Zum Inhalt der Seite

Unmei no Akai Ito

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Haruki- strahlende Intelligenz
Akito- kleiner Teufel Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Den Wunsch, etwas Vergleichbares wie das Folgende auszuführen hatte ich schon lange. Leider bin ich nach wie vor etwas unschlüssig- und hoffe ein wenig auf eure Mithilfe.

Ning – der Friedliche
Wei – der Starke/Erhabene
Shenmi – das Geheimnis der Götter
Mailin – Schön/Jade Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Das dämonische Turnier – Iwai no Kenjutsu

An einem Abend wie diesem gab es viel zu entdecken. Seltsame Kimonos, aufwendige Frisuren und Accessoires der eigenartigsten Ausführung und Nutzung; natürlich durften Dämonen in Rüstungen nicht fehlen. Was ihre menschlichen Schützlinge irritiert hätte, wären wohl die Waffen gewesen, die hier erlaubt waren; war sich doch ein jeder im Klaren darüber, in wessen Haus sie sich befanden. Eine Eigenart nicht nur dieser Spezies, wie sie durchaus anerkannte – jedoch in dieser Vielzahl ein Ausdruck ihres stark überbetont kriegerischen Lebensstils.

Ein Schmunzeln zierte die feingeschwungenen Lippen der jungen Schönheit über diesen Gedanken, ehe sie ihn mit einem leisen Kopfschütteln abtat. Auf das zaghafte Winseln zu ihrer Linken glitt ihr Blick sogleich zur schneeweißen Begleiterin und begegnete dem sorgenvollen der Gottesdienerin in Wolfsgestalt. Ob da nicht jemand den Auftrag der Jagdgöttin, nicht von Ihrer Seite zu weichen, zu wörtlich nahm? Ein leichtes Kopfneigen zur Beruhigung musste genügen. Zu mehr sah sich die menschengleiche Göttin auch nicht imstande. Ihr pechschwarzes Haar war mit unzähligen Nadeln, so erschien es ihr zumindest, aus glänzenden Edelmetallen zu einer ebensolch atemberaubend komplizierten Frisur hochgesteckt, sodass sie einzig deren Enden schmerzhaft gegen ihre Kopfhaut drücken vernahm - bei jeder auch noch so leichten Neigung ihres Kopfes. Die anderen Enden zierten lange, metallene Fäden, welche bei jeder ihrer Bewegungen selbst in ihren Spitzohren klimperten - einem Windspiel gleich.
 

Ihren Blick ließ sie daraufhin weiter über die versammelten Gäste wandern. Einem Dunstschleier gleich legte sich die Musik über ihr Stimmenwirrwarr. Natürlich hatte ein Festakt nicht fehlen dürfen, sie war nun bereits eine geraume Weile im Schloss des Westens zu Gast - unmöglich ihren Aufenthalt geheim zu halten. Zu einzigartig war dieses „Experiment“ ihrer Väter. Und so hatte sie dem väterlichen Freund, zu welchem der Inu no Taishô längst geworden war, seine Bitte nicht abschlagen können, sie doch in die dämonische Gesellschaft einführen zu dürfen. Unerfahren mit seiner Spezies, wie sie war, hatte sie mit einem gesellschaftlichen Ereignis gerechnet, wie es ihre Art kannte.

Ein Festmahl, bei welchem um des Genusses willen die feinsten Speisen gereicht wurden und der Honigwein des Weingottes in Rauen Mengen floss. Unter einem dämonischen Turnier hatte sie sich im ersten Moment nichts vorstellen können. Im Zweiten dagegen war in ihr allmählich die Erinnerung an eine der Traditionen der Ritter gekeimt. Doch an einen Wettstreit, ein Kräftemessen unter jungen Dämonen, so wie dies Sitte der ihnen so verachteten Menschen war, daran hatte sie dann doch nicht gewagt zu glauben. Nur zur Sicherheit hatte sie nachgefragt bei dem väterlichen Mentor, den Unglauben dabei viel zu offensichtlich zur Schau stellend, hatte doch der Inu no Taishô schmunzelnd seine Beweggründe erklärt. Ein Schmunzeln dabei auf seinen Zügen, das sie stark an seinen Sohn erinnert hatte. Und sie musste dem Daiyôkai recht geben, wollte sie tatsächlich die Dämonenwelt verstehen lernen, so bot sich hier eine einmalige Gelegenheit, ihre Natur hautnah und doch in sicherer Atmosphäre beobachten zu können. An Erleben hatte sie gar nicht denken wollen, zu schaurig waren die Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit.
 

Also stand sie nun, reichlich überrascht ob des durchaus gesitteten Ablaufs wenige Treppenstufen erhöht auf dem Weg aus polierten Holzplatten, welcher die quadratische Fläche in der Mitte umzäumte und betrachtete schweigsam die Meute an dämonischen Kontrahenten. Sie befanden sich in einer separat errichteten Anlage im Osten des Schlossgeländes. Ein selten genutzter Bereich hatte er doch einst der Herrin des Westens gehört. Er glich so ganz und gar nicht dem restlichen Schloss. Traditionell japanisch war er aus poliertem Holz errichtet und zog sich lang wie die Tempelanlagen ihrer Schützlinge um einen sandigen Hof- überproportional vergrößert war ihr alsbald aufgegangen, dass dieser von jeher dem Exerzieren gedient hatte. Der angrenzende Wald war der menschlichen Idee von Yin und Yang unterworfen. Sie liebte diesen Bereich des Schlossgartens. Zu gerne wanderte sie die verschlungenen Pfade gedankenverloren entlang – nur in Begleitung ihrer stets treuergebenen Ai. Das Innere dieser separierten Palastanlage hatte ihre Fantasie und Neugierde dabei ein ums andere Mal beflügelt. Somit hatte sie die Idee, hier das Turnier auszurichten, von Beginn an begeistert aufgenommen.
 

Alle Dämonenstämme waren erschienen. Keiner hatte sich dem raren, etwas in die Jahre gekommenen, Ritus aus Urzeiten entziehen wollen, zu verlockend war doch die Möglichkeit, die nächste Generation und deren Vermögen ausloten zu können. Suchend wanderte ihr Meeresblau dabei über die Versammelten zu eben jenem Sohn hin, dessen Teilnahme auch noch so manchen letzten Zögerer hierher gelockt hatte. Ob er nervös war, wagte die Göttin nicht sicher zu urteilen. Gezeigt hatte er das nicht. Seine Selbstsicherheit schien dagegen in den letzten Tagen noch gewachsen zu sein. Eine Erkenntnis, die ihr auch jetzt noch die Augenbraue zweifelnd unter den Pony zwang. Er schien vertieft in seine Aufgaben als Erbe des Westens, genauer in ein Gespräch mit einer zugegeben sehr ansehnlichen Dämonin. Waren sie das nicht alle?
 

Doch, was ihr dabei wesentlich unwohler aufstieß, zumindest fokussierte sie darauf all ihre Unruhe, war die Tatsache, dass man die doch tatsächlich in Hakama und Brustpanzer hier erlaubt hatte. Sie hatte man dagegen genötigt, wie eine Königin unter eben dieser Spezies, so man Yoko glauben mochte, zu kleiden. Dank der sorgsamen Auswahl ihres Gastgebers wagte sie seither kaum mehr zu atmen. Der blutrote Kimono mit schwarzem Blumenmotiv stand ihr hervorragend und hätte ihre schlanke, langgestreckte Figur betont, wäre da nicht der extragroße mantelartige Überwurf. Das hatte auch Ais schwanzwedelndes Jaulen ihr bestätigt. Warum man hierzulande so viele Lagen trug und das Ende des Obis am Rücken so kompliziert band, dass man sich fühlte wie in einer externen Polsterung, war ihr ein einziges Rätsel. Noch weniger verstand sie dabei, warum alles so eng gespannt sein musste, dass sie bei jedem noch so zarten Atemzug Angst hegte, entweder zu ersticken oder den Stoff zu überstrapazieren - Dämonenseide hin oder her. Dass diese Abende nicht für Frauen veranstaltet wurden, konnte sie nicht zuletzt allein dank ihrer Garderobe ausmachen. Unvorstellbar also, dass diese Aufmachung auch nur einen normal großen Schritt zuließ. Nie hätte sie erahnt, in was Dämonenfürstinnen sich am Abend hineinzwängten, waren diese doch ihres wenigen Wissens nach zumindest nicht minder stolze Kriegerinnen wie die Fürsten unter den Dämonen. Der Beweis lachte unter ihrer genauen Beobachtung amüsiert auf. Dass er das bei einer Dämonin - auch noch in aller Öffentlichkeit -hervorzubringen vermochte, war ihr neu und ließ sie den Blick betreten abwenden. Sie nahm einen leichten Atemzug der frischen Luft, welche neben ihr durch die spaltbreit geöffnete Schiebetüre vom Hof hineindrang.
 

War sie ehrlich, so fühlte sie sich nicht nur in ihrem Gewand gefangen, viel mehr noch machte ihr zu schaffen, dass sie unter all diesen natürlichen Feinden ihrer Art weilte; mit versiegelten Kräften. Sie empfand sich seelenruhig - noch. Jede ihrer Bewegungen schien von unzähligen Spitzaugenpaaren verfolgt, kaum, dass sie den Raum mit dem Hundeherrscher betreten hatte. Sie fühlte sich nicht nur einmal an Katzen erinnert, kurz bevor diese sich auf ihre Beute stürzten, kauernd, den Körper ganz eng gen Boden gedrückt nur Schwanz und Hintern leicht erhöht, Ersteren dabei wild von einer Seite zur anderen peitschend, jederzeit bereit zum Absprung. Ihr Blut vibrierte förmlich in ihren Blutgefäßen von den sie umgebenden Yôkii. Es war erdrückend.
 

„Atmet, Hime-sama, atmet“, hauchte es da bereits zur ihrer Linken und ließ sie gewahr werden, dass sie auf das Ausatmen doch glatt vergessen hatte.

Die Luft leise ausstoßend, sodass sich der widerstandsfähige Stoff abermals bedenklich eng über ihre schlanke Brust legte, richtete sie den Blick neben sich. Sie war ihm noch vor Kurzem vorgestellt worden. Er war einer der Letzten gewesen in der so endlos erscheinenden Reihe an Dämonenfürsten und –fürstinnen. Ein nach außen hin junger, durchaus auch für ihre Art ansprechender, Wolfsyôkai. Langes, braunes Haar, welches seine feinen Gesichtszüge in Strähnen wild umspielte und diesen verschlagenen fast schon diebischen Ausruck aus türkisenen Raubtieraugen. Soweit sie Sesshômarus letzten Ausführungen diesen Nachmittag hatte folgen können, befand sich ihr Territorium weiter südlich.
 

„Kaito-san, nicht?“, bemühte sie sich da möglichst von ihrem undämonenhaften Verhalten abzulenken.

Schließlich galt unter mächtigen Dämonen nichts als unschicklicher als auch nur den Hauch von Empfindungen nach außen dringen zu lassen – so zumindest ihre bisherigen Erfahrungen. Mit vielen hochrangigen Yôkai hatte sie immerhin noch nicht gesprochen, einzig der Schlossherr und sein Sohn waren ihr vertraut. Sie hoffte, beide nicht weiter in Verlegenheit zu bringen. Ihre Nervosität mischte sich unter ihr Unwohlsein. Nur kurz hatte sie sich entschuldigt von der Seite ihres Gastgebers, um frische Luft zu schnappen, so zumindest ihr Vorwand.
 

„Wenn ihr mir erlaubt, Euch meine Bewunderung auszusprechen, Euch bei all den Fremden meinen Namen im Gedächtnis behalten zu haben, Megami-sama, Ishizu. Ich muss berechtigterweise annehmen, dass dies nicht einmal auf ein Fünftel meiner Artgenossen hier zutrifft. Wären die sich nicht bereits am Feld gegenüber gestanden, würde sich hier niemand beim Namen kennen“, zauberte dann selbst ihr ein Schmunzeln auf die Lippen.

Was er nicht sagte. Das beinahe vor Übervorsicht strotzende, höfliche Verhalten seiner Artgenossen war ihr nicht entgangen; ebenso wenig wie deren gespannte Vorfreude auf das bevorstehende Finale des Abends.
 

„Wir Daiyôkai sind selten in derart großer Gesellschaft – friedvoller Natur, versteht sich“, kam es da lachend von dem Fremden.

„Falls Euch das ein Trost sein mag, für meine Art stellt dies in der Regel also keine leichte Übung dar“, versuchte Kaito ein wenig Konversation, wie die Göttin durchaus wohlwollend mit dem Anflug ihres Lächelns quittierte.

Zart erahnte der Wolfsyôkai dabei den natürlichen Roséton unter dem gefärbten Lippenrot der Göttin. Ob ihre Art derlei Anspannung und Maskerade gewohnt war? Kein Wunder, dass sie sich unwohl fühlen musste.
 

„Für den Einen mehr, für den Geübten weniger“, konstatierte es da verstörend nüchtern vor Ihnen.
 

Auch Ishizu erschloss sich sofort, welche „Übung“ der Inuyôkaisohn damit ansprach. Mächtigen, Zivilisierten im Gegensatz zum Wilden, Schwachen waren nur einige Assoziationen, die ihr binnen Bruchteilen von Sekunden einfielen, kaum erfasste sie den Blickwechsel unter den Dämonensöhnen. Die feinen Härchen in ihrem Nacken begannen sich bereits aufzustellen, als der sonore Bass des Herrn der Hunde die Gesellschaft in den von Fackeln erleuchteten Hof einlud und damit den eigentlichen Zweck ihrer Zusammenkunft einläutete. Sofort glitten die Schiebetüren aus Reispapier, welche bis dato den Blick in den bereits im Dunkel der hereinbrechenden Nacht liegenden Platz verwehrt hatten, wie von einer unsichtbaren Hand geführt, schleifend zur Seite. Sie erlaubte sich einen erleichterten Atemzug, ehe ihr Augenpaar seines streng maß. Er ignorierte es, bot ihr stattdessen, ganz der Sohn des Gastgebers, seinen Arm, wie sie erahnte, rasch, noch ehe der Wolf auch nur die Gelegenheit andenken konnte. Sie schürzte für den Hauch eines Augenblicks erzürnt die Lippen, ehe sie ihren hauchzart darüberlegte - ganz der Sitte ziemlich mit Distanz. Inständig zwang sie dabei ihre Miene unter ihre Kontrolle und hoffte ihr Herz möge sie nicht verraten, ob der leisen Schauer, welche allein seine Nähe in ihr entfachte. Wie stets schien er ungerührt, als er zum Schritt ansetzte.
 

Es war ihre Unachtsamkeit gepaart mit dem seltsamen Schuhwerk, welches sie ins Stolpern geraten ließ. Aus der Not geboren, ereilte sie sein fester Griff. Das Umknicksen ihres Knöchels konnte er jedoch nicht verhindern. Und so zog die menschengleiche Göttin scharf die Luft ein – ein unmissverständliches Signal damit an beide Yôkai sendend, auf welches der Sohn des Hauses unumwunden reagierte. Sie fand sich umgehend in wohl vertrauterer Umarmung und schlang ihre Arme federleicht um seinen Hals, als er sie sich auf die Seinen lud.
 

Der Wolfsyôkai zögerte, also entkam es dem Hundedämon knapp: „Ihr werdet draußen erwartet“, ehe er mitsamt des Ehrengasts um die nächste Ecke bog; die Wölfin dabei ergeben an ihrer Seite.
 

Ishizu verbarg derweil ihr hauchzartes Lächeln in seiner Halsbeuge – ein stilles Geheimnis damit zwischen sie und Sesshômaru entspinnend.

Sie ging völlig richtig in der Annahme, dass er sie längst durchschaut hatte und war dankbar, dass er ihrer Aufforderung dennoch nachgekommen war.

Er bog in den erstbesten Raum, den er leer vorfand und zog mit der Ferse die Tür hinter ihnen zu, Ai damit aussperrend. Die verzog sich bereitwillig um die nächste Ecke, wachsam, wie immer.

Die Einsamkeit des kleinen Nebenraumes, welcher als Lager genutzt wurde, breitete sich wohlwollend über sie. Die Göttin noch auf seinen Armen hatten sich ihre Blicke gefunden, kaum war die Tür hinter ihnen schabend ins Schloss geführt worden. Tief verankert ineinander elektrisierten sie ihre Sinne.
 

„Gar so ungeschickt, Megami“, zauberte ihr dann ihr so atemberaubendes Lächeln auf die Lippen.

Zart tupfte sie daraufhin ihre Nase auch schon gegen seine, führte sie quälend langsam, einem Hauch gleich, an seiner entlang und hielt seine Aufmerksamkeit dabei gefangen. Tief tauchten seine spitzen Iriden in ihr so unergründliches Meeresblau, welches die Pupillen nur hintergründig erkennen ließ; ganz, wie es ihrer Art zu Eigen war. Es war nicht nötig, den Blick zu senken; er las in ihrem, dass ihr Lächlen längst zu einem Neckischen gereift war.
 

„Du solltest vorsichtiger sein“, entsprach nicht ihrem Plan und erfolgte zu nüchtern, nahezu ungerührt.

Es war ein Befehl. Beleidigt schürzte sie die Lippen. Er entließ sie derweil bedachtsam auf ihre Beine. Die Enttäuschung darüber kam für ihn so ganz und gar nicht überraschend und so ließ er sie gewähren, als sie ihn am Kragen seines Kimonos packte und in einen begehrlichen Kuss zog. Noch darunter eroberte er sich die Oberhand zurück und pinnte sie in einer leichten Umdrehung gegen die danebenliegende Wand. Stets darauf bedacht, dass die Dornen seines Harnischs sie nicht berührten.

Aufdringlich bohrte sich stattdessen der traditionell gebundene Obi in Ihren Rücken und zwang ihr Becken ihm sinnlich entgegen. Ein verführerischer Laut entrang sich dabei ihrer Kehlen.
 

Ein gestohlener Moment, dessen waren sich beide nur zu genau bewusst. Und so kosteten sie ihn sehnsüchtig aus, bemühten sich, so viel als möglich ihres Verlangens zu stillen in der wenigen Zeit. Umso abrupter unterbrach er ihre Intimität, kaum dass sich Schritte ankündigten, lange bevor sie den Weg nahmen, welcher von ihrem Gang abzweigte und nach draußen führte. Sie verharrte abwartend, kontrollierte ihre Atmung und musterte ihn eingehender. Seine Lippen waren gerötet von ihrer unnatürlichen Farbe. Instinktiv verwischten ihre Fingerkuppen die Spuren ihrer Zärtlichkeit. Dann wanderte sie seine so raubtierhaft-eleganten Züge weiter ab, welche denen ihrer Art doch so wenig ähnelten; Allem voran die dämonischen Streifen, welche sich über seine hohen Wangenknochen zogen, hinauf zum Sichelmond, der über seiner Stirn thronte hin zu seinem gebannten Spitzaugenpaar.
 

„Womit vorsichtig?“, beorderte seine Aufmerksamkeit dann zurück, kaum, dass er sich merklich entspannt hatte.

Er sah sie fest an. Es war ihm also ernst.
 

„Dämonenfürsten verfolgen stets eine Intention“, entlockte ihr dann doch ein ungläubiges Schmunzeln.

Meinte er das gerade wirklich ernst? Ein einfaches Gespräch – aus Neugierde. Er ging nicht darauf ein, sondern sah sich gezwungen, auszuführen: „Du bist wertvoll."
 

Sie ahnte nicht wie sehr, sah er seine Befürchtung doch bestätigt in ihren zweiflerisch geschürzten Lippen. Wären sie sicher, er hätte sich davon hinreißen lassen, hätte seinen Fokus endgültig aufgegeben, um sich dem immer stärker aufwallenden Drang, sie zu besitzen, hinzugeben. So tat er nur einen kaum merklichen Atemzug, zwang sich zur Distanz und entließ sie damit ein Stück weit aus seiner Präsenz. Sie beobachtete ihn dabei genau, immer noch fassungslos, ob seiner Warnung; oder eher: Anordnung. Sie war sich vollkommen gewahr, dass seine Vorsicht gerechtfertigt war. Lange würden sie nicht mehr unentdeckt bleiben, hatten sie doch Hideaki, den Heilerdämon, nicht aufgesucht. Sie wusste, als er sein Yôki kaum merklich ansteigen ließ, dass er Ais Schritte längst vernommen hatte, noch bevor Anderes an seine Sinne drang. Diesmal war es nicht ihr Geruch, den er verdeckte; es war die Lüge, die er tarnte.

Ein wenig Magie und Ishizu war versichert, dass auch sie keinerlei Spuren ihrer unziemlichen Intimität mehr verriet.
 

„Verabschiede dich, sobald der Mond über dem ersten Turm steht und erwarte mich bei der Pagode“, war so nah an ihrem Ohr, dass sich sein warmer Atem wie Feuer von ihrer Wange durch ihren gesamten Körper ausbreitete.

Sie erschauderte. Da war er auch schon von ihr gewichen, öffnete die Tür einen Spalt breit und trat – wie zufällig – auf den Gang.

Ai erwartete sie bereits geduldig.

Sie folgte und wäre beinahe mit dem Gastgeber selbst zusammengestoßen; Hideaki erblickte sie dabei in dessen Schlepptau, allzeit bereit.
 

„Ein weitaus weniger traditionelles Gewand verlangt weniger Geschick, Chichi-ue."

Sie beneidete ihn um den beiläufigen, fast beleidigenden Tonfall, den der Vater, eingedenk ihrer Feindschaft, natürlich als Kritik an der ungeschickten Göttin verstehen musste. Ergo traf den Sohn der auch zu erwartende Tadel aus väterlichem Gold.
 

„Nichts, was mehr als der Yôki bedurfte“, an Hideaki wirkte wie der Vorwand zu gehen.

Mit angedeutetem Kopfneigen gegen den Herrscher und dessen Nicken als Erwiderung verschwand er auch schon hinter der nächsten Biegung.

Einfach nur beneidenswert.
 

Der Sichelmond stand bereits auf Höhe des letzten Fensters besagten Turmes, als endlich die letzten Ihre Plätze am Kampfplatz einnahmen. Ishizu stand neben dem Taishô und lauschte mal seinen Erklärungen, mal denen des Flohgeists auf ihrer anderen Schulter. Es war durchaus spannend, so beängstigend doch so manche Auseinandersetzungen waren. Selten wagte sie ein Urteil darüber, wie ernst der Kampf war. Blutrünstig und grausam, ja ohne Gnade, waren sie ihr beschrieben worden nicht nur von einem ihrer göttlichen Geschwister. Auf manche traf das zu. Andere dagegen wirkten fast schon gesittet, natürlich im Vergleich zum Erwarteten. Doch was sie jetzt alle erwarteten, löste in der Megami durchaus gegensätzliche Empfindungen aus. Nicht, dass sie es ihm nicht zutraute. Doch gewohnt war sie nur die Übungen mit dem erlauchten Vater. Nicht, dass sie an ihm zweifelte. Doch seinen Gegner vermochte sie kaum einzuschätzen. Ein Drachendämon. Dass sie mit ausreichend Magie von ihren Schöpfern bedacht worden waren, um in menschlicher Erscheinung aufzutreten, dies jedoch kaum gerne taten, hatte selbst sie fast vergessen. Und so war sie doch reichlich überrascht gewesen, dass der Taishô auch diese bedacht hatte mit seiner großzügigen Einladung. Nicht die ehrwürdige Sorte, die Zutritt zu den Gefilden der Götter und der Zeit hatten. Dennoch, diese Kinder der Drachen und Dämonen, ihre gemeinsamen Schöpfungen, waren auch unter den Göttern durchaus gefürchtet. All ihre Aufmerksamkeit galt nur diesem Kampfplatz, seinem Agieren. Es schien ihr, sie war damit nicht allein.
 

„Oh, Oyakata-sama, ich hatte ja gar keine Ahnung, dass Sesshômaru-sama von Ryukotsusei-samas Sohn erwählt wurde“, säuselte es da von ihrer Schulter ehrfurchtsvoll.
 

Es stand außer Frage, dass diese Wahl auf Gegenseitigkeit beruht hatte. Ihr Blick wanderte rasch die undeutbaren Züge des Schlossherrn und Vaters ab. Sie erahnte die Anspannung, die diesem innewohnen musste, wusste sie doch von den Spannungen zwischen eben diesen beiden Stämmen. Ob das also eine gute Idee war.
 

„Ein Wechsel aus der menschlichen Erscheinungsform haben das Ende und die Niederlage zur Folge“, diente zur Erinnerung.

Eine Verneigung gegen den Gastgeber war Akzeptanz und Anfrage zugleich. Sein Nicken, ein wenig verzögert, wie Ishizu glaubte, und dem Kampfgesuch war stattgegeben.

Das dämonische Turnier – Unmei no Akai Ito

Der Kampf begann mit einem Paukenschlag. Trotz versiegelter Kräfte stemmten sich selbst ihre feinen Härchen binnen Bruchteilen von Sekunden gegen ihre zarte Haut. Ein Kribbeln durchfuhr sie – warnend. Wie stark ihre Energie auch gebannt war, unterschwellig, gedämpft wurde sie doch von der machtvollen Präsenz der beiden Yôkii tangiert. Und nicht nur ihr erging es so. Ein Raunen ging um die flankierende Veranda des traditionellen Baus. Sie selbst stand mit dem Gastgeber separat am westlichen Seitenflügel, Ai dabei zu ihrer anderen Seite, das Dach ragte schützend über ihre Köpfe. Sie genossen den besten Blick auf die Kampfgeschehen.
 

Die beiden hatten offensichtlich nicht vor, am Boden zu bleiben. Kaum die Yôkii entflammt und die Schwerter gezückt, waren sie bereits in der Luft und schleuderten die ersten magischen Attacken einander erbarmungslos entgegen. Eine jede von solch unbändiger Härte, dass den Erdboden alsbald tiefe Furchen durchzogen. Nicht das erste Mal an diesem Abend regten sich Zweifel am Austragungsort dieses Turniers in der Göttin. Sie war dankbar um ihre derzeit lose Bindung an die Natur, welche ihr die Versiegelung ihres göttlichen Reiki gewährte.

Hatte sein Vater ihn nicht stets gemahnt, der weise Krieger offenbarte nie sein wahres Können. Wenn das hier also zur Demonstration gezügelt war, welche Macht verbarg er dann tatsächlich? Der Gedanke war ihr bis dato noch nie gekommen, mochte er auch noch so viele Nächte bereits bei ihr gelegen haben. Und ein weiterer schlich sich darüber in ihr Bewusstsein. Wo war ihr göttliches Reiki dabei verblieben, um seine dämonische Energie abzuwehren?
 

Damit wurde sie auch bereits wieder ihren Gedanken entrissen. Sie erschrak heftig ob einer der Attacken des Drachendämons gegen Sesshômaru; ein Glück, ohne darüber sichtlich zusammenzufahren. Einzig Ihr angehaltener Atem hatte die Regung bezeugt. Er war nur um Haaresbreite verfehlt worden. Die Züge des Drachen zeigten keinerlei Ausdruck und wirkten mehr denn je wie die leblose Maske denn das Gesicht eines lebenden Wesens. Kurz hatten die Kontrahenten innegehalten, sich gesammelt, ehe sie ihr zuvor rasches Tempo wieder aufnahmen, zu rasch, um von den für den Moment menschengleichen Augen der Megami einzeln verfolgt werden zu können. Sie war auch dafür dankbar, erschien ihr doch die gewaltige Menge an freigesetztem Yôki ausreichend genug, um den akrobatischen Sprüngen und Flügen der beiden Kontrahenten beim besten Willen nicht genau folgen zu wollen. Noch hielten sie sich an das Gebot, in ihren menschlichen Erscheinungen zu verbleiben. Es erinnerte an einen Tanz, ein Spiel, in brachialem Tempo, nur selten stoben sie auseinander. Stets der Moment, in welchem sie einen Blick auf seine feinen Züge erhaschen konnte. Gold war umringt von tiefem Rot, die Streifen längst ausgefranst, sie erkannte sein offenes Lächeln wieder: Pures Vergnügen am Spiel. Seine Art war hierfür geschaffen worden; sie verbesserte, er war hierfür geboren worden.
 

Anders als von ihr erwartet, regte sich bei dieser Erkenntnis kein Missfallen in ihr. Ganz im Gegenteil fühlte sie sich doch mit einem Blick in die gebannten Mienen so mancher Beobachter geschmeichelt, längst zu einer weiteren Leidenschaft des Dämonenprinzen geworden zu sein. Ihr entglitt ein Schmunzeln über diese Entdeckung. War sie von Sinnen?
 

Undeutbar für das dämonische Augenpaar, welches sie seit geraumer Zeit in seinen Fokus genommen hatte. Sie schien äußerlich ungerührt und doch verriet sie ihr ein ums andere Mal angehaltener Atem, erschienen die Attacken des Drachendämons kurz erfolgsversprechend. Tatsächlich wirkte der verhaltene Kampf für das geübte Auge durchaus ausgewogen. Dennoch regte sich die Neugier in dem Braunhaarigen.
 

Es war ein Tick zu viel, gefolgt von einer Abwehrbewegung, die nur von Dämonenaugen aufgeschnappt werden konnte. Für die Menschengöttin geschah alles viel zu schnell. Sie sah die Attacke nicht, nahm sie nur kurz wahr, bevor der Windzug an ihrem linken Ärmel riss.

Automatisch stockte ihr der Atem.
 

Seinen türkisenen Augen war ihre Regungslosigkeit dagegen nicht entgangen. Bemerkte sie die Attacke etwa nicht? In einem – zugegeben - naiven Versuch sie zu erreichen, langte er beinahe in den bereits wieder abklingenden Bannkreis des Gastherrn, der Weiteres verhindert hatte. Wie auf die Sekunde genau abgepasst kreuzten ihre Wege sich nicht, als sich seine Klaue kurz nach dessen Abflammen nach ihrem Arm streckte.
 

Für Ishizu kam der Bannkreis wenig überraschend, war sie doch nahe genug neben ihm und kannte die Vorsicht ihres dämonischen Mentors. Nichts überließ er dem Zufall, ging es darum, das Versprechen ihrer Unversehrtheit an ihren Vater und Bruder zu wahren. Zu gravierend wären die Konsequenzen gewesen. Umso mehr erschrak sie, als sich in ihren Blickfeldrand die fremde Klaue schob. Es geschah zu schnell, um ihren Arm dieser zu entziehen, da regte sich in ihr bereits ihre angeborene göttliche Energie. Wie wallendes Magma sich dem Erdboden explosionsartig entgegenwarf, entwich sie ihr und fegte in einer ausufernden bläulichen Welle über den Platz, sodass selbst der mächtige Taishô redlich Mühe hatte, sein Yôki unter Kontrolle zu halten.
 

Was sich wie Wellen der Heilung über den Erdboden ergoss und die Spuren der dämonischen Kampfhandlungen sofort hinwegfegte, als seien diese niemals gewesen, senkte sich gleichzeitig wie ein flammendes Inferno aus spitzen Pfeilen über die versammelten Fürsten unter den Dämonen herab. Selbst den Schlossherrn erreichten die Wellen der Läuterung, hatte er ihren Effekt auch bereits lange nicht mehr fürchten müssen. Verblüfft wanderte sein tiefroter Blick neben sich.
 

Der Wolf hatte derweil in seine dämonische Gestalt gefunden, wie so viele mit ihm. Ein angeborener Schutzreflex griff die gegensätzliche Macht gefährlich nahe nach ihrer Lebensenergie. Zur Überraschung sah er auch seinen Sohn sich in seinen Nebel hüllen, um sogleich in seiner wahren Gestalt zwischen Wolf und Göttin, welche immer noch auf der Veranda stocksteif verharrte, Stellung zu beziehen. Sein giftiger Speichel verätzte bereits die ersten Holzstufen, als sich seiner Kehle ein angriffslustiges Grollen entrang. Ob sein Sohn die Verteidigung der Göttin und damit ihrer Ehre nicht zu ernst nahm?
 

Huch, war er riesig. Wäre Ishizu nicht erschrocken, ob der viel zu heftigen Schutzreaktion ihrer Lebensenergie, hätte sie ihn sich wesentlich eingehender besehen. Er überragte die traditionellen Bauten bei Weitem. Instinktiv wallte die Furcht in ihr auf. Sie schöpfte Atem, bemüht sie hinwegzuatmen und zwang sich stattdessen, den Taishô anzusehen. Beinahe flehentlich erreichte ihn ihr entschuldigender Blick.
 

Sie hatte keinen politischen Ausnahmezustand verursachen wollen, das war ihm von vornherein klar. Weit weniger sicher war er sich da allerdings bei der Motivation des Drachenjungen. Dafür war später noch Zeit, schickte er sich auch schon an, für Ordnung zu sorgen und hob gebieterisch die Hand alle blutgetränkten Dämonenaugen damit auf sich beordernd.
 

„Eine kleine Demonstration unseres ungleichen Gastes - wohl ein Automatismus. Wie es scheint, obliegt es keinem Dämon, eine Göttin zu berühren.“

Warum die Gunst der Stunde ungenützt verstreichen lassen... Er kannte ja die Ausnahmen.

Mit einer weiteren Einladung ins Innere läutete der Dämonenherrscher – ganz der gute Gastgeber – rasch ein versöhnlicheres Beisammensein zurück in der Halle ein. Das Fest sollte also weitergehen.
 

„Sesshômaru-sama, Ihr seid disqualifiziert – Ryuken-sama, Ihr seid der Gewinner“, urteilte da Takesumi als eine Art Schiedsrichter, sobald Sesshômaru und Kaito sich in ihren Energienebeln zurückverwandelt hatten.

Aus dem Zucken seines Jochbogens, als sich seine Kiefer schmerzhaft zusammendrückten, erahnte sie, wie wenig er dem Dämon, der seinem Vater wohl in Form eines Adjutanten oder Sekretärs dienlich war, zustimmte. Auf den Blick zwischen Vater und Sohn hin, ließ er es dann darauf bewenden. Ishizu beschloss, den Moment für eine Entschuldigung ihrerseits zu nutzen, zumal sich die Blicke der Umstehenden stark veränderten, mit denen sie sie nun maßen. Ein Nicken und sie konnte versichert sein, ihr Gastgeber war einverstanden.
 

Es war angenehm still geworden, die Bewohner der Nacht hatten längst die Oberhand über die Geräusche der Feierlichkeiten gewonnen, welche der Wind herantrug. Sie liebte diesen Bereich des Schlossgartens, war er doch zu ihrem heimlichen Mitverschwörer avanciert, ein jedes Mal, wenn sie gedankenverloren in ihm spazierte.

„Komm mit“, ereilte sie dann unerwartet.

Seine Wärme hatte sie in ihrem Rücken noch nicht erreichen können, der Wind seine raubtierhaften Bewegungen - wie stets - nicht weitergetragen; zum Umkleiden hatte sie keine Zeit gefunden, also fühlte sie sich nach wie vor beengt, als er ihre zarten Hände in seine nahm und mit einem charakteristischen Glühen mit sich riss.
 

„Du hättest mich vorbereiten können“, sie hatte nicht einmal die Zeit zum Atmen gefunden, ehe er sie mit sich teleportiert hatte.

Eine Unart, welche selbst die Ungehobelsten unter den Ihren nicht wagten. Nach einem kurzen Blick vor sich, fand sie sich auf einem Plateau wieder, von zerklüfteten Berghängen umgeben, weit über den Dächern der Welt. Ihre Gipfel reckten sich entblößt gen Himmel. Sie schöpfte leise nach Atem.

Nicht nach unten sehen.

Angeregt durch ihre Bemühungen, sich zu beruhigen, entglitt ihm ein Schmunzeln in ihrem Rücken. Er wartete, ließ ihr die Zeit und vernahm nach kurzem ihren zur Gleichmäßigkeit zurückgefundenen Atem.

Faszinierend.
 

Er hatte sie überrascht, aber bei genauerer Betrachtung hatte sich ihnen mit dem heutigen Abend eine einmalige Möglichkeit geboten, die er dankbarerweise erkannt hatte. Das Schloss war mit den Feierlichkeiten vollauf beschäftigt, niemand kümmerte sich wohl darum, ob beide Energiesignaturen fehlten, zumal Ishizu sich sicher war, dass Ai für den leisen Verbleib ihrer Energie sorgte. Ihr entkam ein Lächeln. Es gefiel ihr.

Sorgsam schmiegte sie sich gegen ihn, seine Wärme im Rücken, einzig der Obi störte ihre Nähe.

„Nimm ihn ab“, seufzte sie da schon leidlich.
 

Das Zucken, welches seine Mundwinkel dabei gefährlich ins Wanken brachte, entging ihr, als er seine Klaue zückte.

„Er war ein Geschenk“, gemahnte ihn zur Umsicht.

Er knurrte leise. Wie sollte er das Ding denn abnehmen? Da hatte sie sich auch schon zu ihm umgewandt. Er hatte die Zeit gefunden, sich des Brustharnisches zu entledigen. Sie war begeistert, störte dieser sie doch ein ums andere Mal zugegebenermaßen. Als sie auf seine gezückte Braue traf, hätte sie diese am liebsten lächelnd nachgezogen, stattdessen griff sie hinter sich und suchte nach dem Knoten. Er beobachtete sie dabei, die Belustigung nur zu deutlich in seinem flackernden Gold hervortretend. Sie schürzte die Lippen.
 

„Und, wo bin ich?“, ereilte es ihn dann, ehe sich ihr der weiße Nebel, welcher sich in dicken Schwaden hinter seinem Rücken gegen das dunkle Firmament abhob, erschloss.

Ihr Blick fand wissend den Seinen. Die heißen Bergquellen, welche so manches Tier die harten Winter in Japan überstehen ließen. Er nahm zur Kenntnis, dass auch das ihr gefiel.

„Sesshômaru-sama, welch erstaunliche Entdeckung, Ihr vermögt es, zuzuhören“, erinnerte dann jedoch mehr an Tadel denn Dankbarkeit.
 

Sie wich wohlwissentlich von ihm zurück, noch ehe er nach ihr langen konnte und befreite sich darunter von ihrem Obi, einen erleichterten Seufzer dabei ausstoßend, der ihm doch glatt abermals ein Schmunzeln entlockte. Hatte die alte Yoko den Obi etwa zu fest gebunden?

Wie auf der Lauer verfolgte sein Raubtiergold dabei die Lagen an blutrotem Stoff, welche sich aus der festen Schnürung lösten und immer mehr der makellosen Haut dem Mondlicht preisgaben. Den Obi ließ sie noch unter seiner genauen Musterung aufreizend langsam aus ihrer Hand zu Boden gleiten.

Es war eine geraume Zeit her, dass sie ihm von ihrer Sehnsucht nach den heißen Quellen der himmlichen Gefilde erzählt hatte. Ihre Glieder sehnten sich nach Entspannung. Er hatte zwar nicht recht verstanden, warum es ein einfaches Bad nicht auch tat, aber mit natürlichen Quellen konnte sein Heimatland auch dienen.

„Ihr anscheinend nicht, Megami“, war nicht nur Retorte, an seinem Ton erkannte sie, dass er glaubte, recht behalten zu haben.

Sie hielt inne, ehe sie mit schwingenden Hüften auf ihn zukam. Seine Braue wanderte daraufhin unter seinen Pony. Was kam denn jetzt? Fest bohrte sich ihr Finger da in seine Brust – einen elektrisierenden Impuls damit anstoßend, den sie in seinen Spitzaugen genussvoll verfolgte.

„Er gedachte...“, setzte sie gerade an, da fand sie sich bereits wieder auf seine Arme geladen.

Das helle Lachen entwich ihr für den Augenblick, ehe er sie da Richtung einer der Quellen trug.

„Was hast du vor?“

„Zieh dich aus“, schoss wohlig kribbelnd durch ihren Körper.

„Du meinst, bevor ich noch das Geschenk deines Herrn Vaters benetze?“, konnte sie sich dann nicht verkneifen, als er sie neben dem natürlichen Reservoir absetzte.

„Nicht jetzt, Megami.“

Sie wusste, dass der hochverehrte Herr Vater nun so gar nicht seine Gedanken beherrschen sollte. Es musste ihm wie Verrat an ihm erscheinen, ähnlich wie ihr. Sein Kuss erstickte weitere Gedanken in ihr, während sie sich aus den Lagen an Stoff befreiten.
 

Es war das dritte Mal an diesem Tag, dass er sie sich auf die Arme lud, bemerkte sie noch bei sich. Dann bettete er sie auch schon im angenehm warmen Nass. Ihr wohliger Seuzfer vibrierte durch seinen Körper als ihre Lippen sich fanden.

Ihre Beine um seine Hüfte schlingend fanden ihre Hände wenig später zu ihrer Hochsteckfrisur, um eine ihrer Haarnadeln daraus zu lösen. Wallend ergoss sich ihr Pechschwarz da über ihre Schultern. Mit einem neckischen Biss in seine Oberlippe ihn vertröstend wanderten ihre Lippen über seine Wange, seinen Hals hinab bis zu seiner Brust dabei zarte Küsse auf seine Haut tupfend. Umso rabiater durchbrach die Nadelspitze daraufhin seine Haut. Sein Knurren entrang sich aus den Tiefen seiner Kehle. Als er ihre warme Zunge daraufhin sein Blut, das wenige, was sie wohl tatsächlich hervorgelockt hatte, aufsaugen spürte, sah er sich zu einer Erwiderung genötigt.
 

„Du weißt nicht, was du da tust“, war eine Feststellung.

Allein, dass diese erfolgt war, weckte ihre Neugierde und so begann sie lediglich die Nadelspitze über seine Brust zu führen und seine Züge dabei eingehender zu betrachten.

Es gefiel ihr zu verfolgen, wie der rote Ring um seine katzenartig spitzen Pupillen anwuchs. Seine Atmung ging merklich.

Er pinnte sie kurzerhand mit seinem Körper gegen den gegenüberliegenden Felsen, die Oberhand zurückerobernd.

Diesmal ließ sie ihn gewähren, was er mit einem kurzen Zücken der Augenbraue guotierte.

„Was tue ich, Sesshômaru?“, kam spielerisch.

Unbestreitbar, dass sie nicht im Ansatz verstand, wie gefährlich nahe sie über den Rand der Klippe tänzelte.

„Erinnere dich an die Bedeutung von Blut für meine Art“, kam einer ihrer nachmittäglichen Geschichtsstunden gefährlich nahe, wäre sein Ton gleichgültiger gewesen.

Er ergriff noch darunter ihre Hand und führte sie gen Rand. Sein Blick eine einzige Forderung. Sie entließ die Haarnadel aufseufzend.

Er erstickte es in einem Kuss, wild, ungebändigter als er sich gebärdete.

Mit den Händen seine Wangen erfassend erfühlte sie die leichten Furchungen der dämonischen Zeichnungen an seinen Wangenknochen. Wie zur Bestätigung bog sich ihr Körper ihm entgegen, als seine Zähne andeutungsvoll die Haut an ihrem Nacken durchbrachen.

Schwer atmend begegnete sein tiefes Raubtierrot da ihrem Meeresblau. Sie glaubte zu verstehen. War das sein Begehr? Ihre Augen wanderten seine raubtierhaften Züge ab; sie dachte nach, ließ den Tag Revue passieren. Für Dämonen galt Blut als machtvoll; Macht war, was sie zu erlangen suchten, es war verführerisch; das, wonach sie stets strebten. Konnte Blut auch Macht über andere bedeuten? Sie sah, dass er jede Regung ihrer in den Hintergrund gerückten Pupillen genau verfolgte, hörte, wie er seine Atmung regulierte, spürte, bei genauerem Hinfühlen, das leise Kitzeln seiner dämonischen Energie auf ihrer Haut. Es verwunderte sie.

„Was passiert, wenn du mein Blut kostest?“, zauberte ihm doch tatsächlich das so seltene Lächeln auf die Züge.
 

Sie hatte verstanden. Er genoss den weiteren Moment, den sie ihm gewährte, als ihre Finger durch seinen Pony streichelten; brauchte er diesen doch, um den stärker aufwallenden Drang ein erneutes Mal in den Hintergrund zu drängen. Er war gefährlich nahe gewesen. Es war Zeit, sie aufzuklären.
 

„Nach deiner heutigen Vorstellung, wer weiß; in unserer Welt obsiegt das stärkere Yôki über das schwächere."

Es ging also darum, sich die Schwächere einzuverleiben, schloss sie daraus. War das ihre Art, sich aneinander zu binden?

„Also ist es ein Kampf um die Oberhand, mit welchem Resultat?“

„Der Stärkere wählt die Konsequenz.“

Dass sie damit weniger übereinstimmte, zeigte ihr skeptisch gekräuseltes Näschen. Das klang für sie nach einem wenig freiwilligen Akt.

„Was wäre also die Konsequenz, sollte ich unterliegen?“

„Du gehörtest mir“, kam erstaunlich fest.

Sie blickte ihn wohl offen überrascht an, da er sich dazu veranlasst sah, auszuführen: „Du wärst an mich gebunden, mein Yôki würde dich fortan schützen.“

„Also geht es um Besitz“, fand sie dann ihre Sprache wieder.

Schutz war eine nette Umschreibung dafür.

„Sollte mein Yôki obsiegen können.“

Es war ihm hoch anzurechnen, dass er ihr, dank des kleinen Ausbruchs ihrer göttlichen Reiki heute Abend zumindest eine Chance einräumte.

„Ist das eure Art, euch zu verbinden?“, verdiente keiner Antwort.

Allmählich dämmerte ihr, warum ihre Energie keine Berührung des Dämons zugelassen hatte. Doch warum dann die des Inuyôkaiprinzen? Gut, sie war den Abend über aufgeregt gewesen, hatte sich unwohl gefühlt, dennoch...

„Und du dachtest, Kaito könnte Macht über mich erlangen wollen“, kam ihr ein weiterer Gedanke.

Wieder diente sein Schweigen zur Antwort.

„Wertvoll“, wiederholte sie und nickte.

Oder fürchtete er gar, der andere könnte ihm zuvorkommen?

„Deine Vorstellung genügt, um Derartiges wohl von nun an zu verhindern.“

Kein Dämon würde auch nur mehr den Versuch wagen, war allein die Andeutung ihrer Macht doch stark genug gewesen, um eine Läuterung auch der Mächtigsten unter ihnen anzudrohen. Selbst seinen Vater hatte sie trotz dessen Yôki erreicht.

„Ich hatte es auch nicht erwartet“, überraschte ihn dann doch sehr und zwang seine Brauen unter den Pony.

Hatte er etwa angenommen, sie steuerte ihre Energie?

„Ich bin geboren, wie ihr, ich habe nur bedingt Kontrolle über meine Lebensenergie und im jetzigen Zustand schon gar nicht.“

Nun, so wenig ihm das auch ungelegen gekommen war, weshalb ihre Reaktion derart heftig erfolgt war, erschloss sich ihm nicht recht. Er hatte wahrgenommen, wie rasant ihre Energie angeschwollen war, hatte mitverfolgt, wie diese wie ein Feuer der Aufregung über die Fürsten seiner Art niedergegangen war und sich zeitgleich wie Balsam über die Natur gelegt hatte. Ihn dagegen hatte lediglich ein warmer Windzug erreicht, wie eine Welle war dieser einfach über ihn hinwegschwappt. War es ihre Reaktion auf die konträre Machtfülle der Fremden, welche sie bedroht und den ganzen Abend umgeben hatte? Ihre Vertrautheit die ihn schützte? Er konnte nur inständig hoffen, dass sein Vater von Ersterem ausging. Wenn nicht, würde er es sicherlich bald erfahren.
 

Sie erahnte seine Überlegungen, waren ihre doch die Gleichen. Dennoch, sie wusste, welches Risiko sie eingingen, sollten sie die Einzige, die eine Antwort vielleicht in Aussicht stellen könnte, auch nur mit einer hypothetischen Frage involvieren.

Als sein Raubtiergold auf ihr lag, konnte sie seine dahinterliegende Frage beinahe in ihrem Kopf vernehmen. Was passierte, wenn sein Yôki ihre Energie zum „Ringen um die Macht“ einlud.

„Du solltest das nicht versuchen“, entkam ihr flüsternd.

„Hältst du mich für so schwach, Megami?“

Natürlich, sein Stolz. Ihr entglitt ein Lächeln darüber - unpassenderweise. Wieder zog sie liebevoll seine längst geglätteten Dämonenstreifen nach, als sein Raubtiergold ihr Meeresblau einfing. Wie könnte sie nach dem heutigen Abend.

Dennoch, sie erkannte die machtvolle Natur dahinter. Er wollte sie besitzen. Es war seine Natur. Eigentlich müsste es ihr schmeicheln. Zart führte sie ihre Nase dabei an seiner entlang, ehe sie einen hauchzarten Kuss auf seine Lippen tupfte, um dann ihre Stirn gegen seine zu lehnen und seinen Blick zu suchen.

„Ich bin nichts, was 'besessen' werden kann, Yôkai.“

„Muss ich mich wiederholen, Ishizu“, grollte es ihr da auch schon angriffslustig entgegen.

Sie lachte leise auf, schlang die Arme um seinen Hals und fand sich in seinem begehrlichen Kuss wieder. Niemals würde sie ihn für schwach halten, ganz im Gegenteil.

Sie ergab sich alsbald seiner Gier und hieß so die Chance, dem Hier und Jetzt für den Augenblick zu entgleiten nur zu gerne Willkommen...
 

Die Dämmerung war noch nicht angebrochen, da durchbrach bereits der Ruf des ersten Vogels die Stille der Nacht. Sie hatten also nicht mehr allzu viel Zeit. Die Göttin begann sich leicht an seiner Seite zu regen, das Glühen des Gottessteins, welcher ihre Stirn rautenförmig zierte, ebbte immer mehr ab bis er schließlich zu seinem tiefen Blau zurückgekehrt war. Sie befand sich weich gebettet in seiner Fellboa, als sie die Schwere der Nacht allmählich aus ihren bleiernen Armen entließ. Nach und nach wich sie von ihr und das Gefühl von Kaschmir auf ihrer Haut drang immer weiter in ihr Bewusstsein vor. Sobald sie die Augen aufschlug, sah sie ihn neben sich am Baum lehnen. Sein Raubtiergold ruhte ruhig auf ihr. Sie wusste, er hatte sie beobachtet. Ihr entglitt ein hauchzartes Schmunzeln darüber. Es gefiel ihr mit jedem Morgen, der hereinbrach mehr.
 

„Wie wählen Götter?“, überraschte er sie dann.

Es musste ihn mehr beschäftigen, als er erkennen ließ, zeigte er doch sonst nicht offen Interesse an ihrer Welt.
 

„Wir wählen nicht, wir werden füreinander geschaffen“, entkam es ihr automatisch.

Noch darunter setzte sie sich auf, kam so auf Augenhöhe mit ihm; sein Raubtiergold dabei fest auf ihrem Götterblau.
 

„Macht bedeutet auch Verantwortung, Sesshômaru; Götter teilen sich diese."

Die Belehrung kam ihm unangenehm vertraut vor. Allmählich dämmerte ihm, warum sein Herr Vater und der Gott der Götter diese einzigartige Übereinkunft im Pakt hatten finden können.

Sie sah, dass es ihm missfiel und identifizierte wenig später auch seine Frage dahinter.

Unter seiner genauen Musterung kam sie auf seinen Schoß und begann seine Dämonenstreifen, wie so oft, gefühlvoll nachzuziehen. Einiges war ihnen gemein, die spitzen Ohren, die Magie, entsprang sie doch den mächtigen Schöpfern dieser Welt, doch so vieles trennte sie.

Er gewährte ihr den Moment, beobachtete in ihren Augen, wie sie in ihren Gefühlen schwankte.
 

„Nicht, Sesshômaru“, versuchte sie es dann zaghaft und tupfte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.

Er war bereits drauf und dran, beinahe wäre es ihm entkommen, fast hätte er seine anerzogene und jahrhundertelang antrainierte Fassung preisgegeben, dann druchzuckte ihn die Erinnerung: Ihre Ankunft, seine Reaktion, ihr Blick.
 

„Tataka."

Ihr Blick war Bestätigung genug. Doch anders, als von ihr befürchtet, stiftete seine verzögerte Reaktion absolute Verwirrung bei ihr.

Es war kein Lachen, aber es kam nahe an ein kurzes Auflachen heran, fest ausgestoßene Luft, ein kehliger Laut, der sich in den Tiefen seines Rachens wohl formiert hatte und nun plosiv ausgestoßen worden war. Sie hatte das nie zuvor von ihm vernommen. Als sie ihn ansah, erkannte sie, dass hinter dem oberflächlichen Amüsement Bitterkeit lag. Verständnislos erreichte da ihr Meeresblau sein goldenes Spitzaugenpaar.
 

„Der Kriegsgott.“

Er war ein Dämon.
 

„Ihr teilt weniger, als du glaubst“, entgegnete sie schnippisch.

Schon suchte sie nach einem Weg, sich aus der Umklammerung zu lösen. Er spürte die leichte Bewegung ihres Beckens, das gegen seines drückte, noch ehe ihre Hände auf seiner Brust lagen.

Einen Moment ließ er es zu, was glaubte sie nun für ein Recht zu besitzen?

Dann zog er sie enger an sich.

Diesmal kam er in den Genuss ihres argwöhnisch verengten Augenpaares. Er genoss es scheinbar und hatte nicht vor, sie zu entlassen, erkannte sie ärgerlich.

Wenn sie einmal alles erben sollte, warum dann den Kriegsgott an ihre Seite stellen?

Es mochte erklären, warum der Kampf sie nicht abschreckte, obwohl er ihr Erzittern vor seiner wahren Gestalt wahrgenommen hatte. Hatte sie ihn sich anders vorgestellt? Sie zeigte jedenfalls keine Abneigung gegen Übungskämpfe, Neugierde traf es eher, seinem Befinden nach. Doch für den Krieg war sie nicht geschaffen. Was also bezweckten die göttlichen Geschwister damit, den Gott des Krieges an ihre Seite zu stellen? Dass sie keinen Beschützer brauchte, davon hatte ihre Vorführung ihn gestern überzeugt, zumal dies nur die versiegelte Version ihrer Macht war. Er war sich sicher, dass selbst sein verehrter Herr Vater nicht wagte, deren tatsächliches Ausmaß auch nur grob einschätzen zu wollen.
 

„Wer in den Krieg zieht, braucht die Hoffnung auf den Sieg“, gab sie dann nach.

Das erklärte, warum Tataka sie, die Göttin der Hoffnung, „benötigte“.

Seine ungestellte Frage beantwortete sie mit deutlicher Verzögerung und erheblich leiser, jedoch noch gut hörbar für das ausgezeichnete Spitzohrenpaar des Dämons: „Ich bin keine Heerführerin.“
 

Also war der kriegerische Bruder die Rückendeckung. Die Unsicherheit in ihrem Blick als sie ihn maß, entging ihm nicht.

Er senkte seine Lippen auf ihre Stirn, sich wohl gewahr, dass er ihr damit auswich. Einen Moment sog er dabei den Duft nach Kirschblüten in sich auf, welcher ihr so zu Eigen war und sich bereits in ihm fest mit ihr verankert hatte.

Wie sollte ihm das nicht unwohl aufstoßen. Er war kein Gott.
 

„Es gibt Orte, die sich selbst meinem Vater verschließen", ließ dann sogar seine Mundwinkel ins Wanken geraten.

Sie erahnte das leise Zucken mehr denn dass sie dessen Zeugin wurde.

Er wusste, von welchem magischen Ort sie da sprach. Ein Ort, tief verborgen in der Unterwelt. Selbst Seinesgleichen mied den Tartaros. Er hegte ernste Zweifel, dass die Megami sich dort zurecht finden könnte. Also gewann jener letztlich doch die Oberhand über seine feinen Züge und zwang seine Augenbraue unter seinen Pony.

Er ergab sich der Sanftheit ihrer Hand, als sie ihm diese andächtig nachzuziehen begann. An ihrem lebendig flackernden Meeresblau erahnte er ihren Widerstand, noch lange bevor sie ansetzte: „Mein Onkel findet sich auch zurecht; er könnte helfen."
 

„Nicht einmal Meinesgleichen wagt, den Tartaros ohne Grund zu betreten, Ishizu“, erfolgte es pragmatisch, wenn auch für seine Verhältnisse durchaus ungrausam.

Diesmal war es seine Klaue, die ihr eine ihrer Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. Sie schmiegte sich ihr sehnsuchtsvoll entgegen. Er kostete jeden Moment davon aus, sog jede der noch so winzigen Regungen in ihren so makellosen Zügen in sich auf, drohte doch die Ahnung längst wieder Besitz von ihm zu ergreifen, dies könnten alsbald nur mehr kostbare Erinnerungen sein. Er wurde Zeuge, wie der Widerstand in ihr brach.
 

Dann lass mich nicht gehen.

Er las in ihrem bewegten Meeresblau, was es nicht über ihre Lippen geschafft hatte.

Und er akzeptierte, dass er längst für sich entschieden hatte, genau das zu tun, lange bevor ihre Bitte ihn auch nur erreicht hatte.

Er war von Sinnen...

Schlangenkuss

Wo Gegensätze sich berühren, beginnt die Vorstellungskraft. (Kurt Haberstich)


 

Unendlich träge erspürte sie ihren Verstand, wie er einem Dunstschleier gleich im leeren Nichts hing. Das leise Pochen kämpfte sich immer stärker an die Oberfläche ihrer Wahrnehmung bis es schlussendlich in dem dumpfen Schmerz an ihrem Arm kumulierte. Die letzten Fetzen ihrer Erinnerung klangen in ihr nach und wirkten wie Eindringlinge in ihre betäubende Ruhe.
 

„Also, sprecht, Megami, was habt ihr mit dem Kronprinzen zu schaffen?“[...]

„Ich wüsste nicht, was Euch das anginge“.

Der schraubstockartige Griff um ihren Arm verstärkte sich noch.

„In der Tat… Du solltest sie jetzt loslassen“.
 

Eine leichte Berührung, gesprochene Worte, dann erlangten die leisen Wellen der feindlichen und doch so vertrauten Energien ihr Bewusstsein. Noch stemmten sich ihre Lider bleischwer gegen ihren Wunsch. Es bedurfte mehrerer Versuche, ehe allmählich die Helligkeit ihre Netzhaut empfindlich flutete.

Flatternd öffneten sich ihre Augenlider und beorderten so das dämonische Gold interessiert auf sich. Den ersten Atemzug sollte sie in Ruhe tun, also erhob er seine krallenbesetzte Klaue. Die Schale mit der Flüssigkeit in der Hand zog Yoko sich umgehend zurück. Da brach das Winseln der weißen Wölfin die Stille. Er bedachte es mit gezückter Augenbraue. So viel zu einem schonenden Erwachen.

„Ai?“, kam flüsternd und erreichte die Fensterfront kaum mehr vernehmbar.

Nichtsdestotrotz vermochte sie es dennoch auch seine Züge im Schatten seines silbrigen Haarmeers zu entspannen.

Anders als erwartet, traf sie auf goldene Raubtieraugen. Nicht zum ersten Mal erkannte sie, dass deren Ton weitaus dunkler war als der aus längst wohl vertrauten Spitzaugen. Ihr entglitt ihr zartes Lächeln. Glaubte sie doch die Miene des Daiyôkai selten so aufgeregt erlebt zu haben und gerade erst wieder in Beruhigung begriffen. Natürlich, er hatte sich gesorgt, war sie doch unter seiner Obhut angegriffen worden.

„Ihr solltet noch etwas ruhen, Ishizu-sama“, wirkte väterlich.

Ihr Lächeln prägte sich aus, ehe sie sich im Bett aufsetzte – unter tatkräftiger Mithilfe der Schnauze ihrer Nefrilin. Nur leise durchfuhr der Protest ihren ansonsten makellosen Arm. Kurz besah sie ihn sich eingehender. Nicht einmal ein blauer Fleck deutete mehr auf das unerfreuliche Zusammentreffen mit der Inuyôkai noch vor wenigen Stunden hin.
 

„Wir waren so frei, einen Versuch zu wagen“, bemühte sich ihr Gegenüber um eine Erklärung.

Die Ausnahme ihres Vaters schien den Heiler mitbedacht zu haben. Sie war erleichtert.

Ihren Blick erhebend, bedachte sie es mit ihrem bezaubernden Lächeln. Sie war dankbar für seine Umsicht, schließlich hatte ihr Vater den meisten Yôkai im Haushalt des Inu no Taishôs nur eine bloße Berührung gestattet – auf ihre Yôkii reagierte ihr Schutz nach wie vor. Wohl der Grund für ihre Misere. Hatte die fremde Hundedämonin doch keinen Gebrauch gemacht von ihrer dämonischen Energiequelle.

Dann durchfuhr sie die Erkenntnis wie ein Blitz.
 

„Eure...“

An seine Lichtpeitsche konnte sie sich noch gut erinnern; sie wollte nicht hoffen, zu spät umgekehrt zu sein.
 

„Chiyo?“, half der Inu no Taishô dann nach.

Scham ließ sie den Blick senken und leise nicken, kannte sie doch nicht einmal den Namen ihrer Peinigerin.

Erst das merkliche Flackern der wohl vertrauten dämonischen Energie machte sie auf seine Präsenz aufmerksam. Rasch glitt ihr Blick zur Fensterseite. Im Augenwinkel erkannte sie, dass er aufmerksam verfolgt worden war. Also wagte sie nur für einen kurzen Augenblick seinem Augenpaar offen zu begegnen. Eisern dabei ihre Miene und das verräterische Herz kontrollierend. Er hatte das Gesicht dem hereinbrechenden Sonnenlicht zugewandt; scheinbar desinteressiert- und doch war er hier. Und für den winzigen Moment traf sein Raubtiergold ihr flackerndes Meeresblau. Durchdringend erreichte sie seine Warnung darin – gut verborgen für den Vater, ehe seine Aufmerksamkeit scheinbar wieder in den Garten abwanderte.
 

„Sie verschwand, meine Männer werden sie finden“, lenkte dann den Ihren zurück zu dem Hausherrn.

Sie lebte also noch. Ihr war nicht ganz klar, ob sie allein seiner Gerichtsbarkeit unterstand. Die Lichtpeitsche dagegen hatte keinen Zweifel an der gebührenden Strafe gelassen.

Man hatte ihrem Gastgeber eine Sitzgelegenheit bereitgestellt, sodass er an ihrer Seite verweilen konnte. Sie war sich sicher, dass der Inu no Taishô die gesamte Nacht dort über ihre Ohnmacht gewacht hatte. Ihren Retter dabei ergeben in seinem Rücken. Für den Beobachter mimte er den verantwortungsbewussten Erben. Stets darauf bedacht, die Würde des Vaters nicht zu verletzen. Für sie war es umso bedeutsamer, dass er hier war. Seine Mahnung glaubte sie, durchaus verstanden zu haben. Sie wollte nicht wissen, was für Worte zwischen Vater und Sohn gewechselt worden waren. Sie war nicht dumm, hatte die Sitten und das Ehrgefühl dieser Art seit einer geraumen Weile verfolgen können. Es ziemte sich ganz und gar nicht für Dämonen dieses Standes sich so tief in die Karten blicken zu lassen. Ihre Anmaßung musste sich auf eine enge Verbindung zu dem Dämonenprinzen stützen. Yoko hatte erwähnt, dass sie Einfluss besitze, das eine Mal, als Ishizu die fremde Hundedämonin aufgefallen war – wohl die höfliche Untertreibung der ergebenen Bediensteten. Unverkennbar hatte die Hundedämonin gestern Nacht - vor ihr - ihr vermeintliches Revier abgesteckt – Sesshômaru. Der Vater konnte kaum begeistert sein, hatte sie doch damit seine Schutzbefohlene unter seinem Dach angegriffen. Ob er es ahnte? Unmerklich schloss Ishizu die Augen und sammelte sich, um wenig später angemessen bedachtsam dem dunklen Gold begegnen zu können, welches ruhig auf ihr lag.
 

„Bitte, das kann ich nicht verantworten.“

Undeutbar verweilte das dämonische Augenpaar da auf dem so Fremdartigen der Göttin. Er gewährte sich den Moment, wog ab, so gut glaubte sie ihn bereits zu kennen. Ihre Bitte musste einem Dämon viel abverlangen – erst recht einem Fürsten unter diesem Volk; griff sie doch erheblich in seine Rangordnung ein. Dennoch hoffte sie auf sein Verständnis. Sie war eine Göttin, ihren Tod konnte sie unmöglich als Strafe verantworten – nicht unter den gegebenen Umständen. Dann, nach endlos langem Warten, wie es ihr schien, neigte er endlich seinen Kopf zu einem angedeuteten Nicken.
 

„Sesshômaru."

Sie wagte es nicht, ihren Blick nun zu erheben, hatte sie doch die Unruhe in seiner Energie bemerkt. Sie meinte sein stechendes Raubtiergold auf sich spüren zu können, so sehr erahnte sie die Verständnislosigkeit darin. Sie sollte nie ihren Weg an die sichtbare Fassade finden, als sich der Angesprochene ziemlich gegen den Vater verneigte und die Gemächer kommentarlos verließ, um der Anordnung devot Folge zu leisten.
 

Natürlich hatte der Inu no Taishô ihr den Vormittag über Ruhe verordnet. Zu offensichtlich musste selbst den beiden Yôkai ihre enorme Schwächung aufgefallen sein. Das Siegel war nicht gebrochen. Ein Glück. Es hätte wohl nicht gut geendet. Dennoch hatte sie gefährlich daran gerissen. Noch jetzt spürte sie die leisen Wellen ihrer göttlichen Seele durch ihren menschengleichen Körper vibrieren, welche sogar seine Lichtpeitsche in Splittern gebrochen hatte. Es konnte ihnen nicht entgangen sein; Niemandem in diesem Schloss, bedachte sie die dämonischen Diener, die sie in möglichst weitem Bogen umrundeten. Ob sie ihn verletzt hatte?

Vorsichtig wanderten ihre schlanken Fingerkuppen die ledernen Einbände ab, erspürten die Weichheit so von so Manchem oder die Rauhheit der Fasern. Ein wenig Zerstreuung fand sie hierin immer, war sie doch stets überrascht darüber, wie stark die Welt der Dämonen von der Ihren abwich – auch in ihrer Geschichte. Also hatte sie beschlossen, die Bibliothek aufzusuchen. Ganz ohne den Dämonensohn, der ihr sonst abgestellt war, um ihr das Zeremoniell oder die Geschichte zu erläutern, sollte der Herr des Hauses verhindert sein, was durchaus häufiger vorkam. Natürlich hatte es gedauert, ehe das Vertrauen ihres Gastgebers in sein wohl ambitioniertestes Projekt bestätigt worden war, nämlich seinen störrischen und stolzen Sohn als seinen Stellvertreter auch bei diesem Experiment zu installieren. Ein Schmunzeln entwich ihr in Erinnerung an den Moment, als die Fassade gebrochen war und die Farce begonnen hatte. Hatten sie der Inuyôkai je etwas vormachen können? Sie erinnerte sich, dass ihr Chiyo nie über die gebotene Höflichkeit hinaus begegnet war. Natürlich war sie ihr vorgestellt worden, wie alle hohen Damen im Hause des Hundeherrschers: Und so war ihr der Name entfallen. Ihren Blick hatte sie die wenigen Male, die sich ihre Wege denn gekreuzt hatten, dafür nicht vergessen können. Ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen – pochte doch die Bestätigung für deren Argwohn auch jetzt noch durch die Adern ihres Arms. Dass der dämonische Haushalt des Hundefürsten sie berühren durfte, konnte ihr nicht entgangen sein. Und ihr eigener kleiner Patzer beim Turnier musste ihr den entscheidenden Hinweis geliefert haben, ja kein Yôki anzuwenden. Doch warum gerade jetzt? Hatte der Eberdämon sie bekräftigt?

Da wurde sie fündig. Vorsichtig hackte sie ihre menschlich-stumpfen Nägel in die Kante des Schriftsatzes und schob wenig später die zugegeben nicht gerade dünne Rolle aus dem Regal.

Es überraschte sie, auf sein Raubtiergold zu treffen, so sehr, dass ihr der Atem stockte. Hierfür fühlte sie sich noch nicht bereit.

Seine Züge waren regungslos – undeutbar verweilten sie auf ihr.

Sie vergaß darüber sogar auf das Schriftstück, welches sodann geräuschvoll ihre Starre löste. Noch während sie sich automatisch danach bückte, schallt sie sich eine Närrin. Froh darum, seinem Fokus so entgangen zu sein, musste sie ihre Züge kontrollieren, als sie seine Präsenz zu ihrer Seite wahrnahm, noch ehe sie sich vollständig aufgerichtet hatte. Noch war das Kribbeln, das ihr erstes Erschrecken durch ihren Körper geschickt hatte, nicht völlig erloschen.
 

„Du bist schreckhaft“, versicherte ihr, dass sie allein sein mussten.

Seine Bemerkung deutete sie jedoch völlig falsch, als ihr Meeresblau erzürnt sein Raubtiergold traf.
 

„Verwundert es dich?“, lenkte seinen Blick sogar von ihr ab hin zu einem scheinbar interessanten Schriftstück in der langen Reihe an Schriftsätzen vor ihnen.

Es war schärfer erfolgt, als es gemeint war. Ihr entglitt ein leises Seufzen, das sein Augenmerk zurück auf sie lenkte. Sie fühlte seine genaue Musterung mehr, denn dass sie sie sah, wagte sie doch nicht, sich ihm abermals zu stellen.
 

„Es geht mir gut“, bemühte sie dann eine Beruhigung.

Die leise Regung in dem Dämonengold vor ihr entging ihr, da sie sich seinem Anblick immer noch verwehrte. Natürlich fühlte er sich verantwortlich, er war es wohl zum Teil ja auch.

Erst das Rascheln seines Gewands veranlasste sie dazu aufzusehen. Seiner Berührung wich sie jedoch aus, als seine krallenbesetzte Klaue dieses eine Mal ins Leere fasste.
 

„Nicht!"

Jetzt erreichte sie die deutliche Regung in seinem Raubtiergold. Es war ihr gleich. Es war so schnell vorbei, wie es aufgekommen war, dann hatte er zurück hinter seine makellose Fassade gefunden.
 

„Du hast ihr Macht über uns gegeben“, erfolgte ungerührt.

Sie verstand augenblicklich; sie hatte recht gehabt. Er wollte das Problem aus der Welt geschafft sehen, welchem sie gerade erbeten hatte, weiterhin freien Lauf auf eben dieser zu gewähren – mit ihrem Geheimnis.
 

„Und deshalb muss sie sterben? Weil sie dich kennt und eins und eins zusammengezählt hat?“
 

„Was glaubst du, wird sie davon abhalten, es gegen uns zu verwenden?“, jagte ihr eiskalt den Rücken hinab.

Instinktiv erschauderte die Göttin vor ihrem Gegenstück.

Er sah ihren Unglauben, konnte ihren inneren Kampf in ihrem wild flackernden Meeresblau verfolgen, beobachtete, wie es sie schüttelte und hart an ihren Überzeugungen zerrte. Es stimmte also, Götter waren unfähig, eine Lüge zu ertragen. Und er begriff, sie war dafür nicht gemacht.
 

„Sesshômaru, es geht nicht."

Er hielt sie nicht auf, als sie damit die Flucht antrat.
 

Die helle Scheibe war bereits weit aus ihrem Zenit getreten und entsandte ihre letzten blutroten Ausläufer gen Erdenboden. Schnatternd legte sich die Begeisterung der Entenfamilie über ihre nach wie vor gereizten Sinne, als sie gerade im bemüht naturbelassenen Teich vor ihrer Veranda ausgelassen badeten. Kurz vermochten sie es, ihren Blick von ihrem Text zu erheben und ihr ein leises Schmunzeln zu entlocken. Erstaunlich, sie nahmen die Yôkai als keine Bedrohung wahr. Nicht mehr als die menschlichen Diener, welche zuweilen an ihnen durch die weitläufige Gartenanlage vorbeieilten. Da erregte das schabende Geräusch zu ihrer Linken ihre Aufmerksamkeit. Als sie den Blick neben sich richtete, fiel dieser zuerst auf die hölzerne Schale, welche ihre Nefrilin in Wolfsgestalt mit ihrer Schnauze zu ihr schob. Das Wasser darin schwappte ab und an über den Rand, ob der situationsgemäß ungünstigen Gestalt, welche ihre göttliche Dienerin für diesen Erdenaufenthalt gewählt hatte. Nur im Palast der Götter stand es ihr frei, ihre Gestalt zu wechseln, wann immer sie wollte. Hier jedoch, im Reich ihrer Urgroßeltern traf sie eine Entscheidung, ein jedes Mal aufs Neue, wenn sie das Erdenreich betrat. Das leise Bedauern aufgrund der so notgedrungenen Verschwiegenheit der Anderen fiel der Göttin erst jetzt bewusst auf. Also legte sie den Schriftsatz neben sich auf den Boden ab und nahm die Einladung ihrer Vertrauten nur zu gerne an, gespannt darauf, was ihr Ai nach all der langen Zeit mitzuteilen gedachte. Federleicht betupfte ihre Fingerkuppe die unter Spannung stehende Wasseroberfläche, um sogleich den Wassertropfen an ihren rautenförmigen Gottesstein zu führen. Mit einem Befehl, so hauchzart und in so fremdartiger Weise gesprochen, dass er kaum vernehmbar war, beschritt sie damit die Brücke in den Geist ihrer Gegenüber.

Ai setzte sich zur anderen Seite der Wasserschale, ihre Wolfsaugen dabei ergeben dem neugierig funkelnden Meeresblau der Göttin begegnend. Instinktiv wedelte sie mit dem Schwanz und winselte auf, als ihre Gedanken sich berührten.
 

Herrin, wenn Ihr mir erlaubt, so hielte ich es für ratsam, dem Geschwätz Eurer Hofdamen deutlich mehr Beachtung einzuräumen.
 

Reichlich spät, Ai, bedenkt man, wie lange wir bereits hier sind.

Sie kannte die Nefrilin gut genug, um zu erahnen, dass die Warnung nicht der Grund für ihre Bitte zu sprechen gewesen war.
 

Verzeiht, Herrin, mir war bewusst, dass Ihr Derartiges nicht schätzt.

Ishizu nickte bedachtsam. Nein, zum Spionieren war sie nicht hier, beging sie doch schon ausreichend Verrat an dem väterlichen Freund, jeden Moment, den sie sich mit seinem Sohn unbeobachtet wähnte. Wie sie nun annehmen musste, ein fataler Irrtum.
 

Wenn ihr ferner erlaubt?

Sie nickte, ehe sie ihr Knie anzog, um ihr Kinn darauf zu betten - ihr flackerndes Meeresblau dabei wieder auf die Enten vor sich richtend. Ein Beobachter hätte dem Blick ihrer hundeartigen Begleiterin durchaus die Sorge nachzusagen gewagt, mit der sie Ishizu dabei maß. Sie dagegen wagte es nicht, sich auch nur eine Ahnung über die Sorgen und Ängste der offenkundig jungen Prinzessin anzumaßen. Doch für die jahrhundertelange Weggefährtin traten sie nur zu deutlich hervor – ungeachtet der letzten Vorkommnisse hatte sie die Veränderungen in ihrem Schützling schon seit einer geraumen Weile im Auge.
 

Gut, dann sage mir, was man sich in diesem Schloss so zuträgt – hinter verschlossenen Türen.
 

Ohne dem jungen Herrn zu nahe treten zu wollen, so scheint sich doch die Dienerschaft einig, dass seit Eurem Erscheinen hier, der Kontakt mit der Inuyôkai Chiyo geendet hat.
 

Das ist nicht mein Belang, Ai, entkam es ihr standesgemäß- ganz die Göttin, zu welcher sie ihre Erziehung mahnte.

Also doch. Sie verbat sich das unwillkommene Gefühl umgehend. Es ziemte sich nicht für ihre Art. Und es spielte keine Rolle, er war nach wie vor sein eigener Herr. Zumal ein abruptes Ende mit ihrem Erscheinen weniger günstig erschien, stellte es doch womöglich eine verräterische Koinzidenz dar.

Doch das hundeartige Augenpaar ließ nicht von ihr ab, als sie ihren Einwand noch mit einem leisen Schütteln ihres Kopfes bekräftigte. Es glich einem Ringen um die Oberhand. Nahezu schmerzhaft zu beobachten für die Weggefährtin. Dennoch gewährte sie ihr die Zeit, als sich das Schweigen zwischen ihnen entsponn.
 

Diese Art von Neugierde war nichts, was sich einer Göttin empfahl. Erst recht nicht der zukünftigen Herrscherin über die Götter. Natürlich türmten sich die Fragen auch in ihr, so viel Menschlichkeit war längst in ihr erwachsen. Dennoch war er ein freies Wesen; und wenn nicht einmal die Göttin der Götter diese Freiheit respektieren konnte, worin sollte das dann enden? Der Weg hin zu dem Besitz der Dämonen, welchen sie noch vor wenigen Nächten belächelt hatte- und der damit einhergehenden Unfreiheit, wären dann nicht mehr weit. Und doch drängte die Wissbegier in ihr. Das Gesuch nach Antworten dröhnte durch ihren zierlichen Körper und rüttelte erbarmungslos an ihren Idealen.
 

Herrin, ich fürchte, es könnte nicht unbedeutend sein, kam genau zur rechten Zeit.

Tatsächlich konnte Ai beobachten, wie der Widerstand nach und nach abbröckelte, ehe die menschengleiche Göttin bedrückt nickend auch dazu ihr Einverständnis gab.
 

Yoko und die anderen erscheinen sehr erfreut zu sein über ihr schändliches Verschwinden, wenn ihr mir die Deutung gestattet, fast von Schadenfreude erregt, darüber, dass der junge Herr sie höchst selbst davonjagte.

Es verwunderte Ishizu so ganz und gar nicht, dass die Dämonin sich keiner sonderlichen Beliebtheit erfreute. Regierten Dämonen doch durch eine so völlig konträre Art von Respekt, als es ihre Art tat und forderten die Ehrfurcht vor ihrer Macht oder gar Grausamkeit unerbittlich ein.

Dennoch war sie überrascht, dass die Ereignisse derartige Wellen schlugen. Sie waren alles andere als angenehm für Sesshômaru- legten sie doch seine Intimitäten schonungslos offen, die scheinbar längst kein wohl gehütetes Geheimnis mehr gewesen waren. Das unliebsame Gefühl verweigerte sie sich eisern. Doch ihre Neugierde obsiegte.
 

Wie lange, Ai?
 

Die Inuyôkai Chiyo verweilte wohl mehrere Jahre bereits als Dauergast im Schloss des Westens.

Es traf sie härter als erhofft. Ai verfolgte es in dem kaum merklichen Schlucken, welches sich ihren schlanken Hals hinabrang. Ihr Blick war jetzt starr auf das freudige Tummeln vor ihnen gerichtet.
 

Und worauf genau fußt ihre Schadenfreude?
 

Sie ist wohl gefürchtet für ihr Faible für Intrigen und Hinterlist.

Falsch, wie eine Schlange, das waren Yokos Worte im Vertrauen gewesen.
 

Über ihre Launenhaftigkeit und Eifersucht, die sich in der Attacke gegen Euch richteten, scheinen die Wenigsten überrascht, so regelmäßig, wie der Inu no Taishô seinen Sohn an Eure Seite beordert.

Sie konnte nur inständig hoffen, dass der Fokus auf ihrer wohl registrierten Neigung zur Eifersucht haften blieb und ihre Attacke als gegenstandslose Anschuldigung Bestand hatte - ungeachtet der „Macht“, wie er sich ausgedrückt hatte, welche die Inuyôkai nun über sie beide erlangt hatte. Hatte die Dämonin sich wohl bereits als zukünftige Gefährtin gewähnt - und mit ihr der gesammelte Hofstaat. Hatten sie sich verraten?
 

Silbern ergoss sich das Mondlicht über die Schwärze der Nacht. Nur vereinzelt brach es durch das Blätterdach hoch über ihrem Kopf, als Ishizu bedachtsam den Ast zur Seite bog, um aus dem Dickicht auf die Lichtung zu treten. Ai winselte leise an ihrer Seite. Natürlich hieß sie ihren Ausflug bei tiefster Nacht nicht gut. Dennoch, sie hatte nicht anders gekonnt, hatte das Schloss voller Dämonen verlassen müssen, auch um ihre Sinne zu beruhigen. Und so hatte sie sich alsbald in ihrem Rückzugsort wiedergefunden. Der traditionelle Bau lag bereits weit hinter ihr, ebenso alle angrenzenden Gebäude zu dessen Bewirtschaftung. Sie schmunzelte, als sich das milchige Licht der Nacht auf dem natürlichen Gewässer einladend spiegelte. Dieser Teil ihrer Sinne war seit der gestrigen Nacht geschärft.

Ein prüfender Blick, dann flüsterte sie dem vor ihr ruhenden Nass, zum wiederholten Male an diesem Tag, ihr Begehr- unverkennbar und doch nicht identifizierbar für den Uneingeweihten. Es war ein außergewöhnlicher Tag gewesen. Und diese erforderten nun einmal auch nicht recht genehmigte Ausnahmen. Sachte versetzte ihr Finger auf diesen Gedankengang hin die Oberfläche in Wellen. Sie schwollen umgehend zu einer sprudelnden Quelle an, die alsbald ihre Wärme in dichten Schlieren plätschernd gen Nachtluft entließ. Behände hatte sie da bereits den Obi gelöst und war aus ihren Lagen an Dämonenseide entstiegen, um sogleich seufzend in die wohlige Hitze zu gleiten.
 

„Also kennen Götter Ausnahmen“, brach so überraschend über sie herein, dass sie augenblicklich erstarrte.

Genau das hatte sie zu verhindern gesucht.

Da spielte es auch keine Rolle, dass er sie beim Benutzen ihrer göttlichen Fähigkeiten erwischt hatte - schließlich war die Sprache ihrer Art nicht verboten auf Erden, wenn auch kaum genutzt mehr. Trotzdem schlich in ihr das unangenehme Gefühl empor, ertappt worden zu sein.

Automatisch glitt sie weiter in die Tiefe des natürlichen Beckens hinein, als er aus der Dunkelheit trat. Wie lange er geschwiegen hatte, wagte sie nicht recht zu erahnen. Jedoch vermutete sie ihn schon eine ganze Weile in ihrem Rücken. Dass sie es nicht bemerkt hatte, wurmte die Göttin. Vernichtend verfolgte ihr Blick ihre Nefrilin, als die sich doch tatsächlich daran machte, sie hier allein zu lassen – mit ihm. Es traf auf weit weniger Beachtung als von ihr beabsichtigt. Damit suchte ihr Meeresblau abermals sein Raubtiergold.

Diesmal zückte sie irritiert ihre Augenbraue, konnte sie ihm doch nur mehr dabei zusehen, wie er vor ihr ins Wasser glitt. Den Anblick hätte sie bei Weitem mehr zu schätzen gewusst, wäre die Situation eine andere gewesen. Seine Braue war noch darunter verstimmt nach oben gewandert – es musste ihm zu heiß sein.

Sie wich weiter zurück, bis ihr Rücken sich gegen einen der glitschigen Steine drückte. Bewusst ließ sie ihn dabei nicht aus den Augen. Er verfolgte es genau und respektierte die Distanz. Ihr Schweigen sehr wohl richtig deutend.
 

„Warum genügt kein einfaches Bad?“, bezeugte tatsächliches Interesse - und seine Ahnungslosigkeit.

Sie konnte sich nur an wenige Ausnahmen erinnern, an welchen er sie mit einer offenen Frage aus Neugierde bedacht hatte.
 

„Ich bevorzuge natürliches Wasser“, knapp und informativ- er hätte es mehr gewürdigt, wäre die Situation eine andere.

Kurz befand sie sich einfach nur unter seiner Musterung, um genauer zu sein, maß er lediglich ihr Gesicht bis zu ihrem Kinn, war sie doch so tief ins Wasser geglitten, wie möglich. Seine Lippen umspielte ein hauchzarter Zug ob ihrer Bemühungen. Es verunsicherte sie, wusste sie doch nicht recht einzuschätzen, ob es ihn amüsierte oder er den Ernst wahrnahm.
 

Da überraschte er sie, als sein Raubtiergold fest auf ihrem Meeresblau lag. Sie war zu irritiert, um die Einladung sofort zu verstehen. Seine gezückte Augenbraue bekräftigte sein Angebot noch wenig später.

Bedachtsam und dennoch eiskalt überkam ihn die ungewohnte Präsenz. Er bemerkte durchaus ihre Vorsicht, dennoch erschauderte es den Dämon instinktiv vor der konträren Macht. Akribisch behielt sie ihn dabei im Auge und hielt inne, sobald sie sich der leisen Wellen seines Widerstands gewahr wurde.
 

So respektvoll auf einmal, Megami?, beendete beinahe sein Experiment, bevor es wirklich begonnen hatte.

Es war nur seiner aufwallenden Gegenwehr, welche sich ihr offenbarte in ihm, zu verdanken, dass sie blieb.
 

Kaum schweige ich, schon lädst du mich ein, in deinen Gedanken zu lesen? Hätte ich das mal früher gewusst..., erweckte bei beiden das Amüsement.
 

Weißt du dich zu benehmen, Megami, gestatte ich dir vielleicht sogar noch mehr heute, kräuselte ihre zarten Lippen in gespielter Skepsis, während die Welle seiner besänftigenden Wirkung in ihr auf ihn überschwappte.

Seine Erleichterung darüber erreichte ihre Wahrnehmung, wenn auch sein Anblick nichts davon preisgab. Sie war erstaunt, dass er sich ihr so offenbarte. Und sie erkannte das wohl einzigartige Geschenk. Seiner genauen Beobachtung ihrer Gefühle und Gedanken war sie sich auch ganz ohne die Verbindung bewusst, verriet ihn doch sein Augenpaar, welches lauernd auf ihr lag. Sie schmunzelte leise.

Da wagte er einen weiteren Schritt auf sie zu. Bedachtsam näherte er sich ihr. Sie konnte spüren, dass er ihre Gefühlswelt genau durchforstete, nach den leisesten Spuren ihrer Grenzen, um diese ja nicht zu überschreiten. Dankbarkeit breitete sich in ihr aus, ob seiner Umsicht und legte sich wohltuend über ihre angstvoll gespannten Sinne. Seine Überraschung, als sie ihn keine handbreit vor sich kommen ließ, senkte ihre Lider verlegen gen Wasser, während sich ihre Lippen amüsiert spannten. Nur zart reizten sie seine Krallen, als seine Klaue sich unter ihr Kinn schob und ihren Blick erhob. Instinktiv kam sie ihm entgegen; Ihr Meeresblau dabei fest verankernd in seinem dämonischen Gold.

Kurz erfühlte er ihre Irritation, als er den magischen Moment brach, um stattdessen seiner Klaue zu folgen, welche geschmeidig über ihren Arm fuhr, dabei das leise Kribbeln in ihrem Bauch sehr wohl registrierend.
 

Er war gebrochen gewesen. Hideaki hatte Mühe, ihn zu heilen.

Und dieses Mal erreichte sie die Wucht seiner Sorge und drohte sie beinahe von den Füßen zu reißen, so überraschend brach sie auf die Göttin ein. Dicht gefolgt von der Schuld, die er empfand.

Sie war erstaunt, dass er ihre Überraschung nicht erwartet hatte. Umgehend kehrte da sein raubtierhaftes Gold zurück zu ihrem unergründlichen Meeresblau.

Sanft sprang das wohlige Empfinden auf sie über, sobald ihre Fingerkuppen zart seine dämonischen Streifen nachzogen. Sie hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, wie es sich für ihn anfühlte und so verfolgte sie gebannt das Wechselbad an Empfindungen, in das ihn allein diese Berührung zu stürzen vermochte. Die Schuld blieb und legte sich wie ein Schatten über ihre Gemüter.
 

Aber er hat es heilen können, bemühte sie eine Erleichterung.

Sein Vater hatte wahrlich sein Geschick und seine Umsicht bewiesen in den Verhandlungen mit dem Ihren, hatte er doch den Heilerdämon miteingeschlossen unter den Dämonen, welche sie mit ihrer Yôkii berühren durften. Amüsiert zuckten seine Lippen, kaum nahm er ihre erneute Ahnungslosigkeit wahr.
 

Was lässt dich glauben, es sei der Umsicht deines Vaters entsprungen?, hätte er auch ganz ohne ihre Verbindung als Trotzen aus Stolz erkannt.

Sie hob sein Gemüt, wenn auch nur kurz – seine Schuld verblieb bleiern auf ihnen. Er spürte ihr verzweifeltes Bemühen, erkannte sie.
 

Weiß sie es?

Der Stich, den sie ihm damit versetzte, wog schwer. Sie hatte unverkennbar ins Schwarze getroffen.

Er hatte Angst, die Gerüchte mussten also stimmen. Fassungslos erkannte sie denselben Schmerz in ihm, den sie fürchtete. Er war davon überzeugt.
 

Wie?

Ich kam zurück, als du verletzt wurdest.
 

Und daran gab er sich die Schuld, sie verraten zu haben. Sie musste ihn wirklich gut kennen. Es war ihr unmöglich zu verhindern, dass ihn auch das Ausmaß, wie sehr es sie doch traf, erreichte. Beschämt senkte sie ihren Blick auf seine Brust, auf welcher ihre Hand längst ruhte. Nahezu weiß erschien ihr seine makellose Haut im Mondlicht. Nicht das erste Mal, dass es ihr auffiel. Unbewusst ergab sie sich ihrer Faszination und begann ihre Finger sanft über seine Haut wandern zu lassen.

Er beobachtete sie genau dabei, gab ihr Zeit, spürte nach und verfolgte ihre Empfindungen.
 

Demnach untersteht sie deiner Gerichtsbarkeit?
 

Wir sind nicht verbunden, Megami, eindeutiger Tadel an ihrer Auffassungsgabe, den sie nickend akzeptierte.

Dennoch, sie hatte es hören müssen, wenn auch nur gedanklich. Er nahm es als weibliche Sonderlichkeit hin.
 

Demnach wolltest du sie gar nicht...

Sie erkannte ihren Irrtum, noch ehe er sie gedanklich maßregelte – ganz der enttäuschte Lehrmeister: Ich greife meinem Herrn Vater nicht vorweg.
 

Auch dazu nickte sie, beschämt den Blick dabei auf ihren schlanken Fingern belassend, die nervös auf den sehnigen Muskeln zu klopfen begannen. Sie rang mit sich – unter seiner genauen Beobachtung.

Es fiel ihr unglaublich schwer, es auch nur zuzulassen, dennoch drängte sich die Frage unangenehm in ihr empor. Sie war sich seiner faszinierten Musterung bewusst, konnte sie spüren - und schämte sich auch ihrer. Es stand ihr nicht zu.
 

Stell die Frage, Megami, erhob seine Klaue da erneut ihren Blick auf seine so beängstigend elektrisierende Art und Weise.
 

Wolltest du sie je besitzen?

Als seine Belustigung in ihr aufkeimte, entwand sie sich seinem zarten Griff um ihr Kinn. Er ließ es zu, umfasste sie jedoch fester, sobald sie Anstalten machte, sich aus seiner Umarmung lösen zu wollen. Damit beorderte er ihren Blick zurück auf sich – vor Ärger Funken sprühend.

Sie verstand nicht recht, war sogar empört, wenn nicht gar verletzt, dass er sich über ihre Ängste anscheinend amüsierte. So sehr war sie darin gefangen, dass seine Gedankenwelt für den Moment komplett in den Hintergrund trat.

Er war beeindruckt. Wie kam sie nur darauf? Hatte er doch jahrelang ausgiebig die Chance dazu gehabt und sie eben nicht ergriffen. Verriet ihr das nicht alles, was sie wissen musste?

Zärtlich führte er da seine Klaue über ihre Wange, ihrem Blick dabei leise schmunzelnd standhaltend. Sie erdolchte ihn nahezu für seine Berührung. Auch sie erreichte sein ausgelassenes Amüsement darüber nur zu deutlich. Ihn dafür ihr ansteigender Zorn.

Er kostete ihn aus, als er genüsslich den Resthauch an Distanz zwischen ihnen überwand - unter ihrer genauen Musterung. Noch um ein Weiteres wuchs er in ihr, ob seiner Anmaßung und doch wusste er um ihre unbändige Wissbegier. Er war ihr ein einziges Rätsel in genau diesem Moment. Sie dagegen Wachs in seinen krallenbesetzten Klauen.

Er genoss den erregenden Schauer in vollen Zügen, welcher auch auf sie überging, kaum, dass ihr Körper sich unter seiner festen Umarmung enger an seinen schmiegte. Beide standen sie augenblicklich in Flammen. Seine Erregung schwappte auf sie über, kaum dass ihr warmer Atem seine Lippen erreichte. Blitze durchzuckten sie als sein Blick ihr durch Mark und Bein ging, ehe seine Stimme in ihren Gedanken widerhallte.
 

Stell die richtige Frage, Ishizu.

Er hörte sie Atem schöpfen. Und wieder war sie erstaunt, wie sehr es ihn betörte.

Instinktiv wanderten ihre zarten Hände an seine Wangen, ihre Nase gegen seine, Stirn gegen Stirn.
 

Hat es je Eine gegeben, die du besitzen wolltest - vor mir?, war ganz die selbstbewusste Prinzessin der Götter, die er kannte.
 

Sein gefährliches Lächeln spannte sich über ihren Lippen. Sie spürte die Spannung seiner Wangen unter ihrer Berührung, lange bevor seine Zufriedenheit auf sie überging. Tief stach Dämonengold in Meeresblau. Seine Präsenz hielt jetzt all ihre Sinne gefangen.
 

Keine, brach sich wild kribbelnd durch ihren Körper, ehe er ihre Lippen zu einem verzehrenden Kuss verschloss.

Instinktiv fanden ihre Finger ihren Weg in sein silbernes Haar, ihre Arme schlangen sie dabei nicht minder begehrlich um seinen Nacken. Heftig entwich ihr ihr Atem, als er sie wenig später packte und sich in einer fließenden Bewegung auf die Hüften lud. Ihren Rücken bog der glitschige Felsen dabei ihm entgegen. Automatisch entwich ihr ein Aufstöhnen als ihr Becken gewohnt das Seine traf und verklang doch fast unbemerkt in ihrem alles verzehrenden Kuss. Wie von selbst schlangen sich ihre Beine um ihn, während sich ihr Köper ganz eng ihm entgegen schmiegte. All ihre Sinne konzentrierten sich auf die ungeahnt zärtliche Sehnsucht, welche ihren Kuss immer weiter intensivierte. Fast schmerzhaft überschwemmte sie sein wild aufloderndes Begehr. Da war kein Streben nach Besitz, kein Wille zur absoluten Macht über sie; einzig seine Verletzlichkeit, welche seinen tiefen Wunsch nach einer untrennbaren Verbindung zu ihr offenbarte. Es mochte eine Illusion sein, dennoch stellte sie bei sich fest, dass sie nur allzu gerne bereit war, ihr zu erliegen.

Und er spürte den letzten Hauch an Widerstand in ihr verebben. Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Wimpernkranz, als das Ausmaß ihrer beider Verzweiflung über sie beide hinwegrollte. Einsam perlte sie über die gerötete Wange der Göttin als er den letzten Rest an Trennung zwischen ihnen gefühlvoll überwand und sie in einem nie gekannten Ausmaß an Hochgefühlen der absoluten Verbundenheit vereinte.

Das warnende Aufleuchten verklang dabei unbemerkt durch die Finsternis der Nacht.
 

Das erste Vogelgezwitscher zerrte sie zurück in die bewusste Welt. Hintergründig wurde sie sich der Weichheit ihrer Umgebung gewahr. Die Wärme unter sich, das leichte und gleichmäßige Heben und Senken- unendlich lang zogen sich ihre Sinnesreize dahin bis sie schlussendlich in ihr Bewusstsein drangen. Ein wohliges Seufzen entwich ihr, ehe sie blinzelnd die langsam aufkommende Dämmerung wahrnahm. Umgehend begegnete ihr sein raubtierhaftes Augenpaar. Es entlockte ihr das so verführerische Lächeln.
 

„Ich habe geschlafen“, wurde mit einer krausgezogenen Augenbraue geahndet.

Es war überflüssig, erkannte sie noch darunter, als sie sich leicht von seiner Brust erhob, nur so viel, um ihn ansehen zu können.

Ihr Kinn bettete sie auf ihrem Unterarm, während sie ihn sich noch einmal eingehender besah.

Sie befanden sich längst wieder in ihrem Schlafgemach. Natürlich hatte sie ihn unmöglich gehen lassen können. Enttäuschung machte sich daher in ihr breit, verschlief sie doch ihre wertvolle und so rare Zeit zu Zweit. Sie erspürte den leichten Zug, der seine Muskeln unter ihr erfasste, noch ehe er Anstalten machte, sich zu erheben. Missmutig kräuselte sie ihre Nase darüber. Sehr zu seiner Belustigung; meinte sie doch, den Anflug eines Lächelns auch über seine Züge huschen gesehen zu haben. Bedachtsam zwang er sie mit seiner Aufbewegung von sich und tupfte noch darunter einen Kuss in ihr pechschwarzes Haar, welches so charakteristisch nach Kirschblüten duftete. Er war nicht überrascht, ließ es sogar zu, als sie ihn daraufhin am Kimono packte und in einem begehrenden Kuss auf sich zog.
 

„Es ist Zeit, Megami“, grollte er nicht minder begehrlich über ihr.
 

Sein Atem stieß dabei heiß gegen ihre Lippen, als sein Grollen elektrisierend durch ihren Körper vibrierte und sie unter ihm erneut erschaudern ließ.

Geschmeidig hatte er sich noch darunter erhoben – in nur einer einzigen fließenden Bewegung, noch ehe sie ihre Arme um seinen Nacken hatte schlingen können.

Ihr unwilliges Aufseufzen, als sie sich auf ihren Bauch rollte, zerrte erneut hart an seiner Fassung.
 

„Was hast du deinem Herrn Vater erzählt?“, kam überraschend.
 

„Dass ich Ais Aufregung bemerkte."

Ihr Amüsement konnte er mehr hören, denn sehen, stand er doch längst mit dem Rücken zu ihr. Ihr Lächeln wuchs an, als er ihr seine Verwirrung offenbarte, indem er sich doch tatsächlich zu ihr umwandte. Verspielt, den Moment auskostend, erhob sie sich verlockend von ihrer weichen Bettstatt und kam mit schwingenden Hüften langsam auf ihn zu. Sie genoss seinen Blick, mit dem er sie dabei beobachtete, seine Unwissenheit über ihre Welt, ihren Vorteil über ihn und gönnte sich noch einen weiteren Moment davon, als ihre Finger knisternd den Stoff seines Kimonos entlangfuhren.

Das ruhige Flackern in seinem Raubtiergold verriet dasselbe Vergnügen an ihrem Spiel, als die Göttin eine seiner Haarsträhnen um ihren Finger wickelte. Fest lag sein Gold auf ihrem Meeresblau. Er folgte ihrem sanften Ruck, als sie ihn lockend ganz nah an ihr Gesicht beorderte und flüsternd triumphierte: „Ai würde niemals Hilfe holen. Sie ist mein Gefäß."
 

Er verstand umgehend, warum die mächtige Schwester die Nefrilin an ihre Seite beordert hatte und sie diese kaum je verließ.

Wäre Ai dabei gewesen, hätte Chiyo die vollkommenste Form der Läuterung wohl erfahren. Zur Existenzlosigkeit verdammt durch die göttliche Seele selbst als Strafe für ihren Frevel an der Göttin. Sesshômarus gefährliches Lächeln umspannte da seine Lippen, wie Ishizu erkannte, anerkennend, ehe er sich hinabbeugte und kurz vor den Ihren innehielt.

Erregend prallte sein Atem heiß gegen ihre Lippen als er verführerisch gebot: „Dann wird sie deine Seite erst verlassen, wenn ich bei dir bin."
 

Schmunzelnd empfing sie darauf seinen gebieterischen Kuss, ehe das leise Winseln an der Tür beide an die voranschreitende Zeit erinnerte...

Das Ritual der Macht 1/3: Ah-Uhn, Mokomoko und derlei Dämonitäten

Nahezu geräuschlos setzte er in seinem Rücken auf, nur der retardierte Luftzug kündete von seiner Bewegung. Umgehend verfing sich der Wind in dem silbernen Haar und peitschte auch sein Fell in seine ausdruckslosen Züge. Seine Yôki war gerade erst abgeklungen, ehe der felsige Untergrund seinen Flug beendet hatte.

Es hatte sich vor einer geraumen Weile zu einer allmorgendlichen Routine entwickelt, dass sein Sohn den Tag mit einem leisen Aufflammen der dämonischen Energie begann. Selbst bis an seine Ohren war das aufgeregte Schlossgeflüster gedrungen, die Anwesenheit, oder genauer die Streitigkeiten mit seinem göttlichen Schützling, mochten die geschulten Nerven empfindlich strapazieren. Er empfand es als durchaus lobenswert, dass sein Sprössling Entspannung scheinbar in allmorgendlichen Ausflügen suchte. Was auch immer sein Sohn dann tat, so schien er doch ein probates Mittel gefunden zu haben, um seine innere Balance zu stabilisieren. Schließlich hatten die anfänglichen Gefechte, welche durchaus das ein oder andere Inventar gekostet hatten, sowohl an Intensität als auch an Aggressivität nachgelassen. Sie schienen sich miteinander abgefunden zu haben, trugen sie ihre Differenzen doch bereits seit einer geraumen Weile vermehrt durch verbale Spitzen aus, denen der Jüngere mittlerweile immer weniger aggressiv begegnete. Er war fast geneigt zu behaupten, dass sie manches Mal von teuflischer Belustigung getragen schienen. Es war ihm nicht entgangen, dass Sesshômaru durchaus Umsicht und Verständnis entwickelt hatte im Umgang mit der Göttertochter. Ganz wie erhofft, schien doch die gemeinsam aufgebürdete Zeit und Aufgabe Wirkung zu zeigen.

Devot neigte der Jüngere das Haupt gegen den Vater. Er zeigte keine Regung, lenkte den Blick von der endlos erscheinenden Weite, welche sich unter ihnen erstreckte, nicht ab, als er sich in gewohnter Ruhe, wie beiläufig, an den Jüngeren wandte: „Du erinnerst dich an Haruki, Sesshômaru?“
 

Der erfahrene Sohn erkannte umgehend, dass darin keinerlei Beiläufigkeit, vielmehr die Begründung dafür lag, weshalb sein Vater noch vor dem Morgengrauen, hier, fernab des Schlosses, zumindest für ihn, zu finden war.
 

„Euer ehemaliger Befehlshaber, welchen Ihr für seine Treue mit den östlichen Grenzgebieten betraut habt, Chichi-ue.“

Was hatte ihn erreicht, dass der jahrhundertelange Waffenbruder so urplötzlich seine Gedanken beschäftigte? Es hatte sogar vermocht, den Herrn der Hunde von seinem Schreibtisch weg hinauf die höchste Klippe des Gebirges zu treiben.

Pfeiffend riss der Wind an ihnen, als beide, Vater und Sohn, für den Augenblick verstummt in trauter Eintracht dem Morgenrot dabei zusahen, wie es allmählich dem Blau des Himmels wich und den weiten Horizont vor ihnen ausbreitete. Hier oben erreichte sie kein weiterer Laut, außer dem Rauschen des Windes. Es war absolut ruhig.
 

„Haruki wünscht, dass sein Sohn, Akito, das Ritual der Macht durchläuft.“

Eine seltene Ehre, hatte ihr aller Schöpfer doch nur den wenigsten Yôkai ausreichend machtvolles Blut vererbt, um den Weg hin zum Daiyôkai überhaupt antreten zu können – unter den prüfenden Augen ihres Fürsten. Er vernahm echte Überraschung in sich regend, hatte er Haruki doch nie als derart machtvoll erfasst- neben der ausgereiften Yôki seines Vaters. Auch wenn er sich an das braune Mokomoko des Hundedämons erinnern konnte.
 

„Ich erachte es als eine einzigartige Gelegenheit“, ließ den Jüngeren aufhorchen.

War er etwa hier, um Auskunft über Ishizus Betragen zu geben? Der fremde Hof mochte von dem Urteil und der Gnade seines Vaters bedingungslos abhängig sein, wohl der Grund, warum er die Göttin an seinem Hof empfing; neben Harukis Neugierde, welche er mit seinem Vater teilte. Ein gewisser Schutz; dennoch konnte sich die dämonische Etikette als Spießroutenlauf oder gar als Fallstrick für die unerfahrene Megami erweisen. Er erinnerte sich noch lebhaft an den Patzer beim Turnier- und an ihre Nervosität. Er würde ihre Begleiter gut auswählen müssen, für die Momente, in denen sein Vater nicht zugegen sein konnte – und er durfte Ai nicht vergessen.
 

„Wenn Ihr erlaubt, so schlüge ich vor, Ishizu-sama von Yoko begleiten zu lassen.“

Es stand außer Frage, dass die Nefrilin ihrer Göttin nicht von der Seite wich. Dennoch, auf fremde Zofen wollte er sich nicht verlassen.

Im Augenwinkel erfasste er das wohlwollende Nicken, welches ihm zusicherte, dass entsprechende Instruktionen längst erteilt worden waren. Das Lächeln auf den väterlichen Zügen schien zufrieden seine Umsicht zu bemerken; fühlte sich Ishizu doch in der Umgebung ihrer menschlichen Schützlinge weitaus wohler. Yoko war im Laufe ihres Aufenthalts zu viel mehr geworden als der bloßen Zofe. Ihr Verhalten war stets ohne Tadel.

Als das dunkle Gold dann ruhig auf ihm lag, weitete der Anflug von Verwunderung sein Raubtiergold kaum merklich, ehe er bereit war zu erkennen, dass der Vater wohl diesmal ihn gedachte hinzuschicken. Er erkannte jedoch nicht, dass es genau dieser kurze Augenblick war, in welchem seine Fassade brüchig war, der die Verwunderung im Vater über den fehlenden Unwillen stillte.

Niemals wäre er sichtbar an die Oberfläche getreten. Dennoch vermeinte der Vater ein Zögern in den goldenen Iriden beobachtet zu haben - und missinterpretierte.

Natürlich entsprach er dem väterlichen Wunsch. Zum einen ehrte ihn das väterliche Zutrauen, zum anderen bemerkte er durchaus die Prüfung, die darin nicht nur für ihn verborgen lag. Und er konnte versichert sein, dass der Vater unmöglich die tatsächliche Herausforderung für sie beide erahnte. Also nickte er devot den Kopf senkend.
 

„Ihr reist zu Fuß. Weise Takesumi an, alles für morgen zu veranlassen.“

Er nahm es hin, als er bei sich feststellte, dass es ihm nicht einmal unrecht war, ihr sein Land zeigen zu können - mochte es auch der umständlichere Weg sein zu reisen. Es war nur eine Nacht und eine weitere vor Ort, ungeachtet des Rückwegs. Und, Yoko hatte die mickrigen Sinne der Menschen geerbt.
 

Er war bereits wieder zurück von seinem, nach außen hin, alltäglichen Neu-Morgenritual, als der erste Sonnenstrahl durch die Fensterfront des Westflügels brach und die zuvor debattierte Schülerin neckisch an ihrer Nasenspitze kitzelte. Warm drang die oszillierende Magie ihrer treuen Begleiterin immer weiter in die Tiefen ihrer dämmrigen Bewusstheit vor, als die Schwere der Nacht nach und nach von ihr wich. Blinzelnd öffnete Ishizu ihre Lider, um sogleich auf den weißen Blütenblättern der Blume, die auf dem eingedrückten Kopfkissen zu ihrer Seite drapiert lag, haften zu bleiben. Ihr verzücktes Lächeln tröstete sie darüber hinweg, dass sie seinen Aufbruch verschlafen hatte. Winselnd begrüßte sie Ai, sobald sie sich zu regen begann. Sie lag eingerollt an ihrem Fußende, wie stets, wenn er sie verließ. Die Mondblume war nicht das Einzige, was er ihr zurückließ; wenn auch bei Weitem unbeabsichtigter. So wie seine Yôki ihren Geruch von ihm wischte, so verschloss Ai den Seinen in der Bettwäsche, einen jeden Morgen, wenn sie darauf lag – allein nur für ihre Herrin wahrnehmbar. Und so drehte sich die zierliche Göttin noch einmal zur Seite, nahm die Sonderheit seines Zuhauses zwischen ihre Finger – um dann ihre Nase weich in sein Kopfkissen zu vergraben. Es würde, kaum wäre sie aufgestanden, gleich wieder unberührt wirken, dank Ais Umsicht. Schwanzwedelnd erhob die Gottesdienerin da ihren Kopf, als das leise Knarren der Dielen hinter den Türen zu ihrem Schlafgemach die Ankunft ihrer Zofen ankündigte. Sie war ihnen für ihren wachsamen Umgang dankbar, kamen sie doch nie, ehe sie erwachte- wie auch immer sie das anstellten. Ishizu hatte Ai schwer im Verdacht und mit einem begrüßenden Lächeln auf den Lippen erhob sie sich aus ihrem Nachtlager.
 

„Guten Morgen“, war Routine.

Automatisch umhüllte sie sich mit seiner Bettdecke, ehe sie ansetzte, auf ihre Veranda in den anbrechenden Tag hinauszutreten.
 

„Yoko, bitte, es ist nicht nötig, mein Bett jeden Morgen zu wechseln“, war freundlich gemeint- und stets das Selbe.

Doch diesmal sank die Angesprochene mit ihren Begleiterinnen, beide ebenso Menschenfrauen, devot auf die Knie. Da sie den Körper und Kopf gegen den Boden gepresst behielten, hielt Ishizu irritiert noch einmal inne. Wieso musste es auch so kompliziert sein?
 

„Yoko?“, gestattete und forderte eine Erklärung.
 

„Ishizu-sama, der Oyakata-sama wünscht, dass es Euch an nichts fehlt“, war ebenso neu.

Einen Moment stockte die Göttin. Sie war hartnäckig. Hatte man sie gemahnt?
 

„Nun, da jedoch nicht er in diesem Bett ruht, sondern ich, möchte ich doch meinen, dass er mir die Freiheit lässt, zu bestimmen, wann ich mein Bettzeug gewechselt wünsche. Wenn es dir und deinen Damen hilft, so werde ich gerne mit ihm diesbezüglich Rücksprache halten. Widmet euch anderen Aufgaben.“
 

Sie wollte unbedingt vermeiden, dass ihnen dadurch ein Versäumnis entstand; doch die Bettsachen blieben hier!

Die Mondblume zwischen ihren filigranen Fingern drehend trat sie, eingewickelt in seinen Geruch, hinaus in das Grün ihres Gartens. Sie konnte darauf vertrauen, dass Ai ihre Interessen durchsetzte- so es denn noch nötig war.

Gedankenverloren führte sie die geöffnete Blüte an ihre Nase und sog den süßlich-herben Duft genussvoll ein. Ob sie sich die Vertrautheit mit seinem Geruch einbildete? Um sie herum waren alle Mondblumen längst geschlossen; das Mondlicht war lange dem Tage gewichen. Brach man sie, erstarrte das Leben in ihnen und verlosch Schritt für Schritt. Eingefangen in dem Moment des Pflückens waren ihre Blütenblätter weit geöffnet verharrt. Er musste sie also vor dem Morgengrauen verlassen haben. Sie erspürte ihn im Ostflügel. Warum war er so früh aufgebrochen? Reges Treiben schien den Tag einzuleiten, erreichte sie doch die Aufregung, welche das Schloss erfasst hatte. Sie war gespannt.
 

Natürlich hatte die Sache mit dem Bettzeug lediglich für ein Schmunzeln auf den Zügen des väterlichen Mentors gesorgt, ehe er den Verantwortlichen einfach zu ihnen hatte bringen lassen. Da Yoko keine Angst gezeigt hatte auf Ishizus Bemühen hin, hoffte sie, dass der dem Rachedurst oder gar der Vergeltung zu entsagen vermochte. Ziemlich verwirrt und wohl deutlich besorgt war dieser nur Augenblicke darauf vor der Parkbank erschienen und hatte sich sogleich seinem Herrn zu Füßen geworfen, reichlich schmallippig und blass wie der Schotter, welcher die Wege in diesem Bereich des Gartens säumte. In ihr hatte sich Mitleid geregt, hatte der arme Tropf doch nur seine Anweisung nach bestem Wissen und Gewissen ausführen wollen. Dankbarerweise wusste sie ihn unter der Obsorge des Inu no Taishôs sicher. Und so war Yoko hoffentlich ab jetzt merklich befreiter bei den Alltäglichkeiten in ihren Diensten.
 

Weit nach Mittag saß sie bereits in der Bibliothek zwischen den Regalen, welche magisch, wenn auch schwarzmagisch, so stark erweitert waren, dass sie im scheinbaren Nichts über ihren Köpfen endeten. Sie lauschte gerade einer seiner Erklärungen über einen Krieg, den dieser Freund seines Vaters in dessen Diensten wohl gewonnen hatte.
 

Ihre Unterweisung durch seinen Vater hatte heute mit dem Ritual der Macht geendet. Sie war erstaunt gewesen zu erfahren, dass auch Dämonen so eine Art Initiationsritus kannten – wenn es auch deutlich blutiger vonstattenging als selbst so manche ihrer Menschenvölker sie begingen. Es klang vergleichbar mit ihrem Ritual der Ablösung, nur, dass es davon wohl mehrere Stufen gab. Das hatte sie nicht so recht verstanden – wie sie hoffte, noch nicht.

Bei den Dämonen verhielt es sich so, dass der eigene Vater die Aufgaben erwählte, in welchen sich seine Kinder zu bewähren hatten, um von ihrem Oberhaupt, dem Inu no Taishô, ihre Macht zugesprochen zu bekommen. Ähnlich wie ihr Vater die Aufgaben, die den Göttern anvertraut wurden, welche geboren worden waren.

Sie nahm an, der Daiyôkai brach eine Art Siegel. Ein äußerst seltenes Ereignis, waren doch nur wenige unter den Dämonen in der Lage, auf dieses Erbe des dunklen Erdensohnes zuzugreifen.

Und dieses Mal durfte Sesshômaru an der Stelle seines Vaters diese Macht entfesseln, sodass sie sich entwickeln konnte. Sie war beeindruckt. Dass sie ihn begleiten durfte, um diesem Ereignis beizuwohnen, war beinahe in der Aufregung darüber, mit ihm als ihrem Sensei die Zeit tagsüber gemeinsam, notgedrungen, verbringen zu dürfen, untergegangen.

Und so tat sie sich auch reichlich schwer seither, seinen Ausführungen aufmerksam zuhören zu können. Stattdessen verharrte ihr Blick seit einer geraumen Weile interessiert auf seinem Fell, welches seine Schultern umschlang. Sie blieb dem weißen Flaum noch einen weiteren Moment lang verhaftet, ehe sich ihr erschloss, dass er längst geendet hatte und sie sein starr auf sie gerichtetes Raubtiergold für ihre Unaufmerksamkeit abstrafte.
 

Peinlich berührt setzte sie sich auf und tat einen leisen Atemzug. Seine Augenbraue wanderte unter seinen Pony. Er amüsierte sich nur allzu offenkundig über ihr Vergehen. An der Hitze, welche in ihre Wangen stieg, erkannte sie, dass sie errötete. Sie tat es mit einem Blinzeln ab. Den Blick behielt sie starr auf ihn gerichtet.

Da räusperte es sich von dem Berg an Pergamentrollen, welche auf dem Tisch zwischen ihnen ausgebreitet die östlichen Grenzgebiete zeigten.
 

„Ishizu-sama, wenn Ihr erlaubt, wir könnten eine Pause andenken.“

„Oh, das wäre in der Tat sehr angenehm, Myōga-oji-san“, hoffte sie doch so für einen Moment allein mit dem Dämonenprinzen sein zu können.
 

Die Bibliothek war ein selten besuchter Ort in diesem Gebäudekomplex – und bot massenweise uneinsichtige Ecken und Winkel.

Sie meinte das leise Funkeln in seinem Raubtiergold auch kurz aufblitzen zu sehen, sobald der Flohgeist dem Gesuch unumwunden nachgegeben und sich mit einer Verbeugung für „fünf Minuten“ verabschiedet hatte. Wie beide aus Erfahrung längst wussten, dauerte die Pause so lange, bis der Flohgeist seinen nächsten willigen Blutspender getroffen und den Weg zurück zu ihnen in die Bibliothek gefunden hatte.

Es überraschte ihn in keiner Weise, dass ihre Züge sogleich befreiter wirkten. Als fiele die Last wie ein Vorhang von ihrem Antlitz ab, strahlte ihm ihr bezauberndes Lächeln entgegen, während er vor ihr stand, das gut gefüllte Regal in seinem Rücken und sein Blick ausdruckslos dem Ihren begegnete. Er wartete, dass sie sich erklärte, erkannte sie.
 

„Euer Herr Vater erwähnte, dass Euer Mo-koko...“, sie brach frustriert ab, es war zu mühselig und entlockte ihm doch glatt sein so schmales Lächeln.

Er hatte es gewusst; in dem Moment, als ihr Blick an seiner Schulter verweilt war. Natürlich hatten ihre Gedanken nichts mit seinen Ausführungen zu tun gehabt, schon lange nicht mehr. Sie war heute abgelenkter als sonst und das Thema so oder so nicht das Ihre.
 

„Mokomoko, Ishizu“, verbesserte er und die Vertrautheit versicherte ihr, dass sie allein waren – für den Moment.

„Wir bekommen ihn von unseren Vätern, sobald sie uns für fähig erachten, uns dem Ritual zu unterziehen.“
 

Es war wenig überraschend, dass sie das interessierte, war doch diese Insignie unter Seinesgleichen derart selten, dass nur wenige ihren Namen kannten.

Er war beruhigt, die Überwindung, die es sie kostete, sitzen zu bleiben, nicht in ihrem Blick beobachten zu können, als sie seine Züge dabei maß; meinte er doch ihre Sehnsucht spüren zu können, welche bereits auch nach ihm langte. Es gestaltete sich von Mal zu Mal anstrengender auf Distanz zu bleiben. Er konnte einzig hoffen, dass ihre Fassaden auch dieser Idee seines Vaters standhielten.
 

„Das wird kein gewöhnlicher Lehrausflug“, war ganz der Lehrmeister, der hier vor ihr stand.

Sie schürzte die Lippen.

„Und du meinst, das wisse ich nicht.“

„Ishizu“, ein Seufzen.

Sie hätte es mehr belohnt, säßen sie hier nicht sprichwörtlich auf heißen Kohlen, wann der Aufpasser zurückkehrte.
 

„Du wirst unter ständiger Beobachtung stehen. Wir beide.“

Sie nickte. Und dennoch konnte sie sich nicht gegen das leise Kribbeln in ihrem Bauch erwehren.
 

„Aber es wird nicht auffallen, wenn du nicht von meiner Seite weichst“, bemühte sie ein zartes Lächeln.

Er schüttelte nachsichtig den Kopf. Unverbesserlich.

„Du hast zu viel Spaß daran, Megami“, ließ sie verzückt lächeln.
 

„Hai, Sesshômaru-dono“, bemühte sie ihre erlernten Umgangsformen.

Sie erschrak, als sich daraufhin sein Blick schlagartig erhärtete.
 

„Niemals sprichst du irgendwen dort mit `–dono´ an!“
 

Es war unmöglich falsch zu verstehen. Sie hatte in seinen Augen einen gefährlichen Fehler begangen. Sie verstand nicht recht. Es war höflich, respektvoll, die Anrede für jemanden, der denselben sozialen Status genoss; er war ein Erbe und sie war eine Erbin– das hatte er ihr erklärt, ganz zu Beginn, noch etwas weniger begeistert zwar, aber er war deutlich gewesen. Hatte sie es missverstanden?

„-Sama“ durfte sie nur Zuhause verwenden, um ihn anzusprechen. Es war sonst reiner Hohn, eine unter Umständen tödliche Provokation, war sie doch eine Göttin und damit unantastbar und so, strenggenommen, einzige Trägerin des göttlichen Suffixes. Da in diesem Haushalt jedoch jeder um ihre versiegelten Kräfte wusste, konnte ihre „über-respektvolle“ Umgangsform ungeahndet bleiben, ohne einen Gesichtsverlust des Herrscherhauses zu riskieren.

Ihre Verwirrung musste ihr an der Nasenspitze anzusehen sein, da er sie, nach einem kaum vernehmbaren Atemzug, aufklärte; so unhörbar, dass sie lediglich an dem leichten Heben und Senken seiner Brust bemerkte, dass er erfolgt war.
 

„Sozial gleichgestellte Fürsten untereinander benutzen das Suffix, wenn sie dem anderen einen höheren Respekt zollen wollen. Menschen tun das. In unserer Welt kostet dich das den Kopf.“
 

Sie verstand sofort. In einer Welt, in der Macht das Einzige war, was das Überleben in der sozialen Hierarchie definierte, durfte sie sich nicht als „schwächer“ darstellen – erst recht nicht als Erzfeindin.
 

„Hai, Sesshômaru-san.“
 

„Achte auf die Aussprache“, erhob ihren Blick in sein Gesicht.
 

Hatte sie etwa das verniedlichende „-chan“ formuliert? Doch an dem leisen Flackern seiner raubtierhaften Augen erkannte sie, dass er sie aufzog. Sie hatte es deutlich ausgesprochen. Da Myōga noch auf sich warten zu lassen schien, packte sie daher die erstbeste geschlossene Pergamentrolle und hatte sich in einem Versuch, diese ihm überzuziehen, so weit über den Tisch gebeugt, dass sie beinahe bäuchlings darauf zum Liegen kam.
 

Sein „verlockend“, sorgte dafür, dass die nächste Rolle bereits schnurstracks auf ihn zuhielt.

Er wich auch dieser gekonnt aus.
 

Da unterbrach das dezente Räuspern erschreckenderweise die Szene. Wie Eis erstarrte die Ausgelassenheit in ihren Venen. Ishizu war froh, dass ihr Gesicht hin zum Fenster hinaus, dem Störenfried abgewandt war, gab ihr dies doch die Chance, den Ausdruck der Vertrautheit hinwegzuwischen und gegen vor Zorn geschürzte Lippen auszuwechseln.

Sesshômaru war beeindruckt, als Takesumi ihr giftiger Blick traf, während sie sittsam auf ihren Platz zurückglitt. Wie viel darin nun gespielt war und wie viel empfunden, beließ er einstweilen dahingestellt. Stattdessen hielt er es für besser, dem väterlichen Vertrauten mit einem dezenten Neigen seines Kopfes das Wort zu erlauben, als der sein Erscheinen mit der obligaten Unterweisung in den dämonischen Haushalt erklärte.

Als der Schwarzhaarige sich zum Gehen wandte, blickte er noch einmal über seine Schulter und bemerkte, fast beiläufig: „Wenn Ihr gestattet, so wäre ein „Sensei“ sicher passend.“

Ishizu sah sich nicht sofort mit einer Chance bedacht, seiner triumphierend gezückten Augenbraue angemessen begegnen zu können. Doch sobald sie an ihm vorbeikam, zweifelte Sesshômaru doch glatt an seinen Sinnen, als die Prinzessin der Götter ihm da frech die Zungenspitze rausstreckte, ehe sie sittsam Takesumi weiter aus der Bibliothek folgte.
 

Die Nacht war bereits weit fortgeschritten, die Dunkelheit so düster, dass ihre menschengleichen Augen definitiv seiner Führung bedurften, als er mit ihr über den Hof schlich. Seine dämonische Energie wäre zu auffällig gewesen, hätte doch nicht nur der Vater diese einwandfrei zuordnen können. Also hatte er sie, nach reichlichen Bemühungen, doch noch dazu bewegen können, ihm voran aus ihren Gemächern zu treten. Er verblieb dabei in ihrem Rücken, sodass er im Falle ihres Entdecktwerdens jederzeit unbemerkbar rasch auf die gehörige Distanz weichen konnte. Seine Hände lagen warm um ihre Oberarme und dirigierten sie. Es erinnerte Ishizu an ein Kinderspiel, welches sie oft mit den göttlichen Halbwesen und Kindern, welche geboren waren und heranwuchsen wie sie, gespielt hatte. Nur, dass sie diesmal keine Augenbinde brauchte und seine Berührung permanent kribbelnd ihre Arme hinabwanderte. Als sie der erste Lichtstrahl durch das Holz der geschlossenen Flügelfenster erreichte, welche in Zweierreihen die niedrigen Bauten um den Hof säumten, beschleunigte er ihre Schritte. Sie stieß leise die Luft aus - nur zu deutlich protestierend, woraufhin sie sich gepackt fühlte, wenn auch nicht schmerzhaft-grob und im nächsten Moment gegen eine der Mauern gedrängt vorfand. Der Stein war eiskalt. Dunkel funkelten ihr seine Raubtieraugen im fahlen Licht entgegen, welches durch die Maserung der Türen drang. Er bemühte den Türgriff, als sie zum Meckern ansetzen wollte. Da hatte sie sein stählerner Körper auch schon in den Stall gedrängt.

Erstaunt blickte sie sich um, als sie penibel aneinandergereihte Boxen vorfand. Sie waren leer. Es gab tatsächlich einen Stall.
 

„Was wollen wir hier?“, wagte sie endlich die Stille flüsternd zu brechen und verbreiterte sein Grinsen.

Er machte ein solches Geheimnis darum, dass sie befürchtete, er nähme sie erneut auf den Arm. Dafür war sie dann doch zu müde.

Abermals fühlte sie sich sanft an ihren Schultern umfasst und bedachtsam umgedreht. Sein Atem strich ihr heiß von der Ohrmuschel über die Wange. Es erschauderte sie, als sein Tenor in ihren Gehörgang vibrierte. Er stand so nahe hinter ihr, dass sie sein belustigtes Grollen in seiner Kehle durch den Stoff von seiner Brust auf ihren Rücken überspringen erspürte.
 

„Ah-Uhn bestimmt seinen Reiter.“
 

Natürlich, er war ihr da ja noch eine Erklärung schuldig. Sie war erstaunt einem zweiköpfigen Drachenwesen gegenüberzustehen, welches schmatzend das Heu in beiden Mäulern zerkauend in seiner überdimensionierten Box stand und sie mit großen Augen besah.
 

„Wer ist Ah und welcher ist Uhn?“, beugte sie sich leicht zurück und lehnte sich so noch enger an ihn.
 

Ihre Stimme hatte sie noch um eine weitere Nuance gesenkt, in der Hoffnung, das Drachengehör möge nicht so fein sein, wie das des hundeartigen Besitzers.
 

„Es wird nicht dienlich sein, ihn einzeln anzusprechen.“

Sie konnte hören, dass er schmunzelte. Dennoch meinte sie zu verstehen. Der Stolz der Drachen, so konnte sie nur verlieren, spräche sie doch immer Einen als Zweiten an.
 

„Warum hatte das nicht bis morgen Zeit?“
 

„Wenn Ihr lieber vor aller Augen abgewiesen werden wollt, Megami-sama“, veranlasste sie dazu, ihren Ellbogen in seine Seite zu boxen.
 

Sie hatte Erfolg. Es war als schlüge sie ihr Gelenk gegen Stein- es tat ihr weh. Sie verbat es sich, ihren Ellbogen zu reiben.

Als wenn ein Drachenwesen sie ablehnte. Sie war die Freundin aller Drachen. Also straffte sie ihre Schultern. Automatisch richtete sie sich auf, ganz so, wie es ihr beigebracht worden war. Alles unter den Argusaugen des Besitzers und seines Reitdrachens. Dann trat sie sicheren Schrittes auf das stolze Wesen zu, sich seiner wachsamen Beobachtung der Geschehnisse in ihrem Rücken sicher.
 

„Hallo, Ah-Uhn, ich bin Ishizu.“

Auch wenn sie sich nicht ganz sicher war, wem er wen gerade vorstellte, bemühte sie eine Vorstellung in ihrer Sprache. Es war ihr nicht gestattet, ihr Versprechen an den Drachenlord zu brechen, zumal sie annahm, dass es auch so funktionierte.

Sachte erhob sie ihre elfenbeinfarbene Hand. Heiß blies einer der Köpfe alsbald seinen Atem aus seinen Nüstern über ihren Handrücken, als er ihre Witterung aufnahm. Noch ließ er sie näherkommen.

Eine Stecknadel hätte die angespannte Stille donnernd gebrochen, wäre sie zwischen dem Heu auf den Boden aufgeschlagen. Sein Schnauben erschreckte sie bis ins Mark, dennoch wagte sie nicht zurückzuzucken. Es wurde andachtsvoll registriert. Stattdessen überwand sie die restliche Distanz, sobald der Kopf sich ausgeschüttelt hatte und erfühlte die Wärme seiner geblähten Nüstern. Sie behielt die Hand hauchzart auf seiner Haut, jederzeit bereit geschwind Abstand zu suchen – und tatsächlich geschah gar nichts. Ein Blick, ein Moment des Verharrens, dann kaute der Grünbeschuppte entspannt weiter. Das feine Lächeln, das sich über die Züge in ihrem Rücken spannte, entging ihr, als sie ebenso lächelnd begann, den Reitdrachen zu streicheln. Eingehend betrachtete sie diese sonderbare Schöpfung ihres Freundes. Ishizu registrierte bei sich, dass Ah-Uhn den gesamten Abschnitt für sich allein bewohnte.
 

„Wie habt ihr euch gefunden?“, erhob ihren Blick hin auf seine erneut ausdruckslosen Züge.

Einzig die Tatsache, dass sie nicht angespannt waren, gab ihr einen Hinweis darauf, dass es ihm gefiel.
 

„Er war ein Geschenk.“

Was hatte er sich nur dabei gedacht? Hatte der Reitdrache doch Sesshômaru offenkundig als seinen Herrn erwählt. Interessiert wanderte ihr Blick darunter zurück auf die kauende Riesenechse. Erst seine Wärme, die in ihrem Rücken auf sie abstrahlte, bewegte sie dazu, von Ah-Uhn abzulassen und sich ihm zuzuwenden.

Instinktiv wanderten ihre Arme um seinen Nacken, als er sich ihr bereits entgegenneigte. Sehnsüchtig schmiegte sie sich an ihn und stieß ihre Nase zärtlich gegen seine als Dämonengold göttliches Meeresblau einfing.
 

„Und jetzt?“

Trotz ihrer verheißungsvoll gesenkten Augenlider war sie sich nicht zur Gänze der Tragweite ihrer Wirkung auf den Dämonensohn bewusst, als sich sein gefährliches Lächeln über ihren Lippen spannte.

Heiß prallte sein Atem gegen sie, als er ihr dunkel entgegengrollte: „Heu ist weich, Ishizu.“
 

Sie lachte leise auf, wollte sich ihm entwinden und hob zeitgleich die Hand. Er ließ sie aus. Das leise Klimpern, als er die linke Klaue hob, lenkte ihren Blick kurz von seinen Zügen ab. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass er die Türen versperrt hatte. Er war bereits wieder so nahe bei ihr, dass sie automatisch zurückwich. Sie erkannte das Spiel an dem Funkeln in seinem Raubtiergold, als der Dämon sie so in die nächste Box drängte, welche wohl als Lager für frisches Stroh und Heu diente. Bald war er abermals vor ihr, ließ keine Distanz mehr aufkommen und hatte ihre Lippen sehnsuchtsvoll mit den Seinen verschlossen, noch ehe ihr Protest über diese entweichen konnte. Er erstarb noch in seinen Armen, als er sie tiefer hinein in die Box bugsierte und mit ihr ins weiche Heu sank.

Der Drache würde von nun an auch sie mit seinem Leben beschützen.

Das Ritual der Macht 2/3: Im Angesicht des Feindes

[align]Diejenigen, die wir lieben, können uns am meisten verletzen. (Paulo Coelho)[/align]
 

Die Sonne war lange schon aus ihrem höchsten Punkt gewandert. In gemächlichem Rhythmus schob sich die Landschaft bereits den gesamten Tag über an ihr vorbei. Manches Mal musste sie sich am Sattel festhalten, wenn Ah-Uhns Schritte gar zu wuchtig die Unebenheiten des Bodens wiedergaben. Sie verbat sich dann jedes noch so leise Aufseufzen, konnte jedoch den Blick, den sie ab und an sehnsuchtsvoll hinter sich hin zu Yoko warf, welche tatsächlich auf einem Pferd saß, nicht verhindern. Zu ihrem Leidwesen war das auch ihm nicht verborgen geblieben. Es hatte sie überrascht zu erfahren, dass Pferde, welche seit ihrer Geburt an Dämonen gewöhnt wurden, dadurch ihre Angst vor dem Unnatürlichen zu beherrschen lernten. Ai hechelte zu ihrer Seite, in einem leichten Trabschritt, der der Wölfin ein angenehmes Tempo erlaubte, welches sie ohne große Kraftanstrengung bequem durchzuhalten vermochte. Sie waren im Morgengrauen aufgebrochen. Eisern hatte sich ihr Körper diesmal merklich gegen die frühe Morgenstunde gewehrt. Es war seltsam gewesen, fand sie doch für gewöhnlich mit den ersten Sonnenstrahlen leicht in den Tag. Sie nahm an, dass die Aufregung und Sesshômarus kleiner nächtlicher Ausflug das Ihrige dazu beigetragen hatten, hatte doch alles in ihr nach Schlaf geschrieen. Er war davon unberührt geblieben, wenig überraschend. Seit dem Morgengrauen trieb er sie stetig voran gen Osten. In seinem Rücken wanderte sie seine schlanke Gestalt ab, wie so häufig am heutigen Tag bereits. Er wirkte hünenhafter denn je auf sie, ein jedes Mal, wenn sie ihn sich besah.

Es machte ihm natürlich nichts aus, weder den ganzen Tag zu marschieren, denn gehen konnte sie das bei Weitem nicht nennen, zu kraftvoll war sein Gang, wenn er auch keinerlei Anstrengung erahnen ließ; noch, dass er dies schweigend und allein ihnen voran tat. Dennoch keimte in ihr seit einer geraumen Weile der Eindruck, er könnte in Gedanken vertieft sein. Sie wusste nicht, ob ihre letzte Verbindung Spuren hinterlassen hatte oder ob dies überhaupt möglich war oder gar, woher sie glaubte, die Sicherheit zu nehmen. Dennoch tat sie es und wagte daher den Schritt in sein Bewusstsein.
 

Du denkst an Takesumi; dass er uns gehört hat.
 

Er zeigte mit keiner Regung oder gar Unregelmäßigkeit in seinen Schritten, dass sie ihn erreicht hatte.
 

Hatten wir das nicht schon geklärt, Megami?

Wie soll ich das denn ansprechen, wenn Yoko uns begleitet!

Der Gehörsinn deiner Menschen ist so verachtenswert gering ausgeprägt, Megami, dass sie kein Wort verstünde.
 

Woher auch immer er glaubte, sich ein Urteil über die Sinnesleistungen ihrer Schützlinge bilden zu können; das ignorierte sie jetzt besser, vermochte sie die leise Kritik doch durchaus herauszuhören. Beruhigt nahm sie stattdessen zur Kenntnis, dass er sie nicht, wie sonst, wenn sie in seinen Kopf eindrang, barsch hinausbefahl. Sie hatte also recht gehabt. Und sie erinnerte sich an das letzte Mal, als die Schuld auf seinen Schultern gelastet hatte.
 

Ist es nicht üblich, dass ein Lehrmeister höheren Respekt genießt als seine Schülerin?
 

Der Gedanke war ihm auch bereits gekommen, wenn er ihm auch so ganz und gar nicht schmecken wollte. Es untergrub ihren Schutz, den ihr das göttliche Suffix verlieh; mochte auch seine Anwesenheit und nicht zuletzt die Hand seines Vaters schützend über ihr verweilen. Sein eigenes Versäumnis ärgerte ihn. War er zu abgelenkt gewesen oder war der pensionierte Späher noch zu fit auf seine alten Tage hin? Es war wie es war, sie mussten auf der Hut sein. Das Turnier, Chiyos Reaktion, die Unachtsamkeiten häuften sich, mochten sie auch noch zu unbedeutend sein, um das Interesse seines Vaters zu wecken. Auch Takesumi wusste, dass die Vertrautheit noch kein Indiz war, also zu nichtig war, um sie an seinen Herrn weiterzutragen. Dennoch, sie konnten sich die Unsicherheit nicht leisten. Den Patzer in der Bibliothek konnte es nicht „wettmachen“, aber vielleicht doch plausibilisieren, sollte sein Vater trotz der „Belanglosigkeit“ davon erfahren. Bis jetzt hatte der Ältere ihm keine Vorgaben über das Inhaltliche hinaus gemacht und sich lediglich über ihre Fortschritte berichten lassen. Zumal sein Vater um ihre Mühen mit gerade dieser Befremdlichkeit ihrer Kultur wusste. So wenig es ihm passte, Ishizu konnte recht haben.
 

Es würde deinen Schutz ...

Ist er nicht ein Vertrauter und letztlich Untergebener deines Vaters, dieser Haruki?

So einfach ist das nicht, Ishizu.

Habe ich dafür nicht Euch, Sensei?
 

Sie sah die gezückte Augenbraue nicht, dennoch vermeinte sie sie erspüren zu können.

Er musste sich geschlagen geben, gegen seine eigene „Schülerin“, wie es schien, war er ein passabler Lehrmeister. Es passte ihm dennoch nicht.
 

Erliege nicht der Illusion, die Vertrautheit zu meinem Vater böte Schutz, sah er sich zu einer Warnung gezwungen.
 

Welcher Art von Magie entspringt der Austausch in Gedanken?, kam überraschend und veranlasste sie dazu, irritiert ihr Näschen zu kräuseln.
 

Woher sollte sie das denn wissen? Es hatte nie einen Anlass dazu gegeben, darüber auch nur nachzudenken.
 

Kijo, Harukis Gefährtin, sagt man magische Fähigkeiten nach, bemühte er eine Erklärung auf ihr Schweigen hin.
 

Auch wenn er über deren Ausmaß nicht im Bilde war. Es sorgte nicht nur in Ishizu für Unbehagen, hatte sie doch gehofft, ihn zumindest mental erreichen zu können.
 

Dann sollte ich bestmöglich darauf verzichten. Es gibt Wesen, die erspüren können, wenn Gedanken sich berühren – auch unter Euresgleichen.
 

Auch wenn sie von keinem bis jetzt erfahren hatte, das es vermocht hatte, die Gedanken der Götter zu lesen - gegen deren Willen. Ihre Fähigkeiten waren minimiert. Wer wusste da schon, wie gut ihr Schutz war. Und auf einmal fühlte sie sich einsamer denn je. Mit einem Mal erschien ihr der Wind eisig, der das Blätterdach zur ihren Seiten raschelnd bog, sodass sie kurz merklich ihren Überwurf enger um sich schlang. Für den Moment war sie in ihren Gefühlen gefangen, sodass ihr beinahe entging, dass er stehen geblieben war. Rasch hatte da Ah-Uhn zu seinem Herrn aufgeschlossen und war bereits zum Stehen gekommen, noch ehe sie die Zügel fester ergreifen hatte können. Ihm war es dennoch nicht entgangen und so traf sie der Blick aus Raubtiergold über seine Schulter.
 

Warum halten wir an?

Dein Atem geht merklich, dein Herzschlag ist erhöht. Wir rasten, war entwaffnend.
 

Ab und an vergaß er darauf, dass sie die wohl erbärmlichste Schwäche ihrer Schützlinge teilte; das Bedürfnis regelmäßig zu schlafen.

Sie dagegen hatte nicht bedacht, dass er sie so ins Detail beobachtete und es war ihr, all ihrer Vertrautheit zum Trotz, unangenehm.
 

Eine Hakama hätte dir eine weniger anstrengende Sitzposition erlaubt, Ishizu, bewies nur allzu deutlich, dass er sehr wohl registriert hatte, dass sie reichlich steif vom Rücken des Reitdrachens geglitten war und dabei ein Aufseufzen unterdrückt hatte.
 

Ich trage keine Hakamas, wiegelte sie stolz ab.
 

Er beließ es unkommentiert, wie sie nur zu genau wusste, wohlweislich.

War sie ehrlich, hatte sie einfach darauf vergessen und im engen Kimono gab es nur die Möglichkeit seitlich sittsam zu sitzen. Ihr war es so oder so schon maßlos peinlich, war ihm ihre Müdigkeit doch nicht entgangen. Die Müdigkeit, die eindeutig der Schwäche entstammte, die er so sehr verabscheute an ihren Menschenkindern. Ob auch sie ihn anekelte in diesem Moment?
 

Yoko hatte sich sogleich angeschickt, alles vorzubereiten; dennoch erwachte Ishizu gegen den warmen Bauch des Reitdrachens gelehnt. Der regelmäßige Atem hob und senkte den Rumpf des magischen Wesens in einem besänftigenden Rhythmus. Die Wärme, die er abstrahlte, steigerte das Wohlbefinden zusätzlich. Und so blinzelte die menschengleiche Göttin ein-, zweimal irritiert, ehe sich ihr erschloss, dass sie wohl eingeschlafen war und sich auf Reisen befand. Es war bereits Nacht. Kurz glitt ihr Meeresblau ihre nähere Umgebung ab, wanderte vom sie umgebenden Grün hin zu dem prasselnden Feuer, welches ihre alabasterfarbene Haut in ihr rötlich-oranges Licht tauchte. Yoko wuselte emsig umher. Sie bereitete etwas zu essen zu, zumindest roch es angenehm nach gebratenem Fisch. Nicht weit entfernt konnte sie leise das Plätschern von Wasser ausmachen. Sesshômaru sah sie nicht, als sie auf ihrer Suche nach ihm über das hundeartige Augenpaar ihrer Nefrilin stolperte. Ai hatte sich direkt neben dem Feuer positioniert und „bewachte“ den Stecken, an welchem die Fische brieten. Ihr entwich ein hauchzartes Lächeln. In dieser Gestalt zeigte sie tatsächlich sehr starke Ähnlichkeit mit ihrer Tiergestalt.
 

„Ishizu-sama“, erreichte sie Yoko überrascht, als sie sich erhob.
 

Mit einem leisen Kopfschütteln verneinte Ishizu die ungestellte Frage. Sie hatte keinen Hunger, stattdessen sehnten sich ihre Sinne längst nach seiner Präsenz. Sie machte ihn alsbald in der Nähe des Wassers aus und so schob sie vor, etwas davon holen zu wollen. Automatisch nahm sie die Schale mit sich, in dem Schuldbewusstsein, von den schwach ausgeprägten Sinnen ihrer menschlichen Zofe unlauteren Gebrauch zu machen, weil die ihn unmöglich erspüren konnten. Mit einem Handzeichen gebot sie Ai vor Ort zu bleiben, wie Yoko annahm aus Rücksicht auf den augenscheinlichen Hunger ihrer Wölfin.
 

Silbern ergoss sich das Mondlicht über sein langes Haar, welches so fein war, wie sie es nie gewagt hatte sich auszumalen, ehe es ihre nackte Haut das erste Mal berührt hatte. Regungslos stand er an dem natürlichen Bachlauf, der sich über die Waldlichtung schlängelte. Sie war sich sicher, dass er sie längst ausgemacht hatte, während sie sich, für sein ausgeprägtes Dämonengehör, tosend laut durch das Dickicht „geschlagen“ hatte. Dennoch ließ er sie kommentarlos an seine Seite kommen, ehe sein Tadel sie ereilte: „Wo ist Ai?“
 

Sein Blick verblieb eisern auf einem nur ihm bekannten Punkt am dunklen Firmament gerichtet. Natürlich wusste er, wo sie sie zurückgelassen hatte.
 

„In unseren Rücken, außerdem hat sie Hunger und du warst nicht weit entfernt“, beorderte seine alleinige Aufmerksamkeit auf sie.
 

Das Mondlicht tauchte ihre alabasterfarbene Haut in einen unnatürlich-reinen Teint. Heller als der einer jeden Dämonin, die er je gekannt hatte. Ihre Pupillen waren weit in den Hintergrund gedrängt, sodass ihre rundliche Form fast gänzlich mit dem göttlichen Blau verschwamm. Ihre Augen wirkten so unergründlicher denn je, als ihr Meeresblau sein Raubtiergold gefangennahm. Mehr denn je erschien sie ihm, wie nicht von dieser Welt.
 

Sein Dämonengold funkelte im Licht seines Himmelskörpers fremdartig als er ihre Züge maß. Abermals stellte sie bei sich fest, welch atemberaubend anziehende Wirkung es auf sie hatte.

Instinktiv stockte ihr der Atem, als sein Blick ihr durch und durch ging. Erneut überkam sie leichter Schwindel, als das Kribbeln in ihrem Bauch sich von Neuem regte. Automatisch überwand sie die wenige Distanz vor ihn und war doch nicht darauf vorbereitet, als sich seine federleichte Berührung an ihrer Wange einem Feuerschweif gleich in ihre Sinne brannte. Ihr Keuchen guotierte er mit seinem schmalen Lächeln, sodass sie geneigt war, den Blick beschämt abzuwenden. Da hatte er ihr Kinn bereits hauchzart umfasst und seine Lippen auf die Ihren gesenkt. Umgehend bahnte sich die Sehnsucht ihren elektrisierenden Weg durch ihren zierlichen Körper. Haltsuchend schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und schmiegte sich eng an ihn. In den Tiefen ihres Bewusstseins ereilte sie noch die Überraschung über die Heftigkeit, welche sie da überkam. Sie schlug sie aus und ergab sich seinen neckischen Liebkosungen, als er sie in seine Umarmung schloss.
 

Es war fast schmerzhaft für sie, als er nach als viel zu kurz empfundener Zeit von ihr abließ und so war sie dankbar, dass er sie nicht ausließ, als seine Stirn gegen ihre sank und sein Atem heiß gegen ihr Gesicht prallte. Ihre Hände ruhten auf seiner geschulten Brust, erspürten dieselbe Intensität, mit der sie sich gegen seinen Panzer drückte, wie die ihre gegen die Lagen an Dämonenseide.
 

„Wie lange gedenkst du, Wasser zu holen?“, erschloss sich ihr erst nicht, bis sein Blick den Ihren gen Boden dirigierte, wo die Schale unbenutzt zu ihren Füßen ruhte.
 

Ihr entglitt ein amüsiertes Schmunzeln. Er musste sie aufschlagen gehört haben; sie dagegen hatte nicht einmal bemerkt, dass sie sie fallen gelassen hatte.
 

„Ishizu“, war ungewohnt sanft – fast zärtlich.
 

Sie nickte ihre Stirn leicht gegen seine reibend. Es war sonnenklar, was er meinte. Die Heftigkeit, die Sehnsucht, es würde dort keinen Raum dafür geben. Er verbat es ihnen beiden damit. Und doch verging sie allein jetzt in seinen Armen und gierte nach seiner Nähe. Die Distanz trotz der Nähe den gesamten Tag über übermannte sie schmerzlich und diesmal gestand sie sich die Erkenntnis zu, dass sie nicht allein damit war. Worauf hatten sie sich da nur eingelassen?

Mit einem Kuss auf ihre Stirn wich er letztlich von ihr, sodass sie die Kälte der Nacht bitter umfing.

Sie zwang ihren Blick auf das Wasser, welches kristallklar im Mondschein über die Unebenheiten dahinfloss. Ihr Atem hatte sich beruhigt, als sich die nächtlichen Laute der Natur begannen angenehm zwischen sie zu legen.
 

„Findet das Ritual in eurer wahren Form statt?“, trennte sie dann die Stille.
 

Sie sah nicht, dass es ihn überraschte, als er sie kurz von der Seite betrachtete. Sie wagte es nicht, seinem Blick erneut zu begegnen.

Es war ihr heute im Laufe des Tages gekommen. Sein Vater hatte einmal erwähnt, dass sie in dieser Form am Leichtesten auf ihre gesamte Macht zugreifen konnten. Es erschloss sich ihr daher nicht, warum sie in dieser nicht kämpften – zumindest nicht regelmäßig.
 

„Möglich“, erhob ihr Meeresblau erneut auf seine Züge.
 

Er erkannte ihre Entschlossenheit darin sofort.
 

„Ich möchte es sehen“, war daher keine Überraschung mehr.
 

Trotzdem flackerte sein Dämonengold kurz unruhig – es war zu schnell vorbei, als dass sie wagte, es identifizieren zu wollen. Doch, konnte es sein, und er hatte ihr instinktives Zurückschrecken beim Turnier bemerkt? Fürchtete er gar ihre Reaktion?

Nahezu zärtlich erhob er da seine Klaue abermals an ihre Wange und strich die eine Strähne von Neuem aus ihren Zügen, ehe er nickend sein Einverständnis gab.
 

„Sobald Yoko schläft“, war fast nur ein Wispern im Wind, ehe seine Lippen sich abschließend auf ihre legten.
 

So hatte sie reichlich lange gebraucht, um ihr Wasser zu holen. Natürlich hatte Yoko es in keinster Weise auch nur angesprochen; dennoch hatte sie den sorgenvollen Blick, mit dem die Zofe sie betrachtet hatte, kaum ignorieren können. Umso dankbarer war sie gewesen, dass er sie begleitet hatte. So war zumindest ein Grund für ihre etwas zu lange Fehlzeit erahnbar gewesen. Zumal sie nicht annahm, dass Yoko von einem so intensiven Kontakt zwischen ihnen ausging.
 

Es hatte endlos lange gedauert, Ishizus Empfinden nach, ehe sie sich unter ihrem überdimensionierten Tuch zur Ruhe begeben hatte. Sie hatte es über einen tiefhängenden Ast gebreitet, wie Ishizu wusste, eine Eigenart ihrer Schützlinge. Sie nahm an, es wog sie in trügerischer Sicherheit, ein Dach über ihren Köpfen zu wissen, mochte es auch noch so provisorisch sein. Yokos Angebot, ihr ein ebensolches Nachtlager zu bereiten, hatte die Göttin dankend ausgeschlagen- und seine abfällige Musterung tapfer ignoriert. Sie fürchtete die Sterne am Firmament nicht, ebenso wenig die Natur um sie herum, mochte auch so manches Wesen der Nacht einem ganz anderen Herrn dienen. Die Angst ihrer Schützlinge vor den Stunden, die nur dem dunklen Herrscher dienten, konnte sie durchaus verstehen; ganz anders als sein Geschöpf.
 

Umso anziehender hatte sein Raubtiergold im Schein des flackerndes Feuers wenig später auf sie gewirkt, als er sich, kaum waren Yokos Atemzüge der Gleichmäßigkeit anheimgefallen, geräuschlos erhoben hatte und ins Dickicht des Waldes vorangeschritten war.

Ihr Herz pochte aufgeregt in ihrer Brust, als sie ihm folgte. Sie war sich sicher, dass er es hören konnte, ihren unruhigen Atem verfolgte. Wieder kam sie sich vor wie ein Trampeltier, brachen sich doch ihre Schritte durch das Unterholz, während seine federleicht jeglicher Tonerzeugung entsagten. Dennoch lag keinerlei Verachtung in seinem Blick, mit dem er sie maß, kaum dass sie zu ihm aufgeschlossen hatte. Stumm stand sie vor ihm und beobachtete fasziniert, wie sein Dämonengold ihre Züge abwanderte. Die Seinen verrieten keinerlei Regung und doch vermeinte sie, das Funkeln in seinem raubtierhaften Gold nähme noch einmal an Intensität zu, ehe es auf ihrem flackernden Meeresblau verharrte. Abermals warf er sie in ein Wechselbad der Gefühle. Ihr wurde heiß und kalt. Dennoch widerstand sie dem Drang, ihn jetzt zu berühren. Sie musste es einfach sehen.
 

„Mein Speichel...“
 

Sie nickte, hatte sie doch nicht vergessen können, was mit dem Holz der Veranda geschehen war.
 

„Halte Abstand“, ließ ihr Meeresblau kurz unruhig aufflackern - einem Instinkt folgend, dennoch nickte sie tapfer.
 

Heiß umfing sie da seine dämonische Energie und pikste alsbald auf ihrer Haut, während sie vorsichtig zurückwich, ihm Platz einräumte, sodass er sich entfalten konnte.

Sie konnte spüren, dass die gegensätzliche Aura nach ihrer langte, sie berührte und doch nicht schmerzlich auf sie herniederging. Es wirkte fast, als lud sie die Ihre zu einem neckischen Spiel ein. Nicht viel hatte man ihr über die Geistform beigebracht und doch war ihr die Furcht ihrer Art vor seiner wahren Gestalt vermittelt worden. Grausam, unbeugsam, ja sogar unbezähmbar in ihrer Wildheit waren nur einige der neutralen Beschreibungen, welche ihre Verwandten für die dämonischen Gestalten fanden. Und doch bemerkte sie bei sich, dass sie neugierig jedwede Veränderung verfolgte. Das Ausfransen seiner Streifen, die roten Augen, welche alsbald an Ausmaß zunahmen, ebenso wie sein Körper. Die Zähne und Klauen, welche zu denen der Bestie heranwuchsen. Erstaunt beobachtete sie den Farbumschwung der Pupillen ins Türkisene. Es war ihr beim Turnier entgangen. Sie wagte nicht den Blick abzuwenden, als seine Yôki sie heiß, wie die Hitze an einem Sommertag, umfing - zu gebannt sah sie ihm dabei zu, wie er an Breite und Länge zunahm. Viel zu rasch, ging es nach ihr, war er den ersten Baumwipfeln entwachsen. Sein Fell peitschte wild um seine massigen Schultern, als sich das Grollen erneut seiner Kehle entrang.
 

Für den ersten Augenblick regte sich die angeborene Furcht in ihr vor dem feindlichen Abbild, das ihr nur in den Geschichten aus ihrer Kindheit begegnet war. Und doch obsiegte die Neugierde, als sie sich den übergroßen Hund besah, der fordernd mit seiner Vorderpfote über den Boden schabte. Seine Krallen waren länger als ihre Beine und rissen wahre Rinnsale in die Erde. Ihre Gestalt erreichte nur knapp seine Fußwurzeln. Er war dafür geschaffen, den Auftrag seines dunklen Herrn umzusetzen: Zu vernichten. Es war auf seine eigene Art beeindruckend. Beiläufig bemerkte sie, dass sein Speichel die Erde zu versenken vermochte. Das Gift brannte selbst in ihren Schleimhäuten. Sie wusste nur von einem der dunklen Söhne, welchem die Gabe, Giften zugetan zu sein, nachgesagt worden war. Ob er wusste, zu welch einzigartiger Waffe der Vernichtung ihn das machte?
 

Sein Winseln riss sie aus ihrer Faszination. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie ihn angestarrt hatte. Und so war ihr Lächeln beinahe entschuldigend, mit dem sie ihn nun maß. All seine Warnungen schoss sie daraufhin in den Wind und tat die wenigen Schritte auf ihn zu, bedachtsam und dennoch mit unerklärbarer Sicherheit. Er hatte den Kopf gesenkt, die Zunge leicht gebleckt; es erweckte nahezu einen friedvollen Eindruck, wären da nicht die messerscharfen Krallen und Zähne, welche er so fletschte. Sie konnte nicht einmal sicher sagen, ob er dies bewusst tat. Generell machte es auf sie ganz den Anschein, als zeigte er seine Empfindungen so viel deutlicher. Erst recht, als er sich wenig später der Hand, welche sie instinktiv erhoben hatte, entgegenschmiegte, ganz so, wie Ai das in ihrer Wolfsgestalt zu tun pflegte. Konnte es sein, und am Ende waren Dämonen in dieser Form einfach nur weniger beherrscht? Automatisch begann sie damit, ihn zu streicheln. Sein Fell war unbeschreiblich weich; weicher als sie es je für möglich gehalten hatte, umschmeichelte es ihre Haut. Es war nur ein Abklatsch seines Schulterfells. Sein Vater und er selbst hatten erwähnt, dass ihre Beherrschtheit die Schwachen von den Starken ihrer Art trennte. War es so einfach? Hatte er diese Offenlegung gar gefürchtet? Interessiert begegnete sie seinem feuerroten Auge, seiner türkisenen Pupille, welche einzig auf sie gerichtet schien. Ihr Oberkörper war knapp so lang, wie sein Auge an Höhe maß. Keine Scheu lag in ihrem Blick als sie sich dem natürlichen Feindbild ihrer Art gegenübersah. So seltsam unerklärlich es für sie war, vermeinte sie doch ihn darin wiedererkennen zu können, mochte ihm auch jegliche Individualität durch das Erbe seines Schöpfers genommen sein. Liebevoll glitt ihre Hand alsbald an seiner Lefze den Streifen entlang, welcher nun zusammengewachsen war; sehr wohl darauf bedacht, den Speichel zu meiden. Es schien ihm dennoch zu nahe, als er ihr aufwinselnd seinen Kopf plötzlich entzog und sich aufrichtete, um wenig später in seinem Energiewirbel zurück auf seine vorherige Größe zu schrumpfen.
 

Ihr Blick hatte jegliche Furcht verloren, als er unverhältnismäßig sanft seinem Raubtiergold begegnete.
 

„Wage es ja nicht, das auszuformulieren, Megami“, grollte er warnend.
 

Er war kein Schoßhund. An ihrem verzückten Lächeln erkannte er, dass es seine Wirkung komplett verfehlte. Sie biss sich auf ihre Unterlippe, suchte zwar so, den verräterischen Ausdruck zu kaschieren; und konzentrierte damit doch einzig all seine Aufmerksamkeit allein auf ihre zartrosanen Lippen. Gröber als beabsichtigt zog er sie da zu sich und hatte ihren Mund besitzergreifend mit dem Seinen verschlossen, noch ehe sie zu irgendeiner Erwiderung auch nur hätte ansetzen können. Sie ließ ihn gewähren, ergab sich regelrecht seiner fordernden Zärtlichkeit und erlaubte dem Dämon die Führung.
 

„Wann findet das Ritual statt?“, durchbrach sie die Ruhe, welche sich abermals angenehm über sie gebreitet hatte.
 

Der Mond tauchte die Lichtung in sein milchiges Zwielicht, während das Wasser kontinuierlich im Hintergrund plätscherte. Sie lagen seit einer geraumen Weile schweigsam im weichen Gras und genossen die Gegenwart des jeweils anderen. Sesshômaru hatte den Brustpanzer noch nicht wieder angelegt und den Rücken gegen einen Baum gestemmt, seine warme Brust schirmte sie dabei sowohl gegen die harte Rinde, als auch die Kälte ab. Sein Atem hob und senkte sich leicht gegen ihre Kehrseite und beruhigte sie in unbeschreiblicher Art und Weise. Ihre Schläfe lehnte gegen sein Kinn, sodass sie die Regung erfasste, sobald er eine Antwort - knapp wie stets - bemühte: „Nachts.“
 

Sie hatte den Blick zu seinem Himmelskörper gerichtet, während sie fast nebensächlich eine seiner Haarsträhnen zwischen ihren filigranen Fingern zu drehen begann. Fasziniert beobachtete sie die Reflexionen des Mondlichts darin, ehe sie laut sinnierte: „Zu eurer Stunde.“
 

So eng gegen seine Brust geschmiegt konnte sie sein Schmunzeln spüren, ehe er zu einer nachsichtigen Korrektur ansetzte; nachsichtig, weil sie mehr erläuterte denn tadelte: „Wer es vermag, sich dem Ritual zu stellen, ist längst losgelöst von der Tageszeit, Megami.“
 

Ihre Lippen spannte ihr hauchfeines Lächeln, als er daraufhin einen Kuss in ihr Haar tupfte. Unendliche Wärme durchströmte sie, als er seine Nase dabei in ihr Pechschwarz vergrub. Instinktiv schloss sie die Augen, während der Hundedämon kaum hörbar dabei tief die Luft einsog.

Er war sich lange schon im Klaren darüber, dass er ihrem Geruch hoffnungslos verfallen war; und, dass er den Seinen an ihr viel zu sehr genoß; mochte er sie auch zum Morgengrauen wieder verlassen haben, als wäre sie nie bei ihm gelegen. Er hatte ihre oder Ais Magie schwer im Verdacht, vermochte es ein einziges Bad doch niemals allein, den Seinen derart radikal auszulöschen.
 

„In eurer wahren Form seid ihr angreifbarer“, war mehr eine Frage denn echte Erkenntnis.
 

Es beendete seine hauchzarten Liebkosungen ihren Hals hinab, ehe sein Grollen an ihrem Ohr heißkalte Schauer durch ihren Körper jagte: „Eine kühne These in den Armen eines Dämons, Megami.“
 

Andeutungsvoll durchbrachen seine Reißzähne da die dünne Haut an ihrem Hals. Ihr entwich ein verräterischer Laut, während ihr Kopf automatisch zur Seite glitt. Er war sich sicher, dass es ihr nicht einmal bewusst war, dass sie sich ihm so instinktiv darbot.

Sie sah das gefährliche Lächeln nicht, das seine Züge darüber zierte. Sein Knurren ließ sie in seinen Armen erzittern. Sie erkannte, dass er eine Erläuterung forderte.
 

„Ihr sagt, es lässt euch auf eure gesamte Macht zugreifen und doch zieht ihr es vor, in eurer menschlichen Form zu kämpfen, vermeidet es sogar, eure Macht im Kampf zu offenbaren. Es ergibt nur Sinn, wenn es euch zum Vorteil gereicht.“
 

Wenn man ihr die rechten Anreize bot, zeigte sich ihr Scharfsinn. Es glich fast einer Belohnung als er über die blutroten Einstiche leckte, welche seine Reißzähne auf ihrer makellosen Haut hinterlassen hatten.
 

„Dir ist klar, dass ich dir das unmöglich bestätigen kann, Ishizu“, war reine Freude am Spiel und entlockte ihr ihr verzücktes Auflachen.
 

Ihr Blick suchte den Seinen, doch als ihre Hand nach seiner Wange langte, fing er sie mit seiner Klaue ab. Fasziniert beobachtete sie, wie seine Klaue hauchzart ihre Handinnenfläche abwanderte und seine langen Finger sich über ihre filigranen legten, ohne dabei ihre Haut auch nur zu reizen. Der Blick mit welchem er ihre Finger maß, vibrierte elektrisierend durch ihren Körper.

Es war nicht das erste Mal, dass er registrierte, wie weich ihre Haut war, wie dünn sie sie ummantelte oder wie lang und schmal ihre Finger waren. Die Erkenntnis war neu. Wenn sie ihre Fingernägel wachsen ließe, sähe es fast aus wie Klauen.
 

„Warum nimmst du dir nicht eine deiner Yôkaidamen im Schloss, wenn du deren Gesellschaft wünscht“, beendete sein Hochgefühl abrupt.
 

Sie gab ihm nicht einmal die Chance, seinen Missmut darüber irgendwie zum Ausdruck zu bringen, als sie sich in seiner Umarmung zu regen begann. Was war sie auch so neugierig.

Bestimmt umfassten seine Arme ihre Hüfte fester. Den Blick aus zornig verengtem Götterblau ignorierte er geflissentlich, als seine Umarmung sie eisern bei sich behielt. Dass sie damit immer noch haderte, erschloss sich ihm nicht. Dennoch konnte er nicht widerstehen und so war es ihm entkommen, noch ehe er es auch nur hätte aufhalten können.
 

„Das hatte ich bereits, wenn du dich erinnerst“, ließ ihre Gegenwehr augenblicklich ersterben.
 

„Ach was du nicht sagst, bei Haruki etwa auch?“, war giftig.
 

Er genoss ihre erbost verzerrten Züge eindeutig zu sehr. Wofür hielt sie ihn nur?
 

„Ich bin bei dir, jede Nacht. Ist dir das nicht Antwort genug, Megami?“, kam nahe an ein Seufzen heran.
 

Sie erkannte den Wert dahinter, weil es erfolgt war. Es war also nicht üblich, das Nachtlager fortan zu teilen.

Er zückte seine Braue. Zu mehr war keine Zeit als das Grummeln ihres Magens die Zweisamkeit brach. Beschämt senkte sie den Blick und wich seinem Forschenden aus. Glaubte sie etwa, er verglich ihre momentane Schwäche?
 

„Du solltest etwas essen“, lenkte ihren verengten Blick erneut auf ihn.

Noch während er den Griff um ihre Hüfte lockerte, wusste er, wie rasch sie sich von ihm lösen würde. Und er ließ sie.
 

Seither war er weder gedanklich noch auf irgendeine andere Art und Weise gestört worden. Eine teuer erkaufte Ruhe, wie er sehr wohl bereits erahnen konnte. Sie schmollte – für ihre Begleiter durchaus wahrnehmbar. Den gesamten Weg hatte sie sich stumm von dem Reitdrachen über die immer hügeligere Landschaft tragen lassen. Somit war er gegen Mittag weitaus beruhigter als noch die Nacht zuvor durch die vertrauten Holzpalisaden in den sandigen Hof getreten, um den der gesammelte Haushalt penibelst arrangiert zur Begrüßung angetreten war. Selbst er war froh darum gewesen, dass Haruki und Kijo ihnen sogleich jemanden zugewiesen hatten, um sie in Ihre Gemächer zu geleiten. Ein Mensch; er hatte die väterliche Order sofort erkannt. Der gesamte Westflügel war jeglicher dämonischer Energie beraubt und allein ihnen beiden vorbehalten. Auch sein Vater vermied jedwedes Risiko. Sie ging schweigsam hinter ihm, zeigte sich lediglich distanziert an seiner Seite. Dem Gastgeberpaar war sie höflich gegenübergetreten, als man einander vorgestellt worden war. Tadellos hatte sie sich gezeigt; er hatte es nicht anders erwartet.
 

Umso überraschter hielt er inne, als seine Sinne auf ganz und gar unliebsame Weise gereizt wurden und seinen Blick über seine Schulter hinter sich beorderten.
 

Ishizu hatte gut in ihre Fassade gefunden, einzig er durfte sie nicht allzu oft ansehen, dann war alles gut. Natürlich hatte sie längst erkannt, dass ihre Reaktion den Rahmen eindeutig gesprengt hatte. Sie schämte sich, ihrem ersten Impuls nachgegeben zu haben ob seines Gedankenganges. Zumal sie in seinen Gedanken nichts zu suchen hatte. Dennoch, wieso traf er so einen Vergleich? Warum hatte er sie auch noch mit ihrer Schwäche aufziehen müssen? Es machte sie wütend. Alles daran erzürnte sie, ihre Unsicherheit, ihre Neugierde, die ihr nicht zustand und der sie –seinetwegen – erneut nachgegeben hatte; sein Stolz, dem ihre Schwäche negativ aufstieß bis hin zu seiner elenden Vergangenheit, mit der er, feige wie er war, nicht aufgeräumt hatte.

War sie ehrlich, hatte sie auch keine gesteigerte Lust, sich momentan auch nur in seiner Nähe aufhalten zu müssen. Und so war sie beinahe froh gewesen, als sich das Anwesen vor ihnen aufgetan hatte – eine befestigte Grenzanlage auf einem Hügel.

Kijo und Haruki hatte sie als willkommene Abwechslung zum eintönigen Schweigen des Weges empfunden. Ihre Neugierde bezüglich der Gastgeberin und deren magischer Fähigkeiten hatte sie allerdings noch nicht ausreichend zu stillen vermocht. Entweder waren die Gerüchte nur gut gestreutes Gerede oder sie verbarg ihre Magie meisterhaft – zu gekonnt selbst für eine Schülerin des magischsten Wesens, das ihre Welt kannte. Sie würde auf der Hut bleiben, sah sie auch im Moment keinen Bedarf, ihn auch nur anzusehen. Selbst seine Rückenansicht mied sie, wann immer sie konnte.

Und so war ihr die getigerte Katze auch sofort ins Auge gesprungen, noch ehe sie sich aus dem abzweigenden Gang zielstrebig auf sie zubewegt hatte, um sich sogleich schnurrend an ihren Beinen zu reiben. Ishizu war maßlos überrascht an einem Hof voller Inuyôkai einer Katze zu begegnen. Sie trug keinerlei nennenswerte magische Energie. Und so hatte sie sich zu der Samtpfote hinuntergebeut und ihre Hand gereicht, noch ehe sein Blick eisern auf ihr zum Liegen kam.
 

„Na, wer bist denn du?“, erhob den Ihren provokant zu ihm hinauf.
 

Mittlerweile hatte auch der Mensch bemerkt, dass sie angehalten hatten. Sie sah, dass sie ihn reizte, allein weil sie das verhasste Tier streichelte. Er registrierte die Bewusstheit ihrer Handlungen. Die Katze störte sich nicht daran, nicht einmal an Ai, welche sich unter einem leisen Aufjaulen gähnend hinsetzte. Offenkundig gedachte ihre Herrin hier zu verweilen.

Sesshômaru zückte seine Augenbraue. Eine deutliche Aufforderung, welche sie geflissentlich ignorierte, als sich aus dem Gang eine weitere Gestalt löste. Ein kleiner Junge, der vorsichtig herankam. Ishizu folgte dem angstvollen Blick zu dem Tier, welches sich eng an ihre Hand schmiegte und kurz miaute.
 

Das angewiderte Zucken seiner Augenbraue ließ sie unkommentiert, als sie sich stattdessen freundlich lächelnd an den Menschenjungen wandte: „Ist das deine Katze?“
 

Er schüttelte reichlich verschreckt den Kopf. Offensichtlich hatte er hier nichts zu suchen, genauso wenig wie sein Haustier. Sie schätzte ihn auf unter zehn Jahren, so schlaksig wie er war.
 

„Hiro!“, erfolgte nach Ishizus Geschmack viel zu harsch, als der Erwachsene ihn erblickte.
 

Das erkannte Sesshômaru daran, dass sie missmutig ihr Näschen kräuselte, ehe sie ihrem Begleiter mit erhobener Hand das Wort abschnitt.
 

„Ist schon gut. Du hast nichts verbrochen“, erlaubte sie sich mit einem abschätzenden Blick zu ihrem Sensei, der ihr warnend begegnete.
 

Das Eis war empfindlich dünn. Abermals wies er sie nur zu deutlich auf den wohl gravierendsten Unterschied zwischen ihnen hin. Er verabscheute ihre Schützlinge. Es war nicht sein Belang, wie sie hier behandelt wurden, egal ob Kind oder Erwachsener. In seinen Augen hatte der Junge hier nichts zu suchen. Der Grund für sein Fehlverhalten war ihm dabei gleich. Kurz huschte ein Anflug von Trauer über ihre makellosen Züge, dann hatte sie von der Katze abgelassen und sich erhoben.

Ihr Lächeln, das sie dem Menschenkind schenkte, war von solcher Sanftmut und Güte getragen, dass selbst Sesshômaru sie abschätzend musterte.
 

„Es ist schön, dich kennenzulernen, Hiro. Mein Name ist Ishizu. Du hast wirklich eine sehr freundliche Katze. Sie wird von nun an ein wenig besser auf dich aufpassen.“
 

Und wie aufs Wort gehorchte das schnurrende Fellknäuel der Göttin und tapste unter den Argusaugen des Hundedämons an diesem mit erhobenem Schwanz vorbei auf den Jungen zu. Der schloss sie sofort in seine Arme und deutete mit reichlich großen Augen vor Ishizu eine Verbeugung an.
 

Er wollte sich gerade auf ihr Nicken hin zum Gehen wenden, da brach sich der aufkommende Tumult hinter ihr durch den schmalen Gang. Ishizu fühlte sich umgehend von seinem Arm in seinen Rücken geschoben, als das aufgebrachte Gebrüll des Mannes auch ihr Gehör erreichte.

Noch hatte sie ihn nicht verstanden, aber das Licht, welches seine über den Kopf erhobene Klinge reflektierte, huschte über ihr lupenreines Gewand und langte nach ihrem Hals. Es ging zu schnell, als dass sie die Regung, welche seinen Arm durchfuhr, hätte mitverfolgen können. Sie spürte die Luft charakteristisch vibrieren auf ihrer Haut, hörte wie sich das unverkennbare Surren über das Knurren ihrer Wölfin erhob. Da hatte ihn die grüne Lichtpeitsche bereits erfasst. Sie hatte es nicht einmal verfolgen können und konnte nur mehr die Augen schließen ob des unangenehmen Geräuschs. Sein Blut spürte sie mehr auf sich auftreffen, als dass sie sah, wie seine Tat ihren Kimono befleckte.

Er hatte die Klaue längst wieder gesenkt, der Aufruhr sie erreicht, als ihr Blick ihn in seinem Rücken ereilte.
 

Geistesgegenwärtig umfasste er sie da an ihrem Handgelenk. Es war fester als sie es gewohnt war. Er war an dem eiligst zu Boden sinkenden Menschen vorbei, noch ehe dessen Knie das Holz berührten. Es war nicht mehr weit, ein, zwei weitere Gänge, welche abzweigten, dann um die Ecke und sie fand sich in die Gemächer gezogen, kaum dass er die Schiebetüren geöffnet hatte.

Unsanft kollidierte sie mit der hölzernen Wand und wagte es doch nicht, ihre Stimme zum Protest zu erheben, während er die Türen neben ihr geräuschvoll zuschob.
 

Erst danach nahm sein Raubtiergold sie in seinen verengten Fokus. Seine Klaue pinnte ihren Arm über ihren Kopf, sein Körper alsbald den Ihren gegen die Wand. Ganz nahe kam er ihr.
 

Es erinnerte an wesentlich intimere Momente und entbehrte doch jeglicher Zärtlichkeit, als er sie anknurrte: „Jetzt, Megami, sag, was du zu sagen wünscht!“

Das Ritual der Macht 3/3: Der feine Unterschied

Liebe ist, dem anderen sein Anderssein zu gestatten. (Unbekannt)


 

Erst danach nahm sein Raubtiergold sie in seinen verengten Fokus. Seine Klaue pinnte ihren Arm über ihren Kopf, sein Körper alsbald den Ihren gegen die Wand. Ganz nahe kam er ihr.

Es erinnerte an wesentlich intimere Momente und entbehrte doch jeglicher Zärtlichkeit, als er sie anknurrte: "Jetzt, Megami, sag, was du zu sagen wünscht!"
 

Für den Moment beherrschte ihr wild pochendes Herz all ihre Wahrnehmung. Seine Berührung erinnerte an den schraubstockartigen Griff noch vor wenigen Tagen und ließ sie innerlich beben vor Zorn. Ihr Blick begegnete ihm nicht minder fest und schien abermals Funken zu sprühen.

Ishizu bedurfte eines weiteren Augenblicks, ehe sie ihre Wut soweit unter Kontrolle wusste, um ihre Stimme zu bemühen.
 

„Es war nicht rechtens“, erfolgte dennoch unter ihren starken Gefühlen hervorgepresst.
 

Obwohl er es erwartet hatte, schlackerten dem Dämon die Ohren. Automatisch festigte er seinen Griff um ihr Handgelenk - ungeachtet dessen, wessen schmales Gelenk er da umgriffen hielt.
 

„Wiederhole das“, grollte er bedrohlich.
 

„Es stand dir nicht zu, ihn zu töten“, war für seinen Geschmack fern jeglicher Logik.

Hatte sie nichts begriffen oder war das die göttliche Überheblichkeit?
 

„Irrtum, Ishizu. Einzig mir oblag es, ihn für seinen Hochverrat seiner gerechten Strafe zuzuführen“, flüsterte er gefährlich nahe an ihrem Ohr.
 

Instinktiv erschauderte sie ob seiner teuflischen Freude, die seinen Worten mitschwang. Es hatte ihm gefallen. Und genau diese Erkenntnis katapultierte ihre Wut in ungekannte Höhen.
 

„Ihr habt nicht ohne Begründung zu...“, war ein Befehl.
 

„Er langte nach deinem Leben“, fuhr er ihr barsch dazwischen, was diesmal ihre Augen zu Schlitzen verengte.
 

Hatte sie ernsthaft erwartet, dass ihn da die Beweggründe interessierten?
 

„Das spielte doch gar keine Rolle“, donnerte sie zurück.
 

Sie war doch nie ernstlich in Gefahr gewesen. Es wäre ihm, dem wesentlich mächtigeren Wesen, ein Leichtes gewesen, ihn aufzuhalten. Er dagegen hatte nicht über ihre Schützlinge zu richten. Nicht vor ihren Augen. Nicht so.

Ihm entfuhr sein gefährliches Knurren. Diesmal heizte es mehr als ihre bloße Wut an. Er bemerkte das Kribbeln, das seine Haut immer drängender erfasste. Sie schien es wirklich ernst zu meinen. Er war fassungslos ob ihres Ungehorsams.
 

„Was hast du jetzt vor, Menschengöttin? Ein Läuterungsversuch“, war grausamer Hohn – und goss Öl in ihr Feuer.
 

„Lass los, du tust mir weh“, fauchte sie so gar nicht erhaben wie für ihre Art üblich.
 

Als sie damit begann, sich physisch seiner Umklammerung zu erwehren, übernahm sein Instinkt.

Sie war in keiner Weise darauf vorbereitet und somit maßlos überrumpelt, als der Dämon ihr da harsch seine Lippen aufzwang. Es entbehrte jeglicher Zärtlichkeit. Es ging um Macht. Seine Macht über sie.

Zuerst war sie wie gelähmt in ihrer Überraschung gefangen. Dann drohte auch schon ihr Körper der vertrauten Weichheit zu erliegen - aller Gewalt zum Trotz, die seine Berührung mit sich brachte.

So urplötzlich wie er sich ihr aufgedrängt hatte, war er auch schon von ihr gewichen, noch ehe sie ihrer Gegenwehr auch nur Ausdruck verleihen hatte können.

Erstarrt lag sein Raubtiergold auf ihrem nicht minder erschrocken flackernden Meeresblau. Für den Moment erfüllte einzig das Geräusch ihrer Atmung die Stille. Er war ihr immer noch so nahe, dass ein jeder seiner Atemzüge heiß gegen ihr Gesicht prallte.
 

Erschrocken zuckte sie zusammen, als der Aufprall laut durch die Schiebetüren drang, sobald der Diener vor eben diesen ehrerbietig auf die Knie und Stirn gefunden hatte.

Wie aufs Stichwort wich er von ihr. Mehr unbewusst umfasste sie ihr Handgelenk sogleich und beorderte sein Raubtiergold für den Moment weg von ihrem Gesicht hin zu dem Ergebnis seiner Schwäche.
 

„Er war verzweifelt“, war ihr ein Anliegen.
 

Es war fast nur ein Wispern. Unmöglich, dass es von den menschlichen Ohren aufgefangen worden war.

Sein dezentes Nicken versicherte ihr, dass es sein Gehör dennoch erreicht hatte. Kurz glitt sein Blick noch einmal über ihre Gestalt. Er hatte längst zur Ausdruckslosigkeit zurückgefunden und doch vermeinte sie den Anflug von Bewegung darin vernommen zu haben. Dann war er durch die Türen und ließ sie allein.
 

Das Rascheln der Blätter, welche sich im Wind vor ihrer Veranda bogen, drang an ihre Ohren, als Yoko den Ärmel richtete. Es lenkte ihren Blick hinaus durch die geöffneten Schiebetüren in den traditionell gehaltenen Garten. Sie hoffte, am morgigen Tag Zeit zu finden, um diesen besichtigen zu können. Die Dämmerung langte bereits nach den letzten Strahlen der Sonne. Natürlich hatte sie sich umziehen müssen, so oder so. Dennoch musste sie zugeben, dass sie sich in den Lagen an Stoff wesentlich wohler fühlte, nicht nur, weil sie unbefleckt waren. Ihre Last war ihr beinahe wie ein Schutz geworden, welcher sie samtigweich umhüllte. Die flammenen Motive waren in Pechschwarz gehalten, der Grundton des Kimonos dagegen in Helligkeitsabstufungen von Indigoblau. Sie nahm an, dass auch dieses Kleidungsstück mit Bedacht ausgewählt worden war. Gerade besah sie sich in der Spiegelfläche, als das Schaben der Türen ihre Aufmerksamkeit gen Vorraum lenkte. Man hatte ihnen einen Flügel mit getrennten Bereichen zugewiesen. Sie teilten sich den weiträumigen Vorraum, danach trennten sich die Gemächer. Seine Unterredung hatte lange gedauert. Es mochte nicht der ideale Start gewesen sein, dennoch war sie überzeugt davon, dass es Dämonen schlecht überraschen konnte, dass einer Göttin missfiel, wenn sie einen Ihrer Schützlinge vor ihr abschlachteten. Allzu groß konnte der Schaden da nicht sein, hoffte sie. Außerdem hatte Haruki sich einem ganz anderen Vorwurf gegenübergesehen.
 

„Lass uns allein“, galt einzig Yoko, welche bereits ehrfürchtig mir ihrer Stirn gen Boden gesunken war, noch bevor seine hünenhafte Statur sanfte Schatten durch das Japanpapier in den Raum geworfen hatte.

Sie behielt ihr Augenmerk auf ihrer Spiegelung, ihn in ihrem Rücken. So vermochte sie es, seinem Blick über ihre Rückenansicht zu folgen, noch während Yoko sich anschickte, dem Befehl Folge zu leisten.

Yoko war nicht entgangen, wie verstört ihre Göttin gewesen war, also nahm sie an, es sei des Streits wegen; hatte das Schloss doch merklich an Temperatur verloren. Natürlich wusste sie, wann die Magie ihrer Herren gefährlich anstieg. Was allerdings die Göttin so erzürnt hatte, war der unter Dämonen aufgewachsenen Menschenfrau ein Rätsel.
 

Ishizu entging derweil nicht, dass die Menschenfrau, welche ihr wie eine Zofe dienlich war, es dabei wie stets nicht einmal wagte, ihren Blick über den Rand seines Obis zu erheben. Ihr Handeln war begleitet von mehr Furcht denn Ehrerbietung. Ein leises Seufzen spannte bei dieser wehmütigen Erkenntnis die Lagen an Stoff über ihrer Brust. Ai machte es sich derweil geräuschlos in einer der Ecken bequem. Immerhin waren sie nicht unbeobachtet – für die Außenwelt.

Was Yoko wohl dachte, warum er sie so unsittlich hinausschickte?

Mit dem geräuschvollen Schaben der Türen waren sie, bis auf Ai, tatsächlich unter sich. Nicht, dass das Holz der Türen mit dem schmalen Streifen Papier, dessen Lichtspiel sie durchaus zu schätzen wusste, das gewohnte Ausmaß an Intimität boten.

Er hatte Zeit gefunden, sein Gewand zu wechseln. Sie war beeindruckt, ihn in Schwarz zu sehen. Der Farbe seines Schöpfers? Nie hatte sie erwartet, dass höherrangige Dämonen so viel Sinn für Tradition und Andeutungen kannten. Doch seit ihrem Aufenthalt bei seinem Vater nahm sie derlei Übereinstimmungen in der Regel verzückt zur Kenntnis. Und so spannten sich ihre Lippen kurz andeutungsvoll zu einem nachsichtigen Lächeln, während er zur geöffneten Fensterfront trat.
 

Den Blick gen Garten gerichtet, erhob er seine Stimme dann doch überraschend in die Stille: „Ich bin nicht hier, um über dasselbe Thema erneut zu debattieren.“
 

Streiten war kein Wort, das er ausformulierte. Er musste ihre Anspannung also bemerkt haben. Sie senkte den Blick - überrascht über seinen gewählten Einstieg.
 

„Warum dann?“
 

Schließlich bezweifelte sie ernsthaft, dass sie diesbezüglich auf einen gemeinsamen Zweig kamen. Und erneut regte sich die Empörung in ihr. Hatte er doch ausgerechnet eine Intimität dazu missbrauchen wollen, ihr seinen Willen aufzuzwingen. Niemand war in der Position, ihr zu befehlen. Nicht einmal ihr Vater. Einzig ihre natürliche Zuneigung, ihr Respekt vor dem Älteren, bedingte ihren Gehorsam. Doch er hatte ihr nicht ohne den gebührenden Respekt zu begegnen.

Natürlich entging ihr das Flackern, welches für den Moment seinem Raubtiergold Lebendigkeit einhauchte.
 

Dann hatte es zurück zu seiner Regungslosigkeit gefunden, mit welcher er erläuterte: „Du erwähntest, er war verzweifelt."
 

Also waren seine „Ermittlungen“ noch nicht abgeschlossen- armer Haruki. Sie verbat es sich, mit den Augen zu rollen. Es war seine Aufgabe als Erbe des Westens – und als ihr Beschützer, gestand ihm ein leises Stimmchen in ihr durchaus zu.
 

„Seine Frau und sein Kind verstarben die Nacht im Kindbett. Es geschah im Affekt. Sie reagieren zuweilen bereits sehr früh mit Zorn auf ihre Trauer. Haruki hat es unmöglich wissen können“, bemühte sie sich, ihn an den Ergebnissen ihrer eigenen kleinen Recherche teilhaben zu lassen.
 

Und diesen Zorn richteten sie dann gegen ihre Schöpfer in ihrer Machtlosigkeit, kombinierte er derweil stumm. Schwach und unberechenbar, wie für ihre Art üblich. Er verstand nicht, warum sie dafür Verständnis zeigte. Der Mensch hatte sein Leben verwirkt in dem Moment, in dem er seine Hand gegen seinen Schützling erhoben hatte.

Dennoch nickte er – für sie die Bestätigung, dass Haruki längst rehabilitiert war. Sie verspürte echte Erleichterung, zu ihrer eigenen Überraschung. Für eine kurze Weile legte sich erneut das Schweigen zwischen sie.
 

„Also tat ich ihm letztlich einen Gefallen“, war ungerührt und versetzte sie in Erstaunen.
 

Irritiert erhob sie ihren Blick und kräuselte ihr Näschen. War es denkbar, dass er sich darunter tatsächlich etwas vorstellen konnte?
 

Erst da bemerkte sie seinen Schulterblick, mit welchem er sie maß, ehe er sich zu einer durchaus aufschlussreichen Erwiderung herabließ: „Manche Yôkai suchen den Tod im Kampf, wenn ihre Gefährten versterben.“
 

Es war ihm sogar anzuhören, dass er nichts von derlei Abhängigkeiten hielt. War ein Dämon in seinen Augen doch stets selbstständig und nur an der Erweiterung seiner Stärke interessiert.

Sie senkte ihren Kopf ein wenig, um ihr Lächeln vor ihm zu verbergen.

Ihr Herz, vermeinte sie, setzte aus, ehe es einen aufgeregten Hüpfer tat, als er keinen Wimpernschlag darauf vor ihr war. Kurz verschwendete sie einen weiteren Gedanken daran, wie starke Schatten das hereinfallende Licht in den Vorraum warf in der Dämmerung, da fing sein Dämonengold bereits ihr Meeresblau ein.

Sie erkannte die Weichheit darin; und sie wusste um sein Bedauern. Ein nachsichtiges Lächeln huschte über ihre zartrosa Lippen, als sie betreten die Augenlider niederschlug. War sie ehrlich, hatte sie ihre eigene Reaktion, ihre Bereitschaft, ihm diese Macht über sich einzuräumen, wenn auch nur für den Hauch des Augenblicks, maßlos erschreckt und wesentlich mehr erzürnt als sein, wohl naturgegebener, Reflex.
 

„Ich kann meine Schützlinge nicht im Stich und euch schutzlos überlassen, verstehst du das?“, war nur ein Flüstern.
 

Er verstand, dass sie sie als ihre Aufgabe auffasste, ähnlich einer Verpflichtung, die sie erfüllte. Abermals fasste seine krallenbesetzte Hand da unter ihr Kinn und erhob ihren Blick auf seine ganz eigene zärtliche Art und Weise.
 

„Ist das nicht der Grund, weshalb du hier bist; um es verstehen zu lernen?“
 

Es entlockte ihr ihr so bezauberndes Schmunzeln, welches seine gesamte Aufmerksamkeit für den Bruchteil eines Augenblicks zu fesseln vermochte.
 

„Ich fürchte, dass ich in diesem essenziellen Punkt nicht nachgeben sollte“, brachte seine Mundwinkel gefährlich ins Wanken.
 

„Also erwartest du deinen Lernprozess zielgerichtet?“, ließ die Blicke beider Kinder ihrer Väter in Amüsement zueinanderfinden.
 

Leise lachte sie auf und legte ihre Hand an seiner Brust ab; suchte so den Kontakt, der ihr eigentlich untersagt war. Sie genoss die Wärme seiner Muskulatur, welche sich unter den Lagen an Dämonenseide spannte. Er ließ es zu.
 

„Er hätte mich nie erreicht“, erhob ihren Blick betörend in sein funkelndes Raubtiergold.

„Weil ich da war, Ishizu“, klang auch arrogant.

„Du hättest ihn nur aufzuhalten brauchen“, war trotzig.

„Ein unnötiges Risiko. Er kannte die Strafe“, offenbarte mehr als beabsichtigt.
 

Sie bemerkte es sofort. Er sah es daran, wie sie ihn nun ansah. Verwundert und doch erschrocken.

Eine tödliche Verletzung hätte sie getrennt – womöglich für immer.

Es geschah fast von allein, dass er daraufhin seine Klaue an ihre Wange führte und sein Handrücken ihre zarte Haut liebkoste.
 

„Es war respektlos.“
 

Sie schmiegte sich seiner Berührung entgegen, sehnsuchtsvoll, ganz natürlich, ehe sie es mit einem sanften Augenaufschlag und einem Blick, der ihm durch und durch ging, entschuldigte.
 

„Benutze es nur nie wieder dafür“, war eine Bitte, der er nur allzu gerne nachgab.
 

Erst als sich etwas warm und bestimmt zwischen ihren Beinpaaren hindurchdrängte, brach die Welt um sie herum über sie herein.

„Ai, dein Fell“, enthielt tatsächlich Tadel für die Nefrilin.
 

Sesshômaru wich wohlweislich zurück, noch ehe sich Yoko vor den Schiebetüren auf ihre Knie begeben hatte. Es wurde Zeit. Also bot er ihr den Arm, sobald sie sich der wenigen weißen Haare entledigt hatte.
 

„Du trägst keine Rüstung?“, verklang einzig begleitet von seinem schmalen Schmunzeln.
 

Rau ragten die Felsen des gebirgigen Landstriches über die Wasseroberfläche empor, während die Wellen unter ihren Füßen zischend an ihrer zerklüfteten Fläche zerschellten. Der Wind trug ihr den salzigen Geruch der See zu, als er sich in den wenigen Strähnen ihres pechschwarzen Haares verfing, welche Yoko ihrer Hochsteckfrisur vorenthalten hatte. Es gefiel ihr, dass die Menschenfrau ihre Haare nie streng band.

Das Holz des Stegs knarrte auf, sobald sie in luftiger Höhe hinaus über das Meer traten. Sie wagte es nicht über den Rand hinabzusehen. Es war ihr etwas zu weit über dem Meeresspiegel. Die See war relativ ruhig, sodass sich die Sichel am Firmament auf der Oberfläche spiegelte. Sie genoss die hauchzarte Berührung ihrer Stoffe, während er sie bis an den Rand der hölzernen Konstruktion führte. Trotz der Lagen an Dämonenseide zwischen ihnen erreichte sie seine Wärme. Sie hatten eine Plattform für sich allein, Ai in ihren Rücken. Sie war dankbar dafür, zumal die Gischt ihre Unterredung mit sich hinfortreißen würde. Es gaukelte ihr das Gefühl von Intimität vor, waren sie auch aller Augen präsentiert durch ihre exponierte Höhe.

Die felsige Front entlang ragten mehrere solcher artifizieller Stege auf das Meer hinaus.

In einiger Entfernung zu ihrer Rechten konnte sie ihre Gastgeber, Haruki und Kijo, ausmachen, sowie zwei weitere Bedienstete in deren Rücken; eine Menschenfrau und eine Dämonin. Sie war gespannt, welche Prüfung sich der Vater erdacht hatte.
 

„Warum begleiten zwei Bedienstete Kijo?“, erlag sie ihrer Neugier und lenkte seinen Blick vom Wasser ab hinüber zur anderen Plattform.

„Akitos leibliche Mutter“, war knapp wie eh und je.

Er hätte es prompt dabei belassen, wäre Ishizu nicht so überrascht gewesen.
 

„Ich dachte Kijo...“, ließ seine Mundwinkel gefährlich zucken.

„Du verwechselst den Bund zwischen Dämonen mit Zuneigung“, war ganz ihr dämonischer Sensei.
 

Also kannten auch Dämonen Verbindungen aus rationalen Erwägungen. Und dennoch hatte Kijo heute Akito als ihren gemeinsamen Sohn vorgestellt. Konnte es sein und am Ende waren die Mätressen des Familienoberhaupts zwar nicht in diese Familie eingegliedert, aber deren Kinder durchaus? Schließlich wiesen Auftreten und Verhalten die leibliche Mutter klar als Untergebene und nicht als Mätresse aus.

Und noch ein weiterer Gedanke erhob sich leise aus den Schatten ihrer Überlegungen, als sie ihn sich von der Seite im Licht seines Himmelskörpers besah. Konnte er am Ende auch nicht wählen?

Da Sesshômarus Aufmerksamkeit längst wieder den sich regenden Wasserfluten unter ihnen galt, verschob sie ihre Neugier auf später.
 

Das Sprudeln nahm tosend laut immer mehr an Heftigkeit zu, ehe die Wasseroberfläche von der Gestalt des schlangenähnlichen Wesens rabiat durchbrochen wurde. Ein Wasserdrache, der sich da unweit von ihnen gegen das milchige Licht des düsteren Himmelskörpers abtat. Sie erkannte den goldenen Glanz, welcher immer wieder zwischen seinen Schuppen hervortrat. Er war dabei sich zu verwandeln, erkannte sie, als sich fast beiläufig die wesentlich kleinere Gestalt des Hundedämons aus seinem Schatten löste. Auch er trug keinen Schutz, einzig seine Klinge reflektierte das Mondlicht.

Kurz glitt ihr Blick abermals zu Sesshômaru, der ausdruckslos dem Geschehen folgte. Er würde kein Siegel brechen. Er war lediglich hier, um das Kampfgeschehen zu beurteilen. Sie war verblüfft, hatte sie sich doch von ihrer eigenen Kultur blenden lassen. Wie bei allen Initiationsriten ging es um eine Art Wiedergeburt. Dämonen schienen das aus den eigenen Kräften abzuleiten – im Kampf natürlich. Und dafür hatte dieser Vater den Wasserdrachen erwählt.

Sie bezweifelte ernstlich, dass der alte Drachenherrscher erfreut über eine derartige Belästigung war. Erlaubte er seinen Schöpfungen doch nur alle 50 Jahre die Möglichkeit zur Weiterentwicklung in ihre beflügelte und goldene Form. Es war stets eine Herausforderung für ihre Schützlinge, ging deren Geheul doch mit allerlei Übeln und Krankheiten einher. So hatten sie einen Kompromiss gefunden, letztlich. Zumal ihr alter Magiesensei stets darauf bestanden hatte, dass diese Wandlung nur höchst selten glückte. Ob er damit darauf angespielt hatte, dass Dämonen sich gerne gegen Drachen erprobten? Oder konnte Haruki am Ende, ähnlich ihrem väterlichen Mentor, gar den Nutzen für seine menschlichen Untertanen mit der Prüfung für die „Wiedergeburt“ seines Sohnes erkannt haben?

Dennoch erschien ihr der Preis viel zu hoch. Schließlich waren kaum Daiyôkai mit ihren gottgleichen Kräften einem ausgewachsenen Drachen ebenbürtig.
 

„Wieso erwählt er einen Drachen?“, entkam ihr daher automatisch.

„Kein Dämonenvater scheut die Herausforderung.“

Sie verstand, sie wollten keine schwachen Söhne.
 

„Aber ein Sohn Watatsumis kann so nicht sterben.“

Jedenfalls nicht durch eine Dämonenwaffe. Er galt nicht ohne Grund als Meeresgottheit. Es erschien ihr unmöglich für den Dämonensohn.
 

„Er muss ihn nur an der Verwandlung hindern“, entbehrte jeglichen Mitgefühls.

Scheinbar hielt Sesshômaru das für keine nennenswerte Herausforderung. Sie dagegen war wenig entzückt.
 

„Ich würde meinen Sohn niemals solch einer Gefahr aussetzen... Wäre er ein Dämon“, war ein laut ausgesprochener Gedankengang – vollkommen unreflektiert.
 

„Soweit mir bekannt, existieren derartige Mischwesen nicht, Megami“, erfolgte pragmatisch und lenkte ihren Blick beschämt zur Seite.
 

Abermals begannen ihre Wangen verräterisch zu brennen ob ihrer ausgesprochenen Intimität, ehe sie im Augenwinkel seinen Seitenblick erhaschte. Kurz schien der Kampf, welchen er beurteilen sollte, Nebensache, als sein im Dunkeln funkelndes Raubtiergold fest auf ihrem unsicher flackernden Götterblau lag. Natürlich erkannte sie die Brisanz dahinter, konnte doch eine Schwangerschaft unmöglich eine Offenlegung ihres Verhältnisses verhindern. Nichtsdestotrotz konnte sie ein hauchzartes Lächeln nicht unterdrücken, hatte sie diese Frage doch, wenn überhaupt, wesentlich früher erwartet.

Dennoch, mochte er auch noch so beeindruckend stark sein, gottgleich waren seine Kräfte noch lange nicht, um nach ihrer Seele auch nur langen zu können. Zumal beide Energien viel zu gegensätzlich waren, um einander standzuhalten. Und so hielt die Göttertochter allein die Idee einer Empfängnis für eine Unmöglichkeit.

Daher tat sie es mit einem zarten Kopfschütteln ab - seine Annahme damit bestätigend. Es lenkte seine Aufmerksamkeit umgehend zurück zum tosenden Kampfgeschehen.

Das leise Gefühl, welches sich ihrer zu bemächtigen drohte ob seiner vernichtenden Haltung, verbat sie sich eisern. Deshalb war sie wohl auch mehr als nur verblüfft, als er nach einer Weile, zu seiner eigenen Verwunderung, das Schweigen zwischen ihnen abermals brach.
 

„Mein Sohn wüchse an echten Aufgaben.“
 

Sie konnte nicht verhindern, dass sie ihn daraufhin eingehender von der Seite betrachtete. Es gefiel ihr; nicht nur, dass er der Realität eine solch große Bedeutung beimaß. Anscheinend konnte er diesem archaisch gestellten Ritual abermals nicht viel abgewinnen. Welche Art sein Vater wohl gewählt hatte?
 

Als die Klinge laut klirrend gegen eine der Schuppen prallte, glitt ihr Meeresblau instinktiv zu den Kämpfenden. Gerade noch so schnappte sie auf, wie die Dämonenklinge an der natürlichen Panzerung in Zwei brach. Als der Dämon das kurze Ende dennoch flink zwischen die Schuppen in das Fleisch versenken konnte, krallten sich ihre Finger einem Automatismus folgend in den feinen Stoff seines Kimonoärmels.

Es beorderte sein Augenmerk tatsächlich auf ihre Berührung. Fühlte sie etwa mit einem Drachenwesen mit? Im Augenwinkel fing er mehr zufällig den Blick ein, den Haruki ihnen hinaufsandte. Beinhaltete sein Aufenthalt gar eine Überprüfung ganz andere Natur? Er war bei Weitem nicht so töricht, den Kontakt der alten Weggefährten zu unterschätzen. Schöpfte sein Vater am Ende bereits Verdacht?

Erst als sie ihn ausließ, wanderte sein Dämonengold zurück und lag für einen weiteren kurzen Augenblick auf ihrem nervös flackernden Meeresblau. Sie würde noch eine Weile durchhalten müssen.
 

„Wie gedenkt er seine Verwandlung aufzuhalten?“, war nicht überraschend.

„Indem er ihn ablenkt oder schwächt“, lenkte seinen Blick endgültig zurück auf das eigentliche Geschehen.
 

Den leise ausgestoßenen Laut ihrer Skepsis konnte er selbst über das Tosen der Wassermassen und Kampfgeräusche vernehmen. Es ließ seine Mundwinkel gefährlich zucken. Was hatte die Göttin erwartet?

Ishizu begann derweil allmählich zu dämmern, dass sich ihr eine lange Nacht ankündigte – mit einer Form der Unterhaltung, die weit weniger ihrem Geschmack als dem Seinen entsprach.
 

Mehr nach ihrem Geschmack war die anschließende Zusammenkunft in der großen Halle. Erneut sah sie sich der Masse an unterschiedlich ausgeprägten Yôkii gegenüber, doch anders als beim Turnier, stand diesmal nicht sie im Mittelpunkt. Eine Erleichterung, lagen aller Blicke doch wesentlich seltener und verhaltener auf ihr. Natürlich hatte der Dämonensohn es vermocht, den Drachen so lange abzulenken und vielleicht sogar zu schwächen, dass er sich schlussendlich nicht mehr verwandeln hatte können.

Tatsächlich hatte sich herausgestellt, dass Sesshômarus Funktion von Anfang an eine symbolisch-repräsentative war. Er hatte nicht mehr zu tun gehabt, als zu nicken, ehe der Vater dem Sohn einen Teil seines Mokomokos vor aller Augen überreicht hatte. Anscheinend wuchs das Fellteil mit der Zeit. Jedenfalls hatte es in keiner Weise auch nur entfernte Ähnlichkeit mit Sesshômarus Fell. Sie war nach wie vor verblüfft.
 

Er schien dagegen zufrieden mit ihr, hatte doch kein entsprechend mahnender Blick sie erreicht. So oft sie auch die Augen geschlossen hatte, wann immer die ungleichen Kontrahenten einander verwundet hatten. Sie war sich sicher, dass selbst einem blinden Beobachter ihr Mienenspiel keinesfalls entgangen sein konnte. Hatte der ungleiche Kampf doch rein gar nichts mit den ästhetischen Figuren eines Übungskampfes gemein gehabt. So hatte der Dämonensohn etliche Verwundungen davongetragen, welche Sesshômaru nicht einmal ein Zucken entlockt hatten. Ungerührt hatte er dem Geschehen beigewohnt, hatte analysiert und sie dabei ihren mulmigen Gefühlen überlassen. Bis die drei Klauen des Drachen sich tief in das Fleisch des Inuyôkai gebohrt hatten. Der einzige Moment, in dem sie selbst seine Miene kurz verhärtet geglaubt hatte. Wie auch immer der junge Dämon es geschafft hatte, er stand mittlerweile wieder bekleidet und äußerlich unversehrt an der Seite seines Vaters, versetzt, wie sie dies auch von Sesshômaru kannte und stellte sich seinen Gästen.

Ob Kijo ihn im Umgang mit Drachenklauen unterwiesen hatte?
 

Letztlich konnte auch Ishizu zufrieden sein, hatte dieses Ritual doch einen wohlmeinenden Effekt für die umliegenden Menschendörfer beinhaltet. Dennoch spürte sie die Müdigkeit in ihren Gliedern. Es war spät und der letzte Schlaf lange her.
 

Sie stand bereits wieder seit einer geraumen Weile an seiner Seite mit den Eltern des Prüflings prominent auf dem erhöhten Umweg an der kurzen Seite der Halle und ließ die unzähligen Vorstellungsrunden über sich ergehen.

Als eine menschliche Bedienstete ihr das Getränk anbot, war sie geneigt, anzunehmen, ehe sie sein Schulterblick mahnend traf. Mit einem Seufzen lehnte sie also dankend ab, wovor auch immer er sie da meinte bewahrt zu haben.
 

„Drachenblut ist tatsächlich nichts, was Eurer zarten Kehle zu schmeicheln vermochte, Hime-sama, Ishizu“, bot zumindest schonmal den Ansatz einer Erklärung – in wohlvertrauter Stimme.
 

Interessiert sah sie auf und begegnete dem trükisenen Augenpaar des Wolfsdaiyôkai. Sie hatte seine Aura tatsächlich nicht ausmachen können, so sehr summte die geballte Menge an gegensätzlicher Energie in ihren ermüdeten Sinnen. Mit einem erfreuten Lächeln nahm sie seine Anwesenheit hin, bemühte sich aber nicht, ihre Überraschung zu verbergen.
 

„Kaito-san, wie mir scheint, vermag es keine Festivität im Westen ohne Euch auszukommen."
 

„Ein Bündnis, das erneuert gehörte; ich konnte schlecht widerstehen, als ich hörte, wen Haruki-dono erwartete. Und so darf ich erneut ehrfürchtig bezeugen, dass die Farbe unseres Schöpfers es abermals vermag, Eurer ausnahmslosen Erscheinung zu schmeicheln.“
 

Sie schlug die Augen nieder und nickte einzig auf seine angedeutete Verbeugung zum Gruße. So entging ihr die Regung, welche über die Züge neben sich huschte.
 

„In der Hoffnung, dass der Süden es diesmal vermag, den Osten gebührend zu unterstützen“, klang nach dem Tadel, der es offenkundig auch war.
 

Jetzt wagte Ishizu einen erstaunten Blick neben sich. Er reagierte erneut unverhältnismäßig, diesmal jedoch deutlich unterkühlter, auf den Wolfsdämon.

Die Mienen der beiden Dämonen verrieten keine Regung als sich ihre Blicke zu fixieren begannen. Ihr fröstelte.

Spätestens als jedoch Harukis Augenmerk über die Schulter an ihr vorbei zu Sesshômaru glitt, wusste sie, dass sie sich das leise Piksen auf ihrer Haut, welches begann, sich kribbelnd über ihren Arm in ihren Körper auszubreiten, nicht einbildete. Seine Motive wären bald unmöglich noch fehl zu interpretieren, erkannte sie geistesgegenwärtig.

Und noch ehe sie sich bewusst dazu entschieden hatte, hatte sie ihrem Körper ihren Geist bereits entzogen, in der leisen Hoffnung, ihre Lagen an Stoff mochten ihren Aufprall möglichst dämpfen.
 

Und wieder waren es die gedämpften Stimmen um sie herum, die leichten Berührungen, die ihren Geist allmählich zurück in ihren Körper zogen. Sie registrierte, dass ihr das Atmen deutlich befreiter möglich war, dann brach das flackernde Licht der Kerzen auf sie herein. Sie lag angenehm gebettet auf ihrem Futon, wenn es auch die federartige Weichheit ihrer Schlafstatt im Schloss des Westens vermissen ließ. Diesmal war es sein vertrautes Gold, welches aufmerksam ihr Erwachen verfolgte. Es entlockte ihr fast automatisch ihr bezauberndes Lächeln. Ais leises Winseln verklang gerade zu ihrer anderen Seite. Yoko schien den Raum für den Moment verlassen zu haben. Seine Miene verweilte ausdruckslos auf ihr, als er sich sogleich erhob. Sie begann noch darunter, sich gegen ihre Unterarme zu stemmen, während er den Diener vor den Schiebetüren schickte, um ihren Gastgeber über ihr Erwachen zu informieren. Als sie sich erfolgreich aufgekämpft hatte, war er bereits wieder im Schneidersitz an ihre Seite zurückgekehrt. Umgehend glitt ihr Blick an sich hinab um auf den Lagen haften zu bleiben, welche in ungewohnter Weite ihre Brust nur mehr hauchzart umwickelten.
 

„Der menschliche Diener des Heilers“, bemühte er eine Erklärung.
 

Also hatte der Dämon sie nicht berühren können. Es musste ihm schwer gefallen sein, eine fremde Hand, wenn auch nur die eines Menschen, dort gewusst zu haben. Waren doch seine Nerven diesbezüglich heute Abend bereits merklich strapaziert worden. Sie war sich sicher, er hatte jede noch so kleine Bewegung mit Argusaugen verfolgt. Damit war es ihr unmöglich, ihr hauchzartes Lächeln noch zu verhindern. An seinem ungerührten Schweigen erkannte sie, dass er auf Antworten wartete. Es musste ihn erschreckt haben. Zumal sie ihm Tadel eingehandelt hatte, konnte es doch seinem Vater schwer gefallen, dass er augenscheinlich ihre Kondition überschätzt hatte.
 

„Ich sah keine andere Möglichkeit, um aller Aufmerksamkeit von deiner neu-entdeckten Leidenschaft für bereits abgeschlossene Bündnisse abzulenken."
 

Schließlich ging sie davon aus, dass ihre Schwäche eindeutig interessanter war als eine – noch - leise Verstimmung des Dämonenprinzen ob eines ehemaligen Fauxpas des Wolfsdämons gegen den Osten. Zumal das, was auch immer es gewesen war, längst in einem neuen Bündnis behoben schien.

Es war demnach Absicht gewesen. Sein Nicken nahm sie als Bestätigung, dass es ihn zu beruhigen vermochte. Mochte ihr sein Verhalten auch noch so sehr geschmeichelt haben, ihrem Geheimnis wäre eine derart deutliche Entgleisung seinerseits so gar nicht zuträglich.
 

„Es offenbarte Schwäche“, erinnerte sie an seine Warnungen.
 

„So wortgewandt wie Kaito ist, wird er es sicher nicht verabsäumt haben, unseren Gastgeber über meinen beeindruckenden Patzer beim Turnier höchstselbst in Kenntnis gesetzt zu haben. Andernfalls wird der Heiler meinen Schutz wohl ins rechte Licht zu rücken wissen“, tat sie es lapidar ab.
 

Sein Ansehen war unangetastet geblieben – letztlich hing daran ihr Schutz in seiner Welt. Sein Nicken, als ihr Meeresblau in seinem Dämonengold nach Bestätigung suchte, versicherte ihr, dass besagter Heiler beeindruckt worden war.
 

„Eine höchst undämonenhafte Lösung, Ishizu“, konnte sie unmöglich als Tadel auffassen.
 

Es zauberte ihr stattdessen ein verschmitztes Grinsen auf die Züge.

Umso besser, befand sie, konnten sich doch Dämonen, die nie bereit waren, Schwäche auch nur zu zeigen, schwerlich vorstellen, dass eine Ohnmacht vorgetäuscht sein könnte. Sie dagegen sah darin kein Problem, wusste sie ja um ihren Schutz.
 

„Dafür eine göttliche, Sesshômaru“, begegnete seinem belustigt funkelnden Raubtiergold.
 

Er schien zufrieden. Wieder erfasste sie diese Unruhe. Sie hatte sich alsbald kribbelnd in ihrem Bauch gesammelt, um warm in ihren zierlichen Körper auszustrahlen, sobald sie sich seines Blickes auf ihren Lippen gewahr wurde. Augenblicklich erinnerte sie die Wärme seiner Berührung; wie weich sich seine Lippen auf den Ihren anfühlten. Es erschienen Äonen vergangen seit sie sie das letzte Mal gespürt hatte die Nacht zuvor. Instinktiv kam sie ihm entgegen und senkte ihre Lider. Nur, um sie sogleich abermals aufzuschlagen und merklich zusammenzuzucken, sobald das Winseln Ais wie ein Donnerwetter durch die knisternde Stille brach. Keinen Augenblick zu früh, wie sich kurz darauf beiden erschloss. Konnten doch selbst Ishizus spitze Ohren bereits die Schritte Yokos auf dem polierten Holzboden ausmachen. Die hauchzarte Berührung wurde von den Lagen an seidenen Stoffen verdeckt, als sie seine Wärme an ihrer rechten Hand umfing. Es lenkte ihren Blick noch einmal in sein vertrautes Raubtiergold. Sie genoss die sanfte Liebkosung, das federartige Schaben seiner Kralle über ihren Handrücken, ehe seine Klaue wieder von ihr abließ. Er hatte zur charakteristischen Ausdruckslosigkeit zurückgefunden, noch ehe Yoko die Wasserschale abgestellt und ergeben auf die Knie gefunden hatte.
 

„Ishizu-sama“, bekundete echte Sorge.

Es entlockte ihr ein verzücktes Lächeln. Das hatte sie nicht gewollt.
 

„Alles ist gut, Yoko. Ich bin nur müde“, war nicht einmal gelogen, wie Sesshômaru sehr wohl vernehmen konnte.
 

Er erhob sich noch darunter, um sich an der gegenüberliegenden Wand im Schneidersitz niederzulassen. Nicht nur Ishizu beobachtete ihn neugierig. Gedachte er etwa, hier zu bleiben?
 

„Sesshômaru-sama“, sorgte für echte Überraschung bei der Göttin.
 

Hatte sie die Ehrfurcht ihrer Menschenfrau am Ende etwa falsch eingeschätzt? Es klang verdächtig danach, als wollte Yoko ihren Herrn des Zimmers verweisen. Hatte sie ihn etwa nur solange hier geduldet, bis sie erwacht war? Auf ihren Zügen spannte sich ein umso amüsierteres Lächeln, als sie tatsächlich Zeugin wurde, wie sich der Dämonenprinz daraufhin kommentarlos aufrichtete und das Zimmer zur Veranda hinaus verließ. Sie war erstaunt. Wie stets beruhigte es sie, ihn über ihren Schlaf wachen zu wissen, als sie unter der Obsorge Yokos zurück in ihr Kissen glitt.
 

Sie erwachte aus einem bleiernen Schlaf. Zentner schienen auf ihren Augenlidern zu lasten, als ihr Schlaf ihr Bewusstsein in der Dämmrigkeit einzuzemmentieren gedachte. Instinktiv erahnten ihre Sinne längst die sich anbahnenden Veränderungen, noch ehe sie sich auch nur der Wahrnehmung der Göttin offenbaren konnten. Die mütterliche Sonne sandte ihre Strahlen bereits weit in ihr Gemach, als sie den ruhigen Atem Yokos zu ihrer Seite vernahm. Ais aufgewecktes Gold begegnete ihr, sobald sie die Schatten ihrer Schläfrigkeit überwunden und ihre Augen aufgeschlagen hatte. Um die Menschenfrau nicht zu wecken, glitt ihr schlanker Finger umgehend an ihre Lippen. Noch während sie bemüht geräuschlos in die Senkrechte glitt, gemahnte sie die wolfartige Begleiterin so zur absoluten Ruhe. Die Menschenfrau schlief tatsächlich auf ihren Knien, den Oberkörper einzig gegen die Wand gelehnt. Sie hätte ihr so gerne eine Decke umgeworfen, fürchtete aber zu recht, die geborene Bedienstete aus ihrem antrainiert leichten Schlaf zu wecken. Somit schlich sie mit einer ihrer Decken an ihr möglichst tonlos vorbei. Mit bis in die Haarspitzen angespannten Nerven schob sie die Shoji-Türe auf. Einer Schnecke gleich zog sie sich dahin, ehe der Spalt endlich groß genug schien, sodass ihre zierliche Gestalt flink hinaus auf die Veranda entschlüpfen konnte.

Sein Raubtiergold hatte sie erwartet. Sie jedoch hatte keinesfalls mit dem Blick gerechnet, mit welchem er sie maß, als sie in ihre Decke gehüllt an seiner Seite schicklich auf ihre Knie fand. Er saß im Schneidersitz, die Arme vor sich in seinen Ärmeln verschränkt. Er hatte die Zeit gefunden sich umzuziehen. Dennoch vermutete sie ihn seit Stunden hier. Ihr Aufkichern unterdrückte sie tapfer. Er wirkte wahrlich amüsiert ob ihrer geglückten Flucht.
 

„Guten Morgen, Sensei“, beließ er unkommentiert, als sein Augenmerk von ihr ab stattdessen hinaus in den Garten wanderte.
 

Es war weit nach Mittag, bestätigte ihr ein Blick gen Himmel. Sie hatte doch glatt den gesamten Vormittag verschlafen.
 

„Routine?“, kam so unpassend nüchtern, dass sie schlussendlich nicht mehr an sich halten konnte.
 

Es erlaubte ihre Vertrautheit. Sein Gold lag lange Zeit auf ihr, als er einfach nur dabei zusah, wie sie vergeblich versuchte, ihr belustigtes Glucksen und Kichern in dem Stoff zu dämpfen. Natürlich konnte einzig sie seinem gedanklichen Spagat zwischen ihrem Versuch unerkannt zu ihm auf die Veranda zu gelangen und ihren nächtlichen Exkursionen durch das Schloss des Westens, in vergleichbarer Absicht, folgen. Es schüttelte ihre zierliche Gestalt an seiner Seite unerbittlich, ehe sie es mit einem leisen Kopfschütteln letztlich abschütteln konnte.
 

Beide genossen sie daraufhin das ruhige Beisammensein, während die Sonne das saftige Grün des Gartens in ihren Lichtspielen reflektierte. Leise plätscherte es im Hintergrund. Es war friedlich, solange, bis die Wissbegier seiner Schülerin seine Ruhe störte.
 

„Du hast kein Siegel gebrochen“, beförderte seine Augenbraue unter seinen Pony.

Hatte sie das etwa erwartet?
 

„Unsere Stärke entwickeln wir aus uns selbst heraus – in der Konfrontation.“

Natürlich, sie waren geborene Wesen keine Götter.
 

„Und am Ende?“
 

„Übertreffen wir den Mächtigsten“, erfolgte automatisch.

Sie ließ es sacken, ehe sie nachfragte.
 

„Demnach wirst du eines Tages deinen Vater bekämpfen, um ein Daiyôkai zu werden?“

„Es genügt zu übertreffen, Ishizu“, verbesserte er.
 

Es vermochte sie zu beruhigen. Dennoch verspürte sie echte Erleichterung, dass ihr Vater freiwillig abtrat, sobald ihre Zeit gekommen war. Und um alle Irritation zu vermeiden, würde er das Feld fortan ihr überlassen. So wie es sein Vater einst mit ihm gehalten hatte. Kein Krieg, kein Kampf – eine bewusste Entscheidung.
 

Abermals kehrte die geruhsame Stille zurück und legte sich beruhigend über ihre Sinne. Dann veranlasste ihn ihre liebliche Stimme dazu, seine Augen zu schließen. Ein unverkennbar tonloses Aufseufzen. Letztlich war sie doch ihrer Neugierde erlegen.
 

„Also vermögt ihr es, euch auch ohne Gefühle zu binden?“
 

Er sandte seinen Blick hinaus in den ruhig vor ihnen ausgebreiteten Garten. Gerade noch so erhaschte sie das leise Zucken um seine Mundwinkel. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass sie das Thema nicht ruhen lassen konnte.
 

„Ist das so ein Unterschied?“

Sie schüttelte den Kopf.
 

„Ich dachte nur, ihr hättet die Wahl - als Geborene.“

Es hatte sie lediglich überrascht. Auch sie erkannte dabei die Ähnlichkeit ihrer Verpflichtung. Er wurde ebensowenig gefragt nach seinen Wünschen, wie sie.
 

„Dann markieren wir“, erbarmte er sich – und bereute es umgehend auf ihren erschütterten Blick hin.
 

Also war es das, was Akitos leibliche Mutter an Haruki band.

Es erinnerte sie an genau das Besitztum, das sie ihm noch vor Kurzem unterstellt hatte.

Er reagierte mit seinem schmalen Lächeln. Sie gestand diesem beinahe Überheblichkeit zu.

Wohlweislich setzte er da nach: „Es grenzt an Irrsinn, eine Göttin markieren zu wollen.“
 

Also ging es doch um Macht. Ihr Blick war tadelnd, mit dem sie ihn daraufhin bedachte. Schließlich hatte er es nicht für notwendig erachtet, sie auf diese Möglichkeit explizit hinzuweisen. Mochte es auch nicht in seinem Fokus gelegen haben. Umso wertvoller erwies es sich da für sie, dass er seine Gefühle so offen mit ihr geteilt hatte. Hätte sie doch sonst nicht mit Sicherheit gewagt anzunehmen, dass er sie nie hatte besitzen wollen.
 

„Den Bund geht ihr also nur mit Einer ein– das trifft aber nicht auf die Markierung zu?“, hakte sie nach, um sicher zu gehen.
 

Er nickte zur Bestätigung.
 

„Hast du je...?“

Allein, dass sie es aussprach – diesmal ohne zu zögern, verriet, wie sehr es sie schockierte.
 

„Ich habe das nicht nötig.“

Sie verstand, seine Witterung genügte, um andere abzuhalten. Sie dachte an Kaito, dem diese Information natürlich fehlte. Es stimmte sie dennoch fassungslos.
 

Mochte es auch einen Schutz für die Kinder aus eben diesen Verbindungen darstellen; ihre Mütter mussten sie verleugnen und als Bedienstete in den Haushalt integrieren. Götter akzeptierten diese Kinder für gewöhnlich. Zumal sie sich nicht durch eine Verbindung einschränkten, sondern sich ihre Kräfte lediglich ergänzten. Dämonen dagegen trennten eisern Verpflichtung von Entspannung und opferten Ersterer bereitwillig ihre Gefühle. Es stimmte sie traurig.
 

Als sein Raubtiergold daraufhin ihr göttliches Blau einfing, war alle Distanz vergessen. Irgendwo in den Tiefen ihres Bewusstseins nahm sie wahr, dass dieser Blick alle Grenzen ihrer bisherigen Vertrautheit sprengte. Es war ihr gleich. Sie verstand auch ohne Worte.

Es war Sesshômaru, der den Moment brach, als er den Seinen erneut in den Garten abwandte.
 

„Es spielt keine Rolle“, war bemerkenswert nüchtern – fast grausam.
 

Es ließ sie stutzen. Warum sprach er es aus? Einen weiteren Moment bedurfte es, ehe ihr hauchzartes Schmunzeln davon kündete, dass sie verstanden hatte. Es überraschte sie nicht und hatte keine befreiende Wirkung, mochte es auch endlich offen vor ihnen liegen.
 

„Kennst du sie?“
 

Er tat es auf seine ganz eigene Art dezent mit einem Kopfschütteln ab. Es war ein Bündnis, nicht mehr, erkannte sie da.
 

„Denkst du, dein verehrter Vater lädt mich auch dazu ein?“, brach sie das Schweigen nach Kurzem.
 

Es hob ihre Brust gegen die Lagen an Stoff in ihrem zarten Lachen und ließ ihn für den Moment erneut seine Augen schließen, ehe sich ein leises Schmunzeln auch über seine Lippen legte. Er bezweifelte, dass ihr das gefallen könnte, so gerne sie ihn auch um Fassung ringen sah.
 

„Ich werde dann meinen Verpflichtungen nachkommen müssen, Ishizu“, wagte er eine Andeutung.
 

Ihr Lächeln erstarb sofort. Sie verstand augenblicklich – vor Zeugen. Das war definitiv nichts für sie. Genau das trat auch deutlich an die Oberfläche, als er im Augenwinkel den zarten Rosaton auf ihren Wangen ausmachen konnte, noch während sie beschämt den Blick senkte.

Es entlockte ihm sein schmales Lächeln. Für sich hatte er es längst akzeptiert. Es wäre kein Tag, an dem er sie um sich wissen könnte.

Drachenblut: Das Mondfest

Liebe ist die stärkste Macht der Welt, und doch ist sie die demütigste, die man sich vorstellen kann. (Mahatma Gandhi)


 

Zischend brach sich die See an den kantigen Felsen und verschlang jeden weiteren Laut, als sie sich sachte gen Erdboden aufgesetzt fühlte. Weich wie Kaschmir schützte sie sein Mokomoko vor dem Wind. Ihre Hände ruhten auf seiner Brust und erspürten die vertraute Wärme. Ein Ruck ging durch die gespannten Muskeln und kündete davon, dass er bereits begann, seinen Arm um sie zu lockern. Widerwillig schlug sie daraufhin ihre Augen auf und traf umgehend auf sein im Dunkel der Nacht funkelndes Raubtiergold. Ihr zartes Lächeln mutete fast eine Entschuldigung an. Immerhin hatte er sich um einen ruhigen Flug bemüht und sie nicht einfach hinfortteleportiert. Es funktionierte wohl nur mit einer Person. Dennoch hatte die Göttin die Augen nach Kurzem bereits schließen müssen. Es war ihr zu hoch gewesen. Und so war sie wenig überrascht, noch einen Blick auf das abklingende Zucken seiner Mundwinkel zu erhaschen.
 

„Kennen alle Götter die Furcht?“
 

„Darüber vermag ich unmöglich einem Yôkai Auskunft zu geben, Sesshômaru-sama. Dass ich nicht ganz schwindelfrei bin, sollte dir jedoch bereits aufgefallen sein.“
 

Und da er keinen Brustharnisch trug, ließ sie sich dazu verleiten, gegen seine stählerne Brust zu boxen. Natürlich konnte sie ihn damit nicht beeindrucken. Es half nicht einmal ihrem angekratzten Stolz, als es einzig seine Augenbraue gefährlich verführerisch in die Höhe zwang. Er hielt ihr Meeresblau eisern mit seinem Dämonengold gefangen. Genüsslich verfolgte er so jede Regung in der zarten Göttin vor sich.

Einen Moment länger verharrte ihr zierlicher Körper da eng an den Dämon geschmiegt. Ihre Hand genoss die Geschmeidigkeit der Seide, welche die Wärme seines Körpers längst angenommen hatte. Ihr Blick wurde weich. Keine Empörung spiegelte sich mehr darin, als nur das Rauschen der See in seinem Rücken über den leisen Klang ihrer Atmung hinwegfegte. Der Wind riss an seinem silbernen Haar und spielte mit den pechschwarzen Strähnen ihrer Frisur. Seine Klaue fing gerade einige Wenige ein auf ihrem Weg an ihre Wange, als das leise Geräusch von der weitaus weniger sanften Landung ihrer Begleiterin zu ihrer Linken kündete.
 

Winselnd lenkte Ai die beiden unterschiedlichen Augenpaare auf sich, als sie sich in ihrer Wolfsgestalt zu schütteln begann, sobald ihre Pfoten auf dem Erdenboden wieder aufgesetzt hatten. Die letzten Wolkenreste wehrten sich gegen die feste Umklammerung und zuckten unter ihren Pfoten aufgeregt, ehe die Nefrilin sie artig entließ. Sofort stoben sie gen Horizont davon. Er hatte nicht gewusst, dass die Gottesdienerin einfach so über Wolken wandeln konnte. Dennoch war es ihm nicht entgangen, dass er schneller war.

Ishizu löste sich bereits wieder von ihm, als sein Fell sanft von ihr abließ. Eindeutiger Tadel lag in ihrem Meeresblau, sobald sein Raubtiergold von ihrer Begleiterin abgelassen hatte und ihr auf seinem Weg begegnete. Sein Gedankengang war unmöglich falsch zu verstehen. Er ignorierte es, als er stattdessen den Weg vor sie antrat.
 

„Du willst mir immer noch nicht sagen, wo wir mitten in der Nacht hinwollen“, verdiente seiner Ansicht nach wohl keiner Antwort.
 

Zumindest blieb diese aus, sodass sich Ishizu aufseufzend daran machen musste, hinter seinen langen Schritten herzukommen. Immerhin trug sie nicht so viele Lagen an Stoff, wie gewöhnlich. Tatsächlich bot das dreiteilige Gewand eine gewisse Beinfreiheit, die sie gerade jetzt, da sie dem Dämonenprinzen nachkommen musste, sehr zu schätzen wusste. War sie ehrlich, so war es tatsächlich bequem, auch wenn ihr die Last der vielen Stoffe längst vertraut geworden war.

Es war ihr ein einziges Rätsel. Nicht einmal Yoko hatte sie informieren dürfen. Dass man sie aber entsprechend angekleidet hatte, so ganz anders als sie das aus seiner Heimat bis dato kannte, hatte sie in der Annahme nur noch bestätigt, dass ihr Ausflug mit Sesshômarus Vater abgesprochen war. Es hatte sie sehr verwundert, als der sie noch am Nachmittag gefragt hatte, ob sie ihre Erscheinung verschleiern konnte. Natürlich konnte sie wie ein Mensch aussehen, so, wie sie es jetzt auch tat. Aber schlau war sie aus dem Verhalten der beiden Hundedämonen bis jetzt noch nicht geworden.

Sie hatten das Meer gerade überwunden; somit die heimatliche Insel unverkennbar hinter sich gelassen. Alles hier war anders. Jeder Schritt über diesen Boden trug es ihren naturgegebenen Sinnen zu. Selbst der Wind raschelte befremdlich durch das Blätterwerk.

Warum machte er so ein Geheimnis daraus?
 

Ihm schien es zu gefallen, beschloss sie gerade bei sich, ehe sie den Ast zur Seite bog und reichlich erschrak, da sie gerade noch verhindern konnte, einfach in ihn hineinzulaufen.

Also kam sie neugierig an seine Seite, nur um sich einer Fremden, offenkundig einer Yôkai, gegenüberzusehen. Sie kannte den abschätzenden Blick bereits zu Genüge, mit welchem die leicht bekleidete Dunkelhaarige sie maß. Ihr Kimono bedeckte ihre langen Beine wenn dann nur notdürftig. Wo hatte er sie nur hingebracht? Nicht, dass sie ihm misstraute, aber die nähere Umgebung brannte lichterloh von der Fülle an unterschiedlichsten Yôkii – und dennoch standen sie hier offenkundig allein mit der Dämonin auf der vom Vollmond taghell erleuchteten Lichtung. Keinen einzigen Menschen konnten ihre Sinne ausmachen. Da die Yôkii direkt vor ihr brannten, sie aber nur eine Einzige derzeit vor sich sah, nahm sie zu Recht an, dass sich im Rücken der Fremden ein Bannkreis befand, den sie bewachte.

Da hielt ihr die Dunkelhaarige auch bereits eine Trinkschale hin. Sie war leer.
 

„Euer Mondopfer“, verstand die Göttin als die Aufforderung, die es offenkundig auch war.
 

Und noch etwas erkannte sie; die fremde Sprache.
 

Das Rascheln seiner Seide lenkte ihren Blick umgehend zu ihm. Verwundert verfolgte sie seine krallenbesetzte Hand, wie sie seinen Kimonoärmel am anderen Arm umschlug und dabei seinen Unterarm freigab, welcher im Licht seines vollen Himmelskörpers unmenschlich blass erschien.

Ihre menschlichen Schützlinge feierten dieser Tage das Mondfest. Sie opferten dem Erntemond, weil er aufgrund seiner Konstellation zur Erde heller erschien als üblich im Jahr. Es erlaubte ihnen so eine Ernte bei Nacht.

Doch im Grunde war der Mond ihr Himmelskörper, einer der beiden Söhne ihres Schöpfers. Konnte es sein und Dämonen maßen dieser ersten Nacht ebenfalls eine besondere Bedeutung zu?

Fasziniert beobachtete sie ihn dabei, wie er seine messerscharfe Kralle über seine makellose Haut führte, sie so in einem sauberen Schnitt eröffnete, sodass sein Blut in die Schale tropfte. Der Einschnitt begann bereits wieder am einen Ende zu heilen, noch ehe er am anderen abgesetzt hatte.
 

Als die Schale zu ihr gewandert war, traf ihr Meeresblau bewegt sein festes Dämonengold. Sie konnte keinem Sohn der Dunkelheit opfern. Sie war eine Tochter der Sonne.

Das Lächeln, welches über seine ansehnlichen Züge huschte, bestätigte ihr, dass er begriff. Umso mehr überraschte er sie, als er nichtsdestotrotz ihr zierliches Handgelenk zart umfasste. Seine Züge erschienen ihr ganz von seiner dämonischen Freude getragen, ehe er seine Stimme rauer beanspruchte als gewöhnlich. Ob der fremden Sprache oder des Inhalts wegen vermochte sie nicht zu sagen.
 

„Was obsiegt, die Verpflichtung oder die Neugierde?“, war Herausforderung und Versuchung zugleich.
 

Unmöglich auszuschlagen für die Göttertochter. Also reckte sie ihr Kinn unmerklich, fast trotzig. Er erkannte dennoch die stumme Zustimmung.

Seine Krallen begannen sich umgehend von ihrer Hand aus unter den ungewöhnlich ausladenden Kimonoärmel zu schieben. Ihre Augen weiteten sich kaum merklich unter seiner intensiven Musterung.

So offen die Fremde ihre Beine präsentierte, so wenig Haut offenbarten doch ihre langen Ärmel. Also nahm Ishizu nicht zu Unrecht an, dass auch in dieser Kultur das Handgelenk einer Frau keinem öffentlichen Blick zugedacht war.

Mochte seine Berührung auch im Privaten noch so vertraut sein, so kribbelte doch das Bewusstsein um ihre Offenlegung durch ihre Venen und sammelte sich alsbald brennend auf ihren Wangen. Aufmerksam sah sie ihm dabei zu, wie er so Stück für Stück ihre alabasterfarbene Haut freilegte. Noch darunter keimte in ihr die Erkenntnis, dass er sich bewusst dagegen entschieden hatte, den Stoff einfach umzuschlagen. Er genoss es nicht weniger als sie. Sorgfältig verfolgte er dabei jede noch so winzige Regung von ihr. Es raubte ihr fast automatisch ihr verzücktes Lächeln, während sich bereits wieder die altvertraute Horde Schmetterlinge in ihrem Bauch zu sammeln schien. Und so kostete sie sein aufreizendes Spiel in vollen Zügen aus, formierte sich doch längst in ihr eine Idee, warum sie seine Heimat verlassen hatten.
 

Unbewusst hielt sie den Atem an, sobald eine seiner Krallen ihre dünne Haut durchstieß. Sie verbat sich den Reflex, ihm ihre Hand zu entziehen und konzentrierte sich einzig auf ihn. Nur wenige Tropfen ihres hellen Bluts vermischten sich mit dem Seinen in der Schale. Sie beachtete sie gar nicht. Stattdessen vermeinte sie die Dämonen müssten ihr Herz laut gegen ihre zarte Brust hämmern vernehmen, als er ihren Arm nur kurz darauf an seine Lippen führte- ihren Blick weiterhin haltend. Sie fühlte seine Zunge mehr die winzige Wunde verschließen, denn dass sie es beobachten konnte. Ihr wurde heiß und kalt. Das lebendige Funkeln in seinem Raubtiergold spiegelte ihr eigenes Begehr wider.
 

Er hatte sie ausgelassen und bereits wieder zu seiner Ausdruckslosigkeit zurückgefunden, noch während sie ihre Miene unter einem weiteren Atemzug ordnete. Da bot er ihr bereits den Arm.

Nur am Rande registrierte sie, dass Ai davon ausgenommen schien, als sie ihren Arm ziemlich über seinen legte und ihm folgte.
 

Kaum hatten sie die Yôkai hinter sich gelassen, fiel die Illusion wie ein Vorhang von ihnen ab. In wild bewegtem Rotgold breitete sich vor ihnen die Farbenpracht der prasselnden Feuer aus. Die Stille zersprang urplötzlich unter der Fülle an Lauten. Das Stimmenwirrwarr der unzähligen Dämonen brach unter dem Prasseln der Flammen augenblicklich auf sie ein. Es verschlug der Göttin den Atem, in welcher Mannigfaltigkeit es sich um die vereinzelten Feuerherde am Ufer des Meeres tummelte. Es erschien bei Weitem ungesitteter als ihre letzten offiziellen Auftritte und erinnerte an so manche Festivitäten ihrer Verwandten mit ihren Schöpfungen. Ihr entglitt ein Schmunzeln an seiner Seite.

Wenn sie sich hier so umsah, musste sie feststellen, dass die Dämonin am Eingang keine Ausnahme darstellte. Keine der Dämomendamen schien mehr am Leib zu tragen, als unbedingt notwendig; sodass sie sich schon ihrer Kleidung wegen deplatziert vorkam. Dennoch gefiel es ihr. Nur wie hatte er seinen ehrenwerten Vater davon überzeugen können, sie hierher mitzunehmen?
 

Es überraschte sie nun auch nicht mehr, dass er weder den Harnisch noch eine Waffe bei sich hatte. Keiner der Dämonen war bewaffnet. Natürlich vermied er das herrschaftliche Rot oder gar das Weiß ihrer Trauer. Blau kleidete ihn gut. Mochte es auch noch so ungewohnt sein für sie, die sie jene Farben längst eng mit ihm verknüpfte. Plötzlich wusste sie auch den Drachen zu deuten, der sein Gewand zierte. Ebenso wie das Vogelwesen auf ihrem bunt gemusterten Mantel, welcher ihr nur bis zu den Knien ging. Der fliederne Rock verdeckte ihre Beine bis über die Knöchel, was hier scheinbar nicht einmal angebracht war. Es erklärte auch warum ihr Obi vorne offen verschnürt war anstatt kompliziert auf ihrem Rücken gebunden. Sie erkannte das traditionelle Gewand, das auch ihre Schützlinge kannten.
 

„Du sprichst Chinesisch fließend.“
 

Sie wagte nicht, es als Frage zu formulieren, wollte sie ihn doch nicht kränken. Das leise Zucken um seine Mundwinkel galt ihr zur Bestätigung, dass er auch das wohlwollend zur Kenntnis genommen hatte.
 

„Ein ähnlich mühsames Unterfangen wie unsere Umgangsformen für dich“, lenkte ihr nachsichtiges Lächeln auf seine Züge, auf welchen sich das Spiel der Flammen wild tanzend abzeichnete.
 

Es war unmöglich zu überhören, wie wenig dem jungen Dämonenprinzen derlei Unterricht zugesagt haben musste. Trotzdem ergab es Sinn. Allein der Nähe wegen.

Sie dagegen konnte unmöglich abschätzen, welche Mühen mit dem Erwerb einer fremden Sprache verbunden sein mussten. Waren Götter doch von Beginn an mit allen Sprachen ihrer Schützlinge vertraut, ob längst vergangen oder noch zukünftig. Doch anders als vieler ihrer Geschwister waren ihr die kulturellen Unterschiede nicht eingegeben. Sie waren einer Entwicklung und steten Veränderung unterworfen innerhalb ihrer Gesellschaften, weshalb auch sie von ihr erlernt werden mussten. Also dankte sie ihm den Vergleich, schließlich ermöglichte er ihr eine Ahnung.
 

„Hier kennt dich niemand“, bestätigte er ihr mit seinem charakteristisch dezenten Nicken.
 

Es zauberte ihr ihr entzücktes Lächeln auf ihre Züge. Er erkannte die Dankbarkeit darin. Hier waren sie Fremde, für den Moment der Last ihrer Verpflichtungen entledigt. Durch ihre Anonymität reihten sie sich ein in die Masse an Dämonen, welche ihrem Himmelskörper huldigten.
 

„Aber ich bin keine Dämonin.“
 

Mochte sie ihre Erscheinung auch nicht als Göttin ausweisen, die Yôki fehlte trotzdem.

Abermals zerrte sie hart an seiner Fassade, konnte sie doch seine Mundwinkel für den Moment wanken sehen.
 

„Wenn du dich nicht wieder verrätst, werden deine Magie und meine Herkunft genügen“, mutete echtes Amüsement an.
 

Es zeigte sich einzig auf ihren Zügen offen, ehe sie gespielt empört ihre Lippen schürzte und ihren Blick abwandte. Natürlich hatte er es sich nicht verkneifen können, sie mit ihrem Patzer beim Turnier aufzuziehen. Sie glaubte dennoch zu verstehen. Einem magiekundigen Wesen hatte der Bannkreis den Zutritt gewährt – trotz ihres Bluts. Sie war erstaunt, dass er sie scheinbar als seine Begleiterin akzeptierte, wollte sich jedoch nicht weiter mit der Seltsamkeit aufhalten.
 

Stattdessen ließ sie sich an den fremdartigen Dämonen von ihm vorbei eine Anhöhe hinaufführen um sich dort anstandslos neben ihm niederzulassen. Automatisch begann sie Ais Kopf auf ihrem Schoß zu streicheln, noch während sie neugierig die neuen Eindrücke aufnahm.

Er hatte einen guten Platz gewählt. Sie saßen etwas erhöht und entfernt von dem bunten Treiben. Es bot einen guten Blick nicht nur auf das Geschehen unter ihnen, sondern vor allem auf den vollen Mond weit über dem tiefschwarzen Meer.

Sie genoss die vom flackernden Licht der prasselnden Flammen ins Rotorange getauchte Szenerie der Verschiedenartigkeiten. Die unterschiedlichsten Merkmale und Gesichtszüge, von fischartig bis hundeartig, begegneten ihr friedlich nebeneinander stehend anscheinend in das ein oder andere Gespräch vertieft. Manche Wesen vollführten so manch rhythmische Bewegungsabläufe um die Feuerstellen, während wieder andere auf fremdartigen Instrumenten umso unvertrautere Laute erzeugten. Es erinnerte sie zuweilen an Abfolgen so mancher Kampftechniken. Sie wagte kein Urteil, als sie einem braunbeschuppten Wesen bei seiner Umrundung der Flammen mit einem Schmunzeln auf den Lippen folgte. Sein Haar war in geflochtenen Strähnen gebändigt, welche wild um seinen Kopf tanzten, während er seinen Holzstab schwang. Mit einem leisen Schütteln ihres Kopfes tat sie es schmunzelnd ab, ehe sie den Blick weiter schweifen ließ. Manches deckte sich erstaunlich gut mit dem Bild, welches ihre Familie von den ungeliebten Schöpfungen ihrer Verwandtschaft doch hatte.

Niemand schien auf Konflikt aus zu sein. Diesmal konnte sie keine Waffen ausmachen, die Stimmung wirkte gelöster. Vielleicht weil sie glaubte, nur vereinzelt den ein oder anderen mächtigeren Dämon ausmachen zu können. Einem Vergleich zu den Yôki beim Turnier hielt keine heute Abend stand. Erst recht nicht verglichen mit der ihres Begleiters, veranlasste sie dazu zur Seite zu lugen. Er beobachtete ungerührt die Szene und so lenkte sie ihren Blick mit einem hauchzarten Lächeln wieder vor sich.

Es erschien ihr als spielten Herkunft und Status heute Abend keine Rolle. Fast, als wären die Grenzen ihrer gesellschaftlichen Ordnung außer Kraft gesetzt.

Ob die Fürsten unter den Dämonen die Nacht anders begingen? Sesshômaru schien jedenfalls mit den Gepflogenheiten bestens vertraut.
 

„Fallen wir auf?“, bedeutete ihm, wie aufmerksam sie nicht nur ihr Umfeld studiert hatte.
 

Es war ihr nicht entgangen, wie stark er seine Aura unterdrückte. Er guotierte es mit seinem leisen Lächeln.
 

„Es ist nicht unüblich für junge Dämonensöhne.“
 

„Sich unters Fußvolk zu mischen?“, veranlasste ihn dazu, seine Augenbraue zu bemühen.
 

„Ein menschlicher Ausdruck, um den niederen Stand zu verdeutlichen.“
 

Er nickte zögerlicher als sonst. Sie nahm an ob der befremdlichen Ausdrucksweise. Mit einem Kopfschütteln tat sie es ab, sodass die weiten Bögen, in welchen manche ihrer Haarsträhnen zu ihren Seiten gebunden waren, für den Augenblick nachschwangen.
 

„Wie nennt ihr sie?“
 

„Schwach“, kam so ungerührt, dass es ihr ein leises Auflachen raubte.
 

Sie erhob die Hand vor ihre Lippen. Insgeheim diente es ihr zur Bestätigung, dass Dämonen wohl in ihrem Pragmatismus keinerlei Verwendung für eine beschönigende Sprache hatten. Ihre Belustigung noch deutlich auf ihren Zügen, fand sie sich immer noch in seinem Fokus, als ihr Atem sich langsam wieder beruhigte und ihre Hand zurück in ihren Schoß fand. Seine Faszination erschloss sich ihr nicht, als er sie für sie regungslos betrachtete.
 

„Also befinde ich mich auf einem Fest für die „Schwachen“ unter den Dämonen, um dem Mond zu huldigen, dem mancher Dämonenfürst in seiner Jugend inkognito beiwohnte, dem du jedoch längst entwachsen bist?“
 

Er bedurfte eines Moments, in welchem er ungerührt verharrte, ehe er eine Erwiderung bemühte.

Nie wäre es ihr auch nur in den Sinn gekommen, dass er sich die Bedeutung aus wenigen ihrer Worte zusammenreimen musste – zu sehr erschreckte ihn die Erkenntnis, wie gefährlich ihr Auflachen seine Konzentration bereits ins Wanken brachte.
 

„Wir verwenden den Begriff, den auch deine Menschen wählen, Ishizu.“
 

„Also Mondfest.“

Er bestätigte es nickend, ehe er seinen Blick wieder vor sie richtete.
 

„Würde dein ehrenwerter Vater seiner Tochter das hier gestatten?“
 

Sie wusste, dass sie oft außerhalb der Norm Freiheiten genoss. Umso unwahrscheinlicher erschien es ihr da, dass einer Dämonin von Stand ausgerechnet diese Freiheit hier zustand. Diesmal belohnte er sie mit seinem schmalen Lächeln.
 

„Du bist hier, um zu lernen. Es nahm hier seinen Anfang und ist Teil unserer Kultur“, war ein Nein.
 

„War es das, womit du ihn überzeugt hast?“

Für sie stand es außer Frage, dass diese Idee von ihm stammte.
 

„Du unterschätzt seine Bereitschaft, Risiken einzugehen.“

Hatte er sie doch bei sich aufgenommen und sie sogar zum Ritual geschickt. War das am Ende eine Art Belohnung für sie beide? Diesmal trafen sich ihre Blicke offen.
 

„Wann erwartet er uns zurück?“
 

„Morgen.“
 

Es war ihre grenzenlose Verwunderung, die ihr Näschen kräuselte.

Yoko musste sich mit äußerstem Widerwillen dem Befehl gebeugt haben. Schließlich hatte sie sie nicht begleiten können. Ob sie auch nur im Ansatz unterrichtet worden war, wohin der Dämonenprinz sie da mitnahm? Kein Wunder, dass sie sich in aller Dunkelheit mehr oder minder aus dem Schloß gestohlen hatten.

Einzig die Erkenntnis darüber, wie unerschütterlich das Zutrauen des Vaters in seinen Sohn sein musste, hielt sie dennoch davon ab, befreit aufzulachen. Schuldbewusst suchte ihr Meeresblau sein ungerührtes Dämonengold. Und sie wusste, dass seine Hochstimmung von demselben Verrat gedämpft wurde.
 

„Warum begleitet mich keine meiner Dämoninnen?“
 

„Möchtest du das denn?“, bewegte diesmal ihre Lippen verräterisch.
 

„Es entspräche dem Anstand“, gab sie zu bedenken.
 

„Und fiele auf.“
 

Überrascht verharrte ihr Meeresblau da auf seinem ungerührten Raubtiergold. Konnte es sein und sie führten am Ende ein und dieselbe Diskussion?
 

Wenn sie es genau besah, so hatte er scheinbar tatsächlich die eine Möglichkeit gefunden, um gemeinsam eine Nacht in der Öffentlichkeit zu verbringen –losgelöst von allem, was sie trennte. In ihr rangen das Schuldbewusstsein über ihren Verrat und die Glückseligkeit ob ihrer genehmigten gemeinsamen Nacht wechselseitig um die Oberhand.
 

„Ishizu“, war ein Seufzen.
 

Die Scham überkam sie und senkte ihren Blick umgehend. Er hatte ihr eine Freude machen wollen – ihnen beiden; und sie dankte es ihm mit ihrem schlechten Gewissen, das ihn nicht minder quälte.
 

„Du hättest mit mir reden können.“
 

„Dann säßen wir nicht hier.“
 

Sie gab ihm insgeheim recht; sie hätte es ihm ausgeredet.

Nichtsdestotrotz musste sie sich längst eingestehen, wie dankbar sie ihm doch war für die gemeinsame Flucht aus dem engen Korsett ihrer hohen Geburt. Und so zierte ihre Lippen wieder ihr hauchzartes Lächeln, ehe sie ihren Blick erhob. Es traf zielsicher sein Raubtiergold. Wieder funkelte es auf diese einzigartig verlockende Art und Weise im vollen Licht seines Himmelskörpers, welche wohl nur Dämonen vorbehalten war. Und wieder wurde mit einem Schlag alles um sie herum bedeutungslos. Erneut erfasste sie diese befremdliche Unruhe. Sie sammelte sich in ihrer Körpermitte und drohte sie alsbald mit ihrer Wärme zu überfluten. Ihre Atmung wurde flach, als sie instinktiv die Augenlider zu senken begann.
 

Protestierend brach das Winseln ihrer Begleiterin wie ein Donnerwetter über beide herein. Diesmal traf sie der eisige Blick des Dämonenprinzen unverhohlen, während Ishizu ihre Hand an ihre Lippen führte und ein verlegenes Lächeln verbarg. Er war ihr so nahe gekommen, dass sie sich nur nach vorne lehnen müsste, um ihre Stirn gegen seine betten zu können; seine Lippen mit ihren vereinen zu können.
 

Ai hatte recht. Ihre Position war immer noch zu exponiert. Also fing sie seine Aufmerksamkeit mit ihrem menschlichen Meeresblau ein. Sein Blick verlor sofort an Härte. Es war seinen ausgeprägten Dämonensinnen zu verdanken, dass er nicht nur beobachten konnte, wie ihre zartrosanen Lippen ein „danke“ formten, sondern auch hörte, wie es sie wie ein Flüstern im Wind verließ.
 

Als in diesem Moment die Wasseroberfläche unter ihnen laut rauschend gebrochen wurde, durchfuhr ihn die Erkenntnis wie ein Blitz, dass er nur dadurch vor einem erneuten Bruch seiner Fassade bewahrt worden war. Umgehend wich er auf die vorherige Distanz zurück und lenkte sein Augenmerk auf die aufsprudelnden Wasserfluten.

Ishizu bedurfte eines weiteren Augenblicks um ihren Atem zu beruhigen, ehe sie seinem Beispiel folgte, froh um die Ablenkung.
 

Abermals schlängelte sich die vertraute Drachengestalt aus den Tiefen der See. Diesmal regte sich das Unwohlsein deutlich in der Göttertochter, als sich der schlangenähnliche Rumpf auf den Platz vor ihnen senkte. Er war so lang, dass die kurzen Hinterläufe über seinem Wasser schwebten, während seine Gestalt den Rhythmus der Musik an Land aufnahm. Irritiert blinzelte Ishizu, hatte sie sich den ehrwürdigen Drachen doch nicht wirklich beim Tanzen vorzustellen vermocht. Erst recht nicht im Einklang mit eben dieser Art, die noch vor Kurzem einen seiner Söhne an der Verwandlung gehindert hatte. Vor ihren Augen. Instinktiv senkte sie den Blick und lenkte so sein Augenmerk treffsicher auf sich.
 

„Du hattest nichts von einem Drachentanz erwähnt.“
 

Er bemühte seine Braue. Spielte das denn eine Rolle?

Es war längst zu spät, spürte sie doch bereits, wie seine Präsenz sich nach der Ihren streckte. Mit einem Mal bemerkte er die Unruhe in ihr.
 

„Ich werde ihn begrüßen müssen“, verwarf alle Anonymität und erklärte sich ihm nicht recht.

Also lag all seine Aufmerksamkeit allein auf ihr.
 

„Er hat meine Magie längst erkannt, Sesshômaru“, verstand er dagegen problemlos.
 

So wie die Götter über den Himmel herrschten und sein Schöpfer über die Unterwelt, so herrschten die Drachen über die Magie. Wenn dieser sie also kannte, so käme es einem Affront gleich, wenn sie ihn nun ignorierte. Hatten sie sie in eine missliche Lage gebracht, allein weil sie dem Ritual beigewohnt hatte - ohne es zu wissen? Er erinnerte den Moment, als Akito den Drachenpanzer durchdrungen hatte und ihre Hand sich in seinen Ärmel gekrallt hatte.
 

Als die Musik langsam verklang und die wellenartigen Bewegungen des langgezogenen Rumpfes allmählich abzuebben begannen, erhob er sich und reichte ihr seine krallenbesetzte Klaue. Sie fühlte sich angenehm auf die Beine gehievt und dankte es ihm mit ihrem zarten Lächeln. Es wirkte weniger unbekümmert als sonst. Irgendetwas beschwerte ihr den Gang. Kurz glitt ihr menschliches Meeresblau seine Züge ab. Er erkannte, dass sie abwog. Und so zögerte auch er, als sie den Schritt vor ihn tat. Kurz verengten sich seine Augen - ein Automatismus, dann erkannte er den Gang der Herrschertochter. Und er wusste, warum sie gezögert hatte. Letztlich bekräftigte es ihre Tarnung als Hexe, waren diese doch als Einzige in seiner Welt annähernd als autonom anerkannt - und mit den Drachenwesen im Bunde. Also folgte er ihr in einigem Abstand den Weg hinab bis vor den Wasserdrachen, welcher am Ufer bereits auf sie zu warten schien, während alles sich bereits wieder auf die verstreuten Flammenherde verteilte.
 

Ishizu war erstaunt, dass er sich fügte. Es war ihr nicht möglich, vor ihm als sein Gast aufzutreten. Keines seiner Wesen akzeptierte eine Farce. Dennoch kannte sie seinen Stolz. Und dieses eine Mal hatte sie sich um eben diesen gesorgt. Sie wollte ihn nicht kränken. Nicht mehr. Nicht so. Ein Schmunzeln entkam ihr, während sie vor den Wasserdrachen kam, den ihre Schützlinge hier längst wie eine Gottheit verehrten. Es nistete sich noch darunter auf ihren Zügen ein. Wie sich die Dinge doch heimlich still und leise zu verändern vermochten.
 

Ein einziges Mal war Sesshômaru Zeuge dieser Art von Verbeugung geworden, welche Ishizu dann vor dem Drachen vollführte. Er erinnerte sich gut daran, so sehr hatte sich deren Andersartigkeit in sein noch so junges Gedächtnis gebrannt. Und er ging völlig richtig in der Annahme, dass die ersten Worte in Gedanken gesprochen wurden. Interessiert beobachtete er ihre zarte Gestalt, welche vor dem mächtigen Magiewesen zerbrechlicher denn je wirkte. Seine Sinne waren auf das Äußerste gespannt. Er war wachsam, bereit jederzeit einzugreifen. Sicher war sicher.
 

Ishizu betrat das Wasser, sein Reich, mit ihren nackten Füßen, ehe sie ihm begegnete, wie es ihr beigebracht worden war. Das tiefe Nicken akzeptierte die Stellung unter seinem Herrn, ehe Ishizu das Wort an ihn richtete.
 

Sei gegrüßt Watatsumi, Herr der Wasserdrachen. Wir sind erfreut, Zeugin der so versöhnlichen Geste vor dem Volk geworden zu sein, das deinem Sohn die Wandlung verwehrte.
 

Seid auch Ihr gegrüßt und versichert, wir kennen Eure einzigartigen Umstände, Prinzessin der Götter , legte sich beruhigend über ihre angespannten Züge.
 

Automatisch senkte sie ihren Blick, ehe ein Lächeln ihre Lippen zart spannte.
 

Mein Herr und Meister wird erfreut sein zu erfahren, dass seine Magie es auch hierbei vermag, Euch zum Nutzen zu gereichen. Er wird ebenso zu wissen wünschen, wie es Euch ergeht, Göttertochter?
 

Da erhob sie ihren Blick und lenkte sein Augenmerk mit ihrem bezaubernden Lächeln zu ihrem Begleiter in ihrem Rücken.
 

„Richte ihm aus, wir haben uns in der Variante getroffen, in welcher es mir gut geht, Watatsumi.“
 

Sesshômaru ließ sich nicht anmerken, wie sehr sie ihn überrumpelt hatte. Sah er sich doch urplötzlich im Fokus des Wasserdrachens, an dessen Namen selbst er sich noch erinnern konnte. Das Nicken, das dieser in seine Richtung andeutete, erwiderte er, wie er es bei seinem Vater erlebt hatte gegenüber dem Herrn dieser Rasse. Auch hier ließ er die Vorsicht walten. Der Frieden war brüchig.
 

„Und wieder beweist Euer ehrenwerter Herr Vater seinen Spürsinn für vorteilhafte Bündnisse“, begegnete er mit seinem dezenten Nicken.
 

Wenn ihn seine mangelhafte Erinnerung nicht trog, hatte eben dieses Bündnis neben mehrerer Anläufe und etlicher Mühen nicht zuletzt des Eingreifens des Drachenherrschers selbst bedurft, um Zustande zu kommen.
 

So konnte Ishizu, als sie an seine Seite kam, gerade noch bemerken, wie die Anspannung von Sesshômaru abfiel, sobald der Drache zurück in seine Fluten geglitten war. Automatisch trafen sich ihre Augenbrauen in Skepsis über ihrem zarten Näschen. Er verbat sich jegliche Regung und wandte sich sogleich den Feierlichkeiten zu. Ishizu folgte sittsam, sobald sie in ihr Schuhwerk gefunden hatte. Ai kehrte umgehend an ihre Seite zurück.
 

Als sie zu ihm aufgeschlossen hatte und an seine Seite kam, reichte er ihr bereits eine Trinkschale. Eine Weitere in seiner anderen Hand. Sie hatte nicht einmal mitbekommen, dass sie ihm gereicht worden waren.

Scheinbar wollte er jedoch partout nicht darüber reden. Sie ließ ihm seinen Willen, für den Moment. Neugierig beäugte sie stattdessen die klare Flüssigkeit, die selbst in ihrer Nase brannte. Sie standen so nah an einem der Feuer, dass dessen warme Strahlen nach ihrer Haut langten. Als sein Blick sie maß, begegnete sie ihm leise lächelnd.
 

„Was ist das?“
 

„Drachenblut“, nahm sie anerkennend hin.
 

Immerhin hatte er ihr genau dieses Getränk noch beim Ritual verwehrt. Selbst der Wolfsyôkai hatte es ihr nicht recht zugestehen wollen.
 

„Das Getränk, das meiner zarten Kehle nicht zu schmeicheln vermag?“, zitierte sie daher.
 

Es zwang seine Augenbraue unter seinen Pony. Diesmal war sein Blick eisig, welcher sie von der Seite ereilte.

Da war sie wieder, diese Abneigung gegen den Wolfdämon.
 

„Wenn dir derlei Plumpheiten zusagen“, richtete er seine Aufmerksamkeit betont ungerührt zurück auf den Tanz der Flammen vor ihnen.

Ihr englitt ein Schmunzeln.
 

„Es ist nicht plump, einer Frau zu sagen, dass sie gut aussieht“, bemühte sie eine Verteidigung.
 

Nicht des Wolfsdaiyôkai wegen, sondern als Erziehungsmaßnahme. Es zeigte keine zufriedenstellende Wirkung, als sie stattdessen erneut seine zweiflerisch gezückte Augenbraue erwartete.
 

„So unsicher, Ishizu?“
 

Als ob sie das nötig hätte.
 

„Es hat nichts mit Unsicherheit zu tun, Sesshômaru. Es ist höflich, einer Frau ein Kompliment zu machen.“
 

Damit hatte sie es in seinen Augen also doch nötig. Diesmal bedachte er sie mit seinem schmalen Lächeln.
 

„Höflicher als eine Frau einfach nur anzustarren“, konnte sie dann doch nicht verhindern.
 

Es wischte ihm seinen überlegenen Ausdruck immer noch nicht von seinen so ansehnlichen Gesichtszügen. Ganz im Gegenteil übernahm der Hochmut. Er starrte nicht.
 

Sie lenkte ein, jedoch nicht ohne einen Stoßseufzer gen Himmel zu senden, welcher ihre zarte Brust gegen die bunt bemusterte Seide merklich drückte und den sich darüber kreuzenden Kragen ein wenig aufspannte. Ihre zarten Lippen trafen sich auf eine Art und Weise, auf welche ihm nur selten begegnet wurde. Sie schmollte offenkundig. Abermals lenkte er sein Augenmerk von ihr ab und zog es vor, zurück ins Schweigen zu verfallen.
 

„Es ist nicht blau“, ließ seine Mundwinkel erneut gefährlich zucken.
 

Hatte sie wirklich erwartet, dass sie das Blut eines Drachen tranken? Erneut traf sie sein Raubtiergold, diesmal nur zu offenkundig tadelnd ob ihres Irrtums.

Dann führte er die Schale kommentarlos an seine Lippen. Fasziniert beobachtete sie ihn einen Augenblick lang dabei. Sie sah ihn selten etwas zu sich nehmen. Also folgte sie seinem Beispiel etwas verzögert, immerhin hatte sie es ja wissen wollen.

Noch im darauffolgenden Moment dankte sie sich selbst dafür, dass sie stets Vorsicht walten ließ. Denn kaum war die Flüssigkeit mit ihrer Schleimhaut in Kontakt gekommen, ergoss sie sich auch schon brennend über ihr Sinne. Automatisch hustete sie und setzte die Schale ab. Das war kein Sake. Nicht einmal im Ansatz. Es war wesentlich hochprozentiger.

Erst jetzt erschloss sich ihr seine interessierte Musterung. Er sah sich bestätigt.
 

„Warum nennt ihr es nicht gleich Drachenfeuer?“, kam sie ihrem Ehrgefühl nach.
 

„Du speihst kein Feuer, Ishizu“, war nüchtern, wenn auch Tadel ob ihrer maßlosen Übertreibung.
 

Den Blick, mit dem sie ihn daraufhin zu erdolchen gedachte, ignorierte er geflissentlich, während er ihr die Schale bedachtsam aus der Hand löste. Sie ließ ihn gewähren und beobachtete ihn lediglich dabei, wie er beide Schalen achtlos auf einem der moosbewachsenen Felsen um sie herum absetzte, ehe er ihr den Arm anbot. Sie wagte es tatsächlich zu zögern, sodass er sich genötigt sah, seine Augenbraue zu bemühen. Es zauberte ihr ein versöhnliches Schmunzeln auf ihre Lippen. Unverbesserlich in seinem Selbstbewusstsein. Daraufhin lag sein Dämonengold auf ihrer weißen Wölfin, welche sich längst ergeben zur ihrer Seite erhoben hatte. Als Ais Augenpaar zu ihrem Schützling aufsah, begegnete ihr Ishizu längst nachsichtig lächelnd. Es entließ sie für den Abend. Also trat die Nefrilin den Weg zurück auf die Anhöhe an, welche ihr ein wenig Ruhe geboten hatte, während Ishizu mit einem leisen Kribbeln im Bauch dem Flammenschein an seiner Seite den Rücken kehrte.
 

Alsbald hatten sie das Rotorange der tanzenden Feuer hinter sich gelassen. Einzig das milchige Licht seines Himmelskörpers brach noch durch das immer dichter werdende Blätterwerk über ihren Köpfen. Die Musik war längst selbst in ihren Ohren zu einem leisen Hauch abgeklungen. Sie spürte ihr Herz aufgeregt in ihrer Brust hüpfen. Vernahm ihren Atem unruhig erfolgen. Unmöglich, dass ihm ihre Aufregung entging.

Sie wollte den Blick verlegen senken, als er endlich stehen blieb und sich zu ihr umwandte.

Da ging ihr der Seine durch Mark und Bein. Augenblicklich stand sie in Flammen. Und er erkannte es.

Automatisch entwich ihr ein leises Aufkeuchen, als sich die Rinde des Baumes überraschend in ihren Rücken drückte. Sie hatte nicht einmal gemerkt, dass sie zurückgewichen war. Elektrisierend brach sich der abrupte Körperkontakt durch ihren zierlichen Körper. Er kam ihr ganz nahe. Seine Wärme bemächtigte sich ihrer. Automatisch fanden ihre Hände den Weg an seine Brust, fuhren knisternd an der weichen Seide hinauf, seinen Hals entlang um schlussendlich auf seinen Wangen zu ruhen, als seine Nase sich sachte auf ihre senkte. Tief verankerte sie sein funkelndes Raubtiergold, als sein Atem heiß gegen ihre Lippen prallte. Ihr Herz musste ein lautes Dröhnen in seinen feinen Ohren verursachen, so heftig schlug es ihr bis zum Hals. Automatisch öffnete sie ihre Beine, sodass er geschmeidig dazwischen kam. Es war nicht ruckartig, nicht grob, als er sie an ihren Schenkeln umfasste und bedachtsam auf seine Hüfte lud. Sie war überrascht ob der Zartheit seiner Bewegung. Grenzenlose Zärtlichkeit spannte ihre Lippen nahe den Seinen, während ihre Fingerkuppen wie Wassertropfen im leichten Sommerregen seine dämonischen Streifen auf seinen Wangenknochen liebkosten. Gefühlvoll senkte sich ihr bewegtes Meeresblau da auf sein so ansehnliches Gesicht hinab, während beide, Dämonensohn wie Göttertochter, die kribbelnde Nähe zueinander in vollen Zügen auskosteten. Sie genoss den Blick in sein atemberaubend weiches Raubtiergold. Die Hitze, die es in ihr hervorrief.
 

„Du hattest das von Anfang an im Sinn“, flüsterte sie rau auf ihn hinab.
 

Ihr Schmunzeln war angriffslustig. Das Seine schmal, als sie glaubte, sein dämonisches Gold gefährlich aufblitzen zu sehen.
 

„Missfällt es dir, Megami?“
 

Sie wich zurück, als er sich nach ihren Lippen streckte – ein diebisches Grinsen auf den Ihren.
 

„Unsicher, Yôkaisohn?“, war Revanche.
 

Sein schmales Lächeln wuchs. Es war unverkennbar, dass er ihr Spiel genoss. Instinktiv gab sie dem Drang nach, sein Haar zurückzustreichen. Es senkte seine Augenlider und zauberte ihr ein verliebtes Lächeln auf die Lippen.
 

„Sesshômaru“, war weit mehr als nur von ihrer Sehnsucht getragen.
 

Und an seinem Blick erkannte sie, dass er es längst wusste. Sein dämonisches Gold begegnete ihr in selten gekannter Sanftheit, als er begann die Umarmung behutsam zu lockern. Wie in Zeitlupe ließ er sie damit an sich hinabgleiten, sodass sie immer mehr zurück auf Augenhöhe mit ihm sank. Erst als ihre Lippen vor den Seinen waren, hielt er inne. Jetzt gewährte sie ihm die gefühlvolle Begegnung. Ihr leises Aufseufzen war dabei Musik in seinen Ohren. Instinktiv schmiegte sich ihr zierlicher Körper eng um den Seinen. Sehnsuchtsvoll seufzte sie auf, als er sie neckend in die Oberlippe biss, ehe er ihre gefühlvolle Zärtlichkeit intensivierte. Instinktiv krallten sich ihre Finger in sein seidiges Haar. Ihr Körper eng an den Seinen. Es gab keine Worte um das Ausmaß ihrer Glückseligkeit auch nur im Ansatz zu beschreiben, als sie darunter leise, kaum wahrnehmbar, seine Stimmbänder vibrieren vernahm. Einem Seufzen gleich.

Drachenblut 2: Fähigkeiten

Die Stärke vieler Frauen: ihre Schwäche; die Schwäche vieler Männer: ihre Stärke.

(Anke Maggauer-Kirsche)


 

Das Zwitschern der Vögel schlich sich nach und nach voran in ihre Wahrnehmung. Dicht gefolgt vom Rascheln der Blätter. Es schien von weit oben zu kommen und zog ihr Bewusstsein behutsam immer mehr aus dem Sumpf ihrer Schläfrigkeit. Als sie der erste Sonnenstrahl an ihrer Nasenspitze wie gewohnt kitzelte, erzitterten ihre Lider. Noch darunter wurde sie sich der federleichten Last auf ihrer Hüfte gewahr. Einen Moment drängte sich die Sorge in ihr empor, sie könnten verschlafen haben. Da beruhigte sie bereits der salzige Geruch der See. Es spannte ihre Lippen zu ihrem hauchzarten Lächeln, als die Bilder der letzten Nacht in ihrer Erinnerung aufleuchteten. Sie waren nicht Zuhause. Einen weiteren Moment beließ sie die Augen geschlossen, zu sehr genoss sie die leichte Schwere seines Arms. Als der Wind letztlich auffrischte und sein Fell seidig über ihre Wangen trieb, hatte sie sich endlich dazu durchgerungen, sie aufzuschlagen.
 

Umgeben von seinem Geruch verblieb sie im ersten Moment in ihrem Hochgefühl verhaftet, ehe der Schock auch noch den letzten Rest in ihr erstickt hatte. Ein-, zweimal blinzelte sie verwirrt, als könnte sie so die Befremdlichkeit korrigieren. Sie wagte nicht, sich zu bewegen. Ihr Atem ging merklich verhaltener, als ihr geweitetes Meeresblau die hünenhafte Silhouette vor sich abwanderte. Zuerst folgte sie den vereinzelten Strähnen, welche die vertraut anmutende Gestalt umgaben. Ihr übernatürlicher Glanz verwies auf ihre einzigartig feine Struktur.

Sie waren schwarz.

Den Drachen, welcher sich vom blauen Hintergrund der Seide silbern abtat, erkannte sie wieder. Dann traf sie auf die hohen Wangenknochen, denen die magentafarbenen Streifen fehlten. Sie hielt den Atem an, als sie bei seiner leeren Stirn angekommen war. So seltsam es anmutete, er schlief. Das waren unverkennbar seine Züge und doch fehlte ihnen alles Dämonische. Obwohl seine Augen noch geschlossen waren, keimte in der Göttin längst die Gewissheit, dass auch ihnen ihr raubtierhaftes Gold abhanden gekommen war.

Wie war das möglich?
 

Sie kam nicht mehr dazu, ihre Sinne nach seiner Yôki auszusenden. Da spannte sich seine Brust unter einem tiefen Atemzug. Sie wagte nicht, sich zu rühren. Stattdessen sah sie fasziniert dabei zu, wie seine Augenlider zu flattern begannen. Wäre er er selbst gewesen, sie hätte es wesentlich mehr zu schätzen gewusst, seinem Erwachen beiwohnen zu dürfen. Unter den gegebenen Umständen jedoch versteifte sie sich instinktiv - vor Anspannung. Es erfolgte wohl aus Reflex, dass er seine Umarmung noch darunter festigte.
 

„Sesshômaru?“, entwich es ihr flüsternd.
 

Zum ersten Mal war sie sich nicht sicher, ob er es überhaupt vernommen hatte. Sie nahm nicht an, dass seine Ohren noch spitzzulaufend waren.

Dann traf ihr menschliches Blau auf sein helles Braun. Erneut verschlug es ihr den Atem, als seine runden Pupillen auf ihren vor Entsetzen geweiteten lagen.

Auch er blinzelte. Mehrmals. Sie nahm an, weil er seine gewohnte Sinnesleistung vermisste.
 

Tatsächlich hatte Sesshômaru den Eindruck, verschwommen zu sehen. Er bemühte sich darum, scharf zu stellen. Vergeblich. Es blieb beim ersten Eindruck.

Das allmorgendliche Gezeter der Vögel, der Wind, der an den Pflanzen riss bis hin zu dem Rauschen der Brandung, alles erreichte sein Gehör wie durch Watte. Nur am Rande erahnte er ihren Geruch. Auch der Seine wirkte befremdlich fern. Bleiern fühlten sich seine Glieder an, ehe er sich in die Sitzende kämpfte. Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wann er je unter dem Einfluss des dämonischen Getränks in den Schlaf gefunden hatte. So viel hatte er doch gar nicht zu sich genommen.

Da erreichte ihn ihre Musterung von der Seite. Sie wirkte verschreckt, um nicht zu sagen, verängstigt - ging er nach ihren geweiteten Pupillen. Er roch nichts davon.
 

„Was?“, entfuhr es ihm tatsächlich, als seine Hand in sein Blickfeld trat.
 

Allein, dass es ihm entkommen war, bezeugte, wie sehr es ihn schockierte.

Ishizu setzte sich noch darunter auf, blieb jedoch an seiner Seite.
 

Das Erste, was er wahrnahm, waren seine Fingerkuppen. Sie waren abgerundet. Seine Krallen fehlten gänzlich. Dann realisierte er, dass die Streifen unterhalb seiner Handgelenke ebenfalls verschwunden waren. Er verweigerte noch die logische Erklärung, machte allein diese Hand doch so gar keinen dämonischen Eindruck mehr auf ihn. Er schloss die Augen, um sicherzugehen.
 

Sie konnte spüren, dass er in sich ging auf der Suche nach seiner dämonischen Aura.

Als er nur kurz darauf die Augen missmutig aufschlug und sich kommentarlos erhob, sah sie sich bestätigt. Es wirkte weniger geschmeidig als üblich. Das fiel sogar ihr auf. Mochte auch seine Bewegung ein und dieselbe sein.

Es erschreckte sie mehr, als sie es je für möglich gehalten hätte.

Sie wusste, wohin es ihn naturgemäß trieb. Also nahm sie sich die Zeit, um die Luft hörbar auszustoßen. Natürlich war es ihm mit derart stark gebannter Yôki kaum möglich, diese zu erspüren. Wer wusste das besser als sie. Es vermochte sogar, sein Äußeres zu verändern. Damit kämpfte auch sie sich auf ihre Beine, um ihm nachzukommen. Ihre Kleidung richtete sie sich nur notdürftig, ein wenig Wasser tat ihr sicher gut.
 

Er stand bereits knöcheltief in dem unweit entfernten natürlichen Wasserreservoir und besah sich sein Spiegelbild. Seine Sinne mussten es gestern noch ausgemacht haben, so zielgerichtet wie er es angesteuert hatte. Ishizu betrachtete ihn für den Augenblick stumm dabei. Die verhärteten Züge verrieten die tiefe Bestürzung. Noch schienen sie den Ekel fernzuhalten. Sie beschloss, lieber vor ihn zu kommen. Dass sie bis zum Saum ihrer Bekleidung ebenso nass wurde wie sein Beinkleid war ihr dabei egal. Es war sommerlich warm ungeachtet der Jahreszeit. Sie erschrak ebenso wie er, dass sie es vermochte, ihn zu überraschen. So gefangen war er in seinem so absurden Spiegelbild.
 

„Sie ist nur gebannt“, bemühte sie eine Beruhigung.
 

Er war nach wie vor ein Dämon. Nur, wies ihn eben nichts mehr als eben solchen aus.
 

„Ich sehe aus wie ein Mensch“, war so eisig, dass sie es unter der Oberfläche brodeln spüren konnte.
 

So seltsam es war, sie konnte es auch nicht recht erklären. Kräfte zu bannen, veränderte nicht zwangsläufig das Äußere. Da musste sie ihm zustimmen. Dennoch war ihm sein Yôki nicht genommen worden. Sie erspürte es klar und deutlich – unter der Fassade.

Nur am Rande erfasste sie die fremdartige Vertrautheit. Es veranlasste sie dazu, irritiert ihr Näschen zu kräuseln, ehe sie ihn eingehender zu betrachten begann. Wenn sie tiefer hineinfühlte, dann war da nicht nur sein Yôki. Es schien verändert, nein, das traf es nicht ganz. Eher überlagert. Orange war weit entfernt von Purpur und von Blau, dennoch war sie sich ziemlich sicher, dass hier keine Magie im Spiel war. Doch dämonisch oder gar göttlich war diese auch nicht.

Als sie dann jedoch seine Gedanken auffing, schürzte die Göttertochter erst irritiert dann jedoch immer verstimmter ihre zartrosanen Lippen.

Es war so leicht und natürlich, dass sie erschrak. Wie die Gedanken ihrer Schützlinge flossen ihr seine jetzt ungehindert zu. Sie musste sich nicht einmal konzentrieren. Ihr Blick war nicht minder harsch, der den Dämonenprinzen traf, als er vor Wut wild mit Spekulationen um sich zu werfen begann.
 

„Drachen tun so etwas nicht, Sesshômaru. Watatsumi hätte zudem keinen Grund. Es ist keine Magie, nichtmal ein Trank. Vielmehr scheint irgendetwas dein Yôki zu deckeln.“
 

Die Art, wie er sie anfunkelte, war selbst ihr fremd. Nicht einmal zu ihren Anfängen hatte sie sein Zorn so deutlich getroffen. Er schien einzig sie für sein Unglück abstrafen zu wollen. Es war wohl besser, ihn nicht auch noch daraufzustoßen, auf welche naturgegebene Art und Weise sie dadurch verbunden waren.
 

Ihm erschloss sich derweil nicht, wieso sie den Schuldigen nicht ausmachen konnte. Wenn sie also schon ungefragt in seinen Kopf eindrang, wie das scheinbar normal war unter Göttern, wieso fand sie dann nicht den Grund für all das hier heraus. Schließlich war diese Welt von ihrer Familie erschaffen worden. Wie also konnte sie das nicht wissen?
 

Aufseufzend bemühte sie sich darum, es großzügig zu ignorieren. Er war verständlicherweise außer sich.

Also fügte sie dem lediglich hinzu: „Keine Ahnung. Vielleicht ein Mischwesen. Ihre Energien nehmen eigentümliche Formen an. Mir ist bis jetzt noch keine Solche begegnet.“

Woher also sollte sie es da wissen.
 

Und wenn sie es nicht wusste, dann konnte sie auch nicht eingreifen. Erst recht nicht in ihrem momentanen Zustand. Wozu noch gleich war sie die Göttin von ihnen beiden? Sein Blick erdolchte sie nahezu und verdeutlichte damit umso mehr, wie wenig ihm das jetzt half.
 

Sie sah die Anspannung noch um ein Weiteres zunehmen. Da umfasste sie seine Wangen, einem inneren Impuls folgend. Im ersten Augenblick schien es seinen Muskeltonus noch zu steigern; sie spürte seine Wangenknochen hart gegen ihre Handinnenflächen drücken. Dann wurde sie Zeugin, wie die Spannung in ihm einem Kartenhaus gleich in sich zusammenfiel. Es überraschte sie und durchflutete sie mit einem unpassenden Hochgefühl, als er seine Augen schloss. Kaum merklich schmiegte er sich ihren Handflächen entgegen und entlockte ihr so ein liebevolles Lächeln.
 

„Ich glaube, es ist am Abend wieder vorbei. Der Bann scheint nicht stark genug zu sein, um dein Yôki auf Dauer zu binden.“
 

Dafür flukturierten beide zu unruhig umeinander. Mehr wagte sie jedoch nicht zu mutmaßen. Erst recht nicht, warum seine die Fremde scheinbar gewähren ließ. Sie hatte jedenfalls bei sich beschlossen, ihn nicht mit ihren Vermutungen zu verunsichern. Er hatte stets nur Fakten geschätzt. Und so lehnte sie schlussendlich ihre Stirn tröstlich gegen seine, der die Sichel fehlte. Ihre Fingerkuppen streichelten zärtlich seine nackten Wangen entlang. Als er sich darunter noch um ein Weiteres entspannte, wagte sie erneut ein hauchzartes Lächeln.
 

Das leise Winseln ihrer Nefrilin hob seine Augenlider umgehend. Auch sie hatte er nicht wahrgenommen. Er kam sich vor, als sei er blind und taub – wie betäubt. Nur seiner antrainierten Disziplin war es zu verdanken, dass seine Verzweiflung darüber nicht an die sichtbare Oberfläche drang. Er konnte das Gesicht nicht verlieren. Nicht vor ihr. Eisern kämpfte er sie also nieder.
 

Ishizu begegnete seinem menschlichen Braun im ersten Moment blinzelnd, vermochte sie es doch einfach noch nicht, dieses Erscheinungsbild mit ihm in Verbindung zu bringen.

Er schien es ungerührt hinzunehmen, dennoch entglitt ihr ein entschuldigendes Lächeln, ehe sie beschämt die Augen niederschlug. Sie hatte ihn beruhigen, wenn nicht sogar trösten wollen, und ihm nicht das Gefühl vermitteln wollen, er sei anders. Als seine menschliche Hand ihr Kinn auf seine so vertraut umsichtige Art und Weise unterfasste und ihren Blick in seinen hob, vermeinte sie für den Moment sein Gold hintergründig in dem hellen Braun aufblitzen zu sehen. Es spannte ihre Lippen in ihrem zarten Lächeln. Das war eindeutig er, unverkennbar. Egal, mit welchen Augen er sie ansah.
 

„Wir bleiben nicht hier“, war gebieterisch, wie sie es kannte.

Dämonen, wenn auch schwache, waren in seinem momentanen Zustand das Letzte, was sie brauchen konnten. Er war nicht bewaffnet. Ein Gedankengang, der in ihm befremdliche Empfindungen weckte, die er besser ignorierte.
 

„Und, was gedenkst du zu tun?“

Er konnte nicht fliegen.
 

„Wir finden ein Schiff und kehren nach Hause zurück“, umgehend sparte er sich.

„Und du weißt, wo sich der nächste Hafen befindet?“
 

Natürlich verwehrte er ihr eine Antwort, als er stattdessen kommentarlos zu Ai ans Ufer watete. Die begrüßte ihn sogleich mit wedelnder Rute.

Das konnte ja heiter werden. Sie nahm nicht an, dass dem ehemaligen Dämonenprinzen auch nur im Ansatz dämmerte, dass er nun nicht nur fast menschlich war, sondern auch ihre Bedürfnisse höchstwahrscheinlich teilte. Menschen mussten essen, ruhen, schlafen. Da beruhigte sie es nahezu, dass sie in einiger Entfernung bereits das erste Menschendorf erspürte. Etwas, von dem sie ihm wohl besser auch noch nichts verriet.

Rasch sah sie also zu, dass sie sich notdürftig erfrischte, ehe sie ihm nachkam. Jetzt, so vollgesogen, erwies sich der schickliche Stoff doch als arge Erschwernis. Da er bis über die Knöchel reichte, musste sie ihre Beine weit aus dem Wasser heben, um voranzukommen. Sie kam sich albern vor. Und so strafte ihr Meeresblau sein menschliches Braun ab, sobald sie neben ihn ans Ufer trat. Der schalkhafte Glanz darin war unverkennbar.
 

Wortlos griff sie in ihre Frisur und löste die eine Haarnadel, die Yoko noch gestern Abend mühevoll befestigt hatte. Es war blanke Genugtuung, dass er dem Fall ihres pechschwarzen Haarmeers um ihre schlanke Gestalt wie gebannt folgte.

Umso erstaunter vermeinte sie mitverfolgen zu können, wie sein Blick sich überrascht weitete, sobald sie das Utensil am dickeren Ende aufzuschrauben begann. Ein leises Schmunzeln umspielte ihre Züge dabei. Seine gesamte Aufmerksamkeit lag auf ihrer Hand, während sie die winzige Öffnung ganz vorsichtig auf ihre Handinnenfläche klopfte.
 

„Woher hast du den Drachenstaub?“
 

Eine Drachenschuppe war eine Seltenheit per se. Er hatte davon gelesen, dass Magiewesen selbst die abgestoßene Schuppe noch zermahlten, weil sie dem Staub die magischen Fähigkeiten ihrer ehemaligen Träger nachsagten. Dieser war grünlich und glitzerte golden. Ein verwandeltes Drachenwesen also, im Vollbesitz seiner Magie.
 

„Es war ein Geschenk“, lächelte sie nur geheimnisvoll.
 

Sie hatte also nicht vor, ihn einzuweihen.

Als sie daraufhin ansetzte, den Staub über ihre Stirn zu führen und die schmale Raute, welche der bläuliche Gottesstein dort für gewöhnlich bildete, mit ihrem Finger nachzufahren, dämmerte ihm, wieso der Wasserdrache ihre Magie erkannt hatte. Widerstandslos ließ er sie dann an sich herantreten. Sein Blick fing den Ihren ein, nachdem ihre Fingerkuppe eine weitere Portion des Staubs aufgenommen hatte, um sich schließlich auf seine Brust zu senken.

Er wusste, was sie tat, als sie begann über sein Fell und danach über den edlen Stoff seiner Seide zu fahren. Eine elektrisierende Spur dabei über seine Brust nach sich ziehend war er sich einzig noch nicht sicher, ob sie auch wirklich eine jede Kontur nachzufahren hatte. Dennoch wagte er keinen Einspruch, genoss er doch längst ihr betörendes Mienenspiel direkt vor seinen Augen. Er las darin wie in einem offenen Buch.
 

Sie erkannte es an dem Flackern in dem so befremdlichen Braun. Die Fasern waren längst rauer, das schroffe Schaben erreichte sogar sein Gehör, als ihr Finger endlich über seinem Brustbein zum Erliegen kam.

Für einen weiteren Moment war einzig das Rauschen des Meeres in ihren Rücken zu vernehmen, ehe er sich zu ihr hinabbeugte. Sie zögerte, ihm entgegenzukommen verunsichert ob der Befremdlichkeit. Da hatten sich seine Lippen schon auf ihre gesenkt. Instinktiv erwiderte sie den leichten Druck und ließ ihn ein.

Ihr wohliges Aufseufzen legte sich wie Balsam über seine strapazierten Nerven. Einem Feuer gleich schlug sich seine Sehnsucht ihren kribbelnden Weg durch ihren zierlichen Körper, als er ihre schlanke Mitte umfasste. Sie erzitterte kaum merklich gegen seine Brust. Instinktiv erfasste sie das Bedürfnis nach ihrer vertrauten Nähe, den Halt, den er suchte – und gab nur zu bereitwillig.

Als er von ihr abließ, behielt sie ihre Augen noch für einen weiteren Augenblick geschlossen und beschlagnahmte seine Aufmerksamkeit so für einen weiteren Moment. Sie hing dem Gefühl nach, welches leise in ihr verklang. Er hatte längst wieder zurück zu seiner Ausdruckslosigkeit gefunden, sobald sie sie wieder aufschlug. Einzig seine Braue kommentierte das feine Betupfen ihrer Kleidung, mit welchem sie auch diese in den Stoff der hiesigen Bevölkerung verwandelte. Sie tat es mit einem neckischen Schmunzeln ab. Als sie die Haarnadel wieder zuschraubte, meinte er die Drachenklaue zu erkennen. Sie war kohlrabenschwarz und wesentlich fester als die von Dämonen. Er erinnerte sich, dass sie sogar Dämonenschwerter zu brechen vermochten. Es weckte echtes Erstaunen in ihm – und er beschloss, dem zu gegebener Zeit auf den Grund zu gehen.

Da hatte sie ihr Haar in einem einfachen Dutt gebändigt. Ganz so, wie es die Dienerinnen auch im heimatlichen Schloss trugen. Es tat ihm weh, sie so zu sehen - und dennoch wagte er keinen Einspruch. Sie hatte recht. So fielen sie am wenigsten auf, reisten sie doch allein.
 

Als die Sonne ihren Zenit überschritten hatte, ging sie immer noch hinter ihm – einzig Ai an ihrer Seite. Das Plateau hatten sie erfolgreich hinter sich gelassen und trotzdem kam es selbst ihr so vor, als kämen sie nur im Schneckentempo voran.

Wie musste da er sich erst fühlen? Immer noch erschien ihr seine hünenhafte Gestalt so wenig menschlich. Ob er auffiele, sollten sie auf Menschen treffen? Bis jetzt waren sie niemandem begegnet. Ihre Schützlinge schienen das Wäldchen vor dem Plateau zu meiden. Die Göttin erahnte, warum dem wohl so war. Mochten die Dämonen auch bereits abgereist sein, die Spuren ihrer Auren verloschen nur langsam. Allmählich spürte sie die lange gestrige Nacht in ihren Gliedern. Sie war müde und so war sie ihm fast dankbar, als er vor der Weggabelung stehen blieb. Ohne zu murren, schloss sie zu ihm auf – und bereute es noch im darauffolgenden Moment, als ihr Magen verräterischerweise laut aufknurrte. Es konnte selbst seinem menschlichen Gehör nicht entgangen sein. Also traf sie sein verengter Blick von der Seite.
 

Sie verbat es sich, verlegen den ihren zu senken. Es war nur natürlich, dass sie Hunger verspürte – und Durst. Seit dem Morgen waren sie nur gelaufen. Erstaunlich, dass er davon noch nichts spürte. Konnte es sein, und am Ende blieb ihm das erspart?
 

„Ich erspüre Menschen in dieser Richtung“, wagte sie einen Versuch.

Das Menschendorf.
 

Sein Blick war vernichtend. Es war klar, dass sich alles in ihm dagegen sträubte, auch nur diese Richtung zu erwägen.
 

„Soll ich mir jetzt etwa Beeren im Wald suchen?“

„Kein Dämon betritt eine menschliche Siedlung, Menschengöttin“, sah er sich gezwungen, auszuführen.
 

Außer um sich von ihnen zu nähren, unterschlug er geflissentlich, wie beide wussten. Es machte nur allzu deutlich, dass es für ihn keinen triftigen Grund gab - und raubte ihr ein Seufzen. So stolz. So stur. So dumm. Warum Hilfe nicht annehmen, wenn sie einem begegnete?
 

„Wie gut, dass dir gerade das Dämonische abhanden gekommen ist, Dämonensohn“, war riskant.
 

Er erdolchte sie mit seinem menschlichen Blick. Es war surreal. Ob es sein Dämonenblut in Wallung zu bringen vermocht hätte? Sie konnte es nicht sicher sagen. Kurz zögerte sie, wog ab, sodass sich seine Augen zu Schlitzen verengten.
 

Er erwartete das Schlimmste - und war doch nicht darauf vorbereitet, als es ihn kurz und bündig ereilte: „Gut. Dann gehe ich eben und du bleibst hier.“
 

Es vermochte sogar, seine Züge zu entspannen. Das war so absurd, dass nicht einmal er sich mehr darüber echauffieren konnte. Schließlich unterstand sie seinem Schutz - egal in welchem Zustand. Er war für sie verantwortlich - und genau das wusste sie auch; und nutzte es erbarmungslos für ihre unlauteren Ziele.

Als sie sich anschickte, den Weg an ihm vorbei schnurstracks Richtung Menschendorf tatsächlich einzuschlagen – ohne ihn, hielt sein ausgestreckter Arm sie davon ab. Überrascht fand ihr Meeresblau sein menschliches Braun.
 

„Nur um zu essen.“

Sie nickte, nach wie vor erstaunt darüber, doch gewonnen zu haben.

Er war bereits voran Richtung Menschendorf geschritten, als wäre diese Entscheidung die Natürlichste der Welt.
 

Gut, es war wohl mehr als ein kleines Dorf. Sie hatte nicht erwartet, dass ihre Kräfte derart minimiert waren, sodass es einer so großen Menge an menschlichen Seelen bedurfte, um ihr den Weg zu weisen.

Dass sie sich geirrt hatte, war ihr gedämmert, sobald sie die Straße erreicht hatten. Sie war gepflastert.

Generell waren die Straßen breiter als in seiner Heimat. Zu ihren beiden Seiten erhoben sich schmale Streifen, während der Fahrweg erheblich breiter war und sich in der Mitte nach oben wölbte. Es ermöglichte dem Regenwasser beidseits abzufließen. Ishizu war entzückt, einem so deutlichen Vorboten der Zivilisation zu begegnen.
 

Also zierte ihre Züge ihr hauchzartes Lächeln in seinem Rücken, während Ai an ihrer Seite trabte.

Es konnte ihm nicht völlig fremd sein, hatte er doch automatisch den Weg auf einen der schmalen Streifen zu den Seiten gewählt.

Die Gottesdienerin schien ihre Form ein Stück weit anpassen zu können. Sie wirkte nun kleiner auf ihn, weniger groß als ein Wolf und dennoch nicht klein genug für eine Hündin. Hechelnd trabte sie ergeben zu Ishizus Seite, als er sie schweigsam durch die Gasse an eng aneinander gereihten Häusern führte.

Ihre Dächer waren ebenso geschwungen und ausladend zu ihren Seiten, wie in seiner Heimat. Neben ihrer Ornamentik unterschied sie am Deutlichsten die Betonung in die Breite. Dennoch war der rege Austausch beider Länder nicht zu verleugnen.

Sie mussten bald auf die Poststraße treffen. Ob er bereit dazu wäre, von nun an dieser zu folgen? Bargen sie doch eine wesentlich höhere Gefahr, Menschen zu begegnen.
 

Ishizu zuckte leicht zusammen, ob der barsch erhobenen Stimmen der beiden Männer zu ihrer Linken, welche wild gestikulierend ihre Argumente einander entgegenschmetterten. Die Worte wurden zu schnell und zu abgehackt durch ihre erhitzten Gemüter gewechselt, als dass sie alles verstand. Die Heftigkeit ihrer Unterhaltung hatte selbst sie vergessen.

Sesshômaru schloss einzig die Augen, während er unbeirrt voranschritt. Er war nicht einmal im Ansatz gewillt, etwas davon verstehen zu wollen.

Mal schienen sie sich ihre Meinung über ihre Waren hinweg entgegenzuschreien, welche sie vor ihren Behausungen darboten.

Dann brüllten sie einander an und fuchtelten dabei wild mit den Armen herum. Er hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Nicht einmal im Lager der Krieger des Westens nach dem errungenen Sieg. Und da unterstellte man seiner Art das Barbarentum. Es war impulsiv, maßlos aufdringlich und widerte ihn an.

Mit anderen Worten: Es entsprach seinem Bild von ihren Schützlingen.
 

Natürlich blieb es ihr nicht verborgen. Mochte sie sich auch außer Stande sehen, einzugreifen. So gerne wollte sie dem Dämon erklären, dass es eine andere Form der Kultur war, die er hier beobachten konnte, wollte ihre Menschen in Schutz nehmen. Doch dazu hätte sie ihm offenbaren müssen, wie penibel diesmal sie seinen Zustand überwachte.

Sein magischer Schutz war ihm genommen worden. Es hatte einen Moment gebraucht, ehe es ihr in all seinen Auswirkungen vollends bewusst geworden war. Ihre naturgegebene Verbindung zu ihren Schützlingen traf nun auch auf ihn zu. Ein Umstand, dem sie nicht hatte widerstehen können. Zumal sie nicht sicher war, ob er die Warnsignale seines Körpers überhaupt zu deuten wusste. Kannten Dämonen überhaupt das bleierne Bedürfnis nach Schlaf, die schmerzhafte Leere des Hungers im Bauch oder gar den trockenen Geschmack des Dursts?

Also zierte längst ihr hauchzartes Lächeln ihre für eine Menschenfrau ungewöhnlich feinen Züge. Sie hielt sie unter ihrer Kapuze verborgen, seit sie die Grenzen zu den menschlichen Behausungen überschritten hatten. Obgleich die Sonne hoch über ihnen stand. Sie wollte ihnen Ärger ersparen. Menschen, welche Dämonen nicht kannten, erlagen ihrer Faszination für das Übernatürliche wie Kinder der Anziehungskraft von Feuer. Es ließ so manchen all seine Erziehung von jetzt auf gleich vergessen.
 

Trotzdem vermeinte sie den ein oder anderen neugierigen Blick verhalten auf ihnen. Sie war sich sicher, dass er ebenso ihr galt, wie seiner für einen Menschenmann unnatürlich stattlichen Erscheinung. In dieser Zeit sollten sie Fremde längst gewohnt sein. Dennoch war sein Gang der eines stolzen Kriegers – er konnte es nicht verleugnen. Sie passten nicht hierher. Also konnte die Göttin einzig hoffen, dass sie sie als sonderbare Durchreisende akzeptierten. Als sie das leise Gefühl in ihm erspürte, konnte sie das Zucken um ihre Mundwinkel nicht verhindern. Es musste beschämend für ihn sein, sofern er es kannte. Darüber regte sich das Mitgefühl in ihr.
 

Fast glaubte er seine ausgeprägten Hundesinne für den Moment zurück, als ihm der Geruch in die Nase stieg. Er erinnerte ihn aus dem väterlichen Schloss. Mochte er ihm auch nie eine Bedeutung beigemessen haben, so wusste er doch, dass Reis zu ihren Grundnahrungsmitteln zählte. Als angenehm hatte er den aufdringlich-süßlichen Geruch jedoch nie empfunden. Umso rabiater brach das seltene Empfinden in sein Bewusstsein – dicht gefolgt von der bitteren Erkenntnis, dass Hunger wohl selbst die schwächlichen Sinne ihrer Schützlinge zu schärfen vermochte. Einen Augenblick erwog er, abzubiegen - den Weg in die entgegengesetzte Richtung demonstrativ einzuschlagen.

Da erfasste er ihre Gestalt im Augenwinkel bereits den Weg der Nase nach nehmen. Ai wie stets treuergeben an ihrer Seite. Er verbat sich jegliche Unregelmäßigkeit in seiner Atmung und schloss einzig die Augen, ehe er ihr nachsetzte. Je eher sie gegessen hatte, umso rascher hatten sie diesem Dorf den Rücken gekehrt.

Er sah das Schmunzeln nicht, das sie hinter dem wenig gemusterten Stoff kaschierte, als ihre filigranen Finger den Rand der Kapuze fester umfassten.
 

„Wie viel könnt ihr mir hierfür geben?“
 

Der breitschultrige Glatzkopf mit dem dicken Bauch rümpfte seine kolbenartige Nase.

Das Posthaus lag am anderen Ende der befestigten Straße. Ishizu war dankbar um diese Einrichtung. Sie war umgeben von der Verschiedenheit nicht nur dieses Landes. Die Luft war erfüllt vom lebendigen Austausch. Tatsächlich fielen sie unter all der Andersartigkeit kaum auf. Selbst die weiße Hündin, die nicht von ihrer Seite wich, wurde hingenommen.
 

Ungerührt wanderte auch sein Blick über seine Schulter auf das Stofftuch, in welchem Ishizu die Jadearmreifen präsentierte. Sie trug sie selten. Eine Verschwendung sie als bloßes Schmuckstück zu gebrauchen. Jade hatte die Eigenart, Magien zu speichern. Seine Art nutzte das. Er nahm an, die Ihre ebenso.
 

„Frau, es ist mir per Gesetz verboten, Tauschwaren anzunehmen. Das Papiergeld ist die neue Währung“, bestätigte Sesshômaru nur mehr darin, wie selten dämlich ihre Schützlinge waren.
 

Was machte ein Siegel auf Papier wertvoller als Jade? Allein, dass es offenkundig ein Gesetz brauchte, um seine Akzeptanz zu erzwingen, bekräftigte ihn darin, wie wenig sinnvoll dieses Unterfangen war.
 

Ishizu war dagegen nicht überrascht. Dennoch hatte sie sich dazu entschieden, diesen Versuch zu wagen. China war dabei, sich der Welt zu öffnen. Ein Umstand, der den wenigsten seiner Einwohner geheuer war, wie sie wusste. Also hatte sie gehofft, dass ihr Gegenüber gewillt war, das Gesetz zu umgehen. Sie kannte die momentanen Papiere nicht, hatte das Siegel aus Zinnober darauf nie erblickt, welches bereits seit einiger Zeit im Umlauf war. Wie also hätte sie diese herbeizaubern sollen? Sie wollte gerade ansetzen, den Unwillen, den sie in ihrem Gegenüber durchaus erspüren konnte, zu adressieren, da erregte Ais aufkommendes Knurren an ihrer Seite ihre Aufmerksamkeit. Im Augenwinkel registrierte sie die plötzliche Bewegung.
 

Ein Ruck erfasste Sesshômaru, noch ehe sich ihm Ais Knurren erschließen hatte können. Es fühlte sich befremdlich an. Nicht einmal im Kampf hatte man ihn bis dato je so erfasst. Unbändige Wut und Empörung ergriffen pfeilschnell Besitz von ihm. Er hatte es nicht kommen sehen. Einen Wimpernschlag darauf hatte Sesshômaru schon den Schuldigen am Kragen gepackt und mit nur einem Arm vor sich in die Luft erhoben.

Ishizu blinzelte irritiert. Offensichtlich hing seine unmenschliche Kraft nicht an seiner Yôki.

Die Füße des Unwürdigen baumelten ein gutes Stück über dem Boden, als das menschliche Braun den Todgeweihten in seinen erbarmungslosen Fokus nahm.

Unverkennbar, dass er derlei Überraschungen nicht schätzte.

Der Mensch blickte daraufhin etwas verängstigt drein, während er wie ein nasser Sack über dem Boden hing.
 

„Haltet ihn!“, verhallte nahezu ungerührt durch ihre angespannten Sinne.
 

Es war ein Sakrileg, ihn auch nur zu berühren. Dieser Mensch hier hatte ihn angerempelt und ihn unweigerlich damit auch noch auf seine momentan schwächliche Verfassung aufmerksam gemacht.

Es war belanglos, dass es nur aus Versehen passiert war. Wohl auf der Flucht vor den beiden, welche durch die staunende Masse an Umstehenden herbeigeeilt kamen.

Ishizu wagte nicht den Blick von Sesshômaru abzuwenden. Akribisch wanderte sie seine verhärtete Miene ab. Nur im Augenwinkel erfasste sie, dass die Menge sich rasant teilte.

Ungläubig verlangsamten sich die Schritte der beiden breitschultrigen Männer. Sie mochten hochgewachsen sein. Sesshômaru überragte sie dennoch in seiner unmenschlichen Gestalt.

Die einsetzende Stille lastete schwer auf Ishizus wachsender Nervosität. Sie waren bereits zum Mittelpunkt des Geschehens geworden.
 

Sesshômaru, ereilte es ihn zaghaft, unterstützt vom leisen Winseln der Wölfin in Hundeformat.
 

Er ahnte, was sie meinten. In seiner Welt war der Mensch dem Tode geweiht. Als einfacher Mensch jedoch oblag es ihm wohl weniger, über dieses erbärmliche Exemplar dieser Art zu richten. Es würde ihre Tarnung sprengen. Also entließ er ihn unsanft auf den Boden.

Er hatte nervös begonnen um sich zu treten, kaum waren die beiden Anderen in sein Blickfeld getreten. Sie kamen sogleich heran, als er laut plumpsend auf seinen vier Buchstaben landete. Er wurde eilends nicht minder grob auf seine Beine zurückgezogen. Erst jetzt bemerkte Ishizu die Ledertasche, welche die Männer ihm prompt entrissen.

Sie übergaben sie einem weiteren Mann, der ihnen nachgekommen war. Der Fremde bedachte es mit einem dankbaren Nicken, ehe er sie und Sesshômaru ins Auge fasste. Seine Statur war etwas schmächtiger als die der beiden Großgewachsenen, welche den offenkundigen Dieb in ihre Mitte nahmen.

Seine Augen wirkten gütig und aufrichtig. Von ihm ging keine Gefahr aus. Seine Aufmachung ließ eine gute Versorgung jedoch keine hohe Stellung vermuten. Sie war ordentlich und zu Ishizus Überraschung war er dennoch in feinste Seide gekleidet.
 

„Ich danke Euch für Euer mutiges Eingreifen. Ihr habt mir und meiner Familie einen Monatslohn gerettet.“
 

Ishizu verbarg ein ungläubiges Grinsen hinter seinem Rücken und schielte kurz zu ihrer Nefrilin in Wolfsgestalt. Ai wedelte mit ihrer Rute, legte den Kopf jedoch nicht minder überrascht schief. Er schien sich doch tatsächlich Freunde zu machen.
 

„Ihr seid offensichtlich auf der Durchreise. Wenn Ihr erlaubt, so möchte ich mich gerne erkenntlich zeigen und Euch in meinem Haus willkommen heißen“, ereilte sie dann, nachdem er ihre Erscheinung ein weiteres Mal abgewandert war.
 

Sesshômaru verharrte ungerührt. Sein Blick maß den Menschenmann mit der üblichen Abfälligkeit. Er hatte kein Interesse, dem auch nur irgendwie zu begegnen. Also schritt er nicht ein, als Ishizu sich aus seinem Rücken schälte. Ganz im Gegenteil war er froh um ihr Eingreifen, musste er doch so seine Stimme nicht bemühen. Er bereute es noch im darauffolgenden Moment.
 

„Wenn Ihr erlaubt, eine Kriegsverletzung macht es meinem Gemahl unmöglich zu sprechen. So möchte ich gerne an seiner Statt antworten und Eure Einladung dankend annehmen.“
 

Während der Dämon noch über das befremdliche ''Gemahl'' stolperte, hatten sich seine Augen schon im nächsten Moment zu Schlitzen verengt. Noch darunter lugte ihr Meeresblau wohlwissend von der Seite zu ihm hinauf.
 

Es erspart dir den Umgang mit meinen Schützlingen und schont damit deine Nerven , ignorierte sie sein deutliches Missfallen.
 

Selbstverständlich wusste sie, dass es darum nicht ging.

Sein Blick lag vernichtend auf ihr, während sie sich ihm zuwandte und behutsam das Tuch um seinen Hals schlang, in welchem sie zuvor die Armreifen präsentiert hatte. Sie klimperten dabei um ihre zierlichen Handgelenke. Es sollte wohl die erfundene Verletzung kaschieren.

Wäre es ihm möglich, sein Blick allein hätte sie noch darunter wohl niedergestreckt.
 

Ein Dämon nimmt keine Hilfe von... Menschen an, er blieb neutral - ihr zuliebe.
 

Dennoch wäre es ihm fast entkommen. Aus Gewohnheit wohl. Sie war sich sicher, hätte er gesprochen, er hätte vor Zorn geknurrt.

Natürlich war es längst zu spät, wollte er sie nicht bloß stellen. Dennoch war er drauf und dran. Für einen Moment verspürte er die tiefe Bereitschaft dazu.

Sie konnte sehen, wie sich seine Gesichtsmuskeln charakteristisch spannten unter seiner Abneigung. Er rang mit sich.

Abermals wanderte er ihre so unmenschlichen Züge ab. Natürlich erkannte er die Möglichkeit, etwas Zuessen zu bekommen, so wie es sich für sie ziemte. Dieser Ort hier war ihm zuwider - und war definitiv nichts, wo sie hingehörte.

Und so war es einzig der Tatsache zu verdanken, dass sie seinem Blick die ganze Zeit über standgehalten hatte, dass sie sein dezentes Nicken überhaupt wahrnahm, mit dem er widerwillig seine Einwilligung gab.

Sie dankte es ihm mit ihrem bezaubernden Lächeln, ehe sie sich zu ihrem Gastgeber umdrehte.
 

Der stand noch den breitschultrigen Männern zugewandt und verabredete sich mit ihnen im Rathaus für den morgigen Tag.

Menschen hatten eine merkwürdige Art mit Dieben umzugehen. Hielt sich doch sein Vater mit solchen Nichtigkeiten nicht auf. Dämonen entledigten sich solch gesellschaftsuntauglicher Nichtsnutze noch an Ort und Stelle, urteilte Sesshômaru verächtlich, ehe Ishizus Stimme in seinen Gedanken ganz natürlich verklang, fast wohltuend. Hatten ihre Schützlinge weit weniger unter der Präsenz ihrer Götter zu leiden als seine Art?
 

Wir brauchen andere Namen. Sesshômaru ist nicht gerade typisch unter Menschen... kein Mensch würde auch nur in Erwägung ziehen, eine Art und Weise zu töten als Namen für sein Kind zu wählen, das ist barbarisch.
 

Barbarisch wie ein Yôkai, Megami!, donnerte es sofort erzürnt dazwischen.
 

Er war nicht dumm. Sein Vater hatte sich stets mit Menschen umgeben. Also war auch ihm zu Ohren gekommen, was so manche minderbemittelte Seele von ihren Sitten hielt. Nur, dass ausgerechnet sie jetzt damit kam, traf ihn schwerer, als er sich eingestehen wollte.

Erschrocken lag ihr geweitetes Meeresblau sofort auf seinem verengten Braun. Natürlich war es nicht für ihn bestimmt gewesen. Sie hatte sich ihm nicht verschlossen. Tatsächlich hatte sie einfach auf ihre derzeitige Verbindung vergessen.

Instinktiv suchte sie seine Nähe, als ihre zarte Hand an seine Brust fand. Sein Augenpaar lag eisig auf ihr. Das menschliche Braun machte dabei keinen Unterschied.
 

Du bist kein Barbar. Du bist ein Prinz unter den Yôkai... Mein dunkler Prinz, und die Zärtlichkeit in ihrem flackernden Meeresblau vermochten es doch tatsächlich, seine Züge zu entspannen.
 

Fest verfingen sich ihre Blicke. Er ließ sie gewähren, als ihre Augenlider sich bereits wieder verführerisch senkten. Dann stoppte sie abrupt - weit vor seinen Lippen. Noch ehe Ai protestieren konnte.
 

Es ist ihnen unangenehm, offenbarte die tiefe Verbundenheit der Göttin mit ihren Schützlingen.
 

Es hob seine Augenbraue vor Belustigung. Überraschte sie das wirklich?
 

Kein Wunder, so etwas gehört ins Schlafzimmer, Megami, ließ er sich zu einer grausam nüchternen Erläuterung herab.
 

Es ließ sie sofort erröten und senkte verlegen ihren Blick. Zuweilen neigte sie dazu, zu vergessen, in welchem Umfeld sie sich befand. Der Tadel aus hundeartigem Gold kam nicht überraschend.
 

Wenn wir allein wären...

Wiederholte ich alles, was ich gestern Nacht tat, erhob ihren Blick blitzartig zurück auf seine ungerührten Züge.
 

Sie war fassungslos. Er zuckte nichtmal mit der Wimper. Merklich stieß sie die Luft aus, während sein Braun ihr in gewohnter Überheblichkeit entgegenfunkelte.
 

Du bist gemein.

Strafe muss sein, Ishizu.
 

Sie schürzte einzig die Lippen, ehe sie sich von ihm ab und dem Fremden zuwandte.
 

„Ihr mögt mir verzeihen, eine Einladung auszusprechen, ohne mich vorzustellen“, galt wieder ihnen beiden.
 

„Mein Name ist Feng Ning“, deutete eine leise Verbeugung zum Dank an.
 

Es trieb Sesshômarus Braue verächtlich unter seinen Pony. Der Mensch schien noch nicht vielen hochrangigen Würdenträgern begegnet zu sein.
 

„Fa Wei und mein Name ist Fa Ti-shì. Wir sind erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen“, lenkte seinen Blick zurück auf ihr Pechschwarz.
 

Sie wählte den Namen ihres Vaters, wie es üblich war. Wenn er das richtig verstand, verehrten sie ihn hier demnach als höchste Gottheit Ti.
 

„Wenn Ihr mir folgen mögt, mein Haus ist nicht weit“, untermauerte Ning noch mit einer einladenden Geste.
 

Ishizu wagte ein Lächeln. Sie erkannte die Aufrichtigkeit in seinem Herzen, noch ehe er sich zum Gehen wandte.

Da hielt sie sein zarter Griff um ihren Oberarm zurück. Automatisch stellten sich ihr die Nackenhaare auf, als sein Atem heiß ihre runde Ohrmuschel traf, ehe sie seine Stimme einem Hauch gleich erreichte.
 

„So gedenkst du also deinen Gedankengang wieder gut zu machen, Megami?“, raubte ihr ein zartes Grinsen.

Der Spott vibrierte nahezu auf vertraut betörende Weise in ihren Gehörgang.
 

Findest du ihn etwa unpassend, Yôkai?

Er war stark und seine Gestalt erhaben. Was wollte er mehr?

Sie sah das Zucken um seine Mundwinkel nicht, hörte jedoch den verräterischen Atemzug nahe an ihrem Ohr, ehe auch er ihre Verbindung nutzte.
 

Wie nennen sie dich hier, Ishizu?
 

Ähnlich wie bei Euch habe ich hier keinen Kult. Deshalb darfst du mich auch Megami und nicht Kami nennen, Sesshômaru. Shenmi kommt dem vielleicht am nächsten, wenn man mich hier adressieren wollte, erklärte sie in seinem Kopf, während sie sich mit Blick zu Ai anschickte, Ning zu folgen.
 

Ein Geheimnis der Götter schien sie demnach auch hier zu sein. Es war also nicht fern der Wahrheit, kombinierte er trocken.

War das ihre Möglichkeit zu lügen, so nahe an der Wahrheit zu bleiben wie möglich? Doch wie erklärte sich dann die fingierte Kriegsverletzung?
 

Ishizu nahm es schmunzelnd hin, ehe sie sich aus seinen Gedanken zurückzog.

Eigentlich hatte die Situation durchaus ihre Vorzüge. Bot sie dem stolzen Dämon doch ungeahnt lehrreiche Einblicke. Eine durchaus göttliche Erziehungsmethode. Ob ihre Tante? Nein, beschloss sie, solch einer Gefahr würde sie sie nicht aussetzen. Egal in wessen Reich sie sich befand.
 

Ning und seine Familie produzierten Seide. Das war Ishizu rasch bewusst geworden, noch während sie den ausladenden Hof betreten hatten und der Wind ihr das Rascheln durch die Blätter der Haine an Maulbeerbäumen zugetragen hatte. Der Rauch, welcher aus einem der zahlreichen Wirtschaftsgebäude in das Orangerot des abklingenden Tages entstiegen war, hatte es nur mehr bekräftigt. Zudem erklärte es die edle Seide seiner Kleidung.

Tatsächlich musste auch Sesshômaru sich eingestehen, dass dieser Mensch sein Handwerk verstand. Der Stoff, gegen den sein Rücken lehnte, erinnerte fast an die magisch feine Seide, welche seine Art nutzte. Der Mensch war offensichtlich stolz auf sein Produkt, war doch der ganze quadratische Raum, den sie ihnen zugewiesen hatten mit Seide verkleidet. Selbst die Wand. Nur am Rande erreichte ihn das Knarzen des Holzes, als sie ihren Fuß zurück auf die Veranda setzte. Das Kratzen und Schaben der Krallen ihres vierbeinigen Schattens verklang bald neben ihr. Ai fand umgehend ihren Weg vor das ihnen zugewiesene Zimmer. Ein charakteristisches Rumpsgeräusch später kündete davon, dass die Hundeartige ihren Schützling seiner Obhut übergeben und sich selbst zur Ruhe begeben hatte.

Die Türen zum Garten standen weit offen.

Die Dunkelheit wurde einzig von dem flackernden Kerzenschein erhellt.

Es genügte bei Weitem nicht, um seine derzeit minderbemittelte Sehkraft auszugleichen. Also beließ er die Augen geschlossen, während sie den Raum betrat. Er wollte nicht sehen, was er vermisste.
 

„Wo warst du?“, lenkte ihren Blick zu ihrer Linken auf seine scheinbar entspannten Züge.
 

Es war seltsam, dass er fragen musste - für beide.

Er wirkte mürrisch. Weil sie in einem Menschenhaus waren?

Es musste weit unter dem Standard liegen, den er gewohnt war – Seide hin oder her. Die Einrichtung war einfach gehalten.

Das Anwesen dagegen war groß mit vielen typisch in die Länge gezogenen Gebäuden. Das Haupthaus in U-form bereits erweitert. Dennoch bezeugten seine eingeschößige Bauweise und nicht zuletzt seine Farben den niederen Stand. Die Kaufleute verdienten besser als die Produktionsstätten. Doch Ning schien gut davon leben zu können – sofern man ihm nicht seinen Geldsack stahl. Seine Frau Mailin war wirklich außergewöhnlich schön. Sie und er waren einfache aber gütige Leute. Beide waren jung – und sie meinte, dass selbst Sesshômarus Blick für einen winzig kurzen Moment auf dem feinzügigen Gesicht der Menschenfrau verweilt war, irritiert ob ihrer ungewöhnlichen Schönheit.

Ob er glaubte, dass nur übernatürliche Wesen schön waren?
 

„Ich habe das Anwesen gesegnet“, öffnete seine Augen.
 

Sein Blick glich dem aus Raubtiergold, als er ihren anmutigen Schritten an seine Seite folgte. Es war klar, dass er es nicht nachvollziehen konnte.
 

„Es soll das Glück einkehren. So bedanken wir uns bei unseren Kindern. Für ihre Hilfsbereitschaft“, trieb seine Augenbraue gen Stirn.
 

Es raubte ihr ein lautes Aufseufzen, das ihn zu amüsieren schien. Zumindest glaubte sie sein menschliches Braun charakteristisch funkeln zu sehen.
 

„Sie laden uns in ihr Haus, teilen ihr Essen mit uns und geben uns eines ihrer schönsten Zimmer.“
 

Dieses „schönste“ Zimmer, wie sie es nannte, würde sein Vater nicht einmal einem ihrer dämonischen Bediensteten zuweisen, geschweige denn einem Gast. Zumal er die Fülle an Seide als unpassend empfand. Die Matten waren einfach, die Möbel brauchbar, sofern man ihrer bedurfte, die Größe nicht viel mehr als eine Kammer im Schloss des Westens. Er war nicht beeindruckt.
 

„Sie bieten uns Obdach für die Nacht, obwohl sie keinen Palast besitzen“, insistierte Ishizu.
 

„Sie sind mir zu Dank verpflichtet“, schürzte ihre zartrosanen Lippen vor Empörung.
 

Das war keine selbstlose Großzügigkeit.

Unter dem leisen Zucken seiner Mundwinkel lehnte er den Kopf wieder zurück und schloss die Augen. Er fand das offenkundig übertrieben und nicht angebracht.

Ishizu stieß hörbar die Luft aus. Das durfte jawohl nicht wahr sein. Wie konnte man nur so überheblich sein?
 

„Dann hätte ein Essen ausgereicht“, kündete ihm eine unliebsam-hitzige Diskussion an.
 

Er verdaute gerade noch die seltsam breiige Nahrung, welche ihre Menschen zu sich nahmen - ohne zu wissen, ob sein Körper diese überhaupt vertrug. Wieder hatte er ihrem Drängen nachgegeben.

Und jetzt fühlte es sich befremdlich an. So hatte sich sein Magen noch nie angefühlt. Er hatte demnach nun wirklich nicht den Nerv dafür, sich von ihr erst anfahren und dann auch noch belehren zu lassen. Also fuhr er ihr barsch dazwischen.
 

„Du hast gelogen, heute“, kam unerwartet und kräuselte ihr kleines Näschen auf ihre verführerische Art und Weise.
 

Es vermochte ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Kurz besah sie sich den Dämonensohn eingehender. Angriff war doch die beste Verteidigung. Sie bedurfte eines Augenblicks, um ihre eigene Empörung niederzuringen. Es hatte ja doch keinen Sinn. Nicht, wenn er so verbohrt war. Soweit kannte sie ihn mittlerweile bereits. Sie redete nur wieder gegen eine Wand. Also lenkte sie schlussendlich ein – seiner und damit ihrer Nerven zuliebe.
 

„Es ist nicht so, dass Götter es nicht vermochten, Sesshômaru. Wir halten nur nichts davon, wenn es nur unserem eigenen Nutzen dient. Hier hilft und schützt es auch Ning und seine Familie“, ganz zu schweigen von ihm.
 

Er hatte also recht behalten. Es war ihr eigener Anspruch, ihr Ideal, das sich dagegen sträubte. Diesmal entlockte es ihm sein schmales Lächeln, was der Göttertochter irritiert die Stirn in Falten legte. Abermals schien sie abzuwägen, als ihr Meeresblau auf ihre einzigartig liebevolle Weise über seine Züge wanderte.
 

„Du erwähntest, es sei am Abend vorbei“, entkam ihm bereits wieder ungerührt – als sei es eine Belanglosigkeit für ihn.
 

Es war klar, dass dem unmöglich so war. Allein, weil er es ausführte. Da er die Augen weiterhin geschlossen behielt, entging ihm ihre sorgenvolle Musterung.
 

„Der Abend hat gerade erst begonnen“, wandte sie zaghaft ein.
 

Was erwartete er?

Er war offenkundig missgelaunt. Kein Wunder.

Körperlich schien es ihm dagegen gut zu gehen. Er hatte lediglich gut gegessen.

Mailin war eine hervorragende Gastgeberin. Also hatte sie umgehend nachgeschöpft, kaum, dass sie eine Schale leer vorgefunden hatte.
 

„Ich hatte erwartet, du hörst auf, sobald du satt bist.“
 

Sie hatte sich zwar gewundert, dass er stets seine Schale geleert hatte. Aber, woher hätte sie auch ahnen sollen, dass er mit japanischen Essgewohnheiten vertraut war. Er war ein Dämon, kein Mensch.

Eingedenk seines Stolzes hatte sie also erst bei der dritten Schale gewagt, ihn auf den gravierenden Unterschied zwischen beiden Esskulturen hinzuweisen. Natürlich fühlte sich sein Bauch daher gut gefüllt an. Obgleich es bereits eine gute Weile zurücklag.

Sie hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, was und vor allem wie er und sein Vater Nahrung zu sich nahmen. Dennoch, befand sie, hatte sie eingegriffen, ehe er sich übergessen hatte. Er schien es lediglich nicht gewohnt zu sein, etwas im Magen zu haben.

Er dagegen sah nach wie vor nicht, woher er hätte ahnen sollen, dass eine leere Schale darum bat, gefüllt zu werden anstatt anzuzeigen, dass er geendet hatte.

Er beließ es unkommentiert. Bezeichnenderweise. Es untermauerte nur noch sein Desinteresse an einem Wortgefecht - und heizte die Sorge in ihr an.
 

Nie zuvor hatte sie ihn so erlebt, geschweige denn je gedacht, ihn so offenkundig leiden zu sehen.

Dabei hatte er sich so tapfer geschlagen - trotz der Nähe zu all so vieler ihrer verabscheuten Schützlinge. Er hatte sich sogar beherrscht und den unwürdigen Pechvogel, welcher ihn angerempelt hatte, verschont.

Zudem war er mit hierher gekommen, hatte menschliche Nahrung gegessen, wenn auch mit äußerstem Widerwillen und um seinen eigenen grummelnden Magen zu befrieden. Dann hatte er sie sogar begleitet, als sie Nings Einladung gefolgt war, ihr seine Produktionsstätten zu zeigen. Allein hatte seine Erziehung sie wohl schlecht mit dem Menschenmann gehen lassen können.

Natürlich hatte sie nicht widerstehen können. Und er nicht, sie darauf hinzuweisen, wie barbarisch ihre Schützlinge doch das Leben der Raupen im siedendheißen Wasser opferten, um die Fäden von den Kokons zu lösen. Mit dem einzigen Ziel, an den von Natur aus glänzenden Stoff zu kommen.

Unverkennbar, welcher Absicht er da nachgegangen war. Glaubte er wirklich, sie kannte ihre Schützlinge nicht, wusste nicht um die Untiefen, welchen ihre Seelen anheimfallen konnten? Und da glaubte er seine Art vernünftiger?

Es war seinem Vater zu verdanken, dass sie dagegen hatte halten können. Denn dank ihm wusste sie, dass seine Art zwar nicht die Raupen tötete, ihnen jedoch den natürlichen Schutz nahm, indem sie sie der magischen Fäden beraubte. Sie überantworteten die dämonischen Pendants damit ihren naturgegebenen Fraßfeinden. Es hatte ihn tatsächlich verstummen lassen. Kommentarlos hatte er von da an Nings Ausführungen und Demonstrationen über sich ergehen lassen - ohne sie in ihrer Neugierde auch nur weiter bremsen zu wollen.

Alles in allem hatte er heute also eine Umgänglichkeit bewiesen, die sie dem verwöhnten Dämonenprinzen noch vor zwölf Stunden niemals zuzutrauen gewagt hätte.

Er verdiente eine Belohnung.
 

Das Rascheln ihres Stoffes drang selbst an seine runden Ohren, sobald sie etwas näher an ihn heranrobbte. Mochte es auch seine Augenlider nicht heben, sie wusste sich seiner Aufmerksamkeit sicher.

Also erhob sie ihre Stimme lediglich zu einem zärtlichen Flüstern an seiner Seite.
 

„Ich fand deinen Namen von Beginn an faszinierend“, lenkte sein Augenmerk auf sie.
 

Mutig ihren Gedankengang von heute Nachmittag noch einmal aufzugreifen.

Ihr Lächeln war kämpferisch, mit dem sie seiner skeptisch gezückten Augenbraue begegnete.
 

„Er sagt viel über eure Kultur und Sicht auf die Welt aus. Dein Vater muss sehr stolz gewesen sein, als er ihn wählte.“
 

„Du übersiehst, Megami, dass er auch einen gewissen Anspruch beinhaltet“, gab er zu bedenken.
 

Sie musste sich mehr anstrengen, wenn sie ihm schmeicheln wollte – erst recht nach dem Patzer von heute.

Ihr leises Schmunzeln akzeptierte die Herausforderung bereitwillig.
 

„Dem du unleugbar gerecht wirst. Er ist stolz auf dich“, bekräftigte sie.
 

Natürlich, warum sonst vertraute er ihm sein ambitioniertestes Unterfangen an: Sie.

Doch, wie lange mochte sein Stolz auf ihn noch anhalten?

Er widersprach jeder Verpflichtung, die er seinem Vater schuldete. Ganz zu schweigen von der, die ihn an den Herrscher über seine Art band. Sie war an sich schon unbegrenzt und nie zur Gänze zurückzahlbar.

Und er kam ihr nicht einmal mehr nach - ein jedes Mal, wenn er sie auch nur ansah.
 

„Zuneigung ist keine bewusste Entscheidung – wie die Führung deiner Klinge“, bemühte Ishizu eine Erleichterung.
 

Er ignorierte ihre Daueranwesenheit in seinen Gedanken längst großzügig. Es barg gewisse Annehmlichkeiten. So ersparte es ihm die Konversation mit ihren Schützlingen oder erlaubte eine zwischen ihnen, ohne gar seine Stimmbänder zu bemühen.

Natürlich verstand sie die Funktionsweise seiner Welt nicht. Sie entstammte ihr nicht. Dennoch glaubte er erahnen zu können, was sie meinte.

Die Unruhe, die ihn befallen hatte, kaum hatte er sie das erste Mal erblickt. Sie hatte ihn seither nicht mehr losgelassen. Einzig, wenn er sie berührte, wenn allein sie seine Sinne beherrschte, dann erhaschte er einen flüchtigen Moment der geruhsamen Befreiung. Sie musste es längst ahnen, so regelmäßig, wie er dem mittlerweile nachgab. Nicht nur heute.
 

Wie aus dem Nichts ereilte sie da seine Berührung, als seine Hand über ihre Wange rasch in ihren Nacken fand. Der Zug an seine Lippen erfolgte so rasant, dass er ihr den Atem stahl. Sie musste sich auf ihre Hand abstützen, um nicht gegen ihn zu fallen. Dennoch erwiderte sie seine forsche Zärtlichkeit nicht minder sehnsüchtig.
 

„Es war eine bewusste Entscheidung, deine Gemächer zu betreten“, erfolgte an ihren Lippen, noch während sie merklich Atem schöpfte.
 

Sie erkannte, dass es das war, was er sich vorwarf. Die Entscheidung zum Ungehorsam. Sah er nicht, dass er sich damit selbst in Ketten legte?
 

„Weißt du, in dieser Kultur hier darfst du dich gegen deine Verpflichtungen entscheiden, wenn ihnen nicht mit Wohlwollen begegnet wird, Sesshômaru.“
 

„Das widerspricht jeglichem Ehrgefühl meiner Kultur, Ishizu“, erstickte ihren Versuch erbarmungslos im Keim.
 

Es entlockte ihr dennoch ein versöhnliches Lächeln.

Sie verstand. Es musste für ihn einem Verrat an seinen Werten, wenn nicht gar einer Schwäche gleichkommen.

Als sie seine Züge abwanderte, welche wieder zu seiner scheinbar kühlen Gleichgültigkeit zurückgefunden hatten, musste sie sich letztlich die Ehrfurcht eingestehen, welche er ihr abverlangte; davor, dass er sich derart rigoros solch strikten Normen unterzuordnen bereit war. Sie bewunderte seinen Stolz und seine Disziplin. Ob sie es wollte oder nicht.

Sein menschliches Braun maß derweil ihre Mimik längst wieder auf die vertraute Art und Weise – lauernd, wie das Raubtier seine Beute. Ihr entglitt ein zartes Lächeln darüber, ehe sie ihren Beschluss fasste. Er erkannte es sofort – und war doch völlig überrascht.

Sie saß immer noch auf ihren Schienbeinen, viel zu nahe neben ihm, als dass es nicht ihre letzte Intimität verraten hätte.
 

„Leg dich hin“, wisperte sie daher fast noch gegen seine Lippen.
 

Es hob seinen Blick in ihr Meeresblau.

Sie begegnete ihm mit ihrem geheimnisvollen Schmunzeln.
 

„Auf den Rücken“, war zu zart, um als Befehl durchzugehen.
 

Also folgte er und erhob sich – sehr zu ihrem Erstaunen. Es spannte ihre Lippen vor Entzücken, hatte sie doch einen Moment daran gezweifelt, ob er ihrer Bitte nachkäme. Das klappte ja immer besser.

Die Matten knirschten selbst in seinen schwächlich-runden Ohren wie durch Watte, als er sich darauf niederließ. Er spürte den Boden ungewohnt gegen seine Kehrseite drücken. Neugierig verfolgte sein Augenmerk ihre Bewegungen an seine Seite – ganz das Raubtier, das sie kannte. Ishizu verbat sich jegliche Regung, welche auch nur über ein leises Lächeln hinausging und rang ihre diebische Vorfreude eisern nieder.
 

„Und jetzt schließ' die Augen“, beschwor schlussendlich das Misstrauen seiner Art herauf, sobald sie schicklich an seine Seite gefunden hatte.
 

Es veranlasste sie dazu, belustigt die Luft auszustoßen, als er zögerte.
 

„Traust du mir nicht?“, vermochte letztlich seine Augen zu schließen.
 

Erneut raschelte ihr Stoff vertraut an seinem Ohr. So sehr er sich auch anstrengte, es ließ seine vertraute Sinnesleistung nach wie vor vermissen. So konnte er einzig annehmen, dass sie neben ihm lag und ihren Kopf auf ihren Ellbogen abstützte. Ihr Gesicht musste sie ihm zugewandt haben. Er spürte ihre leisen Atemzüge mehr, denn dass er sie hörte. Kribbelnd trafen sie auf seine vor Anspannung hoch-sensibilisierte Haut. Seine übrigen Sinne warteten nicht minder gespannt darauf, angesprochen zu werden.

Es trieb seine Augenbrauen unter seinen Pony, als ihn der leichte Zug an seinem Gürtel erfasste. Er griff nicht ein, sondern ließ es zu, dass sie ihm diesen öffnete, neugierig darauf, was noch kam.

So sehr er sich auch um Ungerührtheit bemühte. Ihre hauchzarte Berührung traf ihn wie ein Stromschlag und bahnte sich einem ebensolchen gleich seinen elektrisierenden Weg durch sein Sinnesnetz. Automatisch tat er einen tiefen Atemzug, der seine halb entblößte Brust merklich gegen den Stoff seines Obergewandes hob. Dann erst erschloss sich ihm, dass sie einzig ihre Fingerkuppe seine Stirn hinab in einer geraden Linie führte. Sie glitt federartig über seine Haut, diese dabei kaum berührend. Vielmehr glich es einem Windhauch, der liebkosend über sein Gesicht strich. Er war erstaunt.
 

„Entspann dich und hör auf zu denken“, flüsterte sie zu seiner Seite.

Es trieb ihren Atem merklich gegen seine überempfindliche Haut.
 

Sein Stimmkörper vibrierte vertraut unter ihrer Fingerkuppe – ohne, dass er es aufhalten konnte, als sie sein Kinn dabei überwand. Interessiert beobachtete sie die Fluktuation seiner Aura um die befremdlich orangene, während seine Atmung in bemüht gleichmäßigere Bahnen glitt. Es war also doch die Anspannung, die ihn gefangenhielt.

Sie genoss den Weg über seine entblößte Brust eindeutig viel zu sehr. Es brachte ihre eigene Konzentration ins Wanken.
 

„Du klingst unentspannt, Ishizu“, kommentierte er sogleich die Unregelmäßigkeit in ihrer eigenen Atmung.
 

„Wirst du wohl still sein“, tadelte sie.

„Konzentriere dich auf dich.“
 

Die verräterische Wärme, welche dabei von ihren Wangen Besitz ergriff, ignorierte sie geflissentlich. Natürlich entging ihm ihre eigene wachsende Aufregung nicht – noch ließ er sich gar die Gelegenheit entgehen, sie darauf auch noch genüsslich hinzuweisen.

Sie biss sich auf die Unterlippe, in dem Bemühen zurück zur vorherigen Fassung zu finden. Es war längst zu spät. Mit einem Ruck durch seinen Körper brach der Moment. Noch im Nächsten hatte er sich in einer raubtierhaft-eleganten Bewegung auf sie bugsiert. Seine Hände pinnten ihre Handgelenke über ihren Kopf auf den Boden, sein erhitzter Körper begrub sie unter sich. Jetzt prallte sein Atem heiß gegen ihre geröteten Züge, als sein schimmerndes Braun sie in seinen unerbittlichen Fokus nahm.
 

„Du kannst die Führung einfach nicht aus der Hand geben“, beschwerte sie sich unter ihm, noch während sich sein Becken anregend gegen das ihre schob.
 

Es schien ihm ja auf wundersame Weise bereits merklich besser zu gehen. Ihr Meeresblau stach darüber nicht weniger trotzig in sein funkelndes Braun. Ihr Gebaren unter ihm strafte sie Lügen. Seine vertraute Last über ihr besänftigte sie längst. Er konnte in ihrem Blick mitverfolgen, wie ihre Gegenwehr unter seiner sehnsüchtig erwarteten Nähe immer weiter bröckelte.
 

„Wähnst du dich etwa nach nur einem Tag bereits in der Position zu führen, Megami?“
 

Nur weil er ihr heute nachgegeben hatte, ihrem Rat gefolgt war in der Welt ihrer Schützlinge, brauchte sie sich noch lange nicht daran zu gewöhnen.

Schiere Angriffslust lag in seinem Blick. Er erinnerte sie längst wieder an das Raubtier in ihm. Was der richtige Anreiz zur Ablenkung doch so alles vermochte, triumphierte es in ihr und spannte ihre feinen Züge siegessicher. Seine Verstimmung schien wie weggeblasen. Längst genoss sie sein Spiel ebenso sehr wie er das Ihre, welches sie gerade erst eingeläutet hatte.

Neckisch strich ihre Fußspitze seine Wade entlang. Fest stach ihr Meeresblau in sein schimmerndes Hellbraun. Unmöglich, dem jetzt auszuweichen. Sie wollte es auch gar nicht. Aus einem Reflex heraus biss sie sich auf ihre Unterlippe und lenkte allein mit dieser Nichtigkeit all seine Aufmerksamkeit auf diese. Sie hatte längst gewonnen, ob er es einsehen wollte oder nicht. Also kam es ihr nur allzu leicht über die Lippen – ohne zu ahnen, was allein sein Name von den Ihrigen an Chaos in ihm zu stiften vermochte.
 

„Liebe mich, Sesshômaru“, war pure Versuchung.
 

Und er erlag ihr, als er sich zu ihr hinabbeugte, um ihre Lippen mit den Seinen nicht minder begehrlich zu verschließen.

Ishizu meinte sich noch darunter alsbald von den Spitzen seiner Eckzähne auf gewohnte Art und Weise gereizt. Als seine Hände über den Stoff ihre Seiten hinabglitten, glaubte sie bereits die altvertrauten Krallen über die Faser kratzen spüren zu können. Instinktiv bog sie sich ihm entgegen. Einem Impuls folgend vergrub sie ihre Finger in seinem unnatürlich feinen Haar.
 

Abermals war es das Zwitschern der Vögel, das sich immer weiter voran in ihr Bewusstsein schlich. Dicht gefolgt vom Rascheln der Blätter. Erneut schien es von weit oben zu kommen und ihr Bewusstsein behutsam immer mehr aus dem Sumpf ihrer Schläfrigkeit zu ziehen. Als sie der erste Sonnenstrahl an ihrer Nasenspitze wie gewohnt kitzelte, schlug sie ihre Augen abrupt auf.

Sie traf umgehend auf sein Raubtiergold. Es begegnete ihr verhalten. Fast erschien es ihr, als suchte er darin nach irgendetwas. Sie dagegen wanderte fasziniert seine Züge ab. Vom blauen Sichelmond auf seiner Stirn, über die so geliebten Spitzaugen mit den beiden magentafarbenen Streifen auf seinen Wangen. Erst nach und nach drang das Rauschen des Meers an ihre spitzen Ohren. Sie erkannte das Gras unter sich, erahnte die Bäume um sie herum. Sie waren zurück auf der Lichtung - und er ganz er selbst. Als es in ihrem Rücken vertraut winselte, setzte er sich sofort auf. So entging ihm ihr zartes Lächeln.
 

Ein Traum?

Neugier 1/3

Die Neugier ist die Amme des Gerüchts.

(Erich Limpach)


 

„Meine Gefährtin wünscht, Ihren Sohn zu besuchen“, erhob seinen sonoren Bass über das morgendliche Vogelgezwitscher.
 

Die helle Sonnenscheibe erklomm gerade die oberen Baumwipfel und sandte ihre goldenen Strahlen durch das dichte Blätterwerk. Vereinzelt drang die mütterliche Wärme liebkosend auf ihre heute ungewohnt blassen Wangen. Seit dem heutigen Morgen begleitete sie ein leises Unwohlsein, welches sie dem wenigen Schlaf und ihrer - seit Neustem - steten Müdigkeit zuschrieb. Zumindest fiel ihr keine andere Erklärung ein. Sie hatte den Eindruck, selbst Ai maß sie zuweilen genauer, zumindest spätestens seit dem heutigen Erwachen. Damit streifte ihr Meeresblau kurz zu der schneeweißen Wölfin, welche hechelnd im Zickzack vor dem ungleichen Spaziergängerpaar über den schmalen Waldweg trabte. Ihre Nase prüfte dabei stets die Witterungen und Spuren.
 

Es musste ihm schon eine geraume Weile auf der Zunge gelegen haben, so abrupt und direkt, wie er ihr Schweigen nach der letzten Unterhaltung gebrochen hatte. Seltsam, wie er sich ausdrückte. Fürchtete er gar, ihr Interesse könnte mehr ihr gelten denn dem gemeinsamen Sohn? Ebenso seltsam: Beide Hundedämonen hatten die Mutter noch nie zuvor erwähnt.
 

„Wenn es Euch unangenehm ist...“, hob er gerade an, ihr gewohnt umsichtig zu begegnen.
 

Er war ein ausgezeichneter und ausnehmend zuvorkommender Gastgeber – und umso geduldigerer Mentor. Hatte er es doch sehr bald bereits vermocht, dass sie sich sogar hier, in einem Schloss voller naturgegebener Feinde, aufgehoben und wohlgefühlt hatte – lange, bevor sich sein Sohn ihres Wohlbefindens angenommen hatte.

Mit einem dezenten Schütteln ihres Kopfes wischte sie das leise Lächeln hinweg, welches ihr über diesen Gedanken entkommen war. Da hatte es bereits den Seitenblick aus seinem Dunkelgold besänftigt. Sie hatte wohl zu lange geschwiegen – wie stets angenehm überrascht ob seiner Rücksichtnahme.
 

„Nein, ich würde mich sehr freuen, Eure Gefährtin kennenlernen zu dürfen“, bekräftigte Ishizu mit ihrem aufrichtigen Lächeln.
 

Es war so bezaubernd, dass es sich sogleich auf seinen Zügen in einem Zucken seiner Mundwinkel widerspiegelte. Unverkennbar offenbarte es damit die Verbindung zwischen Sohn und Vater und bewog sie dazu, schuldbewusst ihren Blick abzuwenden. Solche Momente wurden immer kritischer, zumal sie sehr wohl registrierte, dass sie ihnen immer öfter auswich. Zu sehr fürchtete sie, ihre Mimik könnte die längst erwachsene Vertrautheit enttarnen.
 

„Um ehrlich zu sein, fürchte ich, könnte ihre Art für Euch gewöhnungsbedürftig sein“, galt ihr als Bestätigung und berief ihren Blick zurück auf ihn.
 

Ob sie ihm schon länger in den Ohren lag mit dem Wunsch nach einem Besuch?

Beim Turnier hatte sie gefehlt. Und, dass er den Zeitpunkt für nicht zufällig gewählt hielt, war spätestens jetzt klar.

Ob er an ihre Streitpunkte mit besagtem Sohn dachte?

Einiges musste Sesshōmaru ja auch von ihr haben. Ganz entgegen seiner Erwartung regte sich darüber auch in ihr die Neugierde.
 

„Demzufolge ist nicht nur ihr Interesse der Grund, warum Ihr mich Eurer Gefährtin solange vorenthieltet?“, hakte Ishizu daher schmunzelnd nach.

Es rang dem Daiyōkai tatsächlich ein Lächeln ab, das seine blauen Dämonenstreifen sanft aufwarf. Etwas, das sie von Sesshōmaru so nicht kannte. Es hatte eine ungeahnt anziehende Wirkung. Ob er sich dessen bewusst war?
 

Ihr Gegenüber erkannte derweil wieder einmal einen der Gründe, warum sie seinen Sohn derart leicht aus der Fassung hervorzulocken vermochte: Das seltene Bedürfnis bedachtsam gesprochene Worte charmant, jedoch nicht minder gnadenlos zu hinterfragen – und so zu enttarnen. Er schwieg, wohlwissend, dass so manche Offenlegung durchaus heilsam sein konnte.
 

„Wir trafen eine Übereinkunft noch vor Sesshōmarus Geburt“, lenkte ihr Meeresblau interessiert in das ansehnliche Antlitz des Dämonenherrschers.
 

Das war anzunehmen, wohnte die Mutter und Gefährtin doch nicht in seinem Schloss, nicht mehr zumindest, oder hatte es gar niemals? Diente die östliche Anlage vielleicht nur den seltenen Besuchen der Fürstin?

Natürlich zeigte sie sich weniger überrascht über die offensichtliche Nüchternheit der Beziehung des Fürstenpaares zueinander – nicht zuletzt dank der Erfahrungen in der östlichen Festung des einstigen Waffenbruders.

Also kannte Sesshōmaru gar keine von Zuneigung geprägte Paarbeziehung – wie die meisten ihrer Familie.
 

„Demnach war Euer Erbe Teil der Übereinkunft“, pflichtete der Hundeherrscher mit einem Nicken bei.
 

„Ein Teil davon. Als ich in den Westen kam, war mir die Kultur fremd, wie Euch, Ishizu-sama“, überraschte sie.

Er wirkte so natürlich in seiner Umgebung.
 

„Tatsächlich könnte man sagen, Ihr lernt von der Besten“, veranlasste sie automatisch dazu, sein leises Schmunzeln mit ihrem Zuversichtlichen zu erwidern.

Das Erstaunen war dennoch auf ihren Zügen verblieben. Also war sie eine Art Lehrmeisterin für ihn gewesen, ganz so, wie ihr Sohn nun für sie. Es warf ein unerwartetes Licht auf die einzigartige Übereinkunft ihrer Väter – und auf seine Entscheidung, gewisse Verpflichtungen auf Sesshōmaru letztlich zu übertragen.
 

„Im Gegenzug behielt sie die Oberhand über ihre väterlichen Kernprovinzen, den ehemaligen Herrn über den Westen – und eine gewisse Form der Eigenständigkeit. Natürlich sieht diese Übereinkunft ebenso vor, dass sie ihren Sohn jederzeit sehen darf.“
 

Mochte der Sohn auch längst dem Alter entwachsen sein, um der mütterlichen Fürsorge zu bedürfen. Dafür war der traditionelle Bau also errichtet worden.

Sie war bereits lange genug in ihrer beider Gesellschaft, um erahnen zu können, was er wohlweislich verschwieg. Er musste ihren Vater besiegt haben – hatte sie als Kriegsbeute jedoch trotzdem nicht einfach zum Gehorsam gezwungen. Eine rücksichtsvolle und zugleich hoffnungsvolle Geste für eine gemeinsame Zukunft oder ein befriedendes Angebot für die Erbin des unterlegenen Kontrahenten gegen den Fremden?

Heute war es für sie unvorstellbar, dass ihm mit solchem Misstrauen je begegnet worden sein könnte. Alle Dämonen, mit denen sie ihn bisher interagieren erlebt hatte, respektierten, wenn nicht sogar verehrten, ihn. Allerdings räumte sie sich die Möglichkeit dazu ein – auch eingedenk der unzähligen Ermahnungen Sesshōmarus über seine Art.
 

Auf jeden Fall eine interessante Familienkonstellation; in Anbetracht derer sich Sesshōmaru ihr gegenüber fast erstaunlich ‘‘gefühlsbewusst‘‘ verhielt. Zumindest nahm er seine Gefühle wahr; wenn auch das sprichwörtliche Brett vor dem Kopf zuweilen arg dick erschien. Kein Wunder, dass es ihm oft schwerfiel, sie zu verstehen. Ob er sich eine Beziehung wie die Ihre zu leben, überhaupt vorzustellen vermochte? Erklären konnte er sie sich mit Sicherheit nicht.
 

„Dann freue ich mich umso mehr darauf, endlich der Zeremonienmeisterin höchstselbst begegnen zu dürfen“, schmunzelte sie und traf auf erhabene Dämonenzüge.
 

Zu einer Erwiderung kam es nicht mehr, als sich stattdessen zwei Männerstimmen plötzlich auch in ihren Gehörgang brachen. Zwar nur leise und hintergründig, doch stetig und unverkennbar erheitert wurden sie vom Wind herangetragen, welcher raschelnd durch das Dickicht wisperte. Hatte nicht einzig Takeo sie in einigem Abstand begleiten sollen? Offensichtlich war er längst nicht mehr allein.

Sofort glitt ihr Blick neben sich, sodass sie seinen krallenbesetzten Finger, welchen er verschwörerisch an seine Lippen führte, völlig unvorbereitet antraf. Es raubte ihr ein diebisches Grinsen, hatte sie sich die würdevolle Erscheinung des Herrschers über die Hunde doch beim besten Willen so nicht vorgestellt. Ai legte den Kopf wie zur Bekräftigung schief, verbat sich jedoch jeglichen Laut, sobald sie an ihre Seite kam. Auch Ishizu wagte nicht einmal mehr zu atmen.
 

Er zog derweil seine Klinge unter einem nicht minder dämonischen Lächeln, das den Sohn unverkennbar verriet. So langsam und so leise schabte sie an der Scheideninnenwand entlang, dass es nicht einmal einem Flüstern im Wind gleichkam. Gespannt darauf, was nun geschah, folgte ihr Augenmerk der Schwertspitze, welche er zielstrebig gegen das herbstliche Gelbgrün richtete, ehe er neben ihr sein Yōki kaum merklich bemühte. Es kitzelte nicht unangenehm in ihrem Nacken. Mehr bedurfte es nicht, dann hatte sich seine dämonische Energie bereits mit der des Schwertes verbunden und war einem Blitz gleich durch das dichte Blätterwerk geschossen.
 

Ishizu ignorierte den Schauer, der ihr instinktiv die kleinen Härchen auf ihren Armen aufgestellt hatte, sobald die gegensätzliche Energie an ihr vorbeigefegt war. Sie wurde längst von ihrem amüsierten Glucksen geschüttelt, noch ehe sie ihrem Begleiter neben Ai durch das nun lichtere Gelbgrün gefolgt war.
 

Ihr Kichern verbiss sie sich so gut sie konnte, warfen sich doch die beiden ertappten Tunichtgute sogleich mit einem erschrockenen „Oyakata-sama!“, unisono zu Füßen ihres Oberbefehlshabers.

Der bemühte sich redlich darum, seine Miene ernst zu halten.

Nur Ishizu wagte den Blick in seine Züge und glaubte den Schalk in dem dunklen Orangegold wild auflodern zu sehen.
 

Noch darunter kündete der leise Windhauch in ihrem Rücken von dem weiteren Besucher auf der Waldlichtung, welchen die väterliche Energie angelockt hatte. Ais begrüßendes Winseln wurde mit Nichtachtung bedacht.

Wenn sie sich nicht versah, wagte er beinahe sogar leises Missfallen an den Vater zu richten, mochte er es auch rasch unter der angedeuteten Verbeugung verbergen.

Noch während der Herrscher die Klinge wieder auf seinem Rücken verstaute, fing Ishizu das violette Leuchten des rötlichen Knaufs auf, in welchem der Griff mündete. Ein seltsames Gefühl beschlich die Himmelstochter, ehe sie sich anschickte, dessen Ergründung zu vertagen.
 

Ein Wink und die beiden Krieger waren zurück auf ihren Beinen; der Zweite bereits nach einem kurzen prüfenden Blick den Pony hinauf in die Züge seines Herrn zurück auf halbem Weg zu seinem Posten, wie Ishizu annahm.

Sie meinte seine Beweggründe durchaus erahnen zu können.

Die Ausbildung seiner Dämonenkrieger brauchte Zeit und kostete Ressourcen. Sie waren fähig und daher gefürchtet, mit anderen Worten hochangesehen und respektiert. Würde er jede kleine Nachlässigkeit in Friedenszeiten abstrafen, erst recht so, wie dies in Dämonenkreisen wohl üblich schien, hätte er wohl bald weit weniger gut ausgebildete und tapfere Kämpfer, welche ihm treuergeben waren. So erinnerte er sie lediglich dezent aber nicht minder wirksam an seine Macht – und amüsierte sich dabei wohl köstlich über seine Wirkung.
 

„Wir sind bereits fertig, Sesshōmaru“, gestand ein, dass ihr Unterricht wieder etwas länger gedauert hatte als vereinbart.
 

Es übergab sie in seine Obhut.

Er musste sie längst erwartet haben, stand die Scheibe doch bereits hoch über den Baumwipfeln. Ob ihn der Eberdämon dazu bewogen hatte, den Grund für die väterliche Energie mitsamt der seiner dämonischen Klinge herausfinden zu wollen?

Ishizu wagte ein zaghaftes Lächeln, ehe sie das Nicken ihres Gastgebers mit einem leisen Kopfneigen zum Abschied erwiderte.

Ein Blick neben sie und Sesshōmaru hatte auch Takeo aus seinem Dienst entlassen – seiner war dabei weit weniger versöhnlich als der des ehrwürdigen Vaters.
 

Kurz legte sich das Schweigen bedrückend über die Lichtung, als Ishizu ihr anhaltendes Grinsen mit einem weiteren tiefen Atemzug unter ihre Kontrolle zu zwingen gedachte.
 

„Dir ist doch klar, dass er dich beeindrucken wollte“, war eisig wie ein Schneegestöber im tiefsten Winter.
 

Offensichtlicherweise war er verärgert. Es konnte kaum nur der Verspätung wegen sein. Das kam schließlich oft genug vor, dass sie sich verquatschten. Neugierig kam sie daher an seine Seite, jetzt, da sie bis auf Ai allein waren. Noch verwehrte er ihr seine Aufmerksamkeit, als sein Blick lediglich einem ihm bekannten Punkt am Horizont folgte.

Hatte sie beim Wolfsdämon noch kein Urteil gewagt, so lag es bei seinem Vater offen vor ihr. Ihr wissendes Schmunzeln verbarg sie dennoch lieber hinter ihrem Haarmeer, als sie den Blick senkte.
 

„Du bist eifersüchtig“, war eine Feststellung, keine Frage.

Er wandte nicht einmal den Kopf, dennoch galt sein Augenmerk wieder ihr allein.
 

„Unsinn“, durchschnitt ihre Gedanken gebieterisch.
 

Sie wagte wohl mitunter gerade deshalb ein Lächeln, ehe sie ihr Meeresblau in sein argwöhnisch verengtes Raubtiergold erhob. Wie zu erwarten entzog er ihr daraufhin seinen Blick wieder und war gerade dabei wohl zum Schritt Richtung heimatliches Schloss anzusetzen, da durchbrach sie die erneut aufkommende Stille.
 

„Ich möchte noch nicht zurück. Lass uns noch eine Weile spazieren.“

Jetzt hatte er Takeo gerade vorgeschickt.
 

Seit dem Vorfall mit dem Eberdämon hatte selbst sein Vater die Angewohnheit entwickelt, immer einen weiteren seiner Männer mitzunehmen. Er selbst präferierte Ah-Uhn, verständlicherweise. Dementsprechend mahnend fiel der Blick aus, den sie über seine Schulter erntete. Es raubte ihr ein verzücktes Lächeln - Ai war ja bei ihnen. Dann hatte sie abermals zu ihm aufgeschlossen. Diesmal wagte sie sogar nach seiner Klaue unter dem weiß-rot bemusterten Ärmel zu langen. Er behielt sie in seinem ungerührten Fokus und begegnete ihrem zarten Lächeln ausdruckslos. Dennoch ließ er sie gewähren, als sie ihre zierlichen Hände zart um seine Krallenbesetzte legte.
 

Leise plätscherte das Wasser über den kieselartigen Boden. Hier und da störte der Ruf eines Vogels die einträchtige Stille, bevor der Wind abermals in seinem charakteristisch hellen Klangkonzert durch das Blätterdach hoch zu ihren Köpfen streichelte. Ein Sonnenstrahl kitzelte sie an ihrer Nasenspitze, als Ishizu ihren Blick von den Baumwipfeln herabholte. Ihre Füße genossen noch das Kribbeln des erfrischenden Nass´, welches sie gemächlich in Wirbeln umfloss.
 

Ai streifte durch das lichtbewachsene Unterholz. Ihre Nase mal schnüffelnd am Boden, jagte sie der einen oder anderen Fährte nach, dann reckte sie sie wieder in die Luft, um dem nächsten Hinweis zu folgen. Sie blieb stets in Rufweite, dennoch konnte die Göttertochter erkennen, wie sehr ihre Begleiterin die Abwechslung für ihre Sinne genoss.
 

„Warum hat er nicht seine Energie zwischen seinen Krallen gebündelt, wie du?“, brach die Ruhe fast störend.
 

Sesshōmaru lehnte mit einem Bein leicht angewinkelt nicht unweit entfernt an einem dickeren Baumstamm. Dessen Wurzeln erhoben sich über das Bodenniveau und umrahmten seine hünenhafte Gestalt. Ishizus Lippen zierte längst ihr verzücktes Lächeln über diese fast schon legere Haltung. Er zeigte sie nur höchst selten - und nie in seiner Funktion als Erbe des Westens. Damit traf sein ausdrucksloses Gold ihr unergründliches Meeresblau. Sie saß auf einem der großen Steine, welche das natürliche Gewässer begrenzten. Offensichtlich hatte selbst sie die Hitze des Tages überrascht oder waren ihre zarten Füße das lange Gehen nicht gewohnt?
 

„Weil er es nicht kann“, erfolgte es knapp und kam völlig unerwartet.

Es war zu nüchtern, dennoch war sie geneigt, seiner Wortwahl eine Absicht zu unterstellen. Ging es um den Vergleich mit dem noch mächtigeren Vater?
 

„Also kannst das einzig du“, wollte ihm auch schmeicheln.

Es hatte sie von Beginn an überrascht, schien es doch so natürlich für Sesshōmaru, seine Energie ohne Hilfsmittel direkt zwischen seinen Krallen zu bündeln - fast wie ein Gott.
 

„Neben meiner Mutter“, neigte ihren Kopf zur Seite, nur eine Nuance, und dennoch entging sie ihm nicht.
 

Er hatte es also angesprochen. Wie beiläufig folgte sein dämonisches Gold da den geschmeidigen Bewegungen der Göttin, als Ishizu ihre Füße dem leise sprudelnden Wasser letztendlich wieder entzog, um sie bedachtsam auf der von der Sonne gewärmten Steinplatte zum Trocknen aufzusetzen. Instinktiv umschlangen ihre dünnen Arme ihre langen Beine dabei. Ihren Blick hatte sie ihm abgewandt hinüber zum anderen Ufer.
 

„Das Gift auch?“
 

Er tat es mit seinem kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln ab, sobald sie ihren Blick zu ihm zurückgeholt hatte – verwundert über sein Schweigen.

Also war diese Art Peitsche aus gebündelter Energie sein mütterliches Erbe?

Sie wurde immer neugieriger auf die Fürstin über den Westen.
 

„Er hat erwähnt, dass es ihr Wunsch ist, dich zu besuchen“, war längst keine Überraschung mehr für ihn.

Offensichtlich hatte sie dem Wunsch entsprochen, so entspannt, wie sie darüber verblieb.
 

So verblieb auch seine Miene ungerührt, als er ihre zarte Erscheinung mit seinem Raubtiergold abwanderte. Leise regte sich die längst vertraute Unruhe in ihr und wärmte ihre blassen Wangen, als sie seinen Blick dabei jede Wölbung ihres Körpers glaubte abtasten spüren zu können.
 

„Sie neigt dazu, sich über das Maß für mich zu interessieren“, klirrte vor Kälte.
 

Es beruhigte ihre Aufregung schlagartig. Mit einem leisen Atemzug hatte sie ihre Mimik wieder unter Kontrolle gebracht, ehe sie seiner erstarrten Miene gelassen begegnen konnte. Das lebendige Funkeln in seinem Dämonengold verriet ihr, dass er es natürlich genauestens mitverfolgt hatte.
 

„Sie ist deine Mutter“, bemühte Ishizu, wohl aus einem Reflex heraus.

Da gab es ein Maß?

Es prallte an seiner Ausdruckslosigkeit ab wie an einer externen Panzerung. Ob er sich auch nur eine Mutter wie die Ihre vorzustellen vermochte?
 

„Und woran genau zeigt sich dieses Übermaß an Interesse an dir?“

Jetzt maß er einzig ihre Züge. Ohne es zu wollen, kam sie sich mit einem Mal selten dumm vor. Als hätte sie es wissen müssen. Missmutig schürzte sie die Lippen. Als sich ihre Augenbrauen zornig über ihrem Nasenbein kräuselten, erbarmte er sich.
 

„Meinem Gefühlsleben.“

Wo bitteschön hätte sie das heraushören sollen? Dementsprechend traf ihn ihr Meeresblau tadelnd. Zumal, welche Mutter tat das nicht?
 

Es ließ ihn sichtlich unbeeindruckt. Er war sich keines Versäumnisses bewusst. Sie ahnte derweil, warum er es für nötig befand, es überhaupt anzusprechen – ihretwegen. Es passte ihm also weniger, dass sie ihn gerade jetzt besuchte. Ob sie ablehnen hätte sollen? Nur wie? Sie wollte doch ein guter Gast sein.
 

„Wird sie es uns ansehen?“

Sie dachte an Chiyo. Das leise Zucken um seine Mundwinkel empfand sie als unpassend. Es war zu schnell vorbei, um es effektiv tadeln zu können.
 

„Sie ist nicht gut darin“, meinte wohl, sein Gefühlsleben zu ergründen.

Wie distanziert war ihre Beziehung?
 

„Es ist lange her, dass wir regelmäßig Kontakt hatten“, offenbarte schonungslos, dass man ihr ihre Überraschung wohl wieder einmal an der Nasenspitze ansehen hatte können.
 

„Dennoch wäre es ratsam, du vermiedest es, mich anzusehen“, brachte ihr einen seiner lauernden Blicke ein.

Jetzt meinte sie zu verstehen. Er fürchtete, sie könne sie verraten, nicht er. Für den ersten Moment war sie drauf und dran, sich rasant zu erheben, um ihn in alter Manier anzufahren, da stoppte sie das amüsierte Funkeln in seinem dämonischen Gold. Sie hielt inne.
 

„Du machst dich lustig“, empörte sie sich, teils gespielt, teils nicht.

Es raubte ihm einen leisen Zug um seine schmalen Lippen.
 

„Ich wiederhole mich nicht, Megami“, lehnte er dann seinen Kopf zurück gegen die Rinde, um die Augen zu schließen.

Also empfand er seine Mutter generell ebenso schlecht darin, ihre Blicke zu deuten, wie den Rest seines Hofstaats. Das beruhigte, zugegebenermaßen, doch ungemein.
 

„Ich werde mich also bemühen, dir noch kratzbürstiger als sonst zu begegnen“, kommentierte er sogar mit seinem schmalen Lächeln.
 

„Das würfe Fragen auf.“

Sein Vater war anwesend, erkannte sie da.
 

„Du hättest mich vorwarnen können“, beließ er unkommentiert.

Für ihn war es evident, die Mutter erst dann zu erwähnen, wenn es wirklich von Nöten war.
 

„Wie spreche ich sie an?“, erinnerte ihn an seine Aufgabe.
 

„Du nennst sie Gobodo.“
 

Er öffnete die Augen, als keine Antwort kam. Sie lächelte zur Bestätigung. Merkwürdigerweise verblieb sein Augenmerk interessiert auf ihr. Ein weiteres Mal wanderte er ihre Züge ab, fast so, als analysierte er sie. Es dauerte so lange, dass es sie dazu nötigte, den Blick abzuwenden und demonstrativ zurück auf den schmalen Seitenarm des klaren Süßwassers zu richten. Es wurde unangenehm. Was hatte er auf einmal?
 

„Dir war unwohl“, wirkte befremdlich teilnahmslos.
 

Dennoch erkannte sie die Sorge darin, gerade weil er es thematisierte. Es forderte ihren Blick pfeilschnell zurück auf seine ansehnlichen Züge. Hatte es sich rumgesprochen?
 

„Menschen fehlt zuweilen die Gabe zu schweigen“, schürzte ihre Lippen verstimmt.

Sein "zuweilen“ änderte daran rein gar nichts.
 

„Dafür weiß euer dämonisches Personal aber auch nicht gerade selten die Köpfe zusammenzustecken“, schenkte ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
 

Er wollte doch tatsächlich Namen.

Sie unterdrückte ein herzhaftes Aufseufzen. Wie kam er nur darauf, dass sie ihm die nennen würde, wüsste sie sie. Sie wollte keine Köpfe rollen sehen – nicht wegen so einer Lappalie. Also schüttelte sie leise den Ihren, ehe sie aufstand und sich den Kimono glattstrich, um schlussendlich die wenige Distanz zwischen ihnen zu überwinden. Wie das Raubtier seine Beute verfolgte sein Blick eine jede ihrer schwingenden Bewegungen, bis sie wenig später rittlings auf seinen Schoß kam. Er räumte ihr den Platz ein, als er sein Bein noch darunter ausstreckte. Sanft strich sie ihm den Pony aus seinem Gesicht, während ihr Blick sich selten offen gefühlvoll auf ihn herabsenkte. Sie begegnete seinem Wachsamen mit der Bitte um Nachsicht.
 

„Es ist nicht der Rede wert“, verengte ihm die Augen, noch kaum merklich.
 

„Sie sind Dämonen“, sollte ihr wohl seine Kompetenzen verdeutlichen.
 

„Manches Mal ist die effektivste Verteidigung, es zu ignorieren, Sesshōmaru“, wisperte sie längst mit einem verliebten Lächeln auf den zartrosa Lippen.
 

Demnach glaubte sie, es könnte schlafende Hunde wecken, einzugreifen. Er konnte also einzig hoffen, dass sie das Gerede richtig als Lappalie einstufte. Seine Verstimmung darüber, dass es nach wie vor sie zum Inhalt hatte, vermochte es dennoch nicht zu vertreiben.

Es rührte sie zu einem zarten Lächeln. Er offenbarte eine Form des Schutzes, die sie durchaus zu schätzen gelernt hatte die letzten Wochen, je öfter er sie ihr gezeigt hatte. Es gefiel ihr. Dass sein Blick ihrem immer noch ebenso ungerührt begegnete wie noch zuvor, stieß ihr seltsam auf. Solange, bis sie auch darin erkannte, dass sie ihm wohl noch eine Erklärung schuldig war, seiner Meinung nach.
 

„Auch das war nicht der Rede wert“, verengte sein Dämonengold noch um ein Weiteres.

Ob er ihr zu wenig Schlaf gönnte?
 

Sie sah, dass es ihn erneut nachdenklich stimmte, also senkten sich ihre Lippen nahezu belohnend auf die Seinen ob seiner Fürsorge.

Er ließ es zu, erwiderte ihren zarten Druck sogar, ehe er sie einließ. Als seine Krallen vertraut über ihre Schenkelaußenseiten an ihre schmale Hüfte kratzten, entlockte ihr leises Aufseufzen dem Dämon sein schmales Lächeln. Es löste ihre Lippen. Heiß prallte ihr Atem gegen die Seinen, als Meeresblau raubtierhaftes Gold einfing. Selbstsicherheit entspannte seine ansehnlichen Züge, während ihre zierlichen Finger wie Wassertropfen im leichten Sommerregen über seine Wangen tanzten.
 

„Wir brechen jetzt auf, Ishizu“, erfolgte weit weniger despotisch als üblich für ihn.

Dennoch kräuselte es ihr Näschen in Skepsis. Er hatte es eilig, auf einmal?
 

„Es ist meine Aufgabe, sie zu eskortieren“, kam unerwartet.
 

„Wann brichst du auf?“
 

„Am Abend“, ließ sie überrascht sein Antlitz unter sich abwandern.

Er hatte nicht erwähnt, dass sie diese Nacht ohne ihn verbringen musste.
 

„Dann lässt du mich allein“, wurde sogleich mit einem betont ungerührten Blick geahndet.

Sie sollte wirklich aufhören, seinem Ego zu schmeicheln. Er besaß bei Weitem bereits ausreichend davon.
 

„Ich bin morgen zurück.“
 

„Das beraubt mich dennoch einer Nacht“, traf sein amüsiert funkelndes Raubtiergold.
 

Unverkennbar: Es gefiel ihm. Sie ignorierte es. Das war jetzt auch schon egal.

Instinktiv gab sie dem Drang nach, ihm erneut sein unnatürlich geschmeidiges Haar aus den nicht minder unnatürlich ansehnlichen Dämonenzügen zu streichen. Als er die Augen ergeben schloss, wurde sie von einer Welle berauschender Wärme durchflutet. Automatisch senkten sich auch ihre Lider. Hauchzart führte sie ihre Nase nur Augenblicke darauf über seinen Nasenrücken, um ihn nicht minder gefühlvoll anzustupsen, ehe sie ihre Lippen sehnsüchtig mit den Seinen verschloss.
 

„Das machst du wieder gut“, öffnete seine Augen von Neuem.

Pures Vergnügen funkelte ihr im schattigen Licht der Sonne entgegen, als seine Umarmung um ihre Hüfte sie sogleich fester an sich zog.
 

„Wie mir scheint, holst du dir doch längst, was du zu vermissen erwartest, Megami“, trieb auch ihr ein diebisches Grinsen auf die Züge.
 

„Mehr willst du mir nicht zugestehen?“

Immerhin war er derjenige gewesen, der hatte aufbrechen wollen. Als sie daraufhin ihr Becken andeutungsvoll nach vorne kippte, packten sie seine Klauen sogleich fest an ihrem Beckenkamm. Sein Blick stach warnend in ihr bewegtes Meeresblau.
 

„Es fällt auf“, ließ sie nicht gelten.
 

„Wer, wenn nicht dein Herr Vater kennt meine grenzenlose Neugier“, mochten sie auch noch so lange bereits für den Weg nach Hause brauchen.

Es war nur natürlich, dass sie Einiges zu klären hatten. Zudem war Ai bei Ihnen.

Erneut stellte sie sich der eingehenden Musterung ihrer Züge.
 

„Ich will noch nicht gehen“, war nur ein Flüstern.
 

Sie blieb hartnäckig. Als sie ihre Fingerkuppen abermals auf ihre ganz eigene Art und Weise über die magentafarbenen Dämonenstreifen auf seinen Wangen führte, konnte sie regelrecht in seinem selten bewegten Raubtiergold mitverfolgen, wie sein Widerstand nach und nach in sich zusammenfiel. Noch bevor sie ihrer beider Lippen erneut in einem leidenschaftlichen Kuss verbunden hatte, wusste sie daher bereits, dass er sie dieses Mal gewähren ließ.

Neugier 2/3

Das weitverbreitetste Gerücht entsteht merkwürdigerweise immer durch ein Geheimnis.

(Unbekannt)


 

Es war das charakteristisch dumpfe Auftreffen von Knochen auf Holz, das Ishizus Gedanken vom hereinbrechenden ersten Sonnenstrahl des Tages zurück in ihre Gemächer befahl. Wie stets hielt die Himmelstochter kurz inne. Nichts in ihr wollte sich jemals an diese Eigenart aller Irdischen gewöhnen, sich in steter Manier des eigenen Ranges zu versichern und ihn so immer tiefer einzumeißeln ins gesellschaftliche Gefüge.

Yoko schlug unbehelligt den Ärmel um, noch während der Aufprall ihrer Stirn vor den geschlossenen Türen etwas gedämpfter in das Ankleidezimmer drang.
 

„Was ist?“, verlangte sie für ihren Schützling barsch zu wissen.
 

Sie war noch nicht einmal richtig angekleidet! Zumal ihr nicht entgangen war, dass die Göttin seit einiger Zeit etwas schwerer in den Tag fand als üblich. Sie wirkte dann oft noch bis weit in das Ankleiden hinein müde, war tief in Gedanken und hatte den Blick meist hinaus in die Natur gewandt, ganz so wie heute.

Gestern hatte ihr dann noch alle Farbe gefehlt. Yoko hätte ihren Schützling am liebsten im Bett behalten, um auszuschlafen. Doch die Göttin kannte keine Entschuldigung, ging es um ihre Unterweisungen durch den Herrn.

Der ausgedehnte Spaziergang schien ihr gut getan zu haben. Ihre Wangen waren belebt gewesen, als sie mit dem Erben zurückgekehrt war. Einen Streit hatte Yoko schnell ausschließen können. Dafür war ihr Schützling zu ausgeglichen in ihrer Stimmung heimgekehrt. Laut der dämonischen Kolleginnen war zwar das Yōki ihres Prinzen für den Moment spürbar angestiegen, jedoch in eher unbedenklichem Maße, bedachte man die Bandbreite, die ihre Herrin bereits bei ihm hervorgerufen hatte. Also ging nicht nur sie eher von einer Auseinandersetzung aus, die sich wohl rasch wieder geklärt hatte - typisch für die Beiden und längst keines Wortes der Tuschelei mehr wert.

Mit Wohlwollen hatte sie daher zur Kenntnis genommen, dass Ishizu sich gestern frühzeitig zur Ruhe begeben hatte.
 

„Die Gobodo-sama wünscht die Anwesenheit der Hime-sama in ihren Gemächern“, weckte Ishizus Neugier.
 

Dann musste Sesshōmaru bereits zurückgekehrt sein. Sie verbat es sich, ihre Sinne sogleich nach ihm auszusenden, wusste sie doch nichts über die mütterlichen Fähigkeiten. Dennoch vermeinte sie ihr Herz einen aufgeregten Hüpfer in ihrer Brust tun.

Ein Glück waren die Damen allesamt Menschenfrauen, die den Tag mit ihr einläuteten.

Sie hatte ihn nicht bemerkt, nicht bewusst wahrgenommen. Woher kam diese Erschöpfung?

Nur schwer hatte sie diese Nacht in den Schlaf gefunden, wie damals, als er seinen Vater vertreten hatte. Heute wusste sie, von welchem Anlass und von wem ihr kleiner Unfall ihn so abrupt wegberufen hatte: Kaito.

Dafür war sie am heutigen Morgen leichter ihren Matten entstiegen. Das Unwohlsein schien eine einmalige Unpässlichkeit gewesen zu sein, vielleicht tatsächlich aus Mangel an Schlaf. Oder der sonderbare Tee, den ihr Ai heute zugeschoben hatte, bewirkte wahre Wunder. Die bleierne Müdigkeit dagegen war geblieben. Sie hoffte, ihn alsbald zu sehen. Allein. Mit einem leisen Atemzug darum bemüht ihre sehnsüchtigen Gedanken einzufangen, erwiderte sie Yokos fragenden Blick im Spiegel mit einem herrschaftsvollen Nicken.

Wie könnte sie sich der Herrin über die Hundedämonen verwehren?
 

„Richte Ihr aus, dass Ishizu-sama Ihrem Gesuch unumwunden nachkommt.“
 

Sobald sie fertig waren, ließ die Menschenfrau geflissentlich unausgesprochen, wie alle anwesenden Damen wussten.
 

Sie hatte sie in ihre Farbe gekleidet: Flieder. Die Konturen der Blumen wirkten wie verwischt vom Wind, welche die cremeweißen Blütenblätter formten. Sie ähnelten den Seinen, mochten sie auch den Kimono bei Weitem häufiger schmücken. Ob Yoko intuitiv diesen Stoff gegriffen hatte?

Der Bau im Osten war gestern noch in hellem Aufruhr gewesen, der Boden frisch poliert. Die magische Seide schleifte demzufolge hellklingend über seine glatte Fläche, während die Lagen an Stoff ihre Schritte enger begrenzten, als die Göttertochter dies gewohnt war. Schwer lasteten sie auf ihren Schultern.

Nicht nur, weil sie heute keine großen Aktivitäten erwartete, trug sie ihr Haar offen, wie dies Mode unter den hohen Damen ihrer menschlichen Schützlinge war. Es fiel ihr wie flüssiges Pech lang bis über ihre weitumhüllte Hüfte - zwei dickere Strähnen umrahmten dabei ihr feinzügiges Gesicht. Ai zu ihrer Seite, Yoko zur anderen wurden ihr sofort die Shōjitüren schleifend geöffnet.
 

Ishizu erkannte den quadratischen Raum mit dem ihn umspannenden, erhöhten Randweg sofort. Jetzt, ohne all die Gäste, wirkte er befremdlich riesig auf sie.

Die gesamte Längsseite aus Japanpapiertüren zum Hof war weit geöffnet. Die Fensterfront flutete den Raum so nicht nur mit dem zunehmenden Licht des Tages. Auch die vertrauten Klänge der erwachenden Natur strömten von draußen herein. Dennoch erschienen ihr ihre notgedrungen kleinen Schritte über die polierte Fläche unnatürlich laut. Sie musste beinahe die ganze Länge bis zu ihr überwinden. Genug Zeit also, um unter ihren Ponyfransen ihre Erscheinung neugierig zu erkunden. Sie empfing sie allein, nur einen Schwarzhaarigen in dunkler Kleidung in ihrem Rücken. Er wäre ihr um ein Haar entgangen, fast als verschluckten ihn die Schatten in der Ecke des Raumes.
 

Sie saß, nicht schicklich auf den Knien, sondern ganz wie der Herrscher auf einer Art niedrigem Sitz. Natürlich hatte man auch sie in die mehrlagigen Roben einer Fürstin gekleidet. Obwohl sie bei sich durchaus bemerkt hatte, dass die Kleidung der Dämoninnen eine wesentlich freiere Bewegung erlaubte, als dies die ihrer menschlichen Schützlinge vermochte. Wohl ein Relikt ihres betont kämpferischen Lebensstils.
 

Ihr silbernes Haar erinnerte an den Sohn. Es brach das Licht auf dieselbe Art und Weise. Instinktiv erwartete sie es daher nicht weniger geschmeidig. Anders als er, trug sie es jedoch zu zwei fremdartig geknoteten Zöpfen gebunden.

Ihr Fell fing ihr Meeresblau für den Moment ein. Es schien den Saum ihres Gewands und ihre Armbeugen wie eine Stola zu umschlingen, ehe sie erkannte, dass sie es mit dem blauen Überwurf verbunden trug. Es war weiß, wie sie es kannte. Dennoch erschien es nicht verwachsen, ganz anders als das Mokomoko, das sie vorgestern Nacht noch gewärmt hatte. Eisern kontrollierte sie ihre Miene, als sie das wohlige Gefühl von Kaschmir auf ihrer nackten Haut überkam, ehe sie wagte, ihre Erscheinung weiter hinauf zu wandern. Wo Sesshōmaru zwei Streifen trug, hatte sie jeweils nur einen über den ebenso hohen Wangenknochen.

Er hatte ihre Augen.

Was ihr dann jedoch den Atem stahl, war die Sichel, die auf ihrer Stirn thronte, freigelegt durch den zurückgesteckten Mittelscheitel. Sie hatte es immer für eine Laune von Mutter Natur gehalten; kein ererbtes Merkmal.
 

Eine angedeutete Verbeugung hätte ihm missfallen, eine zu tiefe hätte er gar getadelt. Und so wählte sie nur ein leises Kopfneigen und behielt den Blick gesenkt. Mochte sie auch die Frau ihres Gastgebers und Mutter des Thronerben sein, Hausherrin war sie strenggenommen nicht, eingedenk der Übereinkunft. Ishizu dagegen war Gast in diesem Schloss – und die Tochter des Erzfeindes.

Nichtsdestotrotz hatte sie nach ihr rufen lassen. Das gab ihrer Gegenüber zweifelsfrei das erste Wort.
 

Sie vermeinte den fremdartigen Blick aus doch längst vertrautem Gold wie unzählige Pfeile auf sich herniedergehen. Er maß sie genau; genauer als ein jeder Dämon es bis dato gewagt hatte. Was ihr jedoch entging, war das leise Heben und Senken der Nasenflügel, als die Herrin über die Hundedämonen kaum wahrnehmbar die Luft prüfte.
 

„Wie ich sehe, konnte mein Sohn Euch den Wert der Rangordnung vermitteln, wenn er es auch verabsäumte, Euch in die feinen Unterschiede der weiblichen Ehrerbietung einzuweisen“, veranlasste die Göttertochter verwirrt unter ihrem Pony zu blinzeln.
 

Kritik hatte sie erwartet - an sich. So unverhohlen direkte Kritik an dem Dämonenprinzen war sie jedoch nicht gewohnt. Kein Wunder, dass er sie mied. Sie rang das Bedürfnis, ihn zu verteidigen sofort nieder. Es stand ihr nicht zu – und hätte ihre Farce gesprengt.

Eine angespannte Stille legte sich zwischen sie, sodass Ishizu leise zusammenfuhr, gut verborgen unter den Lagen ihrer Gewänder, als es sich kaum vernehmbar aus der düsteren Ecke räusperte.
 

„Kenshin“, war so eisig, wie sie es nur von einem bis jetzt gekannt hatte.
 

„Herrin, wenn Ihr mir erlaubt, so vermag Sesshōmaru-sama unmöglich alle Feinheiten der weiblichen Etikette...“
 

„Mein Sohn bedarf deines umsichtigen Einwurfs nicht. Er hätte mich fragen können“, seufzte es dann befremdlich vor Ishizu, sodass sie sich gerade noch davon abhalten konnte, irritiert ihr Näschen zu kräuseln.
 

Nicht einmal eben ermahnter Kenshin wagte, die Mutter daran zu erinnern, wie ungern ihr Sohn auch nur Hilfe annahm, geschweige denn darum bat.
 

„Nun gut, wenn er das nicht vermag, soll ihm dieses Wissen auch weiterhin verwehrt bleiben“, wirkte umso verstörender auf die Göttertochter.
 

War die Mutter etwa gekränkt, weil er ihren Rat nicht eingeholt hatte? Er war so rasch aufgebrochen, dass sie sich ernsthaft fragen musste, woher er hätte...? Sei es drum. Es stand ihr nicht zu – und stiftete nichts als Verwirrung, sollte sie auch nur ihre Stimme jetzt erheben.

Die Gnadenlosigkeit, mit welcher die Mutter die Konsequenz bestimmte, glaubte Ishizu dagegen durchaus wiederzuerkennen.
 

Damit raschelte die Seide hell vor ihr auf. Sie erkannte, ohne den Blick zu heben, dass die Hundedämonin sich erhoben hatte und dabei war, die eine Stufe von der Plattform zu ihr herabzusteigen. Auch ihre Bewegungen glichen denen des Raubtiers in ihr. Sie erfolgten so unvorstellbar leise, dass einzig das Rascheln des Stoffes sie erahnen ließ, sofern es sich denn über das Singen der Vögel durchzusetzen vermochte. Anders als die Herren, verbarg die Fürstin über den Westen ihre gegensätzliche Energie weit weniger, sodass eben diese die Göttertochter alsbald unangenehm im Nacken pikste.
 

Sie hatte sie einmal umkreist, hatte ihre Erscheinung studiert wie eine Sonderlichkeit – ein Gefühl des Unbehagens damit in Ishizu ein ums andere Mal entfachend, welches Letztere beharrlich ignorierte.
 

„Ihr seid von außergewöhnlicher Schönheit und Anmut, Prinzessin der Götter.“
 

„Ein Geschenk, mit welchem der dunkle Erdensohn seine Kinder nicht weniger beschenkt hat“, bemühte sie sich, die Anmaßung der Geborenen tapfer zu übersehen.
 

War sie etwa deshalb hier – um begutachtet zu werden?

Noch niemals zuvor hatte eine Schöpfung es gewagt, ihr in ihrer göttlichen Erscheinung auch nur annähernd so zu begegnen. Instinktiv nahm die Göttin einen tieferen Atemzug, sodass sich die Seide über ihrer Brust sogar leicht hob. Ai winselte zur Beruhigung im Hintergrund, während Yoko unruhig von einem Knie aufs andere wechselte. Allmählich wurde es anstrengend. Dennoch war das nicht der richtige Zeitpunkt, um darauf anzuspringen. Ob sie sie bewusst reizte?

Aus der Vertrautheit mit ihrem Sohn heraus identifizierte sie den Atemzug zu ihrer Seite als leises Lächeln.
 

„Hm, und dennoch verweigerte er uns Dämoninnen die Grazie und sirenenhafte Anziehung einer Göttin.“
 

Es war nicht klug, seine Schöpfung darauf hinzuweisen, was ihr ach so verehrter dunkler Schöpferkami alles nicht vermocht oder ihnen wohlweislich vorenthalten hatte. Sie brauchte da nur an Sesshōmarus unzählige Belehrungen denken, die längst wie Mantras in ihren Gedanken verklangen.
 

„Es ist mir leider unmöglich, die Beweggründe Eures Schöpfers zu ergründen, Gobodo-sama.“

Da Ishizu den Blick gesenkt behielt, verpasste sie das Zucken über die Züge ihrer Gegenüber.
 

„Wie dem auch sei, den respektvollen Ton wollt ihr wohl beibehalten, Megami-sama“, veranlasste Ishizu dazu, sich auf die Unterlippe zu beißen.
 

Hatte sie doch in ihrer überrespektvollen Anrede, ihm, vor lauter Nervosität, erneut Tadel eingehandelt.
 

„Mir scheint, es gibt Einiges, was selbst mein werter Gefährte, sowie mein Sohn, Euch nicht zu zeigen vermochten. So erlaubt mir die Ehre, Euch meine Einladung auszusprechen, Euch in meinem Schloss zu empfangen und in die Belange der Fürstinnen unter den Yōkai einzuführen“, war definitiv nicht, was sie je erwartet hätte.
 

Es überforderte sie.
 

„Ihr könntet meinen Sohn begleiten, wenn ihr dies wünscht. Vielleicht denkt ihr den heutigen Tag darüber nach“, hob ihren Blick in die dämonischen Züge der Fürstin über den Westen.
 

Ihre Verwunderung konnte sie nicht verbergen. Das leise Lächeln ihrer Gegenüber deutete ihr, dass es wohl wieder offen zutage trat.
 

„Ich werde Eure großzügige Einladung gerne erwägen“, war alles, was sie hervorbringen konnte.
 

Natürlich vermutete selbst sie weit mehr als reine Großzügigkeit dahinter. Und das, obwohl er ihr stets eine zu große Vertrauensseligkeit unterstellte. Ihre Sinne hatten bereits lauthals Alarm geschlagen, kaum dass sie den Raum betreten hatte.

Es genügte dennoch, um das Lächeln auf den Zügen der Dämonenfürstin zu halten. Ihm fehlte dabei jede Wärme, die sie von dem ihrer Mutter kannte.
 

„So erwarte ich Eure Antwort bis zu meinem Aufbruch. Nun möchte ich Euch nicht weiter aufhalten, soweit mir bekannt, erwartet Euch mein Gefährte für seine morgendlichen Unterweisungen“, entließ Ishizu mit mehr als nur einem mulmigen Gefühl.

Was war denn das gewesen? Sie konnte einzig hoffen, ihren Gastgeber und Sesshōmaru nicht allzu sehr blamiert zu haben, ohne es auch nur bemerkt zu haben.
 

Takesumi hatte sie letztlich erwartet. Ihr Mentor ließ sich für heute entschuldigen, für gewöhnlich bescherte ihr das angenehme Stunden mit Sesshōmaru. Sie waren von Beginn an eine Herausforderung gewesen. Zuerst war es die Feindseligkeit gewesen, seine Reizbarkeit, welche sich erst nach und nach erklärt hatte.

Jetzt war es die Distanz, fanden diese doch stets in Begleitung durch den Flohgeist statt. So wie die Unterweisung Takesumis an diesem Morgen. Sie nahm an, Sesshōmarus familiäre Verpflichtungen gingen vor. Also hatte sie die Chance genutzt und sich nach dem weiblichen Betragen gegenüber der Dämonenherrscherin erkundigt, ohne ihre sonderbare Vorladung auch nur zu erwähnen. Natürlich kannte der geschulte Hofbedienstete jede Form und Feinheit der Etikette – ganz anders als der hochgeborene Erbe.
 

Sie hatte also erfahren, dass ein Kopfneigen zwar höflich war und dem Stand entsprach, aber den Männern vorbehalten war. Und, dass es einen Unterschied machte, ob sie ihr allein oder in Begleitung ihres Gefährten, des Inu no Taishōs, begegnete. Natürlich spielte auch die Tiefe dabei eine entscheidende Rolle.

Dämoninnen zeigten, ihr gegenüber, eine seltsame Form der Verbeugung, aber eben nur dann ausgeführt, wenn sie nicht in Begleitung des Herrschers war. Es glich fast einer Art Knicks, dezent und gut verborgen unter den vielen Stoffen, dennoch offenbarte der Kimono sie unverkennbar in seinen verräterischen Ausbeulungen. Seine genaue Ausführung musste ihm, dem Erbprinzen, unbekannt sein.

Es war nicht minder kompliziert als die unter ihren Menschenkindern Üblichen. Sie hatte, zugegeben, redlich Mühe gehabt, sich aufrecht zu halten. Hinfallen hatte sie dann doch nicht vor Takesumi wollen, der ungewohnten Bewegung und Stofflagen wegen.
 

Sah man von ihrer göttlichen Stellung über jedwedem irdischen Protokoll ab, hatte sie ja von Beginn an darauf bestanden, sich wie eine unter ihnen zu gebärden. Es stieß auch bei Takesumi, wie bei so vielen, stets aufs Neue auf Unverständnis, wenn der geschulte Getreue dies auch nie wagte, offen zu zeigen. Seine Augen verrieten ihn. Dennoch, sie blieb hartnäckig; anders machte ihr Aufenthalt unter ihnen doch keinen Sinn.
 

Und so hatte sich alle Mühe am Vormittag doch tatsächlich ausgezahlt. Als Takesumi sie mit einer tiefen Verbeugung gegen seinen Fürsten und die Fürstin vor das Paar führte, konnte Ishizu mit einer leisen Unruhe in ihrer Bewegung, die seltsam anmutende Form des Knicksens gegen die Hundeherrscherin andeuten. Myōga achtete dabei auf das korrekte Maß in Anwesenheit des Hundeherrschers. Er saß auf ihrer rechten Schulter verborgen hinter ihrem Pechschwarz.

In ihrem Augenwinkel schnappte sie den leisen Zug um die Mundwinkel ihres Mentors dabei auf, welcher diese umspielte. Einem Windhauch gleich verlosch er in unscheinbarer Flüchtigkeit.

Seine Fürstin blieb regungslos. Sie stand etwas versetzt hinter ihm, wie sie das von Sesshōmaru kannte, nur an seiner anderen Seite. Scheinbar waren diese zugewiesen. Es wirkte auf sie, als schien sie es lediglich zur Kenntnis zu nehmen, ehe ihr Mentor die Stille löste.
 

„Wie mir zu Ohren kam, ist eine offizielle Vorstellung längst überflüssig“, verlangte nach keiner Erwiderung.
 

Er ließ durch nichts erkennen, wie er dazu stand. Natürlich war es ihm nicht entgangen, nicht in seinen eigenen Mauern.
 

„Oyakata-sama, Gobodo-sama, welche Ehre Euch in unseren Hallen zu sehen“, begrüßte Myōga überschwänglich, was auf Nichtachtung traf.
 

Stattdessen stach ihr Gold einzig auf Ishizus schwarzen Schopf, ehe sich ihre seit dem heutigen Morgen vertraute Stimme trocken erhob: „Wie ich sehe, besitzt Ihr den Anspruch, Euer Betragen zu perfektionieren, Ishizu-sama, Prinzessin der Götter.“
 

Myōga holte kaum wahrnehmbar Luft. Nur, weil er es direkt neben ihrem spitzen Ohr tat, wurde sie sich dessen gewahr. Sie nahm nicht an, dass es selbst von dem ausgeprägten Gehör der Hundedämonen aufgefangen worden war.

Da fing sie gerade noch den Seitenblick ihres väterlichen Mentors unter ihrem Pony auf. Ob er das mit “gewöhnungsbedürftig“ gemeint hatte? Scheinbar war er jedenfalls nicht mit allem einverstanden, was seine Gefährtin so trieb. Ob sie deshalb heute auf ihn verzichten hatte müssen? Weil ihm in seinem eigenen Schloss nichts entging? Andererseits, warum sollte sie herkommen und dann wagen, gegen seinen Wunsch zu handeln, ja, ihn gar zu verärgern? Wäre sie so vermessen?

Der Verdacht, ihr Besuch könnte nicht sein Wunsch sein, regte sich längst nicht mehr leise in ihr. Sie konnte sich sogar vorstellen, dass die Fürstin ihrem Fürsten bereits eine Weile in den Ohren gelegen war mit ihrem vordergründigen Begehr, ihren Sohn zu sehen.
 

Erst jetzt, da der Inu no Taishō und mit ihm seine Gefährtin sich zur Balustrade wandten und sie ihren Blick in ihren Rücken zur Gänze aufrichtete, erhaschte sie eine freiere Sicht auf einen der äußeren Höfe um die weiträumige Anlage. Er lag tiefer, näher am Aufweg hinauf zum Schloss, welches auf einem natürlichen Felsenplateau die Ebene und das Meer überragte. Seit sie das Schloss kannte, diente jener Sandplatz Sesshōmaru und seinem Vater für ihre täglichen Übungskämpfe.
 

Sesshōmaru stand dort diesem Kenshin von heute Morgen gegenüber. Letzterer hatte seine dunkle Kleidung gegen einen Kimono eingetauscht, der ihm wohl mehr Beweglichkeit erlaubte. Er hielt ein Schwert gegen Sesshōmaru gerichtet. Der Dämonenprinz dagegen schien unbewaffnet. Auch wenn ihre Sinne ihr die Bündelung seines Yōki in seinen Klauen über die Distanz hinweg zutrugen, als bemühte er sie direkt an ihrer Seite. Sie hätte sie nicht gebraucht, glaubte sie doch, eine jede seiner Attacken längst so gut zu kennen, als hätte er sie in all den gemeinsamen Stunden in jeder einzelnen davon genauestens unterwiesen. Kenshin benutzte die Klinge, um die Peitschte abzuwehren, erkannte sie da, als Sesshōmaru diese erbarmungslos, flink und in einer geschmeidigen Bewegung auf den Schwarzhaarigen niedergehen ließ.
 

„Ich erhielt Nachricht aus dem Norden“, trug ihr der Wind zu, welcher das Rauschen der Brandung in einiger Entfernung erahnen ließ.
 

Ein Seitenblick über die Schulter und sie führte ungerührt aus: „Sie erwarten eine Reaktion.“
 

Es konnte einzig um ihren Sohn gehen. Der Fokus beider Eltern lag auf ihm allein.

Da ereilte sie seine Stimme in Gedanken, wie ein sanfter Windzug umschmeichelte seine Präsenz ihre Sinne dabei.
 

Nicht zu mir sehen!
 

Es wirkte weniger bewusst an sie gerichtet. Woher auch, er wusste, dass nur sie diese Verbindung initiieren konnte. Dennoch entging ihr die Dringlichkeit nicht, welche in seinen Gedanken lag. Er musste die Worte seiner Mutter aufgeschnappt haben - über die Distanz hinweg. Wind hin oder her, er wehte aus der komplett anderen Richtung. Wie angespannt war er, wenn seine Aufmerksamkeit hier oben lag anstatt beim Kampf?
 

Automatisch senkte sie den Blick und suchte nach einer Möglichkeit, worauf sie ihr Augenmerk richten konnte. Sie fand den Rücken seines Vaters, genauer sein cremefarbenes Fell. Nicht zum ersten Mal fiel ihr der deutliche Unterschied zu dem Sesshōmarus auf. Es musste sich mit der Zeit verändern, hatte sie geglaubt. Doch, wenn sie es jetzt mit dem seiner Mutter verglich.
 

Was ist im Norden?
 

Wenn sie ihn überrascht hatte, so ließ er sich dies mit keiner Regung oder gar Veränderung in seiner Mimik anmerken. Rhythmisch und erbarmungslos senkten sich seine magischen Hiebe auf die im Sonnenlicht aufblitzende Klinge.
 

Was tust du da?, verlangte er stattdessen zu erfahren.
 

Deinem Wunsch entsprechen, ihn eben nicht anzusehen.

Wich er ihr aus?
 

Indem du meinem Vater Löcher in den Rücken starrst?, hätte ihr Meeresblau beinahe doch noch zornig auf seine Erscheinung gelenkt.

Wo bitteschön lag seine Aufmerksamkeit gerade?
 

Meine Verlobte, senkte ihr den Blick wie von Steinen beschwert auf die polierten Holzplanken.
 

Mehr wagte sie nicht. Nicht einmal einen Atemzug, um ihre Miene zu richten. Seit wann reagierte sie so, ja, merkwürdig empfindlich? Es war ja nicht so, als käme es überraschend. Ebenso natürlich war es, dass das die Aufgabe seiner Mutter war.

Scheinbar war ihre Regung nicht unbemerkt geblieben.

Als sich der Schulterblick ihres Mentors auf sie richtete, verstand sie die Einladung unumwunden und kam an seine andere Seite, die Sesshōmarus.

Nur am Rande fing sie den Blick aus befremdlich vertrautem Dämonengold auf. Es schien ihr nicht recht. Wie bereits heute Morgen war ihr ihre Aufmerksamkeit mehr als nur unangenehm. Dennoch fügte sie sich stumm dem Wunsch ihres Gefährten. Weshalb war sie hier?
 

Das hölzerne Geländer umzäunte den gesamten Umweg um den ersten Stock und schützte vor dem Sturz den steinernen Wall hinab, auf dem auch der innere Hof errichtet war. Instinktiv legte sie ihre zierlichen Hände darauf ab, während ihr Blick sich endlich auf seine hünenhafte Erscheinung senkte. Automatisch spürte sie sich von der längst bekannten Empfindung erfasst. Sie hatte ihn vermisst, tat es noch. Also bemühte sie sich eisern darum, das verräterische Herz neben ihrer Miene zu kontrollieren. In längst vertrauter Routine lenkte sie ihre Gedanken in scheins neutralere Bahnen.
 

Soweit sie sich an seine Lektionen über seine Inselkette erinnerte, war der Norden für die seltenen Vögel gerühmt – und das Territorium der Dämonen, welchen so mancher Philosoph das Symbol des Gleichgewichts und ewigen Lebens zuschrieb.

Er sollte also eine Kranichdämonin heiraten?
 

Tatsächlich vermeinte sie da leise Belustigung in sich aufkommen. Sie bedurfte eines Augenblicks, um zu realisieren, dass es nicht die Ihre war. Sie kam von ihm, erkannte sie erst, als es längst vorüber war. So rasch, als hätte die nächste Windböe jegliches Empfinden mit sich hinfortgerissen.
 

Weiter im Norden, Ishizu, ließ sie verlegen ihren Blick abwenden.
 

Sie genoss seine Anwesenheit, wenn sie sich ihr auch nicht recht erschloss. Wie Balsam legte sie sich über ihre Nervosität, beruhigte und elektrisierte sie zugleich, wie eine jede seiner Berührungen.

Weiter nördlich kam das Meer und dann – das Festland!

Im Augenwinkel schnappte sie seine rasante Bewegung auf. Es dirigierte ihr Meeresblau zurück auf ihn, als er eine ihr noch völlig unbekannte Attacke wählte. Fasziniert verfolgte sie den Ruck, der sein Fell in Bewegung setzte. Es wirkte fast so, als schlang es sich daraufhin fast von selbst um Kenshin. So blitzartig schnell, dass jener in seiner Bewegung noch im Ansatz gestoppt wurde. Die Klinge traf dumpf auf dem Boden auf, während sich sein Gold längst zu ihnen hinaufrichtete.
 

„Wir besprechen das vor deiner Abreise“, war ein Versprechen des Herrschers an seine Fürstin – und ging sie nichts an.
 

Ishizu nahm es nur am Rande neben sich wahr, als Sesshōmarus Raubtiergold ihre Erscheinung - wie zufällig – streifte.

Er hatte genug von dem Schauspiel. Denn das war es unverkennbar.

Im Augenwinkel schnappte sie das leichte Nicken des Vaters auf, welches ihn undeutbar entließ.

Ob ihre Besuche stets so abliefen?

Es erschien Ishizu zumindest schlüssig, kontrollierte und wachte die Mutter über die Ausbildung ihres Erbes in ihm.
 

Ein interessantes Bündnis, sinnierte sie laut in seinem Kopf, während sein Fell Kenshin entließ.
 

Es wand sich dabei einer Boa gleich um die schlanke Gestalt des Dämons. Ein nicht minder überraschender Aspekt, den sie der Insignie nie zugetraut hätte; kannte sie doch diese Bewegungen in einem völlig anderen Zusammenhang.

Erneut glaubte sie sein schmales Lächeln mehr zu erspüren, denn, dass sie es beobachten konnte, so rasch war es wieder von seinen Zügen verschwunden.

Er war ja auch eine interessante Partie, hätte sie beinahe zu einem Augenrollen verleitet, als sein Gedankengang sie erreichte, hätte sie da nicht der leise Windzug erfasst, welcher von seiner Ankunft vor dem Elternpaar kündete. Sie tat es ihnen gleich, als sie sich damit dem Sohn zuwandten. Mit seiner angedeuteten Verneigung gegen den Vater empfing die Mutter sein ausdrucksloses Gold nicht minder regungslos.

Zu Ishizus Erstaunen zeigte es keinerlei Ähnlichkeit mit der Art, wie ihre Mutter ihr begegnete.

Sie interessierte sich doch für ihn, nicht?
 

„Wie mir scheint, wirst du nachlässig in der Erfüllung deiner Aufgaben, Sesshōmaru“, löste in Ishizu immer noch diese befremdliche Mischung aus Empörung und selten gekannter Irritation aus.
 

„Hättet Ihr Euer Treffen angekündigt, hätte sich ein Moment davor gefunden, um die Prinzessin darin zu unterweisen, wie sie Euch allein begegnet, Haha-ue“, kam nahe an Tadel ob der mütterlichen Neugier heran – und glich gleichsam einer Verteidigung augenscheinlich gegen das vorgeworfene Versäumnis.
 

Ob er nur sich verteidigte?

Sie widerstand dem Drang, ihr Meeresblau in sein Raubtiergold zu erheben. War er zornig - weil sie keinen Vorwand gefunden hatte? Und noch ein weiterer Gedanke schoss ihr mit einem Mal durch ihre Gedanken, war das der Grund für ihre Unterweisung durch Takesumi heute Morgen gewesen?
 

„Kenshin“, erfolgte genauso wie noch am Morgen.

Besagter schien genau zu wissen, was seine Herrin von ihm forderte, als er sogleich an ihre Seite gesprungen kam. Er demonstrierte dabei eine ähnliche Verbeugung gegen das Fürstenpaar, wie sie das auch von Takesumi kannte.
 

Insgeheim nahm Ishizu zur Kenntnis, dass der Name wohl genügte, um den jahrelangen Bediensteten ihr Begehr zu verdeutlichen. Es erinnerte sie an Sesshōmaru, genauer an ihre ersten Auseinandersetzungen. Sie sah den Inu no Taishō selten Anweisungen geben. Sesshōmaru vermied jedwedes überflüssige Wort an Untergebene. Es hatte sie von Beginn an empört, wenn nicht sogar erzürnt in seiner Respektlosigkeit.

Doch nun musste sie sich fragen, ob es normal war unter Dämonen, dass sie von ihren Getreuen erwarteten, zu wissen, was zu tun war – ohne Order.

Das erklärte seine Ungeduld mit menschlichen Bediensteten, oder so manche wortkarge Art und Irritation ihrer Bediensteten, die dann natürlich ausführliche Bitten nicht gewohnt sein konnten, wie sie Götter erteilten. Dennoch waren diese nicht minder Befehle.

Kein Wunder, dass er sich über ihren Umgang mit dem Personal zuerst irritiert, dann amüsiert und verwundert gezeigt hatte, ehe er es heute nur mehr kommentarlos negierte.

Beinahe wäre ihr der kurze Blickwechsel des Fürstenpaares entgangen, bevor seine Mutter sich erneut an sie wandte.
 

„Ob es wohl genug der Ankündigung ist, Euch, Ishizu-sama, zum späten Nachmittag in meinen Garten einzuladen?“, wirkte nur an der Oberfläche versöhnlich.

Neugier 3/3

Der beste Schutz vor einem Gerücht ist das Dementi des Schweigens. (Horst A. Bruder)


 

„Ob es wohl genug der Ankündigung ist, Euch, Ishizu-sama, zum Nachmittag in meinen Garten einzuladen?“, wirkte nur an der Oberfläche versöhnlich. (Kap. Neugier 2)
 

Anscheinend konnte seine Mutter nicht minder austeilen, wie er. Natürlich begegnete sein Raubtiergold ihrem regungslosen in zu erwartender Ausdruckslosigkeit. Mutter und Sohn schienen sich da gleich.
 

„Hm, so viel Rücksicht auf einmal“, triefte vor Sarkasmus und war weit vom gehorsamen Sohn entfernt.
 

Wohl der Grund, warum es vom väterlichen Orangegold gemahnt wurde; mochte der Vater auch seine Stimme nicht zum Tadel erheben.

Sie erlebte ihn nur höchst selten so. Er glaubte sich also weiterhin auf dem Prüfstand. Dennoch musste er es hinnehmen. Sie wagte es daher auch nicht, jetzt nach seiner Bestätigung zu suchen.

Stattdessen blickte sie neben sich. Das Augenmerk ihres Mentors ruhte längst warm auf ihr - unmöglich zu sagen, ob er seine Fürstin zuvor ebenso gewarnt hatte. Er stellte es ihr frei.

Kurz war sie doch tatsächlich geneigt, eine Unpässlichkeit vorzubringen – nicht nur aus Erinnerung an heute Morgen. Sie fühlte sich nicht bereit für erneute Fehler und fürchtete, ihn abermals in Misskredit zu bringen. Andererseits war sie genau deshalb hier. Es war ihre Aufgabe.

Längst registrierte sie die leise Unruhe in sich, welche allein Sesshōmarus Nähe in ihr entfachte. Ihre Sehnsucht nach ihm war fast greifbar, als die nächste Windböe ihr neben dem Salz des Meeres seinen Geruch entgegentrieb. Jetzt, da er so nahe vor ihr war, meinte sie, ihr Körper stünde in Flammen ohne, dass er sie auch nur ansah. Ganz im Gegenteil bemühte er sich nahezu, sie eben nicht anzusehen.
 

Einem Automatismus folgend veränderte sich ihre Atmung. Es entging ihm nicht.

Ebenso wenig wie Myōga, der sogleich wohlmeinend im Flüsterton versicherte: „Ich bin an Eurer Seite, Ishizu-sama.“
 

Der Flohgeist kannte wohl die Wirkung seiner Herrin.

Es mochte seinem Vater und seiner Mutter entgehen, Sesshōmaru hingegen schnappte es in seiner Konzentration auf sie allein gerade noch so auf. Er gestattete sich sogar das leise Zucken um seine Mundwinkel, ehe er bewusst noch etwas mehr Überheblichkeit hineinlegte, sodass es zu seinem charakteristischen Schmunzeln heranwuchs. Es passte zu seiner Fassade - und schützte sie gleichsam. Natürlich erkannte er, wogegen Ishizu da eigentlich anfocht, trieb ihm doch der Wind nun ihre Witterung erbarmungslos in seine Nase, wie zuvor die gegensätzliche Windböe seine in ihre. Er schloss die Augen, um sich zu sammeln, als sich ihm die Erinnerungen an die Momente unweigerlich aufzwangen, in denen sie eben diese nervöse Atmung für gewöhnlich unter ihm zeigte. Das Lächeln behielt er dabei wohlweislich auf seinen Zügen. Es baute die Farce aus.
 

Der Blick aus väterlichem Gold, welcher ihn dann traf, kaum, dass er seine Augen wieder öffnete, verbat ihm jegliche weitere Regung. Natürlich hatte er seine Miene kontrolliert, jedoch nahm er nicht an, dass der Vater auch nur erahnte, wie falsch er da doch lag in seiner Überzeugung, ihn für sein Amüsement tadeln zu müssen. Sein Raubtiergold funkelte lebendig, weil er seine Farce erfolgreich wusste. Das warnende Funkeln im Orangegold nahm er regungslos hin.
 

„Wie könnte ich Eure Großzügigkeit ausschlagen“, war Akzeptanz und Flucht zugleich für Ishizu.
 

„Dann freue ich mich auf den späteren Nachmittag, Kenshin“, ließ Ishizu tatsächlich daran zweifeln, ob Besagter überhaupt noch ganze Sätze an sich gerichtet verstand.
 

Er sollte sie wohl mit Myōga begleiten oder abholen?

Für einen Sekundenbruchteil riskierte sie den Blick in sein Raubtiergold. Seine Ausdruckslosigkeit stach ihr warnend entgegen. Zum ersten Mal tat ihr die Distanz weh, wusste sie sie auch nur aufgesetzt. Sie wagte nicht, ihm in Gedanken zu begegnen, wähnte sie ihn doch zu Recht zu angespannt, um nicht um ihrer beider Fassade zu fürchten.
 

Da reagierte ihr väterlicher Mentor auf ihre scheins offenkundige Verwunderung, wenn er auch völlig andere Motive dahinter vermutete: „Ich hatte gedacht, den Nachmittag für Sesshōmaru zu übernehmen, nachdem er ja Besuch hat.“
 

Es entlockte ihr ihr entzückendes Lächeln, welches sie in sein leuchtendes Dämonengold erhob.

Die genaue Musterung durch die Gefährtin an seiner Seite entging ihr. Ein Schauspiel, dem der Sohn wesentlich aufmerksamer dafür beiwohnte.
 

„Toga“, verklang sanft.

Eine Mahnung oder eine Erinnerung. Ishizu war sich nicht ganz sicher. Mit einem Nicken und entschuldigenden Blick an sie entließ er sie in die Obhut Takesumis.

Also verabschiedete sie sich, wie es sich ziemte, ohne sich darüber bewusst zu werden, dass auch Sesshōmarus Unruhe mit einem jeden ihrer Schritte aus seinem Blickfeld abebbte.
 

Damit wandte sich der Vater dem Gesuch seiner Gefährtin zu.
 

„Erwarte mich in meinen Gemächern, Sesshōmaru“, bedeutete dem Sohn unmissverständlich, dass seine Mutter mit seinem Vater allein zu sein wünschte.
 

Er bedurfte keiner weiteren Einladung, sich entfernen zu dürfen, mochte er auch hoffen, dass sie nicht allein der Nordsache wegen hier war. Er erfuhr es früh genug.
 

Damit lag das Augenmerk des Herrn über die Hunde aufmerksam auf der ansehnlichen Erscheinung seiner Gefährtin. Sie wandte sich in vollem Bewusstsein darüber wieder dem Blick über die ausgedehnte Anlage zu - eine gewichtige Stille damit nur zu gezielt zwischen sie entspannend.
 

„Sie sind nervös“, klang bei Weitem harmloser, als es letztlich wohl war.

Sonst wäre sie nicht hier. Also doch nicht nur ein Besuch beim Erben. Er verbiss sich ein tonloses Seufzen.
 

„Weil sie hier ist“, zeigte er sich unbeeindruckt.

Es erlaubte ihren Einwand.
 

„Es stößt auf Unverständnis – und gefährdet nicht nur dieses Bündnis. Wozu hast du mich, wenn du nicht auf mich hören willst? Du brauchst die Unterstützung der Deinen“, sah sie sich daher gezwungen, auszuführen.

Mehr wagte sie jedoch nicht.
 

„Es ist nicht die erste Entscheidung und wird nicht die Letzte sein, für die sie Zeit brauchen. Sie werden sich daran gewöhnen. Das Turnier verlief soweit ruhig“, raubte ihm sein schmales Lächeln in Erinnerung an ihren beeindruckenden Patzer.
 

„Also ignorierst du es? Du unterschätzt scheins nicht nur ihren Augenaufschlag“, lenkte seinen Blick in einer Mischung aus Verwunderung und Amüsement auf seine Fürstin.
 

Ihre Miene blieb ausdruckslos wie die ihres Sohnes. Mochte es auch nur in einem Nebensatz scheinbar erfolgt sein, so hatte sie es doch so deutlich ausgesprochen, wie er es nie für möglich gehalten hatte, je bei ihr erleben zu dürfen.

Seit wann verglich sie sich mit einer Göttin – und ließ sich von Gerede beeindrucken?
 

„Wofür hältst du mich?“, wollte wohl die Stimmung auflockern.

Zumal er bei Weitem erfahren genug war, um mit ihrer göttlichen Ausstrahlung umgehen zu können. Natürlich war es eine bewusste Entscheidung, es so zu spielen. Sie dankte es ihm im Stillen, mochte sie es auch mit Nichtachtung strafen, indem sie ihren Blick zurück auf die Weite vor ihnen richtete.
 

„Wenn du dich ihrer Ausbildung morgens annimmst und Sesshōmaru nachmittags, Takesumi dann am Abend, was tut sie dann in der Nacht?“, wirkte wieder wie eine Belanglosigkeit, als fragte sie nur aus Höflichkeit.
 

„Sie schläft“, beorderte ihr verengtes Raubtiergold zurück auf sein vor Belustigung tanzendes Orangegold.

Damit hatte er gerechnet, genauso wie mit ihrem Unverständnis, das er nicht nur bei ihr erwartete, sollte diese Tatsache je in seiner Art umgehen. Mit ein Grund, warum sein Hofstaat magische Schwüre hatte ablegen müssen, die Geheimnisse um ihre Fähigkeiten und Gewohnheiten zu wahren. Ein jeder starb, der es auch nur versuchte zu umschreiben. Einzig noch bei ihr wusste er es in Sicherheit.
 

„Also ist ihre Allmacht versiegelt – und das Ereignis beim Turnier war tatsächlich eine Überraschung, auch für dich“, überraschte ihn nicht.

Er bestätigte es nickend und lenkte so ihren Blick zurück auf die Hofanlage unter ihnen. Seinen Scharfsinn hatte Sesshōmaru nicht von irgendwoher – und da nahm er sich ein Stück weit aus.
 

„Wenn sie sie schon mit Allmacht ausstatten, warum dann nicht auch mit dem nötigen Wissen um ihre Welt“, spiegelte zum Teil die gravierende Kluft zwischen ihren beiden Arten undeutbar wider, wie er nun wusste.
 

In den Augen der meisten höherrangigen Dämonen waren Götter dämlich, auf solche Macht zu verzichten oder gar sie zu beschränken. Er dagegen war anderer Meinung. Macht brachte Verantwortung – und das Fundament dafür konnte nur nach und nach entwickelt werden, wenn sie allen dienen sollte.
 

„Anscheinend gibt es da Einiges, was auch sie nicht wissen“, traf schmunzelnd auf ihre angespannten Züge.
 

Er musste ihr ja nicht alles auf die Nase binden. Sorgenvoll erkannte sie derweil, dass ihr Gefährte in seine neuste Idee wiedermal verliebt war.

Er wahrte die Distanz zur Göttin, räumte ihr die Stellung einer Tochter ein. Wer, wenn nicht sie wusste um sein Bedauern, dass sie ihm sofort den Sohn geschenkt hatte. Letztlich stand es ihm frei, dies jederzeit zu ändern. Ihre Position und die Sesshōmarus würde er davon unabhängig halten.
 

Ihre Damen hatten sie bereits vor einer geraumen Weile verlassen, um demselben Bedürfnis nachzugehen, dem auch sie nachgehen sollte.

Die Flamme nährte sich knisternd in ihrem Rücken, als sie den Kamm gedankenverloren durch ihr langes Pechschwarz gleiten ließ.

Hätte sie Sesshōmaru abgewiesen, wäre sie ihm also nicht verfallen, dann hätte sie die Einladung der Hundefürstin unumwunden angenommen. Genau dafür war sie hier. Es war ihre Verpflichtung, ihre Aufgabe, der sie nicht nachkam, weil sie ihre Neugier fürchtete.

Sie hatte sie nach Sesshōmaru gefragt in ihrem Garten. Ganz direkt, wie sich ihr Sohn als Lehrmeister machte.

Er hatte also recht behalten. Dennoch hatte sie gemeint, nicht mehr als einer Art mütterlicher Fürsorge gegenübergesessen zu sein, wenn auch ungewohnt verhalten. Keinem konkreten Verdacht.

Also hatte sie ihn gelobt. Das hätte sie auch ohne ihre Gefühle für ihn getan. Allerdings hatte sie es für besser befunden, ihre Zwistigkeiten nicht unerwähnt zu lassen. Die Mutter schien bestens informiert darüber. Natürlich, anscheinend hatte sie hier ihre Informationsquellen. Besser, deren Identität blieb ihrem Sohn weiterhin verborgen.
 

Es war interessant gewesen. Die Dämonenfürstin schien eine gute Lehrmeisterin. Nun, sie war sicherlich durch ihre Jahre mit ihrem Gefährten und nicht zuletzt Sesshōmaru darin geschult, das kleine Dämonen-Einmaleins zu vermitteln. Sie hatte erfahren, dass eine Fürstin unter den Dämonen zwar den Kampf in ihrer Jugend lernte, es aber zu ihren Aufgaben zählte, nicht nur den Gefährten würdevoll zu repräsentieren, sondern ihm in allen Belangen den Rücken zu stärken - auch im Kampf. Etwas, das sie bei ihren Menschen unter den Kriegerfrauen in Japan kannte. Dämoninnen blieben dabei nicht auf die Stabwaffen beschränkt.

Sie verzog ihre Lippen in seltenem Missfallen, ehe sie den Kamm aus Buchsbaumholz erneut an ihrem Scheitel ansetzte. Sie mochte dieses Utensil, es war weich und lud ihr Haar nie elektrostatisch auf. Ob sie es als Geschenk betrachten durfte?
 

Ihre Brust hob sich sanft gegen den dünnen Stoff der Yukata. Ohne ihre Gefühle für ihn hätte sie zugestimmt und ihre Aufgabe so erfüllt. Sie erschrak, als das Flackern der Flammen von der leisen Erschütterung der Holzbalken kündete, sobald er auf ihrer Veranda nahezu geräuschlos aufsetzte. Der Boden hatte es nicht einmal über ihre Schienbeine an sie herangetragen. Sofort glitt der Tsugegushi ungeachtet zu Boden, als sie sich geschwind aufmachte zu den Shōjitüren.
 

„Was wollte sie?“, ließ sie angenehm erzittern, als sein Tenor ihre Sinne vertraut reizte.

Sie nahm einen leisen Atemzug, um ihre Gedanken zu klären. Erst dann trat sie nahe an das Japanpapier heran, welches ihren Schatten gedämpft hinauswarf.
 

„Sie hat mich eingeladen, euch zu begleiten“, traf auf Schweigen.

Mehr musste er nicht wissen, befand sie. Auch er musste ihre Neugierde fürchten, wenn er deshalb kam.
 

„Du wirst nicht gehen“, war zu sanft für seine Verhältnisse, um als Befehl gewertet zu werden.
 

Das hatte sie sich schon gedacht. Die Sehnsucht heute war fast körperlich spürbar gewesen, wie sollte sie da die Tage an seiner Seite unter den wachsamen Argusaugen seiner Mutter überstehen?

Denn, dass er Recht hatte, und sie sich weit mehr als nur für sein Betragen interessierte, war offenkundig.
 

„Ich werde es, solange es geht, hinauszögern“, versprach sie flüsternd.

Natürlich wollte sie nicht unhöflich sein. Da er nichts erwiderte, nahm sie an, dass er genickt hatte.
 

„Warum hast du mich nicht geweckt?“, brach sie die Stille behutsam.

Es kam fast flehentlich über ihre Lippen. Er hörte ihre filigranen Finger gegen das Japanpapier klopfen, als sie ihrem Drang nach Nähe nachkam.
 

„Wir kamen zu spät“, verriet nichts über sein Gefühlsleben.

Sie verstand umgehend. Sie war bereits von ihren Damen umgeben gewesen. Ob er sie den Tag über bewusst gemieden hatte?
 

„Sehe ich dich heute?“, raubte ihm einen tiefen Atemzug – unhörbar für ihren menschengleichen Gehörsinn.
 

Ihr Begehr verklang nicht ungehört in seinem Körper. Es war Wahnsinn. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte seine Mutter stets eine bessere Spürnase bewiesen, und ein deutlich größeres Interesse an seinen Kontakten offenbart.
 

Nicht, solange sie hier ist, lag auf seinen Lippen; Doch es kam nie über sie.

Stattdessen verfolgte sein feines Gehör gebannt das hauchzarte Schaben ihrer Nägel über das Papier der Shōjitüren. Er verharrte einen Moment unschlüssig. Sie sah nicht, dass er die Augen schloss geschützt von den Schatten, welche die ausladend geschwungene Dachstruktur im Mondlicht warf. Es war mühsam zu gehen. Die Nacht war gelaufen. Und riskant zu bleiben.
 

Sein Zögern entging ihr dafür nicht. Gebannt lauschte sie in die Stille. Ihr Herz klopfte dabei wild in ihrer Brust. Ihre Wange lehnte gegen das dünne Papier. Sie war sich sicher, dass er ihre Aufregung nicht überhören konnte. Umso abrupter wich sie zurück, als er die Türen letztlich ruckartig aufschob. Ihre Überraschung weitete ihr unergründliches Meeresblau. Sie hatte nicht erwartet, dass er sich gegen die Vernunft entschied.

Ai schlich sich fast beiläufig an ihm vorbei hinaus. Keiner von beiden beachtete sie, als er hinter ihr die Tür zuschob.
 

„Das ist keine gute Idee.“

Sie schüttelte bestätigend den Kopf – und strafte sich im selben Moment Lügen, als sie sehnsüchtig bat: „Bleib.“
 

„Dein Zauber“, erfolgte bereits nahe vor ihr.

„Ist längst gesprochen“, versprach ein Mindestmaß an Diskretion.
 

Ihr Herz hüpfte ihm voller Freude entgegen, sobald sie sich damit in einem wilden Kuss von seiner Präsenz weiter in den Raum gedrängt wiederfand.
 

„Wie lange wirst du weg sein?“, lenkte sein im Halbdunkel funkelndes Raubtiergold zurück auf ihre verlockende Erscheinung.
 

Sie lag auf dem Bauch, die schlanken Beine verspielt angezogen, stets in sanfter Bewegung. Es raubte ihm einen leisen Zug um seine Mundwinkel. Einzig sein Kimono verdeckte ihre alabasterfarbene Haut und endete durch ihre Unruhe neckisch nahe unterhalb ihres wohlgeformten Gesäßes. Mochte ihre Atmung auch längst wieder zurückgefunden haben zu ihrem regelmäßigen Rhythmus, nicht nur ihr Haar verriet ihre letzten Aktivitäten. Das Bett wirkte durchwühlt.

Er lehnte gegen die Wand nicht weit entfernt und doch in “sicherer“ Distanz. Die seltsame Sonderanfertigung, welche sie “Kissen“ nannte und für gewöhnlich ihr Haupt weich bettete, schützte seine Kehrseite vor der Härte der Holzwand. Die Decke einzig leger um seine Mitte drapiert schickte er sein bewegtes Gold genüsslich über ihre Erscheinung.
 

„Zwei Nächte“, die Tage interessierten sie nicht.

Dennoch schürzte sie verstimmt ihre Lippen.
 

„Ich war bereits länger weg“, stimmte sie nicht wirklich versöhnlicher.

Sie erntete dafür einen überheblichen Blick von ihm. Es bewog sie dazu, sich aufzusetzen. Natürlich entging ihr nicht, dass er jede Regung seines Stoffes über ihre Kurven dabei genau verfolgte. Als sie sich darüber ihr Schmunzeln verbiss, konzentrierte sie sein erstarrtes Gold nur wenig später auf ihre Unterlippe.

Wie sollte das erst werden, wenn er erst nach zwei Nächten zurückkehrte? Sie befand, es wurde Zeit für einen Themenwechsel – und zwar ganz schnell.
 

Und da ihr nichts anderes einfiel, platzte sie mit dem heraus, was ihr den Tag beschwert hatte – und sie einzig an ihn zu richten wagte.
 

„Was will der Norden?“

Es brach seine Gier umgehend und erhob sein funkelndes Dämonengold geklärt in ihr Meeresblau. Zürnte er ihrer, weil sie fragte?
 

„Sie sind nervös“, war nüchtern – eine Tatsache.

Dennoch fühlte sie Unbehagen in sich aufsteigen. Waren es die Vorbehalte gegen das Bündnis ihrer Väter? Instinktiv senkte sie den Blick. Es war ihr unangenehm, erkannte er unumwunden. Als sie sich wegdrehte und nach ihrem Kamm griff, zückte er die Braue.

Eine Übersprungshandlung, die ihren inneren Konflikt offen zutage förderte. Als sie jedoch seinen Blick in ihrem Rücken spürte, hielt sie inne.
 

„Es schickt sich nicht, richtig?“, räumte sie ihren Fehler ein.

Es raubte ihm einen leisen Zug um seine Mundwinkel, unter dem sie den Kamm wieder ablegte. Was hieran schickte sich schon in seiner Welt? Er hatte es nie zuvor gesehen.
 

„Es ist wegen mir, nicht?“, überraschte ihn ihr Schuldbewusstsein.

Es wirkte ehrlich gemeint. Kurz überflog er ihre zierliche Gestalt, welche in dem wesentlich größeren Männerkimono nahezu unterzugehen schien.

War das ihr göttlicher Anspruch, nicht in die irdischen Geschicke direkt einzugreifen, dem sie hier nachkam?

Er wusste längst, dass es sie weit mehr störte, als sie zuzugeben bereit schien. Da brauchte er sich nur an die Sache mit Chiyo zu erinnern.

Es gefiel ihm nicht, wenn sie so tat, als sei es ihr gleich, erkannte er da.
 

„Lügen stehen dir nicht, Ishizu“, verklang scheinbar ungehört; dennoch vermeinte er sie stocken zu sehen.
 

Ihr Atem entwich ihr keuchend, als er daraufhin überraschend hinter sie kam und ihr Haar zur Seite strich.
 

„Politisches Taktieren“, traf der Seine heiß gegen ihre pulsierende Halsschlagader, ehe er seine Lippen zärtlich über die dünne Haut gegen ihren kräftig schlagenden Puls tupfte.

Es schloss ihre Augen umgehend.

Also war er der Meinung, dass sie auch eine andere Chance ergriffen hätten, um neu zu verhandeln?

Intuitiv folgte sie seiner Wärme und lehnte sich gegen seinen Körper in ihrem Rücken. Aufseufzend genoss sie die zarten Reizungen seiner Krallen unter dem Stoff über ihre Hüfte an ihren Bauch, während seine Lippen eine elektrisierende Spur über ihren Puls hinauf an ihr Ohr strichen. Sobald sie ihre Ohrmuschel erreicht hatten, schmiegte sie ihre Stirn gegen seine Schläfe.
 

„Was hast du gesagt?“, war nur ein Wispern, das sich über das Feuerwerk seiner Berührungen in ihren Sinnen erhob.
 

„Dass es noch Zeit hat“, wirkte unbekümmerter, als er tatsächlich gewesen war.

Damit schlug sie ihre Augen auf und traf sein dämonisches Gold, welches fest auf ihrem lag. Sie wagte kein weiteres Wort, wanderte stattdessen seine Züge mit ihrem Meeresblau liebkosend ab, ehe sie die Hände an seine Wangen erhob. Er ließ es zu, dass sie sich in seiner Umarmung zu ihm wandte und empfing ihren Kuss nicht minder gefühlvoll, als sie sich noch darunter auf seinen Schoss bugsierte.
 

Als sie voneinander abließen, studierte sein Blick jede Regung in ihrem bewegten Meeresblau. Da sie schwieg, schwieg auch er. Und so trennte einzig das Nähren der Flammen in den kleinen Schalen die Stille, als sie ihm sein Haar auf ihre einzigartig sanfte Art und Weise aus dem Gesicht strich. Ihr Blick verweilte dabei auf seiner Sichel - ungewöhnlich lange und konzentriert, wie ihm alsbald aufging.
 

„Weihst du mich ein“, war weniger Frage denn Forderung.

Es entlockte ihr ein entschuldigendes Lächeln.
 

„Ich hatte nicht erwartet, dass sie sie dir vererbt hat“, sollte wohl harmloser wirken, als es tatsächlich war.

War das die Hinterlist, welche seine Mutter den Göttern gerne unterstellte, weil sie ihr Wissen selten teilten?
 

„Das heißt, Ishizu“, entbehrte aller Zärtlichkeit.

Er forderte nun unverkennbar. Sie schüttelte leise den Kopf, besänftigend wohl, ehe sie ihre Fingerkuppen auf ihre ganz eigene Art über seine Dämonenstreifen tupfte. Es vermochte seinen Blick dennoch nicht zu entschärfen.
 

„Du weißt, dass Tsukiyomi, der ältere der beiden Söhne eures Schöpfers, den Mond trug?“

Mit ein Grund, warum die Seinen das Blut seiner Mutter verehrten, natürlich.

Sie erwarteten eine engere Verbindung zur Urmacht ihres Schöpfers.
 

„Mein Vater schwor einst, sein Blut von Mutter Erde zu tilgen“, entwich ihren Lippen tonlos.

Hatte sie etwa Angst um ihn?

Es hätte ihm ein Lächeln geraubt, hätte ihr Blick dies zugelassen.

So legten sich seine Arme lediglich enger um ihre zarte Gestalt, um sie näher an sich zu ziehen.
 

„Ich bin hier“, raubte ihr tatsächlich ein leises Lächeln.

Er ging nicht davon aus, dass dem Gott der Götter dabei ein Fehler unterlief.

Undeutbar senkte sich ihr Meeresblau da wieder auf ihn herab.

Manches Mal traten Merkmale auch spontan auf, ganz ohne ihr Zutun, natürlich. Zumal er seinen Schöpfungen stets etwas von sich mitgab.

Wie hätte es ihm auch entgehen können? Es musste so sein.

Dennoch nahm sie sich in diesem Moment insgeheim vor, auch weiterhin dafür Sorge zu tragen, dass die Augen des Gottes der Götter blind blieben gegen Japans Westen. Sobald sie wieder Zuhause war. Noch schützte ihn ihre Abmachung, so wie sie beide.

Wenn sie allerdings Pech hatten, böte diese Kleinigkeit ihrem Vater nur den gewünschten Anreiz. Sicher war also sicher.
 

„Es empfiehlt sich, nicht alles zu glauben, was Dämonen behaupten, Megami“, war nicht nur Tadel diesmal.
 

Dennoch bot es ihr die gewünschte Chance zur Ablenkung. Also stieg sie mit einem süffisanten Grinsen gewohnt darauf ein.
 

„So? Bin ich wieder zu vertrauensselig deiner Meinung nach?“

Die Zärtlichkeit, welche sich damit auf seine Züge hinabsenkte, kannte er einzig von ihrem Meeresblau.
 

„Ich wiederhole mich ungern, Göttertochter.“
 

„Ich weiß, auch dein Herr Vater zeigt mir nur, was ich zu verkraften bereit bin und ich soll ihm nicht bedingungslos vertrauen – nicht einmal dir, richtig?“, flüsterte sie bereits gegen seine Lippen, ehe sie sie gefühlvoll mit ihren verschloss.
 

Ihr Schmunzeln, als sie von ihm abließ, empfand er als unpassend.
 

„Reichlich spät, Yōkaisohn“, trieb seine Braue in die Höhe.
 

Sie tat es mit einem verliebten Lächeln ab, während sie ihm den Pony aus seinem Gesicht strich.

Er war geneigt, die Augen zu schließen.
 

„Ich weiß es doch längst“, war nur ein Wispern gegen seine Lippen und hielt ihn davon ab, ehe sie die Ihren federleicht darauf tupfte.
 

Ihr Blick entließ ihn nicht, sondern ging ihm durch und durch. Wenn es jemals ein Spiel gewesen war, so war dieses gerade zu Ende gegangen.
 

„Ich weiß, dass du mich liebst“, verklang wie ein Flüstern im Wind.

Er verstand jedes Wort.

Jetzt hielt sein Blick sie eisern gefangen. Sie folgte seinem Zug an seine Lippen, schloss die Augen und seufzte in den Kuss, den er nicht minder abrupt stoppte. Er verblieb knapp über den Ihren, sodass sie seinen Atem heiß gegen sie vernahm, als er rau gebot: „Du bist mein.“

Sie bedurfte eines quälend lange erscheinenden Momentes, in dem ihr Meeresblau seinem Raubtiergold standhielt, ehe sie ihm wie zur Bestätigung entgegenkam. Wie ein Feuer schlug sich ihre Zärtlichkeit wild durch ihren zierlichen Körper, als sein Kimono noch unter ihrem Kuss sanft von ihren Schultern glitt.
 

„Deswegen hat die kleine Hündin also riskiert, das Schloss so abrupt verlassen zu müssen – so dumm hatte ich sie gar nicht in Erinnerung“, lenkte sein Raubtiergold ungerührt hinter sich.
 

Natürlich war ihrer Spürnase nicht entgangen, wie er die Nacht verbracht hatte. Egal, wie sehr er sich auch bemühte, darin schien sie von Beginn an Meisterin. Er konnte einzig hoffen, dass sie nicht Ishizu dahinter vermutete. Und so erwartete er geduldig ihren nächsten Atemzug, während sie mit Kenshin im Rücken an seine Seite kam.
 

„Will ich es denn wissen?“, zwang seinen Blick von ihr, wollte er ihr Interesse nicht absichtlich wecken.

Einmal wenn er ihre Ausführlichkeit tatsächlich zu schätzen gewusst hätte. Als der Wind ihm ihre Witterung um die Hundenase wehte, erhob er sein Raubtiergold zum Schloss.
 

Sie kannte das dämonische Funkeln der smaragdgrünen Augen in der undurchdringlichen Schwärze ihrer ererbten Finsternis. Das Silber blitzte vertraut auf, als ihr Licht es traf. Sie fühlte sich erinnert. Makelloser Alabaster erstrahlte im befremdlichen Orange. Solch eine Energie war ihr noch nie zuvor begegnet, meinte sie. Sie war weiblich. Das konnte sie spüren. Genauso, wie sie das lebendige Pochen hören konnte, ehe die blaue Sichel sich wie ein Dolch durch die bleierne Schläfrigkeit schnitt.
 

In einem geräuschvollen Atemzug fuhr sie in die Senkrechte, und erschrak ob des schabenden Geräuschs zu ihrer Seite. Pfeilschnell glitt ihr Blick neben sich. Ais Schnauze stupste erneut die Trinkschale mit dem dampfenden Wasser in ihre Richtung. Ishizu legte die Hand auf ihre sich schwer heben und senkende Brust. Rasch schweifte ihr Meeresblau um Orientierung heischend durch ihr im Halbdunkel des anbrechenden Tages liegendes Zimmer. Er war längst aufgebrochen, natürlich.

Über diese Erkenntnis nahm sie die Schale mit den grünen Blättern daneben in ihren Fokus.

Irritiert suchte ihr göttliches Blau das Gold ihrer Nefrilin in Wolfsgestalt.
 

„Schadet der Tee ihr?“, jetzt erahnte sie, dass der nicht nur die Übelkeit vertrieb.
 

Ai legte den Kopf schief und winselte. Sie würde es ihr wohl ansonsten nicht verabreichen.

Die Göttin bemühte ein entschuldigendes Lächeln, ehe ihre Finger zittrig nach den Blättern langten, um diese wie den Morgen zuvor in dem Getränk zu lösen. Sie waren getrocknet. Irgendwie erinnerten sie an die Fuchsmagie der Diener ihrer Tante, als sie diese fahrig zwischen ihren Fingern zu zerreiben begann. Immer noch hielt die Fassungslosigkeit ihr Herz in ihrem schraubstockartigen Griff.

Wie auch immer Ai an diese Blätter gekommen war. Sie war ihrer Nefrilin unendlich dankbar, hatte sich ihr doch ihre Schwangerschaft heute erst offenbart. Wie blind konnte sie sein?
 

Vorsichtig nippte Ishizu an dem heißen Getränk, immer noch fassungslos und zutiefst erschüttert.

Es war unmöglich. Noch ehe ihre Gedanken mit ihr durchgehen konnten, ereilten sie die Geräusche, welche vom Hof hereindrangen.
 

Rasch schlug sie die Decke da auf und eilte ihre Yukata fest um sich schlingend auf ihre Veranda.

Den halben Weg an ihrer Längsseite entlang spürte sie ihr Herz wild gegen ihre Brust hämmern. Es machte ihr Angst, ihm jetzt zu begegnen und doch zog sie alles in ihr zu ihm.

So kam sie merklich Atem schöpfend letztlich an die Kante des umzäunten Umwegs, welche ihr den Blick hinab auf den äußersten Hof gewährte.

Sie waren noch nicht aufgebrochen.

Intuitiv umfasste sie die Yukata fester, als der Wind sie in ihrem Rücken erfasste. Nicht, weil sie fröstelte.

Sein Gold legte sich wohltuend über sie und beruhigte ihre Atmung. Sie wagte ein zaghaftes Lächeln, ehe er sich in seine dämonische Energie hüllte. Mutter wie Sohn verwandelten sich vor ihren Augen in ihre wahre Form – und offenbarten unverkennbar ihre Verwandtschaft.
 

Es entkam der Tochter instinktiv, ohne sich bewusst dazu entschieden zu haben, verband sich ihre Verzweiflung mit ihrem aufgeregten Herzschlag: Mama!
 

Lange schwarze Wimpern eröffneten den Blick mit einem Schlag auf unergründliches Tiefblau. Immer weiter schrumpfte das helle Band um ihr ebenhölzernes Schwarz, bis es den Schopf der dunkelhäutigen Schönheit wie einen Heiligenschein umgab. Nur am Rande umspielte ihre Sinne das Plätschern der wässrigen Zuläufe um sie herum. Das Klackern von Schritten brach sich immer lauter über die längst vergessenen Zeichen an den goldenen Wänden, welche sich im wolkenverhangenen Nichts hoch über ihr verloren.
 

„Es ist Zeit für eine Erklärung, findest du nicht, Schwester?“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Für alle, die es genauer wissen wollen:

Für Sesshômarus und Ishizus Debatte am Ende über Pflicht und Ehre habe ich mal wieder Chrysantheme und Schwert (R. Benedict, 2018, 106f.) bemüht - war mal so frei, davon auszugehen, dass er den hohen Idealen verpflichtet ist.
Hierin bezog ich mich auf zwei Formen der Verpflichtungen ''On'' und ''Gimu''.

On
Eine passiv eingegangene Verpflichtung (man empfängt/trägt es) gegenüber Kaiser/Eltern/Feudalherren/Lehrer (On-Menschen).
Dieses ''On'' zahlt man dann reziprok zurück (im Sinne von einer Schuld).

Gimu
Pflichten gegenüber Kaiser/Gesetz/Eltern/Vorfahren/Arbeit.
Gimu gilt unabhängig von äußeren Bedingungen (also keine Ausnahmen!).
Diese können dabei nie vollständig zurückgezahlt werden.

(Ganz im Gegensatz zu Giri (gg. Verwandten):
Kann mit mathematischer Genauigkeit zurückgezahlt werden.
Beispiel: Listen der Hochzeitsgeschenke/Schenkerfamilie, um im gleichen Umfang dem Brautpaar aus der Familie ihr Hochzeitsgeschenk zurückzuzahlen.
Kommt wohl auch unserem altertümlichen Begriff von ''Ehre'' nahe).



In China gibt es die Möglichkeit, Gimu zu widersprechen.
Denn für Loyalität und Ehrfurcht kann der Chinese als Voraussetzung ''jen''-Wohlwollen (japanisch: /jin/ oder /jingi/) postulieren.
Der Kaiser muss demnach wohlwollend seinen Untertanen gegenüber sein, um ''Gimu-chu'' erhalten zu können. Ebenso müssen Eltern wohlwollend ihren Kindern gegenüber sein, dann können sie deren ''Gimu-ko'' einfordern.
In Japan ist das keine Tugend. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Herren scheinen ja wenig begeistert von Frau Mutters Interesse zu sein. Weshalb dem so ist, davon kriegt Ishizu beim nächsten Mal eine kleine Kostprobe. Ob die sich lohnt, wird sich zeigen... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Na, ob das so eine gute Idee ist, der Einladung zu folgen? Was die hohe Dame wohl wollen könnte? Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück