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Escape the Fate [Dark-Netflix-Serie]

Gib nicht auf [Bartosz x Jonas]
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Das wird eine Jonas-Bartosz-Fanfic zu der Netflix Serie Dark, aber ich liebe auch einige andere Beziehungskonstellationen, wie z.b. die von Bartosz' Eltern Regina und Aleksander, oder die von Magnus und Franziska. Ich werde oft Abschweifen, auch die Personen und Zeiten wechseln. Es steht in der Überschrift aber immer klar welcher Charakter und welches Jahr es ist.
Die Jonas-Bartosz-Beziehung wird sich hinziehen und wenn mal ein Kuss passiert, heißt es nicht, dass es direkt so weitergeht, aber ihr werdet sehen :)
Es gibt noch leider keine "Dark-Kategorie", weshalb ich es einfach unter "Sonstiges" erstmal gepackt habe.
PS: Ich bin kein Rechtschreibe-/Grammatik-/Zeichensetzungsprofi, also wenn etwas auffällt einfach Bescheid geben, Beta-Leser hab ich keinen, bin da aber offen, wenn jemand Interesse hat :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hey :)

Danke für die erste Favorisierung Schreifalter :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hey :)
Danke für die 2 Favorisierungen. Freut mich wirklich :)
Obwohl ich Martha nicht sonderlich mag, so muss ich auch Mal aus ihrer Sicht schreiben :D Im nächsten Kapitel wird's dann wieder mit Jonas und Bartosz weitergehen, aber auch ein bisschen Franziska und Magnus :) Komplett anzeigen

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[001] Jonas

Jonas Kahnwald, Juni/Juli 2019
 

Der vom Sonnenlicht diffus-leuchtende feine Staub, über den gemaserten Holzdielen mit matt-gräulichen Stellen, Kratzern und tiefen Riefen schwebend, gab dem Dachboden seinen individuellen Charme. Das Licht fällt durch ein kleines Fenster mit einem einfachen Sprossenkreuz an der mit schmalen Holzbrettern verkleideten Wand ein, ließ den Boden ähnlich wie eine Lichtung im Walde erleuchten. Das warme Licht reflektierte an dem hellbraun-lasierten Holz und färbte das kleine Zimmer in einem warmen herbstlichen Ton.

Unter dem keilförmigen Zusammenschluss der Dachschrägen ragten alte Stützbalken heraus. In mitten des Raumes präsentierte sich ein rustikales längliches Schränkchen aus Holz gebaut, ausgeblichen durch das Sonnenlicht. Es wirkte farblich fremd in diesem Raum, als gehöre es nicht hier her. Es war mit verschiedenen bunten Farbnuancen beschmiert, bekleckert, wahrscheinlich Acryl- und Ölfarben meines Vaters, welche fein säuberlich in ihren silbernen Alu-Tuben neben einem Pinselset positioniert wurden. Vor dieser restaurierfähigen Antiquität stand eine Staffelei mit einer Leinwand eingespannt. Es zeigte eines seiner nie beendeten Gemälde. Ich weiß nicht, was es darstellen soll. Mein Vater hat mir oft versucht zu erklären was Kunst bedeutet, wie es die Seele befreien kann, wie man seinem Innersten Ausdruck verleihen kann. Manche seiner Bilder waren düster. Ich denke, dass er Angst hatte. Ich weiß nicht vor was genau, aber diese dunklen Pinselstriche auf dem Leinengewebe vermittelten Angst, Furcht, ein wenig Trauer. Die Kunst war seine Therapie, der Dachboden als Atelier sein Therapieraum.
 

An der Dachschrägen standen teilweise mit alten Tüchern oder Lappen verdeckte Keilrahmen in unterschiedlichen Größen nebeneinander angelehnt. Der so warm wirkende Raum glich eher einer kreativen Abstellkammer, als einem Künstler-Atelier, ausgeprägt durch den Duft der Natur, welche dem Raum eine wohlriechende, dennoch stickige Atemluft verlieh. Doch nicht nur diese Luft verwehrte den Lungenflügeln die ausreichende Zufuhr des Sauerstoffes: Es ist die Geschichte, die einem das Atmen verwehrt. Mir fällt es jedes Mal schwer und anfangs war es mir überhaupt nicht möglich zu Atmen. Auch ohne diesen malerischen Raum zu betreten, sehe ich diese Bilder vor mir, träume von ihnen. Ich sehe dieses Seil, dieses kräftige Seil, wie es sich um den hölzernen Stützbalken legt und sich strafft, spannt, sich in das Holz hineinschneidet. Ich höre einen dumpfen Knall, sehe einen Hocker in Zeitlupe zu Boden fallen. Alles geschieht langsamer, nicht zeitgetreu, die Geräusche lauter, dennoch gedämmter wahrnehmbar, als würde mein Körper sich unter Wasser befinden. Die Farben wirken gesättigter, die Schattierungen dunkler, das Licht diffuser. Es war eine surreale Zusammensetzung von Empfindungen. Ich sehe zuckende nackte Füße in der Luft schwingend, ich höre ein krächzendes verwehrendes Luftschnappen. Mein Blick will hochwandern, erkennen, wahrnehmen, was dort passiert, wer dort passiert. Einen Augenschlag später sehe ich mich, mit meinen dunkelblonden Haaren stehend vor einer erhängten Person.

Es ist, als wenn die Seele deinen Körper verlässt und du ein letztes Mal deinen toten Körper erblickst, wie die Nahtoderfahrung, nur dass das hier keine Nahtoderfahrung ist. Ich lebe. Mein dort stehender Körper regte sich nicht. Er stand einfach nur da und starrte den leblosen Körper vor sich an. Ich konnte nicht sehen, wer er ist, aber ich wusste es. Dieses unbehagliche Gefühl zieht sich wieder durch meinen Körper. Eine Ahnung, die einem dieses flaue Unwohlsein beschert. Mein Atmen beschleunigt sich, wird hastiger, gleicht schon fast einem Hyperventilieren. Mir wird heiß, mein Kopf dröhnt. Ein Knoten in meiner Brust nahe dem Herzen, der zu explodieren droht, es aber nicht tut und mich mit dieser vulnerablen Einbildung zurücklässt, auf der Suche nach einem Ventil, welches sich in meiner Atmung wiederfindet. Es soll die angestaute Pein beruhigen, doch gleichzeitig fördert es mein Schwindelgefühl. Mein Körper begann zu zittern. Am Deutlichsten zu erkennen ist es an meinen Fingerspitzen. Meine Hände ballen sich zu Fäusten, pressen die kurzen Fingernägel in das weiche Fleisch meiner Handinnenflächen, ein weiteres Ventil um die Symptome irgendwie in den Griff zu bekommen. Mein Körper bewegt sich einen Schritt vor, wie von selbst, als plötzlich mein Doppelgänger vor mir zittrig zu Boden fällt. Ich höre ihn das erste Mal. Laut. Er schreit, er weint und sein Körper krampft. Seine Beine waren angewinkelt, wie die eines Fötus, sein Körper bebt. Er regt sich, windet sich, sein Oberkörper presst sich gegen die Holzdielen, seine Fingerspitzen kratzen über die mattierten gräulich abgenutzten Holzstellen. Ein abartiges Kribbeln durchzog meinen Körper. Seine Finger bluteten und er hört nicht auf den Boden zerkratzen zu wollen. Das Adrenalin durch den Schock lässt ihn die eigene physische Mater nicht spüren.

Ich kriege abermals keine Luft. Diese physich-psychisch qualvolle Situation bringt mein Inneres durcheinander. Ich empfinde Hilflosigkeit, bin überfordert. Ich höre das einschneidende Seil, wie es am Holz reibt und es quietschende Töne von sich gibt. Mein Blick wandert zu dem leblos hängenden Körper. Er zuckt nicht mehr. Seine Füße sind regungslos. Er gibt keinen Ton von sich, nicht einmal das krächzende Luftschnappen von vorhin. Ich höre nur meinen winselndes Ich, welches am Boden liegt. Meine Augen weiten sich. Ich starre den Toten an, rege mich nicht. Mein Vater. Warum...?

Meine Gedanken verwandelten sich in ein Chaos. Ich höre seine Stimme, seine verwirrenden Worte, sehe ihn lächelnd vor mir, sehe ihn mit meiner Mutter, sehe uns zusammen. Es war manchmal komisch.Er war manchmal komisch, aber wir waren doch glücklich. War es nicht so? War das Lachen meiner Eltern eine Lüge, ist mein Leben eine Lüge oder bin ich einfach nur blind gewesen, habe die Zeichen nicht erkannt? Bin ich naiv? Bin ich schuld? Schuld… Schuld… Schuld… Ich bin schuld.

Meine Beine geben nach. Ich sacke zusammen, knalle hart auf den Boden, spüre nichts, außer diese Schuld. Meine Stimmbänder vibrierten, meine Augen liefen über. Ich schreie, krampfe und spüre diesen Schmerz der Schuld. In einer Fötusstellung reibe ich meine Knie krampfend aneinander, mein Oberkörper presste sich gegen die Holzdielen, in welche ich auch meine Fingerspitzen kralle. Die abgeriebenen Holzstellen geben meinem Kratzen nach. Es splittert und ich bohre mir die feinen spitzen Holzstückchen in mein Nagelbett, unter den Nagel. Mein rotes Blut tropft ein wenig auf den Boden, verteilt sich an meinen Fingern. Durch meine krampfhaften Bewegungen ziehe ich meine Hände in eine andere Position. Zurück bleibt ein blutiger Handabdruck mit einer schwachen Schleifspur meiner Fingerspitzen auf dem Holzboden. Ich spüre diesen physischen Schmerz nicht. Ich stehe unter Schock, doch spüre diese interne Schuld an dem Suizid meines Vaters. Zusammengekrümmt schreie und weine ich weiter.

Ich schrecke auf. Mein Schlafanzug, dessen Farbe ich in dieser Dunkelheit nicht erkennen kann, schmiegt sich nass-klebend in Falten geworfen an meinem Körper. Meine Haare lagen strähnig ins Gesicht hängend, klebend an meiner nassen Stirn. Schweißperlen rinnen tränenartig meine Wange hinab, treffen sich an meiner Kinnspitze, verschmelzen zu einem und tropfen auf mein ohnehin schon durchnässtes Schlafanzugoberteil. Eine Schweißperle läuft an meiner Braue vorbei in meinen linken Augenwinkel und ein brennender Schmerz zieht sich über meine Netzhaut. Reflexartig kneif ich meine Augen zusammen, aber nach kurzem Geblinzel verschwindet das Brennen und erst dann bemerke ich, dass mir so abartig kalt und heiß zugleich ist. Bestimmt werde ich wieder krank. Ob ich Fieber bekomme?

Es ist stockfinster im Raum. Ich erkenne nichts, verliere die Orientierung. Nicht einmal Konturen von irgendetwas sind zu erhaschen. Durch das Fenster fällt kein Licht, nicht einmal das kühle blaue Mondlicht. Wenn es hier überhaupt ein Fenster gibt und wenn, dann scheint es nachts zu sein. Eine furchteinflößende Stille liegt in der Luft. Meine eigene Luft wird knapp, mein Atmen hastiger. Ich habe das Gefühl, dass ich auf dem Dachboden bin und neben mir im dunklen Nichts irgendwo der leblose Körper meines Vaters am Strick hängt. Das quietschende Geräusch des reibenden Seils am Stützbalken, das Röcheln des Luftschnappens sind nicht zu hören, aber dieses Gefühl ist präsent.
 

» Jonas. «, hallte eine tiefe ruhige mir bekannte Stimme durch den Raum. Ich schüttel wild meinen Kopf hin und her.
 

» Nein, nein, nein, nein, nein, ... «, wiederhole ich immer und immer wieder, wie in Trance.
 

Meine Atmung beschleunigt. Hyperventilierend sitze ich im Bett, so wie es sich anfühlt. Ich schreie kurz, ehe ich die Kontrolle über meinen Körper komplett verliere. Dieser schmeißt sich zurück, krampft, dreht und windet sich. Einen Kampf austragend, der nicht gewonnen werden kann. Ich werfe mich zwanghaft zur Seite, aber da scheint das Bett geendet zu haben. Mit einem dumpfen Knall prall ich auf einen harten Untergrund, glatt nicht körnig oder rau, keine Fugen oder Musterprägungen. Plötzlich hallt ein lauter Knall, ehe ein gleißendes kaltes Licht meine Augen zu verbrennen vermag und zwei Personen, laut der Stampfgeräusche, in das Zimmer gestürmt kommen.
 

» Jonas! Alles gut! Du hattest nur einen Alptraum! «, höre ich die laute Stimme mit einem leichten Akzent.
 

» Nein, nein, nein, ... «, bibbere ich und war immer noch Gefangener meiner Negativgefühle, meiner Krankheit.
 

» Jonas. Schau mich an! «
 

Die Stimme der Frau kam mir bekannt vor. Langsam öffne ich eines meiner zusammengekniffenen Augen, nur um sicher zu gehen, dass ich wirklich nicht auf dem Dachboden bin. So ist es auch. Keine warmen Farben, kein Holz und keine stickige Luft. Die Wände sind weiß verputzt, das kalte Licht wird durch billige Neonröhren erzeugt, der Boden ist mit grau-blauen Linoleum bezogen, die Fenster sind klein und vergittert, etwas mit Spinnengeweben zugezogen, da sich diese schwieriger reinigen lassen, das Glas milchig verdreckt vom Regen, in mitten des kühlen Raumes stand ein einfaches Metallgestellbett mit einer Matratze in weiß, wo sich in diesem Moment mein schweißnasser Abdruck gräulich absetzt, und die Bettdecke und das Kissen in hellblau bezogen. Hier riecht es nach Medikamenten, nach Desinfektionsmitteln.
 

Ich schaue zu den beiden Personen, beide in hellblauen Kitteln gekleidet, erblicke einen mir noch nicht bekannten jungen Mann mit kurzen fast schwarzen Haaren, grünlich-grauen kleinen, wahrscheinlich weil seine Augenpartien extrem geschwollen sind, etwas blutunterlaufenen Augen. Pollenallergie. Oder so was in der Art wahrscheinlich. Egal was es ist, er wirkt dadurch furchterregend unsympathisch. Neben ihm erblicke ich ein bekanntes weibliches Gesicht. Sie wirkt mit ihren blond-gesträhnten Haaren und blau-grünen Augen sehr sympathisch. Ihr gesamtes Auftreten verriet einen starken kämpferischen Charakter, welcher nicht so leicht aufgibt. Frau Kulikow, die Buchstaben, die das Namensschildchen an ihrem Kittel geheftet zieren, kniet neben mir. Eine ehemals aus Russland kommende Pflegekraft, eine meiner Lieblingspflegerin in dieser Anstalt. Die anderen sind auch nett, aber sie ist irgendwie anders. Sie verheimlicht nichts, ist ehrlich und auch wenn sie Mitleid mit einem hat, ist sie doch knallhart direkt. Sie lässt sich von nichts aus der Fassung bringen, weiß immer was sie zu tun hat.
 

» Ich hab‘ ihn wieder gesehen…“, flüstere ich halb abwesend und wende meinen Blick von ihr ab, aus Unsicherheit, starre irgendwo hin und erkenne trotzdem nichts.
 

Meine Lippen sind spröde, leicht geöffnet und der Sauerstoff kann wieder in meine Lungenflügel gelangen. Die Russin streicht mir mit ihrer Hand sanft über den Arm.
 

» Das geht nicht von heute auf morgen weg. Das braucht Zeit, Jonas. «, erklärt sie mir mit ihrem verständnisvollen Unterton, der wohl schon immer in ihrer Stimme gewesen zu sein scheint, seit dem ich sie getroffen habe.
 

Ich nicke schweigend. Sie hat ja recht. Ich weiß das, aber trotzdem hilft mir dieses Wissen nicht bei der Bewältigung meines Problems, meiner Krankheit oder was auch immer es ist. Posttraumatische Belastungsstörung nennen sie es hier, reden aber meistens nur von PTBS. Soldaten, die aus den Kriegsgebieten zurückkehren, leiden oft darunter und diejengien, die sich keine Hilfe suchten sind oft durchgedreht. Es hat was mit dem Tod zu tun, also können auch Nicht-Soladten darunter leiden. Obwohl: Jeder ist ein Soldat, ein Krieger. Jeden Tag trägt man seinen eigenen Kampf aus, häufig von Niederlagen geprägt. Negativgefühle. Ob man PTBS auch haben kann, wenn man keinen echten Toten gesehen hat?
 

» Willst du mit deiner Ärztin reden? Ich kann sie für dich holen. «, reißt mich die Stimme aus meinen abschweifenden Gedanken, bietet mir Hilfe an.
 

Einen kurzen Augenblick überlege ich, lehne dann aber kopfschüttelnd ab. Daraufhin schaut sie mich mit einem leicht gequälten Blick von Mitleid an. Das liegt wohl daran, dass sie ein typischer Familienmensch ist, wie viele Osteuropäer. Sie hat mir mal erzählt, dass sie ein Kind in meinem Alter hat, weshalb sie mich jetzt wahrscheinlich so anschaut. Sie parallelisiert das Ganze. Ich könnte ihr Sohn sein, der jetzt hier sitzt und durchdreht und sie als Pflegerin, die Mutter, die nur zuschauen kann und beruhigen kann. Schreckliche Vorstellung, aber wie soll es meiner Mutter anders ergehen? Sie hat zwar nichts in diese Richtung gelernt, aber sie ist eine Mutter, die sich um ihr Kind schert. Es ist für keinen Elternteil schön hilflos mitanzusehen, wie sich sein geliebtes Kind quält.
 

» Ich kann ihr auch nachher davon erzählen. Sie will heute so oder so noch mit mir reden. «
 

Frau Kulikow lächelte leicht.
 

» Na gut. Wir sehen uns dann später beim Frühstück. «, sagt sie mit ihrer hochmotivierten Stimme.
 

Ihr Blick wandert zu ihrem Arbeitskollegen, während sie sich aufrichtet. Er scheint es verstanden zu haben, denn kurz darauf verlassen sie beide mein Zimmer.

[002] Bartosz

Bartosz Tiedemann, Juni 2019
 

Der Tod des Vaters meines besten Freundes Jonas geschah damals plötzlich. Keiner konnte sich seinen Suizid erklären und am meisten lit, leidet, Jonas darunter. Ich war damals bei ihm, wollte ihm helfen, aber er stand unter Schock, ignorierte alles und jeden oder nahm uns, seine Mutter Hannah, mich und die Hilfskräfte, einfach nicht wahr.

Der Himmel war an diesem Abend noch nicht ganz dunkel. Die gleißende Sonne ist schon irgendwo verschwunden. Ein Teil des Mondes zeichnete sich schon blass am Himmel. Wenn ich aufschaute um genau das zu erkennen, es wahrzunehmen, dann wirkte das feine Äste-Geflecht der Bäume wie viele schwarze kleine Klauen, die dich zu verschlucken drohten in der Finsternis des Waldes. Jonas wohnte mitten im Wald im nirgendwo. Keine Nachbarn, keine befahrenen Straßen. Nichts. Nur Grünzeug soweit das Auge reicht. Abgesehen von den ganzen Krabbelvieh, was sich wahrscheinlich im Unterholz verkroch und dem freilebenden Wild. Ein Reh hatte mir mal beinahe einen Herzinfarkt beschert. Wie das Holz überall knackte, ich in der Finsternis nichts erkennen konnte und dann plötzlich neben mir etwas aus dem Busch gesprungen kam, weiter galoppierte und ich auf meinen Allerwertesten im Dreck landete: Schreiend.

Zum Glück war es gerade nicht so dunkel wie damals. Bei jedem meiner Schritte konnte ich das Knacken des Holzes unter meinen Fußsohlen hören. Leise und eher perzeptiv bahnte sich ein nicht natürliches Geräusch in meinen Gehörgang. Es war immer im gleichen Takt, wurde aber stets lauter. Es klang wie Sirenen. Erst wollte ich keine Gedanken weiter daran verschwenden, bis mir aber einfiel, dass ich schon so tief in das Dickicht hineingewandert war, dass die Straßen so weit entfernt sein müssten, dass ich nichts davon hier hören dürfte. Es wurde immer lauter. Vielleicht ist ja ein Wanderer umgekippt oder so was. Hier gibt es Wanderrouten, wenn auch nicht oft von tatsächlichen Wanderern genutzt. Vielleicht hat ein Tier einen Fußgänger angegriffen.

Die Sirenen waren mittlerweile so dermaßen laut, dass sich meine Handflächen ganz automatisch auf meinen Gehörgang pressten. Ganz automatisch setzte mein Körper zu einer Drehung zur Lärmquelle hin an, als sich zu dem kreischenden Ton der Sirenen, ein Tiefes Brummen einer Hupe gesellte. Ich schaute in zwei näherkommende leuchtende Lichtquellen und sprang im letzten Moment zur Seite. Mein Herz raste.
 

"SO EINE SCHEIßE!", fluchte ich laut vor mich hin. "FUCK!"
 

In der Ferne erblickte ich noch die blauen flackernden Lichter des Krankenwagens, wie sie sich immer weiter entfernten und hinter den Bäumen fast gänzlich verschwanden. Die Sirene war irgendwann nicht mehr zu hören. Warum machen die das überhaupt in einem Wald an, wo eigentlich eh keiner ist? Die armen Tiere.

Ein weiteres Auto fuhr nun an mir vorbei. Es hatte eine komische Form, ganz unüblich zu normalen Wagen. Es war ein schwarzer länglicher Wagen, die hinteren Scheiben waren mit einer von Innen weißen gestrafften Gardine, oder so was in der Art, verhangen. Die Rückscheibe war ebenfalls weiß bedeckt, aber nicht so glatt gestrafft, wie die Seitenfenster. Es hatte eine feine leporello-gefalzte Musterung von einem unteren Mittelpunkt ausgehend im halbkreis sich verbreitend. Es wirkte wie eine aufgehende oder untergehende Sonne.

In mir breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Ich setzte zum Weitergehen an, steigerte mein Tempo. Meine Gedanken suchten eine Erklärung für das alles, während sich ein Knoten durch meinen Magen zog. Eine leichte Übelkeit breitete sich in mir aus.

Je näher ich Jonas' Haus kam, desto deutlicher trat das flackernde blaue Licht wieder in Erscheinung. Mir wurde immer schlechter. Ist Jonas etwas passiert? Ich rannte die letzten Meter und ehe ich ankam, sah ich, wie 2 Personen einen schwarzen Plastiksack aus der Wohnung trugen. Abrupt blieb ich etwas abseits, zwischen dem Krankenwagen und dem Leichenwagen, welchen ich nun erkannte, stehen. Der schwarze Kunststoffsack wurde in einer billigen Variante eines Sarges gelegt, welcher einsam mittig in dem Auto von vorhin stand. Ein Mann in schwarz gekleidet schloss die hintere Autotür und lehnte sich wartend an den Kofferraum.

Hannah, Jonas' Mutter trat aus dem Eingangbereich, stellte sich an die Seite, als wenn sie jemanden Platz machen würde. Verweint positionierte sie ihre Füße ganz nah beieinander, parallel zu einander, presste ihre Brust raus, verschränkte ihren linken Arm davor, krallte ihre Fingerspitzen in den dunkelblau-gestreiften dünnen Strickstoff ihrer Jacke in Höhe der Tallie, setzte ihren rechten Ellenbogen auf die Hand des linken Arms, fasste sich nun mit der rechten Hand an den Mund und hielt diesen zu. Ihr Körper bebte. Neben ihr trat ein Sanitäter aus der Tür, welcher jemanden stützte. Es war Jonas. Seine Haare hingen ihm ins Gesicht. Wie einen nassen Sack trugen die beiden Hilfskräfte in rot den blonden Jugendlichen aus dem Haus heraus. Seine Fußspitzen schleiften über den Erdboden, wo vereinzelt Grashalme wuchsen und Laubblätter herumlagen.

Ich wollte zu dem Blonden hin, aber meine Beine fühlten sich wie Blei an, wie betoniert. Meine Lippen öffneten sich einen Spalt breit. Fassungslos, ahnungslos beobachtete ich, wie sie meinen besten Freund zum Krankenwagen bugsierten. Er saß einfach nur da auf der Aluminiumstufe des Krankenwagens und starrte ins Nichts. Selbst wenn man seine Reflexe mit der kleinen Taschenlampe testen wollte und sie ihm diese schon fast ganz ins Auge gesteckt hätten, so blieb seine Iris regungslos. Nur seine Pupille passte sich dem Lichteinfluss an, eine unbewusste nicht kontrollierbare Sache. Es schien auch nicht so, dass er irgendwas fixierte. Es kam mir vor wie diese Wachkoma-Patienten aus Filmen, die einfach nur starren und nicht reagieren. Es war beängstigend. Sein Ausdruck, meine Hilflosigkeit. Einer der Sanitäter schaute mich nun an.
 

"Wer sind Sie?"
 

Ich konnte erst nicht antworten, benetzte meine Lippen mit etwas Feuchtigkeit.
 

"Jonas! Also nein. Das ist Jonas. Ich bin Bartosz, sein bester Freund.", deutete ich zu dem Blonden, im Krankenwagen Sitzenden.
 

Ich konnte kaum klare Worte fassen, war so nervös und raus kam nur Bullshit. Selbst der Sanitäter schaute mich an, als hätte ich nicht mehr alle Latten am Zaun.
 

"Okay Bartosz.", der großgewachsene junge Mann in seiner knallig roten, stellenweise gelb abgesetzt und mit silbrigen Reflektorstreifen versehenen Uniform, schluckte kurz, griff mich vorsichtig am Arm und zerrte mich etwas von dem Rettungswagen fort.
 

"Jonas' Vater hat sich das Leben genommen. Dein bester Freund steht unter Schock."
 

"WAS?!", fragte ich entsetzt, konnte es nicht glauben.
 

"Nein! Michael hätte sich niemals das Leben genommen. Das muss ein Missverständnis sein. Ein Fehler!"
 

Es gab so vieles, was dagegen Sprach. Michael hatte zwar seine Probleme und war auch stellenweise merkwürdig, aber er hatte alles für Jonas getan. Er war immer für seinen Sohn da, hat mit ihm rumgealbert und was weiß ich sonst noch alles. Jonas hatte mir nie erzählt, dass sein Vater depressiv war und wenn ich zu Besuch war, hatte man auch nie das Gefühl vor einer depressiven, suizidgefährdeten Person zu stehen. Er hatte doch soviel gelacht.

Bis mein Gehirn die Erkenntnis des Selbstmordes an meine Seele heranließ, bedurfte es einigen Minuten und einige weitere Worte des Sanitäters.
 

"Bartosz, es tut mir Leid, aber..."
 

"Und was ist mit Jonas?"
 

Es war unhöflich, aber ich fiel ihm einfach ins Wort. Er wusste eh nicht, was er mir genau sagen sollte. Sein Arm deutete in Richtung des Krankenwagens.
 

"Er steht unter Schock. Vielleicht solltest du mit ihm reden, aber erwarte nicht all zu viel. Er hat bis jetzt auf niemanden reagiert."
 

Mein Kopf nickte ganz automatisch, als hätte ich es wirklich verstanden. Die Rettungskraft blieb noch kurz bei mir stehen, da ich diese aber nicht weiter beachtete, versuchte er sich wohl wieder seinen beruflichen Tätigkeiten zu widmen.

Langsam ging ich zu Jonas, zum Rettungswagen und beäugte meinen besten Freund, welcher regungslos da saß. Seine hellen Haare lagen ihm etwas ins Gesicht hängend. Seine Haut war blass, etwas gerötet. Er trug schon seinen Schlafanzug, ein dunkelblaues Shirt zum Knöpfen mit Brusttasche und dazu eine einfache schwarze luftig-lockere Hose. Schuhe hatte er keine an. Der Blonde wirkte ganz normal, abgesehen von dem Starren. Er hatte keine verheulten Augen, keine verschwitzten Haare und auch keine Verletzungen, die er sich hätte durch einen Anfall zuziehen können. sein starrer Blick war einfach nur geradeaus gerichtet. Nichts nahm er war. Auch meine Handbewegung vor seinen Augen nicht. Null Reaktion. Ich lächelte gequält. Immerhin war er am Leben. Darüber sollte ich doch froh sein, oder nicht? Trotzdem war ich innerlich aufgewühlt. Sein Leid konnte ich nur erahnen, aber nicht selber nachempfinden. Keine mir wichtige Person hat sich bis jetzt das Leben genommen, trotzdem versuchte ich zu verstehen. Verschiedene Szenarien, wie Jonas diesen Suizid erfasste, malten sich in meine Gedanken. Der schlimmste Gedanke war der, dass Jonas seinen Vater gefunden haben muss, hängend an einem Seil.

Nochmal begutachtete ich den Blauäugigen vor mir, überprüfte ihn auf äußerlich erkennbare Verletzungen. Dem war nicht so. Zum Glück. Wie konnte ich ihm nur helfen? Meine Überlegungen und Gedanken überschlugen sich, verrannten sich wieder in irgendeinen Mist. Ich schüttelte meinen Kopf, woraufhin meine dunklen Haare mir strähnig ins Gesicht fielen. Mit einer Handbewegung drängte ich sie in eine andere Position, in der sie mir nicht ins Auge pieken konnten. Vorsichtig trat ich nun an den Krankenwagen zu Jonas heran.
 

"Hey, Jonas. Ich bin's. Bartosz.", war das erste, was zu ihm sagte, als ich mich langsam neben ihn setze.
 

Seine Schultern wurden von einer weißen Decke verdeckt. Blaues flatterndes Licht färbte die weiße Decke in ein helles Blau, setzte komische Akzente in unsere Gesichter, während ich seine Hand griff. Meine Lippen öffneten sich einen Spalt, wollten einen Laut von sich geben, wollten etwas sagen, wollten vieles sagen, aber meine Stimmbänder erzeugten keinen einzigen verdammten Ton. Seufzend setzten meine Lippen sich wieder aufeinander, ehe meine rosige Zungenspitze diese etwas bentetzen. Sie fühlten sich so verdammt trocken an. Ich zog tief den Sauerstoff der kühlen Abendluft des Waldes in meine Lungenflügel ein und bließ den Rest wieder aus.
 

"Jonas. Ich bin für dich da.", kam es aus meinem Mund und ich erwartete keine Reaktion.
 

Ich hoffte lediglich, dass er es einfach nur zur Kenntnis nahm, es fühlte vielleicht. Es wäre schön zu wissen, ob er es wenigstens aufgreifen konnte.

Wir saßen dort eine Weile. Hannah unterhielt sich mit einem der Hilfskräfte. Ihr Blick wanderte immer mal wieder zu uns. Einmal trafen sich unsere Blicke und sie lächelte traurig. Mit Verständnis und dem Versuch nicht ganz zu glücklich, aber auch nicht ganz zu traurig zu wirken, erwiederte ich die bedeutende Geste des Mundes.
 

"Frau Kahnwald, das Beste wäre es ihren Sohn Stationär zu behandeln. Vielleicht nur ein paar Tage. Wir werden es sehen.", war der Ratschlag einer der höher betitelten Rettungskräfte.
 

Hannah Kahnwald stand selber noch etwas neben der Spur, aber nicht so wie ihr Sohn Jonas. Die Hellbraunhaarige nickte einfach unbeholfen, war sich aber wohl selber nicht sicher, ob es das Richtige zu sein schien. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen, gerötet. Ihr Makeup verlief in einen willkürlichen schwarzen Aquarell unter ihrem Augenlied, welches sich über ihre Wange hin bis zu ihrem Kinn zog.

Sie trat vor mich in ihrer dünnen Strickjacke.
 

"Danke Bartosz, dass du für ihn jetzt grade da bist."
 

"Immer, Hannah. Immer."
 

Sie lächelte wieder leicht, als wir beide durch Motorengeräusche abgelenkt wurden. Unsere Köpfe wanderten in die Richtung der Geräuschquelle. Es war ein silberner Audi. Aus diesem stieg ein Mann mit kurzen leicht hellgrauen gewellten Haaren. Ullrich Nielsen, ein Windener Polizist, verheiratet, Vater von 3 Kindern.

Der Hellhaarige schaute sich um, erblickte Hannah, legte den Kopf leicht schief und ging langsam auf sie zu. Sie würdigte mich keines Blickes mehr und eilte direkt zu ihm, schloss ihre Arme um ihn und weinte und weinte und weinte.

Laut ein paar Gesprächsfetzen und visuellen Eindrücken war Ullrich der Polizist, der den Suizid aufnehmen sollte für das Protokoll. Mir war nicht klar, wieso ein so hoch rangierter Polizist sich für so was interessiert, aber das ist Winden. Hier kennt bestimmt jeder jeden, so wie Ullrich eben Hannah.

[003] Jonas

Jonas Kahnwald, 04.November 2019
 

Erschrocken tief einatmend riss ich meine Augen auf, richtete meinen Oberkörper hastig auf. Mein Schlafanzug fühlte sich warm und feucht an meiner Haut an, meine Haaren klebten mir nass an der Stirn. Selbst nach fast 5 Monaten Aufenthalt in der stationären Psychathrie in einem Nachbarörtchen hörten meine Alpträume nicht auf. Immer wieder brannten sich die Szenen des Selbstmordes meines Vaters in meine Träume ein. Die Halluzinationen haben etwas nachgelassen, aber die Träume hören einfach nicht auf.

Ich schmiss das helle kariert-bezogene Oberbett zur Seite um meine Beine zu befreien, welche ich nun an der Bettkante runterbaumeln ließ. Meine Atmung war noch etwas hastig, mein Mund verdammt trocken. Ich blieb kurz sitzen, mein Blick schweifte durch mein kleines Zimmer. Alles war aus Holz, so wie alles in diesem Haus. Nur mein Boden bestand aus einem hellen gräulich-blauen melierten Fußbodenteppich. Er war nicht sehr weich, aber immerhin bekam man keine kalten Füße. Meine Fußsohlen setzten sich vollflächig auf den rauen aus Polypropylen hergestellten Fußbodenteppich.

Mein Blick hing an meinem Schreibtisch fest. Ein paar alte Spielfiguren aus Plastik von damals standen und lagen dort verteilt, aber sonst war er aufgeräumt. Mittig lagen meine Schulbücher gestapelt. Heute sollte mein erster Tag werden nach so langer Zeit. Was meine Mitschüler wohl denken werden?

Über meinem Schreibtisch hing ein Regal mit weiteren Büchern, welche ich eigentlich nie wirklich gelesen habe. Vielleicht angefangen oder durchgeblättert, aber mehr auch nicht. Meine Lieblingsbücher standen auf einem Regalbrett über meinem Bett befestigt. Vor meinem Bett stand ein kleiner Fernsehtisch aus Holz. Die seitlichen Bretter waren mit Löchern gemustert. Auf der leicht überstehenden Holzplatte stand ein gräulicher sperriger Fernseher. Ein total altmodischer Röhrenbildschirm, nicht zu vergleichen mit dem überdimensionalen Hightech-Fernseher von Bartosz. Für solch ein großes Elektrogerät wäre in meinem kleinen Zimmer eh kein Platz.

Neben meiner Kopfseite des Bettes, direkt neben meinem Schreibtisch, stand mein Nachttischschränkchen mit einer kleinen quergestreiften Schirm-Tischlampe. Ganz knapp an der vorderen Ecke erblicke ich das kleine transparente zylinderförmige Plastikdöschen in Orange, welches mit einem weißen Deckel verschlossen ist. Auf dem Döschen klebte ein weißes Etikett mit der Aufschrift "Amitriptylin forte 15 mg". Daneben steht ein Glas mit Wasser, welches ich mir am Vorabend zurecht gemacht hatte. Meine Gedanken überlegten nicht lange und mein Körper griff wie von selbst das Döschen und zog es zu sich hin. Hastig öffnete ich den Drehverschluss, kippte mir eine Tablette in meine Handfläche und warf diese sofort in meinen Rachen. Ich schluckte stark, bevor sich die weiße kleine Tablette durch meinen Speichel auf der Zunge zu zersetzen beginnen konnte. Der bittere Geschmack, der meistens dadurch entstand, konnte einem Übelkeit bereiten.

Eine Weile saß ich noch da, atmete laut und wartete bis die Tablette ihre Wirkung zeigen würde. Die ganzen Negativgefühle, die einen versuchen aufzufressen, innerlich zu unterdrücken und fertig zu machen, lösten sich durch diese kleine Tablette in Luft auf. Das unwohle Ziehen im Magen verschwand. Gedanken an schlimme Dinge, die mich zum Durchdrehen bringen konnten, empfand ich nicht mehr so stark. Es fühlte sich so normal an, die Dinge, wie jeder andere auch, einfach objektiver zu Empfinden. Die Depression wurde erträglicher, der Alltag bewältigbarer.

Langsam trampelte ich die hölzernen Treppenstufen hinab, welche direkt in einen öffenen Flur-Esszimmer-Küchen-Bereich führten. Mittig im Raum zierte sich ein runder Holztisch. Es schien, als hätte Mama gestern keine Lust auf aufräumen gehabt zu haben. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Ciabatta-Resten von ihrem Abendessen, so wie ein Weinglas, gefüllt mit der roten Flüssigkeit aus der grünen Weinflasche daneben. Eine kleine über Eck Küchenzeile verbirgte sich hinter dem Esstisch. In der Ecke befand sich der Kühlschrank. 90° zu dem Kühlschrank befand sich eine kleine Wand mit einer blumig-verspielten bläulichen Tapete an der ein quer-ovaler Spiegel hing. Daneben wurde ein kleines Gewürzregal befestigt, an dem unten drunter Haken waren, wo die Trockentücher aufbewahrt werden konnten.

Mein Körper bewegte sich in Richtung Küche. Meine Hand wanderte zu einem Lichtschalter und selbst nach mehreren Betätigungsversuchen erstrahlte kein warmes Licht in den vom morgendlichen blau getauchten Raum. Seufzend bewegte ich mich zur Küchenzeile. Hier war das Spülbecken ein Chaos. Teller, Tassen und Besteck wurden einfach nur hineingelegt, irgendwie wild positioniert. Hauptsache freier Platz, so dass man noch Kaffe oder ähnliches zubereiten konnte ohne aufräumen zu müssen. Ich öffnete den dunklen Kühlschrank, griff nach der bräunlichen gläsernen Milchflasche und verzog meine Nase nach dem Öffnen: Sauer.

Frustriert stellte ich die Glasflasche zurück in den nicht funktionierenden Kühlschrank.
 

» Mama! «
 

» Mama? «
 

» Mama! Der Strom funktioniert schon wieder nicht! «
 

Ich schrie mehrmals die Treppe hinauf, aber sie reagierte nicht. Entweder schlief sie noch oder sie war nicht da.
 

*
 

Ich fuhr mit meinem Fahrrad zur Schule. Es war draußen kalt-nass, grau und eine depressive Stimmung lag in der Luft. Ein typisches Spät-Herbst-Wetter im November. Es regnete grade noch nicht, aber der Himmel war mit einer grauen Wolkendecke zugezogen. Die Bäume rauschten im Wind, kein Auto fuhr an mir vorbei. Es fühlte sich merkwürdig an, postapokalyptisch irgendwie, plus wieder an diesen vertrauten Orten entlang zu fahren. Nachdem ich aus der stationären Anstalt entlassen wurde, wurde ich einem hier örtlichen Therapeuten anvertraut: Peter Doppler. Der schmale, lange Mann mit mittelblonden Haaren, welche er seitlich gekämmt trägt, seiner hohen Stirn, den klar blauen traurig wirkenden Augen, den ausgeprägten Tränensäcken, der unauffällig normalen Nase, der stark gezeichneten trägen Mundwinkel, den schmalen Lippen umspielt von einem circa 1cm langen Vollbart, welcher zwischendurch graue Härchen durchlässt, ließ mich 2 Wochen lang eine Integrationsphase, beziehungsweise eine Wieder-Eingliederungs-Phase meines natürlichen Umfelds durchführen. Ich sollte merken, dass mein zu Hause, mein zu Hause ist, dass dort meine mich liebende Mutter ist, dass ich dort hin kann, wenn es mir nicht gut geht, dass mein zu Hause mein Rückzugsort ist. Jetzt befand ich mich in der Sozialisierungsphase. Ich soll wieder zur Schule gehen, mich mit meinen alten Freunden zusammentun, vielleicht aber auch neue Leute kennenlernen.

Innerlich war ich nervös. Wie würden die anderen auf mich reagieren? Würden sie mich anstarren und direkt abstempeln, als der Psycho aus der Irrenanstalt? Oder wäre ich für sie, der Vaterlose, dessen Vater ein Schisser war, der seine Familie einfach so alleine zurückgelassen hatte? Meine Gedanken überschlugen sich, malten Szenarien, welche bis hin zum üblen Mobbing gingen bis meine Gedanken bei Bartosz angelangten. Ob er heute da sein würde? Es würde mein Gemüt um einiges beruhigen.

An einer Kreuzung sprang die Ampel auf Rot. Ich presste meine Finger um die vordere und hintere Bremse bis meine Bremsschläuche mein Rad zum Stillstand brachten. Ich setzte meinen Fuß von der Pedale, schaute erst nur zur Ampel, welche aber nach gefühlten 5 Minuten immer noch nicht wieder auf grün umsprang. Daraufhin schweifte mein Blick durch die grüne Umgebung, Felder und Wälder. Hinter den hochgewachsenen Baumspitzen konnte ich die Türme des Kraftwerks, welches wir als AKW bezeichneten, sehen. Mein umherirrender Blick blieb an einer hölzernen Laterne rechts neben mir am Straßenrand hängen. Ein Din-A4-großes Blatt, etwas zerknittert mit ganz viel Klebeband an dem hölzernen Untergrund befestigt, umfasste die fettgedruckte Überschrift "Vermisst", darunter ein Bild von einem naturrothaarigen Jungen mit braunen, fast schwarzen Augen und weißer Haut mit leichten Sommersprossen, welchen ich kannte.
 

» Erik Obendorf. «,las ich flüsternd vor mich her.
 

Es war ein Vermissten-Aushang der Windener Polizei. Ich kannte Erik, flüchtig. Er war ein Drogen-Dealer aller Art. Was ihm wohl wiederfahren ist? Ob er beim dealen jemanden beschissen hat und jetzt irgendwo Tod, verbuddelt unter der Erde liegt? Oder hat er mit dem Dealen genug Kohle gemacht um Winden zu entkommen, in einer neuen Stadt neu anzufangen? Vielleicht sollte ich hier auch verschwinden...

Bei grün setzte ich meinen Fuß wieder ins Pedal und fuhr weiter Richtung Schule. Ein naturfarbener verwinkelt gebauter, kastenförmiger mehrstöckiger Komplex mit steinigen Wänden. Sie waren sehr fein, glatt, aber die Wand als ganzes war rau zu ertasten. Farblich setzten sich die Türen- und Fensterrahmen in einem knalligen gelb ab. Ich stand vor ihr und blieb einfach nur stehen. Ein paar Schüler unterschiedlichen Alters liefen mal hier und dort rum, vereinzelte Grüppchen standen rechts an der Eingangstür. Alle starrten mich an, oder hatte ich nur das Gefühl? Ich schaute kurz an mir runter. Na klar! Wie dumm konnte ich auch sein und meine gelbe, alles überstrahlende Regenjacke anzuziehen, welche förmlich nach "schaut mich alle an! Hier bin ich!" riecht. Die ganzen Blicke verbreiteten in mir diese nervöse leichte Angst, als ich plötzlich durch einen leichten Hinterkopfklatscher und einem lauten freudigen "Heeeeeyyy!" aus meinen Gedanken gerissen wurde. Ein Blick in die Richtung der Stimme und ich erblickte Bartosz, den braunhaarigen, grün-braun-äugigen 17-Järigen besten Freund, den ich je hatte. Ein Lächeln zauberte sich unkontrollierbar in mein Gesicht. Er durfte mich nicht besuchen, obwohl er mein bester Freund war. Ich sollte mich komplett auf mich und meine Genesung konzentrieren. Impulse von außerhalb könnten diese wohl beeinträchtigen hieß es. Einmal hab ich meine Mutter nach Bartosz gefragt, ob ich ihn sehen könnte oder er herkommen dürfte, aber sie verneinte es jedes Mal und dieses eine Mal bin ich dann aus meiner Haut gefahren, habe sie weinend angeschrien, ihr fiese Dinge an den Kopf geschmissen. Ich habe mich später dafür entschuldigt. Immerhin hatte sie mir gesagt, dass sie Bartosz manchmal schreibe, weil dieser sich wohl Sorgen mache. Das war zwar nicht komplett erfüllend, aber es beruhigte mich, dass mein bester Freund sich weiterhin für mich interessierte und ich nicht in Vergessenheit geriet.
 

» Willkommen zurück im Irrenhaus! War Scheißen-Langweilig ohne dich. «
 

Ich spürte Bartosz' Lächeln, wie er mich anschaute, selbst sein Irrenhaus-Witz warf mich nicht aus der Spur, doch diese ganzen Blicke hingegen schon. Bartosz schien meinem Blick zu folgen, desnn kurz darauf zählte er mit seiner furchteinflößenden Art ein paar Mitschüler an, dass diese nicht so Glotzen sollten.
 

» Hast du es irgendwem erzählt? «, rutschte es meinen Lippen einfach heraus.
 

Bartosz blickte mich erst entsetzt an, so wie "Wie kannst du nur so was von mir denken?", als dieser dann aber ein lachendes Geräusch von sich gab.
 

» Ich hab jedem erzählt du seist in Frankreich gewesen für so ein Schüleraustuasch-Programm… und hast Baguette verstecken gespielt. «
 

Er glaubte nicht wie dankbar ich ihm war. Ich konnte zwar grade nicht über seinen Witz lachen, aber das lag einfach nur an dieser Nervösität.

Bartosz' Blick war immer noch auf mich gerichtet. Seine Mundwinkel entspannten sich langsam wieder, erschlafften. Sein Lächeln wurde wieder zur ernsten mitfühlenden Miene. Es war der Ausdruck in seiner Stimme, der mir damals sagte, dass er immer für mich da seien werde. Ich erinnerte mich an seinen Handdruck und biss mir leicht auf einen inneren fleischigen Teil meiner Unterlippe auf der linken Seite, wo Bartosz nicht stand. Er sollte es nicht merken. Es war damals sicher nur die beistehende Geste eines besten Freundes. Nicht mehr und nicht weniger.
 

» Entspann dich, Jonas. «, beruhigte er mich.
 

» Komm. «
 

Bartosz stupste mich an meinen rechten Arm und ging einen Schritt vor. Mein Blick wanderte kurz zu ihm. Der 17-Jährige hatte seine Hände in die Taschen seiner hellbrauen Jacke versteckt und schaute mich nun erwartungsvoll an. Zusammenreißen Jonas. Mantraierte ich mich selber, versuchte alles gut zu reden, ehe ich mit Bartosz mitging. Die gelbe Eingangstür kam immer näher. Einige Schüler hatten sie geöffnet um selber durchzugehen, so dass wir ebenfalls einfach durchgehen konnte. Wir schlenderten Richtung großer Theaterraum, welcher auch für Ansprachen und Großversammlungen genutzt wurde.
 

» Und was ging hier so? «, fragte ich den Braunhaarigen nach ein paar Metern durch die Schulflure laufend.
 

» Du hast nichts verpasst, außer das mit Erik halt. «
 

Ich wollte weiter nachfragen, aber dann kamen wir auch schon im großen Raum des Theaters an. Überall standen Stühle fein säuberlich nebeneinander und hintereinander gereiht, mittig wurden circa 2-3 Stühle breit Platz gelassen, um rein- und rausgehen zu können, so wie als Fluchtweg für den Fall der Fälle. Bartosz zog mich mit sich in eine der hinteren Reihen und warf sich einfach auf einen der Stühle. Ich tat es ihm gleich, aber wahrscheinlich etwas eleganter als er.
 

» Solche Versammlungen sind doch der größte Scheiß! «, murrte er und beobachtete den wilden Trubel der platzsuchenden Schüler.
 

Ich wustte nicht mal um was für eine Art von Versammlung es hier ging, weshalb mir nichts zu seiner Aussage einfiel. Plötzlich zwängte sich ein Mädchen mit langen braunen Haaren an mir vorbei und nahm neben mir Platz, sie versuchte es zumindest. Sie hätte sich auch neben Bartoz setzen können, aber sie musste sich unbedingt an uns vorbeiquetschen. Vielleicht wegen einer Freundin.
 

» Hallo Martha. «, begrüßte Bartozs das dunkelhaarige Mädchen neben mir etwas schroff.
 

» Martha? «, fragte ich total entsetzt und blickte zu ihr.
 

Das Braunhaarige Mädchen, wandte sich nach ihrem wilden Kampf mit dem Stuhl und ihrer Kleidung, welche sich immer irgendwo verfing, zu uns. Ich blickte in zwei dunkle Augen und ein Lächeln umspielte ihre Lippen.
 

» Hallo Jonas. Schön, dass du wieder da bist. «

[004] Martha

Martha Nielsen, 03.Juni 2019
 

 » Du bist blöd! «, murrte mein kleiner Bruder Mikkel, verschränkte seine Arme vor seiner kleinen Brust und blickte mit einem Schmollmund beleidigt aus dem hinteren Autofenster.
 

 » Halt die Klappe Mikkel! «, antwortete mein großer Bruder Magnus nur, ehe er meine Mutter sich einmischte.
 

 » Hört auf jetzt. Alle beide! «, ermahnte sie die Beiden mit ihrer schimpfenden Stimme.
 

Keiner von Beiden sagte noch irgendwas. Leise lief das Radio im Hintergrund. Bestimmt um Mama etwas abzulenken, zu entspannen, aber sie wirkte sehr gestresst. Immer musste die Hellhaarige sich um alles kümmern und sorgen. Da waren zum einen wir 3 Streithähne, Magnus, Mikkel und ich und Papa, wobei der eh oft nicht da ist wegen seiner Polizeiarbeit. Dann wäre da der Haushalt, das Essen, der Einkauf und die Schule.

Katharina Nielsen, Schuldirektorin, verheiratet, 3 Kinder.

Wir waren grade auf den Heimweg. Die Sonne knallte zur Mittagszeit und es bildete sich eine stickige Luft in usnerem Wagen. Ich ließ das Fenster etwas herunter, wobei der Fahrtwind mir meine ohnehin schon nicht vorhandene Frisur zerzauste. Ständig musste ich mir einzelne Haarträhnen aus dem Gesicht kämmen. Genervt machte ich das Fenster wieder zu.
 

 » Mama? Kannst du bitte die Klimaanlage anmachen? Es ist so heiß hier und der Wind bläst mir nur meine Haare ins Gesicht. «, bat ich sie schließlich und unterbrach die vor kurzem entstandene Stille, woraufhin Magnus nur lachte.
 

 » Ohhhh, zerzaust der Wind unser'm Prinzesschin die Frisur. «
 

 » Halt die Klappe, Magnus! Sie nerven nur und kitzeln ständig meine Nase. Das ist alles. «, rechtfertigte ich mich.
 

Mikkel kicherte neben mir über Magnus' Bemerkung, woraufhin ich ihm einen giftigen Blick zuwarf. Was für Idioten.

Mama schaltete stumm die Klimaanlage an, welches direkt eine angenehme Kühle in das Auto brachte. Selbst Mikkel hörte schlussendlich auf sich die Luft mit seiner Lieblingszeitschrift zu zufächern.

Plötzlich spürte ich ein Vibrieren in meiner linken Hosentasche. Angestrengt und mit sehr viel Wiederstand, Kraftaufwand und halben Verrenkungen versuchte ich mein Handy aus meiner kurzen Jeanshose zu ziehen. Ich seufzte erleichternd, als ich es endlich in meinen Fingern hielt. Mikkel kicherte.
 

 » Du siehst aus wie 'ne Tomate. «
 

Ich verdrehte die Augen und streckte ihm die Zunge raus, was nur dazu führte, dass er es mir gleich tat, ich mein Handy entsperrte und er wieder die vorbeifahrende Umgebung begutachtete.

Eine neue Nachricht, war auf dem Display zu lesen. Von wem die wohl war? Mein Zeigefinger tippte kurz auf die Nachricht, als diese sich öffnete:
 

Hey.

Hast du Lust später Schwimmen zu gehen?

LG Jonas
 

Hatte Jonas Kahnwald mich ernsthaft gefragt, ob ich mit ihm Schwimmen will? All die negative Laune war plötzlich wie verflogen. Meine Fingerspitzen schwebten von wie automatisch über das Handy-Display um zuzusagen. Meine Mundwinkel gingen in die Höhe und bildeten ein Dauergrinsen nur ohne Zähnezeigen.

Der Wagen rollte langsamer, ich erblickte wie wir in unsere Einfahrt einfuhren bis der Wagen die richtige Parkposition erreicht hatte und wir anhielten. Rasch öffnete jeder von uns die Autotür um auszusteigen, holte seine Schultasche aus dem Kofferraum und stürmte durch die Haustür, welche unsere Mutter schon geöffnet hatte.
 

 » Ich mache jetzt eben Essen. Ihr macht eure Hausaufgaben oder räumt eure Zimmer auf, damit ich nachher noch Wäsche waschen kann und nach dem Essen könnt ihr euch mit anderweitigen Dingen beschäftigen. «
 

Magnus nickte und schlurfte die Treppe hinauf, Mikkel seufzte genervt, hatte wahrscheinlich überhaupt keine Lust, aber tat es ihm gleich. Ich schlüpfte aus meinen schwarzen Ballerinas mit feinen gekreuzten Riemchen und genoss die kalten Fliesen unter meinen Sohlen. Barfuß tippelte ich zu meiner Mutter. Hausaufgaben hatte ich keine und mein Zimmer hatte ich gestern aufgeräumt.
 

 » Was gibt's denn zu Essen? «
 

Die Blonde schaute zu mir und lächelte.
 

 » Eine gemischte Reispfanne mit Pute. Willst du mir helfen? Dann geht's schneller. «
 

Ohne weiter zu überlegen nickte ich. Je schneller ich nach draußen kann, desto besser. Meine Gedanken kreisten schon um das Treffen mit Jonas. Ich seufzte wohlig, während ich Gedankenverloren in der verflüssigten Butter rumrührte, irgendwo in die Ferne starrte, als das Fett plötzlich zu Spritzen begann und ein Paar meine Hände trafen.
 

 » AUA! Scheiße! «, schrie ich, sprang von der Pfanne weg.
 

 » Man! Mama! Sag doch was! «, meckerte ich etwas vor mich hin und hielt mir meine Hände.
 

 » Weniger träumen, mein Schatz. «, ermahnte sie mich und lächelte kurz darauf.
 

Ich strich mir meine braunen Haare zurück, trat wieder an die Pfanne und rührte etwas durch die Zwiebeln, ehe ich die Gradzahl herunterdrehte. Ich beobachtete die glasigen Zwiebelstücke.
 

 » Vorsicht.«
 

Diesmal warnte sie mich vor, ehe sie das gewürfelte Putenfleisch in die Pfanne zu den Zwiebeln warf.
 

 » Pass auf, dass das Fleisch nicht zu dunkel wird.«
 

Ich lugte in die Pfanne, beobachtete das Fleisch und fragte mich, wann das Fleisch so weit ist, dass ich die Paprika hinzugeben kann? Ich blickte fragend zu meiner Mutter. Sie schien mich verstanden zu haben und seufzte.
 

 » Ich mach das schon. «, löste sie mich ab.
 

Unbeholfen stand ich etwas diagonal hinter ihr und verweilte dort bis ich neue Instruktionen bekam um das Essen fertig zu kochen.
 

 » Kind, hol deine Geschwister. «
 

Ich nickte, während meine Mutter die Teller vorbereitete und tippelte in Richtung Treppenaufgang.
 

 » Mikkel!? Magnus?! Essen ist fertig! «, rief ich nach oben.
 

Mir antworteten zwei gedämpfte Bestätigungen, ehe man das Gestampfe der Beiden vernahm und sich die Türen öffneten. Lautstark stampften sie auch die Treppenstufen hinab. Genervt rollte ich mit den Augen und ging wieder in die Küche um beim Verteilen zu helfen. Mikkel und Magnus warfen sich auf ihre Plätze am Esstisch und warteten gierig auf die essbare Zauberkunst unserer Mutter.
 

Bevor wir uns alle unseren Freizeitbeschäftigungen widmen konnten, kam auch schon die Frage.
 

 » Was habt ihr denn gleich vor? «, hallte die Stimme unserer Mutter durch das Esszimmer.
 

Stille herrschte. Keiner wollte ihr sagen, was wir vor hatten. Mikkel würde wahrscheinlich eh wieder nur mit sich selber irgendwelche Zaubertricks versuchen. Magnus ist mir hingegen Stellenweise ein Rätsel. Vielleicht liegt es aber auch an der Pubertät oder so. Er konnte unheimlich launisch sein und diese wie seine Unterhosen für mich nicht nachvollziehbar wechseln. Im ersten Moment ist alles gut und im Nächsten pflaumt er einen an. Einfach so. Oder es liegt an Franziska Doppler. Das dunkelblonde Mädchen scheint seine Gedanken und Hormone ganz schön ins Chaos zu stürzen. Mein Bruder denkt vielleicht, dass das keiner mitbekommt, aber ich wusste es. Vielleicht würde er sich gleich heimlich mit ihr treffen und will deswegen nichts sagen.
 

 » Na gut. Wenn keiner den Anfang machen will… Was hast du gleich vor? «
 

Ihr Blick galt mir. Mist. In mir machte sich etwas Nervösität breit. Was ist wenn sie es mir verbieten würde? Oder was, wenn ich Mikkel mitnehmen müsste? Das würde alles kaputt machen. Jonas war interessant. Zu gerne würde ich ihn besser kennenlernen, aber das würde mit einem kleinen Kind an der Backe nicht funktionieren. Sein ständiges Rumgeheule, wie langweilig ihm wäre oder sein Suche nach Aufmerksamkeit, wie er einen neuen Trick gelernt hatte, sein ständiges Gejaule, dass er nach Hause will, wenn es vielleicht gerade spannend, vielleicht auch romantisch, werden würde. Bei dem letzten Gedanken fingen meine Wangen leicht an zu glühen. Seine Lippen auf meinen...
 

 » Ich- «, fing ich grade an, als die Haustür sich öffnete und mein Vater heim kam.
 


 

                                  *
 

Papa war meine Rettung gewesen. Als er kam hatte sich alles nur noch um seine Arbeit und wie sein Tag war gedreht. Rasch konnte ich mich nach oben in mein Zimmer verkriechen, um dort meine Sachen zu packen. Nachdem ich mir ein paar Sachen zum Schwimmen rausgesucht hatte, stellte ich mich vor den länglichen Spiegel meines Schrankes und begutachtete mich. Meine Finger umschlossen den silbrigen Knopf meiner kurzen hell-bläulichen Jeanshose und führten ihn durch das Loch. Anschließend zog ich den Reisverschluss hinab, um schließlich mit ein paar Hüftbewegungen mich dem Höschen zu entledigen. Über kreuz griff ich an das Ende des luftig sitzende schwarze Tshirts um es mir über den Kopf auszuziehen. Wie immer verfingen sich meine Haare dabei und es war ein halber Kampf diese aus der Tshirt-Öffnung zu bekommen. Mit zerzausten Haaren undnur in Unterwäsche stand ich nun vorm Spiegel, schlüpfte rasch aus dieser und beobachtete meine nackte blasse Haut. Ich wusste, dass nicht viel an mir dran war, aber ich fühlte mich komplett nackt irgendwie unwohl, nicht attraktiv. Ob Jonas mich attraktiv finden würde?

Meine linke Hand griff meinen rechten Ellenbogen um meine Brustwarzen zu verstecken, wobei meine Brüste dadurch enger, praller an meinen Armen hervorquollen. Rasch drehte ich mich zu meinen hölzernen Bett, griff nach dem roten Schwimmset und probierte es an. Der rote Stoff legte sich um meine kleinen Brüste, puschte diese etwas. Der knallrote Stoff lief seitlich bis zu den Achseln normal weiter, ab da wurde aber ein Ende eingenäht und es mit drei finger-dünnen Streifen zur anderen Seite verbunden. Im Nacken mussten die die dünnen rötlichen Enden zu einer Schleife zusammengebunden werden, um dem Bikini einen optimalen Halt zu verschaffen. Das Unterteil sah aus wie ein gewöhnliches Bikini-Höschen. Die Einzigartigkeit dieses Stückes lag an den Stellen, die sich um die seitlichen Hüften legten. Dort war es, wie bei dem Oberteil, dass der vordere und hintere Teil durch drei finger-dünne Stoffriemchen verbunden war. Somit war es nicht irgendein Bikini-Höschen, sondern das passende Bikini-Höschen zum Bikini-Oberteil. Eigentlich fühlte ich mich so wohl, aber fragte mich, ob es nicht doch zu aufreizend wäre. Aber Jonas würde mich so bestimmt wahrnehmen. Beim weiteren überlegen blickte ich auf meinen digitalen Wecker auf meinem hölzernen Nachtschränkchen, welcher die selbe weiße Nuance wie mein Bett aufwies. Meine Augen weiteten sich.
 

 » FUCK! «, entwich es fluchend meinen zart rosa-farbenen Lippen.
 

Die rötlich leuchtenen Nummern auf dem schwarz-glänzenden Display zeigten: 15:07.

Wie lange habe ich hier gestanden und bloß dumm rumüberlegt? Mein Körper drehte sich hastig zu meinem Bett, wo meine helle kurze Jeanshose lag, welche ich über meine langen Beinchen stülpte und sie schnell verschloss. Rasch trugen meine Beine mich zu meinen Kleiderschrank, ehe ich die Tür aufriss und in meiner Kleidung rumkramte. Ich zog ein olivgrün-meliertes luftiges Shirt heraus, schmiss mich in dieses und bemerkte erst beim Betrachten im Spiegel, dass es Schulterfrei war. Die roten Träger ragten über meine leicht ausgeprägten Schlüsselbeine und verschwanden unter meinem dunklen Haar.
 

 » Scheiß drauf!«, ermahnte ich mich selber, kämmte leicht frustriert meine zerzauste Mähne, ehe ich die Handtücher in eine Tasche stopfte und mein Zimmer verlies.
 

Ich stürmte polternd die Treppe hinab.
 

 » Bis später! «, rief ich nur, eilte aus unserer Haustür, schwang mich auf mein hellblaues Fahrrad und radelte zum See.
 

Unterwegs legte ich mir selber Worte in den Mund, wie ich Jonas behandeln sollte, was ich zur Begrüßung sagen sollte. Oder was mache ich, wenn wir uns näher kommen? Meine Gedanken kreisten weiter und als ich den See mitten im Nirgendwo erreichte erblickte ich ein paar Fahrräder, manche vereinzelt, manche gruppiert. Entweder hatten nicht nur wir diese Idee, oder aber Jonas hatte mehrere eingeladen. Nervös suchte ich eine freie Stelle, schloss mein Fahradd ab und tippelte vorsichtig in Richtung See bis ich den Blonden sah. Er kam gerade aus dem Wasser und tollte mit einem anderen Jungen rum. Die Beiden konnten nicht verschiedener sein. Jonas war blass, hatte helle Haare und blaue Augen. Der andere war leicht gebräunt, hatte dunkle Haare und eher dunkle Augen. Welche Augenfarbe er genau hatte, konnte ich vom Weiten nicht erkennen.

Jonas blickte zu mir und ein Lächeln umspielte seine, aber auch meine Lippen. Er hob seine Hand, winkte mir zu und kam langsam auf mich zu. Sein Freund guckte nur und wandte sich ab. Vor mir blieb der Blonde stehen.
 

 » Hey! Schön, dass du kommen konntest. «
 

Verlegen tippelte ich mit meinen Fußspitzen in dem durch Sonne getrockneten Gras.
 

 » Ja, hier bin ich. «, konnte ich nur antworten und wir Beide schwiegen.
 

Eine peinliche Stille herrschte zwischen uns. Keiner sagte etwas, aber beide waren leicht am Lächeln. Jonas war derjenige der diesem peinlichen Schweigen ein Ende bereitete.
 

 » Komm mit zu uns. «
 

Ich folgte seiner Geste selbstverständlich und ging ihm nach. An seiner Decke angekommen, wurde ich seinem Freund vorgestellt: Bartosz Tiedemann. Ich überlegte eine Weile, ob das der Tiedemann war vom AKW. Wenn ja soll das ein arroganter Arsch sein. Warum würde Jonas mit solch einem Typen rumhängen? Außerdem verhielt er sich mir gegenüber sehr distanziert, als gehöre ich nicht hier her. Trotzdessen begrüßte er mich höflich.

Anfangs entkleidete ich mich nicht, saß einfach nur mit den beiden Jungs da und genoss die Sonne, bis Jonas auf die Idee kam und Wasser aus dem See mitbrachte und es mir über den Kopf rieseln ließ. Ein Schrei, aufgrund der Eiseskälte, entwich meinen Lippen.
 

 » Ohaaa! Spinnst du?! «, pflaumte ich ihn scherzhaft an.
 

 » Das kriegst du wieder! «, versprach ich, stand auf, entledigte meine Kleidung bis auf den knallig roten Bikini, und rannte dem Blonden hinter her, welcher lachend Richtung See lief.
 

Das war eine dumme Idee, denn im nächsten Moment durfte ich wieder Schreien. Was hätte ich auch mit Jonas machen sollen? Er war schon im Wasser und war an die Kälte gewohnt. Ich hingegen nicht, weshalb ich geschrien hatte. Sein Lachen machte das aber wieder Wett. Ich konnte ihm nicht böse sein. Ich richtete mich auf, grinste, machte einen Schritt auf ihn zu und alles ging so schnell, dass ich auf ihm landete. Mein Vater hatte mir mal ein paar Selbstverteidigungsfiguren gezeigt, aber das hatte hier nicht wirklich geklappt. Eigentlich sollte nur er zu Boden fallen, aber es hat mich ebenfalls mitgerissen. Verlegen und erschrocken schaute ich in die blauen Augen vor mir. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast, mein Herz raste unnormal. Jonas wirkte auch erschrocken und nervös. Würden wir uns jetzt küssen?

Dem war leider nicht so. Jonas drückte mich hoch, stand auf, half mir rauf und ging wieder Richtung Decke. Was zum Teufel war das, Jonas Kahnwald?!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Da man nicht viel über Jonas "Psychatrie-Aufenthalt" weiß, hab ich mir selber die Freiheit genommen und einfach mal eine anfängliche Alptraum-Aufwach-Aktion beschrieben, mit zwei frei erfundenen Pflegekräften und einer unbekannten Anstalts-Therapeutin. Der Dachboden entspricht nicht wirklich dem aus der Serie. Ich werde mich zwar logisch etwas an der Originalserie entlanghangeln, aber es wird nicht immer dem Originalbühnenbild entsprechen. Einige Charakterabschweifungen können auftreten. Ich habe mich schon etwas über das Zeitreisen, über Wurmlöcher und dessen Instabilität, so wie Stabiliserungsmöglichkeiten informiert und habe für mich eine logische Zeitreisemöglichkeit entwickelt, die aber NULL der Realität entspricht :p Komplett anzeigen

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