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Kimitashi

von

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Prolog

Wer oder was sind wir? Sind wir menschlich? Ähneln wir vielleicht sogar den Göttern? Wurden wir auserkoren? Sind wir Teil einer Bestimmung, die es zu erfüllen gibt?
 

Warum und wieso sind wir? Ist unser Handeln ehrenhaft? Können wir uns wirklich herausnehmen, Schicksal zu spielen?
 

Wer oder was bist du? Bist du ich? Bin ich die Vollkommenheit? Schaffen wir gemeinsam die Unsterblichkeit?
 

Es ist die Zeit gekommen, um die Gegenwart zu verändern und die Zukunft neu zu gestalten. Die Welt perfekt zu machen.

Durch mich.

Durch dich.

Durch uns.
 

Mit seinem Nowokendo – einer Waffe, die in der Länge einer Schrotflinte und in der Breite einer Harpune ähnelte – zielte er auf den Shamburi, der soeben seine Arbeit beendete und sein eigenes Nowokendo zurück in den Halfter steckte, welcher um seinen Rücken gebunden war. Als ihre Blicke sich trafen, feuerte er ab. Ein weißer Strahl schoss heraus. Kurz trafen die Blicke der Shamburi aufeinander. Der eine riss die Augen auf, bevor ihn der Strahl durchbohrte, während der andere nicht einmal blinzelte. Schwarzes Blut tränkte das olivgrüne Oberteil, bevor es in schnell formenden Tropfen heraustrat. Die pechschwarze Flüssigkeit benetzte den hellen Strahl und benetzte ihn in der Farbe der Nacht. Der Schütze tat einen tiefen Atemzug, als das finstere Blut durch die Waffe, in die Arme direkt in seine Adern floss. Er spürte wie seine Macht anstieg, während sein Opfer allmählich zusammensackte. Nur ein schwaches Hecheln kam aus seiner Kehle. Er spuckte Blut, krümmt sich und schließlich prallte sein Kopf auf den harten Boden. Ein letzter Tropfen des schwarzen Goldes erreichte den Schützen. Er senkte seinen Arm und warf sich das Nowokendo über die Schulter. Sein Blick wanderte auf sein rechtes Handgelenk, an dem das Mimasu befestigt war. Ein roter Punkt leuchtete auf, dass der Schütze zufrieden lächelte.
 

Du bist ich.

Ich bin das Ganze.

Gemeinsam schaffen wir ein neues Zeitalter der Perfektion und Vollkommenheit.
 

Er drehte sich um und verschwand im Schatten, aus dem er gekommen war. Für heute war seine Mission getan, doch er war noch nicht am Ende. Für sein Ziel musste er noch viel weiter gehen.

Willkommen in Sentoki-Mura

„Ich hasse Fertignudeln“, mit der Gabel stocherte Umeko in ihrer Suppe, zog eine handvoll pappiger Nudeln heraus und betrachtete die zähe Konsistenz, „dieses Zeug kann man doch keinem zumuten.“ Die Rothaarige mit dem Irokesenschnitt ließ die Nudeln zurück in die Brühe platschen, dass einige Tropfen der öligen Flüssigkeit in das Gesicht ihres Gegenübers landeten. Ima hielt inne und ließ ihre linke Augenbraue zucken, bevor sie weiter aß: „Das ist die Kantine. Was erwartest du?“

„So schlecht schmeckt es doch gar nicht“, entgegnete ihre Sitznachbarin und kaute auf ihrem Weißbrot herum, „Hauptsache wir sind satt und gestärkt.“ Doch Umeko zweifelte. Grummelnd knabberte sie an den zerkochten Nudeln. „Sie könnten sich schon einen neuen Lieferdienst suchen. Ich meine, es wird noch andere zwielichtige Typen geben, die uns besseres Essen besorgen können.“ Ima schüttelte den Kopf und leerte ihre Schüssel. „Wie oft müssen wir dieses Thema noch durchkauen. Können wir nicht über etwas anderes reden?"

„Naja“, Umeko richtete ihre nasse Gabel auf ihren Gegenüber, „du könntest uns doch einmal über die Hintergründe deiner Trennung mit Yushio aufklären.“

„Da gibt es nichts aufzuklären“, Ima schob die Schüssel aus ihrem Gesichtsfeld, „die Trennung war einvernehmlich, niemand wurde verletzt und es gibt nichts zu bereuen. Thema beendet.“ Sie schloss die Augen und wischte den Gedanken beiseite, eine weitere Nacht allein verbringen zu müssen.

„Du warst für den Kerl doch eh eine Nummer zu groß“, schmatzte Umeko und ließ die letzten Nudeln in ihrem Mund verschwinden, „der konnte dir doch von Anfang an nicht das Wasser reichen.“ Beschämt blickte Ima zur Seite. Sie wusste, dass Umeko ihr größter Fan war. Seit sie vom Shamburi zum Shamburidesu aufgestiegen war, versuchte Umeko es ihr gleichzutun. Doch die junge Shamburi besaß nicht die Stärke ihrer gleichaltrigen Freundin. So sehr sie sich auch bemühte, sie schaffte es nicht, ihren Kimitashi zu erwecken. Ima war die zweite Frau in der Geschichte ihres Heimatdorfes Sentoki-Mura, die ihre dunkle Seite, ihren Kimitashi, beschwören und seine Macht nutzen konnte. Von dem Moment an, als die junge Kriegerin vom Shamburi zum höher gestellten Shamburidesu gekürt wurde, wich Umeko ihr kaum noch von der Seite, bombardierte sie mit Fragen und bettelte geradezu von ihr trainiert zu werden. Doch der frisch erkorene Shamburidesu hatte noch selbst an sich zu arbeiten, damit sie ihren männlichen Kumpanen nicht hinterherhinkte.

„Lass' es gut sein, Umeko“, entgegnete schließlich Shizuka, die sanfte Shamburi, „du weißt doch, mit Schmeicheleien kommst du bei Ima nicht weit“, dabei lächelte sie ihre Freundin aus Kindheitstagen an, dass diese nur verschmitzt zurück lächeln konnte.

„Ima.“ Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht, Umeko schnalzte mit der Zunge und entgegnete: „Wenn man vom Teufel spricht.“ Yushio stand vor der Bank, auf der sich die drei jungen Frauen zum Mittagessen eingefunden hatten und blickte ernst zu seiner ehemaligen Freundin herunter.

„Können wir uns kurz unterhalten? Alleine?“ Sein Blick lag ernst auf Ima, die ihm mit emotionsloser Miene zunickte, ehe sie sich erhob und sich mit ihm ein paar Schritte von ihrem Stammplatz entfernte.

„Was gibt es?“, fragte der junge Shamburidesu und steckte die Hände in die Taschen ihrer olivgrünen Trainingshose.

„Nobu versammelt die Shamburidesu in der Trainingshalle.“

„Sensei?“

Yushio nickte. „Ich soll dir Bescheid geben, dass wir uns in einer Stunde treffen.“

„Weißt du, worum es geht?“

Der Braunhaarige zuckte mit den Schultern. „Ich hab so eine Ahnung.“

„Du meinst das plötzliche Verschwinden von Shin.“

Er nickte.

Seit einer Woche war der Shamburi von seiner letzten Mission nicht zurückgekehrt. Es kursierte das Gerücht, er hätte sich nach einem Streit mit seiner Lebenspartnerin einfach aus dem Staub gemacht. Aber Ima konnte nicht glauben, dass ein Shamburi freiwillig Sentoki-Mura verlassen würde. Die Welt hinter des im Wald versteckten Dorfes war für Menschen wie sie nicht geschaffen. Die Leute in der normalen Welt fürchteten sich vor allem Unerklärlichen.

„Vielleicht weiß der hohe Rat mehr als wir“, meinte Yushio und schaute an Ima vorbei, dass er die Gemäuer der Trainingshalle ausmachen konnte, „es wird auf jeden Fall einen Grund geben, warum er uns zusammenruft.“ Als seine ehemaligen Schüler wussten beide, dass es wichtig sein musste, wenn er alle Shamburidesu zusammenrief. Ein Shamburidesu seines Ranges – es gab noch eine Unterteilung in fünf weitere Ränge, von denen Nobu bereits den dritten erreicht hatte - hatte weitaus besseres zu tun als ein Kaffeekränzchen mit seinen ehemaligen Schülern abzuhalten.

„Ich werde kommen“, bestätigte Ima und wollte sich gerade umdrehen. Yushio hielt sie am Arm fest.

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er. Ima hörte deutlich die Floskel heraus.

„Mir geht’s gut. Mein Kaktus lebt auch noch. Es ist alles in bester Ordnung.“ Sie grinste; ein wenig zu breit und marschierte anschließend an ihm vorbei. Sie kam kurz an ihren Stammtisch, an dem ihre Freundinnen bereits neugierige Blicke Ima zuwarfen.

„Ich muss los, Mädels“, sie klopfte auf den Holztisch.

„Was?!“, Umeko zog ein langes Gesicht, „du kannst uns doch hier nicht einfach so stehen lassen.“

„Dann bleibt doch einfach sitzen“, das falsche Grinsen kam erneut zum Vorschein.
 

Bevor die Stunde vorüber war, hatten sich bereits die frischgebackenen Shamburidesu des letzten Jahres versammelt. Zehn Männer und eine Frau standen in der riesigen Halle.

„Ich hoffe, es ist nicht wieder einer seiner Scherze“, neben Ima hatte sich ihr ehemaliger Teamkollege Shigeru gestellt. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schaute grimmig in die Runde. Sie nahm es ihm nicht übel, wusste Ima doch, dass es seine Art war – kühl und immer auf Distanz.

„Ich glaube nicht, dass Sensei Nobu Spielchen mit uns spielen will. Er neigt zwar gern zu eigenartigen Ideen, aber er würde niemals grundlos die Shamburidesu zu sich bestellen -“ Ima hielt inne. Die Halle betraten neun Männer, alles erstklassige Shamburidesu zweiten und dritten Ranges. Sie kamen auf die Neulinge zu, begrüßten sie mit einem flüchtigen Kopfnicken und stellten sich etwas weiter abseits von der restlichen Gruppe.

„Du hast Recht, Ima“, flüsterte Shigeru ihr zu, „Sensei Nobu wird doch etwas Ernsthaftes mit uns besprechen wollen. Das sind die besten und stärksten Shamburidesu unserer Zeit, sie werden nicht grundlos hierher bestellt worden sein.“ Ehrfürchtig sah Ima zu den großen Vorbildern ihrer Jugend herüber. Es war das erste Mal, dass sie alle elf hochrangigen Shamburidesu (einschließlich ihres Sensei) zusammen gesehen hatte. Moment, Ima kniff die Augen zusammen.

„Das sind nur neun“, sprach sie im Flüsterton zu ihrem Gegenüber, der wissend nickte.

„Katsuro fehlt.“ Dieser Name war jedem in Sentoki-Mura ein Begriff; der stärkste Shamburidesu ihrer Zeit, wenn nicht sogar der erste seit Taichi – erster Shamburi und Begründer des Dorfes. Doch seit fast zehn Jahren war Katsuro von der Bildfläche verschwunden. Den Grund wussten nur die wenigsten.

„Ich hab ihn noch nie gesehen“ stellte Ima fest und kratzte sich am Kopf. Weitere Überlegungen fielen aus, als Sensei Nobu erschien. Neben ihm liefen die fünf Ratsmitglieder und tauschten stumme Blicke miteinander aus.

„Entschuldigt die Verspätung“, ihr ehemaliger Sensei wirkte angespannt, nicht einmal sein vertrautes Lächeln huschte ihm über die Lippen. Mit ernster Miene fuhr er fort: „Wir mussten sicher gehen, dass unsere Informationen richtig waren, bevor wir euch einweihen können“, Dabei wandte er sich vor allem an die jungen Shamburidesu, „ihr wisst alle von Shins Verschwinden. Nach seiner Mission konnten wir ihn nicht mehr über das Mimaso orten. Außerdem zeigte unser System etwas Eigenartiges, was wir anfangs für einen Fehler hielten.“ Er machte eine Pause, als schien er sich zu erinnern, „die Anzeige der eingefangenen Yamitashi war auf Null gefallen.“ Ima überkam ein Schaudern. Sie sah auf ihr Mimasu – auf den ersten Blick sah es wie eine schwarz-lederne Digitaluhr aus. Jeder Shamburi, der das dreizehnte Lebensjahr erreicht hatte, trug ein Mimasu. Zum einen diente es als stummes Kommunikationsmittel während eines Kampfes. Eine versteckte Nadel verband das Mimasu mit den Venen des Shamburi, wodurch Nervenstränge angeregt wurden. Sobald ein Shamburi mit einem anderen Kontakt aufnehmen wollte, reagierte das Mimasu und setzte Signale an den Kontaktierten.

Zum anderen zeigte es die Zahl der gefangenen Yamitashi, die als eigene Richtlinie aber auch als Stütze für die hohen Ratsmitglieder diente, um die entsprechenden Shamburi anhand ihrer Fähigkeiten befördern zu können. Und obwohl sie einen rein informativen Zweck hatte, existierte eine Rangliste, auf der jeder ehrgeizige Shamburi nach oben klettern wollte.

Fiel die Anzeige des Mimasu auf Null, bedeutete dies, dass sämtliche Yamitashi – so bezeichneten die Shamburi dunkle Seelen, die im inneren der normalen Menschen hausten – aus demjenigen herausgezogen worden sein mussten, einschließlich des eigenen Kimitashi (ob man ihn nun beschwören konnte oder nicht). Und ohne den Kimitashi war nicht nur ein Teil von ihm gestorben.
 

"Gab es denn keine Möglichkeit ihn zu retten?", Shigeru war der erste, der das Wort ergriff. Damit stellte er die Frage, die bereits jedem Shamburi durch den Kopf gegangen war. Sein Sensei richtete den Blick auf den Shigeru: "Es gibt eine Möglichkeit. Durch eine Art Transfusion, aber sie erfordert einen weiteren Shamburi, der genügend Yamitashi besitzt, dass er einen Großteil davon übergeben kann. Es braucht viele Yamitashi um einen Kimitashi im Ansatz zu ersetzen. Selbst dann wird der Shamburi nie mehr zu seiner Kraft zurückkehren können." Ima kannte keinen Shamburi, der so viele Yamitsahi in sich trug, dass er damit einen zweiten versorgen konnte. Zudem viel es der jungen Shamburidesu schwer zu glauben, dass jeder freiwillig einen Teil seiner Sammlung freiwillig aufgab. Schließlich bedeutete jeder gefangene Yamitsahi mehr Macht.
 

„Wie soll so etwas gehen?“, raunte Kaito – ein arroganter und selbstgefälliger Shamburidesu, mit dem sich Ima so einige Male angelegt hatte, "die Yamitashi verschwinden schließlich nicht von selbst." Blitzmerker, dachte Ima und warf dem Schwarzhaarigen messerscharfe Blicke zu.

„Nun“, begann Nobu zu erklären, „indem ein anderer Shamburidesu ihm die Yamitashi entzieht.“

„So etwas würde keiner von uns tun!“, meldete sich ein junger schwarzhaariger Shamburidesu, Naoki. Ein paar stimmten ihm nickend zu.

„Wir wissen nicht, ob es einer von uns ist. Aber die Wunde an seinem Körper stammt eindeutig aus einem Nowokendo.“

„Auch noch ein gewöhnlicher Shamburi“, knurrte Kaito, „es sollte doch ein leichtes sein ihn zu schnappen.“ Doch Nobu schüttelte den Kopf. „Sein Mimasu ist mit dem unseren nicht gekoppelt. Er könnte auch aus einem anderen Dorf stammen. Wir haben kaum Informationen über diese Person. Das einzige, was wir herausfinden konnten, waren seine Handlungen in der normalen Welt. Scheinbar sammelt er nicht nur Yamitashi ein. Er macht ziellos Jagd auf alles und jeden, den er zwischen die Finger bekommen kann. Ein vertrauenswürdiger Informant erzählte uns, dass mehrere unerklärliche Morde stattgefunden haben – weder den Täter noch die Tatwaffe konnten sie sich erklären. Aber die Wunden deuten ganz klar auf ein Nowokendo hin, und da niemand unseren Ehrenkodex gebrochen hat, kann es nur unsere unbekannte Person sein.“

„Was haben wir mit der ganzen Sache zu tun?“, Shigerus Blick verfinsterte sich. Einer der Ratsmitglieder räusperte sich und übernahm das Wort: „Wir müssen selbstverständlich die anderen Dörfer über die neusten Ereignisse in Kenntnis setzen. Aber solange wir nicht wissen, wer für diese Taten verantwortlich ist, dürfen wir kein Risiko eingehen. Wir halten es für nicht ausgeschlossen, dass die Mimasu bespitzelt werden. Normalerweise würden wir unsere höchsten Shamburidesu alleine losschicken, aber in dieser Situation wollen wir unsere Shamburis, so gut sie auch sind, nicht alleine auf Mission schicken.“ Aus dem Augenwinkel konnte Ima die Gesichter der Höchstrangigen sehen. Der Größte von ihnen, sein Name war Saburo, sah verächtlich zur Seite. Der jungen Shamburidesu kam ein Gedanke: „Das ist eine Mission der Stufe fünf.“

„Ganz richtig“, bestätigte ihr Sensei und ein leichtes Lächeln flog über sein Gesicht, „natürlich ist dies nur einem Shamburidesu zweiten Ranges möglich.“

„Sie befördern uns?“, jubelte bereits Naoki. Ein finsterer Blick eines Ratsmitglieds ließ ihn zusammenzucken.

„Das Gesetz besagt, dass sich jeder Shamburidesu erst einer Prüfung zu unterziehen hat. Normalerweise würden wir so schnell keine Prüfungen stattfinden lassen; zumal eure letzte kein ganzes Jahr zurückliegt“, er seufzte, „aber die Umstände verlangen es nun einmal. Ihr habt bis übermorgen Zeit euch vorzubereiten. Viel Glück.“

„Was?!“, kam es von allen Seiten. Selbst Ima fiel die Kinnlade herunter.

„Das kann doch nicht euer ernst sein“, rief Kaito und schnaubte.

„Uns bleibt keine andere Wahl“, erwiderte das Ratsmitglied, „zumal kann sich jeder von euch geehrt fühlen, so früh sein Können unter Beweis stellen zu dürfen und damit in der Rangfolge aufzusteigen. Zudem dient es für unsere geschätzten Shamburidesu“, er zeigte auf die neun Großen, „als Möglichkeit eure Fähigkeiten sehen und einschätzen zu können. Anhand eures Könnens wählen sie ihren Tag-Partner.“ Also eine bloße Zurschaustellung, verpackt in einer traditionellen Notwendigkeit, dachte Ima und verdrehte die Augen. Mit einer übertriebenen Handbewegung bedeutete eines der Ratsmitglieder die Gruppe zum Schweigen: „Wenn niemand Einwände hat, bestätige ich jedem die Teilnahme an der übermorgigen Prüfung.“ Sein Blick ging durch den Raum, doch niemand wagte es einen Ton raus zubringen, „Dann ist es beschlossen. Wir sehen euch am Freitag.“ Damit drehten sich die fünf Ratsmitglieder um und verschwanden aus der Trainingshalle. Naoki war bereits drauf und dran, sich auf die Prüfung vorzubereiten und fragte Ima, ob sie ihre Kampftechniken zusammen trainieren wollten.

„Später vielleicht“, winkte sie ab und versuchte sich zu ihrem ehemaligen Sensei vorzuarbeiten. Als sie endlich vor ihm stand, unterhielt er sich mit Saburo, der seine Stimme so gesenkt hatte, dass Ima kein Wort ihrer Unterhaltung verstand. Als er die junge Shamburidesu bemerkte, hielt er inne. „Deine Schülerin“, er deutete auf Ima, die nur ein Nicken hervorbringen konnte, ehe er seinen Blick von ihr löste.

„Ima“, lächelte Nobu, „lass uns später weiter reden“, schlug er Saburo vor, der sich wortlos abwandte und verschwand.

„Ich wollte nicht stören“, entgegnete Ima etwas verdutzt über die Reaktion des hochrangigen Shamburidesu.

„Nur keine Sorge“, winkte ihr ehemaliger Sensei ab, „er ist immer so. Was gibt es denn?“

„Nun“, kratzte sich die Braunhaarige erneut an den Kopf, „es geht um die Prüfung.“

„Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen. Ich habe keinen Zweifel dass du die Prüfung locker meistern wirst.“

„Darum geht es nicht“, sie zog sachte an ihrem langen hohen Pferdeschwanz, „mich interessiert eher die Auswahl der Tag-Partner.“ Nobus Gesichtszüge nahmen etwas fürsorgliches an, selbst seine Stimme wurde weicher: „Ich weiß, was du denkst. Aber die meisten von ihnen sind unvoreingenommen. Sie entscheiden nach eurem Können und wie eure Fähigkeiten zu ihren passen könnten. Wenn du dein bestes gibst, kann nichts schief gehen. Schließlich sind es nur zwei von euch, die keinem Tag-Partner zugeteilt werden.“

„Zwei?“, Ima riss die Augen auf, „du machst also auch nicht mit.“ Nobu schüttelte den Kopf: „Ich werde erst einmal hier bleiben und die Situation im Auge behalten.“ Na toll, Ima sah ihre Chancen auf große Mission zu gehen immer weiter wegschwimmen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust: „Und was ist mit diesem Katsuro? Wieso darf der sich eigentlich davor drücken?“ Nobu wurde wieder ernst und erwiderte: „Er hat auf meine Einladung nicht reagiert. So wie ich ihn kenne, wird er sie einfach ignoriert haben.“

„Aber theoretisch gehört er noch dazu?!“, Ima wurde hellhörig.

„Natürlich. Es gibt immer noch niemanden, der ihn übertroffen hat. Die einzige Voraussetzung ist, dass er auch zu den Prüfungen erscheint. Aber ehrlich gesagt, habe ich da keine Hoffnung.“

„Kann ich es trotzdem versuchen?“ Er zog eine Augenbraue hoch. „Wieso?“

„Na das ist doch ganz klar: Je mehr Tag-Partner, umso größer die Chance, dass einer von ihnen mich aussucht. Sag' mir einfach, wo er wohnt. Irgendwas wird mir schon einfallen, ihn zu überzeugen.“

Die neun Regeln des Jiudo

Sentoki Mura war ein kleines Dorf, das - versteckt hinter dem Wald der sieben Flüsse - gelegen war und nur von demjenigen entdeckt wurde, der wirklich danach suchte. Sein Gründer - Taichi - hatte das Dorf nach seiner Flucht aus seiner Heimatstadt zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen - Daiki und Haruto - erbaut; zum Schutze der Familie und zur Wahrung seiner Geheimnisse. Im Laufe der Jahrhunderte hatte sich das Dorf in seiner Struktur kaum verändert. Noch immer umschloss eine große hohe Mauer die kleine Siedlung, in der Mitte fand sich die Zeremonienarena ein, in der die Prüfungen abgehalten und das Gründerfest Saisho Hiri gefeiert wurde. Umreiht wurde das runde Freiluftgebäude von der Trainingshalle und der Kantine. Lediglich die Häuser hatten sich mit der Zeit gewandelt. Statt kleiner Hütten, benötigte die wachsende Dorfgemeinde mehr Wohnraum, dass die gemütlichen, zeltartigen Häuschen durch vierstöckige Wohnhäuser ersetzt worden waren, die ihren praktischen Nutzen erfüllten. In einer der kleineren Wohnungen hauste Ima zusammen mit ihrer Mutter Kazumi. Ein Shamburi lebte solange bei seiner Familie bis er sich selbst einen Lebenspartner erwählte und sich entschied, den Bund des Lebens mit ihm einzugehen. Und obwohl Ima acht Jahre mit Yushio zusammen gewesen war, war es ihr nie in den Sinn gekommen, den Lebensbund mit ihm einzugehen. Rückblickend hatte es viele Anzeichen gegeben, doch die Braunhaarige hatte nicht die Nerven dazu, sich mit möglichen Fehlern der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sie wollte schnellstens nach Hause.
 

“Mama?”, Ima linste in das Wohnzimmer. Kazumi stand vor der Küchenzeile und schnitt den Ingwer in kleine Stücke. Von der Seite sahen sich die beiden Frauen sehr ähnlich: beide hatten langes, glattes nussbraunes Haar, eine helle Haut und dieselbe schmale Nase. Als sich die Shamburi zu ihrer Tochter umdrehte, war von der Ähnlichkeit kaum mehr etwas übrig.

“Du kommst spät”, bemerkte Kazumi, bevor sie sich wieder ihrem Ingwer zuwandte.

“Sensei Nobu hat uns und die anderen Shamburidesu zur Besprechung gerufen.”

“War Yushio auch da?”

“Sicher”, murmelte Ima und setzte sich an den runden Esstisch.

“Wie geht es ihm?”

“Ganz gut, denke ich. Aber darüber wollte ich nicht mit dir reden...Kannst du mir sagen wo Katsuro wohnt?” Kazumi hielt inne.

“Was willst du von ihm?”, fragte sie in einem härteren Ton, dass die junge Shamburidesu verdutzt dreinlickte.

“Das würde jetzt zu lange dauern, aber da er Papas ehemaliger Schüler war, wirst du sicher wissen, in welchem Wohnhaus er zurzeit lebt.”

“Warum hast du nicht deinen Sensei gefragt?” Ima grinste verlegen. In der Eile hatte sie vollkommen vergessen, dass Nobu ebenfalls zum Team gehört hatte. Er, Katsuro und Saburo waren nicht nur die letzten,sondern auch die besten Schüler Otousans gewesen . Auch wenn sie in ihrer Kindheit diese nie zu Gesicht bekommen hatte, wusste die Braunhaarige von den Geschichten des beinahe schon legendären Teams.

“Sensei Nobu war beschäftigt. Kannst du es mir nicht einfach sagen” sie setzte in ihre Stimme etwas Flehendes hinein, dass ihre Mutter einen tiefen Seufzer tat.

“Er wohnt nördlich der Trainingshalle. Es ist das dritte Wohnhaus, gleich neben den Salatbeeten.”

“Alles klar”, Ima sprang von ihrem Stuhl, küsste ihre Mutter auf die Wange und verabschiedete sich, dass Kazumi nur mit dem Kopf schütteln konnte.
 

Das Wohnhaus hatte die junge Shamburidesu leicht gefunden. Eine alte Shamburi, die soeben aus dem Hauseingang trat, begrüßte Ima mit einer tiefen Verbeugung, bevor sie sich nach Katsuro erkundigte.

“Katsuro? Ich kann mich nicht erinnern,dass er in den letzten Jahren Besuch bekommen hatte. Er wohnt ganz oben. Die linke Tür.” Erneut verbeugte sich die junge Frau und trat in den Hausflur. Sie klopfte an die besagte Tür. Schweigen. Ein zweites und drittes Mal brachte genauso wenig, dass Ima einfach beschloss, die Tür zu öffnen.

“Huch",noch nie hatte die junge Shamburidesu eine verschlossene Tür in ihrem Dorf erlebt. Die Dorfbewohner vertrauten einander; niemand störte unerlaubt die Privatsphäre des anderen.

Darum klopfte Ima ein weiteres Mal. Sie hätte schwören können, ein Knacksen wahrgenommen zu haben. Sie ballte die Hände zu Fäusten.

“Glaubt er, mich auf den Arm nehmen zu können”, ein Knurren entfuhr ihrer Kehle. Sie holte aus und versetzte der Tür einen kräftigen Tritt, dass sie aus den Angeln flog.

“Die wirst du ersetzen.”

Ima blinzelte in den verdunkelten Raum. An der Wand lehnte lässig Sentoki Muras stärkster Shamburi. Seine Augen zierten dunkle Ringe als hätte ihr Besitzer seit Wochen nicht durchgeschlafen. Sein Dreitagebart passte zu der zerzausten Mähne, dass er wie ein Verwilderten wirkte, den das Dorf notgedrungen aufgenommen hatte. Zu allem Überfluss trug er Jeans und T-Shirt - Kleidungsstücke, die ein Shamburi lediglich in der normalen Welt als Tarnung trug. Zuhause war das typische Trainingsoutfit bestehend aus einer olivgrünen, locker sitzenden dreiviertel Hose sowie einem kurzärmlichen Leinenshirt in demselben Ton Pflichtkleidung eines jeden Shamburi. Der fremde Look verwirrte die frischgebackene Shamburidesu, dass sie eine Augenbraue anhob. Die Tatsache, dass er zwischen seinem linken Ohr eine Zigarette stecken hatte, rundete das Bild eines Fremdkörpers vollkommen ab.

“Äh”, hatte ihre Mutter sie vielleicht in das falsche Haus geschickt? Andererseits hatte Ima dieses Gesicht noch nie zuvor gesehen, und sie meinte sich einbilden zu können, so gut wie jeden Bewohner Sentoki Muras zu kennen. Es musste sich einfach um ihn handeln.

“Nobu schickt mich”, fiel ihr nichts besseres ein. Katsuro hob eine Augenbraue und musterte die Braunhaarige von oben bis unten. “Nett von ihm, aber ich bin gerade nicht in Stimmung.” Ima riss die Augen auf, ihre Wangen bliesen sich Pausbacken artig auf. Schließlich tat sie einen tiefen Atemzug. “Ganz ruhig”, murmelte sie kratzig, “Es geht um eine neue Mission.” Katsuro lächelte müde: “Hat er dich etwa vorgeschickt, um mich anzuschwärzen? Er sollte es besser wissen.” Daraufhin holte er aus seiner Hosentasche ein Feuerzeug heraus (woher hatte er nur all diesen Kram?), dann nahm er die Zigarette und steckte sie sich zwischen die Lippen. Gemütlich zündete er die Spitze an und tat einen tiefen Zug: “Mich interessiert weder die Mission, noch der Grund warum Nobu nicht selbst erschienen ist.” Das letzte glaubte sie ihm nicht, da seine Stimme bei den Worten etwas rauer geworden war. Die junge Shamburidesu schüttelte den Kopf und stemmte die Hände in die Hüften. Ihre Augen starrten glühend auf das Gesicht des ranghöchsten Shamburidesu. “So einfach wirst du mich nicht los. Schließlich geht es um mehr als nur eine Mission. Die Menschheit könnte in Gefahr sein-” “Mit solchen Floskeln überzeugst du mich nicht”, grinste er sie herausfordernd an, dass Ima bloß ein Blinzeln hervor brachte. Sie konnte nicht glauben mit welchem Desinteresse er ihr zuhörte. “Heißt das, es ist dir egal, was aus ihnen wird? Hast du deine Pflicht vergessen?” Kasturo ließ den Zigarettenstummel neben sich fallen und kam ein paar Schritte auf die Braunhaarige zu. “Es ist zwecklos mir Schuldgefühle einreden zu wollen. Du müsstest schon schwerere Geschütze auffahren um mich überzeugen zu können. Nicht einmal dann könnte ich dir garantieren, dass ich darauf anspringe”, er stand nun direkt neben ihr, dass sich die junge Shamburidesu auf einmal so winzig vorkam, “ich weiß, dass es Nobu um die übermorgige Prüfung und die Auswahl der Tag-Partner geht. Und ich habe kein Interesse an diesem Schmierentheater teilzunehmen. Ich habe ihm bereits klargemacht, dass ich mich nicht daran beteiligen werde. Also nenne mir nur einen plausiblen Grund, weshalb ich es doch tun sollte.” Sie konnte seinen Atem auf ihrem Gesicht spüren, der sie auf seltsame Weise an Schlaf erinnerte. Ima schloss die Augen und erinnerte sich an die Worte ihres Vaters: “Die neun Wege des Jiudo”, ihre Augen öffneten sich und sahen selbstsicher in die ihres Gegenübers, “wer die neun Wege durchschreitet mag vielleicht die Macht besitzen, die Erde des Lebens zu spalten. Doch nur wer Barfuß über sie gegangen ist, der erlangt tatsächlich das Jiudo. Alle anderen haben nur Macht erlebt, aber nie gelebt.” Hoch erhobenen Hauptes wandte sie sich von ihm ab. “Bei Gelegenheit repariere ich deine Tür.” Sie winkte zum Abschied.

Die Prüfung

Kazumi legte Ima den Gürtel um - jenes rot braune Band, das als einzige ihren höher gestellten Status bewies. Ein Shamburi erhielt nach dessen Zeremonie zum Shamburidesu einen Gürtel, der ihm die Stärke und Kraft des ersten Shamburi nahe bringen sollte und stets in Missionen als Beschützer zu dienen hatte. Die junge Shamburidesu erinnerte sich an den Tag als sie die Prüfung abgelegt hatte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel als die Ratsmitglieder ihr zunickten und bestätigten, dass Ima von nun an von ihren damaligen Mitschülern respektiert und als das angesehen wurde, was sie war: Eine Kriegerin.
 

“Dein Vater wäre sehr stolz auf dich”, ihre Mutter knotete noch die Enden zusammen, wie es sich für einen Shamburidesu gehörte und sah schließlich zu ihrer Tochter hinauf, die mit ihren Gedanken bereits ganz woanders war. Ima dachte an die heutige Prüfung, daran wie wenig Zeit blieb sich vorzubereiten. Sie hatte zusammen mit Naoki trainiert, alte Kampftechniken erneuert und ihren Kampfstil überdacht. Stets war die Braunhaarige ein Risiko eingegangen. Seit der ersten Prüfung, in der sie auf die Kampfakademie aufgenommen wurde. Jene Akademie, die über den Mauern Sentoki-Muras Muras bekannt war, da sie viele Shamburidesu herangezogen hatte. Wie stolz war sie gewesen und wie zweifelte Ima jetzt, nachdem sie bereits zuvor all ihr Können bewiesen hatte. Es schien als seien die letzten Jahre unwichtig geworden. Die Mühe, die Tränen, all das wurde von der heutigen Prüfung verdrängt und machte die vorangegangene Ehre unscheinbar. Die Braunhaarige dachte einzig an das Bevorstehende. Ihr kamen Zweifel, ob sie die höheren Shamburidesu überzeugen könnte, sie als Tagpartner zu wählen. Ohne Katsuro fiel ein weiterer Gefährte, und die Chancen sanken weiter nach unten.
 

“Ima”, ihre Mutter zog an beiden Enden des Gürtels und schickte die Braunhaarige zurück ins Jetzt.

Kazumi hatte Recht: Wie gerne hätte sie ihren Vater an seiner Seite gewusst. Seine sanften Worte, die Bestärkungen, die immer mit Mut verbunden waren. Nur wegen ihm war sie den Pfad gegangen, durch ihn hatte sie es soweit geschafft. Die junge Shamburidesu wollte Otousan nicht enttäuschen - ihren Wegweiser.

“Du hast Recht, Mama”, nickte Ima ernst und sah zu ihrem Gürtel herunter. Ihre Mutter lächelte sie an: “Yushio und Shigeru werden an deiner Seite stehen. Du bist also nicht alleine. Sie werden dir helfen.” Die gut gemeinten Worte Kazumis waren doch ein Stich in Imas Brust. Sie sah zur Seite.

“Mein Schwert”, flüsterte sie lediglich, dass ihre Mutter zum Kleiderschrank schritt und ein schmales langes Schwert mit rot goldenem Griff herauszog.
 

Vor der Schaffung des Nowokendos waren es schmale lange Schwerter, mit denen der Shamburi die Mächte der Finsternis bekämpfte. Das Schwert musste den Yamitashi gänzlich durchbohren, dass sämtliches schwarzes Blut aus ihm herausquoll. In dieses musste der Shamburi steigen, um den gesamten Yamitashi in sich aufzunehmen. Seit dem Mimasu und dem Nowokendo waren nicht nur die Kampfmethoden vereinfacht worden. Es erleichterte ebenso die Tarnung vor der anderen Welt, die nichts von all dem wusste und friedlich ihren Schlaf träumte, während die Yamitashi immer mehr Besitz von ihnen ergriffen. Das zweifarbene Schwert mit seinem rauen, fast wabenförmigen Griff blieb Teil der Gegenwart für all jene, die ihre Stärke als Shamburi beweisen wollten. Nur wer in der Lage war die Klinge eines Schwertes zu führen, durfte die Prüfung des Shamburidesu ablegen.
 

Ehrfürchtig berührte Ima die Klinge. Sie hatte Otousan gehört und war seit Imas letzter Prüfung an ihrer Seite.

"Es ist an der Zeit", erinnerte sie ihre Mutter an die bevorstehende Eröffnungszeremonie. Die junge Shamburidesu nickte und steckte das Schwert hinter ihrem Rücken fest.
 

Jede Prüfung wurde mit einer Zeremonie eröffnet. Die Shamburis versammelten sich in der Kampfarena und warteten auf die Shamburidesu, welche nach der Reihe aufgerufen wurden und die Arena betraten. Vorne, am äußeren Rand waren die Ratsmitglieder, Sentoki-Muras Elitekämpfer, sowie die Senseis der elf verbliebenen Schüler, die zum Shamburidesu aufgestiegen worden waren.

Mit einem Wink des ältesten Ratsmitglieds wurde die Zeremonie mit Trommelschlägen eröffnet. Auf das Kommando des Rhythmus' riefen die Dorfbewohner: "Wille und Ehrerbietung." Dann fuhr der Älteste fort: "Die neun Regeln des Jiudo!" Die Trommelschläge wurden bedrohlicher, "Eins: Töte niemals einen Menschen - ob Feind, ob Freund."

"Wille und Ehrerbietung", antworteten die Shamburi.

"Zwei: verrate deine Kräfte niemals der normalen Welt."

"Wille und Ehrerbietung."

"Drei", er sah hinauf zu den jungen und alten Shamburi, den Zukünftigen und den weniger Starken, "kein Shamburi ist einem anderen übergestellt."

"Wille und Ehrerbietung", riefen sie ihm zu.

"Vier: Taichis Weg ist unser Weg."

"Wille und Ehrerbietung."

"Fünf", die Trommelschläge drangen wie Impulse durch die Arena, "Nur wer seinen Kimitashi erwecken kann, nennt sich einen Shamburidesu."

"Wille und Ehrerbietung."

"Sechs: Keine Kontrolle den Kimitashis."

"Wille und Ehrerbietung."

"Sieben-"
 

"Shigeru", Ima tippte Angesprochenen auf die Schulter. Die angehenden Shamburidesu zweites Ranges waren hinter dem Tor versammelt, das bis zur Nennung des ersten Namens nicht geöffnet wurde. Er zeigte eines seiner seltenen Lächeln, die der Braunhaarigen ein wenig Hoffnung in der aussichtslosen Lage gaben.

"Wir schaffen das!", seine Stimme klang eisern wie je. Er zog Yushio näher zu sich heran, der Ima einen Blick der Zuversicht und Unsicherheit schenkte, dass sie ihm nur stumm zunickte. Dann legte er einen Arm um ihre Schulter, dass die anderen beiden Teammitglieder es ihm gleich taten und einen Kreis um sich entstehen ließen.

"Wir werden gemeinsam aufsteigen oder gemeinsam versagen", sprach Shigeru - der unausgesprochene Anführer. Seine Kameraden nickten ihm zu und Ima fügte aus tiefstem Herzen hinzu: "Für Sensei Nobu." Yushio lächelte: "Lass' ihn das nur nicht hören."

"Genau", stimmte Shigeru zu, "sonst fängt er womöglich noch vor Freude an zu weinen." Erinnerungen wurden wach - die gemeinsamem Jahre als Team unter der Leitung ihres Senseis, der trotz seiner Stärke und Strenge eine Schwäche für Sentimentalität besaß und seine Schüler beinahe erwürgt hatte, als er ihnen zur Shamburidesu-Ernennung gratuliert hatte. Vieles hatten sie ihm zu verdanken, aber jetzt waren sie auf sich und ihr Können angewiesen.

Stirn an Stirn drückten sie aneinander. Wie zu "alten Zeiten".
 

"Neun:", der Älteste schloss die Augen, "wenn die Zeit gekommen ist, wird uns der Junchi leiten."

"Wille und Ehrerbietung." Die Trommel verstummte, denn es war an der Zeit die Shamburidesu herein zu bitten. Mit ansteigendem Alter der Sensei wurden ihre Teammitglieder nacheinander aufgerufen. Sensei Kaya war der Jüngste, sein Team bestand aus drei aufgeweckten selbstbewussten Männern, von denen jeder kaltblütig und eiskalt sein konnte. Einzeln rief der Älteste den Namen und die Dorfbewohner fügten hinzu: "Wille und Ehrerbietung." Es folgte Sensei Katsumi, welcher mit Hideaki einen der stärksten Shamburidesu ihrer Generation besaß. Die Erwähnung seines Namens ließ Ima zu jenem hinüber sehen. Er hatte schulterlanges dunkelblondes Haar, seine Augen stachen Tiefenblau hervor. Die junge Shamburidesu erinnerte sich daran zu Beginn der Ausbildung für Hideaki geschwärmt zu haben, wobei dieser stets stoisch seinen Weg ging und bereits seit seinem dreizehnten Lebensjahr mit seiner Jugendliebe verbandelt war. Ebenso gebieterisch und mit deutlichem Ziel durchschritt er das offene Tor. Nun war Sensei Nobus Team an der Reihe. Imas Magen begann zu rumoren, zuerst riefen sie Shigerus Namen. "Wille und Ehrerbietung für Shigeru." "Ima. Einzige Tochter Otousans." Bei dem Namen ihres Vaters empfand sie stets Stolz und Ehrfurcht. Die Tochter eines ehemals starken Shamburidesu zu sein hatte immer Kraft und Durchhaltevermögen für Ima bedeutet, die sich immer gegen diesen großen Namen zu behaupten hatte. Das Schwert auf ihrem Rücken schien sich bis unter ihre Haut zu bohren. Sie umfasste ihren Gürtel und betrat die Arena. "Wille und Ehrerbietung für Ima", riefen die Bewohner Sentoki-Muras, welche zum Großteil ihren Blick von ihr zu den Ehrenzuschauern aufgeregt wechselten. Lediglich Umeko rief erneut ihren Namen und winkte euphorisch, dass Ima große Mühe hatte, nicht beschämt in ihre Richtung zu blicken. Zwar liebte sie ihre verrückte Freundin, doch irgendwann würde sie ihr noch eine runterhauen müssen. Die Braunhaarige sah nach vorne zu den Shamburidesu und ihrem Sensei. Ihre Augen weiteten sich - da stand er, neben Sensei Nobu an eine der Säulen der Arena gelehnt. Katsuro. Er trug dieselbe alltägliche Kleidung, darüber hatte er sich lediglich eine hellbraune Kapuzenjacke übergezogen. An seinem rechten Ohr klemmte eine frische Zigarette. Daneben verschränkte Saburo mit tiefernster Miene die Arme, immer den Blick auf Sentoki-Muras mächtigsten Shamburi gerichtet als wollte er ihn mit diesem zur Strecke bringen. Aber er war nicht der einzige: vielen sah man das Erstaunen in ihren Gesichtern an, andere wiederum kratzten sich ungläubig an die Stirn. Die Ratsmitglieder ignorierten den Überraschungsgast zunächst, während der Älteste mit dem Aufrufen fortfuhr. Schließlich, als Ima direkt vor den Senseis ihre Position einnahm, sah Katsuro in ihre Richtung. Sein ignoranter Blick wich purem Unglauben als er die junge Shamburidesu musterte, dann fing er sich wieder und setzte ein stummes Lächeln auf, von dem Ima nicht sagen konnte, was es zu bedeuten hatte. Seine Lippen bewegten sich und schienen ihrem Sensei zuzuflüstern, der kurz nickte.
 

"Shamburidesu", begann einer der Ratsmitglieder und verschränkte die Arme wie zum Gebet, "auch wenn ungewöhnliche Umstände uns zusammengebracht haben, so beschwören wir euch: nehmt eure Prüfung ernst. Zeigt, dass ihr einem Shamburidesu würdig seid."

"Taichis Weg ist unser Weg," erwiderte die Gruppe. "Wille und Ehrerbietung", nickte ein Ratsmitglied, ein anderer bäumte sich auf und legte die heutigen Regeln dar: "Die Prüfung wird im Team bestritten, die Bewertung jedoch erfolgt einzeln. Das Team hat zehn Minuten seine Stärke zu beweisen." 'Eher sich zu präsentieren', Ima verzog verärgert die Miene, dabei versuchte sie den Blicken Katsuros auszuweichen, der sie lauernd beobachtete.
 

"Dabei müssen hundert Yamitashi besiegt werden", fuhr der Älteste fort und sah jedem Prüfling streng in die Augen, "und dabei meinen wir, dass jeder von euch hundert bekämpfen wird." Ein Raunen ging durch die Arena - die Shamburidesu sahen einander an, die Shamburis tuschelten aufgeregt. Noch nie waren die Anforderungen derart hoch gewesen. Man verlangte viel von einem Shamburidesu, der große Missionen bestritt, von denen die meisten in ihrem Ausgang unbekannt waren. Doch hundert Yamitashi in so kurzer Zeit waren selbst für einen erfahrenen Shamburi eine große Herausforderung.

"Anders", erhob ein grimmiges Ratsmitglied die Stimme und rückte die Unruhe zurecht, "anders als in den vorherigen Prüfungen, wollen wir euer gesamtes Können unter Beweis gestellt bekommen. Ihr sollt also nicht nur mit euren Schwertern kämpfen. Für eure zukünftigen Tagpartner spielt es eine ebenso wichtige Rolle, in wie weit ihr eure Kimitashi kontrollieren könnt." Die Braunhaarige ballte die Hände zur Faust, unweit neben ihr Pfiff Kaito schrill und rieb sich die Hände.

"Seid stets respektvoll und zeigt, dass ihr eure Aufgabe ernst nehmt."

"Jawohl", antworteten die Prüflinge und verneigten sich.

"Welches Team beginnen mag, soll die Hand geben." Die Ratsmitglieder und Senseis sahen durch die Runde. Ima, Shigeru und Yushio sahen einander an, doch Sensei Nobu schüttelte den Kopf. Die Braunhaarige zog die linke Augenbraue hoch, sagte jedoch nichts als Hideaki den Arm hoch. Währenddessen zogen sich die anderen Teams zurück und verweilten bei ihren Senseis. Nobu näherte sich seinen ehemaligen Schülern und flüsterte: Lasst den anderen den Vortritt und wartet bis zum Schluss."

"Warum?", Ima runzelte die Stirn.

"Vertrau' mir."



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  IKuraiko
2018-10-16T17:40:13+00:00 16.10.2018 19:40
Hallo ^__^

Also ich finde die Idee sehr interessant.

Ist noch etwas schwierig sich alle Bedeutungen zu merken, geht zumindest mir so, aber ich denke das kommt mit der Zeit. Ich hoffe es geht bald weiter.

Schöne Grüße
Antwort von:  Lady_of_D
18.10.2018 14:09
Danke für dein Feedback :) ja, es sind dann doch mehr Begriffe geworden als anfangs gedacht, aber ich bemühe mich, es nicht ausarten zu lassen.

Liebe Grüße


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