich anzusehen. Pata überließ sie ihm auch anstandslos.

„Der Halsabschneider will 900'000 Yen dafür. Aber ich sage, mehr als 450'000 ist sie nicht wert.“ [ca. 7000 Euro bzw. 3400 Euro]

„Du hast ihm 450 dafür geboten? Ich zahl 500, dann ist sie meine“, entschied Ruki.

„Kannst du knicken! Du kaufst mir die LP sicher nicht weg! Da lieber beiß ich in den sauren Apfel und zahl 600 dafür!“, stellte Pata klar.

Von der anderen Seite gesellte sich Shinya dazu, der den heftig debattierenden Pulk schon von weitem erspäht hatte. Er hatte ein paar Einkaufstüten am Handgelenk hängen. Offensichtlich war er hier schon fündig geworden. „Hi, Jungs. Ihr auch hier?“

„Ja, die beiden streiten sich um eine saudämliche Schallplatte“, klärte Reita ihn in einem Tonfall auf, der deutlich zeigte, was man davon halten durfte.

„Was denn für eine?“

„Irgendwas von John Lennon und Yoko Ono.“

„Oh. Ruki hat eindeutig zuviel Geld“, befand Shinya. Er kannte diese Platte und war im Bilde, was die wert war.

„Dann zahl ich 700, was sagst du jetzt!?“, spreißelte Ruki in diesem Moment.

„... daß du gar nicht soviel Geld einstecken hast!“, mischte sich Reita etwas sauer von der Seite ein. „Hör auf mit diesem dämlichen Wettbieten, was soll denn das?“

„Woher willst du wissen, wieviel Geld ich dabei habe?“, widersprach Ruki nicht minder aufgekratzt.

„Du wirst ja wohl kaum mal eben grundlos 700'000 Yen Bargeld in der Tasche haben! Wozu auch? Der Händler nimmt keine EC-Karte!“

„Wenn ich die Herren höflichst daran erinnern dürfte, daß die Platte 900'000 Yen kostet, und keine 700'000 ...!?“, fühlte dieser sich auch gleich selber berufen, etwas zur Diskussion beizusteuern.

„So viel ist sie nicht wert!“, maulte Pata überzeugt.

„Nein, wert ist sie 300'000 Dollar“, argumentierte der Händler. „Das sind umgerechnet 33,3 Mio Yen. Aber das zahlt natürlich niemand, wenn man sie veräußern will. Trotzdem sind die 900'000 Yen, die ich haben will, schon ein totales Schnäppchen!“

„Ich zahl dir deine 900, du Pflaume!“, meinte Ruki schnippisch.

„Nein, tust du nicht! Die ist meine!“, verlangte Pata und griff nach der Schallplatte, um sie Ruki wieder aus der Hand zu nehmen. Aber Ruki hielt dickköpfig fest. Ein vernehmliches Knacken. Alle wurden kreidebleich und schauten sich gegenseitig an. Ruki hatte die Platte jetzt nicht wirklich zerbrochen, oder? Schließlich zog Pata sie an sich und holte sie aus dem Schuber heraus. Tatsächlich, drei säuberliche Einzelteile.

„Meine Herren, ich bekomme 2 Mio Yen von Ihnen. Mir egal von wem“, ergriff der Händler als Erster wieder das Wort.

„Ey, gerade waren es noch 900!“

„Ich hab es mir eben anders überlegt. Die Nachfrage regelt den Preis.“

„Reita, hast du vielleicht Geld dabei?“
 

Reita und Ruki stelzten sauer durch die Straßen. Sie alle vier, Pata und Shinya inbegriffen, hatten ihre Taschen komplett entleeren müssen und Ruki hatte noch Aois Gitarre in Zahlung geben müssen, damit die kaputte Schallplatte hinreichend entschädigt war. Natürlich wollte Pata, der bei weitem das meiste Geld gedockt hatte, seinen Anteil irgendwann von Ruki zurückerstattet haben. Der war stinksauer, daß Ruki die Platte zerbrochen hatte. Jetzt mussten sie zu Fuß auf die Suche nach einer Bank gehen und sich am Geldautomaten neues Bargeld besorgen, denn sie konnten sich nicht mal mehr einen Busfahrschein leisten, geschweige denn ein Taxi. Nur hatten Pata und Shinya entschieden, ihr Glück in einer anderen Richtung zu versuchen als die Gazettos. Quasi Vermeidungsstrategie, wenn man so wollte.

„Dir ist schon klar, daß Aoi das Geld für seine Gitarre auch zurückhaben will, oder?“, gab Reita einen schlauen Kommentar von sich.

„Halt bloß die Klappe!“, maulte Ruki.

„Ich sag´s ja nur.“ Kurz Schweigen. Das war auch nicht wirklich eine gute Vorlage für längere Dialoge gewesen, gestand sich Reita ein. „Kai wird mich lynchen“, versuchte er es dann erneut. „Ich bin extra mitgegangen, damit du keinen Blödsinn verbockst, und jetzt sowas hier!“

„Bist halt ein Versager“, schmunzelte Ruki albern und nichtmal böse gemeint. Dann seufzte er. „Schreiben wir Kai eine sms, daß wir heute nicht nochmal zu den Bandproben zurückkommen werden?“

„Besser ist das vielleicht“, stimmte der Bassist zu und angelte nach seinem Handy, um die Uhrzeit zu erfahren. „Ist auch schon ziemlich spät, das hätte heute Gott sei Dank eh keinen Sinn mehr.“

Harte Realität

„Aiji, schön, daß du kommst“, grüßte der Chef von Pony Canyon fröhlich.

Der Gitarrist gab sich offen und freundlich, obwohl er dem Boss am liebsten den Hals umgedreht hätte. 'Schön, daß du kommst.' Obwohl, nein, inzwischen war seine Wut ja verflogen. Es war nur noch diese immerwährende Abneigung gegen den Fettklops geblieben, die er schon immer, auch vorher schon, gehabt hatte. Immerhin war diese Einladung schneller gekommen als gedacht. Es war noch keine vier Wochen her, daß Aiji aus dem Projekt LM.C abgezogen worden war. Auf einen gastfreundlichen Wink hin nahm er auf dem Sofa Platz.

„Wie geht´s dir?“

„Gut“, warf Aiji ihm knapp angebunden an den Kopf.

„Was macht das Geschäft?“

„Ich mache Urlaub.“

„Immer noch?“

„Natürlich. Ich habe viel Freizeit nachzuholen.“

Der Boss zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Wie ich höre, schreibst du immer noch Songs, ja?“

„Das ist mein Job. Und Ideen hab ich genug.“

„Und du bietest sie nirgends an?“

Aiji überlegte kurz, um nicht aus Versehen etwas saudämliches zu sagen. „Nun ... nein, bisher nicht.“

„Hast du nicht Lust, wieder zu produzieren? Deine Musik war doch immer sehr gut und hat sich verkauft.“

„Klar, gerne. Wollen Sie mich denn wiederhaben?“ Das ging zu schnell, dachte Aiji argwöhnisch. So einfach würde der Chef es ihm niemals machen.

„Was heißt 'wiederhaben'? Ich hab dich ja nicht gefeuert. Ich hab dich nur beurlaubt.“

„Na dann, wann kann ich anfangen?“

„Sofort, wenn du willst. Such dir ein paar Musiker und leg los“, lachte der Chef gelassen. Er wusste, daß Aiji viele Fans hatte und Verkaufszahlen vorlegte. So jemanden ließ man nicht gehen. Und er war froh, daß Aiji noch nicht mit einer neuen Bleibe geliebäugelt zu haben schien.

„Schicken Sie mir Maya rüber und los geht´s“, stellte Aiji kühl, fast zynisch, in den Raum.

Dem Boss schlief das Gesicht ein. „Nun ... Maya ist in andere Projekte eingebunden.“

„Projekte, die keinerlei Ergebnisse abwerfen, wie man mir sagt. Inzwischen kriegt man nicht mal mehr geschäftsinterne Nachrichten zu diesen Projekten.“

Der Chef seufzte.

„Sind Sie jetzt zufrieden mit Mayas Arbeitsweise?“, hakte Aiji verbittert nach. „Hat er sich geändert, ja? ... Wir haben nichts mehr zu besprechen“, entschied der Gitarrist kalt und stand schwungvoll vom Sofa auf. Schickte sich an, zu gehen.

„Aiji!“

Der Gitarrist blieb mit dem Türgriff in der Hand nochmal stehen und sah mürrisch zurück.

„Du bist immer noch in der Vertragspflicht. Und ich dulde nicht, daß du boykottierst.“

Aiji atmete tief durch, ging dann aber doch und zog die Tür von außen ins Schloss, ohne noch etwas gesagt zu haben.
 

Reita spazierte allein durch einen kleinen Park in der Gegend und versuchte einfach nur Ablenkung zu finden. Der Nervenkrieg der letzten Wochen setzte ihm echt zu, er musste mal seinen Kopf auslüften. In einer Hand hielt er sein smartphone und spielte Pokemon GO. Wieso auch nicht? Heutzutage spielte das jeder. Mit der anderen klaubte er jeden Stock und jeden Ast vom Boden auf und schleuderte ihn schwungvoll davon. Hier im Park ließen viele ihre Hunde frei laufen. Reita fand es lustig, daß mit jedem Stockwurf vier oder fünf Hunde über alle Berge waren und irgendwelche Besitzer vergeblich versuchten, ihre Tiere zurück zu rufen. Was er allerdings nicht mehr so lustig fand, war die Tatsache, daß ihm inzwischen schon zwei Hunde nachliefen, zu denen es augenscheinlich keine Besitzer gab. Er warf wieder einen Stock und ging gemütlich weiter. Zurückgebracht wurde der sperrige Teil von einem kleinen, plüschigen Chihuahua-Verschnitt. „Nanu, Koron, wo kommst du denn so plötzlich her?“, wollte Reita verdutzt wissen und sah sich suchend um. Da konnte doch auch Ruki nicht weit sein. Tatsächlich tauchte der kleingeratene Sänger einen Augenblick später hinter der nächsten Wegbiegung auf, eine Hand in der Hosentasche, in der anderen einen rosafarbenen Muffin. „Oh, hey! Na, alles klar?“, grüßte Ruki fröhlich.

„Na klar. Und selber?“

„Yoah.“ Ruki schob sich sein letztes Stück Muffin in den Mund und leckte sich die Fingerspitzen sauber. „Hm, die Dinger taugen nichts. Die schmecken total chemisch, nach Lebensmittelfarbe“, meinte er.

Ohne ein Wort der gegenseitigen Absprache spazierten sie zusammen weiter. Ganz selbstverständlich. Sie verstanden sich auch wortlos. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen zwischen ihnen.

„Ruki, hör mal, kann ich dich was fragen?“, begann der Bassist schließlich nachdenklich.

„Freilich. Schieß los.“

„Bist du jemals nachts aufgewacht und hast dich gefragt, was du hier eigentlich tust? Also so beruflich, meine ich? Ob du glücklich mit deinem Leben als Rockstar bist? Ob´s das wert war?“

Ruki schob auch die andere, nun freie Hand in die Hosentasche und schaute beim Weiterschlendern auf den Schotterweg vor sich, als würden dort passende Wörter für ihn herumliegen. Er nahm die Frage seinen Kumpels sichtlich ernst und wollte sie anständig beantworten. „An sich nicht, nein. Ich hab mal als Schlagzeuger angefangen, bevor ich meinen Sänger rausgeschmissen und selber gesungen habe. Das Schlagzeug war nicht meine Zukunft. Aber seit ich singe und mich so richtig selbstdarstellerisch in der Bühnenshow ausleben kann, bin ich zufrieden“, begann er sentimental. „Natürlich hat man immer mal Phasen, wo es nicht so rockt, aber das ist mein Leben und ich liebe es. Und hey, wir sind Legenden. Wir haben´s echt geschafft. Wir haben einen riesen Pulk Fans, in Japan und weltweit. Das ist doch was.“

„Naja, aber so das Alleinsein ... Fühlst du dich nicht manchmal einsam?“

„Wir sind doch nicht einsam, Reita! Wir haben doch alle noch Familien. Wir haben uns, unsere Band. Nein, wir haben das gesamte Musikbusiness. All die tollen Bands da draußen, die Leute von den Plattenlabels, die Staffs – alles unsere Freunde! ... Naja, sofern Koron ihnen nicht gerade ans Bein pinkelt“, fügte er mit einem Schmunzeln hinzu und brachte Reita damit zu einem herzlichen Lachen. Ja, das war eine Ansage. Deshalb mochte er Ruki so und war mit ihm so dicke. Er konnte zwar manchmal eine echt schwierige Knalltüte sein und eine Menge Chaos stiften, aber wenn es drauf ankam, konnte er Reita mit so wenigen, gezielten Worten aus einem Tief heraus super wieder aufbauen. Als sie damals ihre Welttournee gemacht hatten, hatte Reita einen Punkt erreicht, wo er einfach nur noch seine Sachen packen und wieder nach Hause fliegen wollte. Auch da war es Ruki gewesen, der ihn wieder motiviert hatte.

„Und was ist mal mit ner festen Freundin?“, hakte Reita trotzdem nochmal nach. An sich nur, um sich weiteren Trost abzuholen. „Oder eigene Kinder?“

Ruki zuckte seufzend mit den Schultern. „Die meisten Musiker sind nicht für eine Beziehung geboren. Permanent auf Achse zu sein, ist Gift für eine Beziehung. Und die Stadien voller Fangirls, die deiner Frau Konkurrenz machen, erst recht. Einen Musiker hat man nie für sich alleine. Entweder man lebt die Musik oder man lebt eine Beziehung. Die paar, die beides unter einen Hut kriegen, sind echt die Ausnahme. Alle anderen müssen sich halt Bewältigungsstrategien erarbeiten und die feste Beziehung auf die Zeit nach der großen Karriere verschieben. Das ist ja das schöne und gleichzeitig fiese an der Karriere: sie dauert nicht ewig.“

„Und wie sieht deine Bewältigungsstrategie aus?“

„Da vorne rennt sie“, lächelte Ruki und deutete auf Koron, der sich gerade in der Wiese mit einem riesigen Windspiel-Hund um einen Stock balgte. Natürlich verlor der winzige Zwerg bei dem Tauziehen haushoch, gab sich aber ums Verrecken nicht geschlagen. Erstaunlich, wie ähnlich Koron seinem Besitzer war.
 

Lagebesprechung mit der PSC Chef-Etage. Ruki hing mit halb geschlossenen Augen in seinem Stuhl und wartete, daß es einfach vorbei ging. Er hasste die Lagebesprechungen. Im Prinzip liefen sie darauf hinaus, dem Chef und Kai beim Diskutieren zuzuhören. Er war der Bandleader, auf ihn hörte man am wahrscheinlichsten. Die anderen Bandmitglieder hatten kein Mitspracherecht. Keine Ahnung, warum sie überhaupt mit anwesend sein mussten. Wahrscheinlich nur als Befehls- und Erklärungsempfänger. Natürlich warfen die anderen auch ihren Protest oder ihre Zustimmung ein, in der Hoffnung, auf den Gesprächsverlauf irgendeinen Einfluss nehmen zu können, aber Ruki hatte schon sehr früh mitbekommen, daß es halt nichts brachte. Es interessierte keinen, weder Kai noch den PSC Chef, was die anderen wollten. Kai bestenfalls am Rande, weil er die schlechte Laune seiner Bandmitglieder ausbaden musste, wenn denen irgendwas gegen den Strich ging, und den Chef überhaupt nicht.

„Eine Anfrage von einem Gitarrenhersteller ...“, wurde der nächste Stichpunkt auf der Tagesordnung angerissen. „Sie wollen euch eine Gitarre sponsoren, in der Hoffnung, daß ihr sie auf der Bühne recht oft spielt und damit Werbung macht, wenn ihr sie gut findet. Aoi, Uruha, wer von euch hat Interesse?“

„Ich hab genug Gitarren“, versuchte Uruha sofort zu blocken.

Aoi schüttelte ebenfalls den Kopf.

„Mal interessehalber, was für eine Gitarre soll´s denn werden?“, klinkte sich Reita gedankenschnell mit ein.

„Na, ein Bass jedenfalls nicht“, wurde er auch gleich für die unqualifizierte Einmischung angerüffelt.

„Das meinte ich auch nicht. Aber Ruki braucht eine Gitarre.“

Der Chef warf Ruki einen skeptischen Blick zu, dieser warf seinerseits einen giftigen Blick zu Reita weiter, welcher wiederrum den Manager von Gazette fragend anschaute. Der Manager blätterte also nochmal in seinen Unterlagen nach. „Ibanez spricht hier von einer Semi-Akustik mit irgendwelchem neumodischen Carbon-Schnickschnack, der da verbaut wurde und ganz neue Klangeigenschaften bewirkt.“

Nun ging die böse-Blicke-Kette wieder rückwärts. Der Manager sah Reita an, ob er mit dieser Auskunft zufrieden war, Reita warf Ruki einen vielsagenden Blick zu, dieser schaute hilflos weiter zum PSC Chef. Und weil der Chef damit nichts anzufangen wusste, schaute der weiter zu Kai.

Kai verdrehte genervt die Augen. „Sind die Maße bekannt?“

„Ich pfeif auf die Maße!“, warf Ruki ein, fand aber keine Beachtung.

„24-Zoll-Mensur, steht hier“, wusste der Manager wieder zu berichten.

Aoi und Uruha nickten zustimmend. Passend für so einen kleinen Zwerg wie Ruki.

„Will ich nicht! Das ist ne Kindergitarre!“

„Und du bist ja auch ein Kindskopf! Wir nehmen die Gitarre! Du wirst sie dir wenigstens mal ansehen“, entschied Kai einfach.

„Ich bezweifle, daß das im Sinne des Herstellers ist“, hielt der Chef dagegen. „Wieviele Songs habt ihr, wo Ruki mal auf der Bühne Gitarre spielt? Die sollte schon etwas umfassender präsentiert werden.“

„Naja, wieviele Songs haben wir schon, wo wir mal Semi-Akustik spielen?“, gab Kai zu bedenken. Das machte jetzt nicht so direkt einen Unterschied.

„Auch wieder wahr. Okay, also lassen wir das“, meinte der Chef, schob das Blatt Papier zur Seite und widmete sich dem nächsten Tagesordnungspunkt. „Es wäre mal wieder Zeit für euch, eine neue Single auf den Markt zu schmeißen.“

„Im Moment boomen wohl die Balladen“, streute ihr Manager dazwischen.

Und dann wieder der PSC Chef: „Habt ihr sowas gerade da?“

„Hm, Reita hat gerade einen guten Song geschrieben, den man problemlos in eine Ballade ummodellieren könnte“, nickte Kai und vermied ganz bewusst Reitas Blick. Er wollte sich jetzt nicht damit auseinander setzen, daß Reita davon wohlmöglich nicht begeistert war.

Aber Reita hatte schon ganz andere Sorgen. Er hatte sein smartphone herausgeholt und begann emsig eine Nachricht zu schreiben. Die Idee, die er hatte, war so genial, daß sie keinen Aufschub duldete. Außer von Kai wurde sowieso von niemandem Anteilnahme an den Besprechungen erwartet. Aoi vertrieb sich schon die ganze Zeit die Langeweile mit einem stupiden Tetris-Spiel auf seinem Handy, und hörte nur halbherzig zu.
 

Ruki trat vor die Tür und streckte theatralisch seinen Rücken durch, als hätte er 8 Stunden am Stück herumgesessen. „Öde Besprechungen, Mann“, kommentierte er noch, dann stahl sich ein zufriedenes Lächeln auf seine Züge, anbetracht der Freizeit, die schon zum Greifen nahe schien.

„Ja, ich hasse sie auch“, stimmte Reita zu. „Aber weißt du, was? Du wirst dich jetzt mit Maya treffen.“

Ruki schlief das Gesicht ein. Keine Freizeit? „Was für´n Maya?“, hakte er naiv nach, als ob er da recht viele kennen würde.

„Der Sänger von LM.C.“

„Was soll ich denn mit diesem Oshare Kei Kasper?“

„Er hat die besten Connections zu Yamaha, die du dir vorstellen kannst. Mir kam vorhin eine super Idee, als es drum ging, daß man uns eine Gitarre sponsoren will. Wenn du nirgends eine gescheite Gitarre zu kaufen bekommst, dann lass dir doch von Yamaha eine sponsoren! Maya kann dir da helfen.“

„Ver-giss-es“, betonte Ruki. „Ich hasse Oshare Kei.“

„Du sollst mit Maya keine Musik machen. Du sollst ihm nur sagen, was für eine Gitarre du haben willst, damit er sich bei Yamaha nach nem Sponsoring-Vertrag erkundigen kann. Yamaha sponsoren sehr gern bekannte Musiker, soweit ich weiß.“

„Maya steckt doch garantiert noch mit Miyavi unter einer Decke! War der nicht früher Support Gitarrist bei Miyavis Band 'Ishihara Gundan'?“

„Sicherlich. Warum auch nicht?“, wollte Reita seufzend wissen. Jetzt fing Ruki schon wieder an, zu zicken und Theater zu machen, wegen nichts. Maya und Miyavi hatten über die Jahre so manche gemeinsame Projekte am Laufen gehabt. Aber das tat doch nun wirklich nichts zur Sache.

„Glaubst du, die beiden reden nicht miteinander, Miyavi und Maya? Der wird schon bestens informiert sein, wieso wir Hausverbot im Gitarrenladen haben!“

„Maya ist selber stolzer Hundebesitzer. Er wird es verstehen“, diskutierte Reita weiter und verzichtete darauf, Ruki vorzuhalten, daß er als einziger noch Hausverbot dort hatte, weil er sich nicht entschuldigen wollte. „Sieh es doch mal so: Dein Koron wird sich mit seiner Moco sicher gut verstehen. So einen Aufriss wie mit Shinyas Katze gibt es da schonmal nicht zu befürchten.“

„Ich hab trotzdem keine Lust, mich mit ihm zu treffen.“

„Jetzt hör auf, zu trotzen, Mann. Ich hab mit ihm schon Ort und Uhrzeit ausgemacht! Und du wirst da gefälligst hingehen!“

„Schreibst du mir das neuerdings vor?“, wollte Ruki etwas mürrisch wissen. Solche Töne war er von seinem Kumpel Reita ja gar nicht gewöhnt. Normalerweise war er doch selber derjenige, der entschied, was hier 'gefälligst' zu laufen hatte.

„Wenn du es nicht als gutgemeinte Hilfe auffassen willst, dann nimm es halt als Rache dafür, daß du mich in letzter Zeit häufiger um 7 Uhr aus dem Bett geklingelt hast! Fakt ist, daß du endlich eine Gitarre brauchst. Kai dreht dir irgendwann den Hals um, wenn wir 'cassis' nicht bald wieder spielen können. Er hat schon die Setlist für unser Konzert morgen umgestrickt und 'cassis' wieder gestrichen, obwohl er es gern gespielt hätte.“

Der Sänger zog eine nur halb einsichtige Schnute. „Meinethalben, und wann wird unser hochverehrter Oshare Kei Kamerad uns empfangen?“, gab er sich geschlagen.

Reita holte Luft, um zu antworten, obwohl er sich noch gar nicht entschieden hatte, ob diese Antwort böse oder sachlich ausfallen sollte.

„Was hast du mit Maya überhaupt zu schaffen, sag mal?“, fiel Ruki ihm dann aber auch schon wieder ins Wort.

„Ich hab ihn dieser Tage im Park getroffen. Da haben wir halt Nummern getauscht. Was stört dich daran?“

5. Anlauf

Pata zog durch die Läden und suchte nach einem schicken Geschenk für seinen Kollegen. Echt schade um die Schallplatte von John Lennon und Yoko Ono neulich auf dem Trödelmarkt. Die wäre so dermaßen genial gewesen. Aber Ruki hatte sie ja zerdeppert, der Depp, also musste wohl oder übel ein anderes Geschenk her. Auf dem Flohmarkt hatten sie echt nur Ramsch gehabt, daher versuchte Pata sein Glück jetzt in ordentlichen, gut sortierten Geschäften. Und er musste etwas hinne machen, denn die Geschenkübergabe stand noch diese Woche an. Das exquisite Zeug aus dem Antik-Shop, in dem er gerade stand, war irgendwie auch alles viel zu gerade und zu korrekt. Er brauchte was ausgefallenes. Die zündende Blitzidee! Ein Scherzartikelladen musste her. Geschmeidige zwei Stunden später hatte er auch einen solchen 'Geschenkideen-Shop' ausfindig gemacht und wühlte sich euphorisch durch das reichhaltige Sortiment. Hier gab es in der Tat eine Menge Zeug, das ihm Spaß gab und das er begeistert durchtestete. Was sollte es werden? Der Geduldsfaden? Das war einfach nur ein langes Stück roter Wolle. Nein, zu profan. Ein halbes Glas Bier? Das war ziemlich cool: ein Glas, das nicht rund sondern nur halbkreisförmig geschnitten war. Hm, zu gewagt. Der hustende Aschenbecher vielleicht? Rauchte das Männekien, das er beschenken wollte, denn überhaupt? Pata war ja sehr versucht, den Kaffeepott mit dem eingetöpferten Stinkefinger zu nehmen, der sichtbar wurde, wenn das Kaffeepegel einen gewissen Stand unterschritt. Der Knüller für Morgenmuffel. Aber dann fiel Pata etwas wirklich skurriles ins Auge. Auf sowas wäre er nie gekommen. Eine Winkelbrille. Sie hatte auf 90 Grad ausgerichtete Spiegel eingesetzt, so daß man damit nach unten statt nach vorn schaute. Laut Beschreibung sollte sie es einem ermöglichen, im Liegen ein Buch zu lesen, ohne mühsam den Kopf anheben zu müssen und ohne sich das schwere Buch über die Omme zu hauen, wenn man beim Lesen einpennte und es fallen ließ. Genial!
 

„Maya, ich hab dich kaum erkannt“, grüßte Reita fröhlich.

Ein breites Grinsen mit zwei Reihen makelloser, schneeweißer Zähne war die Antwort. Wie machte der Junge das bloß, bei seinem Süßkram-Konsum? Die orangenen Haare hatte er unter einer Mütze versteckt, damit er nicht so auffiel. Was ihn aber eigentlich so richtig unkenntlich machte, war die triste, farblose Kleidung, die er trug. Ein graues Oberteil und eine helle, auch mehr oder weniger blauegraue Jeans ohne jede Deko. Selbst sein Gesicht wirkte so ganz ohne MakeUp wie ein Schwarz/Weiß-Foto. Hätte er nicht sein allseits bekanntes und beliebtes Hündchen Moco an der Leine gehabt, wäre Reita bestimmt erstmal blind an ihm vorbeigerannt. „Hi, Süßer“, grüßte Maya schelmisch feixend zurück.

„Bäh, sag doch sowas nicht! Das klingt irgendwie ... keine Ahnung ... nicht jugendfrei, oder so“, verlangte Reita und brachte ihn damit endgültig zum Lachen.

„Du hast dir mit deiner Mütze und deinem Atemschutz ja auch nicht gerade Mühe gegeben, erkannt zu werden“, konterte Maya. „Im Gegensatz zu Ruki hier. Den erkennt man ja unschwer. Hi“, wandte er sich dabei an seinen Sängerkollegen.

„Hi“, befleißigte sich auch Ruki zu einem Gruß, hatte aber ein wesentlich interessierteres Auge darauf, wie sein Koron auf Mayas Moco reagierte. Sein Schoßhund hatte ihn in letzter Zeit in so manche heikle Lage gebracht. Er wollte weitere dubiose Zwischenfälle gern vermeiden, wenn er konnte. Aber Koron und Moco beschnupperten sich nur gegenseitig schwanzwedelnd und begannen dann auch schon spielerisch miteinander zu tollen. Binnen Sekunden waren ihrer beider Leinen ein so heillos verworrenes Knäuel, daß Ruki und Maya die Hunde von der Leine lassen mussten.

Da Maya bereits seitlich auf dem Stuhl eines Eiscafes saß, die Beine übereinander geschlagen, einen Arm über die Rückenlehne gelegt, setzten sich Reita und Ruki einfach dazu und warfen einen kurzen Blick auf die Karte, um der Kellnerin irgendwas antworten zu können, die früher oder später hier auftauchen musste. Hier vom Tisch aus konnten sie die Hunde auch gut im Blick behalten.

„So, du willst jetzt also unter die Sponsoren-Jäger gehen, Ruki?“, wollte Maya als Gesprächsauftakt wissen und ließ schon wieder das schalkhafte Grinsen sehen, das Ruki ihm bereits jetzt gern aus dem Gesicht gewischt hätte. So viel gute Laune war ja nicht auszuhalten. Naja, Oshare Kei eben.

„Was heißt 'wollen'? Reita hält es für ne gute Idee. Mich fragt er da gar nicht“, meinte er.

„Ihr seid doch DIE ungeschlagene Größe am Markt. Ich dachte immer, euch Gazettos würden die Sponsoren die Bude einrennen.“

„Unseren Saitenzupfern schon, ja. Aber mir als Sänger doch nicht.“ Ruki zuckte resignierend mit den Schultern. „Und schon gar nicht genau im passenden Moment, wenn man mal eben auf die Schnelle eine Gitarre braucht.“

„Achso.“ Maya nickte. „Was brauchst du denn, mal so eben auf die Schnelle?“

Ruki begann wieder seinen Wunschzettel herunter zu beten. Semi-Akustik, F-Löcher, möglichst optisch etwas aufgewertet ... bla bla bla ... und Maya solle sich in Gottes Namen unterstehen, ihm eine 'Kindergitarre' anzuschleppen.

Maya grinste verstehend. Dieses Bühnengrinsen war ihm wohl schon derart in Fleisch und Blut übergegangen, daß er gar nicht mehr anders konnte. Ruki war sich langsam gar nicht mehr so sicher, ob er noch beurteilen konnte, was in dem LM.C Frontmann wirklich vorging. Dessen Mimik war fast maskenhaft immer die gleiche.

„Das kriegen wir hin“, versprach Maya so immerfröhlich wie eh und je. „Aber im Gegenzug musst du mir auch mal eben einen Gefallen tun, okay?“

Ruki lehnte sich unmerklich etwas zurück, als wolle er vor seinem Gegenüber in Deckung gehen. 'Oha, jetzt kommt´s!', dachte er. Genaueres erfuhr er aber vorläufig nicht mehr, denn in diesem Moment kam die Kellnerin, setzte Maya einen wirklich gigantischen, schon vorher bestellten Eisbecher vor die Nase und wollte dann mit einem Lächeln von ihm und Reita wissen, was sie ihnen beiden denn bringen dürfe. Während Reita voller Neid genau den gleichen, großen Spezial-Eisbecher orderte – der Zuckerschock war ihm gewiss – pfiff Maya erstmal seine Moco zurück, die sich beim Spielen und Herumtoben langsam zu weit entfernt hatte. Im Gegensatz zu Koron hörte sie auf´s Wort, entging Ruki nicht.
 

„Also ... an was für einen Gefallen dachtest du?“, hakte Ruki vorsichtig nach, nachdem die Kellnerin wieder weg war.

Maya hatte immer noch seine seitliche Sitzhaltung mit den übergeschlagenen Beinen und dem Arm über der Rückenlehne, und sah damit akut sehr elend aus. „Hat Reita dir schon erzählt, was bei uns gerade abgeht?“

„Bei euch?“

„Bei LM.C“, präzisierte Maya.

Ruki schüttelte interessiert den Kopf, um seinem Gegenüber zu signalisieren, daß er für weitere Infos offen war.

„Naja, inzwischen ist Reita eh nicht mehr auf dem aktuellen Stand“, winkte der LM.C-Vocal ab. Sein näckisches Grinsen war inzwischen spurlos verschwunden. Und Ruki entschied, daß Maya ihm grinsend doch besser gefiel. „Wir sind getrennt worden, Aiji und ich. Unser Label-Chef will nicht, daß wir noch zusammen arbeiten. Er hat mir einen anderen Partner zugewiesen, mit dem ich LM.C weiterführen soll.“

„Ohne Aiji ist das doch nicht mehr LM.C“, bemerkte Ruki. Auch wenn er sonst von Oshare Kei kein Fan war, waren ihm solche Hausnummern wie LM.C doch geläufig. Er wusste, wer und was sich dahinter verbarg.

„Gut beobachtet. Seh ich auch so. Aber unser Chef ist stur.“

„Wieso wechselt ihr nicht einfach zu einem anderen Label?“, mischte sich Reita ein.

„Weil es so einfach leider nicht ist. Wir hätten ja schon längst selber gekündigt, wenn die Vertragsstrafen nicht so barbarisch wären. Die Strafen sind leider nichts für Spaßvögel. Sicher, LM.C ist erfolgreich, wir würden überall angenommen werden. Aber momentan sind wir beide noch nicht verzweifelt genug, diese Vertragsstrafen in Kauf zu nehmen und unsere Sachen zu packen.“

Ruki und Reita nickten verstehend. Das stimmte. Wenn sie da an ihre eigenen Verträge dachten, ja, Vertragsstrafen waren schon ein Faktor.

„Aiji hat auf mein Chaotentum vertraut und wollte die Zeit eigentlich aussitzen, bis der Chef uns freiwillig wieder zusammen arbeiten lässt. Aber heute früh hat er ein Ultimatum gestellt bekommen, daß er sich gefälligst andere Musiker suchen und wieder was auf die Beine stellen soll. Nur, wenn er erstmal in anderen Projekten festhängt, ist er endgültig weg und wird nie wieder zu LM.C zurück kommen.“

„Und du willst, daß ich da jetzt irgendwas dagegen unternehme? Ich soll da ein gutes Wort einlegen, damit man euch wieder zusammen arbeiten lässt?“, rückversicherte sich Ruki unbehaglich.

„So in etwa“, gestand Maya. „Du bist Ruki von Gazette, Mann. Wenn sie auf dich nicht hören, dann auf keinen.“ Dann griff er endlich nach seinem Löffel und begann seinen Eisbecher zu essen, bevor der komplett zerschmolzen war.

„Wo seid ihr denn überhaupt unter Vertrag?“

„Pony Canyon.“

Ruki starrte nachdenklich auf die Tischplatte. Das war schlecht. Er hatte ja zu einigen Schlüsselfiguren der Musikindustrie den einen oder anderen Draht, zur Not auch über Umwege. Aber zu Pony Canyon nun gerade nicht. Ihm fiel auf die Schnelle nichts ein, wie er an die auf diplomatischem Wege rankommen sollte. Da konnte er wirklich nur mit dem Banner 'Frechheit siegt' zur Tür reinplatzen und sich Kraft seines Namens Gehör verschaffen. Hoffen, daß die ihn ernst nahmen, einfach nur weil er ein Gazetto war.
 

„Na los, geh schon!“, raunte Maya ihm leise zu, so heimlich als wolle er hier bloß nicht entdeckt werden, und schob Ruki fast gewaltsam um die Ecke des Flurs. „Die zweite Tür links, du kannst es nicht verfehlen! Geh schon, geh!“ Er wedelte scheuchend mit der Hand in die Richtung, die ihm vorschwebte.

Ruki verdrehte kurz verständnislos die Augen, dann sah er sich den Gang an, der sich vor ihm erstreckte. Nun ... ein Gang eben. Linoleum, Neonlampen, ein paar Stühle für wartende Besucher, identische Türen links und rechts, trist und schmucklos. Wie so typische Gänge in Bürogebäuden halt waren. Himmel, in was hatte er sich hier bloß reinziehen lassen? Noch keine Stunde war es her, daß er mit Maya im Eiscafe gesessen hatte. Und jetzt schon hier bei Pony Canyon? War diese Aktion nicht ein bisschen überstürzt? Sollte er sich nicht wenigstens einen Termin geben lassen? Er beschloss, einfach Reita die Schuld an allem zu geben. War ja schließlich auf seinem Mist gewachsen, daß Ruki sich einen Sponsoring-Vertrag für eine Gitarre vermitteln lassen sollte. Überhaupt, alles nur wegen einer Gitarre. Alles Reitas Schuld. „Die zweite Tür links, ja?“, rückversicherte sich Ruki nochmal, bekam aber keine Antwort. Maya war wie vom Erdboden verschluckt. Fluchtartig auf und davon. Ruki sah sich fragend um, fand den LM.C-Sänger aber tatsächlich nirgends. Tolles Ding. Wie spät war es überhaupt? War jetzt in der Chef-Etage überhaupt noch jemand da? Was soll´s, nun war er einmal hier, also konnte er sein Glück auch versuchen.

Schulterzuckend schnalzte Ruki also mit der Zunge, um Koron darauf aufmerksam zu machen, daß es weitergehen sollte, und marschierte los. Zweite Tür links. 'Sekretariat der Geschäftsleitung' stand dran. Klang vielversprechend. Sicher das Vorzimmer vom Chef. Ruki klopfte und wurde auch tatsächlich hereingebeten.

„Hallo?“, begrüßte ihn die Sekretärin zwischen freundlich und fragend. Es war dieser klassische 'was-kann-ich-für-Sie-tun?'-Tonfall. Ihr Blick war etwas irritiert. Sie hatte Ruki schonmal gesehen und überlegte fieberhaft, wo sie ihn auf die Schnelle einordnen musste. Immerhin war er kein bei Pony Canyon unter Vertrag stehender Künstler, die kannte sie alle.

„Hallo. Ich ... ähm ... bin gerade etwas überfordert. Ich soll mit Ihrem Chef sprechen?“

„Ah, dann Sie haben also einen Termin? Wen darf ich ankündigen?“

„Ähm ... Ruki“, meinte er etwas unbeholfen. Ganz bewusst ohne nochmal richtigzustellen, daß er natürlich keinen Termin hatte. Wenn sie glaube, er hätte einen, war das ja nur gut für ihn. „... von Gazette.“

„Ah!“, machte sie erkennend. Daher war er ihr bekannt vorgekommen. „Natürlich. Ich bin sofort wieder da. Wenn ich Sie kurz um Geduld bitten dürfte ...!?“ Sie schnappte sich irgendwelche Papiere, als wolle sie sowieso gerade zum Chef gehen, und verschwand dann mit einem letzten, freundlichen Lächeln im Nachbarzimmer.

Ruki schob seufzend die Hände in die Hosentaschen und sammelte sich inzwischen in Gedanken ein paar passende Sätze zusammen, was er dem Chef gleich sagen wollte, falls er wirklich reingelassen wurde. „Koron, was machen wir hier eigentlich?“, wollte er etwas wehleidig von seinem Chihuahua-Verschnitt wissen, erntete aber nur einen schiefen, wenig hilfreichen Blick.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Die Sekretärin wollte partu nicht wieder erscheinen. Sicher las sie dem Boss gerade ihre mitgenommenen Unterlagen buchstabengetreu vor und nahm hernach noch ein 5-seitiges Diktat auf, bevor ihr wieder einfiel, daß draußen noch jemand wartete. Ruki setzte sich auf ihren Bürostuhl und kreiselte darauf eine Weile wie ein Karussel, um seiner Langeweile Herr zu werden. Das musste er aber ziemlich schnell wieder bleiben lassen, da ihm davon schwindelig und schlecht wurde. Da kam der eingehende Anruf ihm ganz recht. Er schnappte sich engagiert den Hörer vom Schreibtischapparat. „Hier, bei Pony Canyon, Sekretariat der Geschäftsleitung, wie kann ich Ihnen helfen?“, meldete er sich. „Eine Nachwuchsband, ja? ... Ihr wollt bei Pony Canyon unter Vertrag? Was macht ihr Jungs denn für Musik? ... Miyavi-artige Musik? Gott bewahre! Sowas nehmen wir nicht. Das will doch keiner hören. ... Wie? ... Geht doch zu Miyavi, wenn ihr so klingt wie der. Der nimmt euch vielleicht. ... Konkurrenz, was? Ja, schon möglich, daß er euch als Konkurrenz ansieht. ... Oshare Kei macht ihr auch? Das wird ja immer schlimmer.“ Er seufzte leise, während er seinem Gesprächspartner weiter zuhörte. „Ja, natürlich haben wir schon andere Oshare Kei Bands unter Vertrag, aber ... Was, einen Termin beim Chef? Na klar, kommt einfach mal vorbei. Wie wäre morgen um 18 Uhr? Fein. Ich werde es ihm ausrichten.“ Ruki schreckte zusammen als er zufällig hochschaute und die Sekretärin und den Chef von Pony Canyon vor dem Schreibtisch stehen sah, die ihn beide blöd anglotzten. Shit, die hatten das gehört, oder? „Äh, ihr Jungs wisst, wo ihr Pony Canyon findet?“, hauchte er noch kleinlaut ins Telefon. „Gut, bis morgen dann.“ Er legte langsam auf. Ungefähr so langsam, wie der Chef eine tomatenrote Farbe annahm. Ruki entschied sich für ein unschuldiges Lächeln. „Da ... da wollen morgen ein paar Jungs vorbei kommen und ihre Demo-Tapes vorstellen“, berichtete er so selbstverständlich als würde er von seiner letzten Party erzählen.

„Der Chef hat jetzt Zeit für Sie“, entgegnete die Sekretärin mit kaltem Lächeln, das spürbar erkennen ließ, wie sehr sie um Fassung bemüht war, und deutete auf den Anzugträger neben sich.

„Nein, ich fürchte, mir sind gerade andere Termine dazwischen gekommen“, verneinte der Boss von Pony Canyon jedoch mit ebenso eingefrorenem Lächeln.

Ruki fuhr von seinem Büro-Drehstuhl hinter dem Schreibtisch hoch und nahm eine straffe Haltung an. „Mein Anliegen dauert gar nicht lange!“, beteuerte er. Und warf dabei in seiner Aufregung die Schreibtischlampe um, die er hektisch wieder aufstellte.

Der Chef wechselte inzwischen die Gesichtsfarben durch wie ein Chamäleon. „Das wäre dann alles, Sie dürfen gehen!“

„Es geht um Maya und Aiji. Von LM.C, Sie wissen schon!“

„Raus aus meinem Büro, sofort!“

„Ich soll Sie fragen, ob Sie die beiden nicht wieder zusammen ...“

„RAAAUUUS!“, jaulte der Chef hysterisch. „Mir erst in meine Geschäftsführung reinpfuschen und hier wildfremde Bands zur Vertragsunterzeichnung einladen ...“

„Ich hab denen keine Verträge versprochen ...“, versuchte Ruki dazwischen zu funken, kam aber nicht zu Wort.

„... und dann in so rotzdreister Frechheit meine Marktpolitik anprangern!? Was ich mit LM.C mache, ist ja wohl immer noch meine Sache! Ihr von Gazette glaubt wohl, nur weil ihr die erfolgreichste Band landesweit seid, habt ihr das gesamte Musikbusiness in der Hand!? Es ist mir scheißegal, ob Sie Ruki von Gazette oder der Pizzabote sind! Ich werde Sie vom Sicherheitsdienst aus meinem Gebäude entfernen lassen, wenn Sie nicht sofort freiwillig gehen! Und diese verquerten Jungs von LM.C gleich mit! Ihr werdet alle hier raus fliegen! Und zwar achtkantig!“

Ruki hob ergeben die Hände. „Schon gut, ich bin ja schon weg!“ Er griff nach der Hundeleine, die er über die Stuhllehne gehängt hatte, zog Koron unter dem Schreibtisch hervor und sah zu, daß er Land gewann.

„Ein Hund!? Wer hat den Hund hier reingelassen!?“, hörte er den Chef noch toben. Dann ein Niesen. „Ich bin allergisch gegen Hundehaare! Ich werde euch alle verklagen!“, schrie er aufgebracht.

Mehr bekam Ruki nicht mehr mit, dann war er bereits um die Ecke des Flurs verschwunden und im Treppenhaus. Erst dort wagte er es, sein Tempo wieder zu drosseln und erleichtert aufzuatmen. Himmel. Was war bloß los mit der Welt? Naja, das hatte sich wohl erledigt. Dumm gelaufen. In Ruhe spazierte er weiter, sein Hündchen Koron mit klirrenden Hundemarken vorweg.
 

Als Ruki nach einigem Suchen und Herumirren in den endlosen Gängen den Ausgang wiedergefunden hatte und auf die Straße hinaus trat, wurde er draußen schon von Reita und einem völlig aufgelösten Maya erwartet. Maya hatte sein Handy in der Hand, starrte fassungslos auf den Bildschirm und schien regelrecht zu zittern.

„Ruki, was hast du getan?“, wollte Reita sofort böse wissen.

„Was hab ich denn getan?“, drehte der Sänger die Frage schnippisch um. Nach der Abfuhr beim Pony Canyon Chef war seine Laune jetzt nicht mehr unbedingt auf einem Level, das noch mehr Ärger kompensieren konnte.

„LM.C sind gekündigt worden! Der Labelchef hat Maya gerade stinksauer angerufen und ihn aus dem Plattenvertrag rausgeschmissen!“

„Das ging aber schnell“, war das einzige, was Ruki dazu auf die Schnelle einfiel.

„Du solltest mit dem Chef reden, daß er Maya und Aiji wieder zusammen arbeiten lässt! Und nicht, daß sie beide gefeuert werden!“

Ruki zuckte nur mit den Schultern. „Sieh es positiv. Wenn sie selber gekündigt hätten, hätten sie Vertragsstrafen noch und nöcher zahlen müssen. Wenn sie von Seiten des Labels rausgekickt werden, sieht das schon wieder ganz anders aus.“

„Du bist ein Vollidiot, Mann!“, warf Maya ihm wehleidig vor. Nichtmal sauer. Er musste immer noch den gekündigten Plattenvertrag verdauen.

„Was wollt ihr denn? Ich hab das Beste draus gemacht! Sucht euch ein anderes Label und macht wieder zusammen Musik! Ihr werdet doch überall sofort genommen! Hast du mir im Eiscafe vorhin selber gesagt!“

„Wer deine Hilfe hat, braucht keine Probleme mehr, ey!“, fluchte Reita.

„Was denn, ich kann´s doch auch nicht ändern! Soll ich jetzt vielleicht zur PSC gehen und fragen, ob die LM.C unter Vertrag nehmen wollen? Mit SuG würden sie ja gut zusammenpassen.“

„Dich Flachtrommel lass ich da sicher nicht hingehen! Da frag ich lieber selber!“, zischte Reita entnervt.

Maya hatte plötzlich einen sehr giftigen Blick drauf. „Spar dir die Mühe. Ich würde mir lieber nen Strick nehmen als zur PSC zu gehen!“

„Da hörst du´s, Ruki! Und deine von Yamaha gesponsorte Gitarre kannst du jetzt todsicher und völlig zu Recht auch in den Wind schreiben!“

„Könntet ihr mal aufhören, mich für Sachen zu dissen, die ihr mir gegen meinen Willen aufgezwungen habt?“, nörgelte Ruki zickig. „Wer hat denn gesagt, daß ich unbedingt einen Sponsoring-Vertrag brauche? Und wer hat mich denn ins Chef-Büro von Pony Canyon förmlich mit Gewalt reingeschoben!?“

„Du bringst dich so oft in Schwierigkeiten, ich wundere mich schon, daß dir nicht langsam mal die Ideen ausgehen!“, grummelte Reita. Ihr wievielter schiefgegangener Versuch, für Ruki eine Gitarre zu beschaffen, war das jetzt schon? „Ich hab keinen Bock drauf, daß wir wegen deinem Treiben nochmal ne offizielle Stellungnahme der ganzen Band an die Öffentlichkeit geben müssen!“

„Jetzt bitte kein Grund, zynisch zu werden, ja?“

Party für´s Volk

Kai sah auf die Uhr. Noch 5 Stunden bis zum Konzertbeginn. Der Soundcheck zog sich immer so nervtötend in die Länge. Um so mehr, je unqualifizierter die Menschen an der Technik waren. Sie wollten den Soundcheck aber auch nicht den Staffs überlassen. Ihren Sound wollten sie schon vernünftig selber abnehmen. Jeder der Jungs gab sich redlich Mühe, freundlich mit der Beschallungs-Crew umzuspringen. Die taten ja bloß ihren Job und keiner unterstellte ihnen mutwillige Schlamperei. Aber manchmal waren die Plinsen einfach so furchtbar unfähig, daß das mit dem Freundlichbleiben echt schwer fiel. So wie heute. Auf den pampigen Vorwurf des Soundtechnikers, daß Uruhas Gitarre viel zu spitz klinge, hatte Kai in seiner Genervtheit bereits mit einem nicht minder pampigen 'Du hast doch ein ganzes Pult voll Knöpfe dort, dann dreh doch mal´n bissl dran rum!' geantwortet. Daraufhin war für eine Weile Ruhe in der Technikerinsel gewesen. Genau deshalb brachten sie lieber ihre eigenen Tontechniker mit.

„Okay, jetzt können wir die Gesamtabmischung machen“, schlug der Soundtechniker betont freundlich vor, um wieder etwas allgemeine Schönwetter-Stimmung zu fördern. Damit hatte die quälende Mühseligkeit, jedes Instrument einzeln feinabzustimmen, wohl endlich ein Ende. „Spielt doch mal einen Song, alle zusammen. Einverstanden?“
 

Ruki saß gerade mit übergeschlagenen Beinen in der dritten Reihe der Zuschauerfläche und verfolgte von dort aus das Geschehen auf der Bühne. Er sollte von da unten die Ohren spitzen, wie der Sound so klang und ob die Boxen von links und rechts gleichlaut waren, aber das war ihm ehrlich gesagt ziemlich Hupe. Er langweilte sich fürcherlich und hatte gerade überhaupt keine Lust zu gar nichts mehr. Es sollte einfach nur ein Ende nehmen. Da passte ihm der Vorschlag, die Gesamtabmischung in Angriff zu nehmen, gar nicht in den Kram. Dafür hätte er ja wieder aktiv werden müssen. Er hob sich sein Mikrophon vor die Nase. „Ich bleib hier sitzen und singe von meinem Stuhl aus, damit ich die Lautstärke-Balance weiter im Auge behalten kann“, stellte er klar. Über Lautsprecher, damit jeder ihn hörte, ohne daß er schreien musste.

„Nein, tust du nicht. Wir spielen 'cassis'“, legte Kai jedoch fest.

Ruki warf ihm einen giftigen Blick zu. Der Song lief auf drei Gitarren, da musste er zwangsläufig mitspielen. Er raffte sich aber gehorsam von seinem schönen Sitzplatz hoch, enterte wieder die Bühne und griff nach der Akustik-Gitarre, die er sich von Uruha geborgt hatte, da er ja bis heute keine eigene neue besaß. Natürlich war auch die viel zu groß für ihn. Aber das musste jetzt halt mal gehen. Es war für Ruki zwar sehr unbequem, aber nicht unmöglich, sie zu spielen. Kai hatte absichtlich darauf bestanden, heute auf dem Konzert 'cassis' zu spielen, um Ruki in Zugzwang zu versetzen, sich endlich eine neue Gitarre zu kaufen. Da der Sänger von seinen durchaus zahlreichen aber leider sehr erfolglosen Beschaffungsversuchen nie etwas erzählte, dachte Kai nach wie vor, er sei einfach nur zu faul und hätte sich bis jetzt immer noch nicht darum gekümmert.
 

Kyo spazierte in fröhlicher Selbstverständlichkeit auf die Tür zu, durch die eben schon ein Manager verschwunden war. Jedenfalls hatte es für Kyo eindeutig nach einem Manager ausgesehen. Und Kyo hatte in seinem Leben weiß Gott schon genug Manager gesehen, um einen zu erkennen, wenn er einen sah. Miyavi hatte einen großen Clou vor, soviel wusste er schon. Aber was, das blieb nach wie vor sein Geheimnis. Heute stand eine Konferenz zu diesem riesigen Projekt an. Die Beteiligten wurden zusammengetrommelt. Jetzt wollte er doch mal sehen, ob er nicht was rausfand. Man musste die Konkurrenz ja schließlich im Auge behalten.

Ein Türsteher vertrat ihm den Weg, kurz bevor er die Tür zum Gebäude erreichte. „Guten Tag, Sir. Kann ich helfen?“, wollte er höflich, aber kühl wissen.

„Nein, danke, ich finde den Weg schon selber“, versuchte Kyo sein Glück.

„Sie verstehen nicht. Das Gebäude ist heute leider geschlossen. Kein unbefugter Zutritt. Tut mir leid.“

„Ja, wegen Miyavis Konferenz, ich weiß. Da will ich ja hin.“

„Dann stehen Sie also auf der Liste der eingeladenen Gäste, Mister?“

So eine Liste gab es? Wie unangenehm. „Ich bin Kyo!“, stellte er klar, als sei das ja wohl Einladung genug. Vielleicht hatte der Kerl ihn bloß nicht erkannt. Kyo war ja in der Tat ein Verwandlungskünstler.

Der Türsteher nickte nur, ging aber nicht zur Seite.

„Von Dir en Grey! Der Sänger!“, legte Kyo nach.

Der Türsteher nickte wieder verstehend, gab den Weg aber weiterhin nicht frei.

„Kennen Sie Dir en Grey überhaupt?“, wollte Kyo angezinkt wissen.

„Sie stehen also nicht auf der Gästeliste?“, fragte der Mann nur emotionslos.

„Na schön, vielleicht geht es ja hiermit“, änderte Kyo seine Taktik und hielt ihm eine bunte Plastikkarte vor die Nase.

Der Security-Mensch nahm den ID-Pass an sich, las ihn aufmerksam, nickte dann wieder stoisch – langsam machte dieses Nicken Kyo echt wuschig – und warf ihm schließlich einen prüfenden Blick zu. „Dürfte ich wohl mal Ihren Personalausweis sehen?“
 

Nach dem schier endlosen Soundcheck verkrümelten sie sich alle in die Umkleide zur Kleideranprobe. Ruki war gespannt, ob sein Fetzen von Outfit jetzt inzwischen annehmbar war. Sie hatten seit dem Termin in der Schneiderei keine weitere Anprobe mehr gehabt. Es war pures Glück, ob die geänderten Sachen heute passen würden oder nicht. Ihre Schneider waren mit anwesend, wie bei jedem Konzert, und würden im Notfall noch hier und da schnell etwas abstecken, damit auf der Bühne alles da saß wo es hin sollte. Aber Ruki vertraute denen einfach mal. Bisher hatten sie ihre Arbeit immer zufriedenstellend erledigt. Er wurde auch nicht enttäuscht. Als er sein Oberteil hochhielt, um es sich anzusehen, wirkte es schon wesentlich cooler als letztes Mal. Die erbetenen Änderungen hatten echt was gebracht.

Gut, die Kleideranprobe war jetzt kein Zeitfaktor. Sachen anziehen, fertig. Die passten ja im Normalfall. Was nochmal richtig lästig werden würde, war die Maske. Das MakeUp aufgetragen zu bekommen, war das pure Grauen. Da saß man mitunter auch nochmal zwei Stunden und länger. Ihre Maskenbildner hatten einen Faible für puppenglatte Haut, auf der man keine noch so kleine Unebenheit mehr sah. Dafür wurde einem Schicht über Schicht von Abdeckpuder aufgetragen, die dann wieder ewig lange trocknen musste, um danach von der nächsten Schicht überkleistert zu werden. Am Ende war das Gesicht wie einbetoniert. Man musste sich vorher gut überlegen, mit welchem Gesichtsausdruck man zum Maskenbildner ging. Der blieb dann so, wenn der Maskenbildner mit einem fertig war. Die Fans sagten immer, daß sie doch auf Fotos auch mal lächeln sollten. Ging nicht, selbst wenn man wöllte, weil der viele Zement im Gesicht es einem gar nicht erlaubte! Für ihn als Sänger war das auf der Bühne besonders lästig, denn er musste ja nach Möglichkeit den Mund noch auf und zu kriegen.

„Reita?“

„Hm“, machte der Bassist nur lustlos. Auch er schien sich ganz seiner Langeweile hingegeben zu haben.

„Glaubst du, wir kriegen nochmal Ärger wegen LM.C?“, wollte Ruki wissen. Die anderen waren noch in der Umkleide. Da er und Reita alleine in der Maske saßen und sich niemand sonst – nichtmal ein Maskenbildner – hier herumtrieb, konnten sie ja offen darüber sprechen.

„Wir? Du, Ruki! Du ganz alleine!“, diagnostizierte Reita tonlos.

„Denkst du, ich hab die wirklich rausgekegelt? Der Chef von Pony Canyon hat doch bestimmt bloß überreagiert, oder?“

„Was weiß ich!?“, murmelte der Bassist mit geschlossenen Augen und gar nicht mehr richtig anwesend. Das war sein üblicher Gesprächskiller, wenn er keine Lust hatte, sich zu unterhalten. 'Selber Schuld.' oder 'Warum auch nicht?' taten es zur Not auch, wenn er eine Plauderei abwürgen wollte.

Ruki zog eine Schnute, suchte kurz nach einem neuen Gesprächsaufhänger, sah dann aber ein, daß es keinen Sinn hatte. Er würde von seinem Kumpel nur weitere, sinngemäße 'nicht-mein-Problem'-Antworten bekommen. Die Tür ging auf und Uruha kam herein, damit erübrigte sich das ganze Thema ohnehin. Ihm auf dem Fuß folgte einer der Maskenbildner. Oder 'MakeUp-Artists', wie sie sich lieber nannten. Auch so ein Modebegriff. Früher hatten die sich noch mit dem Rang eines Kosmetikers zufrieden gegeben, jetzt mussten sie schon 'Artists' sein. Einer hatte mal versucht, ihm den Unterschied zwischen einem Maskenbildner und einem MakeUp-Artist zu erklären. Die einen panschten nur mit Lippenstift und Eyeliner rum, die anderen modellierten einem mit Silikon und Plastik komplett neue Körperteile dran, oder so. Hörner, Schnäbel, Flügel, Schlappohren, weiß der Geier, jedenfalls so daß es am Ende echt aussah. War Ruki ehrlich gesagt ziemlich Schnuppe. Er saß hier in der Maske, also waren das in seinen Augen alles Maskenbildner. Hauptsache, die kamen langsam mal in die Gänge. Wenn jetzt schon der erste von denen hier eingeschwebt war, würde es wenigstens gleich losgehen, dachte er.

„So, dann legen wir mal los, was?“, lächelte der Maskenbildner fröhlich und griff nach einer Haarbürste, um sich über Uruha her zu machen.

„Bringt doch eh nix mehr, bei deinen drei Haaren“, scherzte Ruki.

„Doch, gerade! Je weniger Haare man hat, desto mehr muss man sortieren!“, gab Uruha schlagfertig zurück. Alle lachten.
 

Ihr Manager kam eine halbe Stunde später herein, als schon alle Gazettos ihre erste Schicht Spachtelmasse im Gesicht hatten. Das war neu. Ihr Manager war zwar auf allen Konzerten anwesend, aber sie bekamen ihn nur selten zu Gesicht. Nur wenn es Probleme gab. Und sie hatten nie Probleme. Sie waren ja schließlich The Gazette. Außerdem wurde ihr Manager dafür bezahlt, daß sie keine Probleme hatten. Kai schaute sofort alarmiert hoch, als der unerwartete Besuch erschien.

„Jungs, mal eine Frage ...“, begann er mit einem unterschwelligen Schmunzeln, als würde er das, was er zu sagen hatte, durchaus lustig finden. „Kyo von Dir en Grey ist vor einer Stunde von der Polizei verhaftet worden.“

„Wie hat er´n das geschafft?“, wollte Aoi wissen.

„Er hat versucht, mit einem gefälschten Ausweis Zutritt zu einer Konferenz von Miyavis Plattenlabel zu bekommen. Urkundenfälschung, würde ich mal sagen. Man vermutet, daß er die Konkurrenz ausspionieren wollte.“

„Nicht schlecht, der Junge. Und wieso müssen wir das wissen?“, hakte Kai nach.

„Nun ... auf dem Presseausweis stand 'Akira Suzuki' drauf.“

Reita wurde sofort knallrot, selbst durch die mehreren Schichten von MakeUp hindurch. Alle schauten ihn fassungslos an. 'Akira Suzuki' war sein bürgerlicher Name. Sein gefaketer Presseausweis, den er damals bei Kyo verloren hatte, als er Hals über Kopf aus dessen Spukhütte getürmt war, kam ihm schlagartig wieder in den Sinn.

„Reita, hast du eine Idee dazu?“, wollte der Manager kichernd wissen.

„Nein, wir haben keine Idee dazu“, klinkte sich sofort Ruki ins Gespräch ein. „Kyo hat sich wohl für clever gehalten und einen falschen Namen verwendet, um im Zweifelsfall nicht aufzufliegen.“

„Ja, genau das habe ich der Polizei auch gesagt“, lachte ihr Manager. „Dumm nur, daß der Türsteher auch seinen Personalausweis sehen wollte und dort ein anderer Name drauf stand als auf dem Presseausweis. Die Polizei hat sich dann bei der Zeitung erkundigt, auf die der Presseausweis ausgestellt war, und festgestellt, daß weder Kyo noch ein gewisser Akira Suzuki dort bekannt sind. Naja, wie auch immer, Reita. Ich wollte dir nur mitteilen, daß der falsche Presseausweis mit deinem Namen inzwischen durch den Aktenshredder gejagt wurde.“

Reita wurde vor Übelkeit kurz schwindelig und er musste sich schwer beherrschen, sich nicht verzweifelt mit den Händen durch das Gesicht zu fahren, wenn er die bisherige Arbeit der Maskenbildner nicht wieder zunichte machen wollte. Gott, wenn die Polizei Fingerabdrücke von dem Ding genommen hatte, würden sie auch seine eigenen darauf finden. Die mussten doch zwangsläufig drauf kommen, daß Reita dieses Ding irgendwann mal selber besessen hatte. Aber er wagte nicht, seinem Manager eine entsprechende Frage zu stellen, denn mit so einer Seltendämlichkeit würde er sich sofort verraten. So blieb ihm bloß, die Klappe zu halten und das Beste zu hoffen.

Ihr Manager verschwand lachend wieder nach draußen. Er schien die ganze Sache überaus witzig zu finden. Kyo hinter Gittern. Super.

„Reita, du bist ganz grün um die Nase“, bemerkte Kai überflüssigerweise.

Der Bassist schüttelte den Kopf. „Ich mach mir nur Sorgen, in irgendwas mit reingezogen zu werden.“ Das war nicht mal gelogen. Er hatte wirklich Angst, da mit reingezogen zu werden. Von 'unverschuldet' hatte ja keiner was gesagt.

„Hattest du mal so einen Presseausweis?“, wollte der Bandleader misstrauisch wissen.

„Ich ... ähm ... weiß nicht, ich hatte mal so ein Scherzartikel-Ding geschenkt bekommen. Das wird sicher noch irgendwo in meiner Wohnung rumfliegen. Ich wüsste nicht, wie Kyo da rankommen sollte.“

Kai verzog vielsagend das Gesicht.

„Und nein, ich hab das Ding nie verwendet!“, legte Reita also nach. Verdammt, er war so ein schlechter Lügner. Mit einem glatten 'nein' wäre es sicher besser gefahren als mit dieser zwielichtigen Halbwahrheit, die haarscharf an der Grenze zur Enttarnung balancierte.
 

Nachdem das Konzert und die Zugabe gelaufen waren – bis auf einen Patzer von Uruha wie immer perfekt, sie waren ja schließlich The Gazette – schob Reita plötzlich ziemlichen Zeitdruck. Er zerrte seinen Sänger förmlich am Schlawittchen aus der Konzerthalle heraus und sah zu, daß er mit ihm weg kam. Ruki war da jetzt nicht böse drüber, er wollte selber gern so schnell wie möglich zu seinem Schätzchen Koron zurück, aber so eilig hatte Reita es doch sonst nicht. Ruki fragte nach, was das sollte.

„Wir müssen rauskriegen, in welcher Polizeistation Kyo einsitzt!“, gab Reita aufgekratzt zur Antwort.

Ruki überlegte vergeblich, in welcher Hinsicht diese Aussage einen Sinn ergeben sollte. Wozu wollte Reita das wissen? Erneut nachfragen musste er nicht, denn aus dem Bassisten sprudelte es ganz von alleine weiter heraus.

„Wir müssen fragen, ob er vielleicht gegen Kaution wieder freigelassen wird!“

„Glaubst du, der Kerl ist so bettelarm, daß er die Kaution nicht selber docken könnte?“

„Ich bin ihm das schuldig! Er ist wegen meinem falschen Presseausweis eingebuchtet worden, Mann!“, jammerte Reita.

„Was ist das denn für ne Logik?“, debattierte Ruki verständnislos. „Sagt ja keiner, nur weil er im Besitz deines Presseausweises ist, daß er damit gleich loslaufen und sich überall als Presse-Futzi ausgeben muss. Da ist er ja wohl auch selber schuld.“

„Er wusste ja nicht, daß das Ding ne Fälschung ist!“

„Und? Ob gefälscht oder nicht, es war nicht seiner. Da stand 'Akira Suzuki' drauf. Er kann nicht mit fremden Ausweisen hausieren gehen.“

„Trotzdem ...“

„Wenn du mit deinem Geld nicht mehr weißt wohin, dann übernimm doch meine Schulden bei Pata“, schlug Ruki vor.

„Zahl erstmal DEINE Schulden an MICH, du Nase! Ich hab auch meinen Anteil an deiner blöden 2-Millionen-Yen-Schallplatte blechen müssen, die du auf dem Flohmarkt kaputt gemacht hast!“

„Pata hat sie kaputt gemacht! ... du Nase!“, äffte Ruki ihn nach. „Das muss ich mir von einem sagen lassen, der nichtmal eine Nase hat!“

Reita holte sauer Luft, um etwas zu erwidern, überlegte es sich aber im letzten Moment anders und winkte nur ab. Sinnlos. Mit diesem Sänger zu streiten, wenn der entschieden hatte unvernünftig zu sein, war vergebene Liebesmüh. Brachte nichts. Einfach aufs nächstgelegene Polizeirevier fahren und Ruki ungefragt mitschleppen, fertig.

„Ist dir eigentlich klar, daß du in arge Erklärungsnöte kommen könntest, wenn die auf der Wache mitkriegen, daß du dieser Akira Suzuki bist, dem der gefälschte Presseausweis eigentlich gehört?“, gängelte Ruki ihn weiter.

„Ist mir bewusst, ja. Darüber mach ich mir Gedanken, wenn es soweit ist.“

„Du hättest dich wenigstens noch ordentlich abschminken sollen, bevor du zur Polizei gehst. Du siehst mit dem zerlaufenen Kajal aus wie ein Horror-Clown.“

„Dann bin ich Kyo wenigstens mal ebenbürtig!“, gab Reita schnippisch zurück.

„Die Polizei wird dich einbuchten, so wie du aussiehst!“

„Halt jetzt den Rand, Mann! Ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren!“

Ruki lag schon der mehrdeutige, versaute Konter auf der Zunge, daß Reita ja echt arm dran sei, wenn er sich beim Verkehr konzentrieren müsse, um zum Ziel zu kommen, aber er ließ es wohlweißlich bleiben, bevor Reita noch richtig stinkig wurde. Er kannte seinen Kumpel Reita gut genug, um zu wissen, wann er aufhören sollte. Also verschränkte er nur die Arme vor der Brust, lehnte sich im Sitz zurück und schaute während der Autofahrt aus dem Seitenfenster hinaus. Als es ihm zu still und zu langweilig wurde, schaltete er lediglich noch das Autoradio an. Es war gerade auf CD-Wiedergabe eingestellt und es nudelte ein Song von D´espairs Ray. Ruki zog ungläubig eine Augenbraue hoch, sagte aber auch dazu nichts und ließ es einfach laufen. Auch der nächste Song war – logischerweise – wieder D´espairs Ray. Erst 'born', jetzt 'yami ni furu kiseki'. Ruki kam zu Bewusstsein, daß Reita offensichtlich das Immortal-Album im Player hatte. Und war erschrocken über sich selbst, daß er sowas wusste. Wann hatte er das letzte Mal zwei Lieder gehört und sofort sagen können, welches Album das war?
 

Die nächstgelegene Polizeistation. Ruki kräuselte nur die Lippen zu einem Schmollmund und blieb unbeirrt im Auto sitzen, ohne etwas zu sagen. Das sollte genügen, um zu verdeutlichen, daß er nicht aussteigen und mit reingehen würde. Sollte Reita sich da drin mal schön selber zur Feile machen.

„Bin gleich wieder da“, meinte Reita, der den Wink ganz richtig verstand. Aber auch er machte keine Anstalten, das Auto zu verlassen. So saßen sie eine gute Weile gemeinsam im Auto und starrten aus sicherer Entfernung das Polizeirevier an.

„Reita?“

„Was?“

„Ich glaube, du wirst in die Polizeistation reingehen müssen. Es sieht nicht so aus, als würden die zu dir rauskommen.“

Reita warf ihm einen bösen Blick von der Seite zu. „Ich warte echt auf den Tag, an dem dir mal die blöden Kommentare ausgehen.“ Derber als nötig riss er die Handbremse an und zog den Zündschlüssel. Nur zur Sicherheit. Er wusste, wozu Ruki fähig war, wenn er sich unbeaufsichtigt langweilte. Dann stieg er aus und stiefelte davon.
 

In der Polizeiwache war es unangenehm hell, wenn man von draußen kam. Draußen war es immerhin schon Nacht. „Guten Abend!“, grüßte eine freundlich lächelnde Dame am Empfangsschalter.

„Guten Abend.“

„Kann ich Ihnen helfen?“

Reita wägte seine Worte mit Bedacht ab. „Ich bin auf der Suche nach einem ... naja ... einem Mann, der vor ein paar Stunden festgenommen wurde. Ich wüsste gern, ob er schon wieder freigelassen wurde oder, wenn nicht, in welcher Polizeistation man ihn dann finden könnte.“

Die Dame nickte diensteifrig und legte die Finger auf die Tastatur ihres Computers, um sofort loszutippen, sobald sie wusste, was sie tippen sollte. „Wie ist denn der Name des gesuchten Herrn?“

Gute Frage, dachte Reita. Wie war Kyo´s bürgerlicher Name doch gleich gewesen? Tooru Nishi-..., Nishi-irgendwas. Nishimura, oder so ähnlich? Reita war sich gerade gar nicht mehr so sicher. Für ihn war der skurrile Kerl immer einfach Kyo gewesen. „Ähm, er ist mit einem gefälschten Ausweis auf den Namen Akira Suzuki rumgelaufen. Können Sie auch damit was anfangen? Sonst kann ich Ihnen nur seinen Künstlernamen sagen.“

„Ich versuch´s mal“, versprach sie und tippte. „Mh“, machte sie dann. „Da haben wir ihn ja. Mister Nishimura, genannt 'Kyo'. Er besteht jedenfalls darauf, mit 'Kyo' angesprochen zu werden.“

„Genau, das ist er!“

„Er wurde schon wieder entlassen. Nach Aokigahara.“

„Bitte was?“

„Steht hier“, meinte sie mit einem hilflosen Schulterzucken und einem Deut auf den Bildschirm vor sich. „Er wollte nach Aokigahara.“

„Das ist ein Wald. Am nördlichen Fuß des Fuji-san.“

„Ich weiß, der Wald der Selbstmörder, ich kenne die Legenden. Der Wald trägt den gleichen Namen wie die Stadt Aokigahara“

„Wieso schicken Sie jemanden, den Sie verhaftet haben, an so einen Ort?“, wollte Reita fassungslos wissen.

„Auf eigenen Wunsch. Er hat sich gegen Kaution freigekauft. Und als die Beamten ihn gefragt haben, wo sie ihn wieder abliefern sollen, hat er diesen Ort angegeben.“

„Das sind doch von hier aus 2 Stunden Autofahrt bis dort hin!“

„Ja. Aber mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.“

Reita überlegte hin und her, kam aber schnell zu dem Ergebnis, daß er seine Grübelei auf einen späteren Zeitpunkt verschieben musste und die Frau am Tresen nicht länger belästigen sollte. Er bedankte sich für die Auskunft und ging wieder.

6. Anlauf

Ruki spielte auf seinem Beifahrersitz mit dem Handy, als Reita wieder ins Auto einstieg. Wenigstens etwas. Er hatte mal keinen neuen Unsinn angestellt, während Reita in der Polizeiwache gewesen war.

„Kyo ist in Aokigahara“, meinte der Sänger ganz beiläufig, ohne von seinem Handy hochzusehen, noch ehe Reita selber etwas sagen konnte.

Reita schaute ihn perplex von der Seite an. „Woher weißt DU denn das?“

„Ich rede mit Kyo, ob du´s glaubst oder nicht.“

„Und wie?“

„Per Handy vielleicht?“, entgegnete Ruki in einem 'was-soll-die-saudämliche-Frage'-Ton und hielt sein Telefon vielsagend hoch. „Ich hab seine Nummer, seit ich ihm ne Gitarre abkaufen wollte.“ Ein dezentes Kopfschütteln. Reita war echt komisch. Wie sollte er denn bitte sonst mit Kyo kommunizieren? Mit Telepathie?

Reita seufzte. Natürlich. Ruki hatte Kyo´s Nummer und ließ ihn trotzdem wie einen Idioten zur Polizei fahren.

„Ist dir klar, was Aokigahara ist?“, wollte Ruki mit spürbar ungutem Gefühl wissen.

„Logisch. Das lernen wir doch schon in der Schule. Das ist ein mysteriöser, unheilvoller Wald, der jedes Jahr Dutzende von Selbstmördern anzieht. Diesen Wald besuchen Menschen, um sich dort drin selber um die Ecke zu bringen. Und wer sich noch nicht ganz sicher ist, der wird von den bösen Geistern, die im Wald leben, schon noch dazu gebracht. Wer da rein geht, will nicht gefunden werden. Und den suchen sie auch gar nicht erst. Angeblich sollen dort keine Kompasse und keine elektrischen Geräte funktionieren.“

„Ja. So ähnlich wie die Suizid-Steilküste Tojinbo, wo reihenweise die Leute in den Tod springen. Alleinreisende Frauen müssen sich dort bei den Bus- und Bahngesellschaften anmelden, mit Adresse und allem, damit hinterher im Zweifelsfall der Papierkrieg schneller erledigt werden kann. Inzwischen muss man, wenn man dort mit dem Zug hinfahren will, die Rückfahrkarte gleich mit kaufen. Als ob das jemanden ernsthaft von einem geplanten Selbstmord abhalten würde.“

Reita winkte ab. „Der Wald ist bloß so monoton und unübersichtlich, daß man schon auf kürzeste Distanz die Orientierung verliert“, erzählte er. „Wenn du mich fragst, sind die meisten sogenannten Selbstmörder, die in diesem Wald verschwinden, einfach nur Wanderer, die sich verirrt haben und nie wieder gesehen werden. Genauso wie die meisten Toten an der Steilküste einfach Unfallopfer sein werden, die beim Klettern abgestürzt sind. Das wird überbewertet.“

„Sag das nicht! An den Legenden wird schon mehr als genug dran sein!“, bemerkte Ruki mit fast beleidigter Schnute.

Reita lachte kurz auf. „Bist du etwa abergläubisch?“

Der Sänger sagte nichts dazu. Was im Grunde genug sagte.

„Nagut. Hat Kyo dir auch verraten, was er da will?“, hakte Reita mit einem Deut auf Rukis Telefon nach.

„Nein, aber wenn es uns nichts ausmacht, sollen wir ihn wieder abholen kommen.“

„What!? Damit er sich das Geld für den Zug sparen kann, oder was?“, wollte Reita schnippisch wissen.

Ruki hob abwehrend die Hände. „Wer von uns beiden hat denn hier gerade Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und wollte sogar ne desaströse Kaution zahlen, um den armen, armen Kyo aus den Fängen der bösen Polizei zu retten?“

„Weißt du, wie spät das inzwischen ist?“

„Ja, durchaus. Darum wirst du bitte auch vorher nochmal bei mir zu Hause vorbei fahren, damit ich mein Koron-Schätzchen noch holen kann.“

„Du willst den Hund mitnehmen?“

„Glaubst du, ich geh in nen Gruselwald, wo die Hälfte der Besucher vom Erdboden verschluckt werden und nie wieder gesehen werden, ohne einen Fährtenhund, der uns da wieder rausbringt?“

Reita schlief das Gesicht ein. Er wusste gleich gar nicht, wieviele Fehler in dieser Aussage enthalten waren und welchen davon er zuerst richtigstellen sollte. Kyo würde ja wohl hoffentlich nicht mitten in diesem Wald stecken, noch dazu um diese Uhrzeit. Bis sie in Aokigahara waren, würde es nach Mitternacht sein. Und Rukis Chihuahua-Verschnitt war ganz sicher alles, nur kein Fährtenhund. Wenn sein Leben wirklich mal von diesem verzogenen Schoßhund abhing, konnte er sich gleich erschießen. Aber Reita atmete lediglich tief durch und sagte nur: „Kyo kann sich in Aokigahara nicht zufällig ein Hotel nehmen und wir holen ihn morgen ab, oder?“

Ruki hielt ihm sein Handy hin. „Das frag ihn mal selber!“

Der Bassist dachte gar nicht dran. Er versuchte sich an der Tatsache festzuhalten, daß er Kyo sowieso möglichst schnell finden musste, um zu erfahren, wieviel er der Polizei über seinen gefälschten Presseausweis erzählt hatte. Murrend schob er den Autoschlüssel ins Zündschloss und ließ den Motor an. Langsam wurde das echt abenteuerlich. Zusammen mit dem Motor sprang auch die D´espairs Ray CD im Autoradio wieder an.
 

Nach einem Zwischenstop an Rukis bescheidenem Heim, drei satten Staus und einem ganz nebensächlichen Umweg, weil Ruki die Kanji nicht lesen konnte und 'Aokigaoka' statt 'Aokigahara' ins Navi eingegeben hatte, was 4 Stunden weiter westlich lag, war es bereits früher Morgen, als sie endlich bei Kyo und seinem Mörderwald ankamen. Das Immortal-Album von D´espairs Ray kannten sie inzwischen auswändig.

Reita war stinksauer und endfertig. Direkt nach einem anstrengenden Konzert noch so eine stundenlange Nachtfahrt hinzulegen, war eindeutig zuviel gewesen.

Kyo stand schon auf dem vorher vereinbarten Parkplatz und winkte ihnen fröhlich entgegen, als er sie sah. Heute trug er normale Jeans und Jacke und einen Schlapphut. Keine MakeUp, keine Horror-Outfits. Auf der Konferenz von Miyavi, auf die er ursprünglich gewollt hatte, hatte er ja schließlich nicht auffallen wollen.

Koron sprang als erster aus dem Auto, Ruki quietschfidel hinterher. Der hatte auf der Fahrt ja auch gut geschlafen, im Gegensatz zu Reita als Fahrer. „Hi, Kyo.“

„Hi, ihr zwei ... drei“, grüßte Kyo zurück und wuschelte das Hündchen durch, das freudig um ihn herumwuselte. Er wollte gerade die Standardfrage vom Stapel lassen, ob sie denn gut hergefunden hätten. Aber er biss sich im letzten Moment auf die Zunge. Die Uhr sagte ja deutlich genug, daß sie das nicht hatten. „Ich hab gehört, ihr wolltet mich aus der Polizeihaft holen?“, wandte er sich stattdessen an Reita, mit einem Fingerzeig auf Ruki, um zu verdeutlichen, woher er das gehört zu haben glaubte.

„Und ich hab gehört, du wärst mit meinem Presseausweis hausieren gegangen.“

„Ach, einen Versuch war es wert“, winkte Kyo lässig ab. „Wo hattest du den überhaupt her? Das Ding ist gar nicht übel. Ich sollte mir auch mal einen zulegen.“

„Dann aber bitte auf deinen eigenen Namen.“

„Das versteht sich.“

Reita schaute sich nebenbei um. Links an den Parkplatz grenzte ein Hotel an. Rechts begann schon der Waldweg, der in den Aokigahara-Wald hineinführte. Dieser Wald, in den viele hineingingen, um sich umzubringen. Reita schauderte. Auf der anderen Straßenseite war ein Abschleppdienst. Makaber. Der schaffte bestimmt gleich die Autos von den Besuchern weg, die aus dem Wald nicht wiederkamen. Wenn man der Straße noch ein Stück weiter folgte, kam man dann auch in die Stadt Aokigahara. Sicher keine sehr idyllische Wohngegend, gleich neben so einem fluchbeladenen Wald.

„Ich hab der Polizei gesagt, daß ich den Presseausweis selber gebastelt hätte. Mit falschem Namen, nur zur Sicherheit. Ich hoffe, das war okay“, erzählte Kyo weiter. „Du wolltest doch sicher nicht, daß ich denen sage, wo ich den wirklich her habe.“

„Nein, das ist nett von dir, danke“, murmelte Reita müde.

„Und wieso bist du zur Polizei gegangen?“

„Ich wollte dich halt da raus holen. ... Keine Ahnung ... wahrscheinlich hab ich immer noch ein schlechtes Gewissen, daß ich damals so überstürzt aus deinem Haus geflohen bin, ohne mich wenigstens zu verabschieden.“

„Deine Hütte ist aber auch echt ein Gruselkabinett“, pflichtete Ruki ihm bei. „Wie hältst du es da drin bloß aus, sag mal?“

„Ah, deshalb wart ihr also so plötzlich über alle Berge!?“, wollte Kyo ratlos wissen, als könne er das überhaupt nicht nachvollziehen. Seine Bude war doch cool. Er verstand gar nicht, was die beiden dagegen hatten. „Naja, egal jetzt. Gehen wir uns die Stadt ansehen, wenn ihr schonmal den ganzen weiten Weg hier hergekommen seid? Kommt ihr mit?“, wechselte er euphorisch das Thema.

Reita verzog das Gesicht. „Klar, geh du mal schön mit Ruki shoppen, ich verzieh mich jetzt in das Hotel da, hau mich auf´s Ohr und hol mir ne Mütze voll Schlaf. Ich fahre jetzt nirgendwo mehr hin.“

„Und wie sollen wir dann in die Stadt kommen?“, hakte Ruki mürrisch nach.

„Einen Fuß vor den anderen! Und wo nich glatt is, darf gerannt werden! Damit ihr heute noch wieder da seid!“

„Spinnst du? Ich will nicht laufen!“, maulte Ruki noch etwas zickiger.

„Sieh´s positiv. Vielleicht gibt es ja in Aokigahara ein Musikhaus, in dem du noch kein Hausverbot hast, und wo du endlich eine Gitarre findest.“

„Den Kommentar hätteste dir jetzt sparen können“, grummelte der Sänger und griff nach der Hundeleine, um sie sich diagonal um den Oberkörper zu schlingen. Wie immer, wenn er sie nicht brauchte und Koron frei laufen ließ. Aber Reita hatte sich schon mit einem Abschiedswinken umgewandt und spazierte auf das Hotel zu, das an den Parkplatz angrenzte. Nebenbei warf Ruki Kyo einen abschätzenden Blick zu. Meistens hatte er ja Angst vor Kyo. Aber in dem otto-normal-Styling, das er heute an sich hatte, sah er doch harmlos genug aus, als daß er sich alleine mit ihm auf Shoppingtour getraut hätte.

„Naja ... da vorn habe ich eine Bushaltestelle gesehen. Lass uns halt mal schauen, wann ein Bus fährt“, schlug Kyo vor. „Du hast also immer noch keine neue Gitarre für dich gefunden?“

„Nein“, machte Ruki nur muffelig. Er würde sich hüten, Kyo zu erzählen, was er schon alles versucht hatte und wozu das jeweils geführt hatte. „Verrate mir lieber mal, was du hier in Aokigahara willst!“

„Studien treiben und gute Drehorte suchen, für unser nächstes Musikvideo von Dir en Grey. Du wirst ja sicher wissen, welchen Ruf der Wald hier hat. Das ist sowas von perfekt. Und wann wird man schonmal kostenlos durch die Gegend kutschiert? Als ich gehört habe, daß die Polizei gerade einen Gefangenentransport nach Aokigahara aufstellt, hab ich sofort gesagt, daß ich da mit will.“

„Du warst aber nicht die ganze Nacht alleine in diesem Wald da, oder?“, meinte Ruki mit ungutem Gefühl. Es hieß ja, man solle sich nach Dunkelwerden nicht mehr in dem Wald aufhalten, und vor allen Dingen den Weg nicht verlassen, wegen der bösen Geister, die einen dazu brachten, schlimme Dinge zu tun. Ruki war ja nicht übermäßig abergläubig, aber er fand, man sollte es lieber nicht drauf anlegen.
 

Tatsache. In Aokigahara gab es ein Musikhaus. Oder einen 'Laden', das traf es vielleicht eher. Natürlich konnte er mit dem dreistöckigen Tempel von Miyavi nicht mithalten, aber hey, wenigstens gab es einen. Ruki stand etwas unschlüssig vor der Eingangstür herum und haderte mit sich, ob er wirklich reingehen sollte. Augenscheinlich war es ein reines Fender-Geschäft. Hier schien es nur Fender-Gitarren zu geben. Damit hatte Ruki für´s Erste kein Problem, auch wenn er den einheimischen Herstellern wie Ibanez und Yamaha den Vorzug gab, wenn er die Wahl hatte. Was ihn an dem Schuppen jedoch ein wenig abschreckte, war die an einem Galgenstrick aufgehängte, mit Kunstblut beschmierte Hundeattrappe im Schaufenster. Welches Statement auch immer das sein sollte, Ruki als liebenden Hundebesitzer war das enorm zuwider. Da Kyo ihm aber die Entscheidung abnahm und schon hochmotiviert in dem Laden verschwand, nahm Ruki seinen Koron lieber auf den Arm, bevor er ihm nach drinnen folgte.

Im Laden wurden sie zunächst mit einem verpennt aussehenden Verkäufer konfrontiert, der beim Gähnen die Klappe so weit aufriss, daß er sich fast den Unterkiefer aushängte. Dann blinzelte er, sah nochmal genauer hin und zeigte sich sichtlich überrascht, tatsächlich und leibhaftig Kundschaft vor sich stehen zu haben. Offensichtlich bekam er es hier nicht sehr häufig mit Kunden zu tun, noch dazu mit so vielen auf einmal. „Äh, Guten Morgen“, gab er nur irritiert von sich.

„Guten Morgen“, erwiderte Kyo missbilligend. Solche unzivilisierten Dienstleister hatte er ja vielleicht gern.

„Kann man Ihnen helfen? Was suchen Sie denn?“

„Ja, eine Gitarre bitte.“

Der Verkäufer sah sich suchend in seinem Gitarrenladen um, als müsse er erstmal überlegen, ob er sowas ausgefallenes überhaupt auf Lager hatte und wo er hier zuletzt eine gesehen hatte. „Für Sie?“, fragte er dann nach, um Zeit zu schinden.

„Nein, für ihn hier.“ Kyo deutete auf seinen Sänger-Kollegen, der sich argwöhnisch im Hintergrund hielt und sein Hündchen schützend an sich drückte.

„Semi-Akustik! Mit F-Löchern!“, rief Ruki aus einigen Metern Entfernung. Er wollte diesem Verkäufer nicht näher kommen als nötig. Der fraß bestimmt kleine Hündchen wie seinen Koron zum Frühstück.

Der Verkäufer begann zu strahlen. Sowas hatte er! „Natürlich. Wenn Sie mir bitte folgen würden!? Dann zeige ich Ihnen unsere Auswahl.“

Ruki drückte sein Hündchen mit einem leisen 'Verteidige Koron mit deinem Leben!' Kyo in die Hände und schloss sich dem Ladenbesitzer dann an.

Kyo schaute dem Gazetto verständnislos nach, bis der hinter dem nächsten Regal verschwunden war, schüttelte den Kopf und setzte Koron auf dem Fußboden ab, um ihn frei laufen zu lassen. Was sollte er das wuselige Pelztier hier die ganze Zeit rumtragen? Der Laden war ja nun nicht so groß, daß der Hund zwischen den Einrichtungen auf Nimmerwiedersehen verschwinden konnte. Als nächstes griff er sich irgendeine ausgestellte Gitarre und begann damit herumzuprobieren, als Zeitvertreib bis Ruki wieder da war und hoffentlich was gefunden hatte.
 

Es waren keine 3 Minuten vergangen, als im Gitarrengeschäft ein riesiger Tumult losging. Ein lautes Gepolter und Geschrei begann. Kyo stellte schnell seine Gitarre weg und hastete los, um nachzusehen und bei Bedarf einzuschreiten. Aber was er fand, ließ ihn ungläubig einen Moment lang innehalten. Er sah den Verkäufer auf dem Boden liegen und wild, hilfesuchend fuchteln. Über ihm stand Ruki, seine ausgezogene Jacke in der Hand, mit der er laut schimpfend unablässig immer wieder auf den völlig verstörten Verkäufer einschlug wie mit einer Peitsche. An einem Hosenbein des Verkäufers zerrte knurrend Koron, um seinem Herrchen zu helfen. Aus Rukis hysterischer, überschnappender Stimme hörte er nur zusammenhanglose Satzfetzen heraus. 'Du elender Yûrei' kam darin vor, 'Lass mich in Ruhe!' und 'Meine Seele kriegst du nicht!'. Dann entschied Kyo endlich, daß ein Dazwischengehen angezeigt war.

„Hilfe! Nimm doch jemand den Irren weg!“, jappste der Verkäufer überfordert.

„Ruki, bist du von allen guten Geistern verlassen? Hör auf damit!“, verlangte Kyo und nahm dem Gazette-Sänger zuerst die Jacke weg, damit er aufhörte, dem Ladenbesitzer das Kleidungsstück wieder und wieder um die Ohren zu hauen. Dann schnappte Kyo ihn um die Taille und zerrte ihn weg, bevor er ersatzweise mit seinen Fäusten auf den armen Mann losgehen konnte. „Du wirst ihn doch nicht umbringen wollen! Du hast nur Ärger mit der Leiche!“, beschwichtigte Kyo ihn weiter.

„Der Typ ist ein Yûrei! Der ist hinter meiner Seele her! Aber nicht mit mir, Freundchen! Nicht mit mir! Koron, beiß!“

„Ruki, bist du irre!?“

Der Chihuahua zerrte weiter giftig knurrend am Hosenbein des am Boden liegenden, daß man dachte, jeden Moment würde er einen Fetzen aus dem soliden Stoff gerissen haben. Kyo versuchte, ihn mit Aus!-Befehlen zur Ruhe zu bringen, aber auf ihn hörte der kleine Wadenbeißer natürlich nicht. Gut, auf Ruki hätte er vermutlich auch nicht gehört, aber das war erstmal zweitens.

„Gut so, Koron, hilf mir! Verteidige deinen Papa! Guter Hund! Elender Yûrei!“

„Ruki!“, jaulte Kyo am Ende mit seinen Nerven.

Der Verkäufer hatte sich inzwischen wieder auf die Beine hochgekämpft und versuchte sein Glück in der Flucht Richtung Kasse, wobei er den Hund an seiner Jeans einfach wie einen Klotz am Bein mitschleifte. „Raus aus meinem Laden! Alle!“, keuchte er.

„Ja-ja, das brauchst du mir nicht sagen“, grummelte Kyo und bugsierte den immer noch sich wild gebärdenden und laut schimpfenden Ruki vor sich her zur Ladentür. „Ruki, nun hör schon auf, Mann! Alter, ich dachte ja immer, ICH wäre creepy, aber was ist denn bei DIR bitte schiefgelaufen?“

In der Tür ließ Ruki noch einen lockenden Pfiff los, der Koron fast augenblicklich bei Fuß stehen ließ – na sieht mal an, es ging im Ernstfall doch – und marschierte dann hoch erhobenen Hauptes freiwillig hinaus.

Kyo fuhr sich mit beiden Handflächen durch das Gesicht und schloss sich ihm an. „Was sollte das, Mann? Brauchst du unbedingt ne Schadenersatzforderung für dein Ego?“

„Der Verkäufer war ein Yûrei!“, bekräftigte Ruki nochmal, inzwischen wieder ganz die Ruhe in Person, und mit einer Selbstsicherheit, die keinen Platz für Zweifel oder Unrechtsbewusstsein ließ.

„Weißt du überhaupt, was das ist?“

„Böse Geister von verstorbenen Seelen! Der Aokigahara-Wald ist voll von denen! Sie zeigen dir grauenvolle Sachen und bringen dich dazu, Selbstmord zu begehen oder deinen Begleitern was anzutun, wenn du in der Gruppe unterwegs bist.“

„Wir sind hier aber nicht im Wald, Ruki.“

„Wer sagt, daß sie an den Wald gebunden sind? Die können auch aus dem Wald raus und draußen auf Seelenfang gehen!“, meinte dieser und bückte sich herunter, um sein Hündchen lobend zu tätscheln. „Gut gemacht, Koron! Fein hast du mich beschützt! Das war richtig klasse!“

Der Chihuahua-Verschnitt hisste zustimmend auf.

„Und was bringt dich zu der Erkenntnis, daß der Compadre ein Geist war? Hatte er vielleicht ein Papierdreieck am Kopf, oder was? Als du auf ihm rumgeprügelt hast, war er ja erstaunlich real.“

„Er wollte mir einreden, daß ich unbedingt mal in den Aokigahara gehen müsse!“

Logisch, der Wald war eine Touristenattraktion, dachte Kyo augenrollend, sagte aber nichts. Er entschied, daß die unheilvolle Atmosphäre dieses Landstrichs und die Legenden um den Selbstmord-Wald Ruki zu Kopf gestiegen waren, ganz einfach. Wortlos drückte er Ruki die Jacke wieder in die Hand und ging weiter, in der Annahme, daß Ruki ihm schon folgen würde. Himmel, wie hielt man es mit so einem Kerl in der Band bloß aus? Er musste sehen, daß er Reita so schnell wie möglich wieder aus seinem Hotel rausgebelzt bekam, damit sie alsbald zurück nach Tokyo konnten.

Sündenbock

Es klingelte.
 

Reita stieß einen wütenden Ton aus und klappte sein Kopfkissen links und rechts am Kopf hoch, um sich damit die Ohren zuzuhalten.
 

Es klingelte weiter. Heute mal nicht an der Tür, sondern auf dem Handy, wie Reita erst mit ein paar Sekunden Verzögerung bemerkte. Das war neu, aber Reita wusste trotzdem sofort, was Phase war. Er blinzelte Richtung Wecker. 6:32 Uhr.

Sauer angelte der Bassist nach dem hartnäckig weiterdudelnden Handy. Ein Anruf von Ruki. Natürlich. Er wollte den Anruf wegdrücken, nahm ihn aber in seiner verschlafenen Grobmotorik versehentlich an. Er fluchte leise. Naja, nun konnte er auch rangehen, was soll´s. „Wehe, wenn´s nicht wichtig ist!“, maulte er ins Telefon und hielt das anbetracht der Situation noch für eine ausreichend freundliche Begrüßung.

„Hi, Reita“, meldete sich die altbekannte, leicht schnarrende Stimme des Sänger. „Hör mal, ich hab ein Problem. Ich brauch deine Hilfe.“

„Lass hören“, gab Reita knapp angebunden aber kooperativ zurück und rieb sich dabei mit der freien Hand den Schlafsand aus den Augen. Ruki war halt ein Frühaufsteher und das würde Reita ihm wohl auch nicht austreiben. Deswegen mochte er Ruki ja trotzdem gern und würde ihm immer helfen, wenn er konnte. Auch wenn er nach dem Drama in Aokigahara – Kyo hatte ihn umfassend über die Geschehnisse im ortsansässigen Gitarrenladen aufgeklärt – jetzt erstmal sauer zwei Tage lang kein Wort mehr mit Ruki gesprochen hatte. Das ging vorbei. Sie waren dennoch Freunde, da verstand es sich von selbst, daß ziemlich schnell wieder alles in Butter war.

„Wir haben doch demnächst das Fotoshooting in China drüben.“

„Heute, Ruki. Heute!“

„Ja. Aber da müssen wir doch mit dem Flugzeug hinfliegen.“

„Wird sich wohl nicht vermeiden lassen. Oder willst du rüber schwimmen?“

„Ich kann nicht mitkommen“, jammerte Ruki weinerlich.

„Wieso nicht? Hast du neuerdings Flugangst?“

„Ich hab keinen gültigen Ausweis.“

Sofort saß Reita senkrecht im Bett und war hellwach. „Spinnst du?“

„Mein Personalausweis ist abgelaufen. Ich hab´s gerade eben gesehen, als ich meinen Kram zusammenpacken wollte.“

„Ruki, es ist Sonntag! Alle Behörden haben zu! Wo sollen wir denn binnen 8 Stunden deinen Ausweis verlängern lassen? 15 Uhr geht der Flug!“

„Ich weiß es doch auch nicht. Reita, tu doch was!“

„Was soll ich da bitte tun?“, zeterte Reita so hysterisch, daß er fast schrie.

„Ich trau mich nicht, Kai anzurufen und es ihm zu sagen. ... Könntest du ... vielleicht?“

Der Bassist kippte steif wie ein Brett ins Kopfkissen zurück. Das war das Ende. Mit dem Flug alleine war es ja nicht getan. Sie hatten für die Lieferung der Fotos eine Deadline. Und mit ihren vollen Terminkalendern reizten sie Deadlines grundsätzlich bis zur letzten Minute aus. Sie hatten keinen Zeitpuffer mehr, um das Shooting zu verschieben. Nichtmal um einen einzigen Tag, selbst wenn Ruki morgen wieder mit einem gültigen Ausweis auf der Matte stehen sollte. „Was ist mit deinem Reisepass? Wir fliegen doch häufiger. Da musst du doch einen haben!?“

„Der ist schon letztes Jahr kurz nach unserer Europa-Tour abgelaufen. Ich war froh, damit gerade noch so zurück nach Japan zu kommen.“

„Kai wird dich umbringen, ehrlich. Und wenn nicht er, dann stehen genug Manager und andere Plattenlabel-Futzis Schlange, die ihm diese Arbeit gern abnehmen.“

„Das weiß ich selber“, murmelte der Sänger kleinlaut.

Reita atmete tief durch. „Okay, gib mir etwas Zeit. Ich versuch ... keine Ahnung ... irgendwas versuch ich schon.“

„Danke. Gibst du mir Bescheid, sobald du was weißt?“

„Sicher. Bis später.“ Reita legte auf, bevor noch mehr Katastrophenmeldungen kamen. Ruki hatte schon immer eine gut katalogisierte Sammlung von Hiobsbotschaften in Reserve gehabt, der war nie um ein Desaster verlegen.
 

Reita stand auf, warf die Kaffeemaschine an – eigentlich war ihm eher nach der Schnapsflasche zumute – ging dann ins Bad, zog sich um, machte sich Frühstück ... und zerbrach sich dabei unaufhörlich den Kopf über einer Lösung. Aber er musste den Tatsachen ins Auge sehen. Ruki würde nicht durch die Flughafenkontrollen kommen, egal wie man es drehte und wendete. Da half alles Schönreden nichts. Sie mussten es ihrem Bandleader wohl oder übel sagen. Nachdem der Bassist fertig gegessen hatte, und zur Sicherheit nochmal auf die Gültigkeitsdauer seines eigenen Ausweises geschaut hatte, griff er zum Handy. Zumindest war Reita nicht so feige, es bei einer sms zu belassen, um dem Gewittersturm zu entgehen. Er würde es Kai schon ins Gesicht sagen.

„'hayou gozaimasu, Reita-kun. So früh schon wach?“, meldete sich auch alsbald die wenig gutgelaunte Stimme des Drummers. Aus seinem Tonfall hörte man schon jetzt einen gewissen Stresspegel heraus, obwohl der Tag noch gar nicht richtig begonnen hatte. Das war gar nicht gut.

„Hi. Ja, bin schon wach. Aber nicht freiwillig, das kannst du mir glauben.“

„Probleme?“

„Wir sind sowas von am Allerwertesten!“, bestätigte Reita, selber ziemlich mürrisch.

„Soll ich mich lieber erstmal hinsetzen? Oder wird´s auch so gehen?“

„Ich glaub, du solltest dich setzen.“

Durch das Telefon hindurch hörte man ein leichtes, amüsiertes Zischen. Kai versuchte es sportlich zu nehmen. „Na, raus mit der Sprache. Ich hab heute schon dreimal mit unserem Manager gesprochen. Viel schlimmer kann´s kaum noch werden.“

„Wir werden Ruki nicht mit nach China nehmen können. Er kommt nicht durch die Flughafenkontrollen.“

Am anderen Ende herrschte Schweigen.

„Er hat gerade gemerkt, daß er keinen gültigen Ausweis mehr hat“, legte Reita nach.

Weiterhin Stille.

War das gut oder schlecht? Reita wartete eine Weile vergeblich auf ein Lebenszeichen vom anderen Ende der Leitung. „Kai?“

Ein vernehmliches Durchatmen, als hätte Kai sich gerade dran erinnert, daß er vielleicht mal weiter atmen müsste. „Das kann der Kerl mir nicht selber sagen?“, wollte er dann erstaunlich beherrscht wissen.

„Er traut sich nicht.“

„Nja, zu Recht. Es freut mich, wenn der Chaot noch Angst vor mir hat, sonst würde ich seiner Desorganisation gar nicht mehr Herr werden.“

Reita musste hart an sich halten, das nicht zu kommentieren. Kai hatte ja keine Ahnung, welche haarsträubenden Aktionen Ruki in seiner Freizeit so los ließ. Kai hatte keine Ahnung, was Reita mit dem Vocal schon alles hinter sich hatte. Wenn man einen Kumpel wie Ruki hatte, brauchte man keine Feinde mehr. Davon bekam Kai während der Dienstzeit ja gar nichts weiter mit.

„Okay, vielleicht hat Ruki ja unverschämtes Glück und er wird seinen Ausweis gar nicht brauchen.“

„Wieso? Fliegen wir nicht nach China?“

„Weiß ich noch nicht“, seufzte Kai deprimiert. „Es gibt offenbar ein paar Planänderungen. Ich wollte gerade eine sms an euch alle rumschicken, als du angerufen hast. Wir treffen uns nicht wie verabredet auf dem Flughafen, sondern schon drei Stunden eher, und zwar im Probenraum. Da will unser Manager uns erklären, was nun los ist.“

Reita bließ die Bäckchen auf und ließ die Luft langsam wieder entweichen. „Klingt nicht schlecht. Ich bin auf China jetzt eh nicht so scharf.“

„Abwarten. Ruki kann sich trotzdem ne Pfeife anbrennen, wenn ich ihn nachher in die Finger kriege. So, jetzt muss ich aber erstmal weiter rumtelefonieren, bis mir irgendwer irgendwas sagen kann. Also wir sehen uns dann 12 Uhr im Probenraum! Bis nachher, Reita, tschau.“

„Ja, bis nachher.“ Reita legte auf und starrte einen Moment gedankenversunken auf den Bildschirm seines Handys. Mit etwas Verzögerung kam dann auch die Nachricht von Kai, daß sie sich alle um 12 Uhr im Probenraum treffen sollten. Kai hatte die sms wohl pro forma an alle geschickt, auch wenn Reita es schon persönlich von ihm erfahren hatte. Nur Sekunden nach Kais Mitteilung rief Ruki an und wollte wissen, wie Kai den herben Schlag aufgenommen hatte.
 

Glockenschlag 12 tauchte Ruki als letzter im Probenraum auf. Sogar Uruha war heute mal eher gewesen als er. Der Sänger ließ sich zunächst nichts anmerken, grüßte nur unverbindlich in die Runde und warf sich neben Aoi auf das Sofa, welcher sich noch sein mitgebrachtes Mittagessen vom Imbiss reinstopfte.

„Schön, damit wären wir ja vollzählig. Dann kann ich also anfangen“, begann ihr Manager auch sofort, kaum daß Ruki sich richtig mit seinem Sitzplatz arrangiert hatte. „Wir haben leider eine Terminüberschneidung draufgedrückt bekommen. Ihr sollt heute Abend mit dem Chef der PSC über euren Tourplan für nächstes Jahr sprechen. Leider duldet das keinen Aufschub. Er braucht die Termine noch heute, weil er die Yokohama Arena, die ihr üblicherweise für euer Tourfinal nehmt, festnageln muss. Sonst ist sie weg und steht euch nächstes Jahr nicht mehr zur Verfügung.“

Die Jungs nickten verstehend.

„Eigentlich solltet ihr in drei Stunden im Flieger nach China sitzen, für eine Fotosession. Wie ihr euch denken könnt, wärt ihr bis heute Abend nicht wieder zurück. Der Verlag will die Fotos aber auch bis zur Deadline haben und macht keinen Aufschub mit. Darum verlegen wir das Fotoshooting ins chinesische Viertel von Tokyo. Die Kulisse wird auch da authentisch genug sein. Es rennen bereits ein paar Leute dort rum und suchen nach einem geeigneten Fleckchen. Ihr bleibt also hier.“

Ruki sank vor Erleichterung ein wenig in sich zusammen, sagte aber nichts. Kai warf ihm lediglich einen vielsagenden Blick zu: 'Glück für dich, Freundchen!' Aber Ruki war sich sicher, daß dieser Blick nicht alles war, was er von Kai noch abbekommen würde.

„Gut, soweit der Plan. Wir schnappen uns jetzt den Shuttle-Bus da draußen und fahren ins Studio, wo ihr die Haare und das MakeUp gemacht bekommt. Bis ihr da fertig seid, werden wir auch wissen, wo das Fotoshooting nun genau stattfindet und fahren mit dem Bus dorthin weiter. Hoffen wir, daß das Wetter hält. Hoch mit euch! Wir haben einen straffen Zeitplan, wenn wir bis heute Abend wieder im Konferenzraum der PSC sitzen und Tourdaten planen wollen!“, ordnete der Manager an und machte ein paar hochtreibende Handbewegungen, um die Gazettos aus der Sitzecke zu scheuchen. Sofort kam Bewegung in die Truppe. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Dafür waren sie Profis. Plötzliche Planänderungen lockten keinen von ihnen aus der Reserve.
 

Die Maskenbildner – sorry, MakeUp-Artists – stellten einen neuen Zeitrekord an ihnen auf. So schnell waren sie noch nie alle fünf fototauglich fertig gestyled gewesen. Ihr Manager hatte denen auch gehörig Druck gemacht. Schon von der Maske an hatten die Gazettos einen aufsässigen, kleinen Runner am Rockzipfel hängen, der wohl eher Fan als Helfer war. Runner waren normalerweise ortskundige Staffs, die zügig Besorgungen für einen erledigten, wenn man auf die Schnelle noch irgendwas brauchte. Der Kamerad hier outete sich aber sehr unverholen als Nachwuchsmusiker. Er wäre selbst Gitarrist in einer Band und würde mal ähnlich erfolgreich werden wollen wie The Gazette. Als irgendwann die Frage kam, ob The Gazette denn nicht ihre Mentoren werden wöllten, winkte Kai endlich genervt ab und ließ den Jungen mit einem 'Ruki, dein Part!' stehen.

„Wieso denn jetzt bitte mein Part?“, nörgelte Ruki uneinsichtig. Und was zum Geier sollte er mit einem Gitarristen?

„Guck mal auf deinen Personalausweis, dann weißt du warum!“, rief Kai humorlos, im nächsten Moment war er schon um die Ecke verschwunden.

Gut, das war ein Argument, musste Ruki sich eingestehen, und wandte sich wieder dem Jungen zu, mit dem er plötzlich auffallend alleingelassen dastand, denn Reita, Aoi und Uruha hatten sich ebenfalls schnell aus dem Staub gemacht. Ruki seufzte hinnehmend und steckte die Hände in die jeweils gegenüberliegenden Ärmel des Fotosession-Kimonos, in dem er inzwischen herumlief, so daß es aussah, als würde er einen Muff gegen die Kälte tragen. „Nagut, dann erzähl mir mal von deiner Band. In welchem Stimmfach singt euer Sänger?“, eröffnete er das Gespräch. Er konnte hier nur mit Gesangstheorie punkten. Das einzige, wovon er so richtig Ahnung hatte.

„Was, Stimmfach?“, machte der Nachwuchs-Gitarrenheld dumm.

„Ja, Stimmfach!“, betonte Ruki, ohne zu erklären, was das war. Er wollte dem Jungen nichts erklären. Er wollte ihm nur die Idee austreiben, Gazette als Mentoren haben zu wollen. Sie hatten innerhalb ihrer Band schon lange die interne Vereinbarung, daß sie niemandes Mentor wurden. Da hatten sie gar keine Zeit dafür.

„Ist das wichtig?“, hakte der Junge verunsichert nach.

„Ob das wichtig ist? Das ist das Wichtigste überhaupt! Am Sänger richtet sich alles andere aus. Auf deiner Gitarre kannst du locker mal paar Tonarten höher oder tiefer spielen, wenn´s drauf ankommt. Der Sänger kann das nicht. Der muss mit dem auskommen, was Gott ihm geschenkt hat.“

„Dann ... Bitte! Erklär es mir!“

Mist. Eigentor. Ruki versuchte sich nichts anmerken zu lassen und blieb freundlich. „Also du musst unterscheiden zwischen 'Stimmlage' und 'Stimmfach'. Die Stimmlage ist das, was deine Stimme von Natur aus so macht. Das hängt mit der Größe deines Kehlkopfes, der Dicke deiner Stimmbänder und dem Fassungsvermögen deiner Lunge zusammen. Wenn die Stimme bei einem Mann sehr tief und dunkel ist, nennt man das Bass, wenn sie hoch und hell ist, Tenor, wenn sie irgendwo dazwischen ist, dann Bariton. Bei Frauen nennt man das eben Alt und Sopran, beziehungsweise wenn sie irgendwo dazwischen ist, dann Mezzosopran. Das Stimmfach wiederrum ist das, wofür du deine Stimme tatsächlich einsetzt. Du kannst, auch wenn du von Natur aus eigentlich eine Bariton-Stimme hast, trotzdem Tenor-Tonlagen erreichen, wenn du dich anstrengst und dir Mühe gibst.“

„Aha“, machte der junge Gitarrist etwas ratlos.

„Das Stimmfach macht man nicht am absoluten Tonumfang fest, sondern eher an der Tessitur und dem Timbre.“

„Und das ist ... was genau?“ Jetzt klang der Junge schon regelrecht eingeschüchtert.

„Die Tessitur ist das Tonspektrum, das ein Sänger ohne große Schwierigkeiten und Anstrengung singen kann. Für sehr hohe und sehr tiefe Töne, die außerhalb der Tessitur liegen, braucht man dann schon Gesangstechnik. Und wenn man das zu lange macht, ermüden die Stimmbänder oder nehmen sogar Schaden. Das Timbre ist die Klangfarbe eines Tones. Die setzt sich zusammen aus dem Grundton, den Obertönen, die da automatisch immer mitschwingen, und den Störanteilen. Je nachdem, auf welche Weise sich diese drei Faktoren mischen, entstehen ganz charakteristische Klänge. Ein A auf einer Trompete klingt anders als ein A auf einer Gitarre. Die Instrumente kann man mit bloßem Gehör unterscheiden, weil da entweder Anblasgeräusche oder Anrissgeräusche voraus gehen und die Materialien, aus denen das Instrument gebaut ist, ganz anders ausschwingen. Genauso hat jede Gesangsstimme ganz charakteristische Tonmischungs-Spektren, so daß jeder Mensch eine individuelle Stimme hat. Darum erkennt man Menschen auch an der bloßen Stimme. Man unterscheidet je nach Klangfarbe dann zum Beispiel in lyrischen Bariton, dramatischen Bariton, Knabenbariton, Heldenbariton, ...“

„Aha ...“, war wieder der einzige Einwurf.

Ruki grinste innerlich schon. Bald hatte er den Jungen soweit. „Wenn man keine ordentliche Ausbildung hat, kommt man meistens nicht in die Höhe. Andersrum, wenn man ne gescheite Gesangsausbildung hat, kann man durch gute Technik oft auch höher singen als vorgesehen, daher lassen sich Bariton und Tenor schwer voneinander unterscheiden. Da braucht man dann ein gutes Gehör. Bariton klingt in den tiefen Tonlagen voller, in den hohen behäbiger. Tenöre klingen insgesamt heller und unbeschwerter, kriegen dafür aber nicht so das Klangvolumen drauf.“

Sein Pseudo-Schüler stand schon mit Hypnoseaugen herum und schien endgültig abgeschalten zu haben. Gut so. Ruki klopfte ihm auf die Schulter. „Also frag deinen Sänger mal danach, und dann komm wieder, okay?“, schlug er vor und zog hämisch lächelnd von dannen.
 

In dem weitläufigen, chinesischen Tempelkonstrukt, das ihnen heute als Ersatz-Fotokulisse dienen würde, dauerte es eine ganze Weile, bis Ruki den Rest seiner Band wiedergefunden hatte. Das Fototeam hatte bereits begonnen, bestimmte Bereiche abzusperren, damit keine Besucher durch´s Bild rannten, und Reita stand schon posierend herum und wurde eifrig geknippst.

„Ruki, endlich, wo bleibst du denn?“, blaffte Kai ihn auch gleich als Begrüßung an.

„Hey, wer hat mir denn den smarten Burschen aufs Auge gedrückt!? Jetzt beschwer dich gefälligst nicht!“, hielt Ruki dagegen.

„Hast du ihn abgewimmelt?“

„Ja, der fragt uns ganz sicher nicht nochmal, ob wir Mentor spielen wollen.“

„Gut. Dann sieh zu, daß du fotogen wirst. ... Wie siehst du denn aus, in Gottes Namen? Was hast du mit deinem Kimono gemacht?“

„Was hab ich denn damit gemacht?“, schoss Ruki die Frage schlecht gelaunt zurück. Er hasste es, von irgendjemandem angepflaumt zu werden, nur weil derjenige Stress hatte, für den Ruki nichts konnte.

„Du hast deine Ärmel total zerknittert!“

„Dann hab ich jetzt eben nen Knitter-Rock! Wir sehen in den Kimonos eh aus wie Mädchen! Keine Ahnung, wer diesen saublöden Einfall hatte.“

„Du, Ruki! Das war dein Einfall!“, meckerte Kai entnervt auf ihn ein.

Der Sänger stutzte kurz. „Möglich. Aber doch nicht so hier! Ich wollte echte Kimonos! Coole Kimonos! Keinen Geisha-Aufputz!“

„Was stört dich denn an den Sachen?“

„Allein schon die Farbe! Pastell-Rot und Sakura-Pink! Sind wir ne Rockband, oder was? Vom engen Schnitt um die Beine ganz zu schweigen! Und diese Schleife auf dem Rücken! Kai, du siehst aus wie ne Prostituierte!“

„Jetzt reicht´s aber!“, schnappte der Bandleader entrüstet. „Du bist Frontmann, du kannst schauspielern! Ich weiß ganz genau, daß du auch in Unterhose und Ringelstrümpfen noch überzeugen kannst, wenn du nur willst! Also gib dir vor der Kamera halt etwas Mühe, damit du so wirkst wie du es dir vorstellst! Und jetzt zieh Leine! Reita ist fertig, die Kulisse ist deine!“

Der Sänger drehte sich missmutig um und stapfte los.

„Ach, und Ruki ...!?“

Er blieb wieder stehen. „Was denn immer noch, Mann? Soll ich nun Leine ziehen oder nicht? Entscheide dich mal.“

Kai folgte ihm die paar Schritte und strich ihm fürsorglich eine vom Wind quergelegte Haarsträhne wieder gerade. „Du bist ein guter Frontmann. Du wirst auch jetzt vor der Kamera genial sein, ich weiß es“, meinte er eine ganze Ecke ruhiger und versöhnlicher. Das war ein aalglattes Friedensangebot. Er mochte es nicht, mit irgendeinem seiner Bandmitglieder zu streiten, auch wenn er es als Bandleader nicht immer vermeiden konnte. Und das letzte was er wollte, war, Ruki mit mieser Laune an die Arbeit zu schicken. Das hätte man Ruki auf den Fotos zwar nicht angesehen, dafür war der Sänger entschieden zu professionell, aber Kai hätte sich trotzdem total schlecht gefühlt, wenn er Ruki jetzt so hätte gehen lassen. „Na los, ab auf´s Set mit dir.“

Aus Rukis Schmollschnute wurde ein dankendes Lächeln. „Ist gut.“

7. Anlauf

Ruki saß auf der Rückbank des Autos und blätterte eine Weile erfolglos in seinem kleinen Hosentaschenkalender herum. Er war etwas verwirrt gewesen, als Kai ihn ganz selbstverständlich in sein Auto gesackt und zu einem 'Termin' mitgenommen hatte. Er konnte sich an gar keinen Termin erinnern. Und in seinem Kalender stand in der Tat auch keiner drin. „Sag mal, Kai, wo geht´s denn eigentlich hin?“, hakte Ruki also halbwegs ratlos nach.

„Auf eine offizielle Party von X Japan.“

Ruki wurde etwas blass um die Nase. „Kommt gar nicht in Frage! Dreh sofort um!“

„Wir werden da hingehen!“, beharrte Reita vom Beifahrersitz aus streng und warf ihm einen bösen Blick über die Schulter zu. Seine Nerven hatten in letzter Zeit genug gelitten, Ruki sollte sich jetzt endlich mal benehmen.

„Wir sind doch gar nicht eingeladen!“

„Wir sind The Gazette, wir werden schon nicht wieder rausfliegen, wenn wir gratulieren wollen.“

„Was wollen wir da?“

„Ein bisschen Öffentlichkeitswirkung betreiben“, meinte Kai nur. „Da wird ne Menge Presse vor Ort sein.“

„Hättest du mir das nicht eher sagen können?“, murrte Ruki. Er war sich inzwischen sicher, daß er den Termin nicht einfach bloß vergessen hatte, sondern daß ihm wirklich keiner irgendwas gesagt hatte. „Dann hätte ich mich entsprechend hergerichtet.“

„Du siehst gut aus!“

„Genau, siehst du doch sowieso immer!“, gab auch Reita seinen Senf dazu.
 

Da waren sie also. Eine Villa, die locker als Filmkulisse für ein Musikvideo hätte herhalten können. Mit einem ausgerollten, roten Teppich davor, der Wahnsinn. Gerade fuhr eine Limousine vor und spuckte irgendeinen Strippenzieher des Musikbusiness aus, welcher dann höflich von einem Türsteher hereingebeten würde. Im Vorgarten stand ein Kamera-Team. Etwas abgeschreckt von dem vielen Prunk marschierte Kai als Bandleader voran, seine beiden Members im Schlepptau, und auf die doppelflügliche Tür zu.

„Tut mir leid, ihr dürft hier nicht rein“, meinte der in der Tür stehende Angestellte mit bedauernder Miene.

„Nicht hier?“, gab Kai verwundert zurück. „Sollen wir einen anderen Eingang nehmen?“

„Nein, ihr seid auf der Feierlichkeit überhaupt nicht erwünscht“, erklärte der Portier.

„Wieso das denn?“

„Es gibt eine Sperrliste von Leuten, die Herr Sugizo nicht auf seiner Party sehen möchte. Hauptsächlich Plattenlabel-Konkurrenz und ein paar persönliche, nonkonforme Freunde. Er möchte schlechte Publicity vermeiden.“

Kai zog eine Augenbraue hoch. „Nonkonforme Freunde!“, wiederholte er in einem Tonfall, als wolle er dem Portier vor Augen halten, was er da eigentlich von sich gab.

„Nun, der Herr besitzt soviel Anstand, sie nicht als 'Feinde' zu verteufeln.“

„Der Herr?“, schnappte Kai ungläubig den nächsten Brocken auf. War Sugizo jetzt schon was Besseres, oder wie?

Der Portier zuckte nur mit den Schultern.

„Wir sind weder Konkurrenz noch 'nonkonforme Freunde'.“

„Wie auch immer, Herr Sugizo möchte euch hier nicht sehen“, beharrte der Angestellte mit einem freundlichen Berufslächeln und deutete auf den nächsten Wagen, der vor dem Tor vorfuhr. „Wenn ihr jetzt bitte für den nächsten Gast den Eingang wieder freigeben würdet ...“
 

Die drei Jungs von Gazette pflanzten sich erstmal auf eine Parkbank, schräg gegenüber dem Grundstück, und beobachteten von dort aus den Eingang, während sie über einer Lösung grübelten. Kai hatte die Arme verschränkt und schob mächtig schlechte Laune. Um so mehr, seit er Kyo und Shinya hatte hineingehen sehen, die sich beide offensichtlich von der anderen Straßenseite aus über sie lustig gemacht hatten. Reita hatte verängstigt schweigend den Kopf eingezogen, als fürchte er doch noch ein großes Unwetter von Kai. Und Ruki saß zurückgelehnt und mit den Händen im Schoß herum, starrte Löcher in die Luft und wartete gelangweilt auf weitere Befehle.

„Na schön“, begann Kai irgendwann. „Wer von euch beiden hat mir was zu sagen?“

Reita wurde noch kleiner.

„Ja, ich hab was zu sagen!“, half Ruki ihm aus. Sowohl Kai als auch Reita starrten ihn gebannt an. „Sugizo ist ein Idiot. Und wir sollten jetzt endlich aufhören, vor seinem Haus rumzulungern wie niedere Deppen, die gerade mit einem Arschtritt vor die Tür gekickt wurden. Lasst uns gehen!“

„Ruki ...“, stöhnte Kai und massierte sich kurz den toten Punkt über der Nasenwurzel.

„Jetzt lass uns schon verschwinden, Mann!“

„Ich will erst wissen, was hier läuft“, beharrte Kai.

„Wir wissen von nichts.“

„Ich rede nochmal mit dem Portier.“

Reita konnte gerade noch ein wehleidiges Aufwimmern unterdrücken. Dabei war er sich wirklich keiner Schuld bewusst. Er hatte ja selber keine Ahnung, was Sugizo gerade für ein Problem hatte. Aber egal was es war, er hatte das Gefühl, daß Kai es besser nicht rausfinden sollte.

Ruki winkte nur genervt ab, als ihr Bandleader aufstand und davonmarschierte. Er und Reita blieben allein auf der Parkbank zurück.
 

Als Kai wieder auf den Eingang zusteuerte, hielt ihm der Türsteher schon von weitem die Tür auf und begrüßte ihn mit einem „Herzlich Willkommen auf unserer Feier. Herr Sugizo wird sehr erfreut sein.“

„Ach, auf einmal?“, wollte Kai überrascht wissen.

Der Portier deutete einladend ins Innere. „Bitte, treten Sie doch ein.“

Kopfschüttelnd ging Kai also hinein. Komische Sache, das. Der Portier hatte sie vorhin allesamt abgewiesen, damit keiner von ihnen das Gesicht verlor, wurde ihm klar. Alleine durfte er rein. Also mussten es Reita oder Ruki sein, die hier nicht erwünscht waren. Er tippte eher auf letzteren. Ruki war ja immer für einen Knüller gut. Wollte er doch mal sehen, was sich hier drinnen rausfinden ließ. Kai beschloss, sich ein bisschen auf der Party herumzutreiben und die Augen und Ohren offen zu halten.

Auf der Party bekam Kai zunächst ein Glas Sekt in die Hand gedrückt und wurde dann sich selbst überlassen. Sugizo wurde natürlich gut von der Presse und Gratulanten belagert, also schaute sich Kai erstmal in Ruhe unter den anderen Gästen um. Pata war da, mit dem unterhielt er sich eine Weile, dann zog er weiter. Von der alten und der neuen X- und X-Japan-Truppe waren natürlich alle da, die noch lebten. Von Dir en Grey auch. Allgemein vom ganzen alten Eisen der Visual Kei Szene. In einem Nebenraum fand er Shinya und den Sänger von L´arc~en~Ciel, Hyde. Wie hieß er doch gleich? Hideto? Kai hätte ihn beinahe nicht erkannt, denn der trug eine abgefahrene 90-Grad-Brille im Gesicht, die wohl ein Scherzartikel war, und wankte unbeholfen damit im Zimmer herum, ohne wirklich zu sehen, wohin er lief. Er taumelte auf Kai zu wie ein Zombie, fiel ihm ungewollt um die Hals, und nahm die Winkelbrille dann endlich ab, um zu sehen, wen er da fast umgerannt hatte. „Upps, sorry.“

„Hi, Hideto. Du also auch hier?“, kommentierte der Drummer nur.

„Na aber logisch! Ich finde die Brille hier voll geil. Keine Ahnung, von wem Sugizo die geschenkt bekommen hat, aber die fetzt. Da kann meine batteriebetriebene Parkuhr, die sich selber weiterdreht, gar nicht mithalten. Hier, probier sie auch mal!“

Schneller als Kai gucken konnte, hatte Hyde ihm das Ding auf die Nase geschoben. Hyde hatte sie so eingestellt, daß man damit rechts um die Ecke schaute. Er sah Shinya in der Gegend herumstehen und ein Glas Sekt schlürfen, während er ihn und Hyde interessiert aus sicherer Entfernung beobachtete. „Shinya, du hast nen Fleck auf der Jacke.“

Der Drummer-Kollege schaute fragend an sich herunter. „Okay, das ist jetzt echt creepy, wenn du mich siehst, obwohl du in ne ganz andere Richtung schaust.“

Kai grinste nur und nahm die Winkelbrille wieder ab, um sie Hyde zurück zu geben. Dabei kämpfte er mit einem kurzen Schwindelgefühl wegen der plötzlichen, räumlichen Neuorientierung im Zimmer. „Ja, nicht übel das Ding“, urteilte er.

„Hast du Sugizo auch irgendwas cooles geschenkt?“, wollte Hyde wissen. Sein schelmischer Gesichtsausdruck sagte deutlich, daß er schon einige von Sugizos Geschenken ausprobiert hatte.

„Nein, leider nicht. Dafür war mein Auftritt hier zu kurzfristig.“

Hyde nickte nur verstehend, setzte die Brille selber wieder auf – er hatte da echt einen Narren dran gefressen – und wankte weiter wie ein Zombie durch den Raum.

Pata und Sugizo kamen in den Raum, ebenfalls jeder ein Glas Sektchen in der Hand. Pata holte gerade noch Luft, um etwas zu sagen, da hatte Hyde Sugizo auch schon umgerannt und war mit ihm zu Boden gestürzt. Sugizo fluchte laut und ungeniert auf. Er hatte sich seinen Sekt von oben bis unten über alle Klamotten gekippt, und über Hyde gleich mit. „Blödmann, kannst du nicht aufpassen?“

Kai konnte nicht anders, er musste erstmal herzlich lachen, bevor er fragen konnte, ob alles okay war.

Pata fluchte ebenfalls los wie ein Rohrspatz. „Elende Gazettos! Ich könnte euch allen den Hals umdrehen!“, maulte er sauer. Hätte er Sugizo doch einfach nur diese vermaledeite Schallplatte vom Trödelmarkt schenken können, dann wäre es hierzu nie gekommen! Und jetzt fand Kai das auch noch lustig!

Kai zog reumütig den Kopf ein. Da er vom Flohmarkt nichts wusste, nahm er Patas Ärger gänzlich auf seine eigene Kappe und verkrümelte sich lieber, um sich schnell ein paar andere Gesprächspartner zu suchen.
 

„Shiiiiihiiiit“, jammerte Reita draußen auf seiner Parkbank gedehnt. „Ruki, wieso dürfen wir da nicht rein? Vor laufenden Kameras! Was hast du jetzt schon wieder angestellt?“

„Wieso denn ich?“

„Ist nur so´n Erfahrungswert ...“

„Was wollen wir überhaupt hier?“, nörgelte der Sänger uneinsichtig zurück. „Kai hat mir immer noch nicht verraten, was diese Presse-Show hier bedeutet.“

„Sugizo gründet ein eigenes Plattenlabel. Aus diesem Anlass verlost er da auf der Eröffnungsfeier unter den Gästen eine Gitarre. Eine wirklich gute. In deiner Größe. Ich hätte es schon so zu drehen gewusst, daß du sie kriegst. Damit endlich Ruhe ist.“

„Was soll das denn heißen: in meiner Größe?“

„Das soll heißen, daß du gut mit ihr klargekommen wärst!“

„Hast DU mir das eingebrockt?“, wollte Ruki säuerlich wissen. „War das etwa deine Idee, auf diese Feier zu gehen?“

„Ja, war es! Na und?“

Ruki verschränkte die Arme und starrte sauer zur Seite.

„Sie hat sogar F-Löcher, wie du es wolltest“, warf Reita ihm noch an den Kopf, selbst ein wenig genervt, aber zumindest in der Hoffnung, daß das Ruki wieder besänftigen würde. Er hasste dieses mädchenhafte Rumgezicke ohne haltbaren Grund. Keine Antwort. Gut, dann eben nicht. „Kann man sich mit dir denn nirgends mehr blicken lassen? Hast du in ganz Tokyo nur noch Gegner, sag mal?“, nörgelte Reita also selber weiter.

„Ich will keine Gitarre von Sugizo!“

„Und wieso nicht?“

„Der Kerl ist der Grund, warum ich überhaupt eine neue Gitarre brauche!“

„Du sagtest, du hättest deine alte Gitarre jemandem über den Kopf gehauen!“

„Richtig!“, meinte Ruki zickig.

Reita starrte ihn fassungslos an. Es dauerte Sekunden, bis er den Sinn dieser Aussage so richtig verarbeitet hatte. Das meinte Ruki nicht ernst! ... Oder? ... Nein. „Du hast deine Gitarre ... Sugizo über den Kopf gehauen?“

„Mit ordentlich Schmackes, ja“, bestätigte der Sänger unverfroren, als wäre er auch noch stolz drauf. Er fühlte sich absolut im Recht.

Reita bließ die Wangen auf und ließ die Luft langsam wieder entweichen. „Was hat der Mann dir getan?“, verlangte er nüchtern zu wissen.

Ruki schaute wieder gedankenversunken auf das Gebäude gegenüber, in dem die Eröffnungsfeier für Sugizos Plattenlabel in vollem Gange war. Als würden vor seinem inneren Auge die fraglichen Szenen nochmal abspielen. „Erinnerst du dich an das Sommerfestival, auf dem wir neulich gespielt haben? Oder vielmehr an die After Show Party danach?“

„Nur noch dunkel“, gestand Reita. „War ja eine sehr feuchtfröhliche Party. Wir waren alle rotzbesoffen.“

„Eben. Wir haben auf dem Festival 'cassis' gespielt, ich also auch mit Gitarre auf der Bühne. Sugizo hat sich hinterher ordentlich weggesoffen. Er hat sich lautstark darüber lustig gemacht, wie albern ich halbe Portion mit meiner riesigen Gitarre aussehen würde. Was für eine reife Leistung es wäre, daß ich damit nicht zusammenbreche. Das ging fast ne halbe Stunde lang so. Er hat gar nicht wieder aufgehört. Dann hat´s mir gereicht. Ich hab meine ach so alberne Gitarre genommen und sie ihm über den Kopf gehauen.“ Ruki musste akut grinsen, als würde ihn der Anblick jetzt noch amüsieren. „Tja. Sugizo war besoffen. Aber scheinbar nicht so sehr, daß er sich das nicht gemerkt hätte.“

Reita schüttelte leicht den Kopf. „Du bist furchtbar.“

„ICH bin furchtbar? Was ist denn Sugizo dann erst?“

„Das war keine adäquate Revanche, Ruki. Auch gegenüber dem Feind muss man die Form waren. Gerade gegenüber dem Feind!“

„Damit man ihm keinen Aufhänger bietet, ja-ja“, seufzte Ruki.

„Geh dich bei ihm entschuldigen!“

„Ich mich entschuldigen?“, jaulte Ruki empört auf. „Der kann sich bei MIR entschuldigen! Und er hat außerdem angefangen!“

„Ruki, bitte. Jetzt schluck doch einmal deinen falschen Stolz runter!“

„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, daß Sugizo mich beleidigt hat! Und wir stehen auf der Sperrliste, wenn du´s noch nicht mitgekriegt hast!“, maulte der Sänger. „Der lässt uns nicht rein, um irgendeine Art von Entschuldigung entgegen zu nehmen, ob nun ernst gemeint oder nicht!“ Er hob theatralisch die Hände gen Himmel, als wolle er göttliches Wort verkünden. „Bei meiner Ehre! Ich habe nichts Unrechtes getan“, verlautbarte er in dramatisch geschwollenem Tonfall. „Wenn Sugizo mich hasst, muss ich es mit Würde tragen!“

Reita schlug ihm derb auf den Hinterkopf. Hier war jedes weitere Wort Verschwendung.
 

In der Zwischenzeit kam Kai wieder aus dem Gebäude herausgeschlendert, beide Hände in den Hosentaschen, schaute nach links und rechts bevor er die Straße überquerte, und gesellte sich wieder zu seinen Bandmitgliedern.

„Hey, da bist du ja wieder“, grüßte Reita mit etwas mulmigem Gefühl.

Ruki schaute ihn nur erwartungsvoll an.

Der Drummer zog ein unzufriedenes Gesicht. „Ich hab aus den Herrschaften kein Wort rausgekriegt. Was auch immer da vorgefallen ist, die wollen es nicht an die große Glocke hängen. Ich bin also keinen Schritt weiter gekommen“, berichtete er.

„Na, dann lass uns jetzt endlich wieder gehen“, schlug Ruki vor und stand auf. „Ich will endlich zurück zu meinem Koron-Schätzchen.“

„Schade um die Gitarre, die Sugizo verlost. Ich hab sie mir mal angeschaut. Du hattest Recht, Reita, die wäre wirklich geil gewesen.“

„Ich find auch alleine eine Gitarre!“, warf Ruki ein.

„Den Eindruck hab ich auch“, schoss Kai zynisch zurück. „Deshalb hast du auch schon seit über sechs Wochen keine neue. Weil du dich zwischen so vielen zur Auswahl stehenden Gitarren gar nicht entscheiden kannst.“
 

An diesem Nachmittag fiel Reita, als er nach Hause kam, sofort mit einem dumpfen Puffen ins Kopfkissen seines Bettes und gab sich seinem moralischen Tief hin. Er war am Ende. Kai hatte erst Ruki nach Hause gefahren, einzig und allein zu dem Zweck, hernach mit Reita im Auto alleine und ungestört zu sein. Und dann war die unvermeidliche Aufforderung ausgesprochen worden, mit der nun dieses ganze Kartenhaus in sich zusammengefallen war: 'Reita, jetzt mal Klartext! Was ist mit Ruki los? Du benimmst dich schon seit Wochen so komisch, ich weiß, daß du was weißt.' Was hatte Reita also sagen sollen? Natürlich hatte er angefangen zu erzählen. Und es war ein beängstigend befreiendes Gefühl gewesen, es endlich los zu werden. Reita hatte ihm ALLES erzählt. Alles. Miyavi, okay, davon hatte er schon gewusst, aber auch Kyo, Shinya, Pata, Maya und Aiji, die Sache in Aokigahara, Sugizo, alles. Kai hatte eine Achterbahnfahrt zwischen Lachen und Heulen hingelegt, war auch ein bisschen böse gewesen, daß Reita nicht eher mit der Sprache rausgerückt hatte, hatte dann aber alles in allem auch keine akute Lösung gewusst, außer mit jedem einzelnen von denen nochmal zu reden und die Sache möglichst zu schlichten. Im Notfall war sogar das ein oder andere Versöhnungsgeschenk fällig. Das war halt das Los eines Bandleaders, Unstimmigkeiten zu klären. Wohlmöglich würde er Ruki dafür auch nochmal gehörig Feuer unter dem Hintern machen. Dann hatte er auch Reita endlich daheim abgesetzt und für heute entlassen.

Nun lag Reita also auf seinem Bett, noch in Straßenklamotten, und bemitleidete sich selbst. Natürlich würde, wenn Ruki wirklich einen Anpfiff von Kai kassierte, unvermeidlich ans Licht kommen, daß Reita alles gepetzt hatte. Denn woher sollte Kai es sonst wissen? Es war alles so furchtbar. Ganz von alleine angelte seine Hand das smartphone aus der Hosentasche und wählte eine Nummer, die er schon viel zu lange nicht mehr gewählt hatte. „Hizumi, ich will nicht mehr! Tu doch was!“, wimmerte Reita überbetont, kaum daß er das Knacken in der Leitung vernahm, welches ankündigte, daß drüben jemand den Anruf angenommen hatte.

Der ehemalige D´espairsRay-Sänger lachte. „Gleichfalls Hallo. Was ist denn passiert?“

„Viel zu viel! Es wird immer schlimmer. Ruki bringt uns noch in Teufels Küche.“

„Immer noch wegen seiner Gitarre?“

„Ja. Ich bin am Ende. Du hast gesagt, du hättest eine Idee. Jetzt wär gerade der passende Zeitpunkt, mich noch schnell zu retten, bevor ich in der Klappsmühle ende.“

„Na schön, dann ist es wohl an der Zeit, daß ich meinen Masterplan endlich mal umsetze, auch wenn ich eigentlich gerade ziemlich beschäftigt bin. Aber für dich nehm ich mir die Zeit“, stimmte Hizumi fröhlich zu. „Wann kann ich Ruki denn mal treffen?“

„Jetzt gleich, wenn du willst.“

„Naja, nein, es darf nicht aussehen, als würde ihm das Treffen aufgezwungen werden. Wenn er bockig ist, wird mein Vorhaben nicht funktionieren.“

„Mh. Lass uns doch mal essen gehen. Ich kann uns irgendwo ein Hinterzimmer reservieren, wo wir unsere Ruhe haben. Einfach so zum quatschen und ein Bierchen wegkippen. Da hat Ruki nie was dagegen.“

Gnade vor Recht

Kai schaute auf die Uhr und legte dann seine Drumsticks beiseite. Für seinen Geschmack hatten sie lange genug geprobt. „Gute Arbeit, Jungs. Feierabend für heute.“

Aoi entledigte sich sofort begeistert seiner Gitarre und tauschte sie förmlich in einem Handgriff gegen seine Jacke. Er wollte schnell weg.

Uruha dagegen zog ein etwas enttäuschtes Gesicht. Er hätte gern noch ein bisschen weiter gespielt.

„Reita, vergisst du bitte nicht, deinen 'Großen Drachen' in ne Ballade umzuschreiben? Wir sollten langsam anfangen, den Song einzustudieren, damit wir keine Probleme mit der Single-Deadline kriegen“, warf Kai noch in die Runde.

„Bin schon dran.“

„Alles klar. Dann mal schönen Nachmittag noch, Leute“, stimmte auch Ruki in die allgemeine Aufbruchsstimmung mit ein, stopfte sein Mikrophon in den Ständer und schaltete den Verstärker aus.

„Ruki?“, hielt Kai ihn zurück.

„Ja?“

„Wenn du ein wenig Zeit erübrigen könntest, dann bleib mal bitte noch da.“

Das veranlasste Uruha endlich, seine Gitarre ebenfalls weg zu stellen. Schon anhand der Wortwahl hatte er den Eindruck, daß Kai hier noch was vor hatte und er besser nicht dableiben sollte, um wie üblich alleine weiter zu üben.

Ruki schaute Kai fragend an, erfuhr aber erstmal nicht, worum es ging, denn der vertiefte sich demonstrativ in ein paar Notenblätter, um möglichst unverfänglich die Zeit zu überbrücken, bis die anderen gegangen waren. Also pflanzte sich der Sänger auf das Sofa und wartete.

Reita setzte sich zu ihm, nachdem sein Equipment versorgt war.

„Was willst du denn noch hier?“, hakte Kai nach.

„Auf Ruki warten, wenn das okay ist. Oder unterliegt hier irgendwas der Geheimhaltung, was ich nicht wissen darf?“

„Nein, das nicht.“ Ach, was sollte es!? Reita wusste ja sowieso schon Bescheid. Wahrscheinlich sogar besser als Kai selber. Er wandte sich also Ruki zu, der schon ein miesepetriges Gesicht zog als ob er genau wüsste, was jetzt kam. Seufzend ließ sich Kai mit in der Sitzecke nieder und überlegte, wie er anfangen sollte. „Hört mal, ihr zwei“, hob er schließlich an. Sicher verdauten die beiden das besser, wenn er die Schuld ein bisschen verteilte. Reita war ja schließlich immer dabei gewesen und war genau so eine Pflaume, wenn er nicht in der Lage war, einzugreifen. „Ich hab mit Pony Canyon gesprochen. Soviel ich weiß, war euer Auftritt dort der Auslöser, um LM.C aus ihrem Plattenvertrag raus zu wippen.“

Ruki schnappte protestierend nach Luft, um etwas zu sagen, wusste dann aber beim besten Willen nicht, was.

„Ich sag nicht, daß es komplett eure Schuld war“, lenkte Kai nachsichtig ein. „Der Chef von Pony Canyon hatte schon vorher gute Gründe. Maya und Aiji haben sich geweigert, an getrennten Projekten weiter zu arbeiten und damit ihre Verträge zu erfüllen, DESHALB sind sie rausgeflogen. Und nicht, weil ihr dort aufgetaucht seid. Aber es wäre mir trotzdem sehr daran gelegen, wenn ihr zwei euch vielleicht ein bisschen diplomatischer und diskreter verhalten würdet. Bitte rührt in solchen Sachen, die uns nichts angehen, nicht noch mit drin rum, okay? Pony Canyon ist nicht unsere Angelegenheit.“

Reita nickte einsichtig. Ruki wartete einfach nur, daß Kai weitersprach.

„Mit Sugizo habe ich auch gesprochen“, fuhr der Drummer also fort und freute sich, daß die beiden sichtlich grün im Gesicht wurden. Das war genau die Wirkung, die er erzielen wollte. Es war nicht sein Anliegen, Ruki und Reita zur Schnecke zu machen. Die sollten einfach nur spüren, daß ihr Bandleader über alles im Bilde war und den Dingen bei Bedarf auch nachging. Kai setzte ein unterschwelliges, fast belustigtes Lächeln auf. „Sugizo wird dich ab jetzt nicht mehr wegen deiner Größe dissen.“

Ruki schaute ihn mit riesigen Augen an. Wartete eine gefühlte Ewigkeit auf mehr. Auf Ärger. Auf eine richtig gepfefferte und gesalzene Standpauke. Aber es kam nichts. Kai lächelte nur weiter konspirativ in sich hinein. „Das ist alles?“, hakte Ruki nach.

„Naja, eine Sache vielleicht noch ... Wenn du dann gelegentlich mal die Güte hättest, dir endlich eine neue Gitarre anzuschaffen, dann hau sie bitte nicht gleich wieder irgendjemandem über den Kopf. Du merkst ja selber, wie schwer man gute Gitarren findet.“

Ruki und Reita gafften ihren Bandleader mit vor Fassungslosigkeit eingeschlafenen Gesichtern an. War das sein verdammter Ernst?

„Aber abgesehen davon war das alles, ja.“ Jetzt grinste Kai schon. Das Drama mit Pony Canyon und das Ding mit der neuen Bekanntschaft zwischen Rukis Gitarre und Sugizos Schädel, das waren die beiden Sachen gewesen, die er zwingend hatte ansprechen wollen. Mit den anderen Vorkommnissen konnte er leben, die waren bei Licht betrachtet halb so wild. Und er war nicht der Typ, der seinen Bandmitgliedern so richtig den Arsch aufreißen konnte. Auf der kameradschaftlichen, sachlichen Schiene kam man ohnehin meistens weiter. Darum klärte er gern erstmal alles im Guten, wenn er konnte. Das hatte er hiermit getan. Damit konnte er die beiden nun guten Gewissens wieder entlassen.

„Meinst du, wir sollten bei Pony Canyon nochmal vorstellig werden?“, meinte Reita.

„Nein. Die Sache ist geklärt. LM.C sind draußen. Daran hätten wir vorher nichts ändern können und daran ändern wir auch jetzt nichts mehr.“

„Okay“, nickte der Bassist kleinlaut.

„Gut. Das war´s von meiner Seite. Habt noch einen schönen Nachmittag“, beendete Kai die Sitzung und sprang auch gleich selber von seinem Sitzplatz hoch, um seinen eigenen Worten Taten folgen zu lassen.

„Dir auch“, nuschelten die beiden wie aus einem Mund und zogen mit schuldbewusst eingezogenen Köpfen davon. In der Tür blieb Ruki nochmal stehen. „Kai?“

„Hm?“

„Das ... ähm ... Reita kann nichts dafür, okay? Das war alles ... du weißt schon ... meine Schuld. ... Also, ich meine bei allem. ... Was in den letzten Wochen halt so alles passiert ist.“

Kai nickte lächelnd. „Das find ich anständig von dir, daß du´s wenigstens zugibst.“

„Ich gelobe Besserung, ja? ... Und, ähm ... Danke!“

Danke? Wofür? Ehe Kai dumm nachfragen konnte, hatte Ruki die Tür schon von außen zugezogen und war geflüchtet. Naja, wahrscheinlich dafür, daß die erwartete Prügelstrafe nicht so hart ausgefallen war, entschied er dann und packte auch seinen eigenen Krempel zusammen, um selbst endlich in den Feierabend zu verschwinden.
 

Reita und Ruki standen vor dem Fahrstuhl und warteten, daß der endlich auf ihrer Etage hielt und sie einsammelte. Sie hatten kein Wort mehr gesagt, seit sie aus dem Probenraum heraus waren. Sie waren beide total geknickt. Obwohl Kai sie gar nicht so richtig zusammengestaucht hatte – oder vielleicht gerade deshalb – hatten sie ein moralisches Tief. Kai hatte die ekelhafte Fähigkeit, auch mit einem Sonnenscheinlächeln noch gewichtig genug zu sein, damit seine Botschaft ankam. Mit dieser ruhigen, sachlichen Art kam er so unglaublich erwachsen rüber und machte ihnen damit ohne Worte klar, was für unreife Kindsköpfe sie beide eigentlich waren. Das saß.

Der Fahrstuhl ging auf und sie stiegen ein. „Soll ich dich noch heimfahren?“, wollte Reita wissen. Das erste gesprochene Wort zwischen ihnen beiden.

„Gerne, wenn du willst.“

Reita nickte und drückte eine der Kellergeschoss-Tasten. Die Tiefgarage. „Danke, daß du mich vorhin in Schutz genommen hast.“

„Aber sicher. Seine Freunde lässt man doch nicht unschuldig für sich mithängen.“

Reita zog ein sehr wehleidiges Gesicht, das Ruki schon jetzt argwöhnisch beobachtete. Dieses Gesicht kannte er an seinem Kumpel. Immer, wenn er am Boden war und in den Sack hauen wollte. Gleich kam´s ... „Ich glaub, wir sollten aufhören“, meinte der Bassist in diesem Moment auch schon niedergeschlagen, wie zur Bestätigung.

„Womit?“

„Musik zu machen.“

„Ach, Reita, sag doch sowas nicht“, entgegnete Ruki mild.

„Wir sind jetzt schon so lange im Geschäft. Wir hatten unseren Ruhm doch. Und der aktuelle Trend gefällt mir überhaupt nicht. Das ist ne komische Musik, die heutzutage produziert wird. Hast du dir mal mit Verstand die Newcomer-Bands angehört, die jetzt so in den Plattenlabels kursieren?“

„Was meinst du?“

„Da wird so lange mit dem Bügeleisen drübergehobelt, bis man kein einziges Instrument mehr raushört. Man hat nur noch den Gesang – der für sich genommen schon nicht viel her macht, denn die Sänger klingen alle gleich – hier und da noch ein vereinzeltes, leises Trommelpuffen, und ansonsten nur 'Hintergrundrauschen', das ein einziger, furchtbarer Einheitsbrei ist und aus dem man sich selbst bei bewusstem Hinhören nichts nehmen kann. Alles elektronifiziert und totgemischt. Ich höre keinerlei Gitarre raus, geschweige denn mal einen Bass. Wo ist die anständige Rockmusik von früher geblieben, mit markanten Sängern, die man sofort an der Stimme erkannt hat, und mit hörbaren Gitarren-Lines?“

Ruki schmunzelte. „Und du hast Angst, daß wir auch bald solche charakterlose Billigmusik produzieren müssen?“

„Du etwa nicht?“ Der Fahrstuhl ging wieder auf und sie stiegen aus. Reita stiefelte eine Nasenlänge voraus, denn im Gegensatz zu Ruki wusste er, wo sein Auto stand.

„Ach, Quatsch. Wir sind viel zu erfolgreich mit dem, was wir machen. Wir haben eine riesige Fangemeinschaft. Wir kriegen eine Yokohama Arena mit 17'000 Zuschauern in Rekordzeit ausverkauft. 17'000 Menschen, Reita, lass dir die Zahl mal auf der Zunge zergehen. Glaub mir, an unserem Musikstil pfuscht uns so schnell keiner rum.“

„Ich glaube, daß auch wir uns nicht vor dem Wandel der Zeit verschließen können. Irgendwann wird es uns auch treffen.“

Ruki schmunzelte belustigt. „Das ist doch nach dieser Ansage, die wir von Kai gerade eben kassiert haben, nicht dein eigentliches Problem, oder? Was ist los, Reita? Woran hängt´s wirklich?“

„Ich weiß nicht ...“

„Hast du Angst, deiner Band noch unter die Augen zu treten? Glaubst du, die mögen dich jetzt nicht mehr? Glaubst du, ich hätte dein Ansehen bei denen ruiniert, nach dem ganzen Hickhack der letzten Wochen?“

Reita grummelte leise in sich hinein. „Manchmal hasse ich dich für deinen Scharfsinn, ehrlich“, maulte er zwischen beleidigt und bestätigend. Wo nahm der Kerl bloß diese Gabe her, alles so schmerzhaft präzise in Worte zu fassen?

Der Sänger kicherte sorglos. „Da ist Flucht aber der falsche Weg. In so einem Fall muss man erst recht da bleiben und sich beweisen. Zeigen, daß man´s besser kann. Aber mal davon abgesehen hast du ja gar keinen Grund dazu. Ich bin doch derjenige, der sich bei seinen erfolglosen Versuchen, eine Gitarre ranzuschaffen, ständig in Schwierigkeiten bringt. Wenn überhaupt, dann sind die Kollegen auf MICH sauer.“

Nun lächelte auch Reita wieder leicht. Schön, daß Ruki es wenigstens einsah, daß er nur Grütze verzapfte. Damit kletterte er bei Reita in der Achtungs-Skala gleich wieder um etliche Stufen nach oben. Das waren so Momente, in denen er wieder wusste, warum er mit dieser chaotischen Nudel doch so dicke zusammenhielt. Reita fischte den Zündschlüssel aus der Jackentasche, als sie sein Auto erreichten, und drückte auf die Funk-Zentralverriegelung.

„Hör mal, kannst du mich vielleicht bei Shinya absetzen?“, wechselte Ruki das Thema, bevor er mit dem Kopf im Wageninneren verschwand.

„Was willst du´n da?“

„Ich schulde ihm noch Geld. Er hat doch auf dem Flohmarkt neulich für die Schallplatte mitdocken müssen, die Pata kaputt gemacht hat. Ich fang so langsam an, überall die Beträge abzustottern, die ich noch offen habe. Vorhin hab ich Aoi auch schon seine Gitarre bezahlt, die er für mich gekauft hatte.“

Reita ließ sich auf den Fahrersitz fallen. „Erlaube mir bitte folgendes zu bemerken: DU hast die Schallplatte kaputt gemacht, Ruki.“

„Hab ich nicht! Pata hat dran gezogen und sie dabei zerbrochen!“

„Und du hast sie nicht losgelassen. Einigen wir uns drauf, daß ihr sie gemeinsam kaputt gemacht habt.“

„Ändert auch nix. Bezahlen muss ich sie trotzdem!“, stellte Ruki in gespielt schmollender Stimmlage klar und zog eine Flusch.

Reita winkte ab und startete den Motor. Zwecklos. Wie immer. „Schon gut, ich bring dich zu Shinya“, entschied er lediglich. Und hoffte, daß Shinya wenigstens zu Hause war, wenn sie so spontan bei ihm aufkreuzten.
 

Da Reita inzwischen wusste, wo man in dieser mischuggenen Wohngegend einen Parkplatz fand, standen sie diesmal etwas schneller vor dem Haus als bei ihrem letzten Besuch. Natürlich ging Reita mit. Er würde Ruki ja nicht einfach hier rausschmeißen und dann weiterfahren. Er würde schon warten, bis Ruki fertig war, und ihn hinterher noch wohlerzogen nach Hause bringen.

Ruki klingelte schon zum zweiten Mal, aber immer noch ohne Erfolg. Prüfend schaute er auf die Armbanduhr. „Hm. Wir haben zwar heute zeitiger mit den Proben aufgehört als ich dachte, aber es wundert mich trotzdem, daß Shinya noch nicht da ist.“

„Und was jetzt? Wollen wir hier warten, bis er wiederkommt?“, wollte der Bassist wissen und hoffte inständig, daß Ruki das als rethorische Frage erkannte und nicht wirklich 'ja' sagte.

„Hmmmmmmm ... lass uns mal ne Runde um´s Haus laufen“, schlug er vor.

Gut, damit konnte Reita leben. Er schob die Hände in die Jackentaschen und spazierte gemächlich los.

Im grauen, trostlos zubetonierten Hof auf der Rückseite des Hauses stand die Hintertür offen. Dort fanden sie Shinya mit einer Zigarette im Mundwinkel. Zuerst dachten sie, er wäre nur zum Rauchen rausgekommen, um seine Bude nicht voll zu qualmen. Aber dann kam Reita zu Bewusstsein, was der Dir en Grey Drummer hier wirklich tat. Er hatte gerade ein postkartengroßes Stück Papier in der Hand – augenscheinlich ein Foto – das er mit dem Feuerzeug genüsslich angokelte.

„Shinya, was wird´n das!?“, klinkte sich Reita sofort fassungslos ein, ohne eine Begrüßung voran zu stellen.

Shinya fuhr ertappt herum, als er den Besuch bemerkte, und ließ das Foto vor Schreck zu Boden fallen. „Was ... Wer ... Wie kommt ihr denn hier her?“

„Durch die Zufahrt!“, meine Ruki und bückte sich nach dem angerußten Papier.

„U-Und was wollt ihr?“

Ruki betrachtete das Foto eine Weile skeptisch, soweit man noch etwas darauf erkennen konnte, und hielt es Shinya dann vor die Nase wie eine Polizeimarke. „Sollten wir die Dame kennen?“

Der Drummer räsperte sich und sammelte sich sichtlich wieder. „Das ist Rhythmy. Und ja, wenn man selber im Musikgeschäft tätig ist, sollte man sie eigentlich kennen, du ungebildeter Intelligenzbolzen.“ Er schnappte Ruki das Foto wieder aus der Hand.

„Rhythmy. Das ist doch eine der Schwestern von Miyavis Frau Melody“, überlegte Reita vor sich hin. „Was hat die dir denn getan, daß du rituell Fotos von ihr einäscherst? Bist du irgendwie sauer auf sie?“

Shinya zog ein ernst-entschlossenes Gesicht und ließ das Bild mit seinem Feuerzeug endgültig in Rauch aufgehen, bevor er weitersprach. „Ist nur so eine Masche von mir. Ein Tick, wenn du so willst. Immer wenn ich von Leuten höre, die sich ungebührlich benehmen, gebe ich Ihnen damit heimlich Saures. Ist ein sehr befreiendes Gefühl. Gut zum Stress-Abbau und so. Aber verratet das bloß keinem. Ihr seid hier gerade Zeuge von etwas geworden, das ihr besser nicht hättet wissen sollen.“

Ruki zog vielsagend eine Augenbraue hoch. „Will ich wissen, wieviele Fotos du von uns Gazettos schon verbrannt hast?“

„Hm ... von euch allgemein? Oder von dir im Speziellen?“

„Shinya!“
 

„Miyavi, hey“, grüßte Ruki etwas müde, als er dem quirligen, zutätowierten Sänger-Kollegen ein paar Tage später zufällig beim Einkaufen begegnete. Im Wesentlichen ließ er sich sein Zeug ja liefern oder von einem Staff besorgen, denn alle Nase lang von Fans erkannt zu werden, war ihm auf Dauer zu anstrengend. Aber wenn er bloß mal schnell eine Kleinigkeit brauchte, ging er durchaus auch mal selber los. Vorsorglich nahm er seinen Koron schnell auf den Arm, als er Miyavi über den Weg lief, bevor wieder ein Malheur passierte.

Miyavi zog unschlüssig eine Augenbraue hoch. „Hi“, gab er nur zurück. Er war immer noch ein bisschen sauer auf Ruki, wegen damals. Das Hausverbot in seinem Laden bestand ja nach wie vor. Aber deswegen gar nicht mehr mit ihm zu reden, erschien ihm auch übertrieben. Vielleicht vertrugen sie sich ja sogar wieder. „Hast du denn inzwischen endlich mal eine Gitarre, mit der du klarkommst?“

Ruki schüttelte den Kopf. „Hör mal, willst du mich in deinen Gitarrenladen nicht langsam mal wieder rein lassen?“, fragte er ganz unverblümt.

Miyavis Gesicht wurde noch frostiger. „Soll das etwa eine ordentliche Entschuldigung sein?“

„Nein, nur eine sachliche Frage!“

„Dann kriegst du jetzt von mir ein sachliches 'Nein', so!“

Ruki verdrehte sie Augen. „Ach komm schon, wie lange willst du noch den Beleidigten spielen, wegen so einer dummen Hose? Soll ich dir die 650 Yen für die Reinigung wiedergeben? Bist du dann zufrieden?“

„Um die Hose geht es nicht, Ruki. Mir ist wegen der ganzen Sache eine riesige Vertragsunterzeichnung in die Binsen gegangen. Ich wollte eine Band für ein großes Projekt verpflichten. Aber weil ich erst nach Hause musste, um mich umzuziehen, und dann zwei Stunden zu spät aufgekreuzt bin, haben die abgelehnt und sind wieder gegangen. Die halten mich jetzt für unzuverlässig. Und das ganze Projekt steht auf der Kippe. Man findet nicht mal eben auf die Schnelle eine Band, die professionell ist und trotzdem jede Menge Zeit hat.“

„Also DABEI kann ich dir helfen!“, meinte Ruki sofort. „Frag doch mal Maya. LM.C sind eh gerade zu haben und schwer am Suchen.“

Über Miyavis Gesicht wechselte eine ganze Palette von Emotionen. Ein Nachdenken, ob LM.C dafür die richtigen Leute waren. Ein Freuen, weil sie das tatsächlich waren. Dann ein leicht mürrischer Ausdruck, weil er Ruki den Triumpf ungern gönnte. „Ich kann ihm ja gelegentlich mal davon erzählen“, umging er es schließlich. Das ließ alles offen. Das hieß ja nicht automatisch, daß Maya auch wirklich mitmachen wollte – obwohl Miyavi sich schon sehr gewundert hätte, wenn nicht.

8. Anlauf

Eine Woche später saßen sie in einem Okonomiyaki-Restaurante – darauf hatte Ruki bestanden, sonst wäre er nicht mitgekommen – und hockten auf dem Boden auf Sitzkissen um einen niederen Tisch herum. Das Essen war schon bestellt, ließ aber noch auf sich warten. Hizumi gab den Scherzbold und erzählte einen Witz nach dem anderen. Ruki schien es toll zu finden und lachte sehr ausgelassen mit. Gerade zeigte Hizumi auf das don´t drink & drive Zeichen auf der Schnapsflasche, und behauptete, dieses durchgestrichene Auto würde bedeuten, daß man den Schnaps nicht im Auto transportieren solle, weil er sonst zu sehr geschüttelt würde. Ruki kriegte sich gar nicht mehr ein. Reita war beruhigt, daß die beiden sich sofort gut zu verstehen schienen, auch wenn Ruki zwischen seinen Lachanfällen immer mal wieder argwöhnische Blicke in die Runde warf, als würde er schon ahnen, warum Reita ihn hergeschleppt hatte. In der Ecke stand nämlich ein Gitarrenkoffer, den Hizumi mitgebracht hatte. Irgendwann kippte sich Ruki dann auch einen Mutmacher-Sake hinter die Binde und sprach das Thema einfach an: „Hizumi, wozu hast du´n die Gitarre mitgeschleppt? Hat Reita dir eingeredet, daß ich eine bräuchte?“

„Was? Nein!“, stritt Hizumi es erstmal ab und sah sich selbst nach dem Gitarrenkoffer um, als hätte er den schon längst wieder vergessen. Dann stand er auf und ging ihn öffnen, um die Gitarre herüber zu holen. „Nein, die hab ich für was anderes mitgebracht! Ich finde dich als Sänger so großartig! Ich wollte dich fragen, ob du mir bitte ein Autogramm auf die Gitarre draufmachen kannst!?“

Ruki besah sich mit einem einverstandenen Nicken das Instrument, das er hingehalten bekam, näher. Eine Semi-Akustik in ziemlich peppiger Maserung mit F-Löchern. „Die ist ja cool. Darf ich die mal spielen?“

„Klar, tob dich aus“, meinte Hizumi mit verschwörerischem Lächeln. Sein Plan schien aufzugehen. So weit so gut. Er sagte nicht dazu, daß es eine 3/4-Gitarre war. Ja, es war eine. Aber durch ihre gefälligen Proportionen sah man ihr das nicht auf Anhieb an. Man merkte es erst, wenn man sie spielte, daß sie irgendwie kleiner war als gewohnt.

Ruki zog sich die Gitarre herum, auf seinen Schoß, und testete eine ganze Weile. Er schien echt Spaß an dieser Gitarre zu finden. Er konnte sie gar nicht wieder weglegen. Endlich mal eine, die er vernünftig handhaben konnte, ohne Teleskoparme zu bekommen. Und toll klang sie auch noch.

„Und, krieg ich jetzt mein Autogramm drauf?“, bat Hizumi nach einer Weile in bescheidenem Tonfall. Er wollte ja nicht drängeln.

„Woah, das ist ne geile Gitarre!“, jubelte Ruki und drehte den Lack im Licht, um zu schauen, wie qualitativ sie verarbeitet war. „So eine such ich schon ewig!“

„Danke, das freut mich.“

„Kann ich die haben?“

„Nein.“

„Aber ich such schon so lange eine gute Gitarre!“, jammerte Ruki.

„Das ist aber meine! Die kriegst du nicht!“, beharrte Hizumi und erntete dafür einen fassungslosen Blick von Reita. So war das nicht abgesprochen gewesen.

„Die ist aber cool!“

„Dann kauf dir selber eine!“

„Wieviel willst du dafür haben? Hizumi, komm schon! Rück sie raus! Bitte!“, ningelte Ruki weiter. Endlich eine Gitarre, mit der er klarkam!

„Die find ich selber cool! Die geb ich nicht her!“

„Aber ich bin doch ein großartiger Sänger, hast du gerade gesagt!“

Hizumi lachte schallend auf. Gegen dieses Argument stand er natürlich entwaffnet da. Okay, scheinbar hatte er Ruki jetzt genug 'futterneidisch' gemacht. „Na meinetwegen. Weil du´s bist. Behalt sie. Aber daß du mir gut auf sie aufpasst, hörst du?“

„Werde ich!“, versprach Ruki mit leuchtenden Augen und schlang beide Arme um die Gitarre, als würde er sie knuddeln.

Reita saugte tief Luft ein, als er bemerkte, daß er vor Anspannung ganz vergessen hatte, weiter zu atmen. 'Gott sei Dank.', war sein einziger Gedanke. Jetzt hatte diese ganze verquerte Odyssee endlich ein
 

ENDE


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war mal ein etwas freudloseres Kapitel, schätze ich. Das Leben ist halt kein Ponyhof. Aber ab dem nächsten dreht Ruki wieder richtig auf, versprochen. ^_^ ... bis dahin! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sooo ... Es war mir wichtig, kein einseitiges Bild von Ruki zu zeichnen. Ich wollte unbedingt mal klarstellen, daß er nicht nur das chaotische Knallbonbon ist, als das er hier immer dargestellt wird, sondern daß Reita gute Gründe hat, mit ihm so dicke befreundet zu sein. Ich hoffe, das ist mir gelungen. ^_^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ihr Lieben, Ruki hat seine Gitarre, Reita seinen Frieden und Kai kann sein 'cassis' wieder spielen. Ruhe im Puff. XD

Ich hoffe, meinem Wichtelkind hat die Geschichte gefallen. (Ich hatte beim Schreiben jedenfalls eine Menge Spaß. XD)
Danke nochmal an Goesha für die tolle Wichtelaktion.
Danke an meine lieben Kommi-Schreiber, ihr habt mir viel zu lachen gegeben und ich habe mich jedes Mal sehr gefreut. ^_^
Und danke auch an alle anderen, die einfach nur so mitgelesen haben und bis zum Ende durchgehalten haben - ich hab genau gesehen, daß ihr da wart! O_~ Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (46)
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Von:  Dolly-Bird
2018-10-21T13:16:50+00:00 21.10.2018 15:16
Hey^^

Ich bin erst vor Kurzem hierauf gestoßen und ich finde die Geschichte einfach nur gut :D
Ich hab oft und viel gelacht, danke dafür! Ich mag die Darstellung der Charaktere und deinen Schreibstil sehr.
Reita tat mir immer wieder echt leid. Wenn man mit jemandem wie Ruki befreundet ist, braucht man keine Feinde mehr *lach*

Als Uruha vom Gitarrenhaus kam und sagte, die ganze Band hätte Hausverbot und Reita raus platzt, dass Miyavi das Geschäft gehört, musste ich so lachen xD "er hat dem Druck nicht mehr ausgehalten, er hatte reden müssen", ich konnte nicht mehr aufhören zu lachen xD

Reitas Abgang, als sie bei Kyo waren, war so herrlich! Ich hab mir das bildlich gut vorstellen können xD
Und als sie Kyo im Gefängnis abholen wollten und dann nach Aokihabara gefahren sind und Ruki schon die nächste Katastrophe anbahnte ... Eigentlich ein Wunder, dass Reita ihn nicht erwürgt hat zwischendurch *lach*

Kais Reaktion am Ende, als Reita ihm alles gebeichtet hat fand ich auch gut. Vor allem, dass er so freundlich geblieben ist hatte viel mehr Wirkung, als wenn er ihnen mal ordentlich einen Anpfiff verpasst hätte. Das passt, finde ich, auch besser zu Kai und es sind keine Kinder mehr, die etwas angestellt haben.

Zum Glück hat Ruki am Ende doch noch so eine Gitarre bekommen, wie er wollte und das noch in seiner Größe :D

Ich finde es auch gut, wie viel Fachwissen du eingebracht hast bei den Instrumenten und beim Gesang. Da es Musiker sind, hat es das noch authentischer gemacht.

Es hat sehr viel Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen und es wird sicherlich nicht das letzte Mal gewesen sein :)

LG Dolly-Bird
Antwort von: Futuhiro
22.10.2018 05:51
Hallo-Hallo ^//^

Vielen Dank für den langen Kommentar, ich freu mich gerade riesig darüber.

Ja, schon erstaunlich, daß Reita Ruki nicht versehentlich mal erwürgt hat. :D Aber zwischendrin hat Ruki ja auch immer mal einen ganz erwachsenen Eindruck gemacht (hoffe ich XD). Da wusste Reita dann wieder, warum er mit Ruki trotz allem so dicke ist. ^^

Und darüber, daß du dich über das verbaute Fachgesimpel freust, bin ich gerade ganz besonders happy. Das liegt mir nämlich selber total am Herzen. :)

Liebe Grüße, Futuhiro~
Von:  JINO
2017-11-13T16:02:48+00:00 13.11.2017 17:02
>>und behauptete, dieses durchgestrichene Auto würde bedeuten, daß man den Schnaps nicht im Auto transportieren solle, weil er sonst zu sehr geschüttelt würde.<<
Stimmt doch! xD
*lach*

Ohhh hoffentlich bekommt Ruki niemals raus das es doch eine verhasste "Kindergitarre" ist. XD

Reita macht erst mal ein fettes rotes Keuz in kalender... so wie Kai.
Das wir diesen Tag noch erleben durften.. :P xD

Mensch... schon zu ende.... :o

Wir lesen uns sicherlih bald mal wieder. :D

liebe grüße
Antwort von: Futuhiro
14.11.2017 18:45
> Mensch... schon zu ende.... :o
--> Naja, es waren immerhin 15 Kapitel. O_~

> Wir lesen uns sicherlih bald mal wieder. :D
--> Gerne, ich würde mich sehr freuen. ^_^

An dieser Stelle nochmal ein riesen persönliches Danke für das Lesen bis zum Ende und das konsequente Durchkommentieren. Ist heute selten. ^_^ ... und du hast mir viel zu Lachen gegeben.
Von:  JINO
2017-11-12T18:22:50+00:00 12.11.2017 19:22
Genau Uruha… lauf… Uruha lauf! xD

Kai hat mit Sugi gesprochen… owwww

>>„Sugizo wird dich ab jetzt nicht mehr wegen deiner Größe dissen.“<<
Würde auch er auch so nie…. Wer auch immer es war…. Der Ruki gedisst hat deswegen.. es war nicht Sugizo. *schnaup*

Lauf Ruki .. lauf! XD
Nee heee ich glaube der hatte noch schiss das Kai doch noch hochgehen könnte wie ein Knallfrosch. xD

>>„Ich glaub, wir sollten aufhören“ …… „Musik zu machen.“<<
WAAAAAAAAAAAAAAAAAGE ES JAAAAAAAAA NICHT AUFZUHÖREN!
*Reita am Schlawittschen packe und durch schüttel*
Wage es ja nicht… oder ich … *devil blick*

Borrr Reita… hör auf so dunkel zu labern…. :’D

>>daß Ruki es wenigstens einsah, daß er nur Grütze verzapfte<<
dafür gibt es ein HALLELUJIAAAAAA! xD

Shinya was machst du? O_O
Kinder die gokeln machen ins Bett… sagte man mal zu mir. :’D
Gut das Shinya keins mehr ist… frag mich dennoch was er da macht! :O

>>„Hm ... von euch allgemein? Oder von dir im Speziellen?“
„Shinya!“<<
hihiihiiihiihihiiihhh der böse…. Aber ja eine gute frage von Ruki… wie viele woll schon leiden mussten an bildern. xD

düdüüü

liebe grüße

Antwort von: Futuhiro
13.11.2017 11:00
> ich glaube der hatte noch schiss das Kai doch noch hochgehen könnte wie ein Knallfrosch. xD
--> Ja, hatte er allerdings. Vor Kai hat Ruki ja derwegen noch allen gebührenden Respekt. :D

> frag mich dennoch was er da macht! :O
--> Nagut, die Szene ist etwas kurz geraten, gebe ich zu. Ich weiß nicht, ob man die Parallelen als Leser so ziehen kann. Rhythmy hat doch in Miyavis Haus das Stelldichein mit dem unbekannten Herrn vollziehen wollen, wurde aber wider Erwarten von Miyavi überrascht. Der war wegen seiner angepinkelten Hose nicht gleich ins Plattenlabel gefahren, sondern erst nochmal nach Hause, um sich umzuziehen. - Miyavi hat das natürlich empört rumerzählt und Shinya hat es erfahren. Darum fackelt er zur Strafe nun Fotos von ihr ab. XD

Danke für den Kommi ^_^
Antwort von:  JINO
13.11.2017 16:55
Asooo deswegen. xD

Bin ich froh das Shin keine Bilder von mir hat... sonst würde er die auch noch anzünden. XD
Hat der sicher so ne mappe/ordner mit unmängen an bildern zum verbrennen... xD
Antwort von: Futuhiro
14.11.2017 18:43
Na ich gehe davon aus, daß er sich die aus dem Internet zieht. :D
Von: abgemeldet
2017-11-11T22:28:19+00:00 11.11.2017 23:28
Nnneeeeiiiinnn es darf nicht enden ! Und auch nicht so friedlich sein 😭
Los Ruki Bau Mist ! Treibe reita zum Wahnsinn und sage dumme Sprüche!
Mach das es nicht endet 😭
Antwort von: Futuhiro
12.11.2017 11:21
Tja, so leid es mir tut, jede Story muss irgendwann mal enden. ^^°

Aber ich freu mich wie ein Schnitzel, daß du bis hier her mitgelesen hast. :)
Von: abgemeldet
2017-11-10T19:40:07+00:00 10.11.2017 20:40
Freut mich das es weiter geht 😗
Antwort von: Futuhiro
10.11.2017 21:00
Ja, nun ist die Katze aus dem Sack. XD

So langsam nähern wir uns aber dem Finale. ^^
Von:  JINO
2017-11-10T10:26:39+00:00 10.11.2017 11:26
Die Suche geht weiter... mal wieder. xD

Offizielle Party von X Japan..... oh wei.. xD
Pata wird sicher beeeegeistert sein Ruki zu treffen.. xD

O_O Sugizo will die Gazettos nicht da haben? Na huch....
Pata hat woll geplaudert. :'D

Sugizo gibt doch gelegentlich so Gitarristen Meetings und daaaaa waren Uruha und Aoi öfter dabei!!!!
also versteh ich nicht ganz warum die jetzt nicht rein dürfen? :'D

Na hhhhhhhhuch?
warum darf Kai doch rein? :D

O_________________________o Wie kann Ruki es wagen Sugizoooooooo eine Gitarre über zu braten!!!
ich glaub ich spinne!!!

Als wenn Sugizo sowas machen würde... >_>


Antwort von: Futuhiro
10.11.2017 12:43
> O_O Sugizo will die Gazettos nicht da haben? Na huch....
-->Zumindest nicht vor laufenden Kameras, wo es die ganze Welt mitkriegt. XD

> Als wenn Sugizo sowas machen würde... >_>
--> Nüchtern vermutlich nicht. Aber du würdest staunen, wozu Menschen fähig sind, wenn sie genug Spiritus auf der Glocke haben. ^^

Danke für dein Kommi. :)
Von:  JINO
2017-11-08T19:16:55+00:00 08.11.2017 20:16
Ernsthaft um 6 uhr 30? Denjenigen würde ich gaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaanz langsam qualvolle schmerzen hinzufügen.

Ach neee und nun is der Ausweis abgelaufen. Du jemineee :’D
Kai pellt Ruki die Haut ab….

Wie viele graue Haare Kai wohl schon hat?

Armes Kerlchen… weil Gazette als Mentor und diese wollen nicht… Kann ich aber verstehen.

>>Kai, du siehst aus wie ne Prostituierte!<<
O_O What the hölle? Rukiiii!
Aber okay. :’D

Liebe grüße

Antwort von: Futuhiro
09.11.2017 11:06
> Wie viele graue Haare Kai wohl schon hat?
--> Ich frag mich eher, wieviele Reita schon hat. :D

> >>Kai, du siehst aus wie ne Prostituierte!<<
O_O What the hölle? Rukiiii!
--> Wenn´s doch so ist!? XD (Und das schlimme ist: es war Rukis Idee. XD)

Vielen Dank wieder für´s Mitlesen und Mitkommentieren. ^^
Von: abgemeldet
2017-11-07T20:04:09+00:00 07.11.2017 21:04
Schadeee heute war Ruki mal ganz brav XDD
Bester Teil war aber Rukis Ausraster gegenüber Kai wegen den kimono obwohl das seine Idee war und den Schluss wo er Kai angeschauzt hat ob er gehen soll oder nicht DE Der ganze Gefasel über stimmen hat selbst mich bitte gemacht 😂

Antwort von: Futuhiro
08.11.2017 15:14
Ganz brav? Die Nuss hat vergessen, seinen Ausweis verlängern zu lassen und hat damit sämtliche Terminpläne gekippt. XD

> Der ganze Gefasel über stimmen hat selbst mich bitte gemacht
--> Spitze, dann hat es den gewollten Effekt erzielt. :D

Danke für´s Kommi ^^
Von:  JINO
2017-11-05T17:41:44+00:00 05.11.2017 18:41
>>Mit Telepathie?<<
KLaroooo.... geheime fähigkeit von Sänger... xD

>>um den armen, armen Kyo aus den Fängen der bösen Polizei zu retten?<<
der hätte sich schon selbst befreit. :'D
der brauch kein Reita ehm Ritter aufn weißem Ross/ß?!!.... xD
Wobei hat Kyo ja gemacht... Selbst ist der Kyo ehmn.. Mann. xD

Sie sollten Kyo lieber gleich holen... nicht das dieser Arme Leute verschreckt. :'D

>>Direkt nach einem anstrengenden Konzert noch so eine stundenlange Nachtfahrt hinzulegen, war eindeutig zuviel gewesen.<<
Armer kerl.. :o

>>Ah, deshalb wart ihr also so plötzlich über alle Berge!?<<
nööööööööööö sie haten ein Termin.... :'D
Manoman xD

Zickiger Ruki ... tztz.... er denkt nicht dran das Reita eventueeeeel etwas schlaf gebrauchen könnte? :'D

Drehtort für ein Video... oh man Kyo x
Antwort von:  JINO
05.11.2017 18:42
Shit! Ich wollt noch garnicht abschicken!
Bin noch garnicht fertig! Q_Q
Antwort von:  JINO
05.11.2017 18:56
>>an einem Galgenstrick aufgehängte, mit Kunstblut beschmierte Hundeattrappe im Schaufenster.<<
O__________o Okay… tricky!

>>'Verteidige Koron mit deinem Leben!'<<
Macht Kyo sicherlich. :’D
Hat ja sonst nicht zu tun… nee.. :’D

>>daß der Hund zwischen den Einrichtungen auf Nimmerwiedersehen verschwinden konnte.<<
Sag das besser nicht Kyo! Oder denke es besser nicht!
Der kleine Wuffi verschwindet sicherlich schneller als Kyo Dir en Grey sagen kann! :’D

>>'Meine Seele kriegst du nicht!'<<
what the hölle? O_O

>>„Der Typ ist ein Yûrei! Der ist hinter meiner Seele her! Aber nicht mit mir, Freundchen! Nicht mit mir! Koron, beiß!“<<
Du meine güte…. Was geht den mit Ruki ab? :’D

>>„Ruki, bist du irre!?“<<
Nöööö nur ein bisschen gaga.. :’D

>>„Ruki, nun hör schon auf, Mann! Alter, ich dachte ja immer, ICH wäre creepy, aber was ist denn bei DIR bitte schiefgelaufen?“<<
Dad wüsst ich auch gerne mal… :’D

>>zu Kopf gestiegen waren<<
ich glaub auch…. Armer armer Kyo… :o

Ladenbesitzer ist selber schuld… was sagt er auch so was… XD

Liebe grüße
Antwort von: Futuhiro
06.11.2017 17:26
> >>Mit Telepathie?<<
--> Naja, man muss doch mal fragen. XD

> Sie sollten Kyo lieber gleich holen... nicht das dieser Arme Leute verschreckt. :'D
--> Stimmt, daran hab ich gar nicht gedacht, daß Kyo mitunter selber als böser Geist durchgehen könnte. XD

> Macht Kyo sicherlich. :’D
> Hat ja sonst nicht zu tun… nee.. :’D
--> Damit rechnet ja keiner, daß er Ruki eine Bitte ausschlagen könnte. :D

> Du meine güte…. Was geht den mit Ruki ab? :’D
--> Er ist wohl doch ein wenig abergläubig. ... Nagut, ein bisschen SEHR abergläubig! XD

> Armer armer Kyo… :o
--> Ich versteh nicht, warum alle Kyo so bedauern. XD

Vielen Dank, ich habe wieder sehr über deine Anmerkungen gelacht. ^u^)/
Antwort von:  JINO
06.11.2017 18:18
Kyo muss man einfach bedauern... Besonders weil der Arme Tropf mit einer von Rukis Macken bekanntschaft gemacht hat. xD
Von: abgemeldet
2017-11-05T10:30:57+00:00 05.11.2017 11:30
Armer kyo. Mehr habe ich nicht zu sagen 😂
Antwort von: Futuhiro
05.11.2017 11:32
Armer Kyo? Was ist mit dem armen Ladenbesitzer, Mann!? XD
Antwort von: abgemeldet
05.11.2017 23:41
Na der ist mir egal er hätte Ruki Baby nicht erschrecken sollen 😂
Aber wer hilft nun den armen verstörten kyo Darling 😂?
Antwort von:  JINO
06.11.2017 18:20
Genau! xD
Ladenbesitzer gibts zu Tausend oder so.... aber Kyo... Kyo gibt es nur einmal!!!
Antwort von: abgemeldet
06.11.2017 20:06
Jaaa genau Bitch bei gibt es nur ein mal! Und einen Gott kann man nicht ersetzen 😂😂


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