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dnkb-Drabbles

von

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Es war eigentlich gar nicht so viel anders als sonst. Delion stand in der Menge, umgeben und umjubelt von seinen Fans, und gab Autogramme und beantwortete geduldig Fragen. Und er, Roy, stand ganz in der Nähe, beobachtete das Spektakel, gab ebenfalls Autogramme und machte ein Selfie mit einem glücklichen Fan nach dem anderen.

Und trotzdem war es komplett anders.

Weil jetzt sie da war.

Roy wusste nicht, wo Delion sie kennengelernt hatte, hatte nur halb zugehört, als er ihm von ihr erzählt hatte. Dass er sie bereits ein paar Mal getroffen hatte. Gedatet hatte. Dass sie jetzt ein Paar waren.

Roy grinste zusammen mit einem kleinen Jungen in die Kamera, bevor er ihm sein T-Shirt unterschrieb.

Er hatte es nicht kommen sehen. Er hatte immer gedacht – ja, was eigentlich? Dass es, wenn es schon niemals mehr werden würde, immerhin so bleiben würde, wie es jetzt war. Das mit Delion und ihm. Das nicht wirklich etwas gewesen war.

Aber sich nach so viel mehr angefühlt hatte als dieses Jetzt.

Jetzt, wo sie da war.

Delion drehte den Kopf und fand seinen Blick.

Roy grinste, so gut er konnte. Und Delion erwiderte das Grinsen und wandte sich dem nächsten Fan zu.

Er wollte ihm etwas zurufen, irgendetwas. Dass er nicht so angeben sollte, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er seinen Titel als Champ abgeben musste. Und dass natürlich er es sein würde, der ihn nach all den Jahren in einem Kampf besiegen würde.

Aber er brachte kein einziges Wort über die Lippen. Lächelte stattdessen das kleine Mädchen an, das ihn mit großen Augen nach einem Foto gefragt hatte.

 

Für einen Moment hatte Delion geglaubt, etwas anderes in Roys Gesicht gesehen zu haben als das fröhliche Grinsen. Für einen Moment hatte er geglaubt, so etwas wie Enttäuschung zu sehen. Für einen Moment hatte er geglaubt, dass er sich all die Jahre vielleicht getäuscht hatte. Dass Roy doch erwiderte, was Delion nie ausgesprochen hatte.

Aber das war vermutlich Einbildung gewesen. Wunschdenken.

Also war es schon ganz gut so, wie es gekommen war.

Bestimmt.

„Weißt du, was ich entdeckt hab?!“

Roy war sich nicht sicher, ob er den Telefonhörer etwas weiter von seinem Ohr weghalten sollte.

„Nein?“ Aber was immer es war, es schien Delion ziemlich bewegt zu haben.

„Es gibt Fanfiction!“

„Okay …?“

„Über uns!“

„…“

„Und weißt du, was für welche?“ Delion ließ ihm keine Zeit, zu antworten. „Slash! Das ist, wenn –“

„Ich weiß, was das ist.“

„Oh, okay.“ Kurze Pause. „Und wie findest du das?“

Was war denn das jetzt für eine Frage? Was sollte er denn darauf antworten? Dass das definitiv ganz schön seltsam war? Und ein klein wenig gruselig? Wenn da irgendwelche ihnen völlig unbekannte Menschen Geschichten über sie beide erfanden? (Wobei es eigentlich noch gruseliger gewesen wäre, wenn es ihnen bekannte Menschen gewesen wären.) Dass er es trotzdem schon mal gelesen hatte, einfach aus Neugier? Mehrmals. Nur, um sich ein Bild von der Situation zu machen, natürlich. Dass er danach manchmal ganz dringend das Bedürfnis verspürt hatte, einen Moment allein zu sein? Was wollte Delion denn jetzt hören? Letzteres sicher nicht.

„Wie soll ich das schon finden. Seltsam halt. Aber wenn’s den Leuten Spaß macht.“

„Ja. Denk ich auch.“

„War das alles, was du wolltest?“

„Ja, eigentlich schon.“

„Okay, dann … bis bald?“

 

Delion legte auf und seufzte. Nun gut, es war ein Versuch gewesen, um irgendwie anzutesten, ob da vielleicht das geringste Bisschen Interesse bestand.

Hätte ja klappen können.

„Wie … hast du das schon wieder geschafft?“

„…“

„Ich meine, du warst schon so oft in Brassbury. Du musst quasi … einfach nur geradeaus gehen. Man kann es von euch aus doch fast schon sehen.“

„…“

„Hast du deine Kontaktlinsen vergessen?“

„Ich seh mit den Dingern auch nicht mehr wirklich viel, meine Augen scheinen wieder schlechter geworden zu sein.“

„Und wenn du dir vielleicht doch mal eine Brille zulegst?“

„Mein Management sagt, das ist uncool. Für den Champ …“

Roy seufzte.

„Na schön …“

„Also, holst du mich ab?“

„Wo bist du denn?“

„…“

„…“

„Wenn ich das wüsste, hätte ich dich nicht anrufen müssen.“

Er seufzte ein weiteres Mal.

„Ist okay. Ich komm dich suchen.“

„Was willst du denn hier?“

„Wow, das ist doch mal eine nette Begrüßung für einen langjährigen Freund.“ Roy sah ihn vorwurfsvoll an und Delion rang sich ein entschuldigendes, aber ziemlich zerknirschtes Lächeln ab.

„So war das nicht gemeint. Aber –“

„Kann ich reinkommen?“

Er wartete gar nicht erst eine Antwort ab, sah nur aus dem Augenwinkel, dass Delion wohl nickte, und schob sich an ihm vorbei in das Zimmer.

„Aber ich würde trotzdem gern wissen, warum –“

„Wir müssen reden.“

Delion hob skeptisch die Augenbrauen.

„Worüber?“

„Warum du mir aus dem Weg gehst.“

„Tu ich doch gar nicht.“ Aber etwas an der Art, wie er es sagte, etwas an seinem Blick verriet, dass er sich ertappt fühlte. „Die letzten Wochen waren einfach etwas anstrengend. Ich hatte viel zu tun.“ Und dass er sich diese Ausrede selbst nicht abkaufte.

„Erzähl keinen Scheiß. Selbst als du noch Champ warst, hast du es geschafft, dass wir uns ab und zu treffen konnten. Aber seitdem du’s nicht mehr bist, redest du quasi nicht mehr mit mir.“

„Ich …“

„Und darum will ich jetzt endlich wissen, was los ist.“

Delion schwieg.

Roy seufzte.

Er wusste, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Dass Delion es jetzt nicht einmal mehr leugnete, machte es irgendwie noch schlimmer.

„Ist es wegen mir? Hab ich irgendwas gemacht?“

„Nein.“

Er nickte, obwohl ihn diese Antwort nicht klüger machte. Und alles in ihm sträubte sich dagegen, die nächste Frage zu stellen. Aber er wollte jetzt endlich Gewissheit haben.

„Gibt es eine Frau?“

„Was? Nein!“

„Ich meine, könnte ja sein, dass du deswegen weniger Zeit –“

„Nein!“

Roy lächelte schwach.

„Könntest du mir dann bitte endlich sagen, was los ist? Ich bin doch nicht blöd, ich merk doch, dass irgendwas nicht stimmt.“

Er sah, wie Delion mit sich haderte. Aber er ließ ihn, stellte jetzt keine weitere Frage und hoffte, dass Delion von sich aus endlich etwas sagen würde, dass er endlich Antworten bekommen würde.

 „Es … es tut mir leid.“

„Was?“ Roy blinzelte verwirrt.

„Dass ich … verloren hab.“

Er blinzelte erneut.

„Was?“

„Dass ich den Champ-Titel verloren hab. Ich weiß, dass immer du derjenige sein wolltest, der ihn mir eines Tages abnimmt. Und jetzt habe ich verloren, aber nicht gegen dich, sondern gegen ein …“

„Gegen ein Kind.“

Delion nickte.

Roy zuckte mit den Schultern.

„Na ja, aber gegen ein ganz offensichtlich ziemlich starkes Kind, wenn es gegen uns beide gewinnen konnte.“ Er machte eine kurze Pause. „Und das ist es? Darum sprichst du nicht mehr mit mir? Weil du denkst, dass ich … sauer bin?“

„Vielleicht nicht unbedingt sauer, aber …“

„Dass ich traurig bin? Du redest aus Mitleid nicht mehr mit mir?“

„Nein verdammt.“ Es kam selten vor, dass Delion fluchte. Das Ganze musste ihm wirklich zu schaffen machen.

„Dann …“ Also zügelte er sich und sprach nun ruhiger weiter. „Dann sag mir doch bitte, was das Problem ist.“

Delion atmete einmal tief durch und senkte dann den Blick.

„Ich hatte Angst, dass du … dass du dann jetzt vielleicht kein Interesse mehr an mir hast.“

„Sag mal, hackt’s bei dir?!“ Und schon war die Selbstbeherrschung dahin. „Ist das dein Ernst? Hab ich in den letzten Jahren irgendwie den Eindruck erweckt, ich würde nur Zeit mit dir verbringen, um dich irgendwann zu besiegen?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Wie kommst du dann auf so eine dämliche Idee?“ Es sollte ihn vermutlich nicht so sehr aufregen, wie es tat. Aber Delion hatte ihn mit dieser Aussage mehr verletzt, als er wissen konnte. Dass er auch nur einen winzigen Moment glauben konnte, er würde sich nichts mehr aus ihm machen, nur, weil er nicht mehr Champ war.

„Ich weiß auch nicht, tut mir leid. Mir ist schon klar, dass ich nicht nur ein Rivale, sondern vor allem ein Freund für dich bin.“

„Nicht nur das.“

„Was?“

„Was?“

Was? Wo war denn dieser Satz jetzt  hergekommen?! Er hatte das absolut nicht aussprechen wollen, auch wenn es natürlich stimmte.

„Was meinst du damit?“

Täuschte er sich, oder war Delion gerade einen Schritt näher gekommen? Sie hatten doch nicht schon die ganze Zeit so nah beieinander gestanden? Nein, das wäre ihm definitiv aufgefallen.

Roy senkte den Kopf, auch wenn es bei ihrem Größenunterschied schwierig war, Delions Blick auszuweichen.

„Das willst du nicht wissen.“

Und warum – verdammt nochmal – musste er so auf diese Frage antworten? Hätte es nicht zig Möglichkeiten gegeben, sich da irgendwie rauszureden? Musste er jetzt wirklich mit der Wahrheit antworten? Wann war das überhaupt passiert, dass plötzlich er derjenige war, der hier Fragen beantwortete?

All diese Gedanken waren plötzlich verschwunden, als er Delions Hand an seinem Kinn spürte, die seinen Kopf hob und ihn zwang, ihn wieder anzusehen.

„Und wenn doch?“

Der Blick auf Delions Gesicht war mit einem Mal so sanft, dass er sich davon beinahe beschämt fühlte, und Roy erkannte seine eigene Stimme kaum wieder, so leise und unsicher, als er ihm antwortete.

„Es würde dir nicht gefallen.“

„Find’s raus?“

Meinte der Kerl das ernst? Das war doch eine Einladung, das war definitiv eine Einladung, und er hatte definitiv zu viele Jahre auf so etwas gewartet, um es jetzt nicht anzunehmen.

Also senkte er den Kopf, ein wenig nur, damit Delion verstehen würde, was er vorhatte, damit er ihm ausweichen konnte, falls er erst jetzt begriff, worum es hier ging, und er es nicht wollte.

Aber er wich ihm nicht aus.

Also tat Roy es.

Er beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn.

Er hatte es nur kurz tun wollen, nur einen kurzen Moment lang, nur kurz, um Delion begreiflich zu machen, was er meinte. Aber verdammt, er hatte so lange auf diesen Augenblick gewartet, er konnte ihn jetzt nicht gleich wieder enden lassen.

Er spürte, wie Delions Hand sein Kinn verließ, nicht, um ihn wegzuschieben, sondern um sich in seinen Nacken zu legen und ihn näher zu sich zu ziehen, und spätestens jetzt hatte er nicht mehr die Absicht, den Kerl allzu schnell wieder gehen zu lassen. Er krallte sich in Delions Shirt, irgendwohin, was auch immer er von ihm zu fassen bekam, drängte sich näher an ihn, nahm nur so halb wahr, dass Delion wohl an den Schreibtisch hinter ihm gestoßen sein musste, aber da es ihn nicht zu stören schien, störte es Roy auch nicht.

Nur sehr widerwillig, als der Drang zu atmen dann doch die Überhand gewann, löste er sich von ihm, sah in die glücklich funkelnden goldenen Augen – und war mit einem Mal peinlich berührt, als allmählich zu ihm durchsickerte, was hier gerade passiert war. Was er gerade getan hatte. Was sie gerade getan hatten.

Er räusperte sich, kratzte sich kurz an der Wange, sah für einen Moment zur Seite und fand dann aber, dass er wohl weniger peinlich rüberkommen würde, wenn er es wenigstens schaffte, Delions Blick standzuhalten.

„Wie kannst du … ernsthaft daran glauben, dass ich aus irgendeinem Grund nichts mehr mit dir zu tun haben wollen würde?“

Und das Thema möglichst schnell wieder dorthin lenkte, wo es eigentlich mal angefangen hatte.

Delion zuckte mit den Schultern, lächelte aber noch immer, mit einem Ausdruck im Gesicht, den Roy noch nie zuvor dort gesehen hatte, an den er sich aber gut gewöhnen könnte.

„Man bildet sich schnell etwas ein, wenn man Angst hat, jemanden zu verlieren.“

„Idiot.“

Diesmal küsste Roy ihn auf die Stirn.

Dann lehnte er seinen Kopf auf Delions.

„Und nur, damit du’s weißt: Ich will immer noch gewinnen.“

„Gegen den Champ?“

„Das auch. Aber erstmal gegen dich.“

Er konnte Delions Gesicht nicht sehen, aber er hörte das Lächeln, als er ihm antwortete.

„Hm, du kannst es ja mal versuchen.“

„Werd‘ nicht übermütig.“

„Sonst was?“

Aber diesmal antwortete Roy nicht, sondern hob seinen Kopf von Delions, zog ihn zu sich heran und, bevor er in die Gefahr kam, ihn wie ein verliebter Volltrottel anzustarren, küsste ihn erneut.

Das laute Knallen des Feuerwerks war noch immer zu hören, als er den Weg zurück in seine Umkleide antrat. Es war das erste Mal nach so langer Zeit, dass nicht er es war, den sie da draußen jetzt feierten.

Es war das erste Mal seit so langer Zeit, dass er einen Kampf verloren hatte.

Den Blick zu Boden gerichtet bemerkte er die Gestalt, die reglos im Gang stand, erst, als er fast mit ihr zusammenstieß.

„Roy!“ Er setzte ein breites Grinsen auf. „Hast du diesen Kampf gesehen? War das nicht der Wahnsinn? Unglaublich, wie stark dieses Kind ist, ich bin wirklich überwältigt. Ich …“ Aber mit einem Mal wusste er nicht mehr, was er sagen sollte. Roy sah ihn kurz schweigend an, bevor er sagte:

„Komm her.“

„Was?“

„Komm her, hab ich gesagt.“

Bevor Delion wusste, was geschah, hatte Roy ihn in eine überraschend sanfte Umarmung gezogen, seine Hand an Delions Hinterkopf gelegt und ihn gegen seine Brust gedrückt.

„Es ist okay.“ Delion drängte sich näher an den Körper vor ihm und vergrub sein Gesicht in Roys Jacke. „Es ist okay, zu weinen.“

Und dann kamen die Tränen, die er draußen auf dem Kampfplatz gerade noch hatte zurückhalten können.

Delion hätte ihm stundenlang dabei zusehen können.

Es kam nur noch selten vor, dass er bei einem Arenakampf seines besten Freundes dabei sein konnte, aber heute war so ein Tag, und er genoss jede Sekunde davon. Er liebte es, Roy so voller Eifer und Energie zu sehen, selbst dann, wenn ein Kampf schon fast verloren war, oder vielleicht sogar gerade dann, wenn er oft genug in letzter Sekunde doch noch das Blatt wendete. Delion liebte es, wenn Roy der Schweiß auf der Stirn stand, so als würden nicht seine Pokémon, sondern er selbst gerade einen Kampf austragen, weil er vom ersten bis zum letzten Moment mit ganzem Herzen dabei war. Delion liebte es, wenn Roy mit den Kameras flirtete, so zufrieden mit sich und seiner Leistung, selbst wenn der höchst seltene Fall eingetreten war, dass er einmal einen Kampf verloren hatte. Delion liebte –

„Du schmachtest.“

„Was?“ Er sah erschrocken zur Seite und Sania grinste ihn an.

„Du schmachtest. Aber mach dir nichts draus, das ist süß.“

„Ich …“ Er lächelte verschämt und wandte den Blick wieder ab. „Ist es so offensichtlich?“

„Für ihn? Nein. Für jeden anderen? Absolut.“

Delion seufzte.

„Warum sagst du’s ihm nicht einfach? Du stehst so sehr auf ihn, und von alleine bekommt er das nie mit.“

Oder er hat es längst mitbekommen und will es nicht und sagt darum nichts.“

„Ja. Klar.“

„Und selbst wenn, wie sollte ich ihm das denn sagen?“

„Ich weiß nicht, hast du schon mal an sowas wie Ich liebe dich gedacht?“

Er spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schoss.

„Das … kann ich doch nicht einfach …“

„Aber du willst es ihm gerne sagen?“

„Ich will vor allem, dass er es erwidert.“

Sie lächelte ihn an.

„Weißt du, ich kenn ihn natürlich nicht so gut wie du. Aber ich hab euch schon zusammen gesehen, und ich weiß, dass er dich manchmal genauso ansieht, wie du gerade ihn.“

Er fühlte erneut, wie seine Wangen heiß wurden.

Und er wusste, dass Sania eine ziemlich gute Menschenkenntnis hatte und ihm das alles nicht sagen würde, wenn sie nicht überzeugt davon wäre, dass es stimmte. Also vielleicht …

Er sah hinunter auf den Platz, wo der Kampf soeben zu Ende gegangen war und Roy sich nun von der Menge feiern ließ, mit diesem glücklichen und zufriedenen Lächeln auf den Lippen, an dem Delion sich wohl niemals sattsehen würde.

„Vielleicht frag ich ihn mal, ob er mit mir essen gehen würde … Allein.“

Sania nickte und drückte seine Schulter.

„Das ist ein guter Anfang.“

Er kam sich so erbärmlich vor.

Das war doch kein Grund. Das war doch wirklich kein Grund.

Wütend krallte Roy seine Hände in die Decke des Betts, auf das er sich geworfen hatte. Wütend und verzweifelt. Wütend auf sich, auf Delion, aber doch mehr auf sich, weil er es einfach nicht fertig gebracht hatte, seine große Klappe rechtzeitig dafür zu benutzen, es ihm zu sagen. Verzweifelt, weil es jetzt zu spät war.

Es war erbärmlich, dass er jetzt hier lag, den Kopf in das Kissen unter ihm vergraben, irgendwie hoffend, dass es sein Schluchzen ersticken würde, damit es nicht bis nach draußen, nicht an Delions Ohr drang.

Sie hatten sich ein nettes Wochenende machen wollen. Nur sie zwei und ihre Pokémon, sonst niemand, fernab von jedem Trubel, fernab jeglicher Verpflichtungen.

Er hatte nicht erwartet, dass irgendetwas passieren würde, dass das mehr als ein Kurzausflug unter Freunden wurde. Aber er hatte auch nicht erwartet, dass Delion das sagen würde.

‚Ich hab jetzt übrigens eine Freundin.‘

Einfach so. Ohne Vorwarnung. Er hatte es gesagt und ihm einen fragenden Seitenblick zugeworfen. So als wolle er von ihm hören, wie toll das doch war.

Roy hatte ihm nicht sagen können, wie toll das doch war.

Er hatte es gerade so geschafft, zu nicken, war mit zitternden Händen und Beinen aufgestanden und hatte gehofft, dass Delion es ihm nicht angemerkt hatte, hatte sich mit zittriger Stimme entschuldigt und war auf sein Zimmer geflüchtet.

Wo er nun auf dem Bett lag, in die Decke verkrallt und mit heißen Tränen, die das Kissen unter ihm durchnässten.

Warum …

Es war ihm bis eben gerade nicht klargewesen, aber anscheinend hatte irgendein Teil in ihm doch immer gehofft, dass eines Tages mehr aus ihnen werden würde, dass Delion es eines Tages auch ohne Worte verstehen würde und dass er es vielleicht, so unwahrscheinlich das auch sein mochte, eben doch erwiderte.

Er war so unglaublich dämlich gewesen.

„Roy …?“

Er zuckte zusammen und richtete sich auf, als er plötzlich die vertraute Stimme mitten im Zimmer hörte.

„Entschuldige, ich … ich hab geklopft, aber du hast mich wohl nicht gehört.“

Wenn Roy geglaubt hatte, es könnte nicht noch erbärmlicher werden, so hatte er sich ganz offensichtlich getäuscht.

„Du … weinst …“

Ja, und es gab nichts, was er tun konnte, um das jetzt noch irgendwie zu leugnen. Um sich da irgendwie rauszureden.

Und es kam ihm kein einziges Wort in den Sinn, das er hätte aussprechen können.

„Oh Gott, es tut mir so leid.“

Aber das irritierte ihn. Dass Delion sich plötzlich vor ihm auf das Bett kniete, ihn in eine Umarmung zog, bevor er es verhindern konnte, und ihn fest an sich drückte.

Was sollte das jetzt werden? Mitleid? Hatte er es etwa doch bemerkt …

„Es sollte ein Witz sein. Ein Witz.“

Was.

„Ich wollte nur wissen, wie du reagierst. Ich wollte wissen … ob du eifersüchtig wirst. Ich wollte wissen, ob du vielleicht wirklich …“

Was?

„Wirklich in mich verknallt bist.“

Was?!

„Aber ich hab doch nicht gedacht, dass dich das so fertig macht. Verdammt, ich hab ja nicht mal gedacht, dass du mir das wirklich glaubst. Ich dachte, das war so offensichtlich erfunden, weil wann hätte ich denn … wie hätte ich denn …“

Delion suchte nach Worten und Roy nach der Kraft, um den anderen von sich zu schieben. Es war also alles nur ein Witz gewesen? Er hatte sich nur über ihn … lustig gemacht? Roy merkte, wie erneut Wut in ihm aufstieg, und er versuchte zu ignorieren, dass er gleichzeitig unglaublich erleichtert war, weil das zuzugeben noch erbärmlicher gewesen wäre als alles zuvor.

Er schaffte es gerade so, Delion ein wenig von sich wegzuschieben. Er schaffte es nicht, ihn loszulassen.

„Es tut mir so leid. Das war dämlich von mir. Ich dachte nur … wenn ich sehe, dass du vielleicht wirklich eifersüchtig wirst, dann fällt es mir leichter … dann kann ich dir vielleicht endlich … Dann kann ich dir sagen …“

Was.

„Kann ich dir sagen, dass … ich dich liebe.“

… WAS?!

„Was?!“

Delion lächelte entschuldigend und Roy wusste nicht, ob er ihn ohrfeigen oder küssen wollte.

„Du Scheißkerl!“ Also entschied er sich für nichts von beidem, stieß stattdessen kraftlos mit seiner Faust gegen Delions Brust. „Du verdammter Scheißkerl.“ Aber es klang nicht mehr wütend, kein bisschen, und auch wenn ihm jetzt wieder Tränen über die Wangen liefen, musste er diesmal dabei lachen und war bestimmt schon wieder erbärmlich, aber diesmal kümmerte es ihn nicht mehr. „Komm her, du Volltrottel.“

Und dann zog er ihn doch an sich und küsste ihn, und er bildete sich ein, dass auch Delion mit einem Mal erleichtert war und dass auch er, vielleicht, ein bisschen mit den Tränen zu kämpfen hatte.

„Dir ist klar, dass du das jetzt eine ganz schön lange Zeit wiedergutmachen musst, oder?“

„Das hab ich verdient, fürchte ich …“

Aber er sah nicht so aus, als würde er sich vor irgendetwas fürchten, als er Roy wieder an sich zog und ein weiteres Mal küsste.

Delion küsste sich über die dunkle Haut. Er streichelte den erhitzten Körper, hinterließ mit seiner Zunge eine feuchte Spur, strich ihm durch die verschwitzten Haare. Er genoss jedes kleine Seufzen und Stöhnen, das dem anderen Mann unter ihm entwich. Er genoss es auch, als er plötzlich nicht mehr unter, sondern über ihm war, als nun er selbst in die Kissen gedrückt wurde. Geküsst wurde. Als er die Zähne an seinem Hals spürte, erst beinahe zärtlich, dann entschlossener. Den Atem in seinem Nacken. Den anderen Körper, der sich sehnsüchtig gegen ihn drängte. Als ihn ungeduldige Hände endlich so berührten, wie er es sich schon viel zu lange gewünscht hatte.

Delion schlug die Augen auf, blinzelte gegen das Sonnenlicht an, einen Moment lang irritiert, dann frustriert und vergrub das Gesicht in das Kissen unter ihm.

Dabei war es ihm diesmal so real vorgekommen. Viel mehr wie eine vage Erinnerung an etwas, das tatsächlich stattgefunden hatte, als ein bloßer Traum.

Es war nicht neu, dass er diese Träume hatte. Sie häuften sich und er hatte aufgehört, sich deswegen zu schämen.

Es war auch nicht neu, dass er sich nicht daran erinnern konnte, wie genau er eigentlich ins Bett gekommen war. Auch das passierte in letzter Zeit häufiger; entweder, weil er vollkommen übermüdet über der Arbeit eingeschlafen war, oder – was öfter vorkam, seitdem er in diese Wohnung gezogen war – weil er die Nacht mit Roy durchzecht hatte. Roy war auch der Grund, dass er dann eben doch noch im Bett landete und nicht auf dem Fußboden einschlief.

Es war nicht neu, dass Roy dann, wie auch heute anscheinend, die Wohnung verließ, in viel besserem Zustand als sein bester Freund, und ihn allein zurückließ. Delion bevorzugte die Male, in denen Roy nicht in einem viel besseren Zustand als er gewesen und neben ihm im Bett eingeschlafen war. Viel zu nah eigentlich, aber der Alkoholpegel oder die Müdigkeit oder die Vernunft hielten Delion immer davon ab, irgendetwas Dummes zu tun.

Es war nicht neu, dass er gerade nach einer dieser durchzechten Nächte einen dieser Träume hatte, in denen er Dinge mit Roy anstellte, die er sich sonst in seiner Gegenwart höchstens zu denken traute.

Was neu war, war, dass Roy am Küchentisch saß, als Delion in den Raum trat.

„M-morgen …?“

Und dass er nicht etwa dabei war, sich durch sein Smart-Rotom zu scrollen oder Delions Vorräte geplündert hatte, sondern einfach nur schweigend dasaß, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf auf die gefalteten Hände gelegt.

Er sah auf, als Delion ihn ansprach, mit einem Blick, den er nicht deuten konnte, und sagte schließlich:

„Ich glaube, wir sollten reden.“

Roy sah, wie die Uhr auf 0.00 sprang.

Es war jedes Mal wieder komisch.

„Alles Gute zum Geburtstag.“

Delion hielt verwirrt inne.

„Ist es schon soweit?“ Sie waren seit Stunden in diverse Gespräche vertieft gewesen, es war nicht verwunderlich, dass Delion nicht darauf geachtet hatte.

Roy fühlte sich wie ein Idiot, dass er darauf geachtet hatte.

„Dann … vielen Dank. Und alles Gute zum Geburtstag.“

Es war jedes Mal wieder komisch, dass sie am selben Tag Geburtstag hatten.

„Danke.“

Sie lächelten einander an.

Dann schwiegen sie.

„Und … nun?“

„Ich weiß nicht …“

Sie hielten sich seit Jahren daran, einander gegenseitig nichts zu schenken, weil es im Grunde nichts mehr gab, was sie wirklich brauchten oder sich wünschten. Nichts, was man mit Geld hätte kaufen können. Und das, was Roy sich wünschte, was man mit Geld nicht kaufen konnte, würde Delion ihm sowieso niemals geben.

Also gab er sich damit zufrieden, wenigstens den Abend, oder inzwischen vielmehr die halbe Nacht, mit ihm verbringen zu können.

„Schade, dass die anderen diesmal keine Zeit hatten.“ Roy sagte es, ohne es wirklich zu meinen. Als ob er ihren Geburtstag wirklich lieber mit den anderen Arenaleitern verbracht hätte als mit Delion allein.

„Wirklich?“ Roy war sich nicht sicher, ob Delions Frage überrascht oder enttäuscht klang, aber es irritierte ihn beides. „Ich … find das eigentlich ganz schön, nur so wir beide. Tut mir leid, wenn ich dich langweile.“

Jetzt fühlte Roy sich wie ein Idiot.

„Quatsch! So hab ich das doch gar nicht gemeint! Ich bin auch viel lieber mit dir allein!“

Für einen kurzen Moment war es still, ein Moment, in dem Delion verwirrt blinzelte und Roy sich fragte, ob er das gerade wirklich so hatte sagen müssen.

„Ist das so?“ Ein Lächeln hatte sich auf Delions Lippen gelegt. „Warum hast du dann gerade was anderes gesagt?“

Roy wich seinem Blick aus.

„Weil ich cool sein wollte …“

„Es ist cooler, wenn du lieber mit anderen Leuten feierst, als mit mir?“

Es war cooler, wenn er nicht zugab, wie hoffnungslos verknallt er in ihn war.

Er zuckte mit den Schultern.

„Also ich“, fuhr Delion nun fort und rutschte dabei ein Stück näher, „bin sehr gerne mit dir allein.“

Die goldenen Augen funkelten ihn an, viel zu nah plötzlich, obwohl es mit Delion zugegebenermaßen kein zu nah gab, und Roy schluckte. Delion hatte nichts getrunken, und trotzdem zeigte er sich plötzlich so anhänglich, so beinahe flirtend, wie er es sonst nur tat, wenn in der Nacht bereits einiges an Alkohol geflossen war.

Und obwohl auch er nichts getrunken hatte, kam ihm plötzlich diese unsinnige Idee, die man im nüchternen Zustand eigentlich gar nicht haben durfte.

„Darf ich dir doch noch was schenken?“

Delion rutschte ein Stück zurück und sah ihn verwundert an.

„Uhm, ja?“

Und Roy verbot sich, weiter darüber nachzudenken, beugte sich zu ihm und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Wange.

„Happy Birthday …“ Er nuschelte es gegen sein Ohr, weil er nicht mehr den Mut aufbrachte, ihm ins Gesicht zu sehen.

Aber er musste, als Delion seine Hände an seine Wangen legte und ihn zwang, den Kopf zu heben. Und Roy bildete sich ein, dass Delions Lächeln mindestens so verlegen aussah, wie er selbst sich fühlte.

„Ich hätte da vielleicht noch etwas Besseres …“ Seine Stimme klang leise, beinahe wie eine Frage, und Roy nickte hastig. Im nächsten Augenblick spürte er Delions Lippen auf seinen und verdammt ja, Delions Geschenk war definitiv das bessere.

„Happy Birthday …“ Es war ein Hauchen gegen Roys Lippen und er konnte nicht anders, als ihn daraufhin sofort nochmal zu küssen.

„Vielleicht“, murmelte Roy, als er sich schließlich doch von ihm lösen konnte, „hätten wir früher damit anfangen sollen, uns wieder etwas zu schenken.“

„Vielleicht.“ Delion suchte nach seiner Hand und drückte sie sanft. „Aber besser spät als nie, oder?“

Er antwortete ihm mit einem weiteren Geschenk.

„Wieso bist du eigentlich zu spät zum Kampf gekommen? Oder warte, lass mich raten – du hast dich verlaufen?“

Delion lächelte entschuldigend.

„Hab ich.“

„Wo warst du diesmal? Also, falls du’s weißt …“

„Auf einem Berg!“

„Auf einem –  ?! Wie?!“

Er zuckte mit den Schultern, lachte und erwartete, dass Roy es ihm gleichtat und ihn ebenfalls auslachte, so wie er es immer tat.

Aber Roy lachte nicht.

Stattdessen sah der Blick der eisblauen Augen viel mehr besorgt aus.

„Was? Ich hab’s ja noch einigermaßen rechtzeitig geschafft.“

„Ich hab Angst, dass wir dich irgendwann gar nicht mehr wiederfinden …“

„Ach was, ich …“ Aber er sprach nicht weiter, als Roy den Blick senkte. Das war kein einfacher Scherz von ihm gewesen. Er machte sich wirklich Sorgen. „Hey, ich … Ich weiß, dass du mich überall finden würdest.“

„Ich würde überall nach dir suchen. Ich würde nicht aufhören, bis ich dich gefunden hab.“

„Ich weiß.“ Er schenkte Roy ein Lächeln und der andere Mann seufzte.

„Ruf das nächste Mal gefälligst an, wenn du dich verlaufen hast!“

„Mach ich.“

„Dann komm ich dich abholen. Egal, von wo.“

„Okay.“

Egal, von wo!“

„Ich weiß.“

Roy seufzte erneut und schien nun einigermaßen beruhigt zu sein.

„Sonst behaupte ich beim nächsten Kampf wirklich, dass du zu feige warst, gegen mich anzutreten!“

„Wag es ja nicht!!“

Sie sahen sich für einen Moment an und dann lachten sie beide.

Roys Atem ging noch immer schwer, genauso wie der des Mannes neben ihm. Er hätte ihn gerne in den Arm genommen oder sich von ihm in den Arm nehmen lassen, sich gerne an ihn geschmiegt und ihn geküsst, viel sanfter als gerade eben noch.

Aber das taten sie nicht. Nie. Sie kuschelten nicht miteinander. Sie hatten Sex, und das war alles.

„Ist schon praktisch, dass das mit uns nichts Ernstes ist“, sagte Delion. Roy schluckte schwer und hoffte, dass Delion es ihm nicht anmerkte. Dass er ihm nicht anmerkte, dass er eigentlich so gern noch so viel mehr als nur das Bett mit ihm geteilt hätte.

„Ja.“

 

„Ist schon praktisch, dass das mit uns nichts Ernstes ist“, sagte Delion und meinte nichts davon. Er sagte es ab und an, immer in der Hoffnung, dass Roy eines Tages entgegnen würde, was für ein Unsinn das war, dass das natürlich etwas Ernstes, etwas Besonderes zwischen ihnen war und dass er sich schon vor langer Zeit in ihn verliebt hatte.

„Ja.“

Aber all das sagte Roy nicht, und darum sagte Delion es auch nicht.

Roys erster Impuls war es, den Fernseher auszuschalten, als plötzlich die vertraute Stimme darin zu hören war. Er hatte eh nicht auf das Programm geachtet und das letzte, was er jetzt sehen wollte, war ein Interview mit Delion.

Mit der Fernbedienung in der Hand verharrte er und brachte es nicht fertig, den entsprechenden Knopf zu drücken.

Na schön. Dann würde er sich eben anhören, was der Idiot zu erzählen hatte. Von seinem neuen Leben. Da drüben in Kanto.

Er hatte wohl keinen weiter entfernten Ort finden können.

Roy ließ das übliche Blabla über sich ergehen, das übliche Gelaber darüber, dass Delion, nachdem seine Zeit als Champ in Galar zu Ende gegangen war, auf der Suche nach neuen Herausforderungen war.

Ts.

Roy kannte alle diese Sätze, hatte sie von Delion selbst gehört, als er ihnen von seinem Entschluss, Galar zu verlassen, berichtet hatte.

Aber dann veränderte sich die Miene des Delions im Fernsehen mit einem Mal, wirkte fast ein wenig niedergeschlagen, auch wenn er es so gut es ging zu verstecken versuchte. Und dann sagte er:

„In Galar hat mich am Ende einfach nichts mehr gehalten.“

Roy starrte fassungslos auf den Bildschirm.

Dann endete das Interview und es begann ein anderer Bericht, aber Roy nahm nicht mehr wahr, worum es ging, und schaltete den Fernseher nun endlich ab.

Er wusste nicht, wann er das letzte Mal dermaßen wütend gewesen war. Von Delion zu hören, dass er auf der Suche nach neuen Abenteuern war, das war die eine Sache.

Aber zu hören, dass es nichts, dass es niemanden in Galar gab …

Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, aber er verbot sich, zu heulen, nicht aus Wut und schon gar nicht aus Trauer über so einen Idioten.

Er griff nach seinem Smart-Rotom, warf es zur Seite, nahm es wieder in die Hand und scrollte sich durch seine Kontakte.

Er hatte bereits sieben Mal versucht, Delions Nummer zu löschen, und es letztendlich doch nie fertiggebracht.

Irgendwo in seinem Inneren wusste er, dass es eine ganz dumme Idee war, ihn jetzt, so aufgewühlt wie er war, anzurufen, aber er schob die Vernunft zur Seite und drückte auf Wählen.

 „Hier ist die Mailbox der Rufnummer –“

Bis eben hatte er nicht gedacht, dass seine Wut sich noch steigern konnte, nun wusste er es besser. Und auch wenn es ganz bestimmt keine gute Idee war, Delion eine wütende Nachricht auf die Mailbox zu sprechen, hatte er genau das jetzt vor.

Das Signal ertönte und Roy schluckte die Tränen hinunter.

„Du Scheißkerl! Du mieser Dreckskerl! Ich hab gerade dein verdammtes Interview im Fernsehen gesehen, und du – in Galar hat dich also nichts mehr gehalten? Und was ist mit mir, du Idiot?! Bin ich also niemand für dich? War ich die ganze Zeit niemand, nur der blöde, nervige Rivale, den du endlich abservieren konntest, als du den Titel verloren hast?! Für mich warst du nicht nur ein Rivale, für mich warst du“, der Mensch, den er über alles auf dieser Welt liebte, der ihm so unendlich fehlte, den aber nichts mehr hier in Galar gehalten hatte, „für mich warst du ein Freund.“ Aber er hatte ihm nie gesagt, was er wirklich für ihn empfand. Und anscheinend war das ja auch ganz gut so gewesen. „Aber wenn das für dich alles nichts war, dann, dann …“ Er suchte nach Worten, hoffte inständig, dass Delion nicht hören würde, dass ihm nun doch die ersten Tränen über die Wangen liefen, „dann kannst du mir meinetwegen gestohlen bleiben! Schönes Leben noch!“ Dann legte er auf und begann zu schluchzen.

 

„Für mich warst du nicht nur ein Rivale, für mich warst du … für mich warst du ein Freund.“ Delion schluckte schwer. Er hatte es nicht fertiggebracht, den Anruf entgegenzunehmen, als er gesehen hatte, von wem er kam. Also saß er hier, neben seinem Smart-Rotom, und hörte Roy dabei zu, wie er ihn beschimpfte. „Aber wenn das für dich alles nichts war, dann, dann … dann kannst du mir meinetwegen gestohlen bleiben. Schönes Leben noch!“

Er stützte den Kopf gegen seine Hände und schloss die Augen.

„Es tut mir so leid, Roy.“ Er sprach die Entschuldigung aus, obwohl niemand da war, der sie hören konnte. „Aber wenn ich geblieben wäre, hätten meine Gefühle für dich mich irgendwann aufgefressen. Und ich hätte dir niemals sagen können, dass ich dich liebe … das hättest du nicht hören wollen.“

Aber dass Roy ihn jetzt hasste, weil er dachte, dass ihre Freundschaft ihm nichts bedeutet hatte, das machte das Ganze noch schlimmer.

Roy sah nicht auf, als Delion das Schlafzimmer betrat, scrollte sich stattdessen weiter durch die Einträge, die er heute gepostet hatte, und las die Kommentare, die er dazu erhalten hatte.

Als Delion einige Augenblicke später aber immer noch nicht zu ihm ins Bett gekrochen war, sondern anscheinend weiterhin reglos im Raum stand, hob er doch den Blick vom Bildschirm. Und schluckte schwer.

„Warum … trägst du deine Kampfturm-Uniform?“

Jetzt. Hier. In ihrem Schlafzimmer.

Ein verschmitztes Lächeln legte sich auf Delions Lippen.

„Weil ich weiß, wie du mich angesehen hast, als du sie das erste Mal an mir gesehen hast.“ Delion lief um das Bett herum, beugte sich zu Roy und küsste ihn. Lang.

Das Smart-Rotom war vergessen.

„Aber wenn sie dich stört … kannst du sie mir gerne ausziehen.“

Roy schluckte abermals.

„Das werde ich.“ Seine Stimme war rau.

Aber vorher würde er herausfinden, was sie so alles anstellen konnten, ohne dass Delion sie ausziehen musste.

Delion starrte auf den Brief, ohne ihn wirklich zu lesen. Musste er auch nicht. Er hatte ihn ungefähr eintausend Mal gelesen, seitdem er ihn bekommen hatte.

Vor etwas mehr als zwei Monaten.

Ein halbes Jahr nachdem er seinen Titel als Champ verloren hatte.

Einen Morgen nach der Nacht, in der er mit Roy geredet hatte.

Der Brief hatte auf seinem Fensterbrett gelegen, war also nicht mit der Post gekommen. Roy musste ihn mit irgendeinem Pokémon geschickt haben.

Delion hatte ihn danach immer und immer wieder gelesen.

Obwohl er kaum drei Zeilen lang war.

Delion, es tut mir leid. Ich werde eine Zeit lang weggehen. Ich brauch ein bisschen Abstand.

Roy hätte es ihm direkt sagen können. Oder am Telefon. Oder in einer Mail.

Aber er hatte ihm diesen Brief geschickt.

Und musste sofort danach aufgebrochen sein.

Delion war augenblicklich nach Claw City geflogen. Aber Roy war bereits fort gewesen, hatte die Arena jemand anderem überlassen. Dauerhaft, hatten sie gemeint. Roy hatte nicht gesagt, wann er wiederkommen würde. Ob er wiederkommen würde.

Die Medien waren voll davon gewesen. Die Zeitungen, die Fernsehsender – alle hatten ihre eigenen Theorien aufgestellt, warum es den berühmten Drachentrainer aus Galar weggezogen hatte. Die häufigste Vermutung war, dass es mit Delion zu tun hatte. Dass Roy auf der Suche nach neuen Herausforderungen war, nachdem sein langjähriger Rivale seinen Titel verloren hatte. Das war es auch, was Roy schließlich, einige Wochen später, in einem kurzen Fernsehinterview bestätigt hatte.

Aber Delion wusste es besser.

Delion kannte den wahren Grund, warum er aus Galar geflüchtet war.

Denn in dieser Nacht damals hatte er Roy gesagt, dass er ihn liebte.

„Sag mal, wie viele Rivalen hast du inzwischen eigentlich?“

Delion sah ihn verwirrt an und Roy musste zugeben, dass die Frage seltsam war.

„Was meinst du?“

Aber da er nun schon damit angefangen hatte …

„Ich meine, dass ich das Gefühl hab, dass jedes dahergelaufene Kind es sich zum Ziel gesetzt hat, eines Tages den großen Delion zu besiegen.“

„… Ist das nicht das Ziel der Arena-Challenge?“

„Ja … schon … Aber wie sie alle rumposaunen, dass sie deine nächsten Rivalen sind, und dabei schaffen es die meisten nicht mal, mehr als drei Orden zu bekommen … Und schließlich bin in allererster Linie ich dein Rivale.“

Delion lachte leise.

„Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“

Roy schwieg.

Delion blinzelte.

„Du bist eifersüchtig. Wegen ein paar Kindern, deren Traum es ist, mich eines Tages zu besiegen?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Und? Du bist mein Rivale, und ich will dich für mich.“

Delion sah zur Seite.

„Sag das nicht so.“

„Wieso nicht?“

„Weil das klingt, als ob …“ Es klang leider genauso, wie er es gemeint hatte. Wahrscheinlich wäre es wirklich besser gewesen, es nicht zu sagen.

„Als ob?“ Und wahrscheinlich wäre es auch besser gewesen, das nicht zu sagen.

„Als ob du in mich verliebt wärst.“ Roy sog scharf die Luft ein und war froh, dass Delion ihn noch immer nicht ansah.

Und dann beschloss er, einfach mal etwas wagemutig zu sein.

„Ist es denn schlimm, wenn es so klingt?“

„Na ja“, Delion zögerte, sah ihn aber immer noch nicht an. „Kommt drauf an.“

„Worauf?“

Nun drehte er sich doch zu ihm herum.

„Ob es stimmt, natürlich.“

Roy unterdrückte ein Lächeln. Dieser Satz von Delion machte ihm Hoffnung. Klang das nicht so, als wolle er es nur hören, wenn es auch wirklich stimmte? Weil er es, vielleicht, eventuell, erwiderte? Und nicht enttäuscht werden wollte?

Seine Stimme war leiser, als er nun weitersprach.

„Würde es denn etwas ändern, wenn es so wäre?“

Delion sah ihn beinahe empört an.

„Natürlich würde es etwas ändern!“ Und der Protest in seiner Stimme ließ Roy plötzlich daran zweifeln, ob das hier gerade alles so eine gute Idee war. „Roy, wie kannst du ernsthaft denken, dass du mir sowas sagst und es nichts zwischen uns ändert?“

„Ich …“ Doch, das hatte er schon irgendwie geglaubt. Gehofft? Er war irgendwie immer davon ausgegangen, dass Delion von seinen Gefühlen wissen wollen würde, selbst wenn sie einseitig waren. Dass es ihn nicht stören würde. Und dass es selbstverständlich nichts an ihrer besonderen Freundschaft ändern würde.

Roy schluckte.

Aber zurück konnte er jetzt auch nicht mehr. Wenn er jetzt so tat, als wäre es ein Scherz gewesen, wenn er es jetzt doch leugnete, dann würde er sich für den Rest seines Lebens wie ein verdammter Lügner fühlen.

„Was … würde es denn ändern, wenn ich dir jetzt sagen würde, dass ich dich liebe?“ Er senkte den Blick, starrte den Boden an, um Delion bloß nicht ins Gesicht sehen zu müssen.

„Dann würde ich dich jetzt küssen.“

„Was?!“ Augenblicklich sah er wieder auf, fand Delions Blick, kein bisschen tadelnd mehr, sondern mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. „Du – hast du mich gerade verarscht?!“

„Wieso, es würde doch etwas ändern, oder nicht?“

„Ja, aber –“ Aber er fand keine weiteren Worte. Und Delion strahlte ihn so liebevoll an, dass er schließlich nicht anders konnte, als ebenfalls zu lächeln. „Komm her, du.“ Er zog ihn in eine Umarmung, und Delion ließ es für ein paar Momente zu, dass er ihn an sich drückte.

Dann hob er den Kopf und sah herausfordernd zu ihm auf.

„Also, was ist?“

Roy grinste.

„Ich liebe dich.“

Und wie versprochen küsste er ihn.

Die Wellen rauschten sanft und Roy konnte sich vorstellen, dass es ein hübscher Anblick sein musste, wie die Sonne gerade auf dem Meer hinter dem Horizont verschwand.

Nur, dass ein anderer hübscher Anblick ihn davon abhielt, das Meer zu betrachten. Das zufriedene, entspannte Lächeln auf Delions Lippen, während er tatsächlich hinaus aufs Wasser blickte, die strahlenden Augen, die durch die letzten Sonnenstrahlen des Tages noch goldener wirkten als sonst schon, die markanten Konturen seines Gesichts, die er zu gerne einmal mit seinem Finger nachgefahren wäre …

„Hach.“

„Hach?“ Delion drehte sich zu ihm und sah ihn amüsiert an. „Hast du gerade hach gesagt?“

„Ich …“ Verdammt, hatte er. „Ich, ich war … in Gedanken.“

Delion blickte ihn weiterhin interessiert an.

„Müssen ja schöne Gedanken gewesen sein.“

„Ich dachte gerade nur so … ein Pokémon-Kampf am Strand, das Meer im Hintergrund, ich natürlich der Sieger – das wäre doch das perfekte Motiv, ich kann die ganzen Likes quasi schon vor mir sehen …“

Delion lachte leise.

„So, so …“

Irgendetwas an der Art, wie Delion ihn ansah, sagte ihm, dass er ihn durchschaut hatte.

Sie hatten seit einigen Minuten nichts mehr gesagt, als Delion plötzlich seine Hand auf Roys legte. Wie beiläufig, ohne ihn anzusehen, aber viel zu eindeutig, als dass es hätte ein Versehen sein können.

Vielleicht wäre Roy irritiert gewesen, wäre es das erste Mal gewesen, dass das passierte. Aber das war es nicht, also war er nur für einen Moment überrascht, bevor er Delions Hand in seine nahm und sanft drückte. Ebenfalls ohne ihn anzusehen. Ohne etwas zu sagen.

Aber in Roys Kopf überschlugen sich die Gedanken.

Das konnte doch nicht nichts bedeuten. Dass sie regelmäßig händchenhaltend in der Gegend saßen, wenn niemand zusah, konnte doch nur bedeuten, dass seine Gefühle für Delion nicht einseitig waren.

„Hey“, begann er also, und sein Daumen strich unbewusst über die Hand, die er hielt. „willst du’s mir eigentlich nicht endlich mal sagen?“

Delion drehte sich zu ihm.

„Was?“

Wie, was. Wieso was? Wie konnte Delion nicht wissen, wovon er gerade sprach?

„Dass du …“ Ja, was? Mich magst? Wenn er es so sagte, würde Delion ihm nur antworten, dass er ihn natürlich mochte, dass sie schließlich Freunde waren und was das denn für eine komische Frage war. Also musste er wohl Klartext reden. „mich liebst.“

Delion senkte beschämt den Blick und zog mit der Hand, die nicht Roys hielt, seine Kappe tiefer ins Gesicht.

„Wieso?“, kam es dumpf dahinter hervor. „Du hast es mir schließlich auch nicht gesagt.“

Da war was Wahres dran.

Also griff Roy nach der Kappe, legte sie zur Seite und fand Delions Blick.

„Ich liebe dich.“

Er hatte nicht erwartet, dass Delion rot werden würde. Aber es sah entzückend aus.

Und dass Delion sich jetzt zu ihm beugte und ihn ohne Vorwarnung küsste, das hatte er auch nicht erwartet, aber es gab nichts, das er in diesem Augenblick lieber getan hätte.

Trotzdem legte sich ein verschmitztes Lächeln auf seine Lippen, als Delion sich schließlich von ihm löste.

„Jetzt hast du’s mir aber immer noch nicht gesagt.“

Delion spielte nervös mit den Fingern der Hand, die er noch immer in seiner hielt, lächelte aber ebenfalls.

„Ich liebe dich.“

Und das war alles, was Roy jemals hatte hören wollen.

„Roy, wir müssen nach Kalos!“

Roy hatte Delion schon lange nicht mehr so aufgeregt gesehen.

„Okay. Wieso?“

„Weil man da jetzt heiraten kann!“

„…“

„Heiraten!“

„Okay, aber –“

„Zwei Männer!“

Oh.

 „Delion, wir daten nicht mal!“

„Bist du sicher?“

Was zur –

„Ich meine, wir verbringen doch ständig Zeit miteinander.“

„Ja, aber –“

„Und neulich haben wir sogar Händchen gehalten.“

„Okay, aber da waren wir beide auch ziemlich betrunken.“

„Und letztens hätte ich dich fast geküsst.“

„…“

„…“

„Wieso nur fast?“

„Ich …“

„Wieso nur fast?!“

„Ich …“

„Küss mich!“

„Okay!“

Überraschend energisch zog Delion ihn an sich und küsste ihn.

Als er danach weitersprach, war seine Stimme sehr viel leiser als zuvor.

„Daten wir dann jetzt?“

„Ja …“

„Und was ist mit Kalos?“

„Das … wäre eine Überlegung wert.“

„Roy, wir … sollten das … vielleicht nicht hier machen …“ Es war verhältnismäßig schwierig, einen kompletten Satz zu formulieren, wenn man dabei geküsst wurde.

„Wieso nicht?“

Wieso nicht. Weil der Umkleideraum des Score-Stadions sicher nicht der beste Ort war, um rumzumachen?

„Weil“, Roy küsste Delion, „jeden Moment“, er strich über seine Hüften, „jemand vorbeikommen könnte?“

„Ach was. Hier kommt jetzt keiner rein. Und wenn doch, dann sag ich ihm, er soll ein Foto von uns dabei machen, damit ich es posten kann.“

Wie gut, dass Delion wusste, dass das nur ein Scherz war.

Es war sicher nur ein Scherz.

„Außerdem“, fuhr Roy fort, „warst du gerade im Kampf so. heiß. Und wenn ich dich schon in einem Pokémon-Kampf nicht besiegen kann“, Roy drehte ihn herum und Delion unterdrückte ein Keuchen, als er gegen den Spind gedrückt wurde und Roy sich nun von hinten an ihn schmiegte, „dann will ich dich jetzt wenigstens anders unter mir haben.“ Spitze Zähne fanden für einen kurzen Moment Delions Nacken und diesmal konnte er das Keuchen nicht verbergen.

„Okay. A-aber beeil dich …“

Er konnte das breite Grinsen in Roys Stimme hören, als er antwortete.

„Auf keinen Fall.“

Roy freute sich, dass Delion gewonnen hatte. Also, nicht nur, weil gefälligst er eines Tages derjenige sein würde, der Delion in einem Kampf besiegte. Er freute sich auch, eben weil Delion sich freute, weil er sich – nachdem er seinem Kontrahenten Mut gemacht und eine baldige Revanche versprochen hatte – auf dem Kampfplatz da unten nun glücklich von den Zuschauern feiern ließ, ins Publikum winkte und auch ihre Blicke sich für einen Moment trafen.

Aber dann geschah etwas, womit Roy nicht gerechnet hatte.

Delion grinste ihn für einen Augenblick an, dann drückte er einen Kuss auf seine Handfläche und tat so, als würde er ihn zu Roy hinüberpusten. Delion warf ihm mitten im Score-Stadion einen Luftkuss zu.

Roy hätte schwören können, dass die tobende Menge für einen Sekundenbruchteil verstummte und alle Augenpaare im Stadion auf ihn gerichtet waren.

Dann wandte Delion sich wieder ab, winkte in eine andere Richtung und tat so, als wäre nichts Besonderes passiert.

Kabu neben ihm räusperte sich.

„Ich wusste nicht, dass ihr eure Beziehung inzwischen öffentlich gemacht habt.“

„Haben wir nicht …“

„Oh.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. „Nun, ich glaube, jetzt schon. Herzlichen Glückwunsch.“

„Und?“ Delion drehte sich einmal um sich selbst. „Wie findest du’s?“

Sania betrachtete das neue Outfit, das Delion sich für seine Auftritte als Champ zusammengestellt hatte, und wusste nicht so recht, was sie sagen sollte.

Sicher, die Kappe, das war eindeutig Delion, die gehörte zu ihm und musste sein. Der Umhang wirkte auf den ersten Blick vielleicht etwas seltsam, ergab aber schon Sinn, jetzt, wo die Logos seiner ganzen Sponsoren auf seiner Uniform keinen Platz mehr gefunden hatten. Das Trikot an sich war sogar ziemlich hübsch und stand ihm gut.

Nur.

Diese Shorts.

Sie hatte selten welche gesehen, die ihrem Namen solch eine Ehre machten.

„Gefällt mir an sich gut. Aber meinst du nicht, dass die Hose vielleicht …“ Er lächelte sie fragend an. „… ein bisschen kurz ist?“

„Wieso?“ Er sah erst an sich hinunter und versuchte dann, einen Blick über die Schulter zu werfen, gab aber schließlich auf. „Roy hat gesagt, die ist in Ordnung so.“

„Hat … er das …“

Vielleicht sollte sie doch mal ein ernstes Gespräch mit Roy führen.

 Delion allerdings lächelte sie immer noch an, und weil er so glücklich und zufrieden mit seinem neuen Outfit wirkte, seufzte sie schließlich innerlich und nickte dann.

„Okay.“

Delion strahlte sie an.

„Aber zieh vielleicht wenigstens eine Strumpfhose drunter.“

Roys Blick lag auf der schlafenden Gestalt in dem großen Krankenhausbett. Es war dunkel im Zimmer, aber er hatte sich nicht getraut, die kleine Nachttischlampe anzumachen. Er wollte Delion nicht wecken. Nicht mitten in der Nacht. Nicht nach allem, was er heute durchgemacht hatte. Das schwache Licht, das von irgendwo draußen durchs Fenster kam, reichte ihm. Es zeigte ihm, dass Delions Züge jetzt entspannt waren. Dass er atmete.

Roy drückte die Hand etwas fester, die er seit Stunden nicht losgelassen hatte, lockerte seinen Griff aber sofort wieder, weil er Delion auch damit nicht wecken wollte.

Gut, dass Hop nicht wusste, dass Roy noch immer hier war.

Es war schwierig gewesen, die beiden Kinder dazu zu kriegen, das Krankenhaus zu verlassen. Aber nachdem Delion wieder zu sich gekommen war und die Ärzte ihnen versichert hatten, dass mit ihm alles in Ordnung war und er sich nur noch die Nacht über ausruhen sollte, waren sie schließlich doch gegangen, wenn auch etwas widerwillig. Aber die beiden hatten heute schließlich auch einiges durchgemacht und brauchten ihren Schlaf.

Aber er war geblieben.

Roy strich mit seinem Daumen kurz über Delions Hand.

Er würde sowieso nicht schlafen können, also konnte er auch hier sitzen und Delion ansehen.

Er selbst hatte noch gar nicht mit ihm reden können. Delion war nur kurz wach gewesen, und Roy hatte den beiden Kindern den Vortritt gelassen.

Aber das machte nichts.

Es genügte ihm, stumm an seiner Seite zu sitzen, seine Hand zu halten. Sein Atmen zu hören.

Zu wissen, dass er da war.

„…Roy?“

Er erschrak ein wenig, als plötzlich die leise Stimme die Stille durchdrang.

„Ja, ich bin’s.“ Delion versuchte, sich aufzurichten. „Bleib ruhig liegen. Ich mach Licht, ja?“ Er versuchte, mit seiner freien Hand die Lampe zu erreichen, aber dann wurde ihm klar, dass es sowieso besser war, Delions Hand jetzt loszulassen.

Die kleine Lampe erhellte den Raum nur wenig, gerade so, dass es nicht unangenehm war.

„Wie spät ist es?“

„Kurz nach halb drei.“

„Oh.“

Roy lächelte sanft.

„Schlaf ruhig weiter.“

Delion schüttelte den Kopf und richtete sich nun doch ein wenig auf. Er lächelte ebenfalls.

„Ich hab den ganzen Nachmittag verschlafen. Ich glaube, jetzt bin ich wach …“

„Geht’s dir denn besser?“

Delion nickte. Dann stutzte er.

„Warum bist du immer noch hier? Mitten in der Nacht?“

„Ich …“ Roy überlegte einen Moment, wie er sich da jetzt rausreden sollte. Aber andererseits – wenn jetzt nicht der Zeitpunkt war, um ehrlich zu sein, wann dann. „Ich hab mir Sorgen um dich gemacht.“

Entschuldigend sah Delion ihn an.

„Tut mir leid.“

„Was? Nein! Ich … Ich …“ Roy schluckte kurz. „Mir tut es leid.“

Delion blinzelte verwirrt.

„Was tut dir leid?“

„Ich … ich hätte es wissen müssen.“ Delion wollte gerade ein zweites Mal zu einer Frage ansetzen, doch Roy sprach sofort weiter. „Ich hätte das mit Endynalos wissen müssen. Es ist schließlich meine Arena, ich hätte wissen müssen –“

„So ein Unsinn.“ Jetzt war der Blick auf Delions Gesicht beinahe vorwurfsvoll. „Rose hat dafür gesorgt, dass niemand etwas davon wusste. Wenn, dann hätte ich ihm besser zuhören müssen, mit mir hat er schließlich gesprochen. Aber du hattest überhaupt keine Chance, irgendwie davon zu erfahren.“

„Aber dann wäre das nicht passiert. Dann wärst du nicht …“ Er konnte nicht weitersprechen.

Delion zuckte mit den Schultern.

„Wenn ich besser gekämpft hätte, wäre das auch nicht passiert.“

„Delion, du hast die Kinder beschützt. Das war nicht schwach, das war selbstlos.“

„Aber ich will nicht, dass du dir irgendwelche Vorwürfe machst. Du hast keinen Grund dafür, okay?“ Delion sah ihm in die Augen, und Roy konnte seinem Blick nur für einen Moment standhalten, bevor er den Kopf senkte.

„Okay.“

Dann war es für einige Augenblicke still, bis Delion erneut zu sprechen begann.

„Hast du die ganze Zeit meine Hand gehalten?“

„Ich …“ Er spürte, wie ihm die Hitze in die Wangen stieg. Hatte er doch zu spät losgelassen. „Ja.“ Er wusste nicht, ob es nicht besser war, noch tut mir leid zu sagen, aber er konnte es nicht sagen, weil es ihm nicht leidtat.

„Danke.“ Delion lachte leise. „Auch wenn ich nicht allzu viel davon mitbekommen hab.“

Roy sah ihn an. Dann legte er seine Hand zurück auf die Bettdecke, dicht neben Delions. Wie eine unausgesprochene Frage. Delion sah ihn einen Moment lang überrascht an, dann kehrte das Lächeln zurück auf sein Gesicht und er griff nach Roys Hand.

So saßen sie einen Moment, schweigend, bis Delions Miene und Stimme wieder ernster wurden.

„Roy, ich habe über etwas nachgedacht. Ich hatte zwar nicht viel Zeit dazu, aber mir ist etwas klar geworden.“ Roy sah ihn aufmerksam an, aber Delion erwiderte den Blick nicht, sondern sprach weiter in den Raum hinein. „Mir ist heute klar geworden, wie schnell etwas passieren kann. Wie schnell es vorbei sein kann.“

„Sag das bitte nicht …“ Er festigte seinen Griff um Delions Hand.

„Muss ich aber, weil es so ist. Und weil es so ist, will ich mir nicht irgendwann vorwerfen müssen, dass ich etwas nicht gesagt habe, was ich längst hätte sagen sollen, nur weil ich auf irgendwas gewartet habe. Wenn das jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, weiß ich auch nicht.“ Er wandte seinen Blick zu Roy. „Ich liebe dich.“

Roy starrte ihn wortlos an.

Delion lächelte zaghaft.

„Und damit meine ich nicht wie meinen besten Freund. Sondern wie einen Menschen, mit dem ich noch so viel mehr teilen will als das, was wir jetzt haben, mit dem ich eine Beziehung führen und den Rest meines Lebens verbringen will.“ Delion strich mit einem Finger sachte über Roys Hand. „Und ich wollte, dass du das weißt. Ich will meine Gefühle für dich nicht mehr geheim halten müssen.“

„Darf ich dich küssen?“

„Wa- – natürlich!“ Und mehr hatte Roy nicht gebraucht. Den Bruchteil einer Sekunde später lagen seine Lippen auf Delions, hatte seine Hand ihren Platz in Delions Hand aufgegeben und stattdessen an seiner Hüfte Halt gefunden, hatte er den anderen Mann sanft zurück in die Kissen gedrückt und sich so nah wie es in dieser Position eben ging an ihn geschmiegt.

Als er sich einige Momente später von ihm löste, war es fast ein wenig widerwillig, aber der verliebte Blick, den er daraufhin auf Delions Gesicht fand, war es wert.

„Darf ich daraus schließen, dass du meine Gefühle eventuell erwiderst?“

„Darfst du.“ Er küsste Delions Hand. „Und du darfst bitte eine Beziehung mit mir führen und den Rest deines Lebens mit mir verbringen.“ Er strich über Delions Wange. „Ich liebe dich.“ Er küsste ihn erneut, länger diesmal, und Delion vergrub seine Hände in seinen Haaren und drückte ihn näher an sich.

„Aber immerhin“, begann Delion danach leise, „hatte die Sache mit Endynalos dann doch etwas Gutes. Ich weiß nicht, wann ich dir sonst gesagt hätte, was ich für dich empfinde.“

Roy rang sich ein zerknirschtes Lächeln ab.

„Ich hoffe, wenn wir uns mal wieder was zu sagen haben, brauchen wir dafür nicht erst eine kleine Katastrophe.“

„Vielleicht lernen wir wenigstens daraus.“ Er küsste Roy auf die Stirn. „Wir hätten das hier so viel früher haben können.“

„Wichtig ist, dass wir es jetzt haben.“

„Ja.“

Sie küssten sich ein weiteres Mal.

„Bleibst du für den Rest der Nacht bei mir?“

„Seh ich so aus, als würde ich jetzt nach Hause gehen wollen?“

„Nein.“ Delion lächelte. „Hältst du dann wieder meine Hand?“

„Solange du willst.“ Roy griff nach Delions Hand und drückte sie. „Und wenn du willst, für immer.“

„Das wäre schön.“

„Hast du gesehen? Es gibt jetzt Stofftiere von uns.“

„Ja!“ Delion nickte energisch. „Ich möchte eins.“

„Du möchtest ein Stofftier von dir selbst?“

„Nein, ich möchte eins von dir.“

„Du …“

Delion lächelte. Roy sah ihn verwirrt an.

„Warum möchtest du ein Stofftier von mir?“

„Dann hab ich einen kleinen Roy, mit dem ich jederzeit kuscheln kann.“

„… Was spricht dagegen, das mit dem Original zu machen?“

„Das würde dich nicht stören?“

„… nein.“

„Oh.“ Delion strahlte ihn an, dann schlang er seine Arme um Roy und Roy erwiderte die Umarmung verlegen.

„… Roy?“

„Hmm?“

„Ich möchte trotzdem eins.“

Delion starrte das Foto an.

Schon wieder.

Das Foto, das Roy vor zwei Stunden gepostet hatte.

Delion hatte sein Smart-Rotom zwischendurch für einen Moment zur Seite gelegt, nur um es danach doch gleich wieder in die Hand zu nehmen.

Dieses Foto.

Roy postete ständig Fotos. Also wirklich ständig.

Und Roy wusste ganz genau, was er tun musste, um auf seinen Fotos umwerfend gut auszusehen.

Aber dieses Foto.

Es war nicht das erste Mal, dass Roy ein Foto postete, nachdem er trainiert hatte. Sich, nicht seine Pokémon.

Nicht das erste Mal, dass er sich verschwitzt zeigte.

Oder mit nacktem Oberkörper.

Oder verschwitzt mit nacktem Oberkörper.

Delion schluckte.

Er konnte das nicht tun.

Er konnte nicht …

Dieses Foto.

Und andererseits –

Roy würde es ja nie erfahren.

Niemand würde es jemals erfahren.

Und wenn er es jetzt nicht tat, dann würde ihn das Bild sicher noch viel länger verfolgen.

Also …

Warum nicht.

Delion versuchte, jegliches Schamgefühl zu ignorieren, als er seine Hose öffnete.

„Sag mal, Roy …“

Roy wartete, dass Delion weitersprach. Und sah ihn fragend an, als das nicht passierte.

„Ja?“

„… Deine Fotos von dem Magazin-Shooting … Hast du die? Also, in größer? Im Heft sind sie so klein …“

„Klar, du hast deine doch auch bekommen, oder? Welches willst du?“

Delion senkte beschämt den Blick.

Oh. Das.

Roy grinste. War sein Interesse an Delion also doch nicht so einseitig, wie er bisher immer angenommen hatte.

„Du weißt“, begann er leise, „dass ich untenrum was anhatte bei dem Shooting?“

Delion nickte hastig.

„Und du weißt, dass du das alles auch jederzeit komplett ohne Klamotten haben kannst?“

Delion sah auf.

„Kann ich?“

Roy drückte ihm einen kurzen, prüfenden Kuss auf die Wange, bevor er ihm ins Ohr hauchte: „Jederzeit.“

Delion schluckte.

„Für … Fotos?“

Roy lachte leise in sich hinein.

„Meinetwegen auch für Fotos.“ Dann küsste er ihn richtig. „Hinterher.“

Roy brauchte nur einen kurzen Augenblick, bis er verstand, was Delion gerade abgelenkt hatte.

Die Werbung im Fernsehen. Die Ankündigung, dass die Arena-Challenge bald wieder beginnen würde.

Und er sah Delions Blick.

„Hey …“ Er widerstand gerade so dem Bedürfnis, nach seiner Hand zu greifen. „Du weißt, dass du jederzeit wieder mitmachen könntest? Dir den Titel zurückholen könntest?“

Delion starrte noch einen Moment länger auf das Fernsehbild, dann schüttelte er den Kopf und lächelte.

„Nein, ist schon gut. Mit zehn Champ zu werden ist schon eine Leistung, den Titel dann zehn Jahre zu verteidigen was Besonderes … aber danach zurückzukehren und ihn wiederhaben zu wollen, das ist einfach nur erbärmlich.“

„Nur, wenn du verlierst.“

Delion lachte leise, schüttelte dann aber erneut den Kopf.

„Meine Zeit ist vorbei. Das ist okay. Es ist nur noch ein bisschen ungewohnt, nicht mehr daran teilzunehmen.“

„Du weißt, dass es für mich keinen Unterschied macht, oder? Dass ich dich trotzdem liebe?“

„Ja.“ Delion stutzte. „Warte, was?“

Oh shit. Oh shit, oh shit, oh shit. Er hatte gerade wirklich lieben gesagt.

„War das ein Versprecher?“

„Nein, ich …“

„War das platonisch gemeint?“

„Ich …“

„Ich muss das wissen, bevor ich dir jetzt um den Hals falle und dich küsse und mich damit lächerlich mache.“

„Ich …“ Er suchte nach Worten. „Nicht platonisch …“ Es waren nicht viele, aber offensichtlich reichten sie, denn einen Moment später lagen Delions Arme um seinen Nacken. Der angekündigte Kuss blieb allerdings aus.

„Und das sagst du mir einfach so nebenbei?“ Delion lächelte.

„Ist mir so rausgerutscht.“

„Bereust du’s?“

„Nur, wenn du deine Ankündigung nicht endlich wahr machst und mich küsst.“

Delion sorgte dafür, dass Roy nichts zu bereuen hatte.

„Roy, du siehst grauenhaft aus. Ist alles in Ordnung?“

„Hab nur schlecht geschlafen. Ich hatte einen furchtbaren Alptraum.“

„Oh. Was hast du geträumt?“

„… Dass Kabu und du … durchgebrannt seid.“

Delion blinzelte.

„Das klingt gar nicht so furchtbar? Ich meine, Kabu ist doch ziemlich attraktiv. Oder findest du nicht?“

„Doch, schon …“

„Ach, deswegen? Hast du Interesse an Kabu?“

„Nicht an Kabu …“

„…“

„…“

„Oh.“

„Ja.“

Delion lächelte.

„Dann sei unbesorgt. Wenn ich mal mit jemandem durchbrenne, dann mit dir.“

Am Anfang hatte Delion es für eine gute Idee gehalten.

Er hatte schon immer viel zu wenig Zeit für Hop gehabt, und seitdem er sich um den Kampfturm kümmerte, war es noch schlimmer geworden.

Also war er froh gewesen, als Roy sich bereiterklärt hatte, sich ein wenig um seinen kleinen Bruder zu kümmern. Die beiden verstanden sich gut, und Roy konnte sich die Zeit für Hop nehmen, die Delion nicht hatte.

Es war schön zu sehen, wie die beiden immer vertrauter miteinander wurden, wie Roy das mit Hop unternahm, was eigentlich sein großer Bruder mit ihm hätte machen sollen.

Delion liebte seinen Bruder und er liebte seinen besten Freund, also warum sollte er sich nicht freuen, dass die beiden anscheinend Spaß zusammen hatten.

Es war okay, dass Hop ihm absagte, als Delion sich doch einmal einen Tag für ihn hatte freinehmen können.

„Sorry, Delion, ich bin schon mit Roy verabredet.“

Es war auch okay, dass Roy es nun manchmal vorzog, mit Hop zu trainieren.

„Der Kleine hat sich echt ganz schön gemacht, er sollte das mit der Arena-Challenge unbedingt nochmal probieren.“

Es war in Ordnung, dass die beiden so oft zusammen steckten, über etwas lachten, das Delion nicht verstand, dass Roy Hop irgendwann näherstand, als Delion es je getan hatte, dass Hop Roy näher war, als Delion es bei seinem Schwarm je geschafft hatte.

Aber manchmal, wenn er die beiden zusammen sah, wenn Roy liebevoll die Arme um Hop legte und Hop, der inzwischen längst kein Kind mehr war, sich vertraut an Roy schmiegte, dann war es schon ein wenig komisch.

Ob die beiden nach wie vor einfach nur gute Freunde waren? Oder ob sich da mit der Zeit mehr entwickelt hatte?

Delion wollte es nicht wissen.

War schon komisch, wie das jetzt alles wieder hochkam.

Natürlich, es war die gleiche Zeit im Jahr, dieselbe Location und fast dieselben Leute wie beim letzten Mal.

Und trotzdem hatte Delion nicht damit gerechnet, dass die Erinnerung nach einem Jahr so heftig zurückkommen würde.

Sein Blick fiel in die Ecke, wo noch immer dieselbe kleine Couch stand. Letztes Jahr, bei der letzten Weihnachtsfeier, hatten Roy und er dort gesessen und sich eine ganze Weile unterhalten. Bis Roy sich plötzlich zu ihm gebeugt und ihn geküsst hatte. Einfach so. Und Delion war der glücklichste Mensch auf der Welt gewesen.

Zumindest für ein paar Minuten. Dann war er der wohl verwirrteste gewesen, als Roy ihr Gespräch danach einfach so fortgesetzt hatte, als wäre nichts passiert. Also hatte er auch so getan, als sei nichts passiert. Als wäre nicht gerade das in Erfüllung gegangen, wonach er sich seit Jahren gesehnt hatte.

Am nächsten Tag hatte Roy sich bei ihm entschuldigt. Ihm gesagt, dass es ein Fehler gewesen war. Ein Ausrutscher. Dass er nicht wusste, was da in ihn gefahren war. Und ob sie es nicht einfach vergessen konnten. Also hatte Delion zugestimmt und Roy verschwiegen, dass er sich nach diesem Kuss mehr erhofft hatte. Sehr viel mehr.

„Hey!“ Er erschrak, als Roy plötzlich neben ihm auftauchte und ihn breit angrinste. „Worüber denkst du nach? Du siehst so abwesend aus.“

„Über letztes Jahr.“ Es war raus, bevor Delion es verhindern konnte. Hatte er es verhindern wollen?

Roys Lächeln erstarb augenblicklich und er setzte sich neben Delion.

„Immer noch? Ich dachte, das Thema ist abgehakt.“

War es ja auch gewesen. Sie hatten sich schließlich das ganze Jahr über immer wieder gesehen und nie wieder darüber gesprochen, und irgendwann hatte Delion aufgehört, darüber nachzudenken.

Bis heute.

Er zuckte mit den Schultern.

„Kam mir einfach gerade wieder so in den Sinn.“

Er wusste, dass es für Roy nichts bedeutet hatte. Dass er ein Dummkopf war, weil es ihm etwas bedeutet hatte.

Und dass er dumm genug wäre, es zu wiederholen, wenn Roy es wollen würde.

„Delion, hör zu, ich … es tut mir leid. Immer noch. Ich hätte das nicht tun sollen.“

Delion schüttelte den Kopf und lächelte.

„Das Problem ist nicht, dass du es getan hast.“ Roy sah ihn fragend an und Delion lächelte weiter. „Das Problem ist, dass du mich anschließend nicht mit nach Hause genommen hast. Dass nicht mehr draus geworden ist. Also, nicht nur an dem Abend … sondern generell.“

„Ich … was?“

Roy sah ihn verwirrt an, aber Delion lächelte noch immer.

„Das Problem ist, dass du es nicht ernst gemeint hast.“

„Ich … was?!“

Delion lächelte.

„Ich hatte mir gewünscht, dass du es ernst meinst.“ Und jetzt wurde es schwierig, das Lächeln aufrechtzuerhalten. „Ich war damals so, so verknallt in dich. Und hab echt gedacht, dass das … vielleicht nicht einseitig ist. Na ja.“ Delion zwang sich zu einem Lachen. „Da hab ich mich wohl –“

„Es war nicht einseitig!“ Delion sah ihn verwundert an. „Verdammt, es war nicht einseitig!“

„Warum … warum hast du es dann am nächsten Tag zurückgenommen? Warum hast du gesagt, dass es ein Fehler war?“

„Weil ich Schiss hatte! Weil ich dachte, du würdest es nicht erwidern, und dann – dann war ich zu feige, um ehrlich zu dir zu sein.“ Sie sahen sich für einen Moment an, dann senkte Roy den Blick. „Es tut mir so leid … ich bin ein Idiot.“

„Ja.“ Delion machte eine kurze Pause. „Aber so viel besser bin ich nicht. Ich hätte ja auch was sagen können.“

Roy hob den Kopf wieder und sah ihn an.

„Und … nun?“

Delion lächelte und zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht. Es ist ein Jahr her … Gefühle können sich ändern in so einer langen Zeit.“

„Ja. Warte – deine oder meine Gefühle?“

„Ich …“

„Denn meine Gefühle für dich haben sich kein bisschen geändert.“

Delion sah ihn an.

„Das heißt …?“

„Das heißt …. dass es jetzt zwar ein Jahr zu spät kommt, aber … wenn du nichts dagegen hast, dass ich es dir jetzt trotzdem noch sage …?“

„Hab ich nicht.“

„Dann …“ Roy wandte den Blick für einen Moment ab, sah Delion dann aber wieder ins Gesicht. „Ich liebe dich.“

Es kostete Delion alles an Überwindung, um ihm nicht um den Hals zu fallen.

„Und was ist … mit dir?“, fragte Roy.

„Meine Gefühle für dich haben sich geändert.“

„Oh. Okay. Ich …“

„Sie sind noch sehr viel stärker geworden.“ Roy blinzelte. „Ist vielleicht dumm, nachdem ich ja dachte, dass du nichts von mir willst, aber …“ Delion lächelte. „Was soll ich machen? Ich liebe dich.“

„Das ist …“ Roy schluckte sichtbar. „… wunderschön.“ Dann sah er ihn unsicher an. „Bist du mir böse?“

„Ein bisschen. Aber ich kann’s nachvollziehen. Und ich kann dir verzeihen. Also …“ Er griff nach Roys Arm und zog ihn ein wenig näher.

„Also?“

„Also vielleicht sind wir ab jetzt einfach ein bisschen mutiger und ehrlicher … und versuchen es mal. Miteinander.“

„Ja. Unbedingt.“ Das für ihn so typische Grinsen kehrte auf Roys Lippen zurück, während er nun noch ein Stück näher zu Delion rutschte und sich zu ihm hinabbeugte. „Also, wo waren wir letztes Jahr stehengeblieben?“

Eigentlich hatte Delion warten wollen, bis es Roy selbst auffiel.

Aber vielleicht musste er seinem Glück doch ein bisschen auf die Sprünge helfen.

„Hast du es eigentlich bemerkt?“

Roy sah ihn verwirrt an.

„Was?“

Delion lächelte.

„Dass wir unter dem Mistelzweig stehen.“

Roy ließ seinen Blick für einen Moment nach oben wandern, bevor er Delion wieder ansah.

„Und?“

Und?

Das war nicht die Reaktion, die er erwartet hatte.

„Ich …“

„Du denkst doch wohl nicht, dass ich einen Mistelzweig brauche, um dich zu küssen?“

„Tust du nicht? Du hast mich schließlich auch ohne noch nie geküsst. Ich dachte, es könnte hilfreich sein.“

„Ähm …“

„Wenn du nicht willst, ist das natürlich –“

„Natürlich will ich!“

Delion lächelte zufrieden.

Roy sah kurz verlegen zur Seite, bevor er sich zu Delion beugte und ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen drückte.

„Aber in Zukunft … brauch ich dafür wirklich keinen Mistelzweig.“

„Gut zu wissen.“

Sie standen beide in der Mitte des Score-Stadions und winkten den jubelnden Zuschauern zu, während sein Smart-Rotom um sie herumschwirrte, um diesen denkwürdigen Moment festzuhalten.

„Ist schon irgendwie komisch – ich hätte nie gedacht, dass ich hier mal stehe und mich feiern lasse, weil ich mit dir gewonnen hab statt gegen dich.“

Delion neben ihm lachte.

„Ich hoffe, du verkraftest das.“

„Tu ich.“ Roy hörte auf zu winken, wandte sich vom Publikum ab und sah stattdessen zu Delion. Dann griff er nach seiner Hand. „Ich hätte schließlich bis vor einer Weile auch nie gedacht, dass ich mal zusammen mit dir hier stehen würde.“ Er schenkte ihm ein liebevolles Lächeln und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Wange.

Ein zustimmendes Raunen ging durchs Publikum.

Delion lächelte und vergaß nun seinerseits das Winken.

„Ich hoffe, du weißt, was mir das bedeutet“, fuhr Roy fort. „Was du mir bedeutest. Wie sehr ich dich liebe. Und dass ich dich für immer an meiner Seite haben möchte.“ Delion wollte etwas erwidern, aber er kam nicht dazu. „Und darum …“

Und dann ging Roy auf die Knie.

Das Raunen im Publikum nahm neue Ausmaße an.

„Darum möchte ich dich fragen, ob du dir das vorstellen kannst. Für immer an meiner Seite zu bleiben.“ Er drückte seine Hand ein wenig fester. „Willst du mich heiraten?“

Er konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Delion sich in seine Arme geworfen hatte, seine Hände um seinen Hals schlang und ihn küsste.

„Natürlich“, sagte er dann leise, und Roy lächelte, sehr viel sanfter als er es meistens tat, und drückte Delion noch ein wenig dichter an sich.

„Das ist … sehr schön.“

„Weinst du etwa?“

„Natürlich nicht“, sagte Roy und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht.

„Okay“, entgegnete Delion, bevor er seinen Verlobten an sich zog und küsste.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Inspiriert von einem der Fotos von Roy in Pokémon Special Sword and Shield, Kapitel 12 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
„Hast du das jetzt etwa alles aufgenommen?“
„Selbstverständlich.“ Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von: Platan
2021-12-31T14:15:52+00:00 31.12.2021 15:15
„Hast du das jetzt etwa alles aufgenommen?“
„Selbstverständlich.“

Made my Day! ♥♥♥

Mir werden diesen täglichen Drabbles echt fehlen. Sie waren immer etwas Positives am Tag. Aber ich bin, auch wenn die Drabbles speziell für deine Freundin waren, super dankbar, dass du sie geteilt hast. Ich hatte so viel Spaß beim Lesen. X3
Wünsche dir einen guten Rutsch ins neue Jahr. :D
Von: Platan
2021-12-28T15:20:04+00:00 28.12.2021 16:20
Owww, armer Delion. Q___Q
Dieses Kapitel macht einen echt traurig, vor allem als Delion-Fan. Man wünscht ihm halt nur das Beste. Aber seine Sorgen und Gedanken kann man so gut nachvollziehen. Es zeigt nur wieder, wie stark Delion ist, denn ich hätte mich den beiden schon längst heulend offenbart, weil ich es nicht mehr ertrage. :,D
Aber dass Hop da Delion echt absagt, ist schon ... bitter. Immerhin sieht er Roy ja eh viel öfter, da hätte er ruhig mal Roy absagen können statt umgekehrt. Also an Delions Stelle hätte mich das arg verletzt.
Von: Platan
2021-12-23T19:47:48+00:00 23.12.2021 20:47
Delion, why r u so cute?! Q///Q♥
Ich hätte so gerne auch ein Plüschie, aber die sind so unverschämt teuer. >_<
Roy ist aber auch einfach cute, dass er offen zeigte, gerne live gekuschelt zu werden. X3
Von: Platan
2021-12-21T18:47:31+00:00 21.12.2021 19:47
Als ich Delion in Schwert das erste Mal sah, dachte ich nur: "Junge, dieses Outfit geht gar nicht!" XD
Ich fand es richtig schrecklich. Sein Charakter war aber dann so liebenswert, dass mir das egal war. Inzwischen komme ich sogar super damit klar. Aber diese Shorts! :,D
Da hätte Roy seinen Delion fast in eine ... ungute Lage gebracht. Aber er dachte wohl nur daran, dass er das selbst die ganze Zeit sehen will. XDDD
Ich fühl Sania in dieser Szene jedenfalls zu 100%.
Und Delion einfach nur "=)". So typisch. ♥
Von: Platan
2021-12-20T17:56:09+00:00 20.12.2021 18:56
Irgendwie total passend, dass Kabu so Okay damit ist. Er wirkte auch im Spiel wie jemand, der versucht mit der Jugend mitzuhalten, egal wie alt er ist. Fand ich immer knuffig. :D
Roys "Haben wir nicht ..." ist einfach Bombe. Und auch lustig, dass zumindest Kabu es auch ohne öffentliches Statement schon gemerkt hat, dass die beiden ein Paar sind. Lustigerweise ist das in unserer AU mit Raelene auch so, dass alle Arenaleiter es schon lange vor den beiden gecheckt haben. Schön, wenn andere das ähnlich einschätzen. XD
Von: Platan
2021-12-18T16:58:44+00:00 18.12.2021 17:58
Damn, jetzt muss ich dir doch mal einen kurzen Kommentar geben. >_<
Ehrlich gesagt mag ich das Pairing Delion x Roy nicht wirklich (nicht falsch verstehen, ich gönne es natürlich jedem, der Spaß daran hat) ... und trotzdem hast du es irgendwie geschafft, dass ich mich nun jeden Tag auf ein neues Kapitel freue, weil die einfach alle so unglaublich süß sind. Q___Q
Anfangs hab ich nur gelesen, weil ich ein hoffnungsloser Delion-Fan bin. XD
Obwohl es alles nur super kurze Drabbles sind, trägt deine Art zu schreiben dazu bei, dass der Inhalt echt interessant ist. Die jeweiligen Szenen sind lebhaft geschrieben und Dialoge wirken ebenfalls sehr real (nicht so künstlich), was dazu führt, dass das Lesen einfach total Spaß macht. Daher Danke, dass du jeden Tag ein wenig versüßt~. ♥
Hab bereits so viele Favo-Kapitel. Bin gespannt, was noch für Szenen kommen werden. :3


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